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Der Französischlehrer

Heathcliff St. John's
von

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Prolog

Hallo zusammen!

Eine weitere FF von mir, ich hoffe sie gefällt...

Noch ein Wort an Steph: Ich hab's schon hochgeladen, ich war so hibbelig und wollte dir nicht zu viel zumuten... wenn du Zeit hast, schick ich dir die nächsten Kapitel vorher zum Betan.
 


 

Noch zwei Jahre.

Das bedeutete, nach diesem Jahr nur noch eines – und in dem musste er keine Uniform mehr tragen. Und dieses Jahr wenigstens nicht mehr die hässliche puderblaue Krawatte, die ihn zu den Kleinen degradiert hatte. Nein, dieses Jahr eine Rote.

Diese Krawatten gehörten zur Heathcliffer Schuluniform.

Heathcliff St. John’s, das war das Jungeninternat in das ihn seine Eltern gesteckt hatten, als er elf war.

Oh wie er diese Schule anfangs gehasst hatte! Er mochte sie zwar noch immer nicht, aber man gewöhnte sich an alles. Und wenigstens hatten sie ab diesem Jahr Einzelzimmer, das war ein Vorteil, wenn man in der VI war. Aber so richtig gut wurde es wahrscheinlich erst in der ‚Upper VI’, da lebte man dann mit der Stufe im separaten Gebäude und hatte eigentlich nichts mehr mit der Schule zu tun, außer dass man noch den Unterricht besuchte. Wie herrlich musste das Leben in der ‚Upper VI’ doch sein!

Aber nun war Louis Macheath einmal erst in der Lower VI.

Sein Zimmer hatte er schon bezogen.

Es lag doch tatsächlich perfekt! Er musste nur noch eine Treppe hinauf, dann war er an dem Doppelzimmer, das sein bester Freund mitbewohnte, angelangt.

Dieses Doppelzimmer war etwas Besonderes – zumindest für die Schüler. Die Lage war günstig… Man konnte einfach durch das Fenster aufs Dach aussteigen und dort gemütlich eine Rauchen, was sie schon in den letzten Jahren ständig getan hatten; insofern sie an Zigaretten herankamen, denn erstens durfte man ja erst ab 18 rauchen, was allerdings noch das geringere Problem war, denn die weitaus schwerwiegendere Hürde bestand darin, sich vom Schulgelände zu schleichen und dann zum ‚Beafeater’, dem Lokal fast direkt gegenüber der Schule, zu gehen und sich dort welche zu kaufen, ohne dass einen der Besitzer verpetzte.

An und für sich war es kein Problem, aber sollte man tatsächlich erwischt oder gemeldet werden, so drohte der Schulverweis und deshalb ließen sie es doch lieber bleiben; taten es nur in Notsituationen. Wobei man diese auch auslegen konnte, wie man wollte. Es war schlicht und ergreifend eine sehr subjektive Angelegenheit, sodass es nicht selten vorkam, dass sie in der Woche schon mal bis zu drei oder vier Notsituationen hatten.

Louis saß auf seinem Bett, schon gerichtet zum Schlafengehen, den Laptop auf seinem Schoß und sah sich einen Film im Internet an.

Danach würde er noch einmal seine Mitteilungen im Schulinternen Nachrichtennetzwerk aufrufen, nur um sicher zu gehen, und anschließend schlafen gehen.
 

Am nächsten Morgen stand natürlich erst einmal das Frühstück auf dem Tagesplan: Für die Lower VI um zirka sieben Uhr vierzig, dann wurde nämlich die Schüler der unteren Stufe von den Lehrern hinausgeschickt, damit genug Tische frei waren.

Louis nahm sich dasselbe wie an jedem Morgen: Cornflakes mit einem gehäuften Esslöffel Zucker in der Milch, Schwarztee und Toast mit Marmade.

Das Rührei rührte er hier gar nicht erst an, weil es ja doch nicht gesalzt war, schließlich hatte die Schulschwester Salz ja für so ungesund befunden – aber die riesige Zuckerschüssel bei den Cornflakes! Nun, bei der Bulimierate machte das auch nichts mehr aus…

Ihm war das alles relativ egal. Er schlang sein Frühstück hinunter, meldete sich bei den Lehrern ab und verschwand dann wieder in Richtung Zimmer.
 

Auf halbem Weg holte ihn sein Freund Richard ein. Er kaute noch auf einem Teil seines Frühstückstoasts herum, weswegen er den Gruß Louis’ nicht erwiderte, sondern nur mit fragendem Blick nach oben nickte und die Gestik machte, als führe er eine Zigarette zum Mund. Louis nickte nur und sagte dann: „Ich muss aber noch kurz meine Kippen aus meinem Zimmer holen.“

„Liegt ja auf dem Weg“, grinste Richard, der inzwischen runtergeschluckt hatte.
 

Es war jedes Mal aufs Neue eine Tortur sich in der steifen Schuluniform durch das enge Fenster zu quetschen. Draußen waren sie nicht die Einzigen. Richards Mitbewohner und noch zwei Andere waren schon hier und begrüßten sie erst einmal.

Sie ließen sich an den gegenüberliegenden Dachschrägen nieder, zum Glück war es trocken, und Louis maulte erst einmal, als er sich seine Kippe anzündete und das Feuer dann an Richard weiterreichte: „Ich hasse diese Drecksuniformen! So was von unbequem! Und ich hasse mein Haus! Warum muss ich ausgerechnet in Orwell sein? Da sind doch nur die totalen Spasten!“

„Na dann passt du ja rein“, lachte Richard amüsiert, fing sich dadurch allerdings lediglich einen entnervten Blick Louis’ ein.

Natürlich hatte Louis darauf geachtet, dass niemand aus seinem Haus da war; Richard war in Thoreau, dessen Zimmernachbar in Ravel und die beiden Anderen in Twain.

Sie trugen alle Anstecker mit den Hauswappen auf den Marineblauen Pullovern, einige Zentimeter unter der Spitze des V-Kragens angebracht.

„Hey, habt ihr schon mitbekommen, dass wir einen neuen Lehrer haben?“, kam es nun von einem der Beiden, die bei ihnen saßen.

Louis gab sich unbeeindruckt, lehnte sich zurück und gähnte: „Na und? Ist mir doch egal, den werd ich wahrscheinlich eh nicht haben, ist doch auch total unwichtig!“

„Jaja, rede nur, Lou, rede nur… Was unterrichtet er denn?“, schaltete sich nun Richard ein.

„Französisch soweit ich mitbekommen habe.“

„Französisch?“ Nun war Louis doch nicht mehr so ruhig. „So ein Mist! Glaubt ihr, wir haben den dieses Jahr? Ich dachte, wir hätten wieder Madame Deloge; verdammt! Hätte ich gewusst, dass ich sie nicht wieder krieg hätte ich etwas Anderes gewählt, bei ihr war’s ja immer so schrecklich leicht…“

„Keine Ahnung, ob du ihn hast, möglich wär’s auf jeden Fall, aber das wird der Direktor wahrscheinlich noch sagen“, versetzte wieder der Sprecher von zuvor, woraufhin Louis grummelte: „Na super, wir haben ja noch Versammlung! Das hatte ich ganz vergessen, sonst hätte ich jetzt nämlich erstmal zwei Freistunden gehabt.“

„Wir müssen sowieso erst mal zum Tutor und dann zur Andacht, also wirst du die Versammlung auch noch überleben“, meinte Richard und drückte seine Zigarette aus, warf sie dann hinter das nächste Dach – im letzten Jahr hatte ein Erzieher sie mal in Verdacht gehabt, weil so viele Kippen dagelegen hatten.
 

Um kurz vor halb neun sprühten sie sich mit Deo ein, aßen ein Pfefferminz und machten sich auf in das vorgeschriebene Zimmer, um sich beim Tutor als Anwesend zu melden und dann in die Kapelle zu gehen.

Es lief eigentlich ab wie bei jeder Andacht, die Schüler setzten sich in die Bänke, der Kaplan betrat die Kapelle, alle standen auf, es wurde ein Lied gesungen, man setzte sich, ein Gebet wurde gesprochen, und so weiter; das Übliche eben. Für gewöhnlich gab es die Morgenandachten nur dienstags, mittwochs und donnerstags – sonntags natürlich einen Gottesdienst – aber zu besonderen Anlässen fand man sich auch zu anderen Terminen zusammen.

Louis versuchte unbemerkt einen Blick auf die Lehrer zu werfen; er wollte unbedingt diesen neuen Französischlehrer sehen. Er wusste, dass der Direktor ihn bei der Versammlung vorstellen würde, aber warum so lange warten?

Als ein Gebet angekündigt wurde, lehnte er sich, so wie die meisten Schüler nach vorne, legte die Unterarme über Kreuz auf die Rückenlehne der Vorderbank und stützte seine Stirn auf diese.

„He, psst, Richard“, flüsterte er und stupste seinen Nebensitzer vorsichtig mit dem Ellenbogen an. „Hast du ihn schon entdeckt? Weißt du, wo er sitzt?“

„Nein; keine Ahnung und nun sei still“, flüsterte der zurück.

Innerlich seufzte Louis.

Natürlich.

Er hatte vergessen, dass Richard diese Andachten immer furchtbar ernst nahm und es jedem verübelte, der ihn währenddessen störte.

Als das Gebet beendet war, beschlossen sie es mit einem kollektiven Amen und wurden dann gebeten sich zu erheben.

Louis sprang schon fast auf. Es war die perfekte Gelegenheit vielleicht doch noch einen Blick auf den Lehrer zu ergattern, solange sich die anderen noch schwermütig erhoben. Aber er sollte erneut kein Glück haben. Etwas enttäuscht ließ er seinen Blick auf seinen linken Sitznachbarn gleiten. Vielleicht konnte der ihm weiterhelfen, zumindest weiter als Richard, dieser Religionsfanatiker!

Allerdings hatte er dessen Gesicht noch nie gesehen. Wahrscheinlich ein Neuer.

Hier wechselten die Schüler oft, weil auch sehr oft Austauschschüler aus anderen Ländern kamen, die einfach ein Jahr hier zur Schule gingen.

Er hob die Augenbrauen und musterte den Neuen herablassend, ohne dass dieser jedoch etwas davon mitbekam.

Er fragte sich, woher der wohl war. Deutschland? Die Jungen aus St. Blasien oder Kloster Ettal waren fast schon berühmt berüchtigt, die Deutschen waren ohnehin immer sehr interessante Genossen.

Aber wie ein Deutscher sah er kaum aus. Dafür hatte er zu feine Züge und seine Haut war zu blass. Außerdem war er nicht blond. Und als Nazi konnte er sich den allemal nicht vorstellen.

Vielleicht Italiener? Das wäre mal etwas Neues hier… aber dafür war er zu groß.

Vielleicht ja Pakistani oder Inder oder dergleichen, wobei seine Haut dafür definitiv zu hell war. Engländer war er auf keinen Fall, das sah man ihm auf den ersten Blick an. Spanier mit Gewissheit auch nicht.

Eventuell kam er auch aus dem Norden; Finnland, Schweden die Ecke. Aber waren die nicht auch alle blond?

Eigentlich war es ihm aber auch egal. Wenn der Schüler neu war, würde er ihm wohl kaum sagen können, welcher Lehrer neu war.

So seufzte er nur unvernehmlich und setzte sich wieder, als das nächste Lied gesungen wurde.
 

Als die Kirche endlich aus war, machten sie sich auf den Weg in die große Halle vor dem Essensraum, wo sämtliche Versammlungen stattfanden.

Am Anfang natürlich das übliche Gelaber des Direktors Mr. Favell, aber dann kam er endlich zu dem Teil in dem die neuen Lehrer vorgestellt wurden.

„Wir haben dieses Jahr einen neuen Lehrer. Er unterrichtet Französisch und ist selbst in Frankreich geboren worden und dort aufgewachsen. Ich bitte Sie Mister Olivier Nemours zu begrüßen.“ Verhaltener Applaus klang auf. „Mister Nemours, wollen sie selbst auch noch einige Sätze sagen?“

Und nun löste sich jemand aus der Lehrerschaft. Er war nicht viel größer als die meisten Oberstufenschüler, schlank, hatte eine blasse Haut, auf der rechten Wange ein Muttermal, was ja auch modisch beschönigend als Schönheitsfleck bezeichnet wurde, und sein Haar war schwarz, lockig und zerzaust. Aber es waren nicht diese minimalistischen Kringellocken, es waren große, gediegen wirkende Locken; bei der Haarlänge allerdings treffender als Wellen bezeichnet. Und er sah jung aus. Mehr wie ein Schüler. Wie der Schüler, der in der Kapelle neben Louis gesessen hatte.

Dieser legte das Gesicht in die Handfläche seiner Linken.

Der Jungspund da vorne sollte ihnen irgendwas beibringen? Der war ja wohl kaum älter als er selbst! Na das konnte heiter werden.

Nemours begann zu sprechen. Louis hörte nicht, was er sagte, er hatte komplett auf Durchzug gestellt, doch bemerkte er wohl, dass der Kerl wohl tatsächlich Französisch zur Muttersprache hatte, denn der Akzent ließ sich nicht leugnen, auch wenn er nicht so ausgeprägt war wie bei den meisten Franzosen – die verstand man schließlich kaum.

Sein Gesicht war schmal und lang, die Nase groß, aber nicht im Überdimensionalen Bereich, sie passte zu ihm, die Lippen dünn und dennoch mit einem Schwung, den man in früheren Zeiten wohl aristokratisch genannt hätte. Unter den Augen zeichneten sich leichte Ringe ab, was seinen Blick noch typisch französischer machte, jener ausdruckslose und doch tief emotionale und depressive, melancholische Blick, den jeder Franzose zu beherrschen schien; der Widerspruch in sich, aber die Franzosen schafften es offensichtlich das zu vereinen.

Das Muttermal lag unter dem Wangenknochen, mehr zum Ohr hin und bei genauerem Hinsehen erkannte Louis, dass das nicht der einzige war: direkt auf dem rechten Wangenknochen, ungefähr bei der Mitte des Auges, war noch ein kleineres; auf Höhe des Mundwinkels, in der Mitte der beiden anderen noch ein drittes, fast nicht existentes und noch eines am Kieferknochen beim Übergang zum Hals, fast direkt unter dem prägnantesten, außerdem noch zwei am Hals.

Natürlich war er Franzose. Warum war Louis nur nicht darauf gekommen? Er hatte all jenes, was einen Franzosen ausmachte, bis auf Baguette unterm Arm und Baskenmütze auf dem Kopf, verstand sich.

Französisch hatte er allerdings erst am Dienstag, heute beschränkte sich sein Stundenplan auf Geschichte, Mathe und Sport.

Vier Fächer hatten sie Wählen müssen und Louis hatte sich für Englische Literatur, Geschichte & Politik, Mathe und Französisch entschieden, als Sport hatte er Tennis gewählt, so wie jedes Jahr.

Louis beobachtete Nemours, wie er vom Podium schritt und sich wieder zu den anderen Lehrern stellte. Und erneut stellte er fest, dass er mehr einem Schüler als einem Lehrer glich. Keine Falten im Gesicht, der Kleidungsstil nicht so altbacken.

Warum war ihm eigentlich zuvor nicht aufgefallen, dass er keine Schuluniform trug?

Wahrscheinlich, weil er in denselben Farben gekleidet war, das Sakko, das er trug war ebenso blau wie die Schulpullis und dass seine Hose nicht schwarz war, war im Sitzen kaum aufgefallen, außerdem hatte Louis mehr auf das Gesicht geachtet.

Sein Französischlehrer also.
 

Danke sehr für's Lesen =)

Hallo!

Ich freue mich, dass der Prolog schon so viel Anklang gefunden hat und möchte mich bei allen für die netten Kommentare bedanken =)

Und nun wünsche ich euch viel Spaß bei Französisch... äh, dem Kapitel...
 


 

Sein zweiter Unterrichtstag begann mit Französisch um viertel vor neun. Und dann auch noch eine Doppelstunde, demnach musste er diesen Nemours eine Stunde und zehn Minuten ertragen.

Und danach ’ne Doppelstunde Englisch. Bei Mrs. Russel. Na super!

Sie hatten in L2 Unterricht, also im Erdgeschoss, wenigstens musste man von der Kapelle aus nicht weit laufen: nur zwei Flure entlang.

Es waren erstaunlich viele in Französisch, insgesamt zwölf Schüler. Vielleicht kam er ja dadurch seltener dran, das wäre ein Vorteil.

Nemours kam zu spät. Ganze drei Minuten später kam er hereingestürzt und sagte: „Bonjour, les élèves, excusez mon…“

„Könnten Sie bitte englisch mit uns reden? Wir verstehen kein Wort!“, kam es von einem, der weiter hinten saß. Louis verdrehte die Augen und seufzte innerlich; mit was für Dilettanten er doch im Kurs war!

Nemours hingegen, der eben noch geschäftig seine Materialen aus seiner Tasche geräumt hatte, sah nun etwas irritiert auf und entgegnete: „Was soll das heißen, ihr versteht mich nicht? Ich habe doch weder besonders schnell, noch undeutlich gesprochen oder irre ich mich da?“

„Weder noch, Mister Nemours, Ray ist einfach nur unterbelichtet und hat keine Ahnung von gar nichts“, gab Louis bissig von sich. Richard, der neben ihm saß, stieß ihn auf diesen Kommentar hin mahnend mit dem Ellenbogen gegen den Arm, doch Nemours hob nur die Augenbrauen und fragte: „Und wie war dein Name noch gleich?“

„Louis Macheath, Sir“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Der Lehrer hatte sich zum SMARTboard umgewandt und das Schreibprogramm geöffnet. Er schrieb Louis’ Namen auf und fragte: „So?“

Der Gefragte nickte und bejahte, als er überprüft hatte, dass der Name richtig geschrieben war. Nun entfernte Nemours den Nachnamen, schrieb stattdessen die Buchstaben „XIV“ hinter den Vornamen, dann drehte er sich wieder zu der Klasse um, sah Louis in die Augen.

„Und weißt du, wer das war?“

„Der erste absolutistische König. Der französische Sonnenkönig“, antwortete Louis gelangweilt.

„Sehr richtig. Mit den Lebensdaten möchte ich euch nun nicht peinigen, ich muss auch gestehen, dass ich sie selbst nicht genau im Kopf habe. Aber wisst ihr noch, welcher berühmte Ausspruch von ihm stammt?“

„L’État, c’est moi.“

„Ich bin beeindruckt von deinem großen Wissen über die französische Geschichte, Louis, aber willst du den Anderen nicht auch eine Chance lassen?“ Der Angesprochene zuckte nur mit den Achseln und murmelte: „Die haben doch eh keine Ahnung davon.“

Er war sich sicher, dass Nemours ihn ganz genau verstanden hatte, doch der überging den Kommentar schlichtweg und schrieb nun das Zitat an das SMARTboard.

„Wer kann es mir übersetzen?“, fragte er an den Rest der Klasse gewandt.

„Ich bin der Staat“, kam es nun von Richard. Den hatte Louis fast schon vergessen. Gut, dann musste er seine abfällige Bemerkung wohl zurücknehmen, oder zumindest Richard davon ausnehmen.

„Und dein Name war?“

„Richard McCreeby, Sir.“

„Ich danke dir, Richard.“ Erneut drehte er sich zum SMARTboard um und schrieb die Übersetzung unter das Zitat. Dann scrollte er wieder nach oben zu Louis Namen. Er radierte die Römische 14 und schrieb stattdessen „XVI“.

„Und wer kann mir sagen wer das war?“

„Ludwig der 16.“ Ein Junge aus der zweiten Reihe, er hieß Mortimer.

„Und kannst du mir auch etwas zu seiner Person sagen?“, bohrte Nemours nach. Doch der Zweitreiher zuckte nur mit den Achseln.

Was für ein Vollidiot! Schoss es Louis durch den Kopf.

„Hat sonst jemand eine Ahnung?“, fragte der Lehrer den Rest der Klasse, doch er bekam nichts zurück als unwissendes Gemurmel.

Und Nemours war auch ein Trottel. Es war ja schon erstaunlich genug, dass dieser Banause Mortimer römische Zahlen lesen konnte. Was erwartete der Lehrer denn von dieser unterbelichteten Klasse? Louis rollte mit den Augen.

„Hat denn wirklich keiner eine Ahnung?“ Ja, ein klein wenig Verzweiflung klang in seiner Stimme mit.

„Sie haben mir ja Schweigen geboten, Mister Nemours, andernfalls könnte ich Ihnen nun antworten“, murmelte Louis, natürlich so, dass der Lehrer ihn verstehen konnte.

„Also bitte, Louis, was kannst du mir zu Louis XVI erzählen?“

„Ebenfalls ein absolutistischer König, Sir“, begann er zu erklären und gerade als Nemours Luft holte, um ihn zu korrigieren, sprach er weiter: „Zumindest zu beginn seiner Amtszeit. Er war mit der österreichischen Marie-Antoinette verheiratet, sie war nicht nur die Königin Frankreichs, sondern auch die der Verschwendung. Aber das Volk litt und der Revolutionsgedanke kam auf. Schließlich kam es zu dieser.

Anfangs befürwortet der König noch alles, auch den Beschluss zur Konstitutionellen Monarchie; er wird gezwungen von Versailles nach Paris zu ziehen. Doch er flieht und wird bei der Grenze zu Österreich geschnappt, woraufhin das Volk seinen Tod will. Er wird guillotiniert.“

„Ich bin beeindruckt“, entgegnete Nemours. „Weshalb weißt du das alles?“

„Allgemeinbildung.“ Louis zuckte mit den Achseln. Er wusste, dass er bei den meisten seiner Mitschüler als Überheblich galt, aber es war ihm ehrlich gesagt vollkommen gleich, vielleicht lag das ja sogar an seiner Überheblichkeit.

„Na wenn du das meinst.“ Es war unmöglich Nemours Meinung aus seinen Gesichtszügen abzulesen, oder am Tonfall seiner Stimme, alles wirkte absolut neutral.

Es verunsicherte Louis, auch wenn er es ungern zugab, doch als Nemours sich daraufhin umdrehte, biss er sich unbewusst auf die Unterlippe.

Der Franzose fügte ein neues Blatt ein und scrollte darauf, nun schrieb er seinen Namen auf. „Olivier Nemours“. Anschließend drehte er sich zur Klasse um und sagte: „Nun genug der Geschichtsstunde, schließlich sind wir hier in Französisch. Das ist mein Name, für alle jene, die ihn vergessen haben sollten. Dieses Jahr bin ich euer Französischlehrer. Jetzt wollte ich euch eigentlich die Ordner und Bücher austeilen, aber ich habe sie, wie ihr sehen könnt,

schlichtweg vergessen. Louis Macheath, deinen Namen kann ich mir merken, komm doch schnell mit mir zum Lehrerzimmer und hilf mir beim Tragen. Ihr anderen seid bitte leise.“
 

Louis hatte sich kommentarlos erhoben und war dem Lehrer ebenso wortlos durch die Türe gefolgt.

„Seit wann bist du hier auf der Schule, Louis?“, fragte Nemours nach einigen Metern. Louis, der neben ihm ging, spürte den Blick auf sich und entgegnete: „Seit sechs Jahren, Sir.“

„Und gefällt es dir gut hier?“

„Ansichtssache.“ Er schielte zu Nemours, um dessen Reaktion mitzubekommen, doch er wurde enttäuscht, seine Mimik blieb die Gleiche und er sagte lediglich: „Eine sehr diplomatische Antwort; komm nur mit hinein.“

Sie waren vor dem Lehrerzimmer angekommen, neben dessen Tür ein Schild angebracht war, auf dem „Staff Rooms“ stand.

Louis ging Nemours hinterher, als würde er hier täglich ein- und ausgehen, obgleich er das erste Mal im Lehrerzimmer war. Hier waren einige Schreibtische in der Mitte mit Stühlen zusammengestellt, in einer Ecke stand ein Sofa mit Couchtisch, daneben die Kaffeemaschine mit Tassen in einem Regal und neben der Maschine ein Waschbecken, allerdings stapelten sich auf dem Abtropfgitter schon die ungespülten Tassen. Auch einige Pflanzen waren auszumachen.

„Kommst du, Louis?“, wurde er von Nemours aus den Gedanken gerissen. Es nervte ihn, dass der Kerl seinen Namen immer französisch aussprach, deshalb brummte er: „Louis, Sir, mit ‚S’ am Ende und langem ‚U’. Ich sage ja auch nicht Nemoursss…“ Er sprach es übertrieben englisch aus und der Franzose drehte sich etwas erstaunt zu ihm um.

„Oh, tut mir leid, Louis, anscheinend denke ich noch zu sehr französisch.“

„Ist okay.“

Sie waren durch eine Tür am Ende des Raumes gegangen.

Hier wollte sich Louis gar nicht mehr so genau umsehen, schon das Vorherige Zimmer hatte ihn frustriert, wenn man bedachte, wie ihre Internatszimmer aussahen. Er folgte einfach Nemours zu dessen Fach, nahm den Stapel gelber Ringbuchordner entgegen und drehte sich dann wortlos um, ging wieder hinaus und in Richtung Klassenzimmer.

Auf das Geheiß des Lehrers hin teilte er die Ordner auch aus und setzte sich dann, während der die Bücher austeilte und danach Blätter durchgehen ließ.

„Ich möchte, dass ihr mir aufschreibt, auf Französisch natürlich, was ihr in den Ferien erlebt und gemacht habt.“ Er schrieb den Arbeitsauftrag auch noch auf Französisch auf das SMARTboard und setzte sich dann ans Pult.
 

„Was hältst du von ihm?“, fragte ihn Richard, als sie nach der Doppelstunde den Flur zusammen entlanggingen. Sie mussten beide nach oben; Louis hatte Englisch in E1, Richard Photographie in PHO.

„Keine Ahnung, was ich von ihm halten soll, er ist anders als die anderen Lehrer“, gab Louis Achselzuckend von sich. „Wieso?“

„Einfach so. Ich finde ihn interessant, gerade weil er mal anders ist als der Rest der Lehrerschaft. Was meinst du? Ob er in Frankreich wohl beliebt bei den Frauen war? Schlecht sieht er schließlich nicht aus.“ Erneut zuckte Louis mit den Achseln. Es interessierte ihn nicht. „Bist ja heute wieder sehr gesprächig“, maulte Richard daraufhin, doch Louis erwiderte: „Nur genervt von unserem wahnsinnig dummen Französischkurs. Was macht das denn für einen Eindruck, wenn die so unterbelichtet sind? Als wären wir Briten total verblödet!“

„Ich bin mir sicher, dass er das nicht denkt. Und es kann nun mal nicht jeder so gut in Französisch sein wie du, es haben schließlich auch nicht alle französische Großeltern.“

„Als hätte das etwas damit zu tun. So oft war ich nun auch wieder nicht bei meinen Großeltern“, erwiderte Louis genervt und sein Gegenüber grinste nur, bevor er weiterging: „Natürlich, auch das liegt nur an deiner dir angeborenen Intelligenz.“ Und damit ging er weiter den Flur im ersten Stock entlang, während Louis in E1 ging, jedoch nicht ohne seinem Freund noch hinterher zu rufen: „Woran sonst?“
 


 

Ich hoffe es hat euch gefallen und bedanke mich, dass ihr das Kapitel gelesen habt.

LG, Terrormopf

Hallo =)

Danke sehr wieder für eure lieben Kommentare und keine Sorge, es geht schnell weiter. Denn wenn alles läuft wie geplant, dann kommt jeden Sonntag ein Kapitel.

Es freut mich, dass es euch gefällt.

Und nun viel Spaß beim dritten Kapitel!
 


 

Fünf Minuten vor halb drei.

Es klingelte.

Heute war Nemours schon vor ihnen im Klassenzimmer gewesen.

Hausaufgaben hatten sie in der letzten Stunde nicht aufbekommen, aber Louis hatte es im Gespür, dass sich das heute ändern würde.

Der Lehrer grüßte die Klasse und begann zu sprechen; auf Französisch natürlich, doch schon nach einigen Sätzen stöhnte einer: „Bitte, Sir, wir verstehen kein Wort!“ Natürlich war es derselbe wie in der letzten Stunde. Louis gab diesmal keinen Kommentar von sich, das würde ab jetzt wohl jede Stunde so laufen. Er hatte das Kinn in die Handfläche gestützt, den Ellenbogen auf den Tisch gestellt.

„Aber deshalb seid ihr doch hier“, war diesmal die Antwort Nemours.

„Dass wir nichts verstehen?“ Die dumme Frage des dummen Stöhners.

„Nein, aber damit ihr Französisch lernt und wie könnte man eine Sprache besser lernen als durch Praxis?“ Er stand vor der Klasse, die Hände in den Hosentaschen und sah vom Einen zum anderen Gesicht. „Nun, wenn ihr diese Praxis nicht wünscht, dann werden wir wohl fürs Erste ein paar unregelmäßige Verben konjugieren.“

Nun stöhnte die ganze Klasse; bis auf Louis und Richard, letzterer sah nur abwesend auf den Lehrer und Louis wusste ganz genau, dass das die Strafe für diese dämliche Bemerkung war. Dass er es nun unter anderen ausbaden musste, passte ihm zwar ganz und gar nicht, aber bei dem Lehrer sah er wenig Sinn im Diskutieren.

Also fand er sich damit ab.
 

Es wurde die gesamte Doppelstunde nicht besser. Nur Theorie; Grammatik, Konjugation, Vokabeln an sich.

Und dann, wie Louis es erwartet hatte, bekamen sie einen Aufsatz zu einem Thema aus dem Buch auf. Nemours hatte dazu nur gesagt, dass er das eigentlich in der Stunde mit ihnen hatte machen wollen, doch ob des Genörgels hatte er kurzfristig umdisponiert.

Wenigstens hatten sie am nächsten Tag kein Französisch.

Er und Richard packten in aller Ruhe ihre Sachen zusammen, sie hatten jetzt keinen Unterricht mehr. Ob sie zum Tee gingen, würden sie später entscheiden.

Sie waren neben Nemours die letzten im Zimmer und gerade wollten sie gehen, da sagte Nemours: „Ah, Louis, auf ein Wort noch.“ Etwas verwundert drehte sich der Junge zu seinem Lehrer um, Richard blieb neben ihm stehen.

„Ja?“, fragte er gedehnt und etwas Unsicherheit schwang in seiner Stimme mit. Für gewöhnlich konnte er das Verhalten der Menschen berechnen, aber das war jetzt vollkommen unerwartet geschehen.

„Du solltest etwas weniger Deo benutzen, es fällt auf, außerdem halten Kaugummis länger vor als Pfefferminz.“ Damit setzte er sich an sein Pult und öffnete seinen Notizkalender.

„Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was Sie…“, setzte er an, doch Nemours unterbrach ihn in aller Seelenruhe: „Oh, ich befürchte, du verstehst ganz genau. Ach und falls ihr beide Hilfe bei euren Aufsätzen braucht, könnt ihr natürlich jederzeit zu mir kommen.“

Etwas irritiert verließ Louis das Klassenzimmer, Richard ihm hinterher.

„Worauf hat er denn angespielt?“, fragte Richard und Louis hatte in seinem etwas verwirrten Zustand im ersten Moment Probleme die Ironie herauszuhören. Bisher hatte noch kein Lehrer bemerkt, dass er rauchte und das war immerhin sein drittes Jahr als Raucher hier und der Typ war noch nicht einmal eine Woche da!

Was sollte er nun davon halten?

„He, Lou! Ist was? Glaubst du, er verpfeift uns?“ Nun schwang Zweifel in Richards Stimme mit.

„Als hätte er es uns gesagt, wenn er uns verpfeifen wollte. Er will es wahrscheinlich gar nicht wissen.“

„Bist du dir sicher?“

„Ich brauch ne Kippe!“ Damit beschleunigte er sein Tempo, lief durch den Speisesaal, durch die Hintertür wieder hinaus und dann die Treppen und Gänge entlang, bis er an seinem Zimmer angelangte. Richard eilte ihm verhalten lachend hinterher.

„Das ist wieder typisch für dich“, lächelte er. Er hatte es sich auf dem Bett bequem gemacht, während Louis sich seiner Schuluniform entledigte und in gemütliche Sachen schlüpfte, was so viel hieß, wie Jogginghose, T-Shirt und weiter Kapuzenpulli. In die Vordertasche steckte er die Zigarettenpackung, in der er auch stets sein Feuer hatte, auf der groß und breit „Smoking kills“ zu lesen stand und wandte sich dann an seinen Freund: „Wieso typisch?“

„Nemours hat dich gerade subtil darauf hingewiesen, dass er es weiß und deine Reaktion darauf ist: Erst einmal eine Rauchen. Das ist typisch.“

„Aha.“ Er öffnete die Tür und ging hinaus, dann die beiden Treppenabsätze nach oben und öffnete die Tür.
 

Richard nervte ihn manchmal wirklich unglaublich.

Es waren die Momente in denen er übermäßig viel redete, in denen er übermäßig aktiv war und in denen er einfach nur wahnsinnig begriffsstutzig war.

Sie hatten beschlossen den Französischaufsatz gemeinsam zu bestreiten, doch schon nach kurzer Zeit blieb Richard stecken und sämtliche Bemühungen Louis’ ihm zu helfen schlugen fehl und ständig pochte er darauf zu Nemours zu gehen. Und schließlich erklärte Louis sich dann genervt dazu bereit und auch dazu ihn zu begleiten. So schnappte sich Richard seinen Laptop und ging ins Schulinterne Nachrichtensystem.

Er suchte nach der Adresse von Nemours und als er fündig geworden war, brauchte er schon fast eine viertel Stunde, um die paar Zeilen zu verfassen: „Sehr geehrter Monsieur“ – Richard hatte darauf bestanden, schließlich war er ja ihr Französischlehrer – „Nemours, Louis und ich bräuchten Ihre Hilfe bei dem Aufsatz, hätten Sie noch Zeit für uns? – Richard McCreeby“

Louis widerstrebte es, sich noch so mit diesem Lehrer zu treffen. Es war seltsam, irgendwie versuchte er tunlichst auf Abstand zu kommen, doch je mehr er es versuchte, desto näher kam er an den Lehrer heran.

Es dauerte keine zehn Minuten, da kam eine Nachricht zurück, dass sie sich ja jetzt gleich in L2 treffen konnten, schließlich war der Unterricht ja schon vorbei und dadurch das Klassenzimmer nicht benutzt.

Louis nahm den Laptop kurzerhand an sich, tippte eine schnelle Antwort und schickte sie ab, bevor Richard überhaupt noch ein Veto einlegen konnte.

Er packte wortlos seine Sachen zusammen und wartete dann auf Richard, der bedeutend länger brauchte, weil ihm ständig die Hälfte der Sachen wieder runter fiel. Louis zog nur eine Augenbraue hoch, er wusste nicht recht, was dieses Verhalten zu bedeuten hatte, doch ehrlich gesagt, war es ihm gleich; er hatte ohnehin keine Lust den Lehrer all zu lange zu sehen.
 

Als sie beim Klassenzimmer ankamen, fanden sie die Tür geöffnet vor. Nemours stand mit dem Rücken zu ihnen am Fenster und sah hinaus; es war bewölkt und auch als sie ihre Sachen auf den Tischen direkt vorm Lehrerpult ablegten, schien er sie nicht wahrzunehmen.

Die beiden Jungen warfen sich einen skeptischen Blick zu, bis Louis das Wort ergriff: „Mister Nemours? Können wir anfangen?“

Im ersten Moment zeigte der Angesprochene keine Reaktion. Er hatte weiterhin die Hände in den Hosentaschen und starrte aus dem Fenster, aber gerade wollte Louis erneut ansetzen, da drehte er sich doch um und entgegnete: „Wenn ihr soweit seid, gerne.“

In dem schalen Licht wirkte er noch blasser und nun auch irgendwie krank.

Es war Louis aus irgendeinem Grund unangenehm Nemours so zu sehen, so ging er rasch zum Lichtschalter und erhellte das Klassenzimmer somit.

„Es wird wohl gleich anfangen zu regnen, nicht?“, stellte Nemours, noch immer etwas abwesend fest und sah dabei Richard an. Der schien etwas in sich zusammenzusinken, bevor er antwortete: „Sehr wahrscheinlich, Sir, ja.“

„Also, wobei brauchen Sie Hilfe?“, fragte nun Nemours unverblümt. Louis war das nur recht. Je weniger Zeit er mit diesem Lehrer verbringen musste, umso besser.
 

