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Des Engels Tagebuch

Rrazpharroth
von

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Das Licht der Welt

Etwas reißt mich aus einem langen Schlaf. Eine Substanz umgibt meinen müden Körper. Meine Augen sind zu schwer, als dass ich sie öffnen könnte. Dumpfe Stimmen sind zu vernehmen. Es ist aber zu leise und undeutlich um zu verstehen was sie sagen. Dann ein schrilles Piepen. Meine Ohren schmerzen. Etwas schiebt sich an meinen Rücken. Es drückt mich aus der Substanz. Die Stimmen sind auf einmal so laut und Ohrenbetäubend.

„Trocknet ihn ab und legt ihn unter das Rotlicht.“

„Okay. Aber was ist mit der Rehabilitation?“

„Er hat überhaupt keine Muskeln, du Schwachkopf! “

„Entschuldigt… Professor.“

Sie müssen über mich sprechen. Aber die Müdigkeit erlaubt mir nicht zu verstehen was sie meinen.

Langsam falle ich wieder in den Schlaf aus Erschöpfung.
 

Nach scheinbar kurzer Zeit werde ich wieder Wach. Habe ich etwa das Verlangen nach etwas? Nach was? Licht. Ich brauche Licht.

„Sonne…“ Ich höre mich selbst flüstern.

„Was sagst du? Bist du etwa aufgewacht?“ Diese Stimme, sie schmerzt in meinen Ohren. Aber ich möchte ans Licht.

„Sonne…Ich brauche… Licht…“

„Wozu das denn? Reichen dir die Halogenleuchten nicht aus?“

„Du kapierst auch gar nichts, du Holzkopf! Er Braucht Sonnenlicht um zu überleben und keine Halogenleuchten in einem stinkenden Labor. Genauso wie er zu 99% nur aus Licht besteht, du Einfallspinsel!“
 

Die Menschen, die sich dort unterhalten, scheinen mich auf einen Stuhl zu heben. Ich kann nichts sehen. Aus Müdigkeit bekomme ich meine Augen nicht geöffnet. Schieben sie mich? Auf einmal höre ich viele Stimmen. Zu viele Stimmen. Zu laute Stimmen. Aber mit einmal werden sie leise; ja verstummen fast. Zeigen sie Demut vor dem Mann der die ganze Zeit beleidigt?

„Geht wieder an eure Arbeit, ihr Gaffer!“

Dann weht mir ein lauer Wind entgegen. Langsam werde ich munter.

„Wieso kann ich mich nicht entfalten?“ Halte meine Augen noch immer stets geschlossen.

„Ich will das Risiko nicht eingehen dass du uns davonfliegst.“

„Wenn meine Schwingen ausgebreitet sind kann ich mehr Licht einfangen.“

„Klingt plausibel. Ausnahmsweise.“
 

Irgendetwas nimmt den Druck von meinen Schwingen. Ich fühle? Erleichterung. Engel fühlen doch nicht. Ich kenne es zumindest nicht anders. Ich weite meine Schwingen und neige den Kopf gen Himmel. Meine Kraft kehrt zurück.

„Überdimensionale Flügel hast du. Kein Vogel der Welt hat so eine Spannweite wie du.“

Wovon redet er? Spannweite. So etwas ist doch uninteressant. Menschen müssen immer so wissbegierig sein. Ich bin im glauben, schon länger zu leben. Viel länger. Zu lange. Während ich geduldig in der Sonne stehe. Ich besitze Erinnerungen die mir Fremd sind.

Lange durchfährt mich eine Leere. Mein Sinn von keinem Gedanken betrübt. Nur das Fließen der Energie in meinem Körper. Es wird immer kräftiger.
 

Langsam öffne ich die Augen. Licht. Meinen Blick instinktiv auf die Sonne gerichtet. Das ist der Himmel, so wie ich ihn in meinen Erinnerungen sehe.

„Glücklich“ das Wort rollt mir nur schwerfällig über die Lippen.

Denn; ich dürfte keine Emotionen kennen. Was macht mich nur so Menschlich?

„Bist du nun wieder bei Kräften Zero?“

„Zero.“ Ich wende mich dem Menschen zu der mich ‚Zero’ nennt. Ein Mann. Er ist achtundfünfzig Jahre alt. Woher ich das weiß ist mir schleierhaft. Weißes Haar das sehr lichtern geworden ist, über die Jahre.

„Das ist deine Seriennummer ‚ PA2010ZERO’. Aber um nicht alles nennen zu müssen, heißt zu im normalen Sprachgebrauch einfach Zero.“

Mein Ausdruck verändert sich kein bisschen. Nichts spiegelt sich in meinen Augen wider. Der Mann tritt näher. Neugierig starrt er mir in die Augen. Ich sehe Einsamkeit und Schmerz in seinem Blick. Der Mann ist grausam zu anderen Menschen, weil er mit sich selbst nie zufrieden war. Er verletzt sie, weil er im Glauben ist, das sie ihn verletzen.
 

„Du hast keine Pupillen? Siehst du mich denn?“

„Ja. Aber nicht so wie du dich siehst, oder wie andere dich sehen.“

„Sondern? Als rosa Kaninchen?“

„Du willst nicht hören was ich sehe. Es wäre nämlich die nackte Wahrheit.“

„Dann müsstest du einen zufriedenen und erfolgreichen Professor sehen.“ Wenn ich es könnte würde ich ihm mit mehr Gefühl sagen was ich sehe. Aber ich habe nur eine monotone Art zu sprechen.

„Du bist nicht mit dir zufrieden. Du strebst nach Mehr. Immer Mehr. Deshalb wirst du niemals zufrieden sein. Du bist traurig und einsam. Du wünschst dir eine Familie. Du wünschst dir Freun…“

Halt's Maul! Keinen Ton mehr!“

Seine Reaktion bestätigt mich. Ich könnte ihm die Lösung seines Problems nennen. Aber er will gar keine. Sichtlich getroffen fesselt er mir die Schwingen in ein Eisengestell. Ich folge ihm zurück ins Gebäude.
 

Dort übergibt er mich seinen Mitarbeitern. Zornig verlässt er den Raum. Ich hätte es nicht sagen dürfen. Ich habe alte Wunden aufgerissen.

„Was ist in den gefahren?“ Ich schaue die Frau an. Sie ist Blond. Ihr Haar hat sie zusammengebunden.

„Folge mir, Zero.“

Ich sage nichts. In einem Raum bittet sie mich auf die Liege zu setzen.

„Mach bitte deinen Oberkörper frei.“ Ich öffne den Knoten der Kordel. Und ziehe mir das blasslila Gewand von den Schultern. Ganz ausziehen kann ich es nicht. Die Schwingen erlauben es nicht.

„Das kann ich nicht ausziehen.“

„Mh? Warum nicht?“ Diese Frage kann sie sich selbst beantworten.

„Flügel.“

„Oh. Ja dann…“ In dem Moment stürzt der Mann die Tür rein. Mit dem ich gesprochen habe.

„bist du von Sinnen? Du willst nicht wirklich seinen Herzschlag hören?“

„Doch Professor…“ Ich sehe Angst in ihren Augen. Er reist ihr aggressiv das Stethoskop aus der Hand.

„Du Nichtsnutz! Es hat gar kein Herz. Gar nichts von all dem! Bin ich denn nur von Idioten umgeben!?“

„T-tut mir Leid, Professor…“

„Halt deine Klappe und verschwinde. Und du, zieh dich wieder an und folge mir.“
 

Er führt mich in einen weiteren Versuchsraum mit diversen Geräten und Computern. Eine Wand ist vollkommen verglast. So kann man gut in den Nebenraum sehen. Dieser ist vollkommen leer.

„Zieh dir das hier auf den Kopf und gehe in den Simulationsraum.“

Der Professor hält mir eine Kopfbedeckung entgegen. Da wo die Gläser sind sollen bestimmt die Augen sein. Behutsam ziehe ich mir den Helm über. Meine sicht ist dadurch sehr eingeschränkt. Nur mit Mühe finde ich die Tür zum ‚Simulationsraum’. Im Helm ertönt Professors Stimme.

„Kannst du mich gut hören?“

„Ja.“

„Gut. Ich werde nun eine Landschaft Simulieren und du machst genau das, was ich dir sage, verstanden?“

„Ja.“
 

Aus vielen geometrischen Formen entsteht eine Landschaft. Der Helm ist verschwunden. Sogar Wind weht mir ins Gesicht. Aber was unerklärlich ist, dass ich trotz Sonnenschein keine Energie aufnehmen kann.

„Warum könnt ihr meine Sinne täuschen? Das ist unmöglich.“

„Du vergisst dass du menschliche Gene in dir trägst. Du bist kein reiner Engel, das ist der Grund weshalb seine Sinne getäuscht werden können.“

Daran habe ich wirklich nicht gedacht. Wer denkt auch schon über seine Existenz nach.

„Du wirst jetzt fliegen, hast du verstanden?“

„Ja.“

Ich breite meine Flügel aus und stoße mich mit kräftigen Schlägen vom Boden ab. Noch bin ich unsicher. Gewöhne mich aber schnell daran. Instinktiv gleite ich auf einer Windströmung. Das spart Kraft. Denn ich muss nicht so oft mit den Flügeln schlagen. Es treibt mich über die Wolken. Schon wieder ein …Gefühl. Als ob ich hier zuhause wäre.
 

„Er fliegt schnell. Dreihundert Km/h. Wie hält das sein Körper aus, so ganz ohne Druckausgleich? Professor?“

„Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber ich schätze er benutzt eine Art Schutzschild.“

„Magie?“

„Nein. Aura. Die Energie, die ihn umgibt. Es ist erstaunlich. Seine Flügel sind für weite Flüge geeignet, wie die einer Schwalbe. Schmal und lang. Damit segelt er über Luftströme wie ein Segelflieger, ganz ohne Kraftaufwand. Ich will wissen wie schnell er noch fliegen kann. Zero, fliegt schneller.“

„Ja.“

Paar mal schlage ich mit den Flügeln.

„450 Km/h.“

„Flieg so schnell wie möglich, Zero.“

„Ja.“

Das ist schon fast unverschämt was er verlangt. Aber ich mache es. Ich habe keine Erklärung für meinen Gehorsam. Also stecke ich viel Energie in meinen Flügelschlag.

„600, Km/h.“

„In der Geschwindigkeit kann er einen Airbus überholen.“

„750 Km/h.“

„Er beschleunigt sehr schnell. Und seine Werte sind Noch immer normal, nein; nur leicht erhöht.“

„850 Km/h, Professor. 150 Km/h und er durchbricht die Schallmauer.“

„Hält das sein Körper aus?“

„knapp 900 Km/h.“

„Seine Werte steigen Rapide an. Das scheint wohl sein Limit zu sein. Zero brems ab.“
 

Ich schlage einen engen Haken und fliege gegen den Wind.

„Professor, meine kraft schwindet.“

Meine kraft ist fast aufgebraucht. Lange halte ich es nicht mehr durch.

„Du kannst landen.“

Das Lasse ich mich nicht zweimal sagen. Stufenweise reduziere ich die Höhe. Bis ich wieder am Bonden stehe. Die Landschaft löst sich so auf, wie sie entstanden ist. Alles scheint um mich rum zu schwimmen. Mir wird Schwarz vor Augen. Den Sturz bekomme ich schon nicht mehr mit.

Die ersten Schritte

Ich erwache langsam aus meiner tiefen Ohnmacht. An einen Traum kann ich mich nicht erinnern. Noch ist die Umgebung verschwommen. Es ist das Labor indem ich großgezogen wurde. Etwas scheint meine Schwingen fest zusammen zu halten. Dann kehrt meine Akustik zurück. Ein leises summen der Computer und der Neonleuchten, das helle Piepen der Monitore und das Tippen auf eine Tastatur. Die Professoren scheinen mich in die Sonne gelegt zu haben, denn ich fühle mich wieder sehr kräftig.
 

Meine Optik schärft sich langsam und stellt sich auf den Lichteinfall ein. Da steht die Person auf die zuvor noch an einem Computer gesessen hat. Mit leichten Schritten kommt sie auf mich zu:

„Du bist wach?“ Es ist eine weibliche Stimme.

Ich erblicke ihr Namensschild. „scheint so, Mrs. Wilson.“ Den Blick in Ihre Augen meide ich. Stattdessen beobachte ich ihre Hände. Diese Greifen zu Gerätschaften. Sie benutzt sie aber nicht. Zögernd steckt sie sie wieder weg. Verwirrt scheint sie zu sein, aber wissen mag ich es nicht. Hastig wischt sie mit den Händen über ihren weißen Kittel. „Bleib bitte liegen, ich hole Professor Hemmington.“ Und schon ist die verschwunden.
 

Mich überkommt ein unwohles Gefühl wenn ich an diesen Mann denke. Man hört ihn schon durch die verschlossene Türe fluchen und schreien. Ich setze mich auf um nicht ganz seiner Laune ausgesetzt zu sein. Da reißt der Professor auch schon die Tür auf.

„Ihr seit wirklich zu NICHTS imstande! Ich frage mich warum ich euch alle überhaupt eingestellt habe!“

„Herr… Professor, er ist nun mal kein Mensch wie ich ihn kenne…“

„Natürlich nicht, sie naiver Volltrottel! Er ist ein Gegenstand! Eine Waffe! Sie könnten ja vielleicht auf die Idee kommen mehr Tests durchzuführen. Im Hologrammraum zum Beispiel. Seine Fähigkeiten testen! Aber selbst dazu scheint ihr alle zu DUMM zu sein.“

Seine zornige Stimme schmerzt im Ohr. Und sein Zorn gibt mir das Bedürfnis schnell von hier wegzuwollen. Mit einem furchtbar bösartigen Blick schaut er mich an. Im Bruchteil eines Moments verspüre ich denselben Schmerz wie er, als ich in seine Augen sehe. Der Schmerz ist grauenvoll. Er zerfrisst mich förmlich.

„Komm mit, du Missgeburt!“ schreit er mir zu und greift zu Unterlagen. Ich eile lieber, denn ich weiß dass er sonst noch lauter würde. Die Beleidigung schallt noch immer in meinen Gedanken wider. Sie trifft mich härter als der darauf folgende Schubs. Der Frau stehen die Tränen in den Augen und ich sehe ihr ganzes Leid. Das, was ich eigentlich nicht sehen wollte. Von Mitleid übermannt zwingt mich der Professor gleich schon in den Hologrammraum.
 

Dort soll ich mir etwas auf den Kopf setzen. Das tue ich. Ich sehe Bäume um mich zum. Ein Wald. Plötzlich schießen Menschen auf mich. Die Kugeln prallen an meinem Schild ab.

„Leg die Soldaten doch endlich um, du Lahmarschiges etwas!“ Professor spricht durch den Helm zu mir, den ich in der Realität trage.

„Umbringen?“

Ja, Verdammt…“ Ich verstehe es nicht, aber es ist nur eine Illusion. Also lasse ich meine Waffe erscheinen. Eine große Sense aus Diamant. Damit schneide ich die schwachen Körper der Menschen in zwei. Ich verstehe es nicht. In der Luft muss ich gegen Maschinen antreten. Hubschrauber nennt er sie. Und Jets. Sie sind schnell und wendig; Laut. Ich zerstöre sie. Ohne darüber nach zu denken.
 

Das wiederholt sich fast täglich. Übungsstunden im Hologrammraum. Virtuelle Kämpfe. Untersuchungen auf dem Kalten Labortisch. Beleidigungen. Geschrei. Ich bekomme Medizin Gespritzt. In rotes Blut. Bis vor kurzem wusste ich nicht mal, dass ich einem Menschen doch so ähnlich bin. Ich werde auf eine Liege gelegt. Ich nenne sie „Stuhl des Vergessens“ Denn danach habe ich das Gefühl mir fehlt etwas. Er setzt mir eine Haube auf den Kopf und ich falle in eine Art Schlaf. Wenn ich nicht untersucht werde, oder mich vor dem Professor beweisen muss, ist die Junge Frau Wilson an meiner Seite. Eine sehr Schüchterne.

Sie gesteht mir genau jetzt ihre große Angst vor dem Professor. Aber warum mir? Hat sie keinen der ihr näher steht als ein Experiment? Sie empfindet Sympathien für mich. Das sehe ich. Es macht sie Unglücklich. Auch das sehe ich. Aber ich mag sie nicht fortschicken. Sie erleichtert mir das einsam sein.
 

„Zero?“

„Ja?“

„Hast du denn keine Angst vor dem Professor?“

„Wenn man dieses Gefühl als solches bezeichnen kann, dann schon.“

„Du weißt nicht was Angst ist?“

„Ich kann den Begriff definieren. Aber am eigenen Leibe scheine ich es wohl das erste Mal zu spüren.“

„So lange lebst du auch noch nicht. Eine Woche…“

„Ich lebe seit dreihundert Jahren.“

„Das kann nicht sein. Du bist innerhalb eines Jahres im Reagenzglas gewachsen und vor einer Woche geboren worden.“

„Du vergisst, dass dieser Körper die Gedanken eines fünfhundert Jahre alten Engel in sich verwahrt.“

„Hast du dann zwei Verstände?“

„Nein. Mir kommt es eher vor als sei ich neu geboren. Ich finde keine Worte für dieses Merkwürdige Phänomen.“

Sie schweigt. Ich schweige. Es wirkt bedrückend.
 

Heute soll ich in ein Kriegsgebiet ziehen und Soldaten Disenions vernichten. In einem Gefährt werde ich zu einem militärischen Stützpunkt gefahren. Merakia führt Krieg gegen Disenion. Wenn mich mein Schwaches Gedächtnis nicht täuscht, dann wegen einem, in Disenion vorkommenden Metall. Es soll selten und sehr hart sein. Wie sehr muss man auf Materielles fixiert sein um so grausam zu sein? Egoismus. Habgier. Das Streben nach Macht. Ich stelle mir diese Frage. Aber ich fühle keinen Ekel. Hatte ich in den virtuellen Kämpfen nicht immer einen Ekel? Ich muss mich täuschen.

Ich fliege neben einem Militärflugzeug her. Es ist mit Soldaten besetzt, denen ich nun beistehen soll.
 

Ich erinnere mich an erschütterte Blicke, als ich aus dem Gefährt trat und in das Gesicht des Kommandanten sah. Sein Stolz macht ihn überheblich. Die Menschen scheinen noch nie einen Engel gesehen zu haben. Einer der Soldaten weinte vor Glück. Ich verstehe es nicht. Der Kommandant wagte es nicht mich anzusprechen. Wandte seine Neugierigen Augen aber auch nicht ab. Die Soldaten wollten nicht glauben, dass ich neben ihnen herfliegen werde. Wie kann man nur so neugierig sein?
 

Disenion ist ein schönes Land. Geprägt von Bergen deren Spitzen von Eis bedeckt sind. Feindliche Lenkraketen haben Kurs auf das Flugzeug genommen. Ich sollte es beschützen. Also lasse ich meine Sense erscheinen und zerschlage die Raketen ehe sie das Flugzeug erreichen. Die Soldaten Merakias springen aus dem Flugzeug. Aus ihren Rucksäcken schießt eine Plane. Sie verlangsamt den Fall. Ich sollte sie vor dem Beschuss beschützen. Also wehre ich die Geschosse mit meiner Sense ab.

Lichtklingen schleudere ich mit meiner Waffe auf die Gerätschaften, von denen die Geschosse ausgehen.
 

Alle Soldaten haben sicher den Boden erreicht. Der Kommandant kommt auf mich zu. Er bleibt in einem respektvollen Abstand vor mir stehen und mustert mich. Als suche er was. So wandern seine Augen über meinen Körper. Ich meide den Blick in seine Augen. Er wagt sich näher an mich ran. Noch immer halte ich meine Sense in der Hand.

„Du bist lebendig? Eine Maschine? Oder was?“

„Lebendig.“ Meine Stimme, wie immer monoton. Der Mann Blickt mir in die Augen. Nur mit Mühe schaffe ich es, seinen Blick nicht zu erwidern.

„Wie kannst du sehen wenn du keine Pupillen hast?“

„Hat ihnen der Professor denn gar nichts erklärt.“

„Nein?“

„Dann bleibt Ihr unwissend.“ Ich wende mich von ihm ab. Ich möchte deutlich machen, dass ich seiner Neugier nicht entgegen komme.

„Du solltest aufpassen wie du mit mir umspringst, ich bin dein Vorgesetzter und hast mir Respekt zu erweisen.“

Ich blicke ihn abweisend an; ohne meinen Körper zu drehen: „Ich erweise Ihnen soviel Respekt wie Ihr verdient. Nicht mehr und nicht weniger.“ Mein Ton spitzt sich und ich erkenne, dass er sichtlich getroffen ist. Ich habe seinen Stolz getroffen. Die Soldaten flüstern nervös. Sie scheinen beeindruckt. Der Kommandant sagt nichts mehr. Wendet sich ab: „Still gestanden!“
 

Nachdem er seinen Frust an seinen Soldaten ausgelassen hat, werden seine Befehle ausgeführt. Ich weigere mich zu laufen. Das missfällt dem Kommandanten natürlich:

„Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, Zero?!“

„Ihr versucht einen Giganten in ein Mauseloch zu drücken.“ Ich begegne ihm weiterhin kühl.

„Das ist mir egal!“ Reines Trotzverhalten. Wie unreif für einen Vierzigjährigen. Ich hätte niemals gedacht dass ich jemals einen ‚Vorschlag’ machen müsste:

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag…“

„IIICH mache hier die Vorschläge!“ In diesem Moment schießt ein Soldat von Disenion auf den Kommandanten. Ich werfe mich schützend vor ihn. Ich frage mich warum ich ihn beschütze. Er tut mir Unrecht.
 

Er hat meinen Vorschlag angenommen. Ich Fliege über dem Gebiet in dem wir stationiert sind. Von dort aus besiege ich die Soldaten und gebe ‚Rückendeckung’. Es ist Laut. Das Knallen der Schusswaffen. Das Schreien der Männer die getroffen werden. Ich empfinde plötzlich ein schmerzendes Gefühl. Nicht weil ich getroffen wurde. Die Geräusche werden dumpf. Verschwimmen ineinander aber werden noch viel lauter als vorher. Ich kann keinen Menschen mehr töten. Es macht mich wild! Es ist der helle Wahnsinn! Was mache ich hier überhaupt? Ich Töte?! Es soll aufhören!

Ich fliege davon. Weg von Disenion. Weg von dem Lärm. Weg von diesem sinnlosen Krieg. Zurück in das finstere Zimmer im Labor. Nur weg von diesem Terror…

Das Leben ist kein Honigschlecken

Alle Mitarbeiter der Organisation schauen mich ganz bestürzt an als ich die Gänge entlang stolpere. Ich schaue in ihre Seelen. Ich will es aber nicht sehen. Es tut weh! Es tut so furchtbar weh! All das Leiden der bedauernswerten Seelen. Ich breche zusammen. Mitten auf dem Gang. Wasser tritt mir aus den Augen. Es brennt furchtbar in den Augen. Ich habe getötet… was habe ich nur getan?! Ich zittere am gesamten Körper. Warum? Warum mache ich das? All das?

Meine Beine wollen mich einfach nicht mehr tragen. Ich kauere mich zusammen um gebe schluchzende Geräusche von mir.
 

Eine Frau versucht mir zuzureden. Aber ich will nichts mehr hören! Sie soll ruhig sein!

„Schweig!“ Ich erschrecke mich vor mir selbst. War das eben wirklich ich?

Mrs. Wilson schaut mich ebenso geschockt an. Aber ich sehe Besorgnis.

„Komm Zero. Ich bringe dich ins Labor.“ Sie nimmt meine Hand. Ich will mich ihrem Griff entziehen. Tue es aber nicht.

„Nein…“ Ich konnte nur wimmern. Sie legt meinen Arm über ihre Schultern. Sie trägt mich den ganzen Weg hinunter ins Labor. Dort legt sie mich auf den Kalten Labortisch. Sie versucht meine Schwingen aus dem Weg zu räumen. Es wäre zu anstrengend sie jetzt anzulegen. Ich suche nach der Frau die mir hilft. Aber mein Blick ist getrübt; durch die Tränen.
 

„Ich habe Angst… Mrs. Wilson…“ Ich flüstere. Dieses Geständnis schmerzt innerlich so sehr. Ich beginne wieder zu weinen. Ich schließe meine Augen fest. Versuche mich zu beherrschen. Aber ich kann nicht aufhören zu schluchzen. Plötzlich diese zarte Berührung an meiner Stirn. Es ist ihre Hand. Sofort beginne ich mich zu beruhigen. Wohltuend fährt ihre Hand immer wieder über Stirn und Wange.

„Du solltest dich ausruhen.“ Ihre Stimme klingt beruhigend.

„Es tut mir so Leid…“ sind meine letzten Worte, ehe ich langsam einschlafe.
 

Es kommt mir vor als wäre ich eben erst eingeschlafen. So reißt mich ein knallendes Geräusch aus dem Schlaf. Entsetzt springe ich vom Tisch und blicke in die Augen des Professors. Zorn. Ich bekomme Angst. Warum sagt er nichts? Er steht da. Blickt mich wutentbrannt an. Ich will ihn beruhigen:

“Es stieg mi….“

Du Missgeburt!“ Es schmerzt. Weniger der Schock durch seine lauten Stimme. Mehr Die Wortwahl, die er verwendet.

„Du bist entstanden um zu kämpfen! Zu töten! Um das Militär zu beeindrucken!!! Und was machst du? Haust ab wie ein feiges Arschloch!!!“

„Prof…“

Halt's Maul! Gar nichts will ich von dir hören, du nutzloses Stück Dreck!“ Mir stehen die Tränen in den Augen. Ich zittere. Muss mich beherrschen um es ihm nicht zu zeigen. Es würde ihn nur noch mehr erzürnen.

„Bitte Professor…“ Er greift die Schere die neben ihm liegt. Er schleudert sie mir entgegen. An meiner Barriere Prallt sie ab. Es klirrt bei dem Aufprall in einer Ecke des Raumes. Er kommt auf mich zu. Ich bedaure es, dass meine Barriere nur Angriffe abblockt.

„Was ist so schwer daran, einfach nur emotionslos drauf los zu schlagen? Ist das denn schon zu viel verlangt von einem Experiment?“ Ich schweige. Ich sehe Enttäuschung in seinen Augen. Er greift mich an meinem Überzug. Zieht mich zu ihm. Ganz nah an sein Gesicht.

„Glaube mir, Zero. Wenn du nicht das tust was ich dir sage, dann bist du für die längste Zeit gewesen. Davon kannst du ausgehen. Du bist nur ein Prototyp einer ganzen geplanten Serie. Lass dir das gesagt sein.“
 

Er drückt mich von sich weg. „Legt ihm die Flügelsperren an und sorgt dafür, dass er seine Gefühle verliert!“ Mrs. Wilson bemerke ich jetzt erst in der Tür stehen. Hastig holt sie die ‚Flügelsperren’ und legt sie mir an.

„Folge mir, Zero…“ Es ist wohl besser seine Gefühle zu verlieren, wenn man nur am leiden ist. Also folge ich ihr. Wieder muss ich auf den ‚Stuhl des Vergessens’. Diesmal sogar mit Wohlwollen. Mrs. Wilson setzt mir die Haube auf den Kopf. Ich schaue sie an:

„Ich wollte mich bedanken. Ehe ich es nicht mehr kann.“

„Tut mir Leid, Zero…“ Ich schließe die Augen und lasse es über mich ergehen.
 

Ich öffne meine Augen. Blicke in das falsche Licht einer Lampe. Ich erhebe mich. Es fehlt etwas. War ich bis eben nicht noch in einem Kriegsgebiet? Vielleicht wieder nur einer der Kämpfe im Hologrammraum. Mrs. Wilson kommt die Tür rein und bittet mich, ihr zu folgen. Ich folge ihr. Ich wundere mich, dass mir die Augen brennen. Das taten sie nie zuvor. Sie führt mich zum Professor. Vor ihm bleibe ich stehen. Ich wundere mich über seine Frage:

„Was fühlst du?“

„Nichts.“

„Dann wirst du jetzt wieder in das Kriegsgebiet fliegen, in das du geschickt wurdest. Und komm erst wieder wenn dein Auftrag erledigt ist. Verstanden?!“ Ich antworte ihm nicht. Mache aber das, was er verlangt. Also lasse ich mir von Mrs. Wilson die Flügel befreien. Auf dem Dach des Gebäudes; ein Helikopterlandeplatz, binde ich mir das vordere Haar zurück. Ich stoße mich vom Boden ab. Auf den Windströmen lasse ich mich in höhere Luftschichten tragen. Ich ziehe an Wolken vorbei. Vor mir nur tiefes Blau. Mein Instinkt ruft mich nach Hause zurück. Aber ich muss doch Kämpfen gehen. Ich muss mein Dasein bewahren. Ich darf nicht aussterben. Aber ich habe einen Auftrag zu erfüllen. Ich umfliege eine Gewitterwolke über dem Ozean. Blicke in das Auge eines Sturms. Er hält direkt auf Disenion zu. Ich reduziere die Höhe. Denn ich erreiche in kürze das Land. Ich bin den längeren Weg geflogen. Denn so kann ich auf den Winden gleiten.
 

Mir kommen Flugzeuge entgegen. Sie beschießen mich. Aber alle Geschosse prallen an meiner Barriere ab. Ich schleudere Lichtklingen mit meiner Sense auf die Flugzeuge zu. Sie versuchen auszuweichen. Aber eines wird direkt durchschlagen. Das andere verliert einen Flügel. Es dreht sich in einer Spirale aus dem Himmel. Bis es schließlich auf dem Meer zerschellt. Ohne diesem weitere Beachtung zu widmen wende ich mich Disenion zu. Ich lasse Lichtblitze in die Körper der gegnerischen Soldaten einschlagen. In solch einer Geschwindigkeit, dass fast alle Zeitgleich zu Boden gehen. Ich lande an einer Stelle, die nicht dicht bewachsen ist. Ein Soldat Merakias kommt auf mich zu. Zu meinem Bedauern ist es der Kommandant. Vor mir bleibt er stehen. Schaut mich entsetzt an:

„Wo bist du gewesen?“

„Nicht hier.“

Wo?!“ sein Gesicht läuft dunkelrot an, so strengt er sich an.

„Jetzt bin ich wieder hier.“

Beantworte meine Frage!“

„Nein.“ Er stampft mit dem Fuß auf und hält mir den vor Zorn zitternden Zeigefinger nah unter die Nase. Aber ich Blicke ihm weiterhin stumm an.

„Pass auf, Zero. Ich gebe hier den Ton an. Und jeder, der respektlos zu mir ist, darf Sonderschichten schieben!“

„Ich bin nicht ihr Angestellter, Mister. Und erst recht nicht ihre Marionette. Respekt muss ich ihnen nicht erweisen, wenn ihr mir keinen erweist. Meine Arbeit ist nun beendet.“

„Sie ist beendet wenn ich es sage! Nicht früher und nicht später!“

„Ach, ist das so?“

Ja, verdammt!“ ich wende mich von ihm ab und stoße mich mit kraftvollen Flügelschlägen vom Boden ab. Das erzürnt den Kommandanten so sehr, dass er beginnt auf mich zu schießen. Die Kugeln prallen alle an der Barriere ab. Ich schlage einen scharfen Haken. Hebe meine Sense und fliege auf ihn zu. Der Kommandant lässt die Waffe fallen und wirft sich panisch zu Boden. Ich lande hinter ihm. Wende mich ihm zu. Gehe auf ihn zu. Er hält die Hände über dem Kopf zusammen. Als er meine Schritte hört, dreht er sich zu mir um. Ich halte ihm meine Sense entgegen. Es ist nicht meine Art zu drohen. Aber ich muss ihm irgendwie erkenntlich machen, dass er mir Respekt zu erweisen hat.

„Ihr habt auf mich geschossen.“

„Das… die maschine hat einfach angefangen zu schießen!“

„Ihr lügt.“

„Ich schwöre es dir!“ Ängstlich starrt er abwechselnd meine Waffe und mich an.

„Du schwörst? Auf was? Dein Leben? Oder das deiner Kameraden.“ Ich sehe es nicht mehr ein ihm Respekt zu erweisen. Er Lügt nur um am Leben zu bleiben. Ich hatte nie vor ihn zu töten. Seine Kameraden schauen neugierig her. Ich knie mich vor ihm hin und gehe nah an ihn ran:

„Ich kann direkt in deine Seele sehen, Mensch. Und du schwörst nicht zu lügen?“

„Tut mir Leid.“ Ich hebe auf eine zufriedene Art meine Nase und lasse meine Sense verschwinden. Es fiel ihm schwer, aber er hat es ernst gemeint. Ich verlasse das Schlachtfeld.
 

Wieder ganz in meinem Element, verbringe ich viel Zeit damit um Wolken herum zu fliegen. Ich denke nach. Es ist nicht einfach sich zu behaupten. Ich merke den Unterschied. Diesen zwischen dem Professor und dem Kommandanten. Ich weiß, dass der Kommandant Angst vor mir hat. Dass er aber vor seinen Soldaten stark wirken will und an mich geht. Der Professor, das weiß ich, hat keinen Skrupel mich zu töten, wenn ich mich gegen ihn stelle. Deshalb habe ich Angst vor dem Professor. Es ist ein Jagen und gejagt werden. Und ich stecke mitten drin. Niemals werde ich von allen genug Respekt erwiesen bekommen. Egal wie viel Respekt ich allen erweise. Menschen sind eben so. Sie lassen sich in Schichten einteilen. Und teilen sich in Schichten ein. Ich bin in der niedersten Schicht. Ich bin das Objekt. Ein Wegwerfgegenstand. Entweder ich erfülle meine Pflicht, oder ich werde weggeworfen. Das leben unter Menschen ist schwer. Es belastet mich. Man hat auf so vieles zu achten. Ich musste bei meinen Artgenossen nie auf jemanden achten. Das ergab sich von allein. Ich hatte nie Feinde. Jetzt habe ich Feinde. Eine ganze Nation ist mein Feind.
 

Ich möchte keinen Gedanken mehr verschwenden. Es ist schon schwer genug es zu leben. Ich muss es nicht noch bedenken. So lasse ich mir den Wind durch die Haare wehen. Vergesse alles, genieße meine kurze Freiheit im unendlichen Himmel. Die Mutter Sonne. Spiele mit meinen Geschwistern, den Wolken. Lasse alles hinter mir. Angst. Krieg. Ärger. Hass. Nur ich und das unendlich tiefe Blau des Himmels. In das ich versinke. Und ganz ein Engel sein kann…

Die Einschulung

Es ist nun fast ein Jahr vergangen. Ich merke wie der Wind dreht. Das Licht schwächer wird. Die Menschen nennen dieses Phänomen ‚Winter’. Mittlerweile muss mich der Professor nicht mal auf den Stuhl des Vergessens fesseln. Das töten ist zur Routine geworden. Bedauerlicherweise. Ich sitze in einer Zelle. Drei auf Drei Meter. Höchstens. Ich sitze auf einem Eisengestell, mit einer Matratze aus dem vorletzten Jahrhundert. Dies ist mein geringstes Problem. Ich schlafe nicht. Seit einigen Tagen habe ich mit keinem mehr gesprochen. Die Wissenschaftler machten ihre Arbeit an mir. Stecken mich dann wieder in dieses dunkle Loch. Kein Fenster. Nur eine Lampe die bald verglühen wird. Ich sehe den feinen Eisendraht hinter dem Glas. Er ist schon sehr dünn geschmort.
 

Jemand schließt die Tür auf. Mein Blick richtet sich auf die Tür. War zu erwarten dass der Professor eintritt. Heute muss wohl wieder einer seiner schlechten Tage sein. Er hat wieder dieses aggressive Blitzen in seinen Augen.

„Komm. Heute wirst du etwas Neues lernen.“ Na da bin ich mal gespannt. Endlich mal etwas Abwechslung. Ich folge ihm. In einem größeren Raum bleibt er stehen. Dreht sich zu mir um. Ich bleibe in einem Sicherheitsabstand vor ihm stehen. Er hat mich in dem einen Jahr schon des Öfteren mal geschlagen.

„Heute lernst du, in deiner menschlichen Form zu wandeln.“ Wie will ein Mensch mir beibringen, durch Energieanwendung das Aussehen zu verändern? Der Professor verschränkt die Arme:

„Los. Mach.“ Ich blicke ihn verwirrt an. Ich habe auf Anweisungen gewartet. Also versuche ich es eben ohne. Ich schließe die Augen und konzentriere mich auf mein Dasein. Versuche den Menschen in mir zu finden. Das Fleisch und das Blut. Es ist schwer. Denn mein Verstand ist stärker auf das Engel sein fixiert als auf das andere.
 

Nach langem Suchen finde ich etwas. Etwas, das anders ist. Irgendwo. Tief in meinem Verstand. Eine Farbe. Sie hebt sich trotz der minimalen Größe von den anderen ab. Ich Konzentriere mich auf sie. Dann spüre ich eine Veränderung. Es kostet mich viel Energie. Dann öffne ich meine Augen. Der Professor schaut mich – mal wieder – mit erstaunten Augen an. Er zieht einen Spiegel aus seinem weißen Mantel. Er hält ihn mir entgegen. Ich Blicke hinein und sehe nichts. Ich habe kein Spiegelbild. Aber ich sage nichts. Zur Bestätigung widme ich dem Professor kurz einen Augenblick.
 

„Also dann…“ beginnt der Professor mit sichtlicher Zufriedenheit. „Lerne du es sparsam einzusetzen, denn ab Morgen wirst du die Schule besuchen.“

„Die Schule?“

„Ja. Problem damit?“

„Nein…“ Ich hebe meine Illusion auf. Senke bedenklich meinen Kopf. Der Professor wendet sich von mir ab und verlässt den Raum.

Schule also. Warum? Soll ich jetzt Algebra lernen? Was soll ich mit der Fähigkeit Scheiben zu können? Da er es ernst meint, übe ich mich weiterhin im sparsamen Umgang der Energie während der Aufrechterhaltung der Illusion.
 

Am Abend des Tages. nach menschlicher Zeitrechnung habe ich nun fünf Stunden in meiner Illusion meditiert. Meinen Energiestrom habe ich nun unter Kontrolle. Aber ich benötige dringend Sonnenlicht. Mrs. Wilson tritt ein:

„Ich soll nach dir sehen, Zero.“

„Kannst mich an die Sonne bringen?“

„Tut mir Leid, Zero. Aber die Sonne ist seit 2 Stunden untergegangen.“ Ich schweige. Ich überlege. Dabei wiederholt sich nur die Konversation in meinem Kopf. Ich überlege ohne zu denken. Die Worte hallen mir durch den Kopf. Müde bin ich.

„Soll ich dich in die Zelle bringen?“ Ich nicke einmal mit dem Kopf. Eine sehr langsame auf-und-ab-Bewegung mit dem Kopf. Ich folge ihr.
 

Langsam lasse ich mich auf das Bett gleiten. Mrs. Wilson steht vor mir. Sie will gerade gehen. Ich weiß nicht warum. Aber plötzlich halte ich sie an der weißen Jacke fest. Verwirrt starre ich mir auf die Hand. Die Frau dreht sich zu mir um:

„Was ist denn?“ Sie klingt besorgt und überrascht zugleich.

„Bitte bleibe noch eine Weile.“ Sie setzt sich neben mich. Nimmt meine Hand in die Ihre. Sie streichelt sie mit der Anderen. Ich senke den Kopf. Schließe die Augen. Genieße die Zuneigung die sie mir gönnt.

Gerade wollte ich zu sprechen beginnen, da spricht Mrs. Wilson zuvor:

„Du wirst die nächste Zeit bei mir Wohnen, Zero.“ Ihre Aussage verwirrt mich.

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Du gehst ab morgen in die Schule. Ich werde deine Mutter sein.“

„Mutter? Warum?“

„Die Lehrer und Schüler sollen nicht wissen, dass du ein Ex… Engel bist. Ich werde vortäuschen deine Mutter zu sein. Du wirst vortäuschen mein Sohn zu sein. Also wirst du ab Morgen den Namen Zero Wilson tragen.“ Ich starre auf meine Hand die sie noch immer streichelt.

„Warum wurdest du beauftragt meine Mutter zu sein?“

„Da ich eine der wenigen bin, die in einem Alter sind, in der man einen fünfzehn-jährigen Sohn hat. Das variiert zwar individuell. Aber die meisten Frauen in der Organisation sind zu jung oder zu alt. Und er nannte den Grund, dass du mehr Vertrauen in mich, als in den Rest der Organisation hast.“

Wo sie Recht hat.

„Spare deine Kräfte, Zero. Morgen wirst du sie brauchen.“ Sie streichelt mir zum Abschluss noch einmal über meinen Handrücken. Ich sehe sie lächeln. Sie steht auf und verlässt den Raum.
 

Am Nächsten Morgen kommt Mrs. Wilson scheinbar schon sehr früh. Sie bitte mich ihr zu folgen. Außerhalb des Gebäudes stelle ich fest, dass die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Mrs. Wilson schaut mich an:

„Ab jetzt kannst du mich entweder ‚Mutter’ oder bei meinem Vornamen nennen. Ich heiße Myke.“

„Wann geht die Sonne auf?“

„In drei Stunden. In Winter haben wir auch nur 5 Stunden Tageslicht.“

„Nur fünf Stunden?“ Wie soll ich den an Energie kommen? Da muss ich jetzt wohl durch.
 

Ich wechsele mein Aussehen und betrete einen schwarzen Wagen. Dieser fährt mich auf direktem Weg zur Schule. Myke gibt mir einen Rucksack mit Büchern und Heften:

„Das wirst du in der Schule brauchen. Du darfst nichts von der Organisation erwähnen. Und auch nicht andeuten. Nach der Schule wirst du wieder abgeholt.“

Ich möchte ihr keinen Blick mehr widmen. Ich öffne die Tür und steige aus dem Auto. Ich bemerke die neugierigen Blicke der Schüler. Alle tragen dasselbe wie ich. Eine graue Uniform mit rundem Kragen und ein Hellblaues Hemd. Die Kleidung ist unbequem. Aber was erwartet man von Uniformen?
 

Am Sekretariat werde ich schon von einem Lehrer erwartet. Er hällt mir die Hand hin:

„Hallo, ich bin dein Klassenlehrer Mr. O’Connor.“ Ich blicke seine Hand verwirrt an. Verlangt er was von mir? Ich blicke ihm ins Gesicht, aber nicht in die Augen.

„Dann nicht…“ Er hustet verlegen. Schaut um sich, als wolle er sich vergewissern, dass niemand ihn gesehen habe.

„Folge mir. Möchtest du dich selbst vorstellen, Zero. Oder möchtest du fragen gestellt bekommen?“

„Fragen.“ Was sollte ich denn erzählen? Ich darf ja nichts erzählen. Die Jugendlichen mustern mich eindringlich. Sehe ich doch so anders aus? Mr. O’Connor öffnet eine Tür. Sofort hört man die Schüler laut erzählen. Es schmerzt schon fast im Ohr. Auf einmal werden alle ruhig. Sie stürzen an ihre Plätze und stellen sich gerade hin. Der Lehrer grüßt die Schüler. Die Schüler im Chor zurück. O’Connor gibt das Zeichen sich zu setzen. Alle gehorchen. Dann stellt er mich vor:

„Es freut mich heute einen neuen Mitschüler begrüßen zu dürfen. Sein Name ist Zero Wilson und besucht ab heute eure Klasse. Behandelt ihn mit Respekt. Ihr dürft ihm Fragen stellen damit ihr ihn besser kennen lernen könnt.“

Schon hebt der Grossteil der Klasse die Hände. Der Lehrer sucht sich die Schüler aus. So wie es scheint die Vernünftigsten:

„Ja, Marlon?“

„Wo Kommst du her?“ Was soll ich darauf antworten? Unterdessen senken sich schon einige Hände wieder.

„Aus Salnaves.“ Diesen Namen hat der Professor mal erwähnt. O’Connor ruft den nächsten auf:

„Lunas, bitte.“

„Bist du wirklich ein Typ? Du siehst aus wie ’n Mädchen.“ Der Lehrer darauf:

„Diese Frage ist überflüssig, Lunas. Alba?“

„Was sind deine Hobbies?“

„Nichts. Ich fliege gern.“ Ob ich mich jetzt versprochen habe…?

„Du hast ein Flugzeug?“ Ruft jemand ungemeldet.

„Nein. Ich reise gern mit dem Flugzeug.“ Wieder scheinen sich einige Fragen zu erübrigen. Eine Hand ist noch in der Luft. O’Connor:

„Ja, Gabriel?“

„Wann hast du das letzte Mal gelächelt?“ Das Mädchen überfragt mich. Auch die Klassenkameraden scheinen verwirrt. Erwartungsvoll schauen sie mich an. Das Mädchen aber ist voller Zuversicht. Darauf aus, eine Antwort zu erfahren.

„Deine Frage kann ich leider nicht beantworten, Gabriel.“
 

Der Lehrer unterbricht:

„Ich schätze das ist fürs erste genug. Such dir einen freien Platz, Zero. Wir beginnen nun mit dem Unterricht. Ich hoffe ihr hattet eine erholsame Woche, denn jetzt wird wieder fleißig gepaukt.“ Mein Blick überfliegt kurz die Klasse. Ich beschließe mich hinter Gabriel zu setzen. Sie scheint enttäuscht zu sein. Ihre Blicke verfolgen mich. Sie wird nachhacken. Das sagt ihr Blick. Sie hat Schulterlanges, braunes Haar. Es hat einen schönen Glanz. Es wirkt spannend in einer fremden Umgebung, unter neuen Leuten zu sein. Es ist erstaunlich wie diszipliniert die Schüler sind. Ich merke, dass einige dem Unterricht zwar nicht aufmerksam folgen, aber ruhig sind.
 

Diese Stunde soll den Schülern ihre Muttersprache näher bringen. Ich sollte schnell Lesen und Schreiben lernen. Der Lehrer fordert uns auf, das Lesebuch aufzuschlagen. Nacheinander sollen wir lesen. Abschnitt für abschnitt. Ich suche die Seite. Ich habe noch nie ein Buch in der Hand gehalten. Merkwürdige Zeichen. Aneinandergereiht sollen sie Sinn ergeben. Ein Junge beginnt zu lesen. Man scheint von rechts nach links zu lesen. Wenn die Reihe fertig ist, in der darunter liegenden fortfahren. Ich sehe mir die Zeichen genau an und höre genau hin. Nach und nach ergibt es Sinn. Die Zeichen werden immer wieder benutzt um Silben zu beschreiben. Dieselben Zeichen in einer anderen Kombination geben verschiedene Wörter. Sprache die für das Auge sichtbar gemacht ist.

Nun soll ich vorlesen. Ganz ohne Mühe kann ich die Zeichen entziffern und verwenden. Gerade so, als würde ich es schon ewig können. Als ich weitergeben will ruft wieder ungemeldet jemand in den Saal dass ich doch bitte weiter lesen solle. Es ehrt mich auf eine gewisse Art und Weise. Also lese ich weiter. Den ganzen Text zu Ende. Dann läutet es zum Stundenwechsel.

Das Mädchen namens Gabriel

Man muss den Saal nicht wechseln. Die Lehrer laufen von Saal zu Saal. Alle Klassenkameraden laufen auf mich zu. Sie fragen mich die unmöglichsten Sachen. Ich beantworte nichts. Ich weiß nicht wie mir geschieht. Ich habe ohnehin schon Probleme meine Illusion aufrecht zu erhalten. Dann höre ich eine Stimme deutlich aus den Anderen raus. Alle machen der Person Platz. Gabriel drückt sich zwischen den Schülern zu mir durch:

„Jetzt überfallt ihn doch nicht mit Fragen. Ihr macht ihn ja noch völlig verrückt.“ Sie schaut alle an. Das sehe ich. Jeden einzelnen von ihnen. Nach und nach gehen die, die ohnehin nur da waren um zu schauen.
 

„Du schuldest mir eine Antwort, Zero.“ Gabriel setzt sich wieder auf ihren Stuhl. Dann dreht sie sich zu mir um. Sie schaut mir direkt in die Augen. Ich schweige sie weiterhin an. Ich habe ihr schon deutlich gemacht, dass ich keine Antwort geben kann. Aus irgendeinem Grund aber kann mein Blick nicht von ihr ablassen.

„Zero? Jetzt sag schon. Das interessiert mich.“

„Du solltest nicht so neugierig sein.“ Ich möchte gar nicht so widerspenstig sein.

„Sag! Sag! Sag! Ich mach das solange, bis du es sagst.“ Dabei funkeln ihre Augen. Ich kann nicht sagen wie. Ich finde keine Worte für. Ihre Seele ist gesund. Gabriel leidet keinen Schmerz.

„Ich weiß nicht wann ich zuletzt gegrinst habe.“ Das Mädchen ist unbeschreiblich.

„Echt jetzt? Aber… du musst doch mal lächeln? Oder nicht?“ Warum besorgt es sie so sehr, dass ich nicht lächele? Ich interessiere mich doch auch nicht dafür.
 

Weitere Schulstunden vergehen. Ich muss mich jedem Lehrer vorstellen. Alle sind begeistert von mir. Warum nur? Eine Lehrerin empfindet ganz besondere Sympathien für mich. Es ist verrückt. Menschen sind so unterschiedlich. Ihr Handeln ist so verwirrend. So Sinnlos. So unvorhersehbar. Aber Gabriel. Sie ist anders. Sie handelt genauso. Aber anders. Sie ist Liebreizend. Mag ich sie?

Ich bin so in Gedanken versunken, dass ich das Läuten zur Mittagspause überhöre:

„Zero? Es ist Pause, das weißt du hoffentlich.“ Gabriel steht vor mir. Sie schaut mich mit ihren klaren Augen an. In dem Moment hätte ich sie umarmen können.
 

„Jetzt komm schon du Träumer.“ Sie lacht mit solch einer Herzlichkeit. Ich folge ihr.

„Ich möchte alles über dich erfahren, Zero. Du bist so geheimnisvoll. Du hast einen so gefühlslosen Blick, aber ich glaube, dass du nur so eisern tust, und in Wirklichkeit über alles nachdenkst und mehr Gefühl hast, als du preisgeben willst. Deine Augen sehen leer aus, aber trotzdem ist etwas Mystisches in ihnen. Was denkst du gerade?“ Sie läuft neben mir. Starrt mir aber die ganze Zeit über in die Augen. Mustert mein Gesicht. Meinen Körper.

Sie setzt sich auf eine Bank in einem großen Aufenthaltsraum.

„Nicht so schweigsam. Setz dich und erzähl.“ Zögerlich setze ich mich neben sie. Die Tasche lege ich neben mich.

„Weißt du dass du mit deiner Stimme ruhig mehr sprechen kannst? Sie ist wunderschön. Sogar Kalain hat gerufen, dass du weiter lesen sollst. Und er ist normal nicht so.“ Sie ist aufdringlich. Aber es stört mich nicht.

„Ich halte nicht viel vom Kontakt mit Men… Leuten.“

„Warum nicht? Wirst du geärgert? Hast du schlechte Erfahrungen gemacht?“

„Ich mag ihn einfach nicht.“ Sie schaut zweifelnd. Sie scheint zu wissen, dass es einen tieferen Grund gibt. Ist sie wirklich menschlich?
 

Der Nachmittagsunterricht beginnt. Erstaunlich was man alles können muss. Zeichnen. Welchen nutzen hat das? Ist das wichtig für das weitere Leben? Was die Menschen dringend nötig haben ist die Fähigkeit zu überleben, wenn sie in Not geraten. Überlebenstraining. Das sollte man in der Schule haben. Wissen welches Kraut für was verwendet werden kann. Wie man Wasser genießbar macht. Das müssen Menschen lernen. Was sind schon Buchstaben. Zeichen. Zahlen. Quadratwurzeln. Grammatik. Ist doch unwichtig. In Notfällen hilft kein Zeichentalent.

Es ärgert mich, dass die Menschen so unlogisch und blind sind! Es ist ermüdend sich mit so viel unsinnigen Informationen zuschütten zu lassen…
 

Im Sportunterricht mache ich nicht mit. Zum Glück hat der Professor bedacht, dass ich physisch nicht sehr fähig bin. Ich hätte Anämie und Asthma. Asthma. Ich atme nicht mal. Lächerlich. Ich sitze auf steinernen Stufen auf dem Sportplatz. Schaue den Schülern zu wie sie sich quälen. Nur um eine gute Zensur zu bekommen. Gabriel kommt auf mich zu. Erstaunt blicke ich sie an:

„Du machst beim Sportunterricht nicht mit?“ Sie lächelt mir freundlich zu.

„Nein, ich habe noch eine leichte Gehirnerschütterung. Ich bin vor zwei Monaten angefahren worden. Der Spinner musste auch unbedingt über rot fahren… und du? Warum machst du nicht mit?“

„Anämie und Asthma.“ Sie setzt sich neben mich. Ein Zufriedenes Seufzen entgleitet ihr. Ich schaue sie an ohne es wahrzunehmen dass ich es tue.

„Stimmt etwas nicht? Hab ich was im Gesicht?!“ nervös tätschelt sie sich in ihrem Gesicht rum. Ich nehme einer ihrer Hände:

„Nein. Ich mag es nur dir in die Augen zu schauen. So klar und rein.“ Es scheint sie zu beschämen und in dem Moment steigt mir die Scharmesröte ins Gesicht. Zumindest scheint es mir so. Wir drehen uns schweigend voneinander weg. Was habe ich da nur gesagt? War das nun der Mensch oder der Engel in mir? Das Gefühl, dass sich in mir ausbreitet, macht mich nervös und unkonzentriert.

„Du bist lieb, Zero. Und ich dachte immer Jungs halten nicht viel von mir. Ich bin ihnen zu tiefgründig. Und meistens sehen sie mich als coole Schwester.“ Cool? Was ist das führ ein Wort? Kühl?

„Hast du eigentlich eine Freundin? Oder gehabt? Bist ja weit gereist.“

„Nein.“

„schon einmal gehabt?“

„Nein.“ Sie lacht:

„Du bist witzig. Du sprichst total monoton und immer nur das wichtigste.“

„Ist das schlimm?“

„Nein, gar nicht. Nur ungewohnt. Es wirkt aber weise.“ Weise sagt sie.

„Aber weißt du was mich am meisten an dir fasziniert?“ Ich blicke sie fragend an.

„Du scheinst wie aus einer anderen Welt. Vielleicht wie ein Elf. Oder ein Engel, der sich als Mensch ausgibt um zu helfen.“ Das letztere erschreckt mich. Im ersten Moment dachte ich schon die hätte mich durchschaut. Was in gewisser Hinsicht auch Tatsache ist.

„Hast du schon mal von der legendären ‚Wolke der Tausend Diamanten’ gehört?“ Sicher habe ich das… aber ich schweige.

„Es sollen ja Engel gewesen sein. Unser Land muss ja sofort alles ausradieren… Ich finde die Wissenschaftler haben ’s übertrieben.“ Erinnerungen werden wach. Von einem leben, dass ich nie gelebt habe.
 

Gefangen in diesen grausamen Erinnerungen. Ich sehe wie die Menschen uns einfangen. Wie sie das geschafft haben ist fraglich. Metallstäbe die ein Magnetfeld um die Beute bilden und somit Bewegungsunfähig machen. Viele sind schon daran gestorben. Die Magnetisierung hat die Schwachen von uns förmlich auseinander gerissen. Ihre Schreie… habe ich denn kein Mitgefühl empfunden? Jetzt treibt es mir die Tränen in die Augen. Diese Schmerzen als ich gefangen wurde. Und das Erwachen im Labor. Noch bevor mein Gedächtnis missbraucht wurde. Ich habe gesehen was sie mit meinen Artgenossen gemacht haben.
 

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen als ich etwas an meinem Rücken spüre. Zum Glück. Aufgewühlt schaue ich Gabriel an. Sie blickt mich mit einem besorgten Blick an:

„Was hast du? Geht es dir nicht gut?“

„Doch. Mich haben gerade nur meine Gefühle übermannt.“

„Hm…“ Sie legt ihren Arm um mich und drückt mich an sich. Es verwirrt mich. Aber es tut gut.

„Wenn du magst können wir nach der Schule zusammen in die Stadt gehen. Ich könnte dir ja alles Wichtige und Schöne zeigen.“

„Das müsste ich einen Tag vorher mit meiner Mutter besprochen haben. Ich darf das Haus ohne Erlaubnis nicht verlassen.“

„Das sind ja sehr strenge Regeln…“ Wenn sie wüsste. „ …Aber frage deine Mutter, ob du morgen mit mir in die Stadt darfst, okay?“

„Ja.“
 

Der Unterricht ist nun zu Ende. Die Schüler schleppen ihre müden Körper in die Umkleidekabinen. Gabriel und ich folgen ihnen. In der Umkleide sitze ich auf der Bank und schaue durch den Raum. Die Jungen planen schon das nächste Miteinander. Sprechen über Privates. Zwei Jungen nehmen einem anderen die Uniform weg und rennen in den Nebenraum. Sie lachen hämisch. Der Junge rennt ihnen nervös nach. Bittet aufgebracht dass sie ihm seine Uniform wieder geben. Die anderen ignorieren den Vorfall. Der Junge ruft immer wieder sie sollen aufhören. Aber die Zwei lachen nur.

Ich stehe auf und geh in den Nebenraum. Dort muss ich mir ansehen, wie sie nicht nur die Uniform, sondern auch den Jungen unter dem Wasser festhalten. Ich sollte dazwischen gehen. Aber einer der beiden hat mich schon bemerkt:

„Was glotzt du so?“

„Lasst ihn gehen. Das gehört sich nicht.“

„Willst du uns etwa drohen?“ Sie lassen von ihrem ‚Opfer’ ab. Sie fühlen sich von mir provoziert.

„Ihr wollt doch auch nicht, dass man so etwas mit euch macht.“

„Das macht auch keiner mit uns.“ Einer der beiden baut sich drohend vor mir auf. „Willst du dich etwa mit uns anlegen, großer? Du bist vielleicht groß, aber gegen mich hast du sowieso keine Chance.“ Er versucht mich verbal einzuschüchtern. Aber ich habe ihn schon längst durchschaut.

„Körperlich vielleicht. Aber wenn du dich so einsam fühlst, solltest du deinen Mitmenschen vielleicht mit mehr Freundlichkeit begegnen, als sie in Grund und Boden zu demütigen. Das macht dich nur noch einsamer.“ Man sieht, wie ihn der Schmerz durch alle Glieder fährt. Er holt zum Schlag aus. Seine Faust aber prallt von meiner Barriere ab. Der Junge gibt einen schmerzerfüllten Laut von sich. Hält seine Hand. Dann schauen mich beide geschockt an.

„Was bist du?“ Ich antworte ihm nicht. Er schaut mit in die Augen, bekommt Panik und rennt aus dem Raum.
 

Ich gehe auf den Jungen zu der gekränkt unter dem laufenden Wasser sitzt. Er starrt benommen auf seine durchnässte Uniform. Ich drehe das Wasser ab und knie mich zu ihm nieder:

„Tut dir etwas weh?“ Er schüttelt nur den Kopf. Ich möchte ihn trösten. Also lege ich meine Arme um ihn. Sanft drücke ich ihn an meine Brust. Er tut mir Leid. Er muss furchtbare Angst haben. Wie können Menschen nur so verschieden sein. Da gluckst der Junge:

„Mein Vater dreht mir den Hals rum, wenn ich nass nach Hause komme…“

„Er schlägt dich?“

„Ab und zu… nicht regelmäßig.“ Es ist unfassbar. Die Anderen in der Umkleide sind schon alle gegangen. Sie kümmert es nicht, dass der Junge gerade beleidigt wurde.

„Ich helfe dir sie zu trocknen.“ Er hebt seinen Kopf.

„Warum?“ Diese Frage hätte fast von mir kommen können.

„Weil du Hilfe benötigst.“

„Und wie? Der Stoff braucht ewig um trocken zu werden.“ Ich deute auf ein Gerät, das an der Wand hängt.

„Kann man damit nicht trocknen?

„Ein Föhn? Darauf währ ich gar nicht gekommen!“ Für einen Moment meine ich zu lächeln. Das Gefühl ist mir völlig neu. Ist auch nur von kurzer Dauer. Der Junge lässt sich trocken blasen, während ich seine Uniform trockne. Am Ende bedankt er sich erleichtert bei mir.
 

Ich laufe über den schon leeren Schulhof. Ich sehe wie Myke mir nervös entgegenkommt:

„Wo warst du so lange? Der Professor sitzt im Wagen und nimmt die Inneneinrichtung auseinander vor Zorn. Komm jetzt bitte mit.“ Bei dieser Bitte geht es ihr momentan nur um ihren Kopf. Das akzeptiere ich. Sie muss sich dank mir viel antun lassen. Meine Gedanken schweifen ab. Zu dem Mädchen. Gabriel. Ich … freue mich auf morgen? Es ähnelt dem Gefühl von eben. Als ich dem Jungen geholfen habe.

Dicke Luft

Ich durfte mich vom Professor beschimpfen lassen. Wie immer. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich einem Jungen geholfen habe. Er hätte es sowieso nicht verstanden. Ich bin erleichtert meine normale Gestalt wieder annehmen zu dürfen. Es ist so anstrengend gewesen. Aber der Professor ist noch nicht fertig mit mir. Er hat mich die ganze fahrt lang angeschrieen.

„Ich werde morgen nicht die Schule besuchen.“

„Das entscheide immer noch ich!“

„Soll ich morgen mitten im Unterricht meine Illusion fallen lassen? Es wäre zu riskant. Ich brauche die wenigen Stunden Sonnenlicht.

„Am Tag deiner Geburt hat dir eine Stunde auch gereicht!“

„Zu dieser Zeit musste ich auch noch nicht einen ganzen Tag in einer Illusion verharren! Ich werde morgen den Unterricht nicht Besuchen. Das ist mein letztes Wort.“ Der Professor hasst es nachzugeben:

„Aber nur morgen!“ Er muss wie immer das Letzte Wort haben. Er hat mich ins Labor geschleppt, weil dort der Stuhl des Vergessens steht. Ich möchte nicht vergessen. Nicht mehr. Nicht Sie.

Ich sage im das. Der Professor läuft rot an im Gesicht. Er wirft mit Gegenständen nach mir. Die Gegenstände tun mir nichts. Aber der Professor macht mir immer wieder Angst.
 

Warum habe ich Nachgegeben. Das sind die letzten Worte an die ich mich erinnere. Sie hallen in meinem Kopf wieder. Ich weiß nicht warum ich mir diese Frage gestellt habe. Es steckt absolut kein Sinn dahinter. Immer wieder dieses Phänomen etwas vergessen zu haben. Ich muss wieder in der Illusion wandeln. Sonst würde ich nicht in das Auto passen. Ich blicke stumm aus dem verdunkelten Fenster. Dadurch kommt die Nacht noch schwärzer vor. Dabei haben wir nach menschlicher Zeitrechnung erst sechs Uhr abends. Um halb fünf war die Schule um. Zu dieser Zeit war die Sonne schon Lange wieder am Horizont versunken. Die Menschen wachen noch. Laufen die Straßen entlang als wären sie vor jemandem auf der Flucht. Überall bewegende Bilder an den Hauswänden. Leuchtende Sprachzeichen. Ich kann sie lesen. Fast alle. Das Licht ist Ekel erregend. Es schmerzt im Auge. Trotz der verdunkelten Scheiben.
 

Myke schaut mich an:

„Du wirkst bedrückt.“

„Ich bin unglaublich müde. Und der Sicherheitsgurt drückt mir auf die Brust. Bräuchte ich Luft zum Atmen, so würde sie mir jetzt fehlen.“

„Ist es weil du wieder Vergessen hast?“ Sie konzentriert sich auf die Straße. Spricht aber dennoch mit mir. Wenn der Weg einfacher zu fahren ist schaut sie zu mir. Um Interesse an mir zu zeigen.

„Es ist verwirrend. Und die Lichter stören.“

„Man gewöhnt sich an dieses Ewige Bling-Bling.“ Ihr Ausdruck trifft es.
 

Ich bin froh, dass Myke in einer ruhigen Wohnsiedlung wohnt. Bei ihr angekommen steige ich aus dem Wagen. Mein Blick schweift automatisch in den Himmel. Mir fehlt das Sonnenlicht. Ihr Haus ist sehr futuristisch. Wenn man es mit den Gebäuden von vor zehn Jahren vergleicht. Schon von außen sieht es steril aus. Es hat drei Stockwerke. Für eine Frau. Ist das nicht Verschwendung?

Auch innen sieht es farblos aus. Viel Technik. Große Fenster. Teilweise ganze verglaste Fronten. Im Haus lasse ich meine Illusion sofort fallen. Es ist genug Platz. Meine Schwingen sind aber versperrt.

„Kannst du mir das Gestell von den Schwingen nehmen?“

„Der Professor ist dagegen, Zero…“ Sie vertraut mir nicht. Ich gehe in das Zimmer, dass sie mir zugewiesen hat. Sie beleidigt mich damit.

“Zero… was hast du?“

„Mache mir den Gefallen und lasse mich bitte für eine Weile in Ruhe.“ Es ist unhöflich sie dabei nicht anzusehen. Aber ich sehe keinen Grund ihr die Ehre zu erweisen. Für diesen Moment.
 

In meinem Zimmer schalte ich erst gar nicht das Licht an. Ich mag die Dunkelheit nicht. Aber das ist mir momentan ‚scheißegal’. Ich lege mich auf das Bett. Es ist weich. Gemütlich. Wenn ich in meiner normalen gestalt liege, dann nur auf dem Bauch. Auf den Schwingen liegen ist nicht gut für das Gefieder. Und es schmerzt. Ich ahne, dass es am nächsten Tag viel zu entdecken gibt. Unglaublich schnell schlafe ich ein.
 

Ein Ekel erregendes Geräusch reißt mich aus einem tiefen Schlaf. Die Quelle ist eine kleine Uhr. Es ist Elf Uhr. Das Geräusch macht mich nervös. Ich nehme die Uhr in die Hände. Suche einen Mechanismus um das Geräusch abzustellen. Es bringt mich aus der Fassung. Mit Schwung schleudere ich dieses nervtötende Gerät von mir weg. Es zerschellt an der Wand – Stille. Ich drücke meinen Kopf zurück ins Kissen. Der Schlaf tat gut. Hätte gern mehr davon. Aber einschlafen kann ich nun nicht mehr. Das Geräusch schallt durch meinen Kopf. Myke tritt ein. Vorsichtig:

„Was ist das für ein Lärm?“ Ich setze mich auf. Streife mir das Haar aus dem Gesicht.

