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One-Shot Sammlung

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Grau

Autor: fruitdrop

Disclaimer: Diesmal gehörts sogar mir!
 

Datum: 14. Juli 2004

Ort: Ein kleines Städtchen an der Schweizer Grenze
 

Grau
 

Der Himmel über mir ist grau. Die Pflastersteine unter meinen nackten Füßen sind grau. Die Häuser links und rechts von mir haben diesen Grauton. Alles scheint irgendwie grau zu sein, selbst die Menschen. Es ist, als würde ich in einer Stadt aus gestorbenen Träumen umherwandeln. Wie unter Toten. Grau. Die meisten Menschen laufen schnell, haben es eilig. Sie tragen schwarze Aktentaschen unter den Armen, ihre grauen Anzüge sind glatt gebügelt, die Bügelfalte ist penibel gerade. Oder es sind Mütter mit kleinen Kindern, denen sie immer wieder das Röckchen zu Recht zupfen und die nicht zum Brunnen dürfen, weil sie dreckig werden könnten. Gestorbene Träume.
 

Was sie wohl gerade denken? Der Bettler, vorhin auf der Brücke, hat etwas in einer fremden Sprache zu mir gesagt. Ich hab es nicht verstanden, aber es hat sich freundlich angehört. Ich habe ihm nicht geantwortet. Was er wohl denkt?
 

Die junge Mutter, die mir mit einem Kind auf dem Arm und zwei vollen Einkaufstaschen im anderen entgegenkam. Sie hat mich nicht bemerkt, sie wirkte gestresst, das Kind quengelte. Ob sie daran dachte, was sie ihrem Mann zu Abend kochen sollte? Oder ob sie sich über die Steuererklärung Gedanken gemacht hat? Was hatte sie in ihrer Jugend für Träume? Ist es das, genau das, was sie schon immer wollte?
 

Dann waren da diese Inder. Hier in der Stadt gibt es eine Menge Inder. Sie pfeifen und gaffen immer den Mädchen hinterher. So auch jetzt. Ich fühle mich unwohl unter ihrem Blick. Was sie wohl denken? Sehen sie in einem deutschen Mädchen den Schlüssel zu Freiheit und Wohlstand? Ich laufe schnell weiter.
 

Der graue Boden unter meinen nackten Füßen ist noch warm. Die Gitarre liegt schwer auf meinen Schultern. Heute Nachmittag hat es gewittert. Sehr heftig. Der Donner knallte wie Bombeneinschläge. Krieg. Gestorbene Träume. Tod.

Und alles ist grau.
 

Auf einer Bank sitzt ein Mädchen. Ein bisschen älter als ich selbst. Sie blickt hinauf in die grauen Wolken. Ihr Gesicht ist traurig. Alles an ihrer Haltung drückt Trauer aus. An was denkt sie?

Sie seufzt, wendet ihren Blick auf die Pflastersteine. Starrt durch sie hindurch zum Mittelpunkt der Welt. Ihr Fuß scharrt nervös über den Boden, sie beißt sich auf die Unterlippe. An was denkt sie? Wartet sie auf jemanden? Gibt es überhaupt noch etwas, auf dass es sich lohnt zu warten? Das Mädchen wendet ihren Blick wieder in die grauen Wolken.
 

Graue Tauben fliegen über graue Schornsteine. Ein Kind weint; sein Eis ist auf die grauen Pflastersteine gefallen. Es rennt zu seiner Mutter, sie tadelt den kleinen Jungen. Warum er so schusselig sei und so weiter. Das kleine Kind weint noch mehr. Noch ein gestorbener Traum mehr.
 

Ich gehe weiter.
 

Eine alte Frau füttert Tauben mit Brotkrumen. Ein kleines Stückchen entfernt von ihr steht ein alter Mann und lächelt abwesend die Tauben an. Sie sind wohl verheiratet. Er stützt sich auf einen kunstvoll geschnitzten Gehstock. Die alte Frau wirft weiter Brotkrumen. Graue Tauben picken sie auf.
 

Alte Träume, ausgeträumt.
 

