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Die Prophezeiung

SPOILERS!!!!
von

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5 Jahre zuvor

5 Jahre zuvor
 

Im Haus war es dunkel, kein Geräusch drang nach draußen und nichts regte sich.

Doch er wusste, dass sie da waren. Verborgen im finsteren, so wie es Monster immer taten. Er brauchte sie nicht zu sehen, er konnte sie spüren.

Er öffnete die Tür, roch sogleich den süßlichen Geruch von Blut, den er doch so sehr verabscheute. Er konnte sein eigenes Verlangen wachsen spüren und mit jedem Schritt den er in das Haus, hin zu der Quelle des Blutes, tat wuchs es noch mehr. Doch er hatte schon lange gelernt, sich nicht mehr davon kontrollieren zu lassen. Er hatte genügend Zeit gehabt.

Er betrat das Haus und folgte dem Geruch. Er führte ihn direkt zu einem Zimmer, hinter dessen Tür er das Schmatzen hören konnte, was den Tod ankündigte.

Es waren zwei, das konnte er spüren und anscheinend waren sie so im Blutrausch, dass sie ihn nicht einmal bemerkten.

Die Tür stand einen Spalt offen und er konnte in das Zimmer sehen. Es war scheinbar das Wohnzimmer und die beiden Vampire labten sich noch an ihrem Opfer. Durch das schwache Mondlicht, welches in das Zimmer schien, konnte er erkennen, dass es eine Frau war, die zu ihrer beider Opfer geworden war. Sie war vielleicht Ende zwanzig und sie lebte noch. Er konnte den Schmerz in ihren Augen sehen und doch schienen sie nur darauf zu warten, dass es endlich vorbei sein möge.

Die Vampire standen dicht bei ihr, der eine hinter ihr und der andere vor ihr. Gleichzeitig mussten sie zugebissen haben, der eine links, der andere rechts an ihrem Hals und tranken nun zugleich ihr Blut. Ekel stieg in ihm auf. Wie gierig waren diese Ungeheuer?

Dennoch reagierte er nicht gleich. Er wusste dass noch jemand anwesend war. Mit den Augen suchte er den Raum ab fand das zweite Opfer. Vielleicht konnte er wenigstens dessen Tod verhindern, denn für die Frau, das wusste er, war es bereits zu spät. Und wenn es ihm nicht gelang, so wollte er diesen Monstern nie wieder die Gelegenheit geben zu töten.

So leise er es vermochte zog er seine Waffe, öffnete dann die Tür und erst dann bemerkten sie ihn. Sofort ließen sie von ihrem Opfer ab und er sah, wie sie zu Boden sank. Die Hand des einen zeigte seine wahre Gestalt und verwandelte sich in eine Klaue, die nach ihm Griff, ihn aber verfehlte. Der andere war wesentlich schneller und es gelang ihm, ihn am Arm zu packen. Bevor er überhaupt wusste, was mit ihm geschah, fühlte sich sein Arm kraftlos an. Als würde etwas in seinem Inneren ziehen, ihm die Kraft rauben und schwächen. Erst als er den anderen Vampir erneut abgewehrt hatte, konnte er einen kurzen Blick auf seinen Unterarm werfen.

Was er sah, ließ ihn alles andere vergessen.

Über der Hand des Vampires sah er den Arm eines alten Mannes und mit jeder Sekunde, verschwanden seine Muskeln immer mehr, bis nur noch Haut an den Knochen klebte. Sein Arm verweste regelrecht vor seinen Augen. Schon bald begann auch die dünne Haut sich aufzulösen. Er konnte bereits das weiß des Knochens sehen. Doch noch größer war der Schrecken, als er merkte, dass diese Kraft, die sich durch seinen Arm gefressen hatte, begann sich durch seine Brust zu ziehen.

Er sah in das Gesicht des Vampirs, der ihn noch immer festhielt und sah ein Grinsen in dessen Gesicht unter funkelnden Augen.

Jetzt verstand er.

Wieder bei Sinnen feuerte er sofort zwei Schüsse ab, genau auf den Rumpf des Vampirs. Erst jetzt konnte er sich befreien. Der Vampir sprang zurück und er verlor ihn aus den Augen.

Er drückte den Arm an seinen Körper und merkte, wie langsam die Kraft zurück kam. Doch da wurde er von dem anderen erneut angegriffen. Noch einmal wehrte er ihn ab, packte ihn mit einer Hand am Handgelenk und verdrehte dem Vampir so den Arm, dass er die Knochen brechen hören konnte. Dieses Mal würde er sich nicht ablenken lassen. Auch nicht von dem Vampir, der sich nun über das zweite Opfer gebeugt hatte und dessen Fangzähne schon gefährlich blitzen. Genau in diesem Moment schoben sich die Wolken am Mond vorbei und für einen Moment erkannte er das zweite Opfer.

Es war ein Kind.

Ein Mädchen.

Es lag in Blut, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht von Angst und Schrecken gezeichnet. Erinnerungen durchzuckten ihn. Wut stieg in ihm auf.

Blitzschnell entschied er sich anders. Er feuerte noch einmal Schüsse ab, auf den Vampir dessen Zähne nur noch wenige Millimeter von ihrem Hals entfernt waren. Trotz der Wut, die er verspürte, war seine Hand ruhig. Er zielte genau und traf den Kopf des Vampirs sofort. Dieser sah noch einmal verwundert nach oben, bevor sich Risse auf seinem Körper bildeten und er anschließend zu Staub zerfiel.

Doch das sah er bereits nicht mehr.

Er wusste, dass er sein Ziel nicht verfehlt hatte und zielte auf den anderen Vampir, der entsetzt zu seinem Begleiter und dessen Ende sah.

Er entsicherte die Waffe noch ein zweites Mal.

Wenige Sekunden später waren beide verschwunden.

Er steckte seine Waffe weg und ging zuerst zu der Frau.

Die Augen waren noch immer weit aufgerissen und die Angst, aber auch Gewissheit war darin zu sehen. Sie wusste, dass sie sterben würde. Ihre Lippen bebten und er glaubte sie etwas flüstern zu hören. Er beugte sich etwas über sie und versuchte sie zu verstehen. Immer wieder schien sie die selben Worte zu wiederholen. Er brauchte eine Weile bis er sie endlich verstand.

„Ket-Ket...te... Käs-Käst-Kästchen...“

Er nickte einmal kurz, als er sie endlich verstand, um ihr dies zu zeigen. Sie atmete noch einmal zitternd aus, dann versteifte sich ihr Körper für einen Moment, bevor sie in seinen Armen zusammen sackte. Er legte seine Hand auf ihre Augen und schloss sie. Einen letzten Respekt, den er ihr erweisen konnte.

Dann sah er zu dem Mädchen. Noch immer hatte es die Augen weit aufgerissen und starrte auf ihre Mutter. Sie wusste, dass sie nicht mehr lebte und er sah etwas anderes in ihren Augen. Er wusste was es war: Jetzt würde er sie auch töten.

Langsam und bedächtig richtete er sich wieder auf und ging zu ihr. Dann bückte er sich zu ihr und berührte sie vorsichtig. Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen und schloss ängstlich die Augen.

Er besah sich ihre Wunden. Sie hatten Bissspuren an Hals und Arm. Ansonsten konnte er keine weiteren, tieferen oder ernsthafteren Verletzungen sehen. Aber sie würde sich nicht verwandeln, dachte er erleichtert. Es waren keine Reinblüter, sondern Vampire aus der Adelsklasse gewesen, die über das Haus hergefallen waren. Wahrscheinlich hatte sie das Kind zuerst angegriffen und dann war die Mutter dazu gekommen. Aber warum griffen zwei Vampire aus der Adelklassen einen einfachen Haushalt scheinbar vollkommen grundlos an?, fragte er sich einen Moment.

„Ich werde dir nicht wehtun.“, sagte er nun sanft und möglichst leise. „Wo ist dein Vater?“

Er konnte keine weitere Person im Haus spüren und er konnte auch kein anderes Blut wahrnehmen. Deswegen hoffte er, dass der Mann gerade aus war. Er machte sich bereits Gedanken, wie er ihm den Tod seiner Frau erklären sollte, als das Kind den Kopf schüttelte.

„Hast du keinen Vater mehr?“

Wieder ein Kopfschütteln. Was sollte er jetzt machen? Er wollte sie nicht hier lassen, so allein und den Blick immer auf die Tode gerichtet. Sollte er warten bis jemand kam? Aber was sollte er dann erklären? Was sollte er mit einem Kind anfangen? Sollte er sie mitnehmen? Das Mädchen war nicht älter als fünf, vielleicht sechs Jahre.

Er atmete einmal durch, bevor er sich dann entschloss. Für diesen Augenblick würde er sie unter keinen Umständen hier lassen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, nahm er das Kind auf den Arm und trug sie aus dem Zimmer, aus dem Haus und hinfort von dem Schrecken und Grauen.
 

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Bin wieder da!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! XD

Na, habt ihr mich schon vermisst?! XD Hoffe ich doch sehr.
 

Nun denn... das ist er mal nur die Einleitung und ich kann ich kann euch sagen, dass es vielleicht auch erst mal dauern wird, ehe die Story so ein bisschen in Fahrt kommt (wenn sie das denn jemals tut) – zumindest die ersten drei Kapitel. ^^° Hoffe ihr haltet trotzdem durch.
 

Ehrlich gesagt, ist das auch die ersten FF wo ich noch keinen richtigen Plan hab. Ich hatte mal einen, aber das war in den 5 Minuten, in denen ich eine Erscheinung hatte und dann nichts zum schreiben. Warum musste ich auch gerade Auto fahren?
 

Vielleicht kommt es ja beim schreiben wieder. *verschmitztlächel*
 

Jedenfalls... Hoffe wir lesen uns beim nächsten Kapitel wieder... :)
 

CU

Maidlin
 

PS: Da ich nebenbei noch an einer anderen längeren Story schreibe, kann es etwas dauern mit dem neuen Chap. Außerdem hab ich gestern Abend spontan noch einen OS zu Pirat gesucht! geschrieben. Ach ja… und studieren muss ich ja neben bei auch noch.^^°

Stöbern in der Vergangenheit

Diese Kapitel ist ganz allein für meinen Zwilling und Bodyguard enni, die mir immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist und dieses Kapitel erst möglich gemacht hat. (Natürlich dürft ihr anderen auch lesen. XP)Danke, dass du für mich immer nach passenden Wörtern gesucht hast! XD Ich weiß nicht, wie viele ich benutzt habe, aber ich hoffe deinen Fragen klären sich ein wenig.^^
 

Und nun wünsche ich allen viel Spaß beim lesen. XD

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Stöbern in der Vergangenheit
 

Yuki ging die langen, spärlich beleuchteten Gänge des Archivs entlang, wie sie es schon so oft getan hatte.

Dieses Archiv unterschied sich eigentlich nicht sehr von dem der Huntergesellschaft, welches sie vor so vielen Jahren einmal aufgesucht hatte, um etwas über sich selbst zu erfahren. Außer vielleicht, dass hier noch weniger Personen Zutritt erlaubt war. Jahrtausende der Geschichte lagerten hier und jede einzelne von ihnen schien so spannende, wie die andere. Aber sie glaubte nicht, dass sie schon bald das finden würde, was sie suchte. Dafür bräuchte sie wahrscheinlich Jahre und Yuki hatte Angst, dass sie schon bald nicht mehr die Geduld dafür aufbringen könnte. Außerdem... Irgendwann würde er sicher misstrauisch werden.

„Warum sind wir denn schon wieder hier?“, fragte Aidou leicht genervt, als sie den dunklen Gang, die Treppe hinunter gegangen waren. Er stieß die große dunkle Zedernholztür auf, und die Scharniere gaben einen ächzenden Laut von sich.

Yuki nahm die Fackel, und hielt sie kurz an das Öl, welches neben der Tür seinen Anfang nahm und sich in großen steinernen Behältern, die durch den ganzen Raum miteinander verbunden waren, durch die Räumlichkeit wand. Sofort fing das Öl Feuer und die Flammen labten sich daran und breiteten sich somit innerhalb weniger Sekunden durch den gesamten Raum aus. Wie eine immer größer werdende Schlange, wand sich das Feuer durch den gerade noch dunklen Saal, immer der Spur des Öls folgend. Im hellen Leuchten des Feuers, gab die Dunkelheit die Sicht auf tausende von Büchern, Dokumenten und Schriftrollen frei, alle ordentlich in Schränken, Regalen und Vitrinen gelagert, um sie vor dem Verfall zu schützen.

„Du musst doch nicht mitkommen. Ich schaff das auch sehr gut allein.“, antworte Yuki ihm und ging bereits die letzte drei Stufen hinunter. Die Fackel steckte sie in einen gusseisernen Halter, gleich am Absatz der Treppe.

„Das glaub ich dir ja auch, aber sag das Kaname-sama“, erwiderte Aidou und gähnte herzhaft. Die Sonne war noch nicht einmal richtig unter gegangen, als sie aufgebrochen waren und das nur weil Yuki schon wieder in alten, staubigen Büchern wühlen wollte. Warum war die Geschichte der Kurans aber auch so lang? Hatte sie nicht langsam genug davon?

„Es tut mir leid.“, antworte Yuki und drehte sich kurz um. „Ich habe es ihm schon gesagt, aber er bestand darauf, dass du mich begleitest. Manchmal macht er sich wirklich zu viele Sorgen.“ Dabei bin ich doch kein kleines Kind mehr und kann auf mich selbst aufpassen, hängte sie in Gedanken an, würde es aber niemals offen aussprechen.

Sie ging gerade durch Reihe 10 und sah sich die Buchrücken an. In beinah 7 Jahren, die sie hierher gekommen war, war sie erst 8000 Jahre in die Vergangenheit „zurückgekehrt“ und gefunden, wonach sie suchte, hatte sie immer noch nicht. Aber sie wusste auch, dass es sinnlos sein würde, so früh in der Vergangenheit zu suchen.

„Warum interessiert dich denn all dieses Zeug?“, frage Aidou zum vielleicht tausendsten Mal und folgte ihr, mehr pflichtbewusst als willig. Warum musste ausgerechnet er ihren Babysit- Leibwächter spielen, dachte er kurz. Bei dem Gedanken an das andere Wort, biss er sich aber sofort auf die Zunge. Wie konnte er so etwas nur denken! Kaname-sama würde ihn mit Sicherheit lynchen, wenn er das erfahren würde. Aber so oft, wie er Yuki zu Diensten sein musste, konnte man beinah nichts anderes denken. Und das störte ihn schon etwas. Natürlich, war er sich der Ehre bewusst, die ihm damit zu Teil wurde und dennoch wünschte er sich, Kaname-sama hätte auch ein paar andere Aufgaben für ihn. Zudem betrog sie ihn jedes Mal um ein paar wertvolle Stunden seines kostbaren Schlafes. Immer wenn sie hierher unterwegs waren, musste er bereits vor Sonnenuntergang bei ihr sein, wo er doch normalerweise erst nach dem dunkel werden aufstand.

All dies sprach er nicht aus, aber Yuki konnte es trotzdem an seinem Gesicht sehen, dass er es dachte. Es tat ihr ja selbst leid und es nervte sie auch ein wenige. So würde sie es nie schaffen. Also beantworte sie lieber seine Frage, wie bereits schon so oft vorher.

„Ich will eben mehr über die Kurans wissen. Ich weiß, wie es ist nichts über seine Familie zu wissen. Ich konnte mich zehn Jahre nicht daran erinnern. Deswegen will ich jetzt umso mehr erfahren.“

„Ja, ja ich weiß.“, antwortete er abwesend und setzte sich an den Lesetisch und sah Yuki lustlos zu, wie sie die Buchrücken entlang fuhr. „Wenn du wenigstens wüstest wonach du suchst.“

„Es tut mir leid.“, sagte sie und lächelte ihn an.

Sie nahm schließlich ein Buch aus dem Regal, setzte sich zu Aidou an den Tisch und schlug es auf. Dann überflog sie die Seiten und suchte etwas, was mit dem Kuran Clan zutun hatte. Es war wirklich eine lange und schwierige Arbeit, die sie sich auferlegt hatte und je mehr Jahre verstrichen, desto mehr schwand ihre Hoffnung fündig zu werden. Aber wie sollte sie es denn auch schaffen, wenn sie ständig einen Aufpasser bei sich hatte? So sehr sie Aidou auch mochte, wenn sie hier unten waren, störte er sie. Oft hatte Yuki überlegt ihm nicht einfach die Wahrheit für ihr hier sein zu erzählen. Doch sie fürchtete, dass er es Kaname erzählen würde und sie wollte sich nicht vorstellen, wie dieser reagieren würde.

Denn was sie suchte, hatte mit etwas zu tun – oder besser gesagt, mit jemanden – auf den ihr Bruder gar nicht gut zu sprechen war. Dem Mann, der einst eine Waffe auf sie gerichtet hatte.

Es war nicht gelogen, dass sie nach ihren Wurzeln suchte. Dies interessierte sie wirklich und sie hatte es eine sehr lange Zeit verfolgt, bis zu der Geburt ihrer Eltern. Doch jetzt suchte sie schon seit längerem nach etwas anderem: Dem Ursprung des Zwillingsfluches.

Auch wenn Zero bereit war sie zu töten und sie als Feind betrachtet, so hatte sie ihn nie loslassen können. Am Anfang hatte sie wenig an ihn gedacht, waren die Eindrücke die sich ihr in ihrem neuem Leben boten, doch so vielfältig und verwirrend, dass sie kaum Zeit fand an andere Dinge zu denken. Aber es waren nun bereist 19 Jahre vergangen, die sie wieder sie selbst war und besonders in den letzten Jahren, war Zero immer öfter in ihren Gedanken gewesen.

Yuki war nicht so dumm zu glauben, dass sie ihn irgendwie von seinem Vorhaben abbringen konnte. Sie hatte gesehen, dass seine Worte ernst gemeint waren und sie hatte den toten Körper seines Bruders gehen. Sie verstand seinen Hass auf ihre Rasse und doch wollte sie davon laufen, wann immer er sie finden mochte. Wenn dies die einzigen Möglichkeit war, ihm am Leben zu erhalten, dann würde sie es tun. Doch bisher hatte sie ihn nicht wieder gesehen. Sie wusste nicht, was sie darüber denken sollte; wusste nicht was mit ihm geschehen war. Ob es ihm gut ging, fragte sie sich mehr als einmal, als sie gedankenverloren die Seiten umblätterte.

Auch wenn sie ihm nicht helfen konnte; ihm nichts von seinem Schmerz und Hass nehmen konnte, so wollte sie dennoch etwas für ihn tun. Aus diesem Grund, wollte sie etwas über den Fluch in Erfahrung bringen. Über den Fluch, der Zeros und das Leben seines Bruders zerstört hatte. Ohne diesen Fluch hätte Zero wohl niemals so leiden müssen. Natürlich wusste sie, dass es ihr nicht viel brachte, wenn sie etwas über den Fluch in Erfahrung brachte. Vielmehr hoffte sie dadurch eine Möglichkeit oder ein Hinweis zufinden, wie dieser Fluch gebrochen werden konnte. Jeder Fluch musste schließlich zu brechen sein, dachte sie und wollte sich damit selbst Mut zu sprechen. Zero und seinem Bruder würde sie damit nicht mehr helfen können, aber sie glaubte, dass es Zero von einer Last befreien würde, wenn er wüsste, dass andere vielleicht davon verschont blieben. Sie wollte es glauben...

Aber um den Fluch brechen zu können, musste sie eben so viel wie möglich darüber wissen. Allein danach zu suchen, war nicht einfach. Außerdem hatte sie immer nur ein paar Minuten oder vielleicht auch mal eine Stunde dafür Zeit. Nämlich immer dann, wenn Aidou eingeschlafen war, oder sie ihn wegen eines Vorwandes weggeschickt hatte. Etwas was sie nicht ständig machen konnte.

Aber so langsam wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass sie es niemals allein schaffen würde. Auch wenn sie die nächsten 1000 Jahre hierher kommen würde. Außerdem hatte sie langsam das Gefühl, dass ihr die Zeit davon lief. Immerhin konnte niemand sagen, wann das nächste Mal Zwillinge geboren wurden.

Kaname um Hilfe zu bitten, hatte sie gleich von Beginn an ausgeschlossen. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie seine Reaktion darauf wäre. Er hasste Zero zutiefst und nie wagte sie es in seiner Gegenwart von Zero sprechen, nicht in ihrem eigenen Haus und auch nicht mit den anderen ehemaligen Mitgliedern der Night Class, die inzwischen so etwas wie ihre Freund geworden waren. Nur wenn sie bei ihrem Adoptivvater war – und das war leider viel zu selten – konnte sie mit ihm über Zero sprechen. Auch Yori hörte ihr immer wieder geduldig zu, war sie doch der einzige weitere Mensch, der eingeweiht war, doch diese konnte ihr nicht helfen und hatte mit ihrer eigenen Familie genug um die Ohren, so das Yuki sie nicht ständig belästigen wollte.

Yuki seufzte kurz auf. Wieder waren die Bilder des Abschieds von Zero ihrem geistigen Auge aufgetaucht und wieder hatte es wehgetan. Damals hatte sie überhaupt nicht begriffen, was dieser Abschied bedeutete. Sie hatte überhaupt nicht verstanden, dass es ein Abschied für immer war und wenn sie ihn wiedersehen würde, dann...

Mit einem weiteren Seufzer schlug sie das Buch zu.

„Was ist? Hast du schon keine Lust mehr?“, fragte Aidou der gelangweilt in einem anderen Buch gelesen hatte. Die Hoffnung, diesen Ort bald wieder verlassen zu können, war unüberhörbar.

„Doch, aber ich...“ Sie überlegte einen letzen Moment und entschloss sich dann endlich, sich jemanden anzuvertrauen. Auch wenn er es Kaname sagen sollte. Sie würde sich dem stellen und ihren Standpunkt verteidigen. Zumindest wollte sie es versuchen... Darüber, wie sie das anstellen würde, würde sie sich Gedanken machen, wenn es soweit war.

„Ich muss dir etwas sagen.“, flüsterte sie, um zu vermeiden, dass jemand sie hörte. Obwohl sie eigentlich genau wusste, dass sich niemand hier unten besuchen würde. Kaname war viel zu beschäftig, um sich bereits um diese Nachtzeit hier unten hin zu verirren. Yuki sah, dass sie nun aber Aidous ungeteilte Aufmerksamkeit hatte.

„Was ist los? Warum gehen wir seit 3 Jahren fast jeden Tag hier runter, wo du dich vorher mit eins, zweimal in der Woche zufrieden gegeben hast?“, sprach er endlich die Frage aus, die ihm schon lange auf der Zunge gelegen hatte.

„Ich suche etwas...“, fing Yuki an. „und es hat nicht unbedingt etwas mit meiner Familie zu tun.“

Sie schwiegen einen Moment und Yuki versuchte seine Reaktion abzuschätzen.

„Ist das der Grund, warum du heimlich in anderen Büchern liest, wenn ich nicht da bin oder du denkst, dass ich schlafe?“, flüsterte er ebenso leise. Seine Worte müssen sie wohl sehr überrascht haben, denn sie sah ihn schockiert an.

„D-Du weißt es?“, fragte sie tonlos und doch was das Entsetzen in ihrer Stimme zu hören.

„Ja, natürlich! Für wie dumm hältst du mich denn? Du hast es hier immerhin mit einem Genie zu tun.“, sagte Aidou selbstsicher und ein breites Grinsen trat auf sein Gesicht.

„Oh, nein.“, sagte Yuki verzweifelt und schlug die Hände vor das Gesicht. „Hast du es jemandem erzählt?“, fragte sie zwischen ihren Fingern hindurch und hoffte, dass die Antwort nein war.

„Natürlich nicht. Ich hatte doch auch keine Ahnung, was du suchst. Also was ist nun? Was suchst du wirklich?“

„Du musst mir versprechen nichts zu sagen.“, bat Yuki ihn.

„Ja, ich verspreche es. Wenn ich nicht mehr jeden Tag hier runter kommen muss, verspreche ich dir alles.“

Diese Antworte überraschte sie. Sie wusste, dass er es nicht mochte an diesen Ort zu kommen, aber dass es so... schlimm war, hatte sie nicht erwartet.

„Also schön. Ich suche etwas über den Fluch der Zwillinge, die in einer Hunterfamilie geboren werden.“

Zögernd sah sie Aidou an und sah das Erstaunen in seinem Gesicht. Ein paar Sekunden verstrichen und Yuki wurde langsam nervös, da er noch immer keine Reaktion gezeigte.

„Ich hätte es dir nicht sagen sollen.“, sagte sie und bereutet es zutiefst. Sie hätte einfach schweigen und so weiter machen sollen, wie bisher. Irgendwann hätte sie es schon gefunden. Irgendwann... vielleicht...

„Was? Nein, ich war nur so überrascht, dass du danach suchst.“, antwortete Aidou schließlich. „Weiß Kaname davon?“

„Nein, deswegen sagte ich ja, du sollst es niemanden verraten.“, antwortete sie und sah nach unten. Sie fühlte sich so schon schuldig, dass sie ein Geheimnis vor ihrem Onii-sama hatte. Jetzt einen zweiten mit hinein zu ziehen, gefiel ihr noch weniger. Selbst ihrem Vater hatte sie nichts davon gesagt. Was hätte er auch schon tun können? Er war zwar ein Hunter gewesen, aber dass er über so etwas Bescheid wusste, etwas was nur ganz wenige wussten, glaube sie nicht.

„Warum interessiert dich das?“, wollte Aidou weiter wissen.

Yuki sah ihn flüchtig an. „Das... Ich... möchte es einfach wissen.“, stammelte sie unsicher.

Aidou hob fragend eine Augenbraue und sah sie zweifelnd an. So schuldbewusst, wie sie nach unten sah, war es leicht zu erahnen, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Aber da dies alles war, was sie ihm anscheinend dazu sagen wollte, würde er auch nicht weiter danach fragen. Es stand ihm schlicht nicht zu, auch wenn seine Neugier geweckt war.

Deswegen sagte er schließlich: „Wenn wir gefunden haben, was du suchst, können wir dann darauf verzichten ständig hier her zu kommen und zwischen staubigen Büchern zu sitzen?“

„J-Ja, natürlich.“, antwortete sie zögerlich, nicht glaubend, dass wirklich nicht weiter nachfragte. Aber vielleicht durfte er auch nicht, sagte sie sich dann. In solchen Momenten erschien ihr der Status eines Reinblutes doch recht vorteilhaft.

„Na dann fangen wir mal an.“, sagte er kurz darauf und erhob sich. „Wo hast du alles schon gesucht?“

Yuki sah ihn verwundert hinterher. So war vollkommen überrascht, dass er sich gleich daran machte, war er nicht vor wenigen Minuten noch kurz vom Einschlafen?

„Ähm... In Reihe 20 vorwiegend, zwischen den Nummern 1200 und 2000.“, sagte sie hastig, sprang auf und folgte ihm.

„Das ist zu früh. Du musst circa 100.000 Jahre in der Vergangenheit suchen.“, antwortete er geistesabwesend und lief durch die Reihe.

„Woher weißt du das?“, fragte Yuki überrascht. Sie hätte nicht gedacht, dass Aidou über dieses Wissen verfügte.

„Ich sagte doch, ich bin ein Genie.“, sagte er und auch ohne dass sie es sah, wusste sie, dass er wieder grinste. „Außerdem hab ich mit Takuma darüber gesprochen, nachdem...“, den Rest des Satz verschluckte er, wohl wissend, dass es besser war dieses Thema zu vermeiden. Seit jenem Kampf hatte man alles in Schweigen gehüllt und Kaname-sama hatte ihnen mehrmals gesagt, dass es besser war, nicht darüber zu sprechen. Er wollte Yuki keinen Kummer bereiten, dabei hatten Aidou und auch ein paar der anderen das Gefühl, dass sie vielleicht sogar darüber sprechen wollte. Das sie nun danach suchte, war der besten Beweis. Allerdings hatte sie auch nie selbst davon angefangen. So wie es aussah, hätte er sich ein paar Jahr ein dieser dunklen Kammer sparen können, wenn er sie einfach früher gefragt hätte, dachte er resignierend. Manchmal war seine Neugier doch nicht so falsch.

Yuki schwieg und sah ihn hingegen traurig an. Nicht einmal jetzt, wollte er mit ihr darüber reden.

„Hier ist es.“, sagte Aidou und Yuki schreckte kurz hoch. Sie hatte gar nicht bemerkt, wie sie immer weiter hinter ihm zurückgeblieben war, in ihren Gedanken versunken. Er stand am Ende des Ganges von Reihe 45 und es lag so weit im hinteren Teil des Saals, dass kaum das Licht des Feuers dort hingelang. Sie schloss schnell zu ihm auf und stellte sich neben ihn. Er hatte die Hand nachdenklich an das Kinn gelehnt und suchte mit den Augen die Reihe ab.

„Welches Buch?“, fragte sie und konnte hören wie angespannt ihre Stimme war.

Er dreht sich zu ihr um und sah sie ernst an. Vor Spannung hielt sie den Atem an.

„Ich habe keine Ahnung.“, sagte er trocken.

„Aidou!“, rief sie aufgebracht und schlug ihm auf die Schulter.

„Es tut mir ja leid. Aber das sind so viele Bücher, die in diese Zeit passen. Aber immerhin haben wir schon mal eine Eingrenzung.

Hier du nimmst die und ich die hier.“, versuchte er sie aufzumuntern und drückte ihr einen dicken Stapel Bücher in die Hand.

Yuki sackte unter dem Gewicht kurz zusammen und ächzte auf.

„Alles in Ordnung?“, fragte er sie, hinter einen weiteren Stapel hervorschauend.

„Ja, ja. Es geht schon.“, sagte sie und verließ diesen unheimlichen Ort.

Sie setzten sich wieder an den Tisch und Yuki sah sich die Bücher an. Wie die anderen hatten sie keinen Titel, aber jeder der Einbände war ein Einzelstück und reich mit Ornamenten verziert. Eingeschlagen waren sie mit feinen Stoffen, wie Samt oder Seide.

„Was genau suchst du über den Fluch?“, fragte er sie noch einmal.

„Alles möglich. Egal was du findest.“, antwortest sie und schlug bereits das erste Buch auf.

„Meinetwegen.“, sagte er, atmete noch einmal tief durch und nahm sich dann ein besonders dickes Buch vor.

Die Seiten raschelten, als sie jeweils die erste Seite umblätterten.

„Oh!“, stieß Yuki überrascht aus.

„Was ist?“, fragte er überrascht und sah auf.

„Die Schrift...“, sagte sie und erneut war Entmutigung aus ihrer Stimme zu hören.

„Ja, ich weiß. Je weiter du in der Vergangenheit suchst, desto schlimmer wird es. Du wirst dich schon daran gewöhnen. Du willst es doch finden oder nicht?“

„Ja.“, antwortete sie kurz und beugte sich wieder über das Buch. Die Schrift war schon sehr verblasst. Daneben war sie sehr geschwungen und die Zeichen eng aneinander gesetzt, so dass sie Mühe hatte, die Worte unterscheiden zu können und einen Sinn entnehmen konnte.
 

Sie wusste nicht, wie lange sie so beieinander saßen und immer wieder ein neues Buch in die Hand nahmen. Irgendwann stand Aidou auf und klagte über Hunger und Luftmangel. Was zu essen würde er hier nicht bekommen und man würde ihm die Hand abhaken, wenn er es wagen sollte, etwas essbares mit hierunter zu nehmen. Andererseits, würde er wahrscheinlich sowieso nicht fündig werden. Er musste wohl warten, bis sie wieder zu Hause waren.

„Ich geh mir mal die Beine vertreten.“, sagte er deswegen und stand schwerfällig auf.

„Mmh.“, antwortete Yuki bloß und sah nicht mal von dem Buch auf, was sie gerade vor sich liegen hatte.

Nachdem er die vielen Gänge und Passagen wieder zurückgelaufen war und endlich angenehme, klare Nachtluft spüren konnte, tat er ein paar kräftige Atemzüge. Von der staubigen und trockenen Luft da unten bekam er Kopfschmerzen. Wie konnte es Yuki nur so lange aushalten, fragte er sich einmal mehr. Ihr Wissenshunger muss wirklich sehr stark sein, wenn sie dies Tag für Tag dafür in Kauf nimmt, dachte er träge.

Er ließ sich Zeit und hoffte, dass Yuki etwas gefunden hatte, wenn er zurückkehrte. Nach einer halben Stunde ging er wieder zu ihr nach unten.

„Und hast du schon etwas gefunden?“, fragte er sie, als er den von Flammen erleuchteten Raum betrat. Yuki war immer noch über eines der Bücher gebeugt und sah auch nur kurz auf, als er eintrat.

„Nein.“, sagte sie und schüttelte resigniert den Kopf. Er hatte sich eine andere Antwort erhofft.

„Auch wenn ich jetzt weiß wonach du suchst und wir das Ganze eingrenzen können, so ist es doch unwahrscheinlich, dass wir es bald finden werden.“, sagte er schließlich.

„Ja, ich weiß. Danke, dass du mir hilfst.“

„Ich würde alles tun, um nicht mehr hier runter zu müssen.“, sagte er noch einmal und starrte ebenfalls in das Buch, was sie aufgeschlagen hatte. Allerdings ergaben die einzelnen Wörter keinen Sinn für ihn.

Yuki schlug das Buch zu und öffnete das Nächste. Sie hatte das Gefühl, dass wenn sie nicht bald einen Hinweise finden würde, sie sich von ihrem eigentlichen Ziel immer weiter entfernte. Sie fühlte sich immer demotivierter. Sie hatte ja gewusst, dass es nicht einfach werden würde, aber dass es wirklich so schwierig war, raubte ihr doch die Kräfte. Yuki überflog die Seiten seit fast einer Stunde nur noch, in der Hoffnung irgendwann das Wort Zwillinge oder Hunter zu lesen, doch bisher ohne Erfolg. Die meisten Aufzeichnungen bestanden zudem immer wieder nur aus Mitschriften von Versammlungen, Tagungen oder anderen für sie vollkommen unrelevanten Dingen. Sie glaubte nicht, dass sie in so einen Buch jemals fündig werden würde. Aber man konnte ja schließlich nie wissen. Nur noch lustlos blätterte sie eine Seite nach der anderen um. Vielleicht sollte sie aufhören und morgen weiter suchen. Immerhin wusste sie zumindest wo sie überhaupt suchen musste. Das war schon ein sehr großer Fortschritt, im Vergleich zu vorher.

Doch plötzlich blieb ihr Auge auf einer Seite hängen, die allein durch ihr Erscheinungsbild auffällig war. Die Seite war, anders als all die anderen eng beschriebenen, fast leer und nur in der Mitte stand etwas geschrieben. Fein säuberlich, in einer kleinen ordentlichen Handschrift. Am Anfange jeder Zeile was das Schriftzeichen gleichwohl sehr groß und kunstvoll verziert. Yuki beugte ihren Kopf weiter darüber, um es besser lesen zu können. An manchen Stellen war die Tinte fast vollständig verblasst und immer wieder fehlten Schriftzeichen oder dazugehörige Teile, so dass das Wort keinen Sinn mehr ergab, wenn sie die anderen, besser zu erkennenden las.

Aidou sah wieder auf und bemerkte, dass Yuki noch immer über der gleichen Seite hing.

„Was ist? Hast du etwas gefunden?“, unterbrach er die Stille und beugte sich ein wenig nach vorn, um die Seite lesen zu können.

„Ich weiß nicht.“, antwortete Yuki. „Es ist seltsam.“, sprach sie langsam und las noch einmal die Zeilen; Wort für Wort. „Ich kann es nicht richtig lesen.“

„Zeig mal.“ Aidou zog das Buch zu Seite, so dass er besser lesen konnte und beide starrten auf den Text vor ihnen.

„Und verstehst du es?“, fragte Yuki nach einer Weile, die sah, dass er immer noch konzentriert auf den Text schaute.

„Es ist wirklich schwierig. Wir müssen vielleicht ein paar Wörter ausprobieren, die passen könnten. Das könnte dauern und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es etwas mit dem Fluch zu tun hat.“

„Ich möchte es trotzdem gern wissen.“, antwortete sie und zog das Buch wieder ein Stück zu sich.

Aidou seufzte. Das hatte er sich schon gedacht. „Ich hole Stift und Papier.“, sagte er bloß und verließ noch einmal das Archiv.

Yuki versuchte unterdessen, weitere Wörter einzusetzen. Es war wie ein Puzzle, dessen Lösung sie langsam näher kam. Doch immer wieder blieb ihr Blick an einem Wort hängen, dass sie meinte erkennen zu können: Kind.

Vielleicht hatte der Fluch doch etwas mit den Zwillingen zu tun. Erst wenn sie wusste, was wirklich da stand, konnte sie sicher sein und vielleicht war das genau der entscheidende Hinweis, den sie gebraucht hatte.

Dieses Mal kam Aidou schneller zurück und reichte ihr beides, damit sie aufschreiben konnte. Dann begannen sie, das was in dem Buch stand und leserlich war abzuschreiben. Die Lücken, die durch die nicht mehr erkennbaren Schriftzeichen entstanden, ließen sie dabei aus.

Erst als sie alles abgeschrieben und sich der Worte sehr sicher waren, versuchten sie auch die Lücken zu füllen. Es war ein langwieriger Prozess, denn nie erschienen die eingesetzten Schriftzeichen mit den anderen einen Sinn zu ergeben. Erst nach einer scheinbaren Ewigkeit schienen sie dann doch eine Lösung gefunden zu haben. Je länger Yuki und Aidou auf die Seite und Schriftzeichen geschaut hatten, desto mehr Details hatten sie ausmachen können. So hatten sie auch bemerkt, dass von manchen Schriftzeichen durchaus noch etwas zu erkennen war, wenn auch wirklich nur sehr schwach. Diese Erkenntnis hatte es ihnen leichter gemacht, die Wörter zu erraten.

Yuki setzte das letzte Schriftzeichen ein und beiden sahen auf den Text.

„Klingt ein wenig seltsam, meinst du nicht?“, fragte Aidou unsicher, als den gesamten Text las. „Und es hat nichts mit dem Fluch zu tun.“, sagte er und stieß einen weiteren lauten Seufzer aus. Die ganze Arbeit war umsonst gewesen.

„Ich finde es klingt irgendwie,... Ich weiß nichts... Es hört sich für mich wie eine Warnung an.“, sagte Yuki leise und konnte den Blick noch immer noch davon lösen.

„Mmh? Eine Warnung?“, fragte Aidou und der Unglaube war deutlich aus seiner Stimme zu hören. Yuki nickte kurz.

„Hör es dir doch noch mal an. Vielleicht siehst du es dann genauso.“, sagte sie schließlich, als sie weitere Sekunden darauf geschaut hatte. Irgendetwas sagte ihr, dass diese paar Zeilen von Bedeutung waren, von immenser Bedeutung. Dann begann sie zu lesen:

„Wenn geworden ist, was am meisten gehasst;

Wenn Prinzessin aus Dekade Schlaf erwacht;

Wenn Freundschaft sowie Liebe zartes Band verblasst;

Wenn der Königsthron gelang zu neuer Macht;

Wenn des Winters Kleid sieben Monde bleibt,

dann sind Tag und Nacht, in Liebe - statt Hass - vereint.

Die Zeit der schwarzen Sonne wird sein,

die Geburtsstunde des Kindes, dieser zwei’n.

Das Vierblatt den Weg euch zeigt,

den Untergang des einen, des anderen oder beiden beschreibt.“
 

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Danke, dass ihr dieses Kapitel bis zum Schluss verfolgt habt. Ich hoffe natürlich, wie immer das es gefallen hat und Freude bereitete.
 

Es hat eine haiden Arbeit gemacht, dieses kleine Sprüchlein zusammenzubasteln und bis kurz vor dem hochladen habe ich noch überlegt, ob ich es nicht doch noch ändere. Hab mich dann aber wie gesagt, dagegen entschieden. (Obwohl, ihr es nicht mal gemerkt hättet XD) Aber das kommt später.
 

So, das wars auch schon. Hoffe wir sehen uns beim nächsten Mal.
 

lg maidlin

Die Prophezeiung

So, meine lieben Liebenden. Ich begrüße euch. XD
 

Ich will auch gar nicht so viel rumseiern, sondern wünsch euch viel Spaß und hoffe mal, dass es gefällt.^^
 

Die Prophezeiung
 

Aidou hatte ihr stumm zugehört, aber er konnte diesen Worte noch immer nicht mehr Bedeutung zumessen, wie sie es vielleicht gern gehabt hätte.

Er war davon überzeugt, dass es nicht das war, was sie gesucht hatten und deswegen wollte er es so schnell wie möglich beiseite legen.

Doch anscheinend sah Yuki das ganz und gar nicht so. Noch immer sah sie fasziniert auf den Text.

„Was sagst du?“, fragte sie ihn endlich, als sie aufsah.

Er atmete kurz aus und sah sie einen Moment lang an. Aidou überlegte, was er ihr antworten sollte, sah er in ihren Augen doch große Erwartung. Sollte er ihr wirklich sagen, was er dachte oder sollte er ihrem Status als Reinblut berücksichtigen. Er entschied sich, sie selbst entscheiden zu lassen.

„Willst du eine höfliche Antwort oder meine ehrliche Meinung?“, fragte er sie schließlich und hätte sich selbst ohrfeigen können. Bei Kaname-sama hätte er sich so eine unverschämte Frage nicht gewagt. Obwohl sie seit langem befreundet waren, gab es doch einige Dinge, die er sich nicht bei ihm herausnahm. Andererseits konnte er Yuki als herrschendes Reinblut noch immer nicht so richtig ernst nehmen.

Perplex sah Yuki ihn an. Offenbar hatte sie nicht mit so einer Antwort gerechnet. Sie schluckte kurz. Wenn er sie schon so etwas fragte, dann machte sie sich keine große Hoffnung.

„Deine ehrliche Antwort.“, sagte sie dann.

„Nun, ich denke, dass das nichts weiter ist, als irgendein altes Gedicht, was nichts mit unserer eigentlichen Suche zu tun hat. Was stand da? ‚Die Prinzessin aus Dekade Schlaf erwacht?’ Hört sich nach Dornröschen an.“

Yuki sah ihn enttäuscht an und er bereute seine Worte sofort. Er hätte es zumindest etwas netter formulieren können.

„Glaubst du wirklich?“, fragte sie noch einmal und dieses Mal klang ihre Stimme sehr enttäuscht.

Aidou atmete kurz aus. „Das ist meine Meinung. Das wolltest du doch wissen oder nicht? Was hältst du denn davon?“

„Ich denke es hat eine größere Bedeutung. Als würde es uns etwas sagen wollen, uns warnen wollen. Es ist... wie ein Rätsel, meinst du nicht?“

„Ein Rätsel?“, fragte er zweifelnd. Er hatte die Befürchtung, dass sie sich zu sehr hinein steigerte.

„Aber ja doch. Was warum sollte sich Tag und Nacht lieben? Wie sollte das möglich sein und wie sollte daraus ein Kind entstehen? Ich bin sicher, es meint etwas anderes, als eigentlich da steht. Das gleich gilt auch für die erste Zeile und all die anderen.“, sagte sie und konnten den Blick nicht abwenden. Den eigentlichen Grund ihres hier seins, hatte sie anscheinend schon vergessen.

„Aber selbst wenn, was würde das jetzt bringen? Ich bin sicher, dass es nicht so wichtig ist.“

„Und warum steht es dann in einem 100.000 Jahre altem Buch? Wenn es nicht wichtig wäre, hätten sie es gar nicht aufschreiben brauchen.“, fragte Yuki zurück und ihre Stimme klang nun ein wenig bissig.

Auch wieder wahr, dachte Aidou und Yuki konnte sehen, dass er ihr recht gab.

„Sag ich doch.“, antwortete sie trotzig.

„Gut, dann hat es eben eine Bedeutung. Hast du eine Ahnung, was für eine?“, fragte er ebenso bissig zurück.

„Nein.“, antwortete sie nun kleinlauter. „Es scheint eine Warnung auf etwas zu sein, was passiert ist oder passieren wird?“, fragte sie zweifelnd.

„Eine Prophezeiung?“, fragte Aidou nun.

Erstaunt sah Yuki ihn an. So hatte sie das noch nicht gesehen.

„Ja!“, sagte sie und ein Leuchten trat in ihre Augen. „Bestimmt. Eine Prophezeiung.“, wiederholte sie.

„Denkst du, es hat etwas mit dem Zwillingsfluch zutun?“, warf er nun die Frage ein, die ihn schon eine Weile auf der Zunge lag.

Jetzt schaute sie ihn abermals perplex an und Aidou wusste sofort was sie dachte. „Du hast es schon längst vergessen.“, sagte er resignierend.

„Oh, nein! Natürlich nicht. Ich habe nur... Ich... war nur...“

„Schon gut.“, antwortet er ihr. Manchmal hatte sie ganz und gar nicht das verhalten eines ehrenwerten Reinblutes. „Was willst du jetzt machen? Willst du das Rätsel lösen und aufhören nach dem Fluch zu suchen oder nicht?“

„Uhm...“ Sie biss sich auf die Lippen, unschlüssig, was sie antworten sollte. Einerseits wollte sie so sehr den Ursprung des Fluches finden und ihn vielleicht sogar brechen, andererseits faszinierte sie dieser Text; diese Prophezeiung, wenn es wirklich eine war. Sie war sich selbst nicht schlüssig. Konnte sie das Rätsel wirklich lösen? Konnte sie die Prophezeiung wirklich entziffern? Sie wusste es nicht und sie fühlte sich nicht dazu in der Lage. Wenn sie wenigstens einen kleinen Anhaltspunkt hätte. Aber nichts davon schien ihr auf den ersten Blick logisch oder einfach zu erkennen.

Was wurde, was am meisten gehasst und was war mit Dekade Schlaf gemeint?

„Weißt du was Dekade ist?“, fragte sie Aidou schließlich. Sie konnte sich des Gefühles nicht erwehren, dass das eigentlich etwas war, was sie wissen sollte – immerhin war sie ein Reinblut und sie war der Überzeugung, dass sie deswegen sicher über gewisse Fremdwortkenntnisse verfügen sollte. Aidou schien ihre Selbstzweifel aber nicht zu bemerken.

„Hm? Eine Dekade ist eine Anzahl von zehn Einheiten. Das können zehn Tage sein, zehn Monate oder Jahre. Auf Dekaden gründet das Dezimalzahlsystem.“, endete er seine kleine Lektion.

„Also kann man statt Dekade irgendetwas mit zehn einsetzen?“

„Ja, so ähnlich.“

„Wenn Prinzessin aus zehn Schlaf erwacht...“, murmelte sie. „Wenn Prinzessin aus zehn Tage Schlaf erwacht... zehn Monate erwacht... zehn Jahre erwacht... Welche Prinzessin schläft so lange?“

Vielleicht war es doch besser, wenn sie nicht weiter danach suchte. Aber je weniger sie verstand, desto mehr interessierte es sie.

„Dornröschen?“, versuchte es Aidou noch einmal und erntete einen giftigen Blick von ihr. „Die hat hundert Jahre geschlafen.“, gab sie knapp zurück. „Außerdem gibt es das Märchen noch nicht so lange, wie diese Prophezeiung.“

Darauf wusste Aidou nichts mehr zu antworten.

„Vielleicht ist ja keine richtige Prinzessin gemeint oder kein richtiger Schlaf.“, versuchte er nun seinen guten Willen zu zeigen.

„Kann sein...“

„Vielleicht bezeichnet Schlaf ja so etwas, wie... uhm... Ruhezustand...“

Sie sahen sich einen Moment stumm an, doch keiner der beiden schien eine gute Idee zu haben.

„Was ist mit Prinzessin?“, fragte Yuki weiter. „Fällt dir dazu etwas ein?“

„Na ja, wenn da etwas von Prinzessin steht, dann wird damit schon eine Frau gemeint sein. Vielleicht eine hohe Persönlichkeit, jemand wichtiges.“

„Also doch eine Prinzessin?“

Aidou zuckte mit den Schultern. „Vielleicht.“

„Ruhezustand...“, nahm Yuki den vorherigen Gedanken wieder auf. „Vielleicht war oder ist sie sich einer Sache nicht bewusst gewesen?“, überlegte sie laut weiter. „Schlaf... Was könnte damit gemeint sein?“

Er sah sie eine Weile an. Eine Prinzessin die schläft... zehn Tage... zehn Monate... zehn Jahre. Ihrem Zeigefinger nach zu urteilen, der jetzt die anderen Zeilen entlang glitt, war sie schon wieder mit den Gedanken wo anders. Es stand nicht einmal drin, was für eine Prinzessin gemeint war, wenn überhaupt. Yuki war immerhin auch eine Prinzessin... eine echte Vampirprinzessin, ein Reinblut, noch dazu eine Kuran - auch wenn niemand etwas von ihr gewusst hatte. Am wenigsten sie selbst... Er selbst hätte ja niemals gedacht, dass das kleine tollpatschige Mädchen eigentlich jemand so bedeutendes war. Zehn Jahre war sie ein Mensch... Vielleicht richtete sich die Zeile auch nach so etwas?, überlegte er weiter. Vielleicht hatte Schlaf ja noch eine ganz andere Bedeutung...

Ruckartig richtete er sich auf und Yuki sah ihn erschrocken an. „Was ist?“, fragte sie überrascht.

Er antwortete nicht, sondern starrte sie weiter an. Seine Gedanken rasten.

Yuki war zehn Jahre ein Mensch. Sie war eine Prinzessin... eine echte Vampirprinzessin. Sie war ein Mensch für zehn Jahre. Zehn Jahre... Eine Dekade. Der Vampir in ihre hatte zehn Jahre in ihr geschlummert. Er hatte eine Dekade geschlafen.

„Aidou?“, fragte Yuki noch einmal. „Was ist los? Du bist plötzlich so seltsam. Ist dir etwas eingefallen?“

„Ehm... Uhm...“, stotterte er. „I-Ich weiß nicht... ähm... vielleicht.“

„Na sag schon. Vielleicht ist es ja richtig. Alles könnte uns weiter bringen.“ Für einen kurzen Moment schien es ihm, als hätte Yuki schon längst entschieden der Sache auf den Grund zu gehen.

„Was, wenn du gemeint bist?“, sagte er endlich und Yuki sah ihn aus großen, fragenden Augen an. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“, sagte sie, als er nicht weiter erklärte.

Aidou schüttelte irritiert den Kopf. Er konnte nicht glauben, dass er das ernsthaft in Erwägung zog. Sie würde ihn auslachen oder noch schlimmer Kaname-sama davon erzählen.

„Du bist eine Prinzessin.“, begann er. „In unseren Kreisen zumindest. Dieser Text stammt aus unserem Archiv, eine Archiv, das sich nur mit der Vergangenheit der Vampire befasst. Die „Prophezeiung, muss also etwas mit uns zu tun haben.“ Jetzt wo er es aussprach, erschien ihm das vollkommen logisch. Warum hatte er es vorhin nicht bemerkt? Der Reim oder die Prophezeiung oder was auch immer, stand in einem Buch, dass sonst ausschließlich einen Teil der Vampirgeschichte enthielt.

„Und weiter?“, fragte Yuki, die bemerkte, dass er schon wieder in Gedanken war.

„Eh? Also, jedenfalls du bist eine Prinzessin und die Zeile sagt etwas von Dekade Schlaf. Du hast zwar nicht zehn Jahre geschlafen. Also nicht geschlafen, im wörtlichem Sinne, aber du warst aber ein Mensch. Der Vampir in dir hat geschlafen.“

Immer noch schaute Yuki ihn verständnislos an, ohne sich zu rühren.

„Uhm, Yuki. Alles in Ordnung?“, war es nun Aidou, der besorgte nachfragte.

„Ich denke nicht, dass es so einfach ist.“, antwortete sie schließlich.

„Wieso einfach?“, fragte er leicht irritiert.

„Warum sollte so ein alter Text auf mich zutreffen?“

„Und warum nicht?“, fragte er zurück.

„Ähm... Ich... Es... Es muss doch auch noch andere schlafende Prinzessinnen gegeben haben.“

Fragend hob er eine Augenbraue. „Das glaubst du doch selbst nicht.“

„Aber ich... Das... Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man vor 100.000 Jahren wusste, dass das passieren würde.“, antwortete sie zögerlich.

„Deswegen nennt man es eine Prophezeiung.“, sagte er trocken. „Für gewöhnlich, weiß man nie, wann sie eintreffen.“

Überrumpelt sah Yuki ihn an. „Aber warum sollte das darin geschrieben stehen. Ich habe nicht das Gefühl, dass es von so großer Bedeutung ist. Ich meine... es hätte doch jedem anderen passieren können, zu jeder anderen Zeit.“

„Zeig noch mal her.“ Er riss ihr förmlich das Blatt aus der Hand und überflog noch einmal jede einzelne Zeile. „Vielleicht ist es gar nicht so schwer, wenn man den Anfang einmal hat.“, sagte er mehr zu sich selbst.

„Was?“, fragte Yuki nun.

„Die ersten fünf Zeilen beginnen mit einem ‚Wenn’.“, sagte er. „Wenn geworden ist, was am meisten gehasst; wenn Prinzessin aus Dekade Schlaf erwacht; wenn Freundschaft sowie Liebe zartes Band verblasst; wenn der Königsthron gelang zu neuer Macht; wenn des Winters Kleid sieben Monde bleibt... Wenn all das erfüllt ist, dann wird das andere eintreffen. Des Winters Kleid sieben Monde bleibt... Das ist eigentlich einfach... Statt Monate hat man früher Monde gesagt. Man rechnete von Vollmond zu Vollmond. Man nennt das heute einen synodischen Monat und meint 29 Tage, 12 Stunden und 44 Minuten. So lange braucht der Mond, die Erde zu umrunden. In diesem Fall meint es also, dass der Winter sieben Monate bleibt. Hatten wir schon mal einen so langen Winter?“, richtete er sich nun wieder an sie.

Yuki schüttelte den Kopf, noch immer verwirrt von seinem erneuten Vortrag, dem sie gar nicht so schnell folgen konnte.

„Aber wenn du sagst, dass die ersten fünf Zeilen erfüllt sein müssen, dann heißt dass doch trotzdem nicht, dass wir schon einen siebenmonatigen Winter hatten. Vielleicht hat sich ja noch nicht alles erfüllt und die Prophezeiung ist noch nicht eingetroffen.“, wandte Yuki nun ein.

„Auch wieder wahr.“, stimmte er zu. „Dann lass uns mit den anderen Zeilen weiter machen. ‚Wenn geworden ist, was am meisten gehasst’... Ich habe keine Idee, was das heißen könnte...“

„Ich auch nicht... Was ist mit den anderen?“, fragte Yuki.

„’Wenn Freundschaft sowie Liebe zartes Band verblasst’?“, fragte er laut und sprach dabei Yuki an. Diese überlegte einen Moment und schüttelte dann aber mit dem Kopf.

„’Wenn der Königsthron gelang zu neuer Macht’.“, las er die nächste Zeile. „Gelangt zu neuer Macht...“

„Hört sich so an, als wäre es schon einmal so gewesen und dann nicht mehr.“, sagte Yuki nun nachdenklich.

„Aber natürlich!“, rief er aus. „Das ist wirklich einfach. Es bezieht sich ebenfalls wieder auf deine Familie. Es hängt alles zusammen, deswegen Prinzessin. Die Familie der Kurans war schon immer so etwas, wie der Könige der Vampire. Sie hatten die Macht, auch über andere Reinblüter, stammen sie doch direkt vom ersten Vampir überhaupt ab. Irgendwann wurde dann der Senat gegründet. Die Macht der Kurans, Beherrscher des Königsthrons, war in dieser Zeit nicht so sehr dominant. Sie hatten zwar noch eine gewisse Funktion und Status, aber das meiste ging vom Senat aus. Wohin das geführt hat, haben wir ja gesehen...“, sagte er verächtlich.

„Da es den Senat nicht mehr gibt und Onii-sama praktisch wieder an der Spitze steht, ist der Königsthron also wieder zu neuer Macht erlangt?“, fragte Yuki und wollte ihre Schlussfolgerung bestätig wissen.

„Ja, ich denke das heißt es. Auch wenn Kaname-sama langsam wieder einen Senat aufbauen will, so hat er... ihr doch die alleinige Macht. Wir haben momentan eine Monarchie. ... Der Königsthron ist zu neuer Macht gelangt.“

„Also sind zwei der fünf Zeilen bereits erfüllt. Fehlt nur noch der siebenmonatige Winter und der könnte ebenso bereits erfüllt sein?“

„Ja, vielleicht. Aber wir hatten noch keinen so langen Winter. Wenn man es als Reihenfolge betrachtet, dann müsste der Winter erst noch kommen. Die Prophezeiung ist also noch nicht erfüllt. Aber was mir eigentlich am meisten Sorgen bereitet ist die letzte Zeile: ‚Den Untergang des einen, des anderen oder beiden beschreibt.’ Untergang von wem? Tag und Nacht? Tag oder Nacht? Kann man das auslöschen?“

„Vielleicht sollten wir doch erst wissen, was mit den andere beiden Zeilen gemeint ist, Zeile eins und drei.“

„Möglich.“, antwortete er gedankenversunken.

Plötzlich hörten sie einen Gong schlagen und beide sahen auf die große Standuhr, die wie drohend in der Mitte des Raumes stand.

“Es ist schon drei Uhr. Ich hätte nicht gedacht, dass wir schon so lange hier sind.“, sagte Aidou überrascht.

„Stimmt. Das Schriftzeichenrätsel hat so lange gedauert. Wir sollten vielleicht gehen. Ich habe so langsam Hunger.“, sagte Yuki schmunzelnd.

Na endlich!, dachte Aidou erleichtert. Dass sein Magen schon seit einer halben Ewigkeit knurrte, konnte ihn auch nicht der Text vergessen lassen.

„Was willst du jetzt machen? Willst du das Rätsel weiter lösen oder willst du es sein lasen?“, fragte er sie.

Yuki schwieg einen Moment, aber eigentlich brauchte sie nicht weiter zu überlegen. „Ich werde weiter machen. Wir haben doch schon etwas herausgefunden und ich denke es ist wichtig. Irgendwie hab ich das im Gefühl.“

„Aha.“, sagte er bloß und konnte den Spott nicht ganz verbergen. Frauen und ihre Gefühle...

„Ich denke, ich zeige es Onii-sama. Vielleicht kann er ja noch ein paar Hinweise enträtseln.“

„Denkst du wirklich er hat für so etwas Zeit?“

„Uhm...“ Yuki wurde rot im Gesicht. Er hatte recht. Ihr Onii-sama war ständig unterwegs, traf irgendwelche Entscheidungen oder saß zu Diskussionen mit anderen zusammen. Oft kehrte er nur im Morgengrauen zurück und da schlief sie manchmal schon. Obwohl sie sehr genau wusste, wer und vor allem was sie war, so konnte sie sich nicht den wärmenden Strahlen der Sonne entziehen, auch wenn es sie schwächte. Sie hatte dennoch etwas beruhigendes auf sie.

„Dann lass uns gehen. Müssen wir morgen wieder hier her? Immerhin hast du nicht gefunden, was du eigentlich suchtest.“, fragte er und war schon jetzt von dem Gedanken daran nicht sehr angetan. Er wollte endlich mal wieder ausschlafen.

„Ich weiß noch nicht. Eigentlich schon, andererseits...“ Vielleicht konnte der Fluch noch etwas warten. Bei dem Gedanken fühlte sie sich aber gleich schuldig. Sie hatte es sich doch fest vorgenommen! „Ich gebe dir vorher Bescheid. Lass uns die Bücher zurücklegen und dann gehen.“, sagte sie, ohne ihm eine konkrete Antwort gegeben und selbst eine Entscheidung getroffen zu haben.

Sie stellten die Bücher sachgemäß an ihren ursprünglichen Platz zurück und gingen dann zum Ausgang. Sie nahm die Fackel in die Hand und drehte sich dann zu dem Raum um. Sie würde das Feuer mit ihren Kräften löschen. Inzwischen hatte sie gut gelernt damit umzugehen. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Flammen. Je mehr sie sich konzentrierte und sich vorstellte, wie die Flammen immer kleiner wurden, so geschah es auch und irgendwann erloschen sie ganz und nur noch die Fackel versuchte den riesigen Raum mit ihrem schwachen Schein zu erhellen.
 

Yuki wartete geduldig auf Kaname. Die Bedienstete brachte ihr einen heißen Tee, den sie dankend annahm und dann gab es auch schon Abendessen – oder Frühstück, je nachdem wie man es nennen wollte, wenn draußen die Sonne langsam aufging und man aber eigentlich schon bald zu Bett gehen würde. Aidou hatte sich kurze Zeit nach ihrer Rückkehr verabschiedet und Yuki war auch nicht böse darum. Sie konnte ihn nicht ständig um sich haben und er hatte schließlich auch ein eigenes Privatleben, auch wenn sie sich nach all dieser Zeit noch immer nicht ganz im klaren war, wie das aussah.

Sie grübelte weiter über den mysteriösen Zeilen und bemerkte deswegen auch nicht Kanames Rückkehr oder gar das er das Zimmer betrat.

„Was tust du da?“, fragte er sie nach einigen Sekunden, als er sich bewusst wurde, dass sie ihn offensichtlich nicht einmal bemerkte.

Yuki schrak hoch und sah ihn aus großen Augen an.

„Onii-sama! Ich habe gar nicht bemerkt, dass du zurück bist.“, sagte sie, sprang auf und ging ein paar Schritte auf ihn zu.

„Ich weiß.“, sagte er sanft, berührte zärtlich ihre Wange und spürte, die Wärme die sich darunter ausbreitete. Dann gab er ihr einen Kuss auf die Stirn und Yuki schloss wohlig die Augen.

„Was hast du da?“, fragte er schließlich, als er von ihr ließ.

„Oh, das... Aidou und ich haben es in einem der alten Bücher gefunden. Wir glauben, dass es... ähm.. Aidou meinte, es könnte so etwas wie eine Prophezeiung sein.“, sagte sie und merkte selbst, wie aufgeregt sie klang.

Er lächelte über ihren beinah kindlichen Eifer. „Darf ich mal?“ Yuki reichte ihm das Stück Papier und setzte sich wieder. Dann beobachtete sie Kaname, der die Zeilen überflog.

„Mmh...“, sagte er nachdenklich. „Ihr könntet recht haben, es hört sich zumindest so an.“ Auch wenn er ihr zustimmte, so wusste er nicht so recht, was er davon halten sollte. Noch nie hatte er von dieser Prophezeiung gehört - wenn es denn wirklich eine war. In alle den Jahren oder gar Jahrhunderten nicht. „Wo habt ihr sie denn gefunden?“, wollte er weiter wissen.

„In einem der Bücher von vor 100.000 Jahren.“

„Was macht in denn so weit in der Vergangenheit? Ich dachte du beschäftigst sich mit der Vergangenheit die erst 8000 Jahre zurückliegt?“, fragte er.

Yuki erstarrte für einen Moment, was Kaname aber nicht sah, da er noch immer auf das Stück Papier blickte.

„Das... Wir sind heute einfach nur so durch die Reihen gegangen und haben hier und da ein paar Bücher rausgezogen, die interessant aussahen.“, antwortete sie und hasste sich bereits für die Lüge. Aber die Wahrheit konnte sie ihm noch weniger sagen. „Natürlich haben wir sie dann auch wieder ordentlich zurückgestellt.“, hängte sie hastig an, als sie seinen Blick bemerkte.

„Ich weiß nicht, ob wir das ernst nehmen sollten.“, sagte Kaname nach einer Weile. Die Tatsache, dass er noch nie etwas davon gehört hatte, ließ ihn an der Glaubwürdigkeit der Zeilen zweifeln. „Vielleicht ist es auch schon längst geschehen. In welches Buch genau habt ihr es dann gefunden?“

Yuki beschrieb ihm die Reihe und wie lange sie ungefähr gelaufen waren und dann beschrieb sie ihm natürlich noch das Buch. Es hatte einen blutroten Einband gehabt, der durch die übermäßigen goldenen Ränder und Verziehrungen noch mehr unter all den anderen hervorstach. Dann trat eine Weile Schweigen ein und Kaname überlegte noch immer, ob diese Worte nicht doch gefälscht waren. Yuki wurde indes immer nervöser. Sein Schweigen ließ sie nichts gutes ahnen und sie bereute es bereits, ihn damit belästigt zu haben.

„Ähm... Aidou meinte, dass... dass...“, begann Yuki zögern und Kaname sah sie fragend an.

„Was meinte er?“

„Wir haben schon ein wenig überlegt, was die einzelnen Zeilen bedeuten könnten. Er sagte, dass die schlafende Prinzessin ich sein könnte.“, sagte sie und ihre Stimme wurde zum Ende hin immer unsicherer. Wenn sie es jetzt ihrem Bruder erzählte, hörte es sich noch sehr viel unglaubwürdiger an, als beim ersten Mal. Sie konnte Kanames Ausdruck nicht richtig deuten, aber anscheinend dachte er das Gleiche.

Kaname nahm war, wie ihn Yuki aus ängstlichen Augen ansah und wenn sie das tat, dann konnte er ihr einfach nicht weiter wieder sprechen, geschweige denn ihr sagen, dass er nicht sehr viel von der Idee hielt.

Stattdessen fragte er: „Was habt ihr euch denn noch überlegt und wie kommt er auf so etwas?“

Yuki streckte die Hand aus und Kaname reichte ihr den Zettel, dann setzte er sich neben sie und lauschte ihrer Erklärung.

„Also, er sagte, dass diese Zeilen sich auf Vampire beziehen müssten, da sie ja in einem Buch standen, das ausschließlich für die Hände von Vampire bestimmt ist und eben von der Geschichte der Vampire handelt. Deswegen dachte er, dass mit Prinzessin wirklich eine richtige Prinzessin gemeint ist und dass Schlaf nicht ganz wörtlich zu nehmen ist. Er meinte, dass der Vampir in mir geschlafen hat, als ich ein Mensch war, zehn Jahre lang - eine Dekade. Wenn man es so sieht passt es schon sehr gut.

„Ähm... Bei dem Königsthron glaubte er, dass es die Situation beschreibt, wie sie momentan ist. Also, dass die reinblütigen Vampire wieder an der Macht sind, nachdem sie es vorher nicht mehr waren. Auch das stimmt unter diesen Gesichtspunkten. Die fünfte Zeile sagt wohl etwas von einem siebenmonatigen Winter.“

Gern hätte Yuki Aidou Worte an dieser Stelle wiederholt, aber sie konnte sich nur noch daran erinnern, dass Monat von Mond kam und es irgendeinen Zyklus beschrieb. Allerdings fiel ihr in dem Zusammenhang nur das Wort Synopse ein und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass das nun wirklich etwas ganz anderes war.

Kaname sah ihre vor Aufregung glühenden Wangen und musste schmunzeln. Anscheinend hatte sie sich bereits in diese Sache hineingesteigert und er würde sie wahrscheinlich nicht mehr davon abbringen können.

„Wir wissen nur noch nicht, was mit den anderen Worten gemeint ist.“, murmelte Yuki, schon wieder in Gedanken versunken.

Nein, er würde sie ganz bestimmt nicht mehr davon abbringen können.

„Woher willst du wissen, dass es nicht schon längst eingetreten ist?“, unterbrach er sie nun wieder.

„Ich weiß nicht... Aidou sagte, dass es eine Reihenfolge hat. Wenn die ersten fünf Zeilen eingetroffen sind, wird erst das andere geschehen.“

„Anscheinend ist es schon eingetroffen oder zumindest dabei sich zu erfüllen. Wenn man die vierte Zeile betrachte und es so sieht, wie ihr gesagt habt, dann kann es nicht mehr lange dauern. Dann wird es sieben Monate einen Winter geben und Tag und Nacht werden in Liebe vereint sein. Allerdings ist Zeit in diesem Fall wohl eher ein relativer Begriff.“

„Aber wer ist Tag und Nacht?“, fragte Yuki zurück.

„Ich denke man kann es auch wörtlich nehmen, wie alles andere. Es wäre seltsam, wenn es nun nicht mehr so wäre.“

„Vielleicht muss man auch erst die ganzen vier Zeilen kennen, um das sagen zu können?“

Kaname sah sie noch einen Moment schweigend an und nahm ihr dann den Zettel aus der Hand.

„Onii-sama!“, protestierte Yuki sogleich und wollte ihm den Zettel wieder aus der Hand schnappen.

„Ich finde du hast für heute schon genug nachgedacht. Du solltest erst einmal ins Bett gehen und wenn du aufwachst, kannst du vielleicht wieder besser darüber nachdenken.“, versuchte er sie zu beschwichtigen.

Skeptisch sah sie ihn an.

„Keine Angst, ich glaube du und Aidou tatet Recht daran, es euch näher anzusehen und darüber nachzudenken. Nur finde ich, solltest du jetzt eine Pause machen und dich ausruhen. Ich habe gehört ihr wart heute Stunden da unten.“

Vor Scham ertappt worden zu sein, färbten sich ihre Wangen wieder rot. Sie konnte ihm nicht mehr wiedersprechen.

„Schlaf gut und träum etwas schönes.“, sagte er schließlich und hauchte einen guten Nacht Kuss auf ihre Wange. Dann gab er ihr den Zettel zurück.

„Gehst du nicht zu Bett, Onii-sama?“, fragte Yuki verwundert, als sie sah, dass er noch immer nicht den Mantel ablegte.

„Nein, ich muss noch kurz etwas erledigen.“

„Du solltest nicht zu viel arbeiten. Du musst dich doch auch mal ausruhen.“, protestierte Yuki gleich wieder.

„Das mache ich auch gleich. Es ist nicht mehr viel zu tun und dann habe ich morgen weniger Arbeit.“

„Na gut.“, nuschelte Yuki und sah ihn noch einmal trotzig an, um ihn zu signalisieren, dass er seine Worte dieses Mal auch wirklich halten musste.

Er lächelte ihr noch einmal zu und beide gingen dann ihrer Wege. Yuki ins Bett, so wie sie es versprochen hatte. Erst nachdem sie sich hingelegt hatte, bemerkte sie, wie müde sie eigentlich war und schlief kurz darauf ein. Die Prophezeiung ließ sie aber noch immer nicht los und lag in greifbarer Nähe auf ihrem Nachttisch.

Kaname hingegen hatte gelogen, denn es gab nichts mehr was er offiziell zu erledigen hatte. Stattdessen fuhr er an den Ort, den Yuki und Aidou bereits bei Einbruch der Dunkelheit am gestrigen Tag aufgesucht hatten.

Anders als sie, benötigte Kaname aber keine Fackel. Er fand den Weg die steilen Stufen auch so herunter und als der die schwere Tür aufstieß, schien sich das Feuer, wie von Zauberhand zu entzünden. Er ging zu der Reihe, die Yuki ihm beschrieben hatte und fand auch das Buch Recht schnell. Es stand ein wenig zwischen all den anderen Büchern heraus, so dass er es leicht erkennen konnte. Kaname nahm es aus dem Regal und schlug es auf. Es dauerte nicht lange, bis er die geschilderte Seite fand. Er las die Zeilen und es fiel ihm anders als seiner Schwester leichter, auch die fehlenden Schriftzeichen zu erkennen. Es waren die Worte, die er bereits auf Yukis Zettel gelesen hatte, doch das gab keine Antworten auf seine Fragen. Dieser Text passt überhaupt nicht in dieses Buch. Auch wenn man früher vielleicht nicht nach Themen aufgeschrieben hatte, so hatte eine Prophezeiung, an deren Echtheit er nun nur noch mehr zweifelte, nichts in diesem Buch zu suchen.

Wenn es wirklich eine Prophezeiung war, warum war sie dann so lange in Vergessenheit geraten? Warum war sie nicht gesondert aufgeschrieben und der Nachwelt in Erinnerung geblieben, wie man es normalerweise in solch einem Fall tun würde?

Sein Blick wanderte noch einmal die Schriftzeichen entlang, immer auf der Suche nach etwas auffälligem und nach dem zweiten Mal blieb sein Auge tatsächlich am allerletzten Schriftzeichen hängen. Es war eines der verblassten und das Schriftzeichen selbst, war nur noch schwer zu erkennen. Das, was sich darunter befand aber nicht.

Auf den ersten Blick schien es nichts anderes als ein Tintenfleck, doch nun erkannte er, was es wirklich war.

Es brauchte nur einen Moment, um es zu erkennen und auch dessen Bedeutung. Sofort schlug er das Buch wieder zu und stellte es zurück.

Dann lief er zum Ausgang und mit einer einzigen Handbewegung brachte er das Feuer zum erlöschen. Als er aus den Katakomben zurückkehrte sendete er sogleich eine Fledermaus an die Residenzen von Hanabusa Aido, Akazuki Kain und Ichijo Takuma. Bei Einbruch der Dunkelheit sollten sie bei ihm sein.
 

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Als erstes Mal etwas zu lachen... zumindest könnte ich mich jedes Mal schmeißen, wenn ich es lese. Die Vorstellung ist einfach zu genial! *lol*
 

„Schlaf gut und Träum etwas schönes.“, sagte er schließlich und haute einen guten Nacht Kuss auf ihre Wange.
 

So etwas entstehen, wenn das Unterbewusstsein die Kontrolle übernimmt und man noch keine Korrektur gemacht hat. XD Als ich es das erste Mal entdeckt habe, konnte ich selbst nicht mehr an mich halten. Kann das man jemand für mich zeichnen? XD

Na ja... ansonsten, bin ich wie immer für Lob und Kritik offen, wobei ersteres bevorzugt wird. Logisch nicht...^^°
 

Sehen und dann beim nächsten Mal!!!!
 

glg maidlin

Des Schicksals Schicksal

Bin da! Wer noch?

XD

Dieses Mal will ich auch gar nicht lange aufhalten. Wünsch euch viel Spaß beim lesen und vielleicht – aber nur vielleicht – wird ja die ein oder andere Frage geklärt werden.
 

lg maidlin
 

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Des Schicksals Schicksal
 

Yuki schritt die große Treppe der Vorhalle herunter und staunte als sie Kain, Aidou und Takuma dort vorfand. Sie hatte sich also doch nicht geirrt.

„Was macht ihr hier?“, fragte Yuki überrascht. Kaname hatte gar nichts darüber gesagt, dass sie kommen wollten und auch Aidou hatte sie nicht bestellt.

„Hallo, Yuki-sama.”, begrüßte Ichijo sie freundlich. „Weißt du das denn auch nicht?“

„Nein. Ich bin ehrlich gesagt überrascht euch hier zu sehen.“

„Kaname-sama hat uns bestellt. Aber es ist seltsam, dass du dann gar nicht davon weißt.“, überlegte Takuma laut und tippte sich mit dem Zeigefinger an das Kinn.

Yuki wunderte sich sehr. Das Erscheinen aller drei zu dieser frühen Abendstunde musste etwas wichtiges zu bedeuten haben. Aber warum hatte er ihr dann nichts gesagt?

Sie sah kurz zu Aidou und konnte auf den ersten Blick erkennen, dass er nicht sehr erfreut darüber war, schon wieder so früh da zu sein. Wahrscheinlich dachte er gerade an sein weiches Bett, überlegte Yuki. Dabei hatte sie an diesem Tag extra darauf verzichtet in das Archiv zu gehen oder ihn nach der Prophezeiung zu fragen – auch wenn sie eigentlich an nichts anderes mehr denken konnte.

Plötzlich öffnete sich die Tür zu ihrer Linken und Kaname trat ein.

„Kaname-sama, guten Morgen!“, begrüßte Takuma auch ihn höfflich. Die anderen folgten seinem Beispiel und Yuki lächelte ihren Bruder sanft an.

„Schön, dass ihr bereits da seid. Ich habe euch etwas wichtiges mitzuteilen.“, sagte er kurz und deutete ihnen dann, ihm zu folgen. Yuki, war sich nicht sicher, ob sie auch gemeint war, aber sie tat ihnen einfach. Ihre Neugier war immer noch wesentlich größer, als die mögliche Langeweile vor einem politischen Thema.

„Darf man fragen, um was es geht?“, wollte nun Kain wissen.

Kaname drehte sich kurz um und blickte ihn an. „Es scheint als hätten Yuki und Aidou gestern etwas sehr bedeutsames gefunden.“, erwiderte er und führte sie dann weiter in sein Büro.

Aidou und Yuki hingegen warfen sich einen kurzen, verstohlenen Blick zu. Ein ungutes Gefühl beschlich sie und sie versuchten sich mit dem gleichen Gedanken zu beruhigen. Es konnte sich schließlich nur um das Eine handeln. Von dem anderem hatte keiner von ihnen ein Wort verloren. Davon konnte Kaname also nichts wissen... das zumindest, hofften sie.

Kaname öffnete die letzte Doppeltür, indem er beide Flügel gleichzeitig aufzog und sie alle nach einander eintraten. Wie verständlich war Takuma derjenige, der sie schloss.

„Was habt ihr denn gefunden?“, fragte Akazuki seinen Cousin und ein Vorwurf war nicht zu überhören. Er kannte seinen Cousin sehr gut und wusste daher auch, dass dieser die Angewohnheit hatte meist in jedes Fettnäpfchen zu treten, welches sich ihm gerade bot.

„Ähm... das...ist... war... ehm... “, versuchte er sich herauszuwinden.

„Wir haben gestern in einem der Bücher einen äußert interessanten Text gefunden. Es könnte eine Prophezeiung sein.“, antwortete Yuki sattdessen. Aidou wollte erleichtert aufatmen, dass er nicht hatte antworten müssen, aber es klang immer noch genauso unwirklich, wie in der gestrigen Nacht.

„Richtig. Yuki, ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe dir gestern abend nicht geglaubt und dem keine weitere Bedeutung beigemessen. Ich hatte gedacht, es handele sich nur eine alberne Weissagung, wie sie hin und wieder gemacht wird. Ich habe mich getäuscht und ich möchte mich aufrichtig dafür entschuldigen.“, sprach Kaname, berührte dabei sanft Yukis Wange und sah ihr eindringlich in die Augen. Ihre Wangen röteten sich bei dieser kleinen Geste ein wenig.

„Was meinst du damit, Onii-sama? Weißt du nun doch etwas darüber?“

„Ja, ich war gestern ebenfalls noch einmal im Archiv, weil ich mir nicht erklären konnte, warum du diesen Text in einem der Bücher gefunden hast, die so gar nicht damit zu tun haben sollten. Ich habe das Buch und auch die Seite recht schnell gefunden.

„Du hattest recht, als du sagtest, dass die Schriftzeichnen nur noch schwer lesbar sind. Doch es gibt eines, was noch sehr klar zu erkennen ist. Allerdings ist es so klein geschrieben, dass man es auf den ersten Blick für nicht mehr, als einen Tintenfleck halten würde. Deswegen ist es euch wahrscheinlich nicht gleich aufgefallen.“, sagte Kaname und setze sich hinter seinen Schreibtisch.

Erneut wechselten Yuki und Aidou fragende Blicke. Sie konnten sich nicht erinnern irgendetwas übersehen zu haben. Immerhin hatten sie den Text mehrmals gelesen.

„Und was für ein Schriftzeichen war das, Kaname-sama?“, fragte Takuma weiter.

„Es gab den Namen des Autors preis.“, antwortete dieser ihm und atmete schwer aus und sah gedankenverloren auf einen Punkt seines Schreibtisches. Jetzt begann Yuki sich leichte Sorgen zu machen. So kannte ihren Onii-sama nicht und irgendwie wirkte er mit einmal erschöpft auf sie.

„Onii-sama, ist alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt und die anderen drei schreckten kurz auf.

„Ja, natürlich mach dir keine Sorgen.“, beschwichtigte er sie gleich und lächelte sie sanft an. „Der Autor des Textes ist nur niemand unbekanntes, Yuki. Du wirst ihn vielleicht nicht kennen, weil du mit unserer Gesellschaft und Geschichte noch nicht so vertraut bist, aber ihr anderen schon.“, sagte er und legte die Fingerspitzen aufeinander. „Die Prophezeiung und inzwischen glaube ich, dass es wirklich eine ist, wurde von niemand anderem als Úmmei gemacht.“, sagte Kaname. An den Reaktionen von Kain, Aidou und Takuma erkannte er, dass sie sich der Bedeutung des Namens bewusst waren. Jeder, der eine gute Ausbildung genossen hatte, kannte diesen Namen - war er doch ein Beispiel der tiefen Angst, die auch Vampire empfinde konnten, aber auch ein Beispiel dessen, was Angst vermochte.

„Wer ist das und warum schaut ihr alle so?“, fragte nun Yuki, die mit dem Namen wirklich nichts anzufangen wusste. Kaname stand erneut auf und ging zu Yuki.

„Yuki, es gibt ein paar Dinge, die du noch nicht über die Geschichte der Vampir weißt. Zum einem, weil ich es nicht für nötig erachtet hatte, dich darüber zu unterrichten und zum anderen, weil ich wünschte, du würdest mit diesem Teil unserer Geschichte nicht in Berührung kommen. Auch bei deinen Nachforschungen nicht. Ich werde es dir jetzt erzählen, damit du besser verstehst. Aber was immer du hörst, du musst daran denken, dass es schon lange her ist. Heute würde niemand mehr so handeln.“

Yuki nickte stumm. Sie wollte es wissen und doch kämpfte sie gleichzeitig mit der Angst, die sie langsam beschlich. Die anderen drei hatten sich gesetzt und Kaname führte Yuki zu einem weiteren Stuhl, auf dem sie platz nahm. Ihre Hand ließ er aber nicht los, sondern hielt sie auch, als er bereits begann zu erzählen.

„Yuki, du weißt doch sicher, dass es früher mehr von uns gab, mehr Reinblüter?“, fragte Kaname sie, wie ein kleines Mädchen, dem man versuchen wollte, etwas schweres zu erläutern. Yuki nickte.

„Du weißt ebenso, dass unsere Kräfte vielfältig sind und das nur wir Reinblüter sie wirklich kennen.“

Wieder nickte sie.

„Úmmei, war ebenfalls ein Reinblut. Sie stammte aus einer Familie deren Rang ähnlich der unseren war. Es heißt, dass sie von unglaublicher Schönheit war und jeden zu bezaubern wusste. ... Úmmei aber, war anders als die anderen Reinblüter. Bei all den Fähigkeiten, die wir auch besitzen, besaß sie eine, die sich vollkommen von den unseren unterschied. Sie wurde von Visionen befallen und in ihren Visionen sah sie die Zukunft.“

Verwirrt sah Yuki ihn an. Sie verstand nicht ganz, was er ihr damit sagen wollte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es wirklich so etwas ungewöhnliches war, wenn ein Reinblut ab und an einen Blick in die Zukunft zu erhaschen konnte. Bei all den anderen Fähigkeiten, die die Reinblüter hatten und die ihr bisher selbst noch verborgen geblieben waren, überraschte sie dies eigentlich nicht sehr.

Kaname erahnte ihre Gedanken und sprach weiter und versuchte es ihr so gut, wie möglich zu erklären.

„Die meisten Prophezeiungen – wenn man es so nennen möchte - sind oft nur Möglichkeiten über die Zukunft. Möglichkeiten, wie sie eintreffen könnten, aber nicht unbedingt müssen. Wenn auch nur eine Komponente anders ist; wenn sich auch nur eine Kleinigkeit ändert, dann würde die Prophezeiung nicht mehr eintreffen und das Schicksal ändert sich und kann eine neue Gestalt annehmen.

„Úmmeis Visionen und Vorhersagen aber waren immer wahr. Es gab niemals eine Ausnahme. Sie traten immer ein - die Guten, wie auch die Schlechten. Niemand konnte sie beeinflussen oder abwenden. Es geschah immer genauso, wie sie es vorhergesagt hatte.

„Am Anfang sah jeder diese Gabe als etwas wunderbares, etwas bedeutendes und kostbares. Gab es doch zuvor nie etwas vergleichbareres. Doch je öfter ihre Prophezeiungen sich bewahrheiteten, desto ängstlicher wurde die Vampire vor ihr.

„Du musst wissen, Yuki, die Vampire hielten sich damals für die perfekten Wesen, ohne Fehler, makellos und allem überlegen. Manche von uns tun das auch heute noch...“, sagte er mit einem seltsamen Blick in den Augen.

„Dass sie sich aber nun ihrem Schicksal so unabdingbar ausgeliefert sahen, machte ihnen Angst, war dies doch das Erste und Einzige, dem sie sich scheinbar beugen mussten und das sie nicht bezwingen konnten.

„Aus ihrer Angst gegen über den Unabdingbaren, wurde Wut und irgendwann Hass. Zuerst richtete er sich gegen sie selbst, ihre Schwäche, anscheinende Unvollkommenheit und die Unabänderlichkeit. Sie fühlten sich hilflos und gefangen – ihrem Schicksal ausgeliefert, ohne das sie etwas dagegen tun konnten.

„In ihrer Verzweiflung erkannten sie, dass es nur einen Ausweg gab, diese Angst zu besiegen. Wenn sie nicht in der Lage waren ihr Schicksal zu ändern, dann wollten sie vorher niemals wissen, was sie erwarten würde. Sie wollten niemanden, der ihnen ihr Leben vorhersagte.

„Also töteten sie sie.“

Yukis Augen weiteten sich vor Entsetzen bei seinen geflüsterten Worten, die ihre eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließen. „Aber... Warum... Wie...“, stammelte sie fassungslos.

Kaname berührte ihre Wange und zeichnete mit seinem Daumen kleine Kreise, um sie zu beruhigen. „Ich werde dir nicht sagen, wie sie es getan haben, aber sie war ein Reinblut. ... Du weißt, dass man uns nicht einfach töten kann.“

Er sah, dass bei dieser Vorstellung die Farbe aus ihrem Gesicht wich.

Bisher hatte Yuki immer geglaubt, dass es Reinblüter so mächtig waren, dass sie keine anderen Feinde haben konnten – außer sich selbst.

„Wie war das möglich? Wie konnte man einfach beschließen ein Reinblut zu töten? Was war mir ihren Eltern? Was mit den anderen Reinblütern?“, fragte Yuki hastig. Sie erinnerte sich nur zu genau an ihre eigene Mutter, die für ihr Wohl, das eigene Leben geopfert hatte. Außerdem konnte sie sich nicht vorstellen, dass die anderen einfach so zugesehen hatten. Warum hatte man es nicht verhindert, es sei denn...

Ihr Herz setzte bei diesem Gedanken kurz aus uns sie bemühte sich Kaname wieder zuzuhören.

„Man erzählt sich heute, dass Úmmei wohl auch ihr eigenes Schicksal vorhergesehen hatte und sich deswegen auch nicht dagegen wehrte. Niemand wusste wohl so gut wie sie, dass man sich nicht gegen eine ihrer Prophezeiungen erheben kann. Nicht einmal sie selbst.“

Fassungslos schüttelte Yuki den Kopf. Man hatte sie getötet, weil sie die Zukunft kannte; weil sie das konnte wovon so viele Menschen - ja sie war sich sicher, dass auch Vampire davon träumten und man hatte sie... Doch noch sehr viel mehr erschütterter sie die Tatsache, dass Kaname ihre letzte Frage nicht beantwortet hatte und sie wusste, dass das nur eines bedeuten konnte. Bei der Vorstellung daran, schnürte es ihr das Herz zu.

Sie schüttelte den Kopf und wollte somit diesen Gedanken abwerfen und es gelang ihr auch etwas, so lange sie sich auf etwas anderes konzentrieren konnte.

„Du meinst, man kann die Prophezeiung, die wir gefunden haben nicht abwenden?“, fragte sie mit trockenem Mund.

„Ja, so scheint es – wenn sie nicht schon längst geschehen ist. Wir wissen noch immer nicht, wovon diese Prophezeiung genau handelt.“

„Aber wenn diese Prophezeiung von ihr ist, wie kommt es dann, dass niemand davon wusste? Soweit ich mich erinnere hat man sie vor ihrer Exe... vor ihrem Tod eingesperrt. Man hätte es doch gemerkt, wenn sie eine weitere Prophezeiung gemacht hätte.“, war es nun Kain, der das erste Mal wieder sprach.

Er, Aidou und Takuma hatten schweigend zugehört und sich selbst an diese Geschichte erinnert. Nie hätte sie es damals, mit ihren jungen Jahren, für möglich gehalten, dass es jemand geben würde, der es wagte ein Reinblut zu töten, aber dass es selbst sogar von Reinblütern beschlossen wurde - da selbst ihnen Úmmeis Macht zu groß schien – hatte sie noch mehr erschüttert und tat es noch immer.

„Ich vermute, dass dies ihre letzte Prophezeiung war. Deswegen ist sie vielleicht auch nicht weiter bekannt. Wie sie allerdings in dieses Buch gekommen ist, lässt sich schwer sagen. Es kann sein, dass derjenige, der in diesem Zeitraum für das Niederschreiben unserer Historie verantwortlich war, es im geheimen hinein geschrieben hat. So, dass niemand es so schnell finden würde. Damals hat man sich die Bücher nach Vollendigung nicht noch einmal angesehen...“, sprach Kaname gedankenversunken.

„Du meinst, derjenige der diese... Prophezeiung nieder geschrieben hat, hat sie mit Absicht verschwiegen? Aber warum sollte er das getan haben?“, fragte Aidou.

„Das ist eine interessante Frage. Ich habe auch schon darüber nachgedacht... Vielleicht um einen weiteren Aufstand zu verhindern? Vielleicht um zu verhindern, dass man weitere hundert Jahre in Angst und Schrecken lebt? Niemand wusste schließlich, wann die Prophezeiung eintreffen würde. Vielleicht hat sie aber auch gewusst, wann es geschehen wird und man wollte es so lange geheim halten?“, überlegte Kaname laut.

„Aber wozu ist eine Prophezeiung da, wenn niemand sie erfahren soll. Wenn Yuki und ich... Yuki-sama und ich...“, verbesserte sich Aidou, als er Kanames Blick auffing, „sie nicht gestern zufällig gefunden hätte, dann hätte man es doch gar nicht erst aufschreiben brauchen.“

„Vielleicht wusste sie ja, dass wir sie finden würden.“, warf nun Yuki ein und die vier Männer sahen sie erstaunt an. „Vielleicht hat sie das ja auch gesehen.“

„Ja, das könnte wahr sein.“, stimmte Kaname ihr gleich zu. „Das würde es zumindest erklären. ... Wie dem auch sei... Nach der vierten Zeile, ist es wahrscheinlich, dass diese letzte Prophezeiung noch nicht eingetroffen ist. Wir müssen wissen, was sie sagt.“

„Was machen wir, wenn wir es wissen?“, fragte Aidou weiter und sein Cousin sah ihn verständnislos an. „Ich meine, wenn wir wissen, was sie sagt, was machen wir dann? Wenn es sich wirklich um eine Prophezeiung von Úmmei handelt, dann wird sie sich doch auch erfüllen. Man kann sie nicht ändern, oder?“

„Vielleicht.“, antwortete Kaname ihm. „Aber vielleicht auch nicht. Es kann nicht schaden zu wissen, was uns erwartet. Außerdem glaube ich, dass Yuki noch eine andere Rolle spielt. In allen Prophezeiungen von Úmmei, war das Bezeichnete ebenso von entscheidender Bedeutung, wie das Resultat.“

„Dann lasst uns anfangen.“, sagte Akazuki, der nach außen hin am ruhigsten von den fünf Personen wirkte. „Wo ist diese Prophezeiung?“

„Yuki, hast du den Text bei dir?“, fragte Kaname. Sie nickte einmal kurz zur Bestätigung und zog dann das Stück Papier aus ihrer Rocktasche. Sie hatte vorgehabt sich nach dem Frühstück weiter damit zu beschäftigen, allerdings hätte sie es niemals für möglich gehalten, dass dieser Abend so eine Wendung nehmen würde.

Sie gab es an Akazuki und Takuma weiter, die es sich interessiert durchlasen.

„Aidou, Yuki sagte gestern, dass du dir sicher bist, sie mit der Prinzessin gemeint ist. Ich denke, dass du recht hast und auch die Zeile mit dem Königsthron wird wohl so gemeint sein. Da wir diese beiden Zeilen haben und es anscheinend chronologisch verläuft, brauchen wir die andere beiden nicht unbedingt zu wissen. Was uns interessiert sind also die verbleibenden Zeilen.“

Von Takuma, Aidou und Akazuki erhielt er ein bestätigendes Nicken und Yuki war einmal mehr von der Selbstsicherheit, aber auch Ruhe erstaunt, die ihr Bruder ausstrahlte. Aber warum sollten nicht auch die anderen Zeilen von Bedeutung sein? Hatte Kaname nicht vorher gesagt, dass alle Komponenten eine Bedeutung hätten?

„Außerdem glaube ich ebenfalls, dass ein siebenmonatiger Winter gemeint ist. Allerdings gab es bei uns in den letzten 19 Jahren keinen Winter, der so lang andauerte.“

„Denkst du es könnte doch noch etwas anderes gemeint sein?“, fragte Aidou vorsichtig, aus Angst er könnte sich geirrt haben.

„Nein, eigentlich nicht.“

„Wir müssen vielleicht einfach nur wo anders nachsehen.“, sagte Takuma. „Wer sagt denn, dass es unserer Region betrifft? Yuki-samas Leben als Mensch ist einmalig, vielleicht war es allein deswegen so bemerkenswert. Einen besseren Hinweis kann es gar nicht geben. Nirgendwo wird eine Ortsangabe gemacht. Es könnte überall auf der Welt geschehen oder es ist eben schon geschehen.“

„Hat man denn in anderen Regionen schon von so einem langen Winter gehört?“, fragte Akazuki zweifelnd weiter.

„Nein, aber wir wissen zum Beispiel nicht so genau, was im Norden geschehen ist. Dort leben nicht sehr viele Vampire, so dass wir auch nicht regelmäßig Bericht bekommen. Wenn es schon gesehen ist, dann müssen wir das nicht unbedingt wissen. Es wäre möglich. Was meinst du Kaname?“, wandte er sich an seinen Freund. Dieser schwieg einen Moment, bevor er antwortete. Sie hatten zwar einen gewissen Zeitpunkt, aber nichts konkretes. Der Winter konnte bereits eingetreten sein oder er würde eben noch eintreten.

„Du hast recht. Bitte kümmere dich darum und versuche herauszufinden, wann und wo es solch einen langen Winter gegeben haben könnte. Wenn du nichts findest, dann wissen wir, dass wir noch Zeit haben es zu verhindern.“

„Ja. Ich werde mich gleich nachher darum kümmern.“

„Gut, nun die anderen Zeilen.“, sprach Kaname weiter. „Tag und Nacht... Gegensätze. Es ist die Frage, was wörtlich gemeint ist und was nicht. Offensichtlich sind einige Wörter nur Synonyme für andere.“

„Das Vierblatt...“, sagte Kain nun nachdenklich. „Das Dreiblatt ist eigentlich ein bekanntes Synonym für ein Kleeblatt, aber Vierblatt... Das ein wenig... Es wäre irgendwie zu einfach, wenn damit ein vierblättriges Kleeblatt gemeint wäre. Es wäre zu offensichtlich.“

„Aber mit dem Mond war es auch nicht viel anders.“, warf Aidou ein.

„Was ist mit der Freundschaft zartes Band?“, fragte Yuki nun dazwischen.

„Yuki, ich sage doch, dass es nicht weiter wichtig ist.“, sagte Kaname geduldig. „Was immer es war, es ist schon geschehen. Wir könnten es nicht mehr verhindern. Es ist unwichtig.“ „Sicher.“, sagte Yuki niedergeschlagen. Warum wollte er sie nicht ernst nehmen? Natürlich war es wohl schon geschehen, aber das hießt doch nicht, dass es deswegen weniger wichtig war. Noch einmal dachte sie an die – angeblich – wichtigen Komponenten. Wenn sie wirklich so wichtig waren, warum wollte er sich dann nicht mit ihnen auseinandersetzen? Während Yuki noch weiter nach dachte, diskutierten die Männer schon wieder über die nachfolgenden Zeilen, besonders über die versteckte Bedeutung von Tag und Nacht. Inzwischen waren sie sich aber so weit einig, dass Tag und Nacht wirklich starke Gegensätze meinten.

„Das ist doch unsinnig. Was immer dahinter steckt, es kann nicht allzu viel bedeuten. Es ist doch egal welche Gegensätze, aber sie werden niemals in Liebe vereint sein! Beide sind viel zu unterschiedlich. Und dann haben sie auch noch ein Kind zusammen? Das ist vollkommen ausgeschlossen! Das ist wie mit Vampiren und Menschen. Wie sollten die jemals zu einander finden?“, fragte Aidou aufgebracht. Das ganze begann ihn zu nerven und er bekam auf Grund seines Schlafmangels in den letzten Tagen und Wochen langsam schlechte Laune. Außerdem beunruhigte es ihn, dass Kaname plötzlich so starkes Interesse daran zeigte. Erklären konnte er es sich aber nicht. Nur irgendwie konnte er spüren, dass das Ganze sehr viel Unheil nach sich ziehen würde. Sie hätten den Text niemals mehr Bedeutung zumessen dürfen. Doch noch während er seine Worte gesprochen hatte, hatten die anderen ihn auf einmal aufmerksam angesehen. „Was ist?“, fragte er, als er es bemerkte.

„ Manchmal stellst du dich gar nicht so dumm an.“, sagte Kain trocken und Aidou konnte ihm noch immer nicht folgen.

„Yuki sagte mir gestern, dass du sicher bist, dass diese Prophezeiung auf uns Vampire zutrifft. Das stimmt und wer anderes sollte also mit Nacht gemeint sein, als wir die Vampire?“, erklärte Kaname es ihm. „Wir sind Wesen der Nacht, das ist nicht zu leugnen. So werden wir seit Jahrtausende bezeichnet. Wenn wir also von Gegensätzen sprechen und die Nacht Vampire bezeichnet, dann kann der Tag nur für Menschen stehen.“

„Sie sind der Gegensatz zu uns Vampiren.“, sagte Takuma weiter.

„Aber ist das denn möglich?“, fragte Yuki. „Können Menschen und Vampire in Liebe vereint sein?“

„Ja, das soll schon vorgekommen sein.“, antwortet Takuma. „Aber es hatte nie einen guten Ausgang.“, sagte er mit einem traurigen Lächeln auf dem Gesicht.

„Warum nicht?“, fragte Yuki weiter.

„Nun... entweder der Vampir konnte seinen Durst nicht zügeln und hat den Menschen... gebissen oder – für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch gut ging – wurde die Zeit zu dem anderen Problem.“

Jetzt sah Yuki ihn noch verwirrter an.

„Die Menschen werden alt und sterben irgendwann, während wir fast eine Ewigkeit leben.“, antwortete ihr nun Kain. „Das Leben eines Menschen ist im Vergleich dazu nichts.“

„Das kling furchtbar.“, sagte Yuki traurig.

„Aber so sind wir.“, sagte nun Aidou sachlich. „Es kann keine Liebe zwischen einem Menschen und einem Vampir geben. Keine die von Dauer ist.“

„Das können wir nicht mit Bestimmtheit sagen. Laut dieser Prophezeiung ist es schon möglich.“, widersprach Kaname.

„Du glaubst das wirklich, Onii-sama?“

„Ja. Aber es gibt noch einen Hinweis, einen der sehr viel bedeutsamer ist. In der Zeile steht, dass sie in Liebe statt Hass vereint sein werden. Die Menschen wissen kaum etwas von unserer Existenz, deswegen denke ich, dass eine spezielle Art von Mensch gemeint ist.“, sagte Kaname weiter und nun waren alle Augen auf ihn gerichtete. „Der stärkste Gegensatz der Nacht ist der Tag. Es gibt nichts, was stärker ist. Was also ist der stärkste Gegensatz zu uns Vampiren?“

„Oh.“, sagte Yuki nun, als sie erkannte was er meinte.

„Die Hunter?“, fragte Aidou nun voller staunen und entriss Yuki das Papier, um noch einmal die Zeilen zu lesen. „Aber das ist... Ein Hunter der sich in einen Vampir verliebt! Das ist so vollkommen unmöglich!“, stieß er aus.

„Anscheinend nicht. Wenn der Winter sieben Monate dauern wird, dann wird es geschehen. Außerdem würd es nicht das erste Mal sein.“, erklärte Kaname. Bei seinem letzten Satz, hatte er die Stimme gesenkt.

Yuki zog kurz die Luft ein. Sie wusste, wen er meinte. Ihren Adoptivvater und... erneut fühlte sich ihr Herz an, als hätte sich etwas enges darum gelegt und wollte sie nicht mehr gehen lassen.

„Und aus dieser Verbindung soll ein Kind entstehen?!“, fragte Aidou immer noch ungläubig. „Das ist doch absurd! Die Hunter sind Menschen... und ein Mensch soll mit einem Vampir ein Kind haben?“

„Laut diesem Text schon. So weit man weiß, ist es bisher nie gekommen, aber mit dieser Prophezeiung können wir es nicht mehr ausschließen.“

Yukis Gedanken schweiften erneut ab. Sie konnte das alles nicht richtig begreifen. Sie hatte das Gefühl, dass zu viele Informationen auf einmal auf sie einströmten. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass Vampire und Menschen einander so nah sein konnten. Sie hatte immer gedacht, dass es eine unsichtbare Grenze zwischen ihren Rassen gab, die jedes Übertreten unmöglich machte. Aber sie hatte sich geirrt.

Ihre Augen wanderten die Zeilen entlang und blieben schließlich an der ersten hängen. Noch immer ärgerte es sie ein wenig, dass Kaname dieser und der dritten Zeile keine weitere Bedeutung beimaß.

‚Wenn geworden ist, was am meiste gehasst’, wiederholte sie in die Gedanken. Wie kann man etwas werden, was man am meisten hasste?, fragte sie sich. Kann man denn nicht selbst entscheiden, was man werden will? Was man ist? Jeder traf doch seine eigenen Entscheidungen oder nicht? Gut, sie konnte damals auch nicht selbst entscheiden, ob sie ein Mensch werden wollte oder nicht. Genauso wie nicht entscheiden konnte, ob sie erwachen wollte. Aber das war etwas vollkommen anderes gewesen. Sie war schon immer ein Vampir. Yuki atmete resigniert aus. Er hingegen hatte nicht die Wahl, schweiften ihre Gedanken ab. Kurz tauchte Zeros Gesicht vor ihrem inneren Auge auf. Eines seiner seltenen, sanften Lächeln auf den Lippen. Selten hatte sie diesen Ausdruck bei ihm gesehen. Wenn sie jetzt daran zurück dachte, machte es ihr Herz ebenfalls schwer. Wie so oft, wenn sie an ihn dachte. Blitzartig schreckte sie hoch.

Natürlich, er war es!, dachte sie. Er war die Antwort, auf die erste Zeile. So sehr hasst er Vampire und dann wurde er selbst zu einem! Am Tag seines Erwachens, als er sie das erste mal biss, hatte die Prophezeiung begonnen sich zu erfüllen.

Sie wollte es gerade den anderen sagen, als ihr die Worte im Halse stecken blieben. Kain hatte gerade etwas gesagt, was ihr den Magen umdrehte.

„Was, wenn der Hunter, kein Mensch mehr ist? Ein Kind wäre unter diesen Umständen auf jeden Fall möglich.“

Alle schwiegen einen Moment und Yukis Herz begann in Erwartung der Reaktionen der anderen zu raßen.

„Du meinst ihn?“, fragte Takuma endlich.

„Ja.“

„Es wäre eine Möglichkeit.“, antwortete Kaname, der Yukis Entsetzen nicht sah. „Er ist zu allem fähig. Das hat er oft genug bewiesen.“

„Aber das?!“, fragte Aidou ungläubig. Schon allein der Gedanke daran jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Das ging weit über sein Vorstellungsvermögen.

„Gla-Glaubt ihr... Glaubt ihr das wirklich?“, fragte Yuki endlich mit trockener Stimme.

Kaname sah sie an und wurde sich jetzt erst der Bedeutung der Worte bewusst. „Wir können es nicht ganz ausschließen, Yuki.“, antwortete er und schloss sie in seine Arme. Aber um sie zu beruhigen und ihn wieder aus ihren Gedanken zu verbannen, wie er es all die Jahre geschehen war, sagte er noch: „Aber er hasst auch Vampire. Er hasst uns.“

Kaname hatte keine Ahnung, dass diese Worte ihr genauso weh taten, wie die vorherigen. Machte ihr es doch einmal mehr schmerzhaft bewusst, dass er auch sie hasste.

„Der Zeit der schwarzen Sonne ist wahrscheinlich eine Sonnenfinsternis.“, sagte nun Takuma, um damit die Stille zu unterbrechen, die eingetreten war.

„Eine Sonnenfinsternis gab es bei uns erst vor 3 Jahren.“, antwortete Aidou.

„Also ist das Kind erst drei?“, fragte Yuki nun, um das andere vergessen zu können.

„Möglich.“, gab Aidou zurück.

„Aber kann es nicht genauso sein, wie mit dem Winter? Die Sonnenfinsternis muss nicht unbedingt bei uns sichtbar gewesen sein.“, sagte Kain.

„Das stimmt auch wieder. Genauso muss es auch nicht der gleiche Ort sein, in dem auch der Winter so lang dauert.“, überlegte Takuma.

„Was ist mit dem Untergang?“, fragte Aidou weiter, der erkannte, dass die Diskussion über den Ort, sie ohne genaue Recherchen nicht weiter bringen würde.

„Ich denke er bezieht sich nicht auf das Vierblatt, auch wenn es in der nachfolgenden Zeile steht.“, sprach nun Kaname wieder und ließ Yuki los. „Wahrscheinlich ist das Kind gemeint. Es wird ganz deutlich gesagt, dass das Vierblatt nur den Weg zeigt.“

„Von wessen Untergang sprechen wir also?“, wollte Aidou weiter wissen. Er hatte bereits eine Ahnung und wollte diese bestätig wissen.

„Da es sich um ein Kind von einem Hunter und einem Vampir handelt, werden diese beiden gemeint sein. Es heißt ‚den Untergang des einen, des anderen oder beiden beschreibt’. Es kann sich nur auf die Vampire und Hunter beziehen. Nur der Ausgang scheint noch offen zu sein. Es kann nur die Hunter, nur die Vampire oder beide betreffen.“, überlegte Kaname laut und beantwortete somit Aidous Frage und Vermutung.

Es trat ein kurzes Schweigen ein. Sie hatten das Rätsel fast gelöst und wussten, was sie erwarten würde und das beunruhigte jeden Einzelnen von ihnen.

„Wir sollten uns beeilen das Kind zu finden.“, sprach Kaname endlich wieder. „Takuma, bitte suche gleich nach einem Land oder einen Ort, wo es einen langen Winter gab. Dann brauchen wir noch alle Orte, bei denen eine Sonnenfinsternis sichtbar war. Aidou und Kain, macht ihr das bitte.“

„Was soll ich machen?“, fragte Yuki, die sich übergangen fühlte.

„Nichts.“, antwortete Kaname schlicht und so als wäre es etwas selbst verständliches.

„Aber, Onii-sama. Ich habe die Prophezeiung gefunden, ich denken ich sollte auch etwas tun.“, widersprach sie ihm.

„Das weiß ich, Yuki und damit hast du wirklich schon genug getan. Ich bin dir dankbar, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast. Wir werden jetzt alles andere erledigen. Mach dir also keine Gedanken.“, versuchte er auf sie einzureden.

„Aber, Onii-sama! Ich...“

„Nein, Yuki. Lass uns das machen. Vielleicht findest du doch noch etwas anderes interessanten im Archiv. Du warst doch in letzter Zeit immer so oft dort.“

Stumm sah Yuki ihn an. Er hatte sie gerade an ihre Suche erinnert, an den Grund warum sie eigentlich im Archiv war. Doch dies schien ihr plötzlich nur noch halb so bedeutsam. An erster Stelle stand jetzt diese Prophezeiung und sie war sich sicher, dass sie mehr tun konnte, als nur dazustehen und abzuwarten. Sie war kein Kind mehr!

„Nein, Onii-sama! Ich denke es ist wichtig, dass ich daran beteiligt bin. Du hast doch selbst gesagt, dass ich ebenso wichtig bin. Ich werde in dieser Prophezeiung erwähnt, wenn es wirklich so zutrifft, wie wir es interpretiert haben. Du kannst mich nicht einfach ausschließen!“

Eine Weile sah Kaname sie etwas irritiert an. Hatte sie schon einmal so mit ihm gesprochen? Vielleicht. Als Mensch... Das war lange her und unbedeutend. „Du hast recht.“, sagte er schließlich, um sie zu beruhigen. „Es tut mir leid. Aber was willst du tun? Momentan wissen wir nicht mehr, als das was wir gerade erörtert haben. Wir können erst weiter handeln, wenn wir wissen, wo oder vielleicht wer dieser Hunter und Vampir sind; wer das Kind ist. Wir müssen erst einmal abwarten.“

„Abwarten? Vielleicht haben wir keine Zeit mehr zum abwarten. Wir wissen schließlich nicht, wie weit die Prophezeiung schon erfüllt ist! Ich will auch etwas tun und es gibt sehr wohl etwas, was ich tun kann!“, sagte sie mit fester und überzeugender Stimme. Sie hatte es satt, sich ständig von ihm behandeln zu lassen, als wäre sie noch ein Kind.

„Das wäre?“, fragte Kaname und sah sie aufmerksam an.

„Ich werde die Person finden, die als erstes in der Prophezeiung erwähnt wird.“ Sie sah ihm direkt in die Augen und diese ließen keinen Zweifel an ihren Worten aufkommen.

„Die erste Person?“, fragte Takuma überrascht. Keiner bemerkte, wie sich Kanames Blick sofort verfinsterte und sein Körper anspannte, als er ihre Worte hörte.

„Ja. Die, von der gleich in der ersten Zeile, die Rede ist.“

Jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit von allen vier Männern. Ihr Herz schlug heftig gegen ihre Brust. Sie wusste, was ihre nachfolgenden Worte auslösen konnten und doch wollte sie nicht mehr zurück. Zu lange hatte sie geschwiegen. Sie hätte es schon längst tun sollen.

„Ich rede von Zero.“
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Lalala... schon wieder ein Kapitel vorbei und ich danke jedem, der es bis zum Ende gelesen hat.^^

Jetzt muss ich mir aber langsam Gedanken machen, was noch alles so schönes geschehen soll oder zumindest muss ich es irgendwie sortieren.
 

Zu diesem Kapitel kann ich eigentlich nur sagen, dass der erste Teil mit Úmmei spontan entstand, als ich anfing dieses Kapitel zu schreiben. Es mag sadistisch klingen, aber ich mag ihre Geschichte... Ja, ich weiß...
 

Nun gut... ich hoffe, wie lesen uns beim nächsten Mal auch.
 

hel maidlin

Ich werde ihn finden

So.. da bin ich auch wieder...

Ich hab’s doch noch geschafft dieses Kapitel vor dem offiziellem neuen hochzuladen.^^ Egal, was die Frau jetzt macht, jetzt ist es zu spät. Einbauen kann ich es nicht mehr... XD Was ja nicht unbedingt, was schlechtes sein muss. *hüstel*
 

Zwei Anmerkungen...

1. Das Kapitel ist länger als die anderen und es passiert noch weniger.

2. Ich bin wahrscheinlich die einzige Autorin, die für eines ihrer Kapitel eine Tapferkeitsmedallie verdient hätte. -.-° Aber lest selbst warum...
 

Viel Spaß!

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Ich werde ihn finden
 

Ein paar Sekunden beherrschte Schweigen den Raum. Alle vier Augenpaare waren auf Yuki gerichtet. Sie glaubte in den Gesichtern der anderen zu sehen, dass ihr keiner glaubte. Nur bei Kaname sah sie etwas ganz anderes. Sein Gesichtsausdruck machte ihr Angst und jagte ihr kleine Schauer über den Rücken. Sie wollte glauben, dass dies nur durch die Erwähnung des Namens geschah, der zum ersten Mal seit fast 20 Jahren ausgesprochen wurde.

„Auf keinen Fall.“, zischte Kaname mit drohender Stimme, so das Kain, Aidou und Takuma zusammenzuckten. Für sie war klar, dass dieses Thema damit beendet war und keiner von ihnen hätte auch nur den Mut an den Gedanken gehabt, weiter darüber zu sprechen. Yuki schien dies aber nicht so zu sehen.

„Doch, das werde ich.“, widersprach sie mit ruhiger Stimme. „Ich bin sicher, dass Zero damit gemeint ist und ich werde ihn finden.“

„Warum? Du hast nie von ihm gesprochen.“, knurrte Kaname. Er hatte bewusst die ersten Zeilen ignorieren wollen. Denn bereits nachdem er sich selbst näher mit der Prophezeiung beschäftigt hatte – nachdem er gewusst hatte, wer sie verfasst hatte – war er auf ihn gekommen. Doch er hatte auf jeden Fall vermeiden wollen, dass sie überhaupt einen Gedanken an ihn verschwendete.

„Du wolltest es nie! Die ganze Zeit wurde nicht über ihn oder über das, was damals passiert ist, gesprochen!“, sagte Yuki. Ihre Stimme war nun nicht mehr ganz so ruhig, denn das waren die Empfindungen, die sie die ganzen Jahre nicht hatte aussprechen können und dürfen. Vielleicht auch, weil sie die Konsequenzen fürchtete.

„Es war das beste für dich! Er wollte dich töten!“

Diese harten, aber leider wahren Worte, verschlugen ihr für einen Moment die Sprache, zeigten sie ihr doch die bittere Wahrheit, die sie für einen Moment vergessen hatte.

„Ich weiß. ... Aber das heißt nicht, dass ich nicht darüber reden wollte!“, gab sie schließlich schwach zurück.

Kaname atmete einmal tief durch, bevor er weiter sprach.

„Wie lange denkst du schon an... ?“, fragte er sie möglichst ruhig, konnte aber nicht einmal den Namen über die Lippen bringen. „...daran.“, beendete er schließlich seinen Satz. Er versuchte ruhig zu sein und geduldig. Doch Aidou, Kain und Takuma wusste, dass dies nur aufgesetzt war oder ihn zu mindest sehr viel Mühe kostete. Bei jedem anderen, hätte er wohl schon sein wahreres Gesicht gezeigt.

„Eine ganze Weile.“, versuchte sie es ebenso vernünftig und sah dabei flüchtig zu Aidou. Dieser mied aber ihren Blick.

Kaname hingegen überraschte diese Antworte sehr, doch noch mehr verärgerte es ihn. Noch einmal atmete er durch. Sie sollte nie wieder an ihn denken.

„Wie auch immer,.“, sagte er endlich, „es spielt keine Rolle mehr. Du wirst nicht nach ihm suchen. Du wirst... dieses Subjekt nie wieder sehen.“

Fassungslos sah Yuki ihn an. Sie fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte gewusste, dass er nicht sehr erfreut darüber sein würde, aber das er so reagierte; dass er ihr nicht einmal zuhören wollte, machte sie wütend.

„Ich werde nach ihm suchen. Wenn diese Prophezeiung so wichtig ist, wie du sagst, dann sollte er es erst recht wissen! Er wird genauso erwähnt, wie ich!“, wiedersprach sie ihm und wurde lauter.

Kain, Aidou und Takuma sahen sich betreten an. Dies war nicht unbedingt etwas, dem sie beiwohnen sollte und schon gar nicht wollten.

„Ähm... Wir gehen dann schon mal und beginnen mit den Recherchen.“, wollte sich Takuma mit den anderen aus der Gefahrenzone bringen.

„Nicht nötig.“, sagte Kaname mit einem Ton, der klar machte, dass diese Unterhaltung bald beendet sein würde.

Die drei Männer tauschte noch einen weiteren, zweifelhaften Blick aus, schlucken heftig und sahen dann wieder betreten nach unten. Vielleicht konnte sie ja wenigstens so tun, als wären sie nicht mehr anwesend.

„Auch wenn er erwähnt wird,... Es ist zu spät. Die Prophezeiung ist gerade dabei sich zu erfüllen. Es bringt uns überhaupt nichts, wenn er auch da wäre. Nichts, außer Ärger. Er hat mit uns nicht zu tun. Neben dem Kind, ist er wahrscheinlich unser größter Feind!“, sagte Kaname, mit einer solchen Autorität in der Stimme, die Yuki einschüchterte. Aber nicht genug.

„Das ist nicht wahr! Wir wissen nicht, wie er ist! Niemand hat ihn seitdem gesehen und du hast selbst gesagt, dass alle Komponenten wichtig sind – auch jetzt noch!“, sagte sie aufgebracht und ihre Atmung ging schneller. Im Grunde wusste sie, dass ihre Argumente nichts waren, im Vergleich zu denen ihres Onii-samas und doch hatte sie das Gefühl, dass sich die ganze Sache langsam zu einem handfesten Streit entwickelte. Aber sie konnte es auch nicht mehr aufhalten.

Kaname sah sie aus blitzenden Augen an. Ihre Argumente waren nichts. Selbst, wenn er das gesagt hatte – auf ihn würden sie verzichten können. Deswegen ging er gar nicht erst darauf ein.

„Wo willst du ihn suchen? Niemand hat seit Jahren etwas von ihm gehört, niemand weiß, wo er sich aufhält. Es könnte Jahre dauern, ehe du ihn finden würdest!“

„Das...“, begann Yuki schwach. Sie hatte keine Antwort mehr. „Ich weiß es nicht.“, sagte sie schließlich ehrlich.

„Was willst du tun, wenn er wieder seine Waffe auf dich richtet?“, fragte Kaname unerbittlich weiter. „Wirst du dich gegen ihn wehren können? Was willst du ihm erzählen? Dass wir seine Hilfe brauchen? Glaubst du wirklich, dass er deswegen zurückkommen würde?“

Yuki presste die Lippen zusammen. Diese Fragen hatte sie sich noch nicht gestellt, aus Angst keine Antwort finden zu können – genauso, wie es jetzt der Fall war. Was würde sie tun? Sie wusste es nicht. Sie richtete den Blick nach unten und vermied es ihn anzusehen. Sie wollte seinen Triumph nicht sehen.

„Yuki, sieh es doch ein. Dieses... Diese Person, gehört nicht mehr in dein Leben. Das hat er nie.“, sagte Kaname. Er fasste Yuki am Kinn und hob ihren Kopf ein wenig an, doch die Tränen, die er in ihren Augen glitzern sah, erschreckten ihn.

Sie riss sich von ihm los und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.

Die anderen drei Männer warfen sich einen weiteren Blick zu. Sie wussten, wie sehr Kaname Zero verachtete und hasste, aber auch sie fanden seine Worte nicht ganz angebracht. Nicht ihr gegenüber. Aber niemand wagte es diese Worte auszusprechen. Einmal mehr hatten sie gesehen, dass das Thema Zero Kiryuu wie Sprengstoff auf ihn wirkte.

Kaname schloss die Augen und spannte den Kiefer an. Dass sie immer noch an ihn dachte, machte ihn zornig. Hatte er doch geglaubt, dass sie ihn schon längst vergessen hatte.

Er hätte ihn damals vernichte sollen.

Aber er verharrte nicht lange in seinen eigenen Gedanken.

„Geht und findet heraus, was nötig ist. Je eher wir wissen, in wie weit sich die Prophezeiung bereits erfüllt hat, desto eher können wir vielleicht nach dem Kind suchen oder vielleicht sogar verhindern, dass es überhaupt so weit kommt.“, gab er kurze Anweisung.

Aidou, Takuma und Kain nickten stumm und verließen im Anschluss das Zimmer. Kaname wartete bis sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Dann verharrte er noch einen Moment in seinem Büro und ging dann zu der Tür, die sich in der gegenüberliegenden Wand befand. Von dort aus gelangte er gleich zurück auf den Flur und ging geradewegs in Yukis Zimmer. Doch was er da sah, ließ ihn erstarren.

Yuki stand vor ihrem Kleiderschrank und nahm Kleidungsstücke heraus, die sie in einen kleinen Koffer legte, der auf ihrem Bett lag.

„Was tust du da?“, fragte er und konnte sein Entsetzen nicht verbergen.

„Das siehst du doch.“, antwortete sie kurz und sah ihn gar nicht erst an. Sein Blick hätte sie in ihrer Entscheidung ins Wanken gebracht, das wusste sie und genau das wollte sie nicht. Er war zu weit gegangen.

„Warum?“

Seine Frage überraschte sie. Wusste er es wirklich nicht? Sie drehte sich nun doch zu ihm um und sah ihm direkt an. Der Blick in seinen Augen, versetzte ihr ein Stich ins Herz und sie klammerte sich an das Gefühl der Wut, welches sie eben noch verspürt hatte.

„Onii-sama,... ich gebe zu, dass du mit dem, was du gesagt hast, recht hast. Ich weiß nicht, ob ich Zero finden kann. Ich weiß nicht, was passiert, wenn wir uns wiedersehen. Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt anhören wird; ob er mich vielleicht angreift, aber ich will ihn finden.“, sagte sie mit möglichst ruhiger Stimme, doch hielt seinem Blick stand.

„Warum?“, fragte Kaname noch einmal. „Ist es wirklich nur wegen dieser Prophezeiung? Er wird nicht viel mehr tun können.“

„Nein.“, antwortete sie ihm ehrlich. Yuki atmete einmal aus und ein. Noch nie hatte sie so eine Auseinandersetzung mit ihm gehabt. Sie hatte nicht gewusst, dass es so anstrengend sein konnte. „Onii-sama, Zero war mein Freund. Er hat sehr wohl zu meinem Leben gehört. Er war mir sehr wichtig. Das ist er immer noch. Ich habe nur das Gefühl, dass er bei dieser Sache ebenso wichtig ist, wie all die anderen Dinge die darin erwähnt werden. So wie ich... Du hast es doch selbst gesagt.“

Sie sahen sich einen Moment an und Kaname erkannte den Ernst in ihren Worten und wie viel ihr daran lag. Er würde sie nicht davon abbringen können. Nicht mit Worten oder gar Gewalt und wenn er es versuchen würde, würde er sie vielleicht verlieren. Sie würde diesen Weg gehen.

„Onii-sama, bitte lass mich gehen. Ich werde ihn finden und ihm wenigstens davon erzählen, wenn er bereit ist mir zuzuhören. Ich werde zu dir zurückkommen,... So, wie ich es versprochen habe.“

Zweifelnd sah er sie an. Dann zog er sie an sich und umarmte sie. Was für eine Wahl hatte er schon? Nach wenigen Sekunden sah er sie wieder an und strich über die Wange. Anschließend beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie sanft auf die Lippen. Yuki erwiderte es zärtlich. „Ich gebe dir drei Monate Zeit für deine Suche. Kain und Aidou werden dich begleiten. Sollte er versuchen dich anzugreifen oder auch nur seine Waffe auf dich richten, werde ich davon erfahren und ihn töten.“, flüsterte er in ihr Ohr. Sie schloss zum einen erleichtert und zum anderen ängstlich die Augen. Sie war froh, dass er ihrer Bitte nachgab, aber sie hatte auch Angst, dass seine letzten Worte eintreffen könnten.

„Wenn du zurück bist und das hier vorbei, möchte ich gern eine Antwort von dir haben.“, sprach er leise weiter.

Yuki erschrak leicht, nickte aber unsicher. Sie wollte jetzt nicht darüber reden. Kaname ließ von ihr ab und sah sie noch einmal. Abermals küsste er sie.

„Ich werde gleich beginnen.“, sagte Yuki dann und begann erneut ihren Koffer zu packen. „Wo willst du anfangen?“, fragte er sie und versuchte seinen guten Willen zu zeigen. Wenn es nach ihm ginge, würde er sie niemals gehen lassen; würde er sie aus allem raushalten. Sie war noch nicht bereit für so etwas.

„Ich will zur Akademie fahren und Yagari und den Rektor um Hilfe bitten. Vielleicht haben sie einen Rat für mich.“, antwortete sie

Kaname nickte stumm. „Willst du noch heute aufbrechen?“

Yuki konnte hören, dass diese Frage eher auf eine negative Antwort hoffte, doch die konnte sie ihm nicht geben.

„Ja, je eher ich beginne desto besser. Genau wie ihr.“

Sie wollte gerade ins Bad gehen und ihre Toilettenartikel holen, als Kaname sie erneut festhielt und in seine Arme zog.

„Bleib bis morgen, ich bitte dich.“, flüsterte er.

„Onii-sama.“, wisperte Yuki gegen seine Brust. Sie wusste, wie sehr es ihm wiederstrebte sie gehen zu lassen, wie viel Überwindung es ihn kostete. Und jetzt würde sie ihm noch einmal wehtun. Hatte sie nicht einmal geschworen, ihm nie wieder weh zu tun?

Sie drückte sich von seiner Brust. „Es tut mir leid Onii-sama. Ich sollte mich wirklich beeilen. Wir wissen nicht, wie weit sie sich schon erfüllt hat.“

Sie wich seinem Blick wiederholt aus. Sie würde es nicht ertragen können.

„Wie du wünscht.“, sagte er mit leiser Stimme, die seine Enttäuschung erkennen ließ.

„Danke.“, flüsterte sie und wandte sich ab.

Doch noch einmal umarmte er sie, dieses Mal von hinten. „Bevor du gehst...“, begann er, doch sprach den Satz nicht zu Ende. Stattdessen küsste er ihren Hals, fuhr ihm Anschluss sanft mit seiner Zunge über diese Stellte und Yuki schloss die Augen und ließ ihn gewähren. Sie spürte, wie er sie sanft an der Taille fasste und sie zu sich drehte. Seine sanften Küsse wanderten ihren Hals nach oben. Er küsste kurz die Stelle hinter ihrem Ohr und Yuki seufzte auf. Dann küsste er sie auf die Lippen und Yuki konnte nicht anders als den Kuss zu erwidern. Sanft und doch bestimmt küsste er sie, während seine Hand ihren Rücken hinauffuhr und ihn streichelte. Der Kuss hielt an, als seine Hand unter ihre Bluse glitt und sanft die nackte Haut darunter berührte. Kaname schob Yuki zu Bett und sie ließ sich darauf nieder. Er beugte sich über sie und öffnete die Knöpfe ihrer Bluse. Yukis Hände wanderte seinen Oberkörper hinunter und schoben im Anschluss sein Hemd nach oben. Seine Lippen setzen sich auf ihren Oberkörper und dieser bäumte sich unter seiner Liebkosung auf. Sie richtete sich ein wenig auf und ihre eigenen Lippen wanderte seinen Hals hinab. Sie küsste seine Halsbeuge, während seine Hand ihren Oberschenkel weiter nach oben glitt.
 

Aidou saß im Wagen und starrte aus dem Fenster. Die Umgebung flog an ihm vorbei und er hing träge seinen Gedanken nach, während er den Sonnenaufgang beobachtete.

Den Sonnenaufgang!

Erst konnte er wochenlang nicht ausschlafen und nun konnte er nicht einmal mehr ins Bett gehen, wann er wollte. Stattdessen saß er hier mit seinem Cousin und Yuki und sie fuhren gemeinsam zur Cross Akademie. Was genau sie dort machten, hatte Yuki ihnen nicht gesagt, aber er konnte es sich denken. Wo sonst, sollten sie auch anfangen Zero zu suchen? Aber wie genau Yuki sich das vorstellte, wusste auch er nicht. Hatte sie überhaupt eine genaue Vorstellung? Er hatte seine Zweifel.

Aber er fragte sich wirklich, was Yuki sich davon erhoffte. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sich die beiden endlich – sollte es denn irgendwann einmal so weit sein – gegenüberstanden. Kaname hatte sich unmissverständlich geäußert, als er ihnen ihre Aufgabe mitgeteilt hatte. Ihm selbst war nicht sonderlich wohl dabei. Er hätte es Yuki gleich ausreden sollen, als sie diesen merkwürdigen Text gefunden hatten. Sie hatten sogar extra Yukis Artemisstab mitnehmen müssen. Obwohl sie sich sogar erst dagegen ausgesprochen hatte ihn mitzunehmen. In diesem Moment hatte sich Aidou wieder einmal gefragt, wie naiv oder gutgläubig Yuki eigentlich war. Glaubte sie wirklich, dass Zero ihnen einfach so zuhören würde? Sollten sie ihn denn jemals finden...

Er drehte den Kopf und sah im Rückspiegel Yuki. Sie schien ebenso in Gedanken versunken zu sein und er vermochte nicht zu erahnen, was in ihr vorging. Sein Blick streifte den Kains und er wusste, dass sein Cousin wohl das Gleiche denken musste. Die nächsten drei Monate würde schwer werden - und wahrscheinlich würden sie vorwiegend bei Tageslicht unterwegs sein, dachte er resignierend.

Yuki dachte aber nicht so sehr an ihre bevorstehende Suche, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern an die Frage, die sie Kaname beantworten sollte. Seit fast 20 Jahren hatte sie ihre Identität wieder, seit fast 20 Jahren lebte sie mit dem Mann zusammen, den sie liebte und dessen Blut sie wie kein andere begehrte. Und doch warn sie diesen Schritt noch nicht gegangen. Die Frage, die sie beantworten sollte, war keine geringere, als die, dass sie seine Frau werden sollte. Etwas wovon sie immer geträumt hatte. Wollte sie nicht schon als Kind seine Frau werden, wollte sie nicht so werden, wie ihre Eltern? Und doch hatte sie ihm noch keine Antwort gegeben. Zuerst, weil sie vollkommen überfordert war, von den vielen neuen Eindrücken, die sich ihr geboten hatten; von den Dingen, die sie zu lernen und verstehen hatte. Auch jetzt hatte sie dieses Gefühl noch immer. Ihr war es, als würde sie jeden Tag etwas neues erfahren und so war es ja auch. Zudem wusste sie nicht, ob sie sich jetzt schon für eine Ehe bereit fühlte. Sie waren Vampire. Sie hatten Zeit. Jahrhunderte und Jahrtausende. Warum also jetzt schon? Sie fühlte sich noch nicht einmal als vollkommenes Reinblut - auch wenn sie als solches geboren wurde. Von der Autorität, die Kaname ausstrahlte, war sie noch weit entfernt. Als Kind hatte sie nicht davon geahnt und die zehn Jahre, die sie als Mensch verbracht hatte, hatten sich auch nicht einfach auslöschen lassen. Auch wenn mache das glauben mochte. Das wusste Yuki ebenso.

Aber wenn sie Kaname doch liebte, dann sollte sie doch nicht solche Gedanken haben oder?, fragte sie sich selbst. Sie verstand diese Hin- und Hergerissenheit nicht. Deswegen verdrängte sie den Gedanken und die Antwort daran in den hinteren Teil ihres Kopfes. Jetzt würde sie erst einmal Zero finden.
 

Sie betraten das Gelände der Cross Akademie und Yuki durchströme sofort das Gefühl der Vertrautheit und der Heimat. Sie fühlte sich an keinem anderem Ort so heimisch und geborgen, wie hier - auch in der Villa nicht, in der sie mit Kaname lebte.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, hatte aber noch nicht ihren höchsten Stand erreicht. Sie stieg aus dem Wagen und das Sonnenlicht schmerzte in ihren Augen. Einen Moment blieb sie stehen, um sich daran zu gewöhnen. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass es ihren beiden Begleitern nicht anders erging. Daran würden sie sich wohl alle gewöhnen müssen. Erst jetzt bemerkte sie die Schüler, die sie anstarrten, aber das war ihr egal.

Einen Moment ließ sie alles auf sich wirken und versank in guten und leider auch schlechten Erinnerungen. Dann ging sie zur Tür des Hauptgebäudes, doch noch bevor sie sie erreicht hatte, schwang die Tür auf und ihr Adoptivvater, fiel ihr in die Arme.

„Mein kleines Mädchen ist wieder da!!“, rief er freudig aus und drückte sie fest an sich. Yuki war das zwar vor all den Schülern etwas peinlich, aber sie wollte ihn nicht von sich stoßen. Sie freute sich ja genauso ihn wieder zu sehen, wie er.

Dann hielt er sie von sich, als wäre sie eine Puppe und betrachtet sie liebevoll. „Du bist noch schöner geworden!“, stellte er anerkennend fest, nachdem er eine kunstvolle Pause gemacht hatte. Yuki schüttelte verlegen den Kopf und betrachtete ihren Ziehvater einen Moment. Auch er schien sich äußerlich, trotz seines Alters, nicht verändert zu haben. Aber wenn sie genau hinsah, konnte sie doch die ersten kleinen Fältchen erkennen.

„Oh und es ist immer wieder schön, ein paar ehemalige Schüler wiederzusehen!“, rief er nun, als er Kain und Aidou sah. „Die Night Class schläft gerade noch, aber ich bin sicher sie wären ganz begeistert, mit ein paar ehemaligen Schülern Erfahrungen auszutauschen.“, sagte er unbeschwert. Aidou und Kain tauschten nochmals ein paar bedeutende Blicke aus, die ihre nicht vorhandene Begeisterung ausdrückten, aber der Rektor nicht sah.

„Es ist ewig her, dass du das letzte Mal da gewesen bist. Dabei wohnst du doch nicht am Ende der Welt! Was führt euch zu mir? Wollt ihr eine Tasse Tee? Ich habe eine ganz vorzüglich neue Sorte.“, plapperte er fröhlich weiter und Yuki wusste nicht, auf welche Frage sie zuerst antworten sollte.

„Vielleicht könnten wir erst mal reingehen.“, sagte sie deshalb und lächelte.

„Oh, ja! Natürlich. Wo habe ich nur meine Gedanken. Kommt rein, kommt rein!“, sagte er und winkte sie herein.

Die drei folgten ihm und Kaien Kurosu führte sie in das gemütliche Wohnzimmer, an welches Yuki sich zu gut erinnerte.

Bei Tee und vom Rektor selbst gebackenen Keksen, saßen sie zusammen und warteten darauf, dass der Unterricht vorbei sein würde und Yagari zurück kam. Dieser war inzwischen Lehrer an der Cross Akademie, hatte er sich bei seiner letzten Vampirjagd doch so schwer verletzt, dass er seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen konnte und sogar ständig am Stock gehen musste. Seitdem arbeitete und lebte er an der Cross Akademie – wie er selbst sagte, um sich nicht allzu sehr zu langweilen. Yuki fand diese Begründung etwas seltsam, allerdings konnte sie sich auch nicht vorstellen, dass Yagari irgendwo seinen Ruhestand genoss. Aber sie fragte sich auch, wie es die beiden Männer nun schon so lange miteinander aushielten, beschwerte sich Yagari doch jedes Mal, wenn sie zu Besuch war, über die unmöglichen Marotten seines – nun bedauerlicher Weise - Vorgesetzten.

„Was machen die denn alle hier?“, war die weniger freundliche Begrüßung von Toga Yagari, als er den Raum betrat. Im Gegensatz zu ihrem Adoptivvater, dachte Yuki, sah man ihm das Alter bereits an. Es war wirklich viel Zeit vergangen, seit sie ihn das erste Mal kennengelernt hatte. Trotzdem trat sie ihm noch immer mit Erfurcht und Respekt entgegen, war er doch einer der gefürchtetsten Hunter seiner Generation und wenn sie ehrlich war, war er das noch immer.

„Was ist denn das für eine Begrüßung!?“, beschwerte sich der Rektor. „Endlich ist meine süße Yuki wieder mal zu Hause und die vergraulst sie gleich wieder! Ist ja kein Wunder, dass sie nicht öfters kommt!“,

„Du weißt genau dass das nicht stimmt.“, verteidigte Yagari sich nur schwach. Auf solche sinnfreien Diskussionen ließ er sich schon lange nicht mehr ein und schon gar nicht mit diesem Mann. „Also, was wollt hier? Muss ja was ungemein wichtig sein, wenn ihr sogar zu dritt kommt. Oder macht unser lieber Hanabusa Aidou seine Arbeit nicht mehr gut genug?“, stichelte Yagari und wusste genau, dass er damit bei besagter Person einen wunden Punkt traf.

„DAS IST NICHT WAHR!“, sprang Aidou auch gleich darauf an. „Ich mache meine Sache immer gut! Besser als sie ihre!“

„Oh, auch noch aufmüpfig werden. Es ist schon eine Weile her, dass ich einen Vampir getötet habe, aber ich bin sicher nicht aus der Übung.“, sagte Yagari in drohendem Ton. Von diesen eingebildetem Schönling, würde er sich nichts bieten lassen.

„Das wagen sie nicht...“, knurrte Aidou.

„Du kannst es ja darauf ankommen lassen.“, konterte Yagari trocken und sein Gesicht verriet Angriffslust.

„Schluss jetzt ihr beide. Ihr benehmt euch ja wie kleine Kinder!“, ging der Rektor dazwischen. Hin und wieder war solch ein kleiner Disput - wie er bei den beiden doch immer vorkam, wenn sie aufeinander trafen - ja ganz amüsant, aber man wusste leider auch nie, wie weit er führen würde.

„Er hat angefangen!“, verteidigte sich Aidou, biss sich aber selbst auf die Zunge, als er merkte, wie das eigentlich klang. Von Yagari erntet er dafür ein höhnisches Grinsen. Er hatte ihn schon wieder vorgeführt!

„Aber nun sage mir meine Yuki, was führt euch zu mir und dann auch noch in Begleitung mit Akazuki.“, fragte Kurosu nun ernst weiter. Kain hatte diesem kleinen Disput unbeteiligt beigewohnt und sich innerlich gefragt, wie alt sein Cousin eigentlich war. Wollte er nicht langsam Mal erwachsen werden?

„Wir wollen“, Zero finden, hatte sie sagen wollen, aber ein verächtliches Schnauben Aidous ließ sie abbrechen. Also begann sie noch mal von vorn. „Ich will Zero finden und ich hatte die Hoffnung, dass ihr mir vielleicht einen Hinweis geben könntet, wo ich mit meiner Suche beginnen könnte.“

Der verwunderte Blick mit dem die beiden älteren Männer sie ansahen, hatte sie erwartet und war deswegen nicht sehr überrascht. Doch bei Yagari wich die Verwunderung schnell der Wut, die sich auf sein Gesicht legte.

„Warum willst du das tun? Warum gerade jetzt?“, fragte der Rektor, bevor Yagari überhaupt den Mund aufmachen konnte.

„Aidou und ich haben in den alten Schriften etwas gefunden. Eine Prophezeiung und ich denke, nein, ich weiß, dass Zero auch darin erwähnt wird.“, begann Yuki zaghaft zu erklären.

„Eine Prophezeiung? Was denn für eine und wie kommst du darauf und wieso denkst du, dass ausgerechnet Zero etwas damit zu tun hat?“, war der Rektor wieder schneller als Yagari.
 

Yuki erzählte ihnen kurz, wie sie den Text gefunden hatten, ließ aber das Detail über den Fluch aus. Dann zeigte sie ihnen das Stück Papier, was sie nun schon seit zwei Tagen mit sich trug. Sie gab eine kurze Zusammenfassung dessen, was sie bisher herausgefunden hatte und auch warum sie glaubte, dass Zero dabei ebenso wichtig ist.

Sowohl der Rektor als auch Yagari hatte ihr aufmerksam zugehört, doch Yuki entging nicht, wie sich Yagaris Gesichtsausdruck wieder veränderte. Nur das warum, konnte sie sich nicht ganz erklären.

„Was versprichst du dir davon?“, fragte Yagari mit schneidender Stimme.

„Ich denke, dass er uns helfen könnte dieses Kind zu finden oder es gar zu verhindern. Ich habe einfach nur das Gefühl,... Ich weiß, dass es wichtig ist, dass er dabei ist.“, antwortete Yuki.

„Hast du überhaupt eine Ahnung, was das für ihn bedeutet?“, fragte er weiter. Sein Tonfall war noch schärfer geworden und in seinen Augen stand die blanke Wut.

Yuki atmete schwer aus. „Ja, darüber bin ich mir im klaren. Vielleicht wird er versuchen mich umzubringen, aber das werde ich zu verhindern wissen. Vielleicht wird er mir auch nicht zuhören, aber ich...“

„Darum geht es doch gar nicht!“, unterbrach Yagari sie sofort. „Wie kommt ihr Reinblüter nur immer darauf, dass sich alles nur um euch dreht?! Die Huntergesellschaft sucht immer noch nach ihm! Wenn du ihn zurückbringst, dann lässt du ihn direkt in den Tod laufen!“

„Aber das... Warum?“, stammelte Yuki verwirrte.

„Yuki, die Gesellschaft glaubt nach wie vor das Zero gefährlich ist, besonders für sie. Selbst nach 20 Jahren suchen sie noch nach ihm, um ihn auf jeden Fall zu vernichten.“, antwortet ihr Vater, sah sie aber mitleidig an.

„Doch! Bring ihn ruhig her!“, rief Yagari plötzlich aus. „Dann kann ich ihm persönlich das Licht auspusten!“ Yuki sah ihn noch verwirrter an. Sie konnte seine Wut absolut nicht nachvollziehen. Warum war er so wütend auf Zero? Sie hatte erwartete, dass er sie sogar unterstützen würde. Yagari stand auf und hatten schon eine Zigarette aus seiner Jackentasche geholt. An seinem Stock ging er zur Tür und schlug sie mit einem lauten Knall von der anderen Seite zu.

„Warum ist er...“, wollte Yuki wissen, doch Kaien Kurosu schüttelte traurig den Kopf.

„Würde ihr uns einen Moment allein lassen?“, fragte er nun an Aidou und Kain gewandt und beide folgten der Aufforderung nach einem kleinen Moment des Zögerns. Sie hatte eine gewisse Ahnung, was der Rektor ihr erzählen wollte. Sie wusste das Kaname es nicht gut heißen würde, aber er hatte es ihnen auch nicht ausdrücklich verboten. Und wenn es ihr der Rektor sagte, würde es schon in Ordnung sein – das hofften sie.

Nachdem auch sie den Raum verlassen hatten, begann der Rektor zu erzählen.

„Weißt du Yuki, er hat Zero noch immer nicht verziehen, dass er einfach so verschwunden ist. Ohne ein Wort zu sagen und nur...“ Er verlor sich in Gedanken und Yuki hoffte, dass er weiterreden würde, doch es sah nicht danach aus. Deshalb fragte sie ihn.

„Was ist damals genau passiert, nachdem Onii-sama und ich gegangen sind?“, fragte sie leise. Yuki hatte nur eine wage Vorstellung. Kaname hatte ihr einiges erzählt und auch die anderen, als sie Bericht ablegten. Zero hatte Ichirus Körper fortgebracht und sei dann verschwunden. Sie erinnerte sich deutlich an den Moment, an dem sie Zero das letzte Mal in die Augen gesehen hatte. Hass und Schuldzuweisungen hatten in seinem Blick gelegen. Nie hatte sie diesem Moment vergessen... auch wenn sie noch so sehr versucht hatte, das Bild abzuschütteln, wenn sie wach war. Aber wenn sie schlief, hatte es sie nur noch um so mehr verfolgt. Am Anfang war es selten gewesen, doch dann immer heftiger und häufiger. Sie sah Zero mit diesem Blick und seinem toten Bruder auf dem Arm. Erneut fühlte sie einen Stich in ihrem Herzen. Doch dieser war anders, als der, den sie bei Kaname verspürte hatte. Tiefer. Noch immer konnte sie sich nicht vorstellen, wie Zero damals empfunden haben muss. Wenn sie auch nur daran dachte ihren Onii-sama zu verlieren...

„Weißt du es denn nicht?“, fragte ihr Adoptivvater nun sanft.

„Ich weiß, dass er Ichiru fortgebracht hat. Das hat man mir erzählt und dann ist er verschwunden. Stimmt das denn nicht?“

Kaien Kurosu sammelte sich einen Moment, bevor er sprach.

„Nachdem du und Kaname gegangen seid, verließ Yagari ebenfalls mit den Schülern der Night Class das Gebäude. Als sie unten waren, sahen sie Zero in der Mitte des Schulhofes stehen, mit einem leblosen Körper auf dem Arm.“

Er machte eine kleine Pause und Yuki sah das Bild einen Moment vor ihrem geistigen Auge.

„Es ist schwer zu beschreiben und doch werde ich diesen Anblick niemals vergessen... Die Hunter sahen ihn auch und kreisten ihn sofort ein. Sie waren noch immer fest entschlossen ihn zu töten, wie es ihr Auftrag war, doch niemand wagte es ihn anzugreifen. Zero... er... er stand einfach nur da... in der Mitte es Schulgeländes mit Ichiru auf dem Arm. Tot. Ich habe ihn noch nie so gesehen. Seine ganze Körperhaltung war,...

„Es war ein seltsamer Moment... totale Stille und doch war die Luft wie elektrisiert. Jeder wartete darauf, dass Zero sich bewegte; dass er etwas sagte, doch nichts... Yagari sprach Zero schließlich an. ... Er hörte ihn... Ich sah, wie er kurz zusammenzuckte und sich schließlich zu Yagari umdrehte. Zero sah ihn an, als sähe er ihn zum ersten Mal. ... Es war unheimlich.

In diesem Moment, mussten wir akzeptieren, wessen Körper es war, den er... Wir hatten es vermutete und doch war es furchtbar. Es hätte nicht sein dürften...“, sagte er und seine Stimme klang bitter, als würde er sich selbst einen Vorwurf machen.

„Zero ging langsam auf ihn zu. Er sprach nicht und auch sein Gesicht ließ nichts erkennen. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Zero gab... Er wollte das Yagari seinen Körper nahm. Er sagte es nicht, aber Yagari wusste es.

„Dann sahen sie sich einen Moment in die Augen... Yagari sagte, dass er Zero noch nie so gesehen hatte. Er sagte, dass sein Blick... starr war, leer und kalt, wie die eines Toten. Und doch gab es etwas in seinen Augen, was ihn an etwas erinnerte, aber Yagari weiß bis heute nicht, was es war.

Und dann ist er verschwunden. Es war seltsam. Ein Wind kam auf und Staub und Dreck der Trümmer verdeckten die Sicht. Als er sich wieder beruhigt hatte, war Zero weg – bis heute.“

Wieder verlor sich der Rektor in Gedanken.

Yuki dachte einen Moment darüber nach. Dies alles wusste sie nicht. Bei den Berichten, die sie gehört hatte, wurde es niemals so geschildert. Sie alle hatte nur gesagt, dass Zero plötzlich verschwunden war und Ichirus Körper an einer anderen Stelle gefunden worden war.

„Warum ist Yagari dann so wütend auf Zero?“, fragte Yuki nun, denn das vorher Erzählte beantwortet diese Frage nicht.

„Verstehst du es denn nicht? Zero ist einfach gegangen, ohne ein Wort zu sagen. Er ist gegangen, ohne Yagari eine Erklärung zugeben. Er hat... ihn... bei ihm gelassen und war im nächsten Moment weg. Ich kann ihn verstehen.

„Yuki, auch wenn man es nicht sah, aber Zero und Ichiru bedeuteten Yagari sehr viel. Er kannte sie seit ihrer Geburt und manchmal glaube ich, dass sie er sie sogar auf eine gewisse Art und Weise, als seine eigenen Kinder sah. Wenn du dies weißt, dann kannst du dir denken, wie er in jenem Moment empfunden hat. Was er immer noch empfindet.

„Er hatte versagt.

„Und ich ebenso.

„Wir konnten zwei unschuldige Kinder nicht beschützen, die nichts für den Zufall konnten, dass sie gerade unter diesen Umständen geboren waren. Wir hätten es verhindern müssten; wir hätten es stärker versuchen müssen. So, wie es unsere Aufgabe gewesen wäre.“

Yuki schwieg. Das alles war neu für sie und sie hätte nicht erwartet, je solch tiefe Einblicke in die Gedanken und Gefühle ihres Adoptivvaters zu bekommen.

„Also ist er wütend auf ihn, weil er einfach verschwunden ist?“, fragte Yuki vorsichtig nach einem Moment der Stille.

„Ichiru hatte tiefen Fleischwunden, aber auch Bissspuren am Hals. Es quält ihn, nicht zu wissen, warum Ichiru gestorben ist; nicht zu wissen, ob Zero... Und ja, er ist wütend, weil er einfach gegangen ist. Für Yagari ist Zero vielleicht auch einfach nur davon gelaufen.“, sagte er mit bedächtiger Stimme.

Yuki wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Sie wusste, dass Zero Ichirus Blut getrunken hatte. Sie hatte es Rido sagen hören, aber auch sie kannte nicht die genauen Umstände. Doch sie zweifelte nicht eine Sekunde daran, dass es geschehen war, weil Zero seinen Blutdurst unterlegen hatte. Niemals.

„Was hätte Zero denn tun sollen? Wäre er geblieben, hätte man ihn gefangen genommen oder gar... getötet.“, flüsterte sie.

„Ja, wahrscheinlich.“

„Warum hat niemand ihn angegriffen?“

Der Rektor sah sie nachdenklich an. „Ich kann es dir nicht sagen. ... Vielleicht hat dieser Anblick sie ihre Aufgabe einen Moment vergessen lassen. Jeden, dem es nicht so ergangen wäre, hätte wohl kein Herz besessen. Vielleicht war es aber auch nur die Angst, die sie stehen bleiben ließ. Sie haben gesehen, was Zero allein mit dem Haus Mond gemacht hat.“

Wieder schwiegen sie, doch Yuki konnte den nachdenklichen Blick ihren Adoptivvaters auf sich spüren.

„Yuki, wie kommt es, dass du von all dem nichts wusstest?“

„Onii-sama hat nie etwas davon gesagt. Niemals und auch die anderen nicht. Auch als ich danach gefragt hatte nicht. Ich... Ich habe damals die Berichte gehört, aber nichts davon... Warum hat er es mir nicht erzählt?“, fragte Yuki sich selbst fassungslos. Wollte er sie etwas davor schützen? Ihr Kummer ersparen? Aber er hätte doch wissen müssen, dass sie das wissen wollte!

„Ich verstehe.“, antwortete der Rektor kurz und schob seine Brille ein wenig nach oben.

„Warum glaubt die Huntergesellschaft, dass Zero gefährlich für sie ist?“, stellte Yuki nun die nächste Frage.

„Er ist ein ausgebildeter Hunter, ein Nachkomme aus zwei der stärksten und ältesten Hunterfamilien und er wurde zu einem Vampir. Niemand wusste, welche Auswirkung das auf ihn hatte und außerdem... sie hatten Angst, ihn nicht mehr kontrollieren zu können. Bevor er zu einer Gefahr für sie werden würde, wollten sie ihn vorher ausschalten.“

Yuki atmete schwer aus. Sie selbst hatte erlebt, wozu Zero in der Lage war; wozu ihn sein Schmerz treiben konnte. Sie konnte die Handlung der Gesellschaft auf eine gewisse Weise nachvollziehen.

Während Yuki noch überlegte, war der Rektor in seinen Gedanken bereits ein Schritt weiter.

„Was habt ihr eigentlich in dem Archiv gesucht?“, fragte er Rektor nun unvermittelt.

„Was?“

„Du sagtest vorhin, dass du nur durch Zufall auf die Prophezeiung gestoßen bist. Was hast du also gesucht?“

„Ähm... Das... Nichts weiter.“, sagte sie und wurde vor Verlegenheit rot.

„Ich bin enttäuscht. Meine kleinen Yuki, hat ein Geheimnis vor mir.“, sagte er kläglich und Yuki bekam sofort ein schlechtes Gewissen.

„Etwas über... meine Familie.“, brachte sie schließlich hervor und hoffte, dass ihm das genügen würde. Allerdings wurde sie bei dieser Lüge ganz rot im Gesicht.

„Traust du mir etwas nicht, dass du mich anlügst?“, fragte er Rektor und seine Stimme klang beleidigt. Wie die eines kleinen Kindes, dem ein Geheimnis nicht erzählt wird.

„Doch schon!“, sagte sie sofort.

„Warum erzählst du es mir dann nicht?“, hakte er nach. Geheimnisse wollte er immer erfahren. „Ich erzähle es auch nicht weiter.“

„Ich habe etwas über den Zwillingsfluch gesucht.“, gestand sie endlich. „Ich habe gehofft, etwas zu finden, dass mir dabei hilft, ihn zu brechen.“

Sie hatte einen Moment aus dem Fenster gesehen und war nun sehr verwundert, über den Blick mit dem sie Kurosu ansah. Yuki glaubte, diesen Blick noch nie bei ihm gesehen zu haben. Er war ernst und verschlossen.

„Warum?“, fragte er mit seltsam monotoner Stimme.

„Ich habe gehofft, dass ich somit anderen ein Schicksal, wie das von Zero und Ichiru ersparen könnte.“, sagte sie leise.

Noch immer war der Blick ihres Adoptivvaters unergründlich und auf irgend eine seltsame Art und Weise machte es Yuki sogar ein wenig Angst. Doch schon im nächsten Augenblick wurde er wieder sanft und gutmütig, wie sie es von ihm kannte.

„Deine Suche wird vergebens sein.“, sagte er schließlich. „Niemand vermag diesen Fluch zu brechen, bis auf die, die selbst davon betroffen sind.“

„Wie-“

„Dass Zero und Ichiru geboren wurden und beide lebten, ist höchst selten. Meistens stirbt noch einer der Zwillinge im Mutterleib. Vernichtet durch den anderen Zwilling. Bei Zero und Ichiru war es nicht so. Möglicherweise ist dies ein Hinweis, dass der Fluch langsam schwächer wird.

„Trotzdem hängt die Wirkung des Fluches hauptsächlich immer von den Kindern selbst ab. Die beiden Kiryuus waren im Grunde gutherzig und ganz besonders Zero ist sehr selbstlos. Ichiru verdankte Zero sein Leben und vielleicht ist dies der Schlüssel, um dem Fluch zu entrinnen.

„Es heißt, dass der Fluch beweist, dass die Hunter nicht anders sind, als Vampire. Vielleicht muss sich auch erst etwas im Wesen der Hunter ändern, um den Fluch zu schwächen oder gar irgendwann zu brechen. Ich weiß es nicht. Doch eines kann ich dir sagen. Es ist sinnlos, wenn ein Vampir es versuchen sollte, denn es war ein Vampir, der den Fluch gesprochen hat.

Der Fluch kann nur durch die Zwillinge selbst gebrochen werden.“

Yuki sah ihren Vater ungläubig an. Zum Einen, weil sie nie erwartet hätte, dass er etwas über den Fluch wusste und zum anderen, dass ihr innerhalb weniger Sekunden klar wurde, dass es immer noch Dinge gab, die sie nicht von ihrem Vater wusste. Aber seine Worte waren entmutigend und auch seine Körperhaltung strahlte dies aus. Seine Schultern hingen nach unten und sein Blick war entrückt.

„Warum hast du mir nicht erzählt, dass du von dem Fluch weißt?“, sprach sie endlich.

„Oh, du hast mich doch nicht danach gefragt!“, war seine einfache Antwort und nun war wieder ganz der alte, scheinbar sorglose Mann, dem auch ein paar Jahre im Gefängnis nichts hatten anhaben können.

Perplex sah Yuki ihn an. Sie glaubte sich verhört zu haben. Wenn sie gewusst hätte, dass es so einfach war, dann wäre sie schon viel früher auf ihren Adoptivvater zugegangen und hätte sich und vor allem Aidou, Stunden des Suchens erspart.

Aber war es wirklich so aussichtslos, wie er sagte? Das wollte sie nicht glauben und doch konnte sie momentan nichts anderes machen, als seine Worte hinzunehmen. Sie konnte nicht weiter im Archiv nachsehen und jemand anderen konnte sie auch nicht fragen. Sie würde sich jetzt erst einmal mit der Prophezeiung beschäftigen und dann würde sie ihre Suche nach dem Fluch wieder aufnehmen. So leicht würde sie nicht aufgeben und wenn sie zurück war, würde sie als erstes ein Gespräch mit Kaname führen. Sie konnte nicht glauben, das es immer noch Dinge gab, die er ihr vorenthielt.

„Aber was dein anderes Anliegen betrifft, Yuki,...“, redete nun der Rektor weiter, „Yagari hat nicht ganz unrecht. Die Gesellschaft sucht immer noch nach ihm und wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich auch nicht, ob Kaname sehr angetan von seiner Rückkehr wäre. Er hat mehrmals gesagt, dass er... nun, dass Zero ihm besser nicht mehr unter die Augen tritt.“

Yuki schwieg erneut. Das hatte sie vorher nicht bedacht. Sie hatte es ja nicht einmal gewusst!

„Kaname hat sich damit einverstanden erklärt.“ Wenn auch nicht ganz freiwillig, hängte sie in Gedanken an, aber zumindest brauchte sie sich darum keine Gedanken mehr zu machen. „Aber die Gesellschaft... Sie müssten ja nicht erfahren, dass ich Zero suche und auch nicht, wenn ich ihn gefunden habe.“, überlegte sie laut weiter.

„Deine Abwesenheit würde aber jedem auffallen.“

Yuki musste ihm recht geben. Wie sollte sie das erklären? „Kann man sie denn nicht davon überzeugen, dass Zero ungefährlich ist? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er sie angreifen würde. Er hätte es längst tun können.“, versuchte sie es in dieser Richtung.

„Ich weiß nicht. Das dürfte nicht leicht werden. Eventuell, wenn sie ihn sehen und selbst feststellen, dass er keine Gefahr für sie ist. Aber selbst dann kann ich es mir nur schwer vorstellen. Andererseits... man kann mit dem neuen Präsidenten reden und es ist nicht so, dass er Zero grundsätzlich als Gefahr sieht. Immerhin kennt er ihn schon als Kind. Andererseits ist es auch seine Schuld, wenn er einfach so verschwinden und dann mit diesem Ausdruck auf dem Gesicht... da würde wohl jeder skeptisch werden.“, sinnierte Kurosu.

„Mmh... Trotzdem wäre es doch besser erst mal nichts zu sagen und wenn sie nach mir fragen dann... dann mache ich eben eine kleine Reise. Etwas anderes ist es doch im Grund auch nicht. Ich meine, ich weiß nicht mal ob ich ihn überhaupt finde und selbst wenn, ob er mit mir zurückkehrt. Man sollte sie nicht schon jetzt in Aufruhr versetzen.“, sagte sie leichtfertig.

„Da stimme ich dir zu.“

„Gut. Aber ich weiß immer noch nicht, wo ich überhaupt anfangen soll nach ihm zu suchen.“, sagte Yuki und die ganze Zuversicht war verschwunden.

„Warte mal, wo habe ich die denn hingetan.“, murmelte der Rektor. Er ging zum Sideboard und öffnete die rechte Schublade. Er kramte ein wenig darin rum und fand schließlich, was er suchte.

„Hier ist eine Karte.“, sagte er, als er sich wieder zu Yuki setzte.

Er breitete sie auf dem Tisch aus und Yuki beugte sich ebenfalls darüber, um besser sehen zu können.

„Wir sind hier.“, begann der Rektor und deute auf ein reichlich mit Wald, aber auch von wenigen, niedrigen Gebirgen gekennzeichnetes Gebiet. Im Süden befand sich ein Ozean, an dessen Ende ein neuer Kontinent lag. Der Ozean erstreckte sich über die ganze westliche Küste, bis hoch zum Norden. „Das er in unserer Gegend ist, können wir gleich ausschließen, sonst hätte ihn schon längst jemand gefunden. Yagari war bereits im Osten und hat dort nach ihm gesucht. Allerdings ebenso ohne Ergebnis.“

„Er hat nach ihm gesucht?“, fragte Yuki überrascht.

„Ja, natürlich. Er mag vielleicht wütend sein, aber er will immer noch Antworten. Außerdem macht er sich ebenso sorgen.“ Yuki nickte erstaunt. Sie erfuhr an diesem Nachmittag so viel über Yagari und die Ereignisse vor 20 Jahren, dass sie es gar nicht alles auf einmal verarbeiten konnte.

„Er hat seine Suche immer mit Aufträgen verbunden. Es gibt im Osten zwar auch ansässige Hunter, aber bei schwereren Fällen, schicken sie welche von uns dorthin. Yagari hat seitdem, jeden Auftrag angenommen, der sich ihm geboten hatte. Bis er nicht mehr konnte...

„Im Westen war er auch eins zwei Mal, auch ohne Erfolg. Nicht einmal die geringst Spur hat er von ihm gefunden. Er ist allerdings nur bis hier her gekommen.“, sagte der Rektor und markierte mit dem Zeigefinger einen Halbkreis, der sich etwas weiter erstreckte, als das Gebiet was er ihr vorher gezeigt hatte.

„Also würde ich hier anfangen mit suchen und dann nach Norden weiter gehen. So könnte ich von dort aus, geradewegs zurückkehren.“, schlussfolgerte Yuki.

„Ja. Im Norden gibt es nur sehr wenige Vampire. Ein paar vereinzelte, normale Vampire und kaum Adlige. Wenn überhaupt, dann könnte er dort sein. Wie langst willst du unterwegs sein?“

„Kaname, hat mir drei Monate gegeben, dann soll ich zurückkehren.“, sagte sie geistesabwesend und betrachtete die Karte. Das Land sah nicht sehr groß aus, doch sie wusste, dass das täuschte. Der Maßstab war recht groß. Ohne Anhaltspunkt, könnte sie wohl schon allein im Westen drei Monate zubringen. Wahrscheinlich war es wirklich besser, wenn sie sich auf den Norden konzentrierte. Ein Gebiet fast ohne Vampire, schien ihr der richtige Ort für jemanden zu sein, der Vampire so abgrundtief hasste – wie er auch sich selbst hasste.

„Solltest du ihn nicht finden, dann ist er wahrscheinlich auf einem der anderen drei Kontinente sein oder er ist...“ Diese Gedanken sprach er nicht zu Ende und Yuki wusste auch so, was er ihr sagen wollte. „Sollte er auf einem der anderen Kontinente sein, ist es aussichtslos, weiter zu suchen. Er könnte über all sein.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass Yagari nach ihm gesucht hat. Nicht bei dieser Reaktion.“, sagte Yuki.

Kaine Kurosu sah seine Adoptivtochter einen Moment aufmerksam an. Trotz ihres Alters – das man ihr selbstverständlich keineswegs ansah – war sie noch immer so unschuldig, wie ein weißes Blatt Papier.

„Yuki, die Gründe, die ich dir vorhin genannt haben, waren nicht die einzigen.“, sagte er schließlich.

„Nicht? Was denn noch?“, fragte Yuki erstaunt.

„Nein. Kannst du es dir denn nicht selbst denken?“

Yuki schüttelte irritiert den Kopf. Was sollte denn nun noch kommen?
 

„Ich wünsche euch eine gute Reise und Yuki, du musst mir unbedingt schreiben!“, sagte er Rektor zum Abschied. „Ich will wissen, was ihr alles erlebt und natürlich, ob ihr auf seine Spur kommt.“

„Das mache ich und vielen Dank.“, sagte Yuki, als sie in das Auto stieg. Sie waren über Nacht geblieben, hatte sie es ihrem Vater doch nicht abschlagen können mit ihm zu Essen. Ihre drei Monate begannen erst ab diesem Tag. So zumindest sah sie es. Kain saß bereits am Steuer des Wagens, und Aidou auf dem Beifahrersitz. Kaname hatte ihn ihr extra zur Verfügung gestellt, damit sie bei ihrer Suche schneller voran kam. Zudem war es bequem und komfortabel, die Scheiben getönt und doch nicht zu aufsehenerregend.

Sie schloss die Tür und sah noch einmal die große Hauswand hinauf und erkannte hinter einem der Fenster Yagaris Profil. Sie dachte noch einmal an die Worte des Rektors, was er ihr am gestrigen Nachmittag gesagt hatte und war nun noch mehr entschlossen Zero zu finden. Sie würde es schaffen und sie würde ihn dazu bringen, ihr zuzuhören. Koste es was es wolle!
 

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Jaha... alle die mein Blog gelesen haben... eure schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Es tut mir wirklich aufrichtig leid. ;_; Verzeiht mir... aber wo sollte Zero auch so schnell herkommen?
 

Ich sagte doch, ich habe für dieses Kapitel eine Tapferkeitsmedallie verdient. Wenn man als Zeki Fan so etwas schreibt... dann kann es einem echt mies gehen. Aber alle Zeki Fans und andere Menschen, die sich mit Yuname nicht anfreunden können (und bei der Vorstellung daran noch nicht erblindet sind), bekommen auch eine Medallie von mir. Unter anderen Umständen hätte ich diese Szene ja gern noch etwas ausgebaut, aber ich konnte nicht mehr. Mehr war an Selbstgeißelung echt nicht drin. -. -;
 

Na ja... ich hoffe wir lesen uns beim nächsten Mal und da Yuki ja jetzt erst mal mit Zero „Verstecken“ spielt, wird Kaname und besonders so eine Szene nicht mehr so schnell vorkommen.^^° Ist doch auch ein Trost.
 

Ich habe euch lieb und ihr mich hoffentlich auch noch.
 

Maidlin

Vom Suchen...

Nach längerer Wartezeit gibt es hier also endlich das nächste Kapitel. Ich hatte geschrieben, dass es so nicht geplant war, aber ich dachte es ist eine gute Möglichkeit um den ein oder anderen Einblick zu geben. Dieses Mal passiert wirklich nicht viel und es ist auch nicht so arg lang geworden.^^
 

Trotzdem viel Spaß beim lesen!
 

lg maidlin

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Vom Suchen…
 

Sie erreichten die erste Stadt nach ungefähr vier Stunden und Yuki war froh, sich endlich wieder ein wenig bewegen zu können. Kain hatte den Wagen am Straßenrand etwas außerhalb der Stadt geparkt. Sie waren sich eigentlich einig, dass Zero Menschen wohl gemieden hatte, trotzdem musste auch er irgendwann schlafen und Nahrung zu sich nehmen. Er musste sich also irgendwo aufgehalten haben.

Es war eine recht überschaubare Stadt, zumindest konnte Yuki das der Karte entnehmen und ihr Gefühl sagte ihr, dass sie Zero hier nicht finden würden, aber sie wollte nichts unversucht lassen. Vielleicht würde sie es am Ende nur bereuen, wenn sie ohne ihn zurückkehrte und nicht jede Möglichkeit ausgeschlossen hatte.

Natürlich war ihr unbewusst klar, dass sie nicht in jeder Stadt oder Dorf nachfragen konnten, aber sie wollte es zumindest gleich hinter der Grenze versuchen. Sie hatte die Hoffnung, dass es wahrscheinlicher war hier gesehen zu werden, wenn man aus dem Nachbarland kommt. Allerdings verlief auch die Grenze recht großzügig.

„Was willst du jetzt machen?“, fragte Kain sie, der mit Aidou ebenfalls ausgestiegen war.

„Fragen.“, antwortete sie kurz angebunden und ging auf die Frau zu, die gerade den Fußweg entlang eilte. Yuki war nicht wohl dabei, einfach fremde Menschen anzusprechen, aber etwas anderes blieb ihr kaum übrig.

„Entschuldigen Sie, haben Sie diesen Mann hier gesehen?“, fragte Yuki höflich und zeigt der Frau eine Aufnahme aus ihrer gemeinsamen High School Zeit mit Zero. Die Frau warf einen flüchtigen Blick darauf, schüttelte mit dem Kopf und eilte weiter, ohne überhaupt etwas gesagt zu haben.

Yuki ärgerte sich ein wenig. So etwas unhöfliches! Sie hätte ihr wenigstens antworten können! Doch sie ließ sich davon nicht weiter beirren und fragte gleich den nächsten älteren Mann, der ihr entgegen kam. Wieder stellte sie ihre Frage und zeigte das Photo und der alte Mann war nicht so unhöflich, wie die Frau vor ihm. Er schaute sich das Bild genau an, versuchte sich zu erinnern, aber zu Yukis Enttäuschung schüttelte auch er mit dem Kopf.

„Tut mir leid, aber ich habe ihn noch nie gesehen. Er war sicher nicht bei uns in der Stadt. Seit wann vermisst du ihn denn?“, fragte er mitfühlend.

„Seit 20 Jahren.“, antwortete Yuki und betrachtete bei diesen Worten wehmütig das Bild in ihrer Hand.

„Nein, ich habe ihn noch nie gesehen und ich lebe schon mein ganzes Leben hier.“

„Verstehe. Trotzdem vielen Dank.“ Sie verbeugte sich höflich und trat dann einen Schritt zu Seite, damit er weiter gehen konnte. Jetzt beschloss sie die Menschen aus der entgegenkommenden Richtung zu fragen.
 

Aidou und Kain beobachtete das Geschehen und musste immer wieder mit ansehen, wie Yuki jedes Mal ein Kopfschütteln auf ihre Frage erhielt.

„Will sie etwa jeden einzeln Fragen?“, murmelte Aidou und schüttelte fassungslos den Kopf.

„Schein so.“, antwortete sein Cousin.

„Das bringt doch nichts.“

Aidou seufzte kurz auf und ging schließlich zu Yuki.

„So dauerte das doch Stunden.“, sagte er leicht genervt.

„Dann hilf mir doch!“, zischte sie zurück. Dass die beiden nur da standen und sie eine Weile beobachtet hatten, frustrierte sie ein wenig. Sie konnten genauso die Leute fragen.

„Das machen wir ja. Aber Yuki, es bringt nichts, wenn du jeden einzeln fragen willst. Wir haben nur drei Monate Zeit und so werden wir es nie schaffen.“

Yuki atmete einmal durch. Das wusste sie selbst.

„Was schlägst du vor?“, fragte sie deshalb.

„Wir sollten nur ein paar Menschen fragen. Vielleicht in Gasthäusern, irgendwo wo viele Menschen zusammenkommen.“

„Mmh...“, antwortete Yuki nachdenklich.

Ohne zu zögern sprach sie den nächsten Passanten an und fragte nach einem beliebten Wirtshaus. Sie bekam selbst langsam Hunger. Außerdem war es nicht gut, wenn sie sich zu sehr dem Sonnenlicht aussetzte. Sie hatte sich zwar schon etwas daran gewöhnt, aber es schwächte sie immer noch ein wenig. Wie es Kain und Aidou ging, wollte sie sich gar nicht ausmalen. Als Mensch hatte sie ja zehn Jahre im Sonnenlicht gelebt und die wärmenden Strahlen der Sonne machten sie noch immer glücklich.

In dem Wirthaus roch es nach Mittagessen. Zudem war es wirklich gut besucht und die drei brauchten einen Moment, ehe sie einen freien Platz finden konnten. Sie beschlossen erst einmal zu essen und dann den Wirt zu fragen. So erschienen sie vielleicht weniger auffällig, was auf Grund ihres perfekten Aussehens zwischen all den einfachen Leuten sehr schwer war.

Sie entschieden recht schnell und auch das Essen wurde trotz der Fülle der Gaststube schnell gebracht. Es schmeckte ihnen, wobei es Aidous hohen Standart natürlich nicht gerecht werden konnte.

„Was, wenn der Wirt auch keine Auskunft geben kann?“, fragte Kain, Yuki und Aidou als er geendet hatte.

„Tja... Weiterfragen.“, sagte Yuki unsicher.

„Ich weiß nicht, ob das nötig ist. Wir würden es spüren, wenn sich ein anderer Vampir in der Nähe befindet. Wir müssen also nicht danach fragen.“, sagte Aidou entschieden. „In den Dörfern brauchen wir vielleicht nicht einmal anzuhalten. Laut der Karte sind sie nicht sehr groß und so weit ich mich erinnere, war Kiryuus Präsenz sehr ausgeprägt.“

„Ich finde trotzdem, das wir auch nachfragen sollten.“, widersprach Yuki den beiden.

„Warum? Wir wollen wissen, wo er jetzt ist und nicht wo er war.“, sagte Aidou trocken und nahm den letzten Bissen.

„Ja, aber vielleicht hat jemand einen Hinweis, wo er sich jetzt aufhält.“, versuchte Yuki ihre Idee zu verteidigen.

„Dann machen wir beides.“, sprach nun Kain. Aidou wusste, dass dies das Letzte war, was er dazu sagen würde und ihm zu widersprechen würde auch nichts bringen. Yuki war hingegen froh, dass sie ihren Vorschlag doch annahmen.

Als sie gezahlt hatten gingen sie an den Thesen und wollte den Wirt fragen, trafen aber nur eine Kellnerin an, die Kain und Aidou keck ansah und ihnen hin und wieder zuzwinkerte. Das Erscheinungsbild der Kellnerin trat besonders durch ihren großen Busen hervor, den sie durch ein eng geschnürtes Mieder noch betonte. Ihr Gesicht war nicht sehr schmal und doch recht hübsch. Es war umrahmt von braunen kurzen Locken und ihre blauen Augen bildeten einen scharfen Kontrast zu ihren knallroten Lippen. Trotzdem wirkte sie freundlich.

„Lass mich dass machen.“, flüsterte Aidou Yuki zu und trat auch schon zu der Kellnerin.

„Verzeihen sie schöne Lady, aber ich hätte eine Bitte.“, fragte er so charmant wie möglich.

Yuki beobachtete wie sich ihre Wangen rot färbten und sie zu kichern begann.

„Ah, wenn du mich so fragst, kann ich natürlich nicht wiedersprechen.“, hauchte sie und beugte sich ein wenig vor, was ihr Dekolleté noch mehr betonte. Yuki hatte Mühe nicht ständig hinzuschauen.

„Ich habe mich gefragt, ob sie vielleicht die Güte hätten uns zu sagen, ob sie einen gewissen Zero Kiryuu kennen.“

„Aber natürlich. Was wollen sie denn von ihm?“, säuselte sie.

„Er ist... ein alter Freund.“

„Ein Freund?“

„Ja, vielleicht haben sie ihn schon einmal gesehen. Yuki, gibt’s du mir bitte das Photo?“

Yuki riss sich von dem Ausschnitt los und reichte ihm das Bild. Die Frau sah nun zu Yuki und diese glaubte für einen Moment zu sehen, wie sich die Augen der Frau zu schlitzen verengten, als sie sie betrachtete. Dann wanderte ihr Blick ihren Körper hinunter und als sie sah, dass Yuki keine Gefahr für sie darstellte, wurde ihr Blick wieder freundlich.

„Oh, was für ein hübsches Bürschchen.“, sagte die Kellnerin begeistert, als sie das Bild in die Hand nahm. Sie betrachtet es einige Minuten.

„Er sieht ein wenig unglücklich aus... Dennoch ein ausgesprochen hübsches Gesicht, aber keineswegs so hübsch wie das ihre.“ Sie klimperte Aidou dabei kurz an. Doch Yuki machten ihre Worte ein wenig wütend. Sie kannte Zero doch gar nicht, wie konnte sie dann so etwas sagen? Sie hatte kein Recht dazu, so über ihn zu reden!

„Aber es tut mir leid, ich habe ihn nicht gesehen und ich merke mir jedes Gesicht. Besonders, wenn es so attraktiv ist wie seines oder das ihre.“, flirtete sie hemmungslos weiter.

„Vielen Dank.“, sagte Aidou geschmeichelt. „Das ist wirklich sehr bedauerlich. Kennen sie vielleicht jemanden, der ihn gesehen haben könnte?“

„Jaha.“

„Und wen?“

„Mich.“, sagte sie mit einem Augenaufschlag. „Ich bin sozusagen, das wachsame Auge dieser Stadt. Mir entgeht nichts so leicht. Wenn ihn also jemand gesehen hätte, dann hätte ich davon erfahren.“

„Wie schade. Ich danke ihnen für ihre kostbare Zeit und ihre Hilfe.“ Aidou nahm ihr Hand und hauchte einen Kuss auf den Handrücken.

„Nicht doch, nicht doch. Wenn ich so nett gefragt werde, kann ich doch nicht nein sagen.“, kicherte sie verlegen

Die drei wanden sich von ihr ab und verließen das Lokal.

„Was war das denn?“, fragte Yuki Aidou, gleich nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Sie kannte sein Verhalten eigentlich aus ihrer Schulzeit und doch war sie ein wenig... schockiert.

„Was denn? Man muss nett sein, wenn man etwas wissen will.“, antwortete er so, als wäre sein Verhalten selbstverständlich gewesen.

„Musst du es immer gleich übertreiben? Einfaches Fragen, hätte auch gereicht.“, sagte nun Kain, dem das Verhalten seines Cousins nicht selten peinlich war.

Aidou zuckte gleichgültig mit den Schultern. Es war nicht seine Schuld, dass er so gut mit den menschlichen, weiblichen Geschöpfen umgehen konnte. „Immerhin wissen wir jetzt, dass er nicht hier war. Wir sollten gleich weiter reisen und in die nächste Stadt fahren.“

„Da stimme ich dir zu.“, sagte Kain.

„Aber was meinte sie mit ‚wachsames Augen der Stadt?“, fragte Yuki nun, als sie sich auf dem Weg zum Wagen machten.

„Sie war eine Klatschtante.“, antwortete Kain trocken und verdrehte die Augen, was die anderen beiden aber nicht sahen.
 

Nach sieben Tagen hatten sie bereits zwanzig Dörfer und Städte durchquert. Sie blieben nie lange an einem Ort. Wenn sie es taten, dann nur, um sich für die Nacht ein Zimmer zu nehmen. Des abends waren sie von den Strapazen der Autofahrt und des Aufenthalts im ständigen Sonnenlicht so erschöpft, dass sie alle drei meist sofort einschliefen, wenn sie ihre Zimmer bezogen hatten.

Es war bereits dunkel, als sie an diesem Tag die nächst größere Stadt des Landes erreichten. Die Hauptstadt hatten sie noch nicht erreicht und das würde auch noch einmal zwei Wochen in Anspruch nehmen. Die Ortschaften lagen weit verstreut und erschwerten ihre Suche noch. Die drei Reisenden nahmen sich zwei Zimmer für die Nacht und jeder von ihnen wäre am liebsten sofort zu Bett gegangen, wenn sie nicht solch einen Hunger verspürt hätten. An diesem Tag hatten sie fünf Orte aufgesucht, aber auch dort hatten sie keine positive Auskunft bekommen. Niemand hatte den Namen Zero Kiryuu gehört oder ihn gesehen. Gespürt hatten sie ihn bisher auch nicht. Ein Ergebnis das Yukis Selbstsicherheit ihn zu finden, beständig mehr ins Schwanken brachte. Doch immer wieder überzeugte sie sich selbst, dass sie ja noch am Anfang standen. Noch blieben ihnen elf Wochen. Zeit genug, um ihn zu finden.

Ihr Hotel bot keine Gelegenheit zum dinieren und so mussten sie noch einmal nach draußen.

Yuki, Aidou und Kain suchten das kleine Lokal auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf. Während des Essens sprachen sie kaum. Keinem von ihnen stand der Sinn nach einer ernsthaften Unterhaltung.

Nachdem sie gespeist und gezahlt hatten, verließen sie das Lokal gleich wieder. Inzwischen war es kurz vor Mitternacht und die Straßen füllten sich mit jungen Leuten, die nach Hause gingen oder auf dem Weg zur nächsten Bar waren.

„Oh Gott, sie dir das mal an.“, sagte Aidou zu seinem Cousin und klang dabei leicht angewidert.

„Was denn?“

Aidou deutete auf ein Geschäftsschaufenster neben ihrem Hotel und überquerte auch schon die Straße. Kain seufzte kurz und folgte ihm.

Yuki beobachtete die beiden und überlegte, ob sie es sich auch anschauen sollte. Doch stattdessen entschloss sie sich für diesen Tag noch einen letzen Versuch zu wagen. Sie sprach die nächsten zwei Männer an, die ihr entgegen kamen. Diese waren nicht mehr ganz so jung, wie sie auf den ersten Blick gedacht hatte. Es waren Männer um die dreißig, unterschiedlicher Größe. Einer von ihnen war recht rund und sein Gang schien sehr große körperliche Stärke auszustrahlen. Er hatte Glatze, einen Ohrring im rechten Ohr und eine Narbe über der Augenbraue. Der anderen war schlaksig, mit einen seltsamen hervorstehendem Gebiss und einem Stoppelbart. Zwei Herren, die Yuki sonst gemieden hätte, aber nun hatte sie sie bereits angesprochen.

„Was ist denn kleine Lady?“, fragte er dickliche und grinste breit.

Yuki wich einen Schritt zurück, sein Atem roch schlecht und seine Stimme war ihr ganz und gar unsympathisch.

„Ich wollte nur wissen, ob sie vielleicht zufällig einen Zero Kiryuu kennen oder ihn getroffen haben.“, fragte sie unsicher.

„Nein, haben wir nicht aber wenn du willst dann kann ich gern dieser Zero Kiryuu für dich sein.“, antwortete er und grinste dreckig.

Yukis Augen weiteten sich vor Schreck und sie ging noch einen Schritt zurück.

„Das... Nein, danke... dass...“

„Ach, kommen sie schon. Wenn du die Augen schließt und dir ihn vorstellen, dann geht das schon.“, sprach er weiter und seine Augen blitzten. Er kam einen Schritt näher und Yuki ging noch einen Schritt zurück. Sie wusste nicht, wie sie sich in so einer Situation verhalten sollte. Noch nie war ihr so etwas passiert. Die ganzen letzten Jahre hatte sie nicht mehr unter Menschen gelebt, nur unter ihres Gleichen und die brachten ihr immer den nötigen Respekt entgegen. Aber auch als Mensch war ihr so etwas nie passiert. Natürlich wäre es für sie ein leichtes diese beiden auszuschalten, ihnen zu zeigen, dass sie nicht die kleine, hilflose Lady war, für die sie sie hielten. Aber was würde sie das kosten?

„Finger weg!“, hörte sie plötzlich jemanden zischen und bevor sie sich versah, hatte Kain die Arme des Großen nach hinten verdreht und hielt sie auf dessen Rücken zusammen. Hätte er nur ein wenig mehr gezogen, hätte er ihm den Arm ausgekugelt, wenn nicht mehr.

„Verschwindet.“, knurrte Aidou und zog Yuki hinter sich. Beiden sahen ihn furchtlos an und wollten gerade etwas erwidern, als ihnen bei seinen blitzenden, leicht roten Augen die Sprache wegblieb. Alles was sie noch im Stande waren zu tun, war zu nicken. Kain ließ den Arm des dickeren los, sie taumelten rückwärts und verschwanden dann, so schnell sie konnten.

„Da lässt man dich mal eine Minute allein! Warum hast du doch nicht gewehrt?!“, schimpfte Aidou gleich darauf und ließ ihre Hand los.

„Ich... ähm... Ich...“, versuchte es Yuki, doch es wollte kein vernünftiger Satz herauskommen.

„Lasst uns zurückgehen. Wir haben schon genug Aufsehen erregt.“, sagte Kain ruhig und ging voraus. Yuki und Aidou sahen sich kurz um und bemerkten, dass sie von einigen Leuten angestarrt wurden.

Sie gingen ins Hotel und Yuki zog sich gleich in ihr Zimmer zurück.

„Schlaft gut.“, sagte sie zu ihren beiden Begleitern.

„Du auch.“, antwortete Aidou brummig, der noch immer nicht verstand, warum sie sich nicht selbst geholfen hatte.

Eigentlich hatte Yuki sich gleich umziehen wollen, doch sie setzte sich auf das Bett und starrte aus dem kleinen beschlagenem Fenster. Das Erlebnis vor wenigen Minuten hatte ihr gezeigt, dass ihre Suche noch weitaus schwieriger und vielleicht auch gefährlicher war, als sie sich vorgestellt hatte. Nicht nur, dass bisher niemand Zero gesehen hatte, sondern auch das bereisen der einzelnen Ortschaften erschien ihr sinnlos. Sie hatten bereits einige Ortschaften von der Karte gestrichen, die sie nicht besuchen würden, dennoch würden so die drei Monate schnell umsein und sie hätten noch nicht einmal die Hauptstadt des Westlandes aufgesucht. Es dauerte alles so lange…

Yuki schloss die Augen und erlaubte zum ersten Mal, seit sie den Entschluss gefasst hatte, Zero zu suchen, ihren Gedanken sich auszubreiten.

Da war zuerst die Befürchtung, dass sie Zero wohl nie finden würde, dass ihre Suche vergeblich war. Sie atmete einmal aus. Aber wenn sie ehrlich war, was das nicht einmal ihre schlimmste Befürchtung oder ihre größte Angst. Nein. Ihre größte Angst, war die, Zero nie wieder zu sehen – egal, wie lange sie leben mochte. Der bloße Gedanke daran schnürte ihr Herz und Kehle zu und sie schluckte ein paar Mal heftig, um dieses Gefühl wieder zu verdrängen. So durfte und wollte sie nicht denken.

Aber was, wenn es doch so war?

Yuki schüttelte heftig den Kopf. Sie würde ihn finden, sie musste einfach. Nie würde sie vergessen können, wie sie sich getrennt hatten. Auch wenn er sie hasste und töten wollte, sie wollte ihn dennoch wieder sehen und sich… angemessen von ihm Verabschieden.

Was, wenn sie länger nach ihm suchte, als Kaname ihr zugestanden hatte?, fuhr der Monolog in ihrem Kopf fort. Sie könnte Kaname schreiben und es ihm mitteilen, aber das würde nicht garantieren, dass sie Zero fand. Außerdem würde sie ihrem Onii-sama enttäuschen und ihm schmerzen zufügen. Er würde wütend sein und das wollte sie ebenso nicht.

Sie öffnete die Augen wieder und seufzte. Egal was sie tun würde, es hatte immer Folgen. Folgen, die sie nicht akzeptieren konnte.

Aber lohnte es jetzt schon darüber nachzudenken? Eigentlich nicht, beantwortete sie sich diese Frage. Sie standen noch am Anfang ihrer Suche und es war gerade einmal eine Woche vergangen. Es war noch genug Zeit. Wenn sie ihm am Ende der drei Monate noch immer nicht gefunden hatten, konnte sie sich überlegen, was sie tun sollte, ob sie ihre Suche verlängern oder aufgeben sollte, versuchte sie sich erneut Mut zuzusprechen.

Von diesem Gedanken beruhigt stand Yuki auf und verließ ihr Zimmer. Sie hörte gedämpfte Stimme aus dem Zimmer von Kain und Aidou und klopfe verhalten an.

„Komm rein.“, hörte sie Aidou gedämpft antworten und sie öffnete die Tür.

Sie sah Aidou auf dem Bett liegen, die Beine überkreuzt und die Landkarte studierend. Kain saß an dem kleinen Tisch und schrieb einen Brief. Sowohl auf dem Nachtischchen neben Aidou, als auch bei Kain auf dem Tisch stand ein Glas mit einer roten Flüssigkeit. Es erinnerte sie daran, dass sie ihre Tablette für heute ebenfalls noch nehmen musste. Ebenso etwas, woran sie sich in den kommenden Wochen würde gewöhnen müssen. Den beiden schien es jedenfalls nichts mehr auszumachen. Aber sie nahmen die Bluttabletten auch schon seit ihrer Schulzeit. Es war nicht so, dass Yuki in den zwanzig Jahren, die sie nun wieder ein Vampir war, noch nie zuvor Bluttabletten genommen hatte, aber sie war bisher nicht davon abhängig gewesen. Sie hatte ihren Onii-sama gehabt.

„Wen schreibst du?“, fragte sie Kain und setzte sich auf den zweiten Stuhl.

„Ruka.“, antwortete er kurz und schrieb die letzte Zeile zu Ende. Yuki bekam ein schlechtes Gewissen. Sie verstand die Beziehung zwischen Kain und Ruka nicht ganz, aber sie wusste, dass er sie sehr mochte. Wegen ihr, musste er die Frau die er begehrte verlassen, um auf eine Reise zu gehen, bei der der Erfolg so unklar war. Vielleicht hätte sie darauf bestehen sollen, allein zu reisen und doch wusste sie gleichzeitig, dass Kaname das niemals zugelassen hätte.

Kain steckte den Brief in einen Umschlag und versiegelte ihn.

„Schreibst du an Kanama-sama?“, fragte er nun Yuki und sah sie an.

„Was? Nein… Ich denke nicht. Was soll ich ihm denn schreiben?“, antwortete sie traurig.

„Dann mache ich das, wenn du nichts dagegen hast.“, sprach er und nahm einen neuen Bogen Papier zur Hand.

„Man, dass kann ewig dauern, bis wir ihn finden.“, bemerkte nun Aidou der nicht ganz ohne das Gesicht zu verziehen, die rötliche Flüssigkeit aus dem Glas mit einem Schluck trank. „Es sind so viele vereinzelte Städte und Dörfer in dieser Gegen, dass das allein schon länger dauern kann. Aber an der Küste wird es noch schlimmer. Selbst wenn wir nur in ein paar ausgewählten Dörfern nach ihm suchen.“

„Wir sollten uns auf den Norden konzentrieren. Ich denke, da wird er vielleicht eher sein.“, sagte Yuki, obwohl sie das mit den beiden schon längst besprochen hatte. Einerseits wollte sie aus irgendeinem Grund so schnell wie möglich in den Norden und andererseits, konnte sie den Gedanken nicht ertragen, nicht auch im Westland alles versucht zu haben.

„Vielleicht. Trotzdem…“

Yuki schwieg eine Weile und beobachtet Kain, wie seine Hand über das Papier glitt und seine Schrift es nach und nach füllte.

„Denkt ihr, wir werden ihn finden.“, fragte Yuki schließlich. Sie hatte die beiden noch nicht nach ihrer Meinung gefragt, aus Angst, es könnte die gleiche wie Kanames sein.

„Natürlich.“, antwortete Aidou sofort mit einer monotonen Stimme und schaute nicht mal hinter der Karte hervor. Kain warf seinem Cousin einen kurzen Blick zu, was Yuki nicht entging.

„Ist das deine ehrliche Meinung?“, fragte sie deswegen.

Jetzt ließ Aidou die Karte sinken und sah sie an. Kain beobachtete das Geschehen und sah Aidou eindringlich an. Doch dieser ignorierte seine Warnung.

„Yuki, um ehrlich zu sein... Man kann niemanden finden, der nicht gefunden werden will.“, antwortete er ihr ruhig. Ihr stockte der Atem und sie rang ein wenig um Fassung. Er hatte ihre Ängste ausgesprochen und die Gedanken, die sie vor wenigen Minuten so sorgsam wieder verschlossen hatte, kehrten zurück.

„Denkst du das gleiche?“, wandte sie sich an Kain und wagte es kaum ihn anzusehen. Nervös knetete sie ihre Finger.

„Ja.“ Er fühlte sich seiner Antwort schuldig und sprach deswegen weiter. „Yuki, niemand hat ihn seit fast zwanzig Jahren gesehen. Ihn jetzt in drei Monaten zu finden, ist so gut wie unmöglich. Und um ehrlich zu sein... wenn ich er wäre, hätte ich nicht nur das Land, sondern den Kontinent verlassen.“

Sie nickte stumm. Sie hatten beide recht, mit dem was sie sagten. Das war unbestreitbar. Sollten sie nicht doch lieber gleich aufgeben? Sollte sie weiter allein nach ihm suchen? Würde sie das schaffen? Könnte sie das?

Nein, wohl eher nicht. Sie konnte den Wagen nicht bedienen und auch eine Kutsche vermochte sie nicht zu lenken. Yuki erschrak ein wenig. Wann war sie so abhängig geworden?

„Werdet ihr mich trotzdem weiter begleiten?“

„Selbstverständlich.“, erwiderte Kain sofort. „Alles was wir tun können, ist Vermutungen anzustellen und vielleicht irren wir uns auch. Vielleicht ist er wirklich noch auf diesem Kontinent, vielleicht ganz in der Nähe. Wir wissen es nicht. Wir können nur nach ihm suchen, so gut wir können. Mehr nicht.“

Sie nickte kurz und erhob sich dann. „Vielen Dank.“, flüsterte sie.

Leisten Schrittes verließ sie das Zimmer.

„War es wirklich klug, ihr die Wahrheit zu sagen?“, fragte Aidou seinen Cousin.

„Du hast doch damit angefangen!“, erwiderte Kain scharf. „Außerdem hat sie danach gefragt und möglicherweise ist es besser, wenn sie sich nicht allzu große Hoffnungen macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn finden, ist wirklich gering.“

„Mmh...“, brummte Aidou nachdenklich. „Sie sieht in letzter Zeit so nachdenklich aus, findest du nicht?“

„Ich weiß nicht. Ich kenne sie nicht so gut, wie du. Du hast die letzten paar Jahre an ihrer Seite verbracht.“

„Ja, das ist ja gerade. Früher war sie doch so ein aufgeweckte und fröhliches Mädchen aber seitdem sie weiß wer sie ist...“

„Du meinst seitdem sie ihre Identität zurückbekommen hat?“

„Ja. Seitdem ist sie anders geworden, nachdenklicher und zurückgezogener... glaube ich zumindest.“

Kain dachte über Aidous Worte nach. „Jetzt wo du es sagst. Sie war wirklich... lebhafter, aber in Anbetracht ihrer Stellung ist ihr Verhalten angemessen. Außerdem ist sie kein 15jähriges Mädchen mehr und auch kein Mensch. Ihr Wesen ist von Grund auf ein ganz anderes.“

„Mmh... aber wäre es nicht schöner, wenn sie mehr lachen würde, als nachdenklich in die Gegend zu starren.“

„Du redest ja so, als wäre das schon immer der Fall gewesen, dabei macht sie das doch erst seit einer Woche.“

„Ja, natürlich. Du hast recht.“, erwiderte Aidou gleich und widmete sich wieder der Karte. In Gedanken aber, war er noch immer bei Yuki. Sein Cousin hatte sie ja nicht drei Jahre gesehen, wie sie im Archiv nach einer Möglichkeit gesucht hatte den Fluch zu brechen.
 

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So, das war’s auch schon. Kurz und schmerzlos. Ich bin stolz auf mich. XD
 

Da es nicht zu viel zu sagen gibt, will ich auch gar nicht lange rumreden.

Ich hoffe es hat trotzdem gefallen und ihr hinterlasst mir ein paar Kommis. Außerdem verspreche ich das neue Kapitel dann so schnell wie möglich hochzuladen.^^
 

Und nun die 1000 Kekse Frage, dann kommt ihr eine Runde weiter bzw. das neue Kapitel: Welcher Satz war dieses Mal am schwersten für mich zu schreiben, weil mir allein bei der Vorstellung schon leicht übel wurde? XD
 

Bis zum nächsten Mal.
 

Maidlin

... und Finden?

Dieses Kapitel ist dieses Mal für die Asu, denn sie war nach dem letzten die Einzige, die wusste, wie der Titel für das nachfolgende – also dieses Kapitel – sein würde. XD Ich bin stolz auf dich!

Aber finden sie ihn auch wirklich?

Das müsst ihr dann schon selber rausfinden.^^
 

Ich bedanke mich noch mal für eure Kommis und wünsche euch, wie immer viel Spaß beim Lesen!

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... und Finden?
 

Yuki und ihren beiden Begleitern erging es auch in den andern Städten nicht anders. Weder im Westland noch im Norden hatte jemand einen Zero Kiryuu gesehen oder kennengelernt. Auch wahrnehmen konnte Yuki ihn nie. Jeden Abend kehrte sie vollkommen niedergeschlagen und erschöpft in das Hotelzimmer zurück, in dem sie gerade wohnten und schlief kurz darauf gleich ein. Kaname schrieb sie nur selten. Immer überließ sie es Kain oder Aidou vom bisherigen Erfolg der Suche zu berichten: dass es keinen Erfolg gab. Sie konnte es einfach nicht über sich bringen, ihm zu sagen, dass er Recht hatte, dass sie Zero wahrscheinlich nicht finden würde. Je mehr Tage verstrichen ohne dass sie auch nur ein Lebenszeichen von ihm gefunden hatten, desto mehr schwand ihre Hoffnung es doch noch zu schaffen. Dabei war ihre Sehnsucht ihn endlich wieder zu sehen, mit jedem Tag mehr gewachsen. Sie wollte und konnte nicht zurückkehren ohne ihn gesehen zu haben – auch wenn das bedeutete, ihre Suche gegen Kanames Wille zu verlängern. Er wird böse sein, aber er wird ihr verzeihen, daran glaubte sie.
 

Es war bereits der 88 Tag ihrer Suche, als sie die nördlichste Stadt erreichten. Das Westland hatten sie nach drei Wochen verlassen und sich verstärk auf den Norden konzentriert, wie es Yuki ursprünglich vorgehabt hatte. Trotzdem wurde sie hin und wieder von dem Gefühl geplagt im Westen doch nicht genug getan zu haben.

Yuki hatte geglaubt, dass diese Stadt nicht so groß sei, lag sie doch so weit abgeschieden, von den anderen Städten. Doch als sie die Stadttore passierten, musste sie feststellen, dass sie sich geirrt hatte. Die Stadt war ziemlich groß und belebt. In den Straßen und Gassen herrschte ein reges treiben. Vor den Geschäften wurde die Ware der Händler ausgestellt, manchen priesen ihre Ware auch direkt auf der Straße an kleineren Ständen an. Aber am meisten erstaunte Yuki, das Klima. Die Gebirge standen wie Riesen im Halbkreis um die Stadt herum und sie konnte die schneebedeckten Kuppen sehen. Doch statt Kälte, die sie erwartete hatte, war es selbst Ende Oktober noch angenehm warm. Sie brauchte nicht einmal ihren langen Mantel.
 

Dies hier war ihre letzte Gelegenheit, dachte sie, als sie aus dem Auto stieg und auf die Straße trat. Wenn sie ihn hier nicht fand, müsste sie zurückkehren – theoretisch. Yuki ließ ihren Blick über die hohen Fassaden der Häuser gleiten, die reich verziert mit Ornamenten oder Bildern aus alten Gesichten, Mythen und Legenden waren. Hier und da sah sie Balkonkästen mit Pflanzen in den Fenstern, die orange, rote, gelbe aber auch braune Blüten zeigten. Es unterstrich den prächtigen Herbst, den sie bisher gehabt hatte und verlieh der Stadt gerade zu etwas malerisches. Yuki hatte in den letzten 3 Monaten viele Städte gesehen, viele schöne Städte. Doch diese hier begeisterte sie sofort. Wenn sie könnte, würde sie ihr leben, dachte sie für einen Moment. Alles schien so friedlich und unberührt. Fern ab von dem was sie bisher erlebt hatte.

„Yuki, kommst du? Wir wollen fragen, wo wir ein Zimmer finden können.“, riss Aidou sie aus ihren Gedanken und Yuki folgte ihnen schweigend und sich noch immer umsehend.

Sie betraten einen der kleinen Läden, der von außen so schmal wirkte, dass Yuki sich zweifelnd fragte, ob man darin überhaupt etwas verkaufen konnte. Doch nachdem sie eingetreten war, wurde sie erneut überrascht. Der Raum erstreckte sich weit nach hinten und ließ Yuki staunen. Während Aidou und Kain sich nach einer Unterkunft erkundigten, blickte sich Yuki um. Es roch angenehm und wohltuend nach Früchten, aber auch Kräutern in diesem Laden. Herrlich süße Düfte stiegen ihr in die Nase und schon allein davon lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie befanden sich in einem Teeladen, der etwas anders war als die, die sie von zu Hause kannte. Der Tee wurde in Metallboxen gelagert und vor jeder dieser Boxen lagen auf einem kleinen Teller, die Zutaten ausgestreut, die auch in dem Tee zu finden waren. Bei mehr als 100 verschiedenen Teesorten, wie Yuki schätze, war das Ergebnis der Vermischung der Düfte dieser kleinen Proben überwältigend. Yuki überflog im Gehen die Etiketten der Boxen und sie musste feststellen, dass sie die wenigsten Sorten kannte. Dabei hatte sie geglaubt bei ihrem Vater genügend Erfahrungen gesammelt zu haben. Sie würde ihm unbedingt etwas mitbringen müssen, wenn sie zurückkehrten, dachte sie.

„Möchten sie mal einen Schluck Tee probieren?“, hörte sie nun eine weiche Männerstimme fragen.

„Was?“, fuhr sie erschrocken zusammen.

„Ich habe den Eindruck, dass sie sich sehr für meinen Tee interessieren. Wenn sie mögen brühe ich ihnen eine kleine Tasse, dass sie einmal kosten können. Welche Sorte hätten sie denn gern?“, sprach der Verkäufer und kam hinter seinem Tresen hervor.

„Oh, dass... Ich...“ Yuki sah kurz zu Aidou und Kain und diese betrachtete sie mit einem ungeduldigen Blick. Sie war so fasziniert gewesen, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sie bereits mit ihrer Unterredung fertig waren.

„Nein, tut mir Leid.“, sagte sie deswegen. „Wir haben es etwas eilig, aber ich komme bestimmt noch einmal wieder und würde dann sehr gern von ihrem Tee kosten.“, sagte sie mit einem Lächeln.

„Wie sie wünschen. Eine solch schöne Dame, hat man ja nicht alle Tage hier.“, sagte er und grinste sie offenherzig an.

„Vielen Dank. Auf Wiedersehen.“, verabschiedete sich Yuki und verließ vor Aidou und Kain, das Geschäft.

„Oh, ich hätte ihn vielleicht gleich fragen sollen.“, sagte Yuki dann, als ihr der Grund ihres eigentlichen Aufenthalts wieder einfiel.

„Das kannst du später noch. Er hat uns gesagt, wo wir ein Hotel finden. Dort fahren wir erst einmal hin. Dann können wir immer noch überlegen.“

„Ist gut.“, seufzte sie. Es war deutlich zu merken, dass Aidou und Kain froh waren, dass sich ihre Suche offensichtlich dem Ende näherte. Drei Monate waren sie nun schon unterwegs und das ohne einen Erfolg vorweisen zu können. Sie wollten wieder nach Hause und hatten mit der ganzen Sache bereits abgeschlossen. Dabei wussten sie noch nicht, dass Yuki weitersuchen wollte.

Das Hotel war allein schon durch seine Fassade sehr beeindruckend. Waren die andere Häuser bereits verziert gewesen, so übertraf sie dieses noch um Längen. Es strotzte gerade zu vor Ornamenten, Blüten und Reliefs. Von den Reliefs waren es genau fünf und sie zeigten die fünf Sinne: das Sehen – dargestellt durch eine Frau, die in den Spiegel sah; das Riechen – eine Frau die in einem Meer von Blumen saß, umgeben von zwei Hunden; das Hören – eine Frau, von verschiedenen Musikinstrumenten umgeben; das Schmecken – gezeigt von einer Frau, die zu einer Obstschale griff und schließlich Fühlen – verdeutlicht durch eine Frau, die von einem Raben in den Finger gebissen wurde. Die Farben der Reliefs waren kräftig und hauchte ihnen bis zu einem gewissen Maße Leben ein. Weiterhin verliefen an der Wand auf drei Etagen unterschiedliche Säulenmuster nach oben und immer wieder waren dazwischen Blumen, und Ornamente zu sehen. Das Haus wirkte prachtvoll und schien eine lange Geschichte zu haben. Jeder schien in diesem Haus willkommen zu sein.

Als sie eingetreten waren, wirkte es ebenso prächtig und einladend. An den Wänden konnte man noch die alten Wandmalereien aus längst vergessenen Jahrhunderten sehen. Der Fußboden, wie auch der Kamin, der links in der Ecke stand und in dem ein Feuer prasselte, waren aus reinstem weißen Marmor. In der Empfangshalle befanden sich nicht sehr viele Möbel, aber sie boten ankommenden Reisenden – aber auch Gästen – Platz, um sich zu setzen und die Eindrücke, die sich ihnen boten, aufzunehmen und zu verarbeiten. Gerade die Plätze vor dem Kamin schienen sehr begehrt zu sein, denn diese waren vollkommen besetzte. Die Wandmalereien selbst zeigten Alltagsszenen aus früherer Zeit, wie die Menschen das Feld bestellten, Ernte einholten, etwas anpflanzen oder anderen recht einfache Dinge taten, wie Wäsche waschen.

Yuki wusste nicht so recht, wo sie zuerst hinsehen sollte. Das alles überwältigte sie. Aber sie mochte diesen Ort schon jetzt und selbst wenn sie abreisen müsste, würde sie noch einmal hierher zurückkommen. Dessen war sie sich bereist sicher.

Leider schienen Aidou und Kain nicht sehr viel Interesse daran zu haben oder gar beeindruckt zu sein. Sie gingen geradewegs zur Rezeption und ließen sich drei Zimmer geben. Yuki war ein wenig verwundert, aber wahrscheinlich war die Tatsache, dass sie sich meist ein Zimmer geteilt hatte, ebenso ein Grund für ihre gereizten Nerven, wie der anhaltende Misserfolg. Noch dazu war immer einer von ihnen an ihrer Seite gewesen, um auf sie acht zu gegen. Es war nur wenige Male vorgekommen, dass sie Yuki hatten allein gehen lassen. Das Ereignis gleich nach der ersten Woche, hatten sie noch vorsichtiger werden lassen. Einerseits konnte Yuki sie verstehen, aber andererseits würde sie nun wirklich in der Lage sein, auf sich selbst aufzupassen, sollte so etwas wirklich noch einmal vorkommen.

Ein Page ging ihnen voraus und hatte die Aufgaben sie zu ihren Zimmern zu bringen. Nur wiederwillig konnte sich Yuki von dem prächtigen Anblick lösen, als sie die Treppe hinauf ging. Aber der Flur war mindestens genauso interessant. Denn an den Wänden des Treppenaufgangs hingen Fotos aus unterschiedlichen Zeiten, die zum einen die Geschichte des Hauses aber auch der Stadt zeigten. Sie faszinierten Yuki genauso sehr, wie die Wandmalerei, waren auch sie Abbilder eines scheinbar unbeschwerten Alltagslebens.

„Der Speisesaal befindet sich unten gleich links, wenn sie die Treppe herunter kommen. Wir servieren Frühstück, Mittag und Abendbrot, ganz nach Wunsch. Sie können aber auch eine der Gaststuben in der Stadt aufsuchen, ganz wie es ihnen beliebt. Das Gasthaus ‚Zum goldenen Glück’ ist sehr zu empfehlen.“, erklärte der Page, als er sie führte.

„Vielen Dank.“, sagte Yuki und als sie vor ihrer Tür standen, betrat sie das Zimmer. Der Page stellte ihre Koffer ab, verbeugte sich einmal kurz und verschwand dann um ihren beiden Begleitern die Zimmer zu zeigen.

Yukis Zimmer war nicht sehr groß und es war auch nicht mit allem Luxus ausgestattet, aber trotzdem fühlte sie sich sofort sehr wohl. Es war richtig gemütlich, mit einem breiten Bett, auf dem die Kissen aufgeschüttelt und die Decke ein wenig zurückgeschlagen waren. In der rechten Ecke gleich neben der Tür und dem Fenster, stand ein Tisch mit zwei Stühlen, die rot gepolstert waren. Auf dem Tisch lag Briefpapier und was Yuki noch viel schöner fand, ein Strauß Herbstblumen. Der Schrank, der sich links neben dem Bett befand war aus dem selben Holz, wie der Bettrahmen und wirkte genauso alt. Es war dunkles, schweres Eichenholz, ebenfalls mit Blumenmustern verziert. Wandmalereien gab es hier leider nicht, doch die Wände waren in einem hellen Terrakotta Farbton gehalten und machten einen großen Teil, der Gemütlichkeit in dem Zimmer aus. Der kleine Kamin, auf dem bereits Holzscheite lagen und die nur noch darauf warteten entzündet zu werden, komplettierte das Zimmer.

Yuki trat ans Fenster und zog die weißen Leinenvorhänge an die Seite. Sie sah auf die Straße und beobachtete das Treiben der vorbeigehenden und handelnden Menschen. Alles schien so friedlich und unnahbar. Wie eine anderen Welt, die sie betreten hatte. Eine Weld ohne Hektik und Eile, eine Welt ohne Wesen, wie sie eines war. Einen Moment kam ihr der Gedanke, dass sie vielleicht gar nicht hier sein dürfte. Sie hatte das Gefühl, dass sie möglicherweise durch ihre bloße Anwesenheit etwas von dem Frieden und der Stille nahm, die diesen Ort auszeichnete. Gedankenversunken ließ sie ihren Blick schweifen und konnte doch nur ein paar Häuserdächer überblicken. Sie begriff schnell, dass diese Stadt sehr viel größer war, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte.

Trotz der möglichen Konsequenzen, die ihr Aufenthalt für die Stadt haben könnte, überlegte sie, war dies auch eine Stadt, in der sie ebenfalls leben würde. Eine Stadt, die Zero gefallen könnte. Er musste einfach hier sein. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht. Das hoffte sie inständig.

Yuki trat vom Fenster zurück und zog sich anschließend um. Als sie fertig war, klopfte es an ihre Tür und Kain und Aidou traten ein.

„Willst du heute noch suchen, oder wollen wir erst einmal die Stadt erkunden?“, fragte Aidou, der trotz seiner einfachen Hose und dem Hemd das er trug, noch immer zu außergewöhnlich für diesen Ort wirkte.

„Beides.“, antwortet Yuki gleich und die drei gingen nach unten. Das Bild von Zero hatte sie noch immer in ihrer Tasche und sie entschloss sich gleich die Dame am Empfang zu fragen, die ihnen auch die Zimmer gegeben hatte. Wenn jemand ihn vielleicht gesehen haben könnte oder auch nur seinen Namen kannte, dann doch ein Mensch der viel mit anderen in Kontakt kam. So waren sie auch bisher bei ihrer Suche vorgegangen. Immer hatten sie Menschen gefragt, die viel mit Gästen und anderen Personen zu tun hatten. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit gering, dass Zero solch ein Hotel aufsuchen würde, aber man konnte ja nie wissen. Manchmal gab es doch noch Zufälle. Yuki hoffte, dass ihr ein solcher widerfahren würde. Es war immerhin ein Versuch wert.

„Entschuldigen sie, könnte ich sie vielleicht etwas fragen?“, wandte sich Yuki an die Dame am Empfang und diese schenkte ihre sogleich ihre Aufmerksamkeit.

„Natürlich. Womit kann ich ihnen helfen?“

„Ich suche jemanden und ich hoffe sehr, dass ich ihn in dieser Stadt finden kann. Haben sie diesen Mann vielleicht schon einmal gesehen? Er heißt Zero Kiryuu.“ Yuki zeigte ihr das High School Bild und bei dem Gesicht, was die Frau machte, erhoffte sie sich nicht allzu viel. Doch dann änderte sich ihr Ausdruck plötzlich.

„Was wollen sie denn von ihm?“, fragte die Frau, anscheinend noch immer in Gedanken.

„Ich bin mit ihm zur Schule gegangen. Ich... habe schon lange nichts mehr von ihm gehört und mache mir Sorgen um ihn.“, sagte Yuki und nichts davon war gelogen.

Die Frau runzelte die Stirn. „Wie sagten sie heißt er?“, fragte sie noch einmal.

„Kiryuu... Zero Kiryuu.“

„Es tut mir leid, aber... Ich kenne jemanden der so aussieht, wie dieser Junge auf dem Foto hier.“, begann die Frau zu erzählen und Yukis Herz schien ihr ihn die Knie zu rutschen. Tausend Gedanken auf einmal schossen ihr durch den Kopf. Sollten sie ihn wirklich gefunden haben? Hatten sie ihn gefunden? War er hier? Hier in der Nähe? Irgendwo in der Stadt? Oder hatte er sie schon längst wieder verlassen? Wohin war er gegangen? Was machte er hier?

Doch der nächste Satz wischte all diese Fragen wieder beiseite und hinterließ eine vollkommen andere. Die Frau sprach weiter: „... doch sein Name ist nicht Zero. Aber vielleicht sind die beiden auch verwandt oder so... Der Name ist zumindest gleich und ähnlich sehen sie sich ja auch.“

Verwirrt blickte Yuki sie an und auch Kain und Aidou hatte nun sichtlich Interesse dann.

„Wie heißt er denn? Vielleicht kann uns ihr Bekannter ja zu unserem Freund führen. Sie sagten ja, dass der Name gleich sei. Was meinten sie damit?“, versuchte es Aidou auf seine charmante Art und schenkte der Frau ein gewinnendes Lächeln.

„Ichiru. Kiryuu Ichiru das ist der Name des Mannes, der diesem hier auf dem Bild so ähnlich sieht.“, antwortete sie und sah den dreien prüfend ins Gesicht. Der Schock, der sich auf den Gesichtern der drei bei der Erwähnung dieses Namens gelegt hatte, war ihr nicht entgangen und besonders die braunhaarige Frau, schien noch blasser geworden zu sein, als sie es bereits war.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte die Rezeptzionistin nun misstrauisch. Doch Yuki war noch immer nicht in der Lage zu antworten. Ihr Geist war komplett leer. Sie musste sich verhört haben.

„Ähm... Das... ist... Wissen sie, Ichiru war... ist der Bruder von Zero. ... Sie sind... Zwillinge, deswegen die... Ähnlichkeit.“, brachte Aidou statt Yuki stotternd heraus. Er sah seinen Cousin fragend an und dieser schien genauso ratlos zu sein.

„Sein Bruder? Das kann natürlich sein.“, überlegte die Frau laut. In Yukis Kopf begann es zu arbeiten. Das war vollkommen ausgeschlossen! Unmöglich! Ichiru...war... ist... Nein! Das konnte nicht sein.

Gleichzeitig flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, dass sie fragen sollte, wo sie diesen Kiryuu Ichiru finden konnte und doch war sie unfähig dazu. Kain war es schließlich, der diese Frage stellte: „Können sie uns vielleicht sagen, wo wir ihn finden können. Vielleicht kann er uns bei unserer Suche helfen.“

Die Frau sah sie noch einem Moment prüfend an, bevor sie sprach. „So weit ich weiß, finden sie ihn im Gasthaus ‚Zum Goldenen Glück’.“

„Was?!“, fragte Aidou, der das eben gehört nicht richtig glauben konnte. Nun schien auch Yuki aus ihrer Starre zu erwachen.

„Und wir... wir können diesen... Ichiru dort finden?“, fragte sie zaghaft und musste sich bemühen das Zittern zu unterdrücken.

„Ja.“, antwortete die Frau knapp und sah sie nun doch misstrauisch an. „Stimmt etwas nicht?“

„Ähm... Nein, wir sind nur so überrascht, dass er hier in der Stadt ist. Können sie uns nun vielleicht noch sagen, wo dieses Gasthaus zu finden ist?“, antwortete Kain hastig.

„Am anderen Ende der Stadt. Sie folgen der Hauptstraße weiter nach Norden, und kurz vor dem Wald finde sie es. Die Fassade ist komplett aus Holz. Sie können es gar nicht übersehen. Allerdings müssten sie zu Fuß schon eine Stunde einrechnen.“, gab sie weiterhin Auskunft.

„Vielen Dank!“, sagte Yuki etwas zu aufgeregt. Sofort drehte sie sich um und Aidou und Kain folgten ihr. Als sie das Hotel verlassen hatten machte Aidou seinen Gedanken Luft.

„Ichiru?! Das ist vollkommen unmöglich. Wir haben seinen Leichnam gesehen.“

„Kein Wunder, dass niemand einen Kiryuu Zero kannte.“, äußerte nun Kain. „Er hat den Namen seines Bruders benutzt.“

„Es ist wirklich Zero?“, fragte nun Yuki und konnte das Zittern nicht länger verbergen.

„Davon gehe ich aus, ja.“, erwiderte Kain. „Eine andere Erklärung gibt es eigentlich nicht. Sollen wir mit dem Auto fahren oder willst du laufen?“

Yuki überlegte einen Moment. Mit dem Auto waren sie definitiv schneller, aber dass sie ihn jetzt doch schon gefunden hatten, dass sie ihm möglicherweise schon bald wieder gegenüberstehen würde, überforderte sie. Sie war nicht darauf vorbereitet gewesen Sie war noch nicht bereit... So schnell...

„Wir laufen.“, antwortete sie kurz. „Wo ist Norden?“

„Dort lang.“, erwiderte Aidou und deutete in die entsprechende Richtung. Dort wo sie auch die ganzen Berge ausmachen konnten.
 

Sie brauchten wirklich ungefähr eine Stunde, ehe sie das Haus „Zum Goldenen Glück“ erreicht hatten. Wahrscheinlich wäre sie aber doch schneller gewesen, wenn Yuki nicht hin und wieder in der Gegend umhergeschaut hätte. Dass sie dies aber größtenteils nur tat, um ihre Nerven zu beruhigen, übersahen Kain und Aidou dabei.

Das Gasthaus war wirklich nicht zu übersehen. Mit seiner beinah schlichten Holzfassade, stach es gerade zu unter den anderen, reich verzierten Häusern hervor und doch war es mindesten genauso prächtig und ansehnlich. Es war groß, mit zwei Etagen. Die Fenster hatten Sprossen und davor standen reich bepflanzte Balkonkästen. Um zwei Seiten des Hauses führte ein Balkon, auf dem man direkt auf die Berge und den davor stehenden Wald schauen konnte.

Die meisten der Fenster waren schwarz, doch die unteren - die, die größeren waren – wurden von einem warmen Licht erleuchtet, welches geradezu dazu einlud, einzutreten. Dahinter konnten sie eine recht große Anzahl von Stühlen und Tischen erkennen, von den jeder einzeln beleuchtet wurde.

Als sie sich dem Haus immer mehr näherten, hatte Yuki das Gefühl, ihr Herz würde in ihrem Hals schlagen und ihr Magen hätte sich umgedreht, so aufgeregt war sie. Sie konnte sich keine Situation in Erinnerung rufen, bei der sie annähernd so nervös gewesen war.

Wie würde er reagieren?

Würde er sie anhören?

Würde er sie abweisen?

Würde er ihr eine Chance geben?

Würde er einfach gehen?

Diese und noch mehr Fragen gingen ihr durch den Kopf und doch hoffte sie sogar ein wenig, dass er sich vielleicht freuen würde, wenn er sie sah. Aber nach ihrem Abschied war dies so gut wie unmöglich.

„Er ist wirklich da.“, stellte Aidou mit monotoner Stimme fest, als könnte er es selbst kaum glauben. Sie befanden sich kurz vor dem Gasthaus und musste nur noch ein paar Meter gehen.

„Ja.“, sagte Yuki und ihre Kehle fühlte sich trocken an. Es war wirklich Zero, den sie spüren konnte.

„Bist du dir sicher, dass du das willst?“, war es nun Kain, der sie fragte.

Yuki sah ihn kurz an und sie zögerte einen Moment, doch dann sagt sie: „Ja. Wir haben zu lagen nach ihm gesucht, um jetzt umzukehren.“

Kain sah kurz zu seinem Cousin und dieser nickte. Ihre Aufgabe war klar und deutlich. Sie würde Yuki beschützen, koste es was es wolle.

Als sie die Tür öffneten, hörte sie ein leises Klingeln und sofort wurden sie von Wärme und Gemütlichkeit empfangen. War das Hotel schon gemütlich, so war dieser Ort einfach... wie ein zu Hause, bei dem sich jeder wohlfühlen musste. Die Gaststube, die gleich darauf betraten, war rustikal eingerichtet, wirkte aber keineswegs zu dunkel. Holzbänke, Stühle sowie die Holztische waren aus heller Buche, die dem Ganzem eine angenehme Wärme gaben. Sie standen in Kontrast zu der dunklen Wandvertäfelung, die aber ebenso wie die anderen Häuser der Stadt mit Blumenmustern und Ornamenten verziert waren. Auf jeden Tisch stand ein kleiner, dreiarmiger Kerzenleuchter aus Keramik, in dem cremefarbene Kerzen standen. Dazu dufte es aus der Küche herrlich nach leckeren Speisen und lud noch mehr dazu ein, sich zu setzen und etwas zu essen.

Doch nach Essen war Yuki nun wirklich nicht zu Mute. Yuki, Kain und Aidou suchten einen freien Tisch am Fenster und Yuki beobachtet die Nacht dabei, wie sie auch das letzte bisschen Rot des Tages verschlang. Sie wagte es nicht sich umzusehen, wusste aber, dass Aidou und Kain das taten.

„Ich kann ihn nicht sehen.“, sagte Kain schließlich.

„Ich auch nicht. Aber er ist hier.“, stimmte Aidou zu.

Nun sah blickte sich auch Yuki zaghaft um. Gut über die Hälfte der Tische war besetzt. Während die einen schlemmten, saßen die anderen gemütlich bei einem Getränk zusammen. Es waren Männer und Frauen unterschiedlicher Altersklassen anwesend und genossen anscheineinend ihren Feierabend, doch keiner unter ihnen war der, den sie suchten. Am Tresen saßen ebenfalls ein paar Männer, die sich mit einander unterhielten. Doch am anderen Ende des Tresen saß eine Gestalt, die Yuki doch ganz und gar verwunderte. Dort saß ganz allein ein Kind. Dieses schien sie schon die ganze Zeit beobachtet zu haben, grinste es Yuki doch nun an, als sich ihre Blicke trafen. Im Dämmerlich der Lampen konnte Yuki nicht viel ausmachen. Das Mädchen hatte blonde Haare und ein Grinsen, was von einem Ohr zum anderen zu reichen schien. Von dem, was Yuki sehen konnte, hätte sie das Mädchen auf 13 oder 14 Jahre geschätz. Unweigerlich musste sie zurückgrinsen. Doch da kam auch schon eine Frau an ihren Tisch, die, wie sie feststellen musste, die Chefin des Gasthauses war und Sayuka mit Nachnamen hieß. Sie war schlank und hoch gewachsen und ihr Gesicht war recht schön, auch wenn man vielleicht meinen könnte, dass ihre Nase etwas zu groß war.

„Darf es bei ihnen etwas sein?“, fragte sie höflich und ebenfalls mit einem Lächeln.

„Ähm... nicht direkt.“, übernahm Kain die Wortführung. „Wir sind eigentlich hier, weil wir jemand suchen und man sagte uns, dass wir ihn hier finden könnten. Wir suchen einen Kiryuu Ichiru. Ist er vielleicht hier?“

Verblüfft sah die Frau ihn an. „Ja, das ist richtig.“, bestätigte sie.

„Könnte sie uns dann vielleicht sagen, wo wir ihn finden können. Wir würden sehr gern mit ihm sprechen. Wissen sie, wir sind mit ihm zur Schule gegangen und haben schon lange nichts mehr von ihm gehört.“, fragte Aidou weiter und schien dieses Mal sogar zu vergessen, seinen Charme einzusehen, doch Frau Sayuka antwortete auch so.

„Tut mir leid, aber er ist momentan unabkömmlich. Kann ich ihm vielleicht etwas ausrichten?“

„Uhm... Wieso ist er bei ihnen unabkömmlich?“, fragte Yuki spontan, die das seltsam fand.

„Bitte entschuldigen sie, aber ich darf keine Informationen über unsere Mitarbeiter rausgeben, ohne deren Einverständnis. Außerdem,... wenn sie mit ihm in die Schule gegangen sind, dann müssten sie doch wissen, dass er sehr schnell... um... gereizt ist, wenn etwas hinter seinem Rücken über ihn erzählt wird.“, sagte sie und musste verhalten Lachen.

Der letzte Satz klang als hätte sie selbst schon genügend Erfahrung damit gemacht. Yuki musste unwillkürlich ebenfalls kurz Lachen. Das hörte sich sehr nach dem Zero an, die sie auch kannte.

„Verstehe...“, sagte Yuki schließlich. „Würden sie ihm dann bitte sagen, dass Yuki da ist und ich gern mit ihm reden würde. Es ist wirklich wichtig.“ Vor Nervosität knetete sie ihre Hände und versuchte sich innerlich irgendwie zu beruhigen. Den warnenden Blick von ihren beiden Begleitern ignorierte sie dabei. Natürlich war sie sich bewusst, dass Zero schon längst wusste, dass sie da waren. Doch vielleicht war es wirklich besser, wen die Wirtin erst einmal mit ihm sprach.

„Ja, natürlich. Das mache ich sehr gern.“ Frau Sayuka drehte sich um, ging hinter den Tresen und verschwand dann hinter der Tür, die sich ein paar Stufen weiter unten befand.

„Ob er kommen wird?“, fragte Yuki zweifelnd.

„Er muss. Ich bin doch nicht den ganzen Weg für umsonst hierher gekommen.“, antwortete Aidou statt seines Cousins prompt. „Ich bezweifle es.“, sagte Kain nun doch. Yuki wusste es nicht. Eigentlich wollte sie gar keine Antwort haben. Zu groß war die Angst vor einer Ablehnung.

Yuki sah erneut flüchtig zu dem Mädchen am Tresen und wurde sich bewusst, dass sie sie noch immer beobachtet hatte. Ihr Gesichtsausdruck war nun sehr angespannt, um nicht zu sagen neugierig und sie wurde sogar ein wenig rot, als sie Yukis wissenden Blick, dass sie versucht hatte zu lauschen, bemerkte. Yuki musste ein wenig Schmunzeln. Das Mädchen sah sofort schuldbewusst weg, als sich ihre Blicke trafen und beugte sich wieder über das Buch welches vor ihr lag und schrieb etwas in das Heft. Nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür hinter dem Tresen wieder und Frau Sayuka trat wieder heraus. Aber anstatt, dass sie gleich zu ihnen kam, ging sie erst einmal zu dem Mädchen und beugte sich über dieses. Yuki beobachtete, wie das Mädchen aufsah und dann begann ihre Sachen zusammenzupacken. Verstohlen sah sie noch einmal zu Yuki, als sie vom Stuhl sprang und

grinste sie noch einmal an. Yuki grinste zurück und musste feststellen, dass sie das Mädchen mit ihrer frechen Art mochte. Dann ging das Mädchen in Begleitung der Wirtin, die Treppe nach oben, die sich links neben dem Tresen befand.

„Was soll das?“, fragte Aidou genervt. „Sie hätte uns doch wenigstens erst antworten können, bevor sie das Balg ins Bett schickt.“

„Lass sie doch.“, warf Yuki schwach ein.

Es dauerte aber nicht lange und die Frau kam zurück. Gleich kam sie zu ihrem Tisch.

„Ähm, es tut mir leid, aber er... Ichiru... er...uhm...“, begann sie zu stottern und Yuki sackte das Herz nach unten. Sie hatte es geahnt.

„Er war nicht sehr erfreut, nicht wahr?“, fragte sie deswegen und schluckte heftig.

„Nein.“, sagte Frau Sayuka schwach und atmete schwer aus. „Es tut mir leid. Aber er war ehrlich gesagt recht wütend, als ich ihm von ihnen erzählt habe. Er... er hat gesagt, dass...“, sagte sie schwerfällig. Es tat ihr leid, dass ausgerechnet sie die schlechte Nachricht überbringen musste. „Wenn sie es hören wollen... Aber es ist nicht sehr... höflich.“

Yuki nickte traurig und versuchte ihre Gefühle zu beherrschen. Sie war den Tränen nahe. Obwohl sie versucht hatte, sich auf solch eine Reaktion von ihm vorzubereiten, schmerzte es sie doch unheimlich.

„Er will nichts mehr mit ihnen zu tun haben und es ist im vollkommen egal, wie wichtig ihre Nachricht ist. Sie sollen... sie sollen so schnell wie möglich von hier verschwinden.“, sagte Frau Sayuka leise. Sie sah die Enttäuschung auf dem Gesicht des scheinbar jungen Mädchens und fragte sich, was Ichiru nur gegen sie haben könnte. Sie erweckte auf sie nicht den Eindruck einer Gefahr oder Bedrohung. Ihre beiden Begleiter ebenso wenig.

„Es tut mir wirklich leid.“, sagte sie weiter.

„Schon gut. Es ist nicht ihre Schuld. Wir haben damit gerechnet.“, antwortete Kain. „Trotzdem vielen Dank für ihre Mühe.“

„Ja, vielen Dank.“ Yuki versuchte freundlich zu lächeln, doch sie scheiterte kläglich. Was hatte sie denn auch erwartet?, fragte sie sich selbst. Sie hatte doch gewusst, dass er so reagieren konnte, dass er es wahrscheinlich tun würde. Warum tat es dann trotzdem noch so weh? Nur einmal hatte sie bereits solch einen Schmerz empfunden: An dem Tag, als er sie zu seinem Feind erklärt hatte.

