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Das Auge des Ra (J&S)

"Wüstensand"
von

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Wüstensand

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=pIdpja86jyo&feature=related (Apostles of the Interface)
 


 

Prolog

Wüstensand
 

Prolog: © Karma

Sand ... überall war Sand. Die Wüste schien endlos zu sein. Hohe, im Sonnenlicht golden glänzende Dünen erstreckten sich in alle Himmelsrichtungen, so weit das Auge reichte. Der Junge, der durch diese endlose Weite taumelte, fühlte den Sand zwischen seinen bloßen Zehen und auch das Knirschen von Sandkörnern zwischen seinen Zähnen. Seine Augen waren rot und verklebt, seine Zunge lag wie ein trockener, nutzloser Lumpen in seinem Mund und sein Kopf fühlte sich mit jedem Schritt schwerer und schwerer an.

Wie gern hätte er jetzt irgendwo angehalten, eine Rast eingelegt und sich erholt? Doch das war ihm nicht möglich. Für einen Augenblick spielte er sogar mit dem Gedanken, dorthin zurückzukehren, wo er hergekommen war. Ein kurzer Blick hinter sich machte ihm jedoch klar, dass das nicht mehr möglich sein würde, denn der heiße Wüsten-wind hatte seine Spuren ausgelöscht – ganz so, als wäre er mitten in der Wüste erst zum Leben erwacht. Als hätte es ihn vorher nicht gegeben.

Bei diesem Gedanken lachte der Junge, der nicht mehr als sechzehn Sommer gesehen haben konnte, trocken und krächzend auf, doch sein Lachen endete in einem erstickten Husten. Selbst wenn er den Weg zurück gekannt hätte, so wusste er doch, dass er ihn nicht gegangen wäre.

Nie wieder! Nie wieder gehe ich dorthin zurück!, dachte er, straffte seine schlanke Gestalt und marschierte entschlossen weiter. Die Tatsache, dass er nicht die geringste Ahnung hatte, wohin er überhaupt ging – und ob ihn am Ende seines Weges nicht der Tod oder gar ein noch schlimmeres Schicksal erwartete –, verdrängte er aus seinen Gedanken. Damit konnte er sich befassen, wenn es so weit war und er die Wüste durchquert hatte.

Wie lange er sich so durch den heißen Sand geschleppt hatte, wusste er nicht zu sagen. War es Stunden, Tage, Wochen oder Monate her, seit er aufgebrochen war? Oder irrte er gar bereits seit Jahren durch die Wüste? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Die Hitze laugte ihn aus, vertrocknete ihn von innen heraus. Er wusste, er musste Wasser finden, doch so sehr er sich auch umsah, er konnte keine Oase entdecken.

Die Sonne brannte auf ihn nieder; sie war so gleißend hell, dass er seine Lider zusammenkneifen musste, um überhaupt etwas zu erkennen. Der Horizont verschwamm vor seinen Augen und die Hitze gaukelte ihm Dinge vor, die gar nicht wirklich da waren. Ihm war heiß und er wusste, wenn er nicht bald Wasser finden würde, würde die Wüste sein Tod sein.

Dennoch, so sehr er sich auch bemühte, die einmal eingeschlagene Richtung nicht zu verlieren, so war er sich doch nicht sicher, ob er nicht inzwischen bereits im Kreis lief. Überall um ihn herum war nur Sand. Eine Düne sah wie die andere aus und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er seine Orientierung schon lange verloren hatte. Jeder Schritt war mühsamer als der vorige und mit jedem Herzschlag fiel es dem Jungen schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Ausruhen ... nur einen Augenblick lang ausruhen ..., dachte er und musste all seine verbliebene Willenskraft aufwenden, um sich nicht einfach in den heißen Sand fallen zu lassen. Er wusste genau, wenn er jetzt aufgab und sich zu Boden sinken ließ, war das sein Ende, denn er würde es auf keinen Fall aus eigener Kraft schaffen, wieder aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen.

Mühsam schleppte der Junge sich weiter. Dabei versuchte er, die eingeschlagene Richtung – immer den heißen Wind im Rücken – wenigstens ansatzweise beizubehalten, doch ob es ihm gelang, vermochte er nicht zu sagen. Und wenn er ehrlich war, war es ihm inzwischen auch gleichgültig.

Er wusste, es war ein Fehler gewesen, so überstürzt und ohne ausreichenden Wasservorrat in Richtung Wüste aufzubrechen, doch das konnte er nicht mehr ändern. Wenn diese Wüste mein Tod sein soll, dann wird es so geschehen. Aber solange ich noch nicht tot bin, werde ich weitergehen. Ich gebe nicht auf!, ermahnte er sich selbst und straffte seine schlanke Gestalt.

Nein, er würde nicht aufgeben. Das war noch nie seine Art gewesen. Immerhin war er überall in der Heimat, die er verlassen hatte und nie wiedersehen würde, für sein aufbrausendes Temperament und seinen starken Willen bekannt gewesen.

Plötzlich eintretende Stille, die der Junge erst nach ein paar weiteren stolpernden Schritten bemerkte, ließ ihn stehen bleiben und sich umwenden, als ihm bewusst wurde, dass der Wind, der ihn bisher vorangetrieben hatte, erstorben war.

Müde Augen weiteten sich entsetzt, als sie der gelblich-grauen Wand gewahr wurden, die sich in einiger Entfernung hinter dem einsamen Wanderer aufgetürmt hatte und vom Wind genau auf ihn zu getrieben wurde.

„Bei allen Göttern – ein Sandsturm!“, kam es entsetzt über trockene, rissige Lippen und der Junge schluckte hart. Das ist das Ende!, war sein letzter bewusster Gedanke, bevor ihn die tröstliche Schwärze einer gnädigen Ohnmacht umfing.

Rettung

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=w5WJ9AsxMoQ Prince of Persia
 


 

Kapitel 1

Rettung
 

© moonlily

Dunkelheit ... tiefe Dunkelheit. Ein Meer, schwarz wie die Nacht, breitete sich um ihn herum aus. Kein Geräusch drang an diesen Ort, der jenseits all dessen lag, wohin ein Mensch gelangen konnte. Er schloss die Augen und gab sich für einen Augenblick der majestätischen Stille hin, die hier in dieser endlosen Weite herrschte. So fühlte es sich also an, das Ende. Er hatte von den alten Leuten auf der Straße gehört, dass ein Mensch seine Vergangenheit noch einmal vor sich sehen würde, bevor er aus der diesseitigen Welt schied. Er wartete, doch nichts dergleichen geschah. Keine Gedanken an all das, was hinter ihm lag, wollten sich bei ihm einstellen. Das Einzige, was er empfand, waren Ruhe und Frieden.

Doch wie lange würde diese Ruhe anhalten? Gewiss nicht lange, nicht an diesem Ort. Er rechnete fest damit, dass der große Gott Anubis bald erscheinen würde, um ihm den Weg zur ersten der zwölf Pforten der Unterwelt zu weisen, durch die er schreiten und bei jeder Prüfungen ablegen musste, bevor es ihm erlaubt war, vor das Gericht des Osiris zu treten.

Bei dem Gedanken an das, was ihn dort möglicherweise erwartete, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Anubis würde sein Herz mit der Feder der Maat aufwiegen, Ptah würde das Ergebnis notieren und sollte er den Test nicht bestehen, so würde die Totenfresserin Ammut sein Herz verschlingen und er würde für immer in der Finsternis gefangen sein. Unfähig, jemals das jenseitige Reich zu betreten.

Ich habe nichts Unrechtes getan!, sagte er sich selbst. Er hat mich hereingelegt, ich wollte es nur schützen.

Und dennoch ... würden ihm die Götter Glauben schenken, wenn er vor sie trat und seine Unschuld beteuerte? Oder würden sie ihn des Verbrechens für schuldig befinden, das schon im Diesseits als eine schwerwiegende Sünde galt? Er wusste keine Antwort darauf zu geben.

Das plötzliche Kreischen eines Vogels ließ ihn den Kopf nach oben recken. Seine Hand fuhr über seine Augen, als ihn ein Strahl von gleißend hellem Licht traf. Geblendet blinzelte er mehrere Male, bevor er den Urheber der Laute erkennen konnte. Die ausgebreiteten Schwingen hoben sich scharf gegen das Licht ab. Der Falke kreiste einige Male über ihm, dann ließ er etwas fallen. Wie von selbst streckte der Junge die Hand aus und fing es auf. Das aus reinem Gold gefertigte und mit kostbaren Edelsteinen verzierte Amulett lag schwer auf seiner Handfläche.

Ein weiteres Mal kreischte der Falke, doch jetzt kam es seinem Beobachter vor, als höre er eine menschliche Stimme.

„Deine Zeit wird kommen. Bald. Bis dahin ... Pass gut darauf auf.“

Er sah ihm verwundert nach, wie der Vogel in dem Lichtstrahl verschwand, ihn mit den Federn seines Schwanzes mit sich nahm. Das Amulett in der Hand, blieb der Junge allein in der Dunkelheit zurück.

Aus weiter Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Aber konnte das wirklich Anubis sein, um ihn zum Gericht zu holen? Nach der Begegnung mit dem Falken war er sich dessen nicht mehr sicher, ja nicht einmal, ob es ihn nach dem Sandsturm überhaupt in das Reich der Toten verschlagen hatte.
 

Da spürte er etwas Feuchtes, Kühles an seinem Handrücken. Ein dumpfes Schnauben blies warme Luft über seine Haut und ließ den Sand von ihr gleiten. Zögerlich bewegten sich seine Finger ein kleines Stück, um sich augenblicklich zu senken. Schon dies war für ihn mit einer enormen Anstrengung verbunden. Und dennoch ... Die Schwärze, die ihn bislang umfangen hatte, wich zusehends zurück. Durch seine nach wie vor geschlossenen Lider drang das heiße, orangerote Licht der Sonne Kemets. Wo er auch gewesen war, er war zurück. Unter sich spürte er den von den Sonnenstrahlen aufgeheizten, feinen Sand, der sich während seiner ziellosen Wanderung überall an seinem Körper festgesetzt hatte. Langsam fuhr er mit Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand durch die hellen Körner, grub sich in den Boden hinein und hinterließ eine tiefe Rille. Nur mit Mühe schaffte er es, die vom Sand verklebten Augen zu öffnen und einen Blick auf das zu werfen, was ihn geweckt hatte. Das Kamel hatte den Kopf gesenkt und sah ihn mit großen dunklen Augen aufmerksam an. Ein Kamel, doch mit Sicherheit nicht seines. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie viele Tage es her war, seit es ihn verlassen hatte. Wenn er dieses treulose Vieh jemals erwischen sollte, konnte es sich darauf gefasst machen, als Abendessen auf seinem Feuer zu landen. Sich mitten in der Wüste aus dem Staub zu machen und ihn einfach sitzen zu lassen ... Nie zuvor war ihm ein derart eigensinniges Tier untergekommen.

„Lebt er?“, hörte er eine männliche Stimme sagen.

Der Junge versuchte den Kopf etwas zu heben, um ihre Quelle ausfindig zu machen, doch alles, was weiter entfernt lag, nahm er nur schemenhaft wahr. Er meinte einen Mann zu sehen, der auf einem Pferd saß und zu ihm hinab sah. Der Kopf eines Jungen schob sich in sein Gesichtsfeld, der ihn nachdenklich musterte.

„Ja, Herr.“

Gepriesen seien die Götter, dachte er. Jemand hat mich gefunden.

„Dann nehmt ihn mit. Wir ...“

Den Rest seiner Worte hörte der Junge nicht mehr. Ein weiteres Mal war es der Dunkelheit gelungen, sich seiner zu bemächtigen.
 

Sein Schlaf war tief, lang und traumlos. Kaum hatte er sich dort im Sand seiner Erschöpfung ergeben, hatte sich sein geschundener Körper umgehend daran gemacht, die Erholung einzufordern, die er so dringend brauchte.

Als er zu sich kam, war das Erste, was er bemerkte, dass er nicht mehr in der Sonne lag. Er ließ die Augen geschlossen und horchte, hatte Angst sie zu öffnen. Wenn er sich die Männer, die ihn gefunden hatten, nun eingebildet hatte? Wenn sie nur eine weitere Spiegelung der Wüste gewesen waren und er immer noch im Sand lag ... Und falls nicht – wer waren sie? Wenn er Glück hatte, handelte es sich bei ihnen um gewöhnliche Reisende, Händler vielleicht. Aber bei dem Pech, das ihn seit einigen Tagen hartnäckig verfolgte, konnte er sich ebenso gut vorstellen, dass er an eine Gruppe Sklavenhändler geraten war und was dann mit ihm geschah, wollte er sich lieber nicht ausmalen.

Vorsichtig bewegte er seine Hände, um zu prüfen, ob sie gefesselt waren, ließ die Handgelenke einige Male kreisen. Dass er keine Seile fühlte, die ihn banden, beruhigte ihn schon einmal. Dann konnte es sich nicht um Sklavenhändler handeln, die hätten niemals riskiert, dass er ihnen davonlief – auch wenn das in seinem geschwächten Zustand eher unwahrscheinlich gewesen wäre. Sie hätten ihre kostbare Beute nach allen Regeln der Kunst verschnürt, um sie an der Flucht zu hindern.

Ohne in irgendeiner Form übertreiben zu wollen, konnte der Junge mit allem Recht von sich behaupten, etwas Besonderes zu sein, denn er war anders. Im Gegensatz zu den meisten Ägyptern, deren Haare dem tiefen Schwarz der Nacht glichen oder eine breite Fächerung von braunen Schattierungen aufwiesen, schmückte seinen Kopf eine goldblonde Mähne. Verantwortlich für diesen Umstand war seine Mutter, Tochter eines freigelassenen und zu Reichtum gekommenen europäischen Sklaven, die ihre ungewöhnliche Haarfarbe an ihren Sohn weitergegeben hatte. Allein dieses exotische Aussehen hatte seit seiner Kindheit bereits genügt, um die Aufmerksamkeit der Mädchen und in den letzten Jahren auch die ihrer Väter auf sich zu ziehen. Blonde Haare wurden als ein Geschenk der Götter angesehen, nicht zuletzt, da sie so selten vorkamen. Solch ein kostbares Erbe wollte jeder Mann gern in seiner Familie wissen.

Der alles andere als gering zu nennende Reichtum seines Vaters hatte sein Übriges bewirkt, um aus Jono ein begehrtes Objekt auf dem Heiratsmarkt seiner Heimatstadt Zawtj zu machen. Ihm persönlich war das alles herzlich egal gewesen, die unzähligen Mädchen, die ihm vorgestellt worden waren, hatten sein Interesse nicht wecken können und seine Eltern waren deswegen schier an ihm verzweifelt. Es war immer wieder deswegen zum Streit gekommen, ohne dass er ihnen einen Grund für seine ständige Weigerung, sich eine Braut auszusuchen, genannt hatte. Seine Eltern hätten ihn nicht verstanden, dessen war er sich sicher. Seine Wünsche sprachen zu sehr gegen ihre Überzeugungen. Vor wenigen Monaten hatte er aber schließlich notgedrungen dem Drängen seines Vaters nachgegeben und sich mit der Tochter eines Geschäftspartners verlobt. Seitdem hatten ihn die Gedanken an die Hochzeit und an das, was ihn danach erwartete, mit Schrecken verfolgt, wie die ruhelosen Seelen jener Verstorbenen, deren Grab der Schändung durch Räuber zum Opfer gefallen war und die keinen Zugang mehr zum Jenseits fanden.

Das feine Rascheln von Stoff unterbrach seine Überlegungen. Er horchte, woher es kommen konnte, wandte den Kopf nach links und rechts und merkte dann, dass er selbst es war, der die Geräusche verursachte. Jono fuhr mit den Fingern über das feine Leinen, mit dem ihn jemand zugedeckt hatte. Unter seinem Kopf fühlte er ein weiches Kissen. Eine etwas dickere Decke unter ihm diente als Polster gegen den Fußboden. Nun riskierte er es auch, seine Augen langsam zu öffnen und einen ersten Blick auf seine Umgebung zu werfen.

Über ihm wölbte sich eine große Zeltplane aus hellem Tuch, die die Sonne abhielt und im Zelt für leicht gedämpftes Licht sorgte. In einiger Entfernung hörte er das leise Lachen von Männern. Da er in seiner liegenden Position kaum etwas erkennen konnte, schob er sich nach hinten und richtete sich ein Stück auf, wobei er sich auf seinen Unterarmen abstützte. Das Zelt, in dem er lag, war riesig. Der Boden war mit Matten aus geflochtenen Palmwedeln belegt. Die Möbel, die sich im Raum verteilten, waren gering in ihrer Anzahl, doch erlesen und jedes für sich ein Kunstwerk, das einem weniger gut betuchten Mann mit Leichtigkeit ein Vermögen entreißen konnte, wollte er auch nur eines davon besitzen. Unweit von seinem eigenen Bett entdeckte Jono ein weiteres, das sich ebenfalls ebenerdig befand.

Wozu soll man sich in der Wüste auch mit einem Bett abschleppen?, dachte er.

Die Decke war sauber zusammengefaltet und wartete nur darauf, von ihrem Besitzer benutzt zu werden. An den Wänden reihten sich mehrere mit Intarsienarbeiten verzierte Truhen aneinander, zwischen denen Alabasterlampen standen, die das Zelt zu späterer Stunde, wenn sich Ra auf seine Reise durch die Unterwelt begab, mit Licht erfüllen würden. Jono ließ seinen Blick über einen Tisch weiterwandern, auf dem eine Anzahl von Salbenbehältern aus Glas, Gold und Alabaster aufgereiht war.

Schließlich blieb er an einer Person hängen, genau genommen an deren Rücken. Die breiten Schultern, die sich unter tiefblauem Stoff versteckten, brachten Jono zu der Schlussfolgerung, dass es sich um einen Mann handeln musste. Ein hoher Hut, ebenfalls aus blau gefärbtem Stoff gefertigt, verhinderte den direkten Blick auf sein Gesicht, doch auch so erkannte Jono, dass er es mit einem hochgestellten Herrn zu tun haben musste. Er saß auf einem niedrigen Hocker, der mit einem Leopardenfell ausgelegt war und hatte sich in eine Papyrusrolle vertieft, die er auf seinem Schoß ausgebreitet hatte. Auf einem Tisch neben ihm lag eine Palette mit Farbe und Binsenstängeln zum Schreiben.

Jono öffnete den Mund, um ihn anzusprechen und auf sich aufmerksam zu machen. Aus seinem Mund drang nur ein trockenes Krächzen. Seine Zunge fühlte sich an wie gegerbtes Leder und strich über rissige, ausgetrocknete Lippen.

Die Zeltplane wurde zurückgeschlagen und ließ frische Luft in das Zelt strömen. Jono drehte den Kopf herum, um seine empfindlichen Augen aus dem grellen Licht zu entfernen und bekam nur aus dem Augenwinkel noch mit, dass eine schlanke, hoch gewachsene Frau eintrat. Sie räusperte sich, der Mann hob den Kopf und sah sie fragend an.

„Was gibt es, Isis?“

Die Plane fiel herunter und sperrte die Sonne wieder aus.

„Wollt Ihr nicht mal eine kurze Pause machen, Seth? Ihr sitzt seit Tagen darüber.“

„Ich kann nicht und der Bericht für den Pharao über unseren Besuch in Hut-waret muss auch noch geschrieben werden.“

„Es dauert noch ein paar Tage, bis wir Men-nefer erreichen. Meint Ihr nicht, dass Ihr bis dahin die Zeit dafür findet?“

„Der Pharao erwartet einen detaillierten Bericht über unseren Aufenthalt im Tempel“, antwortete Seth abwehrend.

Isis seufzte schwer.

„Ihr werdet Euch noch überarbeiten, wenn Ihr so weitermacht, Seth. Ah ....“ Sie trat näher an Jonos Lager heran. „Unser junger Gast scheint aufgewacht zu sein.“

Jono wandte sich ihr zu. Glatte, lange schwarze Haare, in die goldene Ringe geflochten waren, umgaben das hübsche Gesicht der jungen Frau, die sich gerade neben ihm auf die Knie niederließ. Sie erneuerte das kalte Tuch auf seiner Stirn. Der Mann, den sie Seth genannt hatte, gesellte sich an ihre Seite und betrachtete Jono von oben herab – in mehr als einem Sinn. Seine Lippen umspielte ein herablassendes Lächeln und sein Blick war von einer Kälte, dass selbst eine Mumie zu zittern begonnen hätte. Aber dieses herrliche Blau ... Es erinnerte Jono an funkelnde Saphire.

„Wer bist du?“

„Seth!“, sagte Isis.

„Was habt Ihr, ich möchte doch nur wissen, mit wem wir es zu tun haben.“

„Der Junge ist in einen Sandsturm geraten und kaum ist er aufgewacht, herrscht Ihr ihn so an“, schimpfte sie. Dann wandte sie sich an Jono. „Möchtest du etwas trinken?“

Statt zu antworten nickte er nur mit dem Kopf und schob sich weiter hoch. Isis griff nach einem Kelch und hielt ihn an seine Lippen, auch als er selbst zupackte und ihn zu halten versuchte. In großen Strömen rann das Wasser seine ausgedörrte Kehle hinab.

„Nicht so schnell“, mahnte Isis ihn. „Du verschluckst dich noch.“

Dreimal füllte sie den Kelch mit frischem Wasser, ehe Jonos Durst halbwegs gestillt war. Dann reichte sie ihm einen Teller mit Fladenbrot und frisch gebratenem Hammelfleisch, das er hungrig herunter schlang, ohne auf die feinen Regeln zu achten, nach denen er zu Hause sein Essen verzehrt hatte. Seth schnaubte verächtlich. Peinlich berührt ließ Jono das Stück Hammel sinken, das er sich eben in den noch vollen Mund hatte schieben wollen und kaute auf, bevor er von dem noch warmen Fladen abbiss. Danach bemühte er sich, den Rest seines Mahles in gesitteterer Form einzunehmen. Er wollte sich vor seinen Gastgebern schließlich nicht noch mehr blamieren.

„Habt vielen Dank für Eure Hilfe. Ohne Euch wäre ich in dieser elenden Wüste umgekommen“, sagte Jono und stellte den leeren Teller beiseite.

„Danke den Göttern, die uns zu dir geführt haben“, erwiderte Isis. „Sage mir, was hat dich allein in die Wüste verschlagen? Noch dazu ohne Reittier oder Ausrüstung.“

„Ich ...“ Seit er aufgewacht war, waren seine Gedanken fieberhaft um diese Frage gekreist. Er konnte ihnen unmöglich die Wahrheit sagen. Wenn sie den Grund dafür herausfanden, was ihn in die Wüste getrieben hatte, dann hätte er sich die Strapazen der letzten Tage sparen können. Ob das Schwert des Scharfrichters ihn dann hier oder in Zawtj traf, das Ergebnis war das gleiche.

„Der Sandsturm und die Hitze scheinen dich verwirrt zu haben“, meinte Isis freundlich, als er nicht antwortete.

Verwirrt? Das ist die Rettung!

„Ja ... Das kann sein. Ehrlich gesagt kann ich mich kaum an etwas er-innern, was vor dem Sturm geschehen ist.“

„Soll das heißen, er hat sein Gedächtnis verloren? Oh Amun, das hat uns gerade noch gefehlt“, brummte Seth.

Jonos Brauen zogen sich zusammen und zeichneten seine Entrüstung auf seinem Gesicht ab. Was bildete sich der Kerl ein, über ihn zu sprechen, als wäre er gar nicht vorhanden. Andererseits hatte er gesagt, der Pharao erwarte seinen Bericht, anscheinend gehörte er zum Hofstaat des jungen Herrschers. In dem Fall war es noch wichtiger, dass er und diese Isis nicht erfuhren, mit wem sie es zu tun hatten. Er musste von hier fort, so schnell wie möglich. Nur wie? Er konnte kaum aufstehen.

„Kannst du dich denn an irgendetwas erinnern?“, fragte Isis weiter. „An deinen Namen vielleicht?“

Er schüttelte den Kopf.

„Vielleicht gibt uns das, was er bei sich getragen hat, ja Aufschluss über seine Herkunft“, sagte Seth.

Jono sah ihn alarmiert an und musste den Reflex unterdrücken, sich an die Brust zu greifen, um zu prüfen, ob es noch da war. Seth beugte sich über ihn hinweg und hob einen Dolch auf, der neben dem Jungen gelegen hatte und in einer reich verzierten Scheide steckte. Er zog die bronzene Klinge heraus und untersuchte die feinen Verzierungen, mit denen ihre Oberfläche überzogen war. Jono brauchte einen Moment, um die Waffe zu erkennen. Er hatte sie gefunden, am Tag vor dem Sandsturm. Was er daneben entdeckt hatte, jagte ihm auch jetzt noch, fernab, einen kalten Schauer den Rücken hinab. Er hatte den Jungen, der auf dem Bauch lag, nur mit dem Fuß angestoßen, um sich zu vergewissern, dass er wirklich tot und nicht etwa nur bewusstlos war. Er musste etwa in seinem Alter gewesen sein. Um seinen Kopf hatte sich eine große Blutlache gebildet, die in den Sand eingesickert war. Natürlich hatte Jono Skrupel gehabt, einen Toten zu berauben, doch wenn er den Dolch nicht an sich genommen hätte, wäre er weiterhin ohne Verteidigung gewesen. Das hatte er in einer Wüste, die von Schlangen und Skorpionen wimmelte, nicht riskieren können.

„Eine gute Arbeit, aber nicht ägyptischen Ursprungs. Was meint Ihr, Isis?“

„Hmmm ... Das sieht aus wie ... Er könnte zu den Hethitern gehören.“

„Ein Spion vielleicht ... Dann ist er unser Feind. Ich lasse die Wachen rufen, sie sollen den Kerl in Ketten legen.“

„Nein!“, entfuhr es Jono. „Ich bin kein Feind und erst recht kein Spion.“

„So? Und wer bist du dann? Überlege dir deine Antwort wohl, du sprichst mit der ehrenwerten Priesterin Isis und Seth, dem getreuen Hohepriester und Diener des großen Pharao.“

Jono schluckte, es fiel ihm nicht leicht, einen einigermaßen entspannten Ton anzuschlagen.

„Na ja ... Überlegt doch mal, wenn ich ein Spion wäre, wäre es doch recht unklug von mir, etwas bei mir zu führen, das so eindeutig Auskunft über meine Herkunft gibt wie dieser Dolch.“

„Unglücklicherweise“, knurrte Seth, „hast du damit Recht, Bursche. Trotzdem will ich wissen, wo du herkommst.“

„Ich weiß es doch selbst nicht, ich leide unter Gedächtnisverlust“, verteidigte er sich. Wenn er sich eine Weile dahinter verstecken konnte, schaffte er es vielleicht, einen Plan zu entwickeln, wie er den beiden entkommen konnte.

„Sollte nicht in Kürze eine diplomatische Gesandtschaft aus Hattusa eintreffen?“, überlegte Isis. „Vielleicht gehört er dazu und hat seine Leute in der Wüste verloren. Lasst ihn uns mitnehmen. Wenn er einer der Gesandten ist, dürfen wir ihm ohnehin nichts tun, der Pharao hat ihnen freies Geleit versprochen.“

„Und wenn es sich bei ihm doch um einen hethitischen Spion handelt, so wird unser Herr sicher eine angemessene Bestrafung für ihn finden“, sagte Seth.

Jono konnte froh sein, in der Wüste zu sitzen anstatt an den Ufern des Nil, sonst hätte er sich in diesem Augenblick am liebsten in dessen Fluten gestürzt. Er war vom Regen in die Traufe geraten.

„Solange wir nicht wissen, um wen es sich handelt, werden wir ihn höflich behandeln“, entschied Isis. „Aber wir stellen ihn unter Bewachung“, fuhr sie fort, als sie Seths unzufriedenen Blick bemerkte.

„So soll es geschehen. In Men-nefer wird sich Seine Majestät seiner annehmen. Zuvor allerdings ...“ Seth beugte sich etwas näher zu ihm und zog die Nase kraus. „Ich denke, ein Bad wäre bei dir mehr als angebracht. Hapi!“

Als nach fünf Sekunden noch nichts geschehen war, wiederholte Seth seinen Ruf in schärferem Ton und nur Augenblicke später stürzte ein Junge in das Zelt. Er mochte die Elf gerade überschritten haben, seine langen schwarzen Haare wurden hinten von einer goldenen Kordel zusammengehalten. Um seine Oberarme waren schmale Goldreifen geschlungen und er trug einen schlichten weißen Lendenschurz.

„Warum hat das so lange gedauert?“, wollte Seth wissen.

„Ich war dabei, Euer Pferd zu versorgen, Herr.“

„Du hast zu kommen, wenn ich nach dir rufe, und zwar beim ersten Mal, nicht erst beim zweiten.“

„Ja, Herr, verzeiht bitte. Ich habe verstanden.“

„Gut. Bereite ein Bad für unseren ... ‚Gast’ vor und sei ihm behilflich.“

Hapi verbeugte sich vor seinem Herrn und eilte aus dem Zelt, um seine Aufträge auszuführen. Jono nutzte die kurze Zeit, in der Seth und Isis von ihm abgelenkt waren, um – unauffällig, wie er hoffte – an sich zu schnüffeln. Auch wenn Seth ihm mit seiner arroganten Art nicht gerade sympathisch war, Recht hatte er. Die Tage unter der Sonne hatten alles an Flüssigkeit aus ihm herausgeholt und die Ausdünstungen hatten einen unangenehmen Geruch hinterlassen. Ihm war das bisher gar nicht so aufgefallen, nun aber stach ihm sein eigener Duft in die Nase.

Hapi brauchte nicht lange für die Vorbereitungen und kam nach ihrer Beendigung unverzüglich ins Zelt zurück, um Jono zu holen. Beim Aufstehen von seinem Lager knickten ihm die Beine weg, er musste sich auf einer Truhe abstützen, um sich zu erheben und auch dann fühlte er sich bei den ersten Schritten auf ihnen noch nicht ganz sicher. Flucht? Das konnte er vorläufig vergessen. Noch unangenehmer war ihm, dass Hapi seinen Arm ergriff und ihn stützte. Jono kam sich vor wie ein alter Mann. Leicht wankend schafften sie es zum Ausgang des Zeltes.

Draußen strahlte Jono frisches, saftiges Grün entgegen. Palmen, Büsche und Gräser bildeten einen dichten grünen Ring um einen See mit klarem blauem Wasser. Dazwischen waren Zelte aufgestellt worden, vor denen Wachen saßen oder standen. Diener kümmerten sich um die Pferde und Kamele, die die Reisegruppe mit sich führte, und tränkten sie mit dem Wasser der Oase. Jono unterdrückte ein Seufzen. Also waren sie immer noch in der Wüste.

Zwei Wachen traten an seine Seite, die mit Kopesh, wie die Sichelschwerter Kemets genannt wurden, und Lanzen ausgerüstet waren. Seth kam hinter ihnen aus dem Zelt geschritten.

„Passt gut auf ihn auf, damit er uns nicht davonläuft. Wenn er flieht, haftet ihr mit eurem Leben dafür.“

„Heißt das, die beiden sollen mir beim Baden zusehen?“

„Natürlich, was dachtest du denn?“

„Ich weigere mich!“ Jono verschränkte demonstrativ die Arme und bemühte sich, einen hochmütigen Blick aufzusetzen, war sich jedoch nicht sicher, ob es ihm so gelang, wie er es sich wünschte. Seth schien es in dieser Disziplin zur Perfektion gebracht zu haben.

„Stell dich nicht so an.“

„Ob nun die zwei oder das ganze Lager, ich mag es nicht, beim Baden beobachtet zu werden.“

„Auch noch Sonderwünsche stellen ... Andererseits bade ich selbst auch nicht gern vor aller Augen.“ Er nickte Hapi zu. „Du weißt, was du zu tun hast.“

Der Junge holte mehrere zusammengefaltete große Tücher aus dem Zelt und bedeutete Jono, ihm zu folgen. Die zwei Wächter blieben ihnen auf dem Weg zum Wasser dicht auf den Fersen. Erst kurz bevor sie das Ufer erreichten, blieben sie stehen und drehten sich zur Seite, so dass sie ihn nicht mehr direkt ansahen, aber gleichzeitig die Umgebung fest im Blick behielten. Jono ließ sich von dem jungen Diener zu einem großen Stein führen, in dessen Nähe ein hölzerner Trog stand. Er war gerade so groß, dass ein Mann darin bequem sitzend Platz fand und mit einem Leinentuch ausgelegt, damit sich der Badende keine Splitter einriss.

„Könnt Ihr Euch selbst entkleiden, Herr? Dann hänge ich in der Zwischenzeit die Tücher zwischen die Bäume, um Euch vor unerwünschten Blicken zu schützen.“

„Ja, ich denke, das schaffe ich“, sagte Jono.

Der Junge verbeugte sich etwas ungeschickt vor ihm; er schien sich darüber unsicher, wie viel Respekt ihm gegenüber angemessen war. Hapi schüttelte mit wenigen Griffen die Tücher auseinander und platzierte sie so zwischen den Zweigen, dass Jonos Badeplatz nur noch schwer einsehbar war. Die Wachen würden jeden Neugierigen abhalten.

Währenddessen einkleidete sich Jono rasch. Schurz und Gürtel, beide deutlich von seinem Weg gezeichnet, wanderten auf einen Haufen, zusammen mit den beiden Goldreifen, die er an den Oberarmen trug. Ein Blick sagte ihm, dass sich Hapi von ihm abgewandt hatte. Dennoch konnte er sich keine Unvorsicht leisten und drehte sich ebenfalls um, bevor er sich das Obergewand über den Kopf zog. Zu guter Letzt nahm er mit großer Vorsicht das aus Gold und Edelsteinen gefertigte Amulett von seinem Hals und verstaute es sorgfältig unter seinen Kleidern. Welcher Dämon hatte ihn nur befallen, es mitzunehmen? Doch wenn er es nicht getan hätte ... Er konnte nicht sagen, was schlimmer gewesen wäre.

„Ich bin so weit“, sagte er und setzte sich neben seinen Sachen auf einen Fels.
 

Ein Rascheln, das nicht von dem leichten Wind herrühren konnte, der durch die Blätter strich, ließ die Wachen aufmerksam werden und sich

umschauen.

„Wer ist da?“

Die Wedel einer noch jungen Dattelpalme wurden auseinander gebogen und offenbarten den Besucher. Die Wächter verbeugten sich tief beim Anblick ihres Herrn.

„Was macht unser Gast?“, fragte Seth.

„Er badet, Herr.“

„Wenn er fertig ist, soll Hapi ihn zu meinem Zelt bringen. Isis und ich erwarten ihn zum Abendessen.“

Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand. Kaum war er außerhalb der Sichtweite seiner Männer, schlug Seth nicht den Weg ein, der zum Lager zurückführte, sondern näherte sich dem Ufer, immer darauf achtend, dass ihm die Pflanzen genügend Schutz boten, damit er nicht entdeckt wurde. Er spürte, dass der Junge irgendein Geheimnis hatte und er war entschlossen herauszufinden, um was es sich dabei handelte. Wenn er ihn mit nach Men-nefer nehmen sollte, war es als Leibwächter des Pharao seine oberste Pflicht sicherzustellen, dass von ihm keine Gefahr ausging.

Der Junge wühlte in seinen Kleidern, als Seth seinen Beobachtungsposten einnahm. Er musterte ihn von oben bis unten. Versteckte Waffen trug er schon einmal nicht, es sei denn, er hatte sie bereits abgelegt. Dazu würde er später Hapi befragen. Die Haut des Jungen war fein gebräunt, nicht so verbrannt wie die der Bauern, die die Felder des Reiches bestellten und das Land mit ihrem Korn am Leben erhielten. Seth schloss, dass er aus einem der höheren Stände stammen musste. Ob er nun Ägypter oder Hethiter war, das würde sich noch herausstellen. Seine Erziehung schien allerdings in manchen Punkten zu wünschen übrig zu lassen.

Unter der Haut zeichneten sich bei jeder Bewegung, die er machte, deutliche Muskeln und Sehnen ab. Eine gewisse Attraktivität konnte der Priester ihm nicht absprechen. Da drehte sich der Junge um und rief nach Hapi, der sofort zu ihm geeilt kam. Die Vorderseite seines möglichen Gegners in Augenschein zu nehmen, trieb Seth zu seiner nicht geringen Verwunderung etwas Wärme in seine Wangen. Dass er überhaupt errötete, war für ihn bereits seltsam genug, aber dann auch noch wegen einer Person seines eigenen Geschlechts ...

Ach – Unsinn!, rief er sich zur Ordnung. Ich habe mich heute zu lange in der Sonne aufgehalten. Und mein Auftrag hier ist ohnehin erledigt.

Ohne ein weiteres unnötiges Geräusch zu verursachen, entfernte er sich und begab sich in sein Zelt zurück. Vor dem Essen wollte er noch den Bericht abschließen, an dem er saß.
 

Kommentare, Morddrohungen etc. bitte hier abgeben. ^^

Amnesia

Und hier haben wir schon das nächste Kapitel zu Das Auge des Ra. Viel Spaß beim Lesen.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=m9gRswpqMNI&feature=related At the Gates of the Citadel
 

Kapitel 2

Amnesia
 

Hapi prüfte noch kurz an einem Blatt die Schärfe des Messers, das er zur Hand genommen hatte, dann machte er sich daran, Jono an Armen, Beinen und Brust einer gründlichen Rasur zu unterziehen, bei der natürlich auch seine Kinnpartie nicht ausgespart wurde, um die stacheligen kleinen Bartstoppeln zu entfernen. Jono strich über die glatt rasierte Haut an seiner Wange. Da fühlte man sich doch gleich wieder viel menschlicher.

Mittlerweile war auch die Kraft in seine Beine zurückgekehrt und er stand allein auf, um in das Bad zu steigen. Jono tauchte tief in die Wanne ein. Das Wasser perlte herrlich kühl und erfrischend auf seiner Haut. Eine wahre Wohltat. Entspannt lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Hapi trat hinter ihn und begann ihn von Kopf bis Fuß mit einer Mischung aus Alabastermehl, rotem Natron, Salz und Honig einzuseifen, in die zusätzliche Kräuter gemischt waren, um ihr einen feineren Duft zu verleihen. Jono genoss es, den ganzen Schmutz endlich loszuwerden, der sich durch seine Wanderung angesammelt hatte. Die Art, wie Hapi gegen den vielen Sand und Staub vorging, gefiel ihm allerdings weniger gut. Der Junge schrubbte so lange an ihm herum, bis seine Haut eine deutliche Rotfärbung zeigte. Mit schwankender Geduld ließ er die Prozedur über sich ergehen und sich am Ende von Hapi mit einem großen Leinentuch trockenreiben. Der Umfang, mit dem in Kemet die Reinigung des Körpers betrieben wurde, war groß und nachdem der anstrengende Teil vorüber war, freute sich Jono nun auf die Entspannung, die dem Bade stets folgte.

Er streckte sich lang auf einem Tuch aus, das über die Gräser gebreitet war, um sich mit wohl duftenden Salben und Ölen massieren zu lassen. Obwohl Hapi noch ein Kind war, so steckte doch schon einiges an Kraft in seinen jungen Händen, bedingt durch die harte Arbeit, die er als Diener verrichtete. Jono schätzte Seth so ein, dass er ihn den ganzen Tag in der Gegend herumscheuchte und auf Trab hielt. Die Einstellung hatte sein Vater auch, was seine Sklaven anbelangte. Ein Sklave, der nicht arbeitete, war für seinen Herrn wertlos. Und diese Meinung vertrat er gern mit Argumenten der schlagkräftigen Sorte, auch seinem Sohn gegenüber.

Die Massage entspannte Jonos verkrampfte Muskulatur und ließ ihn zur Ruhe kommen. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie sein nächster Schritt aussehen sollte. Dazu musste er zuerst mehr in Erfahrung bringen.

„Hapi, wann habt ihr mich gefunden? Wie lange ist das her?“

„Das war gestern am frühen Abend, mein Herr. Ihr habt seither geschlafen.“

„Und wie habt ihr mich hierher gebracht?“

„Die Herrin Isis bestand darauf, Euch in ihre Sänfte zu legen, obwohl mein Herr dagegen war“, sagte der Junge und verstummte abrupt.

„Oh, ist schon gut, ich sage ihm nicht, dass du schlecht über ihn gesprochen hast“, gab Jono zurück und zwinkerte verschwörerisch. „Versprochen. Ich hab doch Amnesie, also sagen wir einfach, ich hab es vergessen.“

Hapi atmete erleichtert auf.

„Ich danke Euch, junger Herr.“

„Wie habt ihr mich überhaupt gefunden? Ich meine ... Die Östliche Wüste ist riesig, die Chance, überhaupt auf jemanden zu treffen, ist verschwindend gering.“

„Ich ... ich weiß nicht genau. Die Herrin Isis befahl vorgestern plötzlich, einen Umweg zu machen. Ich kann Euch nicht sagen, was der Grund dafür war, aber es heißt, die Herrin sei in der Lage, die Zukunft vorauszusagen.“

Ach du heiliger Apis-Stier! Warum musste ich von allen Menschen Kemets ausgerechnet an eine Hellseherin geraten? Jono schlug innerlich seinen Schädel gegen den Fels, auf dem er für die Rasur gesessen hatte. Wo war sein Glück hin, auf das er sich sonst immer hatte verlassen können? Als hätte er es an jenem Tag in Zawtj zurückgelassen.

Jono grummelte ungehalten, als Hapi sich zurückzog und damit die Massage als beendet erklärte. Er hätte gut noch ein paar Stunden so liegen bleiben können. Da Seth wahrscheinlich sein Verhör fortsetzen würde, auch wenn er fest entschlossen war, ihm nichts zu sagen, zog es ihn nicht unbedingt zu ihm zurück und zu Isis noch viel weniger. Deshalb hatte er das Bad und die Massage so intensiv genossen, wie er konnte. Wer konnte schon sagen, ob es nicht seine letzte war.

Hapi half ihm dabei, die frischen Kleider anzulegen, die er zum Badeplatz mitgenommen hatte. Seth hatte ihm mit einigem Zähneknirschen erlaubt, ein Obergewand und einen knielangen Schurz aus seiner Truhe zu nehmen. Falls er zu den Hethitern gehörte, konnten sie ihn nicht in die Gewänder eines Dieners stecken, solange sie seinen Rang unter ihnen nicht kannten.

Sobald sich der junge Diener umgedreht hatte, um nach dem Kamm für Jonos Haare zu suchen, fuhr dessen Hand mit einer blitzschnellen Bewegung unter seine alten Kleidungsstücke und zog das Amulett hervor. Er hängte es sich um und ließ es unter seinem hemdlangen Obergewand verschwinden. Es war leicht ausgeschnitten, verbarg das Schmuckstück jedoch vollkommen, und war an Halsausschnitt und Ärmeln mit schwarzen Mustern bestickt.

„Au, bist du immer so ruppig?“, beschwerte sich Jono keine fünf Minuten später.

Sein Helfer bemühte sich verzweifelt, Ordnung in das Chaos auf seinem Kopf zu bringen. Der bisherige Erfolg hielt sich in Grenzen. Das in der Abendsonne golden schimmernde Haar war zerzaust und weigerte sich beharrlich, sich dem Kamm unterzuordnen. Jono konnte ja einiges an Geduld aufbringen, aber wenn die Wirkung dieser herrlichen Massage einfach zu verpuffen drohte, weil jemand ohne Pause an seinen Haaren riss ... Er wartete nur darauf, dass sich seine Kopfhaut gleich mit ablöste.

„Gib mal bitte den Kamm her“, verlangte er und ließ sich das aus Holz geschnitzte Stück aushändigen. Einige Male gründlich mit den Fingern durchs Haar gefahren, dann kam der Kamm an die Reihe. Na also, es geht doch, frohlockte er.

Zu guter Letzt zog ihm Hapi die Augen noch mit schwarzem Kohl nach.

„Hapi, wie lange brauchst du noch?“, rief einer der Wächter.

„Wir sind fertig.“

Die Wachen zogen die Laken herunter und warfen sie Hapi zu.

„Na endlich. Dein Herr wünscht, dass der junge Herr ihm beim Abendessen Gesellschaft leistet, sobald er sein Bad beendet hat.“

„Seit wann drückst du dich so ... geschwollen aus?“, kicherte er.

„Halt den Mund und räum auf. Folgt uns bitte, junger Herr. Meister Seth erwartet Euch.“
 

Seth schritt unruhig vor dem Zelt auf und ab, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

„Wo bleibt er denn?“

„Was ist los mit Euch, Seth?“, fragte Isis. „Ihr seid doch sonst ein Ausbund an Geduld.“

„Ich weiß, dass der Junge irgendetwas vor uns verbirgt und ich werde nicht eher ruhen, als bis ich herausgefunden habe, um was es sich handelt.“

„Ehrgeizig wie immer“, kicherte die Priesterin. „Der Millenniumsstab hat Recht daran getan, Euch zu seinem Träger zu erwählen.“

„Ich meine es ernst, Isis. Ich habe das Gefühl, er könnte unserem Herrscher gefährlich werden.“

„Bisher hat sich meine Millenniumskette nicht in der Richtung geäußert. Aber es ist sicher besser, wachsam zu sein. Da kommt er.“

Flankiert von seinen Wachen, die Jono mehr und mehr an Hunde erinnerten (die zwei wichen ihm auch nicht eine Sekunde von der Seite) ging er durch die Zeltreihen auf das Hauptzelt zu.

„Na endlich“, sagte Seth. „Du hast dir ... Zeit gelassen.“

„Seth“, mahnte Isis ihn mit ruhigem, leisem Ton. „Immer schön höflich.“ Dann sah sie Jono an. „Möchtest du uns beim Abendessen Gesellschaft leisten?“

Die ausdrucksvolle Antwort bekam sie postwendend – von Jonos Magen, der lautstark knurrte. Sein Besitzer wandte sich beschämt ab und murmelte hastig eine Entschuldigung. Isis überging seinen kleinen Fauxpas, indem sie ihn und Seth in das Innere des Zeltes bat, wo, auf bemalten Tontellern angerichtet, das Abendessen auf sie wartete. Die während der Reise mitgeführten Vorräte aus Brot und getrocknetem Fleisch waren heute durch eine reiche Auswahl verschiedener Obstsorten ergänzt worden, die in der Oase wuchsen. Datteln, frische Feigen und Melonenstücke häuften sich in verschiedenen Schüsseln.

Während Jono kräftig zulangte und dabei einen wahrhaft gesegneten Appetit an den Tag legte, kaute Seth eher lustlos auf seinem Fleisch herum. Er war mit sich unzufrieden. Der Bericht war immer noch nicht fertig und statt um seine Fertigstellung kreisten die Gedanken des jungen Priesters nur um eine Person. Den frechen Blondschopf, der gerade hemmungslos süße Datteln in sich hineinstopfte. Der Saft der Früchte lief ihm aus dem Mundwinkel. Seth beobachtete, wie er sich über die Haut einen Weg zum Kinn bahnte, dort zu Boden tropfte – Ah, wie sollte ihm das bei der Wahrheitsfindung helfen! Nicht im Geringsten. Es verwirrte ihn nur. In seine Gedanken versunken, stützte er seinen Kopf auf seiner Handfläche ab und trommelte mit den Fingern auf seine Wange.

„Seth, ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Isis. „Seth ... Seth!“

„Wie ... was“, schreckte er hoch.

„Habe ich irgendetwas im Gesicht?“, fragte Jono, der seine klebrigen Finger gerade in einer Schüssel mit Wasser abspülte und sich von Hapi ein Tuch zum Trocknen reichen ließ.

Jetzt reicht es aber! Seit wann lasse ich mich so ablenken!

Erst jetzt bemerkte Seth, dass er Jono anstarrte – und anscheinend hatte er dies bereits seit einiger Zeit getan. Auf seiner Suche nach Hinweisen auf ein mögliches Verbrechen des Jungen war ihm das überhaupt nicht aufgefallen.

„Ich habe mir über deine Herkunft Gedanken gemacht. Ist dir inzwischen etwas eingefallen?“

„Zu meinem Bedauern nicht das Geringste“, antwortete Jono.

„Das dachte ich mir. Darum habe ich Isis gebeten, nach dem Essen ihre Millenniumskette zu befragen. Wegen deiner Amnesie nehme ich an, dass du von den Millenniumsgegenständen auch noch nie gehört hast.“

Jono nickte, schluckte jedoch gleichzeitig beklommen und hoffte, dass es seinen Gastgebern verborgen blieb. Er mochte fern von der Stadt des Pharao aufgewachsen sein, doch von den Millenniumsartefakten und ihren Wächtern wurde in ganz Kemet gesprochen. Mit einem Mal kam ihm die Dattel, die er gerade kaute, ganz mehlig und geschmacklos vor. Er saß bei seiner Henkersmahlzeit.
 

Isis hatte ein paar Öllampen anzünden lassen, die Licht in das Innere des Zeltes brachten. Sie warteten, bis die Diener die Essensreste nach draußen getragen und sich zurückgezogen hatten, dann bat sie Jono, sich ihr gegenüber hinzustellen und die Augen zu schließen. Seth hielt seinen Stab griffbereit, um ihr im Notfall sofort helfen zu können. Isis berührte mit den Händen das augenförmige Symbol ihrer Kette und schloss ebenfalls die Augen.

„Im Namen des allmächtigen Pharao rufe ich die Macht der Millenniumskette!“, sagte sie. „Enthülle mir die Vergangenheit des Jungen und lass mich einen Blick in seine Zukunft werfen.“

Jono stand ihr ruhig gegenüber. Eine Ruhe, die ihn selbst ein wenig erstaunte. Die Nervosität, die ihn nach ihrer Ankündigung beim Essen befallen hatte, war von ihm abgefallen. Er wusste, dass es zu spät war. Dass es keinen Sinn hatte, sich dagegen zu sträuben. Wenn es sein Schicksal war, gerichtet zu werden, dann sollte es so sein. Er hatte sich nur ein paar zusätzliche Tage gestohlen, sonst nichts. Ihre Stimme, die die beschwörenden Worte in einem leichten Singsang fortwährend wiederholte, erreichte ihn kaum. Er fühlte sich wie in dicke Watte gepackt, als stehe etwas zwischen ihnen, auch wenn er es nicht sehen konnte.

Isis’ Stimme wurde eindringlicher, als ihr Zauber nicht seine gewünschte Wirkung entfaltete. Der zunächst schwache Schimmer, der von der Kette ausging, verwandelte sich plötzlich in ein gleißendes Licht. Seth riss seinen Arm vor die Augen. Ein Schrei, gefolgt von einem weiteren, zerriss die Stille des Zeltes. Die Wachen, die Seth vorsorglich vor dem Eingang postiert hatte, stürmten herein, blieben dann aber wie erstarrt stehen.

„Was –“

Der Priester blickte fassungslos auf das Bild, das sich ihm bot. Isis und der Junge lagen auf dem Boden, beide mehrere Meter von der Stelle entfernt, an der sie zuvor gestanden hatten. Dort klaffte stattdessen ein Loch in Boden.

„Bei allen Göttern ...“, stieß er hervor.

Isis regte sich und fuhr mit der Hand an ihre Stirn. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf müsse jede Sekunde platzen. Seth half ihr behutsam auf die Beine.

„Was ist passiert, Isis?“

„Ich ... ich weiß nicht genau. Ich wollte die Vergangenheit des Jungen lesen und dann war da dieses helle, goldene Licht ... Es hat mich blockiert, ich konnte nichts erkennen. Und dann hat es mich zurückgestoßen.“

„Wie ist das möglich? Er stand die ganze Zeit ruhig da, er hat sich nicht bewegt.“

„Ich kann es Euch nicht sagen.“

„Also wissen wir noch immer nichts über ihn.“

„Nein. Es tut mir leid.“

„Außer einem: Mit dem Jungen stimmt definitiv etwas nicht. Kein

gewöhnlicher Mensch kann der Macht eines Millenniumsgegenstandes standhalten.“

„Ja ... aber die Energie, die ich gespürt habe, war nicht negativ. Das Licht war warm.“

„Wir sollten dennoch die anderen Wächter hinzuziehen, um das zu klären“, sagte Seth. „Es sind noch ein paar Tagesreisen bis Men-nefer. Legt Euch hin, Isis, Ihr braucht Ruhe.“

Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu und verschwand in ihr Zelt. Er richtete sein Augenmerk nun auf den Jungen, der ihr Gespräch stumm verfolgt hatte. Sein Zeigefinger bebte, als er ihn auf seine Brust richtete.

„Ich warne dich nur einmal. Wenn du irgendetwas im Schilde führen solltest, das unseren großen Herrscher gefährdet, dann mögen dir die Götter gnädig sein. Ich werde dich genau im Auge behalten.“

„Aber ... ich hab doch gar keine Ahnung, was da eben passiert ist. Ich habe das nicht mit Absicht gemacht, ich meine ... Woher sollte ich überhaupt diese Kraft haben –“

„Spar dir deine Ausreden“, sagte Seth kalt und wandte sich an den braun gebrannten Hauptmann seiner Wache. „Tanefer, bindet ihm die Hände zusammen und verdoppelt die Wachen vor meinem Zelt. Sollte er irgendein merkwürdiges Verhalten zeigen, wünsche ich unverzüglich geweckt zu werden.“

Jono blickte bei diesen Worten wie ein getretener Hund drein. Er hatte überhaupt nichts getan! Woher sollte er denn wissen, was sich da eben abgespielt hatte? Er fasste es ja selbst kaum, dass er Isis’ Vergangenheitssuche entkommen war. Die Wachen banden seine Hände vorne an den Gelenken zusammen und halfen ihm noch, sich einigermaßen bequem hinzulegen, bevor sie das Feld für Hapi räumten, der seinem Herrn hinter einem Wandschirm beim Auskleiden behilflich war.

„Schlaf jetzt“, sagte Seth an Jono gewandt. „Wir brechen morgen in aller Frühe auf.“
 

Schlafen ... Der hat gut reden.

Jono wälzte sich unruhig auf seinem Lager von einer Seite zur andern und wieder zurück. Schlaf. Sein Körper signalisierte ihm, dass er gerne in diesen Zustand übertreten würde, sein Geist hingegen war hellwach und hielt ihn vehement von der Traumwelt fern. Wie konnte er jetzt an Schlaf denken, wo sein Leben auf dem Spiel stand und er sich einen Fluchtplan zurechtlegen musste. Die beiden kurzen Wege, die er auf seinem Gang zum See und zurück hatte zurücklegen müssen, hatten ihm vor Augen geführt, dass dieses Unternehmen bei weitem nicht so einfach zu bewältigen sein würde, wie er zu Anfang gehofft hatte. Im Lager wimmelte es nur so vor Wachen. Der Hauptmann hatte seine Leute gut gedrillt, ihnen entging nichts.

Mal kurz aus dem Zelt, um seine Notdurft zu verrichten? Das hatte er in dieser Nacht schon mehrfach ausprobiert und es fand sich immer mindestens ein Wächter, der ihn begleitete. Wie Seth es angekündigt hatte, ließ er ihn nicht aus den Augen, selbst wenn er gerade schlief.

Jono wechselte erneut seine Lage und brachte den Priester dadurch in sein Blickfeld. Seths Bett befand sich nun auf der anderen Seite des Zeltes, möglichst weit von seinem entfernt. Er schien keine Schlafprobleme zu haben, sein Atem ging ruhig und regelmäßig. Darauf bedacht, keine lauteren Geräusche zu machen, streifte Jono seine Decke zurück und erhob sich. Er schlich sich auf Zehenspitzen näher, bis er einen guten Meter von Seth entfernt stehen blieb. Dieser hatte seinen Hut zum Schlafen abgesetzt, seinen Stab aber in der Hand, als würde er jederzeit mit einem Angriff rechnen. Jono stellte erstaunt fest, dass Seth seine braunen Haare nicht abrasiert hatte, wie es das Gesetz der Tempel den Priestern vorschrieb. Vielleicht galt für ihn als Hüter des Millenniumsstabes eine Sonderregelung.

Er bedauerte es, ihn unter diesen Umständen getroffen zu haben. Wären sie anders gewesen ... Aber es war unsinnig, darüber zu sinnieren, was sein könnte. Hätte er die Möglichkeit gehabt, wären ihm viele Dinge eingefallen, die er gern geändert hätte, angefangen mit dieser unseligen Verlobung, die sein Unglück begründet hatte.

Jono zog sich vorsichtig zurück, um Seth nicht zu wecken. Er wollte sich nicht vorstellen, wie der Priester reagierte, falls er erfuhr, dass er beim Schlafen beobachtet worden war.
 

Die Sonnenbarke zeigte sich als schmaler rötlicher Streifen am Horizont. Seth drehte sich unwillig zur anderen Seite, doch weiterzuschlafen hatten keinen Zweck. Nicht bei dem Radau, den seine Männer außerhalb des Zeltes veranstalteten. Das Lager erwachte zum Leben. Seth gähnte verschlafen und fuhr sich durch seinen braunen Haarschopf. Das hatte er nun davon, einen so frühen Aufbruch befohlen zu haben.

Er stand auf und griff nach einem Umhang, den er sich umlegte. Zu diesem Zeitpunkt, da Ra gerade erst wiedergeboren worden war, war es in der Wüste noch kühl und in seinem dünnen Schurz fröstelte er ein wenig. Er warf einen Blick durchs Zelt – und erstarrte.

„WACHEN!“

Sein zorniger Schrei drang durch das ganze Lager. Wer bislang noch geschlafen hatte, wurde nun sehr unsanft aus dem Bett geholt. Isis zuckte zusammen und verdrehte die Augen in Richtung Himmel.

„Oh ihr Götter, was hat er jetzt wieder?“, sagte sie und verließ ihr Zelt, um nach dem Grund seiner Aufregung zu forschen. Die Männer, die vor Seths Zelt gestanden hatten, rissen die Plane zur Seite.

„Was habt Ihr, Herr? Werdet Ihr angegriffen?“

„Wo. Ist. Er?“, fragte Seth und zeigte mit bebendem Zeigefinger auf Jonos Bett. Die Decke war zurückgeschlagen, von dem Blonden war nichts zu sehen.

„Er ist geflohen und ihr Nichtsnutze habt ihn entkommen lassen!“, herrschte Seth seine Untergebenen an. „Ich werde euch –“

„Der Junge ist nicht geflohen“, unterbrach Isis seine Ausführungen. „Ich habe ihn vor kurzem gesehen, Hapi und eine Wache haben ihn zum Wasser begleitet. Er meinte, er wolle sich noch waschen, bevor wir aufbrechen.“

Die Miene Seths, der eben zu seiner nächsten Tirade hatte ansetzen wollen, gefror zu Eis. Dank dieses wildfremden ... auf der Suche nach einem passenden Vergleich stieg vor seinem inneren Auge das Bild eines Hundes in ihm auf ... Dank dieses wildfremden Straßenköters machte er sich in diesem Moment vor seinen Männern lächerlich, weil er das Lager zusammenschrie, als greife gerade die hethitische Kavallerie an. Dafür würde er bezahlen. Seth räusperte sich.

„Waschen, was? Und warum begleitet Hapi ihn dann, anstatt sich bereitzuhalten, um mir zu helfen?“

„Ihr habt noch geschlafen, da ... Wenn Ihr einverstanden seid, schicke ich Euch Kija herüber, damit sie Euch hilft.“

„Meinetwegen“, brummte er. „Aber für Hapi wird das ein Nachspiel haben.“

Als er sich neben Isis zum Frühstück niederließ, war seine Laune noch weiter abgesunken, denn von Jono und Hapi war nichts zu sehen.

„Wie kann ein einzelner Mann nur so lange für sein Bad brauchen“, murmelte Seth und griff nach einem Stück Wassermelone.

Isis hustete vernehmlich.

„Habt Ihr Euch verschluckt?“

„Nein, bloß ... Als ich letztens mit Euch sprechen wollte, hat Hapi Euch entschuldigt, Ihr wärt im Bad, und als ich nach einer Stunde wiedergekommen bin, wart Ihr immer noch dort.“

„Das ist etwas anderes“, erwiderte Seth hoheitsvoll. „Ihr könnt nicht das Bad im Palast mit einer Wüstenoase vergleichen.“

Sein Gähnen machte die Wirkung seiner Worte zunichte.

„Habt Ihr schlecht geschlafen?“

„Wie sollte ich schlafen, wenn ich die ganze Zeit darüber grübeln muss, was dieser Junge vorhat.“

„Ich habe mir auch über ihn Gedanken gemacht und letzte Nacht noch einmal meine Kette befragt und sie sagte mir, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.“

„Geht das auch genauer? Was ist mit seiner Vergangenheit?“

„Sie ist weiterhin in Nebel gehüllt.“

„Solange wir nicht wissen, wer er ist, woher er kommt und was er vorhat, bleibt er für mich verdächtig. Er plant etwas, da bin ich mir sicher.“

„Also ich weiß ja nicht. Vertraut Ihr dem Urteil meiner Kette nicht? Ich halte ihn nicht für gefährlich.“

Die Feige, die Seth noch in der Hand hielt, wurde unter dem Druck seiner Finger zerquetscht, als er die Hand ballte.

„Ich weiß, dass da etwas ist, Isis. Ich werde die Wahrheit herausfinden und wenn ich einen Millenniumsprozess gegen ihn führen muss.“

Aus ihrer Kehle kam ein trockenes Lachen bei diesen Worten.

„Einen Prozess! Und wie lautet die Anklage – Gedächtnisverlust?“, fragte sie herausfordernd. „Auch als meine Kette bei der Befragung gestern blockiert wurde, habe ich bei ihm keine böse Kraft gespürt. Ihr solltet Euch mal selbst zuhören. Merkt Ihr nicht, dass Ihr Euch da in etwas hineinsteigert, Seth?“

„Überhaupt nicht ... Warum lacht Ihr?“

„Mir ist gerade etwas eingefallen. Erinnert Ihr Euch noch daran, wie Ihr mich vor ein paar Monaten gebeten habt, einen Blick in Eure Zukunft zu werfen?“

„Natürlich, Isis. Ihr sagtet, es käme zu Veränderungen.“

„Nicht ganz. Ich sagte Euch, es würde bald jemand Euren Weg kreuzen, der Euer Leben für immer verändern wird.“

„Und Ihr glaubt, es sei dieser Junge. Das ist ausgemachter Unsinn. Überprüft lieber mal Eure Kette, die scheint defekt zu sein.“

Mit einem letzten erbosten Blick auf sie stand er auf und rauschte in sein Zelt davon. Isis sah ihm kopfschüttelnd nach.
 

Jono blieb dank seines ausgiebigen Bades nicht mehr viel Zeit für das Frühstück. Nachdem Seth seines abgebrochen hatte, trieb er seine Leute an, sich mit dem Packen zu beeilen. Er wollte die Oase so bald wie möglich verlassen, was Jono noch weniger Zeit für sein Essen ließ. Bevor ein Diener die Schüsseln abräumte, um sie in einer der Taschen zu verstauen, griff er sich noch schnell ein paar Datteln, die er auf seinem Weg durch das sich auflösende Lager aß. Isis schickte ihn zu Ratep, der für die Tiere verantwortlich war, um sich ein Pferd geben zu lassen. Da Jono wieder kräftig genug zum Reiten war, war es nicht notwendig, ihn länger in ihrer Sänfte zu transportieren.

Ratep musterte Jono kurz von Kopf bis Fuß, ließ seinen Blick über die Tiere schweifen und suchte ihm einen schwarzen Hengst namens Meren heraus. In seinen dunklen Augen lag ein abenteuerlustiges Funkeln und auf seiner Stirn befand sich ein weißer, rautenförmiger Fleck. Das Tier warf den Kopf zurück, als Jono die Zügel nahm und es zu der Stelle führte, an der er auf den Aufbruch des Zuges warten sollte.

Seth scheuchte Hapi mit einem Kopfrucken zurück an die Arbeit. Er hatte dem Jungen eine saftige Strafpredigt für sein ungebührliches Verhalten gehalten, damit er nicht vergaß, wer hier sein Herr war. Das laute Wiehern eines Pferdes ließ ihn den Kopf wenden. Er gestattete sich ein amüsiertes Grinsen, als er sah, auf wen Rateps Wahl gefallen war. Meren stammte aus seiner eigenen Zucht, er hatte ihn ursprünglich für sich selbst beansprucht, aber er hatte ihm ein zu wildes, zu unzähmbares Temperament. Bei dem Jungen hatte er das Gefühl, er und das Tier könnten gut zueinander passen. Wenn es auch nur für die paar Tage war, die ihre Reise noch in Anspruch nehmen würde.

Endlich war der Zug abmarschbereit und setzte sich in Bewegung. Seth führte ihn mit Tanefer, dem Hauptmann der Soldaten, an, dann kamen ein paar Wachen und ein Teil des Gepäcks. In der Mitte reisten Isis in ihrer Sänfte, ihre Dienerinnen und Jono, der von mehreren Männern umringt war. Seth hatte dafür gesorgt, dass er so zwischen Gepäck und Soldaten eingekeilt war, dass er nicht entkommen konnte.

Die Sonne stieg rasch höher und überzog die Wüste mit ihrem heißen Glühen. Die Luft vibrierte geradezu und machte ihnen jeden Atemzug schwer. Jono zog sein weißes Kopftuch mehr in seine Stirn und zwang sich, immer nur einen kleinen Schluck Wasser zu trinken.

Stunde reihte sich an Stunde, ohne dass es eine Abwechslung in der Landschaft gab. Eine Düne sah aus wie die andere. Ich hasse die Wüste, dachte Jono. Wo er auch hinblickte, Sand. Und selbst jetzt, hoch zu Ross, schaffte es der Sand, sich überall festzusetzen. Wenigstens kam er inzwischen ganz gut mit Meren zurecht. Am Anfang war er etwas bockig gewesen, hatte sogar versucht ihn abzuwerfen, doch mit seinem beharrlichen guten Zureden hatte er anscheinend das Vertrauen des Tieres erlangt.
 

Der Nachmittag ging langsam in den Abend über. Jono war müde, ihm schmerzten alle Knochen im Leib. Es war eine Weile her, seit er zuletzt einen ganzen Tag auf dem Rücken eines Pferdes verbracht hatte. Bei einer Gruppe großer Felsen, die aus dem Sand herausragten, hob Seth die Hand und hieß seine Leute anzuhalten. Der Platz war so weit windgeschützt, gut für ein Nachtlager.

Die Diener machten sich daran, die Zelte abzuladen und aufzubauen. Jono stand unschlüssig daneben und überlegte, ob er ihnen helfen sollte. Es kam ihm dumm vor, einfach nur dazustehen, während um ihn herum gearbeitet wurde. Noch eine dieser Torheiten, wie sein Vater es genannt hatte, wenn Jono den Dienern beim Abladen der Waren geholfen hatte, statt wie aufgetragen seine Hieroglyphen zu üben. Jono hatte es nie als schlimm empfunden, auch einmal selbst Hand anzulegen.

„Achtung!“, rief jemand hinter ihm.

Bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde Jono unter weißen Zeltbahnen begraben. Der dicke Stoff dämpfte alle Geräusche in seiner Umgebung. Seth kam mit großen Schritten zu der Unglücksstelle geeilt und verlangte zu wissen, was die Schreie zu bedeuten gehabt hätten. Eine der Zeltstangen war gebrochen und hatte das fast fertige Zelt, in dem die Diener schliefen, mit sich gerissen.

„Und was ist das da?“, fragte Seth weiter und deutete auf einen Hügel, der unter dem Stoff mal zur einen, mal zur anderen Seite kroch.

„Das ist Euer junger Gast, Meister“, erklärte einer der Diener und beeilte sich, den Stoff zu raffen, um Jono aus seinem leinenen Gefängnis zu befreien.

Jono krabbelte auf den Lichtstrahl zu, der zwischen dem Stoff sichtbar wurde und kam direkt vor einem Paar Füßen, das in teuren Sandalen steckte, heraus. Er hob den Kopf und hätte sich im ersten Moment, da Seths kalte Saphire auf ihm ruhten, am liebsten wieder unter der Zelt-plane verkrochen.

„Interessant, wo du dich herumtreibst, kaum dass ich dir den Rücken kehre. Aber wie ich sehe, hast du ja doch noch deinen Platz gefunden.“ Mehr für sich selbst fügte er murmelnd hinzu: „Ich hatte doch Recht, ihn mit einem Hund zu vergleichen.“

„Wie war das?“, fuhr Jono auf und sprang auf die Beine. Ist mir doch egal, ob er der Oberpriester ist, ich bin kein Tier! Und wenn er schon einen Vergleich ziehen will, dann gefälligst nicht mit einem Hund!

„Oh, habe ich da etwa jemanden in seinem Stolz verletzt?“, fragte Seth spöttisch zurück. „Wobei ... haben Hunde überhaupt Stolz?“

„Hört auf, mich mit einem Hund zu vergleichen!“

Mit Staunen stellte Seth fest, wie in dem Jungen, der ihm gegenüberstand, binnen kürzester Zeit eine Wandlung vor sich ging. Er richtete sich kerzengerade auf und Temperament und verletzter Stolz blitzten in den braunen Falkenaugen auf, die ihn fixierten, ohne dass seine Wimpern auch nur einmal zuckten. Die vollen Lippen waren wie bei einem trotzigen Kind leicht vorgeschoben, die Hände ballten sich zu Fäusten.

„Und wenn ich es nicht tue?“

Es reizte ihn, den Jungen herauszufordern. Dieser brennende Blick, der ihn wie ein Pfeil traf, löste in Seth ein ungewohnt befriedigendes Gefühl aus und gleichzeitig ein Verlangen, das er nicht einzuordnen vermochte. Gespannt wartete er auf seine Antwort.

„Meister Seth, da kommt eine Karawane!“

Seine Verärgerung über die Störung nicht ganz unterdrücken könnend, wandte sich der Priester zu Tanefer um, der Richtung Nordosten deutete. Die Karawane bewegte sich in gemächlichem Tempo auf die Felsen zu, Seth konnte nicht sagen, ob die Neuankömmlinge sie bereits gesehen hatten, ihr Lager war nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es war eine große Gruppe, ähnlich der ihren. Etliche Kamele waren mit schwerer und – angesichts der Menge an Soldaten – kostbarer Fracht beladen. Zwischen den Tieren und Wachen gingen Diener und Dienerinnen, gegen die Hitze der Wüste in lange, schlichte Umhänge gehüllt, die ebenfalls Lasten auf dem Rücken trugen. Die drei Anführer der Gruppe stachen klar heraus. Ihre Pferde waren prächtig aufgezäumt, unzählige kleine runde Goldplättchen glänzten im Licht der Sonne und strahlten mit den funkelnden Edelsteinen, die Finger und Hälse der Männer schmückten, um die Wette. Ihre Obergewänder endeten auf Kniehöhe, die Umhänge aber reichten ihnen bis zum Fußknöchel. Seth ließ sich von ihrem edlen Aussehen nicht täuschen. Ihm waren die Schwerter und Dolche, die sie an Gurten um die Hüfte trugen, nicht entgangen. Sollte es zu einem Kampf kommen, konnte das ein hartes Stück Arbeit für die Ägypter werden. Sie waren zahlenmäßig etwa gleich stark. Und noch schlimmer: Es waren Hethiter.

„Was sollen wir tun, Herr?“

„Lasst uns abwarten, wie sie sich verhalten. Der Pharao erwartet eine Gesandtschaft der Hethiter. Wir müssen erst klären, ob es nicht diese Karawane ist.“

Seth wusste, dass er sich keinen Fehler leisten durfte. Wenn es die Botschafter waren, bedeutete ein unüberlegter Angriff einen nicht wiedergutzumachenden Affront gegen ihren Großkönig und dann konnten sie ihr Bestreben, die Angelegenheit auf diplomatischem Wege zu beenden, auf unbestimmte Zeit im Sand vergraben. Was das anging, war er ohnehin skeptisch. Seit vielen Jahren herrschte Krieg zwischen ihren Völkern und nun wollten die Hethiter auf einmal unbedingt an den Verhandlungstisch. Vielleicht hatten sie auch inzwischen eingesehen, dass sie den sieben Millenniumsgegenständen nichts entgegenzusetzen hatten und das Reich, solange die Wächter es mit ihrer Kraft beschützten, nicht in ihre Hände fallen würde. Wer konnte schon sagen, was in ihren Köpfen vor sich ging.

„Sollten wir uns ihnen nicht zu erkennen geben, Seth?“, fragte Isis und trat an seine Seite, um einen Blick auf die Hethiter zu werfen.

„Tun wir das“, nickte er ihr zu. „Sie sollen nicht denken, wir würden uns vor ihnen verstecken, um sie anzugreifen. Oder noch schlimmer, weil wir Angst vor ihnen hätten. Tanefer, Ihr passt auf den Jungen auf, damit er keinen Unfug anstellt.“

Seth zog den Millenniumsstab aus seinem Gürtel und trat gemeinsam mit Isis aus dem Schatten der Felsen heraus. Sie gingen gemessenen Schrittes auf die Reiter zu. Diese stutzten erst bei ihrem Anblick, dann wurden sie der Männer und Frauen gewahr, die ihre Einrichtungsarbeiten unterbrochen hatten und ihre Anführer beobachteten. Zwischen den Anführern der Hethiter folgte ein rascher Wortwechsel, bei dem sie immer wieder zu den Felsen und den beiden Priestern sahen. Einer der Männer stieg ab und ging Isis und Seth entgegen. Er war mittleren Alters. Sein langes braunes Haar wurde im Nacken von einem bestickten Band gebändigt. Auf halber Strecke trafen sich die drei.

„Seid mir gegrüßt, verehrte Dame, ehrenwerter Herr.“

„Seid auch Ihr uns gegrüßt. Was führt Euch und Euer Gefolge hierher?“, fragte Seth höflich.

„Seine Majestät, der Großkönig Muwattalli der Zweite hat mich, Fürst Zidanta, und meine Begleiter in diplomatischer Mission nach Men-nefer entsandt, um mit Seiner Majestät dem Pharao in Verhandlungen zu treten. Hier ist die Versicherung des Pharao, sein Reich unversehrt zu durchqueren.“

Er zog einen zusammengefalteten Papyrus hervor und reichte ihn Seth. Dieser las sich das Schreiben aufmerksam durch, bemerkte mit einem zufriedenen Nicken das königliche Siegel und gab es Zidanta zurück.

„Dann heißen wir Euch im Namen des Herrn der beiden Länder in Kemet willkommen. Mein Name ist Seth, Hohepriester des Amun-Ra, und dies ist Isis, die Priesterin der Isis, wir gehören dem Beraterstab Seiner göttlichen Majestät an.“

„Es ist mir eine große Ehre“, sagte Zidanta und verbeugte sich leicht vor ihnen, was von den beiden ebenso erwidert wurde.

„Wenn Ihr nach Men-nefer unterwegs seid, so haben wir denselben Weg“, sagte Isis.

„Dürfte ich Euch in diesem Fall um die Ehre bitten, uns Euch für den letzten Teil der Reise anschließen zu dürfen?“

Isis und Seth sahen sich kurz an und nickten sich zu.

„Dieser Bitte erteilen wir gern unser Einverständnis“, erklärte Seth. „Bitte betrachtet Euch heute Abend als unsere Gäste und speist an unserer Tafel.“

„Dieses Angebot nehmen wir dankend an.“

Zidantas Gesicht verzog sich zu einem leichten Lächeln. Er wandte sich halb zu seinen Leuten um und winkte ihnen zu, dass sie kommen konnten. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Seth, Zidanta und Isis gingen ihm voran und leiteten ihn durch das Lager zum Hauptzelt. Tanefer hatte seine Soldaten in der Zwischenzeit instruiert, sich den hethitischen Soldaten gegenüber nicht feindlich zu verhalten (man befand sich schließlich gerade im Waffenstillstand), aber Augen und Ohren offen zu halten. Er wollte keine unliebsamen Überraschungen erleben.

Die beiden anderen Diplomaten, Zidantas Pferd am Zügel mit sich führend, schlossen zu den dreien auf, stiegen jedoch erst ab, als sie das Hauptzelt erreichten. Sie stellten sich links und rechts an die Seite des Fürsten und erwiesen ihren Gastgebern die nötige Reverenz.

„Darf ich Euch meine Begleiter vorstellen“, begann Zidanta, „zu meiner Linken Anitta, Herr der Stadt Kuschar, und zu meiner Rechten Lubarna, Herr der Stadt Kanesch.“

Isis und Seth stellten sich auch ihnen vor und baten sie, mit ihnen zu Abend zu essen. Tanefer wies ein paar seiner Soldaten an, die Plätze der Diener beim Aufbau der Zelte einzunehmen, damit sie sich um das leibliche Wohl ihrer Herrschaften kümmern konnten. In Windeseile wurde das Hauptzelt fertig eingerichtet und das Essen auf Tellern und Schüsseln angerichtet. Jono leckte sich in Vorfreude die Lippen, doch kaum hatte er einen Schritt auf die kleine Gruppe aus Priestern und Diplomaten zugemacht, wurde er von Tanefer am Kragen gepackt.

„Oh nein, du bleibst schön hier. Ich habe Anweisung von Meister Seth erhalten, dass du heute bei uns essen sollst. Die Herrschaften möchten nicht gestört werden.“

Jono ließ ein enttäuschtes „Och, schade“ vernehmen. Da hatte er sich schon auf die Köstlichkeiten gefreut, die gerade an ihm vorbei getragen wurden ... Andererseits, was hatte er erwartet? Er mochte nicht mehr gefesselt sein, aber nüchtern betrachtet war er Seths Gefangener.
 

Die Sonnenbarke näherte sich dem Horizont. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie in die Unterwelt eintauchte. Hapi eilte geschäftig durch das Lager, um die Krüge mit frischem Bier und Wasser zu füllen. Das wievielte Mal er diesen Weg ging, wusste er nicht, er hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Die Herren hatten aber auch einen Durst ... Wenn das so weiterging, waren ihre Vorräte morgen früh aufgebraucht und die nächste Wasserquelle war noch weit entfernt. Hapi stellte die drei verzierten Alabasterkrüge neben den Transportgefäßen aus Ton ab und angelte nach der Schöpfkelle. Das Wasser und der goldfarbene Gerstensaft flossen in dicken Strömen. Mit den gefüllten Krügen machte er sich auf den Rückweg; weit kam er jedoch nicht, dann musste er sie absetzen. Es war schwer, sie so auszubalancieren, dass nichts von ihrem Inhalt verschüttet wurde und im Sand versickerte.

