7 Zeichen, ein Wort, ein Name, ein Schicksal
JO_E_Y_
7 Zeichen, ein Wort, ein Name, ein Schicksal
Nur mit einem Handtuch um den Körper geschlungen stehe ich vor dem Spiegel im Bad. Mit rehbraunen Augen blicke ich mein Spiegelbild an. Mein Spiegelbild was ich hinter dem Wasserdampf nur verschwommen sehe.
Langsam hebe ich meine rechte Hand und male mit dem Zeigefinger 7 Zeichen in den Dampf. Bedächtig senke ich wieder meine Hand und lege sie wieder auf dem Waschbecken vor mir ab. Mit den Augen fahre ich die Zeichen Strich für Strich ab. Und wieder stellt sich mir die Frage:
'Wie lange schon?'
7 Zeichen. 7 Zeichen, die ein Wort bilden. Ein Wort, was ein Leben bedeutet, ein Schicksal.
Und doch ist es in Vergessenheit geraten.
Niemand kennt dieses Wort, diese 7 Zeichen. Niemand. Niemand kennt die Bedeutung dieses Wortes. Und die, die es wussten haben es vergessen.
Nur ich, Ich nicht.
Wie könnte ich auch.
Ich bin dieses Wort, aber ich verdränge es.
Diese 7 Zeichen sind mein Leben, mein Schicksal.
Aber ich habe es vor langer Zeit abgelegt.
Und warum?
Weil DU es wolltest!
Ich habe es gemacht und jetzt gibt es kein zurück mehr. Manchmal wünsche ich mich zurück. Zurück zu diesem Augenblick, zurück um es zu verhindern. Den es hat mir nichts gebracht. Zu mindestens nicht das was ich wollte, gewünscht und ersehnt hatte.
Denn ich bin alles Mögliche für dich, aber nicht dieses Wort.
Ich bin: 'Köter, Flohschleuder, Armleuchter, Straßenköter, ...'
Aber nie wieder dieses Wort.
Du kennst dieses Wort, nur du.
Ich habe es die gesagt als wir uns kennen lernten. Aber als du mir sagtest, du magst es nicht, habe ich es abgelegt und nie wieder benutzt. In dem Augenblick wurde ich zu dem was ich heute bin.
Ich habe 3 Zeichen gestrichen. 3 von 7. Übrig blieben 4.
Mein neues Wort. Mein neues Leben.
Ich hebe die Hand und wische sie weg. Aber was ich sehe gefällt mir nicht. Schon lange nicht mehr.
Mit einer ruckartigen Bewegung wische ich alles weg. Fast so als ob ich es auch aus meinem Gedächtnis löschen will. Aber ich weiß, dass funktioniert nicht. So oft habe ich es probiert und immer wieder kam es wieder.
Diese 7 Zeichen bleiben, auch wenn außer uns Beiden keiner mehr weiß, das es sie gibt.
Denn seit 12 Jahren bin ich JOEY und nicht mehr JOCELYN.
Und das nur weil du gesagt hast, du magst keine Mädchen und spielst nur mit Jungs.
Auf dem Friedhof
Auf dem Friedhof
Wieder ist es so weit. Heute ist der Tag, der einzige Tag im Jahr, wo ich bin wer ich wirklich bin. Nur einmal im Jahr bin ich Jocelyn.
An dem Tag an dem ich meine Familie verloren hab.
2 Tage vor meinem Geburtstag stehe ich hier an ihrem Grab. Sie starben vor 3 Jahren als sie vom Einkaufen zurück kamen. Dabei wollten sie doch nur mein Geschenk abholen. Ein PKW-Fahrer verlor auf einer Eisfläche die Kontrolle über sein Fahrzeug und fuhr frontal in sie rein. Das einzige Tröstliche für mich ist, dass sie alle drei sofort tot waren und nicht noch leiden mussten. Auch wenn sie mich damit allein gelassen haben.
Vorsichtig hocke ich mich hin und streiche liebevoll über die Platte mit euren Namen.
„Ihr fehlt mir.“ Während ich das leise flüstere rinnen mir langsam die Tränen meine Wangen hinab. „Warum habt ihr mich nur allein gelassen? Warum?“
Aber ich weiß das ich auf diese Frage nie eine Antwort erhalten werde.