„Lass uns gehen, Yuki.“, sagte nun Aidou und stand bereits auf. Mehr konnte er nicht tun. Er hielt es für das Beste, wenn sie jetzt gingen, auch wenn ihm ein „Ich hab’s dir ja gesagt“, auf der Zunge lag. Aber vielleicht hatte Yuki diese Erfahrung einfach machen müssen. Wenigstens konnte sie nun wieder nach Hause fahren. Trotzdem konnte er nicht anders und empfand Mitleid für sie. Sie hatte all ihre Hoffnungen drauf gesetzt, ihn wieder zu sehen.

Er reichte Yuki die Hand, um ihr beim aufstehen zu helfen und sie nahm sie dankend an. Sie sah sich noch einmal in dem Gasthaus um und sie fragte sich trotzdem, was Zero wohl an solch einem Ort machte.

„Vielen Dank noch einmal.“, sagte Yuki an die Wirtin gewandt und drehte sich dann zu gehen um. Was sollte sie jetzt tun? Einfach aufgeben?, stellte sie sich bereits die nächsten Fragen. Aber ihn weiter zu bedrängen, erschien ihr ebenso wenig eine Lösung zu sein. Sie kannte Zero gut und wusste, dass der sie dann noch mehr abweisen würde. Dann würde er ihr erst recht nicht zu hören. Sie seufzte, als sie die Tür aufstieß und in die kühle Nacht hinaustrat.

Frau Sayuka schaute ihnen nachdenklich hinterher. Sie erinnerte sich an den zornigen Ausdruck auf Ichirus Gesicht, den er bereits hatte, bevor sie ihm überhaupt etwas erzählt hatte. Dann hatte sie auch noch das Mädchen sofort in die Wohnung bringen sollen. Die Wirtin konnte nicht recht glauben, dass diese drei Personen wirklich so schrecklich waren, wie er ihr den Eindruck vermitteln wollte. Auf sie selbst wirkten sie ganz nett. Besonders die junge Frau – diese Yuki – schien schwer getroffen von seinen Worten. Sie überlegte noch einen Moment und dann entschied sie sich. Sie würden ihnen zumindest einen Hinweis geben. Was sie dann damit machten und ob sie ihn tatsächlich antreffen würde, würde nicht in ihrer Hand liegen. Außerdem... Er musste ja auch nicht wissen, von wem sie diese Information hatten.

Also lief sie ihnen hinterher.

„Warten sie!“, rief sie und die drei blieben stehen. „Sie können ihn morgen gegen acht Uhr in der ‚Straße des Schnees’ antreffen.“, sagte sie etwas außer Atem. „Aber erwähnen sie nicht, dass sie das von mir wissen.“

„Was-?“, wollte Aidou etwas fragen, doch Yuki war schneller.

„Vielen Dank. Ich danke ihnen wirklich.“

Ohne weiter etwas zu sagen, drehte sich die Wirtin um und rannte in ihr Gasthaus zurück.

„Was sollte das denn?“, fragte Aidou und kratzte sich am Kopf.

„Sie wollte uns helfen.“, sagte Yuki und war nun nicht mehr so niedergeschlagen. Es gab immer noch eine Chance. Sie würde es noch einmal versuchen. Allein.

„Und jetzt? Was willst du jetzt tun?“, fragte Kain, kannte die Antwort aber eigentlich schon.

Yuki drehte sich zu ihm um und hatte nun wieder ein Lächeln auf dem Gesicht. „Herausfinden, wo die ‚Straße des Schnees ist’.“, beantwortete sie dann seine Frage.
 

Es war der nächste Morgen kurz vor acht Uhr. Yuki saß mit ihren beiden Begleitern in einem Café und sie konnten die Straße gut überblicken. Ihr Herz schlug erneut wie verrückt, aus Angst, dass er sie erneut zurückweisen würde. Einmal würde sie es noch versuchen und dann nicht mehr. Vielleicht war es besser für sie beide, wenn sie wirklich Feinde waren, dachte sie traurig. Wenn sie ihn dadurch nicht mehr verletzten würde...

Wenn er denn überhaupt da sein würde... Yuki wusste, dass er sie genauso würde spüren können, wie sie ihn. Vielleicht würde er gleich wieder gehen oder einen anderen Weg nehmen. Yuki sah auf der Straße lauter Schulkinder, die die Straße hinabgingen und sich fröhlich miteinander unterhielten. Sie waren auf dem Weg zur Schule, das wusste sie. Sie hatten das Gebäude auf dem Weg hierher gesehen. Das Schulhaus war ein ebenso reichlich verziertes Gebäude, wie die anderen und die Tore hatten weit offen gestanden, um jeden willkommen zu heißen, der bereit war etwas zu lernen.

Plötzlich richtete sie sich auf und ihr Herz schlug noch heftiger, so weit das möglich war. Es war soweit.

„Ich werde allein mit ihm reden.“, teilte sie ihren Entschluss von letzter Nacht nun Aidou und Kain mit. Fassungslos sahen die beiden sie an.

„Kommt überhaupt nicht in Fragen!“, rief Aidou und sprang auf.

„Doch, das werde ich. Es ist besser, wenn er nur einen von uns sieht. Er weiß auch so, dass ihr da seid. Vielleicht ist er dann ja eher bereit mir zuzuhören.“

„Auf gar keinen Fall! Wir sollen bei dir bleiben und-“

„Auf mich aufpassen, ich weiß.“, beendet Yuki, Kains Satz. „Ich bleibe in der Nähe und ich glaube kaum, dass er mich auf offener Straße angreifen wird, wenn so viele Menschen um uns herum sind. Es wird mir nichts passiere und ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Es wird außerdem nicht lange dauern.“

„Yuki, dass können wir nicht machen!“

„Doch, das werdet ihr. Ich übernehme die Verantwortung, dass könnt ihr Kaname-sama auch sagen, wenn er danach fragt. Wenn ihr mich jetzt immer noch nicht gehen lassen wollt, werde ich es euch notfalls auch befehlen.“

Diesen Worten konnte sie nicht weiter wiedersprechen. Nur selten benutzte sie ihre Position als Reinblut, aber wenn sie es tat, dann wusste sie immer wie.

Yuki verließ das Café und ging in die Richtung, in der sie seine Präsenz fühlen konnte. Sie führte sie in Richtung Schule und wurde mit jedem Schritt stärker. Nachdem sie fünf Häuer passiert hatte, blieb sie plötzlich stehen.

Da war er.

Sie konnte ihn sehen. Ihr Herz blieb stehen.

Auf den ersten Blick sah er noch genauso aus, wie vor fast 20 Jahren, hatte sich scheinbar nicht verändert und doch wusste Yuki, dass es anders war. Es war nichts mehr wie damals. Seine Haare waren etwas kürzer und vielleicht war er auch etwas schmaler geworden, aber das konnte sie nicht genau sagen. Zu sehr war sie von seinem Gesicht gefesselt.

Noch immer hatte er diese gewissen weichen Züge, von denen sie wusste dass sie da waren und die nun vor Anspannung hart und undurchdringlich wirkten. Er hatte sie ebenso bemerkt. Yuki wusste, dass er sie nicht ansehen würde. Wahrscheinlich würde er sie ignorieren. Dessen war sie sich nun sicher. Er würde ihr keine Gelegenheit geben sich zu erklären. Traurig senkte sie den Kopf, nur um ihn gleich wieder zu erheben, als sie bemerkte, dass er nicht allein war.

An seine Hand ging ein blondhaariges Mädchen, das fröhlich im Gehen auf und ab hüpfte. Yuki erkannte es. Es war das Mädchen vom gestrigen Abend, welches sie so frech angegrinst hatte. Sie schien ununterbrochen zu reden und nur ab und an sah Yuki, dass Zero kurz nickte oder gar etwas erwiderte.Aber warum war es bei Zero? Warum sah es so aus, als würde er sie in die Schule bringen? War sie nicht die Tochter der Wirtin? Warum war sie dann scheinbar so vertraut mit Zero? Doch ihre Gedanken kamen nicht weiter. Zero und das Mädchen standen nun vor dem Schultor und eine Glocke ertöhnte. Das Mädchen sah noch einmal zu Zero, bevor sie das Schulgelände betrat und zum Schulgebäude rannte.

Yuki wusste nicht, was sie tun sollte. Sollte sie nicht gleich wieder gehen? Sie wusste doch, dass er sie nicht erhören würde. Sie könnte sich den Schmerz, den seine Abweisung unweigerlich mit sich bringen würde, ersparen und doch... Wie konnte sie sich einer weiteren Abweisung wirklich sicher sein, wenn sie es nicht einmal versucht hatte? Sie war allein und sie waren doch so lange befreundet. Sollte das nichts mehr zählen? Yuki wollte ein klares nein, aus seinem Mund hören. Das war das mindeste, was sie erwarten konnte. Erst dann würde sie endgültig zurückkehren können. Nur dann würde sie bereit sein, ihn wieder vergessen zu können, die Gedanken an ihn wieder in der hintersten Ecke ihres Herzens verschließen.

Mutig ging sie ein paar Schritte nach vorn, solange bis sie nur noch ein paar Schritte hinter ihm stand. Doch anders, als sie erwartet hatte, ging Zero auch nicht weg. Er blieb stehen.

Würde er ihr wirklich zuhören?
 

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Lalala...
 

Ich weiß ich bin fies euch an dieser Stelle hängen zu lassen, nicht wahr? Ich muss auch gestehen, dass das Kapitel eigentlich noch 500 Wörter länger war, aber ich dachte mir, es wäre doch gut hier einen Cliff einzubauen und meiner geneigte Leserschaft ein wenig Spannung zu verschaffen.

Ich weiß ich bin fieß und sadistisch, aber ich hoffe doch, dass ihr nun das nächste Kapitel erst recht lesen werdet. Irgendwie muss ich ja dafür sorgen. XP
 

Mmh... Die Fassade des Hotels in dem die drei Schlafen ist der des Hauses „Zum breitem Herd“ aus EF entlehnt.^^ Wir hatten das in Kunst und das mit den fünf Sinnen ist wirklich interessant. Ansonsten habe ich mir glaube ich aus jedem Land etwas „genommen“. Das Haus des Teeverkäufers, zum Beispiel, ist einem Geschäft in Lucca/Italien angelehnt. Bei den Wandmalerein musste ich an römische Wandmalereien denken, wobei die Darstellung natürlich nicht die gleiche ist... Ich glaube diese Stadt ist eine Vermischung von Epochen und Stilrichtungen – ähnlich wie die wirkliche Welt von VK und doch sehr viel anders. Kann man das verstehen?
 

Na ja... ich hoffe wir lesen uns beim nächsten Mal.
 

lg maidlin
 

PS: Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass die Erklärung, warum Zero den Namen seines Bruders benutzt hat später kommt. Aber eigentlich kann man sich das denken.^^°

Ich vertraue dir

Da bin ich mal wieder... ich will euch auch gar nicht lange aufhalten, denn sicher wollt ihr ja eh alle nur wissen wie’s weiter geht... Liest, das hier überhaupt jemand? O.o

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Ich vertraue dir
 

Er stand am Schultor. Sein ganzer Körper war angespannt, bereit zum Angriff.

Was sollte er tun?

Natürlich fragte er sich, warum sie an diesem Ort war, warum sie ihn anscheinend gesucht hatte. Aber dass sie in Begleitung von diesen beiden gekommen war, ließ ihn nur eines vermuten. Sie konnten nur im Auftrag von diesem... Reinblut da sein. Warum sonst hätte er sie gehen lassen sollen?

Nein, er wollte sie nicht sehen. Er wollte nicht Erinnerungen und Gefühle wecken, die er schon lange begraben hatte. Zumindest war es dass, was er glauben wollte. Doch sie kam näher und noch immer stand er vor dem Tor. Wenigstens kam sie allein, dachte er einen Moment.

Er ballte seine Hand zur Faust und konnte einen Moment erneut den Druck der warmen Kinderhand spüren.

‚Du solltest ihr zuhören.‘, hatte sie gestern Nacht noch gesagt. ‚Immerhin ist sie den ganzen Weg hierher gekommen und hat wohl nach dir gesucht.’ Mit großen Augen hatte sie ihn dabei angesehen und auf eine Antwort gewartet, die er ihr nicht hatte geben könnte. Alles in ihm hatte sich gegen diese Worte gewehrt und doch schien da noch etwas zu sein, was anderer Meinung war. ‚Ich denke, sie war so etwas wie Familie für dich.’, hatte sie weiter gesagt und auch dem hatte er nichts erwidern können.

Als er da stand und noch immer nicht bewegt hatte, wurde ihm das erste Mal klar, wie sehr er sich doch von diesem Kind beeinflussen ließ. Er hörte ihre Worte noch einmal. Sie waren wahr, auch wenn er gern etwas anderes behaupten würde. Aber sie war auch nur ein Kind. Sie verstand nicht alles, was geschehen war und er wusste nicht, ob er die Kraft hatte ihr alles zu erzählen. Denn eine Erklärung würde sie dann verlangen, war sie doch der festen Überzeugung, dass jeder eine zweite Chance verdient hatte. Eine Einstellung, an der er bedauerlicher Weise – wie er jetzt fand – nicht ganz unbeteiligt war. Doch jetzt brauchte er sich wohl nicht mehr zu entscheiden...
 

Langsam drehte er den Kopf und sah sie an. Yuki erstarrte. Seit 19 Jahren sahen sie sich das erste Mal wieder in die Augen. Beide konnten sich nicht gegen die Erinnerungen wehren, die mit einem Mal freigelassen wurden. Es waren Erinnerungen an die Momente, als sie sich das erste Mal trafen, an ihren gemeinsamen Alltag, ihre Schulzeit, an ihre kleinen Streitereien und wie er sie immer wieder geneckt und getriezt hatte. Aber auch die Erinnerung an ihre grausame Trennung war dabei. In diesem Moment war es Yuki, als würde sie es noch einmal durchleben. Ihr Herz zog sich abermals zusammen und sie war den Tränen nahe. Hasste er sie wirklich so sehr, fragte sie sich zum wiederholten Male und wusste doch, dass sie keine Antwort wollte.

„Was willst du?“, sagte er schließlich und die Kälte seiner Stimme, ließ sie im Gegensatz zu den - meist schönen und warmen - Erinnerungen, zusammenfahren.
 

„Ob das gut geht?“, fragte Aidou seinen Cousin und starrte aus dem Fenster. Yuki konnten sie schon lange nicht mehr sehen, aber sie wussten, dass sie – und er – noch da waren. Bisher verhielt sich alles ruhig und Aidou hoffte, dass das auch so bleiben möge. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was Kaname mit ihm machen würde, wenn Yuki etwas zustoßen sollte, weil sie ihre Aufgabe nicht erfüllt hatten.

„Ich weiß es nicht. Es war ihre Entscheidung. Sie wird wissen, was sie tut.“, antwortete Kain ihm und sah genauso nachdenklich aus dem Fenster. Seine äußerliche Ruhe täuschte, denn innerlich war er genauso angespannt. „Und er hoffentlich auch.“
 

Yuki starrte ihn an. Ihr Kopf war plötzlich leer und sie konnte nichts weiter tun, als ihn einfach nur anzuschauen. Sekunden verstrichen ohne das sie in der Lage war, etwas zu sagen. Dabei gab es so viel was sie hatte sagen wollen.

Vor ihr stand die Person nach der sie sich die letzten Jahre immer mehr gesehnt hatte, wegen der sie sogar einen Streit mit ihrem Onii-sama begonnen hatte und den sie beinah verzweifelt gesucht hatte.

Sie sah in sein Gesicht, sah die vertrauten Augen, die Haare und selbst dieser Ausdruck schien ihr bekannt. Feindselig, dass konnte sie nicht leugnen und doch auch ungeduldig, angespannt und etwas genervt. All das war ihr vertraut und doch hatte sie das Gefühl, sie würde einem Fremden gegenüber stehen. Die Kluft die sie von einander trennte, wurde ihr nun unübersehbar und es schien als könnte sie niemals eine Brücke bauen.

„Woher wusstest du, dass ich heute hier bin?“, richtete er die nächste Frage an sie und das zweite Mal, als sie seine Stimme hörte, erwachte sie aus ihrer Starre.

„Z-Zu-Zufall.“, stammelte sie hastig und ihre Wangen färbten sich leicht rot.

Ausdruckslos starrte er sie an, schien ihre Worte abzuwägen und ihr Gesicht zu lesen.

„Lügen kannst du immer noch nicht.“, sagte er schließlich und Yuki glaubte, ihr Herz würde ihr aus der Brust springen. Diese Worte befreiten sie von der Angst, dass er ihr nicht zu hören würden und sie gaben gleichzeitig etwas von der alten Freundschaft preis, die sie einst mit einander verband.

„Das hoffe ich doch nicht.“, antwortete sie und lächelte ihn sanft an. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, dann hätte Kaname sie schon längst durchschaut und sie niemals gehen gelassen. Er merkte, dass ihre Worte noch eine anderen Bedeutung haben musste, aber was interessierte es ihn? Sie sollte nur so schnell wie möglich wieder gehen.

Zero schloss kurz die Augen und sammelte sich noch einmal. Dieses Lächeln und ihre Ehrlichkeit hatten ihn überrascht. Er konnte deutlich spüren, dass das, von dem er glaubte es schon längst aus seinem Herzen und Gedanken verbannt zu haben, noch immer da war. Immer noch genauso mächtig, wie vor 20 Jahren. Er atmete kurz aus, bevor er sie wieder ansprach. Es war egal, sagte er sich. Sie würde wieder gehen.

„Warum bist du hier, Yuki?“

„Ich... Ich möchte mir dir reden. Es ist... Wir haben etwas gefunden, was anscheinend auch dich betrifft und ich...“

„Wir?“, fragt er kurz und glaubte doch die Antwort bereits zu kennen.

„Aidou und ich.“, beantwortete Yuki die Frage. Verwunderung huschte kurz über sein Gesicht. Er hatte einen anderen Namen erwartet.

„Zero, ich... können wir irgendwo ungestört reden? Ich möchte es dir gern erklären.“

Er haderte mit sich selbst. Alles in ihm sprach dagegen. Allerdings wusste er auch, dass je eher er ihr zuhören würde, sie auch schneller wieder aus seinem Leben verschwinden würde.

„Meinetwegen...“, sagte er schließlich. „Ich höre dir zu. Komm mit.“

Zero ging an ihr vorbei, die Straße wieder ein Stück hinauf. Yuki lief kurz hinter ihm und versuchte vergeblich, ihren Herzschlag zu beruhigen und ihre Gedanken zu sortieren. Sie griff kurz in ihre Manteltasche und fühlte das Stück Papier auf dem die Prophezeiung stand. Sie stellte sich vor, wie Zero darauf regieren würde und was er von solchen Dingen hielt. Die Antwort war kurz und entmutigend: Nicht sehr viel.

Nur vier Häuser weiter bog Zero in eine schmale Seitengasse nach rechts ein, die geraden breit genug für eine Person war. Yuki wunderte sich kurz, wo er sie hinführte, gab sich aber einen Ruck und lief ihm weiter hinterher. Die Gasse hatte immer wieder ein paar Knicke und erschien deswegen recht lang. Zu beiden Seiten erhoben sie die aufgereihten Steine des Mauerwerks der Häuser und tauchten die Gasse in einen dunklen Schatten. Yuki merkte, wie es ihren Augen gut tat, auch wenn sie sich langsam an das Tageslicht gewöhnt hatten. Anscheinend machte es Zero nicht mehr viel aus.

Der Gang schien kein Ende zu nehmen. Von der belebten Straße war kaum noch etwas zu hören und nur dumpf drangen die Stimmen an ihr Ohr. Yuki sah auf das unebene Pflaster und fragte sich, wie alt die Steine sein mochten, die sie betrat. Dann sah sie nach oben und versuchte das Dach des Hauses auszumachen, doch die Sonne blendete sie zu sehr.

Plötzlich wurde sie jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie etwas am Arm packte und sie an eine Hauswand drückte. Erschrocken schrie sie kurz auf und ihre Augen weiteten sich vor Angst.

Zero hatte ihre Handgelenke umfasst und drückte sie neben ihrem Kopf gegen den kalten Stein. Ihr Herz begann zu raßen und sie hatte das Gefühl, dass ihr gleich schwindlig wurde. Was war gerade geschehen?, fragte sie sich benommen und konnte sie Situation nicht ganz begreifen.

„Zero, was-“, brachte sie schließlich mühsam hervor und versuchte seinen Blick deuten zu können.

„Ich sagte doch, wenn wir uns wiedersehen sind wir Feinde.“, sagte er leise und bedrohlich. Yukis Gedanken schwirrten und sie war nicht in der Lage zu antworten. „Es wäre ein leichtest, dich jetzt zu vernichten. Bevor die beiden bemerken, dass etwas nicht in Ordnung ist, wäre es zu spät. Hier würde es niemand mitbekommen.“, flüsterte er und kam ihrem Gesicht nahe, dass sie seinen heißen Atmen auf ihrer Haut fühlen konnte. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

„Das würdest du nicht tun.“, brachte sie endlich gepresst hervor.

„Ach,...“, fragte er herausfordernd, „und warum nicht?“

Yukis Augen huschten kurz über sein Gesicht und kehrten dann zu seinen Augen zurück.

„Du hast gesagt du würdest mir zu hören. Ich vertraue dir.“

Zero musterte sie noch einen Moment, ehe er sie schließlich losließ.

„Wenn du dich da mal nicht täuscht.“, sagte er noch, bevor er sich umdrehte.

Sie ist immer noch die Yuki, die er einst kannte. Sie existiert noch. Zumindest in dieser Hinsicht, dachte er, als er ein paar Schritte weiter gegangen war. Sie glaubte immer noch an das Wort anderer. Innerlich musste er ein wenig darüber lächeln. Er dreht sich noch einmal um und sah Yuki noch immer dort stehen.

„Was ist? Kommst du?“, fragte er ungeduldig und Yuki löste sich langsam von der Wand. Als er sie losgelassen hatte, hatte sie erleichtert ausgeatmet, doch ihre Knie zitterten noch immer. Sie rieb sich kurz die schmerzenden Handgelenke und ging dann auf ihn zu. Er würde ihr zuhören. Er würde nicht versuchen sie zu töten. Jetzt noch nicht...

Als sie neben ihm stand, realisierte sie, dass er vor einer Tür gewartet hatte, der Rahmen aus Holz doch mit einen Scheibe aus Milchglas darin. Ihr wurde auf einmal klar, dass er nie ernsthaft vorgehabt hatte, sie anzugreifen. Zero faste am Türgriff und zog die Tür auf. Der Gang, den sie betraten, war fast dunkel und nur ein paar Kerzen erleuchtete den Raum spärlich. Wo waren sie hier?, fragte sich Yuki kurz.

Zero ging weiterer voran. Erst jetzt nahm sie die Treppen wahr, die nach unten führte. Auch der Treppengang war mit wenigen Kerzen erleuchtet. Die Stufen bestanden aus großen, zurechtgehauenen Steinen und schienen sehr uneben zu sein.

„Pass auf, dass du nicht hinfällst.“, sagte Zero warnend als er vorausging.

„Ich falle schon nicht hin!“, giftete sie sofort zurück. Es war schon lang her, dass sie irgendwann einmal gestolpert, ausgerutscht oder ihr ein anderes Missgeschick geschehen war. Immerhin war sie kein ungeschicktes Mädchen mehr. Energisch und wie zum Beweis, wollte sie die nächste Stufe nehmen und verschätzte sich prompt. Nicht nur, dass die Stufen uneben waren, sie waren auch noch unterschiedlich hoch. Die, auf die Yuki treten wollte, lag tiefer als die vorherig, so dass der Boden erst sehr viel später unter ihren Füßen spürbar wurde, als sie gedacht hatte. Sie verlor das Gleichgewicht und sah sich schon die Treppe herunterfallen, als eine Hand schnell die ihre ergriff und sie somit vor schlimmeren bewahrte.

„Ich sagte doch, du sollst aufpassen.“, sagte Zero gereizt und ließ sie sofort wieder los, als hätte er sich verbrannt. Yuki war nicht in der Lage zu antworten. Zu sehr, war sie mit den Gefühlen beschäftigt, die sie durchströmten. Nach 19 Jahren war dies das erste Mal, dass sie sich berührt hatten. Ob ihm das klar ist?, dachte Yuki. Die Stelle, an der er sie berührt hatte wurde heiß, wie Feuer. Aber es war ihr nicht unangenehm. Vielmehr schien es sich durch ihren ganzen Körper auszubreiten und ihn von innen zu wärmen. Yuki schloss die Hand und konnte noch immer die seine spüren. Sie war weich und warm gewesen, ganz so wie sich auch erinnerte. Sie hob den Arm ein wenig und umfasste die Hand mit der anderen. Egal, wie dieses Gespräch ausgehen würde, diese kleine Berührung würde sie nie wieder vergessen.

Vorsichtiger ging sie die letzten Stufen und fand sich in einem Gewölbe wieder, das zu einem weiteren Lokal umgebaut worden war. Die Wände waren noch original erhalten und es befanden sich unzählige Kerzenleuchter an der Wand, die dem ganzen etwas unheimliches und mystisches verliehen und doch den Raum erwärmten. Yuki fühlte sich einen Moment, als wäre sie plötzlich zweihundert Jahre in die Vergangenheit gereist. Die Tische – ungefähr fünfzehn an der Zahl - waren aus schwerem, dunklem Holz, genauso wie die Stühle. Anders als im „Zum Goldenem Glück“ gab es keine Blumen oder Tischdenken und doch konnte sich Yuki nicht unwohl fühlen. Sie sah die alten Steine der Wände, der Decke, die einen großen Bogen formte und des Fußbodens und Yuki glaubte für einen Moment, das Flüstern der Vergangenheit hören zu können. Vereinzelt saßen ein paar Menschen, die in ihren Zeitungen lassen, Frühstückten oder sich leise unterhielten.

„Wo sind wir hier?“, fragte sie Zero, der weiter nach hinten ging. Sie gingen am Tresen vorbei und Zero sagte leise etwas zu dem Mann dahinter, bevor er sie schließlich zu einem Tisch ganz in der hintersten Ecke führte.

„Das war mal ein Keller. Wir befinden uns direkt unter dem Rathaus.“

Erstaunt sah Yuki sich um, als sie sich setze. Sie konnte sich gar nicht erinnern, ein Rathaus gesehen zu haben. Waren sie so weit gelaufen?

„Das ist wundervoll.“, flüsterte sie. Sie hatte das Gefühl, dass man an diesem Ort nicht laut sprechen sollte.

„Also, warum bist du hier?“, fragte er sie unvermittelt. Er hatte nicht viel Zeit und wollte dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden. Er war ihr schon sehr viel näher gekommen, als er es beabsichtig hatte. Unbewusst ballte er seine Hand zur Faust.

„Aidou und ich haben in unseren Archiven einen Text gefunden. Wir glauben, dass es...“ Yuki brach ab, weil jetzt der Mann kam und ihnen zwei kleine silberne Tabletts hinstellte. Darauf befanden sich zwei, kleine Keramikschalen, von denen die eine leer war und die andere braune Kristalle enthielt, von den sich Yuki sicher war, dass es Zucker war. Daneben stand ein Miniaturmilchkännchen, mit eben diesem Inhalt, sowie eine weiße Keramiktasse aus der... Yuki konnte es nicht richtig deuten. Sie nahm das Ding heraus und hielt eine Art metallenen Stab in der Hand, an dessen Ende ein runder Kopf saß, der aus zwei netzartigen Halbkugeln zu bestehen schien. Der Stab bestand ebenfalls aus zwei Teilen und ging in der Mitte auseinander. Neugierig drückte Yuki die breiten Seiten des Stabs zusammen und im gleichen Moment öffnete sich die Kugel und gab den Inhalt preis.

„Das ist ein Teesieb.“, sagte Zero etwas genervt.

Yuki sah in verständnislos an. Er deutete auf die Zange und sagte: „In der Kugel ist die Teemischung drin. Die füllst du einfach darein und stellst es in die Tasse. Der Rest funktioniert, wie bei jedem anderem Tee auch.“

Yuki nickte erstaunt, öffnete die Zange noch einmal und stellte es schließlich in die Tasse zurück, damit der Tee noch ziehen konnte. Sie roch kurz an der Tasse. Der Tee war würzig und ihr unbekannt.

„Was ist das?“, fragte sie weiter.

„Das ist Gewürztee. Man trinkt ihn mit Milch.“

Skeptisch sah Yuki Zero an. So ganz vertraute sie der Sache nicht. Gerade wollte sie sich wieder der seltsamen Zange zuwenden, als er sie erneut an das erinnerte, warum sie eigentlich da waren.

„Yuki, was willst eigentlich?“, sagte er bloß. Es reicht schon, um ihr seinen Unmut zu signalisieren.

„Ähm... Jedenfalls, wir haben diesen Text gefunden und wir glauben, dass es eine Prophezeiung ist.“, nahm sie ihre Gedanken wieder auf. Jetzt war Zero es, der sie skeptisch ansah und eine Augenbraue nach oben zog. Genau diese Reaktion hatte Yuki erwartet.

„Wir denken, dass sie den Untergang der Hunter, der Vampire oder von beiden prophezeit.“

„Und was habe ich damit zu tun?“, fragte er schroff, obwohl es gar nicht so gemeint war. Aber er konnte sich einfach nicht erklären, warum sie ausgerechnet zu ihm damit kam. „Das geht mich nichts an.“.

„Du... Du wirst auch erwähnt.“, sagte Yuki schließlich und jetzt hatte sie seine Aufmerksamkeit. Yuki holte das Papier aus ihrer Manteltasche, entfaltete es und schob es ihm hin. Bevor Zero einen Blick darauf warf, nahm er die Teezange aus der Tasse und legte sie auf die leere Keramikschale. Dann nahm er etwas von der Milch und goss sie in den Tee. Yuki tat es ihm gleich. Im Anschluss las Zero die Zeilen und Yuki beobachtete ihn gespannt.

„Das ist also eine Prophezeiung?“, fragte er noch einmal und Yuki wurde klar, dass er ihr nicht glaubte.

„Wir haben schon die meisten Zeilen enträtselt. Zumindest glauben wir das. Es ist so, dass diese Prophezeiung von jemand ganz bestimmten gemacht wurden und die Prophezeiungen von dieser Person immer eintraten. Also wird auch diese eintreten. Außerdem war es bisher so, dass die Personen oder Komponenten, die darin erwähnt wurden, eine besondere Rolle spielten und von Bedeutung waren.“, versuchte sie schnell zu erklären.

Zero schwieg und schaute noch immer auf das Blatt. Er wurde auch erwähnt? So etwas hatte ihn noch nie interessiert. Das waren doch alles nur Märchen..

„Weißt du, welche Zeile ich meine?“, fragte Yuki schließlich vorsichtig. Zeros Blick wanderte noch einmal über die Worte und blieben an der ersten Zeile hängen. Wenn man es so auslegte...

Wortlos gab er Yuki das Blatt zurück.

„Worum geht es?“, wollte er dann wissen.

„Uhm... Die ersten fünf Zeilen beschreiben den Verlauf. Wenn diese Dinge eingetreten sind, wird sich das andere erfüllen. Die ersten vier Zeilen sind bereits eingetreten, bei der fünften wissen wir es noch nicht. Takuma versucht gerade es herauszufinden. Wir glauben, dass in der Prophezeiung von einen Kind die Rede ist, das zum Untergang der Hunter und Vampire führen kann.“ Yuki schaute kurz von dem Text auf und sah in Zeros fragendes und ungläubiges Gesicht. Trotzdem redete sie weiter.

„Die Nacht und der Tag, stehen für die Vampire und die Menschen – besser gesagt, für die Vampire und die Hunter. Es heißt, dass, wenn der Winter sieben Monate dauert, ein Hunter und ein Vampir in Liebe, statt Hass vereint sein werden. Aus dieser Beziehung wird ein Kind entstehen, was zu einer Sonnenfinsternis geboren werden wird. Das Vierblatt wird uns wohl den Weg zeigen. Das nehmen wir wenigstens an.“

Ihre Stimme war zittrig geworden, weil sie wieder an Kains Worte denken musste. ‚Was, wenn der Hunter kein Mensch mehr ist...’

Wieder sah sie Zero an und ihr Herz rutschte nach unten. Er glaubte ihr kein Wort.

„Ein Vampir und ein Mensch... Ein Vampir und ein Hunter?“, fragte er zweifelnd. „Ausgeschlossen.“

„Laut dieser Prophezeiung schon.“, widersprach Yuki. Zero sah sie kurz an, trank dann einen Schluck von seinem Tee und weil er nicht sprach hatte Yuki, das Gefühl reden zu müssen.

„Wir wollen herausfinden, in wie weit sich die Prophezeiung noch erfüllt hat, um sie vielleicht zu verhindern.“

Genervt atmete Zero aus.

„Was geht mich das an? Ich habe mit all dem nichts mehr zu tun. Weder mit den Vampiren noch mit den Huntern. Yuki, was erwartest du von mir?“, fragte er sie ganz direkt und ohne Umschweife. Yuki war einen Moment sprachlos. Ihr fehlten plötzlich die Worte und sie wusste nicht, was sie antworten sollten. Zudem irritierte sie die Intensität seines Blickes.

„Das... Ich... Du...“, begann sie zu stammeln.

„Yuki.“, sagte er ungeduldig.

„Ich sagte doch, dass jede erwähnte Person, ebenso eine Rolle spielt. Nicht nur die, dass sie eben erwähnt wird. Ich dachte... dass du uns vielleicht helfen könntest, den Vampir zu finden oder auch den Hunter, vielleicht das Kind…“ Ihre Stimme wurde immer leiser und sie merkte selbst, wie fadenscheinig ihre Worte klingen mussten. An seiner Stelle, würde sie sich davon auch nicht überzeugen lassen. Im Gegenteil...

„Warum sollte ich das tun?“

„Weil...“, sie wagte es nicht zu antworten. Es gab keine Antwort. Es gab keinen Grund für ihn, nicht einen einzigen, stellte sie erschrocken fest. Warum hatte sie das nicht schon früher bedacht? Sie hätte doch mit dieser Frage rechnen müssen.

Zero wusste ihr Schweigen nur zu gut zu deuten, dafür kannte er sie zu gut. Aber er verstand noch immer nicht, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatte, nach ihm zu suchen. Nur deswegen? Sie hätte wissen müssen, dass er darauf nichts gab. Zero sah kurz auf die Standuhr, die neben der Eingangstür stand.

Ihre Zeit war um...

„Yuki, das Ganze geht mich nichts an. Selbst wenn es wirklich eine Prophezeiung ist, selbst wenn ich wirklich erwähnt werde oder du... es ist mir egal. Ich will damit nichts zu tun haben, mit keinem von euch.“

Er trank noch einen Schluck von seinem Tee und erhob sich dann.

„Zero, warte ich-“

„Ich muss los.“ Bevor er ging sah er sie noch einmal kurz an und Yuki glaubte etwas altvertrautes in seinen Augen zu sehen. Doch statt Worte des Abschieds sagte er kalt: „Verwindet wieder von hier.“

„Aber, Zero!“, wollte Yuki ihn am Gehen hindern, doch er hörte sie nicht mehr. Yuki setzte sich niedergeschlagen. Jetzt hatte sie ihm gar nicht von dem anderen Grund ihrer Suche erzählen können. Dabei war das doch noch wichtiger gewesen, dachte sie verärgert. Warum hatte er es plötzlich so eilig gehabt? Sie musste noch einmal mit ihm reden. Übermorgen würden sie abreisen müssen und bis dahin, musste es geschehen sein.

Yuki trank ihren Tee und nahm zum ersten Mal den Geschmack wahr. Er war wirklich würzig und doch war es angenehm. Die Milch verlieh dem Ganzem eine besondere Note und sie erinnerte sich daran, dass sie ja auch für ihren Adoptivvater etwas von dem exotischen Tee mitbringen wollte. Dann schweiften ihre Gedanken wieder zu Zero und sie überlegte, wie sie ihn am besten noch einmal ansprechen konnte. Vielleicht würde es ja einfach werden, als jetzt, obwohl sie das selbst nicht glaubte.

Der Mann vom Tresen kam zu ihr und fragte: „Darf es noch etwas sein?“

„Nein, danke.“, lächelte Yuki schwach. „Ich möchte dann gern zahlen.“ Verschwindet einfach und ich darf die Rechnung bezahlen!, dachte sie ärgerlich. Schon allein das ist ein Grund, um noch mal mit ihm zu reden. Was bildet er sich eigentlich ein?!

Aber schon die nachfolgenden Worte, des Mann ließen ihren Ärger verpuffen.

„Schon gut, dass geht aufs Haus. Er hat noch was gut bei mir.“ Der Mann zwinkerte ihr zu und Yuki schaute ihm verwirrt hinterher. Sie verstand das überhaupt nicht. Seit wann hatte Zero was bei anderen gut? Seit wann ließ Zero Menschen so nah an sich heran, dass er etwas gut haben konnte?

Yuki erhob sich nun ebenfalls und verließ das Lokal. Den Zettel mit der Prophezeiung steckte sie wieder in ihre Manteltasche. Die Stufen – dieses Mal daran gewöhnt – nahm sie leichter, aber noch immer genauso vorsichtig. Doch als sie die Tür öffnete, sah sie plötzlich Aidou und Kain vor sich stehen und sie erschrak einen Moment.

„Was macht ihr hier?“, fragte sie überrascht.

„Was heißt hier, was machen wir hier? Wo warst du? Wir haben Kiryuu gesehen – ohne dich und sind sofort in die Richtung gerannt aus der er kam.“, blaffte Aidou sie sofort an und Ärger war deutlich aus seiner Stimme zu hören.

„Aber ihr wusstet doch, dass ich noch lebe.“, gab Yuki zurück. Als ob sie nicht mal fünf Minuten auf sich selbst aufpassen konnte, dache sie verärgert.

„Ja, aber in welchem Zustand?!“, fragte Aidou scharf. „In dieser Gegend hätte er dir sonst etwas antun können!“

„Zero, würde nicht-“, wollte sie widersprechen, ließ es dann aber bleiben. „Wie dem auch sei, mir geht es gut und ich lebe noch.“

„Hat es denn etwas gebracht mit ihm zu reden?“, war es nun Kain, der sie fragte. Auch wenn seine Stimme ruhig war, so war sein Blick doch genauso vorwurfsvoll, wie der seines Cousins.

Yuki überlegte einen Moment. Hatte es etwas gebracht? Im Bezug auf die Prophezeiung war die Antwort wohl nein. Trotzdem konnte Yuki nicht anders, als die Frage auch irgendwie zu bestätigen. Es ging ihm gut und es beruhigte sie, das zu wissen. Vielleicht war es unbewusst auch ein Grund für ihre Suche gewesen, dass sie wissen wollte, ob es ihm gut ginge.

Zu Kain und Aidou aber sagte sie: „Er will damit nichts zu tun haben. Er sagt, dass er weder mit den Vampire noch mit den Hunter noch verbunden ist.“

Aidou schnaubte kurz und verkniff sich einen Kommentar. Sein Cousin war da aber zu seiner Überraschung nicht so. „Das war abzusehen.“, sagte dieser und Yuki nickte.

Aidou sah sie fassungslos an. Warum hatte sie erst diese ganze Reise unternommen, wenn von vornherein schon so gut wie klar war, dass es nichts bringen würde?! Sie hätten sich die letzten 89 Tage sparen können!

„Mag sein, aber ich... fühle mich jetzt trotzdem... beruhigter. Er weiß davon und mehr können wir nicht machen.“, sagte Yuki. „Aber ich muss trotzdem noch einmal mit ihm reden.“

„Warum das denn? Er weiß es doch nun und etwas anderes gibt es nicht zu erzählen.“, fuhr Aidou sie gereizt an. Er hatte von dieser ganzen Sache wirklich genug.

„Doch, es gibt noch etwas, was er wissen muss. Ich werde nicht eher fahren, ehe ich es ihm

gesagt habe.“, sprach Yuki und die Endgültigkeit in ihrer Stimme, war nicht zu überhören.

„Und was wäre das?“, fragte nun Kain.

Yuki schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber das kann ich euch nicht sagen. Das geht... niemanden weiter etwas an. Aber ich werde Zero heute noch einmal im „Zum Goldenen Glück“ aufsuchen und ihn bitten mir noch einmal zuzuhören. Ihr müsst mich auch nicht begleiten. Zero wird mir nichts tun, dessen bin ich mir sicher.“

Kain und Aidou sahen sich stumm an. Die Gedanken des anderen waren ihnen klar: Was für eine Wahl hatten sie schon?
 

Es war gegen sechs Uhr abends, als sie das Gasthaus „Zum Goldenem Glück“ ein zweites Mal betraten. Aidou und Kain hatte Yuki wie erwartet begleitet. Ein wenig ärgerte sie sich darüber, hatte sie nun die Befürchtung, dass Zero ihr nicht mehr zuhören würde. Aber sie hatte es auch nicht über sich gebracht, sie wieder wegzuschicken. Sie wollte nicht, dass sie ihretwegen vielleicht noch Ärger mit Kaname bekamen.

Als sie allerdings eintraten, fühlte sie sich ein wenig erschlagen. Anders als am vorherigen Abend, war das gesamte Gasthaus von Gästen besucht, die ausgelassen an ihren Tischen saßen, aßen, tranken und schwatzen. Sie hatten nicht mit so vielen Besuchern gerechnet.

„Was ist hier los?“, fragte Aidou auch gleich und suchte mit den Augen bereits nach einem leeren Tisch.

„Ah, sie schon wieder.“, begrüßte sie eine Stimme und sie erkannten Frau Sayuka von gestern wieder. „Es freut mich, dass sie da sind. Möchten sie einen Tisch für drei?“

„Ähm... Wenn das in Ordnung ist?“, fragte Yuki aus Angst, sie würde sie wegen Zero wieder wegschicken.

Verwundert sah die Frau sie an, lachte dann aber mit ihrer klaren, etwas zu hohen Stimme.

„Natürlich ist das in Ordnung. So lange sie Gast in unserem Haus sind, ist jeder willkommen. Da kann auch er nichts machen. Der Gast ist schließlich König und auch er muss das akzeptieren, ob er nun will oder nicht.“

„Vielen Dank.“, sagte Yuki und lächelte sie an.

„Also kommen sie. Ich habe noch einen freien Tisch für sie.“ Sie führte sie durch den Raum und Yuki erhaschte hin und wieder einen Blick auf die Teller der anderen Gäste. Es sah alles vorzüglich aus und sie freute sich schon richtig an diesem Ort essen zu können. Anscheinend war der Ruf des ‚Goldenen Glücks’, den es in der Stadt hatte, berechtigt.

Sie führte sie nach rechts und in der hintersten Ecke, hinter einem großen Gebälk versteckt, war noch ein weiterer Tisch für vier Personen. Dort waren sie ein wenig für sich und Yuki begrüßte es sogar. So konnte sie sich besser auf ihr weiteres Gespräch mit Zero vorbereiten, von dem sie noch keine Ahnung hatte, ob es überhaupt stattfinden würde.

Die Frau zündete die Kerzen an und reichten ihnen die Speisekarten.

„Sagen sie, warum ist es heute so voll?“, fragte Aidou, dem die ganzen Menschen nicht sehr behagten. Es hatte zwar brav seine Bluttablette genommen, aber sich wochenlang nur davon zu ernähren, brachte ihm nicht die Erfüllung und diese Menschenansammlung hier und in der ganzen Stadt, stellte seine Willenskraft auf eine harte Probe. Zumal es auch in diesem Teil des Kontinents sehr hübsche Mädchen gab, wie er schon feststellen durfte.

„Am Ende der Woche ist es immer so. Den Leuten gefällt es hier und unsere Küche ist auch ganz gut. Er kann das wirklich gut.“ Beim letzten Satz bis sie sich kurz auf die Zunge und hoffte, das es keiner von ihnen bemerkt hatte, doch Kain sah sie misstrauisch an.

„Ich schicke ihnen dann jemanden, der ihre Bestellung aufnimmt.“, sagte sie noch freundlich und ging dann zu den anderen Gästen.

Ein paar Minuten blätterten sie in den Speisekarten und es fiel Yuki schwer sich für eines zu entscheiden. Vor jedem Gericht stand eine Nummer und Yuki fragte sich, was das wohl zu bedeuten hatte. Aidou war der erste von ihnen, der seine Karte wieder zu klappte und sich zurücklehnte.

„Was nimmst du?“, fragte Kain ihn und Yuki hörte aufmerksam zu. Sie selbst konnte sich nicht so recht, zwischen der Ente und dem Fisch entscheiden. Oder doch lieber vegetarisch?

„Ich nehme das, das, das, das und... das.“, sagte Aidou und deutet auf fünf Gerichte auf vier unterschiedlichen Seiten. Yuki musste kurz grinsen. Was hatte sie auch anderes erwartet?

„Hallo, haben sie schon entschieden?“, hörten sie nun eine neue Stimme. Sie war sehr freundlich, beinah glücklich, sie bedienen zu dürften und glockenklar.

„Ich hätte gern das...“ Yuki schaute auf um die Kellnerin anzusehen und war äußert überrascht, als sie das Kind vor sich stehen sah. Wieder grinste es sie breit an und zeigte eine Reihe weißer Zähne, die fast perfekt waren, wäre sie nicht von einer Zahnlücke in der hintersten Ecke unterbrochen worden. Die Augen strahlten in einem solchen Grün, dass es Yuki an Smaragde erinnerte und ihr blondes Haar fiel wie fließendes Gold, über ihre Schultern. Jetzt da sie das Mädchen bei mehr Licht sah, war sich Yuki mit dem Alter nicht mehr ganz so sicher.

„Oh... Du?“, sagte Yuki überrascht. Über dem Gespräch mit Zero hatte sie es ganz vergessen.

„Hallo.“, sagte sie noch einmal, als würde sie Yuki kennen.

Aidou bekam von all dem nichts mit.

„Also, ich nehme die den Fisch, auf dem Gemüsebett, das Huhn mit-“

„Bitte sagen sie mir die Nummer.“, unterbrach das Mädchen ihn und Aidou schaute sie irritiert an.

„Vor den Gerichten stehen Nummern und die schreibe ich auf.“, erklärte sie in einem belehrenden Ton.

„Und der Koch, weiß dann auch, was ich will?“, fragte Aidou zweifelnd und Yuki sah aufmerksam von ihm zu dem Mädchen. Anscheinend fand sie seine Frage amüsant, denn sie kicherte kurz.

„Natürlich.“, sagte sie im Brustton der Überzeugung.

„Meinetwegen. Hauptsache, ich bekomme endlich etwas zu essen. Ich nehme dann also die 20, die 35, die 44, die 54 und zum Nachtisch, die 101.“, zählte er auf.

Das Mädchen kicherte wieder und langsam sah Aidou sie ebenfalls misstrauisch an. Machte sie sich etwa über ihn lustig?

„Warum lachst du?“, fragte er sie scharf.

„Ich frage mich, ob du das alles schaffst.“, antwortete sie ehrlich und sah ihm direkt in die Augen.

„Das ist ja wohl mein Problem!“, giftete Aidou zurück.

„Lass gut sein Hanabusa.“, mahnte Kain ihn. „Ich hätte gern, die 33 und einen Rotwein. Halbtrocken.“, gab er noch Anweisung.

Das Mädchen notierte sich alles und sah dann zu Yuki, die sie die ganze Zeit beobachtet hatte.

„Ich nehme die 40...“, sagte sie und hatte sich somit für einen vegetarischen Auflauf entschieden, „und ein Wasser.“ Sie wartete bis sie alles aufgeschrieben hatte, bevor sie ihre nächste Frage stellte.

„Sag mal, ich habe dich heute früh gesehen, also du zur Schule gegangen bist. Der Mann der bei dir war,... Du scheinst ihn gut zu kennen.“

Das Mädchen sah sie aufmerksam an und lächelte erneut.

„Ja.“, antwortete sie und nickte eifrig. Yuki hatte den Eindruck, dass sie die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet hatte, endlich mit ihnen reden zu können. Hatte sie nicht gestern schon immer neugierig zu ihnen herübergesehen?

„Woher denn?“, fragt Yuki und lächelte sie ebenfalls an. Das Mädchen war ihr sehr sympathisch.

„Na, er ist doch mein Papa und du bist Yuki, nicht wahr?“

„Ai, was machst du denn?“, rief eine andere, weibliche Stimme. Das Mädchen drehte sich kurz um, lief dann zum Tresen und verschwand in der Küche dahinter.

Vor Yuki allerdings hatte sich der Boden aufgetan und sie verschlungen.
 

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Dumdidum...

Ich habe wirklich gedacht, ich würde es schneller schaffen meine Kapitel hochzuladen, wenn ich jetzt Ferien habe. Aber irgendwie komme ich trotzdem nicht dazu. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich noch zwei anderen Sachen nebenbei schreiben und dann fehlt es mir hin und wieder an Schreiblust. -.-° Ich hoffe, das legt sich wieder irgendwann...
 

Jedenfalls hoffe ich, dass ihr ein paar Antworten bekommen habt... Nein? Habt ihr nicht? Dann beim nächsten Mal vielleicht. XP (Ich glaub ich vergraul mir grad meine Leser... =.=; )

Außerdem kann ich nur hoffen, dass dieser Cliff nicht so fies, wie der letzte ist. Wenn doch, dann tut es mir nicht leid. XDDD
 

=.=;

Ich glaub, ich sollte jetzt besser gehen, bevor ich mich noch um Kopf und Kragen rede...
 

Für Kommis bin ich immer dankbar und hoffe doch, ihr last mir das ein oder andere da.^^
 

lg maidlin

Ai

Endlich!

Ich dachte schon, dass wird gar nichts mehr. Irgendwie wollte dieses Kapitel nicht fertig werden. Erst war ich krank und mein Gehirn hat sich verabschiedet, dann hab ich mit Arbeiten angefangen und hatte keine Zeit, dann kam ein Geburtstag dazwischen und und und...

Dabei passiert in diesem Kapitel nicht sehr viel, aber es ist trotzdem wieder so lang. ;_; Ich sollte was an meiner Technik ändern... irgendwie... muss ich mir noch überlegen.
 

Na ja... ich wünsch euch erst mal viel Spaß und wir lesen uns am Ende wieder.^^
 

Maidlin

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Ai
 

„Was...“, bracht Aidou schließlich tonlos als erster hervor. Auf sein Gesicht war genau die gleiche Ungläubigkeit zu sehen, wie in den Gesichtern von Yuki und Kain. Yuki aber, war so blass, wie er sie noch nie gesehen hatte.

„Das... Sie... Ihr Pa...pa?“, stammelte sie und ihr Körper begann zu zittern. Sie war zutiefst entsetzt.

„Yuki, beruhige dich bitte.“, sagte Kain mit sanfter Stimme. Er berührte vorsichtig ihren Rücken. „Wir wissen nicht, ob sie tatsächlich... ob er... Es kann auch ein Irrtum sein.“, versuchte er ihr gut zuzureden.

„Aber, ihr... ihr habt es doch auch gehört. Sie hat gesagt, dass... Zero...Zero...“, erwiderte sie mit monotoner Stimme. Ihr wurde schwarz vor Augen. Das konnte einfach nicht sein. Zero sollte ein Kind haben? Das war... Er hatte ein Kind mit einer Frau? Er hatte ein Mädchen – eine Tochter – die Ai hieß? Ai? Zero hatte ein Kind... Die Prophezeiung... ein Hunter und ein Vampir, ein Mensch und ein Vampir... Was, wenn der Hunter kein Mensch mehr ist...

Gedankenfetzen schossen ihr durch den Kopf und doch erschien keiner von ihnen einen Sinn zu ergeben. Sie war sich sicher, dass sie es genau verstanden hatte, dass Ai gesagt hatte, dass Zero ihr... Aber das konnte nicht sein... Nicht Zero... das sollte nicht sein...

„Ja, wir haben es auch gehört, aber das... es muss noch lange nichts bedeuten. Immerhin sprechen wir hier von Zero. Dass er ein Kind hat, halte ich doch für unwahrscheinlich. Wir... sollten sie vielleicht einfach noch mal danach fragen. Immerhin schien sie ja zu wissen, wer du bist.“, sagte nun auch Aidou. Zero und ein Kind! Das würde ja bedeuten, dass er sich mit jemandem näher eingelassen hatte. Nein, das war vollkommen unmöglich. Nicht bei diesem Mann! Er sah seinen Cousin kurz an. Anscheinend hatte dieser Zweifel. Dennoch konnte auch Aidou den Gedanken an die Prophezeiung nicht verdrängen. Sollte sie sich wirklich schon erfüllt haben?

Aidou drehte sich um und sah Ai wieder aus der Küche kommen. Er wollte sie gerade rufen, doch sie ging bereits zu einem der anderen Tische und nahm die nächsten Bestellungen entgegen. Da ihr Tisch recht abgeschieden von denen der anderen Gäste stand, hatte er auch in den kommenden Minuten nie die Gelegenheit ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Eine ganze Weile ging das so und immer wieder sahen sie Ai in der Küche verschwinden oder weitere Bestellungen aufnehmen. Aber sie sah nicht mehr zu ihrem Tisch. Beinah hatte Aidou den Eindruck, dass sie sie mit Absicht ignorierte. Doch all dies rückte etwas in den Hintergrund, als sie nach gut zwanzig Minuten bereits ihr Essen erhielten.

„Da sieht wirklich gut aus.“, bemerke Aidou, dem offensichtlich nichts so leicht den Appetit verderben konnte. „Und es schmeckt auch nicht schlecht.“, sagte er nach dem ersten Bissen.

„Du hast ja auch noch vier Gänge vor dir.“, bemerkte sein Cousin spitz, der ein Schluck von seinem Rotwein nahm.

„Yuki, du solltest auch etwas essen. Wir können momentan nichts weiter tun, als zu warten, bis wir diese Ai oder Zero selbst fragen können...“, sagte Aidou nachdem er ein zweites Mal ausgekaut hatte. „Außerdem... glaubt ihr wirklich, dass er ein Kind hat? Wir reden hier von Zero. Er hat nie jemanden an sich herangelassen und welche Frau würde sich schon mit ihm einlassen wollen? Die hätte doch viel zu viel Angst vor ihm.“

Doch Yuki war längst der Appetit vergangen und sie schob ihr Essen nur am Tellerrand entlang. Sie verzichtete darauf Aidou zu antworten.

Es war wahr, was er gesagt hatte: Zero hatte nie jemanden an sich heran gelassen. Niemanden, außer... Aber warum sollte sich das nicht geändert haben? Warum sollte er nicht jemanden gefunden haben, dem er vertraute? Es wäre wunderbar, wenn es so wäre. Oder etwa nicht? Aber hatte er nicht gesagt, dass er nur ihr Blut... Vielleicht hatte sich das auch geändert? Bei diesem Gedanken verspürte sie kurz einen kleinen Stich im Herzen, doch ihre Gedanken wanderten bereits weiter, bevor sie es überhaupt richtig realisiert hatte.

Warum sollte sich niemand mit Zero einlassen wollen? Yuki kannte niemanden, der so gutherzig und selbstlos war, wie Zero. Zero hatte immer zuerst an andere gedacht. Das hatte sie selbst feststellen müssen. Leider war ihr das erst viel zu spät klar geworden.

Yuki schüttelte leicht verwundert den Kopf. Natürlich kannte sie noch jemanden, der so war wie Zero: Ihren Onii-sama. In gewisser Hinsicht war er Zero sehr ähnlich und doch musste sie zugegeben, dass sie auch sehr verschieden waren.

Yuki hatte es irgendwie geschafft die Hälfte ihrer Portion zu essen und musste nun feststellen, dass an Aidous Platz bereits zwei weitere Gerichte standen. Sie sah kurz auf und genau in diesem Moment sah sie Ai erneut an ihrem Tisch vorbei wirbeln, die eine weitere Bestellung in die Küche bringen wollte.

„Ai!“, zischte Aidou plötzlich und die wenigen umsitzenden Leute, die es gehört hatten, drehten sich verwundert um. Abrupt blieb Ai stehen und schaute ihn ebenso verwundert an. „Ai, wir müssen dich noch etwas fragen, wegen Ze- Ichiru.“, sagte Aidou möglichst leise, so dass die anderen es nicht hörten. Es war besser, wenn er diese Frage nicht einfach so stellte. Das würde sie vielleicht nur misstrauisch machen.

„Ich weiß, dass er Zero heißt.“, antwortete Ai und ein Blitzen trat in ihre grünen Augen.

Jetzt waren es die drei Gäste, die sie erstaunt ansahen.

„Woher?“, fragte Aidou überrascht weiter.

„Er hat es mir erzählt.“, antwortete sie immer noch verwundert. Was für eine andere Antwort sollte es sonst geben?

„Ai, was ist mit der nächsten Bestellung?“, fragte nun die zweite Kellnerin und ihre Stimme klang weitaus ungeduldiger, als zuvor.

„Ich komm gleich wieder!“, rief das Mädchen ihnen noch zu und verschwand hastig in der Küche. Wenige Minuten später verließ sie die Küche wieder und Yuki bemerkte sofort den trotzigen und vielleicht auch wütenden Ausdruck auf ihrem hübschen und jungen Gesicht.

„Wo geht sie hin?“, fragte Kain, als sie sahen, dass Ai die Treppen zu dem oberen Stockwerk hinaufgehen wollte.

Sie sahen, wie sie die ersten drei Stufen hinaufging und es sich dann anscheinend anders überlegte. Sie machte auf einmal kehrt und kam zu ihnen an den Tisch.

„Was war das denn jetzt?“ fragte Aidou sie gleich.

„Er ist gemein! Ich soll ins Bett gehen, dabei bin ich doch noch gar nicht Müde!“, sagte sie trotzig.

Trotz allem musste Yuki leicht schmunzeln.

„Aber es ist doch auch schon spät.“, versuchte Yuki ihr gut zureden. Sie wollte vermeiden, dass Ai vielleicht ihretwegen Schwierigkeiten bekam.

„Trotzdem!“, wiedersprach sie noch einmal und setzte sich auf den vierten Platz, der noch frei war. „Das ist doch nur, weil ihr da seid!“ Sie verschränkte wütend die Arme vor der Brust und musterte sie dann alle drei.

Auch ohne sich anzusehen, hatten Kain, Aidou und Yuki den gleichen Gedanken.

„Er ist wohl nicht sehr erfreut, dass wir hier sind oder?“, fragte Yuki zögerlich.

„Nein. Dabei ist dass doch alles schon so lange her.“, murmelte sie.

Jetzt sahen sie sich kurz an und konnten kaum glauben, was sie da hörten.

„Hat er dir das etwa erzählt?“, fragte Kain erstaunt, bei dem man sonst kaum eine Gefühlsregung sah.

„Ja.“, antwortete sie kurz und so als wäre es etwas ganz selbstverständliches.

„Und du weißt, wer wir sind? Alle drei?“, fragte Aidou genauso erstaunt weiter.

Sie sahen, wie Ai sie einen Moment musterte und dabei offensichtlich nachdachte. „Ihr seht euch ähnlich, als müsst ihr Kain und Aidou sein.“, antwortete sie mit einem Grinsen. „Ja und du bist Yuki.“, hänge sie hinten an. Sie sah noch einmal grinsend in die Runde doch dann erstarb es auf einmal.

„Was ist denn jetzt los?“, fragte Aidou neugierig. Dieses Kind war seltsam und er wusste noch nicht, ob er sie sie mögen sollte oder nicht. Momentan tendierte er eher zu letzerem.

„Du hast ihn betrogen.“, sagte sie mit einem festen Ausdruck im Gesicht und ernsten Augen direkt an Yuki gerichtet. Beides erlaubte keinen Zweifel an ihren Worten.

Yuki sah sie entsetzt an. Ihre Worte hatten sie vollkommen unvorbereitet getroffen. Vergessen war plötzlich die Sache, die sie bis zu diesem Moment so sehr erschüttert hatte.

„Was... Wie...“, stammelte Yuki, die nicht wusste, womit sie diese offensichtliche Feindseligkeit verdient hatte. Wie kam sie dazu so etwas zu sagen? Was erlaubte sie sich eigentlich? Dieses Mädchen kannte sie nicht. Sie hatte nicht das Recht so mit ihr zu reden? Sollte Zero ihr so etwas erzählt haben? Das konnte sie sich kaum vorstellen und doch... Sie wusste, wie sehr er hasste, was sie war. Aber sie hatte gedacht, er hätte es verstanden. Sie war so geboren wurden. Sie war schon immer ein Vampir. Sie hat ihn nicht betrogen, dachte Yuki beinah verzweifelt.

„Ich bin, wer ich bin.“, antwortet sie schließlich. „Ich bin als...“, sie brach ab und verstummte. Wusste Ai, was sie waren? Hatte ihr Zero wirklich davon erzählt? Das konnte Yuki nicht recht glauben. Warum sollte Zero das tun? Um sie zu beschützen, würde er ihr doch nicht die ganze Wahrheit sagen. Vielleicht hatte er Ai auch nicht erzählt, was sie waren. Also schwieg sie und senkte den Blick. „Das ist kompliziert. Ich bin so geboren worden. Ich war schon immer so.“, flüsterte sie und sprach eher zu sich selbst.

„Was? Dass du ein Vampir bist? Denkst du, das meinte ich damit?“, fragte Ai gerade heraus und die drei Erwachsenen am Tisch erschraken abermals. Aufmerksam sah sich Kain kurz in der Gaststube um. Offenbar hatte niemand Ais unbedachte Worte gehört.

„Du weißt was wir sind?“, fragte Yuki tonlos und mit einem völlig perplexen Gesichtsausdruck.

„Ja, natürlich.“, antwortete Ai kurz und zuckte gleichgültig mit den Schultern, als wäre es etwas ganz normales mit drei ausgewachsen Vampiren an einem Tisch zu sitzen.

„Zero hat dir auch von Vampiren erzählt?“, fragte Aidou ebenso ungläubig.

„Ja.“

„Warum? Ich meine, dass... So etwas erzählt man doch nicht einem Kind oder?“, wollte Aidou von den anderen wissen, nur um sicher zu gehen, dass sein Verständnis von Kindererziehung doch nicht so verkehrt war – zumindest sein theoretisches.

Ai kaute leicht auf der Unterlippe und achtete aber nicht weiter auf seine Frage.

„Aber so meinte ich das vorhin gar nicht.“, sagte sie unvermittelt und Yuki brauchte einen Moment um ihr wieder folgen zu können.

„Wie meintest du es dann?“, fragte sie schwach und konnte einen winzigen Funken Hoffnung in sich fühlen. Es war bestimmt alles ein Missverständnis. Wahrscheinlich hatte sich Ai einfach nur verhört, hatte etwas falsch verstanden oder sich auch einfach nur falsch ausgedrückt. Ganz bestimmt war es so.

„Weißt du das denn nicht?“, fragte Ai nun Yuki und sah sie aus großen, grünen, ungläubigen Augen an.

Diese schüttelten den Kopf. Yuki fühlte sich immer unwohler. Sie hätte vielleicht gar nicht erst an diesen Ort kommen sollen, sie hätte vielleicht gar nicht erst mir Ai reden sollen, aber von dem Kind ging etwas aus, was sie faszinierte. Ihre Unerschrockenheit?, überlegte Yuki, als sie Ais Blick erwiderte.

„Ai, was meintest du denn damit? Wie habe ich ihn betrogen? Bitte sag es mir.“, versuchte sich Yuki nun zusammenzureisen. „Ich versteh nämlich wirklich nicht, was es bedeuten soll.“ Vor ihr saß ein Kind, nichts weiter. Nur ein Kind, von vielleicht einmal dreizehn Jahren, wahrscheinlich wesentlich jünger. Sie sollte sich nicht von ihren Worten einschüchtern lassen.

Ai sah kurz zweifelnd von einem zum anderen und biss sich nervös auf die Lippen. „Ich weiß nicht, ob ich es erzählen darf. Er wäre bestimmt sehr böse.“, sagte sie kleinlaut.

„Wer? Zero? Dass ist er auch so.“, antwortete Aidou gerade heraus und Ai musste daraufhin kichern. Doch sobald es verstummte, wurde sie wieder ernst und sah scheinbar in Gedanken versunken auf einen festen Punkt in dem Holzmuster des Tisches. Sie sprach leise und zögerlich und sowohl Yuki, als auch Kain und Aidou mussten sich eine Stück weiter nach vorn beugen, um sie richtig verstehen zu können.

„Er... er meinte mit betrogen nicht, dass du ein Vampir bist. Das hat er schon lange akzeptiert. Er weiß, was du bist, was du immer schon warst. Es ist nur... Er ist... wütend... nein, nicht wütend... Er ist irgendwie traurig... enttäuscht,... ich weiß nicht... weil du einfach...“ Ai machte eine kurze Pause und runzelte die Stirn. Sie versuchte sich angestrengt zu erinnern, was genau ihr Papa gesagt hatte, wie er sich ausgedrückt hatte, aber so richtig wollte es ihr nicht gelingen. „Er hat gesagt, dass... dass... Du bist einfach mit diesem... Reinblut mitgegangen. Einfach so... obwohl er dich die ganze Zeit belogen hat. Ich meine, er wusste doch, wer du warst. Die ganze Zeit hat er gewusst, wer du bist und hat es dir trotzdem nicht erzählt.“, erzählte Ai langsam weiter. „Und dann hat er noch...“

„Er wollte mich beschützen.“, wiedersprach ihr Yuki sofort, ohne sie ausreden zu lassen. Sie würde es nicht dulden, dass jemand so über ihren Bruder sprach. Ihr Onii-sama hatte sie nur beschützen wollen. Er hat selbst jahrelang darunter gelitten, dass sie sich nicht erinnern konnte. „Außerdem heißt mein Bruder Kaname.“

Unbeeindruck sah Ai sie an. „Ich weiß.“, antwortete sie kurz. „Das verstehe ich aber immer noch nicht. Er ist dein Bruder und irgendwie auch nicht... ich weiß nicht. Das hat mir Papa noch nicht alles erzählt.“, sagte Ai verwirrt.

Yuki sah sie irritiert an. Was sollte das heißen, er war ihr Bruder und irgendwie auch nicht. Sie beschloss nicht weiter darauf zu achten. Anscheinend war Ai noch zu jung, um alles zu verstehen. Vielleicht konnte das auch nur jemand der dabei gewesen war.

„Aber stimmt es, dass du ihn liebst?“, fragte das Mädchen nun unvermittelt weiter.

„Ja.“, bestätigte Yuki kurz.

Ai zog die Augenbrauen nach oben und verzog dann das gesamt Gesicht.

„Was sollte das denn?“, war es nun Aidou, der sie fragte.

„Wie kannst du ihn lieben, wo er doch dein Bruder ist?“, fragte sie weiter. „Ich meine, das ist... Papa hat gesagt, dass man das bei euch so macht, aber das ist doch irgendwie... eklig...“, brachte sie schließlich hervor und rümpfte noch einmal die Nase.

„Das geht dich nichts an.“, sagte Aidou sofort, der es als Beleidigung sah, wenn man so über Kaname-sama sprach. Ganz egal, um wen es sich dabei handelte. „Du bist keine von uns. Du wist das niemals verstehen können.“

„Ja.“, erwiderte Ai zu seiner Überraschung und auch Yuki und Kain schauten sie verdutzt an. „Ich bin keine von euch und wenn ich daran denke, dass ich sonst vielleicht meinen Bruder heiraten müsste, will ich das auch gar nicht. Gut, dass ich keinen Bruder habe.“, sagte Ai abschließend. Fassungslos sahen die drei sie an. Wusste dieses Mädchen eigentlich, was sie da sagte? Doch bevor einer von ihnen auch nur die Chance bekam, etwas zu erwidern, redete sie auch schon weiter: „Trotzdem... Mein Papa hat dir nie etwas verschwiegen. Na gut, fast nie... Aber sonst war er immer ehrlich zu dir.“

„Ai, hör mal...“, versuchte es Yuki jetzt geduldig. Sie erkannte, dass es wohl sinnlos wäre mit ihr darüber zu reden. Sie würde immer nur ihren... Zero verteidigen. „Mein Bruder, wollte mich nur beschützen. Deswegen hat er mir nichts gesagt. Das hat nichts damit zu tun, dass er es mir nicht erzählen wollte und ganz bestimmt habe ich Zero auch nicht betrogen.“

„Das verstehe ich nicht. Kann ich nicht jemanden besser beschützen, wenn er weiß, dass er beschützt wird und vor allem, wovor ich ihn beschützen will?“, fragte Ai sie und legte den Kopf ein wenig schief. „Wenn ich nicht weiß, dass ich beschütz werde, wie kann ich denen die mich beschützen dann helfen? Wie kann ich mich dann beschützen lassen? Ist die Gefahr dann nicht viel größer, dass etwas Schlimmes passiert? Sollte man dann einfach nur zusehen und warten? Sollte man anderen einfach die Arbeit überlassen? Ich weiß nicht, ob ich das wollen würde.“, sagte Ai nachdenklich.

„Aber, dass...“, wollte Yuki wiedersprechen, doch sie fand kein richtiges Gegenargument und schon gar keine Antworten auf all die Fragen. Ais Worte waren nicht falsch und je länger Yuki darüber nachdachte, desto logischer erschienen sie ihr. Wenn sie damals gewusst hätte, was geschehen würde, wer ihr Feind gewesen war, hätte sie sich vielleicht darauf vorbereiten können. Alles was geschehen war, hätte vielleicht verhindert werden können. Sie wäre stärker gewesen und Ichiru wäre nicht... Zero wäre nicht... Doch nichts von alle dem war ihr möglich gewesen. Sie hatte nichts gewusst. Niemand hatte es ihr gesagt und als sie sich dann hatte erinnern können, als sie wusste gegen wen sie kämpfen musste, war es bereits zu spät gewesen.

„Ihr habt nicht, dass Recht dazu, so etwas zu sagen.“, sagte Aidou barsch. „Weder du noch Zero. Es war nicht Kaname-sama, der Yuki ihre Erinnerung genommen hat. Außerdem bringt es heute nichts mehr über Eventualitäten zu reden. Es ist so geschehen und niemand kann es mehr ändern.“

Ai warf ihm einen bösen Blick zu und streckte ihm die Zunge entgegen.

„Du freches, kleines...“

„Lass gut sein, Aidou.“, unterbrach ihn Kain, bevor dieser seinem Ärger Luft machen konnte.

„Sag mal, Ai, du hast vorhin gesagt, dass Zero dein Papa ist. Stimmt das denn?“, fragte er sie weiter.

„Ja, natürlich.“, antwortete Ai prompt und niemand konnte noch einen Zweifel daran hegen.

Yuki schluckte heftig. Bis gerade eben hatte sie diese Frage weit in den hinteren Teil ihres Geistes bannen können. Sie hatte noch hoffen können, dass es nicht wahr war, dass sich Ai vielleicht nur einen Spaß erlaubt hatte. Aber es war wahr. Zero hatte ein... er hatte... er war... Yuki war nicht in der Lage, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Etwas daran erschien ihr gänzlich falsch zu sein, doch sie wusste nicht genau was es war.

„Ich hätte nie gedacht, dass Zero ein Kind haben würde.“, sagte Kain ehrlich. „Er als... Vater... Selbst der Gedanke, ist ein wenig befremdlich.“

„Wieso?“, fragte Ai und sah sie aus großen, neugierigen Augen an.

„Na ja... er war immer ziemlich launisch und nicht sehr... freundlich zu anderen.“, murmelte Aidou. Selbst ihn hatte diese Bestätigung schockiert.

„Ich weiß, was ihr meint.“, stimmte sie ihnen glucksend zu. „Aber zu mir ist er immer nett.“

„Was ist denn mit deiner Mutter?“, fragte Yuki leise. Vielleicht war es ja wirklich die Wirtin dieses Hauses? Sie hatten noch nicht den Wirt gesehen. Möglicherweise hatten sie und Zero...

Doch die Veränderung in Ais Gesicht, überraschte Yuki noch einmal. Sie wirkte plötzlich zutiefst traurig.

„Sie ist tot.“, murmelte sie dann so leise, dass Yuki nicht wusste, ob sie es richtig verstanden hatte. Doch die zusammengesunkene Gestalt auf dem Stuhl vor ihr, bestätigtes es.

„Das tut mir sehr leid.“, sagte Yuki sanft und meinte es auch so. Gleichzeitig fragte sie sich, wie es wohl geschehen sein mochte. Aber sie wusste auch, dass es nicht der richtige Zeitpunkt zum Nachfragen war.

„Danke.“, flüsterte Ai, schüttelte gleich darauf den Kopf, so als wollte sie die traurigen Gedanken abschütteln. „Ich habe ja noch Papa,...“

Einen Moment herrschte Schweigen am Tisch, bis Ai aufsah und sie nun wieder neugierig anschaute.

„Warum seid ihr eigentlich hier?“, fragte sie.

„Wir...“, begann Yuki zögerlich und wusste nicht genau, wie viel sie Ai sagen sollte. „Ich wollte Zero bitten uns bei einer Sache zu helfen, aber er hat abgelehnt.“, sagte sie traurig. „Außerdem gibt es ein paar Leute, die sich um ihn Sorgen machen. Wir haben schon lange nichts mehr von ihm gehört und wir wollte wissen, wie es ihm geht.“

„Ihr habt euch auch Sorgen gemacht?“, fragte Ai ungläubig und sah skeptisch zu Kain und Aidou. Wie bereits so oft an diesem Abend, fragte sie sich wieder einmal, wie viel dieses Kind von ihnen wusste. Das alles war so untypisch für ihn.

„Willst du, dass er wieder nach Hause kommt?“, fragte Ai weiter, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Nun ja, es gibt... wie gesagt, es gibt Personen, die sich um ihn Sorgen und die ihn gern wieder sehen würden. Leider, will Zero wohl davon nichts wissen.“

„Mmh...“, machte Ai nachdenklich, „Das glaube ich auch... aber wenn es wichtig ist... Ich kann ihn ja mal fragen.“, schlug sie vor.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Es ist besser, wenn du es lässt.“, wehrte Yuki gleich ab. Sie wollte nicht, dass Zero eventuell noch dachte, sie hätten Ai für irgendetwas benutzt. Denn so, wie er sie momentan sah und behandelte, würde er das glauben, dessen war sie sich sicher.

„Ich frag ihn trotzdem mal. Um was wolltest du ihn denn bitten?“, fragte Ai gleich weiter, ohne auch nur die Gelegenheit zum Widerspruch zu geben.

„Uhm...Das... Ai, du...“, antwortete Yuki hilflos. Irgendwie schien sie das Mädchen zu überfordern. Vielleicht war es aber auch nur, weil sie den Umgang mit Kindern nicht gewöhnt war, sagte sie sich. Und schon gar nicht mit diesem... nicht mit... „Tut mir leid, aber das kann ich dir nicht sagen.“, antwortete sie schließlich und hoffte, dass Ai sich damit zufrieden geben würde. Zu ihrer großen Überraschung tat sie das auch.

„Versteh schon, ich bin ja auch nur ein Kind.“, seufzte sie. „War es das, was du heute Früh mit meinem Papa besprochen hast?“

„Woher weißt du, dass ich mit ihm gesprochen habe?“, fragte Yuki ein wenig überrascht.

„Na, ich hab dich doch gesehen. Heute früh, als er mich zur Schule gebracht hat. Das warst doch du oder nicht? Papa wollte mir nicht auf meine Fragen antworten, aber ich war mir ganz sicher. Wann reist ihr wieder ab?“, erzählte Ai, ohne zwischen den Sätzen einmal wirklich Luft zu holen.

„Übermorgen.“, antwortete Aidou nun statt Yukis. Das Kind strapazierte so langsam seine Nerven. Sie hatten ihre Antwort doch, sie sollten wieder gehen.

„Das wissen wir noch nicht so genau.“, widersprach Yuki und wich Aidous und Kains Blick aus. Auf diese Diskussion würde sie sich später einlassen müssen. „Ich will Zero noch etwas ausrichten, aber ich weiß nicht, ob er mir noch einmal zuhören wird.“

„Ich kann es ihm ja sagen. Mir hört er bestimmt zu.“, sagte Ai mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen, was schon fast ein kleines Grinsen war.

„Ich sagte doch, dass du das nicht tun sollst. Er würde es nur missverstehen.“

„Sicher.“, antwortet Ai und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Niemand will einem Kind etwas erzählen. Immer denken die Erwachsenen, dass man es sowieso nicht verstehen würde, dachte Ai.

„Willst du dann hier bleiben und warten, bis er fertig ist?“, fragte Ai und versuchte die Enttäuschung zu verdrängen.

„Ich weiß nicht... vielleicht... ja... Ich will es wenigsten versuchen.“, antwortete Yuki zögerlich.

„Dann sag ich ihm wenigsten, dass du auf ihn wartest.“

„Aber Ai...“

„Was denn? Er wird es sowieso merken.“, antwortete sie etwas bissig.

„Ja, aber...“

„Ich sag es ihm.“, sagte Ai entschieden und wollte sich gerade umdrehen, als Frau Sayuka plötzlich direkt hinter ihr stand.

„Ai, was machst du denn noch hier? Du solltest doch schon längst im Bett sein.“, schimpfte sie gleich mit ihr, während sie Aidou seine Dessert und somit letzten Gang hinstellte. „Bitte entschuldigen sie. Ich hoffe sie hat sie nicht belästigt.“, wandte sie sich dann an ihre drei Gäste.

„Nein, das ist schon in Ordnung. Sie war eine sehr... interessante Unterhaltung.“, antwortete Yuki und wusste nicht, wie sie es anders bezeichnen sollte.

„Ich will Papa nur schnell noch was sagen und dann geh ich auch ins Bett.“, sagte Ai schnell und versuchte sich an der Wirtin vorbeizudrücken.

„Kommt gar nicht in Frage. Du solltest schon seit einer dreiviertel Stunde im Bett sein. Hast du mal auf die Uhr gesehen? Was immer es ist, es kann auch bis morgen warten oder ich richte es ihm aus.“, sagte sie entschieden und ihre Worte duldeten eigentlich keinen Widerspruch.

„Aber ich soll ihm doch, was von ihr...“

„Keine Wiederrede. Du gehst ins Bett.“,

„Das ist so gemein!“, beschwerte sich Ai und ging aber bereits Richtung Treppe. „Immer muss ich ins Bett! Nie darf ich so was machen!“, hörten sie sie noch schimpfen, als sie die ersten Stufen nach oben nahm.

„Es tut mir wirklich sehr leid. Ich hoffe sie hatten keine Unannehmlichkeiten. Sie weiß eigentlich, dass sie die Gäste in Ruhe lassen soll.“, entschuldigte sich Frau Sayuka noch einmal.

„Schon gut.“, sagte Yuki unruhig und lächelte zaghaft.

„Ich nehme an, sie wollen noch einmal mit ihm reden?“, fragte Frau Sayuka nun Yuki und diese wurde sofort verlegen.

„Das... Nun ja... Ich...“

„Er muss ihnen sehr wichtig sein.“

Überrascht sah Yuki sie an. Ihre Worte hatten nicht wie eine Frage geklungen, sondern vielmehr wie eine Feststellung. Eine, die Yuki nur bestätigen konnte.

„Ja, das ist er.“, sagte sie deswegen.

„Ich werde es noch einmal versuchen. Möchten sie aber noch etwas zu trinken?“

Alle drei verneinten und Frau Sayuka verschwand wieder hinter der Tür, die zur Küche führte. Yuki spürte die Blicke Kains und Aidous auf sich liegen, vermied es aber noch immer sie anzusehen. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Zu große Angst hatte sie vor den möglichen Antworten. Sie atmeten einmal tief ein und aus. Sie würde es erst glauben können, wenn sie es von ihm selbst gehört hatte. Eher konnte sie es einfach nicht akzeptieren.

„Wir hätten sie fragen sollen, wer ihre Mutter war.“, sagte Aidou, noch bevor er einen ersten Löffel seines Desserts aß.

„Denkst du, sie war ein Mensch?“, fragte Kain zurück und Yuki und Aidou wussten genau, was er damit meinte.

„Könnte sein. Aber auch wenn nicht... allein schon die Tatsache, dass er überhaupt ein Kind hat, ist einfach... Das glaubt uns doch niemand.“, sagte Aidou noch immer vollkommen ungläubig über diese Tatsache. Allerdings hielt ihn das nicht davon ab, sein Parfait zu genießen.

Yuki äußerte sich nicht dazu. Am liebsten wollte sie das alles gar nicht wissen. Hätte sie doch nie nach ihm gesucht, ging es ihr durch den Kopf. Aber dann hätte sie nie erfahren, dass es ihm gut ging und dass er endlich ein normales Leben führen konnte. Aber sie hätte auch nie erfahren, dass er eine Tochter hat. Ihr Zero hatte ein Kind. Selbst, wenn sie es noch nicht aus seinem Mund gehört hatte, so musste sie es akzeptieren. Doch warum konnte sie sich nicht für ihn freuen? Ai gehörte genauso zu diesem - anscheinend doch recht friedlichem und normalen - Leben. Sollte sie dann nicht umso glücklicher für ihn sein? Sollte sie nicht froh sein, dass er jemanden gefunden hatte, dem er offenbar vertraute oder vertraut hatte? Warum fiel ihr das so schwer? Und könnte Ai wirklich besagtes Kind sein, das ihren Untergang bringen würde? Sie wünschte es wäre nicht so und doch konnte sie die Tatsachen nicht verdrängen.

„Ai ist kein Vampir.“, sagte sie schließlich leise. „Es fühlt sich nicht so an.“ Sie hatte bei Ai nicht die geringste Präsenz eines Vampirs spüren können. Wäre sie wirklich Zeros Tochter aus einer Verbindung mit einem anderen Vampir, hätten sie drei es bemerken müssen. Demnach konnte es nur eine Erklärung geben – wenn Zero wirklich ihr Vater war. Ihre Mutter musste ein Mensch sein und das würde bedeuten, dass sich ein Teil der Prophezeiung bereits erfüllt hatte... Yuki schluckte heftig. Der Gedanke daran ließ sie erschaudern. Andererseits... hieß nicht eine Zeile ‚In Liebe, statt Hass vereint‘? Wieso sollte Zero einen Menschen gehasst haben?
 

Die Wirtin betrat die Küche, stellte die Teller ab und ging dann zu Zero.

„Ich habe sie jetzt ins Bett geschickt.“, sagte sie zu diesem, als sie ihm über die Schulter sah.

„War sie etwa immer noch hier unten?“, fragte er, ohne seinen Blick von den Apfelringen zu nehmen, die er gerade in der Pfanne kandierte.

„Ja, sie saß bei unseren Gästen.“, antwortete Frau Sayuka.

„Bei welchen?“, wollte Zero nun scheinbar uninteressiert wissen, doch er ahnte es bereits. Das Kind war einfach zu neugierig! Bereits vorhin war sie zu aufgeregte gewesen, als sie ihm erzählt hatte, dass Yuki im Gasthaus war und sie mit ihr gesprochen hatte. Wäre das Lokal nicht zu voll gewesen, dann hätte er sie gleich ins Bett geschickt. Aber er hätte wissen müssen, dass sie sich nicht an sein Verbot halten würde. Er konnte nicht verstehen, warum Yuki schon wieder da war. Waren seine Worte am Morgen nicht deutlich genug gewesen?

„Bei der Frau, die auch schon gestern nach dir gefragt hat.“, antwortete sie ihm und versuchte sein Gesicht zu lesen, doch offensichtlich war diese Antwort keine Überraschung für ihn. Als er nichts darauf erwiderte, sprach sie weiter. Vielleicht könnte sie ihm gut zureden.

„Zero, sie möchte gern mit dir sprechen. Es scheint wirklich wichtig zu sein.“

„Das hat sie heute Früh schon getan. Es gibt nichts mehr zu sagen.“

„Anscheinend aber doch. Sie hat noch etwas auf dem Herzen, das kann ich sehen. Sonst wäre sie wohl nicht noch einmal hierher gekommen.“

Zero nahm die kandierten Apfelringe aus der Pfanne und legte sie im Kreis angeordnet um drei Kugeln Vanilleeis. Dann träufelte er den Rest des kandierten Zuckers über das Eis und wischte den Rand des Tellers ein wenig sauber.

„Das hier kann raus.“, knurrte er. Wie deutlich sollte er noch werden? Er wollte sie hier nicht sehen und schon gar nicht mit ihr reden.

Frau Sayuka nahm den Teller. Sie wusste, dass sie sich beeilen musste, da das Dessert warum bei den Gästen ankommen sollte, doch sie konnte es auch nicht glauben, dass er so hart bliebe.

„Zero, bitte. Ich denke nicht, dass sie dir oder Ai etwas Böses will. Was immer zwischen euch passiert ist, es ist schon ein paar Jahre her. Du solltest ihr zuhören und wenn es nur ist, damit sie schneller wieder geht.“

Unsanft legte Zero das Messer beiseite. „Ich denk darüber nach, zufrieden?“, fragte er gereizt.

„Ja.“, antwortete sie kurz und nahm dann den Teller, um ihn zu dem Gast zu bringen.

Was könnte sie noch von ihm wollen? Er hatte sich zu der Prophezeiung bereits geäußert und würde seine Meinung auch nicht ändern. Das sollte Yuki ganz genau wissen. Was also wollte sie dann noch? Was immer es war, es sollte ihn nicht mehr interessieren. Er hatte mit seinem alten Leben schon lange abgeschlossen und er hatte nicht die Absicht, sich wieder damit auseinander zu setzen. Er wusste nicht, ob er das noch einmal konnte.
 

Yuki wartete die ganze Zeit auf eine Antwort von Zero. Sie wollte nur noch einmal mit ihm reden. Sie hatte so viele Fragen zu denen sie Antworten brauchte und dann war da noch der eigentliche Grund, warum sie mit ihm sprechen wollte. Sie würde so lange bleiben, bis sie ihre Antworten bekommen hatte und bis er sie angehört hatte. Ganz gleich, was Kain oder Aidou dazu sagen würden. Ja, ganz gleich, wie ihr Onii-sama vielleicht reagierte.

Doch immer wieder ging die Wirtin an ihren Tisch vorbei, ohne eine Nachricht zu überbringen. Mit fortschreitender Stunde verließen dann auch immer mehr Gäste das Lokal, bis sie schließlich die einzigen waren. Als Yuki auf die Uhr sah, war es bereits nach Elf. An diesem Abend würde sie wohl kein Gespräch mehr mit ihm bekommen.

„Yuki, wir sollten langsam gehen. Er wird dir nicht zuhören. Wir müssen anders herausfinden, ob Ais Mutter wirklich ein Mensch war. Wir können eigentlich nur Ai fragen und müssen ihren Worten glauben. Von Zero werden wir nichts erfahren.“, redete Aidou auf sie ein. Im nächsten Moment kam auch schon die Wirtin auf sie zu.

„Es tut mir leid, aber wir würden jetzt gern schließen. Es tut mir wirklich sehr leid.“, entschuldigte sie sich und Yuki wusste was sie meinte.

„Endlich Feierabend!“, hörten sie plötzlich eine fremde, brummige Männerstimme. Der dazugehörige Mann kam nun aus der Küche und streckte sich. Dazu gähnte er kräftig. Er hatte eine Schürze umgebunden, die eindeutig darauf hinwies, dass er ebenfalls in der Küche gearbeitet hatte.

„Oh, wir haben ja noch Gäste.“, sagte er dann überrascht, als er Yuki, Kain und Aidou bemerkte.

„Bitte entschuldigen sie, aber wir wollten gerade gehen. Sie haben es so gemütlich hier und das Essen war so vorzüglich, dass wir ganz die Zeit vergessen haben.“, sagte Kain galant und verbeugte sich leicht.

„Vielen Dank. Aber ich muss mich wohl bei ihnen entschuldigen, dass wir sie so einfach rausschmeißen. Aber bitte haben sie Verständnis, dass wir nach so einem Tag unseren wohlverdienten Feierabend genießen möchten.“, sagte der rundliche Mann, dem sein eigenes Essen ebenfalls zu schmecken schien.

„Sie haben meinetwegen gewartete.“, unterbrach ihn nun eine vertraute Stimme.

„Ichiru?“, fragte der Koch ihn verwundert und wollte gleichzeitig wissen, was das zu bedeuten hatte.

„Sie... sind... Bekannte und wollen mir offensichtlich etwas dringendes mitteilen.“, antwortete Zero ihm. Vollkommen perplex betrachtete Yuki Zero. Wie der Koch trug er ebenfalls eine weiße Uniform und hatte eine nicht mehr ganz weiße Schürze umgebunden. Aber warum?, fragte sie sich. Bei dem älteren Mann konnte sie es noch nachvollziehen, aber bei Zero...

„Du bist hier Koch?!“, platze Aidou nun heraus und Yuki sah ihn erschrocken an. Er zeigte mit dem Finger auf Zero und Fassungslosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Warum klingen sie dabei überrascht? Unser Ichiru ist ein wirklich guter Koch und eine sehr große Hilfe. Ohne ihn hätte ich die letzten paar Jahre wohl nicht überlebt! Sie haben doch selbst gesagt, dass es ihnen geschmeckt hat. Die Hälfte des Lobs geht also auch an ihn.“, lachte der Chefkoch und schlug Zero dabei auf die Schulter.

Mit offenem Mund starrten die drei Zero an. Kain und Aidou dachten, dass sie sich verhört haben mussten. Und wenn nicht, dann konnte das vor ihnen unmöglich Zero Kiryuu sein. Der Zero, den sie kannten hätte doch niemals gekocht! Schon gar nicht für andere! Nur Yuki war nicht so sehr überrascht. Sie wusste, dass Zero kochen konnte und dass dies nichts war, was ihn störte. Aber das er es gleich zu seinem Beruf machen würde? Immer mehr wurde Yuki klar, wie sehr sich Zero verändert haben musste. Sie könnte beinah spüren, wie das alte Vertrauen, was sie am Morgen zwischen ihnen verspürt hatte, wieder kleiner wurde.

„Wollten sie nicht gerade zu Bett gehen?“, sagte nun Zero, der genug davon hatte, angestarrt zu werden.

„Oh, ja!“, sagte der Koch, „Du schließt dann bitte ab. In der Küche ist alles aufgeräumt und die Gaststube machen wir morgen sauber. Nimmst du wieder die Ware an?“

„Ja, natürlich.“, sagte Zero und das Gespräch ließ vermuten, dass er das wohl regelmäßig tat.

„Also dann, ich wünsche ihnen eine erholsame Nacht und wenn sie Bekannte von unserem Ichiru sind, dann sind sie bei uns jederzeit willkommen.“, sagte er noch und legte den Arm um Frau Sayuka. Erst jetzt wurde Yuki und den anderen klar, dass es sich bei dem Koch wohl um ihren Mann handeln musste.

„Danke, aber das wird nicht nötig sein.“, widersprach Zero mit harter Stimme, „Sie werden bald wieder abreisen.“

„Schade. Ich hoffe trotzdem man sieht sich noch einmal.“, sagte Herr Sayuka noch einmal und gähnt erneut.

„Na komm schon. Lass sie in Ruhe reden. Du brauchst deinen Schlaf ebenso. Morgen musst wieder fit in der Küche sein.“, sprach nun seine Frau und schob ihn sanft in Richtung Treppe. „Du hast ja recht, trotzdem ist es doch interessant, mal etwas über ihn zu erfahren. Er spricht doch sonst so wenig über sich.“, sagte er noch, als er mit seiner Frau die Treppen nach oben ging.

Sie sahen den beiden noch einen Moment hinterher, bis Zero sich dann bewegte und die Schürze abnahm. Die weiße Uniform stand ihm gut, wie Yuki feststellen musste und plötzlich schien ihr dieser Gedanke an Zero als Koch, gar nicht mehr so abwegig. Anders, als es noch bei Aidou der Fall war.

„Du kochst?!“, fragte er noch einmal und war noch immer vollkommen verdattert darüber.

Zero verdrehte genervt die Augen.

„Du hättest uns vorhin vergiften können! Wer weiß, was du uns unter das Essen gemischt hast! Und ich hab es auch noch gegessen!“, rief Aidou theatralisch aus. „Ich werde sterben!“

„Wenn ich dich töten wollte, dann hätte ich das schon längst getan. Du kannst dich also glücklich schätzen.“, antwortete Zero scharf. Diese Person war selbst nach so vielen Jahren einfach zu anstrengend für ihn.

„Yuki, was willst du noch?“, richtete Zero sich nun an sie und ignorierte Aidou.

Yuki zögerte einen Moment, war sie doch nun wieder unsicher, wie sie beginnen sollte. „Ich... Ich muss dir noch etwas sagen, aber das ist... Ich möchte mit dir allein darüber reden und ich... ich muss dich auch noch etwas fragen.“, sagte sie wage.

„Das hättest du doch heute Früh machen können.“, antwortete er scharf.

„Da bist du ja einfach so verschwunden!“, wehrte sie sich. So etwas ließ sie nicht auf sich sitzen. Er war es doch, der einfach gegangen ist!

„Es ist mir egal, ob die beiden es hören. Sag, was du zu sagen hast und dann verschwinde endlich.“, erwiderte er unfreundlich und Yuki zuckte bei seinen Worten kurz zusammen. Die Anwesenheit von Kain und Aidou schien ihm noch mehr zu missfallen.

„Es... Es geht um Yagari...Er...“, begann sie zögerlich, wurde aber plötzlich von einem Knarren auf der Treppe unterbrochen.

„Das darf doch nicht wahr sein.“, murmelte Zero und Yuki sah ihn verwundert an. Dann sah sie wieder nach oben zur Treppe und auf der ersten Stufe, die zu sehen war, sah sie jetzt zwei nackte Füße. Sie kamen die Treppe nach unten und Yuki sah bald zwei Beine und dann den Körper. Ai? dachte sie für einen kurzen Moment verwundert.

„Du solltest doch schon längst schlafen.“, sagte Zero etwas gereizt, als er zur Treppe ging und nach oben sah.

„Aber ich kann einfach nicht schlafen.“, sagte sie leise und sah Yuki, Kain und Aidou kurz an. Dann sah sie wieder zu ihrem Vater.

„Ai, geh bitte wieder nach oben und versuch zu schlafen. Es dauert nicht mehr lange und ich komme gleich nach.“, versuchte Zero es in einem geduldigerem Tonfall.

„Hmhm.“, machte Ai und schüttelte den Kopf. „Ich kann wirklich nicht schlafen.“, sagte sie. „Ich habe schlecht geträumt.“, flüsterte sie so, dass es nur Zero verstand.

Dieser sah sie prüfend an. Ihr Gesicht war wirklich etwas blass, aber das konnte auch nur an der Übermüdung liegen.

„Machst du mir eine Schokolade?“ Sie stand vor Zero und sah sie mit ihren großen, grünen Augen an.

„Ai, dass geht jetzt nicht. Warte noch einen Moment.“

„Bitte.“, sagte sie leise. „Ich kann dann auch ganz bestimmt einschlafen. Bitte.“

„Ich kann sie nicht einfach hier unten lassen.“, widersprach er ihr.

„Nimm sie mit.“, antwortete sie gleich. „Bitte, Papa.“ Sie lehnte ihre Stirn gegen seine Brust und Zero haderte mit sich. Ai war vollkommen übermüdet, dass merkte er nur zu gut und in diesem Zustand würde sie nicht eher Ruhe geben, bis sie ihren Willen bekommen hatte. Eine Eigenschaft, die er ihr noch immer nicht hatte abgewöhnen können. Aber vielleicht hatte sie wirklich schlecht geträumt. Dann konnte er sie nicht einfach so wieder ins Bett schicken.

„Also schön.“, rang er sich endlich zu einer Antwort durch. „Aber das wird noch ein Nachspiel für dich haben.“, sagte er an Ai gerichtet.

Diese nickte leicht und sah ihn kurz an. Dann sah sie wieder zu Yuki und lächelte leicht. Zero hob Ai nach oben, damit sie mit ihren nackten Füßen nicht mehr auf dem kalten Holzboden stand.

Mit Schweigen hatte Yuki die Szene verfolgt und ein seltsames Gefühl hatte sich in ihr ausgebreitet. Ein Gefühl, was sie nicht benennen konnte, aber was ihr nicht gefiel.

„Kommt mit.“, sagte Zero knapp und wenige freundlich, als er ihnen deutet ihm nach oben zu folgen. Sie jetzt auch noch in seiner Wohnung zu lassen, widerstrebte ihm noch mehr. Er musste dafür sorgen, dass sie endlich wieder verschwanden.
 

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Ich hoffe bis zum nächste Kapitel dauert es dieses Mal nicht so lange. Das hängt von meiner anderen Geschichte und dem RPG ab. ^^° Aber jetzt hab ich den Dreh mit Arbeiten raus, einen eigenen Internetanschluss und ich bleibe mehrere Wochenenden in meiner Wohnung. Ich sollte also Zeit haben. Nur ob ich dann immer Lust habe ist eine andere Frage. Besonders wenn das Wetter so toll ist und es so langsam um die 35°C in meiner Wohnung werden. *Fenster mit Südseite hat*
 

Bis zum nächste Mal und über ein paar Kommis, würde ich mich natürlich wie immer freuen.
 

lg maidlin
 

PS: Ich weiß nicht mal, ob das Dessert was Zero gemacht hat auch schmecken würde. Hab einfach ausgeschrieben, was mir eingefallen ist.^^°

Ist sie immer so?

Ich glaube ich muss meinen Zeitplan etwas korrigieren. Anscheinend schaffe ich es nur alle drei Wochen oder so ein neues Kapitel hochzuladen.^^ Oder ich schränke meinen Internetkonsum ein, um mich ganz auf die FFs zu konzentrieren. Mal sehen, ob ich das hinbekomme.
 

Erst mal viel Spaß beim Lesen!

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Ist sie immer so?
 

Sie gingen die Treppe nach oben und fanden sich in einem breiten Holzflur wieder. An den Wänden, konnten sie einzelne Bilder von Personen, Landschaften und Stillleben ausmachen.

Zero führte sie den Gang nach rechts entlang, weiter nach hinten. Schließlich blieben sie vor einer Tür stehen. Er drehte den Knauf und die Tür öffnete sich. Als er eingetreten war, setzte er Ai ab und diese lief sofort in den Raum, der sich gegenüber der Eingangstür befand.

Yuki schaute sich verwundert um. Sie stand in einem weiteren Flur, von dem rechts und links jeweils zwei Türen abgingen. Gerade aus befand sich die fünfte Tür, durch die Ai verschwunden war. Die Wände waren in einem hellen, sanften Gelbton gestrichen und das warme Licht verlieh dem Raum zusätzlich wärme. Links und rechts neben der Tür, die wohl in die Küche führte, standen zwei Blumentöpfe, mit prächtigen Pflanzen. Über den zwei Pflanzen hing jeweils ein Bild von Ai, die sie wohl mit verschiedenen Alter zeigte. Rechts gleich neben der Eingangstür bemerkte Yuki einen kleinen Schuhschrank und auf der linken Seite war eine Garderobe für Jacken und Mäntel. Zwischen den beiden Türen zur rechten und linken hingen ebenfalls ein Paar Bilder. Dieses mal scheinbar von Ai selbstgezeichnete. Sie zeigten Blumen und Bäume, aber auch ein paar Tiere – vor allem Hasen konnte Yuki auf jedem Bild ausmachen. Sie war ein wenig überrascht, dass diese Bilder so gut waren. Wenn sie an ihre eigenen zeichnerischen Fähigkeiten in dem Alter dachte, beneidete sie das Mädchen. Ob sie das wohl von Zero hat, fragte sie sich einen Moment.

Sie folgten Zero in die Küche. Auch dort waren die Wände in einem zarten Gelb gestrichen. Die Schränke der Küchenzeile waren aus hellem Birkenholz und die Arbeitsplatte aus einen gemusterten dunkelgrün. Und wenn sie genauer hinsah, erkannte Yuki, dass die zwei Glasscheiben des einen Hängeschrankes, kleine Äpfel als Muster hatten, von denen einige wohl angebissen aussahen.

Der runde, weiße Tisch stand links neben der Tür und es standen vier Stühle darum. Diese waren weiß gepolstert. An der Wand dahinter befand sich ein Regal, mit verschiedenen Tassen und auch Flaschen. In den Flaschen schien etwas eingelegt zu sein, zumindest konnte es Yuki so erkennen. Im Fenster, ebenfalls links in der Wand, standen sechs oder sieben verschiedene Töpfe mit Kräutern, die prächtig gediehen.

„Wow! Ich hätte nicht gedacht, dass du so einen guten Geschmack hast.“, sagte Aidou anerkennend und sprach somit das aus, was die anderen beiden dachten.

Zero sah ihn kurz ausdruckslos an. „Das war ich nicht. Die Wohnung war schon möbliert. Mir ist es doch egal, wie es eingerichtet ist.“, antwortete er knapp.

„Aber mein Zimmer haben wir selbst gemacht.“, sagte Ai sofort und stellte sich nun auf den Stuhl, den sie an den Küchenschrank gezogen hatte.

„Lass mich das machen.“, ging Zero dazwischen. Er öffnete kurz die Schranktür und holte ein rundes Keramikgefäß heraus. „Was ist mit deinen Schulaufgaben? Hast du die schon gemacht?“, fragte er sie, während er nun einen Topf aus dem Schrank holte. Dann nahm er die Flasche Milch, die Ai bereits aus dem Kühlschrank genommen hatte, öffnete sie und goss etwas von der weißen Flüssigkeit in den Topf.

“Hab ich schon. Soll ich sie dir holen?“, fragte sie und rückte den Stuhl zurück.

„Ja, ich sehe es mir gleich noch an.“

Ai rannte schnell aus dem Zimmer und sie hörten eine weitere Tür auf dem Flur aufgehen.

„Du willst jetzt noch, dass sie ihre Hausaufgaben macht?“, fragte Aidou fassungslos. „Du bist grausam.“

Zero warf ihm einen stechenden Blick zu.

„Ach, ja? Es war ihre Idee. Wenn ich sie mir jetzt ansehe und sie keine weiteren Fehler gemacht hat, kann sie das ganze Wochenende genießen, ohne sich noch einmal damit zu beschäftigen.“

„Ähm... hast du etwas dagegen, wenn wir uns setzen?“, fragte Yuki ihn zögerlich. Zero sah sie kurz an.

„Meinetwegen.“, murmelte er wenig begeistert.

Sie setzten sich und Yuki hielt es nun nicht mehr aus und musste endlich eine Bestätigung haben. „Herzlichen Glückwunsch. Ai ist wirklich ein sehr süßes Mädchen.“, sagte sie und versuchte den Klos in ihrem Hals zu herunter zu schlucken.

„Mmh.“, antwortete Zero abwesend, als er die Temperatur der Milch prüfte. Dann öffnete er die Knöpfe seine Uniform und zog sich die Jacke aus. Darunter trug er ein dunkelblaues, langärmliches Shirt.

„Zum Glück hat sie ja anscheinend nicht sehr viel von dir. Sie ist nicht so launisch und sehr viel gesprächiger.“, sagte Aidou und stütze den Kopf gelangweilt mit der Hand ab.

„Was?“, sah ihn Zero verwirrt an.

„Papa, ich kann meine Hausaufgaben nicht finden!“, hörten sie sie auf einmal rufen.

Zero stieß kurz die Luft aus. „Such weiter.“

„Ah!“, rief Ai aus. „Ich hab sie ja im Wohnzimmer gelassen!“

Zero verdrehte die Augen. Bei ihrer Schusseligkeit würde sie noch irgendwann einmal ihren Kopf vergessen. Es war ein Poltern auf dem Flur zu hören und die nächste Tür ging auf. Zero schüttelte kurz den Kopf.

„Ist sie immer so?“, fragte Aidou und wunderte sich einmal mehr, wie Zero eine Tochter haben konnte, die so... aufgeweckt war.

„Ja.“, beantwortete er. „Ihr glaubt sie ist meine Tochter?“

„Ähm... Ja. Sie hat es gesagt. Aber... wie... Stimmt es etwa nicht?“, fragte Yuki und ihr Herz schlug plötzlich schneller.

Zero schwieg einen Moment, während er sich wieder dem Herd zu wandte und die Mich umrührte, um zu verhindern, dass sie anbrannte.

„Nein, ist sie nicht.“, antwortete er schließlich. Und weil er wusste, was die nächsten Fragen sein würden, erzählte er weiter. „Sie und ihre Mutter wurden von zwei Vampiren angegriffen, als ich in der Nähe war. Für ihre Mutter kam mein Eingreifen allerdings zu spät. Ai brachte ich in ein Krankenhaus. Sie haben sie gebissen.“, stieß er zornig aus. „Ein paar Tage ging es ihr so schlecht, dass die Ärzte schon vom schlimmsten ausgingen. Doch sie erholte sich und ich wollte gehen, wenn sie ganz gesund war. Aber sie wollte nicht, dass ich sie allein lasse. Sie hat mich regelrecht angefleht, bei ihr zu bleiben, auch wenn sie wusste, was ich war.

„Ihr Vater muss wohl schon lange tot sein. Sie kann sich kaum an ihn erinnern. Ich wollte es nur auf Probe versuchen, aber bevor ich mich versah hatte sie sich selbst zu meiner Adoptivtochter ernannt. Inzwischen weiß ich, dass jeder Wiederspruch bei ihr sinnlos ist.“

Auch wenn er leicht genervt klang, glaubte Yuki ein Schmunzeln zu hören.

„Du?!“, fragte Aidou fassungslos. „Dass du dich so leicht um den Fingern wickeln lässt!“, sagte er gerade heraus und erntet von Yuki einen bösen Blick. Sie erwartete, dass Zero sich aufregte, doch stattdessen blieb er scheinbar ruhig. Er nahm die dampfende Milch vom Herd und stellte sie auf einen Untersetzer.

„Sie war einsam und... ich kann nachvollziehen, wie sie sich fühlt.“, antwortete Zero kaum hörbar. Dennoch verstanden sie es und sogar Aidou besaß so viel Taktgefühl und erwiderte nichts darauf.

Sie schwiegen und sahen Zero dabei zu, wie er den Deckel von der Dose nahm.

Nun, da Yuki wusste, dass Ai nicht seine leibliche Tochter war, fühlte sie sich auf einmal unglaublich befreit. Es war ihr regelrecht eine schwere Last vom Herzen gefallen. Aber sie verstand selbst nicht, warum sie so dachte. Es war nur wegen der Prophezeiung, sagte sie sich. Ai war nicht das Kind nach dem sie suchten.

„Wie kommt es dann, dass sie keine Angst vor uns hatte? Sie schien doch zu wissen, was wir sind.“, fragte Yuki dann.

Zero sah sie einem Moment an und Yuki wusste, dass er das gleiche dachte, wie sie. Sie selbst war von einem Vampir angegriffen worden und hatte jahrelang unter dieser Angst gelitten. Während er ihr antwortete, holte ein einen Löffel und eine Tasse aus dem Schrank.

„Das Kind hat manchmal eine sehr eigenwillige Art zu denken. Du solltest sie selbst fragen. Ihre Antwort wird dich vielleicht überraschen.“

Yuki schaute verwundert auf. Zero hatte plötzlich in die Dose gegriffen und etwas länglich, schwarzes herausgenommen.

Zero spürte ihren Blick im Rücken. „Was ist?“, fragte er sie angespannt.

Yuki konnte deutlich hören, dass ihm noch immer nicht gefiel, dass sie in seiner Wohnung waren, auch wenn er vielleicht bereitwillig ihre Fragen beantwortet hatte. Er würde sie schnell wieder fortschicken, wenn Ai ihren Kakao hatte und im Bett war, erkannte sie.

„Was ist das für ein Ding?“, fragte sie und deutete darauf. Sie hörte Zero seufzen. War ihre Frage wirklich so... dumm gewesen?

„Eine Vanilleschote. Sie verleiht dem Kakao eine schwache Vanillenote.“, antwortete er ihr. Yuki nickte anerkennend mit dem Kopf. Davon hatte sie noch nie gehört.

„Ich hab sie!“, rief Ai nun aus dem Wohnzimmer. „Ich musste noch einen Satz zu Ende schreiben.“ Wieder hörten sie ein Poltern und wie Ai in die Küche rannte.

„AU!“, schrie sie plötzlich, so das alle zusammenzuckten.

„Aua.“, jammerte sie, als sie auf einem Bein in die Küche hüpfte. Die Blätter, Hefte und Stifte warf sie achtlos auf den Tisch und setze sich.

„Die Tür?“, fragte Zero bloß, ohne sich wirklich umzudrehen.

„Jaha... Aua.“, jammerte Ai noch einmal und hielt sich ihren schmerzenden Zeh.

„Da kann ich dich jetzt nicht bedauern. Erstens weißt du, dass du in der Wohnung nicht rennen sollst und zweitens hast du auch ein paar Hausschuhe.“

„Jaha... autsch...“

Yuki konnte dem ganzen nicht ganz folgten. Warum war Zero scheinbar so desinteressiert? Müsste er sich nicht mehr sorgen machen oder passierte das wirklich öfter?

Zero füllte drei Löffel des Kakaos in die Tasse und goss die heiße Mild darüber. Anscheinend hatte er noch etwas Milch übrig, denn er holte eine zweite Tasse aus dem Schrank und wiederholte das Ganze.

„Welche Schokolade, Ai?“, fragte er seine selbsternannte Tochter.

„Vollmilch!“, entschied sie schnell. Yuki sah, wie Zero ein weiteres Mal die Schranktür ganz rechts öffnete und einen Block Schokolade herausnahm. Dann nahm er ein Messer und erzeugte damit kleine Schokoladenraspeln, die in die Tassen fielen. Er nahm beide Tassen und stellte die eine vor Ai und die andere in die Mitte des Tisches.

„Könnt ihr trinken, wenn ihr wollt. Es war noch Milch übrig. Zum wegkippen wäre es zu Schade.“, sagte Zero.

„Danke, sehr gern.“, antwortete Yuki und bemerkte nicht, wie Aidou ihr einen Blick von der Seite zu warf. Sie umfasste die Tasse mit beiden Händen und spürte sofort, wie sich die Wärme von ihren Handflächen durch ihren gesamten Körper ausbreitete.

Ai sprang von ihrem Stuhl auf und jammerte auch schon nicht mehr. Zero setzte sich und Ai fand Platz auf seinem Schoß. Sie nahm ihre Tasse und pustet leicht am Rand, nur um gleich danach tief den Schokoladenvanilleduft einzuatmen. Ganz vorsichtig trank sie einen Schluck.

Zero nahm sich das erste Heft und schlug es auf. „Ich hoffe du hast dieses Mal auch genau hingesehen. In dem Alter solltest du eigentlich in der Lage sein, deine Hausaufgaben allein zu machen.“

„Jaha.“, antwortete Ai gelangweilt.

„Was meint er damit?“, fragte Yuki und als die heiße Schokolade mit dem Löffel umrührte, stieg ihr ebenso der süßliche Duft von Kakao und Vanille in die Nase.

„Na ja, dass... also... ich...“, antwortet Ai zögernd und spielte an dem Henkel ihrer Tasse.

„Ai interessiert die Schule nicht gerade sehr. Sie könnte gute Noten haben, wenn sie nur einmal hinhören würde, was der Lehrer ihr erzählt. Stattdessen starrt sie aus dem Fenster oder malt in ihrem Heften rum und ich darf mir hinterher die ganzen Beschwerden anhören.“, sagte Zero und seine Stimme klang vorwurfsvoll. Man hätte fast meinen können, dass er es auch so meinte, hätte er Ai dabei nicht liebvoll über den Rücken gestrichen.

„Jaha.“, sagte Ai wieder und verdrehte genervt die Augen. „Was kann ich dafür, wenn es so langweilig ist. Wofür brach ich das überhaupt mal?“

„Ai, nicht schon wieder diese Diskussion“, ermahnte Zero sie und dieses Mal meinte er es auch so.

„Mmh.“, brummte sie und nahm noch einen Schluck. „Aber dieses Mal habe ich wirklich genau hingesehen. Ganz bestimmt!“

„Das werde wir ja gleich sehen.“, antwortete Zero. Yuki linste über den Rand ihrer Tasse hinweg, ebenfalls in das Heft. Anscheinend war das gerade Mathe. Sie konnte nur zu gut verstehen, warum Ai sich nicht sehr dafür interessierte. Etwas Langweiligeres gab es wohl kaum. Yuki beobachtete Zero, wie er die Zeilen überflog. Ai hatte sich an seine Schulter gelehnt, die Tasse noch in der Hand und schaute ebenfalls in das Heft. Wahrscheinlich in der Hoffnung, auch wirklich keine Fehler gemacht zu haben.

Während Yuki nun selbst von ihrer Schokolade trank – die ihr wahnsinnig gut schmeckte und von der sie augenblicklich dachte, nie mehr ohne Leben zu können – bemerkte sie die Stille, die eingetreten war. Es war kein beklemmendes Schweigen, sonder eher friedlich.

Diese Idylle überraschte sie. Zero schien im Moment, da Ai bei ihm war, entspannt zu sein. Was für einen Einfluss dieses Kind doch auf ihn hatte, dachte Yuki verblüfft. Oder ließ er sich auch einfach nur nichts anmerken? Sie hatte nicht den Eindruck gehabt, dass er sehr erfreut darüber war sie noch einmal zu sehen, geschweige denn sie mit in seine Wohnung zu nehmen. Aber auch das hatte er hauptsächlich wegen Ai getan oder nicht? Sie schien ihm wirklich sehr viel zu bedeuten, überlegte Yuki und wusste nicht so recht, ob ihr dieser Gedanke gefiel. Sie fühlte sich merkwürdig dabei, konnte es sich aber nicht so recht erklären.

Kain und Aidou erging es ähnlich. Sie konnten einfach nicht begreifen, was sich gerade vor ihren Augen abspielte. Vor ihnen saß Zero Kiryuu, mit einem Kind auf seinem Schoß – was nicht einmal sein eigenes war – und war so... liebvoll und zärtlich zu dem Mädchen. Keiner der beiden hätte ihm so etwas jemals zu getraut und schon gar nicht in ihrer Anwesenheit. Kaname würde ihnen niemals glauben, wenn sie ihm davon berichteten. Sollte dieses Kind wirklich eine solche große Veränderung bei dieser Person hervorgerufen haben. Warum gerade dieses Kind? Wegen ihrem Schicksal? Weil es dem seinen ähnlich war?

Zero legte das erste Heft beiseite und nahm sich das Nächste vor.

„Ai, kann ich dich etwas fragen?“, begann Yuki schließlich zögerlich.

„Ja, was denn?“, fragte diese sofort neugierig zurück.

„Zero hat uns vorhin erzählt, dass du... dass deine Mutter und du...“ Zero sah auf und sah Yuki eindringlich an. Sie sollte ihre Worte sorgfältig wählen. „Er hat uns erzählt, was damals passiert ist, wie ihr euch... kennengelernt habt. Wir haben uns nur gewundert, warum die keine Angst vor uns hattest, wo du doch... Ich meine...“

Ai sah zu ihrem Papa und dieser nickte ihr kurz zu.

„Warum sollte ich? Mein Papa ist auch ein Vampir.“, erwiderte sie kurz. „Er ist nett.“

„Aber nicht alle Vampire sind nett und du konntest nicht wissen, was wir wirklich hier wollten oder?“, warf Aidou ein.

Yuki erinnerte sich nur zu gut an ihre eigene Kindheit. Sie wurde damals von ihrem Onii-sama gerettet. Er war der einzige Vampir vor dem sie keine Angst gehabt hatte. Müsste es dann nicht bei ihr genauso sein?

„Ich weiß, dass nicht alle Vampir nett sind.“, antwortete Ai und ihre Stimme klang ein wenig trotzig. „Aber... aber...“ Noch einmal sah sie zu Zero und Yuki wunderte sich ein wenig.

„Du kannst es ruhig sagen. Bei mir hast du doch auch nicht gezögert.“, sprach er, ohne von dem Heft aufzusehen.

„Menschen sind auch nicht immer nett.“, antwortete sie und Yuki, Kain und Aidou sahen sie verblüfft an.

„Was meinst du damit?“, fragte Kain etwas irritiert.

„Na, nicht nur Vampire tun Menschen weh. Auch Menschen verletzten Menschen oder... töten sie. Aber deswegen sind doch nicht alle Menschen schlecht oder?“

Sprachlos sahen die drei sie an. Ihre Worte waren so wahr, dass es darauf nichts anderes zu erwidern gab.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Yuki, die noch immer nicht glauben konnte, was sie gerade aus dem Mund dieses Kindes gehört hatte.

Ai zuckte mit den Schultern. „In der Zeitung steht auch immer etwas drin. Verbrechen meine ich und da werden viele von Menschen begannen. Aber nicht alle Menschen sind böse und wenn es gute und schlechte Menschen gibt, dann kann es doch auch gute und schlechte Vampire geben.“

„Aber das kannst du doch gar nicht vergleichen.“, widersprach Aidou. „Wir Vampire unterscheiden uns vollkommen von den Menschen. Wir...“

„Nein, tut ihr nicht!“, wiedersprach sie etwas zu hitzig und beugte sich vor, so dass er Kakao in ihrer Tasse gefährlich zu schwanken begann.

„Wie bitte?!“, fragte Aidou ungläubig.

„Ihr trinkt nur Blut. Aber das ist auch alles, was euch von den Menschen unterscheidet.“, sagte Ai in einem so sachlichen Tonfall, dass Aidou der Mund nach unten klappte. „Ihr esst, wie die Menschen, ihr trinkt wie die Menschen, ihr kocht wie die Menschen und ihr geht wie die Menschen aufs...“

Zero stoppte ihren Vortrag, in dem er ihr die Hand vor den Mund hielt.

„Es reicht jetzt.“, sagte er mit fester Stimme. Doch seine Worte waren nicht so sehr an Ai gerichtet, wie an Aidou, den er scharf ansah.

„Ai, du hast dieses Mal wirklich genau hingesehen und deine Aufgaben gelöst. Ich wünschte das wäre immer so.“, sagte er nun zu seiner Tochter.

„Hab ich doch gesagt.“, murmelte sie und warf Aidou noch einen letzten Blick zu. Dieser schnaubte ärgerlich. Er würde sich doch von einem Kind nichts sagen lassen. Aber gerade als er erneut etwas erwidern wollte, kam ihm Yuki zuvor.

„Ich finde du hast recht, Ai. Es gibt gute und schlechte Menschen genauso, wie es gute und schlechte Vampire gibt. Nur leider... scheint es mehr schlechte Vampire als Menschen zu geben. Du solltest vorsichtiger sein und es... tut mir leid, was mit deiner Mutter geschehen ist.“

Ai nickte kurz, doch dann sah sie Yuki nachdenklich an. „Ich vermisst meine Mami sehr, aber wenn es nicht passiert wäre, dann hätte ich Papa ja nie kennengelernt. Das will ich auch nicht. Irgendwie... hat alles seinen Grund oder etwa nicht?“

Perplex starrten die drei Vampire sie erneut an, während Zeros Mundwinkel sich dabei leicht nach oben zogen. Wenigsten erging es ihm nicht allein so, dachte er.

Aber Ai bemerkte das Verhalten der Erwachsenen um sie herum gar nicht. Sie trank den Rest ihres Kakaos in einem Zug aus, stellte die Tasse ab und wischte sich mit dem Ärmel ihres Schlafanzuges über den Mund.

„Das sollst du doch nicht machen!“, mahnte Zero sie. Ai grinste frech zurück und sprang von seinem Schoß. Zero erhob sich ebenfalls.

„Ab ins Bett mir dir und ich will kein Wort mehr hören. Es ist sowieso schon viel zu spät. Morgen schläfst du wieder bis Mittag.“

„Ja.“, antwortete Ai folgsam und sammelte die Bücher und Hefte vom Tisch ein.

Sie ging voraus und Zero folgte ihr in ihr Zimmer.

Von der Küche aus konnte sie hören, wie Ai die Bücher ablegte und dann unter die Bettdecke kroch. Dann wurde es plötzlich still und nur noch ein Flüstern war zu hören, was sie nicht ganz verstanden. Als nächstes wurde ein Lichtschalter betätigt und eine Tür zugezogen.

Zero trat wieder in die Küchen und die Freundlichkeit und Entspanntheit war augenblicklich aus seinem Gesicht verschwunden.

„Was wollt ihr noch?“, fragte er sie gerade heraus. „Sprecht oder geht gleich.“

Yuki war über seinen schneidenden Ton erschrocken. Sie konnte nicht glauben, dass sich seine Stimmung innerhalb dieser wenigen Sekunden so geändert hatte.

„Was ist?“, fragte er noch einmal und seine Ungeduld war deutlich zu hören.

„Wir wissen nicht worum es geht. Yuki wollte es uns nicht erzählen.“, antwortete Kain trocken, der Zeros Verhalten übertrieben fand.

Zero sah zu Yuki und diese schreckte kurz auf.

„Was willst du mir noch sagen? Was ist mit Yagari?“, fragte er sie.

„Zero bitte, dass... ich kann es dir erklären, aber ich würde es gern mit dir unter vier Augen besprechen. Ich denke nicht, dass du möchtest, dass sie es hören.“, appellierte sie noch einmal an ihn.

Zero schloss die Augen und bemühte sich sehr, ruhig zu bleiben.

„Yuki, ich habe dir heute Morgen bereits zugehört. Warum hast du mir nicht gleich davon erzählt? Wenn du nicht willst, dass die beiden es mitbekommen, kannst du sie fortschicken. Ich werde sie jedenfalls nicht allein mit Ai lassen.“, sagte er so beherrscht wie möglich. Seine Botschaft war klar und deutlich. Er vertraute ihnen nicht und niemals würde er diesen Raum verlassen und sich somit von Ai entfernen.

„Das, Zero ich... Du... Bitte, nicht...“, stotterte Yuki. Wie konnte er so etwas von ihr verlangen? Er wusste doch, dass sie so etwas nicht tat und das sie nicht so war. Niemals würde sie jemandem einen... Befehl erteilen.

„Also gut.“, sagte sie schließlich. Wenn er es so wollte, sollte er es auch so haben. „Zero, was ich dir erzählen wollte war, dass Yagari und der Rektor-“

„Was war das?“, unterbrach Kains Stimmen sie auf einmal und alle Augen richteten sich auf ihn.

„Was meinst du?“, fragte sein Cousin.

„Da war so ein... Es klang wie ein Jammern.“, sagte dieser nachdenklich.

„Du irrst dich. Ich höre nichts.“, sagte Aidou genervt. Konnten sie das hier nicht schnell hinter sich bringen.

„Yagari und der Rektor, sie sind-“, setzte Yuki erneut an und wurde abermals unterbrochen.

„Aua...“, hörten dumpf und alle Köpfe drehten sich zur Tür.

Zero stöhnte kurz auf. „Was ist denn jetzt schon wieder?“, sprach er zu sich selbst und verschwand in Ais Zimmer. Wieder konnten sie Stimmengemurmel hören. Wenige Sekunden später kehrte Zero zurück und setze einen Teekessel auf.

„Was ist mit ihr?“, fragte Yuki verwundert.

„Bauchschmerzen.“, antwortete er einsilbig. „Immer lässt sie sich was anderes einfallen.“, schimpfte er leise vor sich hin.

„Warum das denn?“, fragte Yuki weiter. „Jetzt eben ging es ihr doch noch gut.“

„Ich weiß es nicht. Es ist eben so.“

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er hätte Yuki am Morgen einfach ignorieren sollen, dann säße sie jetzt auch nicht in seiner Küche! Und was mit diesem Kind war, war ihm auch ein Rätsel. Wie konnte sie innerhalb von wenigen Minuten solche Bauchschmerzen bekommen, dass ihr sogar die Tränen in den Augen standen? Normalerweise bekam sie doch nur Bauchweh, wenn sie...

Zero hielt plötzlich inne. Er ging zum Kühlschrank und nahm eine Schüssel heraus, auf der ein Teller zur Abdeckung lag. Dieses hob er an und als er hinein sah, konnte er sich ihre Bauchschmerzen nur allzu gut erklären.

„Das gibt es doch nicht!“, stieß er kurz aus und klang wütend.

„Was ist denn los?“, fragte Yuki neugierig zurück. Sie konnte dem ganzen nicht mehr folgen. Was hatte eine Schüssel mit Ais Bauchschmerzen zu tun und warum war Zero wütend geworden, als er hinein gesehen hatte?

„Sie hat die ganze Schüssel Pudding gegessen!“ Er stellte die Schüssel unsanft in die Spüle und nahm dann eine Wärmflasche aus einem der unteren Schränke.

Als nächstes schaltete er den Ofen wieder aus. Das Wasser sollte nicht zu heiß sein, wenn Ais sich die Wärmflasche auf den Bauch legte.

Er befüllte die Wärmflasche und ging damit in Ais Zimmer.

„Du bist selber schuld.“, hörten die drei ihn schimpfen. „Du weißt ganz genau, dass du von zu viel Schokolade Bauchschmerzen bekommst.“

Ai schien etwas zu erwidern, aber sie verstanden es nicht. Yuki stand auf und ging zur Tür.

„Wo willst du hin?“, fragte Aidou sie sofort.

„Nachsehen,...“, erwiderte sie knapp.

Sie trat auf den Flur und stieß Ais Zimmertür ein wenig auf. Das Zimmer war dunkel und nur der Flur warf ein wenig Licht hinein. Yuki sah Zero auf den Bett sitzen, eine Hand auf Ais Bauch gelegt, den er leicht massierte. Verwunderte blickte Yuki ihn an. War er nicht gerade noch wütend gewesen. Ai drehte leicht den Kopf und grinste sie an.

„Grins nicht so.“, ermahnte Zero sie sofort. Ihr Gesicht wieder ernst und sie schloss die Augen. Zero warf Yuki einen kurzen Blick zu, bevor er weiter sprach.

„Warum hast du gleich den ganzen Pudding gegessen?“, fragte er Ai dann und seine Stimme klang wieder etwas weicher. „Der Pudding war für morgen Mittag gedacht.“

„Er war so lecker und ich wollte auch gar nicht alles essen. Nur eins, zwei Löffel... zum Kosten... Aber ich konnte dann nicht mehr aufhören.“, erklärte sie und sah ihn mit großen Augen an.

„Und dann auch noch eine heiße Schokolade um diese Uhrzeit. Ich hoffe du hast etwas daraus gelernt.“, belehrte er sie weiter.

„Jaha.“, antwortete Ai, aber es klang nicht so, als würde sie es auch so meinen. Zero schüttelte entnervten den Kopf. Eine Weile beobachtete Yuki die beiden. Trotz der Situation wirkte das Bild friedlich. Aber auch das andere Gefühl, was sie vorher schon bei dem Anblick der beiden hatte, beschlich sie erneut - auch wenn es ihr einfach nicht gelingen wollte, es zu benennen. Was hatte es nur zu bedeuten? Sie schüttelte den Kopf um den Gedanken zu vergessen.

Sie stellte fest, dass es ihr Freude machte die beiden zu beobachten. Sie hatte das Gefühl, dass sie eine ganz andere Seite von Zero kennenlernte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass er so ein guter Vater sein würde.

Wie es wohl wäre, wenn sie selbst eine Tochter hätte, überlegte sie.

Sie war über sich selbst überrascht. Bisher hatte sie noch nie diesen Gedanken gehabt, aber nun, da sie Zero und Ai beobachtete, erschien es ihr gar nicht mal so abwegig oder weit entfernt. Die Vorstellung, dass so ein kleines Wesen Mutter zu ihr sagen würde, gefiel ihr und erwärmte ihr Herz.

Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihr Onii-sama das Kind ins Bett bringen würde, wie er sich liebvoll darum kümmern würde, aber seltsamer Weise wollte es ihr nicht gelingen. Kanames Bild verschwand immer wieder und sie sah nur noch sich und das Kind. Doch bevor sie sich weiter darüber wundern konnte, rissen sie Zeros Worte aus ihren Überlegungen.

„Ist es jetzt wieder besser.“, fragte er Ai leise. Er hatte bemerkte, dass Ai immer schläfriger geworden war und nur noch mühsam die Augen offen halten konnten.

Ai nickte kaum merklich. Behutsam erhob sich Zero und legte ihr anschließend die Wärmflasche auf den Bauch. Noch einmal strich er liebvoll über ihre Haare und deckte sie dann zu.

Yuki trat einen Schritt zurück, um Zero Platz zu machen. Dieser zog leise die Tür an, ohne sie zu verließen.

Sie standen sich plötzlich so nah gegenüber, wie es schon lange Zeit her war. Sie blickten einander in die Augen und sahen einander wirklich - ohne Hass, ohne Ungeduld oder Verachtung, sondern so wie sie waren. Es war ein vertrautes Gefühl, welches sich in ihnen ausbreitete und Yuki wollte plötzlich so viele Dinge sagen, die nichts mit dem zu tun hatten, weswegen sie nach ihm gesucht hatte. Doch als sie den Mund öffnete, war dieser Moment auch schon vorbei und Zero wendete sich von ihr ab. Resigniert atmete sie aus und folgte ihm.

„Habt ihr es endlich geschafft?“, fragte Aidou reichlich gelangweilt. Er wollte ins Hotel zurück. Das alles war für ihn nur sinnlose Zeitverschwendung und brachte ihn der Heimat auch nicht wieder näher.

„Yuki, erzähl mir jetzt endlich, was los ist und dann geht.“, ermahnte Zero sie noch einmal, doch er klang nicht mehr ganz so abweisend, sondern eher... Müde?, wunderte sich Yuki. Sie sah auf die Uhr. Es war nach Mitternacht. Für einen Vampir keine ungewöhnliche Zeit, andererseits... Wenn Zero den ganzen Tag gearbeitet hatte, dann war es nur logisch, dass er jetzt zu Bett gehen wollte.

„Das ganze würde viel schneller gehen, wenn du ihr allein zuhören würdest.“, erwiderte Aidou trocken.

„Dann geht doch endlich!“, zischte Zero ihn so leise an, dass Ai auch nicht wieder munter wurde.

„Das können wir nicht. Wir wissen schließlich nicht wozu du...“, ließ er seinen Satz unvollendet.

„Was?“, fragte Zero bissig. „Wozu ich fähig bin? Glaubt ihr wirklich ich würde darauf warten, bis ihr endlich verschwunden seid, wenn ich es darauf angelegt hätte?“ Seine Augen waren kalt geworden und sie wussten plötzlich, dass er es genauso meinte, wie er es sagte.

Aidou und Kain sprangen sofort auf.

„Nein, dass...“, wollte Yuki dazwischen gehen, als Zero sie plötzlich am Arm packte und an sich zog.

„Lass sie los!“, knurrte Aidou.

Yuki sah abermals in Zeros Gesicht und wusste es nicht zu deuten. War das wirklich sein ernst? Wie hatte es so weit kommen können? Bis jetzt schien doch alles in Ordnung.

„Sag ihnen, dass sie gehen sollen.“, sagte Zero leise. Er hatte genug von diesem Theater. Das hier war sein Leben und er würde es nicht wieder von anderen zerstören lassen. Ganz gleich wer es war. Wenn sie mit ihm allein reden wollte, dann würde sie selbst dafür sorgen müssen. Er war so schon viel zu nett gewesen und das nur wegen Ai. Nun hatte seine Geduld endgültig ein Ende.

Sie würde es nicht erfahren.

Yuki sah Zero zögernd an, doch er erwiderte ihren Blick nicht. Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Würde er sie wirklich angreifen? Oder tat er es nur, damit sie allein waren und sie es ihm endlich erzählen würde?

Ai... Zero würde sie niemals angreifen, solange Ai noch in der Nähe war. Dessen war sie sich sicher. Es musste einfach so sein. Zero wollte, dass sie gingen und das so schnell wie möglich.

„Bitte wartete draußen auf mich.“, sagte sie schließlich. Fassungslos starrten Aidou und Kain sie an.

„Yuki, dass... Kaname...“

Zero stieß bei der Erwähnung dieses Namens einen verächtlichen Laut aus und sein Griff um Yukis Arm festigte sich. Sie versuchte den Schmerz zu ignorieren.

„Schon gut. Es ist alles in Ordnung. Ich komme gleich nach. Ich möchte es ihm nur noch ausrichten.“

Aidous und Kains Haltung entspannte sich noch immer nicht.

Zero atmete genervt aus. „Keine Angst, ihr bekommt sie schon wieder.“

Kain sah ihn aufmerksam an. „Haben wir dein Wort darauf?“

„Was? Kain, dass kannst du doch nicht machen!“, protestierte Aidou sofort. Wie leichtsinnig war sein Cousin eigentlich?!

„Sicher.“, antwortete Zero knapp. Kain hielt seinen Blick noch einen Moment stand, dann sagte er: „Fünf Minuten. Sollte Yuki bis dahin nicht unten sein, werden wir nicht zögern.“

„Aber Kain, Kaname-sama wird uns umbringen!“

„Nein, wird er nicht. Sie wird es ihm erklären.“, antwortete dieser und deutete kurz auf Yuki. Damit war klar, dass die Verantwortung allein bei ihr lag.
 

„Wie konntest du das tun?“, fragte Aidou seinen Cousin vorwurfsvoll, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

„Das Kind.“, antwortete dieser und lehnte sich gegen das Holz der Wand.

„Was ist damit?“

„Er würde uns niemals angreifen, solange sie oder auch die Sayukas in der Nähe sind. Das solltest du wissen.“

„Oh...“

„Ich frage mich wirklich, wieso man dich als Genie bezeichnet.“, murmelt Kain. „Manchmal brauchst du wirklich lange zum Begreifen.“

Aidou warf ihm einen giftigen Blick zu und verzichtete aber auf eine Antwort.
 

Zero ließ Yuki so schnell los, als hätte er sich an ihrer Haut verbrannt. Etwas verletzt sah sie ihn an. War es ihm wirklich so zu wider sie zu berühren?

Zero setze sich an den Tisch und atmete schwer aus.

Er hätte sie nicht berühren dürfen. Die kurze Berührung am Morgen, als er sie vor dem Sturz bewahrt hatte, war schon mehr gewesen, als er hatte zulassen wollen. Schon da hatte er es gespürt, schwach aber es war noch da. Aber jetzt nachdem sie ihm so nah gewesen war, er die Wärme ihres Körpers hatte spüren können und ihren Duft geatmet hatte, schien es vollkommen aufzubrechen.

Das durfte nicht geschehen!

Sie mussten wieder verschwinden, bevor sein neues Leben noch mehr durch einander geriet. Ein Leben, was er sich so mühsam hatte erkämpfen müssen und was er im Grunde nur Ai verdankte.

„Yuki, warum bist du noch hier?“, fragte er sie noch einmal und dieses Mal war sie sich sicher, dass er erschöpft klang.

Sie setzte sich ihm gegenüber, auf den Platz an dem vorher noch Kain gesessen hatte.

„Zero, ich möchte dich bitten noch einmal zurückzukehren. Nicht wegen der Prophezeiung. Ich weiß, dass du damit nichts zu tun haben möchtest und das akzeptiere ich, aber wegen Yagari und vielleicht auch wegen meinem Vater.“

„Warum sollte ich?“, fragte er etwas zu scharf.

„Du bist ihnen eine Antwort schuldig, Zero.“

„Gar nichts bin ich ihnen schuldig.“, presste er hervor und Yuki schien es, als wüsste er genau, wovon sie sprach.

„Doch das bist du.“, widersprach sie sanft. „Sie wissen beide nicht, was damals wirklich vorgefallen ist. Sie machen sich schreckliche Vorwürfe, dass sie es vielleicht hätten verhindern können. Du bist damals einfach gegangen ohne es Yagari-sensei zu erklären. Du hast ihm einfach... du hast ihm,...“, rang sie um Worte. Sie wusste nicht, wie sie es sagen sollte.

„Ich weiß was ich getan habe.“, flüsterte Zero.

„Dann versuch zu verstehen, wie es für ihn gewesen sein muss. Für ihn ward ihr, wie seine eigenen Kinder. Er hat euch beide geliebt und jetzt weiß er nicht einmal, was wirklich passiert ist.

„Er denkt,... Er hat die Befürchtung, dass du es vielleicht warst, der Ichiru...“

Jetzt hob Zero den Kopf und sah sie an. Der Ausdruck in seinem Gesicht war vermischt. Es spiegelte sich Entsetzen darin, aber auch Schmerz. War es Entsetzen darüber, wie Yagari ihm so etwas zutrauen konnte oder war es Entsetzen, weil es womöglich wahr war? Letzteres schien ihr vollkommen ausgeschlossen.

Schnell senkte er den Blick wieder und schüttelte den Kopf.

„Nein, ich werde nicht...“, sagte er, doch Yuki ließ sich davon nicht beirren.

„Zero, Yagari-sensei wird irgendwann einmal sterben. Er ist ein Mensch.“

„Was?!“

„Versteh mich bitte nicht falsch. Er ist nicht schwer krank oder so, aber er wird sterben - lange bevor wir es tun.

„Ich sagte doch, dass er sich mit Selbstvorwürfen quält. Er befürchte zu sterben, bevor er die Wahrheit aus deinem Mund gehört hat. Er... möchte dich gern noch einmal sehen. Yagari-sensei weiß sehr genau, dass für uns ein paar Jahre unbedeutend sind, für einen Menschen jedoch nicht.

„Je länger du verschwunden bleibst, desto mehr zweifelt er an deiner Unschuld. Was sollte er auch anderes denken? Er möchte Klarheit haben. Nicht nur darüber was geschehen ist, sondern auch wie es dir geht. Genauso ergeht es dem Rektor. Für sie beiden bist du wichtig. Sie machen sich Sorgen um dich... genauso wie ich.“. sagte sie leise.

Beide schwiegen. Zero wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte so oft an diesen verhängnisvollen Tag gedacht, doch nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, dass sein Meister sich die Schuld daran gab. Sogar der Rektor... Wussten sie denn nicht, dass dem nicht so war? Oft hatte er darüber nachgedacht, dass es vielleicht nicht richtig gewesen war einfach so zu verschwinden, aber es war zu spät gewesen, um es zu ändern.

„Weißt du eigentlich, was du da von mir verlangst?“, sagte er leise und verbarg das Gesicht in den Händen.

„Du sollst es doch nicht für mich tun Zero, sondern für ihn. Er möchte dich nur noch einmal sehen und ein paar Antworten von dir bekommen. Es muss ja auch nicht gleich geschehen, aber bitte vergiss nicht, was Zeit für uns bedeutet.“

„Ich weiß nicht...“, antwortet Zero verwirrt. Das alles kam so plötzlich für ihn. Bis zu diesem Moment hatte er noch nie daran gedacht zurückzukehren. Er wusste, dass sie recht hatte, was die Zeit betraf. Doch jetzt nach all den Jahren zurückzukehren, um noch einmal darüber zu reden oder es irgendwie zu erklären... Er wusste nicht, ob er das konnte.

„Woher weißt du das alles?“, fragte er schließlich.

„Der Rektor hat es mir erzählt. Yagari-sensei lebt jetzt an der Cross Akademie und unterrichtet dort. Er hatte sich bei einem Auftrag schwer verletzt und kann nicht mehr auf die Jagd gehen.“, beantwortete sie Zeros fragenden Blick. „Er hat lange nach dir gesucht.“

Zero schüttelte den Kopf. Das alles war zu viel für ihn. Sollte er wirklich zurückkehren? Was würde ihn dort erwarten? Würde er darüber reden können? Würde er es gar erklären können? Was sollte er mit Ai machen? Es stand außer Frage, dass er sie mitnehmen würde.

„Yuki, ich weiß nicht, ob ich das jetzt entscheiden kann.“, sagte er ehrlich.

„Das musst du auch nicht. Lass dir Zeit, darüber nachzudenken. Ich bin froh, dass ich es dir endlich sagen konnte, aber ich... Ich würde mir wünschen, dass du jetzt mit uns gehst. Das würde ihn bestimmt mehr beruhigen, als meine bloßen Worte.“

„Ich kann das jetzt nicht...“, sagte er. „Du solltest jetzt gehen.“

„Ja, natürlich. Danke, dass du mich ein zweites Mal angehört hast.“

Zero erhob sich, ebenso Yuki und beide gingen zur Tür.

„Seid ihr jetzt endlich fertig?“, fragte Aidou.

„Geht jetzt.“, sagte Zero kurz und ging ihnen voran die Treppe hinunter. Durch die Tür des Lokals ließ er sie nach draußen.

„Zero, wir sind noch zwei Tage in der Stadt. Bitte denk darüber nach und gib mir bescheid. Wenigstens damit ich weiß, was ich ihm sagen kann.“

Er nickte kurz und verschloss dann die Tür hinter ihnen. Als er die Treppen wieder nach oben ging, hatte er nur den einen Wunsch: Dass sie niemals bei ihm aufgetaucht wären.

Als er die Wohnungstür öffnete hörte er schnell Schritte und das laute Rascheln der Bettdecke.

Sie hatte gelauscht.

Ohne noch einmal in Ais Zimmer zu sehen, ging er in das Badezimmer daneben und wollte diesen Tag nur noch beenden. Er wusste, dass sie morgen darüber reden wollen würde. Etwas was ihm ganz und gar nicht zusagte.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Also, der Titel...
 

Auf den ersten Moment scheint er (mal wieder) nicht sehr einfallsreich, aber eigentlich sollte er dazu dienen, um einen kleinen Einblick in den Alltag von Zero und Ai zu geben, genauso wie Ais Charakter noch ein wenig mehr darzustellen. Ich habe so das Gefühl, dass das Mädchen Zero doch schon den ein oder anderen Nerv rauben kann. XD Nur weiß ich gerade nicht, ob ich ihn bedauern soll. XP
 

Mmh... mehr gibt es momentan erst mal nicht zu sagen...
 

Ach ja... hier findet sich also auch der Grund bzw. die Antwort zu Kapitel... äh... vier.^^ War also nicht so weltbewegend.
 

Und herzlichen Glückwunsch an alle, die vermutet haben, dass Ai das Mädchen von vor fünf Jahren ist. XD Ihr hatte natürlich recht, aber ich hoffe, ich konnte euch mit meinem kryptischen Antworten doch ein wenig verwirren.^^;
 

Bis zum nächsten Mal hoffentlich!
 

Kommis sind natürlich wie immer gern gesehen...
 

lg maidlin

Der Eltern Sorgen

Das neue offizielle Kapitel ist erschienen und nun gibt es also auch von mir ein neues. Einmal Jubeln bitte, dafür, dass ich es geschafft habe. *hüstel*

Ich weiß nicht... es kann sein, dass ich das Kapitel im Laufe des Wochenendes noch mal bearbeite. Ich glaube es haben sich ein paar Fehler eingeschlichen, die nicht sein müssten. Aber momentan seh ich die einfach nicht! Können die nicht „Hier!“ rufen? Das wäre mal schön! Hoffe aber, es stört nicht zu sehr beim Lesen.
 

Viel Spaß erst mal.

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Der Eltern Sorgen
 

An Schlaf dachte Zero in dieser Nacht nicht mehr. Stundenlang saß in einem der Sessel im Wohnzimmer und starrte aus dem Fenster.

Er fühlte sich überfordert.

In den letzten Jahren hatte er nie daran gedacht zurückzukehren. Vielleicht am Anfang irgendwann, doch auch das war schnell verschwunden. Nein, er hatte nie ernsthaft überlegt zurück zu gehen.

Und nun sollte er das von heute auf morgen entscheiden? Das war unmöglich. Er wollte nicht mehr zurückkehren. Er konnte nicht mehr zurück. Warum sollte er auch? Es gab nichts was ihn an dieses Land, diese Stadt oder gar Haus band. Er hatte alles hinter sich gelassen, nicht einmal zurückgeblickt oder darüber nachgedacht, was seine Entscheidung möglicherweise für andere bedeutete. Nein, wenn er ehrlich war, dann war er in den ersten Jahren nicht einmal in der Lage gewesen, überhaupt klar zu denken. Es hatte lange gebraucht, zu lange, bis er wieder annähernd wieder er selbst war. Selbst als er Ai von seinem alten Leben erzählt hatte, hatte er sich verboten weiter darüber nachzudenken, hatte jedes Gefühl unterbunden. Es war, als hätte er von jemand anderem berichtet. Von jemandem, den es nicht mehr gab und in gewisser Weise stimmte das auch.

Er wollte nicht mehr zurück, er konnte nicht mehr. Es gab dort nichts, was ihn dazu veranlasst hätte. Das dachte er zumindest bisher, das wollte er wenigstens glauben.

Doch Yukis Worte schienen das alles mit einmal zum Einsturz gebracht zu haben. Nicht, was diese seltsame Prophezeiung betraf. Er glaubte nicht an so etwas und selbst wenn es wahr sein sollte, so war es nicht sein Problem. Sollte sich das Reinblut doch selbst darum kümmern, wenn es ihm solche Angst machte. Er würde sich nicht mehr von ihm benutzen lassen. Das war ein für alle mal vorbei.

Das andere aber, konnte er nicht so leicht abtun. Es war genau das, wovor er immer Angst gehabt hatte nachzudenken.

Machten sie sich wirklich solche Vorwürfe?

War er ihnen, war er vor allem Yagari, eine Antwort schuldig?

Er wusste es nicht. Es verwirrte ihn. Er konnte doch nicht innerhalb von zwei Tagen eine solche Entscheidung treffen. Er konnte doch nicht innerhalb von 48 Stunden entscheiden, ob er sich seinem alten Leben stellen wollte oder nicht.

Was würde seine Rückkehr bedeuten? Was bedeutete es für Yagari und den Rektor? Was würde es für ihn selbst bedeuten? Was sollte er mit Ai machen? Würde er sie mitnehmen? Sie würde es wollen, dessen war er sich sicher. Doch sie dieser Umgebung aussetzen? Sie direkt zu den Vampiren führen? Sie der Gegenwart dieser Monster aussetzen? Das war vollkommen ausgeschlossen. Aber sie allein zu lassen, erschien ihn ebenso nicht richtig. Sie waren seit jenem Tag nicht von einander getrennt und er wusste nicht, ob sie es schaffen würde ein paar Tage ohne ihn zu sein. Er wusste nicht, ob er es schaffen würde ohne sie zu sein.

Langsam verfärbte sich der Himmel rot. Es kam ihm vor, als hätten sich seine Gedanken während der ganzen Zeit nur im Kreis gedreht, denn einer Antwort oder einer Entscheidung war er immer noch nicht näher.

Zero sah kurz auf die Uhr, die über der Tür hing. In einer halben Stunde musste er bereits wieder unten sein, um die Lieferung für diesen Tag anzunehmen. Er atmete kurz aus. Vielleicht kann er im Trott des Alltags vergessen darüber nachzudenken, doch gleichzeitig wusste er, dass es unmöglich war. Sie waren schließlich noch immer da.

Kurz darauf hob er den Kopf erneut und sah zur Tür. Er hatte ein Geräusch auf dem Flur gehört und nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Wohnzimmertür.

Ai trat ein. Die Haare standen ihr in alle Richtungen ab, ihr Gesicht war noch ganz blass und in der linken Hand hatte sie ihren Stoffhasen „Hase“, ohne dem sie nirgendwo hinging. Verschlafen rieb sie sich die Augen und trottete noch im Halbschaf zu Zero.

„Morgen. Na bist du schon munter?“, fragte dieser sie sanft und zog sie auf seinen Schoß. Ai lehnte sich an seine Schulter und schloss gleich wieder die Augen. Sie schüttelte den Kopf leicht.

„Das kommt davon, wenn du nachts noch so lange aufbleibst und anderen hinterher spionierst.“, schellte er sie milde und strich ihr liebevoll über das Haar.

„Mmh.“, brummte Ai und kuschelte sich noch ein wenig mehr an ihren selbst ausgesuchten Papa.

„Gehst du?“, fragte sie schließlich nach wenigen Minuten, in denen Zero schon dachte, sie sei wieder eingeschlafen.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete er leise und streichelte ihren Rücken.

„Warum nicht? Es ist doch wichtig. Er will dich sehen.“, murmelte sie im Halbschlaf.

„So einfach ist das aber nicht.“, erwiderte er immer noch leise.

„Versteh ich nicht.“, nuschelte sie, so dass er sie kaum noch verstand.

„Nein. Ich versteh es ja selbst nicht.“, flüsterte er. „Schlaf noch ein bisschen.“

Nur wenige Augenblicke, nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, atmete sie ruhig und gleichmäßig und er wusste, dass sie bereits wieder eingeschlafen war.

Vorsichtig hob er sie auf seinen Arm und legte sie auf das Sofa. Sofort kuschelte sie sich in die Kissen, „Hase“ eng an sich gepresst. Zero breitete die Decke über sie aus und beobachtete sie noch einen Moment. Noch einmal strich er ihr über die Haare, bevor er sich dann umzog und nach unten ging.
 

Der Lieferant kam pünktlich und die Ware war in Ordnung. Während Zero seine Aufgaben erledigte und mit dem Chefkoch verschiedene Gerichte vorbereitete, um für das Mittagsgeschäft und das Abendgeschäft einen reibungslosen Ablauf zu garantieren, fiel es ihm doch leichter, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Es gab genügend andere Dinge an die er denken musste. Erst als Ai vor dem Mittag in der Küche auftauchte, fühlte er sich unliebsam daran erinnert. Denn natürlich war sie nun hellwach und ließ sich nicht mehr so einfach abwimmeln.

„Warum willst du denn nicht hinfahren.“, fing sie sofort an, als sie in die Küche kam.

„Das habe ich dir doch schon erklärt. Es geht nicht so einfach und ich weiß noch nicht einmal, was genau ich da soll.“, sagte er abwesend und senkte gleichzeitig die Stimme. Er wollte vermeiden, dass Frau Sayuka etwas davon mitbekam. Auch wenn er sie mochte, so störte es ihn ein wenig, dass sie immer alles wissen wollte. Es war nicht so, dass sie es weiter erzählte, aber sie konnte es auch nicht ertragen, wenn sie etwas nicht wusste und ihre Gedanken dazu äußern konnte. Es waren gutgemeinte Ratschläge, das wusste Zero. Besonders, wenn man ihr Schicksal und das ihrer Familie bedachte, wurde dies offensichtlich und gerade in Sachen Kindererziehung hatten sie Zero schon oft geholfen. Aber dieses Gespräch war nicht für ihre Ohren bestimmt. Zero befürchtete, dass sie ihn sonst dazu bringen würde, noch mehr von sich preiszugeben, als er bereits schon getan hatte – und das war für seine Verhältnisse bereits viel zu viel. Dass Ai fast alles wusste, war eine Ausnahme und das auch nur, wegen des Versprechens, was sie sich gegeben hatten. Trotzdem hatte er das Gefühl, dass dieses Thema niemanden weiter etwas anging - auch Ai nicht. Es war ganz allein seine Sache.

„Ja, aber es stimmt doch. Er will dich sehen und ein paar Antworten. Er vermisst dich und macht sich sorgen. Was ist so schlimm daran zurückzufahren und es ihm zu erklären, ihm zu zeigen, dass es dir gut geht?“, fragte Ai weiter, wurde aber genauso leise.

„Ai, das ist doch etwas ganz anderes.“, versuchte er ihr zu erklären. Dass Kinder sich alles immer so einfach vorstellten.

„Das sagst du immer.“, mauelte sie leise.

„Es stimmt ja auch.“, sagte er schlicht und gab Ai einen Teller mit ihrem Mittagessen.

„Was ist mit Nachtisch?“, fragte sie mit großen Augen und vermisste die kleine Schüssel mit Pudding, Eis, Jogurt oder Quark, die er ihr sonst immer mit reichte.

„Wie du dich vielleicht erinnerst, hast du den gestern schon gegessen. Alles auf einmal. Deine Bauchschmerzen müssten dir doch gereicht haben.“, antwortete Zero ein wenig bissig.

„Jaha.“, antwortet sie kleinlaut.

Wortlos verließ sie die Küche und setzte sich wie immer an den Tresen. Während sie lustlos ihr Mittag aß, betraten nach und nach Gäste das Lokal und Zero bekam bald genug zu tun, um nicht mehr über eine eventuelle Heimkehr nachdenken zu müssen.
 

Frau Sayuka hingegen war Ai nach draußen gefolgt und begrüßte die anderen Gäste. Zu ihrer Verärgerung hatte sie wirklich nicht viel von dem Gespräch mitbekommen und einmal mehr verfluchte sie ihre Neugier. Sie wusste sehr genau, dass sie es nichts anging und doch wollte sie es unbedingt wissen. Aber sie war keineswegs so dumm danach zu fragen. Inzwischen hatte sie gelernt Ichiru nicht nach seiner Familie oder Herkunft zu fragen. Nie hatte sie eine Antwort erhalten - aus welchen Gründen auch immer. Trotzdem entging ihr nicht, dass Vater und Tochter sich scheinbar uneinig waren. Ais Gesicht sprach in dieser Hinsicht Bände.

„Ai, nun schau doch nicht so grimmig.“, versuchte sie das Mädchen aufzumuntern, als sie die Getränke zurechtmachte.

Doch diese warf ihr nur einen trotzigen Blick zu.

„Seid ihr mal wieder verschiedener Meinung?“, fragte Frau Sayuka scheinbar anteilnahmslos.

Ai schüttelte leicht den Kopf. „Nein,... Ja... Er sagt ich würde es nicht verstehen, aber ich... Er erklärt es mir ja nicht einmal!“, beschwerte sie sich und ließ ihre Wut an dem Stück Fleisch auf ihren Teller aus.

„Willst du mir sagen, worum es geht?“, fragte die Wirtin sanft. Ai überlegte einen Moment.

„Nein. Wenn ich es jemandem sage, wird er bestimmt wieder böse.“, antwortet das Mädchen.

Frau Sayuka lachte kurz auf. „Schon gut, dass wollen wir ja auf keinen Fall. Anscheinend ist seine Laune ja jetzt schon nicht besonders gut.“

„Jaha.“, seufzte Ai, „und ich weiß gar nicht warum.”

„Weißt du Ai, manchmal fällt es auch den Erwachsenen schwer über bestimmte Dinge zu reden,... nicht nur mit Kindern, sondern auch mit anderen Erwachsenen.“

„Ist das bei dir auch so?“, fragte Ai und sah sie fragend an.

„Ja, auch mir geht das so. Mir fällt es schwer mit meinem Mann oder Sasuke über... bestimmte Sachen zu sprechen.“, sagte sie und lächelte traurig.

„Wegen Kira?“, fragte Ai leise.

„Ja, wegen ihm. Es ist schwer darüber zu reden, auch jetzt noch. Dabei ist es schon so lange her...“

„Aber warum hat er es mir dann erst erzählt, wenn er es mir doch jetzt nicht erklären will?“

„Tja, manchmal ist es aber auch leichter mit Kindern zu reden. Sie sind immer ehrlich und sagen was sie denken. Sie sehen die Welt aus einem anderen Blickwinkel, den die Erwachsenen verloren haben. Außerdem haben du und dein Papa euch doch etwas versprochen oder nicht?“

„Ja.“

„Siehst du, deswegen hat er es dir erzählt und ich bin sicher er wollte auch deine ehrlichen Worte dazu hören. Aber wir beide wissen doch, dass es schwer ist, deinen Papa von einer anderen Meinung zu überzeugen. Er ist einfach zu starrköpfig.“

Ai musste kurz grinsen, doch dann sagte sie nachdenklich und mehr zu sich selbst: „Aber trotzdem sollte er doch zurückgehen.. oder wenigsten schreiben, dass es ihm gut geht oder? Ich meine, er macht sich doch sorgen oder?“

„Ich weiß zwar nicht, wer er ist oder worum es eigentlich genau geht, aber wenn es eine Person gibt, die sich um einen sorgt, dann sollte man dieser Person auch hin und wieder sagen, dass es einen gut geht, wenn man sie länger nicht sieht. Im Moment können wir dennoch nichts machen. Ichiru muss es selbst wollen. Es muss ja auch nicht gleich sein oder?“

Wieder schwieg Ai einen Moment. „Ja. Aber ich werde ihn trotzdem noch mal fragen.“

Frau Sayuka musste kurz schmunzeln. „Tu das. Aber vielleicht solltest du noch ein bisschen warten. Ich glaube jetzt ist es nicht so gut.“, flüsterte sie Ai zu, weil sie sah, dass ihre erste Kellnerin, die Tür zur Küche öffnete. Ai verstand sofort, was sie ihr sagen wollte.

Begeistert nickte Ai und sprang dann vom Stuhl. „Ich geh raus!“, rief sie noch Richtung Tresen, als sie bereits die Tür aufgestoßen hatte und nach draußen rannte.

Doch kaum, dass Ai draußen war, trat ein Mann in blauer Uniform ein.

„Hallo, Frau Sayuka.“

„Hallo, Seph. Hast du etwas für mich?“

„Ja, aber leider nicht das worauf sie warten. Tut mir leid.“, sagte er entschuldigend und reichte ihr dennoch einen kleinen Stapel Briefe.

„Danke, trotzdem.“, sagte sie traurig und nahm die Post entgegen.

Als der Postbote gegangen war und sie die Getränke zu den Gästen gebracht hatte, nahm sie die Briefe und sah sie nachdenklich durch. Es war wirklich keiner von ihm dabei. Was dachte er sich eigentlich?

Sie ließ die Briefe achtlos liegen und ging in die Küche.

„Schon wieder kein Brief von ihm!“, sagte sie gleich, als sie die Tür geöffnet hatte.

„Was?“, fragte ihr Mann irritiert, der gerade eine Pfanne schwenkte.

„Es war schon wieder kein Brief von Sasuke dabei! Was denkt der Junge sich eigentlich!“, beschwerte sie sich, als sie frustriert ein Handtuch nahm und das Geschirr trocknete. „Seit einem halben Jahr haben wir schon nichts mehr von ihm gehört! Es kann ihm wer weiß was passiert sein!“, schimpfte sie weiter.

„Schatz, beruhige dich. Ich bin sicher, es geht ihm gut. Du weißt doch, wie schreibfaul er ist. In den nächsten Tagen kommt bestimmt ein Brief.“, versuchte der Wirt seine Frau zu beruhigen.

„Ich verstehe das nicht! Er weiß doch genau, wie es mir immer geht, wenn wir so lange nichts von ihm hören! Was, wenn sein Schiff gesunken ist? Was, wenn er krank ist? Was, wenn sie von Piraten überfallen worden sind?“, fragte sie aufgeregte und lief nervös in der Küche hin und her.

„Schatz, so darfst du doch nicht denken. Es geht ihm gut, da bin ich mir sicher.“

„Ihr Mann hat recht.“, sagte nun auch Zero. „Sasuke ist 28. Er kommt schon allein klar. Sie sollten sich nicht unnötig Sorgen machen.“

„Aber ich mache mir sorgen!“, widersprach sie heftig. „Warte erst bis Ai in diesem Alter ist! Es ist vollkommen egal, wie alt ein Kind ist oder wie erwachsen, für die Eltern wird es immer ein Kind bleiben! Es ist doch vollkommen natürlich, dass man sich Sorgen macht, wenn man sechs Monate nichts von ihm gehört hat, wenn man ihn das letzte Mal vor mehr als einem Jahr gesehen hat! Deinen Eltern geht es sicher genauso!“

Zero öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Nein, seinen Eltern ging es ganz gewiss nicht so. Er wusste nicht, was seine Eltern denken oder fühlen würden. Er hatte schon lange keine mehr! Von seiner eigenen Familie, war ihm keiner mehr geblieben. Um ihn machte sich sicher niemand Sorgen. Doch das sagte er nicht.

Nachdenklich beobachtete er Frau Sayuka, die immer noch in der Küche hin und herlief, sich aber so langsam wieder zu beruhigen schien. So war es mindestens einmal in der Woche, wenn wieder kein Brief von ihrem Sohn gekommen war. Dabei wusste sie doch, wie lange die Briefe brauchten, wenn er sie von irgendeiner Insel auf dem Ozean losschickte.

Aber war es tatsächlich so? Machte man sich immer Sorgen, um seine Kinder, egal wie alt diese waren? Würde ihm mit Ai das Gleiche erwarten? Auch wenn er von Anfang an nur so lange die Verantwortung für sie übernehmen wollte, bis sie erwachsen war – und sie das auch wusste – so hatte er es doch nicht verhindern können, dass er ihr eine Zuneigung entgegen brachte, wie er sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Für ihn, war sie nun seine Familie und er wusste nicht, ob er diese so einfach wieder loslassen könnte, auch wenn er immer etwas anderes behauptete.

Zero atmete einmal scharf aus. Unweigerlich hatten sich Yukis Worte in seine Gedanken gedrängt. Sie hatte gesagt, dass es noch Menschen geben sollte, die sich um ihn sorgten. Er konnte einfach nicht glauben, dass es wirklich so war Sie waren nicht einmal verwandt. Aber... war nicht auch Yagari wie ein Vater für ihn? Immerhin kannte dieser ihn genauso gut, wie sein leiblicher Vater. Vielleicht sogar noch besser. Selbst wenn es einmal so gewesen war, so konnte er sich nicht vorstellen, dass das auch jetzt noch so war. Warum sollte Yagari auch jetzt noch so etwas wie Verantwortung oder Sorge ihm gegenüber empfinden? Nicht, nachdem was alles geschehen war, nicht nachdem was er getan hatte.

Unwillkürlich versuchte Zero sich vorzustellen, was er ihm sagen würde, sollte er seinem Meister noch einmal gegenüber stehen. Wie sollte er all das erklären? Es erschien ihm unmöglich. Und wenn er müsste?

War er ihm wirklich eine Antwort schuldig, wie sie es gesagt hatte? Nein, dachte er ohne zu zögern und doch konnte er das mulmige Gefühl dabei nicht verdrängen.

„Verdammt!“, stieß er leise aus. Er war so in Gedanken versunken, dass er sich mit dem Fleischmesser direkt in den Zeigefinger geschnitten hatte.

„Was ist? Hast du dich geschnitten?“, fragte Herr Sayuka und sah kurz zu ihm rüber.

Zero sah auf seinen Finger und das Blut herauslaufen. Im nächsten Augenblick fuhr er mit seiner Zunge über die Stelle und leckte das Blut ab. Dann war von dem Schnitt nichts mehr zu sehen.

„Nein.“, antwortete er schließlich und richtete seinen Blick wieder auf das Stück Fleisch vor ihm.

„Was ist heute los mit dir? Du bist doch sonst nicht so unkonzentriert.“

Zero atmete einmal scharf aus. Wenn es andere schon bemerkten, musste es ja sehr auffallend sein.

„Nichts, nur wenig Schlaf.“, erwiderte er knapp.

„Aha. Das hat nicht zufällig etwas mit der hübschen Frau zu tun, die gestern abend noch so lange auf dich gewartet hat?“, fragte Herr Sayuka, dessen Taktgefühl weit unter dem seiner Frau lag.

„Nein!“, antwortete Zero etwas zu heftig.

„Verstehe.“, sagte der Wirt und grinste ihn breit an. „Woher kennst du sie? Ich dachte immer, du schließt keine Bekanntschaften.“, redete er munter weiter und schien Zeros stechenden Blick nicht einmal zu bemerken.

„Von früher.“, antwortete Zero und weil er wollte, dass dieses Thema bald zu Ende war, sagte er weiter: „Wir sind zusammen zu Schule gegangen.“

„Und die anderen beiden? Die sahen ja nicht so aus, als wären sie sehr erfreut dich zu sehen. Sie wirkten eher wie ihre Beschützer oder so was.“

„So ähnlich.“, antwortete Zero ihm noch und damit war die Unterhaltung für ihn endgültig beendet.
 

Yuki ging die Straßen entlang und schaute begeistert von einem Haus zum anderen. Kain und Aidou folgten ihr schweigsam. Sie hatten seit gestern abend nicht mehr mit ihr gesprochen und waren anschneidend immer noch beleidig, dass sie sie einfach weggeschickt hatte. Doch so sehr machte sich Yuki keine Gedanken darum. Vielmehr war sie froh, dass sie Zero nun auch dies hatte ausrichten können. Aber erleichtert war sie nicht, denn sie hatte ja keine Antwort von ihm erhalten. Nun hoffte sie, dass Zero sie eventuell auch gleich nach Hause begleiten würde. Aus seiner Reaktion hatte sie das nicht schließen können, aber sie wusste, dass diese Bitte vollkommen überraschend für ihn gewesen sein musste. Also blieb ihr wieder nichts anderes zu tun, als abzuwarten.

Um sich aber ein wenig abzulenken und nicht ständig über seine möglichen und nicht möglichen Antworten nachzudenken, hatte sie am Mittag nach dem Aufstehen beschlossen, sich die Stadt nun endlich ein wenig genauer anzusehen. Außerdem wollte sie sowie noch ein paar Souvenirs für ihren Vater kaufen und für Kaname brauchte sie auch noch etwas passendes. Für ihn hatte sie zwar schon etwas in einer anderen Stadt gefunden, aber von dieser beeindruckenden Stadt musste sie noch etwas haben. Inzwischen hatte sie herausgefunden, dass dieser Ort – Koritokái genannt - eigentlich ein recht großes Handelszentrum war, welches seine Ware, darunter Wolle, Leder, Kräuter, Holz, einschließlich aller Produkte, die daraus gewonnen wurden – weltweit exportierte. Ebenfalls etwas, was Yuki sehr überrascht hatte. Sie hatte geglaubt, dass es so weit im Norden nur wenig Infrastruktur gab.

Yuki lief die Geschäfte entlang und sah sich die Auslagen an. Es gab Mäntel, Gürtel, Handschuhe aus verschiedenen Ledersorten, darunter auch Lamm- und Kalbsleder, genauso wie aus Hasenfell oder Nerz., Pullover und Jacken waren aus feinster Wolle gemacht und Yuki ließ sich sogar dazu überreden das Spinnen einmal selbst zu versuchen. Es dauerte aber nicht lange, bis sie erkannt, dass dies kein Handwerk war, was ihr lag. Aber sie erkannte, dass es sehr viel Arbeit machen musste, bis solch ein feiner, handgefertigter Pullover fertig war, wie sie ihn dann kaufte. Weiterhin wurden Käse und Wurst, ebenfalls von den unterschiedlichen Tieren, verkauft, Stickereien, Strickereien, Kräutermischungen und Heiltinkturen für einen ganze Reihe von Krankheiten. Yuki wusste gar nicht wohin sie eigentlich als erste sehen sollte. Sie kostete auch von dem heißen Wein, den man ihr reichte. Er schmeckte leicht würzig und wärmte sie sogleich von innen.

Die Sonne ging früh unter und die drei setzen sich noch in eines der vielen kleinen Lokale und aßen zu Abend. Inzwischen sprachen Kain und Aidou auch wieder mit Yuki.

„Wann wollen wir morgen aufbrechen?“, fragte Kain sie schließlich, nachdem sie bereits bezahlt hatten und nun noch ein wenig in dem warmen Raum weilten.

„Ich weiß nicht. Müssen wir morgen denn schon fahren?“, fragte sie unbedacht. Auch wenn sie versucht hatte sich abzulenken, so hatte sie sich doch gewünscht zufällig Zero zu treffen und dass er ihr sagte, er würde mit ihnen zurückkehren.

„Natürlich!“, erwiderte Aidou. „Wir haben ihn gefunden und es ihm ausgerichtet. Er will nichts mehr mit uns zu tun haben. Unsere Aufgabe ist somit erledigt.“

„Aber wir haben doch genau drei Monate bekommen und die enden doch erst übermorgen.“, versuchte sie schwach einzuwerfen. „Wir könnten also noch einen Tag länger warten.“

„Man könnte fast den Eindruck gewinnen, du willst gar nicht zurück. Vermisst du Kaname-sama denn gar nicht?“

Yuki schwieg einen Moment. Natürlich vermisste sie ihren Bruder, aber sie wollte auch nicht einfach so gehen, ohne dass sie Yagari und dem Rektor eine genaue Antwort geben konnte. „Ich vermisse meinen Onii-sama genauso, wie ihr.“, sagte sie schließlich. „Aber, ich... Ich habe noch keine Antwort auf meine zweite Frage erhalten.“

„Und du weißt auch nicht, ob du die jemals bekommst! Was immer es war, Zero schien nicht sehr begeistert davon und ich denke nicht, dass es viel Zweck hat, weiter darüber nachzudenken. Wir fahren morgen nach Hause und dann ist diese Sache erledigt.“, sagte Aidou entschieden.

Yuki wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie hatte kein richtiges Gegenargument und sie konnte es Kain und Aidou nicht verdenken, dass sie wieder nach Hause wollten. Sie selbst wollte es ja auch, aber...

„Dann lasst uns morgen Nachmittag erst fahren. Jetzt da wir ihn gefunden haben, brauchen wir nicht mehr bei Sonnenlicht zu reisen.“, schlug nun Kain vor und Aidou stimmte ihm gleich zu.

„Bist du damit einverstanden, Yuki?“, fragte er sie. Sie nickte kurz. So hatte sie wenigsten noch den ganzen Vormittag, um auf ihn zu warten.
 

Sie verließen das Lokal und gingen die Straße weiter nach unten. Sie hatten erfahren, dass es ganz in der Nähe einen recht großen Teich geben sollte. Die Leute hatten von einem herrlichen Anblick in der Dunkelheit gesprochen und Yuki wollte sich das gern noch einmal ansehen.

Sie fanden die Stelle mit Hilfe der Beschreibung, die man ihnen gegeben hat leicht und der Anblick, der sich ihnen bot, war wirklich wunderschön.

Um den Teich herum, standen Laternen, deren Lichtquellen aber keine Glühbirne war, sondern kleine Feuer, welche warm und leuchtend brannten. Die Wände in denen das Feuer saß, waren aus Glas. Somit wurde der Platz um die Laterne von einem kleinen orangem Licht erhellt. Da die Laternen im Kreis um den Teich angeordnet waren und jede im Abstand von ungefähr fünf Metern neben der anderen stand, bildeten sie zusammen einen Ring aus Licht, der den ganzen Platz erleuchtete. In der Dunkelheit der Nacht und mit den Sternen und Mond im Hintergrund, war dieser Anblick so schön, dass Yuki einen Moment brauchte, um das alles aufzunehmen zu können. Jetzt, im Spätherbst waren die Bäume, die um den Teich und hinter den Laternen wuchsen zwar kahl, aber das verlieh dem ganzen etwas unheimliches und gleichzeitig aufregendes. Yuki stellte sich vor, wie es wohl im Sommer seine musste, wenn nachts Glühwürmchen um den Teich tanzten.

„Ist das nicht Ai?“, hörte sie Kain plötzlich fragen und wurde aus ihren Gedanken gerissen.

Sie schaute in die Richtung, in die auch er sah und tatsächlich, dort am Ufer tummelten sich zwei Gestalten und wenn sie in den Schein der Laterne traten, dann schimmerten die Haare der einen wie Gold.

„Was macht sie hier?“, fragte Yuki verwirrt.

„Viel wichtiger ist eher die Frage, was sie da treiben.“, sagte Aidou trocken, der bemerkt hatte, dass die beiden Kinder mit einer Art Stock immer wieder im Wasser herumfischten.

Yuki ging ein Stück weiter nach vorn und sah es nun ebenfalls. „Ai?“, rief sie vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken. Der Kopf, der sich gerade noch nach unten gebeugt hatte, schnellte nun hoch und Yuki fragte noch einmal: „Ai, was machst du da?“

Schnell ließ das Mädchen den Stock los und lief mit dem zweiten Kind, ebenfalls ein Mädchen, zu Yuki.

„Hallo!“, sagte sie gleich und strahlte sie aufgeregt an.

„Hallo, Ai. Was hast du da gemacht?“

„Wir wollten angeln. Da schwimmen ganz große Fische drin rum!“

„Mit einem Stock, kann man keine Fische angeln.“, sagte Aidou sachlich und trat ebenfalls an Yuki heran. Dafür erntete er bösen Blick von Ai.

„Das hier ist meine Freundin, Kimi.“, stellte Ai das andere Mädchen nun vor und diese begrüßte sie schüchtern.

„Sag mal Ai, weiß Ze-, weiß dein Papa, dass du hier bist? Es ist doch schon sehr spät.“

„Ähm... nicht... direkt.“, druckste Ai ein wenig herum. „Er weiß, dass ich rausgegangen bin zum Spielen.“

„Rabenvater. Sein Kind so lange draußen allein spielen zu lassen...“, murmelte Aidou und Yuki sah ihn kurz aus den Augenwinkeln an.

„Wie spät ist es denn?“, fragte Ai sie mit großen Augen.

„Kurz nach acht Uhr.“, antwortete Yuki und sah, wie sich die grünen Augen vor Schreck weiteten.

„Schon so spät!? Ich muss nach Hause!“, sagte sie hastig. „Komm Kimi!“ Sie packte ihre Freundin am Arm und zog sie mit sich.

Yuki sah etwas perplex hinterher.

„Ob es wirklich so klug ist, sie allein gehen zu lassen.“, überlegte Kain laut.

„Bis zum „Goldenen Glück“ braucht sie lange. Vor um neun wird sie nicht da sein.“, sagte Aidou und sah Yuki abwartend an.

„Wir begleiten sie.“, entschied Yuki schnell und lief Ai auch schon hinterher.

Als sie sie eingeholt hatten, sagte sie zu ihr: „Wir begleiten dich. Es ist besser, wenn du nicht allein nach Hause läufst.“

Ai nickte hastig. „Kimi, wohnt gleich hier oben.“, erklärte sie kurz. „Er wird bestimmt böse sein.“, flüsterte sie dann, so dass Yuki nicht wusste, ob sie es wirklich gesagt hatte.
 

Frau Sayuka betrat die Küche und schüttelte den Kopf, als Zero sie fragend ansah.

„Sie ist immer noch nicht da. Ich verstehe das nicht. Normalerweise kommt sie spätestens dann, wenn sie Hunger hat.“, antwortete sie.

„Ich glaube sie hat einfach nur die Zeit vergessen. Du hast doch gehört, was einer der Gäste gesagt hat. Er hat Ai mit Kimi zusammen in der Stadt gesehen. Du weißt doch, wie die beiden sind. Haben nur Dummheiten im Kopf und vergessen dann alles andere.“

„Mmh.“, antwortete Zero kurz und schnitt die Kartoffeln noch energischer als sonst.

Er überlegte fieberhaft, ob er nicht doch etwas zu streng zu ihr war und dass sie deswegen einfach traurig war. Aber das war so gar nicht ihre Art. Natürlich war es hin und wieder schon vorgekommen, dass Ai vergessen hatte, ihm Bescheid zu sagen und sie war bisher auch immer heil zurückgekommen, aber jetzt im Moment war das etwas vollkommen anderes. Damals waren auch kein Reinblut und zwei andere Vampire in der Stadt gewesen. Sie wussten, dass Ai sein Schwachpunkt war, dessen war er sich sicher. Aber er wusste nicht, ob er ihnen zutrauen sollte, dass sie ihn auch benutzten.

Er warf die Kartoffeln in einen Topf und wollte sich gerade an das Gemüse machen, als sein Chef ihm das Messer aus der Hand nahm.

„Was soll das?“, fragte Zero verärgern.

„Ich will nicht, dass du deine Wut auch noch an dem armen Gemüse auslässt. Unsere Gäste wollen appetitlich aussehendes Essen und kein massakriertes. Ich weiß zwar nicht, warum es dir ausgerechnet heute so viele Sorgen macht, dass sie nicht da ist, aber geh und such sie. Der große Andrang ist vorbei und den Rest schaffe ich auch allein.“

Ohne eine Antwort zu geben, nickte Zero kurz und band sich die Schürze ab. Er verließ die Küche und gerade als er das Lokal verlassen hatte und sich auf die Suche machen wollte, konnte er plötzlich die Präsenz von ihnen spüren.

Er blieb stehen und wartete. Was immer sie wollten, er hatte jetzt keine Zeit für sie, aber vielleicht hatten sie...

Er sah ihre Silhouetten aus der Nacht auftauchen. Sein Herz setzen einen kurzen Moment aus, als er sich bewusst wurde, dass ein Kind zwischen ihnen ging. Als sie näher kamen und er sie besser erkennen konnte, sah er wie sich Ai gut gelaunt mit Yuki unterhielt. Sie war nicht verletzt, hatte keine Kratzer und kicherte hin und wieder. Es ging ihr offensichtlich gut.

Kaum, dass Ai ihn sah, rannte sie auf ihren Papa zu und umarmte ihn stürmisch. Zero konnte zuerst nicht reagieren, so erleichtert war er, dass sie wohlbehalten zurück war.

„Papa, es tut mir leid. Ich habe mit Kimi gespielt und-“

„Wo warst du so lange!“, schrie er sie plötzlich so heftig an, dass Ai ängstlich zusammenzuckte.

„Ich... Ich habe mit Kimi gespielt... Ich habe nicht auf die Uhr gesehen... und... Ich...Ich...“, stammelte sie ängstlich.

„Es ist mir egal, ob du nicht auf die Uhr gesehen hast. Du weißt ganz genau, dass du in dieser Jahreszeit nicht mehr so lange draußen bleiben sollst und schon gar nicht jetzt! Du hättest schon längst wieder da sein sollen! Du hättest mir Bescheid sagen müssen!“

„E-Es tut mir leid...I-Ich habe... es v-vergessen...“

„Mann, jetzt mach doch nicht so einen Aufstand.“, mischte sich nun Aidou ein, der Zeros Reaktion weit übertrieben fand.

„Halt du dich da raus!“, zischte Zero wütend.

„Zero, bitte. Es ist wahr was sie sagt. Wir haben sie am Teich spielen sehen und sie-“

„Du warst schon wieder am Teich?!“, fragte er sie und wurde dabei anscheinend noch wütender. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du im Dunkeln nichts dort zu suchen hast?! Du könntest zu leicht am Ufer abrutschen!“

Ai biss sich auf die Lippen und vermied etwas zu sagen. Es würde sowieso nur das Falsche sein. Doch die Tränen standen bereits in ihren Augen und eine Einzelne fand schnell einen Weg ihre Wange hinunter.

„Jetzt beruhige dich, Zero.“, versuchte Yuki behutsam auf ihn einzureden und ging einen Schritt auf ihn zu. „Ich bin sicher, sie wolle dir Bescheid geben, aber sie hat es nun mal vergessen. Wir haben sie gefunden und gedacht, dass wir sie nicht allein gehen lassen sollten. Ihr ist nicht passiert und du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen. Es geht ihr gut.“

„Aber ich wusste es nicht!“, erwiderte er so heftig, dass auch Yuki zusammenzuckte.

Doch kaum, dass er diese Worte ausgesprochen hatte, hielt er erschocken innen. Kurz huschte etwas über sein Gesicht, was Yuki noch nie bei ihm gesehen hatte.

„Zero, was ist los? Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt und auch Ai sah ihren Papa jetzt neugierig an.

„Ja.“, antwortete er schnell und der fremde Ausdruck in seinem Gesicht schien genauso schnell gegangen, wie er gekommen war.

„Komm jetzt.“, sagte er noch und zog Ai mit sich in das Haus zurück.
 

Mit diesem Moment starb Yukis Hoffnung, er würde sie vielleicht doch gleich begleiten. Seine Reaktion war deutlich, auch wenn er es nicht direkt gesagt hatte. Er hatte Angst gehabt, dass sie Ai etwas angetan haben.

Yuki verletzte dieser Gedanke. Dachte er wirklich so von ihr? Traute er ihr das wirklich zu?

Wie konnte er nur so etwas denken?

In der Nacht schlief sie lange nicht. Stattdessen verbrachte sie die Zeit damit sich endgültig damit abzufinden, dass ihre alte Freundschaft wohl für immer zerbrochen war. Bis zu diesem Tag hatte sie gehofft, geglaubt, dass dem doch nicht so war. Besonders, nachdem er ihr doch so bereitwillig zugehört hatte. Sie wunderte sie sich ein wenig über sich selbst. Eigentlich hatte sie doch mit diesen Gedanken bereits abgeschlossen, es akzeptiert, wenn auch nur wiederwillig. Wahrscheinlich war es doch ein Fehler gewesen, dass sie so lange nach ihm gesucht hatte, dass sie nicht aufgegeben hatte. Sie hätten sich selbst eine Menge Schmerz ersparen können. Doch für diesen Gedanken hasste sie sich gleich wieder. Wie konnte sie auch nur daran denken! Es war gut gewesen, dass sie ihn gesucht hatte, dass sie nicht aufgegeben hatte! Nun konnte sie wenigstens mit dem Wissen zurückkehren, dass es ihm gut ging, dass er eine Stellung hat, sich anscheinend in das Stadtleben eingegliedert hatte und vor allem... er war nicht mehr allein. Er hatte jetzt Ai. Er brauchte sie nicht mehr.

Eine Träne stahl sich dabei aus ihrem Auge, ohne das sie selbst es bemerkte.
 

Am Morgen erwachte sie plötzlich und spürte etwas, was ihr unfassbar schien. Sofort sprang sie auf und zog sich eilig an. Sie konnte es kaum glauben. Die Gedanken, die sie in der Nacht noch beherrscht hatten verschwanden und schienen ihr in weite Ferne zu rücken.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

An dieser Stelle ist mal Feierabend. Reicht ja auch mal wieder.^^

Hoffe ihr seid noch nicht eingeschlafen. Aber ich kann euch versprechen, dass alles was hier passiert und passieren wird einen Sinn hat. Wirklich! Ich verspreche es!

Es dauert hat nur ein bisschen.
 

Ansonsten hab ich nicht mehr viel zu sagen. Außer, dass – wenn ich Glück habe – wir uns beim nächsten Kapitel wieder lesen.
 

PS: Kann es sein, dass Sasuke und Kira die Namen zweier Personen aus Angel S waren? Ich bin mir nicht mehr sicher, aber der Gedanke kam mir erst, als ich schon entschieden hatte, dass sie so heißen. Wenn es wirklich so ist, dann hoffe ich, dass ihr mir das nicht übel nehmt! Es sei mir bitte verziehen! ~.~°
 

lg Maidlin

Weiß nicht rot...

ENDLICH!

Ein neues Kapitel.^^ Ich bin stolz auf mich und das noch vor meiner „großen“ Reise. Hab ich mein Ziel, also doch noch geschafft. *jubel*

Diese Mal gibt es auch nicht wirklich viel zu sagen. Außer, dass ich manchmal an meinem Stil zweifle. Es kommt mir so vor, als hätte ich „nur“ wörtliche Rede und würde das andere drum herum zu sehr unter den Tisch fallen lassen. Oder bilde ich mir das nur ein.
 

Ah und bevor ich es noch gänzlich vergesse:

Dieses Kapitel ist für enni, die vor ein paar Tagen Geburtstag hatte und Dark-Angel, die mir einen Zero Kiryu geschenkt hat! ♥
 

Dann mal gutes Lesen und mal sehen, ob sich eure Theorien erfüllt haben. XD
 

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Weiß nicht rot...
 

Auch Aidou und Kain hatten es bemerkt, doch noch bevor sie reagieren konnten, hörten beide die Tür in der Mitte ihrer Zimmer aufgehen und eilige Schritte nach unten rennen. Aidou verdrehte genervt die Augen. Damit war die Nacht wohl schon wieder vorbei, dachte er verärgert und ließ sich resignierend noch einmal in die Kissen fallen. Er war so froh bald wieder in seinem eigenen Bett schlafen zu können! Egal wann und wie lange er wollte!

Kain ging es nicht viel anders. Auch wenn er es in Gegenwart seines Cousins oder Yuki niemals zeigen würde, so war auch er wenig begeistert, jetzt schon aufstehen zu müssen - besonders nicht aus diesem Anlass. Doch anders als Aidou stand er gleich auf und zog sich um.
 

Zero stand im Foyer und sah sich um. Auch, wenn er schon vier Jahre hier in dieser Stadt lebte, so hatte er dieses Hotel bisher nur von außen gesehen – und mehr wollte er auch gar nicht sehen, fand er gleich, nachdem er es betreten hatte. Es war viel zu dekadent.

„Kann ich ihnen helfen?“, fragte der Wachmann, der ihn gerade bemerkte hatte. Anscheinend waren einfache Besucher um diese Morgenstunde eine Seltenheit.

„Nein, danke. Ich warte auf jemanden.“, antwortet er kurz.

„Auf wen, wenn ich fragen darf und haben sie schon bescheid sagen lassen?“

Zero überlegte, was er diesem Menschen am besten antworten sollte. Er konnte ihm ja schlecht sagen, dass Yuki seine Anwesenheit auch so bemerken würde.

„Zero.“, hörte er Yukis verwunderte Stimme, die ihm somit eine Antwort ersparte.

„Kennen sie den Herrn?“, fragte der Wachmann sie gleich, der sie zuerst von oben bis unten gemustert hatte.

„Ja, natürlich. Es ist alles in Ordnung.“, sagte Yuki und sah den Wachmann gar nicht richtig an. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von Zero lösen. Was machte er hier?

Der Wachmann nickte stumm und entfernte sich anschließend leise.

„Zero, was machst du hier?“, platze sie gleich heraus und sah ihn mit großen Augen an.

„Ich...“, begann er zögerlich. „Können wir reden?“, fragte er schließlich und Yukis Augen wurden nur noch größer. Es gab keinerlei Anzeichen von Feindseligkeit oder Ungeduld, dass er schnell wieder gehen wollte, überlegte sie.

„Ja.“, antwortete sie bloß, weil sie zu mehr einfach nicht in der Lage war. „Ähm... Hier?“, fragte sie und zeigte auf den Kamin und die Sitzplätze davor, die noch vollkommen unbesetzt waren, „oder möchtest du gern wo anders hin?“

„Nein, dass geht schon.“, antwortete er und Yuki hatte plötzlich den Eindruck, dass er erschöpft wirkte. Gar nicht mehr so, wie am Abend zuvor.

Sie setzten sich beide und Zero warf noch einmal einen kurzen Blick nach hinten.
 

„Er hat uns bemerkt.“, sagte Aidou reichlich desinteressiert und gähnte herzhaft.

„Hast du etwas anderes erwartet?“, erwiderte Kain trocken.

„Was sollen wir jetzt machen?“, kam eine anderen gelangweilte Frage und die anderen ignorierend.

„Es würde nicht viel bringen, wenn wir uns einmischen. Anscheinend will er nur mit ihr Reden. Wir sollten hier warten.“

„Hier?“, fragte Aidou ungläubig und sprach ein wenig zu laut. Sie standen hinter der Ecke des Treppenaufganges und lugten hin und wieder dahinter hervor, um sehen zu können, was zwischen Yuki und Zero geschah.

Das war definitiv unter seiner Würde!

„Was wollen wir denn hier? Wir verstehen sowieso nicht, was sie sagen.“, warf er schwach ein, wusste aber gleichzeitig, dass er sich das hätte sparen können.

„Um notfalls eingreifen zu können.“, antwortete Kain sachlich.

„Aber er weiß, dass wir da sind.“

Entnervt sah Kain nun seinen Cousin an. „Das hier ist der letzte Tag, also reis dich zusammen, sonst werde ich Kaname-sama von deinen Kleinkindverhalten berichten.“, zischte er.

Augenblicklich verstummte Aidou und sah nun ebenfalls hinter der Ecke hervor. An dem Bild, hatte sich aber nichts geändert.
 

Zero und Yuki saßen noch immer in den Sesseln, die vor dem Kamin standen. Gerade hatte man ein paar neue Holzscheite aufgelegt und das Feuer labte sich bereist daran.

Zero wartete bis der Hausmeister wieder gegangen war. Nachdem sie endlich wieder allein waren – fast allein – atmete er noch einmal durch.

Yuki sah ihn noch immer gespannt an. Sie hatte es nicht gewagt, ihn nach seinen Dasein zu fragen. Dafür kannte sie ihn immer noch zu gut. Vielmehr musste sie warten, bis er von sich aus erzählte.

„Ich möchte mich für mein Verhalten gestern Abend entschuldigen.“, sagte er schließlich leise.

Erstaunt blickte sie ihn an, schüttelte dann aber den Kopf. „Dafür musste du dich nicht entschuldigen. Du hast dir Sorgen um sie gemacht, da ist es nur natürlich, dass du so reagiert hast. … Du... hast gedacht, dass wir... ihr vielleicht etwas angetan haben könnten. Ich kann das verstehen,... zumindest versuche ich es.“, wisperte sie.

„Ja, das habe ich wirklich gedacht.“, bestätigte Zero ihr Worte und Yuki war darüber nur wenig erschüttert. „Trotzdem war mein Verhalten nicht richtig. Ich hätte meine Wut nicht so äußern sollten. Du hattest recht. Es ging ihr gut und ihr war nichts passiert. Ich muss euch eigentlich noch dankbar sein, dass ihr sie nach Hause gebracht habt. Sie ist zu unvorsichtig, wenn sie am Wasser ist. Ich weiß nicht, wann sie sonst nach Hause gekommen wäre.“

„Zero, du musst dich nicht rechtfertigen. Ich mag Ai sehr. Ich würde ihr niemals etwas antun.“

Zero sah ihr einen Moment in die Augen und Yuki hatte das Gefühl, als wollte er etwas erwidern, überlegte es sich dann aber doch scheinbar anders.

„Ich weiß nicht, ob ich das glauben kann.“, sprach er dann, noch immer im Flüsterton.

„Natürlich.“ Ein trauriges Lächeln huschte kurz über ihr Gesicht, was Zero nicht entging. „Aber solltest du dich nicht viel mehr bei Ai entschuldigen?“, sprach Yuki und versuchte dabei etwas natürlicher zu klingen.

„Das habe ich bereits.“, antwortete Zero und mied ihren Blick. Etwas was er seit Beginn des Gespräches häufig tat, wie Yuki auffiel. „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und das tut mir leid. Ich hätte nicht so reagieren sollen. Es ist nur... Ai ist mir sehr wichtig.“ Er sprach so leise, dass Yuki Mühe hatte ihn zu verstehen und doch war sie sich der Worte sicher. Aber sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Vielleicht sollte sie das auch gar nicht.

„Was würde mich erwarten, wenn ich zurück ginge?“, fragte er sie plötzlich unvermittelt.

Zero sah ins Feuer, aber trotzdem entging ihm ihr verdutzter Gesichtsausdruck nicht. Er konnte es ihr nicht einmal verdenken. Er konnte es ja selbst nicht glauben, dass er wirklich darüber nachdachte!

„Das... uhm... Es hat sich nicht viel verändert. Die Schule gibt es noch, Kurosu ist immer noch Rektor, nur das Yagari jetzt unterrichtet ist neu.“

„Die Night Class gibt es also auch noch?“

Sie nickte kurz. Er schien aber nicht weiter darüber überrascht zu sein. „Die Schüler verhalten sich anständig und folgen den Regeln. Es gibt zwei Vertrauensschüler und sie wissen auch, wer oder was die Night Class ist. Ihr Erinnerungen sollen aber verändert werden, wenn sie die Schule verlassen, wenn sie das möchten.“

„Mmh.“, brummte Zero und Yuki hörte die Unzufriedenheit daraus. „Suchen sie noch nach mir?“, fragte er weiter und klang dabei so sachlich, als würde er über das Wetter reden. „So weit ich mich erinnere, lag gegen mich ein Haftbefehl vor.“

Yuki blickte unsicher auf ihre Hände. „Ja.“

Ein Lächeln legte sich auf Zeros Gesicht und er schüttelte mit dem Kopf. Yuki verstand nicht ganz, was diese Geste zu bedeuten hatte, aber sie wollte auch nicht nachfragen. Sie verstand es schon als äußerst gutes Zeichen, dass er überhaupt mit ihr darüber redete.

„Wenn ich also zurückgehe, würde ich ihnen direkt in die Arme laufen, nicht wahr?“

„Das... uhm... Sie müssen nicht wissen, dass du da bist. Yagari würde nichts sagen und der Rektor sowieso nicht. Außerdem sagte er, dass man mit dem jetzigen Präsident reden könnte. Du bist keine Gefahr für sie und du hast ein geregeltes Leben. Sie haben keinen Grund, dich zu jagen. Den hatten sie nie.“

Ein spöttisches Lächeln legte sich auf sein Gesicht. Wenn es doch nur so einfach wäre.

„Was ist mit der Night Class? Es wird ihnen sicher nicht entgehen.“, fragte er weiter.

Auch wenn er nach der Night Class fragte, wusste Yuki sehr wohl, wen er damit eigentlich meinte.

„Keine Sorge, du wirst nichts mit ihnen zu tun haben.“, antwortete sie ihm selbstsicher.

Zero starrte nachdenklich ins Feuer und erhob sich dann. Er musste zurück und Vorbereitungen für das Geschäft treffen. Yuki tat es ihm gleich. Er würde zurückgehen, dachte sie glücklich. Er würde es tatsächlich tun!

„Zero, wenn du möchtest, kannst du noch heute Nacht mit uns zurückfahren.“, sagte sie übereifrig.

„Auf gar keinen Fall!“, erwiderte er etwas zu heftig. Yuki sah ihn erschrocken an. „Tut mir leid. Aber ich habe mich noch nicht entschieden. Außerdem würde es vorher noch ein paar Dinge geben, die ich klären müsste.“

„Ja, natürlich. Bitte entschuldige. Aber je eher du es tust, desto eher könntest du wieder hierher zurückkehren.“

„Ich weiß.“, erwiderte er und drehte sich zum Gehen um.

Yuki sah ihm hinter her und fühlte sich plötzlich unglaublich erleichtert. Wenigstens konnte sie nun Yagari etwas mitteilen. Zumindest dachte er nun schon einmal darüber nach! Das war mehr, als sie gestern noch zu hoffen gewagt hatte!

Dann sah sie sich einen Moment in der Halle um. Was sollte sie jetzt tun? Bis zur Abreise am Abend war noch genügend Zeit, aber noch einmal zu Bett zu gehen, konnte sie sich auch nicht vorstellen. Dafür war sie zu aufgewühlt. Sie könnte sich also noch mal in der Stadt umsehen. Da Zero jetzt arbeiten musste, würden Aidou und Kain vielleicht nicht unbedingt darauf bestehen, sie zu begleiten. Besonders bei Aidou konnte sie sich vorstellen, dass er sich gern noch Mal hinlegen wollte. Sie blickte nach links und sah einen blonden Haarschopf schnell hinter der Ecke verschwinden. Amüsiert lächelte sie. Auch sie würde froh sein, wenn sie wieder ohne ihre zwei Bewacher aus dem Haus gehen konnte.
 

Der Tag verlief für Yuki ruhig und entspannt. Kain und Aidou hatten sie tatsächlich allein gehen lassen. Natürlich erst nachdem sie ihnen mehrmals versichert hatte, dass Zero nur gekommen war um sich für gestern zu entschuldigen, dass er jetzt sowieso auf Arbeit war und dass sie einen großen Bogen um bedrohlich aussehende Männer machte. Yuki fühlte sich zeitweise wie ein kleines Kind, dem man alles zehn Mal sagen musste und das nicht in der Lage war, auf sich selbst acht zu geben. Aber sie wollte auch nicht wiedersprechen. Zumal sie sich bewusst war, dass Kaname bei ihrer Rückkehr einen ausführlichen Bericht von Aidou und Kain verlangen würde.

Den Vormittag verbrachte Yuki hauptsächlich in dem Teegeschäft, welches sie endlich in Ruhe aufsuchen konnte. Sie probierte sich durch die verschiedenen Sorten und am Ende konnte sie sich nur schwerlich entscheiden. Sie wusste, dass ihr Adoptivvater wohl von allen Sorten begeistert sein würde. Sie entschied sich für fünf Sorten allein für ihn, eine für Yagari, eine für Kaname und drei für sich selbst. Es waren alles unterschiedlich Zusammensetzungen, die sie kaufte, nicht ohne den Hintergedanken von jeder doch noch irgendwie eine Tasse bekommen zu können.

Sie schlenderte durch die Straßen, sah sich die Häuser an und erreichte sogar den Bahnhof. Diesen sah sie sich aber nicht näher an. Es gab noch zu viel zu sehen, als dass sie sich an einem Ort besonders lange aufhalten wollte. Immerhin wollte sie möglichst alles sehen.

Yuki liebte diese Stadt. Selbst wenn sie nur ein paar Tage hier gewesen war, so fühlte sie sich heimisch. Sie würde die engen Straßen und Gassen, die Mentalität und Freundlichkeit der Leute vermissen, wenn sie wieder zu Hause sein würde. Sie konnte nur zu gut verstehen, warum Zero sich gerade hier nieder gelassen hatte. Hier konnte er zurückgezogen von den Vampiren und Huntern leben, umgeben von Menschen, die selbst die einfachsten Dinge, Handwerke und Traditionen noch schätzen und bewahrten. Etwas was sie sich bei ihm hätte niemals vorstellen können, aber was sie jetzt umso besser verstand. Für einen Augenblick dachte sie wehmütig, dass sie ihren Status als Reinblut gern gegen solch ein Leben eintauschen würde.
 

Am späten Nachmittag waren die drei Vampire noch einmal auf dem Weg zum Gasthaus „Zum goldenen Glück“. Sie kamen mit dem Auto, da Yuki darauf bestanden hatte, sich von Zero und Ai zu verabschieden.

Als sie das Wirtshaus betraten, war dieses leer. Das Mittagsgeschäft schien vorüber und die Gäste zum Abendessen waren noch nicht da. Frau Sayuka sah sie und begrüßte sie so freundlich, wie sie es auch die letzten Tage schon getan hatte.

„Ist alles in Ordnung mit ihnen?“, fragte sie dann und Yuki sah sie verwundert an.

„Ja, warum fragen sie?“

„Er hatte gestern so schlechte Laune, wie schon lange nicht mehr. Ich hab gesehen, wie sie Ai zurückgebracht haben und es würde mich nicht wundern, wenn er sie an ihnen ausgelassen hat.“

„Oh, nein. Es ist alles in Ordnung. Es war... nur ein Missverständnis.“, antwortete Yuki und lächelte sie an.

„Manchmal sollte er sich wirklich zusammenreisen.“, sagte Frau Sayuka und Yuki merkte, dass diese ihr wohl nicht ganz glaubte.

„Das ist ja wohl meine Sache.“, erwiderte Zero, der wie das erste Mal, aus der Küche kam.

„Ja, ja. Ich weiß schon.“, antwortete Frau Sayuka resigniert. Dieser Mann würde sich nie etwas sagen lassen. „Ich lass euch dann mal allein.“

Sie ging in die Küche und die vier sahen sich einen Moment schweigend an.

„Warum seid ihr schon wieder da?“, fragte Zero leicht genervt. Nur weil er darüber nachdachte eventuell zurückzugehen, hieß das nicht, dass er sie deswegen auch ständig um sich haben wollte. Er musste erst einmal selbst darüber nachdenken.

„Ich wollte mich nur ordentlich von euch verabschieden.“, sagte Yuki. „Es war mir wichtig.“

Zero sah sie flüchtig an. Spielte sie damit auf ihre Trennung von vor zwanzig Jahren an?

„Was ihr geht schon?“, hörten sie nun Ais klare Stimme vom oberen Stockwerk kommen.

Sie kam die Treppe heruntergehüpft und hatte einen Teller in der Hand, auf dem sich anscheinend ihr Mittagessen befunden hatte.

„Ja, auch wenn ich gern noch ein bisschen bleiben würde.“, gestand Yuki offen und lächelte sie freundlich an.

„Ich komm gleich wieder und bring das nur schnell in die Küche. Noch nicht weggehen!“, befahl sie und verschwand in der Küche.

„Warum bringt sie ihren Teller nach unten?“, fragte Yuki etwas verwundert.

„Ich koche für sie hier unten mit, das ist einfacher.“, antwortet Zero ihr.

Ai kam sofort wieder und strahlte sie mit großen, grünen Augen an.

„Warum müsst ihr denn schon gehen?“, fragte sie gleich weiter.

„Wir sind schon sehr lange unterwegs und haben nach Zero gesucht. Wir möchten endlich wieder nach Hause. Außerdem gibt es jemanden der auf mich wartet.“, erklärte Yuki ihr.

Zero stieß einen verächtlichen Laut aus und Ai sah kurz zu ihrem Papa. Sie kräuselte die Nase, was Yuki nicht entging. Anscheinend hatte sie begriffen, wen sie meinte.

„Könnt ihr nicht noch ein bisschen bleiben? Wir trinken auch gleich noch Kaffee.“, fragte Ai sie.

Am liebsten hätte Yuki sofort ja gesagt, doch sie wusste, dass sie Zeros Geduld nicht noch mehr strapazieren durfte. Seine und die von ihren Begleitern auch nicht.

„Tut mir leid, das geht nicht.“, antwortete sie ihr deshalb schweren Herzens. „Ich habe mich sehr gefreut dich kennen zu lernen, Ai. Ich hoffe wir sehen uns wieder.“

Diese nickt zwar, schien aber mit dem plötzlichen Abschied ganz und gar nicht zufrieden.

Yuki wandte sich nun an Zero, der die beiden beobachtet hatte. „Ich werde ihm sagen, dass du wenigstens darüber nachdenkst kurz zurückzukommen. Ich glaube es wird ihm besser gehen, wenn er endlich ein paar Antworten bekommt.“ Auch er nickte und Aidou und Kain sahen sich ein wenig verwundert an. Yuki würde ihnen endlich erzählen müssen, was es eigentlich genau war, das sie Zero die ganze Zeit hatte dringend ausrichten wollen.

„Was?! Wir fahren zu dir nach Hause?“, fragte Ai aufgeregt. Es konnte doch nur darum gehen! Ihr Papa hatte ihr heute Morgen schließlich gesagt, dass Yuki ihn gefragt hatte, ob er noch einmal zu dieser Cross Akademie fährt, wegen Yagari und so. „Oh, das wird bestimmt toll!“

„Nein, tun wir nicht.“, dämpfte Zero sofort ihren Enthusiasmus. „Ich denke lediglich darüber nach, aber ich habe mich noch nicht entschieden. Aber selbst, wenn ich fahren würde, dann ohne dich.“, machte er ihr klar. Auf keinen Fall würde er sie dahin mitnehmen.

„Du... willst mich nicht mitnehmen? D-Du… Du willst mich allein lassen?“, fragte sie stotternd. Bei jedem ihrer Worte waren ihre Augen ein Stück größer geworden und die nackte Angst sprach daraus. Etwas was Zero nicht entging, er aber überhaupt nicht nachvollziehen konnte.

„Es wäre nur für ein paar Tage. Ich muss ein paar Dinge klären und dann würde ich gleich zurückkommen. Du musst dir keine Sorgen machen.“

„Nein, Papa! Bitte nimm mich mit! Du darfst mich nicht hier lassen!“, sagte sie aufgebracht und ihre Stimme war zittrig. Ihre Augen waren gerötete. Jeden Moment würde sie anfangen zu weinen, dass war selbst Yuki bewusst.

„Ich sagte nein.“, wiederholte Zero einmal, „und darüber diskutiere ich auch nicht mit dir.“

„Aber du hast versprochen, dass... d-du... Bitte, nimm mich mit! Papa!“ Die erste Träne lief ihre Wange herunter und bald darauf folgten die nächsten. Ihre Stimme war brüchig und klang fast wie ein Flehen.

„Ai, was soll denn das?“, fragte Zero verwundert und vielleicht auch ein wenig erschrocken. So kannte er sie gar nicht. „Es würde doch nur ein paar Tage dauern.“

Sie antwortete nicht, sondern weinte nur noch heftiger. „Nein... G-Geh... nicht...“, presste sie zwischen zwei Schluchzern hervor und klammerte sich an Zeros Jacke. „… nicht ohne mich…“

Yuki sah unsicher zu Zero, der selbst etwas überfordert mit Ais Verhalten schien. Ihr Weinen war herzzerreisend und ging ihr durch Mark und Bein. Sie biss sich auf die Lippen. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie Ai sofort erlaubt mit zu kommen.

„Jetzt, reicht es aber.“, sagte Zero und klang nun wütend. „Dieses Mal wirst du deinen Willen nicht bekommen.“

Abermals hob er sie hoch und sie klammerte sich sofort an ihm fest. Den Kopf vergrub sie an seiner Schulter und schluchzte heftig, während er sie nach oben trug. Immer wieder wimmerte sie die gleichen Worte. „B-Bit-te nimm m-mich mit.“
 

Erschrocken hatte Yuki die Szene beobachtet und wusste nicht, was sie tun sollte. So etwas hätte sie nie erwartet. Wieso war es plötzlich dazu gekommen? Selbst jetzt, als Zero bereits mit ihr auf dem Flur sein musste, konnte sie Ais Flehen noch hören, genauso wie das Schluchzen, welches ihr Herz zu sprengen drohte. Noch nie hatte sie etwas Schmerzvolleres gehört. Es war ihre Schuld, fuhr es ihr durch den Kopf. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgten sie den beiden. Vielleicht konnte sie Ai ja gut zureden, sie so beruhigen. Aber sie konnte auf keinen Fall dort unten stehen bleiben oder gar abfahren!

„Yuki!“, zischte Aidou genervt, währenddessen sein Cousin einen Seufzer ausstieß?

„Und nun?“

„Warten wir.“, antwortete Kain und machte sich daran die ebenfalls nach oben zu gehen.
 

Yuki betrat Zeros Wohnung und Ais Weinen war noch nicht weniger geworden. Sie folgte dem Laut in Ais Zimmer. Dort sah sie, wie Zero sie gerade wenig sanft herunter ließ. Er löste ihre Finger von seiner Jacke und sofort krümmte sich Ai zusammen. „Nein! Nein!“, schrie sie in ihr Kissen und Zero betrachtete sie einen Moment. Yuki konnte sehen, dass es ihm selbst leid tat, was er gesagt oder getan hatte, aber sie wusste auch, dass er seine Meinung nicht ändern würde. Zu wenig vertraute er ihr und zu viele Sorgen machte er sich um Ai. Trotzdem wünschte sie, sie könnte irgendetwas tun.

„Wenn du dich wieder beruhigt hast, reden wir weiter.“, sagte Zero und schaffte es dennoch seine Stimme entschlossen klingen zu lassen.

„Nein... bitte... Papa!“, schluchzte sie noch einmal kläglich, doch da Zero schloss die Tür hinter sich und das Weinen drang nur noch gedämpft zu ihnen. Aber es war noch genauso herzzerreisend und jagte Yuki Gänsehaut über den Rücken.

„Zero, was ist...“, fragte sie und sah wieder nervös zur Tür.

„Ich weiß es nicht. Das ist das erste Mal, dass sie sich so aufführt.“, antwortete er ihr angespannt. Er wusste selbst nicht, wie er in so einer Situation reagieren sollte. Dass sie nun auch noch hier war, machte die Sache nicht gerade leichter. Er dreht sich um, doch aus den Augenwinkeln sah er, wie Yuki an die Türklinge fasste und sie öffnen wollte.

„Lass das!“, fuhr er sie an. „Sie kann nicht immer alles haben.“

„Ja, aber...“ Sie sah unschlüssig zur Tür und dann wieder zu Zero, der bereits in der Küche war. Nur äußerst widerwillig folgte sie ihm.

„Zero, es tut mir leid. Ich wollte wirklich nicht...“

„Schon gut. Sie muss lernen, dass nicht immer alles nach ihrem Willen geht. Sie beruhigt sich auch schon wieder.“

Jetzt erschienen auch Aidou und Kain im der Küche und Zero stieß einen genervten Laut aus. Er konnte sich nicht erinnern, sie nach oben gebeten zu haben und Ais anhaltendes Weinen, Schluchzen und Schreien strapazierten seine Nerven zusätzlich.

„Yuki, wir sollten wirklich los. Wir brauchen sowieso schon fast drei Tage ehe wir wieder zu Hause sind. Du hast doch nun alles erledigt. Lass uns endlich fahren.“, beschwerte sich Aidou und musste sogar die Stimme erheben, um Ais zu übertönen.

„Aber, ich... ich will erst warten bis Ai sich wieder beruhigt hat.“, versuchte sie schwach zu überzeugen.

„So wie sich das anhört, kann das noch Stunden dauern. Wir sollten jetzt endlich nach Hause fahren!“, erwiderte er ungeduldig.

„Nein, es ist schließlich meine Schuld.“, wiedersprach sie ihm heftiger. Sie wusste, dass es albern war, aber sie konnte doch nicht einfach so fahren, ohne zu wissen, warum sich Ai so verhielt und vor allem, ob mit ihr und Zero dann auch wieder alles in Ordnung sein würde.

„Yuki!“

„Aidou!“, wies Kain seinen Cousin zurecht. Auch, wenn er recht hatte, mit dem was er sagte, so hatte er noch lange nicht das Recht so mit Yuki zu reden, egal wie gut sie befreundet waren. „Wir können auch noch die paar Minuten warten. Wie es scheint beruhigt sich Ai langsam.“, sagte er dann ruhiger.

Alle vier lauschten den Geräuschen aus dem Nebenzimmer. Das Schluchzen war plötzlich abgehakter und sehr viel leiser. Hin und wieder hörten sie Ai zwischendurch heftig husten und Yuki hatte Mühe dem Impuls nicht nachzugeben sofort zu ihr zu gehen. Man sollte ein Kind doch trösten!

Nur wenige Augenblicke später, war es gänzlich still geworden. Es war kein Husten und auch kein Schluchzen mehr zu hören.

„Na endlich!“, stieß Aidou erleichtert aus.

„Zero?“, fragte Yuki besorgt, die sah, dass sich auf sein Gesicht ein seltsamer Ausdruck gelegt hatte. Er wirkte zwar noch immer angespannt, doch schien sich auch noch etwas anderes daran zu spiegeln. War es Verwunderung? Schuld? Hilflosigkeit? Sie wusste es nicht genau zu sagen.

Er ging an ihnen vorbei, zu Ais Zimmer. Unschlüssig blieb er davor stehen. Er wusste, dass er sie eigentlich noch länger allein lassen sollte und dass es der Situation nicht förderlich war, wenn er jetzt schon wieder mit ihr darüber sprach. Aber er konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, sie weinend allein zu lassen – auch wenn es vielleicht ihrer Erziehung diente. Sie war schließlich erst elf.

„Ai?“, fragte er vorsichtig, doch er bekam keine Antwort. Wahrscheinlich bockte sie jetzt. Davon würde er sich aber nicht beirren lassen.

Er öffnete die Tür. „Na, hast du dich wieder beruhigt?“, wollte er sie fragen, doch als er sie sah, blieben ihm die Worte im Halse stecken.

Ai lag mit dem Bauch auf dem Boden, ihr Gesicht vollkommen bleich und verschwitzt. Die blonden Haare waren nass und klebten in ihrem sonst so hübschen Gesicht. Der Mund stand offen, als wollte sie gerade noch etwas sagen. Selbst die Spuren ihrer Tränen, die sie vorher noch sie heftig geweint hatte, waren kaum noch sichtbar. Alles war weiß.

Weiß nicht rot.

Atmete sie? Lebte sie noch?

Er sah es nicht.

Er wusste es nicht.

Was hatte er getan?

Noch einmal... Wieder war es seine Schuld... Warum?

Er sah dunkles Blut vor sich. Ein toter Körper. Der Tod.

Nicht noch einmal...

Bilder vermischten sich; Vergangenheit und Gegenwart; rissen ihn mit sich, wie ein unaufhaltsamer Strom, tief hinab in die Finsternis seiner Schuld.
 

Yuki wartete eigentlich darauf, dass sie hörte, wie Zero mit Ai sprach, dass alles wieder gut war. Doch nachdem Zero die Zimmertür geöffnet hatte, war kein Laut mehr zu ihnen gedrungen. Ob auch wirklich alles in Ordnung war?

Sie hielt das Warten einfach nicht mehr aus. Sie ging zu Ais Zimmer und war etwas überrascht Zero dort reglos stehen zu sehen.

„Zero?“, fragte sie ihn leise und ging noch einen Schritt weiter. Er antwortete ihr nicht. Kurz glaubte sie Ais weißen Pullover auf dem Boden liegen zu sehen. Aber bestimmt irrte sie sich. Neugierig drückte sich Yuki an ihm vorbei. Was starrte er nur die ganze Zeit an?

„AI!“, stieß sie entsetzt aus, als sie sie leblos am Boden liegen sah und erstarrte selbst.
 

Erst durch ihren Schrei, wurde er aus seinen Erinnerungen gerissen, als wäre er in kaltes Wasser gefallen. Er stürzte auf sie zu. Nur unbewusst nahm er war, wie auch Aidou und Kain das Zimmer betraten.

Hastig hob er sie hoch, nahm sie in seine Arme und berührte mit zitternden Fingern ihre Stirn. Sie fühlte sich kalt und nass an.

„Ai.“, flüsterte er heißer und strich fieberhaft über ihr Gesicht, doch sie rührte sich nicht.

Ein schwacher Atemzug streifte seine Hand und Erleichterung durchströmte ihn. Es bedeutete, dass sie noch lebte. Doch nur kurz hielt dieses Gefühl an. Noch immer lag sie blass und bewusstlos in seinen Armen. Sein Körper fühlte sich auf einmal taub an, kalt und weit von ihm entfernt. Wie alles andere, was ihn vor wenigen Augenblicken noch umgeben hatte.

„Ai...“, sagte er noch einmal verzweifelt. Seine Gedanken drehten sich. Immer wieder sah er ein anderes Bild von seinen Augen.

Eines dem jetzigen nicht unähnlich und genauso grausam.
 

Nur einen Bruchteil eines Sekunde hatten Aidou und Kainz die Szene beobachtet.

„Wir holen einen Arzt.“, hatte Kainz gesagt und war mit Aidou gleich darauf nach unten gerannt.

Yuki schluckte heftig. Ihre Beine zitterten und sie fühlte die Angst in ihrem Körper. Vorsichtig ging sie auf Zero zu, sah wie sehr er das Kind an sich presste und die Verzweiflung seine Gesicht verzerrte.

Irgendetwas musste sie tun. Sie versuchte sich zu beruhigen, nachzudenken, was zu tun sei. Sie musste ihm helfen, sie musste ihr helfen.

Behutsam legte sie ihr Hände auf die seinen. Erschrocken sah er sie an. Noch nie hatte sie so viel Angst in seinen Augen gesehen.

„Wir... Wir sollten sie ins Bett legen und ihre Kleidung wechseln.“, sagte sie mit trockener Kehle. „Kain und Aidou holen einen Arzt. … Es wird sicher alles gut werden.“, sagte sie und war selbst erstaunt, wie sie es schaffte so ruhig dabei zu klingen.

Er nickte kurz und trug Ai zu ihrem Bett.
 

Nervös standen die fünf in der Küche: Frau und Herr Sauce, Yuki, Aidou und Kain. Sie hatten bisher nur wenig gesprochen und wenn dann nicht mehr als ein paar Wortfetzten, um das Geschehene zu erklären. Allerdings wusste niemand was eigentlich dazu geführt hatte. Sie alle wartete darauf, dass Zero und der Arzt Ais Zimmer wieder verließen und sie endlich erfuhren, was passiert war, aber vor allem, wie es Ai jetzt ging.

Seit einer halben Stunde war der Arzt da – er war gekommen, kurz nachdem sie Ai umgezogen hatten – und noch immer war nichts aus dem Nachbarzimmer zu ihnen gedrungen.

Frau Sayuka seufzte laut.

„Er macht sich bestimmt schreckliche Vorwürfe.“, sagte sie schließlich. Yuki nickte leicht.

„Ich versteh das nicht. Es ging ihr doch gut.“, sagte die Wirtin weiter und wiederholte sich dabei. Ihr Gesicht und ihre Stimme zeugten von äußerster Besorgnis. „Wie kann sie denn plötzlich das Bewusstsein verlieren?“

„Wir wissen es nicht.“, antwortete Yuki ebenfalls noch einmal und sah immer noch auf ihre Finger. Sie hoffte, bald eine Antwort von Zero zu erhalten.
 

Noch immer saß der Arzt an Ais Bett und untersuchte sie. Bisher hatte er nichts Eindeutiges feststellen können und Zero wusste nicht, ob er erleichtert darüber sein sollte oder noch besorgter.

Das alles war seine Schuld! Er hätte sie nicht so behandeln sollen. Er hätte vernünftig mit ihr reden sollen, bis sie es verstanden hätte!

„Ich kann wirklich nichts ungewöhnliches feststellen.“, sagte der Arzt nun und entfernte das Stethoskop. „Ihre Herztöne sind gleichmäßig, genauso wie ihre Atmung. Puls und Blutdruck sind ebenfalls normal. Sie hat kein Fieber und auch wenn ich ihren Bauch abtaste, kann ich nichts finden. Ich bin sicher es geht ihr gut.“, sagte er und legte das Stethoskop in seine Tasche. „Rein körperlich geht es ihr gut.“

„Sind sie sich sicher?“, fragte Zero zweifelnd. Es musste doch einen Grund geben!

Natürlich gab es den, dachte er verbittert. Das würde er sich nie verzeihen können.

„Ja, ich habe sie zweimal untersucht und kann wirklich nichts finden. … Sie sagten sie hätte angefangen mit weinen, weil sie ihr erzählt haben, sie würden ohne sie verreisen?

Zero nickte.

„War vielleicht das der Auslöser?“

Verwirrt sah Zero ihn an. „Ich verstehe nicht ganz, was sie damit meinen.“

„Hat sie vielleicht Angst von ihnen getrennt zu sein, allein zu sein?“

Ausdruckslos sah Zero den Mann an, doch dieser redetet weiter. „Vielleicht hat ihr Körper bei der Vorstellung daran überreagiert und konnte es nicht verkraften. Gab es einmal eine Situation, die so eine Angst hervorgerufen haben könnte, vielleicht einen Augenblick in dem etwas Schlimmes geschehen ist und sie allein war?“

Kalter Schweiß brach ihm aus, als er diese Worte hörte und das Entsetzen stand auf seinem Gesicht, als er abermals leicht nickte. Wie konnte er nur so dumm gewesen sein und es nicht bemerkt haben?!

„Wenn das so ist, könnte sie durchaus eine Panikattacke gehabt haben. Das kann bei einigen Menschen zu Kurzatmigkeit, bis hin zu Atemnot führen. Außerdem ist sie noch ein Kind. Wenn sie ohnehin schon geweint hat, war ihr Körper noch angreifbarer.“

Zero hörte ihm zu und es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. Was hatte er diesem Mädchen nur angetan?

Der Arzt griff in seine Tasche und nahm eine kleine braune Flasche und eine neue Spritze heraus. Die Spritze zog er an der winzig kleinen Öffnung am Deckel der Flasche auf.

„Ich gebe ihr ein Vitaminpräparat, damit sie schneller wieder zu Kräften kommt. Sie sollten mit ihr darüber reden und die Ursache ihrer Angst klären. Wenn sie die kennen, wird es ihnen beiden leichter fallen zu reagieren und vor allem auch damit umzugehen. Sie sollten vielleicht über eine psychologische Behandlung nachdenken, wenn es solche Auswirkungen auf sie hat. Aber darüber können sie in Ruhe entscheiden. Wenn sie noch Fragen haben, stehe ich ihnen gern zur Verfügung.“

Er setzte die Nadel an Ais Oberarm an, stach kurz hinein und drückte die Flüssigkeit nach oben. Als er die Spritze wieder hinaus zog, quoll ein winziger Tropfen Blut aus ihrem Arm, den der Arzt zwar sofort abtupfte und ein Pflaster über die Stelle klebte, aber trotzdem hatte Zero es bemerkt. Ihm wurde schlecht davon.

„Danke.“, antwortete er leise.

Der Arzt packte seine Sachen zusammen und Zero begleitete ihn nach draußen. Er wollte ihn bis zur Tür bringen, doch dieser lehnte dankend ab, er würde den Weg auch allein finden.

Noch bevor Zero die Tür wieder geschlossen hatte, standen die anderen im Flur und sahen ihn mit besorgten und fragenden Augen an, die eine Antwort verlangten.

„Es geht ihr gut und sie schläft jetzt. Er glaubt, dass sie eine Panikattacke hatte oder so ähnlich. Es kann damit zusammenhängen, dass ich gesagt habe, ich würde ohne sie reisen. Ich weiß nicht... Ich muss sie fragen.“, flüsterte er und lehnte sich erschöpft gegen die Tür. Er wünschte sie würden gehen, andererseits wusste er nicht, ob er jetzt schon wirklich allein sein wollte.

Frau Sayuka ging auf ihn zu und berührte ihn kurz verständnisvoll am Arm. „Es wird schon alles wieder gut werden. Wenn der Arzt sagt, es ist nichts Ernstes, dann glauben wir das auch. Ich weiß zwar nicht genau, worum es geht, aber es ist ganz bestimmt nicht deine Schuld, hörst du? Nicht, dass du dir das jetzt einredest. Es konnte ja niemand ahnen, dass sie so reagieren würde. Aber ich kann verstehen, dass du dir Vorwürfe machst. So ist dass nun mal, wenn man Kinder hat.“

Zero nickte kurz. Er wusste sehr wohl, was diese Worte bedeuteten.

„Kann ich kurz zu ihr? Dann lassen wir euch auch wieder allein.“, fragte sie ihn noch einmal und wieder nickte Zero. Frau Sayuka wandte sich Ais Zimmer zu und betrat es leise.

Zero sah, wie sie sich vorsichtig über Ai beugte und ihr über die Wange streichelte.

„Herr Sayuka,...“, wollte Zero ansetzen, doch dieser ließ ihn gar nicht ausreden.

„Selbstverständlich musste du heute nicht arbeiten. Wir haben es früher auch ohne dich geschafft, da wird es diesen Abend auch noch mal gehen.“, kam ihn dieser zuvor. Selbst auf seinem Gesicht hatte sich Besorgnis geschlichen.

„Danke.“

„Nicht doch. Wir wollen schließlich alle, dass es ihr bald wieder besser geht.“

Frau Sayuka kam aus Ais Zimmer und zog die Tür leise an.

„Wenn noch irgendetwas ist, wir sind unten.“, sagte die Wirtin zu ihm. Dann verließen sie und ihr Mann die Wohnung.

Zero ging zurück zu Ai und Yuki folgte ihm.

„Zero, es tut mir wirklich leid. Das...Ich...wollte nicht... “, stammelte sie mit gedämpfter Stimme.

Er schüttelte kurz den Kopf. „Ich sagte doch, dass du nichts dafür kannst. Vielmehr muss ich... Danke.“, wisperte er. Yuki sah ihn erstaunt an, doch er sah zu Ai. Sie wusste nicht, was sie empfinden sollte. Sie war glücklich über diese Reaktion von ihm, hätte sie sie doch vor ein paar Tagen noch vollkommen unmöglich gehalten, aber sie wünschte die Umstände wären andere. Aber seinen Gesichtsausdruck, den sie bei ihm gesehen hatte, als sie Ai fanden hätten sie am liebsten vergessen, doch sie wusste, dass es unmöglich war. Nur einmal hatte sie so viel Schmerz, Leid und Verzweiflung bei ihm gesehen. Und auch da, wollte sie es am liebsten vergessen. Noch immer ohne Erfolg.

„Du musst dich nicht bedanken. … Auch ich hatte Angst um sie.“

Sie schwiegen eine Weile und Yuki betrachtete nachdenklich Ai. Eigentlich wollten sie bereits vor einer guten Stunde aufbrechen und sie wusste, dass Kain und Aidou wohl von ihr erwarten würden, dass sie es auch taten, sobald sie sicher sein konnte, dass es Ai besser ging und es sich nicht um etwas Bedenkliches handelte, aber irgendwie...

Yuki wollte jetzt nicht einfach abreisen. Nicht bevor sie noch einmal Ais Lachen gesehen hatte. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie jetzt fuhren und sie irgendwann einmal erfahren würde, dass es ihr doch nicht so gut gegangen war. Auch mit ihrem Gewissen könnte sie das nie vereinbaren. Und vielleicht war es unter diesen Umständen ein Abschied für immer, doch daran wollte sie nicht einmal denken.

„Ai?“, hörte sie Zero plötzlich fragen und seine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Ihre Augenlider begannen zu flattern und ihr Kopf bewegte sich etwas. Sie wachte auf.

Yuki sah die Angespanntheit in Zeros Gesicht und die Nervosität. Jetzt würde sich zeigen, ob der Arzt wirklich recht gehabt hatte.
 

Nur sehr schwerfällig öffnete sie die Augen. Alles war verschwommen und undeutlich. Nur ein paar Umrisse nahm sie war. Und ihre Augen fühlten sich so schrecklich schwer an. Sie konnte sie nicht länger offenhalten, ließ sie erneut zufallen.

„Ai?“, hörte sie noch einmal jemanden Flüstern. Die Stimme war ihr vertraut. Mühselig öffnete sie die Augen erneut und strengte sich an, etwas zu erkennen. Es dauerte einen Moment, aber es gelang ihr. Vor ihr saß ihr Papa und... Yuki.

Sanft strich ihr jemand über die Wange. Bestimmt ihr Papa, dachte sie. Seine Hände waren so groß und warm, es konnte nur ihr Papa sein.

„Ai, erkennst du mich?“, fragte er sie mit leiser Stimme.

Sie nickte kurz mit dem Kopf und langsam gelang es ihr den Schlaf etwas abzuschütteln.

„Wie geht es dir, Ai?“, fragte Zero sie sanft und strich ihr noch immer zärtlich über die Wange.

„Gut, glaube ich...“, flüsterte sie heißer. „Was... Was ist passiert?“

„Trink erst einmal ein Schluck.“, erwiderte er und setzte ein Glas Wasser an ihre Lippen. In einen Zug trank sie das Glas leer, als sie aber bemerkte, was es war, verzog sie angeekelt das Gesicht.

„Bäh, Wasser.“, murmelte sie.

Zero lachte kurz erleichtert auf. Wenn sie wieder rummäkeln konnte, schien es ihr wirklich besser zu gehen. Er stellte das Glas wieder auf ihren kleinen Nachttisch und sah sie nachdenklich an.

„Du warst bewusstlos. Erinnerst du dich nicht?“

Ai überlegte einen Moment und schüttelte dann den Kopf.

„Woran erinnerst du dich?“, fragte er sie geduldig. Sie schwieg. Dann antwortete sie langsam: „Ich war in meinem Zimmer und du... du wolltest... ohne mich verreisen...“ Während sie diese Worte tonlos aussprach, weiteten sich ihre Augen vor Angst erneut und auch ihr Atem wurde auf einmal schneller.

„Ai, beruhige dich.“, mahnte Zero sie sanft und streichelte ihren Arm. „Ich werde jetzt nirgendwo hingehen, du kannst also unbesorgt sein.“

Sie nickte kurz und beruhigte sich spürbar.

„Was ist dann passiert?“, fragte er sie weiter.

„Ich habe geweint und dann... dann ist mir plötzlich ganz schwarz vor Augen geworden. Ich habe keine Luft mehr bekommen, konnte nicht atmen...“

„Du hattest Angst, nicht wahr?“, presste Zero hervor. Die Vorstellung, dass er allein der Auslöser dafür war, drehte ihm den Magen um.

Wieder nickte Ai.

„Warum? Warum hast du solche Angst, wenn ich sage, ich würde ohne dich verreisen?“

Ai sah zur Seite und atmete schwer aus. Sie nahm „Hase“ in den Arm und verbarg ihr Gesicht hinter dem Stofftier.

„Ai, warum?“, fragte Zero noch einmal, aber noch immer genauso geduldig.

„Ma- Mami hat gesagt, dass... dass to-san verreisen wollte. … Er hat gesagt, er wollte schon bald wieder kommen, nur ein paar Tage, aber er... Er kam... kam nicht mehr zurück. Mami hat ganz viel geweint und gesagt, dass er... dass mein to-san gestorben ist.“, erzählte Ai stockend und presste „Hase“ nur noch mehr an sich.

Zero stieß scharf die Luft aus. Er könnte sich selbst ohrfeigen.

„Warum hast du mir das bis jetzt noch nicht erzählt?“

Ai zuckte kurz mit den Schultern. „Ich weiß nicht... ich habe es vergessen.“

Er bemühte sich um seine Selbstbeherrschung. Hätte er das nur früher gewusst! Er hätte ihr all den Kummer ersparen können! Dann hätte er es doch niemals erst in Erwägung gezogen ohne sie zu reisen!

„Es tut mir leid.“, murmelte Ai nun. „Ich habe wirklich nicht daran gedacht. Ich wollte dich nicht belügen.“, entschuldigte sie hastig und war dabei sich wieder zu sehr aufzuregen.

