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Coward

Unter der Erde
von

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Der Anfang vom Ende

Sie konnten mich nie leiden.

Meine Flügel waren ihnen zu groß, mein Mut zu klein und mein Aussehen zu durchschnittlich. Hätten sie gewusst, dass ich als einziger von uns übrig bleiben würde, wäre meine Kindheit bestimmt angenehmer verlaufen.
 

„Der Junge mit den großen Flügeln und dem kleinen Mut. Der war doch schon von Anfang an falsch herum!" Nach den Leuten zu urteilen konnte ich ja nichts werden.

Meine Eltern litten damals sichtlich unter den Anstößen an ihrer Erziehung.
 

Dass aus mir niemals ein Tunnelflieger, wie alle Männer, werden würde, zeigte sich mit meinem ersten Paar Flügel.

Ich war noch klein und bekam die wunderschönen, golden-glänzenden Flügel der Unterirdischen. Jedes Kind erhielt sie an dessen 8 Geburtstag und jedes sehnte diesen Tag herbei, seid es von den Flügeln zum ersten Mal gehört hatte. Man konnte immer genau erkennen, welches Kind im Dorf Geburtstag hatte, denn es flog dann stolz und noch etwas unbeholfen keine 8 Fuß über der Erde. Nicht umsonst nannte man diesen Tag den "Tag der Käfer".
 

Doch ich war anders.

Ich fand das Glänzen zwar genauso schön, wie alle anderen Kinder auch, doch ich ließ mir die Flügel partout nicht anlegen.

Meine Eltern versuchten es erst mit gutem Zureden, dann mit Drohungen und am Schluss mit Gewalt. Doch ich widersetze mich Allem. Sie brachten mich vielleicht dazu die Flügel auf dem Rücken zu tragen, aber zum fliegen konnte micht nichts bewegen.

Meine Eltern gaben es dann schließlich auf. Ihre Ausrede für Neugierige war, dass ich es "selber lernen" sollte.
 

Die Jahre vergingen und meine Flügel verstaubten unbenutzt in der Abstellkammer.

Viel später erst, mit 13, wagte ich mich doch in die Höhe. Der erste Flug war ein Krampf, denn ich hatte schreckliche Angst, aber ich zwang mich. Als die Flügel auf meinen Schultern lagen und die Kontakte zu den Muskelpartien zum ersten Mal meine Haut durchstachen musste ich mir fest in den Arm beißen um nicht zu schreien. Der Schmerz verklang, aber die Rückenhalterung war zu klein und verusachte bläuliche Druckstellen.

Am Ende flog ich zwar nicht lang und hoch, aber ich flog doch!

Und das hatte mir schon gereicht, mich vollkommen berauscht. Der Traum, der Lebensinhalt jedes Unterirdischen.
 

Meine Eltern konnten meine Gefühle wohl verstehen, als ich ihnen von meinem ersten Flug erzählte, aber sie kauften mir nicht meine gewünschten, passenden, Flügel. Sie sahen in mir wohl den Spätzünder, den Taugenichts, den Angsthasen. So kam ich dazu, dass ich mir meine Flügel selbst baute. Versteckt hinter einem großen Erdhaufen aus den Tunnelgrabungen werkelte ich neben der Schule und dem häuslichen Leben aus aussortierten Platten, die mir Jester, unser Flügelbauer im Dorf, gutmütig überließ meine Flügel zusammen.

Als sie endlich fertig, austariert und geputzt waren, war ich unglaublich stolz. Die Platten gläntzten so wunderschön golden und machten ein wunderliches Geräusch, als sie im Zusammenspiel aneinander und übereinander rieben. Dieses Gefühl, Stolz, war ganz neu für mich, denn meine Kindheit verbrachte ich meist einsam.

Die Bewunderung und den Stolz über meine Flügel teilte keiner mit mir. Meine Eltern schüttelten nur hoffnungslos den Kopf, als ich sie ihnen zeigte. Meine Schulkameraden hielten mit ihren Meinungen nicht so respektvoll hinterm Berg. "Hehe, der Angsthase, guckt euch diese riesigen Flügel an! Der bleibt doch in den Tunneln stecken!" "Wenn er sich überhaupt irgendwann mal reintraut!" Das Gelächter klingt mir bis heute in den Ohren.