„Hey, soll ich dir helfen?“

Jono winkte ihm zu und legte den Rest seines Brotes zur Seite.

„Aber junger Herr, Ihr könnt doch nicht –“, wehrte Hapi ab. „Es geht schon.“

„Was ist schon groß dabei? Ich langweile mich hier zu Tode“, sagte Jono und nahm ihm entschlossen zwei der Krüge ab.

Die Wachen vor dem Zelt tauschten zwar verwunderte Blicke aus, als sie ihn sahen, ließen sie jedoch kommentarlos eintreten. Die Botschafter unterhielten sich angeregt mit ihren Gastgebern – gut, das Gespräch wurde fast ausschließlich von Zidanta und Isis bestritten. Seth hörte meist schweigend zu und gab nur ab und an einen Kommentar zu ihren Ausführungen ab und Anitta und Lubarna gaben sich ganz dem Genuss des ägyptischen Bieres hin, von dem soeben Nachschub eingetroffen war.

„... denke, es ist durchaus möglich, dass wir – Ah, schenk mir auch noch etwas ein, Junge“, sagte Zidanta und hielt Jono den Becher entgegen, ohne den Blick von Isis zu wenden. „Wo war ich? Ach ja, dass wir uns bald einigen werden, was die Gebiete in Syrien belangt.“

Jono füllte den Becher und überging dabei den bösen Blick, den Seth ihm zuwarf, weil er es gewagt hatte, das Zelt zu betreten.

„Heiß ist es hier drinnen“, bemerkte Zidanta, nachdem er einen Schluck getrunken hatte. Er wandte sich nach Jono um. „Du, lauf zu meinen Dienern, lass dir von ihnen meinen Straußenfächer geben und –“

Mitten im Satz brach er ab und starrte wie gebannt auf Jono. Die anderen sahen den Fürsten fragend an.

„Das ... wie ist das möglich?“, stammelte er. „Spielen mir meine Augen nun einen Streich? Aber ... Ihr seid es.“

Anitta und Lubarna richteten ihren Blick nun ebenfalls auf den jungen Blondschopf und konnten ein Entgleisen ihrer Gesichtszüge nicht verhindern. Was sie sahen, konnte nicht wahr sein. Und doch stand er deutlich vor ihnen.

„Was habt Ihr?“, fragte Seth.

Zidanta stellte seinen Becher ab und fiel vor Jono in eine tiefe Verbeugung. Seth und Isis tauschten einen überraschten Blick, der an Intensität noch zunahm, als sich die beiden hethitischen Stadtfürsten der Reverenzbezeugung anschlossen.

„Wir hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, Euch noch zu finden“, erklärte Anitta, den Kopf gemäß dem Protokoll zu Boden gerichtet und der Höflichkeit halber, um ihre Gastgeber nicht zu kränken, auf ägyptisch.

„Hundertfach gepriesen sei Seren [1], die Euch am Leben erhalten hat“, sagte Zidanta. „Die große Sonnengöttin von Arinna hat Euch zu uns zurückgeführt, Königliche Hoheit.“
 


 

[1] Nach meinen Recherchen ist der Name der Sonnengöttin von Arinna nicht überliefert, darum habe ich mir einen Namen für sie ausgedacht.

Der falsche Prinz

Vielen Dank an meine Kommi-Schreiberinnen! Und schon folgt Kapitel 3.
 

Begleitmusik: http://de.youtube.com/watch?v=YwW2sKvxwPU&NR=1 Desert Rose – Wüstenkind Atemu
 

Kapitel 3

Der falsche Prinz
 

„Wie bitte?“, blinzelte Jono und sah den fremden Fürsten mit einem sehr verwirrten Gesichtsausdruck an. „Wie habt Ihr mich gerade genannt?“

„Ist etwas nicht in Ordnung, Euer Hoheit?“

„Genau das. Warum nennt Ihr mich ‚Hoheit’? Ich bin nicht –“

„Prinz Kail, wenn das ein Spiel ist, so muss ich Euch darauf aufmerksam machen, dass Ihr einen etwas unpassenden Zeitpunkt dafür gewählt habt“, sagte Zidanta, immer noch den Kopf gesenkt.

„Aber ich bin keine Hoheit, wenn ich es doch sage. Warum kniet Ihr denn immer noch vor mir?“

„Ihr habt uns noch nicht erlaubt, uns zu erheben.“

„Gut, gut, ich erlaube“, sagte Jono, total mit der Situation überfordert, und die drei standen auf. „Aber trotzdem –“

„Wenn ich das mal erklären darf“, schaltete sich Seth dazwischen, „wir haben den Jungen vor zwei Tagen bewusstlos in der Wüste gefunden. Er leidet unter Gedächtnisverlust, nicht einmal an seinen Namen kann er sich noch erinnern. Er trug nur diesen Dolch bei sich.“

Er winkte Hapi und ließ sich von ihm den Dolch reichen, den er Jono abgenommen hatte. Zidanta ließ sich die Waffe aushändigen, zog sie aus ihrer Scheide und prüfte genau die eingearbeiteten Muster.

„Das ist zweifellos der Dolch Seiner Hoheit. Der Eure, mein Prinz“, sagte er und reichte Jono die Waffe auf den flach mit der Innenfläche nach oben gestreckten Händen.

Vor Jonos innerem Auge tauchte wieder das Bild des toten Jungen auf, dem er die Waffe abgenommen hatte. Langsam setzten sich die Puzzleteile zusammen. Es musste sich bei ihm um den Prinzen gehandelt haben und wenn er die Männer richtig verstanden hatte, war er von ihnen getrennt worden. Und, so unglaublich ihm das auch vorkam, offenbar dachten sie jetzt, er, Jono, wäre ihr verschollener Prinz.
 

„Aber ich bin nicht ... Oder?“

Für einen Augenblick war sich Jono da selbst nicht mehr ganz sicher. Die Tage, in denen er durch die Wüste geirrt war ... Konnte es da nicht sein, dass er sich das alles nur eingebildet hatte? Dass seine Erinnerungen nichts waren als eine große Täuschung der Wüste? Sein Leben in Zawtj, seine Eltern, seine Verlobte, seine Flucht – Er fuhr mit der Hand an seine Brust, um sein immer schneller schlagendes Herz zu beruhigen. Unter dem weichen Stoff fühlte er etwas Hartes.

Das Amulett. Bei Amun, wie konnte ich zweifeln. Aber die Hethiter ... kann ich ihrem Prinzen denn so ähnlich sehen, dass sie mich mit ihm verwechseln? Und ist das nun zu meinem Glück oder zu meinem Schaden?

„Ich verstehe, dass Ihr erschöpft sein müsst“, sagte Zidanta und riss ihn damit aus seinen Gedanken. „Ganz besonders, da die Hitze Eurem Gedächtnis anscheinend etwas geschadet hat. Hoheit, ich bin Zidanta, Fürst von Neza und der Berater Eures Vaters, Großkönig Muwatalli dem Zweiten. Anitta und Lubarna, die Fürsten der Städte Kuschar und Kanesh, und ich begleiten Euch auf der Reise, auf die Euer Vater Euch entsandt hat, um mit dem Pharao zu verhandeln.“

„Ähm ... tut mir leid ... ich weiß nicht ...“

„Seth, Isis, wenn Ihr gestattet, ziehen wir uns nun zurück. Seine Hoheit benötigt Ruhe.“

„Ja ... natürlich“, antwortete Seth monoton.

Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Vor ein paar Stunden noch hatte er den Jungen als Hündchen betitelt und dann stellte sich auf einmal heraus, dass er es mit einem Prinzen des Reiches Hatti zu tun hatte. Hoffentlich war Seine Hoheit nicht nachtragend.
 

Nein, um nachtragend zu sein, fehlte ihm gerade die Zeit. Jono war vollkommen überrumpelt und ließ sich widerstandslos von Zidanta aus dem Zelt führen.

„Bitte kommt, wir bringen Euch in unseren Teil des Lagers.“

Jono sah ihn verständnislos an. Als Sohn eines ägyptischen Händlers hatte er zwar die komplizierte Hieroglyphenschrift erlernt, doch die Sprache der Hethiter war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.

„Wie bitte? Ich kenne Eure Sprache nicht.“

„Heißt das, Ihr versteht mich nicht?“, wechselte Zidanta nun zurück ins Ägyptische. Jono nickte. „Oh ihr Götter, es ist schlimmer, als ich befürchtet hatte. Ihr habt nicht nur Eure Herkunft, sondern sogar Eure Muttersprache vergessen. Wie konnte das nur geschehen?“

„Wir sollten uns für diese Diskussion einen etwas ruhigeren Ort suchen, Zidanta“, meinte Anitta. „Zu viele Zuhörer.“

„Ihr habt Recht. Hier entlang, Euer Hoheit“, sagte er zu Jono.

Anitta und Lubarna folgten ihnen, während sie in einem fort versicherten, wie glücklich sie über seine Rückkehr seien, durch das ägyptische Lager, bis sie zu dem Platz kamen, den die Hethiter für sich in Anspruch genommen hatten. Die Soldaten und Diener hatten sich um das kleine Feuer versammelt, auf dem sie ihre Mahlzeit gekocht hatten, und lauschten gebannt den Worten eines älteren Soldaten, der ihnen eine Legende über die Götter erzählte.

Mitten im Lager hielt Zidanta an und klatschte mehrmals laut in die Hände. Der Erzähler verstummte und richtete wie alle seine Aufmerksamkeit auf seinen Anführer. Jono, der hinter Zidanta stehen geblieben war, versuchte sich so klein wie möglich zu machen, um nicht entdeckt zu werden. Ihm war die Sache nicht geheuer. Anitta übersetzte leise für ihn.

„Soldaten, ich bringe gute Nachrichten zu euch. In ihrer unendlichen Weisheit führte uns Seren heute zum Lager der Ägypter, wo sich uns ein Wunsch erfüllte, auf dessen Erfüllung wir kaum noch Hoffnung hatten. Ich darf euch mit großer Freude verkünden, dass wir Seine Königliche Hoheit Prinz Kail wiedergefunden haben.“

Er trat einen Schritt zur Seite und beraubte Jono damit seines Schutzschildes.

„Es ist Prinz Kail.“

„Seine Hoheit ist zu uns zurückgekehrt!“

Aus allen Ecken wurden die Rufe laut, bis sie sich zu einem Chor verdichteten, der „Hoch, Prinz Kail!“ rief. Jonos einziger Gedanke war: Hilfe, holt mich hier raus!

Zidanta hob die Hand und es kehrte Ruhe ein.

„Seine Hoheit ist erschöpft und möchte sich ausruhen. Baut sein Zelt auf, schnell!“

Jono konnte kaum so schnell gucken, wie in die Männer Bewegung kam.

„Prinz Kail, bitte nehmt solange mit meinem Zelt vorlieb, bis die Männer ihre Arbeit abgeschlossen haben“, fuhr Zidanta fort.

Er schaffte es nur, ihm als Zustimmung zuzunicken, er wusste kaum noch, wie ihm geschah. Jono hatte das Gefühl, in einem Traum gefangen zu sein und wusste gleichzeitig, dass er hellwach war. Zidantas Zelt war im Wesentlichen ähnlich wie das von Seth eingerichtet, nur dass der Stil der Möbel anders war. Sie ließen sich auf ein paar Kissen nieder und warteten.

„Haben Euch die Ägypter irgendetwas angetan, Euer Hoheit?“, erkundigte sich Anitta und machte eine grimmige Miene, als traue er ihnen jede Schlechtigkeit zu. „Sie haben doch nicht etwa versucht, Euch zu versklaven?!

„Nein, nein, ich habe Seths Diener nur mit den Getränken geholfen, weil mir gerade langweilig war. Sie ... sie waren alle sehr freundlich zu mir“, sagte Jono.

„Wir haben uns große Vorwürfe gemacht, als wir Euch nicht fanden und weitergezogen sind“, sagte Lubarna. „Überall haben wir nach Euch gesucht. Mitten in der Nacht das Lager zu verlassen. Verzeiht, doch ich begreife nicht, was Euch zu so einer ... Dummheit veranlasst hat.“

„Ich weiß es doch selbst nicht!“, rief Jono verzweifelt. Er hatte beschlossen, sich vorläufig noch hinter seinem angeblichen Gedächtnisverlust zu verschanzen und betete stündlich, dass ihm ein Ausweg aus diesem Dilemma einfiel, das eben noch um ein gehöriges Stück gewachsen war.

„Aber dass der Gedächtnisverlust Euch Eurer Muttersprache beraubt hat – das ist eine Katastrophe. Das muss ein Fluch des Sonnengottes dieses verdammten Landes sein“, sagte Anitta.

„Ich habe es von Anfang an gesagt, aber auf mich hört ja niemand“, ereiferte sich Lubarna. „Diese Reise steht unter einem schlechten Stern. Spätestens als Seine Hoheit verschwand, hätte uns das klar werden müssen. Die Götter sind gegen einen Friedensschluss mit dem Pharao. Ich kann meinen Vorschlag nur wiederholen, den ich Seiner Majestät unterbreitet habe –“

„Und der von ihm abgeschmettert wurde“, sagte Zidanta. „Seine Majestät wünscht Frieden zwischen unseren beiden Reichen.“

Einer der Soldaten trat ein und verkündete mit einer Verbeugung, das Zelt des ehrenwerten Prinzen sei fertig gestellt.

„Gut, Seine Hoheit wünscht heute Abend nicht mehr gestört zu werden“, sagte Anitta.

Jono atmete auf und ließ sich nur zu gern von den diskutierenden Fürsten fortführen. Draußen wurde er von den jubelnden Rufen der Soldaten empfangen, die ihm unverständliche Dinge in ihrer Sprache zuriefen. Er versuchte gute Miene zum bösen Spiel zu machen und zu lächeln. Erleichtert betrat er das Zelt, zu dem der Soldat ihn gebracht hatte und sah sich um. Über seine Lippen glitt ein leises Pfeifen. Nobel reiste der Prinz ja, das musste man ihm lassen. Die Ausstattung war mindestens so erlesen wie die von Seth.

„Eure Hoheit, ich freue mich, Euch bei guter Gesundheit zu sehen.“

Jono drehte sich um und sah sich einem etwa fünfzehnjährigen Jungen gegenüber, dessen Haare die Farbe des Sandes hatten und dessen Augen in einem ungewöhnlichen Hellviolett leuchteten. Seine einfache Kleidung wies ihn als Diener aus.

„Entschuldige, ich verstehe dich nicht.“

„Hoheit sprechen Eure eigene Sprache nicht mehr?“, fragte der Junge verdutzt und Jono war froh, dieses Mal ägyptisch aus seinem Mund zu hören.

„Seine Hoheit hat sein Gedächtnis verloren“, erklärte Zidanta vom Zelteingang aus.

„Oh, wie schrecklich! Aber wie kommt es dann, dass er noch ägyptisch versteht?“

„Ich hatte gehofft, du könntest mir das erklären, Marik, schließlich warst du einer seiner Lehrer. Außerdem glaubt er nicht, dass er der Prinz ist.“

„Ein guter Witz“, lachte Marik leise. Er fing sich einen strafenden Blick ein und wandte sich Jono zu. „Wie kommen Eure Hoheit auf den Gedanken ... Aber ... Mein Herr, das ist tatsächlich nicht Seine Hoheit!“

„WAS? Wie kannst du dich erdreisten!“, rief Zidanta.

„Nein, das ist mein voller Ernst. Ich diene Prinz Kail, seit ich zehn Jahre alt bin und das ist er nicht.“

„Ich bin seit dem Tag seiner Geburt für seine Erziehung zuständig gewesen, ich werde ihn doch wohl erkennen!“

Jono ließ den Kopf hängen. Eine wundervolle halbe Stunde lang hatte er sich Prinz nennen dürfen. Das war mehr, als die meisten Menschen je erreichen konnten, auch wenn es nie mehr als eine Lüge gewesen war.

„Marik hat Recht, ich habe es Euch doch gesagt. Ich bin nicht Euer Prinz“, sagte er. „Den Dolch habe ich bei einem toten Jungen gefunden, mitten in der Wüste. Das muss Euer Prinz gewesen sein. Er hatte eine große, blutende Wunde am Kopf.“

„Seine Hoheit ist also tot?“

Zidanta ließ sich auf einen Hocker sinken und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

„Wenn das wahr ist ... das ist eine Tragödie in einem Ausmaß, das Ihr Euch nicht vorstellen könnt.“

„Kail ist ... tot?“, flüsterte Marik mit versteinerter Miene.

Er klammerte sich an eine der Haltestangen des Zeltes, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Die Farbe war aus seinen Wangen gewichen. Er konnte und wollte nicht glauben, was der Junge, der genauso aussah wie der Prinz, da eben gesagt hatte. Kail konnte doch nicht tot sein. Er durfte nicht tot sein. Warum hatte er ihn nur nicht aufgehalten, als er losgeritten war?

„Und er hatte eine Kopfwunde, sagtet Ihr?“, erkundigte sich Zidanta. „Dann muss er bei seinem Ritt vom Pferd gefallen sein. Ich habe ihn immer ermahnt, nicht so wild zu sein. Aber selbst wenn es ein Unfall war ... Er ist im Gebiet des Pharaos gestorben und somit werden Lubarna und Anitta ein weiteres Argument haben, um Seine Majestät von einem neuen Krieg zu überzeugen.“

Wenn das Seiner Majestät zu Ohren kommt, jammerte Marik. Dann sind wir alle, die wir auf ihn achten sollten, erledigt. Aber ... wenn er es nun gar nicht erfährt ... Hmm ...

Jono fiel auf einmal auf, dass Marik wie eine Raubkatze um ihn herumschlich und ihn von allen Seiten einer genauen Musterung unterzog.

„Mein Herr“, sagte er dann, „es wäre zwar äußerst verwegen, aber erlaubt Ihr mir, einen Vorschlag zu machen?“

„Sprich schon.“

„Ich wüsste vielleicht einen Ausweg. Der Junge ist Prinz Kail wie aus dem Gesicht geschnitten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, sie sind Zwillingsbrüder.“

„Ooooh ... Ich ahne, worauf du hinaus willst, Marik. Wie ist Euer Name?“

„J ... Jono.“

„Hört mir zu, Jono, ich möchte Euch einen Handel vorschlagen. Die Mission, die der Großkönig von Hatti uns aufgetragen hat, ist sehr wichtig. Ihr seht genauso aus wie unser Prinz. Würdet Ihr in seine Rolle schlüpfen und uns nach Men-nefer begleiten?“

„Ich soll den Prinzen spielen? Aber das ist Betrug!“, sagte Jono.

Zidanta zischte ungehalten.

„So seid doch leise! Wenn uns jemand hört. Ich bitte Euch, im Namen aller Götter, Eurer und unserer, Ihr erweist damit Eurem wie unserem Land einen großen Dienst. Um keinen Preis der diesseitigen Welt möchte ich, dass es erneut zu einem Krieg kommt, doch ich habe bei den Verhandlungen nicht die gleiche machtvolle Stimme, die Seiner Hoheit zusteht und Anitta und Lubarna könnten mich leicht überstimmen.“

„Wie soll ich das denn bewerkstelligen?“, fragte Jono einlenkend. „Ich habe keine Ahnung davon, wie sich ein Prinz benimmt, ich verstehe nicht einmal Eure Sprache.“

„Das sind Dinge, die sich erlernen lassen“, widersprach Zidanta. „Oder in Eurem Fall wieder erlernen lassen. Es dauert noch vier Tage, bis wir die Hauptstadt und den Palast des Pharao erreichen, das sollte genügen, um Euch in einem ... Schnellkurs die wichtigsten Dinge beizubringen. Und ich bin immer an Eurer Seite, es kann also nichts passieren.“

Jono seufzte schwer. Verzweifelte Situationen erfordern manchmal verzweifelte Maßnahmen, sagte er sich. Anscheinend haben mich die Götter doch noch nicht ganz verlassen. Eine bessere Tarnung werde ich so schnell nicht finden. Wenn Seth denkt, ich sei ein Hethiterprinz, hält ihn das mit etwas Glück von weiteren Nachforschungen ab.

„Also ... gut. Ich bin einverstanden.“

„Den Göttern sei Dank. Dann werde ich mich nun mit Eurer Erlaubnis zurückziehen, Prinz Kail. Marik, du hilfst deinem Herrn dabei, sich zurechtzufinden. Und noch etwas sehr wichtiges: Von unserer Unterhaltung darf kein einziges Wort einem anderen zu Ohren kommen. Was in diesem Zelt gesprochen und beschlossen wurde, bleibt unter uns dreien.“

„Kein Wort wird über meine Lippen kommen“, sagten Jono und Marik synchron.

„Dann wünsche ich Euch eine angenehme Nacht, Euer Hoheit“, erwiderte Zidanta und verließ das Zelt.

„Da hab ich mir was eingebrockt“, sagte Jono und ließ sich auf dem Hocker nieder, auf dem vorhin Zidanta gesessen hatte. „Was habe ich mir nur dabei gedacht?“

„Ihr tut das Richtige“, sagte Marik. „Ihr könnt einen Krieg gegen unser Land Kemet verhindern.“

„Unser ... Dann stammst du also auch aus Kemet.“

„Meine Heimat liegt in Theben. Mein Vater war Maler in den Nekropolen der Adligen, aber ... er war hoch verschuldet, glaube ich, jedenfalls wurde ich verkauft und gelangte über ein paar Umwege nach Hattusa. Seitdem bin ich der Leibdiener Seiner Hoheit. Beziehungsweise ... jetzt bin ich Eurer.“

„Und er sieht ... sah wirklich so aus wie ich?“

„Bis aufs Haar. Zu unserem Glück, möchte ich sagen.“

„Ob das so ein Glück ist, muss sich erst noch herausstellen“, nuschelte Jono.

„So“, klatschte Marik in die Hände, „nun sollten wir aber anfangen.“

„Womit?“

„Na, Euch vorzubereiten, Euer Hoheit. Wenn Ihr Prinz Kail sein wollt, müsst Ihr alles über ihn wissen. Die Männer, mit denen wir unterwegs sind, kennen ihn zum Teil, seit er ein kleines Kind ist.“

„Dann merken die doch sofort, dass ich nicht der richtige bin.“

„Nicht, wenn wir es geschickt anstellen. Und so weit ich weiß, kann es bei einem Gedächtnisverlust schon mal eine Weile dauern, bis man sich wieder an alles erinnert“, sagte er und zwinkerte Jono zu. „Also, fangen wir an. Ihr seid der vierte Sohn von Muwatalli dem Zweiten, Großkönig des hethitischen Reiches. Ihr wurdet vor sechzehn Jahren während des Winters im königlichen Palast in Hattusa geboren und Eure Mutter heißt Tariya. Sie ist eine Nebenfrau Seiner Majestät, aber soweit ich das beurteilen kann, scheint er sie sehr zu lieben. Die Herrin stammt aus dem Gebiet des Kaukasus, von ihr habt Ihr Eure hellen Haare geerbt, ebenso wie Euer Bruder Katuzili, er ist drei Jahre älter als Ihr ...“
 

Jono gähnte verhalten. Es waren Stunden vergangen und Marik war immer noch damit beschäftigt, ihn in das komplizierte Gefüge seiner neuen Familie einzuführen. Zwischendurch ließ er ihn die verschiedenen Namen wiederholen und in welchem Verhältnis er zu ihnen stand. Dabei zeigte er sich als überaus geduldiger Lehrer, sehr zu Jonos Beruhigung. In dem Tempel, in den ihn sein Vater zum Unterricht gegeben hatte, war er nicht unbedingt für seinen Fleiß bekannt gewesen. Es mangelte ihm nicht an Verstand, im Gegenteil, er ließ sich lediglich gerne von anderen Dingen ablenken und hatte es immer interessanter gefunden, mit seinen Freunden die Gegend zu erkunden und sich im Kämpfen zu üben als den Ausführungen der Priester zu lauschen. In diesem Punkt jedoch erwies sich Marik als streng. Er mochte über eine göttliche Geduld verfügen, aber er erwartete, dass man ihm zuhörte. Eine Sache, die Jono zu dieser fortgeschrittenen Stunde trotz allen Bemühens nicht leicht fiel.

„Marik, können wir bitte für heute Schluss machen? Mir schwirrt der Kopf von den ganzen Namen.“

„Hmmm ... na schön, belassen wir es für heute dabei und machen morgen früh weiter. Es ist spät geworden“, sagte er mit einem Blick aus dem Zelt. Am tintenschwarzen Himmel flackerten Tausende kleiner Sterne. „Ihr solltet schlafen gehen. Wir reiten morgens immer sehr zeitig.“

„Ja ... stimmt“, meinte Jono abwesend. „Hast du für mich etwas anderes zum Anziehen? Diese Sachen gehören dem Priester, er wird sie zurückhaben wollen.“

Marik öffnete eine Truhe und entnahm ihr einen am Saum bestickten Rock, den er auf dem aus Decken und geflochtenen Matten hergerichteten Bett ablegte. Jono machte sich daran, seinen Gürtel zu lösen.

„Was tut Ihr denn da? Es ist meine Aufgabe, Euch beim An- und Entkleiden zu helfen.“

„Ich kann das ganz gut allein“, wehrte Jono seine Hände ab, die sich an seinen Armbändern zu schaffen machen wollten.

„Nächste Lektion“, seufzte Marik. „Ein Prinz kümmert sich nicht eigenhändig um seine Garderobe, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall wie einen Überfall und es ist gerade kein Diener in der Nähe.“

Jono ließ die Hände sinken und gestattete Marik, wenn auch widerwillig, ihm aus den Kleidern zu helfen.

„Oh, ein schönes Schmuckstück“, sagte er, als er auf die Kette stieß. „Aber als Prinz Hattis solltet Ihr sie nicht tragen. Seine Hoheit besitzt keinen Schmuck dieser Art.“

„Kannst du mir dann einen Beutel besorgen, in dem ich sie aufbewahren kann? Ich möchte sie ungern aus den Augen lassen.“

„Natürlich“, kam die etwas verwunderte Antwort. Aus einer anderen Truhe fischte er einen ledernen Beutel und reichte ihn ihm.

„Danke, Marik.“

„Noch etwas: Wenn wir allein sind, freue ich mich darüber, aber wenn noch jemand anwesend ist, sagt zu mir nie ‚Bitte’ und ‚Danke’. Es ist meine Aufgabe, Euch zu dienen und die meisten hohen Herren beachten ihre Diener nicht einmal.“

„War das bei Prinz Kail auch so?“

„In der Gegenwart anderer, ja. Er hat sich so verhalten, wie es von ihm in seiner Stellung erwartet wurde. Ansonsten ... ich denke, ich kann sagen, wir waren in gewisser Weise Freunde.“

Er half Jono noch, den Rock für die Nacht anzulegen, dann nahm er die Kleider an sich und eilte aus dem Zelt, um sie zu waschen. Der frisch gebackene Prinz ließ sich auf sein Bett sinken und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Das kann ja was werden, dachte er noch, dann übermannte ihn der Schlaf.
 

Ein zu Beginn leichtes Rütteln an seiner Schulter, das nach einer Weile immer eindringlicher wurde, ließ ihn wach werden, zog ihn fort aus der Welt des Schlafes.

„Ist doch noch viel zu früh ...“, murmelte Jono, drehte sich um und schickte sich an, weiterzuschlafen.

„Mein Herr, bitte, Ihr müsst aufstehen. Das ganze Lager ist schon auf den Beinen. Prinz Kail ist ein Frühaufsteher.“

„Was hab ich denn damit zu tun?“, kam die von Kissen gedämpfte Antwort.

„Ihr seid der Prinz“, sagte Marik. „Und wenn Ihr nicht bald aufsteht, erregt das bei den Männern Verdacht.“

Entschlossen zog er ihm die Bettdecke weg. Bevor Jonos Hand nach dem Stoff greifen konnte, war dieser außer Reichweite. Marik grinste belustigt, als sich Jono am Kopf kratzte und sich etwas orientierungslos umsah.

„Was mache ich denn hier?“

„Wenn ich Eurem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen darf ... Unsere Soldaten sind trotz der feuchtfröhlichen Feier, die sie gestern veranstaltet haben, schon auf den Beinen. Es wundert mich allerdings, wie Ihr bei dem Lärm, den sie gemacht haben, überhaupt schlafen konntet. Ich habe eben Fürst Lubarna getroffen, er sah etwas ... mitgenommen aus.“

„Also, ich hab jedenfalls normalerweise keine Probleme beim Einschlafen. Nur mit dem Aufwachen.“

„Das habe ich gemerkt und genau das müssen wir schnellstens ändern. Fürst Zidanta brennt darauf, den Weg nach Men-nefer fortzusetzen. Und Ihr, Euer Hoheit, habt gleich Eure erste Stunde in Hethitisch bei mir. Vorher jedoch möchte ich Euch zu unseren gestrigen Themen abfragen.“

„Muss das sein?“

„Ja“, lautete die schlichte Antwort und schon wurde der noch immer halb schlafende Jono mit Fragen zu seiner Familie – oder eher zur Familie des Prinzen Kail – bombardiert. Während er sich bemühte, seine ganzen Schwestern und Brüder, seine Cousins und Cousinen und sonstigen Verwandten aufzuzählen und gleichzeitig sein Frühstück, das aus Brot und getrocknetem Fleisch bestand, zu essen, wusch Marik ihn und steckte ihn in eine knielange, an den Säumen mit blauem Garn bestickte Tunika, die er mit einem Gürtel befestigte. Seine Haare bändigte er nach dem Kämmen mit einem gleichfarbig bestickten Stirnband. Zu guter Letzt legte Marik ihm zwei Ketten aus Gold und Karneol um den Hals, befestigte die Goldreife an seinen Armen und steckte ihm einen ebenfalls aus Gold gefertigten Ring an den rechten Mittelfinger. Dann trat er ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk mit sichtlich zufriedener Miene.

„Wenn ich nicht genau wüsste, dass Seine Hoheit ... tot ist, würde ich sagen, er steht vor mir. Wenn wir jetzt noch etwas an Eurem Benehmen feilen, wird niemand einen Unterschied bemerken.“

Jono war sich seiner Sache längst nicht so sicher wie sein junger Diener. Vier Tage waren eine verflucht knappe Zeit, um die komplizierten Regeln des höfischen Benehmens zu erlernen, von der Sprache der Hethiter gar nicht zu reden.
 

Plötzlich veränderten sich die Geräusche im Lager. Erst Rufe, dann laute Schreie ertönten.

„Was ist denn da draußen los?“ Jono und Marik verließen das Zelt.

Das ganze Lager, sowohl der ägyptische als auch der hethitische Teil, war in Aufruhr geraten. Soldaten und Diener liefen durcheinander, mehrere Zelte waren eingestürzt. Dazwischen lagen Breischüsseln, deren Inhalt sich auf den sandigen Boden ergoss. Der Koch stieß laute Flüche aus, die Jono dank seiner Unkenntnis der Sprache nicht verstand, aber auch für seine Ohren ziemlich derb klangen. Der Ursprung dieses ganzen Chaos stellte sich gerade auf die Hinterbeine, wieherte laut und schlug mit den Hufen aus. Die Männer, die sich in einem weiten Kreis um den schwarzen Hengst geschart hatten, wichen wieder ein Stück zurück und sahen sich unschlüssig um.

„Dieser verfluchte Gaul!“ Taneres kam, die Peitsche über seinem Kopf knallend, auf die Hethiter zugelaufen.

„Was ist passiert?“, verlangte Jono zu wissen.

Taneres verbeugte sich vor ihm.

„Verzeiht, Euer Hoheit, dass wir Euch schon so früh am Morgen belästigen müssen. Meren hat sich losgerissen und ist geflohen. Und wie ich sehe, nicht ohne auch bei Euch Verwüstung zu stiften.“ Er warf dem unruhig tänzelnden Tier einen bösen Blick zu. „Er wird dafür bezahlen, das versichere ich Euch.“

„Wollt Ihr ihn etwa auspeitschen?!“ Jono sah alarmiert zwischen der Peitsche in Taneres’ Hand und Meren hin und her.

„Er ist sturer als jeder Esel und schwerer zu bändigen als jedes Raubtier. Mein Herr hätte ihn längst verkauft, doch es findet sich niemand, der ihn haben will.“

„Ich würde ihn gern nehmen“, murmelte Jono so leise, dass der Aufseher es nicht hören konnte. „Aber ich habe kein Geld.“

„Euer Hoheit, das habt Ihr“, flüsterte Marik.

„Aber ich kann doch nicht –“

„Taneres, wie lange muss ich noch warten, bis du diese wandelnde Katastrophe wieder eingefangen hast?“

Seth kam mit großen Schritten auf sie zu, die Miene zu dem für ihn üblichen, grimmigen Ausdruck verzogen.

„Muss ich meine Pferde jetzt schon selbst bändigen?“

Er nahm Taneres die Peitsche aus der Hand. Knapp vor Meren knallte sie auf den Boden. Das Pferd wich schnaubend einen Schritt zurück, ohne sich zu beruhigen. Ein weiteres Mal holte Seth aus, dieses Mal entschlossen, ihn zu treffen.

„Nicht!“

Zwei Arme schlangen sich um seinen, hielten ihn und die Peitsche fest. Seth wandte den Kopf und blickte in zwei wild funkelnde Topase.

„Lasst auf der Stelle los“, knurrte er. „Das ist mein Pferd und es ist meine Sache, wie ich ihn bestrafe.“

„Das mag stimmen, aber bitte ... Lasst mich es versuchen. Vielleicht kann ich Meren beruhigen.“

„Ausgerechnet Ihr? Ha!“

„Bitte.“

Jonos Blick wurde flehend. Auge in Auge standen sie sich gegenüber, Seth mit der Peitsche und Jono, die Arme immer noch um den des Priesters geschlungen und ihn festhaltend. Seine Augen begannen feucht zu schimmern. Seth brummte ungehalten.

„Na schön, versucht es, aber ich kann Euch schon jetzt sagen, dass Euch kein Glück beschieden sein wird.“

„Und wenn ich es doch schaffe?“

„Dann gehört Meren Euch. Ich kann mit einem solch bockigen Tier nichts anfangen. Er würde meine ganze Zucht verderben.“

„Abgemacht“, sagte Jono und ließ ihn los.

Er näherte sich dem Tier langsam, die Hände erhoben.

„Ruhig, ganz ruhig, Junge. Ich tu dir nichts. Pssst ... Oh!“ Jono zuckte zurück, als Meren ihn zu treffen versuchte.

Er suchte den Blick des Pferdes und sprach weiter beruhigend auf ihn ein. Seth verfolgte das Geschehen mit verschränkten Armen, den Blick skeptisch auf die beiden gerichtet. Außen war nichts zu sehen, doch in seinem Inneren wich die anfängliche Skepsis bald dem Erstauen, als Meren Jono Stück für Stück an sich herankommen ließ, bis es ihm gelang, die Zügel zu ergreifen. Jono strich ihm beruhigend über Hals und Flanke.

„Was hat dich denn so aufgeschreckt, hmm?“

Er musterte Meren genau, bis er an seinem linken Hinterbein hängen blieb, mit dem das Pferd unaufhörlich scharrte. Wieder musste Jono Geduld aufbringen, bis Meren ihm erlaubte, sein Bein anzuheben und seinen Huf zu betrachten.

„Kann mir mal jemand eine Zange besorgen?“

Kurz darauf war der Übeltäter entfernt, der sich als spitzer Knochen herausstellte.

„Na endlich“, sagte Seth. „Taneres, mach Meren für die Weiterreise fertig. Er hat uns schon genug Zeit gekostet.“

„Ähm, habt Ihr da nicht eine Kleinigkeit vergessen?“, fragte Jono lächelnd, bestärkt durch seinen Erfolg. „Ihr hattet versprochen, ihn mir zu überlassen, wenn ich ihn beruhige. Und das habe ich.“

Taneres nahm sich vor, seinem Herrn für den Rest des Tages so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Er sah alles andere als erfreut darüber aus, wegen eines Knochensplitters eines seiner besten Pferde, auch wenn es das mit Abstand störrischste war, an einen dahergelaufenen hethitischen Prinzen zu verlieren.

Jono hingegen wirkte voll mit sich zufrieden und streichelte Meren noch, als sich Seth schon wieder in seinen Teil des Lagers verzogen hatte, nicht ohne ihm einen letzten eisigen Blick zuzuwerfen.

„Dieser Priester scheint Euch zu mögen, mein Herr“, meinte Marik.

„Er? Von wegen, wir können uns nicht ausstehen.“

„Und warum hat er Euch dann das Pferd gegeben?“

„So war es abgemacht, daran musste er sich halten. Ein Priester darf doch nicht wortbrüchig werden.“

„Wie dem auch sei, Euer Pferd benötigt einen neuen Namen, einen hethitischen. Wie wollt Ihr ihn nennen?“

„Mach du mir einen Vorschlag.“

„Hmmm ... Mîtšakui“, sagte Marik nach einer Weile.

„Was heißt das?“

„Es bedeutet Rotauge. Ich finde, in seinen Augen ist ein gewisses Feuer.“
 

Die Stunden zogen sich endlos dahin, wie der Sand der Wüste und doch war es für Jono gänzlich anders als gestern. Da hatte er auf Merens Rücken, Seths Pferd, gesessen und sich gelangweilt. Jetzt saß er auf Rotauge, der ihm gehörte, und von Langeweile konnte sich keine Spur finden lassen. Ob dies allerdings zum Guten oder zum Schlechten war, wusste er nicht zu sagen. Marik nannten ihm ständig neue Worte und kurze Sätze, die er lernen musste, dazwischen kam die eine oder andere Lektion in gutem Benehmen. Wenn Marik eine Pause machte, kam sofort Zidanta an seine Seite geritten, um ihn in die höfische Konversation, das staatliche System und die Politik von Hatti einzuführen. Jono überlegte schon, ob es nicht doch angenehmer gewesen wäre, sein Herz von dem Ungeheuer in der Unterwelt fressen zu lassen, als Zidanta und Seth kurz nacheinander den Befehl zum Anhalten gaben und das Lager aufschlagen ließen. Jono ließ sich mit einem erleichterten Seufzen von Rotauges Rücken gleiten.

Er hatte es sich gerade in seinem frisch aufgebauten Zelt auf einem Hocker bequem gemacht und die Sandalen von den Füßen gestreift, als Zidanta eintrat und sich vor ihm verbeugte.

„Euer Hoheit, ich habe, Eure Erlaubnis vorausgesetzt, den ehrenwerten Priester Seth und die große Priesterin Isis für heute zum Abendessen eingeladen.“

„Muss das sein?“, brummte Jono, der wenig Lust verspürte, den immer noch grummeligen Priester unterhalten zu müssen.

„Das Gesetz der Höflichkeit verlangt eine rasche Gegeneinladung, Prinz Kail“, sagte Marik. „Die Herrschaften könnten sich sonst beleidigt fühlen.“

Jono verabschiedete sich mit einem leisen Seufzen von dem Gedanken, wenigstens den Abend in Ruhe verbringen zu können, und ließ sich von Marik für das Essen herrichten.

Men-nefer

Begleitmusik: http://de.youtube.com/watch?v=VByD7EiW2ms Yugioh Egypt AMV – Spirited Away
 

Kapitel 4

Men-nefer
 

Jono lehnte sich tiefer in die Kissen zurück, auf denen er saß, und versuchte sein Gähnen zu unterdrücken. Das Abendessen selbst war lange vorüber und hatte seinen Magen mehr als gefüllt. Zidanta, für die Organisation des Ganzen zuständig, hatte sich nicht lumpen lassen. Er hatte von den Dienern auffahren lassen, was die Vorräte zu bieten hatten, ohne jedoch aus den Augen zu verlieren, dass ihnen noch mehrere Marschtage bevorstanden. Mit den Gesprächen verhielt es sich ähnlich wie am Vortag. Zidanta und Isis führten eine lebhafte Diskussion, heute um die verschiedenen Götterkulte, in die sich Lubarna und Anitta nur gelegentlich einmischten. Mehr als einmal hatten sie versucht, auch Seth mehr mit einzubeziehen, doch dieser machte ihnen mit wenigen abweisend-kalten Blicken klar, dass er keinerlei Unterhaltung wünschte. Jono bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, dass er immer noch schmollte.

Im Lauf des Abends wich diese Genugtuung leider immer mehr der Erkenntnis, dass Seth ihm den Verlust seines Pferdes mehr als übel nahm und noch viel mehr all das, was damit in Zusammenhang stand. Erst nach und nach wurde Jono die ganze Tragweite seiner Bitte bewusst, ihn an das scheuende Pferd heranzulassen und es ihm im Falle des Erfolgs zu überlassen. Seths Männer waren nicht in der Lage gewesen, Rotauge zu beruhigen und herauszufinden, was ihn so wild machte – und das vor Mitgliedern der hethitischen Armee. Und dann kam er, nun selbst für einen Hethiter gehalten, und vollbrachte, was selbst Tanefer nicht gelungen war. Besser hätte man den Gästen aus dem Norden kaum die Unfähigkeit (auch wenn es sich in diesem Fall nur um einen dummen Unfall handelte) des ägyptischen Militärs vor Augen führen können. So würden sie es jedenfalls sehen. Der Vorfall würde Lubarna und Anitta nur in ihrer Annahme bestärken, dass Kemet zu schwach war, um sich noch lange der Hethiter zu erwehren. So würde es bald auf einen neuen Krieg hinauslaufen. Dabei hatte Zidanta ihn damit beauftragt, ihm zu helfen, einen Friedensvertrag auszuhandeln. Wie sollte das gehen, wenn ausgerechnet ein so ein-flussreicher Hohepriester wie Seth seinetwegen tödlich beleidigt war?

Während Jono darüber grübelte, wie er die Wogen möglichst schnell und elegant glätten konnte, merkte er nicht, mit was für einer Geschwindigkeit er seinen Becher leerte. Bier und Wein flossen, von ihm unbeachtet, beständig seine Kehle hinab und ließen seinen Kopf mit der Zeit immer leichter, die Probleme immer kleiner werden.

„Ihr solltet nicht so viel trinken, Euer Hoheit“, sagte Marik leise zu ihm, als er eine Schale mit Dattelkernen abräumte.

„W-wie hast du ... m-mich gerade genannt?“, lallte Jono. „Hi hi ... ich un Prinz ... das is ’n guter Witz. Ich bin doch nur –“

„Hoheit scheinen dem Bier heute etwas zu ausgiebig zugesprochen zu haben“, unterbrach ihn Zidanta.

„Wer, ich? Nööö ...“

Jono erhob sich schwankend und deutete mit dem Zeigefinger auf Seth.

„Jetz will ich Euch mal was sagen ...“

Ein grimmiger Blick traf ihn, während Marik ihn, auf Zidantas Zeichen hin, zu packen versuchte. Jono, nicht mehr ganz Herr seiner Gliedmaßen, beugte sich zu Seth und tippte gegen seine Brust.

„Ihr habt ... süße blaue Augen.“

Seth zog die Augenbrauen hoch, zugegebenermaßen etwas perplex über diese Aussage. Er hatte mit einem Schwall von Beleidigungen gerechnet, aber das ... Dann begann Jono zu kichern, albern und hoch wie ein kleines Mädchen. Seths Miene verfinsterte sich noch mehr. Die drei hethitischen Fürsten verfielen nun in einen Wirbel aus Entschuldigungen, Marik ergriff die Gelegenheit und zog Jono aus dem Zelt, bevor er weitere Dinge von sich geben konnte, die er später bereute. Ein dicker Schwall kalten Wassers brachte wieder etwas Klarheit in Jonos von Alkohol vernebelten Kopf.

„Puh, ist das nass. Was soll das, Marik?“

„Ihr wart knapp davor, Euch und damit unseren Auftrag zu verraten. So eine Unvernunft, Euch zu betrinken, wo so viel auf dem Spiel steht.“

„Betrunken? Ist mir gar nicht aufgefallen“, meinte Jono.

„Das habe ich gemerkt“, brummte Marik.

Der junge Diener führte ihn über Umwege von den Wasservorräten zu seinem Zelt, um die Wachen nicht auf sie aufmerksam zu machen. Erst als sich die Zeltplane hinter ihnen geschlossen hatte, sagte er wieder etwas.

„Man hätte fast meinen können, Prinz Kails Geist sei in Euch gefahren.“

„Wieso das?“

Jono gähnte und fuhr sich durchs Haar. Hatte der Alkohol seine Müdigkeit unterdrückt, kam sie jetzt in doppelter und dreifacher Stärke zurück.

„Er trank gern mal mehr, als gut für ihn war und genoss die schönen Dinge des Lebens. Es hätte nur noch gefehlt, dass Ihr zu singen anfangt. Und genau das hätte uns womöglich wieder verraten.“

Jonos Gesicht war ein einziges Bild von Unverständnis.

„Kennt Ihr etwa hethitische Trinklieder?“, half ihm sein Diener auf die Sprünge.

„Oh ... nein.“

Jono ließ sich auf seinem Bett nieder und streckte sich aus. Er konnte kaum noch die Augen offen halten.

„Da hätte ich nicht dran gedacht“, murmelte er noch, dann rollte er sich wie ein Tier auf seinem Lager zusammen und war gleich darauf eingeschlafen. Marik schüttelte grinsend den Kopf.

„Wie Kail“, flüsterte er.

Das unbekümmerte, sorglose Verhalten, seine vielen Ausschweifungen waren es gewesen, die seinen Vater dazu veranlasst hatten, ihn mit auf die Reise nach Kemet zu schicken. Der König hoffte, dass diese Zeit seinen Sohn ein ernsthafteres Verhalten lehrte. Seth ahnte natürlich nichts von diesem Wunsch und fragte sich eher, wie man diesen verwöhnten Bengel auf solch eine wichtige Mission schicken konnte.
 

Die verbleibenden Tage ihrer Reise wurden für Jono in mehrfacher Hinsicht zu einer Odyssee. Die Nachwirkungen seines kleinen Ein-Mann-Gelages spürte er noch bis zum Nachmittag und der Aufenthalt auf einem schaukelnden Pferderücken begünstigte seinen Zustand nicht unbedingt. Weder Marik noch Zidanta nahmen darauf Rücksicht und fuhren in ihren Unterweisungen unbeirrt fort. Die beiden nahmen ihren Schützling dermaßen in Anspruch, dass Jono sogar begann, von den Vokabeln zu träumen, die Marik ihm vorbetete.

Am Morgen des dritten Tages, nachdem aus Jono dem Ägypter Kail der Hethiterprinz geworden war, ließen sie die Wüste hinter sich und erreichten das fruchtbare Gebiet des Nil. Jono kam es wie ein Wunder vor, nach all den Tagen in der staubigen Wüstenhitze plötzlich Grün zu sehen, so weit das Auge reichte. In einem kleinen Dorf wurden ein letztes Mal die Nahrungs- und Wasservorräte aufgefüllt, dann ging es auf den letzten Abschnitt ihrer Reise.

Zwei Tage später kamen die Mauern der Stadt Men-nefer in Sicht und ließen die Soldaten, gleich welchem der beiden Völker sie angehörten, vor Freude jubeln. Seth schickte einen Reiter voraus, um ihre Ankunft anzukündigen.

Men-nefer war die Hauptstadt des Reiches Kemet, Residenzstadt des mächtigen Pharao. Im Osten, woher sie kamen, erhob sich an den Ufern des Nil der Haupthafen Peru-nefer, auf der anderen Seite des großen Flusses befanden sich die Nekropolen, die Totenstädte. Süden und Norden wurden von zwei imposanten Tempeln beherrscht, die den Göttinnen Hathor und Neith geweiht waren. Das Zentrum der Stadt wurde vom königlichen Palast dominiert, an welchen sich eine Militärgarnison anschloss.

Unweit der Stadtgrenze ließen Seth und Zidanta halten und ein paar Zelte aufschlagen. Diener wurden losgeschickt, um frisches Nilwasser zu besorgen.

„Was soll das denn werden?“, beschwerte sich Jono leise bei Marik. „Wir sind doch fast da!“

„Ja, aber wollt Ihr so, wie Ihr seid, in die Stadt des großen Pharao einreiten?“, gab Marik zurück und musterte Jono von oben bis unten.

Wieder einmal musste Jono Marik Recht geben. Es war ihnen anzusehen, dass sie seit der Morgenwäsche noch einige Wegstunden hinter sich gebracht hatten. Während sich Soldaten und Diener wie üblich draußen wuschen, zogen sich die Herrschaften in ihre Zelte zurück, um sich zurechtzumachen. Als Jono herauskam, trug er über seinem weiten, hellen Umhang mehrere aus Gold und Edelsteinen gefertigte Ketten. Erst dachte er, Marik habe übertrieben, ihn so herauszuputzen. Ein Blick durch das Lager belehrte ihn eines Besseren. Lubarna, Anitta und Zidanta waren alle drei ähnlich gekleidet und die Ägypter hatten ebenfalls keinen Grund, sich hinter ihnen zu verstecken.

Der Zug formierte sich neu und mischte sich dabei. Die ägyptischen Soldaten bildeten Vor- und Nachhut, Seth, Jono, Isis, Zidanta, Anitta, Lubarna und Taneres setzten sich direkt hinter den ersten Männern an die Spitze. Dieses Mal ließ sich Isis nicht davon abbringen, auf einem Pferd zu sitzen und die ihrer Meinung nach unbequeme Sänfte ihren Dienerinnen zu überlassen. Die Dienerschaft der beiden Gruppen und das zahlreiche Gepäck bekamen den Mittelteil des Zuges zugewiesen.

Jono hatte in seinem bisherigen Leben nie die Gelegenheit gehabt, nach Men-nefer zu kommen, auch wenn sein Vater mindestens einmal im Jahr in die Hauptstadt reiste. Jono hatte kaum die Stadttore passiert, da war er sich bereits sicher, dass er dieses erste Mal niemals vergessen würde, denn so, wie er sie sah, hatte sein Vater die Stadt gewiss nie erblickt. Der Anblick, der sich ihm bot, war für ihn schier überwältigend. An den Rändern der langen Hauptstraße, an deren Ende in einiger Entfernung der Palast lag, drängelten sich die Menschen, um einen Blick auf die Ankömmlinge zu erhaschen. Zidantas Miene war angespannt, als er sein Pferd neben Seth über die Straße lenkte. Er wusste nicht, wie die Leute auf ihn und seine Männer reagieren würden, schließlich hatten sie der Bevölkerung Kemets in den vergangenen Jahren manches Mal arg zugesetzt. Seine Befürchtungen schmolzen dahin, als sich Jubelrufe erhoben. Zunächst galten sie nur Seth und Isis, doch dann mischten sich auch Willkommensrufe für die Hethiter hinein, die verrieten, dass sich die Menschen von ihnen eine friedliche Lösung des Konfliktes erhofften. Blumen wurden geworfen, von irgendwo fing Jono eine Lotosblüte auf und winkte damit fröhlich der Menge entgegen. Er genoss den langsamen, festlichen Einzug in die Stadt unter den Klängen von Trommeln und anderen Instrumenten, denn er war sich sicher, dass dies das erste und letzte Mal sein würde, dass ihm ein solcher Empfang bereitet wurde.

„Pah, jämmerlich“, ließ sich Lubarna leise an Jonos linker Seite vernehmen. „In Hattusa hätten sie uns einen besseren Empfang bereitet. Und das werden sie ... wenn wir von unserer nächsten Schlacht gegen die Ägypter heimkehren.“

Jono schluckte und fragte sich, warum der König jemanden mit einer Friedensmission beauftragte, der so offensichtlich den Krieg wollte. Im nächsten Augenblick wurden seine Gedanken vom Palast abgelenkt, dem sie sich nun näherten. Er konnte die von einer weißen Mauer umschlossene Anlage nur gigantisch nennen.

„Euer Hoheit, starrt den Palast des Pharao nicht so überrascht an“, raunte Zidanta ihm zu. „Er ist auch nicht viel größer als der Palast Eures Vaters.“

Jono bemühte sich daraufhin, eine etwas gleichgültigere Miene aufzusetzen, als sei er an den Pomp und diese Größenordnungen seit Kindesbeinen gewöhnt. Dennoch war er von der Pracht überwältigt, die sich vor ihm auftat.

In einem der Vorhöfe stiegen sie von den Pferden. Die Diener beeilten sich, das Gepäck von den Rücken der Tiere zu nehmen, damit sie in die Ställe geführt werden konnten.

Seth übernahm die Führung des Zuges. Es ging durch mehrere Vorhöfe und über eine Allee von Sphinx-Statuen. Über eine große Treppe betraten sie schließlich den Hauptbereich des Palastes. Vor dem Thronsaal wurden sie gebeten zu warten. Minuten vergingen, ohne dass etwas geschah. Die Gäste wurden allmählich unruhig und ihre Diener hatten damit zu tun, die Tiere ruhig zu halten, die dem Pharao als Geschenk übergeben werden sollten. Anitta wollte sich gerade bei Seth und Isis über das ungebührliche Verhalten ihres Herrschers beschweren, als sich die mit Gold beschlagenen hohen Flügeltüren vor ihnen öffneten.

„Der große Priester Seth und die große Priesterin Isis, zurückgekehrt von ihrer Reise nach Hut-waret! Seine Königliche Hoheit Prinz Kail aus dem fernen Reich Hatti mit den Fürsten Zidanta, Anitta und Lubarna und ihrem Gefolge!“

Es fiel Jono nicht leicht, weiterhin eine unbeteiligte Miene zu machen, als er den Blick durch den Thronsaal schweifen ließ. Seine Ausmaße waren riesig, er schätzte, dass ihr ganzes Haus in Zawtj hier hineingepasst hätte. Hohe, von Hieroglyphen und bunten Malereien überzogene Säulen stützten die Decke und eine Galerie ab, die sich auf den beiden Längsseiten des Saales befand und mit Soldaten besetzt war. Die späte Nachmittagssonne, die durch die großzügig bemessenen, nur von zarten Vorhängen verhüllten Fenster fiel, ließ die Farben des Raumes noch mehr strahlen und tauchte alles in einen goldenen Schimmer.

An den Seiten drängten sich die Höflinge und warfen neugierige, teils etwas ängstliche Blicke auf die Besucher, die sich langsam dem Thron am anderen Ende des Saales näherten. Dieser stand ein Stück erhöht, auf einer Estrade mit drei Stufen, zu deren Seiten je zwei Männer Aufstellung genommen hatten. Der eine Mann links vom Pharao trug sein dunkles Haar kurz geschnitten und hatte einen strengen Gesichtsausdruck. Er hielt eine goldene Waage in der Hand. Der Mann hinter ihm hatte seinen Schädel glatt rasiert und auch die in Schwarz aufgetragenen heiligen Zeichen sowie das goldene Ankh um seinen Hals wiesen ihn klar als Priester aus. Sein Gegenüber trug ein von einem goldenen Reif gehaltenes Tuch auf dem Kopf. Um seinen Hals baumelte ein großer Ring, in dessen Zentrum sich eine Pyramide befand. Der letzte der vier war weitaus älter als die anderen. Jono zuckte unwillkürlich zusammen, als ihn das goldene Auge streifte, das er anstatt des linken Auges trug.

Den jungen (falschen) Prinzen schüttelte es innerlich. Auch ohne sie je zu Gesicht bekommen zu haben, wusste er, dass dort vorne die anderen Hüter der Millenniumsgegenstände standen. Wie eine Schutzmauer umringten sie den jungen Pharao, der seine Besucher interessiert musterte. Zu seiner Rechten stand ein kleiner, ebenfalls älterer Mann, dessen Haare unter seinem hohen violetten Hut ergraut waren.

Als Jonos Blick richtig auf den Herrscher Kemets fiel, musste er sich das Grinsen verkneifen. Er hatte immer gedacht, er habe mit seinem Blondschopf eine ungewöhnliche Haarfarbe, doch das war nichts gegen die Haartracht seines Gastgebers. Golden wie die Mittagssonne, rot wie die Karneole seines Halskragens und schwarz wie die Tusche der Schreiber. Um seinen Hals hing der siebte Millenniumsgegenstand, das Puzzle.

Wenigstens haben wir eins gemeinsam, dachte Jono, als er den Herrn von Ober- und Unterkemet betrachtete. Wir sind beide noch nicht lange im Amt.

Der Pharao war erst vor knapp zwei Monaten in einer ganztätigen, großen Zeremonie gekrönt worden, nachdem sein Vater Akunamkanon in einer siebzigtätigen Prozedur mumifiziert worden und seine Seele zu den Göttern aufgestiegen war. Momentan war Pharao Atemu noch wie ein unbeschriebenes Stück Papyrus. Ein Papyrus, der darauf wartete, seine Heldentaten aufzuzeichnen und ihm einen Platz in der Geschichte zu sichern. Denn nur jene, die Großes vollbrachten, würden nicht in Vergessenheit geraten und vom Sand der Zeit verschlungen werden.

Einige Meter vor den Priestern kam der Zug zum Stillstand. Seth und Isis verbeugten sich vor ihrem Herrn. Auch die Hethiter verneigten sich, jedoch lange nicht so tief wie ihre Diener, die mit ihren Nasen-spitzen fast den Fußboden berührten. Jono musste den Impuls unterdrücken, es ihnen nachzutun, denn unter gewöhnlichen Umständen wäre seine Reverenz vor dem Pharao ebenso tief ausgefallen.

„Mein Pharao, wir sind aus Hut-waret zurückgekehrt“, sagte Seth.

„Ich freue mich, euch beide wiederzusehen.“

Atemu bedeutete den beiden aufzustehen und ihre Plätze bei den anderen Hütern einzunehmen.

„Prinz Kail, es freut mich sehr, auch Euch und Eure Begleiter in meinem Palast begrüßen zu können“, fuhr Atemu fort und machte eine kurze Handbewegung, dass sie sich erheben durften. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Reise.“

„Die hatten wir in der Tat, großer Pharao“, antwortete Jono ganz so, wie Zidanta es ihm beigebracht hatte. „Mein Vater, Großkönig Muwatalli der Zweite, entbietet Euch seine Grüße und die besten Wünsche zu Eurer Thronbesteigung. Er sendet Euch diese Geschenke als Zeichen seiner Freundschaft und seines Wunsches nach einem baldigen Frieden zwischen unseren beiden Reichen.“

Lubarna winkte die Diener heran, die nacheinander vortraten und mit einer tiefen Verbeugung vor dem Pharao die Geschenke, Gold und Silber, Schmuck, Vasen und Krüge, wertvolle Öle und anderes ausbreiteten. Zidantas Nerven beruhigten sich etwas. Es war gar nicht leicht gewesen, Jono diese Worte so einzubläuen, dass sie ihm flüssig von den Lippen kamen, als hätte er nie anders gesprochen. Die vornehme Sprache des Hofes hatte ihre hundert und tausend kleinen Feinheiten, die es zu beachten galt.

„Diesen Wunsch teile ich, wie mein Vater, aus tiefstem Herzen, Prinz Kail und ich danke Euch und Eurem Vater für die Geschenke. Ich nehme an, die lange Reise hat Euch ermüdet. Meine Diener werden Euch und Eure Begleiter zu Euren Gemächern bringen, wo Ihr Euch ein wenig ausruhen könnt.“

Die ausländischen Gäste verbeugten sich ein weiteres Mal und zogen sich, den Blick halb zum Pharao, halb zum Boden gerichtet, rückwärts gehend zurück. Erst als sie den Saal zur Hälfte durchquert hatten, drehten sie sich um. Zidanta nickte Jono mit einem leichten Lächeln auf den Lippen anerkennend zu.

„Gut gemacht, Euer Hoheit“, murmelte er so, dass nur Jono es hören konnte.

„Königliche Hoheit“, ein Mann mit einer aus schwarzem Haar geflochtenen Perücke verbeugte sich vor Jono. „Ich bin der Oberaufseher der Diener des Göttlichen, Sennefer. Bitte folgt mir, ich werde Euch in Eure Quartiere bringen.“

Jono kam es vor, als führe Sennefer sie einmal quer durch den ganzen Palast. Er zählte nicht die Türen, an denen sie vorüber kamen oder die Flure, durch die sie gingen. Was ihm jedoch auffiel, waren die vielen Wachen, die an nahezu jeder Ecke postiert waren oder, die Krummsäbel immer griffbereit, durch die Gänge patrouillierten. Anscheinend war Seine Majestät nicht nur gastfreundlich, sondern den Gästen gegenüber auch vorsichtig.

Scheinbar nach einer Ewigkeit erreichten sie endlich den Gästetrakt, wo sie sich vorläufig von Anitta, Lubarna und Zidanta verabschiedeten. Vor einer Flügeltür, an deren Seiten steinerne Löwen Wache hielten und die mit goldenen Sternen und Hieroglyphen bemalt war, blieb Sennefer stehen und öffnete.

„Seine Majestät hat angeordnet, Euch in den schönsten Räumen des Gästetraktes unterzubringen, Euer Hoheit.“

Dieses Mal konnte Jono seine Bewunderung beim besten Willen nicht mehr verstecken, als er eintrat. Sein Mund klappte auf, die Augen wurden groß. Er hatte mit einigem gerechnet, aber das ... Das Haus, das Jonos Vater vor einigen Jahren hatte bauen lassen, weil ihm das alte für seine Position zu schäbig vorgekommen war, besaß eine edle Ausstattung und wäre sogar eines adligen Herrn würdig gewesen, doch mit dem Palast konnte es sich nicht messen, bei weitem nicht. Jede Ecke, ja jeder Stein strahlte aus, dass dies das Zuhause einer göttlichen Majestät war. Der bloße Gedanke, einmal auch nur die gleiche Luft wie der Herr der beiden Länder zu atmen, hätte Jonos Träume früher weit überstiegen. Und nun war es ihm sogar vergönnt, für einige Zeit unter seinem Dach zu wohnen. Schade, dass er nie nach Zawtj zurückkehren und seinen Freunden davon berichten konnte. Sie wären vor Neid erblasst.

Die Mauern waren als Grundierung weiß getüncht und mit Szenen aus der ägyptischen Mythologie und dem Alltag des Landes Kemet bemalt. Nicht weniger Sorgfalt hatten die Künstler und Steinmetze bei der Bearbeitung der Säulen aufgewandt.

„Seid Ihr mit Euren Gemächern zufrieden, Königliche Hoheit?“, erkundigte sich Sennefer, als Jono nichts sagte.

„Wie ... Oh ja, sehr zufrieden.“

„Solltet Ihr irgendeinen Wunsch haben, so zögert bitte nicht, ihn auszusprechen, ich werde mich sofort darum kümmern.“

Damit ließ Sennefer ihn allein und schloss die Tür hinter sich. Jono ließ sich auf einen Stuhl fallen.

„Das nenne ich mal ein Zimmer.“

„Mein Herr.“ Marik verbeugte sich zum Gruß. „Während Ihr darauf gewartet habt, vom Pharao empfangen zu werden, habe ich mir erlaubt, Euer Gepäck in Eure Gemächer bringen zu lassen und die Zimmer für Euch einzurichten.“

„Gut. Ähm ... die Zimmer? Ich dachte, das hier –“

Marik lachte leise.

„Ihr seid ein guter Schüler, aber in manchen Dingen doch etwas naiv, wenn ich das so sagen darf. Ein einzelnes Zimmer, das mag für die Kinder reicherer Bürger angehen, aber nicht für einen Prinzen. Im Palast in Hattusa nennt Ihr acht Zimmer Euer Eigen. Kommt, ich führe Euch herum.“

Die Räume, die Sennefer Jono zugewiesen hatte, waren mehr als großzügig bemessen. Dem Wohn- sowie dem Schlafzimmer war jeweils ein Vorraum vorgelagert, in dem Besucher warten konnten. Marik hatte ein Zimmer für sich, um seinem Herrn jederzeit zur Verfügung stehen zu können. Ein großes Bad und ein Ankleidezimmer komplettierten die Gemächer. Bei den kostbaren Möbeln, die in den Räumen standen, schienen sich die besten Handwerker Kemets die Klinke in die Hand gegeben zu haben. Die Gemächer waren nach Südwesten ausgerichtet und die Fenster boten, ebenso wie der große Balkon, einen atemberaubenden Blick auf den Nil und seine Ufer.

Jono gestattete sich nur einen kurzen Blick hinaus, denn etwas anderes fesselte viel mehr seine Aufmerksamkeit, das den Mittelpunkt seines Schlafzimmers bildete. Gestützt auf Löwenpranken, stand auf einem Podest ein breites, mit frischem Leinen bezogenes Bett. Fußseite und Pfosten waren aufwändig mit Abbildungen der Göttinnen Isis und Neith verziert.

Ein Grinsen glitt über Jonos Gesicht und bevor Marik auch nur irgendetwas sagen oder tun konnte, hatte sich sein Herr schon mit Anlauf und vollem Schwung auf das Bett fallen lassen.

„Aber Euer Hoheit!“

„Was ist denn?“, fragte Jono und sah aus den zerwühlten Laken auf.

„Benehmt Euch bitte“, sagte Marik und hob ein heruntergefallenes Kissen auf.

„Och ... darf ich denn keinen Spaß haben?“

„Doch, schon, aber –“

„Dann hast du sicher nichts gegen eine kleine Kissenschlacht!“, rief Jono, packte das erstbeste Kissen und schleuderte es Marik entgegen.

„Hey, das ...“ Marik wehrte ein zweites Kissen ab. „Na wartet!“

Die Luft füllte sich mit vielen kleinen Federn.

Prinz werden ist nicht schwer, Prinz sein dagegen sehr

Und schon geht es weiter.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=MpmGJDagzLk&feature=related Nefertari’s Dream
 

Kapitel 5

Prinz werden ist nicht schwer, Prinz sein dagegen sehr
 

Jono und Marik fielen mit glühenden Wangen in die Laken und sahen zu, wie die weißen Federn langsam zu Boden schwebten.

„Na, ist doch gar nicht so schlecht, ab und zu einfach nur mal Spaß zu haben“, sagte Jono.

„Ja, Euer Hoheit, aber ich rate Euch trotzdem, nicht an jedem Tag Eures Hierseins eine Kissenschlacht zu veranstalten. Der Göttliche wird nicht erfreut sein, wenn er ständig die Kissen ersetzen lassen muss.“

„Gut, dann mache ich das nur an jedem zweiten Tag“, grinste Jono, um auf Mariks entsetzten Blick hinzuzufügen: „War doch nur ein Scherz.“

Der Sklave schüttelte den Kopf und seufzte tief.

„Da hab ich mir was eingebrockt. Warum kann ich nur nie meinen Mund halten, wenn mir eine Idee kommt ... Nun gut, es wird Zeit“, sagte Marik und stand auf.

„Zeit? Zeit wofür?“

„Bei Ra, der Pharao gibt heute Euch zu Ehren ein großes Festmahl, aus Anlass Eurer Ankunft. Wir müssen Euch vorbereiten.“

Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer, um nach den Dienern zu rufen und von ihnen das Bad vorbereiten zu lassen. Solange sie sich im Palast aufhielten, musste sich Marik nicht um die niederen Aufgaben kümmern, die er auf Reisen für seinen Herrn erledigte. Hier wie in Hattusa stand ihm ein ganzes Heer einfacher Sklaven zur Verfügung, um Wasser zu holen oder einfache Botengänge zu besorgen. Da durfte sogar er sich, obwohl ein Sklave, zu einem gewissen Grad wie ein Herr fühlen. Jono erhob sich langsam von dem zerwühlten Lager.

„Hmm ... vielleicht hab ich es ein bisschen übertrieben“, murmelte er und besah sich das Chaos, das er mit Mariks Unterstützung angerichtet hatte. Von den vielen Kissen, die zu Anfang ihrer Schlacht auf dem Bett verteilt gewesen waren, hatte kaum eines ihren Verlauf heil überstanden. Die meisten hatten deutlich an Fülle verloren und ihr Inhalt verteilte sich als weiße, flaumige Schicht über die Laken und den Boden.

„Was möchtet Ihr heute Abend tragen, Herr?“

Jono drehte sich um; Marik war zurückgekehrt und eilte bereits wieder geschäftig durch den Raum, öffnete Truhen und holte Gewänder heraus, um die meisten mit einem kurzen Kopfschütteln zurückzulegen.

„Nein ... nein, das auch nicht ...“, nuschelte er vor sich hin.

„Na ja ... Ich weiß nicht ... Was steht denn zur Auswahl?“

„Also, da hätten wir ein kurzes blaues Gewand ... und das braune hier und das ... hmmm ...“

Marik legte verschiedene Kleider auf das Bett. Jono trat neben ihn und warf einen unentschlossenen Blick auf die Vorauswahl, die er getroffen hatte.

„Argh, wie soll man sich so entscheiden ... Was hat denn Prinz Kail bei solchen Gelegenheiten getr –“

Marik hielt Jono rasch mit der Hand den Mund zu und blickte sich nach den Dienern um, die mit großen Gefäßen in das nebenan liegende Badezimmer liefen, um das Becken mit Wasser zu füllen.

„Seid Ihr des Wahnsinns?“, wisperte er. „Ihr seid Prinz Kail. Ihr dürft nicht von Euch sprechen, als wärt Ihr tot!“

Jono nickte, die Augen weit aufgerissen, und begann wild mit den Händen zu gestikulieren. Er deutete auf sein immer roter werdendes Gesicht.

„Was ist ... Oh!“

Jono atmete in tiefen Zügen ein.

„Ich wäre beinahe erstickt“, beschwerte er sich, als er wieder zu Atem gekommen war.

„Verzeiht, doch Ihr müsst wirklich darauf achten, was Ihr sagt.“

„Werde ich. Aber ich wäre dir sehr dankbar, wenn du dir etwas weniger rabiate Methoden aussuchst, wenn du mich beim nächsten Mal erinnern willst.“

„Es darf kein nächstes Mal geben, Euer Hoheit“, zischte Marik ungehalten. „Im Palast haben die Wände Ohren. Ein falsches Wort genügt und ... Ihr versteht, denke ich.“

„Ja. Ich weiß nicht, das alles ist für mich immer noch so ... seltsam.“

„Es geht ja auch nicht spurlos an einem Menschen vorüber, wenn er zwei Tage lang durch die Wüste irrt, Euer Hoheit“, sagte Marik in normaler Lautstärke. „Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um die Nebel zu vertreiben, die Euer Gedächtnis verhüllt haben.“

Die Diener, die auf ihrem Weg zum Bad interessiert die Ohren gespitzt hatten, wandten ihre Konzentration wieder ihrer Arbeit zu. Kurz darauf meldeten sie Marik, dass alles für Prinz Kail gerichtet sei.

„Gibt es irgendetwas, auf das ich beim Essen achten sollte, Marik?“, fragte Jono und prustete im nächsten Moment, als dieser ihm Wasser über den Kopf schüttete.

„Oh, da gibt es eine ganze Menge“, meinte Marik, nahm etwas von der parfümierten Seife aus einem Topf und verteilte sie in Jonos Haaren. „Ich fürchte nur, die Zeit wird nicht ausreichen, um Euch das ganze Protokoll nahe zu bringen. Vorerst muss es genügen, dass ich Euch die wichtigsten Dinge erkläre. Zunächst mal müsst Ihr aufstehen, wenn der Pharao angekündigt wird und hereinkommt. Es obliegt ihm, das Zeichen zu geben, dass Ihr Euch wieder setzen dürft. Gleiches gilt für den Beginn des Essens. Es ist nur erlaubt, so lange zu essen, wie auch der Pharao speist.“

„Urgh ... Hoffentlich hat er heute einen guten Appetit, mein Magen ist leer. Ich könnte jetzt schon gut ein Nilpferd verschlingen.“

„Ich glaube nicht, dass Ihr das auf der königlichen Tafel finden werdet“, lachte Marik und machte sich daran, sein ganzes Wissen über die höfischen Gepflogenheiten vor Jono auszubreiten.
 

In der Zwischenzeit lief Seth wie ein nervöser Löwe durch den Saal, in dem in wenigen Stunden das Festessen stattfinden sollte, und überwachte dessen Vorbereitungen. Atemu hatte eigentlich Mahaado damit beauftragt und Seth empfohlen, sich nach der anstrengenden Reise doch ein wenig in seine Gemächer zurückzuziehen und sich zu erholen, doch er konnte nicht. Er hatte Hapi, der ihm gerade den Rücken massierte, einen gewaltigen Schreck eingejagt, als er plötzlich von der Liege aufgesprungen und, seine Kleider überwerfend, hinausgehetzt war, als sei der Schlangendämon Apophis persönlich hinter ihm her. Doch er konnte nicht anders. Eine Ruhelosigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, die er nicht zu erklären imstande war.

Wann immer seinem Geist in den vergangenen Tagen ein wenig Ruhe vergönnt gewesen war, hatte er sich sofort, ohne dass Seth etwas dagegen tun konnte, einem blondhaarigen Hethiterprinz zugewandt. Aber dennoch hatte Seth den Eindruck, immer neue Rätsel an ihm zu entdecken, ohne die alten vollständig gelöst zu haben. Die Hethiter galten in Kemet als eher rau und ungehobelt. Ihre Kultur war nicht primitiv und dennoch hätte sie einem Vergleich mit der hiesigen nicht standgehalten. Sie kümmerten sich nicht um die Bedürfnisse anderer Menschen und waren stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht und wenn sie lachten, dann über ihre Feinde.

Der Wächter des Millenniumsstabes hatte viel Zeit und Energie darauf verwendet, das Volk der Hethiter zu studieren, in Vorbereitung auf die Verhandlungen. Und jetzt sah er all diese sorgfältig erarbeiteten Thesen widerlegt. Widerlegt durch einen einzelnen Jungen.

Das meiste Kopfzerbrechen bereitete ihm allerdings nach wie vor das, was sich bei Isis’ missglücktem Blick in die Herkunft Prinz Kails ereignet hatte. Die Millenniumsgegenstände verliehen ihren Trägern ungewöhnliche Fähigkeiten, mit denen sich auch die meisten der großen Priester nicht messen konnten. Hatten diese Kräfte sie nun unvorsichtig werden lassen, zu sehr überzeugt von ihrer eigenen Macht? Kail hatte es ihm gezeigt: Isis’ Macht und damit die Millenniumskette hatten ihre Grenzen und Seth gelang es nicht, den Grund dafür in Erfahrung zu bringen.

„Mein Herr.“

Ein Diener verbeugte sich hastig vor ihm und flüsterte ihm etwas zu. Für die Bruchteile einer Sekunde legte sich ein amüsiertes Grinsen auf Seths Lippen.

„Kissenschlacht? Interessant ...“, murmelte er. Also doch ein verwöhntes kleines Hündchen ... äh, Prinzchen.

„Nein, das gehört dorthin!“, unterbrach er seine Gedankengänge. „Die Kohlebecken da hin und die Blumen in diese Ecke, nicht umgekehrt! Ja, muss ich denn hier alles selber machen.“

Die Diener, die mit der Dekoration beschäftigt waren, folgten seinen Anweisungen unverzüglich. Ein verärgerter Oberpriester war der Gesundheit eines Sklaven nicht unbedingt zuträglich.

Ich decke dein Geheimnis schon noch auf, dachte Seth. Ich will wissen, was du hinter diesen braunen Augen verbirgst.
 

Frisch gebadet, rasiert und parfümiert trat Jono zum zweiten Mal mit Marik vor die Auswahl an Gewändern.

„Oh ihr Götter, wie soll sich ein einzelner Mensch da entscheiden? Rate du mir, was ich nehmen soll, Marik. Was passt am besten zu mir?“

„Mmm ...“

Marik umrundete und taxierte ihn. Jono fühlte sich unwillkürlich an einen Pferde- oder Sklavenmarkt erinnert. Es fehlte nur noch, dass er einen Blick auf sein Gebiss werfen wollte.

„Ah, ich weiß“, sagte Marik dann. „Das dürfte sowohl Eure Augen als auch Eure Haarfarbe gut zur Geltung bringen.“

Er griff nach den Kleidungsstücken, zog mit der freien Hand Jono hinter einen mit Papyrusstauden und Vögeln bemalten Wandschirm und wickelte ihn aus dem Leinentuch, das er nach dem Bad um sich geschlungen hatte. Jono sah ihn kurz genervt an und streckte dann gehorsam die Arme zu den Seiten aus, damit Marik ihm das Untergewand anlegen konnte. Er gewöhnte sich allmählich daran, von ihm angekleidet zu werden, hätte es jedoch trotzdem vorgezogen, sich selbst darum zu kümmern – hätte er damit nicht den Dienern, die hin und her liefen, um Marik etwas zu holen, Anlass zu Spekulationen gegeben.

Dem Lendenschurz folgte ein langes, cremefarbenes Obergewand, an den Säumen mit rautenförmiger Stickerei abgesetzt und an den Schultern von goldenen Spangen gehalten. Darüber kam ein großes, blutrot gefärbtes Tuch, dessen breite Säume ebenfalls Stickarbeiten aufwiesen. Marik wickelte es wie eine Toga um Jono, über die linke Schulter, den rechten Arm freilassend, und drapierte sorgfältig die feinen Falten, die sich dabei bildeten. Dann ließ er sich nacheinander die Schmuckkästen reichen und wählte mit geübtem Auge die Stücke aus, die nach seiner Meinung am besten zu seinem Herrn passten. Zu den drei kleineren Ketten aus Gold und rotem Karneol gesellte sich ein großes breites Collier aus bunten Halbedelsteinen und klimpernden Goldplättchen. Mehrere Armreife, darunter einer, der wie eine Schlange geformt war, Ohrringe, zwei Ringe und ein goldener Stirnreif komplettierten die Ausstattung. Zuletzt ließ Marik ihn in Sandalen treten, die ebenfalls mit Gold verziert waren. Sobald sich Jono bewegte, klimperte und funkelte es im Licht der tiefer sinkenden Sonne. Sie würde schon sehr bald ihren nächtlichen Weg durch die Unterwelt antreten.

„Meinst du nicht, das ist ein wenig ... übertrieben, Marik?“, fragte Jono, nachdem die Diener gegangen waren. Er betrachtete sich prüfend in einem polierten Bronzespiegel. „Ich komme mir gerade vor wie eine Braut, die für ihre Hochzeit aufgeputzt wird.“

„So? Hmm, und wer wäre dann Euer Bräutigam“, sinnierte Marik mit einem leichten Grinsen. „Womöglich der hoch verehrte Hohepriester des Amun-Ra?“

Belustigt sah er, wie sich Jonos Gesichtsfarbe verdunkelte.