„Die Uhr hat komische Geräusche von sich gegeben. Ich habe sie kaputt gemacht… Verzeihung…“ Sie seufzt. Schüttelt den Kopf – mit einem warmen lächeln. Sie setzt sich neben mich. Da kommen in mir Gefühle hoch. Die nach etwas rufen. Nach jemandem vertrautem. Nach jemandem, mit dem man sehr nahe verbunden ist:

„Das war ein Wecker. Er sollte dich für die Schule wecken.“ Sie kichert leise. Das kenne ich nicht von ihr.

„Einen Wecker?“

„Ja. Hinten wäre ein kleiner Aus-Schalter gewesen. Du scheinst ein Morgenmuffel zu sein.“ Es amüsiert sie. „Komm, ich mache mir Frühstück. Wir können uns ja am Tisch zusammensetzen.“
 

Ich folge ihr in den unteren Teil des Hauses. Sie bittet mich an dem Tisch Platz zu nehmen. Aber ich setze mich nicht. Die Schwingen sind im ruhenden Zustand zu groß. Ich erinnere mich an den gestrigen Abend. Während sie an diversen Geräten rumhantiert spricht sie:

„Du hast es vielleicht noch nicht bemerkt, aber ich habe gestern zufällig mitbekommen als Prof. Hemmington gesagt hat, dass du ein gelungenes Experiment bist. Einige Mängel, aber für einen Prototyp gelungen.“ Soll mich das trösten? Ich beobachte sie. Myke dreht ihren Kopf zu mir und lächelt mich an. Warum kommt mir das Lächeln so gezwungen vor. Verheimlicht sie mit etwas?

„Bist du immer noch böse mit mir? Wegen gestern Abend?“ Es Ärgert mich noch immer. Das Gestell ist unangenehm und schmerzt an den Druckstellen. Ich schweige weiterhin.
 

Myke hat während ihrem Frühstück kein Wort mehr gesagt. Ich muss sie verunsichert haben. Ich stehe im Wohnzimmer. Sehe mich um. Dann entdecke ich einen Gegenstand mit Tasten darauf. Wieder mit Zeichen. Aber ungewöhnliche. Nicht die Schriftzeichen die ich kenne. Auch Bildliche Darstellungen. Die oberste Taste ist rot. Sie ist mit einem Kreis der oben von einem vertikalen Strich unterbrochen ist. Darüber steht ‚Ein/Aus’. Ich drücke darauf. ich kann meiner Neugier nicht widerstehen. Plötzlich erscheint auf dem Schwarzen Bild, welches auf dem Schrank steht ein bewegtes Bild. Töne füllen den Raum. Ich erschrecke mich doch schon ein wenig. Ich bin verwirrt. Das Bild Spricht mit mir. Der Gegenstand wirkt im ausgeschalteten zustand wie ein leerer Bilderrahmen. Ich schaue dahinter.
 

Immer noch das Tastengerät in der Hand haltend bewundere ich die Bilder. Aber für irgendwas müssen die anderen Tasten ja gut sein. Ich drücke auf eine der Tasten die geordnet nebeneinander liegen. Das Bild ändert sich dadurch. Es erzählt über ein anderes Thema. Ein Mann schaut mich an und erzählt etwas:

„In Dansul halten die schweren Schneestürme an. Viele Städte haben schon drei Tage lang keinen Strom mehr. Es herrschen Temperaturen bis zu minus fünfunddreißig Grad. Einsatzkräfte können bei dem schweren Wetter nicht ausrücken und den unter dem Schnee gefangenen Menschen helfen…“ Dansul. Der Name Kommt mir doch so bekannt vor. So vertraut. Die Bilder zeigen das Unwetter in seinem ganzen Ausmaß. Was ist so ungewöhnlich an einem Unwetter? Das ist die Natur, an diese muss man sich anpassen.
 

Meine Aufmerksamkeit wird erneut geweckt als das Wort ‚Disenion’ fällt:

„Augenzeugen berichten von einem Engel, der im Krieg auf merakianischer Seite Kämpfen soll. Allerdings soll auf keinem der Aufgenommenen Videos das Wesen zu sehen sein….“ Jemand nimmt mir das Tastengerät weg und schaltet den Bilderrahmen aus:

„Das ist nicht für dich bestimmt, Zero.“

„Er spricht von mir, stimmts.“

„Du rührst den Fernseher nicht mehr an, hast du mich verstanden?“ Ich werfe ihr einen erschreckend zornigen Blick zu:

„Was versuchst du vor mir zu verstecken?! Irgendetwas ist an dieser Sache nicht richtig!“

„Ich verheimliche dir gar nichts, Zero! Du meinst das nur!“

„Dann lass mich diese Nachricht jetzt sehen!“

„Hör auf mit mir zu diskutieren, okay?! Wenn ich sage, dass du das Gerät nicht anfassen sollst, dann hast du dem folge zu leisten!“ Irgendwas daran verletzt mich tief. Was ist nur los mit ihr? Habe ich ihr irgendetwas getan, dass sie mir so misstraut?

„Es war schon Folter genug für deine Verspätung herhalten zu müssen! Ich kann nicht noch einmal ein solches Dilemma verantworten. Also tu bitte einfach nichts außer das, was dir gesagt wird!“ Von da weht also der Wind. Ich habe ihr nicht in die Augen gesehen. Ich möchte auch nicht wissen was in ihr vorgeht. Höchstwahrscheinlich würde es mir nur noch mehr schmerzen. Ich beiße die Zähne zusammen und gehe an ihr vorbei. Ohne ihr einen Blick zu widmen. Ich muss weinen. Und finde nur mit Mühe den Weg in mein Zimmer. Jetzt verbietet selbst Myke mir das Leben. Ich lege mich auf das Bett und weine in das Kissen. Ich fühle mich so missverstanden. So allein.
 

Lange Zeit denke ich gar nicht mehr. Ich weine ununterbrochen. Und es kostet mich so viel Energie. Aber Aufhören kann ich nicht. Irgendwann sehe ich auf. Es beginnt zu dämmern. Ich stehe auf. Ich muss jeden Sonnenstrahl ausnutzen. Ich suche Myke. Sie ist nicht im Wohnzimmer. Nicht in der Küche. Auch nicht in ihrem Zimmer. Ich will die nächste Tür öffnen, aber sie ist verschlossen.

„Myke? Bist du da drin?“

„Geh in dein Zimmer zurück, ich arbeite.“

„Ich muss aber meine Schwingen in die Sonne halten.“

„Dann tu das bitte, aber lass mich jetzt in Frieden!“

„Dann nimm das Gestell von meinen Flügeln! Zum Donnerwetter noch eins!“

„Sie schließt die Tür auf. Ihren Gesichtsausdruck kann ich nicht beschreiben. Schuldig. Das Wort trifft es, glaube ich. Sie nimmt mir das Gestell von den Schwingen. Das tut unglaublich gut.

Im Wohnzimmer setze ich mich mit an die Große Fensterfront. Breite meine Schwingen, soweit es der Platz erlaubt, aus. Was ist plötzlich nur los mit Myke? In ihren Augen sah ich Schmerz. Reue. Verzweiflung…

Das leben beginnt

Hier sitze ich nun. In einem fremden Haus. Am Fenster und versuche das wenige Licht einzufangen, das zu dieser Jahreszeit den Boden berührt. Die einzige Person der ich vertrauen kann… Myke. Sie wirkt gestresst. Es ist meine Schuld.

Der Himmel ist von einem einfarbigen Grauton bedeckt. Diese Wolkenwand macht das Durchdringen des Lichtes fast unmöglich. Es scheint, als sei die natur genauso müde wie ich. Wie Myke. Eine weiße Flocke fällt vom Himmel. Dann Zwei. Es beginnt zu schneien. Langsam aber stetig wird der Boden mit Schnee bedeckt. So etwas habe ich noch nie gesehen. Aber es begeistert mich nicht.
 

Die Zeit schleicht. Sie scheint fast still zu stehen. Das warten macht müde. Es ist so still im Haus. Ich höre ein Summen. Das sind bestimmt die elektronischen Geräte. Im Labor klingt es fast genauso.

Myke kommt die Treppe runter. Ich höre es nur. Leichtfüßig betritt sie das Wohnzimmer:

„Zero?“

„Ja?“ Ich blicke weiterhin aus dem Fenster.

„Es tut mir Leid.“

„Wofür entschuldigst du dich?“ Sie schweigt eine Weile.

„Ich war unfreundlich zu dir.“

„Du hast deine Arbeit getan. Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Du solltest bedenken, dass ich für den Krieg geschaffen wurde. Sympathien für mich zu entwickeln ist sinnlos.“

„Aber du bist ein Lebewesen!“ Ich schweige. Damit hat sie Recht. Aber ich würde keinen Platz in dieser Gesellschaft finden. Deshalb bin ich im Krieg besser aufgehoben.
 

„Zero?“

„Ja?“

„Magst du mit mir einkaufen gehen? Die Sonne geht in fünf Minuten sowieso unter.“ Der Schnee leuchtet bläulich in der Dämmerung. Ich nicke und erhebe mich.

„Du kannst das Gestell ab lassen. Ich vertraue dir. Aber der Professor darf es niemals erfahren, hörst du?“ Wieder nicke ich. Ich schließe die Augen um die Illusion aufzubauen.

„Du solltest dir vielleicht andere Klamotten anziehen. In der Uniform geht man nur zur Schule. Ich habe da auch etwas für dich.“

In meinem Zimmer holt sie Kleidungsstücke aus dem Schrank. Einen weißen Pullover und eine dunkelblaue Hose. Einen dunkelblauen Halbmantel.

„Ich wusste nicht ob du frieren kannst. Deshalb habe ich dir einfach einen Mantel gekauft.“
 

Es ist fast dunkel als wir in das Auto steigen. Es schneit noch immer. Ganz leise. Unser Weg führt uns wieder in das Bling-Bling-Viertel. Auf einer Größeren Fläche stehen viele Autos nebeneinander gereiht. Wir stellen uns dazu. Schon auf dem Platz schaue ich in die staunenden Gesichter anderer Menschen. Mir weht ein kalter Wind ins Gesicht. Aber ich habe nicht das Gefühl zu frieren.

Wir betreten das große Gebäude. Darin tummeln sich unglaublich viele Menschen. Das überrascht mich. Ein so breiter Korridor. Dennoch treten sich die Menschen gegenseitig auf die Füße. In der Mitte des Korridors stehen Bänke um kleine Grünanlagen. An den Seiten die Geschäfte. Ich schaue nach oben. Unglaublich. fünf Stockwerke. Und auf jedem Geschäfte und Menschen.
 

Myke nimmt mich bei der Hand:

„So verlieren wir uns nicht.“ Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll zu schauen. Es ist das zweitgrößte was ich in meinem leben je gesehen habe.

Wir besuchen viele Geschäfte. Zuerst kauft Myke Lebensmittel. Haushaltsmittel. Dann diverse Büroutensilien. Es fällt mir schwer ihr zu folgen. Sie eilt so. Überall wo ich eine Sitzgelegenheit finde, lasse ich mich nieder. Dass der Tag doch noch so anstrengend wird hätte ich nicht gedacht.

Momentan sitze ich auf einer Bank. Einkaufstaschen stehen um mich herum. Ich schaue einigen Menschen nach, die an mir vorbeilaufen. Myke ist solange in eine Buchhandlung gegangen.
 

Bei weiterem um schauen entdecke ich eine Gruppe Mädchen. Sie sind nicht von meiner Schule. Aber sie tragen eine Schuluniform. Ich beobachte ihr Verhalten. Denn sie benehmen sich fragwürdig. Sie scheinen sich zu scheuen. Eines der Mädchen schaut in meine Richtung. Schnell blickt sie wieder weg. Ich schaue hinter mich. Aber dort ist nichts wovor man Angst haben könnte. Wieder wende ich mich der Gruppe zu. Diesmal schauen alle in diese Richtung. Ich fühle mich dadurch schon ein wenig angesprochen. Sie winken schüchtern. Unsicher werfe ich den Mädchen ein freundliches Lächeln zu. Aber dann wende ich mich ab und schaue suchend in die Buchhandlung.

Ich merke wie jemand auf mich zukommt. Es sind zwei Mädchen der Gruppe. Die anderen stehen noch immer neugierig im Abseits. Da kommt Myke aus dem Laden:

„So Zero. Ich habe alles. Jetzt können wir endlich nach Hause fahren.“ Mit großen Augen wende ich mich Myke zu. Dann wieder zu den beiden Madchen die Myke erschrocken anschauen. Schnell gehen sie zurück zu ihren Freundinnen. Was haben sie sich denn erhofft?
 

Zuhause lege ich den Mantel ab und lasse die Illusion fallen. Myke räumt die Taschen aus.

„Ich lege mich ins Bett. Ich muss mich ausruhen.“

„Warte.“ Sie läuft mir entgegen.

„Hier. Ein neuer Wecker. Uuund hier hinten ist der Ausschalter. Okay? Er ist schon gestellt. Den Wirfst du mir bitte nicht mehr an die Wand.“

„Ja. Danke.“ Ich nehme ihn an mich und gehe nach oben.

Das Zimmer ist nicht groß. Aber es reicht zum Schlafen. Ich habe noch nie so viel geschlafen. Ich bin fast dauerhaft müde. Ich lege mich auf den Bauch und die Hände neben meinen Kopf. Es ist so angenehm. Ich könnte immer schlafen.
 

Gerade als ich dabei bin einzuschlafen klopft Myke an die Tür:

„Zero, du hast Besuch von einer Schulkameradin.“ Das letzte Wort betont sie ganz besonders. Was mich natürlich nervös macht. Schnell baue ich die Illusion auf. Myke öffnet schon langsam die Tür. Ich setze mich auf. Schaue neugierig zur Tür. Gabriel? Sie stellt sich vor die Tür und lächelt freundlich. Ich sehe aber Sorge in ihren Augen:

„Wie geht’s dir, Zero? Ich habe mir Sorgen gemacht.“

„Bitte setze dich. Ich bin müde.“ Sie legt ihren Rucksack ab und setzt sich neben mich.

„Anämie ist schon was Schlimmes. Ich hoffe dass solche Schwächeanfälle nicht oft vorkommen bei dir.“

„Es hält sich in Grenzen.“ Da ist ein Gefühl in mir. Es kommt mir bekannt vor. Ich meine es vor gar nicht all zu langer zeit schon einmal gefühlt zu haben. Ich finde es so schön.

„Kommst du morgen wieder in die Schule?“ Sie schaut mich an. In mir überschlagen sich die Gefühle. Ich muss fast weinen.

„Ja.“

„Das ist schön! Hast du deine Eltern gefragt ob du mit mir in die Stadt gehen darfst?“

„Oh… Das hatte ich total vergessen…“ beschämt lasse ich den Kopf sinken.

„Das macht doch nichts. Warst ja auch krank.“ Sie streichelt mir über den Rücken.

„Du hast aber ganz schön warm. Hast du auch kein Fieber?“ Sie fasst mir an die Stirn und dann an ihre.

„Du bist ganz schön warm! Leg dich hin und ruh dich aus!“ Gabriel drückt mich ins Kissen.

„Aber ich bin immer so warm.“ Ich drück sie zurück und setze mich wieder auf.

„Echt?“ Sie Schaut mir direkt in die Augen. Ich will sie umarmen. Ich will gerade auf sie zukommen, da unterbricht sie:

„Komm wir machen zusammen Hausaufgaben.“
 

Sie holt meine Schultasche und setzt sich im Schneidersitz auf mein Bett. Sie kramt in meiner Tasche herum. Ich starre sie stumm an. Begutachte mir ihr Lächeln, das sie niemals ablegt. Sie spricht irgendetwas. Aber ich höre ihr nicht zu. Ich verliere mich ganz in ihren Augen. In welchen ich mich wohl fühle.

„Zero? Zero, hörst du mir überhaupt zu?“ Ein Rütteln holt mich zurück in die Realität:

„Kannst du dich bitte noch einmal wiederholen? Einiges ist mir noch unklar.“ Ihr warmes Lächeln…

„Du hast mir gar nicht zugehört. Zero jetzt pass’ aber auf. Ja? Dass ist wichtig.“
 

Sie muss mir vieles erklären. Ich kann mit Schreibutensilien noch nicht gut umgehen. Es fällt mir schwer so zu tun als kenne ich ‚Zahlen’. Ich kenne ein paar durch das Ablesen von der Uhr. Aber zusammenzählen kann ich sie noch nicht. Obwohl ihr Mathematik selbst schwer fällt, erklärt sie mir vieles gut. Und in nur kurzer Zeit kann ich ihr helfen die Aufgaben zu lösen. Es ist nur logisches denken. Aber dennoch unwichtig zum Leben.
 

Nun haben wir alle Hausaufgaben erledigt. Gabriel lässt sich seufzend ins Bett fallen:

„So schnell war ich noch nie mit den Hausaufgaben fertig. Und mit Mathe schon gar nicht.“ Sie setzt sich auf. Blickt mich an:

„Immer wenn ich denke, du hättest die ersten 8 Schuljahre geschwänzt, überraschst du mich immer wieder mit deiner Intelligenz.“ Intelligenz. Sie bewahrt mich momentan vor großen Problemen. Gabriel schaut durch mein Zimmer:

„Warum ist das so kahl? Keine Bücher, kein Computer, kein Fernseher. Nicht mal Stofftiere oder Bilder hast du an der Wand hängen.“ Ich überlege was ich ihr dazu sagen soll.

„Ich bin doch erst hier eingezogen. Ich habe noch nicht die Lust gehabt alles auszuräumen.“

„Ach so. Ja, das leuchtet ein. Also gut, Zero. Ich mach mich auf den Heimweg. Mutter weiß nicht wo ich bin. Ich will ihr keine Sorgen bereiten.“

„Jetzt schon?“ Ich finde es schade.

„Hey, nicht traurig sein. Wir sehen uns ja morgen wieder.“ Sie lächelt so wunderschön. Es rührt mich immer fast zu Tränen.

„Bringst du mich noch an die Tür?“

„Ja. Selbstverständlich.“ Sie hüpft vom Bett wie ein junges Reh. Ich muss lächeln. Ihre Fröhlichkeit ist ansteckend. Sie sieht das.

Ha! Du hast gelächelt! Das ist dein erstes Mal dass du richtig gelächelt hast. Und es gehört nur mir!“ Sie zwinkert mir zu und verlässt das Zimmer. So dreist wie sie ist fragt sie Myke ganz persönlich, ob ich morgen mit ihr in die Stadt dürfte. Myke schaut mich unsicher an. Sie denkt sicher an den Professor. Das sieht man ihr an.

„Das muss ich mit seinem Vater besprechen.“ Sie klingt besorgt. Gabriel schaut mich besorgt an. Sie scheint Mykes Unruhe zu merken… das beunruhigt mich.

„Na gut. Sag mir dann Morgen bescheid, Zero. Danke noch mal für deine Hilfe. Hat Spaß gemacht.“ Ich öffne ihr die Tür. Sie verabschiedet sich von Myke und schenkt mir wieder ihr bezauberndes Lächeln. Ich blicke ihr nach bis sie um die Ecke gebogen ist.
 

Ich lasse die Illusion fallen und gehe zu Myke ins Wohnzimmer:

„Der Professor wird etwas dagegen haben, stimmts.“

„Höchstwahrscheinlich.“ Es vergehen keine zehn Minuten, da steht auch schon der Professor in der Tür. Man muss ihn nur erwähnen und er kommt angerannt…

Das Leben besteht aus vielen Konflikten

Ohne groß zu diskutieren hat er mich mit ins Labor geschleppt. Diese Nacht muss ich mich wieder Untersuchungen hingeben. Der Professor sieht zufrieden aus. Er kommt auf mich zu:

„Du hast große Fortschritte gemacht. Endlich mal etwas worüber ich mich bei dir freuen kann.“ Er ist nicht stolz auf mich. Er ist stolz auf sich. Mit dieser Aussage hat er sich nur selbst gelobt. Abstoßend. Wieder dieser Ekel. Dieses Gefühl kenne ich. Aber es kommt mir so fremd vor. Verflucht sei der Stuhl des Vergessens.
 

„Was stehst du hier noch? Es ist Zeit für die Schule!“ Mit einem verzerrten Gesicht – passend zu meinem Gefühl – blicke ich ihn an. Da fällt mir plötzlich Gabriel ein. Sie wollte mir die Stadt zeigen:

„Bevor ich gehe habe ich eine Bitte an euch, Professor.“ Er wirkt verwundert.

„Seit wann habe ich dir erlaubt etwas zu verlangen?“

„Wenn ihr mir euer ignorantes Gehör wohl bitte gewähren würdet.“ Seine Aussage erzürnt mich.

„Nicht in diesem Ton mit mir! Was willst du?“

„Ich möchte das Verhalten von Menschen auch im Privatbereich studieren. Ihre Verhaltensweisen in ihrer Freizeit. Deshalb möchte ich sie bitten mir diesen Tag Auslauf zu gewähren.“ Er holt Luft um loszufluchen. Stockt jedoch schnell. Er überlegt. Ich habe ihn überzeugt.

„Okay. Gewährt. Aber in Zukunft wird immer erst um Erlaubnis gebeten, verstanden?“

„Ganz wie ihr wünscht, Professor.“ Ich wende mich von ihm ab und verlasse mit Myke das Labor.
 

Vor dem Schulgebäude steige ich aus dem Wagen. Ich verabschiede mich von Myke. In dieser Nacht ist noch viel Schnee gefallen. Nur mit Mühe schaffe ich es zum Eingang. Bis zu den Knien bin ich im Schnee versunken. Ich mag Kälte nicht. Auch wenn es mich körperlich nicht belastet. In einer der oberen Stockwerke werde ich von den Jungen aufgehalten, die sich an dem Schwächeren vergriffen haben:

„Sie mal wem wir hier haben. Ist das nicht unser Held auf Stelzen? Na warst gestern zu feige in die Schule zu kommen? Hehe.“ Desinteressiert blicke ich ihm in die Augen. Wie armselig. Mein Verhalten irritiert ihn:

„Na, fällt dir nicht mehr ein?“ Er ist verzweifelt. Ich will an ihm vorbeigehen. Aber seine ach so treuen Freunde halten mich ab. Der eine Spricht:

„Na wohin so schnell? Du meinst du kommst einfach so davon?“

„Ich sehe keinen Sinn darin meine Zeit mit Leuten zu verschwenden, die sich wichtiger geben, als sie sind. Wenn ihr mich entschuldigen würdet.“ Ich versuche erneut mich an ihm vorbei zu drängeln. Aber er greift mich fest am Arm:

„Wer von uns ist hier unwichtig, du Pisser?“ Mit einer ruckartigen Handbewegung entledige ich mich seinem Griff:

„Du bist der letzte von dem ich mich Beleidigen lasse. Um mich zu beeindrucken solltest du deinen Wortschatz nicht nur verbessern, sondern auch vervollständigen, armseliger Tropf.“ Ich drücke mich gegen den, der mir den Weg versperrt. Dadurch hat er für kurze Zeit keine Kontrolle über seinen Körper. Ich laufe an ihnen vorbei und schenke ihnen keine Aufmerksamkeit mehr.
 

„…Das wird ein Nachspiel haben, Scheißkerl!“ Angst vernehme ich seinen Worten. Ich bemerke eben erst, dass viele Schüler gespannt zugesehen haben. Manche in voller Ehrfurcht vor der Gruppe. Die anderen aus Neugier. Ich betrete den Klassensaal. Einige schauen auf und beginnen zu flüstern. Andere bemerken es nicht. Aber Gabriel springt auf und läuft mir entgegen:

„Hallo Zero!“ Ihr freundliches Lächeln lässt mich die Auseinandersetzung von eben vergessen.

„Hallo Gabriel.“

„Willst du mir nicht ein Lächeln schenken?“ Ich laufe unbeirrt zu meinem Platz und sie hinter mir her.

„Mir ist nicht danach.“ Sie setzt sich auf ihren Platz und dreht sich zu mir um.

„Wie fies! Wie geht’s dir heute?“

„Bescheiden.“ Noch nie durfte ich auf solch eine respektvolle Frage antworten. Es ehrt mich.

„Darfst du heute mit mir in die Stadt?“

„Ja.“

„Da freu ich mich aber. Ich dachte schon es klappt nicht. Deine Mutter hat so komische Andeutungen gemacht.“ Ja. Meine ‚Mutter’.
 

Der Lehrer tritt ein. Die Schüler gehen an ihre Plätze und stellen sich auf. Wir begrüßen einander und setzen uns wieder. Historie nennt sich diese Stunde. Der Lehrer fängt zu reden an. Es hat den Anschein als wolle er auch so schnell nicht aufhören. Ich höre ihm zu. Mich interessiert wie die Menschen die Vergangenheit sehen. Viele Schüler geben nach kurzer Zeit auf, ihm zuzuhören. Sie sinken müde in ihre Stühle. Spielen mit ihren Schreibutensilien. Zwei Mädchen tauschen heimlich Zettel aus. Andere aber schreiben das Wichtigste mit. Hören zu. Einer sogar interessiert. Gabriel ist einer der letzten die den Kopf auf die Hand stützt. Sie Blickt aus dem Fenster.

Der Lehrer wird auf mich aufmerksam:

„Wie ist dein Name? Du bist der neue, seriöse Schüler, über den die Lehrer sprechen?“ Er hat mich vorher nicht bemerkt. Sehr unverschämt von ihm.

„Zero.“ Die Aufmerksamkeit jedes Klassenkameraden fällt auf mich.

„Du sitzt so interessiert auf deinem Platz. Du kannst mir dann bestimmt erzählen was die Miha-Epoche geprägt hat.“ Er schaut mich zuversichtlich an. Gabriel wendet sich mir neugierig zu.

„In dieser Zeitspanne revolutionierte der Schiffsbau der Merakianer. Die zunächst hochseeuntauglichen Boote wurden stabiler. Größer und schneller. Dadurch veränderte sich das Weltbild der Merakianer Grundlegend. Neues Land wurde entdeckt. Neue Kulturen. Zuerst friedlicher Absicht kommunizierten sie mit den neuen Menschen. Aber schnell packte Merakia die Habgier. Sie fingen an die neuen Länder auszurauben. Die Völker zu unterdrücken. Zu versklaven…“

„Ich denke das ist genug, Zero.“ Er unterbricht mich. Der Lehrer fühlt sich von mir angegriffen.

„Du verfügst über ein großes Wissen. Schön, dass dich Geschichte interessiert. Mal davon abgesehen war es nicht Merakia, das über die neuen Kulturen hergefallen ist, wie sittenlose Räuber. Die fremden Kulturen haben sich geweigert, ihr Land und ihre Rohstoffe zu teilen…“

„Dann hätte Merakia das akzeptieren müssen und sie gehen lassen. Stattdessen hat man alte Kulturen ausgerottet und ausgebäutet!“ Nun habe ich diesen Dickkopf unterbrochen.

„Zero, willst du mein Wissen etwa in frage stellen?“

„Wie käme ich denn dazu? Sie sind nicht objektiv genug. Dieses ganze Buch ist patriotisch!“

„Werd nicht frech, Freundchen!“ Gabriel flüstert mir zu ich solle lieber ruhig sein.

„Frech? Mit Disenion geht es doch so weiter wie es damals angefangen hat! Disenion würde das Metall an Merakia verkaufen. Stattdessen will Merakia es ausrauben! Und Sie unterstützen das! Das ist frech!“

Raus!“ Der Zorn. Dieses Unverständnis. Es grenze an ein Wunder könnte ich meinen Gesichtsausdruck in Worte fassen! Ich stehe auf und laufe dicht an ihm vorbei. Wütend verlasse ich den Saal.
 

Den Rest der Stunde verbringe ich auf dem Gang. Wie kann man nur so verständnislos sein? Es klingelt zum Stundenwechsel. Ich warte bis der Lehrer den Saal verlässt:

„Zero, das ist das letzte Mal gewesen, dass du meinen Unterricht in Frage stellst. Hast du mich verstanden?“

„Ich stelle nicht ihren Unterricht in Frage. Ich habe lediglich das Geschehen objektiv betrachtet. Wenn es sie so stört die Wahrheit zu hören ist dies wohl der falsche Beruf für sie.“ Ich wende mich ab ohne auf ein Gegenargument zu warten.

Gabriel schaut mich entsetzt an:

„Du hast eben ganz schön viel riskiert. Bei dem stellt sich jeder dumm, oder sagt das, was er hören will. Eigene Meinung ist Regelverstoß Nummer eins in seinem Unterricht.“

„Wenn du dich so behandeln lässt ist das deine Sache.“ Ich muss das gerade sagen. Ich, der sich von einem Menschen herumschubsen lässt, als sei ich sein Untertan.
 

Die nächsten Unterrichtsstunden verlaufen unspektakulär. Zur großen Pause schleppt mich Gabriel in einen Aufenthaltsraum. Dort lassen wir uns an einem der Tische nieder. Gabriel holt Schulbücher aus ihrer Tasche und beginnt bereits mit den Hausaufgaben. Ich blicke still durch den Raum. Es sitzen mehrere Schüler im Raum. Sie sprechen miteinander. Es lassen sich deutlich Gruppen erkennen. Mit mindestens zwei Mitgliedern. Da fällt einem Schnell die Person auf die allein an einem Tisch in der Ecke des Raumes sitzt. Er kommt mir bekannt vor. Dann fällt es mir wieder ein. Es ist der Junge, der in der Dusche gehänselt wurde. Es ist in meiner Klasse. Es schämt mich, dass ich ihn nicht bemerkt habe.
 

Ich stehe auf und gehe zu ihm. Gabriel schaut mir nach. Das merke ich. Ich setze mich zu ihm:

„Hallo.“ Der Junge erschreckt sich und schaut mich mit ängstlichen Augen an.

„Keine Angst. Ich will dich nicht ärgern. Ich kenne deinen Namen noch nicht.“ Er beruhigt sich:

„Eh, Samsa.“ Er weicht meinen Blicken aus. Sehr schüchtern.

„Ich bin Zero.“

„Ich weiß. Wir sind ja in einer Klasse…“

„Das ist mir peinlich, dass ich dich noch nicht bemerkt habe. Das ist nicht meine Art.“

„Schon gut. Hast mir dafür ja geholfen die Uniform zu trocknen.“

„Wie geht es dir?“

„So wie es einem Außenseiter halt so geht.“

„Magst du dich nicht zu mir und Gabriel setzen? Da bist du nicht allein.“

„Das ist keine gute Idee. Ich bleibe lieber hier sitzen.“

„Jetzt komm schon.“ Ich nehme ihn am Arm und ziehe ihn mit an den Tisch, an dem Gabriel und ich sitzen.

„Setze dich, Samsa.“

„D-danke.“ Mit gesenktem Kopf nimmt er neben mir Platz. Gabriel schaut erst Samsa, dann mich an. Sichtlich verwirrt.

„Stimmt etwas nicht, Gabriel?“ Ich weiß schon worauf sie aus ist.

„Du hast Samsa zu uns an den Tisch geholt.“

„Stört er dich?“ Gabriel zögert. Sie fühlt sich unwohl. Plötzlich packt sie ihre Schulsachen zusammen:

„Ach weißt du. Mir ist eingefallen, dass ich noch mit einem Lehrer reden wollte. Wir sehen uns zum Unterricht.“ Sehr schnell ist sie verschwunden. Ich habe nicht einmal die Gelegenheit gehabt in ihren Augen nach dem wahren Grund zu suchen.
 

Samsa entschuldigt sich bei mir und ist im begriff zu gehen. Ich halte ihn fest.

„Du bleibst jetzt bei mir. Ich weiß nicht was in Gabriel gefahren ist. Aber du störst mich nicht, Samsa.“

„Sie will nichts mit mir zu tun haben, damit sie nicht auch zum Opfer wird. Dir lauert Moktas Gruppe doch auch auf seit du mir geholfen hast, oder nicht?“ Er könnte Recht haben. Gabriel enttäuscht mich. Ich hätte nicht von ihr erwartet, dass sie so beeinflussbar ist.

„Das nehme ich in kauf. Ich mag es nicht, wenn andere ausgeschlossen werden. Wenn du Probleme hast, kannst du dich gern an mich wenden. Ich helfe dir gern und wo ich kann.“

Samsa der Einsame

Aus unerklärlichen Gründen haben wir täglich Sport. Also sitze ich mal wieder am Rand. Gabriel assistiert ihrer Lehrerin. So habe ich diesmal keinen an meiner Seite. Verträumt beobachte ich Gabriel. Ich frage mich warum sie Samsa gegenüber so unfair ist. Ich hoffe sie hat einen Grund.

Plötzlich trifft mich ein harter Schlag auf den Kopf. Meine Sinne lassen nach. Ich hab das Gefühl zu taumeln. Dann ein dumpfer Schmerz im ganzen Kopf. Ich höre hämisches Gelächter:

„Uuups. Da hab ich wohl eben nicht aufgepasst, haha“ Ich blicke hoch. Erkenne dieses Charakterschwein das sich Mokta nennt.

„Was schaust du denn so böse? Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich das mit Absicht getan habe?“ Sein grinsen verrät doch alles. Er nimmt den Ball wieder in die Hand. Dann wirft er ihn mir mit wucht entgegen. Er trifft mich hart:

Das war Absicht.“ Das wiederholt er.

„Und das auch.“ Er lacht. Seine Freunde lachen. Ich fühle mich gedemütigt. Das schmerzt schlimmer als der Ball. Das wiederholt sich noch einige male. Ich werde zornig. Zu meiner Überraschung fange ich den nächsten Ball. Hole mit ihm aus und schleudere ihn direkt in Moktas Gesicht. Der Ball trifft ihn so heftig, dass er umgeworfen wird. Ich wusste gar nicht, dass ich über solche physischen Kräfte verfüge. Ein angenehmes Erfolgserlebnis. Mokta jammert. Klagt über eine schmerzende Nase. Seine Freunde blicken mich erschocken an und rennen zum Lehrer. Einer hilft Mokta auf.
 

Moktas Nase blutet. Nach dem Erfolgsgefühl kommt die Panik. Alle kommen angerannt und schauen den Verletzten an. Mir werfen sie vorwurfsvolle Blicke zu. Dann kommt der Lehrer. Er sieht bei Mokta nach dem Rechten. Schickt ihn dann in Begleitung eines Schülers ins Krankenzimmer. Er wendet sich mir zu:

„Was war passiert, Zero?“ Sein Blick beschuldigt mich schon, trotz der objektiven Frage.

„Mokta hat mich absichtlich mit dem Ball beworfen. Sollte ich mir das etwa gefallen lassen?!“

„Das kann man auch mit weniger Gewalt lösen, Zero.“ In dem Punkt muss ich ihm Recht geben. Es war falsch ihn zu verletzen.

„Verzeihung.“ Ich verneige mich respektvoll vor dem Lehrer.

„Entschuldige dich bei Mokta, nicht bei mir.“ Mit diesen Worten wendet er sich von mir ab.

„Hört auf zu Gaffen und macht weiter!“
 

Noch immer schäme ich mich in Grund und Boden. Zu setzen traue ich mich nicht. Ich hoffe ich habe vor Gabriel nicht das Gesicht verloren. Jemand von den Jungen kommt auf mich zu. Ich hebe meinen Blick. Es ist Samsa. Mitleid entnehme ich seinen betrübten Augen. Vor mir bleibt er stehen:

„Es tut mir so Leid. Wäre ich nicht gewesen…“

„Es ist in Ordnung. Das habe ich dir gesagt. Oder nicht?“

„Ja…“ Er schweigt. Es liegt ihm etwas auf der Seele. Er verhält sich so. sehen kann ich es nicht. Er schaut zu Boden.

„Möchtest du mir etwas sagen?“ er schaut um sich.

„Na ja… ich wollte sagen… dass ich dich bewundere. Erst hilfst du mir ohne Angst vor denen zu haben und dann kannst du dich gegen sie durchsetzen…“ Er schaut mich dabei an. Er überrascht mich. Es ehrt mich.

„Naja… ich muss jetzt auch wieder…“ flüchtig geht er wieder zu den anderen.
 

In der Umkleide gesellt sich Samsa zu mir. Fragend Blicke ich ihn an.

„Bei dir fühle ich mich wohler…“ Seine Stimme klingt leise und beschämt.

„Das ehrt mich.“ Ich habe überlegt wie man Samsa mehr Selbstbewusstsein geben kann. Aber es ist sicher schwer für ihn. Probleme in der Familie kommen noch dazu.

Was ich mich frage. Er setzt sich neben mich und wartet. Noch immer hat er seine Sportklamotten an.

„Fehlt dir etwas, Samsa?“

„Nein. Ich warte nur.“ Er schaut vorsichtig zu den Klassenkameraden. Einige von ihnen schauen ehrfürchtig zu uns. Ob sie nun Angst vor mir haben?
 

Als nun auch der letzte gegangen ist fängt Samsa an sich umzukleiden. Darum ging es ihm also.

„Ich habe Angst vor meinem Vater. Er ist so oft schlecht gelaunt und ab und zu schmeißt er mich aus dem Haus. Er schlägt auch meine Mutter.“

„Es gibt nichts was du dagegen tun kannst?“ Es überrascht mich, dass er mir seine Sorgen erzählt.

„Ich traue mich nicht zum Vertrauenslehrer. Der hetzt meiner Familie doch gleich das Kinderschutzgericht auf den Hals.“

„Ist das denn schlimm?“

„Mein Vater reißt mir den Kopf ab, wenn ich jemandem davon erzähle…“

„Du kannst dich doch nicht deine Kindheit lang prügeln lassen. Eltern sind da um dir Zuneigung und Zuflucht zu geben. Willst du denn ewig unterdrückt werden?“ Er schweigt den Boden an.

„Samsa, hebe den Kopf. Im Himmel hast du mehr zu sehen.“

„Zero?“ Er schaut mich angsterfüllt an.

„Ja?“

„Würdest du mit mir zum Vertrauenslehrer gehen? Ich habe Angst allein.“

„Natürlich. Wann möchtest du zu ihm gehen?“

„Morgen in der Mittagspause.“

„In Ordnung.“ Er fällt mir in die Arme. Beginnt zu weinen. Fürsorglich lege ich meine Arme um den Jungen. Er tut mir so unglaublich Leid. Wie kann es nur solche Eltern geben?

„Ich habe keine Freunde… nur weil Mokta und seine Freunde mich tyrannisieren… Ich traue mich morgens nicht zur Schule und abends nicht nach Hause… meine Mutter ignoriert mich mittlerweile auch nur noch… Keiner will etwas mit mir zu tun haben… ich darf keine schlechten Noten mit nach Hause bringen… aber lernen kann ich nicht wenn mich mein Vater fast täglich schlägt…“ Er schluchzt unaufhörlich.

„Ich werde versuchen Mokta und sein Anhängsel zur Vernunft zu bringen. Morgen gehen wir auch zum Vertrauenslehrer und kümmern uns um die Probleme mit deinem Vater."
 

Er beruhigt sich langsam. Samsa weint nicht mehr. Schluchzt aber noch immer. Ich höre Schritte. Da steht auch schon Gabriel in der Tür:

“Zero, wo bleibst du so lange? Wir wollten in die Stadt.“ Noch während sie spricht verändert sich ihr Gesichtsausdruck beim Anblick von Samsa.

„Ich habe Samsa getröstet. Ist das etwa ein Fehler?“

„Durch ihn gerätst du noch in große Schwierigkeiten.“ Mit einer Geste bitte ich Samsa sich an die Seite zu setzen. Ich stehe auf und gehe auf Gabriel zu:

„Was hast du gegen Samsa?“

„Ich mag ihn nicht. Reicht doch.“ Ihr Ton spitzt sich unangenehm.

„Warum? Grundlos akzeptiere ich das nicht.“ Sie weicht meinem Blick aus.

„Ich muss nicht jeden mögen…“ Ich packe sie an beiden Oberarmen:

„Gabriel! Was stört dich an ihm?“ Sie schaut mich erschrocken an. Sie fühlt sich bedrängt. Aber es ist wichtig für mich.

„Ich will wegen ihm nicht auch zum Opfer werden, okay? Mokta freut sich doch über jeden neuen Schüler den er piesacken kann! Meinst du etwa ich bin scharf drauf?!“

„Du strotzt doch vor Selbstvertrauen. Warum hast du trotzdem so eine Angst? Als Klasse sollte man zusammenhalten. Nicht andere ausschließen. Du enttäuschst mich. Willst du mich jetzt auch nicht mehr kennen nur weil ich Samsas Freund bin? Du hast doch vorhin mitbekommen was Mokta mit mir gemacht hat. Dann sage du mir jetzt ins Gesicht, dass du mich nicht leiden kannst!“ Sie schubst mich.

„Du bist etwas ganz anderes!“ Sie will wegrennen. Aber ich halte sie fest. Nehme sie in meinen Arm.

„Ich verurteile keinen. Ich verstehe das alles nur nicht.“
 

Samsa kommt auf uns zu. Seine Sachen in den Händen. Bereit zu gehen.

„Ich will deine Freundschaft mit Gabriel nicht aufs spiel setzen, Zero.“

„Das tust du nicht, Samsa. Du und ich werden morgen zum Vertrauenslehrer gehen. Gabriel. Du sagst ihm jetzt auf Wiedersehen und bis morgen.“ Sie schaut mich entsetzt an.

„Das ist nicht nötig. Ich erwarte nichts von ihr.“ Ich halte ihn fest.

„Ihr vertragt euch jetzt! Ihr müsst keine Freundschaft schließen. Aber akzeptiert euch wenigstens.“ Gabriel wird einsichtig. Sie wendet sich Samsa zu:

„Es tut mir Leid. Ich hätte nicht so feige sein dürfen.“

„Ist okay. Du hast mir ja auch nie etwas gemacht. Also bis morgen, Zero und Gabriel.“

„Tschüss...“

„Samsa, habe mehr Selbstvertrauen. Dann schaffst du alles.“ Ich streichle ihm zum Abschied über die Schulter und schenke ihm ein freundschaftliches Lächeln. Dank entnehme ich seinen Augen. Auch er lächelt und verlässt die Umkleide.
 

Gabriel steht da als wäre sie bei einer Untat erwischt worden. Ich habe in gewisser Hinsicht Verständnis für sie. Aber nicht, dass sie Menschen deshalb ausgrenzt.

„Ich hoffe du hast heute etwas dazu gelernt, Gabriel.“ Ich habe auf jeden Fall gelernt, dass auch Menschen, die von Grund auf eine freundliche Seele haben, nicht immer gerecht sind.

„Ich habe ihn dafür ja in Ruhe gelassen.“

„Dass ist keine Entschuldigung.“ Jeder Mensch macht Fehler. Der eine mehr. Der andere weniger. Man kann Menschen nicht unterscheiden. Keine Seele gleicht der anderen.
 

Gabriel und ich machen uns auf den Weg in die Stadt. Die Schule liegt am Rande der Stadt. Das ist zum Lernen besser.

Ich mache mir Sorgen um Samsa. Ob sein Vater ihn heute wieder schlagen wird? Am liebsten hätte ich ihn nicht nach Hause gehen lassen. Ich hätte ihn mitnehmen sollen. Aber ob es Gabriel gefallen hätte?

„Vielleicht kann ich ihn ja näher kennen lernen. Nett ist er bestimmt. Irgendwie.“ Gabriels Entscheidung überrascht mich. Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie ihn doch näher kennen lernen mag.

„Es wird ihn sicher freuen.“ Hoffe ich doch.

Gemeinsam sein

Gabriel führt mich ins Bling-Bling-Viertel. Dort scheinen nicht nur ekelhafte Lichter. Es ist laut. Sehr laut. Alle sprechen laut um sich gegenseitig zu übertönen. Alle laufen schnell. Drängeln. Schupsen. Gabriel nimmt mich bei der Hand. Zu recht. Denn ich tue mich schwer gegen den Strom anzukämpfen. Wir betreten ein Gebäude. Es ist das gleiche, welches ich den Tag zuvor besucht habe. Das muss wohl ein Knotenpunkt für alles sein.

„So. Da wären wir im Herzstück des Einkaufsviertels. Die Mall. Hier gibt’s alles.“ Wenn sie das hier unter ‚Stadt’ versteht…? Als ob sie meine Gedanken gehört hätte spricht sie:

„Ich wollte dir eigentlich die Stadt zeigen. Aber Es ist zu kalt. Bei minus siebzehn Grad würden wir festfrieren. Im Sommer wirkt die Stadt auch viel freundlicher. Also gehen wir uns jetzt amüsieren.“ Sie läuft los. Bittet mich, ihr zu folgen. Zielstrebig läuft sie. Hält auf ein Geschäft zu. Darüber steht ‚Spielewelt’. Ich weiß nicht was es ist.
 

Beim Betreten kommt mir ein unheimlicher Lärm entgegen.

„Ich hoffe du spielst Videospiele. Weil ich dich unbedingt bei ein paar Spielen herausfordern möchte.“ Es fällt mir schwer sie zu verstehen. Aber Computerspiele? Sie schleppt mich durch den Laden. Zugegebener Weise wider meinen Willen. Aber es interessiert mich doch ein wenig. Vor einem großen Bildschirm bleibt sie stehen. Ich bemerke dass hier hauptsächlich nur junge Menschen sind. Schüler. Teilweise noch in ihren Uniformen. Gebannt schauen… nein starren sie auf die bunt flimmernden Bildschirme. Ich beobachte einen Jungen dabei. Sein Blick ist leer. Er ist vollkommen in diesem Spiel versunken. Er hört sicher nichts um sich rum. All sein Leben ist aus den Augen erloschen. Es gruselt mich.
 

Ich werde angetippt. Gabriel schaut mich an:

„Hast du mir zugehört? Ich habe dich etwas gefragt.“

„Entschuldige. Ich war in Gedanken. Es ist so laut hier. Bitte wiederhole dich noch einmal.“ Sie schaut höflich mahnend.

„Hast du ‚Speed Drive 2’ schon einmal gespielt?“

„Ich habe noch nie davon gehört.“

„Was? Das ist ein weltbekanntes Spiel. Das muss man mindestens einmal gespielt haben. Der Suchtfaktor ist garantiert. Komm. Wir fahren mal gegeneinander.“ Ich weiß nicht wovon sie spricht. Aber habe ich eine Wahl? So setze ich mich in den Stuhl. Na wenigstens ist dieser bequem. Vor mir ist ein Lenkrad. Am Boden Befinden sich Pedale. Gabriel sitzt neben mir. Erklärt mir jedes Instrument. Auch dass die Sitze sich zu den Bewegungen im Spiel bewegen und diese unter umständen sehr heftig sein können. Das beruhig mich…
 

Gabriel setzt sich den Helm auf. Also setze ich meinen auch auf. Ein Bildschirm erscheint. Gabriel spricht durch den Helm mit mir. So wie im Labor. Sie erklärt mir welche Fahrzeuge gut sind. Geschwindigkeit. Beschleunigung. Handlung.

„Ich habe uns zwei Fahrten gekauft. Weil du eine zum einfahren brauchst. Also, such dir ein Auto aus. Ach ja! Schnall dich an.“ Damit meint sie wohl die Gurte neben mir.

Mit einem Knopf am Lenkrad wechsle ich die Fahrzeuge. Eines Gefällt mir sehr gut. Vom aussehen. Es lässt sich schwer handhaben. Aber es ist schnell. Ich wähle es. Plötzlich befinde ich mich im Cockpit. Ich kann um mich schauen. Sehe zur linken Gabriel in einem Auto sitzen. Sie winkt mir zu. Alles wirkt real. Ich mag es nicht, wenn meine Sinne getäuscht werden.

„Achte auf die Straße, Zero.“ Sie fährt mit quietschenden Reifen voraus. Ich gehe auf das Gaspedal. Sehr unsicher. Aber mein Fahrzeug schnellt los. Ich habe es nur schwer unter Kontrolle. Die Bewegungen werden eins zu eins auf den Sitz übertragen. Ich kollidiere plötzlich mit einem frei fahrenden Auto. Die Wucht schleudert mich nach vorn. Jetzt zeigen die Gurte ihre Wirkung.

Ich sollte langsam Gas geben.
 

„Zero, wo bleibst du denn?“

„Ich habe Probleme. Ich habe so etwas noch nie gemacht.“ Mein Auto ist bei durchgedrücktem Pedal so schnell, dass es schwer ist Autos auszuweichen. Oder Kurven zu meistern. Ständig fahre ich gegen Wände oder stoße mit anderen Fahrzeugen zusammen. Aber in der dritten Runde habe ich mein Auto unter Kontrolle. So langsam fange ich an Spaß zu empfinden. Fünf runden gilt es zu fahren. Die zwei runden bin ich so gut gefahren, dass ich Gabriel eingeholt habe. Dicht fahre ich hinter ihr her. Aber zum überholen hat es nicht mehr gereicht. Das rennen ist zu Ende.

„Komm, Zero! Noch einmal!“ Gabriel hat hörbar Spaß. Also beginnen wir die nächste Runde. Ich habe ein überragendes Gefühl bei meinem Start. Es gleicht dem wenn ich Fliege. Ich fahre ihr davon. So dass sie nicht einmal mehr im Rückspiegel zu sehen ist. Konzentriert weiche ich den Autos aus. Fahre spektakuläre Kurven. Schließlich gewinne ich. Ich habe sage und schreibe acht Sekunden Vorsprung.
 

„Das hast du gut gemacht, Zero. Das du so schnell so gut bist ist überraschend. Aber war bei den Mathehausaufgaben ja auch schon so.“ Sie lacht. Freut sich für mich. Ich muss Lächeln. Das habe ich nicht unter Kontrolle. Es überfällt mich einfach. Als wir ausgestiegen sind will Gabriel mich zum nächsten schleppen. Aber ich halte sie fest:

„Bitte. Ich bin müde. Können wir das ein anderes Mal machen und uns erst einmal irgendwo hinsetzen wo es ruhig ist?“ Sie schaut mich leicht enttäuscht an. Aber sie ist einsichtig:

„Okay. Ich hab auch Hunger. Komm mit.“ Sie lächelt mich wieder lieblich an. Gabriel läuft voran. Ich folge ihr.
 

Wir betreten ein Restaurant. Es nennt sich ‚Minasko’. Es wirbt mit dem Spruch ‚Schneller isst besser’. Gabriel bestellt sich an einer Theke ein Menü. Sie nimmt es in Empfang. Dreht sich um und sucht nach einem Platz.

„Hast du keinen Hunger, Zero?“

„Nein. Ich esse nicht viel.“ Sie mustert mich.

„Das sehe ich.“ Verwirrt blicke ich an mir herunter. Was meint sie damit? Gabriel setzt sich an einen Tisch von wo aus man gut die Menschen im Restaurant beobachten kann. Und die, die am Restaurant vorbeilaufen.
 

Jeder Besucher hat mindestens eine Einkaufstasche unter dem Tisch stehen. Gabriel packt ein belegtes Brötchen aus Papier. Es sieht interessant aus. Es ärgert mich bei dem Anblick ein wenig, dass ich nicht essen kann. Ich sitze vor Gabriel. Beobachte sie interessiert beim Essen. Sie merkt dies schnell:

„Was ist denn, Zero? Du schaust ja gerade so als hättest du noch nie jemanden essen sehen.“ Ich muss auf ihre Aussage leicht schmunzeln. Ich wusste gar nicht, dass ich so durchschaubar bin.

„Ich habe so etwas nur noch nie gegessen.“

„Echt? Sag mal. Hast du überhaupt schon mal irgendetwas gemacht? Minasko ist der beliebteste Schnellimbiss auf der Welt. Und lecker ist es auch. Hier probier doch mal.“ Sie hält mir ihr belegtes Brötchen entgegen. Ich lehne dankend ab. Trotz des Krieges scheint die Welt in Vielem doch sehr globalisiert zu sein. Erstaunlich.
 

Wieder bemerke ich wie eine Gruppe Mädchen zu uns rüberstarrt. Sie sind ebenfalls am essen. Sie giften Gabriel mit ihren Blicken an. Eifersucht. Ich scheine anziehend auf das weibliche Geschlecht zu wirken. Ich erkenne dass sie von unserer Schule sind.

„Ignorier die. Die sind aus der B-Klasse. Die können mich nicht leiden.“ Sie isst weiter wie gehabt.

„Warum mögen sie dich nicht?“ Sie Zuckt mit den Schultern

„Mir ist das egal. Ich denk gar nicht erst darüber nach.“

Sie hat fertig gegessen. Trinkt einen Schluck aus ihrem Becher.

„Ich weiß nur, dass sie versuchen mir jede Freundin und jeden Freund wegzunehmen den ich habe und bekomme. Ich habe auch schon Freunde wegen diesen dummen Kühen verloren. Aber das waren keine guten freunde. Denn sie haben sich ausspannen lassen.“ Sie schaut mich dabei an. Dadurch erkenne ich dass sie darüber steht.
 

Gabriel schaut auf die Uhr:

„Oh je. Schon so spät? Ich muss so langsam nach Hause. Und wir haben so viel Hausaufgaben auf.“ Sie steht auf. Nimmt das Tablett und stellt es in einen Wagen, worin schon andere Tabletts stehen. Wir wollen gerade das Restaurant verlassen, da werden wir von hinten Überrascht. Es sind die Mädchen von vorhin:

„Hallo Gabriel.“ Schon bei ihrem Unterton gefriert einem das Blut in den Adern.

„Was willst du von mir.“ Sie dreht sich gereizt zu den anderen um.

„Willst du uns nicht deinen neuen Freund vorstellen? Er ist ja auch neu auf unserer Schule. Nicht wahr?“ Die Fremde blickt mich grinsend an. Ihre Seele ist hässlich. So etwas sage ich normal nicht.

„Ihr müsst nicht mit jedem Bekanntschaft machen. Also lass uns in Ruhe.“ Gabriel nimmt mich bei der Hand.

„Komm, wir gehen.“

„Warum so egoistisch? Nie möchtest du deine Freunde mit uns teilen.“ Dann schaut sie mich an. Versucht mir wohl schöne Augen zu machen.

„Na, wie heißt du, süßer?“ Ich antworte ihr nicht. Gabriel und ich machen uns auf den Heimweg.
 

Auf dem ganzen Weg hält sie fest meine Hand. Läuft dicht an mir. Schweigt aber. Es muss sie wohl ziemlich mitgenommen haben. An einer Kreuzung bleibt Gabriel stehen:

„Ab hier trennen sich unsere Wege.“ Sie schaut mich betrübt an. Gabriel hat Angst mich zu verlieren.

„Ich möchte dich nach Hause begleiten, Gabriel.“ Ein Auto fährt an uns vorbei. Plötzlich schaut sie mich erschrocken und verwirrt zugleich an. Habe ich etwa etwas Falsches gesagt?

„Was hast du, Gabriel?“ Sie schüttelt den Kopf und lächelt.

„Nichts. Ich dachte nur eben ich hätte Flügel an dir gesehen. Muss wohl Nebel gewesen sein, der im Scheinwerferlicht geschimmert hat.“ Ein Plötzlicher Stich in meine Brust. Flügel? Habe ich für einen Moment etwa nicht auf meine Illusion geachtet? Es macht mich nervös. Gabriel umarmt mich. Was ist nur mit mir los? Erst werde ich unvorsichtig und jetzt ein Kribbeln in meiner Brust. Ich erwidere ihre Umarmung. Ich will sie nicht mehr loslassen. Sie lässt auch nicht los. Ich kann mein Glück kaum fassen. Noch nie habe ich mich derart wohl gefühlt. Oh Zeit bleibe stehen. Lasse diesen Moment niemals vorüber gehen.
 

Zögerlich lässt Gabriel von mir ab. Sie schenkt mir ihr beseeltestes Lächeln, dass sie hat:

„Der Abend war so schön mit dir. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“ Mich überkommt ein Lächeln. Sie beschämt mich. Sodass ich ihr nicht mal mehr in die Augen sehen kann.

„Mir hat es auch Spaß gemacht.“

„Bis Morgen.“ Sie flüstert schon fast. Ich nicke. Noch immer lächelnd.

„Bis Morgen.“

Da geht Gabriel dahin. Ich möchte sie nicht gehen lassen. Sehnsucht kommt auf. Ich blicke ihr nach. Bis sie um die Ecke gebogen ist.

Es geht um Leben und Tod

Noch bevor ich Mykes Haus betreten konnte, hat mich der Professor abgefangen. Mit ins Labor geschleppt. Auf den Stuhl des Vergessens gezwungen. Und zu guter letzt einige Untersuchungen durchgeführt. Ich wollte eigentlich schlafen. Aber die Wissenschaftler haben mich die ganze Nacht gedrillt.

Die Nacht war zu kurz. Obwohl sie mir so lang vorkam.
 

Müde steige ich aus dem schwarzen Auto. Schleppe mich mit schweren Beinen ins Schulgebäude. Ich hasse den Winter. Ich betrete das Klassenzimmer. Gabriels Lächeln wird schnell von Sorgen verdrängt. Ich suche Samsa. Er sitzt noch nicht auf seinem Platz. Moktas Tisch ist ebenso leer. Seine Freunde sitzen zusammen und erzählen. Ich habe ein ungutes Gefühl. Weiß nur nicht ob ich es Mokta oder Samsa zuordnen soll. Gabriel schaut mich besorgt an. Während ich mich in meinen Stuhl sinken lasse:

„Geht es dir gut, Zero? Du siehst müde aus.“

„Die Nacht war lang. Mir geht’s gut. Danke der Nachfrage.“
 

Der Unterricht beginnt. Weder Mokta noch Samsa betreten den Saal. Unser Klassenlehrer ist auch ungewöhnlich spät. Einigen fällt es auf. Das Unwohle Gefühl in mir wird stärker. Ich habe auch keinen Lehrer auf dem Gang vorbeilaufen sehen. Die Schüler sitzen schon auf ihren Plätzen. Sie bemerken auch, dass etwas anders ist.

Wir hören Schritte. Alles wird leise. Menschen scheinen zu fühlen, wenn etwas passiert ist. Eine Art Instinkt.
 

Der Klassenlehrer tritt ein. Sein Gesicht – kreidebleich. Manche flüstern besorgt. Der Lehrer wirkt apathisch. Blickt auf Moktas Platz. Zu Moktas Freunden. Dann in die Klasse. Wir stehen auf zum Begrüßungsappell. Aber der bleibt aus. Er bittet uns zu setzen. Wieder schweigt er. Ich kann von meinem Platz aus nicht gut in seine Seele blicken. Aber er muss mit den Tränen kämpfen. Ich bin ja in der Hoffnung, dass nicht Samsa das Problem ist.
 

Der Lehrer fasst sich:

„Ich muss euch mitteilen… das Mokta gestern gestorben ist.“ Ein starker Blitz durchfährt meinen Körper. Und scheinbar auch der, der anderen. Nach der zerreisenden Stille folgt ein schmerzhaftes Stöhnen. Keiner will es glauben. Alle blicken sie zum Leeren Tisch in der Mitte des Saals.

Ich erinnere mich an gestern. Den Konflikt am Morgen. Sehe den Schmerz in seinen Augen plötzlich ganz anders. Diese Angst, die ihn dazu treibt anderen Schmerz zu zufügen. Ich habe ihm im Sportunterricht Schmerzen zugefügt. Habe ich ihm das angetan?

„Er hat Selbstmord begangen.“ Selbstmord… was habe ich getan? Ich hätte gut auf ihn einreden sollen… genauso wie ich Samsa geholfen habe. Was habe ich nur getan?
 

Ich fühle Schuld. Es Schmerzt so unerträglich. Ich wollte ihn doch nicht in den hoffnungslosen Tod stürzen… Tränen rinnen mir über die Wangen. Meine Sicht verschwimmt. Ich Ekel mich vor mir selbst. Bestürzt stehe ich auf und verlasse den Klassensaal. Ich ertrage diese Schuld nicht. Ich renne auf den verschneiten Schulhof. Der Schnee ist zu hoch. Ich stolpere und falle auf die Knie.

Ich breche in Tränen aus. Immer wenn ich die Augen schließe sehe ich Moktas leidenden Blick vor meinen Augen. Ich stoße Töne aus. Total unkontrolliert. Ich lege meine Arme eng um meinen Oberkörper.
 

Plötzlich fühle ich, wie mich jemand von hinten umarmt. Ihre sanfte Stimme, die mir ins Ohr flüstert:

„Beruhige dich. Bitte weine nicht.“ Gabriel wiegt mich sanft hin und her. Auch sie hat die Mitteilung tief getroffen.

„Es tut mir so Leid…“ Ich gluckse und schluchze unaufhörlich.

„Ich wollte ihn doch nicht dazu bringen. Er sollte doch nur mit dem Ärgern aufhören…“

„Du bist nicht daran schuld. Er hat das selbst entschieden, Zero.“ Sie streichelt mir durchs Haar. Hält mich weiterhin fest in ihren Armen. Es beruhigt mich. Die Schuldgefühle sind noch immer da. Aber ich weine nicht mehr.
 

„Komm, wir gehen rein. Sonst frieren wir noch am Boden fest.“ Sie steht auf. Zusammen gehen wir zurück in die Klasse. Warum bringen sich Menschen selbst um? Was hat das für einen Sinn? Flucht? Verzweiflung? Meinen sie, es sei eine Lösung für die Probleme? Feigheit. Und überhaupt keinen Drang seine Spezies zu erhalten. Wobei die Menschen sich vermehren wie Viren.

Der Rest der Stunde verläuft nur sehr schleppend. Keiner kann sich so wirklich konzentrieren. Gabriel wirkt erschöpft. Ich lege meinen Kopf auf den Tisch. Er ist schwer.
 

Ich schrecke auf, als es zum Stundenwechsel läutet. Jetzt bin ich doch tatsächlich eingeschlafen. keiner hat mich geweckt…

Samsa steht plötzlich in der Tür. Er winkt mich zu ihm. Ich gehe zu sich. Wenigstens lebt er noch:

„Samsa, wo warst du?“

„Ich habe so Angst… ich habe die ganze Zeit in der nähe der Schule verharrt… Was wenn mir nicht geholfen wird?“ Ich sehe die Panik in seinen Augen. Besser, ich sage ihm für das Erste nicht, dass Mokta tot ist. Tröstend nehme ich ihn in den Arm.

„Bleibe ruhig. Ich werde dafür sorgen, dass dir geholfen wird. Hat dein Vater dich gestern geschlagen?“ Den letzten Satz flüstere ich. Es muss ja nicht jeder erfahren, was bei ihm Zuhause vor sich geht.

„Na ja… ja.“ Gabriel steht hinter mir:

„Was macht ihr hier draußen?“ Ich drehe mich zu ihr um. Sie wirkt skeptisch.

„Samsa geht es nicht gut. Ich werde mit ihm zum Schularzt gehen.“

„Er war die erste Stunde schon nicht hier. Warum bist du dann doch gekommen, Samsa?“ Samsa zögert. Zu Recht. Gabriel klingt, als würde sie ihm einen Vorwurf machen.

„Gabriel, das tut wohl nichts zur Sache. Entschuldige uns bitte.“ Ich drücke Samsa vorsichtig vor mir her.
 

Vor der Tür des Schulpsychologen bleiben wir stehen.

„Wie fühlst du dich, Samsa?“ Sein Blick ist fest an den Boden gefesselt.

„Angst…“ Panik würde es wohl eher treffen. Ich fühle mit ihm. Zur Unterstützung lege ich meine Hand auf seine Schulter:

„Bereit?“ Er schüttelt den Kopf. Aber irgendwann muss ein Anfang gemacht werden. Also klopfe ich an die Tür. ‚Herein’ sind die Worte. Ich öffne die Tür. Ich muss Samsa in den Raum schieben. Hinter uns schließe ich die Tür. Ich blicke den Mann an. Er schaut erst mich sehr verwundert an. Dann Samsa.

„Entschuldigt uns die Störung, Herr Denville. Aber es gibt ein Problem, worüber wir mit ihnen sprechen möchten.“

„Setzt euch doch bitte.“ Ich nicke ihm zu. Er scheint das ‚Problem’ schon zu ahnen. Samsa bleibt wie angewurzelt stehen. Klammert sich verzweifelt an der Tasche fest.

„So setze dich doch, Samsa. Was auch passiert; ich bin bei dir und unterstütze dich.“ Ich flüstere ihm zu. Darauf setzt er sich.
 

Ganz gezielt schaut er Samsa an.

„Wie ist dein Name?“

„Samsa…. Windling…“ Er tut sich schwer zu sprechen. Der Mann notiert sich den Namen. Schaut dann mich an. Ich hebe ablehnend die Hand:

„Um mich geht es hier nicht. Ich bin nur zur Unterstützung hier.“

„Okay.“ Sagt er mir ins Gesicht. Wendet sich Samsa zu.

„Was liegt dir auf dem Herzen, Samsa.“ Der Mann fasziniert mich auf eine gewisse Art und Weise. Es kommt mir vor, als könne Samsa nicht richtig Luft holen. Ich hoffe es ist nichts Ernstes. Ich nehme Samsas Hand und streichle sie sorgsam.

„Ich bin bei dir, Samsa.“ Der Mann schaut mich kurz an, als würde er es nicht verstehen. Dann traut sich der Junge endlich:

„Also… ich… … Wissen sie…“ Er drückt fest meine Hand. Sie ist kalt und zittert.

„Zu… Zuhause… mein Vater… er… sch... schlägt mich… ab und zu…“ Ich schaue den Mann an. Dieser hebt den Kopf. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen. Aber seine Gefühle überschlagen sich.

„Wie oft? Täglich? Oder nur in bestimmten Zuständen oder Situationen.“ Selbstbeherrschung und innerer Abstand ist erforderlich. Es ist anstrengend für ihn. Denville schaut mich an. Bemerkt meinen tiefen Blick. Als ob er entlarvt wurde.

„Nicht täglich… aber fast. Er ist oft schlecht gelaunt. Geht nach der Arbeit immer erst in ein Lokal. Und danach lässt er seinen Frust meistens erst an der Mutter und dann an mir aus…“ bei Samsa scheint das Eis fast gebrochen zu sein. Wieder blicke ich ihm in die Seele. Reines Chaos. Und nebenbei scheint mein Verhalten ihn zu beunruhigen.

„Schlägt er gezielt auf Stellen an denen man es nicht sieht?“

„Ich… weiß nicht… Meistens… mit der Faust auf die Brust und Bauch…“ Er wird leiser. Imitiert mit seiner freien Hand die Schläge.