Doch letzten Endes war es genau eben diese Spannweite, die mir das Leben rettete und mir die Freiheit schenkte.

Eine Welt unter der Welt

Die Welt in der ich lebte bestand eigentlich aus Zweien.

Wir nannten unsere "Underworld"

Underworld ist die Welt unter der Welt. Unter jeder Stadt und unter fast jedem größeren Dorf konnten sich die "Overdodes" sicher sein, lebte eine ebenso große und ebenso lebendige Gemeinschaft wie die ihre. Nur eben Kilometer unter der Erde!
 

Nach dem finalen Atomkrieg war die Erde vollkommen verstrahlt.

Kein Leben konnte außerhalb der wenigen Schutzräume existieren.

Und da die Menschen, die nicht mehr in die mit Blei verkleideten Räume passten, nicht eines qualvollen Todes sterben wollten suchten sie sich einen neuen Lebensraum, weit weg von Strahlung und Chaos. Sie kehrten in die Erde zurück.

Das ist jetzt über 100 Jahre her. Die "Overdodes" haben schon vor vielen Jahren eine Methode gefunden die Atmosphere zu säubern und bewohnen seitdem wieder die Oberfläche. Doch die "Buryer" können nicht zurück!

Die Arroganz und Überheblichkeit hat die Menschen auf der Oberfläche wie eine Seuche befallen und sie dulden es nicht, dass eine "niedere" Lebensform ihrer selbst ihre neue Welt "beschmutzt".
 

Seitdem leben die Menschen im Herzen der Erde in Angst.

Täglich werden Botschaften, in Trauer getränkt, mit Wut versiegelt, geschrieben. Die Oberfläche fällt über die "Under-Citys" her, raubt alles und macht Menschen zu Sklaven oder zu Leichen.

Nur noch wenige Städte auf der Oberfläche halten sich an die alten Friedensbündnisse mit ihren unterirdischen Spiegelbilden.
 

Eine Under-City ist ein Wunder des Willens.

Mit viel Mühe und Hingabe versorgt sie sich und umliegende Gemeinschaften mit Wasser aus unterirdischen Quellen und Nahrung aus dem Erdreich und mit Pflanzen die im seltenen und wertvollen Licht gedeihen. Jedes "Lichtfeld" ist ein Risiko. Die Schächte, durch die Luft und Licht herunterkommt, können entdeckt werden und als Einstieg für Feinde von oben dienen.

Alle Städte und alle Dörfer sind mit Tunneln verbunden.

Sie sind die Adern der Unterwelt.
 

Jeder Mensch dieser Welt ist an das Leben im Dunkeln angepasst. Die Augen der "Buryer" sind vollkommen schwarz. Die Iris füllt das gesamte Auge aus um auch den kleinsten Lichteinfall einzufangen. Ihr Körper ist klein und zäh, ihre Haut, von wenig Sonne verwöhnt, sehr weiß. Jeder Bewohner der "Underworld" besitzt ein paar Flügel.

Die Tunnel sind lang und die Felder liegen nah an der Oberfläche. Haben die "Begrabenen" schon keinen Himmel zu dem sie aufsehen, so haben sie doch ein Stück Freiheit.

Die Flügel sind klein, nicht länger als der Flieger selbst, denn die Tunnel variieren in ihrem Durchmesser zwischen zwei und 10 Metern. Ihre Farbe ist der Goldton der aufgehenden Sonne. Ein Symbol des Heimwehs und dem Verlust der eigentlichen Heimat.

Der Traum eines jeden, der in der Dunkelheit geboren wird, ist es, einmal im Leben seine Flügel gen Himmel zu strecken, Wolken zu spüren und im Winde zu tanzen.

Dieser Traum prägt Generation um Generation. Ein Schrei nach der Auferstehung aus dem Grab.

Überfall

Jener schicksalhafte Tag, wo auch das Spiegelbild auf der Erde mit unsere Stadt brechen würde, begann wie jeder Samstag-Morgen auch.