„Red keinen Unsinn. Ausgerechnet dieser ... Er kann mich nicht leiden und ich ihn erst recht nicht, damit das klar ist. Für einen Diener bist du ziemlich frech.“

„Und gerade deshalb haben Euer Hoheit mich immer gemocht“, entgegnete er.

„Ach ja?“

Marik beugte sich näher zu ihm.

„Weil ich ehrlich bin und Euch nicht nach dem Mund rede, wie es die meisten Hofschranzen tun. Ein Königshof, mein junger Prinz, ist eine Schlangengrube. Zu erkennen, wem man trauen kann, ist nicht leicht. Und bei dem Sohn eines Großkönigs gilt das auch für seine Familie.“

„Nicht mal den eigenen Brüdern –“

„Ihnen gerade nicht. Die Reihenfolge Eurer Geburt bestimmt zwar zunächst die Thronfolge, aber Änderungen selbiger lassen sich auf vielfältige Art erreichen. Mord nicht ausgeschlossen, aber das sagt natürlich niemand offiziell.“

„Ohh ...“

„So, genug geplaudert“, wechselte Marik abrupt das Thema. „Wir müssen uns auf den Weg machen, sonst kommen wir zu spät zum Essen.“

„Aber wir haben doch noch lang genug Zeit“, meinte Jono mit einer wegwerfenden Handbewegung.

„Die Zeit werden wir auch brauchen, um zum Empfangssaal zu gelangen. Wenn Ihr auf dem Weg zu Euren Gemächern aufmerksam wart, ist Euch vielleicht aufgefallen, dass wir uns in einem Labyrinth befinden. Paläste neigen leider nicht dazu, einem einfachen Bauplan zu folgen.“

Außerhalb seiner Gemächer begriff Jono schnell, was Marik damit gemeint hatte. Ein Gang sah aus wie der andere. Sie hielten einen Diener auf und ließen sich von ihm führen. Unterwegs stießen sie auf Zidanta, der sich mithilfe einer Wache den Weg suchte.

„Ah, Ihr seht großartig aus, Prinz Kail. Die Damen werden nicht den Blick von Euch lassen können. Wegen des Protokolls –“

„Vielen Dank für das Kompliment und in das Protokoll hat Marik mich bereits eingewiesen.“

Gemeinsam ging es weiter durch die Gänge. Jono begann zu überlegen, ob er sich bei Atemu über den Architekten und dessen Idee beschweren sollte, die Gästezimmer an das eine und die Festräume an das andere Ende des Palastes zu legen. Allein auf dem Weg zu den eigenen Räumen konnte man sich allzu leicht ver- und die Füße wund laufen.
 

Die Abenddämmerung senkte sich herab und warf ihre dunklen Schleier über das Land und den Palast des Pharao. Die Diener zündeten die mit leicht duftendem Öl gefüllten Lampen an, die über den ganzen Saal verteilt waren und flackernd für angenehmes Licht sorgten. Wie der Thronsaal verfügte auch das Zimmer des Chons, wie der Speisesaal genannt wurde, über eine Empore, auf welcher der Herr der beiden Länder mit seinen hochrangigsten Gästen speiste. In diesem Fall war sie halbmondförmig angelegt, eine ungewöhnliche Form, die dem Raum seinen Namen eingetragen hatte. Dort und an den Seiten des Saales standen die kleinen, flachen Tische, jeweils ein bis zwei Personen Platz bietend, und warteten auf die Gäste. Schalen mit bunten Blumen, die zu kunstvollen Gestecken arrangiert waren, verströmten ihren betörenden Duft.

Seth warf einen abschließenden Blick auf sein Werk und nickte, sehr mit sich zufrieden.

„Ich danke Euch, dass Ihr heute für mich die Aufsicht übernommen habt, Seth.“ Mahaado näherte sich ihm, wobei seine Augen bewundernd durch den Raum streiften. „Ohne Eure Hilfe wäre ein Desaster daraus geworden. Urgh, ich bin einfach nicht für solche organisatorischen Aufgaben geschaffen.“

„Dafür versteht Ihr mehr als ich von den hohen Künsten der Magie.“

„Ja, und dank Euch konnte ich mich weiter um meine Schüler kümmern. Noch einmal: Vielen Dank. Aber Mana ... sie macht wieder nichts als Ärger. Eben erst, auf dem Weg hierher, musste ich zwei Diener von der Decke holen, weil sie den Spruch vergessen hatte, der den Schwebezauber aufhebt. Ahhh ... Dieses Kind wird mich noch ins Grab bringen.“

„Dabei könnte sie mit etwas mehr Ehrgeiz Eure beste Schülerin werden.“

„Euer Wort in den Ohren der Götter“, seufzte der Magier.

„Momentan dürfte das leichter zu bewerkstelligen sein als diesen Jungen zu verstehen“, murmelte Seth.

„Äh ... Wie bitte? Was sagtet Ihr?“

„Nichts, ich habe gar nichts gesagt“, beeilte sich Seth ihm zu versichern. „Wollen wir uns nicht setzen?“

Seth ließ sich mit einem leisen Seufzen im Schneidersitz auf den weichen Kissen nieder. Hätte er nicht nach Hut-waret gemusst, hätte er die Feier wie sonst üblich komplett selbst geplant. Ihm ging die Organisation solcher Veranstaltungen leicht von der Hand, für Mahaado hingegen stellten sie, im Gegensatz zur Zauberei, eine ziemliche Herausforderung dar. Er hatte kurzfristig noch an vielen Stellen, inklusive Sitzordnung, nachbessern müssen, auch wenn er Mahaado vor seiner Abreise einige Hilfestellungen gegeben hatte.

Nach und nach füllte sich der Saal mit den adligen Gästen, die der Pharao geladen hatte. Rund um die Sichel-Empore versammelte sich die Creme de la Creme des Reiches Kemet. Der Stab des Hofmeisters traf mit einem lauten „Klong“ auf die Fliesen.

„Seine Königliche Hoheit Prinz Kail aus dem fernen Reich Hatti und Seine Durchlaucht Fürst Zidanta, Herr von Neza.“

Automatisch wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit der Tür zu.
 

Jono trat nervös von einem Fuß auf den anderen und nestelte an seiner Kleidung. Zidanta hingegen stand entspannt neben ihm und war die Ruhe selbst.

„Muss ich wirklich da rein?“, fragte Jono zum wohl zehnten Mal in kurzer Zeit. Und wie jedes Mal ließ ihn das knappe und bestimmte „Ja“ kurz leise aufjaulen. Mariks Beschreibung des Königshofes als Schlangengrube machte ihm Angst. Obwohl es lediglich ein kurzer Überblick sein sollte, hatte er ihm dermaßen viele Verhaltensregeln genannt, dass Jono sich sogar sicher war, etwas zu vergessen und in eines der zahlreichen Fettnäpfchen zu treten, die ihm damit aufgestellt worden waren. Oder schlimmer noch: Dass jemand entdeckte, dass sie es gar nicht mit dem Prinzen zu tun hatten. Er erkannte sich selbst kaum wieder. Sein Mut schien sich in irgendeinen weit entfernten Winkel verabschiedet zu haben.

Ihre Namen wurden aufgerufen. Jono warf Marik einen verzweifelten Blick zu, doch dieser nickte ihm nur aufmunternd zu. Die Türflügel schwangen vor ihnen auf und gaben den Blick auf den Festsaal frei. Jono stieß ein leises „Ohh!“ aus. Derjenige, der diese Feier geplant hatte, verstand sein Handwerk. Jono fühlte sich mit einem Mal sehr naiv und einfältig, wenn er daran dachte, früher geglaubt zu haben, etwas Prächtigeres als die Feste seines Vaters, die selbst den örtlichen Adel übertroffen hatten, könne es nicht geben. Hier hatte er es mit einer Prachtentfaltung ganz anderen Ausmaßes zu tun.

„Euer Hoheit, Ihr müsst vorangehen“, murmelte Zidanta.

Etwas widerstrebend setzte sich Jono in Bewegung. Bildete er sich das nur ein oder war die ganze Aufmerksamkeit der Anwesenden auf ihn gerichtet? Die ungewohnt schweren Sandalen und das lange Gewand erschwerten seine Schritte. Er versuchte sich an all die Dinge zu erinnern, die Marik ihm genannt hatte: Den Rücken gerade halten, nicht auf die Füße sehen, den Blick nur leicht nach unten richten, um die anderen Gäste ansehen zu können, höflich lächeln und nicken, die Hände nicht verkrampfen ...

Er konnte sich nicht daran erinnern, sich je so nervös gefühlt zu haben. Sein Fuß blieb in dem Gewand hängen, er strauchelte, machte einen Ausfallschritt, um sich abzufangen. Ein Hüsteln, das wie unterdrücktes Lachen klang, sagte ihm, dass seine Aktion nicht unbemerkt geblieben war. Bei dem Urheber handelte es sich, wie Jono grimmig feststellte, um einen gewissen blauäugigen Priester, der ihn mit einem überheblichen Grinsen musterte.

Dieser fiese, eingebildete Mistkerl! Aber wehe, dem passiert mal ein Missgeschick ... Er kann schließlich auch nicht die Perfektion in Person sein. Dann werde ich lachen.

„Gar nicht beachten, Euer Hoheit, einfach weitergehen“, raunte Marik ihm zu.

Ein Diener trat an sie heran, um sie zu ihren Plätzen zu führen. Jono bzw. Prinz Kail und Zidanta erhielten als Ehrengäste die besten Plätze links neben dem Pharao, die sonst seinen Priestern vorbehalten waren. Vom Herrn der beiden Länder selbst war noch nichts zu sehen, aber ein Herrscher kam ja bekanntlich nie zu spät – die anderen waren eben zu früh.

Bei dem Versuch, sich elegant niederzusetzen, hatte Jono ein weiteres Mal mit den Lagen seiner Kleidung zu kämpfen. Doch kaum hatte er seine Beine und darüber den Stoff ordentlich untergebracht, klopfte der Hofmeister wieder auf den Boden.

„Es tritt nun ein: Seine Göttliche Majestät.“

Hätte er nicht kommen können, bevor ich mich gesetzt habe, dachte Jono und erhob sich umständlich. Die Türflügel schwangen auf.

„Atemu, Starker Stier, von der Maat geliebt, Triebkraft der Gesetze, der beide Länder befriedet, Vermittler zwischen Menschen und Göttern, Der die Insignien verleiht, der alle Götter aussöhnt, König von Ober- und Unterkemet, Herr der Erscheinungen des Ra, Sohn des Ra, Abbild des Atum, Herrscher von Oberkemet und Heliopolis.“

Der Hofmeister atmete tief durch, er hatte die ganze Titulatur des Pharaos in einem Atemzug genannt.

Der Hofstaat war in eine einzige, tiefe Verbeugung versunken. Atemu, gekleidet in ein wallendes Gewand aus weißem und blau gefärbtem Leinen, das vielfach gefältelt war, und einen langen Umhang, schritt langsam durch den Saal, nickte hier und dort jemandem zu, bis er die Empore bestieg. Das Gold des Uräus-Diadems funkelte im Licht der Öllampen. Als er sich gesetzt hatte, machte er eine kurze Handbewegung und seine Gäste nahmen ihre Plätze wieder ein.

„Ein weiteres Mal an diesem Tag habe ich das Vergnügen, Euch in Kemet willkommen zu heißen, Prinz Kail, Euch und natürlich auch Eure Begleiter, die verehrten Fürsten Zidanta, Anitta und Lubarna. Ich freue mich sehr, dass Ihr den weiten Weg auf Euch genommen habt. In den kommenden Tagen werden wir darüber beraten, wie wir den Krieg, der seit langer Zeit zwischen unseren beiden Nationen tobt und unsere Reiche in Mitleidenschaft zieht, beilegen können. Und nun übergebe ich das Wort an Meister Akunadin.“

Der Wächter des Millenniumsauges erhob sich und begann mit seiner Ansprache, in der er nochmals darauf einging, wie sehr sich alle über den Besuch der hethitischen Gesandten freuten, und seiner Hoffnung auf ein baldiges Friedensabkommen Ausdruck verlieh. Hätte man seine Rede niedergeschrieben, hätte der Papyrus gut und gerne die Länge des Saales messen können. Nach außen versuchte Jono sich nichts anmerken zu lassen, innerlich aber heulte er gequält auf. Akunadin kam ihm bald wie ein wahrer Meister der Folterkunst vor. Sein Magen war leer und er wünschte sich keine lange Rede, um seinen Kopf zu füllen, sondern etwas, um seinem Bauch zu seinem Recht zu verhelfen.

„... womit ich zum Ende meiner Ausführungen komme. Mein Pharao, Prinz Kail, mögen Euer Aufenthalt hier und Eure Verhandlungen den Segen der Götter erfahren.“

Akunadin deutete eine Verbeugung vor ihnen an und setzte sich.

„Ich danke Euch für diese ... interessante Rede“, sagte Atemu höflich. „Möge nun das Festmahl zu Ehren unserer Gäste beginnen!“

Sennefer, der sich mit seinen Untergebenen bisher am Rand des Saales aufgehalten hatte, klatschte laut in die Hände und ließ das Essen auftragen. Die Speisen, serviert in Schalen und auf Tellern aus Fayence und fein bemaltem Ton, wurden an den Tischen auf Gestelle gesetzt, damit sich jeder frei bedienen konnte. Gegessen wurde mit den Fingern.

Jono wusste gar nicht, was er zuerst und was zuletzt kosten sollte. Auf der Tafel des Pharao versammelten sich alle Köstlichkeiten, die das Land Kemet zu bieten hatte: gebratene Wachtel, Taubenragout, Lammbraten, Rinderniere und andere Innereien, gekochter und gebratener Fisch, verschiedene feine Brotsorten, gedünsteter Lauch mit Kürbis und anderes Gemüse, Gerstenbrei und vieles mehr. Sobald eine Schüssel leer war, wurde sie sofort durch eine neue ersetzt. Während des Essens verschwanden immer wieder Leute aus dem Saal, um Blase und Darm oder gar den Magen zu entleeren und dann weiter zu essen.

Jono hätte sich am liebsten den Teller bis zum Rand gefüllt, sich dann zurückgelehnt und sich genüsslich den kulinarischen Freuden hingegeben, doch Mariks Anwesenheit hinter ihm erinnerte ihn ständig daran, dass er sich an das strenge Reglement des Hofes zu halten hatte. In seinem Bemühen, seine Nahrungsaufnahme daran anzupassen, aß er sogar langsamer als nötig, bekam aber dadurch das Gefühl, sein Teller würde sich nicht leeren, das Loch in seinem Magen sich dafür ständig vergrößern. Seine Haltung war steif, als hätte er einen Stock verschluckt. Für ihn, der es gewohnt war, sich frei und ungehemmt bewegen zu können, war das Essen eine einzige Verkrampfung.

„Geht es Euch nicht gut, Prinz?“, erkundigte sich Atemu auf einmal. „Ihr esst kaum etwas. Schmeckt Euch unsere Küche nicht?“

„Doch, doch, sie ist ganz vorzüglich“, entgegnete er und schob sich ein Stück Taube in den Mund. „Euer Koch ist ausgezeichnet.“

Niemand von den Gästen konnte an diesem Abend behaupten, hungrig von der Tafel aufgestanden zu sein. Den Hauptgängen folgten Käse und eine Reihe von Nachspeisen, darunter mit Honig gesüßte Kuchen, Beeren, Weintrauben, Melone und gedünstete Feigen. Das alles wurde mit vielen Litern süßem Wein heruntergespült, den sich Jono von Marik mit Wasser verdünnen ließ. Es genügte ihm, sich einmal durch zu viel Alkohol vor Seth lächerlich gemacht zu haben und er war weit davon entfernt, dies heute Abend zu wiederholen.

„Seth berichtete mir, dass Ihr Euer Gedächtnis verloren hattet, als er Euch in der Wüste fand“, sagte Atemu, hob seine Finger aus der Wasserschüssel, in der er sie gewaschen hatte, und trocknete sie an einem frischen Leinentuch ab. „Ich hoffe, es geht Euch inzwischen besser.“

„Seine Hoheit macht gute Fortschritte in der Wiedererlangung seines Gedächtnisses“, erwiderte Zidanta.

„Ich würde gern meinen Teil dazu beitragen, wenn Ihr gestattet“, fuhr der Pharao fort. „Wie ich hörte, seid Ihr recht bewandert in den Künsten der Jagd. Ist Euer Gedächtnis bereits so weit wiederhergestellt, um uns bei der nächsten Jagd eine Kostprobe Eures Könnens zu geben?“

„Ich weiß nicht, ob –“

„Aber natürlich, mit Freuden, Euer Majestät“, erwiderte Jono und unterbrach damit Zidantas Einwände.

„Euer Hoheit, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, sagte der Fürst leise.

„Es bereitet mir keine Schwierigkeiten. Wirklich nicht.“

„Wenn das so ist ... Karim“, wandte sich Atemu an den Priester mit der Millenniumswaage. „Wir wünschen in drei Tagen auf die Jagd zu gehen. Bitte kümmert Euch darum.“

„Ich werde alles in die Wege leiten.“

„Verdanken wir ihm auch dieses wundervolle Fest?“, erkundigte sich Jono bei der Gelegenheit.

„Nein, dafür zeichnen Seth und Mahaado verantwortlich.“

Atemu lehnte sich zurück und sah den Dienern zu, wie sie die wenigen Reste, die die Gäste vom Nachtisch hinterlassen hatten, abräumten. Jono war erleichtert, es ihm gleichtun und sich ebenfalls in eine bequemere, halb liegende Position begeben zu können, denn wie Marik ihm erklärt hatte, war der hochoffizielle Teil des Festes damit beendet. Sein voller Magen machte ihn ein wenig träge. Von dem ungewohnt langen krampfhaften Geradehalten schmerzten ihm Rücken und Nacken. Er nahm sich vor, Marik um eine Massage zu bitten, sobald das Fest vorbei war.

Seine innere Anspannung hatte sich im Verlauf des Essens immer mehr gelegt, so dass er den Abend mittlerweile sogar genoss. Er hatte Marik und Zidanta an seiner Seite, die im Notfall eingreifen konnten. Der Fürst erklärte dem Pharao, dass Prinz Kail noch etwas Zeit benötige, um sein Gedächtnis vollständig wiederzufinden, aber so weit ins Bild gesetzt sei, dass einer Aufnahme der Verhandlungen am nächsten Tag und seiner Teilnahme nichts im Wege stehe. Atemu verwickelte die beiden daraufhin in ein Gespräch über die Jagd, für die er eine große Vorliebe hegte. Jono war seinem Diener für dessen gestrige detaillierte Unterweisung in Sachen Jagd mehr als dankbar, denn die Rothirsche, die von den Hethitern besonders gern gejagt wurden, kamen in Kemet nicht vor und bis dahin hatte Jono nie von ihnen gehört. Als Marik ihm ihr Aussehen beschrieben und einen Hirsch mit Tusche auf ein Stück Papyrus gemalt hatte, hatte Jono erst geglaubt, es handele sich bei dabei um ein Fabelwesen wie den Benu, den ägyptischen Phönix. Das Geweih des Hirsches war ihm merkwürdig erschienen.
 

Der Hofmeister kündigte „zum Vergnügen der edlen Herrschaften“ eine Gruppe Tänzerinnen an. Die sechs Mädchen wirbelten unter den Klängen einiger Musiker, die schon während des Essens im Hintergrund für die musikalische Untermalung gesorgt hatten, in den Raum. Sie ließen Becken und Arme kreisen, tanzten mal für sich und mal als Gruppe. Eine von ihnen war hübscher als die andere, sie warfen dem Pharao immer wieder Blicke zu oder tanzten besonders lange vor ihm, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Raneb, der Sohn des Fürsten von Zawtj, hatte Jono, mit dem er seit langem gut befreundet war, einmal berichtet, wie sein Vater bei solchen Gelegenheiten den Abend ausklingen ließ. Wenn es hier im Palast genauso lief, würde eines der Mädchen noch heute Nacht im Bett des Pharao landen. Abgeneigt sah Atemu jedenfalls nicht aus, im Gegenteil. Lachend fing er den hauchdünnen Schleier eines braunhaarigen Mädchens auf und sog den feinen Duft ein, der von ihm ausging.

Seth bekam von der Vorführung nicht viel mit, er beobachtete Jono und versuchte aus seinen Gesten und Bewegungen etwas zu lesen, was ihm bei seiner Suche weiterhelfen konnte.

„Gefällt Euch das Fest nicht, Seth?“, erkundigte sich Karim verwundert bei ihm. „Den ganzen Abend schon tragt Ihr diese missgelaunte Miene zur Schau.“

„Ich bin nur ein wenig erschöpft, das ist alles“, sagte Seth bestimmt.

Sein kühler Tonfall verfehlte seine Wirkung nicht, Karim zog sich auf seinen Platz zurück und begann sich mit Shada zu unterhalten. Wenn er so sprach, war es besser, ihn nicht weiter zu belästigen. Ein Gebot, an das sich die anderen Priester meistens auch hielten. Nun, meistens, denn Isis ließ sich von seiner kühlen Art nicht abschrecken. Ohne dass er sie dazu aufgefordert hatte, setzte sie sich neben ihn.

„Seid Ihr sicher, dass es nur die Erschöpfung ist, für die Ihr im Übrigen selbst die Verantwortung tragt? Ihr hättet Euch ausruhen sollen.“

„Was sollte es denn sonst sein?“

„Mir ist aufgefallen, dass Ihr Seine Hoheit den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen habt.“

„Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht, Isis“, sagte Seth. „Hier haben sich viele Männer hohen Geblüts versammelt.“

„Und doch beschäftigt nur einer fortwährend Eure Gedanken und das ist Prinz Kail.“

„Wie sollte er auch nicht. Ich habe Seine Majestät vor ihm gewarnt. Zu Recht, dieser junge Hethiter versucht gerade sich bei ihm einzuschmeicheln. Wer weiß, was er vorhat.“

„Euer Misstrauen in allen Ehren, Seth, aber Ihr solltet Euch mit dem

Gedanken anfreunden, dass von Prinz Kail keine Gefahr ausgeht. Ich habe mich heute Nachmittag in den Tempel zurückgezogen und die Götter haben mir einige Antworten geschenkt.“

„Also wisst Ihr nun, welche Schurkereien er plant.“

„Gar keine, Seth! So hört doch, in meiner Vision erschien der Falkengott neben ihm. Kail steht unter dem Schutz des Horus. Ich glaube, die Götter wollen für unser Volk den Frieden und haben ihn geschickt, um uns dazu zu verhelfen.“

„Ausgerechnet diesen –“

„Es ist nicht an uns, die Wahl der Götter infrage zu stellen“, widersprach Isis und erhob sich. „Entschuldigt mich kurz.“

Der Falke also ... stürmisch, unbeugsam ... hmmm, dachte Seth.
 

Die Mädchen beendeten ihre Darbietung unter dem lauten Beifallsklatschen ihrer Zuschauer. Atemu winkte seinen Diener heran und flüsterte ihm etwas zu, wobei er auf die Brünette deutete. Jono grinste leicht. Es war doch überall dasselbe.

Als nächstes trat ein Jongleur auf, dann war für eine Weile Pause und die Gäste kehrten zu ihren Unterhaltungen zurück. In den Wohnhäusern der Stadt war längst Ruhe eingekehrt, als zur besonderen Überraschung des Abends Beltis, die oberste der Tänzerinnen des Hofes, eintrat. Haar und Gesicht hatte sie sorgfältig unter roten Schleiern verborgen, die einen guten Kontrast zu ihrem weiten schwarzen Rock und dem mit Silberplättchen versehenen Oberteil bildeten. Die Musik begann langsam, angepasst an ihre anmutigen Bewegungen, mit denen sie sich der Sichelempore näherte. Die Arme über dem Kopf gekreuzt, begann sie ihren Tanz, dessen Tempo sich nach kurzer Zeit beschleunigte. Männer wie Frauen fielen klatschend in den Takt ein, der sich immer mehr zu einem einzigen Wirbel steigerte, immer schneller wurde, bis er wie der Herzschlag der Tänzerin nur noch dahinraste.

Plötzlich blitzte etwas in ihrer Hand auf und flog im nächsten Moment zischend durch die Luft. Das Folgende geschah so schnell, dass sich Jono später kaum noch an alle Einzelheiten erinnern konnte. Marik stürzte sich auf ihn und riss ihn von seinem Kissen fort. Tische wurden umgeworfen, Schalen, in denen kleine Süßigkeiten gereicht worden waren, krachten auf die Fliesen und zerbarsten, erschrockene Rufe erhoben sich. Jono spürte Marik über sich und hörte einen Schrei. Erst dachte er, er habe selbst geschrien, doch dann fühlte er eine warme Flüssigkeit an seinen Fingern, öffnete die Augen und sah in die weit aufgerissenen Augen seines Dieners. Eine heftig blutende Wunde zog sich über Mariks Oberarm. Dort, wo Jono eben noch gesessen hatte, steckte ein Dolch in den Kissen.

„Wachen, ergreift sie!“

Seth sprang von seinem Platz auf und deutete auf Beltis. Drei Medjai, des Pharao persönliche Leibgarde, rückten an und packten die junge Frau, die wild zu lachen begonnen hatte. Die Schleier wurden ihr vom Kopf gerissen.

„Aber das ist ja Hintis!“, rief Anitta.

„Ihr kennt dieses Weib? Dann steckt sie mit Euch unter einer Decke“, entrüstete sich Seth.

„Seid nicht zu vorschnell mit Euren Anschuldigungen“, mischte sich Shimon, der Berater und Wesir des Pharao, ein. „Fürst Anitta, woher kennt ihr sie?“

„Sie war Tänzerin im Palast Seiner Majestät, bis ... Verzeiht, Eure Hoheit, dass ich Euch so daran erinnern muss ... Prinz Kail hatte eine kurze, etwas ... unglückliche Liaison mit ihr.“

„Näheres solltet Ihr uns später in kleinerer Runde berichten“, sagte Atemu. „Führt sie ab und sperrt sie ins Verlies. Wir werden uns morgen mit ihr beschäftigen. Prinz Kail, seid Ihr verletzt?“

„Ich nicht, aber mein Diener.“

In Ermangelung von etwas anderem riss Jono trotz Mariks Protesten einen Streifen von seinem Gewand ab und wickelte ihn um seinen Arm.

„Dann sollten wir das Fest nun beenden. Mahaado, nehmt Euch unserer Gäste an. Ich bitte Euch um Verzeihung, Prinz Kail, dieser Angriff hätte nicht vorkommen dürfen.“

Atemu war zutiefst schockiert. Der erste Abend und schon wurde sein Besuch angegriffen. Ein wunderbarer Auftakt für Friedensverhandlungen.

Die Leiden eines Priesters

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=Ocg5No9q4uA Atemu vs Zork – The Egyptian Gods and the Sun Arise
 

Kapitel 6

Die Leiden eines Priesters
 

Jono drehte sich ein letztes Mal im Bett herum, dann riss Marik endgültig der Geduldsfaden und er zog ihm kurzerhand mit der einen Hand die Decke weg. Um seinen linken Arm war ein frischer Verband mit Schachtelhalm und anderen Heilkräutern gewickelt, die den Heilungsprozess seiner Wunde beschleunigen sollten.

„Euer Hoheit, ich muss doch bitten! Wenn Ihr nicht endlich aufsteht, werdet Ihr zu spät zum Beginn der Verhandlungen kommen.“

Das unwillige Brummen half Jono nicht, er musste die weiche Schlafstatt räumen und wurde von Marik gleich weiter ins Bad gescheucht, um sich dem umfangreichen morgendlichen Ritual der Körperreinigung zu unterziehen. Erst danach konnte er sich an den Tisch setzen und sich den Gerstenbrei und die Früchte schmecken lassen, die Marik ihm als Frühstück besorgt hatte.

„Prinz zu sein macht gar nicht so einen großen Spaß, wie ich dachte“, murrte er, als er mit Marik seine Gemächer verließ.

„Wer hat das je behauptet.“

„Ich meine nur ... Ich darf nicht ausschlafen, mein ganzer Tagesplan wird von anderen bestimmt und gestern wäre ich fast getötet worden.“

Die Mitglieder des Rates, zu denen neben Jono, den drei Fürsten und dem Pharao auch die Millenniumswächter und Shimon zählten, versammelten sich in einem Saal im Südflügel des Palastes, der sich zu einem großen Innenhof öffnete. Um einen mit weißen und rosa Lotosblumen bepflanzten Teich stolzierten mehrere Pfauen, die ab und an ihre prachtvollen Federn zu einem Rad aufschlugen.

„Habt Ihr gut geschlafen, Prinz Kail?“, fragte Isis, die einzige Frau in der Runde.

„So gut wie seit langem nicht, verehrte Isis. Das Lager, das mir auf der Reise zur Verfügung stand, ist doch nicht mit einem richtigen Bett zu vergleichen.“

„Wobei Ihr dessen Qualitäten beinahe niemals kennen gelernt hättet“, sagte Atemu. „Ich muss mich nochmals entschuldigen. Ich hoffe, Ihr habt Euren Schreck von gestern überwunden? Beltis ... Hintis, wie auch immer sie nun heißt, ist vor kurzem zum Verhör gebracht worden. Wir werden herausfinden, was oder wer sie zu diesem Attentat veranlasst hat.“

„Mit mir ist alles in Ordnung“, sagte Jono. „Und dank Eures Meister Mahaado geht es auch meinem Diener wieder gut.“

Sie nahmen auf Stühlen, die mit Arm- und Rückenlehnen ausgestattet waren, rund um einen großen Tisch Platz.

„Wir haben uns hier zusammengefunden, um gemeinsam über die Bedingungen eines Friedensabkommens zwischen unseren beiden Reichen zu beraten“, eröffnete Atemu die Sitzung.

Shimon und Lubarna fassten noch einmal die Ereignisse der letzten Jahre seit Beginn des Krieges zusammen. Es war immer wieder zu einzelnen, kleineren Schlachten im Gebiet von Syrien gekommen, wo das Reich der Hethiter an die nördlichste Provinz Kemets grenzte. Hatti beanspruchte den Norden, der von den Ägyptern regiert wurde, für sich. Schon Atemus Vater Akunamkanon und sein Vater vor ihm hatten sich mit den landgierigen Nachbarn herumschlagen müssen. Doch diese Kriege zehrten an den Reichen. Soldaten mussten ausge-hoben und mit Waffen, Ausrüstung und Nahrung versorgt werden. Auf den Höfen fehlten Bauern, die die Ernte einbrachten und wenn im Süden Unruhen ausbrachen, konnte nicht immer schnell genug reagiert werden, wenn die Soldaten gerade an der Nordgrenze standen. Die Ägypter mochten den Hethitern noch so stark zusetzen, an ihnen gingen die ständigen Auseinandersetzungen ebenfalls nicht spurlos vorüber.

Die hethitische Gesandtschaft hatte von ihrem Großkönig genaue Anweisungen erhalten, welche Klauseln ein möglicher Friedensvertrag enthalten sollte, inwieweit man Zugeständnisse machen konnte und was unter gar keinen Umständen akzeptiert werden durfte. Derzeitig verfügten beide Länder etwa über den gleichen militärischen Stand. Muwatalli der Zweite, Großkönig von Hatti, war sich dessen bewusst, ebenso wie der Tatsache, dass sich unter den rebellierenden Stämmen des Südens Uneinigkeit über die weitere Vorgehensweise ausbreitete. Wenn dort die Aufstände von selbst in sich zusammenbrachen, würde sich die Waagschale der Macht empfindlich zu den Ägyptern hinneigen. Darum hatte er Zidantas Friedensreden endlich nachgegeben und so schnell seine Männer nach Kemet entsandt. Noch konnten sie ebenfalls Forderungen bei einem Friedensvertrag stellen. Wenn aber Kemet seine Kräfte zu einer Entscheidungsschlacht sammelte und die Hethiter diese verloren, würde der Pharao allein derjenige sein, der die Bedingungen eines Abkommens diktierte.

Zidanta und Marik, der von seinem Herrn vor dessen Ableben relativ gut in die ganzen Umstände eingewiesen worden war, hatten ihr Bestes getan, Jono an die Diplomatie heranzuführen. Leicht wurde es für ihn trotzdem nicht und er war froh, sich im Notfall hinter seiner Amnesie verschanzen zu können, wenn die Argumente wie Bälle über den Tisch hin und her flogen. Es dauerte nicht lange, bis eine heiße Diskussion zwischen den Parteien entstanden war, wobei Zidanta und Jono zwischendurch auf Lubarna und Anitta einreden mussten, doch wenigstens etwas mit ihren Forderungen zurückzurudern und sich auf Kompromisse einzulassen. Die beiden Fürsten weigerten sich, auch nur einen Deut von dem abzuweichen, was sie ihrem Großkönig mühsam an Zugeständnissen abgerungen hatten.

Die Unterhaltung verlief dadurch jedoch immer in einem Kreis. Sobald Zidanta und Jono glaubten, Lubarna und Anitta so weit zu haben, mit ihnen übereinzustimmen, fingen sie wieder an oder Atemu und seine Berater kamen mit einer Forderung daher, über die sich die Herren zum Teil lautstark beschwerten.

Als es Zeit fürs Mittagessen wurde, unterbrachen sie die momentan scheinbar sinnlose Verhandlung und wechselten in einen Raum auf der anderen Seite des Innenhofes, der mehr von der heißen Mittagssonne abgewandt war. Atemu hatte die kleinen Zweiertische, die sonst für die Festessen benutzt wurden, und niedrige Hocker aufstellen lassen. Er wollte allen etwas Ruhe voneinander gönnen und das ging in kleinen Grüppchen besser als wenn alle um einen großen Tisch saßen. Anitta und Lubarna nahmen für sich einen der Tische in Beschlag, ebenso Zidanta und Atemu, die ihre Unterhaltung vom Vorabend wieder aufnahmen, Isis sprach mit Mahaado über seine Schüler, Shimon hatte etwas mit Shada zu besprechen und auch Akunadin und Karim fanden sich zusammen. Sie hatten sich noch während des kurzen Weges über den Hof so zusammengetan, so dass Jono, als er den Raum betrat, etwas überrumpelt feststellen musste, dass er den letzten noch freien Tisch mit Seth teilen musste. Diesen freute die Aussicht darauf anscheinend ebenfalls nicht besonders. Auch wenn er keine Miene verzog, schienen seine Augen noch eine Spur kälter geworden zu sein.

Jono fragte sich inzwischen ernsthaft, ob er an Geschmacksverirrungen litt, hatte er Seth bei ihrem ersten Treffen doch für einen attraktiven, begehrenswerten Mann gehalten. Nun ja ... dass er ein attraktives Äußeres hatte, daran konnte er nichts bestreiten. Sein Charakter jedoch ließ für Jonos Geschmack sehr zu wünschen übrig. Gebildet, aber arrogant. Kreativ (wie er gestern Abend unter Beweis gestellt hatte), doch von einer entsetzlichen Gefühlskälte. Rigoros in seinen Entscheidungen, unnachgiebig ... Kein Mann, in den man sich verlieben konnte. Seine Arbeit entlockte allen, einschließlich des Pharao, Bewunderung, doch wer bewunderte ihn als Menschen?

„Geruhen Eure Hoheit sich heute noch auf Euren Platz zu begeben oder muss ich einen Antrag stellen, damit Ihr mir den Weg freigebt?“, hörte er hinter sich eine herablassende Stimme.

Seth als Menschen bewundern? Nie im Leben!

„Einen Antrag? Gern, wie viele Ausfertigungen sind denn in Eurem Reich üblich?“, erkundigte Jono sich salbungsvoll.

Für etwa drei Sekunden war Seth sprachlos.

„Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen?“

„Oh nein, das würde ich nie wagen. Ich möchte mir ja keinen Bruch heben. Ich meine damit nicht, dass Ihr zu viel Gewicht aufweist“, setzte Jono nach. „Nur Eure Größe ... ich fürchte, das könnte ein wenig problematisch werden. Aber wenn Ihr darauf besteht, können wir das gerne ausprobieren.“

Der Hohepriester hob überrascht die Augenbrauen. Das war ja noch nie vorgekommen, da bot ihm tatsächlich jemand Paroli.

„Danke, ich verzichte. Allerdings gilt das nicht für mein Mittagessen, wenn Ihr erlaubt.“

„Dann will ich mal nicht so sein“, antwortete Jono und gab den Weg frei.

Als Mensch ist er vielleicht nicht brauchbar, aber das Streiten macht trotzdem mit ihm Spaß, konstatierte Jono.

Sie ließen sich einander gegenüber an ihrem Tisch nieder, ohne den anderen aus den Augen zu lassen. Beide lauerten darauf, dass der andere etwas sagte oder tat, auf das er etwas erwidern konnte. Auf einen Wink Atemus wurde das Essen aufgetragen.
 

Jono stellte seinen Weinbecher ab und hielt sich rasch die Hand vor den Mund, damit Seth nichts von dem Rülpser mitbekam. Er war nicht daran gewöhnt, so viel und vor allem jeden Tag Wein zu trinken. Sein Vater nannte zwar mittlerweile auch einen Weinberg sein Eigen, aus dessen Trauben ein vorzüglicher Tropfen gekeltert wurde, doch war nur ein Teil davon für den Weinkeller der Familie bestimmt. Der größte Teil des Rebensaftes wurde in den Norden, bis hinauf ins Nildelta, verkauft.

Die Leibsklaven der hohen Herrschaften hatten an den Wänden hinter ihrem jeweiligen Herrn Aufstellung genommen, um ihn sofort bedienen zu können, wenn er etwas benötigte. Marik hatte sich mit Hapi angefreundet und spielte mit ihm in den kurzen Pausen, wenn Jono und Seth gerade anderweitig beschäftigt waren.

Der Hohepriester unterdrückte ein Gähnen. Er war daran gewöhnt, früh am Morgen aufzustehen, um im Tempel die Zeremonie zu über-wachen, mit der der Gott geweckt, gewaschen und angekleidet wurde. Nur nach einem Fest wie dem von gestern fiel es ihm ein wenig schwerer, sein Bett zu verlassen, denn auch wenn er mit wenig Schlaf auskam, benötigte er doch eine gewisse Anzahl von Stunden, um sich frisch und ausgeruht seinem Werk widmen zu können. Der überraschende Angriff aber hatte ihn lange nicht schlafen lassen.

Schon Wochen vor der Ankunft der hethitischen Gesandtschaft waren die Sicherheitsmaßnahmen im und um den Palast stark erhöht worden. Auch wenn der Empfang seitens der Bevölkerung von Men-nefer freundlich gewesen war, waren längst nicht alle Menschen gut auf die Hethiter zu sprechen. Es gab immer noch genug Dummköpfe, die es für effektiver hielten, einige hochrangige Persönlichkeiten zu ermorden und den Hethitern damit ihre oberen Befehlshaber zu nehmen, anstatt die Angelegenheit auf dem diplomatischen Pfad zu bereinigen. Zudem war es nicht ganz ungefährlich, ausländische Soldaten in die Hauptstadt zu lassen. Die Männer, welche die Gesandten begleiteten, waren in einem abgeschirmten Flügel des Palastes untergebracht worden und wurden ständig streng überwacht. Man wollte ihnen mit kleinen Festen Abwechslung bieten, war sich im königlichen Rat aber darüber eingekommen, dass die Männer ihr Quartier bis zur Abreise ihrer Anführer nicht verlassen durften. Sie sollten nicht die Möglichkeit haben, Informationen über die Stärke Kemets zu sammeln, die sie dann gegen das Reich verwenden konnten.

Auch die Dienerschaft des Palastes war einer Kontrolle unterzogen worden. Wie also war Beltis – oder Hintis, wie sie offenbar hieß – durch das so feinmaschig geknüpfte Netz geschlüpft und hatte sich der Überprüfung entzogen? Nachdenklich schob sich Seth ein Stück Feige in den Mund und kaute darauf herum. Solch ein eklatanter Sicherheitsmangel durfte einfach nicht vorkommen.

„Schlaft Ihr mit offenen Augen, Seth?“

Der Angesprochene blickte von seinem Teller auf, der leere Ausdruck, den seine Augen manchmal annahmen, wenn er in Gedanken versunken war, verschwand aus ihnen und er erkannte Jono vor sich, der ihn amüsiert und mit einem Grinsen auf den Lippen betrachtete. Seths Miene verfinsterte sich kurz und verwandelte sich dann in eine undurchdringliche Maske zurück.

„Ich weiß nicht, wie Ihr darauf kommt, Euer Hoheit“, sagte er und warf einen Blick auf die Platten und Schüsseln, die neben ihrem Tisch standen. Es war nicht mehr viel übrig. Ein Stück Schweinebraten zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Im selben Moment, als er es ergreifen wollte, sah er ein zweites Paar Finger auf das Fleisch zuwandern.

Er legt vielleicht bessere Manieren an den Tag, als er es am ersten Tag, nachdem wir ihn gefunden hatten, getan hat, doch er ist ziemlich ... verfressen, dachte Seth. Aber das Stück gehört mir.

„Entschuldigt, aber das ist mein Fleisch“, sagte Jono.

„Ach ja? Ich sehe nicht, dass dort irgendwo eine Kartusche mit Eurem Namen angebracht ist und ich möchte behaupten, dass Ihr bereits reichlich von diesem Braten genossen habt.“

„Dürft Ihr als Priester überhaupt so viel Fleisch essen?“

„Was ich essen darf und was nicht, ist nicht Eure Angelegenheit, Euer Hoheit.“

„An wen erinnern mich die beiden nur“, überlegte Mahaado.

Über Isis’ Gesicht huschte ein belustigtes Grinsen.

„Wenn man den beiden zuhört, könnte man fast den Eindruck bekommen, es handele sich zwischen ihnen um einen Ehestreit.“

„Wir streiten uns doch gar nicht!“, antworteten die zwei gleichzeitig und ließen das Fleisch auf die Platte zurückfallen.

Anitta verdrehte genervt die Augen. Er war von Anfang an dagegen gewesen, Kail mit auf die Reise zu nehmen, aber sein Vater hatte ja darauf bestanden. Mehr Ernsthaftigkeit lernen, von wegen. In die Armee hätte er ihn stecken sollen, da würden sie ihm schon Zucht und Ordnung beibringen.

„Quaak ... quak ...“

„Wie, was, wer ... Wer hat das gesagt?“

„Fürst Anitta, da – auf Eurem Kopf!“

Lubarna deutete mit dem Finger auf ihn.

„Ah, da steckst du also!“

Ein Mädchen mit langen schokoladenbraunen Haaren und einem hellbeigen, knielangen Kleid tauchte zwischen den grünen Büschen auf. In ihrer Hand hielt sie einen Stab, dessen Länge in etwa der ihres Unterarmes entsprach. Mit diesem zielte sie quer durch den Raum auf Anitta, der nicht begriff, was das ganze Theater überhaupt sollte.

„Was hast du hier zu suchen, Mana?“, fragte Mahaado.

Er erstarrte, als sich sein Blick Anitta zuwandte. Auf dessen Kopf saß ein großer, grüner Frosch und quakte.

„Und was hat das Tier hier verloren?“

„Für den Zaubertrank, den Ihr mir zu brauen aufgetragen hattet, brauchte ich einen Frosch und da keine mehr da waren, hab ich mir gedacht, ich fange einen, dann ist er wenigstens frisch –“

„Entferne dieses Vieh sofort vom Kopf unseres erlauchten Gastes!“

„Genau das wollte ich gerade. Ascha kti!“

„Halt, das –“

Doch es war zu spät, der Spruch war gesprochen. Ein silberner Wirbel löste sich aus der Spitze von Manas Stab und traf den jämmerlich um Hilfe quakenden Frosch. Anitta wurde von einer dicken Rauchwolke eingehüllt. Sekunden darauf erfüllte ein vielstimmiges lautes Quaken den Saal. Mahaado schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

„MANA! Oh ihr Götter, was habe ich nur getan, dass ihr mich mit solch einer Schülerin straft!“

Anitta sprang mit einem Kreischen, das eher zu einem Mädchen denn zu einem erwachsenen Mann gepasst hätte, von seinem Hocker auf und machte sich hektisch daran, die Frösche von sich zu schütteln, die überall auf seinen Gewändern saßen. Der Tisch vor ihm sah ebenso grün aus wie der Fußboden ringsrum. Jono zitterte.

„Ha ...“ Er presste die Lippen zusammen, das leichte Zittern ging in ein Beben über. „Aha ... Hahaha!“

Er versuchte wirklich, sich zusammenzureißen, doch er konnte nicht anders. Anitta, umgeben von Hunderten von Fröschen, die in ein geräuschvolles Quakkonzert fielen, das erregte seine Lachmuskeln zu sehr und er blieb nicht der Einzige. In rascher Folge fielen erst Atemu und Zidanta, dann die Priester, mit Ausnahme von Mahaado und Seth, in das Lachen ein. Der Magier wedelte kurz mit der Hand und die Froschplage löste sich in Luft auf. Anitta ließ sich schwer atmend auf seinen Hocker sinken, nicht ohne sich vergewissert zu haben, dass er froschfrei war.

„Aaaauutsch!“

Manas Schrei unterbrach das Gelächter. Mahaado hatte sie am Ohr ergriffen.

„Das wird Konsequenzen für dich haben, Mana, das verspreche ich dir. Komm mit, ich muss mal ein ernstes Wort mit dir sprechen.“

Er zog sie aus dem Saal, hinaus in den Innenhof.

„Was fällt dir ein, einen Frosch auf den Fürsten zu hetzen? Bist du noch recht bei Trost, Mana? Was sollen unsere Gäste von uns denken! Kemet empfängt seine Gäste jetzt mit Froschgeschwadern oder was?“

Mana schrumpfte unter Mahaados Schimpftirade regelrecht zusammen. Er zwang sie, sich auf Knien vor Anitta zu verbeugen und ihn um Verzeihung zu bitten, dann trug er ihr auf, die Pferdestallungen zu säubern – ohne Zauberei. Den Stab konfiszierte er. Mana entfernte sich geknickt.

An eine Fortführung der Verhandlungen war für den Rest des Tages nicht mehr zu denken. Anitta schloss sich in seinen Gemächern ein und weigerte sich, wieder herauszukommen. Lubarna beschwerte sich wortreich beim Pharao und seinen Priestern und drohte ihnen sogar die sofortige Abreise an. Atemu hatte allerdings seine Hausaufgaben gemacht. Er hatte sich über seinen Besuch genaue Informationen verschafft und so wusste er, dass die Herren dem weiblichen Geschlecht überaus zugeneigt waren. Die Tür hatte sich kaum geräuschvoll hinter Lubarna geschlossen, als sich Atemu auf direktem Weg in seinen Harem begab, um ein paar Mädchen auszuwählen, die den Hethitern heute die Nacht versüßen und sie wieder milde stimmen sollten.
 

Mana stieß die hölzerne Mistgabel zum wahrscheinlich tausendsten Mal in das von Pferdeäpfeln übersäte Stroh, um es auf eine Karre zu laden und aus dem Stall zu schaffen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn und streifte ein paar Haarsträhnen zurück. Sie verstand, dass Mahaado sauer auf sie war, aber musste er sie deshalb gleich die ganzen Stallungen säubern lassen? Noch dazu ohne magische Hilfsmittel. Dabei hatte sie lediglich ein falsches Wort bei ihrem Zauber verwendet – und die Wirkung war ebenso durchschlagend wie verheerend gewesen. Aber was konnte sie denn dafür, wenn sich der Frosch ausgerechnet den Kopf dieses hethitischen Fürsten als Ruheplatz aussuchte?

Ohne Unterbrechung wanderte die Gabel zwischen Mist und Karre hin und her und verlagerte den Berg stinkenden Abfalls von den Boxen, in denen die Pferde des Pharaos, der obersten Priester und Beamten und ihrer Gäste untergebracht waren, hin zu dem hölzernen Gefährt.

„Ah, wie ich sehe, bist du fleißig an der Arbeit.“

Die junge Magierin hielt in ihrer Arbeit inne und drehte sich zur Stalltür um, in deren Öffnung Jono lehnte und sie beobachtete.

„Prinz Kail ... Was führt Euch in die Ställe?“

„Ich wollte mal sehen, wie es meinem Pferd geht.“

Er ging zu der Box, in der Rotauge untergebracht war und strich ihm über den Hals. Der Hengst erwiderte die Liebkosungen mit leisem Schnauben und rieb den Kopf an der Hand seines Herrn.

„Du hast ja ganz schön hier zu tun“, bemerkte Jono nach einer Weile, als Mana mit entleerter Karre zurückkam.

„Der Pharao und Meister Seth haben eine Vorliebe für Pferde. Die meisten Tiere hier gehören ihnen. Euer Rotauge ... kommt mir auch seltsam bekannt vor.“

„Das ist gut möglich, er gehörte bis vor kurzem dem Hohepriester Seth.“

„Es muss Euch ein Vermögen gekostet haben, ihn zu erwerben. Meister Seth ist dafür bekannt, dass er sich nur äußerst selten von einem seiner Tiere trennt und wenn, dann nur zu einem hohen Preis.“

„Dann scheine ich sehr gut davongekommen zu sein. Mich hat es jedenfalls nur einen Dorn gekostet, den ich Rotauge aus dem Huf gezogen habe.“

„Da müsst Ihr Meister Seth an einem sehr guten Tag erwischt haben. Ähm ... ich meine ...“ Mana lachte verlegen.

„Ich weiß, was du meinst. Ich habe auch schon mit seiner charmanten Art Bekanntschaft gemacht.“

„Er kann auch ganz nett und umgänglich sein.“

„Wann, wenn er schläft vielleicht? Mir ist in meinem Leben noch nie eine Person von solcher Arroganz über den Weg gelaufen. Zwei Tage bin ich mit ihm gereist, bevor wir auf meine Männer gestoßen sind, und er hat mich mit einem Misstrauen behandelt, als wäre ich ein Schwerverbrecher.“

Obwohl er in dem Punkt irgendwie ... Recht hat, fügte er in Gedanken hinzu.

„Wie würdet Ihr denn reagieren, wenn Ihr mitten in der Wüste auf einen Fremden stoßt?“, erkundigte sich Mana.

„Gut ... vielleicht auch so. Aber selbst als er wusste, wer ich bin ... An seinem Verhalten hat sich nichts geändert, im Gegenteil. Mit Seth lässt sich nicht vernünftig reden. Dazu ist er viel zu eingebildet und von sich selbst überzeugt.“

Die Hand eben jenes Hohepriesters schlug mit einem dumpfen Klang gegen das Tor des Pferdestalls, den er gerade hatte betreten wollen, als die zwei Stimmen ihn hatten innehalten lassen. Er konnte kaum glauben, was er da hörte, Kail beschwerte sich doch tatsächlich über ihn! Irgendwie ärgerte ihn das ungemein. Nicht dass er besonderen Wert auf die Meinung eines Hethiterprinzen legte ... aber als eingebildet ließ er sich von niemandem bezeichnen. Er drehte sich auf dem Sandalenabsatz um und rauschte davon.

„Aber ... ich weiß auch nicht, er scheint ein interessanter Mensch zu sein“, fuhr Jono fort, ohne den kurzen Besuch Seths bemerkt zu haben. „Ich wüsste gern, wie er sich verhält, wenn er ... nett ist.“
 

Das Mädchen, das Atemu für Prinz Kails Besänftigung angesichts von Manas Missgeschick ausgewählt hatte, kehrte am Abend unverrichteter Dinge in den Harem zurück und berichtete dem Pharao, der Prinz habe sie mit der Begründung, er sei zu müde und zürne Mana nicht, abgewiesen. Atemu wunderte sich. Man hatte ihm berichtet, dass Kail nie eine Gelegenheit zu einem nächtlichen Abenteuer ausließ, selbst wenn er so viel getrunken hatte, dass er sich kaum noch aufrecht halten konnte.

Viele Gedanken konnte er sich nicht darüber machen, denn am folgenden Tag nahmen ihn die Verhandlungen mit einem nun wesentlich besser gelaunten Anitta – dasselbe galt für Lubarna und Zidanta – voll in Anspruch. Zwar ging ihre Verhandlung auch an diesem Tag ohne ein Ergebnis aus, doch die Meinungen der Fürsten gingen nicht mehr so weit auseinander wie am Vortag.

Am dritten Morgen nach ihrer Ankunft in Men-nefer wurde Jono von Marik noch früher geweckt als bisher, noch lange bevor Ra in seinem Sonnenwagen überhaupt am Horizont aufgetaucht war. Die Jagd sollte früh beginnen. Marik hatte in weiser Voraussicht, dass es schwer werden würde, Jono wach zu bekommen, bereits am Abend Wasser vom Nil herschaffen und in einem kühlen Raum des Palastes in Tonkrügen einlagern lassen. So war das Wasser, das Marik Jono vor dem Baden übergoss, eiskalt, weckte dafür jedoch die Lebensgeister. Er hatte sich damit abgefunden, es nicht von heute auf morgen zu schaffen, aus dem Langschläfer Jono einen Frühaufsteher zu machen, wie Kail es gewesen war und so ließ er sich nun allerlei Tricks einfallen, um Jono morgens aus dem Bett zu befördern, wenn sich dieser noch umdrehen und weiterschlafen wollte.

Nach einem kräftigenden Frühstück traf sich die Jagdgesellschaft, bestehend aus Jono, Atemu, Seth, Zidanta, Lubarna und Karim sowie ihren Dienern und mehreren Medjai, die, der Tradition folgend, knielange schwarze ägyptische Röcke trugen, in einem der Vorhöfe. Anitta hatte die Einladung höflich abgelehnt, er machte sich nicht viel aus der Jagd auf Reiher und kleine Singvögel, die der Pharao heute zu erlegen gedachte. Er präferierte die Jagd auf einen kapitalen Hirsch. Alle, selbst Seth, hatten sich dem Anlass entsprechend gekleidet und keines der zumeist mit kurzen Ärmeln versehenen Kleidungsstücke reichte länger als bis zu den Knien.

Jono unterdrückte den ihm sehr unpassend vorkommenden Gedanken, der Hohepriester habe eine doch recht ansehnliche Figur, die er gern einmal ohne störenden Stoff bewundern würde. Er mochte Seth nicht und dieser hegte für ihn ebenfalls keinen Funken Zuneigung. Eine tiefe gegenseitige Antipathie, das war es, was sie miteinander verband, nichts anderes. Ein überdachter Säulengang, alle paar Meter von einer Sphinx überwacht, führte vom Palast direkt bis an die Ufer des Nil.

Sie fuhren in kleinen Booten auf den Fluss hinaus, die jeweils vier bis fünf Personen aufnehmen konnten. Die Nacht war inzwischen der Dämmerung gewichen und im Osten zeichnete sich in zartem Blau und Pfirsichgelb, das langsam in Orange und dann in Rot überging, die Sonne ab und färbte ein paar Federwolken, die über den Himmel zogen, rosa.

Die adligen Herren hatten ihre Bögen in der Hand, ihre Diener saßen neben ihnen und hielten den Köcher, um ihnen bei Bedarf einen Pfeil zu reichen. Sie mussten den Nil ein Stück hochfahren, direkt am Palast, wo ständig Diener zum Ufer liefen, um Wasser zu holen oder die Wäsche zu waschen oder die Menschen zum Baden herkamen, war es den Vögeln zu unruhig.

Jono hatte sich gestern Abend für einige Stunden mit Marik in den weitläufigen Garten zurückgezogen und geübt, um sich mit dem ihm ungewohnten Bogen vertraut zu machen. Der hethitische Bogen war etwas schwerer als der, mit dem er zu Hause seine Pfeile abgeschossen hatte. Dass er überhaupt mit ihm umgehen konnte, verdankte er, wie sein Wissen über einige Gepflogenheiten des Adels, seinem Freund Raneb und dessen Vater. Sein eigener Vater wäre von selbst nie auf den Gedanken verfallen, ihm eine Ausbildung in den Kampfkünsten oder gar gleich beim Militär angedeihen zu lassen. Er brauchte in seiner Familie keinen Krieger, sondern einen guten Händler, der seine Geschäfte übernehmen konnte. Seine älteste Tochter Nefertiri war bereits seit einigen Jahren mit einem Schreiber des Anubis-Tempels verheiratet und Selket war mit einem Beamten verlobt, so dass es an Jono hängen bleiben würde, den Handel fortzuführen. Allerdings hatte Fürst Ramose ihn mit dem Argument überzeugen können, ein Händler, der viel durch das Land reise, müsse sich auch zu verteidigen wissen, wenn seinen Wachen etwas geschah. So war es dazu gekommen, dass die beiden Jungen von Kindesbeinen an zusammen von Fürst Ramoses Hauptmann Kysen unterrichtet worden waren, sobald der Unterricht im Tempel beendet war. Die Übungen hatten sowohl seinen Körper gestählt, als ihn auch den Umgang mit Schwert, Speer und dem Bogen gelehrt.

Die Ufer des Nil waren zum Teil dicht mit Schilf und Papyrusstauden bestanden und boten den vielen Wasservögeln damit einen idealen Platz zum Nisten. Es dauerte nicht lange, bis sie auf die ersten Gänse stießen, deren braun gefärbtes Federkleid sich gut von dem Grün der Pflanzen abhob, zwischen denen sie Schutz gesucht hatten. Atemu erhob sich als Erster und feuerte einen gut gezielten Schuss ab. Der Pfeil traf die Gans und klatschte ins Wasser, als der leblose Körper zur Seite kippte. Eilig ruderten ein paar Diener in einem extra Boot heran und zogen die Gans aus dem Fluss, um sie dem Pharao zu präsentieren. Er wurde von den anderen Jägern mit einem anerkennenden Nicken bedacht, man wollte ja die Tiere nicht unnötig aufschrecken.

Jono suchte sich eine Gans aus, die gerade dabei war, ihr Frühstück, frische Wasserpflanzen, zu vertilgen. Er nahm sich Zeit, sorgfältig zu zielen – und zögerte einen Moment zu lange. Die Gans hatte ihn bemerkt, schnatterte laut, schlug hektisch mit den Flügel und hob ab. Jono folgte ihr mit dem Pfeil im Anschlag und ließ die Sehne los. Das Aufspritzen des Wassers kurz darauf bestätigte ihm, dass er getroffen hatte.

„Das war ein Meisterschuss, Euer Hoheit“, sagte Lubarna, dessen Boot in seiner Nähe lag.

„Ja, das war es“, erwiderte Jono fröhlich und drehte sich zu Seth um. „Meint Ihr, Ihr könnt das schlagen, Seth?“

„Pff ... Mit Leichtigkeit.“

Seth sah sich nach einem geeigneten Ziel um und erfasste zwischen zwei Papyrusstauden einen Reiher. Diesem Grünschnabel würde er es zeigen. Das war doch nur ein Glückstreffer gewesen. Er galt neben dem Pharao als einer der besten Jäger und diesen Rang würde er sich nicht streitig machen lassen. Schon gar nicht von diesem Prinzen.

Ein plötzlicher heftiger Stoß brachte das Boot, in dem er stand, zum Schwanken. Hinter Seth hob sich der bräunliche, fast kupferfarbene breite Rücken eines Nilpferdes aus dem Wasser. Noch einmal stieß das Tier gegen das Boot und brachte es zum Kentern. Die Insassen stürzten ins Wasser.

„Weg von dem Boot!“, rief Karim. „Kommt zu uns und dann lasst uns zurückfahren. Schnell!“

Hapi und der Medjai, die sich mit im Boot befunden hatten, schwammen so schnell sie konnten auf die anderen Boote zu und wurden von helfenden Händen an Bord gezogen. Direkt neben Seth tauchte ein zweites Nilpferd auf und schnappte nach ihm. Er warf sich zur Seite, wodurch statt seines Beines der Stoff seines Gewandes zwischen die Fänge des Tieres geriet.

Eine nicht minder schlimme Sache, wie er gleich darauf erblassend feststellen musste. Das Nilpferd tauchte und zog ihn mit sich. Über ihm schlug das Wasser zusammen, er hielt die Luft an. Seth zerrte an dem Stoff, versuchte sich zu befreien.

„Seth!“ Atemu stand aufrecht im Boot und starrte fassungslos auf die Stelle, an der vor wenigen Sekunden sein Oberpriester untergegangen war. Kurz stiegen noch vereinzelte Luftblasen auf, dann beruhigte sich das Wasser.

„Der macht auch nichts als Ärger“, brummte Jono und warf seinen Bogen ins Boot. Mit einem Sprung, der das Boot schaukeln ließ, sprang er ins Wasser.

Ein letzter kräftiger Ruck ließ das Nilpferd sein Maul öffnen und Seth damit aus seiner Gefangenschaft frei. Mit zerrissenem Gewand, aber am Leben machte er sich mit schnellen Schwimmzügen auf den Weg an die Wasseroberfläche. Er brauchte Luft, er war es nicht gewohnt, lange zu tauchen. Ein unerwarteter Widerstand an seinem Bein brachte ihn zum Halten. Hatte das Nilpferd ihn erneut geschnappt? Dann erkannte er das Übel. Das Tier hatte ihn fast bis auf den Grund gezogen und sein Fuß hatte sich in ein paar Schlingpflanzen verfangen. Er presste die Lippen fest aufeinander, um nicht die verbliebene Luft entweichen zu lassen. Es half nichts, er musste noch einmal runter. Aber die Luft, die Luft ... Seine Lungen schrien nach Sauerstoff.

Weiter oben glitzerte die Sonne golden durch das Wasser und warf schimmernde Lichtreflexe auf seine sich sanft kräuselnde Oberfläche. Um Seth aber wurde es langsam dunkel.

Jono bewegte sich mit kraftvollen Zügen vorwärts, zugleich nach unten und hin zu der Stelle, an der Seth zuletzt gesehen worden war. Ein Stück voraus entdeckte er ihn. Von der anderen Seite näherte sich das Nilpferd, das seine Beute nicht so einfach aufgeben wollte. Seth zog und zerrte an seinem Fuß, der sich, wie Jono durch die leicht zusammengekniffenen Augen erkannte, in den Pflanzen verfangen hatte. Auf einmal wurden seine Bewegungen langsamer und hörten ganz auf.

Verdammt!

Jono pflügte geradezu durch das Wasser und erreichte Seth als Erster. Er ließ sich zu dessen Fuß sinken und zerrte an den Schlingpflanzen, die sich wie eine grüne Fessel um sein Fußgelenk gewickelt hatten. Das Nilpferd kam immer näher.

Verschwinde von hier!, dachte Jono verzweifelt. ]Götter Kemets, helft uns! Wenn ich sterben soll, gut, aber rettet wenigstens Euren treuen Diener.

Konzentriert darauf, Seth zu befreien, entging ihm das feine Leuchten, das aus dem Beutel an seiner Hüfte kam, in dem er das Amulett aufbewahrte. Er hatte es nicht gewagt, es unbeaufsichtigt im Palast zurückzulassen. Das Nilpferd hielt inne und blinzelte, dann wandte es sich ab und schwamm in die entgegengesetzte Richtung davon. Das Licht erstarb.

Jono löste Seths Fuß, packte ihn um die Taille und machte sich mit ihm, so schnell es ihm das zusätzliche Gewicht an seinem Arm er-möglichte, auf den Weg Richtung Oberfläche. Unweit einer kleinen Bucht, die von Papyrusstauden geschützt war, durchstießen sie das Wasser. Jono zog Seth aus dem Fluss und schleifte ihn ans Ufer, doch der Priester tat trotz der frischen Luft keinen Atemzug.

„Oh nein, Euch lasse ich noch nicht vor Anubis treten“, sagte Jono und beugte sich kurzerhand über ihn.

Er holte tief Luft, hielt Seth die Nase zu und setzte seinen Mund auf den des Priesters. Mehrmals wiederholte er dies, dann richtete sich Seth plötzlich auf, spuckte einen Schwall Wasser aus und hustete. Jono klopfte ihm kräftig auf den Rücken, um auch das übrige Wasser, das er geschluckt hatte, aus ihm herauszubefördern.

„Das war knapp, meint Ihr nicht auch, Seth?“

„Ihr ... hust ... Ihr habt mich gerettet?“, fragte er ungläubig.

„Ich war so frei.“

„Warum muss mich ausgerechnet ein hethitischer Hund retten“, murmelte er.

„Das frage ich mich auch“, sagte Jono. „Und den Hund verbitte ich mir, Schlange.“

„Wie habt Ihr mich gerade genannt?“

„Ihr heißt Seth, wie der Gott der Wüste. Und ist die Schlange nicht eines von seinen Symboltieren? Wenn Ihr wünscht, dass ich Euch mit einem anderen vergleiche, so solltet Ihr von Euren Hundevergleichen absehen.“

Sie waren sich während ihrer Unterhaltung so nahe gekommen, dass nun nur wenige Zentimeter ihre Köpfe noch voneinander trennten. Seths Herzschlag begann, ihm unerklärlich, zu rasen. Vielleicht eine Nachwirkung des Schocks, beinahe ertrunken zu sein? Jono stieg eine leichte Röte ins Gesicht, als ihm ihre Nähe auffiel.

„Hmm ... Vielleicht werde ich mir etwas überlegen“, sagte Seth. „Ich –“

„Da seid Ihr ja! Seth, den Göttern sei Dank ist Euch nichts zugestoßen. Wir waren in großer Sorge um Euch.“

Atemus Boot steuerte auf die Bucht zu. Seth und Jono fuhren auseinander. Nachdem man die beiden durchnässten Männer an Bord geholt hatte, machte sich die Jagdgesellschaft auf den Rückweg zum Palast. Niemand von ihnen war auf ein weiteres Treffen mit den erzürnten Nilpferden erpicht.
 

Das war es auch schon wieder. Aber die Fortsetzung folgt – sehr bald. ^_^

Und an dieser Stelle, da der Upload am 25.10.2008 war: Happy Birthday, Seto/Seth!

Gefährliches Spiel

Vielen Dank an littledivana, Roset-te, Yisa, Asch und Rani für eure Kommentare. *verbeug*

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=3qtkHdJPIqo Prince of Persia – Warrior within
 

Kapitel 7

Gefährliches Spiel
 

Jono ließ sich frustriert auf einen Hocker fallen und streifte die Sandalen von seinen Füßen. Zidanta hatte ihm aufgetragen, nach dem Abendessen ein Schriftstück zu studieren, in dem Anweisungen für das Verhalten von Diplomaten verzeichnet waren, doch er konnte sich nicht auf das Lesen konzentrieren. Immer wieder glitten seine Gedanken zu dem Blauäugigen ab, der sich seit neuestem auch in seinen Träumen breit machte. Gestern Nacht hatte er ihn gar in einen heißen Kuss verwickelt und Jono hatte beim Aufwachen das zweifelhafte Vergnügen gehabt, der davon sehr begeisterten Reaktion seines Körpers ansichtig zu werden. In der Realität sah die Angelegenheit ein klein wenig anders aus.

Zwei Tage waren seit dem denkwürdigen Vorfall auf dem Nil vergangen und noch immer war Seths Rettung durch den Hethiterprinzen im Palast das Gesprächsthema Nummer eins. Die Damenwelt lag ihm bereits, ohne dass er etwas dafür tun musste, zu Füßen. Seth aber ging ihm aus dem Weg, wann immer er konnte. Nicht mal ein „Danke“ oder gar ein „Vielen Dank“ hatte er von ihm zu hören bekommen, im Gegenteil. Wenn ein Treffen zwischen ihnen unvermeidlich war, behandelte ihn der Priester noch kühler und herablassender als bisher. Sie sahen sich nur noch bei den Konferenzen, die langsam die ersten Fortschritte zu verzeichnen hatten.

„Wie wäre es mit einem Spaziergang, Euer Hoheit?“, schlug Marik vor, dem die Niedergeschlagenheit Jonos nicht entgangen war. „Die Gärten des Palastes sind sehr schön.“

„Das weiß ich, denn ich habe inzwischen wahrscheinlich jeden Winkel von ihnen durchwandert. Nein, ich brauche ... Ich möchte in die Stadt. Seit unserer Ankunft habe ich mich fast nur im Palast aufgehalten. Aber ich würde gern etwas von Men-nefer sehen, wenn ich schon mal hier bin.“

„Unsere Wachen dürfen die Anlage nicht verlassen, soweit ich informiert bin. Ich weiß nicht, ob –“

„Du hast Recht, womöglich lassen mich die Wachen auch nicht hinaus. Meine Kleidung ist ohnehin zu auffällig, daran würde man mich sofort erkennen. Marik, versuch für mich etwas ägyptische Kleidung aufzutreiben. Nichts Aufwändiges, nur so, dass ich nicht gleich als Prinz Kail erkannt werde.“

Bald darauf machte sich Jono, in ein etwas schlichteres Gewand aus weißem und rot gefärbtem Leinen und einen Umhang gekleidet und mit Armreifen, deren Verzierungen nicht gleich auf ihre nördliche Herkunft schließen ließen, auf den Weg in die Stadt. Obwohl Marik ihm mehrfach angeboten hatte, ihn zu begleiten, hatte er dies abgelehnt. Immer stand er unter Beobachtung, wenigstens für ein paar Minuten wollte er heute seine Ruhe haben. Ohne größere Schwierigkeiten ließen ihn die Wächter am Tor, das den Palastbereich von der Stadt trennte, passieren.

Die Straßen waren, der frühen Abendstunde zum Trotz, noch gut mit Menschen gefüllt, die sich an den unzähligen Ständen der Händler entlang schoben, welche mit lauter Stimme ihre Waren feilboten. Die verschiedensten Gerüche nach gebratenem Fleisch, noch ofenwarmem Brot, frischem Obst, Gewürzen, Salben und Ölen mischten sich mit den Ausdünstungen tausender Menschen. Zusammen ergaben sie den ganz eigenen Duft, den eine Großstadt wie Men-nefer verströmte.

Jono ließ sich von dem Menschenstrom erfassen und ohne ein bestimmtes Ziel durch die Straßen treiben. Hin und wieder hielt er kurz an einem Stand, um die ausgelegten Waren zu begutachten. Als sich sein Magen meldete, erstand er bei einer Frau, deren Gesicht tiefe Runzeln trug, obwohl sie kaum die Dreißig überschritten haben konnte, zwei Spieße mit gebratenen Hammelstücken.

Vor einem Schmuckhändler blieb er, während er von seinem Fleisch abbiss, etwas länger stehen und unterzog einige Stücke einer eingehenderen Musterung. Ein Pektoral aus bunten Halbedelsteinperlen, das in einem aus Lapislazuli geschnittenen geflügelten Skarabäus mündete, gefiel ihm besonders. Der Händler redete mit samtener Stimme auf seinen potenziellen Kunden ein, schwärmte von der überaus guten Verarbeitung der Materialien und wie hervorragend es dem jungen Herrn stehen würde. Schließlich ließ sich Jono überzeugen und griff nach dem Geldbeutel, den er mitgenommen hatte. Sein früheres Vorhaben, kein Geld der Hethiter auszugeben, da er den Prinzen schließlich nur spielte, hatte sich – zumindest heute – längst in den Hintergrund geschoben und der Schmuck lockte ihn zu sehr, als dass er ihn bei dem Händler lassen wollte. Man lebte ja nur einmal und wer wusste zu sagen, wie schnell es ein Ende finden konnte.

Er zählte dem Mann geduldig die verlangten Münzen in die Hand und ließ sich das Pektoral, das von einem goldenen Gegengewicht, welches am Verschluss befestigt war, an seinem Platz gehalten wurde, umlegen. Er ahnte nicht, dass er dabei von jemandem beobachtet wurde, der sich in den Schatten der Häuser verbarg.
 

Hapi hielt das kleine brennende Holzstück vorsichtig an den Docht der Öllampe und entzündete ihn. Zwei weitere Lampen brachte er so zum Leuchten, dann blies er den Anzünder rasch aus, ehe er sich an ihm die Finger verbrannte. Eine Lampe stellte er neben Seth ab, der an seinem Arbeitstisch saß und an einem Bericht schrieb. Oder besser gesagt, er versuchte einen Bericht zu schreiben.

In der letzten halben Stunde hatte sich der Binsenstängel kaum von der Stelle gerührt und hing still über dem erst zur Hälfte beschriebenen Papyrus. Körperlich mochte Seth anwesend sein, seine Gedanken jedoch weilten an einem ganz anderen Ort. In einer kleinen Bucht, eingerahmt von Papyrusstauden, die unter einer leichten Brise zitterten.

Er sah ihn vor sich, leicht über ihn gebeugt, das Wasser tropfte aus einer nassen Flut von Gold, die sein Haar bildete. Die muskulöse Brust hob und senkte sich in raschen Atemzügen, während sich die vollen Lippen des jungen Prinzen seinen näherten. Wieder machte Seths Herzschlag, was er wollte und erhöhte die Frequenz, mit der er das Blut durch den Körper des Priesters beförderte.

„Wie soll ein Mensch so arbeiten“, seufzte er und tauchte das Schreibgerät in die Tusche.

Der Bericht musste fertig werden, der Tempel wartete darauf. Seth schrieb zwei weitere Sätze in den heiligen Zeichen nieder, dann verharrte er erneut. Ein Tropfen Tusche löste sich und fiel auf den Papyrus. Fluchend sprang Seth auf und warf den Binsenstängel auf den Tisch. Da passte er einen Moment – Zeit ist bekanntlich relativ – nicht auf und schon war der ganze Papyrus verdorben. Ein schmutziges Dokument konnte er unmöglich abliefern. Das passte nicht zu dem korrekten Hohepriester, der seine Untergebenen auch bei kleinen Vergehen nicht ohne ein mahnendes Wort davonkommen ließ. Es passte nicht zu dem kühlen Verhalten, mit dem er sich umgab. Ebenso wenig wie die merkwürdige Hitze, die ihn überflutete, wenn sich seine Gedanken den Weg zu Kail suchten.

„Hapi, sattle Chons, ich reite aus.“

„Jetzt noch, Herr? Es wird schon dunkel.“

„Hinterfrage meine Befehle nicht und tu, was ich dir sage. Ich brauche frische Luft“, sagte Seth ungehalten.

Er ging unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab, bis Hapi zurückkam und ihm meldete, dass sein Pferd fertig gesattelt im Hof auf ihn warte. Mit harschen Worten befahl er die Wachen, die ihn als Leibwache begleiten sollten, zurück auf ihre Posten. Er konnte, wollte jetzt niemanden um sich haben. Seth schwang sich auf Chons’ weißen Rücken und ritt durch das Tor, hinaus auf die Straßen.
 

Das Tageslicht wurde mit jedem Schritt, den Jono ging, schwächer. Er befand sich, nachdem er sich mehrmals nach der Richtung zum Palast hatte erkundigen müssen, auf dem Heimweg. Wenn man einmal wie er von der großen, ständig belebten Hauptstraße abgewichen war, wurde es ohne Ortskenntnisse schwierig, den richtigen Weg zu finden. Dann wurden die vielen kleinen Gassen schnell zu einem Labyrinth.

Er war sich inzwischen nicht einmal mehr sicher, ob er sich überhaupt noch auf einer der Geschäftsstraßen befand. Die Häuser sahen alle gleich aus und das schwindende Licht machte es nicht besser. „Immer geradeaus, bis zu der Bäckerei und dann links“ hatte der letzte Mann gesagt, den er nach dem Weg gefragt hatte. Aber wie lange war das her? Er hätte längst da sein müssen. Jono sah sich um, wen er noch nach dem Weg fragen konnte, doch die Straße war leer.

Er drehte sich seufzend um, um seinen Weg fortzusetzen und zuckte zusammen. Direkt vor ihm stand ein Mann, zwei, allerhöchstens drei Jahre älter als er. Seine Haare waren weiß – für jemanden seines Alters eine sehr ungewöhnliche Farbe; seine Augen schimmerten in einem Rehbraun, doch sie hatten keine Wärme in sich. Stattdessen strahlten sie Kühle und Berechnung aus. Der Fremde war in einen weiten, roten, mit weißen Streifen versehenen Beduinenmantel gehüllt, unter dem er einen hellen ägyptischen Rock trug.

„So spät noch allein unterwegs, junger Herr?“, fragte er und deutete eine Verbeugung an.

Das Lächeln, das dabei auf seine Lippen trat, gefiel Jono nicht. Er machte einen Schritt nach links, um an seinem Gegenüber vorbeizugehen, doch dieser folgte ihm. Dasselbe geschah, als Jono nach rechts trat.

„Würdet Ihr mich bitte vorbeilassen“, sagte Jono und bemühte sich, seine Stimme so selbstbewusst klingen zu lassen, als stehe hinter ihm die ganze Armee Kemets, als sei er nicht allein mit diesem Unbekannten auf einer dunklen, verlassenen Straße.

„Und weshalb sollte ich das tun?“, überlegte der Weißhaarige.

„Weil ... Widersprecht mir nicht!“ Jono atmete tief durch und dachte an Zidantas Worte. Ein Prinz von Hatti sollte sich von niemandem einschüchtern lassen. „Ich wünsche, dass Ihr den Weg freigebt, unverzüglich.“

„Unverzüglich ... So, so. Da scheine ich ja heute an einen ganz feinen Herrn geraten zu sein. Amun scheint mir einen Glückstag zu bescheren.“

Das Lächeln verwandelte sich in ein böses Grinsen, das dem falschen Prinzen einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Er packte Jono und stieß ihn gegen die Mauer des Hauses, neben dem sie standen.

„Genug gespielt. Gebt mir Euren Schmuck und Euer Gold, dann lasse ich Euch ziehen. Junger Herr.“

Dieser Straßenräuber hat mir jetzt gerade noch gefehlt.

Jono riskierte einen kurzen Blick an sich herunter. An seinem Gürtel hing der Dolch, dank dem er von Zidanta als „Kail“ erkannt worden war. Wenn er ihn ergreifen konnte ... Seine Hand wanderte langsam auf seine Taille zu. Ein kurzes metallisches Klirren ertönte. Jono hielt den Atem an. An seiner Kehle saß ein Dolch und es war nicht seiner.

