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Der Elfenkönig

von

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Die Prophezeiung

Die Prophezeiung
 

Der Wald lag in herbstlich friedlicher Stille. Die meisten Blätter waren bereits von den Bäumen gefallen und der kalte Nordwind zog während der klaren Nächte schon merklich durch die Fenster und Ritzen in den Mauern der Häuser der Menschen.
 

Kein Tier rührte sich in seinem Bau, kein Vogel, der die kalte Jahreszeit hier verbringen würde, stimmte sein Lied an. Und doch war der Wald nicht ohne Leben.
 

Plötzlich erklang ein glockenhelles Lachen, wie das eines kleinen Mädchens, heller noch als die Sonne, die ihre Strahlen durch die Äste der höchsten Bäume schickte.

Das kleine, vorwitzige Schnäuzchen eines Igels lugte zwischen den dicken Wurzeln einer Eiche hervor, unter der sich der kleine Kerl seinen Bau für den Winterschlaf eingerichtet hatte.

Und da sah er sie vor sich: Die Königin der Hochelfen, so schön wie die erste Blume im Frühjahr. Sie saß auf dem Waldboden inmitten der gefallenen Blätter, von denen sich einige ganz vorwitzig in ihr lichtblondes, lockiges Haar verirrt hatten, und lachte.

"Majestät, seid Ihr verletzt?", erklang eine besorgte Männerstimme.

"Aber nein, Mahon. Alles in Ordnung", erwiderte sie immer noch lachend.

Ihr Diener und Leibwächter Mahon, ein groß gewachsener Elf mit langem dunklem Haar, kam auf sie zu, reichte ihr die Hand und half ihr beim Aufstehen.

"Ich habe Euch doch gesagt, dass Ihr vorsichtig sein sollt. Noch dazu in Euerem Zustand", tadelte er sie.

"Mahon, ich bin schwanger und nicht krank. Ich bin nur gestolpert. Und die Blätter haben mir eine weiche Landung bereitet", erklärte sie lächelnd.

"Ihr tragt den künftigen König in Euch…", merkte Mahon an und musterte sie vorwurfsvoll.

"Oder die künftige Königin. Und genau das will ich herausfinden", antwortete Selena und setzte ihren Weg unbeirrt fort.
 

Mahon konnte nur den Kopf schütteln und trabte dann wieder als gehorsamer Schatten hinter seiner Herrin her.

Was dachte sich diese Frau nur dabei? Einfach so, mir nichts dir nichts zur Seherin zu laufen. Er hätte die alte Frau, die mitten im Herzen des Waldes wohnte, auch zur Königin gebracht.

Warum hatte er damals eigentlich zugestimmt, der zukünftige Leibwächter des nächsten Oberhauptes der Hochelfen zu werden? Es verstand sich natürlich, dass er dieses Oberhaupt bereits im ungeborenen Zustand beschützen musste.

Wohl, weil ihn der König persönlich auf Wunsch der Königin darum gebeten hatte. "Auf Wunsch der Königin." Diese Frau brauchte keinen Aufpasser sondern einen Tierbändiger. Sie war schwerer zu hüten als ein Sack Flöhe. Ständig war sie unterwegs, sprang umher wie ein Reh, kletterte auf Felsen und Bäume und schien sich ihrer Verantwortung so gar nicht bewusst.

Mahon hoffte inständig, dass das Kind in ihr wenigstens zum Teil die Ernsthaftigkeit seines Vaters geerbt hatte, denn sonst würde er kein leichtes Leben haben.
 

"Sieh mal, Mahon, da vorne ist das Haus der Seherin", unterbrach ihn die Stimme der Königin in seinen Gedanken.

Haus war wohl, gelinde gesagt, übertrieben. Es handelte sich dabei um eine schlichte, einfache Holzhütte von sehr geringer Größe. Seit Generationen lebten die Seherinnen in dieser Hütte. Sie waren allesamt menschlicher Herkunft und von Geburt an mit besonderen Kräften gesegnet. Sie lebten ein einfaches Leben sowohl als Orakel als auch als Heilerinnen. Mahon hatte schon viele Seherinnen kennen gelernt, doch von dieser sagte man sich, sie sei nicht ganz bei Sinnen, deshalb warnte ihn sein Unterbewusstsein, seine Königin zu der Alten hinunter zu lassen.

"Majestät, seid Ihr Euch wirklich sicher, dass Ihr…?", fragte er, doch die Königin unterbrach ihn mit einer Handbewegung.

"Natürlich bin ich sicher. Ich möchte wissen, was die Zukunft meinem Kind bringt. Und natürlich, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Dann kann ich mir nämlich schon einmal Gedanken über seinen Namen machen", erklärte sie bestimmt.

"Wie Ihr wünscht, Majestät", sagte Mahon und half seiner Herrin beim Abstieg in die kleine Schlucht hinab.
 

Vor der kleinen Hütte atmete Selena noch einmal kurz durch. Zögernd klopfte sie schließlich an. Es dauerte etwas, bis ihnen geöffnet wurde.

Die kleine Frau, die vor ihnen stand, hatte so viele Runzeln im Gesicht, dass es fast nur noch aus Falten zu bestehen schien. Ihre Haut war dunkelbraun, ihr Haar jedoch schneeweiß. Ihre kleinen grünen Augen musterten sie einen Augenblick, dann verbeugte sie sich und sagte: "Oh, Majestät. Ich fragte mich schon, wann Ihr wohl zu mir kommen würdet. Bitte, tretet ein."

Ihre Stimme war spröde und hörte sich an, als hätte sie sie schon eine ganze Weile nicht mehr benutzt. Mahon lief bei ihrem Klang ein Schauer über den Rücken.

"Ihr braucht euch gar nicht so zu schütteln, junger Mann", sagte die Alte und wirkte leicht verstimmt.

"Verzeiht", war Mahons einzige Antwort. 'Junger Mann.' Die hatte wohl keine Ahnung, wer hier vor ihr stand. General Mahon, oberster Feldherr des Königs der Hochelfen seit fünfhundertachtundsiebzig Jahren. Na ja, jetzt zum Aufpasser des neuen Königs oder der neuen Königin bestimmt, was ihm am Anfang wie eine Degradierung vorgekommen war. Doch mittlerweile hatte er sich an seine neue Aufgabe gewöhnt.
 

"Bitte, setzt Euch doch", forderte die Seherin die Königin und ihn auf, er zog es jedoch vor, zu stehen. Die Alte warf ihm zwar einen tadelnden Blick zu, doch sie gab sich mit seiner Entscheidung zufrieden.

Die Königin ließ sich etwas erschöpft auf einen Stuhl nahe beim Feuer im kleinen Kamin der Hütte sinken und blickte die Seherin erwartungsvoll an.

"So, Ihr seid also hier, weil Ihr etwas über das neue Leben in Euch erfahren wollt", stellte die Seherin fest.

"Das ist richtig", bestätigte Selena.

Die Alte nickte und begann, mit heißem Wasser und ein paar Kräutern einen Trank aufzugießen. Als er fertig war, reichte sie den Becher der Königin. "Trinkt das", forderte sie sie auf.

Mahon stand kurz davor, seiner Herrin das Gefäß aus der Hand zu schlagen, doch er tat es nicht, denn die Alte starrte ihn finster an und sagte: "Es ist nur ein Trank zur Entspannung, keine Sorge."

Als die Königin entspannt auf dem Stuhl zurücksank sagte die Alte: "Gut, dann wollen wir doch mal sehen." Sie legte eine ihrer schrumpeligen Hände auf den Bauch der Königin und schloss die Augen.

Nach wenigen Augenblicken begann sie zu sprechen, so, als unterhielte sie sich mit dem Kind. "So, mein Schätzchen, dann zeig mir doch mal etwas von dir. Na, willst du dich mir nicht zeigen?", fragte sie lockend.
 

'Dir würde ich mich auch nicht zeigen wollen, alte Spinatwachtel', dachte Mahon.
 

"Oh, ich sehe viel Leid für dieses Kind. Es wird das Werk seines Vaters fortsetzen müssen, und das schon sehr bald", intonierte die Seherin. "Es wird viele Schlachten zu schlagen haben und es wird immer an vorderster Front kämpfen. Es wird stark und mächtig sein."

"Also ein Prinz?", vermutete Mahon.

"Seid ruhig da hinten!", fuhr ihn die Alte an, ohne die Augen zu öffnen oder den Bauch loszulassen. "Wo wir gerade von Euch sprechen. Ihr werdet eine große und wichtige Rolle im Leben dieses Kindes zu spielen haben. Oh, ja. Eine sehr wichtige Rolle. Ihr werdet sein ständiger Begleiter, sein Vertrauter und Freund sein. Aber nun wieder zu dir, mein Schätzchen. Willst du mir denn nicht endlich sagen, wer du bist? Na los, lass mich dein hübsches Gesichtchen sehen. Ja, ja, genau so. Nein, nein, nein, nicht wieder weg drehen. Och, du bist ganz schön hinterhältig."
 

'Merkwürdig, die Alte, ganz ehrlich.' Schon wieder Mahons Gedanken.
 

Plötzlich verzog sich das Gesicht der Seherin zu einem sanften Lächeln. "Wer ist das denn?", fragte sie. "Ist das dein Liebster, mein Schätzchen? Oh ja, so muss es sein. Dein Herz schlägt jetzt schon so schnell bei seinem Anblick und du bist noch nicht einmal geboren. Aber ich kann dich verstehen. Ein schöner Mann. Er ist nicht von deinem Volk. So sanfte braune Augen. Ja, ich spüre es, er wird dein Schicksal sein."
 

'Also doch eine Prinzessin', stellte Mahon in Gedanken fest. Warum auch nicht? Es hatte schon öfter Kriegerprinzessinnen gegeben.
 

Plötzlich ließ die Alte den Bauch los, als hätte sie sich verbrannt. "Was soll das denn? Warum schmeißt du mich plötzlich raus? Jetzt wurde es doch gerade spannend", schimpfte sie.

"Spannend?", fragte die Königin.

"Nun, es war eine Szene, die man nicht alle Tage zu sehen bekommt, das muss ich sagen", bemerkte die Seherin. "Der Mann, den ich vorhin schon sah war gerade dabei… Na egal, wobei er gerade war, ich war kurz davor, das Gesicht der kleinen Prinzessin zu sehen. Natürlich war sie da schon erwachsen", antwortete sie.

"Also seid ihr euch sicher, dass es ein Mädchen wird?", fragte die Königin glücklich.