„Scht.“, beruhigte Zero sie und legte einen Finger auf ihre Lippen. „Ich glaube dir ja und ich mache dir auch keine Vorwürfe.“

Verwirrt sah Yuki von einen zum anderen. Irgendetwas war gerade geschehen, dass sie verpasst hatte. Warum hatte Ai so aufgebracht reagiert?

„Du solltest noch ein bisschen schlafen und dich ausruhen.“, sagte er sanft und deckte sie wieder zu.

Ai nickte nur zu bereitwillig. „Muss ich morgen zu Schule?“, fragte sie müde.

„Nein. Der Arzt hat dich ein paar Tage krankgeschrieben. Du sollst dich in Ruhe erholen. … Aber das ist noch lange kein Grund so zu grinsen. Du musst schließlich auch alles nachholen, was du versäumst.“, sagte er sofort, als er das breite Grinsen auf ihrem Gesicht sah.

Ais Lächeln verschwand bei dieser Vorstellung augenblicklich. Sie hatte also nichts durch ihr Kranksein gewonnen, sondern eher das Gegenteil. Es nachholen zu müssen, fand sie noch schlimmer. Es dauerte schließlich auch länger.

Sie sah nun zu Yuki und sah sie recht erstaunt an. Es wunderte sie, dass sie noch immer da war.

„Reist ihr heut wirklich noch ab?“, fragte sie schließlich.

„Nun ja... Ich habe leider keinen Grund mehr hier zu bleiben.“, antwortete Yuki traurig und kam einen Schritt näher. „Aber ich wollte wenigstens noch sehen, wie es dir geht.“

„Oh... Aber könnt ihr nicht doch noch bleiben. Noch einen Tag?“

„Warum denn?“, fragte Yuki neugierig. Sie wusste, dass sie zurückkehren musste, dass sie von jemandem erwartete wurde, der sich nach ihr sehnte und den sie genauso vermisste und trotzdem hoffte sie beinah, dass Ai ihr einen Grund gab, noch zu bleiben.

„Weil ich... weil ich...“ Ai biss sich auf die Lippen und suchte krampfhaft nach einer Antwort. Womit konnte sie sie nur überzeugen? „Weil ich gern mit dir Eis essen gehen würde!“, sagte sie dann schnell.

„Huh?“, fragte Yuki verwirrt. Was war das denn für ein Grund? Sie hörte wie Zero seufzte und den Kopf schüttelte.

„Papa hat mir erzählt, dass du Eis genauso gern magst, wie ich und es gibt hier ein Café in dem das Eis super lecker schmeckt!“, erzählte sie aufgeregt und ihre Augen begannen bei den Worten zu leuchten.

Perplex sah Yuki sie an.

„Ai, was... wie...“

„Ai, sie werden wohl kaum deswegen hier bleiben. Sie haben selbst genug Verpflichtungen.“, redete nun Zero dazwischen.

„Och bitte...“, begann Ai zu betteln. „Bitte, bitte. Nur einen Tag und das Eis ist wirklich lecker. Außerdem geht es mir dann bestimmt viel schneller wieder besser.“

Yuki sah sie einen Moment an. Ihre grünen Augen hatten etwas, was Yuki faszinierte und dem sie nicht wiederstehen konnte. Außerdem wurde sie sich langsam bewusst, wie Ai es immer schaffte Zero so zu beeinflussen – wie sie es geschafft hatte ihn so zu verändern. Man konnte ihr nur schwerlich etwas abschlagen, wenn sie einen so um etwas bat.

„Also gut.“, stimmte Yuki schließlich zu. „Wenn du sagst, es würde dir dadurch schneller wieder besser gehen, dann muss ich ja bleiben. Außerdem will ich wissen, ob es wirklich so gut ist, wie du sagst.“

„Danke!“, rief Ai freudig.

„Nein, wir haben doch schon Oktober. Eis sollte man da nicht mehr essen“, warf Zero ein. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass Yuki ihr so etwas versprach. Ein Versprechen, was sie sowieso nicht halten konnte.

„Eis kann man immer essen!“, wiedersprachen die zwei Mädchen sofort und sahen ihn Ernst an. Wie konnte er nur so etwas sagen?! Ai und Yuki warfen sich einen kurzen Blick zu und mussten dann kichern.

Zero stöhnte kurz genervt auf. „Meinetwegen, aber danach wirst du Yuki nach Hause fahren lassen.“

Wieder nickte Ai brav.

„Ai, schlaf jetzt bitte. Ich will mir nicht länger sorgen um dich machen müssen.“, versuchte es Zero noch einmal. Doch kaum hatte er es ausgesprochen vielen Ai auch schon die Augen wieder zu.

„Bleibst du hier?“, murmelte sie und war schon fast eingeschlafen. „Solange bis ich wieder aufwache?“

„Natürlich, bleibe ich hier. Ich bringe Yuki und die anderen noch zur Tür und komme dann sofort wieder.“, beantwortete Zero ihre Frage.

Yuki sah ihn verwundert an. Diese Szene kam ihr so bekannt vor. Sie selbst hatte Kaname-sama oft gebeten, bei ihr zu bleiben, wenn sie krank war. Auch er hatte es ihr damals versprochen, doch jedes Mal, wenn sie aufgewacht war, war sie allein gewesen und sein Platz leer. Er war nicht bei ihr geblieben. Er war gegangen.

Und immer, wenn sie nach ihm sehen wollte, hatte sie hin und wieder Zero sitzend vor ihrer Tür vorgefunden. Die Stelle an der er gesessen hatte, war immer merkwürdig warm gewesen, erinnerte sie sich.

Sie betrachtete ihn weiter und plötzlich war es ihr, als würde der Schleier gelüftet. Erschrocken sah sie ihn an. Erst jetzt wurde er klar, warum er da gesessen hatte!

Er hatte sicher gehen wollen, dass es ihr gut ging! Das sie nicht allein war. Wieso hatte sie es nicht früher bemerkt? Warum wurde es ihr erst jetzt bewusst? Dabei war es doch offensichtlich.

Sie sah wie Zero Ai noch einmal liebvoll über die Haar strich und ihr dann vorsichtig einen Kuss auf die Stirn hauchte. Während sie ihn in seinem Handeln beobachtete, wusste sie, dass er noch immer an diesem Platz sitzen würde, wenn Ai am nächsten Morgen aufwachte. Er würde nicht von ihrer Seite weichen, so wie sie ihn darum gebeten hatte.

„Auch als ich krank war, warst du immer bei mir. Ich danke dir dafür.“, sprach sie, ohne vorher genauer darüber nachzudenken. Aber sie bereute ihre Worte auch nicht.

„Niemand ist gern allein, wenn es ihm schlecht geht.“, antwortet er und wich ihren Blick abermals aus. „Ich will nicht, dass du ihr etwas versprichst, was du nicht halten kannst.“

Irritiert sah Yuki ihn an. Wieso dachte er, sie würde es nicht halten können?

„Ich werde mein Versprechen aber halten. Wir reisen einen Tag später. Ich habe gesagt, ich werde mit ihr Eis essen und das meinte ich auch so.“

„Aber du kannst nicht einfach hierbleiben. Ich nehme an, dass... er schon auf dich warten wird und Aidou und Kain werden sicher auch nicht sehr erfreut darüber sein.“

„Mag sein, aber wenn ich es ihm erkläre, wird er sicher Verständnis dafür haben.“, konterte sie. Sie konnte schließlich auch ihre eigenen Entscheidungen treffen.

„Ich will nicht, dass du jemanden von ihr erzählst.“, wiedersprach Zero sofort und das heftiger als beabsichtigt, so dass es wie ein Zischen klang. „Das gilt auch für die anderen beiden.“

„Was? Aber warum nicht?“, fragte sie verständnislos.

„Sie hat mit all dem nichts zu tun. Ich will nicht, dass sie noch tiefer dahinein gerissen wird. Es reicht schon, dass sie offenbar einen Narren an dir gefressen hat.“

„Aber, Zero, dass... ich...“

„Wie du weißt, sucht man immer noch nach mir. Was glaubst du, würden sie machen, wenn sie erführen, dass ich mich eines Kindes angenommen habe? Ai wäre die Erste, die auf ihrer Liste stehen würde, um mich zu bekommen.“

Yuki nickte kurz. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. „Ich verstehe. Ich werde es Aidou und Kain sagen.“

„Gut. Es ist besser, wenn ihr jetzt geht.“

„Was ist mit morgen?“, fragte sie noch, als sie sich bereits auf dem Flur stand, wo Aidou und Kain die ganze Zeit auf sie gewartet hatten.

Zero atmet einmal tief durch. „Wir werden morgen Nachmittag bei eurem Hotel sein.“

„Danke und Zero... du sollest dich ebenfalls etwas ausruhen.“

Er antwortete nicht sondern brachte sie zur Tür. Yuki sah den verärgerten Blick auf Kains und Aidous Gesichtern und sie wusste, dass es noch sehr viel schlimmer würde, wenn sie ihnen nun von ihrem Versprechen erzählte.
 

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Soho... ich hoffe, ich habe euch nicht zu sehr damit geschockt. Es tat mir ja selber Leid, was ich Ai angetan habe und eigentlich wollte ich auch vorher schon Schluss machen, aber ich dachte, dass kann ich euch nicht antun und schließlich, wollen wir in der Story auch mal weiter voran kommen.^^ Das fällt mir offenbar so schon schwer genug. *hüstel*
 

Das nächste Kapitel – kann man wieder – etwas dauern. Ich hab einfach keine Zeit, um schneller zu schreiben. ;_; Es tut mir wie immer furchtbar leid.

Aber... das nächste Kapitel wird toll. Zumindest gefällt es mir sehr gut. XD
 

Also, dann! Bis bald hoffentlich.
 

lg maidlin
 

PS: In diesem Kapitel habe ich sogar einen Lieblingssatz.^^; Eigentlich hab ich mehrere, aber einer gefällt mir besonders gut. *ähem* Vielleicht könnt ihr ihn ja erraten. Es ist nicht unbedingt aus einer wörtlichen Rede. XD

Überzeugungskraft eines Mädchens

Ich weiß gar nicht, wie lange ich für dieses Kapitel gebraucht habe. Muss mal nachschauen. Das Letzte muss aber schon verdammt lange her sein. ’Tschuldigung!
 

Meinen Umzug hab ich überlebt und endlich geschafft, die letzten Kisten auszupacken. Das es dann trotzdem so lange gedauert hat, lag hauptsächlich an meinem Internetanschluss, der nicht früher kommen wollte. ;_; Und die Bibo hier kann man doch echt vergessen!
 

Na ja... ich hoffe, ihr erinnert euch noch an die Story. Wenn nicht könnt ihr sie ja gern noch mal lesen. *hüstel* Wenn ich mal ganz viel Zeit habe, werde ich so noch mal überarbeiten. Aber später...
 

Also dann, wie immer viel Spaß!!!
 

lg maidlin

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Überzeugungskraft eines Mädchens
 

„Yuki, weißt du überhaupt, was du da sagst?“ Aidou sah sie mit fragenden Augen an und doch sagten sie gleichzeitig, dass er an ihrem Verstand zweifelte.

„Es sind nur ein Tag und ich bin sicher, Onii-sama versteht es.“, versuchte sie ihn zu beruhigen.

„Wie soll er es verstehen, wenn wir ihm nicht einmal von ihr erzählen sollen?!“, fragte er, noch immer aufgebracht.

„So meinte ich das nicht. Ich werde ihm erklären, warum wir einen Tag länger geblieben sind, aber ich werde Ai nicht erwähnen. Bitte überlasst es mir, was ich meinen Bruder erzählen werde und wie.“

„Du willst ihn anlügen?“

„Nein!“, widersprach Yuki heftig. „Natürlich nicht. Ich werde ihm sagen, dass es gewisse Umstände gab, die mich dazu veranlasst haben noch einen Tag länger zu bleiben. Und ich werde ihm sagen, warum ich es ihm nicht näher erläutern kann.“

„Es tut mir wirklich leid, aber das ist das dümmste, was ich je gehört habe.“, sagte Aidou offen und ehrlich. „Dann belügst du ihn eben nicht, aber du verschweigst ihm etwas. Meinst du das ist besser? Kannst du ihm überhaupt nicht davon erzählen?“

Yuki wollte etwas erwidern, schloss den Mund aber gleich wieder. Es brachte offenbar nicht sehr viel mit Aidou darüber zu reden und sie konnte es ihm nicht einmal verübeln.

„Was denkst du darüber?“, wandte sie sich nun an Kain.

„Ich schließe mich Aidou an. Es macht keinen Unterschied, ob du ihn belügst oder ihm etwas verschweigst. Ich denke, wir sollten wie verabredet aufbrechen. Wir haben sowieso schon genug Zeit verloren. Und ich finde, du solltest Kaname-sama von Ai erzählen. Du kannst es ihm nicht verschweigen und belügen kannst du ihn auch nicht. Auch, wenn du es versprochen hast, sollte er dir wichtiger sein.“, argumentierte er.

Seine Worte trafen sie mitten ins Herz. Aber selbst, wenn ihre Worte für sie noch so grausam klangen, musste Yuki ihnen recht geben. Vielleicht war es das, was sie noch mehr schmerzte. Ihr war ja selbst nicht wohl bei dem Gedanken ihren geliebten Bruder anzulügen oder ihm etwas zu verheimlichen, aber sie hatte auch Zero ein Versprechen gegeben. Das konnte sie doch nicht einfach ignorieren. Er hatte sie schlicht und einfach darum gebeten, niemanden von Ai zu erzählen. Wie konnte sie es nicht tun, wenn dies das Einzige war, was er von ihr verlangte? Die Gründe, warum er es getan hatte, waren ihr ebenso verständlich. Würde ihr Bruder das wirklich nicht so akzeptieren? Musste sie sich wirklich schuldig fühlen, wenn sie so handelte, wie sie es sich überlegt hatte? Sie hatte Zero bereits ihr Wort gegeben. Würde sie es brechen, würde er ihr nie verzeihen können. Es würde alles zerstören, was in diesen wenigen Tagen wieder zwischen ihnen neu geknüpft und entstanden war.

Sie war sich beinah sicher, dass ihr Onii-sama sie verstehen würde, würde sie erst einmal Gelegenheit haben, es ihm von Angesicht zu Angesicht zu erklären. Zudem war ihre Reise vollkommen planmäßig verlaufen. Sie hatten Zero gefunden und es war zu keinem ernsthaften Zwischenfall gekommen. Yuki zweifelte nicht daran, dass Zero ihr niemals etwas angetan hätte. Dafür war ihm Ai zu wichtig.

Aber anscheinend waren Kain und Aidou, was ihre Rückkehr betraf, unnachgiebig. Sie konnte die beiden verstehen und es stand außer Frage, dass sie ihren Bruder vermisste, dass der Rektor ihr fehlte und vielleicht auch Yagaris mürrisches Gesicht. Sie freute sich schon sehr zurückkehren zu können und ihnen zu berichten, dass es Zero gut ging und doch... sie hatte Ai doch versprochen noch zu bleiben. Zero hatte sie ausdrücklich davor gewarnt dem Mädchen etwas zu versprechen, was sie nicht würde halten können und sie hatte es trotzdem getan. Yuki überkam ein schlechtes Gewissen. Hatte sie ihre Worte zu voreilig gewählt? Konnte sie das Versprechen wirklich nicht halten?

Wie würde Ai reagieren, wenn sie ihr sagte, dass sie keine Zeit mehr hatte und zurück müsste? Wie würde sie reagieren, wenn sie einfach verschwinden würde. Sie glaube nicht einmal, dass sie ihr genügend Zeit lassen würden sich zu verabschieden oder die Sache ordentlich zu erklären. Yuki konnte Ais enttäuschtes Gesicht regelrecht vor sich sehen und auch Zeros verachtenden und abweisenden Blick, konnte sie sich nur zu gut vorstellen. Das machte ihr das Herz noch schwerer.

„Yuki, was ist der wirkliche Grund, dass du hier bleiben willst?“, fragte Aidou sie schließlich und klang weniger aufgekratzt. Vielmehr schien er Verständnis zeigen zu wollen oder wollte es zumindest versuchen.

Sie atmete einmal tief durch. Vielleicht würden sie es wirklich verstehen. Es war ja nichts, wofür sie sich schämen oder schuldig fühlen müsste.

„Ich habe es Ai versprochen. Ich habe ihr gestern Abend gesagt, dass ich mit ihr Eis essen gehen werde und das werde ich auch. Ich kann dieses Versprechen nicht einfach brechen. Es war ihr wichtig und Zero-“

„Zero?“, fragte nun Kain aufmerksam.

„Er hat mich davor gewarnt Ai ein Versprechen zu geben, was ich nicht halten könnte. Ich möchte nicht, dass er denkt ich... hätte es nicht ernst gemeint.“

Kain und Aidou sahen sich flüchtig an. „Es geht nicht nur um Ai?“, war es dann Kain, der ihre Gedanken aussprach.

Yuki sah ihn etwas überrascht an, nickte aber schließlich leicht.

„Ich möchte nicht, dass Zero etwas Falsches denkt. Das tut er ohnehin schon. Und ich... Ich möchte die Zeit, die wir noch hier sein können, gern mit ihm und Ai verbringen. Zero ist... er ist mein Freund. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wieder sehen werde, wenn ich jetzt gehe. Er hatte es zwanzig Jahre lang geschafft, sich zu verstecken. Was, wenn ich ihn das nächste Mal nicht mehr finden würde? Was, wenn wir uns wieder sehen und wieder alles vollkommen anders ist. Was, wenn es so ist, wie... das letzte Mal? Ich weiß, es ist dumm so zu denken, aber ich möchte nicht einfach gehen. So schnell werde ich ihn nicht wieder sehen können... und dürfen, nicht wahr?“, flüsterte sie.

Schweigend sahen sie sie an. Sie hatte nicht einmal unrecht damit, dass Kaname ein weiteres Treffen zwischen ihr und Zero nicht zulassen würde. Und wenn, dann nicht unter den Bedingungen, wie es sie jetzt gab. Aidou und Kain waren sich inzwischen sicher, dass Zero nichts unternehmen würde, solange er Ai bei sich hatte und ohnehin glaubte keiner von ihnen, dass Zero wirklich gegen Yuki kämpfen würde –nicht bis zum Tod. Nicht bis zu ihrem Tod.

Aber sie wussten auch, dass Kaname dies nicht so sah. Ihnen graute bereits jetzt davor, was er mit ihnen machen würde, wenn er erfuhr, dass sie Yuki oft in Zeros Gesellschaft allein gelassen hatten. Zwar auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, aber ob Kaname das genauso sah, bezweifelten sie doch erheblich.

„Es tut mir leid, dass ich euch Unannehmlichkeiten bereite, aber ich werde nicht mit euch gehen.“, sprach Yuki schließlich mit entschiedener Stimme. „Ich erwarte nicht, dass ihr meine Entscheidung versteht. Ich werde die volle Verantwortung übernehmen. Bitte richtet die meinem Bruder aus, wenn ihr zurück seid.“

„Yuki, es tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber du benimmst dich nicht deinem Stand entsprechend.“, sagte Kain. „Du bist ein Reinblut und als solches hast du bestimmte Verpflichtungen.“ Bei diesen Worten konnte nicht anders und seufzte laut. Was für Verpflichtungen? Es gab für sie nichts zu tun. Das sie sich so lange und intensiv mit ihrer Familiengeschichte aufgehalten hatte, hatte unter anderem auch mit daran gelegen, dass so die Tage, beziehungsweise Nächte schneller vergangen waren, an denen ihr Onii-sama wieder auf einer Konferenz gewesen war. Sicher hätte sie ebenfalls daran teilnehmen können und manchmal tat sie das auch, aber nur für sie nur von wenig Interesse. Manchmal langweilte es sie regelrecht und ihr Bruder wollte auch nicht, dass sie sich zu sehr darin vertiefte. Warum, hatte sie zwar nicht ganz verstanden, aber sie war auch nicht böse darum gewesen.

„Auch wir haben unsere Verpflichtung.“, sprach Kain weiter, „Unsere Aufgabe ist es, dich wohlbehalten wieder nach Hause zu Kaname-sama zu bringen. Wir können nicht voraus gehen und hoffen, dass du deinen Weg vielleicht irgendwann und irgendwie von allein findest.“

Auch, wenn Kain mit allem was er dann gesagt hatte, recht hatte, merkte Yuki, wie sich nichts an ihrem Standpunkt ändern wollte. Es war doch nur eine Verschiebung von ein paar Stunden.

„Mal angenommen, wir bleiben noch, bis ihr dieses Eis gegessen habt. Was wäre dann? Könntest du uns dann garantieren, dass wir aufbrechen?“, fragte Aidou sie.

Hoffnungsvoll sah Yuki ihn an. Seine Stimme hatte geduldig geklungen und vor allem aufgeschlossen. Doch ihr Herz sank ihr gleich wieder, als sie sich der Antwort auf diese Frage bewusst wurde.

„Nein, dass kann ich nicht garantieren.“, antwortete sie leise und sah auf den Boden. Wenn Ai oder gar Zero sie bitten würden noch etwas länger zu bleiben, … sie wusste nicht, ob sie die Kraft hätte, nein zu sagen.

Sie hörte wie Aidou und Kain scharf ausatmeten.

„Was ist mit der Prophezeiung? Ich dachte, dass war dir das Wichtigste? Nur deswegen haben wir Kiryuu doch erst gesucht. Ich bin sicher, Takuma und die anderen haben inzwischen die anderen Zeilen enträtseln können. Willst du denn nicht wissen, was sie noch sagen?“, fragte Aidou sie weiter, immer noch mit seltsam ruhiger Stimme. Als wäre er bereit ihr zuzustimmen, wenn sie ihm nur ein richtiges Argument liefern würde.

Yuki nickte leicht. „Doch natürlich, möchte ich das wissen. Sehr sogar, aber hier... Es tut mir leid, ich weiß nicht, wie ich es euch noch erklären kann. Vielleicht kann ich das auch überhaupt nicht. Aber ich möchte noch nicht gehen. Ich habe das Gefühl, dass ein Teil der Freundschaft, die mich mit Zero verband zurückgekehrt ist. Und Ai... sie ist so ein liebes Mädchen. Ich möchte sie nicht enttäuschen. Ich möchte keinen von ihnen enttäuschen.“

Aidou seufzte schwer und sah dann seinen Cousin fragend an.

„Also, gut. Wir bleiben noch.“, sagte dieser dann endlich nach einer Ewigkeit des Schweigens, wie es Yuki vorkam. Sofort schnellte ihr Kopf nach oben und sie sah ihn ungläubig an. „Wie du bereits sagtest, wirst du die Verantwortung übernehmen und du wirst Kaname-sama auch erklären, warum wir länger geblieben sind. Genauso, wie du es uns gerade gesagt hast.“

Unerschrocken nickte sie. Das machte ihr nichts aus. Ihre Worte waren wahr und sie würde auch keine Scheu haben sie vor ihrem Bruder zu wiederholen. Nur das mit Ai, musste sie sich noch irgendwie überlegen.

„Was willst du jetzt noch machen?“, fragte Aidou sie und erhob sich bereits.

„Was? Heute Abend?“, fragte sie irritiert. „Nichts mehr. Ich möchte mich nur noch hinlegen. Es war ein... ereignisreicher Tag.“, antwortete Yuki müde und rieb sich die Schläfe. Kopfschmerzen machten sich langsam in ihr breit.

Kain und Aidou gingen zu Tür, als Kain noch einmal innehielt. Er warf Aidou einen kurzen Blick zu und beide beobachtete einen Moment die zusammengesunkene Gestalt, die auf dem Stuhl am Fenster saß. Sie wussten, dass sie nicht das Recht gehabt hatten so mit Yuki zu reden, aber ihre Worte waren angebracht und notwendig. Es war wichtig sie daran zu erinnern, wer sie ist. Und sie wussten, dass Yuki dies ebenso wusste. Leise verließen sie das Zimmer.

„Sollten wir sie morgen wirklich begleiten?“, fragte Aidou sofort.

„Was meinst du?“

„Sie wird morgen abermals Abschied nehmen müssen. Ich meine nur, vielleicht ist es besser, wenn wir nicht dabei sind. War nur so ein Gedanke.“

„Daran habe ich auch gedacht. Aber kann man ihm wirklich trauen?“, fragte Kain zweifelnd. „So lange, wie Ai bei ihnen ist schon. Er würde nichts tun, was ihr irgendwie schaden könnte und du weißt es auch.“

Kain nicke zustimmend. „Sag du es ihr. Ich lass uns für Morgen wieder aus diesen Zimmern hier austragen.“

Kain ging den Flur entlang und nahm die Treppe zum Foyer. Währendessen klopfte Aidou noch einmal und trat dann, ohne die Antwort abzuwarten, ein. Yuki sah ihn erschöpft an.

„Wäre es dir recht, wenn Kain und ich dich morgen nicht begleiten? Wir könnten ausschlafen und so die Nacht länger fahren.“

Sie lächelte leicht, aber es schien ihr Mühe zu kosten. „Danke.“, wisperte sie und blickte wieder aus dem Fenster. „Es wird nichts geschehen.“
 

Es war der Nachmittag des darauffolgenden Tages und Yuki lief nervös in ihrem Zimmer auf und ab. Sie wusste selbst nicht warum sie so aufgeregt war. Immerhin war es nicht das erste Eis, was sie mit Zero essen ging und wahrscheinlich würde er sowieso keines wollen, aber es würde wohl das letzte sein. Einen kleinen Teil zu ihrer Nervosität trug wohl auch der Hauch von Normalität mit bei, die dieses Vorhaben mit sich brachte. Vor nicht all zu langer Zeit, hatte sie sich nicht einmal vorstellen können, dass sie Zero überhaupt fand. Nun mit ihm ein Eis essen zu gehen, war ihr irgendwie unheimlich. Als würde sie träumen und bald aufwachen.

Hastig verließ sie ihr Zimmer, als sie seine nähernde Anwesenheit schwach spüren konnte – auf keinen Fall, wollte sie ihn warten lassen! – und rannte ihm förmlich entgegen.

Gerade als sie unten ankam, sah sie wie Zero und Ai die große Eingangstür durchquerten.

Sofort kam Ai auf sie zu gerannt und fiel ihr mit einem Lachen in die Arme.

„Hallo!“, quietschte sie vergnügt.

„Hallo, Ai. Geht es dir denn heute wieder besser?“, fragte Yuki besorgt. Sie war über die Herzlichkeit erstaunt, die Ai ihr inzwischen entgegen brachte. Ein flüchtiger Blick zu Zero verriet ihr, dass er es auch bemerkt hatte, allerdings weitaus weniger begeistert darüber war, als sie.

„Ja.“, antwortete Ai und nickte bekräftigend.

„Das ist schön, wir haben uns gestern schreckliche Sorgen um dich gemacht. Dein Papa ganz besonders.“, sagte Yuki und sah erneut kurz zu Zero, der Ai an diesem Tag wohl nicht aus den Augen lassen würde.

„Ich weiß.“, murmelte Ai. „Es tut mir leid.“

„Seid ihr jetzt so weit.“, unterbrach Zero sie nun.

„Ja, ja.“, antwortete Yuki leicht genervt.

„Also Ai, wo gibt es das Eis, was so lecker schmecken soll?“, fragte Yuki sie herausfordernd.

„Bei Mika.“

„Mika?“

„Ja! Er macht das beste Eis überhaupt und es gibt ganz viele verschiedene Sorten!“, lobte Ai diesen Mann mit leuchtenden Augen.

Zero seufzte leicht und Yuki musste daraufhin schmunzeln. Anscheinend kannte er Mika bereits sehr gut.

Plötzlich spürte Yuki, wie Ai ihre kleine Hand in die ihre legte und sie mit einem strahlenden Lächeln ansah. Erst war sie etwas verblüfft und vor allem unbeholfen, wusste sie doch nicht so recht, wie sie reagieren sollte, doch dann bemerkte sie, dass Ai die andere Hand in Zeros gelegt hatte. Nur unbewusst realisierte Yuki, wie dieses Bild für einen Außenstehenden aussehen musste. Ihre Wangen färbten sich leicht rot, aber ein Lächeln legte sich auf ihr Gesicht.
 

Sie saßen bei „Mika“ und Yuki gefiel das Eiscafé nur zu gut. Die Wände waren in einem leichten terrakotta - orange Ton gestrichen und mit Bildern maritimer Landschaften verziert. Die Tische waren rund und die passenden Stühle weich gepolstert, wobei der Stoff einen hellen gelb Ton hatte. Auf den Tischen standen Gestecke mit Blumen der Saison sowie zwei Speisekarten. Es spielte leise Violinen- und Klaviermusik und Gemurmel von Menschen erfüllte den Raum.

Yuki überflog die Karte und wusste bereits nach den ersten fünf Zeilen, dass sie sich nicht würde entscheiden können. Das hörte sich alles so lecker an. Es gab einen Pralinenbecher, einen Feuerbecher, einen Schokoladenbecher, einen Himbeerbecher, Cocktailbecher - um nur ein paar zu nennen.

„Was schmeckt denn am besten?“, fragte sie schließlich, sah aber nicht von der Karte auf.

„Ich nehme immer den Erdbeerbecher!“, antwortete Ai sofort. „Mit ganz viel Erdbeeren und extra viel Sahne.“

„Was isst du?“, wandte sie sich an Zero.

„Nichts.“, antwortete Zero knapp und sah sich weiter – scheinbar desinteressiert - im Raum um.

Sie wusste es!, dachte sie und lächelte in sich hinein.

Wenige Augenblicke später kam der Kellner und Yuki entschied sich spontan für einen Pralinenbecher. Er war der Erste, der auf der Karte gestanden hatte.

„Das ist toll.“, fing Ai plötzlich an.

„Was denn?“, fragte Yuki neugierig. Was mochte nun schon wieder im Kopf des Kindes vorgehen?

„Hier zu sitzen, mit dir. Papa hat schon so viel erzählt und du bist wirklich genauso, wie ich mir dich vorgestellt habe.“

Yuki vernahm ein Brummen von Zero und aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, wie Zero kurz mit dem Kopf schüttelte. Es wunderte sie ein wenig, dass er Ai noch nicht zurecht gewiesen hatte, aber wahrscheinlich war er wohl wegen der letzten Nacht etwas zurückhaltender.

„Ach wirklich? Ich fühle mich geehrt.“, antwortete Yuki ihr schließlich und meinte es vor allem auch so.

„Ja, und es ist noch viel besser, weil ich heute nicht in die Schule musste und keine Hausaufgaben hatte. Ich sollte öfters krank sein.“

„Untersteh dich!“, zischte Zero sofort und sah sie böse an.

Ai grinste nur zurück. Kurze Zeit später kamen auch schon ihre Eisbecher. Yuki wusste sofort, dass sie sich richtig entschieden hatte. Der Eisbecher sah einfach fantastisch aus. An den Seiten des Glases verlief innen rote Soße, die auch auf der Sahne war und später leicht nach Kirschen schmeckte. Die Sahnehaube selbst war nicht zu viel und nicht so wenig und an der Seite war ein kleines Waffelröllchen eingesteckt. Am besten war aber die Praline, die auf der Sahne regelrecht thronte und einfach lecker aussah. Yukis Augen leuchteten erwartungsvoll, als sie den ersten Löffel nahm und wurde nichts enttäuscht. Das Eis war cremig und locker, mit kleinen Schokoladensplittern versehen. Ja, sie hatte sich richtig entschieden... Obwohl... Ais Erdbeerbecher mit der extra Sahne sah auch sehr einladend aus. Genauso, wie der reichlich mit Früchten dekorierte Eisbecher ihrer Nachbarn. Zeros einfacher Kaffee wirkte in all den farbenprächtigen Kreationen langweilig und trist.

Aber sie hütete sich, es laut auszusprechen.
 

Es war ein angenehmer Nachmittag und es herrschte eine fröhliche Stimmung. Mit Ai trat niemals Schweigen ein und selbst Zero beteiligte sich hin und wieder am Gespräch. Alles in allem, war es ein perfekter Nachtmittag, dachte Yuki, als sie den Rest ihres Eisbechers auskratzte.

Die Stimmung wurde nur dadurch gedrückt, als Ai abermals fragte, wann Yuki wohl abreisen würde.

„Wohl nach diesem Treffen hier.“, antwortete Yuki traurig und lächelte sie doch an.

„Warum denn? Kannst du nicht doch noch etwas bleiben?“, fragte Ai und war ebenso geknickt.

„Nein, tut mir leid. Man erwartete mich bereits zu Hause.“, gab sie so sanft, wie möglich als Antwort.

„Aber er hat dich doch die ganze Zeit gehabt. Ich habe dich dagegen erst kennengelernt. Da kommt es doch auf ein paar Tage auch nicht an.“

Yuki sah sie erstaunt an. Woher wusste sie, dass sie von Kaname gesprochen hatte?

„Ai, wenn es ihre Entscheidung ist, dann musst du das akzeptieren. Es sollte ohnehin nur ein kurzer Aufenthalt sein, nicht wahr?“, sprach Zero und sah Yuki eindringlich an.

„Ja, natürlich. Aber es hat mich wirklich sehr gefreut dich kennengelernt zu haben. Ich werde dich sehr vermissen Ai. Aber du musst mir versprechen gut auf deinen Papa aufzupassen. Machst du das?“

„Ja.“, sagte Ai, klang aber sehr niedergeschlagen.

„Was ist mit dir Zero? Hast du noch einmal darüber nachgedacht? Soll ich ihnen nicht doch etwas ausrichten?“

Zero blickte einen Moment starr gerade aus, als schien er zu überlegen, was er antworten sollte. „Im Moment steht es außer Frage, dass ich zurückkomme. Aber du kannst ihnen sagen, dass es mir gut geht, wenn es dir wichtig ist.“

„Du gehst nicht?“, fragte Ai erschrocken und sah ihn aufmerksam an.

„Nein, natürlich nicht. Ich würde dich nicht mitnehmen wollen und allein werde ich dich ganz bestimmt auch nicht lassen. Nicht nach gestern Abend. Es wird auch ein paar Jahre mehr gehen. Wenn wir in fünf Jahren noch einmal darüber reden, wird alles schon ganz anders sein.“, antwortete er seiner Ziehtochter.

„Du willst nur meinetwegen nicht fahren?“, fragte Ai. Ihre Augen waren während seiner Worte vor Ungläubigkeit immer größer geworden.

„Nicht unbedingt nur deinetwegen, aber zum größten Teil. Ich möchte dich nicht allein lassen.“

„Oh...“, machte Ai und klang wenig begeistert. Die Stirn gerunzelt sah sie nach unten, bevor sie weiter sprach. „Aber das... Du darfst nicht nicht gehen. Sie vermissen dich doch und machen sich Sorgen. Ich... Ich... werde auch hier warten. Ich meine, du würdest doch wieder kommen oder nicht? Es wäre doch nur für ein paar Tage, nicht wahr? Das würde schon gehen... glaube ich. Ich bin schon groß und ich... Du... Es ist falsch, wenn du nicht gehst.“, stammelte Ai und sah ihn unsicher an. Als würde sie ihre eigenen Worte anzweifeln und Zero wusste auch, dass sie das tat.

„Aber, Ai“, begann er mit sanfter Stimme, „glaubst du wirklich, ich würde dich jetzt noch allein lassen, wenn ich weiß, dass es dir dabei so schlecht geht?“

„Ja, aber... Mir geht es doch wieder gut. Und ich... ich habe auch keine... keine Angst mehr, wenn du fort gehst...“ Er glaubte ihr kein Wort und selbst, wenn er das nicht so schon getan hätte, so hätte sie die Tränen, die ihr in den Augen standen, verraten.

„Wir brauchen darüber nicht mehr zu reden. Ich werde meine Entscheidung nicht ändern. Es ist später immer noch genug Zeit.“

„Ja, aber... Ich...“ Ai sah verzweifelt zu Yuki. Sie war hin und her gerissen, zwischen dem, von dem sie wusste, dass es richtig war und ihrem eigenen Wunsch nicht allein gelassen zu werden.

Sie biss sich auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie sie ihren Papa doch noch dazu bringen könnte seinen ehemaligen Meister aufzusuchen. Plötzlich hielt sie inne. Es war eigentlich ganz einfach.

„Warum kann ich denn nicht mitkommen?“

„Das weißt du doch. Dort leben sehr viele... von Yukis Art und ich möchte nicht, dass du ihnen zu nahe kommst.“

„Aber wenn ich ganz brav bin, immer mache, was du sagst und mich ganz still verhalte, geht es dann? Du würdest nicht einmal bemerken, dass ich da bin und sie auch nicht.“, fragte sie ihn erwartungsvoll.

„Nein. Ich sagte doch bereits, dass ich dich auf keinen Fall mitnehmen werde. Ende der Diskussion.“ Zero bezahlte und glaubte das Thema damit als beendet.

Yuki wusste nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Aber sie wusste, dass er ihre Einmischung nicht billigen würde. Außerdem fand sie selbst, dass sie kein Recht hatte, etwas dazu zu sagen – obwohl sie es gern getan hätte. Aber es war Zero, der für Ais Erziehung verantwortlich war.

„Können wir wenigstens noch ein bisschen spazieren gehen?“, fragte Ai die beiden Erwachsenen hoffnungsvoll, als sie auf die Straße getreten waren.

„Ja, sehr gern. Zeigst du mir noch ein bisschen die Stadt?“, antwortete Yuki ohne zu zögern.

„Ja!“, sagte Ai gleich und schien das vorherige Gespräch bereits vergessen zu haben.

Während Ai voran ging und hin und wieder etwas zu den verschiedenen Plätzen erzählte – meistens über den Unsinn, den sie dort angestellt hatte und von dem ihr Papa erst auf diesem Weg erfuhr (und wenig begeistert war) – unterhielten sich Yuki und Zero leise.

„Ich kann verstehen, warum du sie nicht mitnehmen möchtest, aber denkst du nicht, dass Yagari und mein Vater sie auch sehr gern kennenlernen würden?“

„Dann müssen sie eben herkommen. Ich werde Ai nicht mal in die Nähe der Night Class lassen, geschweige denn zu irgendeinem anderen von euch.“ Was und wen er damit meinte, war Yuki klar. Deswegen fragte sie auch nicht weiter. Aber wie konnte Zero befürchten, dass ihr Bruder Ai ein Leid zufügen würde?

„Aber wenn du jetzt mit uns kommen würdest, wäre die Night Class nicht einmal an der Akademie. Wenn ich nicht irre, haben sie jetzt Ferien, da sich die Schüler der Day Class auf ihre Zwischenprüfungen vorbereiten sollen.“

„Seit wann gibt es denn so etwas?“, fragte Zero ungläubig.

„Nun ja... Haha...“, druckste Yuki herum. Sie wusste sehr genau, wie seine Einstellung zu diesem Thema war. „Die Schülerinnen waren wohl doch etwas zu sehr von einigen Schülern der Night Class abgelenkt. Man hat festgestellt, dass ihre Noten im Durchschnitt um mindestens 10 bis 15 Punkte besser waren, wenn die Night Class bei Prüfungen nicht da ist.“

Zero schnaubte kurz, erwiderte aber nichts weiter darauf.

„Jedenfalls, wäre die Night Class nicht da...“, fuhr sie fort, „und du könnest ungestört in der Akademie bleiben. Die Day Class würde nichts merken. Keiner von uns würde den Huntern Bescheid sagen und wenn ihr nachts ankommen würdet, würde es auch niemand sonst bemerken. Und... Und wenn du nicht möchtest, dass Onii-sama oder irgendjemand anderes von uns Ai zu nahe kommt, dann wird das auch nicht geschehen. Du hast mein Wort darauf.“

Zero blieb stehen und sah sie direkt an. Yuki kannte diesen Blick. Er trug ihn immer dann, wenn er bereit war die Wahrheit zu sagen, egal wie unangenehm sie für seine Mitmenschen sein würde.

„Ich sagte dir bereits, dass ich dem Wort eines Reinblutes nicht glauben werde.“, erwiderte er und seine Stimme klang dabei kalt.

„Nicht dem Wort eines Reinblutes,... sondern meinem.“, antwortete sie mit ruhiger und klarer Stimme und sah ihm dabei ebenso fest in die Augen.

„Was ist? Wo bleibt ihr denn so lange?!“, rief Ai und Yuki verpasste die Chance eine Antwort zu erhalten.
 

Es war bereits kurz vor Sonnenuntergang und Ai hatte sie in das Gasthaus „Zum Goldenem Glück“ zurückgeführt. Sie saßen noch zusammen bei einem Tee, während die ersten Gäste eintrafen. Da es Ai wieder besser ging, wollte Zero sich gleich umziehen und wieder an die Arbeit gehen.

„Du, Papa?“, fragte Ai ihn und klimperte ihn regelrecht mit ihren langen Wimpern an. Zero wusste sofort, dass er sich auf etwas gefasst machen musste. Wenn sie so anfing, wollte sie meist nichts Unerhebliches von ihm.

„Ja?“, fragte er trotzdem.

„Ich wünsche mir etwas zum Geburtstag.“

„Aha und was?“

„Dass du zu deinem Meister fährst und mich mitnimmst.“

Yuki sah überrascht zu Ai. Sie hatte geglaubt, dass sie dieses Thema schon längst vergessen hätte. Das Mädchen war anscheinend wirklich ziemlich hartnäckig. Dann sah sie zu Zero und dessen Mine hatte sich nicht verändert. Er war nicht einmal wütend oder genervt.

„Aha.“, machte er noch einmal. „Dein Geburtstag war aber schon im Juli.“, antwortete er trocken.

„Ja, ich weiß. Aber es ist doch bald Weihnachten und außerdem habe ich nächstes Jahr ja wieder Geburtstag und danach das Jahr auch und danach auch.“

Jetzt wurde sein Blick langsam misstrauischer. „Und was willst du mir damit sagen?“

„Ich wünsche mir zu allen Geburtstagen, dass wir zu deinem Heimatort zurückkehren und das so schnell wie möglich. Dann will ich auch nie wieder etwas haben.“

Zero stöhnte kurz auf. Er hätte es wissen müssen.

„Ai...“, sagte Zero kraftlos. Dieses Kind raubte ihm noch den letzten Nerv.

„Och, bitte Papa. Bitte, bitte, bitte! Du hast mir doch einen kleinen Urlaub versprochen und ich will da hin - so bald wie möglich.“

„Aber du hast noch lange keine Ferien.“

„Ich bin doch jetzt krankgeschrieben und könntest du den Lehrer nicht fragen, ob er mir ein paar Tage Urlaub gibt? Das geht doch bestimmt. Bei Motoko ging es doch letztes Jahr auch, als er mit seinen Eltern verreist war.“

„Ja, aber er ist auch Klassenbester und hat die ganzen Schularbeiten nachgeholt, allein und ohne zu murren.“, hielt Zero dagegen.

„Das mach ich auch!“, rief sie sofort. „Ich... Ich... meine... ich versuche es. Du hilfst mir doch dann oder?“, fragte sie unsicher weiter.

„Was, wenn ich sage, dass du seine Schulsachen mitnehmen musst und auch dort lernen musst?“

Das würde sie ganz bestimmt abschrecken, davon war Zero eigentlich sehr überzeugt. Er kannte Ai gut genug, um zu wissen, dass alles was mit Schule zu tun hatte, wie Folter in ihren Ohren klang. Die Aussicht ihre Schulsachen auch noch mit in ihren „Urlaub“ nehmen zu müssen, würde sie gleich ganz von dieser blöden Idee abbringen.

Schade, dass er sich irrte.

„Ja, mach ich.“, nuschelte sie. Der Gedanken gefiel ihr zwar nicht im geringsten, aber in diesem Moment hätte sie zu allem ja gesagt. „Ich verspreche, dass ich meine Schulsachen mitnehmen und jeden Tag auch lernen würde. Ganz bestimmt.“

Fassungslos sah Zero seine Ziehtochter an. So sehr wollte sie es also? Er konnte es nicht glauben.

„Nein, es ist immer noch viel zu gefähr-“

„Ich verspreche außerdem, dass ich immer auf dich hören werde, niemals allein fortgehen und dich vorher immer zu allem frage.“, fiel sie ihm in Wort. „Wenn ich immer in deiner Nähe bin, wird mir doch auch nichts passieren und wenn doch kannst du mich ja beschützen.“

Zero schwiege. Er fühlte sich vollkommen von ihr überrumpelt. Irgendetwas war gerade vollkommen schief gelaufen. Oder lag es wirklich an seiner bisherigen Erziehung? Nein, ganz bestimmt nicht. Daran konnte nur ihre leibliche Mutter schuld sein. Sie hatte das Kind einfach zu sehr verwöhnt und er musste jetzt zusehen, wie er damit fertig wurde.

„Ich kann aber nicht einfach Urlaub nehmen. Es gibt hier genügend zu tun.“, versuchte Zero es ein weiteres Mal.

„Mmh? Dein Urlaub? So weit ich mich erinnere hast du sogar noch welchen vom letzten Jahr übrig und mein Mann und ich finden sowieso, dass du zu viel arbeitest. Von mir aus kannst du so viel Urlaub haben wie du möchtest.“, sprach nun Frau Sayuka, die gerade ein paar Getränke zurecht machte und ihn mit ihren Worten buchstäblich in den Rücken fiel. Sie hatte zwar nicht alles verstanden, aber mit dieser Ausrede brauchte er ihr nicht zu kommen. Das sollte gewiss nicht der Grund, für was auch immer, sein.

Dafür erntete sie zwar einen scharfen Blick seinerseits, aber aus Gewohnheit störte es sie nicht weiter. Wenn er erst mal auf Urlaub war, würde er ihr noch dankbar sein, dachte sie zufrieden.

Yuki betrachtete das Geschehen halb amüsiert, halb verwundert, doch wieder einmal traute sie sich nicht, sich einzumischen - auch wenn sie Ai nur zu gern unterstützt hätte. Zeros Einwände waren zwar berechtigt, dennoch fand sie, dass er das ganze zu negativ sah. Andererseits... positives Denken, war noch nie seine Stärke gewesen. Wenn die anderen doch nur wüssten, was für ein Leben Zero führte! Niemand würde mehr auf die Idee kommen ihn wegen irgendetwas längst Vergangenem zu verhaften. Er musste ihnen nur beweisen, dass er sich verändert hatte, ihnen die Gelegenheit geben den neuen Zero kennenzulernen. Denn, dass er sich verändert hatte war unbestreitbar.

„Papa? Komm schon. Bitte, Papa.“

Ai sah ihn aus großen, runden und treuen Augen an. Zero schüttelte dennoch den Kopf. „Ai, nein. Ich werde meine Meinung nicht ändern. Wir haben später immer noch genug Zeit dazu, wenn du größer bist.“

„Aber dann kann es vielleicht zu spät sein!“, sagte sie aufgeregt. Zero richtete sich schlagartig auf und sah sie wachsam an. Ihre Stimme war eindringlich gewesen und klang nicht mehr wie eine Bitte, sondern eher wie ein Appell.

„Ai, nicht...“

„Du kannst nicht sagen später, wenn du gar nicht weißt, wann später ist. Ich meine... niemand weiß das. Vielleicht... leben Yagari-sama und Kurosu-sama dann nicht mehr. Ich meine... Es kann sich doch alles so schnell ändern. Woher willst du wissen, dass später immer noch Zeit ist? Du kannst es nicht wissen. Deswegen sollten wir jetzt gehen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt und nicht später. … Meine Mama wollte mit mir später auch mehr von meinem Papa erzählen. Und jetzt... jetzt ist sie tot.“, hängte sie flüsternd an.

„Ai...“ Zero zog sie sanft in seine Arme und streichelte ihr durchs Haar. Er wusste, wie viel Kraft diese Worte sie gekostet hatten. Doch nicht nur deswegen berührten sie ihn. Yuki hatte etwas Ähnliches gesagt und sie hatten ja beide recht. Woher sollte er schon wissen, was in ein paar Jahren war? Auch, wenn er der festen Überzeugung war, dass es seinem Meister und auch dem Rektor momentan bestens ging, so wusste er nicht, wie es in ein paar Jahren oder auch nur Monaten sein würde. Es änderte sich alles so schnell. Von einer Sekunde auf die andere, konnte nichts mehr so sein, wie es einmal war. Er hatte dies schon mehrmals in seinem Leben erfahren müssen.

Zero mochte es nicht, wenn sie so mit ihm redete. Er fragte sich dann immer, wer von ihnen eigentlich der Erwachsene war.

„Ich denke darüber nach, zufrieden?“, rang er sich schließlich zu einer Antwort durch.

„Juhu! Also, fahren wir!“, jubelte Ai bereits. Die Traurigkeit war schlagartig verschwunden und Zero stöhnte abermals.

„Wann fahren wir denn? Morgen? Übermorgen?“, fragte sie aufgeregt weiter und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hinterher.

„Ich muss erst mit deinen Lehrern reden, schon vergessen? Wenn die finden, dass du es dir von deinen schulischen Leistungen her, gar nicht erlauben kannst, kannst du es gleich vergessen. Dann muss ich noch nach einer Zugverbindung schauen und ein paar Sachen packen müssen wir auch noch.“

Zero massierte sich die Schläfen. Er konnte nicht glauben, was er da sagte. Das war einfach zu viel.

„Okay.“, tat Ai diese Sache schnell ab. Das waren nur Kleinigkeiten. Dann wandte sie sich an Yuki. „Kannst du nicht mit uns zurückfahren?“

Doch Yuki sah immer noch vollkommen entgeistert zu Zero. War das wirklich der Zero, den sie kannte? Hätte er sich wirklich so leicht von einem Mädchen um den Finger wickeln lassen? An seinem Gesicht konnte sie ganz deutlich sehen, dass er selbst überhaupt nicht mit dem einverstanden war, was Ai ihm gerade regelrecht aufgezwungen hatte. Also, warum hatte er es dann getan?

Sicher gab er ihr die Schuld an Ais verhalten. Oder waren es wirklich Ais letzte Worte, die ihn dazu veranlasst hatten? Das Gleiche hatte sie doch auch schon versucht ihm zu erklären. Trotzdem wurde ihr nun, da es anscheinend wirklich schon fest stand, mulmig zu mute. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, Zero zu versichern, dass nicht schlimmes passieren würde. Yuki war nicht mehr sicher, dass sie wirklich für Ais Sicherheit garantieren konnte. Doch sie versuchte diese Gedanken schnell zu verdrängen. Was sollte denn auch schon passieren? Zero würde selbst gut genug auf Ai aufpassen und wahrscheinlich verließ er sich sowieso nicht auf ihr Wort. Außerdem würde es ja kein langer Aufenthalt werden. Bevor es jemand anderes bemerkte, würden sie schon wieder auf dem Rückweg sein.

„Yuki?!“, rief Ai ungeduldig, als diese ihr nicht geantwortet hatte.

„Was? Ja... Ich meine nein. Tut mir leid, aber ich denke nicht, dass es möglich ist. Meine beiden Begleiter möchten sehr gern nach Hause.“, sagte sie traurig.

„Aber wenn sie der Reise mit uns zustimmen würden? Würdest du dann mit uns fahren wollen?“

„Ja, natürlich. Ich würde mich sehr darüber freuen.“

„Mmh.“, machte Ai nachdenklich. Yuki sah sie verwundert an. Was ging jetzt schon wieder in ihrem Kopf vor? Warum wusste man nie, was dieses Kind gerade dachte und woran man bei ihr gerade war? Sie war wir ein Wirbelsturm der kam und ging, wie es ihm gerade beliebte und eine mehr oder weniger große Verwüstung hinterließ.

„Was hältst du davon?“, fragte Yuki nun vorsichtshalber Zero. Dieser erhob sich nur und murmelte ein schlecht gelauntes: „Macht doch, was ihr wollt. Ich geh arbeiten.“
 

Danach dauerte es auch nicht mehr lange und Aidou und Kain kamen um Yuki abzuholen. „Hast du dich so weit verabschiedet?“, fragte Aidou sie, als er das Lokal betrat und Ai und Yuki noch immer am Tresen sitzend vorfand.

„Ich dachte, wir könnten hier noch in Ruhe etwas Essen? Dann könnten wir so die ganze Nacht durchfahren.“, fragte Yuki unschuldig, aber nicht ohne Hintergedanken.

„Ich weiß nicht. Was meinst du dazu Kain. Schließlich bist du unserer Fahrer.“, fragte Aidou seinen Cousin.

„Soll mir recht sein. So schlecht ist der Gedanke nicht einmal.“, antwortete dieser und sah sich bereits nach einem Tisch für sie um.

Ai fand, dass dies nun ihre Chance war. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und ging direkt zu Aidou. Sie wusste, dass sie nur bei ihm eine Chance haben würde.

„Duhu... Onkel Aidou...“, fragte sie mit honigsüßer Stimme, tellergroßen, runden, smaragdenen Augen und zog ihn dabei am Ärmel. Sie wirkte als könnte sie kein Wässerchen trüben.

„Huh?“, machte Aidou irritiert. Was sollte das denn jetzt. Hatte sie ihn gerade tatsächlich Onkel Aidou genannt? ONKEL!?

„Kann ich dich mal was fragen?“, fragte sie weiter und schien von seinem entgleisten Gesichtsausdruck nicht im Geringsten gestört.

„Ähm... Sicher...“

„Könntet ihr noch ein paar Tage länger bleiben? Papa hat gesagt, dass wir auch bald an diese Akademie fahren werden und da habe ich gedacht, wir könnten vielleicht zusammen fahren. Yuki würde sich auch freuen und wir könnten, dann zusammen einen Zug nehmen. Das wird bestimmt lustig. Es würde euch doch bestimmt nichts ausmachen noch eins, zwei Tage zu warten oder?“, plapperte Ai so schnell, dass Aidou ihr gerade so folgen konnte. Er hatte nur verstanden, dass sie noch ein paar Tage länger bleiben sollten.

„Nein, tut mir leid. Wir hatten alle drei vereinbart, dass wir heute fahren. Es noch mal zu verschieben, können wir nicht tun. Man wartet auf uns.“, versuchte er ihr geduldig zu antworten. Sie war nur ein Kind, redete er sich selbst gut zu.

„Ja, ich weiß. Aber es wäre doch wirklich nur ein paar Tage.“, gab Ai nicht so schnell auf und klimperte ihn genauso an, wie sie es zuvor bereits bei ihrem Vater getan hatte.

„Yuki, hat eine große Verantwortung zu Hause. Sie kann nicht einfach so lange wegbleiben, wie sie möchte.“, erwiderte Aidou noch immer sehr geduldig.

Ai erwiderte erst einmal nichts, sondern überlegte. Schließlich schien sie auch darauf eine passende Antwort gefunden zu haben.

„Yuki ist so etwas wie eine Prinzessin oder Königin, nicht?“, fragte sie dann und Aidou gewann den Eindruck, dass sie jetzt endlich begriffen hatte, worum es ging.

„Ja.“, sagte er erleichtert.

„Mmh... Aber, wenn sie eine Prinzessin, ist es dann nicht um so wichtiger, dass sie das Land kennt und weiß wie es aussieht. Ich meine... so was wie euch, gibt es ja schließlich überall und da sollte man doch wissen, wo und wie sie leben. Nicht wahr? Da wäre es also umso besser, wenn sie sich das Land noch ein wenig ansieht.“, konterte Ai und grinste ihn breit an.

„Das... Du...“, stammelte Aidou. Hatte sie gerade sein Argument gegen ihn verwendet?

„Das kann sie auch, wenn sie ihm Auto sitzt.“, fand er endlich seine Sprache wieder. Dieses Kind!

„Ja, aber selbst, wenn ihre eine andere Strecke fahrt, als zuvor, dann ist es ja trotzdem nicht das Gleiche, wie mit dem Zug. Mit dem Zug sieht man sogar noch mehr! Man fährt durch ganz viele Städte, lernt ganze viele Menschen kennen und man sieht so viele anderen Dinge, die einem im Auto nicht einmal auffallen würden.“, widersprach sie schnell.

„Das mag ja alles sein, aber trotzdem dauert es mit dem Zug sehr viel länger. Wir sollten nach drei Monaten zurück sein und diese Zeit ist um. Wir können nicht noch länger warten.“ Er war selbst erstaunt, wie ruhig er scheinbar immer noch war. Sie war nur ein Kind, nichts weiter. Nur ein Kind, redete sein Unterbewusstsein ihm zu. Irgendwann würde sie schon ein Einsehen haben.

„Ach, Onkel Aidou, bitte.“, versuchte es Ai nun auf die gleiche Weiße, wie auch schon bei ihrem Vater.

„Nein, auf gar keinen Fall und ich bin nicht dein Onkel!“, erwiderte er dieses Mal etwas heftiger. So weit war es ja nun schon überhaupt nicht! Erneut schwieg Ai einige Sekunden und schaute auf den Boden. Aidou glaubte schon, dass sie es endlich verstanden hatte, aber da sprach sie auch schon weiter. „Weißt du, Onkel Aidou, ich wollte mich noch bei dir entschuldigen. Wegen dem, was ich gesagt habe. Natürlich hattest du recht. Ihr Vam-... Wesen seid ganz anders als die Menschen. Ihr seid nicht so schwach, sondern sehr viel stärker. Ihr seid viel intelligenter und ihr lebt auch sehr viel länger. Allein das verschafft euch einen Vorteil uns Menschen gegenüber. Und ihr seid wirklich gefährlich. Doch wirklich. Viel mehr, als ich glauben wollte.

„Es ist nur, Papa hat mir schon so viel von euch erzählt, dass ich keine Angst mehr vor euch habe. Es ist als ob ich dich kenne und deswegen... Aber es tut mir leid, dass ich dir widersprochen habe. Ich weiß ja, dass du ein anerkanntes Genie bist. Das hat Papa zumindest gesagt. Ich hätte dir wirklich nicht wiedersprechen sollen.“

Aidou Hanabusa entglitten nun wirklich sämtliche Gesichtzüge. Das hatte sie gerade nicht wirklich gesagt oder? Oder?!

„Haha...“, lachte er unsicher. „Ähm... Das... Danke schön. Es freut mich, wenn du deine Fehler eingesehen hast. Man lernt eben immer noch dazu.“, sagte er selbstzufrieden.

„Ja, ich muss eben noch viel lernen und Yuki sicher doch auch. Ich meine sie ist doch noch nicht so lang ein Vampir. Stimmt doch oder?“, fragte Ai weiter und sah ihn weiterhin mit ihren unschuldigen Augen an.

„Ja, natürlich. Wir alle müssen noch viel lernen.“, bestätigte er ihr nur zu gern.

„Bis auf dich. Du bist ja schon ein Genie. Ich wünschte ich wäre so intelligent wie du, dann würde ich auch viel bessere Noten haben und Papa wäre nicht immer so böse auf mich, wenn ich in der Schule mal wieder nicht zugehört habe.“

„Na ja, es können ja nicht alle so sein, wie ich. Entweder man ist so intelligent oder nicht. Du kannst ja nichts dafür. Du bist ja nur ein Mensch. Aber vielleicht schaffst du es ja, wenn du dich sehr anstrengst.“

„Glaubst du wirklich? Ich hoffe es so sehr! Aber wenn Yuki, so wie ich noch viel lernen muss, hast du doch sicher nichts dagegen, wenn sie mit uns mit dem Zug fährt. Immerhin können wir dann gemeinsam sehr viel mehr lernen.“

„Nein, natürlich nicht. WAS?!“

Frech grinste Ai ihn an.

„Hast du gehört Yuki! Er hat nichts mehr dagegen. Du kannst mit uns fahren!“, rief Ai freudig und rannte zurück zu ihr, um sie zu umarmen. „Ich freu mich ja so!“, rief sie vergnügt. „Das wird bestimmt lustig!“

„Ähm...“ Yuki wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie hatte Ais Worten genau gelauscht und sich immer mehr gefragt, was sie damit eigentlich bezwecken wollte, aber das... Unfassbar.

„Du kleines Biest!“, stieß Aidou wütend aus. Das hatte er nun von seiner Liebenswürdigkeit!

Yuki spielte nervös mit ihren Finger. Sie gab es zwar nicht gern zu, aber ganz ähnliche Worte waren ihr auch in den Sinn gekommen. Richtig verschlagen, dachte sie. Das Ai so gerissen sein konnte, erschreckte sie sogar ein wenig. Woher hatte sie das nur?

Yuki hatte das Gefühl, dass Zero sich in Zukunft noch stark vor ihr in acht nehmen musste. Anscheinend war es jetzt schon schwer gegen sie anzukommen.

„Wie kannst du es wagen mich so auszutricksen? Na warte nur! Das wird dich noch teuer zu stehen kommen!“, wetterte Aidou gegen sie, aber Ai schien das nicht einmal zu hören.

„Gibt es auf. Sie hat dich vollkommen an der Nase herumgeführt.“, sagte Kain spitz und konnte sich ein kleines Grinsen nicht ganz verkneifen. „Du bist selbst Schuld, wenn du so überheblich bist.“ Es geschah ihm ganz recht. Seine Eitelkeit war hin und wieder schon nicht mehr zu ertragen. So ein kleiner Dämpfer tat ihm Mal ganz gut. Sein ach so intelligenter Cousin musste nun mit der Schande leben, von einem Mädchen - einem menschlichen Mädchen - ausgetrickst worden zu sein. Er würde ihn mit Freuden hin und wieder gern daran erinnern.

„Yuki, was ist? Deine Entscheidung scheint schon festzustehen?“, fragte Kain nun diese und ignorierte Aidous beleidigten Gesichtsausdruck. Yuki wurde leicht rot. Es war ihr peinlich so leicht durchschaut zu werden.

„Es tut mir leid.“, sagte sie betreten. „Ich würde wirklich gern mit Zero und Ai reisen.“

„Aber das...“, wollte Aidou sich einmischen.

„Lass gut sein, du hattest deine Chance.“, unterbrach Kain ihn schroff.

„Aber wie stellst du dir das vor, Yuki? Wir sind trotz allem mit dem Auto hier und ich denke nicht, dass es so eine kluge Entscheidung wäre es hier zu lassen.“

„Nein, da hast du natürlich recht.“ Yuki schwieg und überlegte einen Moment.

„Kann ich einen Vorschlag machen?“, ergriff Kain abermals das Wort.

„Sicher, du musst doch nicht fragen.“

„Ich werde mit dem Auto noch heute zurück fahren und Kaname davon berichten, dass du und Aidou später nach kommen werdet. Ich werde ihm nicht sagen, was die genauen Umstände sind, aber ich möchte, dass du es ihm in einem Brief erklärst. Es ist lange her, dass du ihm selbst geschrieben hast. Außerdem wird er sich sicher nicht damit zufrieden gegeben, wenn ich ihm sage, dass es ein paar Dinge gab, die deine Rückkehr etwas verzögern.“

„Warum muss ich mit ihnen fahren?“, fragte Aidou sofort. Doch für diese Frage erntete er von seinem Cousin nur einen vernichtenden Blick.

„Weil du keinen Führerschein hast.“ Ohne weiter darauf einzugehen oder womöglich eine Antwort abzuwarten, wandte er sich wieder Yuki zu. Somit ignorierte er auch Aidous gemurmeltes: „Als ob das eine Rolle spielt.“

„Bist du damit einverstanden?“

Sie zögerte noch einen Moment. Ein Brief würde die Sache auch nicht besser machen, vielleicht sogar noch schlimmer. Dann sah sie zu Ai und diese blickte sie immer noch mit erwartungsvollen und strahlenden Augen an und Yuki hatte das Gefühl ihr Herz würde unter diesem Blick dahinschmelzen.

„Ja, ich bin einverstanden.“, sagte sie schließlich. Sie war noch gar nicht darauf vorbereitet es Kaname jetzt schon zu erklären! Und dann auch noch in einem Brief. Sie war noch nie gut darin gewesen, ihre Gefühle durch das geschriebene Wort zu vermitteln.

„Juhu!“, jubelte Ai und sprang sofort auf. „Ich werde es gleich Papa erzählen!“

„Ai, warte!“, rief Yuki noch, doch sie hörte sie schon gar nicht mehr.

Zero... was würde er dazu sagen? Sie wollte es sich gar nicht vorstellen. Es war noch schlimmer, als der Gedanke den Brief an Kaname verfassen zu müssen.
 

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Geschafft! Ich hoffe ich konnte die lange Zeit etwas mit der Länge dieses Kapitels ausgleichen.^^; Hatten wir schon mal so ein langes?

Ich weiß nicht... aber es kommt noch eines, das wird noch länger.^^; Sorry, wenn ich euch quäle.
 

Was ich selbst von diesem Kapitel halte, kann ich nicht mal sagen. So richtig habe ich mich mit dem Dasein in einer fremden Stadt, fernab von Familie und Freunden noch nicht abgefunden. Aber ich kann Ai nur zu gut verstehen und Zero überhaupt nicht! (Ich will nach Hause! ;_;)
 

Allerdings hoffe ich trotzdem, dass Ais „Überredungskünste“ gut rüber gekommen sind. Den Teil hatte ich glücklicherweise schon vor dem Umzug geschrieben und kaum verändert.^^; Enni, ich hoffe ich konnte deine Kritik etwas umsetzen. Ich hab da aber noch so meine Zweifel.
 

Na gut... ich bin dann mal weg und schreib an meiner anderen Story weiter. Hoffe man liest sich auch beim nächsten Mal!
 

hel maidlin
 

PS: Der Pralinenbecher ist wirklich super lecker! ♥ Genauso wie der Erdbeerbecher oder der Cocktailbecher. XD Gibt’s alles in meinem Lieblingseiscafé. ♥♥♥ T.T Ich will zurück nach Erfurt.

Er hat nichts unrechtes getan

Puh.. hab ich es mal wieder geschafft.
 

Mmh... was gibt es zu sagen? Eigentlich nicht viel – nur das Aidou plötzlich anfing von irgendwas zu erzählen, was eigentlich viel später erst kommen sollte. Aber gut... wenn er denn meint. Ich hoffe er bricht mir damit nicht das Genick... ;_;
 

Viel Spaß erst mal... auch, wenn es ziemlich viel geworden ist. Es tut mir leid... ~.~
 

PS: Der Titel trifft sowohl auf der eine, wie auch das andere zu... ich wisst dann schon was ich meine, wenn ihr es ganz gelesen habt. XD

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Er hat nichts unrechtes getan
 

Überraschenderweise hatte Zero aber nicht mehr als ein: „Ist mir egal.“, für diese Neuigkeit übrig. Das erzählte zumindest Ai.

„Und er hat wirklich nicht mehr gesagt?“, fragte selbst Aidou ungläubig.

„Nein, das habe ich doch gesagt.“, widerholte Ai. „Allerdings klang er... nicht sehr begeistert. Ich weiß auch nicht, warum er dann nichts weiter gesagt hat.“, runzelte Ai die Stirn.

Yuki sparte sich die Antwort darauf. Wahrscheinlich wäre jedes Wort dagegen sowieso nur Verschwendung gewesen. Ai hätte so lange darauf behaart, bis sie ihren Willen bekommen hätte und Zero wusste das wohl nur zu gut.

„Wir sollten jetzt gehen Yuki. Bitte schreib gleich den Brief an Kaname. Ich möchte so schnell wie möglich aufbrechen. Ihr solltet euch dann auch nicht zu viel Zeit lassen und bald hinterher kommen.“

Yuki nicke kurz. Sie verabschiedete sich von einer äußerst glücklichen Ai und folgte dann Aidou und Kain nach draußen. Sie konnte es selbst kaum glauben, dass sie tatsächlich noch ein paar Tage mehr mit Zero gewonnen hatte.
 

Yuki saß länger an ihrem Brief, als Kain oder ihr selbst lieb war. Sie wusste einfach nicht, was sie ihrem Onii-sama schreiben sollte. Das hieß, sie wusste es schon, nur hatte sie nicht die geringste Ahnung, wie sie es formulieren sollte. Jedes Wort erschien ihr unpassend und dann war da noch das Versprechen, welches sie Zero gegeben hatte. Natürlich würde sie ihrem Bruder die Gründe für ihr Bleiben nennen, aber trotzdem hatte sie das Gefühl, dass es persönlich geschehen sollte, wenn sie ihn dabei ansehen konnte und nicht durch einen einfachen Brief. Das geschriebene Wort konnte nicht das wiedergeben, was sie dachte und fühlte.

Am Ende schieb sie das auf, was ihr als erstes in den Sinn kam. Sie schrieb, dass es ihr leid tat, dass sie nur Kain vorausschickte und dass er es unter keinen Umständen falsch verstehen sollte, dass sie Sehnsucht nach ihm hatte und den Tag bis zu ihrer Wiedervereinigung schon nicht mehr erwarten konnte, aber dass es dennoch etwas gab, was sie noch ein wenig länger an diesem Ort bleiben ließ. Etwas schönes, wie sie befand und von dem sie wusste, dass er wohl anders darüber denken würde, würde er es wissen. Dennoch blieb sie. Sie würde es ihm später erklären, wenn sie wieder bei ihm war, denn das würde sie schon bald sein und dann hatte sie viel zu erzählen. Bis dahin bat sie ihn um Geduld mit ihr.

Ohne den Brief noch einmal zu lesen, faltete sie das Papier und steckte es dann in einem Umschlag. Yuki wusste nicht, was sie dabei fühlen sollte. Einerseits konnte sie ihr Gewissen mit dem Brief erleichtern. Ihr Bruder würde Nachricht von ihr erhalten und sie hatte ihm versprochen, die Sache ganz genau zu klären. Andererseits wusste sie aber nur zu genau, dass sie ein Versprechen gebrochen hatte. Sie hatte nach drei Monaten zurückkehren sollen und auch wollen und jetzt tat sie es nicht. Sie hoffte nur, dass ihr Onii-sama für ihre Entscheidung Verständnis haben würde, wenn sie die Angelegenheit aufklärte. Auch, wenn er deswegen nicht weniger erfreut darüber sein dürfte, dachte sie traurig.

Sie haderte selbst dann noch mit sich, als Kain bereits den Wagen anließ. Einen kurzen Augenblick lang wollte sie ihn bitten auf sie zu warten und ihre Koffer zu holen, damit sie mit ihm fahren konnte. Doch sie blieb stumm und schaute zu, wie das Auto erst immer kleiner wurde und dann verschwand.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Aidou sie recht gelangweilt und unterdrückte ein Gähnen. Anscheinend hatte er sich mit seinem Schicksal bereits abgefunden, dachte Yuki und schmunzelte leicht.

„Ich werde jetzt noch einmal zu Zero gehen und mit ihm über alles weitere sprechen. Ich denke, es wird nicht lange dauern, bis wir Kain folgen werden.“

„Muss ich mitkommen?“, fragte er sie und dieses Mal gelang es ihm nicht, das Gähnen zu verbergen.

„Nein, natürlich nicht.“, antwortete sie und lächelte amüsiert. Aidou zog es wirklich für einige Sekunden in Erwägung sich wieder ins Bett zu legen. Er wusste selbst nicht warum er so müde war, aber die drei Monate mit Yuki hatten ihn wohl ganz schön strapaziert. Es war nicht so einfach ihren Wünschen nachzugeben, wenn man doch genau wusste, dass es äußerst unklug war, so zu handeln. Aber natürlich würde er sie begleiten. Er würde nicht ruhig schlafen können, wenn er es nicht tat. Das wusste er nur zu gut.

Doch dafür würde sie bezahlen müssen - mit einem riesigen Nachtisch!
 

Sie betraten die Gaststube „Zum Goldenem Glück“ abermals und wieder war es Frau Sayuka, die sie als erstes begrüßte.

„Schön euch wieder zu sehen. Auch, wenn ich weiß, warum ihr hier seid, könnte man meinen, es gefällt euch hier.“

„Das tut es auch!“, stellte Yuki sofort richtig. Es hatte ihr vom ersten Moment in diesem Haus gefallen.

„Das freut mich. Kann ich euch noch etwas gutes tun oder wartet ihr wieder auf ihn?“

„Nein, danke. Ich-“

„Ich hätte gern ihre Speisekarte.“, unterbrach Aidou sie weniger höflich. Frau Sayuka sah ihn einen Moment verwundert an, nickte dann aber.

„Sehr gern.“ Sie wies ihnen einen Tisch zu und reichten ihnen zwei Speisekarten. Yuki sah nicht hinein, doch Aidou schlug eine der hinteren Seiten auf, überflog sie kurz und schloss die Karte wieder.

„Was isst du denn?“, fragte Yuki neugierig.

„Desserts.“, sagte er.

„Mehrere?“

„Ja und du bezahlst.“, sagte er ohne umschweife. „Das ist der Lohn für meine Mühe und als Entschädigung für eine weitere Nacht in einem Hotelbett.“

Perplex sah sie ihn an musste dann aber fast laut lachen. Doch sie beherrschte sich gerade noch. „Wie du wünscht.“, antwortete sie stattdessen leicht unterwürfig. Wenn sie ihm damit entschädigen konnte, sollte ihr das nur recht sein. Da konnte er auch die ganze Karte von oben nach unten bestellen.

Es dauerte nicht lange und Frau Sayuka kehrte an ihren Tisch zurück. Rasch nahm sie Aidous Bestellung auf. Er hatte sich für zehn verschiedene Desserts entschieden, um nicht zu sagen, dass er alle Desserts probieren wollte, die auf der Karte verzeichnete waren. Ob ihm davon nicht schlecht wird?, wunderte sich Yuki, sprach es aber auf keinen Fall laut aus. Er würde schon wissen, was er vertragen konnte.

Stattdessen fragte sie Frau Sayuka, wo Ai war. Yuki hatte gehofft, das Mädchen noch einmal wieder zu sehen, denn so spät war es noch gar nicht. Die Uhr zeigte kurz nach um neun.

„Ichiru hat sie schon vor mehr als einer Stunde ins Bett gebracht. Ich war gerade oben und habe nach ihr gesehen. Sie schläft bereits tief und fest. Es war heute doch noch etwas zu anstrengend für sie.“

„Aber sonst geht es ihr gut?“, fragte Yuki sofort und bemerkte selbst, wie besorgt ihre Stimme dabei klang. Unglaublich wie schnell ihr dieses Kind ans Herz gewachsen war.

„Es geht ihr gut. Sie muss sich nur ausruhen, etwas was ihr sehr schwer fällt, wenn man sie nicht regelrecht dazu zwingt. Wie ich gehört habe, wollen sie bald gemeinsam verreisen. Da braucht sie vorher möglichst viel Ruhe.“

„Ja, natürlich.“, stimmte Yuki ihr gleich zu. „Sie haben vollkommen recht. Würden sie Ze- Ichiru bitte sagen, dass ich heute gern noch alles weitere mit ihm besprechen würde? Ich meine... wenn er es sich nicht schon wieder anders überlegt hat.“, fügte sie unsicher hinzu.

Frau Sayuka nickte kurz und ging gleich darauf in die Küche.
 

„Ichiru?“, fragte sie vorsichtig, als sie in die Küche ging.

„Mmh?“

„Die junge Frau ist wieder da und sie würde gern noch mal mit dir sprechen. Es geht wohl um die Reise, die ihr gemeinsam machen wollt, wenn es noch dabei bleibt. Hast du Zeit?“

„Ich weiß.“, antwortete Zero kurz. Hatte er es sich anders überlegt? Er wusste ja nicht einmal, ob es wirklich klug war zu fahren und dann auch noch mit Ai und Yuki! Er musste verrück gewesen sein, dass er dem zugestimmt hatte – auch wenn er das eigentlich nie getan hatte.

Doch jetzt gab es anscheinend kein zurück mehr. Er würde Ai furchtbar enttäuschen, wenn er es nicht tun würde und außerdem... er hatte inzwischen ja nur zu gut begriffen, wie es sich anfühlte, wenn man sich so sehr, um eine Person, die einem wichtig war, sorgte. Nein, es gab kein Zurück mehr.

„Sagen sie ihr, sie soll warten. Ich komme so bald ich hier fertig bin.“

„Ist in Ordnung und machst du das hier bitte fertig?“ Sie reichte ihm eine Bestellung und Zero sah sie sich flüchtig an. „Was ist denn das?!“, fragte er leicht entsetzt. „Ihr Begleiter hat alle Desserts auf der Karte bestellt. Ich weiß auch nicht, wie er das schaffen will. Aber das soll nicht unsere Sorge sein. Es wäre nur schade, wenn wir dann so vieles wegwerfen müssten.“

„Keine Angst, dass müssen wir nicht.“, erwiderte Zero und seine Stimme klang leicht genervt oder verärgert. Frau Sayuka wusste es nicht.

„Wie du meinst. Sag mir Bescheid, wenn du fertig bist.“ Er nickte knapp und sah sich dann die Liste genauer an. Was dachte sich dieser unverschämte Vampir? Vielleicht sollte er ausversehen den Zucker mit dem Salz verwechseln. Er befand sowieso schon immer, dass die beiden Behälter sich zu ähnlich sahen.

„So ganz glücklich siehst du aber mit der Entscheidung nicht aus.“, riss Herr Sayuka ihn aus seinen Gedanken.

„Bin ich auch nicht.“, antwortete Zero schließlich seinem Chef.

„Warum machst du es dann?“, fragte dieser verwundert.

„Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.“
 

Da an diesem Abend kein so reger Andrang im Gasthaus herrschte, mussten Aidou und Yuki nicht all zu lange, auf Zero warten. Es kam gerade in dem Moment zu ihnen, als Aidou seinen letzten Nachtisch – Vanilleeis auf einem Spiegel, heißer Himbeersoße – verspeist hatte.

Zero setzte sich Yuki und Aidou gegenüber.

„Was wollt ihr schon wieder?“, fragte er sie ohne ein weiteres Wort der Begrüßung zu verlieren und obwohl der das genau wusste.

„Ähm... ich würde gern wissen, wie wir die Sache jetzt angehen wollen. Hast du schon darüber nachgedacht, wann wie ungefähr aufbrechen würden?“ Ihre Stimme klang ganz und gar nicht so selbstsicher, wie sie es gern gehabt hätte. Sie war sich nur zu bewusst, dass Zeros Vorbehalte nicht einfach so verschwunden waren und sie konnte es ihm nicht einmal verdenken. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie viel an Überwindung es ihn kostet hatte, Ai nun doch mitzunehmen, ganz zu schweigen davon, mit ihnen zusammen zu fahren.

Zero massierte leicht seinen Naserücken und versuchte die Müdigkeit, die ihn in den letzten Tagen immer wieder überkam abzuschütteln. Es war erst ein paar Tage her, dass er Yuki nach so langer Zeit wieder getroffen hatte und er empfand diese Tage anstrengender, als das erste Jahr mit Ai. Nicht nur sein Leben hatte ihr plötzliches Auftauchen durcheinander gebracht, sondern es hatte auch wieder tief vergrabene Bedürfnisse in ihm erweckt.

„Ich habe doch gesagt, dass es nicht so einfach ist.“, antwortete er schließlich. „Ich muss erst einmal mit Ais Schule sprechen. Wenn diese dagegen ist, hat sich das Thema ohnehin erledigt.“

„Das verstehe ich. Weißt du schon, wann du das machen willst?“

Zero zog scharf die Luft ein. Jetzt war es nicht mehr Ai, die ihn mit diesen Fragen bedrängte, sondern Yuki. Und wieder gab er die gleiche Antwort. „Morgen.“, antwortete er knapp.

„Denkst du man wird zustimmen?“

Zero zuckte mit den Schultern. Er hatte für diesen Tag genug von dem Thema. „Kann sein. Auch wenn Ai hin und wieder vor sich her träumt, ist sie eigentlich eine gute Schülerin.“

Yuki musste lächeln. Es war einfach erstaunlich, wie Zero von diesem Kind sprach. Auch, wenn sie wusste, dass dieses Thema ihn nervte, so sprach er doch in einem liebevollen Ton von ihr. Sie mochte diese Seite an ihm unheimlich gern, auch wenn sie nicht leugnen konnte, dass sie sich wünschte, er würde auch mit ihr in diesem Ton sprechen.

„Was ist?“, fragte Zero misstrauisch.

„Nichts.“, antwortete sie hastig und versuchte ihr Gedanken wieder auf das Gespräch zu lenken. „Wann denkst du, werden wir aufbrechen können? Nur damit ich mich darauf einstellen kann!“, hängte sie hastig an. Sie wollte auf keinen Fall, dass er glaubte sie würde ihn drängen.

„Warum?“, fragte er trotzdem misstrauisch. „Du hättest nicht hier bleiben sollen, wenn du es so eilig hast.“

„Zero, ich möchte es wirklich nur wissen, um mich darauf einstellen zu können. Mein Koffer ist zwar schon gepackt, aber wenn wir noch eine Woche bleiben, dann kann ich sie auch wieder auspacken. Außerdem könnte ich mir so noch ein bisschen die Stadt ansehen.“

Zero warf ihr noch einen letzten Blick zu. Seit wann redete sie wie eine... Frau?

„Nein nicht nötig. Ich werde sehen, dass wir so schnell wie möglich abreisen können. Je eher wir das tun, desto eher sind wir wieder zurück.“, murmelte er die letzten Worte.

Yuki sah ihn etwas verwundert an. Hatte er gerade nicht ihre eigenen Worte wiederholt?

„Zero, ich bin wirklich froh, dass du dich dazu entschieden hast. Glaub mir, es wird nichts geschehen und nachdem du die Sache mit Yagari und meinem Vater besprochen hast, könnt ihr ja auch wieder abreisen.“ Yuki lehnte sich bei diesen Worten ein Stück weiter nach vorn und ihr entging nicht, wie Zero auf einmal seinen Körper im gleichen Moment nach hinten beugte. Warum? Meinetwegen?, fragte sie sich irritiert.

„Hab ich mich wirklich entschieden?“, fragte Zero leise und Yuki war nicht sicher, ob sie die Worte überhaupt gehört hatte.

„Ich kann es schon gar nicht mehr erwarten, bis es endlich so weit ist.“, sagte Aidou, der den beiden bisher nur desinteressiert zugehört hatte.

Scharf sah Zero ihn an. „Niemand hat dich gebeten hier zu bleiben!“

„Als ob ich Yuki allein lassen würde!“ Dass ihm gar nichts anderes übriggeblieben war, erwähnte er besser nicht.

„Als ob das irgendeinen Unterschied macht!“ Zero Augen blitzen gefährlich und Yuki bekam ein wenig Angst. Dann atmete sie resigniert und mit einem lauten Seufzen aus.

„Was?“, kam es von beiden gleichzeitig.

„Nichts.“, antwortete sie sofort. Mit den beiden in einem Zug... Das konnte ja heiter werden!, dachte sie.

Zero erhob sich und Yuki sah überrascht auf. Sie wollte gerade etwas sagen, als er ihr zuvor kam. „Wir treffen uns morgen in der Stadt. Meinetwegen bei eurem Hotel. Dann kann ich euch mehr sagen.“

„Wann denn?“

„Kurz vor zehn Uhr.“, antwortete er ihr. „Wenn das kein Problem für euch ist und ihr schon ausgeschlafen habt.“, hängte er spitz an und sah dabei zu Aidou.

„Natürlich ist das kein Problem!“, rief dieser entrüstet. Wenn sie das der Heimat näher bringen würde, würde er auch um fünf aufstehen!
 

Kurz vor zehn Uhr erschien Zero wirklich in der Lobby des Hotels, wie er es gesagt hatte. Yuki saß schon seit ungefähr einer Stunde in einem der weichen Sessel vor dem Kamin und hatte sich bemüht eine Zeitschrift zu lesen. Allerdings hatte sie kaum erfasst, was sie eigentlich gelesen hatte. Sie war einfach zu nervös gewesen. Fast gewann sie den Eindruck, dass sie bei jedem Treffen nur noch nervöser wurde, dabei war es doch früher nie so gewesen!, dachte sie, genervt von ihren eigenen Gefühlen.

Aber es hatte sich sowieso so vieles geändert.

Sie hatte sich während ihrer langen Suche oft vorgestellt, wie Zero wohl lebte. Ihre Vorstellungen waren so verschieden, wie die Städte, die sie gesehen hatte und einige hatten sie sogar in Angst versetzt. Doch niemals hat es in ihrer Vorstellung ein kleines Mädchen gegeben, um das sich Zero jetzt so liebevoll kümmerte. Ihr Leben schien so frei und unbekümmert, dass es Yuki noch immer überraschte. Es gab anscheinend nur ihn und Ai, keine Vampire, keine Verpflichtungen, keine Aufträge und keine Vergangenheit.

Sie beneidete ihn sogar ein wenig darum. Gern würde sie ihren Status als Reinblut ablegen, wenn sie dafür solch ein Leben führen könnte. So wie es wollte, unabhängig von Vorschriften und Etikette.

Sie erhob sich und wollte ihn begrüßen, umso überraschter war sie, Ai ebenso zu sehen.

„Hallo, Yuki!“, begrüßte diese sie fröhlich und umarmte sie gleich herzlich.

„Guten Morgen, Ai.“, erwiderte Yuki die Begrüßung und schloss sie fest in die Arme. Das breite Lächeln auf dem Gesicht des Kindes, stimmte auch sie gleich viel fröhlicher. Dieses Mädchen war einfach das beste, was Zero hatte passieren können, dachte sie. Den stumpfen Stich in ihrem Herzen nahm sie aber dennoch wahr. Es war nicht mehr sie, den er brauchte...

„Hallo, Zero.“, begrüßte sie nun auch ihn.

„Wo ist dein Leibwächter?“, fragte dieser so sofort und sah sich um.

„Ähm... Aidou... Er... schläft noch.“, gestand Yuki verlegen.

„Ich bin nicht überrascht. Er ist immer noch unzuverlässig.“, erwiderte Zero trocken.

„Um ehrlich zu sein Zero... hat er mich gestern extra gebeten ihn zu wecken, wenn er nicht munter wird. Ich habe es nicht getan weil...“

„Weil?“, sah er sie fragend an.

„Er hätte sich sicher nur gelangweilt und das wollte ich uns ersparen. Ich werde ihm dann alles mitteilen, wenn wir fertig sind.“ Und ich wollte mir dir allein sein, fügte sie in Gedanken an.

„Yuki, wir fahren schon übermorgen!“, platze Ai schließlich heraus. Das hatte sie schon die ganze Zeit sagen wollen!

Perplex sah Yuki erst sie an und dann Zero. Dieser stieß schon wieder einen Seufzer aus. „Genau deswegen, wollte ich nicht, dass du mitkommst.“, mahnte er Ai.

„’Tschuldigung.“, nuschelte sie.

„Ist das wirklich wahr?“, fragte Yuki ungläubig.

„Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“, stellte er eine Gegenfrage, ohne eine Antwort zu geben.

„Ja, natürlich.“, antwortete sie sofort. Er wollte ungestört sein! Das hieß, er wollte nicht gleich wieder verschwinden. Zumindest nicht, wenn sie es verhindern konnte.

„Eis essen!“, rief Ai dazwischen, noch bevor Yuki antworten konnte. Doch sie musste in sich hineingrinsen, als Zero mit einem kategorischen Nein antwortete.

„Ai, was hältst du von einem kleinen Spaziergang und am Schluss trinken wir vielleicht noch eine schöne heiße Schokolade, wenn dein Papa nichts dagegen hat?“, fragte Yuki sie und augenblicklich hellte sich Ais Gesicht wieder auf.

„Was sagst du Zero?“ Sie war sich durchaus bewusst, dass sie ihn nicht hätte übergehen dürfen. Aber so würde er vielleicht nicht unbedingt nein sagen.

„Vielleicht.“, antwortete er einsilbig und Yuki tröstete sich mit dem Gedanken, dass es zumindest kein ‚Nein‘ war.
 

„Das hört sich alles sehr teuer an.“, bemerkte Yuki, nachdem Zero ihr von der viertägigen Fahrt erzählt hatte. Sie würde die Nacht über in Pensionen oder Hotels verbringen und die meiste Zeit des Tages in Zug. Sie hätte wirklich nicht erwartet, dass es so lange dauern würde. Aber Zero würde schon recht haben. Sie waren hier fast ganz im Norden. Außerdem glaubte sie heraushören zu können, dass Ai es gern so wollte. „Kannst du dir...“, sie brach ab. Sie wusste, dass sie diese Frage nicht stellen durfte. Das ging sie überhaupt nichts an – wie so vieles, wie ihr klar wurde. Aber vielleicht konnte sie ihm ja helfen.

Was für ein dummer Gedanke. Er würde ihre Hilfe niemals annehmen. „Ich meine, hast du überhaupt genügend... uhm...“, versuchte sie es dennoch noch einmal.

„Was? Ob ich genügend Geld für diese Reise habe? Ich wüsste nicht, was dich angeht.“, wies er sie kalt ab.

„Natürlich nicht. Du hast recht.“, sagte sie leise. Doch statt traurig darüber zu sein, musste sie abermals lächeln – wie sie erwartet hatte.

Ai sah aufmerksam zu den beiden Erwachsenen und wurde sich nur zu bewusst, dass sich die Stimmung verändert hatte. Aber sie wollte doch, dass die beiden sich vertrugen.

„Kann ich jetzt die heiße Schokolade haben?“, fragte sie deswegen, um Yuki und Zero abzulenken.

„Ja, natürlich. Das habe ich dir ja versprochen.“, antwortete Yuki ihr und ging auf sie zu.

„Wo möchtest du denn hin?“

„In den Ratskeller“, antwortete sie bestimmt und ohne zu zögern. „Dort ist es immer so schön unheimlich, aber auch richtig gemütlich.“

Fragend sah Yuki zu Zero. „Meint sie damit, dass-“

„Ja.“

„Ich glaube du hast recht, Ai.“, stimmte Yuki ihr zu. „Mir hat es dort auch sehr gut gefallen.“

„Warst du schon einmal dort?“, fragte Ai verwundert.

„Ja, mit deinem Papa. Schmeckt dort denn die Schokolade?“

Ai nickte kräftig mit dem Kopf. „Super lecker! Und es gibt sogar ganz viele verschiedene Sorten! Mit Vanille – aber Papa seine schmeckt viel besser! – mit Haselnuss, mit Tee – bäh, das ist eklig – mit Marzipan, mit Chili – das ist genauso widerlich – mit Rosenblüten – das schmeckt komisch – und noch ganz viel mehr!“, zählte sie aufgeregt auf.

„Das hört sich ja alles sehr interessant an. Hast du eine, die du am liebsten magst?“

„Mhmh.“, brummte sie und nickte mit dem Kopf. „Die ganz normale! Die ist einfach am leckersten! Mit ganz viel extra Sahne natürlich!“

„Ai!“, mahnte Zero sie und es klang so, als wäre es nicht das erste mal hinsichtlich dieses Themas. Das Mädchen würde irgendwann noch mal einen Zuckerschock erleiden, dachte er. Wie konnte man nur ständig so süße Sachen zu sich nehmen?

Yuki musste kichern. „Warum erzählst du ihr nicht, dass ihre Zähne schlecht werden, wenn sie soviel süßes isst? Macht man das nicht so?“

„Kann schon sein. Aber erstens will ich ihr keine Lügen erzählen und zweitens hat sie so gute Zähne, dass jeder Zahnarzt an ihr verzweifelt.“

„Ich putze mir ja auch zweimal am Tag die Zähne!“, warf Ai sofort ein.

„Wirklich so viel?“, fragte Yuki erstaunt. „Freiwillig?“

„Ja!“

Yuki wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie erinnerte sich sehr gut, wie sie immer versucht hatte sich vor der Zahnbürste zu drücken. Jedes Mal ohne Erfolg.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte sie Zero und Anerkennung schwang in ihrer Stimme mit. „Ihre Mutter.“, sagte er kurz und damit wusste Yuki, was er meinte.
 

„Sehen wir uns morgen noch einmal?“, fragte Yuki Zero zum Abschluss und bevor sie sich trennten. Zero musste auf Arbeit und Ai war auch merkwürdig still geworden. Vielleicht ging es ihr doch noch nicht wieder so gut. Yuki hatte immer wieder bemerkt, wie Zero einen Blick auf seine Ziehtochter geworfen hatte und ihr nun behutsam über die Wange strich.

Wieder dieser dumpfe Schmerz in ihrer Brust. Das war doch albern, schüttelte sie den Kopf und atmete einmal tief durch.

Sie hatte das Gefühl als hätte sie Zero den ganzen Vormittag über mit Fragen bedrängt. Es müssen so viele gewesen sein, dass sie sie schon selbst nicht mehr alle wusste. Doch es waren nur oberflächliche Fragen gewesen. Über die Reise, die Stadt oder die Umgebung. Keine einzige war über sein Leben, obwohl sie fast vor Neugier danach platzte.

Sie hatte sich einfach nicht getraut. Vielleicht würde sie ja während der Fahrt Gelegenheit dazu haben.

Wohl eher nicht, machte sie sich gleich keinerlei Hoffnung. Mit Ai und vor allem Aidou an ihrer Seite, würde das sehr schwierige werden. Es würde so schon eine Herausforderung für die beiden Männer sein, normal mit einander umzugehen. Sie hoffte, dass sie das konnten. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wie die Reise verlaufen würde, wenn sich die beiden nur anfeinden würde.

Und auch, wenn Zero ihr gerade scheinbar bereitwillig geantwortet hatte, so hatte sie doch die Distanz aus seinen Worten hören und aus seinen Gesten lesen können. Er war von ihr weggerückt, hatte sie kaum angesehen, so als wäre sie es nicht wert und hat nur kurz geantwortet. Zudem war seine Körperhaltung die ganze Zeit angespannt gewesen. Er fühlte sich nicht wohl in ihrer Nähe, dessen war sie sich nur zu bewusst geworden. Selbst Ai konnte daran nichts ändern.

Hoffentlich würde er es nicht bereuen, dass er jetzt diesen Schritt ging. Das durfte nicht geschehen. Sie musste... Sie würde dafür sorgen, dass alles gut verlaufen würde. Sie hatte ihr Versprechen gegeben und sie würde es auf keinen Fall brechen.

Ihr wurde ganz schlecht bei den Gedanken, was geschehen könnte, wenn doch nicht alles gut war. Was, wenn Ai doch etwas geschah? Was, wenn sie es herausfanden und sie benutzen um Zero... Nein, das würde sie nicht zu lassen. Niemand sollte erfahren, wie nah sie Zero stand, wie wichtig sie ihm war.

„Nein.“, antwortete er nun auf ihre Frage. Yuki sah, wie er Ai noch einmal ansah und auch sie sah, dass das Mädchen müde zu sein schien. „Ich denke nicht. Sie braucht endlich mal einen Tag Ruhe.“

„Aber Papa, ich-“

Zero schüttelte kurz den Kopf und Ai wusste, dass sie gar nicht weiter darüber diskutieren brauchte. Sie hatte seine Geduld in den letzten Tagen schon genug beansprucht, auch das wusste sie nur zu genau. Gegen ein kleines Mittagsschläfchen hätte sie im Moment wirklich nichts einzuwenden.

„Verstehe. Dann sehen wir uns dann in zwei Tagen am Bahnhof, nicht wahr?“, fragte Yuki noch einmal, um ganz sicher zu gehen. Dabei sah sie im in die Augen. Ihre Blicke hielten einen Moment stand, bevor Yuki ihn senkte. Irgendwie schaffte sie es nicht, ihm länger in die Augen zu sehen. Dabei wollte sie es doch! Und dann wieder nicht. Sie wusste es selbst nicht. Jedes Mal, wenn sie ihm in die Augen sah, schien etwas mit ihr zu geschehen, was sie sich nicht erklären konnte und was sie schon gar nicht in Worte fassen konnte. Mit jedem Mal machte es ihr ein wenig Angst und doch wollte sie, dass es anhielt.

„Mach’s gut bis übermorgen.“, verabschiedete sie Ai und umarmte sie noch einmal.

„Bis bald, Ai und versprich mir, dass du dich noch ein bisschen ausruhen wirst.“, mahnte auch Yuki sie. Sie drückte das Mädchen an sich und ohne das sie es selbst bemerkte, gab sie ihr einen kleinen Kuss auf das Haar.

Als sie sich dessen bewusst wurde und Ai noch hinterher sah, wie diese voraus ging, musste sie lächeln. Dieses Mädchen war einfach unglaublich. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es sein würde, sie nicht mehr sehen zu können. Bei dem Gedanken vermisste sie sie schon jetzt schrecklich.

„Was ist?“, fragte Zero sie auf einmal und Yuki sah ihn verwundert an. „Warum lächelst du?“

„Was?“, fragte sie erstaunt zurück.

„Du tust das schon den ganzen Tag.“ Seine Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, doch sie wusste, dass er es dieses Mal nicht so meinte.

„Ich bin glücklich.“, sagte sie schlicht.

„Warum?“, fragte er weiter und schien es wirklich nicht ganz begreifen zu können. Ihr Lächeln wurde breiter.

Sie dachte einen Moment über die Antwort nach. Es gab so vieles. „Ich bin glücklich, weil ich dich gefunden habe, weil ich Ai kennenlernen durfte, weil es heute ein unglaublich schöner Morgen war und ich ihn sehr genossen habe. Ich bin froh, dass ich nicht aufgehört habe nach dir zu suchen.“

Zero erwiderte nichts, aber er schaute sie vielleicht einen Moment länger als erwartet an. Dann drehte er sich zum Gehen um.

Sie hatte sich nicht verändert.
 

Zero nahm eine Hose aus seinem Schrank und ein paar Shirts. Er versuchte nicht darüber nachzudenken, was er tat und warum. Es war besser so. Er hatte sich die gleichen Fragen in den vergangenen Tagen und Nächten immer wieder gestellt und war nie zu einer Antwort gekommen, die allen Betroffenen geholfen hätte. Also war es besser die Stimme in seinem Hinterkopf zu ignorieren. Es würde kein Zurück mehr geben.

Zero warf einen Blick in seine Tasche. Er selbst brauchte nicht viel Gepäck. Bei Ai sah das hingegen schon anders aus. Sie hatte wirkliche in Talent dafür zu stürzen oder sich zu bekleckern, selbst wenn das eigentlich unmöglich war. Sie würde fast eine ganze Garderobe brauchen. Andererseits wollte er nicht lange bleiben, nur alles nötige klären und dann wieder abreisen. So zumindest sah er es vor. Aber es war Ai, für die er die Sachen packte...

„Papa?“, hörte er Ai plötzlich hinter sich fragen und bei dem Klang ihrer Stimme, wusste er, dass sie etwas bestimmtest beabsichtigte.

„Ja?“

„Uhm... Also... ich soll ja meine Schulsachen nehmen und... Ich meine... Kann ich... Können wir...“

Zero sah sie verwundert an, nicht gewöhnt sie so stammeln zu hören.

„Was denn?“ Er sah auf und sah sie in der Tür stehen, in der Hand ein mittelgroßes Kästchen. Er kannte es gut.

„Können wir Mama mitnehmen?“, fragte sie ihn und sah ihn aus diesen großen Augen an, die es ihm vor fünf Jahren schon unmöglich gemacht hatten zu wiedersprechen. Aber das wäre ihm in diesem Fall auch nicht in den Sinn gekommen.

„Natürlich.“, antwortete er ihr und trat auf sie zu. „Darum brauchst du mich nicht zu fragen, das weißt du doch.“

„Aber ich...“, begann sie von neuem.

„Was denn noch?“

„Ich weiß nicht, wo ich es noch hintun soll. In meinem Rucksack ist kein Platz mehr.“, jammerte sie leise.

Zero mustere sie einen Moment. Er hatte eigentlich von ihr verlangt, dass sie ihre Schulsachen selbst tragen würde - als Gegenleistung dafür, dass er sie mitnahm – aber das...

„Dann tust du nur dass hinein, was reinpasst und die anderen Sachen nehme ich. Aber du musst versprechen, dass du auch gut drauf aufpassen wirst.“

Ai nickte eifrig und schlang dann die Arme um seinen Körper.

„Danke!“, rief sie freudig und verschwand auch gleich wieder in ihrem Zimmer.

Zero schüttelte leicht den Kopf und wieder schienen die verdrängten Gedanken nach vorn zu kommen. Es war einfach so viel klüger zu bleiben, diese heile Welt, die sie abseits von all dem anderen hatten, nicht zu verlassen. Es würde alles zerreisen, wenn sie es taten oder nicht?
 

Yuki stand mit weit aufgerissenen Augen am Bahnhof. Sie und Aidou waren sogar eine halbe Stunde zu früh und sie hatte somit noch Zeit sich umzusehen. Den Bahnhof hatte sie noch gar nicht besucht. Sie hatte zwar die Züge gehört, aber gesehen hatte sie diesen Ort nicht. Vom technischen Standpunkt – von dem sie ohnehin nicht viel Ahnung hatte – waren die Züge mit den unterirdischen Hochgeschwindigkeitszügen der Vampire, nicht zu vergleichen. Und doch gefiel es Yuki unheimlich gut.

Der Bahnhof hatte fünf Gleise, alle nebeneinander und überdacht mit Glas oder einem anderen Material, was Yuki nicht richtig deuten konnte, aber sie konnten den Himmel sehen.

Auch, wenn die Züge nicht so modern waren, wie die, die sie bisher benutzt hatte, beeindruckten sie sie.

Sie bestanden aus mächtige schwarzen Dampfloks, die bis zu 6 Wagons zogen. Hinter der Lok befand sich ein Wagen mit Kohle und danach folgten die Abteile für die Passagiere. Von außen erkannte sie, dass einige davon wohl nochmals innerhalb abgetrennt waren und einer Informationstafel in der Wartehalle entnahm sie, dass wohl der letzte Wagen der Speisewagen war. Anscheinend waren diese Züge für lange Reisen gebaut worden. Genau das richtig für ihr Vorhaben. Aber sie sah nicht nur Personenzüge, sondern auch Güterzüge. Manche hatten Holzstämme geladen, die wohl von dem angrenzenden Nadelwald stammten, der sich gleich hinterm dem Gasthaus „Zum Goldenem Glück“ befand. Andere waren verschlossen, aber sie glaube sie wissen, dass darin die verschiedenen Dinge lagerte, die sie auch in der Stadt gesehen hatte: Felle, Handschuhe, Mützen, Pullover, Milch- und Wurstprodukte und Tee.

„Yuki! Onkel Aidou!“, hörten sie jemand von hinten rufen und beide drehten sich um. Sie sahen Ai auf sie zu rennen.

„Ich bin nicht dein Onkel.“ „Er ist nicht dein Onkel.“, sagten beide Männerstimmen im gleichen Ton und beide klangen wenige begeistert über die zweifelhafte Ehre, die Ai Aidou damit zukommen lies.

„Ja, ja.“, wehrte Ai ab und Zero sah sie scharf an. Das war der Ton, der ihm nur allzu genau sagte, dass es ihr eigentlich vollkommen egal war, was man ihr gerade gesagt hatte. Das würde er ihr als nächstes abgewöhnen.

„Ihr seid schon da.“, sagte Zero stattdessen und Yuki wusste, was er damit meinte.

„Ich konnte nicht mehr schlafen.“, antwortete sie, bevor Aidou bemerkte, worauf Zero damit anspielte.

„Bist du auch so aufgeregt wie ich? Ich kann es gar nicht mehr erwarten! Endlich sehe ich wo Papa herkommt und ich lerne Yagari-sensei kennen und den Rektor der Cross Akademie! Ist er wirklich so seltsam? Ich freue mich die Schule zu sehen, in die ihr gegangen seid. Und die Stadt erst! Papa hat mir gestern noch erzählt, dass dein Papa einen großen Garten hat! Meinst du, ich darf mir den ansehen? Was wächst da wohl alles? Jetzt ist ja schon Herbst, aber da wächst ja trotzdem noch so viel! Jedenfalls bei uns. Ich weiß ja nicht, wie es bei euch ist. Papa hat gesagt, bei euch ist das Wetter noch wärmer als bei uns. Dabei ist es bei uns auch noch recht warm. Wenn ich an letztes Jahr denke! Und du Onkel Aidou, freust du dich auch schon? Wartet jemand auf dich? Ob Onkel Kain schon wieder da ist? Und kann ich mir-“

Zero stoppte ihren Redeschwall, indem er ihr eine Hand auf den Mund legte.

„Das reicht jetzt!“, sagte er und klang dieses Mal reichlich genervt. „Vergiss nicht, auch mal Luft zu holen.“

Er nahm die Hand von ihrem Mund ließ und Ai atmete einmal tief ein und aus. „Du hast recht!“, stimmte sie ihrem Papa mit ernstem Ton zu. „Aber ich freu mich einfach so!“

„Ja, ich weiß. Das hast du mir schon hundert Mal erzählt. So geht das schon seit gestern Abend!“, stöhnte Zero.

Yuki musste kichern, woraufhin sie von Zero ebenfalls einen vielsagenden Blick erntete.

„Wo müssen wir hin?“, war es nun Aidou der fragte.

„Zu Gleis 3. Der Zug müsste schon da sein.“, antwortete Zero ihm. „Holt eure Fahrkarten, wir treffen uns dann dort.“

Mit diesen Worten nahm er Ai bei der Hand und ging in Richtung Gleis 3.

„Die Fahrt wird anstrengend.“, sagte Aidou trocken und gefolgt von einem tiefen Seufzer. „Ich denke, es wird lustig werden.“, merkte Yuki an, wofür sie einen weiteren stechenden Blick erntete. „Lass uns die Karten holen und dann zu ihnen gehen.“
 

Die Karten waren schnell geholt und Yuki musste bei dem Preis heftig schlucken. Selbst ihr war das zu viel gewesen. Aber wenn man vier Tage unterwegs sein würde, konnte sie wohl auch nichts anderes erwarten. Wieder überkam sie ein schlechtes Gewissen, dass sie Zero dazu gebracht hatte soviel Geld auszugeben. Sie war sich sicher, dass er es gut für andere Dinge gebrachen konnte.

Auf dem Weg zum Gleis, beobachtete sie die Menschen um sich herum. Sie waren von so unterschiedlicher Hautfarbe, Haarfarbe und Statur, dass man gleich erkennen konnte, dass sie aus ganz verschiedenen Teilen des Kontinents, wenn nicht sogar der ganzen Welt kamen.

„Ich frage mich, was sie es alle hierher verschlägt?“, sprach Aidou ihre Gedanken aus. „So interessant ist es hier doch gar nicht. Viel zu kalt.“

„Ich finde es sehr interessant hier und die Stadt ist immerhin ein Umschlagplatz für Exporte aller Art. Allerdings wundere ich mich mehr darüber, dass es hier keine von uns gibt. Das ist doch seltsam oder nicht? Die Stadt liegt so weit abgeschieden, da müsste man doch annehmen, dass es hier ein paar Familien unserer Art gibt. Es ist doch der perfekte Ort, um unentdeckt leben zu können.“

Aidou zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Unser Leben hat sich schon immer im Süden abgespielt. Dort war der Sitz der Kurans und der wenigen anderen Reinblüter. Jede Familie wollte in ihrer Nähe sein. So gut wie niemand wäre auf die Idee gekommen, freiwillig so weit von ihnen entfernt zu leben.“

„So gut wie niemand?“

„Es gibt einige Familien, die zurückgezogen hier leben oder besser gesagt, es gab eine. Ich weiß gar nicht genau, was aus ihnen geworden ist, als man das Familienoberhaupt vor ein paar Jahren tötet. Seine Frau muss wohl verschwunden sein und irgendwo einsam und zurückgezogen leben. Sie will mit niemanden von uns etwas zu tun haben - wenn sie überhaupt noch lebt.“

„Warum hat man ihn getötet?“

„Obwohl er ein Mitgliede der Adelsklasse war, war er besessen von menschlichem Blut. Er hat viele getötet. So weit ich gehört habe, waren Menschen für ihn nichts weiter, als ein Nahrungsmittel. Die ganze Familie muss wohl so gedacht haben. Die Hunter haben ihn wohl bei seiner letzten... Mahlzeit erwischt. Er war so vergiert auf das Blut seiner Opfer, dass ihre Ankunft ihn nicht einmal störte. … Eine Schande, wenn du mich fragst.“

„Du kanntest ihn nicht?“

„Nein. Wie gesagt, sie lebten sehr zurückgezogen und hier oben hin verschlägt es nur wenige von uns.“

„Und seine Frau hat man nicht gejagt?“, fragte Yuki weiter.

„Nein, warum sollte man? Sie war nicht an den Übergriffen beteiligt. Sie ist einfach verschwunden und niemand hat mehr nach ihr gesucht. Die Familie der Clays ist in unseren Kreisen, trotz ihres Standes, nicht sehr gern gesehen.“

„Warum?“, fragte sie verwundert. Von diesem Namen hatte sie noch nie gehört.

„Die Clays besitzen eine Gabe, die es ihnen ermöglicht, mit einen bloßen Berührung, die... ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Lass mich sagen, sie können durch eine bloße Berührung, die Lebensenergie anderer... aussaugen. Das klingt ziemlich albern, ich weiß. Wenn sie jemanden berühren und von ihrer Gabe Gebrauch machen, beginnt die Stelle an der sie dich berühren zu altern. Sehr schnell, als würde dein Körper innerhalb weniger Minuten und vor deinen eigenen Augen verwesen... bei lebendigen Leibe.“

Yuki sah ihn entsetzt an und als Aidou es bemerkte hängte er schnell an: „Das ist zumindest das, was man sich erzählt. Ich selbst habe es noch nicht gesehen, aber mein Vater. Ich möchte mir das gar nicht vorstellen. Seinen Körper verfaulen und zerfallen zu sehen, bis man schließlich endlich stirbt und es ein Ende hat. Einen schlimmeren und qualvolleren Tod kann es meiner Meinung nach kaum geben.“

„Das klingt furchtbar.“, sagte Yuki und die Bestürzung war ihr anzusehen. Warum hat man diese Familie nicht unter Beobachtung? Kann man seine Frau einfach frei lassen? Hat sie diese Gabe auch?“

„Warte lass mich überlegen. Der Mann war ihr… Cousin? Irgendwie so etwas, aber weitläufig. Man kann davon ausgehen, dass sie diese Gabe auch hat, aber das heißt nicht, dass sie davon Gebrauch macht.

„Die Clays gehören mit zu den ältesten Familien und trotzdem hat sie ihre Gabe wohl schon immer von den anderen abgegrenzt. Sie waren niemanden richtig geheuer, da sie keinen Hel daraus machten, sie auch gegen uns andere Vampire einzusetzen. Allerdings hat diese Ausgrenzung den Wiederstand gegen bestimmte Regeln verstärkt. Niemals so, dass ein Reinblut oder der Rat einschreiten musste, aber es hat genügt.

„Mit dem Verschwinden der Frau hat man nie wieder etwas von der Familie gehört und es gab auch keine Versuche mehr, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren.“

„Hatten sie Kinder?“

Aidou nickte kurz als Antwort auf diese Frage.

„Ja, aber ich kenne sie nicht und auch das habe ich nur gehört. Ich glaube sie hatte zwei oder drei, ob Söhne oder Töchter weiß ich gar nicht. Vielleicht leben diese noch. Wenn dann aber wohl ebenso zurückgezogen, fern ab von Menschen und Vampiren, wohl wissend, dass ihre Existenz nicht erwünscht ist.“

„Aha.“, machte Yuki kurz und sah nachdenklich nach unten. Diese ganze Gegend kam ihr so friedlich und ruhig vor, so perfekt für Zero und Ai. Der Gedanke, dass irgendwo vielleicht eine Familie von Vampiren lebte, die so merkwürdige Kräfte besaß und die für ihren Wiederwillen gegen Regeln bekannt war, erschreckte sie. Was, wenn sie es irgendwann einmal hier her verschlagen würde?

Kurz hielte sie inne. Nein, darüber musste sie sich keine Gedanken machen. Zero war schließlich hier und auch, wenn sie ihn noch nicht danach gefragt hatte, so glaubte sie doch, dass Vampire noch immer jagen würde, sobald sie eine Bedrohung für Menschen darstellten und ganz besonders für Ai. Er würde sie beschützen.

„Trotzdem ist es irgendwie traurig oder nicht? Man wird wegen seiner Gabe ausgegrenzt. Dabei ist sie im Grunde doch nichts anderes, als unsere eigenen.“, dachte sie laut und Aidou antwortete auch nicht darauf. „Aber man hat wirklich nichts mehr von dieser Familie gehört?“, frage sie noch einmal verwundert.

„Nein. Es gibt auch keine Auffälligkeiten in der Anzahl von Verschwundenen oder Toten. Ich denke nicht, dass man noch einmal etwas von ihnen hören wird. Wie gesagt, ihre Gabe ist zu gefährlich. Kaname würde sicher nicht zulassen, dass sie sich in unsere Gesellschaft drängen.“

Dieses Mal nickte Yuki kurz. „Und es gibt außer dieser Frau und vielleicht ihrer Kinder niemanden mehr, der diese Gabe besitzt? Ich meine, ist sie die letzte?“

„Ich denke schon. Die Familie Clay war ähnlich den Kuran, was ihre Familienpolitik betraf. Auch, wenn ihre Gabe sie von den anderen ausschloss, waren sie doch stolz darauf. Allerdings muss sich eben diese Gabe negativ auf sie selbst ausgewirkt haben, zumindest erzählt man sich das.“

„Wie meinst du das?“, fragte sie neugierig.

„Die meisten der Clays waren... man kann sagen unfruchtbar. Sie waren nicht in der Lage Nachkommen in die Welt zu setzen. Deswegen waren die beiden, wohl auch eine Ausnahme. Sie waren sozusagen die letzte Hoffnung, die Familie Clay aufrechtzuerhalten. Aber wegen dieser Einschränkung ist es auch nicht sicher, ob sie überhaupt Kinder haben.“

„Mmh.“

„Yuki, denk bitte daran, dass das meiste nur Vermutungen und Gerüchte sind. Wie viel davon aber stimmt möchte ich nicht beurteilen.“

Aidou blieb stehen und Yuki sah ihn überrascht an. Sein Gesichtsausdruck war Ernst, genauso wie die Worte die er dann sprach: „Deine Sorgen bezüglich Zero und Ai sind unnötig. Ich denke nicht, dass sie in der Lage waren Kinder zu zeugen. Außerdem kann Zero sehr gut auf sich selbst aufpassen.“

Yuki schenkte ihm ein kurzes Lächeln. „Danke.“

„Da seid ihr ja endlich!“, rief Ai ihnen zu, als sie die Treppe nach oben gingen und das Mädchen vor dem Zug stehen sahen.

„Tut uns leid.“, entschuldigte sich Yuki.

„Lasst uns einsteigen! Der Zug fährt doch gleich!“, rief sie aufgeregt.

Aidou sah zur Uhr. „Nur keine Aufregung. Wir haben noch zehn Minuten.“, sagte er träge.

„Soll ich dir bei dem Gepäck helfen?“, wandte sich Yuki an Aidou, der bisher ihre Koffer getragen hatte.

„Das geht schon. Ich hoffe wir haben wenigstens ein eigenes Abteil.“, sprach er mehr zu sich selbst, als er versuchte mit den zwei schweren Koffern, in den Zug zu gelangen.

Er folgte Zero den schmalen Gang im Zug entlang, der zu wissen schien, wo er hin wollte. Nur wenige Augenblicke später, zog dieser von einem abgetrennten Abteil die Tür auf und verstaute die große Reisetasche, in der seine und Ais Sachen waren, auf der Ablage über den Sitzen. Aidou tat es ihm gleich und dann traten auch Yuki und Ai ein.

„Ich freu mich so!“, sagte Ai noch einmal.

„Das erwähntest du bereits.“, sagte Aidou trocken und setzte sich an den Fensterplatz. Yuki setzte sich neben ihn und Zero und Ai nahmen auf den gegenüberliegenden Sitzplätzen platz.

Zero sah schweigend aus dem Fenster, nicht glauben könnend, dass er wirklich im Begriff war, das hier zu tun.

Und plötzlich wurde es ihm nur zu deutlich bewusst: Es war ein Fehler.

Es war ein einziger, riesiger, verdammter Fehler! Er bereute es, in dem Zug zu sitzen, dass er sich hatte überreden lassen, dass er überhaupt mit Yuki gesprochen hatte! Er wusste ganz genau, dass es in einer Katastrophe enden würde. Es war niemals so einfach, wie Ai und Yuki sich das vorstellten. Wie sollten sie denn auch nichts von seiner Anwesenheit erfahren? Wie nichts von Ais? Er war ein solcher Narr gewesen, dass er das hatte auch nur einen Moment glauben wollen, dass er es geglaubt hatte!

Doch er Zug fuhr an und es war zu spät. Er konnte nur hoffen, dass er sich irrte.
 

Der erste Teil der Fahrt verlief ruhig und ereignislos. Nachdem Ai sich an der Landschaft, die an ihnen vorüber flog, satt gesehen hatte, rang sie sich dazu durch eines ihrer Schulbücher aufzuschlagen. Sie hoffte, dass, wenn sie ihre Aufgaben schon zu Beginn der Reise schaffen würde, sie sich an der Cross Akademie nicht mehr damit rumquälen musste. Als sie dann die Liste sah, die ihr ihr Lehrer mitgegeben hatte, verschwand ihr Mut. Das war ja so viel!

Aber mit Hilfe von ihrem Papa und überraschender Weise auch von Aidou gelang es ihr doch ein paar Aufgaben zu lösen. Yuki hingegen hielt sich zurück und hörten den dreien lieber zu. Es interessierte sie nicht so sehr, worum es in den Aufgaben eigentlich ging, aber sie mochte die Atmosphäre die dabei aufkam. Außerdem genoss sie es sichtlich Ai dabei zu beobachten, wie sie es mit ihren Fragen schaffte Aidou fast an den Rand der Verzweiflung zu treiben. Jede Antwort wurde mit einer neuen Frage belohnt. Ihr wenig vorhandenes Interesse für Mathematik machte die Sache nicht leichter. Immer wieder entdeckte sie etwas, dass sie doch viel interessanter fand. Selbst wenn es nur ein Punkt an der Wand war.

Zero hingegen blieb, und das überraschte Yuki sehr, ruhig. Geduldig beantwortete er ihr alle Fragen und mahnte sie sanft aber bestimmt, wenn ihre Gedanken zu weit abschweiften. Sie musste etwas schmunzeln. Auch ihr hatte er versucht etwas beizubringen und war damals bereits äußerst geduldig mit ihr gewesen. Dennoch war sie überzeugt, dass seine Geduld wohl schnell am Ende gewesen wäre, hätte sie sich so benommen. Aber bei Ai… Immerhin war sie seine Tochter.

Aber nicht sein leibliche, dachte sie schnell.
 

Sie waren schon fast vier Stunden unterwegs und so langsam beschlicht Ai die Müdigkeit und selbst Aidou, der sich zu Anfangs noch dagegen wehrte, gab schließlich nach einer weiteren halben Stunde auf. Wer hätte gedacht, dass bloßes rumsitzen und in die Gegend starren, so anstrengend sein konnte? Zero würde sie schon nicht mehr angreifen. Es gefiel ihm nicht zuzugeben, aber wenn Zero dies wirklich vorgehabt hätte, dann hätte er es schon längst getan. Scheinbar konnten sie wirklich ohne Zwischenfälle nach Hause zurückkehren. Da konnte auch er für einen Moment die Augen schließen. Kaum das er es gedacht und getan hatte, döste er auch sofort weg.

„Die anderen beiden scheinen eingeschlafen zu sein.“, sagte sie leise und sah Zero kurz an.

„Ein Glück.“, stieß dieser erleichtert aus. „Dann ist sie wenigstens mal für ein paar Minuten ruhig.“

Yuki musste kichern. „Du hast dich sehr verändert, Zero.“, stellte sie wiederholt fest, aber sprach es dieses Mal laut aus. Sie erwartete gar nicht, dass er etwas erwiderte, umso überraschter war sie, als er es dann doch tat.

„So ist das nun mal, wenn man plötzlich für noch jemanden verantwortlich ist. Man verändert sich, ob man nun will oder nicht. Man bemerkt es am Anfang nicht einmal.“

Sie lächelte leicht. Sie mochte diese Seite an ihm sehr. Er wirkte so reif und erwachsen auf sie, zufrieden mit sich und dem Leben welches er lebte. Gar nicht mehr so, wie der Junge, den sie gekannt hatte. Er war ein Mann mit der Verantwortung für ein Kind.

Nichts war mehr, wie sie es kannte. Leider. Sie wollte gerade noch etwas sagen, als Zero ihr zu vor kam.

„Diese Prophezeiung... wie hast du sie gefunden?“, fragte er sie und Yuki sah ihn überrascht an.

„Wie kommst du plötzlich darauf?“

„Nur so. Es hörte sich nur an, als wäre es ein Zufall gewesen.“

„Du wolltest doch damit nichts zu tun haben?“, fragte sie noch einmal.

„Das will ich auch nicht. Vergiss es einfach.“

Yuki sah ihn einen Moment an, entschied sich dann aber ihm ehrlich zu antworten.

„Es war Zufall. Ich habe nach etwas anderem gesucht.“

Fragend sah er sie an. Er wusste sehr genau, dass es etwas gab was Yuki ihm nicht erzählt hatte. „Ich habe nach einem Weg gesucht, den Fluch zu brechen, der auf den Zwillingen liegt.“, flüsterte sie so leise, dass er sie kaum verstand. Dennoch tat er es. Yuki hob angstvoll den Blick und sah in Zeros getroffenes Gesicht.

„Warst du erfolgreich?“, fragte er sie und schien Mühe zu haben, seine Stimme in Zaum zu halten. Sie schüttelte den Kopf. „ Der Rektor sagte, es hätte keinen Sinn, wenn ich weiter danach suchen würde. Der Fluch könnte nur von den Betroffenen selbst gebrochen werden.“

„Er hat recht.“, erwiderte Zero nach einer Minute des Schweigens.

„Ja, aber Zero...“, wollte sie wiedersprechen doch sein Blick brachte sie zum Schweigen.

„Du solltest dich nicht in etwas einmischen, was dich nichts angeht!“ Er flüsterte diese Worte zu scharf, dass sie in ihren Ohren, wie ein Zischen klangen. Sie schluckte heftig und nickte anschließend wiederwillig. Sie wollte keinen Streit mit Zero. Er würde seine Meinung nicht ändern. Trotzdem wollte sie es nicht einfach so hinnehmen. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt um darüber zu diskutieren.

Sie sah wie Zero einen Arm um Ais Körper legte und sacht ihre Hand streichelte. Das Mädchen schlief und würde wohl so schnell nicht aufwachen.

„Es ist fast so, wie damals bei mir, nicht wahr?“, fragte sie schließlich leise und folgte seinen Blick aus dem Fenster hinaus.

„Fast.“, antwortete er und Yuki sah ihn verwundert an. Der veränderte Ton in seiner Stimme war noch immer da, aber er war anders zuvor. „Ich würde sie niemals anlügen und sie mich auch nicht.“

Sofort setzte sie sich gerade hin. Sie ahnte, auf welches Terrain sie sich begab und sie wusste, dass es besser war, es zu verlassen, so lange sie noch konnte. Aber ihre Neugier war wieder einmal größer, als ihre Vernunft oder Verstand. Vielleicht meinte er ja etwas ganz anderes.

„Wie meinst du das?“

Zero atmete einmal tief aus. „Kannst du dir das nicht denken?“, fragte er sie, aber es wahr eher eine rhetorische Frage. „Sie musste mir versprechen, dass sie mich niemals anlügen und immer ehrlich sein wird. Ich werde das Gleiche tun. Das war die Bedingung, damit ich sie aufnahm.“

Yuki nickte stumm. Langsam begriff sie. Sie hatte schon öfters von einem Versprechen gehört und wahrscheinlich war es das, weswegen Ai so aufgebracht war, als sie vergessen hatte ihren Papa von ihrem richtigen Vater zu erzählen.

Sie biss sich die Zunge, um nicht zu antworten. Sie würde ihn nur verärgern.

„Ist er denn jetzt ehrlich zu dir oder gibt es immer noch Dinge, die er dir vorenthält?“, fragte Zero sie unerwartet, in so einem scheinbar desinteressierten Tonfall, dass sie ihn erst einmal verdutzt ansah. Doch es dauerte keinen zwei Sekunden bis sie ihm antwortete.

„Ja und er hat mich nie belogen, wenn es das ist, was du meinst.“, zischte sie leise. Ihre Antwort kam mehr aus einem Reflex heraus, denn sie bereute sie bereits. Dabei hatte sie doch eine Konfrontation mit ihm vermeiden wollen.

„Ach nein? Von Anfang an, hat er alles getan, um dich an ihn zu binden. Glaubst du etwa immer noch es war Zufall, dass er in der Einöde auftauchte, als dieser Vampir dich angriff. Immerhin hatte er sehr genau gewusst, wer oder was du warst.“, sagte er mit immer noch neutraler Stimme.

„Er wollte mich beschützen!“, sagte sie verteidigend und wurde dabei unbewusst lauter. „Er konnte es mir nicht sagen!“

„Dagegen sage ich auch nichts Es war richtig. Nur zu welchem Preis? Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“ Sein Blick wandte sich nun von der Landschaft ab und sah sie nun direkt an. Im Gegensatz zu seiner noch relativ ruhigen Stimme, waren seine Augen stechend und kalt. Erschrocken fuhr sie zusammen.

„Du hast recht, er wollte dich nur beschützen. Das wollten wir alle und doch war nur er es, der wirklich wusste, was dich bedrohte. Aber niemandem hat er etwas gesagt. Nicht einmal seinen sogenannten Freunden. Er hat alles geplant und andere, wie Schachfiguren in seinem Spiel benutzt. Mich, den Rektor, selbst Yagari und die Hunter, Shizuka und...

„Es war alles Berechnung. Ihm war es vollkommen egal, wie hoch der Einsatz war, Hauptsache dir geschah nichts und du würdest an seine Seite zurückkehren. Alle anderen hat er bereitwillig geopfert.“

Seine Augen fixierten sie noch immer und Yuki sah die Person darin, der sie vor neunzehn Jahren das letzte Mal gegenüber stand - jemand von Hass zerfressenem. Jemand den sie nicht kannte und vor dem sie sich fürchtete.

„Es hätte nicht so sein müssen. Wenn er es dir gesagt hätte, wenn er es irgendjemanden gesagt hätte, was du bist, was dich bedrohte, was uns alle bedrohte... es wäre anders verlaufen.“, fuhr Zero unbeeindruckt fort.

„Aber Zero, dass ist... Er wollte andere nicht mit hinein ziehen. Er wollte es mir nicht sagen, um mir keine Angst zu machen. Er...“

Zero lachte bitter auf, was sie abbrechen ließ. „Was für einen Unterschied macht das? DU hast ihn direkt nach einer Antwort gefragt! Und selbst da, war er nicht ehrlich zu dir! Wie kannst du ihm immer noch so bereitwillig folgen?!“

Yuki schluckte heftig und kämpfte mit den Tränen. Es war besser, wenn sie nichts erwiderte. Was sollte sie auch sagen? Sie wusste es nicht. Er würde es nicht verstehen. Er wollte es nicht verstehen. Seine Worte schmerzten sie.

„Mein Bruder wollte nur das richtige tun.“, wisperte sie schließlich, den Blick auf den Boden geheftet.

„Mein Bruder könnte noch leben!“, erwiderte er so heftig, dass sie unwillkürlich zusammenzuckte.

Wie ein Dolch trafen sie diese Worte in ihr Herz. Die ersten Worte hatte er betont gesprochen und sie wusste nur zu gut, was er ihr damit sagen wollte. Sie wusste, dass ihr Schmerz nichts war, im Vergleich zu dem, wie er ihn empfinden musste. Dennoch konnte sie die Tränen nicht mehr unterdrücken. Sie rieb sie sich die Augen, um zu verhindern, dass er es bemerkte. Er würde ihr niemals vergeben, dachte sie unglücklich.

Der Dolch schien sich noch tiefer zu Bohren und hinterließ eine klaffende Wunde. Ein Schluchzer entrann ihr und sie hielt sich, erschrocken über ihre eigene Schwäche, die Hand vor den Mund. Sie sollten es nicht bemerken.

Yuki atmete einmal tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen, als plötzlich etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Ai, die ausgestreckt auf den beiden anderen Sitzplätzen geschlafen hatte, erwachte und sah sich verschlafen um.

Langsam richtete sie sich auf. „Fahren wir noch lange?“, fragte sie mit krächzender Stimme.

„Ja, es dauert noch ein paar Stunden.“, antwortete Zero und sah weiterhin aus dem Fenster. Yukis Reaktion war ihm nicht entgangen.

„Was ist mir dir Yuki?“, fragte das Mädchen sie nun. „Bist du traurig?“

„Nein, nein. Ich habe nur etwas ins Auge bekommen.“, log sie rasch.

Ai nickte stumm und sah flüchtig zu ihrem Vater. Auch, wenn sie noch ein Kind war, so entging ihr durchaus nicht, dass etwas mit den beiden nicht zu stimmen schien. Aber sie wusste, dass sie auf keinen Fall danach fragen durfte.

„Weißt du, ich bin auch manchmal traurig, wenn ich an Mama denke.“, begann Ai nun zu erzählen. Vielleicht konnte sie Yuki ein bisschen aufmuntern.

„Ach, ja? Das glaube ich dir. Ich weiß, wie es dir dabei geht.“, antwortete Yuki noch immer mit belegter Stimme. Ai nickte kurz.

„Manchmal vermisse ich meine Mama ganz doll, auch wenn ich noch Papa habe. An to-san kann ich mich ja nicht mehr richtig erinnern. Nur noch daran, wie er mir immer Geschichten erzählt hat.“

„Das tut mir leid.“ Yuki lächelte sie schwach an und bemerkte, die ihre Tränen langsam zu trocknen begannen.

„Ja und immer, wenn ich traurig bin, dann nehme ich Mama und sehe oder höre sie mir an.“, erzählte Ai weiter.

„Du hast ein Photo von ihr?“

„Nein, kein Photo, aber...“ Nun sah Ai unsicher zu ihrem Papa.

„Es ist deine Entscheidung. Es gehört dir und du kannst damit tun, was du möchtest.“, antwortete er ohne sie anzusehen.

Ai nickte kurz und hob dann ihren Rucksack vom Fußboden auf. Sie öffnete ihn und nahm daraus ein hölzernes Kästchen.

„Was ist das?“, fragte Yuki verwundert.

„Das ist von Mama. Papa hat mir erzählt, sie wollte, dass ich es bekomme.“

Yuki nickte erstaunt. Das Kästchen war vollkommen aus Holz und mit Ornamenten in geschwungenen Blumenmustern aus Gold verziert. Auf dem Deckel, befand sich ein recht großes Symbol – zumindest kam es ihr wie eines vor - und war scheinbar aus Silber. Aber sie kannte es nicht und konnte es erst recht nicht deuten. Das Muster wirkt seltsam ineinander verschlungen und doch fand sie es wunderschön. Die Form dieses Symbols war gleichzeitig als Umrandung für das Schloss genutzt wurden. Das Kästchen schien sehr alt zu sein, dessen war sie sich sicher.

„Es ist wunderschön.“, sagte Yuki und Ai nickte bestätigend. „Was ist darin?“

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Ai ehrlich.

„Warum nicht? Hast du denn noch nicht rein gesehen?“, fragte Yuki sie verwundert.

„Es geht nicht. Wir haben keinen Schlüssel. Mama hat gesagt, dass Papa nur das Kästchen mitnehmen sollte und die Kette hier.“ Damit holte Ai eine silberne Kette unter ihrem Pullover hervor und hielt sie Yuki hin. Der Anhänger zeigte das gleiche Symbol, wie auch auf dem Kästchen war.

„Merkwürdig.“, murmelte Yuki.

„Mhmh.“, bestätigte Ai. „Ich weiß zwar nicht was drin ist, aber siehst du das hier?“, fragte sie Yuki noch einmal und deutete auf eine kleine Hervorhebung, die Yuki noch gar nicht aufgefallen war. Es war eine Blüte, die sich von den anderen abhob und ganz offensichtlich eine bestimmte Funktion hatte.

„Ja.“

„Wenn ich daran drehe...“, sagte Ai und tat es auch, „ und dann dass hier hoch mache...“, sie schob einen Fingernagel unter das Symbol auf dem Deckel und dieses ließ sich sacht nach oben heben, „dann kann ich es hören.“

Als sie den kleinen Deckel ganz geöffnet hatte, hörte Yuki plötzlich eine Melodie, wie sie sie noch niemals zuvor gehört hatte. So sanft und zärtlich und doch zugleich traurig, schmerzvoll. Als würde sie von etwas erzählen, was sich vor langer Zeit einmal zugetragen hatte. Sie spürte wie das Lied in ihrem Kopf eindrang und für immer dort bleiben würde.

„Da ist wunderschön.“, flüsterte Yuki.

Ai nickte leicht und sah verträumt auf das Kästchen. Yuki fragte sich, ob sie sich gerade an ihre Mutter erinnerte. Vielleicht hatten sie gemeinsam davor gesessen und der wundervollen Melodie gelauscht.

Auf einmal bewegte sich Aidou unruhig neben ihr und Ai schloss den kleinen Deckel gleich wieder. Hastig schob sie das Kästchen in ihren Rucksack zurück und legte den Finger verschwörerisch auf die Lippen.

„Hab ich was verpasst?“, fragte Aidou, der so eben aufgewacht war. Anscheinend wollte Ai nicht, dass er davon erfuhrt, überlegte Yuki und schüttelte als Antwort auf seine Frage den Kopf. Sie fühlte sich von ihrem Vertrauen geehrt, auch wenn ihr ein Blick zu Zero sagte, dass sie das wohl nicht verdient hatte.
 


 

Der Rest der Reise verlief bis auf den Zwischenfall zwischen Yuki und Zero friedlich. Zero bemühte sich trotz allem um einen neutralen Ton, auch wenn Yuki wusste, dass es ihm manchmal schwer fallen musste. Die freundschaftliche Beziehung, die sich zwischen Yuki und Ai aufbaute missfiel ihm aber dennoch und das verbarg er auch nicht. Allerdings ließ sich Yuki davon nicht verunsichern. Wenigstens in dieser Beziehung würde sie ihm zeigen, dass er ihr vertrauen konnte. Ai war ihr so lieb und teuer, wie eine sehr gute Freundin geworden und sie genoss es immer, wenn sie ihr etwas erzählte, auch wenn es sich manchmal vollkommen verrückt anhörte. Ai hatte eine unglaublich komische Art zu erzählen. Es amüsierte sie immer besonders, wenn sie wieder einmal von etwas erzählte, was sie mit ihrer Freundin Kimi unternommen hatte und von dem Zero eigentlich nichts wissen sollte, aber doch irgendwie davon erfahren hatte.
 

Nach dem vierten Tag und fast fünfunddreißig Stunden Zugfahrt erreichten sie ihr Ziel endlich. Ai war vollkommen erschöpft, selbst wenn sie jeden Abend im Bett des Hotelzimmers, welches sie sich nahmen, sofort eingeschlafen war. Die Strapazen waren ihr sichtlich anzusehen. Zero warf ihr öfters einen besorgten Blick zu. Wenn sie an der Akademie waren, würde er sie sofort ins Bett bringen. Alles andere musste bis morgen Zeit haben. Allerdings musste er sich wohl erst einmal überlegen, wie er es erklärte, dass er plötzlich eine Tochter hatte. Er war sich sicher, dass der Rektor und sein Meister ebenso reagieren würden, wie Yuki und die anderen beiden. Aber wenn das die einzige Schwierigkeit sein sollte, die sich ihnen auftat, war es noch annehmbar. Wenn es doch nur so sein würde...
 

Sie erreichten das Tor der Cross Akademie, als es schon lange dunkel geworden war. Yuki und Aidou begleitete sie noch immer. Sie hatten sich bereits während der Fahrt dazu entschlossen, erst am nächsten Tag nach Hause zurückzufahren. Sie alle hatte diese Reise viel Kraft gekostet. Etwas was Yuki erstaunte. Saßen sie doch nur im Zug oder waren im Hotelzimmer gewesen.

Zero blieb vor dem Tor stehen und er spürte die Blicke der anderen auf sich.

„Was ist?“, fragte Aidou genervt und rieb sich den schmerzenden Nacken. Auch, wenn Yuki nun einen Teil ihres Gepäcks selber trug, reicht das seine auch noch. Dabei hatte Kain schon etwas mit genommen, als sie sich vor einer Woche getrennt hatten.

Noch bevor Zero ihnen antwortete, hörten sie in der Dunkelheit ein Klicken und mit der nächsten Wolke, die sich am Mond vorbei schob, sahen sie Yagari. Er stand vor dem Tor, den Lauf seiner Waffe direkt auf sie gerichtet.

„Ist ihnen schon einmal aufgefallen, dass sie jedes Mal eine Waffe auf mich richten, wenn wir uns wieder sehen, Yagari-sensei?“, fragte Zero mit ruhiger Stimme und begegnete dem Blick seines Meisters direkt und furchtlos. Ein Ton der Yuki etwas verwunderte, aber sie wagte es nicht zu sprechen. Die Anspannung war beinah greifbar.

„Nenn mir nur einen guten Grund, warum ich es dieses Mal wirklich nicht tun sollte.“, knurrte dieser und hielt den Finger noch immer auf dem Anschlag.

Yuki hielt den Atem an. Mit so etwas hatte sie nicht gerechnet. Sicher hatte sie gewusst, dass es nicht einfach werden würde, aber doch nicht so. Warum sagte Zero nichts? Stattdessen schwieg er und hatte den Blick gesenkt, dachte sie.

„Weil mein Papa nichts unrechtes getan hat!“
 

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Ich weiß, ich hatte versprochen, dass das nächste Kapitel schneller kommt, aber was kann ich dafür, dass die Kapitel immer länger und länger werden und ich einfach nicht mehr hinterher komme? Ja, okay... ich kann sehr viel dafür... aber ich habe immer noch nicht gelernt, mich zurückzuhalten. Ich arbeite dran.
 

Ich hätte dieses Kapitel auch sehr viel eher beenden können. Es wirkt irgendwie so, als wollte ich die Sache mit der Rückreise und so schnell zu Ende bringen – aber ehrlich gesagt, wollte ich dieses Kapitel unbedingt mit diesen Worten von Ai beenden. Ich dachte mir, der Cliff ist hier so schön fies. >.< Und hatte ich recht? (Außerdem ist es nun doch wirklich nicht so spannend, eine Zugfahrt zu beschreiben. Jeder müsste doch wissen, wie so was abläuft.^^°)
 

Also dann... dieses Mal äußere ich mich gar nicht dazu, wann ein neues Kapitel kommt. Im Moment kann ich es eh nicht einhalten. Das Leben beschäftigt mich gerade anderweitig.
 

Ich würde mich aber freuen, wenn wir uns auch bei Kapitel 14 wieder lesen würden.
 

Bis dahin.
 

maidlin

Heimkehr...

So meine lieben Leser,

wie angekündigt gibt es heute ein neues Kapitel und ich habe es doch tatsächlich mal geschafft, auch dann zu posten, wie ich es angekündigt habe. >.< *jubel*
 

Tjaha... es geht das „Weihnachtsgeschäft“ los und ich muss gleich an zwei Geschenken basteln, die beide sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Deswegen weiß ich nicht, wann und wie ich wieder etwas schreiben kann. Leider lässt sich Weihnachten auch nicht verschieben. Wieso kommt das auch immer so plötzlich?

Ich geb mir wie immer Mühe pro Monat wenigstens ein Kapitel zu schreiben, aber reist mir bitte nicht den Kopf ab, wenn es nichts wird. Jetzt fangen nämlich auch meine Hospitationen an für die ich jede Menge Berichtshefter schreiben muss. Man möge mir vergeben.
 

Jetzt erst mal wie immer viel SPAß!!! XD
 

maidlin

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Heimkehr...
 

Zero atmete einmal scharf aus. Dieses Kind trieb ihn noch in den Wahnsinn! Konnte es nicht einmal tun, was man ihr sagte? Dabei hatte er ihr vorher sehr deutlich gesagt, wie sie sich zu verhalten hatte. Auf keinen Fall so!

„Ai!“, mahnte er sie scharf. Gleichzeitig zog er sie hinter seinen Körper. Auch, wenn diese Waffe keine Gefahr für sie darstellte, so fand er es dennoch nicht sehr beruhigend.

„Ist doch wahr!“, murmelte sie trotzig. Zero wusste, dass sie hinter ihm hervorschaute. „Papa?“, sagte Yagari leise, nicht sicher, ob er sich verhört hatte. Bestimmt hatte er das. Das Alter spielte ihm einen Streich. Unbemerkt ließ er trotzdem seine Waffe ein wenig sinken.

„Yagari-sensei,“, war es nun Yuki, die sprach, „wir haben eine lange Reise hinter uns. Ich habe Zero gefunden und er hat...“ Unsicher sah sie Zero an. Was sollte sie denn sagen? Offenbar wollte Zero das auch wissen. Sie spürte, wie er sie aus den Augenwinkeln ansah und auf das Ende des Satzes wartete. Jedes falsche Wort wäre wohl fatal, dachte sie. „Er wollte die Sache aufklären.“, sagte sie schließlich.

„Na das fällt ihm ja reichlich früh ein!“, gab Yagari sarkastisch zurück. Das andere schien erst einmal vergessen.„Er war zwanzig Jahre einfach so verschwunden. Mehr muss ich gar nicht wissen, um die Antwort zu kennen. Wer versteckt sich schon freiwillig, wenn er nichts verbrochen hat?“

„Ich habe nicht-“, wollte Zero wiedersprechen, doch er tat es nicht. Er war nicht unschuldig, dass wusste er nur zu gut und seine Schuld war auch nicht der Grund, warum er hier her gekommen war. Er wollte ihnen nur die Wahrheit erzählen. Das war er ihnen schuldig und mehr nicht. Er erwartete keine Vergebung.

„Ach nein?“, fragte Yagari herausfordernd. „Was ist dann passiert?“

„Was glaube sie warum ich hier bin?“, fragte Zero ihn auf eine Art und Weise, die er sich früher nicht erlaubt hätte und die Yagari sich an jemand anderen erinnern ließ.

„Was macht ihr denn hier?!“, hörten sie plötzlich die aufgebrachte Stimme von Kaien Kurosu fragen, der wohl gerade aus dem Garten kam, da er eine Gartenschere in der einen Hand hatte.

„Nimmst du sofort die Waffe runter! Ziel damit bloß nicht auf meine kleine Yuki!“, redete er weiter und wedelte mit der Schere drohend vor Yagaris Gesicht herum. Mit der anderen Hand wollte er ihm die Waffe aus der Hand entwenden.

„Halt dich da raus! Das ist ganz allein meine Sache!“

„Nein, ist es nicht! Außerdem ist das hier meine Schule und ich erlaube nicht, dass hier einfach so auf Gäste geschossen wird! Außerdem könntest du ihm ja wenigstens erst einmal zu hören, du sturer Esel!“

„Wie bitte!?“

„Es ist doch wahr! Da ist Zero endlich wieder da und du hast nichts besseres im Kopf, als ihn gleich wieder zu vergraulen!“

„Wag es bloß nicht-“

„Irgendwie kommt mir das bekannt vor.“, murmelte Yuki leise und Zero nickte kurz. Allzu viel schien sich hier jedenfalls nicht geändert zu haben.

Plötzlich ertönte ein helles Lachen. Beide Männer sahen verwundert zu den Neuankömmlingen. Im Schein der Laterne erkannten sie ein Mädchen hinter Zeros Rücken. Sie hielt sich die Hand vor den Mund, offenbar um ihr Lachen zu unterdrücken – allerdings mit nur sehr geringem Erfolg – und mit der anderen hielt sie sich den Bauch.

Stumm standen die Erwachsenen da und wussten nicht so recht, was sie denken sollten.

„Du-Du hattest recht, Papa.“, sagte sie schließlich schwer atmend und noch immer kichernd. „Der Rektor ist wirklich lustig!“ Dann lachte sie weiter.

Selbst Yukis Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, obwohl sie der misstrauische Ausdruck auf Yagaris Gesicht und dem Fassungslosen auf dem ihres Vaters eher alles andere empfinden lassen sollte. Aber Ais Lachen war so klar und ansteckend, dass sie sich nur schwer dagegen wehren konnte.

„Ich habe mich gerade verhört, nicht wahr?“, fragte der Rektor bestürzt. „Sag mir, dass das das Alter ist und ich nicht mehr richtig höre. Sie hat ihn gerade nicht Papa genannt.“

„Doch hat sie.“, antwortet Yagari und war ein wenig verärgert, dass er und der komische Kauz neben ihm, anscheinend die gleichen Gedanken hatten.

„Wen hat sie damit gemeint?“, fragte Kurosu unverständlich. Yagari warf diesem einen Blick zu, der alles sagte.

„Was soll das bedeuten?“, fragte Yagari nun die kleine Gruppe, doch sein Blick ruhte allein auf Zero.

„Hallo, ich bin-“, wollte Ai sich gerade selbst vorstellen, als Zero sie abermals festhielt und wieder hinter sich zog.

„Ich werde eure Fragen beantworten. … Alle. Aber erst nehmt ihr die Waffe runter.“, sprach er entschieden.

„Natürlich macht er das!“, antwortete der Rektor sofort. „Nun mach schon endlich!“, wandte er sich entrüstet an Yagari, da dieser sie noch immer auf Yuki und die anderen gerichtete hatte.

„Nun lasst euch erst mal ansehen!“ Aufgeregte ging der Rektor zu Zero und sah ihm eindringlich ins Gesicht.

„Ich bin erstaunt.“, sagte er schließlich, als hätte ihn soeben eine Erkenntnis getroffen, während er immer noch Zero musterte.

„Worüber?“, fragte dieser argwöhnisch.

„Du bist erwachsen geworden. Hätte ich nicht für möglich gehalten.“, sagte er und tätschelte Zero den Kopf. Doch noch ehe dieser die Chance hatte zu protestieren oder gar seine Wut darüber auszulassen, hatte der Rektor schon ein neues Opfer.

„Oh und meine Yuki! Komm zu deinem armen, alten Vater! Wie hab' ich dich vermisst! Ach und sieh dich doch nur an. Du bist noch genauso hübsch, wie vor drei Monaten! Nein, noch viel schöner!“, überhäufte er sie mit Komplimenten, dass es Yuki unangenehm wurde. „Ach, Aidou du bist ja auch da!“, bemerkte er diesen kurz. „Schön, schön. Ich hoffe du hast gut auf meine Yuki acht gegeben, sonst muss ich noch ein ernstes Wörtchen mit dir reden.“

Aidou seufzte laut. Das würde Kaname ohnehin schon machen. Wenn er allerdings die Wahl hätte, würde er in diesem Fall, den Rektor sogar vorziehen.

„So, und wer ist nun das hier?“, fuhr der Rektor in seiner Runde fort und war schließlich bei Ai angelangt.

Er beugte sich ein wenig zu Ai runter, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein. Etwas, was bei ihrer Länge nicht weiter mühsam war.

Ai sah kurz zu Zero und dieser blicke zu Yagari, der die Waffe nach unten genommen hatte. Dann nickte er ihr kurz zu, allerdings ohne sie oder jemand anderen dabei anzusehen. Vielmehr ließ er seinen Blick über das Gelände schweifen.

Auf den ersten Blick hatte sich nicht viel verändert. Es gab immer noch die Wohnhäuser, von denen eines momentan wirklich leer war und das Schulgebäude sowie das Privathaus des Rektors. Nur bei genauerem Hinsehen, erkannte er, dass die Architektur eine andere war. Die Fassade des Hauses Mond war eine komplett andere, als er sie gekannt hatte. Das ganze Haus musste neu aufgebaut worden sein, nachdem er gegangen war. Auch bei den anderen Häusern erkannte er hier und da einige Veränderung, genauso wie auch auf den Hof selbst. Er hatte das Gefühl, dass mehr neue Bäume da standen oder die anderen waren in den letzten Jahren einfach nur so gewachsen.

Jetzt war er also wieder hier. Er hätte es nicht für möglich gehalten. Selbst jetzt kam ihm das alles noch wie ein schlechter Traum vor. Was hatte ihn nur dazu bewegt, sich von seiner Tochter und Yuki überreden zu lassen? Gerade von Yuki! Er muss verrückt gewesen sein! Immer noch fühlte es sich wie ein einziger Fehler an. Mit jeder Sekunde, die sie bereits an diesem Ort waren konnte er die Präsenz der Vampire der Vergangenheit spüren. Die Erinnerungen schienen über ihr Ufer hinaus zu schwemmen und er wollte bereits nur noch zurückkehren.

Zurück an den Ort, der inzwischen sein zu Hause war und an dem er mit Ai bis vor einer Woche noch glücklich leben konnte, ohne der Vergangenheit wieder gegenüber treten zu müssen.

Es würde nie wieder so sein. Er wusste, dass es vorbei war. Was immer geschehen würde, selbst wenn wirklich alles gut ginge, würde sich alles auf die eine oder anderen Weise verändern. So war es doch immer schon. Nichts war für die Ewigkeit.

Zero atmete tief durch. Vielleicht irrte er auch einfach. Er sollte nicht immer alles so schwarz sehen. Sie würde nur ein paar Tage bleiben, zwei, wenn überhaupt. Soviel konnte in dieser Zeit nicht geschehen. Sie mussten nur schnell wieder zurück.

„Hallo, ich bin Ai.“, hörte er nun seine Adoptivtochter reden und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart.

„Hallo, Ai. Schön dich kennenzulernen. Aber wieso... Ich meine... Habe ich das jetzt wirklich richtig verstanden?“, fragte Kurosu und sah unsicher zu Zero.

„Ja, haben sie.“, antwortet er kurz und sah in diesem Moment zu seinem Meister. Er erkannte das Erstaunen in seinem Gesicht und konnte es ihm nicht mal übel nehmen.

„Oh, dass ist... Ich meine... Wirklich?!“, brachte Kurosu stotternd heraus.

„Aber das hat er doch gerade gesagt!“, antwortete nun Ai. Ihr war unverständlich, wie man das nicht begreifen konnte.

„Wir konnten es am Anfang auch nicht glauben,...“, sagte nun Yuki, „aber Ai ist wirklich seine Tochter.“

„Aha.“, machte ihr Vater bloß, zu nicht mehr in der Lage.

„So schafft man es also, dass er sprachlos ist? Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal erlebe. Gratuliere, Zero.“, sagte Aidou trocken. Zero erwiderte nichts zu dieser zweifelhaften Ehre.

Yagari beobachtete das Ganze und war nicht weniger überrascht als der Rektor über diese Neuigkeit. Er betrachtete Ai genau. Mit ihren langen goldblonden Haaren und den grünen Augen schien sie überhaupt nichts mit Zero gemein zu haben. Zu ihrem Wesen konnte er nichts sagen, aber Zero war bei weitem nicht so aufgeschlossen Fremden gegenüber. Das war er ja nicht einmal bei Menschen, die er schon lange kannte. Vielmehr erinnerte sie ihn vielleicht an...

„Ich bin erstaunt.“, wiederholte Kaien Kurosu noch einmal. Doch dann schien er sich schnell zu fangen. „Sag mal Ai, wie ist denn Zero so als Vater? Kümmert er sich auch gut um dich? Gibt er dir auch anständig was zu Essen? Du siehst sein bisschen blass aus und ganz dünn bist du! Und wo ist deine Mutter?“, fragte er sie. Zero erkannte plötzlich, an wen Ais nervende Fragen ihn hin und wieder erinnert hatten. Er wünschte er hätte es nicht getan.

„Er ist wirklich ein ganz toller Papa! Und er kann super gut kochen! Am liebsten mag ich ja den Nachtisch, den er macht und da ist es ganz egal welcher und natürlich gibt er mir immer was zu Eeeessen....“, das letzte Wort verschluckte sie in einem großen Gähnen.

„Hören sie, ich bin wirklich bereit ihre Fragen zu beantworten, aber nicht mehr heute. Wir haben eine lange Reise hinter uns und Ai muss endlich ins Bett. Wir reden morgen über alles.“, sagte Zero entschieden.

„Wart ihr wirklich so lange unterwegs?“

„Ja, vier Tage.“, antwortete Yuki ihm und unterdrückte selbst nur mühsam ein Gähnen. Das war wirklich ansteckend.

„Was?! So lange! Aber natürlich seid ihr da jetzt müde! Ihr könnt hier schlafen, wenn ihr wollt. Yuki, willst du noch heute zu Kaname zurück?“

„Nein, ich habe ihm bereits eine Nachricht geschickt. Ich werde morgen Früh abgeholt.“

„Gut, gut. Dann kommt mit. Wir haben noch ein paar Zimmer für euch.“, lud sie der Rektor sofort ein. Erst dann fiel ihm ein, dass es wohl besser war, wenn er Yagari auch nach dessen Einverständnis fragte. Wenigstens nur der Form halber. „Natürlich nur, wenn du einverstanden bist.“, wandte er sich an Yagari.

„Es ist deine Schule.“, antwortete dieser kurz und noch immer äußerst mürrisch. Er drehte sich ohne ein weiteres Wort um.

„Mach dir nichts draus, Zero. Er freut sich schon dich zu sehen, er kann es nur nicht zugeben.“, flüsterte der Rektor ihm zu.

„,Mach ich nicht.“, erwiderte Zero knapp.

Sie gingen gemeinsam zu Wohnhaus des Rektors, was mindestens genauso prächtig war, wie die Schulgebäude selbst. Zero wusste, dass Ai vor Staunen den Mund aufgerissen hatte, sprach aber nicht weiter mit ihr. Dazu würden sie später noch Gelegenheit haben.

„Es ist genauso, wie du erzählt hast.“, flüsterte sie ab und an in seine Richtung.

„Er hat dir davon erzählt?“, fragte er Rektor interessiert. Ai nickte bloß und sah sich weiter um. „Auf diese Schule würde ich auch gern gehen.“, seufzte sie dann.

„Kommt nicht in Frage!“, sagte Zero sofort. Niemals würde er sein Kind hierher schicken. Wenn die Eltern nur wüssten, was sich in der Night Class herumtreibt, würden auch sie ihre Kinder auf jede andere Schule schicken, nur nicht hierher.
 

Sie betraten das Haus und Zero hatte das Gefühl, als wäre er nur ein paar Tage, vielleicht Wochen fort gewesen, aber nicht Jahre. Die Farbe hatte sich vielleicht an einigen Wänden verändert, aber es war noch immer der gleiche Stil wie damals – der eigenwillige Geschmack des Rektors.

„Ich zeige euch jetzt erst mal die Zimmer. Zero, wo das Badezimmer ist, weißt du ja.“, erzählte der Rektor im Plauderton.

„Ich will noch nicht ins Bett. Ich bin noch gar nicht müde!“, beschwerte sich Ai zum wiederholten Male, doch auch dieses Mal würde er ihr nicht nachgeben.

„Ai, nein. Es ist schon viel zu spät und was willst du denn jetzt auch noch auf bleiben? Es ist vollkommen dunkel draußen, du würdest sowieso nichts auf dem Gelände erkennen. Bei Tag wirst du sehr viel mehr sehen.“, versuchte Zero es mit viel Geduld.

„Ja, aber ich kann mich doch hier drinnen umsehen.“, versuchte sie aber trotzdem zu wiedersprechen.

„Nein. Der Rektor und Yagari-sensei wollen jetzt sicher auch gleich schlafen und du hast es erst recht dringend nötig. Morgen, Ai, da kannst du das machen.“

Sie seufzte einmal tief, wie es ihr Adoptivvater zuvor ebenfalls getan hatte und nickte schließlich. „Na gut. Dann aber wirklich und ich darf mir alles ansehen?“

„Fast alles.“, schränkte Zero ein, doch das schien Ai nicht mehr zu hören oder besser gesagt, sie wollte es nicht hören.

„Duhu...“, setzte Ai an und lief nun zu Kurosu. „Ich will dich mal was fragen.“

„Seien sie bloß vorsichtig!“, warnte Aidou ihn sofort. „Wenn sie so anfängt, haben sie schon verloren!“

Verwundert blickte der Rektor ihn an, wusste aber nicht, was er damit meinte. „Sprich nur mein Kind.“, sagte er stattdessen zu dem Mädchen, welches ihn mit grünen unschuldigen Augen ansah.

„Kann ich mir morgen deinen Garten ansehen?“

Etwas verdutzt sah er sie an. „Meinen Garten? Wie kommst du denn darauf?“

„Papa hat erzählt, du hast einen großen Garten mit ganz vielen Blumen drin und ich liebe Blumen! Jetzt wachsen ja nicht mehr so viele, aber ich würde ihn mir trotzdem gern mal ansehen. Wenn ich darf!“, hängte sie schnell an.

Kaien Kurosu musste lachen. „Endlich jemand, der meinen Garten zu schätzen weiß!“, sagte er überglücklich und schloss Ai fest in seine Arme.

„Du gefällst mir!“, sagte er ehrlich. „Natürlich kannst du dir den Garten ansehen. Ich zeige ihn dir doch gern!“

„Zero, wie kommt es, dass du so eine Tochter hast? Sie ist so viel aufgeschlossener und freundlicher als du!“

Der Rektor hatte eine scharf und bissige Antwort erwartet, doch stattdessen verzog Zero kaum das Gesicht und blieb erstaunlich ruhig. „Ich weiß.“, sagte er. „Ich erklär es ihnen morgen.“

„Gut.“, antwortete Kurosu und ließ sich nicht anmerken, wie überrascht er wirklich über Zeros Verhalten war. „Hier sind auch schon die Zimmer. Du müsstest dich noch gut an sie erinnern können.“ Kurosu stand in einem Gang von dem auf beiden Seiten jeweils zwei Türen abgingen. Zero kannte diesen Korridor wirklich gut. Hinter einer dieser Türen, war das Zimmer, in welchem er vor seinem Einzug in das Haus Sonne gelebt hatte.

Er brummte kurz. Wie schaffte es dieser Mann nur so zu tun, als wäre nichts geschehen? Als wäre er wirklich nur ein paar Wochen fortgewesen?

„Ai, ich hoffe das Zimmer wird dir gefallen. Es war früher einmal das Zimmer deines Vaters.“, sagte der Rektor und zwinkerte ihr zu.

„Wirklich?“, fragte sie aufgeregt und sah Zero mit neugierigen Augen an.

„Das ist doch egal oder?“

„Nein ist es nicht. Sie soll ruhig wissen, wie du früher gelebt hast.“, wiedersprach ihm der Rektor sofort. „Wer weiß, was du ihr erzählt hast! Ach und Ai, morgen werde ich dir meine Photoalben zeigen! Ich habe noch ein paar ganz tolle Bilder von deinem Vater. Leider schaut er auf jedem immer so mürrisch.“, beschwerte sich der Rektor und sah dabei Zero vorwurfsvoll an.

„Ja, ja.“, antwortete dieser genervt. „Aber heute nicht mehr. Hören sie, mir wäre es lieber, wenn Ai mit mir in einem Zimmer schläft.“

„Aber warum denn?“

„Darum eben.“, antwortete er nun schon etwas gereizter.

„Ai, willst du dass denn auch?“

Das Mädchen sah von ihrem Vater, der sie direkt anblickte, wieder zu Kurosu. Normalerweise hätte sie sofort gesagt, dass sie ein eigenes Zimmer wollte und dass sie ja schon sehr gut ohne ihren Papa zurecht kommen würde – zumal er ja nebenan schlafen würde. Aber sie hatte ihrem Papa ja auch was versprochen und außerdem... Wenn sie ehrlich zu sich selbst war – was sie aber nie tun würde, denn immerhin war sie schon viel zu alt für so was! – freute sie sich darauf, endlich wieder einmal mit ihrem Papa in einem Bett zu schlafen. Früher hatte sie das jede Nacht getan und er hatte sich dann immer darüber beschwert, wie breit sie sich doch im Schlaf gemacht hatte. Bei ihm fühlte sie sich auch im Schlaf sicher und geborgen. Es war warm und kuschelig und vor allem hatte sie keine Alpträume.

Angesichts all dieser Punkte, fiel es ihr nicht sehr schwer „Ja.“, zu sagen.

„Na dann, wie ihr wollt. Das Zimmer hier hat ein großes Bett.“, sagte der Rektor sichtlich enttäuscht.

„Yuki, Aidou ihr findet sich sicher selbst in eure Zimmer.“

„Ja, natürlich.“, antwortete Yuki ihm. Aidou war bereits zu der letzten Tür gegangen und gähnte ebenso wie Ai. Er freute sich so sehr auf ein eigenes Bett. Schon bald, schon sehr bald, würde es endlich so weit sein... nur noch eine Nacht.

„Also, dann...“, setzte der Rektor von neuem an und sah noch einmal in die Runde, doch am längsten blieb sein Blick ausnahmsweise einmal nicht an seiner Tochter hängen, sondern an Zero, „schlaft gut und träumt was schönes.“

„Danke schön, ihnen auch.“, antwortete Ai ihm. Der Rektor war bereits an ihnen vorbei gegangen, als er noch einmal stehen blieb und die Runde noch einmal betrachtete. Dann konnte er nicht mehr an sich halten.

Ohne dass Zero darauf vorbereitet war, fiel ihm der Rektor plötzlich um den Hals und umarmte ihn stürmisch. „Ich freue mich ja so, dass du endlich wieder da bist!!!“, machte er seiner Freude endlich Luft und drückte Zero fest an sich. Dann ließ ihn Kurosu schnell wieder los und lief den Flur entlang.

„Guten Nacht!“, rief er noch, bevor er hinter der nächsten Flurecke verschwand.

„Dieser...“, knurrte Zero und Yuki sah das feine Äderchen auf seiner Stirn pochen. Trotzdem musste sie kichern. Der Anblick war einfach herrlich gewesen und noch dazu erinnerte es sie so sehr an alte Zeiten. Sie konnte nur vermuten, warum ihr Vater das getan hatte. Zu einem, um wirklich seiner Freude Ausdruck zu verleihen, zum anderen wohl auch, um Zero zu zeigen, dass dies hier immer noch sein zu Hause war.

Sie beobachtete Zero weiterhin und erwartete beinah, dass er die Beherrschung doch noch verlor. Aber das tat er anscheinend nicht. Sie konnte wieder einmal nicht anders, als darüber zu staunen, wie sehr er sich offenbar verändert hatte. Yuki sah, dass Zero sich schnell wieder beruhigte und seine Gesichtszüge sich glätteten.

„Habt ihr was dagegen, wenn Ai zuerst ins Bad geht?“, fragte er schließlich.

„Nein, von mir aus nicht.“, antwortete Yuki rasch und war etwas irritiert von seinem höflichen Ton.

„Ist mir egal.“, antwortete Aidou gleichzeitig und öffnete die Tür zu seinem eigenen Zimmer, wohinein er dann auch gleich entschwand.

„Ai, du hast es gehört. Geh dich bitte waschen und zieh dich um.“

„Kommst du dann auch gleich?“, fragte sie.

„Natürlich. Ich werde so lange deine Sachen auspacken.“

„Kann ich dir nicht helfen?“, fragte sie, versucht so viel Zeit wie möglich zu schinden.

„Nein. Das Bad ist den Gang entlang auf der rechten Seite, die vierte Tür. Du wirst es schon finden.“

Sie nickte leicht und fügte sich widerwillig.

Yuki sah wie Zero die Zimmertür öffnete und hatte das Gefühl noch etwas sagen zu wollen. Nur was, wollte ihr einfach nicht in den Sinn kommen. Oder vielmehr wusste sie nicht, wie sie es sagen sollte.

Also ging auch sie in ihr Zimmer und ließ sich auf das weiche Bett fallen, welches sie sanft empfing. Sie war müde, dachte sie. Doch bei dem Gedanken schon bald ihren geliebten Kaname-sama wieder zu sehen, hüpfte ihr Herz vor Freude in ihrer Brust. Wie sehr sie ihn doch vermisst hatte!

Ob sie wohl schon wissen, in wie weit sich die Prophezeiung – der eigentlich Grund ihrer Suche – erfüllt hatte?, fragte sie sich. Yuki nahm sich vor, dass gleich als erstes in Erfahrung zu bringen, wenn sie wieder bei ihrem Bruder war.

Sie musste gestehen, dass der Inhalt der Prophezeiung und dessen Wichtigkeit während ihrer Suche nach Zero und auch danach, in ihren Gedanken in den Hintergrund getreten war. Es gab so vieles anderes, was sie entdeckt und kennengelernt hatte, dass dafür einfach kein Platz mehr gewesen war. Sie hatte Zero nach fast zwanzig Jahren wieder gefunden, ihn gesehen, mit ihm gesprochen und schließlich hatte sie ihn sogar irgendwie dazu gebracht nach Hause zurückzukehren. Auch, wenn sie wusste, dass sie das eigentlich nur Ai zu verdanken hatte, so war es mehr als sie erhofft hatte. Sie hoffte nur, dass Yagari das ebenso sehen würde und Zero anhörte. Er musste einfach. Doch irgendwie wusste sie, dass sie sich darüber eigentlich keine Gedanken machen musste. Zero würde schon wissen, was zu tun war. Er kannte seinen ehemaligen Meister immer noch besser, als sie es je tun würde.

Yuki drehte sich auf die Seite und blickte in die Nacht hinaus. Bald wird sie sich wieder daran gewöhnen müssen des Tages zu schlafen und nachts zu wachen. Dabei vermisste sie die Sonne bereits jetzt. Auch, wenn deren Strahlen sie schwächten und ihre Augen schmerzen ließen, so waren sie doch herrlich warm und wohltuend. Vielleicht würde es ihr ja irgendwie gelingen beides haben zu können.

Yuki hörte auf dem Flur eine Tür auf und zu gehen, dann wurden ihre Lider immer schwerer und träger und schließlich schlief sie ein.
 

Sie saßen gemeinsam beim Frühstück. Yagari hatte zwar noch immer kein Wort mit Zero gesprochen, aber dass er sich mit ihm an einen Tisch setzte, empfand der Rektor schon mal als Fortschritt.

„Kann ich mir heute den Garten ansehen?“, fragte Ai, den Mund voller Cornflakes.

„Ai, du solltest während des Essens nicht reden.“, ermahnte Zero sie. Hastig kaute und schluckte sie, bevor sie noch einmal fragte: „Kann ich?“

„Ja, natürlich. Ich zeige ihn dir nachher und wenn du magst, kannst du auch ein bisschen darin arbeiten. Die Pflanzen müssen für den Winter vorbereitet werden.“, antwortete der Rektor gut gelaunt.

„Oh, ja! Ich hab das zu Hause schon gemacht. Frau Sayuka hat mich ihr helfen lassen. Sie sagt, dass ich das richtig gut kann und wohl ein Händchen für Pflanzen habe. Alles, was ich anfasse, wächst sofort.“, antwortete Ai und klang dabei sehr stolz.

Yuki erinnerte sich kurz an die vielen Pflanzen, die sie in ihrer Wohnung gesehen hatte und sie musste über sich selbst schmunzeln. Sie hatte geglaubt, es sei Zeros Werk gewesen, auch wenn sie sich nicht hatte vorstellen konnte, wie er das geschafft haben sollte. Jedoch hätte ihr gleich klar sein müssen, dass es nur Ai gewesen sein konnte, die ihn zu den Pflanzen überredet hatte.

Yuki schaute auf die Uhr. In bereits einer halben Stunde, würde das Auto sie abholen. Sich von Ai und Zero nun wirklich zu verabschieden, gefiel ihr gar nicht. Aber sie würde so schnell sie konnte wieder kommen. Sie wollte doch so viel Zeit wie möglich mit ihnen verbringen.

„Das glaube ich nur zu gern. Wer ist denn Frau Sayuka?“

„Die Frau bei der wir wohnen. Also sie... uhm... sie hatte noch eine Wohnung frei, von ihrem Sohn, und da wohnen Papa und ich. Sie und ihr Mann haben ein Restaurant, in dem Papa auch kocht.“

Bei diesen Worten verschluckten sich Yagari und Kurosu gleichzeitig an ihrem Tee, so dass beide Husten mussten. Selbst Toga Yagari, der sich geschworen hatte, Zero vorerst nicht weiter zu beachten, sah diesen mit großen Augen an.

„Habe ich das gerade richtig verstanden? Du kochst?! Du bist Koch?!“, fragte der Rektor mit etwas zu lauter und hoher Stimme.

„Ja.“, antwortete Zero gelangweilt. Warum waren nur alle so überrascht, wenn sie das erfuhren?

„Warum?!“, fragte Kaien Kurosu weiter, während Yagari sich scheinbar wieder in seine Zeitung vertiefte.

„Von irgendwas müssen wir ja leben.“, antwortete Zero ihm sachlich und zuckte gleichzeitig mit den Schultern. War das denn nicht offensichtlich?

„Aber so was? Warum gehst du nicht auf die J-“

Ein Blick von Zero, brachte ihm zum Schweigen. „Später.“, sagte dieser bloß und darauf ließ es der Rektor erst mal beruhen. Offenbar war das ein Thema, was nicht vor dem Mädchen diskutiert werden sollte.

„Papa, kommst du dann mit in den Garten?“

„Nein, tut mir leid. Du weißt doch, warum ich hier bin. Ich bin sicher, du kommst auch ohne mich ganz gut zurecht und wirst eine Menge Spaß haben. Aber pass bitte auf, dass du dich nicht zu sehr dreckig machst. Du sollst nur arbeiten und dich nicht in der Erde baden.“

Ai grinste breit und eine Reihe weißer Zähne zeigte sich. „Ich geb mein bestes.“, antwortete sie und Zero schaute sie mehr als skeptisch an, wissend, dass er mit allem rechnen musste.
 

Tick-tack-tick-tack…

Das war das einzige Geräusch, welches den Raum erfüllte. Yuki und Aidou hatten sich vor wenigen Minuten verabschiedet und der Rektor zeigte Ai geraden den Garten. Zero und Toga Yagari waren also allein im Wohnzimmer. Aber man hätte meinen können, dass niemand anwesend war.

Natürlich wussten beide Männer, dass Kurosu sich wahrscheinlich unnötig viel Zeit lassen würde, damit sie erst einmal allein reden konnten. Allerdings sprach keiner von ihnen. Niemand wollte den Anfang machen.

Zero war innerlich sehr angespannt. Obwohl er in den letzten Tagen gewusst hatte, dass dieser Moment kommen würde, wusste er immer noch nicht, wie oder wo er beginnen sollte. Jetzt war er sich nicht einmal mehr so sicher, was er überhaupt an diesem Ort sollte. Im Grund wollte er nicht darüber reden, auch wenn er eine Erklärung schuldig war. Was würde das auch ändern? Es war schon lange vorbei.

Dann endlich ging die Tür auf und der Rektor trat ein.

„Wie ich sehe amüsiert ihr euch schön.“, sagte Kaien Kurosu, dem die Stimmung im Raum nicht entging.

„Wo ist sie?“, fragte Zero sofort und nahm zum ersten Mal den Blick von der Vase, die auf dem Tisch stand.

„Unten im Garten. Wenn ich nicht irre, kannst du sie von diesem Zimmer aus auch sehen.“

Zero erhob sich und ging zum Fenster. Er suchte einen Moment, bis er Ais Gestalt, etwas weiter entfernt unter einen Apfelbaum, fand. Sie hatte eine kleine Schaufel in der Hand und eine Hacke und Harken standen an den Baum gelehnt. Sie war eifrig damit beschäftigt mit der Hand und Schaufel gleichzeitig ein paar Büschel Unkraut herauszuziehen. Sie würde mit diesem Stückchen eine Weile beschäftigt sein, dachte er.

„Also, Zero, dann erzähl uns bitte, was dich bewogen hat, hier zu kommen.“, fragte ihn nun der Rektor gerade heraus. Er hatte sich in den Sessel, der vor dem Fenster stand, gesetzt und sah Zero aufmerksam an. Sein Blick war ernst und gar nicht mehr der fröhliche und unbeschwerte Mann, wie man ihn sonst kannte.

Zero trat vom Fenster zurück und setzte sich ebenfalls. Er fuhr sich über den Nacken und massierte ihn leicht. Das wüsste er selbst auch nur zu gern, dachte er und seufzte innerlich.

Doch stattdessen sagte er: „Yuki, hat mir gesagt, dass es sie immer noch beschäftigt, was damals geschehen ist. … Ich meine, was mit... Ich- ... mit meinem Bruder geschehen ist. Sie denken, dass ich es war, nicht wahr?“ Seine Stimm klang neutral, doch die beiden älteren Männer kannten ihn zu gut, um ihm dies auch zu glauben.

„Was soll man auch anderes glauben? Alles spricht gegen dich.“, sagte Yagari scharf. Auch, wenn er nicht hatte reagieren wollen, so ging ihm dieses Thema doch sehr nahe. Er konnte einfach nicht still daneben sitzen. Das war auch nicht seine Art.

„Ich weiß und sie haben recht. Es ist so, wie sie denken. Ich bin schuld.“ Seine Stimme klang nun bitterer.

„Zero, ich glaube dir nicht.“, sagte der Rektor, von seinen eigenen Worten überzeugt. „Und ich bin sicher, dass Yagari es ebenso nicht glaubt. Bitte erzähle uns, was wirklich geschehen ist. Wir wissen nur, was Kaname und die anderen uns erzählt haben. Was aber im Verließ geschah ist uns noch immer ein Rätsel.“

„Sie haben doch seine Verletzungen gesehen oder?“ Zero lehnte sich zurück und den Kopf in den Nacken. Er schloss für einen Moment die Augen und die Bilder erschienen, als wäre all das erst vor wenigen Stunden geschehen, so klar war die Erinnerung.

„Ja. Von wem waren sie?“

„Kuran Rido.“, antwortete Zero kurz und atmete dann tief durch. Er würde von vorn beginnen müssen, damit sie wirklich verstanden. „Hören sie, ich kann ihnen nur erzählen, was geschehen ist und was ich mir selbst denken kann.

„Ich-Ichiru...“, er schluckte abermals. Den Namen nach so langer Zeit wieder auszusprechen viel ihm schwerer als er gedacht hatte. Selbst, wenn dies der Name war, den er selbst benutzt hatte, so war das hier dennoch etwas vollkommen anderes. „Ichiru wollte... er wusste, dass Rido es gewesen war, der den Namen von Shizukas Geliebten damals auf die Liste setzten ließ. Shizuka wollte sich an ihm Rächen und dafür Kaname töten. Sie brauchte seine Macht. Aber... stattdessen hat er sie getötet, um... seine Schwester beschützen zu können.“

„Kaname hat Shizuka Hio getötet!?“, fragte Yagari aufgebracht.

„Ja. Sie wussten es doch.“, wandte er sich an den Rektor der Cross Akademie. Kurosu schwieg, nickte aber leicht.

„Wieso hast du...“, wollte Yagari wissen, doch der Rektor machte eine kurze Handbewegung. „Das werde ich dir später erklären. Erzähl bitte weiter, Zero.“ Yagari nahm es erst einmal so hin und hörte Zero wieder zu, der weiter sprach.

„Nach Shizukas Tod, wollte Ichiru... Gerechtigkeit. Deswegen hat er sich ihnen angeschlossen... Er wartete bis Rido in seinem eigenen Körper erwacht war und er...wollte... hat versucht ihn zu... Er hat es nicht geschafft. Dieses Reinblut hat ihn schwer verwundet.

„Verstehen sie das? Er wusste, dass er...

„Ichiru kam zu mir und... hat... er wollte, dass ich... ich... er hat mich extra mit der Bloody Rose angeschossen, damit ich es tue... Er sagte, dass... dass... es schon immer so sein sollte, dass ich... er... er wusste, er würde... sterben...“, flüsterte er.

Einen Augenblick herrschte erneutes Schweigen, dann fragte Kurosu vorsichtig: „Zero, was genau... solltest du tun?“

Er schüttelte den Kopf. War dass denn nicht eindeutig? Musste er das auch noch laut aussprechen? „Er wollte, dass ich sein Blut nehme.“, antwortete er kaum hörbar. Allein von der Erinnerung an diesem Moment, an den Geruch des Blutes, das ihm so vertraut und lieb war, sein Geschmack... Er hatte das Gefühl, er würde sich jeden Augenblick übergeben müssen, sollten sie verlangen, dass er mehr erzählte.

„Und du hast es getan?“, war es nun Yagari, der ihn dies fragte, aber sein Tonfall war keineswegs anklagend. Zero nickte.

„Warum?“

Er konnte diese Frage nicht beantworten.

„War es, weil du dich nicht mehr unter Kontrolle hattest?“, fragte Yagari weiter.

„Nein.“, erwiderte Zero ihm und seine Stimme klang ein wenig fester. „Es war...“

„Du musste es uns nicht erklären.“, schaltete sich der Rektor wieder ein. „Ich bin sicher, dass... nun, dass...“ Er ließ den Satz unbeendet und Zero war ihm sogar dankbar dafür.

„Er starb kurz darauf... in meinen Armen...“

Wieder schwiegen sie alle, in Erinnerung desjenigen, den sie verloren hatten.

„Ist noch etwas passiert, was wir wissen sollten?“, sprach Kurosu schließlich leise weiter.

„Nein.“, antwortete er schlicht. Die Dinge, die noch zwischen ihm und seinen Zwilling gesprochen worden waren, ging niemand etwas an. Das war etwas gewesen, was nur zwischen ihnen beiden geschah.

„Warum bist du dann trotzdem verschwunden? Du warst nicht schuld an seinem Tod.“

„Doch das war ich.“, widersprach Zero müde. „Es war meine Schuld. Ich habe ihn nicht verstanden. Ich wollte es nicht verstehen. Ich war zu geblendet von meinem Hass. Wenn ich...“

Der Rektor und selbst Yagari sahen ihn mitfühlend an. Sie konnten sich nur wage vorstellen, wie Zero sich fühlen musste. „Aber Zero, so darfst du nicht denk-“

„Selbst, wenn ich meine Unschuld“, Zero sprach dieses Wort mit einem bitteren Unterton aus, „hätte beweisen können, hätte sie mich nicht laufen lassen. Sie wollten mich beseitigen, dass wissen sie genauso, wie ich. Wahrscheinlich wollen sie das immer noch.“

„Das glaube ich nicht.“, widersprach der Rektor sogleich. „Das alles ist schon lange her und auch, wenn du die letzten Jahre nicht zu finden warst, heißt das nicht, dass du deswegen gefährlicher bist. Anscheinend hast du ja ein recht nettes Leben gehabt.“

Zero warf ihm einen Blick zu. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, worauf dieser Mann anspielte. Gleichzeitig war er erleichtert, dass dieses schwere Thema offenbar vorbei war. „Wie kommt es, dass niemand von uns dich gefunden hat?“, wollte Yagari wissen.

„Ich habe dafür gesorgt, dass man mich nicht findet. Ich war nie lange an einem Ort und nie meinen richtigen Namen genannt.“

„Das klingt ziemlich einfach.“, merkte Yagari an und Zero zuckte daraufhin gleichgültig mit den Schultern.

„Vielleicht habt ihr auch nur nicht gut genug gesucht.“

„Zero, ich muss dich noch einmal fragen: Es gibt wirklich nichts, was wir noch wissen sollten?“

Er hatte sich wohl doch geirrt. Zero schüttelte den Kopf. „Nein, das was unten im Verließ geschehen ist, habe ich ihnen erzählt. Alles andere haben sie gesehen oder sicher bereits von jemand anderem gehört.“

„Aber wir müssen wissen, was du die anderen Jahre gemacht hast. Nur so können wir vielleicht dafür sorgen, dass du hier wieder in Frieden leben kannst, vielleicht sogar als Hunter. Hast du Vampire gejagt?“, bedrängte ihn der Rektor weiter mit Fragen.

Zero blickte abermals aus dem Fenster. „Nicht direkt.“, antwortete er ausweichend. „Aber ich habe nicht vor, hierher wieder zurückzukehren. Ich habe ein neues Leben, wenn ihnen das nicht entgangen ist. Wenn ich das nächste Mal von hier gehe, dann für immer.“

„Ah, ja Ai. Wo ist ihre Mutter?“, fragte Yagari und Zero entging nicht der spitze Unterton in seiner Stimme.

„Ach Zero, ich freue mich ja so, dass du doch endlich eine Frau gefunden hast. Ich habe schon daran gezweifelt, nach dem... Nun ja... Aber erzähl doch mal. Wie ist deine Frau so? “, fragte stattdessen der Rektor interessiert und war dabei wohl sehr aufgeregt, denn plötzlich begann er auf seinen Sessel hin und her zurutschen und Zero mit großen Augen anzusehen. „Also, Ai ist wirklich ein Goldstück. Wirklich ein Engel! Wie hast du das nur geschafft?!“

Zero seufzte abermals. „Ich bin nicht verheiratet und Ai ist auch nicht meine leibliche Tochter.“

Das freudige Gesicht von Kaien Kurosu viel für einen kurzen Moment in sich zusammen, dann sah aber noch interessierter an. „Wie kommt es dann, dass sie bei dir ist und du dich um sie kümmerst. So etwas hätte ich dir gar nicht zugetraut.“

„Es hat sich ebenso ergeben.“, antwortete Zero bloß. „Ai ist ein Waisenkind. Ihr Vater ist gestorben, als sie drei war und ihre Mutter wurde vor fünf Jahren von zwei Vampiren getötet. Ich war damals in der Nähe und habe sie in ein Krankenhaus gebracht. Später habe ich sie dann ganz zu mir genommen.“

„Und das freiwillig?“, fragte der Rektor zweifelnd. So richtig mochte er sich das nicht vorstellen.

Zero musst kurz schmunzeln. „Nein. Ai ist sehr... beharrlich... Sie tat mir leid und sie...“

„Wo lebt ihr jetzt?“, fragte Yagari.

„Es tut mir leid, aber das werde ich ihnen gewiss nicht sagen.“, antwortet Zero kurz angebunden und die beiden älteren Herren nickten verstehend. Das war nur zu verständlich.

„Verrätst du uns dann wenigstens, wie ihr lebt?“, fragte der Rektor.

Er zuckte abermals kurz mit den Schultern. Was gab es da schon zu erzählen?

„So normal, wie möglich.“, antwortete er, nachdem die beiden Männer ihn immer noch fragend angesehen hatten. „Ai geht in die Schule. Sie ist ganz gut. Ich arbeite in einem Gasthaus und das war es dann auch schon. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen.“

„Und nachts jagst Vampire?“, fragte der Rektor ungläubig.

„Nein, dass tue ich nicht!“, erwiderte Zero etwas zu schnell. Er atmete einmal tief durch und sprach dann langsamer weiter. „Dort gibt es nur selten Vampire und selbst, wenn, dann geht es mich nichts an. Ich will nichts mehr damit zu tun haben.“

„Das glaube ich dir nicht.“, widersprach dieses Mal Yagari und auch Kurosu sah ihn sehr zweifelnd an. „Es liegt in deinem Naturelle, in deinem Blut. Du kannst dich nicht gegen deine Bestimmung stellen. Du kannst nicht davon laufen!“

„Ich laufe ganz bestimmt nicht davon! Aber ich kann immer noch selbst wählen. Ich will nichts mehr damit zu tun haben! Ich bin mehr als zufrieden mit dem Leben, was ich jetzt habe. Es ist mehr als ich mir jemals erhofft hatte.“

„Dabei scheinst du aber zu vergessen, was du bist! Du bist ein Hunter und ein Vampir! Wie stillst du deinen Durst? Schleichst du dich nachts raus und besorgst dir dann dein Blut oder ist Ai nicht nur deine Tochter, sondern auch deine Mahlz-“

„GENUG!“, schrie Zero und sein Gesicht verzog sich vor Wut. Die Vase auf dem Tisch hatte plötzlich einen feinen Riss, der sich vom Vasenhals bis zum Boden zog. Kleine Wassertröpfchen perlten hervor, flossen an der Außenwand entlang und sammelten sich am Fuß der Vase. „Wagen sie es nicht... Wagen sie es ja nicht, so über sie zu sprechen!“, knurrte er zornig. „Sie haben überhaupt keine Ahnung! Ich würde niemals...“

Er sprach den Satz nicht mal zu Ende, so widerlich war ihm die Vorstellung.

„Und wovon lebst du dann?“, provozierte Yagari ihn weiter. „Nur von der Landluft wird es wohl kaum sein.“

Zero sah ihn einen Moment schweigsam an, unschlüssig ob er antworten oder den Raum einfach verlassen sollte. Doch sein Stolz war größer.

„Seien sie kein Narr. Natürlich nicht. Ich habe-“

Er hielt inne und ihm nächsten Moment öffnete sich die Tür zur Wohnstube. Er drehte sich um und sah Ai, die vorsichtig in das Zimmer lugte.

Verwundert sahen der Rektor und Yagari sie an.

„Was ist denn Ai?“, fragte Kurosu sie zärtlich und ging zu ihr.

„Was hast du denn schon wieder gemacht? Warum blutest du?“, fragte hingegen Zero.

Die Tür öffnete sich ganz und Ai trat ein. Sie hatte zerzauste Haare, in denen sich Blätter und kleine Zweige verfangen hatten, Karzer und Dreck im Gesicht, an Armen und Händen und ein Loch in der Hose. Vom ganzen Schmutz auf der ihrer Kleidung ganz zu schweigen.

„Warum bist du so wütend? Ich habe dich gehört.“, fragte Ai stattdessen ihn und sah ihn ein wenig ängstlich an. Es war wirklich ein ungünstiger Zeitpunkt gewesen zu den Erwachsenen zu gehen. Jetzt würde ihr Papa noch mehr mit ihr schimpfen.

„Schon gut. Das ist wieder vorbei. Also... Was hast du schon wieder angestellt?“, fragte Zero noch einmal, mit weicher Stimme aber trotzdem halb entsetzt und halb genervt. Er hatte es kommen sehen...

Ai fummelte nervös an ihren Ärmeln und sah schuldbewusst nach unten.

„Uhm...“, begann sie zaghaft. „Also, ich... habe ein bisschen im Garten gearbeitet und dann... hab ich mich umgesehen. Auf dem Gelände und so und dann hab ein verlassenes Vogelnest gefunden.“

„Wo? Im Busch?“, fragte Zero und besah sich Ais Verletzungen. Es waren zum Glück wirklich nur leichte Kratzer und sie blutete auch kaum noch. Splitter hatte sie sich auch nicht eingefangen. Ihr ging es also gut – was er von ihrer Kleidung nicht gerade behaupten konnte.

„Nicht ganz,... eher... dahinter.“, antwortete Ai zaghaft. „Es muss vom Baum gefallen sein und ich wollte es mir gern aus der Nähe ansehen.“

„Ganz klasse.“, stöhnte Zero auf. „Und? Hast du es wenigstens erreicht?“

„Ja!“, rief sie fröhlich und ließ sich von Zero aus ihrer Jacke helfen. „Es waren noch ein paar Eierschalen darin – auch eine ganz große. Das war bestimmt ein Kuckuck. Das Nest war aber wirklich ganz schön. Irgendwie ganz zart und klein und mit lauter kleinen Zweigen gebaut. Ich frage mich immer, wie die Vögel das schaffen? Sie selbst sind doch auch ganz klein, wie können sie dann so viele Zweige holen und woher wissen sie, dass ihr Nest rund sein muss? Wie bekommen sie es hin, dass es rund ist? Und woher wissen sie, wie groß es sein muss? Weißt du das, Papa?“

„Nein, weiß ich nicht.“, antwortete er, während er Blätter und Zweige aus ihren Haaren sammelte. Momentan würde das auch ein prima Vogelnest abgeben, dachte er leicht verärgert. Aber er hütete sich davor, es laut auszusprechen. Sie würde die Idee nur zu komisch finden.

„Wissen sie das?“, fragte Ai den Rektor, an ihrem Papa vorbei.

„Also, jetzt auf die Schnelle, kann ich dir das auch nicht beantworten. Aber wir können es nachlesen, wenn du magst.“

„Oh, ja! Haben sie Tierbücher? Was für welche? Ich habe ungefähr... uhm... 10 oder so.“

„Jetzt wird gar nichts nachgelesen. Du wanderst erst einmal in die Wanne.“, unterbrach Zero die beiden.

„Ward ihr denn schon fertig mit Reden?“, fragte sie nun und sah ihn fragend an.

„Ja, jetzt schon.“, antwortete Zero sofort. Für ihn war dieses Gespräch beendet und er würde auch so schnell nicht wieder davon anfangen. „Ab mit dir in die Wanne.“

„Aber das brennt doch ganz bestimmt.“, wiedersprach Ai und deutete auf ihre Kratzer.

„Daran hättest du denken sollen, bevor du durch den Busch gekrochen bist.“

„Jaha.“, murmelte sie gehorsam und trottete Zero ins Bad hinterher.
 

Ob sie wohl schon mit einander sprachen?, dachte Yuki, während sie mit Aidou und Kain, der sie abgeholt hatte, den altvertrauten Weg zurück zum Anwesen der Kurans fuhr. Würden sie überhaupt reden? Yagari und Zero? Bei den beiden konnte sie es sich durchaus vorstellen, dass sie sich nur anschwiegen. Aber der Rektor war ja auch noch da, tröstete sie sich. Er würde schon reden und den anderen beiden würde dann nichts anderes übrig bleiben. Außerdem war Zero ja freiwillig mit gekommen – mehr oder weniger zumindest. Aber im Grunde wollte er es ja klären. Also würde er ja wohl auch etwas sagen oder nicht? Das konnte sie wenigstens hoffen.

Sie blickte nach vorn und sah das Kuran Anwesen näher kommen. Langsam wurde sie noch nervöser. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzen unaufhörlich. Bald würde sie ihren Geliebten wieder sehen. Endlich! Nach so langer Zeit! Sie konnte es kaum noch erwarten. Sie hatte ihm so viel zu erzählen! Sie wusste gar nicht wo sie eigentlich anfangen sollte.

Aber natürlich ging ihr auch ein weitaus schwierigeres Problem durch den Kopf. Wie sollte sie ihm nur die verzögerte Rückkehr erklären? Bisher hatte sie es erfolgreich vermieden daran zu denken, doch mit jedem Meter dem sie dem Anwesen näher kamen, wurde ihr klar, dass das vielleicht doch nicht so klug gewesen war.

Sie durfte Ai nicht erwähnen, ohne das Versprechen an Zero zu brechen. Ob Kaname wusste, dass Zero hier war? Bestimmt. Ihrem Bruder entging so selten etwas. Konnte sie dann ein Geheimnis bewahren?

„Wir sind da.“, sagte Kain und blickte im Rückspiegel nach hinten.

„ENDLICH!“, rief Aidou und streckte die Arme nach oben. „Mein eigenes Bett! Ich kann es schon gar nicht mehr erwarten!“

Yuki kicherte leicht. „Es tut mir leid, dass ich euch so sehr in Anspruch genommen habe. Vielen Dank, dass ihr mit mir gekommen seid. Ich weiß gar nicht, wie ich das je bei euch gut machen kann.“

„Das musst du nicht. Wir haben es gern getan.“, widersprach Kain.

„Mag sein, aber ihr musstet es auch tun.“, sagte sie ehrlich. „Ihr hattet sehr viel Geduld mit mir und dafür bin ich euch sehr dankbar.“

„Schon gut. Jetzt solltest du dich besser beeilen, Yuki. Kaname-sama wartet bereits auf dich.“ Yuki nickte leicht und stieg aus.

„Ich wünsche euch eine gute Nacht.“, sagte sie noch, bevor sie ging. Irgendwie wusste sie sehr genau, dass besonders Aidou erst einmal zu Bett gehen würde. Er hatte ja oft genug davon erzählt. Aber sie gönnte es ihm auch von Herzen.

Sie versucht langsam zu gehen, sich anmutig zu bewegen, wie es von ihr erwartete wurde. Die Dienstmädchen konnten manchmal rechte Klatschbasen sein. Doch vor allem versuchte sie sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen.

Ihre Versuche scheiterten allerdings. Ihre Schritte waren schnell und beinah ungestüm stolperte sie die Treppe zur Haupttür hoch. Sie betrat die große Halle und wurde noch schneller. Yuki konnte seine Präsenz genau spüren. Er war ganz in der Nähe. Warum empfing er sie nicht? War er etwa wirklich so böse auf sie? Freute er sich denn gar nicht, sie wieder zu sehen? Sie wusste kaum noch, wie sie es aushalten sollte.

Hastig riss sie die Türen auf, um in sein Arbeitszimmer zu gelangen.

„Onii-sama!“, rief sie aus, als sie ihm direkt in die Arme lief.

Kaname war ihr entgegen gelaufen und beide umarmten sich innig. Fest drückte er sie an sich, atmete ihren Duft, spürte und hörte das Blut in ihrem Körper fließen und vor allem roch er es. Es war genauso verführerisch wie eh und je. Süß und fruchtig, unschuldig und rein. Wieder hatte er so lange auf sie warten müssen, hatte schon befürchtet sie für immer verloren zu haben, dass sie bei ihm geblieben war. Schließlich hatte er nicht ahnen können, wie sie auf ein Wiedersehen reagieren würde - wie Zero reagieren würde. Sie nun sicher in seinem Armen zu spüren und zu fühlen, sie bei sich zu wissen, war mehr als er in den letzten drei Monaten zu hoffen gewagt hatte.

Yuki fühlte sich sicher und geborgen. So, wie sie sich immer fühlte, wenn ihr Onii-sam bei ihr war. Nirgends war es so, wie bei ihm. Seine starken Arme umfassten sie fest und pressten sie an seinen Körper. Er war ganz warm. Wie sehr sie es doch vermisst hatte, bei ihm zu sein. Sie war viel zu lange von ihm getrennt gewesen und doch bereute sie es nicht. Schließlich hatte sie etwas ebenso wertvolles gefunden. Ihre Gedanken schweiften zu Zero und sie musste lächeln. Auch, wenn er sich ihr gegenüber reserviert verhalten hatte und ihr noch immer nicht so vertraute, wie früher, so war das Band zwischen ihnen nicht vollkommen zerrissen. Es war da, wenn auch nur schwach. Und wenn sie sich anstrengte, so würde es auch nie reisen können. Vielleicht war Ai der Schlüssel, den sie brauchte. Sie durfte den Kontakt nicht mehr verlieren. Sie hatte selbst bemerkt, wie wichtig Zero ihr nach wie vor war. Ein Leben ohne ihn konnte sich gar nicht mehr vorstellen. Wie hatte sie nur so lange vollkommen ohne ihn sein können?

„Ich bin so glücklich, dass du wieder bei mir bist.“, flüsterte Kaname in ihr Ohr. „Ich habe dich so sehr vermisst.“

„Ich habe dich auch vermisst.“, antwortete sie ebenso leise und kehrte mit ihren Gedanken an seine Seite zurück.

„Anscheinend nicht so sehr, da du noch eine Weile länger geblieben bist.“, erwiderte er und Yuki zuckte kurz zusammen. Der Vorwurf war nicht zu überhören.

„Onii-sama, es tut mir leid. Ich kann es dir erklären!“, sagte sie hastig. Sie wollte auf keinen Fall, dass er es falsch verstand.

„Jetzt nicht. Später... Du bist ja zu mir rückgekehrt.“

Yuki nickte leicht. Kaname hob ihr Gesicht an und zog sie an sich. Seine Lippen verschlossen die ihren und er küsste sie sanft.

Yuki erstarrte.

„Was ist? Ist alles in Ordnung, Yuki?“, fragte Kaname sofort, dem das nicht entgangen war.

Sie sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, schüttelte dann den Kopf und sprach: „Ja, natürlich. Bitte entschuldige.“ Dieses Mal war sie es, die ihn küsste. Ein langer, intensiver und leidenschaftlicher Kuss folgte. Yuki spürte, wie er mit seinen Fingern durch ihre Haare fuhr, ihren Hals entlang und dann einen Moment an der Stelle, wo ihre Halsschlagader saß, verharrte.

Doch auch, wenn sie ihn küsste und sie all dies wahrnahm, kreisten ihre Gedanken um etwas anderes. Warum hatte sich sein Kuss so fremd angefühlt? So seltsam? Warum schmeckte er nicht mehr so, wie sie sich erinnerte? Hatte sich etwas verändert? Sie konnte es nicht sagen. Sie glaubte es nicht. Sie war doch immer noch sie und ihr Bruder war immer noch der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Oder etwa nicht?

Zeros Gesicht erschien vor ihrem inneren Augen und sie erschrak einen Moment. Es war wahr. Zero war ihr genauso wichtig.

Aber das war etwas vollkommen anderes!, dachte sie verärgert. Dann konzentrierte sie sich die Berührungen ihres Kaname-samas, dessen Hand ihren Körper hinunterglitt und sie zärtlich streichelte, während seine Lippen einen Weg ihren Hals abwärts zeichneten.

In ihrem Kopf hörte sie plötzlich die Melodie der Spieluhr, die Ai ihr gezeigt hatte. Einen Moment war sie verwirrt, ließ sich dann aber davon tragen. Das Lied klang in ihrem Inneren und machte sie schwermütig und traurig. Es schien als weckte es eine unbekannte Sehnsucht in ihr. Eine Sehnsucht nach etwas bestimmten oder jemand bestimmten. Sie konnte es nicht genau sagen. Wer auch immer diese Spieluhr, mit dieser wunderbaren Melodie, gefertigt hatte, musste verzweifelt und einsam gewesen sein und doch musste er ein wunderschönes Herz besessen haben. Anders konnte man so etwas nicht erschaffen. Die Melodie spielte selbst dann noch in ihrem Ohr, als Kanames Hand unter ihre Bluse glitt. Die Sehnsucht nach diesen Klängen, nach Ai und Zero, die unmittelbar damit zusammen hingen, schien mit jeder Berührung von Kaname zu wachsen.

Sie musste bald an die Akademie zurückkehren, bevor sie wieder gingen.
 

Yagari und der Rektor beobachteten Zero dabei, wie er Ai ins Bad brachte und Wasser für sie in der Wanne einließ. Als Ai in der Wanne war und Zero gegangen war, um die Sachen irgendwie zu reinigen und zu retten, was zu retten war, saßen die beiden Männer im Wohnzimmer. Sie wussten noch immer nicht so recht, was sie von der ganzen Sache halten sollten.

„Aber er macht das doch ganz gut oder?“, sagte der Kurosu schließlich und es hörte sich auch wie ein Entschluss an.

„Tss.“, stieß Yagari verächtlich aus. „Ich frage mich, was er sich dabei gedacht hat. Für ein fremdes Kind zu sorgen, wo er selbst noch ein Kind ist. Kann sich nicht mal um sich selbst kümmern, wie will er das dann schaffen? Sie tanzt ihm doch jetzt schon auf der Nase rum.“ Dabei klang er allerdings nur halb so mürrisch, wie es der Rektor von ihm erwartet hätte.

„Haha. Du scheinst wohl zu vergessen, dass inzwischen zwanzig Jahre vergangen sind. Zero ist kein Kind mehr. Das sind sie alle nicht. Sie sind jetzt die Erwachsenen und wir...“

„Was?!“, fragte Yagari böse.

„Nun, wir haben unseren Teil der Geschichte beigetragen. Wir haben sie begleitet, so gut wir konnten und ihnen alles, was wir wissen mit auf den Weg gegeben. Jetzt ist es an ihnen daraus zu lernen und etwas zu tun. Wir können nur noch Zuschauer sein.“

„Wie poetisch.“

„Ja, nicht wahr?“, antwortet er mit einem breiten Grinsen.

„Haben wir ihnen wirklich alles mitgegeben?“, fragte Yagari und sprach mehr zu sich selbst, als das er eine Antwort haben wollte.

„Nun, wir haben es zumindest versucht. Das kann uns keiner zum Vorwurf machen. … Glaubst du ihm?“, fragte Kurosu nun ruhiger.

„Ich denke nicht, dass er gelogen hat, wenn du das wissen willst. Niemals, wenn es um ihn geht. Allerdings möchte ich immer noch wissen, wie er sich dieses Leben vorstellt. Er sollte sich keiner Illusion hingeben. Irgendwann wird Ai ebenso erwachsen sein, wie es Yuki und Zero jetzt sind. Sie wird älter werden und wahrscheinlich lange vor Zero sterben. Was will er dann machen?“ Die Sorge um seinen ehemaligen Schüler war ihm anzusehen und deutlich zu hören, auch wenn Toga Yagari das niemals zugegeben hätte. Kaien Kurosu musste leicht schmunzeln, sagte aber nichts weiter dazu.

„Ich denke Zero wird sich dessen sehr wohl bewusst sein. Wie ich ihn kenne, wird er sich darüber schon ausreichend Gedanken gemacht haben.“, antwortete er ihm.

„Trotzdem werde ich ihn noch einmal danach fragen. … Aber wir müssen zusehen, dass niemand etwas von seiner Anwesenheit mitbekommt.“

„Lange wird er nicht bleiben können.“, sagte Kurosu in Gedanken versunken.

„Lange wird er nicht bleiben wollen. Ich denke er wird bereits morgen oder übermorgen abreisen … und dann werden wir ihn nie wieder sehen. … Vielleicht ist es das Beste für ihn.“

„Mag sein...“

„Was ist mit dir? Zero ist zurückgekommen, um sich mit uns auszusprechen. Wirst du das auch tun?“

„Ähm... ich weiß nicht, was du meinst?“, wand sich der Rektor plötzlich.

„Tu nicht so! Du weißt, was ich meine.“

„Ja, ja... Aber... Ich denke nicht, dass das was ändern würde.“

„Das meinst du doch nicht im Ernst? Wenn du dein Testament noch nicht geändert hast, wird er es spätestens so erfahren. Wo du es doch so nett formuliert hast. Immerhin bis du-“

„Ich weiß! Ich weiß! Ich mache es auch noch!… Vielleicht...“

Yagari schüttelte den Kopf. Und dieser Mann wollte jungen Menschen etwas über Ehrlichkeit und Gerechtigkeit beibringen?

Die Gesellschaft stand wahrlich am Abgrund.
 

Yuki erwachte, während der Sonnenuntergang, hinter den halb verschlossenen Vorhängen, den Himmel rot zeichnete. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Es dauerte etwas, ehe sie sich bewusst wurde, dass sie sich in ihrem und Kanames Schlafzimmer befand. Jeder von ihnen hatte zwar ebenso ein eigenes Zimmer, aber dies hier benutzten sie, um ihre Zweisamkeit zu genießen. Nur wage erinnerte sie sich daran, wie sie hierher gekommen war. Sie drehte sich um und kuschelte sich noch ein wenig an ihren Onii-sama. Kaname legte den Arm um sie und zog sie an sich. Sanft hauchte er ihr eine Kuss auf das Haar.

„Du bist wieder bei mir.“, flüsterte er zum wiederholten Male in ihr Ohr.

„Wo sollte ich denn sonst sein?“, fragte sie träge und unterdrückte ein Gähnen. Sie brauchte noch ein paar Stunden Schlaf.

„Willst du nicht aufstehen?“, fragte Kaname sie, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Mhmh.“, machte sie und schüttelte schwer den Kopf.

„Warum nicht? Es ist fast dunkel und ich wollte gemütlich mit dir frühstücken, bevor ich mich wieder von dir trennen muss.“

„Ich bin noch müde.“, nuschelte sie und kuschelte sich noch ein wenig mehr in ihre Decke ein. Sie war es ganz und gar nicht mehr gewöhnt, nachts wach zu sein und tagsüber zu schlafen. Am Tag gab es ja so viel mehr zu sehen, als in der Nacht, überlegte sie im Halbschlaf. Ob Ai wohl schon im Bett war? Ob Zero endlich geredet hatte? Was hatte er wohl gesagt? Yuki wollte es unbedingt wissen, auch wenn sie wusste, dass sie es niemals hören sollte. Aber vielleicht konnte ihr Vater ihr ja etwas erzählen, wenn Zero wieder gegangen war. Wenn er wieder gegangen war... dieser Gedanke stimmte sie sofort traurig. Sie wollte nicht, dass er wieder ging. Er sollte bleiben – zusammen mit Ai.

„Woran denkst du?“, riss Kaname sie aus ihren Gedanken. Er strich ihr liebevoll über die Wange und küsste sie dann.

„Nichts.“, log sie und schüttelte abermals den Kopf. Es war besser, wenn sie das nicht wusste. Er würde es nur schwer verstehen, wenn er es überhaupt konnte.

Er streichelte ihren Körper und Yuki verzog das Gesicht zu einem leichten Lächeln. Schon lange war sie nicht mehr so berührt worden. Kaname küsste ihre Schulter, ihren Hals hinauf und knabberte an ihrem Ohrläppchen. Yuki musste kichern.

„Hast du eine Antwort auf meine Frage?“, fragte er sie auf einmal überraschend und Yukis Lächeln erstarb sofort auf ihren Lippen. Stattdessen machte sich Panik in ihr breit und Schuldgefühle durchfluteten sie so heftig, dass ihr ganz schwindlig wurde.

Die Frage!!!

Sie hatte seit ihrer Abreise nicht mehr daran gedacht. Sie wusste nicht einmal, wie sie es hatte vergessen können, aber sie hatte wahrhaftig nicht einmal darüber nachgedacht. Und als sie Zero dann endlich gefunden hatte, war alles andere ohnehin seltsam unwichtig erschienen.

„Uhm... das... Also, weißt du... Nicht so richtig.“, stammelte sie zusammen und vermied es ihn anzusehen. Das Muster der Tapete war plötzlich so interessant, wie noch nie.

„Warum nicht?“, fragte er sofort und seine Stimme klang weniger freundlich. Eher verletzt und kühl.

„Es tut mir leid, Onii-sama, aber... Vielleicht fühle ich mich noch immer nicht bereit dafür. Es ist ein großer Schritt und ich... Es gab so vieles zu entdecken und zu erleben. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel ich gesehen habe – was ich gesehen habe!“, erzählte Yuki hastig. „Möglicherweise habe ich wegen all dem, was geschehen ist, nicht weiter darüber nachgedacht.“, sagte sie etwas betreten. Sie wusste, dass sie nicht darüber nachgedacht hatte nicht zu entschuldigen war, aber sie wusste ebenso, dass ihre Worte wahr waren. Nichts war gelogen.

Kaname betrachtete sie wortlos und Yuki sah ihn zaghaft an. Sie konnte seinen Blick nicht richtig deuten.

„Willst du denn nicht für immer mit mir zusammen sein?“, fragte er sie schließlich und sein Ausdruck wurde noch verletzter.

„Was? Nein! So meinte ich das nicht!“ Schnell richtete sie sich auf, um ihn besser in die Augen sehen zu können. „Natürlich will ich für immer bei dir sein! Das weißt du! Ich finde nur... für immer,... ist eine so schrecklich lange Zeit – eine Ewigkeit. Wir haben diese Ewigkeit, so dass eine Ehe nicht gleich sein muss. Vergleichen mit einer Ewigkeit, ist die Zeit, die wir jetzt so zusammen verbringen, nur ein winziger Bruchteil davon. Es eilt doch nicht und läuft uns gewiss nicht davon. Wir haben alle Zeit, die wir möchten und es macht doch keinen Unterschied, ob wir jetzt heiraten oder erst später. Es ändert nichts an dem, was wir füreinander empfinden.“

Kaname sah sie schweigsam an und Yuki hatte einen Moment das Gefühl als wollte er ihr wiedersprechen. Doch sie hatte sich das vielleicht nur eingebildet. Stattdessen sagte er: „Du hast recht. Entschuldige, dass ich dich bedrängt habe.“, flüsterte er. Yuki wollte wiedersprechen, aber er zog sie an sich, um einen Kuss auf ihre Lippen zu hauchen. „Dennoch bitte ich dich, auch mich zu verstehen. Ich liebe dich. Ich will, dass du ganz mir gehörst, auf jede Art und Weise.“

Ihre Wange erröteten leicht, als sie nickte.

Abermals küsste er sie und Yuki seufzte leicht. Nicht aus wohlwollen, sondern weil dieser Kuss sich wieder so seltsam befremdlich anfühlte. Dieses Mal dachte sie nicht weiter darüber nach, sondern ignorierte es geflissentlich. Sie musste sich erst wieder zurechtfinden. Kanames Mund wanderte ihren Hals hinab und schwebte über der Stelle, an der er erst vor wenigen Stunden, seine Begierde nach ihr gestillt hatte.

„Willst nicht von mir trinken?“, flüsterte er leise und küsste sie dort.

Zaghaft schüttelte sie den Kopf. „Ich... Die Bluttabletten sind seltsam... sie...“ Wie erklärte sie Kaname nur, dass sie sein Blut momentan nicht nehmen wollte, auch wenn sie den Drang es zu tun, nur schwerlich unterdrücken konnte und ganz bestimmt konnte er es auch sehen. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass, wenn sie jetzt sein Blut nahm, sie sich wieder abhängiger von ihm machen würde – und genau das wollte sie nicht mehr sein. Schon gar nicht so lange Zero in der Nähe war. Sie wusste, dass er sie für verwöhnt hielt. Diese Meinung über sie verletzte sie ein wenig. Allerdings musste sie rückblickend auf ihr bisheriges Leben zugeben, dass es durchaus so war. Wenigstens ein bisschen wollte sie sich auch ändern, wenn es Zero doch so sehr geschafft hatte.

Kaname sah sie an und zu Yukis Überraschung nickte er sogar. „Ich verstehe. Es war das erste Mal, dass du sie genommen hast und dann gleich über einen so langen Zeitraum hinweg. Ich bin stolz auf dich. Aber du solltest sie so schnell wie möglich absetzen.“, sprach er und hatte dabei ein Funkeln in den Augen.

Wieder nickte sie. Ihr Herz fühlte sich in der Zwischenzeit, wie ein Stein in ihrer Brust an. Es gab so vieles was sie ihm nicht erzählen mochte und das hauptsächlich, weil sie nicht wollte, dass er sich unnötig aufregte. Aber vielleicht war dies auch etwas, was ihn nichts anging. Sie musste wahrscheinlich selbst erst einmal herausfinden, was sie eigentlich wollte, bevor sie es ihm sagen konnte.

„Was ist mit der Prophezeiung? Seid ihr da weiter gekommen?“, fragte sie schließlich, um sich von ihren eigenen Gedanken abzulenken.

„Ein bisschen. Das Problem ist, dass es so viele Antworten und Möglichkeiten gibt, dass alles zutreffen könnte. Es gibt keinen Zeitraum, der das ganze eingrenzen könnte. Genauso verhält es sich mit dem Ort. Man kann den Winter zwar auf die nördliche Halbkugeln eingrenzen, allerdings muss es ja nicht auf diesem Kontinent geschehen sein. Das Kind könnte theoretisch überall auf der Welt geboren sein.“

„Und wenn es noch nicht geborgen ist?“

„Dann müssen wir warten.“ Kaname versank in nachdenklichem Schweigen. Yuki brannten noch weitere Fragen auf der Zunge, doch sie hielt sich damit zurück. Ihr Bruder musste damit bereits genug um die Ohren haben und sie wollte ihn nicht noch zusätzlich mit ihren Fragen belasten. Sie würde später auch noch Takuma fragen können. Sicher wusste er genauso gut Bescheid.

„Was machen wir denn, wenn wir das Kind gefunden haben? Habt ihr schon eine Idee?“, fragte sie dann. Sie war sicher, dass sie darauf bereits eine Antwort hatten. Immerhin schien ihr Onii-sama sehr besorgt darüber gewesen zu sein. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass er dies noch nicht durchdacht hatte.

„Ja.“, sagte Kaname und seine Stimme hatte sich verändert. Seine Augen sahen sie durchdringend – vielleicht auch abschätzend an – und doch sprühten sie vor Autorität und Macht.

„Was denn?“, fragte sie weiter, nachdem er ihr nicht antworten wollte, doch ein ungutes Gefühl beschlich sie.

„Wir werden es töten.“
 

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Fertsch... ^^°

Ich hoffe,ich habe es geschafft euch bei einigen Stellen zum Schmunzeln zu bringen. Wenn, dann habe ich meine Aufgabe für heute erfüllt und kann zufrieden ins Bettchen wandern.^^
 

Ansonsten lesen wir uns hoffentlich beim nächsten Mal in alter Frische wieder!
 

glg maidlin

Akzeptiere, wer ich bin...

Merry Christmas!
 

Und viel Spaß beim Lesen -.^
 

Zu Weihnachten gibt es auch ein super mega extra langes Kapitel... *hüstel*

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Akzeptiere, wer ich bin...
 

Ruckartig richtete sich Yuki auf und sah ihren Bruder entsetzt an.

„Aber das könnt ihr doch nicht machen.“, sagte sie tonlos.

Kaname musterte sie einen Moment. Er hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Sie war wirklich viel zu gut. Zu gut für ihn und erst recht zu gut für diese Gesellschaft. Er strich ihr beruhigend über die Wange, dann küsste er sie leicht auf die Lippen. „Wir werden keine andere Wahl haben. Dieses Kind, ganz gleich ob es bereits lebt oder wie alt es ist, kann unser Untergang sein, wenn wir nicht rechtzeitig handeln. Wir, damit meine ich die Vampire und die Hunter gleichermaßen, können nicht warten, bis etwas passiert. Sollten wir das Kind finden, wird es das sein, was wir tun müssen. Ich denke nicht, dass wir eine andere Wahl haben werden.“, sprach er.

„A-Aber... Wie könnt ihr das einfach entscheiden?“, fragte sie fassungslos. Plötzlich tauchte ein Kind vor ihren Augen auf, das Ai sehr ähnlich sah. Sie brauchte sich nicht einmal anzustrengen, um sich vorzustellen, dass das Kind aus der Prophezeiung so sein könnte, wie Zeros Ziehtochter: lebhaft, fröhlich und vollkommen unschuldig. „Was ist, wenn es wirklich noch ein Kind ist? Was wenn es nicht älter als... sieben, zehn oder zwölf ist?!“, fragte sie mit aufgeregter Stimme, die unbeabsichtigt etwas lauter geworden war.

„Yuki, beruhigt dich. Noch ist es nicht so weit.“ Diese heftige Reaktion überraschte ihn nun doch. Verstand sie denn nicht, wie wichtig diese Entscheidung für sie alle ist? Er hatte geglaubt sie hatte in den letzten zwei Jahrzehnten gelernt, mit ihrer Verantwortung umzugehen und vor allem auch danach zu handeln. Sie war es doch, die von der Prophezeiung fasziniert war und daran ohne Zweifel glaubte.

„Was, wenn es so weit ist?“, fragte sie ernst zurück und sah ihm fest in die Augen. Die Antwort konnte sie bereits darin lesen.

„Ich denke nicht, dass es für uns eine andere Möglichkeit gibt. Vom jetzigen Standpunkt aus sehe ich zumindest keine. Úmmeis Prophezeiungen sind bisher immer eingetroffen und wir können nicht einfach warten bis dieses... Kind vielleicht zu uns kommt und uns eventuell vernichtet, wie es geschrieben steht. Außerdem...“

„Was?“, fragte sie eine Tonlage zu hoch.

„Wir müssen verhindern, dass es sich ein anderer die Macht, die dieses Kind haben kann, zu Nutze macht, um den anderem zu schaden.“

Entgeistert sah sie ihn an. „Du meinst, einer der Vampire oder... Hunter könnte das Kind dazu gebrauchen die andere Seite zu vernichten?“

„Ja.“ Er sah ihr tief in die Augen, als er die nächsten Worte sprach. „Du weißt, dass es Manipulation und Zerstörung auf beiden Seiten gibt. Deswegen bitte ich dich, es zu verstehen. … Du musst es verstehen.“

„Nein, das muss ich!“, erwiderte Yuki ungehaltener „Ihr könnt so etwas nicht einfach beschließen, ohne, dass ihr das Kind überhaupt kennt!“

„Yuki, du verstehst nicht...“, versuchte er sie zu beruhigen. Wieder wollte er sie berühren, doch sie wich vor ihm zurück. Sie funkelte ihn beinah zornig an. Schon lange hatte er sie nicht mehr so gesehen. Er wusste nicht, ob dieser Anblick ihn mehr erschreckte oder faszinierte. Beides konnte er in sich spüren.

„Ich werde nicht zulassen, dass ihr darüber einfach so entscheidet oder es vielleicht sogar tut. Was, wenn sich herausstellt, dass es keine Gefahr für uns ist? Oder, wenn es eben wirklich noch ein Kind ist?! Ein Kind, wie ich damals eines war, als Rido mich töten wollte?!“

„Yuki, dass...“, wollte er erwidern, doch sie ließ ihn nicht dazu kommen.

„Ihr könnt nicht einfach über etwas entscheiden, wenn ihr noch nicht einmal richtig wisst, wie die Dinge wirklich sind. Und das musst du verstehen!“

Zornig wickelte sie sich die Decke um den Körper und verließ augenblicklich das Bett. Aber Kaname hielt sie am Handgelenkt zurück. „Yuki, ich versteh deinen Standpunk ja, aber...“

„Kein aber! Lass mich los!“, zischte sie.

Er versuchte seine Stimme zu beherrschen. Er wollte keinen Streit mit seiner Geliebten und das was sie sagte, hatte durchaus Berechtigung. Es würde noch etwas dauern, bis sie wirklich die Verantwortung der Kurans begriff, dachte er. Mit ruhigerer Stimme sprach er deswegen weiter: „Du hast mir noch nicht gesagt, warum du später zurückgekommen bist.“

Yuki hielt kurz innen. Ihre Wut war noch immer da und selbst seine liebliche Stimme konnte diese nicht sänftigen. Zu sehr verletzte sie das, was er gesagt hatte und er schien ihr ja nicht einmal zuzuhören! Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und ihre Augen schienen ihn dabei regelrecht zu durchbohren. „Ich wollte noch etwas mehr Zeit mit Zero verbringen!“

Dann verließ sie den Raum.

Kaname schaute ihr hinterher, versucht nicht die Beherrschung zu verlieren. Wegen ihm!

Er hatte es gewusst! Selbst jetzt noch, war seine Existenz störend! Er spannte den Kiefer an und zog sich anschließen an. Yuki würde sich beruhigen. Sie würde wieder zu ihm kommen, daran hatte er keine Zweifel. Trotzdem nagte die Ungewissheit an ihm, dass sie wegen diesem... Mann später zu ihm zurückgekehrt war.

Er musste verhindern, dass er wieder einen Platz in ihrem Leben bekam.
 

Yuki warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Er sollte es nicht wagen, sie jetzt aufzusuchen! Sie konnte und wollte einfach nicht mit ihm sprechen. Schon lange war sie nicht mehr so wütend gewesen – und schon gar nicht auf ihn. Doch seine Worte waren zu hart gewesen. Wie konnte man nur so verbissen sein?

Oder hatte sie wirklich nicht verstanden? Hatte ihr Bruder vielleicht recht? Yuki begann nervös an ihrer Unterlippe zu kauen. Waren es vielleicht ihre Worte, die zu hart gewesen waren? Kaname-sama hatte schließlich immer nur das Wohl anderer im Sinn. Dennoch war die Entscheidung, die er mit den anderen getroffen hatte nicht richtig, dachte sie verbissen. Aber sie hatte ihren Onii-sama vielleicht nicht so anfahren dürfen, überlegte sie, während sie im Zimmer auf und ab ging. Sie hätte in Ruhe mit ihm darüber reden müssen und ihn bitten müssen, die Sache noch einmal zu überdenken. Es wäre ihr sicher gelungen ihn zu überzeugen.

Sollte sie vielleicht gleich zurückgehen und sich entschuldigen? Vielleicht würde er ihr dann noch verziehen. Aber warum sollte sie sich als erstes entschuldigen? So ganz im Unrecht war sie nun auch nicht. Er konnte wirklich nicht einfach über das Leben eines anderen entscheiden.

Sie blieb stehen und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Erst da wurde ihr bewusst, dass sie das erst Mal seit einem viertel Jahr wieder an diesem Ort war. Abgesehen von ihren Koffern, die vor dem Bett standen, hatte sich nichts verändert. Alles sah noch genauso ordentlich und sauber aus, wie an dem Tag, als sie aufgebrochen war. Nicht ein einziges Staubkorn konnte sie entdecken. Man konnte eher den Eindruck gewinnen, als wäre dieses Zimmer gänzlich unbewohnt. Nur mit dem Unterschied, dass es immer so aussah, egal ob sie anwesend war oder nicht. Die Bediensteten waren sehr eifrig und erfüllten ihre Aufgaben tadellos. Allerdings hatte Yuki dadurch hin und wieder das Gefühl, dass es nie richtig gemütlich wurde. Gehörte zu einem bewohnten Raum nicht auch etwas Unordnung? Ein paar Gegenstände, die darauf hinwiesen, dass in diesen vier Wänden jemand lebte? Nicht einmal ihre Haarbürste oder den Schmuck, den sie besaß, konnte sie auf ihrer Frisierkommode liegen lassen. Es wurde alles immer sofort fein säuberlich weggeräumt. Natürlich wusste sie diesen Luxus zu schätzen, aber manchmal wünschte sie, es wäre nicht so. Yuki musste kurz an Ais Zimmer denken. Sie hatte zwar keine Zeit gehabt sich richtig umzusehen, aber sie hatte gesehen, dass über all etwas verstreut lag. Auf dem Boden, den Schreibtisch, selbst auf ihren kleinen Nachttischchen. Es waren Bücher, Stifte oder Haargummis gewesen. Man hatte sehen können, dass dieses Kind sich oft und gern in ihrem Zimmer aufhielt. Yuki konnte das nicht ganz ehrlich von sich behaupten.

Sie seufzte laut. Schon wieder hatte sie an Ai gedacht. Aber ihre Wut war immerhin verflogen. Sie würde die Angelegenheit später mit ihrem Bruder klären, entschied sie schließlich. Was ihre Antwort auf seine letzte Frage anging... Es war die Wahrheit. Mehr konnte sie dazu eigentlich nicht sagen. Es war genau das, was sie auch Kain und Aidou erklärt hatte. Dennoch würde sie es ihm vielleicht näher erläutern müssen. Kaname könnte es sonst falsch verstehen.

Noch einmal seufzte sie und ging anschließend ins Badzimmer. Dort ließ sie heißes Wasser in die Wanne laufen. Während sich die Wanne füllte, ging sie zu ihrem Kleiderschrank und nahm sich ein neues Nachtgewand heraus. Sie würde erst ein entspannendes Bad nehmen und dann ihre Koffer ein wenige auspacken oder sie legte sich noch ein wenig schlafen. Sie wollte am nächsten Nachmittag unbedingt an die Cross Akademie zurück. Zero und Ai konnten schließlich jeder Zeit wieder abreisen. Sie ließ nach Rosen duftenden Badeschaum ein und beobachte einen Moment, wie sich der Schaum bildete. Dann nahm sie endlich die Decke von ihrem Körper und stieg in das heiße Wasser.
 


 

Müde rieb sich Ai die Augen. Wohin war ihr Papa verschwunden und warum hatte er sie nicht geweckt?, dachte sie träge, als sie die Küche betrat.

„Guten Morgen, Ai.“, begrüßte sie der Rektor freundlich und voller guter Laune.

„‘Mor‘n.“, nuschelte sie zurück und sah sich in der Küche um. „Wo ist mein Papa?“, fragte sie schließlich, als sie realisierte, dass er auch dort nicht war.

„Er wollte nur schnell nach unten und... etwas erledigen, nehme ich an. Er wird sicher gleich zurückkommen.“

„Was wollte er denn machen?“, fragte sie sofort. Nun war sie hellwach und dachte gar nicht mehr an Schlaf, wie noch vor wenigen Augenblicken. Ihre Neugier war geweckt.

„Er... wollte noch einmal... zu der Stelle gehen an der... sein...Ichiru... verstorben ist.“, brachte der Rektor mühsam heraus. Auch, wenn er schon oft mit Yagari darüber gesprochen hatte, fiel es ihm immer wieder aufs Neue schwer. Besonders vor einem Kind, erst recht vor diesem. Vielleicht hätte er ihr gar nicht davon erzählen sollen?!, kam es ihm viel zu spät in den Sinn. Zero würde es doch bestimmt nicht gut heißen, wenn er mit seiner Tochter über so etwas sprach! Doch da war es bereits zu spät und Ai aus der Küche verschwunden. Das würde Ärger geben, dachte sich Kaien Kurosu und widmete sich schwerfällig wieder der Vorbereitung des Frühstückes. Warum konnte er nicht einmal den Mund halten? Es würde vielleicht gar nicht so schlimm werden, versuchte er sich mit diesem Gedanken zu trösten. Immerhin war Zero ja wirklich erwachsen geworden.
 

So schnell, wie sonst selten, hatte sich Ai umgezogen und war noch draußen gelaufen. Von den Erzählungen ihres Papas wusste sie ungefähr, wo sie hingehen musste. Es würde nicht schwer sein, ein altes Gebäude mit einem Turm zu finden. Doch bevor sie diesen Weg ging, lief sie in die andere Richtung. Es gab etwas, ohne dem sie nicht dorthin gehen konnte.
 

Zero stand in dem dunklen Verließ, den Blick auf die Stelle vor ihm geheftet. Er war in Gedanken versunken, die ihm zuriefen und gefangen hielten. Hier hatte alles ein Ende gefunden.

Es war als hätte niemand diesen Ort seit zwanzig Jahren betreten. Nichts war verändert und doch wusste er, dass dem nicht so war. Er hatte sich verändert und auch die Kugel seiner eigenen Waffe lag nicht mehr da. Nur das Blut war geblieben. Er konnte es sehen. Zwar erleuchtete das blasse Tageslicht nur schwach den Gang, aber es genügte.

Der Boden war scheinbar schwarz, getränkt mit ihrem Blut, für alle Zeiten sichtbar und unauslöschlich.

Zero hörte leichte Schritte nach unten kommen und nur langsam gaben ihn die Erinnerungen frei. War es richtig noch einmal hierher zu kommen?, fragte er sich. Einmal außer Acht gelassen, dass es ihm ohnehin wie ein Fehler vorkam. Aber war es in seinen Grundzügen richtig gewesen? In den letzten Tagen, seit er Yuki nach so langer Zeit wieder gesehen hatte, waren Dinge in ihm erwachte, die er schon längst vergessen geglaubt hatte, die er hatte vergessen wollen. Seine Vergangenheit erschien ihm nun so lebendig, als hätte sich all das Unglück und Leid erst vor so kurzer Zeit abgespielt. Die Wunden fühlten sich frisch und blutig an und er wusste, dass es noch einmal sehr viele Jahre dauern würde, um sie wieder zu schließen - sollte es ihm überhaupt noch einmal gelingen.

Er wusste es nicht.

War es denn nicht besser so? Oder war es besser für immer mit diesen Gefühlen, Bildern und Gedanken zu leben?
 

Er blickte kurz zur Seite. Ai stand nun neben ihm. Es konnten nur ihre Schritte gewesen sein, die er gehört hatte, dachte er kurz. Was machte sie hier? Er wollte sie fragen, doch kein Laut über seine Lippen. Er hatte das Gefühl nichts sagen zu dürfen.

Zero beobachtete wie Ai einen kurzen Moment neben ihm stand, denn ging sie ein paar Schritte vor, durchquerte die Zellentür und dort wo ihr beider Blut am schwärzesten war, bückte sie sich kurz. Er erkannte erst, was sie getan hatte, als sie sich aufrichtet und wieder zu ihm ging. Gebannte starrte er auf den Punkt, an dem sie vor wenigen Sekunden gestanden hatte. Dennoch nahm er war, wie sie ihre kleine Hand in seine schob. Sogleich breitete sich das vertraute Gefühl in ihm aus, erfüllte und beruhigte ihn.

Er sah seine Ziehtochter an und im gleichen Moment erwiderte Ai seinen Blick. Sachte drückte sie seine Hand.

„Es ist wichtig leb wohl zu sagen.“, flüsterte sie leise.

Zero erstarrte. Sein Herz schlug schmerhaft in seiner Brust und doch schien sich plötzlich etwas in ihm zu lösen, ihn zu befreien und gehen zu lassen. Die Worte trafen ihn tief, waren es doch die Worte gewesen, die er nie hatte aussprechen wollen, geschweige denn zu denken. Und doch... diese Worte endlich zu hören, sie in sich aufzunehmen, erlaubten es ihm endlich loszulassen – leb wohl zu sagen. Sein Blick glitt zu der weißen Rose, die nun an der Stelle lag, an der einst der leblose Körper eines anderen geliebten Menschen gelegen hatte.