„Wenn ich Ihr wäre, würde ich das lassen“, sagte der Dieb. „Glaubt mir, es ist besser für Eure Gesundheit, wenn Ihr mir einfach gebt, wonach ich verlange.“

Jono konnte gar nicht so schnell reagieren, wie seine Handgelenke gepackt, nach oben über seinen Kopf gezogen und gegen die Wand gepresst wurden. Der Dolch blitzte zwischen den Zähnen des Diebes auf. Er umfasste Jonos Gelenke mit einer Hand und nahm mit der so freigewordenen den Dolch aus dem Mund. Seine Zunge strich über die Klinge, liebkosend, als wäre sie seine Geliebte, während er sein Opfer mit böse funkelnden Augen betrachtete. Hatte Jono die Angst bisher noch halbwegs verbergen können, stand sie ihm jetzt deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Da fällt mir ein, es ist unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen“, sagte der Dieb. „Ihr solltet wenigstens wissen, wem Ihr Euer Geschmeide hinterlasst.“

Jono spürte das kalte Metall der Klinge an seiner Wange und begann zu zittern. Er hätte sich nicht auf ein Wortduell mit dem Kerl einlassen und ihm die Sachen gleich übergeben sollen. Dieser deutete eine weitere Verbeugung an.

„Ihr habt die Ehre von Kura, dem Herrn der Diebe von Men-nefer, ausgeraubt zu werden.“

„Da kann ich mich wohl sehr geehrt fühlen“, knirschte Jono. Er hätte sich ohrfeigen können. Hätte er das Amulett nur im Palast gelassen. Wozu hatte er die ganze Zeit darauf aufgepasst, wenn es jetzt von diesem kleinen Straßenräuber gestohlen wurde? Er überlegte fieberhaft, wie er dem Mann entkommen konnte.
 

Seth preschte auf seinem Pferd wie ein Wahnsinniger durch die stillen Straßen von Men-nefer. Das war der Vorteil an einem abendlichen Ausritt, man hatte die Wege für sich. Tagsüber waren die Straßen von den Menschen oft so verstopft, dass kaum ein Durchkommen war. An einen schnellen Ritt war da erst recht nicht zu denken. Umso mehr genoss er es, Chons anzutreiben und sie beide bis an ihre Grenzen zu bringen. Die Gedanken an Kail flogen davon, fortgerissen von ihrer Geschwindigkeit. Der Gegenwind wehte ihm beinahe den Hut vom Kopf. Genau das war es, was er gebraucht hatte. Unter sich fühlte er die geschmeidigen Bewegungen von Chons. Auch dem Tier hatten ihre gemeinsamen Ausflüge gefehlt.

Die wenigen Menschen, die sich auf der Straße aufhielten, beeilten sich, an die Seite zu kommen, um nicht von den Pferdehufen erwischt zu werden. Die einfache Bevölkerung war daran gewöhnt, dass Rücksichtnahme für den Adel ein Fremdwort darstellte. Die Älteren wussten noch Geschichten aus der Zeit zu erzählen, als Atemus Vater Akunamkanon und sein Bruder Akunadin Kinder gewesen waren und mit ihren Streitwagen Rennen durch die Stadt veranstaltet hatten.

Seth verlangsamte seinen Ritt nach einer Weile und ließ Chons im Schritt weitergehen. Tier und Reiter waren erhitzt, aber zufrieden. Der Gedanke an den jungen Prinzen war aus dem Kopf des Priesters verschwunden. Er war sich sicher, dieses Mal keine Konzentrationsstörungen zu bekommen, wenn er sich an die Arbeit zurücksetzte.

„Und nun her mit den Sachen!“

„Ich gebe sie Euch ja, aber nehmt den Dolch runter und lasst mich los.“

Der Hohepriester zog die Zügel abrupt an und brachte Chons zum Stehen. Hatte er sich gerade verhört? Die Stimme kam ihm so bekannt vor. Er richtete sich auf und lauschte.

„Damit Ihr mir entwischen könnt? Ich bin nicht dumm, werter Herr.“

„Und ich kann Euch so nicht meinen Schmuck geben.“

Das war Kail, eindeutig. Und es klang, als wäre er in Schwierigkeiten.

Seth stieg leise von Chons’ Rücken, beugte sich zu dem Tier und flüsterte ihm zu, sich ruhig zu verhalten. Er zog das Kopesh, das Sichelschwert, das er immer mit sich führte, wenn er allein, ohne Wache, den Palast verließ, griff mit der anderen Hand die Zügel fester und näherte sich vorsichtig der Straße, von der die Stimmen kamen. An der Stelle, wo sich die Straße, auf der er sich befand, mit der anderen kreuzte, blieb er stehen und spähte um die Ecke eines Hauses. Was er sah, ließ ihn erbleichen.

Da stand der stolze Prinz, der ihm in den vergangenen Tagen so oft Kontra geboten hatte, zitternd und mit vor Angst geweiteten Augen an die Wand gedrückt da, die Hände von der Linken eines ihm unbekannten Weißhaarigen gefesselt. Über seine Wange zog sich ein feiner Schnitt, aus dem Blut tropfte. Die andere Hand des Mannes fuhr gerade über Kails Brust, verharrte kurz an dem prachtvollen Pektoral, das er trug.

Seths Griff um das Schwert wurde fester. Seine Zähne schlugen knirschend aufeinander, die Augen verengten sich und wurden zu schmalen Schlitzen. Niemand, absolut niemand hatte das Recht, seinen Prinzen so unsittlich zu berühren! Moment mal! Etwas stimmte hier nicht. Hatte er in Gedanken eben ernsthaft seinen Prinzen gesagt?

Ich brauche dringend mehr Schlaf, diese dauernden Überstunden tun mir eindeutig nicht gut. Jetzt denke ich schon unsinnige Dinge.

Doch dafür hatte er jetzt keine Zeit. Kail war in Gefahr.
 

Jono brach der kalte Schweiß aus, als Kuras Finger über seine Brust glitten. Anscheinend interessierte sich dieser Dieb nicht nur für seinen Schmuck. Wenn er mit seinem Leben davonkam, konnte er den Verlust seines neuen Halsschmucks ja noch verkraften, aber ihm stand nicht im Geringsten der Sinn danach, auch für die Befriedigung von Gelüsten ganz anderer Natur herzuhalten. Kuras Augen kamen ihm dunkler vor als eben noch ... Und dieses Glitzern in ihnen – das war alles andere als gut!

Aber er konnte sich keinen Millimeter rühren. Er stand da, wie zu einer Statue erstarrt. Sein Mut und sein Selbstbewusstsein hatten sich mit unbekanntem Aufenthaltsort verabschiedet, doch wem ging es anders, wenn er mit einem Dolch bedroht wurde.

„Hört zu, ich lasse jetzt Eure eine Hand los, mit der werdet Ihr Euer Gold abnehmen und es mir geben.“

Jono nickte mechanisch. Seine linke Hand wurde losgelassen, er fuhr zu dem Verschluss seines Pektorals und begann an ihm zu nesteln. Kura grinste zufrieden. Nach der Flaute des heutigen Tages war es mehr als ein Glücksgriff, dass ihm dieser reiche Bengel über den Weg gelaufen war. Seit einer Weile galten in Men-nefer scharfe Sicherheitsregeln und machten es den zahlreichen Straßenräubern und Taschendieben schwer, ihr Handwerk ordentlich auszuüben. Dabei wollte Kura doch auch nur leben.

Jono zog an dem Riegel des Verschlusses, er wollte sich einfach nicht bewegen lassen. Er musste sich verklemmt haben. Wenn er das Pektoral nicht selbst abnahm, würde Kura sicher nicht zögern, es ihm mit Gewalt vom Hals zu reißen. Verzweifelt verdrehte Jono die Augen – und gewahrte in den Schatten eine Bewegung.

„Waffe runter!“, sagte jemand hinter Kuras Rücken mit einer gefährlich eiskalten Stimme.

Diese Stimme ... es waren nur zwei Worte, doch Jono war sich sicher, dass diese Stimme selbst mit einem Wort einen ganzen Saal mühelos zum Schweigen bringen konnte. War sie in den letzten Tagen auch wiederholt dazu gebraucht worden, ihm Beleidigungen an den Kopf zu werfen, kam sie ihm in diesem Augenblick vor wie der Gesang der Götter.

Kura wandte den Kopf und sah sich dem groß gewachsenen, blauäugigen Hohepriester des Gottes Amun-Ra gegenüber, heute allerdings statt seines Stabes eher unpriesterhaft mit einem Kopesh ausgerüstet, das er auf den Dieb gerichtet hatte.

„Ich sagte: Waffe runter“, wiederholte Seth.

Obwohl sich Kuras Dolch noch an seinem Hals befand, durchfuhr Jono eine Welle der Erleichterung. Seth war gekommen, um ihm zu helfen. Und seine Worte wirkten offensichtlich, denn Kura senkte seine Waffe.

„Und jetzt wirf deinen Dolch weg und streck die Hände nach oben“, forderte Seth weiter.

Ein unerwarteter, heftiger Ruck riss Jono von seinem Platz und vor Kura, dessen Dolch sich an seinem Hals sehr wohl zu fühlen schien.

„Verzeiht mir, großer Priester, aber falls Ihr es nicht bemerkt habt, stört Ihr mich gerade bei der Arbeit. Ich komme doch auch nicht in Euren Tempel und störe Euch, während Ihr im Gebet versunken seid.“

„Du lässt ihn sofort los“, knurrte Seth mit gefletschten Zähnen.

Die Mundwinkel des Diebes verzogen sich zu einem boshaften Grinsen.

„Ich verstehe. Das ist wohl Euer Geliebter, den ich da gefangen habe. Na, wenn das so ist ... Da habt Ihr ihn!“

Er gab Jono einen kräftigen Stoß in den Rücken. Dieser stolperte, als er gegen Seths Brust geschleudert wurde, und klammerte sich an dem Gewand des Priesters fest, um nicht zu fallen. Seth legte, eher unbewusst, schützend den Arm um ihn. Kura ergriff die Gelegenheit beim Schopf und machte sich aus dem Staub.

„Bleib sofort stehen, du Dieb!“, rief Seth Kura nach, doch dieser dachte natürlich nicht im Traum daran, auf ihn zu hören. Die Dunkelheit verschluckte ihn und ließ die beiden jungen Männer allein auf der Straße zurück.

Seth brummte, unzufrieden, weil der Dieb ihm entwischt war, und ließ das Schwert sinken. Dann wandte sich sein Blick Jono zu, dessen Finger sich in seinem Oberteil verkrallt hatten. Stirnrunzelnd bemerkte er eine feuchte Spur auf dem Stoff und legte den Kopf schief, um sein Gesicht besser in Augenschein nehmen zu können. Jonos Wangen waren leicht gerötet und aus seinen Augen lösten sich einzelne Tränen. Pure Erleichterung durchströmte ihn. Kura war fort. Doch was er gesagt hatte ...

‚Das ist wohl Euer Geliebter’ ... Wie kann Kura so etwas denken?, überlegte Jono. Gerade Seth soll mich lieben, der mich ohne Unterbrechung beleidigt und zu demütigen versucht? Der Seth, dessen Augen mich immer so kalt und herablassend –

Er sah auf und blinzelte ungläubig. Das musste eine Illusion sein. Das konnte nicht der Realität entsprechen. Unmöglich.

Seth erwiderte seinen Blick ruhig, doch in seinen Augen lag nicht eine Spur der Arroganz oder der Kälte, mit der er ihn sonst zu betrachten pflegte. In diesem Moment strahlten die Augen nicht mit der Kühle des Eises. In seinem Blick lag so etwas wie Wärme und wenn Jono es nicht besser gewusst hätte ... Besorgnis? Er schluckte, wischte sich hastig die Tränenspuren aus den Augen und richtete sich gerade auf. Konnte Kura doch Recht haben? Seth hatte auf seine Aussage nichts erwidert, sie weder bestätigt noch dementiert.

Blaue und braune Augen versanken ineinander, vergaßen alles um sich herum, wer sie waren, wo sie waren, ja die Zeit selbst. In Jonos Bauch breitete sich ein Schwarm Schmetterlinge aus. Ob er es wagen sollte? Er reckte sich, Seth war etwas größer als er, und strich kurz mit seinen Lippen über die des Priesters.

Ein seltsames, ihm unbekanntes Gefühl zog sich bei der zarten Berührung durch Seths Körper. Ein Gefühl, das nach mehr verlangte, ein angenehmes Kribbeln.

„M-mit Euch hat man auch nichts ... als Ärger, Falke“, brachte er mit einer in seinen Ohren merkwürdig kratzig klingenden Stimme hervor.

„Wie habt Ihr mich gerade genannt?“, fragte Jono. Nicht mehr Hund?

„Falke ... Nach Eurer Beharrlichkeit und ... und Euren Augen, sie gleichen denen eines Falken.“

Lächelnd legte Jono seine schlanken Finger um das Kinn des Hohepriesters und zog dessen Gesicht näher zu sich. Zum zweiten Mal streiften seine Lippen die seines Gegenübers, den Blick fragend auf ihn gerichtet, bevor er an Seths Unterlippe zu knabbern begann. Ein Schaudern durchlief den jungen Hohepriester, als er vorsichtig anfing, Jonos Liebkosungen zu erwidern. Das Schwert entglitt seinen Fingern und landete auf der Straße. Die Hand fand ihren Platz an Jonos Rücken.

Davon ermutigt, ließ Jono nun seinerseits seine Hände über Seths Brust herabwandern, bis sie seine Taille erreichten, und intensivierte ihren Kuss. Seth zog ihn näher an sich, fuhr mit der Hand durch das blonde Haar. In seinen Ohren rauschte es.

Jono öffnete den Mund ein wenig und glitt mit der Zunge über die Lippen seines Geliebten. Ja, er liebte ihn. Wie sonst konnte er sich dieses warme Gefühl erklären, das ihn durchströmte, wenn es nicht Liebe war, was er für Seth empfand? Es klang ihm selbst komisch in den Ohren, den zu lieben, der ihm die ganze Zeit so verhasst gewesen war und umgekehrt. Dennoch war es so und dass es Seth auch so ergehen musste, bestätigten ihm dessen fahrigen Berührungen an seinem Rücken, in seinem Haar, die sich öffnenden Lippen ... Jono folgte seiner Einladung und nahm den warmen Mund in Besitz.

Von Seth kam ein leises Seufzen. Wie konnte es sein, dass er einen Mann, noch dazu einen Hethiter, seinen Feind, küsste und es sich trotzdem so gut, so ... richtig anfühlte, was er tat? Er wusste keine Antwort darauf und sein Verstand versagte ihm mehr und mehr den Dienst und gab sich den sinnlichen Freuden hin, welche die sich windende Zunge Jonos verhieß.

Hufgeklapper wurde laut.

„Eure Hoheit? Prinz Kail, wo seid Ihr? Antwortet bitte!“

Es brauchte einige Sekunden, bis die Worte die beiden erreichten, sie dann aber mit einem Schlag in die Realität zurückrissen. Die Reiter waren in seine Richtung unterwegs. Schwer atmend lösten sie sich voneinander, Seth stolperte ein paar Schritte zurück und lehnte sich an die nächste Hausmauer.

Die Klänge der Hufe, die auf die Straße donnerten, wurden lauter. Schon bog ein Trupp Reiter um die Ecke. Im Licht der Fackeln, die sie mit sich trugen, erkannten Jono und Seth in ihnen die Palastwache. Knapp vor den beiden hielten die Männer.

„Was hat dieser nächtliche Aufruhr zu bedeuten?“, fragte Seth, kühl und beherrscht wie immer. Auch in seinen Augen war nichts mehr vor dem, was Jono noch vor wenigen Sekunden darin gesehen hatte.

„Fürst Zidanta wünschte Seine Königliche Hoheit Prinz Kail zu sprechen. Dessen Diener aber gab zu, dass sein Herr spurlos verschwunden sei“, gab Djoser, der Hauptmann der Wache, Auskunft. „Eure Hoheit, in der ganzen Stadt sucht man nach Euch.“

„Ohh ...“

„Meister Seth, Ihr habt Seine Hoheit also gefunden.“

„Eigentlich war es so, dass –“, begann Jono.

„Wir uns zufällig in der Stadt getroffen haben“, vollendete Seth den Satz. Jono sah ihn überrascht an. Erst der Kuss und jetzt nahm er ihn sogar in Schutz. „Aber nun sollten wir uns zum Palast zurückbegeben, Euer Hoheit, es ist spät geworden. Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass in Euch ein solch eitler Pfau steckt, der Stunden bei den Juwelieren zubringt? Hätte ich das gewusst, hätte ich sicher nicht zugestimmt, Euch auf Eurem Weg zum Markt zu begleiten. Ich habe genug anderes zu tun.“

Da war er wieder, der alte Seth mitsamt seinen Sticheleien.

„Entschuldigt bitte, wenn ich mich irre, aber wart Ihr nicht derjenige von uns beiden, der sich so lange bei dem Amuletthändler aufgehalten hat?“, fiel Jono ein. Den eitlen Pfau wollte er nicht auf sich sitzen lassen.

„Das war nicht für mich, sondern für den Tempel“, wies Seth ihn zurecht.

„Wie auch immer, ich möchte jedenfalls nun zum Palast zurück.“

Djoser winkte einem seiner Männer, der ein zweites Pferd am Zügel führte, Jonos Rotauge. Seth pfiff kurz auf zwei Fingern und Chons kam um die Ecke. Er und Jono maßen sich noch kurz mit abschätzigen Blicken, dann bestiegen sie ihre Pferde. Niemand wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie sich eben noch geküsst hatten.

Die Wachen, die vor und hinter ihnen ritten, machten jedes weitere Wort, sofern es private Dinge betraf, zwischen den beiden unmöglich. Schweigend ritten sie durch die nächtlichen Straßen von Men-nefer.

Im Palasthof kamen ihnen Zidanta und Marik entgegengeeilt, Hapi im Schlepptau, der sich ebenfalls Sorgen um seinen Herrn gemacht hatte. Es war nicht Seths Art, so lange auszubleiben, wenn er alleine den Palast verließ.

„Euer Hoheit, wir waren alle in großer Sorge um Euch“, sagte Zidanta. „Wo wart Ihr nur?“

„Auf dem Markt. Ich muss wohl die Zeit vergessen haben. Entschuldigt.“

„So, so. Prinz Kail, ich würde gern mit Euch über die morgigen Verhandlungen sprechen“, fuhr Zidanta fort. „Würdet Ihr mir noch einen Moment Eurer kostbaren Zeit schenken oder wünscht Ihr Euch zu Bett zu begeben?“

„Nein, ich bin noch nicht müde.“ Schon halb auf dem Weg, drehte sich Jono noch einmal um. „Seth, vielen Dank für ... Eure Begleitung heute.“

Er bekam ein kurzes Nicken als Antwort.

„Gehen wir, Fürst Zidanta. Worüber möchtet Ihr denn mit mir sprechen?“

„Es geht um die geplanten Grenzbefestigungen.“

Jono nickte höflich. Dann würde es noch eine ganze Weile dauern, bis er sein Bett zu Gesicht bekommen würde.
 

„Euer Hoheit, es ist Zeit aufzustehen“, sagte Marik und betrat das Schlafzimmer. „Das Frühstück steht bereit und Ihr ... Euer Hoheit?“

Der junge Sklave blickte einigermaßen fassungslos auf das verwaiste Bett. Die Decke war zurückgeschlagen, die hellen, durchsichtigen Vorhänge zur Seite gezogen. Marik kratzte sich verwirrt am Kopf. Das war ja noch nie vorgekommen, dass Jono freiwillig aufstand. Suchend blickte er sich um, bis er ihn auf dem Balkon entdeckte. Er stand am Geländer, nur mit dem Rock bekleidet, in dem er schlief, und betrachtete die rötlich glühende Sonne. Die Ufer des Nil wirkten unter ihrem Schein, als ständen sie in Flammen.

„Guten Morgen, Euer Hoheit“, sagte Marik mit einer Verbeugung. „Ich hatte nicht erwartet, Euch bereits wach anzutreffen.“

Jono drehte sich, ein breites Lächeln im Gesicht, zu ihm um.

„Warum sollte ich denn nicht auf sein? Heute ist doch so ein wunderschöner Tag!“, sagte er und umarmte den verdatterten Jungen.

Dann ging er mit tänzelnden Schritten, eine fröhliche Melodie pfeifend, in sein Schlafzimmer.

„Seid ... seid Ihr sicher, dass mit Euch alles in Ordnung ist und Ihr nicht ... krank werdet oder so etwas in der Art?“

„Krank?“, Jono wandte ihm überrascht den Kopf zu. „Warum sollte ich krank sein? ... Was hattest du gesagt, wo das Frühstück steht?“

„Im Wohnzimmer, Euer Hoheit.“

Als Marik ihm nachkam, saß Jono schon am Tisch und biss herzhaft in das frische Brot. Was er auch hatte, sein Appetit hatte jedenfalls nicht darunter gelitten.

Bevor er eingeschlafen war, hatte er noch einige Zeit den Mond angesehen, der durch sein Fenster schien, und über Seths abweisendes Verhalten in Anwesenheit der Wachen nachgedacht. Jono war davon überzeugt, dass er nur so gehandelt hatte, um ihrer beider Gesicht zu wahren. Er hatte gespürt, dass Seth ebenso empfinden musste wie er. Sein Kuss, seine Berührungen ... sie sprachen eine zu deutliche Sprache, als dass er sie falsch interpretieren konnte.

Seth ... er glich dem kühlen, blassen Mond, der sein fahles Licht auf die Erde warf. So kalt und abweisend er auf den ersten Blick auch wirkte – in seinem Inneren sah es gänzlich anders aus.

Marik wusste nicht, was er von Jono halten sollte. Selbst als ihn das kalte Wasser traf, protestierte er heute nicht. Als er dabei war, ihm den Rücken zu schrubben, kam ihm die Erkenntnis.

„Ah, jetzt weiß ich, was mit Euch los ist. Ist es am Ende also doch einer der Schönen von Men-nefer gelungen, Euer Herz in Flammen zu setzen?“

„Oh ja, schön ist er“, seufzte Jono. „Und mein Herz brennt lichterloh.“

Er?“, erkundigte sich Marik zur Sicherheit. Heißt das, er ist in einen Mann verliebt? Moment mal ... ist Jono etwa ...

„Hm? Ach, vergiss, was ich gesagt habe.“
 

In allerbester Stimmung machte sich Jono heute auf den Weg zum Konferenzzimmer.

„Ihr scheint gut geschlafen zu haben, Prinz Kail“, begrüßte Atemu ihn.

„Oh ja, bestens, Euer Majestät“, sagte Jono und schickte Seth, der gerade eintrat, ein strahlendes Lächeln entgegen. Der kalte Blick, der ihn als Antwort darauf traf, prallte an ihm ab. Richtig, sie befanden sich ja gerade in der Öffentlichkeit. Da verstand Jono es natürlich, wenn Seth keine Intimitäten wünschte. Besonders nicht unter den Augen des Pharao.

Nach der üblichen morgendlichen Begrüßung wurde die Konferenz wieder aufgenommen und verlief während des Vormittags ohne größere Zwischenfälle. Am frühen Nachmittag aber, kurz nach der Mittagspause, entschlossen sich Lubarna und Akunadin dazu, ihren Disput vom Vortag fortzusetzen. Der Fürst hatte den Vorschlag gemacht, Hatti könnte Kemet seine Ansprüche an das syrische Gebiet eventuell für eine entsprechende Summe abtreten. Akunadin aber riet dem jungen Pharao strikt davon ab, auf dieses Angebot, das nebenbei bemerkt völlig überhöht war, einzugehen. Die Hethiter könnten keine Tributzahlungen für etwas verlangen, das von Rechts wegen ohnehin dem Reich Kemet gehörte. Ein gleichfalls beliebter Streitpunkt in der Runde war die Frage, was mit den Dörfern geschehen sollte, die in hethitische Hand gefallen und von ihren Soldaten besetzt waren. Besonders Anitta war sehr daran interessiert, sie in der Hand seines Reiches zu belassen, da Großkönig Muwatalli der Zweite ihm einen Teil von ihnen als Auszeichnung für seine Dienste überlassen hatte. Die Abgaben aus den Dörfern, in denen viele begabte Handwerker lebten, waren nicht gerade gering und Anitta immer willkommen, um die Kasse seines etwas maroden Haushalts aufzubessern. Ein seinem Stand angemessener Lebensstil kostete nun einmal. Shimon und Zidanta bemühten sich mit Atemus Hilfe darum, schlichtend einzugreifen, damit der Streit nicht eskalierte.

Jono war mit seinen Gedanken währenddessen nur halb bei der Diskussion. Ihm gab das Verhalten seines Liebsten mehr als genug zu denken. Seth war ungewöhnlich schweigsam. Nicht nur, dass er kaum etwas zu der Verhandlung beitrug, selbst auf Jonos Bemerkungen, der ihn etwas aus der Reserve locken wollte, ging er nicht ein.

„Meint Ihr das wirklich ernst, Fürst Lubarna?“, rief Akunadin und fuhr von seinem Stuhl auf. „Diese Bedingungen sind unannehmbar! Eure Forderungen sind ein einziger Witz!“

„Ein Witz? Wollt Ihr mich beleidigen?“, kam Lubarnas geschriene Antwort.

„Meine Herren, ich bitte Euch“, sagte Shimon. „Wir sollten uns jetzt alle beruhigen, uns wieder hinsetzen und –“

„Ich lasse mir nichts von jemandem sagen, der ohne seinen Hut aufrecht unter dem Tisch durchpasst!“, wetterte der Hethiter.

„Also, das ist doch –“

„SCHLUSS JETZT!“

Schlagartig wurde es ruhig. Die Aufmerksamkeit wandte sich Atemu zu. Dieser senkte mit einem Seufzen den Kopf und massierte mit den Fingern seine Nasenwurzel und die Schläfen.

„Euer kindisches Gezänk bereitet mir Kopfschmerzen. Ich werde mich für eine Weile zurückziehen und Ihr solltet ebenfalls eine Pause machen. Wie wäre es mit einem Bad im Nil? Das dürfte Eure erhitzten Gemüter kühlen.“

„Aber mein Pharao“, begann Karim.

Atemu hob abwehrend die Hand.

„Wir setzen die Verhandlungen in einer Stunde fort.“

Damit erhob sich der Herrscher Kemets und verließ den Raum. Ein Teil seiner Priester sowie die drei Fürsten folgten ihm und verstreuten sich draußen auf dem Gang in verschiedene Richtungen. Isis nahm sich vor, dem Rat Atemus zu folgen und ein Bad zu nehmen. Sie war die dauernden Streitereien auch leid. Die Männer erinnerten sie an kleine Kinder, die sich um ein Spielzeug stritten, das nur einmal da war, aber von allen benutzt werden wollte. Nur dass dieses Spielzeug mehrere hundert Jata [1] groß war, wie ein riesiger Sandkasten.

Seth legte den Binsenstängel, mit dem er sich Notizen gemacht hatte, auf der Schreibpalette neben dem Behälter für die Tinte ab und stand auf, um sich in sein Arbeitszimmer zu begeben. Er war fast an der Tür, da wurde sie ihm vor der Nase zugeschlagen.

„Nicht so schnell, Seth.“ Jono stützte sich mit der Hand am Türrahmen ab und musterte ihn. „Du hast mich den ganzen Tag überhaupt nicht beachtet.“

Der Hohepriester wandte sich von ihm ab und marschierte auf die zweite Tür zu, die aus dem Raum führte, doch wieder war Jono schneller als er. Schlitternd bremste er vor ihm ab.

„Was ist mit dir los? Oder ist sich der Herr Oberpriester jetzt zu fein für eine Antwort?“

Kalte Saphire trafen auf fragend blickende Topase.

„Ich kann mich nicht daran erinnern, Euch die Erlaubnis gegeben zu haben, mich zu duzen, Euer Hoheit“, sagte Seth.

„Aber unser Kuss gestern ...“

Das“, Seths Stimme wurde noch eine Spur kälter, „war nur ein dummer Ausrutscher.“
 


 

[1] Altägyptisches Flächenmaß

Das Flüstern der Sterne

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Bittersüße Liebe

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=ouf43phC-kI&feature=related Promise

http://www.youtube.com/watch?v=c1X_-Fj8dcM&feature=channel_page Yugioh Duel Sound 4 – Ancient Egypt
 

Kapitel 9

Bittersüße Liebe
 

Jono blinzelte verschlafen und tastete mit der Hand nach Seth. Doch da, wo er liegen sollte, fühlte er nur den noch leicht warmen Stoff des Bettlakens. Jono öffnete die Augen vollends und sah sich in seinem Schlafzimmer um. Seth war verschwunden und seine Kleider, die sich gestern über den Boden verstreut hatten, mit ihm. Er schlüpfte aus dem Bett und warf sich einen Umhang über, ehe er das Zimmer verließ. Auch im Wohnzimmer war nichts von dem Priester zu sehen. Alles wirkte, als sei er nie hier gewesen. Aber er wusste, dass es dieses Mal nicht nur ein schöner Traum gewesen war. Seth hatte sich ihm bereitwillig hingegeben.

„Guten Morgen, Euer Hoheit.“ Jono drehte sich zu Marik um. „Ich hoffe, Ihr hattet eine angenehme Nacht.“

Das vielsagende Grinsen auf dem Gesicht des Dieners trieb Jono eine leichte Schamesröte auf die Wangen.

„Hast du etwa –“

„Hapi und ich waren hier, als Ihr kamt. Zu Eurem Glück, möchte ich zu sagen wagen, da Fürst Zidanta kurz darauf geruhte, Euch einen Besuch abzustatten. Ich habe Euch mit einer Krankheit entschuldigt.“

„Danke, Marik. Aber hast du ... hast du Seth gesehen?“

„Ja, heute in aller Frühe. Hapi und ich waren über unserer letzten Partie Senet eingeschlafen. Er hat sich Hapi geschnappt und ist aus Euren Gemächern gehetzt, als sei eine ganze Dämonenarmee hinter ihm her.“

„Hat er nichts gesagt?“, drängte Jono.

„Nur, dass er sich nicht länger hier aufhalten dürfe und dass er dafür sorgen würde, dass Hapi und ich als Futter der heiligen Krokodile enden, wenn wir auch nur ein Wort verraten.“

„Das sieht ihm ähnlich“, lächelte Jono. „Besorg mir bitte was zum Frühstück und dann hilf mir beim Bad, ich möchte so schnell wie möglich zu ihm.“

„Muss junge Liebe schön sein“, lachte Marik und duckte sich unter dem Kissen weg, das Jono ihm nachwarf.

Aber warum hatte er es nur so eilig?, überlegte er und setzte sich auf einen der mit Schnitzereien verzierten Stühle. Wie schade ... er hätte Seth gern noch einmal schlafend gesehen, so wie damals im Zelt. Er hatte ganz anders gewirkt als tagsüber. Ruhig. Entspannt. Ledig der vielen Sorgen, mit denen er sich am Tag als Hohepriester herumplagen musste.

Jono konnte sich keinen rechten Reim auf Seths Verhalten machen. Ob er am Ende bereute, was sie getan hatten? Es war den Mitgliedern der Priesterschaft von Kemet nicht verboten, sich einen Gefährten oder eine Gefährtin zu nehmen, viele von ihnen waren verheiratet. Dennoch wurde es allgemein lieber gesehen, wenn sie ihre Hingabe ausschließlich der Gottheit zuwandten, der sie dienten. Oder ob er das mit ihnen geheim halten wollte? Es kamen so viele Dinge in Frage, die zu seinem frühen Aufbruch geführt haben konnten.
 

Marik hatte heute seine liebe Not damit, Jono lange genug ruhig zu halten, damit er ihm in die Kleider helfen und ihm die Haare frisieren konnte, die sich wie meistens als störrisch erwiesen. Kaum hatte er es geschafft, sie mit dem Band zu bändigen, war Jono mit einem „Danke, bis später, Marik!“ an ihm vorbei und aus seinem Zimmer verschwunden.

Der Ägypter machte sich daran, die Parfüm- und Salbentöpfe zusammenzuräumen. Und wir hatten am Anfang Angst, Jono würde das mit seiner Rolle nicht hinkriegen. Dabei ist er Kail so viel ähnlicher, als er selbst weiß.

Auf seinen Lippen erschien ein erinnerungsseliges Lächeln. Ein knappes Jahr mochte es her sein, da hatte der Prinz sich fast genauso überdreht verhalten, wie Jono es heute tat und der Grund dafür hatte auf den Namen Hintis gehört. Sie war eine junge, ehrgeizige Tänzerin im Palast von Kails Vater gewesen und hatte dem Prinzen schon bei ihrer ersten Begegnung, als sie auf einem Fest Muwatallis auftrat, gehörig den Kopf verdreht. Da Marik vor den Gemächern seines Herrn so manches Mal hatte Wache halten müssen, hatte er einiges von dem mitbekommen, was Kail und Hintis dort des Nachts getrieben hatten. Der Großkönig war förmlich explodiert, als er von der unstandesgemäßen Liaison seines Sohnes erfuhr. Zu allem Übel war sie nicht frei von Folgen geblieben. Ein Kind von einer Tänzerin ... Ein Bastard und dazu noch mit Ansprüchen auf den Thron, da seine anderen Söhne bisher keine Kinder gezeugt hatten. In seiner Verzweiflung hatte sich der König in Verkleidung eines einfachen Mannes an eine Kräuterfrau gewandt und sich bei ihr ein Pulver besorgt. Marik hatte ihn gesehen, als er den Palast verlassen hatte. Zwei Tage darauf war Hintis mit Bauchkrämpfen zusammengebrochen und hatte das Ungeborene verloren. Muwatalli hatte sie mit dem nächsten Sklavenschiff in den Süden geschickt.

Nur wenige, darunter Marik, wussten, dass sich das Paar wirklich geliebt hatte, dass Hintis Kail nicht wegen seiner Stellung hatte ausnutzen wollen, wie man ihr vorgeworfen hatte. Für Kail war mit ihrem Verschwinden eine Welt zusammengebrochen und er hatte in einem leichten Leben, umgeben von Frauen, Wein und Spiel, Vergessen gesucht.

Marik hoffte, dass es Jono und Seth anders erging. Wenigstens für die Zeit, die ihr Aufenthalt in Kemet dauerte.
 

Jono nahm sich nur kurz die Zeit, bei Seth zu klopfen. Ohne das „Herein“ abzuwarten, trat er ein. Hapi sah überrascht vom Schreibtisch auf, den er gerade ordnete.

„Oh, guten Morgen, Euer Hoheit.“

„Ja, dir auch. Ist Seth nicht hier?“

„Meister Seth wurde heute früh in den Tempel gerufen. Er ist schon vor einer ganzen Weile aufgebrochen.“

„Ach so“, sagte Jono und senkte betrübt den Kopf. „Dann ist er also gar nicht da. Wann wird er denn zurückerwartet?“

„Das konnte er nicht sagen, aber wenn es mit den Vorbereitungen für das Fest zusammenhängt, das der Pharao übermorgen geben will, kann es dauern. Meister Seth ist etwas ... perfektionistisch veranlagt, wenn es darum geht. Es ist möglich, dass er heute Mittag zurück ist, doch es kann auch Abend werden.“

Jetzt sah Jono erst recht niedergeschlagen aus. Abend? Er wollte Seth jetzt fragen, was er sich bei seiner frühmorgendlichen Flucht gedacht hatte, nicht erst heute Abend. Als er auf dem Rückweg in seine Gemächer um eine Ecke bog, traf er auf Sennefer, der zwei Mädchen anfauchte, weil sie sich unterhalten hatten, statt zu arbeiten.

„Ah, genau der Mann, den ich gesucht habe“, sagte Jono und winkte dem Aufseher, damit er aufstehen konnte. „Lasst mein Pferd satteln, ich möchte ausreiten.“

„Wie Eure Hoheit wünschen. Ich werde den Wachen Bescheid geben, dass sie eine Eskorte für Euch zusammenstellen.“

„Aber das ist doch gar nicht nötig“, wandte Jono ein.

„Verzeiht, doch seit kurzem treibt ein sehr dreister Straßenräuber sein Unwesen in Men-nefer und Seine Majestät wäre um Eure Sicherheit besorgt, wenn Ihr den Palast allein verlassen würdet.“

Dreister Straßenräuber? Wenn das nicht dieser Kura ist, fress ich ein Bündel Papyrusstauden.

„Na schön, wenn das so ist ... Dann habe ich nichts gegen ihre Begleitung.“

Jono seufzte leise. Sein schöner Plan, Seth heimlich aufzusuchen, war zunichte gemacht. Mit einem Trupp Soldaten an den Hacken würde er wohl kaum unauffällig durch die Straßen kommen. Dann blieb ihm nur zu hoffen, dass der Priester dieses Mal nicht die Flucht vorzog und ihm gleich Rede und Antwort stand.
 

„Also, dann machen wir es doch so, dass erst die Sänger mit der Hymne an Ptah kommen und danach die Vorführung der Artisten“, sagte Seth.

Er stand im Hof der Erneuerung, dem dritten der fünf Vorhöfe des Tempels des Amun-Ra, wo die Proben für die Feier im vollen Gange waren. Ein älterer Priester saß neben ihm und hielt die Wünsche des Hohepriesters mit schnellen Strichen auf dem Papyrusbogen fest, den er auf seinen Knien liegen hatte.

„Ich hatte diese Reihenfolge gleich favorisiert, aber es gibt ja immer Menschen, die alles besser wissen müssen!“, fuhr der Hohepriester fort.

Am Eingang zum Vierten Tor setzte sich unter den Schlägen einer Trommel eine lange Schlange von Priestern in Bewegung, immer zwei gingen nebeneinander. Die linke Reihe trug in der rechten Hand eine Fackel, die rechte Reihe in der linken Hand. Noch brannten sie nicht, doch in zwei Tagen sollten sie den Festsaal erhellen. Die Männer schritten bis zur Mitte des Platzes, teilten sich dort zu den Seiten auf und schlängelten sich durch eine Reihe von Säulen.

„Halt, halt“, rief Seth, als die Prozession wieder am Ausgangspunkt angelangte und sich zusammenfügen sollte. Ein Teil war erst bis zur vorletzten Säule vorgerückt, zwei junge Priester waren viel zu weit vorgegangen ... Was ein ordentlicher Zug sein sollte, war ein einziges Durcheinander.

„Fangt noch einmal von vorne an und Ihr beiden“, er sah die zwei Eiligen an, „geht langsamer, das hier ist kein Wettrennen.“

Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er den beiden das in der letzten halben Stunde gesagt hatte. Dabei war die Choreografie, die er sich ausgedacht hatte, nun wirklich nicht so schwer, dass man sie sich nicht merken konnte. Trotzdem tanzte immer wieder jemand aus der Reihe. Heute wollte nichts so laufen, wie Seth es sich vorstellte. Er konnte sich nicht daran erinnern, je zuvor über solch große Probleme bei den Proben gestolpert zu sein. Der Solosänger vergaß mitten im Lied seinen Text, wegen Hintis, die aufgrund versuchten Mordes vorgestern hingerichtet worden war, fehlte eine Tänzerin, womit sein wohl durchdachtes Programm ohnehin auf den Kopf gestellt worden war, da er sie mit einem Einzelauftritt eingeplant hatte, der nun wegfiel. Die Prozession der Priester musste ständig von vorne begonnen werden, die Gänse, die über den Hof liefen, schnatterten wie wild ...

Augenblick, was hatte eine Schar Gänse in seinem Hof verloren? Irritiert wandte sich seine Aufmerksamkeit dem weiß gefiederten Geflügel zu, das, mit den Flügeln schlagend, kreuz und quer über den Hof lief. Moses, ein kleiner Waisenjunge, der auf dem Tempelgelände lebte und sich um die Tiere kümmerte, rannte ihnen mit der Gerte hinterher und versuchte sie wieder einzufangen. Die Gänse dachten allerdings nicht daran, in ihren Stall zurückzukehren, änderten ihre Richtung und hielten nun auf die Priester zu. Hunefer, ein älterer Priester, dessen dunkle Haare sich allmählich zu würdigem Grau färbten, stieß einen erschrockenen Schrei aus, ließ die Fackel fallen und brach aus der Reihe aus.

„Halt, Hunefer“, rief Seth, „wo wollt Ihr denn hin?“ Der Mann lief mit einem gehetzten Gesichtsausdruck an ihm vorbei, mehrere Gänse waren ihm dicht auf den Fersen. „Das ist die falsche –“ Noch im Laufen raffte der Priester seine Gewänder und sprang unter lautem Platschen in den heiligen See. „– Richtung“, beendete Seth seinen Satz. „Tse, was ist denn nur in ihn gefahren?“

„Hunefer hat Angst vor Gänsen, Meister Seth, wusstet Ihr das nicht“, sagte der Schreiber.

„Ehrlich gesagt wusste ich das nicht. Moses, schaff mir dieses Viehzeug aus den Augen, aber schnell!“

Hunefers Flucht und die Gänse sorgten für ein heilloses Durcheinander. In dem Gewühl aus Federn und Menschenbeinen löste sich die Prozession auf, eine der Tänzerinnen wurde ins Bein gezwickt und erschreckte dadurch ihre Kolleginnen. Schalen mit Blütenblättern wurden umgeworfen, ein Akrobat, der Kopfstand übte, fiel vornüber, aufgeregte Stimmen schwirrten durcheinander.

„Bei Amun, womit habe ich das nur verdient“, murmelte Seth und strich mit den Fingerspitzen über seine Stirn. Derzeitig schien ihm alles zu entgleiten.

„Hallo, Seth! Na, wie laufen die Vorbereitungen, sind alle schön fleißig am Üben?“

Das darf nicht wahr sein! Was macht er denn hier?

Jono kam, die Hand zum Gruß erhoben, gemütlich über den Zweiten Vorhof geschlendert. Ihm folgten mehrere Männer der Palastwache. Die Sonne stand in seinem Rücken und ließ seine Konturen durch den safrangelb gefärbten Stoff scheinen. Der rote Umhang, den er dazu gewählt hatte, umschmeichelte seine schlanke Gestalt und das Gold, das Hals und Arme schmückte, warf funkelnde Reflexe auf den Boden und die Umstehenden.

„Als wäre Ra von Himmel herabgestiegen“, stieß Seth leise aus.

„Wie bitte, Herr? Ich habe Euren letzten Satz nicht mitbekommen“, sagte der Schreiber, der seine Notizen überflog und korrigierte, während er darauf wartete, dass Seth ihm die nächsten Anweisungen diktierte.

Großer Sonnengott, verzeiht Eurem unwürdigen Diener diesen ... anmaßenden Vergleich. Ich darf nicht zulassen, dass dieser Mann eine derartige Macht über mich gewinnt.

„Ahem ...“, räusperte er sich. „Es war nichts von Bedeutung. Kümmert Ihr Euch kurz um die Proben, Imsety.“

Er drückte dem Priester den Abfolgeplan in die Hand und ging auf Jono zu.

„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches, Euer Hoheit?“, erkundigte er sich.

„Ich wollte mir ein wenig die Stadt ansehen und da bin ich auf den Tempel gestoßen und neugierig geworden. Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid, Seth.“

Ganz der Wahrheit entsprach das zwar nicht, aber das musste er Seth

ja nicht unbedingt auf die Nase binden. Er hatte sich bei Hapi genau erkundigt, wie er am schnellsten vom Palast zum Amun-Ra-Tempel kam und dann den weitesten Umweg genommen, der ihm möglich war, immer in der Hoffnung, die Soldaten würden ihn in dem Gedränge, das auf den Straßen herrschte, aus den Augen verlieren. Kaum glaubte er jedoch, sie erfolgreich abgehängt zu haben, tauchten sie von irgendwo wieder auf und hängten sich an ihn.

„Würdet Ihr mich eventuell ein wenig herumführen, Seth? Natürlich nur, wenn Ihr Zeit habt.“

„Ich ... eigentlich sind wir mitten in den Proben und ...“

„Macht Euch darüber keine Gedanken, Meister Seth“, rief Imsety herüber und winkte mit dem Abfolgeplan. „Ich komme hier schon zurecht.“

Verräter!

„Na gut, anscheinend habe ich doch etwas Zeit“, brummte Seth. „Da mir mein freundlicher, baldiger Ex-Assistent die Proben unbedingt abnehmen möchte ...“

„Das freut mich.“ Jono wandte sich seiner Eskorte zu. „Würdet Ihr hier auf mich warten? Ich möchte mit dem Hohepriester gern in Ruhe sprechen.“

Er und Seth verließen den belebten Hof durch einen Seitenausgang und traten auf das weitläufige Außengelände des Tempelbezirks. Schweigend spazierten sie über die gewundenen Wege.

„Das ist ein sehr schöner Tempel, dem du vorstehst.“

„Wusstest du wirklich nicht, dass ich hier bin oder ist dein Besuch doch nicht so zufällig, wie ich vermute?“, fragte Seth, als sie so weit von den Gebäuden entfernt waren, dass sie sicher sein konnten, von niemandem gehört zu werden.

„Hmpf ... Du hast mich ertappt, Seth. Ich bin eigentlich nur deinetwegen hergekommen, weil ich dich etwas fragen möchte.“

Ahnte ich es doch!

„Und was?“

„Ich bin heute Morgen aufgewacht und musste feststellen, dass du nicht mehr da warst. Dabei ... Ich hatte mich darauf gefreut, vielleicht mit dir zusammen wach zu werden.“

Seth blieb stehen.

„Du machst mir Spaß!“, sagte er, um seine Stimme gleich darauf zu dämpfen. „Hast du mal darüber nachgedacht, was für einen Aufruhr es verursachen würde, wenn mich einer der Sklaven zufällig in deinen Gemächern – oder noch schlimmer in deinem Bett – entdeckt hätte? Oder einer deiner Männer hätte hereinkommen können ... Ich möchte mir das lieber nicht weiter ausmalen.“

„Es war doch abgeschlossen.“

„Darum geht es nicht, ich ... So etwas darf nie wieder vorkommen.“

„Was?“

„Das ... letzte Nacht hätte nie passieren dürfen. Es war ein Fehler. Ein gewaltiger Fehler.“

„Ist es denn ein Fehler, seine Liebe ausleben zu wollen?“, fragte Jono und streckte die Hand nach Seths Gesicht aus. Dieser zuckte vor ihm zurück und schüttelte den Kopf.

„Nein, wenn ... wenn es sich um solche handeln würde.“

„Wenn es keine Liebe ist“, überlegte Jono, „was war es dann, was dich in mein Bett trieb? Verlangen?“

„Nichts anderes kann es gewesen sein“, sagte Seth kühl und spürte, wie ihm jedes Wort ins Herz stach. „Ein Verlangen, das uns für eine Nacht zusammenbrachte, doch wenn wir uns heute sehen, bin ich für Euch nur noch der Priester des Amun-Ra und Ihr werdet für mich nicht mehr als der Prinz der Hethiter sein.“

„Ich glaube dir kein Wort“, sagte Jono langsam. „Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Und ich bitte Euch, von diesem unförmlichen ‚Du’ abzusehen, Euer Hoheit.“

„Was für ein falsches Spiel treibst du ... treibt Ihr mit mir, Seth? Ihr schürt meine Hoffnung und kaum, dass Ihr Euer Vergnügen gehabt habt, lasst Ihr mich fallen!“ Jonos Stimme schwoll an. „Wenn Ihr es so wollt, gut, bitte! Ich werde Euch in Zukunft nicht mehr belästigen!“

Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, verließ er die Gärten, und rief den Soldaten noch am Tor in harschem Ton entgegen, dass er aufbrechen wolle. Auch er hatte eine Grenze, wie weit ihn jemand verletzen konnte und Seth hatte diese gerade um ein ganzes Stück überschritten. Der Hohepriester ließ sich auf die Erde sinken und verbarg sein Gesicht in seinen Händen.
 

Klingen trafen klirrend aufeinander, wurden voneinander getrennt, nur um sich gleich darauf erneut zusammenzufinden. In einem unbarmherzigen Duell jagten sich Jono und Zidanta über den Hof. Beide waren mit weißen, von goldenen Gürteln gehaltenen Schurzen bekleidet, ihren Schmuck hatten sie bis auf die Armreife weitestgehend abgelegt. Die Sonne brannte mit voller Kraft auf sie hernieder und überzog ihre nackten Oberkörper mit einem Schweißfilm.

Jonos Atem ging kurz und abgehackt, er ließ seinen Gegner keine Sekunde aus den Augen. Gleich nach seiner Rückkehr vom Tempel hatte er Zidanta um diese Trainingsstunde gebeten. In ihm hatte sich ein gewaltiger Druck angestaut, der danach schrie, freigesetzt zu werden. Bei jedem Schlagabtausch stellte er sich vor, hinter der bronzenen Maske, die sein Gesicht vor Verletzungen schützte, würde nicht der hethitische Fürst, sondern Seth stecken. Jonos Angriffe kamen schnell und hart, doch fehlte ihnen heute etwas die Struktur, für die ihn Kysen bei ihren Übungen immer so gelobt hatte. Es gelang ihm nicht, in den Rhythmus einzutauchen, den jeder Kampf in sich trug, der seine Bewegungen sonst zu einem Tanz werden ließ.

Jono fluchte, als er Zidanta mit dem Schwert verfehlte und an ihm vorbeistolperte. Er fuhr herum und schaffte es gerade noch, den Konter seines Gegners zu blocken. Der nächste Angriff des Fürsten riss ihm das Schwert aus der Hand, das über die steinernen Fliesen schlitterte und, zu weit von ihm, um es zu erreichen, liegen blieb. Eine bronzene Klinge wurde an seine Kehle gesetzt.

„Ihr habt nicht schlecht gekämpft, aber ich weiß, dass Ihr das wesentlich besser könnt, Euer Hoheit.“

Zidanta nahm die Waffe herunter und half Jono auf.

„Wollt Ihr mir verraten, was Eure Gedanken während unseres Duells blockiert hat?“

„Nein, es ist ... nicht so wichtig. Vielen Dank für das Duell, Fürst Zidanta.“

Jono nickte ihm zu und hob seine Waffe vom Boden auf. Marik reichte ihm sein Obergewand.

„Ich lasse gleich das Bad für Euch richten, Euer Hoheit.“

„Nicht nötig, Marik, ich werde ein Bad im Nil nehmen.“

Zurück in seinen Gemächern, ließ sich Jono ein großes Leinentuch und frische Kleider geben und bat Marik, sich in seiner Abwesenheit um das Mittagessen zu kümmern. Der Kampf hatte ihn, wie er es geplant hatte, seiner Kraft beraubt, ihm Erschöpfung beschert, doch leider nicht das erhoffte Vergessen. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Seth zurück, ohne dass er es verhindern konnte. Fast verzweifelt suchte er nach Ablenkung und freute sich darauf, sich in die kühlenden Fluten des Flusses zu stürzen.

Von dem Säulenweg, der zur Anlegestelle der königlichen Boote führte, ging ein zweiter, ebenfalls überdachter Gang ab, über den man zu einem kleinen weiß getünchten Gebäude direkt am Ufer des Nil gelangte. Steinerne Wächterstatuen hielten vor dem Eingang Wache. An den Innenwänden war eine Huldigungsszene an Sobek, den Krokodilgott, dargestellt. Einige Ruheliegen mit Kissen, ein paar Beistelltische und große Schalen mit frischen Blumen bildeten die ganze Einrichtung. Das Gebäude öffnete sich zur Flussseite hin, zarte Vorhänge schufen anstelle von Mauerwerk eine Abgrenzung zum Nil. Breite Stufen führten direkt ans Wasser, auf dem Lotosblumen schwammen und Ibisse umherwateten, auf der Suche nach Nahrung. Säulen ragten aus dem Wasser, zwischen denen sich weitere Bahnen des hauchdünnen Stoffes spannten und eine Art Zelt bildeten, das die Besucher des Hauses vor unerwünschten Blicken schützte.

Hierhin zog sich der Pharao mit seiner Familie zurück, wenn er den Wunsch nach einem ruhigen Bad im Nil statt in seinen Gemächern verspürte. Atemu hatte Jono und den drei Fürsten erlaubt, sein Badehaus zu benutzen. Als Person, deren praktisch ganzes Leben sich in der Öffentlichkeit abspielte, schätzte er die kurzen Zeiten seiner Privatsphäre umso mehr.

Jono legte sein Leinentuch auf einem der Ruhebetten ab, warf den Schurz daneben und stieg über die Stufen, vorsichtig, um nicht auszurutschen, ins Wasser. Das kühle Nass umspülte seine Beine und ließ ihn frösteln. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen, als er seinen Oberkörper mit Wasser bespritzte und dann weiter hineinging, bis erst seine Hüften, dann seine Schultern unter der Wasseroberfläche verschwanden. Er stieß sich mit den Füßen vom Grund ab und schwamm mit wenigen Zügen zu der Stelle, an welcher der Vorhang knapp über dem Wasser endete und der Außenwelt den Einblick verwehrte.

Mit einer Hand hob Jono den Stoff an und spähte durch die Lücke. Auf dem Fluss war nicht viel los. Die Fischerboote, die in den frühen Vormittags- und späten Nachmittagsstunden ihre Netze auswarfen, waren verschwunden, geflohen vor der Hitze des Mittags. Die Männer saßen am andern Ufer, ließen die Füße ins Wasser baumeln, lachten und unterhielten sich.

Nach und nach vertrieb das Wasser die Hitze des Kampfes aus Jonos Körper und entspannte seine Muskeln. Er hatte von Anfang an gewusst, dass die Verbindung mit Seth nicht von Dauer sein würde. Er hatte nur nicht gewusst, dass diese Dauer so kurz sein sollte. Seine Hand schlug auf die Oberfläche des leicht grünlichen Wassers. Wie ein Narr hatte er ihm seinen Zustand offen gelegt. Ein Narr ... ja, ein verliebter Narr. Nun hoffte er, dass die Verhandlungen bald zum Abschluss kamen. Dann konnte er den Hof verlassen, auch wenn er keine Ahnung hatte, was ihn danach erwartete. Doch alles war besser, als noch lange hier verweilen zu müssen.

Etwas ruhiger geworden kletterte er ans Ufer, trocknete sich ab und zog sich die mitgenommenen Kleider über. Das feuchte Haar rubbelte er nur kurz mit dem Tuch ab, dann verließ er das Badehaus.

Um diese Uhrzeit lagen die Gartenanlagen des Palastes immer wie verlassen da. Wer irgendwie die Möglichkeit hatte, hielt sich drinnen auf, Hauptsache fern von den heißen Sonnenstrahlen. Jono schlenderte, das nasse Tuch über den Arm gelegt, gemächlich einen der Uferpfade entlang, die zum Palast zurückführten. Bis zum Mittagessen war noch genug Zeit.

„Hat dich auch niemand gesehen?“

Jono horchte auf. Die Stimme kam ihm bekannt vor.

„Nein, Euer Gnaden. Ihr kennt mich, wenn ich nicht will, dass mich jemand sieht, so wird man mich auch nicht sehen.“

Die tiefe männliche Stimme, die antwortete, hatte er noch nie gehört.

„Gut, dann komm hier herüber.“

Neugierig geworden sah sich Jono kurz um, dann bog er die Papyrusstauden auseinander und tauchte in den grünen Wald ein, der sich am Ufer erhob. Vorsichtig, darauf bedacht, wenig bis gar keine Geräusche zu verursachen, pirschte er sich näher an die beiden Stimmen heran. Der Papyrus und das dazwischen wachsende Schilf boten ihm ausreichend Deckung. Er drang tiefer in das Dickicht ein, watete durch das seichte Wasser, bis die Stimmen fast direkt vor ihm waren.

Auf einem schmalen, flach zum Wasser hin abfallenden Weg standen Anitta und ein Mann, den Jono nicht kannte. Er konnte kein Ägypter sein, dafür war seine Haut viel zu hell, auch wenn er sich wie einer gekleidet hatte. Die langen glatten Haare, von hellem Weizenblond, waren im Nacken zusammengebunden und die eisblauen Augen ließen dem heimlichen Beobachter einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

„Womit kann ich Euch dieses Mal zu Diensten sein, Euer Gnaden?“

„Ich wünsche, dass du den Pharao tötest.“

Jono schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Gebannt lauschte er Anitta, wie dieser dem Attentäter seinen Plan erklärte.

„Hast du alles verstanden?“

„Das habe ich, mein Herr. Ihr könnt Euch auf mich verlassen.“

„Gut.“ Der Fürst lachte grimmig. „Prinz Kail kann sich auf den Kopf stellen, es gibt nur einen Weg, Frieden mit Kemet zu schließen und das werden wir mit dem Schwert tun. Wenn der Pharao tot ist, werden sich die Menschen erheben, weil er keinen Erben hat. Dann wird das Land eine leichte Beute für uns sein.“

Anitta nahm einen Lederbeutel von seinem Gürtel und reichte ihn dem Mann. Das leise Klingen ließ darauf schließen, dass Gold seinen Besitzer wechselte.

„Das ist die Hälfte, wie abgemacht. Die andere bekommst du, sobald du deinen Auftrag erfüllt hast. Und sollte dich irgendjemand erwischen ...“

„Das wird nicht geschehen“, versicherte der Blondhaarige.

Jono zog sich mit vorsichtigen Schritten zurück. Er hatte genug gehört. Ein lautes Knacken brach die Stille des Ufers. Anitta und der Mann blickten sich hastig um.

„Was war das?“

„Vielleicht hat uns jemand belauscht“, sagte der Mann.

„Rasch, geh und finde ihn. Wenn jemand etwas gehört hat, müssen wir ihn zum Schweigen bringen.“

Bei Anittas Worten zog Jono scharf die Luft ein. Er musste hier weg, so schnell es ging. Wenn sie ihn fanden, würde er den heutigen Abend nicht erleben ... und der Pharao nicht den nächsten Tag. Er wich zurück, stieß mit dem Bein gegen einen großen Ast, der sich zwischen den Pflanzen verfangen hatte, und stürzte nach hinten. Es klatschte geräuschvoll, als er ins seichte Wasser fiel und sich seine Kleider voll sogen. Auf allen Vieren robbte er durch die Papyrusstauden, blickte sich alle paar Sekunden hektisch um, ob er verfolgt wurde. Kaum hatte er den Rand des Dickichts erreicht, richtete er sich auf und rannte auf den Palast zu. Das Leinentuch, das er sich um den Hals gehängt hatte, verfing sich in einem Rosenbusch. Jono zerrte verzweifelt an dem Stoff, denn er glaubte schnelle Schritte auf den Wegen zu hören, die in seine Richtung unterwegs waren. Mit einem Reißen gaben die Dornen das Tuch frei und er hastete weiter, triefend nass, wie er war, durch das von Widderstatuen flankierte Portal, die Gänge entlang, bis er keuchend in seinen Gemächern ankam. Er schlug die Tür hinter sich zu und verriegelte sie.

„Euer Hoheit, was habt Ihr denn? Und warum wart Ihr in Euren Kleidern schwimmen?“, fragte Marik.

Jono warf das Badetuch auf den Boden und ließ sich auf einen Hocker fallen. Er vergrub das Gesicht in den Händen, bis er einigermaßen zu Atem gekommen war, und strich sich die Haare aus der Stirn.

„Anitta will den Pharao umbringen lassen.“

„Wie bitte? A-aber ... wie kommt Ihr darauf?“

„Ich habe es selbst gehört, eben, am Ufer. Er hat einen Attentäter beauftragt.“

Marik stellte die Karaffe ab und reichte Jono mit leicht zitternden Händen einen Becher Wein.

„Und wann?“

„Es soll heute Nacht geschehen.“

Wettlauf gegen die Zeit

Und schon sind wir im nächsten Teil. Wird es Jono gelingen, den Pharao zu retten? Wir werden es sehen.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=ZFuzK80UOmg&feature=PlayList&p=C74E403B292F5ADB&index=3 Prince of Persia – The two Thrones
 

Kapitel 10

Wettlauf gegen die Zeit
 

„Aber dann müsst Ihr etwas tun!“, rief Marik. „Ihr müsst den Pharao warnen, Ihr –“

„Ich habe Anitta zwar gehört, aber ich kann ihm nichts nachweisen. Wie soll ich zum Pharao gehen, wenn ich keine Beweise für seine Schuld habe?“

„Ihr seid ein Prinz von Hatti und steht über ihm. Ihr könnt ihn in seinen Gemächern festsetzen lassen.“

„Davon wird der Attentäter aber nicht aufgehalten. Auch wenn Anitta eingesperrt ist, er ist frei und wird die erste Chance nutzen, die sich ihm bietet, seinen Auftrag auszuführen. Aber wir könnten Anitta trotzdem zur Rede stellen.“

„Hmm ...“, Marik setzte sich ihm gegenüber. „Wenn ich es mir recht überlege ... Nein, das dürfen wir auch nicht. Wenn Ihr mit ihm sprecht, ist er gewarnt und wird den Angriff entweder abbrechen und auf einen anderen Tag schieben oder ... Oder er setzt den Mann auch auf Euch an.“

„Glaubst du?“

„Ich ... Ja, es wäre möglich. Eigentlich habe ich ihm von Anfang an nicht getraut. Dass er gegen den Frieden spricht, ist schon lange am Hof von Hattusa bekannt, aber was er jetzt plant – das ist Königsmord! Ich hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde, um seinen Willen durchzusetzen.“

Jono erhob sich, schritt im Zimmer unruhig auf und ab und überlegte.

„Also ... zu Anitta können wir schon mal nicht. Da ich keine Beweise habe, kann ich den Pharao auch nicht richtig warnen und – Da fällt mir ein, am Ende denkt er, wir stecken alle in der Sache drin! Hmm ... Ah, jetzt weiß ich, was wir machen. Ich erzähle Zidanta davon. Er kann uns sicher sagen, wie wir am besten vorgehen.“

„Dann verlieren wir keine Zeit.“

Die beiden liefen zu Zidantas Gemächern, doch außer seinem Diener war niemand anwesend und er konnte ihnen nicht sagen, wo sich sein Herr momentan aufhielt.

„Und was jetzt? Zidanta kann praktisch überall sein“, sagte Jono.

„Trennen wir uns, wer ihn findet, gibt ihm Bescheid“, schlug Marik vor.

Gesagt, getan. Jono lief treppauf, treppab, hielt Diener und Adlige an und fragte sie nach Zidantas Verbleib. Der Fürst schien sich jedoch nach ihrem Duell in Luft aufgelöst zu haben, niemand hatte ihn gesehen. Dafür verwünschte Jono einmal mehr die Vorliebe der Pharaonen für große Bauten. Nach einer Dreiviertelstunde ergebnisloser Suche taten ihm seine Füße weh, sein Magen war leer und knurrte erbärmlich. Er lehnte sich gegen eine Säule und ließ sich auf den Boden sinken. Ich weiß ja, dass es eilt, aber mit leerem Bauch kann ich nicht richtig denken.

„Und, was sagt er?“

War das nicht eben Zidanta? Jono stand auf und sah hinter der Säule hervor. Erst wollte er sich bemerkbar machen, doch als er sah, in wessen Begleitung der Fürst unterwegs war, zog er sich schleunigst weiter in den Schatten der Säule zurück.

„Dass es kein Problem ist. Er wird sich heute Abend noch darum kümmern“, antwortete Anitta. „In ein paar Stunden ist das Problem aus der Welt geschafft.“

„Das ist gut zu hören.“

Aber das klingt ja danach, als würde Zidanta ... Nein, bitte nicht.

Er drückte sich noch enger an den Stein und betete, dass er von den beiden Männern unentdeckt blieb. Sie wechselten das Thema, sprachen über Zidantas Besitzungen am Meer und gingen an ihm vorbei. Jono schlich sich um die Säule herum, damit er nicht doch noch gesehen wurde, falls sich einer von ihnen umdrehte, und machte dann, dass er in seine Gemächer zurückkam, wo er sich mit Marik verabredet hatte.

„Ich habe Fürst Zidanta leider nicht gefunden, Euer Hoheit“, begrüßte ihn der Diener.

„Ich schon. Und wie es sich angehört hat, machen er und Anitta gemeinsame Sache.“

„Was? Ab-aber ... Fürst Zidanta ist gegen den Krieg.“

„Eben hörte es sich aber so an, als wäre er einer Ermordung des Pharaos nicht abgeneigt. Oder ich interpretiere zu viel rein ... Ah, mir schwirrt der Kopf! Jedenfalls bin ich mir derzeitig nicht sicher, ob wir ihm trauen können.“

„Wem wollt Ihr dann Bescheid geben? Der Pharao muss gewarnt werden.“

„Ich weiß es nicht.“

„Wie wäre es mit Meister Seth? Apropos, habt Ihr mit ihm gesprochen?“

„Den kannst du vergessen. Der feine Herr Hohepriester kann mir gestohlen bleiben.“

Jono verschränkte die Arme und setzte eine brummige Miene auf.

„Ein Tag und schon Beziehungsstress?“

„Wir haben keine Beziehung!“, brüllte Jono.

„Aber ich dachte –“

„Tja, falsch gedacht. Und jetzt lass uns überlegen, wir müssen einen König retten und anscheinend sind wir dabei auf uns gestellt.“
 

„Wie laufen die Vorbereitungen für morgen, Seth?“, fragte Atemu und reichte Shimon einen mit dem königlichen Siegel versehenen Papyrus zurück. Der Wesir verbeugte sich vor ihm und verließ den Thronsaal.

„Bestens, Euer Majestät. Die Feier wird ganz zu Eurer Zufriedenheit ausfallen.“

Sofern es diese Dummköpfe nicht vermasseln, setzte der Hohepriester in Gedanken hinzu. Er hatte sich kurz nach dem Gespräch mit Kail mit der Begründung, er fühle sich nicht wohl, in sein Amtszimmer im Tempel zurückgezogen, doch sehr lange war er dort nicht ungestört geblieben. Imsety hatte schon nach einer Stunde geklopft und ihn um Hilfe gebeten, weil die Proben völlig aus dem Ruder liefen. Seth hatte seinen Untergebenen eine gepfefferte Rede gehalten, nach der endlich Ruhe und Ordnung unter den Beteiligten eingekehrt waren. Er hatte den nächsten Probedurchgängen beigewohnt und war, als er den Tempel verließ, mit ihnen sogar sehr zufrieden gewesen. Im Gegensatz zu sich selbst.

Der Besuch des Hethiters hatte ihn etwas aus der Bahn geworfen, so dass er sich nicht richtig auf die Proben konzentrieren konnte. Schwere Selbstvorwürfe plagten ihn. Er hatte ihn belogen. Und er hatte es auf heiligem Grund getan, unter den Augen der Götter. Verlangen ... Das war es vielleicht ganz zu Anfang gewesen, als er die Gefühle, die in ihm aufstiegen, noch nicht einzuordnen wusste. Aber inzwischen war es doch so viel mehr als Verlangen! So viele Lügen ... Gleich einem Geflecht aus Dornen legten sie sich um sein Herz.

„Seth? Seth!“

Er blickte auf und in die amethystfarbenen Augen des Monarchen.

„Wäre es zu viel von Euch verlangt, mir einen Moment Eurer kostbaren Zeit zu schenken?“

Sarkasmus, gepaart mit Verärgerung, klang in Atemus Stimme mit.

„Entschuldigt, mein Pharao, ich war in Gedanken.“

„Das seid Ihr in letzter Zeit recht häufig. Wobei mir einfällt, habt Ihr Euch inzwischen mit Prinz Kail ausgesöhnt?“

„Das ... Die Situation zwischen Seiner Hoheit und mir ist etwas ... verzwickt. Es ist für uns beide nicht leicht, miteinander auszukommen.“

„So? Ich habe gehört, Ihr wärt ihm gestern, nachdem die Verhandlung abgebrochen worden war, gefolgt und für den Rest des Abends nicht mehr gesehen worden.“

„Wir haben uns lange unterhalten, mein Pharao“, sagte Seth, ohne ihn richtig dabei anzusehen.

„Hmm ... Muss eine sehr ... interessante Unterhaltung gewesen sein“,

überlegte Atemu und grinste auf einmal. „Oder sollte ich sagen ... eine intensive?“

„Ich verstehe nicht, Euer Majestät.“

Atemu winkte ihn zu sich heran. Als Seth neben ihm stand und sich zu ihm beugte, sagte er: „Blickt in einen Spiegel, dann werdet Ihr verstehen. Ihr dürft Euch entfernen.“

Verwirrt von Atemus Worten, begab er sich in seine Gemächer und griff nach einem polierten Silberspiegel. Draußen auf dem Gang zuckten die Diener zusammen und zogen die Köpfe ein, als aus den Zimmern des Hohepriesters des Amun-Ra ein durchdringender Schrei kam.

„Das wird er mir büßen!“

„Was habt Ihr, Herr?“, fragte Hapi, der nichts ahnend den Raum mit Seths Abendessen betrat.

Er knallte den Spiegel auf den Tisch zurück, von dem er ihn genommen hatte und stürmte, die Fäuste geballt, aus dem Zimmer. Auf seiner Stirn zeichneten sich deutliche Zornesfalten ab. Hapi sah ihm verwundert nach.

„Was hat er denn?“
 

„Ich hoffe, dass das so funktioniert“, sagte Jono und biss von seinem Hühnerschenkel ab.

„Ich auch“, erwiderte Marik, „das Leben des Pharao hängt davon ab.“

Ein dröhnendes Klopfen unterbrach ihn.

„Wer ist das denn?“, überlegte Jono. „Her –“

Bevor er zu Ende sprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen, Seth rauschte herein und baute sich vor ihm auf.

„Ihr! Wie konntet Ihr es wagen!“, schrie er aufgebracht, die Stimme vor Wut zitternd.

„Lass uns bitte allein, Marik.“

Jono legte das Fleisch auf seinen Teller zurück und stand vom Tisch auf. Marik verschwand mit einer kurzen Verbeugung.

„Ich nehme an, es gibt einen Grund dafür, dass Ihr hier unangemeldet hereinplatzt und mich anschreit. Dürfte ich den erfahren? Ich weiß nämlich nicht, womit ich diese Behandlung verdiene.“

„Ach, nein? Und was ist das?“

Der Priester zerrte den Ausschnitt seines Gewandes ein Stück herunter und entblößte seinen Hals. In der Ausbuchtung des linken Schlüsselbeins zeichnete sich deutlich eine rötlich-blaue Verfärbung auf der gebräunten Haut ab. Jono beugte sich zu ihm und betrachtete den Fleck.

„Einen hübschen Liebesbiss habt Ihr da, Seth. Wohl ein Andenken an Euren ehemaligen Geliebten – Oh, verzeiht, ich vergaß. Ihr habt mich ja nie geliebt.“

Aus seinem Gesicht konnte er den Kummer fernhalten, doch seine Worte, seine Stimme waren von ihm durchtränkt.

„Kail ...“

„Lasst mich bitte allein.“ Jono wandte sich von ihm ab.

„Aber –“

„Habt Ihr nicht schon genug Unheil angerichtet? Geht, ich möchte mein Herz nicht noch mehr von Euch zerfetzt sehen.“

Den Blick zu Boden gerichtet, ließ Seth ihn allein.

„War das wirklich klug, ihn dermaßen vor den Kopf zu stoßen, Euer Hoheit?“, fragte Marik vorsichtig und spähte aus dem Vorzimmer zu ihm herein. „Er hätte uns helfen können.“

„Auf die Hilfe eines Großkotzes, der andere Menschen nur ausnutzt, um seine Gelüste zu befriedigen, kann ich gut verzichten.“
 

Samtene Schwärze überzog den Himmel über Men-nefer. Tiere wie Menschen hatten sich in ihre Behausungen zurückgezogen und träumten dem nächsten Tag entgegen. Das blasse Licht des Halbmondes lag über der Stadt. Auch im Palast waren vor einer ganzen Weile die letzten Lichter gelöscht worden und all seine Bewohner lagen in tiefem Schlummer ... Nun ja, nicht ganz.

„Au, du stehst auf meinem Fuß!“, beschwerte sich Jono und schubste Marik zur Seite.

Hin- und hertänzelnd, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, klammerte sich der Sklave an den Ästen des Johannisbrotbaums fest, bei dem sie sich versteckt hatten.

„Entschuldigung, war keine Absicht.“

„Das möchte ich hoffen. Ich lasse mir nicht gern die Zehen lädieren.“

Während dieser kurzen Unterhaltung blieben die Blicke der beiden beständig auf ihr Ziel geheftet, einen Balkon im Obergeschoss des Palastes. Der Balkon, der zu den Gemächern des Pharao gehörte. Diesen Platz, versteckt zwischen den Blumenbeeten und Bäumen, hatten sie sich noch am Nachmittag ausgesucht. Für ihr Vorhaben war er perfekt. Sie konnten alles gut überblicken, ohne fürchten zu müssen, sofort selbst gesehen zu werden. Nach einer längeren Diskussion waren sie übereingekommen, dass es am besten wäre, den Attentäter auf frischer Tat – und möglichst vor Begehung selbiger – zu ertappen. Sie brauchten ihn, denn wenn er Anitta in einem Verhör beschuldigte, ihn beauftragt zu haben, hatten sie etwas gegen ihn in der Hand.

„Und Ihr seid Euch sicher, dass er keinen genauen Zeitpunkt genannt hat?“

„Jahaa“, kam es gelangweilt von Jono. Diese Frage hatte ihm Marik seit heute Mittag an die hundert Mal gestellt.

„Ich wollte nur zur Sicherheit noch mal nachfragen.“ Er rutschte un-ruhig auf seinem Platz herum. Trotz des Umhangs, den er trug, war ihm kühl. „Und es sollte heute Nacht sein, nicht morgen?“

„Ganz sicher heute.“

„Es war eine blöde Idee, uns selbst auf die Lauer zu legen. Wir hätten den Medjai einen Hinweis geben sollen und fertig, statt uns selbst die Beine in den Bauch zu stehen. Dann hätten sie sich um die Sache ge-kümmert und wir müssten uns nicht die Nacht um die Ohren schlagen.“

„Ach, wer war denn so darauf aus, den Pharao zu retten? Und hätte dir das mit den Medjai nicht vorher einfallen können?“

„Ihr habt auch nicht dran gedacht“, konterte Marik.

„Willst du damit sagen, ich wäre schuld?“

„Wenn Ihr so fragt –“

Ein Rascheln in den Blättern eines nahen Gebüschs unterbrach ihre im Flüsterton geführte Diskussion.

„Psst!“ Jono hielt Marik die Hand vor den Mund und deutete auf das Gesträuch. „Da ist irgendwas.“

„Vielleicht nur eine Katze.“

„Dann ist das aber eine sehr große Katze“, kommentierte Jono, als sich eine Gestalt aus dem Schatten des Busches löste und über die Rasenflächen auf den Palast zu schlich. Der Mond ließ die Kontraste von Hell und Dunkel stärker hervortreten. Der Fremde verbarg Gesicht und Haare unter einem Tuch, schwarz wie der Rest seiner Kleidung, die es ihm erlaubte, sich mit der Dunkelheit zu vereinen und, von den Wachen unbemerkt, in den Palastgarten einzudringen. Der Mann sah sich kurz um, dann näherte er sich weiter dem Gebäude. Jono und Marik folgten ihm in gebückter Haltung, damit er sie nicht sofort sah. Erst als sie nahe genug an ihm heran waren, kamen sie aus ihrer Deckung.

„Halt, stehen bleiben!“ Jono zog sein Schwert und richtete es auf den Mann. „Was habt Ihr zu mitternächtlicher Stunde in den Gärten des Pharao verloren?“

Der Mann wandte ihnen den Kopf zu. Augen in der Farbe von Eis musterten seine beiden Verfolger mit einem tödlichen Blitzen. Das waren keine Gegner für ihn, das waren ja noch Kinder. Die konnte er laufen lassen, sie würden ihm keine Schwierigkeiten machen. Und zu seinem Auftrag gehörte es auch nicht. Wie er Anitta kannte, würde der sicher nicht für zwei tote Jungen zahlen.

Er ließ ein leises Lachen hören, drehte sich um und lief weiter. Um Jonos Mundwinkel zuckte es. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn missachtete.

„Stehen bleiben! Sofort!“, rief Jono und folgte ihm.

Der Mann tauchte in den Schatten des Gebäudes ein und verschwand so aus ihrem Blick.

„Wo ist er?“ Marik sah sich hastig um. „Verdammt, wir haben ihn verloren!“

Jono packte ihn bei den Schultern.

„Dann ändern wir den Plan. Sieh zu, dass du die Medjai auftreibst, sie sollen sofort herkommen! Ich versuche inzwischen den Kerl vom Pharao fernzuhalten. Beeil dich!“

Marik nickte ihm zu und lief davon. Nun war Eile geboten. Jono ließ seine Augen wachsam über die Schatten gleiten, während er sich dem Gebäude näherte, achtete auf jede kleine Bewegung in ihnen, doch er konnte ihn nicht entdecken. Dabei war er sich sicher, von einem eisigen Augenpaar beobachtet zu werden.

Eine Wolke schob sich vor den Mond und tauchte den Garten in Schwärze ... überall war nichts als tiefe, undurchdringliche Schwärze. Ra, lasst Euren Sohn nicht einem heimtückischen Mordanschlag zum Opfer fallen! Seine Hand schloss sich um den Beutel mit dem Amulett, mit der anderen umklammerte er seine Waffe. Immer hastiger huschte sein Blick hin und her, richtete sich mal auf dem Boden, mal zu den höher gelegenen Ebenen. Und wenn er längst im Palast war? Wo blieb Marik nur mit den Wächtern?

Apropos Wächter ... Eigentlich wäre es ja die Aufgabe der Millenniumshüter, auf den Pharao aufzupassen. Hat Isis denn nicht gesehen, was auf ihn zukommt?

Helle Mondstrahlen drangen durch die dünnen Ausläufer der langsam weiter ziehenden Wolke und badeten den Palastgarten in ihrem Licht. Da, an der Akazie – Jono rannte los.

Unter seinem Tuch brummte der Mann grimmig. Der Junge war doch schwerer loszuwerden, als er gedacht hatte. Aber er hatte keine Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen. Mit geübten Griffen erklomm er den Stamm des Akazienbaumes, stellte seine Füße auf die untersten Äste und stieg von dort aus höher. Der Baum war mit den Jahren groß geworden und reichte bis an den Balkon des Pharao und noch darüber hinaus.

Noch aus dem Lauf heraus sprang Jono ab und hängte sich an den Fuß des Mannes, um ihn herunterzuziehen. Unwillig versuchte dieser ihn abzuschütteln, was Jono dazu veranlasste, sich nur noch fester an ihn zu klammern. Der Stoff seiner Hose gab nach und riss. Jono landete unsanft auf dem Boden und sah wütend zu seinem Gegner auf, der dabei war, in die höheren Ebenen des Baumes vorzustoßen.

Er stand auf, schob sein Schwert in die lederne Scheide zurück und folgte ihm. So leicht ließ er sich nicht abhängen. Zweimal kam er in Reichweite und verfehlte den Unbekannten um ein Haar.