Die Atmosphäre war seltsam. Etwas zwischen ausgelassen und angespannt, aber sie berührte in keinster Weise die Grenzwerte.

Als sie wieder in Richtung Zimmer gingen, sah Louis auf seine Uhr; es erstaunte ihn. Sie waren lange beieinander gesessen, länger als es ihm vorgekommen war. Nemours war ein Typ Mensch, der ihm so noch nie begegnet war. Einerseits zog er ihn an, aber andererseits fand er den Mann abstoßend.

Der Franzose lächelte nie. Zumindest hatte Louis ihn nie lächeln sehen. Er schien ein nachdenklicher Mensch zu sein, ein Denker mit Hang zum Pessimismus und dann dieser Ausdruck in den Augen!

Diese alles sagende Leere in ihnen, es war wie ein Reiz immer wieder hineinzusehen, um doch wenigstens etwas darin zu finden. Wobei man dennoch tausend Gedanken hinter ihnen erahnen konnte.

Louis wusste, wie paradox das war, aber er bezweifelte, dass Nemours das bewusst war.

Richard, der neben ihm ging, hüllte sich ebenfalls in Schweigen. Erst als er Louis fragte, ob sie eine zusammen rauchen wollten, brach er die Stille zwischen ihnen. Der Gefragte nickte und griff prüfend in seine Vordertasche des Pullis, ob seine Kippen noch immer an Ort und Stelle waren.

Als sie aus dem Fenster kletterten, waren auch noch, wie fast immer, andere hier. Es nieselte leicht, so dass Louis seine Kapuze überzog.

„Wo wart ihr denn die ganze Zeit?“, kam sofort die Frage von einem.

„Bei Nemours, das hatten wir dir doch gesagt, Roger“, entgegnete Louis gelassen und zündete sich seine Zigarette an, inhalierte den Rauch. Roger war Richards Zimmermitbewohner, er war ebenfalls hier draußen.

„So lange? Ich dachte, ihr würdet vielleicht höchstens eine halbe Stunde brauchen; aber zwei? Was habt ihr denn mit dem die ganze Zeit getrieben? Wär’s die Deloge gewesen, hätte ich es mir ja denken können, aber Nemours…“

„Er hat uns mit unseren Aufsätzen geholfen.“ Louis zuckte nur mit den Achseln. Doch als er seinen Blick zu Richard wandte, der affektiert abwesend in den Himmel starrte, entging ihm nicht, dass sich dessen Ohren rot gefärbt hatten.

Nun, für den Rest der Runde war das Thema gegessen, sie wussten im Übrigen auch, dass es kaum Sinn ergab mit Louis über irgendwas zu diskutieren, denn entweder hatte er die besseren Argumente, oder er stellte sich taub und stumm. Er selbst hatte mit dem Thema Nemours allerdings noch längst nicht abgeschlossen und besonders was in den letzten Tagen mit Richard vor sich ging irritierte ihn zusätzlich. Was hatte der Junge nur?
 


 

Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und keine Sorge, bald kommt auch ein bisschen Äktschen rein =D

LG, Terrormopf

Das erste freie Wochenende.

Natürlich saßen Richard und Louis in alter Tradition zusammen vorm Starbucks in Ascot, tranken einen Kaffee und rauchten eine nach der andern. Sie beobachteten die Menschen, die vorbeiliefen und zogen über diesen oder jenen her.

Gerade beobachtete Louis, wie ein Mädchen vorbeiging, da sah er plötzlich zwei Männerbeine vor sich. Sein Blick wanderte nach oben.

Da stand doch tatsächlich Nemours vor ihnen. Er trug einen dunklen Mantel und einen hellen Schal darüber. Augenblicklich drückten beide ihre Zigaretten aus und Richard stammelte: „Monsieur Nemours, wieso… ich meine, was machen Sie denn hier… sind Sie der einzige Lehrer, der gerade hier unterwegs ist?“

Nemours allerdings lächelte nur müde, drehte sich einen Stuhl vom Nachbartisch um und setzte sich zu den Beiden.

„Louis Macheath und Richard McCreeby. Ich hatte es irgendwie im Gespür, dass ich euch hier begegne. Und ich hatte also Recht mit meiner Vermutung…“ Er lehnte sich vor und warf einen Blick in den Aschenbecher.

„Sir, das ist nicht so, wie es aussieht, wirklich, wir…“, versuchte Richard irgendetwas zu retten. Louis hingegen musterte den Franzosen nur schweigend. Das erste Mal, dass er ihn hatte Lächeln sehen. Es war zwar ein resigniertes Lächeln gewesen, aber es passte zu den Augen.

Nun lehnte Nemours sich wieder zurück und griff in seine Manteltasche.

Richard zuckte zusammen, als würde er gleich den Schulverweis zücken. Er hatte es inzwischen aufgegeben und sah nur ängstlich zu ihrem Lehrer.

Der allerdings holte in aller Seelenruhe mit entspanntem Blick eine Zigarettenpackung hervor. Er nahm eine heraus, legte sie sich zwischen die Lippen, steckte die Packung wieder zurück und fragte dann die Jungs, die ihn in dem Augenblick nur mit offenen Mündern anstarrten: „Hat mir denn wenigstens einer von euch Feuer?“

Louis nahm, noch immer ohne ein Wort zu sagen, sein Feuerzeug aus seiner Hosentasche und zündete seinem Lehrer die Zigarette an.

Eben der inhalierte den Rauch genüsslich, drückte sich etwas nach hinten und sank tiefer in den Stuhl hinein. Dann pustete er den Rauch wieder aus, öffnete die zuvor geschlossenen Augen wieder und sagte: „Wenn ihr mich nicht verratet, verrate ich euch nicht.“

Die beiden nickten.

Louis reagierte als nächster und zündete sich ebenfalls noch eine an.

Es war ein seltsames Gefühl vor einem Lehrer zu rauchen, schließlich sollten Lehrer ihnen eigentlich Vorbilder sein, doch dieser hier schien das alles nicht so eng zu sehen.

„Und was ist, wenn jetzt ein anderer Lehrer vorbeikommt?“, fragte schließlich Louis. Nemours sah ihn ernst an und antwortete: „Nun, dann müssen wir alle drei uns nach einer neuen Schule umsehen.“ Die beiden Engländer lachten verhalten auf und Nemours sprach weiter: „Wisst ihr, als ich früher in Frankreich zur Schule ging, haben auch manchmal die Lehrer eine mit uns Schülern geraucht, es war schon fast normal, es war nicht alles verboten, so wie hier. Glaubt mir, es fällt mir schwer den ganzen Tag über keine Zigarette zu rauchen. Wo geht ihr denn hin?“

„Nun, wissen Sie, Sir…“ Richard wollte wohl auf keinen Fall etwas sagen und das war auch gut so, denn wer wusste, ob dieser Nemours wohl wirklich still sein konnte. Andererseits war es auch nicht unbedingt alltäglich, dass ein Lehrer mit ihnen an einem Tisch saß und sie zusammen rauchten. Was sprach also dagegen es ihm zu sagen?

„In Richards Zimmer steigen wir immer aus dem Fenster aus und rauchen auf dem Dach. Oder abends steigen wir aus dem Gemeinschaftsraum aus. Manchmal gehen wir auch hinter die Bäume.“ Er erzählte es ruhig und er hatte keine Angst, ja nicht einmal die Sorge, dass Nemours je auf die Idee käme, es irgendwem zu verraten. Dennoch nahm er Richards entsetzten Blick wahr, der auf ihm ruhte. Nemours schien die Spannung in diesem Moment wohl zu spüren, denn er drückte seine Zigarette aus, erhob sich und ging mit den Worten „Ich gehe mir einen Kaffee holen“ hinein.

„Bist du des Wahnsinns?“ fragte Richard nachdrücklich, als er sich sicher war, dass Nemours sie nicht mehr hörte.

„Wieso denn?“

„Du kannst doch nicht einfach einem Lehrer erzählen, wo wir zum Rauchen gehen!“

„Wie du gesehen hast, kann ich doch.“

„Und was ist, wenn er uns verpetzt? Wenn er…“

„Jetzt komm wieder runter.“ Louis nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette, machte sie dann ebenfalls aus und lehnte sich entspannt zurück. „Der Kerl wird uns nicht verraten. Wenn er das nämlich täte, könnten wir ihn ebenso verpfeifen. Er hat sich uns vorhin praktisch ausgeliefert, sich uns auf einem Silbertablett serviert. Wenn es bei ihm herauskommt sind die Konsequenzen viel härter als bei uns! Also stell dich gefälligst nicht so an.“

„Und du glaubst wirklich nicht, dass er uns ver-“

„Sei still, er kommt“, fauchte Louis und sagte dann wieder laut: „Und dann wurde er durch die Guillotine hingerichtet. Ah, Nemours, ich erzähle gerade Richard etwas von der Französischen Revolution.“ Richard nickte eifrig, doch Nemours rührte in seiner Tasse, hatte eine Augenbraue gehoben, linste dann hoch zu Louis und sagte: „Oh, du elender Lügner, glaube mir, ich bin noch nicht zu alt um zu wissen, dass ihr gerade darüber diskutiert habt, ob es klug war mich in die Raucherverstecke einzuweihen. Hört endlich auf zu denken, ich sei wie einer eurer altbackenen englischen Lehrer.“

Im ersten Moment wusste Louis nicht so direkt damit umzugehen, von Richard gar nicht zu sprechen, dann aber schlich sich ein feines Grinsen auf seine Züge und er meinte: „Gut, Sir, ich werd’s mir merken.“

„Nun, erzählt mir von euch. Woher kommet ihr? Was arbeiten eure Eltern?“

„Ich komme aus London und meine Eltern sind beide Manager“, antworte Louis dem Lehrer.

„Und welche außerunterrichtlichen Aktivitäten bekleidest du?“, fragte dieser weiter. Louis ließ sich nicht lange fragen und antwortete: „Tennis.“

„Was ist mit dir, Richard? Was machst du so?“

„Polo“, war alles, was der herausbrachte, noch immer schwang etwas Skepsis mit in seiner Stimme.

„Polo? Interessant. Und wo bist du geboren?“, bohrte Nemours weiter nach. Richard schien einen Augenblick zu hadern und Louis, dem es gar nicht passte, dass er nun die zweite Geige spielte, mischte sich prompt ein: „Er kommt aus Oxford und…“

„Oxford?“, unterbrach Nemours ihn erstaunt. „Na dann weißt du sicherlich wo du mal studieren wirst. Was sind deine Eltern denn von Beruf?“

„Mein Vater leitet eins der Colleges.“ Nun verschluckte sich Nemours an seinem Kaffee und hustete erst einmal, bis sich Louis erbarmte und ihm kräftig auf den Rücken schlug. Wieder zu Luft kommend, fragte Nemours nach: „Wirklich? Dein Vater ist der Leiter eines der Colleges in Oxford? Na dann ist es ja sicher, wo du studieren wirst.“

Louis gefiel die Entwicklung des Gesprächs nicht und mit Missgunst erkannte er, wie sich Richards Ohren rot färbten und sich ein unsicheres Lächeln auf seine Lippen stahl. Er wirkte wie ein kleines, naives, verschüchtertes Mädchen. So wie früher.

Und es nervte Louis.

So ergriff er wieder das Wort: „Rauchen Sie denn während der Schulzeit, Sir?“

„Das ist aber ein sehr abrupter Themenwechsel, findest du nicht?“, erwiderte Nemours und es kam Louis so vor, als wüsste er genau, was in dem Jungen vorging.

„Es hat mich nur interessiert“, suchte er sich herauszureden und Nemours nickte mit gehobenen Brauen, als wolle er sagen: „Versuch es nur weiter, mein Junge, ich bin nicht so leicht für dumm zu verkaufen.“ Allerdings schwieg er zunächst und sagte dann: „Nun, ich muss gestehen, dass ich mich morgens und abends vom Schulgelände stehle, ich bin also genauso ein Regelbrecher wie ihr.“

„Woher kommen Sie denn genau, Sir?“, fragte nun wieder Richard und Louis war es diesmal nur recht, dass er mit dem Lehrer redete.

Er lehnte sich zurück, steckte sich erneut eine an und blickte zu Nemours, der sich nun angeregt mit Richard unterhielt. Er hörte ihnen keinesfalls zu, er beobachtete ihn nur.

Diese blasse Haute wirkte wie Porzellan und der gesamte Gesichtsausdruck unnahbar.

Es hatte etwas an sich, das ihn reizte, ihn herausforderte und anscheinend wusste Nemours das genau. Und das wiederum machte ihn noch interessanter. Was für eine Psyche hatte dieser Mensch?

Louis warf einen Blick auf Richard. Er wirkte wahnsinnig naiv und stumpfsinnig neben dem Lehrer, aber er schien nun aus sich herauszugehen, er lachte viel.

„Willst du schon wieder eine rauchen? Das wäre dann die vierte hintereinander“, stellte plötzlich Richard fest und sah ihn an. Louis hielt in der Bewegung, das Feuerzeug zum Mund zu führen, inne und sah ebenfalls auf. Der Rotschopf hatte Recht. Er selbst hatte gar nicht bemerkt, dass er sich jedes Mal unmittelbar nach einer abgerauchten eine neue anzündete. So ließ er den Gashebel des Feuerzeugs los und legte es dann, samt Zigarette auf den Tisch.

„Was ist los?“, fragte Richard und genervt stellte Louis fest, dass er besorgt klang.

„Ich habe nur nachgedacht“, versetzte er enerviert und so wie erhofft sparte sich Richard die Frage worüber.

„Sag mal, Lou?“, kam es nun doch vorsichtig von Richard. „Wollen wir eigentlich noch wo anders hin?“

„Wir haben noch nicht gegessen“, antwortete Louis monoton und zog sich die Wollmütze vom Haupt. Die Sonne hatte sich durch die Wolken gekämpft und strahlte nun wärmend auf sie hernieder. Er fuhr sich mit der Hand durch die dunkelbraunen Haare. Er war sich sicher, dass sie richtig saßen, sie saßen immer richtig.

„Stimmt, wo willst du denn was essen?“

„Keine Ahnung, wir können ja zum Inder gehen.“ Er zuckte mit den Achseln. Richard ebenfalls. Schließlich schob Nemours seinen Stuhl zurück und erhob sich. „Meine Herren, es war mir ein Vergnügen Sie hier zu treffen, ich hoffe, ich habe Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereitet und Sie nicht zu lange belästigt. Ich wünsche euch noch einen schönen Nachmittag, wir sehen uns dann in der Schule.“ Damit reichte er den Beiden die Hand. Sie erwiderten artig den Gruß, dann ging der Lehrer.

Louis und Richard sahen ihm einen Moment schweigend nach, dann ergriff Louis das Wort: „Also? Was hältst du von Indisch?“

„Von mir aus.“

„Gut, dann gehen wir.“ Er stand auf, stopfte sich Zigaretten und Mütze in die Jackentasche, sodass sie noch halb hinaus lugte und setzte sich in Bewegung, als auch Richard sein Zeug zusammen hatte, in die entgegengesetzte Richtung Nemours’.
 

„Was war das eigentlich heute zwischen dir und Nemours?“, fragte Louis spät am Abend, es war bereits dunkel geworden, und er und Richard saßen alleine auf dem Dach bei einer Zigarette.

„Was soll da gewesen sein?“, erkundigte sich Richard und Louis wusste, dass er sich naiv stellte.

„Du weißt genau, was ich meine. Glaub mir, ich habe Augen im Kopf“, war die Antwort des Londoners darauf.

„Nichts war da, gar nichts. Ich glaube nur, dass er ein guter Lehrer ist. Und er ist eine interessante Person an sich.“

„…Und er ist so nett?“ Louis grinste. Richard allerdings hieb ihm spaßeshalber auf die Schulter und lachte: „Hör auf mit dem Scheiß! Da war echt nichts. Wir haben uns halt nur unterhalten.“

„Ja klar!“, lachte Louis. Ja, er glaubte Richard und ja, er liebte es den Rothaarigen zu provozieren. „Oh, warum teile ich nicht das Zimmer mit dir? Dann wüsste ich, was du nachts von ihm sprichst, wenn du schläfst!“

„Halt doch einfach die Klappe!“, stimmte Richard in das Lachen mit ein.

„Oh dieser Gram! Da hielt ich dich für den besten meiner Freunde und werde so bitterlich enttäuscht, da du nicht einmal mir dein Herz ausschüttest, ach, wie täuschte ich mich doch in dir! Oh diese Schmach!“

„Ich glaub, dir war der Inder heute eindeutig zu scharf, da sind dir wohl ein paar Sicherungen durchgebrannt…“ Doch Louis achtete nicht darauf, sondern legte ihm den Arm um die Schultern, zog ihn zu sich und sagte: „Something wicked this way comes!“

„Hör auf Shakespeare zu zitieren oder ich geh rein!“

„Out damned Spot! Out I say!“

“Jetzt reicht’s, McBeth ist wirklich zu viel. Gute Nacht.“ Damit nahm er sich den Arm von den Schultern und ging zum Fenster. Louis allerdings rief ihm hinterher: „On the bats back I do fly!“

“Jaja, gute Nacht, Batman.” Und gerade als er drinnen war, rief Louis noch: “I was searching for a fool when I found you!”

“Danke ebenfalls!”, kam es zurück, dann schien er vom Fenster gegangen zu sein.

Louis nahm noch einen tiefen Zug, dann drückte er die Kippe aus und schnippte sie hinter das nächste Dach. Einen Moment blieb er noch sitzen, dann ging er ebenfalls hinein.

Louis saß in Französisch, Richard neben sich, der Nemours jedes Wort von den Lippen abzulesen schien. Als Louis es das erste Mal bemerkt hatte, hatte er nur mit den Augen gerollt; sonst nichts.

Er musste auch gerade reden! Er war derjenige, der dem Lehrer die ganze Zeit in die Augen starrte.

Für gewöhnlich konnte er in allen Augen lesen. Er wusste, wenn jemand genervt war, auch wenn derjenige sich freundlich und geduldig stellte; er wusste, wenn jemand traurig war, auch wenn derjenige lachte; er wusste, wenn jemand müde war, auch wenn derjenige kein einziges Mal gähnte. Er hatte ein Gespür dafür und dieses Gespür hatte ihn noch nie im Stich gelassen, zumindest noch nicht so oft wie bei diesem einen Franzosen.

Denn just wenn er glaubte ein Gefühl gelesen zu haben, da huschten die dunklen Augen weiter und eine vollkommen andere Emotion blitzte auf.

Es machte ihn wahnsinnig! Er konnte nicht berechnen, was der Kerl fühlte, was er tat und fühlte sich selbst vollkommen aufgeworfen.

Dieser elende Kerl! Sogar in Louis’ Träumen verfolgte er ihn.

Sie saßen sich gegenüber, tranken eine Tasse Tee, sahen sich an, bis Louis irgendwann ausrastete, den Tisch zornig umwarf und Nemours anbrüllte. Was genau er da schrie, wusste er nicht, irgendetwas von wegen was Nemours denn einfiele, warum er nicht in dessen Augen lesen konnte. Doch Nemours blieb stets ruhig sitzen, lächelte ihn von unten her kühl an und sagte gelassen: „Warte Louis, warte ein bisschen.“

Er wurde angestupst und hörte, wie sein Name genannt wurde.

Träge richtete er Kopf und Oberkörper auf und sah sich seinem Französischlehrer gegenüber, der ihn mit hochgezogener Braue musterte.

„Hast du denn gut geschlafen, Louis?“, fragte er und Louis vernahm verhaltenes Lachen aus den Reihen der Schüler. Prompt fuhr er allerdings herum und bellte: „Schnauze!“

„Das ist aber nicht die feine englische Art, nicht, Louis?“ Nun konnte auch Richard neben ihm sich das Lachen nicht mehr verkneifen, indem er sich auf die Unterlippe biss, sondern prustete los, sehr zum Missvergnügen Louis’.

„Nun, Louis, ich hoffe inständig, dass du einfach nur todmüde warst und es nicht ausschließlich an meinem Unterricht liegt, dass du eingeschlafen bist. Da es das erste Mal war, werde ich keine Konsequenzen daraus ziehen, aber sollte es noch einmal passieren, wird das wohl kaum mehr möglich sein. Also geh montags lieber etwas früher zu Bett.“

Normalerweise war es nicht Louis’ Art, aber er wartete, bis sich der Lehrer umgedreht hatte und äffte ihn dann nach.

Er wusste selbst, dass es eine Art Verzweiflungstat war, ein Akt der Sprachlosigkeit. Doch Richards Blick der nun auf ihm ruhte, gab ihm den Rest. Dieses Mitleid! Fehlte nur noch, dass er ihm verständnisvoll auf die Schulter klopfte und ihm sagte: „Keine Sorge, du kommst schon wieder hoch…“

Verbissen beschloss Louis nun sich auf das SMARTboard zu konzentrieren, doch auch das funktionierte nicht so recht, da ständig Nemours davor auf und ab schreiten musste und seinen Blick auf sich zog.

Scheiß Franzosen!
 

„Seinerzeit verwendete George Orwell den Pseudonym H. Lewis Always, damit…“

Louis gähnte. Er saß mit den anderen Jungs aus seinem Haus im Theaterraum und musste sich eine Dokumentation über George Orwell ansehen.

Zu gerne säße er jetzt mit Richard im Gemeinschaftsraum vor dem Fernseher. Stattdessen hatte er noch eine Stunde hier vor sich, bis die Kleinen ins Bett mussten.

Es war Abend! Andere Schüler mussten sich abends nicht mehr irgendeinen Schwachsinn über irgendwelche Schriftsteller, nach denen ihre Häuser benannt waren, antun!

Aber wenigstens gab es übermorgen etwas Interessantes.

Wenn er sich richtig erinnerte, hatte Richard nämlich am Samstag ein Spiel.

Irgendwie mochte er die Polospiele hier immer und das nicht zuletzt, weil sie stets gewannen. Heathcliff war eines der besten Teams.

Im Rudern oder im Rugby sah das schon ganz anders aus und auch im Tennis schnitt die Schule im Allgemeinen eher mittelmäßig ab.

„Hey Lou, glaubst du, das hier ist bald zu Ende? Sollen wir uns vorher rausschleichen?“ Es war Timmy gewesen, der ihm das Gesicht zugewandt und das geflüstert hatte.

Louis war der Tutor des Jungen aus der II. Ein Tutor hatte die Aufgabe nach seinem zugeteilten Tutorenkind zu sehen, ihm zu helfen und für es da zu sein. Louis hasste es ein Tutor zu sein; er hasste die nervigen Unterstufenschüler an sich. Wobei er zugeben musste, dass Timmy ganz in Ordnung war; er nervte ihn nicht andauernd mit irgendwelchen Fragen und er gewährte, brav wie die anderen Jungs, den Älteren stets den Vortritt.

Der zwölfjährige Junge hatte strohblondes Haar, eine freche Stupsnase und übergroße Schneidezähne, die nun zum Vorschein kamen, während des kecken Grinsens, das er Louis zuwarf.

Der nahm allerdings nur den Kopf des Jungen mit einer Hand, drehte ihn in Richtung Leinwand und entgegnete genervt: „Sei still, Pestbeule.“

„Langweiler!“, kam es daraufhin nur gut gelaunt von Timmy.

Louis stützte die Stirn gegen die Faust und starrte weiterhin träge auf den Film.

Na klasse! Jetzt kamen schwarz-weiß Ausschnitte!

Schwarz-Weiß… Nemours würde sich gut in schwarz-weiß machen. Das gäbe mit Sicherheit einen prächtigen Kontrast! Die nahezu weiße Haut gegen das rabenschwarze Haar. Und die dunklen Augen.

Diese verdammten, dunklen Augen, in denen Louis nicht lesen konnte! Er hasste sie!

Und dennoch faszinierten sie ihn, jedes Mal wenn er sie vor sich sah; sie zogen ihn in ihren Bann.

Man konnte es wohl in der Tat als eine Art Hassliebe beschreiben.

Wie Paradox.
 

Als die Dokumentation endlich fertig war, stand Louis erst einmal auf und streckte sich. Er hatte in einem Sessel gesessen, den er sich kurzerhand aus den Requisiten geholt hatte. Timmy hatte vor ihm auf den Boden gesessen, den Rücken an seine Beine gelehnt.

Dieser nahm den Älteren nun bei der Hand und zerrte ihn hinaus.

„Hey, wo willst du denn hin?“, fragte Louis und ließ sich nur widerwillig mitziehen.

„Zum Gemeinschaftsraum, dann können wir noch was Gescheites im Fernsehen sehen und vielleicht haben die anderen was gekocht.“ Er war ganz hibbelig, als sie endlich ankamen und er die schwere Holztür öffnete.

Die Meisten, die drinnen waren, sahen gar nicht erst auf, nur ein paar spähten interessiert zur Tür, unter ihnen Richard, der sich auf einem der Sofas breit gemacht hatte. Es waren nicht viele hier, sodass er sich das erlauben konnte.

Als er Louis und Timmy erblickte nahm er die Füße vom Sofa und grinste, als Louis sich schwermütig neben ihm fallen ließ: „Na? Wie war’s?“

Das Antworten übernahm Timmy für Louis, der es ihm gleich getan hatte und nun neben Louis im Sofa saß, halb darin versank: „Total ätzend.“ Louis tätschelte seinem Tutorenkind abwesend den Kopf und murmelte: „Braver Schüler.“ Dann wandte er sich an Richard: „Habt ihr uns was zu essen übrig gelassen?“ Der Angesprochene verneinte und Louis stöhnte daraufhin: „Ihr Schweine!“

Timmy hatte nicht mehr wirklich viel Zeit vor seinem Zapfenstreich, gerade mal eine halbe Stunde, doch er hielt gar nicht so lange durch, denn schon nach einer viertel Stunde lag er zusammengerollt auf dem Sofa und schlief friedlich.

„Lass uns ihn hochbringen“, schlug Richard vor, doch Louis maulte: „Lass uns ihn wecken.“

„Er ist aber dein Tutorenkind!“, entgegnete Richard stur.

„Na und? Ich muss ja trotzdem nicht seine Mama spielen.“ Ebenso stur.

„Du sollst auch nicht seine Mama spielen, sondern ihn nur hochbringen, sei doch mal nett!“

„Als wärst du jemals nett zu deinem Tutorenkind gewesen!“ Da! Der Akt der Verzweiflung weil er keine greifbaren Argumente hatte.

„Mein Tutorenkind ist auch nervig und ein kleines Arschloch.“ Er hatte also direkt ins Schwarze getroffen. Er musste sich zwingen nicht zu grinsen und überheblich zu klingen, sondern schimpfte empört: „Ach und meins nicht?“

„Deins schläft gerade!“ Richard zeigte genervt auf den Jungen.

„Deins schläft bestimmt auch manchmal“, murrte nun Louis, doch Richard knurrte: „Und du bist grad noch nerviger als mein Tutorenkind.“

„Ist ja gut!“, stöhnte der Londoner und erhob sich. „Ich bring ihn ja schon auf sein Zimmer! Aber wenn ich nicht zurückkommen sollte, weil sein Zimmernachbar mich anfällt, dann ist das allein deine Schuld!“

„Damit kann ich leben.“ Der Rotschopf zuckte nur mit den Achseln und sah weiter auf den Bildschirm.

„Ich hab dich auch gern“, knurrte Louis und erhob sich, um den Jungen aufzurichten, sich dessen Arme um den Hals zu legen, ihn unter den Oberschenkeln zu nehmen und ihn dann hochzuheben.
 

Er ließ sich wieder aufs Sofa fallen und berichtete: „Der Zimmernachbar hat schon geschlafen; du hast also Glück und bist nicht für mein Verschellen verantwortlich.“

„Da bin ich aber beruhigt“, gähnte Richard und nahm den Blick nicht vom Bildschirm. Allerdings erhob er sich keine zwei Sekunden später und sagte: „Ich geh trotzdem ins Bett. Kommst du noch mit eine rauchen?“

„Wenn du noch eine für mich hast?“, fragte Louis und Richard nickte.
 

„Nemours ist schon seltsam, oder?“ Richard spähte beim Mittagessen verstohlen hinüber zum Lehrertisch. „Ich meine, er ist eigentlich schon ein guter Lehrer, aber irgendwas ist seltsam an ihm.“

„Wieso?“, entgegnete Louis, sah gar nicht erst von seinem Essen auf, sondern zerstocherte weiterhin das Innere seiner aufgeschnittenen Kartoffel und schmierte noch Butter darauf.

„Keine Ahnung. Aber ist auch egal. Ich mag ihn jedenfalls.“ Nun wandte er endlich den Blick ab. Aber dafür schielte nun der Londoner verstohlen zu Nemours. Und als hätte er es gewusst, sah Nemours ebenfalls auf, direkt in ihre Richtung und ihre Blicke trafen sich. Louis richtete sich auf und Richard, davon alarmiert, folgte dem Blick seines Freundes.

Für einen Augenblick sahen sie sich nur an. Dann zuckten Louis Mundwinkel und Nemours Augenbrauen hoben sich selbstherrlich.

Louis fluchte innerlich und sah wieder weg. Er hatte keine Ahnung warum, aber er fühlte sich, als hätte er gegen den Franzosen verloren. Was er verloren hatte? Er hatte selbst keine Ahnung, aber er hatte.

„Was war das denn?“, fragte Richard und sein Blick huschte skeptisch zwischen Nemours und Louis hin und her. Letzterer zuckte nur mit den Achseln und meinte: „Keine Ahnung.“ Dann steckte er sich ein Stück seiner Butterkartoffel in den Mund.

„Jungs aus der Lower VI: bitte beendet euer Essen.“ Nemours hatte es ausgerufen. Er führte heute wohl die Liste.

Louis und Richard waren zwar noch nicht ganz fertig mit dem Essen, dennoch nahmen sie ihre Tabletts und verräumten sie. Dann gingen sie zum Lehrertisch. Sie hatten sich noch nicht abgemeldet.

„Hey, Mister Nemours, führen Sie heute die Liste?“, fragte Louis vorlaut und Nemours antwortete gleichgültig, ohne aufzusehen: „Wie man deutlich sehen und hören kann.“

„Ehm, Monsieur Nemours…“, begann Richard zögerlich und wartete bis Nemours aufsah. „Werden wir heute wieder nur Grammatik machen?“ Nemours seufzte. Er machte ein Häkchen hinter die Namen McCreeby und Macheath und entgegnete schließlich: „Ich hoffe es nicht, Richard. Ich würde heute lieber etwas Interessantes mit euch durchnehmen.“

„Dann tun Sie’s doch einfach. Achten Sie nicht auf die Idioten in der Klasse!“ Es war Louis’ enthusiastischer Einwurf gewesen, doch Nemours wandte ihm daraufhin nur für einen Augenblick mit gehobenen Augenbrauen das Antlitz zu. Dachte er nach?

„Nun, Louis, so leid es mir tut, aber ich bin hier angestellt um mich um alle meine Schüler gleichermaßen zu kümmern. Ich kann im Unterricht nicht den Einen oder Anderen bevorzugen. Egal wie lange du mich anstarrst.“ Da! War das etwa ein Anflug eines Lächelns gewesen, als Nemours ihn durchdringend angesehen hatte während seiner letzten Worte?

Mit Sicherheit! Es war fast ein Lächeln gewesen. Und es wäre ein wissendes, durchschauendes Lächeln geworden, mehr schon ein Grinsen und für einen Moment war es Louis, als blitzten Nemours Augen auf und als könne man während dieses Blitzens daraus lesen, könnte man die Zeit anhalten.

„Kommst du noch mit rauf zu mir?“, fragte Richard plötzlich und riss Louis damit völlig aus den Gedanken. Als er sich wieder gefangen hatte nickte er stumm und sah noch einmal zu Nemours. Doch nun war da nichts mehr. Kein Anflug eines Lächelns, kein Blitzen in den Augen.
 

Nun, dieses Kapitel bestand aus mehreren absolut unterschiedlichen Abschnitten... Ich hoffe, ihr stört euch nicht daran.

Und wenn ihr eigentlich irgendwelche Fragen zum Internatsleben oder etwas in der Art habt (Nein, Steph, sie haben Samstags keinen Unterricht und dürfen übrigens so gut wie jedes Wochenende raus...), dann stellt sie nur =)

LG, Terrormopf

Hallo =)

In diesem Kapitel geht es viel um Polo. Dieser Ballsport auf Pferden.

Ich habe mich wirklich stundenlang mit den Regeln auseinandergesetzt (teilweise auch auf englisch, weil ich erst später entdeckt habe, dass es auch eine Seite des DPV gibt...) und kann jetzt sagen, dass ich es weitestgehend verstanden habe. Also wenn ihr irgendwas nicht versteht, dann fragt nur, ich erklär es euch gerne (dann müsst ihr auch nicht das ganze Regelwerk des DPV durchlesen, so wie ich...)

Nun aber genug der Vorrede, nur noch kurz wieder vielen Dank für eure Kommentare =)
 

Viel Spaß beim Lesen!
 


 


 


 

Louis saß auf der Tribüne und blickte aufs Spielfeld. Es begann in knapp zehn Minuten und die Zuschauerränge waren schon ziemlich gut besetzt.

„He, Louis! Louis!“ Irrte er sich oder war das sein Französischlehrer, der ihn da rief? Skeptisch sah er sich um und auf den Treppen zwischen den Rängen erblickte er schließlich Nemours, der nun rief: „Ist der Platz bei dir schon besetzt?“ Louis schüttelte den Kopf und beobachtete seinen Lehrer misstrauisch, wie er sich durch die Reihe zu ihm vor kämpfte.

Als er sich endlich auf dem Platz neben Louis sinken ließ, seufzte er erleichtert auf und erklärte: „Ein Glück, dass hier noch frei war, sonst hätte ich mir das Spiel wohl im Stehen ansehen müssen.“

Louis hingegen erwiderte nichts, sondern musterte den Mann neben sich. Er hatte sich einen Schal umgebunden und trug seinen Mantel offen. Eine Mütze hatte er nicht auf dem Kopf. Ansonsten war er chic wie stets gekleidet. Er selbst hatte den Mantel mit dem Schulwappen zugeknüpft, hatte ebenfalls einen Schal an, aber trug auch noch eine Mütze. Seine Hände hatte er in die Taschen gesteckt. Ihm war kalt.

„Nanu? Sprichst du jetzt nicht mehr mit mir? Bist du beleidigt wegen des Tests nächste Stunde?“ Offensichtlich war Nemours heute redselig gestimmt. Sollte Louis nur recht sein, vielleicht erfuhr er dadurch etwas mehr über den Franzosen. So erwiderte er nur knapp: „Nein, mir ist nur kalt.“

„So?“ Louis wandte das Antlitz – er hatte das halbe Gesicht hinter seinem Schal versteckt, die Mütze über die Augenbrauen gezogen, sodass nur noch seine Augen zu sehen waren – als er aus den Augenwinkeln beobachte, wie Nemours begann sich zu bewegen. „Nimm meine Handschuhe, ich friere nicht.“

„Aber Ihre Wangen und Ihre Nase sind ganz rot“, murmelte Louis und machte keine Anstalten die ihm dargebotenen Handschuhe anzunehmen.

„Oh, das kommt davon, weil ich vorhin so viel getrunken habe.“ Er verzog keine Miene bei diesem Scherz.

Louis entschloss sich schließlich doch dazu seine Hände aus den Taschen auszugraben und die Handschuhe anzuziehen und noch während er sie über die Hände zog, fühlte er, dass der Stoff noch ganz warm war.

„Scherze passen nicht zu Ihnen“, antwortete er währenddessen. Er versuchte davon abzulenken, dass er daran dachte, wie sich wohl Nemours Hände auf seiner Haut anfühlten.

„Oh, danke sehr, so was hört man doch immer gerne.“ Wieder passierte nichts mit seiner Mimik, außer dass er überheblich wirkte.

„Keine Ursache“, entgegnete Louis und wandte den Blick wieder aufs Spielfeld.

Irgendwie war er heute mit dem falschen Fuß aufgestanden. Er hatte auf gar nichts und auf niemanden Lust, wobei er sagen musste, dass Nemours, sobald er nicht redete, erträglich, beinahe angenehm war.

Die fünf Minuten Glocke ertönte.