"Nun, ich muss zugeben, ich habe das Kind nur von hinten gesehen und das entweder in einer Rüstung oder wallenden Gewändern. Aber nach dem, was ich so gesehen habe, gerade mit diesem jungen Mann, würde ich sagen, es wird ein Mädchen", gab die Alte zur Antwort. "Zum Ende kann ich euch noch sagen, dass es geboren wird wenn die ersten Schneeglöckchen blühen."

Selena bedankte sich bei der Seherin und machte sich mit Mahon auf den Rückweg.
 

"Was meinst du?", fragte sie ihn, als er neben ihr herlief und beharrlich geradeaus starrte.

"Oh, ich, nun, ich denke, dass die Alte verrückt ist. Ich weiß nicht, irgendwie macht mich ihre Prophezeiung unsicher."

"Mich auch. Sie sagte Leid für mein Kind voraus. Und das sehr bald. Ich hoffe nur, dass sie nicht allzu bald Königin wird", meinte Selena nachdenklich.

"Nun, was mich eher beunruhig ist die Tatsache, dass sie sich über das Geschlecht so unsicher war. Wenn sich ihr das Kind absolut nicht zeigen wollte, wird es wohl einen Grund dafür gehabt haben", sagte Mahon.

"Eine Prinzessin. Wie schön", lächelte die Königin. "Das muss ich meinem Gatten gleich sagen, wenn er zurückkehrt.
 

Als der König zurückkehrte, erzählte ihm die Königin, was die Seherin gesagt hatte.

"Nun, wenn es ein Mädchen ist, das zu der Zeit geboren wird, wenn die ersten Schneeglöckchen blühen, warum nennen wir sie dann nicht Nifredil (elfisch: Schneeglöckchen.)?", schlug der König vor.

"Wunderbar!", stimmte die Königin begeistert zu, und so einigten sie sich auf den Namen Nifredil.
 

Doch als das Kind zum vorhergesagten Zeitpunkt geboren wurde, da war es ein Junge.

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Soweit dazu, meine Lieben.
 

Zur Abwechslung mal wieder etwas Fantasy im Stil von Tolkien. ^^
 

Ich hoffe, es gefällt euch bisher.
 

Man liest sich.
 

Myrys

Kapitel I - Eine fremde Welt

"Ryan O'Farrell!", rief der Bibliothekar der Anchient Archive Library ungehalten. "Wo ist der Junge schon wieder?", murmelte er missmutig.

Zwischen den Regalen drei und vier tauchte ein dunkelbrauner Lockenkopf auf, der ihn fragend ansah. "Was gibt's denn, Sir?", fragte er. Der dazugehörige Körper erschien, bereits mit einer dicken Winterjacke und Schal bekleidet, auf dem Rücken einen großen, schweren Rucksack. "Ich hab doch eigentlich schon seit einer Stunde Feierabend."

"Du bringst noch schnell diese Bücher hier auf den Speicher", raunzte Mr. Sharp, der Bibliothekar, und drückte ihm einen Stapel alter, bereits teilweise vergilbter Wälzer in die Hand.

"Ja, Sir", sagte Ryan und machte sich auf den Weg zur Registratur. Im hinteren Teil der Bibliothek führte durch ein kleines Papierlager eine schäbige, breite Holzstiege in den Speicher des Gebäudes, in dem alte, zum Teil auch schon unbrauchbare Bücher aufbewahrt wurden. Schwankend stieg Ryan die Treppe hinauf und öffnete mit einiger Mühe die schwere eiserne Brandschutztür. Er legte seine Last auf dem kleinen, wackeligen Holztisch ab und sortierte sie nach alphabetischer Reihenfolge ein.

Warum ließ er sich von dem alten Sharp eigentlich so rumschubsen? Nötig hatte er es eigentlich nicht. Was er an Unterhalt von seinem Erzeuger bekam, hätte ihm gereicht, um über die Runden zu kommen. Doch er wollte sich nicht von dem Alten abhängig machen. Er finanzierte sein Studium selbst, indem er arbeitete und teilte sich seine Wohnung mit einem Kommilitonen namens Shane. Nein, er konnte es sich nicht leisten, den Job hier sausen zu lassen. Lieber herumkommandieren lassen, als bei seinem Vater arschkriechen zu müssen.
 

Er lud sich seinen Rucksack wieder auf und wollte gehen, da fiel ihm ein dickes, rotes Buch mit einem ziemlich abgegriffenen Ledereinband auf. Hatte er das übersehen oder hatte es schon vorher da gelegen? Er nahm es in die Hand und sah es sich genauer an. Ein goldenes Symbol war darauf zu sehen. Zwar blätterte das Gold schon ab, dennoch wirkte es noch ziemlich prächtig. Es zeigte zwei mächtige Drachenschwingen – zumindest stellte sich Ryan so Drachenschwingen vor. Links der Flügel war eine Sonne, rechts ein Halbmond und in der Mitte ein starker, mächtiger Baum, an dem Ryan glaubte, sogar ein paar Äpfel erkennen zu können.

Während er die Speichertür öffnete, schlug er das Buch auf und suchte einen Titel. Was war das denn für eine Schrift? Sah aus wie alte Runen. Wo kam dieses verdammte Buch her?

Die Eisentür hinter ihm fiel krachend ins Schloss, traf dabei auf seinen Rucksack, der noch halb in den Türrahmen hineingeragt hatte, und schubste ihn nach vorne. Mit den Armen rudernd kämpfte er um sein Gleichgewicht, doch er konnte nicht verhindern, dass er auf den durch viele, viele Schritte glatt gewordenen Stufen den Halt verlor und fiel.
 

Und fiel… Wie lange eigentlich? Zögernd öffnete er die Augen und kniff sie sofort wieder zusammen. Um ihn herum war nur Schwärze. Das einzige, das er wahrnahm, war das Gefühl des Fallens. War er nun wie Alice im Wunderland in ein Kaninchenloch gefallen ohne es zu merken?
 

Plötzlich schlug er auf. Er landete hart auf seinem eigenen Rucksack, der ihm halb das Kreuz brach. Schmerz durchzuckte ihn und er schrie auf. 'Wusste gar nicht, dass die Speichertreppe so lang ist', dachte er. Vorsichtig öffnete er erst sein linkes Auge, dann das rechte. Himmel? Wieso war da Himmel über ihm? Noch dazu sternenklar. Ein Komet zog vorbei und einige Sterne schienen sich deutlicher abzuzeichnen als die anderen.
 

Er fröstelte. Warum war es so kalt um ihn herum? Als er sich mit den Händen aufstützte um sich hoch zu rappeln, da traf es ihn wie ein Hammerschlag. Das war doch Schnee. Fest griff er in die weiße Masse um sich und starrte fassungslos auf das, was sich in seiner Hand befand. Schnee. Kalter weißer Schnee. Er sprang auf und blickte staunend um sich. Überall wo er auch hinblickte war nichts als kaltes Weiß. Am Horizont zeigten sich die ersten Silberstreifen des anbrechenden Morgens. Wo war er hier gelandet? Also eines stand jedenfalls fest: Das hier war mit Sicherheit nicht New York. Ohne den geringsten Plan, wohin er eigentlich ging, stapfte er dem Sonnenaufgang entgegen. Hoffentlich würde er bald jemanden treffen, denn sonst sah es schlecht für ihn aus.
 

*****
 

Nifredil ad Alfalas und sein Berater, Mahon gil Alath, waren in einen Bericht vertieft, in dem von der schnellen Vermehrung der Orks in den Bergen die Rede war.

"Beunruhigend", murmelte der König der Elfen. "Sieht aus, als würden wir demnächst wieder in die Schlacht ziehen müssen."

"In der Tat, Majestät", stimmte Mahon zu. "Und dieses Mal wird es kein leichter Kampf werden, sofern nicht noch ein Wunder geschieht. Nicht nur die Orks vermehren sich. Es heißt auch, dass sich die Dunkelelfen dem Feind anschließen wollen."

"Bisher haben sie sich immer neutral verhalten. Unsere Kriege waren ihnen egal. Warum also wenden sie sich plötzlich den Dunklen Mächten zu?", fragte Nifredil ernst.

"Sie müssen einen Anreiz bekommen haben. Wer weiß, vielleicht hat ihnen der Feind ja unser Gebiet versprochen, sollten sie sich ihm anschließen", mutmaßte Mahon.

"Dann müssten sie aber ihre Freiheit aufgeben…", meinte der König nachdenklich.

Auf einmal wurde die Tür zum Thronsaal aufgerissen und ein Bote stürmte herein.

"Herr!", rief er atemlos. "Herr, die Zeichen, die Zeichen, die Zeichen!"

"Du wiederholst dich", meinte Mahon mit monotoner Stimme.

"Verzeiht, General", entschuldigte sich der Bote und beugte das Knie vor seinem Herrscher. "Die Druiden haben soeben eine Nachricht gesandt. Der Stern ist erschienen."

"Der Stern?", fragte Nifredil überrascht.

"Ob das der Grund ist?", fragte Mahon.

"Möglich. Der Stern bedeutet eine große Veränderung", antwortete der König.

"Majestät", wandte sich der Bote an seinen Herrn, "die Druiden sagen, dass der Stern über der Eiswüste erschien. Zudem leuchtete das Sternbild des Drachen heller als jemals zuvor. Sie sagen, der Drachenreiter sei erschienen."

"Der Drachenreiter?", rief Nifredil und auf seinem Gesicht erschien blankes Entsetzen. "Das bedeutet, dass die letzte Schlacht bevorsteht."

"So ist es. Und wenn wir die Zeichen gesehen haben, dann wohl auch unsere Feinde. Wir müssen in die Eiswüste und nach Hinweisen auf den Drachenreiter suchen. Wenn der Feind ihn zuerst findet, ist das das Ende der Hochelfen", sagte Mahon mit düsterer Stimme.

"Wie lange ist es her?", fragte der König den Boten.

"Letzte Nacht, Herr. In den frühen Morgenstunden", antwortete dieser.

"Wir brechen sofort auf", beschloss Nifredil. "Wir nehmen die stärksten und robustesten Pferde. Mahon, veranlasse alles. Wir haben keine Zeit zu verlieren."

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Soweit hierzu. Würde mich freuen, wenn doch ein paar weiterlesen. ^^
 

Bis dann.