„Wenn ich am Boden liege tritt er mich… manchmal würgt er mich auch… schlägt mit harten Sachen…“ Denville notiert sich einiges. Beobachtet gleichzeitig Samsas verhalten.

„Und deine Mutter? Wie schlägt er sie?“ bei dieser Frage schaut er unauffällig zu mir. Aber mein unveränderter Blick und unveränderte Position bringt ihn dazu schnell wieder zu Samsa zu blicken. Samsa schweigt. Sein Griff wird noch kräftiger. Es schmerzt schon fast. Denville verändert seine Position. Lehnt sich auf die Tischkante:

„Vergeht er sich an ihr?“ Das war sehr direkt von ihm. Und wenn es stimmen sollte, müsste Samsa tief getroffen sein. Er senkt den Kopf. Bricht in tränen aus. Dem Mann werfe ich einen giftigen Blick zu. Ich lege meinen Arm um Samsa und drücke ihn an mich.

„Verstehe.“ Sagt der Mann getroffen. Ich übernehme das Sprechen für Samsa:

„Er wird auch in der Schule geärgert. Mokta und seine Freunde haben ihm immer wieder böses getan. Seine Zensuren leiden unter dem Stress in der Schule und Daheim.“ Er schaut mich mahnend an:

„Sollte nicht lieber Samsa sagen, was ihn bedrückt?“ Ich neige bittend den Kopf:

„Er ist aber momentan nicht mehr in der Lage zu sprechen, Herr Denville. Und das musste auch gesagt werden.“ Der Mann seufzt leise und tief.

„Samsa. Hat du schon einmal Selbstmordgedanken gehabt?“ Selbstmord sagt er. Unwillkürlich muss ich an Mokta denken. Er nickt. Das trifft mich. Jetzt muss ich mit meinen Gefühlen kämpfen wie noch nie zuvor.

„Und schon einmal probiert? Fügst du dir selbst körperliche schmerzen zu?“ Erneut bricht er in Tränen aus. Drückt sich fest an mich und nickt.

„Beides?“ Wieder nickt er. Ich halte ihn fest. Vielleicht auch um meine Unruhe in den Griff zu bekommen. Dass es wirklich so schlimm um Samsa steht, wusste ich nicht.

„Wo?“ Er deutet auf die Innenseite seiner Oberarme und Oberschenkel.

„Nun gut…“ Er nimmt einen Gegenstand in die Hand. Er tippt auf Tasten und hält es sich ans Ohr.

Auch dieser Tag vergeht

„Ja, guten Tag. Herr Denville von der Mittelschule Yeron am Apparat. Ich habe hier einen Jungen, der schnellstmöglich in einer Pflegefamilie untergebracht werden müsste.“ Kurz ist Stille. Er spricht mit einem Gerät?

„Schwerer Fall von Misshandlung.“ Wieder Ruhe. Nur das Schluchzen von Samsa.

„Der Ehemann vergeht sich an der Mutter. Kommt auch scheinbar oft im alkoholisiertem Zustand nach Hause.“ Denville nimmt den Gegenstand vom Ohr.

„Wo wohnst du, Samsa?“ Panisch schreckt er auf:

„Nein, bitte! Geht nicht zu mir nach Hause… Vater wird mich schlagen dafür… bitte.“

„Samsa, es geht um deine Sicherheit! Und die deiner Mutter.“

„…Waldstraße hundertsechzig…“ Wieder hält er sich den Gegenstand ans Ohr.

„Waldstraße Hundertsechzig.“ Wieder wendet er sich Samsa zu:

„Ist momentan jemand bei dir Zuhause?“

„Mutter…“

„Und wann kommt dein Vater heut nach Hause?“

„Abends… neun oder zehn Uhr.“ Das wiederholt der Mann alles am Gerät.

„Ja. Gut. Okay. Bis dann.“ Er legt den Gegenstand zurück auf das dazugehörige Teil. Du wirst von einem Beamten abgeholt. Zusammen werdet ihr die wichtigsten Sachen von deinem Zuhause holen und dann wirst du in eine Pflegefamilie gebracht.“
 

Samsa schweigt. Er lässt mich nicht los. Denville schaut mich prüfend an. Ich entgegne ihm mit meiner kalten Seite. Er soll sich an mir die Zähne ausbeißen.

„Deinen Namen würde ich aber trotzdem gern erfahren.“

„Zero.“ Ihm scheint etwas klar zu werden.

„Du bist der neue Schüler, der ganzschön für Aufregung sorgt.“ Aufregung? Wenn man mich ärgert oder mir seine Meinung aufzwingen will, werde ich direkt.

„Gut möglich.“ Er beobachtet mich. Ich verwirre ihn.

„Nimmst du Rauschmittel, Zero?“

„Nein.“ Er versucht einen Grund für mein unmenschliches Verhalten zu finden. Wie traurig.

„Du sprichst auch nur so viel wie nötig.“

„Reicht doch.“ Warum viel reden, wenn es in wenigen Worten gesagt ist.

„Du hattest auch Probleme mit Mokta, stimmts?“

„Nein. Nur kleine Reibereien.“ Versucht er irgendetwas aus mir herauszubekommen?

„Und gestern im Sportunterricht? Das war doch schon eine etwas größere Reiberei.“

„Ich habe den Konflikt auf meine Art gelöst. Finden sie nicht auch, dass meine Angelegenheiten für sie nicht von Bedeutung sind?“ Er schweigt. Fühlt sich schon fast angegriffen. Vielleicht habe ich mich zu förmlich ausgedrückt, für einen normalen Jugendlichen.
 

Es klopft an der Tür. Denville bittet herein. Ein Mann betritt den Raum. Er stellt sich als Herrn Soref vor:

„Ich bin vom Kinderschutzgericht und soll einen Jungen abholen.“

„Ja. Genau. Samsa Windling.“ Ich blicke den Fremden skeptisch an. Samsa hebt den Kopf und schaut auch zum Fremden.

„Komm, Samsa. Du brauchst keine Angst haben. Bei uns bist du vor jedem sicher.“ Alles nur Worte.

„Ich will, dass Zero mitkommt.“ Denville antwortet, als hätte er auf diese Frage gewartet.

„Das geht nicht, Samsa.“

„Warum nicht?“ frage ich ihn prompt.

„Es ist nun mal nicht möglich, Zero.“ Ich schaue Samsa an. Samsa schaut mir auf die Hand. Soref drängt:

„Na komm, Samsa. Unten wartet noch eine Frau im Wagen. Wir beschützen dich.“

„Ich entschuldige dich für diesen Tag, Samsa.“ Denville füllt einen Zettel aus. Ich stehe auf. Nehme Samsa bei der Hand und gehe auf Soref zu.

„Danke für ihre Hilfe, Herr Denville.“ Wir verlassen den Raum. Dann das Schulgebäude.
 

Am Auto bleiben wir stehen.

„Gehst du mit mir?“ Samsa schaut zu mir hoch. Erst erwidere ich seinen Blick. Dann prüfe ich die Reaktion von Soref.

„Er ist bei uns in guten Händen.“ Mein Blick sinkt zu Samsa.

„Ich darf nicht.“ Es tut mir in der Seele weh. Aber ich kann mich nicht einfach gegen die Vorschriften stellen. Enttäuscht lässt Samsa den Kopf sinken. Ich hebe ihn wieder an:

„Alles wird gut, Samsa. Du hast den ersten Schritt gemeistert. Ab jetzt geht es wieder Berg auf. Ich werde immer für dich da sein. Auch wenn wir gerade nicht zusammen sind. Sollte dein Vater noch ein Mal seine schmutzigen Hände an dich legen. Dann werde ich ihn persönlich den Kopf abschlagen.“ Ich streichle ihm behutsam über den Kopf. Ich wende mich dem Fremden zu:

„Ihr werdet euch hüten, ihn in eine Klinik zu verweisen. Ambulant reicht vollkommen aus. Samsa braucht Freiheit. Und die hat man in einer Klinik nicht. Samsa wird sich dagegen wehren.“ Er nickt. Bittet Samsa sich ins Auto zu setzen. Ich lächle Samsa an. Und schaue dem Auto nach, bis es nicht mehr zu sehen ist.
 

Es beginnt zu schneien. Ich stehe noch lange am Straßenrand. Ich versuche gegen mein Mitleid zu kämpfen. Ich weiß nicht wie lange ich hier stehe. Aber ich habe auf jeden Fall den gesamten Unterricht verpasst.

Gabriel steht auf einmal neben mir. Ich habe sie nicht kommen hören. Sie hält mir meine Tasche entgegen.

„Danke…“

„Was hast du? Warum bist du nicht wiedergekommen?“

„Ich mache mir viele Gedanken momentan. Ich wollte nicht den Unterricht besuchen.“

„Bei allem Verständnis, aber du bekommst unentschuldigte Fehlstunden.“ Ich sehe wie das Auto der Organisation vorfährt.

„Weißt du eigentlich wie egal mir die Schule ist?“ Ernst schaue ich ihr ins Gesicht. Nehme meinen Rucksack und steige in das Auto. Durch das verdunkelte Glas sehe ich ihren unglaublich unglücklichen Blick. Es zerreißt mich innerlich.
 

Der Professor wirft mir einen tödlichen Blick zu. Gleich springt er mir an den Hals.

„Wer war das eben?“

„Eine Klassenkameradin.“

„Was für ein Verhältnis hast du zu ihr?“ Ich will seine Stimme nicht hören. Er macht mich krank. Und dieser abartige Unterton.

„Sie ist eine Klassenkameradin.“ Langsam drehe ich meinen kopf in seine Richtung. Wage es aber nicht einen krummen Blick auf ihn zu werfen.

„Und warum bekomme ich Anrufe von deinen Lehrern?“

„Woher soll ich den Grund wissen?“

Weil du der Grund bist!“ Ich zucke zusammen. Der Schreck geht mir durch jedes Glied.

Warum schwänzt du? Habe ich dich nicht Gehorsam gelehrt?“ Hätte er damit nicht wenigstens noch warten können, bis wir im Labor sind… Besser schweige ich.

„Zero! Ich habe dir eine FRAGE gestellt!“ War wohl ein Fehler.

„Ich habe geschwächelt und mich deshalb im Arztzimmer zur Ruhe gelegt. Oder soll ich etwa vor all den Menschen meine Illusion fallen lassen?“

„Du kommst doch immer wieder mit denselben Ausreden, du Missgeburt!“

„Fragt doch meinen Klassenlehrer.“

„ICH gebe hier den Befehlston an!!“

Es war ein Vorschlag!“ Ich erschrecke vor meinem plötzlichen Ausbruch. Jetzt bin ich wohl tot. Der Professor läuft dunkelrot an. Schweigt aber. Noch eine Nacht ohne Schlaf und Sonnenlicht und ich werde den morgigen Tag nicht in meiner Illusion meistern können.
 

Im Labor muss ich mich vor allem anderen der Laune des Professors hingeben. Er beschimpft mich mit den schmerzhaftesten Bezeichnungen. Bewirft mich mit Spritzen, Scheren und Skalpellen. Ich lasse jeder seiner unzähligen Fragen unbeantwortet. All seine Argumente unkommentiert.

Dann drängt er mich auf den Stuhl des Vergessens. Wenigstens spüre ich danach keinen seelischen Schmerz mehr.
 

Ich sollte dem Professor sagen, dass ich zu schwach bin. Aber irgendetwas weigert sich, ihn anzusprechen. Ich muss schon alle Vernunft konzentrieren. Erst dann trete ich dem Professor gegenüber:

„Professor?“

Was ist, du Scheusal? Hast du noch immer nicht genug?!“

„Ich wollte ihnen nur mitteilen, dass ich zu wenig Energie besitze. Für größere Tests und der Illusion reicht sie nicht mehr aus.“ Ich kann mir seine Reaktion nicht erklären. Er ist Zornig. Aber schweigt. Überlegt. Sein Benehmen beunruhigt mich. Der Professor widmet sich wieder seiner Arbeit. Ich sehe ihm aber an, dass er überlegt. Er murmelt etwas vor sich hin. Für mich unverständlich. Er schaut sich um. Dreht sich zu mir. Hebt eine Augenbraue:

„Würde künstliche UV-Strahlung ausreichen?“ Ungewöhnlich ruhig. Es wirkt schon fast beängstigend.

„Es würde fast einen ganzen Tag dieses Planeten beanspruchen, um nur einen Prozent Energie zu gewinnen.“ Er hätte lieber ein einfaches ‚Ja’ gehört. Verärgert wendet er sich ab:

„Der Winter behindert alle Tests und Planungen.“ Mit der Hand haut er auf den Tisch. Stützt sich dann ab, als wäre sein Körper zu schwer.

„Geh’ dich ausruhen. In der Zeit überlege ich mir Alternativen. Geh mir jetzt aus den Augen.“ Ich neige den Kopf als Dankeschön seiner Güte und Bestätigung. Ich verlasse den Raum.
 

In dem kleinen Raum im Labor. Den, der mir noch vor meiner Einschulung zugewiesen wurde. Ich sitze auf der durchgelegenen Matratze. Völlig in mich versunken. Um Energie zu sparen. Was den Professor wohl so verändert hat. Ich bin mir sicher, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer ist. Dennoch sehr rätselhaft. Der vergangene Tag war sehr anstrengend. Meinen Gefühlsausbruch kann ich mir nicht erklären. Ich fühle doch gar nicht. Normalerweise kümmert mich so etwas nicht. Wie es diesem Samsa momentan wohl ergeht.

Wissenschaft vs. Religion

Durch eine grauenvolle Stimme werde ich aus meinem kostbaren Schlaf gerissen. Ich öffne die Augen. Erkenne den Professor:

„Steh auf und komm mit.“ Während dem Schlaf habe ich kein Zeitgefühl. Wie lange ich wohl geschlafen habe. Ich folge ihm. Er hat wohl eine Alternative gefunden.

Wir verlassen das Labor. Also muss ich als Mensch wandeln. Wir steigen ins Auto. Es ist dunkel und die Straßen leer. Es wird wohl späte Nacht oder früher Morgen sein. Ich fühle mich noch müde. Myke ist auch dabei. Sieht auch sehr erschöpft aus. Ich mache ihr wahrscheinlich viele Umstände. Das ist mir unangenehm.
 

Wir kommen am Militärflughafen an. Es wundert mich. Was wollen wir hier? Wir steigen aus dem Wagen. Scheinwerfer erhellen den Bereich. Taghell. Es ist ein widerliches Licht. Mir wird unwohl davon. Der Professor drängt mich in das Flugzeug zu steigen. Er hat es eilig. Kaum haben wir es betreten, startet es.

„Wohin wollt ihr, Professor?“

„Dorthin wo die Sonne länger scheint.“ Er blättert in Unterlagen, während er mit mir spricht. Wie unhöflich. Ich soll mich dort höchstwahrscheinlich regenerieren.
 

Es war ein langer Flug. Ich trete aus dem Flugzeug. Sonnenlicht! Blauer Himmel. Ich möchte meinen Augen nicht trauen. Ich gehe einige Schritte weiter. Lasse meine Illusion fallen. Sofort möchte ich ein langes Sonnenbad nehmen! Unter anderem erkenne ich, dass die Umgebung sandig und unbelebt ist. Wir müssen in der Wüste sein. Ich drehe mich zu den anderen um. Der Professor spricht zu den Soldaten, die uns empfangen:

„Das, was ihr hier seht unterliegt strengster Geheimhaltung! Habt ihr mich verstanden?“

„Jawohl, Sir.“

„Professor, wenn ich bitten darf!“ Seine Arroganz ist Ekel erregend.

„Verzeiht, Professor.“

„Ihr wollt doch nicht zu Staatsfeinden werden.“
 

Es geht mit dem Auto weiter. Schon wieder die Illusion. Aber ich fühle mich schon ein wenig frischer. Beim einsteigen blicke ich in erstaunte Gesichter. Die Soldaten wollen wohl noch immer nicht glauben, dass ich ein wirklicher Engel bin. Wie man Menschen mit Kleinigkeiten in Verwunderung versetzen kann.

Nach kurzer Fahrt kommen wir an einem Gebäude an. Es ist unscheinbar. Aber beim Betreten entpuppt es sich als inoffizielle Militärbasis. Ich bin genervt. Ich möchte nun endlich die Sonne genießen. Und mich nicht durch ermüdende Unterredungen schleppen. Immer nur daneben stehen und gut aussehen.
 

Dann. Endlich darf ich mich in die Sonne stellen. Ich breite meine Flügel aus. Lasse mich bescheinen. Der Professor sitzt in meiner Nähe. Geschützt unter einer Zeltplane. Geht dort seiner Wissenschaft nach. Wie sehr habe ich mich nach Licht gesehnt. Nach dem Blau des Himmels. Das angenehme Kribbeln, wenn die Sonnenstrahlen auf meinen Körper fallen. Alle Sorgen sind vergessen. Nur die Unendlichkeit und ich.
 

Nach einer Weile dringt eine ätzende Stimme zu mir durch:

„Wie lange dauert das denn?! Du stehst jetzt schon drei Stunden hier rum!“ Auch noch ungeduldig werden.

„So lange wie es eben braucht, bis ich mich erholt habe.“ Ich muss gestehen, ich bin schon längst erholt. Aber das Gefühl ist einfach zu schön. Der Professor gibt abwertende Töne von sich.

Ich blicke in den Himmel. Da sehe ich ein Flugzeug. Hoch oben. Schon fast in einer anderen Sphäre. Ich möchte jetzt auch meine Schwingen ausbreiten. Auf den Winden gleiten. Ich will es jetzt! Bin aber Gefangener eines Psychopathen.
 

Die letzten Tage waren sehr anstrengend. Der Tod Moktas. Samsas Erlösung. Meine unerklärlichen Gefühle zu Gabriel. Das alles nimmt mich sehr mit. Zu meiner Verwunderung. Wie gern würde ich einem reinen Rrouharanern begegnen. Wenn ich mich nicht wie einer benehme. Dann will ich erfahren wie sich einer verhält. Um ehrlich zu sein. Ich kann es mir nicht mehr vorstellen keine Emotionen zu empfinden. Denn seit meiner zweiten Geburt empfinde ich. An das Leben davor erinnere ich mich kaum noch. Wahrscheinlich weil es keine Momente gab, die mich bewegten. Wahrscheinlich, weil sich unser Gedächtnis nur Informationen merkt. Fakten. Tatsachen. Keine direkten Ereignisse. Ich weiß wie das Zuhause aussieht. Ich weiß dass ich mit vielen Geschwistern dort gelebt habe. Aber was haben wir gemacht? Was habe ich gemacht? Wer ist Rrazpharroth eigentlich?
 

Die Sonne geht unter. Der Professor steht auf: „Bist du jetzt endlich fertig, Zero?“ Ich wende mich ihm zu.

„Ja.“ Ich folge ihm in die Basis. Dort werde ich vom Offizier schief angeschaut. Er und der Professor unterhalten sich. Dann lassen sie mich allein im Raum stehen. Ganz schön frech. Vier Soldaten stehen wie versteinert im Raum. Aber ich spüre ihre Blicke. Ich stehe vor einem Tisch. Er ist groß. Ein Kartenhologramm flimmert über ihm. Eine 3D-Abbildung von Disenion. Interessiert laufe ich um den Tisch. Das hat schon was. Rot markieren die feindlichen Truppen. Grün die Alliierten. Die grünen Punkte sind aber nicht ideal positioniert. Sie sehen sich eher von den Roten eingekesselt. Es sind komischerweise mehr rote als grüne. Entweder sind die Merakianer sehr übermütig, oder haben keine Ahnung von Strategie und Taktik.
 

Plötzlich eine Stimme: „Bist du wirklich ein Engel?“ Ich drehe mich um. Einer der Soldaten spricht zu mir. Die drei anderen vernachlässigen ihre Position. Zu groß ist ihre Neugier.

„Wenn es so wäre?“ Immer wieder fasziniere ich die Menschen.

„Na ja…“ Er wirkt verlegen „Hat Gott dich geschickt uns zu helfen?“

„Gott?“ Ich bin verwirrt: „Wenn du mit ‚Gott’ den Professor meinst, dann ja.“ Der Soldat ist verunsichert. Er scheint sich auf den Arm genommen zu fühlen.

„Äh… nein… Ich meine den Schöpfer. Den Allmächtigen…“ Fragende Blicke werfe ich ihm zu. Der Soldat hustet.

„Der Professor ist mein Schöpfer.“

„Nein! Ich meine den Schöpfer der Welt. Der Schöpfer der Menschen.“ Jetzt wird es mir klar. Das höhere Wesen an das die Menschen glauben. Der Gott.

„Nein. Der schickt mich nicht. Ich bin im Labor erschaffen worden. Ich habe nichts mit Religion am Hut.“ Der Mann lässt enttäuscht den Kopf sinken: „Schade.“
 

Ein anderer Soldat wendet aber ein: „Aber das kann nicht sein. Es heißt es hat Engel gegeben die in der Wolke der tausend Diamanten gelebt haben!“

„Hat es auch. Aber sie wurden von keinem Gott geschaffen.“ Wie kann man nur an etwas glauben, das es nicht gibt?

„Von wem dann?“ Wie kann man nur so neugierig sein?

„Wir werden aus dem Licht geboren.“

„Und das Licht kommt vom Herrn!“ Der Soldat besteht darauf. Ich werfe ihm entsetzte Blicke zu.

„Komme auf den Boden der Tatsachen zurück, Soldat. Es gibt keinen Gott. Menschen sind eine Laune der Natur. Genauso wie wir und alle anderen Lebewesen.“

„Niemals!“ Jetzt auch noch frech werden. Na die haben nerven.

„Hat sich euer Gott schon mal irgendwo blicken lassen?“

„Gott ist in uns allen!“ Es nervt. Diese Besserwisser argumentiere ich jetzt klein!

„Gut. Wenn Gott in euch allen steckt. Warum führt ihr krieg gegen ihn?“ Der Soldat fährt in sich. Weiß nicht was er sagen soll.

„Meint ihr, Gott will dass ihr tötet? Habt ihr nicht eine heilige Schrift? Steht darin ‚tötet diejenigen, die euch nicht das geben was ihr wollt’? Seht darin ‚beraubt andere für euer eigen Wohl’? Steht darin ‚toleriert keinen, der einen anderen Gauben pflegt’?“ beide schweigen. Aber ich hake nach: „Steht das in der heiligen Schrift?!“

„Nein…“ beide geben kleinlaut nach.

„Wenn es Gott wirklich gibt. Dann hätte er wohl nicht ein so verkommenes Wesen wie den Menschen erschaffen. Wenn es ihn gibt und euch wirklich erschaffen hat. Dann sitzt er auf seinem Thron und schämt sich für euch. Und das solltet ihr auch tun. Öffnet eure Augen. Es gibt keinen Gott.“
 

Die Tür öffnet sich. Der Offizier und der Professor treten ein. Schnell salutieren die Soldaten und stehen wieder steif an ihren Posten. Ich drehe mich zu ihnen um. Da spricht der Offizier: „Hat er keine Manieren?“ Er meint mich?

„Er ist eigensinnig. Das ist Fehlerhaft an ihm. Aber ich arbeite schon an verbesserten Modellen.“ Antwortet der Professor selbstsicher. Der Offizier nickt zuversichtlich. Eigensinnig? Verbesserte Modelle? Ich habe mich wohl verhört! „Komm jetzt Zero! Wir fliegen zurück!“ schweigend folge ich ihm. Zum Abschied werfe ich dem Offizier einen spottenden Blick zu. Ich mag das Militär nicht. Sie sind arrogant. Meinen sie können sich alles erlauben. Meinen sie stehen über allem und jedem. Einfach nur abscheulich.
 

Wir sitzen im Flugzeug. Ich würde ja lieber selbst Fliegen. Meine Schwingen schmerzen furchtbar. Das Gestell drückt. Ich muss mich beherrschen um nicht die Fassung zu verlieren.

Da sehe ich Myke. Total entkräftet sitzt sie in ihrem Sitz. Hält sich den Kopf. Das ist ein Militärflugzeug, das normalerweise Truppen um Einsatzort befördert, oder abholt. Es ist ungemütlich und laut.

Ich setze mich zu ihr. Myke schaut mich an.

„Geht es dir gut, Myke?“

„Ich habe in letzter Zeit kaum Schlaf. Und ich habe Flugangst.“ Welch Ironie.

„Es tut mir Leid, dass ich dir so viele Umstände bereite. Das hast du nicht verdient.“

Sie schüttelt mit dem Kopf: „Ist schon in Ordnung. Du kannst nichts dafür. Du bist meine Arbeit.“ Sie zittert vor Angst. Der Professor ist so rücksichtslos. Das verärgert mich. Ich möchte sie beruhigen. So lege ich meine Hand auf ihre und spreche ihr gut zu:

„Mach dir keine Sorgen. Wenn etwas passiert schütze ich dich.“ Myke schaut mich an und lächelt.

„Lieb von dir.“
 

In Yeron angekommen ist es schon wieder Abend des nächsten Tages – Die Zeitverschiebung in Worte zu fassen ist schwer. Myke meldet sich für einen Tag krank. Ihr macht die Zeitverschiebung zu schaffen. Sie und ich fahren nach Hause. Dafür müssen wir die nächste Nacht wieder durcharbeiten. Anordnung des Professors. Ob er überhaupt ein Auge zu macht? Ein paar Freie Tage würden ihm wirklich nicht schaden. Seinen Mitarbeiten auch nicht.

Myke legt sich sofort schlafen. Das gleiche mache ich auch. Der Mensch in mir erlaubt mir schlafen zu können. Die Funktion ist von Vorteil. Es ist sehr Kraft sparend.

Widerstand

Es ist Sommer geworden. Ich gehöre zu den besten in meiner Stufe. Aber mich kümmert es nicht. Mich kümmert gar nichts. Es ist Mittagspause. Ich sitze auf dem Schuldach – der Bereich ist normalerweise verboten. Im Schulhof sind die Schüler zu hören. Ich will am liebsten meine Illusion fallen lassen. Ich bin zwar allein aber die Gefahr ist doch zu groß. Der Himmel leuchtet wieder in seinem schönsten Blau. Als ob er genauso froh wäre wie die Menschen. Es ist endlich Sommer. Das sagt der Himmel. Weiße Wolken treiben mit dem Wind. Als ob sie Fangen spielen. Ein Flugzeug zieht einen Kondensstreifen über das Blau. Die Menschen müssen jedes Naturbild zerstören. Ich vermisse den Himmel. Die Freiheit.
 

Es klingelt zum Unterrichtsbeginn. Ich gehe in meine Klasse. Samsas Platz ist leer. Ich setze mich auf meinen. Gabriel schaut mich an:

„Wo warst du denn schon wieder, Zero? Du verschwindest immer ins Nirgendwo und tauchst so ganz plötzlich wieder auf.“

„Ich habe meine Pause genossen.“

„Die kannst du auch mit mir genießen.“ Sie ist gekränkt. Ich kann es gar nicht verstehen.

„Deine Freunde sind immer so laut. Ich brauche meine Ruhe.“ Gabriel schaut mich ungläubig an. Gerade will sie etwas sagen, da tritt der Lehrer in die Klasse. Heute schreiben wir einen Test in Mathematik. Ich werfe einen Blick auf die Aufgaben auf dem Papier. Der Test unterfordert mich. Wir haben zwei Schulstunden. Ich bin in einer halben fertig. Das was so lang dauert, ist das Aufschreiben der endlos langen Rechenwege. Ich lege das Blatt um und träume zum Fenster hinaus.
 

In der zweiten Stunde merke ich wie Gabriels Konzentration nachlässt. Auch die der anderen. Einige sind schon fertig. Andere sehen verzweifelt aus.

Keinem ist aufgefallen, dass Samsa fehlt. Der Lehrer hat es auch nicht erwähnt. Niemand hat nachgefragt. Nicht mal Moktas Freunde. Sie stiften in der Schule keine Unruhe mehr an. Sind zwar frech. Halten sich aber zurück. Man könnte schon sagen es ist langweilig geworden. Samsa schreibt mir regelmäßig Briefe. Ich antworte ihnen. Er geht auf eine Schule am anderen Ende der Stadt. Er ist bei einer freundlichen Pflegefamilie untergekommen. In den Briefen wirkt er fröhlich und selbstbewusst. Es freut mich für ihn, dass sein Leben nun endlich angenehm ist. Aber ich hätte ihn lieber hier. Ich habe ihn sehr lieb gewonnen. Dafür dass ich ihn erst eine Woche kannte.
 

Es klingelt. Der Lehrer bittet uns, die Tests nun unverzüglich abzugeben. Jetzt haben wir wieder Sport. Gabriel und ich gehen zur Sporthalle. Gabriel stöhnt genervt:

„Aaah! Ich hasse Mathe! Ich hab den wohl voll verhauen! Dabei habe ich mit einem Supergenie gelernt…“ Sie ist sichtlich enttäuscht von sich.

„Ich bin mich sicher, dass du besser abgeschnitten hast, als du glaubst.“

„Das sagst du so! Du hast es ja auch verstanden…“

„Hast du meine Erklärungen nicht verstanden?“

„Doch! Aber während dem Test habe ich alles wieder vergessen. Ich war mir nicht mehr sicher was ich wann anwenden musste.“ Sie ist leicht aus dem Konzept zu bringen. Es ist eine Schwäche an ihr, die ich besonders mag. Es macht sie sympathisch.

„Hey, Zero. Morgen sind Sommerferien. Ich habe vor mit Felea, Elmar und Jimbo an den Zeanosee zu fahren. Willst du nicht mitkommen. Ich will dass du dabei bist. Bitte komm mit.“ Sie zwingt mich ja schon dazu…

„Wollt ihr schwimmen?“

„Ja!“

„Ich kann aber nicht schwimmen.“

„Egal. Komm mit! Es gibt kein wenn und aber! Dein Vater soll sich nicht so anstellen!“ Mein Vater…

„Mal sehen ob ich ihn überzeugen kann. Wenn es klappen sollte, freue ich mich schon.“

„Klingt nicht sehr überzeugend…“

„Das tue ich nie. Hast du mal gesagt.“
 

Der Sportunterricht findet im Freien statt. Schwimmunterricht. Unter Wasser zu sein muss ähnlich wie in der Luft sein. Nur ohne Gravitation. Der Lehrer drillt seine Schüler mal wieder. Es sieht aus als ringe jeder Einzelne um sein Leben. Grausam. Die Mädchen spielen Volleyball. Aber sehen kann ich sie nicht. Schade. So ganz ohne Gabriel. Es ist langweilig. Ich lehne mich an den Maschendrahtzaun hinter mir. Blicke durch das Blätterdach eines Baumes in den Himmel. Das Licht tanzt im Wind.

Die Ferien nutzt der Professor bestimmt für seine stumpfsinnigen Spielchen mit mir. Warum habe ich mich in all der Zeit noch nicht gewehrt? Ich bin doch viel intelligenter als er. Viel stärker. Warum also tue ich mir das an? Das ist bestimmt der Mensch in mir. Menschen sind schwach.

Der Lehrer beendet den Unterricht. Er schwebt in Gedanken schon im Urlaub. Man kann es ihm förmlich von der Stirn lesen. So durchschaubar.
 

Ich verlasse das Schulgelände und warte auf das Auto. Da ruft jemand meinen Namen. Gabriel rennt mir zu:

„Warum hast du nicht auf mir gewartet, Zero?“

„Tut mir Leid. Ich kann es nicht abwarten Ferien zu haben.“ Ich wünschte es gäbe keine Ferien…

„Das verstehe ich. Aber sag mal. Was ist das eigentlich für ein Bonzenauto was dich jeden Tag abholt?“

„Meine Eltern haben Geld, das ist alles.“

„Da sitzt immer einer auf der Rückbank.“

„Musst du so neugierig sein? Es ist egal wer das Auto fährt und wer in Begleitung hinten drin sitzt.“ Was soll ich ihr denn sagen? Irgendein verkommener Psychopath der sich an mir vergeht? Gabriel fühlt sich verletzt. Es tut mir auch Leid. Aber es hat ja höchste Geheimhaltungsstufe. Schwachsinn. Und da kommt das besagte ‚Bonzenauto’ auch schon.

„Tut mir Leid, Gabriel. Aber einiges ist für deine Ohren nicht bestimmt. Ich werde dich heute Abend anrufen und bescheid sagen wenn es mir gestattet ist zum Strand zu gehen.“ Sie schweigt. Ihr Blick zerreißt mir das Herz. Schnell verschwinde ich hinter den verdunkelten Scheiben. Damit sie nicht die Chance hat in den Wagen zu sehen.
 

Ich würde es am liebsten in die Welt hinaus brüllen. Alles! Ich kann sie nicht belügen. Es ist eine Schande!

„Warum müssen sie immer mit im Auto sitzen, Professor?“ Er schaut mich erschrocken an.

„Das fragst du noch?! Das liegt do…“

„Meine Klassenkameradin wird skeptisch. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Was soll ich ihr denn sagen? Wer soll denn hinten im Wagen sitzen?“

„Du sollst keine engen Freundschaften Schließen! Du sollst Die Menschen studieren!“ Er kocht vor Wut. Ich fühle ähnliches.

„Um sie zu verstehen muss ich mit ihnen nun mal kommunizieren. Und um tiefere Einblicke in die Gefühlswelt zu bekommen muss ich nun mal Freundschaft schließen. Aber davon haben sie nicht die leiseste Ahnung, Professor!“

„Du wagst es meine Kenntnisse in Frage zu stellen?!“ Er weiß genau dass ich Recht habe.

„Hatten wir eine solche Diskussion nicht schon einmal?“

„Kann mich nicht entsinnen. Beantworte meine FRAGE, du Missgeburt!“

„Nein.“ Meine Gefühle überschlagen sich. Ich muss mich zügeln. Sonst verliere ich die Kontrolle über mein Handeln.

Was ‚nein’?! Hör auf mich zu verarschen! Verstanden?!“ Dieser Einfallspinsel liebt es sich zu streiten. Oh, pass bloß auf.
 

Wir kommen am Labor an. Ich steige aus dem Wagen. Es ist eine Abgelegene Stelle in der Stadt. Sehr unscheinbar. Da fällt sofort das Auto auf, das etwas weiter entfernt parkt. Wir betreten das Gebäude. Ich lasse meine Illusion fallen. Der Professor schubst mich:

„Lauf schneller! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!“ Ich hasse es bedrängt zu werden. Im Labor bearbeiten die Wissenschaftler Daten. Myke ist auch dabei. Sie musste in letzter Zeit viel einstecken.

„Löscht seine Gefühle.“ Der Professor weißt die Wissenschaftler an, mich wieder auf den Stuhl des Vergessens zu setzen. Aber er hat die Rechnung ohne mich gemacht. Denn ich bin sauer.

„Nein.“ Ich stelle mich hinter den Untersuchungstisch. Ich protestiere.

„Was meinst du mit ‚nein’?! Du machst das was ich sage!“

„Nein. Ich lasse mich von euch nicht mehr manipulieren.“ Das erzürnt den Professor. Die Wissenschaftler sind verunsichert. Angst erfüllt sie. Sie nehmen Abstand von Hemmington.

„Was glotzt ihr so? bindet ihn an dem Stuhl fest!“

„Ja, Professor!“

„Ich setze mich nicht auf den Stuhl!“ Die Wissenschaftler wollen mich greifen. Doch ich weiche ihnen aus.

„Der Stuhl bringt ohnehin nichts mehr! Innerhalb von kurzer Zeit habe ich all die Gefühle wieder, die ihr krampfhaft versucht zu löschen.“

„Na jetzt weißt du, warum ich dich jeden Tag daran festbinde, du verkommenes Biest!“ Ich habe seine Beleidigungen satt.

„Unter keinen Umständen setze ich mich auf dieses Ding!“ Der Professor legt persönlich Hand an. Versucht mich zu fassen. Aber ich laufe aus dem Raum.
 

Die Wissenschaftler verfolgen mich. Mit Betäubungspfeilen schießen sie auf mich. Sie haben immer noch nicht verstanden, dass alles an meiner Barriere abprallt. Lange halte ich das Tempo nicht durch. Mein Körper ist für solche Belastungen nicht vorgesehen. Ich sacke zusammen. Gerade wollen sich die Wissenschaftler auf mich stürzen. Da entfaltet sich ein heller Lichtimpuls. Dieser blendet alle um mich herum. Das ist meine Chance. Ich stehe auf, aber Myke versperrt mir den Weg. Sie muss wohl zu diesem Moment die Augen zu gehabt haben. Denn Sie ist nicht erblindet:

„Tu das nicht, Zero. Wenn du dich deiner Gefühle nicht bereinigen lässt, wirst du vermutlich den Verstand verlieren.“ Zugegeben. Das wäre ein Grund.

„Lieber verliere ich den Verstand durch Gefühle, als durch Gefangenschaft in einem dunklen Loch.“ Sie ist besorgt. Sie hat Angst mich zu verlieren?

Die Wissenschaftler sehen immer noch nichts. Sie ertasten sich einen Weg. Auch der Professor:

„Na warte, du dreckiges Aas! Worauf warten sie noch Mrs. Wilson!“

„Zero muss sich ausruhen, Professor. Sobald er die Gefühle verloren hat, bitte ich darum ihn mit nach Hause zu nehmen.“

„Mach doch was sie wollen, sie Taugenichts! Aber schaffen sie mir diese Missgeburt aus den Augen!“ Welch Ironie. Wäre es eine Komödie, hätten die Zuschauer jetzt gelacht. Myke nimmt mich bei der Hand und zieht mich zurück. Ich wehre mich. Doch sie lässt nicht locker. In dem Raum, in dem der Stuhl des Vergessens steht macht sie die Tür hinter sich zu. Ich halte von der Gruselmaschine Abstand. Myke wirft mir einen besorgten Blick zu. Ich will nicht auf den Stuhl. Ich dachte sie versteht mich.

„Bitte Myke. Tu mir das nicht an. Ich will meine Gefühle nicht verlieren.“

„Das habe ich auch nicht vor. Es wäre zwar besser würdest du es machen, aber ich persönlich will dich zu nichts zwingen. Wir warten jetzt kurz ab. Und dann gehen wir nach Hause. Okay? Ich sorge dafür, dass du morgen nicht ins Labor musst.“ Das überrascht mich.

„Aber wie hast du das vor?“

„ich regle das.“ Sie ist voller Zuversicht. Sie gibt mir das gewohnte, vertraute Gefühl.
 

Myke und ich verlassen den Raum. In einem Büro nimmt sie ihre Sachen. Zusammen gehen wir in den Eingangsbereich. Dort höre ich das Gespräch zwischen zwei Wachmännern:

„Vorhin war hier eine Schülerin und ihre Mutter. Das Mädchen wollte hier unbedingt rein. Sagte, ein Vater eines Klassenkameraden arbeite hier.“

„Echt? Aber es dürfen doch nur ledige und familienlose Wissenschaftler hier Arbeiten.“

„Das Mädchen weiß doch nichts vom Labor. Wir Decken uns doch als Papierfabrik.“ Ein Schulmädchen? Es ist zwar als eine Papierfabrik gemeldet. Doch stehen die Hallen leer.

„Aber irgendwas muss die Kleine doch wissen.“

„Vielleicht meint die ja diesen Zero. Der wird ja seit einem halben Jahr in die Schule geschickt.“ Sie schauen mich an. Verstummen. Gabriel. Ist sie mir etwa gefolgt? Hoffentlich hat sie mich nicht in meiner wahren Gestalt gesehen.

Sich anpassen

Auf der Heimfahrt ist es still. Nur der Motor brummt. Es ist unangenehm. Die Stimmung ist angespannt. Ich will etwas sagen. Aber was?

„Gabriel möchte, dass ich mit ihr und ein paar Freunden morgen an den Strand fahre.“ Sie schaut mich an. Mit großen Augen. Sichtlich überrascht.

„Das ist doch schön.“ Sie lächelt mir freundlich zu.

„Aber ich kann nicht schwimmen.“

„Das macht doch nichts. Man muss nicht unbedingt schwimmen gehen, nur weil man an den Strand geht.“ Sie mustert mich.

„Aber dann brauchst du noch die richtige Kleidung. In der Schuluniform geht man nicht an den Strand.“ Ich blicke an mir herunter.
 

Sie geht mit mir ins Einkaufszentrum. In einem Geschäft gibt es Kleidung zu kaufen. Suchend wühlt sie die Ständer durch. Ich sehe mich um. Mit Neugier, muss ich mir eingestehen. Vieles ist sehr bunt. Ganz anders als die Uniformen. Oder die Kleidung die die Wissenschaftler tragen. In dem Geschäft halten sich hauptsächlich Frauen auf. Ab und zu sieht man sie in Begleitung eines Mannes. Myke ruft mich zu sich. Sie zeigt mir ein Hemd. Es ist Hellblau. Mit weißen und dunkelblauen Linien interessant verziert. Sie ziehen sich in Wellen quer über das Hemd.

„Was meinst zu, Zero? Gefällt es dir?“

„Es sieht interessant aus.“

„Willst du es anprobieren und sehen, wie es dir steht?“

„Ist das denn okay?“

„Natürlich.“ Sie legt das Hemd über ihren Arm. „Aber erst noch eine passende Hose.“ Myke läuft einige Ständer weiter.
 

Ich spüre Blicke. Ich drehe mich um. Da sehe ich in zwei Gesichter. Mädchen. Schnell drehen sie sich weg und schauen weiter nach Kleidung. Was ist an mir nur so interessant?

Myke ruft mich zu sich. Sie hält mir eine Hose hin. Ein dunkleres Blau als das Hemd.

„Gefällt sie dir?“

„Ist sie nicht ein wenig kurz?“

„Das gehört sich so. Bermudas sind so geschnitten. Anprobieren?“ Ich nicke.

„Gut.“ Sie zeigt mit dem Finger zu einer Stelle im Geschäft: „Dort ist die Umkleide. Komm mit.“ Sie scheint es wohl kaum noch abwarten zu können.
 

Hinter einem Vorhang ziehe ich mir die neue Kleidung an. Ich komme mir etwas doof vor. Ja schäme mich schon fast. Nicht weil die Kleidung nicht passt. Sondern weil ich mich in einem Loch umziehe.

„Schämt ihr euch nicht, euch in so einem kleinen Raum umziehen zu müssen?“ Ich spreche durch den Vorhang zu Myke.

„Warum? Man sieht doch nichts.“

„Es ist aber eng.“

„Dann mach dich nicht so breit.“ Welch Belustigung…
 

Nun Bin ich fertig ungezogen und präsentiere mich Myke. Sie mustert mich erstaunt:

„Das steht dir besser als ich erwartet habe. Dreh dich.“ Langsam drehe ich mich um die eigene Achse. „Du bist ein sehr gut aussehender junger Mann.“ Sie schaut mir in mein Gesicht: „Willst du sie behalten?“

„Gerne. Sie sind auch sehr angenehm auf der Haut.“

„Gut. Dann nur noch die passenden Schuhe. Zieh dich wieder um. Du kannst sie zu Hause anziehen.“ Woran man alles denken muss. In meiner Wahren Gestalt trage ich das ein und selbe. Myke trägt täglich etwas anderes. Ich gehe wieder in die Enge Kabine.

„Warum ist es eigentlich so wichtig, dass die Kleidung zu einem passen muss?“

„Na ja… ich weiß nicht. Es sieht schöner aus, wenn man Kleidung trägt, die zum Hautteint oder der Haarfarbe passt. Ich würde dir nicht empfehlen etwas pinkes anzuziehen. Damit würdest du dich zu einer Lachnummer machen.“

„Ich habe in der Schule erfahren, dass Pink und Rosa weibliche Farben sind. Männer gelten als homosexuell wenn sie solche Farben mögen. Aber Sind Farben nicht neutral?“

„Ich schätze, dass die Farben im laufe der Zeit diese Symbole angenommen haben, ohne dass man es offiziell bekannt gegeben hat. So was schleicht sich heimlich ein.“

„Ihr Menschen seit ein Fass ohne Boden.“
 

Myke bezahlt die Kleidung. Die Verkäuferin Himmelt mich schon nahezu an. Aber Myke hat es eilig. Sie zieht mich aus dem Geschäft. Und ins nächste hinein. Dieser hat Schuhe im Angebot. Mit analytischem Blick scannt sie die Regale nach passenden Schuhen. Ich sehe ihr großen Spaß an. Auch hier sehe ich mich genauer um. Einige Leute sitzen auf Hockern und testen Schuhe. Rrouharraner tragen keine Schuhe. Warum auch? Wir laufen nur sehr wenig. Mir fallen Schuhe auf die äußerst viel Absatz haben. Ist das nicht ungesund? Unglaublich wie viele verschiedene Schuhe es gibt. In vielen verschiedenen Größen, Farben und Variationen. Reicht nicht ein ganz normales Paar? Eine Frau kommt auf mich zu:

„Kann ich ihnen helfen, Sir?“ Sie gehört zum Personal des Geschäfts. Sie schaut sehr freundlich drein. Wie falsch ist ihr Lächeln denn? Ihr ist doch gar nicht zu Lächeln zu mute.

„Nein, danke.“ Ich antworte freundlich. Wende mich ab und gehe zu Myke zurück. Ich bin doch gekleidet wie ein Schüler. Warum spricht sie mich so vornehm an? Übertriebene Freundlichkeit ist Ekel erregend.
 

„Zero, ich habe etwas, das dir passen müsste.“ Sie stellt mir ein Paar hellblaue Schuhe hin. Sie haben weiße Schnürsenkel und Sohlen. „Probier sie an. Du hast ziemlich kleine Füße für deine Körpergröße.“ Ich setze mich auf einen der Hocker in den engen Gängen. Einen Schuh ziehe ich aus. Schlüpfe in den anderen. Ich blicke auf die Schnürsenkel. Ich kann keinen Knoten. Stumm schaue ich zu Myke hoch. Es ist mir etwas peinlich. Fragend erwidert sie meinen Blick:

„Passt er nicht?“

„Kann ich nicht sagen wenn der Schuh nicht zu ist.“ Sie brauch eine Weile um zu verstehen, dass ich nicht Binden kann.

„Du kannst keine Schuhe binden?“ Sie ist sichtlich Überrascht. Muss ein Engel etwa Schuhe binden können? Myke lacht herzlich: „Komm, sieh zu.“ Sie kniet sich vor mich und erklärt mir den Schleifenknoten. Den Anderen Schuh kann ich mir dann sofort selbst binden. „Du lernst schnell, Zero.“ Muss ich bei solch einem Professor. „Jetzt lauf einige Schritte und sag wenn’s drückt, oder du darin herumrutschst.“ Also laufe ich einige Schritte. Es ist angenehm in ihnen zu laufen. Ich gehe zu Myke zurück:

„Sie passen. Sitzen wie eine zweite Haut.“

„Na, das ist doch gut. Willst du sie haben?“ Sie sieht zufrieden aus. Also stimme ich zu.
 

Nach der so genannten ‚Shoppingtour’ lassen Myke und ich uns in einem Restaurant nieder. Sie hat Hunger. Auch hier beobachte ich die Menschen. Während der Nahrungsaufnahme erzählen sie miteinander. Manche sind sichtlich in Eile. Andere lassen sich viel Zeit. Eine Frau in schwarz-weißer Bekleidung kommt auf und zu. Höflich heißt sie uns willkommen. Reicht Myke die Speisekarte. Sie empfiehlt die Spezialität des Tages. Diese nimmt Myke dankend an. Sie nennt der Kellnerin ein Getränk. Die Frau schreibt sich alles mit. Sie hat eine lebhafte Seele. Sie kommt der von Gabriel nahe.

Auch mich fragt sie nach meinen Wünschen. Aber ich lehne dankend ab. Sie bedankt sich noch ein Mal und geht schließlich wieder.
 

Myke schaut mich an. Sie ist neugierig. Aber auf was?

„Kannst du riechen?“ Sie scheint keinen Gedanken an die Arbeit zu verschwenden. Myke wirkt viel entspannter. Ungezügelter.

„Nein.“

„Schade. Es gibt vieles das so gut riecht.“

„Aber garantiert auch negative Gerüche.“

„Oh ja. Aber das ist so aufregend am Riechen.“ Die Abwechslung. Meine Spezies hat keine Abwechslung. In keiner Hinsicht. Außer Tag und Nacht. Aber das ist seit Anbeginn der Zeit Routine.
 

Die Kellnerin kommt mit Mykes Getränk. Sie bedankt sich und die Frau geht wieder. Sie bedient auch andere. Immer mit derselben Freundlichkeit. Aber bei ihr ist sie nicht aufgesetzt. Die Frau im Modegeschäft ist mir sehr unsympathisch.

„Gabriel muss dich sehr gern haben, Zero.“ Ich bin etwas schockiert über ihren plötzlichen Thema Wechsel.

„Durchaus. Als ich mich am ersten Schultag vorstellen sollte hat sie die Frage gestellt: Wann hast du das letzte Mal gelächelt? Das muss ihr sehr wichtig sein.“

„Ob ihr euch morgen wohl näher kommen werdet?“ Was meint sie damit?

„Näher kommen?“

„Gefühlsmäßig, meine ich. Immerhin kennt ihr euch jetzt schon ein halbes Jahr. Sie kommt immer zu uns um Hausaufgaben zu machen. Ihr wart schon öfter mit Freunden in der Stadt. Du empfindest doch garantiert auch was für sie.“

„Eine derartige Beziehung zwischen ihr und mir ist unmöglich. Ich bin ein Neutrum. Gabriel ist nicht mal bewusst, dass ich ein völlig anderes Wesen bin. Das ist ausgeschlossen.“ Irgendwas macht mich in diesem Moment sehr traurig. Ich will mir nichts anmerken lassen.

„Du liebst sie, hab ich Recht?“ Ist das liebe? Ich schweige auf ihre Frage. Es ist mir unangenehm. Mir ist auch nicht mehr nach Reden zumute.

Die Kellnerin bringt Myke das Essen. Sie spricht nun auch nicht mehr weiter. Sie muss ahnen wie es mir geht.
 

Auch auf dem Heimweg gebe ich kein Wort von mir. Zu sehr beschäftigt mich der Gedanke. Ich habe eben erst realisiert das eine Beziehung unmöglich ist. Das schmerzt sehr. Ob dieses Gefühl Liebeskummer ist? Das ist ein mieses Gefühl.

„Zero.“ Spricht Myke mit wacher Stimme: „Du solltest dich lieber auf Morgen freuen. Trübsalblassen macht nur Magenschmerzen. Erschüttert blicke ich sie an:

„Ich habe keinen Magen.“

„Lenke nicht vom Thema ab. Das ist eine Redewendung. Du kannst nicht wissen ob eine Beziehung unmöglich ist. In der modernen Zeit liebt man nicht mehr nur zur Fortpflanzung.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Du wirst noch verstehen, Zero. Wenn du älter geworden bist.“ Sie lächelt. Ihre Worte sind mir ein Rätsel. Aber in gewisser Weise tröstlich.

Start in die Sommerferien

Ich habe Gabriel angerufen und mitgeteilt, dass sie mich morgen abholen kann.

Wir haben fünfundzwanzig Uhr Abends. Die Sonne steht nun auf halber Höhe. Kurz davor den Himmel in ein blendendes Rot zu tränken. Das nutze ich aus. Von nirgends kann man auf ihre Terrasse sehen. Also setze ich mich vor die Terrassentür und fange noch ein paar Sonnenstrahlen ein. Myke duscht.

Gabriel hat sich am Telefon sehr gefreut. Sie hat wohl keinen Verdacht, bezüglich der ominösen Papierfabrik geschöpft. Zum Glück. Aber nachgehakt hat sie auch nicht. Vielleicht vor Vorfreude vergessen.
 

Myke setzt sich mit einer Leckerei zu mir. Sie leckt daran. Ich habe so etwas noch nie gesehen.

„Was isst du da, Myke?“

„Ein Eis.“

„Ein Eis? Gefrorenes Wasser? Es ist zwar warm, aber…“ sie unterbricht mich.

„Nein, nein.“ Sie wedelt rhythmisch mit dem Zeigefinger „Das ist kein gewöhnliches Eis. Es hat Geschmack. Entweder es ist Wasser mit Geschmack, oder auch gefrorene Sahne in vielen verschiedenen Geschmackssorten.“

„Warum macht man so etwas?“

„Hm… na ja. Ein Mensch hat sich an einem Heißen Sommertag wohl gedacht ‚jetzt währe etwas eiskaltes nicht schlecht.’ Dann hat er seinen Saft ins Gefrierfach gestellt und ihn gelutscht. Denke ich. Es kühlt schön. Ich kann im Sommer nicht drauf verzichten.“ Sie lächelt darauf vergnügt. Momentan trübt nichts ihre Gefühle. Das ist sehr erfrischend.
 

„Oh, da fällt mir ein; ich habe noch eine Kleinigkeit für dich.“ Myke steht auf und geht ins Haus. Kurz darauf kommt sie mit einer Einkaufstasche wieder. Der Name des Kleidungsgeschäfts steht darauf. „Nimm.“ Sie hält mir die Tasche entgegen.

„Danke.“ Ich nehme sie. Greife rein. Da halte ich eine Hose in der Hand. Sie hat noch ein wenig kürzere Beine als die, die wir gekauft haben. Sie hat ein kräftiges Blau. Wie der Himmel. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Dass sie schön ist? Ich empfinde nichts als schön.

„Das ist eine Badehose. Ihr geht ja an den See. Wenn du schon nicht schwimmen kannst, dann kannst du ja trotzdem soweit ins Wasser, wie du noch stehen kannst.“

„Danke, Myke. Das ist sehr aufmerksam von dir.“ Mein erstes Geschenk. Ich freue mich. Irgendwie. Für was die Menschen Kleidung haben. Schule. Sport. Schwimmen. Privat. Arbeit. Ist doch unnötig.
 

Myke hat das Eis zu ende gegessen. Sie steht auf:

„Es wird Zeit zum schlafen. Ich muss morgen ausgeschlafen sein. Auch du solltest Kräfte sparen. Ein freier Tag kann auch sehr anstrengend sein.“ Wir gehen zusammen ins Haus. Sie lässt die Rollläden herunter. Ich gehe in mein Zimmer. Draußen dämmert es gerade. Myke kommt nach ihrer Abendtoilette noch einmal in mein Zimmer. Ich liege schon im Bett. Auf dem Bauch.

„Hast du dir den Wecker gestellt, Zero?“

„Ja.“

„Gut. Ist das eine Zeit zu der ich noch da bin?“

„Ja, Myke.“ Sie lächelt und streichelt mir über den Kopf. Ich bin mir nicht sicher, was ich mit dieser Situation anfangen soll. Aber es ist ein angenehmes Gefühl.

„Schlaf gut, Zero.“

„Du auch, Myke.“ Sie geht zur Tür. Ich lasse mich ins Kissen sinken. Sie macht das Licht aus.

„Ist es dir nicht zu hell?“ Noch scheint die dämmernde Sonne in mein Zimmer.

„Nein. Das ist gut so.“ Bestätigend schließt sie die Tür hinter sich.
 

Nach langem Schlaf werde ich sanft aufgeweckt. Ich will aber noch nicht aufwachen.

„Zero. Wach auf. Deine Freunde sind da um dich abzuholen.“ Ich drücke meinen Kopf ins Kissen.

„Freunde? Welche Freunde…“

„Du hast verschlafen, Zero. Jetzt steh auf.“

„Es ist noch gar nicht Zeit…“

„Es ist zwölf Uhr.“ Auf einmal bin ich hell wach. Ich baue die Illusion auf.

„Wo ist der Wecker?“ Myke hält mir den Kaputten Wecker hin. Das ist mir sehr unangenehm.

„Ich habe den Wecker gar nicht klingeln hören.“

„Na los. Zieh dich schnell um.“ Sie verlässt das Zimmer.
 

Ich ziehe mir die neue Kleidung an. Ich muss schon sagen. In irgendeiner Weise gefalle ich mir. Was sage ich hier überhaupt? Jetzt auch noch narzisstisch werden…

Umgezogen gehe ich runter. Ich höre Sie schon reden. Im Wohnzimmer sitzen sie auf dem Sofa. Gabriel und ihre Freundin. Als sie mich sehen verstummen sie. Stimmt etwas nicht? Habe ich etwas an mir? Gabriel steht auf. Kommt auf mich zu. Ich sehe ihr an, dass sie etwas verärgert ist:

„Sei froh, dass du so gut aussieht, Zero. Sonst hätte ich dir jetzt die Leviten gelesen.“

„Tut mir Leid, Gabriel.“

„Das war ja klar, dass du ein Vielschläfer bist.“ Sie schaut mir auf die Haare. Dann streift sie mit ihren Händen durch. „Du siehst unmöglich aus. Ganz zerzaustes Haar.“ Sie wendet sich ihrer Freundin zu. Diese sitzt noch immer auf der Couch und mustert mich eindringlich. „Felea? Das ist Zero. Zero, das ist Felea, meine beste Freundin. Jimbo und Elmar wirst du noch kennen lernen.“ Ich gehe auf das Rothaarige Mädchen zu. Ihr Haar hat sie zu zwei Zöpfen gebunden.

„Freut mich, dich kennen zu lernen, Felea.“ Ich halte ihr meine Hand hin. Sie steht auf. Immer noch benommen von meinem Anblick. Mittlerweile kann ich sie sogar verstehen. Und nimmt meine Hand.

„Ich freu mich auch.“ Sie ist beschämt. Traut sich nicht einmal, mir ins Gesicht zu schauen.
 

Gabriel ruft zum Aufbruch auf. Myke hält mir eine Tasche hin:

„Ich habe euch ein paar Leckereien gemacht.“

„Danke dir.“ Ich führe Gabriel und Felea zur Tür. Beide laufen schon vor. Ich verabschiede mich bei Myke:

„Bis heute Abend.“

„Hab Spaß, Zero. Wer weiß wann du das nächste Mal so eine Freiheit genießen kannst.“ Ich sehe ihr Sorgen an.

„Bist du sicher, dass du den Professor heute überstehen wirst?“

„Mach dir keine Gedanken. Ich bin hart im nehmen. Genieße du den tag mit deinen Freunden.“ Sie lächelt – bedrückt. Nur ungern lasse ich sie allein. Ich weiß, dass sie große Angst vor ihm hat. Aber ich möchte ihr diesen Gefallen tun.
 

Gabriel ruft nach mir. Also folge ich ihr. Wir laufen ins Stadtzentrum. Dort fahren wir mit dem Zug direkt an den Zeanosee. Gabriel und Felea reden wirklich viel. Erstaunlich über was sie alles reden könne. So unbedeutende Themen.

Im Zug sitzen wir auf Bänken die einander zugewandt sind. Sodass wir uns anschauen können. Es sitzen noch andere Jugendliche und junge Erwachsene in dem Zug. Sie verfolgen wohl das gleiche Ziel.

„Sag mal, Zero?“ Ich bin etwas überrascht, dass sie so plötzlich das Thema wechselt.

„Ja, Gabriel?“

„Was macht dein Vater Beruflich?“ War zu erwarten, dass sie nachhaken wird.

„Er gehört zum Vorstand einer Papierfabrik.“ Ich hasse es zu lügen!

„Welcher?“

„Der, im Industriegebiet.“

„Ist das denn wahr?“ Nein, natürlich nicht!

„Ja.“

„Siehst du ihn regelmäßig?“

„Er ist selten zu Hause. Deshalb besuche ich ihn, wenn er mal in Yeron ist, ab und zu auf seinem Arbeitsplatz.“ Gabriel sieht nicht sehr überzeugt davon aus. Ich bin wohl ein schlechter Lügner.
 

Ein kleines Dorf ist unser Ziel. Wir steigen aus. Schon von der Haltestelle kann man den See sehen. Etwas abseits des Bahnsteigs warten Gabriels andere Freunde. Sie sehen uns. Kommen direkt auf uns zu.

„Hallo Gabriel, hi Felea.“ Spricht der eine. Der andere hebt nur stumm lächelnd die Hand. Die Mädchen erwidern seine Begrüßung. Ich spüre eindringliche Blicke auf meiner Haut.

„Das ist also Zero von dem du so viel gesprochen hast?“ Der Tonfall ist sehr provokativ.

„Ja. Darf ich vorstellen? Das sind Elmar und Jimbo.“ Sie scheint seine Art gar nicht wahr zu nehmen. Ausstellend hält sie ihre Hand den beiden entgegen. Dann zu mir: „Jungs, das ich Zero. Passt auf, er nimmt vieles wörtlich.“ Tue ich das? Elmar ist der provokante, Jimbo der stille. Elmar mustert mich noch immer. Jimbo hebt wie zuvor schon kurz die Hand und lächelt.

„Freut mich euch kennen zu lernen.“ Na das kann noch heiter werden…
 

Am Strand breiten die Mädchen eine Picknickdecke aus. Ich sehe mich um. Der Stand ist relativ leer. Die meisten Anwesenden müssten Bewohner aus dem Dorf sein. Der See ist schön. Wenn man einige Kilometer den Stand entlang sieht, sieht man eine größere Stadt. Dort tummeln sich wohl die meisten Menschen am Stand. Das Wasser spiegelt das Blau des Himmels. Es ist schon ein bewundernswertes Element. Ich begegne ihm mit großem Respekt.

„Zero? Träum nicht komm schon. Zieh dich um!“ Gabriel ruft mir zu. Ich drehe mich um. Ihr Anblick schockiert mich. Bis auf die Intimbereiche ist sie vollkommen entkleidet. So habe ich sie noch nie gesehen. Warum werde ich nervös? Mich durchfährt ein ungewöhnliches Gefühl. Die Mädchen laufen zum Wasser. Jimbo und Elmar ziehen ihre Sachen erst noch aus.

Soll ich mich auch ausziehen? Wie Myke es gesagt hat habe ich die Badehose darunter gezogen. Aber ich schäme mich.

„Na? Warst von Gabriels Anblick aber ganz schön atemlos, was?“ Elmar spricht schon wieder sehr provozierend. Ich atme nicht.

„Wie meinst du das?“ Elmar lacht.

„Stell dich nicht dumm, man. Gabriel ist’ne Bombe.“ Jimbo hört nur schweigend zu.

„Bombe?“ Erschüttert erhebt sich Elmar. Er ist genauso groß wie ich. Hat wildes, schwarzes Haar. Große dunkle Augen.

„Du verarschst mich, oder? Ich meine damit, dass ihre weiblichen Reize unsere männlichen Triebe sehr reizen.“ Er betont jedes Wort. Aber jetzt verstehe ich.

„Ach so. Du findest sie attraktiv.“

„Ja, ja…“ Er winkt ab und geht zu Gabriel und Felea. Jimbo schaut mich verwirrt an. Er sieht lächerlich aus. Das ist zwar sehr oberflächlich von mir und eigentlich nicht meine Art. Aber er macht den Eindruck als hätte er von nichts eine Ahnung. Es ist klein und etwas rundlich. Und einen fleischigen Schmollmund. Irgendwie abstoßend. Aber ich merke, dass er sich in seiner Haut unwohl fühlt.

„Elmar spielt gern den starken, bei ihm solltest du deine Fragen lieber für dich behalten.“

„Ich komme schon klar mit ihm. Er ist nicht anders als die alle Anderen.“ Ich blicke zuerst zum Wasser. Lächle dann Jimbo zu. „Gehen wir auch ins Wasser.“

So anstrengend ist Freizeit

Nur mit einer Badehose bekleidet zu sein ist so demütigend. Ich stehe verklemmt am Rande des Wassers. Die seichten Wellen rollen mir über die Füße. Ich traue mich nicht ins Wasser zu gehen. Gabriel erkennt meine Unruhe. Sie kommt auf mich zu.

„Was ist denn los, Zero? Bist du etwa Wasserscheu?“ Sie lächelt mir beherzt zu. So kann man es ausdrücken. Aber sagen will ich nichts. Kann ich nicht. Zudem paralysiert mich ihr Anblick. „Hast du dich heute denn schon eingecremt? Du hast so helle Haut. Du bekommst gleich einen Sonnenbrand!“ Ihre Frage weckt mich:

„Eingecremt? Nein. Wieso?“

„Wieso? Schau dich mal an. Du verbrennst in einer halben Stunde ohne UV-Schutz.“ UV?

„Meine Haut verbrennt in der Sonne nicht. Ich bin doch…“ Halt! Ich hätte mich fast versprochen.

„Was meinst du? Jetzt komm. Ich creme dich ein.“ Sie drückt mich zurück an unseren Platz.
 

„Setz dich.“ Ich setze mich. Sie holt eine Tube aus ihrer Tasche. Sie öffnet den Deckel. Wenn sie draufdrückt, kommt eine weise Paste aus der Öffnung. Sie verteilt es in ihren Händen und fängt an mich ein zu cremen. Ich bin total verwirrt. Irritiert. Nervös. Ich habe das Gefühl zu zittern. Was ist nur los mit mir? Sie fährt mit ihren Händen über meine Schultern. Über die Arme. Langsam und zärtlich. Ich beobachte ihre Bewegungen angespannt. Ein Schauer nach dem anderen fährt mir durch die Glieder. Ich blicke ihr ins Gesicht. Aber sie schaut auf die Stellen die sie eincremt. Ich mustere ihren fast nackten Körper. Ich weiß mir nicht zu helfen. Ich bemerke, dass ihre Hände zögern. Ich hebe den Blick. Sie schaut mich beschämt an. Ihre Wangen sind rot angelaufen. Mir wird plötzlich sehr warm. Mein Energieverbrauch erhöht sich. In ihren Augen… was… ich…

„Wo hast du mir hingestarrt…“ fragt sie leise. Meine Augen weiten sich. Mir wird schwindelig. Was soll ich sagen? Ich weiche ihren Blicken aus. Zaghaft cremt sie weiter. Versucht vom Thema abzulenken:

„Du hast einen sehr weiblichen Körperbau…“ Ich schweige aber weiter. Gabriel cremt mir die Beine ein. Dann den Rücken. Wir schweigen beide. Nur das Rufen und Lachen der anderen Menschen ist zu hören. Felea schreit. Elmar wirfst sie ins Wasser. Zu letzt cremt sie mir noch das Gesicht ein. Vorsichtig fährt sie mit ihren zarten Händen über meine Wangen. Wir schauen uns direkt in die Augen. Meine Gefühle überschlagen sich. Plötzlich kommt sie mir beunruhigend nahe. Sie will gerade ihre Augen schließen, da ruft Elmar:

„Was dauert denn so lange? Kommt schon! Ihr verpasst den ganzen Spaß!“ Erschrocken zuckt sie zurück. Flüstert mit verärgertem Gesichtsausdruck vor sich hin. Was wollte sie?