Dem alten Ehepaar gegenüber stehen ein paar Jugendliche und unterhalten sich. Fast alle haben dunkle Augenringe, sie wirken müde. Ihre Unterhaltung scheint nicht lustig zu sein. Keiner scheint glücklich zu sein. Ein ganz in schwarz gekleideter Junge tippelt unruhig hin und her. Ihre Gesichter sind blass, ungesund. Keiner Lacht.
 

Junge Träume, gestorben.
 

Meine nackten Füße machen kaum ein Geräusch auf dem warmen Boden. Es ist Sommer, Schwimmbadzeit. Es sind viele Menschen hier, in der Stadt. Laufen gehetzt von einem Termin zum anderen. Bummeln durch die Straßen von Geschäft zu Geschäft, immer darauf bedacht, die Oma, das 5-jährige mit der Puppe im Kinderwagen und den eigenen Kinderwagen mit dem ganz kleinen nicht aus den Augen zu verlieren. Alles wirkt gehetzt.
 

Eine junge Frau in teuer aussehendem grauen Hosenanzug, Einkaufstasche in der einen und Handy in der anderen Hand läuft in schnellem Tempo zum Parkplatz auf dem ihr Auto steht. Ein kleines, graues Auto. Sie läuft schneller als alle anderen. Schiebt sich durch das Gewühl aus Kindern, Omas, Opas, Eltern. Entschuldigt sich nicht, wenn sie jemanden anrempelt oder zur Seite schiebt.
 

Träume, die noch in Erfüllung gehen können.
 

Immer noch machen meine Füße kein Geräusch. Es ist laut und doch merkwürdig still. Denn jeder lebt in seiner eigenen Welt, am anderen vorbei. Allein. Und doch unter Menschen. So nah und doch so weit entfernt.
 

Zwei junge Banker laufen im Gleichschritt nebeneinander her. Ihre Hosen sind penibel gebügelt, ihre Hemdärmel hochgekrempelt, die Krawatte gelockert. Einer gestikuliert wild mit den Händen, versucht dem anderen etwas zu erklären. Er scheint es aber nicht zu verstehen. Sie laufen weiter, schnell.
 

Es ist warm. Der Boden ist warm, die Luft ist warm. Und doch scheint eine Eiseskälte über der Stadt zu hängen. Die Luft wirkt drückend. Wahrscheinlich wird es heute noch einmal gewittern. Von Osten her schieben sich wieder dicke, schwarze Wolken über die grauen Dächer der grauen Stadt.
 

Ich passiere eine Brücke. Am Rand sind Kerzen aufgestellt. Rote. Die stundenlang brennen. Friedhofskerzen. Unter mir rauscht ein kleiner Bach. Schaulustige stützen sich am Geländer auf und gaffen. Es gibt nichts mehr dort zu sehen, die Kerzen brennen schon drei volle Tage. Aber sie glotzen trotzdem. Die Perversität des menschlichen Gehirns.
 

Zerstörte Träume, geflohen aus zerstörten Seelen.
 

Ich laufe weiter. Es ist nicht mehr weit.
 

Ein Bus hält an der Straße. Menschen steigen aus, immer mehr, immer mehr. Sie füllen die Straßen mit ihrem Gelächter. Es ist ein ausländischer Bus, der Touristen in unser graues Städtchen bringt. Sie strecken sich, müde von der langen Fahrt.

Die meisten sind alt, haben wahrscheinlich schon Enkelkinder. Sie bringen noch mehr grau in die Stadt. Graue Straßen, graue Häuser, graue Tauben und graue Menschen.

Doch ein paar junge sind auch dabei. Sie lachen, erzählen Witze in einer fremden Sprache. Ich kann sie nicht verstehen, aber ich sehe, dass sie glücklich sind.
 

Der Boden vor meinen Füßen wird nass. Große, nasse Flecken. Schwer landen die Tropfen auf meinen Schultern, meinen Haaren. Es riecht nach nassem Teer, nach Sommer. Und dennoch ist es dunkler geworden. Die Straßenlaternen gehen an. Die dürften sich wenigstens freuen, haben sie doch jetzt ein bisschen mehr zu tun.
 

Ich erreiche mein Ziel, kurz bevor es richtig anfängt zu regnen. Ein Donnerschlag knallt durch die Straßen. Einige bleiben erschrocken stehen, schütteln kurz den Kopf und laufen mit hochgeschlagenem Kragen weiter.
 