Die Mannschaften und Schiedsrichter würden wohl bald aufs Spielfeld kommen.

„War das die fünf Minuten Glocke?“, fragte Nemours, als das Geräusch gerade verklang. Louis wandte ihm wieder das Gesicht zu und nickte. „Das bedeutet, dass in fünf Minuten das Spiel beginnt?“ Erneut nickte Louis. „Entschuldige bitte, wenn ich dich während des Spiels immer wieder mal etwas frage, aber ich habe noch nie ein Polospiel gesehen und bin auch noch nicht wirklich sehr vertraut mit den Regeln.“ Louis allerdings wandte einfach wieder den Blick ab und schaute aufs Feld.

Und schließlich kamen die Spieler, geführt von den beiden Schiedsrichtern in den schwarz weiß gestreiften Hemden, gefolgt vom Applaus der Zuschauer.

Die Spieler stellten sich in der Mitte des Feldes auf den jeweiligen Seiten auf und die beiden Captains ritten noch einmal zu den Schiedsrichtern.

„Was passiert denn nun?“, fragte Nemours etwas überrascht und Louis murmelte: „Eventuelle Einwände wegen Torvorsprung.“ Dabei deutete er auf die Anzeigentafel, die bereits 2:0 für Heathcliff anzeigte.

„Das hat etwas mit den Handicaps der Teams zu tun, nicht wahr?“

Der Kerl hatte ja wirklich gar keine Ahnung! Wahrscheinlich wusste er noch nicht einmal was Handicaps überhaupt waren.

„Ja. Das Team mit dem schwächeren Handicap bekommt je nach Differenz und Anzahl der Chukkas einen genau definierten Torvorsprung.“ Er hatte doch keine Lust jetzt auch noch Pololehrer zu sein! Wobei es doch seinen Reiz hatte seinen Lehrer zu belehren.

„Und wie war das noch einmal genau mit den Handicaps?“, fragte Nemours und Louis stöhnte innerlich auf. Er hatte es doch gewusst! Dennoch zwang er sich ruhig zu bleiben und erklärte geduldig: „Ein Spieler kann ein Handicap von -2 bis 10 haben. Dabei geht es nach Leistungsstärke. Die meisten +10 Goaler, also die Spieler mit einem Handicap von 10, die Besten, sind argentinische Nationalspieler.“

„Und ein Chukka ist ein Zeitabschnitt?“ Louis nickte. „Und wie viele Chukkas werden gespielt?“

„In diesem Spiel vier“, antwortete Louis. Er beobachtete den Franzosen aus den Augenwinkeln. So sah er auch, wie dieser sich nach vorne lehnte und die Augen zusammenkniff, als wolle er etwas genauer erkennen.

„Der Mann da am Rand ist der Oberschiedsrichter, nicht wahr?“ Erneut nickte Louis nur und Nemours fragte: „Und welcher von den Spielern ist Richard?“

„Richard ist die Nummer drei, da auf dem hellsten Pferd, das mit den violetten Bandagen. Sie wissen doch, dass wir die mit den violett-weißen Trikots sind? Unsere Gegner sind die in den marineblauen Trikots.“ Die Aussage war ironisch gemeint; durch und durch. Nemours ging auch nicht darauf ein, sondern fragte weiter: „Was für ein Handicap hat er denn?“

„-2“, kam die knappe Antwort von Louis, der sich inzwischen wieder aufs Spielfeld konzentrierte, weil einer der beiden Schiedsrichter nun zum Einwurf ansetzte. Er warf noch einmal einen Blick zur Anzeigentafel: Der Torvorsprung stand immer noch bei 2:0, das hieß, es hatte keine Einwände gegeben.

Und dann begann die Zeit der Anzeigetafel zu laufen, gleichzeitig mit dem Einwurf des Unparteiischen.

Kenton, das gegnerische Team war als erstes am Ball und schlug ihn erst einmal in Richtung der Heathcliffer Torpfosten.

„Sag mal, Louis?“, fragte ihn plötzlich Nemours und etwas verwirrt wandte Louis ihm das Gesicht zu. Konnte der Mann sich denn nicht einfach auf das Spiel konzentrieren? „Sind deine Eltern auch hier?“

„Nein, wieso, wollen Sie mit ihnen reden?“, entgegnete er ruppig, woraufhin Nemours abwinkte: „Oh nein, nicht so wie du denkst, ich hätte sie nur einmal gern kennen gelernt.“ Louis verdrehte die Augen und beobachtete wieder das Spiel.

Von überallher auf der Tribüne konnte man Anfeuerungsrufe hören, für beide Teams, nur hörte es sich stets gleich an, weil meistens nur von „Jungs“ die Rede war.

„Strengt euch an, Jungs!“ oder „Weiter so, Jungs!“ oder „Ihr schafft das, Jungs!“. Es waren immer die gleichen Rufe. Die Menschen waren so unkreativ. Aber was hatte er denn zu sagen? Als der Teamcaptain Heathcliffs es geschafft hatte den Gegnern die Kontrolle über den Ball abzujagen und Richard einem Anderen das Wegerecht abgeritten und holte Schwung, da sprang Louis auf und rief: „Gut so, Rich! Immer weiter nach vorn!“ Auch nicht viel kreativer.

Nemours sah ihn an. Und in einer gewissen Form glaubte Louis eine gewisse Erkenntnis aus seiner Mimik lesen zu können, dann fragte der Franzose: „Bist du immer so leidenschaftlich, wenn es um deinen Freund geht?“

„Nur wenn es um Polo geht“, sagte Louis gleichgültig, das Feuer, das ihn einen Augenblick zuvor überrollt hatte, war nun nicht mehr da. „Außerdem braucht er das als Ansporn, schließlich ist er kurz davor zu einem -1 Goaler aufzusteigen.“ Nemours nickte nur.

Den Rest des ersten Chukkas beobachteten sie schweigend das Spiel.

Es fiel kein einziges Tor.

Nach sieben Minuten ertönte die Glocke. Das bedeutete, es wurde noch höchstens eine halbe Minute gespielt. Doch diese wurde nicht erreicht und die Spieler ritten nach dem zweiten Ertönen der Glocke vom Feld.

„Ich gehe nach ihm sehen“, verkündete Louis schlagartig und stand auf.

„Darf man das denn? Bespricht er sich jetzt nicht mit seiner Mannschaft?“

„Ist mir egal.“ Er begann sich durch die Reihe durchzuboxen und stellte etwas erstaunt fest, dass Nemours ihm folgte mit den Worten: „Warte, ich komme mit.“
 

„Hey, Rich! Rich, komm her!“ Louis hatte gewartet, bis sich das Team etwas zerstreut hatte. Er musste sich beeilen; der Großteil der Dreiminutenpause war schon vergangen.

„Louis!“, rief Richard aus und er lachte ihm glücklich zu, lief ihm entgegen, den Helm unterm Arm. Doch er stockte, als er Nemours sah.

Warum, das wusste Louis nicht. Normalerweise war er doch ganz vernarrt in den Franzosen. Aber in diesem Augenblick sollte es ihm gleich sein. Er tätschelte Richard freundschaftlich die Backe und grinste: „Du musst aggressiver werden. Nicht immer so brav sein, riskier doch mal ein Foul. Wenn’s die Schiris sehen, gibt’s schlimmstenfalls ein Straftor und sonst einen Freischlag.“

„Ach komm, sei du still, das ist immerhin nur ein Freundschaftsspiel und noch liegen wir zwei Tore vorn.“

„Ja, weil das der Torvorsprung ist. Ich will aber kein torloses Spiel erleben müssen.“ Er nörgelte zu gerne an Richard herum, wenn der Polo spielte. Es gab nichts Schöneres.

„Hallo, Mister Nemours“, begrüßte Richard nun endlich den Franzosen und dieser grüßte artig zurück.

Louis allerdings achtete nicht darauf, sondern wuschelte seinem Freund durch das nassgeschwitzte Haar und erklärte: „Na los, Rich, du musst dich beeilen, sonst fangen sie ohne dich an.“ Und damit zeigte er auf Richards Teamkameraden, die schon auf den Pferden saßen. Auch Richards anderes Pferd wurde schon gebracht, dieses war dunkelbraun mit weißen Bandagen.

Prompt setzte Richard den Helm auf und nestelte eilig an der Schnalle herum, ohne irgendetwas zu erreichen und die anderen Spieler riefen schon nach ihm. Schließlich erbarmte sich jedoch Louis, zog sich die Handschuhe mit den Zähnen aus, schob Richards Hände weg, bückte sich etwas, um besser sehen zu können und schloss schließlich die Schnalle. Dass Richard das Kinn in die Höhe gereckt hatte, war ihm dabei sehr entgegen gekommen.

Anschließend klopfte er auf den Helm und sagte: „Und wenn du kein Tor schießt, dann ist unsere Freundschaft beendet, mit Losern bin ich nicht befreundet.“

Der Oxforder schüttelte allerdings nur den Kopf, bedankte sich schnell und eilte dann zu seinem Pferd, zog sich währenddessen noch den Handschuh über die rechte Hand. Darauf ritt er dann zu den anderen Mannschaftsmitgliedern und nahm von einem seinen Schläger entgegen.

Sie ritten gerade aufs Feld, da spürte Louis einen Regentropfen auf seiner Gesichtshaut.

Er sah gen Himmel und fluchte verhalten. Regen hatte ihm gerade noch gefehlt, denn er hatte natürlich gerade heute seinen Regenschirm vergessen.

„Haben Sie einen Regenschirm dabei?“, fragte er Nemours auf dem Weg zurück auf die Tribüne; das zweite Chukka hatte inzwischen schon begonnen. Der Franzose verneinte. „Dann werden wir wohl nass.“
 

Gerade saßen sie wieder, da brach die Tribüne in Jubel aus und Louis sah irritiert auf, doch was er sah, erfreute ihn keineswegs.

Der Torrichter hinter den Heathcliffer Torpfosten schwenkte seine Fahne über dem Kopf.

Damit stand es jetzt also nur noch zwei zu eins.

Das Heathcliffer Team fand sich für einen Augenblick zusammen, bevor die Kentoner mit ihrem Torjubel fertig waren, und schienen etwas zu besprechen.

Der Regen wurde stärker und als sich die Teams aufgestellt hatten, vollführte der Schiedsrichter wieder einen Einwurf. Es hatte, wie üblich nach einem Tor, einen Seitenwechsel gegeben.

Es war denkbar schlecht, dass das erste Tor an Kenton ging, auch wenn die Heathcliffer noch eines Vorsprung hatten. Es bestand immer die Gefahr, dass sie einen Teil ihres Kampfgeistes verloren und das durfte unter keinen Umständen geschehen.

Und endlich schaffte es ihre Mannschaft wieder den Ball zu ergattern, doch war das nicht von langer Dauer, bis ein Kentoner sich durchsetzte und den Ball near side, also links vom Pferd, spielte, mit mehr Erfolg als die Nummer vier von Heathcliff, die eigentlich off side, rechts vom Pferd, spielte.

Ein Elend war es, das mit anzusehen und noch schlimmer war, was daraufhin geschah.

Anscheinend hatte die Zwei der Jungs in den violett-weißen Trikots Louis in der Pause gehört, denn er beging, sehr nah am eigenen Tor, ein Foul.

Natürlich sahen es die Schiedsrichter.

Natürlich wurde es geahndet.

Natürlich ein Straftor.

Innerlich schrie Louis diesen Banausen an. Es war doch nur ein Spaß gewesen! Ein Gottverdammter Scherz!

Einen Seitenwechsel gab es nach Straftoren nicht, so warf der Schiedsrichter ein und die Mannschaften stürzten sich auf den Ball. Für einen Außenstehenden musste es aussehen, als würden sie einfach ohne jede Taktik ein Knäuel bilden – ein Blick auf Nemours’ Mimik verriet ihn als einen Außenstehenden – doch in Wahrheit folgten sie dem Ballweg, machten Wegerechte gültig und streitig und waren hoch koordiniert.

Der Schlamm, der sich auf dem Spielfeld durch den Regen bildete, spritze hoch, wenn die Pferde galoppierten und es wurde schwerer dem schlammbedeckten Ball mit den Augen zu folgen und auch das Schlagen schien augenscheinlich schwieriger zu werden.

Die ehemals weißen Reithosen hatten inzwischen braune Sprenkel und der Regen tropfte von den Helmen auf die ohnehin schon durchnässten Trikots.

Mit den zwei Toren für Kenton und dem Zwischenstand 2:2 ging auch dieses Chukka nach nicht ganz siebeneinhalb Minuten zu ende.

Louis hatte sich, die Arme verschränkt, zurückgelehnt und überlegt, was man wohl tun konnte um das Spiel zu retten. Auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war, ein Unentschieden war wie ein verlorenes Spiel.

„Sind nun wieder nur drei Minuten Pause?“, vernahm er schließlich Nemours’ Stimme neben sich. Aber schlecht gelaunt wie er war, brummte er nur: „Nein, jetzt ist Halbzeit, da sind’s fünf.“

„Ah, gut. Darf ich dich dann auf einen Kaffee einladen?“ Erstaunt sah Louis nun doch zu seinem Lehrer und nickte. „Milch und Zucker?“

„Zucker“, murmelte Louis und sein Kopf sank noch tiefer zwischen seine Schultern, während Nemours aufstand und sich erneut durch die Reihe drängte.

Das Gesicht noch weiter hinter dem Schal zu verstecken brachte in der Hinsicht auf Wärme rein gar nichts – er war durchnässt bis auf die Haut – aber irgendwie wollte er im Moment auch gar nicht gesehen werden. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.

Es war ihm, als wäre er der einzige, der hier auf der Tribüne saß und lauschte dem inzwischen wieder sanfteren Regen; sah ihm zu, wie er auf die Pfützen, die sich in den Hufabdrücken auf der schlammigen Wiese gebildet hatten, fiel, diese immer wieder durcheinander brachte.

Und er glaubte weit entfernt Nemours zu hören, wie er Kaffee bestellte; zum Mitnehmen; einen schwarz, einen mit Zucker.

Er fror erbärmlich. Warum musste es im verdammten, alten England eigentlich immer kalt sein und regnen?

Ein Blick auf seine Finger verriet ihm, dass diese bereits blau gefroren waren; er hatte vergessen die Handschuhe Nemours wieder anzuziehen; aber es würde ohnehin nichts bringen, sie würden nur durchnässen und dann die Kälte des Wassers aufsaugen und auf ihn übertragen.

So steckte er die Hände wieder in die Taschen des Mantels, der eigentlich auch nicht für Regengüsse gedacht war, weswegen er auch nicht ganz dicht hielt.

Aber was war er auch für ein Londoner ohne Schirm aus dem Haus zu gehen? Seine Eltern hätten ihn mit Gewissheit ausgelacht.

„Dein Kaffee, Louis.“ Ein Coffee-to-go-Becher wurde ihm vor die Nase gehalten und er grub die Hände aus den Taschen heraus, um den Kaffee entgegenzunehmen. Allerdings hätte er sich beinahe die Finger verbrannt, weil der Becher wirklich heiß war; so heiß wie der Inhalt.

Dennoch schlürfte Louis einen kleinen Schluck und genoss es, wie die warme, bittersüßliche Flüssigkeit seine Kehle herunter rann und ihn von innen her wärmte.

Die Glocke ertönte.

„Mein Gott, du hast ja ganz blaue Finger! Und deine Lippen sind auch schon blau“, stellte Nemours fest und Louis konnte fast eindeutig den Schrecken und das Erstaunen in seiner Mimik lesen.

„Kommt davon, dass der Mantel nicht ganz so gut imprägniert ist.“

„Nicht, dass du dich erkältest! Soll ich dich zurück zur Schule fahren? Los, komm, ich fahr dich nach Heathcliff.“ Und für Nemours war das Gespräch damit beendet. Er achtete auf keinerlei Proteste Louis’, sondern schleifte ihn hinter sich her von der Tribüne.

Louis warf noch einmal einen Blick aufs Spielfeld.

Das Spiel war im vollen Gange, doch Richard hatte sein Pferd angehalten und starrte ihn an.

Schnell wandte Louis den Blick ab. Richard sollte weiterspielen, sich nicht um ihn kümmern. Für so einen Schwachsinn durfte ihm das „Nicht gewinnen wollen“ nicht unterstellt werden.
 

Am Parkplatz hielt Nemours Louis noch immer am Handgelenk und zog ihn.

Und der Engländer spürte die Wärme, die von nur dieser einen Hand ausging, in seinem Arm aufsteigen und sich in seinem ganzen Körper verteilen.

Doch als sie an Nemours Auto ankamen, ließ dieser ihn abrupt los und mit der Unterbrechung des Körperkontakts, wich auch alle Wärme mit einem Mal.

So griff er unbewusst nach Nemours Hand, die eigentlich gerade die Tür aufschließen wollte. Nemours fiel der Schlüssel aus der Hand und er sah Louis an.

Und in dem Augenblick flammte etwas in seinen Augen auf, das eindeutig war. Jeder hätte es erkannt, es war schlicht zu einfach! Zu simpel! Zu langweilig.

So ließ Louis, fast wütend, die Hand seines Lehrer los und wollte sich von ihm abwenden, da nahm der das Gesicht des Londoners zwischen seine Hände und trat noch einen Schritt auf ihn zu, sodass sich ihre Körper beinahe berührten.

Vom Spielfeld her drangen noch gedämpft die Rufe der Menschen zu ihnen und noch immer platschten ein paar einzelne Tropfen auf den schon nassen Boden und in die Pfützen.

Um sie herum war kein Mensch und Louis beobachtete, wie sich Nemours’ Gesicht dem seinen immer weiter näherte.

Ein Tropfen fiel von seiner Nasenspitze auf seine Lippen und Louis presste sie unwillkürlich zusammen, wodurch der Tropfen letzten Endes in seinen Mund gelangte. Er war kühl, so wie Louis Haut, aber das genaue Gegenteil von allem was unter seiner Haut lag.

Eine zweite Emotion tauchte in Nemours Augen auf, sprang Louis beinahe entgegen: Abenteuerlust. Und eine Dritte: so etwas wie Schadenfreude oder Überlegenheit.

Doch Louis brach das Vorhaben des Lehrers irritiert ab, indem er einen Schritt zurück tat und dann um das Auto herum auf die linke Seite, die Beifahrerseite, ging.
 

Im Auto schwiegen sie. Nemours hatte die Heizung angestellt und das Radio, sodass es nicht absolut still war, dennoch war da etwas zwischen Nemours und ihm, was alles andere ausblendete.
 


 

So, das Kapitel war auch einmal etwas länger, insgesamt werden die nächsten Kapitel länger. Freut euch =D

Vielen Dank fürs Lesen, lG, Terrormopf.
 

PS: Wenn ihr Lust und Zeit habt, schaut doch mal bei meinem Weihnachtsoneshot vorbei und sagt mir, was ihr dazu meint, ich würde mich freuen =) Hier der Link:

http://animexx.onlinewelten.com/fanfiction/autor/138465/209775/

Hallo =)

Hier ist das neue Kapitel und ich hoffe, dass es gefällt und dieses macht einen großen Schritt in der Handlung.

Stört euch nicht daran, viel Spaß (es beginnt noch am gleichen Tag an dem das Polospiel war)
 


 

Er war nass.

Draußen regnete es wieder stärker und er hatte auf dem Dach gesessen und eine nach der anderen geraucht. Die Gedanken hatten ihn nicht losgelassen und schließlich war er zu einem Schluss gekommen.

Und so stand er nun hier, vollkommen durchnässt.

Er klopfte und öffnete dann die Tür.

Nemours saß an seinem Schreibtisch, hatte nur die Schreibtischlampe an, die ein spärliches Licht auf das Zimmer warf. In dem Moment, da Louis die Tür öffnete, drehte er sich um.

„Louis?“, fragte er, „Was ist mit dir? Hast du dich noch nicht geduscht? Los, du solltest wirklich erst einmal heiß…“ Aber Louis sah es nicht ein ihn ausreden zu lassen, sondern nahm das Gesicht des Franzosen, der auf ihn zugekommen war, nun zwischen seine Hände und sagte: „Ist egal.“

„Willst du mich verarschen? Na los, zieh die nassen Sachen aus, ich bringe dir ein Handtuch.“ Doch Louis hielt seine Hände fest und sagte: „Hör auf einen auf Lehrer zu machen.“

„Aber…“

„Hör auf! Als wüsste ich nicht, was vorhin auf dem Parkplatz beim Polofeld fast passiert wäre!“

„Lass uns wenigstens die Tür schließen“, sagte nun Nemours leise und machte sich von seinem Schüler los, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Nun ging er doch an seinen Kleiderschrank und zog ein Handtuch heraus, das er Louis zuwarf. „Da, trockne dich ab, du erkältest dich noch.“ Damit wandte er sich wieder von Louis ab und seinem Schreibtisch zu. Der Engländer allerdings legte sich das Handtuch lediglich um die Schultern und ging dann langsam auf Nemours zu, der ihm den Rücken gekehrt hatte.

Und dann blieb er direkt hinter ihm stehen. Er streckte den Arm aus und machte die Lampe aus. Nun war es dunkel um sie herum.

Er schlang seine Arme um Nemours, drängte seine kalte Wange an die heiße des Franzosen.

Es kam dem Franzosen jetzt anscheinend nicht mehr in den Sinn einen auf Lehrer zu machen, denn er fuhr dem Jungen durchs Haar, wandte dann den Kopf und küsste ihn.

Oh ja! Diese Lippen waren das, wonach er sich schon seit ihrer ersten Begegnung gesehnt hatte. Diese Lippen, die begierig nach seinen eigenen schnappten.

Und diesen Fingern, die sich in seinem Haar festkrallten, die im nächsten Moment davon abließen und ungeduldig die Knöpfe seines Mantels öffneten.

Nach diesem Körper, der sich nun gegen seinen drückte.

Und diese Augen; diese Augen! Sie machten ihn wahnsinnig! Wenn er einen Moment aufsah, konnte er in diesem Blick nun alles lesen. Alles, was ihm bisher verwehrt geblieben war. Die Begierde, die Erregung, die Lust.

Damit gehörten diese Augen nur noch ihm. Genauso wie der Rest Nemours’.

Doch war es umgekehrt nicht genauso? War er dem Lehrer nicht ebenso ausgeliefert? Ein offenes Buch in seinem Verlangen?

Es war ihm egal und er stöhnte auf, als er bemerkte, dass Nemours’ Lippen sich nun an seinem Hals zu schaffen machten.

Ungeduldig, kurzatmig drängte er den Franzosen zum Bett und der ließ sich scheinbar willenlos führen; oder zog er ihn nicht schon?

Nemours begann wieder seine Lippen zu liebkosen, fuhr Louis mit den Fingern durch das nasse Haar und im nächsten Moment trennten sie sich, damit sich der Schüler seines nassen Mantels und des klammen Pullovers, das T-Shirt nahm er gleich mit, entledigen konnte, wobei ihm Nemours behilflich war.

Der Regen trommelte währenddessen hart gegen die Fensterscheiben.
 

Sie lagen nebeneinander, hatten bis jetzt nicht gesprochen, lauschten nur noch dem sanften Nieselregen, dem Nachklang des Gewitters.

Ja, sie hatten es getan.

Und ja, es war der beste Sex gewesen, den Louis jemals gehabt hatte.

„Ich will eine rauchen“, versetzte er und war selbst erstaunt, wie rau seine Stimme klang. Nemours, der auf dem Bauch lag, den Arm über Louis Brust, hob nur eine Augenbraue, sah zu ihm und entgegnete: „Hör auf, sonst krieg ich auch noch Lust.“

„Lass uns raus gehen und eine rauchen, jetzt ist eh keiner mehr wach“, drängte der Londoner und setzte sich auf, was ein Brummeln Nemours zur Folge hatte. Er erhob sich, drehte seinem Lehrer den Rücken zu und suchte seine Kleider zusammen, um sie anzuziehen.

Als er Nemours’ Hemd in die Finger bekam, warf er es diesem zu und maulte: „Na los, zieh dich an, ich brauch Nikotin!“

„Hetz doch nicht so“, brummte dieser, zog es sich aber nichtsdestotrotz an. Dann stand auch er auf und zog sich an.

Louis stand schon, ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopfend, an der Tür. Seine Zigaretten waren noch immer in seiner Jackentasche und wenigstens noch nicht durchgeweicht.
 

Als sie aus dem Gebäude kamen, schlug ihnen die Luft eiskalt entgegen und der Nieselregen ließ ihre Kleider noch klammer werden.

Sie kamen am Tuck Store vorbei, der Süßigkeitenladen in dessen Ladenfenstern Lichtgierlanden aufgehängt waren, gingen die Auffahrt entlang und blieben schließlich hinterm Torpfosten stehen. Louis zog seine Zigarettenschachtel aus der Tasche, holte zwei heraus, gab eine davon Nemours und nahm dann das Feuerzeug aus seiner Hosentasche.

Louis klapperten jetzt schon die Zähne. Nemours und er berührten sich in keinster Weise. Der Junge hockte mit dem Rücken an den Pfosten gelehnt da und Nemours stand neben ihm. Schweigend starrten sie auf die Straße.

Warum musste es nur so saukalt sein? Louis fluchte innerlich. Er hatte eine Gänsehaut und er war sich sicher, dass irgendjemand bald hierher kam, nur um herauszufinden, was dieses elend laute Geklapper war, das von seinen Zähnen ausging!

Nemours war vor Louis fertig und schnippte seine Kippe auf die Straße in eine Pfütze, die sich gesammelt hatte. Mit einem Zischen erlosch sie. Louis erkannte das als sein Zeichen, denn nun erhob er sich, nahm noch einen letzten Zug und ließ die Zigarette dann fallen, um sie mit seinem Schuh auszutreten.

Schweigend gingen sie wieder ins Internat und in der großen Halle gingen sie stumm ihres Weges, ohne eine Geste, ein Wort des Abschieds.

Louis grinste. Es war also tatsächlich nur Sex gewesen.

Gelassen ging er durch den Essensraum und durch die Hintertür zu den Treppen. Er ging sie fast alle hinauf, bis er vor seinem Zimmer stand.

Er trat ein, schaltete aber das Licht nicht an. Er wollte sich einfach nur noch in sein Bett fallen lassen, doch gerade als er sich umgezogen hatte und dazu bereit war, erkannte er, dass hier schon jemand lag.

Etwas verwirrt griff er nach seinem Handy, das auf dem Nachttisch lag, schaltete die Beleuchtung ein und hielt es nun an das Gesicht des fremden Bettenliegers.

Und er erkannte Richard.

Vorsichtig rüttelte er ihn an der Schulter, sodass er wach wurde.

„Rich? Hey Mann, was machst du denn in meinem Bett?“, fragte Louis, während Richard sich die Augen rieb.

„Auf dich warten. Bin ich eingeschlafen? Wie viel Uhr ist es?“, kam die Gegenfrage. Louis seufzte und sah auf sein Handy, dann sagte er: „Halb eins und nun sag mir, warum du auf mich wartest.“

„Weil ich wissen will, wo du warst.“

„Bei Nemours.“ Ja, er sagte die Wahrheit, nur sollte nun die Frage kommen, was sie gemacht hätten, dann würde er lügen; eiskalt.

„Bei Nemours?“ Er klang noch immer sehr verschlafen.

„Ja. Aber jetzt komm, geh schlafen, du pennst ja schon im Sitzen ein.“

„Keine Lust hochzugehen.“

„Dann rutsch mal“, seufzte Louis und schob sich zu Richard unter die Decke. In früheren Zeiten hatten sie oft in einem Bett geschlafen. Richard war immer zu ihm gekrochen gekommen, wenn er Heimweh hatte und Louis war der Einzige gewesen, der ihn nicht ausgelacht hatte, sich nicht über ihn lustig gemacht hatte. Er hatte ihm nachts einen Platz bei sich freigehalten und sich seiner Tagsüber angenommen. Richard war nie wirklich beliebt gewesen, im Gegensatz zu Louis. Der hatte stets irgendwelche Bewunderer um sich gehabt. Und dennoch hatte er Richard wie einen kleinen Bruder behandelt, seit sie sich ein Zimmer im ersten Jahr geteilt hatten.

Doch eigentlich waren diese Zeiten schon lange vorbei und Louis wunderte sich, warum Richard nun bei ihm schlafen wollte.

„Fast wie früher, nicht wahr?“, murmelte Richard.

„Wie ist das Spiel ausgegangen?“, fragte nun Louis. Er streichelte dem Rotschopf sanft durchs Haar.

„3:4 Kenton“, entgegnete Richard mit einem bitteren Unterton.

„Wer hat das Tor für Heathcliff gemacht?“

„Captain. Aber ich hätte auch fast eins geschafft, aber der Ball ist so hoch geflogen, dass es erst nicht eindeutig war, ob er eigentlich durch den Torpfosten durchgegangen wäre und dann hat der Torrichter für Aus gestimmt.“

„Gut! Ich bin stolz auf dich.“ Sie lagen einander zugewandt und Louis sah den Anderen sanft lächeln, woraufhin auch er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte; vorsichtig strich er dem Rotschopf eine Strähne aus dem Gesicht. Dann alle Haare. Er beugte sich zu ihm vor und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Weißt du, es ist wirklich fast wie früher“, flüsterte er und drückte Richard etwas näher an sich. Dieser schlang ebenfalls die Arme um ihn und seufzte wohlig auf.
 

Louis lauschte dem Atem Richards, der immer ruhiger und gleichmäßiger wurde. Er spürte die Atemzüge des Oxforders beruhigend gegen seinen Körper drücken, das Herz sachte schlagen.

Richard war für ihn immer wie ein jüngerer Bruder gewesen. Immer hatte der zu ihm aufgesehen, hatte alles toll gefunden, was Louis gemacht hatte.

Das hatten andere zwar auch getan, aber bei denen war es nicht echt gewesen; bei denen war alles gestellt; vielleicht weil ihre Eltern gesagt hatten, sie sollten sich mit Louis Macheath anfreunden, das war ein wichtiger Kontakt. Und bei ihnen war er gestellt gewesen, niemals natürlich.

Nur bei Richard hatte er es sich getraut er selbst zu sein und selbst dann noch hatte Richard bewundernd zu ihm aufgeschaut. Und mit der Zeit hatte das Bewundernde ab- und das Verständnisvolle zugenommen.

Selbst wenn Richard es selbst womöglich gar nicht wusste, ohne ihn hätte Louis es kein Jahr auf dieser Schule ausgehalten.

Plötzlich spürte er eine Hand an seiner Wange, Richards Hand. War er etwa aufgewacht? Er sollte nicht mitbekommen, dass Louis nicht schlief, so schloss dieser rasch die Augen und wartete ab, doch was nun geschah übertraf seine Vorstellungskraft weit.

Denn nun legten sich sanft Richards Lippen auf die Seinen.

Richard küsste ihn! Was sollte das? Seit wann wollte Richard…?

Nun schlang der Rotschopf seine Arme um Louis Nacken und drängte sich näher an ihn.

Louis überlegte fieberhaft, was er nun tun sollte und schließlich kam er zu einem Schluss.

Er erwiderte den Kuss und gerade als er begann, spürte er, wie Richard erschrocken innehielt, doch anstatt ebenfalls aufzuhören, streichelte er dem Anderen durch die Haare und fuhr fort ihn zu küssen.

Und schließlich, endlich, gab sich Richard auch wieder diesem Kuss hin.
 


 

Ich hoffe, es hat euch gefallen und würde mich über etwas mehr Rückmeldung wirklich freuen. Ich bin ja normalerweise niemand der um Kommentare bettelt, aber wie soll ich sonst wissen, ob es gefällt, nicht gefällt oder einfach nur abstoßend ist?

Also ich würde mich über einen Kommentar wirklich freuen und verspreche auch zu antworten.

LG, Terrormopf

Ich wünsche euch erst einmal einen wunderschönen vierten Advent!

Ich hoffe doch, dass ihr jetzt auch Ferien habt und wenigstens die Weihnachtszeit noch jetzt genießen könnt (ohne Klausuren oder solche schrecklichen Dinge...)

Ich habe mich das letzte Mal sehr über eure Kommentare gefreut. Vielen Dank! =)
 

Und dann kommt hier noch eine Widmung hin: Ich widme dieses Kapitel nämlich der guten abgemeldet die gestern Geburtstag hatte. Ich hoffe doch, du hast die Korken knallen lassen? =D
 

Außerdem möchte ich mich an dieser Stelle noch bei abgemeldet bedanken, die mir so lieb betat, auch wenn sie gerne den ein oder anderen Charakter mal eine runterhauen würde, gell? <3

Nun aber genug der Vorrede. Viel Spaß beim Lesen!
 


 

„Was ist auf einmal zwischen dir und Nemours?“, fragte Richard, als sie nach der Doppelstunde aus dem Klassenzimmer kamen. Louis sah ihn für einen Moment lang verblüfft an, doch dann lächelte er: „Was soll zwischen uns sein?“ Es konnte ihm unmöglich aufgefallen sein. Es konnte niemandem aufgefallen sein; die Hinweise waren minimal.

„Nun“, setzte Richard an. „Zum Ersten hast du ihm die ganze Zeit auf die Lippen gestarrt, sonst hast du immer nur seine Augen im Visier gehabt. Dann hat er einmal beinahe den Faden verloren, als er deinen intensiven Blick bemerkt hat, außerdem hat er öfter als sonst zu dir geschielt. Aber keine Sorge, außer mir wird es keinem aufgefallen sein“, fügte er rasch hinzu, als er sah, wie Louis sich auf die Unterlippe biss.

„Da ist nichts“, erwiderte er etwas gepresst. Seit wann war Richard so ein scharfer Beobachter?

Über den Kuss der Samstagnacht hatten sie kein Wort verloren. Sie hatten nicht miteinander geschlafen, nichts, sie hatten sich nur geküsst. Ein reiner, unschuldiger Kuss, wie man ihn Richard zutraute.

„Wie dem auch sei, du hast auch noch Unterricht, nicht wahr? Ich hab jetzt Chemie und…“

„Treffen wir uns in der Kekspause in meinem Zimmer“, unterbrach ihn Louis ruppig und ging dann die Treppe hinauf, während Richard links abbiegen musste. Der blieb jedoch einen Moment lang stehen und sah dem Brünetten hinterher.
 

„Was ist nun?“, fragte Richard, unfähig die Unsicherheit in seiner Stimme zu überspielen, und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick schien unwillkürlich aufs Bett zu fallen und seine Ohren begannen zu glühen. Louis beobachtete Richard für einen Moment, dann ging er auf ihn zu und schloss ihn in seine Arme, drückte ihn nahe an sich.

„Louis? Was…?“, setzte Richard an und erwiderte die Umarmung gerade, da murmelte der Gefragte: „Was war das Samstagnacht?“

Er spürte, wie Richards Wange heiß wurde und nun war er derjenige, der nervös auf seiner Unterlippe kaute.

„Nicht das erste mal“, erwiderte er schließlich. Louis wollte ihn auf die Antwort hin von sich halten und ihm ins Gesicht sehen, doch Richard klammerte sich verzweifelt an ihm fest.

„Was soll das heißen ‚Nicht das erste Mal’? Etwa dass du das schon öfter getan hast, als ich geschlafen habe?“, er klang beabsichtigt aufbrausend, auch wenn es ihn eigentlich amüsierte. Richard war also immer noch der Alte geblieben; er hatte schon befürchtet, dass der Rotschopf zu einem der typischen Heathcliffer mutierte.

„Na und? Es hat dich noch nie gestört und Samstagnacht schien das auch weniger der Fall gewesen zu sein“, murrte Richard und barg die Stirn an Louis Schulter. Dem huschte nun ein sanftes Lächeln auf die Lippen und er sagte: „Das habe ich auch nie behauptet, es hat mich nur erstaunt.“

„Und jetzt?“, fragte Richard vorsichtig.

„Keine Ahnung“, antwortete Louis. „Wir könnten uns wieder küssen.“

„Wenn du willst“, entgegnete Richard und löste sich langsam von Louis, der nur erwiderte: „Wenn du willst.“ Doch hatte Richard nicht mehr die Gelegenheit ihm zu antworten, denn Louis hatte schon sanft seine Lippen auf die des Anderen gelegt.

Es war schön Richard zu küssen. Er war zurückhaltend, sanft, zögerlich und fast schon schüchtern.