Kapitel II - Der Sturm

Kapitel II

Der Sturm
 

Ryan hatte schon so gut wie aufgegeben. Zwei Tage stapfte er nun schon durch dieses ewige weiße Nichts. Trotz seiner dicken Winterkleidung hatte er wohl schon ein paar Erfrierungen und er fühlte sich, als könnten ihn seine Beine nicht mehr weiter tragen. Nun wusste er, wie es Menschen ging, die sich in der Wüste verirrten. Sie liefen nur im Kreis, weil sie nichts hatten, woran sie sich orientieren konnten. Ihm ging es genauso. Gott sei Dank war er bei den Pfadfindern gewesen, wo er gelernt hatte, wie man sich im Schnee eine Unterkunft baut, um nicht zu erfrieren.
 

Sein Vorrat an Schokoriegeln in seinem Rucksack, den er sich noch kurz vor Arbeitsantritt beschafft hatte, hatte ihm bisher das Leben gerettet, doch viel war nicht mehr übrig. Über mangelndes Wasser hingegen konnte er sich beim besten Willen nicht beschweren, es war ja überall.
 

Plötzlich glaubte er, etwas vor sich zu erkennen. Was war es? Er kniff die Augen zusammen und spähte hin. Ein Berg oder nur ein Fels? Jedenfalls ragte da etwas Graues aus dem eintönigen Weiß in den ebenso weißen Himmel. Anscheinend hatte er sich doch nicht nur im Kreis bewegt. Schwankend hielt er auf das graue Etwas zu. Sacht rieselten ein paar Flocken herab. Bald würde es wieder heftig schneien.
 

*****
 

"Ein Sturm zieht auf", sagte Mahon. "Wir sollten zur Höhle zurückkehren."

"Lass uns noch etwas weitersuchen", gab Nifredil zurück. "Ich weiß, wir werden noch etwas finden, bevor der Sturm losbricht."

"Es schneit bereits. Wenn, dann müssen wir innerhalb kürzester Zeit fündig werden, sonst verschluckt uns der Sturm", gab Mahon zu bedenken.

"Ich weiß", antwortete der blonde Elf und kaute auf seiner Unterlippe. "Kannst du denn wirklich nichts erkennen?", fragte er.

"Ich werde es noch einmal versuchen, aber erwartet Euch nicht zu viel", räumte der General ein und spähte in die Weite der Eiswüste hinaus. Hinter ihnen erhob sich der Graue Riese. So nannten die Elfen den einsamen Berg inmitten der Eiswüste. Obwohl Berg zuviel gesagt wäre. Es war lediglich eine steile Anhöhe, die an einen schlafenden Riesen erinnerte. Im Inneren war die Anhöhe von vielen kleinen Höhlen durchzogen, in denen man Zuflucht suchen konnte.

Nifredil selbst suchte den Horizont mit seinen scharfen, himmelblauen Augen ab. Plötzlich stieß er einen kleinen Freudenschrei aus. "Mahon, ich glaube da ist was!", rief er aufgeregt.
 

In diesen Augenblicken wurde Mahon nur zu deutlich klar, dass der König eben doch noch ein Elfling von knapp achtundneunzig Jahren war. Seit er vor fünfzig Jahren den Thron bestiegen hatte, war seine Kindheit ziemlich den Bach hinunter gegangen, obwohl der kleine Nifredil schon immer ziemlich erwachsen für sein Alter gewesen war.

"Siehst du es nicht?", fragte Nifredil und zappelte auf seinem Sattel hin und her, was sein Pferd ziemlich kalt ließ, dafür aber Mahon ganz nervös machte. "Da ist ein kleiner roter Punkt! Kuck doch mal!" Er zeigte weit hinaus und da sah auch Mahon, was er meinte. Tatsächlich. Ein kleiner roter Punkt schien sich vor ihnen zu bewegen. Aber was es war, das konnte er nicht genau sagen. Plötzlich verschwand der Punkt hinter einer Düne und tauchte nicht mehr auf.

"Los, da reiten wir hin. So weit ist es nicht!", rief der König und ritt im Galopp voraus. 'Wie seine Mutter', dachte Mahon und folgte ihm.
 

Als sie an der Stelle ankamen, an der sie das kleine rote Etwas zum letzten Mal gesehen hatten, staunten sie nicht schlecht. Vor ihnen im Schnee lag, zusammengebrochen und am Ende seiner Kräfte…

"Ein Mensch", hauchte Nifredil, der zum ersten Mal einen solchen sah.

Irgendetwas klingelte da bei Mahon, doch er kam nicht darauf, was es war.

"Sieht aus, als würde er noch leben", stellte er nüchtern fest.

"Wir müssen ihn in Sicherheit bringen", sagte Nifredil und schickte sich an, abzusteigen, doch Mahon hielt ihn zurück.

"Wir wissen nicht, ob er Freund oder Feind ist", sagte er.

"Ist doch egal. Er stirbt wenn wir ihm nicht helfen", beharrte Nifredil und stieg ab, um den Fremden auf sein Pferd zu laden. Ihm fiel auf, dass er erstaunlich schwer war. Als er ihn endlich mit Mahons Hilfe im Sattel hatte, schwang er sich hinter ihm aufs Pferd und sie ritten so schnell sie konnten zurück zum Grauen Riesen, denn der Schneefall war schon erheblich stärker geworden.
 

Draußen tobte bereits der Sturm als Nifredil im Schein einer Fackel den Fremden vor sich betrachtete. So einen Menschen hatte er noch nie gesehen. Er kannte ein paar Menschen aus dem Norden. Die waren groß, schlank und hatten helle Haare und Augen. Sie sahen fast ein wenig wie Elfen aus. Der hier jedoch war anders. Wie alt mochte er sein? Anscheinend nicht viel älter als er selbst. Seine Haut war leicht bräunlich und sein Haar dunkelbraun und leicht gelockt. Er hatte ein hübsches Gesicht. Ein kräftiges Kinn, eine lange, schmale Nase und einen schönen Mund. Die Oberlippe war fast ein wenig schmal, aber insgesamt musste Nifredil feststellen, dass er ihm gefiel.

"Wohl einer von den südlichen Völkern", vermutete Mahon.

"Er hat merkwürdige Kleidung an", meinte Nifredil. "So einen Stoff habe ich noch nie gesehen."

"Ich denke nicht, dass das jetzt etwas zur Sache tut. Wir müssen ihn ohnehin ausziehen, um festzustellen, ob er Wunden oder Erfrierungen hat", erklärte der General und begann unverzüglich damit, ihren Gast zu entkleiden. Je mehr er von der glatten Haut freilegte, desto zappeliger wurde Nifredil. Er hätte es wohl nie zugegeben, doch er fand den Fremden immer interessanter. Diesen Umstand schob er seiner noch fast kindlichen Neugier zu.
 

"Ich weißt auch nicht, was das für Kleidung ist, jedenfalls hat sie es geschafft, zu verhindern, dass seine Erfrierungen so schlimm sind, wie ich befürchtet hatte. Sie sind nur ganz leicht. Das kriegen wir mit etwas Salbe hin", meinte Mahon schließlich.

"Sein Gesicht ist so rot", sagte Nifredil und schaute den Mann vor sich neugierig an.

"Das kommt weil er Fieber hat. Wir müssen ihm Medizin einflößen, aber erst einmal packen wir ihn warm ein", beschloss der General. Also betteten sie ihn auf mehreren Schichten von Decken und wickelten ihn in ihre eigenen Fellumhänge ein, weil es in der Höhle nicht so kalt war, dass sie sie dringend brauchten.
 

"Ich werde seine Tasche und seine Kleider untersuchen. Ihr flößt ihm die Medizin ein", bestimmte Mahon und reichte dem König ein Fläschchen mit übel schmeckender Kräutermedizin. Nifredil verzog angewidert das Gesicht. "Muss ich?", fragte er.

"Ja. Als Kind hat es Euch ja auch nicht umgebracht, oder? Außerdem müsst Ihr sie diesmal nicht schlucken", erwiderte sein Berater knapp.

"Wie du meinst", gab Nifredil nach und nahm einen Schluck in den Mund. Anschließend öffnete er leicht die Lippen des Fremden und flößte ihm die Medizin ein.

"Wurgh. Die ist total bitter", beschwerte er sich.

"Muss aber sein. Kommt her und seht Euch das an."
 

Nifredil kam herüber zu seinem General und bestaunte die vielen Dinge, die vor ihm auf dem Höhlenboden lagen.

"Was sind das für Zauberdinger?", fragte er atemlos.

"Weiß ich nicht. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen, dass sie nichts Gutes bedeuten", antwortete Mahon.

Der blonde Elf nahm einen der Gegenstände auf. Er war klein, flach und hatte eine lange Schnur daran, die sich in zwei weitere Schnüre teilte und an deren Enden sich komische harte Knubbel befanden. Auf dem Gegenstand selbst waren verschiedene Knöpfe. Einen davon drückte er. Ein kleines Licht auf dem Apparat leuchtete auf und verkündete etwas in einer Schrift, die er nicht lesen konnte. Ihm war, als würde er leise etwas hören. Es kam aus den Knubbeln am Ende der Schnüre. Er nahm einen der Knubbel und hielt ihn sich ans Ohr.

Erschrocken warf er das Gerät von sich. Lauter Krach schallte ihm entgegen. Ein fürchterliches Gekreische und eine tiefe, knurrende Stimme. Diese Laute machten ihm Angst.

"Ich hab doch gesagt, dass wir die Finger davon lassen sollten", meckerte Mahon und betrachtete das Teil vor ihnen. Beide trauten sich nicht recht, es anzufassen. So ließen sie es eine Weile vor sich hin schreien, bis es schließlich von selber schwieg.

"Ist wohl besser, wenn wir den Rest nicht anfassen", stellte Nifredil, vom ersten Schock kuriert, fest. "Wer weiß, was das für ein Werk der Dunklen Mächte ist."

"Sollen wir ihn wieder raus in die Eiswüste werfen?", fragte Mahon ganz ernst.

"Nein! Er bleibt hier!", erhob Nifredil lauthals Einspruch.
 

Der Fremde rührte sich im Schlaf und sofort war der junge Elf bei ihm und beugte sich über ihn. Doch anscheinend hatte er nur schlecht geträumt, denn er rollte sich auf die andere Seite und schlief weiter.

"Es geht ihm schon besser", bemerkte Mahon, nachdem er die Temperatur gefühlt hatte. "Aber ich schätze, ein paar Tage wird es schon dauern, bis er wieder zu sich kommt."

"Was meinst du, ob er vielleicht der Drachenritter ist?", fragte der König vorsichtig, während er dem Fremden eine dicke, dunkle Locke aus dem Gesicht schob.

"Sollte mich wundern. Für einen Krieger der Stärke, die ein Drachenreiter haben muss, ist er zu mager", gab der General zur Antwort.