„Komm, Zero. Gehen wir.“ Nur kurz. Aber sie lächelt mir zu als wäre nichts gewesen. Dann rennt sie zurück zum Wasser. Ich merke, dass ich mich in die Decke gekrallt habe. Verwirrt lasse ich los. Ich meine ihren Atem in meinem Gesicht gespürt zu haben. Noch immer kribbeln ihre Berührungen auf meiner Haut. Ich kann mich einfach nicht beruhigen. Wieder einer der Momente die nie vorbeigehen dürfen.
 

Wieder stehe ich zögernd am Wasser. Elmar kommt:

„Na? Angst vor Wasser?“

„Nein.“

„Dann komm doch rein.“ Er grinst hämisch. Er macht sich über mich lustig. Ehe ich es mich versehe zieht er mich hinter sich her. Immer weiter in den See hinein. Ich versuche mich aus seinem Griff zu befreien, doch er hält mich fest. Das Wasser steht mir bis zur Taille. Es fällt mir schwerer Fuß zu fassen. Schon jetzt entsteht eine Art Schwerelosigkeit die mir nicht behagt.

„Is doch gar net so schlimm, oder?“ Elmar amüsiert sich über mich. Gabriel ist natürlich ganz direkt:

„Kannst du nicht schwimmen, Zero?“

„Doch.“ Warum lüge ich?

„Na also. Dann ist ja alles gut.“ Spricht Elmar. Plötzlich reißt mich etwas von den Füßen. Ich tauche unter und jemand drückt mich weiter. Unter Wasser bin ich völliger Schwerelosigkeit ausgeliefert. Die Bewegungen verlangsamen sich. Ich sehe die Unterleiber der anderen. Den sandigen Grund. Alles wirkt bläulich. Das Licht wird im Wasser gebrochen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Und wie sich das Wasser am Körper anfühlt. Unbeschreiblich.
 

Da packt mich etwas am Arm und zieht mich hoch.

„Du sollst nicht ertrinken, Zero.“ Elmar. Er scheint verwundert. Auch die anderen blicken mich mit fragenden Blicken an. Ich streife mir das haar aus dem Gesicht und frage:

„Was habt ihr? Stimmt etwas nicht?“ Felea fragt:

„Hast du beim Auftauchen keine Luft geschnappt?“ Ein Schock. Ich Atme ja gar nicht und könnte ewig unter Wasser verweilen.

„Doch. Ich hätte ein Problem hätte ich nicht nach Luft geschnappt.“ Die Gemüter entspannen sich wieder.
 

Schnell ist das Thema wieder vergessen. Gabriel schlägt vor ‚Wasserringen’ zu spielen.

„Was soll das sein?“ Frage ich in die Runde.

„Und du willst einer der besten in der Schule sein?“ Elmar macht sich schon wieder über mich lustig. So langsam verärgert er mich.

„Das hat damit nicht zu tun, Elmar.“ Kontere ich.

„Felea setzt sich Beispielweise auf die Schultern von Jimbo und ich auf deine. Felea und ich müssen versuchen den jeweiligen Gegner von den Schultern zu schubsen. Wer fällt verliert. So einfach. Und machst du mit?“ Klingt interessant. Ich nicke.

„Aber du kommst auf meine Schulter, Gabriel.“ Gabriel schaut ihn misstrauisch an.

„Notgeiler Arsch. Das ist egal wer auf wem sitzt. Wir wechseln uns nämlich ab. Jimbo ist auch noch da.“ Notgeiler Arsch? Was soll das sein? Das Wort Arsch hat mir der Professor schon öfter entgegen geschmissen. Aber Notgeil?

„Is ja gut, nich gleich so giftig werden.“ Elmar ist ganz schön vorlaut. Ich habe den beiden Absichtlich nicht in die Augen gesehen. Wer weiß was die zwei an Qualen zu verbergen haben.

„Die Erste Runde. Ich nehme Jimbo als Partner. Felea mit Zero. Elmar, du setzt die Runde aus.“ Gabriel übernimmt gern die Führung. Auch bei Gruppenarbeiten im Unterricht ist mir das schon aufgefallen. Ich tauche unter damit Felea sich auf meine Schultern setzen kann. Als ich wieder auftausche tue ich mir schwer sie zu halten. Ich bin es nicht gewohnt Zusatzgewicht zu tragen. Noch bevor wir das Spiel starten können muss ich Felea wieder absetzen:

„Tut mir Leid. Ich kann dich nicht tragen.“ Das ist mir irgendwie peinlich.

„So schwer bin ich doch gar nicht…“ Felea fühlt sich beleidigt. Warum das jetzt? Ich habe sich nicht beleidigt.

„Oh man, Zero! Du Schwächling! Sogar Jimbo kann mehr tragen als du!“ Elmar. Nein, ich lasse mich nicht darauf ein.

„Hör auf so gemein zu sein. Zero ist halt nicht so sportlich wie du. Dann trägst du Felea. Zero ist der Schietsrichter.“ Dafür könnte ich Gabriel umarmen. Sie steht immer hinter mir.
 

Felea und Gabriel rangeln um den Sieg. Beide lachen sich dabei an. Gabriels Lache ist so erfrischend. Jimbo ist schüchtern. Er scheint durch Gabriel beschämt zu sein. Er scheint sie auch Attraktiv zu finden. Elmar hingegen scheut keine Mittel und Wege ihr den Hof zu machen. Er muss mich wohl als Rivalen sehen. Er greift mich regelrecht an mit seiner Provokation.
 

Felea fällt. Gabriel jubelt.

„Jetzt setzt du dich auf meine Schultern, Gabriel.“ Sie wird still.

„Besser nicht, okay? Mir ist ein wenig kalt. Gehen wir auf den Platz.“

„Das ist nicht Fair!“ Gabriel schubst ihn.

„Komm, Zero.“ Sie lächelt mir zu. Wir laufen voraus. Die anderen Folgen. „Ich wusste nicht, dass du doch so grazil bist, Zero.“ Sie schaut mir verwundert an. Ich weiche ihrem Blick aus. Dazu fällt mir nichts ein. Dazu muss ich auch nichts sagen.
 

Plötzlich schwingt sich Elmar zwischen mich und Gabriel. Legt seine Arme auf unsere Schultern.

„Was redet ihr denn schönes? Darf ich mitreden?“ Sein Blick dürstet nach Gabriel. Das reizt mich.

„Kannst du das mal bitte lassen, Elmar? Du nervst.“ Gabriel wehrt sich. Aber er will nicht locker lassen:

„Komm, wir gehen Eis holen, Gabriel.“ Sie drückt sich von ihm weg. Nimmt sich ihr Handtuch.

„Felea, komm mit. Allein gehe ich nicht mit dir, Elmar. Willst du auch ein Eis, Zero?“ Ich schüttle mit dem Kopf. Entledige mich Elmars Umarmung und setze mich auf die Decke. „Na gut. Wir kommen gleich wieder.“ Die drei gehen den Strand entlang.
 

Jimbo legt sich ein Handtuch um und setzt sich auch auf die Decke. Ich sitze in der Sonne. Das tut gut. Jimbo sitzt im Schatten des Sonnenschirms. Auf einer Hand stütze ich mich ab und starre auf den See hinaus. Er ist groß. Das andere Ufer ist kaum mehr zu sehen. Schon lange hatte ich nicht mehr einen so weiten Horizont sehen dürfen.

„Elmar scheint eifersüchtig auf dich zu sein.“ Verwundert über Jimbos plötzliche Aussage wende ich mich ihm zu.

„Meinst du?“

„Merkst du nicht wie er dich versucht fertig zu machen?“ Mein Blick sinkt.

„Doch.“

„Er steht schon eine ganze weile auf Gabriel. Das sie es noch nicht gemerkt hat, wundert mich.“ Ich schweige. Es schmerzt zu hören, dass Elmar Sympathien für sie empfindet. „Du magst sie auch, oder?“ Ich höre Vorsicht in seiner Stimme.

„Ich weiß es nicht, Jimbo.“ Mein Blick sucht das weite. Ich weiß ganz genau was ich für sie empfinde. Ist das wirklich gut?
 

Die drei kommen wieder zurück. Jeder trägt ein Eis. Gabriel trägt zwei. Sie setzen sich zu uns. Wieder mustere ich Gabriel. Ich kann es mir nicht verkneifen.

„Warum so ein langes Gesicht, Zero? Geht es dir nicht gut?“ Felea ist besorgt um mich.

„Nein. Mir geht es gut. Ich bin nur ein wenig müde. Danke der Nachfrage.“ Elmar muss ja irgendein Kommentar darauf geben…

„Jetzt schon? Das zu nicht zerbrichst wenn man dich anfasst ist gerade alles oder was?“ Finster blicke ich ihn an. Er scheint sich gut zu fühlen, andere zu beleidigen. Gabriel schupst ihn. Ich lege mir mein Handtuch um. Nicht dass er noch Anspielungen auf meinen Körper macht. Sie fangen an über Filme zu sprechen. Myke und ich haben uns schon einige angesehen. Interessant zu sehen wie gut manche Menschen Emotionen vortäuschen können. Ich lausche dem ganzen teilnahmslos. Dabei erkennt man deutlich wer welche Interessen hat.
 

Ich verliere mich in Gedanken. Dadurch merke ich nicht, dass sie das Thema wechseln. Auf einmal packt mir Elmar grob an der Schulter und sagt:

„Stimmt doch, oder, Muskelprotz?“ Ich erschrecke und Blicke ihm direkt in die Augen. Verachtung ist das erste, was ich seinen Augen entnehme. Ich stehe auf.

„Entschuldigt mich.“ Ich gehe weg. Ich möchte nicht in jemanden Anwesenheit sein, der mir nur Schaden zufügen will. Ich höre Gabriel rufen. Aber ich reagiere nicht.

Ich laufe weiter, da höre ich Schritte auf mich zukommen.

Sich beweisen

„Hey, Zero! warte.“ Muss er mir jetzt auch noch nach rennen? Ich drehe mich um. Blicke ihn desinteressiert an. Zumindest versuche ich so zu wirken.

„Warum bist du jetzt beleidigt? Ich habe gar nichts gesagt, man!“ Ich rümpfe die Nase.

„Es geht nicht darum was du gesagt hast, sondern wie du es gesagt hast.“ Er versteht mich nicht.

„Wie, wie ich es gesagt habe. Wenn ich nicht mal ETWAS zu dir gesagt habe?“ Ich muss mich zusammen reißen. In Mir kocht der Zorn.

„Vergiss es.“ Das ist das einzige das ich raus bekomme. Ich drehe mich weg. Will weiter laufen. Aber Elmar zerrt mir am Handtuch. „LASS mich los!“ Elmar erschreckt. Für einen Moment habe ich meine Illusion vernachlässigt. Zum Glück nur sehr kurz.

„Traut sich der Schwächling sich mit mir anzulegen?“ Er hebt arrogant die Nase. Das Maß ist voll! Ich hebe die Hand. Schlage mit der flachen Hand in sein Gesicht.

„Schwach ist nur der, der auf schwächere losgeht!“ Elmar ist fassungslos. Kann nicht mal etwas sagen. Ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist.
 

Gabriel mischt sich ein:

„Hey, Jungs. Beruhigt euch.“

„Du schlägst wie ein Mädchen.“ Er spricht durch die zähne. Das soll bedrohlich wirken. Mich aber kümmert es nicht.

„Elmar, hör auf!“

„Nein, hör ich nicht. Keiner nennt mich einen Schwächling. Wenn du dich so toll fühlst, nur weil du Kohle hast, dann komm doch! KOMM!“ Er macht sich groß. Winkt mich zu sich. Ich verstehe ihn nicht.

„Elmar! Es macht keinen Sinn, okay? Beruhige dich.“ Jimbo kommt um zu helfen. Ich bekomme plötzlich Angst. Elmars Blick ähnelt dem des Professors. Ich gehe ein paar Schritte zurück.

„Wenn ihr euch unbedingt bekriegen wollt, dann ohne Gewallt. Spielen wir Spiele. Der Bessere gewinnt.“ Gabriel weiß zwar immer kluge Wege aus solchen Situationen. Aber diesmal kann ich mich damit nicht richtig anfreunden.
 

Gabriel und Felea haben einige Aufgaben ausgewählt, die sie uns nun bekannt geben:

„Der Wettkampf besteht aus drei Runden. Die erste Runde Strandflagge, die zweite Runde Ringetauchen und die dritte Runde Schlag-ihn-runter. In der ersten Runde könnt ihr einen Punkt erreichen. In der zweiten bis zu zehn und in der dritten bis zu fünf. Auf geht’s.“ Körperliche Aktivitäten… Hat Gabriel schon vergessen dass ich nicht sehr stark bin. Ich betrachte mir Elmars Reaktion. Übermütig. Er sieht sich jetzt schon als Sieger.

Felea steht einen Stock in den Sand an dem ein Tuch befestigt ist. Elmar und ich sollen uns auf den Bauch legen. Mit den Füßen zur Flagge. Das erschwert den Start. Hundert Meter trennen uns von der Flagge.

„Mach es dir in meinem Schatten bequem, Zero. Du wirst das Licht des Sieges nämlich nicht genießen können.“ Er lacht mich an.

„Seit ihr soweit?“ Gabriel hebt eine Hand gen Himmel. „Auf die Plätze… fertig… los!“ Ich springe auf und renne vor. Doch Elmar hat mich auch gleich schon eingeholt. Ich höre wie Felea und Gabriel mir zurufen. Aber lachend sprintet er an mir vorbei. Nicht einmal auf halbem Wege sinke ich schon in die Knie. Ich bin eigentlich kein schlechter Verlierer, doch das schmerzt furchtbar mein Ego. Ich muss zusehen wie Elmar im Ziel die Flagge schwenkt. Gabriel hilft mir auf.

„Lass dich nicht entmutigen. Du kannst beim Tauchen punkte holen.“ Ich kann nicht mal schwimmen.
 

Jimbo verteilt Gummiringe im Wasser. An einer stelle an der man nicht mehr stehen kann. Das Wasser ist zwar klar, aber die Strömung stark. Wir stellen uns am Ufer auf. Ich bin nervös.

„Ihr dürft nur einmal Tauchen.“ Jimbo kommt aus dem Wasser. Gabriel gibt wieder zum Start frei. Elmar rennt voraus und lässt sich kopf über ins Wasser fallen. Ich laufe nur zögerlich ins Wasser. Bis mir das Wasser bis zur Brust geht. Ich schaffe das schon irgendwie. Wasser verhält sich ähnlich wie Luft… ich tauche unter. Ich sehe wie eifrig Elmar am sammeln ist. Hat bisher aber nur vier fassen können. Ich benutze meine Arme ähnlich wie Flügel. Das sehe ich mir von Elmar ab. Es ist trotz allem sehr kraftaufwendig. Elmar geht die Luft aus. Er hat sieben Ringe. Doch beim Auftauchen verliert er drei. Ich greife sie sie mir. Am Grund ziehe ich mich über den Boden. Das ist sehr einfach. Mit aller Ruhe sammle ich alle sechs übrigen. Um Kraft zu sparen ziehe ich mich am Grund zum Ufer. An der Stelle an der ich wieder stehen kann tauche ich auf. Ich wische mir das Haar aus dem Gesicht. Gabriel, Felea und Jimbo laufen besorgt auf mich zu.

„Ist alles okay? Du warst so lange unter Wasser dass wir uns schon sorgen gemacht haben.“

„Mir geht es gut. Ich habe die restlichen Ringe alle eingesammelt.“

„Dann gehst du mit sieben Punkten in Führung. Es steht sieben zu fünf.“ Ich fühle mich erleichtert. Aber Elmar greift wieder an. Er muss sein Gesicht wahren.

„Hätte ich die drei Ringe nicht verloren hättest du net so viele gesammelt. Das war nur Glück.“ Trotz allem grinst er hämisch.
 

Die Letzte Runde. Ich soll versuchen Elmar mit einem gepolsterten Stab von einem Balken zu stoßen. Ich nehme den Stab und gehe auf den Balken. Er hängt einen halben Meter über dem Sand. Gabriel läutet die erste Runde ein. Mit nur einem Schlag von Elmar verliere ich das Gleichgewicht und falle vom Balken. Er lacht laut:

„Oh man! Ist das schon alles was du kannst? Ich sag doch, dass der Tauchgang reiner Zufall war!“

„Sei still, Elmar!“ ruft Gabriel.

In der zweiten Runde kann ich mich etwas länger auf dem Balken halten. Aber er schlägt einfach zu stark. Das hat doch keinen Sinn. Warum mache ich das hier überhaupt mit?

„Na? Willst du aufgeben? Oder warum dauert das so lang? Du bist ja so jämmerlich!“ Mir kommt eine Idee. Ich stelle mir einfach vor, der Professor stehe mir gegenüber. Das wollte ich schon immer machen. Ich kann mir ein flüchtiges grinsen nicht verkneifen. Ich stelle mich wieder auf den Balken. Gabriel läutet die dritte Runde ein. Wir schlagen gleichzeitig. Als Elmar aber noch sein Bleichgewicht reguliert schlage ich erneut. Mit voller wucht reiße ich ihn damit vom Balken. Das ist ein tolles Gefühl. Auf ihn herab zu sehen. Aber noch habe ich nicht gewonnen.

„Das war nur Zufall.“ Stammelt er.

Die vierte Runde beginnt. Ich will nicht fallen. Ich will gewinnen. Er prügelt mit dem Stock auf mich ein. Aber ich halte mich. Ich muss. Bei seinem nächsten Schlag holt er weit aus. Ich habe keine Zeit mehr zu schlagen. Also weiche ich aus. Durch die Wucht, die sich an mir nicht entladen konnte, schleudert er sich selbst vom Balken.

„Welch Ironie.“ Ich lächle ihm fies zu. Präsentiere mich triumphierend. Ich sehe Scham in seinen Augen. Ein prüfender Blick zu Gabriel seinerseits. Sie aber gratuliert mir zu meinem Sieg. Selbst wenn er noch den letzten Punkt holen würde, hätte ich gewonnen.
 

Ich steige vom Balken und möchte ihm aufhelfen. Aber er lehnt meine Hilfe ab. Sein Ego wurde verletzt.

„Das hast du nun davon, dass du mich schwach genannt hast. Lass dich vom äußeren niemals täuschen.“ Einsichtig wird er wohl nicht werden wollen. Aber ich wundere mich schon über meinen sieg. Vielleicht hätte ich mehr physische Kraft, wenn ich sie mir zutrauen würde. Elmar sagt auch nichts mehr. Ein tolles Gefühl. Daran könnte ich mich gewöhnen.
 

Wir gehen zurück an den Platz. Gabriel und Felea haben Hunger. Ich biete ihnen den Korb an, den Myke uns mitgegeben hat. Total begeistert probieren sie von den Kleinigkeiten.

„Zero, du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen. Du musst was essen. Du bist schon schmal genug.“ Gabriel entgeht auch nichts. Ich aber lehne ab:

„Ich habe keinen Hunger. Reicht ruhig ordentlich zu.“

„Aber du muss doch essen.“ Ich schüttle mit dem Kopf.

„Ich bin müde. Wenn es euch nichts ausmacht lege ich mich ein wenig hin.“ Vom Thema ablenken. Das ist so menschlich. Aber was sollte ich den sagen? Davon mal abgesehen hat mich der Wettbewerb wirklich viel Energie gekostet.

„Na gut.“ Gabriel ist so liebenswürdig. Ich lege mich in die Sonne. „Aber Zero! Doch nicht in die Sonne! Mit deiner Haut…“ Verwundert schaue ich sie an.

„Du hast mich doch eingecremt.“

„Ja, aber das wirkt doch schon längst nicht mehr. Ich creme dir noch einmal den Rücken ein. Bleib da.“ Sie nimmt die Sonnencreme und kommt zu mir. Sie setzt sich auf meine Beine und beginnt mir den Rücken einzucremen. Ich sehe Elmars eifersüchtigen Blick. Ich drehe meinen Kopf weg und lege ihn auf meine Arme. Schließe die Augen und genieße ihre wohltuenden Streicheleinheiten. Ihre Hände gleiten zart über die Schultern. Die Oberarme entlang und wieder zurück. Großflächig über den Rücken. Ich schlafe langsam ein.
 

Etwas Kaltes tropft auf meinen Rücken. Mit getrübten Sinnen sehe ich mich um. Gabriel wickelt sich gerade in ihr Handtuch ein. Schaut mich fröhlich an:

„Bist du endlich aufgewacht?“

„Wie lange habe ich geschlafen?“

„Drei bis vier Stunden dürften es gewesen sein. Du scheinst es aber auch gebraucht zu haben.“ Ich setze mich auf.

„Wo sind die anderen?“ Mit dem Kinn deutet sie zum See.

„Sie sind noch im Wasser. Mir ist kalt geworden. Aber die wollten noch nicht raus.“ Gabriel ist rot im Gesicht geworden. Vor allem die Nase und auf den Wangenknochen.

„Du sagst mir, ich soll mich vor der Sonne schützen, aber du lässt dich von ihr so zurichten?“ Erschüttert schaut sie mich an.

„Wie meinst du das?“

„Du hast dich verbrannt im Gesicht.“ Sie tastet sich die betroffenen stellen ab.

„Ich habe mich regelmäßig eingekremt. Aber die Sonne ist wohl stärker.“ Sie mustert mich. „Mich wundert’s, dass du keinen Sonnenbrand hast, obwohl du Kreideweiß bist.“ Ich schaue mir auf die Arme.

„Du hast mich auch gründlich eingecremt.“ Ich bin verlegen. Gabriel wird auch verlegen.

„Ach… das…“
 

Ich nehme die Sonnencreme. Tu mir eine kleine Portion auf die Handfläche. Ich setze mich vor sie und reibe ihr vorsichtig die verbrannten Stellen ein. Was ich angenehm finde, wird ihr sicher auch gefallen. Sie schließt die Augen. Plötzlich fängt sie zu lächeln an. Ich möchte gern den genauen Grund wissen.

„Warum lächelst du?“ Ich höre auf zu cremen, da alles gleichmäßig verteilt ist. Sie schaut mich an.

„Ich fand’s schön. Ich wusste nicht, dass Jungs so zärtlich sein können.“ Verlegen wendet sie ihren Blick ab: „Würdest du vielleicht auch noch meinen Rücken eincremen…? Ich allein kann das schlecht machen.“

„Gerne.“ Sie dreht sich mit dem Rücken zu mir und lässt das Handtuch von den Schultern rutschen. Ich gebe mir wieder etwas creme auf die Hand. Auch ihre Schultern sind verbrannt. Vorsichtig verreibe ich die Creme auf ihrer Haut. Ihr Körper ist ganz warm. Ihre Haut zart.

Nach einer Weile lehnt sich Gabriel zurück. Mit ihrem Körper an meinen. Ihren Kopf legt sie auf meine Schulter. Wieder durchfährt mich dieses Gefühl. Viele Gefühle auf einmal. Gabriel nimmt meine Hände und legt sie um ihren Leib. Ich weiß nicht wie ich reagieren soll.

„Das letzte Mal als wir uns so nahe standen, war im Winter. Erinnerst du dich? Wir haben uns ganz lange umarmt.“

„Ich erinnere mich.“ Ich kann fast nur flüstern vor Aufregung.

„Damals dachte ich Flügel gesehen zu haben.“ Während sie spricht streichelt sie meine Hand. Myke macht das auch öfter um mich zu trösten. „Ich glaube wirklich, dass du eine Art Engel bist. Kein Mensch ist so gerecht und gutherzig wie du.“

„Ich kenne einen Menschen der die von dir genannten Eigenschaften besitzt.“

Ein Tag klingt entspannt aus

„Wen denn?“

„Dich, Gabriel.“ Sie hört kurz auf zu Streicheln.

„Echt? Nee, komm. Ich doch nicht.“

„Warum nicht? Gibt es da etwas, was ich nicht gesehen habe?“

„Weiß nicht. Du warst doch enttäuscht von mir, weil ich Samsa ausgeschlossen habe.“

„Wo Licht ist, da ist auch Schatten. Aber du hast es nicht aus Boshaftigkeit getan.“ Dieses Gefühl ist unbeschreiblich. Hier mit ihr zu sitzen. Zu reden. Es kommt mir so vor, als würde ich sie nicht kennen. Mit einem Menschen zu sprechen, offenbart viele Dinge, die man in einer Seele gar nicht lesen kann. Gabriel ist still. Das verunsichert mich ein wenig. Ob ich sie vielleicht verletzt habe? Sie spielt nervös mit meinen Fingern. Ich wollte gerade etwas sagen, da spricht Gabriel:

„Weißt du? Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mir was Wichtiges verheimlichst.“ Ihre Aussage schockiert mich. Ich werde auch nervös. Sie hat ja so Recht. Ich muss mir eingestehen, dass ich ein sehr schlechter Lügner bin. Es ist schon eine Frechheit die Intelligenz von Gabriel in Frage zu stellen. „Warum sagst du nichts, Zero?“ Hör auf mir ein schlechtes Gewissen zu machen… Ich habe es doch schon schwer genug…

„Wie meinst du das?“ Sich unwissend stellen ist momentan das einzige, das ich machen kann. Sie dreht sich zu mir um.

„Es kommt mir so vor, als willst du mir eine Seite von dir nicht zeigen. Auch die Person, die immer bei dir hinten im Auto sitzt verheimlichst du mir.“ Ihr Blick zerreist mich innerlich. Ich weiche aus. „Ich bin dir nicht böse, Zero. Ich finde es nur traurig, dass du mir nicht alles sagen willst.“ Ihr Blick sinkt. „Komme ich die nicht Vertrauenswürdig vor?“

„Gabriel.“ Ich nehme ihre Hand. Halte sie fest. Sie hebt den Kopf. „Es gibt manche Dinge, die Zeit brauchen. Manche Dinge bedürfen eines richtigen Zeitpunkts. Ich werde dir nichts vorenthalten. Das will ich gar nicht. Aber momentan kann ich dir einiges nicht sagen.“ Ich hoffe sie versteht es. Doch ihr Blick wirkt noch viel schmerzlicher. Ich wollte es gerade verdeutlichen. Da fällt sie mir in die Arme. Ich lege meine Arme um sie. Ich nehme an, dass sie mir vertraut. Eine ganze Weile liegen wir uns in den Armen.
 

Elmar, Felea und Jimbo kommen.

„Nicht kuscheln! Das ist verboten.“ Gabriel lässt von mir Ab. Ich blicke Elmar an. Wie kann man nur so eifersüchtig sein? Ich rümpfe die Nase. Da fällt mir auf; ich war heute Morgen auch eifersüchtig. Ich bin viel zu menschlich geworden. Wir haben dreiundzwanzig Uhr Abends. In zwei Stunden geht die Sonne unter.

„Ich freue mich schon aufs Feuerwerk. Von hier soll das ja voll gut zu sehen sein.“ Sagt Felea.

„Feuerwerk?“ Was soll das sein? Ich blicke Gabriel fragend an.

„Du weißt nicht was ein Feuerwerk ist?“ spottet Elmar höhnisch.

„Nein weiß ich nicht! Deshalb frage ich, oder etwa nicht?“ antworte ich genauso bissig.

„Bei einem Feuerwerk, werden Raketen in den Himmel geschossen. Wenn sie explodieren verbrennen die verschiedenen Schießpulver und zeichnen schöne, bunte Bilder in den Himmel. Wenn’s dunkel ist, sieht es am schönsten aus. So was wird nur zu großen Feiern veranstaltet.“ Gabriel ist auch verwundert, dass ich es nicht weiß.

„Ah, und was wird gefeiert?“ Alle schauen mich an. Für eine Weile ist es ruhig.

„Heute ist Sommeranfang. Jedes Jahr wird in Merakia das Sommerfest gefeiert.“ Sommerfest. Die Menschen rechnen die Jahreszeiten nach dem Lauf der Sonne. Und heute hat die Sonne auf dem nördlichen Wendekreis ihren Zenit erreicht. Das heißt die Tage werden wieder kürzer.

„Heute ist also die kürzeste Nacht des Jahres.“

„Genau.“ Gabriel stimmt zu.
 

Sie Essen die letzten Kleinigkeiten. Lachen über die Bilder, die Felea die Zeit über gemacht hat. Ich spüre wie der Wind sich dreht. Am Tag weht er vom Innland über den See. Jetzt schwächt er ab.

„Warum sind alle Bilder, auf denen Zero mit drauf ist so milchig?“ Gabriel wundert sich das. Ich werde hellhörig. „Guck doch. Als ob Zero leuchten würde und die Linse blendet!“ Alle sehen mich an. Als ob ich was verbrochen hätte.

„Erwartet ihr von mir jetzt eine Erklärung?“

„In gewisser Weise, ja“ antwortet Felea. „So was habe ich noch nie gesehen. Wenn das einmal passiert, weil irgendetwas die Linse trübt, ist das normal. Aber jedes Bild mit dir ist überlichtet.“ Ich versuche mit Desinteresse auszuweichen. Es liegt sicher daran, dass ich aus Licht bestehe. Aber das kann ich ihr schlecht sagen.

„Ich weiß nicht warum. Vielleicht mag mich die Kamera nicht.“ Jetzt werde ich schon sarkastisch.

„Ich schieße ein Testfoto.“ Sie hält die Kamera hoch und schießt ein Foto. „Schon wieder.“

„liegt es vielleicht an seiner hellen Haut? Er hat ja schon ungewöhnlich helle Haut für einen Schwarzhaarigen.“ Gabriel versucht eine Erklärung zu finden.

„Auf dem Bild sieht es eher so aus als hätte er helles Haar.“ Korrigiert Felea.

„Ist doch egal…“ sagen ich und Elmar zur selben Zeit. Er sieht mich kurz an.

„Vielleicht ist die Kamera kaputt. Kann man jetzt nicht ändern.“ Elmar mag es gar nicht wenn es nur um mich geht. Ich übrigens auch nicht.
 

Das Thema ist schnell wieder vergessen. Die Sonne ist fast unter gegangen. Gabriel und Felea haben sich umgezogen, da ihnen kalt wurde. Auch ich habe mich im laufe der Zeit umgezogen. Fühle mich auch schon viel wohler. Elmar hat sich nur sein Hemd angezogen. Der Stand ist leer geworden. Nur noch ein paar wenige Menschen neben uns halten sich hier auf.

Wir spazieren den Strand entlang. Elmar und Jimbo treiben Schabernack. Gabriel und Felea unterhalten sich wieder über alle möglichen Themen. Die Lichter der Stadt spiegeln sich im See. Es hat etwas Fesselndes. Obwohl ich künstliches Licht eigentlich gar nicht leiden mag. Plötzlich sprüht ein goldener Funkenregen kreisförmig in den Himmel. Darauf ein dumpfer Schlag.

„Oh, das Feuerwerk beginnt! Guck, Zero!“ Gabriel ist ganz außer sich vor Freude. Auch Elmar und Jimbo werden auf das Feuerwerk aufmerksam. Noch einmal explodiert ein goldener Funkenregen. Erwartungsvoll beobachte ich den Himmel über der Stadt.

Dann folgen viele bunte Farbspektakel in der Luft. Meist kreisförmig. Ab und zu spritzen aber auch Fontänen in die Luft. Das sollen Menschen erfunden haben? Scheint mir eher wie Magie. Aber ich verstehe was die Menschen daran so bannt. Ein Lichterregen wie es sonst nur die Sonne zu erschaffen vermag. Ganz banal nachgeahmt mit chemischen Elementen. Die Beschreibung ‚wunderschön’ fasst dieses Phänomen gut zusammen. Es zieht mich ganz in seinen Bann.
 

Gabriel kommt zu mir. Hakt sich bei mir ein und legt ihren Kopf auf meine Schulter. Wie soll ich mich auf das Feuerwerk konzentrieren wenn sie mir mit ihrer Schönheit die Sicht nimmt. Aber ich fühle mich gut. Auf gewisse Weise frei. Unbelassen. Ja. Ich könnte die Welt umarmen!

„Gefällt es dir, Zero?“ Fragt Gabriel.

„Ja. Sehr.“ Ich merke, sie mustert mich.

„Du siehst glücklich aus. So habe ich dich noch nie gesehen.“ Darauf sage ich nichts. Muss ich auch nicht. Zu manchen Dingen muss man nichts sagen.
 

Das Feuerwerk klingt langsam aus. Es war ein tolles Erlebnis. Gabriel gähnt beherzt. Es war auch wirklich ein anstrengender Tag. Myke behält Recht wenn sie sagt, dass auch ein freier Tag sehr anstrengend sein kann.

Wir packen unsere Sachen zusammen. Am Bahnhof warten wir auf den Zug. Schade dass der Tag schon vorbei ist. Wir erzählen auch nicht viel. Gabriel und Felea diskutieren, welche Bilder in ihr Album kommen sollen. Elmar tippt auf einem Mobiltelefon herum.

Nach einer Weile kommt der Zug angefahren. Er ist ziemlich voll. Viele verlassen das Sommerfest. Der Zug pendelt zwischen Yeron und der anderen Stadt. Wir steigen ein. Einen Sitzplatz bekommen wir nicht mehr. Gabriel und Felea lehnen sich an eine Glaswand, die die Sitzbereiche voneinander trennt. Elmar und Jimbo halten sich an den Stangen fest. Ich suche mir eine freie Stelle. Aber die Menschen wollen keinen Platz machen. Also bleibe ich stehen ohne mich festhalten zu können. In diesem Gedränge kann man ohnehin nicht umfallen.
 

Alle reden durcheinander. Ich verstehe immer nur einzelne Wörter. Teilnahmslos stehe ich im Gang. Ich höre wie sich jemand den weg durch den Gang erkämpft.

„Hey, Zero!“ Ich hebe meinen Kopf.

„Samsa?! Wie schön dich zu sehen.“ Eben noch war ich müde. Bin nun aber hell wach. Er zwängt sich auch am letzten Menschen vorbei und umarmt mich. Ich erwidere sie.

„Ich habe dich vermisst, Zero. Ich habe dir so viel zu verdanken.“ Er sieht mich glücklich an.

„lass dich ansehen.“ Ich nehme sein Gesicht in meine Hände. Ich sehe keinen Kummer mehr in seiner Seele. „Du sieht gut aus, Samsa. Richtig gesund.“

„Danke. Aber nur wegen dir.“ Dann verschwindet sein lächeln. „Aber du siehst nicht gut aus.“

„Ich bin müde.“

„Nein. Irgendwas beschäftigt dich.“ Bin ich etwa lesbar, wie ein offenes Buch? Das ärgert mich.

„Die letzte Zeit war nur sehr anstrengend für mich. Nichts, worüber du dich sorgen müsstest, Samsa.“ Samsa schaut misstrauisch. Ich wechsle das Thema. Es ist mir unangenehm über mich zu strechen. „Warst du auf dem Sommerfest?“

„Ja. Du nicht?“

„Nein. Gabriel und ihre Freunde haben mich mit an den Strand genommen.“

„Dann wirst du wohl nicht mit mir noch in die Spielewelt gehen, oder? Wir wollten da noch hin. Meine Freunde und ich. Wir hätten dich mitgenommen.“

„Ich bin froh, wenn ich gleich zu Hause in mein Bett fallen darf.“ Ein wages Schmunzeln fährt mir über die Lippen. „Aber das können wir gerne nachholen. Darauf freue ich mich schon.“

„Na gut.“ Kurzes Schweigen. Ich sehe aus dem Fenster. Wir fahren gerade Yeron ein. „Weißt du. Das habe ich dir noch gar nicht erzählt…“ Samsa wird ganz verlegen. Was er mir wohl sagen möchte? „…Ich habe ein Mädchen kennen gelernt…“ Sein Gesicht wird rot. „…Sie mag mich.“ Er lächelt beschämt. „Das freut mich für dich. Das ist so schön, dass du ein neues, besseres Leben anfangen konntest.“

„Wir gehen oft zusammen aus. Sie ist eine Klasse niedriger, aber das macht nichts. Ich helfe ihr immer bei den Hausaufgaben. Ich habe ihr meine Gefühle noch nicht gestanden… aber ich habe vor es zu tun!“

„Viel Erfolg, Samsa. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt.“ Ich lächle ihn an.
 

Der Zug hält am Hauptbahnhof von Yeron. Alle steigen aus, denn der Zug endet hier. Samsa und Gabriel entdecken sich und grüßen sich freundlich. Das freut mich. Dann verabschieden wir uns voneinander.

„Machs Gut, Zero. Wir hören uns die Tage! Ciao!“ Er winkt mir zu, während er mit deinen Freunden ihrer Wege gehen. Ich winke ihm nach. Ich habe ein unwohles Gefühl. Ich wende mich Gabriel zu. Elmar ist schon gegangen. Solch ein unfreundlicher Schuft! Jimbo reicht mir seine Hand.

„War nett mit dir. Man sieht sich, Zero.“ Er lächelt mir freundlich zu und geht das Gleis wechseln.

Felea, Gabriel und ich machen uns auf den Weg nach Hause.

Schwer verdaulich

Wir laufen durch das Bling-Bling-Viertel. Es ist von den Metern zwar ein kürzerer Weg, aber wenn Gabriel und Felea ständig an den Schaufenstern halt machen, wäre der längste Weg kürzer als die Abkürzung. Beide wollen unbedingt in ein Modegeschäft. Ich willige ein. Was anderes bleibt mir auch nicht übrig. In dem Geschäft wühlen sie die zwei durch die Kleiderständer. Ich stehe fast noch im Eingang; bereit ihn sofort wieder zu verlassen. Blicke stumm von Ecke zu Ecke. Ich sehe wie Gabriel und Felea zu einer Umkleidekabine laufen. Ich laufe langsam durch das Geschäft. Betrachte mir einige Kleidungsstücke. Eine Frau kommt auf mich zu: „Kann ich ihnen helfen?“ „Nein. Ich bin nur in Begleitung.“ Ich widme der Frau nur einen kurzen Blick, ehe ich weiter gehe. Gabriel Ruft mich. Ich schaue auf. Da sehe ich sie in einem Frühlingsgrünen Kleid vor den Kabinen stehen. Es hat Flügelärmel und fällt ihr elegant über die Hüfte. Wunderschön. Lange mustere ich sie sprachlos.

„Wie findest du es?“ scheinbar wie aus einem Schlaf erwache ich. Schaue sie fragend an, aber verstehe dann doch, was sie sagt.

„Es steht dir sehr gut.“ Gabriel lächelt beschämt aber zufrieden.

„Dann kaufe ich es.“ In all dieser Zeit, in der ich Gabriel nun kenne, habe ich sie noch nie in Privat-Klamotten gesehen. Allein das halbnackte Erscheinen heute Mittag hat mir schon die Sprache verschlagen. Die Uniformen haben ihren Charakter nicht widergespiegelt. Aber dieses Kleid hat genau dieselben Farben, wie ihre Seele.
 

„Zero?“ meine Gedanken werden von Felea unterbrochen. Eingeschüchtert versteckt sie ihren Körper hinter dem Vorhang vor mir.

„Ja, Felea?“ Sie zögert. Was hat sie nur. Da tritt sie langsam hinter dem Vorhang vor. Sie trägt ein knappes Kleid in Pastellfarben. Sie schämt sich und zieht sich das Kleid immer etwas runter.

„Gabriel hat mich gezwungen, das anzuprobieren… das ist aber so gewagt.“ Ehe ich etwas sagen kann, ruft Gabriel aus ihrer Umkleidekabine:

„Du musst offener werden!“

„Felea, wenn du dich in dieser Kleidung nicht wohl fühlst, dann musst du sie auch nicht anziehen.“

„Aber Gabriel sagt, ich ziehe immer Klamotten an, die nicht zu mir passen.“

„Dieses Kleid passt doch auch nicht zu dir. Du solltest nur das anziehen, was dir gefällt. Und nicht was anderen gefällt.“

„Okay.“ Sie verschwindet wieder in der Kabine. Gabriel kommt raus und schaut mich mahnend an. Ich bin verwirrt. Habe ich denn etwas falsch gesagt?

„Du solltest dich nicht in die Mode der Frauen einmischen.“

„Aber warum nicht? Sie hat sich sichtlich nicht wohl gefühlt. Man kann ihr auch anders mehr Selbstbewusstsein geben. Ich finde es unverschämt, ihr, als gute Freundin von Felea so etwas zuzumuten.“ Gabriel weiß darauf nicht zu antworten. Ich erkenne ja den guten Zweck in ihrem Handeln.
 

Felea verlässt umgezogen die Kabine.

„Bitte nicht streiten. Ist doch nur ein Kleid.“ Streiten wir? Fühlt Gabriel sich wirklich von mir angegriffen?

„Wir streiten nicht.“ Gabriel wendet sich ab „Gehen wir zur Kasse.“ Aber sie ist sichtbar getroffen.

„Aber ich wollte auch was kaufen.“ Felea läuft ihr trotzdem nach. Ich verstehe Gabriels Verhalten nicht. Im Vorbeilaufen an den Kleiderständern fällt mir ein Kleidungsstück auf. Eine Bluse. Laut dem Werbespruch die neuste Mode. Unter Mode verstehe ich Gruppenzwang. Ich nehme es in die Hand. Die Farbe würde zu Felea passen. Ein zartes Lila. Es wirkt schon fast bläulich.

„Felea?“ Sie dreht sich um; schaut mich an. „Sieh mal. Ich meine etwas für dich gefunden zu haben.“ Sie kommt auch sofort angelaufen. Ich beobachte Gabriel. Sie wirkt neugierig. Aber skeptisch.

Felea schaut sich die Bluse an.

„Woher weißt du, dass Lila meine Lieblingsfarbe ist?“ Woher ich das weiß? Das wusste ich nicht.

„Ich dachte mir, dass die Farbe zu dir passt. Dass du sie magst wusste ich nicht.“

„Ich möchte noch ein passendes Teil dazu. Hose oder Rock. Hilft du mir?“ Verwundert über ihre Bitte antworte ich:

„Gern.“
 

Mit wachsamen Augen durchsuche ich die Kleiderständer. Gabriel kommt nach dem bezahlen zu mir. Sie sucht mit. Aber mir kommt es so vor als tue sie nur so.

„Bist du gekränkt, Gabriel?“ Sie würdigt mich keines Blicks.

„Nein. Warum sollte ich.“ Allein dieser Tonfall sagt mir, dass die etwas hat.

„Ich wollte dir nichts schlecht reden.“

„Wovon sprichst du?“ Will sie mich etwa für dumm verkaufen? Das ärgert mich. Ich greife ihren Arm. Damit meine Worte sie endlich erreichen.

„Sei nicht so stur, Gabriel! Du weißt ganz genau wovon ich spreche. Und du solltest wissen, dass ich deine Modekenntnisse nicht in Frage stelle! Und ich sehe, dass es nur gut gemeint ist, von dir. Aber du solltest ein wenig mehr auf die Gefühle von Felea achten. Nicht alles was gut an Felea aussieht, gibt ihr sofort das Gefühl der Geborgenheit.“ Es ist anstrengend viel zu reden. Ich lasse sie los. Sie schaut mich getroffen an. Na bitte. Wenigstens ist sie einsichtig geworden. Ein reinrassiger Engel hätte sich niemals auf solch eine Diskussion eingelassen.

„Tut mir Leid. Du hast ja Recht.“

„Ich nehme es dir nicht übel.“ Bei diesen Worten fällt mir ein hellblauer Rock auf. Ich schaue ihn mir näher an. Er besteht aus zwei Stoffen. Der eine Durchsichtig und Blau. Der darunter untransparent und weiß. Er ist leicht und gleitet sehr schön. So ähnlich wie mein Gewand. „Felea. Das solltest du dir ansehen.“ Auch mit dieser Auswahl habe ich ihren Geschmack getroffen. Sie kauft sich beide Teile.
 

Wieder auf dem nach Hause Weg fragt mich Gabriel ungläubig:

„Du liest doch heimlich Modemagazine, oder?“

„Ich lese nicht.“

„Aber du hast genau Feleas Geschmack getroffen.“

„Ich das denn so verwunderlich?“

„Für nen Kerl schon.“ Für einen Kerl? Spielt das Geschlecht denn eine so große Rolle?

„Das hat doch nichts mit dem Geschlecht zu tun. Wenn man den Charakter kennt, ist das doch nicht schwer. Menschen Kleiden sich nach ihrem Charakter. Deshalb hat sich Felea in dem Kleid nicht wohl gefühlt.“ Ach ich bin erschöpft…
 

Wir sind in unserem Wohnviertel angekommen. Fern vom Großstadtlärm. Matte Straßenlaternen beleuchten die verlassenen Straßen. Manchen Gehweg ziert ein parkendes Auto. Bis auf Gabriel und Felea ist alles still. Sie sprechen über Filme. Attraktive Schauspieler. Die beiden lassen sich nicht ermüden. Felea übernachtet diese Nacht bei Gabriel. Das scheinen gute Freunde wohl so zu machen. Was man zusammen wohl macht? Das machen viele aus der Klasse, ist mir aufgefallen.
 

Ob ich in den Sommerferien noch einmal einen so schönen Tag haben werde? Ich glaube, der Professor hat sie Sommerferien wohl schon vollkommen verplant. Ob Myke den Tag wohl heil überstanden hat? Ich hoffe die Energie reicht für Morgen noch. Ich werde wohl keine Zeit finden mich am Licht zu nähren.

„Hier heißt es Abschied nehmen.“ Überrascht schaue ich auf. Dieselbe Kreuzung an der wir uns zum ersten Mal in den Armen lagen. Genauso dunkel wie damals. Nur diesmal sind wir nicht allein. Ich schaue Gabriel an. Ich will sie nicht schon wieder gehen lassen.

„Der Tag war schön mit euch. Ich danke euch dafür.“

„Warum dankst du?“ Gabriel lacht heiter. „Aber ich fand den tag auch toll.“ Sie wird verlegen. Ob sie an die Momente mit mir allein denkt? Da werde auch ich verlegen. Ein Gefühl einfach hinzunehmen wie es ist, ist schwer für mich. Gabriel will auf mich zugehen, zögert aber. „Also dann…“ Sie wendet sich unsicher ab. Dabei will ich es aber nicht belassen. Ich laufe auf sie zu, drehe sie zu mir um und schließe sie fest in meine Arme. Es ist so angenehm ihre Nähe zu spüren. Sie umgreift meinen Körper. Ein Moment der Ruhe kehrt ein. Ich kann nichts sagen. Gabriel schweigt auch. Dann schaut sie mich an. Ich will ihr nicht in die Augen schauen. Aber wo sollte ich sonst hinschauen. Etwas beunruhig sie. Als ob sie sich etwas nicht trauen würde. Ebenso erwartungsvoll ihren Blick auf mich gerichtet.

„ich… störe ja nur ungern euer Geturtel…“ Gabriel lässt schlagartig von mir ab. Felea muss das sehr unangenehm gewesen sein. Gabriel richtet sich und spricht:

„Also… gute Nacht, Zero. Wir sehen uns.“ Sie winkt verschämt. Felea winkt mir auch zu und verabschiedet sich.

„Auf Wiedersehen, Gabriel. Felea.“ Ich hebe meine Hand.
 

Nun gehen wir getrennte Wege. Ich hoffe in kann in den Ferien noch ein paar freie Tage rausschlagen. Ich will Gabriel unbedingt wieder sehen. Was sind das nur für Gefühle, die mich durchfahren. Nur Gabriel löst sie aus. Die Gefühle verwirren mich.

Den restlichen Heimweg über denke ich nur an Gabriel. An die besonderen Momente. In ihren Augen habe ich ein ähnliches Gefühlschaos bemerkt. Ob ich es verursache?
 

Zu Hause angekommen betrete ich leise das Haus. Ich lasse die Illusion sofort fallen. Ist das angenehm wieder man selbst zu sein. Im Wohnzimmer läuft der Fernseher. Den Korb stelle ich auf den Küchentisch. Leise schleiche ich zum Wohnzimmer. Myke liegt auf dem Sofa. Sie muss sehr erschöpft sein. Sie hat den Nachrichtensender laufen. Schon wieder berichtet der Sprecher ganz stolz, dass Merakia einem Land die Rechte nimmt. Ich schalte das Gerät aus und knie mich zu Myke. Sanft streichle ich ihr über Stirn und Wangen. Sie sieht so erschöpft aus… Sie wird wach. Öffnet ihre Augen und blinzelt mich an.

„Hallo Zero.“

„Hallo Myke.“ Sie setzt sich auf. Streift ihr Haar zurück.

„Wie war dein Tag? Hattest du viel Spaß?“

„Es war ein schöner Tag. Ich hatte viel Spaß“

„Komm. Setze dich und erzähle mir alles.“
 

Ich setze mich zu ihr und erzähle ihr den Tag in allen Einzelheiten. Sie hört mir aufmerksam zu. Ich erkenne, dass sie sich sehr für mich freut.

„Na, das war mal ein sehr aufregender Tag für dich. Uund was wohl am aller wichtigsten ist; Du und Gabriel, ihr seid euch ein ganzes Stück näher gekommen.“ Ich schaue Myke mit großen Augen an. Ist das so? „Noch ein paar Tage mehr und ihr gehört zusammen.“

„Ausgeschlossen!“ Es tut so furchtbar weh. Ich muss weinen. Ich kann nichts dagegen machen. Schluchzend lege ich den Kopf in die Hände. Myke nimmt mich in den Arm. Ich will auch gar nicht aufhören zu weinen. So leert sich mein Kopf. Ich könnte die ganzen Gefühle nicht mehr sortieren. Ich verzweifle daran. Liebe… ein sehr schweres Gefühl.

Das letzte Mal

Ich erwache aus einem tiefen Schlaf. Setze mich auf. Halte mir den Kopf. Ich kann mich kaum noch an den Gestrigen Abend erinnern. Ich weiß nur noch dass ich nach Hause kam. War ich etwa noch im Labor? Ich erhebe mich. Ich fühle mich schwer. Sehr schwer. Ich höre Myke durchs Haus laufen. Im Wohnzimmer setze ich mich vor das Fenster. Schön angenehm.

„Guten Morgen, Zero. Geht es dir besser?“

„Hallo, Myke. Ich fühle mich schwer.“

„Ja… das vergeht auch wieder.“ In ihrer Stimme liegt etwas Aufmunterndes. Sie Streichelt mir über den Kopf. „Sammle so viel Energie wie du nur kannst. Du wirst sie heute brauchen.“ Da hat sie wohl Recht.
 

Nun sind wir auf dem Weg ins Labor. Mich grauts schon vor dem Professor. Was Gabriel heute wohl macht? Ich bin heute sehr verträumt. Ständig schweife ich mit meinen Gedanken ab.

„Im Labor solltest du dich zusammenreißen, Zero.“ Fragend blicke ich sie an.

„Wie meinst du das, Myke.“

„Du bist unkonzentriert. Wenn das Der Professor sieht, geht er wieder in die Luft.“ Verzweiflung drückt mich in den Sitz. Er ist bestimmt schon sauer genug, da ihm ein tag mit mir entgangen ist. Myke macht das Radio an. Nachrichten. Sie wechselt den Sender. Auch Nachrichten. Nachdem sie alle Sender durch hat schaltet sie es genervt wieder aus: „Scheiß Nachrichten!“ angespannt Krallt sie sich ans Lenkrad: „Ich habe den beschissensten Job den man sich nur vorstellen kann! Sogar in der Freizeit verfolgt er mich! Ich kann kein Fernsehen ohne ein Teil der Nachrichten zu sein!“ Ich wusste gar nicht das Myke so laut werden kann. Mit großen Augen beobachte ich ihre wilde Art. Da beginnt sie auch noch die anderen Autofahrer für ihre Fahrweise zu beleidigen: „Ey! Du Arsch! Pass auf wo du hinfährst!! Seit ihr von allen guten Geistern verlassen?“ Sie muss ganz schön gestresst sein. Und ich bin daran schuld. „Jetzt fahr endlich! Es ist grün du Vollpfosten!!“
 

Am Labor angekommen parkt sie das Auto auf dem Angestelltenparktplatz: „Welcher Bastard hat sich auf MEINEN Parkplatz gestellt?! Kann der nicht lesen? Da hängt MEIN Nummernschild!!!“ Zornig schmeißt die die Autotür zu. Sie stützt sich am Auto ab und beruhigt sich. Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. Mehr als das kann ich nicht tun; momentan.

In der Eingangshalle stehen ungewöhnlich viele Leute. Alle in schwarzen Anzügen. Sie Kommen aus Girenia. Einem Wüstenstaat. Sie schauen mich ungläubig an. Immer noch? Sie flüstern vor sich her. Ein Doctor unserer Firma lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Komm Zero.“ Myke drückt mich zu den Fahrstühlen. Im Fahrstuhl spricht sie: „Die Leute interessieren sich für die Technologie.“

„Du meinst Waffen.“

„…ja.“

„Wer war der Doctor, der die Leute empfangen hat.“

„Doctor Hemmington. Der gehört dem Vorstand an.“

„Hemmington? Ist er mit dem Professor verwandt?

„Der Doctor ist Professors jüngerer Bruder. So gesehen das genaue Gegenteil.“
 

Der Fahrstuhl hält. Wir laufen durch den Korridor ins Labor. Der Professor ist damit beschäftig, seine Mitarbeiter in Grund und Boden zu schreien. Myke läuft zu ihm. Noch ehe sie etwas sagen kann fängt er an zu fluchen:

„Warum hat das so lange gedauert?! Wir sind hier kein Wohlfahrtsverein!!“ Er schubst sie zur Seite. Was soll das? Er kommt auf mich zu: „Du siehst aber nicht erholt aus.“ Ich sage nichts. Da explodiert er: „Meinst du ich wüsste nicht wo du dich aufhälst?! Hälst du mich für so verblödet?!“ Er macht mir Angst. Er ist das personifizierte Böse. Allein sein Gesicht lässt mich erstarren. Es muss ihm bestimmt selbst wehtun so zu brüllen. Völlig außer Atem wendet er sich Myke zu: „Ich sollte dich dafür rausschmeißen! Es ist eine Frechheit!!“ Er wendet sich wieder mir zu: „Du bist eine Waffe!! Kein dummes Kind, das Spaß haben will! Du solltest nicht mal daran denken etwas zu verlangen!!!“ Der Professor wendet sich ab. Hält sich seinen Kopf. Die Laboranten starren ihn mit panischen Blicken an. „Was glotzt ihr so?! Arbeitet!!“ Auf einmal rennen sie auseinander. Myke will zu mir. Doch der Professor hält sie auf: „Sie nicht, Wilson! Ich erledige das. Sie gucken zu und lernen.“ Er läuft zur Tür und reißt mich unangenehm am Arm.
 

Nicht der Stuhl des Vergessens… Genau auf diesen Raum läuft er zu. Ich entreiße mich seines Griffs.

„Niemals setze ich mich mehr auf dieses Mördergerät!“ Perplex schaut er mich an, ehe er realisiert was ich gesagt habe.

Und ob!“ Er greift nach mir, doch ich weiche aus. „Hör auf dich zu widersetzen! Du hast zu gehorchen!“

„Lieber sterbe ich!“ Myke steht verängstig daneben.

Wilson! Helfen sie gefälligst!“

„J…jawohl…“ Zögerlich hält sie mich fest. Erschüttert blicke ich sie an. Sie macht nur ihre Arbeit. Ich entledige mich auch ihrem Griff.

Niemals!“ ich will wegrennen. Aber die Wissenschaftler haben gelernt und stürzen sich zuhauf auf mich. Ich habe keine Chance mich zu werden. Mit zehn Mann halten sie mich in Zaum. Dennoch versuche ich mich zu entreißen. Erfolglos. Der Professor kommt dich an mich heran. Theoretisch könnte ich ihm die Nase abbeißen. Er spricht bedrohlich:

„Du solltest aufpassen was du tust. Sonst bist du die längste Zeit gewesen.“ Ich zeige mich ungerührt. Mir kann er nicht mir dem Tod drohen. Es wäre mir eine Genugtuung. „bringt ihn auf den Gedächtnismanipulator!“
 

Sie Zerren mich in den verhassten Raum. Ich wehre mich. Versuche es. Ich zapple wie verrückt. Aber sie sind nicht abzuwimmeln. Ich werde nervös. Ich will das nicht!

„Ich will das nicht!!!“ Ich gebe einen Energiestoß von mir. Alle Wissenschaftler werden davon weggedrückt. Ich blicke den Professor wütend an. „Ich lasse vieles durchgehen. Aber das geht zu weit!“ Ich lasse meine Sense erscheinen. Ich sehe, dass der Professor bei ihrem Anblick erschaudert. Gut so! Ich hole aus. Panisch reißt er den Mund auf. Doch ich schlage auf die Maschine ein. Was wäre das, einen Menschen zu töten? Ich muss meinem Ruf nicht noch mehr gerecht werden. „Alles, aber das nicht mehr!“

Ich bemerkte, dass der Professor auf etwas aufmerksam wird. Doch ehe ich mich umdrehen kann, höre ich einen Schuss. Ein Brennender Schmerz, der meinen Körper sofort lahm legt.

„Elektrizität…“ Ich kann nur noch stammeln. Dann verliere ich das Bewusstsein.
 

Schmerzen. Dunkelheit. Ich öffne die Augen. Die Wissenschaftler sind in ihrer Arbeit versunken. Ich bin an Gerätschaften angeschlossen. Ich erkenne Myke. Sie unterhält sich. Nein… Plötzlich wird sie angegriffen. Der Professor! Er schlägt sie! Ich schreie. Höre mich selbst aber nicht. Ich versuche mich aus den Schellen zu befreien. Sie stehen unter Strom. Aber Ich zerre immer weiter an ihnen. Alle Blicken mich an. Ich sehe in das hässliche Gesicht des Professors. Ich will es verquetschen! Ich will ihn umbringen!! Etwas pulsiert in mir. Ich spüre dass es finster ist. Es versucht meinen Körper zu beherrschen. Es ist Wut. Nein Hass. Raserei. Es schmerzt. Ich bekomme es nicht unter Kontrolle… Es tut weh… ich höre mich immer deutlicher schreien.

„Ich bringe dich uuuum!! Aaaaaah“ schreie ich vor schmerz, oder vor Zorn? Ich kann es nicht länger zurückhalten! Mein ganzer Körper brennt… Meine Sprache fällt in die Muttersprache. Alle halten sich die Ohren zu. Es ist zu stark! Ich kann es nicht widerstehen…
 

Ich befreie mich aus sämtlichen Fesseln. Diese schmerzende Kraft strömt durch meinen ganzen Körper und füllt jeden Winkel mit Zorn. Von mir geht ein gleißend helles Licht aus und verändere meine Form.

Ich muss sie alle töten! Sie wollen mir alle böses! Ich muss mich wehren! Sie müssen sterben! Sterbeeen!

Ich schlage auf jeden einzelnen ein. Mit meiner Sense. Ich Teile ihre jämmerlichen Körper in zwei. Und ihre Seelen sogleich mit. Ewig sollen sie leiden! Diese Monster! Ihr Monster! Da ist er! Dieser Mensch. Dieser… Mensch! Der mir Leid zugefügt hat! Da kauert er. Blickt mich an. Panik. Ja! Panik! Das soll er haben! Ich hebe meine Waffe. Lasse sie mit all meinem Hass auf ihn niederschnellen. Welch ein Genuss das Leben aus seinen Augen weichen zu sehen. Ich reiße seine Seele in Fetzen. Nie wieder soll er glücklich werden! Nie wieder! Was ist das? Ein Wimmern. Ich habe ein Monster vergessen. Da liegt es! Abschaum! Ich erhebe meine Sense. NEIN…! Nicht sie… Dieser Blick. Sie wollte ich beschützen. Diese unschuldigen Augen.
 

Mit einem Sensenschwung schlage ich ein weites Loch durch das Gebäude. Ich muss mehr töten. Mehr Monster! Immer mehr! Ich stoße mich vom Boden ab. In der Luft blicke ich mit Jähzorn auf die Hölle hinab. Dieser Ort muss vernichtet werden! Ich hebe meine Hand gen Himmel. Sammle Energie und all meinen Hass. Diesen Energieball schleudere ich mit aller Macht auf das verfluchte Gebäude! Ein Großteil geht in Flammen auf. Verbrennt alle!!! In Ganzes Nest von Abschaum gilt es zu beseitigen! Mit Lichtklingen zerstöre ich diese dreckige Stadt! Sterbt alle!!! Etwas schießt auf mich. Wer wagt es?!! Diese Monster mit ihren Flugmaschinen! Ihr habt nicht das Recht zu fliegen! Mit Lichtblitzen schieße ich sie vom Himmel. Jeden einzelnen! Keiner darf am Leben bleiben! So wie sie uns alle ausgerottet haben! Ich hasse euch! Ich fliege über der Stadt. Überall werde ich von diesen Würmern beschossen! Wo kommt ihr alle plötzlich her?! Egal! Ihr seit alle dem Tode geweiht!! Ob Zivil oder Soldat. Kein Unterschied. Ihr seid alle gleich! Alle gleich!
 

Ihre Geschosse treffen mich. Aber das nutzt nichts! Ich zerstöre euch alle! Mit der Sense schlage ich sie in zwei. Mit meiner Macht zerstöre ich ihr schmutziges NEST! Vom Boden aus beschießen sie mich mit Lenkraketen. Mit Maschinengewehren. In der Luft mit Flugzeugen und Helikoptern. Nutzt alles nichts! Ich zerstöre sie alle! Ihr seid nur Menschen! Niedere, schwache Menschen! Ihr werdet alle zu Grunde gehen!!!! Ich werde nicht stoppen ehe ich euch alle beseitigt habe!

Blutiger Abschied

Es ist Abend und Felea und ich gehen in die Einkaufsmeile zum bummeln. Abends ist es eben kühler. Wir laufen entspannt über die Meile.

„Oh sieh mal, ist die Kette nicht toll?“ Ich stelle mich vor das Schaufenster und deute auf die Kette mit Edelsteinen verziert. Felea ist auch total begeistert.

„Aber der Preis…“

„Träumen darf man immer.“ Ich lache. Doch plötzlich werden wir von einer Lauten Explosion gestört. Die Erde bebt. Alle bleiben Stehen, sogar die Autos halten an. Es muss ganz in der nähe gewesen sein.

„Was ist das, Gabriel? Ich habe Angst.“ Einige Menschen laufen hastig davon. Panik bricht aus. Mein erster Gedanke ist:

„Ein Anschlag?“ Ich sehe Feleas Angst. Ich nehme sie Bei der Hand. „Keine Angst. Hier ist doch nichts passiert. Es hörte sich an, als käme es vom Industriegebiet. Das ist ein Kilometer von hier.“ Kaum hatte ich das gesagt, weitere Explosionen und Erschütterungen. Vom Zittern der Erde werden wir umgeworfen. „Schlägt Disenion etwa zurück?“ Jetzt bekomme ich auch Angst. Ich muss aber stark wirken, damit Felea sich sicher fühlt. Plötzlich ein schmerzender Ton. Hört sich an wie eine Alarmanlage, nur extrem laut. Ich halte mir die Ohren zu. Mir wird schlecht und schwindelig davon. Die Explosionen scheinen näher zu kommen. Ohne weiter nachzudenken schnappe ich mir Felea und renne weg. Etwas Helles Fliegt über unseren Köpfen weg. Weit über der Stadt. Ich bleibe stehen, weil ich mich über die Form wundere. „Das ist ein Flugzeug?“

„Gabriel komm jetzt!“ Plötzlich explodiert es um und herum. Wir schmeißen uns auf den Boden. Überall fliegen Trümmer rum. Der Strom fällt jetzt auch noch aus. „Gabriel, ich habe Angst… ich will nicht sterben!“ Ich greife Felea am Arm:

„Felea, schau mich an, schau mich an!! Wir werden nicht sterben, okay? Wir werden es schaffen.“ Es ist so still geworden. Also nutze ich die Ruhe jetzt! „Komm!“ Wir rennen weiter. Turbojets rauschen Plötzlich über der Stadt. Sie schießen auf das helle Flugobjekt.
 

Wir rennen um die Ecke, da schlagen irgendwelche hellen Geschosse direkt vor uns ein. Von der Wucht des Aufpralls werden wir zurückgeschleudert. Auf dem harten Asphalt aufschlagen erinnert mich ans Fahrradfahren. Ich erkundige mich nach Felea.

„Oh nein! Felea! Felea hörst du mich?!“ Ich rüttle sie, aber sie rührt sich nicht… Ich fühle ihren Puls. Zum Glück, sie lebt noch! „Aber was war das?“ Und schon wieder dieses grässliche Geräusch. Kurz verliere ich dadurch das Bewusstsein, aber ich kann mich schnell wieder fangen. Dann sehe ich es, das Flugobjekt. Es hat Arme und Beine! „Ein Engel?! Aber ich dachte sie wären ausgestorben!“ Da Rollen Panzer an, und Soldaten laufen an uns vorbei. Einer Ruft den anderen zu:

„Zero ist in diese Richtung! Beeilung! Evakuiert die Gebäude! Er darf nicht noch mehr Menschenleben fordern!!“ Ich verstehe erst nicht was er gemeint hat. Da kümmern sich auch schon Soldaten um Felea und mich.
 

Aber Moment Mal!

Zero?!“ ich wende mich dem Soldat zu der mich wegschleppt. Ich kralle mich in Seine Uniform und schreie ihn an: „Ist das Zero?!“

„Ja, Mädchen beruhige dich! Ich bringe dich hier raus!“

Der Engel?!“ Ich fasse mir sprachlos an den Kopf. Das ist Zero? Das kann nur ein Zufall sein… Von den Panzern aus werden die Bewohner gewarnt. Ständig wiederholen sie die Aussage:

„Achtung, Achtung. Bitte verlasst unverzüglich die Gebäude und folgt den Helfern! Dies ist keine Übung! Ich wiederhole Keine Übung!“ Alles ist voller Hektik. Ich sehe den Soldaten, der Felea trägt. Plötzlich fällt ein Turbojet direkt vor uns und explodiert in einem riesigen Feuerball. Die Druckwelle reißt uns alle von den Füßen und es ist unglaublich heiß. Der Soldat wirft sich schützend über mich. Er wird bewusstlos und fällt auf mich drauf. Wenn das wirklich der Zero ist… aber er würde so etwas Grausames niemals tun! Niemals…. Er war doch immer so freundlich…

„Reiß dich zusammen, Gabriel.“ Spreche ich mir zu. „Es ist jetzt nicht die Zeit rum heulen!“
 

Ich drücke den Soldaten von mir und stehe auf. Heute trage ich das Kleid, das Zero so gefallen hat… wie unpassend. Aber egal! Ich renne zurück. Überall Feuer, Trümmer und tote Menschen. Wie im Krieg sieht es hier aus. Überall höre ich Explosionen und Schüsse. Aber ich will nur Zero sehen.

Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir so vieles wie Schuppen von den Augen. Sein Verhalten war so völlig anders, seine Intelligenz, die Flügel an dem einen Abend, die überbelichteten Fotos! Mein Gott ich war so Blind! Ich könnte heulen und lachen denn:

„Ich bin in einen Engel verliebt!!!“ Mir laufen Tränen übers Gesicht, Man! Ich renne an Soldaten Vorbei. Ich renne viel schneller als sie.

„Hey! Mädchen! Das ist gefährlich! Komm zurück!!“ Aber ich ignoriere ihn. Ich will nur noch Zero sehen und ihn davon abhalten weiter zu töten. Er sagte damals er Fliege gern. Ich muss lachen, obwohl mir die Luft ausgeht.
 

Der Stadtpark! Die Soldaten haben ihn zum Stadtpark gelockt! Ich will nicht dass sie ihn töten! Mit Panzern, Helikoptern haben sie ihn eingekreist. Mit vollem Rohr beschießen sie ihn von allem Seiten und treffen ihn. Zero schleudert Lichtobjekte auf die Soldaten. Sie sehen aus wie Klingen. Wenn sie aufschlagen explodieren die Panzer und Flugzeuge. Er ist total hemmungslos, es scheint gerade so, als würde es ihm auch noch Spaß machen. Ich renne an den Soldaten vorbei. Einige rennen mir nach, aber ich bin schneller. In einem Gebüsch am Rande des Parks verstecke ich mich. Ich brauch ne Pause… das Atmen fällt mir schwer. Ich höre ein heulen immer lauter werden. Etwas weiter vor mir fällt ein Rotor von einem Helikopter runter und gräbt sich in den Boden. Durch die Sträucher beobachte ich Zero. Er sieht so verändert aus. Sein ganzer Körper strahlt hell, wie ein Stern; bläuliches Licht. So hell, dass sein Körper kaum zu erkennen ist. Wenn er seine Waffe schwingt erkennt man Arme und Beine. Er ist so unglaublich groß, das man Ehrfurcht bekommt. Wie kann etwas so Schönes so gefährlich sein? Wieder dieses grausame Geräusch. Selbst wenn ich mir die Ohren zuhalte höre ich es noch, es tut nur nicht mehr weh. Zero stößt dieses Geräusch aus. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich meine Schmerz verursacht diese Töne. Er muss furchtbar leiden…
 

Zero wird schwächer… Das darf nicht sein. Irgendwas muss ich doch tun können… Irgendetwas… Mir kommt eine Idee. Es ist das einzige was ich machen kann. Der Park ist eine offene Wiesenfläche. Zero müsste mich sehen, wenn ich raus laufe. Es ist riskant, aber die einzige Möglichkeit, ihn ruhig zu stellen. Also gut. Ich hole noch mal tief Luft… und jetzt renne ich raus!

Auf der Wiese winke ich mit beiden Armen Zero zu und rufe:

Hör auf! Zero!! Hör auf!! Ich bins! Gabriel!“ Alle werden auf mich aufmerksam und die Soldaten hören auf zu schießen. Ich Schaue zu dem wohl mächtigsten Wesen auf, das es auf der Welt gibt. Er stockt und schaut zu mir runter. Wenn ich nur wüsste was jetzt in ihm vorgeht… Zero… hau ab! Bitte hau ab!

„Hey! Bist du lebensmüde?! Geh weg, Mädchen!“ Ein Soldat rennt auf mich zu. Ich aber schaue wieder zu Zero hoch. Noch immer unverändert blickt er auf mich herab. Doch Plötzlich hält er sich den Kopf und kauert sich zusammen. Er hat schmerzen!

Zero!“

„Mädchen, komm mit, du bist in Gefahr!“ Er greift nach mir und zerrt mich mit, aber ich schlage mich wieder frei.

„Nein! Zero ist nicht böse! Wenn ihr aufhören würdet ihn zu beschießen, würde er euch nichts machen!“ ich schlage mit den Fäusten auf ihn ein. Da schreit Zero wieder. Ich halte mir die Ohren zu, aber der Soldat fällt um. Blut tritt aus seinem Ohr. Ich wende mich Zero zu und sehe dass er Schmerzen hat. Er fliegt höher und dann flüchtet er. Ich schaue ihm nach, bis er verschwunden ist.
 

Stille kehrt ein. Mich überkommt das Gefühl von Trauer. Da stehe ich nun… ganz allein, im Herzen einer zerstörten Stadt und weine meinem Liebsten nach. Ich fange bitterlich zu weinen an. Ich falle laut jammernd auf die Knie und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich werde ihn wohl nie wieder sehen! Die Erschütterung in meinem Herzen schmerzt so sehr, dass man meinen könnte, mein Körper würde ich tausend Fetzen zerrissen. Ich weiß nicht ob ich weine, weil es so weh tut, oder der Gedanke, Zero nie wieder sehen zu werden.
 

Soldaten nehmen sich meiner an. Mir wird eine Decke umgelegt und sie führen mich vom Platz. Ich klammere mich an die Decke, kann aber nicht aufhören zu weinen. Ich sehe nichts und meine Beine tragen mich kaum noch. Ich höre nichts. Ich werde auf eine Liege gelegt und festgebunden. Mir wird kalt und ich fange zu zittern an. Licht brennt in den Augen und schmerzt im Kopf. Ich sehe Zero wie er mich mit seinem eindringlichen Blick anschaut. Was wenn er seinen Verletzungen erliegt? Er ist jetzt allein und keiner hilft ihm… Wieder weine ich aus voller Brust.

„Oh neeeein!!!…. Zeroooo….!!!“ Ich höre dumpfe Stimmen. Irgendwas wird an meinem Arm gemacht. Ich versuche zusehen. Aber es ist zu hell. Langsam beruhige ich mich. Es fällt mir schwer zu denken. Aber vielleicht ist es auch besser erstmal nicht zu denken… mir wird schwindelig.
 

Ich scheine in einem Krankenwagen zu liegen. Es rüttelt in unregelmäßigen Abständen. Alles kommt mir vor wie in Zeitlupe. Dann sehe ich Lichter. Ein Korridor… viele Stimmen, Gejammer…mir wird in die Augen geleuchtet, es ist so hell, dass es weh tut. Ich fühle, wie mir die Gurte abgenommen werden. Die vielen Personen um mich herum hieven mich auf ein Bett. Ich lasse meinen Kopf zu Seite fallen, um dem grellen Licht auszuweichen. Doch er wird wieder aufgelegt.
 

Dann bin ich allein. Ich höre ein Surren. Leise und gleichmäßig. Ich bin total benommen und gar nicht mehr in der Lage mich zu bewegen. Aber ich muss zu Zero… er braucht dringend Hilfe. Wo bist du Zero? Wie geht es dir jetzt? Ich helfe dir. Ich werde bei dir sein. Ich bin immer bei dir. Ich werde dich suchen. Und finden. Denn ich liebe dich. Zero… Zero…

Gebrochene Flügel

Ich erwache aus meiner Ohnmacht. Die Sonne scheint. Ich lebe also noch… bedauerlich. Ich kann mich kaum bewegen. Meine normale Gestallt hat äußerlich keinen Schaden genommen. Dennoch spüre ich diesen unerträglichen Schmerz. Was ist das? Ich fahre mit der Hand über den Boden. Sand rieselt mir zwischen den Fingern hindurch. Er ist warm. Ich bin in der Wüste. So weit weg von Merakia. Mich dürstet es nach Sonne. Aber ich bin zu schwach um aufzustehen. Die Sonnenstrahlen kribbeln auf meiner Haut. Ich sehe Gabriels unglückliches Gesicht. Angst und Schmerz spiegelt es wider. Ich hoffe nur dass ich ihr nichts angetan habe. Ich habe eine ganze Stadt zerstört… Nur bruchstückhaft erscheinen stumme Bilder vor meinem Geist. Genug um zu sehen, was ich angerichtet habe. Ich wollte nie wieder einen Menschen töten. Jetzt habe ich eine ganze Stadt dem Erdboden gleich gemacht.
 

Tränen fließen mir über mein Gesicht. Besser ist es, wenn ich mich von den Menschen fern halte. Ich tue ihnen nichts Gutes und sie mir nicht. Ich schaffe es mit letzter Kraft mich auf den Rücken zu rollen. Damit Sonnenstrahlen auf die Innenseite der Flügel fallen. Der Himmel war noch nie so blau. Kaum ein Mensch weiß seine Schönheit zu schätzen. Die Menschen wissen gar nichts zu schätzen. Ich könnte mich ewig darüber aufregen. Aber es ist kein Grund die Menschen einfach auszurotten. Ich wäre nicht besser als sie. Ob mich andere Rrouharraner aufnehmen würden?
 

Der Wind weht sanft über mich. Ich höre Sandkörner rieseln. Sie werden vom Wind mitgetragen. Die Tage sind hier lang. Ich bin nun wieder kräftig genug zum aufstehen. Wäre ich nur eine kurze Zeit länger in der anderen Form verharrt, hätte es mich das Leben gekostet. Mir war nicht bewusst, dass wir uns in einen Berserker verwandeln können. Da Zorn mit Gefühlen zu tun hat, schätze ich, dass auch nur ich in einen Berserker mutieren kann. Womöglich ein Grund mehr, mich keiner Kolonie beitreten zu lassen. Ich passe nirgends. Nicht zu den Menschen und nicht zum Himmelsvolk. Verflucht sei der Tag, an dem ich geboren wurde.
 

Ich stehe auf. Der Sand fällt von mir herunter. Es hat bereits zu dämmern begonnen. Die Sonne sieht hier viel größer aus, als in Merakia. Ich entdecke etwas weiter fast zerfallene Ruinen. Dort lasse ich mich nieder. Ich erinnere mich. Hier lebte einst ein Menschenvolk. Es war sehr weiße. Bis es von einem anderen Volk unterdrückt und ausgerottet wurde. Es scheint, als überleben nur die grausamen. Unsere Völker kannten sich. Die einzige Rasse von Mensch, mit welchen die Rrouharraner verkehrten. Sie hätten mich möglicherweise bei sich aufgenommen. Aber Wunschdenken ist sinnlos.
 

Der Professor sagte immer, ich sei geboren um zu töten. Das ist die Aufgabe, die er mir auferlegt hat. Hätte ich nicht angefangen selbstständig zu denken, wäre ich wohl nicht in dieser schmerzhaften Situation. Er wäre so viel einfacher nicht zu fühlen. Ich würde Gabriel nicht vermissen. Ihr Blick hat mir die Seele zerrissen. Ich wollte nicht, dass sie es auf solch eine schreckliche Weise erfährt… Ich wollte es ihr doch sagen. Aber nicht so. Nicht so. So kann ich ihr nie wieder unter die Augen treten. Ich muss meinen Kopf in die Hände legen. Er wird so unglaublich schwer. Mein ganzer Körper fühlt sich schwer an. Nie wieder will ich meine Augen öffnen. Nie wieder will ich mich bewegen.
 

Tage ziehen ins Land. Die Tage werden zu Monaten. Die Monate zu Jahren. Für mein Leben ein Wimpernschlag. Und doch fühlt es sich an, als wäre es schon die Ewigkeit. Menschen haben mich gesucht. Doch ich habe eine Barriere in einem größeren Radius errichtet, welche meinen Standpunkt verheimlicht. Was wollen die noch von mir? Irgendwelche Wissenschaftler die immer noch nicht genug von gestörten Engeln haben. Sie sehen mich nicht. Meine Barriere spiegelt das Bild auf der anderen Seite. Niemand hat mich bisher gefunden. Und so soll das bleiben.
 

Zwei Jahre nun sitze ich schon hier. Ich bin nicht einmal geflogen. Dazu fühle ich mich nicht in der Lage. Schwach und träge bin ich. Ich weiß nicht warum. Das Fernweh ist unerträglich. Aber immer wenn ich zum Abheben ansetzen will überkommt mich ein Gefühl der Schwäche. Also habe ich es aufgegeben.

Zudem vermisse ich Gabriel. Es war schon schlimm, sie ein Wochenende nicht sehen zu können. Zwei Jahre sind eine Ewigkeit. Jeder Tag ohne sie ist verloren. Damals habe ich mich gefragt, was ich ohne Gabriel wohl machen würde – wie menschlich von mir. Aber durchaus berechtigt. Denn selbst wenn wir uns wieder sehen sollten. Ihr Leben ist nur von kurzer Dauer. Ich will sie nicht gehen lassen, wenn ich bis in alle Zeit auf diesem verseuchten Planeten schmoren muss. Nein, Leben kann man das nicht nennen. Oh Gabriel, wie sehr wünschte ich du würdest mich von hier wegholen. Auch wenn ich meine, dass ich nicht gut für dich bin.
 

Wie sehr hoffe ich, dass sie mir vergeben kann. Ich würde es verstehen, wenn sie es nicht könnte. Ich habe sie belogen und dann auch noch ihre Heimat zerstört. Alle die mir heilig waren, habe ich hintergangen. Ich bin ein schlechter Mensch. Und eine Schande für das Himmelsvolk.

Aber es macht nichts besser, wenn ich mich selbst verurteile. Warum muss ich nur so menschlich sein? Alles ist Menschlich an mir! Das einzige was nicht menschlich ist, ist mein Aussehen. Sogar, dass ich mich darüber aufrege ist menschlich… Ich sollte mich einfach damit abfinden. Das wird das Beste sein.
 

Ob es wirklich so gesund für mich ist, hier für immer zu sitzen. Meiner Psyche würde das sicher nicht gut bekommen. Aber ich will mich nicht als Mensch ausgeben und unter den Menschen wohnen. Dann würde ich weiter lügen. Genau das Leben weiterführen, das ich bisher gelebt habe. So gesehen passt die Wüste dann doch ganz gut. Sie ist simpel. Scheint beim groben Hinsehen überall gleich. Kaum Veränderungen. Nur unauffällig schleichen die Sanddünen mit dem Wind.
 

Nachts ist es sehr kalt. Es tut mir nicht weh, aber durch die Einsamkeit ist die Kälte doch sehr unangenehm. Dafür ist der Nachthimmel wunderbar klar. So viele funkelnde Sterne. Unglaublich schön. Der Mond scheint silbern. Aber nicht jede Nacht ist er zusehen. Obwohl er selbst nicht scheint, wirkt es dennoch als strahle er aus voller Kraft. Also wolle er beweisen wie hell er sein kann. Das er es der Sonne gleich tut. Er nutzt das wenige Sonnenlicht um im Schatten zu leuchten. Leider reicht seine Kraft nicht aus um mich zu nähren. Dann würde ich aus der schützenden Dunkelheit der Nacht nicht mehr entfliehen wollen.
 

In all der Zeit, die ich nun hier verbringe, habe ich bisher nicht einmal geschlafen. Mein Körper braucht es direkt nicht. Aber ich vermisse die erholsamen Stunden dennoch. Ich bin unglaublich müde. Trotz der vielen gespeicherten Energie in mir fühlt es sich so an, als wäre ich stark unterernährt.

Freiheit kann ja so ermüdend sein. Was ist Freiheit wenn man sich nicht frei fühlt? Bin ich mein eigner Gefangener? Gefangen von der Vergangenheit. Gefangen von der Angst. Die Angst wieder jemandem Schaden zu zufügen. Oder die Angst wieder Schaden zu nehmen. Ist es die Angst zu leben? Wie Fesseln ketten sie mich an den staubigen Wüstenboden. Zu stark um von irgendeiner Kraft gebrochen zu werden. Die Verzweiflung an sich selbst, an der Welt, an das Leben.
 

Bin Ich allein gelassen worden, oder habe ich mich selbst in die Einsamkeit gestürzt. Bin ich vor den Menschen geflohen, oder vor mir? Bin ich geflohen um der unangenehmen Wahrheit aus dem Weg zu gehen? War ich schon mal je in meinem Leben mutig? Wann ist man mutig. Kann ich mutig sein?

Ich mag es nicht Fragen zu stellen. Aber sie spuken unaufhörlich in meinem Kopf herum. Wie ein Film der immer und immer wiederholt wird. Es macht mich wahnsinnig. Kaum vorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der ich keiner Fragen gestellt habe. In der Ich Antworten wusste. Auf alles wenn man mich nur gefragt hätte. Damals, als ich noch Rrazpharroth war.
 

Trotz seines Verstandes scheine ich einen völlig einen entwickelt zu haben. Ich weiß, dass ich einmal er gewesen bin. Ich trage all sein Wissen und seine Erinnerungen in mir. Aber trotzdem scheint es, als erlebe ich alles zum ersten Mal. Rrazpharroth ist der letzte gewesen. Ich will mir gar nicht ausmalen wie er in seinen letzten Minuten leiden musste. Zum Glück muss er nicht sehen, dass er der Anfang eines Zeitalters ist, dass die Menschheit womöglich ins verderben stürzen wird. Ob Rrazpharroth es verhindern würde, wenn er nun an meiner Stelle wäre? Hier. Allein in der Wüste. Der letzte seiner Kolonie. Misshandelt von den Menschen.
 

Plötzlich fällt mir ein feiner Eiskristall auf das Gewand. Ein seltenes Phänomen. Schnee in der Wüste. Bei freiem Himmel. Ich halte die Hände auf und Blicke in den Himmel. Nur wenige Flocken fallen. Aber es glitzert elegant im Mondschein. Lautlos schweben sie zu Boden. Wie Sternenstaub. Oder vom Himmel fallende Sterne. Gabriel würde es sicher gefallen. Plötzlich zeigen sich mir Bilder vor meinem Geist. Erinnerungen aus meinem ersten Leben. Ich sehe meine Geschwister sterben. Sie lösen sich in unzählige, kleine Lichtpartikel auf. Sie sehen so aus wie diese Flocken. Diese Bilder sollen verschwinden! Ich halte mir die Augen zu und krümme mich. Muss mir mein Kopf jeden angenehmen Moment ruinieren? Es ist zum Verzweifeln!
 

Wieder vergehen Monate. Es ist langweilig. Im Himmel ziehen Flugzeuge ihre hässlichen Kondensstreifen hinter sich her. Heute ist viel Flugverkehr. Der ganze Himmel ist durchzogen. Manchmal fliegen sie so nah aneinander vorbei, dass man meinen Könnte gleich würden sie kollidieren. Aber ich stelle mir immer vor es seien Engel, die sorglos den Wind genießen. Das tröstet mich ein wenig. Nur zu gern würde ich auch fliegen. Es ist eine schöne Erinnerung mit meinen Geschwistern gemeinsam den Himmel zu teilen. Wenn wir mit den Flügeln die Wolkendecke ankratzen.

Wieder schaue ich einem Flugzeug nach. Mich überkommt furchtbares Fernweh. Mir laufen Tränen über die Wangen. Einfach so. Ich muss nicht mal schluchzen. Unaufhörlich fließt mir diese Flüssigkeit über das Gesicht. Ich stehe auf und will dem Flugzeug nachfliegen. Zwei Flügelschläge. Für mehr reicht meine Kraft nicht. Ich sinke auf die Knie. Meine sicht von den Tränen getrübt. Werde ich nie wieder fliegen können? Bin ich dazu verdammt auf Ewig am Boden zu bleiben? Müde lasse ich mich in den Sand fallen. Dann bleibe ich einfach hier liegen.

Alte, neue Bekanntschaft

Zehn Jahre sind nun seit meinem Amoklauf vergangen. Die Jahre lasten sehr auf meinen Schultern. Wie lang ist die Ewigkeit, wenn schon zehn Jahre so lang sind? Meine Glieder tun weh. Menschen können an Einsamkeit sterben. Warum ich nicht?

Die Wüste hat sich seitdem nicht verändert. Einmal hat es geregnet. Für ein paar Tage war die Wüste Lebhaft und unglaublich bunt. Aber Schönheit scheint sich auf dieser Welt nicht lange zu halten.
 

Ich habe schon so oft überlegt, doch wieder unter die Menschen zu treten. Es gab Momente in denen ich sogar überlegt habe mich selbst zu töten. Ein Gedankengang der niemals in Frage käme. Das ist wohl der Mensch in mir. Tot lebt es sich einfacher. Der Instinkt zu überleben ist so gut wie nicht mehr vorhanden. Man lernt mit der Situation zu leben. Man resigniert. Man denkt auch nicht mehr groß darüber nach. Aber immer diese Schlüsselszenen in denen alles aufschäumt und man sich davon übergeben muss.

Leider muss ich gestehen, dass ich lange nicht mehr an Gabriel gedacht habe. Aus dem Grund dass jeder Gedanke an sie furchtbar weh tut. Man flüchtet vor Unangenehmen. Selbstschutz – trotz des schwachen Lebenswillen.
 

Ein leises Motorengeräusch wird vom Wind zu mir getragen. Es ist ungleichmäßig laut. Ich schaue mich um. In weiter ferne entdecke ich ein Auto. Es ist noch zu weit um genaueres zu erkennen. Bestimmt wieder ein sturer Wissenschaftler. Wie ich sie doch alle hasse.

Ich beobachte das Auto. Es ist das einzige was sich momentan bewegt. Nur schleppend überquert es die Dünen. Es kommt mir immer näher. Ich weiß nicht wie ich das Gefühl beschreiben soll, dass in mir gerade aufpocht. Hoffnung? Verzweiflung? Ekel? In irgendeiner Weise alles. Ich umklammere meinen Körper mit meinen Armen. Wende mich ab. Ich will nicht zu den Menschen zurück. Ich will sie mir nicht mehr antun müssen. Ich habe sie satt.
 

Das Auto bleibt unmittelbar in meiner Nähe stehen. Ich höre wie der Motor stoppt. Will aber nicht hinsehen. Die Person kann mich nicht sehen. Die Barriere erlaubt es nicht. Ich höre eine Stimme. Sie kommt mir bekannt vor. Aber ich verstehe nicht was sie sagt. Da läuft die Person gegen meine Barriere. Automatisch muss ich hinschauen. Die Person wird zurückgeschleudert und landet unsanft auf der Motorhaube. Was ich aber sehe lässt mich aus allen Wolken fallen. Sie hat den weiten Weg auf sich genommen um mich zu finden?! Sie steht auf und läuft zur Barriere. Sie berührt sie vorsichtig mit dem Finger, wird aber wieder abgewehrt.

„Zero? Ich weiß, dass du hier bist! Zeig dich!“ Gabriel steht dort und schaut verzweifelt in meine Richtung. Ich weiß nicht ob ich mich ihr zeigen soll. Da rennt sie absichtlich gegen meine Barriere: „Komm raus und zeig dich!“ Ihre Stimme klingt zittrig und aufgeregt. Sie ist gealtert. Größer und schlanker ist sie geworden. Ich kann mich nicht bewegen. Sämtliche Gefühle die ich all die Jahre mühsam verdrängt habe kommen hoch. Es kommt mir vor als würde ich gleich platzen.
 

Immer und immer wieder läuft sie gegen die Barriere. Ich halte das nicht länger aus und löse sie auf. Gabriel stolpert und fällt hin. Wir schauen uns beide mit ungläubigen Blicken an. Weder ich wage meinen Augen zu trauen, noch sie. Da springt sie auf und rennt auf mich zu. Unglaublich wie schnell sie ist. Mit Wucht fällt sie mir in die Arme und reißt mich von der Mauer. Sie weint. Aber warum? Plötzlich laufen mir auch Tränen über mein Gesicht. Ich weiß immer noch nicht was ich denken soll oder wie ich das Gefühl beschreiben soll.

„Ich habe dich so vermisst, Zero!“ Sie schluchzt atemlos. Als ob diese Worte der Startschuss gewesen wären schließe ich meine Arme fest um ihren Körper. Ich schließe die Augen und genieße sie. Nie wieder will ich sie los lassen. Es ist wie eine Sucht. Dieses erlösende Gefühl.
 

Sie hebt den Kopf und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Ihre Tränen sind schwarz? Rund um ihre Augen ist alles schwarz verschmiert. Sie Lächelt. Ihr Lächeln! Ich wusste gar nicht dass es noch herzerwärmender sein kann! Sie mustert mich eindringlich. Ihre Augen glänzen. Sind so voller Leben. Zehn Jahre ist es her, dass ich ihr in die Augen gesehen habe.

„Du siehst wunderschön aus.“ Sie fährt mit ihrer Hand zart über meine Wange. Bewundert meine schimmernde Haut. Dann durch mein Haar. „Ich habe so etwas noch nie gesehen. Diese Haut, die Farbe deines Haars und deine Augen.“ Ihre Stimme klingt erwachsen.
 

Plötzlich verliert sich ihr Lächeln. „Du schaust aber krank aus. So Müde.“ Ich wende meinen Blick ab, als wolle ich ihn verstecken. Sie steigt von mir runter. „So große Flügel. Ich habe sie mir nicht so groß vorgestellt.“ Ich stehe auf und weiche ihren Blicken aus. „Hast du hier zehn Jahre ganz allein verbracht?“ Ich nicke stumm. Sie setzt sich wieder ihren Hut auf. Ich werfe ihr einen prüfenden Blick zu. Sie setzt sich in den Schatten der Ruinenmauer. Ihr Haar ist gewachsen. Sie hat es sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Nur ihr Pony ist offen. Sie klemmt es sich hinter ihr Ohr. Sie trägt eine weiße dreiviertel Hose und ein weißes Trägertop. Ihre Haut schimmert vom Schweiß. Sie schaut unter ihrem großen weißen Hut zu mir.
 

„Nach all den Jahren, in denen wir nun getrennt waren hast du mir nichts zu sagen?“ Ihre Frage lässt mich erstarren. Jetzt kommt der unangenehme Teil. Ich bekomme kein Wort über die Lippen. Vielleicht aus Angst vor der Reaktion. Ihr Blick bohrt sich unter meine Haut. Wie damals als ich zu ihr in die Klasse kam. Sie sucht Antworten. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Ich weiß auch nicht was sie hören will. Nur schwach und leise bringe ich es heraus:

„Es tut mir Leid…“ ich schaffe es aber nicht ihr dabei in die Augen zu sehen. Ich schäme mich zu sehr.

„Setz dich zu mir.“ Zögerlich setze ich mich neben sie. Meine Flügel bieten zusätzlichen Schatten für Gabriel. Sie schaut mich immer noch ungläubig an: „Du bist nicht um ein einziges Jahr gealtert.“ Sie hört sich an wie ein Wissenschaftler. „Aber das beiseite.“ Sie nimmt meine Hand. „Egal was passiert ist, nichts ändert sich zwischen uns.“ Wieder lächelt sie mir warm zu. Ich beginne mich wohler zu fühlen.

„Du bist mir nicht böse?“

„Wie könnte ich? Du hast es ja nicht absichtlich getan.“ Mein Blick sinkt. „Oder doch?“

„Niemals!“

„Myke hat mir alles erzählt. Zumindest soviel sie wusste.“

„Sie lebt?“

„Ja. Sie ist unversehrt.“ Ein Glück. Ich hatte Angst ich hätte sie getötet.

„Wie geht es ihr?“

„Myke geht es sehr gut. Sie ist nun Dozentin auf einer Universität in Gashtiwon. Sie hat geheiratet und erwartet sogar bald ein Kind.“ Ich bin ja so froh, dass Myke doch noch ein angenehmes und ruhiges Leben führen kann. „Sie hat die ganze Angels-Geschichte hinter sich gelassen. Wir sind gute Freunde geworden. Wir treffen uns öfter mal.“

„Beruhigend zu hören. Aber wie ist es dir ergangen?“ Gabriel schaut mich kurz an. Als ob sie prüfen wolle, ob ich diese Frage ernst meine.

„Die Sommerferien waren auf jeden Fall vorbei; an jenem Tag.“ Dabei setzt sie ein verwunschenes Lächeln auf. „Wir hatten trotz des Chaos in Yeron pünktlich wieder Schule. Andere Schulen mussten wegen der Zerstörung geschlossen bleiben.“ Ich sehe ihr an, dass ihr diese Erinnerungen schwer auf der Seele liegen. Ich fühle mich schlecht. „Aber die Klassen sind alle sehr dünn geworden. Es kamen kaum neue Schüler, viele sind ums Leben gekommen oder aus Yeron geflohen um der Armut zu entgehen. Richtigen Unterricht haben wir kaum gemacht. Keiner war wirklich anwesend. Selbst den Lehrern ist es schwer gefallen.“ Sie drückt meine Hand etwas fester. „Ich bin nach der Schule studieren gegangen. Anthropologie und Gentechnik. Ich habe eine Diplomarbeit über Das mögliche Verhalten über das Volk der Rrouharran geschrieben.“ Sie schweigt eine Weile. Es hört sich nicht so an, als wäre sie stolz darauf. „Damit wollte und konnte ich das Interesse der Angels Corporation auf mich ziehen.“ Was? Erschüttert schaue ich sie an. Ich dachte die Organisation hätte ich zerstört?! „Es war die einzige Möglichkeit, Zugriff auf deine Daten zu bekommen. Ich habe mich nur auf sie eingelassen um dich zu finden.“ Verzweifelt schaut sie mich an.

„Die Organisation ist also nicht zerstört?“

„Bei deinem Ausraster hast du nur den Oberen Verwaltungsbereich beschädigt. Die Laboratorien und Daten zu den Experimenten sind unter der Erde verschont geblieben.“

„Aber wer leitet sie jetzt?“

„Dr. Hemmington. Der Bruder des damaligen Vorstands.“ Ich glaube es nicht… Ich habe nicht einmal das erreicht, was ich hätte erreichen können. „Mittlerweile sind die Skysoldier offizielle Waffen des Militärs von Merakia. Damit sind die Angels ganz offiziell zur Militärmacht geworden.“

„Skysoldier?“

„Du weißt nichts davon?“ Ich schüttele den Kopf. „Das sind Klone von dir. Welche die genetisch so verändert sind, dass sie weder Schmerz noch Emotionen empfinden Können. Sie befolgen strikt Befehle. Sie werden zu hunderten produziert. Merakia hetzt sie alle auf Disenion.“ Ich erinnere mich daran, dass der Professor mal erwähnte, dass ich nur einer von vielen sei. Aber die Skysoldier hat er in meiner Gegenwardt nie erwähnt.

„Und du hast dabei geholfen?“

„Nein. Nicht direkt. Als ich eingestellt wurde, waren sie schon bei der Produktion. Ich sollte nur Nachforschungen anstellen, aus bestehenden Daten. Ich will dem ganzen aber ein Ende machen. Dazu brauche ich aber Hilfe.“ Sie schaut mich an.

„Oh nein. Ich werde ganz sicher nicht diese Wüste verlassen.“

„Zero!“

„Nein. Außerdem heiße ich nicht mehr Zero. Ich heiße Rrazpharroth. Niemals mehr will ich, dass du mich so nennst.“

„Du willst doch auch, dass das alles ein Ende hat!“

„Ich will meine Ruhe vor den Menschen. Ich will nichts mehr mit all dem zu tun haben!“ Ich stehe auf und entferne mich ein paar Schritte. Sie läuft mir nach. Ich wende ihr den Rücken zu.

„Du willst mich damit also allein lassen? Du willst dir die Augen, Ohren und Mund zuhalten? Da habe ich wohl zu viel von dir verlangt!“ Sie schweigt kurze Zeit. „Schön!! Du hast ja wohl nichts zu verlieren! Du kannst jeder Zeit diesen Planeten verlassen. Du hast scheinbar niemanden, den du beschützen willst!!“ Sie weint. „Dann Verschwinde doch von hier, wenn du uns alle so hasst!! Ich zwinge dich Nicht. Keiner zwingt dich mehr zu irgendwas. Also worauf wartest du?! Mach die Fliege!“ wütend läuft sie zum Auto. Es stimmt was sie sagt. Ich hätte längst verschwinden können. Ich bin aber nicht gegangen, weil ich an etwas hänge. Ob ich jemanden beschützen will…

„Gabriel…“ Ich drehe mich um. Da hat sie schon fast das Auto erreicht.

Vogelfrei

Ich renne ihr nach. Dumm nur dass ich nach einigen Metern schon zusammenbreche. Ungeschickt stolpere ich hinterher.

„Gabriel! Warte! Warte bitte! Es tut mir Leid!“ Sie scheint Probleme mit der Zündung zu haben. Ich komme erschöpft am Auto an und sinke auf die Knie. In dem Moment springt der Motor an. Gabriel tritt aufs Gas und mir spritzt der ganze Sand entgegen. Ich verdecke mein Gesicht. Das Auto hat sich fest in den Sand gefahren. Gabriel Schaltet das Auto ab und zappelt wütend auf dem Sitz herum. Dann sieht sie mich. Zuerst mit einem Blick, vordem man Angst bekommen kann. Dann aber fängt sie an zu lachen. Ich verstehe nicht warum. Schüttele mir den Sand von der Kleidung. Sie Kommt zu mir und hilft mir den Sand abzuklopfen.

„Auf dich kann man nicht lange böse sein.“

„Ich war egoistisch… Ich habe Angst mich der Vergangenheit zu stellen. Dabei will ich nur, dass es dir gut geht. Ich war so blind.“ Sie nimmt mein Gesicht vorsichtig in ihre Hände:

„Ist schon in Ordnung. Ich helfe dir dich deiner Vergangenheit zu stellen. Dafür sind freunde da. Und zusammen stürzen wir diese Organisation!“ Gabriel weiß wie man jemanden wieder Aufbaut.

„Ich danke dir, Gabriel.“

„Du musst nie wieder allein sein.“ Sie setzt sich in den Sand. Er ist etwas abgekühlt, da es zu dämmern beginnt. Sie schaut zum Horizont und nimmt ihren Hut ab. „Bis in die nächste Siedlung schaffen wir es nicht mehr.“
 

Gabriel und ich sitzen zusammen auf der Ladefläche des Autos. Ich habe gelernt meine Flügel zu verbergen. Wir sitzen nah beieinander und betrachten uns die Sterne. Sie hat eine Decke umgelegt und schmiegt sich fest an mich.

„Es ist wie ein Traum.“ Das muss ich einfach laut sagen.

„Was denn?“ Flüstert sie.

„Bis gestern war ich noch allein. War im Begriff zu vergessen wie es sich anfühlt Gesellschaft zu haben. Und jetzt liegst du in meinen Armen und betrachtest mit mir die Sterne.“

„Ich war immer davon überzeugt dich eines Tages wieder zu sehen. An dem Tag als du verschwunden bist habe ich es geschworen. Und ich hätte nicht eher Ruhe gegeben, bis ich dich wieder habe.“ Ein flüchtiges Lächeln überkommt mich. Ich drücke sie fester an mich.
 

Es kehrt ein Moment der Ruhe ein. Man hört nur den Wind wehen und den Sand rieseln. Dann spricht Gabriel:

“Als du durchgedreht bist war ich in voller Sorge um dich. Du hast gar nicht auf dich geachtet. All die Zeit hatte ich Angst, du könntest tot sein.“

„Ich kann mich kaum an etwas erinnern, was an diesem Tag geschah. Ich sehe nur einzelne, zusammenhanglose Bilder. Aber sie zeigen das volle Ausmaß der Katastrophe.“

„Du kannst dich wirklich nicht erinnern? Du sahst damals auch ganz anders aus als jetzt. Dein Körper hat gestrahlt. Du warst auch viel größer als jetzt. Was war das für eine Form?“

„Ich kann mich nur vage daran erinnern, dass kurz vor meiner Mutation ein Schwall an Gefühlen aufkochte. Ich war zornig. Hasserfüllt. Ich konnte diese Masse an Emotionen nicht mehr fassen. Es musste alles raus. Ich bin rasend geworden. Auch wenn ich es nicht wollte. Ich hatte es nicht mehr unter Kontrolle. Das Nächste woran ich mich deutlich erinnern kann, ist, dass ich in der Wüste aufgewacht bin. Soweit mein Wissen reicht, ist so etwas noch nie vorgekommen.“

„Ich denke mir mal, dass du wohl auch eine Ausnahme bist. Du bist der einzige Engel, der Emotionen hat. Weil das für dich völlig neu ist und du dich geweigert hast, dich der Gehirnwäsche zu unterziehen, hast du die Fassung verloren.“

„Einen ähnlichen Gedanken hatte ich auch. Ich hoffe nur, dass das in Zukunft nicht mehr passiert. Denn ich wäre daran fast gestorben. Diese Form hat mich eine Menge Energie gekostet.“ Sie streichelt mich.

„Ich bin jetzt da um dich zu beruhigen, wenn du drohst zu mutieren.“
 

Wieder kehrt Ruhe ein. Gabriel schläft irgendwann ein. Ich merke, dass sich ihr Körper mehr und mehr entspannt. Auch ich bin müde. Ich weiß aber noch nicht ob ich wachen oder schlafen soll. Noch nie habe ich eine Nacht mit Gabriel verbracht.

Ich höre ihren flachen Atem. Es ist so ein schönes Gefühl sie bei mir zu haben. Zu wissen, dass sie mich all die Jahre gesucht hat. Zu hören, dass sie mich vermisst hat. Es ist so erleichternd nicht mehr allein zu sein. Zufrieden schließe ich die Augen.
 

Schüsse reißen mich aus dem Schlaf. Die Geschosse prallen an meiner Barriere ab. Irritiert schaue ich um mich.

„Sie sind mir gefolgt!“ Gabriel klammert sich panisch an mich. Sie?! Ich entdecke Engel. Wieder schießen sie auf uns. Sind das die Skysoldier von denen Gabriel gesprochen hat? Da ich Gabriel beschützen muss, kann ich nicht vom Auto weg. Ich nehme meine Sense und schleudere diesen Monstern Lichtklingen entgegen. Sie sind angezogen wie Soldaten. Wirken wie gewöhnliche Menschen. Aber sie besitzen keine Seele. Ihre Augen sind dieselbigen wie meine und sie tragen Flügel. Wenn meine Klingen sie treffen lösen sie sich in unzählige Lichtpartikel auf. Genauso wie ein richtiger Rrouharran. Sie sind sogar in der Lage dauerhaft zu laufen. Eine kleine Armee versucht sich uns über den Boden zu nähern. Ich beschwöre eine riesige Lichtsäule um sie alle zu eliminieren.
 

Ich muss lernen meine Kraft im Kampf sparsamer zu nutzen. In den zehn Jahren bin ich träge geworden. So typisch… Mit Maschinengewehren schießen sie von allen Seiten aus sicherer Entfernung. So langsam verärgern sie mich. Ich muss Fliegen um sie alle vernichten zu können.

„Gabriel, gehe in Deckung. Am Boden bin ich nicht flexibel genug.“

„Okay!“ Mit einem Satz ist sie unter dem Auto verschwunden. Unsicher schaue ich gen Himmel. Ich hoffe ich verhalte mich nicht zu tollpatschig. Ich breite meine Schwingen aus und stoße mich mit kräftigen Flügelschlägen vom Auto ab. Unglaublich, ich fliege!
 

Ich konzentriere mich darauf die Soldaten zu erledigen, die es auf Gabriel abgesehen haben. Aber scheinbar schießen sie alle auf mich. Sehr intelligent scheinen sie nicht zu sein, wenn sie nicht bemerken, dass ihre Schüsse bei mir nichts erreichen. In engen Haken fliege ich um meine Feinde und schlage einen nach dem Anderen mit meiner Sense nieder. Anderen schleudere ich Lichtklingen entgegen.

Der Himmel lichtet sich. Ein Geschoss schnellt knapp an mir vorbei und prallt an der Barriere eines Skysoldiers ab. Ich schlage ihn nieder. Folge dann der Schussbahn. Gabriel hat den Schuss abgegeben. Wo hat sie die Waffe her?! Ich bringe auch den letzten der Soldaten mit einem Lichtblitz zur Strecke.
 

Meine Sense lasse ich verschwinden und lande gezielt neben dem Auto. Gabriel kommt unter dem Fahrzeug hervor und klopft sich den Sand von der Kleidung. Erbost schaue ich sie an:

„Woher hast du die Waffe?!“ Erschrocken wendet sie sich mir zu.

„Das ist meine Dienstwaffe.“

„Gib sie her!“

„Was?“

„Du sollst sie mir geben!“

„Aber..“ Unsanft reiße ich sie ihr aus der Hand. Sie zuckt zusammen.

„Ich will nicht, dass du deine reine Seele beschmutzt! Versprich mir von so einem Ding niemals gebrauch zu machen.“ Verständnislos blickt sie mich an. Wird dann aber einsichtig:

„Okay, versprochen.“ Ich werfe die Waffe in den Wüstensand.
 

Gabriel entfernt den Sand von den Reifen und schiebt Bretter darunter. Ich beobachte sie dabei. Es scheint sehr heiß zu sein. Ihr tropft der Schweiß von der Nase. Ihre Haut auf den Schultern und im Nacken ist errötet. Die viele Sonne tut ihr nicht gut.

„Gabriel, du solltest dich schonen.“ Sie hebt ihren Kopf und fährt mit dem Unterarm über ihre Stirn. Sie seufzt. Schaut mich nachdenklich an. Etwas scheint sie zu beschäftigen. Sie wollte gerade zum sprechen ansetzen, da klingelt etwas. Sie sucht im Auto herum und holt ihr Mobiltelefon heraus.

„Hallo? …Ja stellen sie sich vor, ich lebe noch! ...Hören sie auf zu labern, sie Mistkerl! Sollte das ein Anruf sein um sicher zu gehen dass ich tot bin, oder was? …Ahaha sehr witzig! Sie können mich mal!“ Mit diesen Worten legt sie auf und wirft das Telefon mit Zorn ins Auto zurück. Erschöpft streift sie sich das Pony von der feuchten Stirn. Sie schaut mich an: „Wir beide sind für vogelfrei erklärt worden. Wir können immer und überall abgeschossen werden.“ Sie setzt sich auf den Fahrersitz und fährt das Auto aus dem Sand. Dann packt sie die Bretter zurück auf die Ladefläche: „Steig ein.“ Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen. Während der Fahrt Entfernt sie etwas aus ihrem Handy und schmeißt es dann aus dem Fenster.

"Das ist Umweltverschmutzung..." gebe ich zu verstehen.

"Du hast auch die Waffe einfach in den Sand geworfen..." kontert sie klug. Ich bin unachtsam geworden.
 

Wir fahren schon eine ganze Weile. Gabriel sieht müde aus. Sie Atmet schwer. In meinem Fußraum entdecke ich einen Rucksack. Ich wühle in ihm herum und finde eine Trinkflasche.

„Hier. Trinke einen Schluck. Du musst bei Kräften bleiben.“

„Danke.“ Sie nimmt die Trinkflasche und nimmt einen ordentlichen Schluck. Sie ist ungewöhnlich schweigsam und sieht besorgt aus. Ob es daran liegt, dass sie erwachsener geworden ist? Oder weil sie wirklich etwas beschäftigt. Ich bin mir nicht sicher ob ich sie darauf ansprechen soll. Sie kann sehr gruselig werden, wenn sie sauer ist. Ich beschließe sie darauf anzusprechen, wenn sie sich beruhigt hat. Also schaue ich aus dem Fenster in die Ferne. Der Boden hier ist mehr steinig und es lässt sich gut darauf fahren.
 

Das jetzt auch Gabriels Leben in potenzieller Gefahr ist gibt mir bedenken. Sie hat es sich zwar selbst so ausgesucht, aber ich will nicht, dass sie um ihr Leben bangen muss. Ich scheine ihr wohl wirklich nicht gut zu tun. Dann muss ich versuchen das Beste daraus zu machen und sie zu beschützen. Wenn es sein muss mit meinem Leben. Wobei ich ihr danach nicht mehr helfen könnte. Aber ich werde sie beschützen. Mit allen Mitteln. Zusammen werden wir dem Grauen ein Ende setzen. Wir werden zusammen frei sein.

Wortlos

Es ist später Nachmittag als wir eine Siedlung erreichen. Wir sind beide unglaublich Müde. Gabriel aus Erschöpfung. Ich, weil die Fahrt so lang gedauert hat. Skeptische Augen verfolgen uns. Als hätten sie noch nie ein Auto gesehen. Sind ja auch ungeheure Geräte. An einer geeigneten Stelle hält Gabriel den Wagen an.

„Wir werden hier übernachten. Ich muss unbedingt was essen und waschen muss ich mich auch.“ Sie klingt immer noch sehr mieslaunig. In meiner Illusion steige ich aus dem Auto. Oh, wie ich das hasse! Gabriel fragt einen Siedler ob es eine Art Gasthaus gibt in der man übernachten könnte. Dabei klingt sie wie immer; freundlich und offen. Der Siedler begrüßt ihre Freundlichkeit mit einem Lächeln. In gebrochenem Merakianisch weißt der Mann ihr den Weg. Warum kann er Merakianisch? Stumm folge ich Gabriel. In dem Gasthaus versucht sie sich mit dem Inhaber zu verständigen. Allerdings versteht er kein Wort Merakianisch. Nachdem beide am verzweifeln sind lege ich die Hand auf Gabriels Schulter.

„Ich mache das.“ Ich beginne fließend Girenianisch mit dem Mann zu sprechen.

„Wir wollen für eine Nacht hier schlafen.“ Der Inhaber sowie Gabriel schauen mich mit offenen Mündern an. Dann Antwortet er:

„Naturlich. Ich nehme an ein gemeinsames Bett.“

„Ja.“ Er notiert es sich.

„Mit Essen?“

„Ja. Aber nur für eine Person.“ Er schaut mich an. „Ich habe eine Krankheit. Ich kann nur bestimmte Dinge essen.“

„Macht hundertsechzig Millu.“ Das gebe ich auf Merakianisch an Gabriel weiter. Sie legt das Geld passend auf den Tresen.

„Erholsamen Aufenthalt.“
 

Gabriel und ich gehen in das obere Stockwerk.

„Ich wusste nicht dass du fließend Girenianisch sprichst. Das hättest du ruhig früher erwähnen können.“ Ich kann aus ihrer Tonwahl nicht erkennen ob es Bewunderung oder Vorwürfe sind.

„Tut mir Leid.“ Irgendwas bedrückt Gabriel sichtlich. Und es scheint immer schwerer auf ihr zu lasten. Es ist sehr ungewöhnlich, dass ich mich in ihrer Gegenwart nicht wohl fühle. Im ganzen Haus ist es sehr staubig. Was man aber nicht verhindern kann, wenn man von Tonnen von Sand umgeben ist. Es ist auch kühler als draußen. Wir betreten unser Zimmer. Gabriel wirft ihre Tasche auf das Bett. Zieht ihren Schmuck aus und legt ihn auf den Nachtschrank. Ich schließe unauffällig die Tür hinter mir und lasse die Illusion fallen. Sie öffnet ihr Haar. Schwer fällt es ihr in den Nacken und Schultern. Durch Kopfschütteln lockert sie es auf. Sie agiert sehr hastig. Und verschwindet ohne ein Wort im Bad.
 

Ich sehe mich im Zimmer um. Ein Schrank aus grauem Holz steht an einer schrägen Wand. Nur wenig Sonnenlicht tritt durch das kleine Fenster. Als ob die Menschen hier Sonnenlicht verfluchen würden. Es ist auch kein Glas darin. Hier wohl auch nicht notwendig. Vor dem Fenster ein runder Tisch mit zwei Stühlen. In der Mitte des Raumes ein roter Teppich mit aufwendigen Ornamenten. Er sieht ziemlich abgenutzt aus. Das Bett wirkt, als würde es bei der geringsten Belastung zusammenbrechen. Eine Tagesdecke liegt ordentlich darüber. Gabriels Tasche hat die Decke ein wenig verschoben. Ich gehe an das Bett und ziehe die Decke wieder gerade. Dadurch fällt die Tasche um. Einige Dinge fallen heraus. Ich stelle die Tasche wieder auf und sammele die Sachen zusammen. Keine Ahnung was das alles sein soll. Aber mir fällt ein Bild auf, das in einem Glasrahmen sicher verwart wird. Gabriel ist darauf zu sehen. Sie scheint in dem Moment gelacht zu haben. Sie hat so ein schönes Lachen. Der Mann der neben ihr steht kommt mir unglaublich bekannt vor. Aber ich kann ihn nicht beiordnen. Er scheint auch gelacht zu haben. Das Bild zeigt beide an einem Strand. Sie waren wohl im Urlaub. Es ist ein sehr schönes Bild. Ich lege es wieder in die Tasche zurück.
 

Gabriel kommt aus dem Bad. Es hat doch ziemlich lange gedauert. Sie hat die Kleidung gewechselt. Ihre Haare sind nass. Aber sie sieht kränklich aus. Warum widmet sie mir keinen Blick?

„Gabriel? …“

„Hier gibt es kein fließend Wasser. Ich musste mich mit einem Lappen waschen.“ Sie hat mich nicht ausreden lassen und obendrein das Thema gewechselt.

„Gabriel, …“

„Komm, gehen wir etwas essen.“ Verständnislos schaue ich sie an. Warum macht sie das? Ich baue die Illusion wieder auf. Ich habe noch die Kleidung an, die ich am ersten Ferientag getragen habe. Schöne, aber melancholische Erinnerungen.
 

Wir setzen uns an einen Tisch. Einige Siedler sitzen verteilt im Raum in Gruppen und erzählen wild. Einige vertreiben sich die Zeit mir einem Spiel. Es wird mit Karten, Würfeln und Spielsteinen gespielt.

Gabriel bekommt einen Tee vorgesetzt. Als sie mir einschenken will lehne ich dankend ab. Eine Frau, die ihren Kopf mit einem Tuch vor der Sonne schützt. Sie fragt, was wir Essen möchten. Ich lehne ab. Gabriel bestellt sich ein Menü. Ich starre Gabriel an. In der Hoffnung es kommt etwas von ihrer Seite. Aber sie schweigt. Rührt abwesend den Tee. Es scheint, als hätte sie geweint. Ihre Augen sind ein wenig gerötet. Es ärgert mich, dass sie nichts sagt. Am liebsten will ich sie beim Schopf packen und wachschütteln. Aber rühre mich nicht.
 

Ich beobachte sie beim Essen. Ich versuche immer noch unangenehm auf sie zu wirken. Sie mit Blicken und starren aus der Reserve zu locken. Aber das scheint ihr gar nichts aus zu machen. Ich hätte niemals gedacht dass ich einmal meine Geduld verlieren könnte. Vielleicht sollte ich es erst mit einem anderen Thema versuchen. Aber aus unerklärlichem Grund bekomme ich kein Wort heraus. Dann schweige ich eben weiter.

Gabriel isst als gäbe es kein Morgen mehr. Was ist bloß los? Ich werde noch verrückt! Gleich platze ich! Ich will aufspringen und ihr die Frage ins Gesicht schreien! Aber ich bleibe sitzen. Rühre mich keinen Zentimeter. Ich kann mich gar nicht mehr bewegen. Ich bin zu sehr angespannt.
 

Gabriel hat fertig gegessen. Eigentlich bleibt man nach dem Essen noch ein wenig sitzen. So dachte ich. Aber kaum hat sie den letzten Krümel vom Teller geschaufelt, springt sie auf:

„Komm mit.“ Diesen Befehlston kannte ich vorher nur vom Professor. Darauf reagiere ich allergisch. Aber ich sage nichts. Still folge ich ihr. Momentan frage ich mich warum überhaupt. Wir gehen ins Zimmer zurück. Hinter mir schließe ich die Tür. Gabriel setzt sich auf das Bett und holt einen Laptop aus der Tasche. Nicht einmal jetzt will sie mir sagen was los ist! Ich lasse die Illusion fallen und stelle mich an das Fenster. Ich bin wütend. Ich kann selbst nicht mal glauben wie wütend ich bin. Auf Gabriel!
 

Es ist Abend geworden. Die Sonne ist fast untergegangen. Und all die Zeit hat sie nicht ein Wort gesprochen. Ich schaue zu ihr rüber. Krampfhaft fesselt sie sich an den Bildschirm. Ich habe das Gefühl zu zittern. Als ob ich kurz davor wäre. Auf einmal, wie ein Schups laufe ich auf sie zu. Total unüberlegt. Ich fahre die Hand aus und schlage den Monitor auf die Tastatur. Geschockt schaut mich Gabriel an. Gerade noch so konnte sie ihre Finger wegziehen. Ihr Problem. Sauer starre ich ihr in die Augen. Ich sehe alle Arten von Gefühlen in ihr aufschäumen. Schnell weicht sie meinem Blick aus. Ich reiße ihr den Laptop aus den Händen. Jetzt zittere ich.

„Gabriel. Du sagst mir jetzt was los ist! Ich habe absolut keine Geduld mehr auf dieses primitive Versteckspiel! Sage was oder ich verschwinde!“ Wobei ich mir damit nur selbst schaden würde. Auf einmal verzieht sie ihr Gesicht und stößt einen langatmigen Schrei aus. Ich habe einen Menschen noch nie so weinen gesehen. Gabriel vergräbt ihr Gesicht in den Händen und sackt in sich zusammen. Sie scheint keine Luft mehr zu bekommen. Gluckst atemlos. Ich lasse den Laptop fallen und krabbele auf allen Vieren über das Bett zu ihr. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um sie. Sie Atmet nicht mehr ein. Ich fasse sie bei den Schultern und rüttele sie:

„Gabriel, was ist? Bekommst du keine Luft mehr?“ Plötzlich schaut sie mich mit schmerzerfülltem Blick an und Atmet stoßweise ein. Sie schluchzt unaufhörlich. Schwere Tränen fließen ihr über die Wangen. Atem los jammert sie und beugt sich dabei krampfhaft:

„Es tut mir so leiiiid… es tut mir so unglaublich leiiid…“ Immer und immer wieder wiederholt sie diese Worte. Ich schließe meine Arme um sie und drücke sie an mich. Ich halte sie ganz fest. So als ob sie mir sonst aus den Armen fallen könnte.
 

Es dauert lange bis sie sich beruhigt hat. Sie drückt mich leicht weg und hebt den Kopf an. Schaut mir aber nicht ins Gesicht. Sie zupft an meinem Gewand und spielt mit der Kordel, die es zusammen hält. Dann greift sie in ihre Tasche und holt das Bild raus, das ich vorhin in der Hand hatte. Sie schaut es an. Tränen fallen auf das Glas. Sie hält mir das Bild entgegen.

„Erkennst du ihn wieder?“ Ich nehme das Bild abermals in die Hand und betrachte mir den Mann genaustes. Plötzlich schlägt mir die Tatsache ins Gesicht!

„Samsa?!“ Ich kann meinen Augen nicht trauen. Er sieht gar nicht mehr aus wie damals. Gabriel nimmt das Bild wieder an sich.

„Ich muss dir etwas sagen.“ Mit dem Daumen fährt sie über das Glas. Ich schaue sie gespannt an. „Samsa und ich haben uns ein paar Jahre nach deinem Verschwinden wieder getroffen.“

„Das ist doch schön. Es freut mich, dass er so gesund ist.“ Sie legt ihre Hand auf meine Brust:

„Warte…“ Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. „Wir haben uns besser kennen gelernt. Wir haben oft viel zusammen unternommen… Na ja… wir… wir haben letztes Jahr geheiratet…“ Sie schweigt. Ich schweige. Ich weiß nicht was los ist. Mit mir. Ich fühle mich nicht mal sonderlich getroffen. Obwohl es mich irgendwo in mir zerreißt. Vielleicht, weil ich mich auf ein Leben ohne sie eingestellt habe. Ich muss jetzt irgendetwas sagen. Sonst ist die Situation zu unangenehm, als das man sie ertragen könnte.

„Warum weinst du denn? Es ist doch schön, dass ihr beide euch gefunden habt.“ Sie schaut mich verständnislos an. Dann sinkt ihr Blick wieder schuldig.

„Es gibt noch jemand anderes, den ich liebe…“ Irgendwas sagt mir, dass ich der jenige bin. Aber das laut auszusprechen kommt mir sehr egoistisch vor. Schon der Gedanke verunsichert mich. Ich hätte es lieber, wenn sie es sagen würde. Dann müsste ich mir nichts einbilden. „Es ist so schwer, mich zu entscheiden.“

„Du musst dir im Klaren sein, zu wem deine Gefühle stärker sind.“ Ich frage mich, warum ich mich auf das Spiel einlasse.

„Ich glaube, dass ich mit dem anderen keine normale Beziehung führen kann…“

„Mit deiner Hochzeit hast du dich doch ohnehin schon für einen entschieden.“ Ihr Kopf sinkt tiefer. „Du bist bei Samsa in guten Händen. Und wenn du der Meinung bist, mit dem anderen nicht zu Recht zu kommen, dann ist das deine Entscheidung. Die muss jeder akzeptieren.“ Ich lege meinen Arm um ihre Schultern und drücke sie an mich. Sie hat Recht. Mit mir kann man keine normale Beziehung führen. Das habe ich damals auch zu Myke gesagt. Es ist eine bittere Tatsache. Und manche Dinge sollten lieber unausgesprochen bleiben. Man könnte damit den Umgang zueinander grundlegend verändern, was man am Ende eventuell bereuen könnte.
 

Der Schmerz dringt ins Bewusstsein ein. Es tut sehr weh zu hören, dass man geliebt wird, aber nicht geliebt werden kann. Da ist man sich so nah, dass man den Herzschlag des anderen fühlen kann, aber dennoch ist man so unerreichbar weit voneinander entfernt. Dann zu sehen, dass ein anderer deinen Platz einnimmt, ist kaum zu ertragen. Dabei will man nur das Beste für sie. Man belächelt die Situation. Nicht um seinen Schmerz zu verheimlichen. Nein. Das Lächeln ist schmerzhaft. Aber man akzeptiert es. Das Lächeln symbolisiert deine Liebe. Deine Zuneigung und all deine Gefühle zu ihr.

Also lächele ich heimlich und schließe Gabriel fest in meine Arme.

In Erinnerung

Wir liegen uns lange in den Armen. Noch immer scheint es wie eine Illusion. Aber es hat sich beruhigt. Gabriel atmet leise. Ob sie wohl schläft? Ich streichele ihr über den Kopf.

„Es ist schön in den Armen eines Engels zu liegen.“ Leise und mit heißerer Stimme spricht sie. „Es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.“ Dabei ist es in meiner Gegenwart nicht mal sicher.

„Solltest du nicht besser schlafen? Es ist spät und…“

„Du leuchtest.“ Ich schaue zu ihr runter. Sie hat den Ärmel meines Gewandes zurückgezogen. Streichelt mir sanft über die Haut. „Ganz zart leuchtet deine Haut. Es ist wunderschön.“ Sie schaut zu mir auf. Lächelt mich warm an. Müde sieht sie aus. Mit einer Hand fährt sie mir über die Wange. Ihre Augen leuchten auch. So warm. Ich will mich in ihnen verlieren.
 

Dann aber setzt sie sich auf. Du hast recht, gehen wir schlafen. Sie stellt das Bild mit Samsa auf den Nachtschrank. Sie schaut es noch eine Weile an. Bis sie sagt:

„Als das Bild gemacht wurde, hat er einen Witz gerissen.“ Gabriel lacht leise. „So ein Idiot. Aber du hast ihn zu einem tollen Menschen gemacht.“ Sie schaut mich an. Glücklich scheint sie zu sein. Endlich.

„Ich habe kaum etwas gemacht. Ich habe ihn nur begleitet.“

„Genau dich hat er gebraucht. Wenn du nicht gekommen wärst, wäre er nie zu dem geworden, was er jetzt ist.“ Sie steht auf. „Ich ziehe mich eben um.“ Gabriel holt etwas aus ihrer Tasche und geht ins Bad.
 

Ich stehe auf. Da sehe ich den Laptop vor dem Bett liegen. Er ist Kaputt gegangen… Ich hebe ihn auf. Der Bildschirm ist zerbrochen und das Gehäuse ist aufgesprungen. Was habe ich da nur wieder angestellt…

Gabriel kommt aus dem Bad und schaut mich an. Dann erkennt sie den kaputten Laptop. Sie lacht beherzt. Ich bin verwirrt. Sollte man nicht eigentlich bestürzt sein, wenn etwas zu Bruch geht?

„Das Bild ist für die Götter!“ Sie lacht weiter.

„Aber… der Laptop…“

„Ach, das Ding war eh nicht mir. Hat der Firma gehört. Halb so wild.“ Gabriel lächelt freundlich und nimmt mir den Laptop aus der Hand. Sie legt ihn auf den Tisch vor dem Fenster. Dann nimmt sie die Tagesdecke vom Bett und legt sich unter die Decke. „Willst du nicht schlafen?“ Fragend blickt sie mich an.

„Ich brauche keinen Schlaf. Ich sollte lieber aufpassen, dass wir nicht überfallen werden.“

„Bitte setze dich zu mir.“ Sie drückt ihre Unterlippe nach vorn und schaut mich Mitleidig an. Also setze ich mich neben sie aufs Bett. Sofort lehnt sie sich an mich.
 

Nach einer stillen Weile fällt mir eine Frage ein:

„Was ist aus Felea geworden?“

„Sie ist ihren Verletzungen erlegen.“

„… Das tut mir Leid.“

„Das muss dir nicht Leid tun…“

„Du musst mich doch hassen. Dafür, dass ich so viele in deinem Bekanntschafts- und Freundschaftskreis getötet habe…“

„Felea ist von Herumfliegenden Trümmern getroffen worden. Du hast nicht Hand an sie gelegt. So wie die Meisten. Du hast nur Soldaten getötet. Es würde nichts bringen dir das ewig nachzutragen. Es ist passiert und ist nicht wieder Rückgängig zu machen. Also mach dir keinen Kopf.“ Sie streichelt mir über die Brust.
 

Gabriel schläft langsam ein. Seit dem Gespräch heute scheinen wir uns näher gekommen zu sein. Als wäre eine Art von Barriere geöffnet worden und uns eine Stufe näher bringt. Das Limit wird wohl bald erreicht sein. Denn je näher wir uns kommen, desto schmerzhafter und schwerer werden die Schritte.

Ich wehre mich gegen das Einschlafen. Ich muss wach bleiben. Wenn wir angegriffen werden würden, hätte es eventuell fatale Folgen.

Ich beobachte Gabriel beim Schlafen. Sie sieht friedlich aus. Als wäre nie etwas gewesen. Ihr Kopf lehnt an meiner Seite. Ihr Arm über meinen Bauch gelegt. Ihr Körper ist noch von den letzten Tagen sehr geschwächt. Ein Teil meiner Energie fließt über unsere Berührungen in ihren Körper. Das kann ich nicht steuern. Das ist von der Natur gegeben. Ich hoffe es wird ihr morgen besser gehen.
 

Müde öffne ich die Augen. Ich bin doch eingeschlafen! Gabriel läuft durch das Zimmer. Ich setze mich auf. Beobachte sie. Da bemerkt sie mich:

„Bist du auch endlich wach?“ munter Lächelt sie mir zu. „Wolltest du nicht wach bleiben?“ Mit einem scherzhaften Unterton belächelt sie weiterhin die Situation. Auf einmal hören wir Leute schreien. Gabriel und ich schauen uns mit großen Augen an. Sie lässt alles stehen und liegen und rennt aus dem Zimmer. Ich renne nach, doch schnell muss ich stoppen. Also laufe ich wie immer. Das ärgert mich. Dass ich am Boden so im Nachteil bin.
 

Ich komme draußen an, da rennen Siedler an mir vorbei. Gabriel steht mitten auf der Handelsstraße und schaut zur Wüste hinaus. Ich folge ihrem Blick und erkenne eine Armee von Skysoldiern. Sie scharen sich um einen Panzer. Er ist ungewöhnlich groß. Gabriel rennt zu mir:

„Sie haben uns entdeckt!“ Neben mir bleibt sie stehen.

„Ich muss sie eliminieren bevor sie die Siedlung erreichen!“ Etwas in mir schaltet sich um. Das merke ich. Ich bin voll auf Angriff aus. Einige Siedler kommen mit Pistolen und Gewehren zurück und schießen verzweifelt auf die Angreifer. „Verstecke dich irgendwo, Gabriel.“

„Aber… !“ Ich stoße mich vom Boden ab und halte mit erhobener Sense auf die Armee zu. Die Siedler blicken verwundert zu mir auf. Aber ich konzentriere mich nun vollkommen auf den Gegner.
 

Ich schlage auf die Skysoldier ein. Was mir in irgendeiner Weise schwer fällt, denn es sind Engel. Wie meine Geschwister und ich. Sie sehen aus wie ich in meiner menschlichen Form. Warum muss ich sie also töten? Weil sie Gefährlich sind. Es sind willenlose Marionetten. Der Panzer schießt auf mich. Ich wiege mich in Sicherheit. Doch was ich nicht erwartet habe, seine Geschosse durchdringen meine Barriere. Ich bin erschrocken, dass die Menschen nun auch noch etwas gegen meine Verteidigung aufbringen können. Ich sollte mich zuerst dem Panzer widmen. Ich bündele Energie indem ich sie gezielt durch meine Arme fließen lasse. Dadurch entwickelt sich nach und nach ein immer größerer Ball aus Licht. Die Zeit drängt. Der Panzer lädt nach. Nun aber müsste der Ball groß genug sein. Immerhin würde ich zehn Mal in ihm Platz finden. Ich schleudere ihn mit Wucht dem Panzer entgegen. Der Lichtball trifft den Panzer mit voller Kraft. Erwartungsvoll warte ich auf das Ergebnis. Aber der Panzer hat nur wenig Schaden erlitten. Er muss doch irgendwo eine Schwachstelle haben.
 

Weiterhin greifen mich meine Repliken an. Mit einem Sensenschwung erledige ich fünf von ihnen. Da habe ich einen Moment keine Acht gehabt und werde von einem Geschoss getroffen, das mich für einen Moment unter Strom setzt. Paralysiert falle ich vom Himmel. Dieser Treffer hat mich einiges an Kraft gekostet. Ich stehe wieder auf, da erkenne ich das Gelenk, des Panzers, das den oberen Teil beweglich macht. Aber ich habe keine Zeit. Der Panzer will wieder schießen. Ich hebe vom Boden ab und weiche somit seinem Schuss aus. Während ich eine geeignete Position suche, um das Gelenk zu attackieren vernichte ich weiterhin Skysoldier. Sie sind ein Haufen lächerlicher Würmer für mich. Aber der Panzer stellt einen echten Gegner dar.
 