Ich bin im Trockenen. Hier ist der Boden kalt. Keine Sonne hat ihn erwärmt. Ich laufe schnell die Treppen hoch. Dann bin ich zu Hause.
 

„Bin daheim!“
 

Keiner antwortet.
 

Denn die Wohnzimmer dieser Stadt sid genauso grau wie ihre Dächer und Tauben.
 

~*~
 

vielleicht hats jemandem gefallen, der darf mir dann gerne ein kommentar hinterlassen. ist aber kein muss. hauptsache, es wurde gelesen.
 

fruit

Monster

Autor: fruitdrop

Disclaimer: Diesmal gehörts sogar mir!
 

Monster
 

Ein Allesfressendes Monster. Es kriecht, weiter, weiter. Langsam, aber stetig. Frisst alles auf seinem Weg. Lässt nichts außer Zerstörung zurück. Es ist hungrig.
 

Es ist groß, Furcht einflößend. Es streckt sich, dehnt sich, um auch die letzte Beute zu erreichen. Niemand entkommt ihm. Sie sind erstarrt, bewegen sich nicht. Aus Furcht? Es ist furchtlos.
 

Egal was sie tun, sie können nicht davonlaufen. Es wird sie kriegen. Sie kennen ihr Schicksal und kämpfen nicht länger dagegen an. Warum? Weil es seit jeher so ist? Weil es niemand anders kennt? Niemand begehrt auf, versucht etwas zu ändern. Es ist mit dem Schicksal nicht vertraut.
 

Es kriecht weiter, das Monster kriecht weiter. Es hat keine Beine, du kannst den Körper nicht erkennen, alles ist eine einzige Masse. Es streckt Tentakeln wie Arme aus, greift sich alles in seiner Nähe und verschlingt es. Es ist ein Nimmersatt.
 

Es ist hungrig, hungrig. Es braucht Nahrung, um zu wachsen, zu gedeihen. Es will leben, wie alles Leben auf dieser Welt. Aber lebt es wirklich? So wie wir? Es scheint kein Bewusstsein zu haben, es scheint nur von seinem alles vertilgenden Hunger getrieben zu sein, hinter sich lässt es nur Zerstörung. Es ist süchtig danach.
 

Es hat keine Augen, sieht dich nicht. Es hat keine Ohren, hört dich nicht. Aber es kann dich riechen. Gut, sehr gut. Geleitet von seiner Nase versucht es, seinen Hunger zu stillen, versucht, seinen Magen zu füllen. Stetig, immerzu. Es schläft nicht, es rastet nicht, es zaudert nicht. Sein Gehirn kennt nur eines: Fressen. Es ist ein Monster.
 


 

Es ist ein großer Regentropfen auf einer Windschutzscheibe.

Spermüllzeit

Autor: fruitdrop

Disclaimer: Diesmal gehörts sogar mir!
 

Sperrmüllzeit
 

Schon seit heute Morgen hängt eine gewisse Spannung in der Luft. Ich habe sie zum ersten Mal gefühlt, als ich gegen sieben aus dem Haus bin.
 

Die Menschen waren achtsam, schienen etwas zu suchen. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, was es sein sollte.
 

Gegen Mittag konntest du die Spannung fast mit Händen greifen, sie schien wie eine Wolke aus Nebel vor dir herzuschwirren; aber es ist unmöglich sie festzuhalten.
 

Die Menschen auf der Straße beäugten dich kritisch wenn du auf denselben Punkt wie sie starrtest. Sie schienen alle etwas zu verbergen, etwas, das sie stark begehrten. Und das niemand außer ihnen haben durfte.
 

Als ich gegen Abend noch mal raus ging, merkte selbst mein Hund, dass etwas nicht ganz stimmte. Ich fühlte mich fast wie in einem Krimi aus den 40er Jahren. Schwarz-weiß, mit kleinen Rissen und Flecken auf dem Band. Ich, in Trenchcoat und Hut, auf der Suche nach einem Verbrecher. Und alle auf der Straße bemerken dich, weil du dich so auffällig unauffällig benimmst. Du klopfst die Pfeife an einer Hauswand aus und läufst weiter.
 

Du konntest die Spannung praktisch mit dem Messer schneiden. Nur das nichts passiert, wenn du versuchst, Wolken aus Nebel zu schneiden, weil du sie nicht greifen kannst.
 