"Hast Recht", stimmte Nifredil zu. "Ich glaube, wir legen uns besser auch hin."
 

Drei Tage lang blieben sie in der Höhle. Immer wieder versorgten sie abwechselnd die Wunden des Mannes und in regelmäßigen Abständen flößte Nifredil ihm die Medizin gegen das Fieber ein.

Am vierten Tag nahm er wieder einen Schluck von dem bitteren Trank in den Mund und flößte sie dem Fremden ein, als er plötzlich vor Schreck zusammenzuckte. Der Druck seiner Lippen wurde erwidert und auf einmal war da eine freche Zunge, die sich forschend vortastete.

Erschrocken und entsetzt wich Nifredil zurück und starrte den Fremden an.
 

"Was ist passiert, Majestät?", fragte Mahon, dem die Reaktion seines Herrn natürlich nicht entgangen war.

"Er… Er hat… etwas ganz Komisches… gemacht", antwortete der Blonde zögernd.

"Was hat er getan?", fragte der General schnaubend, denn er ahnte Schreckliches.

"Seine Lippen haben auf meine gedrückt und dann… war da seine Zunge in meinem…"

"Ich bring ihn um!", rief Mahon und wollte sich auf den Dunkelhaarigen stürzen, doch Nifredil hielt ihn mit großer Mühe und vollem Körpereinsatz zurück.

"Jetzt warte doch, Mahon! Du kannst ihn doch nicht einfach…", schnaufte er.
 

Der Fremde rührte sich im Schlaf und öffnete langsam und vorsichtig die Augen. Nifredil ließ Mahon los und beugte sich über ihn. Bei dem Anblick, der sich ihm bot, schlug sein Herz schneller. Sanfte braune Augen blickten ihn an. Noch nie zuvor hatte er dunkle Augen gesehen. Der Blick des Mannes unter ihm hielt ihn gefangen und ein leicht rötlicher Schimmer legte sich über seine Wangen.

Der Fremde lächelte freundlich. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er konnte nur leicht krächzen. Dennoch verstand Nifredil ihn. Er sagte: "Mein wunderschöner, rettender Engel." Er hob eine Hand und berührte vorsichtig eine von Nifredils langen hellblonden Haarsträhnen, die ihm über die Schulter fielen. Dann sank er wieder in Schlaf.
 

"Was hat er gesagt?", fragte Mahon.

"Er hat mich Engel genannt. Schöner Engel. Weißt du, was das ist?", wollte Nifredil wissen. Das Rot auf seinem Gesicht war noch etwas dunkler geworden. Er fand ihn also schön. Auf einmal war ihm ganz warm ums Herz.

"Keine Ahnung. Vielleicht ein Wort in seiner Sprache für Elf?", mutmaßte der Berater. Er war selbst ein wenig überrascht, dass sie anscheinend dieselbe Sprache sprachen.

"Er hat die Gemeinsprache benutzt", erklärte Nifredil. "Vielleicht hat sein Volk eigene Begriffe, das wäre durchaus möglich."

"Wo waren wir eigentlich gerade?", überlegte der General. "Ach so, ich wollte ihn umbringen."

"Das wirst du schön bleiben lassen. Ich verbiete es dir", beschloss der König und deckte den Fremden, dessen Namen sie immer noch nicht kannten, noch ein Stück zu.
 

In der Nacht wachte Nifredil plötzlich auf. Ein unbestimmtes Gefühl hatte ihn geweckt. Er blickte hinüber zu dem Mann mit den braunen Augen. Überrascht stellte er fest, dass dieser wach war und dass sein Blick auf ihm ruhte. Einige Augenblicke sahen sie sich nur schweigend an, musterten den jeweils anderen leicht misstrauisch. Ihre Blicke trafen sich und sofort war der junge Elfenkönig wieder wie gebannt.

"Du bist wach?", stellte er fest, um die Stille zu durchbrechen.

"Schon eine ganze Weile", antwortete der Fremde.

"Warum hast du mich nicht geweckt?", fragte Nifredil und ging zu ihm. Dort setzte er sich neben ihn. "Brauchst du etwas?", wollte er freundlich wissen. "Wasser oder etwas zu essen vielleicht?"

"Zugegeben, ich hab ein bisschen Hunger", gab der Fremde zu. "Aber zuerst einmal bin ich neugierig. Wie heißt du?", fragte er ohne Umschweife.

"Öh, Nifredil", antwortete der Blonde und errötete wieder leicht. Er konnte dem Blick des Mannes einfach nicht lange standhalten. "Nifredil ad Alfalas."

"Aha. Darf ich dich Nifredil nennen?", fragte der Mann mit einer Stimme, die dem Elfen eine wohlige Gänsehaut bescherte.

Er nickte. "Und wie ist dein Name?", erkundigte er sich.

"Ryan O'Farrell. Du darfst Ryan zu mir sagen, okay?"

Nifredil hatte keine Ahnung, was "oukei" heißen sollte, aber er nickte. Wieder fühlte er Ryans Blick auf sich ruhen.

"Nifredil?", begann Ryan und lehnte sich zu ihm herüber. Der Elf fühlte seinen Atem an seinem Ohr und erschauderte leicht. "Ich hab immer noch Hunger."

"Oh, warte kurz, ich hol dir was." Er sprang auf und suchte schnell etwas Essbares zusammen. Sein Herz raste und sein Gesicht glühte vor Hitze.
 

'Süß, der Kleine', dachte Ryan und lächelte in sich hinein. 'Sieht fast ein bisschen mädchenhaft aus, aber echt süß. Wo bin ich hier eigentlich? Ach, was soll's. Ich frag ihn morgen.'

"Hier, bitte", sagte Nifredil und stellte vor ihm etwas Käse, ein Stück Brot und einen Krug Wasser ab.

"Danke, sehr nett von dir", antwortete Ryan mit einem strahlenden Lächeln.

"Gern geschehen", flüsterte Nifredil und beobachtete ihn beim Essen.
 

"Nachdem ich jetzt voll gefuttert bin, denke ich, ich leg mich wieder hin", beschloss Ryan nachdem er fertig war. Nifredil machte sich wieder auf den Weg zu seiner Schlafstätte, da rief ihn der Mensch zurück. "Sag mal, frierst du nicht, so mit nur einer einzigen Decke?"

"Du warst krank und hast alle Decken gebraucht", antwortete der Elf.

"Hier, du kannst eine zurück haben", sagte Ryan und gab ihm einen der Fellumhänge. Noch ehe sich Nifredil richtig bedanken konnte, war der Dunkelhaarige auch schon wieder eingeschlafen.

Zurück bei seinem Schlafplatz stellte er fest, dass der Umhang noch ganz warm war. Mit rotem Gesicht und laut klopfendem Herzen legte er sich hin und hüllte sich ein. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wieder eingeschlafen war.
 

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Zu der Zeit, als Mahon und Nifredil den Fremden in der Höhle versorgten, zogen noch zwei weitere Gruppen in der Eiswüste umher.
 

Kaneth, oberster Heerführer der Dunkelelfen und eine kleine Schar von Wächtern hatten sich auf den Weg gemacht, nach dem Drachenreiter zu suchen, von dessen Ankunft die Sterne gezeugt hatten. Ihre schwarzen, kräftigen Pferde pflügten sich durch den hohen Schnee. Plötzlich hielten sie inne und Kaneth horchte wie gebannt auf die Stimmen im Wind.

"Was hört Ihr, Herr?", fragte einer der Wächter.

Seine Antwort war knapp und prägnant: "Orks."
 

In der Tat stapften, nicht weit von den Dunkelelfen entfernt, einige der kräftigsten Orks durch die weiße Landschaft. Sie hatten etwas gefunden, das sie ihrem großen Herrscher, dem Herrn der Finsternis, bringen würden. Es hatte unter etlichem Schnee gelegen und doch hatten sie es gefunden.

Ihr Anführer hielt seine Nase in den Wind und schnupperte. "Ich rieche Elfen", knurrte er.

Und da sahen sie sie schon von weitem. Die Kinder der Abenddämmerung, die Dunkelelfen, die sich deutlich am Horizont abzeichneten. Ragnar, der Anführer der Orks, betrachtete sich die Neuankömmlinge genauer. Irgendwie mochte er die dunkle Brut nicht. Noch weniger als die weiße. Bei den Weißen wusste man als einigermaßen intelligenter Ork immerhin, dass sie gut waren. Bei den Dunklen konnte man sich da nie so sicher sein.

"Du, Ragnar, ich glaube, wir sollten zusehen, dass wir von hier wegkommen", knurrte sein zweiter Mann.

"Wieso denn? Immerhin sagt der Boss, dass wir uns bemühen sollen, mit den Kerlen da klarzukommen. Sollen uns ja schließlich beim Kampf gegen die Weißen beistehen."
 

Kaneth traute den Orks nicht. In ihren Gesichtern konnte man nicht lesen, so wie in denen von Menschen oder denen der anderen Elfen, seien es nun Hoch- oder Dunkelelfen.

"Herr, vielleicht sollten wir umkehren", schlug einer der Wächter vor, der links neben ihm ritt. "Wenn wir uns mit ihnen anlegen, dann kann es passieren, dass wir unterliegen. Sie sind uns überlegen, so ungern ich das auch zugebe."
 

"Ragnar, die glotzen uns so blöd an. Ich glaub, wir verschwinden wirklich besser. Die sind stärker als wir, vor allem mit ihren Gäulen."

Ragnar knurrte ärgerlich. "Stimmt", gab er schließlich zu. "Immerhin haben wir, was wir wollten. Jungs, wir kehren um!" Damit kehrten sie den Dunkelelfen den Rücken zu und marschierten zurück in Richtung Dhub.
 

"Sie kehren um. Wollen wohl nichts mit uns zu tun haben", murmelte Kaneth. "Merkwürdig ist es schon. Aber was soll's. Kehren wir zurück zur Felsenburg. Dort erwartet man uns sicher bereits", beschloss er.

So wendeten sie ihre Pferde und machten sich auf den Rückweg. Kaneth bemerkte es nicht, dass sich die Wächter hinter ihm besorgte Blicke zuwarfen. Ihr Prinz würde mit leeren Händen zurückkehren. Das würde seinen Vater sicherlich erzürnen. Sie konnten sich jetzt schon vorstellen, wie er toben würde, wenn er erfuhr, dass sie nichts, aber auch gar nichts gefunden hatten. Der Drachenreiter und sämtliche Hinweise auf ihn waren ihnen durch die Lappen gegangen.
 