Und dann kannte er auch die Antwort, auf seine Frage. Nur deswegen hatte er zugestimmt. Nur deswegen hatte er Ai damals bei sich aufgenommen. Er hatte gehofft, sie würde ihm helfen können und das hat sich. Fünf Jahre später, hat sie ihm die Worte gesagt, die er hören musste.

Nein, er würde nicht vergessen, er konnte nicht vergessen. Das war es, was er tun konnte, es... ihn nicht zu vergessen. Alles was er tun konnte, war es zu akzeptieren, sich zu erinnern und weiter zu leben – sein eigenes Leben.

Es war das, was ihm sein Bruder schon damals hatte sagen wollen. Es hatte so lange gedauert, bis er es endlich begriffen hatte.

Er sank auf die Knie und schloss Ai ungestüm in seine Arme, presste ihren zerbrechlichen Körper an sich und drückte sie fest. Ob sie eine Ahnung hatte, was sie gerade für ihn getan hatte? War sie in der Lage zu verstehen, wie viel ihm ihre Geste und ihre Worte bedeuteten, wie sehr sie ihn befreiten? Wohl kaum...

„Papa?“, hörte er sie flüstern und in ihrer Stimme klang Angst mit.

Langsam löste sich Zero von ihr. „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“, sagte er sanft. Ai schüttelte kurz den Kopf und Zero konnte ihren aufmerksamen und fragenden Blick erkennen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie schließlich, woraufhin Zero leicht lachen musste.

„Ja, es ist alles in Ordnung. Jetzt schon.“, antwortet er ihr ehrlich. „Du bist ja da.“

Ein breites Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab und sie schien sichtlich erleichtert, aber auch ein klein wenig zufrieden über seine Antwort.

„Komm schon, lass uns gehen.“ Zero reichte ihr die Hand und sie nahm sie nur zu bereitwillig. Noch ein letztes Mal drehte er sich um, bevor er mit Ai die Treppen nach oben ging.
 

Das Tageslicht blendete sie etwas, doch dieses Mal empfand Zero es nicht als unangenehm. Vielmehr schien es ihm etwas versprechen zu wollen und Zero war im Moment nur zu bereit es zu glauben.

„Du, Papa? Darf ich dich noch etwas fragen?“ Wieder sah Ai ihn aus ihren unschuldigen Augen an, als könnten sie niemals etwas Böses im Schilde führen.

„Ja, was ist denn?“

„Uhm... Glaubst du... Glaubst du Onkel Ichiru hätte mich gemocht?“, fragte sie endlich zaghaft und sah ihn dabei aber nicht an. Einen kleinen Augenblick stutzte Zero etwas über ihre Wortwahl, vollkommen verblüfft darüber. Doch dann musste er lächeln. „Ja, da bin ich mir ganz sicher. Ihr beide wärt richtig gute Freunde geworden. Ihr habt viel gemeinsam.“

„Wirklich?!“, fragte sie und schien beruhigt zu sein.

„Ja, wenn ich es dir doch sage.“ Er schmunzelte leicht, als er ihr Gesicht sah. Was dieses Kind doch alles beschäftigte.

„Hast du schon gefrühstückt, Ai?“

„Nein, aber ich haben einen soooo großen Hunger!“, antwortete sie prompt und breitet ihre Arme weit aus, um ihm die Ausmaße ihre Hungers zu verdeutlichen. Er musste lachen und das erste Mal seit Jahren, hatte er nicht das Gefühl, dass es vielleicht falsch war.

„Dann sollten wir aber schleunigst etwas essen. Wollen wir mal nachschauen, dass der Rektor alles Schönes im Kühlschrank hat?

„JA!!!“, rief sie sofort begeistert und lief vorn weg, hin zum Eingang des Privatgebäudes.

Zero sah ihr hinterher und dachte, wie glücklich er sich schätzen konnte, dass sie bei ihm bleiben wollte.
 


 

Es war kurz nach Morgengrauen als Yuki abermals erwachte. Müde drehte sie sich in ihrem Bett herum und zog sich die Decke über den Kopf. Richtig ausgeschlafen hatte sie immer noch nicht und gut geschlafen erst recht nicht. Das heiße Bad, hatte sie zwar schläfrig gemacht, trotzdem hatte sie sich nicht richtig entspannen können. Sie würde ihren Bruder so schnell wie möglich aufsuchen, um die Sache klären zu können. Doch dazu musste sie erst einmal aufstehen. Etwas was ihr überhaupt nicht gefiel. In den letzten drei Monaten war ihr gar nicht bewusst gewesen, wie bequem doch das eigene Bett war. Jetzt wusste sie, wovon Aidou immer gesprochen hatte.

Aber da ihr Onii-sama wohl bald zu Bett gehen würde, würde sie jetzt aufstehen müssen. Also stand sie auf und zog sich langsam um. Die Koffer standen noch genauso da, wie sie sie in der Nacht vorgefunden hatte und sie war sich sicher, dass sie wohl noch genauso dastehen würden, wenn sie dieses Zimmer wieder betrat. Selbstverständlich wäre es ein leichtes gewesen, die Sachen von den Dienstmädchen auspacken zu lassen. Sie hätten sich wahrscheinlich darum gerissen. Aber auf keinen Fall, würde sie die daran lassen. An jedem noch so kleinem Stück, egal ob Kleidung oder Mitbringsel, hin nun eine Erinnerung von ihrer Suche und sie wollte diese Erinnerung mit niemand teilen.
 

Sie konnte Stimmen durch die Tür zu Kanames Büro hören. Es dauerte nicht lange, bis sie erkannte, dass es Aidou war, der mit ihrem Bruder sprach. Es stand außer Frage, was Kaname von ihm wissen wollte, dessen war sich Yuki sicher. Sei wusste nur nicht, ob Aidou etwas von Ai erzählen würde oder nicht. Es sollte an ihr sein, dies zu tun und eigentlich konnte sie sich auch darauf verlassen, dass Aidou oder Kain nichts sagen würden, aber wenn ihr Bruder verlangte es zu wissen... Sie würde abwarten müssen.

Yuki ging den Flur weiter entlang. Sie wusste, dass sich Takuma noch im Gebäude befand und sie wollte gern mit ihm über die Ergebnisse der Nachforschungen sprechen. Sie fand ihn schnell in der Bibliothek.

„Yuki, ich freue mich dich wieder zu sehen.“, begrüßte Takuma sie mit einem strahlendem Lächeln auf dem Gesicht und hauchte ihr einen Kuss auf die Hand.

„Hallo, Takuma. Ich freue mich genauso sehr. Wie geht es dir?“

„Danke, sehr gut und du siehst auch sehr erholt aus.“

„Ich danke dir. So fühle ich mich auch. Wir haben wirklich viel erlebt.“, gestand sie ihm mit leuchtenden Augen.

„Das sagte Kain bereits. Wie ich höre, habt ihr ihn sogar gefunden.“

Yuki nickte knapp. Anscheinend war das bereits bekannt. „Was weißt du darüber?“, fragte sie gleich. Misstrauischer, als es vielleicht angebracht war.

Etwas verdutzt sah Takuma sie an. Sie hätte nicht so reagieren sollen, schallte sie sich sofort selbst!

„Nichts weiter, nur dass ihr in kurz vor eurer Rückreise doch noch gefunden habt.“ Er schwieg einen Moment und beobachtete Yuki, die sich nervös im Raum umsah. Sie war immer noch zu leicht zu durchschauen. Aber vielleicht war das auch einfach ein Wesenzug von ihr, unabhängig davon, ob sie ein Reinblut war oder nicht. „Kain hat uns aber nicht erzählt, wo ihr ihn gefunden habt, wenn es das ist, was die Sorgen macht. Er hat gesagt, es wäre dein ausdrücklicher Wunsch gewesen, es nicht zu tun und Kaname hat dies auch respektiert. Allerdings kann ich dir nicht versprechen, dass er nicht noch einmal danach fragen wird.“

Yuki atmete dennoch erleichtert auf. „Ich danke dir.“

„Jeder Zeit.“, antwortete er lächelnd.

„Ich würde gern wissen, was ihr bereits alles herausgefunden habt. Onii-sama hat bereits etwas angedeutet, aber ich möchte es gern genauer wissen.“, sagte sie nun und klang weitaus selbstsicherer.

Dieses Mal nickte Takuma kurz. „Da uns die ersten vier Zeilen schon vor deiner Abreise klar waren, haben wir uns damit nicht weiter beschäftigt.“

„Onii-sama sagte, dass das Kind überall auf der Welt geboren sein könnte?“

„Ja, das wäre möglich.“, antwortete er und führte sie zu einem Tisch auf dem Karten und Atlanten ausgebreitet waren. Der Tisch war umringt von Regalen mit Bücher unterschiedlicher Größe und Dicke. Jeder Fremde hätte die Ansammlung wohl als beeindruckend empfunden, doch da sie das Archiv nun schon so oft besucht hatte, war dieser Raum nur einer, in dem mehr Bücher als in anderen, angesammelte waren.

„Kann man es denn nicht anhand der Sonnenfinsternis bestimmen?“

„Schon, aber auch da wird es schwierig. Es gibt zu viele Möglichkeiten. Erst einmal muss man unterscheiden, ob mit der Sonnenfinsternis eine für uns sichtbare gemeint ist oder nicht. Du weißt, dass man eine Sonnenfinsternis nicht auf jeden Breitengraden sehen kann. Haben wir zum Beispiel eine, muss sie auf der anderen Seite der Welt nicht auch zu sehen sein.“

Wieder nickte sie. Soweit hatte sie das Problem verstanden.

„Die letzte Sonnenfinsternis in unseren Bereitengraden war vor vier Jahren. Die Davor vor elf Jahren und wieder die davor vor zwanzig Jahren, also kurz nachdem die schlafende Prinzessin erwacht ist.“

„Und wo anders?“, fragte sie.

„Da gibt es noch mehr Möglichkeiten.“, antwortet er. Er zog unter einem Stapel Karten eine große Weltkarte hervor und breitete diese vor ihr aus. „Allein hier, hier und hier in diesen Gebieten würde noch einmal sechs neue Möglichkeiten dazu kommen.“, sprach er und zeigte auf drei Gebiete.

Yuki besah sich das Ganze einen Moment. Er hatte recht, so war es unmöglich mehr herauszufinden.

„Wann würde die nächste Sonnenfinsternis sein? Vielleicht soll es ja auch erst noch geschehen.“

„Ehrlich gesagt wäre mir diese Variante sogar lieber.“, antwortete Takuma nachdenklich.

„Warum denn?“

„Dann wären wir darauf vorbereitet und wüssten, wo wir vielleicht suchen müssten, verstehst du? Wir könnten das Gebiet wenigstens etwas eingrenzen.“

Abermals nickte Yuki kurz. „Also, wann wäre die Nächste?“

„Unsere Astrologen habe berechnet, dass die nächste, bei uns sichtbare in circa einem Jahr sein müsste.“

„Sie wissen es nicht genau?“

„Doch... Warte... Ich habe es aufgeschrieben.“ Er schob ein paar Blätter Papier beiseite, bis er endlich eines zu finden schien, was er suchte. Er studierte es kurz und nannte Yuki dann eine Zahl. „Die nächste Sonnenfinsternis wird in neun Monaten und dreiundzwanzig Tagen sein.“

„Verstehe. Solange müssen wir also warten?“

„Entweder das oder wir finden noch etwas anderes heraus.“

„Was ist mit dem Winter? Theoretisch müsste man doch nur schauen, wann und wo es einen langen Winter gab und ob dort im gleichen Jahr eine Sonnenfinsternis zu sehen war.“

Es erschien ihr so offensichtlich, dass sie sich wunderte, warum sie noch nicht selber darauf gekommen waren. „Wisst ihr da auch nichts Genaueres?“

„Nein, tut mir leid.“, antwortete er und schüttelte leicht den Kopf. „Das Ganze ist sehr unbefriedigend.“

Yuki besah sich die unterschiedlichen Papiere genauer. Es waren Weltkarten aber auch Landkarten mit einzelnen Ausschnitten daraus. Auf einigen waren Gebiete markiert und Yuki vermutete, dass die gekennzeichnet waren, die vielleicht eher in Frage kamen. Sie ließ ihren Blick weiter über die Karten wandern und einige der größeren Städte, die sie darauf las, kannte sie nun sogar persönlich. Durch manche war sie bei ihrer Suche gereist oder sogar ein paar Tage geblieben. Von anderen hatte sie während der Zugfahrt einen kleinen Eindruck bekommen. Sie musste Lächeln. Ai hatte doch recht behalten, sie hatte so viel mehr gesehen, als dies mit dem Auto möglich gewesen wäre.

„Habt ihr wirklich nichts weiter herausfinden können?“

„Doch, natürlich.“ Takuma seufzte schwer, wie sie es von ihm nicht kannte. „Tut mir leid, wenn ich dich mit meinen Fragen bedränge. Es interessiert mich nur sehr.“, entschuldige sie sich rasch.

„Was? Nein, das ist es nicht. Wie kommst du darauf? Der Winter ist nur noch komplizierter als die Sonnenfinsternis.“

„Was meinst du?“

„Das Problem ist dieses Gebiet hier.“, sagte er und zeichnete mit dem Finger einen großen Kreis auf einer der Karte, die das nördliche Gebiet kennzeichnete. Yuki sah eine große Gebirgskette, die hinter einem dichten Wald lag. Dahinter war alles weiß gezeichnet. Dort irgendwo in der Nähe hatte sie Zero gefunden, dachte sie still. Sie konnte sich nur zu gut an das Bild der riesigen Berge erinnern, die die Stadt umschlossen und beschützt hatten. Es war ein atemberaubender Anblick und bei Sonnenuntergang einfach unbeschreiblich. Wieder konnte sie nicht umhin zu denken, wie schön es dort gewesen war. Wie ruhig und frei, fernab von Problemen, wie diesen hier und in Mitten eines scheinbar immer währenden Friedens. Yuki war über sich selbst erstaunt. Hatte sie bereits nach so wenigen Tagen Sehnsucht nach diesem Flecken Erde?

Yuki schüttelte den Kopf und richtet ihre Aufmerksamkeit wieder auf Takuma. Jetzt war nicht die Zeit, um darüber nachzudenken.

„Warum ist es ein Problem.“, fragte sie schließlich.

„Weißt du wie man dieses Gebiet hinter dieser Bergkette bezeichnet?“, fragte Takuma sie und sah sie interessiert an. Yuki schüttelte kurz den Kopf. Sie war sich sicher, schon davon gehört oder gelesen zu haben, aber so richtig wollte es ihr nicht einfallen.

„Man nennt es ‚Die stille Welt‘.“

„Warum?“

„Die Temperaturen dahinter sind weit aus tiefer als bei uns im tiefsten Winter. Ich möchte mir das gar nicht vorstellen. Die Gegend ist so gut wie unbekannt und unerforscht. Niemanden von uns zieht es freiwillig dort hin.“

„Also gibt es dort immer Winter, wenn es so weit oben im Norden liegt? Dann stimmt es doch nicht mit der Prophezeiung überein.“, widersprach sie ihm gleich.

Wieder schüttelte Takuma den Kopf. „Das könnte man annehmen, nicht wahr? Es wäre das logischste. Aber sowohl vor als auch hinter der Gebirgskette gibt es einige Städte, in denen ein ganz anderes Klima herrscht, als man es vermuten würde. Möglich wird dies durch die Berge, die die Städte scheinbar direkt einschließen. Dadurch kann sich in diesen Tälern ein ganz anderes Klima entwickeln. Natürlich erreichen diese Gebiete keine Temperaturen von dreißig Grad im Sommer, dennoch kann man ruhig von verschiedenen Jahreszeiten sprechen. Kannst du mir noch folgen?“, fragte er sie sicherheitshalber, weil ihr Blick etwas anders sagte.

„Wie? Ja, bitte entschuldige. Ich war gerade in Gedanken.“ Alles was er gesagt hatte, konnte sie persönlich bestätigen. Aber sie verstand noch immer nicht, wo genau nun das Problem lag.

„Ich habe zwar gesagt, dass es Jahrezeiten gibt, aber diese sind reichlich kurz und selbst in ihrer Dauer unregelmäßig. Man kann nie wirklich vorhersagen, wie lange der Sommer dauern wird oder wann der Herbst kommt. Eigentlich ist es äußerst interessant. Es ist eine Schande, dass sich noch niemand wirklich genauer damit auseinander gesetzt hat. Aber selbst unseren Vorfahren, war es dort oben wohl zu kalt.“, sagte er im Scherz, doch Yuki war nicht zu lachen zu mute. Viel zu fasziniert war sie von dem, was er ihr erzählt hatte. Und in so eine Gegend hatte es Zero am Ende verschlagen?

„Was bedeutet das genau?“, fragte sie weiter.

„Nun gerade der Winter ist dort ziemlich heftig und vor allem sehr lang. Vier oder fünf Monate sind dort keine Seltenheit – oder mehr.“

Langsam begriff sie, was er ihr damit sagen wollte. „Das heiß es kann theoretisch jedes Jahr damit gemeint sein?“

„Ja, so sieht es aus.“, bestätigte er ihr mit düsterer Stimme. Abermals suchte Takuma zwischen den Papieren und griff ein weiteres heraus. „Wir konnten es auf die jeweiligen Jahre der Sonnenfinsternis einschränken, aber selbst dann haben wir zu viele Ergebnisse. Es wird zwar von einem siebenmonatigen Winter gesprochen und das ist selbst in dieser Gegend relativ selten, trotzdem reicht es um drei, vielleicht vier Mögliche zu erhalten.“

„Wie kommt ihr auf darauf?“

„Wenn wir von dem Zeitpunkt von vor 19 Jahren ausgehen, dann fällt der erste genau in den Zeitraum von vor 19 Jahren. Der nächste war vor dreizehn Jahren, der nächste wieder vor sechs Jahren. Wir haben es noch weiter in die Vergangenheit zurückverfolgt und man könnte sagen, dass es einen so langen Winter wohl alle sechs Jahre kommt. Allerdings gab es auch Winter, die dauerten acht Monate oder gar neun.“

Yuki nickte kurz, soweit verstand sie. „Gehen wir davon aus, dass das Kind noch geboren wird und nehmen wir den nächsten berechneten Termin für eine Sonnenfinsternis, dann müsste der nächste siebenmonatige Winter noch dieses Jahr eintreffen. Dann würde all das eintreffen, wie die Prophezeiung es beschreibt.“

„Es wird also erst dieses Jahr geschehen?“, fragte sie atemlos.

„Es wäre wahrscheinlich, ja. Aber es ist nur eine Theorie von vielen. So würde wenigstens alles zusammen passen.“

„Von den bisherigen Sonnenfinsterniserscheinungen passt nicht eine zu dem Winter? Habt ihr mit eingerechnet, wie lange eine Schwangerschaft dauert?“, wollte sie ganz genau wissen.

„Natürlich haben wir das. Neun oder zehn Monate unterschied sind anzunehmen, aber nichts passt. Selbst zwischen dem Winter und der Sonnenfinsternis die zeitlich nah beieinander liegen, liegen zwei Jahre dazwischen.

„Es gibt also nicht viel, was wir tun könnten, außer zu hoffen, dass es dieses Jahr passiert.“, stellte Yuki fest – und war erleichtert. Sie war selbst überrascht über diesen Gedanken, aber dies bedeutete, dass sie noch Zeit hatte, Kaname und auch die Hunter von einer anderen Lösung zu überzeugen.

„Wir müssen herausfinden, wo genau es geschehen kann und das wird wohl noch einmal das Schwierigste. Das Land ist groß und wenn sich jemand dort auskennt, bietet es sicher auch genügend Schutzmöglichkeiten. Das heißt, wenn sie wissen, dass sie gesucht werden.“, hängte er an. Aber es war unwahrscheinlich, dass sie es bereits wussten, durchfuhr es Yuki. Wie sollten sie denn auch? Sie hatten bis vor drei Monaten auch nichts davon gewusst. „Sollte das Kind allerdings schon geboren sein, wird es weitaus schwieriger. Dagegen ist die berühmte Nadel im Heuhaufen ein Kinderspiel.“

„Was hältst du von der Entscheidung?“, fragte Yuki Takuma plötzlich unvermittelt.

„Nun ja, dass ist... Also... Manchmal hat man keine andere Wahl.“, sagte er, vermied es aber sie anzusehen. „Es ist noch nicht das letzte Wort gesprochen und so lange wir keine eindeutigen Hinweise haben, wird auch nichts passieren. Du bist nicht damit einverstanden, sagte Kaname.“

„Nein, bin ich auch nicht, ganz und gar nicht. Es ist mir gleich, was ihr davon denkt.“

„Ich bin mir sicher, dass Kaname nichts tun würde, was nicht deine Zustimmung hat. Er schätzt deine Meinung sehr.“

Yuki seufzte kurz. Aus irgendeinem bestimmten Grund, war sie sich dessen nicht so sicher.

„Ich danke dir für deine Geduld und deine Erklärungen.“, sagte sie schließlich. „Gehst du bald nach Hause?“

„Ja, ich war schon auf den Weg dahin.“, sagte er lächelnd.

„Oh, das tut mir leid. Ich habe dich aufgehalten.“, entschuldigte sie sich sofort.

„Ach überhaupt nicht. Ich bin froh, dass ich dich auch endlich begrüßen konnte. Hast du die anderen schon gesehen?“

„Nein, noch nicht, aber sicherlich bald. Komm gut nach Hause.“

„Danke schön. Die Umstellung wieder nachts zu schlafen braucht sicher noch etwas Zeit.“

„Oh... ja, ich denke auch.“, sagte sie, als ihr klar wurde, was er damit meinte. Dabei empfand sie allerdings alles andere als Bedauern, nicht des Tages zu schlafen.

Sie verließen gemeinsam die Bibliothek und Yuki ging zurück zu Kanames Büro. In diesem Moment öffnete sich dessen Tür und Aidou trat heraus.

„Hallo, Aidou.“, begrüßte sie ihn freundlich.

„Hallo.“, wurde sie mit einem Gähnen begrüßt.

„Du hast im Bericht abgelegt?“, fragte sie unvermittelt weiter.

„Ja.“

„Hast du etwas von ... gesagt?“, fragte Yuki so leise, dass Aidou mühe hatte es zu verstehen.

Doch er wusste auch so was und wen sie meinte.

„Ich habe ihm ehrlich gesagt, dass du noch ein paar Tage bleiben wolltest, um mehr Zeit mit Zero zu verbringen und dass du dort eine... nette Bekanntschaft gemacht hast, mehr nicht. Aber du wirst ihm den Rest noch selber sagen!“, zischte er so leise, dass Kaname es nicht hören konnte.

„Danke schön. Aber hast du wirklich nett gesagt?“, fragte sie misstrauisch und konnte ein Schmunzeln in der Stimme nicht verbergen.

Aidou verdrehte kurz die Augen. „Was anders konnte ich ja schlecht sagen.“, antwortete er ausweichend. Yuki musste leise Kichern. Vielleicht hatte Ai auch sein Herz erobern können und wenn es nur ein ganz klein wenige war.

„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich gern nach Hause gehen.“, sprach Aidou weiter.

„Wie? Natürlich nicht. Nur eines noch: Wie geht es Kain? Ist er wohlbehalten zurückgekommen?“

„Ihm geht es gut. Schade, dass du ihn heute verpasst hast, aber so ganz haben wir uns alle noch nicht wieder an anderen Zeiten gewöhnt.“

„Ja, das stimmt. Ist Ruka froh, dass er wieder bei ihr ist?“

„Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Im Übrigen ist sie deswegen auch nicht sonderlich gut auf dich zu sprechen. Du gehst ihr vielleicht die nächsten Tage besser aus dem Weg.“, riet er ihr.

Wissend nickte Yuki. Auf eine Standpauke von ihr hatte sie sich schon gefasst gemacht, allerdings konnte sie gern noch ein paar Tage darauf verzichten.

„Ich will dich nicht länger aufhalten. Komm gut nach Hause.“, wünschte Yuki ihm und klopfte dann bereits an der Tür zu Kanames Büro. Sie wartete nicht, bis er sie hereinbat, sondern trat gleich ein.
 

Er hatte sie vor der Tür mit Aidou reden gehört. Es gab etwas, was die beiden wussten und was weder Aidou noch Kain ihm bisher erzählt hatten. Selbst als er Aidou vor wenigen Minuten ausdrücklich danach gefragt hatte, hatte dieser ihm nicht geantwortet. Mit der Begründung, dass sie es Yuki versprochen hatten und dass sie es selbst erklären wollte.

Würde sie es ihm jetzt erklären? Eine nette Bekanntschaft? Wer sollte das sein? Wen außer ihm, konnte sie noch getroffen haben. Sie wusste doch, dass es gefährlich für sie war, sich gleich zu sehr mit fremden Personen einzulassen. Aidou und Kain hatten es auf ihren ausdrücklichen Wunsch nicht unterbunden, aber das rechtfertigte nicht, dass die beiden ihre Aufgabe nicht erfüllt hatten. Er würde warten, was Yuki ihm erzählte, bevor er sich ein entgültiges Urteil darüber erlaubte. Aber eine Strafe für ihre Begleiter, für nicht Erfüllung ihrer Pflicht war unumgänglich. Er sah sich einen Moment in seinem Büro um. Die Fenster müssten mal wieder geputzt werden dachte er, bevor Yuki den Raum betrat.

„Yuki.“, sagte Kaname und er klang ehrlich froh sie zu sehen.

Hatte er wirklich geglaubt, er würde sie so schnell nicht wieder sehen?, wunderte sich Yuki ein wenig.

„Onii-sama, ich bin froh, dass ich dich hier noch antreffe.“, begann sie das Gespräch unverfänglich. Beide schwiegen einen Moment und sahen sich an, nicht wissend wie sie beginnen sollten. Jeder schien darauf zu warten, bis der andere den ersten Schritt machte.

„Wirst du mir nun sagen, warum du erst sehr viel später als erwartete zurückgekehrt bist und vor allem, was es mit dieser netten Bekanntschaft auf sich hat?“, fragte Kaname sie schließlich und verlor somit kein Wort, über den eigentlichen Grund ihrer Auseinandersetzung. Früher hätte Yuki dies nicht gestört, sie hätte gedacht, dass sie schon zu einem anderen Zeitpunkt darüber reden würden und dass gewiss noch nicht alles entschieden war. Doch dieses Mal war es nicht so. Die Reise hatte sie verändert, dessen wurde sich Yuki nur allzu sehr bewusst. Sie hatte viel gesehen und erlebt und sie hatte vor allem gelernt, dass es wichtig war, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, diese zu verteidigen und daran zu glauben.

„Ja, das möchte ich.“, antwortete sie dennoch auf seine Frage, denn es war durchaus wahr. Sie war ihm eine Antwort schuldig und die würde er auch bekommen. „Doch zu erst einmal, möchte ich mich für mein Verhalten entschuldigen. Es war nicht richtig, dass ich so reagiert habe.“

„Schon gut, ich verzeihe dir. Du warst noch zu erschöpft von deiner Reise und ich bin sicher, dass du die Sache verstehen wirst, wenn du erst einmal in Ruhe darüber nachgedacht hast.“ Kaname trat auf sie zu und wollte sie in die Arme schließen, doch Yuki trat einen Schritt zurück.

„Du verstehst mich nicht, Onii-sama. Ich entschuldige mich für meine Reaktion, nicht aber dafür wie ich zu der Sache stehe. Ich finde immer noch, dass ihr dies nicht einfach so entscheiden könnt und ich werde alles tun, um es zu verhindern. Keiner von euch hat das Recht so über ein Leben zu entscheiden. Noch dazu über eines, welches ihr nicht einmal kennt. Aber ich hätte ruhig mit dir darüber reden müssen und nicht wütend werden. Das war nicht richtig und es tut mir leid. Doch an meinem Standpunkt wird sich so schnell auch in Zukunft nichts ändern.“, sagte sie mit entschlossener Stimme.

Sie spürte seinen durchdringenden Blick auf sich und doch senkte sie den ihren nicht. Sie wusste, dass er versuchte sie zu verstehen und sie hoffte, dass es ihm gelingen würde. „Vielleicht hast du recht.“, sagte er schließlich. „Wir werden sehen, was noch geschehen wird. Bitte halte dich aus dieser Angelegenheit heraus. Ich will nicht, dass du dich unnötig in Gefahr begibst.“ Wieder wollte er sie in die Arme schließen und dieses Mal ließ es Yuki geschehen. „Das werde ich aber.“, erwiderte sie trotzig und Kaname ließ sie gleich wieder los. Sacht berührte er ihre Wange und strich zärtlich darüber. „Du hast dich sehr verändert.“, sprach er nun seine Gedanken aus.

„Ja, das habe ich und ich bin froh, diese Reise gemacht zu haben.“ Ohne darauf zu antworten beugte er sich zu ihr herunter und küsste sie leicht. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte Yuki den Kopf wegdrehen, doch sie tat es nicht und ließ es geschehen. Sie schmeckte seinen Kuss kaum, denn viel zu sehr, war sie mit dem Gedanken befasst, warum sie hatte so reagieren wollen.

Kaname spürte, dass es etwas nicht stimmte, dass etwas anders war, als zuvor. Nicht nur ihr Wesen schien sich verändert zu haben. Es war noch etwas anderes und er wusste nicht was es war. Sie war nicht mehr die Yuki, die er hatte gehen lassen. Er hätte sie nicht gehen lassen dürfen. Wäre sie bei ihm geblieben, wäre es noch wie zuvor. Sie hätten nicht gestritten und sie hätte ihr Bett nicht einfach so verlassen. Noch einmal küsste er sie, dieses Mal intensiver und leidenschaftlicher. Sie gehörte zu ihm für immer, dafür war sie geboren worden. Dennoch musste er Gewissheit haben.

Kaname blickte ihr nach dem Kuss einige Sekunden lang in die Augen. „Ist es wegen ihm?“, fragte er schließlich. „Bist du nicht nur seinetwegen froh, diese Reise getan zu haben?“

Yuki war einen Moment überrascht, verwundert darüber, dass er scheinbar bereit war offen über Zero zu sprechen.

„Hauptsächlich wegen ihm, ja.“, beantwortete sie seine Frage ehrlich, auch wenn dies ihn möglicherweise verletzte. Es war ja wahr. „Ich habe lange nicht daran geglaubt ihn jemals wieder zu sehen. Aber ich glaube, ich bin durch die Reise auch reifer und selbstständiger geworden. Warst du schon einmal fast überall auf diesem Kontinent?“

„Ein wenig.“, antwortete er knapp und entfernte sich.

„Ich habe so vieles gesehen, Onii-sama. Wie sollte ich mich da nicht verändern? Ich habe viel nachgedacht. Ich musste Entscheidungen treffen, die ich mir vorher nicht zugetraut hätte und von manchen weiß ich heute noch nicht, ob sie überhaupt richtig waren. Aber aus allem habe ich gelernt und ich bin sichern, ich werde weiterhin daraus lernen. Ich habe so viele Menschen getroffen, so viele Dinge gesehen, die ich mir vorher nicht einmal vorstellen konnte und nichts davon möchte ich missen.

„Ja, es hat mich verändert, aber ich bereue es ganz und gar nicht. Ich würde es wieder tun.“

Er sah sie an. Der feste und sichere Blick, der in ihren Augen lag, war ihm vertraut. Er hatte ihn schon oft bei ihr gesehen und er wusste, wie ernst ihr die Worte waren. Aber es erschreckte ihn auch ein wenig. Dies war eine vollkommen andere Situation. Sie war dabei endgültig erwachsen zu werden. Es war ihm als würde sie sich dadurch ein Stück von ihm entfernen und dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht. Seine kleine, unschuldige Schwester war innerhalb weniger Monate zu einer reifen Frau geworden, mit ihren eigenen Gedanken, die sie nun nicht mehr alle mit ihm teilen würde. Schon letzte Nacht hatte er dies schmerzlich feststellen müssen.

Aber es machte sie auch so viel schöner als je zuvor.

Er hätte sie nicht gehen lassen sollen.

Wieder trat ein unangenehmes Schweigen ein. Yuki war betrübt, dass ihr Bruder sie offenbar nicht verstand. War es denn wirklich so falsch sich zu verändern, sich verändern zu wollen?

Doch sie wollte auch nicht länger auf diesem Thema behaaren. Er würde es sicher noch verstehen, sie musste nur Vertrauen in ihn haben. Es war doch ihr Onii-sama, dem sie gegenüberstand, der der immer für alles Verständnis hatte. Es braucht nur ein wenig mehr Zeit.

„Haben dir Kain und Aidou berichtet, dass wir Zero gefunden haben?“, fragte sie schließlich und als sie seinen Namen erst einen ausgesprochen hatte, hatte sie Kanames ganze Aufmerksamkeit.

„Ja, das haben sie.“, antwortete er. „Allerdings wollte sie mir nicht sagen, wo.“

„Das geschah auf meinen Wunsch hin.“, verteidigte Yuki die beiden sofort. „Ich habe sie darum gebeten, weil es Zeros Wunsch war.“

„Er ist nicht in der Position irgendwelche Wünsche zu äußern!“, presste Kaname zwischen den Lippen hervor.

„Ich möchte nicht, dass du so über ihn sprichst.“, wies Yuki ihn zurecht. Ungläubig sah er sie an.

„Ich spreche so über ihn, wie es mir beliebt!“ Seine Stimme war aufgebracht und Yuki ahnte bereits, was er als nächstes sagen würde. „Wenn ich nur daran denke, was er dir hätte antun können! Er hätte es schon einmal getan und allein dafür hätte ich das Recht ihn jeder Zeit zu töten.“

Yuki versuchte trotz allem ruhig zu bleiben. Sie wollte nicht noch einen Streit herausfordern. Und wenn Kagame so heftig reagierte, machte er ihr auch immer wieder ein wenig Angst.

„Es ist damals nichts geschehen und dieses Mal auch nicht. Zero hat sich sehr verändert, onii-sama.“, sprach sie noch immer mit ruhiger Stimme.

„Das glaube ich nicht. Warum sollte er sich ändern? Ich will ihn sehen und mich selbst davon überzeugen! Er ist doch hier oder nicht?“, verlangte Kaname zu wissen.

„Ja, er ist an der Cross Akademie. Er will sich mit meinem Vater und Yagari aussprechen, nur deswegen ist er hier. Ich möchte nicht, dass du ihn aufsuchst, für dich und für ihn. Denn auch, wenn er sich sehr verändert hat, so ist auch sein Hass dir gegenüber ungebrochen.“, flüsterte sie leise. Sie hatte sich an das Gespräch im Zug erinnern müssen und wieder war sie traurig geworden. Zero würde Kaname nie verzeihen und auch ihr Bruder würde seine Einstellung nicht ändern. Was war bloß zwischen den beiden geschehen? Sie zweifelte daran, dass sie es jemals erfahren würde – selbst, wenn sie noch so tief danach graben würde.

„Du möchtest es nicht?“, fragte Kaname ungläubig. Warum nahm sie ihn immer noch so sehr in Schutz? „Aber die Hunter haben ein Recht darauf zu erfahren, dass er hier ist. Zero steht noch immer auf ihrer Liste. Es würde unser Bündnis noch stärker machen.“

„Du wirst ihnen nicht sagen!“, wiedersprach Yuki heftig mit scharfer Stimme. Angst machte sich in ihr breit, dass er seine Drohung wahrmachen würde. „Wie ich dir gerade gesagt habe, ist Zero nur hier, um sich Auszusprechen. Aus keinem anderen Grund. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass nichts geschehen wird und so soll es auch sein. Ich werde mein Versprechen nicht brechen.“

„Er hat dir geglaubt?“, fragte Kaname und Yuki glaubte so etwas, wie Spott aus seiner Stimme zu hören. Sie schloss die Augen und versuchte sie zu beruhigen. Warum nur machten sie die Worte ihres Bruders gleichzeitig so ängstlich und wütend? Doch sie wusste es. Er hatte einfach nicht das Recht, so über Zero zu reden, wo er ihn doch gar nicht kannte. Kaname-sama hatte ja keine Ahnung, wie Zero wirklich war – wie er schon immer war und nicht erst seitdem er Ai kennengelernt hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob sie selbst es wirklich wusste.

„Es war wirklich nur wegen ihm. Nur wegen ihm bist du länger geblieben.“, sagte Kaname plötzlich unvermittelt und Yuki überraschte der Umschwung in seiner Stimme. Er klang traurig.

„Unter anderem.“, antwortete sie sanft. „Ich... wusste, dass du es nicht gut heißen würdest, wenn ich ihn, später noch einmal aufsuchen wollen würde. Deswegen wollte ich die wenigen Tage genießen, die ich dort mit ihm verbringen konnte, um ihn wieder neu kennenzulernen. Er hat sich wirklich sehr verändert, onii-sama. Ich kann dir nicht einmal beschreiben, wie sehr. Dort konnte ich einen winzig kleinen Funken von der alten Freundschaft spüren, die mich einst mit ihm verband. Es war doch nicht alles zerstört, wie ich geglaubt hatte. Ich hatte die Hoffnung, es vertiefen zu können und zu erhalten. Wenn ich gleiche wieder gegangen wäre, nachdem ich meine Nachricht überbracht hatte, wäre wahrlich alles verschwunden und das... wollte ich nicht geschehen lassen.“

„Unter anderem?“

Yuki atmete einmal tief durch. Jetzt würde der schwierige Teil kommen. „Ja, du sagtest doch Aidou hatte dir von der Bekanntschaft erzählt, die ich dort gemacht habe. Erst war es wirklich nur wegen Zero und dann auch wegen ihr.

„Ich habe dort ein... Mädchen kennengelernt, mit dem ich mich schnell angefreundet habe. Sie wollte nicht, dass ich mich so schnell wieder verabschiede und hat mich gebeten noch ein bisschen zu bleiben. Es war mir recht, da ich so noch einen Grund mehr hatte in Zeros Nähe zu bleiben.“

Kaname nickte kurz. Yuki wurde unsicher. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte, wenn er so schweigsam war. „Onii-sama... Kaname... Es ist wirklich nichts Schlimmes passiert. Das Mädchen ist wirklich ganz reizend, ein echter Engel. Du würdest sie auch mögen, wenn du sie kennen würdest.“

„Wie hast du sie kennengelernt?“, fragte er.

„Oh, sie... wir saßen in einem Gasthaus und haben dort gegessen und sie hat an diesem Abend ausgeholfen. Wir kamen ins Gespräch und haben uns gut verstanden.“

„Sie hatte keine Angst vor dir?“, fragte er ein wenig ungläubig.

Yuki musste schmunzeln, als sie daran zurückdachte. „Nein, ganz und gar nicht. Sie ist allem gegenüber sehr offen und nicht besonders ängstlich.“

Wieder schwieg er und Yuki hatte das Gefühl weiter reden zu müssen, um seine Bedenken weiter zu zerstreuen. „Bitte, es geht mir gut. Mir ist nichts geschehen. Aidou und Kain haben wirklich sehr gut auf mich achtgegeben und alles, was ich getan habe, geschah auf meinen Willen hin. Du kannst mir glauben, dass sie wirklich versucht haben mich von einigen Dingen abzubringen. Ich habe mich verändert, aber es ist gut so. Niemand kann ewig so bleiben, wie er ist. Das weißt du.

„Was Zero betrifft... Ich erwarte nicht, dass du dich für mich freust, auch wenn ich mir dies vielleicht sogar ein wenige wünschen würde. Ich bitte dich ihn als einen wichtigen Teil meines Lebens zu akzeptieren, genauso wie du auch einer bist. Aber Zero glaubte ich für lange Zeit verloren, nun wieder mit ihm fast normal zu sprechen ist ein ganz besonderes Gefühl. Es gibt mir Hoffnung, dass er... dass er mir eines Tage doch verzeihen kann.“, sagte sie leise.

„Yuki, verstehst du denn nicht? Es gibt nichts zu verzeihen. Er kann dir nichts Verzeihen, was du schon immer warst oder bereust du es so sehr, wieder ein Vampir zu sein?“ Er kam wieder auf sie zu. Warum glaube sie nur, es seit ihre Schuld? Sie war was sie ist. Wie konnte sie glauben, dass er ihr das verzeihen könnte? Es gab nichts zu verzeihen.

„Natürlich nicht.“, sagte sie und schüttelte dabei den Kopf. „Das ist es glaube ich nicht, was Zero so... verletzt hat.“ Nachdenklich dachte sie an ihr erstes Gespräch mit Ai zurück. Es war nicht so sehr, dass was sie war, sondern eher dass sie einfach gegangen war ohne Fragen zu stellen. So ähnlich hatte sie es doch gesagt, nicht wahr? „Es tut mir leid, aber ich kann es nicht anders beschreiben. Aber bitte, bitte, versuche es zu akzeptieren, wenn du es nicht verstehen kannst.“

Knapp nickte Kaname und unvorbereitet küsste er Yuki noch einmal. Sie war über diese erneute plötzliche Wendung überrascht. Sie konnte seine Handlungen nicht ganz verstehen. „Ich kann es versuchen.“, flüsterte er gegen ihre Lippen, bevor er sie abermals küsste. Dieses Mal war sie darauf vorbereitet und reagierte entsprechend. Dass es nicht wieder so eine Reaktion war, wie kurz zuvor beruhigt sie ein wenig. „Bleib bei mir, für immer.“

„Natürlich, wo soll ich denn sonst hin, wenn nicht zu dir?“, fragte sie und dieses Mal war sie es von der der Kuss ausging. Doch ein merkwürdiges undefinierbares Gefühl breitet sich in ihr aus.

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte er sie im Anschluss. Er schlang die Arme um ihren zierlichen Körper und zog sie an sich. Kaname vergrub das Gesicht in ihren Haaren und atmete tief ihren Duft ein.

Sie lächelte ihn an. „Ich werde endlich meine Koffer auspacken. Ich habe dir auch ein paar Kleinigkeiten mitgebracht und möchte sie dir gern zeigen. Allerdings wirst du erst einmal zu Bett gehen wollen.“

„Ich kann auch erst mit dir kommen.“

„Nein, das ist nicht nötig.“, erwiderte sie sanft. „Mir graut es jetzt schon vor den ganzen Sachen. Lass mich bitte erst alles auspacken und sortieren und dann bekommst du es gleich als Erster.“ Ihre Augen strahlten und er konnte nicht wiederstehen und küsste sie ein weiteres Mal. Er war so glücklich sie endlich wieder bei sich zu wissen.

„Wie du möchtest. Was wirst du noch tun?“

Eindringlich sah er sie an und Yuki wusste sicher, dass er ahnte, dass sie an die Akademie zurück wollte.

„Ich werde meinen Vater besuchen gehen“, antwortet sie sorgfältig, „und Zero ebenso.“, hängte sie an.

„Yuki.“. ermahnte Kaname sie sanft.

„Keine Sorge. Mein Adoptivvater ist da und Yagari.“, und Ai, fügte sie in Gedanken hinzu, „Es wird ganz bestimmt nichts passieren. Außerdem wird er sicher schon so bald wie möglich abreisen wollen. Ich möchte die wenige Zeit, die ich mit ihm verbringen kann auch auskosten und mich vor allem auch ordentlich von ihm verabschieden. … Ich weiß, dass ich ihn so schnell nicht wieder sehen werde.“

„Bitte komm schnell wieder zurück.“, sagte Kaname und Yuki empfand sein Schweigen, als Bestätigung ihrer Worte. Es würde ihr nicht gestattet sein, Zero so bald wieder zu sehen. Schon jetzt vermisste sie ihn unheimlich. „Das mach ich, versprochen.“

Einen Moment sah Kaname ihr in die Augen und nahm ihr Gesicht in beiden Hände. Sie erwartete, dass er noch etwas sagen wollte, umso perplexer war sie, als er plötzlich seine Lippen auf gegen ihre presste. Mit seiner Zunge drang er tief in ihren Mund ein und liebkoste ihre Zunge zärtlich. Seine Hand fuhr durch ihre Haare und seine Finger vergruben sich tief in ihnen. Der Kuss war leidenschaftlich und intensiv, dauerte Sekunden oder Minuten. Yuki konnte es nicht sagen. Zu berauscht war sie von dem Gefühl, welches er in ihr auslöste.

Noch einmal sah Kaname ihr tief in die Augen. „Komm bald zurück zu mir.“, flüsterte er mit seinem heißen Atem in ihr Ohr und Yuki erzitterte leicht. Nicken, war alles, was sie tun konnte.

Dann löste sie sich sacht von ihm und verließ den Raum. Ihre Knie waren weich und sie hatte Mühe aufrecht zu gehen. Selbst nach so langer Zeit reagierte ihr Körper so, wenn er sie auf diese Art und Weise küsste.

Kaname blickte noch einige Sekunden auf die verschlossene Tür. Dann hob er seine Hand und etwas schien plötzlich daraus zu erwachsen. Zuerst waren nur zwei kleine, versetzte Spitzen sichtbar, doch bald darauf wurden sie breiter und nahmen bald Gestalt von Flügeln an. Diese wurden größer und irgendwann erhob sich der Körper einer schwarzen Fledermaus aus seinem Handrücken dazu. Schließlich löste es sich ganz von seiner Hand und schlug mit den Flügeln. Kaname nickte seinen herbeigerufenem Wächter einmal kurz zu und dieser verschwand durch das offene Fenster hinaus. Es war bereits Tag, doch es machte keinen Unterschied.

Er würde sie nicht allein und unbeobachtete zu ihm gehen lassen.
 

Am Nachmittag betrat Yuki die vertrauten Gänge ihres ehemaligen Heimes und wieder überkam sie ein Gefühl der Nostalgie. So viel war an diesem Ort geschehen, gutes wie auch schlechtes, doch die glücklichen Erinnerungen waren weitaus stärker als die weniger schönen. Dieser Ort würde immer etwas ganz besonderes für sie sein, ganz egal, wo es sie in ihrem langen Leben noch hinziehen würde. Vielleicht erging es Zero ja ähnlich.

„Oh, Yuki, du bist da!“, begrüßte Kaien Kurosu sie fröhlich und umarmte sie herzlich.

„Natürlich. Ich hatte gehofft, ich könnte bei dir vielleicht ein Stück Kuchen bekommen.“

„Und ob du das bekommst! Wir haben nämlich etwas ganz besonderes. Ze-“

„YUKI! Ich hab mich doch nicht verhört!“, rief Ai plötzlich laut nach ihr und kam ohne Halt auf sie zugerannt. Bevor sich Ai mit Schwung in ihre Arme warf, hatte Yuki gerade noch so viel Zeit, um zu erkennen, dass sie vollkommen nass war und einen Bademantel trug.

„Hallo, Ai.“, begrüßte Yuki sie sanft und störte sich nicht weiter daran, dass auch sie ein wenig nass wurde. Es wunderte Yuki etwas, dass Ai scheinbar gerade aus der Badewanne gestiegen war.

„Wieso warst du denn schon wieder in der Badewanne?! Du warst doch gestern erst.“, stellte Yagari, die Frage, die Yuki gedacht hatte. Er kam gerade aus dem Unterricht und sah das Szenario mit wenig Begeisterung.

„Ja, ich weiß.“, antwortete Ai und ließ Yukis Hand noch immer nicht los. „Aber als ich vorhin einen Wassermolch fangen wollte, bin ich reingefallen.“, sagte sie mit einem Grinsen.

„Huh? Hast du nicht gesagt, du bist gestolpert und dann ausversehen in den Teich gefallen?“, fragte der Rektor skeptisch.

„Bin ich ja auch - eben, als ich die Wassermolche fangen wollte.“

„AI!“, ertönte nun Zeros Stimme und dieser kam aus der Küche. Sofort zuckte Ai zusammen. Mist! dachte sie. Das sollte er doch gar nicht wissen.

Ihm hatte sie nämlich etwas anderes erzählt!

„Ähm... weißt du Papa, ich... habe... Ich wollte nicht, dass du wütend wirst und da habe ich dass... vergessen zu erwähnen.“, stammelte sie eine ziemlich unglaubwürdige Entschuldigung zurecht. „Und ich habe gedacht... dass ich dann vielleicht nichts von der Schokoladentorte bekomme, die wir zusammen gemacht haben.“ Scheinbar reuevoll sah sie auf den Boden und zeichnete mit den Zehen Muster in den Teppichboden. Streng sah Zero sie an, dann seufzte er. Selbst Yuki fiel auf, wie oft er das getan hatte, seit sie ihn wieder gesehen hatte. Er tat es eigentlich immer nur wegen Ai. Anscheinend musste es auf die Dauer doch nicht so einfach mit ihr sein, wie es schien. Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen. Trotzdem beneidete sie ihn.

„Darüber reden wir später. Geh ins Bad zurück und zieh dich erst mal an.“, sagte Zero schließlich und ließ es dabei erst einmal bewenden. Er ging voraus und öffnete die Badezimmertür, als er ungläubig stehen blieb.

Seine Ziehtochter war scheinbar wirklich buchstäblich aus der Wanne gesprungen, als sie Yuki gehört hatte. Große Pfützen standen auf dem Fußboden, nett dekoriert mit feinen Schaumschichten. Dazwischen lagen Ais Kleidung und die Handtücher sowie Waschlappen und Bürste. Gut, dass der Föhn auf dem Schrank lag, dachte er einen Moment. „ Ai, sieh zu dass du hier aufräumst! Ich dachte, du bist schon elf und keine drei mehr. Dabei hattest du mir etwas versprochen!“, sagte er nun etwas nachdrücklicher.

„Tut mir leid.“, nuschelte Ai zurecht.

„Das sollte es auch.“ Mit einem undefinierbaren Blick schaute er auf sie herab und Ai schaffte es nicht ihn weiter anzusehen. Zu durchbohrend waren seine Augen.

„Du solltest dich beeilen, sonst isst Yuki den Kuchen am Ende allein.“

Entgeistert sah Yuki Zero an. Seine Miene war vollkommen ernst. Wie konnte er... Warum sollte ausgerechnet sie...

„NEIN!“, schrie Ai sofort entsetzt. „Yuki, das darfst du nicht! Bitte, bitte, lass mir noch was übrig. Bitte, bitte, bitte!“, flehte sie sie an.

„Ehm... “ Wie kam dieses Kind darauf, dass sie einen ganzen Kuchen auch nur ansatzweise allein schaffen würde? Das war doch vollkommen unmöglich! Yuki warf einen unsicheren Blick zu Zero und sah wie sich einer seiner Mundwinkel spöttisch nach oben zog, als sich ihre Augen kurz trafen. Das konnte doch nicht sein ernst sein?! Er hatte ihr doch nicht etwa allen Ernstes erzählt, dass sie eine ganze Torte allein schaffen konnte! Das konnte er nicht getan haben... Doch als Zero sich abwandte und zu Ai sagte: „Du solltest dich wirklich beeilen, Ai. Yuki kann wirklich sehr schnell aber vor allem unersättlich sein, gerade wenn es um Kuchen geht... oder Eiscreme.“, entglitten ihr alle Gesichtszüge.

„Das...“, über so viel Unverschämtheit war sie ganz und gar sprachlos geworden. ZERO! „Yuki, bitte lass mir noch was übrig.“, bettele Ai sie noch einmal an und hatte schon ein Handtuch vom Fußboden hochgehoben. Offenbar war ihre Angst wirklich echt.

„Natürlich, mach ich das.“, antwortete Yuki endlich und zwang sich zu einem Lächeln.

Der konnte sich was anhören! Bei der nächsten Gelegenheit, die sich ihr bot, würde sie ein ernstes Wörtchen mit ihm sprechen! So eine Unverschämtheit! Was bildete er sich eigentlich ein! Sicher sie aß gern Kuchen. Na und?! Als wäre das verboten! Aber einen ganze allein?! Noch nie war sie so beleidigt worden!

Sie würde nicht ein Stück von seinem Kuchen essen! Kein einziges, schwor sie sich, als sie ihrem Vater und den anderen zwei Männern in die Küche folgte, wo bereits der Tisch gedeckt war. Doch als sie den Kuchen sah, verschlug es ihr abermals die Sprache.

Gleichzeitig lief ihr das Wasser im Munde zusammen.

Es war wirklich eine Schokoladentorte und sie sah aus wie gemalt. Sie hatte eine köstlich aussehende Schokoladenhülle und weißen Spitzen aus Schlagsahne zur Verzierung. Außerdem sah es aus, als würde eine Sahneblume aus der Mitte der Torte entwachsen. Sie war anscheinend mit Kakao bestreut worden und passt herrlich zu dem dunklen Braun der Schokolade. Auf den Spitzen der Schlagsahne saßen kleine Schokoladentropfen, so dass die Torte wie eine Krone von oben betrachtet wirkte. Ein Stück war bereits angeschnitten worden und Yuki hatte einen wunderbaren Blick in das Torteninnere. Sie bestand aus verschiedenen Schichten, abwechselnd mit weißer und dunkler Schokoladencrem. Schlichtweg ein Traum von einer Torte!

Sie musste ein Stück haben – und wenn es das letzte war, was sie tat!

„Ich bin erschüttert.“, hörte sie Yagari neben sich sagen und dieser holte sie damit aus ihrer Fantasie zurück, in der sie bereits ein Stück gegessen hatte und sich ein zweites nahm.

„Was haben sie nur mit dir gemacht, Zero? Ist dir in all den Jahren dein Stolz abhanden gekommen?“ Seine Stimme klang vielleicht sogar ein wenig angewidert und Yuki konnte es irgendwie nachvollziehen. Einen ausgebildete, so mächtigen Hunter wie Zero so etwas kreieren zu sehen, war schon... erschreckend? Schockierend? Unglaublich? Sie wusste nicht, welches Wort besser passte.

Doch Zero zuckte nur mit den Schultern. „Ai hat den Großteil der Verzierung gemacht, wenn sie das meinen. Sie hat bei Frau... Sie hat sich viel bei anderen abgeschaut.“

„Wie kommt es, dass du einen Kuchen gebacken hast?“, fragte Yuki. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, dass er das freiwillig gemacht hat.

„Oh, das war Ai.“, antwortete der Rektor ihr. „Sie wollte unbedingt einen Kuchen für dich machen, einen ganz besonderen, aber Zero wollte nicht so recht und ich versteh zwar ein bisschen was davon, aber du weißt, dass es bei speziellen Sachen aufhört.“ In seiner Stimme schwang dabei bedauern mit. „Jedenfalls hat sie Zero gefragt und als der nein gesagt hatte, hat sie allein angefangen. Na ja und als sie dann so weit war und auch das zweite Ei seinen Weg auf den Fußboden gefunden hatte, hat Zero sich dann doch... sozusagen überreden lassen.“

„Ja, ja...“, brummte Zero. Setzen sie jetzt den Tee auf oder soll ich das auch noch machen?“, fragte er leicht gereizt. Offenbar gefiel es ihm nicht sonderlich, dass ihr Vater so frei darüber sprach. War es denn so schlimm, wenn sie davon wusste?

„Ich bin fertig!“, rief Ai und kam augenblicklich in die Küche. „Ist noch was da?“

„Wir haben noch nicht angefangen.“, beruhigte Kurosu sie gleich.

„Was hast du denn gemacht?“, fragte Zero und klang leicht entnervt. „Ich dachte, du könntest dich inzwischen allein anziehen.“ Er ging zu Ai und knöpfte ihre Strickjacke auf und wieder richtig zu. In ihrer Eile hatte sie ein paar Knöpfe übersehen. „Ops...“, machte sie entschuldigend und grinste Yuki über Zeros Kopf hinweg an.

„Erst noch Haare kämmen und dann gibt es Kuchen.“

„Aber das tut immer so weh!“, beschwerte sich Ai sofort lautstark und verzog bei dem Gedanken das Gesicht.

„Ai, nicht schon wider. Wer lange Haare haben will, muss sie auch kämmen, sonst können wir das auch gleich ändern.“

„Nein, ich mach ja schon.“, murmelte sie.

„Nicht schon wieder dieses Theater.“, stöhnte Yagari.

„Was ist denn los?“, wollte Yuki wissen, die dem ganzen nur in Ansatzweise folgen konnte.

„Ai, hat gestern schon beim Kämmen rumgejammert, da hatte Zero noch nicht einmal die Bürste in der Hand. Es hat bestimmt eine halbe Stunde gedauert, bis sie endlich fertig waren.“, antwortete ihr Vater ihr.

„Warum macht sie es auch nicht allein?“, fragte sie weiter.

„Sie macht es angeblich nicht richtig, nur hier und da mal ein paar Stellen. Wenn ich er wäre hätte ich ihr die Haare schon längst geschnitten.“, stellte Yagari klar.

Yuki sah zu Ai und betrachtete deren Haare. Das Wasser hatte sie ein wenig dunkler gemacht, aber nur geringfügig. Doch sie leuchteten noch immer so intensiv und hell. Aus eigener Erfahrung wusste sie, wie pflegebedürftig solch langen Haare waren und selbst ihr grauste es hin und wieder vor der Bürste.

„Ai, soll ich dir die Haare kämmen? Dann tut es auch bestimmt nicht weh und du willst doch so bald wie möglich ein Stück Kuchen essen oder?“

„Oh, ja! Wenn du es machst, tut es bestimmt nicht weh. Komm mit!“ Damit nahm Ai sie abermals bei der Hand und zog sie ins Bad zurück. „Kannst du mir dann auch noch eine hübsche Frisur machen?“, hörte Zero Ai fragen. Er wusste noch immer nicht, was er von der Vertrautheit zwischen Yuki und Ai halten sollte. Es würde Schwierigkeiten geben, wenn sie wieder zurückwaren und Ai Yuki nicht mehr sehen konnte. Aber irgendwann würde sich das auch wieder legen, hoffte er.

„Ich sag es dir jetzt ganz offen und ehrlich, Zero.“, setzte Yagari an und Zero sah zu seinem alten Meister.

„Sie ist ein kleines verwöhntes Gör, die dir schon jetzt auf der Nase herumtanzt.“

„Ich weiß.“, antwortete Zero und dachte nicht einmal daran, es abzustreiten. Es stimmte ja auch. „Aber sie ist...“

„Ja, sie ist ein Kind, aber auch das braucht Regeln.“, beendete Yagari seinen Satz.

„Sie hat Regeln, das können sie mir glauben. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich sie zu sehr... verwöhne und manchmal nervt mich das selbst mehr, als sie sich vorstellen können, aber ich glaube nicht, dass es ihr schaden wird. Sie ist trotzdem ein gutes Kind und weiß wo ihre Grenzen sind. Außerdem rührt ihr aufgekratztes Verhalten zum Teil wirklich nur daher, dass wir jetzt hier sind.“

„Was, sonst ist sie nicht so anstrengend?“

„Sie ist ein Kind und ich will, dass sie das auch sein kann. Sie soll glücklich sein und Freude am Leben haben und wenn das heute ein Torte geschafft hat, die sie nur für Yuki gebacken hat, dann soll es eben so sein. Gegen so etwas werde ich mich ganz gewiss nicht stellen. Sie soll eine ganz normale Kindheit haben, nicht so wie... Was erzähle ich ihnen das eigentlich? Sie verstehen es ohnehin nicht.“

Yagari betrachtete Zero sehr genau. Er hatte das Gefühl zu wissen, was sein Schüler hatte sagen wollen. Es war ihm selbst schon aufgefallen. In den wenigen Stunden, die er Ai bisher kannte, hatte sich ihm immer wieder dieser Gedanke aufgedrängt. Zero hatte recht, sie war ein Kind und sie verdiente die unbeschwerte Zeit einer Kindheit. Etwas, was Zero und Ichiru selbst nie richtig hatten.

„Wir sind fertig.“, sagte Yuki, als sie den Raum mit Ai betrat und tatsächlich waren Ais Haare tadellos gekämmt. Über ihren Scheitel zog sich ein geflochtener Zopf auf die andere Seite und wirkte dadurch, wie ein Haarreif.

„Sehr schön, dann können wir endlich anfangen. Wer möchte ein Stück?“, fragte der Rektor und hatte schon den Tortenheber in der Hand.

„ICH!“, riefen Yuki und Ai gleichzeitig und mussten beide kichern.
 

Nach dem Kaffee zeigte Ai Yuki und Zero noch den Garten und all die Dinge, die sie darin entdeckt hatte. Sie redete und redete und Yuki fragte sich mehr als einmal, woher Ai nur so viel Luft dazu bekam. Sie zeigte ihr das Vogelnest, welches sie hinter dem Busch gefunden hatte, verzichtete aber dieses Mal darauf, es erreichen zu wollen. Sie zeigte ihr den Teich und sogar Yuki gelang es kurz einen der Wassermolche zu sehen, bevor sie sich unter den Steinen verkrochen. Sie trafen dabei nur auf wenige Schüler der Cross Akademie. Die meisten hatten sich nach dem Unterricht in ihre Schlafräume zurückgezogen, um für die anstehenden Prüfungen zu lernen.

Allerdings fand Ai die Uniformen der Schülerinnen ganz toll. Und als sie sagte, dass sie später auch auf diese Schule gehen wollte, wenn sie alt genug war, wurde dies gleich von Zero mit einem kategorischen „Auf keinen Fall!“ beendet. Es wunderte Yuki zwar, dass Ai nicht weiter danach fragte, aber sie hatte so ein Gefühl, dass dieses Thema noch lange nicht für Zero beendet sein sollte.

Als die Sonne bereits langsam unterging, dachte Yuki an das Versprechen, dass sie Kaname gegeben hatte. Sie wollte bald wieder zurück sein. Doch sie konnte einfach nicht aufhören Ai zuzuhören. Als sie sich dann dennoch dazu entschlossen hatte, endlich zu gehen, war es für Ai ein leichtes gewesen sie wieder zum Bleiben zu überreden. Wieder war es Yuki nicht schwer gefallen, sich zu entscheiden. So blieb sie noch zum Abendessen und würde gehen, wenn Ai zu Bett gegangen war.

Es stand bereits fest, dass Zero und Ai am nächsten Morgen, die Akademie wieder verlassen würden. Zero hatte getan, weswegen er den Weg erst auf sich genommen hatte. Es gab für ihn also keinen Grund mehr zu bleiben. Auch Ais Überzeugungsversuche waren gescheitert, wie sie von dem Mädchen erfahren hatte. Da sie am nächsten Früh zeitig aufbrechen wollten, gab es auch schon bald Abendessen, doch Yuki verspürte kaum Hunger. Der Gedanke an einen baldigen Abschied stimmte sie traurig. Außerdem forderten die drei großen Stück von der Torte noch immer ihren Tribut, aber wenn man ihr noch eines hingestellt hätte, hätte dies wohl trotzdem Platz gefunden. Sie hatte einfach unbeschreiblich geschmeckt.

„Du, Yuki, magst du es dir noch einmal anhören?“, fragte Ai sie nach dem Essen, als Zero sie gerade in Bett bringen wollte.

„Sehr gern, Ai. Ich habe noch nie etwas so wunderschönes gehört.“, antwortete sie ihr. Es konnte nur eines geben, was Ai meinte – diese wunderschöne Spieluhr, mit dem Stück, welches ihr Herz weinen ließ.

„Papa?“, schaute Ai Zero fragend an. „Du weißt, dass es ganz allein deine Sache ist.“, antwortete dieser. Anscheinend brauchten die beiden nicht einmal mehr mit einander reden, um zu wissen, was der andere meint, dachte Yuki und konnte dabei eine Spur Neid nicht unterdrücken. War es bei ihr und Zero auch einmal so gewesen? Vielleicht... vor langer Zeit. Wie gern würde sie diese Zeit zurückholen. Wie gern wäre sie an Ais Stelle. Wie gern wäre sie die Person, der Zero sein Vertrauen schenkte, unabdingbar und bedingungslos.

Erschrocken richtete sie sich auf. Was dachte sie da? Sie hatte nicht das recht dazu. Sie konnte Zeros Vertrauen nicht verlangen. Außerdem gab es doch jemanden der ihr vertraute, genauso wie es sie es sich wünschte oder nicht? Was wollte sie mehr? Sie sollte sich mit dem zufrieden geben, was sie hatte. Und im Moment war dies das kurze Zusammensein, scheinbar ungetrübt von der Vergangenheit, die unsichtbar zwischen ihnen stand.

Ai kam zurück und hatte das Kästchen in der Hand. Jetzt im hellen Schein der Lampe betrachtet, erschien es Yuki noch kostbarer. Die Blüten wirkten trotz des alten Goldes echt und lebendig und das verschlungene Zeichen prangte herrlich in dessen Mitte.

Ai drehte an der Blüte auf die rechten Seiten und sie konnte hören, wie der Mechanismus dabei aufgezogen wurde. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnte Yuki das Lied in ihren Gedanken schon hören.

Dann öffnete Ai den kleinen Deckel in der Mitte, versteckt unter dem seltsamen Symbol und die Melodie, so wunderbar, wie ein leichter Sommerregen, erklang. Yuki schloss die Augen und lauschte andachtsvoll dem Stück, ließ sich verzaubern und davon tragen. Sie war sich sicher, dass es von irgendetwas längst Vergangenem erzählte es. Etwas Traurigen und doch außerordentlich Schönen, wenn dies möglich war. Selbst der Rektor und Yagari sprachen nicht. Zero schaute aus dem Fenster, ganz in seine eigenen Gedanken versunken.

„Das ist wirklich ein sehr schönes Stück.“, flüsterte der Rektor schließlich leise. „Sag, Ai, wo hast du es her? Ich habe solch ein Kästchen schon lange nicht mehr gesehen. Es ist wunderschön und eine echte Seltenheit.“

„Von meiner Mama. Das ist alles, was ich noch von ihr habe.“, antwortete Ai ebenso leise und strich zärtlich über den nun fest verschlossenen Deckel.

„Es ist nicht das erste Mal, dass sie so etwas sehen?“, fragte Zero verwundert.

„Wie? Nein. Solche Art von Kästchen waren über Jahrhunderte lang sehr beliebt. Bei Menschen, Vampiren und Huntern gleichermaßen. Anscheinend hatte sie da ausnahmsweise mal den gleichen Geschmack. Wenn es doch heute nur auch noch so wäre.“, murmelte er vor sich hin. „Man verwendete es für alles Mögliche, aber meistens waren edle Frauen die Besitzer und verwahrten ihren Schmuck darin. Dass dieses hier aber noch eine Spieluhr birgt, ist wirklich selten. Noch dazu ist es so außerordentlich gut erhalten. Dabei muss es doch schon ein paar... Ich würde vielleicht sagen, es ist schon ein paar Tausend Jahre alt. Unglaublich, dass es dabei noch so gut aussieht.“

„Woher wissen sie, dass es so alt ist?“, fragte Ai als nächstes.

„Oh, die Schnitzereien sprechen eigentlich für sich, noch dazu die Art von Gold und das Symbol... besser gesagt, das Wappen, ist mir nicht bekannt. Das ist eigentlich das Einzige weshalb ich auf das Alter schließen könnte. Aber ich kann es nicht richtig beweisen.“

„Das Symbol ist ein Wappen?“, fragte Zero ungläubig.

„Wofür?“, fragte Ai aufgeregt weiter.

„Ich denke schon, dass es ein Wappen ist, ja. Zumindest wurde das Wappen, das der Besitzer eines solchen Kästchens trug, an dieser Stelle angebracht. Aber für wen es vielleicht steht, kann ich euch nicht sagen.“

„Wie kommt es, dass sie so viel darüber wissen?“, erkundigte sich Zero misstrauisch.

„Oh... Ich habe davon gelesen. Ich habe mich mal eine Zeit lang mit antiker Kunst beschäftigt und da war auch so was dabei.“, antwortete er seinen Schützling mit einem Lächeln.

Zero hob zweifelnd eine Augenbraue. Für einen kurzen Moment fragte er sich, wie viele Dinge es wohl noch gab, die er noch nicht von diesem Mann wusste. Doch im gleichen Moment fragte er sich, ob er das eigentlich wissen wollte. Diese Frage beantwortete er sich selbst sehr schnell: Nein, nicht unbedingt.

Ai seufzte laut. „Wenigstens weiß ich jetzt, wie alt es wohl ist. Es hat to-san gehört.“

„Ich dachte es wäre von deiner Mama?“, fragte Yuki sie überrascht.

„Ist es ja auch. Aber sie hat es von meinem to-san. Eine Erinnerung, hat sie gesagt und dann wollte sie, dass ich es bekomme.“

„Hast du denn schon mal hineingesehen?“, fragte Kurosu sie und sah sie neugierig an.

„Nein, wir bekommen es nicht auf. Der Schlüssel fehlt.“, antwortete Zero statt Ais.

„Verstehe, dass ist natürlich schade. Ich erinnere mich, dass der Mechanismus sehr raffiniert war. Das Schloss ist nur eine Blendwerk wisst ihr.“, sagte er so beiläufig, als wäre es selbstverständlich, dass man so etwas wusste.

Zero richtete sich abrupt auf. „Wie meinen sie das?“, fragte er perplex.

„Huh? Na, das Schloss hier,“, sagte der Rektor und deutete darauf, „es ist nicht echt. Es gibt keinen Schlüssel im herkömmlichen Sinne dazu.“

„Aber... Es muss einen geben. Man sieht doch eindeutig, dass da ein Schlüssel reingehört.“, erwiderte nun Yuki ungläubig.

„Oh ja, das sollte man denken. Aber es wurde niemals ein Schlüssel dazu angefertigt. Wahrscheinlich würde man nicht mal einen hineinbekommen. Das Schloss wird wahrscheinlich nur halb so tief sein, wie es bei einem echten Schloss der Fall sein müsste.“

„Das glaube ich nicht.“, stöhnte Zero. „Und sie sind sich ganz sicher?“

Kaien Kurosu nickte. „Eigentlich schon. Es sei denn dieses Schmuckstück hier unterscheidet sich von den anderen so sehr. Aber ich denke nicht, dass das der Fall ist.“

„Was heißt das Papa?“, fragte Ai ihren Vater und sah ihn aus fragenden Augen an.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Zero ehrlich. „Wie bekommt man es dann auf? Wissen sie das zufällig auch?“, wandte er sich nun wieder an den Rektor.

„Na ja... die meisten haben die gleichen Mechanismus, aber es heißt ja nicht, dass es bei dem hier auch so ist. Seht ihr die Form des Symbols, die auch um das vermeintliche Schloss gelegt ist? Dort kommt der eigentliche Schlüssel hinein.“

Vier Augenpaare sahen ihn zweifelnd an. „Kannst du dich nicht klarer ausdrücken?“, fuhr ihn Yagari schroff an.

„Ist ja schon gut. Wenn ihr keine Geduld habt, sage ich euch gar nichts mehr.“, erwiderte der Rektor beleidigt.

„Nein, sagen sie sie mir, wie man aus aufbekommen könnte.“, sagte Ai und berührte ihn bittend am Ärmel.

„Der Schlüssel, wenn man ihn als solchen bezeichnen will, ist eigentlich das Symbol selbst. Was ich meine ist, dass es ein zweites Stück geben muss, was die Form des Symbols haben muss. So groß, dass es hier in die Umrandung des falschen Schlosses passt. Man bräuchte es nur reinzusetzen und dann sollte das Kästchen sich öffnen.“

„Ein zweites Stück?“, fragte Zero aufmerksam. „Es sieht genauso aus, wie das Symbol auf dem Kästchen? “

„Ja, das sollte es eigentlich.“, bestätigte der Kurosu.

„So, wie das hier?“, fragte Ai und holte unter ihren Pullover die silberne Kette hervor. Der Anhänger zeigte genau das gleiche verschlungene Muster, wie das Symbol auf dem Kästchen, dachte Yuki. Erst jetzt realisierte sie dies. Sie hatte den Anhänger bisher nur kurz gesehen, so dass sie nicht weiter darauf geachtet hatte.

„Gib ihn mir mal.“, sprach Zero und Ai reichte ihm die Kette. Er setzte den Anhänger an die Form und auf den ersten Blick passte es genau, nur die Anhängeröse verhinderte ein genaues Einsetzen.

„Es passt nicht.“, sagte Ai niedergeschlagen. Sie war so kurz davor gewesen, das Geheimnis um den Inhalt des Kästchens endlich zu lüften und nun sollte es doch nicht so sein, dachte sie traurig.

„Warte einen Moment.“, sagte Zero und schien in Gedanken versunken. Sein Blick war auf den Anhänger und dessen Öse fixiert. „Sollte das möglich sein?“, sprach er mehr zu sich selbst, als das die anderen es hören sollten.

„Was denn?“, fragte Yuki gespannt. Doch Zero antwortete ihr nicht. Stattdessen nahm er die Öse zwischen Daumen und Zeigefinger und begann sie zu drehen, während er mit der anderen Hand den Anhänger selbst festhielt. Erst schien sich nichts zu tun, doch dann bemerkten sie, wie sich die Öse langsam unter seinen Fingern zu drehen begann.

„Was machst du?“, fragte Yagari verwundert. Abermals antwortete Zero nicht, sondern drehte weiter. Nach nur wenigen Drehbewegungen löste sich die Öse vom Anhänger und er hielte Kette und Symbol in jeweils einer Hand.

„Woher wusstest du das?“, fragte Ai erstaunt.

„Als ich die Kette von deiner Mutter nahm, war die Öse etwas locker. Ich habe nur leicht daran gedreht bis es wieder festsaß, aber ich habe mir nie etwas dabei gedacht. Dabei war die Öse von Anfang an nur hinein geschraubt. Sie wurde wahrscheinlich erst später zu dem Schlüssel angefertigt, aber das ist...“ Es schien ihm fast unmöglich. Die Schraube der Öse war so klein und zierlich, wie war es dann erst möglich, dass passende Gegenstück in das doch recht dünne Metall des Anhänger zu bohren?

„Papa, machst du... machst du es auf?“, fragte Ai und ein Zittern war aus ihrer Stimme zu hören. Jetzt da es vielleicht wirklich so weit sein sollte, hatte sie ein bisschen Angst davor es wirklich zu öffnen. Sie hatte keinerlei Vorstellung davon, was sie erwarten sollte. Vielleicht war ja eine Botschaft ihrer Mutter darin oder eine ihres Vaters. Immerhin hatte ihre Mama ja gewollt, dass sie es bekam. Aber vielleicht war es auch einfach nur leer. Was würde sie dann tun?

„Möchtest du das nicht machen?“

Ai schüttelte den Kopf und grub ihren Fingernägel in sein Hemd. Er spürte ihr leichtes Zittern und legte den Arm um sie, um sie näher an sich zu ziehen. Dann nahm er ihr das Kästchen aus der Hand und setzte den ehemaligen Anhänger hinein. Alle schienen wie gebannt auf das Kästchen zu starren, gespannt was geschehen würde. Ai wagte es nicht einmal richtig zu atmen.

Es passte perfekt. Sachte drückte Zero das Metall an und ein leises Klicken war zu hören.

„Willst du wirklich nicht?“, fragte Zero Ai, doch erneut schüttelte sie den Kopf. Sacht faste er den Deckel und versuchte ihn zu öffnen.

„Geht es nicht?“, fragte Ai sofort und lehnte sich noch ein wenig näher an ihn.

„Ich denke schon. Er klemmt ein wenige.“ Erneute versuchte er es, dieses Mal mit etwas mehr Druck und kurz darauf spürte er, wie der Deckel unter seinen Fingern langsam nachgab und sich öffnen ließ. Die Scharniere quietschten leicht und durch die Stille, die im Raum eingetreten war, schien es noch lauter zu sein.

Das Kästchen hatte sich genau in der Mitte geöffnet. Der ehemalige Anhänger steckte noch immer fest in der unteren Hälfte des falschen Schlosses, während oben am Deckel die Umrandung sichtbar war. Das Stück aus Silber, welches vor wenigen Augenblicken eingesetzt worden war, schmiegte sich ohne weiteres in die Blüten und Ranken aus Gold, als würde es an keine andere Stelle, als an diese gehören.

„Was ist drin?“, fragte Ai nervös und auch Yuki, der Rektor und Yagari sahen gespannt zu.

„Willst du nicht selbst schauen?“, fragte Zero sie abermals. Es war ihr Erbe und nur sie allein sollte als erstes erfahren, was ihre Mutter ihr vermacht hatte. Kurz schüttelte Ai den Kopf und Zero öffnete den Deckel schließlich ganz. Ein schlichter Briefumschlag lag darin. Ai sah ihn ebenfalls. „Mach ihn auf.“, flüsterte sie heißer. Noch nie war sie so aufgeregt gewesen. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und ihr wurde ganz schwindlig. Sie hatte das Gefühl jeden Moment in der Luft schweben zu müssen, wenn es noch schlimmer wurde.

Vorsichtig öffnete Zero das Papier und zog viele Blätter heraus, von denen er bereits im ersten Moment erkannte, dass sie eng beschrieben waren. Doch zwischen den Blättern befand sich noch etwas anderes. Behutsam zog er ein Photo hervor und hielt es so, dass Ai es sehen konnte.

„Mama und to-san!“, rief diese Augenblicklich und entriss ihm das Photo fast.

Yuki war aufgestanden und stand nun hinter Ai und Zero, so dass sie ebenfalls einen Blick auf das Bild werfen konnte.

Es war keines dieser gestellten Familienphotos, dachte sie gleich. Vielmehr schien es eine zufällige Aufnahme zu sein. Drei Personen saßen auf dem Sofa, rechts Ais Mutter, links ihr Vater und in der Mitte Ai selbst. Ihre Mutter sah zu ihrer Tochter und ihr Blick sprach von so viel Zärtlichkeit und Liebe, dass Yuki bei der Erinnerung an ihre eigene Mutter, das Herz schwer wurde. Ais Mutter lehnte an ihren Mann und dessen Augen ruhten auf ihr. Es hatte den Anschein als würde er nur sie allein sehen. Seine Hand berührte sanft ihre Wange, während die Andere auf Ais Rücken lag. Die Frau hatte eine Hand auf das Bein von Ais to-san gelegt und die andere schien etwas zu nehmen, was Ai ihr gerade gab. Ai selbst war unverkennbar schon immer das fröhliche und lebhafte Mädchen gewesen, welches sie kennengelernt hatte. Vielleicht war ihr Gesicht ein wenig runder, als jetzt aber die Augen leuchteten genauso intensivgrün. Ihr Mund stand leicht offen, als würde sie gerade etwas erzählen und es sah so aus, als würde sie ihrer Mutter eben jene Kette zurückgeben, die ihnen gerade das Geheimnis des Kästchens offenbart hatte.

Das Bild war erfüllt von Liebe und Wärme, dass Yuki bei dem Gedanken, was diese glückliche Familie wiederfahren war, zutiefst traurig wurde. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war all das noch in weiter Ferne und undenkbar gewesen. Keiner der beiden liebenden Erwachsenen lebte mehr und zurück geblieben war nur das Kind. Sie hatten sie wirklich nur Ai nennen können, dachte Yuki für sich und blickte dabei auf das Mädchen herab, was ihren Blick ebenso nicht von dem Bild lösen konnte.

„Du siehst ihm sehr ähnlich.“, flüsterte Zero leise und Ai nickte stumm.

Zero sah ihre tränenfeuchten Augen und wusste, wie glücklich sie über dieses Photo war. Doch etwas stimmte dennoch nicht. Er wusste nicht einmal genau, was ihn an dem Bild störte, aber es war ihm sofort aufgefallen.

Yuki besah sich das Bild noch einmal genauer und konnte ihm nur recht geben. Ai war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen schmalen Gesichtszüge, die gleiche Form des Mundes und der Augen und vor allem deren gleicher, intensiver und satter Grünton, hatte sie von ihrem Vater bekommen. Selbst das Lächeln hatte sie von ihrem Vater, denn auch dies hatte Yuki hin und wieder schon bei ihr gesehen. Nur die Nase schien sie von ihrer Mutter zu haben. Ai war wahrlich eine vollkommene Mischung aus beiden, nur mit den besten Anlagen ausgestattet. Was aber Ais Haarfarbe betraf, so waren beide ihrer Eltern blond, ihr Vater vielleicht ein wenig heller, als ihre Mutter. Doch beide hatten sie diesen Goldschimmer, den auch Ai besaß.

Ai selbst war überwältigt von diesem Bild. Sie hatte nur einige wenige Erinnerungen an ihren Vater, aber nun ein Zeugnis in den Händen zu halten, wie er tatsächlich aussah und zu wissen, dass ihre Erinnerung sie nicht getrübt hatte, waren für sie ein unbezahlbarer Schatz. Selbst wenn das Kästchen die schönsten Edelsteine beinhaltet hätte, wäre sie nicht so wertvoll für sie gewesen wie dieses eine Photo. Ihre Eltern hatte sie geliebt und tiefe Zufriedenheit breitete sich in ihr aus. Sie kuschelte sich noch ein wenig mehr an Zero und spürte seine Wärme. Aber auch, wenn sie nicht mehr bei ihr waren, so war sie nicht allein. Sie hatte eine neue Familie gefunden und sie wusste, dass ihr neuer Papa niemals böse oder ärgerlich würde, wenn sie von ihrer Mama oder to-san erzählte.

Doch waren hatte ihr ihre Mama nie von diesem Bild erzählt? Warum hatte sie nie andere Bilder gesehen? Seltsamerweise hatte sie auch nie wirklich danach gefragt. Immer wenn sie es getan hatte, hatte ihre Mutter nur gelächelt und gesagt, dass ihr Vater sehr Kamerascheu gewesen war.

Aber diese Gedanken verschwanden schnell unter den nachfolgenden Worten von Zero: „Was hältst du davon, wenn wir das Photo einrahmen und es zu Hause in dein Zimmer stellen?“

Ai lächelte dankbar. „Auf den Nachttisch?“

„Wo immer du möchtest.“, antwortete er ihr und küsste sanft ihr Haar. „Möchtest du den Brief später lesen?“

„Nein... Kannst du ihn mir vorlesen?“, fragte sie ihn unsicher.

„Natürlich kann ich das, aber möchtest du es nicht selber lesen? Er wurde doch extra für dich geschrieben.“

„Mhmh...“, schüttelte Ai den Kopf. „Lies du.“

„Jetzt? Willst du nicht lieber warten bis wir wieder zu Hause sind und allein?“

„Nein. Es stört mich nicht, wenn die anderen es hören. Ich meine... es wird doch nichts schlimmes sein... oder?“

„Nein, ganz bestimmt nicht.“, beruhigte Zero sie sofort.

„Nun mach schon Zero.“, drängte der Rektor ihn jetzt. „Wir wollen jetzt auch wissen, was drin steht.“

„Ach, wollen wir das?“, fragte Yagari trocken.

„Du kannst ja gehen, wenn du nicht willst. Aber Yuki und ich sind schon ganze neugierig.“

Yuki drehte überrascht den Kopf. Wieso setzt er das so unbedingt voraus. Nicht, dass es nicht stimmte, aber trotzdem...

Zero warf Kurosu einen scharfen Blick zu. Das hier ging ihn gar nichts an und genau aus diesem Grund wollte er auch nicht, dass so viele unbeteiligte Personen dabei saßen. Es war etwas von Ais Eltern, etwas Persönliches. Er fand es nicht gut, so etwas mit so vielen für Ai doch fremden Personen zu teilen. Er wusste ja nicht einmal, ob er es gemach hätte und er kannte sie alle schon sehr lange. Aber wenn Ai es so wollte...

Er faltete das Papier auseinander. Jede der vielen Seiten war von vorn und hinten mit einer feinen Handschrift beschrieben worden. Ab und an erkannte er eine feine Störung darin. Als wäre der Brief unterbrochen worden oder die Hand hatte gezittert, als wäre sie nicht sicher gewesen, ob sie das wirklich schreiben sollte.

„Lies vor.“, drängte Ai erneut und Zero begann die geschriebenen Worte laut zu lesen.
 

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Doch noch geschafft!!! >.<

Herzlichen Glückwunsch, dass du dieses Monsterkapitel durchgehalten und überlebt hast!!! Du erhältst einen ganze Packung Kekse und wahlweise einen Glühwein oder eine heiße Schokolade!
 

^^°
 

Jaha... zu der Länge sag ich einfach mal nichts mehr.
 

Und eigentlich gibt es zu dem Kapitel nichts mehr zu sagen.^^ Spricht es nicht für sich?
 

Aber das Lied, was eigentlich ganz gut zu Yukis Verhalten gegenüber Kaname passt, habe ich in letzter Zeit rauf und runter gehört. Das könnte sie ihm wirklich mal vorsingen.

Amy Studt – Just a little girl. Hört es euch mal an, wenn ihr mögt.

http://www.youtube.com/watch?v=EtM_y6AqK1Y
 

Die Szene im Verließ hat nichts mit der Story zu tun. So viel kann ich euch sagen, bevor ihr anfangt euch darüber den Kopf zu zerbrechen. Ich habe es mit reingenommen, einfach weil ich es so schön fand.^^
 

Da das mein Weihnachtsgeschenk für meine Leser ist, hab ich auch einen Wunsch: Hinterlasst mir doch einen Kommi, dann bin ich auch super glücklich!
 

So... damit geh ich dann auch endlich!
 

Schön Feiertage noch und wir lesen uns im neuen Jahr hoffentlich wieder!
 

maidlin

Leb wohl...

Wieder so ein sehr langes Kapitel. ;_; Ich weiß, ich gelobe jedes Mal Besserung und schaff es dann doch nicht. °>.> Aber dieses Mal ließ es sich nicht vermeiden.

Dieses Kapitel war eines der Ersten, die in meinem Kopf fertig waren, noch bevor ich überhaupt den Prolog geschrieben hatte. Hier erhält man endlich ein paar Antworte, aber ich hoffe (ja, der Sadist spricht aus mir XD), dass auch wieder eins, zwei Fragen aufkommen.
 

Ansonsten habe ich nicht mehr dazu zu sagen. Ich werde mich am Ende nicht noch einmal melden, um den Gesamteindruck nicht zu zerstören. Natürlich hätte ich noch vieles zu sagen, aber ich äußere mich, dann anderweitig dazu.
 

Nun wünsche ich euch erst einmal viel Spaß beim Lesen. Haltet durch!

Und das nächste Kapitel wird definitiv kürzer!
 

PS: Vielen Dank für die Hinweise auf Tippfehler!

PPS: Ich hoffe die Formatierungsbefehle, werden alle angenommen.^^;

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Leb wohl...
 

15. November
 

Als meine Mutter mit meiner kleinen Schwester schwanger war, sagte sie zu mir, dass, wenn man plötzlich eigene Kinder hatte, man selbst aufhörte wichtig zu sein. Sie sagte, dass die eigenen Bedürfnisse verschwindend gering wurden. Alles würde sich nur noch um das Kind drehen, seine Bedürfnisse würden für einen das wichtigste sein und man würde nur darauf bestrebt sein zu sehen, dass das Kind glücklich war.

Damals sah ich sie verständnislos an – ich war gerade einmal sechs – und konnte nicht recht glauben, was sie sagte. Ich wollte nicht dass meine Bedürfnisse nicht mehr wichtig waren, also wollte ich auch keine Kinder haben. Als ich ihr das sagte, lachte sie bloß und sagte ich würde es eines Tages verstehen.

Sie hatte recht. Heute verstehe ich es wirklich. Man selbst ist nicht mehr wichtig. Nur das kleine Wesen, was ein Teil von einem ist, ist wichtig und nichts anderes zählt mehr. Aber es ist nicht so furchtbar, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ganz im Gegenteil. Es ist das Schönste, was mir jemals wiederfahren ist und lässt mich die vielen anderen, furchtbaren Dinge vergessen.
 

Liebe Ai

Mein kleines, süßes Mädchen
 

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich diese Zeilen beginnen soll, wie ich erklären soll, was ich erklären muss, damit du verstehst. Ich fühle mich hilflos... und wünschte ich müsste das hier nicht schreiben, aber es dir direkt zu sagen würde ich noch weniger über mich bringen.

Kein Wort kann beschreiben oder ausdrücken, wie sehr ich dich liebe, Ai – wie sehr wir dich geliebt haben.

Wenn du diese Zeilen hier liest, wird das bedeuten, dass ich deinem Vater gefolgt bin. Eine Gewissheit, von der ich wünschte, dass ich sie nicht hätte und die mich doch beruhigt. Wir sehr wünsche ich mir ihn wiederzusehen! Und doch wünsche ich mir ebenso bei dir bleiben zu können, zu sehen, wie du aufwächst, wie du lachst, wie du über deine eigenen Beine stolperst – etwas was du zweifellos von ihm hast. Wenn ich daran denke, will ich dich nicht verlassen. Niemals! Aber der Gedanke bald wieder bei deinem Vater zu sein, dem einzigen Mann, den ich liebe, jemals geliebt habe und den ich doch niemals lieben durfte, nimmt mir die Angst, die das Ende unwillkürlich mit sich bringt. Irgendwann werde ich dich nicht mehr beschützen können.

Es ist verrückt! Ich liebe dich so sehr und doch sehne ich mich manchmal mehr sehr danach bei ihm zu sein, dass ich alles dafür geben würde, wenn es nur wieder so wäre. Dabei habe ich doch dich! Du bist ihm so ähnlich, Ai. In deinem Aussehen, deinem Wesen, ich erkenne ihn immer wieder in dir.
 

Doch lass mich von vorn beginnen. Ich will es zumindest versuchen. Dabei weiß ich schon jetzt nicht, wo ich anfangen soll - wie ich anfangen soll! Ich frage mich die ganze Zeit, wie alt du wohl sein wirst, wenn du dies hier liest. Wie wirst du aussehen? Ganz bestimmt wunderschön und einzigartig. Dem kann ich mir sicher sein. Aber bist du bereits erwachsen? Hast du vielleicht eigene Kinder? In wie weit wirst du das, was ich dir erzähle verstehen können? Kannst du es jemals verstehen? Und was noch wichtiger ist: Kannst du uns Kannst du mir jemals verzeihen, dass ich dich nicht sofort geliebt habe? Wirst du die Sünde die wir begangen haben, verstehen können? Aber wie kann es falsch gewesen sein, wenn so etwas wunderbares, wie du aus dieser Verbindung hervorgegangen ist?

Ich kann keine Antworten finden. Ich kann nur hoffen, dass du mich für meine Schwäche nicht verurteilst.
 

Du liegst in deinem Bett und schläfst friedlich. Gerade war ich bei dir und habe nach dir gesehen. Du hast gelächelt. Ich frage mich, was du wohl geträumt hast. Vielleicht erzählst du es mir morgen früh. Das wäre schön. Deine Augen leuchten dann immer, genau wie seine und bringst ihn mir zu zurück. Manchmal sage ich es dir und du siehst mich dann ungläubig an und fragst: ‚Wirklich?‘ und lächelst dabei so unglaublich, dass ich am liebsten weinen wollte. Wenn ich es dir doch sage. Glaube deiner Mutter ruhig. Ich würde dich nicht belügen. Deswegen auch diese Zeilen.
 

Ich war die zweitälteste Tochter in meiner Familie. Wir waren drei Mädchen. Meine ältere Schwester war zwei Jahre älter und die andere sechs Jahre jünger. Wenn ich mich zurückerinnere, haben wir unseren Vater wohl oft an den Rand der Verzweiflung getrieben. Meine Schwestern und ich haben alles möglich ausgeheckt und wenn ich dich so sehe, dann befürchte ich fast, dass du diesen Teil deiner Persönlichkeit von mir hast. Ich verzichte darauf, dir irgendetwas von dem zu nennen, was wir zu dritt anstellten. Ich glaube du bist selbst sehr kreativ. Trotzdem schimpfte mein Vater selten mit uns. Stattdessen nahm er uns in den Arm und drückte uns einen Kuss auf die Stirn. Er nannte uns seine drei verrückten Weiber und lachte dabei.

Unsere Mutter starb wenige Wochen nach Nanis – meine jüngste Schwester – Geburt. Dennoch waren wir glücklich und Vater tat alles, um sie uns so gut wie möglich zu ersetzen. Ich erinnere mich noch, dass es am Schönsten war, wenn dir alle drei in seinem großen Bett lagen und er uns von ihr erzählte. Wie sie sich kennengelernt haben, wie ihre Hochzeit war und so weiter. So, wie ich dir von deinem Vater erzähle. Er sagte, er wollte uns so viele Erinnerungen wie möglich mit ihr geben, auch wenn sie selbst nicht mehr lebte.

Wir lebten in einem kleinen Haus am Rand des Dorfes in dem ich aufgewachsen bin. Es war ein sehr beschauliches Leben. Jeder Tag war anders, als der vorangegangene und doch gab es eine gewisse Regelmäßigkeit, die mir erst heute klar wird. Es ist seltsam, woran man sich plötzlich alles erinnert, wenn die Gefahr unmittelbar über einem schwebt.

Meine Kindheit werde ich dir hier nicht aufschreiben. Vielmehr will ich dir davon erzählen, so lange ich kann. Jeden Tag ein bisschen, damit du dich an deine Familie erinnern kannst. Genauso wie es mein Vater getan hat.
 

Ich bete jeden Tag, dass es mir gelingt dich zu beschützen.
 

Es war ein glückliches Leben und meine Schwestern und ich konnten uns nicht vorstellen, dass es jemals enden könnte. Doch das tat es und zwar so plötzlich, dass es mir noch heute schwer fällt überhaupt daran zu denken. Das Unheimliche daran ist wohl, dass wir an jenem Abend noch darüber gesprochen haben. Sakura fragte mich und Nani auf einmal, was wir tun würden, wenn unser Leben plötzlich ganz anders würde. Was würden wir tun, wenn eine von uns sterben würde? Ich weiß nicht, wie sie auf diesen Gedanken kam. Nani und ich sahen uns nur an und schüttelten mit dem Kopf. Das Leben konnte nicht anders werden. Warum sollte jemand von uns sterben? Uns ging es gut. Keiner war krank. Es war eine dumme Frage von Sakura und ich weiß noch, wie ich mich darüber geärgert habe. Wie konnte sie so etwas nur denken? Vielleicht hatte sie es geahnt.
 

In der gleichen Nacht noch kam er zu uns.

An diesen Teil... habe ich mir seither nie wieder bewusst erinnert. Ich will es auch nicht. Ich habe Jahre gebraucht, um alles sorgfältig in einem Teil meines Gedächtnisse zu verschließen und ich hatte nicht vor es je wieder hervorzuholen. Das habe ich nicht einmal für deinen Vater getan. Aber das musste ich auch nicht.

Er wusste es.

Er kannte ihn.

Der, der alles endete, war ein Vampir.

Es gibt sie, Ai. Sie sind da draußen und leben unter den Menschen, geben sich als welche von aus. Aber wenn du genau hinsiehst, wirst du sie erkennen.

Ich weiß nicht, wie stark ich bin, um dir nun davon zu erzählen. Ich weiß, es wäre besser, wenn du es nicht wüsstest. Aber, als ich diesen Brief begann, habe ich beschlossen ehrlich zu dir zu sein. Das ist das Letzte, was ich für dich tun kann.
 

Ich weiß nicht, warum er gerade unser Haus auswählte oder warum gerade in dieser Nacht. Ich habe oft versucht darauf eine Antwort zu finden. Dabei wäre es egal gewesen, welche Nacht er ausgesucht hätte. Wir wären immer leichte Beute für ihn gewesen.

Wir schliefen. Die Nacht war ruhig, so vollkommen wie jede andere Nacht. Nichts Ungewöhnliches. Wir bemerkten ihn erst, als er plötzlich unsere Tür aufstieß. Wir drei teilten uns ein Zimmer. Nanis Bett stand ganz vorn an der Tür. Sie musste nachts oft raus und so störte sie uns nicht allzu sehr. Sie war sein erstes Opfer.

Wir schreckten gleichzeitig hoch, doch noch bevor Sakura oder ich wussten, was überhaupt geschah, hörten wir Nani einen kurzen Schrei ausstoßen. Dann folgte ein furchtbares Knacken. Ich werde dieses grässliche Geräusch nie vergessen. Selbst jetzt verfolgt es mich. Nanis Kopf hing seltsam auf ihrer Schulter. Ihre blau-grünen Augen, waren leer und kalt. Sakura und ich konnten nicht einmal schreien, so entsetzt waren wir. Wir waren nicht einmal in der Lage uns zu rühren. Wir sahen einfach nur zu.

Alles woran ich mich noch erinnern kann, ist wie dieses Wesen plötzlich seine spitzen Zähne in den Hals meiner kleinen Schwester senkte. Ich höre noch, wie laut er schmatzte, als er ihr Blut trank und ich sehe noch seine rot glühenden Augen vor mir. Als er mit ihr fertig war, warf er ihren Körper einfach weg. Das Bett krachte unter der Wucht zusammen. Dann wandte er sich zu uns.

Dann lief ich die Treppe herunter – ich weiß nicht mehr, wie ich es bis zur Tür geschafft habe. Über mir krachte es ein paar Mal und unten schien vollkommene Stille zu herrschen. Am Treppenende sah ich meinen Vater liegen. Er lag auf dem Bauch, leblos. Zitternd schob ich mich vorbei und sah im schwachen Schein der Sterne, wie auch aus seinem Hals Blut lief und der Rest seines Kopfes war... halb... verwest.

Ich blieb nicht stehen.

Ich rannte einfach weiter.

Mehr weiß ich nicht.

Irgendwann muss ich stehen geblieben sein. Irgendwo. Noch heute kommt es mir seltsam vor, dass er mich nicht verfolgt hat. Vielleicht hat er mein Verschwinden in seinem Blutrausch nicht einmal bemerkt.

Am nächsten Morgen fand mich ein älterer Mann. Erst als er mich ansprach, schien ich aus dem Schock zu erwachen. Er brachte mich in das Dorf und dort begann man mich zu befragen. Anders als du vielleicht denken magst, erzählte ich alles. Ich sah die Ungläubigkeit auf ihren Gesichtern. Niemand wollte mir glauben, dass es ein Vampir gewesen war. Vampire existierten schließlich nicht. Doch ich wusste, was ich gesehen hatte.

Selbst als sie ein paar Leute zu unserem Haus schickten und dort die entstellten Leichen fanden, schob man es auf wilde Tiere, die uns auf unerklärliche Weise angegriffen hatten. Auch, als ich ihnen wieder und wieder sagte, dass es keine Tiere waren, glaubten sie mir nicht. Sie schüttelten nur mit dem Kopf. Ich wäre zu verwirrt gewesen. Es wäre zu dunkel gewesen und ich hätte es nicht richtig gesehen. Wie einfältig die Menschen doch sein können! Man brachte mich zu einer alten Frau, die sich anfangs um mich kümmerte. Doch niemanden war ich geheuert. Immer wieder erzählte ich meine Schauergeschichten von Vampiren und davon, dass er vielleicht zurückkommen könnte, um mich zu holen. Die Angst der Frau wurde größer und schließlich hielt sie es für das Beste, mich in ein Kinderheim zu geben. Es war eines für schwierige Kinder. Man schob mein Verhalten auf das, was ich erlebt hatte. Glauben wollte mir niemand. Ständig redete ich nur dummes Zeug, sagten sie damals, von Vampiren und Monstern, die nachts kamen und Tagsüber schliefen. So jemand wie ich war nicht normal.

Aber selbst im Kinderheim schwieg ich nicht. Warum sollte ich auch? Es war die Wahrheit und ich hatte auch keine Angst vor dieser Bestie. Vielmehr wünschte ich mir manchmal, dass sich mich finden und ebenfalls töten würde. Dies war immerhin ein realistischer Wunsch, dachte ich damals nüchtern und eines Tages würde er sich bestimmt erfüllen. Denn das, was ich mir wirklich wünschte, würde wohl niemals in Erfüllung gehen.

Ich wollte Rache für meine Schwestern und meinen Vater. Doch ich wusste sehr wohl, dass ich zu schwach war. Ein kleines Mädchen von gerade einmal zwölf Jahren würde nichts gegen dieses Monster ausrichten können. Trotzdem schwieg ich nicht und redete immer wieder davon, egal ob sie es hören wollten oder nicht.

Irgendwann einmal - ich glaube es war ein halbes Jahr später- kam plötzlich ein Mann zu uns. Der Leiter des Kinderheims sagte, er wollte mit mir sprechen, weil ich immer so seltsame Sachen sagte. Er hat es richtig angewiderte gesagt. Schon lange war ich ihm ein Dorn im Auge, weil ich mich immer noch nicht anpassen wollte, weil ich nicht akzeptieren wollte, dass ich die Einzige war, die durch sehr viel Glück ein schreckliches Ereignis überlebt hatte und einfach nur dankbar dafür sein sollte. Ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern, wie oft ich ihnen gesagt habe, dass es kein Glück war, sondern, dass meine Schwester mich gerettet hat – auch wenn ich nicht mehr genau weiß wie.

Der Mann, der kam fragte mich auch nach dieser Nacht. Wieder erzählte ich was geschehen war, genauso wie es geschehen war. Er hörte schweigend zu. Dann fragte er mich nach dem Namen meiner Mutter und ob ich wüsste, wie ihre Eltern hießen. Natürlich konnte ich ihm diese Fragen beantworten, aber ich fragte ihn auch, warum er das wissen wollte. Er antwortete nicht darauf, sondern verließ den Raum. Für mich war die Angelegenheit damit erledigt. Wie all die anderen Erwachsenen, war er nur ein weiterer, der Interesse heuchelte und nichts verstand.
 

Ai, du kannst dir nicht vorstellen, wie überrascht ich war, als es plötzlich hieß, er wollte mich mit sich nehmen. Als ich ihn fragte warum, fragte er mich: „Du willst doch Rache oder?“

Ich antwortete: „Ja.“, so fest ich konnte.

Darauf erwiderte er: „Ich kann dir zeigen, wie du sie bekommst.“
 

Was ich dann erfuhr, war weit mehr, als ich mir jemals hatte vorstellen können. Es gibt Dinge, Ai, die halten wir für unmöglich. Und selbst dann, wenn wir es mit eigenen Augen sehen und sogar ein Teil davon werden, können wir es immer noch nicht ganz begreifen. So erging es mir jedenfalls.

Der Mann, der mich dann aufnahm und mein Meister wurde, nannte mir nie seinen Namen. Ich sollte ihn immer nur Meister nennen. Aber da er mir Rache versprach, fragte ich nicht weiter. Es war auch nicht wichtig. Ich war seine Schülerin und er brachte mir das Kämpfen bei.
 

Ich glaube für heute ist es genug. Es ist bereits nach Mitternacht und einen der schwersten Teile habe ich dir bereits erzählt. Alles andere werde ich später schreiben. Nun geh ich erst einmal zu Bett und hoffe, dass du mich morgen ebenso anlachen wirst, wenn du aufwachst, wie du es heute getan hast.

Ich hab dich lieb.
 

02. Dezember
 

Ai, seit Jahrtausenden tobt ein Kampf zwischen den Geschöpfen der Nacht, auch Vampire genannt und den Huntern, jenen die die Vampire jagen. Die Hunter bekämpfen die Vampire und halten sie davon ab zu morden, wie es ihnen beliebt. Vor allem die Level E – ehemalige Menschen, die in einen Vampir verwandelt worden waren – fallen irgendwann dem Wahnsinn anheim und ihr Blutdurst wird unkontrollierbar. Es gibt Listen auf denen die Namen der Level E verzeichnete sind, die als nächstes eliminiert werden müssen. Die Hunter sorgen dafür, dass diese Listen erfüllt werden.

Dies sollte auch meine Aufgabe werden.

Mein Meister bildete mich zum Hunter aus. Er brachte mich in die große Hauptstadt des Südens, wo sich das Hauptquartier der Hunter befindet. Wir waren nur kurz da, aber ich erfuhr, dass ich wohl von Geburt an, das Recht zu dieser Ausbildung haben musste. Ich kann es dir nicht genau erklären, Ai, aber es scheint, dass mein Ururgroßvater einst ein Hunter gewesen war, aber seine Nachkommen zu schwach dafür. Seitdem wurde niemand mehr in meiner Familie ausgebildet. In diesem Hauptquartier wurde ich kurz dem Oberhaupt vorgestellt und mein Meister erhielt die Erlaubnis mich allein ausbilden zu dürfen.

Ich habe diesbezüglich nie Fragen gestellt. Alles was ich wollte war stärker zu werden, um meine Rache eines Tage zu bekommen. Alles andere war mir gleichgültig. Meine Ausbildung fand hier oben im Norden des Landes statt. Hier gibt es zwar nur wenige Vampire, aber die Bedingungen waren wegen des Wetters weitaus härter.

Ich lernte schnell und war bald so gut, wie die anderen Schüler, die diese Ausbildung bereits seit Geburt unterliefen. Mein Meister war sehr erfreut. Meine Wut und Rachegedanken hatte mich weit gebracht. Ich wollte so schnell wie möglich selbst auf die Jagd gehen, bevor jemand anderes mein erstes Opfer töten würde. Denn zu diesem Zeitpunkt kannte ich den Namen des Monster, das mir meine Familie genommen hatte: Clay Sonan. Sein Name war schon lange auf die Liste gesetzt worden und jeder, der im Norden lebte, war darauf angesetzt ihn zu vernichten. Bisher ohne Erfolg.

In sechs Jahren hatte ich viel erreicht, so dass ich meinen Abschluss machen konnte. Ich setzte alles daran ihn zu finden und endlich zu töten. Es mag dich vielleicht erschrecken Ai, aber ich wollte ihn genauso leiden lassen, wie ich gelitten habe.

Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie wütend ich gewesen war, als mir ein anderer zu vor kam! Kaum ein Jahr später erreichte mich, die Nachricht, dass irgendwer ihn aufgespürt und sofort getötet hatte. Dabei wollte ich doch diejenige sein! Sieben Jahre hatte ich auf diesen Moment hingearbeitet und wofür das alles? Für nichts! Dabei hätte mich sein Tod doch eher beruhigen sollen oder nicht? Er war tot und würde nie wieder jemanden angreifen können. Aber das tat es nicht. Ich lebte immer noch mit diesen unbezwingbaren Gefühlen in mir, die nach Vergeltung schrien.

Und dann erfuhr ich, dass dieses Ungeheuer selbst Nachfahren hatte. Ich weiß gar nicht, warum ich erst zu diesem Zeitpunkt davon hörte. Vielleicht war ich bis dahin zu besessen von ihm gewesen. Doch nun da ich es wusste, hatte ich ein neues Ziel vor Augen.

Ich wollte sie alle töten.

Jeder einzelne der noch den Namen Clay trug, sollte durch meine Hand sterben. Ich glaubte nur so endlich Frieden finden zu können, aber vor allem wollte ich meiner toten Familie endlich Frieden bringen. Seit jener Nacht kamen sie zu mir und fragten mich jedes Mal im Traum, warum ich die Bestie noch nicht gefunden hatte. Ihre Körper waren genauso entstellt, wie er sie ich sie zurückgelassen hatte.
 

Zu diesem Zeitpunkt gab es im Süden große Unruhen und jeder von uns war dorthin beordert worden. Doch bevor ich weiter erzähle, musst du wissen, dass es inzwischen ein Bündnis zwischen den Huntern und Vampiren gab. Vollkommen utopisch, wenn du mich fragst, aber es war so. Die Vampire hatte ein... lass es mich Medikament nennen, erfunden. Sogenannte Bluttabletten, die den Hunger nach Blut kontrollieren sollten. Dieses neue Bündnis ging sogar so weit, dass eine Schule eingerichtet wurde, an der Vampire und Menschen gleichermaßen lernen konnten. Selbst heute, nach all den Dingen, die ich erlebt habe, kann ich mir das noch immer nicht vorstellen.

Die anderen gingen zurück, so wie es ihnen befohlen wurde. Ich blieb im Norden. Diese Unruhen gingen mich nichts an. Ich sah mich niemanden gegenüber verpflichte und ich wusste, dass dies nun meine Chance war die Clays zu finden. Niemand würde mir in die Quere kommen. Sie waren nicht da. Ich kannte nichts mehr, als dieses brennende Verlangen diese Monster in Menschengestalt zu töten. Heute frage ich mich, ob ich zu diesem Zeitpunkt nicht schon lange tot war. Nichts anderes mehr empfinden zu können, als Wut und Hass, die Welt nur noch in Dunkelheit zu sehen, kann nicht schlimmer als der Tod sein.

Ich suchte beinah verzweifelt nach einer Spur der Clays. Manchmal zweifelte ich an meinem eigenen Verstand und wollte aufgeben, denn nirgends schienen sie eine Spur hinterlassen zu haben.

Es sollte vier Jahre dauern, bis ich endlich Erfolg hatte. Instinktiv wusste ich, dass es mein Leben für immer verändern würde. Ich habe gedacht es würde mich ein für alle Mal befreien. Es hat mich verändert, aber ich hätte nie gedacht, dass es so aussehen würde.
 

Die Unruhen im Süden hatten sich in diesen vier Jahren wieder beruhigt. Das Oberhaupt der Hunter wurde von einem von uns getötet worden und es kam zu einem vorläufigen Bruch mit den Vampiren. Ein Bekannter, der mit mir damals die Ausbildung gemacht hat, hat mir das einmal erzählt, als wir uns wiedersahen. An die Spitze der Vampire war der „König“ zurückgekehrt - ein Reinblut, welches über den anderen Vampiren stand. Eine erneute Annäherung zwischen Huntern und Vampiren war gerade im Aufbau. In all den Wirren war mein Wegbleiben nicht einmal aufgefallen.

In einer kalten Winternacht im Dezember, hatte ich ihn endlich gefunden: den jüngsten Spross der Clays.

Als ich ihn erblickte, stockte mir der Atem und ich dachte man hätte sich damals geirrt und einen Falschen getötet. Er sah genauso aus, wie das Monster aus meiner Vergangenheit. Das gleiche blonde Haar, die gleiche Größe und Statur. Selbst seine Bewegungen waren so fließend, wie die des Anderen. Das Einzige, was mich davon überzeugte, dass er es nicht war, war sein Gesicht. Es bestand Ähnlichkeit, das konnte man nicht leugnen und doch war es anders. Es war jünger, nicht so kantig, weicher und irgendwie... vielleicht... feiner, sanfter. Dennoch ließ ich mich davon nicht täuschen.

Ich verfolgte ihn schon ein paar Tage, als ich mich endlich dazu entschloss anzugreifen. Er kam gerade aus einer Bar und für einen kurzen Moment habe ich mich noch gewundert, was er dort gemacht hatte. Ich folgte ihm, wissend, dass er mich bemerken würde. Er wählte eine abgelegene Gasse, in der uns keiner sah, als er mich zur Rede stellte.

„Was willst du?“, fragte er mich gerade heraus und drehte sich zu mir um.

„Rache.“, antwortete ich ihm und ging dabei mit langsamen Schritten weiter auf ihn zu. Er bewegte sich nicht, sondern sah mich eindringlich an.

„Wofür?“, fragte er weiter.

„Meine Familie.“, antwortete ich.

„Ich kenne deine Familie nicht.“, sprach er, scheinbar ungerührt dessen, dass ich meine Waffe bereits gezogen hatte und sie auf ihn richtete.

„Dein Vater hat meine Familie getötet.“, erwiderte ich und verstand mich selbst nicht. Was brachte es, wenn ich es ihm erzählte? Er würde ohnehin bald sterben. Ein wenig bedauerte ich es sogar kurz, dieses hübsche Gesicht zu zerstören, aber am Ende verbarg sich nur ein weiteres Ungeheuer darunter. Vielleicht wollte ich einfach nur, dass er wusste, wie viel Leid er über meine Familie gebracht hat – auch wenn ich mir gleichzeitig bewusst war, dass ihn das nicht interessierte.

„Mein Vater ist tot. Getötet von einem von euch.“, sagte er. Er ging die zwei Schritte zurück, die ich auf ihn zu ging und stand nun direkt vor der Mauer. Er würde mir nicht entkommen, dachte ich und er machte auch keine Bewegung, die eine Flucht angedeutet hätte.

„Ja, aber nicht von mir.“, flüsterte ich. Ich setzte mein Messer an seine Kehle. Die Klinge berührte seine Haut. Mit einer einzigen Bewegung hätte ich ihn vernichten können. Mir kam es nicht einmal in den Sinn, mich zu fragen, warum er sich nicht wehrte. Er hätte es sicher gekonnt.

„Ich verstehe.“, sprach er dann unerwartete und ich verstand nicht, was er damit meinte. „Es tut mir leid.“ Irritiert blickte ich ihn an. Diese Worte klangen so falsch in meinen Ohren. Ein Vampir dem etwas leid tat! Selbst heute kommt mir das noch unglaublich vor.

Er berührte meine Hand in der ich das Messer hielt. Seine Finger waren merkwürdig weich und warm, etwas was ich nicht erwartet hätte und mich noch mehr überraschte. Ich blickte starr auf unsere Hände und sah zu, wie er die Klinge fester gegen seinen Hals, seine Kehle, drückte. Die Stelle begann leicht zu bluten.

„Wenn mein Tod dir deinen Schmerz nehmen kann, dann sterbe ich gern.“, sagte er mit leiser Stimme und drückte das Messer nur noch tiefer in sein Fleisch. Sein Blut rann über die Klinge, den Griff hinab und schließlich über die Innenseite meiner Hand. Es war genauso dunkelrot, wie das meiner Schwestern gewesen war, wie mein eigenes ist und es hatte den gleichen Geruch. Es war genauso warm.

Ich erstarrte. Dann ließ ich das Messer fallen.

Ich weiß nicht warum und schon gar nicht, was mich dazu gebracht hat. Vielleicht waren es seine Worte, vielleicht der Blick mit dem er mich ansah, so voller Entschlossenheit. Doch genauso, wie ich es heute weiß, wusste ich damals, dass seine Worte wahr waren. Es tat ihm tatsächlich leid. Ich weiß nicht, woher ich es wusste. Nüchtern betrachtet wiedersprach es meinen Prinzipien und meiner Überzeugung. Dennoch konnte ich nicht anders. Seine Stimme, ihr Klang und ihr Ton, das alles schien es auszusprechen.

Plötzlich erkannte ich, dass nichts mich von dem Schmerz befreien würde, den ich all die Jahre in mir trug. Auch sein Tod nicht. Innerhalb von Sekunden verlor mein ganzes Leben seinen Sinn. Ich war nichts. Ich hatte nichts und wollte nichts mehr von diesem Leben. Meine Träume, Hoffnungen und Erwartungen hatte ich schon längst begraben. Alles war mit einmal wertlos. All die Jahre hatte ich umsonst gelebt.

Meine ganze Kraft wich aus meinem Körper und ich sank zu Boden. Ich starrte den weißen Schnee an, der so sehr im Licht der Straßenlaterne leuchtete, als wären es Sterne, die von Himmel gefallen waren. Nur an einigen Stellen färbten sich die Sterne rot von dem Blut, das an meiner Hand haftet. Doch ich bemerkte es gar nicht. Meine Augen sahen nichts weiter, als die Leere, die sich plötzlich vor mir erstreckte. Er beugte sich zu mir herunter, um mich zu töten. Davon war ich überzeugt. Ich war dankbar dafür. Die Leere würde enden, bevor sie mich verschlingen konnte.

Der Vampir berührte meine Wange und sah mir in die Augen. Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Noch nie hatte ich solch ein Grün gesehen. Wie Smaragde sahen sie aus und strahlten mit solch einer Intensität. Alles was ich dachte war, wie beruhigend es doch war, so etwas Schönes noch einmal zu sehen. Doch statt mich zu töten, flüstere er mit samtiger Stimme: „Du solltest loslassen.“. Dann ging er.

Selbst heute kann ich noch seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren und wieder überkommt mich dieses seltsame Gefühl, das ich nicht richtig benennen kann.
 

Lange saß ich im Schnee. Die Flocken fielen sacht und leise, während ich versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Es schien mir nicht zu gelingen. Was meinte er mit ich sollte loslassen? Was loslassen? Mein Leben? Das hatte ich doch schon gar nicht mehr. Was dann? Mich selbst? Meinen Hass? Meine Rache? Aber wer war ich ohne all das? Existierte ich dann überhaupt noch?
 

Entschuldige, wenn ich dich damit verwirre, Ai. Selbst heute, zehn Jahre später, verstehe ich es ebenso wenige, wie du vielleicht im Moment. Wie konnte er mit einem einzigen Satz alles beenden, mein ganzes Sein auflösen?

Aber lass mich für heute hier schließen, Ai. Du bist sicher Müde, von all dem, was ich dir erzählt habe. Es tut mir leid, wenn dir manches davon Angst macht. Besonders die Dinge, die ich dir über mich erzähle. Vieles wusstest du nicht und ich wünschte es würde so bleiben, aber damit du alles verstehen kannst – auch mich und meine Handlungen – musst du alles wissen. Und ich habe diesen Brief begonnen mit dem festen Vorsatz ehrlich zu dir zu sein.
 

Die Sonne geht bald auf und der Schnee hat wieder eingesetzt. Du wirst wieder den ganzen Tag draußen sein wollen, um Schneeengel bauen zu können. Ich frage mich oft, was du gegen die Schneemänner hast, dass du keinen von ihnen bauen möchtest. Dabei wären die doch sehr viel einfacher. Wir würden nicht Stunden damit zubringen, Flügel aus Schnee zu formen und uns die Finger abfrieren. Aber wenn du dabei so lachst wie er, könnte ich dir tausend Flügel aus Schnee machen. Denn wenn du lachst, bringst du ihn mir zurück und dann liebe ich dich noch mehr, als ich es jetzt schon tue.
 

15. April
 

Ich habe diesen Brief ruhen lassen. Ich hatte die Hoffnung gehabt, dass er doch nicht nötig sein würde und dass wir ihnen entkommen waren. Aber in den letzten zwei Tagen beschleicht mich immer mehr das Gefühl, dass sie uns schon bald wieder gefunden und eingeholt haben. Also werde ich diese Zeilen zu Ende schreiben, mit dem Glauben, dass sie dich irgendwann erreichen werden.
 

Ich blieb in dieser Stadt, musst du wissen. Wohin sollte ich auch gehen? Kein Ort hatte eine Bedeutung für mich und ohne Aufgabe brauchte ich nicht weiter ziehen. Natürlich hätte ich in den Süden ziehen können. Wir wurden dort noch immer gebraucht. Aber was sollte ich dort? Die Geschehnisse waren mir egal. Mir war eigentlich alles egal.

Ich verbrachte die Nächte in Kneipen und Bars, schlief tagsüber und versuchte nicht einmal meinem Leben einen neuen Sinn zu geben. Ich hätte ewig so weiter machen können. Schlafen und Trinken. Im Schlaf brauchte ich nicht darüber nachzudenken und wenn ich trank, verschwanden die Gedanken auch irgendwann. Die Ironie ist, dass ich Alkohol eigentlich nicht einmal etwas abgewinnen kann. Schon allein von seinem Geruch wird mir schlecht, aber er machte die Sache so viel... einfacher.

Das ist eines der vielen Dinge, für die ich mich schäme! Du glaubst gar nicht wie sehr. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen? Ich wünschte, ich könnte es nachträglich ändern.

Ich war erbärmlich. Ich versank in meinem eigenen Selbstmitleid. Es konnte eigentlich nicht mehr schlimmer werden.

In irgendeiner dieser Nächte, in der ich gerade auf dem Weg zurück zu meinem Zimmer war, konnte ich nicht mehr weiter laufen. Ich hatte mehr getrunken, als sonst und alles um mich herum drehte sich schrecklich. Das war mir selbst unheimlich. Ich lehnte mich gegen eine Straßenlaterne und beobachtete, wie der Schnee abermals fiel. Es war kalt, dass wusste ich, aber ich spürte die Kälte nicht. Mein Kopf war so sehr schwer und alles schien langsam zu verblassen. Ich ließ mich in den Schnee sinken und starrte die Flocken an, die auf meinen Schuhen und Kleidung landeten. Irgendwie muss ich gewusst haben, dass ich den nächsten Tag nicht erleben würde, wenn ich nur dort sitzen blieb und den Schnee ansah. Es war ein tröstender Gedanke.

Dann tauchten plötzlich ein paar Männerschuhe in meinem Blickfeld auf und das ist so gut wie alles, woran ich mich noch erinnern kann. Es klingt vielleicht verrückt, aber ich dachte noch, dass es ein paar recht hübsche Schuhe waren und sie bestimmt warm hielten. Auf unerklärliche Weise hob ich vom Boden ab und fühlte mich federleicht. Innerliche jubelte ich. Ich dachte, ich hätte es nun endlich geschafft und wäre von meinem erbärmlichen Leben befreit. Ich schloss die Augen und atmete ruhig ein und aus und ließ zu, dass der Schlaf mich übermannte. Schon lange war ich nicht mehr so entspannt eingeschlafen. Warum auch nicht, wenn es doch kein Morgen geben sollte?
 

Nun, wie du sicher weißt, irrte ich mich gewaltig. Als ich am nächsten Morgen erwachte, fand ich mich in einem vollkommen fremden Zimmer wieder. Aber das nahm ich nicht einmal so stark wahr, wie das herrlich weiche und warme Bett in dem ich lag. Aus dem Nachbarzimmer hörte ich ein Feuer im Kamin knistern.

Mir schwirrte allein schon der Kopf, wenn ich ihn nun drehte, dennoch bemühte ich mich aufzusetzen. Ein Fehler, wie ich feststellen sollte, denn mir wurde nur noch übler und ich ließ mich und einem lauten Stöhnen wieder in die Kissen sinken.

„Geht es?“, fragte mich dann eine weiche Männerstimme. Sofort richtete ich mich wieder auf und blickte ihn entgeistert an. Er stand vor dem Bett und sah mich... sorgenvoll an? Selbst in dem schwachen Licht, leuchteten seine Augen genauso grün, wie das letzte Mal als ich in sie geblickt hatte. Es kam mir vor wie Stunden, ehe ich begriff, was eigentlich los war. Aber meine eigene Reaktion darauf ist mir selbst heute noch unbegreiflicher. Das erste was ich nämlich tat, war die Decke nach oben zu reisen und meinen Körper damit zu bedecken. Ich hätte davon laufen sollen, ich hätte in angreifen sollen, ich hätte irgendwas tun sollen, was in so einer Situation normal gewesen wäre, aber alles woran ich getan habe, war meinen Körper zu bedecken. Und noch schlimmer war das Nächste, was ich dachte. Statt mich darüber zu wundern oder zu erschrecken, warum ich nur noch meine Unterwäsche trug, kam mir in den Sinn, dass ich ausgerechnet meine älteste Unterwäsche trug. In diesem Moment habe ich an meinem eigenen Verstand gezweifelt. Ich dachte, der Alkohol hat bereits zu viele Gehirnzellen abgetötet und ich schwor mir augenblicklich nie wieder einen Tropfen von dem Zeug anzurühren – wenn ich diesen Ort jemals wieder lebend verlassen sollte. Den noch immer sah er mich unverwandt an und schien offenbar auf eine Reaktion andere Reaktion von mir zu warten.

Aber noch bevor ich fragen konnte, was eigentlich geschehen war – ich konnte mich selbst ja nicht erinnern und bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass es besser so ist – begann er bereits zu erzählen.

Er hatte mich im Schnee gefunden und in seine Wohnung gebracht, bevor ich erfroren war. Dann hat er mich entkleidet – ohne hinzusehen, wie er extra betonte – und dann die ganze Nacht neben mir gesessen, aufgepasst, dass es warm im Zimmer blieb und ich das Atmen nicht einstellte. So hat er es mir knapp erklärt. Er hat nicht ein Wort über das warum verloren. Auch als ich ihn danach fragte, zuckte er bloß nur mit den Schultern.

„Warum hätte ich es nicht tun sollen?“, fragte er mich. Ich antwortete, weil ich ihn hatte töten wollen und war vollkommen fassungslos über so viel Selbstverständlichkeit, die er mir entgegenbrachte.

Wieder zuckte er nur mit den Schultern. Es wäre mein gutes Recht gewesen, außerdem hatte ich es ja nicht getan und zwischen wollen und tatsächlich tun, bestünde ein ziemlich großer Unterschied.

Noch nie zuvor hatte ich so einen Unsinn gehört, zumindest wollte ich mir das einreden. Ich begann zu lachen und ohne dass ich es merkte, wurde meine Lachen zu Weinen. Ich wusste nicht einmal warum ich weinte, aber so sehr ich mich auch bemühte ich konnte einfach nicht aufhören.
 

Er ließ mich allein und ging aus dem Haus. Am vernünftigsten wäre es gewesen, ich hätte meine Sachen gepackt und wäre gegangen. Ich hätte aus der Stadt verschwinden sollen. Aber ich blieb. Ich hatte nicht die Kraft irgendwo hinzugehen. Ich schlief den ganzen Tag und um ehrlich zu sein, dachte ich nicht einmal daran zu gehen. Am späten Nachmittag kehrte er zurück und brachte mir etwas zu essen und etwas Neues zum anziehen.

Wie kam er auf die Idee mir etwas zu kaufen? Wie kam er darauf, dass ich es anziehen würde? Gegen das Essen hatte ich allerdings nichts einzuwenden und schlang es begierig runter.

Außerdem, sagte er, könnte ich in einer Bar anfangen zu arbeiten. Mir blieb das Essen im Halse stecken. Ich muss ihn wohl vollkommen entgeistert angesehen haben, denn auf einmal musste er leise zu lachen. Erst später wurde mir bewusst, wie schön es eigentlich klang, wenn er das tat.

Ich fragte ihn abermals nach dem warum und dieses Mal antwortete er mir richtig.

Er sagte, ich hätte so ausgesehen als würde ich Hilfe brauchen und wenn er helfen kann, dann tat er das auch. Das beantwortete nicht im Geringsten meine Frage und er wusste das. Denn dann sah er mich vollkommen ernst an. Das Leuchten aus seinen Augen verschwand und sie wurden irgendwie dunkler. Er sagte, er sei es leid, sich ständig verstecken zu müssen. Er wollte nicht das Leben, welches seine Vorfahren, für ihn bestimmt hatten: verachtet und gejagt zu werden und vor allem, wollte er nicht so sein wie sein Erzeuger. Er meinte seinen Vater, aber dieses Wort hat er nicht einmal mit ihm im Zusammenhang genannt.

Dann fragte er mich, ob ich schon von diesen Bluttabletten gehört hätte. Anscheinend konnte er an meinem Gesicht sehen, dass ich nicht sehr viel davon hielt, denn er schüttelte leichte den Kopf, als er sagte: „Für mich sind sie eine Chance dem Wesen in mir zu entkommen. Ich will mich nicht von ihm beherrschen lassen und so lange, wie diese Tabletten den Durst stillen können, nehme ich sie bereitwillig. Ich will kein Leid bringen, wie es die anderen aus meiner Familie getan haben und noch immer tun. Ich will frei vom Erbe meiner Ahnen sein und selbst bestimmen, wer ich bin.“

Ich erinnere mich zu genau an diese Worte, denn sie prägten sich gleich in mein Gedächtnis sein. Noch nie zuvor hatte ich so etwas aus dem Mund eines Vampirs gehört und er wusste, dass ich ihm nicht glauben konnte. Heute weiß ich, dass noch viel mehr dahinter steckte. Aber davon will ich dir später erzählen.

Dann ließ er mich abermals allein und dieses Mal ging ich. Ich war verwirrt und wusste nicht, was ich von ihm denken sollte. Trotzdem stellte ich mich in der Bar vor, die er erwähnt hatte und man gab mir die Stelle. Glücklicherweise war es nicht die, die ich selbst oft genug aufgesucht hatte. Dort arbeitete ich von da an. Noch immer wusste ich nicht, was ich noch mit meinen Leben anfangen wollte, aber die Arbeit verschaffte mir eine Regelmäßigkeit. Hin und wieder kam auch er. Wir sprachen nicht mit einander, aber ich hatte das Gefühl das er mich beobachtete. Das war mir auf eine gewisse Weise unangenehm und dennoch, war da noch etwas anderes.

Er kam nur unregelmäßig und obwohl ich wusste, das ich ihm zu dank verpflichtet war, konnte ich ihn anfangs nur tolerieren. Allerdings musste ich mir schnell eingestehen, dass er wohl die Wahrheit gesagt hatte. Jeder in der Stadt schien ihn irgendwie zu kennen, aber alle nur flüchtig. Sie sagten er sei zwar wortkarg und ließe sich auf niemanden näher ein, aber anständig und hilfsbereit. Außerdem – und das war etwas, was ich sofort glaubte – lagen ihm die Hälfte der jungen Frauen zu Füßen. Bei seinem Aussehen, war das auch kein Wunder, dachte ich bei mir.

Dessen ungeachtet kam mir das Alles immer noch seltsam vor. Also setzte sich eine neue Idee in meinem Kopf fest: Ich wollte unbedingt beweisen, dass er nicht so gut war, wie die Bewohner ihn hinstellten. Ich wollte herausfinden, dass er genauso ein Monster war, wie die anderen seiner Art, dass alles was er tat, nur Fassade war und er immer noch nach Blut dürstete.

Nichts anderes zeichnete diese Wesen schließlich aus oder?

Also begann ich mich mit ihm wohl oder übel näher auseinander zu setzen. Zu Beginn waren es nur langweile und oberflächliche Gespräche und wir unterhielten uns auch nur in der Bar. Doch dann trafen wir uns auch zufällig tagsüber in der Stadt und kamen ins Gespräch. Dabei erfuhr ich dann auch seinen Namen: Yami. Außergewöhnlich, wie mir schien und ich sah es auch als ein Zeichen. Es ging eine ganze Weile so und irgendwie wurden die Gespräche weniger oberflächlich. Er zeigt offenes Interesse an dem was ich sagte und mir fiel es schwer, nicht ebenso zu empfinden. Seine Ansichten waren anders als meine eigenen und jede konnte er mit einer ganz eigenen, nachvollziehbaren Begründung vertreten.
 

Ich will dir nicht mit Einzelheiten die Zeit stehlen. Vieles davon ist für diese Sache hier nicht von Bedeutung, auch wenn ich sie dir gern erzählen würde, Ai. Doch da ich nicht weiß, wie viel Zeit mir noch bleibt, muss ich mich beschränken. Verzeih mir bitte.

Irgendwann erreichten wir sogar den Punkt an dem wir uns von unser beider Leben erzählten. Yami tat den ersten Schritt in dem er mich nach meinen Schwestern und meinen Eltern fragte. Ich erzählte nur zögerlich, denn es tat noch immer weh an sie zu denken. Aber ich fragte auch ihn nach seiner Familie.

Es war vielleicht ein Fehler, denn meine Meinung änderte sich dadurch über ihn. Ich war hinterher nicht mehr so versessen darauf ihn bloßzustellen. Vielmehr hatte ich den Gedanken, dass das Leben welches er führte möglicherweise doch ehrlich war.

Ich stellte fest, dass sein Erzeuger nicht nur mein Leben zerstört hatte, sondern auch seines. Yami sagte er wüsste nicht, wie es sich anfüllte von Eltern geliebt zu werden. Seine Mutter hat ihn nur aus Pflicht geboren, um die Linie der Clays zu sichern. Sein Erzeuger hatte nicht einmal Interesse an ihm gezeigt. Er erzählte, dass er sich nicht einmal daran erinnern könnte, dass er ihn jemals angesehen hatte.

Es mag dich erschrecken Ai, aber so wahr es. Die Clays waren nur noch wenige und jeder Nachfahre, war wie ein Geschenk des Himmels. Dies war auch ein Grund, warum er sich von ihnen distanzierte, sagte er. Er war nichts weiter, als ein Wesen, welches den Namen fortführen sollte, mit allem, was damit in Verbindung gebracht wurde. Seine Brüder hingegen würden dies nur zu gern tun.

Er hatte zwei Brüder, nein eigentlich drei. Ich bete, dass ich seine ältern Geschwister nie wieder sehen werde. Sein jüngerer Bruder ist nur zur Hälfte ein Clay. Seine Mutter hatte eine Affäre gehabt, aus der ein weiteres Kind hervor gegangen war. Ein Kind, dass sie wohl geliebt haben muss, denn das Blut der Clays war bei ihm nicht sichtbar. Mit sichtbar meinte er wohl die Gabe, die diese Familie inne hatte. Da weder seine Mutter noch sein Erzeuger zusammenlebten, nachdem sie ihre Pflicht mehr als erfüllt hatten, war es ein leichtes für sie gewesen, das Kind zu verstecken, erzählte er. Yami wusste davon, weil seine Mutter sich einmal versprochen hatte. Sie hatte ihm einmal vorgeworfen, dass er ja so viel anders ist, als ihr anderer Sohn. Instinktiv hatte er gewusst, dass sie damit nicht seine älteren Brüder gemeint hatte. Irgendwann erfuhr sein Erzeuger von der Affäre. Er fühlte sich Hintergangen und Betrogen, dass seine eigenen Cousine den Namen der Clays beschmutz und mit einem anderen Mann angebandelt hatte. Anders als man denken könnte, tötet er nicht den, mit dem sie ihn betrogen hatte, sondern sie. Offiziell war sie eines Tages einfach verschwunden. Yami wusste es, weil er ihn einmal direkt danach gefragt und er es bestätigt hatte. Seine Brüder interessiert es nicht im Geringsten.

Das alles hat er mir erst sehr viel später erzählt. Kurz darauf suchte Yami das Kind auf. Er war so blond wie er, aber das schien schon alles zu sein, was sie gemeinsam hatten. Er wollte wissen, wie jemand aus seiner Familie sein konnte, der geliebt wurde. Es muss ein kurzes Treffen gewesen sein und mehr hat er nicht darüber erzählt. Aber ich glaube, dass er ihn um die Liebe seiner Mutter beneidete.

Und noch sehr viel später, als wir... erzählte er mir dann den weiteren Grund für seine – lass es mich Andersartigkeit nennen. Er sagte, dass er immer nur von seiner Mutter geliebt werden wollte und dafür hätte er alles getan. Er sagte, er habe lange gebraucht, bis er begriff, dass es ganz und gar unmöglich war und als er mir davon erzählte, hatte er sich schon lange damit abgefunden. Um ihr zu gefallen, hatte er sich bewusst anders verhalten, als seine Geschwister. Er tötete nicht wahllos oder aus Freude, er trank nur von Menschen, wenn es nicht anders ging und er änderte sein Verhalten anderen gegenüber. Das war der erste Schritt, zu meinem gegenwärtigen Ich, sagte er. Während er so lebte, erkannte er, wie viel anders sich die Menschen oder auch Vampire ihm gegenüber verhielten. Zum ersten Mal sah er andere Gesichter, als solche die von Angst und Schrecken gezeichnet waren. Er konnte sich frei Bewegen und musste nicht mehr in der Dunkelheit verweilen. Trotzdem konnte er damit nicht die Liebe seiner Mutter gewinnen und er sah keinen Sinn mehr darin, sich anders zu verhalten. Dennoch hatte diese Erfahrung einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Deswegen konnte er das Leben führen, welches er hatte, als ich ihn kennenlernte.
 

Ich habe schon wieder so vieles geschrieben und komme doch nicht zu dem Punkt, an den ich gelangen wollte. Aber mich in diesen Erinnerungen wiederzufinden, ist auf gewisse Art und Weise beruhigend. Ich erinnere mich heute gern daran, auch wenn manche schmerzhaft sind.

Ich geh nun zu Bett und schmiege mich an deinen kleinen Körper. Du spendest mir in diesen dunklen Stunden Wärme und Trost, Ai, mein wertvollster Schatz.
 

16.April
 

Er tat mir leid. Ich hatte meine Familie schon früh verloren, aber ich wusste immer, dass sie mich geliebt hatten. So, wie ich hoffe, dass du es auch weißt, wenn ich nicht mehr bin.

Außerdem war ich mir zu diesem Zeitpunkt vollkommen bewusst, dass ich ihn mochte. Zwar waren wie so unterschiedlich, dass ich mich oft fragte, wie wir überhaupt miteinander auskamen und doch waren wir miteinander... verbunden. Allein schon unsere Namen waren ein deutlicher Hinweis darauf: Hikari und Yami. Aber gehören nicht auch Tag und Nacht zueinander? Ergänz das Eine nicht das Andere? Kann das eine ohne das andere existieren?

Wie Tag und Nacht, so waren wir auch.

Aber die Erkenntnis, dass ich ihn mochte, brachte andere Schwierigkeiten für mich mit sich. Die Idee ihn bloßzustellen, schien mir undenkbar, aber das war noch das Geringste. Vielmehr bereitete es mir ein schlechtes Gewissen. Immerhin war er ein Teil von dem, der meine Familie ermordete. Ich suchte immer mehr nach Übereinstimmungen zu seinem Erzeuger, um diese albernen Gefühle zu vernichten und natürlich fand ich sie. Man kann alles Schlechte in einer Person finden, wenn man nur danach sucht. An manchen Tagen konnte ich ihn nicht einmal ansehen, ohne an diesen Nacht zu denken. Ich war hin und her gerissen. Die eine Hälfte in mir sagte mir, dass es gut so war, wenn ich mich von ihm distanzierte, wenn ich erkannte, wer und was er wirklich war und mich nicht weiter von ihm blenden ließ. Der andere Teil hingegen wusste sehr genau, dass mein Denken falsch war, dass ich mir damit nur selbst wehtat und vor allem, dass er all die schlechten Eigenschaften, die ich in ihm angeblich gefunden hatte, gar nicht besaß.

Aber je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto schlimmer wurde es.

Und natürlich bemerkte er es.

Eine Tages sprach er mich direkt darauf an. Er tat es nicht in einer anklagenden Art, wie man meinen könnte, sondern versuchte es eher scherzhaft, ganz so wie es seiner wahren Natur entsprach. Denn niemals hätte er einem anderen Vorwürfe gemacht. „Was ist mit dir Hikari? Du bist in letzter Zeit so still und in dich gekehrt, wenn wir zusammen sind. Du diskutierst nicht mehr mit mir.“, sagte er.

Ich schüttelte nur den Kopf. Ich wusste es ja selbst nicht, was mit mir nicht stimmte. Ich wusste nur, dass meine Schuldgefühle, meiner Familie gegenüber von Tag zu Tag größer wurden. Ich verbrachte Zeit mit ihm, während sie nicht mehr lebten. Es war ungerecht und falsch, dachte ich. Yami legte den Kopf ein wenig schief und musterte mich. Ich wich seinem Blick aus, aus Angst er würde es sehen. Denn gleichzeitig hatte ich ein ebenso schlechtes Gewissen, dass ich mich ihm gegenüber so anders benahm.

„Es tut weh, nicht wahr? Meine Gesellschaft bereitet dir Schmerzen.“, sagte er plötzlich und ich erschrak. Ja, ich hatte Schmerzen, aber wie konnte er davon wissen? Ich hatte alles getan, um es ihn nicht spüren zu lassen. Ich versuchte ihn mit einem Lächeln und einem Spruch zu überzeugen, aber er glaubte mir nicht. „Wir können nicht so weiter machen.“, sprach er weiter und ich sah ihn verwirrt an. Ich konnte ihm nicht folgen. Yami fuhr sich nervös durch die Haare und ich spürte seine innere Unruhe. Noch nie hatte ihn so gesehen und das verunsicherte mich noch mehr.

Doch war er dann sagte, ließ mich alles andere vergessen und brachte meine Welt zum Einsturz.

„Ich liebe dich.“
 

Als seine Worte mein Innerstes erreichten, sah ich die Quelle des Schmerzes auf einmal klar und deutlich vor mir. Als hätten seine Worte mich direkt dahin gestoßen. Dabei hatte ich nur versucht es nicht zu bemerken und es war mir bis dahin erfolgreich gelungen.

Es stimmte nicht, dass ich dieses Wesen mochte. Ich sah ihn nicht einmal mehr als ein Wesen an oder als Vampir. Ich sah ihn schlicht als Mann.

Als Mann in den ich mich – ohne mir dessen selbst bewusst zu sein – verliebt hatte.
 

Ai, ich kann dir nicht einmal sagen, wann ich begonnen hatte ihn zu lieben. Ich glaube, man kann die Liebe nie an einem bestimmten Zeitpunkt festmachen. Es war einfach so. Ich kann dir keine Antwort auf das Wann geben, aber auf das Warum und wenn du dich erinnerst Ai, wirst du es auch wissen.

Aber genau das war das Verbotene daran! Meine Liebe zu ihm durfte nicht sein. Ich wusste es und doch war es geschehen. Ich hörte meine Schwestern anklagend schreien. Er war doch...

Und diese Schuld war es gewesen, die er durchschaut hatte. Er wusste, wie sehr mich dieser Gedanke quälte. Ich liebte einen von denen, die so viel Leid über meine Familie gebracht hatten.

Ich konnte ihm nicht einmal antworten. Ich saß da und weinte bittere Tränen, die niemals enden wollten, hin und her gerissen, zwischen den Wissen, was ich für ihn empfand und dem, dass es nicht sein durfte. Ich rührte mich nicht. Es war als, wäre mein ganzer Körper taub und gehört nicht mehr zu mir, sondern nur noch zu dieser fremden Person, die so etwas hatte zulassen können. Ich wartete darauf, dass der Schmerz nachließ, obwohl ich wusste, dass dies niemals geschehen würde.

„Ich sollte gehen.“, hörte ich ihn sagen, aber er ging nicht. Ich spürte, wie er neben mir saß und mich anblickte. Später sagte er mir dann, dass ich so verzweifelt ausgesehen hatte, dass er mich unmöglich allein lassen konnte. Er fühlte sich schuldig und doch bereute er seine Worte nicht. Er wollte mir helfen, wusste aber dass er das nicht konnte. Also tat er, was er getan hat. Yami sagte, er hatte nicht einmal darüber nachgedachte, er hatte einfach gehandelt auch wenn es falsch gewesen war.

Er zog mich plötzlich an sich und dann konnte ich seine Lippen auf meinen spüren. Ich war glücklich und unendlich traurig gleichzeitig. Ich wollte seine Küsse erwidern und ihn gleichzeitig von mir stoßen. Zwischen seinen Küssen murmelte er immer wieder, dass ich ihn vergeben sollte.
 

Irgendwann verlor ich das Bewusstsein. Ob vor Erschöpfung oder Verwirrung, weiß ich nicht. Ich fühlte mich allein und glaubte er wäre für immer gegangen. Ich hoffte es. Denn wenn er nicht zurückkam, müsste ich nicht darüber nachdenken, was richtig und falsch war. Aber selbst in meinem Traum sehnte ich mich nach ihm.

Und das Gefühl war noch genauso stark, als ich erwachte. Ich fand mich in seinem Schlafzimmer wieder. Yami saß am Fenster und sah nach draußen. In diesem Winter hatte der Schnee früh eingesetzt.

„Was wirst du tun?“, fragte er mich, ohne mich anzusehen. Wieder schüttelte ich mit dem Kopf. Ich wusste es nicht.

„Liebst du mich?“, flüsterte er leise und zum ersten Mal hörte ich, dass seine Stimme auch anders klingen konnte. Nicht so leicht und unbeschwert oder sanft und weich, sondern unsicher und verletzbar. In diesem Augenblick wurde mir klar, welche Bedeutung dieses Gefühl, dieses Wissen auch für ihn haben musste. Nicht nur ich hatte mich ihn jemanden verliebt, sondern auch er. Aber vor allem, hatte er seit langer Zeit wieder den Wunsch geliebt zu werden. Genau wie ich, sehnte er sich nach der Liebe eines Anderen. Er sehnte sich danach zum ersten Mal zu erfahren, wie es war geliebt zu werden. Er wollte von mir geliebt werden. Ich nickte, um seine Frage zu beantworten, aber ich war mir nicht sicher, ob er es überhaupt sah, denn er blickte immer noch aus dem Fenster.

„Du wirst immer an ihn denken, nicht wahr?“

„Ja.“, flüsterte ich und verborg mein Gesicht zwischen den Händen. Dann drehte er sich um und in seinem Gesicht lag eine tiefe Traurigkeit.

„Ich bin nicht er.“

„Ich weiß, aber du bist ein Teil von ihm.“, antwortete ich ihm.

„Nur äußerlich.“

Ich konnte nicht anders und musste bitter Lachen. „Du weißt, dass das nicht stimmt.“

Er erwiderte nichts und ich schüttelte abermals den Kopf. Was sollte jetzt werden? Es war falsch diese Gefühle zuzulassen, aber es kam mir ebenso falsch vor es nicht zu tun.

Dann hob er eine Hand und legte sie auf den Winterkaktus, der im Fenster stand.

„Du hast gesehen, was unsere Gabe ist und ich habe dir davon erzählt.“, sagte Yami leise. Ich erwartete, dass die Pflanze eingehen würde. So wie alles, was Vampire berührten und so wie es die Gabe der Clays war.

„Es geht auch anders herum.“, sprach er. Ich begriff nicht was er meinte, erst dann fiel mein Blick auf den Winterkaktus unter seiner Hand. Die Knospen, die er getragen hatte, schienen unter seiner Berührung zu wachsen und nach wenigen Sekunden erblühten die drei größten. Die weißen Blüten waren in ihrem Aussehen Tränen gleich.

Er sah mich ausdruckslos an, abwartend, wie ich reagieren würde. Aber wieder konnte ich nur weinen. Mit dieser Geste hatte er mir einen klaren Beweis gegeben, wie viel anders er als sein Erzeuger war. Yami zog mich abermals in die Arme und ich wusste, dass er mich nie wieder loslassen würde. Selbst, wenn ich es gewollt hätte.
 

Es war ein langer Winter. Oft blieben wir taglang zusammen und sprachen doch kaum ein Wort miteinander, berührten uns nicht einmal - immer dann, wenn meine Zweifel übermächtig wurden und selbst seine Worte, Küsse und Berührungen sie nicht vertreiben konnten. Ich wusste, dass ich ihn dadurch ebenso verletzte.

Und dennoch konnten weder er noch ich voneinander lassen.

Aber an den Tagen, an denen ich die Vergangenheit von der Gegenwart trennen konnte und der Überzeugung war, dass es in Ordnung war ihn zu lieben, war ich glücklich. Ihm ging es wohl genauso, denn ich lächelte an diesen Tagen mehr als sonst.

Als sich der Winter nach sieben Monaten endlich seinem Ende neigte, liebten wir uns zum ersten Mal. Es war ein unbeschreiblicher Augenblick und gehört zu den Schönsten, die ich jemals erleben durfte.
 

21. April
 

So lange, wie dieser Winter anhielt brauchten wir uns keine Gedanken machen, was die Gesellschaft der Hunter oder der Vampire tun würde, sollten sie jemals von unserer Verbindung erfahren. Keinesfalls würde man es tolerieren und wir wussten beide, dass es eigentlich besser so sein würde. Aber es war schon lange zu spät für uns, um noch anders zu handeln. Wahrscheinlich hatten wir von Anfang an keine andere Wahl. Heute frage ich mich, was geschehen wäre, wenn wir den „richtigen“ Weg gewählt hätten. Aber was ist schon der richtige Weg? Wenn ich dich ansehe, weiß ich, dass der Weg, den wir wählten nicht falsch sein konnte.

In diesem Winter gab es keine Möglichkeit die Stadt zu verlassen oder hineinzukommen. Doch als der Schnee geschmolzen war, erhielt ich umgehend eine Einladung ins Hauptquartier in den Süden. Ich nenne es Einladung, aber es war mehr ein Befehl, dem ich mich nicht wiedersetzen konnte, wollte ich verhindern, dass sie zu mir uns kamen.
 

Wenn Yami bei mir war, gelang es mir, meine Zweifel weitestgehend zu bezwingen. Sie waren nicht mehr so stark, wie am Anfang und ich hatte die Hoffnung, dass sie mit der Zeit ganz verblassen würden. Doch als der Abreisetermin näher rückte, kamen sie mit einem Schlag zurück und waren mächtiger als zuvor. Trotzdem trat ich diese Reise allein an. Wir beide wussten, dass dies alles entscheiden würde. Entweder ich würde zu ihm zurückkehren oder ich blieb bei denen, zu denen ich gehörte.

Oft hatte Yami mir gesagt, dass er mich liebte. Aber mit den wieder wachsenden Zweifeln, verloren seine Worte an Glaubhaftigkeit. Aus Unsicherheit heraus fragte ich ihn direkt, wie sehr er mich liebte.

Wieder sah er mich mit seinen grünen, ernsten Augen an und inzwischen hatte ich gelernt, was dieser Blick bedeutete. Er überlegte, wie direkt er mir antworten konnte.

„Hat man mir beigebracht, was es bedeutet, wenn ein Vampir liebt?“, fragte er mich schließlich und ich nickte, nicht sicher worauf er hinauswollte. Danach zog er mich an sich und begann meinen Hals zu küssen. Auf eine andere Art und Weise, wie er es zuvor schon oft getan hatte.

Er sagte: „Wenn wir lieben, denn gibt es für uns nur noch diese eine Person. Wir wollen nichts so sehr, wir ihr Blut. Alles, bis auf den letzten Tropfen auch wenn es ihren Tod bedeutet. Es nicht zu trinken bereitete uns schmerzen. Das Blut unseres Geliebten ist das Einzige, was unseren Durst wirklich zu stillen vermag.“ Anschließend küsste er mich. „So sehr liebe ich dich.“, flüsterte er.

Seine Worte machten mir Angst und mit ihnen in den Gedanken trat ich meine Reise an.
 

Im Hauptquartier erwartete mich eine Abmahnung. Ich war meiner Pflicht nicht nachgekommen. Inzwischen gab es einen neuen Präsidenten und ich lernte ihn kurz kennen.

Ich blieb zwei Monate dort, länger als ich musste. Aber ich hatte ein paar ehemalige Kameraden wiedergetroffen und ich genoss es, sie wieder zu sehen.

Versteh mich nicht falsch, Ai. Obwohl ich viel Zeit mit Yami verbrachte, so hatte ich doch ein eigenes Leben. Aber diese Menschen verstanden mich auf eine andere Art und ihre Gesellschaft war mir angenehm. Sie zeigten mir, wie mein Leben sein konnte, wenn ich blieb.

Um ehrlich zu sein hoffte ich dadurch ihn vergessen zu können. Dieses Gefühl in mir, was man Liebe nennt zu bezwingen und dort zu bleiben. Ich wollte es als Möglichkeit sehen ein neues Leben zu beginnen. Doch seine letzten Worte hatte ich noch immer im Kopf und sie berührten mich tief.

Als einer der Männer, mit denen ich meine Ausbildung gemacht habe, plötzlich Interesse an mir zeigte, versuchte ich sogar mich darauf einzulassen. Er sah gut aus, schwarzes Haar, braune Augen, groß – das ganze Gegenteil von Yami. Doch als er mich zum ersten Mal küsste, dachte ich nur an seine Küsse. Und als er weiter ging und meinen Hals liebkoste, stellte ich mir vor, wie es sein würde, wenn mein Geliebter sich das von mir nahm, was er am meisten begehrte. In jenem Moment begriff ich, dass ich das, was ich am meisten gefürchtet hatte, eigentlich von ihm wünschte. Es würde uns untrennbar miteinander verbinden. Ich war krank und dabei mich selbst zu zerstören, das war mir klar. Dennoch ging ich noch am nächsten Tag zu ihm zurück.

Die Warnungen, die man mir mit auf den Weg gab, nahm ich nicht für ernst.
 

Als ich zurückkehrte fand ich ihn in seiner Wohnung. Wieder hatte er den Kaktus zum blühen gebracht. Er sagte, es würde doch bald wieder Winter sein. Seine Stimme hatte abermals diesen ängstlichen Unterton, so als habe er gewusst, dass ich nicht zurückkommen wollte. Möglicherweise hatte er sich das ja genauso gewünscht. Es wäre für uns beide besser gewesen. Es hätte uns so viel Leid erspart.

Ich habe Yami niemals davon erzählt, was mich zum ihm zurückgebracht hat. Manchmal denke ich, dass er es vielleicht ahnen konnte. Seine Beobachtungsgabe war bemerkenswert. Natürlich hat er mich nie gebissen oder gar den Versuch unternommen. Wir beide wussten, dass das das Ende bedeutet hätte. Sein Hunger nach meinem Blut wäre nur immer größer geworden.

Aber auch sonst hat sein Wesen, sein Durst, unser Zusammeleben nicht unnötig erschwert. Er nahm diese Bluttabletten, die ich immer mehr zu schätzen lernte. Selbstverständlich konnten sie den Durst nicht ganz stillen und hin und wieder musste er Blut trinken. Meist ging er, während ich schlief und nahm sich von jemand aus dem Nachbardorf, was er brauchte. Ich wusste, dass er das tat, auch wenn wir es nie aussprachen und er wusste ebenso, dass ich es wusste. Hab keine Angst, Ai. Er hat nie jemanden getötet oder verletzt. Er nahm nur immer so viel, wie nötig. Alles andere hätte wir beide nicht ertragen können. Für den seltenen Fall, dass ich mich mal irgendwo verletzte – er war derjenige, der sich ständig irgendwo schnitt (Wie hat er das nur immer gemacht?) – hat er wie jeder anderen reagiert. Selbstverständlich kann ich nicht beurteilen, was er dabei empfunden hat und als ich ihn einmal tatsächlich danach fragte, zuckte er wie so oft mit den Schultern.

Ai, du fragst dich sicherlicht, wie wir eine Beziehung haben konnten, wo wir doch unterschiedlicher nicht sein konnte. Besonders, was unsere Spezies betraf. Um ehrlich zu sein, haben wir nie darüber gesprochen. Und mit darüber meine ich, dass ich alt werden und vor ihm sterben würde. So hätte es zumindest sein sollen. Dieses Thema stand nie zwischen uns. Wahrscheinlich hatten wir es als unumstößliche Tatsache schon längst akzeptiert. Vielmehr haben wir das genossen, was wir hatten. Jeden Tag, ohne uns Fragen, die mit „Was ist wenn...“ beginnen, zu stellen. Vielleicht war das ein Fehler.
 

Anderthalb Jahre führten wie eine... ungewöhnliche, aber dennoch glückliche Beziehung. Hin und Wieder kehrte das altbekannte Gefühl der Schuld zurück und wenn es so war, dann zog ich mich zurück und er ließ mich. Umso glücklicher war er jedes Mal, wenn es wieder vorbei war.

Und dann geschah das Unmögliche: Ich wurde schwanger.

Ich sage deshalb unmöglich, weil wir beide nie davon ausgegangen waren, dass unsere... DNA kompatibel war. Wir waren zwei vollkommen unterschiedliche Wesen. Nie haben wir auch nur daran gedacht, so etwas vorzubeugen, weil es doch einfach ausgeschlossen war.

Es war das Schlimmste, was mir passieren konnte.

Ich habe das Ding in mir vom ersten Moment an gehasst. Ich hatte furchtbare Angst.

Was für ein Wesen trug ich in mir? War es ein Mensch? War es ein Vampir?

Es sollte aus meinen Körper verschwinden. Bald schon kannte ich keinen anderen Gedanken mehr. Selbstverständlich wusste ich nicht wie und mir fehlte der Mut, es selbst zu... beseitigen.

Auf die Nachricht meiner Schwangerschaft hatte er verhalten reagiert. Er hatte gesagt, dass er sich nichts mehr wünschen könnte, als ein Kind mit mir zu haben und Vater zu werden. Aber er war auch genauso fassungslos, dass es überhaupt möglich war. Er wusste ebenso nicht, was zu tun war. Aber die Tatsache, dass er sich darüber in gewissem Maße freute, hinderte mich daran, ihm meine Gedanken gleich anzuvertrauen. So lange, bis ich schließlich nicht mehr konnte. Als ich ihm dann davon erzählte, blieb sein Gesicht vollkommen regungslos und ich wusste nicht, was er dachte. Das machte mir noch mehr Angst. Immerhin hatte er sich darüber gefreut. Aber hatte er auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie ich mich fühlte, machte ich ihm den Vorwurf.

„Wovor hast du Angst?“, fragte er mich dann und nahm mich beschützend in den Arm. In diesem Moment konnte ich es am wenigsten ertragen. Ich gab ihm an allem die Schuld. Ungläubig sah ich ihn an. Ob er sich das nicht denken könnte. Ich trug ein Monster in mir, fuhr ich ihn wütend an.

„Warum denkst du, ist es ein Monster?“, fragte er mich ruhig zurück.

„Es ist wahrscheinlich ein Vampir!“, schrie ich.

„Das bin ich auch.“, antwortete er darauf. Es klingt dumm, aber das war für mich, wie eine vollkommen neue Information. In unseren Zusammenleben war diese Tatsache in den Hintergrund gerückt. Unser Leben war so normal, wie es nur sein konnte und da auch ich nachts arbeitete, viel es nicht einmal weiter auf, dass wir uns tagsüber kaum in der Stadt zeigten.

Er zog mich in seine Arme zurück und küsste mich flüchtig. Er konnte mich verstehen, sagte er. Aber das was in mir war, war zur Hälfte auch ein Mensch. Auch dieser Gedanke war mir vollkommen neu. Es war nicht nur ein entweder oder, es war beides.

Yami beteuerte mir, dass er alles tun würde, um mich wieder glücklich zu sehen und mir die Angst zu nehmen, aber er konnte es nicht... entfernen. Er wusste zum einem nicht wie und zum anderen, war es auch sein Kind.

„Ich kann nicht mein eigenes Kind töten.“, sagte er und ich spürte die Traurigkeit, die er bei diesem Gedanken in sich trug. Ich nickte kurz, wollte ihn nicht weiter beunruhigen und versuchte mich an seine Worte zu klammern. Doch es gelang mir nicht lange. Die Angst wurde übermächtig. Was, wenn es mich töten würde? Was, wenn es doch ein Monster war?

Also versuchte ich es doch auf eigene Weise loszuwerden. Ich schlug mir gegen den Bauch, lief mit Absicht gegen Tischkanten und ließ mich die Treppe herunter fallen. Letzteres versuchte ich nur einmal.

Als ich nach dem Sturz zu mir kam, saß Yami an meinem Bett und mein Kopf war verbunden. Er erzählte mir, dass ich eine Platzwunde hatte und im gleichen Atemzug erklärt er mir, dass das Kind noch lebte. Ich wusste, dass er die Enttäuschung auf meinem Gesicht sehen konnte. Im gleichen Augenblick begriff ich, dass er wusste, dass es kein Versehen gewesen war.

„Ich habe so schreckliche Angst.“, flüsterte ich schließlich. Ich sagte es mehr zu meiner eigenen Verteidigung. Schließlich wusste ich ja, dass ich auch ein Teil von ihm töten würde, wenn ich das Kind loswerden wollte.

„Glaubst du, du bist die Einzige, der es so geht?“, fragte er mich und seine Stimme hatte plötzlich eine Schärfe bekommen, die ich noch nie bei ihm gehört habe. „Ich habe auch Angst und wenn ich sehe, was du dir selbst antust, wünschte ich, wir wären uns niemals begegnet. Ich weiß genauso wenige wie du, was geschehen wird und jede Sekunde muss ich daran denken, was dir das Wesen antun könnte. Dabei schaffst du das wunderbar allein! Du hättest dir heute fast das Genick gebrochen, weißt du das?!“

Noch nie zuvor hat er so mit mir gesprochen. Vielleicht kann ich mich deswegen so gut daran erinnern. In diesem Moment war alles Sanfte aus seinem Gesicht verschwunden und ich sah möglicherweise zum ersten Mal das, was er wirklich war. Aber seine Worte schafften es zu mir durchzudringen, denn es lag mir fern selbst zu sterben.
 

Ich frage mich wirklich, was ich mir damals gedacht habe. Immer noch war ich voller Wiedersprüche. Mit meinen siebenundzwanzig Jahren dachte ich, ich sei erwachsen, dabei war ich noch weit davon entfernt.

Ich antwortete ihm nicht darauf, denn ich wusste auch nicht, was ich antworten sollte. Ich war mir über meine eigene Dummheit im Klaren, dennoch änderte es nichts an meinem Wunsch.

„Es gibt keine Ungewöhnlichkeiten oder andere Anomalitäten.“, sagte er plötzlich und setzte sich wieder auf den Stuhl neben meinem Bett.

Ich sah ihn fragend an. Er sagte, dass er einen Arzt holen musste, da die Wunde sehr stark geblutet hatte. Der Arzt hat mich daraufhin gründlich untersucht. Das ich schwanger war, war bereits zu sehen. Er hatte nichts feststellen können, was irgendwie ungewöhnlich wäre, aber für eine genauere Diagnose müssten wir zu ihm kommen.

Yami fragte mich nicht, ob ich zu diesem Arzt gehen wollte. Er schleppte mich dort einfach hin. Es war das erste Mal, dass er etwas über meinen Kopf hinweg entschied. Man sagte mir, dass das Kind, wie jedes andere in diesem Stadium entwickelt war und es auch sonst keine Auffälligkeiten gab. Bis zu einem gewissen Grad beruhigte mich das, aber es war nicht genug. Er schien es zu spüren und stellte mir noch ein paar Fragen, doch keine davon beantwortete ich anders als andere Frauen, die er behandelte. Aber der Arzt erklärt mir auch, dass es für eine Abtreibung zu spät war.

Meine Ängste legten sich erst dann ein wenig, als ich eine seltsame Vorliebe für Käse mit Schokocreme entwickelte. Am liebsten hätte ich mich von nichts anderem mehr ernährt. Ich wollte nur das und zwar morgens, mittags, abends. Yami wurde nach drei Tagen allein schon vom zuschauen schlecht. Diese etwas ungewöhnliche Ernährung brachte mich zum Umdenken. Wenn das Ding in mir, mich dazu brachte, von Käse und Schokocreme zu leben, war es vielleicht doch nicht so schlecht, wie ich dachte. Außerdem gab es mir den ersten Beweis, dass es wirklich auch ein Teil – der menschliche Teil – von ihm war. Ich selbst mochte nämlich keine Schokocreme, er aber dafür umso lieber.
 

Mein Appetit änderte sich glücklicherweise noch, aber die Angst nicht. Gegen Ende der Schwangerschaft wurde sie wieder schlimmer. Aber ich versuchte es mir nicht mehr anmerken zu lassen. Yami war sehr glücklich.

Die Geburt war das schrecklichste, was ich je erlebt habe. Dabei habe ich gedacht, dass ich schon viele schreckliche Dinge erlebt hatte. Es war der Tag der Sonnenfinsternis. In der Stadt gab es den Aberglauben, dass es nichts Gutes bringen würde, wenn ein Kind an solch einen Tag geboren würde. Ich hatte gehofft, diesen Tag zu umgehen. Dieser Glaube stärkte meine Ängste nur zusätzlich. Doch als die Wehen genau an diesem Tag einsetzten, wurde ich regelrecht panisch. Ich begann die Geburt zu verweigern.

Es dauerte bereits Stunden, bevor Yami den Arzt gegen meinen Willen holte. Dieser kam mit einer Schwester. Er zögerte nicht lange und schnitt mir mit einem Skalpell den Bauch auf.

Als uns beiden klar wurde, was er vor hatte, bettelte ich Yami an bei mir zu bleiben und mich nicht allein zu lassen. Die Angst vor dem Messer, war größer als die Angst vor dem unbekannten Wesen. Schon als der Arzt das Skalpell aus seiner Tasche geholt hatte, hatte er gehen wollen. Aber ich ließ ihn nicht. Ich flehte ihn an, bei mir zu bleiben und als das nichts brachte, machte ich ihm schreckliche Vorwürfe, die ich heute noch bereue. Ich hielt ihn vor, dass er an allem schuld sei. Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich nicht in dieser Situation. Wie hatte ich nur so egoistisch sein können?

Seine Augen glühten so rot, wie ich es noch nie zu vor gesehen hatte, als der Arzt das Kind schließlich holte. Ein Zeichen, wie sehr er gegen das Wesen in seinem Inneren kämpfte Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie groß sein Durst gewesen sein muss. Ich war von diesem Anblick gefesselt. Das Schreien des Kindes nahm ich nur unbewusst war.

„Menschlich.“, presste Yami zwischen den Zähnen hindurch und verließ augenblicklich das Zimmer, noch bevor der Arzt, es überhaupt realisieren konnte.
 

01. Mai
 

Er kam erst Stunden später zurück. Die Sonnenfinsternis war schon lange vorbei und der Tag neigte sich dem Ende. Das Rot war aus seinen Augen verschwunden. Wortlos betrat er den Raum und sah mich kaum an. Tonlos fragte er mich, wie es mir geht und ich konnte nicht mehr tun als Nicken.

„Hast du... es getan?“, fragte ich ihn ängstlich und er antwortete mit einem leisen „Ja.“ Ich konnte die Erschütterung über seine eigene Tat deutlich in seiner Stimme hören.

„Wen?“, fragte ich weiter.

„Ich weiß es nicht.“, sagte er kaum hörbar. „Irgendwer, der mir zu erst begegnet war.“

„Eine Mann oder eine Frau?“, fragte ich weiter, dabei war es vollkommen unrelevant.

„Eine Frau,... glaube ich.“

„Hast du sie...“, ich schluckte heftig, mochte es mir nicht einmal vorstellen. „Hast du sie getötet?“

„Ich hoffe nicht.“, wisperte er. „Ich weiß es nicht. Ich habe einfach... Ich konnte nicht denken... Ich war nicht... ich selbst... Sie liegt in einer Gasse zwei Straßen weiter. Vielleicht wird sie bald gefunden.“, wisperte er.

„Es tut mir leid.“, entschuldigte ich mich nach Minuten der Stille, wohl wissend, dass es nicht genug war. Ich hatte ihn dazu getrieben. Es war meine Schuld, dass er sich Vorwürfe machte. Ich sah die Qual in seinem Gesicht und schämte mich für meine Worte.

Er sah mich an und in seinen Blick lag etwas Unbekanntes. „Ich weiß.“, antwortete er. „Du hattest Angst. Ich verstehe.“

Er hatte mir nicht verziehen und ich glaube nicht, dass er es danach jemals tat. Wir sprachen nie wieder darüber, dennoch konnte ich den Gedanken nicht abschütteln. Ich wusste, dass ich es verdient hatte.
 

Es war tatsächlich eine Frau gewesen. Sie überlebte mit hohem Blutverlust. Nach ein paar Tagen im Krankenhaus, wurde sie wieder entlassen und erholte sich schnell.
 

Nachdem einige Minuten verstrichen waren, in denen niemand von uns etwas gesagt hatte, hörte ich ihn tief durchatmen. Dann fragte er mich plötzlich nach dem Kind. Meine Sorge um ihn war zu groß gewesen, als dass ich mich weiter damit befasst hatte.

Da wir kein Kinderbett hatten und als der Arzt bemerkte, dass Yami nicht mehr da war und ich körperlich sowie geistig nicht in de Lage gewesen war es anzunehmen, hatte er es auf den Sessel gelegt, in dem Yami so oft saß. Eingebettet in Kissen und Decken lag es da noch immer.

Er ging hinüber und nahm es hoch. Dann stieß er einen merkwürdigen Seufzer aus und ich konnte nicht anders und sah zu ihm. War sein Gesicht gerade noch von Schuld gekennzeichnet, hatte sich nun darauf eine Zärtlichkeit gelegt, wie ich sie nur kannte, wenn er mich ansah.

„Hikari, sie ist wunderschön.“

„Sie?“, fragte ich dumm.

„Ja.“

„Woher willst du wissen, dass es eine sie ist?“

„Es kann nur ein Mädchen sein.“ Schweigend betrachtete ich ihn. Er mit einem Kind, mit unserem Kind auf dem Arm. Das Bild war nicht einmal so merkwürdig, wie ich gedacht hatte. Dann fasste ich mir schließlich ein Herz. „Was meintest du mit menschlich?“, fragte ich unsicher.

Ohne mir zu antworten kam er zum Bett. Ich drehte den Kopf weg. „Sieh sie dir an, Hikari.“, mahnte er mich sanft. Nur zögerlich drehte ich den Kopf und... auf einmal wurde ich von solchen Gefühlen überrollt, wie ich sie nie kannte. Ich war von dem kleinen Geschöpf in seinen Armen verzaubert und konnte nicht anders, als sie eine ganze Weile stumm anzustarren.

Ihr Gesicht war rund und rosig. Auf ihrem Kopf sah man leicht den blonden Pflaum ihrer Haare. Die Augen waren geschlossen und sie wirkte im Schlaf vollkommen entspannt. Als hätte sie gewusste, dass schon alles gut werden würde.

„Was denkst du?“, fragte er mich.

„Niedlich.“, antwortete ich und es war das Einzige, was ich in der Lage war zu denken. Nie hätte ich es möglich gehalten, dass ein Kind von mir und ihm so aussehen könnte.

„Ich meinte vorhin, dass ich nichts Vampirisches spüren kann.“, beantwortete er dann meine Frage. Verwundert sah ich ihn an. „Es ist schwierig zu beschreiben. Ihre Aura ist nicht die eines Vampirs, aber auch nicht die eines Menschen. Sie ist schwächer, kaum wahrnehmbar.“

Als ich immer noch nichts sagte, sprach er weiter. „Ich will nicht sagen, dass sie überhaupt keine Züge eines Vampirs hat. Aber ich kann im Moment nichts spüren.“

Ich nickte, obwohl ich seine Worte kaum begriff. Konnte er nicht? Wieder schwiegen wir und betrachtete sie stumm.

„Was machen wir nun?“, durchbrach er die Stille. Ich hatte keine Antwort. Ich war zu verwirrt, von all den Dingen, die an diesem Tag geschehen waren. Er erkannte das und redete deshalb weiter. „Zuerst einmal braucht sie einen Namen. Hast du einen Vorschlag?“

Ich konnte nicht einmal denken, da sollte ich einen Namen aussuchen? Ich war zu sehr mit meinen eigenen Gefühlen beschäftigt, als mir darüber Gedanken zu machen. Als ich ihm nicht antwortete, fragte er mich: „Liebst du mich?“

Völlig überrumpelt stieß ich ein Natürlich aus. „Ich liebe dich auch und ich liebe dieses Kind schon jetzt mehr, ich es jemals für möglich gehalten habe. Sie ist zu süß, um sie nicht zu lieben.“

Skeptisch sah ich ihn an. „Hast du immer noch Angst? Kannst du es denn nicht lieben?“, fragte er mich weiter.

Ich wusste es ehrlich nicht. Ich wusste nur, dass mir die Vorstellung an ein Leben zu dritt, jetzt da das Kind da war und es so... normal war, nicht mehr unbehaglich war.

„Ich will...“, sagte ich schließlich. „Ich will es lieben.“ Und als ich die Worte sprach, merkte ich, dass ich sie wirklich so meinte.

„Dann nennen wir sie Ai. Es ist ein sehr schöner Name.“

Ich nickte stumm und konnte nicht leugnen, dass ich ganz ergriffen war. Ich weinte sogar ein wenig. Yami setzte sich mit dem Kind neben mich und zog mich an seine Brust. Er küsste sanft meine Stirn. Ich spürte, dass ihm meine Worte sehr viel bedeuteten.

Wir verhaarten eine ganze Weile so, bis ich mich endlich wieder beruhigt hatte. Erst dann schien ich wieder klar denken zu können.

Allerdings war mein erster Gedanke, dass wir vielleicht erst einmal wirklich sicher gehen sollten, ob es wirklich ein Mädchen war. Yamis Enthusiasmus verschwand augenblicklich. Er sagte ich solle das machen. Aber ich wollte genauso wenig.

Die Wahrheit war, dass wir beide Angst hatte, das Kind weiter zu berühren. Wir befürchteten, dass wir ihm ausversehen weh tun konnten. Während wir uns stritten, schlief es einfach weiter, vollkommen anteilnahmslos und wieder dachte ich, dass es wohl wusste, dass alles gut werden würde. Spätestens in diesem Augenblick war es um mich geschehen. In jeder Situation schlafen zu können, konntest es nur von seinem Vater haben. Und dass es so etwas war, was es von ihm geerbt hatte, erfüllte mich mit so viel Zuversicht und Freude, dass alles andere in weiter Ferne rückte.
 

Nun Ai, das ist unsere Geschichte, bis zu dem Augenblick, in dem wir dich das erste Mal in den Armen hielten. Jetzt weißt du auch, wer aber vor allem was dein Vater wirklich war. Er war ein Vampir. Hab keine Angst davor. Ich habe lange gebracht um zu erkennen, dass das keinen Unterschied machte. Er war, wie er war. Genauso, wie du ihn in Erinnerung hast: ein liebender Mann und ein liebender Vater. Ich weiß, dass du Zeit brauchen wirst, bis du es verstehst. Deswegen hoffe ich so, dass dich diese Worte erreichen, wenn du älter bist. Aber ich vertraue darauf, dass du es tust. Du hast so viel von ihm, dass ich keinen daran Zweifel habe.

Was mich selbst betrifft... Es tut mir leid, wenn meine Worte dich verletzte haben. Ich konnte das... unbekannte Wesen in meinem Körper einfach nicht lieben. Aber ab dem Moment, in dem er dich in den Armen hielt, in dem ich dich das erste Mal wirklich sah, habe ich das erste Mal so etwas wie echte Zuneigung für dich empfunden und diese ist mit jedem Tag gewachsen. Trotzdem kann ich verstehen, wenn du mir nicht verzeihen kannst. Ich wollte dir nie davon erzählen, aber ich wusste, dass ich es tun musste, wenn ich diese Zeilen schreiben würde. Ich kann nur hoffen, dass du meine Liebe erkennst.

Die Zeit mir dir und deinem Vater, war wirklich die allerschönste, die ich je erleben durfte. Die Worte meine Mutter begleitete mich jeden Tag und ich verstand sie auf einmal nur zu gut. Es gab nicht einen Tag an dem ich nicht dankbar für euch beide war. Mit der Zeit verschwanden auch die Schuldgefühle gänzlich, die ich so lange in mir getragen habe. Was konnte an meiner Liebe zu ihm schlecht sein, wenn er mir so ein wunderbares Wesen wie dich schenkte?

Ich liebe dich sehr Ai, aber dein Vater... er hat dich regelrecht vergöttert. Wir beide waren die Ersten die ihm eine richtige Familie gaben und die Tatsache, dass du so gar nicht, wie jemand aus seiner Familie warst, ließ ihn daran glauben, dass seine eigenen Wurzeln nicht von Grund auf Schlecht waren.

Es war so eine glücklich Zeit, die wir mit einander verbrachten. Es gab keine Vampire und keine Hunter. Nur die Menschen um uns herum. Manchmal vergaßen wir ganz, dass es etwas gab, was uns sehr von ihnen unterschied. Es war wohl zu vollkommen, denn es endete alles mit einem Schlag. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt darüber schreiben kann, so sehr zerreist mich allein der Gedanke daran. Seit jeher habe ich es mir verboten, darüber nachzudenken, weil ich es einfach nicht ertragen konnte. Deswegen werde ich erst morgen beginnen. Vielleicht habe ich dann die Kraft dazu.
 

12. Mai
 

Es geschah noch im Herbst, zwei Monate nach deinem dritten Geburtstag. Ich machte gerade eine Pause und vertrat mir vor der Bar die Beine. Du warst gerade bei einer Frau, die sich ab und an um dich kümmerte, einfach nur, weil sie Kinder so sehr mochte. Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr.

Yami wartete draußen auf mich. Obwohl er es war, der mir diese Arbeit beschafft hatte und ich sie gern machte, sah er es nicht mehr gern, dass ich dort arbeitete. Er sagte eine Mutter zu sein, hätte mich noch schöner gemacht und er mochte die Blicke der anderen Männer nicht. Kurz ausgedrückt: Er war eifersüchtig und das schmeichelte mir ungemein. Wir standen am Hintereingang, vorborgen vor den Blicken von Passanten und er küsste mich zärtlich, erinnerte mich daran, dass ihr zu Hause auf mich warten würdet und ich nicht so lange bleiben sollte. Wir standen eng umschlungen, denn mir war leicht kalt gewesen. Bevor er ging küsste er mich noch einmal und vergrub das Gesicht an meiner Halsbeuge. Wir verhaarten einigen Momente so und schließlich ging er dich abzuholen.

Als ich nach Hause ging beleuchteten die Straßenlaternen meinen Weg nur spärlich. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass sich etwas im Schatten bewegte. Ich war erst erschrocken, aber als ich die Gestalt erkannte, die sich auf mich zu bewegte, mehr überrascht. Es war der Mann, der vor wenigen Jahren Interesse an mir gehabt hatte. Wir unterhielten uns ein wenig und ich fragte ihn was er in dieser Gegend machte. Er sei gekommen um zu sehen, ob es mir gut ging und auch, um mir zu sagen, dass ich zurück kommen sollte. Ich könnte nicht einfach so aufhören, dass zu sein, was ich bin. Und dann sagte er etwas, was mich irritierte, denn ich verstand nicht, was er mir sagen wollte: „Anscheinend bin ich noch rechtzeitig hier aufgetaucht. Mach dir keine Sorgen, ich werde dein Problem bald beseitigt haben.“

Ich hatte keine Probleme. Mir ging es so gut, wie nie zuvor. Doch er antwortete nicht weiter auf meine Fragen und verschwand wieder. Ich lief so schnell ich konnte nach Hause, um Yami davon zu erzählen. Als ich dort ankam, brannte das Licht nicht, wie ich es erwartete hatte. Es war alles vollkommen düster und schien verlassen. Weder er noch du waren da, Ai. Ich wollte das Haus gerade wieder verlassen, um dich zu holen, doch noch bevor ich an der Tür war, hörte ich aus dem Nebenzimmer ein Geräusch. Ich rannte dorthin, doch Yami kam mir bereits entgegen. Sein Gesicht war vollkommen verändert. Blass und abgehetzt, wirkte er. Sofort überfiel mich die Angst. Wortlos zog er mich in die Küche und ließ dabei das Licht aus.

„Was ist passiert?“, flüsterte ich. „Wo ist Ai?“ Ich wusste instinktiv, dass ich nicht laut sprechen durfte.

„Hat dich heute jemand angesprochen?“, fragte er mich unvermittelt und sein Blick huschte immer wieder zur Tür und den Fenstern. Als hätte er Angst jemand könnte ihm gefolgt sein.

„Ja. Ein alter... Freund. Ich habe mit ihm meine Ausbildung gemacht. Warum?“

„Er hat uns gesehen.“, wisperte er genauso leise. Ich verstand nicht ganz, deswegen hängte er an: „Vorhin, bevor ich Ai holen wollte.“ Er sprach schnell, als wäre jede Sekunde kostbar.

„Na und? Da ist doch nichts weiter dabei.“, sagte ich naiv.

„Hikari, ich bin ein Vampir! Er denkt, ich hätte dir Gewalt angetan. Dein Blut genommen. So muss es wohl für ihn ausgesehen haben. Zumindest kann ich es mir nur so erklären.“

„Das ist vollkommen unmöglich. Ich habe mit ihm gesprochen und er hätte es gesehen oder mich fragen können.“

„Nicht, wenn er glaub, ich hätte dich... verführt. In gewisser Weise stimmte das ja auch.“, scherzte er bitter. Erst da wurde mir klar, was er mir eigentlich sagen wollte. Wir waren in Gefahr.

„Was bedeutete das?“

„Er hat meine Spur schon aufgenommen. Gleich nachdem ich gegangen war. Er ist ziemlich flink.“, antwortet er hastig.

„Wo ist Ai?“, wiederholte ich und hatte Angst vor der Antwort.

„Bei der Kinderfrau und da sollte sie auch erst mal bleiben, bis wir ihn irgendwie losgeworden sind.“

„Wie meinst du das?“, fragte ich und meine Stimme zitterte.

„Nicht, dass was du denkst!“, fuhr er mich an. Er kannte meine Gedanken gut.

„Können wir nicht einfach mit ihm reden? Ich kann ihm sagen, dass es ganz und gar nicht so war, wie es für ihn aussah.“

Seine Augen blickten mich mitfühlend an und ich erkannte, dass es nicht so einfach sein würde. „Du hast vergessen, dass unsere Beziehung alles anderen als normal ist.“, erinnerte er mich sanft. „Bedenke, was du bist, bedenke, was ich bin. Auch, wenn du nicht als Hunter geboren wurdest und deswegen vielleicht einen kleinen Spielraum hast, so ist es doch schon immer in dir gewesen.“ Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht hören, was er mir da zu sagen versuche. „Was glaubst du, würden sie mit Ai machen?“, flüsterte er heißer. „Ihre Existenz grenz fast an ein Wunder. Glaubst du sie würden uns einfach so in Frieden weiter leben lassen?“

Wieder konnte ich nur den Kopf schütteln, während mir die Ausweglosigkeit dieser Situation bewusst wurde und Verzweiflung meinen Körper durchkroch.

„W-Was sollen wir jetzt tun?“, formte ich tonlos mit den Lippen.

„Ich sagte doch, wir müssen ihn loswerden. Ich werde versuchen ihn von hier fortzulocken, bis er meine Spur verliert. Wenn er zurück kommt und nach dir fragt und Ai sieht, antwortest du ihm.“

„Und was soll ich über ihren Vater erzählen?!“, fragte ich ihn wütend und die Tränen standen mir bereits in den Augen. Ich wusste inzwischen vorauf das ganze hinaus laufen würde.

„Das er... kurz verreist ist, dass du ihn wahnsinnig liebst und dass er verdammt gut aussieht und ein anderer sowieso nicht mithalten kann.“

Unwillkürlich musste ich lachen, auch wenn ich bereits heulte.

„Woher weiß ich, ob... Wann sehen wir uns wieder?“, stammelte ich.

„Ich melde mich auf jeden Fall, sobald ich ihn losbin und das weißt du.“, sagte er noch bevor ich überhaupt daran zweifeln konnte.

„Geh nicht.“, flehte ich ihn an.

„Das ist das Beste für dich und Ai.“, argumentierte er noch einmal und ich wusste, dass er seinen Standpunkt nicht ändern würde. Schwach nickte ich.

„Stell dir einfach vor, ich mache nur eine kleine Reise, sehe mir die Welt ein wenig an, während du dich um Ai kümmerst und mir ein warmes Essen auf den Tisch stellst, wenn ich zurück bin. In ein paar Tagen werde ich wieder da sein.“

Ich hasste ihn dafür, dass ich er in solchen unpassenden Momenten Scherze machen konnte. Trotzdem erwiderte ich: „Das hättest du wohl gerne.“, und zwang mich zu einem Lächeln.

„Ja, das hätte ich wirklich gern.“

„Was ist, wenn es nicht so geht, wie du sagst? Was ist, wenn du nicht...“ Meine Stimme brach ab. Ich konnte es nicht einmal zu Ende denken.

Ich hob den Kopf und sah in seinen Augen, dass er die gleiche Angst teilte. „Ich liebe euch und ich werde zurückkommen. Wenn doch etwas... dazwischen kommen sollte, möchte ich dass du eines weißt.“ Dann flüsterte er mir etwas ins Ohr und die Tränen strömten nur so meine Wange hinunter. Dann löste er die Kette, die er immer um seinen Hals trug und legte sie mir in die Hand. Ich solle gut darauf aufpassen, er würde sie wiederhaben wollen. Bevor ich auch nur reagieren konnte, küsste er mich lang und innig und ich erwiderte seinen Kuss auf die gleiche Weise. Es war ein verzweifelter Kuss. „Es ist nur eine kleine Reise.“, flüsterte er dann. Danach war er gegangen.

Ich blieb nicht untätig zu Hause. Ich versuchte den Mann zu finden, der deinen Vater jagte, doch es war aussichtslos. Sie hatten die Stadt schon verlassen.
 

Ich muss mich einen kurzen Moment ausruhen, denn das was ich nun schreiben werde, kostet mich noch mehr Anstrengung. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt kann.

Die Kette, die er mir gab, zeigt das Wappen seiner Familie: ein in sich verschlungenes vierblättriges Kleeblatt. Für Yami war dieses Wappen, der Beweis, dass seine Familie nicht immer schon so grausam war. Wer würde ein vierblättriges Kleeblatt wählen, wenn man gleichzeitig so Stolz auf eine Gabe war, die anderen das Leben entziehen konnte? Die Kette, oder besser gesagt, der Anhänger gehört zu dem Kästchen, welches auch dir einmal gehören wird. Wenn du diesen Brief hier liest, wirst du herausgefunden haben, wie die beiden Teile zusammengehören. Ich darf es dir leider nicht sagen. Er sagte einmal, dass jeder, der es besaß, es selbst herausfinden musste. Wie ich es herausgefunden habe, ist unwichtig. Yami bedeutete, dieses Kästchen sehr viel. Es war das einzige Geschenk, das er jemals von seiner Mutter bekam, zusammen mit dem Anhänger. Erst später so sagte er, hat er herausgefunden, warum sie es ihm gegeben hatte.
 

Um deinetwillen versuchte ich weiter zu machen. Du warst drei und hast sehr wohl verstanden, dass dein Vater nicht da war. Du hast mich nach ihm gefragt und jedes Mal antwortete ich dir, dass er nur eine kurze Reise machte und bald zurückkommen würde.

Nach fünf Tagen klopfte es am Nachmittag an der Tür. Mein Herz schlug wie wild. Ich machte mir Hoffnung, dass er es war, obwohl er nicht zu klopfen brauchte. Doch als ich die Tür öffnete, stand sein Jäger vor mir.

In jenem Moment, als ich sein Gesicht sah, wusste ich, dass er nicht zu mir zurückkommen würde. Nie wieder.

Ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, obwohl er es mir dringend erzählen wollte. Ich wollte es nicht hören. Ich ließ ihn erzählen, während meine Hand sich um den Anhänger der Kette geschlossen hatte, die plötzlich merkwürdig eng an meinem Hals lag. Als er fertig war, nickte ich wie von selbst und schloss wortlos die Tür.

Ich ging in dein Zimmer. Ich spürte nichts, ich dachte nichts. Vor mir erstreckte sich nur eine tiefe, dunkle Leere, die unaufhaltsam näher kam. Du warst damit beschäftigt, deine Puppe zu kämmen. Ich stand im Türrahmen und sah dich kaum, weil mein Blick so verschwommen war. Ich wusste, dass ich es dir sagen musste und dass es besser war, es gleich zu tun. Solange, wie der Schmerz noch nicht zu mir durchgedrungen und die Leere mich verschlungen hatte. Denn danach, hätte ich es nicht mehr gekonnt.

Dann drehtest du dich plötzlich zu mir um und hast mir stolz deinen ersten selbstgebundenen Pferdeschwanz gezeigt. Du hast genauso ausgesehen wir er, Ai. Leuchtende grüne Augen und ein Strahlen im Gesicht, als wollest du die Welt erwärmen. Ich kann und will es dir gar nicht beschreiben, was ich empfand. Aber es war, als würde der Schmerz mich überrollen und du warst mein einziger Halt. Ich rannte zu dir und schloss dich so fest ich konnte in meine Arme. Dann begann ich hemmungslos zu weinen. Ich konnte deine Verwirrung spüren, die mit jeder Minuten, die ich weinte, zu Angst wurde.
 

An das, was ich dir danach sagte, wirst du dich noch erinnern. Ich habe es dir oft erzählt. Ich sagte, dass dein Vater auf seiner Reise einen Unfall hatte und an den Verletzungen gestorben sei. Er würde nicht zurückkommen. Es war eine Lüge, aber ich konnte dir doch nicht erzählen, dass er ermordet worden war. Für ein Verbrechen hingerichtet, was er nicht begangen hatte. Denn etwas anderes war es doch nicht.

Kurz danach begannen unsere Umzüge. Ich hatte Angst, dass man herausfinden würde, wer du wirklich warst. Ich wollte dich um jeden Preis beschützen. Dabei waren die Hunter noch die geringste Gefahr für uns. Doch als ich das erkannte, war es bereits zu spät.
 

Vor acht Monaten dann tauchten sie plötzlich auf. Ich erzählte dir, dass Yami der jüngst Sohn der Clays war. Seine älteren Brüder machten ihrer Familie alle Ehre. Du warst bei einer neuen Freundin und ich wollte dich gerade abholen, als einer von ihnen plötzlich vor mir auftauchte. Hatte ich damals gedacht, dass Yami dem Vampir ähnlich sah, der meine Familie getötet hatte, so war dieser sein Ebenbild. Er wollte „Rache für sein Blut“. So hat er es gesagt. Er wollte Rache für den Tod seines Bruders. Ich weiß nicht, ob es ihm wirklich um seinen Bruder ging oder einfach nur darum, dass einer der Nachfahren der Clay getötet worden war – von einem Hunter, wegen mir. Denn das schien er alles zu wissen. Woher weiß ich nicht.

Ich weiß nicht, wie es mir gelang ihn loszuwerden. Ich habe ihn schwer verletzte, zumindest glaube ich das. Aber es war mir wohl nur gelungen, weil er mich unterschätzt hatte.

Von da an bin ich mindestens jeden dritten Tag mir dir an einen anderen Ort gezogen. Immer erfand ich neu Ausreden, warum es ausgerechnete auch in dieser Stadt einen Grund grab, nicht zu bleiben. Irgendetwas fiel mir schon ein. Ich wollte dir keine Angst machen.
 

Bis heute geht das so. Aber nicht mehr lange. Ich weiß, dass sie jede Nacht näher kommen und ich kann nicht Tag und Nacht von dir verlangen zu reisen. Deswegen versuche ich mich vorzubreiten, bereit zum Kampf, wenn sie uns endlich gefunden haben. Ich bin so selbstsüchtig und bringe es nicht einmal übers Herz, dich jemand anderem anzuvertrauen. Ich weiß nicht, ob sie von deiner Existenz wissen. Wenn nicht, dann wäre das nur gut und du könntest wo anders ein glückliches Leben haben, ohne mich. Aber ich kann nicht.

Du bist alles was mir noch geblieben ist.
 

Die Sonne geht bald auf und wir müssen weiter ziehen, immer in der Hoffnung, dass sie unsere Spur verlieren und wir ihnen einen weiteren Tag entkommen.
 

Wenn ich versage, sollst du die Kette und das Kästchen nehmen. Seit dem Tag an dem ich die Kette erhalten habe, habe ich sie nicht wieder abgenommen. Nur einmal werde ich es tun, wenn ich den Brief in dem Kästchen verwahren werde, welches so alt, wie seine Familie selbst ist. Wenn du herausfindest, wie es sich öffnen lässt, wirst du reif und alt genug sein, um alles verstehen zu können. Das wünsche ich mir zumindest.
 

Ich lege dir ein Photo bei. Du warst zwei als es gemacht wurde und eine benachbarte Freundin war Photographin. Allerdings mochte sie gestellte Aufnahmen nicht und hatte so immer ihre Kamera dabei, um die wirklich wichtigen Momente festhalten zu können, wie sie es immer nannte. So ist dieses Bild entstanden. Es war immer mein liebstes.
 

Bevor ich dich gleich wecke nur noch zwei Dinge, die du wissen sollst. Das eine ist von mir, das andere von deinem Vater.
 

Ai, auch, wenn ich deine Existenz eine lange Zeit nicht zu schätzen wusste, nicht begriffen habe, welches Wunder in mir war, so möchte ich, dass du es jetzt weißt. Ich war zu blind und ängstlich, um zu erkennen, wie wunderbar ein Kind sein kann, besonders mit ihm als Mann und Vater an meiner Seite. Du bist alles was wir hatten und was wir mehr als alles andere liebten. Wir haben alles getan, um dich zu beschützen. Ich habe dir jeden Tag gezeigt, wie sehr ich die liebe, wie wichtig du mir bist, denn Worte können das nicht einmal annähernd ausdrücken.

Selbst, wenn unsere Körper nicht mehr bei dir sind, ein Teil von uns wird es immer sein. Dein Vater wird bei dir sein, wenn du lachst, so laut und herrlich, dass man vor Freunde weinen möchte. Sieh ihn den Spiegel und er wird dir durch deine Augen zurückblicken. Wenn du Angst und dich unsicher fühlst oder du etwas anstellst, von dem du weißt, dass es nicht ganz richtig ist, dann werde ich es sein, die aus dir spricht. Du musst genau hinsehen, Ai. Wir sind immer bei dir. Du musst uns nur finden - in dir.
 

Von deinem Vater soll ich dir etwas Anderes sagen, etwas Wichtiges. Ich selbst konnte den Sinn hinter den Worten nie ganz begreifen, obwohl ich eine Ahnung habe. Aber du wirst es schon herausfinden. Er sagte: „Sag Ai, dass ich sie liebe und dass die letzte Geschichte unter den Worten liegt.“
 

Wir lieben dich.
 

Leb wohl...

Verrat

So, da bin ich endlich wieder!!! Hat ja auch lange genug gedauert, ich weiß ja!

Tut mir leid!!!
 

Ich will also auch gar nicht lang rumseiern und wünsche euch viel Spaß! Wir hören uns am Ende!!!
 

maidlin

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Verrat
 

Er saß in seinem dunklen Zimmer, den Blick aus dem Fenster gerichtet, sah und hörte, was an einem anderen Ort geschah. Zwischen seinen Fingern drehte er eine Schachfigur – den Springer. Eine äußerst nützliche Figur, die auf allen Feldern, auf jeder Seite stehen konnte. Schon einmal hatte ihm diese Figur in einem Spiel auf Leben und Tod einen wichtigen Dienst erwiesen.

Genauso wie auch heute wieder.
 

Das Papier raschelte leise, als Zero es sinken ließ. Doch in der gespenstischen Stille, die in den Raum eingekehrt war, klang es wie ein Reisen. Fassungslos starrte er auf das Papier, versuchte das gerade Gelesene und Ausgesprochene zu begreifen. Niemand sprach. Alle anderen starrten ebenso auf die vielen Bögen Papier, die die Wahrheit enthüllt hatten, scheinbar unfähig es zu verstehen.

„W-Wa-Was bedeutet das?“, fragte Ai mir dünner, bebender Stimme. Sie blickte ängstlich in die Augen ihres Papas, doch er starrte noch immer auf den Brief ihrer Mutter. Keiner antwortete ihr, aber sie konnte ihre Blicke spüren. Die Angst kroch ihren Körper hinauf, ihren Nacken entlang, so dass sich die feinen Härchen auf ihrer Haut aufstellten.

„M-Mein V-Va...to-...san... war...war...er...“, sie schluckte heftige. Das konnte nicht sein. Sie hatte es bestimmt nicht richtig verstanden. Sicher würde ihr Papa ihr gleich sagen, dass alles in Ordnung ist. Ganz bestimmt. Gleichzeitig hörte sie immer wieder die Worte ihrer Mutter, durch Zeros Stimme gesprochen. Klar und deutlich, als hätte sich jedes einzelne in ihr Gedächtnis gebrannt. Auch, wenn sie es noch so sehr von sich stieß, noch so sehr versuchte sich einzureden, es falsch verstanden zu haben, nicht richtig hingehört zu haben, wurde der Teil in ihr, der es begriffen hatte, immer größer. Und ohne, dass sie sich dessen selbst bewusst war, hauchte sie kaum hörbar: „Er... war... ein...Vampir.“

Ihr Herz schien aufgehört haben zu schlagen, alles fühlte sich dumpf und taub an. Sie fühlte sich nicht mehr. Da war nur noch die Gewissheit, dass gerade etwas furchtbar schief gegangen war. Von einem Moment auf den anderen, war ihr Welt schwarz geworden und sie wusste, dass es daraus nie wieder ein entrinnen geben würde.

Ihr Blick richtete sich hilfesuchend an Zero. Noch immer glomm der Funken Hoffnung, dass es vielleicht doch ganz anders war. Doch er schaute weiterhin nach unten. Ai konnte sein Gesicht nicht sehen und ihre Angst wurde zu Panik.

Ein Räuspern des Rektors ließ sie zusammenfahren und sie sah ihn aus großen, angstvollen Augen an.

„Es...“, wollte der Rektor antworten, doch er brach ab. Dann unternahm er einen zweiten Versucht und holte tief Luft: „Es scheint so. … Aber... das... ist... Ich habe noch nie...“ Wieder brach er ab, unfähig weitere Worte zu finden. Ai blickte zu Yagari und auch in seinen Augen konnte sie Verblüffung und Unverständnis ausmachen. Ebenso bei Yuki.

Doch er sah sie immer noch nicht an. Die Angst schuf Kälte und Ai schaffte es kaum, auf ihn zuzugehen. Es kostete sie all ihre Kraft, um einen Schritt vor den anderen zu tun. Aber noch mehr Überwindung kostet es sie, ihre Hand auf sein Knie zu legen. Sie wollte, dass er sie ansah, auch wenn sie wusste, dass er sie zurückstoßen würde.

Er hasste Vampire doch so sehr.
 

Unter ihrer Berührung zuckte Zero zusammen. Er konnte einfach nicht glauben, was er erfahren hatte. Das war vollkommen unmöglich! Niemals würde seine... Sie konnte nicht. Sie war nur ein Kind. Und doch... die Wahrheit saß wie ein schmerzender Stachel in seinem Fleisch.

Ai war... seine Ai, war ein... ihr Vater war...

Wie hatte das passieren können? Allein schon die Tatsache, dass sie ihre Mutter das Blut der Hunter in sich trug, hätte diesen Frevel verhindern sollen. Das allein hätte genügen müssen, um es niemals möglich zu machen. Ihr Blut hätte es verhindern sollen. Beider Blut hätte sich gegenseitig abstoßen müssen, ein neues Leben niemals möglich machen dürfen. Hunter und Vampire waren bestimmt einander zu hassen. Liebe hat es zwischen ihnen nie gegeben. Aber nicht nur das allein, hätte es unmöglich machen sollen. Allein schon ihre Rassen. Nie konnte daraus ein Kind entstehen. Wie war es dann doch so gekommen? Warum?

Und er hatte nie etwas dergleichen gespürt. Nichts hatte darauf schließen lassen, dass sie ein... kein... dass sie anders war. Sie hatte das Blut eines Vampirs in sich. Ihr Vater war das gleiche Monster, wie er eines war - nach Blut dürstend und scheinbar unersättlich. Sie war...

„Hasst du mich jetzt?“, hörte er sie gebrochen fragen. Ihre Stimme, die sonst immer so klar und fröhlich war, klang nun unsicher, als hätte sie Angst vor ihm.

Nun hob Zero schließlich den Kopf, immer noch nicht wissend, was er antworten sollte, geschweige denn, was er selbst über all dies dachte. Doch als er ihrem Blick begegnete, stockte ihm der Atem. Ai stand vor ihm, die großen Augen direkt auf ihn gerichtet. Er konnte Angst darin erkennen und Unsicherheit. Aber am meisten schockierte ihn wohl die Farbe ihrer sonst so grün leuchtenden Augen. Das Grün war dumpfer, matter und gräulicher. Wie das Grün eines sterbenden Blattes an einer Pflanze, kurz bevor es herunterfällt und gänzlich verdorrt.

Er hatte diesen Blick schon einmal gesehen, vor langer Zeit. Fast hatte er es vergessen. Damals vor fünf Jahren, als er sie das erste Mal getroffen hatte, hatte sie den gleichen Blick in den Augen gehabt. Es hatte lange gebraucht, bis sie zu ihrem klaren und hellen Lachen zurückgefunden hatte, dass ihn selbst so glücklich machte. Als er es das erste Mal gehört hatte, hatte er den Eindruck gehabt, die Sonne würde ihn persönlich anlachen.

Die Vorstellung, es nicht mehr zu hören, ließ sein Herz zu Eis erstarren. Zero erkannte, dass er nicht viel anders war, als die beiden Monster, die sie damals töten wollten. Nur eine einzige Entscheidung, ein einziges Wort, würde ausreichen, um dieses wundervolle Lächeln für immer von ihrem Gesicht zu wischen. Er könnte es zerstören und ihre Seele in abertausende von Teilen zerbrechen.

Allein der Gedanken daran, dass sie ihn von nun an vielleicht immer aus diesen sterbenden Augen ansehen würde, ließ alles andere für den Moment verblassen.

Zero ließ den Brief fallen und zog Ai augenblicklich in seine Arme. „Nein, natürlich hasse ich dich nicht.“, flüsterte er heißer. Er drückte sie fest an sich, spürte den vertrauten kindlichen Körper. Es war noch immer die gleiche Wärme, der gleiche Geruch. Auch als sie die Arme um seinen Hals legte und leise zu schluchzen begann, kam ihm all dies bekannt vor. Es war so, wie es immer gewesen war. Sie hatte sich nicht plötzlich geändert.

Sie war sie. Das Mädchen, welches er vor fünf Jahren bei sich aufnahm und das seitdem sei Leben auf den Kopf gestellt hatte. Das Mädchen, das ihm überhaupt ein Leben gegeben hatte. Es hatte sich nichts geändert. Es waren nur Worte, vor langer Zeit auf Papier geschrieben, ungefährlich und wirkungslos.

Sie war Ai.

Sie war sein Kind.

Er spürte die Blicke der anderen auf sich, ganz besonders ihren. Zero wusste was sie dachte.

Dennoch empfand er keine Reue. Das Kind in seinen Armen, würde ihn niemals betrügen.

„Es ist alles in Ordnung, Ai.“, flüsterte er in ihr Ohr. „Es ändert sich nichts.“ Das würde es doch oder nicht?, nagte eine leise Stimme an seinem Bewusstsein.

„Aber wie zum Teufel ist das möglich?!“, sagte nun Yagari, der seine Stimme wieder gefunden zu haben schien. Ai zuckte vor Schreck zusammen. Sie vergrub das Gesicht an Zeros Brust und drückte sich noch ein wenig mehr an ihn.

„Das würde ich auch gern wissen.“, stimmte der Rektor murmelnd zu.

„Aber warum ist das denn so verwunderlich?“, sagte Yuki und reagierte anders, als alle anderen. „Rein von der Anatomie betrachtet sind sich Menschen und Vampire nicht unähnlich.“

„Aber nur, wenn man von der äußeren ausgeht.“, sagte Zero und der bittere Unterton in seiner Stimme war nicht zu überhören.

„Das ist einfach...“, wieder machte der Rektor eine Pause und suchte nach den richtigen Worten.

„Unheimlich?“, fragte Ai zögernd und Zero wusste, dass sie damit ihre eigenen Gefühle beschrieb. Für sie muss das Ganze noch unfassbarer sein.

„Oh, nein! Ganz und gar nicht!“, rief Kurosu. Alle anderen blicken ihn ungläubig an. Ai, weil sie hoffte eine vernünftige Antworte zu bekommen, eine Erklärung, die drei Erwachsenen, weil sie böses ahnten. „Faszinierend trifft es sehr viel eher! Überlegt doch mal, was das bedeutet! Es eröffnen sich vollkommen neue Möglichkeiten!“

„Wofür?“, fragte Zero misstrauisch.

„Das ist der beste Beweis, dass diese albernen Streitereien zwischen Vampiren und Huntern endlich ein Ende finden können! Eine gemeinsame Existenz, nicht nur nebeneinander, sondern auch miteinander ist möglich! Ihre Mutter ist ein Hunter und ihr Vater ein Vampir. Ich hätte mir nie zu träumen gewagt, dass es wirklich so möglich sein kann! Das ist einfach wunderbar! Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem erhalten habe.“

„Ah!“, stieß Yuki plötzlich entsetzt aus.

„Was ist los, Yuki? Geht es dir nicht gut? Du bist plötzlich ganz blass?“, fragte Kaien sie sofort und ging zu ihr.

Mit entsetztem Blick sah sie zu Ai. Warum hatte sie es nicht gleich bemerkt?! Wie hatte sie es auch nur eine Sekunde vergessen können?!

„Was ist?“, fragte Zero sie nun ebenso.

Yuki versuchte sich wieder zu fangen. Sie durfte sich nichts anmerken lassen. Ai durfte nichts merken. Das Letzte was sie wollte, war dem Kind noch mehr Angst zu machen. Aber das... Wenn Ai wirklich...

Hikari und Yami...

Licht und Finsternis...

Tag und Nacht...
 

„Was machen wir denn, wenn wir das Kind gefunden haben?“

„Wir werden es töten.“
 

„Nichts.“, sagte sie kaum hörbar. „Zero, ich... ich muss mit dir reden.“, brachte sie heraus. Ihr Mund war staubtrocken und jedes Wort war ihr schwer gefallen. Sie sah ihn eindringlich an, hoffte, dass er ihre Botschaft verstehen würde.

„Du immer mit deinem Pazifismus!“, sagte Yagari genervt, der Yukis Verhalten offenbar für nicht so wichtig empfand.

„Du bist doch nur neidisch, weil ich die ganze Zeit recht hatte!“, sagte Kaien Kurosu triumphierend.

Yagari verdrehte genervt die Augen. „Ich gehe eine Rauchen. Auf diese Neuigkeit brauche ich erst einmal eine Zigarette und dann vielleicht noch einen doppelten Whiskey.“, murmelte er. Auf seinen Stock gestützt, stand er auf und verließ das Zimmer.

„Yuki?“, fragte Ai sie und Yuki lächelte sie schwach an. „Schon gut, Ai. Es ist wirklich alles in Ordnung.“ Sie hoffte, dass ihr Schauspiel sie überzeugen würde. Ein kurzer Blick zu Zero, genügte um zu wissen, dass es wohl nicht so war. Er hatte nicht darauf reagiert.

„Zero, bitte nur... kurz...“

Doch statt ihrer Bitte Folge zu leisten, sah Zero kurz auf die Uhr. „Nein, ich bringe erst Ai zu Bett. Es muss so lange warten.“

„Aber, Papa ich...“

„Ai, du weißt, dass wir morgen ganz früh aufbrechen wollen. Du hast versprochen gleich ins Bett zu gehen.“

„Ja.“, sagte sie unzufrieden. „Aber... ich mag jetzt nicht allein schlafen und ich kann jetzt auch nicht schlafen.“

Zero strich ihr liebevoll durch das Haar. Nur zu gut verstand er sie, aber sie würden morgen auf jeden Fall zurückkehren. Er wollte, dass sie ausgeruht war und irgendwann würde sie sicher einschlafen. Auch, wenn es dauern würde.

„Ich weiß.“, sagte Zero schließlich. „Es ist nur für einen kurzen Moment. Ich höre Yuki zu und komme dann gleich nach, versprochen und ich erwarte auch nicht, dass du einschläfst. Aber ruh dich aus. Die nächsten Tage werden anstrengend werden.“

Ai nickte wiederwillig. „Sehen wir uns nochmal?“, fragte sie dann an Yuki gewandt.

„Nein, ich denke nicht.“, antwortete diese mit trockener Stimme.

Ai ließ von ihrem Papa ab und ging zu Yuki und umarmte diese. „Auf Wiedersehen, Yuki.“, sagte sie. „Ich hab dich lieb!“

Die Worte schnürten ihr die Kehle zu und der Kloß in ihrem Hals schien noch weiter anzuschwellen. Tränen traten ihr in die Augen. Ai glaubte es sei wegen des Abschieds.

„Ich hab dich auch lieb.“, flüsterte Yuki kaum hörbar und hätte Ai am liebsten nie wieder gehen gelassen. Warum gerade sie?, fragte sie sich stumm.

„Na komm schon, Ai.“, Zero reichte ihr die Hand und Ai nahm sie bereitwillig an. „Guten Nacht.“,

„Guten Nacht, Ai.“, verabschiedeten sich auch der Rektor von ihr.

Zero hörte noch, wie der Rektor Yuki noch einmal fragte, ob alles in Ordnung sei, als sich die Tür hinter ihnen schloss.

„Was ist mit Yuki?“, fragte Ai ihn, auf dem Weg zu ihrem Zimmer.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Zero knapp.

„Solltest du ihr nicht jetzt zuhören? Es schien doch wichtig zu sein.“

„Mag schon sein, aber... du bist jetzt wichtiger. Sie kann auch noch einen Moment warten.“ Ai wurde bei diesen Worten ganz warm und der Gedanke, dass er sie verstoßen könnte, kam ihr plötzlich absurd vor.

Sie betraten das Schlafzimmer und Zero verzichtete darauf das Licht einzuschalten. Der Mond erhellte das Zimmer mit seinem weißen Licht zur Genüge.

Ai krabbelte ins Bett und zog die Decke bis zum Kinn. Schweigend sahen sich die Beiden an. „Versuch dich ein wenig auszuruhen. Wenn wir wieder zu Hause sind, können wir in Ruhe über alles nachdenken.“, sagte Zero leise, der wusste, dass sie das dringend würden tun müssen. Es war einfach alles zu viel und er fragte sich für einen kleinen Moment, ob sie es überhaupt jemals verstehen würden.“

„Wer bin ich? Was bin ich?“, äußerte Ai die zwei größten Fragen, die ihr auf dem Herzen lagen. Gleichzeitig wusste sie, dass ihr Papa wohl kaum eine Antwort darauf kannte. Aber er wusste doch sonst immer alles, machte sie sich leise Hoffnung.

Zero schwieg einen Moment und betrachtete sie eingehend. Wie gern würde er ihr eine Antwort geben. „Ich kann dir nicht sagen, was du bist. Dein ganzes Verhalten ist das eines Menschen und ich kann auch nichts Vampirisches an dir spüren. Das konnte ich nie und das kann ich auch jetzt nicht, nachdem ich weiß. Aber ich kann dir auch nicht sagen, dass nicht doch ein Teil eines Vampirs in dir ist. Aber ich weiß nicht, wie viel oder was.“, antwortete er ehrlich. Ai wich seinem Blick aus, enttäuscht, dass er ihr nicht besser antworten konnte.

„Aber ich weiß vielleicht wer du bist. Du doch auch oder nicht?“, sprach er weiter.

Skeptisch blicke sie ihn an und schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Du hast es doch gehört. Deine Mutter hieß Hikari, dein Vater Yami. Du bist ihre Tochter. Du kennst deine Wurzeln und ich denke, wenn du irgendwann einmal mehr über deine Familie herausfinden möchtest, wird dir das mit diesen beiden Namen gelingen. Für den Rest... kann ich dir nur sagen, was ich in den letzten Jahren über dich erfahren habe. Möchtest du es hören?“

Ai nickte schweigend mit dem Kopf und sah ihn aufmerksam an.

„Dein Name ist Ai und du hast am 12. Juli Geburtstag. Dieses Jahr wirst du 12. Vor fünf Jahren hast du entschieden bei mir zu bleiben und seitdem habe ich dich zu sehr verwöhnt, so dass du mir manchmal auf der Nase herumtanzt.“, sagte er trocken und brachte Ai damit zum kichern. Sie wusste sehr genau, wovon er sprach. „Du bist ziemlich aufgeweckt, lieb, hilfsbereit und immer fröhlich. Würdest du in der Schule nicht immer so vor dich hin träumen, könnten deine Noten sehr viel besser sein und ich müsste mich nicht ständig darüber aufregen oder bei deinem Lehrer vorsprechen.“

Wieder kicherte sie.

„Deine beste Freundin heißt Kimi und du bist eifersüchtig auf Motoko, weil ihm alles leichter fällt als dir. Außerdem liebst du alles was süß und niedlich ist. Rosa oder pink hasst du aber aus voller Leidenschaft, höchstens ein zartes Altrosa kann deine Zustimmung finden. Du bist viel zu neugierig und Verbote reizen dich noch mehr. Manchmal denke ich du hast ein Loch im Magen, weil es vollkommen egal ist, was oder wie viel du isst, du hast nach mindestens einer Stunde schon wieder Hunger. Dein Talent dich in Schwierigkeiten zu bringen, genauso wie jenes dich immer vollzukleckern – egal mit was, selbst wenn es nur eine trockene Schreibe Brot ist – sind ohne Gleichen. Und obwohl wir jetzt vielleicht wissen, dass dein Vater ein Vampir war und deine Mutter ein Hunter, bist du wahrscheinlich immer noch genauso unsportlich und stolperst über deine eigenen Füßen, wie es auch noch heute Morgen der Fall war.“

Ai lachte aus vollem Hals und Zero war froh, dass er sie von ihren trüben Gedanken ablenken konnte – wenn auch nur kurzzeitig. Das Gefühl aber, welches selbst an ihm nagte, versuchte er auszublenden. War es wirklich so einfach?

„Das stimmt doch gar nicht.“, brachte sie endlich unter weiterem Gekicher hervor.

„Ach nein? Dann werde ich dich demnächst kochen lassen, dann siehst du mal, wie viel du verdrückst und deine ständig dreckigen Hosen kannst du auch gleich waschen.“, erwiderte er sofort.

„Nein! Ich bin ja schon still.“, gluckste sie.

„Schade, ich wäre froh ein bisschen weniger Arbeit zu haben.“

„Ich kann dir ja ein bisschen mehr helfen, wenn wir zu Hause sind.“, räumte Ai ein und beruhigte sich langsam wieder.

„Das wäre schön.“ Einen Moment sahen sie sich an. Dann beugte sich Zero nach vorn und küsste ihre Stirn. „Hast du Angst?“, fragte er sie leise und Ai nickte kurz. „Wovor?“

„Ich weiß nicht. Vielleicht davor, dass es mich doch verändert, dass ich anders bin als die anderen Kinder – es schon immer war, es nur nie gemerkt habe.“

„Ai, natürlich bist du anders als die anderen. Jeder ist anders, als der andere.“

„So meinte ich das nicht.“

„Lass mich ausreden. Jeder hat-“ Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn.

Yuki öffnete sie und schaute ins Zimmer. „Zero, ich muss wirklich-“

„Ich komme gleich!“, fuhr er sie etwas unwirsch an. Unsicher nickte sie und schloss die Tür wieder. Zero schloss für einen Moment die Augen, um sich zu erinnern, was er hatte sagen wollen. „Jeder Mensch ist anders, der eine mag rot, der andere lieber blau. Deswegen ist das noch lange nicht unnormal. Und wenn du wirklich so viel anders wärst, wie du im Moment denkst, dann hättest du doch sicher vorher schon etwas gemerkt oder?“

Sie nickte langsam. „ Suche nicht nach Dingen, die dir anderes als bei anderen vorkommen könnten, denn du wirst sie finden. Egal wie unwesentlich es ist. Es gibt nichts wirklich Bedenkliches an dir, ausgenommen natürlich die Dinge, die ich dir vorhin aufgezählt habe. Du bist ein Kind.“

„Aber, was wenn...“, wollte sie wiedersprechen, unterließ es dann.

„Aber was?“

„Schon gut. Ich glaube du solltest jetzt zu Yuki gehen, dann wirst du auch schneller wieder da sein.“ Sie versuchte ihn anzulächeln, aber es gelang ihr nur schwach.

Noch einmal strich Zero ihr durch die Haare. „Ich bin gleich zurück.“ Ai nickte kurz und sah ihren Papa hinterher. Sie zog sich die Decke über den Kopf und die Beine an. Ihr Kopf fühlte sich merkwürdig schwer an und doch würde sie nicht schlafen können. Zu sehr wirbelten die Gedanken in ihr durcheinander. Wie gern wollte sie seine Worte auf der Stelle glauben.
 

Vor der Tür stand Yuki und wartete ungeduldig auf ihn.

„Was willst du?“, fragte Zero, als er die Tür angezogen hatte.

„Es ist Ai!“, platzte sie heraus.

Verständnislos sah er sie an. „Wovon redest du?“ Noch während er sprach ging er an ihr vorbei und ins Wohnzimmer zurück. Ai hatte dort ihre Schulsachen liegen lassen und er wollte möglichst jetzt alles einsammeln, damit am nächsten Früh keine Hektik entstand.

„Die Prophezeiung, ich habe dir doch von ihr erzählt!“, sprach Yuki schnell weiter und folgte ihm augenblicklich.

„Da bist du ja endlich, Zero. Hat Yuki es dir schon erzählt? Du solltest mit Ai sofort gehen, noch heute Abend. Vielleicht bekommt ihr den Spätzug noch. Du solltest keine Zeit verlieren! Dass ich nicht selbst darauf gekommen bin!“, redete nun auch der Rektor auf ihn ein.

„Ich verstehe keine Wort!“, antwortete Zero gereizt und sah die beiden jetzt endlich direkt an.

„Zero, bei unserem ersten Treffen habe ich dir doch diesen Text gezeigt, eine Prophezeiung.“, versuchte Yuki ihn daran zu erinnern.

„Ja. Und?“

„Erinnerst du dich noch, um was es ging?“

Was sollte denn diese Frage? Natürlich erinnerte er sich! So etwas Albernes hatte er noch nie gehört. Ein Hunter und ein Vampir sollten in sich in einander verlieben und dann sogar ein Kind haben. So etwas war doch vollkommen... Seine Miene versteinerte noch im gleichen Augenblick, als er es dachte. Yuki erkannte, dass er es verstanden hatte.

„Ai ist dieses Kind. Ihre Eltern waren ein Hunter und ein Vampir. Sie hießen Hikari und Yami, Licht und Dunkelheit oder auch Tag und Nacht. Die beiden haben sich während eines siebenmonatigen Winters in einander verliebt. Ai wurde während einer Sonnenfinsternis geboren, der Tag der schwarzen Sonne.“

„Das...“, sprachlos sah er sie an. „Das muss nichts bedeuten. Es kann Zufall sein. Ich glaube nicht an so etwas.“, erwiderte er, war aber nicht wirklich von seinen eigenen Worten überzeugt.

„Du weißt sehr wohl, dass es Dinge gibt, die man mit dem Verstand einfach nicht erklären kann.“, schellte ihn nun der Rektor. „Es ist einfach so! Wie viele Beweise brauchst du noch?“

„Schon gut! Mal angenommen... Ai wäre wirklich dieses Kind, was wäre dann? Es macht keinen Unterschied und morgen sind wir sowieso nicht mehr hier.“ Er konnte diese ganze plötzliche Aufregung um diese merkwürde Prophezeiung nicht verstehen. Dann war Ai eben dieses Kind. Er konnte es nicht ändern und es würde sich nichts dadurch ändern.

„So lange, könnt ihr nicht warten!“, drängte Yuki ihn wieder.

Zero sah sie einen Moment eindringlich an und erst jetzt bemerkte er die Angst in ihren Augen. Sofort wurde er wachsam.

„Was soll das heißen?“

„Sie...sie...haben bereits entschieden, was sie tun... werden... wenn sie das Kind jemals finden...“, stammelte Yuki.

„Was? Wer?“, fragte er scheinbar ruhig, doch seine Stimme war schneidend.

„Kaname und... die Hunter. Sie wollen es... töten.“, formte sie lautlos mit ihren Lippen.

Ausdruckslos sah er sie an. „Ist das dein Ernst?“, fragte er dann kalt.

„Was? Natürlich ist es mein ernst! Zero, ihr müsst-“

„Hast du uns deswegen hierher gelockt?! Weil du sie ihm ausliefern wolltest?!“, schrie er sie an.

„Red keinen Unsinn, Zero.“, ging Kurosu dazwischen, während Yuki ihn fassungslos anstarrte. Wie konnte er so etwas von ihr denken? „Yuki wusste genauso wenig wie du, wer Ai wirklich ist. Wir haben es gerade erst erfahren, als du den Brief vorgelesen hast und das weißt du auch!“, sagte der Rektor entschieden.

„Vielleicht hat sie es von Anfang an bei ihr wahrgenommen. Sie ist ein Reinblut. Niemand weiß, wozu die wirklich fähig sind!“

„Zero, nein!“, verteidigte sich Yuki nun selbst. „Ich habe nicht gewusst, wer sie ist! Glaubst du wirklich, ich hätte es bemerkt, wenn du selbst du es nicht wusstest? Glaubst du wirklich, ich hätte überhaupt danach gefragt, mit euch hierher zu kommen, wenn ich es gewusst hätte?! Glaubst du wirklich, dass ich... dass...“ Sie brach ab. Seine Anschuldigung verletzte sie so sehr, dass es ihr den Atem raubte. Wie konnte er so etwas auch nur ansatzweise denken?!

Zero starrte Yuki wütend an, zwang sich dann regelrecht dazu ein paar Mal durchzuatmen, um das ganze rationaler betrachtet zu können. Nein, er hatte nie etwas bei Ai gespürt, was auch nur im Entferntesten auf einen Vampir schließen ließ. Und wenn er ehrlich war, glaubte er auch nicht, dass Yuki das konnte. Sie hatten wirklich alle erst gerade eben davon erfahren. Dieser verdammte Brief! Hätten sie ihn doch nie gefunden! Hätte der Rektor doch nur nicht gewusst, wie das Kästchen zu öffnen war!

„Ihr habt recht, tut mir leid.“, rang sich Zero schließlich durch zu murmeln.

„Du musst mit Ai noch heute verschwinden. Keiner darf wissen, dass ihr hier ward!“, flehte Yuki ihn regelrecht an. Sie würde es nicht ertragen können, wenn Ai irgendetwas zustoßen sollte und das nur, weil sie unbedingt Zero nach Hause bringen wollte!

Ohne länger zu zögern, rannte Zero zu seinem und Ais Schlafzimmer zurück. Er glaubte noch immer nicht an Prophezeiungen oder ähnlichen Unsinn, doch das hier bereitete ihm Unbehagen. Der Text stimmte unter dieser Auslegung wirklich mit Ai, ja selbst mit ihm und Yuki überein. Sie hatte nicht gelogen, sonst hätte er es sofort bemerkt. Ai war sicher noch wach, aber sie würde sich umziehen müssen. Ihre Sachen würden sie hierlassen, überlegte er schnell. Nur Ais Rucksack würden sie mitnehmen, das Kästchen darin und „Hase“. Er würde den Rektor und Yagari sagen, sie sollten die anderen Sachen verschwinden lassen. Sein Herz schlug schneller, während er daran dachte noch einen Zug zu bekommen. Fuhr jetzt noch einer? Wenn ja, wohin? Egal, nur erst einmal weg von hier. Zero erreichte das Zimmer, legte die Hand bereits auf die Türklinke, als er mitten in seiner Bewegung erstarrte.

NEIN!
 

Adrenalin schoss durch seine Adern und sein Puls begann zu rasen. Es war zu spät.

Als er sich umdrehte, um nach unten zu rennen, stieß er mit Yuki zusammen, die das Wohnzimmer verließ. „Er ist hier!“, schrie er sie zornig an.

„Zero, warte!“, versuchte sie ihn aufzuhalten und erwischte ihn gerade noch am Ärmel.

„Wage es nicht, dich mir in den Weg zu stellen!“, knurrte er gefährlich.

„Du weiß nicht, weswegen er hier ist. Es muss nicht wegen Ai sein!“, redete Yuki unbeirrt weiter und ließ ihn immer noch nicht los. „Er kann genauso gut hier sein, um mich zu holen. Lass mich mit ihm reden! Du hast keinen Grund ihn zu treffen!“

Sie sah, wie sein Kiefer arbeitete, wie er um jedes noch so kleine bisschen Beherrschung kämpfte, das er besaß. Sie wusste, dass er nur wiederwillig zustimmt und das auch nur, weil es ihm einzig und allein um Ai ging. Wenn sie nicht wäre, würde er ohne zu zögern... Zero ging ins Wohnzimmer, noch bevor sie diesen Gedanken beendet hatte. Es war besser so, sagte sie sich.

Zero trat ans Fenster und dann sah er sie.

10 Vampire hatten sich vor dem Gebäude versammelt, ganz vorn stand er. Der Hass, der in ihm aufflammte war unbeschreiblich. Er würde ihn ohne zu zögern töten, wenn er die Gelegenheit dazu hätte und wenn Ai nicht wäre.
 

Kaname blickte nach oben und erkannte zwei Silhouetten hinter dem Fenster. Die eine gehörte zweifelsohne Kaien Kurosu. Er erkannte es an dem Zopf, den der Mann immer trug. Die andere, nun... er hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen, aber er wusste auch so wer es war. Ihre Blicke trafen sich einen flüchtigen Moment und Kaname zog unwillkürlich einen Mundwinkel nach oben. Er war noch immer viel zu leicht zu durchschauen. Selbst auf diese Entfernung konnte er den Hass, den er ihm entgegenbrachte, regelrecht anfassen.

„Sieh mal einer an. Was für ein Zufall, dass du plötzlich hier auftauchst.“, sagte Yagari sarkastisch. „Und dann bringst du auch noch so reizende Gäste mit.“

Er blickte sich um. Es waren alles Gesichter, die er kannte. Die üblichen, treuen Gefolgsleute dieses Reinblutes, die sich selbst als seine Freunde bezeichneten. Einmal mehr fragte sich Toga Yagari, ob Kaname überhaupt wusste, was Freunde waren.

„Ich wünsche ihnen auch einen angenehmen Abend.“, erwiderte Kaname höflich, richtete seine Aufmerksamkeit, dann aber auf die Haupttür, die Yuki nicht einmal eine Sekunde später aufzog.

„Onii-sama, was machst du hier?“, fragte Yuki und trat auf ihn zu.

„Und hier kommt auch schon die Schwester.“, murrte Yagari und zündete sich eine neue Zigarette an. Das schien ja noch ein interessanter Abend zu werden... und ein langer, dachte er bissig. Er konnte das aufziehende Unheil spüren. Es hatte einfach so kommen müssen, wenn sich die beiden seit 20 Jahren wieder so nah waren. Allerdings würde sich nun zeigen, wie sehr sich Zero wirklich geändert hat, ob er durchhalten würde, was er sich vorgenommen hat.

„Yuki, ich hatte mir Sorgen gemacht, als du noch immer nicht zurück warst.“, sagte Kaname und Zärtlichkeit vermischt mit etwas anderen, war aus seiner Stimme zu hören war.

„Was soll mir denn hier zustoßen?“, fragte sie und hoffte, dass das Zittern in ihrer Stimme nicht zu heftig war.

„Man kann bei ihm nie wissen.“

„Kaname-sama, das ist wirklich...“, sie biss sich auf die Zunge, um den Rest herunter zu schlucken. Sie wollte nicht schon wieder mit ihm streiten und schon gar nicht vor all den anderen. Aber es kränkte sie zunehmend mehr, wie er so abwertend über Zero sprach. „Warum sind die anderen mit hier?“, fragte sie stattdessen.

Etwas in Kanames Blick veränderte sich und doch wirkte sein Ausdruck sanft. Er trat an sie heran und legte eine Hand auf ihre Wange. „Ich danke dir, Yuki.“, sagte er schließlich.

Verwirrt sah sie ihn an. „Du hast schon die Prophezeiung gefunden, die uns vor einer kommenden Katastrophe warnt und nun erfahre ich, dass du auch das Kind gefunden hast. Du hast uns allen sehr geholfen. Einem Reinblut würdig.“, flüsterte er mit leiser Stimme und zog sie in seine Arme. Er bemerkte nicht, dass Yuki erstarrt und jegliche Farbe aus ihrem Gesicht gewichen war.

„W-Was meinst du damit?“, fragte sie heißer und wusste im gleichen Moment, dass es eine überflüssige Frage war. Er wusste es. Aber woher!?!

„Das Kind, welches er bei sich aufgenommen hat, ist das Kind das wir suchen. Ich habe es gehört.“

„W-Wie...“, stammelte sie.

Kaname ließ von ihr ab und sah sie wieder an. „Glaubst du wirklich, ich würde dich ganz allein und ohne Schutz zu ihm gehen lassen? Er hat schon einmal eine Waffe auf dich gerichtet und ich habe keinen Zweifel daran, dass er es wieder tut.“ Unfähig zu antworteten, starrte sie ihren Bruder an. Er war ihr gefolgt?! Heimlich?! Ohne ihr wissen?! Wie hatte er das tun können?! Vertraute er ihr so wenig?!

Kaname sah sie an und versuchte ihren Blick zu deuten. Er war merkwürdig leer und starr. Was ging in ihr vor?, fragte er sich. War sie denn nicht froh, dass Kind endlich gefunden zu haben? Sie war doch genauso voller Sorge über den Inhalt der Prophezeiung gewesen, wie sie alle. Sollte sie nicht erleichterter sein?

„Es tut mir leid, dass ich dir nichts über deinen Begleiter gesagt habe.“, räumte er schließlich ein und es klang ehrlich. „Aber du musst mich verstehen. Ich habe ihm noch immer nicht verziehen.“

Yuki hörte seine Worte kaum. Zu schockiert war sie noch immer über die Tatsache, dass ihr Onii-sama es nun wusste.

„Was... Was wirst du jetzt tun?“, fragte sie ängstlich, obwohl sie die Antwort gar nicht wissen wollte. Seine Worte klangen noch klar und deutlich in ihren Ohren.

Allein bei dem Gedanken daran, gefror das Herz in ihrer Brust. Ohne dass sie sich wehren konnte, drängte sich das Bild einer leblosen Ai in ihrem Kopf. Gerichtet durch einen von ihnen, durch ihre Schuld, weil sie sie in diese Stadt geführt hatte. Sie konnte nicht atmen, so sehr schmerzte es sie.