„Pharao, wacht auf! Jemand will Euch umbringen!“, rief Jono. „Medjai, wo seid ihr? Euer Herr ist in Gefahr!“

„Halt dein Maul!“, kam es von weiter oben.

„Auf keinen Fall!“

Der Attentäter zog sich über die Brüstung des Balkons, ließ sich auf der anderen Seite auf den Boden gleiten und zog einen Dolch hervor.

„PHARAO!“, brüllte Jono verzweifelt. Wie kann er denn immer noch schlafen?

Er brachte die letzten Äste hinter sich, stieg über die Brüstung und stürzte sich von hinten auf den Maskierten. Eine schnelle Drehung und kräftige Finger, die nach ihm griffen, entfernten die ungewollte Last von seinem Rücken und beförderten sie zu Boden. Jono stieß mit dem Rücken gegen einen der Balkonpfeiler und stöhnte schmerzhaft auf.

„Dummer Bengel, wenn du es unbedingt so willst, dann muss ich mich eben erst um dich kümmern.“

Jono rollte sich zur Seite und entging den Händen, die ihn zu packen versuchten. Er sprang auf die Füße und zog seine Waffe. Das Schwert seines Gegners sauste auf ihn zu, er konterte, griff nun selbst an. Die Klingen kreuzten sich, jeder versuchte den anderen wegzudrücken. Damit wurde ihr Kampf zu einem reinen Messen der körperlichen Kräfte, nicht der Geschicklichkeit. Jono stemmte sich mit aller Kraft gegen seinen Gegner. Einer plötzlichen Eingebung folgend, ließ er von ihm ab, tauchte unter ihm hindurch und ließ seinen Angriff somit ins Leere laufen.

Der Mann stolperte ein paar Schritte vor, fuhr dann noch wütender herum. Das alles dauerte ihm viel zu lange. Er sollte sich längst auf dem Rückweg zu dem Gasthaus befinden, in dem er für seinen Aufenthalt in Men-nefer abgestiegen war, um auf den Sonnenaufgang zu warten und darauf, dass sich in der Stadt die traurige Nachricht verbreitete, der Pharao sei in der Nacht verstorben. Ein mächtiger Hieb entriss Jono das Schwert. Der Maskierte nutzte die Gelegenheit, stürmte auf ihn zu.

Jono wurde gegen die Balkonbrüstung gedrückt, kraftvolle Finger legten sich um seinen Hals und begannen ihm die Luft abzudrücken. Er versuchte sie von sich zu lösen, doch vergebens. Der Mann war stark. Zu stark für ihn.

„Schade, ich dachte, ich bekomme hier was geboten“, ließ sich eine männliche Stimme vom anderen Ende des Balkons vernehmen.

Jono, dessen Gesicht sich mit jedem Moment roter färbte, schaffte es mit Mühe, seinen Kopf ein kleines Stück nach rechts zu drehen. Die Arme verschränkt, den roten Beduinenmantel nur lose mit einem Gürtel gebunden, lehnte Kura an der Mauer und beobachtete ihn.

„Red nicht so ... einen Unsinn daher und hilf mir! Falls du ... es nicht bemerkt hast, der K-kerl will mich gerade umbringen!“, brachte Jono hervor und trat nach seinem Kontrahenten.

„Halt dich bloß da raus, Kleiner, oder du bist der nächste!“, sagte der Attentäter, ohne von seinem Opfer abzulassen.

„Kura, s-so heißt du doch ...“, stammelte Jono. „Hilf mir!“

„Pass auf, wem du hier drohst“, fauchte Kura. „Men-nefer ist meine Stadt. Damit das klar ist.“

„Deine Stadt, ha! Auf dich spucke ich. Verzieh dich, bevor ich Ernst mache.“

„So, das reicht jetzt aber, Freundchen“, knurrte Kura, war mit wenigen Schritten bei ihnen und packte den Mann an Ausschnitt seines Gewandes. „Niemand beleidigt mich ungestraft!“

Die Finger lösten sich von Jonos Hals, wandten sich dem neuen Gegner zu. Jono holte tief Luft und griff sich an die Kehle. Jeder Atemzug brannte und tat weh. Seine Haut war gerötet, die Finger seines Angreifers zeichneten sich noch deutlich ab.

„Pha ... Pharao!“, krächzte er. „Wacht auf!“

Er stolperte zu dem Durchgang ins Schlafzimmer und spähte in den im Halbdunkel daliegenden Raum. Endlich begriff er, warum es ihm trotz seiner lauten Rufe und trotz des Lärms, den sie hier gerade veranstalteten, nicht gelungen war, den Pharao zu wecken. Atemu war gar nicht in seinem Zimmer. Das Bett war verlassen.

Kura und der Attentäter lieferten sich währenddessen ein erbittertes Duell. Jono duckte sich, damit die sich schnell bewegenden Klingen nicht versehentlich ihn trafen. Er ging auf die Knie und tastete den Boden, der nicht im Schein des Mondes lag, nach seinem verlorenen Schwert ab.

Die Schlafzimmertür öffnete sich, Atemu kam, an einem Stück Brot kauend, herein. Er war schon als Kind des Nachts öfter wach geworden und hatte sich dann in den Küchentrakt geschlichen, um sich etwas zu essen zu stibitzen. Irgendwann hatte Shapu, eine der Köchinnen, das mitbekommen und ließ seither immer eine Kleinigkeit für ihn in der Küche stehen. An dieser Tradition hatte sie festgehalten, auch als Atemu gekrönt worden war. Der Teller mit Brot und Trauben fiel dem Pharao aus der Hand, als er die kämpfenden Männer sah und Jono, der sich, das Schwert in der Hand, erhob.

„Was ist hier los? Wachen!“

„Wir sind schon da! Bitte aus dem Weg, Euer Majestät!“

Jono stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sich Marik mit den Medjai an dem erschütterten Herrscher vorbei schob.

„Hmm, Zeit zu gehen“, stellte Kura fest. „Es hat mich gefreut, Euch noch einmal gesehen zu haben“, wandte er sich an Jono.

Schneller als dieser hinsehen konnte, war der Dieb vom Balkon verschwunden.

„Da hat er mal Recht, nichts wie weg“, murmelte der Attentäter. Bei dem Volksauflauf kam er unmöglich heute noch an sein Ziel.

„Oh nein, du bleibst schön hier!“, rief Jono und warf sich mit einem Hechtsprung auf ihn.

Sie rangen miteinander, drehten sich, versuchten dem andern die Hände um den Hals zu legen. Die Medjai rannten durch das Zimmer. Jono bekam das Tuch, das der Mann vor dem Gesicht trug, zu packen und riss es ihm herunter. Es war der Blondhaarige, den er am Ufer beobachtet hatte.

Jetzt muss ich ihn nur noch den Medjai übergeben, dachte Jono und versuchte ihn gegen das Geländer zu rammen. Der Attentäter drehte sich mit ihm, bis beide parallel zu der Balustrade waren, als er stolperte. Kurz strauchelte er, verlor den Kampf gegen die Schwerkraft. Jono verlor den Boden unter den Füßen, wurde von ihm mitgerissen. Von ihrem eigenen Schwung getragen, stürzten sie über die Brüstung. Die Schreie von Atemu, Jono, Marik und dem Mann mischten sich zu einem einzigen, der gellend durch die Nacht hallte.

Pharao und Diener hasteten an den Wachen vorbei auf den Balkon. Der Mann, der den Auftrag gehabt hatte, Atemu zu töten, lag auf der Erde, die Gliedmaßen in seltsamem Winkel von sich gestreckt, und rührte sich nicht mehr. Jono klammerte sich an einen der Pfeiler, doch er merkte, wie seine Kraft zusehends nachließ. Das Adrenalin, das während des Kampfes durch seine Adern gepumpt worden war, war bald verbraucht. Seine Finger waren feucht von der Anstrengung, glitten von dem Stein ab.

Viele Hände griffen nach ihm, zogen ihn in die Sicherheit des Balkons zurück, auf dem er keuchend liegen blieb. Marik und Atemu knieten sich neben ihn.

„Geht es Euch gut, Prinz Kail?“, fragte Atemu.

„Eure Majestät sind am Leben ... Es ging mir also nie besser“, sagte er.

„Mein Pharao, was ist geschehen?“

Die sechs Wächter betraten das Schlafgemach; sie hatten sich in der Eile nur rasch Umhänge über ihre Nachtgewänder geworfen.

„Es scheint, als hätten wir ungebetenen Besuch gehabt, in Form eines Attentäters“, erklärte Atemu. „Prinz Kail hat gegen ihn gekämpft.“

„Ein Attentäter?“ Die Blicke der Priester wandten sich Isis zu, die beschämt den Kopf senkte.

„Die Kette hat mich nicht gewarnt. Ich verstehe das nicht, ich hätte es doch sehen müssen. Pharao, bitte vergebt mir.“

„Der Sache werden wir morgen nachgehen, Isis. Medjai, durchsucht den Palast, ob sich noch jemand herumtreibt, der hier nichts zu suchen hat.“

Jono stöhnte leise und schloss die Augen.

„Euer Hoheit, was habt Ihr?“, sagte Marik.

„Nicht ... nichts. Ich bin nur total erledigt.“

Ein Gähnen war das letzte, was sie von ihm hörten. Sein Kopf nickte zur Seite und er wanderte ins Reich der Träume.

„Tse, tse, das glaube ich nicht.“ Mahaado schüttelte belustigt den Kopf. „Rettet unseren Pharao und schläft dann ein.“

„Medjai, bringt ihn in seine Gemächer zurück“, ordnete der Pharao an. „Unser Held braucht Ruhe.“

Erstaunt sah er, wie sich Seth an den Soldaten vorbeidrängte.

„Das mache ich“, erklärte er, kühl wie eh und je, hob Jono auf und verließ mit ihm das Zimmer, Marik, der das Schwert aufgehoben hatte, im Schlepptau.

„Eure Kette mag Euch im Moment vielleicht Schwierigkeiten bereiten, Isis“, sagte Atemu, „doch was unseren guten Seth angeht, scheint Ihr Recht zu behalten.“

Auf den Gesichtern der beiden erschien ein Lächeln. Die anderen Priester dagegen warfen sich nur ratlose Blicke zu.

Seth schob Jono den Arm weiter unter den Kniekehlen durch, um ihn nicht fallen zu lassen. Schweigend ging er mit ihm und Marik durch die Gänge, ignorierte die Menschen, die ihnen neugierige Blicke zuwarfen. In Kürze würde ohnehin der ganze Palast über die Geschehnisse informiert sein. Und Kail würde als strahlender Held gefeiert werden. Marik öffnete Seth die Türen zu Jonos Gemächern.

„Vielen Dank für Eure Hilfe, Meister Seth“, sagte er, als sie das Schlafzimmer erreichten und Seth Jono auf seinem Bett ablegte.

„Du kannst dich zurückziehen“, antwortete der Hohepriester nur.

„Ihr ... Ihr solltet auch gehen“, wagte er einzuwenden. „Lasst Seine Hoheit bitte schlafen.“

Nach dem ganzen Ärger, den Jono und er gehabt hatten, war sich Marik sicher, dass Seth der Letzte war, den Jono an seinem Bett haben wollte.

„Hüte deine Zunge, Sklave. Ich entscheide selbst, wann ich gehe. Das ist nicht deine Aufgabe.“

Marik war zu perplex, um etwas zu erwidern. Seth schob ihn aus dem Raum und schloss hinter ihm die Tür.

Dafür, dass er Jono beziehungsweise Kail angeblich nicht liebt, benimmt er sich aber sehr Besitz ergreifend, dachte Marik. Ich sollte mal mit Hapi darüber reden. Wenn die zwei das nicht allein gebacken kriegen, müssen wir eben nachhelfen und Hathor ein bisschen unter die Arme greifen.

Seth zog die Decke über Jono und setzte sich auf die Bettkante. Die Lider des Schlafenden flatterten leicht, er schien zu träumen. Zögernd streckte Seth die Hand nach ihm aus, zog sie hastig zurück, kurz bevor er ihn berührte, als habe er sich verbrannt.

„Was mache ich hier eigentlich?“, flüsterte er in die Dunkelheit. „Warum wird der einzige Mensch, der sich nicht von meiner Kühle abschrecken ließ, immer wieder verletzt, sei es durch mich oder durch andere?“

„Seth ... Warum nur ...“, murmelte Jono.

Ein Paar blauer Augen wandte sich ihm überrascht zu. Nein, er schlief noch, er hatte nur im Traum gesprochen. Doch das, was Seth noch sah, schnürte den Dornenkranz um sein Herz noch enger. Über Jonos Wange lief eine Träne. Ein Beben ging durch den Körper des Hohepriesters. Er beugte sich über Jono und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Mein schöner Falke“, flüsterte Seth mit erstickter Stimme. „Ich wünschte, ich könnte meine Worte ungeschehen machen.“

Was auch passiert

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=rt1Vqldvnwc Prince of Persia – The two Thrones: I still love you

http://www.youtube.com/watch?v=-rbw1l3LDnE&feature=related Enchanted Egypt
 

Kapitel 11

Was auch passiert
 

Jono lief gehetzt durch die dunklen Straßen von Men-nefer. Sein Atem ging schnell, flach und jeder Zug brannte in seiner Kehle. Er ignorierte das scharfe Stechen in seiner Seite, setzte unentwegt einen Fuß vor den anderen. Er durfte nicht anhalten, sonst würde es zu spät sein. Fest hielt er das Schwert umklammert, das er, die Klinge zum Boden gesenkt, mit sich führte.

Die Häuser, nur als düstere Schemen auszumachen, zogen an ihm vorbei. Eines sah aus wie das andere und doch wusste er genau, wohin er sich zu wenden hatte. Schlitternd bremste er ab, um die Abzweigung nicht zu verfehlen, bog nach links und rannte weiter. Nur nicht anhalten, egal wie seine Beine auch protestieren mochten. Vor ihm tat sich ein weiter Platz auf, in dessen Mitte sich ein großer Obelisk erhob. Die Spitze war mit Elektrum überzogen, einer Legierung, die tagsüber, im Licht der Sonne, wie Bernstein glänzte. Doch das steinerne Kunstwerk war es nicht, was Jonos Aufmerksamkeit beanspruchte, sondern die Männer, die an seinem Fundament standen. Der Mond löste sich aus den Wolken, hinter denen er sich bisher versteckt hatte und warf sein Licht auf die Szenerie, was das Ganze für Jono noch unwirklicher erscheinen ließ. Wie, im Namen aller Götter Kemets, hatte es nur so weit kommen können?

„Da seid Ihr ja endlich“, begrüßte Anitta ihn. „Ich dachte schon, Ihr kommt gar nicht mehr.“

Ein maliziöses Grinsen umspielte seine Züge. Vor ihm stand Seth, die Hände mit festen Stricken gefesselt, und warf seinem Entführer, der ihm sein Kopesh an den Hals hielt, vernichtende Blicke zu, die an diesem wirkungslos abzugleiten schienen.

„Lasst Seth gehen!“, sagte Jono und näherte sich ihnen langsam.

Er musste zu Atem kommen, musste seine Kraft sammeln, falls es zu einem Kampf kam. Und dazu würde es kommen, das wusste er.

„Ich wüsste nicht, warum ich das tun sollte. Was bedeutet er Euch denn schon? Was bedeutet Ihr ihm? Nichts.“

„Das ist nicht wahr. Lasst ihn gehen, im Namen des Pharao.“

„Ihr könnt mir nichts befehlen. Erst recht nicht im Namen eines Herrschers, der tot ist.“

„Was –“

Anitta bückte sich und lüftete ein Tuch, das neben ihm lag. Jono zog scharf die Luft ein, als er den reglosen Körper erkannte, der zu Füßen des hethitischen Fürsten lag.

„Anitta, Ihr habt Eure Seele wahrlich dem Schattenreich verschrieben“, knurrte Jono.

„Nicht mehr als Ihr, mein falscher Prinz. Ihr seid ein Narr, genau wie Zidanta, dass Ihr dachtet, mich aufhalten zu können.“

Seth stieß einen gurgelnden Laut aus, als die Klinge durch seine Kehle schnitt. Blut strömte hervor, färbte sein helles Gewand mit dem roten Lebenssaft. Leblos sackte der Körper des Hohepriesters neben dem des Pharao zusammen.

„NEIN!“, brüllte Jono, packte sein Schwert fester und stürmte auf den wie wahnsinnig lachenden Anitta los.
 

„Nein!“

Das Wort auf den Lippen, fuhr Jono von seinem Lager auf. Sobald sich sein klitschnasser Rücken von den Laken hob, begann er in der kühlen Luft zu frösteln. Sein Puls raste, sein ganzer Körper fühlte sich heiß und verschwitzt an. Wie im Fieber wanderten seine Augen umher, streiften den Durchgang zu seinem Balkon. Blasser werdendes Blau füllte den Himmel, die Dämmerung war schon weit vorangeschritten.

„Es war ein Traum ... nur ein Traum“, flüsterte er. „Aber so real ...“

Er ließ sich in die Kissen zurücksinken. Als Jono die Hand heben wollte, um sich über die Stirn zu fahren, spürte er einen Widerstand an ihr und drehte den Kopf nach links. Verblüffung trat in die braunen Augen des Blondhaarigen und verscheuchte die Schreckensbilder, die ihn eben noch heimgesucht hatten. Neben seinem Bett hockte Seth, dessen linker Arm quer über dem Laken lag und seinen darauf gebetteten Kopf stützte. Seine rechte Hand hatte sich um Jonos Linke gelegt und hielt sie fest.

„Warst du die ganze Nacht hier? Aber ... was tust du hier ...“, murmelte Jono.

Seth ächzte leise im Schlaf und warf den Kopf herum.

„Geh nicht ... lass mich nicht allein, mein ... Falke.“

Er träumt von mir?, wunderte sich Jono. Und ich soll ihn nicht alleine lassen? Horus, was ist nun wahr? Das, was er mir im Tempel sagte oder das, was ich jetzt höre ... Seth, was ... was fühlst du wirklich? Was geht in dir vor, Schlange?

Unruhig bewegte sich das Haupt des Hohepriesters, seine Augen zuckten, dann kam er zu sich. Schlaftrunken blinzelte er, im ersten Moment nicht wissend, wo er sich befand, bis er Jono erkannte. Sofort wurde seine Miene streng und abweisend, er ließ Jonos Hand los und schoss von seinem Platz auf. Auf der Stirn des Jüngeren bildete sich eine steile Falte. Etwas stimmte nicht mit Seth, wenn er all ihre Treffen in den letzten Tagen zusammennahm, so bildete sein Verhalten einen einzigen Widerspruch in sich. Er wollte endlich wissen, was die Wahrheit, was eine Lüge war. Jono setzte sich im Bett auf und musterte ihn mit scharfem Blick.

„Du bist wirklich der ungewöhnlichste Mensch, der mir je begegnet ist, Seth“, sagte er.

„Hatte ich Euch nicht gesagt, dass Ihr diese vertraute Anrede unterlassen sollt“, fuhr Seth ihn an. „Hört –“

„Nein, jetzt hörst du mir mal zu“, entgegnete Jono, warf die Decke zurück und schwang sich aus dem Bett. „Was ist mit dir los? Nach unserem ersten Kuss hast du mich zurückgestoßen und ich hielt es für Vorsicht, um keinen Verdacht zu erregen. Nachdem wir miteinander das Bett geteilt hatten, hast du mir mit deiner Kälte ein Messer ins Herz gerammt und es mir dann scheinbar genüsslich aus der Brust gerissen. Du sagst, du empfindest nichts für mich und dennoch rufst du im Traum nach mir. Ich weiß nicht mehr, woran ich bei dir bin. Weißt du überhaupt selbst, was du willst?“

„Ich ...“

„Ja, jetzt bist du sprachlos, was?“

Seths Blick richtete sich zu Boden, er wandte den Kopf ab und ließ seine Augen über die Wände des Schlafzimmers wandern. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er fuhr herum und ging – oder floh, wie es Jono vorkam – auf den Balkon. Der Nil wurde von den Fischern bevölkert, die mit ihren Booten ausfuhren und die Netze auswarfen, immer hoffend, der Fluss möge ihnen einen reichen Fang bescheren. Jono trat neben Seth, dessen Blick sich auf den Horizont richtete.

„Ich ... Ich war es immer gewohnt, mich alleine durchzuschlagen“, sagte er zögernd. „Mein Vater verließ meine Mutter und mich, als ich noch sehr klein war. Ich kann mich nicht einmal an sein Gesicht erinnern. Ein paar Jahre darauf starb meine Mutter, als Räuber in unser Dorf einfielen. Als ich nach ihrer Beerdigung vor dem Schrein unseres zerstörten Hauses betete, da ... da kam es mir vor, als würden die Götter nach mir rufen. Und so weihte ich mein Leben Amun-Ra, mit dem Versprechen, ihm und nur ihm allein zu dienen. Aber ich habe ihn betrogen.“

„Wie ... wie das“, fragte Jono mit belegter Stimme.

„Ein Priester soll den Göttern dienen und ihnen sein Herz öffnen und nicht ... hmmm ... nicht einem Menschen.“

„Dann verdient es ein Priester also in deinen Augen nicht, das Glück der Liebe zu erfahren?“

„...“

„Soll denn ausgerechnet derjenige, der für das Glück der Menschen betet, der ihre Opfergaben für den Tempel entgegennimmt und für sie Fürsprache bei den Göttern einlegt, auf sein eigenes Glück verzichten und sein Leben in Einsamkeit verbringen? Ist es das, was du willst?“

„Und was ist mit dir? Denkst du überhaupt nicht an deine Stellung oder an deinen Ruf?“, warf ihm Seth nun, sich zu ihm wendend, vor. „Der Ruf, von den Frauen verehrt zu werden und sie leicht zu erobern, mag dir bei deinen Männern zum Vorteil gereichen, doch wie, glaubst du, reagieren sie, wenn herauskommt, dass du dich mit einem Mann eingelassen hast? Noch dazu mit einem Mann, der einem Volk angehört, welches von deinem seit Jahrzehnten als Feind angesehen wird, und der in den Diensten des Pharao steht?“

Jono lehnte sich mit dem Rücken, die Ellbogen auf das Sims gestützt, an die Balustrade.

„Ich hatte auch nicht vor, mich auf den Marktplatz zu stellen und eine offizielle Ankündigung zu machen, wenn du das meinst. Ist es nur dein Ruf, um den du dich sorgst, oder ist da noch mehr? Abgesehen von deinem unsinnigen Selbstvorwurf, die Götter zu betrügen.“

Längst war die Kälte aus den blauen Augen gewichen und hatte Verlegenheit Platz gemacht.

„Du sagtest, dein Herz bleibe bei mir, wenn du nach Hatti gehst. Und meines würde dich begleiten. Doch wie sollen wir beide so leben? Seit Tagen stürze ich mich in meine Arbeit, um zu vergessen und bin doch nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Darum habe ich dich von mir gestoßen. Wenn mehr zwischen uns wäre ... wie sollte ich mit den Erinnerungen daran zurechtkommen?“

„Allmählich begreife ich“, sagte Jono. „Aber hast du dir auch mal überlegt, wie ich mich bei deiner Behandlung fühle? Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, du spielst mit mir, wie es dir gerade in den Sinn kommt ... Wie eine Katze. Ich habe das gehörig satt.“

„Wenn überhaupt, dann Kater“, zischte Seth. „Und wenn du mich damit vergleichst, wundert es mich nicht, dass wir nicht miteinander zurechtkommen, Hund.“

„Gegensätze ziehen sich an, wusstest du das nicht?“, antwortete Jono schmunzelnd. „Und was, denkst du, wäre schlimmer? Die Erinnerung an eine schöne Zeit bewahren zu können, auch wenn es wehtun mag, sich daran zu erinnern, oder sich immer zu fragen, was hätte sein können?“

„Das ist nicht fair.“

„Nein, das Leben ist nicht fair.“ Jono richtete sich auf und legte seine Hand auf die von Seth. „Darum sollte man jeden kostbaren Moment ergreifen und ihn festhalten. Und wenn du meinst, die Götter wären dagegen – warum haben sie uns dann zusammengeführt? Vielleicht war es ja Schicksal.“

„Du redest schon wie Isis“, meinte Seth.

„Dann hat sie aber Recht.“

Seth streckte die Hand aus, strich sacht über Jonos Wange hinweg. Dessen Hände umfassten das Gesicht seines Gegenübers und zogen ihn näher zu sich.

„Und so beging die Schlange mit einem Lächeln Selbstmord und begab sich in die Klauen des Adlers“, flüsterte Seth nahe an Jonos Lippen.

„Nicht ohne ihm vorher noch ihr süßes Gift eingeflößt zu haben“, antwortete Jono und küsste ihn.

Sie bemerkten nicht, wie sich die Tür öffnete und Marik hereinspähte. Er war gekommen, um Jono zu wecken. Als er die beiden aber auf dem Balkon stehen sah, schloss er rasch und leise mit einem breiten Grinsen die Tür.
 

„Euer Hoheit, ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr etwas Qualifizierteres zu unserem Gespräch beitragen könntet als Eure Bemerkung über das Aussehen unserer Soldaten.“

„Aber Ihr müsst doch zugeben, dass die hethitische Armee um einiges besser aussieht“, gab Jono zurück und funkelte Seth herausfordernd an.

„Unsere Soldaten sollen Kriege gewinnen, nicht den ersten Platz bei einer Schönheitskonkurrenz.“

„Warum nicht, wäre sicher eine lustige Abwechslung.“

Niemand wäre bei dieser Unterhaltung auf den Gedanken gekommen, dass der große Streit zwischen dem Hohepriester und dem Prinzen beigelegt worden war oder gar, dass sich das Verhältnis zwischen ihnen grundlegend geändert hatte. Da konnten die anderen Mitglieder des Rates noch so versuchen, sie zurückzuhalten, ein Wort ergab zwischen den beiden das andere. Sie waren in ihrem Element.

Allerdings wussten vier Menschen im Raum, dass es sich bei diesen Streitereien nur noch um ein zugegebenermaßen etwas sonderbares Spiel zwischen ihnen handelte, um ihre Art, miteinander zu flirten. Marik hatte gleich nach seiner grandiosen Entdeckung Hapi aufgesucht und da der Pharao nur eine Ecke weiter gerade aus seinen Gemächern getreten war, hatte er seine Worte auch gehört. Und Isis ... nun, sie war dank ihrer Kette ohnehin die wahrscheinlich am besten informierte Person des ganzen Hofes. Abgesehen von dem Attentat letzte Nacht. Das machte ihr schwer zu schaffen.

Sie hatte schon seit einigen Wochen Probleme mit der Millenniumskette. Anfangs hatte sie es noch ignoriert, als ein oder zwei ihrer Vorhersagen nicht eingetroffen waren oder dass ihr die Kette einmal nicht antwortete. Mittlerweile jedoch machte sie sich ernsthafte Sorgen. Etwas stimmte nicht, das hatte sie im Gefühl und ohne die sonst so zuverlässigen Prophezeiungen des Artefaktes fühlte sie sich regelrecht hilflos. Wäre Kail nicht zufällig gestern wegen Schlafstörungen durch den Garten spaziert und hätte den Mann entdeckt (so die Fassung, die er geliefert hatte) – der Pharao würde jetzt auf seinen Weg ins Jenseits vorbereitet und Kemet hätte ohne Führung dagestanden.

Seit ihrer Rückkehr aus Hut-waret verbrachte Isis jeden Tag mehrere Stunden im Tempel, um zu den Göttern zu beten und sie um die Visionen zu bitten, die sie ihr früher so oft geschenkt hatten. Doch jetzt herrschte meistens Stille, wenn sie vor dem heiligen Feuer kniete.
 

Jono warf einen abschließenden Blick in den großen Spiegel und betrachtete sich zufrieden. Das lange Gewand, das er sich für den heutigen Abend ausgesucht hatte, war von tiefem Blau, wie die Augen seines geliebten Priesters. Darüber trug er einen schlichten weißen Umhang und das Pektoral, das er letztens auf dem Markt erstanden hatte.

„Seth wird Augen machen“, lachte er.

„Euer Hoheit, Fürst Zidanta möchte Euch sehen“, sagte Marik.

Ah, da ist ja unser möglicher Verräter Nummer Zwei.

„Ich lasse bitten“, erwiderte Jono hoheitsvoll.

Er und Marik hatten den Fürsten den ganzen Tag nicht aus den Augen gelassen, aber nichts Auffälliges an seinem Verhalten gefunden. Er hatte sich über den Angriff auf Atemu erschüttert gezeigt, doch das hatten alle getan, die davon gehört hatten. Der Pharao hatte das Fest, das für heute geplant war, kurzerhand zu einer Ehrenfeier für Prinz Kail, zum Dank für seine Rettung, erklärt.

„Ah, wie ich sehe, seid Ihr fertig, Euer Hoheit“, sagte Zidanta, der ein gelbes, mit braunen Halbmonden geschmücktes Tuch über seinem grünen Gewand trug.

„Genau wie Ihr. Das ist ein interessanter Schmuck, den Ihr Euch da ausgesucht habt, Fürst Zidanta“, kam die Antwort von Jono, dessen Augen sich dem mehrreihigen Collier aus Tigeraugenperlen und Gold zugewandt hatten.

„Das ist ein Erbstück meiner Familie“, erklärte der Fürst. „Aber beinahe hätte ich es nicht tragen können. Es ist irgendwann, während wir noch unterwegs waren, gerissen und ich habe den Schaden erst vor ein paar Tagen bemerkt. Fürst Anitta hatte neulich ein ähnliches Problem mit einem Armband und konnte mir so zu meinem Glück einen guten Juwelier hier in der Stadt empfehlen, der das Collier gestern Abend noch repariert hat."

„Ich habe Euch gestern mit Anitta gesehen. Dann habt Ihr mit ihm also darüber gesprochen?“

„Ja ... Worüber sollten wir denn sonst geredet haben?“, wunderte er sich.

„Nun ja ... Ich war gestern Abend nicht zufällig im Garten. Ich wusste von dem Attentäter und habe mich auf die Lauer nach ihm gelegt.“

„Ihr ... Moment, woher denn?“

„Ich habe ihn und Anitta ein paar Stunden zuvor belauscht“, gab Jono zu. Er wusste nicht, was genau es war, das ihm das einflüsterte, doch er glaubte Zidanta trauen zu können. Sein Verdacht gegen ihn war unbegründet gewesen, er hatte nichts mit dem Anschlag zu tun. „Er hat den Mann beauftragt.“

Zidanta sah aus, als hätte er einen heftigen Schlag ins Gesicht bekommen. Taumelnd näherte er sich einem Hocker und ließ sich auf diesen fallen.

„Anitta wollte den Pharao ermorden lassen ... Ihr seid Euch sicher, dass er es war, den Ihr gesehen habt?“

„Ganz sicher. Ich kann es ihm nur leider nicht nachweisen.“

„Ich hätte ihm ja einiges zugetraut, um unsere Verhandlungen zu boykottieren, aber das ... Auf so etwas wäre ich nie im Leben gekommen. Ich bin sehr froh, dass Ihr rechtzeitig zur Stelle wart und den Mann aufgehalten habt. Andernfalls hätte das ein böses Ende geben können. Es ist nur schade, dass wir keine Beweise gegen Anitta haben. Seinen Diener können wir nicht mehr befragen. Wir müssen ihn im Auge behalten. Ich kenne ihn lange genug. Er ist kein Mann, der eine Niederlage akzeptiert.“

„Meint Ihr etwa, er wird es wieder versuchen?“

„Ja, das halte ich für möglich, Prinz Kail.“

„Eure Hoheiten“, mischte sich Marik ein, „es wird Zeit für die Feier.“

„Ja, wir kommen gleich“, sagte Zidanta. „Prinz Kail, Ihr dürft Euch nicht anmerken lassen, dass Ihr über Anitta Bescheid wisst. Er wird Euch sonst als Bedrohung ansehen und nicht zögern, Euch dasselbe Schicksal zukommen zu lassen, das er dem Pharao zugedacht hat.“

Jono war inzwischen so geübt darin, sich als Kail hinter einer Maske zu verbergen, dass es ihm nicht mehr allzu schwer fiel, auch seinen Verdacht gegen Anitta zu verstecken. Er und Zidanta grüßten ihn freundlich, als sie mit ihm und Lubarna den Festsaal betraten und sich zu ihren Plätzen begaben.

Jono stellte erfreut fest, dass Seth es heute so eingerichtet hatte, dass sie nebeneinander saßen. Während des Essens ignorierten sie sich die meiste Zeit und unterhielten sich mit ihren anderen Nachbarn. Nur wenn sich ihre Blicke kurz streiften, erkannte man das kurze Aufflackern von Sehnsucht nach dem anderen in ihren Augen. Seth war sehr angespannt, in ständiger Sorge darum, ob etwas bei dem Programm, das er geplant hatte, schief ging. Als der Perfektionist, der er nun einmal war, wollte er dem Pharao und seinem Besuch einen unvergesslichen Abend (und dieses Mal garantiert ohne mordlüsterne Tänzerinnen) bieten. Erst mit der Zeit, als eine Aufführung nach der anderen ohne Schwierigkeiten über die Bühne ging, wurde er ruhiger. Doch so faszinierend das von ihm organisierte Schauspiel auch war, Jono, Marik und Zidanta hielten Anitta den ganzen Abend über, immer abwechselnd, unter Beobachtung. In seinem Verhalten ließ nichts darauf schließen, ob er etwas Neues plante.

Der Höhepunkt und gleichzeitige Abschluss des Abendprogramms war die in ihren Proben so unglücklich verlaufene Fackelprozession der Priester des Amun-Ra-Tempels. Die Öllampen, die den Saal bisher erhellt hatten, wurden hinausgetragen und ließen den Raum im leicht bläulich schimmernden Licht des Mondes zurück. Dann öffneten sich die Türen. Ein kleines Orchester aus Harfen-, Flöten- und Sistrumspielern begleitete den feierlichen Einzug der singenden Priester, mit denen Seth heute vor den Verhandlungen noch eine Probe im Festsaal gemacht hatte, um sie an die unbekannte Umgebung zu gewöhnen.

Das Feuer der Fackeln flackerte wild und umgab die Zuschauer bald mit seinem Bann. Fast hypnotisierend wehten die Gesänge der Männer durch den Saal, während sich die beiden Reihen synchron zueinander bewegten, sich kurz vor der Sichelempore trennten, um Spiralen und andere Formen zu beschreiben, oder die Akteure kunstvoll die Fackeln schwangen und geheimnisvolle Symbole in die Luft zeichneten.

Jono wandte sich von den Priestern, die sich gerade im Kreis, die Fackeln nach innen gerichtet, bewegten, ab und sah Seth an, der mit prüfendem Blick jeden ihrer Schritte verfolgte.

„Entspann dich“, flüsterte er und strich über Seths Handrücken. „Es ist wunderbar geworden.“

Seth biss sich auf die Lippen, um nicht loszulachen. Ausgerechnet seinen Handrücken, eine der wenigen Stellen, an denen er kitzlig war, hatte sich sein Liebster ausgesucht. Ob er das wusste? Der Hohepriester hielt es für klüger, ihn nicht darauf aufmerksam zu machen und drehte seine Hand um. Jono schlang seine Finger durch die von Seth und hielt dessen Hand fest, verdeckt vom Stoff ihrer Umhänge hinter ihnen und den Tischen vor ihnen.

Die Priester nahmen ihre Abschlussposition, einen großen Halbkreis, ein und verbeugten sich vor dem Pharao und seinen Gästen. Das Klatschen vieler Hände erfüllte den Saal. Seth befreite seine Hand aus der von Jono, erhob sich und bat den Pharao, der im Begriff war, frischen Wein zu ordern, sich zurückziehen zu dürfen. Atemu gestattete es ihm ohne Umschweife, er hatte heute wirklich genug Arbeit gehabt und sich seine Ruhe verdient. Etwa fünfzehn Minuten darauf verabschiedete sich auch Jono und verließ den Festsaal, trotz der Bitten des Pharao, doch noch eine Weile zu bleiben, immerhin sei es sein Fest. Er bog um eine Ecke und wurde an einen warmen Körper gezogen.

„Du hast dir Zeit gelassen“, flüsterte Seth.

„Dein Herr wollte mich nicht eher gehen lassen. Ich bin eben heiß begehrt.“

„Ich teile dich aber nicht gern mit anderen, Falke.“

„Musst du auch nicht, Schlange. Die Nacht gehört uns.“

Marik sah die beiden Arm in Arm den Gang entlang verschwinden, seufzte leise und machte sich auf den Weg zur Küche. Er brauchte etwas für seine Ohren, wenn er heute Nacht ungestört schlafen wollte.
 

Für die anderen Wächter hatte Seth schon immer eine schwierige Sorte Mensch dargestellt, doch in den acht Tagen, die seit dem Fest zu Kails Ehren ins Land gegangen waren, hatte sich der Hohepriester des Amun-Ra für sie in ein einziges, lebendes Rätsel verwandelt. Zwar blieb der strenge, unnachgiebige Zug um seine Mundwinkel stets erhalten, insgesamt erschien er ihnen jedoch ausgeglichener. Atemu und Isis, die zur Aufklärung dieses Falles einiges hätten beitragen können, zogen es vor, sich in Schweigen zu hüllen und sich still über den Grund für diese plötzliche Wandlung zu freuen, die am Königshof unter dem Namen Kail bekannt war. Gleichzeitig blickten sie mit Unbehagen dem Tag der Abreise der hethitischen Gesandten entgegen. Sie befürchteten, Seth könnte dann unausstehlich werden.

Die beiden Frischverliebten hatten schnell gelernt, dankbar dafür zu sein, dass ihnen ihre Streitereien genauso viel Spaß machten wie die wenigen Stunden in der Nacht, in denen sie ungestört waren; der ständige Zank half ihnen dabei, den Schein zu wahren.

Als sie mit ihren Dienern von einem Ausritt am Nilufer heimkehrten, zu dem sie selbstverständlich getrennt aufgebrochen waren – und in Jonos Fall heimlich, um keine Leibgarde auf dem Hals zu haben –, kam ihnen Sennefer entgegen geschritten.

„Meister Seth, wo wart Ihr? Der Pharao verlangt seit einer Stunde nach Euch und Ihr seid unauffindbar!“

„Ich hoffe, Seine Majestät ist nicht beleidigt, dass Ihr ihn habt warten lassen“, sagte Jono.

Der Oberaufseher der Sklaven lachte verbittert.

„Der Göttliche wäre beleidigt, wenn Ihr ihm Euren Aufenthaltsort mitgeteilt hättet. Ich würde seinen aktuellen Gemütszustand eher als sehr verärgert einstufen. Und das ist freundlich ausgedrückt.“

Jono schluckte. Natürlich wollte er Zeit mit Seth verbringen, aber ohne dass dieser Ärger bekam.

„Ich komme sofort“, sagte Seth, drückte Hapi die Zügel von Chons in die Hand und eilte an Sennefer vorbei in den Palast.

Jono sah ihm schuldbewusst nach. Er hatte es zu verantworten, dass sie heute so spät dran waren. Wenn er Seth nur nicht dazu überredet hätte, sich nach dem Wettreiten, das sie veranstaltet hatten, mit einem Bad im Nil abzukühlen. Hoffentlich bekam er nicht zu viel Ärger.

In diese Gedanken vertieft, machte sich Jono auf den Weg zu seinen Gemächern. Sein Weg führte ihn auch am Thronsaal vorbei, aus dem laut und vernehmlich – und stinksauer – Atemus Stimme drang.

„– konnte so etwas passieren? Das ist ein Skandal, Seth! Ein riesiger Skandal!“

Ach du Schande! Hat der Pharao etwa das mit uns mitgekriegt?

„Mein Pharao, ich kann mir selbst nicht erklären, wie das geschehen konnte. Ich –“

Schritte hallten durch den Gang und vertrieben Jono von seinem Lauschplatz an der Tür.
 

Unentwegt marschierten zwei Füße, die in vergoldeten Sandalen steckten, über den Fußboden des Zimmers. Jeder Schritt erzeugte ein klatschendes Geräusch, wenn die geflochtenen Sohlen auf die Fliesen trafen, was Marik langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

„Wollt Ihr Euch nicht mal für einen Moment hinsetzen, Herr?“, fragte er Jono. „Davon kommt Meister Seth auch nicht schneller zurück.“

Kurz wandte sich der Blick des Braunäugigen dem Sklaven zu, um dann wieder ins Leere zu schweifen. Jonos Füße nahmen die unterbrochene Wanderung wieder auf, führten ihn durch sein Wohnzimmer bis zur Tür zum Schlafzimmer und wieder zurück. Seit der Pharao Seth zu sich gerufen hatte, waren mehr als zwei Stunden vergangen und Jonos Ungeduld und Nervosität stiegen mit jeder Minute. Wenn er Seth nun bestrafte, weil sich dieser gegen die Regeln der Priesterschaft gestellt hatte? Oder wenn er so wütend war, dass er die Hethiter aus dem Palast wies und die Verhandlungen abbrach? Dabei standen sie kurz vor einem Vertragsabschluss.

Die Tür öffnete sich und Seth trat ein. Sein Gesicht war aschfahl, sein Gang leicht schwankend. Jono griff ihm unter die Arme und führte ihn zu einem Stuhl.

„Was ist denn los, Seth? Du siehst ganz verstört aus. Weiß der Pharao etwa das mit uns?“

„Nein ... das ist es nicht. In unserer Abwesenheit kam ein Bote aus dem Süden an. Du wirst die Stadt, aus der er ist, nicht kennen, sie heißt Zawtj und ... Es ist schrecklich! Im Tempel des Amun-Ra wurde vor ein paar Wochen eingebrochen.“

Jono war, als würde ihn ein Blitz durchfahren.

„U-und ist etwas gestohlen worden?“

„Leider ja, der Einbrecher hat ein sehr wertvolles Artefakt entwendet. Es wird das Auge des Ra genannt. Das ist ein Desaster.“

„Weiß ... weiß man denn schon, wer der Dieb ist?“, fragte Jono und hoffte, dass Seth das Zittern in seiner Stimme nicht auffiel.

„Ja, ein Lesepriester hat ihn erwischt, als er das Artefakt an sich nahm. Es soll sich um den Sohn eines angesehenen Händlers aus Zawtj handeln.“

Hitze und Kälte zugleich brachen über dem Sechzehnjährigen herein. Ein galliger Geschmack stieg ihm in die Kehle und ließ ihn schwer schlucken.

„Stell dir vor“, fuhr Seth fort, „der Vorsteher des Tempels und der Fürst haben versucht, das Verbrechen dieses Nichtswürdigen geheim zu halten und den Fall selbst aufzuklären! Aber dieser, dieser ... Er ist ihnen entkommen und der Lesepriester hat sich, den Göttern sei Dank, über das Redeverbot des Vorstehers hinweggesetzt und Nachricht nach Men-nefer gesandt. Der Pharao hat mich beauftragt, morgen in aller Frühe nach Zawtj aufzubrechen, um weitere Nachforschungen anzustellen und – Geht es dir nicht gut, Kail?“

Er sah blass, um nicht zu sagen grün um die Nase aus, sein Blick war glasig und sein Körper bebte, als habe er Schüttelfrost.

„Es ist nichts weiter ... ich muss mich nur eine Weile hinlegen. Sch-scheint heute etwas zu viel mit dem Reiten gewesen zu sein“, murmelte Jono und ging taumelnden Schrittes in sein Schlafzimmer, wo er sich auf das Bett fallen ließ.

Er hatte sich dagegen gesträubt und dennoch war es ihm immer bewusst gewesen ... Er hatte nur einen Aufschub bekommen, nichts anderes. Warum nur hatte sich darauf eingelassen. Warum war er nicht in jener Nacht in seinem Zimmer geblieben, hatte sich die Decke über das Haupt gezogen und die Stimme in seinem Kopf ignoriert? Er könnte jetzt noch friedlich im Haus seiner Eltern sitzen, darauf wartend, dass ein anderes Unglück in Form einer Hochzeit mit einem Mädchen, das ihn keinen Deut interessierte, über ihm hereinbrach.

Als er den Kopf zur Seite drehte, fielen seine Augen auf eine hölzerne Truhe, die an der Wand stand und deren Deckel kunstvolle Intarsienarbeiten zeigte. Sein Todesurteil stand direkt neben ihm und funkelte ihn Unheil verkündend an. Verborgen unter den Halsketten, Ringen und anderen Schmuckstücken ruhte dort, eingehüllt in einen kleinen Beutel aus Leder, ein Amulett. Ein Schmuckstück, so einzigartig, dass sein Verschwinden eine Welle des Entsetzens ausgelöst hatte, die sich quer durch das Land gefressen und nun Men-nefer erreicht hatte. Das Auge des Ra.

Scherbenhaufen

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=Ra0kLjtFZpw Official Halo Soundtrack - Truth and Reconciliation Suite
 

Kapitel 12

Scherbenhaufen
 

Seth folgte Jono, setzte sich auf den Bettrand und ließ seine Finger durch das blonde Haar gleiten.

„Gut, wenn es dir schlecht geht, dann bleib liegen und erhol dich. Ich muss dich leider allein lassen, auf mich wartet viel Arbeit. Wenn ich morgen bereits Men-nefer verlassen soll, wie der Pharao angeordnet hat, muss ich mich noch um einiges kümmern, bevor ich gehen kann.“

Jono nickte ihm zu und schloss die Augen. Er merkte, wie sich die Matratze bei Seths Aufstehen hob. Kurz darauf fiel die Tür zu Jonos Zimmern hinter ihm ins Schloss.

Ein Nichtswürdiger ... wenn Seth herausfindet, dass ich dieser Dieb bin, wird er mich bestimmt höchstpersönlich umbringen wollen.

„Soll ich Euch irgendetwas bringen, damit es Euch besser geht? Einen Kräutersud vielleicht“, bot Marik an.

„Nein. Danke, Marik. Aber ich glaube, in diesem Fall wird mir kein Kräutersud helfen.“ Höchstens ein Wunder.

„Hmm ...“

Der Sklave ging um das Bett herum und trat auf den Balkon hinaus. Es war Nachmittag, die Sonne hüllte sich in Dunstwolken und vom Nil kam eine kühlende Brise herübergeweht. Marik stützte sich auf der Brüstung ab und sah einem Schwarm Wildgänsen zu, die nach Futter suchten, während er nachdachte. Vierundzwanzig Tage war es her, dass Seth Jono in der Wüste gefunden hatte, einen Jungen ohne Gedächtnis, aber mit einem Schmuckstück, das ihm sehr viel zu bedeuten schien. Marik hatte sich die ganze Zeit gefragt, was ihn ohne Ausrüstung in die Wüste getrieben haben mochte. Er biss sich auf die Lippe und schmeckte Blut. Die Antwort war so einfach wie grausam. Minutenlang blieb sein Blick starr auf das Wasser gerichtet.

„Es ist doch seltsam“, begann er und drehte sich zu Jono um, „dass ein Amulett verschwindet und zeitgleich jemand in der Wüste auftaucht, scheinbar unter Amnesie leidet und zufälligerweise auch noch genauso aussieht wie ein verschwundener hethitischer Prinz. Wirklich sonderbar.“

Jono blickte ihn bestürzt an und setzte sich auf.

„Marik ...“

„Ich meine ja nur, dass das noch niemandem aufgefallen ist ... Wir sollten beten, dass es so bleibt.“

„Ähm ... wir?“, fragte Jono verwirrt.

„Ich habe gelernt, dass jeder Mensch für seine Taten einen Grund hat. Niemand tut etwas grundlos und sei sein Motiv auch noch so ... fragwürdig oder albern. Nun möchte ich hören, was Ihr für einen Grund hattet, in einen Tempel einzubrechen und die Götter zu berauben.“

„Das ist eine etwas längere Geschichte.“

„Ich habe Zeit“, erwiderte Marik und ließ sich auf einem Hocker nieder.
 

„... Tja, das war es eigentlich im Großen und Ganzen“, schloss Jono seinen Bericht. „Nun kannst du dir selbst ein Urteil bilden.“

„Wenn das wahr ist ... dann hoffe ich noch mehr, dass sie Euch nicht erwischen. Wie wollt Ihr ihnen das denn beweisen?“

„Ich habe keine Ahnung. Das Problem hatte ich ja schon in Zawtj. Mit einer guten Erklärung hätte ich die Stadt schließlich nicht verlassen müssen. Aber nach dem Diebstahl hätten sie das wahrscheinlich sogar noch als Beleidigung der Götter empfunden.“

„Auch wieder wahr. Doch die Frage ist, was Ihr jetzt tun wollt.“

„Jaaa ... wenn ich das so genau wüsste, Marik. Ich habe ganz ehrlich viel darüber nachgedacht, aber zu einem richtigen Ergebnis bin ich nicht gekommen. Und dann hat Seth mich abgelenkt und ich dachte, es kann ja noch ein paar Tage warten ...“

„Möglicherweise fällt Fürst Zidanta etwas ein“, schlug Marik vor.

„Damit er dann allen verrät, wer ich bin.“

„Nur wäre das sehr, sehr dumm von ihm. Dafür müsste er schließlich Prinz Kail ausliefern und zugeben, dass es sich gar nicht um diesen handelt und er davon wusste ... Womit die gesamte hethitische Delegation als Betrüger dastünde. Ihr schützt Euch gegenseitig, er kann nichts sagen, ohne sich selbst zu verraten.“

„So habe ich die Sache noch gar nicht betrachtet“, grübelte Jono.

„Auf jeden Fall müssen wir uns etwas überlegen, wie das Amulett an seinen rechtmäßigen Platz im Tempel von Zawtj zurückkommt. Wenn Ihr es nicht mehr habt und man es, sagen wir mal, zum Beispiel irgendwo am Ufer findet, kann man Euch nichts mehr nachweisen. Wo ist es überhaupt, wenn ich so neugierig sein darf?“

Jono öffnete die Truhe, holte den Lederbeutel heraus und entnahm ihm das Amulett. Das Zentrum bildete ein Udjat-Auge aus poliertem Karneol, welches links von einem gekrönten Geier, rechts von einer gekrönten Uräusschlange flankiert war. Eine dreireihige Kette aus Gold und bunten Fayenceperlen ermöglichte es, das Amulett um den Hals zu tragen.

„Darf ich?“

Jono legte Marik das Auge des Ra vorsichtig in die Hand.

„Es ist wunderschön.“

„Aber in den falschen Händen soll es angeblich gefährlich sein.“

„Wurde es deshalb im Tempel verwahrt?“

„Ich nehme es an.“

Jono lehnte sich zurück und ließ sich in die Kissen fallen.

„Du, Marik?“

„Ja?“

„Wie wäre es, wenn ich sage, ich hätte das Amulett in der Wüste gefunden, bei der Leiche eines Jungen? Wenn mich der Sandsturm eher erwischt hätte, hätte ich dort gelegen. Ich wusste einfach nicht, dass es sich dabei um etwas Wichtiges handeln könnte und habe es an mich genommen.“

„Das ... Ja, das klingt plausibel.“

„Dann horche ich Seth am besten darüber aus, wie das Amulett aussieht und ... tada! Der Tempel bekommt es zurück und ich bin aus dem Schneider.“

„Ein guter Einfall, mein Prinz“, lobte ihn Marik.
 

Seth war unzufrieden. Um nicht zu sagen sehr unzufrieden. In zwei Tagen sollte der Friedensvertrag zwischen Hatti und Kemet von den Vertretern der beiden Parteien – also Atemu und Kail – unterzeichnet werden und er musste vorzeitig die Stadt verlassen und sich auf die Suche nach diesem dreisten Dieb begeben. Dabei hatte er gehofft, die letzten noch verbleibenden Tage mit seinem Falken genießen zu können. Wenn er den Kerl zu fassen bekam, der ihm das eingebrockt hatte, der würde von ihm einen Prozess erster Güte bekommen!

Der Pharao hatte sich wahnsinnig über den Diebstahl aufgeregt und Seth musste sich eingestehen, dass seine Vorwürfe alles andere als aus der Luft gegriffen waren. Mehrere Jahrhunderte hatte das Auge des Ra sicher verwahrt in einer goldenen Truhe geruht, im Tempel des Amun-Ra in einer eigens dafür errichteten Kammer, unter den steinernen Augen der Statuen seiner letzten Wächter. Wundersame Geschichten wurden mit dem Artefakt verknüpft, Heldentaten, die in die lokalen Legenden von Zawtj übergegangen waren, doch auch grausame Ereignisse. Es hieß, seine Macht würde der der Millenniumsgegenstände gleichkommen oder sie sogar übertreffen, aber nur wenige waren in der Lage, seine Kräfte überhaupt zu nutzen. Gleichermaßen gefürchtet und verehrt, hatten die Priester und die Soldaten, die ihnen bei der Bewachung des Tempels zur Seite standen, es nie aus den Augen gelassen.

Seth konnte sich nicht erklären, wie es der Dieb geschafft hatte, sich an den Wachen vorbeizuschleichen und dann auch noch das komplizierte Schloss der Tür zu öffnen. Er hatte vor ein paar Jahren, damals noch in der Ausbildung zum Priester, mit dem damaligen Oberpriester eine Reise nach Zawtj gemacht und den Tempel besichtigt. Auf alle Fälle würde der Vertuschungsversuch Fürst Ramose und den Vorsteher des Tempels in Zawtj teuer zu stehen kommen. Da es sich bei dem Amulett um ein äußerst wertvolles Artefakt handelte, hätte sein Diebstahl umgehend dem Pharao gemeldet werden müssen.

„Verzeihung, Meister, würdet Ihr mich bitte an die Truhe da lassen?“

„Wie ... Oh, ja.“

Seth machte einen Schritt zur Seite. Hapi lief kreuz und quer durch die Gemächer seines Herrn, um seine Sachen herauszusuchen und für die Reise zu packen. Er fand es schade, Men-nefer nach ein paar Wochen schon wieder verlassen zu müssen, aber nach seiner Meinung wurde er von niemandem gefragt. Als Sklave hatte er dorthin zu gehen, wohin ihn sein Meister befahl.

Wieder musste Seth ihm ausweichen, doch auch von dem Stuhl, auf den er sich setzen wollte, scheuchte ihn Hapi auf, weil er den Platz brauchte. Genervt verließ Seth seine Räumlichkeiten. Solange Hapi mit dem Packen beschäftigt war, stand er dem Kleinen nur im Weg herum. Also lenkte der Hohepriester seine Schritte zu dem Ort, von dem er sich sicher sein konnte, dort willkommen zu sein.
 

In der Tat war Jono erfreut, ihn schneller als erwartet wiederzusehen. Er sah merklich besser aus, die Blässe war aus seinem Gesicht verschwunden.

„Ist es denn unbedingt nötig, dass du selber nach Zawtj reist?“, fragte Jono, als sie nebeneinander auf einer Liege im Wohnzimmer Platz genommen hatten. „Kann sich nicht die Polizei des Pharao darum kümmern?“

„Ich habe die Oberaufsicht über alle Amun-Tempel des Reiches, Kail. Darum bin ich für diesen Vorfall verantwortlich und muss mich, zumindest bei dieser sehr ... speziellen Sache, selbst um die Aufklärung kümmern. Glaubst du, ich gehe gern? Ich hatte gehofft, uns beiden wäre ein wenig mehr Zeit vergönnt.“

„Ich auch“, erwiderte Jono und zog ihn näher an sich.

Seine Finger strichen über Seths Lippen, wanderten seinen Hals entlang, an dem sich, gut unter den Gewändern versteckt, seit gestern ein neuer Knutschfleck befand, und begannen die weiche Haut zu kraulen. Seth schnurrte leise und Jono grinste zufrieden. Er hatte ihm den „Kater“ als zweiten Spitznamen verpasst, seine Proteste geflissentlich wie immer ignorierend. Schließlich wurde er das „Hündchen“ auch nicht mehr los. Da war ein bisschen Rache schon erlaubt.

Mit einem Ruck wurde die Eingangstür aufgerissen.

„Euer Hoheit, ich kann es nicht gutheißen, dass Ihr diesen Vertrag unterz –“

„Prinz Kail, würdet Ihr Fürst Lubarna bitte erklären, dass –“, sagte Zidanta, der hinter dem Fürsten ins Zimmer stürmte.

Die beiden Männer verstummten schlagartig, als sie Jono und Seth eng umschlungen auf der Liege sitzen sahen, und starrten sie überrascht, Münder wie Augen weit aufgerissen, an. Das Paar fuhr entsetzt herum.

„Euer ... Hoheit?“, stammelte Lubarna. „I-ich dachte, Ihr würdet ... Frauen ...“

„Ich ... ich kann das erklären!“, rief Jono.

Er sprang hastig von der Liege auf und stieß gegen die hüfthohe Tonvase, die neben seinem Sitzplatz stand. Für Sekunden schwankte das bemalte Gefäß, dann kippte es zur Seite und zerbarst mit einem lauten Knall. Die Scherben verteilten sich auf dem Boden.

„Horus stehe uns bei“, wisperte Marik und eilte herbei, um sie aufzusammeln.

„Was ist das denn?“, sagte Seth.

Auch ohne ihn anzusehen, wusste Jono, worauf sich die blauen Augen richteten. Seth schob Marik grob zur Seite und hob aus dem Scherbenhaufen einen Beutel auf, aus dessen Öffnung eine Uräusschlange ragte. Behutsam zog er das Schmuckstück hervor und betrachtete es eingehend, drehte und wendete es, untersuchte jede Einzelheit genau. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Aber wie kam Kail daran?

„Kannst du das auch erklären?“, fragte er und drehte sich zu Jono um.

„Ich ... also, ich ... ich habe es ...“

Sie war weg. Die ganze Rede, an der er sorgfältig mit Mariks Hilfe gefeilt hatte, bis jeder Satz zu hundert Prozent passte, mit der er Seth den Besitz der Kette hatte erklären wollen, war aus seinem Kopf verschwunden. Was geblieben war, war Leere. Ein Gefühl von Betäubung. Er wollte etwas sagen, aber seiner Zunge schien die Fähigkeit abhanden gekommen zu sein, sinnvolle Worte zu formen.

„Kail, bitte erklär mir, wie du in den Besitz eines Artefaktes gekommen bist, das vor ein paar Wochen aus dem Tempel gestohlen wurde.“

„Also, in der Wüste ... ähm ...“

„Euer Hoheit, was habt Ihr denn?“, fragte Zidanta.

Jonos schwitzende Finger spielten nervös mit dem Goldring, den er am rechten Mittelfinger trug. Er hatte sich das einfacher vorgestellt, aber jetzt, wo es so weit war, Seth diese Lüge aufzutischen ... Er konnte nicht. Auch wenn sein Leben davon abhing, er konnte es nicht. Er hatte schon zu viele Lügen in den vergangenen Wochen erzählen müssen. Sein ganzes Leben hier war nichts als eine Lüge gewesen.

„Ich habe schon seit einer Weile das Gefühl, dass Seine Hoheit uns etwas verheimlicht“, ließ sich Lubarna vernehmen. „Und gerade frage ich mich, ob wir es ... überhaupt mit Seiner Hoheit zu tun haben.“

„Mit wem denn sonst?“, fragte Zidanta.

„Seit Seine Hoheit zu uns zurückgekehrt ist, habe ich mich darüber gewundert, dass ihn seine Amnesie auch die Sprache seiner Vorväter vergessen und ihn ausgerechnet nur noch die ägyptische Zunge verstehen ließ. Und jetzt dies – Allmählich habe ich den Verdacht, dass Ihr gar nicht Seine Hoheit seid.“

„Aber, Lubarna, das ist doch nicht Euer Ernst“, versuchte Zidanta ihn zu beschwichtigen. „Wer sollte er denn sonst sein? Euer Hoheit, Seth, verzeiht Fürst Lubarna. Anscheinend hat er heute bereits etwas zu viel von Eurem herrlichen Wein gekostet.“

Ein vernichtender Blick des Fürsten wischte Zidanta das Lächeln aus dem Gesicht.

„Ich bin nicht betrunken, Zidanta, sondern bei klarstem Verstand. Es gibt eine ganz einfache Methode, herauszufinden, ob es sich bei Seiner Hoheit tatsächlich um Seine Hoheit handelt.“

Er ging auf Jono zu und blieb neben ihm stehen.

„Vor vier Jahren geruhte Seine Majestät, mich mit seiner Familie in Kanesh zu besuchen. Auf einer Jagd, die ich zu Ehren unseres Großkönigs ausrichten ließ, zog sich Prinz Kail eine Verletzung mit einem Messer zu“, Lubarna ergriff den unteren Saum von Jonos Gewand, „die eine feine Narbe auf dem linken Oberschenkel Seiner Hoheit hinterließ.“

Jono hielt den Atem an, als der Stoff nach oben gezogen wurde. Vier Augenpaare richteten sich auf den entblößten Oberschenkel. Marik stützte sich an einem Tisch ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er hatte Jono so viel über Kail erzählt, über seine Kindheit, seine Lebensgewohnheiten, über alles hatte er Bescheid gewusst. Nur dieses eine, kleine Detail ...

„Keine Narbe“, stellte Lubarna fest und richtete sich, ein grimmiges Lächeln im Gesicht, auf. „Ich weiß nicht, wer Ihr seid. Aber feststeht: Ihr seid nicht Prinz Kail, auch wenn Ihr genauso ausseht wie er.“

„Kail ... oder wie auch immer dein Name ist“, begann Seth, der Mühe hatte, seine Stimme so weit zu kontrollieren, dass sie halbwegs ruhig klang, „woher hast du das Auge des Ra? Bist ... Bist du etwa der ... Hast du es gestohlen?“

Der sich senkende Blick von Seiten Jonos war dem Fürsten von Kanesh Antwort genug.

„Aha, nicht nur ein hinterhältiger Betrüger, sondern auch noch ein Dieb! Wachen! WACHEN!“, brüllte Lubarna.

Mehrere Männer der Palastgarde kamen, die Schwerter in der Hand, herein.

„Was habt Ihr, Herr? Werdet Ihr angegriffen?“

„Verhaftet ihn!“, zeterte er und deutete auf Jono. „Er ist nicht unser

Prinz, er ist ein Betrüger! Br ... Bringt ihn vor den Pharao!“

Am liebsten hätte Lubarna nach seinem Schwert gegriffen und den falschen Prinzen gleich eigenhändig geköpft, doch so wie es aussah, hatte er sich eines weiteren Verbrechens schuldig gemacht und unterstand somit der Gerichtsbarkeit des Herrschers von Kemet.

Seth starrte den Mann, den er „Falke“ genannt hatte, sprachlos an. Er weigerte sich, dem Glauben zu schenken. War sich Lubarna auch mit der Seite sicher gewesen, an der die Narbe sitzen sollte? Andererseits ... Die einzige Narbe, die er je an ihm gesehen hatte, war auf seinem rechten Oberarm gewesen.

Die Männer packten Jono und schleiften ihn aus dem Raum. Zidanta, Marik, Seth und Lubarna folgten ihnen.

[i9Götter Kemets, lasst das nicht wahr sein!, flehte der Hohepriester und versuchte zu ignorieren, dass sich das Corpus Delicti, das heilige Amulett, in seiner zitternden rechten Hand befand.
 

Der Herr der beiden Länder weilte im Thronsaal und ließ sich von seinem obersten Architekten die Entwürfe für sein Grabmal zeigen, mit dessen Bau in wenigen Monaten begonnen werden sollte, als der Hofmeister seinen langen Stab auf die Fliesen stieß und, nachdem er zuvor tief Luft geholt hatte, die hethitische Gesandtschaft ankündigte. Lubarna aber dachte gar nicht daran zu warten, bis der Beamte seinen ellenlangen Sermon heruntergebetet hatte. Er schob sich, Jono mit den Wachen direkt hinter sich, an dem verdutzten Hofmeister vorbei und marschierte entschlossen auf den Thron zu. Atemu sah von den Bauplänen auf.

„Was hat das zu bedeuten, Fürst Lubarna? Warum halten meine Wachen Euren Prinzen fest?“

„Weil der da“, Lubarna zeigte mit bebendem Finger auf Jono, der von seinen Bewachern auf die Knie gezwungen wurde, „nicht unser Prinz ist, Euer Majestät. Wir sind einen Schwindler aufgesessen, nicht nur Ihr, auch wir. Und gestohlen hat er auch!“

Er riss Seth das Amulett aus der Hand und hielt es dem Pharao hin.

„Das haben wir eben in seinen Gemächern gefunden.“

„Was –“

Atemu wandte sich seinem Hohepriester zu, der vor ihm auf die Knie sank und das Haupt senkte. Bitterkeit durchdrang seine Stimme.

„Mein Pharao, es ist das verschwundene Auge des Ra.“

Die Finger des jungen Pharao krallten sich in die Lehnen des Throns. In diesem Augenblick war er froh, bereits zu sitzen, sonst hätten ihn Seths Worte wortwörtlich aus seinen Sandalen gehauen. Der Mann, der Seth und ihm das Leben gerettet hatte, der ihre oftmals langatmigen Verhandlungen durch seine Kommentare mit Leben erfüllt hatte und seinen sonst so beherrschten Hohepriester mit schöner Regelmäßigkeit aus dem Konzept brachte ... Ein Verbrecher? Ein Schänder des heiligen Tempels? Der König räusperte sich.

„Wenn du nicht Kail, ein Prinz des Reiches Hatti bist ... wer bist du dann?“, fragte er. „Und ist es wahr, dass du das Amulett gestohlen hast?“

„Ich –“

„Verbeuge dich, wenn dich der Göttliche etwas fragt!“, sagte einer der Soldaten und stieß ihm den Griff seines Kopesh in die Seite. „Und wage es nicht, den Pharao direkt anzusehen.“

Jono zuckte kurz zusammen und verbeugte sich, die Hände auf die kühlen Steinplatten gestützt, bis seine Stirn den Boden berührte. Wenige Wochen und doch ein ganzes Leben ... Vor wenigen Stunden war er Atemu noch auf Augenhöhe begegnet und jetzt kniete er vor ihm mit dem Wissen, dass sein Wert den des einfachsten Sklaven bald unterbieten würde.

„Ich bin Jono, großer Pharao. Sohn des Händlers Amenhotep aus Zawtj. Und ...“

Ja, was sollte er jetzt sagen? Leugnen konnte er es nicht und die Strafe war ihm sicher. Das Einzige, was noch nicht feststand, war ihre Art.

„Es klingt sicher seltsam, das zu sagen, aber ... Das Amulett ... es hat

nach mir gerufen. Ich sollte es in Sicherheit bringen.“

„In Sicherheit?“ Seth starrte ihn an. „In Sicherheit! Glaubst du allen Ernstes, es gibt für ein Amulett einen sichereren Ort als einen Tempel, geschützt von Wachen und hohen Mauern, verborgen hinter verschlossenen Türen? Du denkst, es wäre bei dir besser aufgehoben als dort? Von dir muss ein böser Geist Besitz ergriffen haben, dass du solche Reden führst.“

„Ihr wolltet die Wahrheit hören. Das ist sie.“

„Die Sonne muss ihn in den Wahnsinn getrieben haben“, sagte Lubarna. „Das Amulett hat ihn gerufen. Eure Majestät, das ist ausgemachter Unsinn! Eine weitere seiner unverschämten Lügen.“

„Es. Ist. Genug.“ Atemu ballte die Hände zu Fäusten. Seine Züge wirkten verzerrt, als trage er einen inneren Kampf mit sich aus. „Bringt ihn ins Gefängnis. Dieser Fall verlangt nach einer ausführlichen Untersuchung und einem Gerichtsverfahren.“

Jono wurde auf die Füße gezogen und verließ hängenden Kopfes den Thronsaal.

Zidanta nahm Lubarna das Amulett ab und legte es in eine Schatulle, die ihm ein Diener reichte.

„Euer Majestät –“,

Ein durchdringender Blick aus amethystfarbenen Augen traf Lubarna.

„Raus. Alle“, zischte Atemu.

Er fegte mit der Hand den goldenen Weinbecher von dem Tablett, den ihm sein Mundschenk darbot. Der Rebensaft ergoss sich auf den Boden und hinterließ eine feuchte, rote Spur. Rot wie Blut.
 

Die Streitwagen fuhren durch ein aus schweren Holzbohlen gezimmertes Tor und hielten in einem großen Hof. Tanefer sprang vom vordersten Wagen und schritt zu dem, auf dem Jono mit zwei Soldaten stand. Die Fahrt hatte ihn durchgeschüttelt, seine Hände waren auf dem Rücken gefesselt und es war ihm unmöglich gewesen, sich festzuhalten. Bevor sie den Palast verlassen hatten, war Jono noch einmal in die Gemächer geführt worden, die er als Kail bewohnt hatte. Er hatte die kostbaren Schmuckstücke des Prinzen ablegen müssen und die feinen Gewänder gegen einen einfachen weißen Schurz, ein Oberteil und einen Strick statt eines Gürtels getauscht.

„Nie im Leben hätte ich gedacht, Euch ... dir einmal so zu begegnen“, sagte Tanefer.

„Ich auch nicht“, gab Jono zurück und stieg vom Streitwagen.

Tanefer vor sich und von Wachen umringt, ging Jono über den Hof, auf ein weiteres Tor zu, das sich vor ihm öffnete. Die Welt, die dahinter lag, trennte ihn von allem, was sein Leben bis heute ausgemacht hatte.

Wie die meisten Gebäude in Men-nefer war auch das Gefängnis aus Lehmziegeln, die in der Sonne getrocknet wurden. In einem Gebäude war die Verwaltung untergebracht, in einem weiteren die Aufenthaltsräume für die wachhabenden Soldaten. Jono schluckte, als er das Podest mit dem Galgen sah und fragte sich unwillkürlich, wie lange es noch dauern würde, bis er dort unter freiem Himmel baumelte. Dahinter standen drei hohe Pfähle, an die Männer gefesselt waren und von den Soldaten ausgepeitscht wurden. Über ihre Rücken zogen sich blutige Striemen, bei einem von ihnen war nur noch das rohe Fleisch zu sehen.

Das dritte Bauwerk, das den Hof abschloss, besaß einen bogenförmigen Durchgang zum dritten Hof, dem eigentlichen Gefängnis. Gut ein Dutzend runde, mit Holzgittern verschlossene Öffnungen waren auf dem Boden zu sehen. Jono warf einen Blick zum Himmel. Die Sonne strahlte hell und golden und schien ihn zu verhöhnen.

„Steh nicht rum und gaffe!“, sagte einer der Soldaten, die ihn hielten, und zog ihn in das Gebäude hinein. Tanefer führte ihn eine Treppe herab und dann durch einen langen Gang, der von Fackeln beleuchtet wurde. Zu beiden Seiten waren Holztüren in die Wand eingelassen, die unten und auf Augenhöhe eine Klappe hatten. Sie durchquerten den Gang bis zu seinem Ende und blieben vor einer Tür stehen, die sich nicht von den anderen unterschied.

„Tut mir leid, Junge“, murmelte Tanefer und nahm Jono die Fesseln ab.

Er öffnete die Tür und stieß ihn in das unterirdische Verlies. Das Holz der Tür ächzte, als sie hinter ihm ins Schloss fiel und der Riegel vorgelegt wurde. Jono stolperte einige Schritte vorwärts, bevor er sich abfangen und umsehen konnte. Die Wände waren mit Holzpfählen verstärkt, so dass ein Sich-herausgraben undenkbar war. Weit über sich, durch das vergitterte Loch, erkannte Jono einen Fetzen blauen Himmel. Hier unten aber herrschte Dämmerung.

Sein Fuß stieß gegen etwas Festes. Neugierig richtete sich sein Blick nach unten.

„Aaahhh!“

Mit einem entsetzten Schrei verlor er das Gleichgewicht, fiel auf seinen Rücken und krabbelte zurück, nur weg von seiner Entdeckung. Am Rand des schmalen Lichtkegels, der durch das Gitter drang, lag ein Schädel und grinste ihn höhnisch aus leeren Augenhöhlen an. Jono kroch in die Ecke, in der man eine Fuhre Stroh als Lager aufgeschüttet hatte und kauerte sich zusammen.

Hätte ich nur nicht diesen verfluchten Sandsturm überlebt. Das Schicksal wäre gnädiger gewesen.
 

Seth öffnete die Tür zu seinen Gemächern, schob sich hinein und ließ sie zufallen.

„Mein Herr“, sagte Hapi und verbeugte sich im Gehen, einen Stapel Obergewänder im Arm.

„Du kannst die Sachen wieder auspacken, Hapi.“ Seine Stimme klang monoton. „Wir bleiben in Men-nefer.“

„Wirklich? Ich mache mich sofort an die Arbeit. Da wird sich Marik aber freuen“, erwiderte Hapi.

„Der hat jetzt andere Sorgen.“

„Was meint Ihr ... Meister Seth?“

Seine Schritte waren langsam, beinahe schlurfend, mit denen er auf sein Schlafzimmer zusteuerte, das Gesicht leichenblass. Dunkle Flecken tanzten vor seinen Augen, nahmen ihm die Sicht.

„Meister Seth!“

Er sah, wie sich Hapis Lippen bewegten, doch er hörte ihn nicht und konnte den Sinn dieser Bewegungen nicht entschlüsseln. Ein lauter werdendes Rauschen verschloss seine Ohren. Dann brach er zusammen und ergab sich der sanften Schwärze.
 

Keine Angst, ihr erfahrt noch, was Jono Marik da erzählt hat. Bis zum nächsten Kapitel. ^^ *Tür zur Redaktion fliegt auf, Seth und Jono kommen herein*

Jono: „Das ist unannehmbar, Lily! Wir haben gerade das Drehbuch für dein nächstes Kapitel gelesen.“

Moonlily: „Ja, und?“ *Schultern zuck*

Jono: „Hast du was gegen mich?“

Moonlily: „Nein, ich richte mich nur nach den damaligen Gepflogenheiten. Beschwer dich bei der Justizabteilung des Pharao.“

Seth: „Ich sollte dir meine Wiedergeburt auf den Hals hetzen, dann können dich seine Anwälte verklagen.“

Moonlily: „Wenn du Seto meinst … der sucht gerade nach einem sicheren Plätzchen, um seinem nächsten Date zu entkommen.“ (siehe Gemeinschafts-FF mit Tea_Kaiba) „So, und jetzt raus, ich muss weitermachen.“

Jono: „Lily …“

Moonlily: „Je eher ich weiterschreibe, umso schneller musst du dich nicht mehr über deine Behandlung dort beschweren.“

*Beide zur Tür rausschiebt*

In den Kerkern des Palastes

Hallo, da bin ich wieder und mit dem nächsten Kapitel im Gepäck. Nun erfahrt ihr, wie Jono an das Amulett gekommen ist.

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=re3gFFnzYQc Final Fantasy X Soundtrack – Hopeless Desire (Gefängnis)

http://www.youtube.com/watch?v=2ImvXWP0HXg&feature=related Final Fantasy X Soundtrack – Time of Judgement (Verhör)

http://www.youtube.com/watch?v=j3uCmM3sF5Y&feature=PlayList&p=0AF5837FE6BBE274&index=85 Final Fantasy X Soundtrack – Summoned Beast Battle (Jonos Erzählung)
 

Kapitel 13

In den Kerkern des Palastes
 

Etwas kitzelte Jono an der Nase und brachte ihn zum Niesen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen und langte nach seiner Decke, fand sie aber nicht. Dafür piekste ihm, sobald er sich bewegte, etwas in die Seite. Ein leises Piepsen drang durch seinen Halbschlaf und brachte ihn dazu, endlich die vom Schlaf noch verklebten Augen zu öffnen. Kleine dunkle Knopfaugen betrachteten ihn, feine Schnurhaare strichen über seine Wange. Jono fuhr von seinem Lager auf und starrte die fette Ratte an, die ihren neuen Zellengenossen aufmerksam musterte. Ein Albtraum. Doch ein Albtraum, aus dem er nicht erwachen würde.

Der Blick aus dem Gitterfenster weit über ihm zeigte ihm nur, dass es noch Nacht zu sein schien, er konnte zwei Sterne in dem endlosen tintenschwarzen Meer erkennen. Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit sie ihn das letzte Mal geholt hatten? Er hatte keine Ahnung.

Kurz nach Sonnenuntergang waren die Soldaten zum ersten Mal gekommen und hatten ihn in das Vernehmungszimmer geführt, wo er auf einen Hocker gesetzt und von Tanefer befragt worden war. Jono hatte ihm erklärt, dass er das Amulett nur habe retten wollen, dass es nie seine Absicht gewesen sei, es für sich zu behalten. Auch zu seinem falschen Spiel als Prinz von Hatti hatte der Hauptmann ihm Fragen gestellt, doch da hatte er geschwiegen. Er wollte nicht, dass Marik und Zidanta durch ein unbedachtes Wort von ihm auch in Schwierigkeiten gerieten. Tanefer hatte nach einer Weile den Befehl gegeben, ihn in seine Zelle zurückzuschaffen.

An Schlaf war jedoch kaum zu denken. In unregelmäßigen Abständen wurde die obere Klappe seiner Zellentür geöffnet und eine der Wachen befahl ihm, sich anders hinzulegen, aufzustehen oder sonst etwas. Jedes Mal, wenn er etwas Ruhe gefunden hatte, wurde er sofort wieder aufgescheucht. Irgendwann nachts hatten sie ihn zum zweiten Verhör geholt, das neben Tanefer auch die drei Hethiterfürsten und Akunadin führten. Er hatte ihnen dasselbe gesagt wie Tanefer und war in seine Zelle zurückgeschickt worden. Die Stimme von Fürst Lubarna klang noch immer in seinem Kopf nach.

‚Lügen, alles Lügen! Foltert ihn, prügelt die Wahrheit aus ihm heraus!

Akunadin hatte seine Forderung abgelehnt, Jono aber noch verwarnt, bevor er abgeführt worden war. Sollte er es sich nicht überlegen und mit ihnen kooperieren, würde er sich den Wunsch des Hethiters noch einmal durch den Kopf gehen lassen.

Jono legte sich wieder hin und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Alles, was er tun konnte, war warten. Doch worauf? Dass sie ihn zum nächsten Verhör holten ... Dass sie entschieden, dass es keinen Sinn hatte, weiter Zeit zu verschwenden und ihn gleich zu richten ... Dass sie ihn freiließen, weil er den Diebstahl in göttlichem Auftrag begangen hatte ... Er musste lachen. Jono, unterwegs in göttlicher Mission. Das klang wie der Titel eines schlechten Schauspiels, das er bereits gesehen hatte. Ein wenig Drama, ein wenig Liebesgeplänkel und es endete mit dem Tod des Titelhelden. Von den Göttern gesandt ... kein Wunder, dass sie lachten und ihn einen verrückten Narren nannten. Verrückt kam es ihm inzwischen in der Tat vor, was er erzählt hatte.