*****
 

Ryan wurde unsanft wachgerüttelt. Nein, das war nicht der hübsche Blonde. Das war der andere, der mit der knurrigen Stimme. Widerstrebend öffnete er die Augen.

"Na also. Ich dachte schon, Ihr wacht nie auf. Los, steht auf, wir müssen aufbrechen", meckerte der Mann mit den schwarzen Haaren und schaute ihn dabei so finster an, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief.

"Ist ja gut. Ich steh schon auf", knautschte Ryan und rappelte sich hoch. Der Dunkelhaarige erhob sich und ließ ihn zurück. Noch leicht verschlafen blickte er sich um. Wo war Nifredil? Dieses Gesicht hätte er beim Aufwachen viel lieber gesehen. Der Blonde war eindeutig hübscher als der andere und weitaus freundlicher obendrein. Andererseits musste er bei genauerer Betrachtung feststellen, dass der andere Kerl, der, der ihn auch ab und zu gepflegt hatte, trotz der markanteren Gesichtszüge und der kräftigeren Statur nicht weniger schlecht aussah. Sein nachtschwarzes Haar war so lang, dass es ihm bis zu den Hüften reichte und sein Gesicht war, obwohl es streng dreinblickte, interessant.

Der junge Mann reckte und streckte sich, wobei ihm etwas auffiel. Geschockt rief er: "Wo sind meine Klamotten?"

"Falls Ihr Euere Kleidung meint, die befindet sich hier. Allerdings würde ich euch raten, die nicht anzulegen, wenn Ihr nicht wie ein Narr wirken wollt", antwortete der andere.

"Und was dann? Soll ich als Nacktfrosch rumlaufen oder was?"

"Natürlich nicht. Das wäre noch ungebührlicher. Hier." Er warf ihm ein Bündel zu, welches Ryan entfaltete. Er fand ein Hemd, eine Weste, ziemlich eng erscheinende Hosen und wollene Strümpfe.

"Die sind auch noch für Euch!", rief ihm der Dunkelhaarige zu und warf ihm ein Paar Stiefel zu, von denen ihn einer schmerzhaft am Kopf traf.

"Aua. Das tut doch weh", protestierte er. "Außerdem, wer sind Sie überhaupt?"

"Zieht Euch an und hört auf zu jammern. Im Übrigen, mein Name ist Mahon. Und der Euere?"

"Ryan O'Farrell. Ryan, wenn Sie wollen", antwortete er und zog sich schweigend an. Erstaunt stellte er fest, dass ihm die Sachen ziemlich gut passten. Auch Mahon konnte nicht umhin, das zu bemerken. Er hätte nie erwartet, dass seine Kleider dem Fremden so gut passen würden. Er war anscheinend doch kräftiger gebaut, als er es auf den ersten Blick hin gedacht hätte. Auch war er nicht so unmuskulös wie es zuerst den Anschein gehabt hatte.

Ryan fühlte sich erstaunlich wohl in den für ihn doch etwas ungewohnten Klamotten. Als er gerade in den zweiten Stiefel, die ihm ein wenig zu groß waren, schlüpfte, betrat Nifredil die Höhle. Er blieb einen Augenblick verdutzt stehen und musterte ihn. "Die Sachen stehen dir", stellte er fest. Ryan merkte, dass er sich über dieses Kompliment ziemlich freute. Eigentlich war es ihm herzlich egal, wenn ihm ein Kerl sagte, dass ihm etwas stand. Bei IHM jedoch war das anders.
 

"Sie sind anscheinend weiter gezogen", wandte sich der Blonde nun an Mahon. "Dennoch halte ich es für besser, wenn wir nicht länger hier verweilen.

"Da stimme ich Euch voll und ganz zu, Ma…", begann Mahon, doch Nifredil drückte ihm eine Hand auf den Mund.

"Mahon, ich möchte dich darum bitten, wieder so mit mir zu reden wie du es getan hast als ich noch ein kleiner Junge war", sagte er. Dann nahm er die Hand weg.

"Warum das denn?", erkundigte sich der General mit zweifelndem Blick.

"Wegen ihm. Ich bin nicht sicher, was ich von ihm halten soll. Er verwirrt mich. Ich denke, es ist besser, wenn er noch nichts über meinen Rang weiß. Du verstehst?", erklärte Nifredil.

"Selbstverständlich. Also haltet Ihr… hältst du ihn für einen möglichen Spion?"

"Ich weiß nicht. Aus irgendeinem Grund möchte ich nicht, dass er weiß, dass ich der König der Hochelfen bin. Noch nicht. Er wird es erfahren, aber erst, wenn wir zurück in Bàn sind."

"Wie du willst", gab Mahon zähneknirschend zu. Es behagte ihm nicht, seinen Herrn so formlos anzusprechen. Das hatte er seit über fünfzig Jahren nicht mehr getan. Doch Nifredil lächelte ihm aufmunternd zu und wandte sich dann an Ryan.
 

"Wie fühlst du dich?", fragte er mit einem freundlichen Lächeln.

"Gut. Soweit", antwortete dieser.

"Ich gehe mal davon aus, dass du reiten kannst", meinte Nifredil.

Was? Reiten? Wo war er denn hier gelandet? Das einzige, das er jemals unter dem Hintern gehabt hatte, das den Namen eines Pferdes trug, war ein Mustang. Er schüttelte den Kopf.

"Wirklich nicht?", fragte der Blonde. Wieder konnte er nur den Kopf schütteln. "Nein", sagte er schließlich, "hab's nie gelernt."

'Als ob mich das jetzt überraschen würde', dachte Mahon.

"Macht nichts", grinste Nifredil. "Du wirst dir sowieso ein Pferd mit mir teilen müssen. Ich dachte nur, es wäre vorteilhaft, wenn du reiten könntest, denn dann würdest du sicherer im Sattel sitzen."

"Mit dir auf ein Pferd?", platzte es aus Ryan hervor. Ungläubig starrte er sein Gegenüber an.

"Ja. Mit mir. Eigentlich wollte Mahon, dass du mit ihm reitest, aber ich hab Angst, dass er dich herunter wirft. Damit mein ich das Pferd, nicht Mahon", fügte er hastig hinzu.

"Aha." Das war alles, was Ryan sagen konnte.
 

Draußen vor der Höhle standen zwei prächtige Pferde. Eines war braun, das andere weiß. Mahon schwang sich gekonnt auf das braune, Nifredil ging zu dem Schimmel. Behände schwang er sich in den Sattel. "Jetzt du", sagte er zu Ryan, der, in einen der Fellumhänge gehüllt, dastand und die großen Tiere anstarrte, als hätte er noch nie welche gesehen.

"Ich helfe dir", sagte der Blonde und reichte ihm eine Hand. Zögernd ging Ryan auf das riesige Tier zu. Seine Definition von Pferd war bisher immer: Vorne beißt es, hinten tritt es und in der Mitte ist es unbequem. Aber endlich gab er seinem Herzen einen Stoß und ehe er sich versah saß er hinter Nifredil und hielt sich fast krampfhaft an ihm fest.

"Also dann, ab nach Bàn", meinte Nifredil und sie setzten sich in Bewegung. Schnell verfielen sie in Galopp um wie Schatten die Weite der Eiswüste hinter sich zu lassen und in frühlingshaftere Gefilde einzutauchen.

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So, dann wünsche ich jetzt mal allen Leserinnen frohe Weihnachten - ähm, Ostern.
 

Erkenntnis des Tages:

Gott sei Dank sind Ostereier bunt. XD
 

In dem Sinne, bis zum nächsten Mal.

Kapitel III - Dhub und Bàn

Dhub. Das Schwarze Land. Hier hauste der Feind des Lichtes, Dhulmar, der Gott der Finsternis. Es hieß, dass in seinem Land die schrecklichsten Kreaturen lebten. Kreaturen, die noch nie das Licht erblickt hatten, denn eine permanente schwarze Wolke lag über Dhub wie ein Signal, nicht weiter zu gehen, sobald man das riesige Ungetüm am Horizont erblickte.
 

Die Ebenen von Dhub waren verwüstet, karge Felslandschaften und vertrocknetes Gras, nur wenige Tümpel, in denen sich Wasser sammelte. Und dort, in den Tiefen dieser Ebenen lag die Festung Dhulmars. Tief war sie einst in den schwarzen Felsen hineingetrieben worden, weit und verzweigt erstreckte sie sich über und unter der Erde.
 

°°°°°
 

Er hatte sie schon kommen hören. Seine Sinne waren schärfer geworden, seit er hier in den Kerkern Dhulmars festsaß. In diesem Fall jedoch hätte er diese Fähigkeit gar nicht gebraucht. Ihre Schritte waren so laut, dass selbst ein Toter sie hätte hören können, und davon gab es hier unten genügend. Doch wie es das Schicksal anscheinend wollte, würde er sich nicht so bald zu ihnen gesellen dürfen, obwohl er sich das mehr als alles andere wünschte.

Seine Zellentür wurde klappernd aufgeschlossen und der Kerkermeister kam herein. Seine stapfenden, schwerfälligen Schritte kamen immer näher. Unweigerlich spannte der Gefangene sich an. Anscheinend war noch nicht alles, was er jemals als Krieger gelernt hatte, aus ihm verschwunden, doch er wusste, dass es nur eine automatische Reaktion war, nicht wirklich der Wille aufzubegehren und sich zu wehren.

"Der Herr lässt dich rufen", hörte er die raue Stimme. Er wurde unsanft gepackt und hochgezogen. Natürlich war der Kerkermeister nicht alleine gekommen. Dem Geruch nach ein paar ganz normale, stinkende Orks. Seine Handgelenke wurden gefesselt und eine Hand in seinem Rücken schubste ihn vorwärts.

"Na los, beweg dich!", herrschte ihn der Ork hinter ihm an. Unsicher machte er einen Schritt, strauchelte, fiel jedoch nicht. Seine Beine trugen ihn anscheinend auch nur noch widerstrebend. Kein Wunder. Wenn er seine Beine wäre, er würde sich auch nicht mehr tragen wollen. Aber nachdem sie es doch taten blieb ihm wohl nichts anderes übrig und er bewegte sich torkelnd auf den Ausgang seiner Zelle zu.
 

Immer wieder fiel er auf dem Weg zu Dhulmar. Kein Wunder, schließlich war es eine lange Zeit her, seit er das letzte Mal gegangen war. Sonst kauerte er immer nur in seiner Zellenecke und wollte sterben. Ja, er sehnte sich nach dem Tod. Die Hoffnung, jemals von seinen Qualen erlöst zu werden, hatte er schon lange aufgegeben. Also hoffte er jeden Tag, oder jede Nacht, so genau konnte er es in der ewigen Dunkelheit um sich herum nicht sagen, dass er einfach nicht mehr aufwachen würde.
 