Ich bin also mit dem Hund raus, joggte mit ihm zum Park, einmal rund rum und wieder zurück.
 

Erst als ich wieder daheim war, den Schlüssel ins Schloss stecken wollte um danach die Treppen in den fünften Stock zu nehmen und in der Wohnung angekommen mir und meinem Mischling was zu essen zu machen, merkte ich, was die Leute so misstrauisch, ja gar feindselig machte.
 

Es war Sperrmüllzeit.

Selbstmordvogel

Autor: fruitdrop

Disclaimer: Diesmal gehörts sogar mir!
 

Selbstmordvogel
 

Gestern machte ich eine Bekanntschaft der eher ungewöhnlichen Art. Es war früher Abend, oder später Nachmittag. Für die meisten eins-Komma-fünf-Kinder-Durchschnittsfamilien Abendessenszeit. Also dachte ich, warum nicht mal wieder joggen gehen? Gedacht, getan. Hab ich mir also fast niegelnagelneue Laufschuhe, eine Flasche Wasser und eines dieser winzigen Musikabspielgeräte gepackt, bin voller Energie ins Auto gesprungen und hab mich auf den Weg gemacht. Um mich einzustimmen ließ ich irgendeine namenlose Indie-Rockband aus den Lautsprechern plärren und sang lautstark den Text mit, den ich nicht kannte.
 

Ich war schon fast da und trat voller Vorfreude noch ein bisschen fester aufs Gas, zu mal mein kleiner Twingo grade mit einer doch nicht zu verachtenden Steigung zu kämpfen hatte. Und dann … musste ich auf einmal voll in die Eisen steigen, weil vor mir ein Vogel auf der Straße saß. Wer kennt das nicht: Im Stadtverkehr sitzt plötzlich so ein graues Taubenvieh vor dir und du betest, dass niemand hinter dir die Straße entlang tuckert, weil du eine Vollbremsung hinlegst. Wäre ja auch ziemlich unmenschlich und vor allem eklig, einen Vogel totzufahren.
 

Dieser Vogel also, der war noch nicht mal so groß wie meine Hand. Winziges Ding, wirklich. Er saß da, starrte mir frech entgegen und wackelte mit dem Hinterteil, so dass die Schwanzfedern auf und ab wippten, als wolle er mir sagen „los, fahr weiter, ich bleib hier sitzen“.
 

Ich zog also die Handbremse an, da ich ja am Hang stand. Und im Hinterkopf kam mir der Gedanke, dass es nachher unendlich mühsam werden würde, von dort wieder wegzukommen, ohne den halben Berg wieder runterzurollen.
 

Warten, dass der Piepmatz sich von alleine erhob und sich bequemte, endlich die Fliege zu machen, wurde mir irgendwann zu bunt, zumal er absolut keine Anstalten machte, seinen Allerwertesten von vor meinem Auto wegzubewegen. Also ließ ich einmal den Motor aufheulen (was ziemlich erbärmlich klang, da ich nur Twingo fahre).
 

Aber der Vogel (ein Spatz, sagte mir mein Kleinhirn) legte nur den Kopf schief. Verärgert knurrte ich. Das können nur meine vor Jahrzehnten verstorbene, unendlich böse Großmutter und ich, aber die Oma zählt nicht mehr. Ich knurrte also wie ein wütender Köter, was schon viele Leute in die Flucht geschlagen hatte. Aber dieser Vogel blieb weiterhin sitzen und glotze mich aus großen, runden Vogelaugen an. Freches Ding. Aber von hinter der Windschutzscheibe hatte er mich sicher nicht gehört, sagte ich mir und versuchte es mit heruntergekurbeltem Fenster. Auch kein Erfolg. Also blieb mir nichts Anderes übrig als auszusteigen und ihn zu verscheuchen. Vor meinem inneren Auge tat sich das Bild von mir im Gewand einer Vogelscheuche auf, was ich aber so schnell es ging wieder verdrängte. Na, den Kürbiskopf hatte ich ja schon.
 

Ich stieg also aus und ging vor dem Spatz in die Hocke. Doch der bewegte sich nicht. Er drehte nur den Kopf zu mir und seine kleinen Äuglein blitzten mich an.
 