Es war wie ein Blick in die Vergangenheit, in der Richard noch der schüchterne, unsichere Junge gewesen war, der alles getan hatte, was Louis ihm gesagt hatte.
 

„Komm um fünf in L2. Nemours“

Das war die Nachricht, die Louis nach dem Tee empfing. Und in dem Moment war er froh, dass Richard in sein eigenes Zimmer gegangen war.

Sollte Louis zu diesem Treffen gehen?

Er musste! Er hatte die Sache mit Nemours zu beenden, bevor Richard davon erfuhr.

So kam er also um fünf Uhr in L2 und traf Nemours an, der am Pult saß, den Blick auf seine auf der Tischplatte gefalteten Hände gerichtet.

„Mach doch bitte die Tür zu, Louis.“ Dieser tat wie ihm geheißen und ging dann auf den Franzosen zu, der sich ebenfalls erhoben hatte.

„Nemours, ich…“ Er kam nicht weiter, denn Nemours hielt ihm den Mund zu und drängte ihn gegen eine Wand. Dann löste er die Hand wieder und legte stattdessen seine Lippen auf die Louis’. Leise flüsterte er gegen die Lippen des Schülers: „Still, Louis, still.“

Und damit begann er den Jungen zu küssen.

„Aber Sir…“, versuchte Louis gegen den Kuss anzureden, doch als Nemours verlangender wurde, wurde er schwach. Und so erwiderte er den Kuss.

Und die Gedanken an Richard stopfte er in eine der hintersten Schubladen seines Gehirns.

Oh ja, dieses Verlangende, danach verlangte es ihn in dem Moment. Nach diesem Triebhaften, das ihn mit Nemours verband.

Nemours’ Kuss war nicht schön, das war definitiv das falsche Adjektiv.

Er war mehr aufregend, atemberaubend, lüstern.
 

Und sie hatten es auf dem Pult von L2 getan.

Wie sollte Louis sich in diesem Zimmer nun je wieder auf den Unterricht konzentrieren können?

Er war hinauf in Richards Zimmer gegangen, hatte sich von dem eine Zigarette geschnorrt und war dann aufs Dach gestiegen; Richard ihm hinterher.

„Was ist los? Wo warst du?“, fragte dieser argwöhnisch, als er sich mit Louis’ Feuerzeug eine anzündete.

„Nichts. Und wo ich war ist unwichtig“, entgegnete Louis.

„Und warum ist dein Blick so verklärt? Und deine Haare so zerzaust und dein Shirt auf links?“ Richard war ihm definitiv ein zu genauer Beobachter. Unwirsch knirschte er mit den Zähnen und knurrte: „Das geht dich nichts an.“

Er wollte nicht, dass Richard auch den geringsten Verdacht hegte, denn er war ein Typ bei dem man die Folgen nicht genau einkalkulieren konnte.

„Nun sag schon!“, drängte ihn Richard, doch Louis grummelte nur: „Ich hab mich gezofft.“

„Gezofft? Mit wem? Wieso? Und das erklärt nicht dein T-Shirt…“ Er wollte noch fortfahren, doch Louis unterbrach ihn: „Mann! Hab ich da was nicht mitbekommen oder warum bin ich hier im Verhör gelandet? Das ist verdammt noch mal meine Sache!“ Er war laut und aufbrausend geworden und hatte es nicht gewagt seinem Gegenüber in die Augen zu sehen.

Aber warum verstand Richard auch nicht, dass es ihn einfach nichts anging?

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht wütend…“

„Ach, halt einfach die Klappe!“, rief Louis und inhalierte genervt den Rauch seiner Zigarette.

„Ist ja gut, brauchst mich ja nicht gleich anbrüllen, weil du schlechte Laune hast.“ Er klang verletzt. Doch Louis brüllte weiter: „Ich bin nicht schlecht gelaunt und ich brüll dich nur an, weil du nicht still bist!“ Er war in seiner Wut aufgesprungen.

„Sei doch selbst still, sonst kommt ein Erzieher“, flüsterte Richard, doch Louis donnerte: „Is mir doch bumms! Soll doch einer kommen! Was soll’s? Is mir doch so was von bumms.“ Die Lautstärke war verpufft; Louis hatte sich wieder gesetzt, nun auf der Dachschräge gegenüber Richard, und vergrub nun das Gesicht in seinen Händen. „Is mir absolut egal.“ Seine Stimme klang heiser und kratzte in seinem Hals. Die Zigarette war ihm schon längst aus der Hand gefallen.

Er spürte Richards Blick förmlich auf sich: bestürzt und verwirrt und unsicher.

Aber er konnte nicht mehr. Was sollte er tun? Wie sollte das alles weitergehen? Er würde es nicht schaffen die Sache mit Nemours zu beenden und Richard wollte er das nicht antun.

Doch eben der setzte sich nun neben ihn, legte ihm vorsichtig den Arm um die Schultern.

„Was ist denn, Louis?“, fragte er leise. „Was ist denn passiert?“

Doch Louis konnte nicht antworten. Er zog Richard an sich und vergrub sein Gesicht an dessen Brust. Und zu seiner Beruhigung hörte Richard nun endlich auf Fragen zu stellen, sondern seufzte nur und legte seinerseits die Arme um den zitternden Louis.

Der Londoner wusste bei Gott nicht, warum er zitterte. Und er hasste sich dafür, dass er ausgerechnet bei Richard Zuflucht suchte. Beim armen Richard, dem er etwas antat, das der niemals verdient hätte.

„Rich?“, flüsterte er schließlich und der Angesprochene gab einen Laut von sich. „Rich, such dir einen Anderen. Oder noch besser: Such dir ein nettes Mädchen. Ich bin nicht der Richtige für dich, ich bin es sicher nicht.“

„Was soll das denn jetzt?“, fragte Richard perplex. Und nun löste sich Louis von ihm, sah ihm entschlossen in die Augen und sagte: „Bleib lieber fern von mir, ich tu dir nicht gut.“ Damit erhob er sich und verließ den überrumpelten Richard.
 

Louis saß in seinem Zimmer vor seinem Laptop und tippte an einem Essay über die russische Propaganda im frühen zwanzigsten Jahrhundert für Geschichte.

In den Ohren hatte er Stöpsel, die an seinen Laptop angeschlossen waren und über die er, lauter als empfohlen, Musik hörte.

Deswegen vernahm er auch nicht das Klopfen und bemerkte nicht, wie sich die Tür öffnete und jemand eintrat.

Er war vollkommen in seine Arbeit vertieft, wodurch er den Eindringling erst bemerkte, als dieser seine klammen Finger auf die warmen Louis’ legte, was diesen zusammenzucken und aufblicken ließ.

Es war eben der arme Junge, den er auf dem Dach so überrumpelt hatte. Und Richard sah ihn mit einem Blick an, der es vermochte Herzen zu zerreißen. Auch das Louis’, doch er ließ es sich nicht anmerken. Er nahm sich lediglich die Stöpsel aus den Ohren und sicherte seine Arbeit, während er kühl fragte: „Was ist, Rich?“

„Nichts“, sagte er. „Ich wollte nur sichergehen, dass du dich nicht wieder zoffst. Was schreibst du?“ Er verzog keine Miene.

Louis hatte seine Hände längst abgeschüttelt und stellte unbehaglich fest, dass sich der Rotschopf neben ihn setzte.

„Also? Was schreibst du da?“, fragte der erneut und Louis antwortete ungerührt: „Ein Essay für Geschichte.“

„Ach so.“ Mehr kam nicht. Für die nächsten fünf Minuten.

Der Londoner starrte verbissen auf seinen Laptop und Richard sah seine Füße an.

Irgendwann hielt es Louis jedoch nicht mehr aus. Er klappte seinen Laptop zu, legte ihn neben sich und stand dann auf.

„Was machst du?“, fragte Richard und sah endlich auf.

„Ich ziehe mich um; was dagegen?“ Ja, seine Antwort fiel bissig aus und obwohl er es absichtlich getan hatte, hörte es sich gesprochen noch viel geringschätziger an. Richard schüttelte lediglich den Kopf und senkte den Blick wieder.

Er zog sich einfach nur eine Jogginghose und ein altes T-Shirt an, mehr brauchte er nicht zum Schlafen und er würde bestimmt niemals einen dieser albernen karierten Schlafanzüge anziehen, die seine Mutter ihm stets kaufte. Sie glaubte wohl, Schlafanzüge wären alles, was ein Junge brauchte.

Was er wirklich brauchte, musste er sich von seinem eigenen Geld finanzieren, wobei ihn sein Vater da tatkräftig mit einer Menge Taschengeld unterstützte.

„Was sollte das heute auf dem Dach?“ Fast wäre Louis zusammengezuckt, als er Richards Stimme so nahe bei sich vernahm. Er war wohl in Gedanken abgeschweift. Doch er fasste sich rechtzeitig wieder, ging wieder zu seinem Bett, um Distanz zwischen sie zu bringen.

„Was meinst du?“, fragte er gähnend, streckte sich auf seiner Bettdecke aus.

Richard kam wieder zu ihm, setzte sich an die Bettkante, den Rücken ihm zugewandt. Er seufzte kaum hörbar und sagte dann: „Du weißt, was ich meine. Was ist los mit dir?“

„Nichts ist mit mir los, gar nichts. Aber mit dir scheint deine Phantasie durchzugehen, nur weil wir uns zwei Mal geküsst haben. Hör doch einfach auf den Besorgten raushängen zu lassen.“ Gleichgültig. Ja, er wollte gleichgültig rüberkommen, doch wenn auch nur minimal, seine Stimme hatte gezittert. Hoffentlich hatte es Richard nicht bemerkt. Doch als er auf dessen Rücken sah, wusste er, dass der es verdammt genau gehört hatte.

„Wer sagt denn, dass ich mir Sorgen mache? Ich bin nur neugierig.“ Nun richtete Louis auf die Ellenbogen gestützt den Oberkörper auf, grinste und erwiderte: „Du Arsch! Nicht mal Sorgen machst du dir um mich!“ Nun wandte Richard ihm endlich wieder sein Antlitz zu und auch er grinste: „Natürlich nicht, oder sollte ich das?“

„Mach dir lieber erst mal Sorgen um dich selbst, bevor du dich um Andere sorgst.“ Und er streifte sanft mit der Faust das Kinn des Anderen.

„Warum sollte ich mir um mich sorgen machen?“, entgegnete nun Richard und hob verwundert eine Braue. Louis allerdings lachte: „Nun, man kann nie wissen. Und heute Nacht solltest du wohl besser in deinem Zimmer schlafen, die Erzieher kontrollieren.“

„Schade“, sagte er. „Ich fand es am Samstag eigentlich recht gemütlich.“

„Tatsächlich? Ich fand es nur eng.“

„Natürlich“, erwiderte Richard und grinste wissend. „Aber du hast wohl Recht, außerdem macht sich mein Zimmernachbar sonst noch Sorgen um mich.“

„Kannst dich ja zu dem ins Bettchen kuscheln“, lachte Louis vergnügt, erntete allerdings nur einen abwertenden Blick und Richard sagte: „Der Einzige, in dessen Bettchen ich mich bequeme bist du. Und das solltest du wissen.“

Natürlich wusste Louis das. Und es wunderte ihn, dass Richard so ernst reagierte.

Doch er hatte nicht die Zeit weiterhin darüber nachzudenken, denn nun beugte sich Richard leicht zu ihm hinunter und küsste ihn sanft und bevor Louis realisierte, was er da eigentlich tat, hatte er den Kuss schon erwidert und verfluchte sich innerlich.
 

Als Richard weg war, lag der Brünette noch lange wach. Er konnte ihm das nicht antun! Er musste ihn unbedingt auf Abstand halten, ihm diese Flausen austreiben.

Ja, er fühlte sich verantwortlich für den guten, armen Richard McCreeby. Und das, seit sie sich vor vielen Jahre das Zimmer geteilt hatten. Und er fühlte sich dabei wie ein guter Mensch, der sich einem armen, verwaisten Kind annahm. Und vielleicht war das auch das einzig Gute, was er je getan hatte, weswegen er daran festhielt, auch wenn es auf seine Weise egoistisch und selbstgerecht war. Richard war der einzige Mensch, den er je glücklich gemacht hatte, den er glücklich machen konnte.

Nein, er wollte ihn nicht kaputt machen, wie so viele Menschen vor ihm. Und deshalb musste Richard auf Abstand gehalten werden, auf jeden Fall.

Oder konnte er sich nicht einfach von Nemours fernhalten?

Ha! Das war keine Lösung. Nemours war nichts. Nichts als ein Zeitvertreib und es würden noch viele solcher Zeitvertreibe kommen und das konnte er Richard unmöglich antun. Also war es wohl besser ihre Freundschaft zu beenden, bevor er das Herz des armen Jungen brach.
 


 

An dieser Stelle vielen Dank für's Lesen.

Ob ich es nächsten Sonntag schaffe das nächste Kapitel hochzuladen weiß ich noch nicht, weil es gut sein könnte, dass wir bei Verwandten sind... aber ich werde mich bemühen.

Ich freue mich wie immer, wenn ich eure Meinungen lesen darf.

LG, Terrormopf =)

Hallo =)

Es tut mir leid, ich habe, wie schier angekündigt, die Frist nicht einhalten können (und noch auf keinen einzigen Kommentar geantwortet... Schande über mich, es tu mir leid! Aber ich habe mich dennoch sehr gefreut) Deshalb gibt es das neue Kapitel mit einem Tag Verzögerung.

Nichtsdestotrotz habe ich eine leichte antipathie gegenüber Nemours in den Kommentaren herauslesen können...

Dieses Kapitel widme ich mal meiner Beta-Leserin, die es geschafft hat nun alles fertig zu betan und mich jetzt hasst... tut mir leid uû

Also trotzdem viel Spaß beim Lesen!
 


 

Die Tage verflogen und es änderte sich doch nichts an Louis’ Situation.

Richard war anhänglich geworden, anhänglicher als er es erwartet hatte, dabei war er doch vor den restlichen Jungs ganz anders. Dennoch genoss der Londoner die Momente, die er mit Richard allein verbrachte, sie bereiteten ihm stets ein warmes Gefühl.

Mit Nemours verband ihn nichts. Nichts außer dem Sex.

Sex mit einem Lehrer auf einem hoch angesehenen Jungeninternat in England nach viktorianischer Erziehung; das hörte sich doch nach etwas an.

Sie trafen sich meist nachts in Nemours Zimmer. Louis wusste ziemlich schnell, zu welchen Zeiten die Erzieher kontrollierten und Nemours hatte den Plan, wer Nachtschicht hatte, mitgehen lassen. Einmal war er fast erwischt worden, als er aus des Franzosen Zimmer schleichen wollte, doch der hatte ihn noch rechtzeitig zurückgehalten und die Tür zugedrückt; Louis hatte nicht bemerkt gehabt, dass das Licht auf dem Flur an gewesen war. Und so hatte er dagestanden, Nemours Körper hinter ihm an seinen gepresst, dessen Hand auf seinen Lippen. Und sein Herz hatte gerast. Nach einigen Sekunden hatte Nemours die Hand von der Tür genommen und hatte sie stattdessen auf den Brustkorb des Jungen gelegt. Louis hatte gewusst, dass sich eines dieser seltenen Lächeln auf Nemours’ Lippen gestohlen hatte. Ja, er hatte Louis’ Herzschlag gespürt, den unkontrolliert schnellen Puls und hatte genau gewusst, welche Mengen Adrenalin gerade durch die Adern des Schülers geflossen waren. Und dann hatte er die Hand zu Louis’ Bauch wandern lassen und ihn mit kalten Lippen an der Halsbeuge gestreift, ihn geküsst, liebkost. Und er hatte gespürt, wie sich der Bauch des Londoners für einen Moment überrascht und lustvoll zusammengezogen hatte. Und dann hatte er den flachen, unregelmäßigen Atem gespürt und schließlich auch vernommen.

An jenem Abend war er auch ein zweites Mal schier erwischt worden, das zweite Mal, weil er es nur knapp geschafft hatte sich in sein Zimmer zu schleichen, bevor der Erzieher da gewesen war. Er hatte gerade im Bett gelegen, noch alle Kleider am Leib, da hatte sich die Tür wieder geöffnet und er hatte die Luft angehalten, damit man nicht hören konnte, dass er außer Atem war.

Ja, ein Grund für die Nemours-Affäre war der Nervenkitzel. Ein anderer die Herausforderung. Er hatte es einmal, vielleicht zwei Mal geschafft. Er schaffte es diese absolute Ausdruckslosigkeit aus Nemours Augen zu verdrängen, hatte es auch geschafft ihn lächeln zu sehen.
 

Nun saß er am Rande eines Tennisfeldes und starrte den Rasen an. Er hatte zuvor an der Übungswand einige Bälle geschlagen; hatte es gebraucht überschüssige Energie loszuwerden. Außer ihm war niemand da, es war über die letzten Tage empfindlich kalt geworden und morgens sah man kaum drei Meter weit, so dicht war der Nebel.

So lehnte er also am Maschendrahtzaun, rupfte hin und wieder ein paar Grashalme ab und dachte über seine Beziehungen nach.

Die Ruhe empfand er als angenehm. Im Gebäude hatte man nie Ruhe. Aus irgendeinem Zimmer schallte immer Musik; irgendwer kam immer ins Zimmer geplatzt und irgendwas störte einfach immer.

Hier draußen lief vielleicht einmal eins der Eichhörnchen vorbei oder ein Baum verlor ein paar Blätter bei einem leichten Windstoß, doch mehr auch nicht.

Mit den Augen fuhr er die Linien des Feldes nach; die T-Linien, die Grundlinie, die Mittellinie, alle gerade und exakt ausgerichtet. An und für sich spielte er lieber Einzel, wobei er sich das ein oder andere Mal zu einem Doppel hatte überreden lassen, aber das Teamspielen lag ihm nicht sonderlich.

Bald würde wieder ein Turnier sein, bei dem Heathcliff antrat und er würde natürlich dabei sein. Er spielte gut, eigentlich sehr gut. Natürlich war er nichts im Vergleich zu einem Roger Federer oder einem Raphael Nadal, aber in ihrer Alterstufe, unter seiner Konkurrenz, ja, da konnten sich seine Fähigkeiten schon sehen lassen.

Er griff nach seinem Schläger, der neben ihm im Gras lag, legte seine linke Hand unter die Saiten und drückte leicht dagegen. Wann hatte er ihn eigentlich das letzte Mal bespannen lassen? Es war schon lange her und langsam wirklich mal wieder nötig; er würde ihn am nächsten Wochenende mit nach London nehmen, damit das dort erledigt wurde.

„Hey, ich hab dich gesucht!“, vernahm er plötzlich Richards Stimme und sah auf. Tatsächlich kam dieser, die Hände in den Hosentaschen, auf ihn zugelaufen und ging vor ihm in die Hocke, rückte sich die Mütze, die sich auch an einem Zeitungsjungen aus dem Zeitalter der Industriellen Revolution ganz gut machen würde, auf dem Haupt zurecht.

„Super, hast mich gefunden“, murmelte Louis.

„Wieso sitzt du hier ganz alleine?“, fragte Richard und streichelte Louis über die Wange. Der allerdings drehte das Gesicht weg. Richard achtete nicht darauf, sondern setzte sich, griff in die Taschen seiner Jacke und holte einige Kekse, die er in Servietten gepackt hatte hinaus. Er legte sie zwischen sie und strahlte: „Hab ich mitgehen lassen. Hast du Hunger?“ Louis schüttelte den Kopf und ließ ihn dann nach hinten fallen, sodass er geräuschvoll gegen den Maschendrahtzaun schlug. Er sah in den grauen Himmel.

Irgendwie lief es immer so. Richard suchte ihn, seine Nähe, schlussendlich fand er ihn, jedoch mit dem Ergebnis, dass Louis nach Möglichkeit versuchte ihn zu ignorieren. Dann wurde er anschmiegsamer, blieb hartnäckig und irgendwann hatte er Louis dann doch rum.

Jedes Mal geschah es und jedes Mal hatte Louis ein schlechtes Gewissen, weil es einfach nicht fair war.

„Natürlich hast du Hunger“, lächelte Richard und Louis machte gerade den Mund auf, um zu verneinen, da schob ihm der Rothaarige ein Shortbread hinein. Louis seufzte innerlich, biss aber dennoch ab und kaute resigniert. Richard biss nun vom selben Teil ab und schob sich schließlich den Rest in den Mund.

„Sag mal, Louis?“, fragte er.

„Hm?“, machte der und sah wieder zu ihm.

„Du willst in letzter Zeit ziemlich oft alleine sein. Ist eigentlich wirklich nichts los? Du hast neulich sogar mal Französisch geschwänzt…“ Louis hatte ihm nicht genau zugehört, hatte auf ein Eichhörnchen geachtet, das vom einen Baum zum anderen gehechtet war.

„Um Nemours zu haben muss ich ja nicht in Französisch…“ Seine Stimme klang wie sein Bewusstsein: abwesend.

„Wie meinst du das denn?“ Irrte er sich oder schwang da Skepsis in Richards Stimme mit? Wieso war er denn skeptisch?

In Gedanken ging Louis noch einmal die letzten Sätze durch und als er an die Stelle kam, biss er sich auf die Unterlippe und sagte dann: „Ich meinte, dass ich auch französisch lernen kann, ohne mich so Ewigkeiten von Nemours vollschwallen zu lassen.“

Er schielte unsicher zu Richard und erkannte, dass dieser den Blick abwandte. Er schien ins Leere zu sehen. Was hätte Louis nur für seine Gedanken gegeben! In letzter Zeit schien er sehr aufmerksam zu sein…

„Fährst du in den Ferien eigentlich auch mit nach Frankreich?“, fragte schließlich Richard wieder nach einiger Zeit und drehte das Sommersprossen gespickte Gesicht seinem Gegenüber zu.

„Wer kommt denn alles mit?“, entgegnete Louis und löste das Haargummi, um sich mit den Fingern durch das dunkle Haar zu fahren. Richard wandte schnell den Blick ab und antwortete dann, die Ohren rot: „Der Hauptteil des Französischkurses.“

„Wie, Französischkurs? Ist das eine Exkursion oder was?“

„Ja.“ Richard lächelte leicht und sah ihn mit noch immer gesenktem Haupt an. „War Nemours’ Idee…“
 

„Exkursion nach Frankreich, hm?“, fragte Louis und hob eine Augenbraue, als er, nachts, in Nemours’ Zimmer an den Schreibtisch gelehnt stand, darauf wartend, dass Nemours endlich mit seiner Arbeit fertig wurde.

„Ja. Was ist damit?“, entgegnete der Franzose und sah es nicht ein zu dem Jugendlichen aufzusehen.

„Schwachsinnige Idee.“ Louis stieß sich vom Schreibtisch ab, trat hinter Nemours, legte ihm seine Arme um den Hals und biss ihm sanft ins Ohrläppchen; er war es leid zu warten.

Und sein Lehrer anscheinend auch, denn er legte seinen Stift beiseite, als er die verlangenden Küsse an seinem Hals spürte, und klappte Buch und Ordner zu. Dann griff er Louis ins dunkle Haar, zog ihn daran von seinem Hals weg und drückte ihm stattdessen seine Lippen auf.

„Kommst du mit?“, fragte er, als sie sich kurz voneinander gelöst hatten und Louis flüsterte, sich nach dem Mund des Anderen verzehrend: „Oh Gott, ja!“

„Braver Junge.“ Und endlich spürte er wieder Nemours Küsse auf seinem Körper und ein Beben durchzog ihn.
 

„Du schwänzt in letzter Zeit ziemlich oft Französisch“, stellte Nemours fest, als sie gemeinsam vorm Tor standen und eine rauchten; es war inzwischen eine Gewohnheit geworden.

„Und?“

„Die anderen Schüler werden stutzig, wenn ich nichts dagegen unternehme und das so weitergeht.“ Louis grinste, sah auf Nemours und fragte: „Was kümmert’s mich?“ Doch Nemours stieß den Rauch aus und sagte gelassen: „Du wirst dem Direktor dein Fehlen erklären müssen, mein lieber Louis.“

„Ich heiße Louis; ich hab dir schon tausend Mal gesagt, dass man das S ausspricht.“ Er war genervt, warf die halb gerauchte Kippe weg und ging, die Hände in den Jackentaschen vergraben.

„Fais-pas l’boudin“, rief Nemours ihm hinterher, doch Louis hob nur eine Hand, den Mittelfinger erhoben und rief: „Leck mich!“

„Morgen wieder.“ Louis schüttelte grinsend den Kopf. Er warf einen Blick auf sein Handy.

Gut, er hatte noch ungefähr eine Viertelstunde, bis die Erzieher kontrollierten.
 

Er ließ sich Zeit, während er die Treppen hinaufstieg.

Aber in seinem Zimmer erwartete ihn schon Richard, den er nach dem Abendessen mit einer ziemlich fadenscheinigen Ausrede abgewimmelt hatte und nun saß der Oxforder auf seinem Schreibtisch am geöffneten Fenster, weswegen es eiskalt war, und starrte hinaus.

„Rich? Wieso sitzt du denn hier bei offenem Fenster? Es ist wahnsinnig kalt hier drinnen! Komm, mach das Fenster zu und leg dich einen Augenblick zu mir ins Bett; die Erzieher kontrollieren gleich.“

Richard reagierte allerdings nicht auf seine Worte, sondern starrte unverändert nach draußen und sagte: „Nemours kommt rein; wieso warst du mit ihm draußen?“

„Ich wollte eine rauchen und da ich dachte, dass du schon schläfst hab ich mich raus geschlichen. Da hab ich dann Nemours getroffen. Komm, geh runter, ich mach das Fenster zu.“ Er war zum Schreibtisch gegangen und wollte das Fenster schließen, doch Richard rührte sich noch immer nicht, sondern sagte verärgert: „Schwachsinn! Warum lügst du mich an? Ich hab gesehen, wie du mit ihm zusammen raus gegangen bist. Scheiße, Mann! Was soll denn das?“ Und endlich stand er auf, damit Louis das Fenster schließen konnte.

„So lange sitzt du schon hier? Glaub nicht, dass ich auch nur einen Finger für dich rühre, wenn du krank wirst!“, maulte Louis und versuchte so das Thema zu umgehen.

„Lenk nur ab, Lou. Wenn du nicht möchtest, reden wir halt nicht drüber. Ich mach mir trotzdem Sorgen um dich.“ Er trat auf Louis zu und fuhr ihm durch die Haare. Dann küsste er seine Unterlippe.

Der Londoner lächelte leicht und entgegnete: „Als müsste man sich um mich Sorgen machen.“ Richard biss ihm sanft auf die Unterlippe und sagte dann: „Oh, ich kenn dich gut und lange genug um besser als irgendjemand sonst zu wissen, wann man sich um dich sorgen sollte.“ Louis erwiderte nichts, rührte sich nicht.

Im nächsten Moment öffnete sich jedoch die Tür und Richard ließ ihn augenblicklich los.

„Was machen Sie beide denn noch wach?“, war die erste Frage des Erziehers.

„Sorry, aber Rich hat ein paar Probleme mit seiner Freundin und es ist ihm peinlich das vor den anderen zu besprechen, deshalb…“, setzte Louis an, doch der Erzieher unterbrach ihn ungeduldig: „Ich glaube, Sie spinnen! Na los, Mr. McCreeby, ab nach oben in Ihr Zimmer und dann ins Bett!“

„Aber Sir“, setzte Louis erneut an.

„Was ‚Aber Sir’? Wollen Sie es etwa darauf ankommen lassen? Los, Mr. McCreeby, ins Bett!“

„Ach verdammt! Nun seien Sie doch einmal gnädig! Sagen wir noch eine Stunde, okay?“

„Sind wir jetzt plötzlich auf einem türkischen Bazar, Mister Macheath, oder warum fangen Sie das Feilschen an?“

„Ach nun kommen Sie schon! Bitte!“

„Herrgott im Himmel, machen Sie doch was Sie wollen, aber wenn ich Sie noch einmal nach Zapfenstreich erwische, dann können Sie sich auf was gefasst machen!“ Und damit schloss er genervt die Tür wieder hinter sich.

„Nun haben wir die ganze Nacht für uns“, grinste Louis, doch Richard kam einen Schritt auf ihn zu und küsste ihn.

Stürmisch.

Nicht so schüchtern wie gewöhnlich. Louis war überrascht, doch erwiderte er den Kuss.
 

Noch eine kleine Anmerkung: "Fais-pas l'boudin" heißt so viel wie "Spiel nicht die beleidigte Leberwurst".

Ich freue mich wieder über Meinungen, Kritik, Lob und sonstige Anmerkungen.

LG, Terrormopf =)

Hallo =)

Ich wünsche euch allen noch ein frohes neues Jahr (meinen Kommentatoren hab ich das ja schon gewünscht =))

Ich habe nur noch eine kurze Anmerkung: Dieses Kapitel beginnt schon in Frankreich...

Viel Spaß beim Lesen!
 


 

Nemours drängte ihn gegen die Wand, hatte ihn am Kragen gepackt, das Knie zwischen seinen Beinen und küsste ihn.

Der Kurs war nicht weit von ihnen entfernt, doch die Gefahr stachelte Louis nur noch weiter an. Hier in Paris war es wärmer als in England, sodass sie keine Jacken tragen mussten.

Louis drängte sich dem Körper seines Lehrers entgegen, krallte seine Finger in die dunklen Locken des Franzosen. Hätte ebenjener ihn nicht am Kragen gehalten, wären ihm jämmerlich die Beine weggesackt. Der spürte das natürlich und zog sein Bein noch etwas höher.

Louis stöhnte unterdrückt auf.

Oh Gott! Gott! Er wollte diesen verfluchten, anstößigen Franzosen jetzt! Er konnte nicht warten! Und wann sollten sie es denn sonst tun?

Im Hotel teilte sich Louis ein Zimmer mit Richard und bis sie wieder in England waren?

Es ging nicht so lange!

Erneut entrann ihm ein kehliger Laut und in dem Moment rollte eine leere, schon verdellte, Getränkedose in die schmale Seitengasse, in der sie sich befanden. Sofort lösten sie sich voneinander und starrten auf die Dose. Und in dem Moment ergriff Nemours die Initiative. Er packte Louis erneut am Kragen und presste ihn gegen die Wand, doch diesmal brüllte er ihn an: „Wenn du dich noch einmal unerlaubt von der Gruppe entfernst, dann setzt es was, junger Mann; aber endgültig! Langsam bin ich es leid dich in meinem Kurs zu haben. Außerdem ist das ein Schulausflug, du darfst nicht rauchen, wenn ich dich noch mal erwische…“

Und nun kam endlich jemand in die Gasse gelaufen für den sich das Schauspiel lohnte.

„Mister Nemours?“, fragte Mortimer etwas irritiert und sah von ihm zu Louis und dann auf die Fäuste Nemours, die Louis am Kragen gefasst hatten.

„Oh, Mortimer…“ Nemours ließ Louis vorsichtig los, damit dieser nicht zusammensackte – er hatte die weichen Knie von zuvor wohl nicht vergessen – dann wandte er sich dem Mitschüler zu und lächelte. „Hast du nach mir gesucht? Entschuldige, ich musste Louis hier einmal die Leviten lesen. Lasst uns zurück zu den anderen gehen, wir haben immerhin noch eine Menge vor.“ Mortimer zuckte daraufhin nur die Achseln, drehte sich um und marschierte aus der malerischen kleinen Gasse. Louis und Nemours folgten ihm.

Louis hatte Mühe seinen Atem zu kontrollieren und er vermutete, dass es Nemours nicht anders ging, denn dieser Kuss war alles andere als unschuldig gewesen. Und es gab nicht genug Antonyme für das Wort, um es zu beschreiben.
 

Nun waren sie also in Paris – der Stadt der Liebe – wie kitschig! Louis verabscheute diese Klischees; jedoch musste er zugeben, dass der Kuss mit Nemours in dieser Seitengasse etwas an sich gehabt hatte, was er in England nicht gehabt hätte. Aber er liebte Nemours nicht; das mit ihm war eine schnelllebige Sache, es war nur Sex – auch wenn es verdammt guter Sex war!

„Das Bad ist frei“, vernahm er nun Richards Stimme ganz nah an seinem Ohr.

Er selbst lag auf dem Bett und hatte die Augen geschlossen gehabt, doch nun schlug er sie auf, schlang die Arme um Richards Hals, dieser hatte sich neben ihn gestellt und sich ganz nahe zu seinem Ohr hinuntergebeugt, so dass Louis das Kribbeln an seinem Ohr spürte, als Richard sprach, und zog ihn nun zu sich hinunter, dass Richard auf ihn fiel.

Er wälzte sich herum, sodass er über dem Rotschopf kniete, dessen Ohren nun zu glühen schienen. Er berührte dessen Nase mit seiner Nase.

Streifte seine Lippen mit seinen eigenen.

Küsste ihn dann zärtlich.

„Lass das“, murmelte Richard und wandte das Antlitz beschämt zur Seite. Verdutzt hielt Louis tatsächlich inne und fragte: „Was ist los? Bist du nicht normalerweise derjenige, der immer zu mir ins Bett gekrochen kommt?“

„Sei doch still, nur weil du zu eitel dafür bist. Und jetzt hör mir zu: Ich hab keine Lust darauf dich zu küssen nur weil du das so willst.“ Er klang verärgert.

Doch Louis ließ sich nicht abschütteln. Er lächelte neckisch und fragte: „Und? Was willst du jetzt hören? Dass ich dich über alles liebe und immer nur dich lieben werde?“

„Gott, als wär mir das nicht auch schon so klar. Du musst mir nicht so’n Scheiß zuflüstern, ich bin kein Mädchen…“

„Ist mir auch schon aufgefallen“, grinste Louis, doch Richard schob ihn von sich und sagte: „Geh endlich duschen, wir haben nicht ewig Zeit, wenn wir heute Abend noch weg wollen…“

„Willst du nicht noch mal mit unter die Dusche?“ Die Frage war ernst gemeint und er streichelte dem Jungen, der unter ihm lag, durch das orangefarbene, noch feuchte Haar und über die mit Sommersprossen verzierte Wange und verlor sich in den dunklen Augen Richards. Doch der meinte gleichgültig: „Ganz bestimmt nicht, mir scheiß egal, was du unter der Dusche machst, aber du machst es nicht mit mir!“

„Allein macht es aber keinen Spaß…“ Er legte ein wenig mehr Gewicht auf den Körper unter ihm und musste sich ein zufriedenes Grinsen verkneifen, als er spürte, wie der sich versteifte und Richard schwer schluckte. „Vergiss nicht, dass du damit angefangen hast mich zu küssen.“

„Na und? Hab halt keine Lust so was mit dir zu machen.“

„Du bist so wahnsinnig unschuldig, dass es schon fast süß ist…“

„Halt die Fresse! Nur weil du bei jeder scheiß Party eine flachlegst, hast du kein Recht über mich zu richten.“

„Bei jeder Party eine flachgelegt?“ Louis richtete sich auf. „Was soll das denn jetzt? Du weißt doch wohl ganz genau, wie viele Frauen ich in meinem Leben genagelt habe und das waren bei weitem nicht so viele.“

„Als würdest du mir alles erzählen!“

„Mir reicht’s!“ Louis sprang endgültig auf und ging zornig zur Tür. „Fick dich!“

„Fick dich doch selbst, Arschloch!“, brüllte ihm Richard noch hinterher, dann knallte Louis die Tür zu.
 

Na super! Nun stand er hier. Vor der Tür. Wutschnaubend.

Er könnte Richard den Hals umdrehen, was hatte der denn?

Genervt stapfte er davon; ging er halt zu Nemours, bei dem würde er wohl auch unter die Dusche steigen können.

Als er an der Tür mit der Nummer 204 klopfte, öffnete ihm nach einigen Momenten ein verschlafen dreinblickender Nemours und fragte ihn, die Tür etwas weiter öffnend: „Was willst du hier?“

„Duschen“, antwortete Louis und schob sich an dem Franzosen vorbei in den Flur. Der sah sich noch einmal etwas misstrauisch auf dem Hotelflur um, bevor er die Tür schloss und dem Schüler dann ins Bad folgte.