Ich stand früh auf und aß die gekochten Kartoffeln, die mir meine Mutter schon bereit gestellt hatte. Nach der erfrischenden Dusche schnallte ich mir meine Flügel um und schickte mich an meine Mutter bei der Arbeit zu besuchen. Wie fast alle Frauen es in der Underworld tun, arbeitet sie auf den Lichtfeldern der Gemeinschaft.

Als ich die Haustür schloss, nahm ich den Ersatzschlüssel hinter dem lockeren Lehmziegel in der Wand mit, denn mein Vater war ebenfalls schon arbeiten. Denn wie fast alle Männer es tun, arbeitet er als Tunnelkurier.

So früh am Morgen konnte ich mich in unsere Stadt frei und schnell bewegen ohne einem meiner Gleichaltrigen zu begegnen. Denn diese feierten am Wochenende meist ausgiebig und mit viel des teuren Biers.

Ich musste grinsen, als ich mir meine Klassenkameraden betrunken und schnarchend in ihren Betten liegend vorstellte.

Um zu den Lichtfeldern zu gelangen muss man den großen Schacht unserer Stadt hinauf fliegen und dann den weitaus schmaleren, leicht zu bewachenden Tunnel folgen, die weiter nach oben führen. Kurz vor den Feldern, am Ende der Tunnelschächte, sind immer große schwere Eisenschotten. Diese werden strengstens bewacht, denn es sind die Eingänge und Ausgänge unserer Welt.
 

„Ziemlich früh für einen wie dich! Was willst du, Junge?“, fragte mich einer der Wächter, nachdem ich auf der Plattform vor der Schotte gelandet war.

„Ich will auf die Felder, meine Mutter besuchen“, antwortete ich und ärgerte mich etwas, das der Wächter mich für einen Saufkumpanen hielt.

„Naja wenn du meinst“, brummte der Wächter und zog eine Augenbraue hoch. „Flügel drinnen ablegen!“

Ich nickte und ging hinein. Ich erkannte das Paar meiner Mutter mit den feinen Verzierungen am Schaft. Mein Vater hatte sie ihr an ihrem letzten Geburtstag geschenkt. Ich legte meine daneben und trat wieder aus dem in Stein gehauenen Verschlag.

Der Wächter musterte mich mich von oben bis unten. Ihm kam wohl nicht oft ein heranwachsender junger Mann unter, der seine Mutter bei der Frauenarbeit besuchen wollte. Zumal zu dieser Uhrzeit. Ich sah ihm fest in die Augen, damit er wegsah.

Er tat es und rief seinem Kameraden an der Zugmaschine etwas zu, worauf dieser den Hebel umlegte und die Schotte sich laut und langsam nach außen öffnete.

„Ach ja, hier, für deine empfindlichen Augen“, rief der erste Wächter mir über den Lärm zu und drückte mir eine Schutzbrille in die Hand. Ich zog sie auf und machte das Band hinten am Kopf enger. Mit den stark verdunkelten Gläsern konnte ich kaum etwas sehen.

Doch als sich die Schotte weiter öffnete und das gleißende Tageslicht mich umfing, war ich dankbar für den Schutz, den mir die Brille bot. Trotzdem musste ich den ersten Moment die Augen zukneifen, so stark empfand ich die Helligkeit.

Als ich hinaustrat und die Schotte sich wieder schloss meinte ich den Wächter abfällig lachen zu hören. Ich schickte ihm Verwünschungen durch das geschlossene Stahltor.
 

Der Anblick der Lichtfelder ergriff mich jedes Mal, sooft ich auch herkam.

Helles Licht aus großen Löchern in der Decke umspielte die weichen, leicht im Wind windenden Weiten der Ähren. Kleine Bäume und Sträucher standen in sorgsam gepflegten Hainen zusammen und trugen ihren Duft nach Äpfeln, Kirschen und Beeren zu mir heran.

Als ich den Augenblick tief in mir eingefangen hatte, machte ich mich auf die Suche nach meiner Mutter.

Es war ungewohnt so viel zu laufen, denn weite Strecken fliegen wir Buryer.

Ich fand sie auf einem Feld, dass ich von der Schotte aus nicht hatte erspähen können. Mit einem Rechen in den Händen erntete sie gerade ein Feld ab.