Ein harter Schlag traf seinen Rücken und er fiel der Länge nach hin. Er spürte den kalten glatten Stein von Dhulmars Thronsaal unter sich. Also war er am Ziel. Wenigstens etwas. Umständlich rappelte er sich etwas hoch, doch Dhulmars Stimme ließ ihn in seiner Bewegung erstarren. "Ich habe dir nicht erlaubt, dich zu bewegen!", donnerte der Gott. Er hätte es nicht großartig zu erwähnen brauchen, denn seine Arme versagten und er sank wieder auf den Boden.

"Ich habe etwas, das du dir ansehen wirst", sagte Dhulmar und er hörte, wie jemand auf ihn zukam, ihn hochzog und ihm etwas in die Hand drückte. Natürlich. Aus keinem anderen Grund hätte er ihn kommen lassen, dieses Monster. Er sollte wieder einmal für ihn in die Zukunft sehen. Und damit er das noch besser konnte hatte ihm Dhulmar damals höchstpersönlich das Augenlicht genommen, um sein "inneres Auge zu schärfen". Wie sehr er ihn doch hasste. Aber er hatte keine andere Wahl. Sie würden ihn nicht töten, das hatte er schon oft genug versucht. Also nahm er sich den Gegenstand in seinen Händen vor.
 

Ein Buch. Der Einband war aus Leder und vorne auf dem Buchdeckel war etwas abgebildet. Vorsichtig tastete er es mit den Fingerspitzen ab. Ein Baum, eine Sonne, ein Halbmond und … was war das noch? Drachenschwingen? Also der Drachenreiter. Die alte Legende vom letzten großen Kampf. Er klappte das Buch auf und da durchströmten ihn Bilder, so klar, als könnte er plötzlich wieder sehen.
 

Er sah den jungen König der Hochelfen und seinen General. Sie saßen an einem Feuer und unterhielten sich. Bei ihnen saß ein junger Mann, der ihnen interessiert zuhörte. Er hatte dunkle Locken und rehbraune Augen.

"Was Ihr sucht", sagte er leise und erschrak beim Klang seiner eigenen Stimme, "befindet sich in Nifredils Hand. Sie sind unterwegs nach Bàn."

"Verdammt! Die verdammte weiße Brut war schneller als wir. Aber wir werden ihn bekommen! Wenn Nifredil glaubt, der Drachenreiter würde sich auf seine Seite schlagen, dann hat er sich geirrt!", dröhnte Dhulmar. "Wache! Ihr macht euch sofort auf den Weg nach Bàn. Holt mir den Drachenreiter. Sollten sich euch Nifredil oder sonst wer in den Weg stellen, tötet sie", befahl er. Eifrige Schritte entfernten sich. "Und du…", wandte er sich nun wieder dem Seher zu, "du gehst zurück in deine Zelle. Jungs, gute Arbeit. Wenn ihr wollt, dann dürft ihr noch ein bisschen mit ihm spielen. Aber übertreibt es nicht. Wir brauchen ihn noch."

'Oh Ihr Götter. Warum habt ihr mich ausgerechnet in die Fänge von diesem Irren getrieben?' Also wieder einmal ein kleines bisschen Folter. Was sie ihm wohl diesmal brechen würden?
 

*****
 

Ryan streckte seine Beine aus, näher zum Feuer hin. Soeben hatten ihm die Elfen erzählt, wo er sich hier befand und was es mit dieser Welt auf sich hatte.
 

Es gab mehrere Königreiche. Zum einen waren da die Elfenkönigreiche. Das eine, Bàn, war das, wohin sie zu gelangen suchten, die Heimat der Hochelfen, regiert von einem jungen König, dessen Vater in der letzten großen Schlacht gegen die Dunklen Mächte gefallen war. Die Hochelfen verkörperten das Licht in dieser Welt. Sie verabscheuten den Krieg, doch wenn es sein musste, dann waren sie gefürchtete Krieger im Zeichen der Sonne.
 

Dann waren da die Dunkelelfen, eine Randgruppe der Elfenwelt. Einst hatten sie mit den Hochelfen zusammen gelebt doch dann ihre Unabhängigkeit gefordert. Sie hatten sie erhalten und seither hatte das Volk der Dunklen seinen eigenen souveränen Staat in den Bergen von Gulgart. Die Festung, die sich die Dunkelelfen errichtet hatten, genannt die Felsenburg, so sagte man jedenfalls, sei der am besten zu verteidigende Ort auf dem ganzen Kontinent und nahezu uneinnehmbar. Von den Dunkelelfen hieß es, sie seien wie Schatten in der Nacht, lautlos und schnell und dadurch extrem gefährliche Gegner.

Es waren ebenfalls die Dunkelelfen, die sich hervorragend mit den Zwergen verstanden und mit ihnen regen Handel trieben, denn die Zwerge lebten mit ihnen zusammen im Gulgart-Gebirge, nur unterhalb der hohen Berge in ihren Stollen und Höhlen.
 

Im Norden und Süden lebten die Menschen. Die nördlichen Menschen, die Skàat, hatten gute Verbindungen zu den Hochelfen, allerdings trafen sich die beiden Völker nur selten. Sie waren geschickte Handwerker, vor allem in der Waffenschmiedekunst.
 

Die südlichen Menschen, die Sûr, waren noch sehr provinziell und nicht gerade die besten Krieger. Wenn jemals Feinde angriffen, dann meistens im Süden, denn der war sehr schlecht verteidigt. Dennoch, hatte man die Sûr erst einmal gegen sich aufgebracht, kämpften sie wie die Wilden und waren kaum zu bremsen in ihrem Kampfeifer, was sie zu schwer einschätzbaren Gegnern machte.
 

Der Feind all derer war Dhulmar, der Gott der Finsternis im Reich Dhub.
 

"Also ist dieser Dhulmar der, gegen den ihr kämpft, ja?", fragte Ryan.

"Ja", antwortete Nifredil. "Und das schon seit Jahrhunderten. Das Problem ist, dass wir ihn nie ganz besiegen konnten. Er kommt immer wieder, wie ein Alptraum, denn solange die Angst existiert, existiert Dhulmar. Das heißt, selbst, wenn wir ihn vernichtend schlagen würden, käme er in spätestens 100.000 Jahren zurück, dann, wenn er wieder genug Angst gesammelt hat, um sich zu materialisieren. Aber nicht nur er allein. Er sammelt andere um sich, Kreaturen, die mindestens genauso böse sind wie er selbst. Orks, Goblins, Trolle, alles, was du dir vorstellen kannst."

"Auch Drachen?", wollte Ryan wissen.

Mahon und Nifredil tauschten einen kurzen Blick. "Wieso fragst du ausgerechnet nach Drachen?", hakte der blonde Elf nach.

"Ach, ich meinte nur so. Immerhin, bei euch gibt's Elfen, Zwerge, Orks, einen oberfiesen Gott, alles, wovon Tolkien geträumt hätte. Warum also keine Drachen?", gab Ryan achselzuckend zur Antwort.

"Nun", erklärte Mahon, "es gibt Drachen, allerdings sind sie auf niemandes Seite. Noch nicht."

"Heißt das, sie halten sich aus eueren Streitereien raus? Und was heißt 'Noch nicht'?", fragte der Dunkelhaarige.

"Zum ersten nein, denn sie greifen alles an, sei es nun Licht oder Dunkel und zum zweiten, nun, es gibt da eine Legende, die Legende vom Drachenreiter oder auch Drachenritter. Es heißt, dass, wenn er erscheint, die Drachen gezähmt werden und sich seiner Herrschaft unterwerfen. Doch wie die Drachen selbst steht der Drachenritter auf keiner festen Seite. Für welche er sich entscheidet hängt in großem Maße davon ab, wer ihm das beste Angebot macht", erklärte Mahon.

"Das beste Angebot? Heißt das, der Typ ist käuflich? Widerlich, echt jetzt. Der muss doch ein klares Statement abgeben können, oder? Ich meine, entweder Schwarz oder Weiß, das muss er doch wissen, meine ich."

"Nicht unbedingt. Der Drachenreiter stammt, so heißt es, nicht aus diesem Teil der Welt. Er kennt die Zusammenhänge nicht und je nachdem, wer ihn zuerst in die Hände bekommt, hat auch den größten Einfluss auf ihn", sagte Nifredil.

"Ach so. Also ein Kerl wie ich? Ich meine, ich bin ja auch nicht von hier. Aber mal angenommen, ich wäre dieser Drachen-Futzi. Ich glaube, ich würde mich für euch entscheiden. Ihr seid nämlich viel hübscher als diese Orks und so. Könnt ich mir zumindest vorstellen", meinte Ryan und reckte sich, wobei er Nifredil verschwörerisch zuzwinkerte.

"Na was sind wir doch jetzt froh über diese Aussage", muffelte Mahon, der so langsam wahnsinnig wurde, weil ihm einfach nicht einfallen wollte, warum er bei Ryan so ein komisches Gefühl hatte, wenn dieser seinen König ansah.
 

"Sag mal", sagte Nifredil zaghaft, "was ist eigentlich ein Engel?"

"Hm? Warum willst du das wissen?", fragte Ryan überrascht.

"Sag es doch einfach", bat der Blonde.

"Also, ein Engel ist ein… göttliches Wesen, das auf die Erde geschickt wird um den Menschen zu helfen. Wieso?"

"Na ja, so hast du mich genannt, als du aufgewacht bist", erklärte Nifredil und wurde leicht rot.

"Ach so. Da war ich wohl nicht ganz bei mir. Aber wenn ich dich so ansehe, warum hätte ich dich nicht so nennen sollen? Ich meine, du hast mich gerettet und gesund gepflegt. Abgesehen davon bist du…", er stockte und schaute schnell weg.

"Was bin ich?", fragte der Elf neugierig und mit weit aufgerissenen Augen wie ein kleines Kind.

"Sag ich nicht", grummelte Ryan, verschränkte die Arme und schaute demonstrativ in die andere Richtung.

"Bitte, sag's mir", bettelte der Blonde und schob sich näher an ihn heran.

'Wie kindisch', dachte Mahon. 'Und ich dachte, er wäre aus dem Gröbsten raus.'

"Nein. Wenn ich dir das sage, dann wird's nur peinlich und zwar für uns beide", beharrte Ryan, doch ihm entging nicht, dass die Distanz zwischen ihnen schon erheblich geschrumpft war.