Die Stimme, die er in jener Nacht zu hören glaubte – hatte sie überhaupt jemals existiert? Oder hatte er sie sich nur eingebildet? Und alles andere, was er gesehen hatte ... Lediglich das Trugbild eines noch halb im Schlaf gefangenen Geistes? Doch in der Dunkelheit seines Kerkers konnte er sich diese Fragen ebenso wenig beantworten, wie er es in den ersten Stunden und Tagen nach seiner Flucht aus Zawtj gekonnt hatte.

Selbst wenn er sich die Sachen nicht eingebildet hatte, wie ging das Ganze nun für ihn aus. Er erinnerte sich an die ersten Minuten, nachdem er das Amulett an sich gebracht hatte. Triumph war in ihm aufgestiegen und der Gedanke, für seine Tat belohnt zu werden. Es hatte sich schnell herausgestellt, dass das nichts als Wunschdenken gewesen war. Er hatte seiner Heimat den Rücken kehren müssen, hatte Freunde und Familie zurückgelassen. Zwar hatte er hier in Men-nefer neue Freundschaften geschlossen, sie aber auf einer einzigen Lüge aufgebaut. Das alles hatte er für das Auge des Ra geopfert und dennoch schien es nicht genug gewesen zu sein. Nun nahm ihm das Amulett auch denjenigen, den er liebte. Seth würde ihm nie verzeihen, dass er ihn so schamlos hintergangen hatte.

Wozu war er vor dem einen Kerker geflohen, wenn er nun in einen anderen gesteckt wurde? Und dieser hier war hundert-, tausendmal schlimmer als jener, in den man ihn in Zawtj geworfen hätte. Er war Seth nahe und doch trennte sie nun weitaus mehr als die Gitter seiner Zellentür.

Die untere Klappe der Zellentür wurde geöffnet, eine Schüssel und ein Krug wurden durchgeschoben. Mit einem Klappern fiel sie in ihre Ausgangsposition zurück. Jono sah mit müden Augen auf, erhob sich von seinem Lager und ging langsam zu der Tür, die ihn von der Außenwelt trennte.

„Endlich was zu essen“, murmelte er, hob die Sachen auf und ließ sich mit ihnen auf seiner provisorischen Bettstatt nieder.

Nach dem ersten Löffel Getreidebrei verzog Jono angeekelt das Gesicht. Er hatte sich zugegeben an das Essen im Palast gewöhnt und nach Rinderbraten und gefüllter Gans stellte der pappig schmeckende Brei einen mehr als herben Rückschlag dar. Der Hunger trieb ihn dennoch in seinen Magen. Seit seiner Inhaftierung hatte er nichts mehr bekommen. Das Wasser war abgestanden und hinterließ einen schlechten Nachgeschmack auf der Zunge. Als er fertig war, schob er das Geschirr durch die Klappe zurück. Und erneut konnte er nichts tun außer warten.
 

Erst nach und nach kam Seth zu sich und wurde sich seiner Umwelt bewusst. Er lag in seinem Bett, draußen war es noch dunkel, doch der Morgen würde bald anbrechen. Der Hohepriester überlegte. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, sich zu Bett begeben zu haben. Sein Blick schweifte ziellos durch den Raum. Er musste lange geschlafen haben und sein Traum war furchtbar gewesen. Kail, sein Kail war nicht der, für den er gehalten wurde, sondern ein Betrüger namens Jono, der das Auge des Ra gestohlen hatte. Das konnte doch nur ein Traum sein.

Er glitt zwischen den Laken hervor und betrat auf bloßen Füßen sein Arbeitszimmer, das Hapi wie jeden Abend noch aufgeräumt hatte, bevor er schlafen gegangen war. Was war das in den ersten Wochen für ein Chaos gewesen, bis Seth endlich gemerkt hatte, dass Hapi die Hieroglyphen nicht verstand. Für den jungen Hohepriester war es so selbstverständlich, dass alle in seiner Umgebung die heiligen Zeichen lesen und schreiben konnten, dass er daran gar keinen Gedanken verschwendet hatte. Hapi hatte seine ganzen Unterlagen durcheinander gebracht und seinem Herrn damit noch mehr Arbeit aufgehalst, weil er sie selbst sortieren musste. Seither unterrichtete er den Kleinen, wenn es seine Zeit zuließ und Hapi war gelehrig.

Die Saphiraugen blieben an einer goldenen Schatulle auf dem Schreibtisch hängen, die dort eigentlich nichts zu suchen hatte. Seth hob den Deckel ab, in den eine Abbildung von Amun-Ra graviert war, und erblasste, als er den Inhalt sah. Auf feinstes Leinen gebettet, lag dort das Auge des Ra. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und fuhr sich durch die Haare.

„Kein Traum ...“, flüsterte er keuchend. „Es war kein Traum.“

Was hat ihn nur dazu veranlasst, es mitzunehmen ... Wie kann er davon sprechen, das Auge hätte ihn gerufen? Warum sollte es sich den Sohn eines Händlers wählen, es fortzubringen, wenn es genug Priester gibt, die sich darum kümmern können? Das alles ergibt für mich keinen Sinn. Es sei denn ... es sei denn, die alten Legenden stimmen und es ist wieder erwacht. Aber warum dann ausgerechnet bei ihm ... Nein, das ist unmöglich. Ich darf mich nicht an falschen Hoffnungen festklammern. Selbst wenn das so wäre, bliebe immer noch der Betrug und den kann er nicht so leicht aus der Welt schaffen. Ach Kail ... nein, Jono ... Du hast mich die ganze Zeit nur belogen. Und was war mit deinem Liebesgeständnis? Auch eine Lüge? Mir hast du im Tempel vorgeworfen, ich würde meine Liebe zu dir nur heucheln. Hast du das in Wahrheit begangen?

Seth begab sich in eine reich bemalte Seitenkammer seiner Gemächer, in welcher sein Götterschrein aufgebaut war. Er kniete vor den Statuen von Amun-Ra, Isis und Horus nieder und senkte den Kopf.

„Ihr Götter Kemets, in Demut erbitte ich Euren Rat. Bitte sagt mir, was ihn dazu brachte, das Amulett an sich zu nehmen. Soll denn das Auge nach so vielen Jahrhunderten wieder erwacht sein, obgleich die Millenniumsgegenstände seinen Dienst übernommen haben?“

Er wusste nicht, wie lange er kniete, doch als er aufstand, waren seine Beine taub und eine Antwort fehlte ihm nach wie vor.

Ich werde ihn selbst fragen, beschloss er. Es ging alles viel zu schnell, bevor ich wirklich reagieren konnte, war er schon abgeführt.
 

Jono war am Nachmittag gerade wieder etwas in einen halbwegs ruhigen Schlaf weggedämmert, als die Tür aufgerissen wurde.

„Aufstehen, mitkommen!“, befahl eine barsche Stimme.

Sich die Strohhalme vom Rock klopfend, stand er auf und folgte dem Soldaten, doch nicht die Treppe hinauf und ins Verwaltungshaus, wie bei seinen Verhören, sie blieben im Untergrund. Nach mehreren Gängen bedeutete der Mann ihm mit einem Nicken, durch eine Tür zu treten, die er hinter ihm schloss. Der Raum löste in Jono nacktes Grausen aus. Links befand sich eine große Feuerstelle, neben der an der Wand allerlei Haken, Zangen und andere Werkzeuge angebracht waren. Auf einem Tisch lag, feinsäuberlich aufgereiht, ein Dutzend scharf aussehender Messer. In einer Ecke stand eine Bank mit einer Winde und Vorrichtungen, in die wohl Arme und Beine gespannt werden sollten.

„Eine hübsche Sammlung, nicht wahr?“

Jono drehte sich um und sah sich Akunadin gegenüber. Das Goldauge funkelte ihn böse an.

„Unser Foltermeister ist auch sehr stolz darauf. Du weißt, dass die Fürsten von Hatti deine Folterung gefordert haben. Ich habe es ihnen verweigert, weil ich dich für vernünftig genug halte, deine Schuld einzugestehen, ohne dass sie dir unter Schmerzen entrissen werden muss. Und ich sage dir, Reshef wird sie dir entreißen. Weißt du, wie sie ihn nennen? Den Künstler. Weil er es versteht, aus einer Folterung eine Symphonie des Schmerzes zu machen, wie er es nennt. Bist du sicher, dass du mit ihm Bekanntschaft schließen willst?“

Akunadin griff nach einer Zange, mit der Reshef seinen Opfern bevorzugt die Finger brach und zeigte sie Jono.

„Oder wirst du uns unsere Fragen beantworten?“

„Ich werde Euch Antwort geben“, sagte Jono.

Und zwar genau dasselbe, was ich euch die ganze Zeit geantwortet habe. Ich mag gelogen haben, um meine Haut zu retten, aber die ist inzwischen ohnehin verloren. Jetzt geht es um meine Freunde.

Akunadin zeigte sich mit der Antwort zufrieden, pochte kurz an die Tür und befahl dem Wächter, der draußen gewartet hatte, Jono ins Verhörzimmer zu bringen.

„... Ich frage dich noch einmal: Bleibst du dabei, Seine Hoheit tot aufgefunden und seinen Dolch an dich genommen zu haben?“, fragte Lubarna.

„Ja“, knirschte Jono. „So ist es gewesen.“

„Gib endlich zu, dass du Prinz Kail ermordet hast, um dich als er auszugeben und dich bei uns einzuschleichen!“, schrie Anitta, sprang auf und gab ihm eine schallende Ohrfeige.

In den Topasen brannte ein kaltes Feuer, als sie sich auf den Fürsten richteten. Jono schmeckte Blut an der Lippe.

„Ich sage die Wahrheit. Euer Prinz war tot, als ich ihn fand.“

„Lügen!“, rief Lubarna. „Und wer wusste noch davon, hm? Wen hast du in dein schmutziges kleines Geheimnis eingeweiht? Vielleicht hast du ihm ja erzählt, wie du Seine Hoheit ermordet hast.“

„Es wusste niemand davon“, sagte Jono. „Nur ich allein.“

Lubarna wandte sich von ihm ab.

„Er ist halsstarrig, vollkommen verstockt. Der Junge muss den Mord an Seiner Hoheit gestehen.“

„Vielleicht ist er auch für den Angriff auf den Pharao verantwortlich“, überlegte Anitta. „Und hat nur so getan, als wollte er ihn retten, um dann als Held dazustehen.“

Jono zog scharf die Luft ein. Das konnte ja wohl nicht angehen, der Mistkerl wollte ihn ausnutzen, um seinen Namen reinzuwaschen!

„Ich bin ganz gewiss nicht derjenige, der den Herrn der beiden Länder ermorden will. Welchen Grund sollte ich dafür haben – im Gegensatz zu anderen?“

Sein Blick kreuzte sich mit dem von Anitta. Nur das kurze Zucken in seinem Gesicht verriet, dass er den Hinweis verstanden hatte und Jono über seine Machenschaften Bescheid wusste.

Argh, wie oft hab ich von Großvater zu hören bekommen, dass ich erst nachdenken und dann reden soll, schalt sich Jono. Jetzt weiß er es.

„Willst du andeuten, dass du Näheres zu dem Anschlag weißt?“, fragte Akunadin.

„Ich ... nein, also ...“, stritt Jono ab. Er konnte es Anitta schließlich nicht nachweisen.

„Na schön, nehmen wir an, seine Worte stimmen und er ist nicht für den Angriff verantwortlich. Hmm ...“, sagte Tanefer und sah ihn nachdenklich an. „Der Junge scheint ehrlich zu sein. Was, wenn er auch sonst die Wahrheit gesagt hat?“

„Ihr wollt jemanden in Schutz nehmen, der keinen Respekt vor Euren Tempeln hat und Eure Götter beraubt? Ich sage, übergeben wir ihn dem Foltermeister. Er wird schon die Wahrheit aus ihm herausholen, auf die eine oder die andere Weise“, sagte Lubarna und schlug zur Bekräftigung seiner Worte auf den Tisch.

Akunadin betrachtete Jono aufmerksam und senkte seinen Blick kurz auf die Tischplatte, ehe er sich den Schreiber zuwandte, der das Protokoll führte.

„So soll es geschrieben stehen und so soll es geschehen. Der Gefangene erhält fünfzehn Hiebe mit der Peitsche. Vielleicht ist er danach gesprächiger.“

Anitta brummte unzufrieden. Er hatte schon seit einer Weile das Gefühl gehabt, dass Jono nicht zufällig im Garten gewesen war, als der Attentäter den Pharao töten sollte. Er wusste etwas und solange er lebte, konnte er ihm gefährlich werden.

Lubarna, Zidanta, Anitta und Akunadin folgten Jono und den Wachen in den zweiten Hof hinaus. Jono wurde an den mittleren der drei Pfähle gebunden, die Arme nach oben gestreckt. In seinem Rücken hörte er ein dunkles Knurren und wandte den Kopf. Mit großen Augen sah er den Mann an, der hinter ihm stand. Sein ganzer Körper schien nur aus Muskeln zu bestehen, ein böses Grinsen umspielte seine Mundwinkel. Der Foltermeister riss ihm das Obergewand mit einem Ruck vom Leib und warf den Fetzen auf die Erde.

„Reshef, mache dich an die Arbeit“, sagte Akunadin.

Ra stehe mir bei, dachte Jono. Sekunden später verzogen sich seine Gesichtszüge vor Schmerz, sein Rücken streckte sich durch. Er presste die Lippen aufeinander. Anitta und Lubarna wollten ihn schreien sehen? Diese Genugtuung würden sie nicht bekommen.

Schlag um Schlag führte Reshef sein grausames Werk aus, ließ die Peitsche auf den entblößten Rücken niederschnellen und zeichnete seine Haut mit blutigen Striemen. Als die Fesseln gelöst wurden, hatte Jono Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Sein Körper war zu einem einzigen, großen Schmerz geworden, sein Rücken fühlte sich feucht und brennend heiß an. Zwei Wächter hakten ihn unter, schleiften ihn in seine Zelle zurück und warfen ihn auf sein Lager.
 

Die Nacht war für ihn eine einzige Qual gewesen. Jedes Mal, wenn er eingeschlafen war, hatte er sich früher oder später auf den Rücken gedreht und war mit einem schmerzvollen Stöhnen aufgefahren. Nun lag er im Dämmerlicht des frühen Morgens in seiner Zelle auf dem Bauch und versuchte sich nach Möglichkeit nicht zu bewegen. Reshef hatte fest zugeschlagen. Hätte er länger zu leben, würden sich gewiss Narben bilden. Um sich die Zeit zu vertreiben, bis es seinen Peinigern einfiel, ihn erneut zu befragen, hatte Jono begonnen, mit leiser Stimme zu singen. Es war schon erstaunlich, was einem alles wieder einfiel, wenn man allein in einer dunklen Zelle lag und zur absoluten Untätigkeit verdammt war. Da kamen ihm sogar die Lieder wieder in den Sinn, die seine Mutter ihm als kleines Kind vorgesungen hatte.

Er setzte gerade zur dritten Strophe eines Liedes über einen wachenden Stern an (wobei er sich fragte, ob sich sein Schutzstern frei genommen hatte), als jemand seine Zelle betrat und hinter ihm die Tür geschlossen wurde. In seiner liegenden Position konnte er nicht das Gesicht seines Besuchers sehen, doch das lange blaue Obergewand hätte er jederzeit erkannt.

„Seth! Oh, verzeiht ... das ist wohl nicht die passende Anrede für einen Wächter des Pharao. Entschuldigt bitte weiterhin, wenn ich mich nicht vor Euch verbeugen kann, wie es Euch zusteht –“

„Was haben sie dir nur angetan.“

Seth näherte sich ihm langsam und ließ seine Augen über Jonos blutigen Rücken wandern. Anscheinend hatte es niemand für nötig befunden, sich um ihn zu kümmern. Er atmete hörbar aus.

„Du hast uns alle die ganze Zeit belogen ... Du hast mich belogen, hast dich als Prinz ausgegeben. Alles, was ich von dir möchte, ist ein einziges Mal eine ehrliche Antwort. Hast du mich je geliebt oder war auch das eine Lüge?“

„Jedes einzelne meiner Worte entsprach und entspricht der Wahrheit. Obwohl ich zuerst dachte, zwischen uns könnte es nur Abneigung geben, habe ich mich in Euch verliebt. Hmm ... vielleicht war das einer der Gründe, warum ich Fürst Zidanta nicht widersprach, als er mich für Prinz Kail hielt.“

„Wie meinst du das?“

„Ihr seid der Hohepriester, einer der höchsten Berater des Pharao. Hättet Ihr dem Sohn eines Händlers auch nur einen Funken Beachtung geschenkt? Seid ehrlich.“

„Vielleicht ...“

„Aber eher nicht. Damals bot mir die Stellung als Prinz Schutz ... vor Euren Nachforschungen und gleichzeitig kommt es mir so vor, als hätte ich unbewusst Eure Nähe gesucht.“

„Willst du mir nicht erzählen, wie es zu all dem gekommen ist?“

„Das habe ich doch schon alles zu Protokoll gegeben.“

„Ja, aber ich meine die ganze Geschichte. Ich möchte wissen, wie es angefangen hat. Was dich dazu brachte, in die Wüste zu fliehen.“

„Soll ich Euch das wirklich erzählen?“

„Sonst würde ich nicht fragen“, erwiderte Seth, der sich aus der hockenden Position, die er neben Jono eingenommen hatte, erhob und zur Tür schritt. Nach einem kurzen Klopfen öffnete sich die Klappe. „Bring mir Wasser und sauberes Leinen“, befahl er dem Soldaten.

Er musste nicht lange warten, bis das Gewünschte durch die Klappe gereicht wurde. Seth ließ sich mit den Sachen wieder neben Jono nieder und tauchte ein Stück Stoff in das Wasser.

„Du erzählst und ich versorge deinen Rücken.“

„Es begann alles an einem Nachmittag vor ... Nein, eigentlich hat es viel eher angefangen ...“

Jonos Gedanken lösten sich von ihm, nahmen die Gestalt eines Falken an und machten sich auf den Weg, der ihn durch die Zeit zurückführte. Dem Lauf des Nil nach Süden folgend, in die Stadt Zawtj.
 

„Wie kannst du es wagen, mir zu widersprechen!“, rief Amenhotep und ließ seine Hand auf das Gesicht seines widerspenstigen Sohnes zuschnellen. „Ich bin dein Vater, der Herr dieses Hauses und du hast dich meinen Befehlen zu beugen.“

„Aber ich liebe Teje nicht, Vater“, sagte Jono und wich ihm aus.

„Liebe? Glaubst du, ich wurde danach gefragt, als ich deine Mutter heiratete? Ha, ich kenne die Liebe, an die du glaubst. Die große, wahre Liebe, die von den Dichtern beschrieben und den Musikern besungen wird. Die existiert nicht! Sie ist nur ein schönes Märchen, das den Kindern aber dumme Flausen in den Kopf setzt.“

„Es gibt sie, ich weiß es!“

„Schweig! Du wirst Teje in zwei Wochen heiraten, ob es dir passt oder nicht. Die Mitgift, die sie von ihrer Familie erhält, ist mehr als ansehnlich und wird unseren Reichtum mehren.“

„Unseren?“, fragte Jono zynisch. „Du meinst wohl eher deinen.“

„Ich verbiete dir, so mit mir zu sprechen. Geh, ich will dich bis zum Abendessen nicht mehr sehen.“

Jono warf Amenhotep einen letzten finsteren Blick zu und verließ das Haus. Im Hof wartete sein Freund Raneb auf ihn.

„Na, wieder Ärger?“

„Nicht wieder, immer noch.“

„Ich hab dir gesagt, du kannst es ihm nicht ausreden.“

„Du hast leicht Reden, Ra, dich will man ja auch nicht mit dieser hässlichen Kuh verheiraten. Deine Braut ist wenigstens hübsch.“

„Aber dafür dumm wie Stroh. Hast du heute Abend schon was vor?“

„Wie ich Vater kenne, wird er mir wieder irgendwelche Bücher vorlegen wollen.“

„Da weiß ich was Besseres. Lass uns ins Sonnenrad gehen, wir waren lange nicht mehr dort. Tan kommt auch mit. Wir sollten die Gelegenheit nutzen, solange es noch geht. Ich habe gehört, dass Tejes Mutter in ihrem Haus die eigentliche Befehlsgewalt hat und ihr Mann nicht viel zu melden hat. Wenn ihre Tochter nach ihr schlägt, war es das mit deinem süßen Leben.“

„Die Götter mögen mich davor bewahren“, lachte Jono.
 

Das Sonnenrad war gut besucht, das Bier floss in Strömen in die Kehlen der Männer. Die Wirtin und ihre Gehilfinnen wurden nie müde, immer neue Krüge aus den Vorratskammern herbeizuschleppen und die Becher zu füllen. Jono, Raneb und Tan hatten sich mit ihrem Krug an einen Tisch in der Ecke verzogen, wo sie vor den Blicken der Älteren besser geschützt waren. Alle drei hatten reichlich von dem Gerstensaft getrunken, den die Wirtin selbst braute.

„Was haltet ihr von ’ner kleinen Mutprobe?“, schlug Raneb vor.

„Hast du wieder mal Hunger und willst dem armen Bäcker seine frischen Kuchen klauen?“, zog Tan ihn auf. „Wäre ja nicht das erste Mal.“

„Nein, ich meine eine richtige Mutprobe. Dem Bäcker die Kuchen stibitzen – das haben wir doch schon als kleine Kinder gemacht. Mir schwebt da was ganz anderes vor. Im Bezirk des Amun-Ra-Tempels wachsen Dattelpalmen, denen nachgesagt wird, dass sie unvergleichlich süß schmecken, aber die Priester behalten alle für sich.“

„Es sind ja auch ihre Bäume“, sagte Tan. Er hatte in der kleinen Gruppe schon immer die Stimme der Vernunft vertreten. „Raneb, auch wenn du der Sohn des Fürsten bist, kannst du nicht einfach dort reinmarschieren und ihre Palmen plündern.“

„Wer redet denn gleich von Plündern?“, entgegnete Jono. „Wir holen uns nur eine kleine Kostprobe, um zu sehen, was an dem Gerücht dran ist.“

„Dann gilt es“, sagte Raneb und leerte seinen Becher.

Sie zahlten die ausstehende Zeche und verließen das Sonnenrad. Der Abend war weit fortgeschritten, doch hier im Hafen pulsierte noch das Leben. Raneb ließ die Freudenhäuser mit Bedauern hinter sich, sie bogen in die Straße ab, die sie zum Tempelgelände führte. Die Priester hatten sich lange in ihre Kammern zurückgezogen und den Wachen das Aufpassen überlassen. Am Heiligen See und bei den Wegen brannten Fackeln, um den Priestern für ihre rituellen Bäder zu leuchten. Die Gärten aber, das Ziel der drei, lagen im Dunkeln. Raneb suchte an der Umfassungsmauer, bis er glaubte, die richtige Stelle gefunden zu haben. Er kannte sich etwas besser auf dem Tempelgelände aus als seine Freunde. Er hatte seinen Vater einige Male zu Besuchen und Festen begleitet und hatte so tiefer in die Anlangen vordringen dürfen, als es der gewöhnlichen Bevölkerung gestattet war.

Mittels einer Räuberleiter kamen Raneb und Jono auf die Mauer. Tan sollte draußen bleiben und Schmiere stehen. Die beiden landeten mitten in einem Lattichbeet und liefen von dort auf die hohen Schatten zu, die die Dattelpalmen sein mussten.

„Wer zuerst oben ist!“, sagte Jono und machte sich an die Ersteigung einer Palme.

Sein Freund ließ sich bei dieser Herausforderung nicht lange bitten. Jono war fast oben angekommen und streckte die Hand nach den reifen Früchten aus.

Jono ... Jono! Er hielt inne und lauschte.

„Hast du mich gerufen, Raneb?“, fragte er dann.

„Nein. Ha, Erster! Aber warum hast du angehalten?“

„Ach ... Ich dachte mir, ich lasse dir heute ausnahmsweise den Vortritt.“

„Wie edelmütig von dir, mein Freund.“

Jono, komm zu mir ... Ich brauche dich.

Wieder diese Stimme. Er sah sich um, doch er konnte nicht sagen, woher sie kam. Sie schien einem Mann zu gehören und klang, als stünde er in einer großen Halle.

„Irgendwas stimmt doch nicht mit dir?“, bemerkte Raneb.

Jono winkte ab und stopfte sich Mund und Taschen mit den Datteln voll.

„Verschwinden wir, bevor uns jemand sieht. Hey, du hast Recht, die sind köstlich!“

Tan trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Wenn nun jemand seine Freunde erwischt hatte ... Zwei Körper schoben sich über die Mauer und landeten kurz darauf elegant neben ihm.

„Na endlich, ich dachte schon, sie hätten euch erwischt. Es ist schon zweimal ’ne Wache vorbeigekommen.“

„Hatte das liebe Tanilein etwa Angst?“, witzelte Raneb.

„Lass deine Scherze, Ra. Ich muss nach Hause.“

„Was reagierst du heute so empfindlich? Jono, kommst du? Was ist denn an der Mauer so interessant?“

„Hmm ... Ach, nichts“, murmelte er und löste seinen Blick von der Umfassung. Bin ich so betrunken, dass ich sogar Stimmen höre?
 

Drei Tage darauf schickte Amenhotep Jono mit einer Flasche feinstem Salböl und mehreren Beuteln, die Harze und Kräuter enthielten, zum Tempel des Amun-Ra. Letztere waren eine Bestellung des Tempelvorstehers, das Öl sollte dem Gott geopfert werden. Der Grund für dieses ungewöhnlich spendable Verhalten seines Vaters missfiel Jono. Amun-Ra sollte damit milde gestimmt werden und Jono einsichtig machen, was die Hochzeit anging.

Ein junger Priesteranwärter führte ihn zu den Vorratslagern, wo einer der älteren Priester damit beschäftigt war, die Bestände zu überprüfen und die Listen zu korrigieren.

„... sechzig Skarabäus-Amulette, neunundachtzig Ankh – Ah, Jono! Was führt dich her?“

„Ich bringe die Bestellung des verehrten Hohepriesters“, erklärte Jono und legte die Beutel auf einem Tisch ab.

„Sehr gut, darauf warten wir schon eine Weile.“

„Die Karawane hatte in Kusch ein paar unerwartete Schwierigkeiten.“

Der Priester zählte die mit Amenhotep vereinbarte Summe ab und nahm Jono die Ölflasche aus der Hand, um sie an die Männer weiterzuleiten, die für die Opferung zuständig waren. Jono verabschiedete sich und begab sich in den Ersten Vorhof zurück. Die anderen drei Höfe, die dem Inneren Heiligtum vorgelagert waren, waren für die gewöhnlichen Menschen, wie er einer war, gesperrt.

Jono ... komm her.

Wieder diese Stimme und sie schien von weiter innen aus der Anlage zu kommen.

Hmmm ... Muss jemand anders gemeint sein, dachte Jono und überlegte, ob es im Tempel einen Priester mit seinem Namen gab. Er musste jedenfalls nach Hause oder sein Vater hielt ihm wieder einen seiner langen Vorträge, die er meistens mit einer oder mehreren Ohrfeigen garnierte. Dabei hatte er nicht gemerkt, dass er es nicht mehr mit einem kleinen Jungen zu tun hatte, sondern mit einem fast erwachsenen Mann, der in der Lage war, sich zu wehren. Letztes Mal hatte sich Jono nur seiner Mutter und dem Hausfrieden zuliebe zurückgehalten.
 

In der Nacht wälzte sich Jono unruhig in seinem Bett hin und her. Dunkle Schatten jagten durch seine Träume, jagten ihn durch das Schilf am Nilufer. Unter lautem Fiepen löste sich ein golden schimmernder Falke aus den Pflanzen und stürzte sich auf die Verfolger.

Jono, komm zu mir! Schnell, bevor es zu spät ist!

Jono öffnete die Augen und sah sich in seinem Zimmer um. Wieder dieser Traum. Der verfolgte ihn schon seit mehreren Nächten.

Bitte, du musst zum Tempel kommen.

Aber das konnte kein Traum mehr sein, schließlich war er wach. Und er wollte verdammt noch mal wissen, wer ihn da ständig rief! Er schlüpfte in seine Kleider und schlich sich aus dem Haus. Am Schlafzimmer seines Vaters blieb er kurz stehen und horchte. Schnarchen – er schlief wahrscheinlich seinen Rausch aus.

Das Außentor ihres Grundstücks war, wie er erwartet hatte, verriegelt, den schweren Balken konnte ein Mann schlecht bewegen. Aber die kleine Seitenpforte, die von den Dienern benutzt wurde, war nur mit einem einfachen Riegel versehen. Entgegen seinem Vorhaben, gemütlich zu gehen, um es wie einen späten Spaziergang aussehen zu lassen, begann er zwei Ecken nach seinem Elternhaus zu rennen. Etwas sagte ihm, dass er sich beeilen musste.

Außer Atem erreichte er das Tempelgelände und sah sich um. Wie sollte er den Wachen erklären, dass er mitten in der Nacht zum Tempel musste und zudem weiter, als ihm erlaubt war? Durch das Tor konnte er also nicht. Sein Blick schweifte an der Mauer entlang. An einer Stelle war sie etwas niedriger, dort konnte es gehen. Er nahm Anlauf, sprang ab und bekam mit den Fingern den oberen Rand zu fassen. Ächzend stemmte er sich hoch und stieg über den Steinwall, landete sicher auf den Beinen und lief weiter. Hinter Bäumen, Statuen und Säulen Schutz suchend, näherte er sich dem Inneren Heiligtum. Im Schein der Ölfeuer, die den Hof erhellten, erkannte er auf dessen anderer Seite eine Gestalt, in dunklen Stoff gehüllt, das Gesicht hinter einer Maske verborgen.

Jono, beeile dich!, drängte die Stimme. Bring das Auge des Ra von hier fort.

Die Gestalt lief auf das Sanktuarium zu, das sich rechts vom zentralen Tempelgelände erhob.

Der will doch nicht etwa das Artefakt stehlen!, schoss es Jono durch den Kopf. Das muss ich verhindern.

Er rannte der vermummten Gestalt hinterher, die die Eingangstür öffnete und das Sanktuarium betrat.

„Stehen bleiben!“

Im Außenbezirk stieß man alle naselang auf Wachen, waren denn hier keine? Jono sah sich um, doch er war allein. Hinter der Tür lag ein von Fackeln beleuchteter Gang. Kunstvolle Gemälde schmückten die Wände, die Decke war dunkelblau gestrichen und wimmelte von goldenen Sternen. Jono konnte ihnen nur einen kurzen Blick gönnen, seine Aufmerksamkeit wurde auf etwas anderes gelenkt. Die Tür am Ende des Gangs wurde von zwei Wachen flankiert, doch sie lagen bewusstlos am Boden. Der Unbekannte machte sich an der vergoldeten Tür zu schaffen.

„Hey, lass deine Finger davon“, rief Jono. „Mit welchem Recht wagst du es, in den Tempel einzubrechen!“

Ein schauriges Lachen hallte von den Mauern wider. Die Gestalt streckte eine Hand zur Seite – Jono bemerkte mit Schrecken die langen, spitzen Fingernägel. Dunkle Blitze zuckten an den Fingern auf, verdichteten sich zu einer Kugel, welche die Gestalt gegen die Tür stieß. Das kunstvoll gearbeitete Schloss schmolz unter dem Angriff wie Butter in der Sonne. Das konnte doch kein normaler Mensch sein. Womöglich ein Dämon ... Aber wie hatte der sich, von Priestern und Wachen unbemerkt, hier einschleichen können?

Ein kräftiger Tritt sprengte die Tür und brachte dem Fremden den ersehnten Einlass.

Jono, du musst ihn aufhalten. Er darf das Amulett nicht bekommen.

Aber wie soll ich gegen einen Dämon kämpfen?

Ich helfe dir. Vertrau mir.

Jonos Fäuste ballten sich. Er war nie vor etwas davongelaufen, er würde es auch jetzt nicht tun.

„Verschwinde von hier!“

Er stürmte den Gang entlang, bückte sich und griff nach dem Kopesh von einem der Wächter. Die Klinge schoss auf den Dämon zu und wurde von einem Kopesh mit schwarzer Klinge geblockt. Jono wich einen Schritt zurück, als er die violett glühenden Augen in den Schlitzen der Maske sah. Mit einem bösen Knurren griff der Dämon nun seinerseits an. Jono nahm den geweihten Raum, der sich unter ihren Attacken in einen Kampfplatz verwandelte, nur am Rande wahr.

Auch hier waren die Wände bemalt, dazwischen standen Statuen von Männern und Frauen. In der Mitte stand eine goldene Truhe auf einem hohen Sockel. Das schien es zu sein, was der Dämon gesucht hatte. Immer wieder versuchte er sich ihr zu nähern, nach dem Kasten zu greifen. Jono gab sein Bestes, ihn von dort fernzuhalten, doch je länger er kämpfte, desto mehr Kraft ging ihm verloren, während ihr Duell auf seinen Gegner keine Auswirkungen zu haben schien, außer dass er immer ungehaltener wurde, weil es ein Mensch wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Mit einem Hieb gelang es ihm schließlich, Jono zu Boden zu bringen. Er öffnete die Truhe und griff nach dessen Inhalt.

„Oh nein, das lässt du schön bleiben!“

Ein unirdisches Jaulen erklang, als die Klinge durch das Fleisch des Dämons schnitt und seine Hand abtrennte. Er ging auf Jono los, die Zähne gefletscht. Dieser hastete an ihm vorbei, duckte sich unter dem nächsten Angriff und packte das Amulett.

„Ist es das, was du willst? Das bekommst du nicht!“, rief Jono.

Ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, verließ er den Raum, lief an den Wachen vorbei, durch den Gang, nach draußen ins Freie.

„Was hast du hier zu suchen?“

Einer der Lesepriester, Jono fiel sein Name nicht ein, kam ihm entgegen. Ihm fielen die Papyrusrollen aus der Hand, als er sah, was Jono in der Hand hatte.

„Was tust du mit dem Auge des Ra? Leg das sofort zurück!“

„Aber ein Dämon ist hinter dem Amulett her“, verteidigte sich Jono und warf einen Blick über die Schulter.

Besagter Dämon marschierte auf ihn zu, das Schwert grimmig erhoben.

„Ruft die Wachen!“, fuhr Jono den Priester an und eilte weiter.

„Bleib sofort stehen! Gib das Amulett her, niemand ist dahinter her außer dir! Dieb! Raub, Überf –“

Der Dämon stieß die Tür auf und schleuderte den Lesepriester aus dem Weg. Ohnmächtig blieb er im Hof liegen.

Bring das Amulett fort von hier, befahl die Stimme. Der Dämon darf es nicht bekommen. Vergiss die Wachen, lauf!

„Dort ist der Dieb! Fasst ihn!“

Die Tempelwachen liefen auf ihn zu. Von dem Dämon war nichts mehr zu sehen und das hieß – Sie hielten ihn für den Dieb! Nie war Jono so schnell gelaufen wie in dieser Nacht. In fliegender Hast rannte er durch die Vorhöfe, hinaus zur Straße und immer weiter. Fieberhaft überlegte er, wohin er sich wenden sollte.

Etwas außerhalb der Stadt gab es Höhlen, in denen er und Raneb als Kinder gespielt hatten. Sie lagen abseits der Wege, dort würde ihn sicher niemand finden. Erschöpft schlief er zwischen den Felsen ein. Im Morgengrauen wurde er von einem gleißend hellen Leuchten geweckt. Als er sich aufsetzte und die Augen rieb, glaubte er erst, seinen Augen nicht zu trauen. Vor ihm stand der falkenköpfige Gott Horus und eröffnete ihm, dass er nach Men-nefer zum Pharao gehen und ihn warnen müsse. Der Sohn des Ra sei in großer Gefahr.
 

Seth ließ den Topf mit der Heilsalbe, die er auf Jonos Wunden gestrichen hatte, in seinem Beutel verschwinden und begann ihm die Binden anzulegen.

„So hat sich das also zugetragen? Du bist der Stimme gefolgt, um das Amulett vor einem Dämon zu retten und dann schickt dich Horus persönlich nach Men-nefer. Klingt nicht unbedingt nach dem, was das Gericht akzeptieren würde. Der Lesepriester hat angegeben, dass er nur dich gesehen hat. Von einem Dämon hat er nichts erwähnt.“

„Aber ich schwöre, es ist die Wahrheit. Ich begriff doch in dem Moment selbst kaum, was da geschah. Ich handelte einfach. Dabei hatte ich keine Ahnung, wie ich nach Men-nefer oder gar zum Pharao kommen sollte. Ich meine, hätte er mir geglaubt, wenn ich einfach zum Palast marschiert wäre und gesagt hätte: ‚Das Auge des Ra schickt mich, um Euch zu retten, weil jemand, den ich nicht kenne, es auf Euer Leben abgesehen hat’?“

„Nach dem, was du sagst, könnte man fast denken, das Amulett hätte sich einen neuen Hüter gesucht.“

„Hüter? Was meint Ihr?“

„Was weißt du über das Auge des Ra?“

„Nicht viel“, gab Jono zu. „Was eben so erzählt wird.“

„Zwar basiert auch mein Wissen auf den alten Legenden, bei denen sich nicht mehr ganz klar trennen lässt, was Wahrheit und was Mythos ist, doch was ich aus den Schriften erfahren habe, will ich dir berichten“, sagte Seth. „Es gab eine Zeit, in der eine Armee aus Menschen längst nicht das Schlimmste war, was Kemet zu fürchten hatte. Es soll sich zur Zeit der Regentschaft von Pharao Merenre dem Ersten vor etwa eintausend Jahren zugetragen haben. Die Seelen derer, die sich den Schatten verschrieben hatten oder deren Gräber einer Schändung zum Opfer gefallen und zerstört waren, fanden keine Ruhe und wurden immer zahlreicher. Ihr Ka nahm die Gestalt von Dämonen an und sie griffen die Hauptstadt an. Als Pharaos Hohepriester wird ein gewisser Zorc genannt. Er soll mithilfe des Gottes Seth eine Art ... Reich geschaffen haben, in das er die Ka-Monster bannte. Aber dann begann er zu experimentieren und entdeckte, dass er sie kontrollieren konnte. So wähnte er sich bald mächtiger als der Pharao und griff ihn mit jenen Kreaturen an, vor denen er ihn einst gerettet hatte. Seine vier Schüler stellten sich ihm entgegen, doch sie konnten gegen ihn nichts ausrichten. Am Ende stand Zorc dem Pharao und dem letzten Mitglied seiner Leibwache gegenüber und da griff Ra ein, um seinen Sohn zu retten. Er stattete den jungen Krieger mit einem Teil seiner Kräfte aus, eingeschlossen in einem magischen Amulett. Sein Kampf mit Zorc gab den Schülern die Zeit, sich zu erholen. Gemeinsam mit dem Krieger wirkten sie einen mächtigen Zauber und schlossen Zorc mitsamt seiner Armee im Reich der Schatten ein. Der Krieger wurde zum Wächter des Pharao berufen und schützte ihn mit der Macht des Ra, bis das Amulett bei seinem Tod an seinen Nachfolger überging. Etwa vierhundert Jahre lang ging das so, bis der Wächter versuchte, seine Kräfte gegen den Pharao zu wenden. Dieser soll dem Tod knapp entronnen sein und seinen Wächter getötet haben. Das Amulett wurde nach der Reinigung durch einen Priester in den Tempel nach Zawtj gebracht, wo es verwahrt wurde. Danach verließ es nur noch zweimal seinen Platz, als es die Priester zu sich rief und einen von ihnen zum Pharao sandte, um ihm beizustehen. Das dritte Mal hast du es an dich genommen. Und du hast den Pharao vor einem Mord bewahrt, wie es die Amulettwächter taten.“

„Dann glaubt Ihr mir?“, fragte Jono.

„Ja ... Und nenn mich wieder Seth“, er strich dem Braunäugigen durch das Haar. „Hündchen.“

„Kater“, brummte er.

„Ich würde dich ja gern umarmen, aber ich glaube, damit würde ich dir im Moment eher wehtun.“

„Ich freue mich schon, dass du hier bist, Seth.“

„Das tue ich auch, Jono.“

„Das ... klingt schön.“

„Was?“

„Das ist das erste Mal, dass du meinen richtigen Namen genannt hast. Am ... am schlimmsten war es für mich, dich anlügen zu müssen. Aber ich wollte nicht den Friedensvertrag mit den Hethitern aufs Spiel setzen, wenn ich dir mein Geheimnis verrate. Zidanta war so glücklich, weil er dachte, er hätte Kail wiedergefunden und dem Vertrag stünde damit nichts mehr im Weg ... Wie hätte ich da sagen sollen, tut mir leid, ich bin es nicht?“

„Du bist ein seltsamer Mensch, Jono“, meinte Seth und griff nach seiner Hand. „Wahrscheinlich mag ich gerade das so an dir.“

Der Wächter pochte an die Tür.

„Verzeiht, Euer Exzellenz, der Göttliche lässt Euch ausrichten, dass er Euch zu sehen wünscht.“

„Ja, ich komme gleich“, sagte Seth. „Jono, ich werde mit dem Pharao sprechen. Wenn wir ihm beweisen können, dass dich das Auge des Ra als seinen Hüter ausgewählt hat, kann ich dich bestimmt hier rausholen. Nicht aufgeben.“

„Ich doch nicht“, lächelte Jono.
 

Das Einzige, was ich über Zorc rauskriegen konnte, war, dass er das Schattenreich erschaffen und beherrscht hat, also habe ich überlegt, wie es dazu gekommen sein könnte.

Vor Gericht

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=S7euPe6zrGw&feature=related In the Name of the Pharaoh Reset

http://www.youtube.com/watch?v=-w85z2DHkOg Prince of Persia – Kaileena free from Fate
 

Kapitel 14

Vor Gericht
 

„Das hat er gesagt, Seth?“, fragte Atemu.

„So wahr ich hier stehe, mein Pharao. Auch ich war zu Beginn skeptisch, doch es scheint mir inzwischen die einzige logische Schlussfolgerung zu sein.“

„Aber Jono als Hüter des Auges – das ist eine gewagte These“, sagte Mahaado. „Wenn er das alles nun erfunden hat –“

„Das hat er nicht“, kam die scharfe Antwort des Hohepriesters.

„Ahm ... vielleicht solltet Ihr Euch aus der näheren Untersuchung des Falles heraushalten, Seth“, begann der Pharao behutsam. „Ich finde, wir sollten möglichst objektiv an die Sache herangehen und da Ihr gewissermaßen persönlich involviert seid ...“

„Meine Urteilskraft ist dadurch nicht getrübt, Euer Majestät.“

„Wenn sich aber herausstellen würde, dass er sowohl des Diebstahls als auch des Betruges schuldig ist ...“, der Pharao beugte sich auf seinem Thron zu ihm vor, „würdet Ihr dann auch ein Todesurteil über ihn verhängen, wie es das Gesetz fordert?“

Bestürzte blaue Augen sahen ihm entgegen.

„Das dachte ich mir“, fuhr Atemu fort. „Die Angelegenheit ist verzwickt und es steht genug auf dem Spiel. Besonders da die Hethiter die Unterzeichnung des Abkommens bis zur Klärung des Falles ausgesetzt haben.“

„Was wollt Ihr also tun, Göttlicher?“

„Wir geben Jono die Möglichkeit, sich zu beweisen.“

Anitta verließ mit einem unzufriedenen Brummen seinen Lauschplatz an der Tür zum Thronsaal. Die Dinge entwickelten sich gar nicht so, wie er es wollte. Jono hatte irgendwie von seinem Vorhaben, den Pharao zu seinen Vorfahren zu schicken, erfahren. Selbst wenn er jetzt im Gefängnis saß, konnte er ihm noch gefährlich werden. Als er ausgepeitscht worden war, hatte er kein Wort gesagt, doch wie würde es sein, sollte es zu einer weiteren Folterung kommen? Würde er auch dann noch schweigen oder unter der Peitsche des Foltermeisters neben dem Mord an Prinz Kail, den er, wie Anitta aus sicherer Quelle wusste, nicht begangen haben konnte, auch die Taten des Fürsten gestehen? Er durfte auf keinen Fall am Leben bleiben.

Eine gute Stunde darauf meldete einer der Männer, die die Sachen des Prinzen nach Hinweisen durchsuchten, dem Pharao, dass ein Stapel Briefe aufgetaucht sei, in einer Truhe unter den Gewändern verborgen. Der Inhalt dieser Korrespondenz war erst wenige Wochen alt und äußerst pikant. Seine Königliche Hoheit Prinz Kail, bekanntermaßen zu diesem Zeitpunkt bereits von Jono vertreten, hatte Kontakt zu einem Mann namens Kuruna aufgenommen und ihn beauftragt, den Herrn von Kemet zu töten. Anitta rieb sich die Hände, als Atemu die Briefe, nachdem er sie gelesen hatte, zornig auf den Boden warf. Die Fälschung seines eigenen Briefwechsels mit Kuruna war ihm, bis hin zu den Unterschriften, hervorragend gelungen.

„Mein Pharao, es kann sich dabei nur um eine Verwechslung handeln“, sagte Seth, der von Hapi eilig herbeigeholt worden war. „Jono würde nie –“

„Eine Verwechslung? ‚Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. In wenigen Stunden werdet Ihr vom Tod des Herrn von Kemet hören.’ Ich finde das ziemlich eindeutig formuliert, meint Ihr nicht?“, sagte Atemu und legte den Brief beiseite.

„Aber er würde nie ... Ich bitte Euch, der Wächter des Auges soll Euch ermorden wollen?“

„Noch ist nicht einmal erwiesen, ob Jono überhaupt sein Wächter ist. Geht nun bitte, ich muss nachdenken.“

Atemu rieb sich die brennenden Augen. Es gab so viele Dinge, die für ihn keinen Sinn ergeben wollten. Wenn er nach den Briefen ging, hatte Jono eindeutig seinen Tod im Sinn gehabt, aber warum hatte er ihn dann gerettet? Hatte er kalte Füße bekommen, es sich im letzten Moment noch anders überlegt? Dabei hatte er das Gefühl, zwischen ihnen hätte sich in den vergangenen Wochen eine Freundschaft entwickelt. Seths Bericht von dem, was Jono ihm erzählt hatte, schwirrte durch seinen Kopf. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte und die Götter, die er um Rat angerufen hatte, schwiegen beharrlich.
 

„Nein, nicht ... Seth ...“, stöhnte Jono und wachte auf.

Wieder hatte er von Seth und Atemu geträumt, wie sie von Anitta umgebracht wurden. Während seiner letzten Woche im Palast war der Traum nur sporadisch aufgetreten, hatte sich ein- oder zweimal in ähnlicher Form wiederholt, doch nun kam er, sobald Jono die Augen schloss. Es war ihm unmöglich, ihn zu ignorieren, aber wie sollte er die beiden warnen? Er war sich mittlerweile sicher, dass er es nicht mit einem einfachen Traum zu tun hatte, sondern dass ihm die Bilder zeigten, was geschehen sollte und nach ihrer Häufigkeit zu schließen, würde es bald geschehen.

Der Riegel wurde zurückgeschoben, zwei Wachen mit einem Krug und Tüchern traten ein.

„Wasch dich und zieh dich an, du sollst zum Pharao kommen“, sagte der eine und warf ihm die Leinentücher und ein sauberes Leinengewand mit kurzen Ärmeln vor die Füße.

Während sich Jono fertig machte, überlegte er, was der Pharao von ihm wollte. Ein einfaches Verhör hielt er für unwahrscheinlich, dafür hatte er genug Beamte, die sich darum kümmern konnten. Seth musste mit ihm geredet haben, wie er es versprochen hatte. Wenn ich nur wüsste, wie ich dem Pharao das mit dem Amulett beweisen soll, überlegte er. Jetzt wäre es gut, wenn mir Horus noch einmal erscheinen würde. Aber Götter kommen leider nicht auf Bestellung.

Die Männer banden ihm die Hände und brachten ihn mit einem Streitwagen in den Palast. Atemu erwartete ihn mit dem Rat der Millenniumswächter und den drei Fürsten im Thronsaal. Neben ihm ruhte auf einem Kissen das Auge des Ra.

„Jono, nach deiner Aussage hat dich das Amulett zu seinem Wächter bestimmt. Wir werden sehen, ob deine Behauptung zutrifft.“

Er nickte Isis zu, die das Kissen zu Jono trug und ihm das Amulett um den Hals legte.

„Über die Kraft des Ra zu verfügen, bedeutet dem Feuer gebieten zu können“, erklärte sie ihm.

Jono blickte sie verständnislos an. Ja, das Amulett hatte ihn zu sich gerufen und er wurde das Gefühl nicht los, dass es auch für seine ganzen Träume verantwortlich war, aber sonst hatte es ihm nie eine Kraft zuteil werden lassen. Zumindest war er sich keiner bewusst. Isis nickte ihm aufmunternd zu und zog sich auf ihren Platz in der Nähe des Herrschers zurück. Jono sah von einem zum anderen, dann wieder auf das Amulett und fragte sich, was sie von ihm erwarteten. Ob er einen Tanz aufführen oder etwas singen musste? Oder vielleicht aktivierte es sich ja mit einem Zauberspruch ... Er überlegte, ob er es mit Abrakadabra versuchen sollte, aber das kam ihm dann doch zu albern vor.

Horus, wozu habt Ihr mich hierher geführt und den Pharao retten lassen, wenn Ihr mich jetzt im Stich lasst?, jammerte er. Ich verlange doch gar nicht viel ... Vielleicht ein kleines Feuerchen? Oder ein ganz kleines?

„Ach, das ist doch alles pure Zeitverschwendung!“, rief Anitta, als Jono mehrere Minuten bewegungslos dagestanden und auf das Amulett gestarrt hatte. „Ihr seht es selbst, er ist kein Wächter, nur ein Gauner, der endlich an den Galgen gehört!“

„Und für das schändliche Verbrechen, unseren Prinzen ermordet zu haben, sollte er gevierteilt werden!“, setzte Lubarna hinzu und sprang dabei von seinem Sitz auf.

Seth, der sich zumindest so weit gegen Atemu durchgesetzt hatte, bei der Probe anwesend sein zu dürfen, warf dem Fürsten einen eisigen Blick zu. Warum tat Jono nicht endlich etwas, um seinen Status unter Beweis zu stellen?

„Also, das reicht mir jetzt aber“, sagte Akunadin. „Mein Pharao, mit Verlaub, wie Ihr hier selbst seht, handelt es sich bei dem Gefangenen nicht um einen Wächter. Damit ist er des Diebstahls schuldig. Hinzu kommt der Anschlag auf Euer Leben, bewiesen durch die Briefe –“

„Moment mal, was für Briefe?“, mischte sich Jono ein.

„Wie kannst du es wagen!“, rief Akunadin. „Was fällt dir ein, mich zu unterbrechen!“

„Aber ich wollte doch nur –“

Atemu hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. Er winkte einem Diener, der ihm die Briefe auf einem Tablett reichte. Den obersten von ihnen nahm er mit spitzen Fingern auf und hielt ihn Jono entgegen.

„Diese Briefe wurden in den Gemächern gefunden, die du bewohnt hast. Sie beweisen, dass du den Attentäter selbst auf mich angesetzt hast, so wie Fürst Anitta es vermutet hatte.“

Jono fiel buchstäblich aus allen Wolken, als er das hörte.

„Aber ... a-aber ich ... habe doch nie –“, stammelte er hilflos.

„Es hat keinen Sinn, es zu leugnen, Jono“, sagte Atemu. „Auch wenn du nicht gestehst, bist du überführt. Die Beweise sprechen klar gegen dich.“

„Ich habe nicht versucht, Euch umzubringen, das schwöre ich! Eher würde ich mir die Hand abhacken, als gegen meinen Pharao das Schwert zu erheben. Und das Amulett habe ich wirklich nur mitgenommen, weil der Gott Horus es mir befohlen hatte.“

Akunadin rümpfte die Nase.

„Missbrauche nicht die Namen der Götter, um deine schändlichen Taten zu rechtfertigen“, sagte er. „ Allerdings ... Mein Pharao, ich denke, dass er tatsächlich eine Stimme gehört hat. Nur kann es sich dabei unmöglich um Horus gehandelt haben. Meiner Ansicht nach hat ein Dämon von ihm Besitz ergriffen, um sich das Amulett anzueignen. Darum schlage ich vor, ihn einem Millenniumsprozess zu unterwerfen und ihn von dem Dämon zu befreien.“

„Haltet Ihr das für nötig?“, wandte Seth ein.

„Ihr sagtet mir, Euer Urteilsvermögen sei nicht getrübt“, sagte Atemu. „Nun beweist mir, dass das nicht nur leere Worte waren.“

Der Blick des Hohepriesters wandte sich dem Boden zu. Mehrmals atmete er tief ein und aus, ehe er aufblickte. Sein Gesicht glich einer Maske.

„Holt eine Steintafel. Möge der Millenniumsprozess gegen seine Seele beginnen.“

„Aber, Seth ...“

Jono starrte ihn erschüttert an.

„Ich werde beginnen“, sagte Shada und trat vor. Er richtete den Millenniumsschlüssel auf Jono und blickte durch den Henkel des Ankh. „Ja, da ist etwas. In ihm verbirgt sich eine Kreatur.“

„Dann werde ich nun das Wesen enthüllen, das in ihm steckt.“ Akunadin nahm seinen Platz ein und schlug die Kapuze seines Gewandes zurück. Das goldene Auge leuchtete hell, als es sich zu Jono wandte.

Ein plötzlicher Schmerz ließ Jono heftig zusammenfahren, seine Arme krampften sich um seinen Oberkörper. Brennende Hitze wallte in ihm auf. Ein lauter Schrei löste sich aus seinem Mund und mit ihm strömte schwarzer Rauch aus, verdichtete sich über ihm und nahm die schattenhafte Gestalt eines großen Tieres mit rot glühenden Augen an.

„Was ist das?“ Akunadin fuhr zurück. „Schnell, Meister Seth!“

Den Millenniumsstab erhoben, schritt Seth nach vorne, während zwei Wachen hinter ihm eine große Steintafel aufrichteten.

„Im Namen des Pharao, entferne die Bestie aus der Seele dieses Mannes!“

Das Auge des Stabes erstrahlte und zog die Schattenkreatur von Jono fort, in Richtung Tafel. Dann aber merkte Seth, dass sie sich wehrte. Er umfasste den Stab enger und richtete seine ganze Konzentration auf das Wesen. Wenn es das war, was Jono zu dem Diebstahl verleitet hatte, konnte er bei seiner Entfernung mit einer milden Strafe rechnen, denn dann war er nur zum Teil für seine Taten verantwortlich. Jono konnte nicht mehr klar sehen, alles verschwamm vor seinen Augen. Seths Züge verzerrten sich unter der Anstrengung, während der Stab das Wesen Stück für Stück der Tafel näher brachte.

Auf einmal spürte Jono, wie sich die Hitze in ihm zurückzog und einer angenehmen Wärme Platz machte, ausgehend von dem Amulett, das er immer noch trug. Sein Atem wurde ruhiger, seine Sicht wieder besser.

Hab keine Angst, Jono, hörte er die ihm inzwischen vertraute Stimme des Falkengottes. Du bist von keinem Dämon besessen. Das ist dein Ka-Wesen.

Verwirrt musste Seth beobachten, wie sich der Schatten von der Tafel, kurz bevor er sie erreichte, abwandte und zu Jono zurückkehrte. Die Gestalt zerfiel in sich, wurde zu Rauch und drang in seine Brust.

„Ist er doch ein Wächter?“, murmelte Atemu.

„Mir kommt er eher viel gefährlicher vor, als wir angenommen hatten“, sagte Anitta. „Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“

„Da gebe ich ihm Recht“, meinte Karim. „Dieses Wesen hat sich gewehrt, sich fortsperren zu lassen. Es ist zu riskant, es in dieser Welt zu belassen, mein Pharao. Der Junge muss sterben.“

Atemu strich abwesend über das Millenniumspuzzle an seinem Hals. Trotz der Briefe hatte er sich noch einen kleinen Funken Hoffnung bewahrt, alles möge sich als ein großes Missverständnis und Jono als unschuldig herausstellen. Nun jedoch ließen ihm die Umstände keine Wahl mehr.

„Hiermit sei das Urteil über Jono, Sohn des Amenhotep aus Zawtj, angeklagt des Tempelraubes, des Betruges und des versuchten Mordes an Meiner Majestät, gesprochen: Zur Strafe für seine Vergehen wird ihm morgen Vormittag der Kopf abgeschlagen. So soll es geschrieben stehen ... so soll es geschehen“, sagte er, ohne des Kummers in seiner Stimme ganz Herr zu werden.

Er stand auf und eilte aus dem Saal. Jono wurde bei seinen Worten schwindlig. Er war seit seiner Flucht auf diese Möglichkeit eingestellt gewesen, hatte Zeit gehabt, sich an sie zu gewöhnen. Sie aber jetzt aus Atemus Mund zu hören, zu wissen, dass sie in weniger als vierundzwanzig Stunden Realität sein würden, führte ihm ihre Bedeutung erst richtig vor Augen. Seine Beine knickten unter ihm weg, er sank auf den Boden. Akunadin eilte zu ihm und nahm ihm das Amulett ab.

„Schafft ihn fort“, wies er die Wachen an.
 

Neumond – keine Nacht des Monats war so dunkel wie diese und gleichzeitig so hell, denn in dieser Nacht überdeckte das Licht des Mondes nicht das der Sterne. Jono saß unter der vergitterten Öffnung seiner Zelle und beobachtete den Himmel. Die funkelnden Sterne in dem tiefen Schwarz besaßen für ihn etwas Tröstliches.

Auch in der tiefsten Finsternis wirst du immer ein Licht finden. Das hatte seine Mutter einmal zu ihm gesagt. Und er hatte sein Licht in Seth gefunden. Wenn es aber nach seinen Träumen ging, würde dieses Licht schon bald ausgelöscht werden. Er hatte versucht, Seth und den Pharao zu warnen, aber sie hatten ihn nicht zu Wort kommen lassen.

„Ach, Horus, was soll das alles?“, murmelte er. „Warum lasst Ihr mich den Pharao retten und die Liebe finden, wenn Ihr mir dann alles wieder nehmt?“

Ein gleißendes Blitzen erleuchtete für wenige Sekunden die Zelle.

„Du hast mich gerufen, Jono?“

Dieser fiel überrascht vor dem Gott auf die Knie.

„Ihr ... Ihr seid hier?“

„Du hast mir doch eine Frage gestellt und ich will dir darauf antworten. Steh auf.“

Jono erhob sich, ließ seinen Blick jedoch leicht gesenkt.

„Dann sagt mir bitte, was dieser Traum zu bedeuten hat. Ich dachte, der Pharao wäre in Sicherheit. Warum sehe ich dann seinen und Seths Tod?“

„Die Gefahr für den Pharao ist noch nicht gebannt.“

„Ich bin ihm eine schöne Hilfe, wenn ich morgen am Galgen hänge. Das Amulett hat nicht auf mich reagiert, aber wo ist dann sein Wächter?“

„Du wirst es sehen. Es hat alles seine Richtigkeit.“

„Ach ja? Dann wird sich aber die Leibwache des Pharao um seinen weiteren Schutz kümmern müssen.“

„Das ist ... etwas schwierig. Die Hüter der Millenniumsgegenstände werden von einer dunklen Kraft blockiert, die sie daran hindert, die Artefakte richtig einzusetzen. Du musst diese Macht finden und sie zerstören.“

„Aber wie –“

„Warte es ab, Jono. Es ist wichtig, dass du morgen zum Richtplatz gehst. Das Leben jener, die du liebst, hängt davon ab.“

Mit einem weiteren blendenden Lichtblitz verschwand Horus.
 

Seth zog den Umhang fester um sich und verbarg sein Gesicht noch mehr unter der Kapuze. Das Pferd Mîtšakui bzw. Rotauge, das er am Zügel führte, wieherte unruhig. Er strich ihm beruhigend über den Kopf.

„Psst ... sei still, man wird uns noch hören.“

Dann gingen sie weiter durch die dunklen Straßen. Ganz wohl war Seth bei der Sache nicht, doch einen anderen Ausweg sah er nicht mehr. Auf Knien hatte er den Pharao angefleht, ihn noch einmal zu Jono zu lassen, doch Atemu hatte sich standhaft geweigert. Minuten-lang hatten sich die beiden angesehen, ohne dass ein Wort gesprochen wurde. Für jemanden, der sie sah, hatten sie einander nur schweigend und still gegenübergestanden, doch in ihrem Inneren, auf einer Ebene, zu der nur sie den Zutritt hatten, war ihr Wortgefecht weitergegangen, von beiden Seiten mit erbitterter Härte geführt. Diese verfluchte Sturheit, die hatte er mit Jono gemeinsam. Es wunderte ihn nicht, dass sich die beiden so gut verstanden hatten.

Vor ihm schälten sich die Mauern des Gefängnisses aus der Dunkelheit. Seth atmete tief durch, dann klopfte er an das Tor. Die Augenklappe schwang auf.

„Ja, was –“, fragte der wachhabende Soldat grob. Seth hob die Kapuze etwas an. „Oh, Meister Seth, verzeiht.“

„Lass mich ein, ich muss den Gefangenen Jono noch einmal sprechen.“

Das Portal öffnete sich mit einem Quietschen und ließ ihn und das Pferd durch. Es war lange nicht das erste Mal, dass Seth das Gefängnis betrat, doch sonst führte ihn ein Befehl des Pharao in seine Mauern. Heute war es sein Herz, das ihn dorthin trieb. Er schauderte, als er durch die Höfe schritt, in deren Boden das Blut Hunderter geflossen war. Sich zu gemäßigtem Tempo zwingend, schritt er die Stufen zum Zellentrakt hinunter und ließ sich Jonos Zelle öffnen. Als der Wächter die Tür hinter ihm geschlossen hatte, rüttelte er Jono vorsichtig an der Schulter.

„Hey, wach auf, Falke.“

Er kam leise grummelnd zu sich und blinzelte überrascht, als er den Hohepriester erkannte.

„Seth! Aber was tust du hier?“, sagte er und setzte sich auf.

„Was schon, ich hole dich hier raus“, erwiderte er lächelnd.

„Was? Ab-aber damit handelst du gegen den Willen des Pharao! Das ist zu gefährlich, wenn das rauskommt. Dieses Risiko darfst du für niemanden eingehen.“

„Bist du etwa niemand? Das würde ich auch für keinen anderen tun.“ Seth nahm seinen Umhang ab. „Schnell, zieh den über.“

Jono schob den Stoff von sich, den Seth ihm entgegenhielt.

„Glaubst du, die lassen uns einfach so hier rausmarschieren?“

„Nein, darum wirst du für eine Weile in meine Rolle schlüpfen. Nimm den Millenniumsstab und schlag mich damit bewusstlos.“

Blanker Unglaube blickte ihm entgegen.

„Bist du verrückt geworden, Seth?!“

„Nein, Jono. Die Wachen werden denken, du hättest mich überwältigt und wärst geflohen.“

„Aber dann werden sie überall in der Stadt nach mir suchen.“

„Bis dahin hast du Men-nefer längst verlassen. Im Hafen wartet ein Schiff auf dich, das dich nach Sais bringen wird. Von dort aus kannst du in jedes Land reisen, das dir gefällt.“

„Und was soll ich dort?“, erwiderte Jono und richtete seine Augen auf seine zum Bauch herangezogenen Knie. Seths Finger strichen sacht über den blonden Haarschopf.

„Du sollst leben, mein Falke. Ich weigere mich, den Anschuldigungen zu glauben, die sie gegen dich aussprechen.“

Jono wandte den Kopf zu ihm um.

„Wenn ich leben soll, warum schickst du mich dann fort? Ich will nicht ohne dich leben, Seth.“

Dieser erhob sich, wandte sich mit einem Stöhnen ab und streifte eine Weile durch die Zelle. Jono stand auf und sah ihm schweigend zu, bis Seth vor ihm stehen blieb und seine kühlen Hände um die warmen des Braunäugigen legte.

„Also gut, dann werde ich mit dir gehen.“

Jono musterte ihn nachdenklich und erinnerte sich an Horus’ letzte Worte.

„Das kann ich nicht von dir verlangen, Seth. Du musst beim Pharao bleiben. Es ist deine Aufgabe, ihn zu beschützen. Und mein Platz ist morgen neben dem Henker.“

„Aber ich kann dich doch nicht einfach so sterben lassen!“, fuhr Seth auf.

„Ich muss dorthin und ... Bitte tu mir einen Gefallen. Komm morgen nicht zum Richtplatz. Bleib im Palast, im Tempel meinetwegen, aber halt dich von dort fern“, sagte er, einem plötzlichen Gedanken folgend.

„Warum –“

Jono legte ihm den Zeigefinger über die Lippen.

„Vertrau mir“, flüsterte er und küsste ihn. „Und noch etwas, achte auf Fürst Anitta. Ich habe bei ihm ein ... ungutes Gefühl. Und nun geh.“

Er pochte an die Tür und sagte der Wache, dass ihr Gespräch beendet

sei. Seth warf ihm einen letzten intensiven Blick zu und verließ die Zelle. Rotauge scharrte im Hof unruhig mit den Hufen.

„Tut mir leid, Kleiner“, wisperte Seth, nachdem sie das Tor passiert hatten. „Dein Herr ist leider ein noch größerer Sturkopf als du.“
 

„Meister Seth.“ Hapi stupste ihn vorsichtig an. „Meister Seth, bitte wacht auf.

„Was ist denn, Hapi?“

Er sah den Jungen aus verschlafenen Augen an. Nach seinem Besuch bei Jono war er noch über zwei Stunden durch die Stadt gewandert und hatte überlegt, was er sonst tun konnte, um ihn vor dem Henker zu bewahren. Warum hatte er sich nur geweigert, mit ihm zu kommen ... Wollte Jono denn unbedingt sterben?

„Seine Majestät der Pharao wünscht Euch zu sprechen. Sofort. Er ist hier.“

„Wie bitte?“, kam Seths entsetzte Antwort. Mit einem Schlag fiel die Müdigkeit von ihm ab und er richtete sich auf.

„Guten Morgen, Seth.“ Atemu betrat das Schlafzimmer. „Nachdem es Eurem Diener nun endlich gelungen ist, Euch zu wecken, würde ich gerne über eine Kleinigkeit mit Euch sprechen. Würdet Ihr mir erklären, warum ich heute früh hören musste, dass Ihr Jono im Gefängnis besucht habt, obwohl ich Euch den Umgang mit ihm untersagt hatte?“

Woher weiß er das denn schon wieder?

„Ich –“

„Ja, ja, ich kann mir schon denken, was Euch dorthin gelockt hat. Die Liebe.“ Atemu setzte sich auf den Rand des Bettes. „Glaubt Ihr, mir ist diese Entscheidung leicht gefallen? Ich schätzte Jono als guten Freund und wäre von selbst nie auf den Gedanken gekommen, er könnte so etwas tun. Manchmal zwingen uns die Umstände dazu, Dinge zu tun, die wir nicht tun wollen. Deshalb ... wünsche ich, dass Ihr heute nicht zu Jonos Exekution erscheint. Ihr werdet Euch nach dem Frühstück zum Tempel begeben. Ein Gebet mag seiner Seele vor dem Schattengericht nun mehr helfen als ein mitternächtlicher Besuch.“

Der Pharao nickte ihm zu und ging. Hapi trug das Tablett mit seinem Frühstück herein und stellte es auf einem Hocker neben dem Bett ab. Der Hohepriester warf nur einen kurzen Blick darauf und wandte sich ab.

„Nimm es wieder mit oder iss du es. Ich habe keinen Hunger.“

„Das sagt Ihr seit Tagen“, erwiderte Hapi. „Aber Ihr müsst etwas essen oder Eure Kräfte werden schwinden. Das wäre sicher nicht das, was Jono für Euch gewollt hätte.“

Ein kaltes Funkeln aus blauen Saphiren traf ihn.

„Hör auf, über ihn zu reden, als wäre er schon tot!“, zischte Seth.

„Verzeiht mir, Meister. Aber ich mache mir Sorgen um Euch.“

„Ich weiß, Hapi. Ich wollte dich eben nicht anschreien, es ist nur ...“

„Ich verstehe schon. Lasst Euch den Wein schmecken, Fürst Anitta hat ihn mir gegeben, um Euch aufzumuntern.“

Hapi zog sich unter einer tiefen Verbeugung aus dem Schlafzimmer zurück. Seth nahm den Becher zur Hand und betrachtete die rubinrote Flüssigkeit darin.

„Anitta ... In die Schatten mit Euch!“

Der Becher flog aus dem Fenster und verspritzte einen Teil seines Inhalts auf den Fliesen.
 

Seth stieg von Chons’ Rücken, warf Hapi die Zügel zu und machte sich auf den Weg durch die Vorhöfe des Tempels. Seine Bewegungen hatten nichts mehr von ihrer Festigkeit und Stärke, mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen. Sein Blick ging ins Leere. Er sah die ihn grüßenden Priester nicht, hörte nicht ihre Worte und ihre Fragen, was mit ihm sei. Es kam ihm vor, als würde ihn ein dicker Kokon umgeben, der jedes Geräusch von ihm abschirmte. Wie apathisch ging er an den Männern vorbei, den Millenniumsstab, das Zeichen seiner Würde als Wächter des Pharao, in der Hand. So viel Macht hatte ihm dieser Stab verliehen und dennoch sollte sie nicht ausreichen, um Jono zu retten?

Am Eingang zum Inneren Heiligtum erwies er dem Gott die Reverenz, ganz so, wie er es gelernt hatte, wie es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Heute jedoch verneigte sich nur sein Körper, nicht sein Herz. Mit schnellen Schritten ging der Hohepriester auf das Allerheiligste zu und schritt durch den Spalt in den Vorhängen. Er blickte zur Statue des Amun-Ra auf und suchte nach Antworten in dem aus Stein gehauenen Antlitz.

„Warum? Warum das alles? Sind wir Menschen für Euch Götter nur ein Spiel? Spielt Ihr mit uns, so wie wir Senet spielen? Antwortet mir.“

Der Gott der Sonne blickte starr geradeaus. In den Granitaugen war keine Regung zu sehen.

„Wieso führt Ihr uns zusammen, um uns dann wieder auseinander zu reißen?“

Tränen traten in Seths Augen, lösten sich von ihnen und rollten seine Wangen herab. Der Stab entglitt seinen Fingern und rollte über den Boden, bis er von dem Ständer einer Ölschale gebremst wurde.

„Götter Kemets, antwortet mir! Ich bitte Euch! Antwortet.“

Die Finger ineinander verkrampft, fiel er vor dem Abbild auf die Knie und senkte das Haupt.

„Antwortet Eurem Diener. Ich flehe Euch an. Lasst es mich wenigstens verstehen, warum Ihr so handelt.“

Die Zeit verrann, die Schatten, welche die Sonne in den Tempel warf, wurden kürzer und noch immer kniete Seth vor der Statue, in seiner betenden Haltung verharrend. Seine Beine waren taub geworden, un-empfindlich für die Schmerzen.

„Antwortet mir“, drang seine Stimme durch das Allerheiligste und blieb doch ungehört.

„Antwortet mir endlich! ANTWORTET!"

Seine steifen Hände lösten sich aus ihrer verkrampften Haltung, trommelten auf den Boden, bis die Haut sich rötete und aufplatzte. Seth ließ sich auf die Seite fallen und blieb mit geschlossenen Augen liegen.

Der Krieger des Ra

Wir sind fast am Ende angelangt und nun geht es, ohne große Vorrede, ins Finale.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=Fqmcal-vEi4 Yugioh Pharaoh vs Bakura – Requiem for a Dream
 

Kapitel 15

Der Krieger des Ra
 

Jono musste mehrmals blinzeln, bis er sich an das helle Sonnenlicht gewöhnt hatte. Nachdem er mehrere Tage in der Dämmerung seines Kerkers verbracht hatte, waren seine Augen etwas lichtempfindlich geworden. Gern hätte er sie mit der Hand abgeschirmt, doch wie jedes Mal, wenn er das Gefängnis verlassen hatte, waren ihm die Hände gebunden worden, heute zur Abwechslung einmal vor dem Körper. Alles war wie immer und doch ließ man ihn spüren, dass seine letzte Stunde mit großen Schritten nahte. Das Frühstück, das ihm durch die Klappe gereicht worden war, war um einiges üppiger ausgefallen als sonst und hatte neben dem Getreidebrei (der heute sogar ganz annehmbar schmeckte) auch etwas Fleisch und Obst beinhaltet. Seine Henkersmahlzeit. Zusätzlich zu dem Krug Wasser hatte er einen kleinen Becher Wein bekommen, aber als er kurz aufgestanden war, war er dagegen gestoßen und der Wein war in den Boden gesickert. Gleich nach dem Frühstück waren zwei Sklaven hereingekommen, die ihn unter Tanefers Aufsicht gewaschen und rasiert hatten. Der Pharao, so hatte der Hauptmann ihm erklärt, würde bei seiner Hinrichtung anwesend sein und er sollte das königliche Auge nicht beschämen.

Tanefer knotete einen langen Strick an seine Handfesseln und bestieg seinen Streitwagen. Mit einer Hand hielt er sich am Geländer fest, mit der anderen Jono, der sich wie ein Maulesel vorkam, als der Hauptmann dem Fahrer ein Zeichen gab und sich der Streitwagen in Bewegung setzte. Ein Trupp Soldaten umringte sie.

Die Straßen waren von Menschen gesäumt, die einen Blick auf den Mann erhaschen wollten, der versucht hatte, ihren Pharao umzubringen. Jono seufzte leise. Bei seiner Ankunft vor einigen Wochen war die Luft von Blumen erfüllt gewesen, was ihm jetzt um die Ohren flog, waren gammliges Obst und Gemüse und kleine Steine. Er wich ein paar Kindern aus, die mit alten Feigen nach ihm warfen.

Dabei war er unschuldig, das Opfer eines hinterhältigen Komplotts! Es gab für ihn keinen Grund, den Rücken zu krümmen und sich vor den Menschen zu verstecken. Er hatte das Amulett vielleicht auf nicht ganz rechtmäßige Weise an sich gebracht, aber er hatte den Pharao wie aufgetragen gerettet, und wenn es die Götter zuließen, tat er es auch ein weiteres Mal, selbst wenn er ihn danach hinrichten ließ. Er hatte Seth versprochen, nicht aufzugeben. Er hatte es in seinem ganzen Leben nicht getan und er hatte nicht vor, jetzt, kurz vor seinem Tod, damit anzufangen. Jono straffte sich und ging gerade aufgerichtet weiter.

Ein seltsames Gefühl beschlich ihn, das mit jedem Schritt, den er dem Richtplatz näher kam, stärker wurde. Die Gegend kam ihm so bekannt vor, doch er war sich sicher, nie in diesem Teil der Stadt gewesen zu sein. Die Soldaten, die die Leute am Straßenrand hielten, gaben sich keine Mühe, sie davon abzuhalten, Jono als Zielscheibe für ihre Wurfgeschosse zu missbrauchen.

Wenigstens kann ich nicht mehr tiefer sinken, tröstete sich Jono. Für die Menschen bin ich schon ganz unten angekommen. Auf die Karriere wäre Vater bestimmt sehr stolz. Vom großen Helden zur meistgehassten Person des Königreiches.

„Wir sind gleich da“, sagte Tanefer und wandte den Kopf zu ihm. „Da vorne, wo der Obelisk ist, kannst du schon den Platz sehen.“

In Sekunden wurde Jono klar, warum ihm die Gegend so bekannt vorkam. Er war nächtelang in seinen Träumen durch diese Straßen gelaufen, auf der Suche nach Seth und dem Pharao. Aber dann war heute der Tag, an dem Anitta ...

Sie ließen die letzten Häuser hinter sich und kamen auf dem Platz an. Das Elektrum an der Spitze des Obelisken glänzte in den goldbraunen Tönen von Bernstein im Sonnenlicht. Auf dem Platz waren zwei Podeste errichtet worden. Auf dem einen stand der Richtklotz, über den Jono seinen Kopf halten sollte. Die zweite Plattform war für den Pharao, die Millenniumswächter und seine hethitischen Gäste mit Hockern und einem Dach aus Stoff, das vor der Hitze schützte, hergerichtet worden.

Die lauter werdende Melodie von Pauken und Flöten kündigte die hohen Herrschaften an. Waren eben noch Buh-Rufe aus den Mündern der Menschen gedrungen, ließ sich nun Jubel vernehmen, als der Pharao, begleitet von seinem Gefolge, durch die Straßen von Men-nefer ritt. Atemu winkte seinem Volk zu und versuchte zu lächeln.

Die Menschen auf dem Platz fielen in eine tiefe Verbeugung, bis er sich mit seinen Begleitern gesetzt und den Leuten ein Zeichen gegeben hatte, dass sie sich wieder erheben durften. Jono stellte erleichtert fest, dass Seth nicht da war. Je weiter er ihn von Anitta entfernt wusste, umso besser.

Shimon zog einen gesiegelten Papyrus hervor und entrollte ihn.

„Jono, Sohn des Händlers Amenhotep aus Zawtj, das hohe Gericht Seiner Göttlichen Majestät hat dich für schuldig in folgenden Anklagepunkten befunden: Diebstahl des Auges des Ra aus dem Allerheiligsten des Amun-Ra-Tempels zu Zawtj, Betrug und Fälschung der Identität und versuchter Mord an Seiner Majestät dem Pharao von Kemet. Aus den genannten Gründen bist du zur Hinrichtung durch das Schwert verurteilt worden. Mögest du nun vor das Gericht der Götter treten und dich ihnen gegenüber für deine Taten verantworten.“
 

Die Tränen waren versiegt, seine Augen brannten hinter den geschlossenen Lidern. Warme Sonnenstrahlen fielen durch die hohen Fenster ins Innere des Tempels und auf den am Boden liegenden Hohepriester.