Der Londoner hatte begonnen sich auszuziehen, war gerade beim T-Shirt angelangt. Mit hochgezogenen Augenbrauen setzte sich Nemours auf den Klodeckel und sah zu, wie Louis sich ungeniert auszog und dann in die Dusche stieg. Schließlich fragte er: „Wieso kommst du zum Duschen zu mir?“

„Hab mich gestritten.“ Seine Stimme klang gleichgültig und er besah sich Nemours’ Shampoo genau, bevor er es verwendete. Der scharfe, beobachtende Blick des Lehrers, der auf seinem Körper ruhte, entging ihm natürlich nicht, doch er ignorierte ihn lediglich, es war ihm egal. Sollte Nemours sich doch an seinem nackten Anblick ergötzen, was kümmerte es ihn?

Er hatte in dem Moment andere Gedanken.

Er kannte Richard nun schon einige Jahre. Und nie, wirklich niemals hatten sie sich gestritten. Ob man das von zuvor nun als Streit bezeichnen konnte, darüber ließ sich wiederum streiten, doch wenn man von ihrem sonstigen Verhältnis ausging, dann war dieser Begriff tatsächlich passend.

Richard war für ihn immer derjenige gewesen, dem er alles hatte erzählen können, der ihm immer zugehört hatte, der ihn verstanden hatte, oder es zumindest versucht hatte. Er hatte ihm immer vertrauen können, dass ihre Gespräche vertraulich blieben und darum hatte er sich Richard stets anvertraut.

Und nun sagte Richard, er glaube nicht, dass Louis ihm blind vertraute und ihm alles sagte.

So ein Schwachsinn!

Das Einzige, was Louis ihm nicht auf die Nase band war die Sache mit Nemours und das nur, weil er irgendwo verstehen konnte, dass Richard ihn verurteilen würde.

Und wenn er dem Oxforder davon erzählte, könnte er sich die Sache mit Nemours wahrscheinlich abschminken. Ihm blieb also nur die Hoffnung, dass Richard sich wieder beruhigte. Wobei er sich wahrscheinlich ohnehin zu viele Gedanken machte. Richard war kein Mädchen, das nachtragend war und dann schrie und heulte.

Plötzlich spürte er, wie sich zwei Arme um seinen nassen Körper schlangen.

Es waren Nemours’ Arme und seine Hände fuhren über seine Brust, über die Schultern, über den Bauch; er seufzte wohlig auf. Nach diesen Berührungen hatte er sich heute Mittag noch so gesehnt, hatte sich kaum zusammennehmen können und nun würde er sie endlich bekommen.

Er legte den Kopf in den Nacken. Genoss.

Er spürte hinter sich den Körper Nemours’. Er spürte seine Lippen auf seinem Körper. Fühlte, wie das nasse Haar Nemours’ ihn streifte. Noch immer lag der Duft des Shampoos leicht in der Luft; der Duft nach Citrus.

Die Gedanken an Richard rückten in die Ferne; immer weiter, weiter, bis sie verschwanden. Verdrängt vom Verlangen.
 

Louis keuchte. Er glitt an der glitschigen Duschwand hinab, weil ihn seine Beine nicht tragen wollten und weil sich Nemours auf seinen Schultern abgestützt hatte, sank der mit.

Sie vermieden es sich in die Augen zu sehen.

Warum Nemours es tat wusste Louis nicht, aber er wusste, dass sie bei Augenkontakt sprechen mussten. Und er wollte nun nicht mit Nemours sprechen.

„Was machst du heute Abend?“, vernahm er dann aber doch Nemours flüsternde, heisere Stimme.

„Ich geh mit Richard in irgendeine Disko oder einen Club, mal sehen.“ Der elende Franzose hatte sich doch nicht Hoffnungen gemacht, sie würden heute Abend erneut miteinander schlafen? „Sorry.“

Louis erhob sich, wenn seine Knie auch noch etwas weich waren, stieg an Nemours vorbei aus der Dusche und krallte sich ein Handtuch, mit dem er sich knapp abtrocknete. Dann hüllte er sich in den weißen Hotelbademantel, den Nemours an der Tür hängen hatte und ging aus dem Bad ins Zimmer.

Der Fernseher lief und irgendeine Frau redete etwas auf Französisch von einem Reinigungsmittel. Er warf einen Blick auf den Schreibtisch und erkannte dort einen Aschenbecher, einige Kippen darin und daneben eine Schachtel französischer Zigaretten, das Feuerzeug darauf. Er griff nach der Schachtel und sah hinein, sie war noch ungefähr halb voll. Gerade wollte er sie wieder zurücklegen, da nahm Nemours sie ihm aus der Hand, nahm zwei hinaus, steckte sich selbst eine hinters Ohr und bot die andere Louis an.

Der nahm sie entgegen und musterte Nemours.

Weil Louis sich den Bademantel gekrallt hatte, hatte Nemours sich mit einem Handtuch um die Lenden begnügen müssen. Doch schien ihn das nicht zu stören.

Er lehnte sich über Louis um nach dem Feuerzeug zu greifen, dann ließ er sich auf dem Bett, fast direkt neben dem Schreibtisch nieder und zündete sich seine Zigarette an, warf das Feuerzeug anschließend Louis zu, der es ungeschickt auffing.

Sie schwiegen.

Sie hatten nichts zum Reden. Alles was sie verband war Sex.

Selbst Nemours’ Augen faszinierten den Schüler nicht mehr so sehr wie zu Beginn. Er hatte gelernt sie zu deuten und das Interesse verloren. Sämtliche Schönheitsflecke auf Nemours Körper kannte er in- und auswendig. Auf der nahezu weißen Haut hatte er schon etliche rote Striemen zurückgelassen.

Es war alles zur Gewohnheit verkommen.

Und dennoch war der Sex gut.
 

Nach der Zigarette machte er sich; seine Klamotten über den Arm gelegt, noch im Bademantel, auf den Weg zurück in sein Zimmer.

Er klopfte, weil er seine Karte zum Öffnen natürlich nicht mitgenommen hatte.

Richard öffnete ihm fast sofort und als er sich umdrehte und hineinging, sich auf das Bett setzte, wieder auf den Fernseher starrte, fragte er, sich einen Kaugummi in den Mund steckend: „Wo warst du?“

„Bei Nemours“, antwortete Louis und schloss die Tür hinter sich, warf die Klamotten in irgendeine Ecke auf den Boden und ließ sich neben Richard aufs Bett fallen.

„Hast du bei ihm geduscht?“ Louis rollte bei der Frage mit den Augen und antwortete genervt: „Ne, ich hab mich draußen hingestellt, mich ausgezogen, einen Regentanz aufgeführt, mich dann gewaschen und bin anschließend hier wieder hoch gekommen. Wo denn sonst?“

„Musst nicht mit mir reden, wenn du keinen Bock hast.“ Richards Stimme klang gleichgültig, doch Louis knuffte ihn in die Seite und lachte: „Hab dich nicht so, ein bisschen Sarkasmus hat noch keinem geschadet, sonst bist du eigentlich immer der Erste, wenn es um sarkastische Kommentare geht.“ Es war freundschaftlich gemeint, doch Richard schob seine Hand weg und murrte: „Lass mich.“

„Gott, du bist heute echt unausstehlich!“ Und mit diesen Worten ging der Dunkelhaarige ins Bad, um sich die Haare zu föhnen. Anschließend kam er wieder ins Zimmer, kein Bademantel mehr um sich, der seine Blöße bedeckte und er ertappte Richard dabei, wie er zu ihm hinüberschielte und, als er sich erwischt wusste, rote Ohren bekam.

Er kramte sich die passenden Kleider aus dem Schrank und zog sich schließlich an.

Oh ja, die Blicke Nemours’ und Richards auf seinem nackten Körper waren ihm nicht unangenehm, ganz im Gegenteil: Er fühlte sich bestätigt.

„Und? Hast du vor heut Abend ne Französin flachzulegen?“, vernahm er wieder Richards Stimme. Und er ging lächelnd auf ihn zu, drückte ihm einen Kuss auf, auch wenn Richard etwas widerstrebte, dann sagte er: „Wenn du dich als Französin bezeichnest, dann schon.“

Der Rotschopf lachte verhalten auf und schlug seinem Gegenüber vor die Stirn.

Louis wusste genau, wie er Richard zum Lachen brachte. Und nun noch besser als früher.

Pah! Streit! Was für ein Schwachsinn!

Ein kleines Wortgefecht vielleicht, aber solange Richard nie etwas von Nemours und ihm erfuhr, würden sie sich niemals wirklich streiten.

Wie unsinnig, dass er sich solche Sorgen gemacht hatte!
 

Sie saßen gemeinsam in einer Bar, tranken ein Bier; in diesem Etablissement schien man die Kontrolle der Ausweise wohl für nicht so wichtig zu halten.

Da es Freitagabend war, war es relativ voll, sodass sie sich mit einem Platz an der Bar begnügen mussten. Aber Louis war es gewöhnt; in London war es schließlich nicht anders.

„Und wie lange gedenkst du jetzt, dass wir hier bleiben?“, fragte Richard etwas verunsichert. Er fühlte sich unwohl an ihm unbekannten Orten mit ihm unbekannten Menschen.

„Keine Ahnung, Nemours meinte, dass die Metro bis um halb eins, eins in Betrieb ist. Wenn wir noch länger bleiben wollen, müssen wir den Bus oder ein Taxi nehmen, oder?“

„Willst du wirklich so lange wegbleiben?“, entgegnete Richard etwas entrüstet. „Wir haben morgen wieder ewig viele Führungen, da sollten wir nicht zu lange wegbleiben und Nemours hat schließlich auch gesagt, dass das Limit zwölf Uhr sei, aber dass er uns davon abrät so lange auszugehen.“

„Nun mach dir doch nicht so einen Stress, lass uns doch einfach mal schauen wie der Abend wird und dann entscheiden wir später darüber.“ Damit trank er sein Bier aus, winkte dem Barkeeper und ließ seinen Blick durch die Bar streifen.

Es war noch nicht einmal neun Uhr und dennoch war es schon relativ voll.

Er schnappte immer wieder Satzfetzen aus Gesprächen auf, konnte sie aber nicht immer übersetzen. Hier sprach man sehr schnell, seine Großeltern hatten immer langsam mit ihm französisch gesprochen, wenn überhaupt, denn meistens hatten sie die Gespräche in seiner Gegenwart auf Englisch geführt.

Und zum Glück konnte der Barkeeper auch gebrochen Englisch, sodass Louis halb Englisch, halb französisch mit ihm kommunizieren konnte.

„Ist das nicht Nemours?“, vernahm er plötzlich Richard, der mit dem Rücken zur Bar saß und die Leute beobachtete.

„Was? Wo?“, kam es prompt von Louis und er sah in die Richtung, in die Richard blickte.

Tatsächlich! Da, an einem kleinen Tisch in der Ecke saß ihr Französischlehrer mit einer jungen Frau. Einer sehr jungen Frau, um nicht zu sagen eher einer Mademoiselle…

„Lass uns Hallo sagen gehen“, schlug Louis vor und erhob sich ohne auf eine Antwort oder einen Protest Richards zu warten.

„Nemours, was für eine Überraschung Sie hier zu treffen. Ist das eine Freundin von Ihnen?“ Es klang beabsichtigt heuchlerisch. Er wollte sehen, ob Nemours darauf reagieren würde, doch er irrte sich, denn der Franzose, setzte sich nun neben das Mädchen, bot Louis den Platz gegenüber an und entgegnete: „Wirklich nett dich hier zu treffen, Louis, wie ich sehe, hast du Richard dabei. Nun, das Mädchen hier ist Junie, sie ist meine Nichte. Guten Abend Richard, setz dich nur.“

Richard nahm nur widerwillig platz. Louis sah ihm ganz genau an, dass er nicht zu Nemours gewollt hatte, doch er sagte nichts, sondern presste die Lippen aufeinander.

Junie war ein hübsches Mädchen, ihr Gesicht war ebenmäßig und ebenso blass wie das Nemours’. Außerdem hatte sie langes, leicht gewelltes Haar, von der Farbe Ebenholzes. Sie hatte keinen Stufenschnitt, alles was etwas ausgefallener war, war die Tatsache, dass sie einen geraden Pony hatte. Ihre Augenbrauen waren elegant geschwungen, ihre Augen waren groß und dunkel, ihre Nase war stupsig und ihre Lippen voll und zart rosa.

Das war niemals seine Nichte und als sie mit ihren Lippen fast Nemours Ohr berührte, als sie ihm etwas zuflüsterte, da biss sich Louis unwillkürlich auf die Lippen. Sie passte gut zu ihm. Hatte fast die gleichen Augen wie er.

Louis hasste sie.

Doch er hatte keine Zeit seinen Gedanken nachzuhängen, denn sie hatte sich wieder von Nemours entfernt und lächelte, ihm die Hand entgegenstreckend: „Bon soirs, Louis, je m’appelle Junie.“ Und sie sprach seinen Namen ebenso wie Nemours französisch aus. Louis knirschte mit den Zähnen und gab ihr die Hand. Sie grüßte Richard auf die gleiche Weise, dann fuhr sie, in sehr gebrochenem Englisch an beide gewandt fort: „Ihr seid die Schüler von Olivier?“

Richard nickte.

Louis indes fixierte Nemours mit seinem Blick. Der hatte nun nämlich die Arme über die Rückenlehne der Bank ausgebreitet und Junie lehnte sich an ihn. Sie streichelte über seine Wange, sagte etwas auf Französisch zu ihm, streichelte ihm durchs Haar.

Nemours ignorierte sie in dem Augenblick, erwiderte Louis Blick ungerührt.

Richard rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, so wie ein kleiner Junge. Irgendwann legte Louis ihm die Hand aufs Knie, legte ihm die andere Hand in den Nacken und fragte: „Was ist denn, Rich?“

Er warf einen prüfenden Blick zu Nemours, ob der sie auch beobachtete und der Franzose tat es tatsächlich, wenn auch mit ungerührtem Blick, während er sich mit Junie unterhielt.

Doch Richard entledigte sich seines Griffs und fragte leise, sodass lediglich Louis ihn verstand: „Was soll das denn jetzt? Hör auf mich anzugrabschen.“ Er klang aufgebracht, auch wenn er leise sprach.

„Ist ja gut. Willst du noch was trinken? Ich lad dich ein.“ Richard schüttelte auf dieses Angebot hin den Kopf und Louis seufzte resigniert. So winkte er dem Kellner und bestellte nur für sich ein Bier, doch Nemours bestellte noch für sich und seine Begleitung jeweils einen Merlot.

Louis hasste den Abend in diesem Moment. Er sprach kaum. Richard blockte ständig ab und Nemours war mit seiner „Nichte“ beschäftigt.

„Wollen wir langsam gehen?“, fragte endlich Richard und Louis hätte ihn für diese Frage küssen können.

Endlich konnte er gehen! Endlich konnte er sich dem Blick Nemours’ entziehen und dem Anblick desselben mit diesem Mädchen!

„Ist wohl besser, ist ja schon spät. Ich muss nur noch bezahlen.“ Und wie zur Bestätigung winkte Louis dem Kellner, der sich erst einmal durch die Menschenmasse zu ihnen vorkämpfen musste. Laut und deutlich, sodass der junge Mann ihn nach Möglichkeit verstand, sagte er: „Rechnung.“ Und deutete auf Richard und sich.

„Der Abend geht auf mich“, wandte er sich dann an diesen, nachdem der Kellner verständnisvoll genickt hatte und wieder verschwunden war.
 

Richard ließ sich auf sein Bett fallen und schaltete den Fernseher an. Louis hingegen zog sich erst einmal Schuhe und Jacke aus, bevor er sich auf seine Bettkante setzte, den Kopf zwischen den Schultern, den Rücken gebeugt.

Er atmete tief durch, dann erhob er sich wieder und ging zu Richard. Er drehte diesen, sodass er auf dem Rücken lag und kniete sich über ihn. Richard blieb ruhig, sagte nichts, wehrte sich nicht. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig.

Dann küsste Louis ihn und Richard erwiderte den Kuss ohne irgendwelche Widerworte und ohne Widerwillen. Doch als sich Louis wieder von ihm löste, sagte er: „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du warst eifersüchtig.“

„Was?“, keuchte Louis. War er tatsächlich so auffällig gewesen oder lag es nur daran, dass Richard genauer hinsah was ihn und Nemours anging. Allerdings äußerte Richard sich nicht weiter dazu sondern schob Louis von sich und stand auf, um sich fürs Zubettgehen zu richten.

Der Londoner tat es ihm gleich.

Nicht lange später lagen sie in ihren Betten, das Licht war gelöscht und Louis hatte die Decke bis unters Kinn gezogen.

Er hasste den Exkurs in diesem Augenblick, das einzig Positive daran war, dass das Hotel nicht die typischen französischen Pritschen hatte.

Und er hasste die Gedanken, die ihm durch den Kopf geisterten. Er fühlte sich wahnsinnig einsam und gleichzeitig so dumm.

Er zitterte.

Natürlich war er nicht eifersüchtig gewesen, er mochte nur einfach diese Junie nicht und es hatte ihn genervt, dass Nemours ihn angelogen hatte. Wieso sollte er denn bitte eifersüchtig sein? Er hatte schließlich auch zwei Sachen gleichzeitig am Laufen.

Und dennoch lag er hier allein im Bett.

Nemours vergnügte sich wahrscheinlich gerade mit Junie.

Verdammt! Er wollte gar nicht erst daran denken.

Vorsichtig stand er auf und überbrückte die wenigen Meter zu Richards Bett. Er hob die Decke an, schlüpfte darunter und rutschte nahe an ihn heran, schlang seine Arme um ihn, drückte ihn an sich und küsste ihn in den Nacken. Und lächelnd stellte er fest, dass sich Richards Haare aufstellten unter der sanften Berührung.

„Du bist noch wach?“

„Du doch auch“, murmelte Richard und Louis schmunzelte, als er fragte: „Warum schläfst du nicht?“

„Konnte halt nicht“, entgegnete der Junge in seinen Armen und atmete tief durch.

„Ich brauch dich, Rich“, flüsterte Louis und schloss die schmerzenden, übermüdeten Augen.

„Was?“, fragte nun Richard irritiert, doch er bekam keine Antwort. Louis hatte es gesagt, würde es nicht noch einmal tun und es schon gar nicht erklären. Der Oxforder wusste es jetzt und sollte es auslegen wie er wollte.
 


 

So, ein wenig Fluff im Ende =) Bin ich nicht toll?

Ich freue mich auf eure Meinungen,

lG, Terrormopf

Hallo, ihr Lieben!

Heute habe ich nicht viel zu sagen, außer dass dieses Kapitel noch in Frankreich spielt und eines der längsten ist =)

Viel Spaß beim Lesen!
 


 

Es war dunkel draußen und Louis stand, halbnackt, vor Nemours, hatte ihm die Hand auf die Brust gelegt, hielt ihn davon ab ihn zu küssen.

„Deine Nichte?“, fragte er ärgerlich. „Eine bessere Erklärung ist dir nicht eingefallen? Du hättest einfach sagen können, dass du sie einmal in Frankreich im Unterricht gehabt hast.“ Er schubste Nemours nach hinten. Der ergriff Louis’ Hände, sah ihm kühl in die Augen und fragte: „Bist du eifersüchtig?“ Louis hasste diesen Hochmut in Nemours’ Stimme, als er das sagte.

„Verdammt nein! Ich bin nicht eifersüchtig, warum glaubt mir das denn keiner? Ich find’s nur scheiße, dass du mich anlügst und ich kann diese Julie oder Jurie oder wie auch immer nicht ausstehen!“

„Junie“, verbesserte ihn Nemours, doch Louis riss sich los und brüllte: „Ist mir scheiß egal wie das Flittchen heißt! Ich kann sie nicht leiden, verdammt noch mal!“

„Wollen wir jetzt eigentlich miteinander schlafen oder was?“ Louis warf Nemours auf diesen Kommentar hin einen vernichtenden Blick zu und wandte sich von ihm ab, um sich eine Zigarette aus der Schachtel zu nehmen, die auf dem Schreibtisch lag. Dann setzte er sich aufs Bett und zündete sie sich an.

Er nahm einen tiefen Zug und stierte finster auf den Boden.

Nemours seufzte und schüttelte den Kopf. Dann kam er auf ihn zu, nahm ihm die Zigarette aus der Hand und zog selbst daran.

„Nun stell dich nicht so an“, sagte er schließlich, als er Louis die Kippe wieder reichte. „Junie sehe ich nicht einmal halb so oft wie dich.“

„Ist mir egal wie oft du sie siehst oder nicht siehst“, murrte Louis und ließ sich nach hinten aufs Bett fallen. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass ich sie nur nicht ausstehen kann. Außerdem solltest du nicht auf die Idee kommen sie einzuladen, ich steh nicht so auf Dreier.“

„Sie auch nicht.“ Entgegnete Nemours und legte sich vorsichtig auf Louis. Dieser hatte gerade einen Zug genommen und wollte ihn ausstoßen, da legte Nemours seine Lippen auf die des Schülers und saugte den Rauch aus ihm. Dann löste er sich wieder und atmete den Rest aus.

„Und was hast du mit Richard McCreeby?“, fragte Nemours dann. Ein ernster Zug umgab seine Lippen.

„Richard ist mein Freund, schon seit dem ersten Jahr auf Heathcliff, was soll sonst sein?“ Sein Tonfall fiel bissig aus; unbeabsichtigt.

„Natürlich, natürlich“, entgegnete Nemours, doch Louis drückte die Zigarette im Aschenbecher, der zum Glück in Griffweite stand, aus, packte Nemours dann fest am Kragen und zischte: „Halt die Fresse!“ Dann zog er ihn weiter zu sich hinunter und küsste ihn.
 

„Wird Richard nicht eifersüchtig, wenn du immer so lange bei mir bist?“, fragte Nemours, sah Louis durchdringend an.

„Wieso sollte er? Alles was ich von ihm zu befürchten habe, ist, dass er Verdacht schöpft…“ Und das war schon längst passiert. Louis war sich sicher, dass Richard im Grunde bescheid wusste, sich aber nicht traute es auszusprechen.

Louis hatte genau gewusst, dass Richard nur vorgegeben hatte zu schlafen, als er sich aus dem Zimmer gestohlen hatte und der Londoner fragte sich, was seinem Freund in dem Moment wohl durch den Kopf gegangen sein musste.

„Gib mir ’ne Kippe“, murmelte er an Nemours gewandt und dieser erwiderte, als er auf den Schreibtisch griff: „Du rauchst zu viel.“

„Nicht mehr als du“, entgegnete Louis mit der Zigarette im Mund, als Nemours sie ihm anzündete.

Schweigen trat ein. Dieses schreckliche Schweigen, wenn man eigentlich nicht schweigen wollte, aber nicht reden konnte. Louis fühlte sich unwohl und irgendwann hielt er es nicht mehr aus, da fragte er: „Was machen wir denn noch, bis wir übermorgen wieder zurückfliegen?“

„Nun, wir müssen noch ins Musée d’Orsay, aber das wird nicht den ganzen Tag dauern. Ich hatte vor euch den Rest des Nachmittags frei zu geben, dann könnt ihr selbst entscheiden, ob ihr allein die Stadt erkunden oder ins Hotel fahren und euch ausruhen oder Koffer packen wollt. Am Abend gehen wir ja dann in „Carmen“ in der Opéra Bastille.“

„Na klasse“, stöhnte Louis, doch Nemours klatschte ihm lediglich auf die Wange und sagte: „Stell dich nicht an, ich muss immerhin überallhin mit und du kannst wenigstens hin und wieder verschwinden um eine zu rauchen, ich muss die ganze Zeit auf deine Klassenkameraden aufpassen.“

„Wir haben doch auch noch andere Aufsichtspersonen“, grinste Louis. „Es würde doch gar nicht auffallen, wenn du kurz verschwinden würdest.“ Nemours musterte ihn daraufhin müde.

„Richard vermisst dich sicherlich schon; willst du nicht zurück zu ihm?“

Louis musste sich zusammenreißen, um dem Franzosen nicht einfach eine mitzugeben. Diese arrogante Art wie er ihn musterte und mit ihm sprach. Zum Ficken war er gut genug, aber für alles andere, da war er wieder nur einer seiner zahlreichen Schüler.

Scheiß Franzose!

Er erhob sich wortlos, drückte die halb gerauchte Kippe aus und begann sich anzuziehen. Nemours hatte sich auf die Seite gelegt und schien gerade am Einschlafen. Wütend ging Louis aus dem Zimmer hinaus und den Gang entlang.

Das Licht ging automatisch an und er stapfte barfüßig über den roten Teppich. Hatte er vorhin Socken oder Schuhe angehabt? Es interessierte ihn nicht.
 

Nun stand er vor seiner Tür.

Nein! So intelligent um daran zu denken die Karte einzustecken war er natürlich nicht gewesen. Er war so ein Vollidiot! Was sollte er nun machen? Zur Rezeption gehen? In dem Aufzug? Auf keinen Fall. Aber auf dem Flur übernachten konnte er auch nicht.

Das hieß, er musste zwangsläufig Richard wecken. Er betätigte die Klingel einmal. Zweimal.

Nachdem auch nach dem dritten Mal niemand öffnete, ließ er sich an die Tür gelehnt nieder, zog die Beine an den Körper, verschränkte die Arme über den Knien und lehnte das Kinn darauf.

Was für ein Scheißtag!

Doch gerade als er überlegte vielleicht doch zur Rezeption zu gehen, öffnete sich die Tür und er kippte, den Rücken voran, gegen Richards Beine. Er blickte auf in das verschlafene Gesicht des Oxforders und beeilte sich aufzustehen, um ihm Rede und Antwort zu stehen. Doch Richard drehte sich nur um und schlurfte wieder hinein, um sich auf sein Bett fallen zu lassen.

„Willst du nicht wissen, wo ich war?“, fragte Louis, als er ihm folgte und sich neben ihn setzte.

„Bei Nemours, schätze ich. Wahrscheinlich hast du mit ihm über Junie diskutiert oder ihn einfach nur gefragt, was wir morgen machen“, brummte Richard und Louis presste die Kiefer aufeinander; schluckte hart.

„Bist du denn gar nicht eifersüchtig?“, fragte er, versuchend seine Unsicherheit zu überspielen, und küsste Richard sanft in den Nacken. Dieser schob ihn weg und entgegnete: „Lass mich, Lou, ich bin müde. Außerdem gibt es doch nichts zum Eifersüchtig sein, oder?“ Nun drehte er sich doch um und sah Louis prüfend in die Augen.

Der schüttelte schnell den Kopf, erwiderte aber nichts. Sie sahen sich einen Augenblick schweigend in die Augen, dann fragte Louis: „Darf ich dich küssen?“

„Wieso das?“, fragte Richard etwas irritiert und Louis antwortete, die Arme um ihn legend und ihn an sich drückend: „Weil wir uns nicht einmal richtig geküsst haben, seit wir in Frankreich sind.“

Richard seufzte. Louis wusste nicht genau, was das zu bedeuten hatte, doch gleich darauf versetzte der Rotschopf: „Du bist seltsam geworden, Louis. Sehr seltsam.“

„Darf ich dich trotzdem küssen?“, fragte er, doch statt einer verbalen Antwort, spürte er nun Richards Lippen zart, zurückhaltend auf den seinen und ihm war in dem Moment zum Heulen zumute.

Es war ihm nicht recht, wie es lief. Er ging zu Nemours, schlief mit ihm und dann kam er wieder zu Richard, zu seinem Richard und verlangte von ihm, dass er ihn küsste, ihn tröstete, wenn er frustriert war, obwohl er ihn so betrog.

Er löste sich wieder von seinem Freund, bevor sie sich überhaupt richtig hatten küssen können und stand auf. Er wandte sich von Richard ab und schluckte schwer.

Er wollte nun nicht Richard in die Augen sehen oder ihm gar Rede und Antwort stehen. Aber wo sollte er hin? Das Hotelzimmer hatte nur noch einen abgetrennten Raum: Das Bad, wo er nun auch, leicht taumelnd, hineinging.

Was war nur los mit ihm? Warum hatten seine Knie beim Gehen fast nachgegeben?

Er hatte sich auf den Badewannenrand gesetzt und schlug sich nun, da er sich über sein Verhalten bewusst wurde, mit der flachen Hand gegen die Stirn. Er war so ein Vollidiot! Nun würde sich Richard wieder unnötig Sorgen machen!

Und schon vernahm er das zaghafte Klopfen an der Badezimmertür und hörte, wie Richard eintrat.

„Was ist, Lou? Bist du in Ordnung?“

„Ja, alles okay. Mach dir keine Sorgen, der Tag war nur etwas anstrengend.“ Er musste nicht aufsehen um zu wissen, dass Richard ungläubig die Augenbrauen hob. Dazu kannte er ihn gut genug.

„Hab ich was falsch gemacht?“, erkundigte sich Richard nun etwas schüchtern. „Du bist sonst noch nie einfach raus gerannt, wenn ich dich geküsst habe.“

„Nein, es hat nichts mit dir zu tun“, beruhigte Louis ihn. „Tut mir leid.“ Er stützte die Stirn in die Hände und atmete tief durch. Was hatte ihn da eben nur überkommen? Was war es, das ihn so übermannt hatte?

Richard hatte sich zu ihm niedergekniet und sah ihm besorgt in die Augen.

„Du hast aber nichts getrunken oder irgendwas genommen?“, fragte er unsicher, doch daraufhin entgegnete Louis: „Als würde ich Drogen nehmen oder mich ständig zusaufen. Du kennst mich echt wahnsinnig gut…“ und dennoch manchmal besser als ihm lieb war.

„Lass uns schlafen gehen“, sagte Richard daraufhin. Er war aufgestanden und hatte Louis den Rücken zugewandt, als er aus dem Badezimmer ging.

„Nun sei doch nicht gleich beleidigt!“, rief Louis ihm hinterher und beeilte sich ebenfalls aus dem Bad zu kommen, um Richard einzuholen – die Gedankengänge von zuvor waren vergessen. Der legte sich gerade wieder ins Bett und gähnte: „Ich bin nicht beleidigt, nur müde. Gute Nacht.“

„Gute Nacht“, entgegnete Louis etwas perplex. „Schlaf gut.“ Er stand direkt neben Richards Bett und wusste nicht genau, was er nun tun sollte, doch da zog Richard ihn zu sich hinunter und gab ihm einen langen, sanften Gute-Nacht-Kuss.
 

Sie hatten Zeit bekommen, um sich das Musée d’Orsay noch einmal selbst anzuschauen, doch stattdessen hatte Louis Richard dazu überredet hinauszugehen um eine zu rauchen.

„Was machen wir, wenn einer kommt?“, fragte Richard und sah sich nervös um.

„Was sollte Nemours denn bitte sagen?“ Louis war entspannt. Er hatte die Geschehnisse der letzten Nacht verdrängt. Richard sah ihn einen Augenblick befremdlich an und sagte dann: „Du bist ja besessen von dem Kerl! Ich meinte eigentlich die anderen Aufsichtspersonen, die dabei sind…“

„Ich bin doch nicht von Nemours besessen!“, lachte Louis daraufhin, doch als Richards Blick, der auf ihm lag, weiterhin ernst blieb, verging ihm das Lachen. „Rich, ich bin nicht…“ Doch der Rotschopf ließ ihn nicht ausreden, sondern unterbrach ihn: „Doch, Louis Macheath, du bist besessen von dem Kerl. Ich weiß zwar nicht genau auf welche Weise, aber du bist es ganz eindeutig.“

„Was…? Was willst du damit sagen?“, fragte Louis verwirrt, versuchte ein Lächeln auf seine Lippen zu zwingen, doch er scheiterte kläglich und Richard sah seufzend weg, nahm einen Zug seiner Zigarette und sagte: „Das was ich sage, Louis, das was ich sage.“

Nun war Louis sprachlos. Darauf gab es nichts zu erwidern, oder? Er wusste zumindest in dem Augenblick nichts.

„Mach den Mund zu, Louis, sieht so nicht gut aus“, grinste Richard und übte leichten Druck mit der Hand auf Louis’ Unterkiefer aus, damit dieser den Mund schloss. Dann beugte er sich nach vorne und küsste ihn flüchtig darauf.

„Du bist so ein Vollidiot, Rich!“, rief nun Louis aus, nahm seinen Freund in den Schwitzkasten und rieb hart mit seinen Fingerknöcheln über dessen Kopf, bis dieser laut um Gnade flehte. Louis ließ ihn lachend los und blieb aufmerksam, falls ein Racheakt folgte, doch Richard warf ihm lediglich einen affektiert wütenden Blick zu, drehte sich um und ging wieder in Richtung Eingang.

Der Londoner eilte sich ihn einzuholen und als er auf gleicher Höhe war, legte er ihm den Arm um die Schultern und lachte: „Richard, du bist einfach zu herrlich!“

Sie kamen gerade rechtzeitig um mitzubekommen, dass sie nun alleine Mittagessen und sich frei in der Stadt bewegen konnten. Louis schnappte während dieser Verkündigung einer der beiden anderen Begleitpersonen Nemours’ anzüglichen Blick auf. Und er wusste genau, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Er sagte ihm: „Heute Nachmittag, mein Hotelzimmer!“ Und es war ein Befehl, doch Louis hatte vor ihn zu ignorieren. Sollte Nemours doch zu Junie gehen. Ihm war es gleich, er würde den Nachmittag mit seinem Richard verbringen und da konnte Nemours schauen wie er wollte.

„Na los, lass uns gehen, Lou“, vernahm er plötzlich Richards drängende Stimme und sah zu diesem. Er war Nemours’ Blick vollkommen verfallen gewesen. Es war gegen seinen Willen geschehen und er selbst hatte es gar nicht bemerkt.

Und erst jetzt bekam er den hauch einer Ahnung davon, wie sehr Nemours ihn in seinen Bann gezogen hatte.

Etwas verwirrt folgte er seinem Freund, fasste sich an den Kopf und schüttelte diesen langsam. Er hatte sich schon mit Nemours in dessen Zimmer, in dessen Bett gesehen. Wie konnte ein einziger Blick nur eine solche Wirkung auf ihn haben?

„Hey Lou, was ist denn plötzlich los?“ Louis sah wieder zu Richard. Er musste es doch bemerkt haben! Sonst bemerkte er doch auch die kleinsten Vibrationen, die zwischen Nemours und ihm entstanden oder stellte er sich nur ahnungslos?

Gott! Er wurde wohl wirklich paranoid.

„Nichts, ich war nur gerade in Gedanken“, erläuterte der Londoner und versuchte sich an einem unsicheren Lächeln.
 

Louis stocherte abwesend in seinem Essen herum. Seine Gedanken galten Nemours. Der wartete wohl gerade im Hotel auf ihn. Sollte er vielleicht doch hingehen?

Nein! Er war doch nicht besessen von seinem Lehrer, so wie Richard es ihm unterstellt hatte. Er würde nun ganz bestimmt nicht zu diesem gehen.

Oder doch?

Es verlangte ihn danach, wie es ihn nach einem versauten Test nach einer Zigarette verlangte.

Aber er würde standhalten. Eine Sucht reichte.

Er aß noch eine Gabel voll Nudeln, um festzustellen, dass sie eiskalt geworden waren, legte dann das Besteck nieder und sah zu seinem Gegenüber.

Richard saß ruhig auf seinem Stuhl und beobachtete ihn. Sein Teller war längst leer. Sein Blick machte einen unliebsamen und kritischen Eindruck.

„Was starrst du mich so an?“, fragte Louis und lehnte sich zurück, um einen Schluck aus seinem Wasserglas zu trinken.

„Wo waren deine Gedanken gerade?“, stellte Richard die Gegenfrage. Louis seufzte genervt auf, lehnte sich nach vorne und sagte: „Auf jeden Fall nicht hier.“ Er war erschöpft von Richards Penetranz.

„Hör auf“, entgegnete dieser; er schien äußerlich ruhig, doch Louis wusste, dass er im Innern kochte. Nur warum?

„Womit soll ich aufhören?“, fragte er schließlich skeptisch. Richard atmete tief durch, es hörte sich stark nach dem wütenden Schnaufen eines Stiers an. „Ständig an Nemours zu denken! Es kotzt mich an!“

Die Gespräche um sie herum verstummten und sie wurden angesehen. Louis hatte das Gefühl, er würde in sich zusammensinken, als Richard, im Gesicht die Zornesröte, vor ihm stand und alle Leute sie anstarrten. Zu allem Überfluss hatte Richard es auch noch richtig dramatisch gestaltet, sodass er neben der Lautstärke auch sich selbst erhoben hatte und er hatte mit den Handflächen auf den Tisch geknallt, dass das Geschirr gefährlich schepperte.