Ich schreibe mich aus dem Himmel und im rechten Moment schleudere ich Lichtklingen auf das Gelenk des Panzers. Kurz vor dem Boden muss ich wieder Auftrieb gewinnen. Ich könnte zwar schweben, doch ist dies sehr Kräfte zehrend. Es hat funktioniert! Der Panzer hat mehr schaden erlitten und kann nun nicht mehr richtig zielen. Ein gut tuendes Erfolgserlebnis, welches mir neue Kraft verleit. Einzelne Skysoldier eliminiere ich mit gezielten Lichtblitzen. Es werden weniger. Der Panzer versucht mich zu erreichen. Aber ich fliege zu schnell und nun hat er einen toten Winkel. Noch ein gezielter Schwung mit der Sense und die Lichtklingen trennen den oberen Teil vom Panzer. Mit dem gesamten Körper hole ich aus und schlage mit der Klinge senkrecht in die entstandene Wunde. Es gibt eine Explosion. Trümmerteile fliegen wild herum. Elegant gleite ich zu Boden. Die letzten Skysoldier kann ich gut vom Boden aus erledigen.
 

Dann kehrt Stille ein. Nur das Lodern der Flammen ist zu hören. Langsam frisst es sich in den harten Stahl des zerstörten Panzers. Auf dem Oberen Teil erkenne ich ein rotes „A“ welches von einem blauen Oval eingenommen wird. Von dem Oval geht ein Flügel ab. Das ist das Zeichen der Angels Corporation sein. Ich habe es auf manchen Unterlagen schon einmal gesehen. Der Kampf hat mich ziemlich geschwächt.

„Zer… ich meine Rrazpharroth!“ Gabriels Stimme. Ich drehe mich zu ihr. Schwerfällig rennt sie durch den Wüstensand. Erleichtert fällt sie mir in die Arme: „Ich bin so froh, dass es dir gut geht! Als du vom Himmel gefallen bist, dachte ich es sei vorbei.“ Ich schließe meine Arme um sie.

„So leicht bin ich nicht klein zu kriegen.“
 

Wir kehren in die Siedlung zurück. Die Illusion aufzubauen wäre jetzt wohl Sinnlos. Die Siedler starren mich mit gemischten Gefühlen an. Sie haben wohl auch noch nie zuvor einen richtigen Engel gesehen. Gabriel läuft vor mich und spricht:

„Er ist nicht böse. Er wollte uns helfen. Er ist ein Freund.“ Viele verstehen Gabriels Sprache nicht. Da kann sie noch so deutlich sprechen. Ich sage nichts. Ich habe nicht das Recht etwas zu sagen, wenn mich die Siedlung nicht hier haben will. Aber eines sage ich doch:

„Gabriel, lass uns gehen.“ Sie schaut mich bestürzt an. „Hole deine Sachen. Es ist besser nicht länger hier zu bleiben.“ Sie will gerade losgehen, da kommt ein Mann auf uns zu. In einer Hand hält er noch sein Gewehr. Gabriel will ihn aufhalten. Aber er lässt sich von ihr nicht aufhalten. Er kommt auf mich zu und schaut mich an. Ich sehe, dass er mir nichts Böses will. Er spricht mit besonnener Stimme:

„Im Namen der ganzen Siedler sind wir euch zu großem Dank verpflichtet. Ich bin der Vorstand und habe die Aufgabe für die Siedlung zu sorgen. Wenn ihr nichts gewesen wärt, hätte ich tatenlos zusehen müssen wie diese Monster meine Siedlung zerstört hätten.“ Er neigt seinen Kopf dankend. Ich aber schüttele ablehnend den Kopf:

„Ich muss mich bei euch entschuldigen. Diese Soldaten waren hinter meiner Freundin und mir her. Durch unseren Aufenthalt in eurer Siedlung haben wir euch in Gefahr gebracht. Das ist mir äußerst unangenehm. Ich hoffe es ist niemand verletzt.“
 

Gabriel versteht nichts von all dem. Sie schaut nur verwirrt zu. Der Vorstand bestätigt dass niemand verletzt ist:

„Ihr seid jeder Zeit wieder willkommen. Bitte bleibt so lange ihr wollt.“

„Danke für das reizende Angebot, aber will müssen weiter. Aber wir werden bestimmt darauf zurückkommen.“ Ich nicke ihm freundlich zu. Er erwidert und wünscht uns alles Gute.

Nun haben sich die Siedler beruhigt. Bewundern mich dennoch mit großen Augen. Es ist ein angenehmes Gefühl neue Freunde für sich gewonnen zu haben.

Sehnsucht nach Zuhause

Gabriel und ich verlassen die Siedlung. Bis zur nächsten Stadt ist es ein halber Tag fahrt. Von Dort aus wollen wir nach Yeron zurück. Wieder fahren wir durch die Einöde. Hier und da mal ein dürrer Strauch. Sonst nichts weiter als Stein und Sand. Mit dem Blauen Himmel geht er einen scharfen Kontrast ein. Mein Blick schweift zu Gabriel. Sie sieht munterer aus. Ihre Augen wieder weit geöffnet um nichts zu übersehen. Mit beiden Armen stützt sie auf dem Lenkrad. Sie merkt meinen Blick und schaut mich an.

„Was ist denn? Willst du mir etwas sagen?“ Sie ist sehr neugierig.

„Nein. Ich bewundere nur die Schönheit.“ Ich wende mich wieder ab.

„Ich dachte du findest nichts schön.“ Ein scherzhafter Unterton ziert ihre Stimme.

„Ich bin ein Mensch, ich kann das.“ Ich versuche ebenso ironisch zu klingen.

„Wie wahr.“ Sie seufzt rhythmisch.
 

Wir fahren eine ganze Zeit lang. Endlos weit ist die Wüste. So scheint es. Wir beide schweigen. Ich bin müde. Das lange Sitzen ist sehr anstrengend. Es fällt mir schwer die Augen offen zu behalten. Mein Kopf wird immer schwerer. Dabei hätte ich noch genug kraft um ihn halten zu können. Vielleicht ist der menschliche Teil in mir müde.

Ich schrecke von einem heftigen Ruck auf. Ich bin eingeschlafen… Wir fahren immer noch.

„Bist du müde, Ze… ich meine Rrazpharroth.“

„Ein wenig. Können wir vielleicht eine Rast einlegen?“ Wir schauen einander an.

„Aber sicher. Ich bräuchte auch eine Pause.“ Sie hält auch sofort an. Ich steige aus dem Auto und entfalte meine Flügel. Die Sonnenstrahlen kribbeln auf der Haut. Das ist sehr angenehm. Ich strecke die Arme von mir und schließe die Augen.

Auch Gabriel steigt aus dem Wagen. Sie trinkt einen ordentlichen Schluck Wasser. Sie streckt sich und läuft umher.
 

Da merke ich ein Zupfen an meinem Gefieder. Gabriel spielt an einer Feder rum.

„Lass das! Meine Schwingen sind kein Spielzeug!“ Ich lege sie an.

„Aber ich wollte wissen wie sie sich anfühlen. Ich habe noch nie Engelsflügel angefasst. Sei doch nich so knauserisch.“ Sie schiebt die Unterlippe vor und zieht die Augenbrauen zusammen.

„Nicht ziehen, nur streicheln.“ Sofort fängt sie wieder zu strahlen an.

Achtsam fährt sie mit der flachen Hand über mein Gefieder. Sie bewundert es mit glänzenden Augen.

„Das glänzt so schön, und so weich! Man spürt die Federn kaum. Ich will auch Flügel haben und fliegen können. Das muss so ein tolles Gefühl sein.“ Gabriel hört nicht auf zu streicheln.
 

Ich überlege eine Weile. Gabriel streichelt derweil immer noch. Sie benimmt sich momentan trotz ihrer geistigen Reife so naiv. Aber genau das ist Gabriel. Sie darf sich niemals verändern.

„Rrazpharroth, Ist alles okay mit dir?“ Mir fällt eben erst auf, dass sie sich mir zugewendet hat. Mit klarem Blick schaut sie mich an.

„Mir geht es gut. Ich war nur in Gedanken versunken.“

„Träum nicht so viel, irgendwann verlierst du dich darin.“ Sie lacht mich munter an „Komm wir fahren weiter!“
 

Wir setzen uns ins Auto zurück. Wind bläst uns durchs Haar. Ich sollte mich Glücklich fühlen. Was ich in gewisser Hinsicht auch bin. Aber meine Stimmung ist melancholisch. Bedrückend. Schwer. Ich genieße Gabriels Dasein in meiner Nähe. Es ist nur von solch kurzer Dauer. Gabriel genießt ihr Leben. Denn sie weiß selbst, dass ihr Leben nur kurz ist. Schon immer war sie dieser Einstellung. Aber es wurde ihr vor Augen gehalten als klar wurde, wer und was ich wirklich bin. Was ist ein Menschenleben im Gegensatz zur Ewigkeit? Kürzer als ein Wimpernschlag. Was werde ich wohl machen, wenn ihre Seele sich vom Köper gelöst hat? Werde ich in der Wüste auf das Ende der Ewigkeit warten? Ob ich Gabriel vergessen werde? Ich habe kaum noch Erinnerung an mein vorheriges Leben. Bilder die von Tag zu Tag mehr und mehr auswaschen. Bis sie eines Tages verschwunden sind. Der Gedanke daran macht mir wirklich Angst.
 

Etwas rüttelt mich sanft. Gabriel steht in der Beifahrertür. Draußen ist es dunkel geworden. Ich habe schon wieder geschlafen.

„Wir sind in Kitapas angekommen. Ich habe uns für diese Nacht ein Zimmer gebucht.“ Noch ganz benommen baue ich die Illusion auf. „Du bist in letzter Zeit sehr schläfrig. Bist du vielleicht krank, oder hat physische Beschwerden?“ Zusammen laufen wir ins Hotel. Ich überlege. Eigentlich fehlt mir nichts. Wir stehen in einem Fahrstuhl.

„Vielleicht habe ich auch nur die Kondition verloren…“ Gabriel lacht.

„Stimmt! Zehn Jahre in der Wüste herumsitzen macht träge.“ Eine etwas ältere Dame schaut uns entsetzt an. Sie starrt mich an. Als ob sie mich bleich beschimpfen wolle. Ich rücke Gabriel etwas näher und starre zurück. Gleichzeitig flüstere ich:

„Warum hast du solch ein vornehmes Hotel gebucht? Die Menschen hier sind alle so ekelhaft arrogant.“ Das hat die Frau gehört und wendet sich getroffen ab.

„Ich will in einem weichen Bett schlafen und nach all der Zeit in der Wüste will ich mal eine Nacht im Luxus schwelgen.“

In unserem Stockwerk angekommen verlasse ich schnell den Aufzug. Man muss ihr nicht in die Augen sehen um zu sehen, dass sie kein guter Mensch ist.

„Warum hast du es so eilig, Rrazpharroth? Du weißt doch gar nicht wo unser Zimmer ist.“
 

Unser Zimmer liegt im einunddreißigsten Stock des Gebäudes. Wir betreten unser Zimmer. Eine Karte dient als Türöffner. Hinter mir lasse ich die Tür vorsichtig ins Schloss fallen. Das Zimmer ist groß. Viel freundlicher eingerichtet als das in der Siedlung. Und was mich sehr wichtig ist; eine große Fensterfront lässt viel Licht in den Raum. Gabriel seufzt erleichtert und streckt sich. Dann räumt sie in ihrer Tasche herum.

„Ich gehe Baden. Ich muss mich mal richtig entspannen. Das Bad in der Gaststätte war der Horror!“ Sie lächelt mir beherzt zu und verschwindet hastig ins Badezimmer.
 

Ich gehe zum Fenster. Wir haben einen Balkon. Ich öffne die Tür. Sofort bläst mir ein milder Wind entgegen. Von Hier aus hat man einen guten Blick auf die ganze Stadt. Sie ist auch relativ groß. Der Mond ist diese Nacht nicht zu sehen. Die Menschen wollen immer so hoch hinaus. Flugzeuge. Hochhäuser. Warum das alles? Können Menschen nicht einfach einsehen, dass sie auf den Boden gehören. Vielleicht, weil Menschen Träumer sind. Gabriel ist auch ein Träumer. Ob ich ihr unser Zuhause mal zeigen soll? Darf ich es denn überhaupt noch mein zu Hause nennen? Aber ich vermisse es… Seit elf Jahren habe ich es nicht mehr gesehen.

Ich lehne mich an das Geländer und verliere mich in Gedanken. Erinnerungen. Die letzten Bilder, die mir noch geblieben sind; von damals.
 

Gabriel legt ihre Hand auf meinen Rücken. Sie lehnt sich an mich und schnürt ihren Bademantel enger. „Es ist kalt. Willst du nicht reinkommen?“

„In Ordnung.“ Mir ist zwar nicht kalt. Aber ich habe lange genug draußen gestanden. Gabriel zieht mich ins Apartment zurück. Sie schließt die Balkontür und läuft zum Bett. Sie zieht den Mantel aus und legt ihn über einen Stuhl. In Hemd und kurzer Hose legt sie sich unter die Decke und schaut mich erwartungsvoll an. Sie klopft den Platz neben ihr. Aber ich schüttle mit dem Kopf.

„Warum nicht?“ Sie ist enttäuscht.

„Ich werde diese Nacht sicher wach bleiben. Wir müssen auf der Hut sein.“ Sie legt ihre Hand auf den Schoß.

„Hast ja recht…“ Mit dem Rücken lehnt sie am Kissen und starrt sich auf die Finger. Sie Spielt mit ihrem Ehering.
 

„Gabriel.“ Sie hebt ihren Kopf. „Möchtest du mein zu Hause kennen lernen?“ Ihre Augen werden groß und fangen zu leuchten an.

„Du meinst das Schloss?“

„Ja.“

„Unbedingt! Ich habe bisher nur Zeichnungen gesehen.“

„Ich würde es dir gern zeigen.“ Eigentlich ist der Grund mein zu Hause zu besuchen ein ganz anderer; egoistisch; ich habe Sehnsucht, Heimweh. Aber Gabriel profitiert ja auch davon.

„Darauf freue ich mich schon. Also kaufe ich Flugtickets nach Korai!“
 

Ich stehe an der Balkontür und schaue aus dem Fenster. Gabriel legt sich auf die Seite und macht das Licht aus:

„Gute Nacht, Zer… äh, Rrazpharroth“

„Schlaf gut, Gabriel.“ Ich drehe mich zu ihr. Schaue ihr beim schlafen zu. Ich habe Angst sie zu verlieren. Mit jedem weiteren Tag steigt die Angst einmal nicht richtig aufzupassen… Ein Wimpernschlag kann schon tödlich sein.

Sie ist sehr schnell eingeschlafen. Sie sieht friedlich aus wenn sie schläft. Sogar dann lächelt sie sanft.
 

Es ist Morgen geworden. Langsam schleppt sich die Sonne den Horizont hinauf. Noch liegt die Stadt im Schatten. Nur das Hotel und vereinzelte Hochhäuser werden vom Gold der Sonne berührt. Gabriel schläft noch tief und fest. So wie der Großteil der Stadt. Ich bin die ganze Nacht wach geblieben. Wie wenige andere in dieser Stadt.

Langsam wird es immer heller, da klingelt der Wecker. Gabriel tastet im Halbschlaf danach. Schiebt ihn versehentlich vom Nachttisch. Erschöpft lässt sie den Arm darauf liegen und stöhnt leise. Regungslos bleibt sie liegen. Der Wecker klingelt unaufhörlich weiter. Ich stehe auf und hebe den Wecker auf. Schalte ihn aus und stelle ihn auf den Nachttisch zurück. Gabriel dreht den Kopf zu mir und schaut mich mit einem Auge an:

„Danke, Zero…“ Ich höre den Namen zwar nicht gern, aber sie ist im Halbschlaf. Das ist zu entschuldigen.

„Guten Morgen, Gabriel. Zeit zum Aufstehen.“ Ich lächele sie an. Denn ich weiß, dass es sehr motivierend ist morgens in ein fröhliches Gesicht zu sehen. Scheinbar zufrieden räkelt Gabriel sich im Bett und murmelt:

„Guten Morgen.“

Und doch so fremd

Wir haben das Hotel hinter uns gelassen. Auf dem Weg zum Flughafen stehen wir im täglichen Arbeitsverkehr fest. Aber wir beide sind nicht sonderlich in Eile. Gelassen sitzen wir in den Sitzen vom Auto und lassen uns von girenianischen Musik beschallen.

Am Flughafen geben wir das Auto ab. Gabriel checkt ein und wieder sitzen wir im Terminal und warten. Ich beobachte die Menschen. Nach und nach werden Flüge aufgerufen. Mit ihnen gehen die Leute und nach ihnen kommen neue Leute. Stöhnen und Seufzen wenn sich ein Flug verspätet.
 

Unser Flug wird aufgerufen. Irgendwie erleichternd, dass wir nun einsteigen können, auch wenn ich am Liebsten selbst fliegen würde. Nach dem Start entspannt sich die Atmosphäre. Die Leute Atmen auf. Zum ersten Mal kann ich aus dem Flugzeug sehen. In den Transportmaschinen gab es nie Fenster. Sehr ungewohnt die Wolken von oben zu sehen ohne die Flügel zu benutzen. Die Sitze sind bequem. Ich bin müde. Doch bevor ich einschlafe bedrückt mich eine Frage:

„Gabriel?“

„Ja?“ Sie liest in einem Buch. Wendet sich mir nicht zu.

„Wie kannst du dir die Flüge und die Hotels leisten? So viel verdient man bei der Corporation doch gar nicht.“ Das weiß ich von Myke.

„Das geht alles auf das Konto der Corporation. Ich bezahle das doch nicht.“ Ich schaue sie an. In der Hoffnung sie käme von selbst darauf. Sie zeigt aber keine Reaktion.

„Du weißt schon, dass sie dadurch unseren Standpunkt ausmachen können?“ Sie stockt. Schaut mich dann mit überraschten Augen an.

„Daran habe ich nicht gedacht…“
 

Wir beide schweigen. Wir sind beide rat- und sprachlos. Gedanken hin oder her. Ich schlafe ein. Wach werde ich erst wieder, als Gabriel mich weckt.

„Schnall dich an, wir landen bald.“ Noch abwesend lege ich den Gurt um meine Hüfte. Wie langwierig. Ich wäre schon längst gelandet.

Nach der Landung sammelt Gabriel ihren Koffer ein und wir verlassen den Flughafen. Mit dem Taxi fahren wir in die Stadt Korai. Wir halten an einem Hotel. Nicht ganz so luxuriös wie das davor. Gabriel bezahlt selbst. Zusammen betreten wir das Zimmer. Klein aber bewohnbar. Es ist Abend geworden. Viel Zeitunterschied ist nicht zwischen Korai und Kitapas.

Nachdem Gabriel zu Abend gegessen hat gehen wir schlafen. Ich will zwar nicht schlafen, schlafe leider dennoch ein.
 

Der nächste Morgen beginnt sehr ruhig. Gabriel frühstückt. Mit dem Zug fahren wir auf das Land. Ich möchte ihr es zuerst vom Boden aus zeigen. Zumindest das, was man sehen kann. Die Umgebung außerhalb der Stadt ist nur leicht hügelig. Weite Felder. Wenig Wald. Vor allem viele Wiesen. Die Landschaft kommt mir bekannt vor. Wahrscheinlich weil es meine Ursprüngliche Heimat ist. Ein Ungewohntes Gefühl. Durch das fahren in eine lange Kurve wird die Wolke sichtbar. Fern am Horizont.

„Sieh, Gabriel. Dort hinten ist die Wolke zu sehen.“ Gabriel drückt ihre Nase an das Fenster und macht große Augen.

„Sieht wie eine gewöhnliche Gewitterwolke aus.“ Ich schweige. Ich verliere mich in der ferne. Der Gedanke mit jeder Sekunde ein Stück näher nach Hause zu kommen ist wie ein ferner Traum. So weit entfernt wie es die Wolke noch immer ist. Ich lege meine Hand ans Fenster. Fahre die Umrisse der Wolke nach, die sich an der Grenze zur Stratosphäre ambosförmig ausbreitet. Es wirkt vertraut. Und doch so fremd. Ich kann es kaum erwarten dort zu sein.
 

Unser Weg führt uns nach Deysin. Die Stadt, die der Wolke am nächsten ist. Was die Einwohner nicht schön finden, ist die Menge an Touristen. Obwohl die Nachfrage nachlässt, da es auch keine Engel mehr gibt. Menschen sind diesbezüglich so berechenbar. Von Dort aus kann man gut das Zuhause erreichen. Oft müssen wir umsteigen. In Dansul gibt es nicht viele Großstädte. Die Menschen hier leben sehr traditionell. Trotz der Modernisierung und Globalisierung. Sogar die Züge sind altmodisch.

Am Frühen Nachmittag kommen wir in Deysin an. Die Stadt zählt neben Korai zu den Größten Dansuls. Aber im Gegensatz zu Yeron ist die Stadt ein Witz. Gabriel und sich steigen aus dem Zug. Wir beide schauen automatisch zum Himmel. Die Wolke scheint als wolle sie uns überrollen. Nachdem der Zug weggefahren ist. Ist es ungewöhnlich still. Nicht mal Menschen kann man reden hören. Ich schaue Gabriel an. Sie starrt benommen die Wolke an. Es sieht so aus, als wolle sie etwas sagen, doch scheint sie kein Wort über die Lippen zu bekommen.

„Jetzt schon Atemberaubend, was.“ Als würde sie erwachen, verändert sich ihr Gesichtsausdruck.

„Unvorstellbar, dass etwas so Groß sein Kann.“ Sie spricht leise. Mit viel Demut.

„Gehen wir. Du willst es ja noch von innen sehen.“ Gabriel nickt, nimmt ihren Koffer und zusammen begeben wir uns zum Ausgang des Hauptbahnhofes.
 

Wir stehen auf einem großen Platz mit einem kleinen Schrein im Zentrum. Darum werden gerade Stände aufgebaut.

„Dieses Wochenende wird das Fest der Götter gefeiert.“ Gabriel blättert in einem Reiseführer. Wo hat sie den denn plötzlich her.

„Das Fest der Götter?“ Sie schaut mich an.

„Die Rrouharran stellen für die Menschen in Dansul die Götter dar.“ Sie schaut zur Wolke auf. „Die Wolke der Götter. Die Einwohner glauben daran, dass ihr über sie wacht. Sie wollen mit dem Fest ihren Dank aussprechen.“ Mein Blick schweift über den Platz. Kaum vorstellbar dass es Menschen gibt die uns respektieren.
 

Wir gehen in ein Hotel damit Gabriel ihre Sachen ablegen kann. Lange halten wir uns nicht im Zimmer auf. Wir wollen uns ein wenig in der Stadt umsehen. Die Stadt wirbt nicht groß mit ihrer Attraktion. Es ist für mich schon fast unbegreiflich, dass diese Menschen hier damit kein Geld verdienen wollen. Gabriel und ich schlendern durch die Straßen. Das Stadtzentrum hat nicht viele Hochhäuser. Ich nehme die Stadtkarte und frage einen Einwohner nach dem höchsten Gebäude. Er erklärt mir den Weg. Ich bedanke mich. Gabriel blickt mich ungläubig an:

„Du kannst aber auch jede Sprache, oder?“

„Alle auf diesem Planeten ja. Aber es gibt noch sehr viele Sprachen, auf anderen Planeten, die ich nicht kann. Da meine Geschwister mit dieser Sprache nie in Kontakt gekommen sind.“

„Andere Planeten. Es gibt also anderes Leben im All?“

„Ja sicher. Du glaubst doch nicht wirklich, dass der Planet Unah der einzige bewohnte Planet ist.“

„Ist nur schwer vorstellbar.“
 

Wir lassen uns in einem kleinen Kaffee nieder. Es ist schon zu spät um nach hause zu fliegen. Auch wenn ich jetzt schon gern dort sein möchte. Jetzt sofort! Mein Herz schreit danach. So nah! Gabriel isst Kuchen. Viel Süßes. Ich aber starre verträumt aus dem Fenster.

„Zero!“ Gabriel muss mich ein paar Male angerufen haben. Denn als ich es bemerke schaut sie etwas genervt.

„Tut mir Leid. Ich habe dich nicht gehört.“

„Schon in Ordnung. Du kannst es wohl kaum abwarten nach hause zu kommen, oder?“

„Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Aber ich möchte es noch einmal sehen. Der Ort an dem ich mal unbefangen leben durfte. Frei von allen Gedanken und Sorgen…“ Mir laufen Tränen übers Gesicht. Ich weiß nicht warum. Es will auch nicht aufhören. Ich halte mir die Hände vors Gesicht. Versuche mich zu fangen.

„Tut mir Leid, Zero…“ Auf Gabriels Stimme kann ich Mitleid entnehmen. Verständnis. Sie hält mir ein Papiertaschentuch entgegen. „Zeiten ändern sich. Man kann nichts dagegen tun. Man kann niemandem die Schuld dafür geben.“ Ich trockne die Tränen. „Vielleicht haben ja ein paar deiner Geschwister überlebt.“ Ich schweige. Selbst wenn, hätte ich niemals dieselbe Verbindung zu ihnen, wie als reiner Rrouharran.
 

Es dämmert. Das Rot der untergehenden Sonne spiegelt sich in der Wolke. Wie ein riesiges Loderndes Feuer tränkt es die Stadt in einen verschlafenen Farbton. Gabriel und ich sitzen eine ganze Weile auf einer Bank in einem kleinen Park. Betrachten und das Gigantische. Wir schweigen. Ich sehe die Wolke mit anderen Augen, seit ich zum Teil auch Mensch bin. Als etwas Unerreichbares. Auch ich betrachte das Zuhause mit Demut. Was ich aber am schlimmsten finde; trotz der Sehnsucht fühle ich mich ihm nicht verbunden. Gabriel nimmt meine Hand.

„Egal was Morgen passieren mag. Ich werde immer für dich da sein. Immer an dich denken.“ Ihre Worte sind sehr angenehm. Haben eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich bin unglaublich froh, die an meiner Seite zu haben. Allein würde ich mich wohl niemals nach Hause trauen. Aus Angst vor dem, was kommen mag.
 

Die Sonne ist fast unter gegangen. Nur noch wenig Licht erreicht den Boden. Die Laternen leuchten auf und erhellen die leeren Straßen. In dieser Stadt lässt es sich leben. Gabriel und ich kehren zum Hotel zurück.

Im Zimmer angekommen lasse ich erst einmal die Illusion fallen. Bevor wir Morgen nach Hause gehen muss ich mich unbedingt nähren. Zu lange schon habe ich in meiner Illusion verharrt. Gabriel sieht sich im Bad um und setzt sich dann auf das Bett. Sie wirkt lebendig. Gerade so, als wolle die gleich auf der Matratze herumhüpfen.

„Was ist es, das dich so beflügelt, Gabriel?“ Sie lächelt aufgebracht.

„Ich freue mich so darauf das Scholl zu sehen. Ich kann es kaum mehr abwarten.“ Sie schaukelt hin und her und lacht dabei. Ein Lächeln überkommt auch mich. Es freut mich, dass Gabriel sich darauf freut.
 

„Komm,“ Spricht Gabriel „Lass uns schnell einschlafen. Dann ist der Morgen schneller da.“ Ich weiß nicht ob ich diese Nacht schlafen könnte. Aber einen Versuch ist es wert. Ich lege mich neben sie auf meinen Bauch. Ich möchte nicht in meiner Illusion schlafen. Gabriel findet es lustig, dass ich meinen Flügel über sie lege. Sie streichelt mein Gefieder und schmiegt sich dann eng an mich. Leise flüstert sie mir eine gute Nacht ins Ohr. Ich antworte ihr ebenfalls leise. Ehe man es sich versieht schläft sie auch schon. Das Reisen muss sehr an ihren Kräften zehren. Ihr Körper holt sich bei mir die Energie, die er braucht. Auch ich schlafe langsam ein. Es ist ein Sehr angenehmes Gefühl.

In dieser Nacht habe ich zum ersten Mal geträumt. Und zwar von der Zeit in der ich mit meinen Geschwistern frei um unser Zuhause geflogen bin. Das ist das Gefühl der Freiheit.

Trautes Heim...

Gabriel weckt mich. Ich drücke mein Gesicht in das Kissen:

„Jetzt noch nicht…“ Aber was bringt es. Wenn ich wach bin, bin ich wach.

„Rrazpharroth! Du willst doch auch nach Hause. Also steh jetzt auf!“ Gabriel hört sich an, als wäre sie schon seit Stunden wach. Ich stemme mich auf meine Arme und setze mich auf. Da bemerke ich, dass Gabriel schon längst fertig ist; angezogen und gestriegelt. „Komm schon!“ Sie nimmt mich bei der Hand und zieht mich aus dem Bett. Es gelingt mir nur gerade so auf den Beinen zu bleiben.

„Nicht so stürmisch…“ Es fällt mir schwer mit ihr schritt zu halten. Ich baue im Laufen die Illusion auf. Sie läuft aus dem Hotel. „Willst du nicht Frühstücken?“

„Brauch ich nicht! Ich will dein Zuhause sehen.“
 

Sie hat ein Kreuz in die Stadtkarte gezeichnet, wo das Gebäude liegt. Als wir davor stehen werde ich skeptisch ob die Höhe reicht. Immerhin muss ich einen Menschen in die Luft befördern. Es ist ein Wohnhaus. Es dürfte also nicht auffallen wenn wir das Haus betreten.

Zu meinem Nachteil hat das Haus keinen Aufzug. Muss also Treppen laufen. Ich bewundere die Menschen für ihre Körperkraft. Ich muss regelmäßig Pausen machen. Gabriel war schon auf dem Dach, als sie wieder zurück kommt um nach mir zu schauen:

„Wo bleibst du denn?“

„Du vergisst, dass ich zu Fuß nicht sehr schnell bin.“ Sie seufzt. Dann dreht die dich mit dem Rücken zu mir und hievt mich auf ihren Rücken. Ich bin überrascht und halte mich an ihr fest. Sie ist auch überrascht:

„Du bist ja total leicht! Du fühlst dich hohl an.“ Ihre Feststellung verwirrt mich.
 

Auf dem Dach angekommen lässt sie mich runter. Gabriel schaut sich von dort aus die Wolke an. Ich breite meine Flügel aus und nähre mich am Licht.

„Sag mal, Rrazpharroth. Wie soll ich eigentlich da hinkommen?“

„Ich trage dich.“

„und das kannst du?“

„Wenn der Wind stark genug ist ja.“ Sie schaut wieder zum Himmel auf.

„Es ist nicht gerade windig.“ Ich benötige ein paar Stunden um mich wieder kräftig zu fühlen. Aber nun habe ich genug Energie.

Ich laufe an die Fassade, von der der Wind ausgeht. Einen Blick nach unten verrät mir, dass es knapp werden könnte. Gabriel steht nervös neben mir.

„Ich weiß nicht ob das so eine gute Idee ist, Rrazpharroth…“

„Das wird schon.“ Ich stelle mich hinter sie und probiere aus, wie ich sie am besten halten kann. „Stelle dich an die Kante.“ Ich spüre wie in Gabriel die Angst wächst. „Hast du Angst?“

„Nein… Du bist ja bei mir.“ Dass sie mir Vertraut freut mich.
 

Ich warte auf eine geeignete Windböe. Bisher waren alle zu schwach.

„Ich will gleich nicht mehr, wenn wir jetzt nicht sofort los fliegen.“ Es muss sehr nervenaufreibend für Gabriel sein. Ich spüre den Wind. Die Zirkulationen. Wie ein Muster.

„Die Nächste wird reichen.“ Gabriel erstarrt bei diesen Worten. „Schließe die Augen. Vielleicht hilft es dir.“ Die Böe trifft und ist so start wie erwartet. Ich spreize meine Schwingen zur vollen Größe und genug Auftrieb zu bekommen und lasse uns in den Wind fallen. Wir fallen einige Meter. Wir kommen dem Boden immer näher. Gabriel krallt sich an mir fest. Dann kippe ich meine Flügel und es drückt uns in die Höhe. Kräftig schlage ich mit den Schwingen. Es ist schon sehr anstrengend Extragewicht in der Luft zu halten. Aber Je höher ich komme, desto stärker wird der Wind. Ich schaffe es mich in Windströmen einzuklinken und auf ihnen in weiten Kreisen immer höher zu drehen.
 

Auch Gabriel entspannt sich. Ein Glückgefühl überkommt sie.

„Wuhuuu!!!!“ Ruft sie aufgeregt. Sie schaut um sich. „Das ist so toll!“ Sie lacht. Ab und an schlage ich vereinzelt mit den Flügeln, wenn mir der Auftrieb verloren geht. „Vom Boden aus sehen Wolken so klein und zweidimensional aus. Jetzt sieht es aus wie eine eigene Welt. Viel schöner als vom Flugzeug aus!“ Schon jetzt kommt es mir alles so vertraut vor. Die Umgebung. Das Fliegen um die Wolke. Das einzige was anders ist, dass ich der einzige bin der fliegt. Mittlerweile ist die Stadt nur noch als grauer Fleck auf dem Erboden erkennbar. Wir fliegen um die Wolke. Drei oder vier Kilometer dürften wir an Höhe erreicht haben. Es fehlen zum oberen Teil des Schlosses aber noch mal ein bis zwei. Ich meide es durch Wolken zu fliegen. Ich weiß nicht warum. Es scheint wohl einfach Instinkt zu sein.
 

Nun Haben wir die Wolke einmal umflogen. Auf einer Höhe von knapp sechs Kilometern schlage ich ein und durchfliege die Wolke. Nach kurzem, dichtem Nebel wird ein blendend helles Schloss sichtbar. Die Oberfläche reflektiert das Sonnenlicht wie Glas. Scheint aber selbst zu leuchten. Ein großer Turm steigt von Der Plattform empor. Umgeben von vier weiteren Türmen und unzähligen, unterschiedlich großen Türmen. Die fünf größten Türme haben Fenster, damit direktes Sonnenlicht durchfallen kann. Die zentrieren sich alle in der Mitte der Plattform. Die Ränder sind frei. Wie gigantische Balkone. Ich erinnere mich an dieses Bild. Erinnerungen werden wach. Wie ein Fotoalbum, das man seit Jahren wieder im Keller gefunden hat. Damals flogen aber überall Geschwister. Standen auf der Plattform und nährten sich an der Sonne.

Gabriel gibt keinen Ton von sich. Still gleiten wir um die Türme herum. Vom Schloss aus sieht man die Wolke nicht. Als wäre sie gar nicht präsent.
 

Achtsam setze ich Gabriel auf der Plattform ab. Wenn man auf ihr steht scheint sie endlos zu sein. Mit großen und glasigen Augen schaut Gabriel sich um. Das Schloss zeigt sein ganzes Ausmaß erst, wenn man es betritt. Sie schaut zum Turm hoch.

„Das ist die Geburtstätte, stimmts?“ Ihre Stimme ist zittrig. Ihr merke dass sie sich bemühen muss ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

„Stimmt. Alle hundert Jahre wurde einer von uns geboren. Wenn du möchtest, kann ich sie dir zeigen.“

„Oh, bitte! Nur zu gern.“
 

Wir müssen an den Rand der Plattform. Gabriel bleibt plötzlich stehen. Sie starrt zu Boden. Als ich ihren Blicken folge bleibe ich an einer Verfärbung des Bodens hängen. Gabriel flüstert etwas. Ich muss mir den Ton mehr Mals durch den Kopf gehen lassen um daraus ein eventuelles Wort zu entnehmen.

„Blut“ kommt dem Tonfall am nächsten.

„Bist du dir sicher?“ Ich blicke Gabriel an. Sie schaut sich schweigend um. Da fallen einem mehrere solcher Verfärbungen auf. Sie müssen wohl über die gesamte Plattform verteilt sein.

„Ich gehe davon aus. Immerhin sind auch Menschen in dem Krieg gefallen. Das Blut wurde wohl nie abgewaschen.“ Nachdenklich betrachte ich mir den Fleck an. Bilder blitzen vor meinen Augen auf. Hecktisch. Laut. Ich sehe mich; wehre mich; sehe Menschen; sehe Angst in ihren Augen; sehe Tod; wie er seine Spuren auf unserem Zuhause verewigt; Leichenteile von zerschlagenen Menschenkörpern. Ich erwache aus den Erinnerungen als Gabriel mich rüttelt. Meine sicht ist verschwommen. Tränen rinnen mir übers Gesicht. Sie trocknet meine Tränen. Ich versuche keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden.
 

Am Rand der Plattform angelangt segele ich mit Gabriel im Arm von ihr herunter und fliege zum Turm. Es würde Stunden brauchen, wenn wir laufen würden. Wir überfliegen „die Stadt“ und landen vor einem der großen Eingänge des großen Turms.

„Wir nennen ihn respektvoll ‚Zkorrayphorr’. ‚Ort des Lebens’.“ Zusammen betreten wir die Halle. Normalerweise wird die halle nur alle hundert Jahre betreten. Aber was bedeuten jetzt noch Rituale? Entweiht ist die Halle ohnehin schon. Gabriel läuft langsam. Sie wirkt blass. Sicher der dünnen Luft wegen. Man kann bis zur Spitze sehen; sieht gerade so die Vorrichtung, mit der die Linse gehalten wurde.
 

In der Mitte der Halle steht ein Altar. Schlicht und ungeschmückt. Sie geht darauf zu und fährt mit der Hand darüber. Ich komme dazu.

„Hier habe ich den ersten Augenblick in meinem Leben gemacht. Und ich kann mich nicht mehr daran erinnern…“ Es schmerzt. Ich fühle mich wie ein Außenseiter. Trotz der Erinnerungen ist es so, als wäre ich das erste Mal hier. Es zerreißt mich innerlich.

In der Mitte der Halle zu stehen bedeutete für einen emotionslosen Engel viel. Auch wenn er es für unbedeutend hält, so ist dies der erste prägende Moment im Leben eines Rrouharran. Rundherum Eingänge. Fenster. Es sagt: ‚komm her. Lass uns zusammen sein.’ Gabriel legt ihre Hand auf meine:

„Du bist nicht allein, Rrazpharroth.“ Ich schenke ihr ein schwaches Lächeln. Hand in Hand lassen wir die Halle hinter uns.
 

Es ist sehr still. Einzig und allein der Wind heult, wenn er sich durch die Türme drängt. Es wirkt wie tot. Ich hatte gehofft wenigstens ein paar Geschwister vorzufinden. Welche, die es geschafft haben zu überleben. Irgendeiner. Aber es hat keiner überlebt… Egal wie sehr ich suche.

„Rrazpharroth? Ich muss mich setzen. Können wir eine Pause machen?“ Der Sauerstoffmangel zerrt an Ihr. Ich hatte nicht sofort daran gedacht. Vielleicht sollten wir uns nicht mehr all zu lange hier aufhalten. Wir setzen uns zwischen die Türme. Das reinste Labyrinth. Obwohl hier kein direktes Sonnenlicht den Boden berührt, ist es nicht schattig. Gabriel lehnt sich an die Wand. Sie atmet schwer. Müde schaut sie mich an: „Vielleicht war es für dich keine gute Idee hier her zu kommen.“ Jedes Wort fällt ihr schwer, aber um mich macht sie sich Sorgen.

„Es ist eine Erfahrung die ich machen wollte.“ Wobei ich zugeben muss, dass es eine Erfahrung ist, die sehr schwer am Herzen hängt. Sie lächelt.

„Du wirst bei mir immer ein Zuhause haben.“ Ihre Worte rühren mich. Es ist angenehm zu hören, dass man immer willkommen ist.

„Danke dir, Gabriel. Mich durchfahren seit der Ankunft Gefühle, die wie Feuer brennen. Sie Schmerzen. Es bedrückt mich sehr.“ Gabriel setzt sich auf und kommt mir näher. Sie schaut mich mit einem ungewöhnlich tiefen Blick an:

„Vielleicht kann ich den Schmerz nehmen.“ Sie schließt ihre Augen und kommt mir sehr nahe. Ich bin plötzlich ganz aufgebracht. Es macht mich nervös. Aber aus irgendeinem Grund will ich, dass sie mir noch näher kommt. Ich spüre ihren Atem in meinem Gesicht. Ich wundere mich was sie machen will. Aber ich verlange danach.

Überlebender

Eine stille Sekunde. Ich weiß nicht was in ihr vorgeht. Sie hat ihre Augen geschlossen. Gerade als sich unsere Lippen berühren wollen wird die Ruhe durch eine ernste Stimme gebrochen:

„Verschwindet von hier.“ Gabriel kauert sich von Schmerzen geplagt zusammen und hält sich die Ohren zu. Ich schaue auf. Was ich da sehe schockt mich. Uns steht wahrhaftig ein Rrouharran gegenüber. Aber er scheint von unserer Anwesenheit wenig angetan: „Ihr sollt verschwinden, sagte ich! Ihr Menschen habt diesen Ort schon genug entweiht!“ Ehr spricht in der Muttersprache.

„Sprich bitte die Menschensprache. Es schadet ihr!“

„Sie ist ein Mensch. Genauso wie du.“ Er spricht immer noch Muttersprache.

„Bitte sprich die Menschensprache! Wir wollen diesem Ort nichts Böses! Ich wollte ihn lediglich sehen!“ Ich habe auch in der Muttersprache gesprochen. Das lässt meinen gegenüber verstummen.

Er hat hellgrün-bläuliches Haar. Es ist lang und fällt ihm über die Schultern. Er trägt ein Gewand dessen Oberteil die Farbe seiner Haare trägt. Die Ärmel sind weit, bedecken aber nicht den ganzen Arm. Der Kragen verläuft spitz zur Brust und ist blau. Ein Breiter Gürtel liegt locker um seine Taille und wiederholt die Farbe. Die Hose ist ebenso blau und hat weite Beine.
 

Gabriel schaut geschwächt auf. Auch sie bekommt große Augen, als sie den Rrouharran sieht.

Ich dulde eure Anwesenheit nicht. Geht und ich werde euch in Frieden lassen.“ Er spricht mental zu uns. Das ist für Gabriel nicht gefährlich. Aber es scheint sie zu irritieren. Sie schaut im sich.

„Hast du eben gesprochen?“ Sie schaut den Engel mit großen Augen an. Er aber verzieht keine Miene. Nicht einmal ein Wimpernschlag. Wie festgefroren starrt er uns an. Eine Antwort bekommt Gabriel nicht. Also erkläre ich ihr, was es mit der Stimme auf sich hat:

„Er spricht mental zu uns. So kann er mit Menschen kommunizieren, ohne dass sie daran Schaden nehmen.“ Sie schaut mich ungläubig an:

„Du hörst die Stimme auch?!“

„Natürlich.“ Ich wende mich dem Rrouharran zu. „Wir werden gehen. Aber bitte lasse uns noch eine Weile hier verharren.“

Ihr sollt gehen. Von dir kommt nichts Gutes. Und sie hat hier nichts verloren.“ Immer noch unverändert steht er da. Es ist auch für mich etwas verwirrend, dass er spricht ohne den Mund zu benutzen. Aber warum kommt von mir nichts Gutes…

„Ich habe nicht die Absicht dir etwas anzutun. Wir kommen mit friedlichen Absichten.“

Das tut nichts zur Sache. Du gehörst nicht hier her. Die Menschenfrau auch nicht. Also geht.“ Er spricht sehr monoton. Das er meint ich gehöre nicht hier her, trifft mich tief. Ich wehre mich.

„Ich werde hier nicht weggehen. Ich habe ein recht hier zu sein! Ich bin Rrazpharroth. Zur Hälfte bin ich du!“ Mein gegenüber bleibt unberührt.

Du bist nicht Rrazpharroth. Nur, da du meinst, du trügest seinen Verstand in dir. Das macht dich nicht zu des unseren.“ Er verärgert mich. Es macht mich unglaublich wütend, dass er mich nur als Mensch sieht.

„Du stehst wohl zu weit weg um zu erkennen, dass weder ich noch Gabriel eine unreine Seele haben. Tritt doch näher! Oder hast du Angst!“

Ich empfinde nicht. Allein deine Provokation macht dich zu einem Menschen. Und nun verlasst diesen Ort. Oder ich werde euch das Leben nehmen.“ Da springt Gabriel auf:

„Warum bist du so ignorant? Wo ist die Toleranz? Ich dachte ihr seit ein objektives Volk. Also benimm dich dementsprechend! Hätte ich die Absicht gehabt, etwas mutwillig zu zerstören, hätte ich es gemacht.“

Von einem Menschen lasse ich mir keine Vorschriften erteilen.“ Er lässt seine Waffe erscheinen. Ein zweischneidiges Schwert. Damit deutet er auf uns, ohne auf irgendeine Art verändert zu wirken. „Meine letzte Warnung. Geht, wenn euch euer Leben recht ist.“ Da ich Gabriels Tod niemals erlauben würde, werde ich mich seiner Herausforderung stellen. Ich lasse meine Waffe erscheinen:

„Gib Acht, Gabriel.“

„Ist das notwendig, Rrazpharroth?“

„Er droht dir mit dem Tod. Das kann ich nicht auf sich beruhen lassen.“

So soll es geschehen.“ Mit diesen Worten spreizt er seine Flügel und erhebt sich in die Luft.
 

Ich folge ihm. Mit erhobenen Waffen steuern wir aufeinander zu. Eines ist klar; wenn ich verliere wird auch Gabriel sterben. Er holt aus und seine klinge schnellt auf mich zu. Ehe sie mich treffen kann halte ich meine Sense dagegen und Blocke den Angriff. Wir fliegen Kreise, da schweben sehr kraftaufwendig ist. Ich nutze die Situation um ihn anzugreifen. Schwinge meine Sense doch er ist unglaublich schnell. Er begibt sich in den Schwebeflug und hält beide Arme in die Höhe. Ich muss ihn davon abhalten seine Attacke durchzuführen. Doch ich bin zu langsam. Nadeln aus Licht erscheinen Kreisförmig um meinen Körper und durchschlagen mich alle zeitgleich. Die Schmerzen brennen im ganzen Körper und ich Falle einige Meter, ehe ich mich wieder fange. In Achterbewegungen schleudere ich dem Rrouharran Lichtklingen entgegen. Er weicht jeder aus. Das schockiert mich. Mein Gegner gewinnt an Höhe. Ich kann ihm nicht schnell genug folgen. Da legt er seine Schwingen an und fällt mit rasanter Geschwindigkeit auf mich herab. Er dreht sich und sein Schwert bildet einen scharfen Kranz, dem ich nur ganz knapp entgehen kann.

Ich muss doch irgendwie an ihn herankommen können. Der Rrouharran fliegt in großen Kreisen um Zrrokhavh. Keiner Meiner Angriffe sitzt. Dafür ist er viel zu schnell. Er beginnt seine Klinge zu drehen. Dadurch entstehen Luftverwirbelungen. Diese nährt er, sodass sie stärker werden. Ich sehe eine unglaublich starke Böe auf mich zurasen, ohne dass ich etwas machen kann. Sie erfasst mich mit ihrer ganzen Gewalt und reißt mich mit sich. Ich verliere die Kontrolle. Falle in das entstandene Luftloch. Ich öffne die Augen da sehe ich ihn wie er mich mit einem Energiestoß durch seine Hände gewaltsam auf die Plattform schleudert. Der Schmerz, der durch den Aufprall hervorgerufen wird, ist unerträglich. Ich muss schreien. Entkräftet versuche ich mich aufzustemmen. Ich wollte gerade nach oben schauen, da schlagen mehrere Lichtkugeln auf mir ein und drängen mich auf brutalste Weise auf den Boden zurück. Meine Sinne lassen nach. In Begriff aufzugeben muss ich plötzlich an Gabriel denken. Ich fange mich und bin in der Lage die nächsten Angriffe zu blocken.

Wieder erhebe ich mich in die Lüfte. Aber mein Gegner scheint keine Pause zu machen. Er scheint mich unbedingt los haben zu wollen. Dem möchte ich zu gerne die Leviten lesen! Wieder sammelt er Energie. Das ist meine Chance! Ich treffe ihn mit meinen Lichtblitzen direkt am Flügelansatz. Er ist dadurch gezwungen das Laden aufzugeben. Da mein gegenüber dadurch ins Taumeln gerät habe ich die Chance einen weiteren Angriff zu starten. Mit den Lichtklingen treffe ich ihn direkt in den Rücken. Und er fällt zu Boden. Er schleudert mir Kugeln entgegen. Ich schaffe es jeder auszuweichen. Mein Angriff muss sitzen, denn mich verlässt die Kraft. Also hole ich weit mit meiner Sense auf und stütze mich auf den Gegner. Meine Waffe rauscht auf ihn nieder. Wo andere die Panik in den Augen hätten starrt er genauso gefühllos wie immer. Mit einem lauten Schlag verhakt sich die Klinge im Boden.
 

Stille. Es scheint als stünde die Zeit still. Meine Füße erreichen den Boden. Er und ich starren einander an. Meine Klinge verfehlte ihn um Haaresbreite. Ich stütze mich auf meiner Waffe ab, denn wenn ich jetzt noch mehr Kraft verbrauchen würde, bedeute dies meinen sicheren Tod.

Du kannst mich töten. Ich habe verloren.“ Entgegnet er mir trocken. Ich lasse meine Sense verschwinden:

„Nein. Deine Niederlage ist vollkommen ausreichend. Da ich gewonnen habe, dürfen wir bleiben so lange wir wollen.“

So soll es sein.“ Er lässt seine Waffe verschwinden und will aufstehen. Ich reiche ihm meine Hand. Er schaut sie stumm an.

„Ich will dir aufhelfen.“ Er schaut mich an. Greift dann zur Hand. Ich ziehe ihn auf die Beine.
 

Er rückt sein Gewand zurecht, schaut mich an und sagt:

Ich habe einen Menschen noch nie so kämpfen sehen.

„Das liegt daran dass ich keiner bin.“

Rrouharran bist du auch nicht.

„Sage ich auch nicht. Ich bin beides.“ Ich merke, dass er einen Kopf größer ist als ich. Er blickt auf mich herab. Bisher war ich immer der größere. So müssen sich wohl Menschen fühlen, wenn sie zum ersten Mal einem Engel begegnen.

Unsere Gedanken können sich nicht synchronisieren.

„Glaube mir, das willst du gar nicht.“ Sein unveränderter Blick macht mich ungewöhnlicherweise sehr nervös. Als würde er nichts verstehen. Oder mich total ignorieren. Aber ich gehe davon aus, dass er meine Aussage nicht einordnen kann. Fragen wird er nicht, denn neugierig sind sie nicht. Sie nehmen einfach hin. Deshalb stets der unveränderte Blick. Meine Interpretation beruhigt mich.

„Gehen wir zu Gabriel. Sie macht sich sicher Sorgen um mich.“
 

Gemeinsam fliegen wir zurück zu Gabriel. Sie sitzt zusammengekauert an einen Turm gelehnt.

„Gabriel! Geht es dir nicht gut?“ Sie hebt ihren Kopf. Sie wirkt blass und müde. Aber ihre Augen weiten sich als sie mich erblickt:

„Rrazpharroth, du lebst!“ Ich laufe zu ihr und knie mich hin. Erleichtert nehme ich sie in den Arm.

„Du solltest dich nicht aufregen. Du bist sehr schwach.“

Im Übrigen; mein Name lautet Mapharran.“ Gabriel hebt den Kopf und schaut ihn an.

„Du lebst auch noch? Hast du ihn nicht getötet, Rrazpharroth?“

„Ich konnte nicht…“

„Freut mich deine Bekanntschaft zu machen, Mapharran.“ Sie lächelt ihn genauso beherzt an wie mich. Er sollte nun wohl merken, dass Gabriel kein schlechter Mensch ist.
 

Gabriel steht vorsichtig auf. Sie hält sich an mir fest, da sie schwankt.

„Mapharran?“ spricht sie atemlos. Mit einem Blick macht er ihr deutlich, dass er gewillt ist, sie anzuhören. „Du weißt selbst am besten, was wir eurem Volk angetan haben. Ich befürworte dieses Verhalten in keinster Weise. Rrazpharroth und ich mochten dem Unheil ein Ende bereiten. Wir könnten Unterstützung gebrauchen. Wurdest du dich uns anschließen?“

Keines Falls.“ Er hat so schnell geantwortet, das man meinen könnte er wüsste was sie hatte sagen wollen. Gabriel gibt aber nicht nach.

„Du willst also lieber hier bleiben und nichts tun? Während die Menschen eure Kräfte nutzen?“

Ihr habt diese Kolonie schon ausgerottet. Durch das Kämpfen werden meine Geschwister nicht wieder lebendig.

„Nein werden sie nicht. Aber sie zerstören mit Klonen den Planeten und das kannst du einfach so dulden? Ich bitte dich. Wenn du schon nichts anderes tust, dann wenigstens das. Für deine Geschwister. Zeige den Menschen, dass ihr euch nichts gefallen lässt! Und wenn es nur mit Gewalt geht, dann eben durch Gewalt.“ Er schweigt. Wie immer ein unveränderter Blick. Gabriel schaut entschlossen. Wenn er wieder ablehnt, würde sie weiterbohren.

Ihr Menschen seit egoistisch. Bei dir jedoch sehe ich kaum Egoismus. Ich werde eurer bitte Nachkommen. Das wird aber das einzige sein, bei dem ich euch zur Verfügung stehen werde.

Erleichtert lächelt Gabriel:

„Ich danke dir, Mapharran.“
 

Es dämmert. Die Sonne steht tief und tränkt das sonst weiß-blaue Schloss in alle möglichen Rot-Töne.

Wir einigen uns darauf, ihn abzuholen, wenn wir uns erholt haben. Gabriel und ich verlassen das Zuhause. Aber – darf ich es überhaupt Zuhause nennen? Mapharran hat mich nicht aufgenommen. Mir ist nun bewusst, dass es auch keine andere Kolonie machen würde. Die Tatsache liegt schwer auf der Seele. Ich werde wohl nie wieder zurückkehren können. Das stimmt mich sehr traurig.

Die weiße Schwalbe wird niemals sterben

Ich sitze auf dem bett im Hotelzimmer. Blicke stumm durch den Raum. Gabriel ist im Badezimmer. Ich höre leise das Rauschen der Dusche. Die Bilder des vergangenen Tages laufen vor meinem inneren Auge. Ich fühle mich komisch. Weder sonderlich bedrückt, noch glücklich. Einfach undefinierbar. Als wäre das geschehene eine Illusion gewesen. Ein Traum aus dem ich gerade erwacht wäre. Ich zweifle sogar daran, dass Mapharran wirklich existiert. Was kann ich in meiner Situation überhaupt noch glauben? Auch der Moment an dem Gabriel und ich uns so nah wie noch nie standen. War das nicht alles nur ein Traum? Ein Wunsch den ich mir im Kopf vorgestellt habe? Ich lege meinen Kopf in die Hände. Die Gedanken scheinen so schwer… geradezu untragbar.
 

Ich höre Gabriel aus dem Bad kommen. Sie bringt eine feuchte Frische mit sich. Eingehüllt im Bademantel setzt sie sich an die Bettkante. Ich sehe sie an. Sie selbst sitzt mit dem Rücken zu mir und lässt den Kopf hängen als sei er genauso schwer wie meiner. Ihr Haar ist feucht und hängt wild über die Schultern und den Rücken. Es wirkt matt. Gabriel selbst sieht erbärmlich aus. So hart es auch klingen mag. Etwas scheint sie schwer zu beschäftigen. Ich kann aber nicht erkennen was, da sie mich nicht anschaut.

„Es tut mir Leid.“ Flüstert sie kaum hörbar.

„Was denn?“ Sie hebt die Schultern:

„Ich weiß nicht. Alles.“ Sie schweigt eine Weile. „Du hast dir das sicher alles anders vorgestellt…“

„Ich habe damit gerechnet, dass mich keinen freundlichen Empfang erwartet. Auch wenn ich gehofft hatte, dass man mich etwas offener aufnimmt, als es im Endeffekt der Fall war.“

„Das muss doch grausam für dich sein…“ Ihre Stimme klingt weinerlich. „Das du aus deinem Zuhause verstoßen wirst, nur weil du zum teil Mensch bist.“ Sie weint. Wenn auch stumm. Ihr Mitgefühl zieht mich mit runter. Gewissermaßen hat sie Recht. Ich bleibe stumm. Ich weiß darauf nichts zu sagen. Doch. Ich weiß etwas. Ich rücke nah zu ihr, lege meine Hände achtsam auf ihre Schultern und lege meinen Kopf auf ihr nasses Haar:

„Du bist mein Zuhause. Und ich bin mir sicher, dass ich von dort niemals verstoßen werde.“ Auf meine Worte bringt sie nur ein Schluchzen heraus. Sie dreht sich zu mir um und umgreift mich fest mit ihren Armen. Ihren Kopf drückt sie gegen meine Brust. Ich erwidere ihre Umarmung. Es fühlt sich so gut an. Die Berührungen trösten mich. Und sie scheinbar auch. Sie Atmet wieder ruhiger.
 

Eine Ewigkeit lagen wir uns so in den Armen. Bis sich ihr griff langsam lockerte. Sie schläft ein. Sinkt langsam in sich zusammen. Behutsam lege ich meine hand auf ihre Schulter um sie wach zu machen. Denn in dieser Position sollte sie nicht schlafen. Mit kleinen Augen blinzelt sie mich an. Ihr Geist ist schon fern von ihrem Körper. Benommen steht sie auf und legt ihren Bademantel ab. Sie trägt ein Oberteil mit sehr schmalen trägern und eine kurze Hose. Schwächlich legt sie sich unter die Decke und macht es sich gemütlich. Mit ihrer Hand klopft sie neben sich und schaut mich an. Ich verberge meine Flügel und lege mich zu ihr unter die Decke. Sie schmiegt sich dicht an mich. Im Halbschlaf sagt sie:

„Morgen beginnt das Fest der Götter.“

„Ja.“

„Gehen wir da zusammen hin? Du und ich.“

„Gern. Es würde mich freuen.“

Zusammen schlafen wir friedlich ein.
 

Ich wache auf. Etwas umfasst sanft meine Schulter. Ich öffne meine Augen und blicke in das strahlende Gesicht von Gabriel:

„Guten Morgen du Schlafmütze. Wir wollten doch auf das Fest.“ Sie klang wie immer. Freundlich und gut Gelaunt. Schon wieder steht sie wie geleckt vor mir. Sie hat es mit allem so eilig. Erfüllt von Vorfreude drängt sie mich zur Eile. Ich stütze mich auf meine Arme und merke dass ich vom letzten Tag noch ganz schön entkräftet bin.

Aber jetzt, wo eine schlafende Stadt erwacht, ist es wohl etwas unsicher sich auf einem der Dächer zu sonnen. Wenn nichts Anstrengendes ansteht, sollte ich den Tag auch noch durchhalten können.
 

Bevor wir das Hotel verlassen baue ich meine Illusion auf. Auf der Straße ist mehr los als gestern. Die Sonne scheint wieder auf voller Kraft und zeichnet den Himmel blau. Als würde sie sich Freuen dass die Bewohner den Göttern ein Fest widmen. Auf den Gehwegen Bahnen sich vor allem Familien und Paare den Weg zur Stadtmitte, zu der es auch immer dichter wird. Gabriel nimmt mich bei der Hand. Ich blicke sie an. Sie lächelt mir glücklich zu:

„Jetzt sehen wir aus wie ein Paar.“ Ich währe fast gestolpert, so sehr brachte mich ihre Aussage aus dem Konzept. Es ist schon irgendwie ein schönes Gefühl. Ich könnte es als Stolz bezeichnen, wären wir wirklich ein Paar.
 

Die Straßen sind für Autos nun gesperrt. Auf der Festmeile in der Innenstadt laufen die Menschen sorglos lachend auf der Straße. Es sind auch viele Besucher aus anderen Städten des Kontinents und vereinzelt auch von anderen Kontinenten. Dabei werden nicht mit Souvenirs gelockt. Es sind verschiedene Stände mit diversen Spielen bei denen man kleine Preise gewinnen kann und Stände, die kleinere Mahlzeiten verkaufen. Es herrscht eine friedliche und angenehme Stimmung in der Luft. Ein Fest das den Rrouharran würdig ist, wie ich finde. Ein Mann hält uns ein kleines Heft entgegen und sagt es sei das Programmheft und eine Karte darin. Die Karte betonte er. Er sprach in gebrochenen Merakianisch. Aber freundlich. Sehr nett, dieser Mann. Wir stellen uns an die Seite und blättern das Heft durch. ‚Es werden auch einige Theateraufführungen stattfinden und Musikgruppen werden für Stimmung sorgen’. Ich weiß nicht warum. Aber ich muss lächeln.
 

„Gehen wir zum Marktplatz. Dort steht die Bühne und es gibt Sitzgelegenheiten.“ Gabriel deutet auf den Fleck in der Karte, der sich zentral von allem befand. „Ich möchte heute Abend auch unbedingt das Feuerwerk sehen. Sie wollen damit die Schönheit der Götter ehren. Am besten gehen wir jeden einzelnen stand durch!!“ Gabriel ist total zappelig. Fast schon kindlich.

Nun aber gehen wir zu erst zum Marktplatz. Die Menschen tummeln hier wie Armeisen auf ihrem Haufen. Man könnte meinen man wäre in einer Großstadt. Gabriel kauft sich nur Süßigkeiten. Mit Schokolade überzogene Früchte, süßes Gebäck und Dinge bei denen meine Kreativität aufhört. Damit setzen wir uns an eine Bank. Gabriel lässt es sich schmecken. Ich beobachte die Menschen. Keinem scheint es heute schlecht zu gehen. Alle Augen strahlen. Das ist schön. Sehr angenehm für mich. Mein Blick schweift zum Himmel. Wie klein ich doch bin.
 

Irgendwo dort oben, existiert der letzte Rrouharran, Mapharran. Ich hatte das Volk anders in Erinnerung. Er wirkt so distanziert und scheint kein Verständnis für mich zu haben. Nicht für mich und nicht für mein Schicksal. Und das einfach nur, weil er keine Gefühle hat. Wenn ich so darüber nachdenke, die unklaren Erinnerungen als Rrouharran mit meinen Erfahrungen als Mensch. So wirkt mein voriges Leben wie ein Traum. Eine Illusion, ein Wunsch. Und das hier wie das Leben.

„Zero?“ Reißt mich ihre Stimme aus den Gedanken. Etwas verstört muss ich sie glaube ich anblicken. „Geht’s?“ Ihre frage verwundert mich. Sie schaut mich besorgt an. Ich schüttele mit dem Kopf:

„nein, es ist alles in Ordnung. Danke.“ Ich glaube ich habe ihr dabei nicht in die Augen gesehen. Wieder schweift mein Blick über den Platz. Es wird schöne Musik gespielt. Vor allem alte Volkslieder, die über die Sagen und Legenden der Der Wolke erzählen. Da ist es schade, dass die Menschheit unser Geheimnis gelüftet hat, wenn sich die Menschen so schöne Geschichten dazu ausdenken können. Und selbst in der Moderne, in der die Religion nicht mehr hauptsächlich ist, ist ausgerechnet dieses Land so loyal geblieben. Eigentlich sollten wir uns geehrt fühlen, so verehrt zu werden. Aber man scheint sich die negativen Dinge besser merken zu können, als die positiven. Aus Selbstschutz? Oder Pessimismus. Vielleicht auch beides.
 

Gabriel hört gespannt den Sängern zu. Die Aufmerksamkeit gilt nur ihnen. Die Sänger scheinen sich geehrt zu fühlen, diese Lieder neu Interpretieren zu dürfen. Denn es steckt viel Leidenschaft in ihren Auftritten. Das Lied ist vorüber. Alle Leute klatschen in die Hände um ihren Respekt zu erweißen, so auch Gabriel. Sie dreht sich zu mir als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht:

„Aaah, schön.“ Seufzt sie zufrieden und hat ihr sonniges Lächeln auf den Lippen, „Ich hab kein Wort verstanden.“ Diese Aussage kommt sehr plötzlich. Und passt so gar nicht zu dem davor gesagten. Sie scheint zu erkennen, dass ich überrascht bin: „Was ist denn los, Zero?“

„Nichts. Ich habe eben etwas nicht ganz verstanden. Aber das hat sich erübrigt.“ Ich lächelte ihr zu. Sie ist Goldwert.
 

Nun wird ein Theaterstück vorgeführt. Es handelt von einer sehr alten Legende. Ein junges Mädchen fand eine weiße Schwalbe verletzt am Boden. Sie nahm sie mit nach Hause und pflegte sie gesund. Von da an wich die Schwalbe dem Mädchen nicht mehr von der Seite. Sie wanderten gemeinsam viel über wie weiten Wiesen Dansuls. Die Schwalbe lernte ihre Sprache zu sprechen, so konnten sich beide besser verständigen. Allerdings konnte nur das Mädchen die Schwalbe verstehen. Das ging so weit, dass ihre Mitmenschen glaubten sie sei verrückt geworden. Denn sie gab sich fast nur noch mit der Schwalbe ab. Eines Morgens war die Schwalbe verschwunden. Das Mädchen konnte sie nirgends finden. Schließlich gab sie ihren Mitmenschen die Schuld am Verschwinden ihres Freundes. Sie lief davon. Wollte ihren Freund wieder sehen. Es wurde Winter und es wurde Frühling. Das Mädchen hatte sich nicht einen Tag lang ausgeruht. Total erschöpft brach es zusammen, da löste sich ein Schimmer aus der Wolke der Tausend Diamanten und flog auf sie zu. Es war ihr Freund, die Schwalbe. Die Schwalbe versorgte, das Mädchen, doch leider kam alle Hilfe zu spät. Sie lag im sterben. Die Schwalbe war sehr traurig, aber das Mädchen meinte, das sie sehr Glücklich sei, dass ihr Freund doch noch zu ihr zurückgekehrt ist. Die Schwalbe weinte und verwandelte sich in eine grazile Lichtgestalt. „Dies ist meine wahre Form. Ich bin vom Himmel gefallen und konnte nur in Form einer Schwalbe meine wahre Identität verbergen. Mein Zuhause ist die Wolke. Ich konnte dorthin zurückkehren weil du dich so liebevoll um mich gekümmert hast. Ich möchte, dass du für immer an meiner Seite bleibst. Wenn deine Seele von deiner sterblichen Hülle gelöst ist, so möchte ich dich mit zu mir nach hause nehmen.“ Das Mädchen stimmte zu. Schließlich starb sie und ihre Seele sollte nun für immer an der Seite des Lichtwesens bestehen. Eine Freundschaft die auf Ewig bestehen wird.
 