„Wieso willst du denn unbedingt überfahren werden? Ist das Leben nicht viel zu schön zum Sterben? Vor allem ein Vogelleben! Du bist frei und kannst hinfliegen wo du willst. Hast keine anderen Sorgen außer was du als nächstes fressen willst. –ich beneide dich, wirklich. Und du willst, dass ich dich überfahre? Ich kann dich wirklich nicht verstehen.“ So endete ich meine kurze Rede kopfschüttelnd. Mein Kopf sagte mir, dass ich eine Schraube locker hatte. Wer redete schon mit einem Vogel? Einem Spatz zu allem hin! Wenn es wenigstens einer dieser Papageien wäre, die tatsächlich antworten konnten, dann käme ich mir wohl nicht so dämlich vor.
 

Ich seufzte noch einmal tief und voll Unverständnis und machte mich dann daran, den Vogel wegzuschieben. Doch ein piepsiges Stimmchen ließ mich innehalten.
 

„Pah, Freiheit, dass ich nicht lache! Vogelfrei bin ich, wenn überhaupt! Zum Abschuss freigegeben! Hast du eine Ahnung wie grausam das Tierreich ist, mein Bester? Nein, hast du nicht. Du hast absolut keine Ahnung. Ihr Menschen habt keine Ahnung!“
 

War ich jetzt total verrückt geworden? Ich weiß, dass ich mich zu sehr in meine Arbeit im Büro vergrabe und eigentlich kein Leben habe. Aber dass Büroarbeit Menschen halluzinieren lässt, das ist mir neu. Aber ich musste doch irgendwie verrückt geworden sein! Dieser Vogel, dieser kleine Spatz sprach mit mir! Und wenn ich mich nicht total irre auch noch in einem amerikanischen Akzent!
 

„I mean, hast du die Krähen mal gesehen? Die wollten mich in Stücke hacken! Mit ihren Schnäbeln, ihren spitzen schwarzen Schnäbeln, that is! Und eure Eichhörnchen sind wirklich das Allerletzte! Unfreundliches Gesindel! Ich hab gedacht, ‘komm nimm mal ne Weile Urlaub, du brauchst ne Auszeit von deinem absolut langweiligen everyday life‘. Und was seh ich hier? Exactly the same!“ Er schnalzte abwertend mit der Zunge.
 

„Stop. Stop, Stop, Stop. Wieso kannst du sprechen? Und … und und und wieso sprichst du mit mir? Du bist ein Vogel, Gottverdammt. Vögel sollten nicht sprechen können! Zumindest nicht deine Art von Vögeln!“
 

„Pfft, willst du auf diese dämlichen Papageien aus? Die labern doch nur nach was ihr ihnen Tag für Tag an den Kopf werft. Absolut brainless things, wirklich. Und ihr sagt über sie, sie seien intelligent.“
 

Ich schaute den Vogel mit zur Seite geneigtem Kopf an. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich das alles nur träume. Ich bin wohl gar nicht joggen gegangen. Ich liebe daheim auf meinem Sofa und bin vor der Glotze eingeschlafen. So muss es sein. Anders kann ich mir das alles nicht erklären.
 

„Na, wie dem auch sei. Mein Name ist Japser. Deiner?“ Der Vogel – Jasper, sagte ich mir – verlagerte sein Körpergewicht ungeduldig von einem seiner Vogelfüße auf das andere.
 

„Michael. Ich heiße Michael.“ Ich war wirklich perplex. Niemals hätte ich meinem Unterbewusstsein so eine rege Phantasie zugetraut. Ein Spatz mit dem Namen Jasper, der spricht. Das ist wirklich eine Abwechslung von meinen sonstigen Träumen vom Fallen oder Stolpern.
 

„Und was machst du hier, Japser?“

„Ich mach Urlaub, was denn sonst? Mein bester Kumpel hat gesagt Europe sei sehr schön und eine Reise wert und dann dachte ich, wieso nicht. Hatte zu Hause eh nichts zu tun.“
 

„Wo ist denn dein zu Hause?“ Vorsichtig näherte ich mich dem Vogel, Stück für Stück beugte ich mich weiter hinunter, bis ich schließlich wieder in der Hocke vor ihm saß. Ich wollte mehr über diesen Piepmatz erfahren, wenn ich schon einmal so etwas Abgedrehtes träumte.
 