„Das Kind mitnehmen, das ist doch selbstverständlich.“, antwortete Kaname ruhig.

„Nein! Onii-sama, das kannst du nicht tun! Sie ist es nicht! Du hast dich geirrt!“, sagte sie verzweifelt und hoffte ihre bebende und viel zu hohe Stimme würde sie nicht verraten.

Wie naiv ihre Hoffnung doch war.

„Yuki, was ist los mit dir? Ich dachte du wärest froh, das Kind gefunden, endlich Antworten gefunden zu haben. Schließlich wolltest du genauso, wie wir alle die Prophezeiung enträtseln. Deswegen allein hast du doch erst nach ihm gesucht. Oder etwas nicht?“, fragte Kaname und seine Stimme klang nicht mehr ganz so sanft, wie zuvor.

„Nein! Ich meine... Ich... Das war etwas vollkommen anderes. Da wusste ich nicht, dass sie...“, hilflos brach sie ab. Wie sollte sie ihm das erklären, so dass er ihr glaubte, dass er sie verstand? Sie sah in die Gesichter der anderen: Ruka, Seiren, Shiki und Rima, genauso wie Takuma, Kain und Aidou. Dazu ein paar andere Vampire, die sie weniger gut kannte. Aidou hatte den Kopf gesenkt und wagte es nicht ihren Blick zu erwidern. Er schien als einziger realisiert zu haben, was es für jemand anderen bedeuten würde, würde Kaname Ai mitnahm.

„Worum geht es hier überhaupt?“, hörte sie nun Yagari fragen und fuhr zusammen. Sie hatte vergessen, dass auch er da war.
 

Zero hatte gesehen, wie Yuki mit ihrem Bruder gesprochen hatte. Es schien alles natürlich zu sein. So wie die beiden immer miteinander umgingen, wenn sie sich nahe waren und das ihm schlecht werden ließ. Doch dann hatte sich Yukis Gesichtsausdruck zu einem Entsetzen geändert und ihm waren eiskalte Schauer den Rücken hinunter gelaufen. Kaname war nicht wegen Yuki hier, sondern wegen Ai!

Augenblicklich stürmte er nach unten. Gleichzeitig betete er, dass Ai schon eingeschlafen war und von all dem nichts mitbekam. Er könnte es nicht ertragen zu wissen, dass sie erlebte, wie andere – wie er! – über ihr Leben entschied.

„Zero!“, rief der Rektor verzweifelt hinterher. „Du solltest nicht nach unten gehen. Noch haben sie dich nicht gesehen und es muss doch nicht-“ Er hörte ihn gar nicht. Niemals wieder würde er Kaname Kuran über sein Leben bestimmen lassen. Niemals wieder würde er zulassen, dass dieser ihm etwas wegnahm, was er so sehr liebte.

„Onii-sama, die Prophezeiung muss sich nicht erfüllen. Ai ist so ein liebes Mädchen! Sie würde niemanden etwas zu leide tun! Sie würde nicht einmal im Traum daran denken!“, versuchte Yuki ihren Bruder derweil weiter zu überzeugen.

„Yuki, du weißt, dass die Prophezeiungen von Úmmei bisher immer eingetroffen sind. Du hast es mir doch geglaubt oder nicht? Ich sage es dir noch einmal: Eine Prophezeiung von Úmmei trifft immer ein. Du kennst diese Letzte gut genug, um deren Bedeutung für uns zu verstehen.“ In seiner Stimme lag einen eindeutige Autorität, der sie unter anderen Umständen kaum widersprochen hätte. Doch nicht so jetzt.

„Das glaube ich nicht!“, sagte sie entschieden.

„Wie kommt es, dass du deine Meinung geändert hast?“ Seine Augen blickten sie prüfend an und Yuki schreckte einen Moment zurück. „Weil ich Ai kenne! Du hast uns doch beobachtet. Dann hast du doch gesehen, dass sie keinerlei Gefahr für uns darstellt! Lerne sie kennen und du wirst wissen, was ich meine!“, argumentierte sie so gut sie konnte.

Kaname blickte ihr in die Augen, doch als er antwortete schweifte sein Blick zu etwas hinter ihr. Sie brauchte sie nicht Mal umzudrehen, um zu wissen, wer es war, den er anschaute. Sie konnte es selbst zu deutlich spüren. Das letzte Mal hatte sie diese... beängstigende Aura an jenem Tag gespürt, an dem sie sich für zwei Jahrzehnte getrennt hatten.

„Das kannst du nicht wissen. Immerhin ist sie bei IHM aufgewachsen.“, sagte Kaname scharf.

Yuki dreht sich um und sah Zero. Er hatte die gleichen kalten Augen, wie damals. Unter seiner Haut sah sie merkwürdige Hervorhebungen, die sich wie Ranken darunter schlängelten. In seiner Hand hielt er die Bloody Rose. Direkt auf Kaname gerichtet. Auch sie schien wieder zum Leben erwacht zu sein. Zero würde Ai niemals gehen lassen und sie verstand es! Sie wusste wohin all dies führen würde, wenn sie nicht etwas unternahm. Aber sie fühlte sich so unglaublich hilflos, wie schon lange nicht mehr.

Durch die umstehenden Vampire, die zuvor nur zugesehen hatten, ging ein Ruck und ihre volle Aufmerksamkeit war auf Zero gerichtet. Die meisten von ihnen sahen ihn zum ersten Mal wieder.

„Ich will das Kind.“, sprach Kaname und es klang wie ein Befehl.

Zero antwortete nicht. Stattdessen entsicherte er die Bloody Rose und zielte direkt auf Kanames Kopf. Takuma wollte dazwischen gehen, doch eine Handbewegung von Kaname hielt ihn davon ab.

„Du solltest wenigstens einmal vernünftig sein.“, sagte Kaname. „Sie ist eine Bedrohung für die Vampire und die Hunter gleichermaßen. Gerade du, von allen anderen, solltest doch wissen, was es mit Mythen und Überlieferungen auf sich hat, Zero.“

Immer noch antwortete Zero nicht. Der Finger lag auf dem Abzug, angespannt und bereit einen Schuss abzufeuern. Yuki starrte Zero an, unfähig dazwischen zu gehen. Er würde Ai bis aufs letzte Verteidigen.

„Die Prophezeiung wird eintreffen, wenn wir sie nicht verhindern. Du solltest so viel Verstand besitzen und das Kind freiwillig herausgeben. Sonst werden wir es mit Gewalt holen.“

Zero drückte den Abzug durch und ein Schuss löste sich mit einem lauten Knall. Die Luft war erfüllt von Magie und Verdammnis. Doch Kaname hatte damit gerechnet und war dem Geschoss geschickt ausgewichen. Er wusste, dass es nur eine Warnung gewesen war, die ihm zeigen sollte, dass Zero keine Rücksicht nehmen würde.

Das würde er auch nicht.

Der Baum, den die Kugel statt Kanames getroffen hat, verdorrte augenblicklich und ließ nur noch ein schwarzes, verkohltes Etwas zurück.

„Du bist es der keine Ahnung hat.“, flüsterte Zero gefährlich.

„Onii-sama bitte hör auf!“, ging nun Yuki dazwischen und sah ihren Bruder flehentlich an. „Ai ist wirklich alles andere als eine Gefahr für uns! Ich schwöre es dir! Sie ist nur ein ganz normales Kind!“

„Ihr Vater war ein Vampir, noch dazu Clay! Sie kann kein normales Kind sein!“

Yuki hatte gewusst, dass Kaname alles gehört hatte, aber dass selbst dieses kleine Detail ihm nicht entgangen war, schockierte sie dennoch.

„Aber das ist doch vollkommen nebensächlich!“, sagte sie weiter, als sie ihre Sprach wieder fand.

„Kaname, ich finde wirklich, dass du noch einmal darüber nachdenken solltest.“, äußerte sich nun auch der Rektor, der das ganze eine Zeit schweigend beobachtet hatte. „Yagari und ich können dafür bürgen, dass das Kind keine ernsthafte Gefahr ist oder Yagari! Jetzt sag doch auch mal was!“

„Ja, sicher. Keine Gefahr. Nur für die Nerven.“, antwortete Yagari trocken. Äußerlich schien ihm das alles nicht weiter zu interessieren, aus den Augenwinkeln heraus ließ er Zero aber nicht eine Sekunde unbeobachtet.

„Das spielt keine Rolle. Es liegt nicht an euch das zu entscheiden. Wir haben 3 Monate nach ihr gesucht. Dass du Zero, der ebenfalls in der Prophezeiung erwähnt wird, sie uns auch noch direkt bringst, kann kein Zufall sein. Das sollte dir inzwischen klar sein. Das Kind kommt mit uns, ganz egal wie.“ Kanames Aura verdunkelte sich noch mehr und Yuki unterdrücke den Impuls sich sofort bei ihm zu entschuldigen.

„Und dann?“, fragte Zero. Es war eine Frage, um Zeit zu gewinnen, damit er sich etwas anderes einfallen lassen konnte. Er war allein gegen 10 Vampire der Adelsklasse und ein Reinblut. Außerdem wusste er nicht, für wen Yuki im Ernstfall kämpfen würde. Wirklich für Ai? Oder würde sie sich wieder ihrem Bruder fügen? Aus der Erfahrung heraus, erschien ihm letzteres wahrscheinlicher. Seine Chancen sie alle schnell zu vernichten, waren ebenfalls nicht sehr groß. Drei, Vier von ihnen konnte er sicher überwältigen. Er kannte ihre Technik, ihre Fähigkeiten und zum Teil ihr Denken. Das brachte ihm Vorteile. Von den anderen wusste er zwar nichts, aber das spielte keine große Rolle. Dennoch wäre er zu sehr abgelenkt. Kaname könnte so leicht zu Ai gelangen. Oder Kaname würde sich ihm stellen und in der Zwischenzeit würde jemand anderes Ai holen. Es war ganz egal, wie er es machte, Ai schien ihm zu sehr in Gefahr zu sein.

Aber einen anderen Weg gab es nicht.

„Dann entscheiden wir, was mit ihr geschehen wird.“

„Das habt ihr doch schon längst.“, presste Zero zwischen seinen Zähnen hervor. Kaname musterte ihn und dann Yuki. Wie viel hatte sie ihm erzählt? Waren ihre Gefühl für ihn immer noch so stark? Er hatte gehofft, sie hätte ihn schon längst vergessen. Es war doch ein Fehler gewesen sie ihn suchen zu lassen.

„Du kannst gehen Zero. Das solltest du wirklich, solange du noch die Gelegenheit dazu hast. Die Hunter suchen immer noch nach dir. Soweit ich weiß, wirst du des Mordes an zwei Reinblütern beschuldigt. Und dann noch dieses merkwürdige Verschwinden vor 20 Jahren. Als hättest du noch mehr zu verbergen. Ich habe die Hunter noch nicht benachrichtig, weil es mir erst einmal wichtiger war, das Kind zu holen, aber das kann ich schnell nachholen.“, sagte Kaname mit ruhiger, kalter und berechnender Stimme.

Seine Zähne schmerzen, so fest presste Zero den Kiefer aufeinander. Er würde dieses Reinblut in Stück reisen, ganz egal, was es ihn kosten würde.

„Kaname! Das werde ich nicht zulassen!“, sagte Yuki laut und das anfängliche Entsetzen wich der Wut, die sie nun empfand. Nie hatte sie es für möglich gehalten ihren Bruder einmal so zu erleben. Nie hatte sie es für möglich gehalten, dass er so sein konnte! „Mag sein, dass ich diese Prophezeiung gefunden habe und mag sein, dass alles, was diese Úmmei vorhergesagt hat eintraf. Aber hätte ich es nicht gefunden, dann hätten wir nie etwas davon erfahren! Dann würden Zero und Ai gar nicht hier sein! Es macht keinen Unterschied, ob wie es wissen oder nicht!“

„Yuki, deine Worte werden nichts ändern. Das Kind kommt mit uns, egal wie. Danach werden wir sehen, was mit ihr geschehen wird.“

„Du redest über sie, als wäre sie ein Ding.“, sagte sie und ihre Stimme zitterte. Die Tränen standen in ihren Augen. „Ich erkenne dich überhaupt nicht wieder. Sie ist elf Jahre alt! Sie ist ein Kind und kein Bedrohung, wie Rido ein war!“ Sie hatte Mühe ihn nicht anzuschreien. Dabei hätte sie nichts lieber als das getan. Vielleicht wäre sie so dem Gefühl der Hilflosigkeit entkommen.

„Auch Rido war einmal ein Kind.“, erwiderte Kaname ruhig.

Fassungslos starrte sie ihn an. War das wirklich ihr geliebter Bruder, der da mit ihr sprach?

„Bitte... nimm sie ihn nicht weg.“, wisperte sie tonlos und eine Träne rollte ihre Wange hinab. Was sollte sie denn noch tun? Sie konnte sich unmöglich gegen ihren Bruder wenden, aber sie konnte doch auch nicht zulassen, dass Ai von Zero getrennt wurde, dass Zero schon wieder jemanden verlieren sollte. Schon wieder wegen ihr! Nicht noch einmal.

Abermals ertönte ein kleines, metallenes Klicken hinter ihr. Es war zu spät. Sie würde es nicht mehr aufhalten können, egal was sie noch tat.

„Du wirst sie niemals bekommen.“, hörte sie Zero sagen und das Blut rauschte in ihren Ohren, verdrängte jeden Sinn für etwas anderes.
 

“Warum hat Mama mich beschützt? Warum ist sie nicht davon gelaufen und hat versucht sich selbst zu retten?“

„Kannst du dir das denn nicht denken?“, hatte er sie sanft gefragt. Sie hatte den Kopf geschüttelt.

„Sie hat dich so sehr geliebt und wollte dich um jeden Preis beschützen, auch wenn es ihr eigenes Leben kostete.“

„Aber warum? Ich wollte das nicht. Lieber wäre ich gestorben, als zu sehen, wie sie stirbt. Und sie wusste ja nicht, dass ich bei dir bleiben würde. Ich wäre dann ganz allein gewesen. Wenn du nicht gekommen wärst, dann...“

„Manchmal gibt man sein eigenes Leben nur zu bereitwillig, um den zu beschützen, den man liebt. Selbst dann, wenn man weiß, dass der eigene Tod den anderen traurig machen wird. Selbst dann, wenn man weiß, dass der andere unter unserem Tod leiden wird oder uns sogar dafür hassen könnte. Das ist man bereit anzunehmen. Solange der andere nur weiter lebt, ist alles andere egal. Was zählt ist einzig und allein das Leben des anderen. Auch, wenn er es nicht versteht. Irgendwann wird er das.

„Deswegen macht uns die Liebe, die wir für andere empfinden gleichzeitig so stark, aber auch so unglaublich schwach. Glaubst du wirklich deine Mama, hätte einfach zusehen können, wie sie dir wehgetan hätten? Dafür hat sie dich viel zu sehr geliebt.“

Er hatte das gesagt ohne sie anzusehen und dann hatte er lange geschwiegen.

„Hast du das auch schon einmal erlebt?“, hatte sie ihn gefragt und wieder war er ihrem Blick ausgewichen.

„Ja.“

„Wann? Warum? Bei wem?“

„Später, Ai.“
 

Ai stand hinter der Haupttür und erinnerte sich so klar und deutlich an diese Worte, als wäre es erst gestern gewesen, dass sie diese Unterhaltung gehabt hatten. Dabei war es nun schon fünf Jahre her.

Fünf wunderschöne Jahre, dachte sie, in denen sie kaum Angst und Kummer gekannt hatte. Sie hatte ja ihn gehabt. Doch das was sie nun sah und hörte, brachte die Ereignisse von damals nur zu heftig in ihr Gedächtnis zurück. Sie sah ihre Mutter, wie sie sich schützend vor sie gestellt hatte, wie sie für sie gekämpft hatte. Sie hätte weglaufen sollen, doch sie hatte sie nicht allein lassen wollen.

Und dann hatte sie mit ansehen müssen, wie sie ihre Mama...

Und jetzt... würde... ihr Papa... er war genau wie ihre Mama bereit sie zu beschützen. Egal um welchen Preis.

So leise sie konnte war sie nach unten geschlichen, um zu sehen, was passierte. Von ihrem Fenster aus, hatte sie nichts sehen können, aber sie hatte die wütende Stimme ihres Papas gehört und dann den Schuss.

Sie beobachtete die Personen, die plötzlich aufgetaucht waren. Sie erkannte Aidou und Kain, aber deren Anblick beunruhigte sie nicht. Die anderen kannte sie nicht. Der Mann, der ganz vorn bei Yuki stand, war wohl Kaname. Selbst sie konnte spüren, dass er anders war, als die anderen: mächtiger und furchteinflößender.

Ai vernahm ein leises Klicken und wusste, dass er die Waffe erneut entsichert hatte. Er hatte es ihr nur ein einziges Mal gezeigt, aber das Geräusch hatte sie nicht vergessen. Dann hörte sie seine Worte und begann am ganzen Körper zu zittern.

Ihr Papa war bereit sie zu beschützen, bis zum Schluss, bis zum Tod. Aber es waren doch so viele! Er konnte unmöglich gegen sie gewinnen, dachte sie verzweifelt. Sie zweifelte nicht an seiner Stärke, aber dass...

Es würde wieder passieren.

Sie würde wieder jemanden verlieren, nur weil er sie beschützen wollte. Wieder würde sie nur zusehen können. Was sollte sie auch schon ausrichten? Sie war doch nur ein Kind, ein kleines dummes, hilfloses Kind.
 

„Wie du willst.“, sagte Kaname knapp. „Dass du dein Herz an dieses Kind gehängt hast, sollte mich nicht überraschen. Das sieht dir ähnlich. Du warst schon immer viel zu gütig.“

„Kaname, nicht!“, rief Yuki.

„Seid doch vernünftig ihr zwei!“, ging nun der Rektor abermals dazwischen. „Es lässt sich doch über alles reden, wir sind doch schließlich alles erwachsene Leute. Und in meiner Schule wird sowieso nicht gekämpft! Das letzte Mal hat mir gereicht! Es hat Monate gedauert, die Gebäude wieder aufbauen zu lassen. Außerdem sind Schüler hier! Wir sollten alle rein gehen und das ganze bei einer Tasse Tee besprechen.“

„Wenn er mir das Kind gibt, wäre das alles nicht nötig.“

„Onii-sama, bitte, dass...“

„Ich komme mit euch.“, unterbrach sie plötzlich eine Stimme, die sie nur zu gut kannte.

Sie wirbelte herum und sah Ai in der Haupttür stehen. Sie muss sie gehört haben und war dann herunter geschlichen, dachte Yuki. Selbst ihren Schlafanzug hatte sie noch an.

„Ai! Geh sofort wieder nach oben!“, rief Zero ihr zu und ließ Kaname dabei nicht einen Moment aus den Augen. Dieser betrachtete Ai interessiert.

„Das ist sie also.“, murmelte er.

Yuki wandte sich von Kaname ab und ging zu Ai. „Ai, geh wieder nach oben. Zero wird gleich zu dir kommen. Das hier ist nichts für dich.“, redete Yuki ihr gut zu und hoffte, dass sie ihr eigenes Zittern nicht bemerken würde.

„Aber es geht doch um mich.“

Überrascht sah Yuki sie an. Wie viel hatte sie gehört?

„Ai, wie lange standest du schon da?“

„Noch nicht so lange. Ich habe nur gehört, wie Kaname sagte, dass ich mit ihnen kommen soll, weil ich... weil... wegen meiner Mama und to-san.“, antwortete Ai leise.

„Du wirst nirgendwohin gehen!“, sagte Zero entschieden.

„Wie du willst. Sogar das Mädchen scheint mehr Verstand zu besitzen, als du. Aber der Rektor hat recht. Wir sollten das nicht hier klären.“, wandte sich Kaname wieder Zero zu.

Zero nickte kurz und Yuki und Ai erkannten mit Entsetzen, dass die beiden wirklich bereit waren alles zu geben, um ihr jeweiliges Ziel zu erreichen.

„Nein, nicht!“, rief Ai, machte sich von Yuki los und rannte zu Zero. Sie klammerte sich an seinen Arm, in der Hoffnung ihn so am gehen zu hindern.

„Ich gehe mit ihnen!“, sagte sie abermals.

„Nein, wirst du nicht!“, schrie Zero sie an. Seine Nerven waren zu zerreisen gespannt. Er würde nie wieder zusehen, wie jemand vor seinen Augen für immer verschwand. „Ai, du hast keine Ahnung, was sie mit dir vorhaben!“

„Das ist mir egal! Ich will... mit ihnen gehen.“ Sie hatte Angst! Sie hatte sogar große Angst, vor dem was sie vielleicht erwarten könnte. Allein Kanames stechender Blick, ließ sie zusammenfahren. Aber noch mehr Angst hatte sie um ihren Papa. Dieses Mal wollte sie beschützen und nicht beschützt werden. Und wenn Yuki, Aidou und Kain auch da waren, war es vielleicht gar nicht so schlimm, versuchte sie sich selbst einzureden.

„Niemals! Ich weiß sehr genau, warum du das tust und ich werde es nicht zulassen!“

Zero löste dabei seinen Blick von Kaname und sah Ai wütend an. Konnte sie nicht ein einziges Mal das machen, was man ihr sagte?! Warum war sie nur so ein verdammter Dickschädel?!

Er versuchte in ihren Augen zu lesen, dass sie verstanden hatte. Sie blickte ihn an. Ihr Blick schien ihn zu durchdringen und hinter sein äußeres Selbst zu sehen.

Ai nickte kurz, dann ließ sie seinen Arm los und trat einen Schritt zurück. Zero atmete erleichtert aus. Er glaubte sie würde gehen. Doch seine Ziehtochter senkte den Kopf, um ihn nicht ansehen zu müssen, um irgendwo in sich selbst die Kraft zu finden, um das zu sagen, was sie sagen musste. Sie würde die Worte aussprechen, die zur größten Lüge ihres Lebens werden sollten.

„Ich will nicht mehr bei dir bleiben.“, sagte sie leise. Trotzdem hatte sie jeder verstanden. Fassungslos starrte Zero sie an. „Was?!“, fragte er sie und seine Stimme war nicht mehr als ein Zischen.

„Ich will nicht mehr bei dir bleiben.“, widerholte sie noch einmal. Dieses Mal mit mehr Nachdruck.

„Ai, das ist vollkommener Unsinn! Du gehst jetzt nach oben und lässt dich nicht mehr hier unten blicken!“, sagte er scharf. Es kostet ihn sehr viel Anstrengung seinen Zorn nicht sofort an ihr auszulassen.

„Nein, das werde ich nicht! Du hast damals gesagt, dass du nur so lange bei mir bleibst, wie ich es möchte und ich... will es nicht mehr.“, sagte sie so bestimmt sie konnte. Am liebsten hätte sie ihn augenblicklich um Verzeihung angefleht, so elend fühlte sie sich. Ihr war als könnte sie seinen Schmerz in ihrem eigenen Herzen spüren. Aber sie musste stark sein. Er hatte sie lange genug beschützt.

Einen Moment herrschte vollkommene Stille. Zero konnte nicht antworten, so sehr schockierten ihn ihre Worte. Ja, das hatte er damals wirklich gesagt. Er würde nur so lange bei ihr bleiben, wie sie es wollte. Würde sie irgendwann einmal sagen, dass sie ihn nicht mehr wollte, würde er gehen.

Damals hatte er auch nicht gewusst, wie sehr er sie einmal lieben würde.

„Ich bin dein Vater und du wirst tun, was ich sage!“, sagte er schließlich, als er sich wieder gefangen hatte. „Yagari bringen sie sie nach oben!“ Er packte Ai am Arm und zerrte sie zu Yagari.

Dieser war im ersten Moment so perplex, dass er gar nicht reagieren konnte. Seit wann war er das Kindermädchen?

„Nein! Das bist du nicht!“, schrie Ai nun und versuchte sich seinem Griff zu entwinden. Überraschenderweise gelang es ihr ganz leicht. Verwundert drehte sie sich um und Zero sah ängstlich an. Aber schon im nächsten Moment bereute sie es. Noch nie hatte sie diesen Ausdruck in seinem Gesicht gesehen. So schockiert, so verletzt und zerrissen.

Und sie war schuld daran.

Er war doch immer ihr starker und selbstbeherrschter Papa gewesen, der sich von nichts so schnell aus der Ruhe bringen ließ, egal was sie anstellte. Aber nun...

Yuki hatten entsetzt die Hand vor den Mund geschlagen. Sie konnte nicht glauben, was sie gerade gehört hatte.

Nachdem auch Ai den ersten Schrecken überwunden hatte, stolperte sie in Kanames Richtung. Sie wusste, dass das ihre einzige Chance war. Wenn sie einmal bei ihm war, gab es kein Zurück mehr für sie. Aber solange sie somit schlimmeres verhindern konnte...

Als sie ihn erreicht hatte, zögerte sie einen Moment. Eigentlich wollte sie seine Hand nehmen oder sich direkt neben ihn stellen, aber sie brachte es nicht über sich. Sie hatte zu große Angst vor ihm. Dennoch blieb sie vor ihm stehen.

„Du bist nicht mein Vater!“, wiederholte sie noch einmal, lauter und wie sie hoffte sicherer. Jetzt wusste sie, was sie tun und sagen musste. „Du hast mich niemals offiziell adoptiert! Vielleicht gehöre ich ja in diese Gesellschaft! To-san war ein Vampir! Ich kann nicht zurückgehen und so tun, als wäre nichts passiert. Ich will mich nicht selbst belügen, wie du es die ganze Zeit tust!“ Sie sah ihn dabei an, wissend, dass jedes ihrer Worte ihn ein bisschen mehr tötete. Er würde es sicher irgendwann verstehen. Er hatte es ihr doch selbst gesagt. Wenn man jemanden beschützen will, ist das eigene Leben egal. Selbst, wenn es bedeutet, dass der anderen einen hasst. Genau das wünschte sie sich: dass er sie hasste, für ihre Worte und ihren Verrat. Dann würde es ihm leichter fallen sie gehen zu lassen. Er würde nicht versuchen sie zurückzuholen. Das war gut. So wollte sie es - und doch hätte sie am liebsten geweint. Es kostete Mühe es nicht zu tun, aber sie wusste nicht, wie lange sie es noch durchhalten würde.
 

Zero wusste nicht, was er sagen sollte. Ihre Augen blickten ihn kalt an und nichts war von dem kleinen Mädchen spürbar, dass er vor wenigen Augenblicken noch zu Bett gebracht hatte. Noch nie hatte er sie so gesehen. Noch nie hatte sie so mit ihm gesprochen. Ein Teil von ihm wusste, dass ihre Worte gelogen waren, wusste warum sie es tat und doch verletzte es ihn, wie er es sich nicht hatte vorstellen können.

Oder war es wirklich ihr ernst? Meinte sie die Worte wirklich so, wie er sie hörte? begann er zu zweifeln.

Wie sie dastand, wie sie ihn anschaute, ganz und gar wie ein...Vampir.
 

Kaname sah auf das Kind vor ihm. Ihr Mut beeindruckte ihn ein wenig, dabei wusste sie nicht einmal, was sie erwarten würde. Er betrachtete sie aus den Augenwinkeln genauer, ohne dass ihm dabei Zeros Reaktion entging.

Sie sah wirklich aus, wie ein gewöhnliches Kind. Vielleicht etwas größer als andere Kinder in ihrem Alter, blonde Haare und grüne Augen. Und genau diese grünen Augen, verrieten sie im Moment. Sie funkelten regelrecht und zeugten von Willensstärke und Durchsetzungsvermögen, aber auch Berechnung.

Gefahr konnte er keine von ihr spüren. Selbst wenn er sich genau konzentrierte, konnte er nicht einmal sagen, dass sie etwas von einem Vampir an sich hatte.

Vielleicht hatte Yuki recht mit dem was sie sagte. Dieses Mädchen schien wirklich noch ein Kind, mehr nicht. Noch keine potentielle Gefahr, die sie vernichten könnte. Dennoch konnte er sie nicht gehen lassen. Nicht mit ihm als Gesellschaft. Selbst, wenn sie jetzt ungefährlich war, konnte niemand sagen, was aus ihr werden würde. Schon gar nicht, wenn sie weiterhin bei diesem Mann blieb.

Kaname schaute zu seiner Schwester. Noch immer stand sie bei ihm. Es machte ihn wütend. Er ließ den Blick weiter schweifen und sah, dass sich die Vorhänge der Schlafräume bewegten. Es wurde schon zu lange hinausgezögert. Es war Zeit, es zu beenden.

„Takuma, nimm sie mit.“, sagte Kaname kurz und leise. Dieser nickte.

„Ich mach das schon.“, ging Aidou plötzlich dazwischen und noch bevor Takuma etwas einwenden konnte, hatte er Ai schon auf seine Arme gehoben.

„Halt dich gut fest.“, flüstert er ihr ins Ohr und Ai vergrub das Gesicht augenblicklich an seiner Schulter. Aidou sah kurz zu Zero, der noch immer wie erstarrt dastand und sich nicht gerührt hatte. Er konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie er sich fühlen musste. Auch, wenn er nicht die geringste Absicht hegt, ihn überhaupt zu verstehen. Aber die ganze Zeit hatte er selbst nur zugesehen, unsicher, was er tun oder sagen sollte. Ais Verhalten hatte selbst ihn überrascht. Auch, wenn das Kind seine Nerven strapazierte, wusste er, wie sehr sie ihren Papa liebte. Jeder konnte das sehen. Doch es war ihm nicht erlaubt gewesen etwas zu sagen oder sich zu beteiligen. Sie waren nur hier um einzugreifen, sollte es zu... Wiederstand kommen. Trotzdem fragte er sich, ob es wirklich richtig war, was sie taten. Er hatte Ai kennengelernt. Auch wenn er es niemals zugeben würde, so war sie doch eigentlich ein liebenswertes Kind, anstrengend zwar auch, aber das waren für ihn sowieso alle Kinder. Hanabusa Aidou konnte sich nicht vorstellen, dass Ai überhaupt jemanden etwas antun konnte und schon gar nicht vorsätzlich. Er hatte den Eindruck, dass das einfach nicht ihrem Wesen entsprechen würde. Und obwohl er all dies dachte, stand es ihm nicht zu es laut auszusprechen. Kaname wusste was er tat und er hatte schließlich nur das Wohl aller im Sinne.
 

Erst als Ai bereits in Aidou Armen war, erwachte Zero. „Nein!“, rief er und wollte das Verhindern, was er am meisten fürchtete – noch einen geliebten Menschen verlieren – als der Rektor und auch Yagari ihn plötzlich an den Armen packte.

„Lasst mich los!“, schrie er sie an.

„Das ist glatter Wahnsinn!“, versuchte Yagari ihn zur Vernunft zu bringen. „Du hast keine Ahnung auf was du dich einlässt.“

Zero starrte ihn wütend an. Es wäre so leicht sich einfach zu befreien, allerdings nicht ohne ihnen weh zu tun und das konnte er nicht.

Er blickte abermals nach vorn und erkannte gerade noch, wie sie mit Ai das Schulgelände verließen. Erschüttert stand er da und sah, wie sich der Boden unter seinen Füßen auftat.

„Yuki!“, sagte Kaname in einen ungeduldigen Tonfall, der klar machte, dass er keinen weiteren Aufschub duldete. Diese starrte ihren Bruder immer noch an und konnte einfach nicht begreifen, was gerade geschehen war. Dann gab sie sich schließlich einen Ruck und rannte den anderen hinterher. Als sie an Zero vorbei lief sagte sie gleichzeitig: „Ich werde sie zurückbringen.“
 

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Ja, ja... haben wir es mal wieder geschafft.
 

Jedes Mal sage ich, dass das nächste Kapitel nicht so lang wird, aber irgendwie wächst es bei der Korrektur um mindestens zwei Seiten nach! So auch heute... Ich möchte so gerne mal wieder ein Kapitel schreiben, was nur an die 7000 oder 8000 Wörter hat. Ob ich das noch schaffen werde?
 

Allerdings wird ich mir vornehmen, dass nächste Kapitel nicht so lange auf sich warten zu lassen.^^; Wirklich!
 

An dieser Stelle noch einmal vielen Danke für die Kommis und die Favoriten! *_* Freue mich jedes Mal wahnsinnig darüber!!!
 

Bis bald hoffentlich!
 

hel maidlin
 

PS: Für die fleißigen Leser hab ich natürlich auch ein Osterei! >.<

Das richtige tun...

Ohne viele Worte... Viel Spaß mit der Torte...

Ähm... ihr wisst schon... dem Kapitel natürlich. *lol*

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Das richtige tun...
 

Das Kind in seinem Armen zitterte unglaublich. Er hatte nicht geglaubt, dass ein Mensch dazu in der Lage sein würde und er hatte die Angst schon oft bei ihnen gesehen. Sie war noch ein Kind, nicht mehr, dachte Aidou. Sie war keine Gefahr für Leib und Leben, dessen war er sich eigentlich sicher. Er hatte nichts dergleichen bei ihr gespürt. Weder als er sie kennengelernt hatte, noch jetzt, da er wusste was sie war. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass dieses Mädchen überhaupt jemandem etwas antun konnte. Es stimmte sie war anstrengend und er würde es auch niemals zugeben, dass er sie ein winziges, kleines bisschen mochte, aber eine Gefahr war sie gewiss nicht.

Ihre Finger klammerten sich noch fester an ihn, wenn das möglich war und er hörte das Schluchzten, das sie krampfhaft versuchte zu unterdrücken. Das was sie getan hatte, war sehr mutig gewesen, dachte er anerkennend. Aber es war auch sehr dumm. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was Zero jetzt dachte, geschweige denn, was er tun würde. Er würde nicht ruhen, bis er Ai zurück hatte, dessen war sich Aidou sicher. Die Gründe für ihre Entscheidung waren schließlich offensichtlich gewesen. War es wirklich richtig gewesen sie gleich mitzunehmen?

Vielleicht stimmte die Prophezeiung wirklich nicht. Schließlich konnte sich jeder einmal irren, dachte er krampfhaft.

Aidou sah kurz nach unten auf Ais Haarschopf. Das Gesicht hatte sie tief in seiner Jacke vergraben. In Gedanken ging er noch einmal die Prophezeiung durch. Es war bisher alles eingetroffen, genauso wie es Úmmei vorausgesagt hatte. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Ai die Kraft besitzen würde, ihren Untergang einzuläuten. Vielleicht hatte sie die Kraft der Clays geerbt, aber sie war zum Teil ein Mensch. Niemals würde sie gegen Kaname oder ein anderes Reinblut und die Hunter bestehen können. Nur das sie bei Zero aufgewachsen war, konnte ihr zum Verhängnis werden, überlegte er weiter. Keiner wusste, wie viel er ihr beigebracht hatte. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass er das nicht getan hatte. Und Zero hatte ihr von den Geschehnissen erzählt. Was wenn Ai für ihn kämpfen würde – wenn sie Rache wollte, für Zeros...

Rache? Zero?

Ein schrecklicher Gedanken kam ihm. Was, wenn Ai der Auslöser war, aber gar nicht der Grund für den Untergang der Vampire oder Hunter? Was, wenn sie den Untergang für sie bringen würd, weil sie sie ihm weggenommen haben? Was, wenn Zero kommen und Ai zurückholen würde? Und das würde er. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Körper aus.

Diese Möglichkeit erschien ihm auf einmal so viel glaubwürdiger, als dass Ai allein für irgendetwas verantwortlich sein sollte. Ai würde nicht in der Lage dazu sein, nicht so wie er sie kennengelernt hatte. Dazu war ihr Charakter ein vollkommen anderer. Aidou konnte sich nicht vorstellen, dass dieses zerbrechliche Kind in seinem Armen, das zitterte wie Espenlaub, eine Bedrohung für irgendjemanden war. Also musste Zero...

Aber wenn das wirklich irgendwie stimmen sollte, wie sollten sie es verhindern? War es jetzt noch aufzuhalten? Bisher waren alle von Úmmeis Vorhersagen eingetroffen. Aber wenn sie nun Ai nicht mitgenommen hätten? Hätte sie die Prophezeiung dann aufhalten können? Was, wenn sie Ai zurückgaben?

Aidou schüttelte kurz den Kopf um seine eigenen Gedanken zu sortieren. Er würde es nachher unbedingt Kaname vortragen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass sie eventuell genau falsch gehandelt haben.
 

Irgendwie wurde es kälter, aber sie konnte nicht sagen, ob es von der Luft kam oder aus ihrem Inneren. Sie klammerte sich so fest sie konnte an Aidou und versuchte Trost in seiner Anwesenheit zu finden. Er würde ihr doch nichts tun oder? Doch egal, wie sehr sie es versuchte sie hatte Angst – und sie bereute zutiefst.

Was hatte sie nur gesagt? Was hatte sie ihrem Papa damit angetan?

Jetzt hasste er sie bestimmt.

Das war gut, versuchte sie sich verzweifelt einzureden. So hatte es ja sein sollen.

Sie hörte plötzlich, wie sich eine Tür öffnet und Wärme umfing sie. Wo hatte man sie hingebracht?

Nur zaghaft öffnete sie die Augen, gerade so weit, dass sie etwas erkennen konnte. Doch dieser Raum war ihr unbekannt. Sie sah nur eine hohe Decke und mehr nicht, denn sie wagte es nicht den Kopf zu drehen. Sofort schloss sie die Augen wieder so fest sie konnte und wünschte sich aus diesem schrecklichen Traum aufzuwachen.
 

„Was willst du mir ihr machen, Kaname-sama?“, fragte Kain diesen, als sie das Anwesen der Kurans betraten. Es hatte ihn etwas verwundert, dass Kaname das Anwesen in der Stadt angestrebt hatte, andererseits ließ sich von hier aus der Versammlungsort mit den Huntern schneller erreichen und sie konnten alle schneller reagieren, sollte Zero einen Vorstoß wagen. Allerdings hatte es danach nicht ausgesehen. Wenn er ehrlich war, hatte er diesen Mann noch nie so schockiert, wie in jenem Augenblick gesehen.

Kaname besah sich das Wesen, dass sich so verzweifelt an Aidou zu klammern schien und entschied, dass von ihr momentan wohl keine Gefahr zu erwarten war.

„Bringt sie in eines der Gästezimmer.“

„Auf keinen Fall!“, sagte Yuki entschieden, die kurz nach den Männern eingetroffen war. „Sie bleibt bei mir!“

Hastig ging sie auf Aidou zu und strich Ai über das Haar. „Ai, kannst du mich hören? Es ist alles in Ordnung. Ich bin bei dir. Ich werde nicht zulassen, dass sie dir etwas antun.“, flüsterte Yuki. Sie musste an sich halten, um ihren Zorn unter Kontrolle zu behalten.

„Bring sie bitte in mein Zimmer. Ich komme gleich nach.“, sagte sie an Aidou gewandt und dieser nickte kurz. Er verließ mit Ai das Zimmer, direkt zu Yukis Privatgemacht. Normalerweise war ihm der Zutritt strengstens verwehrt, aber es war Yukis ausdrücklicher Wunsch und er drehte sich auch nicht um, um Kanames stechendem Blicke zu begegnen.

„Was willst du mit ihr machen? Willst du sie einsperren?!“, schrie Yuki fast, als Ai außer Hörweite war.

„Das wird sich zeigen. Ich hab zuvor eine Versammlung einberufen, an der auch die Hunter teilnehmen werden. Wir werden dann entscheiden, was mit ihr geschehen soll.“, antwortete ihr Bruder ruhig.

„Du hast gesehen, dass sie unschuldig ist. Sie ist ein Kind! Was kann sie schon großartig ausrichten?“

„Yuki, ich habe es schon einmal gesagt. Sie ist bisher bei Zero aufgewachsen, auch du kannst nicht wissen, wozu sie in der Lage ist. Vielleicht weiß sie das ja nicht einmal selbst.“

„Was soll das heißen?“

„Selbst, wenn sie jetzt keine Gefahr für uns ist, muss das nicht heißen, dass es so bleibt. Wie du ja sagtest, sie ist noch ein Kind.“

Fassungslos starrte sie ihn an. Er benutzte ihre eigenen Worte gegen sie.

„Aber... Sie...“ Sie wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte. Er würde sich niemals mit Worten überzeugen lassen.

„Wenn du selbst sagst, dass ihr es nicht wisst, dass niemand es weiß, könnt ihr doch nicht einfach so eine Entscheidung treffen. Könnt ihr nicht... Ich meine... Was ihr beschlossen habt, ist endgültig. Ihr wollt ein Kind, ein elfjähriges Mädchen, zum Tode verurteilen. Das ist... ich wusste nicht, dass du dazu in der Lage bist.“, sagte sie verzweifelt und entsetzt zu gleich. Die Tränen standen ihr abermals in den Augen. Sie konnte nicht glauben, dass ihr Bruder, ihr geliebter Onii-sama, so etwas einfach zulassen konnte. Wie konnte er so eine Entscheidung im voraus treffen? Wie konnte er noch immer daran festhalten?

Kraftlos gab sie es auf gegen das Schluchzen anzukämpfen. Wie konnte man so etwas diesem Kind antun? Wie konnte man so etwas Zero antun? Er musste doch gehört haben, gesehen haben, wie viel Ai Zero bedeutete. Wie konnte er sie ihm einfach wegnehmen?

Mein Bruder könnte noch leben, hörte sie seine Worte so klar und deutlich in ihrem Kopf, als hätte Zero sie gerade erst ausgesprochen. Warum musste er noch einen geliebten Menschen verlieren? Und dieses Mal würde Kaname wirklich der Mitschuldige sein. War es bei Ichiru auch seine Schuld?

„Yuki, bitte... Ich verstehe dich und du weißt, dass es mir schwer fällt so etwas zu entscheiden.“, sagte Kaname sanft und wollte sie an der Wange berühren.

„Fass mich nicht an.“, stieß sie unter einem Schluchzer hervor und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Sie konnte es einfach nicht glauben.

„Yuki...“, unbeeindruckt von ihren Worten und nur darum bemüht ihre Tränen zu stoppen, nahm er sie schließlich doch in die Arme. Yuki hatte keine Kraft sich dagegen zu wehren.

„Du weißt, dass ich das Leben eines Unschuldigen niemals auf Spiel setzen würde, aber die Prophezeiung ist eindeutig. Glaube mir, wenn ich wirklich könnte, wenn es irgendetwas gäbe, um das zu verhindern, was dir solche Angst macht, dann würde ich es tun.“

„Dann lass es doch! Lass sie zu Zero zurückgehen, lass sie nach Hause gehen! Bitte!!! Sie haben doch nichts getan.“, flehte Yuki ihn unter Tränen an. „Sie ist doch nur ein Kind.“

„Yuki...“

„Bitte, ich weiß, dass du es kannst. Du kannst sie davon überzeugen, dass sie nicht böse ist. Sie ist... lebensfroh, fröhlich und... und... Sie ist nicht, das... Monster, das ihr aus ihr machen wollt. Bitte, bringe sie dazu, es noch einmal zu überdenken. Sie würde niemals jemanden etwas tun. Ich schwöre es bei meinem Leben.“

„Bedeutet sie dir wirklich so viel?“

„Ja! Bitte, wenn du sie erst einmal kennst, wirst du das Gleiche denken. Sie ist keine Gefahr für uns, für niemanden!“ Die Tränen rannen weiter ihre Wangen hinab. Er konnte sie nicht so sehen. Er wollte ihr keine falsche Hoffnung machen und doch konnte er nicht anders. Vielleicht hatte Yuki ja recht. Vielleicht konnte er die anderen davon überzeugen, dass es wirklich noch zu früh war, eine endgültige Entscheidung zu treffen. Wenn sie ihn dadurch wieder anlächeln würde, wenn sie ihn dadurch vergeben würde, würde er es versuchen.

Kaname blickte auf die zusammengesunkene Gestalt in seinen Armen und war sich der Blicke der Anderen nur zu bewusst. Er wusste, dass seine Entscheidung richtig war, dass er im Sinne aller handelte, der Gegenwart sowie der Zukunft und doch gab es nichts, was er weniger ertragen konnte, als seine Yuki so zu sehen. Wenn er der Auslöser für ihr Leid war, welchen Sinn hatte seine Entscheidung dann? War sie dann wirklich richtig?

Ja, das war sie. Konnte Yuki denn nicht verstehen, wie wichtig es war, diese Prophezeiung zu verhindern? Ein Kind zum Tode zu verurteilen, war nichts was ihm behagte. Wenn er könnte, wenn er wüsste, dass es etwas gab, was Úmmeis Worte verhindern könnte, würde er es tun, aber...

Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät. Dieses Mädchen, diese Ai, war wirklich noch ein Kind. Vielleicht konnte man warten und sehen, wie sie sich entwickelte. Man müsste ohnehin erst einmal herausfinden, was sie konnte, welche Eigenschaften sie besaß. Er hatte zwar gehört, was Zero vorgelesen hatte, aber glauben konnte er es nicht. Sollte wirklich nichts Vampirisches in ihr sein? Er selbst hatte bisher nichts spüren können, aber sie war eine Clay! Diese Familie war so alt, ihre Kräfte und vor allem ihr Verstand so unberechenbar, dass es nicht an ihr vorüber gegangen sein konnte. Doch das mussten sie erste einmal herausfinden und es würde Zeit in Anspruch nehmen.

„Ich werde es versuchen.“, sagte er schließlich. „Du musst verstehen, dass es nicht darum geht, wer sie ist, ich glaube dir, wenn du sagst, dass sie ein liebes Mädchen ist. Es geht darum was sie ist und das lässt sich nun mal nicht mit Worten ändern. Vielleicht können wir uns anders einigen. Möglichweise, kann man sie unter Beobachtung hier lassen und sehen, was passiert. Aber ich kann dir nichts davon versprechen.“

„Danke.“, flüsterte sie. „So lange, wie sie nicht... wie ihr sie nicht... ist es mir egal, was...“

Sie brach ab. Nein, es war nicht egal. Was war mit Zero?

„Was ist mit Zero? Wirst du... wirst du ihnen sagen, dass er hier ist?“, wisperte sie mit trockener Kehle und kannte die Antwort bereits.

„Es ist meine Pflicht das zu tun. Ich habe dir zugestimmt, eine andere Entscheidung für das Kind zu erringen, aber erwarte nicht von mir, dass ich auch noch ihn in Schutz nehme. Ich werde nichts tun, was das Bündnis zwischen uns und den Huntern gefährden könnte. Wenn das bedeutet ihnen zu sagen, wo sie jemanden finden können, den sie seit 20 Jahren suchen, werde ich es tun. Darin wirst auch du mich nicht umstimmen.“

Sie starrte auf den Boden. Nein, sie würde nichts tun können. Sie würden Zero fassen und.... Was würden sie mit ihm tun? Er hatte doch nichts getan. Er war genauso unschuldig wie Ai!

„Kaname-sama, was Zero betrifft muss ich dringend mit euch reden.“, hörte sie nun Aidous Worte und drehte sich um.

„Wo ist Ai?“, fragte sie sofort.

„In eurem Zimmer. Ihr sollte vielleicht sofort zu ihr gehen.“, riet Aidou ihr und sie erkannte so etwas wie Mitgefühl in seinem Blick.

„Um was geht es?“, fragte Kaname nun und Yuki blieb hin und her gerissen stehen. Zum einen wollte sie nichts lieber als bei Ai sein, sie in den Arm nehmen und trösten – auch wenn es aussichtslos war – zum anderen, wollte sie wissen, was Aidou so dringendes über Zero zu sagen hatte.

„Ich glaube man kann die Prophezeiung auch anders auslegen.“

„Ich verstehe.“, antwortete Kaname knapp. „Unterrichte mich auf dem Weg zur Versammlung davon. Eventuell kannst du es gleich den Huntern vortragen. Es wird Zeit, dass wir gehen.“

Aidou nickte kurz und vermied es Yuki anzusehen. Vielleicht war es ein Fehler gewesen es überhaupt zu erwähnen. Vielleicht machte er dadurch alles nur noch schlimmer – aber vielleicht konnten sie es dadurch auch verhindern. Möglichweise hatte Yuki gar nicht so unrecht. Wenn man sie einfach gehen ließ, ihr altes Leben weiter leben ließ, würde das wirklich so fatal sein? Oder würde es ihnen nur ihr altes – friedliches - Leben wieder geben?

Kaname nickte den anderen kurz zu. Ein Zeichen, dass sie schon einmal vorgehen sollten.

Dann ging er noch einmal zu Yuki und mit seiner Hand hob er ihr Kinn etwas an, um sie zu küssen. Seine Lippen fühlten sich kalt auf den ihren an und sie spürte sie kaum.

„Ich werde versuchen deinen Wunsch zu berücksichtigen. Sie wird bei dir bleiben. Ich weiß, dass du das richtige tun wirst.“

Wie betäubt nickte sie. „Wann wirst du zurück sein?“, fragte sie leise.

„Erst in ein paar Stunden. Es ist viel passiert und... es hat sich eines geändert.“, sagte er. Seine Worte gaben ihr ein klein wenig Hoffnung, dass diese Änderungen dafür sorgten, dass man nicht einfach so über Ais Schicksal entschied.
 

Er riss die Türen in den Kellerraum auf und stürmte ohne sich umzusehen nach unten. Als Zero die unterste Treppenstufe erreicht hatte, knallte er mit der Faust gegen den Lichtschalter und flackernd gingen die Lampen über ihn an. Kurz realisiert er, dass sich soweit nichts verändert hatte, auch wenn sein letzter Besuch schon neunzehn Jahre zurücklag. Zielstrebig ging er auf die dicken Schränke zu, die sich rechts neben der Tür befanden.

„Z-Zero, so warte doch!“, rief der Rektor hinter ihm, der ihm die Treppe nach unten folgte. „Das kann doch nicht dein ernst sein?!“

Ohne zu antworten öffnete Zero die Schranktüren. Das Metall gab unter seinen Fingern leicht nach und mit einem Quietschen öffneten sich die Türen.

„Zero!“ Der Rektor fasste ihn am Arm, doch der Angesprochene schüttelte ihn weg.

„Was?!“, fauchte Zero und sah den Rektor aus funkelnden Augen an. Nicht einmal dieser Mann konnte ihn aufhalten. Jetzt würde er es endgültig beenden. Er hätte es schon vor zwanzig Jahren tun sollen, aber nun war die Stunde der Abrechnung gekommen.

„Ich kann dich ja verstehen, aber das ist vollkommener Wahnsinn!“, sagte der Rektor noch einmal verzweifelt. Zero ging nicht weiter darauf ein, sondern nahm eine der großen Waffen aus dem Schrank. Ihr Gewicht war für ihn ungewohnt, aber es würde keine weitere Schwierigkeit darstellen. Ohnehin sollte sie nur für den Anfang dienen.

„Nun sag doch auch mal was!“, wandte sich der Rektor an Yagari, der nun ebenfalls die Treppe herunter gekommen war.

Dieser zuckte scheinbar gleichgültig mit den Schultern. Etwas was Zero in gewisser Weise dankbar hinnahm. Er konnte sich dem Rektor wiedersetzen und obwohl so viel Zeit vergangen war, wusste er nicht, ob er das bei seinem Meister auch konnte. Gleichgültigkeit war ihm da sehr viel lieber.

„Lass ihn doch.“

„Das kannst du doch nicht zulassen?!“, rief der Rektor ungläubig.

Wieder zuckte Yagari mit den Schultern und Zero suchte inzwischen nach Munition. Nicht nur für die Waffe, die er gerade aus dem Schrank genommen hatte, sondern auch für seine Bloody Rose.

„Warum denn nicht? Wenn er so dumm ist und sich mit einem Haufen adliger Vampire anlegen will, einen Reinblut und noch ein paar Huntern und dass allein, mit nur zwei Waffen - Superkräfte hin oder her - kann ihm keiner mehr helfen. Du weißt doch, man soll die Jugend ziehen lassen. Wenn er seine eigene Dummheit nicht bemerkt, kann ihm auch keiner mehr helfen. Da nützen auch ein paar gut gemeinte Worte nichts. Er muss erst zu Staub zerfallen, bevor er merkt, was besser gewesen wäre.“

Zero knallte die Tür des Metallschrankes zu, die daraufhin nur noch in einem Angel hing. Er hasste es, wenn sein Meister so mit ihm sprach. Er wusste sehr genau, dass diese Worte nur an ihn allein gerichtet waren und nicht an den Rektor. Diese Art hatte er noch nie gemocht, sagte er ihm doch die Wahrheit nicht einmal direkt ins Gesicht.

„Glauben sie etwa ernsthaft ich sehe zu, wie dieser Vampir sie einfach umbringt?!“, fragte er seinen Meister scharf und erwartete nicht einmal eine Antwort.

„Natürlich nicht. Aber wenn du endlich mal deinen Kopf benutzen würdest, würdest du feststellen, dass Kaname so etwas nicht allein entscheiden kann! Du musst doch wissen, wie das System und ein Bündnis funktionieren. Viel mehr wird er sich erst einmal mit den Huntern treffen, sie beratschlagen ein paar Stunden und dann erst kommen sie zu einer Entscheidung.“

„Was sollte das ändern?“, fragte er gerade heraus.

„Das heißt, dass du noch Zeit hast und deinen Kopf endlich mal gebrauchen kannst. Du hast ihn ja schließlich nicht nur, damit man ihn dir wegpusten kann! Jetzt dorthin zu gehen und das Problem mit Gewalt zu lösen, bringt dich nur noch in mehr Schwierigkeiten!“, sagte sein alter Meister gerade heraus und mit so viel Zynismus in der Stimme, wie es Zero noch nie gehört hatte.

Zero schnaubte kurz durch die Nase. Was dachte Yagari eigentlich? Es machte keinen Unterschied. „Was sollte das bringen? Soweit ich weiß, sucht man immer noch nach mir und Kaname wird ihnen sicher mit Freuden von meiner Anwesenheit berichten.“

„Zero, was du nur immer von Kaname denkst. Er ist gar nicht so schlecht, wie du immer glaubst.“ Der Rektor verstummte augenblicklich, als er Zeros mörderischen Blick sah.

„Nein, wahrscheinlich nicht. Deswegen wäre es besser, wenn du gleich verschwindest.“, gab Yagari eine weitaus vernünftigere Antwort.

„Nicht ohne Ai!“

„Das ist mir klar! Wenn Kaname ihnen von deiner Beziehung zu ihr erzählt, werden sie wissen, dass du nicht ohne sie gehst. Also werden sie auf dich warten, bis du kommst, um Ai zu holen. Dann haben sie euch beide, hübsch serviert, auf einem goldenen Tablett.

„Deswegen solltest du endlich anfangen und nachdenken und dir eine Möglichkeit überlegen, wie du das Mädchen da raus holen kannst und gleichzeitig noch deinen Hals rettest. Was nützt es dir, wenn du vielleicht bis zu ihr kommst und dann vielleicht doch noch... eliminiert wirst?“

Zero spannte den Kiefer an und er spürte, die seine Zähne darunter schmerzten. Es interessierte ihn nicht. Krampfhaft versuchte er sich zu beruhigen. Sein ehemaliger Meister hatte recht. Wenn er jetzt einfach dorthin ginge, wären die Chancen denkbar schlecht, mit Ai lebend wieder herauszukommen. Wenn es nur um sein eigenes Leben ginge, wäre es ihm gleich. Er würde alles andere tun, als darauf warten, bis man ihn festnehmen würde. Aber es ging um Ai und er konnte sie nicht in einen Kampf verwickeln. Sie würde nur...im Weg sein, dachte er schwerfällig, aber es war die Wahrheit.

„Sie sagen Kaname trifft sich mit den anderen. Ich kann jetzt gehen und sie holen und dann mit ihr verschwinden, bevor jemand etwas merkt.“

„Aber dafür müsstest du wissen, wo er sie hingebracht hat.“, warf Yagari ein.

„Was soll das heißen?“

„Kaname hat hier in der Stadt ein Haus sowie außerhalb in den Wäldern. Es ist schwer einzuschätzen, wo er sie hinbringt. Will er sich wirklich gleich mit den Huntern treffen und das so schnell wie möglich, dann ist das Stadthaus sehr viel näher. Andererseits kann er davon ausgehen, dass du versuchen wirst Ai zu holen. Deswegen kann er sie genauso gut auch in das Haus im Wald gebracht haben. Inzwischen wäre sie wohl schon längst dort. Für Kaname dürfte es ein leichtes sein, auch von dort aus, die Stadt schnell wieder zu erreichen.“, sagte der Rektor ruhig, der froh darüber schien, dass Zero erst einmal mit sich reden ließ.

Zero lud beide Waffen neu. Er wollte nicht mehr gleich losstürmen, aber er brauchte Beschäftigung. Sie hatten beide recht.

Beide Häuser aufzusuchen, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Vielleicht hatte er Glück und sie war wirklich in diesem Stadthaus, dann könnten sie gleich verschwinden. Was aber, wenn er dorthin kam und Ai nicht dort war. Warum eigentlich...

„Warum sind sie so sicher, dass er sie mit in eines seiner Häuser genommen hat? Ai ist doch eine Bedrohung für sie. Warum sollte er sie da nicht viel mehr in einen... Kerker bringen?“ Bei den Gedanken überlief ihn eine Gänsehaut. Die Vorstellung, dass Ai irgendwo in einem dreckigen Loch saß, allein und verängstigt, ließ ihn wieder so wütend werden, dass er nichts mehr wollte, als dieses Reinblut zu vernichten.

„Nein, das glaube ich nicht.“, antwortete der Rektor sofort.

„Warum nicht?“

„Nun... Ich weiß du willst es nicht hören, aber Kaname ist kein Untier. Er würde ein Kind niemals in einen Kerker sperren. Außerdem...“

„Außerdem kann er sie so besser im Auge behalten.“, beendete Yagari den Satz. „Auch wenn dieses Reinblut das Bündnis so sehr lobt, verwette ich meinen Hut darauf, dass er immer noch misstrauisch gegenüber einigen von uns ist.“

„Das vielleicht auch, aber das wollte ich nicht sagen. Was ich sagen wollte war, dass Yuki bei ihr ist.“

„Und?!“, fragte Zero scharf. Bei der Erwähnung dieser Person richtete sich seine gesamte Wut auf sie. Sie war schließlich schuld, dass sie überhaupt zurückgekommen waren. Hätte Yuki sie nicht gefunden, dann würde er immer noch mit Ai in ihrer neuen Heimat sein und sie würde wahrscheinlich gerade mit ihm darüber diskutieren, ob sie noch ein Eis haben kann oder nicht.

„Zero, auch wenn du Yuki nicht vertraust, wirst du ja wohl zugeben müssen, dass sich die beiden sehr mögen.“, sagte er hastig, bevor Zero ihm ins Wort fallen konnte. „Ich habe die beiden nur kurz zusammen gesehen, aber selbst du wirst mir zustimmen, dass es stimmt.“

„Worauf wollen sie hinaus?“, fragte Zero ohne weiter darauf einzugehen. Er konnte dem nicht wiedersprechen, so sehr es ihm auch missfiel. Zero glaube nicht, dass Yuki nur aus Eigennutz gehandelt hatte oder weil sie ihn dazu bringen wollte, mit ihr zu gehen. Sie hatte es ja selbst gesagt und er glaubte ihr. Er hätte es bemerkt, wenn sie gelogen hätte und auch Ai hätte es bemerkt, wenn Yuki es nicht ehrlich mit ihr gemeint hätte. In der Beziehung hatte sie eine erschreckend gute Menschenkenntnis, wenn man es so bezeichnen wollte.

„Yuki würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschieht. Sie wird dafür sorgen, dass Ai in Sicherheit ist und es ihr gut geht. So gut es ihr gehen kann.“

„Es gefällt mir nicht das zuzugeben, aber er hat recht. In dem Falle solltest du wirklich auf ihn hören.“, stimmte auch Yagari zu.

„Außerdem hast du sie doch auch gehört. Sie will dir Ai zurückbringen. Du solltest ihr Vertrauen.“

„Ich kann aber nicht hier sitzen und warten bis was passiert!“, zischte Zero.

„Nein, natürlich nicht. Aber es bringt nicht viel, wenn ich jetzt zum Hauptquartier gehe und versuche etwas herauszufinden. Man würde mich wohl nicht so einfach teilnehmen lassen. Ich habe das Gebäude seit damals nicht wieder betreten.“, überlegte der Rektor laut.

„Das glaube ich auch. Allerdings hat dich das doch noch nie abgehalten.“, sagte Yagari etwas verwundert.

„Ja, aber man soll sein Glück nicht überstrapazieren. Nein, ich habe eine bessere Idee. Ich war in beiden Häusern schon und erinnere mich wie sie aufgebaut sind. Vielleicht finden wir so eine Möglichkeit dort reinzukommen, ohne großes Aufsehen zu erregen und das am Besten noch bevor die Versammlung zu Ende ist.“

„Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es niemand merken würde, wenn ich dort reingehe.“, fragte Zero verständnislos.

„Nur, wenn du auch hineingehst.“, antwortet der Rektor kurz.

Zero sah zu seinem alten Meister und dieser zuckte wieder einmal mit den Schultern. Offenbar war er genauso ratlos.

„So lange wie wir noch keinen Besuch erwarten, sollten wir hier unten bleiben. Ich hole Stift und Papier.“ Mit diesen Worten verließ der Rektor den Keller und ließ Yagari und Zero allein zurück. Unruhig lief Zero im Zimmer auf und ab. Dann blieb er abrupt stehen, drehte sich zu den Zielscheiben um und schoss kurzerhand darauf.

„Das hilft uns auch nicht weiter.“, sagte Yagari trocken.

Zero antwortet ihm nicht.

„Ich weiß, das Rumsitzen gefällt dir nicht, aber im Moment haben wir keine bessere Idee.“

Zero lief unruhig im Raum auf und ab. Nervös fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. Was machte der Rektor so lange? Wie hatte er sich nur von den beiden Überreden lassen können zu bleiben? Andererseits hatte sie ja recht. Er musste zuerst an Ai denken und was für sie am sichersten war.

„Sie hätten euch so oder so irgendwann gefunden. Sie haben ziemlich verbissen nach diesem Kind gesucht.“, sprach Toga Yagari weiter.

Zero schüttelte nur mit dem Kopf. Er hätte nicht herkommen sollen.
 

Noch bevor Kaname und die anderen das Anwesen verlassen hatten, war Yuki zu Ai gegangen. Hastig betrat sie das Zimmer und ihr sank das Herz in die Knie, als sie sie nicht sah. „Ai?“, fragte sie leise und mit zittriger Stimme. Als sie keine Antwort bekam fragte sie noch einmal. Die Panik in ihrer Stimme konnte sie nicht überhören. Sie ging einen Schritt weiter in das Zimmer und hielt plötzlich inne. Da! Sie hatte etwas gehört, ein leises Schluchzen. Dann wieder ein Wimmern.

Sie durchquerte den Raum mit schnellen Schritten, bis sie vorm Bett stand. Sie horchte noch einmal und wieder erklang das Wimmern, dieses Mal ganz aus ihrer Nähe. Yuki ging ein paar weitere Schritte um das Bett herum. Jetzt wusste sie, wo sie Ai finden würde aber ihr graute es bereits vor dem Anblick, den das Kind ihr bieten würde. Schon jetzt glaubte sie, würde ihr Herz allein bei ihrem Weinen reisen.

Ai saß an der Seite des Bettes, die Knie so weit angezogen wie es ihr möglich war, der Rücken gekrümmt und das Gesicht zwischen ihren Beinen verborgen. Yuki sah das Zittern ihres Körpers. Es fiel Ai schwer unter all den Schluchzen noch Kraft zum atmen zu finden, erkannte sie.

„Ai.“, flüsterte sie leise. Vorsichtig ging sie auf das Mädchen zu, langsam um sie nicht zu erschrecken. Als sie vor ihr stand kniete sie sich hin und sah sie unsicher an. Was sollte sie tun? Welche Worte konnte sie sagen, um sie zu trösten, wenn sie doch genau wusste, dass nichts sie trösten konnte. „Ai.“, sagte sie noch einmal, dann streckte sie die Arme nach dem kleinen Wesen aus und ein Stich fuhr durch ihr Herz, als Ai heftig zusammenzuckte. Yuki wagte es nicht sich weiter zu bewegen. Sie wartet auf eine Reaktion von ihr und nach einigen Sekunden hob Ai den Kopf und sah sie aus verquollenen Augen an. „Y-Yu-Yuki...“, stammelte sie zwischen zwei weiteren Schluchzern. Noch bevor Yuki wusste, wie es geschah oder wer den ersten Schritt unternahm, lag Ai weinend in ihren Armen. Das Gesicht an ihrer Brust vergraben und die Hände fest um ihren Körper geschlungen, dass es ihr fast wehtat, hätte sie es gespürt. Doch Yuki spürte in diesem Moment nichts weiter, als den Schmerz den Ai durchlebte. Sie strich ihr über den Rücken, nicht wissend, was sie sonst tun konnte. Sie kämpfte mit ihren eigenen Tränen und wusste, dass es falsch war zu weinen. Dass sie stark sein musste, um Ai beschützen zu können, doch sie konnte einfach nicht anders. Sie sah das weinende Kind, dachte an Zero, sein fassungslosen Gesichtsausdruck und daran, dass das alles ihre Schuld war. Yuki ließ den Kopf sinken, so dass er auf Ais Haaren lag. Sie zog sie noch ein wenig mehr an sich heran, darum bemüht ihre Fassung zu waren. Aber sie war zu schwach. Sie konnte nicht gegen das Gefühl der Schuld und der Hilflosigkeit ankämpfen. Es war ihre Schuld. Hätte sie Zero nicht so unbedingt finden wollen, wäre sie nach Hause gekehrt, als die drei Monate um waren, hätte sie nicht gesagt, dass schon nichts passieren würde, Ai wäre nicht... Zero wäre nicht...

Was würde er jetzt tun? Ihr schauderte bei dem Gedanken daran, denn es gab nur eine Antwort darauf. Er würde alles versuchen, um Ai zurückzubekommen. Alles.... Es würde in einem Blutbad enden, Schmerz und Tod... Sie sah es so deutlich vor sich, als würde es tatsächlich im gleichen Moment geschehen. Es war entsetzlich, es war abscheulich, so viel Blut... so viel Tod... es war grausam und erbarmungslos.

Doch es öffnete ihr gleichzeitig die Augen und zwang sie dazu zu handeln.

Sie musste handeln, wollte sie diese Version verhindern. Sie hatte es Zero versprochen. Sie würde Ai zurückbringen.

Yuki richtete sich langsam auf, sah auf Ai und versuchte ihre Gedanken fort von dem Bild zu lenken, welches sich in ihrem Kopf festzusetzen schien. Sie musste nachdenken. Sie musste Ai fortbringen. Aber wie? Wann?

Sie schloss die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Sie hörte Ais Weinen in ihren Ohren und es trieb sie an, schneller eine Lösung zu finden.

Kaname war nicht da. Er würde versuchen eine andere Entscheidung herbeizuführen. Konnte sie sich darauf verlassen? Würde es ihm wirklich gelingen? Sie wusste es nicht. Was wenn doch? Was wenn nicht?

Nein, darauf konnte sie sich nicht verlassen. Auch, wenn er am Ende eingelenkt hatte, würde das Wohl ihrer Gesellschaft wichtiger sein. Sie hatte schnell lernen müssen, dass Opfer unvermeidlich waren. Das Kind war für sie eine Gefahr. Selbst wenn sie einsahen, dass es nicht so war, würden sie sie niemals zu Zero zurückkehren lassen.

Zero. Was würden sie mit ihm tun? Hatten sie ihn schon festgenommen? Nein, bestimmt nicht. Die Versammlung würde erst noch beginnen. Die Hunter würden sich erst sammeln müssen. Sie konnten nicht nur zwei Leute dahin schicken. Sie hatten zu viel Angst vor ihn.

Denk nach, Yuki. Denk nach!

Sie würden sie beide nicht gehen lassen. Sie mussten gehen. Die Versammlung... Sie würde beginnen, schon bald. Kaname würde ihnen erzählen, wo Zero war und was er erfahren hatte. Wie hatte er es überhaupt erfahren?

Unwichtig.

Die Versammlung... Aidou hatte gesagt, man könnte die Prophezeiung auch anders auslegen. Wie? Egal... Nicht wichtig... Sie mussten gehen.

Aber es würde Zeit brauchen. Kaname würde erzählen, wie er Ai gefunden hatte, wo Zero war... Sie mussten entscheiden, was geschehen soll – mit Zero, mit Ai. Zeit... Aidou würde seine Erkenntnis vortragen. Auch das würde Zeit brauchen. Die Hunter würden vielleicht nicht einverstanden sein. Sie mussten sich erst einigen, wie sie vorgehen würden. Sie brauchten Zeit ehe sie sich gesammelt hatten, ehe sie bereit waren, einen Schritt auf Zero zuzumachen. Erst dann würden sie vielleicht über Ai entscheiden.

Wie lange würde es dauern? Eine Stunde? Nein, länger. Ein paar Stunden? Bis Mitternacht? Vielleicht.

Hastig sah Yuki auf die Uhr, an der anderen Seite der Wand. Kurz nach acht Uhr. Noch vier Stunden.

Wann sollte sie gehen? Wann sollte sie mit Ai verschwinden?

JETZT!
 

Yukis Herzschlag beschleunigte sich auf das doppelte. Sie musste jetzt gehen!

Kaname war nicht da, die Hunter würden bei der Versammlung sein. Sie war mit Ai allein. Nur die Bediensteten waren anwesend. Kaname vertraute darauf, dass sie das richtige tat. Nur deswegen hat er sie allein gelassen und nun wollte sie gehen. Wie konnte sie...

Das richtige tun...

Es war der beste Zeitpunkt. Es war die einzige Möglichkeit. Nie wieder würde sie diese Gelegenheit haben. Aber wie sollte sie es machen? Wie sollte sie zu Zero gelangen? Woher wusste sie, dass er noch da war und nicht schon... etwas anderes unternahm.

Gar nicht. Sie musste es einfach versuchen. Was hatte sie zu verlieren? Ihr würde man nichts antun. Sie war ein Reinblut und eine Kuran, niemand würde es wagen sich gegen sie zu stellen. Sie war ein Reinblut... eine Kuran... Sollte man sie erwischen würde Kaname wütend sein, aber das machte ihr nicht so viel Angst, wie das anhaltende Weinen und Schluchzen das von Ai kam.

Diese Gedanken halten in ihrem Kopf und brachten sie der Antwort näher, nach der sie so verzweifelte suchte.

Kaname vertraute ihr. Er hat darauf vertraut, dass sie das richtige tat.

Yuki schluckte heftig. Ihre Handflächen wurden ganz nass und ihre wurde kalt.

Sie würde das richtige tun.
 

Wie ein gefangenes Tier lief er nervös auf und ab. Genauso fühlte er sich auch. Das brachte doch alles nichts. Sie vergeudeten nur ihre Zeit, dachte er ärgerlich, während der Rektor und Yagari darüber diskutierten, welchen Weg sie am besten in das Haus nehmen sollten, dass im Wald stand und wer von ihnen dort hinein gehen sollte. Sie hatten sich für dieses Haus entschieden, weil es am wahrscheinlichsten war, dass Kaname Ai dort hingebracht hatte. Es war weiter weg und für die wenigsten – besonders für unerwünschte Personen – schwer zu finden.
 

„Ai, hör zu.“, redete Yuki auf sie ein. Sie rüttelte an ihrem Körper und versuchte so ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. „Ai, beruhige dich. Es ist wichtig, dass du mir zuhörst.“ Sie zog das Mädchen an den Armen ein Stück nach oben, so, dass sie sie ansehen musste. „Hör auf zu weinen Ai.“, sprach Yuki weiter, dieses Mal nachdrücklicher.

„Aber... Ich...ich...“, brachte diese mühsam hervor.

„Ich weiß, aber es ist wichtig, dass du mir jetzt zuhörst, verstanden.“

Ai nickte widerwillig. Sie wollte viel lieber noch ein bisschen weinen. So lange bist der Schmerz nachließ, von dem sie gleichzeitig wusste, dass es niemals der Fall sein würde.

„Wir machen einen kleinen Spaziergang.“, sagte Yuki schließlich. Fragend sah Ai sie an und schüttelte dann den Kopf.

„Doch, du wirst sehen es wird dir gefallen, glaube mir.“

Yuki stand auf und zog Ai mit nach oben, um sie auf das Bett zu setzen. „Aber erst einmal müssen wir dich umziehen. Du kannst nicht im Schlafanzug rausgehen.“ Yuki versuchte ihre Stimme leicht und unbeschwert klingen zu lassen. So als sei es vollkommen selbstverständlich, dass Ai verheult auf ihrem Bett saß und gerade anderswo darüber entschieden wurde, was mit ihre geschah. Doch Yuki entging das Zittern in ihrer eigenen Stimme nicht. Dennoch musste sie es versuchen.

„Ai, du wolltest doch so gern die Schuluniform der Day Class tragen. Ich habe meine noch hier. Möchtest du sie anziehen?“

Ai sah sie verwirrt an. Sie verstand nicht was das sollte. Wie konnte Yuki so tun, als sei alles in Ordnung?

Yuki ging zu ihrem Kleiderschrank und suchte hektisch im hinteren Teil. Die Uniform war schon fast zwanzig Jahre alt, aber es hatte nur kleinere Änderungen geben. Ai würde nicht unter den anderen Schülern auffallen, wenn sie es nicht... Sie verbot sich den Gedanken. Es musste ihnen gelingen.

Sie holte die Uniform hervor und besah sie sich kurz. Ai war groß und schlank. Es würde nicht ganz passen, aber es würde genügen.

„Hier Ai, zieh sie mal an.“

Skeptisch nahm Ai den Stoff zwischen die Finger. Die Uniform war wirklich schön und vor ein paar Stunden hätten sie wohl noch alles dafür gegeben sie anziehen zu dürfen, aber nun nicht mehr.

Wieder schüttelte Ai den Kopf und versank in sich selbst.

Verzweifelt sah Yuki sie an. Was sollte sie tun? Sie konnte ihr nicht sagen, was sie vor hatte, weil sie das selbst noch nicht wusste. Aber sie konnte nicht so mit Ai rausgehen. Das würde erst recht Verdacht auf sich ziehen. Ein Kind im Schlafanzug ging wirklich nicht.

Schließlich kniete sie sich vor Ai, nahm ihre Hände in ihre und sah sie fest an. „Ai, sieht mich bitte an und hör mir genau zu.“, beschwor Yuki sie und nach wenigen Sekunden des Zögerns tat es Ai auch.

„Es ist wichtig, dass du schnell die Uniform anziehst und mit mir spazieren gehst, hast du verstanden. Ganz wichtig.“, redete sie auf sie ein.

„Warum?“, fragte Ai mit dünner Stimme.

Yuki schüttelte den Kopf. „Es ist ganz wichtig, hörst du. Ich dachte du hast mich lieb und vertraust mir?“

Ai sah sie zweifelnd an. Sie verstand ganz und gar nicht, aber sie vertraute Yuki. Dann nickte sie. Sie warf der Uniform der Day Class noch einen letzten Blick zu, dann begann sie sich umzuziehen.
 

Die Türen des Versammlungsraumes öffneten sich und Kaname trat in Begleitung von Aidou, Kain, Shiki und Takuma ein. Die Hunter saßen bereits in ihren Reihen und schienen ungeduldig auf ihn zu warten.

„Warum habt ihr so dringend eine Versammlung einberufen?“, fragte Jinmu, der das neue Oberhaupt der Hunter war, nachdem Kaien Kurosu abermals abgelehnt hatte.

„Die Prophezeiung.“, antwortete Kaname knapp.

„Haben eure Leute endlich herausgefunden, wo wir das Kind finden können?“

„Nicht ganz.“, antwortete Kaname geheimnisvoll. Er nahm seinen Platz ein und schwieg noch einen Moment.

Aidou setzte sich hinter Kaname. Er sah sich um. Viele der Gesichter hatte er in den vergangen Jahren oft gesehen, aber er konnte nicht sagen, dass sie ihm dadurch sympathischer geworden sind. In seiner Magengegend breitete sich das Gefühl, dass ihn seit vorhin beschlichen hatte, nur noch mehr aus. Irgendetwas war gerade dabei mächtig schief zu laufen.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Kaname zu, der gerade sagte: „Wir haben das Kind bereits.“
 

„Wo wollen sie hin Kuran-sama?“, hörte Yuki eine der Bediensten fragen, als sie mit Ai gerade die Halle durchquerte. Sie hatten die Haupttür schon fast erreicht.

Ai hatte die Uniform angezogen und selbst die Schuhe passten nahezu perfekt. Alles war Ai zwar noch etwas groß, aber unter dem Mantel, den sie darüber gezogen hatte, fiel das nicht auf.

„Wir machen noch einen schönen Abendspaziergang. Es ist so eine herrliche, sternenklare Nacht, die man unmöglich verschwenden und im Haus verbringen kann.“, antwortete Yuki so natürlich wie möglich.

„Ja, aber, ich dachte...“, setzte die Angestellte an, verstummte dann aber.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Yuki weiter, ihre Stimme schon eine Spur schärfer.

„Nun, es ist so... bitte entschuldigen sie meine unverschämte Frage, aber ich dachte bei der Person, die Aidou-sama vorhin in eurer Zimmer brachte, handelt es sich um-“

Bevor sie weiter sprechen konnte, fiel Yuki ihr ins Wort. Sie bemühte sich ihre Selbstbeherrschung nicht zu verlieren.

„Sie ist mein Gast und keine Gefangene. Ich werde mit meinem Gast jetzt einen Spaziergang unternehmen und ja sie haben recht, ihre Frage war unverschämt.“, sagte Yuki mit so viel Autorität, wie es ihre flatternden Nerven zu ließen.

„Natürlich, bitten entschuldigen sie. Wann darf ich sie zurückerwarten?“

„Das weiß ich noch nicht. Wir wollen noch Essen gehen.“, log sie rasch.

„Ganz wie ihr wünscht. Ich wünsche ihnen einen angenehmen Abend.“

„Danke.“, damit drehte sich Yuki wieder um, nahm Ai bei der Hand, die immer noch unkontrollierbar zitterte, und sie verließen das Anwesen der Kurans.
 

Scheinbar ziellos liefen sie durch die Straßen. Sie liefen recht schnell, was Ai verwunderte aber sie fragte auch nicht. Yuki redete und redete und Ai verstand nicht einmal die Hälfte davon. Sie hörte ihr auch nicht zu. Was interessierte sie die Schönheit der Sterne oder der Häusern, wenn sie nichts weiter sah als Finsternis? Warum hatte sie sich umziehen sollen? Warum wanderten sie scheinbar schon seit Stunden durch die Straßen? Und immer wieder verschwanden sie in einer dünnen Gasse, nur um wieder auf einer anderen Straße herauszukommen. Ai hatte schon lange die Orientierung verloren. Sie wollte sich auch nicht orientieren. Warum auch? Bald würde sie in diesem großen Haus zurücksein und sie würde eingesperrt werden. Denn dass war es doch, was sie mit ihr machen würden oder nicht? Man würde sie für das einsperren, was sie war. Dabei wusste sie selbst nicht genau, was das war. Sie hatte noch keine Zeit gehabt das herauszufinden.

Ai unterdrückte die Tränen, die sich immer wieder nach oben schlichen. Das Bild ihres geliebten Papas, wie er sie entsetzt angesehen hatte, als sie diese unverzeihlichen Worte gesprochen hatte, saß tief in ihrem Inneren. Nie würde sie es vergessen können. Ob er inzwischen gegangen war? Sie hoffte es. Er hatte schon genug für sie getan und geopfert. Es wurde Zeit, dass er das Leben weiter lebte, das er auch ohne sie gehabt hätte. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass es nur vorrübergehend war. Nicht festgelegt auf eine bestimmte Zeit, aber doch nicht für immer. Trotzdem saß der Schmerz so tief, wie es nur zweimal bisher in ihrem Leben empfunden hatte – und beide Male hatte sie eine geliebte Person verloren. Jetzt war es wieder so.

Plötzlich blieb Yuki stehen und Ai spürte ihre Anspannung. Vielleicht würden sie jetzt endlich zurückgehen. Sie war müde und wollte schlafen und hoffte, dass das Gesicht – sein Gesicht – dann aus ihrem Gedächtnis verschwunden war.

„Ai, was hältst du davon, wenn wir um die Wette laufen. Wer als erstes das große Tor durchquert hat, bekommt ein großes Stück Kuchen vom anderen?“, fragte Yuki sie.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht laufen. Sie wollte nie wieder Kuchen oder etwas Süßes essen. Sie würde nie wieder essen können.

Yuki drückte ihre Hand fester.

„Dann laufen wir gemeinsam, einverstanden? Du darfst meine Hand nicht loslassen, hörst du?“

Wiederstrebend sah Ai auf und blickte auf die Stelle in die auch Yuki sah und erst jetzt erkannte sie, wo sie sich eigentlich befanden.
 

„Ich will nicht länger warten!“, sagte Zero ungeduldig und war schon wieder aufgestanden. Seit mehr als einer dreiviertel Stunde taten sie nichts weiter als Reden und ihre Pläne immer wieder ändern. Erst wollten sie zum Haus im Wald gehen, dann meinte der Rektor, dass es wahrscheinlich doch besser wäre in dem in der Stadt nachzusehen. Dann wollte er allein gehen, dann wieder sollte Zero ihn begleiten, damit er mit Ai gleich gehen konnte. Dann entschied er sich doch wieder um.

Es reichte ihm! Er hatte lange genug gewartet! Ganz gleich was kommen würde, er würde sich dem stellen, es vernichten und dann mit Ai verschwinden. So, wie er es von Anfang an vorgehabt hatte.

„Wir sind gleich fertig. Noch ist nichts passiert und ich verspreche dir auch, dass nichts passieren wird.“, redete der Rektor weiter auf ihn ein und besah sich noch einmal die Grundrisse, der beiden Grundstücke, die er gezeichnet hatte.

Es war doch egal, wo was lag oder wie es aufgebaut war. Er würde Ai jetzt holen, ganz egal mit welchen Mitteln. Er hatte gewartet, wie die beiden es gesagt hatten und doch haben sie keine Lösung gefunden. Also konnte er es auch auf seine Weise machen.

„Das können sie nicht wissen! Wir haben schon genug Zeit vertrödelt. Wer weiß, was sie inzwischen mit ihr gemacht haben oder ob sie sie nicht schon lange wieder wo anders hingebracht haben.“

„Nein, das glaube ich nicht.“, sagte Yagari. „Dafür ist Kaname zu gründlich und hält sich zu sehr an die vereinbarten Regeln.“

„Er hat sich noch nie-“ Abrupt hielt Zero inne und glaubte seinem eigenen Gefühl nicht zu trauen.

SIE!

„Was ist los?“, fragte der Rektor, doch Zero hörte ihn nicht mehr. Augenblicklich rannte er die Stufen nach oben, riss die Türen auf, die ihm den Weg versperrten und erreichte innerhalb weniger Sekunden die Haupttür. Auch diese riss er auf, so dass sie drohte aus den Angel zu fallen.

Er konnte nicht glaube was er sah. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er, bevor er weiter rannte, direkt auf sie zu. Seine Wut hatte sich innerhalb von einer einzigen Sekunde in Ungläubigkeit und dann schiere Erleichterung gewandelt.

Er konnte nicht beschreiben, was er fühlte, als er sie wieder in seinen Armen spürte. Ihre vertraute Gestalt, die er in den letzten fünf Jahren so lieb gewonnen hatte, wie kaum einen andern Menschen. Allein dass er spürte, wie sie sich an ihn klammerte und haltlos in seinen Armen weinte, gab ihm die Sicherheit, dass sie wirklich bei ihm war, dass es nicht nur ein Tagtraum oder ein Trugbild war. Sie war wieder da, zurück bei ihm, dorthin wo sie hingehört, genauso wie er zu ihr gehörte.

Zero zog Ai nach oben, presste sie fest gegen seinen Körper und atmete ihren Duft ein. Er fragte im Augenblick nicht nach dem warum oder wieso, er war einfach unbeschreiblich glücklich, sie wieder bei sich zu haben.

Plötzlich riss Yuki ihm am Arm und zog ihn mit sich. „Zero!“, rief sie zischend und er folgte ihr ohne weiteres, in die scheinbar sicheren Wände des Hauses.
 

Ais Griff verkrampfte sich regelrecht um seinen Hals. Immer und immer wieder flüsterte sie unter Tränen: „Es tut mir leid. Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Sie wollte ihn nie wieder loslassen. Sie wollte nicht wieder weg von ihm, ganz egal, was andere sagen würden oder wer sie war oder was. Sie würde nie wieder gehen. Er war alles was ihr noch geblieben war.

Zero strich beruhigend über ihren Rücken und spürte dabei kaum, was er tat. Zu aufgewirbelt waren die unterschiedlichen Emotionen, die er empfand. Yuki hatte Ai tatsächlich zurückgebracht. Sie hatte ihr Wort gehalten.

„Was ist denn hier los? Yuki! Ai!“, stieß der Rektor verwundert aus, als auch er und Yagari aus dem Keller kamen.

Yuki atmete kurz ein und aus. Sie war nicht erschöpft von dem kurzen Rennen, aber ihr Herz spielte noch immer für Aufregung und Adrenalin verrückt. Einen kurzen Moment sah sie kleine schwarze Punkte vor ihren Augen tanzen. Sie musste sie schließen, um sie zu vertreiben.

„Wir müssen sofort verschwinden.“, sagte sie dann und sah dabei Zero an.

„Was machst du hier? Wie hast du es geschafft hierher zu kommen?“, fragte der Rektor weiter. Doch Yuki schüttelte nur kurz den Kopf. Sie hatte jetzt keine Zeit für Erklärungen.

„Die Versammlung wird noch ein paar Stunden dauern, wenn wir Glück haben. Bis dahin müssen wir verschwunden sein. Kaname will ein Wort einlegen, dass sie es... doch nicht tun, aber er will ihnen sagen, dass du hier bist Zero!“, erzählte sie hastig.

Ohne zu zögernd ließ Zero Ai herab. „Du bleibst hier. Ich hole nur schnell „Hase“ und die Spieluhr.“, sagte er kurz zu Ai, als er merkte, dass sie sich ängstlich an ihn klammerte. Zero rannte in das Zimmer zurück in dem er und Ai bis vor wenigen Stunden noch gelebt hatten. Yukis Worte gingen ihm durch den Kopf. Irgendetwas an ihnen stimmte ihn nachdenklich. Irgendetwas was sie gesagt hatte, war nicht so, wie es sein sollte. Fieberhaft suchte er nach Ais Rucksack, der irgendwo zwischen ihren Sachen verstreut lag. Als er ihn endlich gefunden hatte, schüttete er den gesamten Inhalt aus und Hefte, Bücher und Stifte purzelten heraus. Dann griff er nach dem Kuscheltier und stopfte es in den Rucksack hinein. Er nahm sich einen Pullover von Ai und wickelte ihn um die Spieluhr, die er dann ebenfalls in den Rucksack verstaute. Zum Schluss griff er noch nach seiner Geldbörse. Sie würden es brauchen.

Was hatte sie eigentlich angehabt, als sie hierher gelaufen waren?, überlegte er kurz, dachte aber nicht weiter darüber nach.

Er zog den Reisverschluss zu und nahm sich noch eilig Ais Jacke. Sofort kehrte er in den Flur zurück in dem immer noch Yuki, Ai, Yagari und der Rektor standen.

„Ai, zieh deine Jacke an. Der Mantel ist zu groß.“, sagte Zero rasch und reichte sie ihr. Nur kurz registrierte Zero die Uniform der Day Class und fragte nicht weiter danach. Irgendwann würde genügend Zeit für Fragen sein.

„Hier vergiss das nicht.“, sagte Yagari und drückte ihm eine weitere Munitionsschachtel in den Hand. „Ich hoffe du wirst es nicht brauchen.“

„Zero, wo gehen wir als erstes hin?“, fragte Yuki und jetzt merkte er auch endlich, was ihn an ihren Worten gestört hatte.

„Wir?“, fragte er fassungslos. „Wir gehen nirgendwo hin! Ich gehe mit Ai allein!“

„Das wirst du nicht.“, sagte sie mitzusammengebissenen Zähnen.

„Und warum nicht?“

„Weil es besser ist, wenn ich euch begleite. Mit mir habt ihr eine sehr viel größere Chance zu entkommen. Niemand würde es wagen euch anzugreifen, solange ich in eurer Nähe bin und ich kann euch helfen.“, sagte sie entschlossen. Sie hatte sich dazu entschieden, als sie mit Ai das Haus verlassen hatte. Jetzt würde sie diesen Weg auch bis zum Ende gehen.

„Uns helfen?“ Zero lachte bitter. „Was soll das?! Was für ein Spiel ist das? Warum willst du uns helfen, wo du uns doch erst hierher gebracht hast?!“, fragte er sie hasserfüllt. Yuki zuckte kurz zurück. Obwohl sie es gewusst hatte, schmerzten die Worte sie.

„Was passiert ist tut mir leid, aber genau deswegen bin ich jetzt hier. Ich will das ihr in Sicherheit seid.“

„Und dann? Dann kommst du zurück und erzählst ihm, wo wir sind? Nur damit alles von vorne beginnt? Du musst dich endlich entscheiden Yuki! Er oder wir?“

„Ihr habt jetzt keine Zeit darüber zu diskutieren!“, mischte sich der Rektor ein.

„Er hat recht. Ihr solltet so schnell wie möglich das Weite suchen. Außerdem stimmt es wahrscheinlich, was sie sagt. Ihr seid im Moment besser dran, wenn sie bei euch ist.“, sagte auch Yagari.

Ai, die bisher verwirrt zwischen den Erwachsenen hin und her gesehen hatte, ging zu Yuki und fasste sie bei der Hand. „Sie hat mich zu dir zurückgebracht.“, sagte sie leise und sah Zero aus ihren grünen Augen an, die in diesem Moment sehr viel mehr sagten, als es ihre Worte konnten.

„Also schön.“, sagte Zero knapp. „Schlimmer kann es ja kaum werden.“

„Die Rosemary sollte heute Abend noch ablegen. Sie hat wegen Lieferung Verspätung. Sie fährt nur in den Norden, aber vielleicht hilft euch das. Wir versuchen sie hinzuhalten.“, sagte der Rektor noch und Zero nickte kurz.

Dann verließen er, Ai und Yuki das Gelände der Cross Akademie, um irgendwie einen Weg weg von der Gefahr zu finden, die über ihnen schwebte.
 

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Wow... Ich habe es noch in diesem Monat geschafft. Es gab Momente da habe ich daran gezweifelt, muss ich wirklich gestehen.^^;

Aber das letzte Kapitel gab es im April, da bin ich mit Ende Mai ja noch gut dran. Aber ihr wisst ja, wenn’s länger dauert, dauert es eben länger.
 

Ich habe nebenbei den Soundtrack zu Robin Hood (der neue Film) gehört und der passt irgendwie doch sehr gut. Muss man mal so sagen.
 

Also dann... hoffe es hat gefallen.
 

glg maidlin

Auf Umwegen

Vor London hab ich es also doch noch mal geschafft.^^ Bin ja richtig froh darüber, auch wenn ich es eigentlich schon viel eher hochladen wollte. Aber irgendwie... Ich weiß nicht. Ich habe Ferien und eigentlich Zeit, aber immer kommt was anderes dazwischen – Family and Friends. XD Vergebt mir...

Viel Spaß mit dem Kapitel und ich hoffe, es ist - ansprechend. O.o Bin mir da gerade nicht so sicher.^^;

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Auf Umwegen
 

Sie liefen durch die Stadt. Zero voraus, gefolgt von Ai, die er fest an der Hand hielt und Yuki. Sie mieden die offenen Straßen und bewegten sich nur in den Seitengassen. Irgendwie musste es ihnen gelingen, von hier zu verschwinden, dachte Zero beinah verzweifelt. Nur hatte er noch keinerlei Vorstellungen, wie sie das schaffen sollten. Zudem wusste er, dass Ai das Tempo nicht lange durchhalten würde. Er könnte sie tragen, aber er war nicht sicher, ob sie so nicht noch mehr auffielen. Dabei machte es eigentlich keinen Unterschied, dachte er bitter. Selbst, wenn sie sich nicht in den Hauptstraßen bewegten, wurden sie doch von irgendjemand gesehen. Das konnte er nicht verhindern.

„Zero, wo laufen wir hin?“, fragte nun Yuki, nachdem sie scheinbar ziellos eine viertel Stunde durch die Stadt gerannt waren.

Wohin? Das wüsste er auch ganz gern.

Die Rosemary... War das wirklich eine gute Idee? Sie würden damit auf jeden Fall schneller sein, als auf anderen Wegen. Trotzdem... Sie waren zu dritt. Keiner von ihnen war unauffällig. Yukis Aura war selbst für normale Menschen anders, Ai hatte stechend grüne Augen und goldblondes Haar und er selbst... Die Rosemary erschien ihm nicht sehr vernünftig. Andererseits hatten sie überhaupt eine Wahl?

Wenn sie sie wenigstens irgendwie auf eine falsche Spur locken konnten. Auch, wenn er nicht glaubte, sie lange in die Irre führen zu können, aber so lange es ihnen ein bisschen mehr Zeit verschaffte, wäre es immer noch besser als nichts.

Vielleicht konnten sie... Wenn sie...

Zero zog Ai und Yuki in eine weitere, noch dunklere Gasse ohne Ausgang. Erwartungsvoll und gleichzeitig ängstlich sahen die beiden Mädchen ihn an. Nein, es war nur noch ein Mädchen, dachte er still.

„Wie viel Geld hast du bei dir?“, fragte er Yuki leise. Er hoffte, dass sie daran gedacht hatte, bevor sie mit Ai zu ihm gekommen war. Offensichtlich hatte sie ja von Anfang an vorgehabt sie zu begleiten.

Sie schaute ihn einen Moment verwundert an, griff dann aber in die Innentasche ihres Mantels und holte einen gut gefüllten Lederbeutel hervor. Dennoch war er recht leicht, weil sich nur Scheine darin befanden.

Stauend sah Zero sie an, als er erfasste, wie viel Geld sich darin befand.

„Ich habe einfach zugegriffen und es eingesteckt.“, murmelte Yuki, wie zu ihrer Entschuldigung.

„Mit dem was ich noch habe, brauchen wir uns darum schon mal keine Gedanken machen.“, sagte er und klang in dieser Beziehung erleichtert.

„Was hast du jetzt vor?“,

„Wir gehen zum Bahnhof und kaufen uns drei Tickets.“

„Wir fahren nach Hause?“, fragte Ai ihn hoffnungsvoll und Zero brachte es nicht über sich, ihr jetzt schon etwas zu sagen. Ja, sie würden nach Hause fahren, aber nicht mit diesem Zug und nicht für lange.

Stattdessen nahm er das Geld heraus zählt es ab und steckte einen großen Teil wieder hinein.

„Nimm es. Wenn wir uns... trennen müssen, weißt du, wo du Ai hinbringen musst. Alles andere erkläre ich dir später.“

Yukis Finger zitterten, als sie das Geld wieder an sich nahm und in ihrem Mantel verstaute. Die Bedeutung seiner Worte war ihr nur zu klar, aber sie wollte am liebsten gar nicht darüber nachdenken.

Als sie weiter liefen, wählte er immer noch Umwege, strebte aber das Ziel „Bahnhof“ direkter an. Er hoffte, dass es funktionieren würde. Zero wollte eine so verwirrend wie mögliche Spur hinterlassen. Es war nicht mehr weit zum Bahnhof. Sie brauchten nur noch um die nächste Ecke nach rechts zu gehen und schon würde sie ihn sehen können. Doch Zero ging noch einmal nach links, um einen letzten Bogen zu machen.

Er bog hastig um die nächste Häuserecke und blieb dann abrupt stehen.

Das konnte nicht sein!!! Man hatte sie bereits gefunden?!

„Sieh mal einer an, wir haben uns ja lange nicht gesehen.“, sagte der Mann, der im Schatten an einer Häuserwand gelehnt war. Dann trat er aus dem Schatten heraus und ein paar Schritte auf sie zu. „Mir war so, als hätte ich die Gegenwart zweier Vampire gespürt, aber das ich dabei auf dich treffe Zero... Was für ein Zufall aber auch.“, sprach er langsam.

„Zero, wer-“, setzte Yuki an, doch ein Blick in Zeros Gesicht brachte sie zum Schweigen. Er sah erschrocken aus, gleichzeitig aber auch vollkommen ungläubig.

Zero starrte den Mann vor ihnen an. Diese Stimme, diese Sprache und die ganze Körperhaltung. Das konnte einfach nicht sein und doch... Das schiefe Lächeln im Gesicht seines Gegenübers bestätigte es eigentlich.

„Kaito?“, brachte Zero schließlich heraus. Yuki verstand ihn kaum.

„Höchstpersönlich.“, sagte er spöttisch. „Lange nicht gesehen, nicht wahr?“

Tausend Gedanken schossen Zero durch den Kopf, doch die lauteste war: Warum musste ausgerechnet ER hier sein?!

Nach so vielen Jahren laufen sie sich offenbar zufällig über den Weg! Gerade an diesem Tag! Nein, ein Zufall war das ganz gewiss nicht.

Aber warum hatte er nicht bemerkt, dass ein Hunter in der Nähe war?! Wie hatte er nur so töricht sein können?!

Hatte sich Kaito geändert?, überlegte er kurz. Wohl kaum. Seine eigene Einstellung zu Vampiren war ja auch noch die gleiche. Kaito würde sie nicht gehen lassen. Aber sie mussten an ihm vorbei. Zero schluckte bei dem Gedanken. Wollte er mit Yuki und Ai zum Bahnhof, wollte er sie in Sicherheit bringen, dann würde er keine andere Wahl haben und Kaito...

Ein Weg zurück war ausgeschlossen.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich jemals wieder sehen werde. Dein Verschwinden hat uns alle ganz schön beschäftigt gehalten. Und nun tauchst du nach zwanzig Jahren wieder auf und präsentierst dich mir, wie auf einem Silbertablett. Wie nett von dir.“, sagte Kaito bissig und grinste ihn an.

„Im Moment halten sie dir zu Ehren eine Versammlung ab, in der sie stundenlang beraten werden, was sie mit dir machen, wenn sie dich erst einmal haben. Dabei ist es vollkommene Zeitverschwendung. Wir wissen doch beide, was sie beschließen werden, nicht wahr?“, fragte er mit kalter Stimme.

Zero weigerte sich ihm zu antworten. Er würde es nicht verstehen. Der Kaito, den er damals kannte, hätte es nicht verstanden und er glaubte nicht, dass es jetzt anders war.

„Was ist Zero, du sagst ja gar nichts? Ach ja, du warst ja schon immer der stillere von euch beiden.“

Zero überging den letzten Satz, obwohl es in ihm zu brodeln begann.

„Lass uns gehen.“, sagte Zero kurz und mit ebenso kalter Stimme.

„Oder?“

„Oder ich werde einen anderen Weg finden, um an dir vorbeizukommen.“, drohte er ihm. Wenn er sich zwischen Ai und einem Teil seiner Vergangenheit würde entscheiden müssen, dann wusste er was er wählte. Nur war er nicht sicher, ob er es wirklich ohne zögern würde tun können.

Kaito schnalzte mit der Zunge und Zero konnte das kleine Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. Nur darauf hatte er es von Anfang an angelegt. Er hatte nichts anderes von ihm erwartet, dachte Zero.

„Das möchte ich wirklich zu gern sehen. Du warst schon immer zu zögerlich. Ich frage mich, ob du deine größte Schwachstelle, dein Mitgefühl, inzwischen überwunden hast. Das hat dir schon immer im Weg gestanden.“ Kaitos Blick wanderte nun von Zero auf die Personen hinter ihm. Ai stand bei Yuki und diese hatte mit angehaltenem Atem, das Gespräch der beiden gehört. Offenbar kannten die beiden sich noch von früher. Nur hatte Zero noch nie einen Kaito erwähnt. Aber er würde doch nicht wirklich...

„Aber unglücklicherweise...“, fuhr Kaito fort, „kann ich nichts tun, solange du dieses Reinblut als Geisel hast.“

Zero sah ihn perplex an und auch Yukis Mund stand offen.

Was hatte er gerade gesagt?

Glaubte dieser Mann wirklich Zero hätte sie als Geisel genommen, um seine Flucht zu erleichtern? Das konnte doch nicht sein ernst sein!, überlegte Yuki aufgebracht. Wenn dem wirklich so wahr, würde sie Zero ja nur noch in mehr Schwierigkeiten bringen! Sollte das zu Kaname vordringen, würde er noch ungehaltener sein. Nein, halt, rief sie sich selbst in Erinnerung. Kaname wusste, dass sie freiwillig mit Zero gegangen war. Zumindest würde er es wissen, wenn er ihren Brief fand. Darin stand alles drin, ihre Entscheidung und Beweggründe sowie das Versprechen zurückzukommen, sobald Ai und Zero in Sicherheit waren.

Doch die Hunter wussten davon nichts. Kaname würde es ihnen doch sagen oder nicht?, überlegte sie weiter. Das würde er doch oder...

Zero starrte Kaito immer noch an. Was sollte das Ganze? Was für ein Spiel war das?

„Also bleibt mir wohl gar nichts anders übrig, als dich gehen zu lassen.“, sprach Kaito weiter, ohne sich von dem Schweigen beeindrucken zu lassen. Auf seinem Gesicht erschien abermals ein schmales Lächeln und Zero verstand immer weniger. Der Kaito aus seiner Kindheit, hätte niemals so gehandelt. Das musste ein Trick sein, um sie erst in Sicherheit zu wiegen und dann zu zuschlagen.

„Glaube nicht, dass ich darauf hereinfalle.“, knurrte Zero. Niemals wieder würde er sich von anderen zum Narren halten lassen. Ganz gleich wer es war.

Fragend hob Kaito eine Augenbraue. „Ich weiß nicht, wovon du redest. Du hast das Reinblut in deiner Gewalt und das Kind, das jeder will auch. So wie es aussieht steht es drei zu eins und auch, wenn es dich jetzt überrascht, hänge ich doch sehr an meinem Leben.“

„Was willst du Kaito?“, zischte Zero.

Kaito schwieg einen Moment bevor er weiter sprach und das Lächeln auf seinem Gesicht verschwand. Seine Augen waren kalt und fixierten Zero, wie ein Raubtier, bevor es seine Beute erlegte. „Es macht viel mehr Spaß, seine Beute zu jagen. Das solltest du doch am besten wissen, oder Zero?“, sagte er leise und bedrohlich. Doch dann, noch etwas leiser und mit einem anderen, Zero unbekanntem Unterton in der Stimme, fügte er an: „Außerdem schulde ich dir irgendwie noch was.“

Zero erstarrte für einen Moment. Er wusste nicht, was Kaito damit meinte oder was er gar bezwecken wollte, aber er wusste, dass das mit der Jagd durchaus sein Ernst war. Er würde ihn nur entkommen lassen, um ihn dann gnadenlos zu jagen und zu töten. Er war ein Hunter, durch und durch. Und ja, er verstand ihn nur zu gut. Etwas, was ihm Unbehagen bereitet. Zero hatte geglaubt, diesen Teil seiner Vergangenheit, so wie alles andere, hinter sich gelassen zu haben. Ein erneuter Irrtum, wie er feststellte.

„Wie lange?“, fragte Zero knapp.

Kaito sah in den nächtlichen Sternenhimmel, als überlegte er. „Ich denke zwei Stunden sollten angemessen sein. Vielleicht sind die Alten, dann endlich fertig mit ihrem netten Plausch und wir können endlich handeln, statt immer nur zu reden.“, sagte er scharfzüngig und reichlich genervt.

Ohne etwas darauf zu erwidern, ging Zero einen Schritt zurück. Dann noch einen und noch einen. Er konnte Yuki und Ai in seinem Rücken spüren und er schob sie ebenfalls nach hinten. Sein Blick war auf Kaito geheftet, wachsam und immer damit rechnend, dass er doch jeden Moment angreifen würde. Doch das tat dieser nicht, sondern sah ihn nur mit dem gleichen, geraden Blick an.

Sie hatten die Hausecke hinter sich gelassen und ein Blick über die Schulter verriet Zero, dass sie sich fast in ihrer Ausgangsposition befanden. Liefen sie die Straße nach unten weiter, würde sie zum Bahnhof kommen.

Doch entgegen seiner Vernunft entschied er sich einen weiteren Haken zu schlagen und den Bahnhof noch einmal zu umrunden. Zwei Stunden hatte Kaito ihnen gegeben. Erst dann würde er sich offiziell auf die Jagd nach ihnen machen. Und in diesen zwei Stunden war wohl auch die Versammlung beendet. Ihnen rannte die Zeit davon.

Sobald sie um die nächste Ecke gebogen waren, begann Zero wieder zu rennen und zog seine beiden Begleiterinnen wieder hinter sich her.

„Zero, was sollte das? Wer war das?“, fragte Yuki ängstlich und hielt gleichzeitig, mühelos mit ihm Schritt.

„Später.“, antwortete er kurz. Sie würde es so lassen, wie es war, überlegte er. Was war das Richtige und was das Falsche? Er wusste es einfach nicht!

Doch ein Blick zu Ai genügte und seine Entscheidung fiel. Er wollte sie in Sicherheit bringen und dazu hatte er kaum eine andere Wahl, als an seiner Idee festzuhalten. Vielleicht schafften sie es bis nach Koritokái und wenn die anderen in dieser Stadt landeten, würde sie diese Welt mit ein bisschen Glück schon verlassen haben.
 

Als sie das große Bahnhofsgelände erreichten, verlangsamten sie ihren Schritte und die kleine Gruppe lief scheinbar gemächlich auf die große Halle zu.

„Was hast du vor?“, fragte Yuki noch einmal. Sie sah kurz zu Ai und sah die Anspannung in ihrem Gesicht. Für sie musste das alles noch sehr viel schlimmer sein.

Zero spürte Yukis eindringlichen Blick auf sich ruhen und schaute sie an. Ihre Augen wanderten zu Ai und er folgte ihnen. Seine Ziehtochter war blass und ihre Augen ängstlich. Ihre Hand zitterte in seiner.

Bevor sie die Halle betraten ging er mit ihnen eine weitere Ecke, die hinter einen großen, mächtigen Pfeiler verborgen lag. Zero hob Ai mit Leichtigkeit nach oben und schloss sie in seine Arme.

„Es wird alles gut werden.“, flüsterte er. „Wir werden nach Hause gehen, glaub mir. Später, nicht jetzt.“ Es brach ihm bereits jetzt das Herz, wenn er ihr sagen musste, dass sie nicht dort bleiben würden. Ai nickte kurz und vergrub das Gesicht in seiner Halsbeuge.

Yuki sah ihn immer noch an und er gab sich einen Ruck, um sie so weit wie möglich einzuweihen. Dabei achtete er darauf nicht zu viel zu sagen. Nicht so sehr, weil er Yuki noch immer nicht ganz vertraute, sondern vielmehr, weil er einfach nicht wusste, ob es wirklich funktionieren würde.

„Ich werde drei Zugtickets in die östliche Hauptstadt kaufen. Wir werden sichergehen, dass man sich an uns erinnern wird, wenn jemand nach uns fragt. Wir steigen in den Zug ein und warten bis der Schaffner unsere Tickets kontrolliert hat. Hat er das getan, werden wir den Zug wieder verlassen. Im Anschluss laufen wir in die Stadt zurück und versuchen die Rosemary zu finden.“

Yuki nickte kurz, aber Zero hatten den Zweifel in ihren Augen gesehen, als er den letzten Satz zu Ende gesprochen hatte. Er konnte die Frage förmlich in ihren Augen lesen: „Was ist, wenn die Rosemary nicht mehr da ist?“

Daran wollte er lieber gar nicht denken.

„Was dann? Glaubst du sie nimmt uns mit?“, fragte Yuki leise.

„Das hoffe ich.“, antwortete er ehrlich.

„Wir hoffen?“, fragte Yuki ungläubig. „Zero, das kann nicht dein erst sein! Wir sollten im Zug bleiben und nach Osten fliehen. So haben wir noch eine Chance. Wenn sie uns erwischen, während wir zum Hafen laufen, ist es...“ Sie sprach nicht zu Ende, aber das musste sie auch nicht. Zero verstand sie auch so, genauso wie Ai.

„Ich weiß.“, flüsterte er. „Aber das ist die einzige Möglichkeit, um sie wenigstens in die Irre zu führen und Zeit zu gewinnen. Aidou und Kain werden ihnen sagen, wo wir herkommen und dann wird ihnen der Zug als einzige Verbindung einfallen. Es sei denn du sagst mir, dass du weißt, wie man einen Wagen fährt.“, hängt er spitz an. Yuki schüttelte den Kopf.

„Nein, weiß ich nicht.“, gab sie zu.

„Ich auch nicht.“, antwortet Zero. „Und wenn du nicht schnell noch eine andere Idee hast, werden wir es so machen.“

Ergeben nickte sie. Er hatte recht, sie hatten kaum eine andere Möglichkeit und sie bezweifelte, dass Kain und Aidou ihr Wort halten würden, wenn sie feststellten, dass auch sie verschwunden war.

„Hast du Angst, Ai?“, wandte Zero sich an das Mädchen und ließ sie wieder herunter.

Sie schüttelte kurz den Kopf. „Wenn ihr bei mir bleibt...“, wisperte sie mit dünner Stimme.

„Natürlich tun wir das.“, erwiderte er und wie zur Bekräftigung nahm Yuki ihre andere Hand.

Sie traten aus der Ecke heraus und gingen abermals zur Halle.

„Zieht euch die Kapuzen ins Gesicht, damit sie auch nicht erkennen.“

„Aber macht uns das nicht noch auffälliger?“, fragte Yuki zögernd.

„Deswegen ja.“, antwortete Zero kurz. „Wartet hier vorn. Ich gehe und hole die Tickets.“, sagte er zu ihnen, als sie die Mitte der Halle erreicht hatten.

Die Halle war ein großes, altes Gebäude aus Backstein. Auf einer Tafel direkt gegenüber der Eingangstür prangte die Anzeigetafel mit den einkommenden und abfahrenden Zügen. Eine große Uhr befand sich in der Mitte und der Sekundenzeiger lief eilig über die Ziffern. Den zentralen Punkt dieser Halle bildete ein Blumenareal, um das Bänke gestellt waren. Gerade aus konnte man die Gleise erreichen. Zur rechten befand sich ein recht großer Zeitschriftenladen, zur linken waren die Ticketschalter, getrennt durch eine Glastür, durch die Zero nun ging.

Yuki hatte ein mulmiges Gefühl und sie hielt Ais Hand so fest sie konnte ohne ihr dabei wehzutun. Sie hoffte, dass Zero sich beeilen würde.
 

„Sehr geehrte Fahrgäste, bitte steigen sie ein. Vorsicht an den Türen und bei der Abfahrt des Zuges!“, rief die Stimme des Schaffners, der einer rote Kelle schwang und auch die letzten Passagiere dazu antrieb, einzusteigen.

Yuki betrat als erstes den Zug, gefolgt von Ai und Zero. Sie hatten gleich den letzen Wagon gewählt. Es war ein alter Zug, der am Ende eine Aussichtsplattform hatte. Sie war wie geschaffen für ihr vorhaben.

Sie wählten ihren Plätz in einem eigenen Abteil in der Nähe der Tür. Sobald sie saßen, zog Zero die Vorhänge zu und sie nahem ihre Kapuzen ab. Im nächsten Augenblick ging das elektrische Licht an und erhellte den engen Raum ein wenig. Es war nur noch für einen weiteren Passagier Platz, also war es unwahrscheinlich, dass sich jemand zu ihnen setzte.

Yuki nahm am Fenster Platz und sah hinaus. Auf den Gleisen gegenüber wartet ein weiterer Zug auf die Abfahrt, auf dem nächsten fuhr gerade einer ein. Sie sah zu Zero. Auch er sah nach draußen. Ob er das gleiche, beengte Gefühl in der Brust hatte wie sie?, fragte sie sich. Ai war dicht an ihn gelehnt und Zero legte nun den Arm um sie. Es war richtig gewesen, sagte sie sich, was sie getan hatte. Hatte sie vorher auch nur noch einen winzigen Zweifel in sich gehabt, war auch dieser nun endgültig verschwunden.

„Wer war das vorhin?“, fragte sie nun leise. Es würde sicher einen Moment dauern, bis der Schaffner auch bei ihnen war und der Zug war noch nicht angefahren. Genauso gut konnte sie also schon einmal Antworten sammeln. Nun sah auch Ai auf und ihren Papa aufmerksam an.

„Du schienst ihn zu kennen.“, fügte Yuki an, um ihm zu zeigen, dass er sie gar nicht erst mit einer einfachen Antwort ruhig stellen konnte.

„Kaito.“, antwortete er knapp.

„Kaito, wer?“

„Kaito hat mal mit mir und... meinem Bruder trainiert. Sein Meister hatte eine Verletzung gehabt und Yagari hat sich so lange um ihn gekümmert. Er stammt ebenfalls aus einer sehr alten Hunterfamilie. Wir waren nur ein Sommer zusammen, aber ich werde mich wohl immer daran erinnern.“

„Warum?“

Zero atmete einmal tief durch. „Kaito war damals fünfzehn und ziemlich gut. Etwas zu überzeugt von sich, aber man konnte sehen, dass er zu einem ausgezeichneten Hunter heranwachsen würde. Sein Können, seine Stärke und seine Einstellung waren genauso, wie es sein sollte.“ Zero konnte nicht verhindern, dass in seiner Stimme ein wenig Bitterkeit mitschwang.

„Er und ich... haben uns anfangs nicht verstanden. Die Gründe sind unwichtig.“

Yuki horchte auf. Sie wusste nicht, wie sie diese Worte deuten sollte. Doch sie wagte auch nicht danach zu fragen. Sie hatte das Gefühl, als würde sie auf einen zugefrorenen See laufen, der jeden Moment brechen konnte, wenn sie auch nur eine falsche Bewegung machte.

„Kaito hatte einen älteren Bruder. Er war ebenfalls Hunter. Aber er... wurde von einem Reinblut gebissen und in einen Vampir verwandelt.“

Yuki hielt den Atem an und auch Ai sah ihren Vater mit großen Augen an. Es klang wie Zeros Geschichte.

„Man wusste nichts über seinen Verbleib, nur dass er zu einem Level E geworden war. Kaito und ich waren an dem Tag im Wald und sollten was zum Essen schießen.

„Auf einmal tauchte ein Vampir, ein Level E, auf. … Es war sein Bruder und Kaito... tötete ihn.“, beendete er die Geschichte schnell.

„Was?!“, fragte Yuki aufgebracht. „Aber er war doch sein Bruder!“

„Ja, vielleicht. Aber für Kaito war sein Bruder schon lange gestorben. Ich will nicht sagen, dass es ihm leicht gefallen ist, aber das einzige was Kaito jemals wollte, war Vampire zu jagen und zu töten. Während ich... Er konnte und wollte keine Ausnahme machen.“ Zero brach ab und schwieg.

„Ein paar Wochen später war sein Meister wieder gesund und Kaito kehrte zu ihm zurück. Ich habe mich oft gefragt, ob ich es hätte tun können, wenn ich an seiner Stelle gewesen wäre. Damals dachte ich, dass ich es niemals getan hätte.

„Heute jedoch... denke ich, dass die Vernichtung für seinen Bruder selbst eine Erlösung war.“, sagte Zero leise weiter.

Yuki nickte und auch Ai schien zu verstehen. Das Mädchen lehnte sich, wie zur Unterstützung, aber auch um ihm zu zeigen, dass er nicht mehr allein war, wieder an ihn und Zero streichelte ihr dankbar über den Kopf.

„Aber warum hat er uns nicht angegriffen? Hat es ihn wirklich daran gehindert, dass er dachte, ich sei deine Geisel?“

Abermals schüttelte Zero den Kopf. „Nein, das denke ich nicht. Vielleicht macht es ihm wirklich einfach nur viel mehr Spaß uns zu jagen. Allerdings...“ Was sollte das heißen, dass er noch eine Schuld bei ihm hatte?

„Allerdings?“, wollte Yuki genau wissen, doch im gleichem Moment, ging die Tür ihres Abteils auf und der Schaffner trat ein. „Guten Abend, die Fahrkarten bitte.“, sagte er. Yuki sah ihn einen Moment verdutzt an. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie losgefahren waren. Zero holte zügig die Tickets aus seiner Jackentasche und nachdem der Schaffner sie besehen hatte, markierte er sie. „Danke sehr. Eine angenehme Weiterreise.“

„Danke.“, murmelte Yuki der Höflichkeit halber.

Sobald die Tür wieder geschlossen war, wurde die Anspannung beinah unerträglich. Sie sah Zero aufmerksam an und er erwiderte ihren Blick direkt, so dass Yuki eine Gänsehaut bekam. Dieser intensive Blick schien jedes Mal aufs neue etwas in ihrem Inneren in Flammen zu setzen.

Sie sprachen nicht mehr, sondern lauschten genau auf die Geräusche, die aus dem Gang kamen. Der Schaffner öffnete das nächste Abteil, schloss es nach wenigen Sekunden wieder, dann das nächste und das nächste. Nach dem vierten Mal hörten sie eine andere Tür aufgehen. Sie klang schwerer und sie konnten für einen kurzen Moment das deutliche Rattern der Räder auf den Schienen hören. Dann schloss sich auch diese Tür wieder und es wurde ruhig.

„Zeit zum aussteigen.“, sagte Zero und erhob sich. Yuki und Ai folgten ihm. So geräuschlos wie möglich öffnete er die Tür, die nach draußen zur Plattform führte. Die Reise hatte gerade erst begonnen, so dass noch niemand weiteres dort war.

„Ai, ich will, dass du auf meinen Rücken kletterst und dich gut festhältst.“, sagte Zero.

Ai nickte kurz, aber ihre Finger zitterten immer noch, als sie auf seinen Rücken kletterte und die Arme um seinen Hals legte.

„Du willst wirklich springen?“, fragte Yuki. In der Dunkelheit konnte sie gerade so die Schienen ausmachen. Der Zug bewegte sich mit einer beängstigenden Geschwindigkeit vorwärst. Nur ein falscher Tritt und alles konnte vorbei sein. Sie war zwar ein Reinblut und sie wusste, dass sie so schnell nicht sterben konnte, trotzdem war sie nicht ganz sicher, ob sie jetzt schon unbedingt herausfinden wollte, ob es tatsächlich stimmte.

Zero nickte. „Schaffst du es?“, fragte er sie und schien offenbar wirklich besorg zu sein.

„Ja.“

„Wir springen gemeinsam.“ Sie kletterten auf das schmale Geländer. Mit ihren Händen fanden sie am Dach des Zuges halt.

„Nach rechts.“, sagte Zero, denn von dort kamen die Lichter der Stadt. Wenn er richtig lag, dann war der Hafen gar nicht so weit weg. Sie mussten es nur bis dahin schaffen.

Yuki nickte.

„Auf drei.“, sagte Zero und wieder nickte sie. Ai hatte sich an seinen Hals geklammert und ihr Körper zitterte heftig. Die Augen hatte sie fest geschlossen und ihr blieb nichts anderes übrig als ihrem Papa zu vertrauen. Er würde schon wissen, was er tat.

„Eins.“, begann Zero langsam zu zählen. Wäre er allein gewesen, ohne Ai und Yuki, hätte er nicht so lange gewartet, dann wäre er nicht einmal davon gelaufen. Aber sie waren bei ihm und so sehr es ihm auch wiederstrebte, er war auf gewisse Art und Weise dankbar dafür.

„Zwei. … Drei.“

Gleichzeitig ließen beide los und machten einen großen Sprung nach rechts, vom Zug herunter. Yukis Herz schlug laut in ihrer Brust und es erschien ihr, als befände sie sich Stunden in der Luft. Der Fall schien endlos zu sein, wie in Zeitlupe eines schlechten Filmes, den sie einmal gesehen hatte. Dann berührten ihre Füße plötzlich den Boden, früher als sie erwartet hatte. Sie strauchelte und stolpere zwei Schritte nach vorn. Ihre Arme ruderten in der Luft, um doch noch das Gleichgewicht halten zu können und nur mit Mühe unterdrückte sie ein Schrei.

Als sie sich endlich gefangen hatte, stützte sie die Hände auf den Knien ab und versucht dem Schwindelgefühl Herr zu werden. Noch nie war sie von einem Zug gesprungen und sie würde es sicher auch nicht so schnell wieder tun, schwor sie sich.

„Alles in Ordnung?“, hörte sie Zero neben ihr fragen. Natürlich, er hatte keine Probleme gehabt, mit dem Sprung und war sogar mit Ai auf dem Rücken sicher gelandet, dachte sie bissig. Aber so war er schon immer, hängte sie in Gedanken an und zwar auf eine bewundernde Art und Weise.

„Ja.“, antwortete sie kurz und richtete sich wieder auf.

Zero hatte Ai immer noch auf dem Rücken und offenbar, wollte er so mit ihr auch zum Hafen laufen. Wenn sie sich das Kind so ansah, dann war es auch besser so. Yuki hatte nicht den Eindruck, dass da arme Mädchen noch weiter konnte. Ihr Gesicht war selbst im Dunkel gut zu erkennen, was an der Blässe lag, die sich darüber gezogen hatte. Dieser Tag war zu viel für Ai gewesen.

„Wo lang nun?“, fragte Yuki nun.

Zero deutet mit dem Kopf nach rechts und Yuki atmete einmal scharf aus. Sie würden einen dichten Wald durchqueren müssen, um zum Hafen zu gelangen.

„Wir werden die Stadt so gut es geht vermeiden.“, sagte er flüsternd. „Dennoch sollten wir uns beeilen.“

„Gut.“, antwortete sie ergeben und beiden fingen wieder an schweigend nebeneinander zu rennen.
 

Sie erreichten den Hafen in weniger als einer dreiviertel Stunde und ohne Zwischenfälle. Yuki hätte vor Freude laut jubeln können, aber noch waren sie nicht in Sicherheit. Ganz im Gegenteil, sie befanden sich näher in der Reichweiter der Hunter und Vampire als zuvor.

Der Hafen befand sich fast am anderen Ende der Stadt und während der ganzen Zeit, die sie bis dahin brauchten liefen sie ununterbrochen. Yuki hatte das Gefühl, dass ihr Herz jedem Moment durch ihren Mund springen musste, so sehr konnte sie es in ihrer Brust und in ihren Hals schlagen hören. Sie war sich nicht sicher, ob es von der Aufregung oder Anstrengung kam. Sie hoffte nur inständig, dass sie dieses Schiff bald besteigen konnten und wenigsten für ein paar Stunden Ruhe fanden. Besonders für Ai wünschte sie es sich.

Ihr Blick schweifte über den Hafen, aber sie wusste nicht wonach sie suchen sollte. Jedes der fünf Schiffe, die vor Anker lagen, sah gleich für sie aus. Nur die Galionsfiguren, hatten vielleicht andere Gesichtszüge, aber alle die gleiche üppige Figur. Sie bezweifelte, dass es klug war, alle zu fragen, welches davon die Rosemary war -wenn das Schiff noch nicht abgesegelt war, sprach eine leise Stimme in ihrem Inneren. Allein bei dem Gedanken wurde ihr schlecht.

„Was machen wir jetzt?“, fragte sie Zero. Dieser sah sich genauso suchend um und führte sie anschließend wieder in den Schatten eines Hauses, der von den umstehenden Laternen schwach erzeugt wurde. Von diesem Standpunkt aus, hatten sie immer noch die fünf Schiffe gut im Blick.

„Ihr wartet wieder.“, sagte er und ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er Ai herunter.

„Alles in Ordnung?“, fragte er sie sanft und sie nickte zögerlich. Dabei stand ihr die Anstrengung und die Angst ins Gesicht geschrieben.

„Beil dich.“, flüsterte Yuki und legte die Arme schützend um Ai, aber auch um zu verhindern, dass diese zusammenbrach. Denn genau danach sah sie aus. Zero nickte kurz und wandte sich dann ab. Anders als Yuki es vermutete hatte, ging er nicht zu den Schiffen, sondern zu einem kleinen Gebäude, was in der Mitte des Hafens stand. Es war aus Holz gebaut und gehörte dem Hafenwärter. Außerdem brannte noch Licht darin. Sie sah Zeros, wie er offenbar mit dem Hafenwärter sprach. Nur kurz und gleich darauf wandte er sich wieder ab und ging zum letzen Schiff ganz rechts von ihnen.

Die Zeit verstrich unendlich langsam und Yuki trat vor Nervosität von einem Fuß auf den anderen. Trotzdem waren ihre Sinne vollkommen angespannt, um jede noch so kleine Veränderung wahrzunehmen. Doch bisher war nichts ungewöhnliches zu bemerken. Während sie da stand, bemerkte sie erst, wie kalt es eigentlich geworden war. Sie hatte noch das gleiche Kleid an, welches sie auch am Nachmittag getragen hatte und Ai in der Schuluniform konnte auch nicht viel wärmer sein. Am Nachmittag, dachte sie ungläubig. Da schien die Welt noch vollkommen in Ordnung und nun fiel sie immer mehr auseinander. Yuki zog das Mädchen noch ein wenig mehr an sich, um sie mit ihrem Körper zu wärmen. Wo blieb Zero denn nur?

Wieder warf sie einen Blick auf die Uhr. Seit fast zwei Stunden waren sie nun schon auf der Flucht und doch noch keinen Schritt weiter gekommen.

Auf einmal bewegte sie etwas in der Dunkelheit und nur einen Lidschlag später erkannte sie Zero. Als er bei ihnen war, fragte sie ihn sofort, was er herausgefunden hatte.

„Sie nehmen uns mit.“, antwortete er.

„Aber?“, fragte sie, denn genau danach hat es sich angehört.

„Es war nicht billig. Ich habe ihn noch ein bisschen mehr gegeben, damit er sich auch nicht an uns erinnert, wenn jemand nach uns fragt.“

Yuki nickte kurz. Dennoch bestand ein großes Risiko, überlegte sie. Konnte wirklich jemand schweigen, wenn er Kaname oder bewaffneten Huntern gegenüber stand? Sie bezweifelte es. Aber vielleicht konnte sie ja... Sie wusste nicht, ob sie wirklich die Kraft dazu hatte. Bisher hatte ihr Kaname nur davon erzählt und noch nie hatte sie es gewagt, es zu versuchen. Aber möglicherweise wäre es ihre Rettung. Doch sie würde Zero nichts sagen. Es war besser so, sonst würde er sich vielleicht dagegen stellen. Außerdem wusste sie ja nicht einmal, ob ihr überhaupt gelang.

Die drei bestiegen das Schiff und wurden vom Kapitän empfangen. Yuki wusste nicht, was sie von ihm halten sollte.

„Willkommen an Bord der Rosemary.“, begrüßte er sie freundlich und zeigte dabei eine Reihe perfekt weißer Zähne. Er trug eine marinblaue Uniform und sein Äußeres war gepflegt und adrett. Sein Gesicht war kantig und auf seiner Stirn zeichneten sich deutlich Geheimratsecken ab. Seine Augen waren grün-blau soweit Yuki das erkennen konnte. Er erschien ihr nett, dennoch hatte sie gelernt, dem ersten Eindruck nicht zu trauen. Außerdem war da etwas in seinen Augen, dass sie zu warnen schien. Nur benennen konnte sie es nicht.

Auch wusste sie nicht, ob seine Höflichkeit echt war. Schließlich musste er eine Menge Geld von Zero verlangt haben. Aber vielleicht war das ja im Preis inbegriffen, dachte sie bissig.

„Danke sehr. Es ist äußert nett von ihnen uns noch mitzunehmen.“, erwiderte sie dennoch. Dieser Mann hätte trotzdem genauso gut nein sagen können und dann hatten sie in der Stadt festgesessen. Ob die Versammlung bereits zu Ende war? Ob man genau in diesem Moment ihr Verschwinden bemerkte? Oder redeten sie sich noch die Köpfe heiß und versuchten eine Entscheidung zu erzwingen, die doch offenbar von Anfang an feststand? Und hatte sich Kaito schon auf die Jagd nach ihnen gemacht? Konnte er das einfach allein beschließen?

„Ich bringe sie in ihre Kajüte.“, sagte der Kapitän weiterhin ausgesucht freundlich und Yuki, Zero und Ai folgten ihm. Sie wurden in den Bauch des Schiffes geführt, einen spärlich erleuchteten Gang entlang, bevor sie vor einer Tür stehen blieben. Der Kapitän öffnete und die drei traten ein. Es befand sich nur ein Bett in dem Zimmer sowie ein Tisch mit zwei Stühlen.

„Es ist ein Frachtschiff.“, erklärte Zero. „Normalerweise haben sie keine Passagiere. Aber es wird für heute gehen. Du kannst mit Ai auf dem Bett schlafen.“

„Was ist mit dir?“, fragte sie sofort.

„Ich denke nicht, dass ich heute Nacht überhaupt schlafen kann.“, erwiderte Zero. „Komm her, Ai.“, sagte er zu seiner Tochter und schob sie sanft zum Bett. „Das Schiff wird jetzt ein paar Stunden unterwegs sein. Versuch ein wenig zu schlafen. Wenn wir in Hokato ankommen, haben wir noch einen weiten Weg vor uns, bis wir wieder zu Hause sind.“

„Ich will nicht schlafen.“, widersprach sie, konnte aber kaum noch die Augen offen halten.

Zero sah sie voll Sorge an, dann strich er ihr, wie zufällig über die Stirn, die Wange hinunter. Fiber hatte sie keines, dachte er erleichtert. Dennoch konnte sich das schnell ändern, wenn sie nicht wenigstens ein bisschen zur Ruhe kam. Aber er würde auch nicht mit ihr diskutieren.

„Dann ruh dich nur ein bisschen aus. Yuki wird bei dir bleiben.“ Dabei sah er Yuki gleichzeitig an und fragte sie somit um ihr Einverständnis. Ohne zu zögern nickte diese und wandte sich dann Ai zu.

„Na komm schon, Ai. Ich bin auch müde. Lass uns versuchen ein bisschen zu schlafen.“, sagte sie und versuchte aufmunternd zu klingen. Nur wiederstrebend ließ Ai sich neben Yuki ins Bett gleiten und sich von ihr zudecken. Doch kaum lag ihr Kopf auf dem weichen Kissen und wärmte die Decke sie, kuschelte sie sich von allein an Yuki an. Yuki legte den Arme um sie und streichelte ihr sanft über den Rücken. Dann sah sie zu Zero, dessen Gesicht noch immer von Sorge gezeichnet war. Er wusste, was er Ai zumutete und er bereute es zutiefst. Aber einen anderen Weg gab es nicht. Das wusste auch Ai. Niemand machte ihm einen Vorwurf.

Dann fuhr plötzlich ein Ruck durch das Schiff und es begann leicht zu schaukeln. Es hatte abgelegt.

„Ich bin oben.“, sagte Zero monoton und verließ den Raum.

Als er gegangen war, sagte Ai leise zu ihr: „Yuki?“

„Ja?“

„Es tut mir leid.“

„Was denn?“, fragte Yuki zurück und streichelte Ai abermals über den Rücken. Die Stimme des Mädchen, das so ausgelassen und herzlich Lachen konnten, hörte sich so an, als hätte sie noch nie gelacht.

„Dass du wegen mir weggegangen bist. Ich meine... Kaname wird doch bestimmt böse auf dich sein oder?“, fragte sie traurig.

„Mach dir darüber keine Gedanken, Ai. Er wird es schon verstehen.“

„Wirklich?“

Yuki atmete einmal tief durch. „Ich weiß es nicht.“, sagte sie ehrlich. „Aber ich bereue es auch nicht. Ich habe dich nämlich schrecklich lieb gewonnen, weißt du das? Und deswegen will ich, dass es dir und deinem Papa gut geht.“ Sie lächelte sie an und Ais Mundwinkel zuckten ebenfalls kurz nach oben.

„Magst du meinen Papa?“, fragte Ai dann gerade heraus.

Yuki blickte sie verdutzt an. Sie wusste inzwischen ja, dass Ai äußerst direkt war, aber dennoch überrumpelte sie sie damit jedes Mal aufs neue.

Doch sie entschied sich ehrlich zu antworten: „Ja, das tue ich, sehr sogar.“

„Er mag dich auch.“, erwiderte sie sofort, ohne auch nur einen Moment zu überlegen.

Yuki musste schmunzeln. „Wie kommst du denn darauf? Ich bin mir da nicht so sicher.“

„Nur so... Er... hasst dich nicht.“, sagte sie etwas zögerlicher. Sie wusste nicht, wie viel sie erzählen durfte, ohne dass ihr Papa böse wurde. Andererseits würde Yuki es doch sicher nicht weiter sagen.

„Aber das heißt nicht, dass er mich mag.“, widersprach sie ihr. Ai nickte daraufhin langsam. Das stimmte natürlich.

„Nein, aber er... Ich glaube, er will dich nicht wieder verlieren.“, wisperte sie schließlich leise.

Mit laut klopfendem Herzen fragte Yuki: „Warum glaubst du das?“

„Ich weiß es.“, sprach sie so leise, dass sie kaum die Lippen bewegte.

Yuki antwortete ihr nicht, weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. Gab es darauf eine Antwort? Doch als sie bereits glaubte, Ai sei endlich eingeschlafen, sprach diese noch einmal: „Yuki?“

„Mmh.“

„Ich bin so müde. So furchtbar müde, ich will nur schlafen und nie wieder aufwachen.“

Sie schloss Ai noch ein wenig fester in die Arme und lauschte den gleichmäßigen Atemzügen des Kindes. Ihr Körper war warm und schmiegte sich an den ihren, als hätte sie Angst, dass sie einfach verschwinden würde.

„Schlaf jetzt, Ai. Zero ist da und ich auch. Keiner von uns wird weggehen.“, flüsterte sie ihr ins Ohr.

Nachdenklich sah Yuki auf das Kind in ihren Armen. Hatte sie vielleicht recht? Verhielt sich Zero nur deswegen so kühl ihr gegenüber, weil glaubte sie würde sich nie wieder sehen. Stimmte das wirklich? Wohin würde er Ai bringen, wenn sie erst einmal in Koritokái waren?
 

Zero stand an der Reling und sah aufs Meer. Der Hafen wurde immer kleiner und langsam zu einem großen leuchtendem Punkt in der Nacht. Das Meer selbst war schwarz und schien jeden zu verschlingen, der ausversehen hineinfiel. Aber es machte Zero nicht mehr Angst, als das, was vielleicht mit Ai geschehen könnte, wenn man sie einholte und festnahm.

Doch bis hierhin hatten sie es schon geschafft. Die ganze Zeit, auf dem Weg zum Hafen hatte er an Yukis Worte gedacht, ob es nicht besser gewesen wäre, im Zug zu bleiben. Möglichweise hatte sie ja sogar recht. Dann wären sie wahrscheinlich schon längst außer Reichweite gewesen. Jetzt blieb ihnen nur noch den Weg zu gehen, den er gewählt hatte. Es musste ihnen einfach gelingen.

Leise hörte er Schritte hinter sich und auch so wusste er, dass es Yuki war, die sich ihm näherte. Ihre Gegenwart verwirrte ihn und Zero spürte, wie er unsicherer war. Er wusste noch immer nicht, was er von ihr denken sollte. Ai vertraute ihr, aber konnte er das auch? Was würde sein, wenn sie erst einmal in Koritokái waren? Dann würde sie zurückgehen und sie würden sich nie wieder sehen. Das war gut so, es war richtig und trotzdem konnte er nicht verhindern, dass der Gedanke ihm nicht behagte.

Zero drehte den Kopf ein wenig und sah sie an.

„Sie schläft.“, beantwortete sie seine Frage im Voraus. Er nickte kurz.

„Warum du nicht?“, fragte er sie dann.

„Aus dem gleichen Grund, wie du.“, antwortete sie kurz und stellte sich neben ihn. Beide sahen einen Moment schweigend auf das Meer, jeder in seine eigenen Gedanken versunken. Schließlich rang Yuki sich doch dazu durch mit ihm zu sprechen, auch, wenn sie wohl eher erwartete, dass er lieber nicht reden wollte. Aber Ais Worte hatten sie nachdenklich gestimmt und ihr bewusst gemacht, wie wenig Zeit sie noch mit den beiden hatte.

„Wie kommt es, dass dieses Schiff des nachts abgelegt hat?“ Sie hörte Zero schwer ausatmen und fühlte sich in ihrer Vermutung bestätigt. Dennoch antwortete er ihr.

„Sie hatten Lieferverzögerung. Allerdings muss der Kunde sehr ungeduldig sein, deswegen haben sie von den Behörden eine Ausnahmegenehmigung bekommen. Außerdem werden sie nur in Küstennähe segeln und die Gegend ist ohne Kliffs oder Felsvorsprünge. Die Rosemary sollte ihr Ziel bei Morgendämmerung erreichen.“

„Was werden wir tun, wenn wir in Hokato sind?“

„Wir fahren mit dem Zug weiter in Richtung Kiseki. Von dort aus werden wir zu Fuß nach Koritokái gehen.“

„Zu Fuß?!“, fragte sie ungläubig. „Wie weit ist es denn?“

„Von Kiseki aus ungefähr vier oder fünf Stunden, im Laufschritt.“, antwortete er.

Yuki stand der Mund offen. „Glaubst du wirklich, dass sie da schafft?! Sie ist jetzt schon vollkommen erschöpft!“, widersprach sie heftiger, als beabsichtigt.

„Ich weiß!“, fuhr Zero sie scharf an, so dass sie zusammenzuckte. „Tut mir leid.“, entschuldigte er sich jedoch noch im gleichen Augenblick. „Ich werde sie tragen.“

„Schon gut, aber Zero selbst das kann zu anstrengend sein. Und wenn wir mit dem Zug direkt nach Koritokái fahren würden?“

„Ich weiß nicht, wann sie unser Verschwinden bemerkt haben. Mit dem Schiff haben wir einen Vorsprung, aber ich glaube dass sie sich trotzdem gleich auf den Weg dahin machen. … Mit dem Zug währen wir natürlich schneller.“, beantwortete er ihre Frage. Vielleicht hatte sie gar nicht so unrecht.

„Dann hätten wir immer noch einen Vorsprung. Ich glaube sie würden den Schnellzug nehmen, aber dieser fährt auf keinen Fall bis Koritokái. Sie müssten auf das Auto umsteigen und auch damit dauert es länger. Ich denke, wir könnten es schaffen.“

Zero nickte kurz.

„Was ist dann? Ich meine, wenn wir Koritokái erreicht haben?“, fragte sie weiter.

„Erinnerst du dich an den Nadelwald hinter dem Gasthaus?“

„Ja.“

„An das Gebirge?“

„Ja.“, sagte sie wieder.

„Es gibt einen Pass der direkt durch das Gebirge führt.“ Dann schwieg er wieder, als würde das schon alles beantworten.

Yuki sah ihn verwirrt an. Was wollte er ihr damit sagen? Sie stellte sich Koritokái auf der Karte vor, die sie im Arbeitszimmer gesehen hatte. Dahinter lag der Wald und das Gebirge. Was befand sich hinter dem Gebirge? Da war nichts weiter gewesen, nur weiß. Sie stieß ein leises „Oh“ aus, als es ihr klar wurde.

„Die stille Welt.“, flüsterte sie.

Abermals nickte Zero.

„Aber was willst du denn da? Ich meine, dass ist... Du weiß nicht einmal, was dich da erwartete.“, sagte sie ungläubig.

„Wer sagt, dass ich das nicht weiß?“, fragte Zero zurück und sein Blick richtete sich immer noch auf das Meer.

Sprachlos starrte sie ihn an. Wo war er in all den Jahren gewesen?!

Gerade wollte Yuki ihn danach fragen, als er ihr zuvor kam.

„Tut mir leid, dass ich sagte, du müsstest dich entscheiden.“, sagte er leise und sah sie dabei an. In seinen Augen lag keine Wut oder Zorn, sondern nur der sanfte Ausdruck, den sie von ihm kannte, den er früher immer gehabt hatte, wenn er mit ihr gesprochen hatte und vielleicht... War es Bedauern, was sie sah?

„Was?“, fragte sie perplex.

„Ich würde so etwas nie von dir verlangen und außerdem... hast du das bereits.“, flüsterte er weiter und wieder wandte sich seinen Blick ab.

„Zero...“, setzt Yuki an, doch sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Begriff er denn immer noch nicht, dass sie sich niemals entscheiden könnte?

„Aber ich...“, sprach Zero zögerlich weiter, „Ich will sie nicht verlieren, kannst du das verstehen? Nicht noch jemanden, nicht noch einmal. Allein der Gedanke, dass sie...“ Mit beiden Händen hatte er das Geländer umfasst und seine Hände spannten sich an. Allein der Gedanke daran bereitet ihm Schmerzen.

Unentschlossen streckte sie eine Hand nach seiner aus, dann zögerte sie einen Moment, legte sie dann aber doch auf seine. Nun war er es, der kurz zusammenzuckte, aber er entzog sich ihr auch nicht. Vielmehr sah er unverwandt auf ihre Hand.

Er wusste nicht, was er tun sollte. Zu viele Gefühle wurden auf einmal wachgerüttelt, von denen er wusste, dass sie nicht gut für ihn waren. Doch er konnte sich auch nicht abwenden. Zu sehr genoss er es ihre warme Hand in dieser kalten Nacht zu spüren.

„Das wirst du nicht.“, sprach sie ebenso leise und dann sagte sie: „Ich bin damals mit Kaname gegangen, weil es zu diesem Zeitpunkt das richtig war. Aber das heißt nicht, dass ich mich gegen dich entschieden habe.“

„Nein?“, fragte er und eine Spur Kälte schwang in seiner Stimme mit. Eventuell hätte sie nicht davon beginnen dürfen. Er entzog seine Hand nun doch und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein.“, erwiderte sie dennoch gefasst.

„Was bedeutet es dann?“, fragte er sie gerade heraus und sah sie abermals direkt an. Sie erwiderte seinen Blick und ihr Herz schlug schneller. Es war nicht der sanfte Blick, mit dem er sie vielleicht zuvor angesehen hatte, er war durchdringender, als könnte er auf den tiefsten Grund ihrer Seele und ihrer Begehren blicken. Kalte Schauer fuhren durch ihren Körper und in ihrer Magengegend begann es zu prickeln. Der Mond hinter ihr spiegelte sich in seinen Augen. Plötzlich wurde Yuki bewusst, dass etwas dabei war sich zu ändern, dass es bereits begonnen hatte, als sie ihn nach diesen endlosen zwanzig Jahren wieder gesehen hatte. Und nun konnte sie es nicht mehr aufhalten. Sie wollte es nicht aufhalten, sondern vielmehr daran festhalten und es voranbringen. Auch, wenn sie nicht wusste, wohin es sie führen würde.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete sie ehrlich und schüttelte verwirrt den Kopf.

„Du solltest wirklich noch etwas schlafen. Die nächsten Stunden werden anstrengend sein.“, beendete er das Gespräch damit. Seine Stimme war normal geblieben und doch sagte sie ihr, dass er allein sein wollte. Yuki respektierte seinen Wunsch und kehrte zu Ai in die Kajüte zurück.
 

Ein sanftes Rütteln weckte Yuki. Wann war sie eingeschlafen?, fragte sie sich träge. Sie öffnete mühsam die Augen und sah in Zeros Gesicht.

„Wir sind da.“, sagte er und auch Ai bewegte sich. Yuki hatte neben ihr auf dem Bett geschlafen und das Mädchen hatte sich eng an sie gekuschelt. Sie nickte kurz und erhob sich mit Ai.

„Was machen wir nun?“, fragte Yuki und dachte an ihr Gespräch von gestern Abend. Oder war es Nacht oder bereits diesen Früh gewesen, überlegte sie kurz.

„Ich weiß es noch nicht. Lasst uns erst nachsehen, wann und wie ein Zug fährt. Vielleicht ergibt es sich von selbst.“, antwortet Zero ehrlich. Offenbar hatte er sich noch immer nicht entschieden.

Ai nahm wortlos ihren Rucksack, das einzige Gepäckstück, was sie bei sich hatten und nahm Zeros Hand.

Sie bestiegen das Deck und in nicht allzu weiter Ferne sahen sie die Küste von Hakato. Je näher sie kamen, desto mehr erkannten sie und aus einem gleichfalls braunen Punkt, der im Licht der aufgehenden Sonne golden zu schimmern begann, wurde eine Stadt mit hohen Türmen, die das Zentrum bildeten. Hakato... Yuki hatte diese Stadt nicht einmal während ihrer Suche nach Zero besucht und obwohl ihre Neugier auf fremde Städte geweckt worden war, wünschte sie doch, sie hätte diese Stadt auf anderen Wegen kennengelernt. So konnte sie den Anblick nicht einmal genießen.

Die drei sprachen nicht miteinander, bis sie angelegt hatten. Erst als sie im Begriff waren, das Schiff zu verlassen, blieb Yuki stehen und zögerte.

„Was ist?“, fragte Zero, der sich zu ihr umgedreht hatte. Der Blick in seinen Augen verriet ihr, dass er glaubte sie hätte es sich doch wieder anders überlegt. Es verletzte sie, dass er immer noch so dachte. Sie hatte ihren Standpunkt und ihre Entscheidung doch deutlich gemacht.

„Ich komme gleich nach.“, antwortete sie kurz und verschwand wieder an Deck des Schiffes.

Was hat sie vor?, fragte sich Zero misstrauisch.

„Wo geht sie hin?“, fragte Ai laut und sprach damit seine Gedanken aus.

„Ich weiß es nicht. Lass uns besser wo anders warten.“, sagte er abwesend. Irgendetwas in Yukis Blick ließ in ihm ein ungutes Gefühl entstehen. Wut und Hass keimten wieder ihm auf. Es war der Blick eines Reinblutes gewesen, das Macht über all anderen hatte und diese schamlos ausnutzte. Er erinnerte ihn daran, was sie eigentlich war und dass es besser war, wenn sich ihre Wege wieder trennten.

Sie wartete auf Yuki im Schatten eines Hafengebäudes. Zero studierte die Umgebung und versuchte sich zu orientieren. Er war schon einmal hier gewesen. Er wusste, wo der Bahnhof war und er versuchte die Landschaft und die umliegenden Städte aus seinem Gedächtnis zu einer mentalen Karte zu rekonstruieren. Er musste zugeben, dass Yuki recht hatte. Mit dem Zug während sie wesentlich schneller.

„Sie kommt.“, sagte Ai leise und Zero drehte sich in Richtung der Rosemary, die nun langsam zum entladen bereit gemacht wurde.

„Was hast du gemacht?“, fragte er sie sofort, als Yuki vor ihnen stand und im Schatten der Häuserwände verschwand.

„Ich habe dafür gesorgt, dass man sich nicht an uns erinnern wird.“, sagte sie kurz. Ihre Stimme klang merkwürdig, kalt und abwesend.

Sofort drehte sich Zero um und erwartete das ein Geschrei auf dem Schiff losbrechen würde. Doch im gleichen Augenblick sah er den Kapitän auf dem Schiff erscheinen. Wie dumm von ihm, dachte er. Sie würde so etwas nicht tun.

„Wie?“, fragte er deswegen.

„Willst du das wirklich wissen?“, entgegnete sie und sah ihn durchdringend an.

„Nein.“, entschied er schnell. Je weniger er davon wusste, umso besser.
 

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Mal wieder eines Geschafft.^^ Die nächsten fünf Kapitel sind schon in Planung und müssen noch geschrieben werden. Nur fällt es mir momentan schwer mich auf diese Story und meine andere Gleichzeitig zu konzentrieren. Da ich aber beides gleichzeitig weiter schreiben will, kann es mit neuen Kapiteln etwas dauern. Ich will ja, dass ich und meine Leser zufrieden sein können und nicht einfach was abliefern, um meine Ruhe zu haben.

Deswegen bitte ich euch um etwas (mehr) Geduld mit mir. Arbeiten muss ich ja zwischendurch auch noch.
 

Wir lesen uns in Kapitel 20 wieder und dann wird es – kalt. O.o XD
 

lg maidlin

Kein Entkommen

Endlich fertig... Ich will euch auch nicht aufhalten. Viel Spaß beim Lesen! Ich melde mich wie immer am Ende noch mal zu Wort. XD

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Kein Entkommen
 

Er machte ihnen Angst. Er machte ihnen große Angst. Noch nie zuvor hatte es Aidou so intensiv, so bedrohlich und vernichtend gespürt. Er hatte Kaname gewiss schon oft wütend gesehen, aber das hier übertraf alles.

Kaname stand in Yukis Zimmer, den Zettel in der Hand, welchen er gerade auf ihrem Bett gefunden hatte. Sofort nachdem sie zurück waren, war er in ihr Zimmer gerannt. Sie alle hatten gespürt, dass Yuki nicht mehr da war. Aidou hatte von Anfang an ein seltsames Gefühl gehabt und er ahnte es bereits noch bevor er mit den anderen Yukis Privatzimmer erreicht hatte. Nun standen sie in dem Raum und sowohl von Yuki als auch Ai war keine Spur zu sehen. Nur der Zettel, den Kaname noch immer fest umklammert hielt, gab wohl einen Hinweis darauf, was geschehen war. Doch niemand wagt es danach zu fragen. Aber sie alle konnten es sich denken.

Dabei war die Versammlung nicht einmal so schlecht verlaufen. Zumindest für Ai nicht.

Kaname hatte sich an sein Versprechen gehalten und sich für sie eingesetzt. Nach langen Debatten war man schließlich darüber über eingekommen, dass sich sowohl Hunter als auch Senat selbst ein Bild von ihr machten. Man wollte sie verschiedenen Tests aussetzen und dann erst ein endgültiges Urteil treffen. Kaname selbst war es gewesen, der sich dafür ausgesprochen hatte, Ai erst einmal genauer zu beobachten, denn wie er offen sagte, hatte ihn ihre Entscheidung beeindruckt.

Und Yukis Bitte konnte er nicht abschlagen.

Bei Zero hingegen schien es kein Zurück mehr zu geben. Erst recht nicht, nachdem er ihnen von seinen eigenen Überlegungen berichtet hatte. Zero war für sie schon fast zum Sinnbild des Feindes geworden, den es galt auszuschalten, bevor er den ersten Schritt tat. Eine Verhaftung war unumgänglich und Aidou wusste, dass das wahrscheinlich das Mildestes war, was ihn erwarten würde. Auch seine Versuche sie davon zu überzeugen, dass sich Zero durchaus geändert hatte, waren kläglich gescheitert. Er würde es ihnen beweisen müssen, aber unter den momentanen Umständen sah Aidou keine Hoffnung auf Änderung. Es war offensichtlich was geschehen war.

Der Zettel in Kanames Hand verbrannte in einer hellen, hohen Flamme. Im nächsten Moment begann der Boden unter ihn zu zittern und die Scheiben klirrten, erst leise, dann immer lauter werdend. Die Möbel vibrierten und das Licht flackerte plötzlich. Das sah nicht gut aus.
 

Er konnte es nicht glauben. Sie hatte ihn verraten! Unbändige Wut stieg in ihm auf. Sie hatte ihn für diesen Feigling verlassen! Für dieses Subjekt, das es einst sogar gewagt hatte, eine Waffe auf sie zu richten!

Wie konnte sie mit ihm gehen?! Wie konnte sie ihm immer noch vertrauen?! Von Anfang an, hätte er sie nicht gehen lassen dürfen! Niemals!!!

Immer hatte er geahnt, dass sie ihn nicht vergessen hatte, auch wenn sie nie von ihm sprach. Aber er hatte es dennoch sehen können. Und jetzt hatte sie ihn verlassen... für ihn...

Wie konnte sie nur so naiv sein und glauben, dass es besser war, das Kind bei Zero zu lassen? Sie wusste doch wie unberechenbar er war. Es würde nichts Gutes bringen.

An seiner Seite würde sie zu einer Gefahr heranwachsen, dessen war er sich sicher. Zeros Hass auf die Vampire und sich selbst war noch immer der Alte, das hatte er gesehen. Er hatte sich nicht im Geringsten geändert, auch wenn Yuki das gern glauben mochte.

Hätte er ihn damals nicht gebraucht, hätte er ihn für seine Frevel vernichtet. Er hätte es auch getan, nachdem das treue Pferd seine Pflicht erledigt hatte, doch Yuki zu liebe hatte er ihn verschont.

Und dies war nun der Dank dafür.

Er würde sie bestrafen müssen. Yuki musste endlich einsehen, dass nicht jeder errettet werden konnte. Sie würde ihre Strafe nicht vergessen, dafür würde er sorgen.
 

„Kaname-sama!“, drang langsam eine Stimme zu ihm durch. Er schaute nach oben und sah Takuma, der ihn nervös musterte. Augenblicklich ließ er die Kraft los, die sich in ihm aufgestaut hatte und kurz davor gewesen war herauszubrechen. Dies hier war der falsche Ort, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Er würde warten, bis er ihm gegenüberstand.

Das Klirren der Fensterscheiben ließ langsam nach, ebenso das Vibrieren der Möbel und des Bodens.

„Wo sind sie hin gegangen?“, fragte Kaname mit kalter Stimme direkt an das Dienstmädchen gerichtet, die zitternd neben der Tür stand.

„Ich weiß es nicht, Kuran-sama. Wi-Wirklich nicht.“, wimmerte sie. „Die gnädige Fr-Frau sagte, sie wolle mit ihrem G-Gast einen Sp-Spaziergang machen. Ich- Ich musste sie g-gehen lassen.“

„Wahrscheinlich ist sie direkt zum Rektor gelaufen.“, sprach Kain nun dazwischen. Kaname nickte knapp, doch das war bei weitem nicht die Antwort, die er hatte hören wollen. Es war selbstverständlich, dass sie zuerst dahin gelaufen war. Daran hatte er nicht den geringsten Zweifel.

„Wohin?“, fragte er noch einmal mit donnernder Stimmen und sein Blick bohrte sich in Aidou und Kain.

Aidou schluckte heftig. Kanames Blick hatte er nichts entgegenzusetzen, auch wenn es bedeutete das Versprechen eines anderen zu brechen.

„Sie sind vielleicht nach Koritokái zurückgegangen. Zero hat dort die letzten fünf Jahre gelebt.“, sagte er mit trockener Kehle.

„Wann ist sie aufgebrochen?“, wandte sich Kaname augenblicklich wieder an das Dienstmädchen. „K-Kurz nachdem i-ihr das Haus verlassen hattet.“, stotterte diese.

„Vor vier Stunden.“, rechneten Takuma schnell aus.

„Wie lange braucht man mit dem Auto?“, wollte Kaname von Kain nun erfahren. „Drei Tage. Fährt man ohne Unterbrechung fährt man vielleicht nur eineinhalb.“, antwortet er sofort. „Ich nehme an, sie haben den Zug genommen. Damit brauchen sie vier Tage.“

„Aber wir können es nicht mit Sicherheit sagen.“, unterbrach Takuma ihn und Kaname richtete seine Aufmerksamkeit auf ihn. „Wenn ich Zero wäre, würde ich nicht in diese Stadt zurückkehren. Es muss ihm doch klar sein, dass wir dort als erstes nach ihm suchen werden.“

„Du hast recht.“, stimmte Aidou ihm zu. „Theoretisch könnten sie überall hingegangen sein.“

„Aidou du gehst zum Bahnhof und hörst dich um. Wenn sie wirklich den Zug genommen haben, egal welchen, wird man sie dort gesehen haben. Sie sind zu auffällig. Kain, du wirst den Wagen bereit machen. Takuma, du gehst in die Stadt. Vielleicht findest du dort Hinweise. Senri, Rima, Ruka und Seiren, ich möchte, dass ihr ihn begleitet und aufteilt.

„In einer halben Stunde erwarte ich einen Bericht. Ich werde die Hunter informieren. Sie sollten inzwischen an der Cross Akademie sein.“

Von allen Angesprochenen kam ein kurzes Nicken und ohne weitere Verzögerung verließen sie das Zimmer, um ihre Aufträge auszuführen.

Kaname begab sich zur Cross Akademie. Es kostete ihn unglaubliche Selbstbeherrschung seinen Zorn im Zaum zu halten. Doch würde er Zero gegenüber stehen, würde er ihm freien Lauf lassen.
 

Kaien Kurosu blicke nach draußen. Die Gestalten kamen immer näher und brachten eine Aura von Unruhe und Ärger mit. Schwer seufzend atmete er aus.

„Ob sie es geschafft haben?“, fragte er und sprach dabei mehr zu sich selbst, als zu Yagari, der neben ihm am Fenster stand und ebenfalls nach draußen sah. Das Licht im Raum war aus. Man würde sie hinter den Vorhängen nicht so schnell entdecken. Schließlich mussten sie überzeugend sein, wenn sie gleich ein paar weniger nette Fragen zu beantworten hatten.

„Sicher. Ich hoffe nur, er versaut es nicht.“, murmelte Yagari. Bei Zeros Charakter konnte man nie wissen. Wenn es darum ging, dass zu beschützen was ihm lieb und teuer war, kannte er kein Zurück.

„Es geht los. Wir sollten in unsere Zimmer zurück gehen. Sieht echter aus.“, flüsterte der Rektor.

„Ja.“, stimmte Yagari dem Rektor zu. In ihren Zimmern warteten sie im Anschluss nur darauf, dass es an der Tür klopfte.

Doch auch, als es das tat, bemüßigte der Rektor sich nicht gleich nach unten. Immerhin war er gerade erst aufgewacht und brauchte so seine Zeit. Als er dann schließlich doch unten war, blickte er in das Gesicht des Oberhauptes der Hunter höchstpersönlich, begleitet von neun weiteren Huntern. Auch, wenn sie lange Mäntel trugen, wusste Kaien Kurosu, dass sie stark bewaffnet waren.

„Wo ist er?“, fragte Jinmu ihn sofort.

„Guten Abend, meine Herren.“, begrüßte der Rektor sie und gähnte herzhaft. „Was machen sie hier?“

„Das weißt du ganz genau!“, fuhr sein Gegenüber ihn an.

„Ah, ja... ich kann es mir denken.“, gab der Rektor schließlich zu. Offenbar er bereits jetzt schon sehr gereizt und er hielt es für besser, das Feuer nicht noch mehr zu schüren.

„Was ist denn los?“, fragte nun auch Yagari, der die Treppe, auf seinen Stock gestützt, herunter kam.

„Wo ist Kiryuu Zero?!“, fragte Jinmu noch einmal und klang dabei noch unfreundlicher, wenn es möglich war.

„Nicht da.“, antwortete Yagari trocken. „Oder sehen sie ihn irgendwo?“

„Wir haben Information erhalten, dass er sich hier befindet.“, knurrte das Oberhaupt der Hunter. „Bei allem Respekt, aber sie wissen beide, was eine Befehlsverweigerung bedeuten würde.“, drohte er ihnen.

„Natürlich sind wir uns dessen bewusst, aber Yagari hat ganz recht. Zero ist nicht hier. Um genau zu sein, ist nicht einmal mehr die Night Class da.“, antwortete der Rektor nun etwas kooperativer.

Jinmu sah sie misstrauisch an.

„Er hat recht, es ist niemand mehr hier.“, sagte nun eine Stimme, die einem jungen Mann zu gehören schien.

„Ah, Kaito du bist auch da. Schön dich zu sehen.“, begrüßte der Rektor ihn freundlich. Offenbar hatte er sich gerade auf dem Gelände umgesehen. „Sie haben ja gehört, was er gesagt hat. Natürlich können sie gern das Haus durchsuchen, aber ich kann ihnen auch gleich erzählen was geschehen ist. Das spart uns allen viel Zeit.“

Jinmu überlegte einen Moment und schien den Wahrheitsgehalt von Kurosus Worten abzuwägen. Dann wandte er sich an die 5 Männer zu seiner linken.

„Ihr durchsucht das Haus.“, dann sah er Kurosu wieder an. „Und sie sagen mir, was hier eigentlich passiert ist.“

„Ganz wie sie wollen.“, erwiderte der Rektor mit einem Lächeln. „Aber möchten sie nicht herein kommen? Ich koche uns allen einen Tee. Es ist ganz schön frisch da draußen.“

„Sparen sie sich das und fangen sie an zu erzählen.“

Kaien Kurosu lächelte matt und begann ohne Umschweife zu erzählen.
 

„Und du willst mir allen Ernstes weiß machen, dass du keine Ahnung hast, wo Zero und das Mädchen jetzt sind?!“, fragte Jinmu Kaien Kurosu mit scharfer Stimme, nachdem dieser nach einer halben Stunde geendet hatte.

„So ist es. Ich habe wirklich keine Ahnung. Mein kleines Mädchen tauchte auf und im nächsten Moment sind sie auch schon wieder verschwunden. Natürlich haben sie mir nicht gesagt, wo sie hin sind. Leider! Ich mache mir doch solche Sorgen!“, sagte der Rektor theatralisch und schaffte es sogar, dass seine Augen ein wenig feucht wurden.

„Und das soll ich glauben?“, feuerte Jinmu zurück.

Kurosu zuckte mit den Schultern. „Sie müssen nicht, aber es wird ihnen wohl nichts anderes übrig bleiben.“, antwortete er unschuldig. Im nächsten Augenblick kamen die Männer zurück, die zur Hausdurchsuchung geschickt worden waren.

„Und?“, fragte Jinmu sie sofort.

„Es ist niemand mehr da. Wir haben nur ein paar persönliche Gegenstände gefunden, Schulsachen, Kleidung und so was. Aber nichts davon weißt darauf hin, wohin sie geflohen sein könnte.“, sagte der Erste von ihnen.

„Im Keller war der Waffenschrank aufgebrochen und etliches an Munition fehlt.“, berichtete ein anderer.

Jinmu sah Kaien fragend an, als erwartete er eine weitere Erklärung.

„Was erwartet ihr?“, war es nun Yagari, der antwortete. „Er war ziemlich wütend und wollte sich das Mädchen schon zurückholen. Dann tauchte Yuki auf und er hat es sich noch mal anders überlegt. Wenn ihr mich fragt, können wir alle froh darüber sein.“

„Wir bekommen Besuch.“, sagte Kaito plötzlich, der die ganze Zeit geschwiegen und offenbar wenig interessiert zugehört hatte.

„Das hab ich schon befürchtet.“, sagte der Rektor, nun schon deutlich kleinlauter.

Wenige Augenblicke später konnten sie Kanames Gestalt ausmachen. Seine Aura war furchteinflößend. Sofort hoben die Hunter die Waffen, um eingreifen zu können.

„Wo ist er?“, fragte das Reinblut sofort an Kurosu gewandt.

„Warum glaube alle, dass gerade ich das weiß?!“, beschwerte sich dieser.

„Ja, warum wohl? Weil du deine Nase ständig in Angelegenheiten hineinsteckst, die dich nichts angehen.“, knurrte Yagari. Langsam wurde ihm die Sache etwas zu heiß. Er konnte nur hoffen, das Zero wirklich das Weite gesucht hatte – und das sehr weit.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Kaien und ignorierte damit Yagaris spitzes Kommentar.

„Sie war hier.“, sagte Kaname und seine Geduld schien nicht so unendlich, wie der Rektor bisher immer geglaubt hatte.

„Ja, das war sie... aber sie... sind gleich wieder verschwunden. Ich weiß nicht wohin! Glaubt ihr denn ernsthaft, dass Ai eine Gefahr wäre? Ihr kennt sie nicht, um das beurteilen zu können. Wie könnt ihr vorher schon über ein Kind richten? Da blieb meiner Yuki doch gar nichts anderes übrig!“, verteidigte der Rektor sie nun.

„Wie es aussieht werden wir das Mädchen wohl auch nicht mehr kennenlernen, um eine andere Entscheidung treffen zu können.“, sagte Jinmu abweisend.

„Aber das-“

„Sie sind wahrscheinlich nach Koritokái zurückgekehrt.“

„Wohin?!“, fragte der Rektor verwundert.

„Die Stadt, in der die beiden bisher gelebt haben.“

„Er wäre nicht so dumm, das zu tun.“, mischte sich nun Kaito ein. „Er wüsste, dass wir dort zuerst nach ihm suchen würden. Unwahrscheinlich das er gerade dorthin gehen würde.“

„Vielleicht will er das gerade erreichen.“, widersprach Jinmu ihm. „Ich meine, dass wir denken, dass er nicht in diese Stadt zurückgehen würde.“

„Wir suchen bereits nach Anhaltspunkten.“, sagte Kaname. „ Sobald ich Informationen habe, werde ich sie ihnen zukommen lassen. Ich hoffe, sie wissen, was sie zu tun haben, sollte es uns gelingen ihn aufzuspüren.“, sagte Kaname mit versteinerter Miene.

„Von dir lasse ich mir gar nichts sagen.“, knurrte das Oberhaupt der Huntergesellschaft unzufrieden.

Im nächsten Augenblick wandte sich Kaname um und wurde augenscheinlich von der Nacht verschluckt.

„Oh je.“, seufzte der Rektor müde. Sie hätten vorsichtiger sein müssen. Aber es war nun mal passiert und es ließ sich nichts mehr daran ändern. Jetzt konnten sie nur hoffen, dass es Zero gelingen würde sich und Ai in Sicherheit zu bringen. Was mit Yuki war, da war sich ihr Adoptivvater selbst noch nicht sicher. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie Kaname jemals verlassen würde. Doch das sie Zero nach all der Zeit wieder allein lassen würde, noch dazu mit Ai, glaubte er ebenfalls nicht.

Sein kleines Mädchen würde eine schwere Entscheidung treffen müssen und sie würde sie verletzten. Ganz gleich, wie sie ausfiel. Sie und andere, die ihr nahe standen.
 

Kaname stand am Fenster und sah nach draußen. Je länger er wartete, desto mehr entfernte sich seine Yuki von ihm. Dennoch hatte er keine Zweifel daran, sie wieder zu sehen. Er würde sie schon bald eingeholt haben.

Er spürte, wie Aidou eintrat und ihn angespannt ansah.

„Was ist?“, fragte Kaname unwirsch.

„Sie waren am Bahnhof und haben drei Tickets genommen. Sie wollten zur östlichen Hauptstadt. Der Mann am Fahrkartenschalter hatte sich gut an drei Personen erinnert, die selbst in der Vorhalle noch die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten. Der Mann hat die Fahrkarten gekauft und eine Frau und ein Kind haben auf ihn gewartet. Das waren sie ganz sicher. “

„Weiter.“, forderte Kaname ihn kalt auf. Es war klar, dass Aidou nicht nur mit diesen Informationen zurückgekehrt war. Er hätte es nicht gewagt.

„Sie haben den Zug bestiegen. Ein paar der Bahnhofsaufseher haben sie gesehen. Ich habe mich kundig gemacht, ob sie noch im Zug waren, als dieser anfuhr und nach einem Telefonat mit dem Kontrolleur zu urteilen, müssen sie den Zug tatsächlich genommen haben. Er erinnerte sich an sie, weil alle drei so angespannt aussahen und das blonde Mädchen zudem vollkommen erschöpft.“

„Und?“

„Tja... hier verliert es sich. Der Kontrolleur sagte er habe sie gleich als erstes kontrolliert, kurz nachdem der Zug losgefahren war. Sie saßen im letzen Wagon. Danach hat er sich um die anderen Abteile und Fahrgäste gekümmert. An diesen Abend waren es neun Wagen, ohne den Schlafwagen und Bordrestaurant. Nach ungefähr zwei Stunden war er erst wieder im letzten Wagen gewesen und da waren sie nicht mehr da. Allerdings...“, sagte Aidou zögerlich.

„Was?“, fragte Kaname scharf, dem die Geduld ausging.

„In diesen zwei Stunden hat der Zug in zehn Bahnhöfen gehalten. Sie müssen irgendwo bei diesen ausgestiegen sein, ohne dass jemand es bemerkt hat. Aber auf diesen Bahnhöfen ist jetzt zu dieser Zeit kein Betrieb mehr. Ich habe dort niemanden erreicht.“

Kaname brummte kurz.

„Was denkst du?“, fragte er Aidou dann und drehte sich nun zu ihm um. Seine Aura war immer noch dunkel und bedrohlich und Aidou fühlte sich alles andere als Wohl in seiner Gegenwart. Er musste heftig Schlucken, um überhaupt zu einer Antwort fähig zu sein.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie den Zug zwischendurch bereits verlassen haben und zu Fuß weiter sind. Würden sie Ai tragen, würde sie immer noch sehr schnell sein. Sie könnten die östliche Hauptstadt auch so erreichen und wären vielleicht unauffälliger, wenn sie Straßen oder anderen Städte meiden. Genauso gut, könnte sie aber auch jede andere Richtung gewählt haben.“

„Nach Koritokái?“

„Ja, vielleicht auch dahin.“, antwortete er und immer noch hatte er kein gutes Gefühl dabei.

„Wir warten bis Takuma zurück ist. Vielleicht hat er andere Hinweise, aber ich denke unser Ziel steht fest.“, antwortete Kaname in einem gleichmäßigen Tonfall und Aidou ahnte, dass er sehr darum bemüht war, diesen zu halten. Und Aidou war dankbar dafür. Der kleine Ausbruch zuvor hatte ihm eindeutig gezeigt, was wirklich in Kaname vorging und er wollte es nicht gerade im ganzen Ausmaß zu spüren bekommen.

Es dauerte nicht lange und Takuma, begleitet von den anderen vier, trat ein.

„Was hast du erfahren?“, fragte Kaname ihn sogleich und vermied es auch ihn anzusehen. Er hatte das Gefühl ihre Blicke nicht ertragen zu können. Er fühlte sich von Yuki verraten und er wusste, dass sie es ebenso wussten. Kaname konnte auf das Mitleid, was er in ihren Augen sehen würde, verzichten.

„Niemand hat einen Mann und zwei Frauen gesehen. Auch keine Verdächtigen oder Leute, die annähernd auf die Beschreibung gepasst hätten. Es wundert mich nicht. Zero kennt sich hier aus. Er kennt genügend Wege um die Öffentlichkeit zu meiden. Auch am Hafen konnte man mir nichts sagen. Ich dachte, sie haben vielleicht ein Schiff genommen. Aber auch da hat sie niemand gesehen. Und die Aufseher haben vor zwei Stunde ihre Schicht getauscht.“

„Warum erzählst du mir das dann?!“, fragte Kaname ihn scharf.

Takuma holte noch einmal Luft, bevor er ansetze. „Die „Rosemary“ ist heute Abend kurz nach zehn Uhr ausgelaufen. Sie segelte nach Hokato, das liegt-“

„Ich weiß wo es liegt.“, unterbrach das Reinblut ihn abermals. „Sind dort drei Personen zugestiegen?“

„Das weiß ich nicht. Es ist ein Frachtschiff, das keine Passagiere nimmt. Aber man... könnte eine Ausnahme gemacht haben. Drei Personen wären sicher kein Problem.“

„Mmh.“, brummte Kaname.

„Wenn sie wirklich bis nach Hokato gefahren sind, wäre es bis nach Koritokái nicht allzu weit. Sie müssten inzwischen in Hokato angekommen sein oder zumindest kurz davor. Was ist denn mit den Zug?“, fragte er an Aidou gewandt. Dieser zuckte mit den Schultern. „Kann sein, kann aber auch nicht sein.“, antwortete er kurz. Takuma nickte verstehend.

„Was werden wir tun, Kaname-sama?“, wandte sich Takuma dann an seinen Freund.

Kaname schwieg einen Moment. Was hätte Zero getan? Er hatte Yuki bei sich und das Kind, an dem er offensichtlich sehr hängt.

Kaname wusste um die Gefühle, die Zero einst für Yuki hegte, aber war das auch jetzt noch so? Schließlich wollte er sie bereits einmal töten und er war sicher, dass er das immer noch wollte. Was würde er also mit Yuki tun? Nein... Zero empfand ganz sicher noch etwas für seine Geliebte, überlegte er. Dieser Mann hatte sich nicht verändert. Er war schon immer viel zu leidenschaftlich gewesen und vor allem loyal. Er würde Yuki nichts antun, zumindest im Moment nicht. Aber niemand konnte wissen, was im Kopf eines wahnsinnigen vorging, dachte er bissig. Sie mussten schnell handeln.

„Wir gehen nach Koritokái.“, sagte er schließlich. „Zero ist zu sentimental. Allein deswegen würde er dorthin zurückkehren, wo er die letzten Jahre vielleicht so etwas wie ein normales Leben hatte. Außerdem hat er das Kind bei sich. Er würde ihm niemals etwas zumuten, was es nicht bewältigen könnte. Für das Mädchen wäre es das Beste erst einmal an den vertrauten Ort zurückzukehren und von dort etwas zu unternehmen. Schließlich bedeutet sie ihm offenbar recht viel.

„Wir nehmen den Schnellzug, bis zur weitesten Station. Von dort aus fahren wir mit dem Auto weiter. Aidou sag den Huntern bescheid. Takuma du bereitest alles vor. Sag den anderen, sie sollen sich bereit machen.“, gab er knappe Anweisung und wandte sich wieder dem Fenster zu.

„Ja, Kaname-sama.“,

Er würde dafür sorgen, dass Yuki ihn vergessen würde. Wenn auch nicht gleich, dann in den nächsten Jahrhunderten. Irgendwann würde der Name Kiryuu Zero aus ihrem Gedächtnis verschwinden. Und heute war der Grundstein dafür gelegt worden.
 

Wenige Stunden später...
 

Wieder flog die Landschaft an Yuki vorbei, doch dieses Mal konnte sie ihre Schönheit nicht genießen. Die Anspannung lag wie ein schwerer Stein auf ihren Schultern und drückte sie nach unten. Es war Vormittag und sie saßen zu dritt im Zug nach Sakara. Es sollte nur eine Zwischenstation werden auf dem Weg nach Koritokái.

Zero hatte sich nun doch für den Zug entschieden, weil er Ai einfach nicht mehr zumuten wollte. Wenn sie Ai jetzt ansah, konnte sie den Eindruck gewinnen, dass es das fröhliche Mädchen nie gegeben hatte. Stattdessen lehnte sie an der Schulter ihres Papas, die Hände in seiner Jacke verkrampft. Ihr Gesicht schien noch blasser als sonst und ihre Lippen waren aufgesprungen. Sie schien zu schlafen, doch Yuki war sich nicht sicher. Immer wieder sah sie, wie Ai kurz zusammenzuckte, als hätte sie Angst, dass gleich etwas Schreckliches geschehen würde. Zero hatte den Arm um sie gelegt und strich behutsam über Ais Rücken. Er wollte sie beruhigen, doch Yuki glaubte nicht, dass es ihm gelang. Und sie sah in seinem Gesicht, dass er es ebenso wusste. Wie hatte es nur so weit kommen können?

Auch Zeros Anspannung konnte sie nur zu deutlich spüren. Er war bereit alles und jeden zu beseitigen, der sich ihm in den Weg stellte. Seit sie den Zug bestiegen hatten, hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Dennoch war sie sich beinah sicher, dass sie den gleichen Gedanken hatten: Würden sie es schaffen Ai in Sicherheit zu bringen?

Sie hörte wie Zero die Luft einzog und Yuki sah ihn nun an. Sie erwartete, dass er etwas sagen würde, auch wenn es eigentlich nichts zu sagen gab.

„Wenn wir Koritokái erreicht haben, wirst du umkehren. Ab diesem Zeitpunkt, wirst du uns nicht mehr begleiten.“ Er sagte es mit solch einer ruhigen Stimme, dass sie nicht anders konnte als schockiert darüber zu sein. Hinzu kam, dass sie noch nicht darüber nachgedacht hatte, wann sie zurückging.

Yuki sah zu Ai und bemerkte, dass das Mädchen sie aus trüben Augen ansah. „Willst du nicht mit uns kommen?“, fragte Ai sie mit leiser Stimme. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie wusste nur, dass sie Ai nicht verlassen wollte! Ebenso wie Zero... Aber hatte sie eine andere Wahl? Sie konnte ihrem Leben nicht einfach den Rücken kehren, aber im Moment wünschte sie sich genau das.

Ais Blick folgend, die zu Zero sah, glaubt sie so etwas wie Reue oder Traurigkeit in seinen Augen zu erkennen. Vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. Doch Ais Worte klangen noch in ihren Ohren.
 

Auch Ai war dieser Blick bekannt. Nicht oft hatte sie ihn bei ihrem Papa gesehen, aber immer dann, wenn er von seinem Zwilling gesprochen hatte. Genauso wie er Ichiru noch immer vermisste, würde er auch Yuki vermissen. Er würde sie von neuem Vermissen und dieses Mal würde er sie nicht wieder aus seinen Gedanken verbannen können. Zero hatte bisher geglaubt, dass Yuki sich sehr verändert hatte, dass sie ein reinblütiger Vampir war, der seine Vergangenheit als Mensch gänzlich abgelegt hatte. Wie fühlte sich ihr Papa nun da er wusste, dass es nicht so war?

Es war ungerecht, dachte sie bitter. Er sollte sie schon wieder verlassen, wo sie sich nach so langer Zeit endlich wieder gesehen hatten. Und jetzt sollte es schon wieder vorbei sein? Dabei liebte er sie doch. Er hatte es zwar nie zu ihr gesagt und er würde es auch nicht zugeben, aber sie war sich sicher, dass es so war. Er hat sie damals schon geliebt und seine Gefühle ihr Gegenüber hatten sich bestimmt nicht geändert.

Wenn sie erst einmal in der „Stillen Welt“ angekommen waren, würde es kein zurück mehr geben. Sie werden sich für immer aus den Augen verlieren und Yuki wird ihretwegen auch noch Ärger bekommen, weil sie ihnen geholfen hatte.

Es war alles ungerecht.

Es war alles ihre Schuld.

Ihr Papa würde nie glücklich werden, er würde sie immer beschützen, so lange bis sie starb. Nie wieder würde sie richtige Freunde finden dürfen, Zero könnte nicht mehr arbeiten. Sie wären ständig auf der Flucht.

Nur sie war schuld.

Vielleicht könnte sie zu Kaname zurück? Aber noch einmal würde sie es wahrscheinlich nicht über sich bringen, freiwillig mit ihm zu gehen. Zu groß war die Angst vor diesem Vampir. Aber was könnte sie sonst tun?

Plötzlich legte sich Zeros Hand auf ihre Augen und verdunkelten alles.

„Hör auf so viel zu grübeln.“, sagte er sanft. „Du bekommst noch Falten.“

Ein Lächeln huschte unwillkürlich über ihr Gesicht und sie entspannte sich sofort. Auch, wenn sie es nicht wollte, so beruhigte sie seine Berührung ungemein. Die Gedanken verschwanden rasch und sie driftete schon bald wieder in einen leichten Schlaf ab.

„Inzwischen werden sie unser Verschwinden bemerkt haben.“, sagte Yuki so leise sie konnte, um Ai nicht wieder zu wecken.

„Inzwischen werden sie sich schon auf der Suche nach uns befinden.“, antwortete Zero und es klang sarkastischer, als er es beabsichtigt hatte.

„Glaubst du es hat funktioniert?“ Zero wusste, was sie meinte und er schüttelte leicht den Kopf. „Vielleicht hat es uns ein paar Stunden Zeit verschafft, aber ich denke sie werden auf jeden Fall nach Koritokái kommen. Aidou und Akatsuki werden es ihm schon gesagt haben. Wenn wir Glück haben, haben sie auch ein paar Leute nach Osten geschickt, aber ich halte es eher für unwahrscheinlich. Sie kennen uns zu gut.“, sagte Zero und seine Worte klangen nicht sehr ermutigend.

„Deswegen will ich, dass du umkehrst. Ich will dich nicht noch tiefer mit hineinziehen und wenn Kaito bereits auf den Gedanken kam, ich hätte dich entführt, dann dein Bruder sicher ebenso.“

„Ich habe eine Nachricht hinterlassen, in der steht, dass ich es selbst entschieden habe. Ich wollte das richtige tun und das habe ich.“, antwortete Yuki mit fester Stimme. „Ich werde nicht zulassen, dass sie dich wegen irgendetwas beschuldigen, was du gar nicht getan hast.“

„Das wirst du auch nicht müssen. Offenbar werde ich schon genug anderer Dinge beschuldigt.“

„Zero, dass...“

„Schon gut, es ist so wie es ist und vielleicht ist es wirklich meine eigene Schuld. Jetzt ist es zu spät daran etwas zu ändern oder es gar zu bereuen.“

„Ich weiß nicht genau, was geschehen ist, aber niemand hat das Recht dir wegen deines Verschwindens einen Vorwurf zu machen. Niemand weiß, wie du dich gefühlt hast, als...“

Zero schüttelte kurz den Kopf. „Du weißt, dass es nicht nur wegen Ichiru war.“, sagte er leise und Yukis Herz stolperte für einen Moment. Gleichzeitig beschlichen sie abermals Schuldgefühle.

„Wann werden wir in Sakara sein?“

„In einer Stunde. Der Zug nach Koritokái fährt 10 Minuten später. Heute Abend sind wir da.“

„Einen Tag. Es hat uns wirklich eine Menge Zeit gespart.“, sagte sie abwesend, während sie noch immer mit ihren Gefühlen haderte.

„Ja, aber es ist auch sehr riskant. Ich denke nicht, dass sie sehr viel länger brauchen.“

„Ich weiß es nicht. Sie haben vielleicht kein Schiff, aber den Schnellzug.“

„Was heißt das?“

„Wenn sie ihn nehmen, könnten sie recht schnell aufholen, allerdings glaube ich nicht, dass sie uns einholen oder gar überholen. Schließlich führen keine Schienen von uns in diese Stadt. Sie müssten dann das Auto nehmen, denke ich. Wir werden auf jeden Fall vor ihnen da sein, allerdings sollten wir uns trotzdem beeilen.“

„Ai und ich, nicht du.“, sagte Zero und seine Stimme war genauso unergründlich, wie sein Gesichtsausdruck.

„Ja, natürlich.“

Zero seufzte einmal schwer und sah sie dann endlich an. „Yuki hör zu, ich weiß du würdest Ai gern begleiten und ich...“, er schüttelte den Kopf, wie um gerade diesen Gedanken zu verscheuchen. „Aber du weißt, dass es nicht gehen würde. Deine Welt ist bei ihnen. Du hast dich vielleicht nicht zwischen mir oder ihm entschieden, aber für seine Welt.“

„Vielleicht hast du recht.“, wisperte sie. Sie wusste nicht, ob es wirklich so war. Doch sie würde nie wieder zu ihrem alten Selbst zurückkehren können. Zu viel hatte sich geändert, zu viel war passiert. Sie genoss die Freiheit, über ihr eigenes Leben zu bestimmen und der Gedanke sich wieder Normen und Etikette beugen zu müssen, begeisterte sie nicht sehr. Möglicherweise könnte sie einen Kompromiss finden, doch dazu musste sie ihrem Onii-sama erst einmal wieder gegenübertreten - und das würde schwierig genug werden.
 

Je weiter sie in Richtung Norden reisten, desto mehr kühlte sich die Luft ab. Beim Umsteigen in Sakara zog sich Yuki den Mantel fest um den Körper. Sie hatte nicht erwartet, dass es hier bereits so kalt sein würde.

Dennoch verlief die weitere Fahrt nach Koritokái ohne Zwischenfälle. Sie waren wieder in Schweigen verfallen und mit jeder Station, die sie dem Ziel näher kamen, schlug Yukis Herz immer schneller. Es waren nur noch ein paar Stunden, bis alles vorbei sein würde. Dann wären Ai und Zero in Sicherheit, wiederholte sie immerwährend. Sie betete, dass in diesen Stunden nichts Unvorhergesehenes mehr geschehen würde.

Allerdings war Yuki auch nicht wohl bei dem Gedanken, dass Zero noch in der gleichen Nacht gedachte den Pass zu überqueren. Natürlich war es besser den Vorsprung zu nutzen, solange sie ihn hatten, aber Ai brauchte erst einmal eine Pause. Wie sollte sie die anstrengende Reise über den Pass schaffen, wenn sie jetzt schon aussah, als würde sie jeden Moment das Bewusstsein verlieren.
 

Wie Zero es vorausgesagt hatte, erreichten sie Koritokái am Abend. Es war bereits dunkel und nur schwach erleuchteten die Lampen die Gleise. Doch sofort bemerkte Yuki die Veränderung. Diese hielt nicht nur am Bahnhof an, sondern zog sich über die ganze Stadt. Dabei hatte sich an den Gebäuden selbst oder der Straße nichts geändert, vielmehr war es die Luft und die Stimmung, die plötzlich so drückend wirkte. Die ganze Stadt war nicht mehr so lebhaft wie zuvor, sondern merkwürdig still. Es waren weniger Leute auf den Straßen unterwegs und die, die sie sah, schienen es recht eilig zu haben und sahen nicht einmal auf, wenn sie an ihnen vorbei liefen. Ihr kam es fast so vor, als hätte sich ihre und Zeros Anspannung auf die Leute übertragen, dabei wusste sie, dass es vollkommener Unsinn war.

„Was ist hier passiert?“, fragte sie verwundert.

„Was meinst du?“, fragte Ai sie leise.

„Es ist alle so... still. Irgendwie anders.“

„Der Winter kommt. Die Leute bereiten sich darauf vor.“, gab Zero die Antwort.

„Aha.“, antwortete Yuki bloß, da sie mit dieser Antwort ebenso wenig anfangen konnte. Sie hoffte auf eine weitere Erklärung, doch sie blieb aus.

„Lasst uns zum Gasthaus gehen.“

„Zero willst du wirklich heute noch aufbrechen? Es ist schon dunkel und ziemlich kalt.“, merkte sie zum wiederholten Mal an, obwohl sie wusste, dass es keine Zweck hatte.

„Heute noch.“, antwortete er kurz. „Ich kenne den Weg. Wir werden es rechtzeitig schaffen.“

Yuki nickte stumm. Es war sinnlos ihn weiter danach zu fragen.
 

Sie liefen zügig zum Gasthaus „Zum goldenen Glück“. Es brannte noch Licht und Yuki konnte hinter den Fenster Menschen ausmachen. Wenigstens dort schien noch die gleiche Lebhaftigkeit zu herrschen, wie sie es kennengelernt hatte.

Zero trat ohne zu zögern ein und sie und Ai folgten ihm stumm.

Allgemeines Gemurmel war die Begrüßung, als man Zero erkannte. Dann wandten sich die Leute wieder ihren eigenen Gesprächen zu. Yuki lächelte leicht. Nein, hier hatte sich offenbar nichts verändert.

„Kiryuu-sama, was machen sie hier?“, begrüßte eine Frauenstimme sie. Yuki erkannte sie. Es war die gleiche Frau, die Ai bei ihrem ersten Besuch in diesem Gasthaus zurechtgewiesen hatte.

Zero blieb kurz stehen und überlegte, was er antworten sollte. Die Wahrheit war ausgeschlossen. „Wir sind früher zurückgekehrt, als geplant. Es hat ein paar... Änderungen gegeben.“, antwortete er ausweichend.

„Soll ich bescheid sagen?“, fragte die Frau, deren Name Yuki noch immer nicht wusste. Wieder zögerte Zero.

„Nein, schon gut. Ich spreche dann selber mit dem Chef.“ Die Frau beäugte Yuki misstrauisch, musste sich dann aber wieder ihren Gästen zuwenden.

Die drei gingen die Treppe nach oben. „Ai, zieh dich bitte sofort um. Deine Wintersachen sind im Schrank ganz hinten. Nimm nur das mit was du unbedingt brauchst, nichts weiter. Die Spieluhr und „Hase“ haben wir schon.“, wies er sie kurz an.

Zero und Ai waren gerade in ihrer Wohnung verschwunden, als die Nebentür aufging und Frau Sayuka den Flur betrat. Überrascht blieb Yuki stehen.

„Oh, was macht ihr schon wieder hier?“, fragte die Wirtin des Gasthauses, nicht weniger überrascht.

„Ähm... es hat ein paar... Änderungen gegeben.“, wiederholte sie Zeros Worte. „Sie mussten früher zurück als geplant und...“ Was und? Yuki konnte ihr unmöglich sagen, was wirklich geschehen war.

„Das ist schön. Es war so ruhig ohne Ai. Mein Mann und ich sind froh, dass sie wieder da ist und über Ichirus Rückkehr natürlich auch.“, lachte sie.

Yuki schluckte kurz. Sollte sie Frau Sayuka sagen, dass sie nicht bleiben würden? Dass sie gleich wieder gehen würden – für immer? Sie hatte nicht das Recht dazu. Das war Zeros Aufgabe, aber würde er es tun?

„Entschuldigen sie mich bitte einen Moment.“, sagte Yuki und verschwand hinter der Tür.

„Zero?“, fragte sie zaghaft, nicht sicher, ob sie überhaupt die Erlaubnis hatte einzutreten. Dann schüttelte sie den Kopf. Als ob das noch eine Rolle spielte. Sie wollte zuerst in der Küche nachsehen, doch als sie an seinem Schlafzimmer vorbei ging und ihn aus den Augenwinkeln darin sah, blieb sie stehen und trat ohne zu fragen ein.

„Frau Sayuka hat mich gesehen.“, sagte sie, noch bevor er Gelegenheit hatte, selbst etwas zu sagen. Im nächsten Augenblick wurde ihr ganz heiß und sie spürte, wie ihr Gesicht knallrot wurde.

Zero war gerade dabei gewesen sich umzuziehen und stand noch immer mit offener Hose und nacktem Oberkörper im Zimmer.

Es war gewiss nicht das erste Mal, dass sie einen Mann so sah und auch ihn hatte sie schon so gesehen. Damals... als sie noch Kinder gewesen waren. Doch das hier... Am liebsten hätte sie das Zimmer fluchtartig verlassen, aber sie konnte nicht. Es war als wäre ein Blitz durch ihren Körper gefahren und hatte sie versteinert. Ihr ganzer Körper prickelte. Ihr war es unmöglich den Blick abzuwenden. Sie beobachtet, wie er den Hosenknopf schloss und sich dann die Muskeln seiner Arme anspannten, als er sich den Pullover überzog, der bereits auf dem Bett gelegen hatte. Sie folgte seiner Bewegung und erhaschte einen Blick auf seine Bauchmuskeln, die sie zählen konnte.

„Yuki? Yuki?!“, hörte sie ihren Namen und schreckt auf.

„Was?“, fragte sie irritiert. „Ich sagte, ich rede mit ihr. Sag ihr das bitte.“, erwiderte Zero und klang ein wenig angekratzt. Hatte er die ganze Zeit schon mit ihr gesprochen?

Hastig nickte sie und verließ das Zimmer. Was war da gerade passiert?!, fragte sie sich ungläubig und berührte ihre glühenden Wangen.
 

Zero sah ihr noch einen Moment hinterher und seine Hand ballte sich zu Faust, bemüht den Drang zu unterdrücken, der sich in ihm aufgebaut hatte. Die Art, wie sie ihn angesehen hatte, hatte sein Blut beinah zum kochen gebracht. Es war anders als früher, realisierte er. Es war noch heftiger, wenn das überhaupt möglich war und noch sehr viel schwerer zu kontrollieren. Schon lange begehrte er sie. Nicht nur ihr... Nein... er durfte nicht weiter daran denken. Es würde bald vorbei sein.

Er schloss die Augen und atmete tief durch, dann ging er zu Ai. Er sah wie sie gerade versuchte ihre wichtigsten Besitztümer in ihrem Rucksack zu verstauen. Sie hatte sich inzwischen umgezogen und Yukis alte Schuluniform lag ordentlich zusammengelegt auf dem Bett.

„Müssen wir schon los?“, fragte sie erschrocken und hatte gerade ein Märchenbuch in der Hand, das sie vor zwei Jahren von Frau Sayuka geschenkt bekommen hatte.

„Nein, wir haben noch einen Moment Zeit. Ich weiß, du würdest gern alles mitnehmen, aber wir... müssen uns wirklich nur auf das nötigste beschränken.“, sagte er sanft. Er wollte sie nicht noch mehr unter Druck setzen, als sie ohnehin schon stand.

„Ich weiß, aber ich kann mich nicht entscheiden.“

„Ich weiß.“, antwortete er und streichelte ihr über das Haar. „Ich muss noch mit den Sayukas reden. Du kannst so lange hier bleiben und weiter überlegen. Ich bin sicher Frau Sayuka hebt die Dinge auch für dich auf. Dann können wir sie später holen.“, sagte er noch einmal und küsste sie anschließend aufs Haar. Es brach ihm regelrecht das Herz ihrem traurigen Blick begegnen zu müssen. Beide wussten, dass es eine Lüge gewesen war.

Ai nickte dennoch kurz und wandte sich wieder dem kleinen Häufchen zu, das sie um sich herum aufgestapelt hatte. Zero sah ihren zweiten Lieblingspullover, ein anderes Buch über den Kontinent hinter dem Meer sowie eines über Seefahrt. Diese beiden hatte sie von Sasuke bekommen. Auch ihn würde sie nicht noch einmal wiedersehen.

Frau Sayuka stand noch immer vor der Tür und verblüfft sah er sie an.

„Yuki sagte mir, ich solle einen Moment warten. Was ist denn passiert, Ichiru?“, fragte sie ihn sofort. Ihr war der besorgte Blick in seinen Augen nicht entgangen.

„Ihr Mann ist gerade sehr beschäftigt, nicht wahr?“, fragte Zero. Er wollte es beiden zusammen erzählen, aber er würde nicht warten können bis das „Golden Glück“ schließen würde.

„Ja.“, antwortete sie kurz.

„Ich... muss ihnen etwas erzählen und ich würde sie bitten, es ihrem Mann – nur ihrem Mann – weiter zu tragen.“

Frau Sayuka nickte angespannt. Dann ließ Zero sie eintreten und ging mit ihr in die Küche. Yuki war bereits dort und war so frei gewesen Teewasser aufzusetzen. Sie nahm gerade vier Tassen aus dem Schrank und suchte dann nach den Teebeuteln.

Frau Sayuka nahm Platz und Zero setzt sich an den Platz gegenüber. Er hätte nicht gedacht, dass er ihr irgendwann einmal erklären müsste, wer er wirklich war.

„Mein Name ist nicht Ichiru, Frau Sayuka.“, begann er seine Erklärung und wagte es nicht sie anzusehen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, die Freundlichkeit dieser Leute mit Lügen bezahlt zu haben. Doch anders als er erwartete hatte, bliebe sie ruhig und fragte ihn bloß: „Wie ist er dann?“

„Werden sie gar nicht misstrauisch?“, fragte er sie verwundert. Es wäre seine natürliche Reaktion gewesen.

„Nein, denn ich bin sicher, du hast einen guten Grund gehabt, deinen richtigen Namen zu verschweigen.“

„Ja, so... kann man es wohl sagen.“

Yuki goss den Tee auf und hörte mit einem Ohr dem Gespräch der beiden zu. Sie wusste nicht, ob sie anwesend sein durfte, aber da Zero sie nicht weggeschickt hatte, betrachtete sie es als seine Zustimmung. Dennoch würde sie zu Ai gehen und die beiden allein lassen. Sie stellte je eine Tasse vor Zero und Frau Sayuka und nahm die anderen beiden und brachte sie in Ais Zimmer.

„Ich habe dir einen Tee mitgebracht.“, sagte Yuki und reicht ihr die Tasse. Ai nahm sie, sah aber nicht auf. Noch immer überlegte sie, wie sie dem ganzen entkommen könnte, ohne ihren Papa dabei noch weiter zu schaden.

„Danke, Yuki.“, sagte sie trotzdem.

„Hast du dich schon entschieden?“, fragte Yuki sie und setzte sich auf ihr Bett.

„Nein.“, erwiderte sie einsilbig.

„Das kann ich verstehen. Und ein größerer Rucksack geht auch nicht?“

Ai schüttelte den Kopf. Sie wollte keinen anderen Rucksack, wusste sie doch, dass alles nur unnötiger Ballasts wäre.

„Yuki... bitte sei mir nicht böse, aber ich möchte gern noch ein bisschen allein sein.“, sagte Ai schließlich.

„Ich verstehe...“, antwortete Yuki und ihre Stimme war keineswegs vorwurfsvoll.

Sie verließ das Zimmer ebenso leise, wie sie es betreten hatte und kehrte zur Küche zurück. Ai sah ihr einen Moment hinterher, stellte dann die Tasse ab und folgte ihr. Die Küchentür war nur angelehnt und Ai lehnte sich etwas gegen den Spalt, um besser mithören zu können. Sie wusste, dass man das normalerweise nicht machte, aber was war schon noch normal in einer Situation wie dieser.

„Dein Bruder starb also vor 20 Jahren, dass tut mir leid.“, sagte Frau Sayuka gerade.

„Muss es nicht. Es ist schon lange her.“, erwiderte Zero etwas zu schroff und Ai wusste, dass er nur so reagierte, weil er nicht wollte, dass Frau Sayuka weiter danach fragte.

„Aber warum hast du seinen Namen angenommen?“, fragte die Wirtin weiter.

„Dort wo ich her komme, gab es ein paar... Unstimmigkeiten zwischen mir und... anderen. Man glaubt ich sei eine Gefahr und wollte mich... inhaftieren.“

„Was?! Warum?“

„Ich...“ Zero suchte nach Worten, wie konnte er so etwas bloß erklären, ohne die wahren Gründe zu nennen? Auf keinen Fall, würde er die Sayukas ganz einweihen.

„Es gibt bei uns eine Spezialeinheit, die sich auf Schwerverbrecher spezialisiert hat. Sie besteht schon sehr lang und Zeros Familie gehörte schon immer dazu und war eine der besten. Auch Zero wurde dazu ausgebildet, allerdings war er... in einen Unfall verwickelt und kann seine Aufgabe deswegen angeblich nicht mehr ausführen. Dennoch ist er den anderen zu gefährlich, um ihn in Ruhe zu lassen. Sie haben Angst, dass er ihnen vielleicht in den Rücken fallen könnte.“, erzählte Yuki hastig. Im nächsten Augenblick biss sie sich auf die Zunge.

Hatte sie das wirklich gesagt?! Warum musste sie immer reden, bevor sie nachdachte?! Sie hatte gerade einen riesen Fehler begangen und Zeros Blick sprach Bände. Sie hätte bei Ai bleiben sollen! Oder am besten gleich den nächsten Zug zurückgenommen!

Frau Sayuka sah unschlüssig zwischen den beiden hin und her, während Zero seine Augen nicht von Yuki lösen konnte. Seine Gedanken waren: Hatte sie das gerade wirklich gesagt?! Und der nächste: Sie ist eine grauenhafte Lügnerin! Dann seufzte er schwer.

„Aber das ist nicht die Wahrheit.“, stellte auch Frau Sayuka fest. Zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit lief Yuki rot an und Zero lachte leise auf.

„Nein.“, antwortete er schließlich.

„Warum nicht?“

„Die Wahrheit wäre zu gefährlich und ich möchte nicht, dass sie und ihre Familie noch weiter hineingezogen werden. Sie werden ohnehin genug Schwierigkeiten bekommen, wenn sie... erst einmal hier auftauchen. Dafür möchte ich mich bereits jetzt bei ihnen entschuldigen.“

Ai hob den Kopf und trat einen Schritt von der Tür weg. Sie sah den Blick mit dem Yuki ihren Papa ansah und dieser ihn erwiderte. Sie würde nicht zulassen, dass er wegen ihr alles von neuem aufgab. Auch wenn man sowieso schon nach ihn suchte, würde man vielleicht Gnade walten lassen, wenn sie nicht bei ihm war. Sie war doch das Hauptziel dieser ganzen Sache.

Ai schlich auf Zehnspitzen in ihr Zimmer zurück und besah sich den immer noch nicht kleiner gewordenen Haufen in der Mitte. Dann nahm sie ihren Rucksack und blickte noch einmal hinein. Die Spieluhr war darin, „Hase“ und das Märchenbuch sowie das Buch über den anderen Kontinent. Die beiden Bücher nahm sie wieder heraus und legte stattdessen ihre Kuscheldecke hinein. Sie war nicht besonders groß, so dass der Platz gerade ausreichte. Im Anschluss band sie sich einen weiteren Pullover um die Taille. Sie würde ihn brauchen. Dann ging sie leise nach draußen und hörte einen Moment den gedämpften Stimmen, die aus der Küche drangen, zu.

So leise sie konnte öffnete sie die Tür und ging den Flur entlang. Sie würde sich in der Küche etwas zu Essen mitnehmen. Sie hatte sich schon vorher immer selbst genommen und Herr Sayuka hatte nie etwas gemerkt. Er war ständig so in seine Arbeit vertieft, dass er alles andere um sich herum vergaß. Dann würde sie allein in die „Stille Welt“ aufbrechen. Ihr Papa hatte ihr den Weg gezeigt, zumindest, den Weg zum Pass. Sie würde es allein schaffen. Und wenn nicht, dann... Sie verbannte diesen Gedanken weit in die Ecke ihres Geistes.
 

„Ich verstehe.“, sagte Frau Sayuka nachdem Zero geendet hatte. Er hatte ihr alles so weit wie möglich erzählt. Sie wusste nun, dass Ai nicht seine leibliche Tochter war und dass auch sie gejagt wurde. Zum einem weil sie bei ihm aufgewachsen war, aber hauptsächlich, wegen ihrer Abstammung. Was genau da aber vor sich gegangen war hatte Zero ihr verschwiegen. Sie wusste nur, dass sie sehr wahrscheinlich „Besuch“ zu erwarten hatten, wenn Zero bereits unterwegs war. Er hatte es ihr überlassen, wie viel sie erzählen würde. Aber er würde ihr für nichts einen Vorwurf machen.

„Ihr werde meinen Mann bitten, dass er euch etwas für Unterwegs mitgibt. Außerdem braucht ihr warmen Tee und das nicht zu knapp.“, sagte sie dann laut.

„Frau Sayuka, ich habe nicht genügend Zeit dafür.“, wiedersprach Zero gleich. Er hatte doch deutlich gemacht, dass sie keine Minute mehr zu verlieren hatten.

„Dafür wirst du Zeit haben. Ihr schafft es nicht einmal annähernd über den Pass, ohne versorgt zu sein. Du vielleicht, aber Ai gewiss nicht. Außerdem wird sich sicher schnell etwas in der Küche finden lassen. Du weißt, dass er immer etwas vorbereitet hat. Aber...“, begann sie ernst und Zero ahnte, was sie sagen wollte, „Willst du es wirklich jetzt noch riskieren? Warum gehst du nicht nach Osten? Den Pass jetzt benutzen zu wollen ist viel zu gefährlich. Du solltest es inzwischen besser wissen.“, erinnerte sie ihn.

„Ja, ich weiß.“, stimmte Zero ihr zu und hatte selbst ein unsicheres Gefühl in der Magengegend. „Aber ich kann nicht warten. In der „Stillen Welt“ gelten eigene Gesetze und nicht die, die hier gemacht wurden. Nur dort kann Ai in Sicherheit sein und außerdem... können wir auch von dort den Kontinent verlassen.“

Yuki verspürte einen tiefen Stich im Herzen, als sie seine Worte hörte. Sie hatte gewusst, dass der Abschied ihr schwer fallen würde. Dennoch war die „Stille Welt“ immer noch irgendwie erreichbar gewesen. Sie hatte ungefähr gewusst, wo Zero sich aufhalten würde. Aber ein anderer Kontinent... das war etwas ganz anderes. Es gab sechs weitere Kontinente. Er würde auf jeden sein können und die Chancen ihn jemals – egal wie viele Jahrhunderte sie nach ihm suchen würde – wiederzusehen, waren fast Null. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, ihn endgültig aus ihrem Leben gehen zu lassen. Sie hatte es einmal getan, freiwillig, weil sie geglaubt hatte, das richtige zu tun, aber hatte sie wirklich für ein zweites Mal genauso viel Kraft?

„Ich hoffe du hast recht.“, antwortete Frau Sayuka und in ihrer Stimme schwang eine tiefe Traurigkeit mit, mit der sie Yuki aus ihren Gedanken riss.

„Tut mir leid.“, murmelte Zero. Die Wirtin schloss für einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf, als müsste sie eine Erinnerung vertreiben, die sie am liebsten ungeschehen machen würde.

„Ich werde nach unten gehen und gleich alles bereitstellen. Packt eure Sachen zu Ende. Ich verabschiede mich besser jetzt von Ai, ich weiß nicht, ob ich es nachher noch kann.“

Zero nickte kurz. Vielleicht hätten sie nicht so lange an diesem Ort bleiben sollen, überlegte er, wischte den Gedanken aber gleich wieder beiseite. Es war das Beste für Ai gewesen und für ihn auch.

Frau Sayuka verließ die Küche und Zero sah flüchtig zu Yuki. Doch der traurige Blick in ihren Augen, ließ ihn innehalten. „Worüber denkst du nach?“, fragte er sie leise.

Sie schüttelte den Kopf. „Ich fühle wie sie. Ich will euch nicht gehen lassen.“, antwortete sie ehrlich. Er unterdrückte den Impuls zu ihr zu gehen und sie sahen sich schweigend an.

„Ai ist nicht in ihrem Zimmer!“, rief Frau Sayuka aus dem Flur und sofort sprang Zero auf.

„Aber sie war doch gerade noch...“, ließ er seinen Satz unbeendet, als er sah, dass sie recht hatte. Augenblicklich öffnete er seine Schlafzimmertür und als er sah, dass sie auch dort nicht war, beschleunigte sich sein Herzschlag bereits etwas. Noch schneller wurde er allerdings, als er sie auch nicht im Badezimmer oder Wohnzimmer fand.

„Ich glaube ihr Rucksack ist weg.“, sagte Yuki atemlos, der selbst ganz schwindelig geworden war.

Zero blickte noch einmal in das Zimmer seine Ziehtochter und sah, dass Hase, wie auch die Spieluhr fehlten. Ebenso wie ihre Lieblingsdecke.

„Vielleicht ist sie auch nur unten. Sie kann ja nicht plötzlich verschwunden sein.“, versuchte Frau Sayuka im Scherz zu sagen, aber als Zero und Yuki kurz einen Blick wechselten, dachte beide das Gleiche. Ai hatte sich schon einmal selbst Kaname ausgeliefert, würde sie auch versuchen den Weg allein zu finden?

Ja, sie würde.

So schnell sie konnten suchten sie ihren Weg nach unten. Instinktiv griff Zero nach seiner Jacke. Yuki tat es ihm nach. Das ungute Gefühl wuchs zu einem allesverzehrenden Untier heran. Das konnte sie doch nicht wirklich getan haben!

„Minako, hast du Ai gesehen?“, fragte Zero die Kellnerin, die sie zuvor begrüßt hatte.

Verwundert blieb diese stehen. „Nein, habe ich nicht. Sie war doch bei euch oben.“

„Hat ein anderer sie gesehen?“, wandte sich Zero an die Gäste, die ihr Essen wegen der Aufregung unterbrochen hatten. Die meisten von ihnen kannte er, wenn auch nur flüchtig aber in Koritokái war sich niemand wirklich unbekannt untereinander.

„Nein.“, kam die einstimmig gemurmelte Antwort. Zero rannte gleich darauf in die Küche. „Chef, haben sie Ai gesehen? War sie hier?“

„Ichiru! Du bist zurück? Ai? Nein, die hab ich noch nicht gesehen. Ich wusste ja nicht mal, dass ihr schon da seid.“

„Verdammt!“, stieß er wütend aus und kehrte um. Herr Sayuka folgte ihm aus der Küche.

„Ist sie da?“, fragte Yuki mit angehaltenem Atem, als er zurückkam.

„Nein, sie ist gegangen.“, stieß er aus und war schon bei der Tür. Ohne ein weiteres Wort verließ er das Gasthaus.

„Zero!“, rief Frau Sayuka. Einen kurzen Moment drehte er sich um und sah sie an. Ihr Blick sagte mehr als es Worte vermochten. Er nickte kurz, wissend, wie viel ihr das Mädchen bedeutete, wie sehr sie diese Situation erinnern musste.

„Weißt du, wo sie sein könnte?“, fragte Yuki ihn, die ihm ohne zu zögern gefolgt war. Einen Moment blickte er sie verwundert an. „Ich habe ihr den Weg ein paar Mal gezeigt. Sie weiß theoretisch wo sie lang muss und wie sie sich orientieren kann. Allerdings gibt es verschiedene Möglichkeiten. Siehst du den Berg nordöstlich von uns? Der, der aussieht als hätte er eine Narbe, weil dort der Schnee fehlt?“

Yuki sah in die angegebene Richtung und nickte. In diesem Berg war das schwarze Gestein wirklich noch sichtbar, als würde kein Schnee darauf liegen bleiben.

„Der Pass ist rechts davon. Sie kann noch nicht weit gekommen sein.“

Sie rannten in den Wald und trennten sich. Nicht sehr weit, nur so, dass sie den anderen noch spüren konnten, aber die Chancen waren so höher Ai schneller zu finden.

„AI!“, rief Yuki so laut sie konnte in den Wald hinein. „Ai, wo bist du?!“, rief sie noch einmal. Ihr Atem bildete eine feine Wolke vor ihrem Gesicht und sie wunderte sich, warum es plötzlich so viel kälter geworden war. War das möglich? Es kam ihr vor, als wären die Temperaturen im Vergleich zu ihrer Ankunft noch einmal um 10 Grad gesunken.

„AI!“, rief auch Zero einige Meter von ihr entfernt in den Wald hinein. Die Nadelbäume standen dicht an dicht und das Sternenlicht drang nur schwerlich hindurch. Wenn Ai wirklich allein gehen wollte, dann würden sie sie hier nicht so einfach finden. Dieses Kind konnte so unglaublich stur sein! Und sie konnten sie auch nicht spüren! Fieberhaft rannte er weiter, immer wieder ihren Namen rufend, in der Hoffnung, dass sie sich doch zeigen würde. Oder, dass er wenigstens eine Spur von ihr fand. Doch der Boden war genauso ebenmäßig wie immer und auch das Gras schien nichts verraten zu wollen.
 

„AI!“, rief Yuki noch einmal und ihre Stimme begann bereits zu kratzen. Wie lange suchten sie schon? Eine halbe Stunde? Vielleicht länger, wieder hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Aber Zeit war auch nicht wichtig, wenn es darum ging sie endlich zu finden. Dann würde sie auch stundenlang suchen, ganz gleich wie kalt es dabei auch werden würde.

Yuki blieb stehen und sah sich um. Dieser Wald übte etwas Bedrohliches auf sie aus. Die Bäume ließen kaum Licht hindurch und während der ganzen Zeit, die sie Ai nun schon suchte, hatte sie beständig ein Knacken und Brechen gehört, Geschrei von Tieren in der Dunkelheit und andere Geräusche, die nicht von ihr, Zero oder Ai stammen konnten und die ihr trotz ihres Wesens Angst hätten machen können. Doch solange ihr Geist mit etwas anderem beschäftigt war, hatte sie keine Zeit gehabt, um sich darauf zu konzentrieren.

Doch jetzt da sie stand und nur ihrem eigenen Atem lauschte und versuchte in der Dunkelheit vor ihr etwas ausmachen, wurde sie stutzig. Es war als wären die Geräusche urplötzlich verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Die Nacht erstreckte sich in gähnender Leere und Stille von ihr und ein Frösteln ergriff sie. Es kam nicht von der Kälte um sie herum, sondern von etwas anderem. Einem Gefühl, dass sich unweigerlich an sie klammerte, ihrem Körper hinaufkroch, bis es ihr Herz erreicht hatte. Irgendwas war plötzlich anders.

Zögernd ging sie einen Schritt zurück und zertrat dabei einen Ast. Das Brechen hörte sich unnatürlich laut und fremd an. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie keine Ahnung hatte wo sie sich befand. Sie kannte sich überhaupt nicht aus, musste sich nur darauf verlassen, dass Zero den Weg kannte. Sie vertraute ihm, dennoch konnte sie nichts gegen die aufkeimende Angst tun. So schnell sie es vermochte rannte sie in seine Richtung. Sie konnte ihn noch nach Ai rufen hören. Hatte er es denn noch nicht bemerkt?
 

„Ai!“, rief Zero noch einmal. Langsam wurde immer nervöser. Er war sich sicher gewesen, sie schnell zu finden, aber jetzt war schon fast eine Stunde vergangen und noch immer keine Spur von ihr. Sollte sie wirklich schon so weit gekommen sein?

„Zero!“, rief Yuki nach ihm und er drehte sich um. Sofort erwuchs in seinem Herzen die Hoffnung, dass sie sie gefunden hatte. Umso größer war seine Enttäuschung, als er sah, dass sie allein war.

„Was ist?“, fragte er sie ungehalten. Warum suchte sie nicht weiter?

„Ich...“, Yuki wurde langsamer bis sie schließlich vor ihr stand. Sie sah in seinem Blick, dass er enttäuscht war, dass sie ohne Ai zu ihm zurückgekehrt war. Sie hatte falsche Hoffnungen in ihm geweckt.

„Was ist los?“, fragte er noch einmal, nachdem sie ihm nicht geantwortete hatte.

„Es ist so still.“, sagte sie schließlich. Plötzlich kam ihr das selbst lächerlich vor. Wahrscheinlich bildete sie sich nur etwas ein. Es war ein anstrengender Tag gewesen.

„Was?“

„Nichts, schon gut. Ich dachte nur... es ist auf einmal so still geworden. Merkst du das nicht? Irgendwie... ist es unheimlich.“

„Es ist nachts, da wird es selbst ein einem Wald st-“

Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er realisierte, was sie ihm sagen wollte. Sie hatte recht. Es war still, ungewohnt still –selbst für eine Nacht. Absolut still. So still, wie es immer wurde, bevor...

„Oh mein Gott...“, stieß Zero atemlos aus und Yuki sah wie sich sein Gesichtsausdruck von Bestürzung in pures Entsetzen wandelte und seine Augen sich immer mehr weiteten.

„Lauf!“, rief er ihr plötzlich zu und packte sie an dem Armen. Er sah nach oben und orientierte sich neu. Die Sterne waren klar zu sehen und durch die Bäume hindurch sah er den Berg mit der Narbe.

„Zero, was ist los?“, rief Yuki, deren Herz tief nach unten gerutscht war. Sie hatte es sich also doch nicht nur eingebildet.

Doch er antwortete ihr nicht. Stattdessen rief er weiter nach Ai.

Wie lange hielt die Stille schon an?!, fragte er sich verzweifelt, während er immer wieder nach seiner Ziehtochter rief. Warum hatte er es nicht bemerkt?! Es konnte nicht mehr lange dauern. Jeden Augenblick würde es beginnen und von Ai immer noch keine Spur.

„AI!!!“ Seine Stimme riss durch die Nacht und klang vollkommen falsch. Yuki bekam eine Gänsehaut.

Dann plötzlich brach es los.

Es gab eine Erschütterung, so heftig, dass Zero mit Yuki stehen bleiben musste, um nicht den Halt zu verlieren. Ungläubig sah er auf die Berge vor ihnen, die nun sichtbar waren. Yuki stand der Mund offen, bei dem was sie sah. Noch nie zuvor hatte sie etwas ähnlich Gewaltiges gesehen.

Unter lautem Donnern und Krachen brach einer der schneebedeckten Bergspitzen zusammen, wurde kleiner und rutsche an der Seite des Berges nach unten.

Eine riesige Lawine hatte sich losgelöst.

Yuki starrte gebannt auf das Schauspiel. Sie waren weit genug weg, die Lawine würde sie bestimmt nicht erreichen, dachte sie zuversichtlich. Doch als nur einen winzigen Augenblick später ein weiteres Donnern ertönte, erkannte sie die wahren Ausmaße des Ganzen. Diese eine Lawine löste andere aus, wie eine Kettenreaktion. An jedem Berg rutschten nun fast gleichzeitig die Schneemassen nach unten, die unweigerlich ins Tal und damit in den Wald gelangen würden.

Direkt auf sie zu.

„Weg hier!“, rief Zero und zog sie gewaltsam weiter mit sich. Yuki verlor fast den Halt und Strauchelte, aber er ließ ihre Hand nicht los, sondern hielt sie weiter fest umklammert. Sie rannten an Bäumen vorbei, scheinbar immer tiefer in den Wald hinein, dabei wollte Yuki nur noch weg von dort. Je näher sie den Bergen kamen, desto deutlicher sah sie es. Eine riese Wand aus Schnee, Eis und Steinen rollte in ihre Richtung und würde einen Großteil des Waldes unter sich begraben.

Und sie mit sich.

Und Ai war noch immer noch bei ihnen, realisierte sie mit Horror.

„AI!“, rief Zero noch einmal. Seine Stimme klang zerrissen und war selbst für sie kaum zu hören. Sein Griff war so fest, dass er ihr schon fast wehtat. Er hielt ihr seine Angst vor Augen.

Zero würde nicht gehen, bevor er sie nicht gefunden hatte.
 

Wo war sie?! Sie musste es gespürt haben! Sie musste es gehört haben!!! Tausend Mal hatte er mit ihr darüber gesprochen, was sie zu tun hatte, wenn es losbricht und sie im Wald war! Tausend Mal hatte er ihr den Weg gezeigt, ihr klar gemacht, wie sie sich zu verhalten hatte, wo sie hin musste! Dass sie schnell sein musste! Würde sie sich an all das erinnern? Oder hatte sie zu große Angst und würde sich nicht bewegen können, genauso wie es ihm im Moment erging?! Wo war sie?!
 

Plötzlich glaubte Yuki ihren Augen nicht trauen zu können. Vor ihnen stand auf einmal eine Hütte! Mitten im Wald! Zero rannte direkt darauf zu. Sollte sie etwa da Unterschlupf finden?!

Das konnte nicht sein ernst sein! Der Schnee würde sie unter sich begraben! Sie wären gefangen, ohne einen Ausweg!!!

Yuki begann sich gegen ihn zu stemmen, ihn am weitergehen zu hindern, doch er war zu stark für sie. Ohne Mühe zog er sie mit sich.

„Zero, nicht, dass...“, rief sie, Panik in ihrer Stimme.

„Papa!“, hörten sie beide plötzlich Ais schrille Stimme und rissen die Köpfe in die Richtung herum, aus der sie gekommen war. Nur einen Herzschlag später tauchte Ai zwischen den Bäumen von der anderen Seite des Waldes auf.

„Ai!“, rief Zero noch einmal. Er zog Yuki einmal scharf am Arm und stieß sie somit in Richtung der Hütte, dann ließ er sie los.

„Rein da!“, brüllte er über das Donnern der Lawine hinweg und rannte dann zu Ai.

Yuki stolperte noch einmal kurz und lief denn ohne weiter nachzudenken bis zur Tür. Dort zog sie an dem Eisenring doch nichts tat sich. Sie zog noch einmal, dieses Mal fester doch ihre Augen waren auf Zero und Ai gerichtet und huschten zwischen ihnen und dem immer schneller näherkommenden Schnee hin und her. Sie konnte die Kälte und das Unheil, den Tod, den die Lawine mit sich brachte, spüren. Sie konnte das Eis und die Steinen sehen, die sie mit sich trug, ja beinah jede einzelne Schneeflocken aus denen das Ungetüm zu bestehen schien.

Zero hatte Ai inzwischen am Arm gepackt und riss sie mit sich. Die Lawine hatte sie fast erreicht. Die Tür war noch immer verschlossen. Yuki konnte nicht anders, als die Massen aus Schnee anzustarren. Alle Gedanken an Flucht und Sicherheit waren gelähmt. Noch nie hatte sie solch eine Macht erlebt. Wieder sah sie zu Zero und plötzlich hatte sie das Gefühl als würde die Zeit langsamer fließen, so wie sie es schon oft von Menschen gehört hatte, die dem Tod nahe gewesen waren.

Yuki sah, wie Zero mit Ai zu ihr rannte, wie er etwas rief und sie es nicht verstand.

Und dann wusste sie, dass es das Ende war.
 

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Sooo, da wären wir also. Ist es nicht ein tolles Ende?! >.< Ich finde schon... genauso hab ich mir das gedacht.

Und nun warten wir alle, bis das nächste Chap kommt, gell? Ich auch!^^°

Wird mich nämlich im September meinem Drachenkind widmen und dann erst wieder an VK weiter schreiben. Ich hoffe aber, dass mich die Muse nicht verlässt und mich noch mal küsst. Aber bis Chap 24 steht so weit alles.
 

Wir sehen und lesen uns dann beim nächsten Mal, wenn ihr mögt!
 

lg maidlin

Ein normales Leben

So meine Lieben.

Extra für meine Leser habe ich aus Österreich ein neues Kapitel mitgebracht!!! Bin ich nicht überaus nett mit euch? Setze mich abends ins Hotelzimmer noch hin und bastele weiter an der Gesichte, die einfach kein Ende nehmen will. Aber ich will mich ja nicht beschweren.XD

Dieses Kapitel bringt uns irgendwie nicht in der Handlung weiter, sondern ist eher als Zwischenspiel zu betrachten, um ein paar Informationen einfließen zu lassen. Deswegen ist es auch nicht arg so lang.

Ich hoffe dennoch, dass ihr es mögt. Bis dann!

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Ein normales Leben
 

Sie erreichten Koritokái nach Mitternacht. Vor ein wenig mehr als fünfzehn Stunden waren sie aufgebrochen um Yuki zurückzuholen und Ai und Zero zu... Aidou wollte lieber gar nicht daran denken, was mit ihm geschehen würde. Er wusste nur zu gut, dass Yuki es niemals zulassen würde. Doch wie lange würde sie sich wehren können?

Es würde furchtbar werden.

Aidou blickte zu Kaname, der soeben aus dem Wagen gestiegen war. Man sah dem Reinblut die Anstrengung nicht an. Er hingegen fühlte sich erschöpft. Sie hatten den Schnellzug noch vor Sonnenaufgang genommen und waren bis zur letzten Stadt gefahren, zu der es eine Verbindung gab. Von dort aus waren sie mit dem Auto weiter gefahren, ohne Pause oder Unterbrechung. Wenn es eine gab, dann nur um die Fahrer zu wechseln. Insgesamt waren es zwanzig Leute die nach Koritokái mitgekommen waren. Zehn Vampire, einschließlich Kaname, und zehn Hunter. Den Huntern war das Privileg zu Teil geworden, ebenfalls den Schnellzug nutzen zu dürfen. Dann waren sie auf fünf Wagen aufgeteilt worden.

Sie alle waren hier, um es zu beenden – auf die eine oder andere Weise. Ihm schauderte leicht.

Vielleicht hätte der Rektor und Yagari doch mitkommen sollen, überlegte er zum wiederholten Male. Sie hätten vielleicht auf beide Parteien einreden können. Aber so, war der Ausgang des Ganzen ungewiss. Genauso wusste er auch nicht, ob er den fallenden Schnee als ein gutes oder schlechtes Omen sehen sollte.

„Wo lang?“, fragte Jinmu, das Oberhaupt der Hunter, der ebenfalls ausgestiegen war.

„Dort hinauf.“, sagte Aidou und deutete nach Norden, die Straße hinauf. Sie würden den direkten Weg zu den Sayukas nehmen. Trotzdem bewegte er sich nicht.

Er hatte anhalten lassen, weil ihm etwas merkwürdig erschienen war und das Kaname ihm zugestimmt hatte, bestätigte seine Vermutung, dass er es ebenso empfand. Etwas noch unheilverkündenderes lag in der Luft.

„Etwas es ist anders, als das letzte Mal, nicht wahr?“, sagte nun auch sein Cousin neben ihm. Aidou nickte kurz.

„Wovon sprecht ihr?“, verlangte Kaname zu wissen, in einem Ton der deutlich machte, dass er dafür eigentlich keine Zeit hatte.

„Offen gestanden wissen wir das auch nicht so genau.“, antwortete Aidou ehrlich. „Es ist nur so, dass die Stadt vor wenigen Tagen noch sehr viel lebhafter war.“

„Es ist nach Mitternacht. Was erwartet ihr? Ein Straßenfest?“, sagte Kaito, der zu den zenh Huntern gehörte, die mitgekommen waren.

„Natürlich nicht.“, antwortete Kain, bevor Aidou die Gelegenheit dazu hatte. „Die Stimmung in der Luft ist eine vollkommen andere.“

„Das ist nichts ungewöhnliches für diese Region.“, sagte nun Takuma. „Wir befinden uns im Norden und hinter den Bergen befindet sich die ‚Stille Welt‘. Unsere Recherchen haben schon ergeben, dass die Winter hier unerwartet und heftig hereinbrechen.“

„Wo sind die Berge?“, fragte Aidou nun und wusste plötzlich, was ihn so verstört hatte. Die Berge waren verschwunden, weg, als hätten sie nicht existiert.

Er wusste, dass das nicht stimmen konnte. Schließlich verschwinden Berge nicht einfach und schon gar nicht solche riesigen. Vor wenigen Tagen hatte man sie selbst noch in der Nacht ohne Mühe oder besonders gutes Augenlicht sehen können. Das Licht des Mondes und der Sterne hatte sich an den schneebedeckten Kuppen gebrochen und diesen ein schwaches Leuchten verliehen. Er schloss die Augen und öffnete sie abermals. Dann erkannte er endlich den Schleier, der sich hinter die Stadt gelegt zu haben schien.

„Was ist das?“, fragte er verwirrt.

„Nebel oder... ein Schneesturm vielleicht.“, war es abermals Kain, der ihm antwortete. „Wir werden es besser sehen, wenn wir das Haus der Sayukas erreicht haben. Es liegt direkt vor dem Wald.“

Aidou nickte kurz und stieg als letzter wieder in seinem Wagen ein. Nebel? Das konnte er sich nicht so recht vorstellen. Der Schneesturm erschien ihm sehr viel wahrscheinlicher und verursachte ein flaues Gefühl in seiner Magengegend. Wieder war er froh, dass er sich keinen Wagen mit Kaname teilen musste. Dessen Aura war im Zug bereits kaum zu ertragen gewesen. Dabei hatte Kaname ein Wagon einzig für sich gehabt und niemand hatte es gewagt sich ihm zu nähern, selbst Takuma nicht.
 

Das Gasthaus „Zum goldenen Glück“ erreichten sie später, als gedacht. Der Schnee fiel nun dichter und blieb augenblicklich liegen. Erst am Morgen würden die Straßen geräumt werden, wenn es dann nicht bereits zu spät war. Kurz kam Aidou der Gedanke, dass man das hier gar nicht machte. Winter war hier allgegenwärtig, länger als bei ihnen im Süden. Vielleicht fuhr man im Winter auf Schlitten und nicht mit dem Auto. Er schüttelte den Kopf. Als müsste er sich darüber Gedanken machen. Er hatte nun wirklich andere Sorgen.

Wie auf ein Zeichen, stiegen dieses Mal alle aus. Aidou blickte sich um. Ein Schneesturm tobte hinter der Stadt. Der Wald schien eine unsichtbare Grenze gezogen zu haben, der die Stadt vor dem Sturm schützte - zumindest im Moment.

„Sie sind nicht da.“, sagte Kaname sofort. Einige nickten zustimmend.

Kaname machte einen Schritt nach vorn und die anderen setzten sich ebenfalls in Bewegung, bereit das Haus zu betreten und zu durchsuchen, um auch nur den kleinsten Hinweis auf den Verbleib von Yuki, Ai und Zero zu bekommen.

Aidou zögerte. „Ähm... Kaname-sama“, begann er und wartete bis Kaname stehen blieb und ihn sprechen ließ, „Ist es wirklich nötig, dass wir alle hinein gehen? Alle drei sind sie nicht hier, also wären es nur das Ehepaar der Sayukas und vielleicht ein paar Gäste. Möglicherweise wäre es besser, wenn nur ein paar von uns gingen. Es würde sie sonst... zu sehr verschrecken.“, äußerte er seine Bedenken.

Kaname blickte ihn kurz durchdringen an, als wäre es ihm egal, was aus den Leuten im Haus wurde. Doch er besann sich schließlich und nickte. „Du hast recht. Jinmu, ich nehme an sie begleiten mich. Wünschen sie noch jemanden mitzunehmen?“

Jinmu sah sich kurz unter seinen Leuten um. Eigentlich kam nur einer in Frage. Obwohl er sich wundertet, dass Kaito so schweigsam war, seit sie aufgebrochen waren. Sonst konnte er seinen großen Mund doch kaum geschlossen halten und hatte immer ein giftiges Kommentar auf den Lippen.