Ich warf einen kleinen Stein in ihre Richtung.

Sie sah hoch und stützte sich auf den Rechen. Ihr erster Blick war traurig, das sah ich sogar durch die Schutzbrille, doch dann vertrieb sie den Ausdruck und lächelte fröhlich.

Ihre Traurigkeit war mir nicht entgangen. Sie hoffte so sehr, dass ich irgendwann doch noch wie ein normaler Junge in meinem Alter mit Freunden abends wegging und einfach das tat, was alle anderen taten.

Doch sie war meine Mutter und freute sich doch immer mich zu sehen.

Unsere Begrüßung verlief still, denn so nah an der Oberfläche ist es nicht ratsam viel Lärm zu machen. Außerdem verstanden wir uns auch ohne Worte.

Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und ich legte mich in das duftende, schon abgeerntete Stroh.

Ich liebe es, wenn die Sonne mir aufs Gesicht scheint. So warm und hell war selbst der größte Ofen in unserer Stadt nicht. Da ich sehr oft meine Mutter bei der Arbeit besuchte, war meine Haut nicht so hell wie die meiner Gleichaltrigen. Sie hatte einen leichten goldenen Farbton, was mich noch weiter von ihren Normen entfernte.

Nach einer langen, erholsamen Weile stand ich auf und ging in den Hain, der in der Nähe stand. Ich suchte mir einen der größten und verästeltsten Bäume aus und kletterte in die Krone.

Von hier aus konnte ich den blauen Himmel über mir sehen und mein Herz krampfte sich vor Sehnsucht zusammen.

Wie mein ganzes Volk sehnte ich mich nach der Weite, nach der Freiheit, nur den Himmel über sich zu haben.

Da ich so vor mich hin träumte erschrak ich heftig, als ein Schatten über die Öffnung des Loches über mir hinwegflog. Es war so schnell geschehen, dass ich es erst für eine Einbildung hielt. Doch meine Neugier wurde geweckt und ich sah genauer hin.

Am Rande des Loches bewegten sich Schatten!

Mein Herz begann zu rasen.

Ich konnte mich kaum bewegen, denn die Angst lähmte mich. Waren über mir etwa die Overdodes? Vielleicht waren es auch nur Tiere versuchte ich mich zu beruhigen, aber just in diesem Moment hörte ich ein metallisches Klirren und einen Fluch. Ich wusste nicht, was er bedeutete, denn ich verstand die Sprache nicht, aber es war eindeutig eine menschliche Stimme!

Jetzt war alles klar!

Über mir saß ein Angriffstrupp.

Ich riss meine Augen von dem Loch los und suchte das Feld ab. Ich konnte nur meine Mutter erspähen, sonst war die Flur leer.

Ich richtete meinen Blick fest auf meine Mutter und lenkte all meine Gedanken auf sie, denn ich wagte es nicht nach ihr zu rufen.

Mein stiller Schrei erreichte sie und sie sah mich an. Ich zeigte mit der Finger Richtung Loch und sie begriff. Im Gegenzug befahl sie mir stumm, von dem Baum herunter zukommen.

Ich tat es so leise wie ich konnte.

Als ich dicht neben ihr stand umarmte sie mich fest.

„Lauf! Rette unser Volk!“, flüsterte sie mir zum Abschied ins Ohr. Dann schubste sie mich Richtung Schotte.

Ich stolperte wie betäubt einige Schritte. Dann blieb ich stehen, unfähig etwas zu tun oder zu sagen. Ich starrte nur meine Mutter an.

Der Moment fror ein. Sie stand da, im reinen Licht der Sonne, umgeben von einem Meer aus wehenden Gräsern. Traurig, stolz und wunderschön.
 

Dann war der Moment vorbei.

Und ich wusste mit einem Male, was ich zu tun hatte. Meine Beine wurden frei, meine Gedanken formierten sich zu einem Befehl, dem letzten Willen meiner Mutter: „Lauf! Rette unser Volk!“

Ich stürmte aus dem Stand los, auf die Schotte zu, die noch so unerreichbar fern wirkte.