„California, mein Bester. Der Sonnenstaat schlechthin. Geschlüpft bin ich in Oakland, das ist in der Nähe von San Fancisco. Beautiful city, really. Leider komm ich nicht so oft in die Stadt, man sieht kaum was wegen dem Smog, you know? Naja, leider hab ich mich ein bisschen verirrt hier. Ich hab keine Ahnung, wo genau ich bin. Und dass mich irgendwelche verblödeten Kanibalen-Krähen angreifen, hilft der ganzen Sache auch nicht.“ Er schüttelte niedergeschlagen den Kopf.
 

„Bist du also den ganzen Weg von Kalifornien hier her geflogen?“
 

„Jesus, nein! Ich bin per Anhalter auf einem großen Truck nach Texas, von dort dann nach Houston und dann bin ich auf eins dieser riesigen Container ships. Das hat mich nach Amsterdam gebracht. Awesome city. All die Mädchen und du weißt schon. Naja, dann hab ich mich einfach treiben lassen. Bin mal hier hin und mal dorthin. Mal via Güterzug, mal auf Frachtschiffen, mal bin ich selbst geflogen. Aber jetzt…“
 

Jasper bracht ab und senkte den Kopf.
 

„Jetzt?“
 

„Jetzt weiß ich nicht mehr, wo ich bin. Und die Tiere hier sind wirklich ziemlich dämlich, entweder wollen sie mich fressen oder ihr Gehirn ist nicht weit genug entwickelt, so dass sie nicht mit mir kommunizieren könnten. Du bist übrigens auch der erste, der mit mir spricht, you know?“
 

„Aha.“ Ich träumte, es gab keine andere Erklärung dafür. Außer vielleicht, dass Jasper von einem abgedrehten Wissenschaftler gezüchtet wurde, er aber aus der Gefangenschaft entkommen ist und in der Wildnis überlebte. Und weil so viele Experimente an seinem kleinen Körper vorgenommen wurden, war er eben weiter entwickelt als alle anderen Tiere und konnte sprechen. Genau. Das musste es sein! Aber wenn dem wirklich so wäre, dann hätte ich eine Sensation entdeckt. Dann müsste ich ihn eigentlich einfangen und Experten bringen. Die würden dann wohl noch mehr Experimente mit ihm machen und schwupp wäre es um ihn geschehen. Ich glaube, dass könnte ich ihm nicht antun.
 

„Und du wolltest dich von mir überfahren lassen, weil…“
 

„Ist doch ganz logisch, oder?“ Er schnalzte wie vorhin schon einmal abwertend mit der Zunge. „Ich weiß nicht, wo ich bin und wie ich wieder nach Hause komme. Also dachte ich ‚Jasper, even death’s better than being stuck here, where the crows’ll kill ya any moment.’ Und wollte einen schmerzlosen und schnellen Tod. Den du mir verwährst, weil du einfach nicht weiterfahren wolltest!”
 

„Aber Selbstmord… Das ist doch keine Lösung, findest du nicht?“
 

Er zuckte mit den Flügeln, was wohl eine Art Schulterzucken darstellen sollte. Nur ohne Schultern eben.
 

„Was soll man denn tun?“
 

„Nach dem Weg fragen, zum Beispiel?“
 

„Glaubst du, das hätte ich nicht versucht? Ich bin doch nicht stupid wie Papageie!“
 

„Mich hast du noch nicht gefragt, Schlaumeier.“ Ich hatte wirklich Mitleid mit diesem armen Tierchen. Und ich wollte ihm helfen. Ist doch ganz normal, oder?
 

„Also gut, Micha. Wo lang geht’s nach California?“ Gute Frage eigentlich. In den USA war ich schon mal, auch wenn es gute zehn Jahre her war. Und nach Amerika ging es wohl immer Richtung Westen, nicht?
 

„Hm, also in Kalifornien war ich noch nie. Aber Amerika liegt westlich. Also musst du da lang.“ Ich zeigte mit meiner Hand an den Horizont, wo grade die Sonne unterging.

„Immer dem Sonnenuntergang nach. Wie die Cowboys in den Westernfilmen. Cool, nicht?“
 

Jasper guckte mich aus großen, runden Vogelaugen an. Ich glaube, er grinste sogar. Irgendwie eben.
 