Er nickte kurz in dessen Richtung und der Hunter ging ebenfalls nach vorn.

Kaname deutet kurz auf Kain und Aidou. „Ihr geht vor. Ihr kennt sie bereits.“ Dann nickte er noch Takuma zu.

Aidou öffnete die Tür. Sie war nicht verschlossen und er erwartete die murmelnden Gespräche von Gästen zu hören. Doch alles war still. Das Ganze war mehr als merkwürdig.

Langsam schob er sich durch die Tür. Das Licht brannte über dem Tresen, doch niemand war dahinter zu sehen. Gleichzeitig mit seinem eintreten, hatten sich zwei Augenpaar auf ihn gerichtet. Als Aidou hinsah, wechselte der Blick in den Augen von hoffnungsvoll zu tief enttäuscht.

„Was machen sie hier?“, fragte Herr Sayuka verwundert und stand auf. Aidou fiel auf, dass er trotz der späten Stunde noch seine Arbeitskleidung trug. Frau Sayuka saß gebeugt über den Tisch. In ihrer Hand hielt sie einen Bilderrahmen, den sie fest an ihren Körper presste.

„Wir... wir sind auf der Suche nach...“, begann Aidou zögerlich, doch da fiel ihm Kaname ins Wort.

„Meiner Schwester, Kuran Yuki sowie Kiryuu Zero und dem Mädchen Ai.“, beendete Kaname seinen Satz und trat vor. In den Augen von Herr Sayuka sah Aidou Unsicherheit aufblitzen, doch offenbar hatte er sich schnell wieder gefangen. Stattdessen schaute er sie nun traurig an. Und noch etwas überrascht Aidou. Herr Sayuka schien über die Verwendung von Zeros richtigen Namen nicht im Geringsten überrascht. Hatte Zero ihm bereits die Wahrheit gesagt?

„Dann kommen sie zu spät.“, antwortete der Wirt ihnen. „Möchten sie etwas zu trinken?“

„Nein!“, antwortete Kaname, der über diese Auskunft nicht sehr erfreut war.

„Uhm... Herr Sayuka, es ist so, dass... uhm... Zero in unserer Heimat gesucht wird und Yuki... ist gegangen ohne ein Wort zu sagen und... wir machen uns Sorgen. Zero ist manchmal unberechenbar...“

„Zero hat uns vor wenigen Stunden einiges erzählt. Nicht die ganze Wahrheit natürlich, aber die interessiert mich auch nicht. Er hat auch gesagt, dass man ihn verfolgt und das sie besonders an Ai interessiert sind und das kann ich nicht gutheißen. Dass sie sich allerdings Sorgen um ihre Schwester machen, kann ich nur zu gut nachvollziehen.“, antwortete Herr Sayuka ruhig, ohne sich von Kanames stechenden Blick einschüchtern zu lassen.

„Diese ganze Angelegenheit geht sie nichts an. Wo ist er ?“, fragte Kaname mit gefährlich gesenkter Stimme.

„Oh doch, das tut es.“, widersprach der Wirt gelassen. „Zero arbeitet für mich und als sein Arbeitgeber trage ich eine gewisse Verantwortung für ihn. Desweitern ist uns Ai sehr ans Herz gewachsen. Wir würden alles für sie tun.“ Mit einem Lächeln an Aidou und Kain gewandt fügte er hinzu: „Sie sollten doch wissen, wie schwer man ihr wiederstehen kann.“

Unter Kanames Blick wurde Aidou leicht rot und ärgerte sich, dass er damit Harr Sayukas Aussage eigentlich bestätigte.

„Wo sind sie?!“, fragte Kaname zischend und dieses Mal schien Herr Sayuka Weise genug, ihm nicht zu wiedersprechen. Doch was er tat, war auf keinen Fall besser. Er schüttelte traurig den Kopf und sein Blick wanderte zur Tür.

„Sie sind da draußen.“, sagte er leise.

Kaname sog scharf die Luft ein. „Was soll das heißen?“

„Sie kamen gegen neun Uhr hier an. Sie wollten nur schnell ihre Sachen wechseln und sofort wieder aufbrechen. Als Zero und ihre Schwester meiner Frau erzählten, was geschehen ist – oder zumindest einen Teil davon – da ist Ai... allein losgegangen. Sie ist davon gelaufen. Niemand hat es bemerkt. Zero und Yuki sind sofort losgerannt, um nach ihr zu suchen, aber sie waren kaum eine dreiviertel Stunde draußen, als es anfing.“

„Was fing an?“, fragte Kain.

„Das was jedes Jahr beginnt.“ Herr Sayuka schluckte hörbar, als fiele es ihm selbst schwer davon zu erzählen. „Der Winter hat begonnen, eingeläutet von einer riesigen Lawine, die sich in das Tal ergießt.“ Im gleichen Moment kam von Frau Sayuka ein Schluchzen und sie schien sich das Bild noch fester an die Brust zu drücken. Eine Hand hatte sie vor den Mund geschlagen und versuchte das Zittern zu unterdrücken, das langsam ihren Körper erfasste.

„Sie meinen, sie waren da draußen, als eine Lawine sich gelöst hat?“, fragte Takuma ungläubig. Auch er war eine Spur blasser geworden.

„Das sagte ich doch gerade oder nicht?“, fragte Herr Sayuka und schien seine Bissigkeit wieder gefunden zu haben.

„Und seitdem sind sie da draußen?“, fragte nun Jinmu, der zum ersten Mal das Wort erfasste.

„Ja, das sind sie. Als sie nach Ai suchten, waren sie wohl schon zu tief im Wald, um noch umkehren zu können. Denn wenn sie es geschafft hätten, wären sie schon längt zurück. Den Pass können sie jetzt nicht mehr überqueren.“ Bevor einer der Anwesenden etwas sagen konnte, sprach Herr Sayuka weiter. „Allerdings gibt eine Hütte im Wald, die für genau solch eine Situation errichtet wurde. Zero weiß wo sie ist. Wenn sie sie erreicht haben, dann sind sie erst einmal geschützt. Es gibt dort Lebensmittel für ein paar Wochen.“ Dann fiel sein Blick abermals auf Kaname, der nun inzwischen erstaunlich ruhig wirkte.

„Sie scheinen nicht mehr ganz so besorgt um ihre Schwester zu sein, wie noch vor wenigen Augenblicken.“, wandte er sich nun direkt an Kaname.

„Ein bisschen Schnee, wird ihr nicht schaden können.“, antwortete dieser Sicher. Sie war ein Reinblut dachte er. Nichts konnte ihren Körper so leicht zerstören, selbst die Natur nicht. Und sie war noch in der Nähe, nicht weit von ihm entfernt. Einer Lawine würde sie leicht entkommen können.

Wie Zero und Ai allerdings auf das Wetter reagierten, konnte er nicht einschätzen. Waren sie wirklich direkt hineingeraten, würde es für das Mädchen wohl größere Schäden bedeuten. Aber er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass es vielleicht sogar besser für alle wäre, wenn sie es nicht geschafft hätte.

Und Zero... Unkraut würde immer wiederkehren. Das hatte er schon mehr als einmal bewiesen.

„Sie irren sich.“, sagte der Chefkoch leise.

„Das glaube ich nicht.“, antwortete Kaname sicher. Herr Sayuka schüttelte den Kopf. „Sie scheinen nicht zu verstehen. Diese Lawine ist so mächtig, als wären es tausende Tonnen Gestein, die auf einen zurollen. Es ist nicht einfach nur Schnee. Die Lawine beginnt an der Spitze der Berge und diese bestehen aus hartgefrorenem Eis. Auf ihrem Weg nach unten, reißen sie Steinmassen in unvorstellbarem Ausmaß mit und werden größer und gefährlicher, mit jeder Sekunde, die sie hinabrollen. Außerdem erreichen sie eine Geschwindigkeit, die unvorstellbar ist.

„Niemand kann das unbeschadet überstehen. Es ist einfach unmöglich.“, schüttelte er traurig den Kopf.

Nach einer weiteren Pause fügte er hinzu: „Das ist es nicht nur allein. Haben sie nicht gesehen, dass der Wald verschwunden scheint? Was glauben sie, was das ist? Schnee, jede Menge davon und der Blizzard hält noch immer an und es kann Tage dauern, ehe es vorüber ist. Zero hat es nur einmal gewagt bei diesem Wetter in den Wald zu gehen. Er wollte wissen, wie viel er aushalten konnte. Nach einer Stunde kehrte er zurück. Auch er hatte gelernt, die Natur zu respektieren. Er sagte damals, dass es undenkbar sei unter diesen Umständen länger im Wald zu bleiben.

„Wenn sie ihn kennen, wissen sie was solch ein Eingeständnis für ihn bedeutet.“

Kaname ließ die Worte des Wirts auf sich wirken. Konnte die Natur wirklich mächtiger sein, als ein Reinblut? Sie selbst waren ja nur eine Laune der Natur, wenn man es so wollte. Natürlich... die Natur besaß mehr Macht als jedes andere Wesen. Sie konnte Leben geben, aber genauso gut auch wieder nehmen. Zu oft hatte er dies erfahren müssen.

Aber Yuki war stark. Sie war kein unerfahrenes Kind mehr. Dennoch... er wusste nicht, was geschehen war. In welchem Zustand war Yuki gewesen, als die Lawine losgebrochen war? Was hatte Zero bereits mit ihr gemacht? Oder würde er seiner Pflicht weiterhin nachkommen und sie schützen, koste es was es wolle? Doch war an diese Stelle nicht bereits Ai getreten?

Dass er keine genaue Antwort darauf kannte, ließ ihn nur umso mehr zweifeln.

„Ich gehe sie suchen.“, sagte er daher knapp und entschieden.

Herr Sayuka lachte auf. „Nein, das werden sie nicht. Sie wissen nicht einmal, wo sie anfangen sollten. Die Hütte werden sie nicht finden. Nicht einmal ich würde das wahrscheinlich und ich weiß wohl am besten wo sie sich befindet. Da draußen besteht alles nur aus Schnee, nichts ist mehr zu erkennen. Aber sie können es versuchen, nur zu. Gehen sie an den Rand des Waldes und probieren sie ihr Glück. Ich werde ihnen inzwischen einen Tee bereiten. Sie werden ihn brauchen, wenn sie zurückkommen.“

Kaname warf dem Wirt einen scharfen Blick zu und Takuma befürchtete schon einen Moment, dass er sich vergessen würde, doch er verließ ohne ein weiteres Wort das Gasthaus. Takuma, Aidou, Kain und auch Kaito und Jinmu folgten ihm.

„Hat er wirklich vor sie zu suchen?“, fragte Kaito und klang wenige begeistert von der Aussicht in den vom Schnee verschluckten Wald zu gehen.

„Offenbar.“, antwortete Aidou und klang nicht weniger erfreut, als Kaname den Weg Richtung Wald einschlug. In der halben Stunde, die sie im Wirtshaus verbracht hatten, hatte sich das Wetter noch mehr geändert. Der Schneesturm hatte nun auch die Stadt erreicht. Er war zwar nicht so heftig, wie der im Wald, aber der sternenlose Himmel und das Pfeifen des Windes verlieh dem ganzen etwas äußerst Unheimliches.
 

Sie erreichten den Waldrand erst nach fünfzehn Minuten. Eine Strecke, die sie sonst in nicht einmal fünf Minuten zurückgelegt hätten. Der Wind schlug ihnen eisig in das Gesicht und der viele Schnee machte sie blind. Langsam beschlich Aidou das Gefühl, dass Herr Sayuka vielleicht recht hatte. Und warum sollte er auch nicht? Immerhin hatte er sein ganzes Leben in dieser Gegend verbracht. Er hatte also genug Zeit gehabt, um die Eigenheiten dieser Landschaft und des Klimas kennenzulernen.

Aidou zog seinen Mantel enger zusammen und stellte den Kragen auf, um zu verhindern, dass der Schnee ihm in den Nacken fiel.

Je weiter sie in den Wald hinein liefen, desto beschwerlicher wurde der Weg. Zu Beginn war es bis auf die schlechten Sichtverhältnisse noch relativ einfach gewesen, den Schnee zu durchqueren. Doch schnell lag er immer höher und der Wind schuf immer wieder neue Schneedünen vor ihnen. Es machte den Weg unberechenbar und es dauerte nicht lange bis sie zu den Knien in der weißen Masse versanken.

„Kaname-sama, vielleicht sollten wir...“, sagte Aidou vorsichtig, wagte es aber nicht seine Worte zu Ende zusprechen. Er würde Kaname folgen, ganze egal, was dieser entschied.

„So ein Mist!“, schimpfte Kaito hinter ihm laut und hatte den Mantel ebenfalls so fest es ging geschlossen. Er konnte ihn verstehen, dachte Aidou. Sie waren Vampire und ihnen wurden nicht so schnell kalt. Die Hunter waren vielleicht keine gewöhnlichen Menschen, dennoch musste die Kälte ihnen erheblich mehr zusetzen. Er hielt an, als Kaname unvermittelt stehen blieb.

Das Reinblut blickte auf die Wand aus Schnee, die sich vor ihnen aufgebaut hatte und sich endlos erstreckte. Es war mehr als er erwartet hatte, dennoch würde er noch eine Weile weiter laufen können. Der Drang Yuki zu finden nagte an ihm und die Worte des Gastwirtes halten noch in seinem Gedächtnis nach. Er hatte es unterschätzt, musste er sich eingestehen.

Genauso wie er sich eingestehen musste, dass er Yuki wohl nicht finden konnte. Er kannte die Gegend nicht und durch den Schnee konnte er nicht richtig einschätzen wohin er ging, welchen Weg er einschlug und ob er eine Stelle nicht doch schon einmal passiert hatte. Ebenso konnte er sie oder auch Zero bisher nicht spüren. Hatte die Natur solch einen Einfluss auf seine Sinne? Kaname hatte die Karte von Koritokái im Kopf und wusste, dass der Wald sich über mehrere zehntausend Quadratmeter erstreckte und unübersichtlich war. Er konnte ungefähr bestimmen, wo er selbst sich befand, aber er wusste nicht, wo die Hütte stand. Sie war auf keiner der Karten vermerkt gewesen.

Kaname Kuran atmete scharf aus. Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er Yuki fand – ganz gleich, wie lange oder mit wie vielem Männern er nach ihr suchen würde.

Dieser Gedanke versetzte ihm einen solch tiefen Stich ins Herz, wie er es bisher nur wenige Mal empfunden hatte. Immer dann, wenn ein Stück von seiner Welt zerbrochen war. Er war machtlos, gänzlich der Natur und ihrem Wohlwollen ausgeliefert. Er fühlte sich Hilflos.

Etwas was er schon seit langer Zeit nicht mehr empfunden hatte.

Aber sollte er einfach umkehren und abwarten was geschehen würde? Sollte er darauf vertrauen, dass Yuki stark genug war? Sollte er auf Zeros Pflichtgefühl vertrauen, darauf dass er sich seiner Funktion als Schild immer noch bewusst war? Aber vor allem, würde das Band zwischen seiner Schwester und diesem Mann, welches in den vergangenen Jahren fast gerissen war, nicht wieder fester werden?

Vorausgesetzt sie war bei ihm.

„Kaname-sama, was sollen wir tun? Wir können nicht weiter.“, hörte er Takuma neben sich. Er wusste, dass der blonde Vampir neben ihm stand, doch er hörte ihn nur undeutlich.

Einen Moment zögerte er noch, dann gab er das Handzeichen zur Umkehr.

Es war sinnlos durch den Wald zu laufen, ohne Orientierung und ohne dass man sich auf seine eigenen Sinne verlassen konnte.

Im Moment ging es Yuki gut. Er war davon überzeugt, es zu wissen, wenn es nicht so wäre. Er musste auf sie und ihre Fähigkeiten vertrauen. Wenn das Wetter sich beruhigte, würden sie sich auf die Suche machen.

In der Zwischenzeit würde sie nicht untätig bleiben.
 

Kain und Aidou kehrten abermals in das Gasthaus „Zum goldenen Glück“ ein.

„Sie sind schon zurück. Hier ist der versprochene Tee.“, begrüßte Herr Sayuka sie scheinbar freundlich und reichte ihnen auch gleich zwei großer Tonbecher, die er bei ihrem eintreten aufgegossen hatte. „Ich sagte doch, dass es ein aussichtsloses Unterfangen ist.“

Aidou nickte kurz und ungeachtet dessen, dass das Getränk noch sehr heiß war, nahm er einen Schluck. Natürlich bereute er es gleich wieder, als er sich die Zunge daran verbrannte.

Kain rollte kurz mit den Augen und schenkte dem keine weitere Beachtung.

„Wann kann man damit rechnen, dass das Wetter sich beruhigt?“, fragte er und legte gleichzeitig die Hände um die Tasse. Auch er war durchgefroren.

Herr Sayuka zuckte mit den Schultern. „Es ist unterschiedlich. Letztes Jahr dauerte es nur zwei Tage an, davor das Jahr sechs. Ich weiß wirklich nicht, wie viele es dieses Jahr sein werden. Der Wetterbericht spricht vorsichtig von vier, aber das kann sich schnell ändern. Das längste in den letzten 200 Jahren waren 21 Tage. Es muss furchtbar gewesen sein. Viele Menschen sind erfroren.“

„Wie kommt es dann, dass sie trotzdem so ruhig sind?“, fragte Aidou ihn nun und warf einen verstohlenen Blick auf dessen Frau, die den Bilderrahmen noch immer festumklammert hielt. Sie schien es weniger gefasst aufzunehmen, als ihr Mann.

„Das bin ich nicht, keineswegs.“, antwortete Herr Sayuka mit einem müden Lächeln. „Aber ich vertraue darauf, dass sie heil zurückkommen werden. Was anderes bleibt mir... uns doch gar nicht übrig.“ Nun klang er schon nicht mehr so gelassen und von seiner Schlagfertigkeit war nichts mehr zu spüren.

„Kira wird sie beschützen.“, sagte Frau Sayuka auf einmal mit brüchiger Stimme. „Ich weiß es. Er wird sie zu uns zurückbringen.“

Kain sah seinen Cousin an und er nickte einvernehmlich. Es schien nicht angebracht jetzt danach zu fragen. Es war bereits zu spät und offenbar schien diesen Thema tiefer zu gehen.

„Wir kehren ins ‚Koritokái‘ ein.“ Es war jenes Hotel, das sie auch schon mit Yuki bewohnt hatten. „Wir werden sie morgen noch einmal aufsuchen müssen. Zero... und Ai... wir können sie zwar im Moment nicht suchen, aber wir wollen so viel wie möglich über ihren Verbleib hier erfahren. Wir möchten uns ein Bild machen.“

„Ich weiß nicht, was ihr denkt, was er getan hat. Aber ich werde euch nicht viele Auskünfte geben können. Er wohnt erst seit fünf Jahren hier. Damals ist er mit Ai in dieser Stadt aufgetaucht und suchte nach Arbeit. Was er vorher getan hat oder wo er gelebt hat, kann ich euch auch nicht sagen. Von dem Davor hat er nie gesprochen.“, antwortete Herr Sayuka.

„Das dachten wir uns schon.“, seufzte Aidou. „Dennoch kommen wir morgen noch einmal, um näheres von ihnen zu erfahren. Das hält uns wenigstens beschäftigt.“, sagte er ehrlich und seufzte anschließend.

„Wir ihr meint.“

„Sie sollten sich vielleicht hinlegen. Es könnte morgen anstrengend für sie werden.“, gab Kain den Rat. Er hatte sich zurückgehalten, weil es Aidou einfach besser verstand auf Menschen zuzugehen. Das musste er ihm wirklich lassen.

„Nein.“, sagte Herr Sayuka kopfschüttelnd. „ Meine Frau und ich können bei diesem Wetter seit Jahren kaum schlafen. Und jetzt da Freunde da draußen sind erst recht nicht.“

Kain nickte kurz und verließ mit Aidou das Gasthaus.

Kaname saß bereits in seinem Wagen und als er sah, dass Aidou und Kain zurückkehrten und ihren bestiegen, gab er dem Fahrer ein Zeichen dem zu folgen. Sie hatten von einem Hotel gesprochen.

Er sah aus dem Fenster und der Schneesturm war vorgerückt. Die Straßen würden bei Morgenanbruch nicht mehr mit dem Auto befahrbar sein. Er schloss die Augen und seine Gedanken kehrten zu seiner geliebten Schwester zurück.

Solange wie sie nicht bei ihm war, würde er sich mit Zeros Vergangenheit auseinandersetzen. Er interessierte sich nicht im Geringsten dafür, aber es würde ihn einen Hinweis darauf geben, wie das Mädchen weiter einzuschätzen war.
 

Herr Sayuka sollte recht behalten. Der Schnee dauerte an, und den Wolken am Himmel nach zu urteilen, würde es so bleiben. Kein Sonnenstrahl drang durch sie hindurch. Obwohl die Vampire sonst tagsüber schliefen, waren sie am nächsten Morgen alle munter und hatten sich zusammen mit den Huntern im Konferenzraum des Hotels eingefunden. Der große Tisch bot ihnen allen genügend Platz.

„Uns bleibt wirklich nichts anderes übrig, als zu warten?“, fragte Senri Shiki ungläubig, als Kaname und Jenmu noch einmal von den Ereignissen der vergangenen Nacht berichtet hatten.

„Sieht ganz danach aus.“, antwortete Aidou. „Es wäre Wahnsinn da raus zu gehen und zu versuchen sie zu finden. Ich habe heute Morgen mit der Rezeptionistin gesprochen und sie hat eigentlich nur das bestätigt, was Herr Sayuka gestern Nacht schon sagte. Niemand wagt sich da raus, es sei denn er will den Tod finden und man kann nie sagen, wann es enden wird.“

„Was machen wir jetzt?“, fragte Kaito. Er lag mehr in seinem Stuhl, als das er darauf saß, die Beine von sich gestreckt und sah reichlich gelangweilt aus.

„Wir werden auf sie warten.“, antwortete Kaname. „Auch ihnen wird nichts anderes übrig bleiben und hierher zurückkommen, wenn der Blizzard sich gelegt hat.“

„In der Zwischenzeit werden wir in Erfahrung bringen, was Zero und dieses Mädchen in den letzen Jahren hier gemacht haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er hier wirklich einfach nur gelebt und gearbeitet hat.“, sagte Jinmu und warf Kaito einen scharfen Blick zu, so dass dieser sich aufrecht hinsetzte – zumindest für eine kurze Zeit.

„Wie lange wohnt er schon hier?“, fragte nun ein anderer.

„Fünf Jahre.“, antwortete Aidou gleich. „Er sei mit Ai in die Stadt gekommen und hätte Arbeit gesucht. Daraufhin hat ihn der Wirt des ‚Goldenen Glücks‘ eingestellt. Das hat er zumindest gestern noch erzählt.“

„Und wo fangen wir an?“, fragte Kaito, der schon wieder gelangweilt aussah.

„Bei den Sayukas, den Wirten des Gasthauses.“, antwortete Kain. „Zero hat dort eine Wohnung. Sie werden es am ehesten wissen, wenn irgendetwas auffällig war.“

„Auffällig? Zum Beispiel, wenn Zero sich nachts raus geschlichen hat um seine Beute zu suchen? Oder wenn das Mädchen sein Fleisch besonders roh mag?“, fragte Kaito direkt und etwas überspitzt.

„Ja, so ähnlich.“, antwortete Jinmu und überging den Rest.

„Aber hätte man so etwas überhaupt bemerkt?“

„Das werden wir herausfinden.“, sagte Kaname. „Wo können wir noch nach Hinweisen suchen?“

Aidou zuckte kurz mit den Schultern. „Eigentlich denke ich, könnten wir überall nachfragen. Als wir das erste Mal hier waren, hatte ich das Gefühl, dass jeder sie kennt, besonders Ai.“

„Wir können aber nicht an jeder Haustür klingeln.“, erwiderte Jinmu.

„Es gibt dieses Eiscafé ‚Mika‘, dass Ai sehr mag. Außerdem natürlich noch ihre Schule, dann noch den ‚Ratskeller‘ Auch hier im Hotel kennt man Zero. Allerdings natürlich unter den Namen seines Bruders.“, antwortete dieses Mal Kain.

Jinmu brummte kurz in sich hinein. Das Zero Ichirus Namen benutzt hatte, hatte er nicht erwartete, eigentlich niemals damit gerechnet. Jeden anderen Namen, aber nicht diesen.

„Jetzt mal ernsthaft: Nach was genau sollen wir fragen?“, wollte Kaito nun wissen, lehnte sich scheinbar interessiert nach vorn und blickte in die Runde. Aidou und Kain sahen merkwürdigerweise nach unten, die anderen Vampire sahen auf Kaname, ebenso wie die Hunter auf Jinmu.

„Alles.“, antwortete Jinmu schlicht. „Wir wollen Eigenheiten, Vorlieben, Gewohnheiten und vielleicht auch Besonderheiten, besonders bei dem Kind herausfinden. Irgendetwas was auf ihre Herkunft hindeutet.“

„Etwas, was sie als gefährlich ausweist?“, forderte Kaito eine weitere Antwort.

„Vielleicht.“

„Klingt nach einem ziemlich großen Feld.“, sagte Kaito abschließend. Er wusste nicht warum, aber er hatte das Gefühl, dass diese ganze Unternehmung ins Leere laufen würde. Keiner wusste so recht, wo er anfangen sollte oder welche Ergebnisse erwartete wurden. Und das nervte ihn. Vielleicht hätte er Zero gleich vernichten sollen, als er die Chance dazu gehabt hatte. Dann hätte er sich das hier ersparen können. Andererseits konnte er nicht leugnen, dass es doch recht interessant war herauszufinden, welcher Illusion sich Zero hingegeben hatte. Hatte er sich wirklich mit dem Kind so etwas wie ein Leben aufgebaut? Lächerlich.

„Kaname und ich werden in das Gasthaus gehen.“, sagte Jinmu entschieden.

Kaname nickte zustimmend. „Aidou und Kain, ihr gebt den anderen weitere Anhaltspunkte, wo sie beginnen können. Aidou du wirst uns dann begleiten. Sie werden mehr erzählen, wenn jemand bekanntes dabei ist.“

„Gut.“

„Dann beginnen wir.“

Aidou blickte kurz nach draußen. Der Schneesturm war noch immer so heftig, wie in der Nacht zuvor. Er war nicht erfreut nach draußen zu gehen, aber noch weniger den Sayukas erneut gegenüber zu treten.
 

„Sie schon wieder.“, sagte Herr Sayuka, als er die Tür öffnete und die drei Männer erblickte. Dabei klang seine Stimme keineswegs unfreundlich.

„Kuran-sama kennen sie bereits. Dies hier ist Jinmu-sama. Er ist der Chef, der... Untersuchungskommission.“, sagte Aidou nach kurzem zögern flüssig. Es war das einzige, was ihm auf Anhieb eingefallen war und was halbwegs glaubwürdig klang.

Überrachenderweise lachte Herr Sayuka laut auf, schloss dann aber sofort erschrocken den Mund. „Meine Frau ist endlich eingeschlafen.“, sagte er im Flüsterton entschuldigend. „Ich muss sie bitten leise zu sein.“,

Die drei nickten kurz und folgten Herr Sayuka, der sie weiter in den Gastraum führte und ihnen einen Tisch zeigte, an den sie sich setzten. „Möchten sie etwas zu trinken?“, fragte er weiter höflich.

„Nein, danke. Wir sind keine ihrer Gäste.“, erwiderte Jinmu.

„Keine zahlenden, das mag sein, aber dennoch im Augenblick meine Gäste.“, erwiderte Herr Sayuka gelassen. „Darf es also was sein?“

„Nein.“, antwortete Kaname noch einmal und klang gereizt.

„Wir haben gerade erst gefrühstückt.“, sagte Aidou entschuldigend.

„Der Weg hierher war sicher nicht angenehm.“, fuhr Herr Sayuka im Plauderton fort und setze sich ebenfalls. „Die Gehwege sind aber sicher schon geräumt. Meine Ware kommt auch später. Wir verzichten im Winter auf Autos oder Kutschen und nehmen die Schlitten, ist praktischer.“

„Herr Sayuka, wir sind wegen Zero hier.“, unterbrach ihn Kaname. Er wollte nicht weiter seine Zeit mit unwichtigem Geplauder vertrödeln.

„Ich weiß. Entschuldigen sie vorhin mit Lachen. Zero hat uns schon gesagt, dass man uns so etwas erzählen wird, deswegen fand ich es recht amüsant.“

„Es freut uns, dass wir sie erheitern konnten.“, sagte Kaname kühl. Er war nicht zu Scherzen aufgelegt.

„Sie wissen also, dass es nicht die Wahrheit ist.“, stellte Jinmu fest. „Sind sie denn an der Wahrheit interessiert?“, fragte er gerade heraus.

„Ich weiß nicht. Sollte ich daran interessiert sein?“

„Das kommt darauf an, wie schreckhaft sie sind.“

Herr Sayuka winkte ab. „Glauben sie mir, den größten Schock meines Lebens habe ich schon hinter mir.“ In seiner Stimme klang wieder der seltsame Unterton, den Aidou gestern Abend schon in seiner Stimme gehört hatte. Wieder konnte er sich ihn nicht erklären. „Aber nein, ich möchte es nicht wissen. Zero hat es uns nicht erzählt, um uns zu schützen und so soll es bleiben. Also fangen sie schon an, mich zu fragen. Doch eines sollten sie bereits im Voraus wissen.“

„Und das wäre?“, fragte Jinmu.

„Zero ist ein rechtschaffender Mann, der sich in der Zeit, die er hier lebt, nichts zu Schulden kommen lassen hat. Er und Ai kamen hier als Fremde an und haben sich innerhalb kürzester Zeit eingegliedert. Zero arbeitet hart und durchgehend und ist Ai ein sehr guter Vater. Er liebt das Mädchen abgöttisch, auch wenn es nicht seine eigene Tochter ist und man sieht, dass sie das gleiche empfindet.

„Sie gehören zu unserer Stadt und sollten sie diesen beiden Schaden wollen, wird sich die ganze Stadt gegen sie stellen. Wir werden nicht zulassen, dass beiden etwas geschieht.“

„Wie können sie das sagen, wenn sie noch gar nicht wissen, worum es geht, wenn sie ihn doch gar nicht richtig kennen.“, fragte Kaname mit harter Miene.

„Das was vorher war, muss ich nicht wissen. Ich denke nicht, dass sich Zero in diesen Jahren verstellt hat. Ich habe schnell gemerkt, dass er immer sagt, was er denkt. Und ihre Schwester hat alles getan, um die beiden in Sicherheit zu wissen, dass sollte für sie Beweis genug sein. Sollte auch sie sich so sehr in den beiden getäuscht haben? Das glaube ich nicht. Sie wird ihren Entscheidung nicht ohne Grund getroffen haben.“

Kaname sah ihn scharf an und musste abermals die Wut unterdrücken. Woher nahm sich dieser einfache Mensch das Recht so über seine Schwester zu sprechen?

„Sie wissen nicht worauf sie sich einlassen.“, sagte Aidou warnend an Herr Sayuka gerichtet.

„Das spielt keine Rolle. Hier in Koritokái halten wir seit jeher zusammen. Kommt jemand in unsere Stadt und entscheiden sich dafür hier zu bleiben, wird er einer von uns. Die Einwohner Koritokáis stehen hinter ihnen. Ganz gleich, was Zero getan hat... oder Ai.“

„Er hat jemanden getötet.“, sagte Kaname direkt und sah Herr Sayuka lauernd an. Niemand konnte bei so einer Nachricht ruhig bleiben. Tatsächlich weiteten sich die Augen des Wirtes für einen kurzen Augenblick, bevor er sich wieder zu fangen schien.

„Warum?“, war das erste was Herr Sayuka nun fragte.

Jinmu sah Kaname an und schien von ihm eine Antwort zu erwarten. Er hatte es begonnen und würde es nun zu Ende bringen müssen.

„Warum ist das, das erste was sie wissen wollen?“, fragte Aidou schließlich.

„Wie alt sind sie?“, fragte Herr Sayuka und verwirrte ihn damit nur noch mehr.

„Uhm...26.“, log Aidou. Optisch mochte das auch stimmen, aber dafür war er schon verdammt lange 26 und würde es auch noch eine Weile bleiben. Was für ein Alter hatte Zero dem Wirt wohl angegeben?, wunderte er sich kurz. Er sah zwar reifer aus, aber keinesfalls wie Ende dreißig.

„Dann fehlt es ihnen noch an viel Erfahrung. Nichts geschieht ohne Grund. Wenn er so etwas getan hat, dann wird er diesen Grund gehabt haben. Und so wie ich ihn kenne und mal raten darf, hat er so gehandelt um jemanden zu beschützen.“

„Sie scheinen großes Vertrauen in ihn zu setzen.“, merkte Kaname an.

„In der Tat, das tue ich. Sonst würde ich ihn wohl kaum hier wohnen lassen, nicht wahr?“

„Er wollte Rache für seinen Bruder. Der, den er getötet hat, hat zuvor seinen Bruder tödlich verletzt.“

Herr Sayuka sah Kaname lange in die Augen, bevor er antwortete. „Ich nehme an, da fehlt noch etwas zu der Geschichte. Aber das will ich auch gar nicht wissen. Es ändert nichts an meiner Einstellung zu ihm oder Ai.

„Also... was möchten sie von mir wissen?“

„Wann ist Zero das erste Mal in Koritokái gesehen worden?“, fing Jinmu an.

„Das war kurz vor Winteranfang vor fünf Jahren. Nur zwei Tage später setzte die Lawine ein und der Schneesturm fegte über die Stadt. Ai war damals sechs und sehr ängstlich.“

„Warum war verhielt sie sich so?“

„Warum sie so ängstlich war? So genau, weiß ich das nicht, aber Zero sagte einmal, dass sie wohl etwas gesehen haben muss, was niemand sehen sollte. Das habe ich zwar nicht ganz verstanden, aber ich wollte nicht weiter nachfragen.“

„Was war ihr erster Eindruck von ihnen?“

Herr Sayuka überlegte einen Moment. „Mmh... Ai war damals schon ein sehr hübsches Mädchen, aber ihre Augen schienen schon sehr viel Schreckliches gesehen zu haben. Sie schauten immer irgendwie ängstlich und traurig. Im Laufe der Jahre ist das verschwunden und das Leuchten zurückgekehrt. Zu Beginn blieb sie immer in Zeros Nähe und hat sich nie weit von ihm entfernt. Erst im darauffolgenden Sommer, als sie schon ein dreiviertel Jahr in der Schule war, taute sie langsam auf. Sie fand viele Freunde und lachte immer häufiger, bis sie schließlich wieder zu dem Kind wurde, was auch sie kennengelernt haben.“, sagte er an Aidou gewandt. „Zero hat ihr dabei geholfen. Er hat sie nie lange allein gelassen, hat ihr immer zugehört, wenn sie des Nachts von Alpträumen geplagt wurde und war auch sonst sehr geduldig mit ihr.“

„Was ist mit Zero?“

„Er erschien mir von Anfang an sehr ernst und introvertiert. Einzig bei Ai ging er aus sich heraus und versuchte hin und wieder auch mal so etwas wie ein Lächeln. Bei unserem ersten Gespräch wirkte er zudem sehr nachdenklich auf mich, sein Blick war ruhig, dennoch irgendwie verschwommen. Auch er ist erst in Ais Gegenwart aufgelebt. Über sich selbst hat er nie viel erzählt, nicht einmal wo er ursprünglich herkommt. Am Anfang kam mir das schon merkwürdig vor, aber irgendwann haben meine Frau und ich aufgehört danach zu fragen. Es geht uns auch nichts an. Jeder hat sein eigenes Päckchen im Leben zu tragen.“

„Was denken sie darüber, dass er einen falschen Namen genannt hat?“

„Nun unter den gegebenen Umständen und der Tatsache, dass sie ja immer noch nach ihm suchen, kann ich das verstehen. Hätte er seinen richtigen Namen genannt, hätte er dieses ruhige Leben wohl keine fünf Jahre führen dürfen.“

„Wie kam es das Zero hier eine Wohnung von ihnen bekam?“

„Die Wohnung, die die beiden bewohnen, gehört eigentlich meinem Sohn Sasuke. Wir haben damals unsere Wohnung zu zweien Umbauen lassen, einfach um ihm Privatsphäre geben zu können. Sasuke hat sich dann dafür entschieden zur See zu gehen und die Wohnung stand drei Jahre leer. Als Zero herkam und sich um die Stelle als Zweitkoch bewarb, habe ich ihm die Wohnung angeboten. Ai war mit dabei und sie tat mir irgendwie leid, wie sie sich unsicher umschaute, ohne Freunde oder Bekannte. Also sagte ich zu ihm, dass wenn er den Test bestand, er die Wohnung bekommen könnte.“

„Was war das für ein Test?“

„Er musste mir ein vier Gänge Menü für sechs Personen kochen.“

„Wie hat er reagiert?“, das wollte nun Aidou wissen. Wieder lachte Herr Sayuka bei der Erinnerung daran.

„Er hat vor sich hingestarrt und ich dachte schon, ich hätte ihn überfordert. Als ich sagte, dass wir auch erst mal mit etwas leichterem anfangen könnten, lehnte er ab und sagte, er habe zwar noch nie für sechs Personen gekocht, dafür aber für eine Person, die so viel wie sechs essen konnte. Ich frage mich immer noch wen er eigentlich meinte.

„Alles in Ordnung mit ihnen?“, fragte er nun an Aidou gewandt, der sich verschluckt hatte und laut hustete.

„Ja, danke es geht schon.“, sagte Aidou heißer und hoffte, dass niemand sah, dass er rot geworden war.

„Gab es in den Jahren, die die beiden bei ihnen lebten irgendwelche Auffälligkeiten, die sie stutzig gemacht haben?“, fragte nun Kaname das erste Mal.

Herr Sayuka überlegte einen Moment. „Nein, eigentlich nicht. Ich weiß nicht, wie meine Frau das empfindet, aber mir fällt dazu nichts sein. Zero ist immer pünktlich bei der Arbeit und erledigt sie außerordentlich gut. Um genau zu sein, ist er so gut, dass ich ihm sehr schnell mehr Verantwortung übertrug. Er nimmt die Ware an, kümmert sich um Bestellungen und die Planung des Menüs bei Feierlichkeiten.

„Dabei hat er seine Pflichten und Aufgaben Ai gegenüber nie vernachlässigt. Die ersten zwei Jahre hat er sie sogar täglich zur Schule gebracht. Dann hat sie sich mit Freunden getroffen oder meine Frau bringt sie hin und wieder. Nachmittags, wenn wir Pause haben, macht Zero mit ihr Hausaufgaben und lernt mit ihr, was wenn sie mich fragen, sehr sehr viel Geduld erfordert. Mehr als man ihm vielleicht zutrauen würde, wenn man ihn sonst so kennt.“, schmunzelte der Wirt kurz. „Ebenso vernachlässigt er seine Pflichten gegenüber der Schule nicht. Elternabende, Elterngespräche oder Veranstaltungen besucht er immer.

„Wenn sie mich also fragen, ob etwas seltsam ist, dann vielleicht, dass er einfach ein zu guter Vater ist. Glauben sie mir... ich war nie so. Meine Frau hat das alles erledigt.“ Herr Sayuka grinste verlegen und strich sich durch das dunkelbrauen Haar.

„Das klingt ja alles ganz nett, aber ist er nicht manchmal einfach... verschwunden?“, fragte Jinmu herausvordernd.

„Nein, wo sollte er denn hinwollen? Wie gesagt, einmal ist er in den Wald gegangen, wollte testen, wie weit er wohl kommen würde, aber das hat er dann schnell aufgegeben. Er hat auch hin und wieder die Gegend erkundigt, am Anfang häufiger. Aber das ist normal, wenn man irgendwo neu hinzuzieht oder nicht?“

„Mmh.“, brummte Jinmu. Das war nichts, was ihnen weiterhalf. Es klang nach einem langweiligen und recht gewöhnlichen Leben. Doch wie hatte er seinen Durst nach Blut kontrolliert? Waren die Ausflüge in den Wald die Antwort? Aber warum war es dann am Anfang mehr als jetzt? Ein Blick zu Kaname verriet ihm, dass er wohl ähnliches dachte, denn sein Blick war auf die Treppe gerichtet, die nach oben wohl zu den Wohnungen führte.

„Danke für ihre Antworten. Im Moment haben wir keine weiteren Fragen. Wir werden warten, was die anderen herausgefunden haben. Allerdings würden wir uns gern die Wohnung der beiden anschauen.“

„Das behagt mir nicht.“, antwortete Herr Sayuka. „Es ist ihr privater Rückzugsort, der niemanden etwas angeht. Selbst ich war nie ungefragt darin. Aber ich nehme an, wenn ich es ihnen verweigere, werden sie nur misstrauischer und ich bin mir sehr sicher, dass sie nichts finden werden. Also kommen sie.“

Herr Sayuka stand auf und ging ihnen voran die Treppen nach oben und dann den Flur entlang. „Bitte seien sie weiterhin leise. Ich werde nach meiner Frau sehen.“, sagte der Wirt und öffnete ihnen die Tür.

Aidou, Jinmu und Kaname traten nacheinander ein und sahen sich um. Für Aidou war dieser Anblick nicht allzu neu. Er öffnete die erste Tür auf der rechten Seite und blickte in das Bad. „Hier ist das Bad und das Zimmer daneben ist Ais Kinderzimmer.“, erklärte er den beiden anderen Männern. „Dann muss das hier...“, murmelte er und stieß links die Tür auf, „Das ist Zero Schlafzimmer und daneben das Wohnzimmer. Die Küche ist gerade aus.“

„Nimm sein Schlafzimmer, Jinmu sie nehmen die Küche und ich werde mir das Kinderzimmer ansehen. Vielleicht ist diese Spieluhr noch da.“

Aidou nickte kurz öffnete die Tür zur Zeros Schlafzimmer. Es war ihm unangenehm diesen Raum zu betreten. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie Zero reagieren würde, würde er es erfahren. Nein, das wollte er sich wohl lieber nicht vorstellen.

Er öffnete die erste Schranktür und blickte auf einen Stapel ordentlich zusammengefalteter Shirts. Mit den Fingerspitzen faste er den Stapel unten an und zog ihn heraus. Dahinter fand er nichts als die Wand des Schrankes. Welch Überraschung, dachte er bissig.

Aidou wusste, dass man von ihm erwartete den Stapel ganz genau zu durchschauen. Dabei glaubte er selbst nicht irgendwas zu finden. Zero erschien ihm einfach nicht der Typ der irgendwas... Verbotenes in seinem Schrank aufbewahrte. Er durchsuchte den Stapel gelangweilt und fand wie erwartet nichts. Also machte er sich an das nächste Fach des Schrankes und nahm sich die Hosen vor. Hoffentlich blieb ihm die Unterwäsche erspart, überlegte er grimmig.

Kaname hingegen stand in Ais Zimmer und ließ seinen Blick schweifen. Auch hier konnte er Zeros und Yukis Präsenz noch spüren. Die Spieluhr konnte er nicht entdecken. Auf dem Boden lagen Bücher, Kleidung und sogar Kuscheltiere. Sorge Zero so für Ordnung bei dem Kind? Das Bett hingegen war gemacht und Kaname wurde klar, dass es schon ein paar Tage nicht mehr genutzt worden war. Wie Aidou ging auch er zuerst zum Schrank, öffnete ihn und schob kurz ein paar Sachen zur Seite. Er fühlte auch einen kurzen Moment zwischen den Dingen, konnte aber nichts Verdächtiges finden. Dann ging er zu ihrem Nachttisch und zog die Schublade auf. Nur ein paar Haarbänder und eine Tüte mit Süßigkeiten. Kaname hob fragend eine Augenbraue. Das verstand Zero also unter Kindererziehung.

„Ich habe was gefunden.“, rief Jinmu plötzlich aus er Küche und Kaname blickte sich noch einmal um, verließ dann das Zimmer. Es war nichts weiter als ein typisches Kinderzimmer.

„Was haben sie?“, fragte er das Hunteroberhaupt, während auch Aidou die Küche betrat.

„Das hier.“, antwortete dieser und zeigte ihnen eine Schachtel in der sechs recht große Gläser aus dunklem Glas standen. Sie alle waren mit einem weißen Plastedeckel verschraubt. Jinmu nahm eines aus der Schachtel, um es ihnen besser zu zeigen. Er nahm eines heraus und es passte scheinbar perfekt in seine Handfläche. Es war so groß, dass es sich perfekt in seine große Hand legte.

„Ist es das was ich denke?“, fragte Aidou und trat nach vorn. Er nahm Jinmu das Glas aus der Hand und hielt es gegen das Licht. Im Inneren sah er lauter kleine, flache Tabletten, die ein leises, klirrendes Geräusch erzeugten, wenn sie gegen das Glas schlugen.

„Diese hier war angebrochen.“, sagte Jinmu weiter und zeigte ihnen ein bereits geöffnetes Glas.

„Geben sie es mir.“, sagte Aidou und nahm das zweite Glas in den Hand. Das andere stellte er in den Karton zurück. Er öffnete das Glas und ließ eine Tablette auf seine Hand fallen. Dann nahm er diese in den Mund und zerbiss sie kurz.

„Das sind eindeutig Bluttabletten.“, sagte er dann. „Diese Menge reicht mindestens für ein halbes Jahr, selbst mit hohem Verbrauch.“

„Das erklärt zumindest, wie er seinen Blutdurst unter Kontrolle behält.“, schlussfolgerte Jinmu.

„Er wird sich daran gewöhnt haben. Er braucht kein Blut mehr, zumindest nicht in Mengen und über einen längeren Zeitraum hinweg.“, sprach Aidou.

„Irgendwie langweilig.“, merkte Jinmu an.

„Aber wo hat er die her?“, fragte sich Aidou laut. Jinmu zuckte kurz mit den Schultern.

„Habt ihr noch irgendwas anderes gefunden?“, fragte Kaname. In seiner Stimme lag ein unzufriedener Ton, der deutlich machte, dass ihm das alles nicht gefiehl.

„Nein, im Schlafzimmer nicht.“, antwortete Aidou sofort.

„Nur die Tabletten und bei dem Mädchen?“, sagte Jinmu.

„Nein.“

„Ich schau noch schnell im Bad nach, aber ich denke, das war alles.“, bot sich Aidou an.

Jinmu stellte die Bluttabletten auf den Küchenschrank. „Die können wir wohl hier lassen. Besonders interessant oder außergewöhnlich ist es ja nicht gerade. Bestätigt eigentlich nur das, was der Wirt erzählt hat: Sie haben ein ruhiges und normales Leben hier gehabt.“ Jinmu seufzte kurz hörbar auf. Das ist so typisch für Zero, gestand er sich ein.

„Lasst uns sehen, was die anderen herausgefunden haben.“, wandte Kaname ein. Er wollte nicht glauben, dass Zero wirklich unschuldig war. Das Kind würde zu einer Bedrohung für sie werden und er hatte gewiss seinen Anteil daran.
 

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Ich denke, so schlimm war es gar nicht oder? -.^ Immerhin habt ihr es bis hierher geschafft, deswegen geh ich mal davon aus. XP

Also... wir lesen uns im nächsten Kapitel 22 und vielleicht eventuell werden wir dann herausfinden, was Yuki, Zero und Ai gerade so treiben. Oder aber Kaname findet noch etwas höchst Spannendes und interessantes heraus, was er euch unbedingt mitteilen muss. Lassen wir uns also überraschen!
 

glg maidlin
 

PS: Ich hab den Namen des Oberhauptes auf Hinweis von enni nochmal geändert. Hoffe, ich hab alle Stellen erwischt. Wenn nicht, sagt mir noch mal genau wo, dann kommt das noch.

Sayuka Kira

Ich hätte nicht gedacht, dass ich das noch mal schaffe. >.> Wie immer tut es mir furchtbar Leid, aber ich kann euch gleich sagen, es wird noch schlimmer oder besser, die Wartezeiten länger. Nächstes Jahr im Februar beginnt meine Prüfungszeit und ich werde also mit Schulrecht und Pädagogik mehr beschäftigt sein, als mit VK. So gern ich es auch anders herum hätte, glaubt mir. ;_;
 

Trotzdem versuche ich mein möglichstes zu tun.
 

Jetzt wünsche ich euch erst einmal viel Spaß mit diesem Kapitel und als kleine Einstimmung – auch wenn es in der FF nicht Dezember ist – muss ich dieses Lied hier anbringen. Warum? Weil ich es erstens liebe und zweites, weil es schon zum Inhalt des Chaps passt.

Viel Spaß!
 

Linkin Park-My December

http://www.youtube.com/watch?v=cI59cpkFxPo

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Sayuka Kira
 

Wenige Stunden vor Kanames Ankunft in Koritokái...
 

Zero erreichte die Tür und riss sie scheinbar ohne größere Anstrengung auf. Ohne sich noch einmal umzudrehen, stieß er Yuki und Ai in die Hütte hinein, die noch immer gebannt auf die Massen aus Schnee starrten. Er knallte die Tür hinter sich zu und verriegelte sie mit drei schweren Holzbalken, die direkt neben der Tür standen. Danach drehte er sich sofort zu Ai und Yuki um und nahm beide schützend in seine Arme.

Dies alles geschah in sekundenbruchteilen und wäre Zero auch nur ein wenig langsamer gewesen oder hätte gezögert, hätte es für sie alle drei das Verderben bedeutet. Denn kaum war er bei Yuki und Ai gewesen, donnerte die Lawine direkt über ihre Köpfe hinweg. Das Geräusch war ohrenbetäubend. Der Boden unten ihnen bebte und Yuki vernahm das Rütteln von Glasschreiben, Türen und Porzellan. Jedem Moment glaubte sie, würden die Schneemassen die Hütte in Stücke zerreisen und sie lebendig begraben.

Yuki klammerte sich so fest sie konnte an Zero und Ai, dem einzigen Halt, den sie spüren konnte und der sie davon abhielt vor Angst zu sterben. Denn genauso fühlte sie sich. Die Wärme, die Zeros und Ais Körper ausstrahlten, gaben ihr Sicherheit und die Gewissheit, dass sie nicht allein war.

Es dauerte eine Ewigkeit, ehe das Donnern aufhörte und auch der Boden und die Wände nicht mehr zitterten

Yuki stöhnte vor Erleichterung auf. Doch kaum war es vorbei, ließ Zero sie los. Sofort fühlte sie sich allein, hilflos und schutzlos. Wie von selbst suchten ihre Hände nach Ai und zog diese in ihre Arme. Sie brauchte etwas woran sie sich festhalten konnte. Ais zitterender Körper sagte ihr, dass es ihr wohl genauso gehen musste. Ai fest in den Armen haltend, beobachtete wie Zero zum Kamin ging, den sie nun auf der gegenüberliegenden Wandseite entdeckte und sich daran zu schaffen machte. Unter den lauten Geräuschen des Schneesturms, der draußen tobte und den noch immer anhaltenden Nachwehen der Lawine, sah sie mehr, als das sie es hörte, wie er ein Streichholz entzündetet. Nur einen Moment später sah sie einen schwachen, winzigen, orangen Schein. Zero hatte ein Feuer entfacht.

Yuki erstaunte dies, warum konnte sie aber selbst nicht sagen. Vielleicht weil ihr das warme Orange und die roten Flammen so fremd nach all dem Weiß erschien. Dann kam Zero zu ihnen zurück und schloss sie wieder fest in die Arme. Er küsste sowohl Ai als auch sie auf das Haar.

Yuki konnte nicht anders und seufzte leise. Diese vertraute Geste, vertrieb die Angst augenblicklich, die in ihrem Herzen gesessen hatte. So lange, wie er da war, würde alles gut werden, dachte sie.

„Geht es euch gut?“, fragte Zero schließlich und seine Stimme klang leicht brüchig. Dabei strich er ihr über den Rücken. Erst da sah Yuki ihn an. Auch im standen Angst und Schrecken noch ins Gesicht geschrieben, so blass war er.

Sie nickte kurz, doch Ai antwortete nicht. Yuki sah, dass sie weinte.

„Bist du verletzt?“, fragte Zero seine Ziehtochter und seine Stimme klang weitaus nervöser, als sonst. Sie lockerte ihren Griff ein wenig, als Ai kurz den Kopf schüttelte.

„Es wird alles wieder gut.“, begann Zero sanft auf sie einzureden. „Ich bin dir nicht böse und Yuki auch nicht. Uns wird schon was einfallen, aber wir werden uns nicht trennen. Hast du gehört?“

Ai nickte schwach und Yuki schloss die Augen. Sie ließ ihren Kopf gegen Zeros Schulter sinken und genoss die Wärme und den Schutz, die die sein Körper spendeten. Sie hörte sein Herz schlagen. Es schlug genauso schnell und unruhig wie ihr eigenes. Doch merkwürdigerweise beruhigte sie dies sogar.
 

„Es ist vorbei.“, sagte Zero irgendwann und löste seinen Griff von ihr. Erst da öffnete Yuki die Augen. Zero erhob sich und ging mit Ai an der Hand zum Kamin. Zuvor hatte er Yuki aufgeholfen und diese sah sich das erste Mal richtig in der Hütte um.

Schräg neben dem Kamin stand ein Sofa, zu dem Zero Ai führte. Links an der Wand standen drei große Schränke, aus massiv wirkendem Holz, die alle fest verschlossen schienen. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Tisch mit vier Stühlen darum gruppiert und wenn sie richtig sah sogar ein Holzkohleofen, der dahinter stand. Die andere Wand wurde vom Kamin eingenommen auf dem sie nun ein Bild wahrnahm. Dennoch ließ diese Wand noch genügend freien Raum.

Langsam ging sie zu Ai und Zero und stellte sich an den Kamin. Es war inzwischen warm im Raum, dennoch fror sie immer noch sehr

Zero strich Ai liebevoll über das Gesicht.

„Bist du nicht böse?“, fragte Ai schließlich und ihre Lippen zitterten dabei leicht. Sie hatte aufgehört zu weinen und sah Zero direkt an.

„Natürlich nicht. Ai, ich kann es mir zwar fast denken, aber warum hast du das getan? Warum bist du allein gegangen? Du wusstest doch, wie gefährlich es sein kann.“

„I-Ich wollte allein gehen, weil du doch... Ich wollte nicht, dass du dich wieder von Yuki trennen musst und es ist... meine... Schuld...“

„Schon gut.“, sagte er sanft und nahm sie in den Arm. Yuki war bei Ais Worten leicht errötet, doch eigentlich sollte sie Ais Ehrlichkeit nicht mehr überraschen. Aber noch etwas anderes war ihr durch den Kopf geschossen und sie sprach es laut aus: „Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn ich euch nicht begleitet hätte.“

Zero hatte sie kurz angesehen und dann wieder Ai. „Ja, vielleicht wäre es das gewesen.“, erwiderte er. Danach lauschte Zero kurz dem Heulen des Windes, das auch Yuki schon aufgefallen war und schüttelte dann den Kopf. „So wie es aussieht, werden wir hier ein paar Tage bleiben.“, sprach er schließlich. Fragend sah Yuki ihn an, doch er antwortete nicht. Zero stand auf und ging zu der Stelle zurück, an der sie vorhin zusammengekauert gesessen hatten. Er bückte sich und griff scheinbar nach etwas. Als er den Arm wieder nach oben zog, öffnete er eine Luke, die sich im Boden befand.

„Was meinst du damit?“, fragte Yuki als erstes, von den vielen anderen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen.

„Der Winter ist angebrochen und draußen tobt ein Schneesturm. Man nennt es hier die „Weiße Mächtig“.“

„Was?“, hatte sie nachgefragt, weil sie ihm überhaupt nicht hatte folgen können.

„Die Lawine...“, hatte nun Ai gesprochen, „... jedes Jahr beginnt der Winter hier mit ihr. Sie nennen sie die „Weiße Mächtige“ und meinen damit die Natur im Allgemeinen. Die Lawine kommt immer schnell und ohne Ankündigung. Jeder der sich zu der Zeit im Wald befindet, ist eigentlich so gut wie...“

Sie brauchte nicht weiter sprechen, Yuki verstand sie auch so. Ihnen wäre es gerade ähnlich gegangen. „Danach setzt immer ein Schneesturm ein, der so heftig ist, dass niemand mehr den Wald durchqueren kann. Papa hat es einmal versucht, aber auch ihm ist es nicht gelungen. Niemand weiß, wie lange der Schneesturm anhalten wird.“

„Wo ist er?“, fragte Yuki auf einmal, denn Zero schien plötzlich verschwunden. Sie stand auf und lief zu der Stelle, an der die Luke noch immer geöffnet war. Im Licht, welches der Kamin erzeugte, sah sie eine Treppe, die nach unten führte und hörte von dort Geräusche.

„Das ist der Lagerraum.“, sagte Ai, die plötzlich neben ihr stand.

Ai setzte gerade einen Fuß auf die Treppe, als sie Zeros Stimme hörten. „Bleibt oben, ich komme gleich. Hier unten ist es zu dunkel.“

„Was ist da unten?“, fragte Yuki Ai.

„Der Lagerraum, hab ich doch gesagt. Dort unten stehen Tonkrüge mit Reis, Kartoffeln und Möhren. Außerdem gibt es eingekochtes Gemüse und Obst und so, aber vor allem einen Brunnen.“

„Einen Brunnen?“, fragte sie ungläubig. „Aber wird er nicht-“

„Er wird nicht zufrieren, wenn du das denkst.“

„Warum nicht? Wenn der Schneesturm anhält, dann wird...“

„Sie hat recht.“, unterbrach Zero sie. Er stieg die Treppen von unten nach oben, als er sprach. In der einen Hand hatte er einen Korb, in dem eine Schüssel Reis war, ebenso zwei Kartoffeln und drei Möhren und ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit.

„Der Grundwasserspiegel liegt hier so tief, dass es nicht gefrieren wird. Allerdings dauert das Pumpen länger. Ich werde gleich noch einmal runter gehen und Wasser holen. Kannst du ein Feuer im Ofen machen?“, wandte er sich an Yuki. Diese war von den vielen neuen Informationen aber vollkommen überfordert und starrte ihn nur an. Ai und Zero benahmen sich vollkommen normal. So als wäre es etwas ganz alltägliches einer Schneelawine entkommen zu sein und von einem Schneesturm gefangen in einer Hütte zu sitzen. Dabei schwirrten ihr so viele Dinge durch den Kopf, sie wusste gar nicht wo sie anfangen sollte.

„Was ist, kannst du das? Sonst mach ich es selbst.“, fragte Zero sie noch einmal.

„Was? Ja, kann ich. Aber Zero...“

„Ich weiß.“, unterbrach er sie etwas sanfter. „Ich erkläre es dir, sobald ich Wasser geholt und eine Suppe aufgesetzt habe. Ai sieh nach dem Feuer im Kamin. Du weißt, dass es richtig brennen muss.“

Seine Ziehtochter nickte kurz und rannte zum Kamin, während Zero eine Kerze aus einer Schublade nahm, die sich offenbar unter dem Tisch befand. Er hatte die Kerze mit Streichhölzern entzündet und Ai legte noch ein paar Holzscheit auf, auf die sich die Flammen genüsslich stürzten und bald noch größer wurden. Yuki schüttelte den Kopf und ging dann zum Ofen. Bisher hatte sie so etwas zwar noch nicht anheizen müssen, aber so schwer konnte es schließlich nicht sein. Sie öffnete die Ofenklappe und fand bereits ordentlich aufgeschichtete Holzscheite vor. Zero reichte ihr die Streichholzschachtel. Dann zündete sie das Papier, welches zwischen den Holzscheiten lag, an. Als sie sicher war, dass es gut brannte schloss sie die Ofenklappe wieder. Das müsste eigentlich reichen, dachte sie.

Im nächsten Augenblick hörte sie schon Pumpgeräusche aus dem Lagerraum. Unschlüssig sah sie sich um. Noch immer verstand sie nicht im geringsten, was eigentlich geschehen war. Wissend, dass Zero es ihr aber erst später erklären würde, setzte sie sich zu Ai und musterte das Mädchen einen Moment. Sie sah in die Flammen und schien mit ihren Gedanken ganz wo anderes zu sein.

„Hast du denn gar keine Angst?“, fragte Yuki sie und verlieh damit einem Teil ihrer eigenen Angst Ausdruck.

„Nein.“, antwortete Ai schlicht. „Du und Papa seid doch da.“, lächelte sie schwach. „Außerdem ist Kira ja auch da.“ Sie zeigte auf das Bild, welches auf dem Kamin stand. Yuki erhob sich und ging hinüber. Behutsam nahm sie das Bild vom Sims und setzte sich damit wieder neben Ai. Yuki blickte auf einen Jungen von ungefähr 14 oder 15 Jahren. Sie konnte es nicht genau sagen. Er trug ein breites Grinsen im Gesicht, bei dem man meinen konnte, es würde von einem Ohr zum anderen reichen. Seine braunen Augen leuchteten vor Freude und versprühten eine solche Wärme, dass Yuki den Schrecken der letzten Stunde zu vergessen schien. Schwarze Haaren hingen ihm in die Stirn und standen an den Seiten leicht ab, so als wären sie nur schwer zu bändigen. Es muss ein fröhlicher und lebhafter Junge sein, vielleicht Ai nicht einmal so unähnlich.

„Wer ist das?“, fragte sie schließlich.

„Kira, der jüngste Sohn der Sayukas.“

„Sieht ihnen gar nicht ähnlich.“, entfuhr es Yuki spontan.

„Nein, nicht wahr? Aber Frau Sayuka sagt, dass er das wohl von seinem Großvater hat. Sasuke sieht ganz ähnlich aus. Das ist ihr ältester Sohn.“

In dem Moment war Zero wieder aus dem Lagerraum gekommen und hielt nun einen Eimer und zwei Flaschen Wasser in der Hand.

„Wir müssen es noch abkochen und dann können wir es trinken.“, erklärte er kurz. „Ihr könnt mir helfen.“

„Zero, wo sind wir eigentlich?“, fragte Yuki noch einmal ungeduldig.

Er sah sie kurz an, erwiderte aber nichts, sondern wandte ihr den Rücken zu. Als er den Eimer und die Flaschen abgestellt hatte, ging er zu einem der Schränke und nahm drei Kerzenleuchter und Kerzen heraus. Zwei Kerzenleuchter stellte er auf den Tisch, den dritten auf den Kaminsims. Dann steckte er die Kerzen hinein und entzündete sie schließlich.

Als nächtest nahm er Töpfe aus dem gleichen Schrank heraus und ging damit zum Ofen. Dort kippte er das Wasser hinein. Im Anschluss griff er nach einem der großen Messer, die über den Ofen hingen und ging damit zum Tisch. Wieder zog er eine Schublade auf und holte ein Brettchen hervor. Dann begann er die Kartoffeln zu schälen.

„Zero!“, sagte Yuki noch einmal mit Nachdruck. Warum antwortete er ihr nicht?

„Die Hütte wurde genau für so einen Fall wie unseren gebaut.“, sagte er nun doch.

„Was?“

„Die Winter beginnen jedes Jahr auf die gleiche Weise. Erst löst sich eine gewaltige Lawine von den Bergen und rollt in das Tal, dann setzt ein Schneesturm ein, der Tage dauert. Danach ist der Wald unpassierbar.“

Sie nickte kurz genickt. Es war das gleiche, was ihr Ai auch schon erzählt hatte.

„Für jemanden der gerade im Wald ist oder von der anderen Seite kommt, ist es so gut wie unmöglich zu entkommen. Deswegen wurde diese Hütte gebaut, um denen, die davon überrascht werden, eine Überlebensmöglichkeit zu geben, wenn sie es bis hierher schaffen.“

„Aber woher sollen sie davon wissen?“, fragte sie skeptisch.

„Die Hütte steht seit 10 Jahren, die umliegenden Dörfer wissen Bescheid und diejenigen, die über den Pass in die „Stille Welt“ gelangt sind, haben es weiter getragen. Die Lawine kündigt sich durch absolute Stille an. Das hast du ja selbst gemerkt. Mit etwas Glück und, wenn man nicht zu weit entfernt ist, sind die Chancen hoch, dass man es bis hierher schafft.“

„Aber wie... Ich meine... Woher sollen andere wissen, wo sich die Hütte im Wald befindet.“ Ihr war klar, dass Zero es wusste, weil er schon ein paar Jahre hier lebte, aber Leute die vollkommen neu in dieser Gegend waren, konnte es doch unmöglich finden.

„Die beiden Blutbuche, die hinter der Hütte stehen, weisen den Weg.“, antwortete Zero weiter, ließ sich dabei aber nicht von seiner Arbeit ablenken. Ai hatte sich inzwischen zu ihm gesellt und begonnen die Möhren zu säubern. „Sie sind die einzigen Laubbäume hier und größer, als die anderen Bäume. Hat man sie erst einmal gesehen, helfen sie einem sich zu orientieren. Außerdem sind an bestimmten Punkten Hinweise angebracht.“

Yuki schüttelte verwirrt den Kopf. Das alles ergab für sie keinen rechten Sinn.

„Hier drin sind wir mit ausreichend Lebensmitteln versorgt, so dass wir gut ein paar Wochen bleiben könnten. Es wird also nichts geschehen. Wir müssen nur dafür sorgen, dass das Dach nicht zuschneit. Deswegen muss der Kamin immer brennen. Das Dach wird unser einziger Ausgang sein wird, wenn sich der Sturm gelegt hat.“

„Woher willst du das wissen? Ich meine woher willst du wissen, dass die Hütte hält?“

„Das wird sie und Kira wird uns beschützen.“

„Und was hat es mit Kira auf sich?“ Warum sollte ein Bild sie beschützen können? Zero sah sie kurz an und dann Ai, anschließend schüttelte er wieder den Kopf. „Heute nicht mehr.“, antwortete er. „Für heute ist schon genug trauriges geschehen.“

Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber gleich wieder. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte und Zero würde ihr im Moment ohnehin nichts weiter erzählen, egal wie sehr sie nachfragte. Yuki sah Zero und Ai eine Weile zu, wie sie das Gemüse schnitten. Wie konnten sie jetzt ans Kochen denken?!, fragte sie sich ungläubig und schüttelte wieder den Kopf. Zero hob daraufhin kurz den Kopf und sah sie durchdringend an, als hätte er sie auch so verstanden.

„Es hindert mich daran über andere Dinge nachzudenken.“, sagte er, wie zur Antwort und ging dann zum Ofen, auf dem das Wasser bereits kochte.

Einen Moment sah sie in entgeistert an, dann ärgerte sie sich über sich selbst. Natürlich, dachte sie, wie hatte sie auch nur eine Sekunde an seinem Verhalten zweifeln können? Sie konnte sich gar nicht vorstellen, was nun in ihm vorging. Mit einem Mal wurde ihr klar, was dieser Schneesturm wirklich bedeutete. Sie würden umkehren müssen, direkt nach Koritokái zurück, wo man sie bereits erwarten würde.

Ein kalter Schauer lief Yuki über den Rücken. Zero hatte recht. Es war besser sich mit anderen Dingen zu beschäftigt, als darüber nachzudenken. Im Moment konnten sie nichts tun, um ihre Lage zu ändern. Eine Gewissheit die Panik in Yuki aufsteigen ließ.

„Kann ich euch helfen?“, fragte sie deswegen und schluckte heftig.

„Ai, warum zeigst du Yuki nicht, was in den Schränken ist? Dann könnt ihr auch gleich die Bettsachen herausnehmen und zurecht machen.“, sagte Zero, so als wäre es das normalste auf der Welt. Doch Yuki entging nicht die Anspannung, die in seinen Schultern lag.

„Komm Yuki.“, sagte Ai und nahm sie an der Hand und führte sie zu den Schränken. Sie öffnete den linken, aus dem Zero zuvor schon die Töpfe genommen hatte.

Die Türen standen weit offen und Yuki sah in der obersten Reihe Tassen und Teller. In der zweiten standen Gläser verschiedener Größe und Form. Im dritten Fach fanden sich Besteckkästen mit Messern, Gabeln, Löffeln, Stäbchen und diversen anderen Küchenutensilien zum Kochen. Im vierten Regal waren schließlich Krüge und Schüsseln, über einander gestapelt und noch ein paar Kerzenleuchter. Und im letzten ganz unten fanden sich Töpfe und Pfannen. Das ganze sah sehr übersichtlich und organisiert aus, als wäre wirklich an alles und vor allem an einen längeren Aufenthalt gedacht worden.

Im zweiten Schrank fanden sich diverse Kleidungsstücke: Hosen, Shirts, Pullover, Strümpfe, ja sogar Jacken und ein wenig Unterwäsche, sowohl für Männer, als auch für Frauen und Kinder. Ai hatte ihr erklärt, dass die Sayukas sehr darauf geachtet haben, dass für jeden Fall etwas dabei ist. Natürlich waren es nicht ganz genau die richtigen Größen, aber es würde reichen. Yuki konnte nur erstaunt darüber nicken und fragte sich still, wie viel Mühe und Arbeit das alles gekostet hatte.

Im dritten Schrank befand sich schließlich Bettwäsche sowie mehrere Decken und Kissen. Außerdem auch vier Schlafsäcke. Unten standen Bücher und ein paar Spiele, wenn Yuki das richtig erkannte. Ai erklärte ihr, dass man das Sofa zu einem Bett umbauen konnte und dass sich in dem Bettkasten zwei weitere zusammenklappbare Liegen befinden würden.

Yuki wusste am Ende der kleinen Führung nicht was sie dazu noch sagen sollte. Es war einfach ganz und gar erstaunlich, wie viel diese Menschen geleistet hatte, um anderen eine Chance auf Rettung zu geben.

All dies faszinierte sie, doch etwas schien es hier nicht zu geben und sie fragte sich, wie man das gelöst hatte, denn ein Problem würde es sicher werden.

„Ähm... Zero... Was ist eigentlich mit... also...“ Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte und es war ihr auch recht peinlich danach zu fragen. „Also... ich würde mich gern... frisch machen.“, sagte sie dann und hoffte, dass er wusste, was sie meinte.

Zero sah kurz vom Ofen auf und sie an. „Ja, natürlich. Daran hab ich noch gar nicht gedacht.“, sagte er und klang verwirrt, als hätte sie ihn aus weiter Ferne in die Gegenwart zurückgeholt. Sie ahnte, wo er mit seinem Gedanken gewesen war, sagte aber nichts dazu.

„Ich zeige es dir und Ai, du ziehst dir etwas anderes an. Warum habe ich nicht gleich daran gedacht?“, murmelte er und ärgerte sich ehrlich darüber. „Nehmt euch ein paar Sachen heraus.“

Zero nahm einen der Kerzenleuchter vom Tisch und führte sie wieder zu der Luke. Er öffnete sie ohne große Anstrengung und führte sie nach unten.

„Seid vorsichtig.“, mahnte er sie noch, bevor er voran ging. Doch als Yuki den Raum sah, blieb sie sprachlos stehen. Der unterirdische Raum war komplett mit Holz vertäfelt, Wände ebenso wie der Fußboden. An der Wand vor ihr standen wie oben drei hohe Schränke. Rechts davon befanden sich riesige Tonkrügen, die alle fest verschlossen schienen und links Unmengen an Holz.

Doch am meisten faszinierte sie die Wasserpumpe, die direkt in der Mitte des Raumes stand und die sie ungläubig anstarrte. Ein hoher Sockel bildete die Grundlage und darauf befand sich die metallene Pumpe, mit einem Hebel an der Seite, mit dem das Wasser dann offenbar nach oben gepumpt wurde. Es gab sogar ein kleinen Abflussschacht, in den das überflüssige Wasser ablaufen konnte. Daneben stand bereits ein Eimer mit Wasser.

„In den Schränken findest du eingekochtes Gemüse und Obst sowie getrocknete Früchte und Wein. Außerdem noch ein paar kleinere Schüsseln. In den Tonkrügen sind Reis sowie Kartoffeln, Möhren und noch ein paar andere Feldfrüchte, die man gut in Sand lagern kann.“, erklärte Zero und sie gleichzeitig nach links geführt. Nachdem es ihr gelungen war den Blick von all den anderen unglaublichen Dingen zu lösen, erkannte sie ein weitere Tür. Zero öffnete sie und trag einen Schritt zurück. Yuki stand nun endgültig der Mund offen, denn ihr Blick fiel geradewegs auf ein Bad.

Es befand sich eine Toilette darin, ein Waschbecken und sogar ein kleiner Schrank und es war komplett gefliest!

„Wie ist das möglich?“, flüsterte sie staunend.

„Es liegt etwas ungünstig direkt neben dem Lagerraum, aber es geht schon. Hier nehmt die Kerze und macht euch den Heizlüfter an.“, sagte Zero und ging dann zum Ausgang zurück.

„Funktioniert das wirklich alles?“, fragte Yuki Ai und konnte es immer noch nicht glauben. Sie glaubte zu träumen.

„Natürlich.“, antwortete das Mädchen und trat gleichzeitig ein. Aus dem Schrank nahm sie zwei Handtücher heraus und Waschlappen und reichte jeweils eines davon Yuki. Dann ging sie zu dem Heizlüfter und stellte ihn an.

„Aber wie kann das sein? Ich meine, wir sind unter der Erde, draußen tobt ein Schneesturm, das ist einfach... unglaublich.“

„Ich weiß nicht, wie es geht. Aber wie Papa schon sagte, der Grundwasserspiegelt liegt sehr tief und als sie das hier gebaut haben, haben sie an alles gedacht.“, hatte Ai geantwortet und gleichzeitig mit den Schultern gezuckt. „Aber wie es genau geht, kann ich dir auch nicht sagen. Da musst du Herr Sayuka nochmal genauer fragen.“

„Ja... Das werde ich wohl.“, hatte Yuki schließlich zugestimmt und ihre Verwunderung vorerst beiseitegeschoben. Sie beschloss, dass es wohl wirklich einfacher war, das alles erst einmal zu akzeptieren. Dachte sie weiter darüber nach, würde sie wohl Kopfschmerzen bekommen.

Die beiden hatten sich kurz gewaschen. Yuki war noch immer so überwältigt von all den Dingen, dass sie nicht wusste, wie ihr eigentlich geschah. Es kam sogar warmes Wasser aus dem Wasserhahn! Trotzdem beeilten sie sich und zogen sich rasch um. Sofort fühlte sie sich wie ein anderer Mensch und hatte zum ersten Mal an diesem Tag das Gefühl, das Ganze endlich verarbeiten zu können. Yuki warf einen Seitenblick auf Ai. Das Kind sah immer noch furchtbar müde aus, auch wenn sie sich vielleicht nichts anmerken ließ.

Als sie wieder nach oben kamen, stand Zero immer noch am Ofen und rührte in der Suppe. „Du solltest dich auch umziehen.“, riet Yuki ihm und trat an den Ofen heran. Es roch herrlich und ihr Magen knurrte leicht.

„Mach ich später.“, antwortete er kurz. „Wir können gleich Essen.“
 

Circa 10 Minuten später saßen sie alle drei am Tisch, jeder einen dampfenden Teller Suppe vor sich, den sie anfangs schweigend löffelten. Es war eine einfache Reissuppe mit ein paar Kartoffelstückchen und Möhren dazwischen. Aber sie war heiß und wärmte Yuki sofort von innen. Erst nach und nach wurde ihr bewusst, dass das ihr erstes Essen seit Stunden war.

„Du solltest dich dann erst einmal um dich selbst kümmern.“, sagte Yuki schließlich, weil sie die Stille nicht mehr ertragen konnte. „Ai und ich machen das Geschirr.“

„Yuki hat recht.“, stimmte auch Ai zu.

„Wie die Damen wüschen.“, sagte er und Yuki glaubte sogar den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht zu sehen. „Aber vorher mache ich euch noch das Sofa zurecht. Du solltest dich hinlegen Ai, du siehst furchtbar müde aus.“

„Aber ich bin nicht müde.“ Wieder hatte Zero schwach gelächelt und auch Yuki hatte nicht anders gekonnt. Offenbar führten sie diese Diskussion öfter.

Dieses Mal antwortete Zero nicht, sondern strich seiner Ziehtochter liebevoll über das Haar. Dann stand er auf und zu dritt bauten sie das Sofa in ein Bett um. Yuki hatte mit Ai die Decken bezogen, doch gleichzeitig hatte sie sich gefragt, wie sie zu dritt auf das Bett passen sollte. Sicher war es für sie alle breit genug, doch die Vorstellung mit Zero ein Nachtlager zu teilen, trieb ihr die Röte ins Gesicht – selbst wenn Ai dabei war. Als sie diesen Gedanken äußerte, weil er ihr einfach keine Ruhe mehr ließ, antwortete Zero wie selbstverständlich: „Ihr schlaft auf dem Bett, ich nehme mir einen Schlafsack.“

„Was ist mit den Liegen? Du könntest eine von ihnen nehmen.“

„Nein, nicht nötig. Das geht auch so.“

„Wie du meinst.“, antwortete Yuki ausweichend und schluckte den Klos in ihrem Hals herunter. Sie fragte sich wo das Gefühl der Enttäuschung plötzlich herkam.

„Ich gehe nach unten. Ihr könnt euch schon hinlegen, ich erledige den Rest.“, hatte Zero gesprochen nachdem alles soweit vorbereitet war.

Yuki nickte zwar, doch sobald Zero nach unten gegangen war, machte sie sich daran den Abwasch zu beseitigen – das Wasser hatte inzwischen die richtige Temperatur. Sie holte eine große Schüssel aus dem Schrank und mit Ais Hilfe ging es recht schnell. Als Zero nach oben kam, waren sie auch schon fertig.

Dann konnte sie den einladenden Decken und Kissen nicht mehr länger wiederstehen und noch bevor Zero etwas sagen konnte, wandte sie sich an Ai.

„Na komm Ai, lass uns Schlafen gehen. Vielleicht klappt es ja.“

„Aber ich kann nicht schlafen.“, wiedersprach dieses nochmals.

„Ich weiß, ich bestimmt auch nicht.“, stimmte Yuki ihr zu. „Aber es ist spät und wir haben einen anstrengenden Tag hinter uns. Lass es uns wenigstens versuchen.“

„Mmh.“, brummte Ai und legte sich dann doch hin. Yuki tat es ihr gleich und sobald sie unter die Decke geschlüpft war und auf der Matratze lag, spürte sie die bleierne Müdigkeit, die sie plötzlich überfiel.

„Geht es auch wirklich so?“, fragte sie Zero noch einmal, der sich wieder dem Kamin zugewandt hatte und Holz nachlegte.

„Ja, mach dir keine Gedanken.“, antwortete er leise. Yuki seufzte über seine Sturheit und kuschelte sich dann an Ai. Erst dann nahm sie das Pfeifen des Schneesturms wieder wahr. Vorher muss sie es schon gar nicht mehr gehört haben. Dann schloss sie die Augen und schlief sofort ein.
 

Zero beugte sich über Yuki und Ai und strich ihnen über die Wange. Noch immer war es ihm, als würde eine eisige Faust seine Herz umklammert halten. Allein der Gedanken, was geschehen wäre, wenn sie es nicht geschafft hätten, ließ ihn erzittern. Er hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen, um sie nicht zusätzlich zu ängstigen, aber ihm war selbst jetzt bei der Vorstellung noch übel.

Er durfte sie nicht verlieren.

Keine von ihnen.
 

Langsam erwachte Yuki wieder. Mit den Händen rieb sie sich den Schlaf aus den Augen und versuchte sich daran zu erinnern, wo sie sich eigentlich befand. Sie war mit Ai davon gelaufen, das Schiff, der Zug, Koritokái und der Wald, eine riesige Lawine... die Hütte. Sie stöhnte auf, als die Bilder an ihrem inneren Auge vorbeizogen. Wie spät mochte es wohl sein?, fragte sie sich still. Sie hörte ein Geräusch von rechts kommen und nachdem ihre Augen sich an das orange Licht gewöhnt hatten, sah sie Zero über den Tisch gebeugt. Es sah so aus als knetet er etwas oder bildete sie sich das nur ein?

Yuki richtete sich langsam auf und blickte auf Ai hinab. In ihre Decke gewickelt schlief sie noch tief und fest.

Sie strich sich noch einmal mit den Händen über das Gesicht, um auch den letzten Schlaf zu vertreiben und stand auf. Als ihre Füße den Boden berührten, drehte sich Zero kurz zu ihr um.

„Wie spät ist es?“, murmelte sie leise und noch immer leicht verschlafen. Sie fühlte sich furchtbar.

„Kurz nach Sonnenaufgang, zumindest theoretisch.“, antwortete er und wandte sich dann wieder dem zu, dass er in den Händen hielt.

„Was machst du?“, fragte sie und kam zu ihm herüber. Sie unterhielten sich nur gedämpft, um Ai nicht zu wecken.

„Ich backe Brot. Wir werden es brauchen. Sie haben gesagt, dieses Jahr würde der Schneesturm nur vier Tage dauern, aber es kann sich immer ändern. Letztes Jahr waren es nur zwei Tage, davor das Jahr sechs, aber es waren nur drei angekündigt. Es ist unberechenbar.“

Sie seufzte abermals.

„Hast du schlecht geschlafen?“, fragte er sie schließlich.

„Was? Nein, eigentlich nicht. Warum fragst du?“

„Ich habe dich gerade gehört.“

„Nein, das war nur, weil mir eingefallen ist, was eigentlich passiert ist.“, antwortete sie leise. Er nickte knapp, als wüsste er genau, was sie meinte.

„Hast du geschlafen?“, fragte sie ihn schließlich.

„Ein bisschen vor dem Kamin. Ich habe darauf geachtet, dass das Feuer nicht ausgeht.“ Wieder sah er sie an, doch dieses Mal blieb sein Blick ein bisschen länger auf ihr hängen.

„Du siehst furchtbar aus.“, merkte er trocken an.

„Vielen Dank auch!“, zischte sie zurück. „Das Kompliment gebe ich gern zurück.“ Dann streckte sie ihm die Zunge heraus.

Zero konnte nicht anders, als leise in sich hineinlachen. In dieser Beziehung hatte sie sich wirklich nicht geändert. Aber dass er sie angesehen hatte, hatte noch einen anderen Grund gehabt. Er hatte wissen wollen, wie durstig sie war. Er wusste nicht, wann sie das letzte Mal getrunken oder die Bluttabletten genommen hatte und vor allem wusste er nicht, wie lange sie es ohne aushalten würde. Nur zu gut wusste er, dass es plötzlich und ohne Vorwarnung kam.

Er wusste inzwischen, dass Yuki Ai niemals etwas absichtlich antun würde, aber er wusste ebenso, was die Wesen, die sie waren, anrichten konnten.

„Kann ich dir helfen?“, fragte sie schließlich und er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin gleich fertig.“

Yuki seufzte. „Was werden wir die nächsten Tage tun?“, fragte sie anschließend.

„Ich weiß es nicht. Es sind Bücher hier und einige Gesellschaftsspiele.“, sagte er, doch sie glaubte einen sarkastischen Unterton aus seiner Stimme zu hören.

Sie schwieg weiter und beobachtete Zero dabei, wie er den Brotteig in eine Form gab und diese anschließend in den Ofen stellte. Das alles sah so routiniert bei ihm aus, dass sie neidisch wurde. Sie konnte kein Brot backen. Sie konnte ja nicht einmal so eine einfache Suppe machen, wie er am Abend zuvor.

Sie hatte sich wirklich zu sehr verwöhnen lassen, gestand sie sich ein. Sie hatte sich ja schon vorgenommen, dass es sich ändern sollte, aber so einfach war das auch nicht. Wenn sie erst einmal zurück waren... wenn...

„Was werden wir tun, wenn der Schneesturm aufgehört hat?“, stellte sie nun die Frage, deren Antwort sie eigentlich schon kannte.

Zero wusch sich die Hände in einer Wasserschüssel und setzte sich an den Tisch. Auf eine Hand stützte er sein Kinn und blickte eine lange Zeit gedankenverloren in die Flammen des Kerzenleuchters.

„Wir haben gar keine andere Wahl als zurückzugehen.“, sagte er schließlich irgendwann. „Wir können den Pass nicht durchqueren. Wir würden nicht einmal weiter in den Wald hineinkommen. Uns bleibt nur der Weg zurück. Etwas anderes geht gar nicht.“

„Sie werden da sein, nicht wahr?“, fragte sie leise.

„Ja. Sie werden auf mich warten und auf Ai.“, dann hängte er mit bitterer Stimme an, „Und auf dich wahrscheinlich auch, da ich dich ja entführt habe.“

„Zero, ich habe Onii-sama einen Brief dagelassen, in dem ich ihm alles erklärt habe und ich übernehme auch die volle Verantwortung.“

„Auch wenn du den Brief hinterlassen hast, heißt das nicht, dass die anderen es glauben werden oder dass er es sie überhaupt wissen lässt. Kaito hat nur geraten, aber ich denke, Kaname wird ihm nur zu gern zustimmen.“

Yuki antwortete ihm nicht, sondern sah traurig auf das Muster der Tischplatte. Dann sagte sie: „Was wird dann passieren?“

Zero zuckte mit dem Schultern. „Ich werde um sie kämpfen.“, antwortet er schlicht. Yuki glaubte schon, dass damit dieses Thema für ihn beendet war, deswegen war sie überrascht, als er doch weiter sprach. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen sie zu verlieren.“, flüsterte er heißer. Er legte die Hand auf die Augen, so dass sie seinen Blick nicht sah, aber sie konnte sich ihn nur zu gut vorstellen und allein das ließ ihr Herz schmerzen.

„Nicht noch jemanden, nicht noch einmal, nicht wieder an sie.“

Yuki schwieg und doch rang sie nach Worten, aber alles wäre falsch gewesen. Dann hörte sie Zero kurz leise lachen und sah ihn verwundert an. Es klang verzweifelt. Noch immer hielt er seinen Blick verborgen.

„Es ist einfach zum verzweifeln. Da bringst du sie mir zurück und wir schaffen es bis hierher und ich bin trotzdem nicht in der Lage sie zu beschützen. Erst läuft sie davon und wäre beinah von der Lawine... Wenn wir ihr verschwinden auch nur einen Augenblick später bemerkt hätten, dann...“ Er schluckte heftig. „Und wofür? Nur damit sie sie doch bekommen sollen.“ Er wusste nicht, warum er ihr das erzählt, warum er ihr so etwas anvertraute, wo er sich doch geschworen hatte, es nie wieder zu tun. Doch die Gedanken erdrückten ihn fast und nur dadurch, dass er sie mit jemanden teilte, hatte er das Gefühl, dass sie etwas leichter wurden.

„Das werden sie nicht.“, erwiderte Yuki mit fester Stimme. Er sah sie durch einen verschleierten Blick an. „Was macht dich da so sicher?“, fragte er fast spöttisch.

„Du wirst für sie kämpfen und ich ebenso. Gemeinsam werden wir es schaffen.“

Wieder lächelte er, doch es war keinesfalls ermutigend. „Ich hoffe du hast recht. Es werden viele sein.“

„Das macht keinen Unterschied.“, antwortete sie und blinzelte nicht einmal. Zero wunderte sich, wo sie dieses Kraft hernahm, die Selbstsicherheit. Oder war es nur eine weitere Eigenschaft der Reinblüter? Auch das hatte er oft genug zu spüren bekommen.

Dann verfielen sie wieder in Schweigen und obwohl Yuki so viele Fragen an Zero hatte spürte sie, dass es ein ungünstiger Zeitpunkt war ihn danach zu fragen. Wenn sie wirklich einige Tage in dieser Hütte verbringen würden, würde immer noch genügend Zeit sein. Dann viel ihr Blick auf das Bild, welches Ai auf den Tisch gestellt hatte und eine andere Frage kam ihr in den Sinn.

„Erzählst du mir jetzt, was es mit Kira auf sich hat?“

Zero atmete einmal schwer aus und sie glaubte schon abermals eine falsche Frage gestellt zu haben, doch sein Blick war keineswegs wütend, sondern... irgendwie traurig.

„Das ist eigentlich keine Geschichte, die ich erzählen möchte. Besonders jetzt ist sie... umso furchtbarer. Ich kann nachempfinden, wie sie sich gefühlt haben.“

„Ich verstehe nicht ganz.“, gab Yuki ehrlich verwirrt zu. Zero atmete noch einmal durch und dann fing er an zu erzählen.

„Kira ist... war der jüngste Sohn der Sayukas. Er war 14 als er starb, sein Bruder Sasuke war damals 19. Herr Sayuka sagte mir, dass die beiden als Kinder immer sehr viel zusammen unternommen haben, doch als Sasuke älter wurde und seine erste Freundin hatte, änderte sich das. Kira hatte aber auch so sehr viele Freunde. Herr Sayuka sagte, dass er Ai in vielerlei Hinsicht wohl sehr ähnlich gewesen war. Ich glaube, sie haben ihr Herz deswegen so schnell an sie gehängt.

„Obwohl er so viele Freunde hatte, war Kira trotzdem hin und wieder gern allein. Er las auch sehr gern und hat sich dafür immer zurückgezogen, um ungestört zu sein. Nicht selten ging er dafür im Sommer auch in den Wald.“

Zero räusperte sich, bevor er weiter sprach. Offenbar fielen ihm die nächsten Worte noch schwerer.

„Im Oktober, November setzt die Lawine meistens ein. Die Menschen stellen sich darauf ein und richtigen sich in ihren Arbeiten und Vorbereitungen danach. Nur ganz selten kommt sie schon früher. Aber in diesem Jahr war es so. Es war Anfang September, als Kira wieder allein im Wald war. Herr Sayuka sagte, dass sich plötzlich diese erdrückende Stille über die Stadt legte und sie ahnten was geschehen würde. Mit seiner Frau machte er sich sofort auf sie Suche nach Kira. Sie sind der Lawine regelrecht entgegengelaufen, doch von Kira keine Spur.

„Frau Sayuka wollte weiter suchen, selbst als die ersten Schneemassen sich von den Gipfeln lösten. Nur mit Mühe konnte Herr Sayuka sich und seine Frau in Sicherheit bringen, hinaus aus dem Wald zurück zur Stadtgrenze. Sie hofften, dass Kira schon zurück war, aber das war er nicht.“

„Oh mein Gott...“, flüsterte Yuki starr und ihr Herz schlug auf einmal hektisch in ihrer Brust. Sie wollte nicht hören, was er noch erzählen würde. Sie glaubte den Ausgang der Geschichte bereits zu kennen.

„Am Anfang glaubten sie noch, dass er vielleicht gar nicht im Wald gewesen war, sondern bei Freunden. Aber auch dort hatte ihn niemand gesehen. Der Schneesturm dauerte drei Tage an. Drei Tage in denen die Sayukas nichts weiter tun konnte, als zu warten, zu hoffen und zu beten, dass er es irgendwie geschafft hatte.

„Nachdem sich das Wetter beruhigt hatte, machten sie sich sofort auf die Suche nach ihm, ungeachtet der Schneemassen, die sie überwinden mussten. Die ganze Stadt half mit, doch man fand ihn nicht.“

Zero stockte in seiner Erzählung und suchte selbst nach Worten. Immer wieder hatte er das Bild von Herr Sayuka vor Augen, wie er ihm davon erzählt hatte. Kurz bevor er ihn das erste Mal mit zu dieser Hütte genommen hatte. Und er sah Ai vor sich, die das selbe Schicksal ereilt hätte, wären sie auch nur ein paar Sekunden später losgelaufen. Er atmete tief ein, bevor er weitersprach.

„Die Suche dauert an und täglich ging man weiter in den Wald hinein. Es war zwar unwahrscheinlich, dass er so weit hingelaufen war, aber man wollte keine Möglichkeit ausschließen. Die Temperaturen lagen inzwischen weit unter Null und...

„Herr Sayuka sagte, sei haben gewusst, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen mussten, aber dennoch war da immer dieser Funken Hoffnung gewesen. Doch am fünften Tag...“

Yuki schnappte hörbar nach Luft und ihre Augen begannen zu brennen. Sie versuchte die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten und wollte Zero daran hindern weiter zu erzählen. Gleichzeitig aber konnte sie das nicht. Sie musste das Ende hören.

„Sie fanden ihn hier an dieser Stelle. Vor zehn Jahren standen hier einmal sieben Blutbuchen, alles mächtige und alte Bäume. Sie glauben, dass Kira so von der Lawine überrascht worden war, dass er sich im Wald verlief. Anders konnte sie sich nicht erklären, warum er weiter in den Wald hineingelaufen war, anstatt zur Stadt zurück. Irgendwann musste er hiergekommen sein und um nicht von der Lawine überrollt zu werden, kletterte er einen der Bäume nach oben und rettete sich auf die oberen Äste.

Aber er...“

Zero leckte sich über die Lippen. Sie waren ganz trocken und rau und auch sein Mund fühlte sich trocken an. Nicht einmal Ai hatte er dies so genau erzählt.

„Er ist jämmerlich erfroren.“, flüsterte er leise. „Er hatte die Lawine zwar überlebt, aber er war ohne jeglichen Schutz gewesen. Die wenigen Blätter, die noch an den Bäumen hingen, reichten nicht einmal annähernd, um ihn vor dem Schneesturm zu schützen und die Suche hatte so lange gedauert und... Sie fanden nur noch seine Leiche, das Buch, das er mitgenommen hatte, fest an seine Brust gedrückt, als wäre es sein einziger Halt, sein einziger Trost gewesen.

„Ich will mir gar nicht vorstellen, wie die Sayukas sich gefühlt haben oder was Kira in diesen Stunden gedacht haben muss. Sasuke machte sich schreckliche Vorwürfe. Deswegen ging er zur See. Er konnte es nicht ertragen hier zu bleiben. Alles erinnerte ihn an seinem Bruder. Es hat Jahre gedauert, ehe Herr und Frau Sayuka den Tod ihres Sohnes überwinden konnten. Aber in jedem Winter setzt der Schrecken erneut ein.“

Yuki entfuhr ein Schluchzen und sie spürte, wie eine Träne ihre Wange hinunter lief. Ein Kind auf diese grausame Weise zu verlieren, überhaupt ein Kind zu verlieren, es gab wohl keine größere Qual. Sie sah zu Ai und am liebsten wäre sie sofort zu ihr gerannt, um sich zu vergewissern, ob es ihr auch wirklich gut ging. Jetzt wusste sie, was Zero gemeint hatte.

Zero streckt eine Hand nach ihr aus und wischte eine Träne von ihrer Wange. Kurz verweilte seine Hanf auf ihrem Gesicht, bevor er sie zurückzog und weiter sprach. Seine Fingerspitzen prickelten von der Berührung.

„Genau ein halbes Jahr später schlug an dieser Stelle ein Blitz ein und zerstörte fünf der Blutbuchen. Herr Sayuka sah es als Zeichen und baute aus ihrem Holz diese Hütte. Als Unterschlupf für all diejenigen, die von der Lawine überrascht wurden und sonst sterben würden. Nach und nach beteiligte sich auch die ganze Stadt und jeder tat was er konnte. Mehrmals im Jahr kommt Herr Sayuka hierher und überprüft die Vorräte und das Holz, ob noch alles in Ordnung ist und den nächsten Winter überstehen kann. Ich war die letzten vier Jahre mit ihm hier. Deswegen kenne ich mich aus. Kiras Bild steht immer hier, um denen, die es bis hierher geschafft haben zu zeigen, dass sie nicht allein sein, das über sie gewacht wird. Kira wird uns beschützen.“

Yuki nickte kurz und sagte dann mit brüchiger Stimme: „Haben es noch andere, außer uns...“ Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte, aber er konnte ihre Gedanken auch so erraten.

„Schon drei Mal und das sind Leben, die ohne dem umgekommen wären.“

Wieder nickte sie kurz. Dann stand sie auf und nahm das Bild von Kira vom Tisch und versank in diesem ansteckenden Lachen.
 

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Ich hoffe es hat euch gefallen, auch wenn es am Ende doch recht traurig war, wie ich fand. Es geht so weiter.^^°

Wir lesen uns bei Chap 23, hoffe ich!!!
 

GLG Maidlin
 

PS: Schöne Feiertage!!!

Verlangen

Es hat zwar fast vier Monate gedauert, aber hier ist endlich ein neues Kapitel! Ganz frisch!!! Ich hoffe es sind nicht mehr allzu viele Fehler drin, aber ich starre auf den Bildschirm und die Buchstaben verschwimmen langsam. Zeit das Ding auszumachen. Hab ja auch so noch genug zu tun.^^ Hinweise werden aber gern entgegen genommen.
 

Jetzt wünsche ich euch erst mal viel Spaß und wir lesen uns am Ende wieder.

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Verlangen
 

Wenige Stunden später erwachte Ai und Yuki hatte sich soweit wieder gefangen, dass es ihr gelang das Lächeln des Mädchens zu erwidern. Dennoch lag die Geschichte um Kira noch schwer auf ihrem Gemüt.

„Was machen wir heute?“, fragte Ai sie nach dem Frühstück, dass Zero bereitet hatte. Yuki hatte ihm geholfen und war fest entschlossen wieder mehr für sich selbst zu sorgen.

„Wir könnten ein Spiel spielen. Im Schrank liegen doch ein paar.“, schlug Yuki vor, sah dabei aber gleichzeitig Zero an. Sie hatten sich geeinigt Ai erst einmal nicht davon zu erzählen, was sie in Koritokái erwarten würde.

„Ja!“, rief Ai sofort begeistert, hielt sich im nächsten Moment aber die Hand vor den Mund, als sie husten musste.

Alarmiert sah Zero sie an. „Was ist? Hast du dich erkältet?“ Er legte eine Hand auf ihre Stirn, konnte aber keine Veränderung feststellen.

„Nein, ich hab mich nur verschluckt.“, wich Ai aus und duckte sich unter ihm weg. „Was ist jetzt? Spielen wir?“

„Meinetwegen.“, stimmte Zero zu. Ihm war nach allem anderen als spielen, aber er wusste ebenso gut, dass Grübeln ihm – außer ein paar Kopfschmerzen – auch nichts bringen würde. Außerdem hatte er das Gefühl, dass seine Gedanken sich ohnehin schon unablässig im Kreis drehten. Er sah Ai noch einmal prüfend an, aber es schien wirklich alles in Ordnung zu sein. Ihre Augen leuchten im Schein des Kaminfeuers und ihre Wangen waren leicht rosig. So wie es sein sollte.

Im nächsten Moment war sie auch schon beim Schrank und besah sich die Spiele.

„Wie wäre es mit Schach?“, fragte sie.

„Das ist nur für zwei und du kannst es nicht.“, antwortete Zero und verdrehte leicht die Augen.

„Dann... Monopoly!“

Zero stöhnt auf und schüttelte entnervt den Kopf. „Das dauert ewig!“, schimpfte er bereits jetzt.

„Wir haben es ja zum Glück nicht eilig.“, konnte sich Yuki nicht verkneifen und erntet dafür einen bösen Blick von ihm. Was sie wiederrum nur noch mehr grinsen ließ.

Das Spiel dauerte für Zeros Geschmack wirklich ewig. Er hatte für so etwas einfach nicht genug Geduld, ganz zu schweigen von Interesse. Deswegen war er auch nicht böse, als er als erstes ausschied und Yuki und Ai allein weiter spielten. Es erstaunte ihn immer wieder, wie gut Ai doch Rechnen konnte, wenn es um Geld ging, bei einer einfachen Mathematikaufgabe aber keinerlei Interesse zeigte.

Mit einem Tee in der Hand nahm er auf dem Sofa Platz, zu dem es wieder umgebaut worden war und sah abermals eine Weile den Flammen zu, die im Kamin tanzten. Hin und wieder sah er aus den Augenwinkeln zu Yuki und Ai und das glückliche Gesicht von Ai machte auch ihn froh. Vielleicht war ihre Lage gar nicht so schlecht, überlegte er. Es gab ihnen allen Zeit sich von der Flucht zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Besonders Ai konnte diese Phase der Ruhe gebrachen. Es würde anstrengend genug werden, wenn sie erst einmal zurück waren. Um sich selbst machte er sich keine Sorgen und auch von Yuki wusste er, dass sie stark war. Nicht nur weil sie ein Reinblut war, sondern weil sie einen straken Charakter besaß.

Und noch ein anderer Gedanke schlich sich in seinen Kopf. Ein Gedanke, der ihm von Grund auf nicht behagte und den er doch für einen Moment zuließ. Sie wären allein, dachte er. Für einen winzigen Augenblick, nicht länger als ein Herzschlag, sah er die Möglichkeiten darin und sein Herz fühlte sich beruhigt und frei an. Doch so schnell wie er gekommen war, verdrängte er es auch schon wieder, wissend dass es nie geschehen wird. Er hatte schon lange aufgehört seinen Träumen hinterherzujagen. Sie brachten nichts als Verbitterung. Ein Gefühl, dass er in den letzten Jahren nicht vermisst hatte.

Wie mit seinen Gedanken verfuhr er auch mit seinen Gefühlen. Sie waren zu widersprüchlich und verwirrten ihn nur noch mehr. Gerade jetzt brauchte er aber einen klaren Kopf und wenn es vorbei war, würden sie wieder verschwinden. Dafür würde er sorgen. Doch im Moment waren sie so präsent und hier in dieser Einsamkeit und Stille, brachen sie sich ungehindert ihren Weg.

Sehr lange Zeit hatte er sich vorgestellt, wie es wäre, wenn er sie wieder treffen würde. Am Anfang hatte es darauf nur einen Antwort, nur eine Reaktionsmöglichkeit gegeben: Er würde sie töten. So, wie er jedes andere Reinblut töten wollte, dass es gab. Nur so würde er verhindern können, dass sie Menschen weiterhin als billige Figuren in ihrem niemals endenden Spiel benutzen konnten.

Und heute? Er war ein anderer. Er hatte Ai. Sie hatte ihn verändert.

Er hatte Yuki wieder getroffen und seine Meinung war noch immer die Gleiche. Vielleicht hätte er sein Vorhaben auch ohne zu zögern in die Tat umgesetzt, wenn das Mädchen nicht gewesen wäre. Er hatte nicht mit ihr gekämpft, nicht weil er unsicher war, sondern weil er sich nur zu bewusst war, dass jede seiner Handlungen nicht mehr nur ihn allein betraf. Würde er den Kampf mit den Reinblütern suchen, konnte er den Ausgang nicht garantieren. Nein, das stimmte nicht. Er wusste, wie es enden würde, so wie er es all die Jahre gewollt hatte, aber jetzt musste er auch an sie denken. Zero hatte die Verantwortung für dieses Mädchen übernommen, auch wenn sie sich ihm regelrecht aufgedrängt hatte. Allein bei der Erinnerung daran musste er schmunzeln. Nur zu genau konnte sich noch an den fest entschlossenen Blick in ihren Augen erinnern. Es war ihr egal gewesen, was er war und das bei dem, was sie nur wenige Tage zuvor erlebt hatte. Er wollte es nicht tun, wusste er doch, wie unberechenbar das Tier in ihm war.

Und trotzdem hatte er es getan, vielleicht sogar mehr als bereitwillig. Sie waren sich so ähnlich.

Möglicherweise war es das, was ihn überhaupt erst dazu gebracht hatte. Sie hatten beide die Menschen die sie liebten an Vampire verloren, hatten beide Zeuge davon werden müssen. Zero hatte Mitleid mit ihr gehabt und auch, wenn er es nie zugeben würde, es niemals offen aussprechen würde, war er dem Rektor doch dankbar, dass er sich seiner angenommen hat. Ein anderer hätte ihm niemals so helfen können und er hatte Yuki gehabt. Warum also hätte er nicht ein klein wenig dieses Gefühls an das Mädchen mit den goldblonden Haar und den smaragdenen Augen abgeben sollen? Vielleicht hatte er auch einfach nur gehofft so seiner Einsamkeit zu entfliehen.

Doch aus Mitleid für dieses Kind war bald mehr geworden. Außer Verantwortung hatte er ihr gegenüber bald eine Zuneigung entwickelt, die von Tag zu Tag gewachsen war. Sie hatte ihm gezeigt, dass er noch am Leben war und ihm einen Teil seiner Selbst zurückgegeben, von dem er schon lange überzeugt gewesen war, ihn für immer verloren zu haben. Sie hatte ihn stärker gemacht.

Sie hatte ein normales Leben gehabt. So normal, wie es ihm eben möglich war. Bis sie ihn gefunden hatte.

Zero seufzte leise. Er wusste, dass sie nicht hier sein würden, wenn Yuki nicht aufgetaucht wäre. Aber ebenso wusste er auch, dass es irgendwann einmal soweit gewesen wäre. Dass irgendwann einmal ein Hunter sie gefunden hätte. Er hatte nur gehofft, Ai würde dann älter sein.

Mit dieser Sicherheit konnte er Yuki nicht hassen oder einen Groll gegen sie hegen. Es wäre ohnehin passiert.

Zero schüttelte den Kopf, um die Gedanken endlich zu vertreiben, aber es brachte nichts. Die Unruhe ergriff noch immer Besitz von ihm und die Ungewissheit dessen, was sie zurück in Koritokái erwarten würde, kratzte an seinen Nerven. Er wusste worauf es hinauslaufen würde. Er hatte keine Angst davor und doch wünschte er, er könnte es abwenden. Nur um Ais Willen.

Wieder seufzte er leise.

Warum konnte er nicht einfach damit aufhören? Es änderte nichts, weder an dem was noch geschehen würde, noch an seinen widersprüchlichen Gefühlen Yuki gegenüber. Es sollte nur schnell vorbei sein. Er wollte ihr noch nicht noch näher kommen. Es war gut, wie es gewesen war. Vergessen könnte er sie nie, aber er hatte es erfolgreich geschafft nicht an sie zu denken. Aber sie nun wieder um sich zu haben, zu sehen, dass sie eigentlich immer noch die Yuki war, die er kannte, ließ seine Gefühle, die er so sorgsam verschlossen hatte, wieder an die Oberfläche treten. Er ertappte sich selbst dabei, wie er sie ansah, wie er sich wünschte, ihr näher zu sein, näher und immer näher. Er wollte sie in die Arme schließen und für immer darin festhalten.

Gleichzeitig wollte er sie so weit wie möglich von sich stoßen. Sie machte ihn unvorsichtiger, verwundbarer, schwächer. Die Sehnsucht nach ihr und ihrem süßen Blut wuchs täglich und doch wusste er, dass es niemals sein würde.

Sie gehörte zu einem anderen. Den Mann, den er am meisten hasste.
 

Der Tag verlief beinah gewöhnlich, wenn Yuki außer Acht ließ, dass draußen ein Schneesturm tobte und sie seine Gefangenen waren. Die drohende Gefahr schwebte über ihnen und sie wusste, dass noch mehr auf sie warten würde, wenn sie wieder in die Stadt zurückkehrten. Doch Yuki fühlte sich nicht eine Sekunde unsicher oder in Gefahr. Zum einen wusste sie, dass sie sich schon wegen Ai nichts anmerken lassen durfte, und zum anderen fühlte sie sich wirklich beschützt. Sie fühlte sich sicher in den Wänden der Hütte, die aus dem Holz der Blutbuchen gebaut worden war, bei denen Kira den Tod gefunden hatte. Immer wieder sah sie sich sein Bild an und glaubte Zero nun ein bisschen besser zu verstehen.

Sie verbrachten ihre Zeit mit Spielen und Yuki bewunderte Ai jedes Mal, wie sie es immer wieder schaffte Zero zu überreden mitzuspielen. Es amüsierte sie regelrecht, wie er sich genervt geschlagen gab und wenn er es bemerkte, wie sie in sich hinein grinste, erntete sie gleich einen bösen Blick, bei dem sie aber absolut nicht ernst bleiben konnte. Es musste wohl später Nachmittag gewesen sein, als Ai sie bat, ihr etwas vorzulesen. Sie liebte es, sagte sie und Yuki wollte ihr diesen Gefallen nur zu gern tun. Unter den wenigen Büchern wählte Ai eines, das von einem Mädchen handelt, dass beide Eltern verloren hatte und zu ihrem Onkel geschickt wurde. Dort findet das Mädchen dann einen verborgenden Garten, der eine traurige Geschichte verbirgt.

Mit Zero, der ebenfalls Zuhörer war, war Yuki allerdings sehr nervös und sie wollte ganz besonders aufpassen, dass sie sich nicht verlas. Doch natürlich tat sie es so erst recht. Vielleicht sollte sie aufhören ständig zu ihm zu sehen, mahnte sie sich, nach jedem Wort über das sie gestolpert war. Doch ihm entlockte es nur ein leichtes Kopfschütteln und wenn sie genau hinsah, glaubte sie sogar ein winziges Lächeln zu erkennen. Aber davon wurde es auch nicht besser.

Der zweite Tag verlief ähnlich, es gab kleine Unterschiede im Ablauf und Ai zeichnete hin und wieder etwas. Es war auch der Tag an dem sie das erste Mal hörte, wie Zeros Stimme klang, wenn er Ai vorlas. Es war seltsam, dachte sie noch bevor er überhaupt begonnen hatte. Sie haben so viele Jahre zusammen gelebt, aber nie hatte sie ihn vorlesen gehört. Im Unterricht höchstens, aber da hatte sie meistens nicht zugehört. Und Yuki war sich sehr sicher, dass er ihr auch niemals vorgelesen hätte, wenn sie ihn darum gebeten hätte.

Aber kaum das die ersten Worte seine Lippen verlassen hatten, schwieg sie und ließ sich von ihnen forttragen. Sie war beinah überwältig mit welcher scheinbaren Leichtigkeit seine Stimme, die vor langer Zeit geschriebenen Worte lebendig werden ließ. Sie konnte nicht einmal sagen, was das Besondere war, schließlich kannte sie seine Stimme so gut, sie hätte sie unter tausenden erkannt und doch war sei in den Augenblick anders, weicher, wenn er sich über das Buch in seiner Hand beugte und las. Er schien regelrecht Bilder zu erzeugen, die vor ihren geschlossenen Augen schwebten und sich beständig veränderten. An Ais Gesicht erkannte Yuki, dass es ihr genauso ging. Sie hatte die Augen geschlossen und ein zufriedenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.

Nachdem Zero das Buch wieder geschlossen hatte, stieß Yuki einen hörbaren Seufzer aus. Erst als sie Zero ansah, wurde ihr dies bewusst. Sein Blick war fragend auf sie gerichtet.

„Was ist?“

„Wie machst du das nur? Ich hätte dir das nie zugetraut.“, gestand sie ihm unumwunden.

Sie bekam keine Antwort. Stattdessen zuckte er scheinbar gleichgültig mit den Schultern. „Ich lese es nur vor.“, antwortete er dann.

„Das mache ich auch, aber es klingt noch lange nicht so oder Ai?“

„Ja.“, antwortete diese kurz und nickte bekräftigend.

Zero sah erst Ai und dann sie wieder an bevor einer seiner Mundwinkel kurz nach oben zuckte. „Vielleicht hättest du dann nicht ständig im Unterricht schlafen sollen.“, antwortete er direkt.

„Ich?“, fragte sie ungläubig zurück. „Du hast doch viel mehr geschlafen als ich!“

„Das weißt du nicht.“, antwortete er und Yuki sah ihn perplex an.

„Natürlich weiß ich das! Ich saß vor dir!“

„Wie kannst du es dann wissen? Und wenn du selbst geschlafen hast, konntest du dich noch nicht gleichzeitig umdrehen und mich beobachten.“, konterte er.

„Das...“ Yuki brach ab. Diese Unterhaltung ergab überhaupt keinen Sinn! Es war vollkommen egal, was sie antwortete, er würde es nehmen und es so drehen, dass es auf sie zurückfiel. An seinem Gesicht konnte sie erkennen, dass sie recht hatte.

„Oh... das... du...“, schnappte sie nach Luft und kreuzte dann beleidigt die Arme über der Brust. Ai gluckste vergnügt neben ihr und Zero drehte sich ohne ein weiteres Wort um. Sie glaubte aber das Grinsen in seinem Gesicht, selbst von hinten noch sehen zu können. „Bäh.“, machte sie und streckte ihm dabei die Zunge heraus. Ai konnte sich inzwischen überhaupt nicht mehr halten und hielt sich inzwischen den Bauch vom vielen Lachen und ihr Lachen war so ansteckend, dass Yuki nicht anders konnte als einzustimmen.

Dabei wusste sie nicht einmal warum sie so lachte und sie glaubte auch nicht, dass Ai das wusste, aber es brauchte eine ganze Weile ehe sie sich wieder beruhigt hatte. Danach lagen sie beide auf dem Sofa und hielten sich die schmerzenden Bäuche und rangen nach Luft. Schon lange hatte sie nicht mehr so viel und so lang gelacht und obwohl ihr alles wehtat, fühlte sie sich dennoch befreit und glücklich. Yuki drehte den Kopf und sah zu Zero.

Er hatte sich so sehr verändert, dachte sie. Manchmal entdeckte sie noch die altvertrauten Züge an ihm: er war verschlossen, mürrisch und genervt. Doch dann überraschte er sie wieder mit etwas, was er tat oder sagte, dass sie sich fragte, ob das wirklich der Zero war, den sie vor so vielen Jahren kennengelernt hatte. Zeitweise kam er ihr so verwandelt vor, dass es ihr unheimlich erschien. Wie gerade eben. Er hätte so etwas doch früher nicht gemacht oder doch? Er hatte sie immer gern geärgert, aber... Es war schon so lange her. Er hatte sie töten wollen, wollte es vielleicht immer noch. Warum hatte er es dann getan? Weil sie hier eingesperrt waren? Oder um Ai aufzuheitern? Weil es sich einfach so ergeben hatte? Sie wusste es einfach nicht, doch sie sehnte sich nach einer klaren Antwort.

Mit den fehlenden Antworten kam auch die Frage auf, ob sie sich ebenso verändert hatte. Auch darauf kannte sie keine Antwort. Sie war in ihre Aufgabe als Mitglied der Kuran-Familie hineingewachsen, kannte ihre Verantwortung und versuchte sie gewissenhaft zu erfüllen, doch es machte sie nicht glücklich. Aber machte Zero sein Leben glücklich?

Es hatte zumindest den Anschein.

Der Tag war aber nicht nur vom Spielen und Lesen ausgefüllt, sondern auch vom Kochen und zu Yukis großer Überraschung auch vom Backen. Sie hatten in dieser Hütte nur wenige Möglichkeiten, aber es erstaunte sie jedes Mal aufs Neue, was Zero damit zu vollbringen vermochte. Sie brauchten gar nicht so viele verschiedene Essen, das war ihr klar, aber es war eine weitere Variante die Zeit etwas schneller vergehen zu lassen. Zero zeigte ihr und Ai was sie tun mussten, welche Gewürze sie brauchten und es bereitet ihr wirklich Freude etwas mit eigenen Händen zu schaffen, was dann auch noch genießbar war. Was Zero wirklich davon hielt, wenn er probierte, konnte sie nicht richtig einschätzen, aber er nickte und sagte, es sei nicht schlecht. Ein besseres Lob würde sie von ihm wohl erst einmal nicht bekommen können, aber das war ihr schon genug. Und wieder nahm sie sich vor, zu Hause auch öfter die Küche zu besuchen. Natürlich hatte sie dort auch schon probiert Kaname etwas zuzubereiten, doch es war ihr nie so geglückt. Sie wusste nicht, wo der Unterschied lag.

Am Ende des zweiten Tages, saß Zero vor dem Kamin, während sie eine Kanne Tee für sie beide kochte. Das Sofa war wieder ein Bett und Ai schlief bereits. Etwas, was Yuki verwunderte, denn eigentlich war sie der Meinung, dass Ai alles tun würde, um nicht so früh ins Bett zu gehen, zumal der Tag nicht zu anstrengend gewesen war.

„Sie wird recht zeitig Müde und schläft aber auch lange. Hätte ich gar nicht gedacht.“, sagte sie.

„Ja.“, antwortete Zero kurz und Yuki sah ihn an.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte sie überrascht, weil ihr der Unterton in seiner Stimme nicht entgangen war.

„Ich weiß es nicht.“, antwortet er ehrlich. „Es ist wirklich ungewöhnlich, dass sie jetzt bereits freiwillig ins Bett geht und dann auch noch so lange schläft. Aber vielleicht ist es auch wirklich nur die Anstrengung.“

Yuki beobachtet ihn, wie er sich über seine schlafende Ziehtochter beugte und ihr sanft das Haar zurückstrich.

„Glaubst du sie wird krank?“, hörte sie sich besorgt fragen.

„Ich hoffe nicht. Eigentlich ist sie ziemlich robust und lässt sich nicht so schnell umwerfen, aber die letzten Tage...“ Er sprach es nicht zu Ende, aber es war auch so klar, was er meinte.

Yuki goss den Tee in zwei Tassen und reichte eine davon Zero. Dann setzte sie sich vor das Sofa und neben Zero auf den Boden. Sie hatten einige Schlafsäcke herausgeholt und ausgebreitet und nutzten diese nun als Unterlage. Eigentlich hatte sie glaubte Zero würde darin schlafen, doch sie hatte ihn während der ganzen Zeit noch nicht einmal schlafen sehen. Immer ging sie vor ihm zu Bett und wenn sie erwachte, war er ebenso schon munter. Yuki hatte den Verdacht, dass er, wenn überhaupt, nicht länger als zwei, drei Stunden schlief. Die Schatten unter seinen Augen, schienen dies zu bestätigen. Er war immer darauf bedacht, dass das Feuer im Kamin nicht erlosch. Aber ihr Angebot sich neben Ai zu legen und selbst zu schlafen, während sie nach dem Feuer sah, hatte er stets abgelehnt. Sie wusste ganz genau, dass sie darüber nicht mit ihm zu diskutieren brauchte. In der Hinsicht hatte er sich überhaupt nicht verändert.

Zero küsste Ai noch einmal kurz auf die Stirn und setzte sich dann neben sie. Den Kopf legte er in den Nacken und schloss die Augen, während der Tee in seiner Tasse heißt dampfte. Vorsichtig trank Yuki einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse und überlegt, wie sie ihm wohl wenigstens eine ihrer vielen Fragen stellen könnte.

„Ich bin so müde.“, flüsterte Zero plötzlich und Yuki sah ihn erstaunt an. Sie wusste nicht warum, aber es kam ihr vor, als würde er eine Schwäche von sich zeigen. Als ob man das also solche bezeichnen könnte, dachte sie, aber sie wusste, dass Zero es wohl so sah. Und gerade das machte sie irgendwie glücklich. Er gab etwas von sich preis.

„Wovon?“, fragte sie.

„Von allem.“, antwortet er leise. „Einfach von allem.“

Dann schwieg sie eine Weile, weil sie nicht wusste, was sie antwortet sollte.

„Darf ich dich etwas fragen?“, sagte sie schließlich und sprach auch nicht sehr viel lauter, als er es zuvor getan hatte. „Wirst du mir ehrlich antworten, auch wenn ich es nicht verdient habe?“

„Doch, das hast du.“, wisperte er. Bevor er weiter sprach, senkte er den Kopf und sah sie nun auch an. „Du hast Ai gerettet und zu mir zurückgebracht. Auch jetzt bist du mir eine große Hilfe. Ai vertraut dir. Vielleicht braucht sie jemanden wie dich in ihrem Leben.“

Eine leichte Röte zog sich über ihr Gesicht und sie mahnte sich selbst, sich seine Worte nicht so sehr anzunehmen, wie ihr Herz es gern getan hätte. Er war nur höflich und nett. Er war einfach Zero – obwohl höflich und nett da auch nicht sonderlich passte, dachte sie.

Er verwirrte sie nur noch mehr.

„Was ist mit Frau Sayuka? Sie behandelt Ai wie ihr eigenes Kind. Ich bin sicher, sie würde ebenso alles für sie tun, wie ich.“

„Es stimmt, dass sie sie wie ein eigenes Kind behandelt und ich bin ihr für sehr vieles dankbar. Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, was ich getan hätte, wenn sie uns nicht so bereitwillig aufgenommen hätte. Aber es ist anders... Frau Sayuka ist... sie ist anders als du.“

„Oh... das ist... Ich weiß nicht...“, stammelte sie verlegen. Zero lachte leise. Es sah ihr so ähnlich bei solch einfachen Worten nervös zu werden.

„Wolltest du mich nicht etwas fragen?“, erlöste er sie deswegen aus ihrer Verlegenheit. Zero hörte, wie sie noch einmal tief Luft holte.

„Warum Ichirus Name?“, sagte sie dann.

Er hatte diese Frage schon lange erwartet. „Niemand sucht nach einem Toten. … Es war das einfachste. Ich dachte, dass ich ihn so nie vergessen würde.“

„Das würdest du auch so nicht, auch ohne diesen Namen.“, widersprach sie sanft.

„Nein, werde ich nicht.“, erwiderte er.

Wieder sah er sie an und dann hob er die Hand und strich ihr vollkommen unerwartet über die Wange. Mit großen Augen sah sie ihn an, ihr Körper war erstarrt, unfähig sich zu bewegen. Nie hätte sie diese Geste vorausahnen können.

Die Stelle, die er berührte begann augenblicklich zu kribbeln und Yuki wurde ganz heiß im Gesicht. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er das öfter gemacht, genauso sanft und ... ja, sie wagte es zu denken, beinah liebevoll. Es jetzt wieder zu spüren ließ Herz einen Takt schneller schlagen.

„Du siehst müde aus.“, sagte er leise und zog seine Hand zurück.

„Nicht mehr als du.“, gab sie zurück und bemühte sich so normal wie möglich zu klingen, obwohl sie glaubte, dass ihre Stimme einen Ton höher war als sonst.

Zero schmunzelte leicht, wunderte sich aber über sich selbst. Er wusste nicht, was ihn gerade zu dieser Handlung veranlasst hatte, warum er diesem Impuls nachgegeben hatte. Aber es hatte sich nicht schlecht angefühlt. „Leg du dich hin und schlaf ein wenig, du hast es im Moment wohl dringender nötig.“, antwortete Yuki und riss ihn somit aus seinen Gedanken.

„Nein, später vielleicht.“ Seine Stimme klang endgültig, wie so oft und deswegen verzichtete sie darauf zu widersprechen. Außerdem war sie wirklich müde, auch wenn sie nicht richtig wusste wovon, und ihre Wange glühte immer noch ein wenig.

Sie erhob sich vorsichtig, trank ihren Tee zu Ende. Zero nahm ihr die Tasse ab. „Wenn du aufwachst werde ich mich hinlegen.“, sagte er kurz.

„Das solltest du wirklich. Ich werde dann nach dem Feuer sehen.“

„Ja.“, erwiderte er und nickte.
 

Irgendwann erwachte Yuki auf einmal, weil sie ein Kratzen im Hals verspürte. Es war nicht das Kratzen einer Erkältung, welches sie nur zu gut kannte. Nein, es war anders und kündigte von einem Verlangen. Aber Yuki war noch zu schlaftrunken, dass sie es nicht einmal schaffte einen klaren Gedanken zu fassen. Sie drehte sich auf die andere Seite und war im nächsten Moment wieder eingeschlafen.

Am nächsten Morgen dachte sie kurz darüber nach, ob sie es nur geträumt hatte, doch das Kratzen war noch da und dieses Mal realisierte sie sofort was es bedeutete.

Augenblicklich saß sie aufrecht im Bett.

„Was ist los?“, hörte sie Zeros Stimme fragen, der noch immer vor dem Sofa saß.

Sie blickte ihn kurz an, wich seinem Blick aber gleich wieder aus. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Er durfte es nicht erfahren.

„Nichts. Ich muss nur etwas trinken.“, log sie ohne zu überlegen. Sie stand auf und ging zu dem Tisch auf dem eine Kanne Wasser stand. Sie nahm ihr Glas vom Vortag und füllte es mit zitternden Fingern. Dann trank sie es rasch aus.

Das konnte nicht sein!, schrie es innerlich in ihr. Nicht jetzt! Warum?!

Sie dachte nach. Das letzte Mal hatte sie vor ihrer Abreise Kanames Blut genommen. Dann hatte sie von den Bluttabletten gelebt und diese regelmäßig genommen. Es war ihr am Anfang zwar schwer gefallen, hatte sich aber daran gewöhnt. Die Tabletten hatten den Durst unterdrückt und ihr war es gelungen ohne das Blut eines anderen zu leben. Sie hatte sich fast unabhängig und befreit davon gefühlt. Als sie zurück war, wollte sie Kanames Blut nicht. Warum nicht? Sie wollte nicht wieder abhängig werden, sondern ein Leben ohne den leben, wenigstens für eine Weile. Und dann waren sie schon auf der Flucht gewesen. Es war aufregend gewesen und gefährlich, aber sie hatte sich nicht zu sehr überanstrengt. Die Erinnerungen des Kapitäns zu verändern hingegen war etwas anderes. Dann war Ai davon gelaufen, die Suche nach ihr und die Schneelawine. Sie hatte Angst verspürt, große Angst, aber konnte das ausreichen um den Effekt der Bluttabletten so schnell zu mindern? Andererseits hatte sie die Tabletten seit ihrer Ankunft bei Kaname auch nicht mehr genommen. Das war jetzt fünf oder sechs Tage her. Das Gefühl für Zeit schien ihr inzwischen auch zu entgleiten.

Yuki ließ den Kopf hängen. Natürlich, sie war es nicht gewohnt so lange ohne die Tabletten auszukommen, genauso wie es vorher bei Blut der Fall gewesen war. Sie hatte sich eine neue Abhängigkeit geschaffen. Sie war es nicht gewöhnt zu dursten. Aber warum war Zero nicht davon betroffen?

Warum gerade jetzt?!, fragte sie sich beinah verzweifelt.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Zero noch einmal, der bemerkt hatte, dass ihre Körperhaltung eine anderen war.

Sie setzte das Glas ab und ermahnte sich selbst. Sie straffte ihre Schultern und drückte das Kreuz durch. Keineswegs durfte sie es ihn wissen lassen. Ein paar Tage würde es noch gehen, dessen war sie sich sicher. Dann konnte sie Zero um Bluttabletten bitten. Sicher hatte er welche. Er musste! Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn nicht.

„Ja, es ist alles in Ordnung.“, sagte sie, was, wie sie hoffte, vollkommen normal für sie klang. „Willst du dich jetzt hinlegen?“

Zero sah sie kurz an und Yuki glaubte so etwas wie Misstrauen in seinen Blick lesen zu können. Doch sie erwiderte ihn, obwohl sie am liebsten vor Scham weggesehen hätte.

„Ja.“, antwortete er langsam. „Pass auf, dass das Feuer nicht ausgeht.“

„Ja, natürlich.“

Zero legte sich neben Ai und als er den Kopf auf das Kissen legte, wäre er am liebsten wieder aufgesprungen. Alles roch nach ihr!, dachte er und wollte nicht einmal weiter einatmen, während sein Inneres sich verlangend zusammenzog. Der Geruch betörte ihn und erinnerte ihn einmal mehr daran, was niemals seins sein würde.

Schon allein auf so engem Raum mit ihr zusammenzuleben, ließ ihn seine über die Jahre aufgebaute Selbstbeherrschung fast vergessen. Wäre Ai nicht gewesen, er wüsste nicht, was er bereits getan hätte.

Das Monster in ihm schrie immer lauter nach ihrem Blut. Wie lange würde er es noch kontrollieren können? Er wusste, dass er Tage, wenn nicht sogar Wochen ohne die Bluttabletten auskommen konnte. Aber nie war Yuki dabei in seiner Nähe gewesen.

Und es war nicht nur das Wesen in ihm, welches sie begehrte.

Die kommenden Tage würden ihm all seine Kraft abverlangen. Er hoffte inständig, dass es bald vorbei sein würde.

Er legte einen Arm und Ai und zog sie näher an sich. Ihren Geruch kannte er nur zu gut und er weckte in ihm auch nicht dieses unersättliche Ungeheuer. Er würde sie nicht mehr aus den Augen lassen. Yukis Verhalten war ihm merkwürdig erschienen und sie hatte ihn kaum angesehen. Dennoch hatte er einen kurzen Blick auf ihre Augen erhascht. Sie waren nicht mehr ganz so braun gewesen, wie er es von ihr kannte. Stattdessen hatte ein Stich ins Rote darin gelegen.
 

Der Tag zog sich länger dahin, als die anderen beiden zuvor. Yuki war dankbar, als Ai erwachte und sie sich mit ihr beschäftigen konnte. Es lenkte sie von dem immer größer werdenden Durst ab, den sie am Morgen noch leicht ignorieren konnte, der gegen Abend aber schon wie ein großes Tier war. Sie versuchte sich immer wieder einzureden, dass sie es noch ein paar weitere Tage aushalten konnte, doch tief in ihrem Inneren wusste sie inzwischen, dass es unwahrscheinlich war. Deswegen versuchte sie auch Ai nicht mehr zu nahe zu kommen und sich gleichzeitig dennoch nichts anmerken zu lassen. Noch nie hatte sie sich so hin und her gerissen gefühlt, wie in diesen Stunden.

Und sie wusste, dass Zero sie beobachtete. Unauffällig und wie zufällig kreuzten sich ihre Blicke immer wieder, aber sie wusste, dass dem nicht so wahr. Oder doch... bildete sie sich alle nur ein? Sie wusste es nicht. Vielleicht irrte sie ja auch, weil sie Zero selbst nicht mehr ins Gesicht sehen mochte. Der Schneesturm ließ nicht nach und sie ahnte, dass es so bleiben würde. Es gab kein Entkommen. Allein dieses Wissen, dass es noch Tage dauern konnte bis sie Bluttabletten bekam, schien ihren Durst nur noch mehr anschwellen zu lassen.

„Ai, geht es dir wirklich gut?“, fragte Zero seine Tochter gerade und Yukis Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf das Mädchen.

„Ja.“, sagte diese mit leiser Stimme. „Wirklich.“, hängte sie sofort an, als Zero sie fragend anschaute.

„Du bist die ganze Zeit schon so still, was wirklich seltsam für dich ist und du schläfst so viel und das ist noch viel seltsamer.“, sagte Zero scherzhaft, legte aber eine Hand auf ihre Stirn.

Ai schüttelte den Kopf. „Oh, ich soll mehr erzählen? Dabei sagst du doch immer ich rede zu viel und wenn ich das mal nicht mache, ist es gleich seltsam.“, sagte sie und klang beleidigt.

„So meinte ich das nicht.“, erwiderte Zero sofort und bereute, dass er ihr das überhaupt gesagt hatte. Sicher ging ihr auch sehr viel durch den Kopf, er wünschte nur, sie würde es ihm sagen. „Und wenn ich schlafe, geht die Zeit viel schneller vorbei.“, erklärte sie mit ernsten Gesicht, musste dann aber grinsen. Zero lächelte leicht. „Na, wenn du meinst.“

Ai erwiderte das Lächeln und sah ihn an. „Mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut und wenn nicht, dann sage ich dir das.“, versprach sie.

„Das will ich hoffen.“, sprach Zero und streichelte ihre Wange.

Sie nickte noch einmal, dann vertiefte sie sich wieder in das Buch, das auf ihrem Schoß lag.

Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen und wenn sie die Augen zusammenkniff und wieder öffnete, tanzen die Wörter über die Seite. Sie hatte furchtbare Kopfschmerzen und ihr ganzer Körper tat ihr weh. Einzig, wenn sie schlief merkte sie nichts davon. Die Luft im Raum kam ihr zu stickig vor, obwohl sie wusste, dass es nicht sein konnte. Ihr Hals tat weh, wenn sie schluckte und jedes Mal wenn sie etwas aß, kratze es. Sie war froh, dass sie nicht Husten oder Niesen musste. So konnte sie es wenigstens für sich behalten.

Denn auf keinen Fall würde sie ihrem Papa davon erzählen. Sie wollte ihm wenigstens das ersparen. Er hatte wirklich andere Sorgen, dass sah sie an seinem Gesicht, wenn er glaubte sie würde es nicht merken. Es war nur eine einfache Erkältung und würde schon wieder vorbei gehen, sagte sie sich. So etwas kam und ging recht schnell bei ihr. Es gab also keinen Grund, es ihm zu sagen. Tee gab es ja auch genug zu trinken. Sie musste nur so tun, als sei alles in Ordnung und dann würde es das gewiss auch so sein.
 

Am Abend war das Gefühl und die Unruhe in Yukis Innerem drängender. Es kostete ihr Kraft ruhig sitzen zu bleiben und immer noch so zu tun als sei alles in Ordnung. Sie bemühte sich sehr, es zu ignorieren, sich selbst beschäftigt zu halten, um nicht die ganze Zeit daran denken zu müssen. Doch das Verlangen nach Blut war inzwischen so stark, dass sie es kaum noch verdrängen konnte, so sehr sie auch nach Ablenkung suchte. Und nachdem Ai zu Bett gegangen war und sie mit Zero wieder allein war, wurde es nur umso schlimmer.

Yuki vermied es jetzt sich in seiner Nähe aufzuhalten. Selbst ihm am Tisch gegenüber zu sitzen war ihr schon zu nah. Als sie gemeinsam gekocht hatten, war sie ihm sehr nah gekommen. Sie hatte dabei seinen Duft wahrgenommen, ein Geruch, den sie schon tausende Male gerochen hatte, doch der ihr, in dieser Situation, den Atem geraubt hatte. Er hatte etwas in ihr ausgelöst, dass sie bisher nur bei Kaname verspürt hatte und ihr Durst schien ihr auf einmal doppelt so groß. Schon bald würde es übermächtig werden und sie alles vergessen lassen. Sie zu einem unberechenbaren und gierigem Monster werden, wenn es ihr nicht gelang, es zu kontrollieren.

Aber seit wann war es so? Wie ist es geschehen, dass sie in Zeros Nähe so empfand?

Sie hatte bemerkt, dass etwas zwischen ihnen anders war, als vor zwanzig Jahren. Sie fühlte sich zu Zero hingezogen, dass hatte sie immer. Er war ihr Freund, zeitweise wie ein Bruder für sie, doch nun war es irgendwie anders. Sie war neugierig, wie sein Blut wohl schmecken würde. Sie wollte wissen, wie es sich anfühlte, wenn sie ihre Zähne in seinem Hals vergrub.

Vor Schreck über diese Gedanken ließ sie ihre Gabel fallen.

„Was ist?“, fragte Zero sie.

Sie schüttelte den Kopf und nahm die Gabel wieder in die Hand. Erst dann fiel ihr auf, dass ihr Teller schon leer war. Sie konnte sich gar nicht erinnern, etwas gegessen zu haben.

„Nichts, ich war nur gerade... in Gedanken.“

„Das habe ich gemerkt. Sieht dir gar nicht ähnlich.“

Wieder streckte sie ihm die Zunge raus und machte sich dann daran den Tisch abzuräumen.

„Wie lange werden wir noch hier drin bleiben müssen?“, fragte sie mehr sich selbst, als Zero. Sie musste unbedingt weg von diesem Ort, weg von ihm. Ihre Gedanken erschreckten sie. Es durfte niemals geschehen! Niemals durfte sie das zulassen. Alles würde wieder zerbrechen, wenn sie sich selbst vergessen und ihre Kontrolle verlieren würde. Nie wieder würde sie Zero in die Augen sehen können und er würde ihr nie verzeihen.

Sie konnte das! Jawohl! Sie würde es schaffen, keine Frage... Ihm gelang es, also gelang es ihr auch. Es war nur eine Frage der Konzentration, versuchte sie sich selbst Mut zu machen.

„Ich weiß es nicht.“, antwortete Zero ihr und sie bemühte sich, nur seiner Stimme zuzuhören und nicht dem Wesen in sich. „Eigentlich waren nur vier Tage vorhergesagt, aber es werden wohl mehr. Wir müssen noch ein paar Tage länger ausharren.“

Schweigen trat kurz ein und Yuki stellte das Geschirr in die Waschschüssel. Das Wasser im Topf hatte gerade die richtige Temperatur und sie goss es in die Schüssel.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Zero sie nun geradeheraus und Yuki entglitt für einen kurzen Moment, der Topf, fing ihn aber rechtzeitig wieder auf, bevor er auf das Geschirr fallen konnte.

„Was? Nein, es ist alles in Ordnung. Wie kommst du darauf?“, fragte sie statt einer Antwort zurück.

Sie wandte sich gerade wieder dem Geschirr zu, als Zero sie plötzlich am Handgelenk packte und sie sich erschrocken zu ihm umdrehte.

Er hat es bemerkt!, schrie es in ihrem Kopf. Natürlich ließ er sich nicht so einfach täuschen! Was dachte er jetzt über sie?! Sie versuchte es ja! Wirklich! Aber sie war nun mal nicht so erfahren wie er! Sie war es nicht gewöhnt zu dursten!!!, dachte sie verzweifelt. Doch sie wagte es nicht es laut auszusprechen. Es würde sicher so klingen, als suche sie nur nach Entschuldigungen.
 

Unsicherheit und Angst lag in ihren Augen. Zero konnte es klar und deutlich erkennen. Er sah den Kampf darin, den sie mit sich selbst ausfocht und bei dem er ihr nicht beistehen konnte. Ihre Augen waren nun schon rotbraun. Er konnte es selbst in diesem schwachen Licht erkennen. Aber noch war Zeit, dachte er. Er sah, wie sie versuchte dagegen anzukämpfen und ganz gewiss, machte er ihr auch keine Vorwürfe. Ihr Leben war friedlich gewesen. Für sie war es leicht gewesen. Sie kannte weder Hunger noch Durst. Sie musste es allein schaffen.

Aber er würde sie nicht mehr in Ais Nähe lassen.

Ohne ein Wort gesagt zu haben, ließ er ihren Arm schließlich los und Yuki rieb sich das Handgelenk. Nicht, weil es schmerzte, sondern weil seine Berührung auf ihrer Haut brannte.

„Es kann sich nur noch um zwei, drei Tage handeln. Länger haben sie sich eigentlich noch nie verschätzt.“, sagte er und Yuki schluckte heftig.

Er wusste es.

„Hoffen wir es.“, antwortete sie bloß und machte schweigend den Abwasch, während Zero das Geschirr trocknete.

„Warum ist es bei dir nicht so?“, wisperte sie schließlich, weil sie die drückende Stille einfach nicht mehr ertragen konnte.

„Ich hatte genügend Zeit.“, war seine einfache Antwort und er hatte damit genug gesagt. Seine Worte bei ihrem letzten Abschied hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt und über die Jahre hinweg, hatte sie sie tausende von Malen in ihrer Erinnerung gehört. Sie hatte kein Recht ihn so etwas zu fragen.

„Wie lange noch?“, war es nun er, der mit ihr sprach. Die Worte, die dabei unausgesprochen blieben hingen schwer zwischen ihnen und raubten einem fast die Luft zum atmen.

„Mach dir keine Gedanken. Ich kann es kontrollieren.“, antwortete sie und ihre Stimme klang entschlossen. Doch Zero wusste, dass das nicht die Wahrheit sein musste. Yuki war zwar eine furchtbar schlechte Lügnerin, doch manchmal fiel es auch ihm schwer sie zu durchschauen.

Zero antwortete ihr nicht, sondern setzte sich wieder an den Tisch und sah eine Weile zu Ai.

„Woran denkst du?“, fragte sie ihn.

„Woran ich immer denke.“, antwortete er ehrlich. „Kann ich sie beschützen? Habe ich die Kraft dazu? Was wird geschehen, wenn nicht?“

„Ja, so geht es mir auch.“

Fragend sah er sie an, schüttelte dann aber gleich den Kopf. „Entschuldige. Ich weiß einfach immer noch nicht, was das alles zu bedeuten hat.“

„Was meinst du?“ Ihr Herz schlug einen Tackt schneller. Was war alles für ihn? Diese ganze Situation? Dass sie nun bei ihm war?

„Alles eben.“, antwortete er ausweichend.

„Zero, ich bin mir sicher, dass es uns gelingen wird sie zu beschützen. Aber vielleicht solltest du nicht mehr länger warten und es ihr sagen.“, sagte sie vorsichtig.

„Du hast ja recht.“, erschöpft fuhr er sich durch die Haare. Etwas, was sie bei Zero noch nie gesehen hatte. „Ich will sie nur nicht unnötig ängstigen. Es kann noch Tage dauern, ehe wir zurückkönnen. Andererseits kann sie selbst dann in Ruhe darüber nachdenken. Ich weiß nicht, was richtiger wäre. Zumal ich selbst nicht weiß, wie es enden wird.“

„Du kannst unmöglich gegen alle antreten. Selbst, wenn ich dir helfe – und das werde ich“, hängte sie sofort an, „werden es immer noch sehr viele sein.“

„Würdest du auch deinem eigenen Bruder gegenüber treten?“ Seine Augen schienen sich direkt in ihr Herz zu bohren. Er wusste, wovon er sprach.

Yuki schluckte kurz bevor sie antwortete. Sie hatte oft daran gedacht. Auch in jenem Moment, als sie mit Ai das Anwesen der Kurans verlassen hatte. Doch genau in diesem Moment hatte sie sich auch dazu entschieden im Ernstfall für Ai zu kämpfen und wenn es gegen ihren geliebten Onii-sama sein musste.

„Ja.“, antwortete sie schließlich.

„Ich glaube nicht, dass du weißt, worauf du dich einlässt. Aber ich werde dir dankbar sein. Wir werden jede Hilfe brauchen können.“

Yuki nickte ernst. Sie wusste wozu Zero in der Lage war und erst recht, wenn er so entschlossen war, wie im Moment. Dennoch konnte sie das ungute Gefühl einfach nicht abschütteln. Kaname würde nicht einfach so von Ai lassen. Zu gefährlich schien sie ihm und Zero. Kaname hatte ihm immer noch nicht vergeben, dass er damals die Waffe auf sie gerichtet hatte.

„Möglicherweise müssen wir auch gar nicht gegen sie kämpfen.“, sagte Yuki vorsichtig, war doch aber selbst von ihren eigenen Worten nicht ganz überzeugt.

„Ach nein? Und was sollen wir deiner Meinung nach sonst tun? Mit ihnen reden?!“, fragte er sie bissig, was eigentlich gar nicht ins einer Absicht lag. Trotzdem hatte er das Gefühl nicht mehr länger untätig herumsitzen zu können. Die Ungewissheit des Kommenden machte ihn fast wahnsinnig.

„Ja.“ Vollkommen überrascht schlug Yuki sich die Hand auf den Mund. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Selbst in Zeros Gesicht, konnte sie seine Überraschung lesen. Das war überhaupt nicht ihre Absicht gewesen.

„Ähm... Ich... Was ich meine...“, stammelte sie. Warum hatte sie das gesagt?

Zero sah sie weiterhin an. Offenbar erwartete er jetzt ernsthaft eine Erklärung.

„Also... vielleicht glauben sie endlich, dass du und Ai keine Gefahr für sie darstellen, wenn du ihnen als erstes zeigst, wie sehr du dich geändert hast, dass du nur dein altes Leben weiter leben willst und Ai beschützt. Und du hast dich verändert! Daran besteht kein Zweifel! Ich meine, vielleicht kann es so einen anderen Ausgang geben.“ Zum Ende hin war sie immer leiser geworden. Sie wusste ja selbst, wie unwahrscheinlich das alles war.

Zero atmete schwer ein und aus. Er konnte nicht behaupten, dass ihm dieser Vorschlag unbedingt zusagte.

„Sie würden mir nicht einmal zuhören.“, wiedersprach er dann.

„Das kannst du nicht wissen. Aber es wäre eine Alternative, eine andere Möglichkeit, die vielleicht schlimmeres verhindert.“, beharrte sie.

Zero sah zu Ai und beobachtete ihre friedlich schlafende Gestalt. „Vielleicht hast du ja recht.“, räumte er schließlich ein. Er war zu allem bereit, um es Ai so leicht wie möglich zu machen.

Es war unglaublich, wie viel ihm dieses Mädchen bedeutet, realisierte er wieder einmal mit erschrecken. Dabei war sie nicht selten nervend, vollkommen unkonzentriert, konnte nicht ernst sein und hatte einen Appetit, der nicht normal sein konnte. Und ihr Vater war ein Vampir, dachte er. Doch das änderte nichts an ihr. Sie war das Mädchen, welches er vor fünf Jahren in diesem Haus gefunden hatte. Das hatte er in den letzten Tagen nur umso deutlicher gespürt. Die Herkunft spielte keine Rolle. Nicht bei ihr. Sie hatte ihn nicht betrogen.

Zero atmete schwer aus. Er konnte jetzt keine Entscheidung treffen, aber er wusste auch nicht worauf er eigentlich wartete.

„Ich leg mich hin.“, sagte er schließlich.

„Geht es dir nicht gut?“, fragte Yuki sofort, die es merkwürdig fand, dass er freiwillig und noch vor ihr bereit war sich schlafen zu legen.

„Nein. Ich hatte nur ein bisschen wenig Schlaf in letzter Zeit.“, antwortete er ihr, woraufhin Yuki leicht lächeln musste.

„Selber schuld.“

„Ja, ja.“

Yuki wusste, dass seine leichte Art nur gespielt war. Sie ahnte, was wirklich in seinem Kopf vorging und sie verstand, dass er allein und in Ruhe darüber nachdenken musste. Deswegen ging sie auch nicht davon aus, dass er gleich schlafen würde. Aber hier gab es nun einmal keinen anderen Raum in dem man ungestört sein konnte. Und vielleicht wollte er sie auch nicht mehr mit Ai allein lassen.
 

Selbstverständlich schlief Zero nicht gleich ein. Er wusste gar nicht, wann er das letzte Mal länger als drei Stunden geschlafen hatte. Zu viele Gedanken kreisten ihn im Kopf umher. Yukis Worte hatten etwas Wahres. Er wusste selbst am besten, dass er sich verändert hatte. Auch wenn ihm diese Veränderungen vielleicht nicht so gravierend erschienen wie Yuki oder dem Rektor oder Yagari, war er sich deren dennoch bewusst. Aber würde das ausreichen, um die anderen – um die Hunter – davon zu überzeugen, dass er keinerlei Interesse daran hatte sich gegen sie zu stellen? Er konnte es sich nicht vorstellen. Würden sie wirklich so einfach mit sich reden lassen? So wie er sie kannte nicht. Und Kaito hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht.

Und Kaname? Gelinde gesagt, wer der ihm egal. Sollte er einen Kampf wollen, würde er ihn bekommen. Es würde ihm nur zu recht sein. Auch er hatte noch eine offene Rechnung mit ihm zu begleichen. Allerdings war da immer noch Ai...

Zero seufzte. Es war egal, wie er es drehte und wendete, nie fand er eine optimale Lösung. Vielleicht sollten sie wirklich einfach nur abwarten bis sie zurück waren und sehen was passierte.

Aber er hasste es zu warten.
 

Yuki hörte ihn seufzen und fühlte sich in ihrer Vermutung bestätigt. Sie sah von dem Buch auf, welche sie sich genommen hatte und sich nur schwerlich darauf konzentrieren konnte. Sie war noch nie ein großer und ausdauernder Leser gewesen und sie tat es auch nur, um sich die Zeit hier zu vertreiben und sie hoffte, dass es ihr half sich von ihrem Durst auszublenden. Doch Zeros Aufseufzen hatte sie aus ihrer Konzentration gerissen und wieder verspürte sie dieses unangenehme Kribbeln und Kratzen. Es war noch schlimmer als zuvor und zu ihrem eigenen Schrecken realisierte sie, dass sie es wohl doch nicht so lange aushalten würde, wie sie noch am Morgen geglaubt hatte, wie sie sich gern einreden wollte.

Trotz allem versuchte sie sich wieder auf die Zeilen vor sich zu konzentrieren. Sie würde alles tun, um es zu verhindern. Vielleicht könnte sie auch etwas Stricken oder so, überlegte sie, während sie die Buchstaben anstarrte. Wolle war da und ein paar Stricknadeln hatte sie auch gesehen. Ihr Vater hatte vor einigen Jahren versucht es ihr beizubringen, es dann aber verzweifelt aufgegeben. Und eigentlich hatte sie dazu noch weniger Lust als zum lesen. Sie war einfach keine Hausfrau, dachte sie leicht verärgert und sie hatte auch nie eine sein müssen. Alles war für sie getan worden, etwas worüber sie sich in letzter Zeit oft geärgert hatte. Schließlich konnte es nicht schaden gewisse grundlegende Dinge selbst zu beherrschen.

Drei Stunden versuchte sie es beinah krampfhaft sich auf das Buch zu konzentrieren, dann hatte sie vier Kapitel geschafft und gab sie es schließlich auf. Sie stützte den Kopf in die Hände und versuchte verzweifelt die Unruhe und das Verlangen in ihrem Innern zu bändigen.

Ganz ruhig, redete sie sich selbst zu. Sie ließ die Hände wieder sinken und legte sie in ihren Schoß. Dann setzte sie sich gerade auf und schloss die Augen. Sie versuchte sich auf einen Punkt in ihrem Inneren zu konzentrieren. Nicht das Wesen, welches immer lauter und unüberhörbarer schrie, sondern auf ihren Herzschlag. Sie konnten ihn klar und deutlich hören. Er war kräftig und gleichmäßig, wirkte beruhigend auf sie.

Dann atmete sie tief ein, hielt die Luft einen Moment in ihren Lungen, bevor sie sie wieder entließ. Das wiederholte sie und noch einmal und noch einmal.

Erst dann nahm sie den Geruch war.

Er war so süß und rein, unschuldig und unverfälscht. Die warme Luft im Raum trug ihn zu ihr herüber und sie spürte, wie sich der Speichel in ihrem Mund sammelte und wie sie unbewusst nach der Quelle dessen suchte.

Von wem kam dieser Duft. Von Zero? Von Ai? Sie konnte es nicht genau sagen.

Wie in Trance stand sie auf, nicht in der Lage dem Drang zu wiederstehen. Ihr eigener Geist fast gänzlich verschwunden. Da war nur noch der Durst der nach Befriedigung verlangte. Ihr Unterbewusstsein flüsterte ihr, dass es falsch war, dass sie handeln musste, wollte sie nicht den größten Fehler ihres Lebens begehen und doch trugen ihre Beine sie weiter, direkt bis zum Sofa.

Dort blieb sie schließlich stehen und beugte sich über die zwei schlafenden Gestalten. Es war so einfach, dachte sie. Sie bräuchte nur zu zubeißen. Yuki öffnete ihren Mund leicht und ihr konnte das Blut bereits auf ihrer Zunge schmecken.

Mit wem sollte sie beginnen?

Es wäre besser Zero zuerst auszuschalten und dann das Mädchen zu nehmen. Die Gefahr wäre zu groß, dass er sie aufhalten könnte. Sie musste ihn zuerst...

In jenem Moment bewegte sich Ai und Yuki hielt inne. Ein kurzer Augenblick, die sie wieder zu sich selbst brachte.

OH GOTT!!!, dachte sie entsetzt über sich selbst.

Was hatte sie gerade gedacht?!

Wie konnte sie...

Angewiderte schlug sie die Hand vor den Mund. Wie hatte sie auch nur eine Sekunde die Kontrolle verlieren können?!

Sie musste weg hier! Sie musste fort von ihnen. Sie würde sonst... sie würde...

Aber wohin?!
 

Ein Geräusch weckte Zero und er spürte sofort, dass etwas anders war. Die Stimmung in der Hütte war dunkler und bedrohlicher, als hätte sich etwas Böses eingeschlichen. Er richtet sich auf und sah sich um. Yuki sah er nicht, aber sie war noch da. Er spürte sie.

Zero blickte zu Ai, die noch immer schlief. Er stand auf und ging zu der Luke, die nach unten in die Vorratskammer und das kleine Bad führte. Er hatte ein ungutes Gefühl. Aber vielleicht irrte er. Vielleicht war Yuki nur im Bad. Er öffnete die Luke und es überraschte ihn nicht, dass es unten vollkommen dunkel war.

„Yuki?“, fragte er leise und stieg schon die erste Stufe nach unten. Seine Augen würden sich schnell daran gewöhnt haben auch wenn da unten nichts als Finsternis herrschte. Er nahm die zweite Stufe und die nächste.

„Bitte nicht.“, hörte er sie flüstern, obwohl es eher einem Wimmern glich. In der Ecke direkt neben den Säcken voll Reis, sah er ihre Gestalt kauern.

„Warum bist du hier?“, hörte er sich wie von selbst fragen, obgleich er die Antwort ahnte.

„Bleib da.“, wisperte sie mit zittriger Stimme. „Bitte bleib da.“

Zero blickte kurz nach oben, dann zog er die Luke hinter sich zu. Vollkommene Dunkelheit verschluckte sie beide.

Dann roch er es so intensiv, dass ihm von dem Unerwarteten und doch so lang Ersehntem fast schwindlig wurde – ihrem Blut.

Trotz der Augen eines Vampirs sah er sie kaum, aber er kannte den Raum, hatte ihn viele Male schon betreten. Er stieg die Treppe nach unten und ging langsam in ihre Richtig. Es war falsch, er sollte umkehren, sagte eine leise Stimme in ihm. Dennoch lief er weiter, Schritt für Schritt, bis er kurz vor ihr stand. Ein Kribbeln wuchs in seinen Körper und Zero fühlte, wie etwas sich in ihm aufbaute. Erwartung.

„Zero, bitte... Geh!“, flehte sie ihn an.

Doch er blieb. Sie konnte ihn spüren, so ganz nah bei sich. Sie konnte fast seinen Herzschlag hören, der das süße Getränk durch seine Adern pumpte. Sie wusste dass es dumm gewesen war sich selbst zu beißen und doch hatte sie es getan. Ihr Blut musste ihn nur noch mehr quälen. Dabei wusste er doch schon längst warum sie hier war. Warum ging er nicht? Er machte es nur noch schlimmer.

„Yuki...du...“

Seine sanfte Stimme war wie ein Verhöhnen ihrer eigenen Qual. Yukis Geist verschwand und zurück blieb der Teil von ihr, der sie noch immer ängstigte und den sie doch nicht geschafft hatte zu kontrollieren.
 

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Es heißt ja man soll aufhören, wenn’s am schönste ist und ich weiß nicht, ob es für euch schön ist, aber für mich schon. XP Ich weiß ja auch, was danach kommt. *hehe*
 

Ich hoffe das Chap hat euch für die lange Wartezeit entschädigt, wenn auch nur ein bisschen. Ich glaube es wollte es selbst wieder gut machen, denn es wuchs seltsamerweise von 6000 auf diese 8000 Wörter.^^

Leider sind meine Prüfungen noch nicht vorbei und ich habe bisher erst 28 Kapitel geschrieben. Die letzten zwei werden noch mal kritisch, weil ich mir die schon sehr genau vorstelle und meistens noch was dazwischen kommt. Das passiert eben, wenn die Charas ihr Eigenleben entwickeln.
 

Bis bald in chap 24, ich würde mich freuen, euch wieder zu lesen.
 

LG Maidlin

Was ich getan habe

Es gibt ein neues Kapitel.^^ Unschwer zu erkennen. Ich will auch nicht viel sagen, außer dass ich es leicht unheimlich finde, wie sehr dieses Kapitel gerade mit dem aktuellen Chap (73) übereinstimmt. O.O Nur die Gründe sind andere...

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Was ich getan habe
 

Wie ein Tier stürzte sie sich auf ihn und riss ihn zu Boden.

Blitzschnell und ohne jede Rücksicht bohrte sie ihre Zähne in seinen Hals. Sein Fleisch war weich und gab sogleich nach. Das Blut floss sofort in ihrem Mund und jeder Tropfen war wie eine kleine Explosion auf ihrer Zunge. Gierig begann sie zu trinken.

Sein Blut schmeckte herrlich. Es schmeckte nach etwas, für das Yuki keine Worte kannte. Sie wollte mehr und mehr.

Sei vergaß alles um sich herum, hörte nur noch das begierige Schlucken und Schmatzen des Untiers, das einfach nicht genug bekommen konnte. Ihre Fingernägel krallten sich in seinen Pullover. Ihr Griff war fest und eisig. Er würde ihr nicht entkommen. Sie würde sich nehmen, was sie begehrte, bis nichts mehr von ihm übrig blieb.

Sie hätte es schon viel früher tun sollen. Warum hatte sie so lange gezögert? Es war unvergleichlich. Noch nie hatte sie so etwas gekostet. Jeder Schluck forderte den nächsten. Bis sie alles von ihm bekommen hatte.
 

Zero rührte sich nicht. Er sagte nichts. Er fühlte nichts.

Aber er dachte.

Es war die gleiche Stelle, dachte er dumpf. Jene links an seinem Hals. Genau die gleiche Stelle. Er sah die Kirschblüten vor sich; ihre Gestalt, die aus dem Nichts erschienen war. Ein Reinblut, so schön und doch mörderisch. Alles auf einmal kehrte zurück: Grauen, Angst, Schmerz, Einsamkeit und der Tod.

Zero war versteinert, gefangen in einer längst, für besiegt geglaubten, Vergangenheit.

Aber das hier war nicht die Vergangenheit.

Er wollte dass sie aufhörte. Er konnte den Gedanken an das was sie da tat nicht ertragen und doch... er konnte sie auch nicht von sich stoßen. Das Gefühl, welches in ihm ausgelöst wurde war zu mächtig, zu süß, als das er es gleich wieder loslassen wollte.

Er kämpfte mit sich, es ihr nicht gleichzutun. Es war eine Ewigkeit her, dass er ihr so nah gewesen war. Ihr hörte das Blut durch ihre Adern fließen, konnte es riechen und förmlich auf seiner Zunge schmecken. Nie hatte Zero diesen Geschmack vergessen. Immer war ihm die Erinnerung eine liebsame Qual gewesen.
 

Bilder begannen schnell vor ihren geschlossenen Augen aufzuzucken. Sie sah sie nur flüchtig und doch erkannte sie das wesentliche: Ai, die in ihrem Zimmer las, Zero und Ai gemeinsam beim Essen, wie Ai etwas mit leuchtenden Augen erzählte und wird mit den Armen gestikulierte, wie Zero sie dabei ansah und leicht schmunzelte.

Unbewusst realisierte sie, dass es sich um Szenen aus seinem und Ais Leben handelte. Sie sah sie durch sein Blut und beobachtete sie. Ein Schauer fuhr durch ihren Körper. Es bewegte sie so sehr, dass ihr Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Sie wollte mehr sehen und trank weiter.
 

Seine Hände verkrampften sich, als er merkte was eigentlich geschah und er keuchte auf. Er hatte während seiner Ausbildung davon gehört. Sie sah Teile seiner Vergangenheit und mit jedem Schluck, den sie trank, tauchte sie weiter hinein.

Er wollte es nicht. Er wollte nichts von seiner Vergangenheit preisgeben. Es ging sie nichts an. Sie würde schon bald wieder aus seinem Leben verschwinden und ebenso zu einer Vergangenheit werden.

Trotzdem schaffte er es auch jetzt noch nicht, sie von sich zu stoßen, sie am aufhören zu hindern. Das Kribbeln in seinem Körper war angenehm und schien seinen Verstand zu benebeln. Es breitete sich von seinem Hals zu seinem Körper aus. Warum sollte sie es auch nicht sehen? Sollte sie sehen, wie er es geschafft hatte sich ein eigenes Leben aufzubauen, ohne sie. Sollte sie erkennen, dass er sie nicht brauchte, versuchte er sich einzureden.

So lange, wie sie nur diesen Teil sah.
 

Yuki zuckte kurz zusammen, als sich die Szene plötzlich änderte. Die Umgebung war nicht mehr so hell und voller Liebe und Wärme. Stattdessen fand sie sich in einem dunklen Wald wieder, der ihr bedrohlich und unheimlich erschien. Die Bäume waren wahrscheinlich Jahrhunderte alt und die Äste hingen so tief, dass man mühelos danach greifen konnte. Durch Zeros Blut wusste sie, dass es nicht der Wald von Koritokái war. Sie befand sich wo anders, nur wo konnte sie nicht sagen. Es war dunkel um sie herum. Yuki konnte Elend spüren, Einsamkeit und Wahnsinn. Aus den Schatten der Bäume trat eine Gestalt. Es war ein Mann und Yuki wusste, dass es nicht Zero war. Der Mann war groß, hager und seine Kleidung ist zerrissen. Dann blickte sie in sein Gesicht und erschrak. Dort wo sein Gesicht hätte sein sollen, saß nur noch eine entstellte Fratze, die vom Wahnsinn gezeichnet war.

Er war ein Level E.
 

Zero sah das Bild ebenfalls. Die Erinnerung an jenem Moment kam so plötzlich über ihn, dass ihm schlecht wurde. Sie hatte jenen Moment seiner Vergangenheit erreicht, der ihn zu einem wahren Monster hatte werden lassen. Auf einmal fühlte Zero nur noch Angst. Das Prickeln war einer Kälte gewichen, die seine Abscheu vor sich selbst projiziert hatte.

Die Kälte brachte ihm seinen eigenen Willen zurück. Seinen Wille, den er sich mühsam zurück erkämpft hatte.

Seine Hände zitterten heftig, als er sie hob. Obwohl die Kälte seinen Verstand von diesem prickelnden Gefühl befreit hatte, kostete es ihm immer noch Kraft seine Hände auf ihre Schulter zu legen. Doch kaum berührte er sie, schien er aus einer langen Trance aufzuwachen und stieß sie mit den Armen und Knien kräftig von sich.
 

Yuki landete unsanft auf Holzboden und schüttelte irritiert den Kopf, als müsste sie einen schlechten Traum abschütteln. Doch mitten in ihrer Bewegung erstarrte sie.

Sie wurde sich bewusst, was sie eigentlich getan hatte.

Langsam hob sie den Kopf. Selbst in dieser Dunkelheit konnte Zero sehen, dass ihre Augen weit aufgerissen waren, als könnte sie nicht glauben, was geschehen war.

Yuki sah, wie Zero seinen Hals berührte, links, genau die Stelle an der sie ihn...

Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund und die ersten Tränen bahnten sich einen Weg aus ihren Augen, während ihr Körper unkontrolliert bebte.
 

Unter seinen Fingerspitzen konnte er die Bisswunden fühlen. Wie Nadeln hatten sich ihre Reiszähne in seinen Hals gebohrt. Die Wunden schlossen sich bereits langsam wieder, doch es würde länger dauern. Als er die Hand wieder wegzog klebte noch etwas Blut auf seinen Fingern und doch empfand er nichts.

Nicht einmal Abscheu oder Hass.

Langsam erhob Zero sich. Er fühlte sich kraftlos und einen Moment wurde ihm sogar schwindlig. Es dauerte etwas, bis er das Gleichgewicht wieder fand. Sie hatte zu viel Blut genommen, dachte er träge.

Wortlos ging er zu den Stufen. Sein Geist schien ihm wie benebelt, er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Kaum hatte er die erste Stufe betreten, hörte er ihre leise und zitternde Stimme. „Es tut mir leid.“, wisperte sie kaum hörbar und gebrochen. „Es tut mir so leid. Ich konnte nicht... Ich wollte nicht... du musst mir glauben. Verzeih mir. Bitte verzeih mir.“, schluchzte sie.

Behutsam drehte Zero sich zu ihr um. Yuki saß zusammengekauert auf dem Boden, die Hände verbargen ihr Gesicht und ihr ganzer Körper zitterte. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, als könnte sie selbst nicht glauben, was geschehen war. Sie weinte, das konnte er deutlich hören.

Dennoch empfand er noch immer nichts.

„Besser ich, als Ai.“, antwortete er kurz. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, entfuhr Yuki ein entsetzter Laut und sie brach weinend zusammen.

„Ich hätte nie... niemals... Ich...“, brachte sie zwischen den Schluchzern hervor, die ihren gesamten Körper erschütterten.

Er antwortete ihr nicht. Das konnte sie nicht wissen. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun würde, wenn es besitzt von ihr ergriff. Sie konnte es nicht kontrollieren. Das Wesen in ihnen war zu stark. Es dürstet nach Blut, immer und gab man ihm einmal nach, wollte es mehr und mehr. Es war unersättlich.

Es war ein Monster.

Sie alle waren Monster, geschlagen mit dem Fluch des Blutes.

Stumm ließ er sie allein zurück und schloss auch die Luke hinter sich.
 

Ohne groß darüber nachzudenken, ging Zero zum Ofen, neben dem noch immer der Eimer mit Wasser stand. Er füllte es in eine kleine Schüssel und wusch sich das verschmierte Blut vom Hals. Es war nicht viel. Sie hatte gründliche Arbeit geleistet, dachte er stumpf.

Ein wenig wunderte er sich über sich selbst. Wie kam es, dass er nicht mehr fühlte? Alles was er empfand war plötzlich eine bleierne Müdigkeit, die ihn überfallen hatte.

Er zog den Pullover aus und wischte sich mit dem unteren Teil den Hals trocken. Er würde ihn waschen müssen. Er konnte schwach seinen Blutgeruch wahrnehmen, auch wenn er sicher war, dass kein Blut darauf haftete. Langsam zog er sich einen neuen an und legte den anderen erst einmal in den Schrank. Er würde sich später darum kümmern.

Vollkommen erschöpft ließ er sich auf dem Boden vor dem Sofa sinken. Kurz sah er Ai an, aber als er merkte, dass sie noch ruhig schlief zog er die Knie an und verschränkte die Arme darauf. Dann bettet er seinen Kopf darauf. Er drehte den Kopf so, dass er das Feuer im Kamin sah. Es würde eine Weile brennen, dachte er müde.

Leise konnte er Yukis Schluchzen hören.

Es war wirklich geschehen, dachte er träge. Es erschien ihm so unwirklich. Zero wusste nicht, was er denken sollte. Erneut konnte er das Prickeln an spüren, dass sich von seinem Hals aus, bis zu seiner Brust ausgebreitet hatte, sogar bis hinab bis zu seinem Bauch. Eine weitere Erinnerung an sie, von der er sich wünschte sie zu vergessen, die er aber doch immer wieder herauf beschwören würde. Sie hätte ihn niemals finden sollen.

Und er hatte es ja gewusst, dachte er während er scharf ausatmete. In dem Moment, in dem er nach unten gegangen war, hatte er gewusst, was geschehen würde.

Warum also hatte er es trotzdem getan?

Wegen Ai, sagte er sich. Allein bei der Vorstellung Yuki hätte sich auf das Mädchen gestürzt drehte sich ihm alles.

Aber das war nur die halbe Wahrheit, auch das wusste er. Doch er ließ den Rest des Gedankens nicht zu. Zero vergrub den Kopf in seinen Armen und atmete tief durch. Es war egal, sagte er sich. Es war nicht zu ändern. Außerdem hatte er nun endlich eine Schuld beglichen.

Er musste sich ausruhen, denn nun würde auch er stärker mit seinem eigenen Hunger kämpfen müssen. Zero wusste, dass er es eins, zwei Wochen ohne die Tabletten aushalten konnte, aber auch nur wenn er in guter körperlicher Verfassung war. Im Moment fühlte er sich aber alles andere als das. Bei ihrer überstürzten Suche nach Ai hatte er überhaupt nicht daran gedacht, sie einzustecken. Es musste also auch ohne gehen.

Yuki weinte noch immer, doch das Geräusch schwand, je weiter sein Geist in die schützende Leere des Schlafes sank.
 

„Papa?“ Ais Stimme an seinem Ohr ließ ihn aufschrecken. Wie lange hatte er geschlafen?, war sein erster Gedanke. Es konnten höchstens ein paar Sekunden gewesen sein, zumindest an dem gemessen, wie er sich fühlte. Ein Blick auf das Feuer, ließ ihn beruhigt aufatmen. Es brannte noch genauso hell und stark, wie zuvor. Er konnte also wirklich nicht lange geschlafen haben.

Ai, die seinen Blick bemerkt hatte sagte: „Ich habe gerade ein paar Holzscheite nachgelegt. Es brannte nicht mehr so kräftig, wie du gesagt hast, dass es brennen sollte.“

Nachdem sie zu Ende gesprochen hatte schluckte sie heftig. Ein Fehler, denn es bereitete ihr Schmerzen und auch das Sprechen viel ihr schwer. Vielleicht hatte sie sich ja doch mehr eingefallen als eine Erkältung, dachte sie. Trotzdem würde sie ihrem Papa nichts davon sagen, ganz gleich wie sie sich fühlte. Er machte sich ohnehin schon so viele Gedanken um sie, da wollte sie ihn auf keinen Fall zusätzlich belasten.

„Wie spät ist es?“, fragte Zero noch immer müde.

„Kurz nach elf Uhr.“, antwortete sie.

„Was?“, erschrocken fuhr er herum. Er hatte mindestens acht Stunden geschlafen. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können?! Er wollte sich schnell erheben, doch der Schwindel riss ihn auf den Boden zurück.

„Was ist mir dir?“, fragte Ai und in ihrer Stimme klang Sorge mit.

„Es geht schon. Ich bin nur noch nicht richtig munter.“, antwortete er ausweichend und lächelte sie schwach an. Er versuchte es ein zweites Mal und war dieses Mal vorsichtiger. Er konnte noch keinen Hunger spüren, doch er wusste, dass er schleunigst etwas essen und trinken musste, um den Energieverlust auszugleichen und um genug bei Verstand zu sein, um nicht das gleiche zu tun, wie Yuki. Allein bei dem Gedanken daran konnte er immer noch fühlen, wie sie ihn gebissen hatte. Augenblicklich breitet sich das Kribbeln wieder in ihm aus.

„Hilfst du mir beim Kochen?“, fragte er Ai. Es würde sie beide ablenken und er hoffte, dass Ai nicht gleich nach Yuki fragen würde, die offenbar noch immer nicht nach oben gekommen war.

„Wo ist Yuki?“, fragte Ai, kaum dass er es zu Ende gedacht hatte.

Er hätte es wissen müssen.

„Sie ist unten. Ihr geht es nicht so gut. Ich glaube, es ist besser, wenn du sie noch einen Moment allein lässt.“

Fragend zog Ai eine Augenbraue nach oben. „Warst du wieder gemein zu ihr?“

Zero sah sie sprachlos an. Wie kam sie darauf, dass er... Dann schüttelte er den Kopf. Was regte er sich darüber auf? Sie hatte ja keine Ahnung.

„Nein, war ich nicht.“, gab er dennoch etwas gereizter zurück.

„Ich sehe mal nach ihr.“, sagte das Mädchen und sprang auf.

„Ai, nicht, dass...“ Zweifelnd sah er ihr hinterher. Es würde nichts bringen, wenn er sie aufhalten wollte. Dafür war sie zu... stur. Und jetzt würde sie ihr nichts tun. Jetzt nicht mehr... vorläufig. Sie mussten aus dieser Hütte raus.
 

Yuki stand im dem kleinen Badezimmer und sah in den Spiegel. Eine kleine Kerze brannte auf dem Schrank und erhellte den Raum etwas. Beim ersten Anblick ihres Gesichts war sie selbst ein wenig erschrocken. Ihre Augen waren stark verquollen und die Lippen spröde. Ihre Haare hingen strähnig über den Schultern. Sie sah aus als hätte sie tagelang nicht geschlafen, dabei war sie irgendwann vor Erschöpfung auf dem Fußboden eingeschlafen.

Sie stützte die Hände auf dem Waschbecken ab und schüttelte den Kopf. Sie konnte immer noch nicht glauben, was geschehen war. Wie hatte sie das tun können?, fragte sie sich zum wiederholten Male und kannte die Antwort doch bereits. Sie konnte es einfach nicht kontrollieren. Sie war zu schwach gewesen, ihr Geist, ihr Körper, alles. Sie war es nicht gewohnt zu hungern, immer hatte sie sich von Kaname nehmen können. Nie hatte sie ihren Durst zügeln müssen. Das die Wirkung der Bluttabletten so schnell nachlassen würde, war abzusehen. Warum hatte sie nicht daran gedacht welche mitzunehmen? Nur ein paar. Es hätte sie sicher über die Tage in dieser Hütte gerettet, es hätte sie davor bewahrt Zero zu b-

Sie schluckte heftig. Nicht nur weil sie ihre Tat verabscheute, sondern vielmehr weil sie den Geschmack seines Blutes noch auf ihrer Zunge spüren konnte. Yukis Lippen bebten leicht und sie berührte sie mit den Fingerspitzen. Ja, sie hasste sich für das was sie getan hatte. Dennoch konnte sie nicht anders, als sich immer wieder an diesen süßlichen Geschmack zu erinnern. Es war so anders, als das ihres Bruders. Vielleicht eine Spur verführerischer, verlockender und... reiner. Yuki konnte sich nicht erinnern sich jemals so... befriedigt gefühlt zu haben, nachdem sie Kanames Blut genommen hatte. Es war als hätte Zeros sie vollkommen ausgefüllt.

Yuki biss sich auf die Lippen, um den Gedanken endgültig zu verbannen. Es wurde nicht besser, wenn sie ständig daran dachte. Aber das Bild, welches sie zuletzt gesehen hatte, blieb dennoch haften. Was war das für ein Vampir gewesen? Was hatte Zero mit diesem Level E zu tun? Sie konnte sich nur vorstellen, dass er ihn getötet hatte. Eine andere Möglichkeit gab es gar nicht. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass die Erinnerung bedeutet für ihn war. Anders als jene mit Ai.

Endlich ließ sie ein wenig Wasser in das Waschbecken laufen und wusch sich das Gesicht. Sie fühlte sich danach etwas besser, trotzdem verspürte sie den Drang sich ganz zu waschen, den Schmutz, der durch ihre Tat an ihrem ganzen Körper zu kleben schien, abzuspülen. Wie mochte er sich erst fühlen?

Plötzlich hörte sie von oben, wie sich die Luke öffnete und ihr Körper verkrampfte sich kurz. Erst dann merkte sie, dass es nicht Zero war, der nach unten ging.

„Yuki?“, hörte sie Ai fragen und eine Klammer setzte sich um ihr Herz. Wie sollte sie ihr gegenübertreten? Hatte Zero was gesagt? Nein, ganz bestimmt nicht. Das würde er nicht tun, versicherte sie sich selbst.

„Ich bin hier.“, antwortete sie leise und hoffte beinah dass Ai sie nicht verstand. Aber wo sollte sie auch sonst sein?

Die Tür ging auf und Ai sah sie mit forschem Blick an. „Alles in Ordnung?“, fragte sie gleich und hielt die Kerze, die sie in der Hand trug, ein Stückchen höher.

„Ja, natürlich.“, antwortete sie augenblicklich und versuchte so etwas wie ein Lächeln zu Stande zu bekommen. „Warum fragst du?“

„Papa war so komisch. Hast du geweint?“ Ais aufmerksamen Augen entging wirklich nichts, dachte Yuki.

„Nein, das sieht nur so aus, weil...“ Sie überlegte kurz. Was war glaubwürdig? Wahrscheinlich, wenn sie nah an der Wahrheit blieb. „Ich habe nur zu wenig geschlafen.“, antwortete sie deshalb.

„Kommst du dann mit nach oben. Ich glaube Papa macht schon was zum Essen. Das Frühstück können wir ja weglassen.“

„Warum?“

„Es ist schon nach elf Uhr.“, antwortete Ai.

„Oh.“, erwiderte sie erstaunt. Wie viel Zeit war vergangen? Es war egal. Sie wollte Zero nicht sehen. Sie würde ihm nie wieder in die Augen sehen können.

„Ich komme gleich nach oben, ich will nur noch... die Haare waschen. Sie haben es bitter nötig.“, lächelte sie leicht.

„Dann mach das doch oben.“, drängte Ai sie. „Dort kannst du das Wasser warm machen.“

„Nein, ich will Zero nicht stören.“ Ich will ihn nicht sehen. Ich kann ihn nicht sehen.

„Aber das Wasser ist doch viel zu kalt.“, beharrte Ai.

„Das macht nichts. Ehrlich gesagt, glaube ich, dass das kalte Wasser mir ganz gut tun wird.“

Ai sah sie einen Moment schweigend an.

War sie wirklich eine so schlechte Lügnerin?, fragte sich Yuki zweifelnd. Konnte sie nicht einmal ein elfjähriges Kind täuschen?

„Ich sag es ihm.“, war schließlich alles, was Ai antwortete und ging dann wieder nach oben.

Yuki atmete erleichter auf. Jetzt hatte sie noch ein wenig Zeit gewonnen, dennoch... es war ganz gewiss nicht genug.
 

Sie konnte es nicht länger hinauszögern, als sie nach circa einer Stunde immer noch vor dem Spiegel stand. Sie hatte sich die Haare gewaschen, sorgfältig getrocknet und gekämmt, nur um anschließend wieder mit einem Handtuch darüber zu fahren und wieder zu kämmen. Dabei wusste sie, dass sie schneller trocknen würden, wenn sie endlich nach oben ging und sich neben den Kamin stellte.

Außerdem musste sie Zero irgendwann wieder ansehen. Vielleicht sollte sie es also einfach hinter sich bringen. Yuki schüttelte den Kopf und atmete tief durch. Dann verließ sie das kleine Badezimmer und trat langsam nach oben. Das warme Licht, das vom Kamin kam, blendete sie einen Moment und sie blinzelte.

„Da bist du ja, Yuki.“, begrüßte Ai sie fröhlich, doch Yuki stutzte kurz. Irgendwie hörte sich ihre Stimme so seltsam rau und leise an. Im nächsten Moment räusperte Ai sich und Yuki glaubte sie hatte sich nur etwas eingebildet. „Das Essen ist fertig.“, sagte Ai weiter und klang wieder vollkommen normal. Ai hielt drei Teller in der Hand, die sie gerade auf den Tisch stellte.

„Danke.“, murmelte Yuki leise und ging mit gesenktem Kopf zum Tisch hinüber. Noch nie hatte sie sich für das geschämt was sie war, doch nun verspürte sie dieses Gefühl zum ersten Mal. Und dies in solch einer Heftigkeit, dass es ihr die Kehle zuschnürte und ihr das Atmen erschwerte. Ein Teller wurde vor ihr abgestellt. Es war heiße dampfende Reispfanne, die wirklich lecker roch und unter anderen Umständen hätte sie sie wohl mit Freude gegessen, doch nun drehte sich ihr der Magen um. Sie schaffte es nicht einmal Zero anzusehen, wie sollte sie dann den ganzen restlichen Tag mit ihm auf so kleinem Raum verbringen? Diese Hütte kam ihr noch kleiner und bedrückender vor. Am liebsten wäre sie davon gerannt. Die Kälte draußen konnte nicht schlimmer sein, als die, die er ihr entgegenbrachte. Aber wenn sie ging, würde nur ein sehr wütender Onii-sama auf sie warten und sie würde Fragen beantworten müssen, sehr viele Fragen. Fragen auf die sie immer nur eine Antwort haben würde: Sie hatte das richtige getan.

Und der Schneesturm war noch immer nicht schwächer geworden, wie sie hören konnte.

„Hast du keinen Hunger, Yuki?“, fragte Ai sie, weil Zero und sie bereits begonnen hatten zu essen.

„Was?“, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. „Nein, eigentlich nicht.“, antwortete sie schlicht.

„Aber du solltest trotzdem etwas essen. Es ist ungesund eine Mahlzeit auszulassen, nicht wahr Papa?“

„Ja, das stimmt.“, pflichtete er ihr bei. Yuki fragte sich einen Moment, ob dies das war, was Zero Ai immer erzählt, wenn sie auch nicht essen wollte. Da sie ihr kein schlechtes Beispiel sein wollte, griff sie nun doch zur Gabel und nahm ein paar Bissen. Obwohl sie keinen Appetit hatte, schmeckte es dennoch sehr gut. Wie nicht anders zu erwarten von ihm, dachte sie traurig.
 

Bisher hatte sie ihn nicht angesehen, Zero wusste das und er glaubte auch nicht, dass sie es tun würde. Er wusste wie sie sich fühlte. Er selbst kannte dieses Gefühl ja nur zu gut. Jedes Mal hatte er es gespürt, wenn er sich an ihr vergangen hatte. Damals, als sie beide noch jung waren und sie noch ein Mensch. Noch immer machte er ihr keine Vorwürfe, empfand keine Abscheu. Nicht nach den Erfahrungen, die er selbst gemacht hatte.

Sie war nun einmal ein Reinblut, nicht gewöhnt sich zu kontrollieren und verzichten zu müssen. Trotzdem konnte auch er sie nicht anschauen. Zu sehr weckte es seine eigenen Begierden. Sein Durst und Verlangen nach ihr waren immer vorhanden gewesen, manchmal mal nur sehr schwach, kaum wahrnehmbar, dennoch immer da. Doch jetzt, nachdem sie von ihm getrunken hatte, konnte es nur umso mehr spüren. So wie damals, kurz nachdem er gegangen war.

Aber dieses Mal war eine Sache anderes. Im Gegensatz zu ihr hatte er gelernt seinen Durst zu beherrschen. Er hatte genügend Zeit dafür gehabt. Er wusste, wie lange er es würde durchhalten können, selbst ohne die Bluttabletten. Es war noch Zeit, kein Grund sich sorgen zu machen, sagte er sich selbst. Ein paar Tage war es noch möglich und länger würde der Schneesturm nicht anhalten. Das hoffte er innständig.

Aber sie beide würden sich zusammenreisen müssen, um Ai nicht noch misstrauischer zu machen. Sie hatte ein Gespür für so etwas. Er wollte sie vor allem beschützen, was ihr Sorgen machen könnte.
 

Ai schaute immer wieder zwischen den beiden hin und her und wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie war zwar nur ein Kind, mit wenig Erfahrung, aber man musste auch kein Erwachsener sein, um zu erkennen, dass irgendwas passiert war, während sie geschlafen hatte. Nur konnte sie sich absolut nicht vorstellen, was das gewesen sein sollte. Sie hoffte nur, dass es bald vorbei sein würde. Sie mochte diese Stimmung nicht.

Und ihre Kopfschmerzen wurden dadurch auch nicht besser. Wie ein stetiges Hämmern klopfte es hinter ihren Augen und alles nahm sie nur noch unscharf war. Außerdem war ihr jetzt auch noch schwindlig. Vielleicht sollte sie ihrem Papa doch davon erzählen? Es schien nicht von allein besser zu werden, egal wie viel sie schlief oder Tee trank.

Nein, sie würde noch ein wenig warten. Offenbar hatte ihr Papa im Moment ganz andere Sorgen. Sie konnte es an seinem verspannten Gesichtsausdruck ablesen. Nicht auch noch damit wollte sie ihn behelligen. Zumindest nicht gerade jetzt. Sie würde bis morgen warten. Möglicherweise war es da auch endlich besser oder sie würden die Hütte endlich verlassen können.

Sie sah sich in der Hütte um und ihr Blick blieb an ihrem Rucksack haften. Er stand noch an genau der gleichen Stelle an der sie ihn vor wenigen Tagen abgestellt hatte. Bisher hatte sie nicht wieder hinein gesehen. Eigentlich hätte sie jetzt Zeit den Brief ihrer Mutter noch einmal zu lesen, in Ruhe und nur für sich. Aber allein die Erinnerung an ihre Zeilen machten sie traurig. Aber das Photo würde sie sich nachher noch einmal ansehen. Vielleicht fand sie ja doch ein paar Dinge, die sie mit ihrem richtigen Vater gemeinsam hatte und von denen ihre Mutter gesprochen hatte.
 

Wie Yuki befürchtet hatte zog sich dieser Tag hin. Er schien endlos und da es nicht wirklich sehr viel zu tun gab, war es fast eine Qual. Ai ging wie die anderen Tage zuvor früh zu Bett, doch an diesem Tag war es das erste Mal gewesen, dass sie die Spieluhr aus ihrem Rucksack hervorgeholt hatte. Es erstaunte Yuki nicht sehr, dass sie sie mitgenommen hatte. Nun da Ai sich in die Decken gekuschelt hatte, zog sie vorher die kleine Blüte an der Seite des Kästchens auf und wieder erfüllte diese traurige und doch himmlische Melodie den Raum. Sie begleitet Ai in den Schlaf und Yuki glaubte fast, dass sie selbst auch ein wenig entspannte.

Dennoch würde sie es an diesem Abend nicht wagen sich wie in den anderen Nächten zuvor neben sie zu legen. Sie war fast sicher, dass Zero das nicht zulassen würde. Außerdem befiel sie selbst zu sehr die Angst, sie könnte dem Mädchen etwas tun. Auch wenn ihr Durst im Moment gestillt war. Deswegen saß sie immer noch auf dem Stuhl, die Hände in ihrem Schoß gefaltet und starrte darauf. Den Nachmittag über hatte sie sich mit Ai unterhalten können. Doch nachdem diese schlief und die Spieluhr verklungen war legte sich eine bedrückende Stille über die Hütte, die nur durch das Heulen des Sturmes unterbrochen wurde.

Zero saß wie immer vor dem Sofa und sah in die Flammen. Auch vorher schon hatte Yuki das Gefühl gehabt, dass sie so weit von einander entfernt waren, als befänden sie sich auf zwei unterschiedlichen Kontinenten, doch dieses Mal erschien es ihr noch weitaus schlimmer. Aber vor allem konnte sie es nicht ertragen. Es breitete ihr regelrecht Schmerzen.

„Wie machst du das?“, fragte sie plötzlich und war selbst ein wenig überrascht. Aber kaum hatte sie die ersten Worte ausgesprochen, atmete sie tief durch und wollte es auch beenden. Sie wollte Antworteten haben, einen Hinweis, Hilfe, wie sie sich besser beherrschen konnte. Irgendwas! „Wie gelingt es dir dich so zu beherrschen. Sage es mir. Bitte! Ich will mich nicht länger davon bestimmen lassen. Ich will nicht länger eine... Gefahr sein. Ich habe nie gelernt meinen Durst zu kontrollieren, ich musste es nie.

„Es tut mir unendlich leid, was heute geschehen ist, glaube mir. Ich... Ich kann dir gar nicht beschreiben, wie sehr. Ich wünschte, ich hätte deine Selbstbeherrschung. Also, wie machst du es? Bitte sag es mir. … Bitte hilf mir.“, wisperte sie und merkte selbst, wie verzweifelt sie klang.

Zero atmete scharf aus und Yuki versetzte dies einen Stich ins Herz. Er würde ihr nicht antworten. Warum auch? Er hatte keinen Grund dazu. Er würde ihr nicht verzeihen.
 

Sie hatte ja keine Ahnung, was sie da sagte.

Zero wusste sehr genau wovon sie sprach, von dem allesbeherrschendem Durst, doch im Moment schien ihn ein anderes Begehren weitaus mächtiger und schwieriger zu kontrollieren. Er wollte ihr zusprechen, sie in die Arme schließen und wenn er das tat, so wusste er, würde er sie nicht mehr gehen lassen. Denn das war es, was er mehr wollte, als alles andere. Sie bei sich zu haben, für immer.

Noch einmal atmete er durch und blickte ihr doch direkt in die Augen. Natürlich war es unmöglich, dass sie bei ihm blieb, dass sie sein würde. Dieser dumme Gedanke hatte nur durch ihre Anwesenheit neues Leben bekommen.

Er würde ihr davon erzählen und dann würde sie erkennen, wer er wirklich war. Sie würde erkennen, dass auch er es nicht geschafft hatte. Und vielleicht würde sie dann begreifen, dass er jeden Tag aufs Neue mit sich kämpfte. Es würde nie enden.

„Am Anfang...“, begann er schließlich, „war es schlicht unmöglich. Ich hatte nicht einmal Bluttabletten. Immer war da nur dieser unstillbare Hunger und Durst nach deinem Blut, keinem anderen.“

Die feinen Härchen auf ihrem Arm stellen sich auf und gleichzeitig spürte Yuki einen Stich im Herzen. Sie erinnerte sich an ihren Abschied, seine Worte, seine Taten. Ihre Lippen begannen zu prickeln.

„Ich lebte irgendwo in den Bergen, weil ich sicher war, dort niemand zu begegnen und mich niemand finden würde. Ich war so naiv und bildete mir ein den Durst so kontrollieren zu können mit bloßer Willenskraft. Es gelang mir sogar ein paar Tage, aber länger nicht. Es wurde schnell unerträglich. Es machte mich fast wahnsinnig. Ich blieb in der Höhle und dachte...

„Ich dachte, ich könnte sterben.“, flüsterte er. „Ich weiß, ich habe gesagt, ich würde euch alle töten, aber in dieser Zeit war mir alles andere egal. Ich wollte nur noch dass es endet.

„Natürlich geschah es nicht. Das Wesen in mir wollte überleben und ich fing an mich selbst zu beißen. Aber das...“

„Half auch nicht, nicht wahr?“, beendete sie den Satz für ihn. „Ich weiß. Ich habe das auch getan.“, sagte sie leise.

„Es wurde nur noch schlimmer.“

„Ich konnte nicht sterben und der Wahnsinn wuchs Stunde um Stunde. Irgendwann traf ich schließlich auf einen anderen Vampir. Bis dahin hatte ich nicht einmal bemerkt, dass ich mein Versteck verlassen hatte. Ich selbst war irgendwie... verschwunden und bin nur noch den Instinkten des Wesens in mir gefolgt. Der Vampir, den ich traf, war der Level E, den du gesehen hast.

„Sein Gesicht war blutverschmiert und ich konnte noch den leichten Geruch seiner Opfer wahrnehmen. Sein Auftauchen hat mich meinen Verstand gekostet.

„Ich wollte seine Beute haben, wollte wissen wo die Körper waren, damit ich mich ebenso an ihnen laben konnte, damit ich diesen unsäglichen Hunger stillen konnte. Das bisschen was von mir noch übrig geblieben war, verspürte gleichzeitig solch einen Ekel und Hass auf ihn, aber vor allem auf mich selbst, dass ich ihn nur noch töten wollte. Sein Tod sollte mich von meiner Sünde reinwaschen, dachte ich.

„Er war kein Gegner für mich und der Kampf war kurz. Ich verletzte ihn am Arm und Blut quoll aus seiner Wunde und ich...“

Zero stockte auf einmal und verbarg das Gesicht hinter den Händen. Yuki sah ihn mit bleichem Gesicht an. Sie hatte versucht sich in seine Situation hineinzuversetzen, sich vorzustellen, wie sie gehandelt hätte, wenn sie nach Blut gedürstet hätte und sich selbst vergessen hätte, wenn ihr sich plötzlich ein Gegner gestellt hätte, ein lebendiger Gegner der blutete... Ihr wurde ganz kalt. Auch von der Vorstellung, wie Zero wohl ausgesehen haben mochte. Allein sein Blick genügte manchmal schon um sie Angst empfinden zu lassen. Wie furchteinflößend musste er da gewesen sein.

„Ich nahm sein Blut.“, wisperte Zero heißer. „Ich habe nicht von ihm getrunken, ich habe ihn regelrecht verschlungen. Ich trank so lange von ihm, bis er unter meinem Biss zerfiel und nichts mehr an seine Existenz erinnerte, bis auf sein Blut, das an meinen Händen klebte.

„Ich bereue es nicht einen Level E getötet zu haben, aber alles andere. Das war der Moment in dem ich meine Menschlichkeit für eine sehr lange Zeit verlor. Es blieb nicht bei dem einen. Da ich unter keinen Umständen Menschen angreifen wollte, zumindest das gelang mir noch, hungerte ich so lange, wie es ging und begab mich gleichzeitig auf die Suche nach Level E. Ich habe sie aufgespürt und jeden von ihnen regelrecht gefressen, wie ein wildes Tier.

„Andere Vampire, ehemalige Menschen, wurde die Quelle meiner Nahrung.

„Ich war ein Monster.“

Zero schloss die Augen und sah die Bilder lebhaft vor sich. So viel Blut, das an seinen Finger klebte, so viel Leben die er ausgelöscht hatte. Keiner dieser Vampire war unschuldig gewesen, viele von ihnen hatten noch mit ihren Opfern geprahlt und doch waren auch sie einmal Menschen gewesen. Lange bevor eines dieser Reinblüter sich an ihnen vergangen und sie zu diesem Schicksal verdammt hatte. Dennoch war er am Ende nicht viel besser gewesen als sie selbst. Noch jetzt verachtete er sich für seine Taten.

„Ich war ein Mörder ohne Verstand und Gefühl, nicht viel besser als die Level E selbst.“, sprach er den Gedanken aus.

„Zero, ich... das...“, sagte Yuki stockend. Er sah sie an und erkannte den Schrecken in ihrem Gesicht. „Verabscheust du mich?“, fragte er sie gerade heraus und seine Stimme war kalt. Ganz so als würde er es erwarten. „Ich kann es verstehen, denn ich tue es. Ich bin nicht so stark gewesen, wie du denkst.“

Yuki schüttelte augenblicklich den Kopf. „Nein, ich verabscheue dich nicht.“

Sie war schuld, schrie es in ihr. Nur sie war schuld! Sie hätte ihm helfen müssen! Irgendwie. Sie hätte etwas tun müssen, damals als sie sah, wie er Ichirus Körper holte. Stattdessen war sie mit ihrem Onii-sama gegangen, in ein neues, aufregendes Leben, während Zeros Seele zerbrochen war. Sie hatte geglaubt er wäre... stärker.

„Wie... Wie...“, stotterte sie, dann sah sie zu Ai.

„Es ging über Jahre, bis ich auf einen anderen Vampir gestoßen bin. Ich war in einem Teufelskreis gefangen, aus dem ich allein nicht entkommen konnte. Es war ein einfacher Level C Vampir, der mir in der Nähe einer Stadt begegnete. Ich dachte, er suchte dort nach einem Opfer und wollte ihn... aufhalten. Doch als ich ihn stellte, versicherte er mir, das dem nicht so war und er etwas anderes dagegen nahm.“

Verständnislos sah Yuki ihn an und Zero lachte sogar kurz. „Genauso hab ich wohl auch ausgesehen. Er meinte, die Bluttabletten, die verbreitet wurden. Er sagte, er nehme sie, weil er wissen wollte, wie es sich anfühlte ohne den ständigen Hunger auf Blut zu verspüren. Es hatte ihm ein neues Leben ermöglicht. Er erzählt, dass er dadurch sogar Matrose auf einem Schiff sein konnte. Noch heute ist es mir ein Rätsel, wie ich überhaupt in der Lage war ihm zuzuhören. Aber durch ihn konnte ich mein Leben endlich ändern.

„Von diesem Moment an verschaffte er mir die Bluttabletten und das tut er auch heute noch. Damit niemand meine Spur fand, war es besser so. Wenn ich ihn nicht getroffen hätte, hätte ich es nie geschafft, davon bin ich überzeugt.

„Es hat sehr lange gedauert, bis ich mich selbst wieder gefunden und an die Tabletten gewöhnt hatte. Fast 10 Jahre und es war niemals einfach. Egal, wie viele Tabletten du nimmst, der Durst wird nie verschwinden. Er wird nur unterdrückt.

„Nach all den Jahren des Wahnsinns wollte ich das Leben zurück, welches er mir gegeben hatte.“, flüsterte er. „Als ich Ai traf, war ich wieder mehr ich selbst, sonst hätte ich sie niemals aufgenommen.“

„Ich kann mir das nicht vorstellen.“, brachte Yuki schließlich hervor.

„Das dachte ich mir. Manchmal denke ich mir, dass ich nur deswegen so sehr an Ai festhalte, weil ich immer noch Angst habe, dass es ohne sie wieder so sein könnte.“

„Das ist nicht wahr. Du liebst sie, aus keinem anderen Grund ist sie bei dir. Etwas anderes brauchst du dir gar nicht einzureden.“, widersprach sie etwas zu heftig.

„Ja, das tue ich.“, stimmte er schließlich nach einer Pause zu. „Trotzdem muss ich immer daran denken, was passiert, wenn ich irgendwann noch einmal die Kontrolle verliere. Ich kann mir nichts Schrecklicheres vorstellen.

„Yuki, ich habe dir das erzählt, damit du verstehst. Wenn du es wirklich willst, musst du dafür kämpfen. Du musst um das bisschen Menschlichkeit kämpfen, was noch in den Vampiren ist. Und es wird ein schwerer, endloser Kampf, in dem dir niemand helfen kann. Nur du allein kannst es schaffen auch wenn du Versuchung manchmal noch so groß ist. Gott, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich wieder kämpfen muss seid dem du das erste Mal wieder vor mir gestanden bist.“, stieß er ehrlich aus und klang dabei sehr erschöpft.

Yuki wurde leicht rot und hoffte, dass er es nicht sah. Sie nickte kurz. Sie wusste, dass es nicht einfach werden würde.

„Es tut mir wirklich leid. Das, was heute Morgen geschehen ist, damals... alles. Ich hätte...“

„Ich will dein Mitleid nicht und ich mache dir auch keinen Vorwurf.“, unterbrach er sie. „Du bist was du bist und die Vergangenheit ist unabänderbar, selbst wenn wir noch so viele Worte oder Gedanken daran verschwenden.“

Seine Stimme klang nun wieder bitter und Yuki konnte sich nur ausmalen, wie oft er bereits über das Geschehene nachgedacht hatte, ohne dass er etwas hatte ändern können.

„Warum, hast du dann...damals, als du...“

„Ich fühlte mich verraten, obwohl ich wusste, wie sehr du ihn liebst. Das tue ich noch. Nie hast du auch nur eines seiner Worte in Frage gestellt oder Antworten, die du doch haben wolltest, eingefordert. Immer war er dir ausgewichen. Auch schon vorher und dann plötzlich schien alles geklärt, einfach so. Dabei wusstest du immer noch nicht alles.“

„Was ist es, was ich nicht weiß? Sag es mir, Zero.“

Er schüttelte den Kopf. „Es ist nicht an mir, dir das zu sagen. Es geht mich nichts mehr an.“, antwortete er kühl. „Es ist dein Leben und deine Entscheidung.“

Wieder schwieg sie eine Weile und dachte über seine Worte nach. Sie musste dringend mit Kaname reden und dieses Mal würde sie ihn nicht einfach gehen lassen, nahm sie sich fest vor. „Du hast dich sehr verändert, Zero, wirklich. Sie werden es erkennen.“, sagte sie schließlich.

„Ai, weiß nicht, was vor ihrer Zeit war.“, erwiderte er daraufhin bloß und Yuki wusste, was er meinte. „Ich werde ihr nichts sagen.“

Zero nickte kurz, dann wandte er sich wieder dem Kaminfeuer zu. Offenbar war diese Unterhaltung für ihn beendet. Yuki betrachtete sein Profil und dachte an das, was er ihr vor wenigen Augenblicken erzählt hatte.

Wie sehr mochten ihn seine Taten zerrissen haben? Er war gerecht und gütig und nicht das... Monster, welches er gerade beschrieben hatte. Wie lange hatte es gedauert, bis er wieder er selbst war? Wie sehr hatte Ai ihm bei all dem geholfen? Was wäre aus ihm geworden, hätte er diesen Vampir nicht getroffen? Daran wollte sie lieber gar nicht denken. Wahrscheinlich wären Level E irgendwann nicht mehr genug gewesen.

Die psychischen Wunden, die er davon getragen hatte, heilten immer noch und würden wohl nie ganz verschwinden. Und wenn doch, würden hässliche Narben bleiben. Sie wären für niemanden anderen außer ihm sichtbar und würde ihn immer an das was war erinnern.

Sie schwiegen wieder, doch Yuki hatte den Wunsch weiter mit ihm zu sprechen. Sie hatte das Gefühl, dass eine weitere Barriere eingestürzt war.

„Was hast du noch getan?“, fragte sie ihn schließlich. Vielleicht konnte sie ihn so auf andere Gedanken bringen und sich selbst auch.

Erneut antwortete er nicht gleich, sagte dann aber: „Ich war in vielen Städten, habe dort gearbeitet, langsam wieder in die Zivilisation zurückgefunden, könnte man sagen. Ich glaube es hätte dir gefallen. So viele verschiedene Menschen und Eindrücke. Aber ich war auch auf der anderen Seite des Passes. Dort gelten nicht die gleichen Gesetze, wie hier.“

„Warum bist du zurückgekommen? Du hättest dort bleiben können. Niemand hätte dich in der stillen Welt gefunden.“

Sie sah wie er die Lippen aufeinander presste, so als wäre er nicht sicher, ob er das nächste sagen sollte. Doch wieder antwortete er ihr: „Es war zu weit weg.“ Mehr sagte er nicht. Stattdessen war er es, der sie nun fragte: „Was hast du denn gemacht?“

Yuki verdrehte die Augen, als sie daran dachte: „Gelernt, viel gelernt. Sehr viel, um genau zu sein. Die Geschichte der Vampire, der Gesellschaft, Umgangsformen, Etikette, Gang und Anstand, alles. Natürlich noch Rechen, Schreiben und all das Zeug, was wir auch in der Schule hatten.“

„Hört sich anstrengend an.“, spottete Zero leicht.

Yuki verzog das Gesicht. „Das war es auch!“, zischte sie leise.

„Das kann ich mir bei dir sogar vorstellen.“, zog er sie auf. „Wer hat dich unterrichtet? Aidou? Er kann einem fast leidtun.“

„Das kann er wirklich.“, sagte sie ehrlich und seufzte. Sie erinnerte sich nur ungern an die vielen Unterrichtsstunden, die sie gemeinsam verbracht haben. Oft hatte sie ihn bis zur Verzweiflung getrieben. Trotzdem musste sie leicht lächeln.

Schweigen trat wieder ein, doch dieses Mal war es ein angenehmes. Was sie getan hatte, war immer noch unverzeihlich, aber sie wusste nun, dass er sie verstand. Vielleicht sogar besser als ein anderer.

„Darf ich zu dir kommen.“, fragte Yuki schüchtern und erhielt als Antwort nur ein Schulterzucken. Sie deutete es als ein Ja und stand langsam auf. Schritt für Schritt kam sie zu ihm und mit jedem weiteren schlug ihr Herz noch ein wenig schneller. Woher kam es, dass sie seine Gegenwart so nervös machte? Es war nicht nur wegen dem Vorfall in der Nacht, das wusste sie. Nur richtig zuordnen konnte sie es noch nicht.

Sie kniete sich auf den Boden und sah auf das Sofa. Einen Moment betrachtete sie Ais schlafende Gestalt. „Ich hätte ihr nie etwas angetan.“, beteuerte sie noch einmal. Als Antwort hörte sie Zero geräuschvoll ausatmen. „Das kannst du nicht wissen. Wenn der Hunger so mächtig ist, wie ich ihn erfahren habe, wirst du alles tun, ohne zu zögern, ohne Konsequenzen. Du wirst nur noch handeln und dich selbst vergessen. Auch wenn du es nicht willst.“

„Ich will nicht, dass jemals so werden könnte.“

„Dann wird es das auch nicht.“

„Ich konnte nicht aufhören. Ich wollte nicht aufhören.“, wisperte sie und sah noch immer zu Ai. Sie wagte es nicht ihn anzusehen. „Ich wollte alles von dir.“

Wieder atmete Zero neben ihr aus. „Ich weiß sehr gut, wie sich das anfühlt.“

Röte stieg ihr ins Gesicht.

Vorsichtig streckt sie eine Hand nach Ai aus und wollte ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen. Doch kaum berührte sie ihre Haut zog sie die Finger erschrocken zurück.

„Was ist?“, fragte Zero, der es bemerkt hatte.

„Sie glüht vor Fieber.“
 

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Ich habe ein wenig mit mir selbst gehadert, als ich Zeros erzählen ließ. Ich habe lange Zeit überlegt, ob ich in wirklich so werden lassen konnte, dass er Level E tötet und sie verschlang. Ich wusste, dass es ihm das schwer zu schaffen machen würde und er sich noch mehr selbst hasste. Allerdings mangelte es mir an Alternativen, mit denen ich zufrieden sein konnte. Menschliches Blut kam gleich gar nicht in Frage, obwohl ihm das wohl endgültig den Rest gegeben hätte, aber er ist auch sehr willensstark, so dass er eher zu den Hunter zurückgegangen wäre und sich töten lassen hätte, als sowas zutun. Dann hatte ich noch an Tierblut gedacht. Allerdings schied das sofort wieder aus, weil es mich zu sehr an Twilight erinnerte. Natürlich hat Frau Meyer das nicht erfunden, aber nachdem heute eigentlich alles den Stemple Twilight aufgedrückt bekommt, wollte ich erst recht davon Abstand nehmen.

Deswegen ist es so geworden, wie es ist.
 

Auch passiert in diesem Chap nicht so viel, aber es war irgendwie nötig. Außerdem, hoffe ich euch mit dem Cliff wieder neugierig auf das nächste gemacht zu haben.
 

Heute Morgen ist mir dann auch ein Song zu dem Kapitel eingefallen. Er passt nicht ganz, aber der Refrain schon und ja, ich liebe diese Band einfach. *_*
 

Linkin Park – What I’ve done: http://www.youtube.com/watch?v=LrZdsBJ984w
 

See you next chap…
 

maidlin

Überraschende Dinge geschehen

Ist das nicht mal wieder ein genial „einfallsreicher“ Titel? Echt ich bin immer wieder über mich selbst erstaunt, wie unkreativ ich manchmal sein kann.^^° Ich hoffe das Kapitel ist dafür besser, als die Überschrift. *hust*

Viel Spaß damit und wie immer lesen wir uns am Ende noch mal.

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Überraschende Dinge geschehen
 

Augenblicklich dreht sich Zero um und legte selbst eine Hand auf Ais Stirn. Doch ebenso wie Yuki zog er sie sofort erschrocken zurück. Ihre Haut war sehr heiß und jetzt fiel ihm auch auf, wie unregelmäßig sie atmete. Ihr Mund war geöffnet und neben dem Knistern des Feuers, war das Pfeifen, was ihren Lungen entwich, die einzigen Geräusche im Raum. Auf ihrer Stirn standen kleine Schweißperlen und ihr Gesicht, sogar die Lippen, war ganz blass.

Hastig stand Zero auf und ging zum Schrank in der Mitte. Von dort holte er einen weißen Kasten heraus. Yuki hatte ihn an ihrem ersten Abend hier gesehen. Sie sah wie Zero den Kasten zum Sofa trug und dann öffnete. Zügig sah er ihn nach einem fiebersenkenden Mittel durch. Schließlich fand er eine Schachtel mit Tabletten und brach ein heraus. „Hol ein Glas Wasser.“, wies er Yuki nebenbei an. Obwohl sein Körper ruhig zu sein schien, konnte sie das Zittern in seiner Stimme hören. Hastig sprang sie auf und füllte etwas Wasser in ein Glas ab. Sie reichte es Zero. Dieser öffnete Ais Mund ein wenig und ließ die Tablette hineinfallen. Dann setzte er das Wasserglas an ihre Lippen und versuchte sie dazu zu bringen, die Tablette herunter zu schlucken. Stattdessen verschluckte sie sich und spukte es wieder aus.

„Mist.“, fluchte er leise vor sich hin.

Yuki nahm den Arzneikasten und besah sich dessen Inhalt. Vielleicht konnte sie irgendetwas finden, was Ai erst einmal schlucken konnte. Sie fand Hustensaft, eventuell ginge der erste einmal, überlegte sie, suchte aber weiter. Sie bräuchten wohl so etwas wie Zäpfchen, aber davon konnte sie einfach nichts finden. Dabei war es ohnehin ein Wunder, dass der Kasten so gut ausgestattet war. Es war sogar Penicillin und Antibiotika darin. Möglicherweise sollte sie das versuchen. Aber Ai hatte nicht einmal die kleinen Tabletten schlucken können. Die großen würde sie erst recht nicht herunter bekommen.

„Hilf mir.“, sprach Zero jetzt mit ihr. „Sie ist vollkommen nass geschwitzt. Wir müssen sie waschen und neue Sachen anziehen und sie dazu bringen wenigstens etwas zu trinken.“

Zero schlug die Decke zurück und Yuki stand auf und ging abermals zu den Schränken. Sie nahm einen Pullover heraus und eine Hose, die Ai passen könnte und legte sie auf dem Sofa ab. Dann ging sie zum Ofen und setze Wasser auf. Da das Feuer beständig darin brannte, würde es nicht so lange dauern, bis es heiß war. Gleichzeitig setzte sie einen zweiten Topf auf, in dem das Wasser für einen Tee kochen sollte.

„Machen wir Umschläge?“, fragte sie ihn über die Schulter hinweg.

„Ja. Kannst du Ai weiter ausziehen? Ich geh nach unten und hole Tücher und neues Wasser.“ Er wartete nicht einmal ihre Zustimmung ab, da war er schon vom Sofa aufgestanden und auf dem Weg in den Keller. Yuki wandte sich vom Ofen ab und ging zu Ai, die sie weiterhin entkleidete.

Nur kurze Zeit später kam Zero zurück und nahm den Topf vom Ofen. Er füllte das Wasser in eine Schüssel und trug diese dann zu Ai. Er begann sie zu Waschen und Yuki saß schweigend neben ihm. Doch seine Finger zitterten dabei so sehr, dass sie vorsichtig eine Hand auf die seine legte und ihm das Tuch aus der Hand nahm. Wortlos ließ er es geschehen. Sie wollte ihn fragen, was er dachte und in ihm vorging, aber sie kannte ihn gut genug um ihn nicht zu drängen. Würde er darüber reden wollen, würde er von sich aus beginnen.

„Warum habe ich es nicht gemerkt?“, flüsterte er dann, während Yuki Ai behutsam wusch. Sie blickte ihn kurz an und schüttelte dann den Kopf. Sie fragte sich das selbe.

„Wir müssen Fieber messen.“, sagte er mehr zu sich selbst. Das Fieberthermometer hatte Yuki schon herausgetan und es lag neben dem Arzneikasten. Zero nahm die Kappe ab und steckt es Ai in den Mund. Dann goss er einen Kräutertee auf mit zwei Löffel Honig. Sie musste wenigstens etwas trinken, sagte er sich immer wieder.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Yuki Ai vorsichtig wieder ankleidete. Anschließend schoben sie Ärmel und Beine des provisorischen Schlafanzuges nach oben und legte Ai kalte Wickel an.

Gleich darauf piepte das Thermometer und Zero nahm es heraus. Er starrte die Zahlen darauf an und schluckte. „Wie viel ist es?“, wollte Yuki wissen. Wortlos reichte er es ihr.

„38°C, das ist noch nicht zu viel.“, sagte sie daraufhin und wollte ihm und sich selbst damit Mut machen.

„Nein, aber sieht es für dich danach aus, dass es bald wieder runter geht?“, fragte er spitz und legte den Kopf in die Hände.

„Das kannst du nicht wissen.“, widersprach sie, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Gedanken sich schon wieder ein ‚Was, wenn es nicht besser wird?‘, ausmalten.

„Lass uns versuchen ihr den Tee zu geben. Vielleicht trinkt sie ja ein wenig. Die heiße Flüssigkeit tut ihr bestimmt gut.“

Zero nickte kurz und hob Ais Oberkörper abermals an. Flatternd öffneten sich ihre Augenlider, doch ihr Blick war verschwommen und Zero war nicht sicher, ob sie ihn überhaupt erkannt hatte. „Es wir alles wieder gut.“, flüsterte er und setzte die Tasse an ihre Lippen. Die Flüssigkeit benetzt ihre Lippen und Ai öffnete diese sogar ein wenig. Es waren nur ein paar wenige Schluck, die sie trank, aber Zero war dankbar dafür. Yuki nahm ihm die Tasse wieder aus der Hand und Zero betet Ai zurück. Dann sah er sie noch eine ganze Weile an. „Sie wollte nicht, dass du etwas merkst.“, sagte sie dann leise, während sie Ais unregelmäßige Atemzüge beobachteten.

„Natürlich nicht! Warum gerade jetzt?!“

Yuki sah ihn stumm an, dann sagte sie: „Vielleicht sinkt das Fieber ja doch schnell wieder. Kinder in dem Alter sind oft plötzlich krank.“ Bei ihr war es damals so gewesen.

„Ja, vielleicht.“, antwortete Zero und wollte es selbst gern glauben. „Trotzdem... Vertraut sie mir so wenig? Warum hat sie plötzlich Geheimnisse vor mir?“, zweifelte er. „Ich kann es mir ja denken, aber...“ Er schüttelte den Kopf und Yuki fühlte sich einmal mehr in ihrer Hilflosigkeit gefangen.

„Sie ist sehr reif für ihr Alter.“, sagte sie schließlich.

Sie schwiegen einen weiteren Moment. „Es wir nicht schnell vorbei gehen.“, sagte Zero.

„Wie kommst du darauf?“

„Sie war noch nie krank. In den fünf Jahren, die ich sie kennen, hatte sie mal einen Schnupfen oder ein bisschen Husten, aber es war noch nie so.“

„Sag das nicht, sondern lass uns einfach das Beste hoffen. So viel Pech können wir doch gar nicht haben.“, erwiderte sie und brachte sogar so etwas wie ein Lächeln zustande. „Es geht ihr bestimmt bald besser.“
 

Yuki irrte sich. Nach einer Stunde maßen sie erneut Fieber und es war auf 38,6°C angestiegen. Ohne zu sprechen wechselten sie die Umschläge. Es gelang ihnen sogar, dass Ai eine der Tabletten nahm. Das einzige Geräusch, welches sie bei dieser Tätigkeit und dem anschließenden Warten begleitete, war das Heulen des Schneesturmes, der immer noch unablässig draußen tobte und sie zu Gefangenen machte. Aber auch, wenn sie nicht miteinander sprachen, hatte sie doch die gleichen Gedanken: Was würde sein, wenn das Fieber weiter stieg?
 

Am Morgen erreichte Ais Temperatur 39,2°C. Es war ihnen noch zwei Mal gelungen Ai etwas von dem Tabletten zu geben, aber offenbar wirkten sie nicht. Zero war nicht sicher, ob er die anderen Medikamente ausprobieren sollte. Zu groß war seine Angst, dass er Ai damit vielleicht nur noch mehr schaden könnte.

Weder Yuki noch Zero hatten kaum geschlafen. Ständig hatten sie die kühlenden Umschläge gewechselt, um das Fiber so zu senken. Allerdings hatten sie schlagartig damit aufgehört, als Ais Körper plötzlich ganz kalt geworden war. Also hatten sie alles unternommen, um ihren Körper wieder zu wärmen. So war es die ganze Nacht hindurch gewesen.

Zero empfand dies bereits als Schrecklich. Er fühlte sich hilflos, war es doch eine Bedrohung gegen die er nichts ausrichten konnte. Doch noch schlimmer traf es ihn als er Ai am Morgen weckte, um ihr noch etwas zu trinken zu geben.

Als er seine Ziehtochter weckte und abermals vorsichtig nach oben hob, öffnete sie noch zaghafter die Augen. Dieses Mal war ihr Blick verwirrt und ihre Augen rollten in ihren Höhlen. Ihre Lippen formten stumme Worte und Zero beugte sich näher zu ihr, um sie verstehen zu können.

„Wer bist du?“, fragte sie mit krächzender Stimme. Er erstarrte bei diesen Worten und jegliche Farbe wich au seinem Gesicht. Sein Anblick brach Yuki fast das Herz.

„Durst...“, brachte Ai als nächstes hervor und das schien Zero aus seiner Starre zu lösen. „Ich helfe dir.“, sagte er endlich. „Hier, trink das.“ Dann setzte er die Teetasse erneut an ihren Mund und dieses Mal trank Ai fast gierige, große Schlucke. Er nutzte die Gelegenheit gleich, um ihr auch noch etwas von dem Hustensaft zu geben.

Er legte sie wieder zurück und strich ihr über die feuchte Stirn. Kurz darauf schlief sie wieder ein.

„Sie hat Fieber.“, sagte Yuki leise. „Du solltest dir keine Gedanken darüber machen, dass sie dich nicht erkennt.“

„Ich weiß.“, antwortete er knapp. „Aber, wenn es bereits so schlimm ist und das Fieber nicht bald sink und der Schneesturm anhält, dann...“ Er ließ den Satz unvollständig und Yuki wurde leicht Übel, als sie daran dachte. Zero begann die wenigen Gegenstände, die sie genutzt hatten hin und her zu räumen, ohne dabei ein richtiges Ziel zu haben. „Wir sollten auch etwas essen.“, sagte Yuki schließlich. Wenigstens sie mussten bei Kräften bleiben, um bei Ende des Schneesturmes die Hütte so schnell wie möglich verlassen zu können.

„Ja. … Ja, natürlich.“, antwortete Zero fast entschuldigend. Aber er hatte es mit so einem traurigen Ton in der Stimm gesagt, dass Yuki sich einen Ruck gab und zu ihm ging. Sanft berührte sie ihn am Arm. Fragend sah er sie an, doch in seinen Augen erkannte sie eine tiefe Müdigkeit. Ohne vorher darüber nachzudenken, trat sie noch näher an ihn heran und legte den Arm um seinen Körper. Augenblicklich versteifte er sich, doch sie beachtete es nicht.

Stattdessen erinnerte sie sich an all die Moment, in denen sie es gewesen war, die von ihm getröstet wurde. Jetzt konnte sie ihm ein wenig davon zurückgeben. Zu ihrer Überraschung erwiderte er die Umarmung sogar für den Bruchteil einer Sekunde. Dann ließ er sie los und blickte ihr in die Augen. Auch darin erkannte er Angst.
 

Den Tag verbrachten sie, ebenso wie die Nacht davor, damit an Ais Bett zu wachen und sie zu beobachten. Die meiste Zeit schwiegen sie und wenn sie doch ein Wort wechselten, dann waren es Belanglosigkeiten. Beide sprachen nicht über das ‚wenn‘. Sie versorgten Ai so gut es ging. Zero hatte eine weitere Suppe gekocht und diese, abwechselnd mit Tee und Hustensaft, flößten sie ihr ein.

Yuki und Zero trauten sich nicht einzuschlafen und wenn doch, dann nur für wenige Minuten und niemals tief oder erholsam. Sie waren selbst der Erschöpfung nahe und Yuki beobachtete Zero verstohlen, dann sie wartete eigentlich darauf in seinem Augen die ersten Anzeichen zu erkennen. Doch nichts der Gleichen war der Fall. Es lag zwar Anspannung darin, aber das war nur zu verständlich. Zu gern hätte sie gewusst, wie es in seinem Inneren aussah.

Zero spürte Yukis Blick auf sich und wusste, was sie dachte. Er hatte Durst, aber es war noch weit entfernt von dem, was er einst erlebt hatte. Es blieb noch Zeit, bis es unkontrollierbar wurde und er hatte sich geschworen es nie wieder so weit kommen zu lassen. Aber seine größte Sorge galt Ai. Das würde ihm helfen den Durst weiter zu zügeln.
 

Am Ende des Tages war das Fieber bei 40°C und Zero stützte die Hände auf den Kopf und schüttelte ihn fassungslos. Yuki war gerade dabei Holz nachzulegen, als Zero sagte: „Wir werden nicht mehr sehr viel brauchen.“

„Was meinst du?“, fragte sie, obwohl sie so eine Ahnung hatte.

„Wir müssen morgen Früh gehen, ganz egal, wie das Wetter ist. Das Fieber steigt weiter und sinkt nicht. Es geht schon zwei Tage so und wer weiß, wie lange sie es bereits in sich trägt. Ich kann nicht länger warten.“

„Aber dann... Ich dachte es wäre zu gefährlich, dass man es nicht... überlegen würde, wenn man bei dem Wetter nach draußen geht.“

„Verstehst du denn nicht?!“, fragte er sie mit lauter Stimme und Yuki hörte all die Verzweiflung, die sich bei ihm angestaut hatte. „Sie würd es vielleicht auch nicht überleben, wenn wir hier bleiben.“

Yuki schluckte heftig. Es war das erste Mal, dass er es so ausgesprochen hatte. „Du musst nicht mitkommen, es ist zu gefährlich. Aber ich... Ich kann einfach nicht mehr warten. Sie braucht einen Arzt.“, fuhr er dann mit brüchiger Stimme fort.

„Zero, das Risiko ist genauso groß. So kann sie es vielleicht auch nicht schaffen. Warte noch ein wenig länger.“, versuchte sie ihn umzustimmen.

„Wie lange denn noch?“, entgegnete er kraftlos. Sie taten doch seit zwei Tagen nichts anderes als warten.

„Wenigstens noch einen Tag.“, sagte sie leise. Doch dann änderte sie ihre Meinung: „Oder wenigstens noch einen halben, bis zum Mittag. Wenn sich ihre Temperatur noch mehr verschlechtert können wir sofort aufbrechen. Und vielleicht hat sich der Schneesturm bis dahin auch endlich gelegt. Die vier Tage sind doch schon längst um.“

Zero sah sie lang und durchdringend an, dann wieder zu Ai. Schließlich nickte er. „Bis zum Mittag, länger nicht. … Was wirst du tun?“

„Ich werde euch natürlich begleiten. Ich werde nicht hier sitzen und warten bis sich da draußen alles beruhigt hat und ich nicht weiß, wie es euch geht.“

„Danke.“, erwiderte Zero leise und meinte es aus tiefsten Herzen so.
 

Da das Fieber in den letzten Stunden gleich geblieben war, hatte Zero die Hoffnung, dass die Medikamente, der Tee und die Umschläge doch endlich anschlugen. Aber als er jetzt auf das Fieberthermometer schaute, wurde all das in einer Sekunde zerstört. Es zeigte plötzlich 40,8°C.

„Wir können nicht mehr warten.“, sagte er zu Yuki, die ihm über die Schulter geschaut hatte und ebenso schockiert war.

„Ich hole neue Sachen aus dem Schrank. Wir müssen sie umziehen und wir selbst brauchen auch wärmere Kleidung.“, sagte sie ohne zu zögern. Zero blickte sie stumm an und atmete erleichtert auf. Er war froh, dass er nicht allein handeln musste.

Noch einmal zogen sie Ai neue Kleidung an. Die benutzt legte sie zu den anderen auf einen Stapel. „Was passiert damit?“, fragte Yuki, als sie sich gerade selbst einen weiteren Pullover anzog.

„Sie wird geholt, sobald das Wetter sich beruhigt hat.“, antwortete Zero ihr und legte einen Schal um.

Nachdem sie die Jacken angelegt hatten, packten sie Ai noch einmal in eine Decke ein. „Wie kommen wir heraus?“, wollte Yuki wissen und sah sich um. Würden sie die Tür benutzen können? Aber sie war doch sicher eingeschneit.

„Sei mal still.“, sagte er und lauschte gespannt. Yuki sah ihn fragend an, tat aber wie er sagte. Irgendetwas war anders geworden, doch sie konnte nicht richtig sagen, was es war.

„Der Schneesturm ist nicht mehr so stark.“, sagte Zero schließlich. „Das Pfeifen des Windes ist nicht mehr so laut und es peitscht auch nicht mehr gegen die Wände.“ Yuki nickte kurz. So genau hatte sie es nicht bestimmen können, aber jetzt da sie es wusste, konnte Zero natürlich recht haben.

Neben den Schränken stand eine Leiter, die Zero nun holte und an der Wand anstellte. Dann stieg er die Stufen nach oben, bis er mit der Hand etwas zu entriegeln schien und dann gegen das Dacht drückte. Erst jetzt erkannte Yuki eine weitere Luke, die auf das Dach führte. So viel Kraft musste Zero gar nicht aufwenden, da das Dach durch den Kamin gut gewärmt war. Er öffnete die Luke einen kurzen Moment und schloss sie anschließend wieder leicht. Dann stieg er nach unten.

„Wir müssen das Feuer löschen. Du gehst vor und öffnest die Dachtür. Wenn du nach draußen gehst, schließ die Augen. Das Licht wird dich blenden und du brauchst einen Moment, ehe du dich daran gewöhnt hast. Wenn du so weit bist, gebe ich dir Ai nach draußen und komme selbst. Der Wind weht wirklich nicht mehr so stark, vielleicht haben wir ja auch mal Glück.“ Die letzten Worte sprach er mehr zu sich selbst, als zu Yuki doch diese nickte. Ohne das Zero etwas sagte, wandte sie sich dem Feuer zu und mit einer Handbewegung erlosch es.

Dann trat sie zur Leiter und nahm die Stufen eine nach der anderen. Bevor sie die Luke öffnete atmete Yuki noch einmal durch. „Schließ die Augen.“, riet Zero ihr noch einmal. Kaum dass sie ihren Kopf durch das Dach gesteckt hatte, konnte sie das helle Licht hinter ihren geschlossenen Augenlidern spüren. Es schmerzte sie. Vampire waren empfindlich gegen das Licht, doch wenn sie sich daran gewöhnt hatten, war es erträglich und Yuki hatte in den letzten Wochen das Sonnenlicht wieder regelrecht lieben gelernt. Aber dieses Licht war fast unerträglich gleißend und weiß. Vorsichtig suchte sie sich einen Weg ganz auf das Dach, dann konnte sie es nicht länger ertragen und schlug sogar die Hände vor das Gesicht, um ihre Augen weiter zu schützen. Es kann ihr eine Ewigkeit vor, in der sie sich nicht rühren konnte und darauf wartete, dass der Schmerz abklang. Als es soweit war, nahm die vorsichtig die Hände weg und blinzelte zaghaft. Sofort standen ihr Tränen in den Augen und es dauerte noch einmal ein paar Minuten, ehe sie es wagte, die Augen ganz zu öffnen. Sie zwang sich die Augen offen zu lassen. Sie duften keine Zeit mehr verlieren, auch wenn sie am liebsten wieder zurück in die traute Dunkelheit geflohen wäre. Yuki drehte sich um und trat wieder zur Luke.

„Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich gleich. „Ich bin so weit.“

„Schon gut.“, antwortete Zero. „Mir wird es nicht anders gehen.“

Sie nickte kurz.

Zero hatte sich Ai so in die Arme gelegt, dass er immer noch eine Hand frei hatte, um sich an der Leiter festzuhalten. Mit sicheren Bewegungen stieg er sie hinauf. Als er etwas mehr als auf halber Höhe war, ließ er die Sprosse los, um beide Hände freizuhaben. Dann faste er Ai unter die Knie und an den Rücken und hob sie nach oben. Es kostete ihn große Anstrengung das Gleichgewicht zu halten und nicht herunterzufallen. Langsam hob er Ai nach oben, direkt Yukis Armen entgegen. Diese hatte sich wieder etwas weiter in die Hütte gebeugt und legte ihre Hände, an die gleiche Stelle, wie Zeros. Kurz streiften sich ihre behandschuhten Finger. So vorsichtig wie möglich, hob sie Ai nach oben und aus der Dachluke heraus. Es war nicht einfach, musste sie doch darauf achten, dass sie sich nirgendwo stieß. Aber es gelang.

Kaum war Ai an der frischen Luft, durchlief ein Zittern ihren Körper und Yuki bemühte sich, die Decke, die sie ihr umgelegt hatten, wieder fest um den Körper zu legen. Yuki hört ein Geräusch hinter sich und aus den Augenwinkeln sah sie, wie nun auch Zero auf dem Dach stand und die Luke wieder schloss. Dieses Häuschen hatte ihnen das Leben gerettet, dachte Yuki. Sie sah nach links und rechts, wo noch immer zwei Blutbuchen standen und ihre Gedanken wanderten zu Kira. Seinem Tod hatten sie ihr Leben zu verdanken. Sie blickte kurz zu Zero, der sie Augen fest geschlossen hatte und sie zusätzlich durch die Hände abschirmte. „Geht es?“, fragte Yuki ihn, bereute es ihm nächsten Moment aber. Sie erwartet eine bissigen Antwort, war dann aber überrascht, als er ruhig sagte: „Gib mir noch einen Moment.“

Das Licht war gleißend hinter seinen Lidern, als wollte die Sonne sie an Ort und Stelle verbrennen, ihnen beweisen, dass sie nicht in diese Welt gehörten und unter ihren wärmenden Strahlen nichts zu suchen hatten. Dabei hatte er sich in den letzten Jahren so sehr daran gewöhnte. Er konnte es nicht glauben, dass ein paar Tage in der Dunkelheit all die Jahre und Erfahrung so schnelle zunichte gemacht hatten.

Nur langsam ließ er die Hand sinken und öffnete, wie Yuki vor ihm, die Augen nur zögerlich. Das Licht schmerzte ihn sehr, als würde jemand mit einer heißen Nadel in seine Augen stechen. Allein der Gedanken an Ai ließ ihn sich so schnell wie möglich aufrichten. Er schlug die Augen auf und der Schmerz war beinah unerträglich. Bunte Punkte breiten sich in seinem Blickfeld aus. Er blinzelte ein paar Mal und versuchte sie zu ignorieren. Dann wandte er sich an Yuki.