Dies war das Zeichen für den lauernden Feind.

Wie Ameisen quollen sie durch die Löcher auf die Felder und trampelten alles nieder.

Ich sah nicht zurück, doch ich hörte sie. Die Angst verlieh mir Kraft und ich raste weiter.

Endlich kam die Schotte in Sicht.

Gerade wurde sie wieder geschlossen, da eine Frau, unsere Nachbarin, die Felder gerade betreten hatte.

Und das war mein Glück.

Ich rannte an ihr vorbei, sie rief verdutzt meinen Namen. Als sie sich wieder umdrehte und die schwarz gekleideten, mit Atemmasken versehenen, Gestalten sah, schrie sie unglaublich laut auf. Der Schrei drang mir tief ins Herz, doch ich blieb nicht stehen.

Im letzten Moment zwängte ich mich durch den Spalt der sich schließenden Schottentüren.

Der Wächter an den Hebeln machte einen erschrockenen Laut, als er mich zwischen den zugehenden Türen sah und zog den Hebel für die Hydraulik an damit sie stoppten. Er wollte zu einer ordentlichen Schimpftirade ansetzen, da sah er die schwarzen Gestalten auf der Flur und ließ den Joy-Stick geistesgegenwärtig wieder los. Die Schotte schloss sich.

Ein heilloses Durcheinander brach auf der Wächter-Plattform aus, doch ich achtete nicht darauf.

Hektisch und am ganzen Leib zitternd stolperte ich in den Verschlag und legte mir meine Flügel an.

Für einen kurzen Moment dachte ich daran, das Paar meiner Mutter mitzunehmen, doch ich dachte an ihren Blick der so endgültig gewesen war und ließ es. Sie würde sie nie wieder brauchen.
 

Als ich meine Flügel dann schließlich fest auf dem Rücken hatte, rannte ich wieder aus dem Verschlag. Ich hörte die Overdodes gegen die Schotte wummern und drückte geistesgegenwärtig den Notknopf für den Verschlag. Eine Eisentür verschloss den Raum sorgfältig, denn niemals durften die Flügel in des Feindes Hand fallen.

Unsere einzige Technologie gegen die Overdodes. Denn in unserer Welt ist alles auf das Fliegen ausgelegt. Ein Mensch ohne Flügel braucht Stunden allein den großen Stadt-Schacht hinunter.

Eher würde ein Buryer sterben, als seine Flügel an einen von der Oberfläche abzutreten.
 

Ich stürzte mich also von der Plattform und flog in einer ungeheuren Geschwindigkeit den Schacht nach unten.

Kurz nach dem Absprung wäre ich beinah gegen eine Felsnase geprallt, denn ich sah kaum etwas hinter der Schutzbrille. Ich riss sie mir kurzer Hand vom Kopf und schleuderte sie gegen den Fels.

Der Flug zurück zur Stadt schien Stunden zu dauern.

Als sich der enge Schacht endlich vergrößerte und meine Flügel plötzlich schier unendlichen Raum fühlten, hätte ich vor Erleichterung fast geheult.

Der Stadt-Schacht!

Im leichten Dunst des Kilometerbreiten Schachts suchte ich das höchste Gebäude unserer Gemeinschaft: Die Regierung.

Als ich es ausgemacht hatte legte ich einen rasanten Sturzflug hin und landete mit einem unsanften Aufprall auf der Plattform auf dem Dach.

Verdutzt trat der Wächter der Landeplattform aus seiner Holzhütte. Er setzte gerade zum Sprechen an und packte mich am Handgelenk, als eine gewaltige Explosion über der Stadt detonierte.

Die Druckwelle krachte auf die Gebäude und der Wächter und ich flogen in entgegengesetzte Richtung.

Die Kraft der Explosion schleuderte mich über den Rand der Plattform. Ich drehte mich im Fall um mich selbst. Nur meinen Flügeln, die in der Drehung unkontrolliert Luft fingen, war es zu verdanken, dass ich ohne größere Verletzungen auf dem Boden aufprallte.

Ich kam auf einem großen Hügel Schutt zu liegen und rollte ihn herunter, wo ich liegenblieb. Um mich herum hörte ich Felsbrocken aufschlagen, Gebäude zerfallen und Menschen schreien. Der Boden erzitterte unter dem Angriff der Overdodes.