„Hey, thanks a lot, buddy. Jetzt kann ich endlich wieder nach Hause!“ Er spannte seine kleinen Flügel aus und hob ab.
 

Dann, als er schon einige Meter über der Erde war und ich immer noch in der Hocke saß, rief er zu mir herunter:
 

„By the way, ich hasse Westernfilme!”
 

Und so flog er davon. Und ich fuhr kopfschüttelnd wieder nach Hause, das Joggen total vergessen.
 

‚Irre Welt‘, dachte ich mir.

Der Tod ist auf einen Baum geklettert

Autor: fruitdrop

Disclaimer: Diesmal gehörts sogar mir!
 

Der Tod ist auf einen Baum geklettert
 

Der Tod ist auf den Baum geklettert.
 

Der Tod ist auf den Baum geklettert. Und dort wartet er. Er sitzt auf einem starken Ast und schaut nach unten, auf die Menschen, die unter ihm hindurch laufen. Er sitzt dort schon so lange, dass die Vögel sich schon an seine Präsenz gewöhnt haben und sich nicht länger um ihn kümmern. Sie bauen ihre Nester um ihn herum, brüten ihre Vogelkinder aus und lehren ihnen das Fliegen, während der Tod sie ständig beobachtet.
 

Auch die Menschen waren zu erst sehr überrascht, sogar geschockt. Denn der Tod saß auf einem Baum. Die erste Zeit mieden die Menschen den Baum, auf dem der Tod es sich bequem gemacht hatte, doch mit der Zeit erkannten sie, dass von ihm keine Gefahr auszugehen schien. Sie haben keine Angst mehr vor dem Tod auf dem Baum. Es ist sogar fast lustig. Der Tod ist auf den Baum geklettert. Was macht der Tod auf einem Baum? Selbst Kinder kamen wieder auf die Wiese und spielten neben dem Baum, als säße der Tod nicht in der Nähe. Der Tod kümmerte sie nicht. Wieso sollte er auch? Sie hatten ihr ganzes Leben doch noch vor sich! Alte Menschen waren aber nicht so übermütig, den Tod so direkt herauszufordern. Doch auch sie scherten sich nach einer gewissen Zeit nicht mehr um ihn, denn er schien ihnen nichts tun zu wollen.
 

Der Tod ist auf den Baum geklettert.
 

Und als alle den Tod vergaßen, sich in seiner Nähe sogar begannen, wohl zu fühlen, schlug er zu. Er stieg vom Baum herab und aus den Falten seines Gewandes breiteten sich Seuchen aus, alles, was seine verwesten Hände berührte, wurde krank und schwarz und starb. Er atmete süßen, fauligen Leichengestank aus und die Vögel verschwanden. Und binnen Sekunden war es still.



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Kommentare zu dieser Fanfic (10)

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Von:  Rhoca
2009-12-29T22:45:04+00:00 29.12.2009 23:45
wow ich bin mir nicht sicher ob du "den tod"
auf etwas bestimmtes beziehst oder du es wörtlich meinst
(dazu bin ich geistig leider noch nicht weit genug entwickelt)
aber ich mag es. es jagt einem irgendwie angst ein und ich bin mir
sicher in naher zukunft werde ich ohne es selber zu bemerken
auf einen baum gucken wenn ich an ihm vorbeigehe nur um
sicher zu sein! xD
gruss Rhoca
Von:  Rhoca
2009-12-29T22:39:47+00:00 29.12.2009 23:39
erst konnte ich mir unter dem titel nicht
wirklich forstellen was du meinst aber die
geschichte macht dem titel alle ehre!
eine echt klasse idee! von mir hättest du den ertsen preis
gekriegt^^
gruss
Von:  Rhoca
2009-05-21T18:11:07+00:00 21.05.2009 20:11
also mir hat das sehr gut gefallen ^^
die spannung ist leider nicht so gut rübergekommen aber
der gute schreibstyl hat das wieder weg gemacht.