Warum nur, Amun-Ra, Horus?, dachte Seth. Welches Verbrechen haben wir begangen, dass Ihr uns so grausam dafür straft?

Er wusste, dass es sinnlos war, auf eine Antwort zu warten. Sie würden sie ihm nicht geben. Auf einmal erfüllte ein feines Rauschen, das Flattern von Flügeln den Tempelraum. Helles Licht breitete sich aus, drang durch Seths Lider.

„Das kann man sich ja nicht mehr mit ansehen!“, sagte eine Stimme.

Verwirrt schlug Seth die Augen auf. Direkt vor sich sah er goldene Sandalen. Als sein Blick höher ging, schaffte er es gerade noch, einen Schrei zu unterdrücken und aus seiner liegenden in eine kniende Position zu wechseln.

„Ach, nun steh schon auf“, sagte Horus. „Für Formalitäten haben wir jetzt keine Zeit.“

Leicht schwankend kam Seth auf die Füße.

„Dass ihr Menschen immer gleich so schnell aufgeben müsst. Und sobald ein paar Probleme auftreten, eilt ihr in den Tempel, um zu beten, statt erst mal selbst euren Kopf anzustrengen. Kein Wunder, dass wir Götter nicht aus der Arbeit herauskommen, wenn wir alles für euch richten sollen! Hast du schon mal daran gedacht, dass wir auch gern mal Urlaub hätten?“

„Also ...“ Seth wusste nicht, was er dazu sagen sollte.

„Kreta soll zu dieser Jahreszeit sehr schön sein“, fuhr Horus fort, die ungläubige Miene des Priesters missachtend. „Apollon hat mir neulich davon vorgeschwärmt.“

„Wes-weshalb seid Ihr ... hier?“, fragte Seth, der versuchte, den Gott nicht die ganze Zeit anzustarren, aber seine Augen kaum woanders hin lenken konnte. Selbst einem Hohepriester erschien nicht jeden Tag ein Gott persönlich.

„Du stellst Fragen, ich will dir mit Jono helfen. Vielleicht habe ich den Jungen mit seinen Aufgaben ein bisschen überfordert.“

„Bei Horus ... äh, ich meine bei Eurem Namen, dann stimmt das, was Jono mir erzählt hat.“

„Jedes einzelne Wort, Seth. Aber nun lass uns nicht länger Zeit vertrödeln, Jono braucht deine Unterstützung. Du musst ihm das hier bringen.“ Er zog das Auge des Ra hervor und reichte es Seth.

„Eines verstehe ich nicht, großer Horus. Wenn er der Hüter des Amulettes ist ... Warum konnte er es dann nicht einsetzen, als der Rat über ihm zu Gericht saß?“

„Das Amulett prüft seine Wächter lange und gründlich, bevor es sie anerkennt. Es akzeptiert nur denjenigen, der auch in größter Not nicht aufgibt. Aber jetzt geh! Du musst dich beeilen, sonst wird er nicht der Einzige sein, der heute den Tod findet.“

„Ich werde ihn nicht sterben lassen.“

Seine Hand ballte sich entschlossen um das Amulett. Er griff nach dem am Boden liegenden Millenniumsstab, verneigte sich ein letztes Mal kurz vor Horus, fuhr dann herum und verließ das Allerheiligste. Im Laufschritt ging es über den Hof des Inneren Heiligtums und weiter durch die Vorhöfe. Wie auf seinem Hinweg sahen ihm die anderen Priester verdutzt hinterher. Seth war wie ausgewechselt, auf dem Hinweg nicht ansprechbar und in Teilnahmslosigkeit versunken und jetzt plötzlich scheinbar voller Tatendrang.

„Hapi, mein Pferd!“, schrie Seth, als er über den Zweiten Hof rannte.

Der Junge, der sich mit einem der Tempelschüler unterhalten hatte, sprang auf, um den Befehl seines Meisters auszuführen. Seth stieß den Stab in seinen Gürtel, verstaute das Amulett in einem kleinen Beutel und schwang sich auf Chons’ Rücken. Bevor Hapi auf seinem eigenen Pferd saß, hatte er den Hengst bereits gewendet und jagte auf das Tor zu.

„Was hat er es denn auf einmal so eilig?“, sagte Hapi und folgte ihm.

Seth jagte in einem Tempo durch die Straßen, als seien alle Wesen des Schattenreiches hinter ihm her. Immer wieder trieb er Chons an, damit dieser schneller lief. Wenn er zu spät kam – das würde er sich nie verzeihen können. Nie im Leben.
 

Shimon rollte den Papyrus wieder zusammen und nahm seinen Platz an der Seite des Pharao ein. Tanefer führte Jono die Stufen des Podestes hinauf. Dem Verurteilten wurde es mulmig, als er sah, dass Reshef hinter ihm hinaufstieg. Hoffentlich schlug er kräftig genug zu, dass nicht mehr als ein Schlag nötig war, um seinen Kopf vom Rumpf zu trennen. Raneb hatte seinem Freund von Fällen berichtet, wo ein ganzes Dutzend Hiebe nicht gereicht hatte und die Person war die ganze Zeit über noch am Leben gewesen.

„Knie dich hin“, sagte der Henker.

Tanefer half Jono noch, sich vor dem Richtblock auf die Knie zu begeben, dann zog er sich zurück. Jono legte seinen Kopf seitlich auf das Holz und schloss die Augen. Ich bin unschuldig!, war sein letzter Gedanke, als das Kopesh auf seinen Hals zusauste.

„Halt, sofort aufhören! Haltet ein!“, brüllte Seth.

Die Leute stoben schreiend und kreischend vor dem galoppierenden Pferd auseinander, versuchten aus der Reichweite der Hufe zu kommen. Seth lenkte Chons durch die sich bildende Gasse zum Richtpodest, zügelte ihn abrupt und sprang von seinem Rücken, noch bevor der Hengst richtig zum Stehen gekommen war. Er hastete die Treppen hinauf und nahm dem verwirrten Reshef, der bei seinem Ruf gestutzt hatte, das Schwert aus der Hand, welches dicht über Jonos Hals schwebte.

„Seth, was hat dieser Auftritt zu bedeuten?“, fragte Atemu und stand von seinem Sitz auf.

„Vergebt mir, mein Pharao, aber Ihr seid im Begriff, einen großen Fehler zu begehen. Ich bin, wie Ihr mir befohlen habt, zum Tempel gegangen und dort erschien mir der Gott Horus“, sagte Seth und half Jono auf die Beine. Er durchtrennte seine Seile, warf das Kopesh zu Boden und zog das Amulett hervor. „Er bestätigte mir Jonos Unschuld und gab mir das Auge des Ra, um es seinem Wächter zu bringen.“

Mit diesen Worten legte er Jono das Amulett um den Hals. Für einen Augenblick glühte das Auge aus Karneol in strahlend hellem Rot. Das Ziehen, das Jono seit seiner Auspeitschung durch die Wunden im Rücken gespürt hatte, verschwand, sein Fleisch verheilte.

„Doch wie wollt Ihr die Briefe an den Attentäter erklären?“, sagte Akunadin.

„Das habe ich doch die ganze Zeit zu erklären versucht!“, rief Jono. „Jemand muss sie mir untergeschoben haben, um von sich selbst abzulenken. Hätte ich Euren Tod gewünscht, mein Pharao, so hätte ich den Attentäter nicht aufgehalten, als er in Eure Gemächer eindringen wollte. Aber ich kenne den wahren Auftraggeber. Ihm wäre es nur recht, wenn ich heute sterben würde und sein Geheimnis sicher wäre. Aber ich habe lange genug geschwiegen! Hinter der ganzen Sache steckt kein Geringerer als Fürst Anitta!“

Jono richtete seine Hand auf den Hethiter.

„Das ist üble Verleumdung!“

„Ich habe Euch bei Eurer Verabredung mit dem Mann gesehen, am Ufer des Nil. Ihr gabt ihm einen Beutel voll Gold, die eine Hälfte, wie Ihr sagtet. Die andere sollte er bekommen, sobald sein Auftrag erfüllt sei. Nun, kommen Euch diese Worte bekannt vor?“

Anitta schnappte hörbar nach Luft. Stille legte sich über den Platz, die Aufmerksamkeit wandte sich ihm zu.

„Eine völlig aus der Luft gegriffene Behauptung. Wo sind deine Beweise?“

„Meine Aussage in dieser Sache ist der Beweis.“

„Was gilt schon das Wort eines verurteilten Verbrechers?“

„An Eurer Stelle wäre ich mit diesem Titel etwas weniger verschwenderisch“, mischte sich der Pharao ein. „Das Amulett würde keinen Mörder erwählen. Jono, ich spreche dich hiermit von allen Anschuldigungen frei.“

„Aber, Euer Majestät!“, empörte sich Anitta.

„Ich könnte mir vorstellen, dass sich noch weitere Beweise finden lassen, wenn sich des Pharaos Männer Eure Gemächer vornehmen, verehrter Fürst“, sagte Jono. „Wenn Ihr mit dem Attentäter eine schriftliche Korrespondenz unterhalten habt, wie Ihr sie mir in die Sandalen schieben wolltet, dann befinden sich die Briefe des Mannes mit etwas Glück noch in Eurem Besitz. Marik berichtete mir einmal, dass Ihr die Angewohnheit habt, Euch schwer von etwas trennen zu können.“

Der Fürst schluckte.

„Ich habe allmählich den Eindruck, Ihr habt uns etwas zu erklären, Fürst Anitta“, sagte Atemu. „Tanefer, schickt ein paar Männer in den Palast zurück, sie sollen die Gemächer des Fürsten durchsuchen. Und – Aaaah!“

„Mein Pharao, was habt Ihr?“, fragte Shada, um im nächsten Moment selbst einen Schrei auszustoßen.

„Endlich, es wirkt“, sagte Anitta.

Von einer Sekunde zur nächsten füllte sich der Platz mit den Schreien der Menschen. Jono und Seth blickten sich entsetzt um und mussten mitverfolgen, wie die Zuschauer und Wachen, die Millenniumswächter und selbst Lubarna und Zidanta aufschrien und zu Boden stürzten. Viele hatten die Arme um den Leib geschlungen.

„Was habt Ihr getan!“, rief Jono.

„Es ist schon erstaunlich, was so ein bisschen Gift im Wein bewirken kann ...“, meinte Anitta achselzuckend. „Oder im Trinkwasser der Stadt. Nur keine Angst, es tötet nicht, es lähmt nur für ein, zwei Stunden den Körper. Aber warum seid ihr zwei noch nicht zusammengebrochen und gelähmt wie die anderen?“

„Weil ich Euren Wein zum Fenster hinausbefördert habe“, sagte Seth.

„Da hat mir meine Schusseligkeit ja mal das Leben gerettet“, überlegte Jono erstaunt.

„Dir vielleicht, aber deinem Pharao wird sie das sicher nicht!“

Anitta packte den halb auf seinem Stuhl hängenden, halb am Boden liegenden Herrscher, zog ihn zu sich hoch und richtete sein Schwert auf ihn.

„PHARAO!“, kam es gleichzeitig aus Jonos und Seths Mund.

„Keine falsche Bewegung oder ihr habt gleich keinen Pharao mehr. Wenn Kuruna nicht gestört worden wäre, befänden wir uns längst mit der Gewissheit, dass sich Kemet bald im Bürgerkrieg befindet, auf dem Heimweg und könnten uns auf den Krieg vorbereiten. Aber du, Jono, du musstest dich ja unbedingt einmischen!“

„Ganz ruhig“, sagte Seth. „Sagt uns, was Ihr wollt und lasst unseren Herrn frei. Wir können über alles verhandeln.“

„Verhandeln? Dass ich nicht lache! Wir haben schon viel zu viel Zeit mit diesen Verhandlungen vertrödelt. Und was ich will, ist ganz einfach. Gebt Hatti die Herrschaft über Kemet.“

„Dieser Wunsch ist anmaßend und völlig inakzeptabel!“, sagte Seth und griff nach seinem Stab.

„Das“, Anitta zog Atemu noch näher zu sich und hielt ihm das Schwert an die Kehle, „würde ich bleiben lassen, Seth. Euer dümmliches Zauberstäbchen kann mir ohnehin nichts anhaben. Ich bin immun gegen die Macht der Millenniumsgegenstände.“

„Wie das?“

„Als Euer Meister Akunadin die Gegenstände mit einigen Magiern erschuf, überlebten außer ihm nur zwei die Zeremonie. Einen von ihnen griffen meine Männer vor ein paar Jahren im Grenzgebiet auf und nahmen ihn gefangen.“

„Meister Djer ... Er gilt seit langem als verschwunden –“

„– und dabei befand er sich die ganze Zeit in meinem Gewahrsam. In meinem Auftrag erforschte er die Millenniumsgegenstände weiter und ich zwang ihn, einen Zauber zu finden, der ihren bricht. Damit war ich bei unserem Aufbruch in Hattusa einer Sorge ledig und konnte mich um anderes kümmern. Da der König unbedingt Frieden wollte, überredete ich ihn, mich in die diplomatische Delegation aufzunehmen, um so nach Kemet zu kommen und das Übel bei der Wurzel auszureißen und Muwatalli dem Zweiten zu zeigen, dass Kemet nicht das starke Reich ist, für das er es hält. Dummerweise stellten sich mir Fürst Zidanta und Prinz Kail immer wieder in den Weg und wollten sich nicht überzeugen lassen, den Friedensvertrag platzen zu lassen. Also sorgte ich dafür, dass sich die Spur Seiner Hoheit im heißen Wüstensand verlor.“

„Das wart Ihr also auch!“, sagte Jono.

„Die Tollkirsche ist ein wundervolles Gewächs, meint Ihr nicht auch?“, fuhr Anitta fort. „Heilt so manche Krankheit und trägt doch zugleich den Wahnsinn in sich, wenn man sie zu hoch dosiert, den Tod. Nur ein paar Tropfen in Kails abendlichen Wein und schon war er im Lager nicht mehr zu halten.“

Ein dunkles Lachen stieg aus der Kehle des Hethiters auf. Jonos Augenbrauen zogen sich zusammen, er knurrte wütend. Anitta hatte alle von Anfang an nur ausgenutzt, hatte die aus dem Weg geräumt, die sich ihm entgegengestellt hatten, selbst vor dem Sohn seines eigenen Königs nicht halt gemacht. Unbändige Wut stieg in Jono auf.

„Lasst den Pharao los! Wenn Ihr unser Reich wollt, dann weiß ich einen anderen Weg, wie wir eine Entscheidung herbeiführen können. Nicht mit Euren Listen und Betrügereien, nicht mit Morden, auch nicht mit Krieg. Lasst uns dem alten Weg folgen. Ein Zweikampf, nur Ihr und ich.“

„Warum sollte ich mich darauf einlassen?“

„Dann werdet Ihr so heimkehren, als der Fürst, der gegen den Willen seines Königs handelte? Der mit Heimtücke ein Reich an sich brachte, das er in einem ehrlichen Kampf hätte gewinnen können?“

Der Hethiter blickte zwischen den beiden Ägyptern und dem Pharao eine Weile hin und her.

„Jono, bist du dir sicher, dass du weißt, was du da tust?“, flüsterte Seth.

„Ja, das bin ich.“

„Ich habe mir dein Angebot überlegt, Jono, und ich bin einverstanden. Unser Kampf soll über das Schicksal von Kemet entscheiden.“

Er ließ Atemu los, der in seinem bewegungsunfähigen Zustand hilflos auf den Boden sackte. Anitta stieg, das Schwert erhoben, von dem Podest. Seth hob das Kopesh auf, das er Reshef abgenommen hatte, und reichte es Jono. Der jedoch schüttelte den Kopf.

„Das brauche ich nicht, Seth.“

„Aber –“

Er schüttelte lächelnd den Kopf und sprang vom Richtpodest.

„Wie denn, du willst dich mir ohne Waffen stellen? Na, das nenne ich

mal mutig – aber auch sehr dumm! Wie leicht willst du es mir noch machen, dich zu töten?“, sagte Anitta.

„Wer hat gesagt, ich würde ohne Waffe kämpfen?“

Jono verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen.

Erhöre mich, Herr der Sonne.

Anitta schritt lachend auf ihn zu.

„Was soll das werden, übst du schon für deine Zeit als Mumie?“

Er begann zu rennen, holte mit dem Schwert aus. Rötliches Leuchten umgab das Amulett. Jono öffnete die Augen, sah die Klinge auf sich zukommen. In seiner rechten Hand fühlte er kühles Metall, umwickelt von roten Lederbändern. Er riss das Schwert hoch und stoppte so den Angriff seines Gegners. Funken stoben, als die Bronzeklinge des Hethiters auf die von Flammen umgebene in Jonos Hand traf.

„Was ist das?“

„Es war keine Lüge, es war keine Einbildung, Anitta. Das Amulett hat mich gerufen. Ich bin der Krieger des Ra!“

„Das ist unmöglich!“ Anitta entfernte sich ein paar Schritte von ihm. „Du dürftest überhaupt keine Kraft haben. Mein Amulett sollte das doch verhindern!“

Er griff in den Ausschnitt seines Gewandes und zog ein aus Silber gearbeitetes Amulett hervor, ein Doppelkreis mit einer verbindenden vertikalen Verbindungsstange.

„Ihr habt Djer nur beauftragt, etwas zu finden, das gegen unsere Millenniumsgegenstände wirkt“, sagte Seth, „aber das Auge des Ra gehört nicht dazu, weil es viel älter ist.“

„So ist es. Und nun kämpft!“, sagte Jono und griff ihn an.

Auch wenn die Soldaten vor der Ankunft von Jono und dem Pharao den Platz direkt um das Richtpodest möglichst weiträumig abgesperrt hatten, blieb den beiden Kämpfenden nicht allzu viel Platz. Immer wieder mussten sie aufpassen, dass sie nicht über die gelähmten Men-schen stolperten, die überall lagen. Jonos Flammenschwert schlug erbarmungslos auf Anitta ein und brachte die Luft zum Flimmern. Nach wenigen Hieben rann beiden der Schweiß über den Leib, die Mittagssonne wie auch die feurige Waffe, die das Auge Jono gegeben hatte, forderten ihren Tribut.

„Du hättest dir das mit dem Kampf vorher überlegen sollen, Kleiner“, lachte Anitta und griff ihn mit einer Reihe von ineinander übergehenden Hieben an. „Zidanta konntest du schon nicht schlagen, wie willst du mich dann besiegen?“

„Wir werden ja sehen.“

Wie zwei Raubtiere umkreisten sie einander in leicht gebeugter Haltung, ohne den Blick vom anderen abzuwenden, zuckten einige Male kurz, als wollten sie angreifen, warteten auf eine Lücke in der Deckung, einen Moment der Unachtsamkeit. Das Schwert von links unten nach oben rechts führend, griff Anitta ihn mit all der Wucht an, die er in den Jahren auf dem Schlachtfeld erworben hatte. Die Klinge quer zum Körper gelegt, blockierte Jono ihn, knapp vor seinem Gesicht. Seine freie Hand legte sich an die Spitze der Klinge, um mehr Druck auszuüben. Die Flammen, die sie umkreisten, waren warm, doch verletzten sie ihn nicht.

Beeil dich, Jono, hörte er Horus’ Stimme aus dem Amulett. Das Auge des Ra zieht einen Teil seiner Kraft aus seinem Träger. Du darfst die heilige Macht nicht zu lange einsetzen.

Er fühlte, wie er schwächer wurde. Jono wusste nicht, wie lange ihr Kampf bereits ging, nur dass er das Flammenschwert nicht mehr sehr lange halten konnte. Seine ganze Kraft zusammennehmend, stemmte er sich gegen Anitta und zwang ihn zu einem Rückzug. Der Atem der beiden ging schwer.

„Ich kann mir nicht vorstellen, warum sich das Amulett ausgerechnet dich ausgesucht haben soll“, sagte Anitta. „Eure Götter müssen verrückt sein. Du bist kein Krieger, nur ein kleiner Junge, der grundsätzlich den Mund zu voll nimmt.“

„Wenn Ihr Euch da nur nicht täuscht“, sagte Jono lächelnd. „Ich bin der Krieger des Ra. Und Euer Untergang!“

Mit einem Schwertstreich brachte er Anitta zu Fall. Als die Waffe auf den Hethiter hernieder fuhr, rollte er sich zur Seite und richtete sich etwas von ihm entfernt auf.

„Das Zielen hättest du etwas sorgfältiger üben sollen.“

„Wer sagt denn, dass Euer Körper mein Ziel war?“, sagte Jono mit verwundert klingender Stimme und hielt seine freie, zur Faust geballte Hand hoch. Er öffnete sie und etwas silbern Glänzendes, das an einem Lederband hing, fiel heraus.

„Mein Amulett! Gib das wieder her!“

Jono grinste ihn siegesgewiss an, warf das Amulett auf den Boden, holte aus und durchhieb es mit dem Schwert. Unter den heißen Flammen schmolz das Silber, bis es nur noch eine unförmige Masse war.

„NEIN!“, schrie Anitta, stolperte über das Bein eines Mannes und fiel auf den Rücken.

Seth hatte das Gefühl, ihm würde ein großer Stein von der Brust genommen, den er bisher kaum wahrgenommen hatte. Der Bann, der die Millenniumsartefakte blockiert hatte, war aufgelöst. Jono stieß Anittas Schwert mit dem Fuß weg und richtete seine Waffe auf den Hethiter.

„Warte, Jono“, sagte Seth und verließ das Podest. „Er gilt leider immer noch als Diplomat, bis er unser Reich verlässt. Diesen Status kann ihm nur sein König aberkennen. Wir müssen ihn am Leben lassen und ihn nach Hattusa zurückschicken. Soll sich der Großkönig der Hethiter mit ihm befassen und seine Strafe festlegen.“

„Hmm ... Wie du meinst.“

Seth fesselte Anitta Hände und Füße und beschwor dann, zu Jonos großem Erstaunen, seine Ka-Wesen Minotauros und Zentauros, die er losschickte, um in der Stadt nach Soldaten zu suchen, die nicht von dem verseuchten Wasser getrunken hatten.

Abschiede

*verbeug* Es tut mir sehr leid, dass ihr dieses Mal so lange auf das nächste Kapitel warten musstet, nachdem ich über anderthalb Wochen jeden Tag ein neues hochgeladen hatte. Dummerweise sind mir ein paar Termine dazwischengekommen und dann drängten plötzlich noch so viele Ideen nach, die unbedingt noch aufgenommen werden wollten. Das hier sollte nämlich ursprünglich der Epilog werden. *drop* Stattdessen ist es jetzt das längste Kapitel von allen geworden. Aber nun: Viel Spaß!
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=6dezqrpUPRc Allegria – Cirque du Soleil
 

Kapitel 16

Abschiede
 

Annähernd zwei Stunden lang glich Men-nefer an diesem Tage einer Geisterstadt, dass selbst in der Nekropole am anderen Nilufer mehr Leben herrschte als hier in den Straßen. Anitta hatte mit seinem Gift ganze Arbeit geleistet. Seth und Jono gelang es, ein paar Männer aufzutreiben, mit deren Hilfe sie den Pharao und sein Gefolge zum Palast zurück- und in ihre Gemächer brachten. Den Drahtzieher des Ganzen lieferten die beiden höchstpersönlich im Gefängnis ab, wo er bis zur Abreise der hethitischen Gesandtschaft bleiben sollte. Jono winkte Anitta mit einem breiten Grinsen zu, dann ließ er die Zellentür hinter ihm ins Schloss fallen.

„Da wird er nicht so schnell rauskommen und als Sündenbock kann er mich auch nicht mehr benutzen.“

„Dafür haben ein paar hundert Menschen zu viel sein Geständnis gehört“, sagte Seth. „Lass uns zum Palast zurückreiten, das Gift müsste allmählich seine Wirkung verloren haben.“

Als sie das Palastgelände erreichten, hatten die Bediensteten bereits wieder ihre Arbeit aufgenommen, die Soldaten waren auf ihre Posten zurückgekehrt.

„Jono!“

Marik und Hapi liefen ihnen entgegen und fielen Jono, kaum dass er von seinem Pferd gestiegen war, um den Hals.

„Im ganzen Palast spricht man nur noch von Euch“, sagte Hapi. „Ich freue mich ja so, dass Euch nichts passiert ist.“

„Wir dachten schon, der Henker hätte Euch ...“

„Ach, ihr kennt mich doch. So schnell bin ich nicht kleinzukriegen“, erwiderte Jono und tätschelte Hapi, zu dem er sich heruntergebeugt hatte, den schwarzen Schopf. Seth räusperte sich hinter ihnen und setzte einen tadelnden Blick auf.

„So, jetzt ist es aber genug, ihr beiden.“

„Bist du etwa auf die zwei eifersüchtig, Schlange?“

„Könnte sein, Falke“, sagte Seth gedehnt.

„Musst du nicht.“ Jono stand auf und legte den Arm um ihn. „Dazu hast du keinen Grund.“

„Ah, da fällt mir ein“, das Paar wandte sich Hapi zu, „Seine Majestät lässt ausrichten, dass er Euch in drei Stunden im Thronsaal zu sehen wünscht, in formeller Kleidung.“

„Oh, ich hab doch gar keine hier“, nuschelte Jono. „Meine eigenen Sachen sind alle in Zawtj.“

„Ich denke nicht, dass das ein Problem darstellt.“ Zidanta näherte sich ihnen von Eingangsportal her. „Nachdem Ihr wochenlang Prinz Kail vertreten habt, ist sicher nichts dagegen einzuwenden, wenn Ihr seine Gewänder noch ein paar Tage länger tragt. Und ich ... ich möchte mich bei Euch entschuldigen, dass ich für Eure Verurteilung gestimmt habe.“

„Blieb Euch denn eine andere Wahl?“, meinte Jono. „Anittas so genannte Beweise sprachen ja gegen mich und Ihr hättet Euch verdächtig gemacht, hättet Ihr anders entschieden.“

„Verdächtig gemacht?“, mischte sich Seth ein. „Fürst Zidanta, soll das etwa heißen, Ihr wusstet, dass Jono nicht der Prinz ist?“

Drei schuldbewusste Gesichter blickten ihm entgegen.

„Du also auch, Marik.“

„Es war doch nur wegen des Friedensvertrags“, verteidigte Jono die zwei.

„Ich befürchtete, nicht allein gegen Anitta und Lubarna anzukommen, wenn es an die Verhandlungen geht“, erklärte Zidanta. „Darum bat ich Jono, als Vermittler aufzutreten, wie Seine Hoheit es getan hat.“

„Sehr interessant, was ich da so erfahre“, überlegte der Hohepriester.

„Bitte behalt das für dich, Seth. Ich hab während der Verhandlung dazu geschwiegen und ich möchte nicht, dass Fürst Zidanta und Marik jetzt doch noch deshalb Ärger bekommen. Das wäre ihnen gegenüber doch nicht gerecht.“

„Hmm ... das werde ich mir bei einem verspäteten Mittagessen überlegen. Oder hast du keinen Hunger?“

„Jetzt, wo du es sagst ... Das hatte ich über der ganzen Aufregung total vergessen. Dabei knurrt mein Magen ganz gewaltig.“ Wie zur Bestätigung drang ein lautes Grummeln aus Jonos Magengegend.

„Jono vergisst sein Essen – es geschehen noch Wunder“, lachte Marik.

„Für einen Sklaven bist du sehr vorlaut“, bemerkte Seth stirnrunzelnd.

„Marik darf das“, sagte Jono. „Aber ... was wird denn jetzt aus dir? Kail ist ja nun offiziell tot.“

„Momentan untersteht er meinem Befehl“, antwortete Zidanta. „Ich werde mich bis zu unserer Ankunft in Hattusa um den Nachlass Seiner Hoheit kümmern.“

„Hmmm ...“

„Aber jetzt solltest du Jono helfen, sich auf den Empfang beim Pharao vorzubereiten, Marik.“
 

Die Sonne näherte sich dem Horizont und tauchte Himmel und Land in glühendes Rot und Gold. Jono blieb stehen und beobachtete das Schauspiel fasziniert.

„Wunderschön“, seufzte er.

Marik wandte sich zu ihm um und verdrehte die Augen.

„Das ist es sicher, aber es ist nicht schön, wenn Ihr zu spät zum Pharao kommt.“

„Und er hat wirklich nicht gesagt, um was es geht?“, fragte Jono zum hundertsten Mal, während sie weiter durch die Gänge eilten.

„Nein, und daran ändert sich auch nichts, wenn Ihr mich tausendmal fragt. Wir sehen es doch gleich.“

Sie bogen um die letzte Ecke und kamen, leicht keuchend, an der Tür zum Thronsaal an.

„Na siehst du, wir sind noch pünktlich. Jetzt schleichen wir uns einfach rein und niemand merkt –“

Vor ihnen öffneten sich die Flügeltüren. Das zweifache Dröhnen eines riesigen Gongs schallte ihnen entgegen. Um den Pharao, der auf seinem Thron Platz genommen hatte, waren die sechs Wächter der Millenniumsgegenstände sowie Fürst Zidanta und Fürst Lubarna versammelt. Der königliche Hofstaat und die Medjai füllten den prächtigen Saal bis auf einen breiten Gang in der Mitte. Die Köpfe aller wandten sich der Tür zu.

„So viel zum Reinschleichen“, murmelte Jono und raunte Marik zu: „Warten die etwa alle auf mich?“

Der Sklave zuckte lediglich entschuldigend mit den Schultern und lächelte.

„Du wusstest davon“, brummte Jono. „Was ist hier los?“

„Jono, Sohn des Amenhotep!“

Der Hofmeister ließ das Ende seines Zeremonienstabes auf den Boden donnern. Atemu nickte Jono aufmunternd zu und winkte ihn zu sich. Er atmete tief durch und ging gemäßigten Schrittes auf den Thron zu. Einige Meter von der Thronempore entfernt, fiel er, wie es das Protokoll verlangte, auf die Knie und verbeugte sich bis zum Boden.

„Sieh mich an, Jono, Sohn des Amenhotep“, sagte Atemu und wartete, bis er Kopf und Oberkörper aufgerichtet hatte. „Was wir während deiner Verhandlung über dich erfahren haben, finde ich höchst bemerkenswert. Du bist von Zuhause fort- und in den Tempel des Amun-Ra gelaufen, um einer Stimme zu folgen und das Auge des Ra zu holen, so dass man dich für den Dieb hielt, hast dich nach deiner Wüstenwanderung bei den Hethitern eingeschlichen und dich an meinem Hof als Prinz von Hatti ausgegeben –“

„Wir kennen die Geschichte doch inzwischen, Pharao“, sagte Mana, die prompt einen strafenden Blick von Mahaado kassierte.

„Aber vor allem hast du uns alle vor diesem Wahnsinnigen gerettet“, setzte Atemu seine Rede, unbeeindruckt von der Unterbrechung seiner Freundin, fort. „Und dafür stehen wir tief in deiner Schuld.“

Jono war einigermaßen verwirrt, als ein Diener mit einem goldenen Tablett an den Pharao herantrat, auf dem das Auge des Ra lag. Noch so eine Sache, die Marik ihm bestimmt verheimlicht hatte. Er war unter anderem so spät dran gewesen, weil er fast eine halbe Stunde damit zugebracht hatte, nach dem Amulett zu suchen. Vor dem Baden hatte er es abgenommen und danach nicht mehr gesehen. Atemu erhob sich, nahm das Amulett und stieg die Stufen der Estrade herab.

„Das Auge des Ra hat dich zu seinem Hüter erwählt und mit großer Freude erhebe ich dich heute offiziell in den Stand eines königlichen Wächters mit allen Pflichten und Privilegien“, sagte Atemu und legte Jono das Auge um. „Erhebt Euch, Jono, Krieger des Ra.“

Tanefer, der rechts hinter dem Herrscher stand, räusperte sich.

„Außerdem möchten meine Medjai Euch bitten, Euch ihrer ehrwürdigen Verbindung anzuschließen.“

„Diesem Wunsch komme ich sehr gerne nach“, erwiderte Jono.

Atemu ließ sich von Tanefer einen schwarzen ägyptischen Rock und ein ebensolches Obergewand samt Gürtel reichen, die er an Jono weitergab.

„Dann nehmt diese Gewänder als Zeichen Eures neuen Standes und folgt danach Tanefer, um die heiligen Zeichen der Medjai zu empfangen.“
 

„Jono, du sollst doch nicht dran kratzen, sonst verheilt es nicht“, sagte Seth. „Tut es sehr weh?“

„Es brennt etwas“, erwiderte Jono und steckte sich mit der linken Hand eine Weintraube in den Mund.

Die kurzfristig organisierte und streng zeremonielle Initiationsfeier war nun, da Jono die Zeichen der Medjai am rechten Handgelenk und an den Augen trug, in ein fröhliches Fest übergegangen, mit dem sie zugleich seine Ernennung und den Sieg über Anitta feierten. Von Jonos Gesicht war unter den Verbänden nicht mehr viel zu erkennen, aber Tanefer hatte ihm versprochen, dass er sie nur ein paar Tage tragen musste. Sobald die Wunden verheilt waren, sollte seine Ausbildung als Medjai beginnen. Die Grundlagen, die Ramoses Hauptmann Kysen in Zawtj geschaffen hatte, waren gut, wie der Hauptmann Jono mitgeteilt hatte, aber durchaus noch ausbaufähig.

Die Musik hob an und die Tänzerinnen betraten den Saal, um die Gäste mit ihren Künsten zu unterhalten. Jono lehnte sich auf seinen Kissen zurück und sah ihnen eine Weile zu.

„Hättest du gedacht, dass es so endet?“, fragte er Seth, der neben ihm saß und an seinem Wein nippte.

„Nein, aber ich bin sehr glücklich, dass es so gekommen ist.“

„Ich auch. Nur was genau meinte der Pharao eben mit den Pflichten und Privilegien? Die Pflichten sind mir klar, meine Aufgabe ist es, den Pharao zu schützen.“

„Als Hüter des Auges erhältst du die gleichen Privilegien wie wir, die Millenniumswächter: Gemächer hier im Palast sowie ein Haus in der Stadt, einen festen monatlichen Betrag an Gold und das Recht, bei Seiner Majestät jederzeit vorsprechen zu dürfen, ohne dich durch das ganze Protokoll mit den Voranmeldungen schlagen zu müssen. Aber weißt du, was das Beste ist?“

„Was denn?“

„Deine neuen Gemächer liegen direkt neben meinen“, sagte der Hohepriester und erlaubte sich ein kurzes Schmunzeln.

„Wie ... praktisch“, grinste der junge Medjai. „Hatte da etwa jemand Hintergedanken?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„War nur so eine Idee. Als ich hier ankam, gab es so einen ganz steifen Hohepriester, aber den habe ich schon seit einer Weile nicht mehr gesehen. Weißt du zufällig, wo er hin ist?“

„Vermisst du ihn?“

„Nein, der neue Hohepriester ist mir viel lieber.“

„In dem Punkt kann ich Euch nur Recht geben“, mischte sich der Pharao in ihr Gespräch ein. „Es tut gut, Euch lächeln zu sehen, mein lieber Seth. Mit Jono kommt ein angenehm frischer Wind in unseren Palast. Und nach den ganzen Abenteuern, die hinter Euch liegen, möchte ich behaupten, dass es demjenigen, der an seiner Seite steht, gewiss nicht langweilig werden wird. Oder was meint Ihr, Seth?“

„Dieser Aussage kann ich mich ohne Bedenken anschließen, Euer Majestät.“

„Da fällt mir ein, wann wird denn der große Friedensvertrag unterzeichnet, Fürst Zidanta?“, fragte Jono.

„Das, fürchte ich, wird noch etwas dauern.“

„Wie das? Ich dachte, es ist alles geklärt und der Vertrag muss nur noch unterschrieben werden.“

„Fürst Lubarna und ich hatten deswegen heute ein langes Gespräch mit Seiner Majestät und es ist so, dass wir unglücklicherweise nicht länger befugt sind, einen Vertrag im Namen König Muwatallis abzuschließen. Die Stimmen unserer Delegation sind halbiert worden. Ohne Prinz Kail hätten wir noch zu dritt unterschreiben können, auch wenn das eigentliche Recht zur Vertragsschließung bei ihm lag. Aber Fürst Anitta weigert sich nun, das Dokument zu unterzeichnen. Deshalb sind wir übereingekommen, eine Abschrift des Vertrags mitzunehmen und Seiner Majestät direkt zur Unterschrift vorzulegen.“

„Ach so. Und wann wollt Ihr aufbrechen?“

„In drei Tagen, um die Verzögerungen, die zwangsläufig dadurch entstehen, so gering wie möglich zu halten. Ich weiß auch nicht, ob Seine Majestät sofort unterzeichnen wird, da wir ihm auch noch die Nachricht vom Tod seines Sohnes überbringen müssen.“

„Keine leichte Aufgabe.“

„Schon heute bete ich, dass seine Trauer nicht in Zorn umschlagen und sich gegen unsere Freunde hier richten möge.“

„Meint Ihr damit, er könnte erneut Krieg wollen?“

„Auch wenn die Umstände des Ablebens Seiner Hoheit so weit geklärt sind und Fürst Anitta dafür verantwortlich zu machen ist, bleibt die Tatsache, dass er auf ägyptischem Boden verschied. Außerdem ... Ich hätte da ein kleines Problem, bei dem Ihr mir helfen könntet, Jono.“

„Und worum handelt es sich?“

„Fürst Lubarna und ich mögen vor der Wut unseres Herrschers durch unseren Stand so weit geschützt sein, doch er wird denjenigen, der auf seinen Sohn achten sollte, für seinen Tod zur Rechenschaft ziehen.“

Zidanta warf einen Blick hinter sich und Jono verstand.

„Marik“, sagte er leise.

„So ist es. Wenn er ein gewöhnlicher Sklave wäre, wäre mir sein Schicksal vermutlich herzlich egal, doch ich weiß, dass die Verbindung, die zwischen Seiner Hoheit und Marik bestand, anders war als die, die normalerweise zwischen Herrn und Sklave herrscht. Sie betrachteten einander als Freunde und deshalb würde ich Marik gerne in Eurer Obhut lassen, wenn Ihr einverstanden seid. In Hattusa erwartet ihn mit großer Wahrscheinlichkeit der Tod.“

Jono winkte Marik, der sich wie die anderen Diener im Hintergrund des Saales aufhielt, zu sich heran.

„Marik, wie würde es dir gefallen, als mein Diener bei mir zu bleiben? Ich brauche jemanden, der sich mit dem Leben bei Hofe auskennt und mich davon abhält, in ein Fettnäpfchen nach dem andern zu tappen.“

„Ernsthaft? Es wäre mir eine Ehre!“

„Dann ist es beschlossen“, sagte Zidanta.
 

Am nächsten Morgen suchte Jono seine wenigen Habseligkeiten zusammen und bezog sein neues Quartier im Ostflügel, wo die Wächter untergebracht waren. Seth hatte sich zu seinem Bedauern bereits früh zum Tempel aufgemacht, um dort noch einige Dinge zu regeln.

Anschließend machte sich Jono mit Marik und Hapi auf den Weg zum Markt. Ihre Liste der Dinge, die sie zu kaufen gedachten, war lang, denn so gut wie alles, was Jono in den letzten Wochen benutzt hatte, gehörte in Prinz Kails Besitz und würde in wenigen Tagen auf dem Rückweg nach Hatti sein. Als erstes führte sie ihr Weg zum königlichen Hofschneider, damit sich Jono neue Gewänder anmessen lassen konnte. Neben einfacher Garderobe für den Alltag benötigte er mehrere Garnituren für festliche Anlässe, Kleider für die Jagd, zum Training und vieles mehr. Als sie den Schneider verließen, der versprach, den ersten Teil noch bis zum Abend in den Palast zu liefern, war Jonos Goldbeutel um einiges leichter.

Ihr Weg führte sie kreuz und quer durch die Stadt, zu Schmuckhändlern, Kunsthandwerkern, Möbelherstellern, Salben- und Kosmetikverkäufern ... Als sie am späten Nachmittag in den Palast zurückkamen, taten ihnen die Füße weh und Jono verfluchte sich selbst, nicht auf Hapi gehört und den Wagen genommen zu haben, wie Tanefer es ihm angeboten hatte. Wenigstens waren die Händler in Men-nefer sehr zuvorkommend gewesen. Sobald sie gehört hatten, um wen es sich bei ihrem Kunden handelte, waren sie augenblicklich bereit gewesen, die Einkäufe in den Palast zu liefern.

Seth lachte laut und konnte es sich nicht verkneifen, Jono zu ärgern, als er ihn durch sein Zimmer humpeln sah.

„Du machst ein wehleidiges Gesicht, als hätte man dir deinen Lieblingsknochen gestohlen, Hündchen.“

„Ich möchte dich mal nach einem ganzen Tag auf dem Markt sehen!“

„So etwas kann mir gar nicht passieren, weil ich entweder Chons oder einen Wagen nehme, wenn ich unbedingt selbst einen Einkauf tätigen muss, und weil ich gar nicht die Zeit habe, so viel Zeit auf dem Markt zu vertrödeln.“

„Ich habe meine Zeit nicht vertrödelt, du –“

Marik und Hapi nutzten die Unaufmerksamkeit ihrer Herren, um sich aus dem Zimmer zu schleichen. Zwischen den beiden war ein Streit im Anflug und sie legten keinen Wert darauf, sich in dessen Epizentrum wiederzufinden, wenn er richtig ausbrach. Wenigstens ein Gutes hatten die dauernden Auseinandersetzungen zwischen Hohepriester und frischgebackenem Medjai: So schnell würde kein Außenstehender eine Beziehung zwischen den beiden vermuten, geschweige denn aufdecken.

So sehr Atemu die zwei auch mochte und ihnen alles Glück wünschte, hatte er sich doch unmissverständlich ausgedrückt. Außer ihren Dienern und den anderen Millenniumswächtern sollte niemand etwas von ihrer Beziehung wissen, da diese Form der Liebe von zu vielen Menschen in Kemet abgelehnt wurde.

„Hast du Lust auf ein Bad im Nil, Marik?“, fragte Hapi.

„Warum nicht. Wie ich die beiden kenne, kann das eine Weile dauern, bis sie fertig sind.“
 

Im Vorhof des Palastes herrschte das reinste Chaos. Diener und Soldaten mit großen Truhen, Körben und Bündeln liefen hin und her, verstauten das Gepäck und eilten zurück nach drinnen, um die nächste Ladung zu holen. Es sah aus, als wäre eine Volkswanderung ausgebrochen. Jono und Zidanta standen auf dem großen Balkon, von dem aus der Pharao sonst seine Reden an sein Volk hielt, und beobachteten das bunte Treiben.

„Kaum zu glauben, wie schnell die Zeit vergangen ist“, sagte Zidanta. „Mir ist, als wären wir gestern erst hier angekommen.“

„So kommt es mir auch vor. Ich glaube, das waren die aufregendsten Wochen meines Lebens.“

„Das glaube ich Euch gern“, lachte der Fürst. „Wer bekommt schon die Gelegenheit, Prinz zu spielen.“

„Aber ohne Eure Hilfe hätte ich es nie so lange geschafft“, widersprach Jono.

„Ohne diesen dummen Zwischenfall mit der Vase wäre Eure Tarnung sicher auch nicht aufgeflogen. Nun, letztendlich ist alles gut geworden und nur darauf kommt es an.“

Auf dem Hof marschierte ein Trupp Soldaten ein, in dessen Mitte Anitta geführt wurde. Die wenigen Tage im Gefängnis hatten seinem Äußeren nicht gut getan, er wirkte blass und angespannt. Seine feinen Gewänder, in denen er verhaftet worden war, waren zerrissen und schmutzig.

„Was geschieht mit ihm?“, fragte Jono.

„Wir werden ihn nach Hatti bringen. Euer Pharao war so freundlich, uns eine abschließbare Sänfte zur Verfügung zu stellen, so dass er uns nicht entkommen kann. Wie genau König Muwatalli mit ihm verfahren wird, kann ich nicht sagen, doch da er einen seiner liebsten Söhne ermordet hat, wird seine Strafe gewiss nicht gering ausfallen. Von einer Verbannung bis zur Hinrichtung ist alles möglich.“

„Hauptsache, er wird zur Verantwortung gezogen. Es wäre schrecklich, wenn es seinetwegen zu einem erneuten Krieg käme.“

„Davor mögen uns die Götter bewahren.“

Nachdem auch das letzte Stück des umfangreichen Gepäcks, dem Atemu noch etliche Gegengeschenke für den Großkönig und seine Familie beigefügt hatte, verstaut war, ging es ans Abschiednehmen. Jono wischte sich eine kleine Träne aus dem Augenwinkel, als er Zidanta umarmte. Der Ältere war für ihn eine Art väterlicher Freund geworden.

„Passt gut auf Euch auf, mein Freund. Ich glaube nicht, dass Tanefer in seinem Kampftraining so nachsichtig mit Euch sein wird, wie ich es einige Male war.“

„Das werde ich. Achtet Ihr nur auf Anitta, damit er sich nicht unterwegs aus dem Staub machen kann.“

„Er wird seiner Strafe nicht entgehen, das verspreche ich Euch. Euer Majestät, Meister Seth, Jono ... lebt wohl.“

„Wir wünschen Euch eine gute Heimreise“, sagte Atemu.

Lubarna und Zidanta bestiegen ihre Pferde, Anitta kletterte nach einem warnenden Blick der beiden Fürsten in seine Sänfte, die hinter ihm verriegelt wurde. Zidanta winkte seinen Männern mit hoch erhobenem Arm und der Zug setzte sich in Bewegung. Nach und nach leerte sich der Hof, bis auch die Soldaten, die als Nachhut eingeteilt waren, ihn verlassen hatten. Der Pharao lehnte sich gegen eine Säule.

„Puh, endlich. Warum müssen Staatsbesuche nur immer so anstrengend sein?“

„Darf ich Eure Majestät daran erinnern, dass in zwei Wochen die Delegation aus Kusch für die neuen Handelsverträge erwartet wird?“, sagte Shimon.

Atemu verdrehte als Antwort nur entnervt die Augen.
 

In zartem Blau wölbte sich der Himmel über dem Hafen von Men-nefer, auf dessen Gelände die Arbeiten wie üblich mit Hochbetrieb liefen. Die Sklaven, die hier unter den wachsamen Augen ihrer Aufseher schufteten, beeilten sich, die Waren von den ankommenden Schiffen zu holen und die Schiffe, welche die Stadt bald verlassen sollten, zu beladen. Sirrend schwang eine Peitsche durch die Luft, traf auf den Rücken eines Arbeiters, der stehen geblieben war, um das Bündel, das er trug, zurechtzurücken. Nur kurz richteten sich die müden Augen auf den Ägypter; das Pochen in seiner Schulter zu ignorieren bemüht, setzte der Mann seinen Weg fort, vorbei an den Matrosen, die von der Benu an Land sprangen und das Schiff mit wenigen Handgriffen vertäuten.

Ein Steg wurde ausgefahren, der das leicht schwankende Gefährt mit dem Festland verband. An seinem oberen Ende erschien ein hoch gewachsener Mann, der dem sich tief verbeugenden Kapitän mit einer knappen Bewegung zunickte und dann herrisch den Sklaven winkte, die sein Gepäck trugen. Die braunen Augen richteten sich starr geradeaus, ohne die Umgebung wirklich wahrzunehmen. Fein gewebtes Leinen verhüllte den gebräunten Körper, das Gold seines Halsschmucks funkelte in der Sonne des späten Vormittags. Mit festen Schritten ging er den Steg hinab, gefolgt von seinen Sklaven und mehreren Wachen, und machte sich auf den Weg durch den Hafen.

Händler und Tagelöhner drängten heran, boten dem offensichtlich reichen Neuankömmling ihre Waren und Dienste an und wurden von den Wachen mit ihren Speeren zurückgeschoben. Am Rand des Hafengeländes wandte er sich an einen Mann, der Wagen und Karren vermietete.

„Womit kann ich dem hohen Herrn dienen?“, fragte der Mann beflissen. „Ich kenne einige sehr gute Gasthäuser, zu denen ich Euch bringen kann.“

„Tu das und dann fahre mich zum Gefängnis.“

„Zum Gefängnis, Herr?“

„Frag nicht, tu es einfach.“

„Wie Ihr wünscht“, erwiderte der Vermieter verwirrt.

Die Fahrt zu dem Gasthaus, in dem sich der Fremde einmietete, dauerte nicht lange. Nachdem er seine Zimmer besichtigt und seinen Dienern Anweisungen gegeben hatte, wie sie alles für ihn herrichten sollten, ließ er sich zum städtischen Gefängnis bringen und befahl dem Fahrer, draußen auf ihn zu warten. Als er vor dem Tor stand, zögerte er kurz, dann aber pochte er zweimal laut gegen das Holz. Eine Klappe wurde geöffnet, durch die ein Soldat sah.

„Was wünscht Ihr?“

„Bring mich zum Vorsteher dieses Gefängnisses, ich muss dringend mit ihm sprechen.“

„Der Vorsteher hat keine Zeit, er ist ein viel beschäftigter Mann und kann sich nicht um jeden kümmern.“

„Mein Name ist Amenhotep, ich komme aus Zawtj. Mein ... mein Sohn Jono soll hierher gebracht worden sein, nachdem er ... verhaftet wurde“, gab er widerwillig Auskunft.

„Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt, Herr? Bitte kommt herein.“

Überrascht trat Amenhotep durch das sich öffnende Tor und folgte dem Wächter, der ihn zum Leiter des Gefängnisses brachte.

„Wie kann ich Euch weiterhelfen?“, fragte dieser, nachdem er den Händler gebeten hatte, sich zu setzen.

„Ich war gerade mit meinen Waren auf dem Weg nach Norden, als ich auf einen Boten des Pharao traf, der nach Zawtj unterwegs war. Er teilte mir mit, dass ... mein ‚Sohn’ als Dieb des Amuletts aus dem Tempel des Amun-Ra in Zawtj verhaftet und hingerichtet worden sei. Ich bin hier, um seinen Leichnam abzuholen.“

„Obgleich er ein solches Verbrechen begangen hat, wollt Ihr ihn in Ehren bestatten lassen?“, erkundigte sich der Vorsteher.

Er wollte den Mann, der sich als Vater des jungen Wächters des Auges vorgestellt hatte, erst einmal genauer unter die Lupe nehmen.

„Ihr missversteht mich“, sagte Amenhotep. „Sein Verbrechen gegen die Götter ist unentschuldbar, doch ebenso wenig möchte ich von seinem Geist verfolgt werden, weil er keine Ruhe finden kann. Ihm ein ehrenvolles Begräbnis zukommen zu lassen, wie es sich für meinen Stand schickt, wäre eine Beleidigung des großen Pharao. Er wird seine letzte Stätte unter den Gräbern meiner Diener finden, ausgestattet mit dem Nötigsten für seine Reise. Da sein Herz die Probe vor dem hohen Gericht gewiss nicht besteht, halte ich es für übertrieben, ihm Dinge mitzugeben, für die er ohnehin keine Verwendung haben wird.“

„Ein ... weiser Spruch. Nun, was Euren Sohn betrifft ... Es gibt andere, die Euch wesentlich besser über sein Schicksal aufklären können, als ich es vermag. Ihr findet Euren Sohn im Palast des Pharao.“

„Im Pa – Wie bitte?“

„Er befindet sich im Palast.“

„Ich ... danke Euch“, erwiderte Amenhotep und verließ das Gefängnis mehr als verwirrt.

Er hatte damit gerechnet, dass man ihm mit Ablehnung begegnen würde, sobald er auch nur den Namen seines Sohnes erwähnte. Nicht anders war es ihm in den vergangenen Wochen in Zawtj ergangen. Wann immer er oder ein Mitglied seines Haushaltes durch die Stadt gegangen war, waren ihm böse Blicke und Worte gefolgt. Mehrere große Geschäfte, selbst mit langjährigen Partnern, waren wie aus dem Nichts geplatzt, sobald sich verbreitet hatte, wer das Auge des Ra an sich genommen hatte. Längst verfluchte Amenhotep den einzigen Sohn, den ihm seine Frau je geboren hatte.

Das überaus höfliche Verhalten, mit dem man ihm nun hier in Men-nefer begegnete, machte ihn stutzig und noch merkwürdiger kam ihm die Tatsache vor, zum Palast des Pharao verwiesen zu werden. Er hatte davon gehört, dass es beizeiten üblich war, einen Straftäter nach seiner Hinrichtung in einen Käfig zu setzen oder – besonders bei jenen, die ihren Kopf durch Enthauptung verloren hatten – diesen auf einen Spieß zu stecken und aufzustellen, als Abschreckung für andere. Hatte der Pharao Jonos Verbrechen als so scheußlich empfunden, dass er seine Leiche öffentlich zur Schau stellte? Aber würde er sie dann überhaupt freigeben, wenn sein Vater ihn darum bat?

Diese und andere Gedanken schwirrten durch Amenhoteps Kopf, während der Wagen durch die Straßen rumpelte und schließlich in die große Allee einbog, die zum königlichen Palast führte. Am Portal, das in den Vorhof mündete, wurde er von zwei Wachen aufgehalten und nach seinem Anliegen gefragt.

„Der Vorsteher des Gefängnisses hat mich hierher geschickt. Ich bin auf der Suche nach meinem Sohn Jono, aus Zawtj.“

„Ah, Meister Jono“, sagte einer der Männer.

„Nein, nein, ich meine keinen von den hohen Herren, ich spreche von meinem Sohn, der, der wegen des Raubes des Amuletts verurteilt wurde. Vielleicht habt ihr davon gehört.“

„Wer hat das nicht, in der Stadt sprach man während der ganzen letzten anderthalb Wochen von nichts anderem. Zu dieser Stunde müsste er sich in den Palastgärten aufhalten.“

Amenhotep verstand die Welt nicht mehr. Die Wachen, die ihre Posten nicht verlassen durften, riefen einen Sklaven herbei, der den Besucher in die Gärten führen sollte. Tausende von Fragen kamen dem Händler in den Sinn, als er dem Jungen durch die Höfe und mehrere hohe Tore folgte, bis sie die prachtvollen königlichen Gärten betraten. Sein Kopftuch, das er schon am Eingang der Gartenanlagen abgenommen hatte, zwischen den Fingern knetend, ging er mit klopfendem Herzen an großen Blumenbeeten und Teichen, in denen zwischen den Lotosblüten Ibisse herumwateten, vorbei. Bei seiner Ankunft in Men-nefer hätte er niemals gedacht, diese Anlagen einmal mit eigenen Augen zu sehen zu bekommen.

„Ihr seid am Zug, mein Pharao“, sagte eine Stimme und Amenhotep glaubte endgültig, in einem sehr seltsamen Traum gefangen zu sein. Wenn er nicht wüsste, dass sein Sohn tot war, hätte er schwören können, dass er gerade gesprochen hatte.

Amenhotep umrundete hinter dem Sklaven eine Gruppe hoher Büsche und erstarrte. Abgeschirmt von Palmen und in voller Blüte stehenden Beeten, stand dort ein großer Pavillon, unter dessen Dach es sich zwei junge Männer auf Liegen bequem gemacht hatten. Diener fächelten ihnen mit großen Fächern aus Straußenfedern Luft zu und zwischen ihnen stand auf einem niedrigen Tisch ein Brett mit Figuren, wie sie zum Senet spielen benutzt wurden. Der Händler biss sich auf die Lippen, um den Schrei zu unterdrücken. Den jungen Mann mit der recht ungewöhnlich anmutenden Frisur, zu der seine schwarz-rot-blonden Haare frisiert waren, hatte er noch nie gesehen, dafür kam ihm derjenige, der sich in seiner Gesellschaft befand, sehr bekannt vor.

Atemu nahm die vier Stäbchen, die zum Würfeln benutzt wurden, schüttelte sie kräftig und warf sie auf den Tisch. Mit einem zufriedenen Lächeln setzte er seine letzte Figur auf das Feld, das als „Per Nefer“ gekennzeichnet war. [1]

„Ich stelle fest: Meine Spielfiguren sind im Per Nefer fest etabliert. Ich bin vollzählig an der Spitze des Per Nefer, meine sieben Figuren liegen in gutem Fahrtwind in Führung.“

Jono, der seine Verbände mittlerweile hatte abnehmen dürfen und nun stolz die schwarzen Medjaizeichen trug, zog eine Schnute und ließ enttäuscht den Kopf hängen.

„Ihr habt schon wieder gewonnen, Euer Majestät. Ihr seid einfach zu gut für mich.“

„Seid deswegen nicht betrübt“, sagte Atemu. „Seth ist auch schon einige Male gegen mich angetreten und hat jedes Mal verloren.“

„Tatsächlich? Bei ihm kann ich mir das irgendwie so schwer vorstellen.“

„Da fällt mir ein, wie kommt Ihr denn überhaupt mit dem Beschwörungstraining voran?“

„Sehr gut, auch wenn Seth immer wieder noch Kleinigkeiten findet, an denen er etwas auszusetzen hat.“

„Jono, bist ... bist du das?“

Die beiden drehten sich zu dem Sprecher und Jono quiekte überrascht, als er seinen Vater sah.

„V-Vater, was machst du denn hier?“

„Das gleiche könnte ich dich fragen.“

Atemu räusperte sich und brachte sich Amenhotep dadurch wieder in Erinnerung, der sich schnurstracks zu Boden warf.

„Verzeiht m-mir, großer ... Pharao“, stammelte er und war froh, sein ungläubiges Gesicht gen Boden richten zu können. Da hielt er seinen Sohn für tot und dann fand er ihn lebendig und putzmunter mit dem Pharao vor!

„Das ist Euer Vater?“, wandte sich Atemu an Jono und erhob sich von seiner Liege.

„Ja, ist er“, bestätigte dieser und stand ebenfalls auf.

„Dann müssen unsere Boten schneller als der Wüstenwind gereist sein. Steh auf, Amenhotep. Wir hatten dich noch gar nicht hier erwartet, frühestens nächste Woche. Aber gute Nachrichten verbreiten sich ja gerne schnell.“

„Euer Majestät, erlaubt Ihr mir zu sprechen?“, Amenhotep stand auf, klopfte ein paar Grashalme von seinem Rock und blieb mit gesenktem Blick stehen. „Ich muss gestehen, ich bin sehr ... verwirrt. Euer Bote teilte mir mit, Jono sei“, er schluckte, „hingerichtet worden, wegen des Diebstahls. Ich befand mich gerade auf Geschäftsreise und eilte sofort nach Men-nefer, in der Annahme, seine Leiche abholen zu müssen.“

„Diesen Irrtum bedauere ich sehr“, sagte Atemu. „Du bist einer Fehlinformation aufgesessen. Am Tag vor Jonos geplanter Hinrichtung wurde ein Bote nach Zawtj geschickt, um Fürst Ramose zu informieren. Da sich jedoch Jono als Hüter des Auges und zudem als mein Retter erwies, war seine Exekution selbstverständlich hinfällig und wir sandten dem Boten einen weiteren mit der freudigen Nachricht hinterher.“

„Hüter ... Retter? Ich verstehe überhaupt nichts mehr.“

„Mein Pharao“, schaltete sich Jono ein, „würdet Ihr uns entschuldigen, damit ich meinem Vater die Situation auseinandersetzen kann?“

„Natürlich. Aber vergesst Eure Stunde bei Tanefer nicht.“

Jono und Amenhotep verbeugten sich tief – der Händler bemerkte verdattert, dass Jono nur auf ein Knie herunterging, statt mit der Stirn den Boden zu berühren, wie er es tat – und entfernten sich.

„Also ... Also, mir fehlen die Worte! Ich wähne dich in den Schatten und mich mit einer saftigen Rechnung für deine Hinrichtung ausgestattet und du sprichst mit dem Pharao, als wärt ihr die besten Freunde. Ich verlange eine ausführliche Erklärung von dir, Jono!“, sagte er, sobald sie außer Hörweite des Herrschers waren.

Und die sollte er bekommen, sogar eine sehr ausführliche. Vater und Sohn setzten sich auf eine Bank in einer ruhigen Ecke des Gartens, von der aus sie einen guten Blick auf den Nil hatten und Jono begann zu erzählen, was ihm in den letzten Wochen widerfahren war. Gewisse Details, allen voran seine Beziehung zu Seth und ihre erste Liebesnacht, ließ er wohlweislich aus. Das ging seinen traditionell und somit konservativ erzogenen alten Herrn nun wirklich nichts an.

„Ich weiß immer noch kaum, was ich sagen soll“, meinte Amenhotep am Ende. „Ich meine ... Du hast den Pharao gerettet! So etwas hätte ich dir nie und nimmer zugetraut.“

„Tja, ich stecke voller Überraschungen, Vater. Bei mir weiß man nie, was als nächstes kommt.“

„Oh, in dem Punkt irrst du dich, Jono“, sagte Amenhotep lächelnd. „Ich weiß ganz genau, was bei dir als nächstes kommt. Du kommst mit mir nach Hause und heiratest endlich.“

Jono glaubte sich verhört zu haben.

„Wie ... bitte?“, fragte er, um sicherzugehen.

„Wenn Teje hört, was für ein Held du geworden bist, wird sie dir mit Kusshand das Ja-Wort geben.“

„Aber das geht nicht!“

„Warum sollte das nicht gehen?“

„Ich bin der Krieger des Ra, Vater, ich kann nicht einfach nach Zawtj zurückgehen. Es ist meine Aufgabe, den Pharao zu schützen.“

„Wenn das so ist, dann kommen wir eben für die Hochzeit nach Men-nefer. Ich bin sicher, Teje wird nichts gegen einen Umzug haben. Dafür wird sie sich viel zu glücklich schätzen, einen so berühmten Bräutigam zu bekommen. Du sagtest doch, der Pharao hätte dir ein Haus zur Verfügung gestellt, dort können wir die Hochzeitsfeier abhalten und –“

Jono hob die Hand und stand abrupt auf.

„Ich werde Teje nicht heiraten, Vater“, sagte Jono und machte sich auf den Weg zum Palast.

„Warte, was – Jono, bleib gefälligst stehen, wenn ich mit dir spreche!“ Amenhotep sprang ebenfalls auf und folgte ihm, rief ihm immer wieder zu, stehen zu bleiben und auf ihn zu warten, doch Jono dachte gar nicht daran. In jener Nacht, in der er mit dem Amulett in die Wüste geflohen war, hatte er sich geschworen, nie wieder in dieses Leben zurückzukehren, das er dank einer göttlichen Laune, die ihn zum Wächter gemacht hatte, hinter sich gelassen hatte. Und erst recht wollte er nichts mehr von der Ehe wissen, die sein Vater für ihn arrangiert hatte. Was sollte er mit einer Frau anfangen?

Erst im Hof gelang es Amenhotep, seinen mit raschen Schritten voraneilenden Sohn einzuholen. Er packte ihn am Arm und riss ihn zu sich herum.

„Du wirst mir antworten, wenn ich dir eine Frage stelle, hast du mich verstanden? Ob du mich verstanden hast, will ich wissen! Frecher Bengel!“

Er schüttelte ihn, die andere Hand wütend über den Ungehorsam geballt. Ein eisiger Blick aus braunen Augen traf den Händler.

„Lass mich los“, sagte Jono beängstigend ruhig.

„Du bist mein Sohn und hast mir Rede und Antwort zu stehen, wenn ich es von dir verlange. Vergiss nicht, mit wem du sprichst!“

„Diesen Rat kann ich dir nur zurückgeben, Vater. In Zawtj mögen deine Einschüchterungen gewirkt haben, dort war ich nur dein mittelloser Sohn. Aber hier ist es anders und –“

„Es interessiert mich nicht, ob dich irgendein Gott zum Wächter gemacht hat!“, schrie Amenhotep, so dass sich die Diener nach ihnen umdrehten. „Solange du deine Füße unter meinen Tisch steckst, hast du zu tun, was ich –“

„Er hat überhaupt nichts zu tun.“

Die Augen von Vater und Sohn wandten sich dem Eingang zum Hauptgebäude des Palastes zu, aus dem Seth trat und die Treppenstufen herunterschritt. Amenhotep musterte ihn scharf.

„Und wer seid Ihr, dass Ihr Euch einmischen wollt?“

„Der Hohepriester des Amun-Ra und ich würde dir raten, deine Hände von Meister Jono zu nehmen oder ich lasse die Wache rufen.“ Widerwillig ließ Amenhotep von Jono ab. „Mit seiner offiziellen Ernennung zum Wächter ist er in den Dienst des Pharao getreten und als Medjai dem Hauptmann unterstellt. Du hast keine Befehlsgewalt mehr über ihn.“

Der Händler knurrte etwas Unverständliches.

„Schön, wenn das so ist ... Dann spreche ich eben beim Pharao vor. Wenn Ihr meint, ich könne meinem Sohn selbst nicht befehlen, dann wende ich mich an den, der es kann.“

Jono sperrte den Mund auf.

„Bist ... bist du übergeschnappt, Vater?!“

„Du bist undankbar, Sohn. Ich habe alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Ehe für dich zu arrangieren und du weigerst dich, Teje zu heiraten.“

Nun wurde Seth hellhörig. Darum ging es seinem Vater also.

„Der Herr der beiden Länder hat Wichtigeres zu tun, als sich mit derlei Dingen herumzuschlagen“, sagte er.

„Das werden wir sehen. An wen muss ich mich für eine Audienz wenden?“

Jono stöhnte auf und schlug sich die Hand gegen die Stirn. Er wusste genau, wem er sein stures Gemüt verdankte. Schon lange wunderte es ihn nicht mehr, dass sie so häufig aneinander gerieten.

„Das kann doch unmöglich dein Ernst sein, deshalb zum Pharao zu wollen.“

„Wenn du nicht auf mich hören willst, auf ihn musst du hören.“

„Mit deinem Benehmen wird man dich gar nicht erst zu ihm vorlassen.“

„Was für einen Ton erlaubst du dir mir gegenüber!“, ereiferte sich Amenhotep und krallte seine Finger in Jonos Gewand. „Ist das der Dank, dass ich dich all die Jahre ernährt und gekleidet habe, dir sogar eine angemessene Braut verschafft habe, damit du mein Geschäft übernehmen kannst –“

Jono blieb unbeweglich stehen, das Gesicht zu einer steinernen Miene erstarrt. Früher, da hatte er sich vor seinem Vater gefürchtet, wenn er ausgerastet war und seine Wut an ihm ausgelassen hatte. Doch diese Zeit war vorbei. Er wollte sich nicht mehr herumschubsen lassen, sich immer sagen lassen, was er zu tun und zu lassen hatte, ohne eine einzige Entscheidung selbst treffen zu dürfen.

„Ich habe es dir schon einmal gesagt, ich diene jetzt dem Pharao. Das ist kein Amt, das man mal eben so quittieren kann. Du wirst dir einen deiner Schwiegersöhne zum Nachfolger wählen müssen.“

„Das ... nun gut, aber heiraten wirst du, und wenn ich dich eigenhändig zum Tempel prügeln muss.“

„Wenn ich jemals heirate, dann sicher nicht Teje“, sagte Jono und warf Seth einen kurzen Blick über die Schulter seines Vaters zu.

„Was hat dieser Lärm zu bedeuten?“ Mahaado blickte aus einem Fenster im ersten Stock auf den Hof hinaus. „Ihr stört den Pharao bei seiner Arbeit.“

„Ah, der Pharao ist also da oben.“ Amenhoteps Blick richtete sich auf das Fenster. Er ließ Jono los und bevor dieser realisiert hatte, was vor sich ging, strebte sein Vater schon auf den Eingang zu. Seth stellte sich ihm in den Weg.

„Der Pharao wünscht keine Störungen. Wenn es unbedingt nötig ist, kann ich dich auf die Audienzliste setzen, die nächste öffentliche Audienz ist für übermorgen geplant.“

Der Händler sah zu dem Hohepriester, der ihn um gut einen Kopf überragte, auf und betrachtete ihn kritisch, während er überlegte. Zwei Tage ... Jono schien einen recht vertrauten Umgang mit dem Herrscher zu pflegen. Zwei Tage konnten da mehr als ausreichen, um ihn gegen Amenhotep einzunehmen und auf Jonos Seite zu ziehen. Dann konnte er die schöne Hochzeitsplanung endgültig vergessen und das würde er nicht akzeptieren. Entschlossen straffte er sich, marschierte an Seth vorbei und durch das Eingangsportal. Dieser schnappte nach Luft. So eine Dreistigkeit war ihm ja noch nie begegnet ... außer bei Jono. In der Eingangshalle sah sich Amenhotep kurz um und strebte dann auf eine große Treppe zu. Seth und Jono folgten ihm.

„Bleib stehen, Vater, was hast du vor?“

„Ich spreche mit dem Pharao“, kam die ungerührte Antwort, während der Mann die Stufen hinaufeilte.

„Bist du verrückt geworden, du kannst nicht einfach da reinplatzen, wie es dir passt! Du bist hier nicht zu Hause. Wachen, haltet ihn auf!“

Jono nahm immer zwei Stufen auf einmal und schaffte es dennoch nicht, seinen Vater einzuholen.

Atemu brütete über einem Bericht der Truppen aus dem Süden und versuchte sich einen Überblick über die aktuelle Lage dort unten zu verschaffen, als auf dem Gang zu seinem Arbeitszimmer Stimmen laut wurden.

„Was ist denn jetzt schon wieder“, brummte er und kratzte sich müde am Kopf, wobei sich die losgelassene Papyrusrolle von selbst wieder zusammenrollte. „Mahaado, seht Ihr mal bitte nach?“

Der Magier hatte den Weg zur Tür noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, als sie aufgerissen wurde und Amenhotep, gefolgt von Jono, Seth und einem halben Dutzend Medjai, die bei den königlichen Räumen Wache hielten, hereinplatzte. Die Wächter warfen sich auf ihn und zwangen ihn zu Boden.

„Was ist hier los?“, rief Atemu und schoss von seinem Sessel auf.

„Wir bitten Euch um Verzeihung für die Störung, mein Pharao“, sagte Seth mit einer tiefen Verbeugung.

„Und was hat Euer Vater in meinem Arbeitszimmer zu suchen, Jono?“

„Er –“

„Euer Majestät, ich ...“, Amenhotep rang mit den Männern, die ihn festhielten, „ich muss dringend mit Euch sprechen, wegen meines Sohnes.“

„Lasst ihn los“, sagte Atemu und wartete, bis die Medjai seinem Befehl Folge geleistet hatten. „Nun sprich.“

„In Zawtj wartet eine schöne Braut auf Jono“, dieser schnaubte verächtlich, als er das hörte, „aber er weigert sich, sie zu heiraten und behauptet, mir nicht mehr Folge leisten zu müssen.“

„Das ist richtig, er untersteht nun mir.“

„Darum bitte ich Euch, ihm zu befehlen, sie zu heiraten.“

Atemus Blick huschte flüchtig zu Jono und Seth, die neben ihm standen. Zwei flehende Augenpaare hatten sich auf den Herrn von Kemet gerichtet.

„Hmmm ... Nein“, antwortete Atemu.

„Wie ... wie bitte?“

„Nein, Jono wird das Mädchen nicht heiraten, das du für ihn ausgesucht hast und auch ich werde ihm in dieser Angelegenheit nichts befehlen. Das Herz unterliegt nur dem Befehl seines Besitzers.“

Wenigstens bei ihm soll es so sein.

Amenhotep sah ihn fassungslos an, dass seine Bitte so rigoros abgeschmettert worden war, doch ihm konnte er sich nicht widersetzen. Seinem Sohn hingegen fiel bei diesen Worten ein riesiger Stein vom Herzen.

„Vielen Dank, mein Pharao.“

Amenhotep seufzte schwer. Nun würde Tejes ganze Mitgift einem anderen in die Hände fallen.

„Nachdem das geklärt wäre, würde ich gerne weiterarbeiten“, sagte Atemu, auch wenn dem gerade ganz und gar nicht so war. Er war für einen kleinen Ausbruch aus seiner Arbeit immer dankbar, vor allem, wenn er sich mit den widerspenstigen Südprovinzen herumschlagen musste.

„So, Vater, nun hast du es selbst gehört. Ich heirate Teje nicht“, sagte Jono, als sie wieder auf dem Gang waren.

„Entschuldige, aber ... Ich glaube, ich muss die ganze Sache erst einmal verdauen. Falls du mich suchen solltest, ich wohne im Gasthaus Amenophus.“

Mit leicht wankenden Schritten stieg Amenhotep die Treppe hinab und verschwand aus dem Palast. Jono stieß erleichtert die Luft aus den Lungen.

„Uff, für einen Moment dachte ich, der Pharao spricht sich für eine Hochzeit aus. Dann wäre ich geliefert gewesen.“

„Ich glaube nicht, dass er das in Erwägung gezogen hat“, widersprach Seth. „Schließlich kennt er das Gefühl, in eine arrangierte Ehe geschoben zu werden.“

„Wann soll die Prinzessin denn ankommen?“

„Sie wird in drei Wochen in Men-nefer erwartet. Wenn ich daran denke, was bis dahin noch alles vorbereitet werden muss ...“ Er fasste sich in den Nacken.

„Wie wäre es, wenn du heute Abend nach der Arbeit bei mir vorbeikommst“, sagte Jono und ließ seine Finger über Seths Hals gleiten. „Hapi ist nicht der Einzige, der gut massieren kann.“

„Ein verlockendes Angebot.“

Als Jono seinen Vater am nächsten Morgen in dem Gasthaus aufsuchte, wo er abgestiegen war, hatte sich Amenhotep beruhigt und auch seinen Kater halbwegs in den Griff bekommen, den ihm das Bier des Wirtes eingetragen hatte. Er hatte seinen Kummer über die Entscheidung seines Sohnes in etlichen Krügen des goldgelben Getränkes ertränkt. Da es für ihn in Men-nefer nichts mehr zu tun gab, beschloss er, morgen das erste Schiff zu nehmen, das die Stadt Richtung Süden verließ.
 

[1] Die tatsächlichen Spielregeln für Senet sind leider zusammen mit viel anderem Wissen im Lauf der Zeit verschwunden. Ich habe auf einige Internetquellen zurückgegriffen, aber auch sie können nur Vermutungen über die Regeln anstellen.

Das Flüstern der Sterne (ohne Adult)

Für alle, die das 8. Kapitel aufgrund der Adultbeschränkung nicht lesen konnten, habe ich es hier noch einmal in zensierter Fassung.
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=eN9wdNNn2bg Prince of Persia Soundtrack

http://www.youtube.com/watch?v=aTAmfkx7Gbc&feature=related Yuki Kajiura – Desert Sunset
 

Kapitel 8

Das Flüstern der Sterne
 

Jono starrte ihn verwirrt an.

„Wie war das?“, fragte er, um sicherzugehen, dass er ihn auch richtig verstanden hatte.

„Es war ein Ausrutscher, Prinz Kail. Ein Versehen. Ich ... war nicht ganz Herr meiner Sinne. Der Schreck darüber, dass dieses Gesindel es immer noch wagt, sich in den Straßen von Men-nefer herumzutreiben, muss meine Sinne verwirrt haben. Solltet Ihr daraus einen falschen Schluss gezogen haben, tut mir das für Euch leid.“

„Aber, Seth ...“

„Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, Euer Hoheit, ich habe zu tun.“

Ohne ihn noch eines weiteren Blickes zu würdigen, marschierte er an Jono vorbei und aus dem Raum. Dieser fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Sein Blick blieb an einer der Fliesen hängen, mit denen der Raum ausgelegt war. In den Stein war ein feines Muster eingearbeitet. Jono konnte es nicht glauben. Er wollte es nicht glauben. Das konnte doch nicht wahr sein! Er musste träumen.

Tränen lösten sich aus den braunen Augen und tropften auf den Stein. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, während er noch gegen die Tränen ankämpfte.

„Das ist nicht wahr. Das ist nicht wahr“, flüsterte er. „Wie kann er das ein Versehen nennen.“
 

Der Hohepriester des Amun-Ra schritt in schnellem Tempo durch die Gänge des Palastes, den Millenniumsstab fester als nötig mit der Hand umklammert. Sein Vorhaben, in sein Arbeitszimmer zu gehen und sich um den noch nicht gelesenen Bericht über die letzten Abgaben an den Tempel zu kümmern, rückte mit jedem seiner Schritte weiter in den Hintergrund. Er war sich sicher, sich ohnehin nicht auf die Hieroglyphen konzentrieren zu können und es hatte keinen Zweck, wenn er alles dreimal lesen musste und es doch nicht in seinem Kopf ankam.

„Meister Seth, würdet Ihr kurz –“

Er wandte sich zu dem Mann, einem Priester aus dem Tempel des Ptah, und erwiderte nur: „Nicht jetzt.“

Ohne weitere Erklärung ließ er den Mann stehen. Er brauchte Ruhe, wenigstens für eine Weile Stille, um seinen Gedanken die Möglichkeit zu verschaffen, sich zu ordnen. Mitten im Gehen verharrte er. Es gab einen Ort, an den er gehen konnte. Einen, wo er nicht gestört wurde. Seth drehte auf dem Absatz um und stürmte in die andere Richtung davon. Er verließ den Palast durch einen Seitenausgang, nahm eine Abkürzung über die Gartenanlagen und kam auf der Allee der Sphingen, ganz in der Nähe des Tempelbezirks des Amun-Ra, heraus. Als wichtigstem Gott von Kemet gebührte ihm die größte Anlage der Stadt, die von einer Mauer vom Rest von Men-nefer abgeschirmt wurde. In der Nähe des Tempels, unweit der Wohnstätten der Priester, die auf dem Gelände lebten, befand sich der heilige See, in dem die Priester zweimal am Tag und zweimal in der Nacht badeten.

Seth durchschritt die fünf Pylone, die großen steinernen Toranlagen, die dem eigentlichen Tempel vorgelagert waren und mit ihren Seitenmauern verschieden große Vorhöfe bildeten. Die anwesenden Priester und ihre Schüler, die auf dem Tempelgelände im Schreiben und Lesen der Hieroglyphen und vielen anderen Künsten unterrichtet wurden, grüßten ihn ehrfürchtig, doch er beachtete sie kaum. Beinahe blind ging Seth an ihnen vorbei. Der sechste Pylon brachte ihn in das Innere Heiligtum, zu dem nur die höher gestellten Priester Zugang hatten. Hier war es schon um einiges ruhiger. Er überquerte den Hof, betrat den Tempel und verneigte sich tief, wie es der Brauch verlangte. Als sich hinter ihm die Tür geschlossen hatte, umfing ihn die Ruhe, nach der er so gesucht hatte.