Langsam kamen die anderen Gäste wieder ins Reden, allerdings nicht wie zuvor freudig und ausgelassen, sondern hinter vorgehaltener Hand, immer wieder zu den beiden schauend.

„Setz dich wieder hin, Richard“, sagte Louis leise und vermied es ihn dabei anzusehen. Wie er es erwartet hatte, kam Richard seiner Aufforderung nach. „Verhalte dich nie wieder so, wenn du mit mir irgendwo bist.“

„Halt doch die Fresse, ich werd ja wohl noch sagen dürfen was mich nervt.“ Er klang beleidigt.

„Dann sag halt was dich nervt, aber wenn du laut werden musst, dann tu es im Zimmer und außerdem bin ich nicht schwerhörig.“ In gewisser Weise war Louis gerade sehr froh darüber, dass sich Richard so aufgeführt hatte, denn so kam er um das Thema herum Richard zu erklären woran er gerade gedacht haben könnte. Der Rotschopf hingegen sah ihn nur wortlos an mit zu Schlitzen verengten Augen. In diesem Augenblick hasste er ihn wahrscheinlich und wahrscheinlich war ihm gerade in diesem Augenblick auch aufgegangen, dass er Louis die Chance gegeben hatte um das Thema drum rum zu kommen. Und das ließ ihn wahrscheinlich zusätzlich auch noch wütend auf sich selbst werden.

„Willst du noch ein Dessert oder können wir zahlen?“, fragte Louis beiläufig, schwenkte das Wasserglas in seiner Hand und fand es sehr faszinierend, wie sich die Flüssigkeit bewegte.

„Ich will kein Dessert und danke für’s Einladen.“ Gott, war der Junge beleidigt! Louis sah auf und in Richards immer noch verzogenes Gesicht. Er erkannte, dass es keinen Sinn hatte irgendetwas dagegen zu sagen, außerdem war es eine Art von Richard ihm seine Bestechlichkeit in diesem Thema zu zeigen, er sagte förmlich: „Zahl heute für mich und ich sprech dich heute nicht drauf an.“ Mit den Zähnen knirschend machte Louis dem Kellner klar, dass sie zahlen wollten.
 

„Was willst du jetzt machen?“, fragte Louis Richard und der Oxforder zuckte nur mit den Achseln. Ungeduldig zündete Louis sich eine Zigarette an und gab sein Feuer dann Richard.

„Entscheid dich, mir is arschkalt“, maulte Louis. Er war gerade verdammt schlecht gelaunt. Zu Nemours zu gehen konnte er in diesem Augenblick also total vergessen. Aber er hatte es ja ohnehin nicht vorgehabt. Außerdem durfte er jetzt Platinkarte für Richard spielen und er hatte das Gefühl, dass er nicht gut aus der Sache herauskam.

„Ich bräuchte ’ne neue Jeans“, verkündete Richard und musterte Louis mit gehobenen Augenbauen. Der seufzte innerlich bitter auf und sagte: „Dann lass uns losgehen, Geschäfte gibt’s am Rive Droite.“

Manchmal hasste Louis die Tatsache, dass Richard nicht zu den Vollidioten zählte, sondern in seiner Liga spielte. Und so konnte er sich auch nicht dumm stellen, weil Richard genau wusste, dass er ihn verstand.

„Lass uns zu ‚Les Halles’ gehen, da gibt es fast alles“, schlug Richard vor und Louis nickte nur. Er sah sein Geld schon in der Seine, die sie gerade überquerten, praktisch davonschwimmen. Wann hatte er denn mal wieder die Gelegenheit Richard zu erpressen? Früher war es doch immer so gewesen, dass er Richard irgendwas abgeschwatzt hatte. Warum musste sich das denn ausgerechnet jetzt ändern?
 

‚Eine Jeans’!

‚Eine Jeans’ hatte er gesagt!

Und aus der einen Jeans waren drei Jeans, vier Hemden, zwei T-Shirts, ein Paar Schuhe, drei Pullover, ein Blazer, zwei Mützen und ein Schal geworden.

Und er hatte doch gesagt ‚Eine Jeans’!

Und dann wollte er noch ins Kino. Irgendein französischer Film; „Les chansons d’amour’ oder wie auch immer er hieß. Louis nutzte die Gelegenheit um seinen Kopf auf Richards Schulter zu legen und zu schlafen. Er hatte das Glück, dass er ein ruhiger Schläfer war; ganz im Gegensatz zu Richard, der konnte, wenn er im Bus zum Beispiel einschlief, schon einmal um sich schlagen – mit voller Wucht natürlich – plötzlich irgendetwas brüllen und hin und wieder stand er auch mal auf. Einmal war es sogar vorgekommen, dass er angefangen hatte zu schluchzen und zu weinen.

Als der Film vorbei war, weckte Richard ihn sanft und Louis rieb sich verschlafen die Augen, richtete sich auf, während Richard seine Schulter kreisen ließ.

Sein Klassenkamerad hatte ihn sanft geweckt, das hieß, er hatte das Schlimmste überstanden. Und er hatte ihn schlafen lassen. Erleichtert streckte sich der Londoner und gähnte herzhaft, während er aus dem Kinosaal ging, dicht gefolgt von Richard, der sich immer noch die Schulter rieb.

Louis warf einen Blick auf sein Handy. Viel Zeit hatten sie nicht mehr; es wäre wohl das Beste, wenn sie jetzt zurückgingen.

Richard belud ihn auf dem Weg erst einmal mit der Hälfte seiner Einkaufstüten, was strategisch gesehen nicht das klügste war, da er nun Probleme hatte nach einem Taxi zu rufen, doch Louis ging es nicht anders.

Aber sie schafften es noch, der Fahrer begrüßte sie und fragte, natürlich auf Französisch, wo sie denn hinwollen. Louis, der auf dem Beifahrersitz saß, sagte ihm ihr Ziel und der Taxifahrer fuhr los, während er sich freute: „Oh, Ihr kommt aus England? Engländer hatte ich lange nicht mehr.“ Er sprach ziemlich gut Englisch, was Louis etwas verwunderte, weil man es meistens auch in England nicht gewöhnt war, dass die Taxifahrer einwandfreies Englisch sprachen.

„Ja“, entgegnete er und der Taxifahrer fragte weiter: „Und woher genau?“

„Mein Freund hier ist aus Oxford und ich selbst bin aus London.“

„So? Und was hat euch dazu bewogen nach Paris zu kommen? Ein Sprachaustausch?“ Er lachte, als hätte er einen Scherz gemacht und Louis erwiderte: „So in der Art, wir machen eine Studienfahrt.“

„Von der Schule aus? Wie denn das? Ihr kommt doch aus ganz verschiedenen Städten.“ Er hielt an; Stau.

„Wir sind auf einem Internat.“

„Internat?“, fragte der Taxifahrer interessiert und sah zu Louis, der starr auf die Straße blickte. „Und wo liegt besagtes Internat?“

„Zwischen London und Ascot“, erwiderte Louis und war froh, als sich nun Richard einmischte und fragte: „Haben wir morgen früh eigentlich noch Zeit zu packen oder müssen wir das heute Abend machen?“

„Oh? Ihr reist morgen schon wieder ab?“, warf der Taxifahrer ein, bevor Louis antworten konnte. Der ließ sich davon aber nicht stören, sondern antwortete: „Wir sollten heute Abend packen.“ Damit herrschte Stille im Auto.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie endlich ankamen und Louis war heilfroh von diesem geschwätzigen Taxifahrer wegzukommen. Er achtete gar nicht genau auf den Preis, sondern legte dem Fahrer einfach den nächstgrößeren Schein hin und stieg fluchtartig aus dem Auto, ihm war ganz gleich wie viel Trinkgeld der Kerl jetzt bekommen hatte; Hauptsache raus!

„Müssen wir heute Abend eigentlich einen Anzug anziehen?“, fragte Richard, als er ihm langsam folgte. Er hatte sich die ganze Zeit elegant aus dem Gespräch herausgehalten und Louis würde ihm dafür am liebsten den Hals umdrehen.

„Ja; und Mantel mit Schulwappen.“ Er hatte absolut keine Lust darauf sich an diesem Abend auch noch irgendetwas Kulturelles anzutun.

Vielleicht sollte er einfach krank machen. Richard seufzte auch nur auf die Antwort hin, sagte aber nichts weiter, sondern folgte Louis in den Aufzug.
 

Auf ihrem Zimmer war Richard schwer damit beschäftigt seine Tasche zu packen. Louis im Gegensatz dazu lag nur faul auf dem Sofa, aß Chips und sah Fern.

„Willst du nicht auch packen?“, fragte Richard irgendwann und Louis setzte sich auf, um sich seinen Freund für einen Moment schweigend zu besehen. Dann ließ er sich wieder träge nach hinten fallen und entgegnete: „Nope.“

„Und wann willst du das dann machen? Heute Nacht?“, fragte Richard weiter und Louis erwiderte erneut: „Nope.“

„Wann dann?“

„Heute Abend“, antwortete er. Richard sah ihn befremdlich an.

„Heute Abend? Da müssen wir doch…“ Er hielt inne und warf Louis einen giftigen Blick zu. „Das machst du nicht!“ Louis nickte nur mit dem Kopf und steckte sich erneut zwei Chips in den Mund, sah ungerührt auf den Fernseher.

„Ich werd dir aber nicht dabei helfen!“, versuchte er nun sich selbst aus der Affäre zu ziehen, doch ein Grinsen huschte über Louis’ Gesicht und er nickte erneut. Dieses Nicken bedeutete ‚Doch, wirst du’ und Richard wusste es ganz genau.

Er seufzte resigniert.

„Aber dafür hilfst du mir bei der Fliege. Und du musst mir genau sagen, was du hast.“ Louis jubelte innerlich auf. Er war sich nicht hundertprozentig sicher gewesen, ob Richard es tun würde, aber offensichtlich hatte er doch ein klein wenig ein schlechtes Gewissen, weil er Louis am Nachmittag so ausgenommen hatte.

„Deal“, entgegnete Louis und schob sich zufrieden die nächsten Chips in den Schlund. Richard fuhr lediglich fort seine Tasche zu packen.

Nicht lange Zeit danach hatte Richard es geschafft seine Tasche zuzumachen. Nun begab er sich an die scheinbar unmögliche Aufgabe sich seinen Anzug anzuziehen.

Louis hatte den Fernseher ausgemacht und beobachtete stattdessen Richard. Er selbst hatte sich schon längst Jogginghosen angezogen.

Erst einmal kam das weiße Hemd, dann die schwarze Nadelstreifenhose und die schwarze Weste und dann die Glattlederschuhe.

„Du hast mir was versprochen, Lou“, erinnerte Richard ihn und Louis grinste, als er ihm das weiße Band entgegenstreckte, mit dem die Fliege gebunden werden sollte.

Er erhob sich, legte Richard das Band um den Nacken, unter den aufgestellten Kragen. Doch anstatt gleich die Fliege zu binden, tat er, was jeder in seiner Situation getan hätte: Er zog sanft an den beiden Enden und holte Richard so noch näher an sich, dass sich ihre Körper sanft berührten. Oder taten sie es nicht? Es war gerade dieser Punkt bei dem man es nicht genau bestimmen konnte, aber bei dem es einem dennoch einen Schauer über den Rücken jagte.

Er küsste Richard, dessen Ohren sich rot färbten, flüchtig auf die Lippen und begann nun endlich damit die Fliege zu binden. Richard konnte es selbst, das wusste Louis, doch war er meistens zu faul dafür und liebte es, wenn Louis es für ihn erledigte.

Richard stand stocksteif vor ihm und Louis schmunzelte in sich hinein. Am liebsten hätte er Richard den Anzug gleich wieder ausgezogen, doch im nächsten Moment musste er schon von ihm ablassen, weil er fertig war.

Der Oxforder zog sich, die Ohren noch immer hochrot, sein schwarzes Frack an, nahm sich Mantel und Schal aus dem Schrank und wollte schon losgehen, da blieb er abrupt stehen, ging zu Louis zurück, der sich auf der Lehne des Sofas niedergelassen hatte und fragte ihn: „Was soll ich denn jetzt sagen?“

„Sag, ich hätte heute Nachmittag schon Kreislaufprobleme gehabt und dass ich jetzt über der Kloschüssel hinge und kotze.“ Er grinste seinen Freund an und wuschelte ihm durch das orangerote Haar. „Viel Spaß.“

„Danke“, erwiderte Richard und ging, sich die Haare wieder richtig hinrichtend, aus dem Zimmer.
 

Es dauerte keine fünfzehn Minuten, da wurde geklingelt.

Louis setzte seinen kränksten Gesichtsausdruck auf, hielt sich die Hand auf den Magen und öffnete die Tür mit gequältem Blick.

Doch als er erkannte, wer vor der Tür stand, wurde seine Haltung wieder aufrecht und sein Blick erlangte wieder die kühle Arroganz, die man von ihm gewohnt war.

„Was willst du, Nemours?“

„Kreislaufprobleme, so? Hängst über der Kloschüssel und übergibst dich?“

„Ich hatte keinen Bock auf die Opéra Keine-Ahnung-Wie.“

„Warum bist du heute Nachmittag nicht gekommen?“, fragte Nemours und drängte sich in das dunkle Zimmer. Louis schloss die Tür und murmelte währenddessen: „Komm doch erstmal rein.“ Dann folgte er seinem Lehrer, der es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte, stellte sich vor ihn und sagte: „Ich war bei Richard.“

„Also bitte!“, lachte der Franzose auf. „Du kannst dich nachts heraus schleichen aber nachmittags nicht zu mir kommen? Du hättest ihn doch einfach zu irgendwelchen andern Jungs dazu tun können.“

„Ich wollte aber mit ihm losziehen. Außerdem hatte ich eben keinen Bock auf dich. Und wir hatten immerhin nichts ausgemacht.“

Nur einen Augenblick später brannte seine Wange von der Ohrfeige, die ihm Nemours daraufhin verpasst hatte.

„Was sollte das denn?“, rief Louis wütend. Nemours blieb kühl und ruhig, als er antwortete: „Erstens: Lüg mir nie wieder so dreist ins Gesicht. Und Zweitens: Sprich nie wieder so respektlos mit mir.“ Louis starrte ihn mit offenem Mund an.

Nemours schien wirklich sauer zu sein. Und das nur, weil er ihn am Nachmittag versetzt hatte.

„Tut mir leid.“ Er wollte es nicht sagen, aber es war einfach über seine Lippen gekommen. Eigentlich wollte er trotzig sein und nicht klein beigeben. Er hätte sich selbst am liebsten gleich noch einmal geohrfeigt.

Doch nun spürte er Nemours’ Hand an seinem Kopf, seine Finger fuhren sanft durch sein Haar und er sagte: „Ist schon gut, Louis. Verzeih mir die Ohrfeige, ich habe mich hinreißen lassen.“

Louis nickte und sah zu Boden.

Reichte etwa eine Ohrfeige um ihn gefügig zu machen? Um ihn unterzuordnen?

Scheißdreck!

Nemours legte ihm die Hand sanft an die Wange, hob sein Gesicht an und flüsterte: „Nun sei nicht beleidigt.“

„Bin ich nicht“, entgegnete der Schüler, machte sich von seinem Lehrer los und ging an die große Fensterfront.

Es war bereits dunkel geworden und man konnte die Lichter der Straße sehen, die Autos die auf der Straße fuhren. Man hörte die Geräusche, die Passanten und Fahrzeuge verursachten.

„Louis“, flüsterte Nemours nun ganz nah an seinem Ohr und legte anschließend von hinten die Arme um ihn, drückte ihn leicht an sich und legte sein Kinn auf Louis’ Schulter.

„Was ist?“, entgegnete der und spürte die Gänsehaut unter seiner Kleidung. Sie sahen gemeinsam auf die Straße hinab und Nemours fuhr fort: „Das ist Paris, Louis.“

„Ich war schon oft in Paris“, sagte Louis ungerührt, doch Nemours hatte inzwischen sein T-Shirt hochgeschoben, berührte nun die Haut an seinem Bauch, der sich unwillkürlich zusammenzog.

„Nein, Louis. Sieh genau hin.“

Eine blonde Frau mit weißem Mantel, der ihr bis zu der Mitte des Oberschenkels ging, eine enge Jeans darunter und dunkle Stiefel, dazu einen türkisfarbenen dünnen, langen Schal. Sie eilte die Straße entlang.

Auf der anderen Straßenseite ein junges Pärchen, Arm im Arm schlenderte es gemächlich auf dem Trottoir, hatte für nichts um sich herum Augen.

„Du musst es hören.“

Das Telefon der Blonden klingelte und sie hielt fluchend inne, kramte ungeduldig in ihrer Handtasche, bis sie ihr Handy in die Hände bekam und, weiterlaufend, das Telefonat entgegennahm. Als sie den Namen des Anrufers vernahm verringerte sich ihr Tempo und sie lächelte sanft.

Das Pärchen schwieg. Zwischen ihnen herrschte eine Art stilles Einverständnis. Sie mussten nicht sprechen um zu wissen, was der Andere dachte. Und die Gedanken schienen so laut, dass man sie praktisch hören konnte.

„Und“, wisperte Nemours und seine Lippen streiften Louis’ Ohr, weswegen dieser bebend Luft holte. Der Franzose zog ihn sanft vom Fenster weg. „Du musst es fühlen.“ Er öffnete die Schlaufe am Bund von Louis’ Jogginghose, zog ihn mit sich auf das linke der beiden Betten.
 

„Scheiße!“, fluchte Louis, als er wieder zur Besinnung kam und sich in Richards Bett wieder fand. „Scheiße!“ Er sprang auf.

„Was ist?“, erkundigte sich Nemours halbherzig.

Louis stand, die Finger in den Haaren verfangen vor dem Bett und hätte sich am liebsten selbst geschlagen. Er konnte es doch nicht in Richards Bett mit Nemours treiben! Ausgerechnet in Richards Bett!

Es war schon schlimm genug, dass es in ihrem gemeinsamen Zimmer passiert war, aber dann auch noch in seinem Bett! Wo er doch ohnehin schon die ganze Zeit eifersüchtig auf Nemours war.

„Das ist Richards Bett, verdammt!“ Er schlug sich mit dem Handteller gegen die Stirn und fluchte erneut: „Scheiße!“

„Und was ist daran schlimm? Er wird nichts merken, beruhig dich wieder.“ Nemours seufzte und richtete sich auf. Er angelte neben dem Bett nach seiner Hose, aus deren Tasche er eine Schachtel Zigaretten nahm. Louis allerdings fauchte ihn an: „Du darfst hier nicht rauchen, schon vergessen? Die Schüler bekommen Nichtraucherzimmer!“

„Jetzt hätte ich einen Grund ‚Scheiße’ zu sagen“, murrte Nemours und steckte die Zigarette, die schon zwischen seinen Lippen gesteckt hatte, zurück in die Packung.

Louis hingegen dachte in diesem Moment nicht ans Rauchen, sondern setzte sich nun auf sein eigenes Bett und fragte sich, was Richard wohl dazu sagen würde, wenn er davon wüsste.

Nemours stand auf, zog sich an.

„Gute Nacht, Louis“, sagte er noch, dann ging er aus dem Zimmer und ließ den Jungen allein. Auch dieser begann langsam damit sich wieder anzuziehen und legte sich dann auf das Sofa vor den Fernseher, um seine Aktivität vom frühen Abend wieder aufzunehmen.

Doch er achtete nicht auf das Programm. Ihm geisterte immer der Gedanke an Richard durch den Kopf.
 

Er lag schon längst im Bett, schlief schon fast, da hörte er Geräusche von der Tür aus. Er wollte es ignorieren, einfach weiterschlafen, da tauchten die Bilder von Nemours und sich auf, wie sie in Richards Bett verschwitzt und keuchend lagen.

Er setzte sich ruckartig auf und wartete darauf, dass Richard den Raum betrat.

Er brauchte nicht lange warten, da schwankte dieser herein.

„Hey Rich“, grüßte er leise und Richard hielt inne, wandte ihm schwankend das Gesicht zu und fragte, wobei er das Lallen nicht unterdrücken konnte: „Louis? Du bist schon im Bett? Krass!“

Er patschte mit der Hand gegen die Wand, um das Licht anzumachen, doch war an der Seite der Wand kein Lichtschalter. So erbarmte sich Louis seufzend und schaltete seine Nachttischlampe an.

„Ich hau mich aufs Ohr!“, verkündete der Rotschopf und stolperte auf sein Bett zu, doch Louis kam ihm zuvor und fragte hastig: „Bist du betrunken? Warst du mit den Jungs noch einen Trinken?“

„Ja, na und? Du wolltest ja nicht mit. Gute Nacht.“ Louis musste ihn unbedingt davon abhalten sich in dieses verderbte Bett zu legen.

„Ich hab dich vermisst heute Abend, Richard.“ Es wirkte: Richard hielt inne und sah ihn aus glasigen, verständnislosen Augen an.

„Wirklich?“, fragte er und Louis nickte. „Ich… hätte dich auch gerne dabei gehabt, aber die anderen Jungs meinten die ganze Zeit, dass es besser sei, dass du nicht dabei warst. Ich hab nix gesagt, weil ich keinen Ärger wollte, aber eigentlich wäre ich lieber bei dir gewesen. Und du hast mich wirklich vermisst? Ich hätte nicht gedacht, dass du mich vermisst. Natürlich habe ich es gehofft, aber nie daran geglaubt, weil du doch immer so unnahbar bist und mir nie sagst, dass du mich liebst. Ich meine, das brauchst du auch gar nicht, weil ich dich gut genug kenne, um zu wissen, dass du das tust und bei Gott, ja, das tust du. Aber es wäre trotzdem schön das zu hören. Oh Gott, Louis, ich liebe dich. Und bitte sprich mich nie wieder darauf an, was ich gerade gesagt habe.“ Er machte wieder Anstalten sich in sein Bett fallen zu lassen, da eilte sich Louis zu sagen: „Ja! Ja, Rich, ich liebe dich auch. Willst du nicht heute Nacht bei mir im Bett schlafen?“ Er hatte keine Ahnung ob er Richard liebte. Er hatte sich noch nie damit befasst und es war ihm auch eigentlich vollkommen gleichgültig, doch in diesem Moment war es am einfachsten Richard so zu sich zu locken.

Der strahlte ihn daraufhin tatsächlich an und murmelte: „Na dann mach mir mal ein bisschen Platz, Lou.“

Erleichtert atmete dieser auf und rutschte etwas näher zur Wand, hob die Decke an und bemerkte beruhigt, wie Richard sich an ihn kuschelte. Er schaltete das Licht wieder aus.

Es dauerte nicht lange, da spürte er Richards Lippen auf seinen eigenen. Er schlug die Augen auf und wartete ab.

Das Zimmer war nur von den Lichtern, die von der Straße durch die Vorhänge eintraten beleuchtet, dennoch konnte er alles wenigstens Schemenhaft erkennen.

Es herrschte Stille im Zimmer. Die einzigen Geräusche kamen vom leisen Summen der Heizung und dem Rascheln der Bettdecke, wenn sie sich bewegten. Außerdem vernahm man hin und wieder die Motorgeräusche der Autos, die auf der Straße vor dem Hotel vorbeifuhren.

Und er spürte Richards Hände, die sich einen ungeschickten Weg zu seiner nackten Haut suchten.

Unbewusst verglich Louis die Berührungen Richards und Nemours’ miteinander. Der Franzose war wesentlich geübter, routinierter. Er wusste ganz genau wo er Druck ausüben musste, wo er sanft darüber streichen musste und wo er einfach nur kaum berühren musste. Richard hingegen wirkte unbeholfen. Er hatte keine Ahnung von all dem.

Und als sich seine ungeschickten Finger Louis’ Hosenbund näherten, hielt dieser sie fest.

„Du bist betrunken“, flüsterte Louis und vernahm sofort darauf Richards schmollende Stimme: „Na und?“ Und dann spürte er wieder dessen Lippen auf seinen, wich davor zurück.

„Mach doch keinen Fehler!“, bat ihn Louis, doch Richard drehte sich nur um und schnaufte wütend.

„Oh Richard“, seufzte Louis, legte seine Arme um den Jungen vor sich. „Du würdest es doch nur bereuen.“

„Gute Nacht“, entgegnete Richard pampig und Louis wusste, dass es keinen Sinn hatte mit ihm zu reden, so küsste er ihn sanft in den Nacken und flüsterte: „Schlaf gut, Rich.“

Ein erneutes Schnaufen war die Antwort.
 


 

Viel Dank für's Lesen und ich freue mich wie stets über eure Meinungen.

LG, Terrormopf

Hallo!

Vielen lieben Dank für die Kommentare zum letzten Kapitel! =D

Es tut mir so leid, dass ich nicht geantwortet habe, aber die Woche war Stress pur (5 Klausuren, drei legal, eine Nachgeschrieben und eine illegal...). Ich hoffe ihr verzeiht mir und schreibt mir dennoch weiterhin eure Meinungen und Gedanken.

Noch als Vorwarnung: dieses Kapitel spielt wieder in Heathcliff in England. Und es geht größtenteils um einen Teil Louis' Vergangenheit.

Nun, ich will nicht zu viel verraten.

Viel Spaß!
 


 

„Hey, Roger, ist Rich nicht da?“, fragte Louis, als er das Doppelzimmer der beiden Jungs betrat. Roger saß auf seinem Bett, den Laptop auf seinem Schoß und eine kleine Packung Essigchips neben sich.

„Keine Ahnung“, antwortete der ungerührt, sah nicht einmal auf. Louis vernahm Schüsse und dramatische Musik aus den Lautsprechern des Laptops und ging auf Roger zu. Er warf einen Blick auf das Display und erkannte irgendeinen Actionfilm. Daraufhin nahm er sich die Chipspackung und aß ein paar.

„Hey Mann, das sind meine! Kauf dir doch selbst welche!“ Übellaunig riss Roger Louis die Chips aus der Hand und stierte ihn nun finster an. Louis hingegen zuckte nur mit den Achseln und entgegnete: „Stell dich nicht so an, du solltest eh nicht so viel davon essen, sonst wirst du noch fetter.“

„Halt die Fresse! Richard ist übrigens schwimmen!“ Auf sein Gewicht reagierte Roger immer sensibel. Er war zwar nicht wirklich dick, aber er gehörte auch nicht unbedingt zum Schönheitsideal.

„Ich dachte, du wüsstest nicht, wo er ist?“, grinste Louis und drehte sich um. Befriedigt pfeifend ging er durch die Tür und ignorierte Roger, der ihm noch „Arschloch!“ nachrief, geflissentlich.

Schwimmen war der Junge also. Interessant.

Er ging nicht gleich zur Schwimmhalle, sondern erst in sein Zimmer, um sich seine Badehose anzuziehen, dann erst setzte er seinen Weg zu Richard fort.

Als er in der Umkleidekabine ankam, waren nur Richards Sachen da.

Umso besser!

Er entkleidete sich, legte die Sachen sorgfältig auf die Bank und warf einen Blick in Richards Tasche. Sehr gut, er hatte ein Handtuch dabei. So nahm der Londoner dies heraus und legte es auf seine eigenen Sachen. Richard würde wahnsinnig werden.

Was sollt’s.

Nun betrat er, nachdem er sich kurz abgeduscht hatte, die Halle.

Seine Schritte hallten leicht, obgleich er barfüßig war und da es draußen schon dunkel war, tauchte die Beleuchtung unter Wasser das Bad in ein schummriges Licht.

Richard war gerade dabei eine Bahn zu schwimmen. Seine Züge hallten gleichmäßig wider; er schwamm relativ langsam.

Louis setzte sich auf die gekachelten Stufen und beobachtete seinen Freund interessiert.

Kaum hatte dieser das Ende der Bahn erreicht, drehte er sich im Wasser um und stieß sich kräftig mit den Beinen ab, um sich so weit als möglich nach vorne zu schieben und dann wieder mit dem Kraulen zu beginnen.

Nun schwamm er schneller.

Schwamm er auf Ausdauer? Eine Bahn schnell und eine langsam?

Auf jeden Fall bemerkte er seine Umwelt nicht.

Louis schmunzelte leicht. Beim Polospiel damals hatte er entgeistert zu ihm und Nemours hinaufgesehen, sich nicht mehr auf das Spiel konzentriert; hier hätte er es wahrscheinlich mit Nemours treiben können und Richard hätte es nicht bemerkt. Er stand auf und ging an den Beckenrand, ließ sich langsam nieder, die Beine ins Wasser baumeln lassend.

Richard im Wasser zu sehen war interessant. Er trug eine Schwimmbrille und sein orangerotes Haar war komplett von einer grünen Bademütze bedeckt. Seine Haut war blass. Nicht so blass wie die Nemours’, es wirkte noch gesund. Er sah abwechselnd Brust und Rücken, je nachdem welchen Arm Richard anhob.

Zwei weitere Bahnen blieb Louis schweigend sitzen und beobachtete Richard, dann rief er: „Hey, Rich! Jetzt reicht’s doch langsam mal, oder?“ Richard hielt abrupt inne, schob sich die Brille über die Stirn und wischte sich mit den Händen übers Gesicht, bevor er zu Louis sah, der sich ins kühle Wasser hatte gleiten lassen und nun langsam und gemächlich auf ihn zu schwamm.

„Was machst du denn hier, Lou?“, fragte Richard, als er sich nun die Mütze vom Kopf nahm, wodurch seine nassen Haare zum Vorschein kamen. Im nassen Zustand hatten sie gar kein so schönes, warmes Orange mehr.

„Ich hatte Sehnsucht nach dir“, antwortete Louis mit einem süffisanten Grinsen, als er bei Richard angekommen war. Dieser allerdings tauchte nur kurz unter und als er wieder auftauchte, strich er sich die Haare nach hinten und sagte: „Natürlich, Louis, natürlich.“

Gott! Da sagte er einmal die Wahrheit und ihm wurde nicht geglaubt! Die Welt war kein gerechter Ort.

„Also wenn du mich nicht sehen willst, dann kann ich auch wieder gehen.“ Er drehte sich um und schwamm wieder in Richtung Beckenrand.

Drei… zwei… eins…

Er hörte hinter sich, wie Richard sich im Wasser bewegte und kurze Zeit später konnte er ihn unter sich tauchen sehen. Er hielt inne, als Richard vor ihm wieder auftauchte und lächelte: „Bleib nur, ich freu mich.“

„Ich setz mich trotzdem lieber an den Beckenrand. Du weißt ja, dass ich nicht so gern hier schwimme“, entgegnete Louis.

Ja, eigentlich hasste er dieses Schwimmbad, denn als er in der I gewesen war, war er auch zu gerne hierher gekommen, allerdings hatte er damals die Älteren unterschätzt. Er hatte nicht getan, was sie gesagt hatten und zwar aus dem Wasser zu gehen, sondern war stur weiter geschwommen.

Er hatte es gebüßt, indem sie ihn fast bis zur Bewusstlosigkeit unter Wasser gehalten hatten. Er hatte anfangs wild um sich geschlagen und hatte es geschafft immer wieder aufzutauchen, doch irgendwann hatten seine Kräfte nachgelassen, seine Glieder waren schwer geworden und er hatte schon eine Menge Wasser geschluckt.

Als die Jungs gemerkt hatten, dass er nahe an der Grenze zur Ohnmacht war, hatten sie Panik bekommen und waren aus dem Bad gerannt; ohne ihn aus dem Wasser zu holen.

Er selbst war hustend und keuchend, seine letzten Kraftreserven mobilisierend, zur Leiter geschwommen und hatte sich hochgezogen.

„Ich weiß“, sagte Richard leise und schlug die Augen nieder. Er hatte es natürlich mitbekommen. Er und irgendwie auch der Rest der Schule, weswegen die Übeltäter auch beinahe verwiesen worden waren.

Normalerweise waren Richard solche Dinge passiert und Louis hatte sich selbst als den Größten, den Tollsten gesehen, ganz besonders wenn er dem Rotschopf hatte helfen können, doch ab diesem Augeblick war ihm bewusst geworden, dass er zu den Kleinsten und Jüngsten an der Schule gehörte, dass auch er nicht außen vor war.

„Denk nicht dran“, kam es wieder von Richard und er versuchte sich an einem Lächeln.

„Wieso kommst du darauf, dass ich daran denke?“, fragte Louis und wusste die Antwort doch schon.

„Weil du dann immer erstarrst und dieser Ausdruck in deine Augen tritt… So als würden sie gleich wieder kommen.“ Seine Stimme klang bitter. „Komm, lach wieder!“

Sie hatten sich wieder in Bewegung gesetzt und waren am Beckenrand angekommen. Louis hievte sich aus dem Wasser und setzte sich auf den Rand, so wie er schon zuvor gesessen und Richard beobachtet hatte.

Dieser lehnte die Arme überkreuzt auf Louis Knie und sah lächelnd zu ihm auf.

„Na los!“

„Sei still, denkst du, ich könnte auf Kommando lachen?“, maulte Louis und vermied es tunlichst in Richards Gesicht zu sehen.

„Komm schon!“, drängte der und Louis unterlief tatsächlich der Fehler, dass er Richard einen Moment ins Antlitz sah, weswegen er es doch nicht verhindern konnte, dass sich ein schwaches Lächeln auf seine Lippen stahl.

Wenn Richard lächelte, dann steckte es ihn meistens an. Und als der Oxforder diesen Anflug eines Lächelns wahrnahm, da grinste er noch breiter und sagte: „Siehst du? Es geht doch.“

„Ach, halt doch die Klappe“, murrte Louis und sah wieder weg und damit verschwand auch das Lächeln auf seinem Gesicht. Richard seufzte schwermütig und fragte dann: „Wie lange bist du eigentlich schon hier?“

„So ungefähr fünf Bahnen“, antwortete Louis und sah irritiert zu Richard, als er spürte, dass dieser mit zwei Fingern begann seinen rechten Oberschenkel hinaufzulaufen. Der Täter jedoch schien es gar nicht bewusst zu tun, er war anscheinend in Gedanken.

„So lange?“, fragte er abwesend und die Finger wanderten wieder Richtung Besitzer.

„Und dein Hintern macht sich gut in der Badehose…“ Mal sehen, wie abwesend Richard tatsächlich war.

„Hm-m“, machte dieser nur und die Finger wanderten wieder hinauf.

„Und ich wollte jetzt eigentlich mit dir ficken.“ Woran Richard wohl dachte?

„So?“ Wieder liefen die Finger nach unten. Langsam wurde es langweilig, wenn Richard sich nichts Neues einfallen ließ.

„Einverstanden? Dann lass es uns jetzt tun!“

„Ja, okay…“ Was zur Hölle dachte der Rotschopf gerade?

Louis bewegte sein Bein, sodass das Wasser auf Richard spritzte. Erst jetzt schien dieser aus seinen Gedanken zu erwachen, sah irritiert zu Louis und fragte: „Was?“

„Wir haben gerade abgemacht, dass wir jetzt poppen.“

„Was?“ Nun war es keine Frage mehr, eher ein entrüstetes Keuchen.

Nun stand Louis endgültig auf und wartete, dass Richard ihm aus dem Wasser folgte.

„Das haben wir nicht!“, versuchte sich Richard immer noch aus der Affäre herauszuziehen und Louis musste sich auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen, als er Richards tief bestürzten Gesichtsausdruck sah, als dieser nun die Leiter hinaufkletterte.

„Oh doch, das haben wir und ich freu mich schon auf die Dusche jetzt“, ließ Louis mit nicht zu überhörender Zweideutigkeit in der Stimme vernehmen.

Richard betrat knapp nach ihm die Duschräume und als er die Tür hinter sich schloss und sich dann wieder umdrehte, nagelte Louis ihn an den Schultern gegen die Wand. Er leckte sich über die Lippen und grinste: „Freust du dich auch schon?“

„Louis!“, rief Richard und seine Ohren glühten.

„Richard?“, schnurrte Louis lasziv und fuhr seinem Gegenüber durch das nasse Haar.

„Das kannst du doch nicht…“, setzte er an, doch Louis unterbrach ihn, indem er ihm seine Lippen aufdrängte.