Ich drückte das Gesicht fest in die Erde, meine Angst zwang mich buchstäblich auf den Boden. Ich spürte keinen Schmerz, der mich am Aufstehen hätte hindern können, doch ich war zu feige es zu tun. Der Auftrag meiner Mutter war plötzlich nichts mehr wert und konnte mich nicht dazu bewegen auch nur einen Finger zur rühren.

Ich hatte meinen inneren Kampf verloren, genauso wie meine Gemeinschaft gerade den Kampf gegen die Überirdischen verlor.

Schüsse krachten, Explosionen wüteten und über allem das Geschrei.

Ich hätte kämpfen, meiner Gemeinschaft helfen können, doch ich wollte so tun, als wäre ich tot, damit die Overdodes mich nicht angriffen oder mich verschleppen könnten.

Ich kniff die Augen fest zusammen.

Minute um Minute lag ich einfach nur da und hörte mein Volk sterben.

Das Getöse wurde leiser und leiser und ich driftete in einen Zustand ab, der einer Trance glich.
 

Plötzlich packte mich eine Hand am kragen und riss mich hoch.

Schlagartig erwachte ich aus meinem Zustand und starrte in das Gesicht eines Overdodes. Die schwarze Atemmaske und die grünen Gläser der Nachtsichtgeräte vor den Augen ergaben ein beängstigendes Alien-Gesicht.

Der Anblick machte mir ungeheure Angst und ich träume heute noch davon.

Meine Tarnung als toter Mann war aufgeflogen, doch ich rührte mich nicht. Die Angst lähmte weiterhin meinen ganzen Körper und ich konnte nur in die grünen Augen sehen.

Das Alien begutachtete mich und rief dann etwas in einer fremden Sprache. Ein Zweites erschien und fesselte mich. Dann packten sie meine Arme und zerrten mich aus dem Schutz des Erdhügels.
 

Ich kniff die Augen blitzschnell zu und wollte die Hände vors Gesicht reißen, denn eine blendende Helligkeit empfing mich.

Doch meine Hände waren gefesselt und die beiden Overdodes lachten nur. Ich wurde unsanft zu Boden gedrückt und fühlte eine Person neben mir sitzen. Ich roch die Erde an seiner Kleidung und wusste, dass er aus meiner Gemeinschaft war, denn ich konnte die Augen nicht aufmachen. Das Licht war zu stark.

„Was ist passiert“, flüsterte ich panisch. „Sie haben die Erde über dem Stadt-Schacht aufgesprengt. Ich weiß nicht wie viele tot sind und wie viele noch leben. Ich kann genauso wenig sehen wie du“, entgegnete eine raue Stimme, die ich als die des Flügelschmiedes erkannte. Ich wollte etwas sagen, doch zwei Hände packten mich erneut. Ich wurde unsanft auf die Beine gestellt und ich konnte nur ahnen wohin man mich brachte.

Plötzlich wurde ich hochgehoben und auf einen schwankenden Untergrund gestellt. Panisch schrie ich auf und hörte das Lachen der Overdodes.

Ein kurzer Befehl und der Untergrund schwankte noch mehr. Seile knarrten und ich fühlte, wie das Licht immer heller wurde.

Man brachte mich an die Oberfläche!

Je näher wir dem Ziel kamen, desto intensiver wurde das Licht. Meine Augen brannten unter dem Lidern und mein Kopf tat schrecklich weh.

Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fing an zu schreien. Der Overdode der mich festhielt brüllte auf mich ein, doch er konnte mich nicht zwingen aufzuhören. Letzten Endes wählte er das einfachste Mittel. Er schlug mir auf den Kopf. Als ich merkte wie mir die Sinne schwanden war ich ihm dankbar dafür.

Ich fiel auf den Boden des Korbes, der unaufhaltsam und stetig der Oberfläche entgegenschwebte.

Im letzten Moment meines Wachseins hörte ich den Namen und das Synonym unter dem ich in die Welt der Overdodes eintreten sollte:

"Coward" (Feigling)



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