Die Luft war mit dem Duft von Weihrauch und anderen duftenden Harzen und Kräutern geschwängert, die von den Priestern verbrannt wurden, um die Götter zu erfreuen. Das leise Flackern der Öllampen, deren Lichter in der leichten Brise flatterten, war das einzige Geräusch, das an Seths Ohr drang. Er atmete tief ein und aus, um seine Atmung und seinen Herzschlag zu beruhigen, die durch seine Hetze in Aufruhr geraten waren. Der hohe blaue Hut wurde auf dem Kopf zurechtgerückt, dann erst durchquerte er gemessenen Schrittes den Vorraum. Das Allerheiligste war durch einen bodenlangen, zart gewebten Vorhang vom Rest des Tempels abgetrennt und nur den höchsten Priestern und dem Pharao zugänglich. Hier stand die Statue des Gottes, gehüllt in kostbare Stoffe, zu ihren Füßen die ihr dargebotenen Speisen auf goldenem Geschirr. Der große Gott war in seiner menschlichen Gestalt mit Falkenkopf und Sonnenscheibe samt Uräusschlange dargestellt.

Seth kniete vor dem steinernen Abbild des Gottes nieder und legte die Hände zum Gebet zusammen.

„Warum nur, großer Amun-Ra, warum legt Ihr mir solch eine Prüfung auf? Was ging in Euch vor, dass Ihr ein Geschöpf schuft, das so ... vollkommen zu sein scheint? Dem Ihr statt Haar Eure Strahlen verliehen haben müsst ...“

In der letzten Nacht hatte Seth lange vor dem kleinen Schrein gekniet, der sich in seinen Gemächern befand, und die Götter um eine Eingebung angefleht. Die Gefühle, die mit dem Kuss des Hethiters auf ihn eingestürmt waren, waren ihm fremd und machten ihm Angst und gleichzeitig zogen sie ihn an und riefen nach mehr. Er hatte kaum ein Auge zugetan und überlegt, was er tun sollte. Eine Verbindung zwischen ihnen war ein Ding der Unmöglichkeit. Er war ein Priester des Amun-Ra und Kail ein Prinz der Hethiter. Mit dem Tag, an dem er seine Gelübde abgelegt hatte, hatte er sich für immer an diesen Tempel und dieses Land gebunden und Kail ... Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Verhandlungen zu einem hoffentlich erfolgreichen Abschluss kamen und er sich auf den Weg in seine Heimat machte. Und ihn hier zurückließ.

Wenn er ihm nachgab und ihm jetzt, solange er da war, mehr Platz in seinem Herzen einräumte ... Kails Abschied würde ihm ein Loch hineinreißen, von dem er nicht wusste, wie er es füllen sollte. Da war es besser, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen und seinen Wünschen gleich eine Absage zu erteilen.

Vor seinem inneren Auge tauchte das Bild des Blonden auf. Dieses hinreißende Lächeln, mit dem er ihn heute früh begrüßt hatte ... Keine Spur der Rivalitäten hatte darin gelegen, die sonst ihre Zusammentreffen bestimmt hatten.

Er blinzelte. Energisch wischte er sich die verräterischen salzigen Perlen aus dem Augenwinkel, die sich dort gebildet hatten. Es war für sie beide das Beste. Kail würde das sicher genauso sehen.

Sehr viel ruhiger als bei seiner Ankunft im Tempel, verließ Seth diesen und machte sich auf den Rückweg zum Palast.
 

„Seine Majestät lässt sich entschuldigen“, teilte Mahaado den wieder versammelten Diplomaten mit. „Die Kopfschmerzen, die ihm unsere Streitigkeiten bereitet haben, sind doch etwas schlimmer als zunächst angenommen. Er wünscht, dass wir ohne ihn fortfahren.“

Lubarna grummelte etwas von schlechten Manieren und ließ sich auf seinem Platz nieder.

„Wir hoffen auf die rasche Genesung Eures Herrn“, sagte Zidanta, wie immer um ein friedliches Miteinander bemüht.

Jono nickte dazu nur müde. Der Elan, der ihn in den Vormittagsstunden angetrieben hatte und dank dem er selbst die endlosen Diskussionen ertragen hatte, war restlos verschwunden und hatte Trauer und Lethargie an seine Stelle treten lassen. Seth hatte ihn eiskalt abblitzen lassen. Ein Versehen ... Er konnte diese Worte nur mit einem bitteren Lächeln bedenken.

„Und wie ist Eure Meinung dazu, Prinz Kail?“, fragte Shimon, der von Atemu beauftragt worden war, ihn für den Rest der heutigen Verhandlung zu vertreten.

Bei dem sehr verpeilt wirkenden Gesichtsausdruck, den Jono daraufhin zur Schau stellte, musste sich Seth beherrschen, nicht zu lachen.

„Öhm ... Entschuldigt, Shimon, ich hatte meine Gedanken für einen Augenblick woanders.“

„Ist alles mit Euch in Ordnung, Euer Hoheit?“, erkundigte sich Zidanta. „Ergreift der Kopfschmerz, der den Pharao befallen hat, auch von Euch Besitz?“

Seth, der Jono gegenübersaß, beugte sich diesem ein Stück entgegen und sagte mit einem maliziösen Lächeln: „Können Hunde überhaupt Kopfweh bekommen?“

Jono zuckte unter den Worten wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Sein Blick hob sich langsam von der Tischplatte, auf die er in der letzten Stunde, seit sie die Sitzung wieder aufgenommen hatten, meistens gerichtet gewesen war.

„Fangt Ihr schon wieder mit diesen Tiervergleichen an, Seth?“, fragte er mit angestrengt ruhig gehaltener Stimme.

„Ich habe nie damit aufgehört. Und wie wäre es, wenn Ihr Euch an der Diskussion beteiligt statt vor Euch hinzuträumen? Immerhin geht es um Euer Reich. Da sollten wir etwas mehr Aufmerksamkeit von Euch erwarten dürfen. Meint Ihr nicht auch, Euer Hoheit?“

„Erstens habe ich nicht geträumt, zweitens sehe ich nicht ein, warum ich mich gerade vor Euch rechtfertigen sollte, Seth. Und was die Diskussion anbelangt ... Oh, da gäbe es einiges, was ich gern mit Euch diskutieren würde, verehrter Hohepriester. Aber jedes Mal, wenn ich unser Gespräch darauf lenke, sucht Ihr Euer Heil in der Flucht.“

Die anderen Anwesenden tauschten verwirrte Blicke aus. Seth war vermutlich der letzte Mensch, von dem man behaupten konnte, dass er sich vor etwas drückte.

„Was tue ich bitte?“ Seine Augenbrauen wanderten nach oben.

„Ihr flieht vor mir.“

„Ich verstehe nicht, was Ihr meint.“

„Ach ja? Ich wiederhole es gern so lange, bis Ihr es begriffen habt.“

„Danke, ich verzichte“, sagte Seth und griff nach seinem Weinbecher, um einen Schluck zu nehmen. „Wir sollten dieses sinnlose Gespräch beenden und zum eigentlichen Grund unserer Versammlung zurückkommen.“

„Und wann wollt Ihr dann mit mir darüber sprechen?“

Mahaado lehnte sich zu Isis herüber.

„Irre ich mich oder sprechen die zwei über etwas anderes als unsere Grenzprobleme?“

„Ausschließen würde ich es nicht“, sagte die Priesterin mit einem geheimnisvollen Lächeln und strich mit den Fingern über die Millenniumskette an ihrem Hals.

„Wir haben bereits über dieses Thema gesprochen, Prinz Kail. Es ist müßig, noch einmal davon anzufangen. Ihr habt meine Antwort dazu gehört.“

„Ich akzeptiere sie aber nicht!“, rief Jono und sprang auf. Seine Hände verursachten einen dumpfen Klang, als sie auf die Tischplatte schlugen.

„Euer Hoheit, bitte setzt Euch wieder“, sagte Zidanta beruhigend und versuchte Jono auf seinen Stuhl zurückzuziehen. Dieser schüttelte seine Hand ab, ohne den Blick von Seth abzuwenden.

Ein Versehen – seit über zwei Stunden gingen ihm diese Worte im Kopf herum und er wollte sich nicht mit ihnen abfinden. Wenigstens eine anständige Erklärung wollte er von Seth haben.

„Prinz Kail, Seth, würde es Euch etwas ausmachen, Eure Unterhaltung auf später zu vertagen?“, wandte Karim ein.

„Damit er wieder eine Möglichkeit bekommt, mir zu entkommen? Ich verlange eine Antwort und zwar jetzt!“, forderte Jono.

„Dickschädel“, brummte Seth.

„Nein, ich weiß lediglich, was ich will, im Gegensatz zu anderen.“

„Ich habe keine Ahnung, wen Ihr meint.“ Der Hohepriester verschränkte die Arme vor der Brust. „Und Ihr müsst nicht so schreien, ich bin nicht taub.“

„Ach ja? Ich hatte heute den Eindruck, als würde ich mit einer Wand sprechen. Wahrscheinlich habt Ihr selbst da, wo sich bei anderen Menschen das Herz befindet, einen Stein in Eurer Brust.“

„Treibt es bitte nicht zu weit, Prinz Kail“, warnte ihn Zidanta.

Shimon seufzte. Diese Jugend von heute ... Aber vor Jono musste er den Hut ziehen. Es hatte noch nie jemand fertig gebracht, den jungen Hohepriester aus der Fassung zu bringen und er schaffte das mit Bravour.

„Ich schlage vor, wir machen morgen weiter“, sagte der alte Wesir rasch, denn auch Lubarna und Akunadin sahen so aus, als wollten sie ihren Streit jede Sekunde wieder aufnehmen. „Ich werde jetzt gehen und Seiner Majestät Bericht erstatten.“

„Das dürfte momentan am besten sein“, stimmte ihm Shada zu. „Seth“, er berührte seine Schulter mit der Hand, „wollt Ihr nicht doch noch einmal mit Seiner Hoheit sprechen? Ich fürchte, er wird nicht eher Ruhe geben und die Differenzen zwischen Euch beiden sind für uns alle nicht ... unbedingt förderlich.“

„Seth ist es ja, der diese Differenzen verursacht“, meinte Jono.

„Das höre ich mir nicht länger an“, sagte Seth, schob seinen Stuhl ruckartig zurück und erhob sich. Bevor ihn jemand aufhalten konnte, war er aus dem Zimmer marschiert. Jono schnaubte verärgert.

„So leicht wirst du mir nicht entkommen“, murmelte er und folgte ihm.

Isis sah den beiden kopfschüttelnd nach und fragte sich, nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen, was sich die Götter nur dabei gedacht haben mochten.

„Kannst du mir erklären, was hier überhaupt los ist?“, wandte sich Hapi leise an Marik. „Ich verstehe Meister Seth nicht mehr.“

Der Ältere lächelte.

„Ich glaube, ich verstehe langsam, was mit ihnen los ist. Komm mit, ich erkläre es dir.“
 

Seth eilte schnellen Schrittes durch die Gänge, wechselte das Stockwerk und nahm die nächste Treppe, um wieder in das vorherige zu gelangen, passierte sich kreuzende Gänge und änderte die Richtung und doch blieb ihm Jono hartnäckig auf den Fersen.

„Jetzt bleibt doch mal kurz stehen. Ich bitte Euch lediglich um eine Erklärung“, versuchte Jono es in einer etwas freundlicheren Tonlage. „Ist das denn zu viel verlangt?“

„Wie bereits mehrfach gesagt: Ich habe meiner Aussage nichts hinzuzufügen“, antwortete Seth, ohne stehen zu bleiben.

„Ihr seid ein Sturkopf.“ Jono sprintete an ihm vorbei und stellte sich, die Arme in die Hüften gestemmt, vor ihn. „Ich glaube Euch nicht, Seth.“

„Glaub doch, was du willst“, meinte Seth und ging an ihm vorbei.

„Ha! Du hast ‚Du’ zu mir gesagt!“, rief Jono triumphierend.

„Ein Versehen.“

„So wie der Kuss?“

Seth blieb wie angewurzelt stehen und fuhr herum.

„Pssst! Seid Ihr von Sinnen, das ... durch den Palast zu brüllen?“

Schnell sah er sich um. Auf dem Gang war niemand zu sehen.

„Ich glaube dir jedenfalls kein Sterbenswort“, fuhr Jono fort und begann vor ihm auf und ab zu gehen. „Dir kann aus Versehen etwas herunterfallen, du kannst stolpern ... Wenn du in einem Kampf nicht richtig zielst, kannst du sogar versehentlich deine eigenen Leute töten statt deiner Gegner ...“ Er blieb stehen und stach mit dem Finger gegen die muskulöse Brust. „Aber du kannst nicht aus Versehen einen Kuss erwidern, bei dem du etwas fühlst. Und ich weiß, dass du etwas gespürt hast!“

„Ja, Abscheu.“

„Das sah aber nicht nach Abscheu aus, Schlange.“

Ein freches Grinsen zierte Jonos Gesicht.

„Nenn mich nicht so.“

„Darf ich dich daran erinnern, dass du mit den Tiervergleichen angefangen hast? Im Übrigen hast du noch ein sehr unpassendes genommen, wie ich finde. Einen Hund, also ich bitte dich. Ich habe dich wenigstens mit einem verglichen, das zu dir passt, denn im Moment sprichst du für meinen Geschmack mit einer sehr gespaltenen Zunge.“

„Erstens läufst du mir gerade nach wie ein Hund und zweitens ... Wie kommst du auf diese schwachsinnigen Ideen?“

„Tja ... Außerdem kannst du mit deiner Arroganz verflucht bissig sein und du versuchst mir immer zu entgleiten. Womit wir wieder bei deiner Flucht wären.“

Jono machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, Seth wich instinktiv etwas zurück, um wieder mehr Abstand zwischen ihnen zu schaffen.

„Wie oft soll ich es Euch noch sagen, ich bin nicht geflohen.“

„Ach, wirklich? Und warum tut Ihr es dann in diesem Moment wieder?“, wechselte auch Jono in die höfliche Anrede.

„Das ...“

Seth stieß mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Unter seinen Fingern ertastete er fein gearbeitete Reliefs, die sich zu Darstellungen von Menschen und Göttern, Pflanzen und Hieroglyphen formten. Jono folgte ihm mit langsamen, eleganten Schritten, die braunen Augen unter den dunklen Wimpern auf ihn gerichtet. Er stützte seine Hände zu beiden Seiten Seths an der Säule ab, vor der dieser stand und musterte ihn mit einem leisen Seufzen.

„Seth ... Wenn das, was Ihr sagt, wahr ist, dann weiß ich nun, dass ich mir keinerlei Hoffnungen Euretwegen machen darf. Dennoch muss ich Euch noch etwas sagen. Wenn ich es nicht tue, wird es mich von innen auffressen, bis eine leere Hülle alles sein wird, was Ihr noch von mir seht.“ Jono schloss für einige Sekunden die Augen, um zu überlegen, wie er beginnen sollte. Der feine Duft des Öles, mit dem Hapi seinen Herrn massiert hatte, stieg ihm in die Nase. „Seit wir uns zum ersten Mal in der Wüste begegnet sind, habt Ihr Euch mir gegenüber immer kühl und abweisend gezeigt. Nur in dieser einen Nacht, in einer dunklen Gasse dieser Stadt, habt Ihr mir gestattet, einen Blick hinter diese Fassade zu werfen und was ich sah, war ein Feuer, das nur darauf wartet, richtig entfacht zu werden.“

Er löste die rechte Hand von der Säule und ließ seine Finger sanft über Seths Wange gleiten, der unter der Berührung zusammenzuckte. Wieder spürte der Priester das seltsam angenehme Prickeln in sich aufsteigen.

„Ich spürte in Euch den Wunsch danach und trotzdem habt Ihr mich erneut zurückgestoßen, Seth. Euer ... Verhalten ist oftmals von Arroganz geprägt und lässt Euch gern übersehen, dass es auch Menschen gibt, die es mit Euch aufnehmen können. Es ist nicht immer einfach, sich in Eurer Nähe aufzuhalten, da man stets fürchten muss, von Eurem kalten Blick erstochen zu werden. Und dennoch ...“, seine Stimme wurde noch sanfter. „Dennoch ist da etwas in Eurem Blick, das mir Nacht für Nacht den Schlaf raubt und Euch, wenn ich dann endlich einmal Schlaf gefunden habe, durch meine Träume geistern lässt. Den Vogel auf unserer Jagd habt Ihr vielleicht verfehlt, dafür hat ein anderer von Euren Pfeilen sein Ziel ... gut getroffen und mir das Herz durchbohrt. Ich ... Ich liebe Euch, Seth.“

Der Diener der Götter schluckte schwer und wandte den Kopf ab. Seine Wangen begannen unter dem aufsteigenden Blut zu brennen. Jono senkte, seine Geste missdeutend, den Blick.

„Verzeiht mir, ich hätte Euch nicht damit belästigen sollen. Nur ein Narr verliebt sich in eine Schlange, die er nicht halten kann.“

Er stieß sich von der Säule ab und entfernte sich mit langsamen Schritten von Seth, dessen Hände sich fest an den kühlen Stein hinter ihm pressten und ihm doch keine Linderung verschafften. Erst nach und nach sickerten die Worte des Blondschopfes in sein Gehirn und nahmen greifbare Form an. Er hatte lange über diesen Moment in der Gasse nachgedacht und war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um eine Kurzschlussreaktion des Prinzen gehandelt haben musste, ausgelöst durch den Schock, den Kuras Überfall verursacht hatte. Doch seine voller Gefühl vorgetragenen Worte eben hatten ihm vor Augen geführt, dass er nicht der Einzige war, der das, was in ihm aufsteigen wollte, zu unterdrücken suchte. Kail war daran gescheitert. Die Mauer, die Seth bei den ersten Anzeichen, er könnte ihm etwas anderes als Respekt entgegen bringen, in aller Eile um sich errichtet hatte, hatte mit jedem von Kails Worten einen neuen feinen Riss hinzubekommen und zu bröckeln begonnen. Sein letzter Satz schließlich hatte ein großes Loch in das Mauerwerk gesprengt. Ein leises Lachen drang aus Seths Mund. Jono drehte sich um.

„Ich wusste, ich hätte es Euch nicht sagen sollen. Nun amüsiert Ihr Euch über mich.“

„Nein, das nicht. Aber ich dachte gerade daran, dass die Schlange eine Veranlagung zum Selbstmord zu besitzen scheint“, sagte er.

„Wie darf ich das verstehen?“

„Weil ein Falke sie in seinen Klauen hält.“

Mit wenigen Schritten war Jono wieder bei ihm, hielt aber immer noch etwas Abstand zu Seth.

„So, so ... Ein Falke also“, sagte er grinsend.

„Ihr verlangtet nach einem anderen Tier, mit dem ich Euch vergleichen sollte. Eure Augen sind in ihrer Farbe wie seine. Euer Stolz ... und dieser unbrechbare Wille ... Ich habe Euch ein ums andere Mal herausgefordert und immer habt Ihr Euch mir widersetzt. So verletzend Eure spitze Zunge auch sein kann, Ihr habt mir bewiesen, dass sie auch zu anderen Worten in der Lage ist. Ihr seid ein sonderbarer Mann, voller Geheimnisse. In Euch verbinden sich Mut und Kraft mit einem wachen Geist. Und das Temperament, mit dem ich hinlänglich Bekanntschaft machen dürfte, lässt ein Feuer in Euch brennen, das heißer ist als die Sonne Kemets. Ra möge mir vergeben, denn eine andere Sonne als die seine zieht mich in ihren Bann.“

Er überwand das letzte Stück, das zwischen ihnen lag und fuhr mit der Hand zaghaft durch das dichte golden schimmernde Haar, strich Jono eine Haarsträhne zur Seite, die sich vorwitzig in seine Stirn geschoben hatte.

Die ganze Hoffnung, die Jono mit seinem Geständnis zu Grabe getragen hatte, schoss mit einem Schlag wieder auf und brach wie eine Flutwelle über ihm zusammen. Erst glaubte er zu träumen – bis ihm ein Blick in Seths Augen zeigte, dass dem ganz und gar nicht so war. In den Saphiren lag der gleiche Ausdruck wie neulich abends, sanft, sehnsuchtsvoll.

Jono strich über Seths gerötete Wange, umfasste sein Kinn und fuhr mit dem Daumen die Konturen der Lippen seines leicht geöffneten Mundes nach. Heißer Atem perlte auf Seths Haut, als Jono sich weiter vorbeugte und sich ihre Münder berührten. Die Finger des Hohepriesters verkreuzten sich im Nacken des vermeintlichen Prinzen, in der Hoffnung auf Halt, denn unter den zuerst zärtlichen, dann immer leidenschaftlicher werdenden Küssen, die sie tauschten, verwandelten sich seine Knie mehr und mehr zu einer undefinierbaren weichen Masse. Jono umschloss ihn mit dem anderen Arm und drängte ihn sanft, doch bestimmt an die Säule zurück, um ihm einen etwas stabileren Stand zu verschaffen. Den Stein im Rücken, Jono an seiner Brust, fühlte er sich zwischen Kälte und Hitze gefangen.

Jono öffnete seinen Mund weiter, leckte über Seths Lippen und stieß mit seiner Zunge gegen das weiße Bollwerk aus Zähnen. Hitze stieg in ihm empor, als Seth seiner Aufforderung nachkam und ihm Einlass gewährte. Tastend schob er sich vorwärts, erkundete die Mundhöhle des anderen, nahm ihre Wärme in sich auf, den süßen Geschmack, in dem die Reste des schweren Rotweins lagen, den Seth getrunken hatte. Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, als er die Zunge seines Gegenübers erst an seinen Lippen, dann in seinem Mund spürte, die nun ihrerseits auf eine erste, vorsichtige Erkundungstour ging. Jono stupste sie mit seiner Zungenspitze an, schlang sich um sie, neckte sie, lockte, forderte sie zu einem Tanz auf, auf den Seth nur zu gern einging. Wie von selbst presste er sich enger an den erhitzten Körper.

Seths Hände lösten sich aus Jonos Nacken, strichen in fahrigen Bewegungen seinen Rücken hinab und wieder hinauf, ohne ein bestimmtes Ziel. Jono schauderte unter seinen Berührungen und ließ nun seinerseits seine Hände auf Wanderung über den Körper seines Geliebten gehen, über Schultern und Arme, den Oberkörper herab, um kurz an seiner schlanken Taille zu verweilen, bevor sie sich dem Gesäß zuwandten und das feste Fleisch, das sich unter dem Stoff abzeichnete, massierten. Seth entfuhr ein Stöhnen, was den Jüngeren nur dazu animierte, ihr Zungenspiel weiter zu intensivieren, bis er es, nach Atem ringend, abbrechen musste.

„Willst du mir ... nach meinem Herzen auch noch ... auch den Verstand rauben?“, fragte Seth.

Jono näherte sich seinem Ohr und hauchte einen flüchtigen Kuss auf das Ohrläppchen.

„Wer weiß ... vielleicht habe ich es ja vor“, flüsterte er mit sinnlicher Stimme und begann Seths Ohr mit der Zunge zu umschmeicheln. „Immer haben wir uns gestritten ... Dabei finde ich diese Art der Unterhaltung um einiges reißvoller.“

„Ich auch“, gab der Hohepriester, dessen Wangen mittlerweile glühten, zurück und legte den Kopf schief, als sich Jono eine heiße Spur von seinem Ohr über seinen Hals bahnte.

„Aber was ... hältst du davon, wenn wir sie irgendwo fortführen ... wo wir mehr ... für uns sind?“

„Ich habe nichts dagegen.“

Widerwillig löste sich Jono von ihm, nicht ohne ihm noch einen verlangenden Kuss zu stehlen, den Seth mit gleicher Kraft erwiderte. Noch halb in der Benommenheit gefangen, drangen erst jetzt die sich nähernden Schritte an ihre Ohren. Rasch brachten sie den Abstand zwischen sich, den sie bisher immer eingehalten hatten. Eine junge Sklavin, die einen Stapel Leinentücher trug, bog um die Ecke. Als sie die beiden sah, verbeugte sie sich rasch, bevor sie an ihnen vorüberging. Seth betete, dass sie das Rot in seinem Gesicht als Widerschein der Fackeln deuten möge, die den Gang mit Licht versorgten.

Jono sah sich prüfend im Gang um. Inzwischen kannte er sich relativ gut im Palast aus; durch seine Streifzüge, mit denen er sich seine freie Zeit zwischen Verhandlungen und Unterricht bei Marik und Zidanta vertrieben hatte, hatte er die meisten Trakte zu Gesicht bekommen. Er ergriff Seths Hand und zog ihn in die Richtung weiter, in die sie ursprünglich gegangen waren.

„Wo willst du mit mir hin?“

„Meine Gemächer sind näher“, raunte Jono ihm zu und ließ ihn los, denn schon wieder näherte sich ihnen jemand. Was war das denn für ein Verkehr heute Abend?

Seth schloss zu ihm auf, Seite an Seite gingen sie durch die Gänge, ohne einander anzusehen, bemüht nicht zu schnell zu laufen, um sich nicht verdächtig zu machen.
 

„Und, hast du verstanden, was ich dir erzählt habe?“, fragte Marik.

Er und Hapi saßen in Mariks Zimmer, eine Schale mit süßen Früchten zwischen sich, die sie sich aus der Palastküche organisiert hatten (Hapi war mit einem der Sklaven, die dort arbeiteten, befreundet).

„Ich denke schon. Aber glaubst du wirklich, Meister Seth und Prinz Kail sind ineinander verliebt? Sie streiten sich doch den ganzen Tag.“

„Kennst du den Spruch ‚Was sich neckt, das liebt sich’?“

Sie hörten, wie sich die Tür zu den prinzlichen Gemächern öffnete und kurz darauf wieder schloss. Leises Lachen drang zu ihnen.

„Wer ist denn da?“

Marik zog seine Tür einen Spaltbreit auf und spähte hinaus. Sein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. Hapi duckte sich unter seinem Arm hindurch, um auch etwas zu sehen. Er zog scharf die Luft ein und wandte sich, den Kopf rot wie eine Tomate, ab.

„Bei Hathor“, flüsterte er.

„Ja, kann sein, dass die auch ihre Hand im Spiel hatte“, meinte Marik und schloss die Tür sorgfältig. „Bei den Göttern kann man das nie so genau wissen.“

„Und ... und was sollen wir jetzt machen? Wir können hier nicht raus. Wenn Meister Seth mich sieht, wird er furchtbar wütend werden.“

„Tja, da hilft nur abwarten“, sagte Marik. „Kannst du Senet spielen?“
 

Jono und Seth sahen sich verstohlen auf dem Gang um, ob ihnen jemand gefolgt war. Bei der Geschwindigkeit, mit der sich hier Nachrichten verbreiteten, wusste mit hoher Wahrscheinlichkeit längst der ganze Palast von dem handfesten Streit, in dem sie die Verhandlung verlassen hatten. Es wäre sicher nicht wenigen Menschen merkwürdig erschienen, wenn der Prinz den Hohepriester danach um ein Treffen in seinen privaten Gemächern bat, wo doch bekannt war, dass sie einander nicht riechen konnten.

Jono schloss die Tür hinter ihnen und wandte sich zu Seth um, der etwas unschlüssig mitten im Raum stand, nicht wusste, wohin mit den Augen und sie so über Jono, die Möbel, wieder über Jono und weiter über die Wandmalereien gleiten ließ. Wie süß, ihn auch einmal unsicher zu sehen, dachte dieser und näherte sich ihm mit geschmeidigen Bewegungen. Seth folgte ihm mit den Augen, wie er ihn umkreiste, ihn von Kopf bis Fuß einer genauen Musterung unterzog. Arme schlangen sich von hinten um ihn und zogen ihn fest an den Körper Jonos. Er platzierte seinen Mund im Nacken des Hohepriesters und begann diesen zu liebkosen, während seine Hände über das sehnige Fleisch an seiner Brust wanderten. Ein überraschtes Keuchen war zu hören, als sich Jono unvermittelt einen Weg zu seinen Schenkeln suchte und dabei die leichte Ausbeulung streifte, die unter dem Gewand erkennbar war.

„Noch können wir aufhören“, flüsterte Jono an seinem Ohr, ohne die Liebkosungen zu unterbrechen. „Du musst es mir nur sagen. Wenn du noch nicht so weit bist, habe ich dafür Verständnis.“

„Und wie viel Zeit ... bleibt uns dann noch?“

„Was meinst du?“

„Wie viel Zeit wird es in Anspruch nehmen, die Verhandlungen zum Ende zu führen?“, sagte Seth. „Es können Wochen sein, ebenso gut wie nur wenige Tage. Dann wirst du in deine Heimat zurückkehren und mich ... vergessen.“

„Dich vergessen! Was unterstellst du mir da, Schlange.“

„Wird es nicht so sein, Falke?“ Seth drehte sich zu ihm um.

„Es mag sein, dass mein Körper von hier fortgeht, wenn ich ... nach Hause zurückkehre.“

Jono schluckte. Wo befand sich nun seine Heimat? Zawtj konnte es nicht mehr sein, dort erwartete ihn der Tod. Doch würde Zidanta ihn auch noch den Prinzen spielen lassen, wenn er nicht mehr gebraucht wurde? Und selbst wenn ... Das Reich Hatti, das dem Prinzen als Heimat galt, war für ihn eine fremde Welt.

„Aber etwas würde ich hier zurücklassen, in deinen Händen, wo ich es sicher verwahrt weiß.“

„Und was?“, fragte Seth mit belegter Stimme.

„Mein Herz.“

Ein neuer, von Leidenschaft getragener Kuss entbrannte zwischen ihnen, spülte die Gedanken an das, was gewesen war und das, was sein konnte, fort und ließ nur das Hier und Jetzt zurück. Jono, der den Mund von Seth einer genüsslichen Ausplünderung unterzog, dirigierte den Priester an dem Möbeln vorbei durch den Wohnraum, hinüber in sein Schlafzimmer, und schloss die Tür mit einem Fußtritt. Seth stieß mit den Beinen gegen den hölzernen Rahmen des Bettes, ließ sich auf dessen Kante nieder und wehrte sich auch nicht, als sich Jono breitbeinig auf seinen Schoß setzte. Zu sehr war er schon in dem Feuer gefangen, das Jonos Berührungen in ihm entfachten. Ihre Umhänge und Seths Hut hatten bereits vor einer Weile den Weg auf den Boden gefunden.

Jono machte sich an Seths breitem, goldenem Halskragen zu schaffen, nahm ihm diesen und die Armreife ab. Unter dem Stoff fühlte er erhitzte Haut, die nur darauf wartete, aus ihrer textilen Hülle befreit zu werden. Sie mussten sich beide kurz erheben, damit er Seth das blaue Obergewand vom Leib streifen konnte. Ein breiter Brustkorb kam darunter zum Vorschein, über den er seine Hände gleiten ließ. Die von Seth schoben sich derweil bedächtig zu Jonos Gürtel und lösten diesen, so dass sein Gewand locker fiel. Als der Priester aber seine Hände an den Saum legen wollte, hielt Jono sie fest und schüttelte den Kopf.

„Noch nicht, Seth“, sagte er und drückte ihn sanft in die seidenen Kissen zurück.

Er beugte sich über ihn und ließ seine Zunge in kleinen, kreisenden Bewegungen über seine Brust tanzen, umspielte die sich aufrichtenden Brustwarzen und lächelte angesichts des unterdrückten Stöhnens, das er seinem Opfer damit entlockte. Ein feiner Schweißfilm bedeckte Seths Haut, doch die Wärme, die von ihm abstrahlte, war kein Vergleich zu der, die dabei war, ihn von innen heraus zu verbrennen. Seine Hand krallte sich in das Laken, als Jono an seiner Brustwarze zu saugen begann und die andere zugleich mit den Fingern zwirbelte. Ein sanfter Biss in die empfindliche Haut hinterließ rötliche Flecken bei ihm. Sein Rücken bog sich. Längst hatte ihm sein Kopf den Dienst versagt und der sich immer mehr aufbauenden Ekstase Platz gemacht.

Jono markierte mit der Zunge eine feucht-warme Spur von Seths Brustwarzen über seinen Bauch, kreiste einige Male um den Bauchnabel. Als er den Lendenansatz erreichte, hob er den Kopf und befreite Seth mit wenigen Handgriffen von dem vielfach gefältelten ägyptischen Rock und dem Lendenschurz, den er darunter trug. Tiefes Dunkelrot bedeckte das priesterliche Gesicht. Diesen Tag hatte er in seinen Träumen ebenso gefürchtet wie herbeigesehnt.

„Kail ... Aaaahh ...“

Ein überraschtes Keuchen entfleuchte seinem Mund, Jono aber fühlte einen leichten Stich im Herzen. Der Name, den Seth stöhnte, war seiner und doch wieder nicht. Kail ... Der Name, den er angenommen hatte, um seine Identität zu verbergen, kam ihm nun vor wie ein Fluch.

Seth wand sich unter der süßen Folter, die Jono ihm gerade zuteil werden ließ. Seth warf den Kopf zurück, er glaubte, in diesem köstlichen Rausch noch zu ertrinken, wenn er nicht bald erlöst wurde. Verwirrt, den Blick glasig vor Erregung, sah er auf, als Jono plötzlich von ihm abließ. Dieser stemmte sich vom Bett hoch und entfernte sich von ihm.

„Was ... warum hörst ... du auf“, protestierte Seth.

„Lass mich nur kurz absperren“, bat er, stieg vom Bett und huschte zur Tür, wo er den Riegel vorlegte. Er kannte Zidantas Vorliebe dafür, ihn ohne größere Anmeldung aufzusuchen, wenn er etwas mit ihm besprechen wollte und er hatte nun weiß Gott andere Dinge im Sinn als eine Unterhaltung über die politische Situation in Hatti.

Langsam schritt er wieder auf das Bett zu – um festzustellen, dass Seth von den zerwühlten Laken verschwunden war. Er blickte sich suchend um, als warme Hände von hinten über seine Arme strichen, sich einen Weg nach unten suchten und sein Gewand auf dem Rückweg hochschoben. Er hob die Arme, ließ sich den Stoff über den Kopf ziehen, der neben Seths Obergewand auf dem Boden landete. In rascher Folge schlossen sich der Schmuck und sein kurzer Lendenschurz an. Neugierige Hände glitten über den entblößten Körper, erforschten das unbekannte Terrain und ließen Jono lustvoll aufstöhnen.

Er packte sie, fesselte Seth so und hielt ihn davon ab, sein Werk fortzuführen. Jono sehnte sich nach den zärtlichen Berührungen, doch erst wollte er ihm das geben, was er verdiente. Mit Seth in seinen Armen ließ er sich auf das Bett zurückfallen, dirigierte ihn weiter in dessen Mitte und küsste sich an seinem Körper herab und verwöhnte ihn, bis dieser glaubte, sich im freien Fall zu befinden. Jono leckte sich über die Lippen und krabbelte zu ihm hoch.

„Möchtest du mehr, meine schöne Schlange?“, fragte er und strich ihm eine braune Haarsträhne aus der vom Schweiß feuchten Stirn. Glühende Augen sahen zu ihm auf, Arme schlossen sich um ihn und ehe Jono sich versah, hatten sie die Position gewechselt und Seth war über ihm.

„Frag einen Verdurstenden in der Wüste, ob er Wasser haben möchte, mein Falke“, kam die Antwort, dann nahm ein fleischiges Paar Lippen seine Arbeit an Jonos Brust auf.

Er schloss die Augen und überließ sich den teils vorsichtig-unsicheren, teil ungestümen Zärtlichkeiten des Mannes, der bis vor kurzem noch Amun-Ra allein sein Herz geöffnet hatte. Ein heißes Pochen durchzog seine Lenden, bis er glaubte, es nicht mehr lange aushalten zu können. Gebieterisch warf er Seth auf das Laken zurück.
 

Hapi sah unschlüssig auf den Tisch, auf dem sie Senet spielten und dabei die Geräusche zu ignorieren versuchten, die gedämpft aus dem Schlafzimmer drangen. Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Überlegungen. Er und Marik wechselten einen alarmierten Blick. Besuch hatte ihnen gerade noch gefehlt.

„Wir tun, als wäre niemand da, vielleicht geht er dann wieder“, flüsterte Marik.

Kaum waren seine Worte jedoch verklungen, öffnete sich die Tür und Zidanta trat ein.

„Marik, ist dein Herr da? Ich würde gern mit ihm sprechen.“

„Nein, also ...“

Ein Stöhnen ließ Zidanta den Kopf wenden.

„Ah, also ist er da“, sagte er und ging auf das Schlafzimmer zu. Marik und Hapi hetzten an ihm vorbei.

„A-also es ist so“, begann Hapi, „Seine Hoheit ist gerade ...“

„Prinz Kail ist zurzeit unpässlich“, sagte Marik. „Es geht ihm nicht so gut, er scheint etwas Falsches gegessen zu haben.“

„Sollte dann nicht der Arzt verständigt werden?“, wandte Zidanta ein.

„Es handelt sich nur um eine kleine Magenverstimmung“, fuhr Marik fort. „Aber im Augenblick möchte er niemanden sehen.“

Der Fürst warf ihm einen leicht verärgerten Blick zu, weil er es wagte, ihn einfach so hinauszukomplimentieren, wandte sich dann aber um und ging. Die beiden Jungen stießen einen erleichterten Seufzer aus. Das war gerade noch gut gegangen.
 

Jono und Seth hörten und sahen nichts mehr um sich herum und doch waren ihre Sinne seltsam geschärft, nahmen jede Kleinigkeit des anderen wahr, jede Bewegung, jeden keuchenden Atemzug. Hilflos, sich aneinander klammernd, riss der Strudel sie mit sich fort.

Darum bemüht, wieder Luft in seine Lungen zu pumpen, ließ sich Jono neben Seth fallen, dessen Brustkorb sich in schnellem Wechsel hob und senkte. Die blauen Saphire glitzerten dunkel, noch verschleiert von dem Rausch des eben Erlebten, und wandten sich Jono zu.

„Ich liebe dich, mein Falke“, flüsterte er und schloss erschöpft die Augen.

Falke und Schlange

Was lange währte ...
 

Begleitmusik: http://www.youtube.com/watch?v=URvoen-xysg Ägyptische Musik
 

Epilog

Falke und Schlange
 

Der Sand der Östlichen Wüste glühte unter den heißen Strahlen der Sonne. Langsamen Schrittes bewegte sich die Karawane der Hethiter vorwärts, immer nach der Sonne oder abends nach der Position der Sterne gerichtet, nach Nordosten. Zidanta und Lubarna waren mehr als froh darüber, auf einem Pferd sitzen zu können und nicht wie Anitta in einer kleinen Sänfte eingepfercht zu sein. Ursprünglich für die nach einem Unfall entstellte Tochter eines früheren Pharao gebaut, war die Sänfte für Anitta etwas zu klein. Es war ihm unmöglich, seine langen Beine auszustrecken, so dass er die meiste Zeit in halber Schräglage, abgestützt auf einen Arm und die Beine angewinkelt, verbrachte. Die kleinen, mit feinem Gitterwerk verschlossenen Fenster ließen kaum frische Luft hinein und seine Diener, die im Tragen einer Sänfte unerfahren waren, brachten Anitta manches Mal schier zur Verzweiflung. Inzwischen bekamen sie wenigstens einen halbwegs ordentlichen Gleichschritt zustande, doch in den ersten Tagen war das hölzerne Beförderungsmittel so stark von einer Seite zur anderen geschwankt, dass sich dessen Insasse wie auf einem kleinen Boot mitten in einem schweren Sturm auf hoher See vorgekommen war.

Viel tun konnte der Fürst auch nicht, um sich die Zeit zu vertreiben. Die Diener und Soldaten, die seine Sänfte begleiteten und ihm abends halfen, waren angewiesen worden, nicht mit ihm zu sprechen. Derart zur Untätigkeit gezwungen, verbrachte Anitta die meiste Zeit damit, in seinem stickigen Gefängnis vor sich hin zu brüten und Pläne zu schmieden, wie er sich an Zidanta, Lubarna, dem Pharao und vor allem an Jono rächen konnte. Ein ums andere Mal verwarf er seine Überlegungen und begann von neuem. Keines der Vorhaben erschien ihm grausam genug und besonders Jono, der seine Pläne einmal zu oft vereitelt hatte, wollte er ein möglichst qualvolles Ende bereiten. Aber wie er es auch drehte und wendete, eines blieb unverändert: Um überhaupt seine Rache zu bekommen, musste er aus dieser verfluchten Sänfte heraus und – was Jono und den Pharao betraf – seinen Be-wachern entkommen.

Wenn ich an mein Gepäck käme, sähe die Sache schon anders aus, dachte er. Seine ganzen Sachen waren nach seiner Verhaftung gründlich durchsucht worden und das Mittel, mit dem Anitta den Wein und das Wasser versetzt hatte, war auch gefunden worden. Nicht jedoch die kleine Sammlung von Giften, unter anderem Belladonna, Arsenik, und Mohnsaft, die in einem geheimen Fach im Deckel einer seiner Kleidertruhen ruhte. Eines von den Fläschchen war mehr als ausreichend, um seinen Feinden einige qualvolle letzte Stunden zu bereiten.
 

Als sie hielten und Anitta endlich seine Sänfte verlassen durfte, waren ihm die Beine eingeschlafen. Er streckte sich mehrfach und machte zunächst unsichere Schritte, bis das Blut in seine Extremitäten zurückgeströmt war. Dann ließ er sich von einem Diener zu seinem Zelt führen, immer unter den aufmerksamen Augen der Wachen.

Seinen einstigen Leibdiener hatte er seit der Abreise aus Men-nefer nicht mehr zu Gesicht bekommen. Diesem war es streng verboten, Kontakt zu seinem Herrn aufzunehmen, damit er ihm nicht in irgendeiner Form behilflich sein konnte. Aber der Junge, den man ihm heute zugeteilt hatte, war eine wandelnde Katastrophe auf zwei Beinen. Nabi war ein Tollpatsch, wie er im Buche stand. Dauernd stieß er gegen etwas oder ließ etwas fallen. Wie zur Bestätigung krachte es Sekunden darauf und im Zelt breitete sich der süßliche, intensive Geruch von Parfüm aus.

„Du Tölpel, was hast du angerichtet! Sieh zu, dass du das wegmachst, ich will nicht in einer Duftwolke schlafen“, fauchte Anitta.

Der Junge zog den Kopf ein, als die geballte Ladung aufgestauten Frusts aus seinem Gegenüber ausbrach und sich über ihm entlud. Er huschte aus dem Zelt, um einen Lappen und etwas Wasser zum Aufwischen zu holen. Anitta sah ihm grimmig nach und ließ sich auf einem Hocker nieder. Was habe ich verbrochen, dass ich mit einem solchen Dummkopf gestraft wer – Seine Gedanken brachen ab, als seine Augen an einem hölzernen Kasten hängen blieben, der in einem Winkel des Zeltes stand. Anitta warf einen Blick zum Zelteingang. Seine Wachen standen reglos davor.

Er erhob sich vorsichtig von seinem Sitz und hastete dann, nach einem weiteren Blick auf die Männer, zu der Truhe. Mit leicht zitternden Fingern hob er den Deckel an und betätigte den versteckten Mechanismus, der das Geheimfach öffnete. Eine kleine Ansammlung von versiegelten Flaschen und Phiolen kam unter dem Holz zum Vorschein.

„Rein mit dir, Nabi, du weißt, du sollst ihn nicht so lange allein lassen“, kam die Stimme von einem der Wächter ins Zelt geweht.

Anitta griff hastig nach dem erstbesten Fläschchen, das ihm unter die Finger kam, verschloss das Versteck, klappte den Deckel herunter und schaffte es, die Flasche in sein Gewand schiebend, gerade noch auf seinen Platz zurück. Sekunden später kam Nabi herein und begann die Unordnung aufzuwischen. Anitta schlenderte zu seinem Nachtlager herüber, wo er sich auszog und seine Beute unauffällig zwischen den Decken verschwinden ließ, bevor er selbst ins Bett schlüpfte.

Sobald Nabi gegangen war – zu Anittas Ärger hatte er die Truhe wieder mitgenommen –, zog er die Flasche hervor und betrachtete sie im Schein des kleinen Öllichts, das nachts zur besseren Kontrolle für die Wachen in seinem Zelt brannte. Enttäuscht stellte er fest, dass er nur den Mohnsaft erwischt hatte. Ein Gift wäre für seine Rache besser geeignet gewesen, doch auch der Saft konnte ihm gute Dienste leisten. Er klopfte sein Kissen zurecht und zog die Decke höher. Ein oder zwei Stunden Schlaf wollte er sich noch gönnen, die Kraft würde er brauchen.

Es war eine Stunde vor Mitternacht, als er erwachte. Er lauschte nach draußen, vor seinem Zelt standen andere Wachen. Wie es sich anhörte, war die Ablösung noch nicht lange her und einer der beiden war verärgert, weil er sein Würfelspiel hatte unterbrechen müssen.

„Mach dir nichts draus“, sagte der andere Wächter. „Dafür hat uns doch Seine Durchlaucht mit diesem köstlichen Tropfen entschädigt. Diese Ägypter sind vielleicht zum Teil lausige Kämpfer, aber vom Wein verstehen sie ’ne Menge.“

„Da hast du Recht.“

Anitta schob die Zeltplane einen Spalt weit zur Seite und spähte hinaus. Die beiden Männer hatten sich, Tonkelche in der Hand und eine kleine Amphore zwischen sich stehend, vor den Eingang gesetzt. Schon wieder etwas, über das sich Anitta aufregen konnte. Er wurde seit Tagen mit Wasser abgespeist und einfache Soldaten tranken Wein und ließen obendrein noch die Disziplin vermissen. Letzteres schien ihrem Vorgesetzten ebenfalls ein Dorn im Auge zu sein. Mit großen Schritten kam er durch das Lager auf sie zugeeilt und herrschte sie an, gefälligst Haltung einzunehmen, wenn sie ihre Wache versahen und nicht faul vor dem Zelt herumzulümmeln.

Die beiden Gescholtenen sprangen auf und ließen die Standpauke ohne Widerworte über sich ergehen. Anitta zog mit den Zähnen den Korken aus dem Fläschchen und schüttete einen Teil des Mohnsaftes, immer wieder nach oben sehend, ob die Wachen noch von der Rede ihres Vorgesetzten abgelenkt waren, in die Amphore mit dem Wein. Mit einem letzten grimmigen Lächeln zog er sich danach vom Eingang zurück. Sie würden alle bezahlen, einer nach dem anderen. Dafür würde er sorgen.

„Dass sich der Hauptmann immer gleich so aufregen muss“, sagte einer der Wächter, als dieser gegangen war. „Aber sollen wir deshalb den guten Wein verkommen lassen?“

„Nee, du, wer weiß, ob wir noch mal welchen kriegen, bevor wir nach Hause kommen. Prost.“

Zufrieden hörte Anitta, wie die Tonbecher aneinander geschlagen wurden. Nicht lange, nachdem der Wein ihre Kehlen heruntergeflossen war, spürten die beiden, wie die Müdigkeit von ihnen Besitz ergriff. Sie versuchten sich an ihren Lanzen festzuhalten und wach zu bleiben. Der Hauptmann hatte damit gedroht, den Sold, den sie für diese Reise zusätzlich erhalten sollten, einzubehalten, wenn er sie noch einmal während ihres Dienstes so faul antraf. Der Mohnsaft aber tat unaufhaltsam seine Arbeit und bald darauf waren sie auch gegen ihren Willen ins Reich der Träume geglitten.

Anitta stieß sie an, seine Berührung blieb ohne Reaktion. Zufrieden grinsend holte er seinen Umhang und schlich aus dem Zelt. Über das Lager hatte sich Stille gesenkt, nur die Flammen der beiden Lagerfeuer, um welche sich jene Soldaten geschart hatten, die zur Wache eingeteilt waren, knisterten. Der Fürst sah sich nach seinem Gepäck um, doch in der Dunkelheit ließ sich kaum eine Truhe von der anderen unterscheiden. Er öffnete die erstbeste und fühlte kühles Metall unter seinen Fingern, glatt polierte Steine und Perlen. Das war zwar nicht das, wonach er gerade suchte, doch die Schmuckstücke konnten ihm sicher noch nützlich sein. Unter den hastigen Bewegungen seiner Finger verschwanden die Juwelen in einem Beutel. Anitta stöberte weiter und merkte nicht, dass er dabei immer lauter zu Werke ging.

„Ist da jemand?“

Beim Ruf des Wächters hielten Anittas Finger inne, ihr Besitzer sah sich um und verschwand hinter einem großen Korb. Der Soldat sah sich bei den Gepäckstücken um und trottete zu seinem Platz am Feuer zurück. Erleichtert atmete Anitta aus und überdachte seine Situation. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er die Gifte an sich brachte, mit ihnen in die Zelte von Lubarna und Zidanta gelangte und beide tötete? Nicht besonders groß, bedachte er die Wachen, die vor ihren Eingängen postiert waren. Und wenn man ihn erwischte, wie er durch das Lager streifte und zu allem Überfluss die betäubten Wachen fand, würde man ihn überhaupt nicht mehr aus den Augen lassen.

So ungern er die zwei am Leben ließ, es war wichtiger, dass ihm die Flucht gelang. Über die konkrete Planung seiner Rache konnte er sich danach Gedanken machen. Auf seinem Weg durch das Lager nahm er noch einen Beutel mit Lebensmitteln und mehrere Wasserschläuche an sich und schlich sich dann zu dem Teil des Lagers, wo die Tiere untergebracht waren. Während er seinen Blick in kurzen Abständen über die Zelte schweifen ließ, um eventuelle unerwünschte Besucher schnell auszumachen, sattelte er sein Pferd und verstaute die Beutel, die er hatte mitgehen lassen. Das Tier schnaufte leise, als sei es mit dem Vorhaben seines Besitzers nicht einverstanden, der nach den Zügeln griff und es zwischen ein paar Zelten, in denen die Diener schliefen, aus dem Lager führte.

Anitta wanderte über mehrere Sanddünen, bis die Feuer fast aus seiner Sicht verschwunden waren, dann erst wagte er aufzusteigen. Die zuerst langsamen Schritte wurden bald zu einem schnellen Trab und schließlich zum Galopp, der den Sand aufstauben ließ.

Als der Schrei des Hauptmanns, der die beiden Unglücklichen entdeckte, die in dieser Nacht Anitta bewachen sollten, das Lager aus seinem Schlaf riss, hatte er längst ein ganzes Stück Weges hinter sich gebracht. Vor ihm stieg die Sonne auf und tauchte eine Gruppe Felsen in ihr rötliches Licht. Anitta ließ sich müde von seinem Pferd gleiten und rollte sich unter seiner Decke auf einem großen, flachen Felsen zusammen. Vor ihm lag noch ein weiter Weg, aber jeder Schritt würde ihn seiner Rache ein Stück näher bringen.

Gut fünf Tage später traf der Soldat, den Zidanta als Bote losgeschickt hatte, in Men-nefer ein, um den Pharao über Anittas Flucht in Kenntnis zu setzen. Atemu schickte augenblicklich berittene Truppen los, um den Flüchtigen zu suchen, auch wenn die Chance, ihn zu finden, verhältnismäßig klein war. Die Östliche Wüste war groß und er hatte immerhin fast eine Woche Vorsprung.
 

In einem beeindruckenden Farbenspiel zog sich die Sonnenscheibe hinter den Horizont zurück, um ihrem kühlen Gefährten dem Mond Platz zu machen, der sich bereits im Osten zeigte. Jono betrachtete die beiden Gestirne mit einem leisen Seufzen. Den ganzen Tag über hatte er mit Tanefer trainiert und war nun, nach dem Abendessen, auf eine der Akazien geklettert, die in den Gartenanlagen wuchsen, um die schöne Abendstimmung ein wenig zu genießen. Um einiges lieber wäre es ihm allerdings gewesen, hätte er dies zusammen mit Seth tun können.

Es waren mehr als vierundzwanzig Stunden vergangen, seit sie sich zuletzt gesehen hatten. In zwei Tagen wurde Atemus zukünftige Frau, Prinzessin Tia, erwartet und im ganzen Palast herrschte eine Geschäftigkeit wie zuletzt vor der Ankunft der hethitischen Gesandten. Überall wurde geputzt und alles auf Hochglanz gebracht, um die königliche Braut angemessen willkommen zu heißen. Sie sollte nach ihrer Ankunft im Hafen in einem feierlichen Umzug zum Palast gebracht werden, den Seth, ebenso wie die restlichen Feierlichkeiten, organisierte – zu Jonos Leidwesen. Der Hohepriester wurde dermaßen von den Vorbereitungen vereinnahmt, dass sich das Paar seit Tagen kaum noch zu Gesicht bekam.

Jonos Finger strichen geistesabwesend über das Amulett, das um seinen Hals hing. Seitdem er offiziell zu seinem Wächter erklärt worden war, trug er es fast immer. Ähnlich wie Isis’ Kette hatte es sich darin bewährt, seinen Träger frühzeitig vor Gefahr zu warnen, besonders wenn es sich um Gefahr für den Pharao handelte. Von Anitta fehlte jede Spur, obwohl in dieser Stunde im ganzen Reich Beschreibungen von ihm verteilt wurden.

„Jono, was im Namen Amun-Ras machst du da oben?“

Der Blick des jungen Medjai richtete sich zu Boden und traf auf etwas genervt blickende blaue Augen.

„Ich habe auf dich gewartet.“

„Auf einem Baum“, kam die skeptische Antwort von Seth.

„Warum nicht? Die Aussicht von hier oben ist sehr schön. Komm rauf, dann zeige ich sie dir.“

„Danke, ich verzichte. Aber wenn du nicht bald herunterkommst, überlege ich mir, heute auf unser Training zu verzichten.“

„Nein, nein, nicht gleich sauer werden. Ich komme ja schon, Schlange“, sagte Jono und machte sich an den Abstieg.

„So ist es brav, Hündchen.“

„Seth! Ich bin kein Haustier!“

Etwa anderthalb Meter über dem Boden sprang Jono ab und landete vor seinem Gefährten.

„Ist ja gut, du weißt doch, dass ich das nicht böse gemeint habe.“

„Wenn ich mich richtig erinnere“, Jono stieß ihm den Zeigefinger gegen die Brust, „hast du darauf bestanden, die Namen ‚Hündchen’ und ‚Kater’ nur in unseren Räumen zu verwenden, nicht da, wo uns jeder hören kann.“

„Das weiß ich.“

„Apropos“, er beugte sich näher zu dem Hohepriester. „Unsere letzte gemeinsame Nacht ist schon ein paar Tage her“, raunte er.

Seths Gesichtsausdruck wirkte gequält.

„Ich würde ja gern, liebend gern sogar, aber ... Es gibt noch ein paar Unstimmigkeiten mit der Sitzordnung für die Hochzeit.“

„Dämliche Hochzeit“, grummelte Jono. „Bin ich froh, wenn die vorbei ist.“

„Glaub mir, ich auch. Unser Herr ist jetzt schon so nervös. Wie soll das erst bei der Hochzeit werden? Aber jetzt lass uns gehen. Je schneller ich heute an die Sitzliste komme, desto eher bin ich fertig und kann vielleicht doch noch zu dir kommen.“

Sie begaben sich in einen etwas entfernteren Winkel des Gartens, der im Allgemeinen selten von den Höflingen für einen Spaziergang aufgesucht wurde. Dort hatten sie ihre Ruhe. Mehrere Ölschalen auf hohen Ständern erhellten den Platz mit ihrem flackernden Licht. Jono und Seth ließen sich einander gegenüber auf großen Kissen nieder und verkreuzten die Beine zum Schneidersitz. Die Hände wurden, den Handrücken nach oben gerichtet, übereinander gelegt, nachdem sie die goldenen Diadiac angelegt hatten. Bei diesen handelte es sich um breite Armreife, an denen fächerförmig drei wie Flügel geformte Ebenen befestigt waren. Am linken Unterarm getragen, gestatteten sie es ihnen, die Ka-Wesen zu beschwören. Jono rutschte noch etwas hin und her, bis er eine so weit bequeme Position gefunden hatte.

Noch vor der Abreise der Hethiter hatte Seth damit begonnen, Jono in der Beschwörung seines Ka-Wesens zu unterrichten. Zu Anfang war ihm das alles sehr merkwürdig vorgekommen, doch inzwischen hatte er sich daran gewöhnt und wurde mit jedem Tag besser. Bei seinem ersten Versuch hatte Jono nur die Kraft des Auges gespürt, bald darauf aber hatte er noch eine andere Energie wahrgenommen, zwar von dunkler Natur, doch nicht böse gesinnt. Mit jedem Tag war diese Präsenz stärker geworden, war erst als schwacher Schemen, dann als Schatten hinter ihm sichtbar geworden. Vor drei Tagen hatte sich sein Ka-Wesen schließlich zum ersten Mal richtig gezeigt.

Damit hatte Jono fast das Ende der ersten der drei Stufen erreicht, wie man ein Ka-Wesen beschwor, das Rufen in absolutem Ruhezustand. Bei der zweiten Stufe war zwar ebenfalls eine gewisse Ruhe vonnöten, jedoch keine Meditation mehr. Die dritte und letzte Stufe bedeutete die Vollendung und die Fähigkeit, sein Ka-Wesen jederzeit, selbst mitten in einer Schlacht, zu beschwören. Doch bis Jono so weit war, würde es noch eine Weile dauern.

„Befreie deinen Kopf von allen unnötigen Gedanken“, hörte er Seth sagen. „Lass alles, was dich ablenken könnte, zurück und erzeuge eine Leere in deinem Inneren.“

Die Worte waren leicht gesagt, ihre Ausführung jedoch nicht immer so einfach. Jono bemühte sich, es seinem Lehrmeister nachzutun und sich in die Entspannung sinken zu lassen, doch immer wieder glitten seine Gedanken ab. Er öffnete das eine Auge einen Spalt weit und beobachtete Seth, der ebenfalls die Augen geschlossen hatte und, den Oberkörper gerade aufgerichtet, vor ihm saß. Sein Brustkorb hob und senkte sich unter gleichmäßigen Atemzügen, das Licht der Fackeln ließ die Haut in einem feinen Bronzeton schimmern. Jono war versucht, die Hand nach ihm auszustrecken und ihn zu berühren. Seine Finger begannen unruhig zu zucken.

„Du konzentrierst dich nicht“, sagte Seth, ohne die Augen zu öffnen.

„Was ... wieso ...“

„Du musst es nicht leugnen, ich merke es, wenn deine Gedanken woanders sind. Ich wüsste lediglich gern, wo.“

Auf Jonos Lippen trat ein Grinsen.

„Bei dir, wenn du es wissen willst. Wir sind hier allein und ... wir könnten doch –“

Seth sah ihn grummelig an, die Zähne zusammengebissen. Für einen Augenblick zog er Jonos Vorschlag in Erwägung, dann schüttelte er den Kopf.

„Wir machen das hier nicht zum Spaß, Jono. Ich nehme mir diese Zeit trotz der ganzen anderen Arbeit, die ich habe, um dir mit deinem Ka-Wesen zu helfen.“

„Und dafür bin ich dir auch dankbar, Seth, aber –“

„Kein Aber, konzentrier dich“, knurrte der Hohepriester und schloss wieder die Augen.

Jono brummte ein wenig unwillig, aber er wusste, wenn Seth diesen Ton anschlug, ließ er nicht mit sich verhandeln. Mit einem letzten Seufzen begab er sich zu seiner Meditation zurück. Nach und nach entspannte er sich, sein Atem wurde ruhiger.

Wo bist du?, fragte er in Gedanken. Zeige dich mir.

Er wartete, doch keine Antwort kam. Die Minuten verstrichen und seine mühsam gewonnene Ruhe schwand zusehends.

„Argh, das hat keinen Zweck“, sagte er, löste sich aus der Sitzposition und schüttelte seine mittlerweile etwas taub gewordenen Beine aus. „Er antwortet mir nicht, vielleicht hat er heute keine Lust.“

Seth starrte ihn ungläubig an und sprang ebenfalls auf die Füße.

„Wie bitte?“, fauchte er. „Keine Lust? Dass es nicht erscheint, zeigt nur, dass du keine Kontrolle über dein Ka-Wesen hast. Es soll nicht erscheinen, wie es gerade Lust und Laune hat, sondern wenn du es rufst. Was willst du in einer Schlacht tun, wenn du es brauchst und es

kommt nicht?“

„Bei Ra, ich bemühe mich wirklich, es zu schaffen und deinen Ansprüchen zu genügen, Seth, aber heute geht es einfach nicht!“

„Ja, weil du nicht übst!“

„Du tust gerade so, als wäre dir so etwas noch nie passiert.“

„Ist es auch nicht“, entgegnete der Hohepriester. „Du –“

Ein durchdringendes Brüllen ließ die beiden jungen Männer zusammenzucken. Jono wandte sich um und legte den Kopf in den Nacken.

„Bei Ra“, flüsterte er und ein zufriedenes Grinsen umspielte seine Lippen.

Vor ihnen stand der Schwarze Rotaugendrache. In seinen schwarzen glänzenden Schuppen spiegelte sich das Licht der Fackeln. Der lange Hals war in einer anmutigen Kurve nach unten gebogen und seine roten Augen trafen sich mit den braunen seines mehr als stolzen Besitzers. Seth trat, ein gewisses Maß an Erstaunen nicht verbergen könnend, neben den soeben Genannten.

„Wie hast du das geschafft, Jono?“, fragte er und sah auf das Diadiac, dessen oberster Flügel das Zeichen des Drachen trug.

„Ich ... ich weiß nicht. Unser Streit hat sich irgendwie hochgeschaukelt und dann ...“

„Hmm ...“

Seth überlegte eine Weile auf und ab gehend, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, ehe er sich wieder Jono zuwandte.

„Jedem von uns sieben Millenniumswächtern steht jeweils ein ganzes Sanktuarium mit Ka-Monstern zur Verfügung, die wir zum Schutz des Reiches beschwören können. Die meisten von ihnen wurden aus den Seelen von Verbrechern entfernt, um sie von ihren bösen Geistern zu befreien. Aber manchmal kommt es auch vor, dass du eine ganz persönliche Bindung zu einem Ka-Wesen besitzt, wie beispielsweise Mahaado zu seinem Magier der Illusion. In diesem Fall reagiert ein Ka-Wesen besonders auf starke Gefühle seines Besitzers. Ich denke, auf dich und deinen Rotaugendrachen trifft das auch zu.“

Jono näherte sich dem großen Drachen langsam und ließ seinen Blick über den mächtigen Körper und die Schwingen bis hin zu dem peitschenden Schwanz gleiten, der gerade einen Busch, welcher sich unglücklicherweise in seiner Reichweite befand, zu Kleinholz verarbeitete. Er streckte die Hand aus und strich vorsichtig über den geschuppten Panzer.

„Sei vorsichtig, Jono“, mahnte Seth, als der Drache den Kopf zu ihm beugte.

„Ach, der ist doch ganz lieb“, meinte Jono und begann seinen Drachen mit einem leicht verträumt wirkenden Gesichtsausdruck am Hals zu kraulen. Seth schüttelte nur den Kopf.

„Das ist doch kein Schoßtier.“

„Weiß ich doch“, sagte er und flüsterte dem Drachen etwas zu.

Seth hob skeptisch die Brauen, als sich der Rotaugendrache weiter herunterließ und den Kopf noch weiter herunterbeugte.

„Was soll das werden?“, fragte er, als sich Jono an dem schwarzen Hals festhielt und sich auf den Drachenrücken schwang.

„Ich habe ihn gefragt, ob er uns auf einen kleinen Ausflug mitnimmt.“

„Wie bitte?!“

Jono lachte leise, so fassungslos sah er Seth selten.

„Lass diesen Unsinn, Jono, und komm sofort da runter“, verlangte er.

„Komm du rauf. Oder hat der große Hohepriester etwa Angst vor einem Drachen?“

„Hmpf ... Warum musste ich mich nur ausgerechnet in einen so übermütigen Mann verlieben“, brummte Seth und schwang sich hinter Jono auf den Rücken des Schwarzen.

„Halt dich gut fest“, sagte Jono noch, bevor er seine Arme um den Hals seines Drachen schlang.

Als dieser seine Schwingen ausbreitete, sich vom Boden abstieß und die ersten kraftvollen Schläge mit ihnen ausführte, flackerten die Öllampen bedenklich und einige von ihnen erloschen. Seth klammerte sich an Jono fest. Mit jedem Schlag entfernte sich der Boden weiter von ihnen und sie gewannen rasch an Höhe, bis der Palast und sein ganzes, ihn umgebendes Gelände für die beiden Reiter nur noch wie eine Miniaturanlage wirkten. Unter ihnen zog die Stadt vorbei; die wenigen Menschen, die unterwegs waren, kamen ihnen wie Ameisen vor.

Es dauerte nicht lange, bis sie Men-nefer hinter sich ließen. Jono probierte sich daran, seinen Drachen über seine Gedanken zu steuern. Nachdem sie jedoch mehrere Drehungen, Rollen, Richtungswechsel und sogar einen doppelten Looping hingelegt hatten, beschloss Jono, weitere Experimente auf einen Flug ohne Seth zu vertagen, da dieser um die Nase leicht grünlich aussah und sich mit einer Hand an ihm festhalten musste, da er die andere brauchte, um sie vor seinen Mund zu halten. Nur langsam und dank eines nun sehr ruhigen Fluges beruhigte sich der rebellierende Magen des Hohepriesters.

Gut zwei Stunden waren sie unterwegs, bis sie an die Grenzen des fruchtbaren Landes stießen, das recht abrupt in die Wüste überging. Auf dem Landweg brauchten sie für die gleiche Strecke zu Pferd mehrere Tage. Der Drache verharrte mit leichten Flügelbewegungen an der Stelle und gewährte seinen beiden Reitern so einen guten Ausblick auf das einsame Land, das sich vor ihnen erstreckte.

„Dort draußen sind wir uns irgendwo zum ersten Mal begegnet“, sagte Jono.

„Und schon damals hatte ich so eine Ahnung, dass du etwas verbirgst, Falke.“

„Hättest du mir damals etwa geglaubt, wenn ich angekommen wäre und gesagt hätte, dass ich der neue Wächter des Auges bin?“

„Wahrscheinlich nicht“, überlegte Seth.

„Siehst du.“

„Aber nun lass uns nach Hause fliegen, sonst komme ich heute nicht mehr zu meiner Arbeit.“

„Einverstanden“, sagte Jono und wandte sein Gesicht wieder nach vorne, um sein Grinsen zu verbergen.

Seth würde sich heute Nacht noch mit einigem beschäftigen, doch nicht mehr mit seiner Arbeit, dafür würde er sorgen. Der Drache flog eine weite Kurve und machte sich auf den Rückweg nach Men-nefer.

Friedlich lag die Wüste im Licht des zunehmenden Mondes da. Düne reihte sich an Düne und kein Anzeichen ließ darauf schließen, dass sich in den Tiefen des Ödlandes bereits der nächste Sturm zusammenbraute und dass er mehr aufwirbeln würde als nur den Sand der Wüste.
 

... findet nun sein Ende. *schnüff* Ich möchte mich noch einmal bei all meinen Lesern bedanken und ganz besonders bei meinen Kommentatoren (ohne bestimmte Reihenfolge):
 

littledivana, SchwarzesMagiermädchenTea, Ryuichi-Sakuma, Asch, Yisa-, Roset, Rani, Sammy5522, saspi, Aredhel_Palantir



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Von:  Fox7Chan
2020-06-18T21:00:47+00:00 18.06.2020 23:00
Diese Geschichte war der absolute Wahnsinn!

Sie war so fesselnd, dass ich sie an einem Tag komplett durchgelesen habe.
Ohne Scherz! So viel hab ich noch nie an einem Tag gelesen!
Ich bin selbst von mir überrascht, sowie erstaunt.
(Bin sonst keine, die so viel ließt. Eigentlich sträub ich mich meistens sogar dagegen).

Zur Story:
Super Idee, gut Durchdacht ( man merkt wie viele Gedanken du dir gemacht haben musst) und sehr schön geschrieben.

Bei langen Geschichten, hab ich ja immer die Befürchtung, dass es zu langatmig wird. Das war hier nicht der Fall. Du bist sehr gut in Spannung aufbauen und halten. Props an dich, das schafft nicht jeder.
(Hat aber auch damit zu tun, das ich diese Art von Geschichten, einfach liebe. Mit Action/Abenteurer, Fantasy und Romanze, kann man bei mir (sogut wie) nichts Falsch machen).

*Seufs* Genau das, was ich brauche, um vom Alltag abzuschalten.
Und dazu war noch das Paring SethxJono. *Schwärm*

Schön das du Jono so eine starke Persönlichkeit gegeben hast. (Nicht jeder ist da Auserwählt und folgt einer Stimme, die einem verleitet ein wertvolles Artefakt zu stehlen XD)

Das fehlt mir in machen Ff. (Nicht in allen!) Da wird Joey (also Jono) immer so schwach dargestellt.

Auch Seth's Charakter, hast du gut in Szene Gesetzt.
(Bin ich froh, dass Seth ihn nicht aufgegeben hat, als Jono ins Gefängniss kam. Da ist mir wirklich ein Stein vom Herzen gefallen).

Was mir allerdings zu kurz kam, war die Trauer um den echten Kail.
Marik war sein bester Freund ( das hast du am Ende öfter erwähnt), aber ich habe nicht wirklich gesehen/gelesen, dass er um ihn trauert. ( Die anderen auch nicht)
Er muss ihn doch furchtbar vermissen, wenn er da einen Jono vor sich hat, der so wie der echte Prinz aussieht und sich wie er benimmt, aber es trotzdem nicht ist!
Ich könnt mich da nicht so einfach umstellen und einen anderen wie meinen vertorbenen Freund und Prinzen, behandeln.

Schön find ich, dass du an die Kleinigkeiten gedacht hast, die in Ägypten anders waren und du die echten Begriffe verwendet hast.

Auch wenn sich da ab und zu mal kleine Fehler eingeschlichem haben (Ich denke nicht das es damals schon Europa gab, oder sie die genaue Uhrzeit wussten^^.
Soweit ich weiß, wurde erst nach der Regentschaft des Pharao Seto (ja den gab es wirklich *freu*), die erste Uhr erfunden mit der man die Uhrzeit ablesen konnte.

Wow...
hab noch nie so ne lange Review geschrieben, kommt bestimmt daher, dass ich auch noch nie, soviel an einem Tag gelesen habe XD

LG
FoxChan














Von:  xXRuriXx
2017-04-09T21:58:19+00:00 09.04.2017 23:58
hII

also ich liebe diese story soo sehr.
Aber kapitel 18...das gab es doch schon mal. Ich glaube da hast du das falsche Kapitel hochgeladen ;)macht aber ja nichts....

I LOVVe it <3
Von:  Kemet
2014-03-27T16:25:29+00:00 27.03.2014 17:25
Selbiges wie auf Fanfiktion.de, in der Hoffnung es würde irgendwo gelesen werden...

Es ist schade, dass darauf keine ersichtliche Fortsetzung folgt. obwohl so viele Fragen unbeantwortet sind. *schnüff*

Nun aber zu diesem Teil:

Erstmal ist Dein Schreibstil sehr, sehr schön. Sehr detailreich und ausdrucksstark. Ich habe sie angefangen auf Mexx zu lesen. :)
Dann desweiteren, ist es schön, dass Du die altägyptischen Namen verwendest, meistens zumindest. Mennefer, oder auch Mennofer - der Name des heutigen Memphis. Kemet, der alte Ausdruck für Ägypten.
Aber... Kreta wäre Keftiu gewesen, ebenso wie Mohnsaft damals ein anerkanntes Schmerz- sowie Schlafmittel war und Verwendung in allen Lebenslagen fand.
Kommt noch hinzu, dass der Haushofmeister der Oberste über die Dienerschaften war und nicht nur der Sklaven. Desweiteren kündigte der Herold die Leute an und nicht der Haushofmeister. Die Medjai waren ausländische Kämpfer, zumeist aus Kusch, welche dafür bekannt waren nur einen einzigen Herrn zu dienen. Die Leibwächter des Einzig-Einen bestanden zumeist aus den 15 Getreuen, welche immer um diesen herum waren...
@.@ Zu viele Infos, aber es ist ein Hobby von mir. Wundere Dich deswegen nicht.

Dennoch aber war Deine Story eine der Besten, die ich seit langem mal wieder gelesen habe. Wäre das hier Facebook, hieße das: Daumen hoch und ansonsten nur ein Kommie + ein Favouriteneintrag auf Mexx, sowie hier.
Von:  Lunata79
2012-12-02T02:43:50+00:00 02.12.2012 03:43
Hammer FF! Besonders die Stellen, die besonders witzig sind und mich fast gekugelt hab vor Lachen.
Ich hoffe wirklich, dass es eine Fortsetzung gibt und/oder geben wird.

Lg
Lunata79
Von:  Black_Sweetie
2011-11-20T09:49:24+00:00 20.11.2011 10:49
ich hinter lasse dir auch keine morddrohung.
ich mag diene ard zu schreibe *grins*
weiter so


bin gespand Black_sweetie
Von: abgemeldet
2011-04-01T16:31:10+00:00 01.04.2011 18:31
Ägypten! Ich liebe Ägypten! Da das mein erster Komi zu diesem Ff is, werde ich alles schreiben was mir grad einfäll^^
Aaaaalllsoooooo:
Es ist wirklich super geworden. Wie immer ist dein Schreibstil toll und gut strukturiert, so dass man leicht folgen kann. Und das alles in Ägypten stattfindet... perfekt. Du hast deine Hausaufgaben gut gemacht und auch die Hethiter als "Gegner" passen Ideal. Bieten sich auch irgendwie an, wenn man auf die Geschichte der Pharaonen zurückblickt :)Auch die Namesgebung hat mich gefreut, da sich sehr viele bekannte Namen wiederfinden.
Fands auch toll, das Bakura einen kleinen Gastauftritt bekommen hat.
Und dann natürlich mit den Hauptdarstellern Jono und Seth... da kann ich wirklich nur eines sagen: ALLE DAUMEN HOCH!
Aaaaaaaaaber
,das kann doch wirklich noch nicht das ENDE sein?! Was soll denn das? Da bietet sich wirklich eine Fortsetzung an. Ich hoffe wirklich, dass wir dazu noch ein, zwei kleine Kapis hören werden ^________^

lg Fox
Von: Karma
2011-01-29T20:18:39+00:00 29.01.2011 21:18
Ich liebe sie!
*_____*
Gut, das wusstest Du ja eigentlich schon, aber ich hatte Dir einen Kommentar versprochen und den sollst Du auch kriegen. Ich kann zwar nicht versprechen, dass er wirklich ausführlich wird, aber trotzdem.
*Fingerknöchel knacken lass*

Wo soll ich anfangen? Ich liebe die Besetzung der Charaktere, ich liebe Deine Umsetzung derselben und das gesamte Setting ist sowieso toll. Man merkt, dass Du Dir wirklich eine Menge Gedanken gemacht und viel recherchiert hast, um alles glaubwürdig und realistisch zu gestalten. Und das ist Dir zweifelsohne gelungen. Die Story ist einfach toll, die Charaktere sind charaktergetreu und handeln in sich schlüssig und nachvollziehbar ... Was will man mehr?

Ich muss eine Kleinigkeit gestehen: Ich liebe Zidanta. Vom ersten Auftauchen an fand ich ihn klasse und war echt enttäuscht, als der Verdacht aufkam, dass er mit Anitta unter einer Decke stecken könnte. Ich hab bis zur Auflösung dieser Sache gebetet, dass das nicht stimmt, und als rauskam, dass es bei dem Gespräch mit dem Mistkerl (ich hasse ihn >.<) nur um ein Schmuckstück ging, hab ich laut gejubelt.
^^°

Übrigens bin ich - wie Du ja schon weißt - eindeutig auch sehr für eine Fortsetzung. Ich möchte doch zu gerne wissen, wie es mit Seth und Jono, Anitta und auch mit Atemu und seiner zukünftigen Gemahlin weitergeht.
*Dich anhibbel*

Sorry, mehr Konstruktives ist von mir derzeit nicht zu erwarten. Tut mir auch leid, dass es so kurz ist, aber wenn ich jetzt versuche, alles zusammenzufassen, was mir gefallen hat, dann schreibe ich einen Roman statt eines Kommentars.

Abschließend gibt's eigentlich nur eins zu sagen: Toll gemacht. Den ersten Platz hast Du Dir damit wirklich redlich verdient.
*knuddel*

Karma
Von: abgemeldet
2010-07-14T21:18:49+00:00 14.07.2010 23:18
Heyy^^
ich finde deine FF wirklich richtig super!
Schade das sie schon zuende is :(
Sie hat mich bis zum Ende gefesselt.
Auch das du die Charaktere aus dem Manga nich ooc waren, fand ich klasse! Zumal ich es mir sehr schwer vorstelle Seth so hinzubekommen, wie du es gemacht hast!
Außerdem ist es die beste Ägyptische FF die ich bis jetzt gelesen hab xD

Aber das Ende ist schon noch offen, oder?
Ich meine was passiert mit Anitta?
Ich hoffe du schreibst eine Fortsetzung!
Würde mich echt freuen ^.^
lg
Von:  little_sunshine
2010-03-26T00:34:48+00:00 26.03.2010 01:34
Eine wirklich tolle Geschichte, mittendrin musste ich mich vergewissern das ich eine FF lese und kein Buch...
ich hatte wirkliche Zweifel daran xD

du hast einen sehr schönen und vor allem mitreisenden Schreibstil, man hat nie das Gefühl, in dem FLuss der Erzählung unter zu gehn und sich zu verirren...

du hast die Personen toll beschrieben und auch die Ereignisse wirken total echt ^.^
man merkt das du viel für die Story recherchiert hast, das find ich toll, so wirkt das ganze nur noch realistischer.

Nein wirklich, ich kann nur sagen, toll^^


LG sunny
Von:  Ryubi
2010-03-08T08:44:59+00:00 08.03.2010 09:44
awwww ende ,___, dabei wars grad so schöööö~n
nyu nyu ich hätt gern noch gewusst was aus anitta geworden ist, aber man kann ja nich alles haben xDDD
jeedenfalls wars eine supertolle ff und ich freu mich das ich endlich zeit gefunden hab es zu lesen x3333 hat mir viele schöne stunden bereitet :333
<3


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