„Oh doch, das kann ich“, sagte er, als er sich vom schockierten und nun sprachlosen Richard trennte. „Es sei denn“, flüsterte er und küsste Richards Halsbeuge. „Du verrätst mir“ Ein Knutschfleck würde es werden. „Woran du gerade eben gedacht hast.“

Louis vernahm, wie Richard schwer schluckte und er stockend nach Luft schnappte, als Louis’ Daumen der linken Hand sein Ohr streifte.

„Ich sag’s dir“, sagte er gepresst und rief dann: „Ich sag’s dir! Jetzt hör auf!“ Louis leistete dem Befehl sofort Folge und bemerkte dennoch befriedigt, dass Richard nun tatsächlich einen Knutschfleck hatte.

„Also?“, fragte er und tat einen Schritt zurück, um Richard nicht weiter zu bedrängen. Er wäre niemals so weit gegangen gegen Richards Willen mit ihm zu schlafen, doch es war dennoch ein schönes Druckmittel, auch wenn er selbst wusste, dass das eigentlich verquer und falsch war.

„Ich hab nur daran gedacht, wie seltsam du noch Wochen nach diesem Zwischenfall warst. Du hast kaum gegessen, bist nicht mehr heimlich durch die Oberstufengänge geschlichen, wie früher und hast auch mit fast niemandem überhaupt ein Wort gewechselt. Die Lehrer haben ja voll den Stress geschoben, weil du Depp es natürlich niemandem außer mir erzählt hast und sie es nicht nachvollziehen konnten. Erst als ich es dem Direktor…“ Er hielt inne und sah erschrocken zu Louis. Dann druckste er: „Äh, ich meine, erst als der Direktor davon erfahren hat…“

„Du warst das?“, fragte Louis ungläubig und er spürte, wie Zorn in ihm aufstieg. „Du hast das damals rumerzählt? Ich dachte, diese Idioten wären das gewesen, aber in Wahrheit warst du es? Weißt du eigentlich, was du mir damit angetan hast? Die scheiß Sitzungen bei der Schulschwester, dass ich die ganze Zeit aufgezogen wurde und all den Dreck?“

„Ich weiß, es tut mir auch leid, aber ich hab gedacht, das wäre das Beste gewesen“, murmelte Richard und seine Stimme zitterte.

„Das Beste!“, brüllte Louis und seine Stimme hallte von den Wänden wider. „Bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Ich war das Gespött der ganzen Schule und es war verdammt hart diesen Ruf wieder wett zu machen!“ Er drehte sich rasend um und ging in eine der Duschkabinen, ohne Richard auch nur die Möglichkeit zu geben noch etwas zu erwidern. Er war so wütend auf ihn wie noch nie.

Er schlug mit den Fäusten gegen die Wand und lehnte auch die Stirn dagegen.

Wie hatte Richard ihm das antun können? Er war doch selbst dabei gewesen, als Louis nachts geheult hatte, als er von Alpträumen geweckt worden war. Er war doch selbst damals von Louis’ Schrei aufgewacht und hatte ihn gefragt was los sei. Und er war derjenige, dem Louis es erzählt hatte, im Vertrauen darauf, dass er es für sich behielt und dass er ihm half.

Aber was hatte Richard stattdessen getan? Es dem Direktor gepetzt.

Die Idioten, die den Mist verbockt hatten und beinahe geflogen wären, hatten ihm, die restlichen zwei Jahre, die sie auf der Schule gewesen waren, das Leben zur Hölle gemacht, in der Annahme, er hätte gepetzt.

Er stellte das Wasser ein und ließ es sich kalt über den Körper laufen. Duschgel oder Shampoo hatte er nicht dabei, so musste es wohl reichen, wenn er das Chlor nur oberflächlich abwusch.
 

Als er endlich aus der Duschkabine herauskam, sah er Richard, wie er zusammengekauert neben der Tür, die ins Bad führte, hockte, und ungleichmäßig atmete.

Er war so wahnsinnig wütend auf ihn und wollte eigentlich einfach hinausgehen, da hielt ihn das Naserümpfen Richards auf.

„Sag mal, heulst du jetzt oder was?“, fragte er ruppig und stellte sich mit verschränkten Armen vor seinen Freund, sah auf ihn herab.

„Nein“, antwortete Richard knapp. Louis sah genauer hin. Der Rotschopf hatte eine Gänsehaut. Er hatte noch nicht geduscht und insgesamt war es relativ kalt hier drinnen, wahrscheinlich hatte die Schule um diese Uhrzeit die Heizung abgestellt.

„Frierst du?“, fragte er nun und bekam einen erbärmlichen Blick von Richard zugeworfen.

„Dann dusch dich heiß.“

„Geht nicht; kein heißes Wasser mehr um die Uhrzeit.“ Hatte Louis also richtig geschätzt.

„Dann komm mit und zieh dich an“, sagte er nun und streckte Richard seine Hand entgegen, der das Angebot zu Boden blickend entgegennahm.

Als sie in der Umkleide standen, nahm Louis das Handtuch, dass er eigentlich für sich selbst hatte verwenden wollen und rubbelte dem Rotschopf übers Haupt. Dieser hatte die Arme um seinen Bauch geschlungen und tat, bei den zärtlichen Berührungen, einen Schritt auf Louis zu. Der trocknete ihm nun vorsichtig das Gesicht ab und dann Hals und Schultern.

„Tut mir leid“, flüsterte Richard, als Louis zu seiner Brust kam. Er stand vor ihm wie ein Kind, das etwas ausgefressen hatte und sich schuldig fühlte.

„Das sollte es auch“, murrte Louis und fuhr ungerührt fort. Er hatte keine Ahnung, warum er das tat, denn eigentlich hätte Richard das auch ganz gut selbst hingekriegt, doch wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil dem Oxforder nur seinetwegen so kalt war.

„Bist du noch sehr wütend?“, fragte Richard schüchtern und hielt Louis bereitwillig seinen Arm hin, damit auch dieser abgetrocknet wurde. Louis seufzte. Was sollte er denn sagen? Einerseits war er wütend, aber andererseits wollte und konnte er nicht wütend auf Richard sein.

„Nein“, antwortete er. Dann würde er seinen Ärger halt hinunterschlucken. Streit mit Richard brachte ihm eh nichts. „Hier, den Rest solltest du vielleicht selbst machen“, sagte Louis und reichte Richard das Handtuch, als er auch mit dem anderen Arm fertig war.

Richards Ohren erröteten leicht und er drehte sich um, entledigte sich seiner Schwimmshorts und fuhr fort sich abzutrocknen.

Louis schluckte schwer. Was wäre wohl passiert, wenn er vorhin nicht aufgehört, sondern weitergemacht hätte? Hätte Richard irgendwann gänzlich mitgespielt?

Hätte er es geschafft ihn dazu zu bringen mit ihm zu schlafen?

Verdammt! Er hatte seine Gelegenheit verspielt und nun blieb ihm nichts Anderes mehr übrig als abzuwarten, wann sich wieder eine Gelegenheit ergab.

„Willst du dich nicht auch abtrocknen?“, vernahm er nun Richards vorsichtige Stimme und sah zu ihm. Er stand nun in Boxershorts vor ihm und war dabei sich seine Jeans anzuziehen.

„Hab kein Handtuch“, murmelte Louis und sah auf das Handtuch, auf dem Richard nun stand, damit seine Füße nicht wieder nass wurden.

„Oh“, machte dieser und wandte sich zu seiner Tasche. „Vielleicht hast du Glück und ich hab noch eins drinnen, das kannst du gerne haben…“ Er wühlte einige Augenblicke und Louis sah ihm kopfschüttelnd zu. Er selbst hatte die Tasche doch durchwühlt und nur das Eine gefunden.

„Ha! Du hast tatsächlich Glück“, lächelte er und hielt Louis ein Handtuch entgegen. Wo hatte er das denn jetzt hergezaubert? Und als erahnte Richard seine Gedanken, erklärte er: „War in der Tasche unter dem Boden.“

Das hieß dann also, dass Richards Tasche einen doppelten Boden hatte? Interessant. Dankend nahm er das ihm dargebotene Handtuch an und begann ebenfalls sich abzutrocknen.

Er spürte Richards Blick auf sich und sah auf.

„Was ist?“, fragte er und erkannte, dass der Oxforder sich inzwischen vollständig angezogen hatte und nun auf der Bank saß, ihn beobachtend.

„Weißt du? Ich finde es immer wieder faszinierend, dass du dich gar kein bisschen vor mir genierst“, antwortete Richard. Louis fuhr lediglich fort in seinem Tun und entgegnete: „Warum sollte ich? Glaub mir, irgendwann werden wir sowieso noch miteinander schlafen und dann werde ich deinen ganzen Körper erkunden und dann kannst du dich nicht mehr einfach von mir abwenden.“ Als er hinaufschielte, sah er, dass Richards Ohren glühten und er schmunzelte in sich hinein.

Ja, irgendwann.
 


 

Ich hoffe, es hat euch gefallen und freue mich wie immer über Gedanken, Lob und Kritik

LG, Terrormopf

So, wer hat die kranke Autorin bestellt, die wäre jetzt fertig!

Ja, mich hat die Grippe erwischt.

Wie? Das tut hier nichts zur Sache? Mir egal, jetzt wisst ihr's!

Nun, vielen Dank wieder für die Kommentare! Ich habe es wieder nicht geschafft zu antworten... Asche auf mein Haupt!

Zu diesem Kapitel habe ich noch eine kleine Anmerkung:

Marmite ist eine Art Brotaufstrich typisch für den britischen Geschmack... es ist süß, sauer und salzig zugleich... sehr seltsam.

Nun aber viel Spaß beim Lesen!
 


 

Verdammt!

Warum hatte er es schon wieder mit Nemours getan?

Sie rauchten wie gewöhnlich vor dem Schultor eine Zigarette und schwiegen, bis Louis fragte: „Wieso hast du eigentlich was mit mir angefangen? Du könntest von der Schule geworfen werden.“

„Das gilt für dich genauso und immerhin warst du derjenige, der klitschnass zu mir ins Zimmer kam und mich geküsst hat“, grinste Nemours und warf Louis einen süffisanten Seitenblick zu. Louis seufzte genervt auf und entgegnete: „Aber du hättest es fast als Erster getan, auf dem Parkplatz, während des Polospiels, als es so geregnet hat.“

„Mag sein, aber es war nur fast.“

„Ist mir egal. Beantwortest du mir jetzt meine Frage?“ Er nahm fröstelnd noch einen Zug seiner Zigarette. Warum musste es nachts auch immer so schweinekalt sein?

„Du siehst gut aus, bist gut im Bett und es ist eine nette Abwechslung.“ Nemours zuckte die Achseln. „Ist es bei dir anders?“, fragte er dann und hob skeptisch, fast drohend die Augenbrauen.

„Nein!“, antwortete Louis hastig. Eher zu hastig. Er wollte nicht, dass Nemours etwas Falsches dachte.

Aber war es bei ihm das Gleiche? War es bei ihm anders?

Er hatte nie darüber nachgedacht. Die Frage hatte er eigentlich nur gestellt um sich selbst von seinen ursprünglichen Gedanken abzulenken und nun hatte er eine Neue unangenehme Frage im Raum stehen.

Schlief er wirklich nur mit Nemours, weil der Sex gut war?

Er hatte damit angefangen, weil ihn der Franzose gereizt, ihn geradezu herausgefordert hatte. Wegen diesem Ausdruck in seinen Augen, diesem Ausdruck, der immer seltener wurde. In Frankreich war er wieder da gewesen, doch hier in England verschwand er. Jeden Tag ein bisschen mehr.

„Nacht.“ Mit diesem Wort riss ihn Nemours aus seinen Gedanken. Er hatte seine Zigarette ausgetreten und war auf dem Weg ins Schulgebäude.

„Nacht“, murmelte Louis und sah auf seine vor Kälte roten Finger.

Noch einmal ließ er die Zigarette aufglimmen, schnippte sie dann auf die Straße, lehnte den Kopf erschöpft in den Nacken und stieß den Rauch aus.

Zu was hatte er sich da nur hinreißen lassen?

Er steckte die klammen Finger in die Hosentaschen, vergrub das Gesicht tief in seinem Schal und machte sich ebenfalls auf den Weg ins Schulgebäude.

Doch gerade als er in die Halle kam, wurde er gepackt und unsanft gegen die Wand geschleudert. Er keuchte unterdrückt auf, sein Rücken schmerzte und er sah Nemours irritiert ins Gesicht. Auf des Franzosen Gesicht war ein hinterlistiges Lächeln zu erkennen und Louis wusste, was das bedeutete: Zurück in Nemours’ Bett.

Aber diesmal nicht kampflos!

„Lass das“, murmelte er, als Nemours begann seinen Hals zu küssen und seine Jacke öffnete. Er nahm den starken Geruch nach Rauch an Nemours wahr. Ihm wurde davon schlecht.

Doch sein Lehrer hatte es jetzt geschafft ihm das Hemd aus der Hose zu ziehen und seinen nackten Bauch zu berühren. Louis überzog eine Gänsehaut, als die kalten Finger ihn berührten und ein Schauer überkam ihn. Er spürte, wie Nemours’ Hände langsam hinauffuhren, wieder hinab, an Flanken, Bauch und Rücken.

„Nicht…“, setzte Louis an, bis Nemours ihm die Lippen mit einem gierigen Kuss verschloss, doch Louis versuchte weiter zu sprechen: „Nicht hier!“

Er hatte nur leider nicht das Standhaltevermögen um Nemours von sich zu schieben. Er wand sich unter den Berührungen und je länger es dauerte, desto mehr wollte Louis es auch. Nemours kannte ihn schon zu gut. Wusste zu genau, wo er empfindlich war, was er wollte und brauchte.

„Nicht hier“, wiederholte Louis, doch seine Stimme schwankte, klang schwach, es war keinerlei Überzeugung darin. Es war ihm schon längst egal aber irgendetwas hielt ihn doch noch zurück.

„Dann lass uns zu mir gehen“, erwiderte Nemours und ließ abrupt von Louis ab, was diesem überhaupt nicht gefiel, weswegen er sich eilte in das Zimmer des Lehrers zu kommen.

Er hatte sich kaum mehr unter Kontrolle, als er Nemours ungeduldig zu sich aufs Bett zog, ihm die Kleider nahezu vom Körper riss. Er zerrte und zog tatsächlich daran, bis Nemours ihm gnädig zur Hand ging.
 

Er dachte darüber nach wie er sich verhalten hatte. Es war ihm peinlich.

Nicht vor Nemours, der war ihm egal.

Mehr vor sich selbst. Er schaffte es nicht, sich im Zaum zu halten, wenn Nemours ihn provozierte. Er ging voll auf Nemours ein, ließ sich darauf ein, was der von ihm wollte, ganz gleich, was er selbst wollte.

So lag er neben dem schlafenden Nemours.

Eigentlich hätte er sich sofort anziehen und in sein Zimmer gehen müssen, doch stattdessen lag er hier neben seinem Lehrer und verweilte in seinen Gedanken. Er spürte, wie seine Lider schwer wurden und er wusste, dass er eigentlich spätestens jetzt aufstehen und gehen sollte, doch es war einfach zu bequem, zu mollig warm, zu gemütlich.

So schloss er für einen Moment die Augen. Nur für einen winzigen… kleinen… Augenblick…
 

Als er die Augen wieder öffnete, war es bereits Tag. Er rieb sich müde über die Augen und fuhr sich verschlafen durchs Haar, als er gähnte. Erst als er Nemours neben sich bemerkte, wusste er wieder, dass er nicht in seinem Zimmer sein konnte; nicht in seinem Zimmer war.

Verdammt! Er konnte doch nicht wirklich eingeschlafen sein!

„Nemours! Nemours, wach auf!“ Er rüttelte diesen solange, bis der unverständlich und krächzend murmelte: „Qu’est-ce que tu fais, connard, je veux encore dormir.“

„Laber keinen Scheiß, es ist Morgen! Ich bin eingeschlafen!“ Nemours blinzelte hinsichtlich Louis’ panischer Stimme ein paar Mal und richtete sich schließlich auf, um sich mit der Hand übers Gesicht zu reiben.

„Was ist los?“, fragte er gähnend, hielt es nicht für nötig die Hand vor den Mund zu nehmen.

„Es ist Morgen und ich bin noch hier“, wiederholte Louis langsam und sehr angespannt.

„Was? Wieso bist du nicht gestern Nacht gegangen?“, fragte Nemours entgeistert und starrte auf Louis, der inzwischen aufgestanden war und sich anzog. Für einen Augenblick sah er auf und funkelte Nemours zornig an, dann fuhr er fort und fauchte: „Du bist doch derjenige, der immer ungefähr zwei Sekunden danach schläft wie ein Murmeltier! Entschuldige, dass ich auch einmal eingeschlafen bin!“

„Ich kann doch wohl von einem 17-Jährigen erwarten, dass er nach dem Sex noch fähig ist ein paar Treppen hinaufzugehen, wenn davon sein Schülerdasein auf dem Spiel steht. Aber mein Problem ist es ja nicht“, sagte Nemours und ließ sich wieder nach hinten in die Kissen fallen.

„Nicht dein Problem?“, fragte Louis und kam auf ihn zu, nachdem er seine Jeans angezogen hatte. „Mein lieber Nemours. Du weißt, dass du wegen Verführung eines Minderjährigen angezeigt werden kannst und garantiert deinen Job hier verlierst, wenn das auffliegt?“

„Dann gib dir Mühe, dass es nicht auffliegt“, erwiderte Nemours gleichgültig, nahm den Wecker vom Nachttisch, um einen kurzen Blick darauf zu werfen, stellte ihn gleich darauf wieder zurück und drehte sich auf die Seite, sodass Louis seinen Rücken zu sehen bekam.

„Arschloch! Ich muss nicht nur meine Haut retten!“

„Also musst du dich doppelt anstrengen. Viel Glück“, sagte Nemours und schien fast schon wieder im Halbschlaf zu sein. Ob er überhaupt schon richtig wach gewesen war?

Louis schüttelte den Kopf. Der verdammte Franzose war ihm also keinerlei Hilfe. So zog er sich seine restlichen Klamotten an und brummte noch ein paar Worte des Abschieds an Nemours, der wahrscheinlich schon längst wieder schlief. Dieser Kerl war einfach nur wahnsinnig ignorant! Und Louis musste es wissen, denn er war selbst oft ignorant genug.

Vorsichtig lugte er zur Türe hinaus. Es war gerade keiner zu sehen, also schlüpfte er durch den Türspalt und schlich auf Zehenspitzen den Lehrergang entlang.

„Louis? Was machst du denn um diese Uhrzeit hier?“

Scheiße!

Ausgerechnet Mrs. Russel!

Er war in seiner Bewegung erstarrt und drehte sich nun langsam um, fieberhaft nach einer Erklärung suchend. Sie hatte die Haare in einem Handtuchturban hochgesteckt und trug einen Bademantel und Louis versuchte krampfhaft sich nicht vorzustellen, wie seine Englischlehrerin nackt aussah. Dennoch schaffte er es nicht ganz und einige Bilder entstanden in seinem Kopf.

„Guten Morgen, Mrs. Russel“, sagte er langsam und versuchte nun die Bilder zu verdrängen und gleichzeitig eine Erklärung zu finden.

„Also?“, fragte sie und hob die Augenbrauen.

„Louis, du hast etwas vergessen…“, vernahm er nun Nemours’ Stimme und erkannte, wie dieser aus der Türe heraustrat, seinen Schal in der Hand.

„Mr. Nemours?“, fragte Mrs. Russel erstaunt. „War Louis etwa bei Ihnen?“

Nemours warf Louis einen vernichtenden Blick zu, doch sagte dann an Mrs. Russel gewandt: „Ja natürlich war er bei mir. Ach und Louis, dein Französischzeug liegt auch noch auf meinem Schreibtisch. Komm das nächste Mal aber lieber rechtzeitig zu mir, wenn du ein Problem hast und weck mich nicht so früh.“ Louis starrte finster zurück. Was konnte er denn dafür, dass er einmal nach dem Sex direkt eingeschlafen war und dann Mrs. Russel gerade auf dem Flur sein musste, wenn er sich wegschleichen wollte?

„Hör auf Mr. Nemours, Louis, du weißt auch genau, dass es euch eigentlich untersagt ist auf dem Lehrerflur zu sein, geschweige denn in den Zimmern der Lehrer“, mischte sich nun Mrs. Russel ein. Sie hob noch drohend die Augenbrauen, doch Louis wusste ganz genau, dass von ihr keine weitere Gefahr ausging; sie hatte die dämliche Geschichte Nemours’ voll geschluckt. Dennoch erwiderte er sehr leise und unter zusammengepressten Zähnen: „Ja, Ma’am, tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen.“

Dann ging er zu Nemours, riss ihm beinahe den Schal aus der Hand und ging in dessen Zimmer.

Nemours schloss die Tür hinter ihm und musterte ihn schweigend. Louis war extrem verstimmt. Der Tag hatte schon schlecht begonnen und wie sollte er denn noch gut weitergehen? Drecks Tag!

Doch Nemours schien sich nicht für seine schlechte Laune zu interessieren, sondern kam auf ihn zu, nahm sein Gesicht in die Hände und küsste ihn. Der Engländer allerdings ließ sich das nicht gefallen, sondern machte sich von ihm los, trat einen Schritt zurück und fauchte wütend: „Fass mich jetzt gefälligst nicht an!“

Nemours hob wie unschuldig die Hände, erwiderte nichts, sondern drehte sich einfach um und legte sich wieder ins Bett, um noch vielleicht eine halbe Stunde Schlaf zu bekommen, wie Louis es vermutete.

Elender Dreckskerl! Louis ging zum Schreibtisch, griff nach dem Französischbuch seiner Klasse, das fein säuberlich mit den anderen hinten aufgereiht war, und stapfte damit hinaus.

Er hatte es zur Sicherheit mitgenommen, falls Mrs. Russel ihm noch einmal begegnen sollte, doch der Flur war nun ganz und gar verlassen.
 

Zum Frühstück ging er alleine. Allerdings sah er, als er sich gerade seine übliche Portion Cornflakes mit einem gehäuften Löffel Zucker in der Milch holte, dass Richard schon da war und mit einigen anderen am Tisch saß. Anscheinend hatte der ihn auch entdeckt, und winkte ihn zu sich her, doch Louis ignorierte es geflissentlich, holte sich den Rest seines Frühstücks und setzte sich dann allein an einen Tisch.

Er spürte Richards irritierten Blick auf sich ruhen, doch das brachte ihn nicht aus der Ruhe, sodass er gemächlich seinen Toast mit einer hauchdünnen Schicht Marmite überzog.

Nicht viel später allerdings kam Richard zu ihm und setzte sich ihm gegenüber, ein unpersönliches „Morgen“ murmelnd. Louis erwiderte den Gruß gleichgültig. In Gedanken war er noch dabei Nemours zu verfluchen.

„Wo warst du heute Nacht?“, fragte Richard unverblümt und Louis verschluckte sich an seinem Schwarztee, sodass er sich Zunge und Rachen verbrannte und stark husten musste. Als er sich wieder beruhigt hatte und in Richards fragende Augen sah, entgegnete er, noch immer etwas nach Luft ringend: „Im Bett, wo sonst?“

„Aber nicht in deinem“, sagte Richard daraufhin, sah ihn durchdringend an. Louis mochte diesen Blick nicht. Er wusste, dass Richard ihn in letzter Zeit häufig mit diesem kritischen Blick bedachte und genau deswegen konnte Richard auch so viel aus seiner Mimik, seinen Gestiken lesen.

„Wie kommst du darauf?“ Einfach nicht lügen, aber auch nicht die Wahrheit sagen, dann würde schon alles glimpflich enden, sagte sich Louis und wartete auf die Antwort Richards, die auch kurz darauf folgte: „Weil ich in der Nacht in deinem Zimmer war und auf dich gewartet habe. Und zwar mehr, als es braucht um zwei oder drei Zigaretten zu rauchen.“ Er hatte die Stimme gesenkt, sprach leise, damit niemand ihr Gespräch mithören konnte.

„Wieso warst du denn bei mir?“ Langsam wurde es brenzlig, das musste Louis sich eingestehen.

„Weil ich bei dir schlafen wollte.“ Die Antwort war gleichförmig wie die zuvor und auch Richards scharfer Blick änderte sich keinen Deut.

„Ah ja und jetzt kommst du dich beschweren, weil ich dich nicht sanft in den Schlaf gewiegt hab?“ Sarkasmus, der seine Unsicherheit überspielen sollte, schwang in seiner Stimme mit, doch er wusste genau, dass Richard es bemerkt hatte.

„Nein, ich wollte nur fragen, warum du nicht da warst.“

„Ich bin halt wo anders eingepennt!“ Jetzt hatte Richard seinen Triumph: Louis war aggressiv geworden, was bedeutete, dass er sich im Prinzip selbst für schuldig erklärt hatte.

„Und wo?“, fragte sein Gegenüber, blieb weiterhin ernst und konzentriert. Doch nun stand Louis auf, ging um sein Tablett zu versorgen und sagte, als Richard ihm folgte: „Was geht’s dich an?“

Verdammt, die Sache wuchs ihm langsam über den Kopf!

Er musste endlich etwas dagegen unternehmen, doch was das war wusste er nicht, aber er wusste, dass es wohl auch nicht in nächster Zeit geschehen würde, denn noch lief ja alles glatt.

„Haben wir heute Französisch?“, fragte er an Richard gewandt und der bejahte. Das vorige Thema war gegessen. Der Rotschopf schien zu wissen, dass er nichts weiter aus Louis herausbekommen würde, so machten sie sich auf den Weg zum Tutor.
 

Diesen Abend war Richard lange bei ihm; sie hatten begonnen einen Film zusammen anzuschauen, doch war der Oxforder nach einer Weile eingeschlafen und sein Kopf lehnte nun an Louis’ Schulter, während seine Brust sich sanft hob und senkte. Louis lehnte seinen Kopf gegen den Richards und achtete mehr auf dessen gleichmäßigen Atem als auf den Film.

Er war wohl tatsächlich die halbe Nacht lang aufgeblieben um auf ihn zu warten. Wie enttäuscht und verletzt er gewesen sein musste; und nun völlig erschöpft.

Doch auch an Louis war die letzte Nacht nicht spurlos vorbeigegangen. Er war ebenfalls ausgelaugt, hatte es aber dennoch geschafft in der Französischstunde Nemours verachtende Blicke zuzuwerfen, die dieser mit einem leichten Kopfschütteln abgetan hatte.

Aber trotzdem wusste er, dass er spätestens nächste Woche wieder bei Nemours im Bett liegen würde.

Es fiel ihm nicht leicht die Augen weiterhin geöffnet zu halten; sie brannten und die Lider wurden schwer. So schaltete er den Laptop aus und legte ihn beiseite. Dann bettete er vorsichtig Richard, sodass der nicht aufwachte, legte sich neben ihn und deckte sie zu.

Ruhig nahm er Richard in seine Arme und schmiegte sich an ihn, lauschte wieder seinen gleichmäßigen Atemzügen. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Richard genau über ihn und Nemours bescheid wusste, dass er es schon lange wusste. Eigentlich war es auch kein Wunder, denn es war einfach zu offensichtlich gewesen.

Sollte er Richard reinen Wein einschenken?

Nein, lieber nicht, wer wusste wie Richard reagieren würde; Louis wollte das nicht riskieren.

Er atmete tief durch und langsam glitt er hinüber ins Land der Träume.
 

Es war mitten in der Nacht, als ihm kühl wurde. Er zog die Beine eng an den Körper, rollte sich zusammen, doch erst sein eigenes Niesen weckte ihn auf. Sein Hals kratzte, als er sich räusperte und er bekam kaum die Augen auf. Doch die Nase rümpfend zwang er sich dazu sich aufzusetzen. So bemerkte er, dass er nicht zugedeckt war und Richard nicht neben ihm lag. Verwundert suchte er sein Bett nach der Decke ab und schaute dann auch daneben, falls Richard aus dem Bett gefallen war und sich so sehr an die Decke geklammert hatte, dass er diese mit sich gezogen hatte.

Wobei das eher unwahrscheinlich war, weil der Rotschopf stets an der Innenseite des Bettes schlief. Und das Nachschauen bestätigte die Vermutung: Keine Decke, kein Richard.

Wo Richard war, interessierte ihn im Moment nicht so sehr. Ihm war kalt und er wollte seine Decke! Er ließ den Blick durchs Zimmer streifen und erkannte nun endlich die Ursache dafür, dass ihm so kalt war: Richard saß zusammengekauert auf seinem Schreibtischstuhl, hatte das Fenster weit aufgerissen, die Decke um sich gelegt.

„Rich?“, fragte Louis heiser. „Rich, was soll das? Komm wieder ins Bett, mir ist kalt.“ Erst jetzt sah Richard zu ihm, blickte ihn verständnislos an.

„Es war so stickig hier drinnen“, entgegnete er leise. Louis fuhr sich übers Gesicht und stand auf, um das Fenster zu schließen.

„Los jetzt, komm ins Bett, mir ist schweinekalt. Und wenn ich morgen erkältet bin, bist du Schuld.“ Er streckte Richard die Hand entgegen, um ihm aufzuhelfen und der stellte tatsächlich die Füße auf den Boden und griff nach Louis’ Hand, doch anstatt sich hochziehen zu lassen, zog er Louis mit einem Ruck zu sich in die Arme.

Louis, überrascht von dieser Aktion keuchte unwillkürlich auf. Seine Schulter schmerzte von dem plötzlichen, heftigen Ruck, doch da spürte er, wie Richard die Decke um ihn schloss und seine Wange auf sein Haupt legte.

Louis rührte sich nicht. Er wusste mit dieser Situation nicht so recht umzugehen. Sein Herz schlug schneller und schließlich fragte er: „Was wird das, Richard?“ Er fühlte sich irgendwie gedemütigt, wie er so vor Richard kniete – ja, er war auf seine Knie gefallen.

„Weißt du, Lou?“, begann er und weil Louis’ Kopf an seiner Brust lehnte, spürte der, wie sie leicht beim Sprechen vibrierte. Er sprach nicht weiter und Louis wusste nicht, ob er etwas von ihm erwartete, vielleicht, dass er die Umarmung erwiderte?

Nein. Immerhin kniete er hier zwischen Richards Beinen, den Kopf an dessen Brust gedrückt. Und seine Arme würden weiterhin nutzlos an seinen Seiten herabhängen!

„Was weiß ich?“, fragte Louis skeptisch, spürte endlich, wie ihm langsam wärmer wurde.

„Wenn du schläfst, dann brauchst du immer irgendetwas, woran du dich klammern kannst, wenn ich nicht da bin, dann benutzt du dein zweites Kissen und wenn du das aus dem Bett bugsiert hast, dann kommt die Decke zwischen Arme und Beine. Hauptsache, du hast etwas zum Festklammern.“ Louis spürte wie Richard leicht lächelte und er die Umarmung enger werden ließ.

Na und? Dann klammerte er sich halt ständig an irgendwas fest, da war doch wohl nichts Schlimmes dran, oder?

„Und jetzt?“, fragte er, noch immer heiser. Er hatte schon vor einigen Minuten bemerkt, dass ihm der Hals beim Schlucken wehtat und seine Nase lief, sodass er sie hin und wieder rümpfte.

„Ich hab es nur festgestellt“, antwortete Richard, küsste Louis auf sein dunkles Haar.

Eigentlich wollte er Richard jetzt anbrüllen, dass er ein totaler Trottel sei und seine Zeit nicht für so unwichtige Beobachtungen verschwenden sollte, doch stattdessen blieb er ruhig, atmete den Duft des Anderen ein und sagte leise: „Und deswegen musstest du mir die Decke klauen und das Fenster aufreißen?“ Seine Füße hingen noch immer im Freien und er glaubte, dass nicht mehr viel fehlte, bis ihm der erste Zeh abfror. Aber er ignorierte es einfach, schließlich war Richard ja warm.

„Nein, ich hab dir doch schon gesagt, dass ich das Fenster aufgemacht habe, weil es so stickig war und die Decke habe ich genommen, weil mir kalt war.“ Er klang ruhig und ausgeglichen, atmete gleichmäßig, fast als würde er schlafen.

„Du Schwein. Und mich lässt du frieren“, murrte Louis verstimmt und stieß sich einen Moment später von ihm, was ihm einen verdutzten Blick Richards einbrachte. Doch er hatte das Kribbeln in seiner Nase gespürt, das auf ein baldiges Niesen deutete.

„Ha-“ Abgehackt holte er Luft. „Haa-“ Noch einmal. „Haaa-tschuu!“ Er hatte sich von Richard abgewandt um ihn nicht anzuniesen. Nun stand er auf und öffnete die erste Schreibtischschublade, um eine Packung Taschentücher herauszuholen und sich ordentlich die Nase zu schnäuzen. Anschließend wischte er sich mit dem Handrücken über die feuchten Augen.

„Können wir jetzt bitte wieder ins Bett gehen?“, fragte Louis etwas verstimmt, weil er spürte, dass nun auch noch leichte Kopfschmerzen dazukamen.

Richard erwiderte nichts, sondern stand auf und kam auf Louis zu, noch immer die Decke wie einen Mantel um sich geschlungen. Er blieb ganz knapp vor dem Londoner stehen und als dieser seine Absicht ihn zu küssen bemerkte, wandte er rasch ein: „Nicht, sonst…“, doch da legte Richard flüchtig seine Lippen auf die Louis’. Und als er seine warmen, weichen, süßen Lippen wieder löste, sprach Louis seinen Satz zu Ende: „… steckst du dich an.“ Er war in dem Moment nicht fähig noch einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Auf seinen Lippen brannte die warme Erinnerung an die Richards und als der lächelte und weiter in Richtung Bett schlurfen wollte, packte Louis ihn bei den Schultern und küsste ihn leidenschaftlich.

Er wollte in diesem Augenblick einfach nur noch einmal diese honigsüßen Lippen schmecken.

Richard ließ sich, etwas zu Louis’ Überraschung, zu dem Kuss hinreißen und ließ die Decke fallen, um seine Arme um sein Gegenüber zu schlingen, sich näher an ihn zu drücken.

Louis genoss es Richards Körper an seinem zu spüren, seinen Kopf in seiner Hand zu halten und durch das weiche, orangefarbene Haar zu streichen, sich darin festzukrallen.

Richards Finger hingegen krallten sich in Louis’ T-Shirt, als wollten sie es nie wieder loslassen.

Louis wollte, dass dieser Kuss ewig andauerte, niemals abbrach, doch Richard machte ihm einen Strich durch die Rechnung, indem er sich von ihm löste und seine Stirn an seine Schulter lehnte. Atemlos starrte Louis in die dunkle Leere seines Zimmers. Noch nie hatten sie sich so geküsst.

Auch Richard schien es nicht anders zu gehen, denn er bebte am ganzen Leib und sein Atem war flach geworden. Seine Finger waren noch immer in den Stoff über Louis’ Schulterblättern gekrallt, ließen nicht locker.

Der Londoner hingegen ließ sanft seine Hand durch das Haar Richards streicheln und die andere hatte er in dessen Kreuz gebettet.

„Du zitterst“, flüsterte er, noch immer überwältigt.

„Weil mir kalt ist“, murmelte Richard gegen seine Schulter, doch Louis wusste, dass es nicht die Wahrheit war. Zwar lag die Decke zu ihren Füßen auf dem Boden, doch war ihm nach diesem Kuss ganz sicher nicht kalt.

„Dann lass uns endlich zurück ins Bett gehen. Ich wärm dich dann.“ Er ging einfach darauf ein. In diesem Moment hatte er anderes im Sinn als ihn zu provozieren; beispielsweise sein heftig gegen seinen Brustkorb pochendes Herz zu beruhigen.

Richard löste vorsichtig seine Finger und ging zum Bett, wodurch es an Louis hängen blieb sich zu bücken und die Decke, die wohlgemerkt Richard fallen gelassen hatte, wieder aufzuheben. Er legte sich Richard gegenüber, deckte sie wieder zu und schloss ihn aufs Neue in seine Arme.
 

Er hatte sich Gott sei Dank keine schlimme Erkältung zugezogen, sondern konnte die Symptome mit einer ASS-Tablette aus seinem Versteck, hinter den Büchern im Nachttischschränkchen, bekämpfen. Zur Schulschwester hatte er um keinen Preis der Welt gewollt und schließlich hatte er schon seit der III das gleiche Versteck, damit er nicht zu der Frau musste, denn eigentlich war es den Schülern untersagt Medikamente zu besitzen.