Die Darsteller beenden ihr Stück. Aber es dauert eine Weile bis der Applaus eintritt. In diesem kurzen Moment herrscht eine behagliche Stille. Gabriel hat sie emotional ergriffen. Sie weint nicht, aber sie ist noch immer still und lässt sich die Geschichte noch einmal durch den Kopf gehen. Aber auch ich finde es wunderschön. Und es ärgert mich zutiefst, dass diese widerwärtigen Wissenschaftler und Forscher die Illusionen und Träume der Dansulaner zerstört haben!

Die Moral von der Geschicht'

Nach dem Auftritt schlendern wir wieder durch die Straßen und betrachten uns die Stände. Sie nimmt meine Hand in ihre. Das fühlt sich toll an, wenn wir beide Hand in Hand laufen. Gabriel kauft sich immer wieder etwas zu essen. Das macht mich stutzig:

„Wenn du so viel isst, bekommst ungesundes Übergewicht.“

„Ach, quatsch! So wie wir rum rennen werde ich nicht dick. Und ich habe mir schon so lange nichts mehr gegönnt.“

„Was war mit dem Luxushotel?“

„äh…, das geht auf Hemmingtons Konto!“ Verlegen schaut sie weg. Sie ist schon eine…
 

Da bemerke ich Blicke die an uns haften. Die Menschen an denen wir vorbei laufen werfen uns irritierte Blicke zu. Viele scheinen uns zu bemerken. Das beunruhigt mich. Ob meine Illusion nachlässt? Ich sehe nach, ob auch Gabriel die Blicke bemerkt. Aber sie strahlt einfach nur so vor sich her. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Kann sein dass wir auffallen, da wir Ausländer sind. Dansulaner sehen anders aus als Merakianer. Etwas kleiner im Durchschnitt, rote Haare und rundliche Gesichter. Merakianer hingegen sind groß und schlank, meist braun oder blondhaarig und haben schmale Gesichter.

Ich werde es ignorieren. Vielleicht reagiere ich nur zu sensibel.
 

Ich bleibe stehen. Denn ich sehe einen Stand an dem man Goldfische fangen kann. Ich sehe den Kindern dabei zu, wie sie versuchen, mit einer Art Löffel, der mit hauchdünnem Papier überzogen ist, die Fische zu fangen. Wenn man nicht aufpasst reist das Papier sofort. Ein Geschicklichkeitsspiel.

„Die armen Fische haben große Angst…“

„Hm?“ Gabriel ist verwirrt und schaut ebenso in das Becken. Die Kinder sind enttäuscht als ihr Papier reißt und sie gehen weiter ihrer Wege. Ich gehe vor dem Becken in die Hocke:

„Ich werde alle Fische retten! Hast du mal fünfzig Cent?“

„Äh, was?“ Sie schaut mich verwirrt an, gibt mir aber fünfzig Cent. Ich gebe sie dem Herrn der den Stand Leitet und nehme ein Papierlöffel. Langsam und vorsichtig versuche ich einen Goldfisch zu erwischen, aber sie entwischen mir. Das Papier reißt.

„Noch mal!“ Stumm legt Gabriel dem Mann das Geld hin und ich probiere es wieder. Und wieder missglückt es. Ich mache noch einige weitere Versuche, bis Gabriel sich weigert.

„Du kannst doch nicht unser ganzes Geld verprassen nur um die Goldfische zu retten.“

„Aber sie sind doch eingesperrt. Und was, wenn sie in falsche Hände geraten?“ Traurig blicke ich sie an. Doch sie starrt mich an, als wäre ich nicht von diesem Planeten. Dann lacht sie und meint:

„Du benimmst dich wie ein Kleinkind!“ Sie hockt sich neben mich und schaut zu den Fischen. „Mit deinem drang sie zu retten scheuchst du sie doch nur unnötig umher. Außerdem ist es sehr schwer so ein Fisch zu fangen. Nicht einmal du schaffst es einen zu fangen. Sie werden schon einen guten Besitzer bekommen.“

„Aber…“ Ich blicke sie immer noch mitgenommen an.

„Na komm. Den Fischen geht es gut. Du solltest nicht mit aufgerissenen Augen durch das leben schreiten, wenn du es nicht ertragen kannst.“ Ich stehe enttäuscht auf. Das ist doch Tierquälerei die Fische in so einen Kunststoffbehälter einzupferchen. Einen letzten Mitleidigen Blick werfe ich den armen Geschöpfen zu, ehe wir weiter gehen. Mein Gewissen plagt mich. Aber ich allein könnte wohl ohnehin nichts ausrichten.
 

Wir bummeln weiter durch die Straßen. Immer noch fühle ich stochernde Blicke. Ich halte es nicht mehr aus und frage Gabriel:

„Merkst du nicht, wie uns die Leute anstarren?“ erstaunt schaut sie mich an. Dann schaut sie die Leute an. Einige versuchen nicht mal dezent herüber zu blicken sondern stieren uns an als wären wir eine Attraktion.

„Jetzt wo du es sagst.“ Aber wenig getroffen wendet sie ihren Blick mir zu.

„Liegt es an meiner Illusion?“

„Nein. Da hat sich nichts geändert.“ Sie Mustert mich studierend. „Aber dein Aussehen hat sich in den Jahren nicht verändert. Du siehst immer noch aus wie ein Jugendlicher.“

„Du meinst also sie schauen so, weil sie es merkwürdig finden, dass ich so jung aussehe? Ich bin doch nicht der einzige Jugendliche.“

„Weil ich eine erwachsene Frau bin. Sie stellen sich wahrscheinlich vor, wir wären ein Paar… es ist in solchen Gesellschaften verpönt, als Erwachsener eine Beziehung mit einem Minderjährigen zu haben.“ So ist das also. Ich bin im Stadium eines Jugendlichen stehen geblieben und das verwirrt die Leute.

„So lange es nur das ist. Da bin ich beruhigt.“ Es wäre viel schlimmer, wenn meine Identität auffliegen würde. Abwesend wendet sich Gabriel wieder ab. Ob es sie beschäftigt?
 

Gabriel schaut sich wieder nach Süßem um. An einem Süßwarenstand stehen auch viele Kinder. Ich beobachte sie, wie sie sich teilweise nicht entscheiden können, oder einfach von allem etwas kaufen. Eines dreht sich um und sieht mich. Es mustert mich. Der Blick scheint mich zu durchschauen. Das macht mich unruhig. Da ruft dessen Mutter. Es läuft zu ihr hin, die Mutter schaut mich skeptisch an. Als hätte ich dem Kind etwas getan. Da spricht das Kind:

„Mammi, das ist ein Engel, oder?“ Engel? Ich erstarre und warte auf die Antwort der Mutter:

„Nein, das ist ein gewöhnlicher Mensch. Na komm …“ Hat das Kind meine Illusion durchschaut? Vielleicht habe ich sie auch vernachlässigt.

„Gabriel?“

„Ja Zero, was ist denn?“

„Können wir eine Weile an einen menschenleeren Ort? Ich brauche neue kraft. Ich scheine meine Illusion nicht mehr richtig aufrecht erhalten zu können.“ Sie mustert mich mit fragendem Blick:

„Also ich sehe nichts. Aber wenn du magst, gern.“
 

„Kinderaugen vermögen die unglaublichsten Dinge zu sehen. Nur Kinderaugen sehen die Wahrheit.“ Ertönt eine Stimme hinter uns. Verwundert drehen wir uns um und erblicken eine kleine, alte Dame, mit weis-grauem Haar und traditionellem Gewand. Für ihr Alter geht sie noch sehr aufrecht. Ihre Augen strahlen Weisheit aus. Sie blickt mich an: „Du bist einer von ihnen, stimmts?“ Ein leicht hämischer Unterton birgt ihre schwache Stimme. Sie scheint sich sehr sicher zu sein. Ich glaube auch nicht ihr verheimlichen zu müssen, was ich wirklich bin.

„Ja. Ich bin entlarvt wie mir scheint.“

„Zero!“ Gab Gabriel entsetzt und verstört zugleich zurück.

„Das ist schon in Ordnung. Ich werde es keinem sagen.“ Beteuerte die Dame. Sie mustert mich eine Weile: „Dass ich das noch erleben darf, einen richtigen Engel zu treffen.“

„Ich muss euch enttäuschen, ich bin keiner reinen Blutes. Menschen erschufen mich.“

„Wen kümmert’s?“ Ganz schön gewieft, die Alte. „Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr bei mir im Schrein vorbeikommt. Ich würde mich gern mit dir unterhalten. Er liegt im Norden der Stadt. Er ist auf der Stadtkarte eingezeichnet. Bis später.“ Sie lässt uns nicht mal zeit zu antworten; sie winkt und verschwindet in der Menge. Das ist schon eine listige Art jemanden zu zwingen vorbeizukommen.

„Es spricht doch nichts dagegen, oder Gabriel?“

„Nein. Warum auch? Ich bin gespannt was sie zu sagen hat.“
 

Wir verlassen das Fest und die Stadt, damit ich mich abseits der Menschen in Ruhe Nähren kann. Es ist wirklich schön, auf weiten Wiesen zu stehen und den Wind zu genießen. Während ich im Sonnenlicht Bade tänzelt Gabriel summend um mich herum. So schön kann das Leben sein. Keine Sorgen, keine Gewalt. Auch wenn sich Unstimmigkeiten nicht vermeiden lassen, so kann man sie auch auf andere Art lösen. Doch der Dickkopf des Menschen lässt Gewaltlose Streitereien nicht zu.

Gabriel stellt sich neben mich und breitet ihre Arme aus wie ich die Flügel. Wir schweigen eine ganze Weile. Es ist sehr angenehm. Gabriel stellt mir eine Frage, auf die ich nicht vorbereitet bin:

„Was wirst du machen, wenn das alles vorbei ist? Also der krieg mit der Angels Corporation?“ Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht… Und ich weiß nicht was ich darauf antworten soll…

„Ich weiß es nicht… Aber deine Frage klingt, als würde es sicher sein, dass wir es überleben.“

„Ja natürlich überleben wir! Was denkst du denn? Die Gerechtigkeit siegt immer. Und das Recht ist ja wohl auf unserer Seite.“

„Ist es denn richtig einem Menschen das Leben zu nehmen, nur weil er unrecht handelt? Hat nicht auch er ein Recht zu leben?“ Gabriel schweigt.

„Du denkst zu viel…“ wieder schweigt sie. Sie wählt ihre Worte mit Bedacht: „Merakia wird die Produktion der Skysoldiers niemals freiwillig einstellen. Eben weil sie dadurch unheimlich an Macht gekommen sind. Die anderen Kontinente hätten gegen Merakia niemals eine Chance, egal wie sehr sie gegen diese Art von Waffenführung wären. Also müssen sich Leute zusammentun die dem Unheil mit Gewalt ein Ende bereiten. Und zwar so, dass es unwiederbringlich zerstört ist.“ Und da wären wir wieder bei der Gewalt in Konflikten. Welch Ironie!

„Menschen nehmen sich immer wieder das Recht heraus über Leben und Tod zu entscheiden.“

„Wenn er sich bei dem Anblick deiner Sense nicht freiwillig bereit erklärt das Projekt aufzugeben, was ich bezweifle, dann bleibt uns wohl keine andere Wahl.“

„Du kannst damit Leben einen Menschen auf dem gewissen zu haben? Ach, warte, ich bin ja der, der die Sense schwingt!“ Sarkasmus, aber ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen.

„Rrazpharroth…!“ Sie hat das nicht erwartet und ist sichtlich getroffen. Aber ich habe es auch nicht böse gemeint.

„Das ist kein Vorwurf. Aber wenn wir Merakia dieses Mittel entziehen um an macht zu gelangen, werden sie sich ein anderes suchen. Aber sie werden solange weiter streiten, bis sie das haben, was sie wollen.“ Sie starrt mich finster an. Von ihrer liebreizenden Ausstrahlung ist nichts mehr zu sehen. Aber Entschlossenheit:

„Mein Entschluss steht fest! Ich werde dem ein Ende setzen. Und wenn’s sein muss auch ohne dich.“ Harte Worte für ein so zartes Geschöpf. Aber das ist nur menschlich. Ich selbst bin auch nicht froh darüber, was sich die Leute der Angels einbilden. Und einer muss ja auf Gabriel aufpassen.

„Ich werde dir nicht von der Seite weichen.“ So viel Menschlichkeit gestehe ich mir ein.

Gabriel nimmt meine Hand:

„Wir schaffen das. Ich bin mir sicher, dass wir die Welt ein wenig entlasten, wenn wir die Spinner Stoppen. Solange keine Unschuldigen zu schaden kommen ist das Okay.“
 

Nach dem Austausch unserer Vorstellung von Moral widmen wir uns wieder der schönen Seite des Lebens. Wird wandern lange über die Wiesen. Im Gegensatz zu Merakia ist von menschlichen Einflüssen kaum etwas zu sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Merakia auch einen Grund findet um Dansul zu unterwerfen.

Gemächlich ziehen die weißen Kumuluswolken über das Land. Es wirkt schon fast verschlafen. Gabriel schweigt in die Landschaft hinein. Sie scheint bedrückt zu sein. Ob sie wohl noch über das Gespräch nachdenkt, dass wir gehabt haben?
 

Der Wind ändert die Richtung. Die Wolke breitet ihren Schleier nun in unsere Richtung und lässt den Himmel weiß wirken. Das Zuhause ruft mich immer noch. Ob die Frau mir vielleicht etwas sagen kann, das ich noch nicht weiß? Meine Erinnerungen verblassen mehr und mehr. Ein unaufhaltsamer Prozess. Die Alte hat sicher mehr Ahnung. Und kann meinem rostenden Gedächtnis vielleicht sogar auf die Sprünge helfen. Hat sie nur aufgrund der Aussage des Kindes darauf geschlossen, dass ich ein Rrouharran bin? Na ja, erstaunt scheint sie über mein Geständnis nicht gewesen zu sein. Im Alter scheint einen nichts mehr zu schocken.

„Zero, ist alles in Ordnung?“

„Rrazpharroth, bitte.“

„Oh, Entschuldigung.“ Gab sie lächelnd zu.

„Ja. Warum fragst du?“ Sie ist die mit dem ernsten Gesicht gewesen und mich fragt sie was los sei.

„Du hast nachdenklich ausgesehen. Hätte sein können, dass dich etwas bedrückt.“ Ich winke ab:

„Nein, ich habe alles nur noch einmal Revue passieren lassen.“

„Ah. Ja, es ist viel passiert. Komm, lass uns zurückgehen. Ich will wissen was die Frau zu sagen hat!“ Sie nimmt mich bei der Hand und zusammen kehren wir zur Stadt zurück.

Ewige Weite

Gemeinsam stehen wir vor dem Tempel. Eine steile Treppe führt zu ihm. Er steht auf einem Hügel. Ich frage mich, ob der Hügel wirklich von natur aus entstanden ist, oder ob die Menschen ihn aufgehäuft haben.

Ein großes weißes Gebäude aus Holz. Das Dach ist flach und mit dunkelblauen Ziegeln gedeckt. Es scheint quadratisch zu sein und im Zentrum ragt ein kleiner Glockenturm heraus. Es ist von jeder Seite frei begehbar. Umgeben von einem Großen Hof und Garten. Es wirkt alles sehr angenehm. Wir laufen auf das Gebäude zu. Gabriel wirkt demütig. Am Haupteingang bleiben wir stehen. Sie wäscht sich die Hände mit ‚heiligem’ Wasser. Ich will gerade die hölzerne Kelle nehmen als jemand ruft:

„DU nicht!“ Ich erschrecke mich so sehr dass ich die Kelle fallen lasse. Erschüttert blicke ich in die Richtung aus der der Schrei gekommen ist. Da fällt mir die Priesterin auf, die uns mehr oder weniger eingeladen hat: „Du brauchst das nicht.“

„Aber warum?“ frage ich verwirrt.

„Weil du schon heilig bist. Kommt mit.“ Ich und heilig. In mir steigt ein Gefühl auf, dass man wohl als Gelächter bezeichnen kann. Aber ich lies mir nichts anmerken.
 

Sie führt uns in einen Raum. Darin stehen einige Regale mit alten Schriften darin. In der Mitte liegen Sitzkissen bereit. Drei Stück an der Zahl. Was wäre wohl geschehen, wären Gabriel und ich nicht gekommen?

„Bitte, setzt euch.“ Wir setzen uns. Sie schenkt Gabriel etwas zu trinken ein. Ihre Bewegungen setzt sie bewusst. Es sieht alles sehr diszipliniert und edel aus. „Also“, beginnt die Priesterin, „Was führt euch zu mir?“ Ihre Frage schlägt mir vor den Kopf… Auch Gabriel wirkt sichtlich überrascht. Ob sie wohl an Alzheimer leidet.

„Ihr hattet uns eingeladen, Priesterin“ gebe ich ihr zu verstehen.

„Hatte ich das?“ Stille.
 

Als nach einer Weile noch immer nichts kommt unterbreche ich die Stille: „Ich dachte mir, dass ihr mir vielleicht etwas sagen könnt, was ich noch nicht weiß.“

„Woran hast du denn gedacht?“ Ich komme mir borniert vor… Gabriel weis auch nicht so Recht, was sie von der Situation halten soll. Sie hält sich aber raus.

„Meine Erinnerungen sind nur noch verschwommen. Vieles habe ich wohl auch schon vergessen. Der menschliche Körper ist einfach zu klein für solch ein Maß an Wissen. Es bereitet mir oft Kopfschmerzen.“

„Ich kann dir nicht mehr Wissen geben, als du schon besitzt. Aber was ich tun kann, ist die Legenden der Götter und der Menschen erzählen.“

„Das würde mir schon helfen.“
 

Die Priesterin steht auf und sucht einige Schriften aus den Regalen heraus. Danach setzt sie sich wieder und rollt sie auf:

„Die Wolke der Tausend Diamanten, der Sitz der Götter, so wie es die Menschen beschreiben, existiert schon seit der Geburt unseres Planeten. Es gab mal eine Zeit, in der Götter und Menschen im friedlichen Einklang miteinander lebten. Die Wolke wird bewohnt von menschenähnlichen, strahlenden Wesen mit großen weißen Schwingen. Große Lichtgestalten. Ihr Wissen war größer als der Himmel, ihr Verstand schärfer als die Klinge eines Schwertes und sie schienen mehr über die Menschen zu wissen, als die Menschen von sich selbst. Viele wollten von den Engeln - so nannten die Menschen die Götter – lernen. Doch wenn sich eines bereiterklärte, das Wissen zu übermitteln, scheiterten die Wissenshungrigen am Verständnis. Vieles wahr unvorstellbar.“ Die Priesterin hebt ihren Kopf: „Es heißt sogar, dass einige Gelehrten den Verstand verloren, als sie versuchten zu verstehen.“

„All das wahr noch vor meiner Zeit.“ Aber dennoch habe ich das Gefühl es zu kennen. Eine tief vergrabene Erinnerung. Es ist fast unmöglich sie zu fassen.
 

Die Priesterin fährt fort: „Doch die Menschen begannen sich zu wandeln. Sie entfachten Kriege untereinander. Wurden grausam, egoistisch und Machthungrig. Die Engel erkannten in ihnen eine potenzielle Gefahr und zogen sich vollständig von ihnen zurück. Sie gerieten in Vergessenheit. Nur eine Kultur nannte sie noch Götter; Dansul. Zwar vergaßen auch sie im laufe der Geschichte das Wesen, doch sie glaubten immer an die übernatürlichen Wesen, die in der Wolke hausten. Bis heute.“

Sie gibt mir eine Denkpause. Alles kommt mir bekannt vor. Als hätte ich so etwas schon einmal gehört.

„Sag, Rrazpharroth. Was seid ihr wirklich für ein Volk. Wo kommt ihr her? Wie lebt ihr. Wie denkt ihr?“

Ihre Frage ist schwer zu beantworten, da es vieles zu erklären gibt, das für sie schwer verständlich sein wird.

„Rrouharran bestehen aus Licht. Erschaffen von den unzähligen Sonnen in den Dimensionen die ihr Weltall nennt. Wir existieren so gut wie auf jedem Planeten, den es gibt. Auch auf Planeten, auf denen es kaum organische Lebenszeichen gibt. Wir verbringen unser Leben damit unser Volk am Leben zu erhalten. Wir sind da um zu existieren.“ Darauf meint Gabriel:

„Ist das das einzige wofür ihr lebt? Um eure Existenz zu sichern? Habt ihr keinen anderen Sinn im Leben?“

„Es ist der Sinn einer jeder Kreatur seine Spezies zu erhalten. Wir müssen uns dafür zwar nicht Fortpflanzen, aber dafür gehen wir auch kein Risiko ein um uns am Leben zu erhalten. Wobei es einige wenige Kolonien gibt, die es sich zum Beispiel freiwillig zur Aufgabe machten über ein Volk zu wachen, welches auf demselben Planeten wohnt wie sie. Entweder weil ihr Überleben wichtig für das Ökosystem ist, oder weil sie vor dem aussterben bedroht sind. Dann gibt es Völker die um Hilfe bitten. Welche wir gerne annehmen, solange wir uns damit nicht in Gefahr begeben.“

„Ihr seid also so etwas wie Schutzengel?“ Meint Gabriel.

„Ja… so ungefähr.“ Es ist keine direkte Bezeichnung, aber ich weis nicht wie ich es klar machen kann. Es gibt eben keine Bezeichnung dafür. „Unsere Gedanken werden stark von unseren Lebensbedingungen geprägt. Wir achten stets aus die Umwelt. Um Gefahren schnell zu erkennen und zu beseitigen.“

„Aber ist es nicht schon emotional, wenn man beschließt jemandem zu helfen?“ Gabriel wirft diese Worte ein. Ihr Blick wirkt nachdenklich. Sehr angestrengt.

„Wenn man aus Mitleid hilft, ja. Man kann auch aus sachlichen Gründen helfen, die auf Tatsachen beruhen, nicht auf Gefühlen.“

„Mapharran. Warum hat er sich entschieden uns zu helfen. Wir hatten nur emotionale Gründe genannt. Diese werden ihn wohl nicht überzeugt haben, oder doch?“

„Ich denke er sah den Nutzen in der Bitte. Nicht um die Geschwister zu rächen, sondern um die unnatürliche Prozedur zu beenden.“

„Was… meinst du mit unnatürlich?“

„Die Erschaffung von Klonen. Weder Mapharran noch ich sehen darin einen Zweck. Es verstößt gegen die Naturgesetze. Und das möchte er korrigieren.“
 

„Wer ist Mapharran?“ springt die Priesterin plötzlich ein. Stimmt. Sie weis noch gar nichts davon.

„Ein überlebender. Wohl der letzte der Kolonie.“ Sie schaut mich baff an.

„Noch einer?“ Erleichterung klingt aus ihrer Stimme.

„Warum freut ihr euch?“ frage ich sie.

„Du fragst noch? Ich hatte wirklich Angst, dass uns auch der letzte von euch verlassen hat. Das wäre wohl das schlimmste; ein von Gott verlassenes Land.“ Ich finde es erstaunlich, dass Menschen ihr ganzes Leben nach etwas richten, was sie nicht kennen. Ich versuche herauszufinden, was die Menschen dazu bringt, an eine Art ‚Gott’ zu glauben:

„Wie kommt ihr darauf, dass durch die Abwesenheit der Engel euer Land von Gott verlassen wäre?“

„Wir glauben daran, dass ihr unser Leben steuert. Das ihr unsere Gebete wahrnehmt und sie erfüllt, wenn ihr es für angebracht haltet. Wenn ihr verschwindet, würden viele Dansulaner ihren Lebensinhalt verlieren, all ihre Hoffnungen. Ein ganzes Volk würde wohl zusammenfallen; verkommen.“ So etwas Ähnliches habe ich erwartet. Und ich erkenne die Sorge in ihren Augen.

„Warum halten Menschen an so etwas fest? Ihr könnt euer Leben formen wie ihr wollt. Wir geben keinen Einfluss darauf. Weder erlauben wir etwas, noch verbieten wir etwas. Wir haben schon vor langer Zeit aufgehört den Menschen in die Seele zu blicken. Und selbst davor haben wir euch nicht Unterstützt oder kritisiert.“ Die Priesterin scheint enttäuscht, hält den Blick aber aufrecht. Ich möchte sie nun auch nicht ihrer Überzeugung berauben… „Ich sage nicht, dass ihr aufhören sollt zu glauben. Wenn es euch hilf durch das Leben zu kommen, so ist das in Ordnung. Aber bedenke, dass Ihr nicht von uns abhängig seid. Wenn wir nicht mehr da sind, so hat es uns doch immerhin gegeben und daran kann man glauben. Unsere Kraft ist immer da. Wir sind nur eine mögliche Form. Die kraft hat viele Formen; Pflanzen, Tiere und sogar ihr Menschen. Das ist alles die Kraft. Glaubt daran. Euer Glaube daran kann nicht erschüttert werden. Denn die kraft ward ewig.“ Es ist schwer, etwas für Menschen verständlich zu machen… Aber die Alte scheint verstanden zu haben… oder zumindest habe ich ihr zu einem weiteren Blickwinkel verholfen. Ihre Augen weiten sich. Sie hat einen weiten Horizont. Den sieht man bei Menschen selten.
 

„Du meinst, dass es nicht die Götter sind, die uns Leiten, sondern die ‚Kraft’“ Menschen müssen Dinge immer in einen Begriff zwängen…

„Ja… So kann man es … auch ausdrücken.“ Gabriel scheint schon lange aufgehört haben zu denken. Ratlos starrte sie uns an. Sie wird auch noch verstehen. Wenn nicht jetzt, dann morgen.

„Deshalb seit ihr so weise?“ fragt Gabriel plötzlich. Sie hat also doch nachgedacht? „Ihr seid ungebunden. Ihr könnt euren Verstand mit allem verknüpfen. Ihr blickt in die Seelen der Menschen und in der aller anderen Wesen. Euer Verstand kann viel schneller Dinge aufnehmen, verarbeiten und vor allem immer abrufbar machen. Der Mensch kann dies ähnlich, wenn er schläft.“ Gabriel wirkt auf einmal sehr sachlich. Das bin ich nicht von ihr gewohnt. „Im Wachzustand ist die Seele an den Körper gebunden. Kann sich nicht entfalten und kann demnach auch nicht so viel Informationen aufnehmen. Alles muss komprimiert werden. Deshalb gehen viele Informationen scheinbar in Vergessenheit und nur die, die man häufig benutzt werden groß geschrieben. Im Traum löst sich die Seele zum Teil vom Körper und so wird eine höhere Aufnahmefähigkeit ermöglicht. So ähnlich ist es doch oder? Die Seele ist die ‚Kraft’“ Nicht nur die Priesterin, auch ich staune nicht schlecht bei den Worten Gabriels. Sie hat sich in den zehn Jahren viel Wissen angeeignet. Und es ist sogar nicht ganz unrichtig.

„Ja. So könnte man es vergleichen.“
 

Und noch etwas ist mir durch das Gespräch wieder in Erinnerung getreten. Es ist egal, welche Form man hat, am Ende bestehen wir alle aus derselben Kraft, die uns alle verbindet. Wenn man dies weis und auch akzeptiert, so kann man ein sorgloses Leben führen, sogar, wenn es unendlich ist.

Wunsch und Realität

Die Priesterin entschuldigt sich dafür, dass sie sich nun zurückziehen wird. Sie möchte über vieles Nachdenken. Sie möchte das verinnerlichen, was ich ihr gesagt habe. Noch ehe Gabriel und ich uns bedanken und verabschieden können verlässt sie den Raum. Etwas verlassen schauen wir uns an. Bis Gabriel meint:

„Tun wir doch, was sie vorgeschlagen hat. Wenn sie sagte, dass das Feuerwerk von hier aus sehr gut zu sehen ist, dann bleiben wir hier.“ Ich bin mit Gabriels Entscheidung einverstanden. Es ist ohnehin sehr anstrengend so viel zu laufen. Und bevor wir in die Innenstadt zurückkehren, würde ich gern noch ein wenig rasten. Wir verlassen das Gebäude. Mittlerweile hat die Dämmerung eingesetzt. Der Himmel leuchtet wieder golden. Auch die Wolke reflektiert einen rötlichen Schein. Knöchelhohe Laternen beleuchten die mit flachen Steinen gepflasterten Wege. Es weht ein angenehmer Wind. Diese Nacht droht kein Unwetter. Im hinteren Teil des Gartens liegt ein großer Teich. Eine runde Brücke führt über ihn. Trauerweiden stehen an allen Seiten des Teiches. Ihre Zweige wehen sanft im Wind. Die Wellen wiegen die Rot- und Violetttöne des Himmels, die sich auf der Wasseroberfläche spiegeln, hin und her. Ein leises Plätschern von einem Wasserfall auf der anderen Seite des Ufers wird ab und zu vom sanften Rauschen der Blätter im Wind übertönt. Gabriel spaziert trödelnd über die Brücke. Mit ihrer rechten Hand fährt sie über das dunkle Holz des Geländers. Sie scheint mit den Gedanken ganz abwesend zu sein. Ihr Pferdeschwanz liegt ihr leicht im Nacken. Das Haar scheint nun mehr rötlich. In der Mitte der Brücke lehnt sie sich auf das Geländer und schaut zuerst um sich, dann ins Wasser.
 

Hätte ich keine Emotionen wäre mir die Schönheit wohl niemals aufgefallen. Man sieht die Umgebung mit Gefühlen gleich ganz anders. Man sieht es nicht als selbstverständlich, sondern man bewundert es. Ich stelle mich neben Gabriel. Unsere Gesichter spiegeln sich im Wasser. Dahinter sieht man Fische schwimmen. Es ist sehr ruhig. Man hört kein Auto, keine Menschen. Auch die Vögel schweigen. Das ist sehr angenehm. Da vergisst man alle Probleme. Doch Gabriel widerlegt meinen Schluss:

„Morgen fliegen wir nach Yeron zurück.“ Sie klingt sehr bedrückt. Ich sehe sie an, doch sie erwidert meinen Blick nicht. Sie wendet den Kopf sogar noch etwas ab, als wolle sie nicht, dass ich sie sehe.

„Was bedrückt dich?“ meine Frage beantwortet Gabriel mit einem schwachen Kopfschütteln. Ihre Ausstrahlung verändert sich plötzlich schlagartig. Ich wage es kaum zu glauben, dass ich mich nicht wohl in ihrer Nähe fühle. Sie hat eine komplette Abwehrhaltung angenommen. Ich fühle direkt ihre Unsicherheit. Solch eine Ablehnung. Ich neige fast dazu es persönlich zu nehmen. Ich weigere mich etwas zu sagen. Es würde sie womöglich nur stören. Da fällt mir gerade wieder ein; sie ist ja mit Samsa verheiratet! Die Tatsache schmerzt mich unheimlich. Ich empfinde starke Sympathien für Gabriel. Es beschämt mich das zuzugeben. Der eine Moment indem sie mir körperlich so unglaublich nahe kam, war ein emotionales Erlebnis. Was wollte sie damit bezwecken? Ich weiß nicht was es bedeutet. Ob sie in dem Moment dasselbe empfunden hat?
 

Sie schweigt eine Ewigkeit. Ich habe nicht geahnt, dass sie so in sich gekehrt sein kann. Sie ist unruhig und läuft plötzlich weiter. Ich wage mich im ersten Moment nicht ihr zu folgen. Ich mag es gar nicht, wenn es Gabriel nicht gut geht. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen und so schnell nicht mehr los lassen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass ich der Grund ihrer Depressivität bin.

Mit einem gesunden Abstand folge ich ihr. Von hinten erkenne ich, wie sie mit den Händen durch ihr Gesicht wischt. Weint sie etwa? Ich fühle mich hilflos. Was hat sie denn bloß? Plötzlich bleibt sie stehen. So wie sie bleibe auch ich abrupt stehen. Ihre Arme lässt sie kraftlos an ihrem Körper hängen.

Sie dreht sich um und winkelt auch ihre Arme an. Nervös hantiert sie mit ihren Fingern. Langsam und mit gesenktem Kopf kommt sie auf mich zu. Da kommt sie endlich und dann habe ich den Drang vor ihr wegzulaufen.
 

Schließlich bleibt sie vor mir stehen. Stets den Blick zu Boden gerichtet. Erwartungsvoll aber gleichzeitig mit Bedenken sehe ich sie an. Sie atmet ab und zu tief ein und stockt als wolle sie sogleich etwas sagen, doch letztlich bleibt sie stumm. Ihr Blick wandert bis zu meiner Kordel, verharrt dort eine ganze Weile. Dann schaut sie mal links und mal rechts an mir vorbei. In mir stauen sich Ungeduld und Nervosität. Keine gute Mischung.

„Rrazpharroth…“ beginnt sie unerwartet früh. In ihrer Stimme liegt Angst und vor allem Verzweiflung. „Morgen…“ Das Sprechen fällt ihr schwer. Ständig versucht sie die Tränen zu unterdrücken. Ich biete ihr meine Hand an. Wenn ich mich schon nicht traue sie in den Arm zu nehmen, so soll sie doch ein wenig Beistand von mir bekommen. Gabriel zögert, doch sie nimmt meine Hand in ihre und hütet sie. Ich sehe den Ring, das Symbol ihrer Ehe mit Samsa. Gabriel hebt den Kopf und sieht mich an: „Morgen muss ich Klarheit geschaffen haben. Samsa wird morgen eine Entscheidung verlangen. Eine Antwort.“

Ich nicke stumm. Viel habe ich dazu nicht zu sagen. Das erinnert mich an einen ähnlichen Moment. Als Gabriel und ich gerade einen Tag wieder vereint waren, hatte sie einen ähnlichen Gemütszustand. Da bekam ich auch Angst vor ihr. Es ging ebenfalls um Samsa und ich bin mir immer noch sicher, dass ich es war, den sie mit ‚anderen’ gemeint hatte. Vielleicht sollte ich ihr doch einen kleinen Anstoß geben:

„Es ist wohl kein Geheimnis mehr.“ Damit meine ich unsere Gefühle füreinander. Ob sie es auch verstehen wird?
 

„Ich habe eine Entscheidung getroffen.“ Ihr Gesicht ist schmerzerfüllt. Stumme Tränen bahnen sich ihren Weg zum Kinn. Es zittert. Sie scheint aber entschlossen. „Es ist viel passiert. In den zehn Jahren, in den paar Tagen. Ich habe… es ist schwer für mich…“ Sie seufzt. „Du bist etwas ganz besonderes, Rrazpharroth.“ Sie schüttelt langsam den Kopf. Was will sie mir damit sagen? Dann lässt sie den Blick wieder sinken: „Es ist mir so unangenehm, dass du weißt, dass ich mit Samsa verheiratet bin.“ Ihr Griff wird fester. „Samsa und ich kennen uns nun schon so lange. Zwischen uns hat sich auch viel verändert.“ Gabriel stockt eine Weile. Dann fährt sie fort: „Samsa ist der Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte.“ Mit diesen Worten bricht sie in Tränen aus. Für mich steht schon lange fest, dass sie an Samsas Seite verweilt. Ich lege meine Arme um Gabriel und drücke sie liebevoll an meinen Körper. Sie schluchzt sehr stark. Ich frage mich warum sie meint.

„Ich stehe hinter allen deinen Entscheidungen.“

„Es tut mir so unendlich Leid…“ jammert sie atemlos. Ich kann nichts mehr sagen. Plötzlich rinnen auch mir Tränen übers Gesicht. Ich versuche mich zusammenzureißen. Es ist nicht das was ich tief in mir drinnen wünschte. Es ist nicht das wofür ich solange hoffte. Es ist nicht das wofür ich sogar betete. Es ist… Einer meiner Hände greift automatisch in mein Gesicht. Verbirgt die Augen, die nun die Wahrheit sprechen. Ich bin sehr traurig. Meine Seele tut so weh.
 

Plötzlich zuckt Gabriel zusammen, als ein lauter Knall ertönt. Wir sehen in die Richtung und erkennen noch die letzten Funken am Himmel. Nach einer kurzen Pause explodiert ein weiteres Farbenspiel am Himmel, der Knall kommt etwas später. Dann beginnt das Feuerwerk. Ein bunter Regen aus allen Farben erhellt den nun dunklen Himmel. Es wirkt beruhigend auf mich und wohl auch auf Gabriel. Sie hat ihre Arme fest um mich gelegt, ihren Kopf an meine Brust gepresst und betrachtet das Farbenspiel. Das erinnert mich ein wenig an das Sommerfest am Strand. Diesmal stimmt mich das Feuerwerk traurig. Auch wenn ich nun nicht mehr weine, so ist es doch immer noch sehr schwer für mich zu akzeptieren, dass Gabriel und ich niemals auf eine besondere Beziehungsebene können.

„Aber wir werden für immer Freunde bleiben, nicht wahr?“ fragt Gabriel mit heißerer Stimme.

„Nichts würde ich mir lieber wünschen.“ Sie rückt ihren Kopf etwas nach vorn. Vielleicht eine Geste der Erleichterung.

„Gabriel?“

„Mh?“

„Was wolltest du eigentlich genau machen, als wir auf Zrrokhavh waren?“ Gabriel rührt sich nicht. Wahrscheinlich denkt sie nach… Was rede ich da eigentlich? Sie weiß sicher ganz genau wovon ich spreche!

„Was meinst du?“ Fragt sie unsicher. Und ihr Griff verkrampfte ein wenig.

„Der Moment indem du mir immer näher kamst. Als sich fast unsere Gesichter trafen.“

„Äh, keine Ahnung was da über mich kam… Muss am Sauerstoffmangel gelegen haben, ganz klar!“ Das möchte ich ihr nicht so recht glauben. Also versuche ich etwas; Ich nehme ihren Kopf vorsichtig in meine Hände und drehe ihn zu mir. Gabriel schaut mich mit fragendem Blick an. Ich schließe die Augen und komme ihr immer näher. Sie braucht eine Weile zum Reagieren, aber dann wendet sie ihren Kopf schnell ab, gerade dann, als sich unsere Lippen streifen.

„Rrazpharroth. Das ist nicht gut!“ Sie legt ihre Hände auf ihre Wangen und schaut weg. Sie ist sehr beschämt.

„Tut mir Leid.“ Ich wollte nur wissen, was das bewirkt. Vorher hatte es immer sie versucht. Ständig wurden wir gestört. Selbst jetzt sind wir nicht dazu gekommen!

„Freunde geben sich einen Kuss auf die Wange.“ Sagt Gabriel plötzlich.

„Einen Kuss?“

„Ja. Pass auf:“ Sie stellt sich vor mich und streckt sich zu mir auf. Ihre rechte Hand legt sie auf meine linke Wange. Angenehm sanft presst sie ihre Lippen an meine linke. Es fühlt sich weich an. Als sie von mir ablässt fasse ich mir an die Stelle an der sie mir einen Kuss gegeben hat als wolle ich ihn festhalten.

„So zeigt man, dass man sich gern hat und sich sehr nahe steht.“ Ein schönes Gefühl. Ich möchte wissen wie man zeigt, dass man sich als Paar liebt. Einen Kuss auf den Mund? Ist das schon so intim? Ich bin sehr neugierig. Und dass Gabriel es mir nicht gewährt macht sie nur interessanter.
 

Das Feuerwerk ist zu Ende. Gabriel weint nicht mehr und auch ich fühle mich besser. Es war ein sehr anstrengender Tag. Vor allem die vielen verschiedenen Gefühle machten mir sehr zu schaffen. Auf dem Nachhauseweg nimmt Gabriel meine Hand. Ich glaube nicht, dass Freunde Hand in Hand laufen. Aber das ist in Ordnung für mich. Ich heiße alle arten von Körperkontakt mit Gabriel willkommen. Aber es fühlt sich seit ihrer Entscheidung anders an; distanzierter.

Auch das Zusammenliegen im Bett ist nicht mehr dasselbe wie vorher. Ob sich das wieder ändern wird? Ich wünschte sie hätte sich niemals entschieden, oder sie hätte sich für mich entschieden. Ich will ihr Fokus sein.

In dieser Nacht schlafe ich nicht. Ich will merken, dass Gabriel neben mir liegt. Jede Sekunde will ich bemerken. Jeden Atemzug von ihr. Jeden Herzschlag.

Unheilvolle Ruhe

Ein unangenehmes Geräusch reißt mich aus einem tiefen Schlaf. Sauer nehme ich den Wecker und schmeiße ihn gegen die Wand. Sauer, weil ich eingeschlafen bin. Gabriel zuckt zusammen und schaut mich müde und verständnislos an:

„Was ist passiert?“

„Der Wecker ist kaputt gegangen…“ antworte ich kühl.

„Wie viel Uhr haben wir denn?“ Sie regt sich und setzt sich auf.

„Weis ich nicht.“

„Was ist denn los mit dir, Rrazpharroth?“

„Nichts.“ darauf sagt sie nichts mehr. Stattdessen steigt sie aus dem Bett und beginnt mit ihrer Morgentoilette.
 

Mir geht die Erinnerung vom letzen Abend durch den Kopf. Am liebsten würde ich sie löschen, denn sie tut noch immer furchtbar weh. Ein Jahrzehnt schmachte ich nach ihr, nur um mir dann sagen zu lassen, dass sie geheiratet hat und bei ihrem Ehegatten bleiben möchte! Ich kann mich momentan nicht für sie freuen. So sehr ich es auch versuche. Ich bin eifersüchtig. Der einzige Mensch dem ich mich vollkommen hingegeben hätte obliegt schon der Obhut eines Anderen. Theoretisch bin ich nur das fünfte Rad am Wagen – Wie ich diese Metaphern hasse. Wenn ich so auf die letzten Tage zurückschaue, von dem Zeitpunkt an, als wir uns in der Wüste begegneten, muss ich schmerzlich feststellen, dass die Zeit schneller verrann, als es sich gegenwärtig anfühlt. Da wünschte ich mir, ich hätte mehr mit Gabriel unternommen.

Wie solle es nur weitergehen, wenn sie zu Samsa zurückkehrt? Wenn alles vorbei ist. Wo sollte ich hin. Was sollte ich machen? Wie sollte ich den beiden gegenübertreten? Könnte ich es überhaupt ertragen sie zusammen zu sehen? Die ganze Zeit stand ich allein im Fokus von Gabriel. Das wird sich ändern, wenn wir nach Yeron zurückgekehrt sind. Ich habe Angst davor. Schon der Gedanke daran, Gabriel in den Armen eines Anderen zu sehen bricht mir das Herz.
 

„Rrazpharroth?“ Erst jetzt bemerke ich, dass Gabriel neben dem Bett kniet und mich anschaut. Ich weis nicht wie ich den Blick deuten soll. Ist es Sorge? „Es wird Zeit.“ Sagt sie mit einem verunsicherten Klang in ihrer sonst so starken Stimme. Zeit – Zeit existiert für mich nicht. Ich habe keine Zeit und doch habe ich zu viel Zeit.

Ich erhebe mich aus dem Bett. Ein merkwürdiges Gefühl überkommt mich. Es erinnert mich an viele einsame Tage. Ich fühle mich leer. Und das obwohl mir Gabriel so nah ist.
 

Wir müssen mit dem Zug zur nächst größeren Stadt. Von dort aus wird Gabriel mit dem Flugzeug nach Yeron fliegen. Ich werde nicht mitfliegen. Mapharran wartet auf mich. Er will sich uns noch anschließen.

Im Zug habe ich mal wieder zu viel Gelegenheit zum Nachdenken. Der Himmel macht auf mich auch keinen glücklichen Eindruck. Aber vielleicht ist das auch mal wieder eine nur zu menschliche Einbildung.

„…los mit dir?!“ Gabriel starrt mich verstört an. Ich muss nicht mitbekommen haben, dass sie versucht mit mir zu sprechen

„Entschuldige…“ Mehr bekomme ich zu meiner Verteidigung nicht aus mir heraus.

„Du bist wie ausgewechselt.“ Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster. Ich sitze gegen die Fahrtrichtung. Da ist ungewohnt.

„Rede mit mir!“ Den Kopf weiterhin zum Fenster gerichtet blicke ich nur aus den Augenwinkeln zu ihr herüber. Was soll ich denn sagen? Fühlt sie denn absolut keinen Schmerz? Ist für sie alles wie immer? Wieder flüchtet mein Blick weit aus dem Fenster.

„Rrazpharroth!“

„Ich habe nichts zu sagen, Gabriel!“ Ich sehe sie mit aufgerissenen Augen an. Eigentlich ist meine Reaktion unlogisch und überflüssig. Ich muss mir das von den Menschen abgeschaut haben. Gabriel schluckt und sinkt in ihren Sitz. Jetzt habe ich sie eingeschüchtert – eine schlechte Angewohnheit. „Entschuldige. Ich bin nur verwirrt. Es fällt mir schwer achtsam zu bleiben.“

Sie nimmt meine Hand und hält sie fest. Ich fühle einen Energieaustausch. Doch diesmal gibt sie mir Kraft. Sie lehnt sich zu mir vor und sagt: „Du wirst niemals allein sein. Ich werde immer bei dir sein. Für immer, ja?“ Ich wage es nicht sie anzusehen. Auch wenn ihre Stimme ein herzerwärmendes Lächeln verspricht. Verbissen starre ich auf unsere Hände. Ich möchte ihr nicht zeigen wie ich mich fühle.
 

Den Rest der Fahrt schweigen wir. Das regelmäßige Poltern der eisernen Räder auf den Gleisen wirkt beruhigend auf mein Gemüt. Doch ich bin noch immer sehr traurig. Ein Mädchen, welches auf der anderen Seite des Zuges sitzt starrt schon die ganze Zeit zu uns herüber. Ich finde es nicht unangenehm, aber es hat etwas Unheimliches an sich. Ich weis, dass sie die Wahrheit sieht. Sie sitzt ihrer Mutter gegenüber. Sie scheint zu schlafen. Ich erwidere den penetranten Blick des Mädchens. Mal sehen wer als erstes wegschaut.

Ein Gong ertönt gefolgt von einer Durchsage:

„In kürze erreichen wir Korai. Nächster Halt: Korai. Bitte denken Sie an ihr Gepäck.“ Gabriel beginnt sich darauf fertig zu machen. Dem Mädchen auf der anderen Seite schenke ich keine Beachtung mehr. Ich werde gerade von anderen Sorgen heimgesucht.

Gabriel nimmt den Koffer von der Fläche über unserem Sitzplatz und geht damit zur nächsten Tür. Wir sind nun schon in der Stadt. Der Zug fährt langsamer und der Bahnhof ist schon zu sehen. Noch ein paar weitere Menschen finden sich am Ausgang zusammen. Es herrscht eine angespannte Atmosphäre. Einige sind nervös. Es steht ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben.
 

Der Zug hält und wir steigen aus. Am Bahnsteig blicken wir in die ungeduldigen Gesichter derer, die darauf warten, endlich den Zug betreten zu dürfen. Eine sachliche Stimme ertönt aus den Lautsprechern und informiert die Ausgestiegenen über Anschlusszüge und Uhrzeiten. Gabriel bahnt sich einen Weg durch die Menschen. Ich folge ihr.

Bahnhöfe sind sehr lebendig. Vor allem Hauptbahnhöfe in großen Städten. Man trifft auf die unterschiedlichsten Menschen. Auch in Yeron war es immer sehr voll. Sogar mitten in der Nacht. Dabei sollten Menschen nachts doch schlafen.
 

Vor dem Bahnhof steigen wir in einen Bus ein. Dieser fährt direkt zum Flughafen. Er fährt durch die Stadt. Ich mag Städte nicht. Aber irgendwie fühle ich mich mit Yeron verbunden. Ich vergleiche jede Stadt mit Yeron. Ich fühle mich so eigenartig. Ich sehe diese Menschen, wie sie alle ein Individuelles Leben führen. Darunter fühle ich mich sehr einsam. Ich suche eine Verbindung. Etwas, was mich mit Jemandem verbindet. Die Menschen haben scheinbar jeglichen Zusammenhalt verloren. Jeder lebt für sich allein, ohne an irgendwen anderes zu denken. Jeder ist auf seine Weise allein, aber dennoch können sie nicht allein Leben. Meine Verbindung zu meinen Artgenossen wurde getrennt. Nun bin ich genauso eine Individuelle Seele wie die Menschen. Aber ich würde niemals reinpassen.
 

Wir sind angekommen. Der Flughafen. Ich folge Gabriel in das große Gebäude. Wir betreten einen großen Saal in welchen viel Tageslicht einfällt. Fast alles ist verglast. Mein Blick schweift nach oben. Man kann von hier aus alle drei Etagen sehen, da sie in der Mitte offen sind. Eine große Tafel mit digitaler Anzeige füllt die Etagenzwischenräume. Auf ihnen stehen die Flüge und ihre Uhrzeiten. Über den Kassen, auf welche wir uns zu bewegen hängen viele Uhren. Darunter stehen Namen von Städten und jede Uhr zeigt eine andere Zeit an. Klar, durch die Rotation des Planeten ist die Zeit überall unterschiedlich. Die Uhr, die die Zeit in Yeron anzeigt, geht 6 Stunden vor.

„Warte bitte hier auf mich.“ Bittet mich Gabriel. Sie stellt ihren Koffer bei mir ab und stellt sich allein an der Kasse an. Ich sehe mich um. Überall laufen Menschen mit Koffern herum. Einige eilen, andere promenieren. Manch andere sitzen geduldig, oder auch ungeduldig auf den Bänken und lesen die Zeitung, oder die sich kontinuierlich aktualisierende Flugplantafel. Ich erwische mich dabei, wie ich manchen Personen ein kleines Schicksal andichte.

Eine Person zum Beispiel steht ungeduldig in der Mitte des Saals herum und starrt immer in die Richtung, aus der die ankommenden Reisenden kommen. Sicher wartet er auf jemanden. Vielleicht seine Frau, oder sein Kind. Ein Anderer sitzt auf der Bank und Blättert durch die Zeitung. Vor ihm steht ein Koffer und er selbst wirkt wie ein Beamter. Vielleicht muss er genauso wie wir nach Yeron reisen. Vielleicht aus beruflichen Gründen. Eine Gruppe Reisender sitzt auf dem Boden und macht den Anschein, als würde sie dort schon eine Weile verharren. Vielleicht hat ihr Flug Verspätung. Ich sehe auf die Anzeigetafel und entdecke wirklich einen Flug, der schon vor einer Stunde hätte gehen müssen. Disenion… Das ist nachvollziehbar.
 

Gabriel kommt mit einem Ticket zurück: „Dreißig Minuten. Dann ist Check-In.“ Sie schaut auf die Anzeige. Ihre Seele wirkt betrübt. Also frage ich sie, was sie bedrückt:

„Fehlt dir etwas, Gab…“ Sie umarmt mich urplötzlich. Ihre Reaktion kommt unerwartet. Immer fester umschließt sie meinen Körper mit ihren Armen. So, als würde man versuchen mich von ihr fortzureißen. Es überkommen mich wieder unzählbar viele Emotionen. Alle die ich bis heute gelernt habe. Ich kann nicht sagen ob das nun positiv oder negativ ist. Es ist überragend. Ich schmiege mein Gesicht zwischen ihren Hals und der Schulter. Auch die Farbe ihrer Seele verändert sich. Es scheint sie zu trösten. Diese Umarmung ist auch unglaublich schön. Ich blende alles andere um mich herum aus. Doch just in diesem Moment durchbohrte ein Gedanke meinen Geist.
 

Mir ist aufgefallen, dass die Angriffe aufgehört haben. Aber nicht nur weil Gabriel aufgehört hat ihre Rechnungen über die Organisation zu finanzieren. Das muss einen anderen Grund haben. Denn aufspüren könnten sie uns immer und überall. Ich lasse von Gabriel ab. Mich überkommt ein schauriges Gefühl Es ist mir neu. Es ähnelt dem Gefühl von Angst, aber es ist anders. Es ist, als spüre ich Bevorstehendes. Aber das ist irrelevant. Man kann nicht vorausschauen. Man kann anhand bestehender Situationen schätzen was kommen wird, aber vorausschauen kann nur die Zeit. Und die bin weder ich, noch die Menschen. Aber aus irgendeinem Grund sagt mir etwas, dass ich Gabriel nicht allein lassen sollte. Das ist bestimmt meine Menschliche und schwache Seite.

Check-In öffnet für Flug 334 nach Yeron. Check-In öffnet für Flug 334 nach Yeron. Bitte begeben sie sich an Schleuse 14.“ Ertönt eine monotone Durchsage durch die gesamte Halle in zwei verschiedenen Sprachen.

Wer ich bin

Ich begleite Gabriel bis an einen Durchlass, an dem die Passagiere in einer Reihe stehen. Uniformierte Männer – ich schätze, es sind Sicherheitsmänner – stehen daneben und untersuchen jeden einzelnen Passagier penibel. Ich erinnere mich wie ich Gabriel gefragt habe, wozu das gut sei, als wir von Girenia nach Dansul geflogen sind. Sie haben uns mit Sensoren untersucht, und wir mussten durch einen gerahmten Durchgang. Das war mir sehr unangenehm. Aber Menschen scheinen dies zu benötigen um Anschlägen und Unfällen vorzubeugen.
 

Gabriel stellt sich an. Ich gehe jeden Schritt mit ihr. Nach dem nur noch zwei Personen vor uns stehen nehme ich sie noch einmal in den Arm. Ich flüstere ihr: „Passe gut auf dich auf.“ Ins Ohr. So gesehen eine unlogische Aussage. Aber mehr wusste ich nicht zu sagen. Sie lächelt mir beherzt entgegen. Dann muss sie untersucht werden.

Als sie zu ihrer Schleuse geht sehe ich ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen ist. Dann verlasse ich den Flughafen.

Ich erlaube es mir auf dem Dach des Gebäudekomplexes zu landen und sehe mich nach dem Flugzeug um indem Gabriel sitzt. Es dauert eine Weile bis ich es entdecke, als es gerade auf die Startbahn rollt. Ich sehe sie gerade so. Es ist fast schon zu weit weg um ihre Farbe noch erkennen zu können. Nachdem die Triebwerke auf voller Leistung laufen rollt die Maschine an. Ich habe schon einige Starts miterlebt. Aber aus einem unerfindlichen Grund erregt mich dieser am meisten. Die Maschine hebt ab. Ich lasse mich in die Winde fallen und folge ihr. Mit weit geöffneten Schwingen fasse ich den Aufwind und mit einigen, wenigen Flügelschlägen beschleunige ich.
 

Nach einigen Kilometern, die das Flugzeug an Höhe erreicht hat, entstehen Kondensstreifen. Ich segle knapp über ihnen. Dies sind schädliche Wolken. Vom Boden aus wirken sie wie auf eine blaue Fläche gezeichnet. Aber wenn man auf derselben Höhe fliegt, dann bekommen sie Räumlichkeit. Vom Erdboden aus wirkt alles anders. Die Wolken wirken klein und flach. Erst in der Luft wird ihr volles Ausmaß sichtbar. Gigantische Wolkenberge, größer als der höchste Berg dieses Planeten. Zarte Wolkenteppiche, die von ihnen durchstoßen werden.

Das Flugzeug hat eine stabile Fluglage erreicht. So entschließe ich mich, das Flugzeug nun ziehen zu lassen. Mapharran wartet sicher schon. Ich drehe ab und halte den Kurs auf Zuhause.
 

Der Wind weht alle meine Sorgen davon. Ich bin in meinem Element und ich fühle mich sehr wohl darin. Ich drehe Schrauben in die zarten Wolken die wie Seidentücher durch den Himmel ziehen. Streife mit den Flügelspitzen die Wolken, sodass sie vom entstehenden Windzug mitgerissen werden und verwirbeln. Ich umkreise hohe Quellwolken mit ausgebreiteten armen. Unglaublich, wie frei ich mich fühle. Das alles hätte ich verpasst, wenn ich nicht zu dem geworden wäre, der ich nun bin. Nun kann ich fühlen wer ich bin. Ich kann das Leben fühlen. Das können die Rrouharran nicht. Sie fühlen die Freiheit nicht. Das macht mich individuell. Das macht mich zu dem, der ich bin.
 

Nach kurzer Zeit des Vergnügens treffe ich Zuhause ein. Das Schloss ragt noch immer erhaben, aber nun einsam weit in den Himmel hinein. Die Oberfläche reflektiert das darauf fallende Sonnenlicht wie die Wasseroberfläche des Meeres. Ich erkenne Mapharran. Er steht zur Sonne gewendet auf der weiten, freien Fläche des Schlosses und nährt sich. Er hat meine Anwesenheit sicher schon bemerkt bevor ich überhaupt in Sichtweite war. Ich lande neben ihm und schaue ihn eine Weile an. Ein Hallo sollte ich nicht von ihm erwarten, auch nicht, dass er mich eines Blickes würdigt. Ich starre ihn einfach an. Nachdem wie erwartet keine Reaktion kommt tue ich es ihm gleich und nähre mich. Es ist ein vertrautes Gefühl hier auf der weißen Ebene zu stehen und das Licht einzufangen.

Mapharran spricht kein Wort. Mir ist nie aufgefallen, dass Rrouharran solch schweigsame Kreaturen sind. Natürlich. Sie müssen untereinander nicht kommunizieren. Sie haben ein Kollektivbewusstsein. Was einer weiß, wissen alle und ungekehrt. Alles, was nun an neuen Informationen in ihr Bewusstsein gelangt, bleibt für mich verborgen. Ich habe nicht mehr die Möglichkeit, gar das Recht, ein Teil dieses Bewusstseins zu sein. Ich bin nun ein eigenes Bewusstsein. Welches ich mit niemandem Teilen kann. Die Tatsache, dass man von etwas ausgegrenzt wird zudem man lange Zeit dazugehört hat, stimmt mich traurig.
 

Du bist noch sehr jung, Rrazpharroth.“ Ich bin überrascht, dass Mapharran das Schweigen plötzlich bricht. Jung, sagt er. Ich empfinde nicht so.

Du wirst noch viel lernen müssen. Nun, da Du Emotionen empfinden kannst.“ Ich habe die Befürchtung, dass er mir mit seiner direkten Art wehtun wird. Nein. Es tut schon weh.

Dein sachliches Wissen über Vieles schützt Dich nicht vor Angriffen auf deinen Geist. Diese junge Menschenfrau kann Dich dabei unterstützen dein Ich zu stärken und zu mobilisieren. Damit Du deinen Emotionen nicht hilflos ausgeliefert bist.“ Was soll ich dazu noch sagen?

„Warum sagst du mir das?“

Deine Farben flimmern unruhig.“ Ich sehe in das tiefe Blau. Verfolge den Zug der Wolken. Wie sie sich aufbäumen und in sich zusammenfallen. Ich versuche mich abzulenken.

„Ja… ich bin alles andere als ausgeglichen. Ich weiß nicht wo ich stehe. Wo ich hingehöre. Wo ich sein darf. Wer ich bin.“

Du darfst dich nicht bei anderen suchen.

„Wie meinst du das?“ ich wende meinen Blick nicht vom Himmel. Muss ich nicht um Mapharran zu sehen. Der Rrouharran in mir erlaubt es mir alles um mich herum wahrzunehmen ohne das meine Augen darauf gerichtet sein müssen. Dennoch erlaubt es mir der Mensch, die Umgebung in ihrer materiellen Form zu erkennen.

Keiner kann dir sagen wer du bist, außer Du selbst.“ Er schweigt. Dann fährt er fort: „Keiner kann dir sagen wo du hingehörst. Alle fragen die Du dich über dich selbst stellst kannst nur du beantworten. Da dich keiner so gut kennst wie du.

„Das habe ich befürchtet.“
 

Der Rest des Tages verbringen wir in der Sonne ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Aber nach unserem Gespräch ertappe ich mich dabei, dass ich ungewöhnliche Sympathien Mapharran gegenüber entwickele. Sie ähneln in keinster Weise derer, die ich Gabriel gegenüber hege. Ich meine, es sind Gefühle, die ein Mensch seinen Eltern gegenüber erfährt. Dabei ist das völliger Unsinn. Er ist nicht mein Vater und auch nicht meine Mutter. Aber das Gespräch mit ihm empfinde ich als sehr innig. Gar vertraut. Es ist schon sonderbar.

Da fällt mir ein. Ich entstand durch die Bewusstseinstransplantation in einen menschlichen Fötus. Dies bedeutet dass ich leibliche Eltern habe. Wer sie wohl sind? Wie sie wohl aussehen? Ob sie damit einverstanden waren ihren Fötus als Versuchsobjekt zu benutzen? Sie haben mich nicht einmal besucht. Was wäre aus dem Menschen geworden, wenn es nicht der Wissenschaft zum Opfer gefallen wäre? Das sind Dinge über die ich nicht nachdenken sollte.
 

Morgen werde ich den Menschen entgegentreten vor denen ich immer geflohen bin. Es ist wirklich ein eigenartiges Gefühl nach so langer Zeit wieder nach Yeron zurückzukehren. Die Stadt in der ich geboren wurde. Die Stadt in der ich gelebt habe. Die Stadt die ich zerstört habe. Vor der ich geflohen bin. Mapharran sagte, man solle nicht in der Vergangenheit leben. Aber als fühlendes Wesen ist es notwendig mit ihr abschließen zu können. Und ich bin im Begriff genau dieses zu tun. Sollte man zumindest glauben.

Ich frage mich, ob und wie sich die Stadt verändert hat. Werde ich Menschen wieder sehen die ich gekannt habe? Kann ich in dieser Stadt weiterleben? All das sich schwerwiegende Fragen für mich. Und es drängen noch viel mehr.
 

Es ist Abend geworden. Das goldfarbene Licht erfüllt den gesamten Himmel. Ich schmiege meine Schwingen an den Rücken und lasse meinen Blick über die nun golden schimmernde Ebene gleiten. Es ist so leer. Es waren mal so viele hier. Es gibt andere Völker die wesentlich älter waren und es nicht geschafft haben eine Rrouharrankolonie auszulöschen. Ich frage mich was solche Kreaturen dazu bewegt.

Es sind Hochmut, Gier, Hass und Neid, welche diese Wesen dazu befähigt, anderen Schaden zuzufügen.

„Allgegenwärtige Gefühle und Bedürfnisse…“ murmele ich in mich hinein.

Du hast sie auch schon verspürt, Rrazpharroth.“ Ich weiß das! Und es ärgert mich!

„Und es ärgert mich, dass ich mich darüber ärgere.“

Der erste Schritt zur Selbstfindung ist die Akzeptanz all deiner Eigenschaften.“ Ich soll mich akzeptieren wie ich bin? Ich soll den schwachen Menschen in mir akzeptieren? Ich weiß nicht ob ich das kann.
 

Mapharran steht noch immer dort an derselben Stelle. Nur hat er seine Schwingen angelegt. Er ist der wahrhaftige Überlebende. Er ist der einzige seiner Kolonie. Ich bin ein Fremder für ihn. Rrazpharroth ist schon lange tot.

„Sag, Mapharran. Warum lebst du eigentlich noch als einziger?“

Ich habe erkannt, dass es tödlich war, sich gegen die Menschen zur wehr zu setzen. So habe ich nicht mit Gewalt versucht unsere Kolonie zu verteidigen, sondern habe mich zurückgezogen und abgewartet. So konnte ich meiner Vernichtung entgehen.

„Ganz schön egoistisch, findest du nicht auch?“

Meine Geschwister taten es mir gleich. Doch es war zu spät. Als sie davonflogen wurden sie von den Menschen verfolgt. Es lies sich nicht mehr vermeiden.“ Er kann nichts bereuen. Ich frage mich ob er sich Vorwürfe machen würde, wenn er es könnte. Ich würde es. Der Gedanke, der einzige überlebende zu sein war schon sehr schmerzhaft. Bevor ich Mapharran kannte, beschäftigte mich genau derselbe Gedanke. Nun bin ich der einzige meiner Art. Auch wenn ich äußerlich wie ein gewöhnlicher Rrouharran wirke, so unterscheide ich mich gänzlich von ihnen. Das verhalten gleicht dem eines Menschen, dennoch ist auch dieses deutlich verschieden. Ich ertappe mich dabei, dass ich mich ständig vergleichen muss. Verursacht von der Identitätskrise die offensichtlich jeden Menschen zu plagen scheint.

Das geflügelte A

Am Vormittag des nächsten Tages brechen wir auf. Es ist ungewohnt mit einem Rrouharran den Himmel zu teilen, aber es gefällt mir. Ich spiele mit den Wolken. Forme sie neu. Auch Mapharran dreht extra Kreise. Wir fliegen gemeinsam. Ab und an umkreist er auch mich. Das gibt mir ein Gefühl von Zugehörigkeit. Wie lange habe ich nicht mehr mit Geschwistern den Himmel erobert.
 

Wir erreichen den Kontinent Merakia. Je näher ich dem Ziel komme umso unruhiger werde ich und umso geradliniger fliege ich. Um nicht erkannt zu werden fliegen wir sehr hoch. Plötzlich verfehlt mich ein Geschoss nur knapp. Es wurde von unterhalb geschossen. Ich erkenne Skysoldier. In scharen kommen sie auf uns zu. Und wie geraten ins Kreuzfeuer. Mapharran materialisiert sein Schwert und beginnt sich zu wehren. Ich tue es ihm gleich. Merkwürdigerweise tragen unsere Gegner normale Schusswaffen welche uns nichts anhaben können. Aber schon bald merken wir, dass sie auch über eine mentale Waffe verfügen. Die Klonsoldaten sind diszipliniert und geordnet. Anders als ich sie das erste Mal sah. Sie fliegen in Formationen welche sie nicht auslösen. Da sie von allen Seiten angreifen fällt es uns beiden schwer gebündelte Angriffe zu starten. Auch die Gegner schleudern uns Lichtkugeln entgegen, schleudern Klingen und feuern Blitze auf uns ab. Licht kann uns genauso schaden, wie es zum Leben brauchen. Daher müssen wir sehr aufpassen. Es ist äußerst kräftezehrend so vielen Attacken gleichzeitig ausweichen zu müssen. Ich teile Mapharran mit, dass er versuchen soll die Heere abzulenken während ich einen Großangriff vorbereite. Dazu gewinne ich Abstand um einen besseren Überblick zu haben. Dann bündele ich das Licht über meinem Kopf zu einer großen Kugel. Ich sehe, dass eine Schar auf mich zukommt. Nur noch ein bisschen mehr. Sie schleudern mit Lichtklingen entgegen. Noch ist es nicht soweit. Die ersten Klingen verfehlen mich. Eine hält direkt auf mich zu. Jetzt!