„Wir müssen uns beeilen.“

„Es ist atemberaubend.“, sagte diese und erst jetzt merkte Zero, dass sie die Landschaft betrachtete. Alles um sie herum war weiß. Die Bäume ragten scheinbar unangetastet aus der dichten Schneedecke heraus und bildeten den einzigen grünen Kontrast. Die zwei Bluteichen standen noch immer erhaben und bildeten das Zentrum, dieses gespenstischen Waldes. Doch auch Zero konnte die Schönheit nicht leugnen. Der Schneesturm hatte sich weiter gelegt und hinter den Wolken, wurden die ersten Sonnenstrahlen sichtbar, die die einzelnen Flocken sanft zu streicheln schienen. Außerdem brachte sie den gefallenen Schnee zum Glitzern, so dass dieser winzigen Diamanten gleich kam. Vielleicht würde der Schneefall ganz aufhören, hatte Zero die Hoffnung und die Sonnen würde sie auf ihrem Weg zurück wärmen. Aber sie mussten endlich losgehen, damit sie es noch vor Einbruch der Nacht schafften. Denn die Nächte würden bitterkalt werden und die Temperaturen weit unter minus 15 Grad sinken.

„Ich gehe vor und nehme Ai. Du läufst hinter uns in meiner Spur.“, sagte er zu Yuki und nahm ihr Ai wieder ab. Dann sprang er vom Dach, wissend, dass sich an dieser Stelle nichts befand, was ihn verletzen könnte.

Er versank tief ihm Schnee. Bis zu den Oberschenkeln reichte ihm die weiße Masse und er fluchte innerlich. Es würde lange dauern sich dadurch einen Weg zu bahnen.
 

Sie kamen nur langsam voran. Yuki spürte, wie die Kälte immer tiefer durch ihre Kleidung kroch. Der Wind blies zwar nicht so heftig, doch es fühlte sich an wie Eisnadeln, die auf ihre Wange trafen. Sie zitterte, doch kein Laut drang über ihre Lippen. Sie wusste, dass es für Zero noch beschwerlicher sein musste, war er es doch, der den Weg für sie erst einmal frei machte. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie anstrengend es für ihn sein musste.

Bitter lachte sie in sich hinein. Jahrelang hat man ihr erzählt, das Reinblüter mächtige Wesen waren, die über anderen herrschten und für Ordnung sorgten, dass sie stärker waren, als all die anderen Vampire und so viele mächtiger als die Menschen und doch vermochte es all diese Kraft, all die Macht nicht, ihr oder Ai jetzt zu helfen. Sicher, vielleicht wäre ein normaler Mensch schon längt an den Strapazen gestorben, hätte aufgegeben und sich seinem Schicksal überlassen und trotzdem... nichts konnte Yuki tun, was sie ihrem Ziel näher gebracht hätte. Sie konnte sich nur auf Zero verlassen, dass er den Weg kannte. Sie konnte ihm nur vertrauen und sie vertraute ihm aus der Tiefe ihres Herzens heraus. Dennoch wünschte sie, sie könnte es sein, die sie voranbrachte, die half. Sie wollte ihm keine zusätzliche Last sein.

So, wie sie es für ihren Bruder hatte sein wollen. Yuki war nicht sicher, ob sie das geschafft hatte. Sie wusste es einfach nicht.
 

Beide hatten sie keine Uhr bei sich, aber sie ahnten dass wohl Stunden vergangen sein mussten, seit sie die Hütte verlassen und endlich die ersten Schemen der Stadt sehen konnten. Zero hörte Yuki erleichtert neben sich aufatmen und er selbst konnte ebenfalls nicht anders. Er blickte zu Ai, die noch immer dick eingepackt in seinen Armen lag. Ihr Mund stand leicht offen und er vermutete, dass sie dadurch atmete. Vielleicht tat die frische, klare Luft ihren angegriffenen Lungen auch ganz gut, versuchte er sich selbst einzureden. Doch ihre Stirn war feucht. Das Fieber war nicht gesunken, er konnte nur hoffen, dass es nicht weiter gestiegen war, denn dann würde es wohl zu spät sein.

Schweigend liefen sie weiter bis sie beide ein Kribbeln im Körper verspüren konnten. Die Stadt lag nun genau vor ihnen und die Präsenz der anderen wurde für sie spürbar. Sie waren wirklich hier, dachte Zero, aber weder er noch Yuki waren darüber wirklich erstaunt. Nach weiteren dreißig Minuten sahen sie das Haus der Sayukas und Zero blieb noch einmal stehen.

Yuki fröstelte. Dieses Mal nicht vor Kälte, sondern weil sie Kanames Aura spürte, dunkel und wütend.

„Du kannst es dir immer noch überlegen.“, sprach er gedämpft, durch den Schal und Kragen seiner Jacke hindurch. Doch Yukis Blick blieb entschlossen und sie schüttelte ohne zu zögern den Kopf.

„Nein, ich habe mich bereits entschieden.“

Zero nickte zur Antwort und sie setzten ihren Weg die letzten Meter fort. Nur einen Augenblick nachdem Zero ihr diese Frage gestellt hatte, erschien Kaname vor dem Haus der Sayukas.

Auch er hatte sie gespürt.

Sie behielten ihr Tempo bei und auch wenn die Schneemassen am Rande der Stadt geringer waren, so waren sie doch genauso schwierig zu überwinden. Yukis Herz schlug ihr bis zum Hals. Würde man sie wenigstens anhören und die Chance geben Ai zu versorgen? Sie würde dafür sorgen, dass es so sein würde, dachte sie entschlossen.

Sie blickte gerade in das Gesicht ihres Bruders. Sein Gesicht war ruhig und abwartend doch ihr war, als könnte sie den Zorn, der darunter lag beinah mit den Händen greifen. Es würde nicht einfach werden, aber das hatte sie auch nicht erwartet.

Die Tür des Gasthauses „Zum Goldenen Glück“ öffnete sich noch einmal und Frau Sayuka trat heraus. Zero sah, wie sie sich kurz umsah und sie dann entdeckte. Dann rannte sie auf ihn zu. Er brachte sie

nur in Gefahr. Gerade diese Menschen wollte er aus all den Dingen heraushalten, aber es war schon lange zu spät.

Zero glaubte nicht, dass man ihnen etwas angetan hatte. Das konnte er sich nicht vorstellen. Andererseits wusste er, wie weit Kaname gehen würde, um seine Schwester zu schützen. Mehr als einmal hatte er das am eigenen Leib zu spüren bekommen. Doch je näher Frau Sayuka kam, desto mehr erkannte Zero, dass sie offenbar unversehrt war und ein wenig Erleichterung machte sich in ihm breit.

Frau Sayuka umarmte ihn herzlich. „Gott sei Dank ist euch nichts passiert.“, flüsterte sie in sein Ohr und sah ihn mit einem Lächeln an. Zero hatte vergessen, wie es war in ein zu Hause zu kommen, in dem man auf ihn wartete, umso mehr berührte ihn diese Geste. Dann sah Frau Sayuka auf Ai und tiefe Sorgenfalten legten sich auf ihr Gesicht.

„Was ist mit ihr?“, vorsichtig berührte sie Ais Wange, zuckte dann aber zurück. Genauso, wie es Yuki das erste Mal getan hatten. Das Fieber war immer noch so hoch, fühlte sich Zero bestätigt. „Sie hat seit ein paar Tagen hohes Fieber. Wir mussten zurückkommen, weil sie...“, er brauchte nicht zu Ende zu sprechen. Das Zittern in seiner Stimme verriet ihn.

„Eure Wohnung ist aufgewärmt und wir haben mit Tee und Essen auf euch gewartet.“

Frau Sayuka drehte sich um und sah ihren Mann in der Tür stehen. An ihm vorbei drängten sich nun auch die anderen Personen, die auf die Rückkehr von Zero und Yuki gewartet hatten. So ganz begriff Frau Sayuka noch immer nicht, warum dieser Aufwand betrieben wurde, doch das war nicht wichtig. Sie musste so schnell wie möglich einen Arzt kommen lassen.

Sie sah ihren Mann in die Augen und dieser blickte zu Ai. Er schien sofort zu begreifen, denn er verschwand augenblicklich wieder im Haus.

„Bring sie nach oben. Mein Mann ruft den Arzt bereits an.“

Zero sah in die Gesichter, derer die ihn bereits erwarteten. Alles in ihm schrie danach sich ihnen zu stellen und zu kämpfen, denn es gab nichts wegen dem er sich schuldig fühlen müsste. Nichts, bis auf Ichirus Tod... und das ging die Hunter nichts an.

Aber er musste sich zur Ruhe zwingen. Ai ist wichtiger, sagte er sich selbst und ging langsam auf die versammelten Männer zu. Kaname starrte ihn noch immer bewegungslos an und in seinem Rücken spürte er Yuki, die ihm folgte. Zero wich dem Blick des Reinblutes aus. Nicht, weil er Angst vor ihm verspürte, sondern, weil es nicht wusste, wie sehr er sich zu beherrschen vermochte. Er erkannte unter den anderen Jinmu und Kaito, aber auch Aidou, Kain und Takuma waren dabei. Die anderen hatte er bestimmt auch schon einmal gesehen oder es waren neu ausgebildete Hunter dabei. Er war sicher er würde sie noch früh genug kennenlernen – auf die ein oder andere Weise.

Zero ging an Kaname vorbei, ohne dass dieser das Wort an ihn richtete. Doch er spürte, wie Yuki hinter ihm stehen blieb und ihren Bruder anblickte. Die Hunter hoben ihre Waffen und auch die Vampire machten sich bereit ihn anzugreifen, wenn nötig. Frau Sayuka blieb die ganze Zeit vor ihm, als wollte sie ihn schützen. Er wünschte, sie würde das nicht tun.

Jinmu trat hervor und musterte ihn eingehend. Zero blieb stehen und wartete ab, dabei wollte er Ai so schnell wie möglich in ihr Bett bringen, damit sie sich endlich erholen konnte. Doch er musste geduldig sein und zeigen, dass er sich verändert hatte. Er wollte es versuchen, wie es Yuki gesagt hatte. Kämpfen würde er immer noch können.

„Sie braucht dringend einen Arzt.“, sagte Zero mit ruhiger Stimme und sah Jinmu dabei direkt in die Augen. Dieser kam einen Schritt näher, mit einer Handbewegung deutete er den anderen hinter ihm zu bleiben. Doch stattdessen trat auch Aidou hervor und beugte sich zu Ai.

„Was ist passiert?“, fragte Aidou ihn.

„Sie hat hohes Fieber, schon seit ein Tagen. Es waren nicht die richtigen Medikamente da, aber wir konnten nicht eher gehen.“, erklärte Zero kurz.

In diesem Moment kam Herr Sayuka wieder aus dem Haus und sein Gesicht verriet Zero auch so, was er jeden Augenblick sagen würde: „Der Arzt ist nicht da. Er sei zu einem Hausbesuch und die Schwester wusste nicht, wie lange es dauern würde.“

Zero schloss kurz die Augen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Hatte sich denn alles gegen ihn gewandt? Ai brauchte dringend medizinische Versorgung! Sollte er sie gleich ins Krankenhaus schaffen?, überlegte er fieberhaft. Dort könnte man ihr ohne Zweifel am besten helfen, aber es

würde noch einmal fast eine Stunde dauern, ehe sie sich ihren Weg durch die Stadt gebahnt hatten. Wieder eine Stunde, die verloren gehen würde.

„Wo ist der Arzt?“, fragte Aidou Herr Sayuka. „Bei einem Patienten in der Herrengasse 7.“

Aidou nickte kurz. Inzwischen kannte er sich recht gut in dieser Stadt aus. Er hatte ja genug Zeit gehabt, sich umzuschauen. „Ich hole ihn.“, sagte er dann und klang entschlossen. Er wusste, dass Kaname keineswegs damit einverstanden sein würde, doch bisher hatte er ihnen noch keine weiteren Anweisungen gegeben und Ai zu helfen, war in diesem Fall seine eigene Entscheidung. Er warf noch einen letzten Blick auf Kaname, der Yuki immer noch unverwandt ansah und ihn dankbar sein ließ, dass er nicht der Empfänger dieses Blickes war. Dann drehte er sich um und lief die Straße hinab, in die Stadt hinein.

Zero schaute ihm überrascht hinterher. Er hätte nicht erwartet, dass dieser Vampir etwas tun würde, was nicht Kanames Befehl entsprach. Nein vielmehr hätte er nicht erwartet, dass dieser Vampir etwas tun würde, was so... selbstlos war.

„Wir bringen sie hoch und du und Yuki müsst euch auch dringend aufwärmen.“, sagte Frau Sayuka, die noch immer vor Zero stand, als wollte sie ihn auf keinen Fall allein lassen.

Abermals sah Zero zu Jinmu. Dieser fragte sich, was das sollte. Normalerweise war Zero doch sonst nicht so und setzte einfach seinen Kopf durch. Normalerweise... doch das war schon so lange her, dachte er. Dieser Zero hier war anders, nur zu oft hatten die Leute von einem Mann berichtet, den er nicht kannte. Fast schien es ihm, als würde Zero auf seine Zustimmung warten, als wollte er einen Kampf vermeiden, vor dem er sich früher wohl nicht gescheut hätte. Vielleicht scheute er sich auch gar nicht, sondern es ging ihm wirklich nur um das Kind.

Jinmu warf einen kurzen Blick zu Kaname. Dieser starrte immer noch seine Schwester an, also war es an ihm, die Sache zu entscheiden.

„Ich werde ihnen alles erzählen.“, sagte Zero plötzlich und Jinmu sah ihn überrascht an. „Ich werde ihnen alles erzählen, was sie wissen wollen, doch erst muss es ihr besser gehen.“

Zero sprach leise. Das Zugeständnis war ihm nicht leicht gefallen, doch Yuki hatte recht. Mit Kraft würde er bei diesen Männern nichts erreichen. Er musste es mit Worten versuchen. Er würde alles versprechen, wenn sie ihn doch nur endlich nach oben ließen.

Einen Augenblick zögerte Jinmu noch, dann nickte er schließlich zustimmend. „Also gut. Bisher wissen wir noch nicht, was genau mit dem Kind ist, bring sie nach oben. Aber ich verlange, dass du mir deine Waffe gibst, als Zeichen für dein Wort.“ Zero presste die Zähne zusammen, aber er beugte sich ohne zu wiedersprechen. Wenn das alles war, was sie wollten, sollten sie es gern haben. Man hatte ihm schon mehr genommen.

Wieder verlagerte Zero Ais Gewicht so, dass er sie auch mit einer Hand tragen konnte. Dann knöpfte er seinen Mantel bis zur Hälfte auf, griff in die Innentasche und holte die Bloody Rose hervor.

Die Augen von Frau Sayuka weiteten sich kurz vor Überraschung, sie sagte aber nichts. Sie war entschlossen keine Fragen zu diesen Männern oder Zeros Vergangenheit zu stellen. Wenn, dann sollte er von sich auch entscheiden, wie viel er bereit war, ihnen anzuvertrauen.

Jinmu nahm die Waffe entgegen und wog sie kurz in seiner Hand. Die Bloody Rose war wahrlich ein Prachtstück und Zero hatte sie all die Jahre gut gepflegt.

„Gut.“, sagte er anschließend und gab somit endlich sein Einverständnis. Er dreht sich zu den anderen um und sagte: „Lasst ihn durch. Wir klären das später.“

Ein Murmel ging durch die Hunter und Vampir und sie alle ließen ihre Waffen sinken, bis auf Kaito. Zero ging einen Schritt nach vorn und sah ihm ihn die Augen „Du wirst deine Gelegenheit bekommen.“, sagte er zu ihm. Ein spöttisches Lächeln war die Antwort.

Herr Sayuka öffnete die Tür und hatte einen erleichterten Ausdruck auf seinem Gesicht. Doch plötzlich verwandelte sich dieser in etwas anderes und Zero konnte es im gleichen Augenblick spüren. Kaname...
 

Die ganze Zeit hatte er den Blick nicht von seiner Schwester lassen können. Wie eine Fremde stand sie vor ihm, sagte nichts, sondern erwiderte seinen Blick. Nur hin und wieder konnte er sehen, wie ihre Augen zu Zero huschten, der bereits hinter ihm stand.

Kaname verstand nicht. Was war mit Yuki geschehen?

Äußerlich hatte sie sich nicht verändert, aber es waren die innerlichen Veränderungen, die ihn so sehr von all dem anderen ablenkten. Er konnte es spüren, wie sie eine andere war, als die Yuki, die er das letzte Mal in den Armen gehalten hatte. Etwas war mit ihr geschehen. Schon immer war sie bereit für eine Sache einzutreten und zu kämpfen, wenn sie sie für wichtig empfand. Doch dieses Mal lag eine Entschlossenheit in ihren Augen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Dieses Mal würde sie nicht zurückweichen oder einen Kompromiss eingehen. Das wusste er. Doch was genau war es, dass sie erreichen wollte? Dieses Mädchen zu beschützen?

Warum? Oder ging es ihr allein um Zero? Schon immer hatte er es gewusst. Zero war ein Teil von Yuki, wie sie es gesagt hatte. Aber ihr war bisher nicht klar gewesen, wie fest dieser Teil in ihr verankert war, wie sehr er ein Bestandteil ihres Seins war. Kaname hatte es geahnt, hatte es in ihren Augen gesehen, manchmal, wenn sie scheinbar verträumt aus dem Fenster gestarrt hatte, waren ihre Gedanken bei ihm gewesen, doch nie hatte sie etwas gemerkt. Nie hatte sie gespürt, wie tief ihre Gefühle für diesen anderen Mann waren.

Jetzt war das anders. Es war als würde sie ihm alle dies erzählen, während ihre Lippen doch verschlossen blieben. Ihre Augen sprachen genug. Doch noch immer konnte sie ihre Gefühle nicht benennen, auch das sah er.
 

Jinmu sprach mit Zero. Kaname hörte die Worte, ohne das er sich mühe geben musste. Das Mädchen war krank und selbst ihn wunderte es, dass Zero auf anderem Wege versuchte, sie zu versorgen. Kaname wartete ab, was geschehen würde. Sicher würde Jinmu sich darauf einlassen. Er war zu weich, kannte er Zero doch schon als Kind.

Aber er würde nicht so leicht nachgeben. Er hatte Yuki in Gefahr gebracht, schon wieder. Dieses Mal würde er seiner Strafe nicht entgehen, so wie er es einst geschworen hatte.

Kaname drehte sich um, bereit ihn anzugreifen. Um das Kind würde man sich später kümmern können. Jetzt wollte er sehen, ob sich Zero wirklich so sehr verändert hatte, wie sie alle sagten. Sicher nicht. Es würde nur wenige Sekunden dauern, dann würde er kämpfen.
 

„Nehmen sie Ai und bringen sie nach oben. Verlassen sie das Haus nicht!“, sagte Zero eindringlich zu Herr Sayuka und wollte ihm gerade Ai übergeben, als ein Raunen durch die Menge ging. Zero dreht sich um und konnte nicht glauben, was er da sah.

Yukis Artemisstab hatte sich in eine Sense verwandelt. Lang und bedrohlich war die Klinge, so scharf, dass sie selbst Knochen würde mühelos spalten können.

Und sie lag direkt an Kanames Hals.
 

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Noch ein Kapitel bevor das neue Schuljahr losgeht und ich nicht weiß, wie ich dann Zeit zum Schreiben haben werde. u.u Es wird heftig.

Aber... ich darf mit Freuden verkünden, dass ich bereits alle Kapitel geschrieben habe! XD Mit Kapitel 32 wird diese Geschichte enden, wir haben noch einiges vor uns, also keine Angst. Danach wird es noch einen Epilog geben und dann ist wirklich Feierabend. Ich bin jetzt schon erleichtert.^^° Hätte nicht gedacht, dass es sich so lang zieht.

Ich tue ja schon so, als wäre ich wirklich schon fertig... o.O

Also, ich hoffe wir lesen uns auch beim nächsten Mal. Chap 26 wird echt... schwierig. Ich gehe davon aus, dass ich etliches ändern werde. Aber nun hat erst einmal meine andere Geschichte wieder Vorrang und eine weitere habe ich ja auch angefangen.^^° Na mal schauen...

Bis denne!

Ängste

Es ist vollbracht! Und es ist schlecht! Finde ich zumindest... aber ich glaube, das ist keine gute Eröffnung eines Kapitels. XD Also lasst euch nicht abschrecken und bildet euch euer eigenes Urteil. Ich wünsch euch schon mal viel Spaß.

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Ängste
 

Langsam drehte sich Kaname um und blickte Yuki kalt, aber doch sichtbar überrascht an.

Sie wagte es!!!
 

„Bring sie nach oben, Zero.“, sagte Yuki, ließ ihren Bruder aber nicht aus den Augen.

Zero zögerte einen Moment. Es war sein Kampf, dachte er. Er sollte dort stehen und nicht sie, das wusste er. Genauso wie er wusste, dass sie es bitterlich bereuen würde.

„Zero.“, sagte Herr Sayuka eindringlich und ein kurzer Blick auf Ai genügte, um ihn eine Entscheidung treffen zu lassen. Yuki wusste, was sie tat. Er musste ihr Vertrauen. Er würde nicht richtig kämpfen können, wenn er in Gedanken immer bei seinem Mädchen war. Und Yuki wusste es ebenso.

Zero betrat das Gasthaus und brachte Ai nach oben.
 

„Es tut mir leid.“, flüsterte Yuki leise. Unter Kanames Blick wollte sie nichts lieber tun, als sich auf die Knie werfen und ihn um Verzeihung anflehen. Er hatte so viel für sie getan, hatte ihr so viel gegeben und sie erhob eine Waffe gegen ihn. Sie war furchtbar, undankbar und verabscheuungswürdig. Sie hasste sich selbst für ihre Tat aus tiefstem Herzen. Aber sie konnte nicht zulassen, dass er Zero daran hinderte Ai zu versorgen. Ai brauchte Zero und Zero brauchte sie. Sie hatte sich dafür entschieden, die beiden zu beschützen und das würde sie auch, ganz gleich wie. Auch, wenn sie es für immer bereuen würde.

„Warum tust du das?“, fragte Kaname kühl.

„Ich will sie beschützen. Es ist nicht richtig. Sie sind unschuldig, alle beide. Warum denkst du, dass sie uns schaden kann? Warum versuchst du nicht das Gute in ihr zu sehen?“, fragte sie und war den Tränen nahe.

„Woher willst du wissen, dass das Gute tatsächlich da ist? Du kennst sie gerade einmal ein paar Tage.“

„Ich vertraue ihnen. Ich glaube an sie.“

Stumm sah Kaname sie einen Moment an. Sein Blick war so intensiv, dass Yuki eine Gänsehaut bekam. Sie konnte nicht sagen, was geschehen würde, ob es wirklich zum Kampf kommen würde und das ließ sie unheimlich nervös, aber vor allem ängstlich werden. Was würde er tun?, fragte sie sich still. Würde er sie wirklich angreifen? Noch nie hatte er das getan. Immer war er nur liebevoll und zärtlich zu ihr gewesen. Doch sie hatte sich ihm nicht nur wiedersetzt, sondern ihn auch vor den anderen bloßgestellt.

„Dann zeige mir, wie weit du für dieses Vertrauen bereit bist zu gehen.“, wisperte er bedrohlich.

Yuki konnte es gar nicht so schnell realisieren, wie es geschah. Nur schemenhaft nahm sie war, wie er sich blitzschnell bewegte und auf sie zusprang.

Sie riss Artemis nach hinten und schaffte es mit einem Sprung zur Seite ihm auszuweichen. Kaname landete direkt an der Stelle, an der sie zuvor noch gestanden hatte. Die Erde unter ihm bebte und ein Riss bildete sich im Pflaster der Straße.

Sie mussten in den Wald zurück, dachte Yuki, während sie gleichzeitig versuchte ihren panischen Herzschlag zu ignorieren. In der Nähe der Stadt war die Gefahr einfach zu groß, dass sie jemanden verletzten oder gar die Stadt selbst zerstörten.

Sie sah zu Kaname und wusste, dass er ihren Blick verstand. Yuki drehte sich um und rannte in den Wald zurück. Es war ein leichtes für Kaname sie erst einzuholen und dann zu überholen. Vor einer Gruppe von Kiefern wartete er auf sie. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt, sein Blick war kalt aber vielleicht auch abschätzend. Er würde nun keine Gnade mehr kennen.

Kaum war sie ihm nah genug, sprang er bereits nach vorn und griff sie mit einer Art Kraft an, die sie nicht einmal sehen konnte. Sie spürte nur den Druck des Angriffes und konnte ihm nur knapp ausweichen. Dennoch war der Luftzug, der sie streifte, wie eine Klinge selbst und hinterließ einen Kratzer auf ihrer Wange. Es brannte stechend.

Kaname ließ ihr keine Zeit, sonder griff sofort erneut an. Dieses Mal gelang es ihr seinen Angriff mit Artemis zu parieren. Eine schwarze Ladung an Energie schoss gerade auf sie zu, als sie Artemis gerade noch rechtzeitig herumriss und somit einen direkten Treffer verhindern konnte. Trotzdem raubte ihr das Zusammentreffen der zwei Kräfte den Atem. Der Aufprall war so heftig, dass Yuki erschrocken zurückwich. In ihrem Körper vibrierte es. Es dauerte einen Moment, ehe sie sich davon erholte, doch Kaname nahm keine Rücksicht. In diesem kurzen Augenblick ihrer Unachtsamkeit hatte sich Kanames Hand in eine riesige, schwarze Sense verwandelt, die sie bisher nur einmal gesehen hatte. Damals hatte sie auch gesehen, was sie vermochte. Kalte Schauer liefen ihr über den Rücken. Ihr Fluchtinstinkt wuchs. Sie wusste, dass sie Kaname unterlegen war, in Technik und auch Erfahrung. Dennoch wollte sie nicht aufgeben. Sie wollte ihm zeigen, wie ernst es ihr war, selbst wenn er sie dafür bestrafen würde. Sie hatte es einmal begonnen und würde es auch beenden, dachte sie.

Die Spitze der schwarzen Klinge fuhr direkt auf sie herab und Yuki schwang Artemis über ihren Kopf und wehrte Kaname somit von oben ab. Dabei ließ sie ihren Körper ungeschützt. Kaname ergriff die Gelegenheit und stieß sie mit meiner einzigen Handbewegung nach hinten. Die Energie, die sie direkt traf, war so stark, dass sie mehrere Meter nach hinten gewirbelt wurde. Einzig dem dichten Schnee verdankte sie es, dass sie sich keine schlimmeren Verletzungen zuzog. Aber er schmolz um sie herum und als sie sich wieder hochrappelte, hinterließ sie ein großes Loch an der Stelle, an der sie gelegen hatte. Kaum stand sie, setzte Yuki zum Angriff an. Sie sprang weit nach vorn und holte gleichzeitig mit Artemis aus.

Aber auch dieses Mal überwand Kaname sie mühelos. Er sprang hoch nach oben, schlicht über Yuki hinweg. Noch in ihrem eigenen Sprung versuchte Yuki Artemis eine andere Richtung zu geben. Es gelang ihr, aber es lag nicht genügend Kraft darin. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht wich Kaname ihr aus und stieß sie mit einer weiteren Demonstration seiner Kraft in den Rücken. Dennoch ließ sie sich davon immer noch nicht entmutigen. Ohne richtig nach Kaname zu sehen und sich nur auf ihre Instinkte verlassend, drehte sich Yuki um und schwang die Sense nach vorn, auf die Stelle zielend, an der sie Kaname vermutete.

Kanames Hand hatte sich indessen wieder in die schwarze Klinge verwandelt und noch bevor Yuki einen Treffer erlangen konnte, hatte er sie erneut ausmanövriert. Dieses Mal kam Yuki der Aufprall noch heftiger vor und ihr Griff um Artemis verkrampfte sich, damit die Waffe ihr nicht aus der Hand fiel.

Ihre Sicherheit schwand. Vielleicht hätte sie es doch mit Worten versuchen sollen, dachte sie, während die Angst ihren Rücken hoch kroch. Das Gesicht ihres Bruders war zu einer Maske erstarrt. Nichts erinnerte an das liebevolle Gesicht, dass sie zärtlich angeblickt hatte. Kaname strahlte nur noch Autorität und Macht aus, furchteinflößend und gnadenlos.

Seine dunkle Aura drückte auf ihre Seele und das Atmen fiel ihr schwer. Dennoch vergrub sie die Füße noch etwas fester im Schnee, um ihren Stand zu sichern. Yuki versuchte ihre eigene Energie zu nutzen und diese auf ihre Waffe zu übertragen. Sie wusste dass sie dazu in der Lage war und Kaname hatte auch einmal mit ihr darüber gesprochen, aber bisher musste sie es nie anwenden. Es war ein schlechter Zeitpunkt für einen ersten Versuch, aber sie hatte keine andere Wahl.

Yuki konzentrierte sich so gut sie konnte. Kleine Funken stoben aus Artemis Griff. Als sie das Gefühl hatte, dass es genug sei, griff sie Kaname erneut an. Dieser versuchte nicht einmal ihr auszuweichen. Yuki sah wie die Klinge ihrer Sense in seinen Körper fuhr und dieser sich plötzlich in tausende von Fledermäusen aufzulösen begann. Verwirrt blickte sie den schwarzen Tieren hinterher, die sich nach und nach wieder auflösten. Hastig drehte sie sich um und versuchte Kaname zu entdecken, doch er schien verschwunden.

Ihr Herz klopfte laut und schnell. Hatte sie ihn besiegt? Hatte sie ihn vernichtet? Das war unmöglich, dachte sie. Das konnte sie nicht getan haben.

„Wo schaust du hin?“, fragte er plötzlich direkt hinter ihr und hielt ihr seine eigene Klinge unter den Hals. Yuki schluckte vor Überraschung und Angst. Die Waffe schnitt ihr in den Hals. Von ihrem Blut angelockt beugte sich Kaname nach unten. Seine Lippen strichen über ihren Hals und er konnte ihren rasenden Puls hören. Doch er war noch nicht fertig. Noch hatte sie ihre Lektion nicht gelernt. Seine andere Hand legte er in Yukis Rücken und entließ einen solchen Energieschub, dass Yuki erneut durch die Luft geschleudert wurde. Ein Baumstamm fing sie ab, der durch die Wucht des Aufpralls knickte und nach hinten stürzte.

Einen Moment war Yuki nicht in der Lage sich zu rühren. Regungslos lag sie auf dem Boden, während sich ein Prickeln durch ihren Körper ausbreitete. Schnell wich es Schmerzen und sie konnte ein kleines Aufstöhnen nicht unterdrücken. Langsam drehte sie sich auf den Bauch und erhob sich zitternd. Kaname stand immer noch an der gleichen Stelle wie zuvor und trotz der großen Entfernung die zwischen ihnen lag, konnte sie ein kleines Lächeln sehen, das seine Mundwinkel umspielte.

Yuki fluchte innerlich. Natürlich hatte sie gewusst, dass er so viel stärker war als sie, aber das ihre Angriffe keinerlei Wirkung bei ihm hinterließen, frustrierte sie. Sie kam sich vor, wie ein dummes, kleines Kind, dem eine Lektion erteilt wurde. Eine, die sie wohl niemals vergessen würde.

Doch sie würde sich erst geschlagen geben, wenn sie ihn dazu gebracht hatte seine Meinung zu überdenken. Sonst hörte er ihr doch auch zu. Sie konnte und wollte einfach nicht glauben, dass es jetzt anders sein sollte. Möglicherweise war es auch wirklich ihre Schuld. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn sie nicht mit Ai davon gelaufen wäre. Eventuell hätte sie ihn auch so umstimmen können.

Hastig schüttelte sie den Kopf. Es war längst zu spät darüber nachzudenken und eigentlich hatte sie das doch auch schon lange akzeptiert. Außerdem war es ihr zu diesem Zeitpunkt als das einzig richtige erschienen. Sie stand auch jetzt noch dazu.

Noch in ihren Gedanken bemerkte sie nicht, wie Kaname abermals zum Angriff ansetzte. Sie blinzelte kurz, doch dann war er wieder weg. Dieses Mal beginn sie nicht den Fehler und sah sich um, sondern versuchte ihn so zu erspüren. Deswegen schloss sie die Augen und konzentrierte sich einzig auf die Geräusche und versuchte sie zu unterscheiden. Da war das Rascheln der Bäume, Schnee der von den Ästen fiel und sogar einige Vögel konnte sie leise hören. Da! Plötzlich konnte sie Kaname hinter sich spüren, ein leichter Luftzug hatte ihn verraten. Sie wirbelte augenblicklich herum und hielt Artemis aus einem Reflex heraus nach oben. Wie durch ein Wunder gelang es ihr so ihn abzuwehren. Dieses Mal sah Kaname ein wenige überraschter aus und Yuki nahm es mit einer gewissen Genugtuung zur Kenntnis. Sie wollte diesen Moment nicht ungenutzt verstreichen lassen und griff augenblicklich noch einmal an.

Mit aller Kraft wehrte Kaname ihren Angriff ab und verwandelte seine Verteidigung in einen Gegenangriff. Die Erschütterung, die daraufhin folgte, war heftiger und lang anhaltender, als die vorherigen. Aber es gelang Yuki noch sich auf den Beinen zu halten.

Auf einmal hörte sie ein ohrenbetäubendes Grollen, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Nie würde sie dieses Geräusch vergessen, nie vergessen wie sie um ihr Leben gerannt waren, wie knapp sie dem weißen, kalten Tod entkommen waren. Gänsehaut breitete sich auf ihrem Körper aus, doch dieses Mal aus anderen Gründen. Kurz sah sie zu den Spitzen der Berge. Noch immer lag ein dichter Nebel drum herum, so dass sie sie kaum ausmachen konnte. Doch es war wieder passiert. Ihr Kampf hatte eine neue Lawine ausgelöst. Um das zu wissen, brauchte sie es nicht einmal zu sehen. Sie mussten aufpassen, dachte sie noch, doch da war es zu spät.

Dieses Mal hatte sie ihren Gegner zu lang aus den Augen gelassen. Kaname hatte diesem Moment genutzt, um sich ihr zu nähern. Yuki bemerkte ihn erst, als er vor ihr stand und Artemis mit seinen Händen packte. Sie versuchte noch sich gegen ihn zu stemmen und zog selbst fest an der Waffe, doch nur ein einziger Ruck genügte und Kaname hielt sie in der Hand. Dann holte er weit damit aus und schwang sie in ihre Richtung.

Yuki warf sich in den Schnee und schaffte es so, der Waffe auszuweichen. Doch gleichzeitig wurde sie sich immer mehr bewusst, dass es nur noch wenige Sekunden dauern würde, bis er sie vollkommen überwältig hatte. Die Klinge fuhr auf sie herab. Mit einem Satz nach oben schaffte sie es knapp auszuweichen. Durch den Schnee konnte sie die Umgebung jedoch nur schlecht einschätzen und sie landete so unglücklich, dass sie ausrutschte und fiel. Kaname kannte keine Gnade und schlug erneut zu. Yuki rollte sich zur Seite, doch die Spitze der Klinge traf ihren Mantel und er zerriss ihn. Gleichzeitig hatte sich Kaname nach vorn gebeugt und packte sie nun mit der anderen Hand um den Hals. Yuki bewegte den Kopf zurück, versuchte so seinem eisigen Griff zu entkommen, doch ihr Bruder drückte nur noch fester zu. Als sie merkte, dass sie ihm nicht mehr entkommen konnte und wie langsam die Kraft aus ihrem Körper wich, akzeptierte sie ihr Schicksal. Er würde sie töten und das würde ihre gerechte Strafe sein. Sie wollte es wenigstens mit Würde tragen. Entschlossen blickte sie ihm schließlich in die Augen.

Ein kleiner Teil von ihr hoffte jedoch, dass sie ihn vielleicht so doch noch erreichen könnte.

„Warum tust du das?“, fragte Kaname sie noch einmal, so als hätte er es immer noch nicht verstanden.

„Ich will das richtige tun.“, krächzte sie und Kaname lockerte seinen Griff ein wenig, damit sie besser sprechen konnte. „Sie ist ein Kind, Onii-sama, kein Monster. Zero will sie bloß beschützen und ist auch bereit all eure Fragen zu beantworten. Es ist falsch sie einfach so zu verurteilen. Du kennst Ai nicht… und du kennst Zero nicht.“, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.

Kaname sah sie unverwandt an. Er hasste es, wenn sie so von diesem nichtsnutzigen Mann sprach und ihr Blick dabei so voller Vertrauen und Zuneigung war. Sie kannte ihn doch genauso wenig, hatte ihn jahrzehntelang nicht gesehen. Wie konnte sie trotzdem so sehr an ihn glauben?

„Onii-sama, bitte.“, versuchte es Yuki von neuem, dieses Mal war ihre Stimme sanfter, aber immer noch eindringlich. „Lass Ai gesund werden und lass Zero sich um sie kümmern. Er liebt dieses Mädchen so sehr. Er würde niemals etwas tun, was ihr schaden könnte, selbst wenn das bedeutet, sich dem Senat und den Huntern unterzuordnen.“ Yuki schluckte erneut. Sie hatte das zwar gerade gesagt, aber Zero hatte so etwas nie angedeutet. Sie konnte es nur vermuten, aber sie war sich beinah sicher. Sie hoffte es, denn sonst wäre alles umsonst gewesen und ein Kampf auf Leben und Tod wirklich unvermeidlich. „Ai ist etwas besonderes, ohne Zweifel, aber auf eine ganz andere Art und Weise, wie du das glauben willst. Lern sie erst einmal kennen und triff dann deine Entscheidung.“ Kaname funkelte sie an, bevor er mit fast gleichgültiger Stimme sagte: „Das wollte ich, aber sie war plötzlich verschwunden.“

Yuki wurde heiß und kalt zugleich. War das alles also wirklich ihre Schuld? Hätte es einen ganz anderen Ausgang gehabt, wenn sie nicht einfach mit ihr davon gelaufen wäre? Sie würde es nie erfahren.

Die Waffe, die Kaname bisher immer noch bedrohlich in der Hand gehalten hatte, verwandelte sich in den Stab zurück, den Yuki sonst immer bei sich trug. Dann betrachtet er Yuki noch einen Moment bevor er auch seine andere Hand zurückzog. Jeden anderen hätte er für diesen Verrat schon längst getötet, aber nicht sie, dachte er. Er konnte es einfach nicht. Er schaffte es nicht ihr zu wiederstehen. Dieses Wesen vor ihm war zu gutherzig, zu gutgläubig und zu ehrlich. Sie würde immer zuerst an das Gute glauben, bis etwas anderes bewiesen war. Erst wenn Zero sie verraten würde, würde sie aufwachen. Doch auch das würde nicht geschehen, dann dafür hatte er die Gefühle in dem ehemaligen Menschen zu leicht lesen können. Nicht nur die für das Kind, sondern auch jene für Yuki.

Doch nichts würde ihn, Kaname, davon abhalten, das zu tun, was er für richtig hielt.

Dennoch würde er sich beugen, fürs erste. Er konnte später immer noch rechtzeitig handeln.

Er reichte seiner Schwester die Hand. Einen Augenblick lang sah sie ihn unsicher an, griff dann aber danach und Kaname half ihr auf. Er zog sie in seine Arme und umarmte sie fest.

„Ich will nur, dass du vorsichtig bist, verstehst du das nicht?“, flüsterte er gegen ihr Ohr. „Du vertraust anderen zu leicht. Ich will nicht, dass dir etwas geschieht.“

„Ich weiß.“, antwortete sie und erwiderte seine Umarmung. Aus ihrer Stimme war kein Groll zu hören. „Aber du musst mir vertrauen. Ich weiß, was ich tue und wenn die Ai wirklich kennst, wirst auch du so denken, davon bin ich überzeugt.“

„Dir vertraue ich, aber ihm nicht.“, erwiderte Kaname und dieses Mal war seine Stimme schon wieder ein Spur kälter. „Was wirst du jetzt tun?“, fragte er sie im Anschluss, ohne ihr die Gelegenheit zu geben, etwas darauf zu sagen.

„Ich werde zu Ai gehen. Ich möchte wissen, wie es ihr geht.“

„Und dann?“

Yuki schüttelte unsicher den Kopf. „Ich weiß noch nicht. Vielleicht erlaubt mir Zero zu bleiben.“ Sie wusste, dass er besser gewesen wäre, das zu sagen, was Kaname hören wollte: nämlich, dass sie hinterher sofort zu ihm kommen würde. Aber Yuki wusste ganz genau, dass sie dann mit ihren Gedanken immer nur bei Ai sein würde. Ständig würde sie sich fragen, wie es ihr ging und keine Ruhe finden. Außerdem wollte sie für Zero da sein.

Kaname erwidert nichts und hielt sie weiter in seiner Umarmung. Yuki begann sich leicht unwohl zu fühlen, doch sie verhaarte in der gleichen Position. Ein anderer Teil von ihr wollte jedoch sofort zu Ai rennen. Dennoch wusste sie, dass sie nicht so einfach gehen konnte. Es würde die Sache zwischen ihnen nur verkomplizieren.

Plötzlich küsste Kaname sie.

Sein Kuss war hart und leidenschaftlich. Yuki versuchte ihn zärtlicher zu erwidern, ihm etwas von der Angst und Misstrauen zu nehmen, die sie glaubte daraus zu schmecken. Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass er anders schmeckte als die vorherigen. Etwas war anders zwischen ihnen geworden. Dieses Mal konnte sie es stärker spüren, als beim letzten Mal. Sie versuchte es zu ignorieren und zu verdrängen, doch es ließ einen bitteren Beigeschmack.

Dann löste sich Kanames Mund von ihrem und wanderte ihren Kiefern entlang, den Hals hinab. Yuki erschrak: Würde er sehen, was sie getan hatte? Das wollte sie nicht. Es war zu beschämend, zu persönlich, zu intim, dachte sie hastig und auch mit ein wenig Angst. Aber wenn sie ihn zurückstieß, würde sie alles zerstören.

Sie hörte wie ihr Bruder den Mund öffnete und erwartete seinen Biss jeden Augenblick. Doch dann hielt Kaname widererwartend inne.

„Nein.“, flüsterte er gegen ihre Haut und Yuki wusste nicht, ob er mit ihr sprach oder mit sich selbst. Dann löst er sich ganz von ihrem Hals und küsste sie abermals auf die Lippen. Zärtlich streichelten seine Finger über ihre Wange. „Wir warten bis es ihr besser geht, doch sobald dies der Fall ist, wird Zero Rede und Antwort stehen und sie ebenso. Wir haben Zimmer im Hotel ‚Koritokái‘. Ich erwarte, dass du heute Abend dort hinkommst. Aidou wird dich begleiten. Offenbar seid ihr euch ja beide einig, was das Kind angeht.“, sagte er dann und seine Worten ließen keinen Raum für Widersprüche. Also versuchte sie es gar nicht erst, sondern nickte stumm.

„Geh.“, sagte Kaname anschließend. Einen Augenblick lang sah sie ihm noch in die Augen, dann dreht sie sich um und ging zur Stadt und zum Gasthaus zurück. Seines Blickes in ihrem Rücken war sie sich nur zu bewusst. Zuerst ging sie nur langsam und zögerlich, doch dann beschleunigten sich ihre Schritte wie von selbst, bis sie rannte.
 

Als sie das Gasthaus betrat fand sie noch alle anderen vor. Jinmu lehnte gegen den Tresen. Dahinter stand Herr Sayuka. Die anderen Hunter und Vampire hatten die Tische in Beschlag genommen.

„Ist der Arzt schon da?“, fragte sie Herr Sayuka, doch dieser schüttelte nur kurz mit dem Kopf. Einen Moment sah er sie verwundert an. Yuki dachte kurz daran, wie sie wohl nach ihren Kampf mit Kaname aussah, doch im nächsten Augenblick stand sie bereits an der Treppe und alles andere war vergessen.

„Du kannst ruhig hochgehen.“, sagte Herr Sayuka, als sie einen Moment zögerte. „Wo ist Kaname?“, fragte Jinmu sie, als sie schon die ersten Stufen nach oben nahm.

„Er kommt gleich.“, rief sie ihm zu und lief die wenigen Schritte den Flur entlang.

Leise öffnete Yuki die Tür, die zu Zeros und Ais Wohnung führte und hörte Frau Sayuka und Zero leise miteinander sprechen. Ihre Stimmen führten sie zu Ais Zimmer, dessen Tür sie vorsichtig öffnete. Zero sah sie nur flüchtig an, wandte sich dann aber wieder Ai zu. Yuki sah kurz, dass sie ihr andere Sachen angezogen hatten, bevor Zero die Bettdecke über sie legte. Im Mund hatte das Mädchen ein Fieberthermometer und Yuki hoffte, dass es weniger anzeigen würde, als die letzten Stunden. Langsam wagte sie es einen Schritt nach vorn zu gehen, auf einmal nicht mehr so sicher, dass ihre Anwesenheit erwünscht war.

In diesem Augenblick nahm Zero das Thermometer aus ihrem Mund und warf einen kurzen Blick darauf. Sie hörte ihn kurz ausatmen und wusste nicht, ob es gut war oder schlecht.

„Das Fieber ist nicht weiter hochgegangen.“, sagte er dann und sprach sowohl zu Yuki, als auch zu Frau Sayuka. Doch statt erleichtert zu sein, glaubte sie aus seiner Stimme eine wachsende Verzweiflung zu hören.

„Der Arzt wird bald hier sein und ihr etwas geben, damit das Fieber sinkt.“, versuchte Frau Sayuka ihm Mut zu machen und Zero nickte automatisch.
 

Nur zehn Minuten später kam Aidou mit dem Arzt tatsächlich zurück.

„Man hat mir bereits gesagt, was los ist. Ein Wunder, dass sie das überhaupt überlebt haben.“, sagte der Arzt, als er Zero gleichzeitig die Hand gab.

Dieser nickte nur kurz und führte ihn in Ais Zimmer. „Wann haben sie das letzte Mal Temperatur gemessen?“

„Vor zehn Minuten. Es ist immer noch über 40°C.“, antwortete Zero leise. Kurz nickte der Mediziner, doch sein Gesicht verrieten seine Gedanken nicht. „Ich werde sie untersuchen, bitte verlassen sie den Raum.“

„Aber-“, setzte Zero an, doch der Arzt unterbrach ihn. „Ich weiß, sie wollen gern dabei sein. Aber ich kann meine Arbeit besser machen, wenn ich mich konzentrieren kann und das geht nicht, wenn sie mir dabei über die Schultern schauen. Ich kann sie verstehen, glauben sie mir, aber im Moment können sie wirklich nicht helfen. Trinken sie einen Tee, sie sehen aus, als hätten sie es nötig. Wenn sich irgendetwas an ihrem Zustand ändern sollte, werde ich ihnen natürlich sofort Bescheid sagen.“ Damit schloss sich die Tür vor Zeros Nase.

Er drehte sich um und Yuki tat einen Schritt zurück. Nur flüchtig sah er sie an und bemerkte, dass ihre Sachen zerrissen waren. Er wollte wissen, was mit Kaname passiert war, doch er hatte nicht einmal zum Fragen Kraft.

„Yuki, komm. Ich gebe dir von mir ein paar Sachen, während das Teewasser kocht.“, hörte Zero Frau Sayuka noch sagen, bevor er sein eigenes Schlafzimmer betrat. Auch hier war jemand gewesen, fiel ihm als erstes auf. Man hatte ihre Wohnung durchsucht, genauso wie er es erwartet hatte, dachte er träge. Wahrscheinlich waren sie enttäuscht gewesen, als sie nicht so viel gefunden hatten. Die Bluttabletten in der Küche vielleicht, aber das war ihm auch egal. Wie in Trance zog er sich um und konnte das Geschehene und das was Geschah nicht glauben. Es kam ihm so unwirklich vor. Alles schien langsamer zu geschehen oder als würde er es durch einen Schleier sehen. Er fühlte sich, als wäre er nur ein Beobachter und gar nicht wirklich dabei.

Gerade als er fertig war, betraten Frau Sayuka und Yuki die Wohnung wieder. Yuki trug eine neuen Pullover und eine Hose, die ein wenig merkwürdig an ihr wirkte, doch er sagte nichts. Es hatte sich so viel in den letzten Stunden verändert, dass ihn nichts mehr wunderte. Frau Sayuka bereitete den Tee und Zero setze sich zu ihnen. Er rührte jedoch nicht einmal die Tasse an. Steif saß er auf dem Stuhl und versuchte zu erahnen, was wohl im Nebenzimmer vor sich ging. Das Ticken der Uhr klang unnatürlich in seinen Ohren, während keiner von ihnen sprach.

Aus den Augenwinkeln sah Zero zu Yuki. Ihre Hand lag um die Tasse, aber auch sie hatte noch nichts getrunken. Sie wirkte blass und müde und einmal mehr fragte er sich, was im Wald geschehen war. Doch abermals fragte er nicht danach. Er würde dem jetzt nicht genügend Aufmerksamkeit schenken können.

Es dauerte eine halbe Stunde, ehe der Arzt Ais Zimmer verließ. Zero brauchte ihn nicht einmal nach den Ergebnissen seiner Untersuchung zu fragen, denn dessen Gesicht sagte genug,

„Ich will ehrlich sein: Es sieht nicht gut aus. Ich denke sie hat eine akute Tracheobronchitis. Ohne eine Untersuchung im Krankenhaus kann ich das nicht genau sagen, aber es sieht sehr danach aus. Wahrscheinlich trägt sie es schon seit mehreren Tagen in sich, der Zusammenbrauch neulich, könnte schon ein erstes Anzeichen gewesen sein. Ich habe ihr ein starkes Medikament gegeben, das eigentlich nur bei Erwachsenen angewandt wird. Ich hoffe es schlägt an.“

„Sie hoffen es?“, fragte Zero mit kratziger Stimme.

„Sie müsste eigentlich ins Krankenhaus, aber ich will kein Risiko eingehen. Wie ich sagte, es steht schlecht um sie.“

„Hätten wir dort bleiben sollen? Wäre es ihr besser gegangen, wenn ich nicht...“

„Nein, auf keinen Fall.“, unterbrach er ihn gleich. „Hier kann man sie wenigstens behandeln, dort wäre es noch unmöglicher. Sie hätten auf keinen Fall die richtigen Medikament gehabt.“

„Aber es war zu wenig, nicht wahr?“, fragte Zero leise und Yuki machte sein starrer Blick ein wenig Angst.

„So dürfen sie das nicht sehen. Ich werde aus dem Krankenhaus einen Tropf bringen lassen, sowie ein mobiles Atemgerät. Es wird ihr die Sache leichter machen.“

„Besteht überhaupt eine Chance, dass sie es schafft?“, fragte Zero mit trockenem Mund. Er fürchtete sich vor dieser Antwort mehr, als alles andere. Der Arzt atmete einmal scharf aus und Zero war es, als würde er noch einmal in dieses tiefe, schwarze Loch stürzten, aus dem Ai ihn herausgeholt hatte. Als würde er noch einmal jemanden verlieren, der ihm so viel bedeutet. Dabei hatte er sich doch geschworen, dass er es nie wieder zulassen würde.

„Das kann ich ihnen nicht beantworten. Es gibt Patienten, die sich von so einer schweren Krankheit wieder erholt haben, aber sie ist noch ein Kind. Darüber gibt es keine positiven Berichte. Die nächsten 24 bis 48 Stunden werden es zeigen.“, antwortete er langsam.

Yuki erstarrt. Im der nächsten Sekunde, wich das Gefühl purer Übelkeit. Hastig rannte sie aus der Küche in das Badezimmer und würgte. Erfolglos. Sie wusste, dass nichts kommen würde. Sie hatte nicht genug dafür im Magen. Und selbst wenn, würde es ihr danach nicht besser gehen, das wusste sie. Das was sie gerade gehört hatte, war einfach...

Tränen stiegen in ihr auf und ein Schluchzen entrann ihrer Kehle. Sie biss sich auf die Lippen, um es zu unterdrücken. Sie konnte jetzt nicht weinen. Sie durfte jetzt nicht weinen.

Sie wischte eine einzelne Träne weg und vermied es in den Spiegel zu schauen. Sie drehte den Wasserhahn auf und spritze sich eiskaltes Wasser ins Gesicht.

Zero... wie musste er sich fühlen? Sie konnte es sich nicht einmal annähernd vorstellen. Sie fühlte sich bereits, als würde plötzlich alles keinen Sinn mehr machen. Was musste er erst empfinden? Er hatte doch bereits jemanden verloren. Wie sehr liebte er dieses Kind? Sie konnte es nicht einmal in Worte fassen. Und Frau Sayuka erging es nicht viel anders.

Yuki hörte die Tür im Flur aufgehen und Schritte. Frau Sayuka geleitete den Arzt hinaus, dachte sie. Sie drehte den Wasserhahn ab, atmete noch einmal durch. Am liebsten würde sie davon laufen. Doch sie wusste, dass es jemand gab, der sie brauchte.
 

Die Erde hatte plötzlich aufgehört sich zu drehen. Es musste so sein, denn wie konnte sich die Erde weiterdrehen, wenn doch seine eigene Welt gerade aufgehört hatte zu existieren.

Er hatte unbewusst wahrgenommen, wie Yuki nach draußen gerannt war, wie Frau Sayuka den Arzt nach unten brachte. Doch nichts davon erschien ihm wirklich. Als würde all das in einer anderen Welt geschehen, zu der er nicht mehr gehörte.

Zero bemerkte auch nicht, wie Yuki in die Küche zurückkam und ihn aus verweinten Augen ansah.

Noch nie hatte sie Zero so gesehen.

Starr blickte er nach unten, alles Leben schien aus seinem Körper gewichen. Nur seine zitternden Schultern verrieten ihn. Vor ihr saß ein gebrochener Mann, dessen Qualen in seine Seele eingebrannt waren.

Zögerlich trat Yuki auf ihn zu. Sie wollte etwas tun, aber sie wusste nicht was. Noch nie war sie in so einer Situation gewesen. Worte des Trostes wollten ihr nicht einfallen. Gleichzeitig wusste sie, dass nichts ihn trösten konnte. Schließlich legte sie vorsichtig eine Hand auf die seine. Erschrocken zuckte er zusammen. Er hatte ihre Anwesenheit nicht einmal bemerkt. Sie drückt seine Hand so fest sie konnte. Er war nicht allein.

Zero hob den Kopf und sah sie aus glasigen Augen an. Plötzlich zog er sie am Arm, so dass Yuki den Halt verlor. Doch statt zu stolpern oder zu fallen, fing Zero sie auf und zog sie an sich.

Auf einmal saß sie auf seinem Schoß. Die Arme hatte er fest um ihren Körper geschlungen und drückte sie an sich.

Im ersten Augenblick war sie so perplex, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Dann jedoch legte sie die Arme um seinen Hals und erwiderte die Umarmung.

„Ich habe Angst.“, wisperte er heißer. „Was, wenn sie...“

Yuki schluckte heftig und kämpft erneut mit den Tränen. Es war ein kurzer Kampf, den sie verlor. „Ich weiß.“, unterbrach sie ihn. „Ich auch.“
 

Noch in der gleichen Nacht wurde Ai an einen Tropf und ein Beatmungsgerät angeschlossen. Außerdem an Maschinen, die ihren Puls und die Herzfrequenz überprüften. Zu sich kam sie jedoch nicht mehr. Die Medikamenten würde dies verhindern, hatte er Doktor ihnen erklärt, doch Zero beruhigte das keineswegs. Immer wieder dachte er an die letzten Worte, die sie zu ihm gesagt hatte. Sie hatte ihn gefragt, wer er war. Sie hatte ihn nicht erkannt.

Rettung?

Es ist November und es gibt noch ein neues Kapitel. Jetzt wo es fertig ist, hoffe ich, dass es schneller geht. Bei Drachenkind nähere ich mich auch dem Ende und meine Percy Jackson FF – aka Luke Castellan FF – ist auch schon fertig geschrieben. Allerdings hab ich auf Arbeit auch mal wieder jede Menge zu tun und weiß nicht wo mir der Kopf steht. Ich will also nicht zu viel versprechen.
 

Wünsche euch erst mal viel Spaß und immer dran denken: es kommen nur noch sechs Kapitel. -.^

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Rettung?
 

In der Nacht änderte sich Ais Zustand weder zum Guten noch zum Schlechten. Das Fiber blieb gleichbleibend hoch, sie schwitzte und doch war ihre Haut kalt und klamm. Herz und Puls blieben ebenso unverändert gering. Sie wurde über eine Magensonde ernährt.

Zero saß die ganze Nacht an ihrem Bett und bewegte sich nicht fort. Gegen Mitternacht nahm Yuki ein Glas aus dem Schrank und löst einige Bluttablette in Wasser auf. Sie wusste, dass es das letzte war, an das er dachte, aber sie wusste auch, wie notwendig es war. Sie selbst hatte ihre bereits genommen.

Sie nahm das Glas und trug es in Ais Zimmer. Zero saß vor dem Bett, den Kopf mit den Händen gestützt. So wie er auch gesessen hatte, als sie das Zimmer verlassen hatte. Behutsam nahm sie seine Hand und er sah sie an. Sein Blick war verschleiert, als würde er sie kaum sehen, doch er ließ sich von ihr führen. Yuki schloss seine Finger, um das Glas und erst da fiel sein Blick auf die Flüssigkeit. Ein bitteres Lächeln umspielte seinen Mund. Doch er setzte das Glas an und leerte es in einem Zug. Danach stellte er es auf den Boden neben sich. Wortlos setzte sich Yuki neben ihn. Den Kopf legte sie auf seine Schulter. Dann nahm sie seine Hand.

Ganz so, wie sie es ebenfalls zuvor getan hatte.

Die Sayukas waren zu Bett gegangen, zumindest glaubte Yuki das. Aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie wirklich schliefen. Auch sie waren von den Geschehnissen sehr aufgewühlt. Die Hunter waren gegangen, ebenso wie die Vampire und in das Hotel zurückgekehrt. Aidou hatte sie gefragt, ob sie sie begleiten würden. Aber Yuki hatte nur den Kopf geschüttelt. Sie konnte jetzt nicht zu Kaname zurückgehen, auch wenn sie es ihm versprochen hatte. Sie konnte Zero einfach nicht allein lassen. Sie hätte es sich nie verziehen und Kaname war es jetzt nicht, der sie brauchte. Das war Zero.

Trotzdem wanderten ihre Gedanken immer wieder zu dem Kampf, den sie mit Kaname geführt hatte. Es war vielleicht dumm von ihr und unbedacht gewesen, aber etwas anderes war ihr in diesen Moment nicht eingefallen. Sie hatte nur verhindern wollen, dass es zwischen den beiden zu einer Auseinandersetzung kam. Ob Kaname ihr jemals dafür verzieh? Ob er sie endlich verstanden hatte? Natürlich hatte er das. Sie hätte von Anfang an mehr Vertrauen in ihn haben sollen. Er hatte sie doch bisher auch immer angehört. Würde er Ai nun noch eine Chance geben? Würde er seine Meinung über Zero ändern? Was dachten die anderen Hunter? Welchen Eindruck mochten sie von dem neuen Zero haben? Bisher hatte noch niemand etwas gesagt und sie schienen ihn auch erst einmal in Ruhe zu lassen, solange es Ai so furchtbar schlecht ging. Aber wie lange würden sie sich in Geduld üben können?

Mit diesen Gedanken im Kopf döste Yuki schließlich ein.
 

Am nächsten Morgen gab es immer noch keine nennenswerte Veränderung. Das Fiber war um 0.3°C gesunden, aber es war noch zu wenig, um es als positiven Fortschritt zu bezeichnen. Hin und wieder zog Zero die Spieluhr auf und stellte sie auf Ais Nachttisch. Die Melodie erfüllte den Raum und anders als beim ersten Mal, als sie sie gehört hatte, empfand Yuki die sanften Klänge nicht als traurig, sondern als tröstend.

Es überraschte Yuki, wie schnell Ais Zustand sich in der Stadt rumgesprochen haben musste. Den ganzen Tag kamen Menschen zu besuch. Sie erkundigten sich nach Ai und brachten kleine Geschenke. Meist waren es Herr und Frau Sayuka, die sich um die Besucher kümmerten. Sie empfingen sie schon unten in der Gaststube und brachten die Geschenke oder Genesungswünsche dann nach oben.

„Woher wissen sie, was geschehen ist?“, fragte sie laut, als Herr Sayuka gerade einen kleinen Bambus brachte, an dessen Äste, Schleifen aus Papier gebunden waren. Er kam von Ais Klasse.

„Die Menschen kümmern sich umeinander. Hier weiß jeder, was den anderen bewegt, wie es ihm geht und welche Sorgen er hat. Niemand wird allein gelassen.“, antworte Zero leise und löste eine der Schleifen vom Bambus und entfaltete das Papier. Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht, als er das Geschriebene las. Anschließend band er es wieder an das Bäumchen.

„Was war das?“, fragte sie vorsichtig. Sie wusste nicht, wie geduldig Zero mit ihr war.

„Das war von Kimi. Sie hoffte, dass es ihr bald besser geht und sie wieder spielen können. Der Teich fängt schon an zuzufrieren.“, antwortete er. Dann strich er Ai über die Wange. „Hast du gehört.“, flüsterte er. „Sie vermissen dich alle und ich dachte in diesem Jahr wolltest du endlich Skifahren lernen.“, sprach er zu seiner Tochter. Aber wie schon zuvor reagierte sie auch dieses Mal nicht.

„Was passiert unten?“, fragte Zero sie schließlich.

„Jinmu war bereits da und hat sich ebenfalls nach ihr erkundigt und sie wollten gern, dass ich jetzt schon ihre Fragen beantworte.“

Zero sah sie kurz an, dann glitt sein Blick wieder zu Ai.

„Ich habe ihnen gesagt, dass ich das erst tun werde, wenn es ihr besser geht. Ich lasse dich jetzt nicht allein.“, sprach Yuki die Wahrheit aus. Zero nickte darauf nur kurz. „Herr Sayuka sagte, dass er für uns etwas zum Mittag macht. Ich will das du etwas isst, auch wenn du keinen Appetit hast.“ Ihr bestimmter Tonfall ließ ihn Aufsehen. „Du willst?“

„Ja, ich will.“, erwiderte sie fest. „Du weißt, dass auch du etwas essen musst.“

Wieder nickte er nur, doch sie konnte sehen, dass er ihr schon gar nicht mehr richtig zugehört hatte.
 

Nach dem Essen kam der Arzt erneut. Es war das zweite Mal an diesem Tag und er entschied sich Ai noch einmal dieses starke Medikament zu geben.

„Reden sie mit ihr?“, fragte er Zero, bevor er ging.

„Ja. Warum?“

„Das ist gut so. Vielleicht kann sie sie hören. Das gibt ihr die Kraft, die sie braucht, einen Grund nicht aufzugeben.“

„Sie wird sterben, nicht wahr?“, fragte Zero plötzlich unvermittelt und Yuki sog erschrocken die Luft ein. Es war das erste Mal, dass er es überhaupt ausgesprochen hatte, auch wenn der Gedanken in all ihren Köpfen war, wenn auch nur sehr klein und in die hinterste Ecke gedrängt.

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Sagen sie das nicht, geben sie die Hoffnung nicht auf. Bisher hat sie gekämpft, länger als es ein andere geschafft hätte. Deswegen glaube ich, dass sie es wirklich schaffen kann. Das sollten sie auch tun.“

Zero nickte. Gerade hatte er sich entschieden einen letzten Versuch zu unternehmen. Er würde etwas tun, was er nie zugelassen hätte, was er verabscheute und was er sich bereits jetzt nie verzeihen würde. Aber vielleicht, nur vielleicht... war es ja das Einzige, die einzige Möglichkeit... und... So sehr es ihm auch zu wider war, er musste es wenigstens versuchen.

„Yuki?“, fragte er sie, als der Arzt gegangen war und wandte den Blick von Ai. Er musste jetzt handeln und durfte nicht darüber nachdenken. Es würde seinen Entschluss sonst ins Wanken bringen.

„Ja.“

„Ich brauche dein Blut.“

Stumm sah sie ihn an, die Augen weit aufgerissen und konnte nicht glauben, dass er das wirklich gesagt hatte. Warum? Wieso? Das war nicht Zero, der da gesprochen hat. Das konnte nicht sein! Er hätte sie niemals um so etwas gebeten. Lieber würde er sterben. Oder war auch er an seine Grenzen gekommen?

Er konnte sehen, was sie dachte und er konnte es nicht leugnen. Dennoch sollte es nicht für ihn sein.

„Sie ist... ein... Vampir... zu Hälfte und...“ Er konnte es nicht über sich bringen, die Worte zu Ende zu sprechen. Er konnte nicht einmal glauben, dass er überhaupt daran dachte, so etwas zu tun. An Yukis entgeisterten Gesichtsausdruck, sah er, dass es ihr ebenso ging, als sie begriff.

Sie wusste nicht, wie lange es dauerte, bis sie zu einer Reaktion fähig war. Ihr wurde bei dem Gedanken heiß und kalt zugleich und auch ein wenig übel. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie viel Überwindung es Zero gekostet haben musste sich zu dieser Entscheidung durchzuringen.

Schließlich räusperte sie sich und senkte den Blick.

„Ja. Ja, natürlich.“

Wortlos gingen beide in die Küche und Zero öffnete die Schranktür, um ein Glas herauszunehmen.

„Was soll ich tun?“, fragte Yuki leise. Ihre Knie zitterten ein wenig und sie fragte sich, warum das so war. Vielleicht weil sie nicht wusste, was geschehen würde und welche Folgen es für Ai hatte.

Zero schüttelte den Kopf, immer noch nicht glauben könnend, dass er das wirklich tun wollte. Gleichzeitig nahm er ein Küchenmesser aus der Schublade.

„Es tut mir leid.“, flüsterte er heißer und konnte sie dabei nicht einmal ansehen. Dieses Mal war Yuki es, die den Kopf schüttelte. „Das muss es nicht. Ich will es so.“ Sie versuchte zuversichtlich zu klingen, aber es misslang ihr, das konnte sie spüren. Dennoch schob sie den Ärmel nach oben und hielt Zero die weiße Haut ihres Armes entgegen.

Zero nahm das Messer und setzte die Klinge an ihrem Unterarm an. Gleichzeitig begann er flach zu atmen. Auch, wenn er mit seinen Gedanken nur bei Ai war, wusste er, dass das Wesen in seinem Inneren bei dem Geruch ihres Blutes verrückt würde. Dann machte er den Schnitt quer auf der Innenseite ihres Unterarmes.

Yuki sog scharf die Luft ein, sagte aber nichts. Sie hielt ihren Arm so über das Glas, dass das Blut direkt hineinlief. Sie beobachtete den kleinen Fluss der roten Flüssigkeit und drückte sogar noch ein wenig an eine Stelle neben der Wunde, damit es schneller floss. Zero hatte sich abgewandt und spülte das Messer ab. Dennoch konnte sie den roten Schimmer in seinen Augen sehen. Er drehte sich nicht einmal um oder sagte etwas. Dann griff er plötzlich hastig in den Schrank und holte die Behälter mit den Bluttabletten hervor. Yuki konnte ihn laut atmen hören. Sie wusste welche Qualen er erlitt.

„Du musst nicht hier bleiben.“, sagte sie vorsichtig. „Ich werde es allein machen.“ Zero stürze eine Handvoll Tabletten herunter und dann umklammerten seine Hände das Spülbecken, so dass die Knöchel weiß hervor traten. Sein ganzer Körper zitterte.

Es dauerte lange ehe er in der Lage war den Kopf zu schütteln. Anschließend nahm er eines der Gläser, die noch auf der Spüle standen und füllt es mit Wasser, welches er ebenso schnell hinunterstürzte.

Als das Glas ein Viertel voll war und hörte sie auf, auf die Wunde zu drücken. Plötzlich stand Zero wieder neben ihr und hielt ihr ein Geschirrtuch hin. Sie nahm es und presste es auf die Wunde. Es würde bald verheilt sein, sagte sie sich. Aber nur zur Sicherheit sollte sie auch eine Tablette nehmen.

Zero nahm das Glas mit ihrem Blut und Yuki folgte ihm, blieb aber in der Tür stehen. Sie wollte ihm nicht zu nah kommen.

Zero hob Ais Körper so vorsichtig an, wie er es auch schon die letzten Tage getan hatte. Er betete, dass sie es schlucken würde, dass es ihr helfen würde.

Vorsichtig öffnete er ihren Kiefer ein wenig. Dann nahm der das Glas wieder in die Hand, welches er kurz auf dem Boden abgestellt hatte und setzte es an ihre Lippen. Langsam ließ er das kostbare Rot in ihren Mund tropfen. Es war nur wenig und Zero stellte das Glas gleich wieder ab. Erst musste er sehen, wie sie darauf reagierte, bevor er ihr mehr gab. Auf einen Reflex hin schluckte sie es. Zero hatte gesehen, wie das Blut eines Reinblutes helfen aber auch zerstören konnte. Und Ai war sowohl Mensch als auch Vampir, es musste ihr doch helfen, dachte er verzweifelt.

Eine Weile geschah nichts und Zero wollte gerade noch einmal nach dem Glas greifen, als Ai plötzlich zu Husten und zu Würgen begann. Entsetzt starrte Zero sie an. Was hatte er getan?

Hastig hob er ihren Körper abermals an und hielt ihn seitlich. Sie erbrach das Blut auf dem Teppich. Zero sah, dass ihre Augenlider kurz flatterten und erschrak, als er sah wie leblos ihre Pupillen waren. Das Blut hatte ihr nicht geholfen. Dadurch ging es ihr nur noch schlechter.

Nur langsam beruhigte sie sich wieder und das Husten ließ nach. Es klang trocken und Zero glaubte selbst die Anstrengung spüren zu können, die es ihr kostete. Es war seine Schuld.

Yuki stand plötzlich neben ihm und hatte ein Glas Wasser in der Hand. Vorsichtig flößte er Ai davon ein.

Anschließend legte er sie in ihr Bett zurück und deckte sie wieder zu. Das Glas mit dem Blut trug er in die Küche zurück, wo er den Inhalt in den Ausguss goss. Wie hatte er nur glauben können, dass das ihr helfen würde? Wie hatte er ihr das antun tun können? Wütend über sich selbst nahm er das Glas und warf es so heftig in die Spüle, dass es zersprang. Als er sich umdrehte stand Yuki in der Tür. Das Handtuch welches sie benutzt hatte lag auf dem Boden. Es hatte sich mit ihrem Blut vollgesogen. Der Schnitt selbst war fast verheilt. Er ekelte sich vor sich selbst, als er merkte, wie sehr er ihr Blut selbst jetzt wollte.

„Ich geh nach unten und wasche es aus.“, sagte sie und nahm das Handtuch wieder in die Hand.

Zero schloss die Augen und nickte kurz. „Es war nicht deine Schuld.“, sagte sie bevor sie ging.
 

Er säuberte den Teppich so gut er konnte. Es war, als würde er all seine Kraft und Energie darauf verwenden, den Teppich von den Spuren seiner Dummheit zu beseitigen. Doch mit dem sauberen Teppich verschwanden seine Schuldgefühle nicht. Er ging ins Bad und hörte wie Yuki wieder zurück kam. Zero drehte den Wasserhahn auf und spritzte sich eiskaltes Wasser ins Gesicht.

Es war die letzte Möglichkeit gewesen, die ihm eingefallen war und es hatte nicht funktioniert. Etwas anderes konnte er nicht tun.

Was sollte er noch hoffen und glauben?, fragte er sich selbst. Es war doch besser, wenn er sich jetzt mit dem Gedanken abfand. Dann würde es vielleicht nicht so schmerzhaft sein. Es würde nicht so plötzlich kommen.

Und dann? Was würde dann aus ihm werden?

Zero verzog das Gesicht bei diesem Gedanken. Es ging ihm nur um sich selbst oder nicht? Er wusste nicht was er tun sollte, wenn sie nicht mehr da war. Würde er wieder zu diesem Monster werden? Er würde wieder allein sein. Es würde keinen Grund mehr geben, um das Leben zu kämpfen, was er mit ihr geführt hatte. Es würde nicht einmal mehr Sinn machen, danach zu streben. Wozu?

War es nicht auch besser, wenn es so enden würde? Man würde sie doch ohnehin voneinander trennen. Selbst wenn sie Ai nicht mehr als Gefahr sahen, war sie doch immer noch etwas Außergewöhnliches. Man würde sie wohl ihr Leben lang unter ständiger Beobachtung halten, darauf achten, dass sie nichts Verdächtiges tat oder sagte. Es würde die Hölle für Ai sein, die nichts so sehr liebte, wie ihren eigenen Kopf durchzusetzen.

„Gib sie nicht auf.“, hörte er auf einmal eine Stimme hinter sich. Zero drehte sich um und sah Yuki an. Sie war blass. Selbst aus ihren sonst so rosigen Lippen, war die Farbe gewichen. Sie sah müde aus und erschöpft. Nicht viel anders, als er selbst.

„Es fällt mir schwer.“, gestand er ihr ehrlich.

„Ja, mir auch. Aber...“ Yuki schüttelte den Kopf, als wüsste sie selbst nicht, wie sie den Satz beenden sollte. „Es wäre falsch.“

Zero ging zu ihr und legte die Hände auf ihr Gesicht. Seine Finger lagen auf ihren Wangen und ihre Augen blickten direkt in seine. Dann legte er seine Stirn gegen ihre und schloss die Augen. Er hörte, wie sie tief einatmete, dann wieder aus und wieder ein, gleichmäßig und ruhig. Es ließ ihn selbst ruhiger werden und half ihm die düsteren Gedanken wieder zu verbannen. Zumindest vorerst.

„Sie wollte immer ans Meer.“, wisperte er dann, verharrte aber so. Yuki sah ihn an, doch er sprach weiter. „Das war alles, was sie sich immer gewünscht hat, dass und ein paar Ohrringe, die ich ihr auch nicht erlaubt habe. Aber vor allem wollte sie zum Meer. Ich habe ihr immer gesagt, dass wir das später machen. Später... Weil ich nie dorthin wollte. Ich wollte nicht aus Koritokái weg, aus Angst, jemand aus meiner Vergangenheit zu begegnen. Dabei waren es zwei so einfache Wünsche, so einfach zu erfüllen. Und jetzt-“

„Dann fahre mit ihr zum Meer, wenn es ihr besser geht.“, unterbrach Yuki ihn und lächelte ihn schwach an. Zero wusste, warum sie das gesagt hatte und er bemühte sich, so zu denken, wie sie. Es war nicht leicht. Dennoch nickte er und küsste sie auf die Stirn.

„Ich weiß nicht, ob ich an Wunder glauben kann, denn das wird es sein, was wir... was sie braucht.“, sagte er, bevor er sie losließ.

„Sie ist ein Wunder.“, erwiderte Yuki daraufhin. „Sie ist der beste Beweis, dass es sie gibt.“

„Ich hoffe du hast recht.“ Dann ging er wieder in Ais Zimmer. Sobald er sie sah bereute er seine dunklen Gedanken zutiefst.
 

Nachdem der Arzt das dritte Mal an diesem Tag da war und noch immer keine Veränderung feststellen konnte, schwand die Hoffnung auf ein Wunder. Doch wenigstens hatte sie keine Schmerzen, versicherte der Doktor ihnen. Es war ihnen kein Trost.

Kurz darauf kam Aidou und wollte mit Yuki sprechen.

Sie gingen gemeinsam in Zeros Küche und Yuki hatte ein mulmiges Gefühl. Sie ahnte sehr wohl, was er wollte. Den ganzen Tag über hatte sie sich nicht bei Kaname gemeldet und ihm auch sonst keine Nachricht zukommen lassen. Sie wusste einfach nicht, was sie ihm sagen sollte. Für den Moment war alles gesagt worden.

„Wie geht es Ai?“, fragte Aidou als erstes. „Ist es wirklich nicht besser geworden?“

Yuki schüttelte den Kopf. „Nein und im Moment sieht es...“ Sie konnte es nicht sagen.

„So schlimm?“, hakte er nach und es klang wirkliche Sorge in seiner Stimme mit. „Ja.“, antwortete sie knapp.

„Ist er sehr böse?“, fragte sie dann weiter.

„Kaname? Ich weiß nicht. Er hat heute kaum mit uns gesprochen. Ich glaube er hat den ganzen Tag auf eine Antwort von dir gewartet und da bis jetzt keine kam, hat er mich geschickt. Er sagte, du hättest mit ihm vereinbart zum Hotel zu kommen, schon gestern.“

„Ja, das habe ich.“, gab Yuki zu. „Aber ich konnte Zero nicht allein lassen. Das kann ich immer noch nicht.“, sagte sie ebenso ehrlich. „Er brauchte mich jetzt.“

„Mehr als Kaname dich braucht?“

Yuki zögerte mit einer Antwort. Nicht weil sie vielleicht darüber nachdenken musste, sondern weil sie nicht wusste, wie sie es sagen sollte. Außerdem wollte sie das nicht unbedingt den armen Aidou aufbürden. Aber sie würde wohl keine andere Wahl haben, wenn sie das Gasthaus nicht verlassen und Kaname selbst gegenüber treten wollte. Sie hatte keine Angst vor ihrem Bruder oder seiner Reaktion. Aber der Gedanke im Moment auch nur einen Augenblick von Zero oder Ai getrennt zu sein, bereitete ihr Schmerzen. Vor allem weil glaubte Zero würde allein gänzlich in dem schwarzen Loch versinken, an dessen Abgrund er stand.

„Ja, mehr als er mich braucht.“, antwortete sie schließlich schlicht.

„Kann ich ihm wenigstens etwas anderes sagen. Etwas, was seine Laune ein bisschen bessern wird?“

Yuki überlegte einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. „Es geht Ai schlecht, sehr schlecht. Ich werde erst in das Hotel kommen, wenn sie nicht mehr in Lebensgefahr schwebt. Das kannst du ihm gern sagen und... und das er mir fehlt.“

Aidou nickte und dann wand er sich zum Gehen und warf einen kurzen Blick in Ais Kinderzimmer. Zero bemerkte ihn und sah ihn kurz an. „Habt ihr etwas interessantes gefunden, als ihr meine Schränke durchsucht habt.“, fragte er matt. Aidou warf ihm einen mitleidigen Blick zu, den Zero nicht einmal bemerkte. Unter anderen Umständen hätte seine Stimme bissig geklungen und scharf, nicht so müde und resignierend.

„Nein.“, antwortete Aidou kurz und verließ die Wohnung. Es stand wirklich schlecht um das Kind. Hatte er vorher noch Zweifel an Yukis Worten gehabt, wäre Zeros Reaktion der Beweis gewesen.
 

Kaum hatte er die Tür geschlossen, blieb Aidou stehen und sah auf einen dunklen Punkt rechts vor ihm. Verwirrte blickte er in diese Richtung. Jemand näherte sich dem Gasthaus, ein Vampir. Er war keiner von ihnen.

Aidou ließ blitzschnell eine Wand aus Eis vor dem Fremden aus dem Boden schießen und dieser blieb augenblicklich stehen. Er ging näher zu ihm und konnte ihn jetzt erkennen. Der Fremde trug einen langen, schwarzen Umhang, der ihn bis zu den Füßen reichte. Kopf und Gesicht waren von einer Kapuze verhüllt, die er tief nach unten gezogen hatte.

„Wer bist du?“, fragte Aidou. Gleichzeitig wunderte er sich, woher der Fremde kam. War er aus dem Wald gekommen? Aber dieser war im Moment nicht zu betreten. Andererseits konnte er auch nicht aus der Stadt gekommen sein. Dort hätten sie ihn schon längst bemerkt. Aber in letzter Zeit war ja nichts so gewesen, wie es hatte sein sollen.

Ohne seine Frage zu beantworten sagte der Unbekannt: „Das Kind... ist es da drin?“ Es war ein Mann, erkannte Aidou. Doch das war es nicht, dass ihn stutzig werden ließ. Vielmehr wunderte ihn, dass er von Ai wusste.

„Wer bist du?“, fragte er noch einmal.

Einen Moment antwortete der Mann ihm nicht. Aidou war nicht klar, was er wollte. Er konnte keine Feindseligkeit spüren. Dann sprach der Unbekannte weiter: „Sie ist krank, nicht wahr? Ich kann ihr helfen.“ Dieses Mal klang seine Stimme schon ein wenig ungeduldiger.

„Woher weißt du das?“, fragte Aidou überrascht und biss sich sofort auf die Zunge. Damit hatte er sich selbst verraten.

„Das geht dich nichts an. Lässt du mich durch oder nicht?“, fragte er weiter und seine Stimme blieb weiterhin neutral. So als würde ihn dieses Gespräch langweilen oder sein Ausgang ihm vollkommen egal sein.

„Du kannst ihr helfen?“, fragte Aidou noch einmal. Er dachte an Yukis Worte und an Zeros Gesichtsausdruck und an die kleine, schwache Gestalt, die er im Bett hatte liegen sehen. Ein Kind, dessen Licht dabei war zu erlöschen.

„Vielleicht.“, erwiderte er wage.

„Was, wenn ich dich nicht vorbei lasse?“

Sein Gegenüber zuckte mit den Schultern. „Dann gehe ich und sie wird sterben.“

Aidou betrachtete ihn einen Moment zweifelnd.

„Wie willst du das schaffen?“

„Das ist ein Geheimnis.“ Wieder so eine kryptische Antwort, dachte Aidou. Was sollte er tun? Konnte er wirklich Ai helfen oder war es nur ein Versuch an sie heran zu kommen? Vielleicht wollte er ihr nur schaden oder sie für seine eigene Zwecke missbrauchen. Allerdings würde Zero die Kleine niemals aus den Augen lassen und schon gar nicht mit einem fremden Mann. Und wenn er ihr wirklich helfen konnte? Was wenn er ihn wegschickte und Ai starb. Er würde sich immer Vorwürfe machen, ihr die letzte Hilfe verwehrt zu haben.

Was sollte er tun?

Dann ließ er die Eiswand verschwinden, als ihm klar wurde, dass es nicht an ihm ist eine Entscheidung zu treffen.

„Du wirst ihren Vater fragen müssen.“, sagte er, bevor er die Tür wieder öffnete.
 

„Du bist noch da?“, fragte Yuki ihn überrascht, als sie Aidou die Tür zu Zeros Wohnung geöffnet hatte. Gleich darauf folgte ein: „Wer ist das unten?“

„Ich muss mit Zero sprechen.“, war alles, was er sagte und sich an ihr vorbeidrückte. Yuki sah ihm fragend hinterher, ließ die Tür aber offen. Was war auf einmal geschehen? Und was machte der Fremde unten? Sie folgte Aidou in Ais Zimmer.

„Zero unten ist jemand, mit dem du vielleicht reden solltest.“

„Wie kommst du dazu so etwas hierein zu lassen?“, fragte dieser sofort scharf. „Das ist nicht dein Haus und du hast kein Recht dazu! Ich habe gesagt, ich werde alles erzählen, wenn es ihr besser geht! Oder habt ihr sie schon abgeschrieben?! Seid ihr so sehr darauf versessen zu beweisen, wie unfehlbar ihr seid, dass ihr nicht einmal euer Wort halten könnte?! Ich hätte es wissen müssen!“, fuhr Zero ihn an. Er bemühte sich dabei nicht zu laut zu werden, so dass seine Stimme wie ein Zischen klang.

„Er ist keiner von uns. Ein Fremder und... Er hat gesagt, er kann ihr helfen.“, erwiderte Aidou schlicht.

„Was?!“, fragte Zero entgeistert.

„Ich habe ihn draußen getroffen. Er kam irgendwie aus dem Wald und... er wusste von Ai und dass sie ... dass es schlecht um sie steht. Er sagte, er könnte ihr vielleicht helfen und ich... ich dachte du solltest mit ihm reden.“

„Wie kann er davon wissen?“, fragte Zero. Seine Stimme klang ruhiger, doch er atmete immer noch schnell und heftig.

„Das hat er nicht gesagt, aber...“

„Und trotzdem führst du ihn einfach hier rein?!“, wurden Zero wieder lauter. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stürmte er an Aidou und Yuki vorbei und lief die Treppen nach unten, immer zwei Stufen auf einmal nehmend.

„Verschwinde!“, knurrte er, noch bevor die letzte Stufe erreicht hatte.

„Ich bin vielleicht in der Lage ihr zu helfen. Offenbar hat die Medizin ja bisher versagt.“, antwortete der fremde Mann immer noch ruhig. Erstarrt sah Zero ihn an. Wie konnte er das alles wissen?

„Wo kommst du her?“, fragte Zero daraufhin.

„Von hier und da, wenn es deine Neugier aber befriedigt, ich bin erst vor ein paar Stunden angekommen. Hier spricht sich jedoch sehr viel rum.“

„Was willst du von ihr? Ihr werdet sie nicht bekommen! Keiner von euch! Verschwinde oder du wirst es noch bereuen.“

„Ich will sie nicht.“, erwiderte der Unbekannte gelassen. „Ich biete es ein letztes Mal an: Du kannst mich zu ihr lassen und es geht ihr danach vielleicht besser oder ihr schickt mich weg und sie stirb auf jeden Fall.“

Zero schluckte heftig. Er würde diesen Vampir ohne zu zögern wegschicken, ihn töten, wenn er dadurch nur irgendetwas tun konnte, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Möglicherweise war es eben jene ruhige und sichere Stimme. Er konnte keinen Verrat spüren, keine Lügen.

„Wer bist du?“, fragte Zero nun und versuchte sich zu beruhigen, den Keim der Hoffnung zu ersticken, der ihn ihm aufgekommen war. Ganz gewiss würde er niemanden zu ihr lassen, der einfach so auftauchte.

„Das ist nicht von Bedeutung.“

Zero lachte bitter auf. So waren sie doch alle. Redeten immer nur und sprachen niemals die Wahrheit.

„Wie willst du ihr helfen?“

Dieses Mal war Schweigen die Antwort.

„Verstehe. Das kannst du also auch nicht sagen. Woher weißt du von ihr?“, fragte er dennoch weiter.

Wieder nichts.

„Weißt du, was sie ist?“

„Ja.“

„Zero?“, fragte Yuki hinter ihm und dann spürte er ihre Hand auf seinem Arm. Er drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. Er konnte seine eigenen Gedanken darin lesen. Was hatten sie schon zu verlieren?

Als er sich wieder umdrehte, hatte er sich entschieden. „Zeige mir dein Gesicht, damit ich dich jagen kann, wenn du ihr schaden solltest.“

„Ich kann ihr nicht noch mehr schaden.“

„Dein Gesicht!“, forderte Zero ihn auf.

„Nein. Es würde euch zu sehr erschrecken.“

Fragend sah Zero ihn an und bereute seine Entscheidung bereits. „Wir können noch ein bisschen hier rumstehen und plaudern oder ihr lasst mich zu ihr.“, sagte der Fremde, bevor Zero Gelegenheit hatte ihn wieder abzuweisen. Schließlich gab Zero sich einen Ruck und ging wieder nach oben, Yuki und Aidou vor ihm, der fremde Mann folgte. Er musste vollkommen den Verstand verloren haben, dachte er. War er wirklich so verzweifelt? Die Antwort war leicht: Ja, das war er.

Vor Ais Zimmer blieben sie stehen Zero blickte ihn noch einmal an. Er konnte unter der Kapuze nichts erkennen, nur ein Stückchen blasse Haut, aber das verriet nichts.

„Ich muss allein mit ihr sein.“, forderte der Unbekannte.

„Nein! Auf keinen Fall!“

„Ich muss mich konzentrieren können.“

Abermals war Zero daran ihn wieder fortzuschicken, ihm eine Lektion zu erteilen. Aber dann wäre alles verloren. „Erst will ich dein Gesicht sehen. Ich will wissen, wen ich töten muss, solltest du gelogen haben.“, erwiderte Zero schließlich und nur sehr wiederwillig.

Einen Moment schwieg der fremde Mann, dann deutete er zur Küchentür und Zero folgte ihm.

Beide betraten den Raum und Yuki und Aidou war klar, dass sie nicht erwünscht waren. Sie warteten davor. Doch nur wenigen Sekunden später ging die Tür erneut auf und der verhüllte Mann ging geradewegs in Ais Zimmer. Beunruhigt ging Yuki in die Küche und wollte Zero fragen, was er gesehen hatte, doch sein Anblick schockierte sie.

Zero saß mit weit aufgerissenen, starren Augen auf einem der Stühle. Er war bleich, als hätte er den Tod gesehen und sei Mund stand vor Entsetzen offen.
 

Der Fremde schloss die Tür hinter sich und setzte abermals die Kapuze ab. Helles, blondes Haar kam zur Vorschein. Seine Augen sahen sich kurz im Zimmer um, doch schnell glitt sein Blick zum Bett und dem Wesen darin. Da war sie, dachte er still. Langsam näherte er sich ihr und in seiner Brust machte sich ein Gefühl breit, welches er nicht benennen konnte. Das Leben war schon fast gänzlich aus ihrem Körper gewichen. Er konnte es beinah sehen und je näher er ihr kam, desto mehr konnte er es spüren. Das hatte er immer gekonnt. Jemand aus seiner Familie, wusste es immer, wenn

die Energie eines Lebewesens schwand. Regungslos betrachtete er sie, versuchte etwas in ihrem Gesicht zu finden, an das er sich kaum erinnern konnte.

Dann atmete er scharf aus und wischten diese sentimentalen Gedanken fort. Er war nicht deswegen kommen. Er würde ein Versprechen einlösen, das war alles.

Er schlug die Decke zurück. Anschließend begann er die ersten vier Knöpfe ihres Schlafanzuges aufzuknöpfen. Er legte die Hand auf ihren Brustkorb und schloss die Augen.

Jetzt würde sich zeigen, ob er wirklich recht gehabt hatte.

Veränderung

Ich habe es noch in diesem Jahr geschafft euch ein neues Kapitel zu präsentieren und darauf bin ich stolz. >.< Es wollte nämlich nicht so richtig flutschen, denn irgendwie... mmh... bin ich mal wieder nicht zufrieden mit mir.^^° Aber woran genau das liegt, kann ich euch auch nicht sagen. Vielleicht kommt ihr ja drauf.

Im nächsten Jahr werde ich diese FF auf jeden Fall abschließen und ich freue mich schon darauf! Muss man einfach so sagen. Bis dahin dauert es aber noch ein wenig und ich wünsche euch erst mal viel Spaß mit diesem Kapitel.

PS: Der Titel ist ja mal wieder genial einfallsreich. *drop*

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Veränderung
 

Er konnte nicht länger warten.

Wie viel Zeit vergangen war, seit er den Fremden in Ais Zimmer gelassen hatte, wusste er nicht mit Bestimmtheit zu sagen, aber es war ihm zu lange. Zero rannte aus der Küche zu Ais Zimmertür und riss diese auf. Dabei wäre er fast in den Fremden hineingerannt.

Dieser stand vor ihm, die Kapuze immer noch tief ins Gesicht gezogen, doch Zero beachtete ihn gar nicht. „Was hast du mit ihr gemacht?!“, fragte er, als er zu Ai rannte. Ihre Decke war ein wenig zurückgeschlagen und der oberste Knopf ihres Schlafanzuges offen.

Fahrig strichen Zeros Finger über ihr Gesicht und plötzlich erstarrte er. Irgendwie... war sie friedlicher. Er konnte sogar fast ein Lächeln auf ihrem Gesicht erkennen. Er schloss den Knopf und zog die Decke bis zu ihrem Kinn hoch. Er blickte auf, doch der Mann war verschwunden und Yuki und Aidou standen neben ihm und betrachtete das Kind neugierig. „Wo ist er?“

„Was?“, fragte Yuki irritiert. „Er ist über den Balkon im Wohnzimmer gegangen.“, antwortete Aidou den beiden.

Verwirrte sah Zero ihn an, dann wieder zu Ai. Sollte er ihm hinterherlaufen? Sollte er nicht in Erfahrung bringen, was geschehen war, was er getan hatte?

„Sie sieht irgendwie glücklich aus.“, sagte Yuki leise neben ihm.

Es war also doch keine Einbildung, dachte er. „Was hat er gemacht?“, fragte nun auch Aidou. „Ich weiß es nicht.“, antwortete Zero ehrlich. „Was immer es war, vielleicht hat er ihr wirklich geholfen.“ Dann versicherte er sich noch einmal, doch Ais Körper zeigte keinerlei Anzeichen von Schaden.

„Willst du ihm nicht hinterher?“, fragte Yuki vorsichtig und betrachtete Ai noch immer. Es war eindeutig, dass sie irgendwie verändert war.

„Nein.“, sagte Zero und schüttelte den Kopf. „Egal, was er gemacht hat, es ist zu spät. Hoffen wir, dass es ihr geholfen hat.“ Seine Stimme klang resigniert. Als hätte er bereits alles aufgegeben. Anschließend setzte er sich wieder vor Ais Bett, wie er es schon so oft getan hatte, fuhr sich mit den Händen über das Gesicht und senkte den Kopf. Es war fast so, als wäre der Fremde nie dagewesen.

„Ich geh dann besser.“, sagte Aidou kurz und Yuki nickte ihm zu. Sie geleitete ihn noch zu Tür und schloss sie wortlos hinter ihm. Dann ging sie in die Küche und löste abermals Bluttabletten in einem Wasserglas auf, das sie anschließend Zero reichte. Erst glaubte sie, er würde es wieder nur wortlos trinken, doch als er es absetzte, flüsterte er dennoch: „Wenn sich diese Nacht nichts ändert, dann...“

Yuki schluckte hörbar. Die ganzen Tage hatte sie nicht daran gedacht, es vermieden und immer an Heilung geglaubt. „Vielleicht hat der Fremde ja doch-“ Zero ließ sie nicht zu Ende sprechen.

„Diese Nacht muss sich etwas ändern.“, sagte er entschieden. „Ich wundere mich nur, woher er überhaupt von ihr wusste. Sein Gesicht...“, murmelte er. Yuki wartete gespannt, ob er noch etwas dazu sagen würde, aber er schwieg. Yuki setzte sich ein wenig zögerlich neben ihn und lehnte den Kopf an seine Schulter. Er ließ sie gewähren.

„Was hast du in all den Jahren gemacht?“, fragte er sie auf einmal unvermittelt. Verwunderte sah sie ihn kurz an. „Entschuldige,“, begann er und lächelte beinah, „ich brauche etwas was mich ablenkt. Wenn es dir also nichts...“ Er ließ den Satz unvollendet.

„Ich glaube es wird dich ganz furchtbar langweilen.“, sagte sie und lächelte leicht. „Erzähl mir, wie Aidou versucht hat dich zu unterrichten.“, forderte er sie auf.

Yuki brummte kurz unzufrieden und dieses Mal huschte tatsächlich ein Lächeln über sein Gesicht. „Damit du mich aufziehen kannst oder damit du Aidou bemitleiden kannst?“, murrte sie.

„Ich würde Aidou niemals bemitleiden.“, sagte Zero geradeheraus. „Viel eher denke ich, dass es ihm ganz recht geschehen ist.“

Noch einmal brummte sie kurz, begann dann jedoch zu erzählen.

Zero hörte ihr zu und unterbrach sie auch nicht, hin und wieder konnte sie hören wie er schmunzelte. Auch wenn es auf ihre Kosten war, so war sie doch froh ihn ein wenig von der Düsternis abzulenken, die sich um sein Herz gelegt hatte.
 

„Solltest du nicht doch wieder zu ihm gehen?“, flüsterte er irgendwann so leise, dass selbst sie Schwierigkeiten hatte ihn zu verstehen. Sie hatte gerade davon erzählt, wie Kaname sie einigen anderen Reinblütern vorgestellt hatte und wie nervös sie gewesen war und wie sehr Aidou sie vorher geschunden hatte, damit sie sich Namen und persönliche Geschichte merkte.

„Ich habe doch schon gesagt, dass ich dich nicht allein lassen werde. Nicht jetzt und wenn du...“

„Was?“

„Wenn du es erlaubst, würde ich dich nie wieder verlassen.“, sagte sie zögerlich, wurde jedoch sofort sehr rot.

Zero atmete hörbar ein. „Du weißt, dass das nicht geht.“, erwiderte er etwas zu schroff.

„Warum nicht? Zero du bist mir immer noch genauso wichtig und ich... ich habe dich vermisst und... du fehlst mir.“ „Ich kann seine Nähe einfach nicht ertragen. Es hat sich auch sonst nichts geändert. Meine Gefühle sind die gleiche, wie damals.“ Bei diesem Worten sah er sie direkt an und Yuki senkte abermals den Blick. Ihre Wangen verfärbten sich noch ein wenig mehr. Wie hatte sie seine Gefühle für einen Moment vergessen können? Wie schwer mochte es für ihn sein, sie ständig um sich zu haben? Und doch wies er sie nicht von sich. Sie sollte nicht immer seine Nähe suchen. Aber sie konnte nicht anders.

„Verstehe.“, sagte sie leise.

Zero blickte Yuki noch immer an. Verstand sie wirklich? Er wusste es nicht. Wie konnte sie so etwas sagen? Wie konnte sie annehmen, es könnte alles werden wie früher? Wie konnte sie annehmen Kaname würde zulassen, dass sie bei ihm blieb? Dass sie nur in seiner Gesellschaft blieb? Er würde ohnehin kein freier Mann mehr sein, wenn er das überhaupt jemals war. Ai hatte ihm dieses Gefühl gegeben für ein paar Jahre gegeben. Doch sollte sie sterben... Es würde anders sein, es würde keinen Sinn mehr haben.

Ihr Atem wirkt ruhiger, gleichmäßiger, dachte Zero, während er Ai abermals betrachtete. Aber vielleicht war es auch nur ein Streich seiner Augen. Vielleicht zeigten sie ihm nur, was er sehen wollte. Er konnte sich nicht mehr recht daran erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte.

Er stand auf und Yuki wich zurück. Behutsam setzte Zero sich auf das Bett und beobachtete das schlafende Mädchen eine Weile. Ihr Atem ging wirklich gleichmäßiger. Es hatte fast den Anschein als würde es ihr sogar leichter fallen zu atmen. Er rieb sich über die Augen und sah noch einmal hin. Doch das Bild blieb gleich. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Yuki, der das Erstaunen auf seinem Gesicht nicht entgangen war.

„Ich bin nicht sicher. Es sieht einfach nur so aus, als könnte sie besser atmen.“, antwortete er ihr. Yuki erhob sich ebenfalls und beobachtete das Mädchen. „Du hast recht.“, stimmte sie schließlich zu. „Vielleicht...“, sie konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, weil Zero sie unterbrach.

„Das Fieberthermometer, wo ist es?“, fragte er sie. Sie sah sich suchend im Zimmer um und entdeckte es schließlich am Fußende des Bettes. Zero hatte es nach der letzten Messung dorthin geworfen. Hastig ob sie das Thermometer auf und reicht es ihm.

„Ist es schon wieder gestiegen?“, fragte sie ängstlich, als Zero eine Hand auf Ais Stirn legte und den Kopf schüttelte. Was sonst könnte so einen angespannten und konzentrierten Gesichtsausdruck verursachen?

Zero steckte Ai das Thermometer in den Mund nahm anschließend Yukis Hand. Überrascht ließ sie sich von ihm führen. „Was fühlst du?“, fragte er sie, als ihre Hand auf Ais Stirn lag. Seine Stimme zitterte. Yuki versuchte sich auf die Wärme zu konzentrieren, die sei unter ihrer Handfläche empfand. Es war warm ja, aber es war nicht... Oh, dachte sie erstaunt. Jetzt wusste sie, was Zero gemeint hatte. Sie war heiß, aber sie spürte nicht mehr die Hitze, wie zuvor. Sie war immer noch fiebrig, aber es war... War es wirklich zurückgegangen?

„Es ist gesunken?!“, fragte sie Zero ungläubig und sah ihn mit großen Augen an. „Ich weiß es nicht. Ich bin nicht sicher.“, antwortete er leise. Yuki nahm ihre Hand von Ais Stirn und beide sahen wie gebannt auf das Fieberthermometer. Immer wieder sah Zero ungeduldig auf die Uhr, bis er es wieder herausnehmen konnte. Als es so weit war, hielt er es einen Moment in der Hand und versuchte sich einzureden, dass er und Yuki sich geirrt hatten. Sie waren beide wahrscheinlich so übermüdet, dass ihre Wahrnehmung nur noch von ihrem Wunschdenken gelenkt wurde. Als er die Zahl ablas, sog er scharf den Atem ein. Er konnte nicht glauben, was er sah.

39,8 Grad Celsius. Es war um fast zwei Grad weniger geworden, als noch vor wenigen Stunden.

„Wie ist das möglich?“, fragte Yuki staunend und mit offenem Mund. Gleichzeitig schüttelte sie den Kopf. Das war doch vollkommen unwichtig! Es war zurückgegangen! Das war alles was zählte!

„Zero das ist wundervoll!“, rief sie aufgeregt und umarmte ihn spontan. Doch er blieb steif neben ihr sitzen und sie löste sich schnell wieder, aus Angst einen Fehler begangen zu haben. Doch als sie in sein Gesicht sah wusste sie, dass es nicht wegen ihrer Umarmung gewesen war. „Warum freust du dich nicht?“

„Was, wenn es nur vorübergehend ist?“, fragte er heißer. „Oder das Thermometer kaputt oder...“

„Nein!“, fuhr sie ihn fast etwas zu heftig an, so dass er sie erschrocken ansah.

„Das Thermometer ist vollkommen in Ordnung. Es hat zuvor ja auch richtig gemessen und ich will nicht glauben, dass es nur vorüber gehend ist. Wir dürfen das nicht glauben! Die Medikamente schlagen endlich an oder was auch immer der Fremde mit ihr gemacht hat. Es wird ihr wieder besser gehen!“, sagte sie bestimmt und fast ein wenig trotzig. Zero erwiderte nichts. Er wollte es glauben, so gern wollte er es glauben, aber etwas in ihm konnte einfach nicht. Etwas in ihm warnte ihn, sich vorzeitig Hoffnung zu machen, Erleichtert zu sein. Der Fall würde einfach zu hoch sein.

Yuki stand plötzlich auf und verließ das Zimmer. Er fragte sie nicht einmal wohin sie wollte.

Doch wenige Augenblicke später kam sie mit Frau Sayuka zurück, die ein weiteres Fieberthermometer in der Hand hielt.

„Vielleicht wirst du es ja glauben, wenn du noch einen Beweis hast.“, sagte Yuki.

„Ist es wahr? Das Fieber ist gesunken?“, sprach Frau Sayuka unsicher und reichte ihm auch schon das Thermometer. Statt Zero antwortete Yuki. „Ja ist es. Fast zwei ganze Grad, aber er will es einfach nicht wahrhaben.“ Zero hatte inzwischen das Thermometer ins Ais Mund gesteckt und achtete nicht weiter auf die Frauen. Sollte es tatsächlich wahr sein? Sollte es nicht nur ein Traum sein? Sie schwiegen, bis wieder einige Minuten verstrichen waren und Zero das Thermometer herausnahm.

„39,8 Grad“, sagte Yuki neben ihm mit einem Lächeln auf dem Gesicht, während er immer noch ungläubig auf das Thermometer starrte.

„Es stimmt wirklich.“, sagte Frau Sayuka und Zero hörte, wie sie mit den Tränen kämpfte. Seine eigenen Gefühle konnte er nicht einmal in Worte fassen. Vorsichtig fuhr Zero Ai über die Wange und konnte wieder nur feststellen, dass sie nicht mehr so heiß war wie zuvor. Plötzlich überfiel ihn solch eine Erleichterung, dass er zitternd ausatmete und alle Kraft aus seinen Körper wich. Erschöpft senkte er den Kopf und legte ihn auf Ais Brust. Er hörte wie sie gleichmäßig ein und ausatmete, fühlte wie sich ihr Brustkorb mit jedem Atemzug hob und senkte und die Wärme ihres Körpers.

Langsam hob Zero den Kopf und strich seiner Ziehtochter über das Gesicht. Dabei schüttelte er immer wieder ungläubig den Kopf. Die Stimme des Zweifels war leiser geworden, doch sie war noch da, wenn er nur genau hinhörte. Eine zarte Hand berührte seinen Rücken und als er aufsah, sah er genau in Yukis Gesicht.

„Sie wird wieder gesund werden.“, flüsterte diese.

Tausend Worte lagen ihm auf der Zunge, doch keines davon konnte er aussprechen. Er wollte die Hand nach ihr ausstrecken und sie in seine Arme schließen, ihr für so vieles Danken, doch nichts davon geschah. Frau Sayuka verhinderte es, indem sie ihn aus seinen Gedanken riss: „Ich gehe und hole den Arzt. Das wird er nicht glauben!“ Aufgeregt verließ sie die Wohnung.

Zero sah Yuki immer noch ungläubig an und diese erwiderte den Blick mit einem Lächeln.

„Ich weiß.“, sagte sie schlicht, als wüsste sie genau, was in ihm vorging. Dann sahen sie sich einen Moment schweigend an und etwas in Zeros Blick schien verändert zu sein. Er sah sie offener an und befreiter und irgendwie so, als würde er sie auf einmal ganz anders ansehen, dachte Yuki.

Aber gewiss bildete sie sich das nur ein.

Im nächsten Augenblick ging die Zimmertür erneut auf und dieses Mal war es Herr Sayuka. „Stimmt es?“, fragte er vorsichtig.

„Es sieht so aus. Ja.“, antwortete Zero ihm und dieses Mal klang seine Stimme sicherer. Sie würde wieder gesund werden.
 

Der Arzt, der nur eine halbe Stunde später eintraf, untersuchte Ai genauso staunend. Es ging ihr wirklich besser, das Fieber war gesunken. Allerdings konnte er keinerlei Erklärung dafür finden. Da die Medikamente, die ganze Zeit nicht angeschlagen hatten, wollte er nicht so recht glauben, dass sie es jetzt auf einmal taten. Der Grund für Ais Genesung war für Zero jedoch zweitrangig. Alles was für ihn zählte war, dass Ais Temperatur um weiteren 0,1°C gesunken war. Das war nicht viel, aber es zeigte, dass sie wirklich auf dem Weg der Besserung war. Der Doktor sagte, dass es noch länger dauern könnte. Der Körper bräuchte Zeit wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

„Kann ich irgendetwas tun, was es beschleunigt?“, fragte Zero sofort.

„Sie haben schon getan, was sie konnten. Offenbar hat es geholfen. Messen sie die Temperatur jede Stunde, um sicher zu gehen, dass es wirklich beständig sinkt. Wenn sie eine Temperatur von 38°C erreicht hat, können auch sie sich endlich hinlegen. Das habe ich ihnen in den vergangen Tagen schon oft gesagt. Sie sollten meinen Rat befolgen, sonst kann es gut sein, dass ich das nächste Mal wegen ihnen kommen muss.“

Irritiert sah Zero den Mann in Weiß an, nickte aber gehorsam. Seit die Sorge und Angst um Ai von seinen Schulter gefallen war, spürte er auch die Müdigkeit. Das Wort Schlaf klang gar nicht einmal so falsch in seinen Ohren.

„Sie sollten sich auch hinlegen.“, sagte Zero zu Herr und Frau Sayuka, als der Arzt gegangene war. „Sie haben in den letzten Tagen auch kaum geschlafen. Wenn sie etwas ändern sollte, sagte ich ihnen natürlich sofort Bescheid.“

„Ach, du weißt doch, dass man nicht einfach aufhören kann sich Sorgen zu machen, aber ich denke, wir werden deinen Rat annehmen.“, sagte Frau Sayuka.

„Na komm schon, meine Liebe.“, sagte Herr Sayuka und berührte seine Frau sanft an der Schulter. „Ein paar Stunden durchgehender Schlaf können dir nicht schaden, dann verschwinden vielleicht auch die schwarzen Ringe unter deinen Augen. Die machen dich viel älter, als du eigentlich bist.“

Frau Sayuka schlug ihren Mann auf die Schulter. „Ich hatte ganz vergessen, wie charmant du doch sein kannst.“, antwortete sie bissig. Herr Sayuka lachte kurz auf, dann zog er seine Frau mit sich.

„Es ist wunderbar, wie sehr sie sich auch nach all den Jahren noch lieben.“, sagte Yuki, nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war. Sie sprach mehr zu sich selbst, als zu Zero, umso überraschter war sie, als er ihr dennoch antwortete.

„Ja, beneidenswert. Sie haben schon so viel erlebt, Freude und Traurigkeit und es hat sie nie auseinander gebracht. Herr Sayuka sagt, dass alles was passiert, aus einen bestimmten Grund geschieht und dass man nur daran wachsen kann, auch wenn man manchmal lieber sterben möchte.“

Kurz nickte Yuki. Sie glaubte zu verstehen. „Du solltest auch gehen.“, sagte Zero auf einmal. Überrascht sah sie ihn an. Wollte er sie jetzt schon fortschicken? Natürlich freute sie sich für Ai, aber der Gedanke, dass er sie jetzt nicht mehr bei sich haben wollte, schmerzte sie. Es kam... zu früh. „Yuki, versteh mich nicht falsch.“, fügte Zero hinzu, als könnte er ihre Gedanken lesen. Er trat auf sie

zu und sah ihr in die Augen. „Du hast in den letzten Tagen ebenso wenig geschlafen, sogar noch weniger als die Sayukas. Du solltest, nein du musst dich ausruhen. Auch du hast Ringe unter den Augen und ich bin sicher Kaname vermisst dich.“ Überrascht sah sie ihn an. Dass er den Namen ihres Bruders erwähnte, musste ihm Überwindung gekostet haben. Yuki schwieg einen Moment. Er hatte recht. Sie war müde, dennoch weigerte sich ein Teil von ihr zu gehen, ihn wirklich allein zu lassen. Deswegen fragte sie: „Was ist mit dir?“

„Ich werde warten bis die Temperatur nach unten gegangen ist und mich dann erst hinlegen.“

„Bitte lass mich auch noch so lange warten. Es kann noch Stunden dauern und ich möchte...“

„Was?“

„Ich möchte dich nicht allein lassen. Ich glaube, du würdest dann immer noch nicht zu Bett gehen, weil du anfängst über andere Dinge nach zudenken.“ Der letzte Satz war spontan gekommen, aber wenn sie weiter darüber nachdachte, war es gar nicht einmal so abwegig. So war Zero nun einmal und seinen Blick nach zu urteilen, musste sie genau richtig gelegen haben. „Wie du möchtest.“, antwortete er schlicht.

Also setzten sie sich beide wieder vor Ais Bett und schwiegen größtenteils. Jetzt da es ihr besser ging, schien die gesamte Kraft aus ihnen gewichen zu sein. Die Sorge war zuvor ihr Antrieb gewesen. Nur oberflächlich dachte Yuki an ihr Wiedersehen mit Kaname. Sie freute sich, aber noch mehr freute sie sich darauf ohne mit der Angst einzuschlafen, dass Ais Zustand sich verschlechtern könnte. Über alles andere wollte und konnte sie jetzt gar nicht nachdenken. Es würde noch viel zu erklären sein.

Als Zero Ais Temperatur abermals kontrollierte und das Thermometer nur noch 39°C anzeigte, sprach er dann doch kurz mit ihr.

„Kann ich dich noch um etwas bitten?“

„Ja, natürlich. Was denn?“, fragte sie mit geschlossenen Augen.

„Wenn du ihm Hotel bist, kannst du Jinmu bitte sagen, dass ich morgen erst mit ihm reden werde. Ich glaube ich brauche wirklich einmal einen ganzen Tag Schlaf.“, erwiderte er leise.
 

Es war 9.00 Uhr am Morgen, als Zero ein letztes Mal Fieber maß und endlich die erhoffte Temperatur ablesbar war.

„Endlich.“, sagte er erleichtert und erschöpft.

„Ja. Es wurde Zeit.“, pflichtete Yuki ihm bei.

„Gut, dann...“ Sie schwiegen sich wieder einen Moment an, aber es war nicht unangenehm. „Ich werde gehen.“, sagte Yuki schließlich und bei dem Gedanken machte sich Nervosität in ihr breit. „Aber Zero bitte versprich mir, dass du dich wirklich hinlegen wirst.“, fügte sie an.

Er nickte kurz und ein spöttisches Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Ich glaube das kann ich dir vorbehaltslos versprechen.“, sagte er dann doch.

„Darf ich morgen noch einmal vorbei kommen?“, fragte sie unsicher. Es war seltsam wie sie miteinander umgingen, dachte Zero kurz. Es war nicht befangen, aber es war auch nicht wie früher. Sie sprachen höflich miteinander, aber es gab einen Abstand zwischen ihnen, der nichts davon ahnen ließ, war sie in den letzten Tagen miteinander erlebt hatten.

„Sie würde sich sicher freuen.“, antwortete er.

„Danke.“

Zero wusste, dass er es sein sollte, der ihr dankte, aber wieder konnte er es nicht über die Lippen bringen. Er konnte nicht einmal sagen, was ihn davon abhielt. Es war nur ein einfaches Wort und doch wollte es seinen Mund nicht verlassen.

Er brachte Yuki nur bis zu seiner Wohnungstür. Es gab keine Worte des Abschieds, keine Umarmung. Es fühlte sich nicht falsch an. Es war nicht nötig. Zero schloss die Tür hinter ihr und ging noch einmal zu Ai. Mit dem zweiten Thermometer maß er noch einmal die Temperatur und als er sich überzeugt hatte, dass es wirklich bei 38°C lag, begab er sich in sein eigenes Schlafzimmer. Zero ließ sowohl Ais Tür, wie auch seine eigene auf, damit er sie jederzeit hören konnte, wenn etwas nicht in Ordnung sein sollte. Eine leise Stimme flüsterte, er sollte noch wach bleiben und nach ihr sehen, doch sein Körper konnte schlicht nicht mehr. Nicht einmal zum Duschen hatte er noch Kraft. Er würde nicht lang schlafen, dachte er. Nur ein paar Minuten. Er legte sich hin und es dauerte nicht einmal einige Sekunden und er war bereits eingeschlafen.
 

Yuki war im Gastraum auf Herr Sayuka getroffen. Dieser hatte einen dicken Mantel angehabt und ihr erklärt, dass er auf dem Weg in die Stadt war. Dafür hatte er den Schlitten angespannt. Er hatte sie regelrecht dazu gedrängt sie mitzunehmen und Yuki hatte bei so viel Freundlichkeit nicht wiedersprechen können. Dabei hatte sie eigentlich vorgehabt bis zum Hotel zu laufen. Sie wollte Zeit gewinnen, um darüber nachdenken zu können, wie sie Kaname entgegentreten konnte aber vor allem was sie zu ihm sagen würde.

Trotzdem war sei dankbar gewesen. Unter den Decken war es warm gewesen und sie konnte die Stadt in ihrem weißen Kleid in aller Ruhe bewundern. Auf den Dächern und an den Straßenrändern lag der Schnee sehr hoch, auf der Straße selbst war er von den Schlitten festgefahren. Sie sah Karren auf denen der Schnee von Fußwegen aufgeladen wurde und Herr Sayuka erklärte ihr, man würde ihn in den Wald bringen. Sie wüssten sonst gar nicht mehr wohin mit den weißen Massen.

Yuki verabschiedete sich herzlich von ihm und stand noch einige Sekunden unsicher vor dem Hotel. Sie blickte die Fassade nach oben, die mit ihren wunderprächtigen Farben nur so zu leuchten schien. Sie konnte niemanden hinter dem Fenster ausmachen. Wartete Kaname doch nicht auf sie? Hatte sie ihn bereits so wütend gemacht, dass er sie nicht mehr zu sich lassen würde? Würde er ihre Entschuldigung akzeptieren? Langsam schüttelte sie den Kopf. Die Müdigkeit lag schwer auf ihren Gedanken. Sie drückte nicht nur ihren Geist nach unten, sondern auch ihren Körper und machte ihr jede Bewegung schwer. Yuki betrat die Eingangshalle und ging zu der Empfangsdame, die an der Rezeption saß und sie mit einem Lächeln begrüßte. Sie hatte bereits bei ihrem ersten Besuch mit ihr gesprochen. „Entschuldigen sie, mein Bruder Kuran Kaname hat ein Zimmer gemietet, glaube ich.“, sagte sie leise. Die Geräusche von den Menschen, die langsam zum Frühstück gingen oder wieder kamen erschienen ihr sehr laut und unangenehm. Sie war vollkommen überreizt und wollte am liebsten nur allein sein und sich hinlegen, ohne vorher noch ein Gespräch führen zu müssen, dessen Ausgang sie nicht vorhersagen konnte. Aber das würde sie Kaname nicht antun können.

Die Frau nannte ihr eine Zimmernummer und bevor sie es vergaß, bat Yuki sie eine Nachricht an Jinmu weiterzuleiten. Dann fuhr sie mit dem Fahrstuhl in die fünfte Etage. Vor der Zimmernummer 511 blieb sie stehen. Kaname wartete bereits auf sie, das konnte sie spüren. Noch ein letztes Mal atmete sie tief durch und öffnete dann die Tür. Ihr Bruder lehnte mit dem Rücken zum Fenster, so dass sie für den ersten Moment nur seine Silhouette erkannte. Die Arme hatte er vor der Brust verschränkt und sein Kopf lag ein wenig schief. Er schien darauf zu warten, dass sie das Wort ergriff.

„Hallo“, sie leise und die Tür fiel ins Schloss. Dann blieb sie dort stehen, nicht sicher, was sie sagen oder tun sollte. Kanames Gesicht war hart und ließ keine Gefühlsregung erkennen. Yuki blinzelte oft. Ihre Augen schmerzen und Tränen traten ihr in die Augen, weil sie so erschöpft war.
 

Er betrachtete sie einen Moment eingehend. Ihr Gesicht war blass und unter ihren Augen lagen Ringe. Sie war müde. Das konnte er sofort sehen. Tränen sammelten sich in ihren Augen und sie rieb sich mit den Handrücken darüber. Er war noch immer wütend auf sie, aber bei ihrem Anblick wurde diese Wut schwächer. Vielmehr empfand er nun Mitleid für sie. Sie war zu ihm zurückgekehrt, das war alles jetzt zählte. Ein Ruck fuhr durch seinen Körper und Kaname kam auf sie zu. Wortlos zog er sie fest in seine Arme. Stumme Tränen liefen Yuki die Wange hinunter und sie ließ sich von seinen starken Armen halten.

„Endlich bist du wieder da.“, flüsterte er in ihr Ohr. Sie hörte seine Worte, wie durch einen dicken Schleier. Normalerweise hätte sie davon Gänsehaut bekommen, doch nun empfand sie nicht sehr viel. Sie war so müde.

Doch viel zu schnell löste sich Kaname von ihr und fuhr mit seiner Hand über ihre Wange. Schwach blitzte das Gesicht von Zero vor ihren Augen auf, der das gleiche vor wenigen Stunden getan hatte. Doch auch dabei empfand sie nichts.

Kaname beugte sich über sie und küsste sie sanft. Sie spürte seine Lippen auf ihren und versuchte den Kuss zu erwidern, für ihn, aber selbst dazu fehlte ihr die Kraft. Nie hätte sie geglaubt sich einmal so schwach zu fühlen. Seine Lippen glitten weiter ihren Kiefer hinab zu ihrem Hals und schließlich zu ihrer Halsbeuge. Er hauchte flüchtige Küsse auf ihre Haut, doch sie spürte, was sich hinter seinen

Lippen verbarg. Er würde ihr Blut nehmen und so erfahren, was in den letzten Tagen geschehen war. Sie müsste es ihm nicht mehr sagen und darüber war sie froh. Sie würde nicht Sprechen müssen. Er würde wissen, wie sie in die Hütte gekommen waren, was mit Ai geschehen war, wie sie Zero... Überraschend löste sich Kaname wieder von ihr. Seine Augen waren gerötet und sie konnte das Verlangen darin erkennen. Warum hatte er es nicht getan?

„Du musst dich ausruhen.“, flüsterte er gegen ihr Haar und küsste sie sanft. Sie nickte kurz und ließ sich von ihm an die Hand nehmen und zum Bett führen. Sie setzte sich auf die Kante und beobachtete Kaname, wie er ihr die Schuhe abstreifte. Dann berührte er sie sacht an den Schultern und sie ließ sich in die Kissen sinken. Kaname breitete eine Decke über ihren Körper aus. Sogleich wurde ihr warm und die Schwere der Decke ließ sie behaglich und geborgen fühlen. Im nächsten Augenblick spürte sie Kaname neben sich, wie er sie abermals in die Arme schloss. Sie war sicher bei ihm, er würde sie verstehen, dachte sie bevor sie einschlief.

Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, war es fast dunkel ihm Zimmer. Dennoch dauerte es lange, ehe sie sich an das schwache Licht, das durch die zugezogenen Vorhänge fiel, gewöhnt hatte. Sie drehte den Kopf und sah in Kanames Augen. Er musterte sie aufmerksam.

Sie lächelte zögerlich und Kaname küsste sie sanft. „Wie fühlst du dich?“, fragte er sie.

„Müde.“, antwortete sie ohne nachzudenken. „Wie spät ist es?“

„Fünf Uhr abends. Du hast nur ein paar Stunden geschlafen.“

„So fühle ich mich auch.“, wisperte sie. Das Sprechen war ihr zu anstrengend.

Kaname schwieg darauf hin, beugte sich anschließend wieder über sie und legte seine Lippen direkt an ihren Hals. Gedanken an die vergangenen Tage durchzuckten sie, an das Geschehene, Gesehene und Getane. Wie würde er reagieren, wenn er erfuhr, dass sie Zero gebissen, sein Blut genommen hatte? Einen Moment wünschte sie, es vor ihm verbergen zu können. Es würde ihn verletzen. Das wollte sie vermeiden. Dennoch überfiel sie das Gefühl tiefer Befriedung, wenn sie daran dachte, wie sie ihre Zähne in Zeros Haut vergaben und sein Blut geschmeckt hatte. Hatte Kaname ihr nicht gelehrt sich für das was sie war, nicht zu schämen? Und ein Geheimnis vor ihm zu haben, würde ihn möglichweise noch mehr verletzen. Was war richtig? Was war falsch? Wieder einmal wusste sie keine Antwort auf diese Fragen.

„Was ist?“, fragte Kaname sie und erschrocken blickte Yuki ihn an. „Dein Körper hat sich vollkommen verkrampft.“, sagte er, als er ihren verwirrten Blick sah. „Hat er dir etwas angetan?!“, fragte er mit scharfer Stimme.

Sie brauchte einen Moment eh sie den Verdacht, in dieser Frage verstand. Kaname dachte, Zero hätte sie gegen ihren Willen gebissen.

„Nein.“, flüsterte sie und ihre Stimme bebte. Wie konnte er das glauben? Wie konnte er annehmen, dass Zero so etwas tun würde? Schon damals hat er dem Durst immer nur nachgegeben, wenn es nicht anders ging, wenn sie ihn dazu gedrängt hatte.

„Nein, er hat mir nichts angetan!“, wiederholte sie und dieses Mal war ihre Stimme fester. Sie richtet sie auf und erkannte Kanames erstaunten Gesichtsausdruck. „Er hat mir nie etwas angetan, verstehst du das nicht! Ich war es, die ihm wehgetan hat! Alle die Jahre, immer und immer wieder selbst... selbst jetzt... Ich habe seine Gefühle so oft verletzt und jetzt habe ich ihn auch noch...“, sie stockte, wusste nicht, ob sie es aussprechen konnte. „Weil ich nie gelernt habe es zu kontrollieren. Immer habe ich dem Durst nur nachgegeben und habe... habe ihn...“ Die Worte blieben ihr im Hals stecken. Sie würde sich das nie verzeihen können, selbst wenn Zero es irgendwie konnte.

Als sie Kaname erneut ansah gefror ihr das Blut in den Adern. Sein Blick war kalt und gefährlich. Sie musste es nicht aussprechen. Er wusste es ohnehin schon.

„Was willst du damit sagen?“, fragte er dennoch scharf. Instinktiv wich Yuki zurück. Seine Augen sprühten vor Zorn. Nur einen kurzen Moment war sie eingeschüchtert, dann spürte sie die Wut in sich. Sie wusste nicht, woher dieses Gefühl kam, aber es war da und es war sehr stark.

„Wie kannst du annehmen, dass Zero mir wehgetan hat? Ich habe ihm wehgetan! Weil ich nie gelernt habe meinen Durst zu kontrollieren habe ich Zero gebissen! Ich habe ihm das schlimmste angetan, was man ihm hätte antun können! Wie kannst du immer noch glauben, dass er das Monster ist? Ich bin es! Ich ganz allein!“, schrie sie ihn fast an und Tränen traten ihr in die Augen. Sie wollte schreien,

sie wollte weinen, sie wollte davon laufen und alle die unverzeihlichen Fehler auslöschen, die sie je begangen hatte.

Kälte erfüllte den Raum, als Kaname sie anstarrte. Ihr Atme ging hektisch. Sie wünschte, er würde etwas sagen. Aber diese Stille, dieses Abwarten, war schlimmer, als alles andere. Plötzlich stürzte er sich auf sie und drückte sie in die Kissen. Ihre Handgelenke hielt er mit einer Hand fest umklammert und in der nächsten Sekunde, versenkte er seine Zähne in ihr Fleisch. Großen, festen Nadeln gleich bohrten sie sich durch ihre Haut ohne Rücksicht. Dieser Akt hatte nichts Sanftes oder Verführerisches an sich, wie sie es von ihm kannte. Vielmehr lag drin unbändiger Zorn, Besitzanspruch und vielleicht auch Trauer.

Yukis Herz zog sich zusammen. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie Kaname verletzt hatte. Sie hatte ihn betrogen und Vorwürfe gemacht, für die er nichts konnte. Es war nicht seine Schuld, dass sie nie gelernt hatte stärker zu sein. Sie selbst hatte nie auch nur daran gedacht, geschweige denn die Notwendigkeit darin gesehen.

In ihrem Herzen wuchs tiefer Schmerz. Zwei Männer litten unter ihrer Schwäche, unter ihrem Egoismus. Zwei Männer, die sie liebte.

Yuki öffnete die Augen und starrte zur Decke. Wahrheit bildete sich an der Oberfläche ihrer Gedanken. Eine Wahrheit, die sie vielleicht zum ersten Mal zuließ.

Sie liebte sie beide.

Den einen genauso, wie den anderen.

Und sie wusste, dass Kaname all dies ebenso erkannt hatte, vielleicht schon lange vor ihr. Sein Biss schien noch fester zu werden, als wollte er sie gänzlich verschlingen.

Yuki wusste, wie sich das anfühlte.
 

Kaname blickte auf die Straße nach draußen. Wieder hatte der Schnee eingesetzt und verdecke die frischen Spuren der Schlitten auf den Straßen. Sein Blick folgte einen Punkt, der sich immer weiter vom Hotel entfernte, genauso wie sich auch die Person, die in dem Schlitten saß immer weiter von ihm entfernte. Nicht in der Länge eines Weges, sondern in der Stärke von Gefühlen gemessen.

Er hatte es bereits geahnt, bevor er etwas von ihrem Blut getrunken hatte. Er hatte die Veränderungen an ihr und in ihr deutlich wahrgenommen. Immer hatte er mit den Gedanken gelebt, dass sie es irgendwann bemerken würde, dass sie sich ihrer Gefühle bewusst wurde und nun war es geschehen.

Immer hatte er gewusst, dass Yuki diesen Mann liebte. Wie stark diese Liebe war wusste er nicht, vielleicht wusste sie es nicht einmal selbst, aber sie war da. Nachdem dieses Gefühl so lange geschlafen hatte, hatte sie es erkannt. Deswegen hatte er nie gewollt, dass sie an ihn dachte, von ihm sprach oder sie sich wiedersahen. Obwohl er schon so vieles erlebt und gesehen hatte, in seinem furchtbar langen Leben, war die Angst Yuki zu verlieren so heftig, wie keine andere zuvor. Es war egoistisch von ihm, aber konnte sich dem nicht entziehen. Er wollte diese Frau so sehr.

Doch in wenigen Tagen hatte sie sich so sehr verändert, dass er sie kaum wiedererkannte. Aber so sehr ihn diese Veränderungen schmerzten, umso mehr liebte er sie an ihr. Sie machten sie noch stärker und ja, noch begehrenswerter. Sie war lange kein Kind mehr, was ihn brauchte. Sie war alt genug ihren eigenen Weg zu finden, er hatte sie nur dahin geführt. Sie war bereit dazu unabhängig zu sein und stark und das war alles, was er sich je für sie gewünscht hatte und doch fürchtete. Sie brauchte ihn nicht mehr, als Begleiter, als Beschützer und Ratgeber.

Für wen würde sich ihr Herz entscheiden? Dies lag nicht mehr in seiner Hand.

Möglichweise war dies aber auch der Zeitpunkt seine eigenen Ziele wieder zu verfolgen. Ziele, die er schon lange vor sich sah, sich aber der Illusion eines friedlichen Lebens hingegeben hatte. Vielleicht war er ein Narr gewesen. Dennoch war es schön. Aber alles Schöne musste enden, sollte sich doch etwas verändern.
 

Zaghaft berührte Yuki die Türklinke. Was genau sie hier schon wieder wollte, wusste sie nicht einmal genau. Nachdem sie sich gebadet hatte, hatte sie lange mit Kaname gesprochen. Sie hatte ihn in

Ruhe berichtet, was vorgefallen war, wie sie in der Hütte überlebt hatten und wie Ai krank geworden war. Sie hatte ihm auch erzählt, wie sehr sie versucht hatte gegen ihren Durst anzukämpfen und gescheitert war. Sie hatte von ihrer Flucht berichtet bis zu dem Moment als sie sich vor der Hütte wiedersahen. Kaname hatte sie nicht unterbrochen, er hatte ihr keine Fragen gestellt, sondern nur schweigend zugehört. Sein Gesicht eine versteinerte Maske. Er hatte vieles davon schon durch ihr Blut gewusst.

Nachdem beide lange geschwiegen hatten, hatte sie ihm gesagt, sie würde noch einmal zu Zero gehen und ihn um Bluttabletten bitten. Sie hatte ihn nicht um Erlaubnis gefragt und er hatte sie nicht gebetet sein Blut zu trinken. Dabei war die Versuchung groß und Yuki wusste, dass es das war, was Kaname gewollt hätte. Doch sie konnte nicht. Ihr Entschluss war noch immer fest und unumstößlich und dafür durfte sie nicht Schwach werden.

Dabei war sie nicht sicher, ob sie es wirklich schaffen würde. Kaname hatte viel von ihr genommen und die Bluttabletten würden wahrscheinlich nicht reichen, um dem Wesen in ihr Einhalt zu gebieten. Doch sie musste es wenigstens versuchen. So leicht wollte sie nicht nachgeben. Sie wollte Zero zeigen, dass sie es konnte. Dass sie nicht schwach war oder verwöhnt, dass sie anders kein konnte. Immer hatten Kaname und ihr Vater Rücksicht auf sie genommen, auch Zero hatte das getan, aber es hat ihn nie davon abgehalten, ihr die Wahrheit zu sagen. Damals empfand sie es als nervend und sogar verletzend, doch heute war sie dankbar dafür. Die Wahrheit war wichtig, ganz gleich wie sie auch aussehen mochte. Wenn dies hier vorbei war, wenn sie zurück waren, würden sie Kaname nach der ganzen Wahrheit fragen.

Sie öffnete die Tür des Gasthauses und trat ein. Auch an diesem Abend waren keine Gäste da und es überraschte sie umso mehr, dass die Tür offen gestanden hatte. Ihr Herz schlug laut, als sie die Gaststube betrat. Es war bereits halb neun abends und in der Küche sah sie ein Licht brennen. Sie spürte, dass es nicht Zero war, aber sie wollte sich wenigstens bei Herr Sayuka anmelden, wenn sie schon ohne zu fragen eintrat. Vielleicht würde er ihr auch gleich sagen können, wie es Ai ging und ob Zero wirklich etwas geschlafen hatte.

Leist klopfte sie an und Herr Sayuka drehte sich zu ihr um.

„Oh, du bist es. Schon ausgeschlafen?“, fragte er sie und klang recht vergnügt. Yuki war sofort erleichtert. Er würde nicht so reagieren, wenn etwas anderes geschehen wäre.

„Noch nicht ganz, aber ich wollte gern wissen, wie es Ai geht und ob Zero geschlafen hat.“, sagte sie ehrlich. Herr Sayuka trocknete gerade Geschirr ab und stapelte es auf dem großen metallenen Tisch in der Mitte der Küche.

„Das Fieber ist noch ein wenig mehr gesunken. Das letzte Mal, war es bei fast 37 Grad. Es ist wirklich ein Wunder und ja, Zero hat geschlafen. Zumindest hat er das behauptet, als er vor fast zwei Stunden zum Essen hier war. Ich habe ihm gesagt, er solle sich noch mal hinlegen und er hat auch genickt. Das Ganze hat ihn ganz schön mitgenommen. Aber nur deswegen hättest du doch nicht extra kommen müssen. Im Hotel hätten sie dir sicher unsere Telefonnummer gegeben oder dich gleich verbunden.“

„Ähm... ja...“, sie räusperte sie, verlegen um eine Antwort. „Ich wollte...“

Herr Sayuka lächelte sie scheinbar wissend an, doch sie sagte hastig: „Ich habe etwas vergessen, dass ich dringend brauche. Ist es in Ordnung, wenn ich es mir schnell hole?“ Doch Herr Sayukas Lächeln wurde nur noch breiter. „Natürlich. Ich schließe jetzt aber schon ab. Der Schlüssel liegt dann hinter dem Tresen.“ Dann zwinkerte er ihr seltsamerweise zu, bevor er sich wieder seinem Geschirr widmete. Mit hochrotem Kopf verließ Yuki die Küche. Was dachte dieser Mann?, fragte sie sich verlegen. Doch gleichzeitig, wurde ihr bei dem Gedanken auch irgendwie schwindlig. Noch mehr, als sie daran dachte, Zero gleich wieder gegenüber zu treten. Dabei hatte sich doch nichts verändert. Dass sie ihn liebte hatte sie immer gespürt, immer gewusst, nur das diese Lieber tiefer ging, als sie bisher hatte wahrhaben wollen, war ein befremdliches Gefühl, welches ihr Angst machte. Wie sollte sie sich ihm gegenüber verhalten?

Aber vielleicht war es auch unnötig, dass sie sich darüber Gedanken machte. Eventuell würde Zero schlafen und war noch so erschöpft, dass er ihre Anwesenheit kaum wahrnahm. Sie würde sich die Bluttabletten holen, ihm eine Nachricht hinterlassen und wieder gehen.

Sie stieg die Treppen zügig nach oben, öffnete aber leise die Tür zu seiner Wohnung. Der Flur lag dunkel da und kein Laut dran an ihre Ohren. Sie entschloss sich das Licht auszulassen. Erst in diesem

Moment kam ihr in den Sinn, welch absurde Idee es gewesen war, jetzt noch hierher zu kommen. Wieder hatte sie nur daran gedacht, wie dringend sie die Tabletten brauchte und nicht wie sehr ihr Besuch die Bewohner dieses Hause wohl stören könnte. Sie hätte sich ohrfeigen können.

Doch nun war es zu spät. Yuki schlich in die Küche und nahm die Schachtel aus dem Schrank. Daraus entnahm sie ein Glas mit dem Bluttablette und nach nur kurzem zögern, entschied sie sich gleich welche zu nehmen. Sie wollte kein Risiko eingehen. So leise wie möglich ließ sie langsam Wasser in ein Glas laufen und löste dann ein paar Tabletten darin auf. Sie schwenkte das Glas ein wenig, damit es schneller ging und kaum dass auch die letzte Tablette sich aufgelöst hatte, trankt sie es ein einem Zug aus. Einen Moment blieb sie regungslos stehen und spürte, wie sie ihr Körper beruhigte. Sie war zwar nicht sicher, ob die Wirkung von den Tabletten selbst kam oder nur von dem Wissen, dass sie erst einmal welche genommen hatte, doch sie entschied, dass das nicht so wichtig war. Dann sah sie sich nach etwas zu schreiben um. Es war so still in der Wohnung, dass sie sich vorkam, wie ein gemeiner Eindringling. Im Grund war sie das auch, aber sie hoffte, dass Zero Verständnis dafür haben würde.

In der Küche fand sie nichts und so gab sie schließlich auf. Sie wollte nicht noch weiter suchen und vielleicht unnötig Lärm machen. Sie verließ die Küche wieder und blieb im Flur stehen. Einen kurzen Blick würde sie noch auf Ai werfen und dann gehen, sagte sie sich selbst. Eigentlich drängte es sie auch nach Zero zu sehen, aber das wollte sie auf keinen Fall. Es erschien ihr im Moment schon so seltsam genug, dass er sie noch nicht zu Rede gestellt hatte. Er musste wirklich sehr erschöpft sein, dachte sie, während sie Ais Zimmertür aufschob. Doch als sie sah, dass Ais Bett leer war, blieb sie vor Entsetzten stehen.

Die Decke lag achtlos auf dem Boden, sonst aber schien alles so, wie sie es am Morgen verlassen hatte. Ein dumpfes Gefühl machte sich in ihr breit und ihr erster Gedanke war, dass Ai schon wieder davon gelaufen war, kaum dass es ihr besser ging.

Sofort drehte sie sich um und öffnete Zeros Schlafzimmertür. Sie musste ihn wecken und nach ihr suchen! In den Wald konnte sie nicht gelaufen sein, aber die Stadt war groß und Ai kannte sich aus! Was machte dieses Kind!?

All diese Gedanken gingen ihr in den wenigen Sekunden durch den Kopf, die sie brauchte um seine Tür zu öffnen, doch kaum hatte sie dies getan, erstarrte sie abermals. Es lagen zwei Personen im Bett.

Ungläubig betrachtete sie die Szenerie und konnte nicht glauben, was sie sah. Dabei hätte sie gleich darauf kommen können, schalte sie sich selbst.

Sie sah Ais Körper in einer Decke gewickelt und nur der Hinterkopf schaute heraus. Ihr blondes Haar schien über das Kissen zu fließen. Zero lag links neben ihr und hatte schützend einen Arm um sie gelegt.

Beide schliefen sie friedlich.

Erleichterung durchströmte Yuki und sie musste sich an der Türklinke festhalten, damit ihre Knie nicht nachgaben. Schwer atmete sie aus. Wie konnten sie ihr so einen Schreck einjagen?, schimpfte sie beide in Gedanken, lächelte aber gleichzeitig. Als sie sich wieder gefangen hatte, ging sie nur wenige Schritte in den Raum hinein, obwohl sie wusste, dass es besser wäre zu gehen. Sie blieb auf der rechten Seite des Bettes stehen. Immer noch lächelte sie und wunderte sich einen Moment selbst, warum sie nicht aufhören konnte. Vielleicht weil, das Bild so friedlich war, dachte sie. Es war ein kostbarer Moment, denn noch nie hatte sie Zero so gesehen. Als wäre er im Traum von all den Sorgen, die in der Wirklichkeit auf ihn warteten, befreit. Vielleicht war das auch so. Yuki wünschte es ihm.

Sie streckte einen Arm aus und beugte sich ein wenig über Ai. Kurz strich sie ihr über das Gesicht des Mädchens und stellte beruhig fest, dass ihre Temperatur wirklich wieder normal schien. Noch einmal atmete sie erleichtert aus. Jetzt würde wirklich alles gut werden.

Vorsichtig nahm sie Zeros Decke in die Hand und wollte sie ihm ein wenig weiter über die Schultern ziehen. Eigentlich war es unnötig, das wusste sie, aber sie wollte etwas für ihn tun. Selbst wenn es nur etwas so lächerlich Kleines war.

Doch kaum hatte sie die Decke berührt schlug er die Augen auf und sah sie an. Yuki erschrak und ihr Atem setzte aus, so durchdringend war sein Blick.

„Tut – tut mir leid.“, begann sie unbeholfen zu stottern und wollte ihre Hand zurückziehen, als er sie plötzlich festhielt. Seine Berührung schien einen Stromschlag durch ihren Körper zu senden und sie schnappte unwillkürlich nach Luft. Mit einer einzigen Bewegung zog Zero sie zu sich und Yuki schaffte es gerade noch sich mit den Händen abzufangen, um nicht ausversehen auf Ai zu fallen. Diese schlief so tief und fest, dass sie von alle dem nichts mitbekam.

Verwirrt sah Yuki Zero an und versuchte in seinem Blick zu lesen, was er ihr sagen wollte. Sie wünschte, er würde etwas sagen. Gleichzeitig wusste sie auch, dass jedes weitere Wort diesen Augenblick zerreißen würde.

Seine Hand ließ von ihrer ab und berührte die Stelle an ihrem Hals, die Kaname vor wenigen Stunden gebissen hatte. Als könnte er es sehen, dachte sie, dabei wusste sie, dass es unmöglich war. In seinen Augen erkannte sie Erschöpfung aber auch Traurigkeit. Erst jetzt schien sie es zu wirklich zu sehen. Diese Gefühle rührten nicht nur von den vergangenen Tagen her. Nein, wurde ihr klar. Sie waren älter, tiefsitzender und für immer in seine Seele eingebrannt, realisierte sie mit Erschrecken.

Und sie erkannte er auch, worum er sie stumm bat.

Langsam ließ sie sich neben Ai sinken, bettete ihren Kopf auf das Kissen und blickte Zero noch immer über den Körper des Kindes hinweg an. Dieser hielt ihrem Blick einen Moment stand und schloss dann die Augen. Sein Arm war noch immer um Ai gelegt und seine Finger suchten nur kurz Yukis, bis er sie fand. Sie berührten sich kaum und doch nahm Yuki diese Berührung stärker war, als alles andere in diesem Zimmer. Sogar mehr, als Ai, die zwischen ihnen lag.

„Danke.“, hörte sie ihn schließlich flüstern, kaum dass sich seine Lippen bewegten und einen kurzen Moment später: „Für alles.“

Dann schien sich sein Körper zu entspannen und er schlief ein.

Yuki lauschte den gleichmäßigen und ruhigen Atemzügen von Ai neben ihr. Doch ihr eigener Herzschlag, der nervös in ihrer Brust hämmerte war lauter und kündete von einer Entscheidung, die sie bald treffen musste.

Gespräche

Dieses Kapitel dient eigentlich nur dem Zweck, um das Ende einzuläuten.^^ Aus diesem Grund ist es auch recht unspektakulär geworden. Ich habe versucht es mit ein wenig Witz aufzulockern, hoffe gleichzeitig, dass ich es nicht zu sehr übertrieben habe. Aber ich glaube nach dem letzten Kapitel, kann das nicht schaden.
 

Ich wünsche euch trotzdem viel Spaß.
 

PS: Ich weiß, dass mehr Fehler als sonst drin sein werden, bitte sagt mir, wenn ich was Gravierendes findet. Ich konnte einfach nicht mehr. ;_;

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Gespräche
 

Zero rieb sich die Augen und versuchte den Schlaf zu vertreiben, der fest darin saß. So recht wollte es ihm aber nicht gelingen. Er wusste, dass er die ganze Nacht durchgeschlafen hatte, so tief und fest wie schon lange nicht mehr. Trotzdem fühlte er sich keineswegs ausgeruht. Er drehte den Kopf ein wenig und sah Ai neben sich und hinter ihr Yuki. Beide schliefen noch fest. Was hatte ihn gestern Abend nur dazu gebracht sie in das Bett zu ziehen?, fragte er sich schlaftrunken. Er hätte es nicht tun dürfen und doch hatte es sich gut und richtig angefühlt. Sie ganz in seiner Nähe zu wissen, sie zu berühren hatte ihn irgendwie... Zero konnte es nicht beschreiben. Es hat sich einfach gut angefühlt. Er würde es gern noch einmal erleben, erlaubte er sich den Gedanken. Natürlich wusste er, dass ihm dies nicht erlaubt war. Deswegen wollte er am liebsten sofort weiter schlafen und noch ein wenig länger die Ruhe und den Frieden genießen

Unweigerlich schob sich Jinmus Gesicht in seine Gedanken und er stöhnte kurz auf. Er würde ihm auf keinen Fall einen weiteren Tag Aufschub gewähren. Es hatte Zero sowieso schon überrascht, dass sie nicht gestern schon vor seiner Tür gestanden hatten. Sicher hatten sie von Ais Genesung erfahren.

Ein letztes Mal rieb sich Zero über die Augen, dann erhob er sich langsam aus dem Bett. Noch nie war es ihm so schwer gefallen aufzustehen. Doch kaum hatte er sich aufgesetzt, zögerte er nicht mehr. Leise ging er zum Kleiderschrank und nahm sich ein paar frische Sache heraus. Ebenso leise verließ er das Schlafzimmer, ohne Yuki und Ai dabei zu wecken.

Bevor er ins Badezimmer ging, betrat er die Küche. Dort standen die Bluttabletten auf dem Schrank. Obwohl er den Anblick kannte und an die Einnahme gewöhnt war, gab es immer noch Tage an denen er sich vor ihnen ekelte. So wie an diesem Morgen. Aber es war notwendig.

Er öffnete das Glas und ließ ein paar Tabletten in seine Hand fallen. Yuki so nah zu sein und die Erschöpfung seines Körpers brachte ihn an seine Grenzen. Ohne Wasser schluckte er sie herunter. Anschließend ging er ins Bad.

Dort entledigte sich seiner Kleidung, die er in den Wäschekorb stopfte und stellte sich dann unter die Dusche. Er drehte den Wasserhahn auf heiß und zuckte kurz zusammen, als das Wasser schließlich auf seinen Rücken traf. Dennoch wiederstand er dem natürlichem Drang es wieder herunter zu drehen. Der Duschstrahl massierte seine Schultern und Zero konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Er stand eine ganze Weile reglos da, bis es ihm die Luft zu feucht und warm wurde. Dann dreht er den Hahn ein wenig nach rechts, so dass es in der Mitte zwischen dem roten und blauen Strich stand. Dann hob er den Kopf, fuhr sich durch die Haare und seifte sich ein.
 

Die Gaststube war noch ruhig, nur aus der Küche hörte er gedämpfte Geräusche. Kurz warf Zero einen Blick auf die Uhr, die auf dem Tresen stand. Kurz nach um acht. Jinmu würde ihm hoffentlich noch eine Stunde Ruhe gönnen, bevor er mit seinem Verhör begann. Er wollte wenigstens in Ruhe frühstücken. In der Küche war bereits Herr Sayuka, der über seinen Herd gebeugt stand und etwas in der Pfand hin und her schob. Es roch nach Rührei und Speck. Zero wusste nicht so recht, ob ihm davon schlecht werden sollte oder ob er Appetit darauf hatte.

„Morgen.“, begrüßte Herr Sayuka ihn gut gelaunt. Ihm sah man die Sorgen der vergangenen Tage überhaupt nicht an, dachte Zero.

„Morgen.“, murmelte er zurück. „Warum schlafen sie nicht mehr?“

„Ach, in meinem Alter kann man nicht mehr so lange liegen, das habe ich dir doch oft genug erzählt. Der Rücken will einfach nicht mehr.“, sagte er schmunzelnd. Gleichzeitig nahm er zwei Teller aus dem großen Regal und häufte das Rührei und den gebratenen Speck gleichmäßig darauf. Aus dem Besteckkasten nahm er zwei Gabeln. Dann nahm er Teller und Besteck mit in die Gaststube. Dort stellte er es auf einen Tisch und Zero setzte sich neben ihn. Herr Sayuka gab ihm eine Gabel in die Hand uns Zero sah skeptisch auf den Teller vor ihn. „Du musst etwas essen, du wirst deine Kraft noch brauchen, so wie ich das mitbekommen habe.“, sagte Herr Sayuka und gestikulierte dabei mit seiner eigenen Gabel vor Zeros Teller.

Ohne zu wiedersprechen begann Zero zu Essen und offenbar spürte Herr Sayuka, dass er nicht in Stimmung für eine Unterhaltung war. Er redete nicht weiter auf ihn ein. Sie aßen schweigend und zu Zeros eigener Überraschung aß er auch auf. So etwas Exotisches gab es nur höchst selten bei Herr Sayuka und noch seltener zum Frühstück. Dennoch schmeckte es ihm.

Als Zero geendet hatte, konnte er mit der Frage, die ihn schon länger beschäftigte, nicht mehr an sich halten:„Warum tun sie das alles?“

Herr Sayuka sah ihn fragend an. Zero atmete tief ein und holte etwas weiter aus: „Warum dürfen wir immer noch bei ihnen bleiben? Warum haben sie uns nicht schon längst weggeschickt? Gut Ai war krank, aber sie wissen doch inzwischen was mir vorgeworfen wird und... Warum dulden sie mich immer noch? Warum setzten sie mir ein Frühstück vor? Warum stellen sie nicht einmal Fragen?“, sprudelte es aus ihm heraus. „Ich habe sie die ganzen Jahre angelogen.“

Herr Sayuka nahm einen letzten Bissen von seinem Rührei und legte dann die Gabel neben seinen Teller. „Das hast du keineswegs, mich belogen meine ich. Du hast mir nur nicht erzählt, was in deiner Vergangenheit geschehen ist und ich habe dich nicht danach gefragt. Also gibt es keinen Grund dir Vorwürfe zu machen oder an deiner Ehrlichkeit zu zweifeln. Ich habe dir ja auch nicht von meiner Vergangenheit erzählt.

„Und genau das macht es doch aus. Es ist vergangen, vorbei, unwiederbringlich. Ganz egal, wie sehr wir es uns auch wünschen. Alles was wir tun können, ist es zu akzeptieren und hoffen, dass wir in der Zukunft weiser sind und aus den Fehlern gelernt haben. Es bringt nichts sich weiter damit zu quälen, sich Dinge vorzustellen, die doch nie sein werden.“

„Aber...“, wollte Zero anfangen zu wiedersprechen, doch Herr Sauce ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Ich weiß man wirft dir vor jemanden getötet zu haben und ich weiß, dass es besser für mich ist nicht nach den genaueren Umständen zu fragen und das will ich auch gar nicht. Aber ich habe dich in den letzen fünf Jahren kennenlernt. Ich muss deine Vergangenheit nicht kennen, um dich beurteilen zu können. Ich weiß auch so, wer du bist.“

„Ach ja?“, fragte Zero herausfordernd. Woher nahm dieser Mann seinen unerschütterlichen Glauben?

„Ja und das werde ich dir auch genau sagen. Du bist ein Mann, der in seinem Leben schon viele Dinge gesehen hat, mehr schreckliche und traurige, als er in dem Alter gesehen haben sollte. Das kann man in deinen Augen lesen. Und auch wenn es Wunden in deinem Inneren hinterlassen hat, so hat es dich doch niemals zerstört. Vielleicht hat es dein wahres Ich für eine kurze Zeit begraben, doch unser wahres Ich ist zu stark, als dass man es für immer verlieren könnte.

„Zero, du warst schon immer ein guter Mensch, fürsorglich, aufrichtig, gerecht, sanftmütig und vor allem immer mehr um das Wohl anderer bedacht, als um dein eigenes. Das alles habe ich in den fünf Jahre über dich erfahren, die du hier bist und ohne, dass du es mir sagen musstest. Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der du rücksichtslos warst oder egoistisch, aber auch das gehört zum Leben dazu.

„Ich will nicht sagen, dass jeder Mensch von Natur aus gut ist, aber du bist es. Du machst dir viel zu viele Gedanken darüber, welche Konsequenzen dein Handeln hat. So etwas kann man nicht lernen, das ist angeboren. Damit kann es also auch nicht verschwinden. Egal welche Steine man uns im Leben in den Weg legt, es kommt nur darauf an sie zu überwinden. Du hast aus diesen Steinen eine Brücke gebaut, die dir das Leben hier in unserer Stadt ermöglichte, als vollwertiges Mitglied noch dazu. Jeder respektiert dich und schätz dich.“

Wieder wollte Zero den Mund öffnen um zu wiedersprechen, dass es nur von Ai kam, doch wieder war Herr Sayuka schneller. „Und das liegt nicht nur an Ai. Natürlich ist sie ein Goldstück und man kann sich ihrem Charme nicht entziehen und es ist eindeutig, dass sie zu deiner Veränderung beigetragen hat. Dennoch hat sie keinen neuen Menschen aus dir gemacht. Sie hat nur das hervorgebracht, was schon lange da war. Du hast es bisher nur nicht gemerkt, weil du zu sehr an deiner Vergangenheit gehangen hast. Du wolltest sie nicht loslassen, weil sie dich beschützte, dich definierte. Denn was wärest du ohne sie?“, fragte er provokativ und sah ihm fest in die Augen.

Zero schloss die Augen und schüttelten den Kopf. „Sie haben ja keine Ahnung.“, flüsterte er leise.

„Ach nein? Du vergisst, dass auch ich mal jung war und dass auch ich schon viel gesehen habe. Nach Kiras Tod wollte ich dieser Stadt für immer den Rücken kehren, aber es hätte mir meinen Sohn nicht zurückgebracht. Ich gab mir selbst die Schuld, aber auch das brachte ihn mir nicht zurück. Nichts wird das je tun. Er ist tot und so hart es klingt, ein Teil meiner Vergangenheit. Das ist die einzige Art es zu sehen, ohne daran zu Grunde zu gehen. Ich trage noch Verantwortung meiner Frau und Sasuke gegenüber. Sie machen mich jeden Tag aufs Neue glücklich. Alles was ich tun kann, ist mich ständig daran zu erinnern.“

Zero sah stumm nach unten. War es wirklich so einfach? Konnte er die Vergangenheit einfach so abschließen? Nein, dafür musste er sich seiner Vergangenheit erst einmal stellen. Denn das war es, was in erwarten würde, wenn Jinmu schon bald vor ihm sitzen würde. Er würde alles erzählen müssen. Er wusste nicht ob er dazu bereit war.

„Allerdings muss ich auch gestehen, dass es nicht jedem gelingt so zu denken. Sasuke konnte es nie.“, fügte Herr Sayuka an und seine Stimme klang traurig. „Seine Trauer fraß Sasuke fast auf und er wurde aggressiv und gewalttätig. Er konnte nicht damit abschließen. Wie auch? Meine Frau und ich hatte einander und Sasuke, er hingegen hatte nicht nur seinen Bruder verloren, sondern auch seinen besten Freund und Vertrauten. Er hat uns damals um Erlaubnis gefragt, ob er gehen dürfte, weißt du.

„Er wusste, wie sehr es uns schmerzte ihn auch noch zu verlieren, deswegen hat er gefragt, aber er war unglücklich. Wir hatten gar keine andere Wahl als ihn gehen zu lassen. Nur einer hätte ihm in dieser Zeit helfen können und Kira war nicht mehr da.“

Herr Sayuka schüttelte den Kopf. „Entschuldige. Ich verliere mich in Erinnerungen. Ich hoffe aber du verstehst, was ich dir damit sagen will. Es ist wichtig die Vergangenheit zu akzeptieren, aber man braucht trotzdem jemanden der einem zu Seite steht. Und ich glaube du hast so eine Person an deiner Seite.“

Nun schüttelte Zero den Kopf. „Ich kann Ai unmöglich sagen, was ich getan habe. Nicht jetzt.“, sagte er mehr zu sich selber, als zu Herr Sayuka.

„Ich meinte auch nicht unbedingt Ai.“, erwiderte dieser sanft.

Zero sah ihn kurz an. „Noch viel unmöglicher.“, flüsterte er leise.

„Sie möchte dir helfen, das sieht man deutlich und ihr ist sehr viel an dir gelegen. Ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber sie kann dir ein wertvoller Freund sein und davon kann man nie genug haben.“

Zero erwiderte nichts mehr. Wenn es nur so einfach wäre, dachte er. Herr Sayuka stand auf und brachte Teller und Besteck in die Küche zurück. Doch bevor er ganz in dem Raum verschwand sagte er noch: „Es ist wie bei einem Pflaster. Der erste Schritt ist der schwerste, aber wenn es einmal ab ist, fühlt man sich befreit.“

Wieder antwortete Zero nicht. Er konnte darauf nichts erwidern. Nicht ohne Erklärungen geben zu müssen, zu denen er noch nicht bereit war. „Lassen sie mich aufräumen. Sie haben schon genug getan.“, sagte er zu dem Gastwirt und nahm ihm schon die Teller aus der Hand.

„Nein, das ist-“

„Lassen sie mich das machen, ich kann ein bisschen Ablenkung brauchen.“, gab Zero ehrlich zu und widerstandslos ging Herr Sayuka zur Treppe. „Lasst euch so viel Zeit wie ihr braucht. Ich kümmere mich nachher um ein Mittagessen.“

„Nicht nötigt.“, erwiderte Zero, doch Herr Sayuka hob nur die Hände. „Ich kann dich nicht hören.“, sagte er, während er bereits nach oben ging. Zero atmete seufzend aus. Manchmal wurde ihm diese Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit auch zu viel. Besonders, wenn er der Meinung war, dass sie nicht angebracht war.
 

Zero war gerade mit dem Geschirr fertig geworden, als er ihre Präsenz spürte.

Langsam ging er in den Gastraum und öffnete die Tür. Sie waren noch ein paar Schritte entfernt: Kaname, Aidou, Kain, Ichijo, Jinmu, Kaito und zwei weitere Hunter, die er nicht kannte. Es waren nicht alle. Ein paar waren wohl im Hotel geblieben oder holten in der Stadt weitere Erkundigungen über ihn ein. Aber es genügte ihm schon. Acht Leute, dachte er. Offenbar glaubten sie immer noch, er würde sie angreifen. Wie von selbst glitt seine Hand zu seiner Jacke und wollte die Bloody Rose berühren, als Sicherheit. Erst da fiel ihm ein, dass er sie schon seit ein paar Tagen nicht mehr bei sich trug. Er hatte sie nicht einmal vermisst, so sehr waren seine Gedanken mit Ai beschäftigt gewesen.

Zero ließ die Tür offen und nahm bereits an einem Tisch in der Mitte Platz. Sie würden ihren Weg auch so finden.

Noch einmal riebe er sich über den Nacken und atmete tief durch. Es würde ein langer Vormittag werden, dachte er. Vielleicht hatte Herr Sayuka auch recht. Vielleicht war es das zweite Mal leichter von seiner Vergangenheit, seinen Taten zu erzählen. Seine größte Sünde hatte er Yuki bereits erzählt. Er wusste nun, wie sich die Worte in seinem Mund anfühlen würden und er wollte glauben, dass sie nicht mehr ganz so bitter schmeckten.

Kaname trat als erster ein. „Wo ist sie?“, fragte er sofort und mit schneidender Stimme. Zero atmete scharf aus. Er wollte sich nicht reizen lassen.

„Sie schläft noch.“, antwortet Zero und wollte es dabei belassen. Doch als er den Gedanken hatte, Kaname könnte verlangen zu ihr gebracht zu werden, fügte er an: „Sie ist an Ais Bett eingeschlafen und ich wollte sie nicht wecken.“ Wo Yuki wirklich eingeschlafen war, musste dieses Reinblut nicht wissen. In seinem Inneren jedoch breitet sich das Gefühl eines kleinen Triumphes aus.

Nach Kaname traten Jinmu, Kain und die anderen ein. Aidou schloss die Tür und alle setzten sich um den großen Tisch. Jinmu saß rechts neben ihm und auf der anderen Seite Kaito, dann folgte die anderen beiden Hunter, deren Name Zero immer noch nicht kannte, und anschließend die Vampire, wobei Kaname ihm am Kopfende gegenüber saß.

„Zero, das hier sind Anaki und Christian. Sie sind beide vollwerte Mitglieder unserer Gesellschaft und werden dich und deine Geschichte objektiv beurteilen können.“

„Aber sie haben von mir gehört.“, konnte sich Zero nicht verkneifen.

„Natürlich.“, antwortete Jinmu ruhig. Zero blickte Kaname direkt in die Augen und spürte die Wut in sich auflodern. Er erinnerte sich an Herr Sayukas Rat, aber er konnte ihn nicht so einfach befolgen und die Vergangenheit ruhen lassen. Dafür hasste er diesen Mann zu sehr.

„Wenn du jetzt anfangen würdest, Zero.“, sagte Jinmu und die Aufforderung war deutlich. Von Kaname wanderte Zeros Blick zu den Gesichtern der anderen Männer. Kaito sah nicht feindselig aus, aber auch nicht sonderlich interessiert. Zero konnte sich denken, was eigentlich in seinem Kopf vorging. Jinmu sah ihn abwartend an, als hätte er noch nicht entschieden, was er über ihn denken oder urteilen sollte. Anaki und Christian teilten diese Einstellung offenbar. Ihre Gesichter waren offen und abwartend. Aidou sah auf die Tischplatte, als wäre es ihm ganz und gar unangenehm hier zu sein und das konnte ihm Zero nicht einmal verübeln. Es ging ihm ja nicht viel anders. Kain und Ichijo hingegen waren ganz gefasst und ihre Blicke aufmerksam und aufnahmebereit. Schließlich blickte er wieder zu Kaname. Dieser sah ihn kalt und abweisend an. Zero konnte in seinem Gesicht lesen, dass seine Entscheidung schon lange feststand.

„Wo soll ich anfangen?“, fragte Zero schließlich. „Es ist sind immerhin 20 Jahre.“

„Was geschah nachdem Yagari dich unter Arrest gestellt und in den Kerker gesperrt hatte?“, erwiderte Jinmu. Zero presst die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Musste er wirklich damit beginnen? Wusste sie es denn nicht schon? Noch einmal sah Zero zu Jinmu, einen Mann den er schon sein ganzes Leben lang kannte und der auch Ichiru gekannt hatte und er sah Verständnis in seinen Augen. Zero nickte kurz. Dann begann er zu erzählen, ohne darüber nachzudenke, ohne zu überlegen, welche Worte er wählen sollte. Es hätte ihn nur unsicher werden lassen, zögernd. Und dann hätte er nicht weiter erzählen können, diesen einen schrecklichen Tag nicht noch einmal durchleben können.

Zero erzählte ohne Pause. Er stockte nicht einmal dann, als er davon erzählte, wie sein Bruder in seinen Armen gestorben ist. Es war vorbei, hörte er Herr Sayukas Stimme in seinem Kopf, Vergangenheit. Nichts würde Ichiru zurückbringen. Er musste lernen, damit zu leben. Er musste lernen, dass die Erinnerung genug war. Genug sein musste.
 

Sie hörten ihm still zu und unterbrachen ihn auch nicht ein einziges Mal. Erst in jenen Moment, in dem er davon berichtete, wie er den ersten Level E grausam verschlungen hatte, hörte er einzelne von ihnen nach Luft schnappen. Er wusste nicht, wer es gewesen war und es interessierte ihn auch nicht. Er ahnte aber, was sie von ihm dachten. Aber auch an dieser Stelle ließen sie ihn erzählen.

Als er geendet hatte beherrschte Schweigen den Raum. Kaito stand schließlich auf und lief im Raum auf und ab. Offenbar hatte es selbst ihm die Sprache verschlagen und Zero wusste, dass es eine Menge bedeutete. Ebenso wie bei Aidou.

Jedoch konnte Zero die Anspannung nicht mehr aushalten. Niemand sprach etwas und so stand er auf und kochte eine Kanne Tee. Es lag ihm fern, die anderen zu bewirten aber er brauchte Beschäftigung, um nicht zu viel über das Gesagte nachzudenken. Außerdem war seine Kehle vom langen Reden ganz ausgetrocknet.

Als er zurückkam und die Tassen und Kanne in die Mitte des Tisches stellte und sich anschließend wieder setzt, hatten sie wieder zu sich selbst gefunden und begannen mit ihren Fragen. Die häufigsten begannen mit einem „Warum...“.
 

Ähnlich ihrem Papa rieb auch Ai sich als erstes die Augen, als sie erwachte. Das Erste, was sie sah, war das Weiß vor den Fenstern. Hatte der Winter schon begonnen?, dachte sie träge und gähnte noch einmal herzhaft. Dann schloss sie wieder die Augen. Wo war ihr Papa und warum lag sie in seinem Bett?, fragte sie sich dumpf, während sie die Decke noch ein wenig mehr über ihre Schultern zog. Doch schon in der nächsten Sekunde stürzte alles auf sie ein, wie ein riesiges Kartenhaus: Ihre Flucht, die Lawine im Wald, die Hütte. Sie hatte sich krank gefühlt. Danach erinnerte sie sich an nicht mehr viel. Erst gestern – war es wirklich gestern? – war sie wieder erwacht. Es musste wirklich schlimm gewesen sein, dachte sie, wenn sie an die erleichterten Gesichter von ihrem Papa und Frau und Herr Sayuka dachte. Frau Sayuka war ganz gelöst gewesen und hatte Tränen in den Augen. Langsam drehte sich Ai zur Seite und erst da bemerkte sie, dass noch jemand anderes neben ihr lag. Als sie die Augen öffnete blicke sie direkt in Yukis Gesicht, die sie lächelnd ansah.

„Wie geht es dir?“, hörte sie sie fragen.

Kurz musste Ai überlegen. Sie fühlte sich zwar immer noch schwach, aber nicht mehr so wie gestern noch. „Durstig.“, antwortete sie schließlich.

Yukis Lächeln wurde noch ein wenig breiter. „Ich hole dir schnell etwas zu trinken.“ Hastig stand sie auf und verließ das Zimmer. Währenddessen richtete sich Ai auf und lehnte den Kopf gegen das Bettende. Warum hatte Yuki neben ihr gelegen? Hatte sie zusammen mit ihr und ihrem Papa zusammen geschlafen? Wann war sie gekommen?

„Hier bitte schön.“, sagte Yuki und reichte ihr ein Glas Wasser. Erst nachdem es bis auf den letzten Tropfen leer war, war Ais Durst ein wenig gestillt.

„Wo ist Papa?“, fragte sie dann.

„Zero ist unten und...“, Yuki biss sich kurz auf die Lippen. „Was?“, fragte Ai sofort und ein mulmiges Gefühl beschlich sie.

„Kaname und die anderen sind da. Er wird ihnen wohl gerade ein paar Fragen beantworten müssen.“

Stumm sah Ai sie an und wusste wirklich nicht, was sie darauf antworten sollte. Es war alles für umsonst gewesen. Jetzt würde man ihren Papa ganz bestimmt einsperren. Dabei hatte er doch gar nichts getan! Und sie... würde sie zu Kaname zurückgehen müssen? Allein bei den Gedanken bekam sie Angst. Sie mochte diesen Mann ganz und gar nicht, selbst wenn er Yukis Bruder war. Die beiden hatten in ihren Augen überhaupt nichts gemeinsam.

„Ich möchte zu ihm.“, sagte Ai schließlich.

„Ai, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“, widersprach Yuki. „Zero wäre sicher dagegen.“

„Aber es geht doch um mich!“, erwiderte sie etwas heftiger, als beabsichtigt.

Yuki konnte dem nicht wiedersprechen. Und eigentlich fand sie auch, dass sie auch dort unten sein sollte. Nur so konnten die anderen schließlich selbst erkennen, was für ein wunderbares Kind Ai war.

„Also schön...“, stimmte sie schließlich zu. Ai lächelte kurz. „Danke, ich will nur schnell ins Bad.“

„Gut, ich warte auf dich.“

Ai stand auf und war gleich wieder zu übermütig. Sie war zu schnell gewesen und schwankte ein wenig. Yuki stützte sie am Arm, bis sie ihr Gleichgewicht wieder fand.

„Langsam.“, mahnte Yuki sie. Schwach nickte Ai.

Ai ging auf die Toilette und als sie sich die Hände wusch, sah sie sich das erste Mal im Spiegel. Nicht nur dass ihre Haut so blass war, wie der Schnee selbst, ihre Wangen eingefallen und unter ihren Augen tiefe Ringe, so war auch ihr Haar strähnig und stand nach allen Seiten ab. Ai war nicht eitel und eigentlich war es ihr egal, wie sie aussah, aber wenn sie sich diesen Männern stellen wollte, wollte sie wenigsten annehmbar aussehen. Schließlich war es ja ihr Ziel, sie davon zu überzeugen, dass sie nichts Böses wollte. Wenn sie sich aber schon bei ihrem Anblick erschreckten, würde das nicht funktionieren. Mit nassen Fingen fuhr sie sich durch das Haar und versuchte es zu bändigen, aber es fühlte sich schwer und unangenehm an.

„Ai, ist alles in Ordnung?“, fragte Yuki und öffnete die Badezimmertür ein wenig.

„Ich sehe furchtbar aus.“, jammerte Ai und zog eine Haarsträhne zur Seite, die ihr schlaff über der Schulter hin. Ihre Haare waren gar nicht mehr golden, sonder glichen eher einem dreckigem Blond. „Du warst lange krank.“, sagte Yuki und strich ihr durch das Haar.

„So kann ich nicht nach unten gehen. Ich erschrecke doch alle.“, murmelte Ai. Auf Yukis Gesicht erschien ein Lächeln. Es ging ihr wirklich besser.

„Wenn du es mir erlaubst, helfe ich dir beim Haare waschen und baden.“, bot Yuki an. „Ich glaube ein heißes Bad wird dir gut tun und wenn du dann noch magst und nicht zu erschöpft bist, können wir nach unten gehen.“

Zustimmend nickte Ai. „Ich will nicht, dass die Männer noch schlechter von mir oder meinen Papa denken.“, sagte sie, sprach aber mehr zu sich selbst, als zu Yuki.

Yuki nahm sie in die Arme und strich ihr über den Rücken. „Das tun sie nur, weil sie keine Ahnung haben, was für ein tolles Mädchen du bist.“, flüsterte sie. „Aber bei Zero bin ich mir da nicht so sicher. Wahrscheinlich ist er mal wieder besonders wortkarg oder spricht gleich gar nicht. Du kennst ihn ja.“, fügte sie an und hoffte, Ai damit wieder zum lächeln zu bringen. Tatsächlich gelang es ihr und Ais Mundwinkel zogen sich nach oben. Davon ermutigt sprach Yuki weiter: „Also müssen dafür sorgen, dass du besonders hübsch aussiehst, damit du Zero aus der Patsche helfen kannst.“

„Glaubst du er braucht mich?“

„Natürlich braucht er dich. Du hast wesentlich mehr Charme als er und da unten sitzen lauter Männer.“, zwinkerte Yuki ihr zu.

„Was ist mit Kaname?“

„Er will dich kennenlernen und wird nicht eher etwas entscheiden, bevor er das getan hat.“, versicherte Yuki ihr, konnte aber das ungute Gefühl in ihrer Magengegend nicht vollständig ignorieren.

„Gut.“, sagte Ai schließlich und klang bereits entschlossener. Ihr Papa würde das nicht allein durchstehen müssen.
 

„Du willst uns weis machen, dass du seit 20 Jahre kein Blut mehr getrunken hast?“, fragte Kaito scharf und in seinem Gesicht war das Misstrauen deutlich zu lesen. Er glaubte ihm nicht und das würde er auch nicht, ganz egal, was er noch sagen würde.

„Bis auf die Level E, nein.“, antwortete Zero fest und wusste schon nicht mehr, wie oft er das gesagt hatte.

„Das kann nicht sein! Niemand hat-“, begann Kaito von neuem, doch Jinmu unterbrach ihn.

„Du weißt wirklich nicht, wie sie hießen?“, wollte er wissen.

„Nein.“, erwiderte Zero. Diese Frage hatten sie ihm ebenfalls schon so oft gestellt, dass er aufgehört hatte zu zählen.

Zero hatte das Gefühl, dass ihre Fragen sich nur im Kreis drehten und sie überhaupt nicht voran kamen. Langsam verstand er, was Herr Sayuka gemeint hatte. Man konnte die Vergangenheit nicht ändern. Warum also befassten sie sich nicht mit dem, was wirklich wichtig war?

„Es war nicht ihr Name den ich wollte.“, fügte er mit fester Stimme an und hoffte, dass sie es damit endlich dabei belassen würden.

„Wir müssen wissen, wer sie waren, damit wir sie endlich von unserer Liste streichen können. Wenn du die Namen nicht weißt, wirst du dir ihre Bilder ansehen, wenn wir zurück sind.“, erwiderte Jinmu ebenso fest und Zero verkrampfte sich augenblicklich. Dennoch sagte er nichts dazu. Er würde noch nicht darüber nachdenken, was weiter geschehen würde. Noch waren nicht alle Fragen beantwortet, weder ihre noch seine. Aber auf keinen Fall, würde er sich einfach so verurteilen lassen.

„Und dieser Taiki hat dir die Bluttabletten von da an besorgt?“. Fragte Kaito noch einmal. Die Vampire hatten sich bisher rausgehalten. Dieses Gespräch drehte sich um Angelegenheiten der Hunter. Sie würden später ihre Gelegenheit bekommen.

Zero atmete einmal tief durch, um weiterhin ruhig bleiben zu können. „Das habe ich euch doch alles schon gesagt!“, stieß er dennoch ungehalten aus. „Ich weiß nicht, wie oft ihr mich all das noch fragen wollt, aber die Antworten werden immer die gleichen bleiben!“, machte er seinen Gedanken endlich Luft und sah dabei jeden, der mit am Tisch saß, an. Mehr als die Wahrheit konnte er ihnen nicht erzählen.

„Du wirst uns doch aber wohl zustimmen müssen, dass wir so eine Geschichte nicht einfach glauben können. Du bist ein Vampir! Du kannst mir nicht erzählen, dass du nicht einmal einen Menschen gebissen hast!“, erwiderte Kaito kalt.

Zero sah ihm direkt in die Augen. Er hatte geahnt, dass Kaito in dieser Sache sein stärkster Gegner sein würde. „Ja, ich bin ein Vampir.“, wiederholte er seine Worte mit sicherer und fester Stimme. „Du brauchst mich nicht daran zu erinnern. Es vergeht kein Tag, an dem ich mir dessen nicht zu bewusst bin.“ Den letzten Satz sprach er nun schon sehr viel schärfer aus. „Ja, ich habe mich dem Drang nach Blut hingegeben, war nichts weiter als jemand der für Blut tötete, aber ich habe nie... niemals auch nur einen Menschen angerührt.

„Ich leugne nicht, dass der Wahnsinn manchmal übermächtig war! Ich habe mich auch erst wieder in die Nähe von Menschen gewagt, als ich mich an die Bluttabletten gewöhnt hatte!“ Seine Stimme war nun doch lauter geworden.

„Dennoch kannst du es nicht beweisen.“, antwortete Kaito unbeeindruckt.

„Nein, das kann ich nicht. Aber du solltest mich besser kennen.“, sagte Zero und schüttelte resigniert den Kopf. Er würde ihm nicht glauben, einfach weil er ihm nicht glauben wollte.

„Pah.. ihr Vampire seid doch alle gleich, verlogen und blutbesessen.“, spie Kaito aus, doch in diesem Moment waren Schritte auf der Treppe zu hören und alle Anwesenden drehten den Kopf in die Richtung des Geräusches. Nur wenig später stand Yuki ebenfalls im Gastraum.

Ihr Blick war auf Kaito geheftet. „Er hat niemals das Blut eines Menschen genommen.“, sagte sie an ihn gewandt.

„Ach und woher weißt du das?“, fragte Kaito spöttisch und in diesem Moment schien es, als würde Kaname aufwachen. Die ganze Zeit hatte er beinah unbeteiligt am Tisch gesessen, doch jetzt warf er Kaito einen drohenden Blick zu.

„Ich weiß es, weil...“, Yuki sah Zero kurz an und dieser wusste, was sie sagen würde. Er atmete schwer aus. „Ich in seinem Blut nichts dergleichen geschmeckt habe.“, beendete sie den Satz.

Zero konnte nicht anders und sah zu Kaname. Sein Blick war zornig und seine Aura bedrohlich, dennoch schien es ihn nicht zu überraschen. Den anderen Stand es hingegen deutlich ins Gesicht geschrieben. Wie nicht anders zu erwarten, fand Kaito als erster seine Sprache wieder.

„Interessant. Das hast du gar nicht erwähnt. Dabei warst du die ganze Zeit so ehrlich gewesen.“, sagte er und seine Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Es hat auf die Situation mit Ai keinerlei Einfluss.“, erwiderte Yuki abermals für ihn. „Und es ist auch unangenehm für mich. Es ist geschehen und alle können sich denken warum.

„Als ich sein Blut nahm, sah ich ein wenig von seiner Vergangenheit. Er hat nie einen Menschen angriffen oder verletzt. Darauf gebe ich ihnen mein Wort.“

Niemand reagierte darauf. Sie konnte es schließlich nur sagen, um ihn zu schützen, dachte Zero.

„Ihr zweifelte meine Worte an?“, fragte Yuki und ihre Stimme glich der überheblichen Art, wie sie Reinblütern zu Eigen war.

Jinmu machte schließlich eine beschwichtigende Handbewegung. „Es gibt keinerlei Beweise und uns ist allen klar, warum du so etwas sagst.“, antwortete er schließlich ehrlich.

„Sie werden keine anderen Beweise bekommen außer meinem Wort.“, sagte Zero noch einmal bestimmt. Er versuchte den Zorn und die Ungeduld aus seiner Stimme zu verbannen, doch er merkte selbst, dass es ihm nicht gelang.

„Mag sein, aber anders als früher, kann ich mich nicht darauf verlassen.“

Noch einmal stieß Zero scharf die Luft aus. Das führte doch zu nichts. „Wo ist Ai?“, fragte er Yuki.

„Ai ist noch bei den Sayukas. Sie hat ein Bad genommen und ein bisschen was gegessen. Allerdings hat sie immer noch Hunger.“, schmunzelte Yuki ein wenig. „Sie wird gleich runter kommen. Sie wollte es so, Zero.“, fügte sie an, bevor er ihr wiedersprechen konnte.

„Das kann ich mir denken.“, murmelte er. Im gleichen Moment hörten sie von oben abermals Schritte und Zero erhob sich sofort. Mit großen Schritten ging er zur Treppen. Wenige Augenblicke später kam Ai herunter und ließ sich in seine Arme fallen. Zero hob sie nach oben und drückte sie fest an sich. Seine Hand strich über ihren Rücken.

„Geht es dir gut?“, flüsterte er leise. Es war ihm egal, dass die anderen ihm zusahen oder was sie dachten. Sie hatten keine Ahnung, wie es sich anfühlte, sie fast zu verlieren. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie viel sie ihm bedeutet. Bis vor ein paar Wochen, konnte er das nicht einmal selbst.

„Ich hab nur ein bisschen Hunger, sonst geht’s mir gut.“, antwortete Ai und drückte ihn aber noch ein bisschen fester. Ihr Papa lachte leise in ihr Haar. Wenn sie Hunger hatte, war sie ganz sicher auf dem Weg der Besserung.

Zero sah sie liebevoll an. Dann ließ er eine gelockte Haarsträhne durch seine Finger gleiten. „Was hast du gemacht?“, fragte er sie verwundert.

„Das war Yuki. Erst sollte sie mir ja ein Zopf flechten, aber dann hat sie das mit den Locken vorgeschlagen und das ging ganz einfach. Das Beste ist, dass ich das auch allein machen kann. Das nächste Mal zeige ich es dir.“, erzählte sie mit leuchtenden Augen. Obwohl sie so fröhlich klang, entging Zero nicht, dass sie noch furchtbar blass war und Ringe unter den Augen hatte. Es würde mit der Zeit vergehen, sagte er sich. Wenn sie sich erst einmal erholt hatte. Ein kleiner Teil in seinem Herzen freute sich jedoch auch darüber, dass es Yuki gewesen war, wegen der sie im Moment so strahlte.

Er ließ Ai schließlich ganz herunter und nahm ihre Hand. Zusammen gingen sie zum Tisch. Die Männer hatten sich inzwischen erhoben und die Neugier stand ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Hallo Ai, es ist schön, dich kennenzulernen. Wir haben schon viel von dir gehört.“, sagte Jinmu höflich und Zero konnte heraushören, dass er es auch so meinte. „Mich kannst du ruhig Jinmu nennen, dass machen alle und das hier sind Anaki und Christian.“

„Und das hier ist-“, fuhr Jinmu fort, wurde aber von Ai unterbrochen.

„Kaito.“, beendete Ai seinen Satz. „Das weiß ich. Wir haben ihn ja getroffen, als wir davongelaufen sind. Er hat uns gehen lassen.“, erwiderte Ai ehrlich. Im gleichen Moment atmete ihr Papa hinter ihr schwer aus und auch die anderen Hunter sahen sie ungläubig an. Hatte sie etwas Falsches gesagt?

„Ach, tatsächlich?“, fragte Jinmu und drehte sich zu Kaito um, den er dann mit einem scharfen Blick ansah. Doch sein Blick änderte sich auch nicht, als er wieder zu Zero sah.

Ai wünschte sie hätte den Mund gehalten. Sie wollte ihrem Papa doch helfen und nicht ihm noch mehr Ärger machen. Aber genau danach sah es im Moment aus.

„Mir scheint, wir wissen so einiges noch nicht. Und wir-“, wandte er sich wieder zu Kaito, „werden uns später noch eingehend unterhalten.“ Kaito zuckte mit den Schultern und setzte sich bereits wieder. Noch immer verstand Ai nicht, was eigentlich passiert war. Aber offenbar war es doch nicht so schlimm, wie sie dachte. Zumindest sagte niemand etwas dazu.

Zero schüttelte mit dem Kopf, ungläubig. Wie hätte er auch ahnen können, dass das Erste, was Ai als sagen würde, etwas sein würde, was er nicht erzählt hatte. Das und dass Yuki Blut von ihm genommen hatte, war das einzige gewesen, was er ihnen verschwiegen hatte. Beides aus guten Gründen und da Kaito bei seiner Erzählung keinerlei Einwände erhoben hatte, hatte er angenommen, dass es ihm ganz recht gewesen war. Schließlich hatte sein Handeln weitreichende Konsequenzen gehabt.

„Jedenfalls...“, fuhr Jinmu fort, „Kain und Aidou kennst du ja bereits, wie Zero erzählt hat. Neben Kain steht Ichijo und Kaname...“

„Ja.“, unterbrach ihn Ai abermals. „Ich weiß sehr gut, wer er ist.“ Ihr lief ein Schauer über den Rücken, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Schwäche wollte sie auf keinen Fall zeigen. Dennoch nickte sie einmal kurz in seine Richtung. Sie musste höflich sein, um einen guten Eindruck zu vermitteln. Nur darauf kam es jetzt an.

Immer noch sprach Kaname nicht und Zero beobachtete dies mit Misstrauen. Seinen Worten konnte er etwas entgegensetzen, seinem Schweigen hingegen schwerlich.

„Oh, bevor ich es vergesse: Herr Sayuka sagte, er wird gleich mit dem Kochen beginnen.“ Abermals seufzte Zero. „Und du sollst ihm nicht wiedersprechen.“, fügte Ai an und lächelte schwach.

„Es gibt etwas zu essen?“, fragte Aidou und war sogleich hellhörig geworden. „Wird aber auch Zeit. Ich habe so langsam wirklich Hunger.“

Alle anderen sahen ihn schweigend an. „Was? Es ist so.“, verteidigte er sich, setzte sich aber wieder. Ai kicherte leicht. Sie mochte diesen Aidou wirklich. Er war immer so lustig, dachte sie.

Sie setzten sich an den großen Tisch, Yuki auf den Stuhl neben Kaname und Ai setzt sich auf Zeros Schoß. So schnell würde er sie nicht wieder aus den Augen lassen. Ai lehnte ihren Kopf gegen seine Brust und atmete seinen Duft ein. Nirgendswo würde sie sich sicher fühlen, als bei ihm.

„Bereit?“, flüsterte er seiner Ziehtochter ins Ohr und diese nickte knapp.

„Ai, Zero hat uns schon etwas über dich erzählt. Wir müssen dich jedoch selbst noch einmal fragen. Wir wissen nicht, in wie weit wir ihm glauben können.“, begann Jinmu das Gespräch. Das irritierte Zero ein wenig. Es war doch Kaname gewesen, der Ai unbedingt finden wollte, der Wert auf diese Prophezeiung legte. Warum stellte er dann nicht die Fragen? Wahrscheinlich ließ er andere die Arbeit für sich machen. Das hatte er schon immer getan, dachte Zero wütend.

„Ai, stimmt es, dass dein Vater ein Vampir war und deine Mutter ein Hunter?“, stellte Jinmu seine erste Frage und Zero lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Gespräch.

„Ja.“

„Bist du dir sicher? Woher weißt du das?“

„Ich bin mir sicher, es stand ja in dem Brief, den wir gefunden haben.“

„Der Brief, der in der Spieluhr verborgen war?“

„Ja.“

„Ai, erzähl uns doch bitte von deiner Mama und Papa. An was kannst du dich erinnern. Wo warst du, bevor du zu Zero gekommen bist?“, fragte Jinmu sie freundlich.

„Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen.“, sagte Ai und zuckte mit den Schultern.

„Wir möchten es dennoch hören.“

„Erzählen sie mir dann, warum es so schrecklich ist, dass meine Mama ein Hunter war und mein to-san ein Vampir?“, stellte Ai die Gegenfrage und ihre Augen funkelten. Sie wollte ihren Papa unterstützen und keine Bürde sein, aber es gab ein paar Dinge, auf die sie auch eine Antwort wollte. Einen Moment sah Jinmu sie überrascht an. „Hat dir Zero nichts davon gesagt?“

„Nein.“, schüttelte Ai den Kopf und sah ihren Papa fragend an. Warum hatte er ihr das verheimlicht? War es wirklich so schrecklich? War es wirklich so... unnatürlich?

„Ich habe dir nichts gesagt, weil ich nichts davon halte.“, beantwortete Zero ihre unausgesprochene Frage. „Außerdem wollte ich dir keine Angst machen.“ In seinen Augen erkannte sie Ehrlichkeit und glaubte ihm. Er würde ihr niemals absichtlich etwas so wichtiges vorenthalten, das wusste sie.

„Möchtest du es gleich wissen oder willst du uns erst erzählen was geschehen ist?“, fragte Jinmu. Ai schüttelte kurz den Kopf. „Ich erzähle erst. Es dauert ja nicht so lange.“
 

Auch Ai hörten sie die meiste Zeit ruhig zu und fragten nur hin und wieder etwas genauer nach. Besonders interessierte sie, wie viele Erinnerungen Ai an ihren Vater hatte und wie klar sie waren. Doch da konnte AI ihnen nicht viel erzählen und sie wurde bei dem Gedanken daran, selbst ganz traurig. Ihre waren nur die Erinnerungen an ein Lächeln, eine Umarmung und die Geschichten geblieben, die er ihr vor dem Einschlafen immer erzählt hatte. Und natürlich die Spieluhr, die sich als noch größerer Schatz herausgestellt hatte, als sie ohnehin schon war.

An ihre Mutter konnte sich Ai besser erinnern, auch wenn sie die Nacht ihres Todes am liebsten für immer aus ihrem Gedächtnis streichen würde.

Nur einmal wurden sie kurz unterbrochen, als Herr Sayuka in die Küche gegangen war und die Männer kurz begrüßt hatte. Er hatte sich ihnen gegenüber freundlich und höflich verhalten, ganz so, als wären sie nur gewöhnliche Gäste. Zeros Respekt vor diesem Mann war noch ein wenig mehr gewachsen.

Als Jinmu dann aber wissen wollte, welche Beziehung ihre Eltern zueinander hatten, konnte Ai nicht gleich antworten. Sie wunderte sich ein wenig über die Frage, deswegen sagte sie auch das erste was ihr einfiel: „Sie haben sich geliebt.“

„Wie kommt es, dass du so sicher bist?“, wollte Aidou wissen. Liebe... Langsam erschien es ihm, als würde das Wort allein alles erklären können.

„Ich kann mich erinnern, dass sie... dass sie...“, begann sie zaghaft. Wie sollte sie das beschreiben? Sie konnte es nicht in Worte fassen. „Ich weiß es einfach.“

„Man sieht es auf dem Foto.“, sagte nun Yuki und sprach zum ersten Mal, seit dieses Gespräche begonnen hatte.

„Foto?“, fragte Ichijo interessiert.

„Es war mit in dem Brief.“, erwiderte Zero. „Sie hat recht. Darauf erkennt man wohl es am besten.“

„Wir wollen das Bild sehen.“, sagte Kaito.

Ai sah ihn kurz erschrocken an, fing sich aber schnell wieder. „Du hast bitte vergessen.“, wies sie ihn zurecht.

„Ich muss überhaupt nicht bitte sagen.“, konterte er sogleich.

„Doch, denn das gehört sich so. Außerdem ist es mein Foto!“, erwiderte sie und starrte ihn an.

„Nun, da hat sie nicht ganz unrecht.“, lenkte Jinmu ein. Aber es gefiel ihm, wie die Kleine so furchtlos war. „Würdest du uns bitte das Bild und den Brief zeigen?“, fragte er Ai.

Einen Moment lang war sie unschlüssig, aber welche Wahl hatte sie schon? Würde sie nein sagen, würde es ja doch nur auf ihren Papa zurückfallen. Gerade als sie nickte, ging die Küchentür auf und Herr Sayuka trug vier dampfende Teller auf dem Arm.

„Essen ist fertig.“

„Endlich!“, rief Ai. Der Brief und das Bild waren augenblicklich vergessen.

„Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn wir erst essen oder?“, fragt Zero mit leicht scharfem Unterton.

„Nein.“, erwiderte Jinmu. „Eine kleine Pause, kann nicht schaden. Dabei sah er jedoch auch zu den anderen und diese nickte zustimmend. Nur Kaname saß noch immer reglos da und auch Jinmu behagte dies nicht. Was ging in seinem Kopf vor?
 

Nach dem Essen ging Ai nach oben, um die Spieluhr zu holen. Doch bereits in ihrem Zimmer öffnete sie sie. Sie wollte nicht, dass alle anderen sahen, wie das Kästchen zu öffnen war. Ein kleines Geheimnis wollte sie für sich behalten.

Sie löste den Anhänger von der Öse mit wenigen Bewegungen und legte es in die passende Form. Das Kästchen sprang mit einem leisen Klick auf. Obwohl Ai den Brief schon oft gelesen und sich das Fotos noch öfter angesehen hatte, zitterten ihre Finger immer noch, als sie nun danach griff. Diese beiden Schätze fremden Leuten zu zeigen, kam ihr wie ein Verrat vor. Die Worte ihrer Mutter waren nur für sie bestimmt gewesen, genauso wie das Foto.

Ai betrachtete das Bild einen Moment. Yuki hatte recht, dachte sie. Man sah auf dem Bild eindeutig, wie sehr ihr Vater ihre Mutter geliebt hatte. Und man sah, wie sehr sie von beiden geliebt wurde. Einmal noch seufzte Ai, dann gab sie sich einen Ruck und nahm Brief, Foto und auch die Spieluhr mit nach unten. Als sie den Treppenabsatz erreichte hörte sie, wie gerade Yuki Rede und Antwort stehen musste. Sie wollten wissen, warum sie Zero und ihr geholfen hatte. Besonders dieser Ichijo redete eindringlich auf sie ein. Auch Ai wunderte sich, dass Kaname die ganze Zeit so ruhig war. Aber auch sie konnte sich nicht vorstellen, warum das so war.

„Yuki, als Reinblut hast du die Pflicht alles zu tun, um unserer Gesellschaft zu helfen. Du kannst dir nicht vorstellen, was die anderen hinter deinem Rücken reden.“, sagte Ichijo gerade, als Ai nach unten kam.

„Es ist mir egal, was sie sagen!“, erwiderte Yuki heftig. Das Gerede anderer interessierte sie nicht mehr. „Es war das einzig richtige und ich würde es jederzeit wieder tun!“

„Aber dir hätte sonst was passieren können!“

„Ist es aber nicht! Mir geht es gut und noch wichtiger Ai und Zero ebenfalls. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen!“ Es war ganz eindeutig, dass die Diskussion damit für sie beendet war, doch es war offensichtlich, dass dies für Ichijo nicht der Fall war. Nur, dass Ai sich wieder auf Zeros Schoß setzte und Jinmu anschließend wortlos das Foto reichte, hielt ihn wohl davon ab mehr zu sagen.

Jinmu betrachtete es eingehend, aber an seinem Gesicht konnte man keinerlei Reaktion ablesen. Er reichte das Bild an die anderen weiter, dann schüttelte er den Kopf.

„Ich will es einfach nicht begreifen.“

„Das heißt, sie glauben mir?“, fragte Ai und Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit. Das wäre zumindest schon mal ein Anfang.

„Bei diesem Bild kann man gar nicht anders.“, erwiderte er schlicht. „Das hat es noch nie gegeben.“

„Ich konnte es auch nicht glauben.“, sagte Zero nun. „Aber es ist so und es ist besser, wenn sie sich an den Gedanken gewöhnen.“

„Hast du es denn?“, wollte Kaito herausfordernd wissen.

„Ja, inzwischen schon.“, erwiderte Zero ehrlich.

„Sagen sie mir jetzt, warum es so schlimm ist, dass ich lebe?“, wollte Ai nun wissen. Sie rieb sich über die Augen und gähnte leicht. Zero beobachtete es mit wachsendem Unmut. Doch genauso gut wusste er dass sie jetzt nicht nach oben gehen würde, wenn er es ihr sagte.

„Ja, sagen sie es ihr.“, sagte Zero und konnte den Sarkasmus aus seiner Stimme nicht verbergen.

„Es gibt einen alten Text, eine Prophezeiung. Weißt du was das ist?“, fraget Jinmu.

„Natürlich! Ich bin doch kein kleines Kind mehr.“, antwortete Ai entrüstet. Zero verdrehte die Augen, Jinmu und die anderen beiden jungen Hunter schmunzelten leicht.

„In dieser Prophezeiung steht, dass ein Hunter und ein Vampir ein Kind bekommen werden. Dieses Kind kann die Untergang der Hunter und Vampir bedeuten.“

Fragend sah Ai ihn an. „Und warum?“

„Ähm...“, sagte Jinmu hilflos. Er hatte ja mit allem gerechnet, aber damit nicht. „Was meinst du?“

„Warum sollte es den Untergang bedeuten? Warum sollte gerade ich dieses Kind sein? Es kann doch auch sein, dass es schon öfter vorgekommen ist, sie nur nichts davon wissen.“

„Zeigen sie ihr den Text.“, kam Zero Jinmu unerwartet zu Hilfe, der sich mit den Kind ein wenig überforder fühlte.

„Darf ich es ihr erklären?“, fragte nun Yuki und Jinmu sah sie beinah dankbar an.

„Ich denke, das wäre eine gute Idee.“, sagte er schlicht.

„Ai, kannst du mir einen Zettel und einen Stift geben? Ich schreibe es dir auf.“

Yuki folgte Ai und ging mit ihr zum Tresen. Ai verschwand dahinter und reichte ihr im nächsten Augenblick einen Block, auf den sie immer die Bestellungen schrieben und einen Stift. Danach setzt sich Ai neben Yuki und schaute ihr über die Schulter, während sie begann die alten Worte aufzuschreiben.
 

„Aber warum sollte ich das tun?“, fragte Ai, nachdem sie mit Yuki gemeinsam die Prophezeiung enträtselt hatte. Viele Geschehnisse um sie herum verstand sie nun besser und sie konnte jetzt auch die Befürchtung der Männer verstehen und doch konnte sie es auf einer gewissen Ebene nicht nachvollziehen. Sie drehte sich zu den Huntern und Vampiren um und sah auch zu ihrem Papa. Sie diskutierten schon wieder über etwas. Doch offenbar war dieses Mal Kaito derjenige, der Antworten geben musste. „Warum sollte ich wollen, dass die... Hunter oder Vampire untergehen?“, präzisierte Ai ihre Frage. Ohne auf eine Antwort von Yuki zu warten, stand sie auf und ging zu ihrem Papa. Sofort verstummte das Gespräch und sie wiederholte ihre Frage noch einmal. Vielleicht konnten sie ihr antworten. Doch sie schaute nur in ratlose Gesichter, deren Blicke sich nach unten senkten – bis auf Kanames.

„Ich weiß es nicht, Ai. Ich glaube nicht daran, das weißt du.“, sagte Zero sanft. „Aber offenbar die anderen Herren hier am Tisch.“, fügte er bissig an.

„Aber warum?“, fragte sie noch einmal. „Ich will das doch nicht.“ Dieses Mal war Verzweiflung in ihrer Stimme zu hören.

„Ich weiß.“, sagte Zero nur und zog sie fest an sich. Ai vergrub das Gesicht an seiner Brust und schüttelte den Kopf. Sie verstand das alles überhaupt nicht mehr.

„Was ist nun? Sie haben sie kennengelernt, glauben sie immer noch, dass sie so etwas könnte?“, fragte Zero die Männer geradeheraus. „Sie ist ein ganz gewöhnliches Mädchen, mehr nicht.“

Dieses Mal gab Kaname einen abfälligen Laut von sich.

„Das glaubst du doch selber nicht. Ihr Vater war ein Vampir, noch dazu ein Clay. Ihre Mutter ein Hunter. Sie ist aus einer Verbindung entstanden, die es niemals hätte geben dürfen. Sie kann nicht einfach nur ein gewöhnliches Kind sein.“, sagte er scharf. Seine Worte waren wie Messer, dachte Yuki und zuckte vor ihm zusammen. Dabei hatte er nicht einmal direkt mit ihr gesprochen.

Doch Ai sank noch ein bisschen mehr in sich zusammen und drehte sich auch nicht um. Zero legte schützend die Arme um sie und sein Blick sagte genug, um zu wissen, was er gerade dachte.

„Es gibt nichts, rein gar nichts, was jemals darauf hingewiesen hätte, dass sie kein normales Kind ist. Sie hat nicht einmal die Aura eines Vampirs.“, zischte Zero.

„Vielleicht wolltest du es auch nicht wahrhaben.“, konterte Kaname gelassen.

Daraufhin sah Zero zu Yuki. „Hast du etwas gespürt?“, fragte er sie und kannte die Antwort bereits. Sie hatte es ja schon einmal gesagt.

„Nein, gar nichts. Ich konnte nichts Ungewöhnliches feststellen und Onii-sama, auch du wirst zugeben müssen, dass da nichts ist, was sie als Vampir verrät.“, wagte Yuki offen auszusprechen. „Kain und Aidou geht es sicher ebenso.“ Die beiden Angesprochenen nickten kurz. Das konnten sie nicht abstreiten.

„Das mag sein, aber es bedeutet nicht, dass sie nicht andere Eigenschaften eines Vampirs besitzt. Wie steht es um ihre Beweglichkeit, ihre Geschicklichkeit?“

Es klang ja fast so, als wäre sie nicht ihm Raum, dachte Ai, als könnte sie nicht selbst mit ihm sprechen. Ihr Papa musste ähnliche Gedanken haben, denn sein Körper versteifte sich immer mehr. Entschlossen löste sich Ai von Zero. Sie würde sich nicht so behandeln lassen. Dennoch bereitet ihr die Frage Unwohlsein. Trotzdem war ihre Wut im Moment stärker.

„Um meine Geschicklichkeit steht es nicht besonders gut.“, gab sie bissig zurück. Ihre Tollpatschigkeit war ihr ohnehin schon peinlich, aber wenn man bedachte, dass sie zur Hälfte ein Vampir war, war es gleich noch sehr viel peinlicher. Dabei war es nicht einmal so, dass sie unsportlich war. Sie hatte eben nur kein besonderes Interesse daran, genauso wie an Mathe. Sie machte Sport zwar gern, immerhin musste man da keine Gleichungen lösen, aber viel lieber schwatze sie dabei mit ihrem Freundinnen, so dass sie öfters ermahnt werden musste. Und wenn sie nicht mit ihnen sprach, neigte sie dazu, vor sich hin zu träumen und übersah dann das ein oder andere Hindernis oder sie beobachtete die anderen Läufer und achtete nicht weiter auf ihr eigenes Tempo. Beim Bocksprung war sie auch schon mehr über den Bock gefallen, als darüber zu springen und beim Hochsprung war sie immer diejenige, die die Latte von 10 Versuchen mindestens 5 Mal herunterriss. Aber was konnte sie auch dafür, wenn sie dabei jedes Mal das Gefühl hatte zu Fliegen.
 

So ähnlich erzählte es Ai, auch wenn sie die besonders peinlichen Momente ausließ. Ihre Zuhörer sahen sie auch so schon ungläubig genug an.

„Das sagt nichts über ihre Beweglichkeit, lediglich dass sie mit ihren Gedanken öfter nicht bei der Sache ist.“, sagte Kaname ausdruckslos.

„Sie ist sportlich.“, sagte Zero schließlich. „Vielleicht ein bisschen mehr, als andere Kinder. Vielleicht kann man es auf ihre Herkunft zurückführen, aber im Grunde ist es egal. Man muss nicht von Vampiren abstammen, um sportlich zu sein. Yuki war zum Beispiel nie besonders sportlich.“

„Zero!“, rief Yuki entrüstet auf und wurde rot. Wie konnte er das gerade jetzt sagen? Und das vor allen anderen?!

„Was ist mit den geistigen Fähigkeiten?“, fragte Kaname weiter, als hätte er alles andere nicht gehört. Zeros Geduld wurde immer weniger. Kaname suchten krampfhaft nach etwas, was er Ai anlasten konnte. Nichts anderes geschah hier, dachte er.

„Das ist das gleiche, wie beim Sport.“, antwortete Ai. „Ich bin mit meinen Gedanken zu oft wo anders, weil es mich einfach nicht interessiert.“, antwortete sie ehrlich.

„Besonders schlau ist sie also auch nicht.“, stellte Kaname nüchtern fest.

„Passt auf was du sagst.“, zischte Zero.

„Du bist gemein!“, sagte Ai. „Man sag so was nicht! Ich nenn dich doch auch nicht überheblich und eingebildet obwohl es stimmt!“, schimpfte sie drauf los, ohne groß darüber nachzudenken.

Die Vampire am Tisch sogen scharf die Luft ein und starrten sie ungläubig an. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit Kaname-sama zu reden. Selbst Yuki konnte es nicht glauben. Sie war ebenso sprachlos, wie all die anderen. Nur Kaito schien als erster seine Sprache wieder zu finden: „Endlich sagt es ihm mal einer. Ich glaub, ich mag dich doch.“

Ai musste grinsen, allerdings nur so lange, bis sie von Zero ein tiefes „Ai“ hörte.

„Willst du sie nicht zurechtweisen?“, fragte Kaname kalt und sah Zero abwartend an.

„Nein. Sie weiß auch so sehr genau, dass man so etwas nicht sagt, aber in dem Fall hat sie recht.“ Hätte sich Ai bei jeder anderen Person so benommen, hätte er ihr schon längst ein paar Takte gesagt, aber bei Kaname würde er einen Teufel tun.

„Meine Herren, ich muss doch sehr bitten.“, ging Jinmu dazwischen, bevor es noch eskalieren konnte. „So wie es aussieht, gibt es keinerlei Anzeichen, die den Vampir in ihr erkennen lassen. Sie hat vielleicht die Gene, aber sie scheint dennoch menschlich zu sein.“

„Komm her, Ai.“, sagte Kaname schließlich. Fragend sah sie ihn an und dann ihren Papa. „Ich möchte etwas ausprobieren.“, fügte Kaname hinzu und langsam rutschte Ai von Zeros Schoß.

„Und was?“, fragte sie. Etwas neugierig war sie schon.

Kaname hob seine linke Hand und machte mit der rechten eine so schnelle Bewegung, dass sie erst glaubte, er würde sie schlagen. Sie zuckte zusammen, doch nichts geschah.

Sie blickte kurz zu Zero und sah, wie er seinen gesamten Körper anspannte. Er blickte starr nach unten. Auch die anderen Vampire am Tisch regten sich unruhig. Eine Moment fragte sich Ai was passiert war. Als sie wieder zu Kanames Hand sah, erkannte sie den dünnen Schnitt der über die Innenseite seiner Handfläche verlief. Ein wenig Blut quoll daraus.

Jetzt verstand sie, warum die anderen sich so verhielten. Zero hatte ihr einmal gesagt, dass das Blut der Reinblüter für Vampire unwiderstehlich war. Es musste ihren Papa sehr quälen. Warum machte Kaname das?, fragte sie sich leicht verärgert. Wieder sah sie den Mann vor sich an. Sie wusste einfach nicht, was er damit bezwecken wollte.

„Was denkst du? Was fühlst du?“, wollte Kaname von ihr wissen.

Fragend hob Ai eine Augenbraue. Was sie dachte? Wollte er hören, dass sie es ganz schön dumm fand, sich selbst zu verletzten? Sollte sie sagen, dass es gemein von ihm war, es hier vor all den anderen Vampiren zu tun?

Wohl kaum.

Stattdessen entschied sie sich für das Nächste was ihr einfiel: „Tut es weh?“, fragte sie zögerlich.

Aus Zeros Richtung hörte sie ein Schnauben und sah, dass sich einer seiner Mundwinkel leicht nach oben zog. Auch bei Kaito konnte sie ein Lächeln erkennen. Was war daran so lustig?

„Was noch?“, fragte Kaname ungeduldig weiter, offenbar unzufrieden über ihre Antwort.

Angestrengt dachte Ai nach. Warum hatte er ihr sein Blut gezeigt?

„Soll ich dir ein Pflaster holen?“, fragte sie nun und dieses Mal war sie leicht genervt. Warum sagte er ihr nicht einfach was er wollte? In so was war sie noch nie gut gewesen. Dieses Mal war das Lachen vom anderen Ende des Tisches eindeutiger zu hören.

„Nein.“, erwiderte Kaname kalt.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll.“, gestand sie.

„Ai, ich glaube Kaname-sama möchte von dir wissen, ob du... naja... ob du Hunger nach seinen Blut verspürst, ob du ein Verlangen danach hast.“, versuchte es Aidou ihr zu erklären. Er selbst hatte einen leicht gequälten Gesichtsausdruck.

„Ach so!“, rief sie aus. „Nein.“, schob sie sofort hinterher.

„Du fühlst gar nichts dabei?“, wollte nun Kain wissen. Abermals schüttelte Ai den Kopf. Warum musste sie alles wiederholen?

„Nein, das hab ich doch gesagt. Es ist Blut, das ist alles.“

„Wie reagierst du sonst auf Blut? Ich meine, wenn du welches siehst oder riechst?“, fragte Ichijo.

Ai zuckte mit den Schultern und sah unsicher zu Zero. „Sag einfach was du denkst.“, forderte er sie auf.

„Nichts.“, antwortete sie schließlich. „Also... es ist eben Blut.“, sagte sie schulterzuckend. „Ich finde es nicht abstoßend aber auch nicht... besonders lecker.“, formulierte sie ihre Gedanken frei heraus.

„Was heißt ‚es ist eben Blut‘?“, wollte Jinmu wissen.

„Na, dass es nichts Gewöhnliches ist. Ich habe schon oft welches gesehen. Als meine Freunde gestürzt sind, als ich gestürzt bin, als meine Mama...“ Sie brach ab und schluckte. „Der Mensch und auch Vampire bestehen doch aus Blut. Wir brauchen es zum Leben. Es lässt unser Herz schlagen oder so ähnlich.“, erklärte sie kurz.

Kaname erwiderte darauf hin nichts. Stattdessen fuhr er mit dem Zeigefinger der anderen Hand über die Wunde, so dass das Blut auf dem Finger haften blieb. Der Schnitt schloss sich wie von selbst und zurück blieb nicht einmal mehr eine Narbe.

„Oh, warum geht das bei mir nicht!“, stieß Ai frustriert aus, nachdem sie das beobachtet hatte.

„Soll das heiße du hast auch keine Selbstheilungskräfte?“, fragte Ichijo interessiert.

„Nein, dabei wäre das wirklich mal was Tolles! Warum kann ich das nicht von meinem Papa bekommen haben?“

„Verletzt du dich denn wirklich so viel?“, fragte nun Yuki, die Ai zwar schon kennengelernt hatte, sich das aber nicht vorstellen konnte.

Ai antwortete nicht gleich, sondern setzte sich wieder auf Zeros Schoß.

„Was ist, magst du mir nicht antworten?“, wollte Yuki wissen.

„Das ist peinlich.“, murmelte sie.

„Was hat das zu bedeuten?“, stellte Jinmu die Frage.

„In ihrer Tollpatschigkeit stürzt Ai hin und wieder und schlägt sich dann meistens das Knie auf, oder hat Schürfwunden an den Händen.“

„Und das tut weh.“, fügte Ai Zeros Erklärung hinzu. „Und es dauert so lange, bis es verheilt.“

Zero sagte nichts darauf, beobachtete aber, wie die anderen Blicke austauschten. Er verschwieg, dass Ais Wunden eigentlich schon schneller heilten als bei anderen Kindern. Doch bisher hatte er sich nichts weiter dabei gedacht. Vielleicht war es wirklich auf das Erbe ihres Vaters zurückzuführen, überlegte er. Doch davon musste die anderen ja nichts wissen.

Ai legte den Kopf an seine Brust und atmete erschöpft aus. Sanft strich Zero ihr über den Rücken. „Es wird Zeit, dass du ins Bett zurück gehst. Das war viel zu viel auf einmal.“, sagte er und wartet eigentlich auf ihren Wiederspruch. Als dieser Ausblieb, war für ihn nur umso mehr ein Zeichen sie nach oben zu bringen. Er schlang die Arme um sie und wollte sie gerade anheben, als sie doch mit ihm sprach. „Ich will erst wissen, was entschieden wird.“

Zero blickte kurz in den Runde. Jinmu unterhielt sich mit den Hunter und Yuki mit den Vampiren. Kaname hatte den Blick immer noch auf Ai gerichtet.

„Was machen sie jetzt?“, fragte Zero zwischen die Gespräche, die augenblicklich verstummten. „Ich habe ihnen gesagt, was passiert ist, alles, sie haben Ai kennengelernt. Glauben sie immer noch sie sei eine Bedrohung?“, fragte er und hatte Mühe seine Stimme neutral zu halten. Allein bei dem Gedanken, dass man ihr so etwas zu traute, wurde er wütend.

„Nun...“, begann Jinmu und kreuzte die Arme über der Brust, „ich denke nicht, dass wir das jetzt einfach entscheiden können. Wir müssen uns beraten oder was sagst du Kaname?“

Einen Augenblick sah es so aus, als würde Kaname gar nichts antworten, doch dann sagte er: „Ich denke nicht, dass es da viel zu beraten gibt. Auch, wenn sie im Moment keine Bedrohung für uns darstellt, heißt das nicht, dass es nicht werden kann.“

„Wie kannst du das sagen?!“, fuhr Yuki ihren Bruder ungewohnt heftig an, bevor Zero die Chance hatte.

„Ich denke auch, dass wir darüber reden müssen. Wir haben das entschieden, bevor wir mehr wussten. Die Dinge haben sich geändert.“, pflichtete ihr Jinmu bei.

„Die Prophezeiungen von Úmmei treten immer ein.“, erwiderte Kaname schlicht. Seine Entscheidung klang unumstößlich.

„Ach, Prophezeiungen, das ist doch nur Aberglaube.“, sagte Kaito abfällig. „Und wenn wir es glauben sieht es außerdem so aus, als hätten wir Angst vor einem Kind.“

Zero biss sich auf die Zunge, um nicht Dinge zu sagen, die ihre Lage noch schwieriger gemacht hätte. Er wusste, dass er sich zurückhalten musste und es beruhigte ihn auch bis zu einem gewissen Grad, dass Jinmu als auch Kaito nicht alles glaubten, was Kaname sagte. Er glaubte zwar nicht, dass Kaito für ihn Partei ergriff, wahrscheinlich ging es ihm nur darum nicht nach Kanames Willen zu handeln, aber das war Zero im Moment egal. Yuki würde dem ebenso nicht zustimmen. Es war gut zu wissen, sie auf seiner Seite zu haben. Er würde ihre Hilfe brauchen, wenn es wirklich zum Kampf kommen würde. Inzwischen glaubte er darauf vertrauen zu können, dass er auf sie zählen konnte. Nicht für sich, aber für Ai.

„Úmmei?“, fragte Ai und öffnete noch einmal die Augen. Offenbar war sie kurz vor dem Einschlafen. „Schon gut.“, versuchte Zero sie zu beschwichtigen. Er würde es ihr später erklären.

Das war ihr Name gewesen, dachte Ai träge.

„Es ist so traurig, was mit ihr passiert ist.“

Das letzte Geheimnis

Ich muss das letzte Kapitel noch mal ändern: Ich weiß nicht, warum ich da immer Ichijo geschrieben habe. o.O Ist mir ein vollkommenes Rätsel. Wie gesagt, wird geändert. Allerdings kann ich das erst zu Hause machen. Hier der Rechner hat keine DOC... u.u

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Das letzte Geheimnis
 

„Mmh...“, brummte Zero kurz, weil er den Gesprächen der Anderen gefolgt war. Es dauerte einen Moment bis Ais Worte gänzlich zu ihm durchdrangen, doch dann sah er seine Ziehtochter fragend an. „Was meinst du damit?“ Ein ungutes Gefühl breitete sich in seiner Magengegend aus.

„Úmmei, das war ihr Name. Er ist mir gerade wieder eingefallen, als ich ihn gehört habe. Ich konnte ihn mir einfach nie merken.“

„Wovon sprichst du überhaupt?“, fragte er noch einmal, dabei überkam ihn eine dunkle Ahnung.

„Ich habe dir doch von den Geschichten erzählt, die mir Mama und Papa immer vor dem Schlafengehen erzählten. Es ging um eine Prinzessin, die die Zukunft voraussagen konnte. Aber die Leute hatten Angst davor, weil es nämlich immer eingetroffen ist, und haben sie am Ende getötet. Ich habe dir auch ein paar Mal erzählt, was sie vorhergesagt hat. Hast du das etwa vergessen?“, fragte Ai ihn vorwurfsvoll.

„Nein.“, antwortete Zero schlicht, während ihm schlecht wurde. Er erinnerte sich daran. Gerade im ersten Jahr, nachdem sie zu ihm gekommen war, hat sie oft davon erzählt. Sie hat immer gesagt, dass sie sich einfach nicht mehr an den Namen der Prinzessin erinnern konnte, dabei wäre er ganz einfach. Zeros Gedanken rasten in alle Richtungen. Woher wussten ihre Eltern davon? Warum hatte sie Ai davon erzählt? Und warum musste sie sich gerade jetzt daran erinnern?

„Du kennst die Geschichte von Úmmei?!“, fragte Aidou ungläubig und sah sie über den Tisch hinweg mit großen Augen an. Offenbar hatte er ihnen zugehört. Zero hatte nicht einmal genug Zeit darauf zu reagieren und ihn zu beschwichtigen oder Ai selber näher zu fragen. Alle anderen Diskussionen verstummten sofort.

„Was?“, fragte Jinmu und Yuki, wie aus einem Mund.

Unsicher richtete sich Ai wieder auf. „Hab ich was falsches gesagt?“, fragte sie ängstlich. Zeros Griff wurde noch ein wenig fester.

„Woher weißt du von Úmmei?“, fragte Kaname scharf.

„Mein... Mein... to-san hat mir immer Geschichten von ihr erzählt. Er hat gesagt, dass sie eine Prinzessin war, die in die Zukunft sehen konnte und das man sie deswegen getötet hat. Dabei hat sie gar nicht immer etwas Schlimmes vorhergesagt, sondern auch gute Dinge. Aber die waren dann nicht mehr wichtig. Die Angst ist unser größter Feind. Sie lässt uns Dinge tun, die wir normalerweise bereuen würden, hat to-san immer gesagt.“

„Ich dachte du warst drei, als dein leiblicher Vater gestorben ist. Wie kannst du dich dann so genau daran erinnern? Das erscheint mir doch ein wenig... seltsam.“ Jeder konnte hören, was in Kanames Worten wirklich mitschwang. Er glaubte endlich einen Beweis für ihre Andersartigkeit gefunden zu haben.

„Ich kann mich ein bisschen an meinen to-san erinnern“, antwortete Ai, „aber natürlich nicht an alles. Nachdem er fort war, hat Mama mir immer davon erzählt. Auch wenn ich alle Geschichten schon kannte. Sie hat dann die Spieluhr genommen, so wie es to-san auch immer getan hat, hat sie aufgezogen und mir dann von Úmmei erzählt. Und bevor du fragst, woher meine Mama das wusste: Sie war immer mit dabei, wenn to-san erzählt hat.“ Ai klang sehr bissig und Zero konnte es ihr nicht einmal verdenken.

Als keiner darauf antwortete, griff Ai nach ihrer Spieluhr und nahm sie behutsam auf den Schoß. Sie war noch immer auf und der Brief ihrer Mutter lag auf dem Tisch, zusammen mit dem Foto. Sie wollte beides wieder zurückhaben, aber sie traute sich nicht recht, danach zu greifen. Sie wusste, dass ihre Worte gerade eben nicht angemessen waren, obwohl Zero sie dafür noch nicht gescholten hat. Aber sie bereute sie auch nicht.

„Was waren denn das für Geschichten von Úmmei?“, fragte Takuma. Langsam zog Ai die Spieluhr auf und die leise Melodie erfüllte den Raum. Augenblicklich fühlte sie sich gleich geborgener und beschützter, nicht nur von Zero, sondern auch von ihren leiblichen Eltern. Als wären sie direkt neben ihr und hielten schützend die Hand über sie.

„Sie war wunderschön.“, begann Ai. „Sie war eine Prinzessin, von jedem geehrt und geliebt. Sie hatte langes blondes Haar, das ihr bis zu den Knien reichte. Immer war es kunstvoll geflochten, verziert mit

Blüten und Edelsteinen. Ihre Augen waren so blau wie es der Himmel nur an einem wolkenfreien, sonnigen Tag sein kann. Ihre Lippen waren rot und ihre Stimme sanft, wie die eines Engels. Sie trug die feinsten Kleider und besaß prächtigen Schmuck. Doch nichts konnte ihre Schönheit übertreffen. Sie bewegte sich wie ein Blütenblatt im Wind und war zu allen freundlich und gütig. Und sie konnte die Zukunft vorhersehen.“

Zero hörte Ai zu und ein Blick auf die anderen verriet ihm, dass auch sie an ihren Lippen hingen. Er selbst hatte diese Worte schon oft gehört. Wie ihre Mutter es einst getan haben muss, hatte sich Ai oft zu ihm ins Bett gelegt, die Spieluhr aufgezogen und dann zu erzählen begonnen. Es waren wundersame Geschichten, freudige und traurige. Aber er hatte ihnen nie eine besondere Bedeutung beigemessen und bisher war er auch davon überzeugt, dass eben nur Geschichten waren.

„Einmal sah Úmmei einen Mann das verlieren, was er am liebsten hatte. Sie sah nicht wie es geschehen würde, nur dass es geschehen würde. Als sie es dem Mann sagte, gestand er, dass er seine Braut am meisten liebte. Sie war jung und schön, noch dazu kam sie aus einer sehr angesehenen Familie. Er liebte sie sehr. Der Gedanke sie zu verlieren, schmerzte ihn und er tat alles um dies zu verhindern. Aber er wählte den falschen Weg. Er sperrte sie ein, ließ sie nie nach draußen, kontrollierte ihre Briefe und jeden der zu ihr kam. Er wollte sie nie wieder hergeben. Sie war für immer sein, glaubte er. Doch damit machte er die Zukunft, die Úmmei gesehen hatte, erst möglich. Seine Braut war unglücklich. Sie flehte ihn an, sie gehen zu lassen, ihre Familie wieder zu sehen, den Himmel und die Blumen, doch er verneinte ihr diesen Wunsch immer wieder. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie wollte frei sein und nahm sich schließlich das Leben.

„Die Prophezeiung von Úmmei erfüllte sich. Obwohl er alles getan hatte, um dies zu verhindern, hatte er doch die Bedingungen geschaffen durch die er sie für immer verlor.“

Schweigen erfüllte den Raum. Alle schienen wie elektrisiert von Ais Worten zu sein. Die Spieluhr verstummte ebenso und ließ eine Leere zurück, die nach ihnen zu greifen schien.

Ai sah zu ihrem Papa und dieser erwiderte ihren Blick. Er strich ihr über das Haare und sah die anderen an. „Bist du sicher, dass es diese Úmmei ist, die auch die Prophezeiung über dich gemacht hat?“, fragte er leise und wünschte sich sehnlichst, dass die Antwort nein war. Ai nickte stumm.

Aidou war der Erste, der sich räusperte. „Davon habe ich noch nie gehört. Aber es gibt auch nur ganz wenig Aufzeichnungen über Úmmeis Prophezeiungen.“ Niemand antwortete ihm darauf.

Yuki hing noch in ihren eigenen Gedanken. Warum fühlte sie sich von Ais Worten so sehr angesprochen, überlegte sie. Kaname sperrte sie keineswegs ein. Sie war freiwillig bei ihm, weil sie ihn liebte und er würde sie jederzeit gehen lassen, wenn sie ihn darum bat. Das würde er doch oder? Aber da war noch etwas anderes, was sie diese Geschichte so bemerkenswert machte. Nur was...

Unsicher sah Yuki ihren Bruder an. Dieser hatte die Finger ineinander verschränkt und starrte gedankenversunken vor sich hin. Dachte er das gleiche wie sie?

„Was für Geschichten haben sie dir noch erzählt?“, fragte Kaname auf einmal und seine Stimme klang schon gar nicht mehr so abweisend, wie zuvor. Zumindest kam es Yuki so vor.

„Oh, sie haben mir noch ein paar solch trauriger Geschichten erzählt, aber am besten haben mir immer die gefallen, in denen es ein glückliches Ende gab.“

„Es gab einmal ein glückliches Ende?“, fragte Takuma erstaunt. Alle Prophezeiungen, die er kannte, hatte ein tragisches Ende. Deswegen wurde sie ja auch hingerichtet.

„Natürlich!“, sagte Ai aus voller Überzeugung. „Es gibt eine Geschichte über die Geburt eines langersehnten Kindes oder der Heilung einer Krankheit oder von Erfolg und Glück. Und es gab sogar mal jemanden, der es geschafft hat ihre Prophezeiung zu verhindern.“

„Ai, bist du dir sicher? Davon ist uns nichts bekannt und es wäre das erste Mal, dass ich überhaupt von so etwas höre.“, sagte Takuma laut.

„Das hat to-san gesagt.“, verteidigte sie sich stur. „Warum klingst du dann so unsicher?“, verlangte Kaname zu wissen, dem das Zittern in ihrer Stimme nicht entgangen war.

„Ich habe die Geschichte dazu nie gehört. To-san wollte sie mir später einmal erzählen. Mama hat immer gesagt, er wollte warten, bis ich es auch wirklich verstehen würde, aber er... er ist vorher gestorben.“, flüsterte sie.

„Was ist mit den anderen Geschichten? Kannst du uns davon erzählen?“, wollte Kain wissen.

Einen Moment überlegte Ai. Ihr Vater und Mutter hatten ihr viele Geschichten erzählt. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie bewusst daran gedacht hatte. Jedes Mal, wenn sie es tat, wurde sie traurig.

„Es gab einmal eine Frau, die war schon recht alt, fast so alt, dass sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Sie war gut mit der Prinzessin befreundet. Sie war nämlich schon die Kinderfrau von Úmmei gewesen. Die Frau behandelte Úmmei wie ihr eigenes Kind und liebte sie sehr, doch immer war in ihrem Herzen der Wunsch nach einer eigenen Tochter, die sie aufwachsen sehen konnte. Sie wünschte es sich so sehr, dass sie fast daran zerbrach. Eines Tages sagte Úmmei zu ihr, sie würde das was sie am meisten begehrte, erst dann bekommen, wenn sie es losließ. Die Frau war entsetzt, hieß es doch ihren größten Wunsch aufzugeben und das konnte sie nicht. Sie war so verletzt, dass sie sogar mit Úmmei brach. Stattdessen klammerte sie sich nur umso mehr daran. Weiter Jahre zogen ins Land, ohne dass sich ihr Wunsch erfüllte und schließlich akzeptierte sie, dass sie wohl niemals eigene Kinder haben sollte. Sie war für andere eine gute Erzieherin gewesen, vielleicht war ihr das von Anfang an vorher bestimmt. Sie begann sogar das Gute in ihrer Kinderlosigkeit zu sehen. Sie hatte Zeit für sich und ihren Mann, konnte gehen wohin und wann immer sie wollte. Sie hatte viele Freunde und war nicht einsam. Sie begann das Leben wieder zu genießen und wurde wieder glücklich, nachdem es nicht mehr von ihrem verzweifelten Wunsch getrieben war.

„Ein Jahr später veränderte sich ihr Körper beträchtlich. Sie wurde fülliger, aß mehrmals am Tag und wurde von Übelkeit und Rückenschmerzen geplagt. Zu dieser Zeit besuchte sie Úmmei das erst Mal seit jenem Tag wieder. Diese lächelte sie geheimnisvoll an und sagte: Da du bereit warst deinen sehnlichsten Wunsch gehen zu lassen, soll er dir doch noch erfüllt werden. Zuerst verstand ihre alte Kinderfrau nicht was ihr Zögling ihr damit sagen wollte, doch als sie es endlich begriff war ihr Freude nur umso größer. Schon ein paar Monate später wurde sie Mutter eines bildhübschen Sohnes.“

Als Ai geendet hatte lächelte sie in sich hinein. Sie mochte diese Geschichte sehr und vielleicht stimmte es ja auch. Vielleicht musste man erst einmal einen Wunsch aufgeben, damit er sich irgendwann erfüllen konnte. Sie glaubte, dass diese Geschichte, ihr zeigte, dass ein zu starker Wunsch, einen auch unglücklichen machen konnte.

„Das ist wirklich eine schöne Geschichte.“, sagte Yuki schließlich.

„Ja.“, stimmte Ai ihr zu. „Manchmal muss man wirklich erst etwas loslassen, um es bekommen.“, sprach sie ihre Überlegungen laut aus.

„Ich verstehe aber nicht, warum nur die schlechten Prophezeiungen von Úmmei überliefert sind. Wie kommt es, dass wir nichts von den anderen wissen?“, wandte sich Yuki nun an Aidou.

Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Es muss nicht heißen, dass es wahr ist.“, war seine einzige Antwort.

„Es ist wahr.“, sagte daraufhin Kaname und alle sahen ihn mit großen Augen an. „Ich frage mich viel mehr, woher ihr Vater das wusste.“ „Woher weißt du, dass es wahr ist?“, fragte Yuki ihren Bruder, doch er gab ihr keine Antwort.

„Es gab tatsächlich positive Prophezeiungen, wenn man es so ausdrücken will. Genauso wie es Ai erzählt hat. Doch gab es nie eine Prophezeiung, deren Ausgang man abwenden konnte.“, sagte er mit fester Stimme.

„Ich habe nicht gelogen!“, verteidigte sich Ai. „Und to-san auch nicht. Wenn er sagte, dass es so war, dann war es so. Du kannst ja schließlich auch nicht alles wissen!“, giftete sie Kaname an. Zero sah verwunderte zu Ai. Wenn sie ihren Vater verteidigte war sie sehr mutig.

Aber am meisten erstaunte Zero, dass Ai die Geschichten genauso erzählt hatte, wie damals vor fünf Jahren schon. Sie hatte sogar fast den gleichen Wortlaut benutzt. Dabei waren es ja nicht einmal nur Geschichten, dachte Zero. Geschichten... Irgendetwas war an diesem Wort. Es löste etwas in ihm aus. Eine verdeckte Erinnerung, die er doch nicht greifen konnte, die aber von Wichtigkeit war. Das spürte er. Fieberhaft überlegte er. Wo war dieses Wort schon einmal aufgetaucht und hatte ihn verwundert, weil es so gar nicht gepasst hatte. Sein Blick schweifte durch den Raum, doch es wollte ihn nicht einfallen. Schließlich blieb er dem Brief von Ais Mutter hängen.

Natürlich!, dachte er und griff nach den Papieren.

Inzwischen erzählte Ai eine weitere Geschichte und sie sah ihn kurz fragend an, doch er reagierte nicht weiter darauf.