Aber der Tag verlief gut. Ohne Krankenschwester, ohne Französisch.

Doch schon der übernächste brachte wieder die nun plötzlich gefürchtete Stunde. Nemours stand vorne am SMARTboard und erklärte ihnen die Sprache, gab ihnen hin und wieder Arbeitsanweisungen. Zum Glück wandte er Louis nicht mehr Aufmerksamkeit zu als den anderen Schülern und so ging der Londoner sogar relativ gut gelaunt aus der Stunde, plante schon einmal, was er nun in seiner Freistunde machen würde.

Als erstes startete er seinen Laptop um seine Nachrichten zu checken, was er heute noch nicht getan hatte, doch da sah er den Absender der einzigen neuen Mail:

Olivier Nemours.

Mit aufeinander gepressten Lippen öffnete er die Mail und las:

„Lieber Louis,

Du scheinst gerade ein paar Probleme mit dem Französischen zu haben, deswegen würde ich dich gerne morgen Mittag, in der Mittagspause in L2 sprechen, damit wir regeln können, wie ich dir helfen kann.

Mit freundlichen Grüßen, Olivier Nemours.“

Er hätte am liebsten aufgeschrieen. Diese Zweideutigkeiten mit denen er das Zensurwerk der Schule umging!

Er würde hingehen. Und wenn er Nemours nur eine Faust verpasste und dann wieder ging.
 

Er ging wirklich am nächsten Tag in der Mittagspause in L2, fand die Tür geschlossen vor. So öffnete er sie und entdeckte Nemours am Pult sitzend, ihn anstarrend.

„Du bist gekommen“, stellte der Franzose fest, schien geringfügig überrascht zu sein. Louis schloss die Tür wieder hinter sich, kam auf Nemours zu.

„Hast du etwas Anderes erwartet?“, fragte Louis und setzte sich aufs Pult.

„Vielleicht so etwas wie in Paris.“

„Ich lerne aus Fehlern. Noch eine Ohrfeige kassiere ich bestimmt nicht von einem Franzosen.“

„Na, na, du bist ja heute so bissig, Louis.“ Nemours blickte ihm überlegen entgegen. „Lass mich dir sagen, dass du in dieser Beziehung in meiner Hand bist und nicht umgekehrt.“ Er fuhr mit der Hand über Louis’ Brust und Bauch und ließ sie auf seinem Oberschenkel ruhen. Louis spürte die Berührungen genauso intensiv als wäre zwischen Nemours’ und seiner Haut nicht noch Hemd und Pullover gewesen und er musste schwer schlucken.

Nemours erhob sich nun und stellte sich ihm gegenüber, legte nun beide Hände an Louis’ Hüfte, der unter der Berührung kaum merklich zusammenzuckte. Er wusste, was jetzt kommen würde. Er wusste, dass Nemours ihn nun küssen würde und er nicht den Willen hatte sich dem zu widersetzen, schließlich gefiel es ihm ja auch.

Also würde er gar nicht erst versuchen sich zu wehren, sondern kam Nemours lieber gleich entgegen.
 


 

Wahaha! Es kommt dem Höhepunkt immer näher >D

Kurzes Kapitel...
 


 

Ja, sie waren unvorsichtig gewesen. Sie hatten sich in der Mittagspause, zu kurz vorm Unterricht in L2 getroffen, sich geküsst. Doch plötzlich war die Tür aufgeflogen und Richard hatte dahinter gestanden, hatte gerade eintreten wollen. Er erstarrte aber, als er Louis und Nemours sah, eng umschlungen, sich küssend.

Louis reagierte nicht sofort. Für Bruchteile von Sekunden, die ihm vorkamen wie Stunden, starrte er einfach nur zu Richard. Dann drängte er Nemours von sich fort und sprang vom Pult, auf dem er gesessen hatte, auf; aber sprechen konnte er immer noch nicht, öffnete nur den Mund und suchte nach einer Ausrede, einer Erklärung.

Nemours hingegen sah nur mit erhobenen Brauen vom Einen zum Anderen, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und wusste offensichtlich auch nicht, was er sagen sollte. Oder wollte er sich nur heraushalten?

Egal! Es war Louis in diesem Moment so was von egal. Er sah nur, wie sich Richard, die Ohren knallrot, umdrehte und wieder ging, seinen Ordner und das Buch hatte er fallen gelassen. Louis hatte seine Mimik nicht deuten können, was ihm Sorgen machte. So lief er ihm hinterher und rief nach ihm, doch Richard beschleunigte seinen Schritt lediglich.

Auf der Höhe seines eigenen Zimmers holte er Richard endlich ein und drängte ihn hinein. Richard wehrte sich vehement und als sie drinnen waren, Louis die Tür geschlossen hatte und Richard immer noch nicht losließ, da holte dieser aus und schlug zu.

Louis hielt sich die Wange. Er hatte nicht gewusst, was für eine Kraft in der Faust Richards steckte; zumindest bis jetzt.

„Bist du eigentlich bescheuert?“, rief Louis wütend aus und bewegte seinen Kiefer vorsichtig. Er schmeckte ein wenig Blut im Mund.

„Ich?“, brüllte nun Richard. „Ich soll bescheuert sein?“

„Ja, du! Du brauchst mir doch nicht gleich eine runterzuhauen! Vollidiot!“

„Ach? Ich hab also nicht das Recht dir eine mitzugeben? Vielleicht hast du ja dann auch noch das Recht mir eine runterzuhauen, wenn es schon kein Problem ist, dass du mich anlügst und dich durch die Weltgeschichte hurst!“ Louis hatte ihn nie so sauer erlebt.

„Jetzt komm mal wieder runter. Ich hab dich nie belogen und ich hure mich auch ganz bestimmt nicht durch die Weltgeschichte!“ Doch Richard dachte gar nicht daran sich zu beruhigen, sondern schubste Louis zurück, sodass er gegen die Tür stieß und nagelte ihn mit den Handtellern an den Schultern fest, dann sagte er scharf: „Ich habe dich gefragt ob etwas zwischen dir und Nemours ist und du sagtest nein. Und du hast mit Sicherheit mit ihm geschlafen.“ Die geringe Lautstärke machte Louis schaudern.

Er vernahm das Klingeln zu Stundenbeginn, doch es kümmerte ihn ebenso wenig wie Richard.

„Na und?“, fragte er ruhig, seine innere Unruhe unterdrückend. „Du wolltest ja nie mit mir schlafen. Da kann ich auch genauso gut Nemours nehmen.“

„Weil ich nicht mit dir schlafen wollte? Bist du denn eigentlich noch ganz dicht? Deswegen gehst du zu Nemours und fickst mit ihm? Was, wenn euch jemand anderes erwischt hätte, dann wärst du jetzt weg vom Fenster, ebenso wie dein beschissener Franzose! Ich weiß ja, dass Geduld nie deine Stärke war, aber wenigstens etwas…“

„Wenigstens etwas was? Denkst du, weil du dich aufführst wie ein Mädchen das Schiss hat seine Unschuld zu verlieren, verzichte ich auf Sex? Ganz bestimmt nicht!“

„Scheiß Nymphomane.“ Mehr fiel Richard offensichtlich nicht mehr dazu ein und weil seine Stimme an Spannung verlor, die Fäuste an Louis’ Schultern sich lockerten, witterte dieser seine Chance.

„Tut mir leid“, sagte er, nahm Richards Hände von seinen Schultern. „Wirklich.“ Er kam noch einen Schritt auf Richard zu und legte ihm dann die Arme um den Hals, drückte ihn an sich. Richard wehrte sich nicht, ließ sich in dem Moment fallen, von dem Anderen halten.

„Eigentlich war es ja schon lange klar, aber solange ich nichts genau wusste, konnte ich mir immer noch einreden, dass auch nichts ist und damit ist es jetzt vorbei, weil ihr nicht umsichtig wart. Ich will dich nicht teilen, Lou“, murmelte er gegen Louis’ Schulter. Er erwiderte die Umarmung noch immer nicht, wehrte sich auch nun nicht dagegen, hing nur schlaff in Louis’ Armen, der nun lächelte: „Egoist.“

„Und jetzt?“, flüsterte Richard und Louis zuckte nur mit den Achseln. „Lass uns Französisch schwänzen. Bleiben wir hier bei dir.“ Louis nickte. Er hatte in dem Moment nicht den Schneid Richard eine Bitte abzuschlagen.

Nach einiger Zeit in der sie auf dem Bett gesessen hatten, Louis den Arm um Richard gelegt, der sich an ihn lehnte, in der vollkommene Stille vorgeherrscht hatte, sagte Richard: „Arschloch.“

„Es tut mir leid.“

„Wirst du weiterhin mit ihm schlafen?“ Das war die Frage die Louis gefürchtet hatte und nun druckste er, bis er es schließlich schaffte eine halbwegs brauchbare Antwort zusammenzusuchen: „Nun ja, keine Ahnung, das ist meistens spontan, so wie es sich eben ergibt…“

„Also ja.“ Louis konnte kein explizites Gefühl aus der Aussage herauslesen, aus der Stimmlage vernehmen. So blieb ihm nichts weiter übrig als zu nicken.

„Na dann“, murmelte Richard, „muss ich dich wohl teilen. So ein Scheiß!“ Louis lächelte leicht, wenn auch etwas gequält. Er konnte verstehen was Richard umtrieb, doch es ging nicht anders; er war in diesem Augenblick zu abhängig von Nemours, als dass er sich von ihren Romanzen trennen könnte.

Nur zwei Dinge:

Entweder ihr hasst mich für das Ende

oder ihr hasst einfach nur das Ende...
 


 

„Was ist?“ fragte Nemours, nachdem er Louis für den Bruchteil einer Sekunde verwirrt gemustert hatte.

„Nichts“, murmelte der und zog Nemours wieder zu sich, um ihn zu küssen. Nemours schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen, ebenso wenig wie Louis. Der wusste genau, dass der Franzose bemerkte, dass er abwesend war, mit seinen Gedanken ganz wo anders. Nur wo, das würde Nemours ganz gewiss nicht herausfinden.

Er dachte an Richard. An niemand anderen als an Richard. Er wollte in diesem Augenblick nicht mit Nemours schlafen, doch besaß er nicht genug Anstand und Courage es nicht zu tun. Was war er doch für ein Waschlappen.

Nemours löste ihm die Krawatte seiner Schuluniform und Louis ließ es einfach nur geschehen, wähnte sich in Gedanken in Richards Armen, der ihn sanft an sich ziehen würde, an seinen warmen Körper.

Nun löste Nemours den kalten, feuchten Kuss für einen Moment um Louis begierig den Pulli auszuziehen. Oh ja, Richard würde ihn auf die Schläfe küssen und er würde die Augen schließen.

Nemours nahm den Kuss wieder auf und knöpfte sein Hemd auf. Draußen war es dunkel, Regenwolken bedeckten den Himmel; in Nemours’ Zimmer brannte kein Licht.

Er spürte die eiskalten Finger Nemours’ auf seiner Haut und wie automatisch begann er auch Nemours seiner Kleidung zu entledigen. Und dann legte er die Hand an die Gürtelschnalle des Lehrers und dachte daran, dass Richard nun wahrscheinlich, schon umgezogen, auf dem Dach saß und eine rauchte. Wahrscheinlich vermutete er, dass Louis bei Nemours war.

Diese kalten Finger schienen überall zu sein und wanderten ungeliebt über seine Haut, hinterließen eine unbehagliche Gänsehaut.

Nemours drängte ihn zum Bett und er schloss die Augen. Ließ es einfach geschehen.

Er spürte das Gewicht des Franzosen auf sich und das Atmen fiel ihm schwerer.

Nemours’ Lippen blieben nicht mehr länger auf seinen eigenen, sondern wanderten hinunter, zogen eine feuchte Spur, er spürte Nemours Zunge auf seiner Haut und es fröstelte ihn. All das kam ihm so mechanisch, so einstudiert, so unecht vor.

Die kleinen, anrüchigen Geräusche entrannen seiner Kehle, ohne dass er darüber nachdenken musste und immer an den Stellen an denen es passte und er spürte dann, wie Nemours Mund sich für den Bruchteil einer Sekunde zu einem Grinsen verformte. Aber innerlich ließ ihn das alles so kalt! So kalt wie Nemours’ Fingerspitzen, die ihm wie gefroren vorkamen.

Er spielte während des ganzen Liebesaktes einfach nur seine Rolle, fiel nicht heraus und das einzige, was ihn dabei hätte verraten können, waren seine Augen gewesen. Nur in diesen hatten sich seine Gleichgültigkeit und sein Ekel vor sich selbst widergespiegelt.

Aber als er einen Blick in Nemours’ Augen geworfen hatte, jene Augen, die ihn einst so fasziniert hatten, die er nie zu lesen vermocht, die er nie zu deuten gekonnt hatte, da hatte er festgestellt, dass diese ihn nicht durchschauen konnten. Über sie hatte sich der trübe, verhängnisvolle Schleier der Lust gelegt und gab sie wohl so schnell nicht wieder frei.
 

Er blieb nicht lange neben Nemours liegen, sondern erhob sich und begann dann damit sich anzuziehen.

Nemours war anscheinend eingeschlafen, hatte nun den Handrücken der linken Hand über die geschlossenen Augen gelegt, seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig. Schnell wandte Louis den Blick von der blassen, durchsichtigen Haut ab; es schüttelte ihn.

Hastig knöpfte er sein Hemd zu, achtete nicht darauf, dass er sich verknöpft hatte, band sich die Krawatte, dass sie lotterhaft beinahe abstand und zog seinen Pulli im Fortgehen über.

Er beeilte sich, hechtete die Treppen hinauf, konnte es gar nicht erwarten.

Er musste Richard jetzt sehen, unbedingt!

Er wollte dessen sanfte Lippen spüren, nicht mehr die harten, kalten Nemours’. Er wollte seine unschuldigen, kindlichen Sommersprossen sehen, nicht mehr die verruchten Schönheitsflecken Nemours’. Er wollte seine weichen orangeroten Haare zwischen seinen Fingern spüren, nicht mehr die widerspenstigen schwarzen Locken Nemours’.

Er wollte einfach nur bei Richard sein. Nicht mehr.

Er zog sich hastig etwas anderes an – Jeans, T-Shirt und Pullover darüber – er wollte sofort danach hinauf zu Richard. Doch als er an seinen Schreibtisch ging, um seine Schachtel Zigaretten aus der Schublade zu nehmen, stutzte er, als er auf der Arbeitsfläche einen zusammengefalteten Zettel entdeckte.

Etwas unsicher setzte er sich auf den Stuhl und nahm den Zettel in die Hand, ohne ihn zu öffnen. Er drehte ihn um, um zu sehen, ob vielleicht ein Absender draufstand, doch er fand keinen.

Ein seltsames Gefühl überkam ihn und dieses Gefühl sagte ihm, er solle den Zettel nicht öffnen; nicht lesen, was draufstand, ihn einfach nur verbrennen. Sein Magen krampfte sich zusammen und irgendetwas schien ihm die Kehle abzuschnüren. Was hatte dieses Gefühl nur zu bedeuten?

Mit bebenden Fingern folgte er seiner Neugierde, ignorierte das Gefühl einfach.

Er faltete das Papier auseinander und starrte einen Moment darauf, ohne irgendetwas zu sehen. Dann erkannte er Richards unsaubere, unordentliche Handschrift und allein das schien wie ein Schlag in den Magen.

Es stand nicht viel da. Nicht viel, nur ein Satz.

Nur ein Satz in Richards sudeliger Handschrift.

Nur drei Worte.

Subjekt, Prädikat, Objekt.
 

„Ich bin Egoist.“
 

Und Louis wusste genau, was das bedeutete.

Er wusste es ganz genau.

Er faltete den Zettel wieder zusammen und steckte ihn sich in die Hosentasche. Dann machte er sich auf den Weg.

Ging die Flure entlang, die Treppen hinunter, bis er endlich wieder vor Nemours’ Zimmertür stand.

Oh sicherlich, andere hätten in dieser Situation geweint, geschrieen, sich vielleicht übergeben, währen in Ohnmacht gefallen, hätten einfach alles getan, nur nicht was er tat. Doch ihn hatte es noch nie sonderlich gekümmert, was andere an seiner statt getan hätten.

So trat er ein und fand Nemours vor, der nicht mehr im Bett lag und schlief, sondern angezogen vor seinem Schreibtisch saß, an seinem Bleistift kaute und aus dem Fenster in die grauen Wolken starrte.

Louis zögerte nicht. Er kam auf ihn zu, zog ihn auf die Beine und küsste ihn leidenschaftlich; oder zumindest war es ein Kuss, den ein Außenstehender als leidenschaftlich bezeichnet hätte.

Er löste sich wieder von dem überraschten Nemours, legte seine Wange an dessen, sodass sein Mund ganz nah an dessen Ohr lag und flüsterte ihm etwas zu. Was er sagte, wusste er überhaupt nicht. Wahrscheinlich irgendetwas von den schmutzigen, anrüchigen Aussprüchen die er ihm früher immer ins Ohr geraunt hatte.

Doch was es auch war, es nahm Nemours’ Blick die Verwirrtheit und ließ einen lüsternen Glanz in seine Augen treten.

Sie verbrachten diesmal nicht viel Zeit damit einander auszuziehen, landeten fast augenblicklich in Nemours’ Bett.

Und nun spielte Louis seine Rolle besser als zuvor. Er keuchte, stöhnte lauter; suchte sich die Momente passend aus, krallte sich in Nemours’ Rücken fest.

Es war keine der Spielereien wie die von früher. Diesmal war es ernst.

Es war, als wären jegliche Zusammentreffen zuvor nur die Proben gewesen und dies war die Uraufführung.

Und er konnte seinen Text. Wusste, was er tun musste, wohin er fassen musste, welche Mimik er aufsetzen musste.

Es fiel ihm nicht schwer. Sie hatten oft genug geprobt.

Und wäre dies ein Film gewesen, so hätte der Regisseur mit Sicherheit ihre Silhouetten gezeigt. Die Zeit langsamer, in Zeitlupe laufen lassen.

Bald würde der Höhepunkt kommen und damit die Peripetie.

Mit jedem Stoß Nemours’; mit jedem Keuchen, mit jedem Stöhnen kamen sie dem Unausweichlichen näher und es war, als wolle jemand diesen Höhepunkt, der zweifelsohne nicht zu vermeiden war, hinauszögern, die Spannungskurve immer höher treiben.

Louis spürte, wie Nemours ihm mit einer Hand durchs Haar fuhr, damit einige Strähnen aus seinem Gesicht entfernte. Er schlug die Augen auf und erkannte dessen Gesicht direkt über seinem. Nun legten sich die feuchten, leicht geschwollenen und geröteten Lippen Nemours ungeschickt, ungeduldig auf die Seinen. Jedoch löste Nemours sich sofort darauf wieder von seinem Schüler und sagte gepresst: „Du musst leiser sein… uns erwischt noch jemand.“

Und wie aus Protest entrann Louis nun ein kehliger Laut, woraufhin Nemours ihm erneut die Lippen aufpresste, ihn zum Schweigen zu bringen.

Doch Louis wehrte sich, wurde noch lauter.

Und nun war es ihm, als vernähme er gedämpft, aus weiter Ferne Schreie.

Doch er ignorierte es, schlang die Arme um den Nacken seines Lehrers, zog ihn noch weiter zu sich hinab.

Aufgeregte Schritte, eine schaulustige Masse.

Niemand außer ihnen war da, das Zimmer wurde nur von der Schreibtischlampe erleuchtet.

Der erste Tropfen Regen fiel auf den leblosen Körper in der Mitte der Masse.

Und in dem Moment wurde die Zimmertür Nemours’ aufgerissen und der Chemielehrer rief aufgeregt: „Olivier! Komm schnell, Richard McCreeby hat sich vom Dach gestürzt, ein Krankenwagen…“ Er hielt inne, als er nun Louis unter dem Französischlehrer liegen sah.

Schweiß auf der Stirn, Wangen und Lippen gerötet, keine Kleidung am Leib. Beim Sex.

„Oh mein Gott.“ Mehr brachte er nicht heraus, bevor er sich umdrehte und die Tür wieder schloss, die Augen weit aufgerissen.

Nemours sah erschrocken von der Tür zu Louis, der ungerührt seinen Blick erwiderte.

„Richard ist doch dein…“ Er stockte, als er Louis’ gleichgültigen Gesichtsausdruck wahrnahm. Er wich vor ihm zurück und keuchte: „Du wusstest es!“

„Was?“ Er richtete sich auf und sah seinen Lehrer durchdringend an.

„Dass er sich umbringen wollte. Louis, warum hast du ihn nicht aufgehalten? Warum hast du ihn nicht davon abgebracht? Er war doch dein Freund!“ In diesem Moment war er nicht mehr der verruchte und geheimnisvolle, undurchschaubare Franzose; in diesem Moment war er einfach nur noch ein gewöhnlicher Mensch und er verstand es einfach nicht. Wie sollte er auch? Louis stand langsam auf und zog sich gemächlich an, während er sagte: „Es war schon zu spät.“

„Und warum bist du dann zu mir…?“ Er hielt mitten im Satz inne und starrte ungläubig auf Louis, der sich nach seinem T-Shirt bückte. „Nein.“ Er schüttelte den Kopf, doch Louis sah ihn einen Augenblick herablassend an, dann sagte er: „Doch.“

Damit zog er sich T-Shirt und dann Pulli über und ging aus der Tür, die Hand in der Hosentasche, Richards Zettel darin.
 


 

Nächsten Sonntag kommt das letzte Kapitel...

Epilog

Der Notarzt konnte nur noch Richards Tod feststellen.

Louis war nicht hingegangen. Während alle an ihm vorbei nach draußen gestürmt waren, die Sensation zu sehen, war er, ganz langsam, hinauf in Richards Zimmer gegangen, hatte sich dessen Rosenkranz aus der Schublade genommen und sich den um den Hals gehängt. Dann war er aufs Dach hinausgestiegen und hatte eine geraucht.

Stumm waren ihm die Tränen über die Wangen gelaufen.

Er hätte es wissen müssen. Richard war eben immer noch der kleine Junge mit dem unsicheren Lächeln von früher, der nichts verkraftete. Sich nach außen hin immer stark gestellt hatte, aber nachts dann heulend zu ihm ins Bett gekrochen kam. Er hätte es bemerken müssen. Er war der Einzige mit dem Richard je wirklich gesprochen hatte, aber durch seine Affäre mit Nemours hatte sich das schlagartig geändert gehabt.

Noch jemand war aufs Dach gekommen, redete mit ihm, doch er hatte lediglich im Regen gesessen und geraucht. Es hatte ihn nichts interessiert, auch nicht die Sirenen der Polizei, des Krankenwagens, als diese die Auffahrt hinauffuhren.

Er nahm lediglich das Kreuz des Rosenkranzes zwischen seine Finger, führte es zu seinen Lippen und küsste es.
 

Er musste bei der Polizei eine Aussage machen. Der Anblick Richards Eltern ließen seine Eingeweide sich verkrampfen. Seine Mutter weinte und schrie und sein Vater versuchte, das Gesicht ebenfalls überströmt mit Tränen, sie zu beruhigen.

Er hatte auf die Wache mitkommen müssen und in einem dieser unpersönlichen Befragungsräumen seine Aussage machen müssen; alles was er sagte wurde auf Band aufgenommen. Er zeigte keinerlei Emotionen. War höchstens genervt von der überfürsorglichen Polizistin und dem übermüdeten Kommissar. Er wollte raus, und zwar sofort, denn ihm war, als wurde die Luft in diesem Raum immer weniger.

„Sie sind auf einmal so blass; ist Ihnen nicht gut?“ Es war die Frage, die ihm die Polizistin gestellt hatte und die einzige, an die er sich erinnern konnte. Er hatte verneint.

Und als er das endlich hinter sich hatte, es wunderte ihn fast, dass die Polizistin ihm keinen Lolli angeboten hatte, weil er das so toll gemacht hatte, stand ihm noch eine Anhörung vor dem Schulleiter bevor. Zusammen mit Nemours und seinen Eltern.

Natürlich hatte der Chemielehrer den Zwischenfall gemeldet. Nichts Anderes hatte Louis erwartet.

Seine Mutter würgte das Telefonat, das sie gerade führte, etwas notgedrungen ab, als sie in sein Zimmer trat und gab ihm einen Kuss auf die Wange, sodass er sich etwas angewidert darüber strich, um den Lippenstift abzubekommen. Sein Vater schloss die Tür hinter sich, stellte sich mit dem Rücken zum Fenster und musterte seinen Sohn finster.

Irgendwann klopfte der Sekretär und sagte freundlich: „Mister und Misses Macheath? Mister Macheath Junior, wenn Sie mir bitte folgen würden?“

Er folgte den Erwachsenen schweigend in das Büro des Direktors und setzte sich zwischen sie, als der Direktor ihnen die Stühle anbot.

Nemours war schon im Raum gewesen, hatte sich nicht zu ihnen umgedreht, als sie eingetreten waren, doch nun sah er zu Louis; seine Augen hatten wieder jenen ausdruckslosen Ausdruck wie Louis sie zum ersten Mal gesehen hatte, doch er erwiderte den Blick ungerührt. Ihm konnte das nun nichts mehr anhaben.

„Hör sofort auf meinen Sohn so lüstern anzustarren, elender Franzake!“ Sein Vater war aufgesprungen, die Zornesröte im Gesicht und funkelte Nemours an. Der wandte tatsächlich den Blick ab, doch der Direktor versuchte ihn zu beschwichtigen: „Nun beruhigen Sie sich doch, Mister Macheath. Wir können natürlich verstehen, wie Ihnen zumute ist und seien Sie versichert, dass es uns nicht minder trifft als Sie.“ Louis sah seinem Vater an, dass es ihm schwer fiel sich zu beherrschen und dass er dem Direktor am liebsten einige unfeine Worte gegen den Kopf geschleudert hätte, doch die Hand seiner Frau, die sich auf seine legte, hielt ihn zurück und er setzte sich wieder.

„Nun Louis“, wandte der Direktor sich jetzt mit ernstem Gesicht an ihn und sein Herz schien für einen Augenblick stehen zu bleiben, als sich auch die Blicke aller anderen Anwesenden auf ihn richteten. „Was hatte es mit diesem Geschlechtsakt auf sich?“ Er spürte den bohrenden Blick Nemours’ auf sich.

Wurde dieser vor ihm einzeln befragt? Was hatte er wohl gesagt? Die Wahrheit wohl kaum…

„Er sagte mir, dass ich bessere Noten bekomme.“

„Das ist doch wohl…!“ Erneut sprang Louis’ Vater auf und erneut bat ihn der Direktor um Ruhe.

Louis schielte zu Nemours und ihre Blicke trafen sich. Natürlich wusste Nemours genauso gut wie er selbst, dass er damals zu seinem Lehrer gekommen war.

Aber es durfte ihn nicht kümmern.

So fuhr er fort seinen Eltern und dem Direktor das Märchen des armen Jungen, der von seinem Französischlehrer verführt worden war, zu erzählen.

Nemours fiel ihm nicht einmal ins Wort. Er sah ihn an und tat nichts.
 

Als sie vom Direktor entlassen wurden und mit Nemours hinausgingen, hielt dieser ihn einen Moment am Arm fest und sagte: „Darauf hattest du es abgesehen. Als hätte ich es nicht gewusst…“ Damit wandte er sich um und ging kopfschüttelnd den Gang entlang in Richtung der Lehrerzimmer.
 

Er wurde suspendiert und soweit Louis wusste, war er zurück nach Frankreich gekehrt. Nach Frankreich, wo sie nicht so streng, so konservativ waren wie hier in England.

Louis war von seinen Eltern nach Eton gesteckt worden; es war hier nicht besser als in Heathcliff. Und es wurde ihm nicht gestattet auf die Beerdigung Richards zu gehen.

Er hatte keine Gelegenheit gehabt sich von Richard zu verabschieden. Von seinem Richard. Alles was ihm von ihm übrig blieb war der Rosenkranz und der Zettel.

Ja, Richard war ein elender Egoist gewesen. Er hatte ihn erst geküsst, nach dem ersten Sex mit Nemours. Er hatte ihn nie teilen wollen und nun, als er es womöglich doch hätte tun müssen, da floh er und ließ Louis einfach alleine zurück.

Er war ein jämmerlicher Egoist gewesen.

So wie alle Menschen.
 

~ Fin ~
 


 

Nun ist es vorbei.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die die Geschichte gelesen haben und besonders bei jenen, die mir immer fleißig Kommentare geschrieben haben.

LG, Terrormopf.



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Kommentare zu dieser Fanfic (90)
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Von:  Yura-san
2010-08-31T19:11:57+00:00 31.08.2010 21:11
Ich mochte diese Fanfic, anfangs.
Jetzt, nachdem ich sie durchgelesen hab, mag ich sie nicht mehr...
*sniff*
Wie konntest du nur?
Warum?
...
Okay, ich geb zu, ein Happy End hätte nicht gepasst ^-^
Deine Fanfic ist toll geschrieben, ich liebe deinen Schreibstil ^^
Hoffe, dass du weitere Fanfics schreiben wirst, denn es macht totalen Spaß sie zu lesen ^^
Von:  ChelseaSmile
2010-02-24T13:46:12+00:00 24.02.2010 14:46
T.T
Deine FF ist echt toll geworden..ich habe echt jedes mal wenn ich von der schule komme eine FF von dir zu lesen (ich hab "Micha" Ja schon so 7 Mal gelesen)
dein SChreibstil ist einfach liebe mit dem papier(?)*__*

Naja zu dieser FanFiction hat wirklich nur dieses Ende gepasst..wenn es nämlich ein Happy End gegeben hätte wär ich i-wie entäuscht gewesen.
*an Gedenken für Richard Kerze anmach*

Mach schön weiter so!
*brav tätschel*
Bringe viele viele FF zur Welt.

lg Tweek
Von:  Izumi-chan
2009-03-08T10:54:33+00:00 08.03.2009 11:54
Wah?!
Ich habe mir gestern freudig alle Kapitel durchgelesen (Nein halt, die letzten 3 Kapitel heute Morgen) und dann..
Ich war enttäuscht diese Fiction nicht früher entdeckt zu haben..
Denn an einem Kapitel hattest du anfangs gesagt Nemours sei anscheinend nicht so beliebt..
Ich habe ihn von Anfang an Rich vorgezogen, daher habe ich mit seinem Ende auch kein Problem.. Klingt böse, ist aber so >D
Aus diesem Grund war die Beziehung zwischen Richard und Louis mehr oder weniger schlimm für mich *lach*
Ich muss mich den anderen Kommentatoren hier größtenteils anschließen (Bis auf die Gesichtspunkte gegen unseren lieben Franzosen)..
Naja... Was ich vielleicht noch erwähnen soltle ist,d ass die Euphorie tatsächlich angehalten hat.. wegen dir konnte ich um halb eins noch nicht schlafen und mich nur schweren Herzens von dem großen Papierstapel (welcher nebenbei meine Druckerpatrone gekillt hat^^) trennen..
Mal sehen, ob ich unter deinen anderen Geschichten noch etwas nach meinem Geschmack finde..
Okay.. Trotz meiner Antipathie gegen Rich muss ich noch einmal betonen, dass ich diese Story mehr als nur gelungen finde (Ich kontne mich gut in die Charaktere hineinversetzen, ihre Handlungen nachvollziehen (naja, größtenteils).. Und.. Obwohl es mich beunruhigt mich auch in einigen Punkten wiedererkennen).
In diesem Sinne, vielleicht schon bis bald,
Izumi ;)
Von:  Izumi-chan
2009-03-07T20:42:35+00:00 07.03.2009 21:42
Ich schreibe auch mal schnell einen kurzen Zwischenkommentar, bevor ich weiterlese:
Genial.
Das war das Erste, was mir am Ende dieses Kapitels eingefallen ist :D
Sehr lustig, zwei tolle Chraktere und ein sehr schöner Stil.. Was will man mehr?
Na gut, abgesehen von weiterlesen :D
Das werde ich jetzt auch tun.
Grüße,
Izumi
Von:  Angelcerise
2009-02-16T07:15:03+00:00 16.02.2009 08:15
Klasse Ende^^
Aber so traurig *heul*
Ich finde zwar Sadends nicht schlecht, aber Happyends sind mir lieber...
Aber zu der Geschichte hats nun mal gepasst...

Ich hoffe du schreibst weiter so geile Storys und sagst wieder Bescheid, wenn es was neues gibt ;-)
Von:  Kampf-Teddy
2009-02-15T23:17:53+00:00 16.02.2009 00:17
Joa, nu ist es vorbei. Hm...das Ende ist sehr traurig. Ich bin zwar kein Happy End Fanatiker aber das Rich stirbt passt mir nicht so wirklich. Das ändert aber nichts daran das ich die Geschichte wahnsinnig toll fand und deinen Schreibstil sehr gerne mag. Bin ein großer Fan von dir hehe.

lg Teddy
Von: abgemeldet
2009-02-15T17:38:20+00:00 15.02.2009 18:38
ohhh... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll... ich glaube, ich mag das ende nicht. es hätte ja gar nicht so ein typisches happy end sein müssen, aber das?! oh goooott.
ich mag die story, ich mag deinen stil, ich mag dich, das weißt du ja, oder?! aber das ende... mmmh, werd erst mal eine zeit lang brauchen, um darüber hinweg zu kommen. pass grade so gar nicht zu meinem "mentalen Zustand". aber hey, es ist deine story, was soll ich dir sagen?!
wenn ich ein wenig bettle, schreibst du dann noch ein alternatives ende? biiiiitte, ich kanns ja mal versuchen?!
*hihi* ich würd mich auf jeden fall freun.
also ansonsten super story und ich freu mich auf die nächste von dir!
hab dich lieb <3
fühl dich geknuddelt!!!
~finja
Von:  Ciura
2009-02-15T17:03:48+00:00 15.02.2009 18:03
....
eto...
ja... *sfz*
somit endet dann die geschichte... *Drop*

Meine grundsätzliche Meinung hierzu:
Du hast dir unglaublich viel Mühe gegeben um das alles darzustellen und die Gefühlsphasen und Strittigkeiten gut rüberzubringen!
Großes Lob von mir.

Als ich im letzten Kapitel gelesen habe, dass Rich dann tot ist hab ich nur so gedacht, dass es wohl nicht hätte anders gehen können. Mit tut Louis leid und jetzt so am Ende auch ein kleines bisschen Nemour, aber... naja, Lehrer-Schüler-Beziehungen dürfen einfach nicht sein.
Und es war ja auch eher so wie ne Sucht. Für Louis.
....
schon ziemlich heftig das ganze, ehrlich.. *glubsch*

Aber ich mag die Geschichte(mochte) und dein Schreibstil ist toll~ *g*
Es würde mich freuen, wenn du mir evtl ne Ens oder sowas schicken könntest, wenn du eine neue Fanfiction startest? *kopfschiefleg*
glg und entschuldige, dass ich mich immer so wenig melde

Ciura
Von: abgemeldet
2009-02-15T11:46:28+00:00 15.02.2009 12:46
oha...
na wenn das nich mal ein ende nach meinem geschmack war..
kein happy end, nomours hat sein fett abbekommen, rich ist nich mehr zu helfen (was ich traurig finde aber wenn er doch wieder auf die beine gekommen wäre, wäre es auch dämlich gekommen) joar und auch louis´ gedanke zum schluss...
>>Er war ein jämmerlicher Egoist gewesen.
So wie alle Menschen.<<
woah ich sags dir das war einer der besten abschlüsse einer story die ich je gelesen habe..>< also hier mal ein ganz großes lob an dich^^
ich liebe es..das ende ist für solch eine geschichte...eines der besten geschriebenen...(zumindest von den FFs die ich gelesen habe ^^ aber das sind nun nicht wenig xD)
ich hoffe das weitere fanfics von dir erscheinen werden, damit ich diese wieder konzentriert verfolgen kann ^^

lg Jules_Valentine
Von:  Klein_Ryu
2009-02-15T11:18:00+00:00 15.02.2009 12:18
okay...
iwie hätte ich es mir doch denken können, dass es kein happy end gibt .__.
wäääh ;__;
riiiich... ich hab ihn doch so arg lieb ;__;
naya.. aber kann man nix dran ändern.
war echt ne tolle story ;)


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