Ich schleudere die große Lichtkugel auf Mapharran zu. Die Schar welche mich attackiert wird vernichtet und löst sich in unzählbare Lichtfragmente auf. Mein Mitstreiter wartet einen Augenblick ab, ehe er der meinem Angriff ausweicht. Ein Großteil der Skysoldier wird vernichtet. Die Formationen sind zerrüttet, aber die einzelnen Soldaten die übrig bleiben bilden eine neue Formation. Nun aber ist es einfacher sich auf diese zu konzentrieren und mit wenigen angriffen sind auch die letzten gefallen.
 

Wir setzen unseren Marsch fort. Fast als wäre nichts gewesen. Je näher wir Yeron kommen umso hartnäckiger werden die Angriffe. Da hat wohl jemand Angst. Aber soll er nur haben.

Schließlich erscheint Yeron. Eine gewaltige Stadt. Selbst von oben erstreckt sich der Urwald aus Stahl- und Betonmonumenten bis an den Horizont. Gebäude die bis ins Wolkenreich ragen.

Mir war nicht bewusst, dass die Menschen solch Leistungen vollbracht haben.“ Wir Kreisen einige Zeit über der Stadt und ich erzähle ihm etwas über die Menschen. Warum sie große Städte bauen, warum sie so dicht wohnen, weshalb die Gebäude hoch sind. Auch wenn er viele Fakten schon weiß, so eröffne ich ihm einen Einblick in das Wesen des Menschen. Das Zwischenmenschliche.

Es gibt vieles, was selbst wir niemals nachvollziehen werden.“ Ja, vieles wird er nicht verstehen könne. Da Menschen meist aus Gefühlen handeln. Das ist eine Ebene zu der Mapharran niemals Zugang haben wird. Und es kümmert ihn nicht im Geringsten.
 

Ich führe ihn zum Sitz der Angels Corporation nur um festzustellen, dass sie ihn verlegt haben. Aber wohin? Wir stehen auf dem Dach des Gebäudes. Ich überlege wie ich an die nötigen Informationen komme.

„Das Internet.“ Kam es mir spontan in den Sinn. Nur müsste ich irgendwie an einen Computer kommen. Ich bitte Mapharran sich in den Himmel über Yeron zurückzuziehen und auf mich zu warten während ich mich in der Stadt umsehe. Ich lande in einer unbelebten Seitengasse und schmuggle mich mit meiner Illusion getarnt unter die Menschen. Ich muss Einen Computer finden… Da sticht mir ein Zeitungsständer ins Auge der vor einer Buchhandlung stand. Vielleicht finde ich auch dort die nötigen Informationen. Wie das Gebäude aussieht würde mir sogar schon reichen. Meist sind in Buchhandlungen auch Bücher mit Informationen zu einzelnen Städten und ihren wichtigsten Merkmalen. Schnell habe ich das Abteil gefunden, in denen solche Informationen zu finden sind. Ich greife mir ein Buch auf welchen ‚Yeron, das Herz der Welt’ steht. Ich schlage das Glossar auf und finde schnell nach dem, was ich gesucht habe. Ich blättere zur angegebenen Seitenzahl und schon eröffnet sich mir ein Blick auf den Gebäudekomplex der Corporation aus der Vogelperspektive. Ein modernes Stahl-/Glaskonstrukt. Die Form des Gebäudes ist oval. In der Mitte ist es offen und ein stilisiertes ,A’ wird innerhalb dieses Ovals deutlich. Ein Helikopterlandeplatz auf dem linken Teil des Gebäudes, welches eine Art Flügel darstellt, ist mit einem ‚H’ gekennzeichnet. Zusammen ergibt die Form des Gebäudes das Wahrzeichen der Corporation. Also aus der Luft nicht zu übersehen. Es befindet sich am Rande der Stadt.
 

Ich schlage das Buch zu und stelle es an seinen Platz zurück. Mehr brauche ich nicht zu wissen. In der nächsten Gasse erhebe ich mich in die Luft. Es ist nicht einfach, da einem Zwischen den Hochhäusern nicht viel Platz geboten ist, aber ich schaffe es schließlich. Nachdem ich zu Mapharran aufgeschlossen habe, machen wir uns auf den Weg zum Sitz allen Übels.
 

Wir suchen den Stadtrand ab und tatsächlich. Das charakteristische Aussehen des Gebäudes fällt mir sofort auf. Nicht nur das. Es wird durch eine Barriere aus Licht geschützt! Ich bedeute Mapharran dass wir am Ziel sind und wir steuern es schließlich an.

Nun erkenne ich, welch Unheil die Menschen angerichtet haben.“ Erstaunlich dass er niemals damit gerechnet hätte, das Menschen in der Lage sind die Kraft der Rrouharran nachzuahmen. Aber da muss etwas anderes dahinter stecken. Selbst ich kann mir nicht vorstellen, dass Maschinen ein Kraftfeld aus Licht erschaffen können. Aber wird sind nun da um dem Ganzen Treiben ein jähes Ende zu bereiten.

Natürlich war es ein leichtes für uns die Sicherheitsmänner am Eingangsbereich des Geländes zu umgehen. Unsere Körper waren auf dem Radarschirm nicht zu erkennen und konnten natürlich mühelos den Lichtschild durchdringen. Wir landeten vor dem Eingang.

Ich werde keine unnötigen Opfer fordern. Nur die, die für all das verantwortlich sind.“ Das habe ich mir schon gedacht und es ist eine vernünftige Entscheidung. Ich werde mich dem anschließen. Aber dennoch werden wir nicht ganz ohne Gewalt eindringen können. Ich verberge meine Schwingen. Im Gebäude wären sie nur hinderlich.
 

Wir betreten das Gebäude durch den Haupteingang. Wir werden von einem riesigen Foyer begrüßt. Hell und freundlich. Große Bäume unter denen Bänke stehen. Eine trügerische Atmosphäre. Vor uns starrten uns die Empfangsdamen entgeistert an. Sie waren streng angezogen. Schwarze Anzüge und ihre Haare zu einem strengen Dutt gebunden. Einer der Frauen lässt das Telefon atemlos fallen. Ich laufe auf den Empfang zu, gerade so als wäre nichts Außergewöhnliches im Gange. Da zieht die Schwarzhaarige von beiden eine Waffe unter den Tresen hervor und verschießt das ganze Magazin. Innerhalb von Sekunden. Alle Geschosse, die mir und Mapharran zu nahe kommen prallen an unseren Barrieren ab und werden umgeleitet. Sie zerstören einen minimalen Teil des Raumes.

„Wir werden euch nichts anhaben. Wir wollen nur wissen Wo sich Professor Hemmington aufhält.“ Rede ich den Frauen kühl zu. Sie haben beide Panik. Beide schauen einander an. Als erwarten sie voneinander das die andere etwas sagt. Schließlich beginnt die Schwarzhaarige zu reden:

„Wir… dürfen solche Informationen nicht preisgeben. B…bitte verlasst unverzüglich dieses Gebäude.“ Ich trete näher an die Frauen heran.

„Ich bin mir sicher, der Professor wird ich über unser kommen freuen. Euch wird kein Leid zugefügt. Ich möchte lediglich wissen wo Hemmington steckt.“ Ich schaue sie ruhig an.

„Er… er arbeitet gerade im Labor.“

„Sahron…“ zischt die Schwarzhaarige ihre Kollegin an.

„Es… befindet sich in den Untergeschossen…“ Ihre Stimme zittert deutlich. „Welches nur von befugtem Personal betreten werden kann und darf.“

„Sei still…“ flüstert Sahrons Kollegin weiter. „Was soll ich denn machen?“ hauchte sie zurück. Sie nehmen wohl nicht an, dass ich ihr Gespräch mitverfolgen kann.

„Ich nehme an es gibt einen Masterkey.“ Beide schauen mich perplex an. Ich habe Erfahrungen mit dem Leben in solchen Organisationen. „Wenn ich bitten darf.“ Ich deute mit einer freundlichen Handbewegung darauf hin, dass sie ihn mir aushändigen sollen. Ohne zu zögern reicht mir Sahron die Karte, die dem Träger zu allen Bereichen Zugang verschafft.

„Dazu ist aber noch eine personifizierte ID erforderlich…“ ergänzt Sahron schüchtern.

„Dann wirst du uns begleiten.“
 

Still führt sie uns zum Fahrstuhl. Mapharran verfolgt alles mit schweigender Miene. Im Fahrstuhl drückt Sahron die unterste Taste, zieht die Karte durch den dafür vorgesehenen Schaft und schaut anschließend in eine Art Kamera. Auf einem Display erscheint der Name der jungen Menschenfrau und danach ‚Operation approved’. Kurz darauf schließen sich die Türen und der Fahrstuhl beginnt sich zu bewegen. Mapharran hält sich an der Wand fest und starrt auf den Boden.

Welch unnatürliche Art der Fortbewegung.

„Man gewöhnt sich daran.“ Entgegne ich ihm mit einem Hauch von Humor. Sahron schaut mich irritiert und eingeschüchtert an:

„Hat er gerade gesprochen?“

„Ja.“ Ich deute auf ihren Kopf. „Er sprach mental zu uns.“ Sie schaut wieder zu Boden.

„Was habt ihr vor?“

„Unsere Ehre wiederherstellen und dem Professor die Macht nehmen.“

„Ist es nicht leichtsinnig einen Terroranschlag so offensichtlich zu verüben?“

„Dies ist kein Terroranschlag, sondern ein Befreiungsschlag.“

„Bist du das Projekt, welches damals außer Kontrolle geriet?“

„Freut mich deine Bekanntschaft zu machen.“

„Ich werde meinen Job verlieren…“

„Du wirst einen besseren finden.“ Darauf schaut sie mich ungläubig an. „Wenn du und deine Kollegin euch den Rest des Tages frei nehmt, werdet ihr ein besseres Leben beginnen.“

„Aber ich kann doch nicht einfach so nach Hause gehen.“

„Ich erlaube es dir. Es wäre schade, wenn dir uns deiner Kollegin etwas zustoßen würde, wenn es zu Auseinandersetzungen kommen würde.“ In diesem Moment ertönt ein kurzes läuten. Der Fahrstuhl kommt zum stehen und die Türen öffnen sich. Mapharran und ich treten aus. Noch ehe Sahron austreten kann drücke ich den Kopf zum Foyer.

„Aber…“

„Du warst uns eine große Hilfe. Danke, Sahron.“ Die Türen schließen sich. Dann waren wir allein auf dem künstlich beleuchteten Gang.

Schlechte Nachrichten

Es ist etwas sonderbar, dass auf dem Gang niemand ist. Damals sind ständig Menschen in Kitteln von einem Raum in den nächsten geeilt.

Höchstwahrscheinlich wurde dieser Professor über uns informiert.“ Oder so.

Zudem frage ich mich wo Gabriel steckt. Wenn er und vielleicht auch alle informiert wurden, dann müsste sie schon längst aufgekreuzt sein. Ich merke, dass wir sehr unorganisiert an diese Sache herangegangen sind. Das lässt sich nun nicht mehr vermeiden. Es ist vielleicht auch besser, wenn sie nicht dabei ist und sich somit unnötig in Gefahr begibt.
 

Mapharran und ich laufen den Gang hinunter. Vielleicht begegnen wir jemandem.

Ich spüre eine starke Präsenz. Es ähnelt deinem Muster, doch ist es um ein Vielfaches stärker.“ Dann bin ich beruhigt. Ich bemerke fast nicht, wie menschlich meine Gedankengänge sind.

„Aus welcher Richtung?“ Mapharran hebt die Hand, als würde Blei daran hängen und deutet auf eine Tür am Ende des Ganges.

Dort.“ Wir gehen auf die Tür zu. Sie ist versperrt. Ich verwende eine starke Druckwelle um die Tür zu verbeulen wodurch sie aus dem Schloss springt. Ein alarmierendes Heulen ertönt und erfüllt jeden Raum des Labors. Wir betreten den Raum und finden einen alten Mann vor einer Reihe von flimmernden Monitoren wieder.

„Da bist du ja endlich.“ Spricht er ohne sich uns zuzuwenden. Die Stimme unterscheidet sich von der des Professors den ich kannte. Sie ist weniger rau und bedrohlich. Aber sie birgt ebenfalls Wahnsinn in sich.

„Das hatte ich befürchtet.“ Entgegne ich ihm. Daraufhin wendet er sich uns zu.

„Du hast viel von den Menschen gelernt. Sarkasmus scheinst du besonders gern zu haben.“ Dann bleibt sein Blick an Mapharran haften: „Wie ich sehe, hast du mir ein Geschenk mitgebracht. Einer konnte also doch überleben. Faszinierend. Ob du eine Anomalie bist? Nenne mir deinen Namen.“ Aber Mapharran bleibt still. Er empfindet ihn wohl nicht als würdig. Aber nun weiß ich wer er ist. Er ist der jüngere Bruder des Professors. Er schien damals der Vernünftige von beiden zu sein. Aber ich habe mich wohl getäuscht. „Nun gut.“ Hakte er die Vorstellung ab. „Ich habe so viele Fragen an dich. So vieles, was noch unbeantwortet ist. Zusammen mit dir könnte ich die Wissenschaft revolutionieren! Dies wäre ein Quantensprung!“ Er hebt seine Arme in die Luft um seine Vorstellungskraft zu bedeuten.

Du würdest solch eine Masse an Informationen nicht erfassen können. Dazu ist dein Verstand zu beschränkt.

„Mentale Kommunikation. Faszinierend!“ Er lässt seine Arme wieder locker an seinem Körper hängen. „Allein die Tatsache, dass ihr in Verstände eindringen könnt ist überaus wichtig für die Wissenschaft! So werden Magie und Wissenschaft eins. Einfach überragend!“ Er scheint sich ja sehr über Mapharran zu freuen. Aber ehe er seinen Kopf noch weiter in die Wolken steckt wechsele ich das Thema:

„Wo ist Gabriel?“ Er schaut mich fragend an.

„Gabriel?“ Er schaut mich eine weile starr, nachdenklich an. „Die kleine Blonde, die sich auf die Suche nach dir begeben hat? Eine überaus talentierte Frau, wie ich betonen muss. Sie hat die Waffentechnik um einiges vorangebracht.“

„Waffentechnik?!“ Gabriel würde so etwas niemals befürworten!

„Überrascht? Ja, deine kleine Menschenfreundin hat der Firma einen guten Dienst geleistet. Schade, dass ihre Gefühle ihren Verstand besiegt haben. Sie hätte es weit bringen können.“ In mir wuchs Zorn und Missmut:

„So etwas würde Gabriel niemals tun!“

„Dann kennst du sie wohl nicht gut genug.“ Er lacht frech, „Natürlich nicht. In einem Jahr lernt man keinen komplexen Menschencharakter kennen.“

„Wo ist sie?“

„Wenn du nicht weißt wo sie steckt.“ Er spielt mit mir. Sein unheilvoller Blick, der sarkastische Unterton. Da ist etwas ganz und gar nicht richtig. Er will mich an der Nase herumführe. Aber das dulde ich nicht!

„Du sagst mir jetzt wo sie ist. Oder ich reiße dir jedes Gliedmaß einzeln heraus!“ Meine Stimme bebt vor Zorn. In mir steigt der Druck an Gefühlen und Energie welche sich genau an diesem mann entladen wollen. Ich will auf ihn zugehen, doch Mapharran hält mich mit seinem Schwert zurück, indem er es wie eine Schranke vor mir niederfahren lässt.

Kontrolliere dich.“ Finster starrte ich den Professor an, welcher meinen Blick mit eitler Genugtuung erwiderte.

„Du liest nicht oft Zeitung, nicht wahr? In den Nachrichten läuft es rauf und runter. Gestern Nachmittag verunglückte eine Maschine auf dem Flug von Korai nach Yeron. Ich dachte du wüsstest davon.“
 

Vom einen auf den anderen Moment schien die Zeit stehen zu bleiben. Ein grausiger Schmerz durchfährt meinen Körper. Alles setzt aus. Jeder Sinn versagt. Als würde ich jeden Moment das Bewusstsein verlieren. Dennoch bleibe ich stehen. Unruhig fangen meine Augen an nach etwas zu suchen. Einen Punkt an dem sie festhalten können. Der Schmerz beginnt sich in Fassungslosigkeit zu wandeln. Ich will etwas sagen. Doch will mir kein Wort über die Lippen. Ich fixiere den Professor. Eindringlich studiert er mein derzeitiges Gefühlschaos. „Sie befürchten keiner hat diesen Absturz überlebt.“ Vor meinem geistigen Auge spielen sich grauenhafte Bilder ab. Gabriel in Gefahr. In Not! Wie ist sie gestorben? Erstickt? Verbrannt? Auf dem Erdboden aufgeschlagen? Ertrunken? Tränen quellen mir aus den Augen und bahnen sich hemmungslos den Weg über meine Wangen bis zum Kinn. Ich fühle jede einzelne von ihnen. Erinnerungen laufen im Zeitraffer an mir vorbei. Mit Gabriel zusammen Zuhause. Unsere erste Begegnung. Gabriel, wie sie das Monster in mir zurückhält und mich vor dem Tode bewahrt. Gabriel am See… Gabriel… Sie kann unmöglich tot sein! Nicht jetzt! Nicht so früh!

„…arroth … azpharroth, kontrolliere deinen Geist.“ Gabriel? Wessen Stimme ist das? Und was hat sie mit Gabriel gemacht?! „Rrazpharroth. Du musst standhaft bleiben. Du darfst nicht die Kontrolle verlieren. Rrazpharroth.
 

Mapharran! Mir wird der brennende Schmerz im gesamten Körper bewusst. Vor meinen Augen eröffnet sich mir ein Bild. Der Professor. Er steht vor mir, direkt vor mir. Meine Handfläche liegt verkrampft auf seinem Gesicht. Panik entnehme ich seinem Blick. Eine Hand ruht auf meiner Schulter. Mapharran starrt mich leer an.

„Du Mörder…“ mit diesen Worten trete ich von dem verängstigten Menschenwesen zurück. „Du bist dafür verantwortlich! Der tot währe nur deine Erlösung!“ Hemmington richtet sich auf und richtet seinen Kittel.

„Eine sehr Lebensfreundliche Einstellung, die du an den Tag legst.“

Hüte deine Zunge, Unwürdiger!“ drohe ich ihm mit brummender Stimme, „Ich werde dich so verkrüppeln, dass du dir wünschtest niemals geboren worden zu sein. Und diese Brutstätte des Bösen, werde ich ihrer Existenz berauben. Es wird nichts mehr übrig bleiben.“ Ich lasse meine Waffe erscheinen.

„Du kannst es ja mal versuchen.“ Er klingt unerträglich selbstsicher. Allein dafür möchte ich ihn in der Luft zerreißen. „Aber ich werde es dir nicht einfach machen. Es wäre doch viel effizienter deinen Frust an etwas auszulassen, welches etwas stabiler als ein menschlicher Körper ist.“

„Schweig still!“ Ich erhebe meine Waffe gegen ihn.

„Warte, warte, nicht so eilig. Ich möchte dir noch mein Werk zeigen, an welchem ich die letzten zehn Jahre ununterbrochen gearbeitet habe. Dieses Werk – aus das ich sehr stolz bin – schützt obendrein den gesamten Gebäudekomplex vorzüglich.“ Er schaut mich prüfend an, „Folge mir.“
 

Er führt uns durch eine Tür in eine große Halle. Groß ist weit untertrieben. Als ich seiner demonstrierenden Handbewegung folge, will ich meinen Augen nicht trauen. Ein gigantischer Rrouharran.

„Eine korrigierte Version deines Typen. Bis auf die Größe sieht er genauso aus wie du. Hat dieselben Fähigkeiten nur um ein Tausendfaches besser. Ich habe seine Struktur so verändert, dass er nicht in der Lage ist, Emotionen zu empfinden. Totaler Gehorsam. Wenn ich ihm befehlen würde Disenion zu eliminieren würde er es tun. Sein Schutzschild ist so gigantisch, dass es das gesamte Gelände umhüllt. Sein Energieverbrauch ist jedoch hoch, daher sind UV-Spiegel in Schächte eingebaut die Sonnenlicht von Außen einfangen, bis hier her reflektieren und auf seine Schwingen strahlen. Ich habe das vollendet was mein Bruder nicht geschafft hat!“

Nun bist du zu weit gegangen. Ich werde deinem Treiben ein Ende bereiten.“ Mapharran zückt seine Waffe und bereitet einen Angriff vor. Hemmington tritt unsicher aber überheblich zurück und betätigt eine Taste. Dann spricht er ohne den Blick von uns zu nehmen: „PA220Alpha. Eliminierung der Eindringlinge.“ Dann lässt er von der Taste ab und grinst hämisch: „Nun werden wir sehen wie effizient das Experiment sein wird.“

Hemmington hetzt uns tatsächlich das Monster auf. Ich schreie zornerfüllt auf. Diese Handlung kann ich nicht steuern. Es kommt über mich wie ein Gefühlsschwall. Ich hole mit der Sense aus und will sie auf den erbärmlichen Menschen niederschnellen lassen, da kommen einige Soldaten in den Raum gestürmt und decken ihn. Dies nutzt der Professor sofort zur Flucht. Weitere Soldaten versperren uns den Weg.

„Verflucht!“ brülle ich ihm nach. Mapharran setzt sich gegen die ersten Angreifer zur wehr. Es ist nicht einfach für ihn am Boden zu kämpfen. Seine Schwingen behindern ihn. Ich habe zwar etwas mehr Erfahrung mit Bodenkämpfen, doch ist es auch für mich sehr umständlich. Die Soldaten sind um einiges wendiger, da sie auf solche Kämpfe spezialisiert sind.
 

Mit Mühe und Not schaffen wir es, die Truppe zu schlagen. Doch das größte übel wartet noch auf uns. Das Monster entledigt sich der Kabel beginnt sich zu regen als erwache er aus dem Schlaf. Er fixiert uns. Seine Waffe erscheint. Es ist tatsächlich eine Sense. Wie meine. Das hätte also aus mir werden sollen. Ein willenloses Monster.

Veränderung

In der Halle ist genug Platz um frei umher zu fliegen. So erheben wir uns in die Luft und beginnen den Kampf.

Er ist dreimal so groß wir ich. Er ist wirklich beängstigend. Mapharran beginnt mit seinem Nadelorb. Unzählige Nadeln erscheinen kreisförmig in gleichmäßigen Abständen um den Gegner. Sie zielen alle auf denselben Punkt. Doch bevor einer der Nadeln trifft löst das Experiment eine sehr kräftige Druckwelle aus, die nicht nur die Nadeln wegschleudert sondern auch uns. Kurz vor einer Wand komme ich zum stehen und fliege wieder um ihn herum. Mapharran wird gegen ein Gerüst geschleudert und braucht eine Weile bis er sich wieder erholt. Ich konzentriere das Licht über meinem Gegner und beschwöre eine Lichtsäule, die ihn vollkommen einhüllt. Aber noch während ich meinen Angriff durchführe feuert er Lichtstrahlen auf mich ab. Nur durch das Abbrechen meines Angriffs entgehe ich den Geschossen.
 

Mapharran hat sich erholt und schleudert ihm Lichtkugeln entgegen. Aber der Gegner leitet sie mit seiner bloßen Hand um. Ich beschwöre einen Zirkel um das Monster. Dieser beginnt sich auf eine Attacke vorzubereiten. Unzählige Lichtblitze treten aus dem Zirkel hervor und treffen ihn. Aber es hindert ihn nicht daran, seine Attacke doch noch auszuführen. Um ihn herum entsteht ein Ring aus Licht, dessen Radius sich blitzschnell erweitert. Mapharran kann ihm ausweichen doch mich trifft er mit voller Kraft. Ich krümme mich schmerzerfüllt zusammen, wodurch ich zu fallen beginne. Es fällt schwer mich aufs Fliegen zu konzentrieren, wenn mein Körper brennt vor Schmerzen. Ich schaffe es nicht mich zu erholen bevor ich auf dem Boden aufschlage.

Ich habe das Gefühl die Zeit würde stehen bleiben. Der Schmerz betäubt alle meine Sinne. Krampfhaft halte ich meine Hand an die Wunde. Ich stöhne auf. Der Schmerz drängt mich dazu. Er lässt einfach nicht nach… Ich sehe mir die Hand an. Sie ist mit einer silbrigen Flüssigkeit verschmiert. Es ähnelt Quecksilber. Meine Struktur ist zerstört. Aber warum löse ich mich nicht auf… warum nicht… Das denken ist so anstrengend. Ich fühle wie das Licht versucht meine Wunden zu heilen. Es brennt so unsagbar… die Wundheilung verbraucht sehr viel Energie und der Prozess ist unglaublich langsam. Immer wieder durchfahren mich Schwalle von Schmerzen.

Ich habe Angst. Große Angst. Ich bin wehrlos, und der Schmerz zwingt mich zur Kapitulation. Ich fühle mich hilflos und verlassen.

Reiß dich zusammen, Rrazpharroth.“ Ertönt eine monotone Stimme in meinem Kopf. „Du musst jetzt stark sein.“ Mapharran hat gut reden. Er muss nicht diese unerträglichen Schmerzen leiden. Ich schaue auf und erkenne, dass Mapharran die Angriffe pariert, die der Gegner auf mich aussetzt. Er ist also der Überzeugung diesen Kampf zu Ende zu führen und nicht zu fliehen.
 

Ich lege meine Hand flach auf den Boden und konzentriere meine Energie darin um einen neuen Angriff zu starten. Mein Körper brennt so furchtbar. Aber ich konzentriere mich weiter auf den Angriff. Ein Zirkel entsteht unter dem Gegner. Genau in diesem Moment beginnt der Riese einen Angriff vorzubereiten. Ich nutze seine Unachtsamkeit und lasse erneut eine Lichtsäule auf ihn niederstoßen. Er wird mit der ganzen Kraft getroffen und so daran gehindert seinen Angriff auszuführen. Mapharran nutzt die Gelegenheit für seinen Nadelorb. Ich muss mich ausruhen. So lege ich meinen Kopf auf den Boden. Ich muss unvermittelt an Gabriel denken. Dieser vermaledeite Mensch hat sie umgebracht. Töten lassen. Um mich zu brechen. Aber das ist ihm nicht gelungen. Wenn ich mit diesem Monster fertig bin jage ich ihn bis an sein Lebensende. Das Brennen wird stärker. Dieses Brennen stammt nicht von den Wunden. Ich kenne diesen Schmerz. Denselben Schmerz empfand ich kurz bevor ich zu einem Monster mutiert bin. Es zwingt mich zornig zu sein. Zornig auf den Professor. Zornig auf die Menschen. Zornig auf diesen Planeten. Aber ich will das nicht…
 

Ich werde aus den Gedanken gerissen, als Mapharran neben mir aufschlägt. Er bleibt regungslos liegen. In was habe ich ihn da nur hineingezogen… Vielleicht sollte ich dem Zorn nachgeben um ihn zu schützen. Auch wenn es meinen Tod bedeuten würde. Nichts hält mich mehr in dieser Form.

Gerade noch sehe ich die Sense des Monsters auf uns niederschnellen. Das Brennen wird unerträglich und es füllt meinen gesamten Körper.

Meine Barriere schützt uns beide vor der tödlichen Klinge des Feindes. Ich erhebe mich. Nun spüre ich die Wunde nicht mehr, aber das Brennen meines Zornes. Es frisst sich durch mich hindurch wie ein Virus.

Kampfbereit lasse ich meine Waffe erscheinen. Ich lasse sie auf etwa die zweifache Größe anwachsen und beginne auf in einzuschlagen. Ich lasse ihm somit keine Zeit zum Angriff überzugehen, da er damit beschäftigt ist meine Hiebe zu parieren.
 

Alle meine Wut, all meine Trauer, meine Verzweiflung, all das konzentriere ich in meine Hiebe. Er soll spüren wie ich leide. Denn niemand holt mir Gabriel zurück. Ich schlage auf ihn ein. Denn niemand holt mir meine Geschwister zurück. Ich schlage wieder auf ihn ein. Und niemand gibt mir mein altes Leben zurück. Und wieder schlage ich auf ihn ein. Jedes mal etwas fester. Tränen rinnen mir über mein Gesicht. Ich ertrage es nicht länger. Es pulsiert und drängt sich in den Vordergrund.

Der Professor lacht mir respektlos ins Gesicht. Widerlicher Abschaum. Er verdient es nicht. Keiner verdient es! Alle sollen leiden!

Kontrolliere dich.“ Wenn ich nicht sterben darf, dann sollt ihr alle sterben! Ich hacke dem Monster vor mir in sein von Menschen erschaffenes Gesicht. Sterben soll er. Sterben sollen sie alle. Ich reiße meine Waffe vom Gesicht aus durch seinen ganzen Körper. Unmittelbar darauf löst sich sein Körper auf. Einzelne Lichtfragmente bleiben zurück. Ich schlage wild um mich. Sie stören mich.

Rrazpharroth.“ Ein brennender Schmerz. Ein gleißendes Licht geht von mir aus. Ich werde euer Nest erneut zerstören. Ich werde nichts übrig lassen! Ich werde alles vaporisieren!

Mit einem Energieball, den ich zwischen meinen Händen konzentriert habe schieße ich ein riesiges Loch durch die Decke. Der blaue Himmel zeigt sich. Ich fliege hinaus in den freien Himmel. Ich sehe die Stadt vor mir. Ich werde euch alle umbringen! Da werde ich von diesen abartigen Klonsoldaten umzingelt. Menschenwerk. Entehrung des großen Volkes. Ich werde euch alle vernichten! Ich verfluche euch!
 

Mit meiner Waffe reiße ich große Lücken in die Schwärme. Ihre kümmerlichen kleinen Angriffe haben keine Wirkung. Niederträchtig! Ich fange sie wie einzelne Mücken aus der Luft und zerreiße sie in ihre Bestandteile. Nun rücken sie mit all ihrem Waffenarsenal auf. Aber auch ihre dreckigen Maschinen können mir nichts anhaben! Eine Armada von Jets feuert ihre sinnlosen kleinen Raketen auf mich. Pah! Sinnlos! Durch meine Waffenhiebe explodieren sie. Ich erfreue mich an dem Anblick. Durch das Konzentrieren von Energie und Licht in meiner Mitte löse ich einen gewaltigen Impuls aus, der im großen Radius alle Ratten zerstört die sich um mich herum befinden. Der Himmel ist wie leergefegt. Es quellen nur noch die schwarzen Rauchwolken auf welche vom Wind abgetragen werden. Meine Kraft lässt nach, aber mein Zorn wütet noch immer. Das Gebäude muss zerstört werden. Ich gewinne an Höhe und konzentriere einen riesigen Ball aus Licht. So groß, wie ich ihn noch nie zu vor konzentriert habe. Ich speise ihn mit all meinem Hass, meinem Zorn und Verachtung der Unah gegenüber und schicke ihn auf dieses Gebäude. Meine sicht verschwimmt allmählich aber ich erkenne noch sehr gut, wie mein Zorn den Komplex bis in den tiefsten Raum zerstört und nur noch einen riesigen Krater hinterlässt.
 

Plötzlich verlässt mich jede Kraft. Mir wird schwarz vor Augen und ich fühle dass ich falle. Langsam, ich merke es fast nicht, kriecht das Leben aus meinem Körper. Ich fühle mich schwerelos. Gerade wollte ich mich hingeben, da erschüttert mich ein harter und schmerzhafter Aufprall. Machtlos werde ich von der Wucht in den Boden gepresst und rolle haltlos einen Hang hinunter. Mein Körper stoppt auf dem Bauch. Müde bin ich…Es ist still. Ich höre keinen Ton. Ich fühle Feuer in der Nähe. Der Boden unter mir ist feucht und weich. Ich liege im Krater. Mein Körper ist im begriff zu sterben.

Hände legen sich auf meine Schulter und Seite. Behutsam wenden sie meinen Körper auf den Rücken und spreizen meine Schwingen. Sie sind warm. Ein Flüstern. Gabriel? Ich forme meine Lippen um etwas zu sagen, doch es kommt kein Ton.

Schone dich, Rrazpharroth.“ Mapharrans Stimme durchschneidet die Stille wie eine Klinge.

„Maph…a…“ Plötzlich überkommt mich eine schmerzhafte Einsamkeit. Ich will nach ihm greifen, doch mein Körper gehorcht mir nicht. Tränen treten mir aus den Augen, „tö…te … mich…“ Meine Stimme ist Tonlos. Zu Silben geformte Luft.

Lebe, Rrazpharroth. Deine Zeit ist noch nicht gekommen.
 

Ich fühle das Sonnenlicht. Wie es auf meine geschundene Haut trifft. Wie meine Federn das Licht einfangen und die Energie gemächlich durch meinen Körper fließt. Mapharrans Anwesenheit beruhigt mich und er bleibt lange bei mir.

Wir werden niemals nachvollziehen können, warum ihr euer Leben gefährdet um anderen zu helfen. Aber… du hast es geschafft die Produktion weiterer Klone zu verhindern und somit ein Volk der Unah die Macht genommen, die sie niemals hätte besitzen dürfen.

„Dann … war ihr Opfer … nicht vergebens…“, hauche ich kraftlos hervor.

Ich werde diesen Planeten verlassen und der nächsten Kolonie beiwohnen. Hier wird kein Rrouharran mehr geboren.“ Diese Worte schmerzen. Ich sage nichts. Sehen kann ich ihn nicht. Aber ich fühle, dass er sich entfernt.
 

Nun bin ich der letzte, der noch auf diesem Planeten weilt. Verdammt dazu, zu leben. Mit dem Schwall an Erinnerungen der mich in regelmäßigen Abständen heimsucht. Ein Ablauf der Bilder in immer gleich bleibender Reihenfolge. Immer und immer wieder. Das Labor, Myke, der Professor, die Schule, Gabriel, meine Raserei in Yeron, Die Wüste, Das Bild auf dem Gabriel und Samsa zu sehen sind, Die Felder von Dansul, der Blaue Himmel und das verlassene zu Hause, Mapharran… In mir kommt ein Gefühl auf welches ich schon einmal spürte. Es ist… Sehnsucht. Was für ein Leben kann ich nun noch führen? Ich habe niemanden mehr. Ich habe Gabriel sterben lassen. Ich bin allein… Die Wüste ist ein ort der zu mir passt. Sie ist zeitlos, wie ich und schützt mich vor der Verurteilung der Menschen.

Aber zunächst… muss ich mich erholen…

Wiedersehen

Lange habe ich mich erholen müssen. Sie Situation erinnert mich stakt an meine erste Raserei. Ich habe beschlossen vor der Reise in die Wüste nach dem grab von Gabriel zu suchen. Vielleicht kann ich mir so die Schuldgefühle von der Seele sprechen.

So suche ich die Friedhöfe ab. Auf dem einen findet gerade eine Beerdigung statt. Alle Leute sind schwarz oder dunkel gekleidet. In meiner Illusion verharre ich in der Nähe im Schutz eines Baumes und beobachte die Zeremonie. Ich habe das Gefühl es sei Gabriels Beerdigung. Dort steht ein Mann mit blondem Haar. Es könnte Samsa sein. Der Priester lässt ein Gefäß in die Erde hinab. Ob Gabriels sterbliche Überreste dort aufbewahrt werden? Der Mann schaut zu mir herüber und ich verstecke mich ruckartig hinter dem Baum. Ich gehe weg. Ich fliehe. Warum kann ich nicht sagen. Ich habe Angst dass er mich gesehen haben könnte. Es sind Schritte zu vernehmen die nicht von mir stammen und mein Schritt wird eiliger.

„Zero…“, eine äußerst männliche Stimme. Ich kenne sie nicht, „Zero, bitte bleib steh’n!“ ich gehorche und bleibe abrupt stehen. Ich bin erregt. Es ist Samsa. Ich wage es nicht mich umzudrehen. Wie soll ich ihm, nach all dem was ich angerichtet habe je wieder in die Augen blicken können? Sein Leid, ich kann es sehen. Seine Seele schwelgt in Trauer und Verzweiflung. Es ist mein Verschulden.

„Gabriel hat mir alles gesagt.“ Er muss wohl auf mein wahres Dasein hindeuten. Mein Kopf sinkt.

„Das dachte ich mir…“ Es ist sehr schade, dass wir uns unter solchen Umständen wieder treffen. Seine hand legt sich auf meine Schulter und zieht sie achtsam nach hinten. Wehrlos drehe ich mich um, meide aber den Blick in sein Gesicht.

„Du bist nicht um ein Jahr gealtert…“ Erstaunen schwingt in seiner Stimme mit und ich ertappe mich dabei, wie ich ihn kurz mustere. Er hat blond gefärbtes Haar. Darunter ist seine Naturfarbe zu erkennen. Sein Gesicht ist markanter geworden und seine Haut hat einen gesunden Teint. An seinem Kinn hat er sich einen Bart wachsen lassen. Es lässt sein Gesicht noch kantiger wirken.

„Du bist ein stattlicher Mann geworden…“ ich spreche sehr leise. Aber ich sehe, wie seine Seele sich in Freude tränkt und so schaffe ich es schließlich doch ihm ins Gesicht zu sehen.

„Aber du hast dich verändert“, muss Samsa zu seinem Leidwesen feststellen.

„Die Zeit verändert. Auch ich bleibe davon nicht verschont.“

„Komm mit an ihr Grad. Dort sind einige, die sich freuen würden, dich lebend zu sehen.“

„Nein. Kommt nicht in Frage.“ Er schaut mich verstört an:

„Warum nicht?“ Ich schweige. Es ist die Angst, die wieder aufkommt. Ich kann mich der Verantwortung nicht stellen.
 

„Rrazpharroth, du lebst!“ Eine vertraute Stimme. Ich wende meinen Blick in die Richtung der Person, die meinen Namen kennt und der Anblick verschlägt mir die Sprache. Myke kommt hastig auf mich zu und fällt mir, zu Tränen gerührt, in die Arme. Fest schlingen sich ihre Arme um meinen Körper, dessen Wunden noch nicht vollständig verheilt sind.

„Ich hatte mir all die Jahre so sorgen um dich gemacht… Ich bin so Glücklich dich wieder zu sehen!“ Sie klingt verweint, aber es ist nicht die leiseste Spur von Verachtung oder Vorwurf zu spüren. Myke hebt ihren Kopf und schaut mich an: „Du bist nicht um ein Jahr gealtert.“ Samsas und mein Blick treffen sich. Myke sind die zehn Jahre deutlich anzusehen. Die Falten sind tiefer geworden und die Haut älter. Aber ihre Seele ist lebendiger als vorher. Ich spüre eine weitere, schwache Präsenz. In ihr wächst ein Lebewesen heran. Ihr Bauch ist angewachsen und prall.

„Es ist sonderbar, nicht wahr“, friedlich streichelt sie ihren Bauch.
 

Ich gewöhne mich langsam wieder an die Menschen. Um ehrlich zu sein, ich bin ganz froh, dass sie mir verziehen haben ohne dass ich darum bitten muss. Ich warte ab bis die Besucher der Beerdigung gegangen sind. Erst dann trete ich vor Gabriels Grab. Dort werden ihre Überreste liegen, bis sie eins mit der Erde geworden sind. Ihre Seele hat sich verstreut. Ich kann mich nicht von ihr verabschieden. Ich kann nicht akzeptieren, dass ich sie in dieser Form nicht mehr bei mir haben kann. Ich bin schwach, dass ich etwas so natürliches nicht akzeptieren kann. Es ist nur zu menschlich.

Noch am Abend bittet mich Samsa mit zu ihm nach Hause zu kommen. Ich willige ein.
 

Ihm gehört eine moderne Wohnung eines Hochhauses im Stadtzentrum. Sie ist so hoch gelegen, dass man den Lärm des Verkehrs kaum noch vernehmen kann. Sobald man die Wohnung betritt steht man im Wohnzimmer. Man schaut direkt auf die Fensterfront welche einen guten Blick über die Stadt eröffnet. In der Mitte des Raumes steht ein Sofa, davor ein Tisch und an der Wand ein Fernsehgerät.

„Fühl’ dich wie Zuhause. Ich geh’ mich kurz umziehen.“ Ich betrete das Wohnzimmer und löse meine Illusion. Mein Blick schweift durch den Raum. Hier hat also Gabriel gelebt. In der ganzen Zeit. Sie muss sehr erfolgreich gewesen sein.

Auf einem Schrank stehen Bilder in verzierten Glasrahmen. Sie zeigen Gabriel und Samsa. Und einige andere Personen. Es könnten Verwandte sein. Zwischendrin stehen verteilt abgebrannte Kerzen. Lange betrachte ich mir das schönste Bild von Gabriel. Es ist ein Portrait von ihr, auf dem sie ihr schönstes und erfrischendes Lächeln zeigt, das sie hat. Ihre Augen strahlen pure Lebensfreude aus. Ich wende mich ab und stehe hilflos und verlassen im Raum. Auf der Seite an der der Fernseher steht führt ein offener Durchgang zur Küche. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt ein Flur der zu anderen Räumen führt.
 

Samsa kommt simpel gekleidet zurück und hält etwas in der Hand. Er bleibt schlagartig stehen und starrt mich fassungslos an. Gerade wollte ich fragen ob etwas nicht stimmt, da erinnere ich mich, dass ich meine Wahre Gestalt zeige. Und ob ich es glaube oder nicht, es gibt immer noch Leute die mich so noch nicht gesehen haben. Das einzige was ich aus Platzgründen weiterhin verberge sind die Flügel.

Ohne den Blick von mir abzuwenden legt er das ab, was er in der Hand hält und kommt auf mich zu. Er berührt mit seiner Hand meine Haut und bewegt sich hin und her um die schimmern zu sehen. Tief schaut er mir in meine Pupillenlosen Augen und schaut dann mein Haar an. Er fühlt den Stoff:

„Es fühlt sich alles so normal an…“ ist er etwas enttäuscht?

„Ist das schlecht?“ Ich komme mir vor als würden wir uns gerade das erste Mal begegnen.

„Nein. Nur sieht alles so sonderbar aus. Deine Haut ist silbern, dein Haar grün. Aber es ist alles so weich“, er hebt beide Hände und fragt, “darf ich noch mal?“

„Nur zu“, biete ich mich ihm an. Seine Hände greifen zaghaft in mein Haar. Seine Augen wirken wie die eines Kindes; neugierig und naseweis.

„Siehst du was mit diesen Augen?“ seine Frage klingt ungläubig.

„Ja. Ich kann sehen wie du und jeder andere Mensch.“ Ich erspare ihm die Erklärung dass ich ebenso mit dem Geist sehen kann. Es ist schwer zu erklären, sodass es die Menschen auch nachvollziehen können.

„Du bist echt das schönste, was ich je gesehen habe.“ Er wendet sich von mir ab. „Gabriel wollte dir das geben, wenn sie dich gefunden hat und dich mit nach Hause gebracht hat“, er geht zu dem zurück was er vorhin in der Hand gehalten hat und faltet es auseinander. Eine weite Hose die meiner sehr ähnelt und ein weites Hemd mit weiten halblangen Ärmeln. Beides in weiß. „Sie sagte sie würde es dich gern tragen sehen, wenn du in deiner Illusion wandelst.“ Ich begutachte mir die Kleidung kurz und projiziere sie an mich. Mein Haar erscheint schwarz, meine Haut und Augen eines Menschen und dazu das Geschenk von Gabriel. Ich begutachte mich.

„Es ist mir eine große Ehre ein Geschenk von Gabriel in Ehren halten zu dürfen.“ Und wieder löchert er mich mit einem Bauklotzstaunen.

„Wie… wie hast du das eben gemacht?!“ Mit seinen Händen präsentiert er verwirrt mein Ergebnis.

„Ich kann das Licht so steuern, dass die Farben dominieren die ich möchte. Ich kann meine Form beliebig verändern, wenn ich das möchte. Aber du solltest nicht zu sehr darüber nachdenken.“

„Das ist unglaublich! Du bist der tollste Freund den ich je kennen lernen durfte.“
 

Wir setzen und auf das Sofa und wir lassen die vergangenen zehn Jahre Revue passieren. Er erzählt mir, wie er Gabriel wieder getroffen hat:

„Ich habe sie ja schon immer toll gefunden. Aber ich hätte mich niemals zu träumen gewagt, eines Tages um ihre Hand anzuhalten.“ Er lächelt verlegen. Es ist noch immer etwas Kind in ihm geblieben, „Wir trafen uns ganz zufällig auf der Straße. Das heißt, ich habe sie entdeckt. Sie wäre fast an mir vorbeigelaufen. Wir unterhielten uns eine ganze Weile und haben ein Treffen vereinbart. Wir trafen uns regelmäßig. Und meine Gefühle zu ihr wurden stärker. Ich fand heraus, dass sie zurzeit keinen Partner hatte, da ergriff ich meine Chance und sie lies sich auf mich ein“, Samsa lacht, „damals konnte sie mich nicht leiden. Du hast sie gezwungen sich mit mir abzugeben.“

„Ich habe sie nicht gezwungen, ich habe sie nur darauf aufmerksam gemacht, dass man den Menschen nicht nach Äußerlichkeiten beurteilen soll…“

„Aber sie war ungern in meiner Nähe.“

„Sie hatte Angst von Mokta genauso gehänselt zu werden wie du.“

„Mokta war sein Name! Mann ich kam einfach nicht mehr drauf!“ Er schlägt mit der Faust auf seine Handfläche, „Aber sag mal“, fährt er fort, „was hast du in den zehn Jahren gemacht?“

„Ich habe diese Zeit in der Wüste von Girenia verbracht.“

„Und was hast du dort gemacht?“

„Nichts.“

„Nichts?!“

„Ich wollte nichts mehr mit den Menschen zu tun haben. Ich habe mich tief in die Wüste zurückgezogen und in völliger Einsamkeit gelebt.“

„Du spinnst doch… warum bist du nicht zu Gabriel zurückgekehrt?“

„Ich weiß es nicht… wahrscheinlich aus Angst.“ Ich starre betreten aus dem Fenster ehe ich hinzufüge: „Sei froh, dass ich nicht zurückgekehrt bin. Dann hättest du Gabriel vielleicht nie geheiratet.“

„Wie makaber.“ Ich weiß…
 

Daraufhin schweigen wir beide sehr lange. Wir beide lieben Gabriel und werden sie immer lieben. Ich habe mich durch meine dumme Aussage eben verraten. Und das hat er gemerkt. Er muss lange gehadert haben ehe er sich traut zu fragen:

„Du musst sie wohl sehr lieben.“ Ob ich mich auf das Gespräch einlassen soll? Immerhin ist es uns beiden unangenehm. Ich würde fast behaupten wir seien Rivalen. So ähnlich wie die Beziehung zwischen Elmar und mir.

„Es wäre niemals gut gegangen.“

„Zero, …“

„Rrazpharroth“, korrigiere ich ihn.

„’Tschuldigung. Was gedenkst du nun zu tun?“

„Ich werde wohl wieder in die Wüste zurückkehren.“

„Das ist nicht dein Ernst?!“ Er schaut mich vorwurfsvoll an.

„Was meinst du?“

„Du willst wieder in ewiger Einsamkeit leben? Obwohl du hier Freunde hast?“

„Ich…“

„Bleibe doch bei mir, wenn du magst. Myke kommt uns öfter besuchen. Es wäre doch sicher schön, wenn wir zusammen leben könnten.“

Das Rad des Schicksals

Ich hatte mich auf ihn eingelassen. Ich war wirklich froh, dass er mir seine Wohnung angeboten hatte. Der Gedanke, allein in der Wüste zu bleiben hatte mich fast wahnsinnig gemacht. Nun konnte ich noch ein paar Jahre mit wertvollen Freunden verbringen.

Ich hatte mich in die Gesellschaft, unter dem Namen Zero Wilson wieder eingegliedert und einen Job als Bibliothekar angenommen. Mykes Kind kam zur Welt und ich durfte beobachten wie das Leben eines Menschen von Geburt an verlaufen kann. Es ist schon außergewöhnlich. Dieses Leben. Zu wachsen, Erfahrungen zu machen, die Schule, das Berufsleben. Die Zeit verging so schnell und ehe ich mich versah war Sira eine erwachsene Frau. Sie erinnerte mich stark an ihre Mutter, sie was nun sehr alt geworden.

Samsa hat erneut eine Frau gefunden. Er heiratete erneut und gründete eine Familie. Seine Kinder waren auch fast erwachsen und er ein Mann mittleren Alters.

Für Menschen bedeuten Achtzig Jahre ein Leben, indem sie unzählige Dinge erleben. Ein Haufen an Emotionen und Erfahrungen welche sie gar nicht alle archivieren können. Achtzig Jahre für die Ewigkeit. Für mich sind Achtzig Jahre ein Wimpernschlag. Ein Tropfen Wasser auf dem heißen Stein. Ich könnte alle Details aufzählen, ich habe sie alle behalten. Für mich verging die Zeit wie im Flug. Es stimmt mich melancholisch auf die Zeit zurückzublicken.

Ich wechselte meine Arbeitsplätze alle zehn Jahre, damit mein gleich bleibendes Aussehen nicht auffiel.
 

Samsas Kinder wuchsen und gründeten eigene Familien. So schnell. Vor kurzem waren sie noch Kinder unschuldig und unwissend, nun reich an der Erfahrung, wie es ist, selbst Kinder großzuziehen. Myke starb im alter von achtundsiebzig an einer Krankheit die die Menschen als Krebs bezeichnen. Verwachsungen im Körper die nach und nach gesundes Gewebe angreifen und zerstören. Es warf mich in alte Gefühle zurück.
 

Die Welt veränderte sich so schnell. Merakia hatte Disenion auch ohne himmliche Kräfte in einem langen Krieg bezwungen und beutete das arme Land nun aus. Yeron wuchs stetig weiter. Die Menschen entwickelten sich weiter, aber die Technik entwickelte sich schneller als der Mensch. Sie erleichterten sich immer mehr das Leben mit Maschinen. Einige hießen es gut, andere demonstrierten dagegen. Ich schaute viel Fernsehen. Nachrichten waren manipulativ, sie formten die Zuschauer auf eine geschickte Weise und zogen sie so auf ihre Seite. Politiker bezirzten die Bürger mit Versprechungen die genau auf die Bedürfnisse der Bevölkerung abgestimmt waren. Es war paradox, wie sich eine solch intelligente Spezies so belügen lassen konnte ohne es zu merken.
 

Wenn es mir zuviel wurde nahm ich mir Urlaub und flog nach Dansul. Dort besuchte ich mein Zuhause. Doch auch dort hinterließen besonders die Merakinaner immer mehr ihre Spuren. Bis sie es schließlich in eine Stadt umbauten und nur die reichen und wohlhabenden darin wohnen konnten. Es war eine Frechheit und ich rechte mich sehr darüber auf. Aber Samsa beruhigte mich immer wieder, ich solle mich damit abfinden. Mein Zuhause sei nun bei ihm. Er hatte Recht. Aber er war alt und lange würde er nicht mehr zu leben haben. Das fühlte ich. Seine Frau starb und er war wieder am Boden zerstört. Aber er erholte sich recht schnell wieder. Ich unternahm häufig etwas mit ihm.
 

Samsa konfrontierte mich einmal mit meinem Phänomen der ewigen Jugend:

„Was würde ich geben um noch einmal jung zu sein. Immer wenn ich dich sehe erinnere ich mich an meine Jugend. Immer wenn ich in deiner Gegendwart bin habe ich das Gefühl die zeit stehe still, aber gleichzeitig merke, ich wie schnell das Leben doch vorbeigegangen ist.“ Da merkte ich auf unangenehme Weise wie ähnlich ich den Menschen geworden war. Ich hatte fast vergessen wer ich war.

Einige Tage darauf lag Samsa im sterben. Er war nicht krank, oder hatte keinen Unfall. Seine Zeit war gekommen. Er fühlte es. An diesem Tag wollte er nicht aufstehen und nichts essen. Er sagte:

„Unglaublich, ich habe mein Leben lang gearbeitet, nur für diesen Moment. Und genau in diesem Moment ist mir alles scheiß egal.“ Er lachte beherzt. Ich saß die ganze Zeit an seinem Bett. Er sprach den ganzen Tag nichts. Er schlief aber auch nicht. Er hielt die Augen geschlossen. Nach langer Stille wand er seine letzten Worte an mich:

„Ich danke dir, dass du mein Leben so bereichert hast. Ich freue mich auf ein Wiedersehen. Wenn ich Gabriel sehe grüße ich sie von dir.“ Dann schlief er ein. Seine Seele löste sich auf. Sie zerstreute ähnlich wie unsre Körper es tun.
 

Diese Erinnerung ist mir am stärksten in Erinnerung geblieben. Der Tod eines Menschen. Völlig natürlich. Aber ich kann es einfach nichts akzeptieren. Nach seiner Beerdigung habe ich mich von den Nachfahren meiner Freunde verabschiedet und habe mich in die Wüste zurückgezogen. Mehr Verluste will ich nicht erfahren. Fortan friste ich nun mein gefürchtetes, einsames Dasein. Achthundert Jahre ziehen ins Land. Ab und zu kommen Menschen vorbei. Ich verstecke mich nicht, da die meisten glauben ich sei eine Halluzination. Dennoch sprechen sie mich an und ich antworte ihnen. Ich will mich nicht auf lange Gespräche einlassen, so beteuere ich ihnen, einen schattigen Platz aufzusuchen und ihren Wasserbedarf zu stillen, damit sie nicht den Verstand verlieren. Menschen sind schwach.
 

Zudem hat sich ihre Statur etwas verändert in den acht Jahrhunderten. Sie sind größer geworden und weniger Leistungsfähig. Ihre Fahrzeuge gleichen nur noch annähernd denen aus meiner Zeit. Auch die Flugzeuge sind weniger schädlich, aber dafür umso größer und Furcht einflößender geworden. Auch ihre Sprachen haben sich weiterentwickelt und es fällt mir etwas schwer sie zu verstehen – vorausgesetzt welche verirren sich hier her.

Aber eines wird sich nie ändern; der unstillbare Durst nach Wissen. Immer wieder erforschen Menschen die Natur, welche auch stetig im Wandel ist. Wie ihr Durst, so ändere ich mich auch niemals. In der vergangenen Zeit habe ich nicht eine geistige Weiterentwicklung erfahren. Aber ich habe gelernt Menschen als das zu akzeptieren was sie sind. Sie sind noch jung und werden es eventuell auch immer bleiben. Aber es bringt nichts ihnen etwas vorzuwerfen. Also ist es besser man lässt die Vergangenheit ruhen.
 

Eine Besonderheit ist mir widerfahren. Es ist eine erfrischende Abwechslung zum Rest meines bedauerlichen Lebens. Eine Gruppe Forscher erreicht mich und ist somit an ihrem Ziel. Es verwundert mich, aber ich bin neugierig. Ein Mann beginnt zu sprechen:

„Unglaublich! Es gibt ihn tatsächlich!“ Sie kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Ich frage sie was sie zu mir führt. Ich bin der Meinung ich sei in all der Zeit in Vergessenheit geraten. Aber die Gruppe von Forschern belehrt mich eines anderen:

„Es sind alte Sagen aus Dansul überliefert, dass es Engel wirklich gegeben haben soll. Das was heute der Sitz der Global Union ist, war damals die Heimat der besagten Wesen. In Büchern steht geschrieben, dass Forscher von Merakia versucht haben Waffen aus diesen zu erschaffen. Es gab bisher keine beweise. Aber aus Quellen von Einwohnern aus Yeron geht hervor, dass ein letzter Engel überlebt haben soll und dass er sich irgendwo versteckt hält.“ Ob sie vielleicht Gabriels Tagebuch irgendwo gefunden haben? Oder hat Samsa Tagebuch geführt? Wie kann sich so eine Tatsache über so viele Jahrhunderte am Leben erhalten ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren?

„Wie kommt ihr zu den Quellen?“ Verwirrt schauen mich die Leute an.

„Wir fanden sie im Archiv des World-Historicum-Museum in Yeron. Es waren Aufzeichnungen von Wissenschaftlern und Forschern die erhalten blieben. Darunter fielen und einige Aufzeichnungen einer Forscherin auf, die sich besonders detailliert mit dem Prototyp des Experiments befasste.“ Gabriel? Myke? Aber ich traue mich nicht zu fragen. Dafür löchern mich die Forscher mit fragen. Wie lange lebe ich nun schon? Wie liefen einige Geschichten wahrhaftig ab? Was bezweckte die Angels Corporation, wie agierte sie im Untergrund? Ich beantworte alle Fragen. Aber bei einer Frage hielt ich inne:

„Wie genau hat man es geschafft ein Wesen zu klonen welches keine DNA besitzt?“ Ich schweige. Ihre Blicke kleben an mir. Als ich immer noch nichts sage, hakt einer nach:

„Was ist das Geheimnis. Und wie wurden diese Wesen gefügig gemacht?“

„Es reicht.“ Wut kocht in mir auf.

„Eh, was?“

„Es reicht!!“ gebe ich deutlich lauter von mir und schleudere sie mit einem Luftstoß von mir weg. Es wirbelte Sand um mich rum auf und macht die Blasenförmige Ausdehnung des Windes sichtbar. „Ihr wagt es danach zu fragen, ihr niederes Gewürm.“ Von der Panik ergriffen kauern sie vor mir auf dem Wüstensand und einer wimmert:

„Es tut mir Leid.“

„Verschwindet.“ Sie hören aufs Wort, packen ihre Unterlagen und ziehen eilig von dannen.
 

Das Ende ist doch nicht so erfrischend wie ich dachte, doch es ist ein Erlebnis gewesen, das mich wachgerüttelt hat. Ich kenne ihre wahren Beweggründe dieser Fragen nicht, doch möchte ich die dunklen Geheimnisse im Verborgenen lassen. Nun aber erkenne ich, dass meine Arbeit hier getan ist. Es gibt niemanden mehr der mich braucht. Etwas ruft mich. Etwas weit entferntes.

Ich habe immer gedacht so etwas wie ein Schicksal gäbe es nicht. Aber es scheint jedes Lebewesen seinen Teil zum unendlichen lauf der Dinge beizutragen. So auch ich. Mich überkommt die Sehnsucht nach Ferne. Nach weiter Ferne. Etwas wartet auf mich. Und ich will es finden.

Nachdem ich Achthundert Jahre meine Schwingen nicht mehr gespreizt habe, fasse ich den Entschluss, diesen Planeten zu verlassen. Ich folge dem Ruf des Schicksals.



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Kommentare zu dieser Fanfic (64)
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Von: abgemeldet
2010-11-09T16:15:09+00:00 09.11.2010 17:15
aah... >_<
Zero wird so menschlich!
XD

Ich liebe den Anfang des Kapitels. Du beschreibst die Umgebung so wunderschön und detailliert, dass man es sich richtig gut vorstellen kann... und am liebsten selbst dort wäre. <3
Irgendwie tut mir Samsa Leid. T-T obwohl sie sich für ihn entschieden hat. Ich glaub nämlich, dass sie sich zum Schluss für Zero entscheiden wird. Wird sie, oder? Natürlich wird sie das.

Das Kapitel war so traurig. Ich weiß gar nicht, was ich noch dazu sagen soll, ich hab absolut nichts daran auszusetzen. Mir gefällt der plötzliche Knall, der sich schließlich als Feuerwerk entpuppt. :)

Ich freu mich schon auf die nächsten Kapitel!
Du hast mir Lust aufs Schreiben gemacht. Ich glaub, ich werd mich auch wieder mal an etwas versuchen.^-^
viele liebe grüße
hiromi.

Von: abgemeldet
2010-11-09T15:58:21+00:00 09.11.2010 16:58
klingt nach einer Menge Arbeit.
Ich hab das Gefühl dass es schwer für dich war, dieses Kapitel zu schreiben. Es holpert ein wenig, aber ich kann nicht mal sagen, wo. Dafür steckt unheimlich viel darin!

Am Anfang war ich total erstaunt, weil die Alte keine Ahnung mehr davon hatte, dass sie die beiden eingeladen hat. xD
Aber das erweckt sofort die Aufmerksamkeit des Lesers, weil man es nicht erwartet.

Der Blickwinkel ist interessant. Götter (oder Engel) existieren, mischen sich aber nicht ein. Sie leben neben den Menschen, aber nicht mit ihnen. Und vor allem: sie sind sachlich und gefühllos. Und eigentlich auch egoistisch, wenn sie immer darauf Acht geben, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen und nur Dinge tun, die für sie selbst gut sind. Egoismus. Irgendwie ist das eine menschliche Eigenschaft für mich. Sie den Göttern zuzuschreiben fühlt sich verkehrt an. xD

Wie auch immer, das Kapitel ist wundervoll... philosophisch. ;)
ich werd mich gleich ans Nächste machen.
viele liebe grüße
hiromi.
Von: abgemeldet
2010-10-14T21:25:19+00:00 14.10.2010 23:25
Boa, wie gemein!
Weißt du, was ich mir gedacht habe, als die alte Frau aufgetaucht ist? "Oh ja, die kann sicher ganz viel erzählen!!" Ich war so neugierig, dass ich das Kapitel dreimal so schnell gelesen habe, um zu der alten Frau zu kommen. Und was ist? Du musst es ja wieder spannend machen xP
Ich habs natürlich nochmal gelesen. Das Gespräch über die Moral ist interessant. Du lässt eine Meinung durchschimmern, die ich wirklich mag. Und auch vertrete. Das ist einer der Gründe, weswegen mich deine Geschichte sofort angesprochen hat!
Auch die Situation mit den Fischen... einfach unglaublich treffend. <3

Allerdings hab ich auch sinnhafte Kritik. :D
Keine inhaltliche, sondern eine schreib...bezogene. xD Du hast sehr viele Fehler eingebaut, als hättest du es in Hast geschrieben und nicht mehr darübergelesen. Das meiste sind wohl Tippfehler, aber es ist trotzdem schade, weil sie während dem Lesen vom Inhalt ablenken. Ich würde sie ausbessern, dann lässt es sich viel leichter lesen!

Gut, das wars von mir.
Ich bin schon gespannt auf das nächste Kapitel! Ich erwarte mir einiges von der alten Frau! c:

viele liebe grüße
Hiromi.
Von: abgemeldet
2010-09-13T21:11:33+00:00 13.09.2010 23:11
hey c:
schönes Kapitel.
Die Geschichte am Ende ist echt süß. <3
Als ich den Titel des Kapitels gelesen habe, dachte ich "eeeh?? Was soll das denn heißen?"... aber es macht Sinn :D
Das nächste Kapitel möcht ich mir noch aufbehalten, jetzt hab ich schon fast alles nachgelesen. Das heißt, du musst schnell weiterschreiben! ;)
viele liebe grüße
hiromi.
Von: abgemeldet
2010-09-07T08:27:52+00:00 07.09.2010 10:27
T-T irgendwie ist das total traurig!
Jetzt weiß ich, warum du meintest, das Ende des letzten Kapitel ist eigentlich ziemlich fies... oO
Ich mag die Tatsache, dass der Überlebende Zero (ja, ich sag Zero, der Name ist viel einfacher^^) nicht akzeptieren will. Andernfalls wäre es viel zu kitschig gewesen ;)
tolles Kapitel!

viele liebe grüße
hiromi.
Von: abgemeldet
2010-09-05T19:51:16+00:00 05.09.2010 21:51
wow <3
du hast das schloss wie in bildern beschrieben. nicht zu detailreich, aber doch so, dass man es sich vorstellen kann.
Dass du gabriels sauerstoffproblem (das sie ja logischerweise haben muss) zuerst nicht beschrieben hast hat mich skeptisch gemacht, aber als es dann doch vorkam war ich glücklich. c: frag mich nicht warum, es ist eigentlich unlogisch, dass ich bezüglich dieser geschichte auf so etwas halb-realistisches beharre. xD
das ende ist natürlich traumhaft.

viele liebe grüße
hiromi.
Von: abgemeldet
2010-09-05T17:04:55+00:00 05.09.2010 19:04
Hey Tora :D
gooomen nasai T-T ich weiß, ich hab schon ewig... monatelang?... kein Kommentar mehr hinterlassen. Irgendwie wars bei mir hier so stressig... so viele Veränderungen >__<
wie auch immer, dein Kapitel ist toll, das perfekte Kapitel zum Wiedereinsteigen. Außerdem hast du eine wunderbare Spannung hineingebracht!

(Als ich zuerst zu deinen Fanfics kam und den vertrauten Titel der Geschichte nirgends sah war ich richtig enttäuscht... umso glücklicher war ich, als ich entdeckte, dass du bloß den Titel geändert hast - der mir übrigens richtig gut gefällt!)

viele liebe grüße,
hiromi.
Von: abgemeldet
2010-06-06T19:28:08+00:00 06.06.2010 21:28
Tora, Tora, Tora!!!!!
Nach gefühlten 10 Monaten ein neues Kapitel!
Ist mal wieder erfrischend, dass Zero auch positive Gedanken hat ;)
Und im nächsten Kapitel marschieren sie gegen die Wissenschaftler und vernichten sie vollständig aus, ja? :D

Weiter so, Tora, Tora, Tora!
Ich verbleibe als treuer Leser dieser Reihe!
Piep-piep-piep-hat-die-Gab-lieb-Jezal!
Von: abgemeldet
2010-04-25T18:46:25+00:00 25.04.2010 20:46
Tora, Tora, Tora!
Wieder mal ein gelungenes Kapitel!
Gute Idee, dass es doch einen Überlebenden gibt, der sich ihnen anschließen möchte! Mag seine "Charakterzüge" bzw die Tatsache, dass er keine seiner Gefühle zeigt - solche Charakter mag ich^^
Der Kampf ist, im Gegensatz zu deinen alten, echt gut beschrieben, man kann ihn sich bildlich vorstellen. In der Hinsicht hast Du Dich verbessert^^
Weiter so, Tora, Tora, Tora!
Mfg "Sabbert-Gab-an"-Jezal
Von:  YumithelovelessAngel
2010-04-12T14:02:26+00:00 12.04.2010 16:02
also dieses kapitel ist i-wie sehr emotional
ich glaube für zero ist es wirklich komisch das er gefühle hat für menschen
und der schluss hat ihn komplett verwirrt
ich denke auf i-eine art und weise ist er überfordert damit oder hat angst vor dem was passieren könnte ^^
dieses kapitel ist sehr gut und macht einen gespannt auf das was kommt und es klingt alles sehr vielversprechend ^^

hab dich lieb


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