Plötzlich lag Nifredils Kinn auf seiner Schulter und er zuckte leicht zusammen als ihm der Elf etwas ins Ohr flüsterte: "Du meinst aber nicht zufällig 'schön', oder?"

"Und wenn?", wollte der Lockenkopf leicht beschämt wissen.

"Dann würde ich mich freuen", antwortete Nifredil grinsend und nahm wieder seinen alten Platz neben Mahon ein, welcher ziemlich düster dreinschaute.

"Ich kann mir nicht helfen, aber irgendwie…", murmelte er.

"Irgendwie was?", fragte sein König.

"Irgendwie ist da etwas. Etwas Wichtiges, das mir einfach nicht einfallen will. Wenn ich ihn so sehe, gerade, wenn er Euch, Verzeihung, dich ansieht, dann wird mir irgendwie unwohl zumute, weil ich das Gefühl habe, etwas wirklich Entscheidendes vergessen zu haben."

"Ach, Mahon, wenn es dir nicht einfällt, kann es gar nicht so wichtig sein", munterte ihn der Blonde auf. "Du musst dir so viel merken, da ist es nur normal, dass du mal was vergisst. Lass dir deswegen keine grauen Haare wachsen."

"Wie du meinst", lenkte der General ein, doch er zermarterte sich weiterhin das Hirn, was das nur war, das ihm einfach nicht mehr in den Sinn kommen wollte.
 

"Warum erzählst du uns nicht mal was von dir?", fragte Nifredil ganz beiläufig.

"Ach, von mir gibt's nicht viel zu erzählen", begann Ryan. "Ich bin 23 Jahre alt und lebe in New York City, was ihr beide wohl nicht kennt, aber das macht nix. Es ist eine ziemlich große Stadt mit Millionen von Menschen."

"Keine Elfen?", fragte Nifredil leicht enttäuscht dazwischen.

"Nun, wenn in New York Elfen leben, dann hab ich noch nie einen gesehen. Ich kann insofern sagen, dass meine Welt richtig magielos ist. Was ich hier erlebe, und das in nur so wenigen Tagen bisher, ist so wunderbar, wie das, was ich als Kind und Jugendlicher in meinen Büchern gelesen habe", antwortete Ryan und schaute dabei verträumt.

"Und Zwerge?", hakte der Blonde nach. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es eine Welt gab, wo weder Elfen noch Zwerge noch sonst was existierten.

"Auch keine Zwerge", sagte Ryan. "Gar nichts."

"Ich denke nicht, dass das relevant ist", merkte Mahon an.
 

Ryan kuckte zwar etwas verwirrt wegen des plötzlichen Themenwechsels, sagte jedoch nichts weiter dazu, zuckte die Achseln und antwortete stattdessen: "Also zurück zur Biographie des Ryan O'Farrell. Geboren wurde ich in L.A. Meine Mutter ist zur Hälfte Mexikanerin, was bei mir voll durchschlägt. Mein Vater hat irische und schwedische Wurzeln. Ich bin also so was wie eine Skàat-Sûr-Mischung, wenn das überhaupt vergleichbar ist. Jedenfalls, als ich drei war, gingen wir an die Ostküste. Mein Vater ist, glaube ich, Verlagschef einer großen Zeitung. Hab ihn schon elf Jahre nicht mehr gesehen. Ist mir auch ziemlich egal, was er eigentlich macht."

"Dann warst du ja noch ein Kind! Vermisst du ihn nicht?", fragte Nifredil mitfühlend.

Ryan überlegte kurz und sagte dann: "Nein. In der ersten Zeit nach der Trennung schon, aber dann wurde mir klar, dass er mich wohl nicht mehr wollte und hab mich damit zufrieden gegeben."

"Aber du hast noch einen Vater. Du solltest froh sein", tadelte der Blonde.

"Wie würdest du dich als Zwölfjähriger fühlen, wenn dir dein Vater hoch und heilig verspricht, dass du ihn nie verlieren wirst und dann kommt er dich nicht einmal besuchen? Keine Weihnachtskarte, kein Geburtstagsgruß, gar nichts, nicht mal von seiner Sekretärin. Hups, die hat er ja geheiratet. Wie dumm von mir, das zu vergessen. Es war fast so, als hätte ich nie für ihn existiert. Aber können wir das vielleicht lassen?" Die Verbitterung in seiner Stimme war deutlich zu hören.
 

Nifredil hatte sehr wohl bemerkt, dass er einen empfindlichen Punkt getroffen hatte und fragte auch nicht weiter. Stattdessen fragte er: "Und was machst du dort, wo du herkommst, den ganzen Tag?"

"Ich studiere an der State University von New York Geschichte und Literatur. Weiß noch nicht, was ich mal genau machen will. Nebenbei arbeite ich in der Anchient Archive Library."

"Aha, also ein Gelehrter", stellte Nifredil fest.

"Verstehst du dich auf Kriegshandwerk?", fragte Mahon, ganz der Pragmatiker.

"Kriegshandwerk? Nein. Hab nicht mal 'ne militärische Grundausbildung. Das einzige, was ich dir dazu erzählen könnte, wären alte Kriegsstrategien, die ich mal studiert hab. Und davon hab ich auch schon wieder die Hälfte vergessen", gab der Dunkelhaarige zu.

"Großartig", stöhnte der General. 'Also wohl doch nicht der Drachenritter. Schöne Blamage.'

"Aber ich kann Karate", sagte Ryan etwas patzig, denn Mahons Art zu reden gefiel ihm gar nicht.

"Bitte was?", fragte der Elf mit den langen schwarzen Haaren nach.

"Waffenloser Kampf. Darf aber nur zur Verteidigung eingesetzt werden", erklärte Ryan.

"Nun, hilft dir das gegen einen bis an die Zähne bewaffneten, gut gerüsteten Krieger?", lächelte Mahon schwach.

"Ich werde es dir beweisen, wenn es sich ergibt. Im Moment allerdings bin ich müde und würde jetzt gerne schlafen, einverstanden?", gähnte der Mensch.

"Ist gut, schlaf", antwortete Nifredil lächelnd. "Gute Nacht."

Ryan wünschte den beiden ebenfalls eine gute Nacht, wickelte sich in seine Decke und schlief fast augenblicklich ein.
 

Mahon und Nifredil unterhielten sich noch lange. Hätte Ryan gewusst worüber, er wäre sehr erstaunt gewesen.
 

°°°°°
 

Rhocaen schreckte hoch. Schwarz. Alles um ihn war wieder schwarz, genau wie immer. Nur im Schlaf und in seinen Visionen sah er noch Bilder vor sich.
 

Alle Glieder taten ihm weh. Diesmal, zumindest fühlte es sich so an, hatten sie ihm nicht nur ein oder zwei sondern schlichtweg alle Knochen im Leib gebrochen. Leise stöhnte er auf vor Schmerz.
 

Ein Traum hatte ihn geweckt. Frieden lag über der Welt, der dunkle Herrscher war vernichtet und die Völker der Elfen unter dem Banner des Baumes der Unsterblichen, der Sonne der Hochelfen, des Halbmonds der Dunkelelfen und den Schwingen des Drachen vereint.
 

Die Bedeutung der Prägung auf dem Buch, das er in den Händen gehalten hatte, war ihm schlagartig klar. Er lächelte. Moment mal. Das war das erste Mal seit etwa… Ja, wie lang eigentlich? Jedenfalls das erste Mal, dass er wieder lächelte. In die Trostlosigkeit seiner Existenz mischte sich wieder so etwas wie ein Funken Hoffnung. Vielleicht würde sein Leid endlich ein Ende haben und er könnte sterben, so, wie er es auf dem Schlachtfeld hätte tun sollen.
 

Vielleicht.
 

*****
 

Am nächsten Tag trafen sie in Bàn ein, oder zumindest im Land Bàn. Die Stadt mit demselben Namen lag noch etwa einen Tagesritt von ihnen entfernt und doch merkte Ryan, dass mit Nifredil, während sie durch dichten Wald ritten, eine Veränderung vonstatten ging. Er wurde stiller, ernster und zog sich immer mehr in sich zurück.
 

"Alles in Ordnung?", fragte er über die Schulter des Blonden hinweg, an welchem er sich mittlerweile nicht mehr ganz so krampfhaft festhalten musste.

"Oh, ja, sicher. Alles bestens", bestätigte der Elf mit einem Lächeln, welches Ryan jedoch, logischerweise, nicht sehen konnte.

In seinem Inneren sah es ganz anders aus. Er wusste, je näher sie Bàn kamen, desto eher würde er Ryan die Wahrheit über sich selbst sagen müssen.
 

Bei einer kleinen Quelle legten sie eine Rast ein. Nifredil stieg ab und hockte sich an den Rand des Gewässers. Dort schöpfte er Wasser mit seinen Händen, trank und befeuchtete sein Gesicht. Seine Unsicherheit wuchs.
 

Ryan war ihm von Anfang an sympathisch gewesen und er wollte, dass er ihn mochte, weil er ihn ebenso sympathisch fand und nicht, weil er der König der Elfen war. Doch jetzt hatte er sich verstrickt und es schien, als könnte er keinen Rückzieher mehr machen. Er seufzte leise.
 

"Also du hast doch was", stellte Ryan fest während er sich neben ihm in der Hocke niederließ und ihn durchdringend ansah.

'Besser, ich sag es ihm jetzt', beschloss der Elf und sagte schließlich: "Du hast Recht. Also, da ist etwas, das du über mich wissen solltest…"
 

Doch weiter kam er nicht, denn ein Geräusch ließ ihn verstummen. Es klang wie das durch die Luft Schwirren eines Pfeils.

Knapp vor seiner linken Hand, mit der er sich eben noch abgestützt hatte, schlug nur wenige Sekunden später ein schwarzer Pfeil ein.

"Orks", zischte er.

"Shit", bemerkte Ryan trocken und sprang auf.
 

Mahon zog noch auf dem Pferd sitzend sein Schwert, Nifredil nahm seinen Bogen und legte einen Pfeil an die Sehne. "Bleib hinter mir", raunte er Ryan zu.

"Ach was, mit so ein paar Orks werd' ich doch locker fertig", behauptete der Lockenkopf selbstsicher und nahm seine Kampfhaltung ein.