Von:  Rhoca
2009-05-21T18:04:40+00:00 21.05.2009 20:04
wow obwohl ich doch ich mir doch gern bei regen im wagen dieses gegenseitige verschlingen der egentropfen ansehe bin ich bis zum schluss nicht darauf gekommen was du meinst! XD
wie du aus so etwas kleinem etwas so großes machen kannst!!

lg
Von:  Rhoca
2009-05-11T19:43:02+00:00 11.05.2009 21:43
Die Geschichte ist genial!! du hast echt Talent und jetzt nachdem ich eine doch eher traurige Geschichte (auch wenn sie doch ein hoffnungsvolles ende hatte) von dir lese muss ich sagen das mich dein schreibstil irgendwie an Dirk Bernemann erinnert wenn auch nicht so krass!^^ der schreibt auch so etwas in der Art.

Ich fand an der Story vor allem dieses immer wieder kehrende Gefühl in Form der Farbe grau sehr schön dargestellt und die Worte "gestorbene Träume" die sich auch immer wiederholten haben das noch sehr schön untermalt! die Geschichte hat mich sehr zum nachdenken gebracht und ich werde die anderen auf jeden Fall noch lesen!^^

glg die Rhoca
Von: abgemeldet
2008-11-05T16:46:51+00:00 05.11.2008 17:46
Sehr gut!
Gerade genug Witz um das ernste Thema verträglich zu machen, gerade genug Ernsthaftigkeit um es nicht respektlos anzupacken - ich bin wirklich begeistert!
Naja, nun bin ich tatsächlich ein wenig getrübter Laune, fand ich mich doch ein wenig in deiner Geschichte wieder - ich weiß auch nicht mehr wohin und möchte manchmal am Liebsten aufhören, aber das geht ja nicht, und irgendwann finde ich sicher jemanden wie Michael, der mir den Weg nach Hause zeigt...

Lg, Susu (ach ja btw ich heiß Anna ^^)
Von: abgemeldet
2008-11-05T16:40:13+00:00 05.11.2008 17:40
Hm muss sagen dies hier war nicht ganz so der Stil den ich bei dir bevorzuge, diese direkte Ansprache an den Leser gefällt mir nicht recht, weiß auch nicht warum...
wobei das ja auch nur mein persönlicher Geschmack ist, lass dich davon nicht beeinflussen ;)

lg Susu
Von: abgemeldet
2008-11-05T16:38:33+00:00 05.11.2008 17:38
Ich habe direkt ein Kind vor mir gesehen, das mit großen Augen den Tropfen verfolgt - wunderbar wie du Bilder erzeugen kanst, die einem unter die Haut gehen...
WObei - ein Kind muss es ja gar nicht sein, ich selbst ertappe mich auch öfter dabei den Regentropfen zuzusehen...

Also, wirklich gut geschrieben!

lg susu
Von: abgemeldet
2008-11-05T16:36:38+00:00 05.11.2008 17:36
Mir hat besonders das ganze grau gefallen, also dieses wiederspiegeln der gefühle in der farbe grau - ich bin sehr beeindruckt, es ist so wahr, was sehr traurig ist, aber da am ende ein lichtblick kam musste ich nicht traurig aus der geschichte gehen - danke dafür!

werde auch gleich weiterlesen ;)

lg, susu
Von: abgemeldet
2008-05-21T14:51:38+00:00 21.05.2008 16:51
Es ist wirklich beeindruckend, wie du diese ganze Geschichte schreibst. Diese ganzenEindrücke, die du genannt hast, diese Gleichgültigkeit der Personen kam wirklich richtig gut durch und na ja es lief mir teilweise kalt den Rücken runter, oh man...
Na ja aber du hast an sich schon Recht mit dieser Sicht, die ganze Welt ist kalt und eigentlich lebt jeder für sich, das ist wirklich schrecklich -.-
Und, dass auch letztendlich niemand Menschliches im Haus war, oh man, schrecklich, diese Ruhe T.T
All diese verlorenen Träume, es ist schrecklich seinen Traum zu verlieren...
Die Szene dann mit dem Hund, >.< total niedlich! Und das hat dann das leere Haus auch noch ausgefüllt, ach ja, das brachte zum schluss echt noch mal ein Glücksgefühl!!!

Ja zu dem Schreibstil brauche ich ja nichts sagen, ich liebe den ja sooooooooooooo xDDD
*knuddel*
mach weiter so, du schriebst echt toll^^

lg deine Uchi


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