Wo stand es? Er war sich sicher, dass es am Ende des Briefes gewesen war. Und genau im letzten Absatz fand er auch wonach er suchte: ‚Von deinem Vater soll ich dir etwas Anderes sagen, etwas Wichtiges. Ich selbst konnte den Sinn hinter den Worten nie ganz begreifen, obwohl ich eine Ahnung habe. Aber du wirst es schon herausfinden. Er sagte: „Sag Ai, dass ich sie liebe und dass die letzte Geschichte unter den Worten liegt.“ ‘

Verwirrte sah Zero auf. Was für Worte? Sein Nacken begann zu kribbeln. Handelte es sich um eine weitere Geschichte von Úmmei? Aber wo sollte die zu finden sein?

„Was ist? Stimmt was nicht?“, fragte Ai ihn nun und erst jetzt bemerkte Zero, dass auch alle anderen Augen auf ihn gerichtet waren. Da er wusste, dass es keinen Sinn hatte zu lügen, sprach er seine Gedanken laut aus. „Als du sagtest dein Vater hat dir immer Geschichten erzählt, ist mir eingefallen, dass deine Mutter etwas Ähnliches geschrieben hat. Sie schrieb, dass sie dir von deinem Vater sagen solle, die letzte Geschichte läge unter den Worten. Ich denke, es ist eine weitere Geschichte über Úmmei, aber ich weiß nicht ganz, was er damit gemeint hat.“

„Ich denke nicht, dass das etwas mit der gegenwärtigen Situation zu tun hat. Wir sind doch nicht hier, um uns Geschichten anzuhören.“, erwiderte Kaito und gähnte. Das Ganze langweilte ihn. Er hatte den Eindruck, dass Jinmu bereits eine Entscheidung getroffen hatte, über die er nur mit dem Kopf schütteln konnte.

„Du hast recht. Vielleicht sollten wir gehen.“, äußerte sich Jinmu, doch Zero hörte ihnen kaum zu. Mit dem Daumen strich er über die Außenseite der Spieluhr, die er nun in der Hand hielt.

Irgendetwas trieb ihn dazu, diese letzte Geschichte finden. Er spürte, dass sie wichtig wäre. Vielleicht barg die Spieluhr ein weiteres Geheimnis. Aber wo?

Er drehte das Kästchen in den Händen und besah es sich von außen genauer. Er hatte es sich schon oft angesehen, aber dieses Mal achtete er auf die kleinste Unebenheit oder Störung. Nur, dass er keine Finden konnte. Nicht einmal ihre Flucht hierher oder vor der Lawine hatte der Verzierung etwas anhaben können. Es war noch genauso makellos wie zuvor, perfekt gearbeitet. Seufzend öffnete er es und sah es sich von Innen an. Er war sicher, dass er ebenso nichts finden würde. Das Kästchen war mit feinem Samt ausgelegt, doch auch dieser bildete einen perfekten Abschluss am Rand. In Gedanken versunken klopfte er mit dem Zeigefinger an die Innenseiten, doch auch dort stellte er nichts Ungewöhnliches fest. Zum Schluss klopfte er auf den Boden und wollte das Kästchen schon wieder wegstellen, als ihn plötzlich an dem Klang etwas innehalten ließ. Noch einmal versucht er es und da war es wieder. Es klang nicht nach festem Holz, wie der Rest des Kästchens, sondern eher nach einem Hohlraum.

„Es klingt hohl.“, sagte Yuki auf einmal und Zero sah etwas erschrocken auf. Er hatte ganz vergessen, dass die anderen noch da waren. „Es hat einen zweiten Boden?“, fragte sie erstaunt.

„Hat es das?“, fragte Ai und Zero hörte die Aufregung in ihrer Stimme. „Ich bin nicht sicher.“, antwortete er ausweichend. Dann ließ er seine Fingerkuppen über den samtenen Boden streichen. Er versuchte sich nur auf das Gefühl zu konzentrieren, auf das was er spürte. Und da war es dann plötzlich. Eine kleine Unebenheit, verborgen unter dem Stoff.

„Da ist etwas.“, sagte Zero schließlich. „Es fühlt sich an wie ein Muster.“

„Man müsste den Samt abmachen oder?“, fragte Ai.

„Wenn du wissen möchtest, was darunter ist schon, ja. Aber du musst das nicht tun. Es gehört dir und du weißt, dass du nur entscheidest, was damit passieren soll.“, sagte er, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Wir würde doch wirklich alle gern wissen, was darunter zu finden ist.“, sagte Kaname kalt und Zero musste abermals an sich halten. „Es gehört Ai, sie entscheidet.“, antwortete er ebenso kühl.

„Mach es ab.“, sagte sie noch bevor er richtig ausgesprochen hatte. „Ich will es wissen.“

Zero sah seine Ziehtochter an und erkannte die Sicherheit in ihren Augen.

Er besah sich die Seiten des Kästchens genau, in der Hoffnung irgendwo einen Riss im Stoff zu finden, der es ihn ermöglicht hätte ihn zu entfernen, ohne das Kästchen dabei zu beschädigen. Natürlich fand er keinen. Aber im fiel gleichzeitig auf, dass es irgendwie seltsam war, dass der Stoff genau bis zur Kante reichte und nicht darüber, wie es vielleicht üblich gewesen wäre. Allerdings hatte er von diesen Dingen auch keine Ahnung.

Mit dem Daumen fuhr er über die Kanten des Kästchens, immer zur Mitte hin, und fand so tatsächlich eine Stelle, die ein wenig lockerer zu sitzen schien.

„Hast du es?“, fragte Ai gespannt. „Die Stelle ist locker, aber ich glaube nicht, dass man es einfach so abziehen kann. Kurosu sagte, dass das Kästchen ziemlich alt ist. Wenn ich den Samt einfach so abziehen könnte, wäre das sehr... seltsam.“, beendete er seinen Satz, weil er nicht wusste, wie er es sonst formulieren könnte. Er versuchte es trotzdem, schaffte es aber nicht, den Stoff weiter zu lösen. Gleichzeitig wusste er aber, dass diese Stelle wohl die einzige Möglichkeit sein würde.

„Versuch du es Ai, deine Finger sind schmaler.“

Tatsächlich brauchte Ai nur mit dem Fingernagel des kleinen Fingers darunter zu fahren und schaffte es, den Stoff noch ein wenig mehr zu lösen. Das machte sie ein paar Mal, bis die Lücke groß genug war und sie problemlos ihre Fingerkuppe des kleinen Fingers dazwischen schieben konnte. Als ihr das gelungen war, vergrößerte sie den Abstand. Es war, als ließe sich der Stoff wirklich einfach so abziehen. Sie stieß kaum auf Wiederstand, nur an den Ecken, schien der Kleber oder was auch immer den Samt an seiner Stelle hielt, stärker zu sein und sie musste mehr Kraft auf wenden. Vor Aufregung begannen ihre Hände zu zittern, doch sie hörte nicht auf. Stück für Stück löste sie den Samt.

Schließlich hielt sie den Stoff in den Händen. Unter dem Samt sah das Holz genauso aus, wie das des restlichen Kästchens und auch Überreste des Klebers waren kaum zu erkennen. Jetzt war auch zu erkennen, was Zero zuvor gespürt haben musste. Doch war es kein Muster, der in den Boden geprägt war, sondern Schriftzeichen. Einen Moment starrte Zero und Ai schweigend darauf. Ein leichter Schauer fuhr ihnen über den Rücken.

„Was hast du entdeckt?“, wollte Yuki neugierig wissen und stand als einzige auf. Sie stellte sich hinter ihn und schaute ihm über die Schulter. „Oh.“, stieß sie aus.

„Es war wirklich nur angeklebt.“, murmelte Zero, obwohl ihm noch nicht ganz klar war, warum oder wie es überhaupt hatte halten können.

„Was denn nun?!“, fragte Kaito genervt und stand ebenfalls auf. „Mmh... Meiner Sehnsucht.“, las er vor. „Was soll das denn heißen?“

„Vielleicht war das Kästchen einmal ein Geschenk von jemanden an jemanden gewesen, an jemand wichtigen, nachdem sich der Schenker gesehnt hatte.“, mutmaßte Yuki. Sie erinnerte sich an die Melodie der Spieluhr. Sie hatte für sie schon immer voller Liebe, Sehnsucht und Traurigkeit geklungen.

„Ai, hol mir ein Messer.“, sagte Zero, der nicht auf die anderen reagiert hatte. „Warum brauchst du ein Messer?“, fragte Yuki neugierig und beugte sich noch ein wenig weiter zu ihm. Ohne dass sie es gemerkt hatte, war sie ihm sehr nah gekommen. Sie konnte seinen Duft riechen und schloss für einen Moment die Augen, als sie die Erinnerung an das, was sie getan hatte wieder überkam. Doch war es nicht die Erinnerung an ihre Schuld, sondern daran, wie er auf ihrer Zunge geschmeckt hatte. Als sie die Augen wieder öffnete sah sie direkt in Kanames und ein Frösteln überkam sie.

Zero schien all dies nicht zu bemerken, denn seine Finger lagen auf eine Stelle in dem Kästchen. Als er sie wegnahm erkannte Yuki einen dünnen Ritz zwischen Boden und Seiten.

Ai war aufgestanden und brachte ihren Vater ein dünnes Messer, dass er sonst immer für das Schneiden von Tomaten nutzte. Zero nahm es ihr aus der Hand und setzte die Spitze in den dünnen Ritz an und begann es leicht hin und her zu bewegen. Durch die Hebelbewegung schien sich der Boden zu lösen. Als er sich so weit gelöst hatte, dass Zero ihn mit den Fingern fassen konnte, legte er das Messer auf den Tisch und löste den Boden langsam.

Als er ihn abnahm, zog er scharf die Luft ein.

Es lagen zwei weitere Papiere darin.
 

Einen Augenblick starrten sie alle nur drauf. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass sich wirklich etwas finden würde.

„Wie ist das möglich?“, fragte Ai verblüfft und fand als erste ihre Sprache wieder.

Zero antwortete ihr nicht. Er kannte die Antwort darauf nicht. Stattdessen griff er nach dem ersten Papier und faltete es auseinander. Er wartete nicht darauf, bis Ai ihr Einverständnis gab, wie er es sonst immer tat. Das Papier war ein wenig älter, als das auf dem Ais Mutter ihren Brief geschrieben hat, aber es konnte unmöglich so viel älter sein.

„Mach ihn auf.“, forderte Ai ihn auf und er öffnete ihn. Zero runzelte die Stirn. Die Zeichen waren gerade und sauber, doch an einigen Stellen schien der Schreiber unsicher gewesen zu sein. Er hatte bei einigen Schriftzeichen mehrmals angesetzt, um sie zu beendet. Die Tinte war an diesen Stellen unterschiedlich stark.

„Würdest du bitte vorlesen, Zero.“, bat Jinmu ihn höflich, aber es war klar, dass es dennoch mehr eine allgemeine Aufforderung war.
 

Jetzt versteh ich die Worte.

Sie erfüllen mich mit Angst. Doch dann sehe ich mein Kind an und kann nicht anders, als mit den Kopf zu schütteln. Ich liebe sie so sehr. Sie ist so ein herzensgutes Geschöpf. Ich kann es spüren, ich weiß es einfach. Nie würde sie ein Leid über andere bringen.

Es ist nicht nur mein Vaterherz, das aus mir spricht, sondern auch das Erbe meiner Familie, die wir so viel Schlechtes getan haben. Ich habe genug davon gesehen, um zu wissen, wann jemand davon verschont blieb.

Der Sinn der ersten Zeilen bleibt mir noch verborgen. Aber die letzten sind mir jetzt eindeutig und klar. Nun verstehe ich, warum die Geschichten von Úmmei in unserer Familie weiter gegeben wurden, auch wenn sich in den letzten Jahrhunderten niemand mehr dafür interessierte und es nur aus Pflicht geschah. Sie sind alle wahr, genauso wie auch diese letzte Prophezeiung schon fast vollständig erfüllt ist.

Es eine Geschichten in der das Schicksal abzuwenden war. Das will ich jetzt glauben. Dabei ist es so schwer, wenn man nicht weiß, was noch geschehen wird, was zu dieser Tat führen könnte. Die Angst von damals ist mir nur zu bewusst. Ich kann sie spüren, wie sie nach mir greift und es ist unendlich schwer sich ihren Fängen zu entziehen. Einzig seine Worte helfen mir dabei.
 

Es ist möglich eine Prophezeiung abzuwenden. Meine Existenz und die meiner Tochter sind der Beweis dafür.

Ich werde den Text übersetzten, sobald ich Zeit und Ruhe dafür finde.
 

Clay Yami
 

Erneut erfüllte Schweigen den Raum.

„Das ist von meinem to-san?“, fragte Ai ungläubig und Zero nickte leicht. „Er muss das Geheimnis des Kästchens schon früh herausgefunden haben und als du geboren wurdest muss er gewusst haben, dass... Er wusste von der Prophezeiung. Habt ihr nicht gesagt, ihr habt sie erst vor ein paar Monaten versteckt gefunden?“, wandte er sich an Yuki und Aidou.

„Ja. Er kann unmöglich davon gewusst haben. Niemand hat einfach Zugang zu diesen Dokumenten.“, erwiderte Aidou.

Wortlos griff Zero zu dem anderen Papier und faltete dieses auseinander. Das Papier war fast braun, schwer und brüchig zwischen seinen Fingern. Es schien ebenfalls ein Brief zu sein oder so etwas ähnliches. Mit Sicherheit konnte es Zero nicht sagen, denn es war nicht mit Schriftzeichen geschrieben worden, sondern mit Buchstaben. Die Sprache war ihm vollkommen unbekannt. „Was steht da?“, fragte Ai und drehte den Kopf, damit sie besser sah.

„Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht lesen.“, erwiderte Zero.

„Gib mir den Brief.“, sagte Kaname. Misstrauisch sah Zero zu seinem Gegenüber. „Ich will ihn nur lesen.“, sagte dieser und klang gereizt. „Kannst du das denn?“, fragte Yuki erstaunt.

„Wenn ich ihn sehen würde, vielleicht.“, antwortete Kaname. Zero sah zu Ai und diese nickte kurz. Dann gab er den Brief Yuki, die ihn an Kaname weiterreichte.

Dieser hielt das Papier einen Moment in der Hand, dann faltete er es auseinander.

Stumm überflog er die Zeilen und jeder sah, wie sich seine Augenbrauen immer weiter zusammenzogen.

„Kannst du es lesen?“, fragte Yuki vorsichtig. Kaname sah auf und für einen Moment war sein Blick unergründlich. Als würde er durch sie hindurch, in eine andere Zeit sehen.

„Ja.“, erwiderte er schließlich.

„Lies vor!“, drängte Ai ihn. Ihre Müdigkeit und Erschöpfung war für den Augenblick verschwunden. Dafür war sie viel zu aufgeregt.
 

Wenn geworden ist, was am meisten gehasst;

Wenn Prinzessin aus Dekade Schlaf erwacht;

Wenn Freundschaft sowie Liebe zartes Band verblasst;

Wenn der Königsthron gelang zu neuer Macht;

Wenn des Winters Kleid sieben Monde bleibt,

dann sind Tag und Nacht, in Liebe - statt Hass - vereint.

Die Zeit der schwarzen Sonne wird sein,

die Geburtsstunde des Kindes, dieser zwei’n.

Das Vierblatt den Weg euch zeigt,

den Untergang des einen, des anderen oder beiden beschreibt.
 

Die ist das zweite Mal, dass ich ihre letzten Worte niedergeschrieben habe. Das erste Mal schrieb ich es in ein Buch, welches Versammlungen und Beschlüssen ausweist. So hatte sie es mir aufgetragen, so habe ich es getan. Es wird zur rechten Zeit gefunden werden, hat sie gesagt. Und dann werden ihre Worte Angst und Verwirrung sähen. Wie ich es bedauere dann nicht zugegen zu sein!
 

Sie haben es wirklich getan! Oh, diese Narren! Wenn ich nur daran denke, zieht sich mein Herz vor Schmerzen und Trauer zusammen. Ich möchte sie alle eigenhändig abschlachten, ganz so, wie sie es auch mit ihr getan haben!

Einzig allein mein Versprechen, welches ich ihr geben musste, hält mich davon ab.

Meine Sehnsucht musste sterben, weil andere Angst hatte. Wie schwach wir doch eigentlich sind, gleichwohl wir uns immer mit unserer Stärke und Überlegenheit brüsten.
 

Alles was mir von ihr blieb ist die Spieluhr, die sie mir zurückgab. Was soll ich mit ihr, wo sie mich doch ständig an sie erinnert? Ich habe sie doch extra nur für sie gefertigt! Die Melodie nur für sie komponiert! Jahre hat es gedauert, bis ich es fertig hatte und in jedem einzelnen Handgriff lag meine Liebe und Zärtlichkeit zu ihr. Selbst das Wappen unserer Familie kann ich nicht mehr anschauen, ohne mich ihrer zu erinnern. War sie es doch, die es meiner Familie gab. Es passt zu dir, hat sie immer gesagt, weil ich ihr mit meinen Besuchen immer Glück brächte.

Ich kann nicht an sie denken, ohne in Trübsinn zu verfallen.

Werden diese Feiglinge irgendwann verstehen, wie groß ihr Fehler war? Werden sie irgendwann verstehen, dass Úmmeis Prophezeiungen nur Möglichkeiten einer Zukunft waren? Was ist mit all den Prophezeiungen, die gut waren? Von diesen Dingen wollte niemand bei der Urteilssprechung wissen. Und ich, der Schriftführer, durfte nicht als Zeuge gelten.
 

Meine geliebte Úmmei sagte einmal, in einer Nacht die wir beieinander verbracht hatten: ‚Wer etwas glaubt, wird sich entsprechend so verhalten, damit sein Glaube wahr wird.‘ Das allein, so sagte sie, war die Grundlage für die Prophezeiungen, die alle verschreckten. Weiter sagte sie, dass jeder über sein eigenes Schicksal bestimmte. Es würde nur darauf ankommen, was man mit dem Wissen, das man darüber hatte, machte.

Sie hatte recht. Nur wollte das niemand begreifen. Ebenso wollten sie nicht begreifen, dass es gerade erst die Versuche waren sie zu verhindern, die das Erfüllen der Prophezeiung möglich machten.

Manchmal kann auch nur die schlichte Akzeptanz dessen, was geschehen wird, Grund sein einen klaren Verstand zu wahren. Ich selbst habe es erlebt, als ich durch einen Erdrutsch sterben sollte. Es war das Wissen, dass dies der Moment meines Todes war, was mich ruhig bleiben ließ, denn ich hatte es akzeptiert und verspürte keine Angst. Ich bedauerte es nur, sie nie wieder in meinen Armen halten zu können. Meine Ruhe ließ mich die kleine Höhle erkennen, in die ich mich retten konnte. Wäre ich voller Angst gewesen, hätten mich die Erdmassen nach unten gerissen, ganz so wie sie es gesehen hatte.
 

Ich werde die Geschichte von Úmmeis Schicksal in meiner Familie weiter geben. Sie soll nicht vergessen werden. Es soll eine Warnung sein. Meine Nachfahren sollen verstehen, dass eine Prophezeiung immer nur eine Möglichkeit von so vielen anderen ist. Wenn die Angst vor einer solchen erst einmal abgelegt ist, werden sich andere Wege zeigen.
 

Wir sind es die unser Leben bestimmen, nicht die Worte eines anderen.
 

Clay Yue
 

Kaname sah auf, als er geendet hatte. All anderen sahen ihn mit großen Augen an.

„Ich habe nie davon gehört, dass jemand bei einem Erdrutsch sterben sollte.“, sagte Takuma schließlich ganz sachlich.

„Es gab damals tatsächlich einen Erdrutsch.“, erwiderte Kaname. „Tagelanger Regen hatte die Erde aufgeweicht und den Abhang einstürzen lassen. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass dort jemand beinah zu Tode gekommen wäre. Niemand wusste von dieser angeblichen Prophezeiung.“

„Glaubst du es stimmt nicht, was er geschrieben hat?“

„Sie waren verliebt.“, unterbrach Yuki die anderen. „Ais Vorfahren und Úmmei waren ineinander verliebt. Es kann doch also sein, dass niemand außer ihm von dieser Prophezeiung wusste.“

„Er war in sie verliebt?“, fragte Ai und schaute Yuki verwundert an.

„Ja.“, erwiderte diese mit einem Lächeln. „Ich denke, dass geht eindeutig hervor. Und sie muss ihn wohl auch geliebt haben. Wie schrecklich es für ihn gewesen sein muss zuzusehen, wie seine Geliebt hingerichtet wurde.“

„Es wäre ohnehin unmöglich gewesen.“, sagte Kaname daraufhin schlicht.

„Warum?“, fragte Ai.

„Úmmei war ein Reinblut und besaß noch dazu diese seltene Gabe. Die Clays sind zwar Adlig, aber eine Beziehung der beiden wäre niemals gutgeheißen worden.“

„Das ist traurig.“, sagte Ai und zog die Spieluhr noch einmal auf. Mit diesem Wissen, erschien ihr die Melodie noch schwermütiger. Ihre Finger zeichneten sanft das verschlungene Kleeblatt nach. Es sollte anderen Glück bringen.

„Er hat es erst später herausgefunden.“, sagte Ai plötzlich und Zero sah sie aufmerksam an.

„Was meinst du?“

„Mein to-san. In dem Brief den meine Mutter geschrieben hat, steht dass mein Vater nicht wusste, woher das Wappen kam. Hier wird es aber erklärt. Also muss er den Brief gefunden haben, als ich bereits geboren wurde oder vielleicht kurz davor.“, erklärte sie etwas hastig.

„Das könnte möglich sein.“, sagte Zero. „So hat er auch von der Prophezeiung erfahren. Vielleicht er sofort verstanden, von wem die Prophezeiung sprach.“

„Ich dachte, diese Schrift kann nicht jeder lesen.“, merkte Jinmu an.

„Offenbar konnte er es.“, sagte Zero. „Wenn es dieser Yue in der Familie weitergeben wollte, hat er sicher dafür gesorgt.“ Aber das es über so einen langen Zeitraum wirklich geschehen war, war erstaunlich.

„Das ist ja alles ganz nett, aber nicht wirklich das was uns interessiert oder?“, warf Kaito ein und alle Augen richtete sich auf ihn. „Ich weiß ja nicht, wie ihr zugehört habt, aber es kam eindeutig das Wort Warnung vor.“

„Hieß es nicht auch an einer anderen Stelle, wer etwas glaubt, wird sich so verhalten, damit es auch wahr wird?“, versuchte sich Yuki an den Wortlaut zu erinnern.

„Wer etwas glaubt, wird sich entsprechend so verhalten, damit sein Glaube wahr wird.“, las Kaname noch einmal vor.

„Eine selbsterfüllende Prophezeiung.“, sagte Aidou mehr zu sich selbst. „Ich habe schon davon gelesen. Was?!“, fragte er, als er die Blicke der anderen auf sich spürte. „Ach tatsächlich?“, fragte sein Cousin ungläubig.

„Ja, natürlich. Ich bin schließlich ein Genie, schon vergessen?“, lobt er sich selbst und erntete dafür ein lautes Stöhnen von den anderen.

„Komm endlich zum Punkt!“, fuhr Kaito ihn wenig freundlich an.

„Es ist nur eine Theorie über die Kraft der Gedanken. Dabei heißt es, dass alles was man denkt und woran man glaubt auch tatsächlich eintreten wird, eben weil man immer wieder daran denkt. Deswegen spricht man von einer selbsterfüllende Prophezeiung. Man steuert sein handeln unbewusst so, dass es irgendwann eintreten wird.“

„Also sollen wir nicht mehr daran denken?“, fragte Ai verwirrt.

„Ähm... Ich weiß es nicht.“, erwiderte Aidou unsicher. Kain verdrehte die Augen.

„Er sprach aber auch davon, dass einige Prophezeiungen erst eingetroffen waren, nachdem man versuchte sie zu verhindern.“, sagte nun Zero.

Aidou sah zu Kaname und versuchte dessen Gedanken zu ergründen. Dachte er an das gleiche wie er? Als Zero diese Worte ausgesprochen hatte, hatte Aidou daran denken müssen, was er bereits schon einmal zu Kaname gesagt hat: das Ai zwar vielleicht der Auslöser für den Untergang sein konnte, Zero aber die ausführende Kraft. Zum Beispiel, wenn sie versuchen würden Ai etwas anzutun oder sie ihm wegzunehmen.

„Aber es steht auch drin, dass man es akzeptieren soll, um es verhindern zu können.“, erwiderte Kaito. „Wenn ihr mich fragte, hilft uns der Brief kein Stück weiter. Wir sind immer noch da, wo wir vorher auch schon waren. Es klingt eher nach dem wirren Gerede eines Mannes, der noch unter Schock stand und nicht wusste, was er da von sich gab. Es ist alles nur ein ‚könnte‘, ‚wäre‘, ‚vielleicht‘ und ‚möglichweise‘ und nichts Konkretes. Wir sollten unsere Zeit nicht weiter damit verschwenden, sondern endlich mal darüber reden, was wir jetzt machen!“

Ein wenig erstaunt, sahen die anderen ihn an. Doch bevor einer der anderen darauf reagieren konnte, hörten sie plötzlich, wie sich die Tür öffnete.

Alle Köpfe drehten sich verwundert in die gleiche Richtung. Zero sah zu Jinmu. War es jemand von den Hunter oder Vampiren?, fragte er ihn stumm, doch Jinmu zuckte nur die Schultern. Also konnte es wohl nur ein Gast sein. Zero stand auf, um den Ankömmling mitzuteilen, dass heute noch geschlossen war.

„Es tut mir leid, aber wir haben heute noch-“, begann er, brach aber überrascht ab.

„Hey, na wie geht’s?“, begrüßte sein Gegenüber ihn salopp und grinste ihn breit an.

Ein schwerer Gang

Ein schwerer Gang
 

Als Ai den Mann sah, war sie plötzlich putzmunter. „Sassi!“, rief sie aufgeregt und stürmte auf ihn zu. Sie fiel ihm in die Arme und er drückte sie herzlich an sich. Gleichzeitig knurrte er: „Ich hasse es, wenn du mich so nennst.“ Auf seinem Gesicht lag dennoch ein leichtes Lächeln.

„Ich weiß.“, erwiderte Ai frech und grinste breit.

„Ai!“, mahnte Zero sie, auch wenn er die beiden mit ihrer Art untereinander schon kannte, daran gewöhnen würde er sich wohl nie.

„Ja, ja.“, erwiderte sie uninteressiert und umarmte den Fremden immer noch.

„Ich könnte wetten, dass du nach meinem letzten Besuch noch hübscher geworden bist.“, machte er ihr ein Kompliment. „Wenn du doch nur 10 Jahre älter wärst! Ich würde dich sofort heiraten!“

„Ganz bestimmt nicht.“, sagte Zero ohne zu zögern und Ai und der Unbekannte mussten kichern.

Yuki betrachtete ihn genau und irgendwie kam ihr sein Gesicht bekannt vor. Sie konnte nur nicht so richtig sagen woher. Sein Grinsen erschien ihr irgendwie vertraut, obwohl sie genauso gut wusste, dass es eigentlich unmöglich war. Er hatte schwarzes Haar und karamellfarbene Augen. Ein Räuspern riss Yuki aus ihren Gedanken, aber auch den Mann vor sich. Denn dieser schien sie und die anderen erst jetzt wahrzunehmen.

„Oh, tut mir leid. Ich habe euch sicher gestört.“

„Nein, wir wollten sowieso gerade gehen.“, erwiderte Jinmu und erhob sich. Die anderen taten es ihm gleich.

„Ich wollte wirklich nicht stören.“

„Hör auf dich zu entschuldigen.“, sagte Zero und klang ein wenig gereizt.

„Dabei habe mich noch nicht einmal vorgestellt, wie unhöflich. Erzähl das bloß nicht meiner Mutter.“, flüsterte er an Ai gewandt und zwinkerte ihr zu. Diese legte den Finger verschwörerisch auf die Lippen und zwinkerte ebenfalls.

„Und wer sind sie?“, durchdrang Kaname die fröhliche Atmosphäre. Der Fremde schien sich davon allerdings nicht beeindrucken zu lassen, denn sein Lächeln und seine offene Art verschwanden nicht.

„Sayuka Sasuke. Ich weiß, schrecklicher Name.“, stellte er sich in einem Zug vor.

„Sie sind der Sohn der Sayukas?“, fragte Aidou ein wenig überrascht.

„Ja. Die Ähnlichkeit ist nicht besonders groß oder? Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Das ist unwichtig. Sie wollten gerade gehen.“, ging Zero schroff dazwischen. Fragend sah Sasuke ihn an, zuckte dann aber mit den Schultern.

„Wir haben noch einige Fragen an sie.“, antwortete Kaname. Zero warf ihm einen kalten Blick zu, doch noch bevor er etwas erwidern konnte sagte Jinmu: „Das mag zwar sein, aber ich denke für heute reicht es. Bitte entschuldigen sie unsere Unhöflichkeit, mein Name ist Jinmu. Ich bin sicher wir lernen uns später noch kennen.“

Sasuke nickte knapp, ließ seinen Blick nun aber sehr genau über die anwesenden Gäste schweifen.

„Bis bald.“, verabschiedete sich Yuki von Ai und umarmte auch sie noch einmal. Dann sah Yuki kurz zu Zero, doch er sprach gerade mit Jinmu. Dieser nickte daraufhin. Unsicher drehte sich Yuki um und sie und die anderen verließen das Gasthaus.

„Ai, nimm Sasuke nicht so sehr in Beschlag. Ich bin sicher seine Eltern wollen ihn auch so schnell wie möglich begrüßen.“

Betreten schaute Ai nach unten, nickte aber brav. Im gleichen Moment ging oben auf dem Flur eine Tür auf und Schritte waren zu hören.

„Wer ist denn jetzt gekommen?“, fragte Frau Sayuka, als sie am oberen Ende der Treppe stand.

„Hallo Mom.“, sagte Sasuke und grinste sie verschmitzt an.

„DU!“, rief seine Mutter und rannte die Treppen herunter. Zero hatte kurz Angst, dass sie stürzen würde, doch da hatte sie ihren Sohn bereits erreicht und schloss ihn in die Arme. „Wo warst du so lange?! Warum hast du nicht geschrieben?! Wie konntest du mir das antun?! Weißt du welche Sorgen ich mir gemacht habe! Wage es nie wieder so lange fortzubleiben! Nicht einmal hast du dich gemeldet! Seit einem halben Jahr nicht! Ich habe wer weiß was gedacht, was dir zugestoßen ist!“, schimpfte sie auf ihn ein, ohne einmal richtig Luft zu holen. Dabei ließ sie ihn aber nicht los.

Sasuke warf Zero einen flehende Blick zu, doch dieses Mal war er es, der mit den Schultern zuckte, als wollte er sagen: „Selber schuld.“

„Mom, es tut mir leid. Wir waren so weit weg, da hätte es sich nicht gelohnt zu schreiben. Ich wäre lange vor meinem Brief wieder hier gewesen.“, antwortete er und versuchte sich aus ihrer Umarmung zu winden.

„Ach, erzähl doch nicht! Die Post ist viel schneller geworden! Du hättest auch mal anrufen können! Oder ein Telegramm schicken!“

„Ja, Mom.“, gab sich Sasuke schließlich geschlagen und verdrehte die Augen. „Ich verspreche es wird nie wieder vorkommen.“

Zero wandte ihnen den Rücken zu und Jinmu folgte ihm in die Küche. Ai sah ihnen einen Moment hinterher, wusste aber, dass ihre Anwesenheit wohl nicht erwünscht war. Dennoch glaubte sie zu wissen, was ihr Papa mit Jinmu zu bereden hatten.
 

„Was werden sie jetzt tun?“, fragte Zero sein Gegenüber, als sie in der Küche standen.

„Wir werden uns beraten. Du kennst die Abläufe.“, antwortete er ungenau.

„Was ich wissen will ist, ob sie ihre Entscheidung noch einmal überdenken.“, fragte Zero mit scharfer Stimme.

Einen Moment zögerte Jinmu und Zero wurde ganz blass im Gesicht. Er wusste, was dieses Schweigen zu bedeuten hatte. Umso mehr, überraschte ihn Jinmus Antwort: „Ja, das werden wir. Weißt du, warum ich Anaki und Christian mitgebracht habe?“

Verwirrte schüttelte Zero den Kopf. Was hatte das mit seiner Frage zu tun?

„Anaki ist erst 23 aber bereits Vater einer kleinen Tochter. Von allen hier, kann er dich als Vater am besten einschätzen. Christian hat eine bemerkenswerte Menschenkenntnis und Beobachtungsgabe. Er erkennt Lügen oft schon durch eine einzelne Geste oder ein Wort.“

„Ihre Entscheidung hängt also von ihnen ab? Davon was sie beobachtet haben und ob sie uns glauben?“

„Nein, natürlich nicht. Aber sie werden sie beeinflussen. Du solltest jedoch wissen, dass wir uns in unserer Entscheidung nicht von persönlichen Gefühlen beeinflussen lassen werden. Wir werden für das entscheiden, was auf lange Sicht das Beste ist.“

„Sie reden über ein Kind!“, fuhr Zero ihn an. „Sie werden es niemals ganz sicher wissen!“

„Nein, das werden wir nicht.“, stimmte Jinmu ihm ruhig zu.

„Ich will, dass sie etwas bei ihrer Entscheidung bedenken.“

„Und das wäre?“

„Erinnern sie sich bei ihrer Entscheidung an die Worte von Clay Yue. Es waren erst die Versuche die Prophezeiungen zu verhindern, die sie erst möglich machten. Ich werde niemals zulassen, dass sie Ai auch nur ein Haar krümmen. Glauben sie mir, sie würden es bitterlich bereuen. Ai ist meine Tochter!“ Seine Stimme war voll von Autorität und Entschlossenheit. Auch wenn Jinmu sich nicht rührte, wusste Zero, dass seine Botschaft verstanden worden war. Er würde Ai niemals kampflos aufgeben.

„Ich werde daran denken. Aber du solltest dir ebenso darüber im Klaren sein, dass du Kompromisse eingehen musst.“

Als Antwort nickte Zero. Natürlich war ihm dies bewusst. Damit war das Gespräch beendet.

„Guten Abend, Zero.“, sagte Jinmu zum Abschied und ging. Zero folgte ihm aus der Küche und blickte direkt in Sasukes verwundertes Gesicht.

„Zero?“, fragte er. Zero atmete hörbar aus. Er hatte genug für diesen Tag erzählt.

„Weiß du, das ist so... also...“, begann Ai zögerlich und wusste nicht, wie sie es sagen sollte und ob sie überhaupt durfte.

„Es ist viel passiert, seit du weg warst.“, sagte Frau Sayuka und streichelte ihrem Sohn über die Wange.

Fragend sah Sasuke in die Runde und dann zu Zero, als erwartete er eine Antwort von ihm. In den Jahren, die Zero bei den Sayukas lebte waren er und Sasuke recht gute Bekannte geworden. Zero mochte den jungen Mann, wegen seiner Ehrlichkeit und lockeren Art, mit der es immer schaffte andere aus noch so trüben Gedanken zu reisen. Vielleicht waren sie auch so etwas wie Freunde, doch Zero verbot sich darüber nachzudenken. Er hatte keine Freunde verdient, schon gar nicht, wenn die Freundschaft von Anfang an auf Lügen basierte.

Trotzdem gab es etwas, was Zero mit Sasuke verband: Taiki. Es war jener Vampir, der Zero regelmäßig die Bluttabletten schickte. Er war auf dem gleichen Schiff angeheuert wie Sasuke und die beiden waren sogar eng befreundet. So zumindest sagte es Sasuke. Zero hatte Taiki nicht wieder gesehen. Er wollte es auch nicht.

„Bekomm ich jetzt eine Antwort?“, fragte Sasuke ungeduldig. Doch Zero schüttelte nur den Kopf. Er würde es an diesem Tag nicht noch einmal erzählen können.

„Erzählen sie es ihm bitte, Frau Sayuka. Ich möchte Ai ins Bett bringen.“, sagte er, konnte Sasuke jedoch nicht in die Augen sehen. Natürlich brauchte Ai den Schlaf, aber er selbst fühlte sich ebenfalls müde.

„Aber Papa, ich will noch mit Sasuke reden.“, wiedersprach Ai sofort.

„Ich weiß, aber dazu wirst du morgen noch genug Zeit haben. Sasuke wird heute Nacht nicht wieder abreisen und du willst ihm doch sicher ein bisschen Zeit mit seinen Eltern gönnen, bevor du ihn ganz in Beschlag nimmst.“

„Ja, aber...“, setzte sie an und schob dann schmollende die Unterlippe vor.

„Ai, ich möchte dass du dich noch ausruhst.“, erwiderte Zero sanft, aber bestimmt. „Ich will nicht, dass es dir plötzlich wieder schlechter geht.“

„Warst du etwa krank Ai?“

„Ja.“, knirschte sie mit den Zähnen.

„Na, dann bestehe ich darauf, dass du dich ausruhst. Sonst bekommst du mein Geschenk nicht. Damit können nämlich nur gesunde Mädchen etwas anfangen.“, sagte Sasuke streng und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Nein! Ich geh ja schon, ich geh ja schon!“, rief Ai theatralisch und hatte den ersten Fuß schon auf der Treppe.

„Siehst du? So macht man das.“, wandte sich Sasuke breitgrinsend an Zero. Dieser seufzte laut. „Natürlich. Du musst es ja wissen. Wie viele Kinder hast du noch mal gleich?“, fragte er spitz.

„Keines, aber das heißt ja noch lange nicht, dass ich nicht weiß, wie es geht.“, konterte Sasuke frech. Zero verdrehte die Augen. „Wir sprechen noch mal darüber, wenn du mitreden kannst. Außerdem sollst du ihr doch nicht immer etwas mitbringen.“

„Ach lass mich doch.“

„Genau, lass ihn doch.“, gab Ai ihm recht und die beiden grinsten sich an.

„Was ist mit dem Abendessen?“, fragte Frau Sayuka dazwischen.

„Wir essen oben. Danke für alles.“, erwiderte Zero und verbeugte sich leicht.

„Gern geschehen.“

Dann schob Zero Ai vor sich her und die vier gingen die Treppe nach oben.

„Wo ist Pa?“, fragte Sasuke, als sie oben ankamen. „Er müsste uns doch gehört haben.“

Frau Sayuka lachte leise.

„Er macht ein kleines Schläfchen. Du weißt doch, dass er dann nichts hört.“

„Stimmt. Aber warum schläft er gerade jetzt? Das ist doch sonst nicht seine Art.“

„Es ist viel passiert. Ich werde die gleich alles erklären. Guten Nacht , ihr Zwei.“, wünschte sie Zero und Ai. Zero nickte ihr kurz zu und Ai sagte: „Guten Nacht. Bekomm ich morgen mein Geschenk?“

„Ja, natürlich.“, antwortete Sasuke.

Zero gab ihr einen sanften Schubs nach vorn und schloss dann die Tür hinter sich.

Erst als Ai im Bett lag und die Stille der Nacht sich über das Haus senkte, wurde sich Zero bewusst, dass Yuki mit den anderen gegangen war, ohne sich zu verabschieden.

Erschöpft ließ er sich in den Sessel im Wohnzimmer fallen und starrte in die dunkle Nacht. Sein Geist blieb von wild durcheinander wirbelnden Gedanken verschont. Er war müde und hätte er die Kraft dazu gehabt, wäre er sofort zu Bett gegangen. Doch so blieb er sitzen und sah weiter zu den Sternen empor.
 

Es war nach Mitternacht und Zero versuchte nun schon seit Stunden einzuschlafen. Er war erschöpft, sein Geist und sein Körper, das konnte er deutlich spüren und dennoch wollte ihn der Schlaf einfach nicht erreichen. Zu vielen ging ihm wieder im Kopf herum. Er hasste es.

Irgendwann stand er schließlich auf. Vielleicht würde ein Tee sein überreiztes Gemüt beruhigen. Er ging im Dunklen in die Küche und schaltete erst dort das Licht an. Als er in den Küchenschrank sah, musste er jedoch feststellen, dass er gar keinen Tee mehr hatte. Etwas verwundert runzelte Zero die Stirn. Er konnte sich gar nicht erinnern, so viel Tee verbraucht zu haben. Erst dann fiel ihm ein, dass Yuki ja immer wieder Tee gekocht hatte, während er an Ais Bett gesessen hatte.

Zero seufzte leise und überlegte einen Moment. Kurz warf er noch einen Blick ins Ais Zimmer, dann entschloss er sich nach unten zu gehen und sich dort einen Tee zu kochen. Es würde ihn beschäftigten und seine Gedanken vielleicht davon abhalten sich ständig im Kreis zu drehen.

Als er an der Treppe stand, sah er im Gastraum Licht brennen. Er hörte das Rascheln einer Zeitung. Wer von den Sayukas war denn um diese Uhrzeit noch munter?, fragte er sich und ging nach unten. Dort sah er Sasuke am Tresen sitzen und eine Zeitung umblättern. Die andere Hand hatte er an einem Löffel, mit dem er langsam und in Gedanken versunken in der Tasse umrührte. Erst als Zero ihm im Licht stand, blickte er auf und ein typisches Lächeln bildete sich auf seinem Gesicht. „Noch jemand, der nicht schlafen kann.“, sagte er und schlug eine weitere Seite der Zeitung um.

„Ja. Ich hätte nicht gedachte, hier jemand anzutreffen. Was trinkst du?“

„Kaffee. Ich komme irgendwie nicht los von dem Zeug, dabei schmeckt es mir nicht mal besonders.“

„Und da wunderst du dich, warum du nicht schlafen kannst?“

Sasuke lachte leise. „Wahre Worte.“ Dann beugte er sich wieder über seinen Zeitungsartikel. Zero ging hinter den Tresen und nahm sich aus einer Schublade einen Teebeutel. Die Sayukas verpönten so etwas, dennoch hatten sie immer eins, zwei Sorten davon ihm Haus – nur für den Notfall, wie sie immer so schön sagten.

„Das Wasser müsste noch heiß sein.“, sagte Sasuke ohne aufzublicken.

Zero stellte den Wasserkessel noch einmal auf die, extra dafür eingebaute, Herdplatt und es dauerte nicht lange und das Wasser kochte. Das heiße Wasser goss er in die Teetasse. Gleich darauf stieg ihm der Duft von verschiedenen Kräutern entgegen. Es kam Zero fast schon so vor als würde dies allein genügen, um seine Nerven zu beruhigen. Mit der Tasse in der Hand ging er um den Tresen herum und setzte sich rechts neben Sasuke.

Eigentlich wartete er nur darauf, dass Sasuke etwas zu den Dingen sagte, die seine Mutter ihm zweifellos erzählt hatte. Doch er schwieg und las seine Zeitung. So rührte Zero in seinem Tee und hing abermals seinem eigenen Gedanken nach. Er bemerkte nicht einmal, wie Sasuke irgendwann die Zeitung zuschlug und ihn musterte. Erst als dieser sagte: „Zero, also?“, zuckte er zusammen und sah ihn an.

Er nickte schlicht.

„Und Ichiru war dein Bruder?“, fragte Sasuke weiter und wieder nickte Zero. Bevor er jedoch darüber nachdenken konnte fügte er an: „Er ist tot.“

„Mmh...“, brummte Sasuke und Zero wusste, dass er ihn verstand. Wahrscheinlich war er der Einzige, der ihn überhaupt verstand. „Standet ihr euch nahe?“

Zero blickte den Mann neben sich an. Er war nur ein paar Jahre jünger als er selbst und doch waren sie äußerlich fast gleich alt. „Er war mein Zwilling.“, antwortete er bloß.

„Verstehe.“, erwiderte er knapp. Wieder schwiegen sie eine Weile und Zero spürte, dass Sasuke etwas sagen wollte, sich aber nicht sicher war, ob es angebracht war. Nach wenigen Sekunden des Zögerns sagte er dann: „Willst du darüber reden?“

Zero musste bitter lachen. „Ich habe noch nie mit jemanden darüber gesprochen.“, erwiderte er fast ein wenig zu bissig und bereute es im nächsten Moment. „Nicht einmal mit Ai.“, seufzte er.

„Aber sie weiß von ihm?“

„Ja. Sie kennt die grobe Geschichte, mehr nicht.“

„Aber du hattest nicht das Gefühl, dass sie dich versteht.“

„Das wollte ich auch nicht, ich wollte nur, dass sie es weiß.“

„Wer von euch war der Ältere?“

„Ich.“, antwortete Zero und schob seine Teetasse beiseite. Plötzlich war ihm der Kräutertee zu wider geworden. Auch, wenn er sicher war, dass Sasuke ihn verstehen würde, wollte er nicht darüber reden. Er hätte zu viel von der Wahrheit auslassen müssen.

„Es kann sein, dass wir von hier weggehen müssen. Ai und ich.“, sagte Zero stattdessen. Sasuke runzelte die Stirn, als könnte er nicht ganz folgen.

„Es wird langweilig ohne euch werden. Es ist wegen Ai oder? Weil diese Männer, die heute da waren, glauben sie wäre irgendwie gefährlich.“

Zero nickte kurz. „Das glauben sie nicht nur von ihr.“

„Wo geht ihr hin?“

„In meine Heimat.“, antwortete er kurz. „Ich war noch nie...“, setzte Zero an, brach aber gleich wieder ab. Das Gespräch mit Sasuke hatte etwas in ihm berührt, was er lange Zeit verdrängt hatte. Etwas, das nun mit der Aussicht zurückzukehren, wieder an die Oberfläche drängte. „Wie war es... als du... das erste Mal... das erste Mal an seinem Grab warst.“, flüstert Zero zögerlich. Er vermied es Sasuke anzusehen und starrte stattdessen nach unten, als würde dort die Antwort stehen.

Sasuke atmete geräuschvoll aus. „Du warst noch nie dort?“, fragte er behutsam.

„Ich bin nicht wieder dort gewesen seit... damals.“

Einen Moment sah Sasuke ihn nachdenklich an. Vielleicht gab es auch etwas, worüber er nicht reden wollte, dachte Zero. Dann fuhr ein Ruck durch Sasukes Körper und er stand auf. Wortlos ging er um den Tresen herum und nahm aus dem obersten Regal zwei Gläser und aus einem anderen eine Flasche Sake.

„Für diese Unterhaltung brauchen wir etwas Stärkeres.“, sagte er ernst und gesellte sich wieder zu Zero. Dieser wiedersprach nicht einmal. Vielleicht hatte er nicht einmal unrecht. Sasuke schenkte ihnen beiden ein. Im Anschluss stießen sie gemeinsam an. Schweigend tranken sie den ersten Schluck.

Dann stellte Sasuke sein Glas ab und drehte es leicht hin und her. „Haben die meine Eltern erzählt, dass ich erst später zu seinem Grab gegangen bin?“

Zero nickte kurz. Das haben sie erwähnt.

„Haben dir meine Eltern auch erzählt, dass ich derjenige war, der Kira fand?“

Erschrocken sah Zero sein Gegenüber an. Nein, das hatten sie nicht erzählt.

„Dachte ich mir.“, wisperte Sasuke. Er trank noch einen großen Schluck von dem Sake und senkte dann den Kopf. „Ich war der Letzte“, fuhr er schließlich fort. „Man musste Kira verbrennen, weil der Boden gefroren war und man kein Grab ausheben konnte. Erst im März war die Urnenbeisetzung.“ Sasuke begann nervös mit dem Knie auf und ab zu wippen, während er sich noch einmal nachschenkte. Es viel ihm sichtlich schwer darüber zu reden.

„Sasuke du musst nicht-“, wollte Zero ihn unterbrechen, doch er hörte ihn gar nicht. Er erzählte weiter. „Alle anderen waren schon dort, ich glaube sogar die gesamte Stadt, aber ich konnte mich nicht dazu... überwinden. Sie machten mir keine Vorwürfe und drängten mich auch nicht, aber ich sah den verwunderten und gleichzeitig besorgten Blick.

„Ich konnte einfach nicht. Mehr als einmal stand ich vor den Friedhofstoren und starrte darauf, aber ich konnte mich nie dazu bringen auch reinzugehen. Hätte ich es getan, hätte ich seinen Tod akzeptiert. Das konnte ich einfach nicht.

„Immer wenn ich allein in meinem Zimmer war, hatte ich das Gefühl, dass er jeden Moment die Tür aufreißen würden und mir ganz begeistert von einem seiner Bücher erzählen würde, oder was er gesehen und gehört hat. Manchmal war er eine richtige Tratschtante.“, lachte Sasuke traurig. „Ich sah auf die Tür und wartete darauf, dass sie aufging, aber das tat sie einfach nicht. Nie.“

„Ich vermisste ihn so sehr, dass ich mich nachts sogar in sein Zimmer schlich, um nachzusehen, ob er dort war. Alles lag noch so da, wie an dem Tag, an dem er... starb.

„Ich begann Bücher von ihm zu lesen, in dem glauben, ich könnte ihm dadurch näher sein, benutzte Dinge, die er benutzt hatte. Wenn sie mir gepasst hätten, hätte ich sicher auch seine Sachen angezogen. Ich schlief sogar manchmal in seinem Bett.

„Es war eine furchtbare Zeit und immer gab es nur diese eine Frage: Warum gerade er? Ich kannte zu dieser Zeit nur noch zwei Extreme: Verzweiflung oder Wut. Ich war wütend auf diese Stadt, den Wald, die Lawine, auf eine Eltern, einfach alles, aber hauptsächlich auf mich selbst. Und wenn ich das nicht war, starrte ich stundenlang vor mich hin. Ich konnte nicht einmal weinen.

„Natürlich machten sich meine Eltern sorgen, genauso wie meine Freunde. Im späten Sommer erst schafften sie es mich dazu zu überreden wieder mit ihnen auszugehen. Während ich mit ihnen unterwegs war, überkamen mich die Schuldgefühle erneut. Wenn ich damals nicht weggegangen wäre, wäre Kira vielleicht nicht allein in den Wald gegangen, überlegte ich.

„Also betrank ich mich. Es war ein angenehmes Gefühl. Meine Stimmung hob sich und Kiras Tod lastete nicht mehr zu schwer auf meinen Schultern. Und wenn ich genug trank, fiel ich in mein Bett und schlief sofort ein. Ich musste nicht mehr den ganzen Tag und die ganze Nacht darüber nachdenken. Das ging ungefähr einen Monat so. Bald merkte ich aber, dass der Effekt nicht mehr lange anhielt. Noch während ich trank, wusste ich, dass ich nachts mit Kopfschmerzen aufwachen würde, dass die Verzweiflung und Schuld unaufhaltsam weiter in meinen Kopf hämmern würde. Irgendwann bin ich dann einfach gegangen. Ich kümmerte mich nicht um meine Freunde. Ich lief einfach los.

„Ich war betrunken und hatte kein Ziel, dennoch kam ich irgendwann zum Friedhof.“ Sasuke holte Luft und trank noch einen Schluck. Zero sagte nichts, doch er fand sich in Sasuke wieder.

„Ich weiß nicht, was mich getrieben hat, aber ich... Der Friedhof war verschlossen und das machte mich wieder wütend. Ich rüttelte am Tor und zerrte am Schloss, in dem Versuch das Tor aufzubrechen. Ich war so wütend. Ich durfte meinen Bruder so schon nie wieder sehen, jetzt durfte ich nicht einmal mehr zu seinem Grab, wenn ich es wollte! Also kletterte ich über die Mauer. Es war stockdunkel und ich stolperte oft. Aber das lag wohl nicht nur an der Dunkelheit.“, lachte Sasuke bitter.

„Ich war zwar bei der Urnensetzung dabei gewesen, konnte mich aber kaum an etwas erinnern. Deswegen hat es auch gedauert, ehe ich seine Grabstelle fand. Doch als ich dann direkt davor stand, traf es mich wie ein Schlag. Die Realität setzte ein und zum ersten Mal, dachte ich, dass ich meinen Bruder für immer verloren hatte, dass er nicht zurückkommen wird, ganz egal, wie lange ich auf ihn warten würde.“

„Ich brach heulend zusammen.

„Keine Ahnung, wie lange ich da saß. Immer wieder hatte ich seinen Anblick vor Augen, wie er oben in diesem Baum saß, mit dem Buch in den Armen. Ich habe noch nie so viele Schmerzen empfunden.

„Wenn ich bedenke, dass Ai fast das Selbe passiert wäre, könnte ich kotzen.

„Bei Tagesanbruch hatte ich schließlich keine Tränen mehr übrig. Ich bin wieder über die Mauer geklettert und durch ein paar Gassen nach Hause gegangen. Ich wollte niemanden sehen und mit niemanden reden. Meine Eltern waren schon ganz verrückt vor Sorge. Ich glaube, sie hatten Angst, ich hätte mir etwas angetan. Dan ganzen Tag über habe ich wirklich daran gedacht, mich... mir... aber das konnte ich ihnen nicht antun. Ich habe ihnen nicht erzählt, wo ich die ganze Nacht war. Sie wussten es auch so.“

Sasuke hörte auf zu erzählen und trank sein Gals in einem Zug leer. Würde es ihm genauso gehen, fragte sich Zero.

„Wird es besser?“, sprach Zero laut aus. „Wird es leichter?“

„Nein.“, erwiderte Sasuke kurz. „Es kostet mich immer noch Überwindung dahin zu gehen. Ich weiß, dass ein Teil von Kira da unten liegt, aber es ist nicht mein Bruder.“

„Ich weiß, was du meinst.“, antwortete Zero schlicht.

„Warte ab. Irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, an dem du sicher bist, dass du es tun willst und kannst. Mein Verhalten war nicht vorbildhaft und vielleicht sogar falsch und ganz sicher armselig, aber sonst hätte ich es wohl bis heute nicht geschafft.“ Schweigen senkte sich über sie.

„Ich werde wohl weggehen.“, sagte Sasuke plötzlich in die Stille und Zero sah ihn irritiert an. „Ich meine, ich werde nicht mehr in diese Stadt zurückkommen, um hier zu leben. Zumindest habe ich mir das vorgenommen.“

Jetzt verstand Zero ihn gar nicht mehr.

„Was glaubst du warum ich zur See gegangen bin?“, beantwortete Sasuke seine unausgesprochene Frage. „Dabei hätte es auch jeder andere Ort sein können. Ich wollte damals einfach nur weg. Ich konnte es nicht ertragen hier zu bleiben. Das ganze Jahr nach Kiras Tod hatte ich diese Unruhe in mir, war angespannt und schnell gereizt. Und als dann der Winter erneut einbrach und die Lawine kam, bin ich fast verrückt geworden. Ich konnte das Geräusch nicht mehr ertragen, konnte den Schnee nicht mehr sehen, die Kälte, die Stadt. Ich musste raus hier und bin gegangen, sobald sich das Wetter beruhigt hatte und die Straßen passierbar waren.

„Vielleicht war das feige von mir, aber so geht es mir jetzt auch noch.“

„Sie werden traurig darüber sein, aber es verstehen, wenn du es ihnen so sagst.“, versuchte Zero ihm zu helfen. „Aber warum klingst du trotzdem so unsicher?“

Sasuke seufzte. „Das hier ist mein zu Hause.“, antwortet er und zuckte mit den Schultern. „Es geht nicht darum, dass ich nicht mehr an Kiras Grab könnte, das hat für mich keine Bedeutung. Es ist vielmehr so, dass eben auch so viele schöne Erinnerungen mit diesem Ort verbunden sind. Dieses Haus, der See, der Wald im Sommer, selbst mit der Schule. Das alles ist genauso ein Teil von mir, wie das andere. Und jedes Mal, wenn ich auf See bin verspüre ich Heimweh und den Wunsch hierher zurückzukommen, meine Eltern und Freunde zu sehen. Wenn ich dann jedoch wieder hier bin, möchte ich am liebsten für immer gehen.“

„Du musst es ja auch nicht sofort entscheiden, du hast doch noch Zeit.“, versuchte Zero ihm Mut zu machen. Sasuke lachte kurz auf, was Zero abermals verwirrte.

„Ich bin 29 und ich... Ach ich weiß nicht. Ich will nicht den Rest meines Lebens auf See verbringen, so viel weiß ich inzwischen schon. Ich... ich habe jemanden kennengelernt.“, sagte er zögerlich. Zero hob eine Augenbraue. Wurde Sasuke gerade tatsächlich ein wenig rot? Dabei sprach er sonst immer ganz frei und offen von seinen Freundinnen – obwohl man die Frauen wohl nicht richtig so nennen konnte.

„Ich kann mir vorstellen, dass es was Ernstes wird, aber wenn es so wird, muss ich mir darüber im Klaren sein, was ich eigentlich will. Wo ich mir ein Leben aufbauen will. Meine Mutter liegt mir schon seit Jahren mit Enkelkindern in den Ohren. Was würde sie sagen, wenn ich ihr erzähle, dass ich mein Leben auf einem anderen Kontinent aufbaue? Ich weiß nicht, ob ich ihr, ihnen, das antun kann und wenn ihr jetzt auch noch fortgeht, werden sie ganz allein hier sein.“

„Ich kann dir dazu nichts raten.“, sagte Zero langsam. „Wenn ich eine Wahl hätte, würde ich sehr gern hierbleiben, auch mit dem was fast geschehen wäre. Ich denke schon, dass du noch ein wenig Zeit hast und es muss ja nicht gleich ein anderer Kontinent sein.“

„Ich weiß nicht. Bist du bei dir selbst auch so optimistisch?“

fragte Sasuke bissig. „Tut mir leid. Ich glaube mit diesem Gespräch haben wir uns die ganze Nacht versaut.“

„Da gab es nicht mehr sehr viel, was schlimmer werden konnte.“

„Auch wieder war, also dann: Prost.“, sagte Sasuke und hob sein Glas erneut. Beide stießen gemeinsam an.
 

Am nächsten Morgen versammelten sich die Hunter und Vampire schon sehr früh im Konferenzraum des Hotels. Diejenigen, die am Vortag nicht mit bei Zero und Ai gewesen waren, erhielten eine kurze Zusammenfassung. Sie alle wurden äußerst Aufmerksam, als sie Clay Yues Worten hörten.

„Jetzt müssen wir also entscheiden, wie wir weiter verfahren wollen, was mit Zero und Ai geschehen soll.“, endete Jinmu. Aus seiner Stimme war deutlich zu hören, dass ihm dieser Gedanke ganz und gar nicht behagte, ganz besonders da sich hier schwarz und weiß vermischten.

„Ich dachte, es war schon alles entschieden.“, sagte Takeru, einer der jüngsten Hunter, der sie begleitet hatte.

„Diese Entscheidung ist hinfällig.“, sagte Yuki noch bevor Jinmu antworten konnte. „Ihr habt alle gehört, wie sich Zeros Leben verändert hat. Ihr kennt die Warnung von Yue. Diese Dinge müssen Berücksichtigung finden.“, fuhr sie energisch fort.

„Ich sehe es genauso.“, unterstützte sie Aidou. Außerdem fügte er an:„Wir haben Ai kennengelernt, ohne zu wissen, dass sie das Kind aus der Prophezeiung ist. Ohne diesen Text wäre ich wohl niemals auf den Gedanken gekommen, dass dieses Kind eine Gefahr sein soll und wenn ich ehrlich bin, glaube ich es auch jetzt nicht.“ Kain nickte neben ihm.

„Wir wissen nicht, wie viel von einem Vampir wirklich in ihr ist. Im Moment deutet nichts darauf hin, dass sie überhaupt etwas geerbt hat. Sie scheint ein vollkommen durchschnittliches Mädchen zu sein.“, sagte Kain.

Yuki dankte den beiden im Stillen. Besser hätte sie es auch nicht sagen können.

„Was sagst du Kaito?“, wandte sich Jinmu an ihn. „Du hast sie doch auch kennengelernt. Wie war dein Eindruck?“

„Mmh...“, Kaito überlegte einen Moment, „Ich weiß es nicht, muss ich ehrlich gestehen. Von ihrer Art her ist sie wirklich ein normales Kind, vielleicht etwas verzogen, aber nicht anders als die andern Bälger. Dennoch sollten wir uns davon nicht täuschen lassen.“

„Glaubst du, dass irgendwann einmal eine Gefahr von ihr ausgehen könnte?“, fragte Yuki ihn und dieses Mal hatte sie ihre Stimme unter Kontrolle. Zero hatte ihr erzählt, wie Kaito Vampiren gegenüberstand. Seine Meinung würde mit ausschlaggebend sein.

„Diese Frage lässt sich niemals einfach beantworten. Wer sagt mir, dass nicht auch von dir einmal eine Gefahr ausgehen könnte?“, erwiderte Kaito bissig. „Du bist schließlich ein Reinblut und die waren schon immer für ihre Unberechenbarkeit bekannt.“

„Vorsicht.“, warnte Kaname kühl.

„Ich sage nur wie es ist.“, gab er ungerührt zurück. „Was Ai betrifft, kann niemand sagen, dass sie immer dieses liebe, nette Mädchen bleiben wird.“

„Du findest sie lieb und nett?“, fragte Yuki erstaunt.

„Das wolltest du doch hören.“, konterte er. „Allerdings kann man das von keinem Kind sagen.“, fügte er an, was Yuki nur umso mehr erstaunte. Sie wusste einfach nicht, was sie von diesem Mann halten sollte.

„Na, klasse.“, seufzte Jinmu. „Das hat uns jetzt sehr geholfen.“

„Steht’s zu diensten.“

„Wenn man sie unter ständiger Beobachtung hielte,...“, murmelte einer der Hunter, den Yuki nicht kannte. „Aber das kann wohl kaum gewährleistet werden und natürlich vorausgesetzt, wir entschließen uns dazu, sie nicht zu töten.“

„Ich würde das gern ausschließen.“, sagte Jinmu. „Als wir das entschieden haben, wussten wir nicht, dass es ein elfjähriges Mädchen ist, von der die Prophezeiung spricht. Außerdem... Zeros Worte waren eindeutig.“

„Das klingt, als hätten sie Angst vor ihm.“, sagte Kaname und musterte ihn aufmerksam.

„Ich denke, wir sollten das nicht leichtfertig sehen. Ich habe ihn damals vor 20 Jahren auch gesehen und ich bin nicht sehr erpicht darauf, mich dem zu stellen. Können wir uns also erst einmal darauf einigen, dass wir sie nicht töten?“

„Ja.“, kam es fast gleichzeitig von Yuki, Kain, Aidou, Takuma, Anaki und Christian. Kaito zuckte wieder nur mit den Schultern und dann wandten sich alle zu Kaname um. Seine Worte würden alles andere entscheiden.

In Yukis Augen erkannte Kaname Flehen, Erwartung und Hoffnung.

„Ich bin einverstanden.“, sagte er schließlich. Yuki atmete neben ihm hörbar aus und aus den Augenwinkeln sah Kaname, wie sich ein breites Lächeln auf ihr Gesicht stahl. „Ich stimme Kaito dennoch zu, dass wir nicht wissen können, wie sie sich entwickelt. Deswegen steht es außer Frage, sie unbeobachtet zu lassen.“

„Ich stelle mir das sehr schwierig vor. Ein Kind, noch dazu Zeros Tochter, kann man nicht ständig beobachten und kontrollieren.“, sagte Takuma.

„Ich denke nicht, dass man ihm das Kind überhaupt lassen sollte.“, sagte Kaname sachlich.

„Das kann nicht dein ernst sein!“, ging Yuki sofort dazwischen. „Zero, lieb dieses Mädchen, wie sein eigen Fleisch und Blut. Ihm Ai wegzunehmen, wäre genauso als ob... als ob... er Ichiru noch einmal verlieren würde.“ Yuki wusste, dass es genauso für Zero sein würde. Nur würde er sich davon niemals wieder erholen.

„Er war bereit Kompromisse einzugehen.“, merkte Jinmu an.

„Das ist ein sehr weiter Begriff.“, kam es von Aidou.

„Seit wann seid ihr zwei so gut befreundet?“, fragte Senri spitz.

Aidou schüttelte den Kopf. „Ich finde wir sollten dabei auch an Ai denken: Was wäre für sie das Beste? Wie können wir ihr Leben so beeinflussen, dass es eben nicht so kommt, wie in der Prophezeiung vorhergesagt? Wir müssen positiv auf sie einwirken und dazu gehört nun mal Zero. Sie hat Zero als ihren Vater anerkannt und liebt ihn. Ihn ihr wegzunehmen wäre meiner Meinung nach nicht ratsam. Ai hat eigentlich schon genug Grund sowohl Vampire als auch Hunter zu hassen.“

„Anaki, Christian, ihr habt euch selber ein Bild machen können. Welchen Eindruck hattet ihr?“, wandte sich Jinmu an die beiden jungen Hunter.

Anaki räusperte sich bevor er sprach. „Ehrlich gesagt, kann ich nicht verstehen, wie er es geschafft hat, die ganze Zeit über so ruhig zu bleiben. Ich an seiner Stelle hätte schon längst die Beherrschung verloren. Zero und Ai brauchen sich gegenseitig. Er benutzt das Mädchen auch nicht als Vorwand, um sich selbst in Sicherheit zu wiegen. Er ist ihr Vater, wenn auch nicht durch Blut verbunden. Man darf ihn nicht übergehen oder ihm gar das Kind wegnehmen. Er würde sich rächen und das zu recht. Und sollte es wirklich hart auf hart kommen, werde ich mich jederzeit auf seine Seite stellen.“

„Ich schließ mich ihm an.“, sagte Christian. „Die beiden sind so vertraut miteinander, wie es nur bei Eltern und ihren Kindern der Fall ist. Soweit ich es beurteilen kann, hat er nicht einmal gelogen. Ich denke zwar, dass es noch die ein oder andere Sache gibt, die er uns nicht erzählt hat, aber wir wissen alles, was wir für eine Entscheidung wissen müssen. Ich glaube auch nicht, dass ein weiteres Gespräch mit diesem Sasuke neue Erkenntnisse bringen würde.“

„Ihr seid also jetzt auf seiner Seite?“, fragte Kaito etwas ungläubig.

Anaki und Christian sahen sich einen Moment an. „Wir sollten uns doch unser eigenes Bild von ihm machen, nur deswegen sind wir hier. Wir glauben beide nicht, dass von ihm eine Gefahr ausgeht, solange dem Mädchen nichts geschieht und sie bei ihm bleibt. Er könnte erst dazu werden, wenn wir versuchen würden ihm das Kind wegzunehmen.“

„Christian hat recht. Jeder Vater, der sein Kind liebt, würde alles tun, um es zu beschützen, ganz gleich was es getan hat oder vielleicht noch tun könnte.“

Yuki dankte den beiden stumm. Anaki und Christian haben sich frei ihr Urteil gebildet. Dagegen konnte niemand etwas sagen – hoffte sie zumindest. Und wenn die beiden sogar bereit waren, Zero zu helfen, sollte das den anderen doch zu denken geben.

„Vielleicht sollten sie sich erst einmal darüber im Klaren sein, was mit Zero geschehen soll, bevor wir über Ai entscheiden.“, erhob Kaname erneut das Wort.

„Was meinst du damit, Onii-sama?“

„Gegen Zero liegt immer noch ein Haftbefehl vor. Was soll damit geschehen? Wollen sie die Dinge von damals einfach so auf sich beruhen lassen? Dabei haben sie so lange nach ihm gesucht.“

Yuki wurde ganz blass. Warum musste er jetzt davon beginnen? Warum konnte man die Sache nicht einfach vergessen? Yuki war sicher, dass Zero damals nichts unrechtes getan hat. Das könnte er einfach nicht und Rido hatten sie beide getötet. Dann müsste man sie ebenso dafür schuldig sprechen. Und die Sache mit Shizuka war niemals eindeutig gewesen. Sie hatten niemals Beweise gefunden, dass es wirklich Zero gewesen war. Das alles basierte nur auf Vermutungen.

„Ich gebe es nicht gern zu, aber er hat recht.“, stimmte Kaito zähneknirschend zu.

„Nein, das können wir nicht unberücksichtigt lassen.“, stimmte auch Jinmu zu und verfiel in nachdenkliches Schweigen.

Die Entscheidung

Hallo erst einmal... mit diesem Kapitel werden es nur noch zwei weitere sein, dann ist es vorbei. =) Ich freu mich schon drauf, aber ich glaube, dass sage ich jedes Mal. ^^°

Einige haben angemerkt, dass ich das höfliche „Sie“ bitte große schreiben sollte. Ich habe es gelesen und dann lange darüber nachgedacht. Natürlich ist es rechtschreiblich korrekter, es im Text so zu schreiben. Allerdings haben ich es in den 31 Kapitel auch nicht gemacht und wollte es wegen der Einheitlichkeit nicht jetzt ändern. Ich nenne es künstlerische Freiheit, denn wenn man es spricht, hörte man ja nicht, ob das sie nun großgeschrieben wird oder nicht. Ich hoffe ihr könnte mir diese Eigenwilligkeit verzeihen und hab dennoch viel Spaß beim Lesen.

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Die Entscheidung
 

Am nächsten Morgen stand Ai bereits gegen sieben Uhr vor Zeros Bett und weckte ihn, in dem sie immer wieder seinen Namen flüsterte.

Langsam öffnete Zero die Augen und es dauerte einen Moment, ehe er Ai wahrnahm und wieder wusste, wo er sich eigentlich befand. Doch dann war er hellwach.

„Ai, was ist los? Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. In den gesamten fünf Jahren war es noch nie vorgekommen, dass Ai vor ihm wach war und schon gar nicht, dass sie ihn weckte. So war es nur natürlich, dass er vom Schlimmsten ausging.

„Ja, es geht mir gut.“ Erleichterte atmete Zero aus. Er wollte sie gerade fragen, was sie dann an sein Bett trieb, als sie auch schon weiter sprach: „Ich möchte in die Schule gehen.“

Wortlos starrte Zero sie an. Dann legte er eine Hand auf ihre Stirn. „Du hast wieder Fieber bekommen.“, sagte er. „Du halluzinierst.“

Ai kicherte leicht, nahm seine Hand jedoch von ihrem Kopf und drückte sie leicht. „Nein, es geht mir gut, wirklich. Ich möchte nur in die Schule gehen.“

„Was?“

„Ich möchte in die Schule gehen, das sagte ich doch.“

Zero schüttelte den Kopf. „Wer bist du und was hast du mit meiner Tochter gemacht?“, fragte er ungläubig. Wieder musste Ai kichern.

„Ich bin es wirklich und mir geht es wirklich, wirklich gut.“, wiederholte sie noch einmal.

„Aber Ai, du hast noch nie gesagt, dass du freiwillig in die Schule willst!“, rief Zero aus.

„Ja, ich weiß.“, sagte sie etwas verlegen. „Das wird auch das einzige Mal sein, glaube ich... aber... Wenn wir vielleicht wirklich umziehen müssen, dann... weiß ich ja nicht, wie lange ich Kimi und die anderen noch sehen werde und ich wollte mich verabschieden.“

Jetzt sah Zero sie überrascht an und zog sie an sich.

„Wie kommst du darauf?“, fragte er sie und strich ihr über den Rücken.

„Sie werden doch bestimmt wollen, dass wir immer in der Nähe sind, dort wo sie uns beobachten können oder nicht?“

Kurz nickte Zero. Sie hatte es verstanden, noch bevor er mit ihr darüber gesprochen hatte. Sie war traurig darüber, schien es aber auch mit Fassung zu tragen. Alles was sie nun wollte, war sich von ihren Freunden richtig zu verabschieden.

„Ach Ai, ich verstehe dich ja.“, erwiderte er schließlich. „Dennoch solltest du noch zu Hause bleiben und dich ausruhen. Ich verspreche dir, dass du selbstverständlich Zeit haben wirst, um dich von ihnen zu verabschieden.“

Ai schüttelte den Kopf. „Das weiß ich, trotzdem möchte ich heute gehen. Ich freue mich sogar schon

irgendwie.“, lächelte sie ihn an. Zero hob noch einmal fragend die Augenbrauen, doch Ai nickte nur wieder. Dann seufzte er und gab sich somit geschlagen.

„Ich werde mir diesen Tag rot im Kalender anstreichen.“

„Tu das, das passiert so schnell nicht wieder. Ich geh mich anziehen!“, sagte Ai fröhlich und verschwand aus dem Zimmer. Kopfschüttelnd sah Zero ihr hinterher. Dann stand auch er auf und zog sich an. Er musste träumen, dachte er. Niemals würde Ai sonst freiwillig in die Schule gehen wollen.

Doch als sie zusammen beim Frühstück saßen und Ai davon erzählte, wie sehr sie sich auf Kimi und ihre Klassenkameraden freute, wurde ihm bewusst, dass es wohl doch kein Traum war. Noch einmal schüttelte er den Kopf.

„Ich dachte du wolltest den Tag heute mit Sasuke verbringen?“, erinnerte er sie schließlich daran. Ai bis sich auf die Lippen und runzelte die Stirn. „Du hast gestern ja gesagt, dass er nicht gleich wieder abreisen wird. Das war doch nicht gelogen oder?“

„Nein, natürlich nicht.“

„Dann werde ich heute Nachmittag noch ganz viel Zeit haben. Außerdem schläft er bestimmt bis Mittag.“

„Na, darin seid ihr euch ja beide sehr ähnlich.“, spottete Zero und Ai grinste nur zurück.

„Können wir heute Nachmittag auch zu Kiras Grab gehen?“, fragte Ai dann und wurde wieder ernster.

„Ja, selbstverständlich.“

„Kann Yuki auch mitkommen?“

Zero seufzte abermals. „Ich weiß nicht, ob sie Zeit hat.“ Oder er es ihr erlaubt, fügte er in Gedanken an.

„Du wirst sie doch fragen oder?“

„Ja, das mache ich. Willst du nicht dabei sein, wenn sie über uns entscheiden?“

Ai schüttelte den Kopf. „Ich habe darüber nachgedacht und ich würde wirklich gern hierbleiben. Aber wenn es nicht geht, dann geht es nicht. Solange wie ich bei dir bleiben kann, bin ich mit allem einverstanden. Außerdem würde ich den Rektor und Yagari besser kennenlernen. Ich glaube, er ist ganz lustig.“

„Wer? Der Rektor oder Yagari?“, fragte Zero verwirrt.

Ai überlegte einen Moment, während sie nachdenklich in ihrer Schale Müsli rührte.

„Beide.“, sagte sie schließlich und aß weiter.

„Lass das bloß nicht meinen Meister hören.“, warnte Zero sie vor.

„Nein! Oh und ich kann auf die Cross Akademie gehen. Die Uniformen sind so hübsch.“

„Auf keinen Fall!“, sagte Zero sofort und etwas zu laut. Im gleichen Augenblick bereute er es, als er Ais Gesichtsausdruck sah. „Ach, Ai es tut mir-“

„Warum denn nicht?“, sagte sie noch bevor er etwas sagen konnte. „Ich bin schließlich zu Hälfte ein Vampir und die Schule ist für Menschen und Vampire. Vielleicht gehöre ich ja dort hin.“, sagte sie fast ein wenig trotzig. „Ich kann nicht leugnen, was ich bin.“

„Ai, so meinte ich das nicht. Was ich meinte war,...“ Zero brach ab. Wie konnte er ihr verständlich machen, warum er eben nicht wollte, dass sie auf diese Schule ging.

„Möglichweise hast du recht.“, gestand er dann ein. „Aber ich möchte einfach nicht, dass du jetzt schon darin verwickelt wirst.“

„Das verstehe ich nicht.“, sagte sie ehrlich und blickte ihn irritiert an.

„Wenn es nach mir ginge, würden wir das Gespräch hier gar nicht führen. Wir würden hier bleiben und du würdest mit Kimi und den anderen hier zur Schule gehen, ganz normal. Du würdest mit der Welt der Vampire und Hunter nicht weiter in Berührung kommen und könntest eine Kindheit haben, die du verdient hast glücklich, frei und unbeschwert. Wenn wir zurückgehen und du auf die Cross Akademie gingest, dann würdest du das nicht haben können, sondern gleich mit in diese ganzen Angelegenheiten konfrontiert. An dieser Schule würde es viel schwerer sein herauszufinden, wem du vertrauen kannst und wem nicht. Es würde schwerer sein, echte Freunde zu finden.“ Zero rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. „Entschuldige, das hört sich sicher verwirrend für dich an. Ich weiß nicht so ganz, wie ich es sonst ausdrücken soll. Ich will einfach, dass es für dich anders ist, als es für mich damals war.“

„Das verstehe ich.“, antwortete Ai langsam. Kurz lächelte Zero sie an.

„Was hältst du davon, wenn du erst einmal auf eine gewöhnliche Schule gingest, sagen wir bis zur High School und danach können wir immer noch mal neu entscheiden?“ Einen Moment dachte Ai darüber nach, dann nickte sie. „Das klingt gut.“, erwiderte sie und rührte wieder in ihrem Müsli.

„Willst du jetzt immer noch zur Schule?“, fragte Zero sicherheitshalber.

„Ja!“, antwortete Ai prompt und ohne zu zögern.

„Na los, dann iss auf. Du willst doch wohl nicht gleich am ersten Tag zu spät kommen.“

Ai schüttelte den Kopf und löffelte die Schüssel leer.
 

Zero brachte Ai in die Schule, wo sie herzlich von all ihren Klassenkameraden begrüßt wurde. Ai drehte sich nicht einmal mehr nach ihm um, als sie den Klassenraum betrat und er wusste, dass er für den Moment nicht mehr gebraucht wurde. Nach einer kurzen Unterhaltung mit dem Lehrer, der ihn umgehend verständigen sollte, sollte es Ai wieder schlechter gehen sollte, verließ er das Schulgebäude auch schon wieder und ging zum Gasthaus zurück.

Auf seinem Weg überlegte Zero, wann er wohl von Jinmu und den anderen hören würde. Würden sie eine rasche Entscheidung treffen oder würde es sich hinziehen? Zero wusste nicht so recht, was ihm lieber war. Je eher er und Ai Klarheit hätten, desto besser wäre es - gerade für Ai. Doch je später die Entscheidung kam, desto länger würden sie noch in Koritokái bleiben können.

All diese Gedanken zerschlugen sich jedoch, als er bei den Sayukas ankam und Frau Sayuka ihn bereits erwartete.

„Du hast einen Anruf bekommen. Du möchtest dich bitte um eins im Hotel einfinden.“

„Ich möchte bitte? Haben sie das wirklich so gesagt?“, fragte er zweifelnd.

„Ja.“

„Wer hat denn angerufen?“

„Yuki. Sie klang nicht sehr glücklich, sagte aber, ich solle dir ausrichten, dass alles in Ordnung ist.“

Fragend sah Zero Frau Sayuka an. Das konnte alles bedeuten.

„Es wird alles gut werden.“, erwiderte sie daraufhin, als hätte er es laut ausgesprochen.

„Woher wollen sie das wissen?“, fragte er zweifelnd.

„Weibliche Intuition.“, antwortete sie lächelnd. „Aber bevor du den ganzen Vormittag mit Grübeln zubringst, könntest du dich nützlich machen. Wir öffnen heute Mittag wieder und haben bereits einige Bestellungen. Es sind noch jede Menge Möhren zu putzen und Kartoffeln zu schälen.“

„Ich freu mich schon.“, antwortete er ein wenig bissig.

„Wusste ich doch! Und wenn ich es schaffe Sasuke zu wecken, wird er dir sicher gern helfen.“

„Wenn sie das sagen.“, schmunzelte Zero und begab sich in die Küche.
 

Die Arbeit lenkte ihn ab und er konnte nicht leugnen, dass ihm das Kochen wirklich Spaß machte. Er selbst aß zwar nicht unbedingt gern und er hatte auch keine bevorzugte Speise, aber er mochte den Geruch und die Farben, die die unterschiedlichen Zutaten ergaben.

Pünktlich war er im Hotel. Ai hatte er nicht abgeholt, obwohl er ernsthaft überlegt hatte, sie mitzunehmen. Doch die Ungewissheit ihrer Entscheidung hatte ihn sich dagegen entscheiden lassen. In den kommenden Stunden, so glaubte er, könnte alles passieren. Im Hotel meldete er sich kurz an der Rezeption an und wurde dann in den fünften Stock geführt. Dieser schien aus verschiedenen Konferenzräumen zu bestehen. Er wurde zum hintersten Raum geführt und schließlich allein gelassen. Kurz atmete Zero noch einmal durch, dann betrat er den Raum, ohne anzuklopfen.

Sie warten auf ihn.

Aufmerksam blickte sich Zero um. Sie waren alle gekommen, alle Hunter und Vampire, die auch schon vor dem Gasthaus auf ihn gewartet hatten. Zero versuchte in ihren Gesichtern zu lesen, doch sie verrieten nichts. Einzig und allein Yuki lächelte ihn schwach an. Sie saß neben Kaname, der ihn kalt musterte.

„Zero, setzt dich doch bitte. Wie geht es Ai? Wir haben angenommen, du bringst sie mit.“, begrüßte Jinmu ihn.

„Es geht ihr gut.“, antwortete Zero knapp und beließ es dabei, während er zu dem letzten freien Platz ging.

„Also?“, fragte Zero, sobald er sich gesetzt hatte. Er wollte jetzt endlich Klarheit haben.

„Wir haben lange darüber diskutiert, wie wir mit all den Informationen, die wir in den letzten Tagen und Wochen gesammelt haben, verfahren sollen. Es war nicht leicht. Zudem liegt immer noch ein Haftbefehl gegen dich vor, den wir nicht missachten können.“ Sofort verspannte sich Zero und richtete sich gerade auf. Doch er schwieg.

„Bevor wir dich wieder trafen, wussten wir nicht, wie wir dich einschätzen sollen.“, fasste Jinmu die Sachlage kurz zusammen. „Und ehrlich gesagt, wissen wir das immer noch nicht.“

Aufmerksam und Abwartend sah Zero ihn an. Es lagen ihm viele Dinge auf der Zunge, doch nichts davon sprach er aus. Er hatte genug Zeit gehabt zu lernen, dass Schweigen manchmal mehr wert war. „Deswegen haben wir noch ein paar letzte abschließende Fragen an dich.“ Zero atmete genervt aus, doch noch bevor er etwas erwidern konnte, sprach Jinmu weiter: „Hast du Hio Shizuka getötet?“

Ausdruckslos starrte Zero sein Gegenüber einen Moment an, dann atmete er tief durch, bemüht den aufwallenden Zorn zu kontrollieren.

Welche Antwort erwartete sie von ihm? Sie alle glaubten, dass er es war. Er hatte den meisten Grund dazu gehabt. Doch er hatte seine Rache nicht bekommen. Ein anderer war ihm zuvorgekommen. Doch das wussten sie nicht. Und jetzt nach alle den Jahren, war er nicht einmal sicher, ob eine Rache ihm wirklich so viel Genugtuung verschafft hätte.

„Nein.“, antwortete er schließlich mit fester Stimme. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Christian knapp nickte.

„Weißt du, wer es war?“, fragte Jinmu ihn weiter.

Er presste den Kiefer zusammen, aber auch dann antwortete er kurz: „Nein.“ Dieses Mal zog Christian eine Augenbraue hoch. „Stimmt etwas nicht?“, fragte Jinmu ihn.

Christian schwieg einen Moment und sah Zero in die Augen. Was ging in diesem Mann vor?, fragte sich Zero. War er wirklich so leicht zu durchschauen?

„Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe mich geirrt.“, erwiderte Christian mit einem Schulterzucken.

„Gut, dann können wir ja weiter machen.“, murmelte Jinmu und schien sich einen Moment neu zu sortieren. „Wie starb Ichiru?“, stellte er seine nächste Frage. Dieses Mal sank Zero in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Das hatte er doch bereits alles erzählt! Warum fragten sie ihn noch einmal danach?

„Das sagte ich ihnen bereits.“, antwortete Zero deswegen.

„Hast du ihn getötet?“ Zero wandte die Augen ab und sah starr aus dem Fenster. Die Schuld in ihm schrie laut ‚ja‘, doch noch bevor er selbst etwas sagen konnte, kam ihm Yuki zuvor: „Nein.“

Erstaunt blickten die anderen sie an, dann wieder zu Zero. „Ich hätte es verhindern können.“, sagte er schließlich.

„Willst du immer noch alle Reinblüter vernichten?“, fragte Jinmu weiter, ohne auf Zeros letzte Antwort einzugehen. Abermals presste Zero den Kiefer zusammen und er sah zu Kaname. Er hasste dieses Reinblut aus tiefsten Herzen und er wollte ihn vernichten. Aber es gab noch etwas anderes, war wichtiger für ihn geworden war.

„Solange sie mir keinen Anlass dazu geben, nein.“, sagte er schlicht. Aus einem Impuls heraus fügte er an: „Ich will mein Leben mit Ai weiterführen. Das hat Priorität“

Stumm nickte Jinmu. Dann griff er zu der Rolle Pergament, die die ganze Zeit schon vor ihm gelegen hatte und öffnete sie.

„Wir, die Gesellschaft der Hunter und der Vampire, beschließen im Falle von Kiryuu Zero und Miharu Clay Ai, folgendes Urteil:
 

Kiryuu Zero wird gegenwärtig die Vormundschaft von Miharu Clay Ai übertragen. Er hat dafür Sorge zu tragen das Mädchen entsprechend ihres Alters zu bilden und zu versorgen. Weiterhin trägt er Verantwortung für die Unbefangenheit Miharu Clay Ais gegenüber Vampiren und Hunter.
 

Kiryuu Zero wird dazu verpflichtet seinen Dienst als Hunter wieder aufzunehmen. Die ihm erteilten Aufträge hat er wiederstandlos und gewissenhaft auszuführen. Unternehmungen, die dem Wohl der Hunter und der Vampire schaden, sind ihm verboten.

Als Partner wird ihm Takamiya Kaito zugeteilt. Diesem hat er sich unterzuordnen und seinen Anweisungen folge zu leisen. Ferner hat Kiryuu Zero die Gesellschaft über jegliche Aktivitäten zu informieren, die er gedenkt unabhängig der zuvor genannten zu unternehmen. Die Gesellschaft der Hunter wird stets und ständig über sein und den Verbleibt von Miharus Clay Ai informiert sein. Ein Chip, der Kiryuu Zero unter die Haut implantiert wird, wird dies gewährleisten. Sollte er gegen eines der oben genannten Punkte verstoßen oder versuchen den Chip zu entfernen, macht er sich strafbar.

Ihm wird sofort die Vormundschaft von Miharu Clay Ai entzogen. Gleichzeitig wird ihm der Prozess gemacht.
 

Sollte Kiryuu Zero eine Bedrohung darstellen, die dem Wohl der Menschen, Hunter und Vampire schadet, kann der Befehlt zu sofortigen Exekution erteilt werden.
 

Sollte er sich an die Vereinbarungen halten ist eine Lockerung nach strenger Prüfung möglich.
 

Miharu Clay Ai wird gegenwärtig in die Obhut von Kiryuu Zero gegeben. Sie wird dazu verpflichtet sich regelmäßigen Tests zu unterziehen, die ihre Fähigkeiten überprüfen und Steigerungen sowie Ungewöhnlichkeiten erkennbar machen. Bei diesen Tests werden sowohl Hunter als auch Vampire anwesend sein. Beiden Seiten ist es nicht erlaubt Überprüfungen ohne das Wissen des anderen und unabhängig voneinander durchzuführen. Sollte Miharu Clay Ai dies beobachten, hat sie dies sofort mitzuteilen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird es Miharu Clay Ai niemals gestattet sein sich in der Gesellschaft der Hunter oder der Vampire zu integrieren. Ihre Zukunft soll von beiden Seiten unbeeinflusst bleiben, um ein mögliches Eintreten der Prophezeiung gänzlich auszuschließen.
 

Änderungen können sich nach neuerlichen Prüfungen ergeben und werden entsprechend neu verfasst.
 

Unterzeichnet von Kuran Kaname, Kuran Yuki, Takamiya Kaito, Jinmu, Kiryuu Zero“
 

Drückendes Schweigen folgte.

Yuki sah deutlich, wie sehr Zero mit der Fassung rang. Immer wieder schlossen sich seine Hände zu Fäusten. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

Plötzlich sprang er auf und sofort erhoben sich auch die anderen. Sie rechneten alle mit einem Angriff. Doch Zero beachtete sie gar nicht, sondern er stürmte an ihnen vorbei, aus dem Raum heraus.

„Na, das war jetzt überraschend.“, sagte Kaito trocken.

Jinmu verdrehte die Augen und erwiderte nichts darauf. „Was machen wir jetzt?“, fragte er an die anderen gerichtet.

„Lassen sie ihm einen Moment Zeit.“, antwortete Yuki. „Ich rede mit ihm.“
 

Zero schaute nicht, wohin er ging. Es war ihm egal. Er musste nur weg von ihnen, bevor er sich gänzlich vergaß. Ohne zu überlegen, riss er eine der vielen Türen auf und schlug sie hinter sich zu. Dann lief er wie ein Tier im Käfig auf und ab.

Genau das würde er sein, dachte er bitter. Ein Tier in einem Käfig, das von allen anderen kontrolliert würde. Mit der Faust schlug er auf den Tisch. Dieser vibrierte darunter heftig, hielt aber stand. Mit beiden Händen stütze sich Zero auf der Tischplatte ab. Sein ganzer Körper zitterte vor Wut.

Das Biest in ihm wollte hervorbrechen und ihnen zeigen, was er von ihrem Entschluss hielt. Das war also der Preis! Ai durfte bei ihm bleiben, dafür war er für immer an sie gebunden – wieder einmal. Und Ai würde es genauso treffen!

Er konnte im Augenblick nicht sagen, was ihn wütender machte.

Zero griff sich an die Kehle, um das Tier in ihm zu beruhigen. Er musste sich beruhigen, bevor er ihnen wieder gegenüber trat. Aber er konnte nicht. Die Vorstellung etwas unter seiner Haut zu tragen, was ihnen immer sagen würde, wo er sich befand oder was er tat, war einfach widerlich. Dann könnten sie ihn gleich töten, ihn und Ai zusammen. Es wäre immer noch gnädiger, als ein Leben in ständiger Gefangenschaft.
 

Yuki stand unschlüssig vor der Tür. Sie konnte Zeros Zorn spüren. Er war so mächtig, dass es ihr den Atem raubte, dabei stand sie ihm nicht einmal gegenüber. Sie hatte mit dieser Reaktion gerechnet, dass hatten sie alle und sie wusste, dass ihre nächsten Worte entscheidend waren.

Vorsichtig öffnete sie die Tür. Zero stand vorübergebeugt, mit den Händen auf den Tisch, im Raum. Sein Körper bebte und sie sah, wie sich etwas unter seinem Gesicht bewegte. Ranken, die sie schon einmal gesehen hatte und die zerstören konnten.

„Verschwinde.“, zischte er. Was wollte sie? Er hatte schon genug Mühe damit, das Wesen in ihm zu bändigen, da brauchte er ihre Anwesenheit, ihre ständige Versuchung, nicht auch noch.

„Zero, bitte höre mir einen Moment zu.“, sagte sie sanft und leise, blieb aber an der Tür stehen.

„Du hast gesagt, es wäre alles in Ordnung. Nichts ist in Ordnung! Du willst dich von der Gefangenschaft deinen Bruders befreien und mich und Ai schickst du hinein?!“, blaffte er sie an.

Yuki versetzte es einen heftigen Stich und sie wurde einen kurzen Moment unsicherer. Sie beobachtete wie seine Finger tiefe Kratzer im Holz hinterließen, als er die Hände abermals zu Fäusten ballte.

„Nein, Zero, natürlich möchte ich das nicht.“, sprach sie dennoch weiter, genauso leise, wie zuvor. „Sie haben die ganzen Nacht über euch gesprochen und sich nichts einfach gemacht. Bitte glaubte mir, wenn ich sage, dass sie das Wohl aller im Sinne hatten und damit meine ich deines und Ais genauso, wie das der Hunter und Vampire. Es stimmt, die Prophezeiung macht ihnen Angst. Aber sie mögen Ai. Christian und Anaki haben sich sofort für euch eingesetzt, genauso wie Aidou, Kain und ich. Selbst Kaito sagte, es wäre doch ganz interessant zu sehen, was aus ihr würde. Die Entscheidung sie zu töten, war gleich zu Beginn hinfällig.

„Das was du gerade gehört hast, war das, womit die Vampire und Hunter gemeinsam leben können. Ai wird bei dir bleiben können, das ist das wichtigste. Ich weiß, dass du dafür den Preis zahlen musst und das tut mir aufrichtig leid. Doch es muss nicht für immer sein und... Zero du wirst nicht unter ständiger Beobachtung stehen. Der Chip dient zwar dazu, aber er wird ihnen nur anzeigen, wo du bist, nicht was du tust, was du denkst oder was du fühlst.“

„Du hast keine Ahnung“, unterbrach er sie.

„Nein, das habe ich wirklich nicht. Aber du musst jetzt eine Entscheidung treffen.“ Als ihre Stimme am Ende brach, sah er sie an. In ihren Augen standen Tränen. Es tat ihr wirklich leid. Aber sie hatte recht. Alles was er tun konnte, war zuzustimmen, um einen Kampf und Schlimmeres zu vermeiden. Er wollte Ai eine sorgenfreie Zukunft schenken. Und es hätte Ai tief verletzt, wenn er etwas tun würde, was ihm geschadet hätte. Es war nicht für immer, sagte er sich. Nur so lange, bis sie endlich einsehen würden, was für eine wundervolle Person Ai war und dass sie nie jemanden ein Leid zufügen würde. Und er selbst? Er wollte nichts anderes als Frieden. Er wollte frei sein von seiner Vergangenheit und seine eigene Zukunft schreiben.

Noch einmal atmete Zero tief durch und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war das Monster wieder verschlossen in seinem Inneren. Er musste aufpassen, dachte er. Zu oft, hatte er es in den vergangen Tagen geweckt. Irgendwann würde er es nicht mehr beherrschen können. Der Blick mit dem Yuki ihn ansah, machte es ihm unheimlich schwer.

Wortlos ging er auf Yuki zu und schloss sie in die Arme. Woher diese Geste kam, konnte er sich selbst nicht erklären. „Ich weiß, dass du recht hast.“, flüsterte er. Zeros warmer Atme streifte über ihre Wange und sie erschauderte. Ihre Knie wurden plötzlich weich und sie erwiderte seine Umarmung, um nicht zu stürzen.

„Ai möchte heute Nachmittag zu Kiras Grab gehen. Sie würde sich freuen, wenn du mitkommst.“, wisperte er mit rauer Stimme. Yuki war nur in der Lage zu nicken, während sie versuchte den Storm von aufwühlenden Gefühlen Herrin zu werden.

Dann ließ er sie genauso plötzlich wieder los und verließ das Zimmer.
 

Als er den Konferenzraum betrat, in dem die anderen waren, drehten sich alle Köpfe zu ihm um.

„Ich will, dass noch ein paar Dinge hinzugefügt werden.“, sagte er schließlich gepresst. Er musste es hinter sich bringen und dann diesen Raum verlassen. Er konnte es unmöglich länger ertragen in ihrer Anwesenheit zu sein. Trotzdem konnte er nicht umhin eine Erleichterung bei ihnen zu verspüren.

„Die wären?“, fragte Jinmu geduldig und zeigte sich kooperationsbereit.

„Ich werde keine Aufträge annehmen, die ein längeres Fernbleiben erfordern würden, maximal eine Nacht, nicht länger. Länger werde ich sie nicht allein lassen. Solange wie ich nicht da bin, werde ich sie bei Korusu Kaien und Yagari Toga lassen. Trotzdem soll für ihren Schutz gesorgt werden. Außerdem will ich selbst entscheiden, wann ich auf die Jagd gehe und wie ich es mache.

„Ich verlange, bei den Tests immer anwesend zu sein. Außerdem dürfen sie nicht in Ais Schulzeit fallen oder sich sonst irgendwie negativ auf ihr Leben auswirken. Sie dürfen von ihr nichts verlangen, was sei maßlos überfordern oder überanstrengen würde.

In fünf Jahren verlange ich weiterhin eine erneute Prüfung.“

Als er geendet hatte folgte abermals kurzes Schweigen. Zero sah die anderen an. Bis auf Kaname. Schließlich nickte Jinmu.

„Wenn es niemanden gibt, der dagegen Einwände hat, nehmen wir es genauso auf.“ Kurz wartete er ab, ob die anderen etwas zu sagen hatten. Als dies nicht der Fall war, machte er sich Notizen auf dem Pergament. „Ich werde es ändern und dir dann zum unterschreiben vorlegen.“

Zero nickte kurz. „Wann soll die Abreise sein?“, fragte er steif.

„Sobald wir möglich.“, erwiderte dieser. „Ich denke wir schaffen es bis morgen Früh.“

„Das geht nicht.“, widersprach Zero. „Ich muss Ai von der Schule abmelden und ich habe ihr versprochen, dass sie genug Zeit hat sich zu verabschieden. Ich habe auch Verpflichtungen, die ich nicht einfach so belassen kann.“

„Also schön, dann in drei Tagen.“, erwiderte Jinmu. Als er dies gehört hatte, drehte sich Zero um und wollte gehen.

„Zero!“, rief Kaito ihm nach und er drehte sich noch einmal um. „Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit.“, sagte er und grinste breit.

Ohne eine Antwort drehte sich Zero um und öffnete die Tür. Dort stand Yuki, die wohl gerade hinein wollte. Achtlos lief Zero an ihr vorbei und rempelte sie an. Er entschuldigte sich nicht bei ihr. Yuki sah ihm verwirrt hinterher. Es war, als wäre das, was zuvor geschehen war, nur ein Traum gewesen.
 

Zero ging geradewegs in das Gasthaus zurück. Dort traf er gleich am Tresen auf eine fröhliche Ai, die wild mit Händen und Füßen gestikuliert und Sasuke, der ihr aufmerksam zuhören und lächelte.

„Hallo.“, begrüßte Zero die beiden und sie erwiderten es. „Danke, dass du sie abgeholt hast.“, sagte Zero an Sasuke gewandt.

„Kein Problem. Sie hat mir gerade von eurer spannenden Flucht erzählt. Ich habe ja wirklich einiges verpasst.“

Zero seufzte kurz. „Glaube mir, dass hast du ganz und gar nicht.“

„Alles klar?“, fragte Sasuke ihn und sah ihn fragend an. Auch Ai war jetzt still.

„Ja, denke ich zumindest.“

„Was haben sie denn gesagt?“, fragte Ai und sah ihn aus großen Augen an. Zero zwang sich zu einem Lächeln.

„Du darfst bei mir bleiben.“

„Jippih!“, rief Ai laut und umarmte ihn stürmisch.

„Aber?“, fragte Sasuke und sofort löste sich Ai von ihm.

„Wir gehen zurück.“, erwiderte Zero kurz. Damit konnte Ai leben. Natürlich war sie sehr traurig, aber sie hatte sich den ganzen Tag schon Gedanken darüber gemacht. Von Koritokái wegzugehen erschien ihr nicht mehr als unmöglich. Solange, wie sie bei ihrem Papa bleiben könnte, war alles gut.

„Und?“, fragte Sasuke nun aber weiter und ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihr aus.

„Es sind ein paar Bedingungen daran geknüpft.“

„Welche denn?“, fragte Ai.

Zero fuhr sich nervös durch die Haare. Er wusste noch nicht, wie er ihr das alles erklären sollte. Er wusste nur, dass er ihr auf keinen Fall alles erzählen würde. „Lass uns heute Abend darüber reden, in Ordnung?“, sagte er deswegen.

„Stimmt was nicht?“

„Nein, ich... Mir geht es gut.“, versuchte Zero sie zu beschwichtigen. „Ich muss noch über ein paar Dinge nachdenken. Das wichtigste ist doch, dass wir zusammenbleiben oder?“

„Ja.“, erwiderte sie.

„Was habt ihr gemacht?“, war nun Zero an der Reihe Fragen zu stellen.

„Oh, wir haben zusammen Mittag gegessen und dann fing sie schon an zu erzählen. Vorher hat sie mich die ganze Zeit wegen dem Geschenk genervt, aber offenbar hat sie es schon wieder vergessen. Ich fühle mich ja ein bisschen gekränkt.“, sagte Sasuke in einem gespielt langweiligem Tonfall. Sofort schnellte Ais Kopf herum. „Stimmt ja! Das hatte ich wirklich vergessen! Aber jetzt ist Papa ja da, da kann ich es jetzt ja haben oder? Oder?“, bettelte sie.

„Ai.“, mahnte Zero sie, warf Sasuke aber einen dankbaren Blick zu. So dachte sie wenigstens nicht mehr an das andere.

„Ich hol es schnell.“

„Hast du Yuki gesagt, dass wir zum Friedhof gehen?“, schnitt Ai augenblicklich das nächste unliebsame Thema an.

„Ja, sie würde mitkommen.“, erwiderte Zero, ohne sie anzusehen.

„Hast du ihr eine Zeit gesagt?“

„Nein.“, erwiderte Zero knapp. Warum hatte er Yuki umarmt? Welcher Teufel war in dem Moment in ihr gefahren?

„Können wir sie dann anrufen, wenn wir gehen. Können wir am Hotel vorbei gehen?“

„Ja. Du kannst anrufen, bevor wir losgehen.“, sagte Zero und hoffte, dass er jetzt erst mal eine Ruhe hatte. Die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen machten sich bemerkbar. Etwas, was er eigentlich nicht kannte.

Im nächsten Augenblick kam Sasuke die Treppe wieder herunter und hatte eine kleine, blaue Schachtel in der Hand.

„Hier ist es.“, sagte er, verbeugte sich leicht vor Ai und reichte ihr die Schachtel.

Aufgeregt nahm sie es entgegen. „Was ist es?“, fragte sie. Sie drehte und wendete die Schachtel, als könnte sie so ihren Inhalt ergründen.

„Ich habe es gesehen und musste sofort an dich denken und bevor du dich aufregst“, wandte er sich an Zero, „es hat mich fast nichts gekostet. Ich habe es eher gefunden.“ Fragend sah Zero ihn an, vermied aber jegliches Kommentar.

Ai öffnete ihr Geschenk und stieß ein staunendes „Oh.“ aus. Zero beugte sich über ihre Schulter und sah ebenfalls hinein. In der Mitte des Kästchens lag ein Anhänger. Es war ein grüner, ungeschliffener Stein, an dessen oberen Ende eine Silberöse befestig war. Vorsichtig nahm Ai den Anhänger heraus und hielt ihn gegen das Licht. Es brach sich in dem Stein und er leuchtete mal heller und mal dunkler.

Ganz so, wie Ais Augen, dachte Zero.

„Was ist das für ein Stein.“, fragte Ai bewundernd.

„Das ist ein Smaragd und ich habe ihn dir mitgebracht, weil er mich so an deine Augen erinnert hat.“, antwortete Sasuke. Aus seiner Stimme konnte Zero hören, dass er wohl mit Ais Reaktion zufrieden war. „Gefällt er dir?“

Ai nickte und machte sich sofort daran, den Verschluss ihrer Kette zu lösen, an dem bereits der Anhänger ihres Vaters hing.

„Und so etwas hast du gefunden?“, fragte Zero skeptisch.

„Ja. Wir waren auf einer Insel, auf der verschiedene Edelsteine abgebaut werden. Kleinere Splitter liegen oft einfach herum.“

„Und man darf die mitnehmen?“, fragte Zero noch einmal, obwohl er nicht sicher war, die Antwort überhaupt hören zu wollen.

„Wenn es niemand merkt.“, antwortete Sasuke und grinste frech. Dabei sah er eher aus wie 16 und nicht wie 29, fand Zero. Er sparte sich jeden weiteren Kommentar und verdrehte stattdessen nur die Augen. Inzwischen hatte Ai den Anhänger auf die Kette aufgefädelt und diese wieder umgelegt. Trotz seines unwissenden Auges musste Zero feststellen, dass es doch recht hübsch aussah.

„Danke schön, Sasuke!“, rief Ai freudig und umarmte ihn noch einmal.

„Gern geschehen.“, erwiderte dieser und strich ihr über das Haar. „Wie sieht es aus, wollen wir auf den Friedhof gehen?“

„Ja. Ich ziehe mich nur schnell an und oh... die Nummer vom Hotel...“, erinnerte sie Zero. „Warte ich such sie dir heraus.“, sagte er und ging hinter den Tresen. Aus einer Schublade nahm er das Telefonbuch der Stadt. Rasch suchte er die Nummer heraus und sagte Ai, was sie sagen sollte, um zu Yuki durchgestellt zu werden.

Dann verschwand sie endlich nach oben.

„Es geht ihr schon wieder sehr viel besser.“, sagte Sasuke und zog sich ebenfalls seine Jacke an.

„Ja, ein Glück. Du musst nicht mit uns mitkommen, wenn du nicht möchtest.“

„Ach , schon gut. Die Bedingungen scheinen dir ja nicht sonderlich zu gefallen.“, merkte Sasuke an.

„Wie kommst du darauf?“

„Dein Gesicht spricht Bände. Als du hereingekommen bist, saßt du so aus, als hättest du in eine faule Zitrone gebissen.“

Zero erwiderte nichts, sondern schüttelte nur den Kopf. „Ich nehme aber an, du hast zugestimmt.“

„Ja. Was sollte ich sonst tun?“

„Diese Yuki, ist sie in der Stadt aufgewachsen?“

„Ja, warum fragst du?“

„Oh, ich will mal wissen, wie es dort so ist. Vielleicht lass ich mich auch da nieder. Es sieht verdammt danach aus, als könntest du einen Freund gebrauchen.“

„Du spinnst doch.“, rutschte es Zero heraus, was sonst gar nicht seine Art war. „Es wäre nicht gut für dich oder eine Familie, glaube mir.“

„Wo ist es das schon?“, erwiderte Sasuke und zuckte mit den Schultern. Fassungslos schüttelte Zero den Kopf. Dabei war er mehr über sich selbst erschrocken. Die Vorstellung, ließ etwas von der Enge, die sich seit dem er das Hotel verlassen hatte, um seine Brust geschlossen hatte, weichen.
 

Auf den Weg zum Friedhof gingen sie am Hotel vorbei, wo Yuki bereits auf sie wartet.

Sofort fiel Ai ihr freudestrahlend um den Hals.

„Wie geht es dir, Ai?“, fragte Yuki sie und strich ihr über die von der Kälte geröteten Wangen.

„Warum fragen mich das heute alle?“, wunderte sie sich und verdrehte genervt die Augen.

Yuki lachte leicht. Im Anschluss begrüßte sie Zero und Sasuke. Zero nickte nur knapp. Ob er Ai schon alles erzählt hatte?

„Sie war heute schon wieder in der Schule, also kann es nicht so schlimm sein.“, sagte Sasuke.

„Wirklich?“, fragte Yuki erstaunt.

„Ja, ich wollte, weil wir doch bald wegziehen müssen. Es war gar nicht so schlimm.“

„Erzählen sie mir doch von dieser Stadt, aus der sie kommen.“, fragte Sasuke interessiert. Erstaunt sah Yuki ihn an. Seine offene Art überrumpelte sie etwas.

„Ja, mir auch.“, bat Ai sie auch gleich.

Also erzählte Yuki während sie auf dem Weg zum Friedhof waren. Zero sprach die ganze Zeit kein Wort, sondern lief hinter ihnen her. Yuki konnte spüren, dass er noch immer aufgewühlt war und vielleicht schwang auch etwas Traurigkeit mit. Aber sie traute sich nicht ihn direkt zu fragen.

Auf dem Friedhof schwieg dann selbst Ai. Gemeinsam gingen sie zu Kiras Grab und jeder von ihnen dankte ihm im Stillen für seinen Schutz. Aus den Augenwinkeln betrachtete Zero seine Ziehtochter. Ihre Nase und Wangen waren gerötet und ihre Augen leuchteten. Sie sah vollkommen gesund aus. Nichts ließ mehr die schlimme Krankheit erahnen, die ihr vor wenigen Tagen fast das Leben gekostet hätte. Nur wiederwillig dachte Zero daran und augenblicklich stahl sich auch das Gesicht des Mannes in seine Gedanken. Nie würde er dieses Gesicht vergessen können und das Entsetzen, welches er empfunden hatte. Ob sie ihn wohl wieder sehen würden? Er hoffte es nicht. Obwohl er so nie Antworten auf seine ganzen Fragen bekommen würde.

„Papa, was ist?“, fragte Ai ihn und Zero schüttelte den Kopf. Er lächelte sie schwach an und trat ein Stück näher heran. Sein Blick ruhte einen Moment auf dem Grabstein: eine Säule aus Marmor, an deren Spitze ein Würfel aus grünem Glas saß, in dem sich das Sonnenlicht brach und ihn in tausenden von Grüntönen schimmern ließen.

Zero dachte an das Gespräch mit Sasuke, welches sie in der Nacht gehabt hatten. Er konnte die Gefühle des Anderen nur zu gut verstehen und es graute ihm regelrecht davor, das Grab seines eigenen Bruders irgendwann einmal aufsuchen zu müssen. Im Moment konnte er sich dies überhaupt nicht vorstellen. Er spürte Sasukes Blick auf sich und erwiderte ihn kurz, dann wandte er sich wieder an Ai. „Hast du die Kerzen?“, fragte sie, woraufhin sie aus ihrer Jackentasche drei Teelichter herausholte.

„Frau Sayuka hat sie mir gegeben.“

Zero nahm eine Schachtel Streichhölzer aus der Jackentasche und zündete damit die erste Kerze an. Ai nahm die zweite und hielt den Docht an die Flamme, so dass sie sich entzündete. Mit der behandschuhten Hand wischte sie den Schnee zu Seite und stellte dann das Teelicht auf die Grabplatte. Im Anschluss nahm sie das dritte Teelicht und betrachtete es einen Moment.

„Leb wohl.“, murmelte sie schließlich. Zero strich ihr sanft über den Kopf. Es war das letzte Mal, dass sie hier waren. Das muss Ai wohl gerade klar geworden sein.

Danach verließen sie den Friedhof schweigend wieder, während die Flammen der Kerzen sich sanft hinter ihnen im Wind wiegten.
 

Am Friedhofstor verabschiedete sich Sayuka von ihnen. „Sagt meine Mutter, dass ich zum Abendessen nicht da sein werde. Wir sehen uns morgen früh.“

„Wo willst du hin?“, fragte Ai neugierig.

„Dahin, wo kleine Mädchen nichts verloren haben.“, erwiderte er und steckte ihr die Zunge heraus.

„Bäh!“, machte es Ai ihm nach und Sasuke brauch in lautes Gelächter aus.

„Also manchmal frag ich mich, wer von euch beiden eigentlich das Kind ist.“, murrte Zero und Ai und Sasuke lachten noch mehr. Selbst Yuki konnte ein Lächeln nicht verbergen.

„Bis später!“, verabschiedete sich Sasuke und hob die Hand.

„Ich mag ihn wirklich sehr.“, sagte Ai.

„Ja, ich weiß.“

„Yuki, kommst du noch mal mit?“, fragte Ai sie nun. Doch diese schüttelte den Kopf.

„Tut mir leid, Ai. Aber es war wirklich eine anstrengend Nacht. Ich kann kaum noch die Augen offen halten.“, entschuldigte sie sich. Das stimmt auch, aber es war nur ein Teil der Wahrheit. Zeros Stimmung hatte sich nicht gebessert und sie glaubte, dass es besser war, ihn erst einmal in Ruhe zu lassen. Aus ihrem Gespräch mit Ai hatte sie vorhin raus gehört, dass Zero ihr noch nicht alles gesagt hatte. Das würde er wohl auch nicht, dessen war sie sich fast sicher. Dennoch würde er noch heute mit Ai reden wollen. Dabei wollte sie ihn nicht stören.

Zum Abschied umarmte Yuki Ai noch einmal und winkte ihnen hinterher, als sie sich vor dem Hotel wieder trennten. Ai redete schon wieder auf Zero ein, doch dieser schien mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein.
 

„Weißt du, was ich jetzt gern essen würden?“, fragte Ai Zero, bevor sie das Gasthaus erreichten.

„Lass mich raten, etwas Süßes?“, sagte Zero und war nicht überrascht, als sie einen Schmollmund zog. Offenbar hatte er genau ins Schwarze getroffen.

„Was hältst du von einem Crépe?“, fragte er sie und kannte die Antwort bereits.

„Ja!“

„Und welches hättest du gern?“

„Das für die Kaiserin natürlich!“, jubelte sie. „Mit Erdbeeren, Vanilleeis, Schokosoße und Schlagsahne.“

Zero schüttelte abermals den Kopf. Sie war manchmal so leicht zu durchschauen. Aber solange er sie damit glücklich machen konnte, würde er alles tun.

Wahrheiten

Wahrheiten
 

Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte nicht zu weinen, konnte Ai ihre Tränen nun doch nicht zurückhalte und sie flossen in Strömen.

„Oh, Ai...“, sagte Frau Sayuka, als sie sie fest umarmte. „Ich habe dich schrecklich lieb und ganz bestimmt werden wir uns wiedersehen.“

Ai nickte kurz. „Versprochen?“, fragte sie mit erstickter Stimme und ein Hicksen folgte dem. Frau Sayuka lachte leicht, doch es ärgerte Ai nicht im Geringsten.

„Versprochen. Ich werde meinen Mann schon dazu überreden, auch endlich mal Urlaub zu machen.“

„Dann sollten sie versuchen ihn mit Kuchen zu bestechen.“, schlug Ai vor. Sie ließen voneinander und sahen sich traurig an. Auch Frau Sayuka hatte Tränen in den Augen.

„Ich werde mein bestes geben.“, lächelte sie. „Pass gut auf dich auf und auch auf Zero. Mir scheint, er braucht hin und wieder jemanden, der sich um ihn kümmert.“

„Ja.“, stimmte Ai ihr zu. Noch einmal umarmten sie sich, dann war Herr Sayuka an der Reihe. Ihn drückte Ai nur einmal herzhaft. Sie wusste, dass er kein Mann vieler Worte war und es war ihr auch recht. Sie konnte durch ihren Tränen ohnehin kaum noch sprechen.

Ihr Papa stand hinter ihr und auch er verabschiedete sich von Herr und Frau Sayuka. Ai bekam kaum mit, was er sagte. Sie klammerte sich an Sasukes Hand und versuchte ihrer Tränen wieder Herrin zu werden, doch es gelang ihr einfach nicht.

„Vielen Dank“, sagte Zero zu Frau und Herr Sayuka. Auch er schluckte heftig. „Wirklich, für alles.“

„Viel Glück euch zwei und gebt auf euch acht. Ihr seid bei uns jederzeit willkommen, ganz egal, wann es sein mag.“

„Danke.“, erwiderte Zero.

„Ich weiß gar nicht, was ich jetzt ohne dich machen soll.“, sagte Herr Sayuka und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter.

„Sie sind vorher ja auch ohne mich zurechtgekommen“, versuchte Zero es abzuschwächen, doch Herr Sayuka wedelte nur mit der Hand. „Ich wette, wir haben jetzt ein paar weibliche Gäste weniger.“

Zero schmunzelte kurz und ging dann zu Ai. Es war ein leichtes für ihn sie hochzuheben und auf den Arm zu nehmen. Sie umarmte ihn fest und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken. Zero wollte sie gern trösten, doch er wusste, dass jedes Wort sinnlos war. Nichts würde ihre Trauer lindern können.

„Auf Wiedersehen.“, sagte Zero zum Abschied und drehte noch einmal den Kopf, um das Haus zu sehen, in dem er die letzten fünf Jahre glücklich verbracht hatte.

„Bist du bereit?“, flüsterte er zu Ai. Diese nickte nur stumm und klammerte sich noch immer an ihn.

Langsam ging Zero die Straße herunter. Sasuke lief neben ihnen. Er würde sie bis zum Hotel bringen. Ihre Sachen waren am Morgen bereits abgeholt worden und in die Autos eingeladen.

Ai öffnete die Augen und durch den Tränenschleier hindurch, verabschiedete sie sich stumm von dem ersten, festen zu Hause, dass sie je gekannt hatte. Sie wusste, dass es in ihrer neuen Heimat auch ein eigenes Haus geben würde mit einem eigenem Zimmer für sie, irgendwann, aber es würde nicht wie dieses sein. Herr und Frau Sayuka würden nicht gleich nebenan sein. Sie würde die Stimmen aus der Gaststube nicht mehr hören können, keine Gespräche mehr belauschen und den Duft aus der Küche nicht mehr riechen können. Sie vermisste diese alles jetzt schon.

Von ihren Klassenkameraden hatte sie sich ebenfalls am Morgen verabschiedet. Es waren genauso viele Tränen geflossen. Als ihre Klasse von ihrem Umzug erfuhr, hatte man sogar das alljährliche Schneefest, welches immer bei Abenddämmerung am See stattfand, vorverlegt. Sie hatten viel Spaß an diesem Abend gehabt und Ai hatte fast nicht an ihr Fortgehen denken müssen. Zwischen Eislaufen, Schneeballschlachten, heißem Tee trinken, Schlitten fahren und Crépes essen, war dafür auch einfach keine Zeit gewesen. In der Schule hatte sie an diesem Tag kleine Abschiedsgeschenke bekommen und besonders hatte sie sich über das Fotoalbum gefreut, welches ihr Lehrer ihr zum Abschied schenkte. Es lag ganz oben in ihrem Rucksack, so dass sie es sich auf der Fahrt würde ansehen können.

Ai vermisste ihre Freunde bereits jetzt und neben Kimi, würde sie Motoko ebenfalls schrecklich vermissen. Dabei wusste sie nicht einmal warum. Schließlich war er es, der ihr während all der Zeit immer am meisten auf die Nerven gegangen war. Aber wahrscheinlich war es wohl genau das, was ihr fehlen würde.
 

Und dann würde sie sich noch von Sasuke verabschieden müssen. Innerlich versuchte sie sich den ganzen Weg bis zum Hotel, an dem ihr Treffpunkt sein würde, darauf vorzubereiten, aber sie konnte einfach nicht, obwohl es nicht der erste Abschied war, den sie von Sasuke nehmen würde. Doch an diesem Tag war es etwas anderes.

„Lass mich runter.“, sagte sie dann zu ihrem Papa. Plötzlich wollte sie nicht mehr getragen werden, wie ein kleines Kind. Sie wollte den Hunter und Vampiren selbst gegenüber treten und auf ihrem Weg dorthin wollte sie sich von ihrer Stadt verabschieden. Sie wollte sich alles noch einmal einprägen, damit sie sich immer würde daran erinnern können.
 

Als sie das Hotel erreichten, standen bereits vier Autos davor. An den Rädern waren starke Schneeketten befestigt, die dem Schnee trotzdem sollten. Die Hunter und die Vampire standen davor und schienen nur auf sie zu warten.

An der Hausecke blieb Zero stehen und wandte sich zu Sasuke um. „Danke, dass du uns hergebracht hast.“ Damit war der letzte Abschied gekommen, dachte Ai.

Wortlos ging sie zu Sasuke und umarmte ihn. „Ich werde dein Geschenk immer in Ehren halten.“, flüsterte sie und spürte, wie die Tränen abermals in ihr aufstiegen.

„Na, das will ich doch hoffen. Es hat mich schließlich ein Vermögen gekostet.“, witzelte er und Ai musste trotz ihrer Traurigkeit lachen. „Und vielleicht sehen wir uns schon eher wieder, als du denkst. Immerhin hab ihr da unten auch einen Hafen.“

Ai rang sich ein Lächeln ab und nickte, dann ließ sie ihn los und trat einen Schritt zurück.

„Richte Taiki meinen Dank aus. Ich brauche die Tabletten nicht mehr.“, sagte Zero. Sasuke nickte kurz. „Ich muss ihn unbedingt dazu bringen, mir zu erzählen, was so geheimnisvoll daran ist.“, murmelte er. Zero schüttelte den Kopf. „Tu das nicht. Du willst es gar nicht wissen und was deine Pläne angeht, bitte denk noch einmal sehr genau darüber nach. Ich denke nicht, dass du dort glücklich werden würdest.“

Sasuke zuckte mit dem Schultern, als er Zeros Gesichtsausdruck sah, sagte er dann doch: „Ich denke darüber nach, ehrlich. Es würde sowieso nicht gleich sein.“

Damit gab sich Zero erst einmal zufrieden.

„Worüber denn nachdenken?“, fragte Ai verwundert.

„Nichts, weiter.“, versuchte Zero sie zu beschwichtigen.

„Hey, ihr beiden, kommt ihr jetzt! Ich will hier nicht den ganzen Tag stehen.“ Diese Stimme gehörte Kaito und erinnerte sie daran, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatten.

Zero seufzte kurz auf, dann berührte er Ai an der Schulter: „Na komm.“, sagte er sanft. Einen letzten Blick warf sie Sasuke noch zu und dieser zwinkerte ihr zu, was sie lächeln ließ. Bei ihm glaubte sie wirklich, dass sie ihn wiedersah. Er konnte alles möglich machen.

„Das wird aber auch Zeit.“, knurrte Kaito und setzte sich dann in den Wagen. Offenbar waren sie wirklich die letzten. Nur Jinmu, Kaname und Yuki standen noch da sowie einige Hunter, die Ai nicht kannte.

„Habt ihr alles?“, fragte Jinmu sie und es klang aufrichtig. Zero nickte kurz. Ai sah Yuki verstohlen an. In den letzten drei Tagen hatte sie diese kaum gesehen oder mit ihr gesprochen. Immer sei sie zu beschäftigt gewesen. Ai wusste nicht, ob das stimmte. Sie konnte es sich gar nicht vorstellen. Vielleicht wollte Yuki sie auch gar nicht mehr sehen. Vielleicht hatte sie wirklich zu viel erzählt? Aber ihr Papa würde ihr unmöglich die Wahrheit sagen. Sie würde Yuki einfach später direkt danach fragen, beschloss Ai. Das war immer noch besser, als mit der Ungewissheit zu leben.

„Ihr fahrt mit Kaito und Aidou.“ Wieder nickte Zero nur.

Kaito saß bereits am Steuer und nun stieg Aidou auf der anderen Seite ein. Kaname und Jinmu warteten bis Zero und sie eingestiegen waren, wurde Ai plötzlich klar. Also stieg auch sie in das Auto. Als Zero auf seinem Platz saß rutschte Ai wieder zu ihm in die Mitte und kuschelte sich an seine Brust. Zero legte einen Arm um sie und strich ihr zärtlich über den Rücken. Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann fuhren sie auch schon los.

„Willst du dich nicht noch mal umdrehen?“, fragte Zero sie und Ai schüttelte den Kopf. Er beugte sich zu ihr herunter und strich eine Träne von ihrer Wange.

„Glaubst du wir werden jemals wieder herkommen?“, fragte sie mit brüchiger Stimme. „Glaubst du ich werde sie wirklich alle jemals wiedersehen?“

„Bestimmt.“, flüsterte er leise. „Ganz bestimmt.“ Ai nickte kurz und wischte sich die nächste Träne selbst von der Wange.

„Mag Yuki mich nicht mehr? Sei ehrlich.“, fragte sie dann. Sie fühlte sich eh schon elend genug, da kam es darauf auch nicht mehr an und so wie Kaname sie vorhin angesehen hatte, wusste sie nicht einmal, ob sie mit Yuki irgendwann würde sprechen können.

„Sie mag dich sehr, da bin ich mir sicher. Sie... hat nur gewisse Verpflichtungen, denen sie nachkommen muss.“ Ai fühlte wie sich Zeros Brust schwer hob und senkte. Es fiel ihm schwer darüber zu reden, aber sie konnte nicht sagen, dass er sie belogen hatte.

„Wird Yuki denn immer so wenig Zeit haben?“, fragte sie weiter und ihre Stimme klang immer noch traurig, aber sie weinte nicht mehr.

„Ich weiß es nicht, Ai.“, antwortete Zero ehrlich. Das war genau das, was er von Anfang an befürchtet hatte. Ai mochte Yuki zu sehr, sie hatte sich zu sehr an sie gewöhnt, an ihre Anwesenheit. Und Yuki hatte es zugelassen, ob nun gewollt oder nicht. Dass Ai sie vermissen würde, wenn sie in ihr altes Leben zurückkehrte, hatte sie dabei wohl nicht bedacht.

„Ich denke sie möchte schon viel Zeit mit dir verbringen.“, mischte sich nun Aidou ein und drehte sich kurz um.

„Wirklich?“ Zero sah Aidou warnend an. Er sollte ihr nichts erzählen, was nicht der Wahrheit entsprach. Doch er ignorierte ihn gekonnt.

„Ja, das hat sie mir erzählt. Sie mag dich wirklich und wird versuchen Zeit zu finden, aber du darfst auch nicht enttäusch sein, wenn es nicht gehen sollte.“ Ai nickte stumm und Zeros Magen verkrampfte sich. Es klang für ihn nur wie eine weitere, leere Versprechung.
 

Sie fuhren fast fünf Stunden, mit kleineren Pausen, die er und Ai jedoch abseits von den anderen verbrachten, dann erreichten sie die Ortschaft, in der ein Umsteigen in den Schnellzug möglich war. Zero hatte gewusst, dass es dieses Netz gab, aber ihm war bisher nicht klar gewesen, wie weit es reichte. Wenn er daran dachte, wie nah sie ihm doch eigentlich gekommen waren, wurde ihm ganz anders zumute. Es war wirklich nur Glück, dass sie ihn nicht doch gefunden hatten.

Die wenigen Sachen, die Zero und Ai besaßen wurden in ein extra Abteil gebracht. Der Zug hatte fünf Wagen. Einen für Kaname und Yuki, einen für die Vampire, einen für die Hunter und einen für Zero und Ai. Der letzte Wagen war für die Gepäckstücke. Der Wagen von Ai und Zero befand sich genau zwischen den der Hunter und Vampire und natürlich waren sie nicht allein. Bei ihnen waren Kaito, Christian, Anaki, Aidou, Kain und Takuma.

Zero sprach kaum und Ai wusste auch nicht recht, was sie ihm sagen sollte. Sie war ja selbst auch traurig.
 

Yuki seufzte leise, während sie aus dem Fenster sah. Anders als bei ihrer Flucht nach Koritokái sah sie keine Landschaften an sich vorbeifliegen, sondern nur gähnende Schwärze, die ihr aus dem Tunnel entgegen starrte. Die Stimmung, die in ihrem Abteil mit Kaname herrschte, drückte zusätzlich auf ihr Gemüt.

Die letzten Tage war ihr Verhältnis zu Kaname so entfernt und unterkühlt wie nie zuvor gewesen. Sie sprachen nur wenig miteinander. Yuki wusste sehr genau, dass ihre Fürsprache für Zero und Ai ihm nicht recht gewesen war, doch sie würde es jeder Zeit wieder tun. Trotzdem wollte sie nicht glauben, dass dies der einzige Grund für seine Distanziertheit war. Seit sie das Hotelzimmer verlassen hatte, um nach Ai zu sehen und dann über Nacht geblieben war, war er verändert. Es war keine Wut, die von ihm ausging. Natürlich war er ein wütend gewesen, sehr sogar, aber das konnte nicht der einzige Grund sein. Er war so sehr in seine Gedanken versunken, dass Yuki beinah den Eindruck hatte, er war gar nicht mehr bei ihr.

Sie hatte ihn direkt darauf angesprochen, aber er war ihr ausgewichen oder hatte nicht weiter darauf reagiert. Es machte ihr Sorgen, doch von ihrem Entschluss konnte es sie nicht abbringen.

Sie würde aus der Kuran-Residenz ausziehen und das so bald wie möglich. Davon wusste Kaname noch nichts und Yuki hatte keine Ahnung, wie sie es ihm sagen sollte. Aber sie durfte es auch nicht lange hinauszögern, auch das war ihr klar. Es würde die Sache nur schwerer machen, für sie alle.

Yuki seufzte laut. Dieses Nachdenken brachte sie nirgendwohin. Im Zug wollte sie auf keinen Fall mit Kaname darüber reden.

„Stört es dich, wenn ich Ai besuche?“, fragte Yuki schließlich. Die Stimmung schien sie zu erdrücken und sie musste dringend ein fröhliches Gesicht sehen, auch wenn sie wusste, dass es bei Ai momentan wohl eher unwahrscheinlich war. Dennoch wollte sie weg von dieser seltsamen Stimmung, in der sich Kaname befand.

„Nein.“, antwortete er schließlich. „Bleib nicht zu lange.“, fügte er nach kurzem Schweigen an, erwiderte ihren Blick aber nicht. Sie nickte dennoch kurz und verließ das Abteil. Sie durchquerte das Abteil der anderen Vampire. Einige hatten sich auf den Bänken ausgestreckt und es sich versucht gemütlich zu machen. Yuki spürte ihre aufmerksamen Blicke auf sich, doch sie blieb nicht stehen. Sie wusste, was man über sie dachte.

Sie öffnete die nächste Tür und schloss sie leise hinter sich. Dennoch sah Ai auf und sofort begannen ihre Augen ein wenig mehr zu leuchten. Schwach grinste Ai sie an. Es machte Yuki unglaublich glücklich. Ein wenig verlegen lächelte sie zurück. Zero saß neben Ai, doch er hatte nicht einmal den Kopf gehoben. Das dämpfte Yukis Freude mehr, als sie sich eingestehen wollte.

„Yuki, spielst du mit?“, fragte Ai sie sogleich.

„Was spielt ihr denn?“, entgegnete diese.

„ ‚Mensch ärgere dich nicht‘ und Aidou verliert.“, grinste sie breit.

„Nein, sie kann nicht mehr mitspielen!“, brauste Aidou auf. „Das wäre unfair!“ Yuki kicherte leise und ging zu ihrem Tisch. Dabei ging sie an Kaito und den anderen vorbei, die ebenfalls auf einzelnen Bänken saßen, wobei Kaito mehr lag. Yuki glaubte in ihren Gesichtern zu erkennen, dass sie bereits leicht genervt waren.

„Welche Farbe bist du?“, fragte sie Ai und sah auf das Spielbrett.

„Gelb, Papa ist blau und Aidou rot.“

„Oh, dann sieht es ja wirklich nicht gut für dich aus.“, bemerkte Yuki spitz und sah dabei zu Aidou. Dieser hatte noch drei Spielfiguren in an der Seite und nur eine auf dem Spielfeld. Zero hingegen hatte bereits drei Figuren in Sicherheit gebracht und nur noch mit einer den halben Weg vor sich. Bei Ai waren zwei in Sicherheit und zwei auf dem Feld. Doch einer stand gefährlich nah vor Zeros und würde er im nächsten Zug eine drei würfeln, müsste sie mit dieser Figur nochmal von vorn beginnen.

Yuki verzichtete darauf in das Spiel einzugreifen, beobachtete aber das Ganze. Dabei überlegte sie immer wieder, wo die drei das Spiel eigentlich gefunden hatten. Sie hatte dergleichen noch nie in diesem Zug entdeckt. Aidou grummelte die ganze Zeit vor sich hin, Ai ärgerte sich sehr, als Zero sie tatsächlich zurückschickte und Zero selbst bliebe die ganze Zeit anteilnahmslos, als würde es ihn gar nicht interessieren, was auf dem Spielfeld geschah.

Sehr viel länger ging das Spiel jedoch auch nicht mehr, denn Zero brachte seine letzte blaue Spielfigur in Sicherheit und das Spiel war somit zu Ende.

„Da ging doch etwas nicht mit rechten Dingen zu.“, grummelte Aidou sofort. „Ich verlange eine Revange!“

Fragend hob Zero eine Augenbraue und diese Geste sagte eigentlich alles aus, was er von Aidous Verhalten hielt. Selbst Ai kicherte leise. Yuki unterhielt sich noch ein wenig mit Ai, die alles über ihren Ziehvater erfahren wollte. Doch nur kurze Zeit später, so kam es Yuki vor, öffnete sich die Abteiltür erneut und eine Magd brachte auf einem Rolltablett das Abendessen. Seufzend wollte sich Yuki gerade erheben, da sie sicher war, dass Kaname ihre Anwesenheit zum Essen wünschte und sie ihm ja auch versprochen hatte, nicht zu lange zu bleiben, als man auch einen Teller an ihren Platz stellte.

„Nein, das ist sicher nicht für mich.“, sagte Yuki und wollte den Teller zu Aidou schieben.

„Kuran-sama sagte, sie wünschen vielleicht hier zu speisen.“

Yukis Augen weiteten sich vor Überraschung und stumm nickte sie. „J-Ja, sagen sie ihm vielen Dank.“, stammelte sie.

Sie aßen mit angenehmen Geplauder, an dem sich auch Aidou und Kain und selbst Kaito hin und wieder beteiligten. Nachdem Ai die Fragen über Kurosu offenbar ausgegangen waren, stellte sie nun Fragen über die verschiedenen Schulen. Dabei wollte sie alles ganz genau wissen, von Aussehen der Schuluniformen begonnen, bis hin zu den Klassenstärken, Lehrern, Gebäuden und Klassenzimmern und das Gelände selbst.

Nachdem das Essen jedoch dauerte es nicht mehr lange, bis Ai gähnte und sich die Augen rieb.

„Leg dich auf eine der Bänke.“, riet Zero ihr, „Dort hast du genug Platz.“ Es war das erste Mal, dass er mehr als eine paar Worte gesprochen hatte, seit Yuki den Wagen betreten hatte. Doch Ai schüttelte den Kopf: „Nein, ich bin nicht müde.“ Leicht musste Yuki darüber lachen. Das gleiche hatte sie auch kurz nach ihrem Kennenlernen gesagt. Seufzend zog Zero seine Ziehtochter an sich und Ai legte den Kopf auf seinen Schoß. Er streichelte ihre Schulter und sah weiterhin aus dem Fenster. Stille trat ein, denn auch Aidou hatte sich gleich nach dem Essen auf einen eigenen Platz zurückgezogen. Vielleicht sollte sie gehen, überlegte sie. Sie hatte Kaname versprochen nicht zu lang zu bleiben und Zero schien sich in ihrer Gegenwart nicht wohl zu fühlen.

Sie konnte es ihm nicht einmal verdenken.

„Es tut mir leid.“, flüsterte Yuki schließlich leise. Sie waren zwar nicht allein, dennoch fühlte es sich beinah so an. Die anderen schienen zu schlafen oder zumindest zu dösen. Dennoch sehnte sich Yuki nach dem Moment, in dem sie wirklich mit Zero allein sein konnte.

Einen Moment sah Zero sie irritiert an und Yuki glaube schon, dass er ihr wieder nicht antworten würde. Er hatte sie den ganzen Abend bereits mit Missachtung gestraft, indem er nicht mit ihr gesprochen hatte. Warum sollte es jetzt anders sein? Um die Stille zu überbrücken sprach sie unbeholfen weiter: „Ich wollte dich finden und habe sie alle zu dir geführt. Es ist genauso gekommen, wie du gesagt hast. Ich weiß, ich habe das schon einmal gesagt und meine Worte könnte das Geschehene nicht rückgängig machen, aber...“ Hilflos ließ sie den Kopf hängen.

Zero schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Fensterscheibe. „Du hast getan, was du für richtig hieltest. Vielleicht wäre es anders gekommen, aber irgendwann hätten mich gefunden. Das war mir immer bewusst gewesen und ich wäre nie davon gelaufen.“ Dann stieß er jedoch ein bitteres Lachen aus. „Allerdings habe ich auch nicht damit gerechnet, dass sie mehr an Ai interessiert sein würden.“

Stumm starrte sie ihn an. Seine Stimme klang resignierend, als hätte er sich dem, was auf ihn zukam schon längst gefügt. Zero hob den Kopf und sah sie an. „Du hast dich für mich und Ai eingesetzt, dafür bin ich dir dankbar.“

Sie musste heftig schlucken, um dieses seltsame Gefühl zu verdrängen. Sie wusste nicht ganz warum, aber ihr war plötzlich nach weinen zu mute. Doch das war sicher das letzte, was er gebrauchen konnte. Also sagte sie das nächste was ihr einfiel: „Es kam so vor als hätten sie Angst vor dir. Nicht vor dem, was du getan hast, sondern vor dem, was du tun könntest.“

Noch bevor Zero etwas darauf erwidern konnte, hörte Yuki hinter sich ein Schnauben und schließlich ein abfälliges „Als ob.“ Sie drehte sich um und sah zu Kaito, der immer noch lässig am Fenster lehnte, die Arme vor der Brust verschränkt und die Beine hingen über der Lehne.

Yuki sah Zero an und wollte wissen, ob er etwas darauf erwiderte, doch als sie in seine Augen sah, stockte ihr der Atem. Auf einmal war sie wie gefangen von seinem Blick, als würde er sie durchdringen und verschlingen.

„Was ist?“, fragte er sie und seine Worte zerrissen den Moment.

„Uhm... nichts... ich... ich...“, stammelte sie und wusste nicht mehr, was sie eigentlich hatte sagen wollen. „Ich... ich konnte den Fluch nicht brechen.“, stieß sie schließlich aus. „Ich meine, danach habe ich eigentlich gesucht und bin dann auf die Prophezeiung gestoßen. Jetzt ist so viel passiert, aber mein eigentliches Ziel habe nicht erreicht. Ich habe keinen Hinweise darauf gefunden, wie man diesen Fluch bei Zwillingen, die in eine Hunterfamilie geboren werden, brechen kann.“ Auch wenn ihr Vater und auch Zero ihr schon gesagt hatten, dass sie nichts tun konnte, beschäftigte sie diese Sache doch noch sehr. Damit hatte schließlich alles begonnen.

„Yuki...“, begann Zero langsam. „Ich sagte doch, dass du dir darum keine Gedanken machen musst. Der Rektor hat recht. Wenn überhaupt jemand diesen Fluch brechen kann, dann nur die Zwillinge selbst. Es liegt außerhalb deiner Macht.“

Diese Antwort stellte sie ganz und gar nicht zufrieden. Sie konnte nicht glauben, dass er sich einfach so damit zufrieden gab.

„Aber...“ Sie sank etwas niedergeschlagen in ihrem Sitz zurück. „Wie oft werden Zwillinge denn geboren?“, fragte sie dann.

„Es ist sehr selten und meistens stirbt ein Kind noch im Mutterleib.“, antwortete er und seine Stimme verriet nichts über seine eigenen Gefühle.

„Und wenn... Angenommen es würden in den nächsten Jahren noch einmal Zwillinge geboren, könntest du ihnen dann helfen.“

Zero atmet geräuschvoll aus und zuckte dann mit den Schultern. „Vielleicht. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Zwilling noch lebte, wenn ein anderes Paar geborgen wurde. Zumindest nicht, das ich davon wüsste.“

„Oh.“, erwiderte Yuki und all ihre Hoffnungen zerbrachen. Zero betrachtete sie einen Moment schweigen. Er hatte nicht gewusst, dass sie das wirklich so sehr beschäftigte und dass es ihr vor allem so Ernst damit war. Er hatte geglaubt ihr Interesse daran würde mit der Zeit nachlassen.

„Weißt du schon, dass Ai und ich die ersten Tage bei deinem Vater wohnen werden?“, sagte Zero. Irgendwie wollte er sie von diesen Gedanken abringen.

Überrascht sah sie ihn an. „Nein, das wusste ich noch nicht. Es war davon die Rede gewesen, dass ihr im Hauptquartier der Hunter untergebracht werdet. Dann wollte man nach einer Wohnung für euch suchen, die in der Nähe liegt.“

Zero nickte. „Ich habe noch einmal mit Jinmu gesprochen und konnte ihn davon überzeugen, dass es für Ai das Beste wäre, wenn sie erst einmal in eine vertraute Umgebung kommt. Den Rektor kennt sie und aus irgendeinem Grund, mag sie ihn auch.“

„Das ist schön zu hören.“, antwortete Yuki schlicht und biss sich auf die Lippen. Dann würden sie und Zero sich häufiger sehen, dachte sie. Denn auch sie hatte zuerst an ihren Vater gedacht, wenn sie die Kuran-Residenz verlassen würde. Vielleicht war es besser ihm erst einmal nichts davon zu sagen.

„Ich bin froh, dass sich der Rektor gleich damit einverstanden erklärt hat.“, sprach Zero weiter.

„Hast du ihn denn schon gefragt?“

„Jinmu hat ihn noch in Koritokái angerufen. Außerdem wird Yagari-sensei auch da sein. Ich glaube, das hat ihre Entscheidung beeinflusst. Er kann mich Rund um die Uhr bewachen.“

„Zero...“

„Schon gut, ich wusste, dass es so wird.“, antwortete er schlicht.

Sie schwiegen wieder einen Moment, doch dieses Mal war es kein unangenehmes Schweigen, eher ein Einvernehmliches, in dem jeder seinen eignen Gedanken nachging.

„Ich glaube, ich sollte langsam gehen.“, sagte Yuki irgendwann und unterdrückte ein Gähnen. Sie war schrecklich müde geworden. Als Antwort nickte Zero knapp und war wieder so verschlossen, wie zuvor. Abermals lehnte er den Kopf gegen die Fensterscheibe und schloss die Augen. Wortlos erhob sich Yuki und verließ das Abteil.

Sie ging zu Kaname zurück.
 

Die gesamte Fahrt verlief ruhig und entspannt, ohne jegliche Zwischenfälle.

Nachdem Yuki aus Zeros und Ais Abteil zu Kaname zurückgekehrt war, hatte sie den Rest der Fahrt dort verbracht. Kaname sprach noch immer nicht sehr viel mehr mit ihr, was Yuki auch recht war. So konnte sie sich gut überlegen, was sie sagen würde. Doch ein gutes Gefühl hatte sie immer noch nicht dabei.

Dennoch erschien ihr die Fahrt viel zu kurz, als sie ihren Zielort bereits am darauffolgenden Abend erreichten. Autos warten bereits auf sie, um Vampire wie auch Hunter, den Rest der Reise zu erleichtern. Niemand hatte es genau ausgesprochen, aber Yuki nahm an, dass sie alle erst einmal nach Hause fahren würden. Einzig von Kaito und Jinmu wusste sie, dass sie Zero und Ai zuvor zu ihrem Vater bringen würden. Es beruhigte sie, dass wenigstens zwei Menschen die beiden mit offenen Armen empfangen würden und sich freuten, sie bei sich zu haben. Natürlich würde Yagari das nie zugeben, ihr Vater dafür aber umso mehr.
 

Ai und Zeros Gepäckstücke wurden gerade in das Auto verladen, das sie an die Cross Akademie bringen sollte, als ihr eigener Wagen vorfuhr. Yuki blickte noch einmal zu Ai, die sie bemerkte und ihr winkte. Dann hielt der Wagen und ihr wurde die Tür aufgehalten. Kaname stieg vorn ein und Yuki setzte sich auf die Rückbank.

Auf dem Weg zur Kuran-Residenz spiele Yuki nervös mit ihren Fingern. Noch im Zug war sie fest entschlossen Kaname gleich nach ihrer Ankunft um Antworten zu bitten, sie zu verlangen, wenn er ihr wieder auswich, doch jetzt - je näher sie diesem Punkt kam, desto unentschlossener wurde sie. Sie hatte schlicht Angst sich Kaname zu stellen. Sie hatte Angst vor seiner Reaktion, aber besonders vor dem Ausdruck in seinem Gesicht, wenn sie ihm ihren Entschluss mitteilen würde.

Aber es musste noch in dieser Nacht sein, schallte sie sich selbst. Wenn sie es nicht tat, würde sie es nie schaffen. Sie würde es nur immer weiter hinausschieben, bis sie sich wieder in ihre Rolle und ihr Schicksal gefügt hätte. Außerdem hätte sie sich sonst nicht nur sich selbst etwas vorgemacht, sondern auch Zero. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn zu enttäuschen.

Sie wurden bis vor die Haustür gefahren und wieder hielt ihr jemand die Tür auf. Sie war müde und sie sehnte sich nach ihrem Bett. Doch in dieser Nacht würde sie keinen Schlaf mehr finden. Und sie würde auch nicht in diesem Haus zu Bett gehen. Sie betrat das Haus hinter Kaname und war so in ihren Gedanken versunken, dass sie nicht merkte, wie Kaname stehen blieb und sie ansah. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er.

„Nein.“, antwortete sie, überlegte es sich aber gleich noch einmal anders. „Doch.“ Wie sie es auch drehte und wendete, sie würde einen von ihn verletzten, egal wie sie sich entschied. Deswegen war es am besten auf ihre innere Stimme zu hören und diese sprach laut und deutlich zu ihr.

Noch immer wartend sah Kaname sie an und Yuki blickte ihm direkt in die Augen. „Ich habe noch ein paar Fragen an dich, auf die ich eine Antwort möchte. Außerdem... Außerdem habe ich eine Entscheidung getroffen.“

Kaname nickte daraufhin nur kurz und ging voraus. Er führte sie geradewegs nach unten in die Katakomben. Yuki wunderte sich, warum er sie gerade dorthin brachte. Noch dazu führte er sie zu einer Tür, vor der sie schon einmal gestanden hatte. Damals hatte er ihr gesagt, dass ihr der Zutritt verboten sei. Doch jetzt öffnete Kaname die Tür und um Yukis Herz schloss sie eisige Kälte. Etwas Böses und bedrohliches Lag in diesem Raum, das konnte sie deutlich spüren und sie nahm eine Präsenz war, die ihr bekannt vorkam, die sie aber nicht zuordnen konnte.

Die Decke des Raumes war hoch und bestand aus Rundbögen Die Wände waren nicht verziert, aber vereinzelt hingen Fackeln, die warmes Licht spendeten. Es gab nur einen einzigen Gegenstand im Raum. Einen großen steinernen Sarg. Yuki schluckte. Warum hatte er sie hierher gebracht?

„Was möchtest du wissen?“, fragte Kaname sie und ging zu dem Sarg. Mit der Hand strich er über den Deckel und wieder bekam er diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Seine Stimme war jedoch ruhig und gefasst und Yuki spürte, dass sie dieses Mal eine ehrliche Antwort bekommen würde.

„Weißt du wer Shizuka Hio getötet hat?“, begann sie mit ihrer ersten Frage. Sie hatte sorgefältig darüber nachgedacht. Vielleicht würde sie dies zu anderen Antworten führen.

„Ich war es.“, antwortete Kaname ohne zu zögern. Leicht erschrocken sah sie ihn an, fasste sich im nächsten Augenblick aber wieder. Sie konnte nicht leugnen, dass sie damit gerechnet hatte.

„Warum?“

„Sie wollte Rache an Rido und brauchte mehr Kraft, die Kraft eines Reinblutes. Sie wollte dich benutzen, um mich zu bekommen. Also tötete ich sie.“

„Ist das der einzige Grund?“

„Nein. Ich brauchte ihre Macht ebenso, denn ich wusste, dass man versuchte Rido zu erwecken.“

Wieder nickte Yuki kurz. „Wie konntest du zulassen, dass man Zero die Schuld gab?“

„Du weißt, es ist ein Verbrechen ein Reinblut zu töten. Zero hatte den meisten Grund dazu es zu tun. Es war eine einfache Lösung.“ Yuki biss sich auf die Lippen und schluckte Tränen herunter. Die Kälte, die ihr Bruder in der Stimme hatte, erschreckte sie nun doch. Er sprach über Zero, als wäre er nur eine einfache Schachfigur in einem Spiel. Sie schloss die Augen, um sich zu sammeln.

„Was ist noch passiert? Warum wird Zero kein Level E mehr?“ Seit sie Zero wieder gesehen hatte, war diese Frage unbewusst in ihrem Geist gewesen. Aber sie hätte nicht gedacht, sie vor Kaname laut auszusprechen.

„Shizukas Blut – er bekam es durch mich.“

Fassungslos starrte sie ihren Bruder an. Sie hatte wirklich mit allem gerechnet, oder es sich zumindest eingebildet, aber diese Aussage raubte ihr den Atem. Scheinbar ungerührt fuhr Kaname fort: „Ich brauchte ihn. Er sollte dein Schild sein und dich beschützen, wenn ich es nicht konnte. Allein deswegen ließ ich es zu.

Und er hat es nur zu bereitwillig getan, so gierig war er.“

„Aber du... du...“ Sie starrte ihren Bruder an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Sie entdeckte eine Seite an ihm, die sie nie vermutet hätte. Nein, das stimmte nicht, berichtigte sie sich selbst. Sie hatte es bisher nur nicht glauben wollen.

„Yuki...“, sagte Kaname und seine Stimme klang nun ganz sanft und einfühlsam. Nie würde er ihr etwas tun, das wusste sie. Deswegen wich sie auch nicht zurück, als er näher kam und mit seinen Finger sanft über ihre Stirn, dann über ihre Schläfe und schließlich ihre Wange strich. Sie hielt seinen Blick fest und versuchte ihn zu lesen.

Wer war der Mann vor ihr wirklich? Wer war ihr Bruder wirklich? Ihr fehlten so viele Jahre mit ihm, ihre ganze Kindheit. Auch wenn Kaname sie immer bei Kurosu besucht hatte, so wusste sie nicht, was er getan hatte, wenn er nicht bei ihr war. Und dann hatte sie wieder den Eindruck, dass sich hinter seinen Augen noch jemand ganz anderes verbarg. Jemand auf den sie nur hin und wieder einen flüchtigen Blick erhaschen konnte.

„Möchtest du es wirklich wissen?“, fragte er sie und sie zuckte kurz zusammen. „Möchtest du wissen, wer ich wirklich bin?“ Sein Kopf kam näher und flüchtig küsste er ihre Lippen. Yuki blieb keine Zeit, den Kuss zu erwidern, aber sie nickte mit dem Kopf. Sie wollte es wissen.

„Die Wahrheit wird dich erschrecken.“, flüsterte er gegen ihr Haar und schloss sie sanft in seine Arme. Darüber dachte Yuki einen Moment nach. Er würde sie nicht warnen, wenn es nicht wirklich so wäre. Würde die Wahrheit, wie auch immer sie aussehen mochte, ihre Gefühle für ihn ändern? Sie schloss die Augen und versuchte in sich hinein zu hören. Sie hatte Kaname schon immer bewundert, ihn schon immer geliebt, seit ihrer Geburt. Nichts hatte das geändert, selbst als sie ein Mensch gewesen war, war es das gleiche starke Gefühl gewesen. Er war immer für sie da gewesen, hatte sie beschützt und stets ihr Wohl im Sinn gehabt. Er würde nichts tun, was ihr schaden würde. Davon war sie fest überzeugt.

„Nein.“, antwortete sie schließlich. „Es ist egal. Es würde nichts ändern. Meine Gefühle für dich bleiben die gleichen. Genauso, wie es auch meine Entscheidung bleiben wird.“

„Wie sind deine Gefühle für mich?“

Ein schmerzhafter Ausdruck huschte über ihr Gesicht und dennoch zwang sie sich ihm in die Augen zu sehen. „Ich liebe dich sehr, das habe ich schon immer. Aber ich weiß nicht... ob es die Art von Liebe ist, von der ich dachte, dass es sie wäre. Du bist mein Freund, mein engster Vertrauter, mein Bruder, doch weiß ich nicht, ob das genügt. Das möchte ich herausfinden.“, antwortete sie ehrlich.

„Deine Entscheidung?“, fragte er in dem gleichen sanften Tonfall weiter, wie auch zuvor. Kein Groll war aus seiner Stimme zu hören.

„Ich habe gelernt, dass es mir schwer fällt für mich allein zu sorgen, auf mich allein zu achten. Ich bin nicht schwach, aber ich verlasse mich zu sehr auf andere. Ich möchte mein eigenes Leben führen, mich ausprobieren, selbst wenn es in Fehlern enden sollte.“ Zitternd holte sie Luft. „Dafür muss ich fortgehen. Ich werde mir eine eigene Wohnung suchen. Ich will arbeiten und mein Leben selbst bestreiten. Ich glaube das muss ich lernen, für mich selbst aber auch um dem Namen Kuran wirklich würdig zu sein.“

„Ich verstehe.“, sprach Kaname schlicht, doch er ließ noch immer nicht von ihr ab.

„Ich kann dir die Wahrheit nicht sagen.“, fuhr er nach kurzen Schweigen fort und Yukis Herz sackte nach unten. „Aber ich kann sie dir zeigen. … Wenn du bereit dazu bist.“

Sie sah in seine Augen und nickte stumm. Kaname legte die Arme um ihre Taile und zog sie fest an sich. Yuki fuhr mit ihren Fingern über seine Schulter, bevor sich ihre Nägel in den Stoff seiner Jacke gruben. Dann stellte sie sich auf die Zehnspitzen, gleichzeitig kam Kaname ein wenig näher. Kurz darauf versanken ihre Reiszähne in seinem Hals.

In der Dunkelheit

Zu diesem Kapitel gibt es wieder ein Lied:

Dead by Sunrise – In the Darkness http://www.youtube.com/watch?v=pQfY8CaJ_Zo

Was soll ich sagen? Es trifft es einfach perfekt. Also bitte bei der Yuki und Zero Szene abspielen. XP

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In der Dunkelheit
 

Bereits an der Tür wurden sie von Kaien Kurosu empfangen. „Ich freue mich ja so euch wieder zu sehen! Lasst euch drücken!“, begrüßte der Rektor der Cross Akademie sie überschwänglich und versuchte Zero in seine Arme zu schließen. Dieser wich jedoch genervt einen Schritt zurück. Ai musste lachen, als der Rektor daraufhin zu schmollen begann.

„Dann eben nicht. Aber du lässt dich doch von mir umarmen oder?!“, fragte Yukis Vater und sah sie aus großen Augen an. Kurz nickte Ai und fand sich auch schon in einer Umarmung wieder. „Hach, jetzt habe ich wieder jemanden, den ich verwöhnen und behüten kann.“, seufzte der Rektor und strahlte glücklich.

„Es wird nur vorrübergehend sein und Ai muss nicht verwöhnt werden. Das ist sie auch so schon.“, sagte Zero.

„Das stimmt nicht!“, wiedersprach Ai. „Naja... vielleicht, aber nur ein kleines bisschen.“

„Wie lange wollt ihr da noch stehen?“, fragte nun Yagari, der sie zwar nicht direkt an der Tür empfangen hatte, aber im Flur stand.

„Ach, sei doch nicht so schlecht gelaunt. Ab heute kommt wieder etwas mehr Schwung in diese Wände, freu dich doch!“

„Das ist es ja gerade.“, knurrte Yagari. Abermals musste Ai lachen. Es würde sicher lustig werden.

Zero nickte seinem alten Meister knapp zu und schob Ai vor sich her, in den Flur hinein. Da sie schon einmal da gewesen waren, gab es für Ai nicht mehr so viele Überraschungen.

„Hast du es?“, fragte Jinmu Yagari und dieser nickten daraufhin. „Oben.“, erwiderte er kurz.

„Wir sollten es gleich machen, dann können wir diesen Tag endlich beenden.“, sagte Jinmu.

„Was denn?“, fragte Ai. Hatte sie etwas nicht mitbekommen?

„Schon in Ordnung.“, beruhigte Zero sie. „Ich muss nur noch etwas... ausfüllen, wegen meiner Arbeit hier. Gehst du schon mal mit dem Rektor mit?“

Misstrauisch sah Ai ihn an. Sie spürte, dass ihr Ziehvater ihr nicht ganz die Wahrheit sagte, aber sie wusste auch, dass er das nicht ohne Grund tat. Also nickte sie und vertraute darauf, dass er es ihr sagen würde, wenn er die Zeit dafür gekommen sah.

„Na komm Ai, ich habe etwas ganz fantastisches und außergewöhnliches für euch gekocht und der Nachtisch erst! Damit habe ich mich selbst übertroffen!“, lobte sich der Rektor und Ai hob fragend eine Augenbraue.

„Ich glaube nicht, dass sie besser kochen können als Papa.“, antwortete sie trocken.

Entsetzt riss der Rektor den Mund auf, schnappte nach Luft und schloss ihn wieder, nur um ihn abermals zu öffnen. Er sah dabei aus wie ein Fisch auf dem Land, dachte Ai.

„Was glaubst du, von wem er das gelernt hat?!“, rief der Rektor entrüstet.

„Wirklich?“, fragte Ai nun interessiert.

„Natürlich! Ich werde es dir beweisen!“ Beide gingen sie zusammen in die Küchen und Zero seufzte noch einmal laut aus.

„Mann, du kannst einen beinah leidtun.“, sagte Kaito und klopfte ihm auf die Schulter.

„Wieso er? Ich muss das doch den ganzen Tag ertragen, Zero wird immerhin auf die Jagd gehen können.“, beschwerte sich Yagari und hob dabei wie zum Beweis, den Stock, den er immer mit sich führen musste.

„Auch wieder wahr. Aber Zeros schlechte Laune, werde ich dann ertragen müssen.“, stimmte Kaito zu.

„Gehen wir.“, unterbrach Jinmu die Unterhaltung, bevor sie noch gegenseitig in Selbstmitleid versinken konnten.

Sie gingen eine weitere Treppe nach oben und anschließend in das Arbeitszimmer des Direktors. Es war nicht das offizielle Büro, in dem er seine Schüler empfing, sondern in dem Gespräche mit Vampiren und Huntern stattfanden. Dort stand neben dem Schreibtisch, der Zentral in der Mitte des Raumes platziert war, ein weiterer, kleinerer, runder Tisch. Auf diesem lag etwas, das aussah wie eine gläserne Pistole.

„Das ist es?“, fragte Zero und ging ein wenig näher. „So was habe ich noch nie gesehen.“

„Würde mich auch wundern. Die Dinger sind noch in der Entwicklung. Das hier ist quasi ein Prototyp.“, erwiderte Kaito.

„Nett, dass ihr mich als Versuchsobjekt ausgewählt habt.“, sagte Zero bissig.

„Du hast zugestimmt.“, antwortete Kaito schulterzuckend.

Zero biss die Zähne zusammen und sparte sich seine Antwort. Ihm war auch nichts anderes übrig geblieben.

„Wie funktioniert es?“, fragte Zero und besah sich den Gegenstand genauer. Es war einer Waffe gar nicht so unähnlich. Es hatte einen gläsernen Lauf, sowie einen Abzug, doch vorn an der Spitze, bei der bei einer normalen Waffe, die Kugel herauskam, saßen kleine Klingen, Zähnen nicht unähnlich.

„Wir setzten es dir an die Haut und die Klingen schneiden in dein Fleisch, damit es nicht wegrutschen kann. Dann schießen wir mit Druckluft den Chip in deinen Arm. Er besteht aus mehreren Teilen. Einmal der Chip an sich, der ist nur ein paar Millimeter groß. Um diesen Chip liegt eine Metallhülle, die ihn schütze. Außerdem befindet sich in dem Zwischenraum ein Gift, dass selbst ein Reinblut für 24 Stunden außer Gefecht setzt. Wir können eine Selbstzerstörung des Chips aktivieren, was uns genug Zeit verschaffen würde, um zur Zielperson zu gelangen und einzugreifen.“

„Um es zu töten.“, sagte Zero unumwunden.

„Wenn es die Situation erfordert.“

Auch wenn es ihn anwiderte, so betrachtete Zero das Gerät fasziniert. Es war unglaublich, was in 20 Jahren geschaffen wurde. Niemals hätte er sich so etwas träumen lassen – und schon gar nicht, dass es an ihm ausprobiert würde, dachte er sarkastisch.

„Kann es noch anders ausgelöst werden?“, wollte Zero wissen.

„Würdest du versuchen, dir das Ding selbst aus dem Körper zu schneiden, würde die Metallhülle zerstört und du würdest dich selbst vergiften.“

Knapp nickte Zero.

„Bereust du deine Entscheidung schon?“, fragte Jinmu ihn.

„Würde das etwas ändern?“

„Nein.“

„Dann können wir es ja jetzt hinter uns bringen.“ Zero zog die Jacke aus und krempelte dann den linken Ärmel seines Pullovers nach oben.

„Setz dich. Kaito und Yagari werden dich festhalten.“, wies Jinmu ihn an.

„Ich laufe nicht fort.“, sagte Zero entschlossen.

„Das denke ich auch nicht, aber wenn du dich bewegst, kann es sein, dass ich doch abrutsche und die den Arm zerfetze. Das muss nicht unbedingt sein.“

Also setzte sich Zero und Kaito und Yagari legten jeder eine Hand auf seine Schulter. Außerdem faste Kaito ihn am linken Unterarm und drückte ihn auf die Tischplatte.

Jinmu setzte die Glaswaffe auf Zeros und die kleinen Metallzähne schnitten ihn ins Fleisch. Wie ein wildes Tier schienen sie sich in ihm zu verbeißen.
 


 

Es war schon seit ein paar Stunden dunkel, als Yuki in einer Kutsch aufbrauch. Ein wenig Gepäck führte sie mit sich. Den Rest würde sie später holen. Nur das nötigste nahm sie für den Moment mit.

Während des Packens hatte sie an all die Dinge denken müssen, die sie gesehen und erfahren hatte. Es hatte sie sehr erschrocken. Doch jetzt, nachdem sie darüber nachgedacht hatte, verspürte sie Erleichterung. Sie kannte nun die Wahrheit. Sie wusste wer Kaname war, warum er so war und wie er zu dem geworden war.

In einer Sache hatte sie zudem recht behalten. Ihre Gefühle ihm gegenüber hatten sich nicht verändert. Sie waren noch immer von Liebe und Zuneigung geprägt und sie wusste, dass das für immer so bleiben würde, solange sie lebte.

Zwei der Bediensteten nahmen ihre Koffer und Yuki verließ das Haus in dem sie die letzten 20 Jahre verbracht hatte. Von Kaname verabschiedete sie sich nicht. Es war nicht nötig. Sie verschwand nicht aus seinen Leben und schon morgen oder übermorgen würden sie sich wieder sehen. Yuki wusste nun, dass er sie verstand und deswegen gehen ließ. Dafür war sie ihm dankbar und sie war fest entschlossen sich dem Namen Kuran als würde zu erweisen.

Sie stieg in die Kutsche und verließ das Anwesen.
 

Kaname stand am Fenster und sah die Kutsche durch das Tor fahren. Er hatte gewusst, dass es so kommen würde. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen. Er hatte sie geleitet und geführt, bis zu dem Punkt an dem sie jetzt war. Er war stolz auf sie. Er liebte sie.

Und doch bedeutete ihr Gehen auch, dass es Zeit war, sich wieder den Dingen zuzuwenden, von denen sie ihn abgelenkt hatte. Er konnte die Veränderungen spüren. Etwas ging in den Reihen der Reinblüter vor sich. Jemand, der seine Macht benutzte. Schon lange hatte er erkannt, dass sich keiner der Reinblüter verändert hatte. Die meisten waren ihr langes Leben leid, schliefen seit Jahrhunderten ohne je zu sterben – so wie auch er einst. Andere waren noch jung und lechzten nach Kontrolle, über Menschen und Vampire.

Es war an der Zeit dem ein Ende zu machen.
 

Takuma war nach einem kurzen Schläfchen gerade erst wieder aufgestanden und saß bei einem gemütlichen Frühstück, als er eine Präsenz wahrnahm, die ihn den Appetit vergessen ließ.

Er legte sein Besteck zur Seiten und stand auf. Wie von selbst lief er in die Mitte des Raumes und wartete dort auf sie. Seit zwei Jahrzehnten hatte er sie nicht mehr gespürt, hatte geglaubt, sie hätte von ihrem Vorhaben abgelassen. Aber dieses Denken war grenzenlos dumm und naiv von ihm gewesen, wie er jetzt erkannte. Niemals würde sie aufgeben. Sie hatte nur gewartet und nun war sie gekommen, um ihren Preis für sein Leben einzufordern. Ein Leben, das er sie nie gebeten hatte, zu retten.

Ichijo Takuma blieb in im Raum stehen, auch noch als er bereits Stimmen hören konnte. Sie ließ sich selbst ein. Dann ging sie den Flur entlang. Sie wusste genau wo er war. Die Tür zum Speisezimmer öffnete sich und dann stand sie in ihrer ganzen Schönheit vor ihm. Sie hatte langes, helles, blondes Haar, dass ihr in sanften Wellen über den Rücken fiel, strahlende, blaue Augen, die unberechenbar waren und Lippen, auf denn ein kaltes Lächeln lag.

„Hallo, Takuma. Ich hoffe du hast mich nicht vergessen.“, sagte sie mit klarer und honigsüßer Stimme. Einen Moment konnte er sie nur anstarren, dann schüttelte er den Kopf.

„Niemals, Sara-sama.“
 

Zero lag in seinem Bett und lauschte Ais gleichmäßigen Atemzügen neben sich. Sie beruhigten ihn und er hoffte, dass er somit auch bald in den Schlaf finden würde. Bei seiner Ziehtochter hingegen war das relativ schnell gegangen. Nach ihrer Ankunft, war Ai so aufgekratzt gewesen, sie herumgewirbelt war, als hätte sie eine Biene gestochen. Sie hatte schon auf der Fahrt nicht viel geschlafen, aber bis zu diesem Zeitpunkt war überhaupt nicht an Schlaf zu denken gewesen. Sie hatte den Rektor mit ihrem Fragen bombardiert, die er ihr auch geduldig beantwortete hatte. Doch immer war ihr etwas Neues eingefallen. Zero hoffte, dass sie ihren Bedarf an Fragen für die nächsten paar Jahre an diesem Tag gedeckt hatte.

Auch Yagari war zugegen gewesen, hatte sich aber im Hintergrund gehalten. Seine Fragen bekam Zero erst zu hören, als er Ai schon ins Bett geschickt hatte. Jedoch hatte Zero keine Lust und auch keine Geduld verspürt, ausführlich darauf zu antworten. Sein Meister hatte sich damit erst einmal zufrieden gegeben, doch am nächsten Tag würde er wieder danach. In seinem linken Arm spürte Zero ein leichtes Ziehen. Die Wunde war zwar schnell wieder verheilt, doch glaubte Zero den Chip sehr genau spüren zu können. Egal, wo er von nun an hinging, sie würden es immer wissen. Seufzend drehte sich Zero zur Seite und sah in Ais schlafendes Gesicht.

Seit einer Stunde lag er wach und kam einfach nicht zur Ruhe. Dabei war er erschöpft und müde. Er konnte spüren, wie die Ereignisse der vergangenen Tage seinen Körper nach unten drückten. Dennoch konnte er nicht einschlafen. Seit der Nacht in der Yuki bei ihm und Ai im Bett geschlafen hatte, hatte er das Gefühl keinen erholsamen Schlaf mehr finden zu können. Warum?, fragte er sich zum wiederholten Male.

Vielleicht weil die Sache mit Yuki immer noch nicht beendet war, dachte er. Er war ihr in den letzten Wochen wieder so nah gekommen, wie vor langer Zeit einmal. Dabei hatte er es von Anfang an gewusst. Warum also, glaubte er, fühlte er, dass es noch immer nicht beendet war? Spätestens als er Kaname gegenüber gestanden hatte, hätte es ihm klar sein müssen. Warum konnte er nicht zurück? Warum konnte er nicht so weiter machen, wie er vor 20 Jahren aufgehört hatte?

Weil es kein Zurück gab, beantwortete er sich diese Fragen selbst. So zu tun, als wäre nichts geschehen, würde einen Rückschritt bedeuten und das konnte er sich nicht erlauben. Er wollte es auch nicht. Es würde bedeuten, seinem alten Ich wieder näher zu sein. Allein den Gedanken daran hasste er. Zero seufzte auf. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als direkt mit Yuki zu sprechen. Das war das einzige was er tun konnte, um in dieser Stadt ein Leben aufbauen zu können. Und sie waren keine Kinder mehr, sondern erwachsen. Sie würden darüber sprechen können.

Plötzlich hielt er den Atem an und stieß dann die Luft scharf aus. Das konnte nicht wahr sein!

Er spürte auf einmal ihre Präsenz, erst kurz vor dem Haus und dann im Haus. Was machte sie zu dieser Uhrzeit hier? Sollte sie nicht bei Kaname sein?!

Kurz überlegte Zero, ob er aufstehen und nach unten gehen sollte. Dann entschied er sich dagegen. Der Rektor würde es ihm schon noch früh genug erzählen. Dafür war an Schlaf nun überhaupt nicht mehr zu denken. Er würde erst schlafen können, wenn sie nicht mehr da wäre. Doch anstatt dass sie ging, spürte er sie irgendwann noch näher kommen. Sie war so nah, dass er wusste, dass sie nur auf dem Flur sein konnte.

Nun stand er doch auf.
 

Ihr Vater hatte sie bereitwillig eingelassen, hatte ihr zugehört, als sie ihm erzählt hatte, was geschehen war und zu welchem Entschluss sie gekommen war. Sie hatte ihm auch von dem erzählt, was sie vor wenigen Stunden erfahren hatte.

Nichts davon schien ihn überraschen zu können.

Sie wollte ihn noch fragen, warum das so war, aber sie war zu erschöpft, um noch einen klaren Gedanken fassen zu können. Sicher hätte er es ihr erzählt, aber Yuki bezweifelte, dass sie es auch verstanden hätte. Der Rektor ahnte dies wohl, denn er machte ihr noch einen Tee und schickte sie dann ins Bett. Nur zu bereitwillig nahm Yuki das Angebot an. Am nächsten Tag, so hatte ihr Vater gesagt, wäre zum Reden noch genügend Zeit.

Nun lief sie im Dunkeln über den Flur. Sie spürte Zeros Gegenwart, doch selbst darüber konnte sie nicht nachdenken. Sie würde ihm am Morgen alles erklären, doch sicher war er nicht erfreut, sie schon so schnell wieder zu sehen.

Obwohl sie sich in ihrer Entscheidung sicher war, obwohl sie nichts von dem bereute, hatte sie dennoch Mühe die Tränen zurückzuhalten. Alles drang auf einmal auf sie ein und schien sie zu erdrücken. Die letzten Tage und Geschehnisse lasteten auf ihr: ihr ungeklärtes Verhältnis zu Zero, ihre Gefühle für ihn, ihre Schuld daran, dass Zero und Ai nun so vielen Bedingungen unterworfen waren, ihre Entscheidung die Kuran-Residenz zu verlassen und dass sie Kaname damit verletzt hatte, die Angst vor dem neuem Leben, welches sie nun allein bestreiten würde und die Geheimnisse um Kaname, die sie endlich erfahren hatte. Jetzt wo sie allein war, wo sie alles hinter sich gelassen hatte, fühlte sie sich, als würde es ihr die Brust zu schüren und ersticken.

Es war ihr zu viel. In diesem Moment wollte sie nichts lieber tun, als sich in den Schlaf zu weinen, auch wenn es noch so kindisch war. Sie konnte nicht mehr.

Yuki musste über sich selbst lachen. Hier war sie also: ein Reinblut, eine Kuran und wollte nichts lieber tun, als sich ihrem Elend zu ergeben und sei es auch nur für eine Nacht.

Doch ihr Lachen wurde zu einem ersten Schluchzen und sie presste hastig die Hand vor den Mund. Sie durfte Zero nicht wecken. Zu spät, denn hinter ihr öffnete sich die Tür.

„Yuki?“, hörte sie Zero fragen.

Sie ließ die Hand sinken und vermied es in anzusehen.

„Tut mir leid.“, brachte sie mühsam hervor. „Ich wollte dich nicht wecken.“ Trotz ihrer Bemühungen normal zu klingen, konnte sie nicht verhindern, dass sich ihre Stimme seltsam anhörte und eine Träne ihre Wange hinab fiel.

„Alles in Ordnung?“, fragte Zero sie, dem nicht entgangen war, dass ihre Stimme nach Tränen klang. „Was ist passiert?“ Einen Schritt kam er näher und stand kurz vor ihr. Yuki schüttelte den Kopf, doch er berührte sacht ihre Schulter, damit sie ihn ansah. Er fand die Bestätigung seiner Vermutung in ihren Augen.

„Ist es wegen Kaname?“, fragte er sie gerade heraus. Abermals schüttelte Yuki den Kopf. „Ich... ich bin gegangen.“, flüsterte sie heißer und der Tränendamm brach endgültig. Schnell schlug sie die Hände vor das Gesicht und unterdrückte ein erneutes Schluchzen. Flüchtig war Zero einen Blick zur Tür hinter der Ai schlief, dann rang er noch einen kurzen Moment mit sich selbst, bevor er ganz an Yuki heran trat. Er nahm sie in den Arm und mit der anderen Hand öffnete er die Tür hinter ihr. Dann legte er einen Arm um ihre Schulter und führte sie wortlos in das Zimmer herein, zum Bett. Ihr Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Vor dem Bett blieb er unschlüssig stehen. Er hatte sie nur herein bringen wollen, doch jetzt konnte er sie einfach nicht allein lassen. Nicht in diesem Zustand. Auch wenn er wusste, dass er es bereuen würde, setzte sich Zero auf das Bett und zog Yuki in seine Arme. Beruhigend strich er ihr über den Rücken.

So sehr er Kaname auch verabscheute, wusste er doch, dass Yuki diesen Mann liebte. Wie sehr es sie schmerzen musste, ihn verlassen zu haben und das nur um ihren eigenen Weg zu finden. Eigentlich konnte er sie dafür nur bewundern. Wie schwer dieser Schritt also für sie gewesen sein muss, konnte er sich nicht vorstellen.

Plötzlich fing Yuki an zu erzählen. Zero musste sich anstrengen um ihr zu folgen, um ihre geflüsterten Worte zu verstehen, doch nach und nach ergab ihre Geschichte für ihn einen Sinn. Unter Tränen berichtete sie, wie das Gespräch zwischen ihr und Kaname verlaufen war, dass sie Antworten auf ihre Fragen bekommen hatte. Und sie wusste auch, was wirklich mit Shizuka geschehen war.

Die ganze Zeit über hielt er sie fest im Arm und hörte ihr schweigend zu. Genau diese Gesten waren es, die Yuki nur noch mehr schluchzen ließen. Wenn er doch nur wüsste, was sie noch über Kaname erfahren hatte, dachte sie still. Er würde nicht so reagieren. Dies konnte sie ihm einfach nicht erzählen. Außerdem hatte er genügend eigene Sorgen. Woher fand er dann noch Geduld sich ihre anzuhören?

Und trotzdem klammerte sie sich mehr an ihn, damit er nicht einfach ging und sie allein ließ.
 

Mühsam öffnete Yuki die Augen. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, ihr Körper erschöpft und ihr Kopf schmerzte leicht. Zögerlich bewegte sie sich und es dauerte einen Moment, ehe sie realisierte, was geschehen war. Dann erst nahm sie die Wärme eines anderen Körpers war. Ruckartig richtete sie sich auf. Sie sah direkt in Zeros Augen, die sie aufmerksam und eindringlich zugleich ansahen.

„Ent-Entschuldige.“, stammelte sie, vermochte es aber nicht sich von seinem Blick oder gar seinen Körper zu lösen. In seinen Augen lag ein rötlicher Schimmer, der sie fesselte. Plötzlich wurde sich Yuki ihrer Situation gewahr. Sie waren allein in einem Zimmer, saßen gemeinsam auf einem Bett. Nicht nur dass, sie saß noch dazu halb auf seinem Schoß und sein Blick schien sie zu...

Auf einmal brach Zero den Blickkontakt ab und ließ den Kopf sinken. Gleichzeitig verspannte sich sein Körper und Yuki merkte, wie sich seine Hände, die noch immer um ihren Rücken lagen, zu Fäusten verkrampften.

„Ich bin erbärmlich.“, stieß er schließlich angewidert aus. Erschrocken starrte Yuki auf sein Haar und rang nach Worten und ihrer Fassung. Sie wusste, dass er von sich selbst nur das Schlechteste dachte und doch schienen ihre diese Worte zu heftig. Aber noch bevor sie wusste, was sie erwidern könnte, sprach er weiter.

„Ich weiß, dass ich dich niemals werde haben können und trotzdem will ich dich. Jetzt genauso sehr, wie damals. Nein, das ist nicht wahr. Ich will dich noch viel mehr. ... Ich bin wirklich erbärmlich.“

Yuki schluckte und ihr Herz schlug auf einmal laut und heftig in ihrer Brust. Mühsam unterdrückte sie ein Zittern. Seine Stimme war rau gewesen, brüchig und voller Selbstzweifel und Selbsthass.

„Willst du... willst du mein Blut?“, fragte sie zitternd. Sie spürte, wie Zero bei diesem letzten Wort heftig schluckte und sich seine Hände noch mehr in ihrem Rücken verspannten. Kaum merkbar schüttelte er den Kopf bevor er ihr antwortete: „Dein Blut, dein Körper, deine Seele, dein Herz, dein Gesicht, deine Lippen... Das und noch viel mehr, begehre ich von dir.“

Woher diese Worte kamen wusste er nicht, aber sie entsprachen der Wahrheit. Vielleicht war jetzt schon der Zeitpunkt gekommen, alles Ungesagte endlich zu äußern.

Einen Augenblick war Yuki sprachlos, unfähig das Gehörte zu verarbeiten. Die Erinnerungen an ihre Trennung vor zwanzig Jahren wurden wieder lebendig, Sie glaubte seine Lippen heiß auf ihren spüren zu können. Mit der rechten Hand fasste Yuki ihre Haare zusammen und zog sie auf die recht Schulter, so dass die linkte Seite ihres Halses entblößt war. Er sollte nicht länger leiden.

Augenblicklich begann Zero zu zittern. Yuki umarmte ihn sanft und drehte dann den Kopf ein wenig, so dass ihre Lippen dicht neben seinem Ohr waren. „Nimm mein Blut.“, flüsterte sie heißer. Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, fühlte sie eine so starke Sehnsucht in sich, dass ihr fast schwindlig wurde. Sie wollte, dass Zero ihr Blut nahm. Nicht nur, weil sie ihm etwas zurück geben wollte oder gar seine Schmerzen lindern wollte. Nein, sie wollte es, weil sie noch einmal spüren wollte, wie es war, wenn er von ihr trank. Sie wollte es aus eigenen, egoistischen Gründen.

Abermals schluckte Zero heftig neben ihr, doch dann zog er sie mit einem Ruck fast an sich. Seine Hände lagen auf ihrer Taille und sie spürte seine Wärme. Er hob seinen Mund leicht und Yuki konnte seinen Atem auf ihrer Schulter fühlen.

Mit den Lippen zeichnete er die Konturen ihres Halses nach, berührte sie aber nicht. Die Erwartung in ihr steigerte sich beinah ins unermessliche. Ihr eigener Körper begann zu beben.

Er sollte es nicht tun, dachte ein kleiner, immer schwächer werdender Teil in ihm. Es würde zu viele Wunden auf reisen. Er wich ein Stück von ihr zurück und schüttelte den Kopf. Ein geflüstertes „Nein“ drang über seine Lippen und doch näherte er sich ihr im nächsten Moment auch schon wieder.

Er konnte ihr nicht wiederstehen. Ihr Duft betörte ihn. Es war nicht nur der Geruch ihres Blutes, der ihn fast den Verstand verlieren ließ, sonder ihr ganz eigener Duft. Süß und unschuldig, dachte er. Kurz zuckte Zero zusammen, als Yuki die Hände um seinen Nacken legte und ihre Finger sanft durch seine Haare fuhren. Sein Mund lag nun genau über der Stelle, an der die Haut besonders zart ist, dort wo er ihre Lebensander in ihr pulsieren sehen konnte.

Das Monster in ihm war nun vollständig erwacht. Er konnte ihren Geschmack bereits auf seiner Zunge schmecken. Er konnte es nicht mehr erwarten, bis er endlich seine spitzen Zähne in ihrem Hals versenken konnte. Und doch hielt Zero sich zurück.

Er wusste, dass wenn er diesem Wesen nachgab, so ungestüm und unaufhaltsam wie es war, er sie töten würde. Er würde kein mehr Halten kennen. Es war zuvor schon geschehen. Dieses Wissen, ließ ihn ein wenig seines Verstandes bewahren, ließ ihn langsam seine Lippen auf ihren Hals legen und küsste ihn sacht.

Yuki entfuhr ein Seufzen und ein Schauer fuhr durch ihren Körper. Er sollte es tun. Er musste es tun!

Seine Zunge lenkte über jene Stelle und küsste sie noch einmal. Doch dann zog er sich plötzlich wieder ein Stück zurück.

Yuki stieß einen Laut der Enttäuschung aus.

Er würde nicht dagegen ankämpfen können, ganz egal, wie sehr er es versucht, realisierte Zero. Im Moment würde es noch gelingen, vielleicht auch noch am nächsten Tag und den danach, aber irgendwann, dessen war er sich sicher, würde das Verlangen, die Sehnsucht nach ihr zu groß sein. Er hatte die Grenzen bereits zu weit überschritten. Vielleicht schon in jenem Moment, als er die Tür von seinem Zimmer geöffnet hatte.

Sein Kampf gegen seinen eigenen Körper, seinen Durst, wurde schmerzhaft. Dabei bot sie sich ihm so bereitwillig dar! Es würde kein entkommen geben. Dennoch gab es eine Sache, die er noch mehr wollte. Etwas, dass er als Mann wollte und nicht als Vampir. Erst würde er sich das holen, bevor er dem Monster nachgab. Er war es der es beherrschte und er ließ sich auch nicht mehr beherrschen, dachte er fast trotzig und teils hoffnungslos.

Er kam ihr wieder näher, zog sie fester in seine Arme und presste sie an sich. Er war sich ihres Körpers nur zu bewusst. Erneut küsste Zero ihren Hals, dann wanderte sein Mund nach oben, bis zu ihrem Kiefer, den er ebenfalls sanft küsste. Doch dort endete er nicht. Er hob den Kopf noch ein wenig mehr, bis seine Lippen nur noch wenige Millimeter über ihren schwebten.

Kurz sah er sie an, sah ihre bebenden Lippen und verschloss sie dann mit seinen.

Einen Augenblick erstarrte Yukis Körper. Sie war schlichtweg überrascht. Genauso, wie sie es auch vor 20 Jahren schon gewesen war. Doch als sie sich der Hitze seiner Lippen bewusst wurde und ganz anders als damals, erwiderte sie den Kuss.

Das war er, dachte er. Der reine Geschmack ihres Kusses, unverfälscht von Blut, das noch auf seinen Lippen lag, sondern nur sie. Es schmeckte anders als der rote Saft ihres Lebens, trotzdem einfach unbeschreiblich.

Unbewusst presste Zero sie noch näher an seinen Körper. Seine Hände rutschten dabei unter ihren Pullover. Dort berührten sie einen weicheren, feineren Stoff, der angenehm kühl auf seine erhitzten Finger wirkte.

Gern hätte Zero diesen Moment fortgesetzt, an dem Kuss festgehalten, doch der andere Teil in ihm konnte nicht länger warten. Er löste den Kuss und seine Lippen fanden von allein den Weg zu ihrem Hals. Seine Hände unter ihrem Pullover glitten ihren Rücken hinauf und seine Finger krallten sich in den dünnen Stoff, den sie noch trug. Sie sollte ihm nicht entkommen.

Dann versanken seine Zähne in ihrem Hals.

Der erste Tropfen ihres Blutes löst ein Gefühl in ihm aus, wie er es schon lange nicht mehr empfunden hatte. Er stöhnte begierig auf. Es war Hunger nach mehr, der sich in unstillbare Gier verwandeln würde, wenn er es geschehen ließ. Deswegen musste er langsam trinken, dachte er verzweifelt. Er durfte nicht von seinem Verstand loslassen und sich ganz ihrem Blut hingeben. Dennoch spürte er wie sich eine tiefe Zufriedenheit in seinem Körper ausbreitete. Das Wesen in ihm kam mit jedem Schluck weiter zur Ruhe. Das erste Mal seit Jahre hatte Zero das Gefühl wirklich er selbst und vollständig zu sein.

Ein Zittern ging durch Yukis Körper und für einen kurzen Moment konnte Zero in ihr Herz sehen. Es war das erste Mal, dass so etwas geschah. Ihre zerrissenen Gefühle für ihn und Kaname lagen wir ein offenes Buch vor ihm.

Er war so überrascht davon, dass er sich von ihr löste und keuchend ausatmete. Unbekannte Hoffnung durchströmte ihn und er hasste sich selbst dafür, dass sein Herz sich so leicht täuschen lies. Das, was er gerade erfahren hatte, bedeutete nichts, es hieß nichts. Und dennoch...

Abermals beugte sich Zero zu ihr herunter und küsste die Stelle an der er gerade von ihr getrunken hatte. Dann lehnte er den Kopf gegen ihre Schulter.

Das Atmen fiel ihm schwer und es kostete ihn unglaublich viel Kraft, seine Zähne nicht sofort wieder in ihrem Körper zu versenken. Er war noch nicht befriedigt, aber das würde er nie sein. Immer würde er Verlangen nach ihrem Blut haben. Auch das war ein Teil von ihm.

Yuki strich ihm beruhigend durchs Haar, während ihr Herz ihr davon zu laufen schien. Er hatte es gesehen, dachte sie. Was dachte er nun über sie?

Zeros Hände glitten ihren Rücken hinab, blieben aber auf ihrer Taille liegen. Er wollte sie noch nicht loslassen. Er wollte diese Nähe noch einen Augenblick länger beibehalten.

Zögernd drehte er den Kopf, so dass er Yuki ansehen konnte. Sie tat es ihm gleich und ihre Blicke trafen sich. Sie war noch immer an ihn geschmiegt und er spürte ihre weiblichen Runden an seiner Brust und ihre Beine, die sich um seinen Körper geschlungen hatte.

Es war eine Situation von der er nie geglaubt hätte, einmal mit ihr zu sein. Es schien ihm so unwirklich und doch vollkommen. Er beugte seinen Kopf noch ein wenig zu ihr, zaghaft und zitternd, doch sie kam ihm entgegen. Abermals fanden ihre Lippen zueinander.

Zuerst war der Kuss nur zaghaft, fragend und kostend. Doch je länger er andauerte, desto sicher wurde er, desto gefühlvoller.

Yukis Hände lösten sich aus seinen Nacken und fuhren seine Schulter hinab über seine Arme.

Was geschah hier?, fragte sie sich, als sie ihren eigenen Körper weiter gegen seinen lehnte. Warum taten sie das? Darauf würde sie keine Antwort finden. Sie wusste nur, dass es sich richtig anfühlte, dass sie es wollte und dass sie es nicht würde ertragen können, wenn er sie jetzt zurückwies.

Das tat er auch nicht. Er umfasste den Saum ihres Pullovers und schob ihn langsam weiter nach oben.

Er konnte keine Erklärung für sein Verhalten finden. Er wusste nicht woher er den Mut für seine Handlungen nahm. Er ließ sich von Instinkten leiten, aber vor allem von seiner Sehnsucht die schon lange in ihm brannte. Da sie ihn nicht stoppte, sich nicht von ihm löste oder ihn von sich stieß, zog er ihr schließlich den Pullover über den Kopf. Dafür mussten sie den Kuss unterbrechen und Zero konnte sie ansehen.

Ihr Anblick verschlug ihm den Atem. Sie trug nur noch eine cremefarbene Camisole, die mit einen zarten Blumenmuster bestickt war. Der Stoff schien ihren Körper zu umschmeicheln. Zeros Blick viel auf ihr Dekolleté und er schluckte heftig. Er riss sich nur von dem Bild los, weil ihre Finger unter sein Shirt fuhren. Scharf zog er die Luft ein, ließ es aber geschehen. Ihre Finge waren kalt, doch nicht unangenehm. Yuki griff den Saum seine Shirts und entkleidete ihn davon. Auch sie musterte ihn einen Moment, bevor sie mit ihren Fingerspitzen über seinen nackten Oberkörper fuhr. Die feinen Härchen auf seinen Körper stellten sich bei dieser Berührung auf. Augenblicklich zog er sie wieder an sich, um sie erneut zu küssen. Dabei lehnte er sich in die Kissen zurück und zog Yuki mit sich. Seine Hände glitten über ihren Oberkörper und streichelten sie liebevoll.

Dieser Kuss war intensiver. Zero strich sanft über Yukis Unterlippe, bevor er sie zwischen seine Zähne nahm und daran knapperte. Zögernd und entdeckend berührten sich ihre Zungen. Dann glitt seine Zunge in ihren Mund und erkundete diesen. Yukis Camisole rutschte nach oben, so dass Zero ihre bloße Haut berührte. Bedächtig fuhren seine Fingerspitzen ihre Wirbelsäule entlang und schließlich glitten seine Finger sogar unter den zarten Stoff. Dabei rutschte das Kleidungstück so weit nach oben, dass Yukis Bauch frei wurde und sich ihrer beider Haut berührte. Scharf zog Zero die Luft ein und hielt sogar den Atem an. Er konnte nicht glauben, dass dies alles wirklich geschah. Er hatte das Gefühl jeden Augenblick könnte etwas in ihm zerspringen.

Er ließ sich nur noch von seinen Wünschen leiten und entkleidete sie auch von dem dünnen Hemdchen. Als sie dieses Mal den Kuss unterbrachen, fand sein Mund ihren Hals wieder, den er mit sachten Küssen liebkoste. Gleichzeitig fuhr er mit den Fingern die geschwungen Form ihres Schlüsselbeins nach und ließ sie dann weiter nach unten zu ihrem Busen gleiten. Ein verlockendes Stöhnen entwich ihr.

Ungeduldig und hungrig trafen sich ihre Münder erneut. Bei ihrer Bewegung rieb Yuki sanft über Zeros Schoß, so dass sie sein leises Ächzen trank. Zeros Hände streichelten ihren Körper. Er berührte Stellen, die er sich nicht einmal in seinen dunkelsten und geheimsten Träumen vorgestellt hatte. Yuki erzitterte unter seiner Berührung und ihre Bewegungen wurden noch ein wenig fahriger.

Zero fasste sie im Rücken und hob sie leicht an. Dann rollte er sie behutsam auf den Rücken und beugte sich über sie. Anschließend küsste er sie. Er würde niemals aufhören, wenn er könnte.

Yuki war gefangen in seiner Umarmung. Sie spürte das Gewicht seines Körpers auf ihr und wünschte er könnte ihr noch näher sein. Ihr Körper schien in Flammen zu stehen. Immer wieder fanden ihre Lippen zueinander, während ihre Hände den Körper des anderen erkundeten.
 

Sie hörten auf sich zu fragen, was sie taten oder warum und ganz gewiss auch wohin ihre Handlungen führten. Was immer es war, dass sie gefangen genommen hatte, fühlte sich gut an, fühlte sich richtig an.

Zeros Hand glitt zu ihrem Rücken, wo er den Verschluss ihres Büstenhalters fand und öffnete.
 

Vor seinen Augenlidern begann es hell zu werden und Zero öffnete die Augen langsam. Schon bald würde die Sonne aufgehen und die Geschehnisse der Nacht würden verschwinden. Er drehte den Kopf ein wenig und sah in Yukis wache Augen. Darin las er, dass sie das gleiche dachte und empfand. Dennoch lag ein süßes Lächeln auf ihren Lippen.

Auf die Lippen, die er in der Nacht zuvor so sehr geküsst hatte.

Zero beugte sich über sie, ohne ihren Blick loszulassen und fuhr mit der Hand durch ihre leicht zerzausten Haare. Ihr Gesicht war blass, von der Anstrengung der vergangenen Tage und dem fehlenden Schlaf, doch ihre Augen strahlten. Ihr Mund war rot und einladend. Er konnte ihm nicht wiederstehen und verschloss ihn zärtlich mit seinem.

Erneut berührten sich ihren nackten Körper, doch sie empfanden keine Scham dabei. Vielmehr verspürten sie eine tiefe Befriedigung und Ruhe in ihrem Innersten. Sie hatten ihre Antworten gefunden.

Yuki wusste nun ganz genau, welcher Art ihre Gefühle für den Mann waren, mit dem sie in der vergangenen Nacht das Bett geteilt hatte. Sie hatte es endlich begriffen und akzeptiert. Schon bald würde sie sich auch die Gefühle für Kaname eingestehen können. All dies hatte Zero ebenso durch ihre bloße Vereinigung verstanden.
 

Aber es war der falsche Zeitpunkt. Auch das hatten sie beide gespürt. Yuki hatte einen langen Weg vor sich, wollte sie sich doch immer noch selbst finden. Zero würde sich mit Ai ein vollkommen neues Leben aufbauen müssen und sich eigenen Herausforderungen stellen. Sie mussten beide erst ihr eigenes Leben finden, bevor sie zueinander finden konnten.

Es störte sie nicht. Sie würden warten. Es gab nichts, was sie drängte und wenn der rechte Moment gekommen war, würden sie wieder zueinander finden. Sie waren Vampire. Sie hatten noch so viel Zeit.

Dies alles hatten sie erfahren ohne auch ein Wort zu sprechen. Ganz so, als wären in dieser Nacht nicht nur ihre Körper eines geworden, sondern auch ihre Seelen.

Die ersten Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und sie lösten sich voneinander. Zero küsste ihre Stirn noch ein letztes Mal, dann schlief Yuki auch schon wieder ein. Einen Moment betrachtete er noch ihre schlafende Gestalt, dann verließ er das Bett und kleidete sich an.
 

Er wusste, was er an diesem Morgen tun würde. Es war ihm so klar, wie die vergangene Nacht in seiner Erinnerung. Erst wenn er dies getan hatte, würde er neu beginnen können.
 

Es war bereits Mittag als Yuki aufstand und sich eine lange Zeit im Badezimmer einschloss. Sie war gut gelaunt und summte ein Lied vor sich hin. Dachte sie an die vergangene Nacht breitete sich ein Kribbeln in ihrem Magen aus. Dennoch konnte sie nicht umhin sich zu fragen, wie sie Zero nun begegnen sollte. Aber sie war überzeugt, dass alles gut werden würde.

Sie folgte dem herrlichen Duft von Mittagessen in die Küche, wo bereits ein reges Treiben herrschte. Ihr Vater und Ai wuselten durcheinander und schienen viel Spaß zu haben. Der Rektor hatte eine Pfanne in der Hand und Ai schwang den passenden Kochlöffel dazu. Beide hatten sie eine Schürze umgebunden und einen Pferdeschwanz. Sie sahen sich dabei so ähnlich, dass Yuki am liebsten laut losgelacht hätte. Yagari saß am Tisch und blätterte eine Zeitung durch. Nur Zero war nicht da.

„Yuki!“, begrüßte Ai sie sofort, nachdem sie sie entdeckt hatte und schloss sie überschwänglich in die Arme, wie es ihre Art war.

„Guten Morgen.“, sagte Yuki und erwiderte die Umarmung herzlich.

„Guten Morgen.“, sagte auch ihr Vater, musterte sie aber sehr genau. „Geht es dir gut?“, fragte er sie besorgt und Yuki musste lächeln.

„Ja, es geht mir gut.“, antwortete sie ehrlich. „Was macht ihr hier?“, fragte sie und zeigte dabei auf die Töpfe und Pfannen auf dem Herd.

„Essen kochen!“, antwortete Ai, als wäre das nicht offensichtlich.

„Und was gibt es heute?“

„Ein Spezialgericht, natürlich.“ Yagari seufzte hinter ihr laut und sie konnte es nur zu gut verstehen. Bei dem Wort „Spezial“ musste man bei ihrem Vater immer besonders aufpassen.

„Also ich weiß nicht, ob man es essen kann.“, sagte Ai und kräuselte die Stirn. „Mein Papa hat noch nie... so gekocht.“

„Natürlich kann man das essen! Du wirst sehen, es schmeckt vorzüglich.“, belehrte Kaien Kurosu sie. „Und jetzt wird weiter gerührt!“, sagte er im Befehlston.

„Jawohl!“, erwiderte Ai und rührte weiter in der Pfanne herum. Yuki sah, wie Yagari hinter seiner Zeitung die Augen verdrehte. Offenbar war ihm das zu viel Trubel.

„Wo ist Zero?“, fragte sie ihn und setzte sich zu ihm an den Tisch.

„Er hat nicht genau gesagt wo er hin ist, aber ich vermutet er ist zum Friedhof gegangen.“

„Wie kommen sie darauf?“, fragte sie neugierig.

„Er sah ziemlich nachdenklich aus und er wollte auf keinen Fall, dass einer von uns ihn begleitet. Nicht einmal Ai.“

Kurz nickte Yuki. Sie konnte verstehen, dass er erst einmal allein gehen wollte. Sicherlich hatte er viel aufzuarbeiten.

Die nächste halbe Stunde beobachtete Yuki mit Freude den Rektor und Ai. Immer wieder musste sie in sich hineinlachen, während Yagaris Laune gleichzeitig immer schlechter zu werden schien.

Dann kam Zero zurück und wirkte sehr mitgenommen. Offenbar war er wirklich auf dem Friedhof gewesen und es hatte ihm unheimlich viel Kraft abverlangt. Dennoch lächelte er schwach, als sie ihn begrüßte.

„Warst du wirklich auf dem Friedhof?“, fragte Ai ihn und leckte dabei einen Löffel ab.

Zero zog sie zu sich auf seinen Schoß und umarmte sie. „Ja, das war ich.“, antwortete er schließlich.

„Nimmst du mich das nächste Mal mit?“ Sie sprach sehr ernst und sah ihren Papa auch genauso an.

„Ja.“, antwortete er kurz. Aus dieser einfachen Antwort war zu hören, dass er im Moment nicht weiter darüber sprechen wollte. Also fragte Ai auch nicht weiter.

„Wenn sie fertig sind, möchte ich gern die Zeitung haben.“, sagte Zero schließlich an Yagari gewandt. Dieser brummte als Erwiderung.

„Willst du nach einer Wohnung schauen?“, fragte Ai ihn gerade heraus.

„Ja, ich will dem Rektor nicht länger als nötig eine Last sein.“

„Oh, aber ihr seid mir keine Last!“, warf dieser sofort ein.

„Trotzdem...“, erwiderte Zero kurz.

„Dann könnte ich auch gleich nachsehen.“, überlegte Yuki laut.

„Warum das denn? Ich dachte du wohnst bei Kaname?“, wollte Ai verwundert wissen.

Yuki zuckte einen kurzen Moment zusammen, erklärte ihr anschließend aber in einfachen Worten, warum sie sich entschlossen hatte, selbst eine Wohnung zu nehmen.

„So ihr könnte den Tisch denken. Ich hole nur noch schnell das feine Besteck.“, sagte Kurosu beinah triumphierend. Er verschwand aus der Küche und Yuki und Ai machten sich daran die Teller herauszuholen. Kurz darauf kehrte der Rektor auch schon wieder zurück und hatte nicht nur das Besteck in der einen Hand, sondern in der anderen auch eine Topfpflanze, die fast keine Blätter mehr hatte.

„Ich werde sie endlich wegwerfen. Sie erholt sich ja doch nicht mehr.“, murmelte er, während Yuki ihm das Besteck abnahm.

„Nein, das können sie doch nicht machen!“, sagte Ai entsetzt. Man warf doch keine Pflanzen weg solange sie auch nur einen grünen Trieb hatten!

„Was soll ich denn noch machen? Ich habe schon alles versucht, aber sie will einfach nicht mehr.“

„Man muss ihr nur gut zureden!“

„Auch das habe ich schon gemacht!“

„Ja, hat er.“, bestätigte Yagari und konnte sich ein gemeines Lächeln nicht verkneifen.

„Lassen sie mich mal. Bei mir klappt es ganz sicher.“, sprach Ai zuversichtlich.

„Ach und warum sollte es das?“, wollte der Rektor wissen.

„Sie hat ein Händchen für Pflanzen.“, schaltete sich nun auch Zero ein. „Sie hat es immer wieder irgendwie geschafft selbst die hoffnungslosesten Fälle wieder zum Blühen zu bringen.“

Ai nickte stolz und nahm dem Rektor auch schon den Topf aus der Hand. Yuki dachte an Zeros Küche in Koritokái und an die gesunden und kräftigen Kräuter, die sie dort gesehen hatte. Wahrscheinlich waren diese auch Ais Werk gewesen.

Der Rektor begann damit das Essen aufzutragen und Ai stellte die Pflanze auf den Küchenschrank. Yuki und Zero stellten sich beide aus Neugier daneben. Dann fasste Ai die Pflanze am dünnen Stängel und fuhr mit den Fingern auf und ab. „Es ist wichtig sie am Stängel anzufassen, schließlich ist da alles drin, was die Blätter wachen lässt.“, erklärte sie den beiden Erwachsenen.

„Und was ist da alles drin?“, fragte Zero, scheinbar sehr interessiert.

„Das... uhm... hatten wir in der Schule noch nicht.“, antwortete sie ausweichend.

„Hattet ihr noch nicht oder weißt du nicht mehr, weil du nicht zugehört hast?“, fragte er mit erhobener Augenbraue.

„Hatten wir noch nicht.“, erwiderte Ai nachdrücklich. Yuki verbiss sich ein Lachen, denn es war klar, was Zero bezweckt hatte.

„Ach, wenn ihr hier steht kann ich das nicht!“, beschwerte sich Ai laut und Zero hob abwehrend die Hände. „Schon gut, wir lassen dich in Ruhe.“ Er drehte sich um und Yuki musste wirklich kurz lachen. Sie setzten sich bereits, während Ai hinter ihnen etwas murmelte. Nach einer Weile drehte sie sich um und kam zu ihnen. „Bald wächst sie wieder.“, verkündete sie stolz.

„Und was macht dich so sicher?“, fragte Yagari provozierend. Ai zuckte mit den Schultern. „Weil ich es so will.“, antwortete sie selbstsicher.

Zero drehte sich kurz zu der Pflanze um und sein Blick blieb auf einmal hängen. Die Blätter wirkten auf ihn tatsächlich irgendwie grüner, dachte er. Er stand auf und ging zu dem Topf. Yuki tat es ihm nach. „Was ist?“, fragte sie ihn, während er immer noch die Pflanze beobachtete.

„Fällt dir was auf?“, fragte er und drehte sich kurz zu den anderen um, die sich aber schon wieder über etwas anderes unterhielten.

„Die Blätter wirken grüner.“, bestätigte Yuki. „Und irgendwie kräftiger.“ Zero nickte kurz, dann traute er seinen Augen nicht. Er deutete auf den Stängel, den Ai vorhin zwischen den Fingern gehalten hatte und Yuki beugte sich ein wenig vor. Dort in der Mitte, wo er gänzlich kahl gewesen war, sah sie nun einen neuen, winzigen zarten Trieb. Fragend sah sie ihn an. Sie war sicher, dass es vorhin noch nicht dagewesen war, so klein er auch sein mochte.

Zero antwortete ihr nicht, aber sie sah, dass ihn die Erkenntnis wie ein Schlag traf. Dann schrieb er mit den Fingern etwas auf die Arbeitsplatte: Clay.

Sie überlegte einen Moment. Dann riss sie den Mund in Erstaunen weit auf, als sie endlich verstand.

„Wo bleibt ihr denn? Eurer Essen wird kalt!“, beschwerte sich der Rektor laut über ihr Fernbleiben.

„Stimmt was nicht?“, fragte nun Yagari und Misstrauen war in seiner Stimme zu hören. Yuki und Zero sahen sich noch immer an und ein unausgesprochenes Verständnis entstand zwischen ihnen. Sie hatten den Beweis für das Erbe der Clays in Ai gefunden. Gleichzeitig beschlossen sie, es niemanden anzuvertrauen, nicht einmal Ai selbst.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Das letzte Kapitel... =3 Ich breche gerade in Jubelschreie aus. XD Aber die richtigen Abschiedsworte und Danksagungen habe ich mir für den Epilog auf. Da muss ich mir noch sehr genau überlegen, was ich dann schreibe – nicht den Epilog, der ist fertig, sondern was ich noch sagen will. O.o
 

Zu diesem Kapitel kann ich nur sagen: Ich hatte es seit 3 Jahren genauso im Kopf. Die Szene zwischen Zero und Yuki habe ich damals bereits geschrieben, als ich mein ökol. Jahr gemacht habe und das war im Sommer 2009. Ich habe zwar kurzzeitig überlegt, ob ich es wirklich so hochladen kann, ob es nicht zu viel ist, zu überraschend etc, aber nachdem ich es schon so lange in mir trage, musste ich es dann so machen. Es wäre sonst „Verrat“ an mir selbst gewesen. ;-)

Ich hoffe auch, man kann verstehen, was da zwischen den beiden passiert ist. O.o Ich glaube so was ist schwer zu verstehen, wenn man es nicht selbst mal erlebt hat. Mmh... Wie erklär ich das? Am besten gar nicht... XD
 

Was die Waffe betrifft... ah ich hoffe man kann sie sich in etwa vorstellen. In sowas bin ich ganz schlecht mit beschreiben. >.< Zumal ich auch besonders „viel“ Ahnung von so was habe. *hust* Verzeiht mir also, wenn es irgendwie... seltsam geklungen hat.
 

Ach ja... ich habe überlegt, wie es mit Kaname und Co weiter gehen könnte. Da ich mir selbst darüber aber keine Sorgen machen wollte – zumindest nicht allzu große – habe ich versucht den Bogen zu den aktuellen Kapiteln zu ziehen. ;-) Hat das jemand gemerkt? XP
 

Das war‘s auch erst mal. Ich hoffe wir lesen uns beim Epilog wieder. Bis dahin...
 

maidlin

Epilog

Epilog
 

Es war heiß.

Sehr heiß.

Genau genommen war es so heiß, dass Zero sich nicht einmal mehr rühren konnte. Dabei war es schon nach fünf Uhr am Abend und die Temperaturen hatten sich bereits ein wenig abgekühlt. Für ihn jedoch war es immer noch unerträglich.

Der Sonnenschirm, unter dem er lag, spendete zwar Schatten, doch war es viel zu wenig. Zaghaft öffnete er die Augen, die er hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen hatte und richtete sich mühsam auf. Er war ohne jegliche Energie, fühlte sich erschöpft und überanstrengt. Dabei hatte er den ganzen Tag nichts gemacht, wortwörtlich. Ein Blick auf das Meer verriet ihm, dass Ai noch immer darin tollte und mit anderen Kindern, die sie in den fünf Tagen, die sie schon hier waren kennengelernt hatte, spielte.

Zero freute sich aufrichtig für sie. Sie hatte Spaß und genoss das Meer, deswegen waren sie ja auch hierher gefahren. Aber das Wetter... Jeder Tag am Strand war für ihn eine einzige Qual. Er war Sonnenlicht gewöhnt, auch warme Temperaturen, aber das hier macht ihm so sehr zu schaffen, dass er sich selbst dabei ertappte, wie er sich wünschte nicht mit ihr gefahren zu sein. Neben seinem allgemeinen Unwohlsein kamen auch Kopfschmerzen hinzu und seine Augen brannten ständig. Für Ai war es das Paradies. Für ihn war es die Hölle.

Aber solange sie glücklich war, sagte er sich zum wiederholten Male, würde er es schon irgendwie ertragen. Es war ja schon fast ein kleines Wunder, dass sie überhaupt hatten fahren dürfen, ganze ohne Begleitperson. Dann hatte dieser Chip doch etwas Gutes, dachte Zero. Doch kaum dachte er an den Chip, führte es seine Gedanken wieder zu den Hunter und den Dingen, die in letzter Zeit geschahen. Zero schüttelte den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Ai hätte es sofort gemerkt. Wenn sie seine Hilfe benötigen würden, würden sie ihm schon Bescheid geben.

„Ai!“, rief er dann nach ihr, doch seine Stimme kam ihm selbst schwach vor. Er musste raus, aus der Hitze! Trotzdem hatte sie ihn wohl gehört und drehte sich kurz um. Sie winkte ihm und rannte dann auch schon den anderen Kindern hinterher. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Sie hatte doch genau gewusst, was er von ihr wollte.

„AI!“, versuchte er es noch einmal, mit mehr Nachdruck und Kraft. Dieses Mal kam sie auch gleich.

„Was ist denn?“, fragte sie schwer atmend und sah schon wieder ihren neuen Freunden hinterher.

„Wir müssen uns für das Abendessen umziehen.“, antwortete Zero und erhob sich. Ihm war schwindlig und er war sicher es keinen Moment länger draußen aushalten zu können. In dem kleinen Hotel, in dem sie ihren Urlaub verbrachten, waren die Räume klimatisiert. Heute würde sie ihn ganz gewiss nicht mehr nach draußen bekommen, dachte er.

Ai betrachtete ihren Papa stumm und bemerkte wieder einmal, wie schwer es ihm fiel sich in der Sonne aufzuhalten. Gern hätte sie noch ein bisschen länger gespielt, aber sie wollte auch nicht, dass es ihm schlechter ging, als es das ohnehin schon tat. Dafür war sie außerdem viel zu froh, dass er überhaupt mit ihr ans Meer gefahren ist. Gedankenverloren drehte sie an den Ohrringen, die sie von Yuki geschenkt bekommen hatte. Es sind Blumen gewesen, deren Blütenblätter in den unterschiedlichen Farben des Regenbogens glitzerten. Bei dem Gedanken an Yuki bedauerte es Ai einmal mehr, dass diese nicht mitgekommen war. Sie hatte gesagt, dass sie ihr und ihrem Papa Zeit allein gönnen wollte, nach allem was geschehen war. Dabei fand Ai, dass es viel lustiger gewesen wäre, wenn sie zu dritt ans Meer gefahren wären. Die Erwachsenen würde sie wohl nie verstehen, dachte sie.

Aber wenn es wirklich stimmte, was sie – natürlich nur rein zufällig und niemals beabsichtig – mitgehört hatte, nämlich dass ihr Papa das neue Oberhaupt der Hunter werden sollte, machten Yukis Worte schon mehr Sinn. Dann würde er sicher noch weniger Zeit haben. Aber bisher hatte ihr Papa noch nicht mit ihr darüber gesprochen, also durfte sie ihn auch nicht danach fragen. Es fiel ihr schwer immer aufzupassen, was sie sagte.

„Ai, träum nicht schon wieder.“, mahnte Zero sie sanft und hielt ihr das Handtuch hin. Sie schreckte auf und nahm ihm das Handtuch aus der Hand. Kurz trocknete sie sich ab und rubbelte sich über ihr blondes Haar. Dann zog sie rasch ihr Kleid über, während Zero schon all die anderen Dinge aufgesammelt hatte. Bevor sie losgingen, drehte sich Ai noch einmal um und winkte ihren Freunden zu. „Bis später.“, rief sie. Die meisten würde sie beim Abendessen wieder sehen.

Beide kehrten zum Hotel zurück, das nur wenige Meter vom Strand entfernt stand. Es war ein kleines Hotel, dessen Wände aus Holz bestanden und das auf vier Pfeilern stand, so dass es auch darunter viel zu entdecken gab, wie Ai bereits am ersten Tag festgestellt hatte. Natürlich war sie sofort darunter gekrochen, als Zero nicht aufgepasst hatte. Das Hotel hatte nur zwei Etagen und insgesamt nur 10 Zimmer, die fast ausschließlich von Familien oder frischverliebten Paaren gebucht wurden. Den Speisraum nutzen sie alle zusammen und es gab leckere Gerichte, einige alltägliche aber auch exotische. Ai freute sich schon jetzt darauf, auch wenn es noch gut eine Stunde dauern würde. Sie aß jeden Abend und Morgen so viel, bis sie Bauchschmerzen hatte. Aber sie konnte einfach nicht wiederstehen, wenn es doch so lecker war. Das brachte sie jedes Mal als Entschuldig hervor, wenn Zero sie wieder streng ansah. In Gedanken überlegte Ai bereits was sie wohl an diesem Abend probieren würde, als Zero plötzlich stehen blieb. Ai sah ihn an und zuckte bei dem angespannten Ausdruck auf seinem Gesicht zusammen. Das bedeutete nie etwas Gutes.

„Geh nach oben und zieh dich um.“, sagte er kurz angebunden und drückte ihr die Tasche mit ihren Badensachen in die Hand. Ohne zu Widersprechen nickte sie. Seitdem sie Koritokái verlassen hatten, lebten sie auch gefährlicher. Es gab mehr Vampire und einige hatten es auch auf sie abgesehen, das hatte sie sofort verstanden.

Immer wenn Ai diesen Gesichtsausdruck bei ihm sah, gehorchte sie ohne Wiederspruch. Zum einen wusste sie, dass er sehr wütend werden würde, wenn sie es nicht tat, zum anderen war sie sich auch sehr wohl bewusst, dass ihre Anwesenheit für ihn eine Gefahr bedeutet. Er konnte sich nicht richtig konzentrieren, wenn sie bei ihm war, da er sich zu sehr um ihre Sicherheit sorge. Deswegen ging sie fast freiwillig aus dem Weg. So auch jetzt. Sie nahm die Tasche und betrat das Hotel. Als sie an der Treppe stand, die nach oben führte, sah sie noch wie ihr Papa umdrehte und nach rechts ging in das kleine Wäldchen hinein.
 

Sein Herzschlag hatte sich beschleunig, kaum dass er ihn wahrgenommen hatte. Er hatte ihn nicht mehr gesehen oder von ihm gehört oder ihn gar gespürt, seit Ai krank gewesen war. Warum tauchte er gerade jetzt auf? Warum gerade an diesem Ort? Wie hatte er sie gefunden? Was würde er tun? Wollte er Ai?

Gleich nach den ersten drei Baumreihen sah Zero ihn. Es schien als hätte er auf ihn gewartet. Wie auch das letzte Mal war er in einen schwarzen Umhang gehüllt und eine Kapuze verdeckte sein Gesicht vollkommen.

„Was willst du?“, fragte Zero. Seine Stimme klang barscher, als er beabsichtigt hatte. Doch die Angst, sie zu verlieren, wuchs mit jeder Sekunde.

„Begrüßt man so jemanden, den man doch eigentlich Dank schuldet?“, fragte sein Gegenüber zurück. Seine Stimme verriet, dass er genau wusste, was in Zero vorging und ihn das Ganze recht amüsierte.

„Wer bist du?“, stellte Zero die nächste Frage.

Der Fremde legte den Kopf ein wenig schief und schien ihn zu mustern.

„Hast du dass denn noch nicht herausgefunden?“, erwiderte er. „Der fabelhafte Kiryuu Zero. Oh ja, ich kenne deinen Namen. Er eilt dir voraus. Es gibt viele Gerüchte über dich, aber auch über Ai. Aber ich nehme an, das weißt du alles. Nun ja, das solltest du zumindest.“ Seine Stimme klang spöttisch und Zero wurde er immer unsympathischer, ganz gleich wer er war.

„Bist du wirklich...“, begann Zero noch einmal. Doch dieses Mal konnte er die Frage nicht einmal beenden. Sein Gegenüber kam ihm zuvor.

„Sieh selbst und sage es mir.“ Mit diesen Worten nahm er die Kapuze ab. Wie auch schon beim ersten Mal stockte Zero der Atem. Seine Augen waren in Entsetzen aufgerissen und ihm brach der kalte Schweiß aus.

Der Mann vor ihm hatte goldblondes Haar, das in Locken über seine Stirn fiel. Das war auch schon der einzige Unterschied zu Ai, dachte Zero und schluckte heftig. Alles andere war nahezu identisch. Die gleiche Form des Mundes und der Nase, sogar die Augen hatten die gleiche Form und Farbe.

Ein Lächeln umspielte den Mundwinkel des Fremden, als er Zeros Gesicht sah. Es war wie beim ersten Mal: Ein wenig amüsierte es ihn, ein wenig kränkte es ihn.

„Du bist gestorben.“, brachte Zero schließlich hervor. In seinen Augen stand die nackte Angst. Angst, dass er Ai verlieren könnte, auch wenn es an ihren eigenen, leiblichen Vater war.

Der blonde Mann lachte kurz bitter auf. „Genau deswegen ist es besser, wenn ich mich bedeckt halte und mit niemanden in Kontakt trete. Man erkennt es einfach zu leicht, nicht wahr?“

„Was?“, fragte Zero verwirrt. Die Worte des anderen ergaben keinen Sinn für ihn.

„Dass ich ein Clay bin natürlich.“, antwortete er. „Und nein, ich bin nicht tot und war es auch nie und ganz bestimmt bin ich auch nicht der, für den du mich hältst.“

Jetzt war Zero noch verwirrter. Aber er sah doch genauso aus. Zero sah das Photo vor sich, welches er sich mit Ai schon so oft angesehen hatte. Es war der gleiche Mann,... Nein, dachte er. Die Haare... Yami hatte kein gelocktes Haar, sondern glattes, so wie Ai. Nun da er das erkannt hatte, bemerkte er auch einen anderen feinen Unterschied. Die Augen waren zwar grün, doch war die Farbe nicht Smaragden ähnlich. Das Grün war ein wenig dunkler und mit kleinen, braunen Sprenkeln besetzt. Doch das viel nur bei genauem Hinsehen auf und wenn man davon wusste.

Aber wenn der Mann vor ihm nicht Yami war, wer war er dann?, fragte sich Zero. Sie waren doch alle tot.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du so langsam bist.“

Sie waren alle tot, das dachten sie. Doch niemand wusste, was aus dem anderen Kind, Yamis jüngerem Bruder, geworden war. Voller Überraschung riss er die Augen auf.

„Ah, es hat klick gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihm wirklich so ähnlich sehe.“

„Du bist das andere Kind, dass aus der Affäre.“, sagte Zero staunend.

Das Gesicht des anderen verfinsterte sich. „Es war keine Affäre, sondern eine fest Beziehung. Man kann ja wohl schlecht sagen, dass meine Mutter und ihr Cousin eine richtige Ehe führten.“, beharrte er wütend.

„Aber, was… wieso… In dem Brief stand, dass du ihm nicht ähnlich siehst, Yami meine ich.“

Er zuckte mit den Schultern. „Als Yami mich das erste Mal sah, war ich so alt wie Ai jetzt.“

Zero schloss die Augen und versuchte sich zu sammeln. Das war alles zu viel auf einmal.

„Was willst du von mir? Was willst du von Ai?“, fragte er schließlich.

„Nichts.“, antwortet der junge Clay.

„Aber warum bist du dann hier?!“

„Ich wollte mich nur vergewissern, dass es ihr gut geht und meine Schuld somit beglichen ist.“ Seine Stimme klang leicht genervt und Zero spürte, dass er nur gehen wollte. Ihm ging es nicht anders. „Schuld? Ich versteh kein Wort.“, sagte Zero ehrlich.

„Musst du auch nicht. Das war eine Sache zwischen mir und Yami und die ist hiermit beendet. Jetzt kann ich mich endlich wieder um mich kümmern.“, sagte er und klang ehrlich erleichtert. „Also dann, schönes Leben noch.“

Vollkommen perplex sah Zero ihn hinterher. Erst als er schon fast aus seiner Sichtweit war, fing sich Zero wieder. „Warte! Was soll das? Du bist ihr… Onkel, du kannst doch nicht einfach so gehen. Sie will dich sicher kennenlernen.“, sagte er hastig. Noch während er sich reden hörte, fragte er sich selbst, wie er solch unbedachten Worte sagen konnte. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht. Er wusste nicht einmal, ob er das überhaupt wollte.

Er drehte sich noch einmal um. „Wir haben vielleicht das gleiche Blut, mehr will ich aber auch nicht mit ihr zu tun haben. Genauer gesagt, will ich mit der ganzen Familie Clay nichts zu tun haben. Es bringt einem nichts als Ärger.“

„Warum hast du ihr dann geholfen?! Was hast du damals gemacht?!“, verlangte Zero zu wissen.

„Das warum geht dich nichts an, das war eine Sache zwischen Yami und mir. Aber was ich gemacht habe... mmh... Lass es mich so sagen, die Fähigkeiten der Clays haben sich bei mir erst spät entwickelt. Yami hatte mir erzählt, was er geschafft hatte. Tja, Ai war sozusagen mein erstes Versuchsobjekt.“

„Was?!“, fragte Zero mit trockener Kehle. Nur langsam konnte er sich zusammenreimen, was diese Worte alles bedeuteten. Doch je mehr er sich zusammenreimte, desto weniger wollte er darüber nachdenken. „Wie heißt du?“, fragte er schließlich noch, als sich sein Gegenüber sich die Kapuze bereits wieder tief ins Gesicht gezogen hatte.

„Als ob ich dir das sagen würde.“, antwortete er leise und verschwand zwischen den Bäumen.

Stumm starrte Zero auf die Stelle an der der andere verschwunden war. War das gerade wirklich alles geschehen? Hatte er sich wirklich mit einem Clay unterhalten?

„Papa?“, Ais Stimme riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Er drehte sich um und sah sie durch die Bäume auf der Treppe stehen. Ihr Blick glitt suchend umher. Wie lange hatte das Gespräch gedauert? Langsam ging er auf sie zu. Sollte er ihr davon erzählen? Sollte er ihr sagen, dass sie doch noch einen lebenden Verwandten hatte, auch wenn dieser keinen Wert auf sie legte? Was sollte das Gespräch? Warum kam er noch einmal extra zu ihnen? Wie hatte er sie gefunden?

Schwer atmete Zero aus. Er konnte es ihr noch nicht erzählen. Im Grunde hatte Ai aber ein Recht darauf, es zu erfahren. Sie würde es ihm nie verzeihen, wenn er es vor ihr verbarg. Doch er hatte auch geschworen, sie zu beschützen. Zero wusste nicht, was er tun sollte und sicher konnte er es auch seinen Vorgesetzten nicht erzählen. Er musste erst einmal in Ruhe darüber nachdenken.

Als Ai ihn sah, erhelle sich ihr Gesicht und sie strahlte ihn an. „Alles in Ordnung?“, fragte sie ihn und er nickte automatisch.

„Ich habe schon gesehen, was es heue zu Essen gibt!“, erzählte sie aufgeregt. „Das sieht alles so lecker aus! Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll.“ Zero lächelte darüber. Er würde nicht zu lassen, dass dieses Strahlen durch irgendwas verschwand.

„Warum sind deine Haar nicht gekämmt.“, fragte er und schmunzelte leicht. Er kannte die Antwort. „Das ziept immer so.“, murmelte sie und senkte den Kopf.

„Nun, keine gekämmten Haare, keine Nachtisch so viel du willst.“

„Nein! Ich geh schon!“, rief sie und rannte die Treppe wieder nach oben. Zero schob den Gedanken an den Bruder der Clays in die hinterste Ecke seiner Gedanken. Er wünschte keinen Kontakt zu Ai, das hatte er deutlich gemacht und wenn er es ihr so sagte, würde sie das nur verletzten. Dieser Urlaub war nur für sie beide, dafür dass Ai zu sich selbst zurückfand und aufhörte sich so viele Gedanken zu machen. Durch nichts würde Zero diese Zeit zerstören. Er wusste nicht, wann und ob sie jemals wieder kommen würde. Nicht bei dem, was gerade in ihrer Heimat vor sich ging.
 

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Nach 3 1/2 Jahren ist es vorbei! Ich kann es noch nicht so ganz glauben. O_O Mit diesem Kapitel ist die Geschichte wirklich und tatsächlich abgeschlossen. XD

Sekt und Pralinen für alle!
 

Natürlich wurde nicht alles geklärt, aber so muss das auch sein. XP Ein bisschen was zum Grübeln braucht man noch.
 

Ich kann das Gefühl aber gar nicht beschreiben. Sicher bin ich ein wenig traurig, dass ich Abschied von Ai nehmen muss und auch von Sasuke (Zero und die anderen begleiten einem im Manga ja doch noch). Dennoch bin ich mehr glücklich und erleichtert, als alles andere. Als ich die FF begonnen habe, hätte ich nicht erwartet, dass sie zu so einen Mammutprojekt ausartet und mich durch drei Umzüge und haufenweise Prüfungen bis hin zum Stellenantritt begleiten würde. Ich dachte mit 15 Kapitel wäre alles erledigt, aber jaha... so kann man sich täuschen.
 

Ich danke allen, die bis zum Schluss gelesen haben und vor allen denen, die mir Kommis geschrieben haben. Diese haben mich immer wieder zum Weiterschreiben animiert und mir so manchen bescheidenen Tag gerettet.
 

Fühlt euch alle geknuddelt!
 

Herzlichst eure maidlin



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Von:  GidiKirschie
2020-10-24T17:37:43+00:00 24.10.2020 19:37
Puh, ich hab jetzt 2 Tage durchgelesen 😍 ich glaube die FF hatte das Zeug noch wesentlich länger zu werden aber so hat sie mich auch gefesselt 😍 Ich weiß lang ists her aber ich schwelge gern in Erinnerungen meiner Lieblinglingsmangas!

Ich Wünsche dir alles Liebe ☺️
Von:  Mina_Murray
2013-01-30T17:42:56+00:00 30.01.2013 18:42
Hey hey!

Sorry, das es so lange gedauert hat, aber Bewerbungs- und Prüfungsstress haben mich von Mexx ferngehalten - erst im Zuge meines Neujahrsputzes bin ich zum Lesen gekommen -.-°

Also als du "In The Darkness" erwähnt hast, war mir schon klar, was kommt - ich fand schon beimn ersten Hören, dass das ziemlich nach, naja, Sexlied klingt ^///^ Aber diese Entschlossenheit, das wünscht man sich doch wirklich mal für den Manga. Sie beiden haben einfach drauf losgelegt und ihre Beziehungsprobleme haben sich fast von selbst gelöst, weil sie eindlich ihre Hemmungen über Bord geworfen haben und sich ihr Glück gegönnt haben. Aber zur Liebe muss man sich erstmal trauen...Nur kannte ich den Zeitsprung nicht genau erkennen, also dass sie plötzlich beim nächsten Morgen waren - vielleicht hätte man das einen Absatz mehr machen können?

Ich finde es nur sehr schade, dass die Prophezeiung, die der FF schließlich ihren Namen gibt, nicht weiter aufgeklärt wird, sondern im Sande verläuft. Klar kann deren Erfüllung irgendwann in der Zukunft liegen, aber dadurch wirkt die Story schon etwas unrund und als ginge es nur darum, dass Yuki und Zero zusammenkommen...

Aber auf jeden Fall war es eine sehr schöne Zeit mit der FF, die an vielen Stellen nicht schnell genug bis zum nächsten Kapitel verging.

Alles Liebe,
Mina
Von: zerocool
2012-06-24T18:32:55+00:00 24.06.2012 20:32
Tolles Ende, auch das einige Sachen ungklärt sind. Freue mich schon auf neue Storys von dir!
P.S. Adieu ihr lieben Charas der Geschichte, werde euch vermissen!
Von:  funnymarie
2012-06-24T14:16:47+00:00 24.06.2012 16:16
Ganz toll;-) ich bin einfach nur begeistert von diesem Kapitel. Und ich bin auch traurig, dass es nun zu Ende ist. Es war eine tolle Geschichte. Und die Charaktere sind mir einfach alle ans Herz gewachsen. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung;-) LG Annemarie
Von:  Inu-ky
2012-06-13T16:04:51+00:00 13.06.2012 18:04
echt ein hammer geiles Kapitel.
Allgemein war die Geschichte echt super.
Freu mich schon auf den Epilog.
LG Inu-ky
Von:  funnymarie
2012-06-12T14:55:20+00:00 12.06.2012 16:55
ein schönes letztes kapitel
und irgendwie bin ich jetzt ein bisschen traurig, dass jetzt nur noch der epilog kommmt!
ich fand die geschichte einfach toll und stelle jetzt mal die frage, gibt es eine fortsetzung?
und hoffentlich kommt der epilog bald, kann ihn kaum erwarten^^
bis bald
lg funnymarie
Von: zerocool
2012-06-12T13:16:49+00:00 12.06.2012 15:16
wow. letztes kapitel, irre. obwohl ich bei der szene mit takuma und sara an den manga denken musste, da ist es zwischen ihnen ja etwas anders, aber egal...
Von: abgemeldet
2012-06-04T22:55:17+00:00 05.06.2012 00:55
wehe du schreibst nicht weiter,ich habe hier oft gelesen und liebe dein ff und hoffe daher das du so schnell wie möglich weiter schreibst! :))
Von:  funnymarie
2012-05-23T04:22:47+00:00 23.05.2012 06:22
ein schönes kapitel
und jetzt bin ich ja sehr gespannt, was yuki sehen wird?
ich hoffe doch, nichts allzu schlimmes?
ich freu mich auf das nächste kapitel
lg funnymarie
Von: zerocool
2012-05-21T20:32:30+00:00 21.05.2012 22:32
Interessant wie es hier ist, statt im Manga. Hoffentlich endet es aber nicht so wie im manga, wo Kaname Handagi und Hanabusas vater killt!


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