Ich weiß nicht wie lange ich hier hocke und mich mit euch unterhalte. Es müssen aber schon über 5 Stunden sein, so dunkel und kalt wie es inzwischen ist.
Ein letztes Mal streiche ich über eure Namen bevor ich aufstehe und mich mit einem traurigen Seufzen abwende. Langsam mache ich mich wieder auf den Weg nach hause.
Während ich den Friedhof verlasse unterhalten sich in der Nähe zwei Personen.
„War das Joey?“
Leise, kaum zu hören, wird die Antwort vom Wind davon getragen.
„Nein, das war nicht Joey. Das war Jocelyn.“
Die Blume
Die Blume
2 Tage später, 25.01.
Ich stehe hier jetzt bestimmt schon 10 Minuten und starre mit offenen Mund auf meinen Platz. Was ich da sehe kann nicht wahr sein. Langsam hebe ich den Kopf und blicke mich im Klassenzimmer um. Ich bin allein, war die ganze Zeit allein. Also von wem ist das und vor allem WAS ist das?
Auf meinem Platz steht eine Schale mit Wasser und auf dem Wasser schwimmt eine Kugel. Eine Kugel aus zusammengerollten trockenen Farn.
Ich betrachte sie von allen Seiten, aber es sieht von überall aus gleich aus.
Während ich die Kugel weiter betrachte und darüber nachdenke wer sie da hingelegt haben könnte, öffnet sie sich. Staunend beuge ich mich über den Teller auf dem Tisch.
Es ist eine Blume. Und zwischen den „Blättern“ befindet sich ein Zettel. Vorsichtig nehme ich ihn raus und falte ihn auseinander. Kurz blicke ich mich um, um sicher zu gehen das ich immer noch allein bin.
Mit Staunen lese ich was auf dem Zettel steht.
„Das ist eine 'Rose von Jericho'.
Wie du versteckt sie ihre Schönheit hinter einer harten Schale.
Alles Gute zum Geburtstag Jocelyn.
P.S. Es tut mir leid was ich damals gesagt habe.“
Die Entscheidung
Die Entscheidung
Zwei Stunden später betrete ich das Klassenzimmer erneut. Unser Geschichtslehrer begrüßt mich, während er sich zur Tür umdreht, mit den Worten: „Sie sind spät Mister Whe...“
Er stockt mitten im Satz und starrt mich mit offenem Mund an.
Kurz darauf fängt er sich wieder und sagt: „Entschuldigen Sie, sie sind nicht Herr Wheeler.“
„Nein“, antworte ich, „seit zwei Stunden nicht mehr.“
Er sich mich nur irritiert an.
Ich blicke mich um. Du sitzt auf deinem Platz. Langsam gehe ich zu dir. Die teils bewundernden, teils verwirrten und teils fragenden Blicke meiner Mitschüler ignoriere ich. Nur du zählst. Vor deinem Tisch bleibe ich stehen.
Gemächlich hebst du den Kopf. Tust so als ob du mich erst jetzt bemerkst, aber ich habe genau gespürt, dass du mich die ganze Zeit beobachtest hast. Ich quittiere dein Verhalten mit einem Lächeln.
Du siehst mich an, aber sagst und tust ansonsten nichts. Auch als ich mit meinen Händen dein Gesicht umschließe tust du nichts. Siehst mich einfach nur weiter an.
Langsam beuge ich mich zu dir runter. Als unsere Gesichter nur noch Millimeter trennen stocke ich und sehe dir in die Augen. Da ich keinen Hass und keinen Ekel, sondern nur Wärme in ihnen sehe, senke ich meine Kopf und lege meine Lippen auf deine.
Nachdem ich meinen Kopf wieder gehoben habe, sage ich: „Danke!“
Du lächelst und antwortest mir: „Gern geschehen Jocelyn.“
Als ich mich umdrehen will, hältst du mich fest und sagst: „Ich lass dich nicht mehr gehen.“
Und während du mich küsst, weiß ich:
'Ja, meine Entscheidung war richtig. Ich bin wieder ich. Aber Joey wird immer ein Teil von mir sein.'
ENDE