"Hör zu, du wirst das tun, was ich dir sage, verstanden?", sagte Nifredil gereizt und mit Ehrfurcht einflößendem Kommandoton. "Die sind verdammt gefährlich und vermutlich hinter dir her, also…"

Die Orks brachen aus dem Waldrand hervor und sofort flog Nifredils erster Pfeil pfeifend durch die Luft. Der erste Ork, der die Lichtung betrat, sank zusammen. Ein weiterer wurde von Mahon niedergemäht. Blitzschnell hatte Nifredil einen neuen Pfeil aus dem Köcher gezogen und schoss ihn sofort ab. Noch ein Ork wurde getroffen und verendete, den Pfeil in seiner Kehle steckend. Der Rest verschwand.
 

"Das war ja leicht…", murmelte Ryan.

"Späher", erklärte Nifredil mit ernster Stimme. "Der Haupttrupp kommt erst noch." Er drückte dem Dunkelhaarigen etwas in die Hand.

"Oh", stellte dieser fest. Es war der Griff eines Dolches.

"Verlier ihn nicht", raunte ihm der Blonde zu.

"Sie kommen", erklang Mahons düstere Stimme.
 

Auf einmal sah Ryan nur noch schwarz. Hässliche, völlig in schwarz gekleidete Kreaturen ergossen sich über das Grün des Grases. Ihr bösartiges Knurren erfüllte die bis dahin noch so friedliche Stille.

Ein unwahrscheinliches Gefühl der Angst beschlich ihn. So viele waren es und es wurden immer mehr. Nifredil und Mahon taten ihr Möglichstes, doch schon bald konnte auch der blonde Elf mit seinen Pfeilen nichts mehr ausrichten und zückte sein Schwert.
 

Schon war er von Feinden umringt und Ryan stand ungeschützt etwa einem Dutzend der grausamen Kreaturen gegenüber.

"Also gut, dann wagen wir doch mal ein Tänzchen", grinste er.
 

Doch alles Karate der Welt nützt einem nicht viel, wenn man es mit gut gerüsteten, bis an die Zähne bewaffneten Orks zu tun hat. Das musste auch Ryan nur allzu bald feststellen. Er wich ihren Hieben geschickt aus und verteilte etliche Tritte, von denen nicht wenige trafen, doch seine Gegner erholten sich schnell, während er immer müder wurde.

Ein harter Schlag traf ihn am Hinterkopf und er verlor das Bewusstsein. Noch bevor er wegdämmerte schien es ihm, als würde er Nifredils Stimme seinen Namen rufen hören.

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Lang hat's gedauert. Gomen. ;.;

Ich hab einfach nicht mehr wirklich die Zeit zu schreiben. Aber ich werde mich bemühen, euch weiterhin mit Lesefutter zu versorgen, auch wenn die Abstände größer werden.
 

Bis zum nächsten Mal.
 

myrys

Kapitel IV - Gefangen in Dunkelheit

Hallo, liebe Leutchens.
 

Es hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert, aber hier ist mal wieder ein neues Kapitel von mir.
 

Da ich mit meiner Arbeit voll eingespannt bin, komme ich einfach nicht mehr zum Schreiben, aber so ein bis zwei Zeilen hab ich dann doch geschafft. ^^
 

Ich hoffe, es gefällt euch und ihr seid mir noch treu.
 

Es grüßt
 

Das Myry
 

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Kapitel IV

Gefangen in Dunkelheit
 

Er stand in einem endlosen Nichts. Wieder einmal nichts als eintönige Leere um ihn. Ryan seufzte. Warum nun schon wieder? Doch diesmal gab es einen Unterschied. Er war offenbar nicht allein. Ganz deutlich spürte er, dass da jemand oder etwas in seiner Nähe war.
 

"Was tust du hier?", fragte ihn eine angenehme, tiefe Stimme, allerdings in ziemlich verwirrtem Tonfall.

"Wenn du mir sagst, wo ich hier bin, dann kann ich dir vielleicht sagen, was ich hier mache", antwortete Ryan.
 

In der Dunkelheit vor ihm erschien ein Mann. Groß und imposant kam er auf ihn zu. Seine Art zu gehen erinnerte Ryan an ein Raubtier, doch ging nichts Bedrohliches von ihm aus. Das Haar des Mannes reichte ihm etwa bis zu den Schulterblättern und war ordentlich in einem halben Zopf nach hinten gebunden. Als er knapp vor dem jungen Mann stand, erkannte dieser, dass es dunkelblau war. Auch die Haut des Mannes hatte einen schimmernd blauen Ton und leuchtend gelbe Augen blickten ihn an. 'Er sieht gut aus', musste Ryan zugeben.
 

"Du bist in meinem Traum", antwortete der Fremde nachdem sie sich eine Weile stumm gemustert hatten.

"Dann kann ich dir nicht sagen, was ich hier tue. Aber zumindest kann ich mich ja vorstellen. Ich bin Ryan, freut mich", sagte der Lockenkopf und lächelte freundlich während er seinem Gegenüber die Hand reichte.

Doch dieser ergriff sie nicht. "Ich weiß, wer du bist", sagte er halblaut.

"Kann gar nicht sein", erklärte Ryan. "Ich hab noch nie einen blauen Kerl wie dich gesehen. Wer bist du überhaupt?"

"Mein Name ist Rhocaen. Ich bin ein Dunkelelf", antwortete der Blauhaarige.

"Aber wieso bin ich in deinem Traum? Das versteh ich nicht", meinte der Mensch.

"Ich ebenso wenig", meinte Rhocaen. "Jedenfalls vermute ich, dass es seinen tieferen Sinn hat."

"Vielleicht hat's was damit zu tun, dass mich die Orks gefangen haben", vermutete Ryan.

"Was?", rief der Dunkelelf fassungslos. "Na dann ist mir alles klar. Ryan, hör mir jetzt gut zu. Ich bin in dieser Stunde dein Helfer und Freund. Die Orks haben dich gefangen, weil sie dich für den Drachenritter halten. Sie wollen dich auf ihre Seite ziehen."

"Moment. Ich soll der Drachenritter sein? Ich glaub, bei dir hakt's. Wie sollte ich…", unterbrach Ryan, doch Rhocaen brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. Tatsächlich hatte der Elf etwas unheimlich Autoritäres an sich.

"Ich sagte, du sollst mir zuhören. Ich weiß nicht, wie lang dieser Traum anhält. Also, was auch immer sie tun, womit sie auch versuchen, dich zu ködern, lass dich nicht darauf ein. Wenn du das tust, dann ist das das Ende unserer Welt."

"Und wenn ich nicht der Drachenritter bin?", hakte Ryan nach.

"Letztendlich ist das völlig irrelevant. Die Orks glauben, dass du es bist, das reicht schon. Sie werden dich kaum bis nach Dhub schleppen. Ich denke, dass sie einen Schamanen dabei haben, der dich ein kleines bisschen kitzeln wird, um es nett auszudrücken. Sie sind zwar nicht besonders intelligent, dafür aber gemein und hinterhältig, also versuch, ihnen so lang wie möglich Stand zu halten, dann tun sie dir nicht weh. Zumindest hoffe ich das", riet ihm Rhocaen.

"Supertolle Aussichten. Und wenn ich Stand halte, was dann? Ich meine, dann bin ich immer noch ihr Gefangener."

"Der König wird dich retten, da bin ich sicher", gab der Elf zurück.

"Der König? Das versteh ich nicht. Hey, Rhocaen, sag doch was."
 

Plötzlich war der Dunkelelf verstummt. Seine Formen wurden undeutlicher und schließlich war er verschwunden. Ryan kam langsam wieder zu sich.
 

Langsam öffnete er die Augen und hätte sie am liebsten sofort wieder geschlossen, doch er konnte nicht. Irgendwie fand er das Ding über sich in seiner ganzen Hässlichkeit faszinierend.

"Aargh, er ist wach!", krächzte es fast schon vergnügt.

"Vorzüglich", erklang eine dunkle Stimme zu Ryans Füßen.

Zögernd richtete er sich auf und stellte fest, dass er auf einem Lager aus Fellen lag, die zwar etwas muffelig rochen, ansonsten aber wenigstens weich waren. Ein weiterer Blick verriet ihm, dass er sich in einem Zelt befand, nicht sehr groß und von runder Form.
 

Am Fußende seines Bettes saß ein Mann, um genauer zu sein ein Menschenmann. Er hatte dichtes, schwarzes Haar und einen kurzen Bart, der es schwer machte, sein Alter zu schätzen. Er trug ein Gewand, das entfernt an eine Mönchskutte erinnerte.
 

"Wie fühlt Ihr Euch?", fragte er mit besorgter Stimme.

"Gut, soweit", antwortete Ryan.

"Wunderbar, das freut mich sehr", sagte der Mann und setzte sich neben ihm aufs Lager. "Ich hatte nämlich schon befürchtet, dass diese fürchterlich ungeschickten Idioten Euch etwas angetan haben könnten. Und das wollen wir doch nicht, nicht wahr?"

Der Blick aus den graublauen Augen des Mannes war unheimlich faszinierend und Ryan stellte fest, dass er ihn gar nicht so unsympathisch fand. Vorsichtig strich der Mann über Ryans Wange, was dieser ziemlich befremdlich fand. "Diesen Kratzer habt Ihr Euch wohl bei einem Sturz zugezogen?", fragte der Bärtige. "Oder hat Euch doch eines dieser hirnlosen Exemplare der Spezies Ork verletzt?"

Gerade wollte Ryan sagen, dass es tatsächlich einer der Orks gewesen war, da fiel ihm sein Traum ein. 'Halt ihnen Stand', rief er sich selbst ins Gedächtnis. 'Wenn das der Schamane ist, dann musst du vorsichtig sein.'

Der Fremde musterte ihn kurz und mit durchdringendem Blick, doch schließlich behielt Ryan die Oberhand in dem Duell der Blicke. "Ihr seid sicher neugierig zu erfahren, mit wem Ihr es hier zu tun habt. Nun, mein Name ist Duncan. Ich bin Heiler und stehe in den Diensten der Wahrheit", stellte sich der Mann endlich vor.

"Wahrheit?", hakte Ryan nach.

"Ich sehe schon, ich muss ganz von vorne anfangen", bemerkte Duncan achselzuckend und schüttelte leicht amüsiert den Kopf. "Nun, ich denke, dass die beiden Elfen, aus deren Fängen Ihr befreit wurdet, keine gute Gesellschaft für Euch waren, ähm, wie war doch gleich Euer Name?"

"Shane", antwortete Ryan nach kurzem Zögern. Er traute dem Kerl nicht über den Weg und der erste Name, der ihm einfiel, war der seines Mitbewohners.

"Ein hübscher Name. Also, Shane, dann will ich Euch erzählen, was Ihr wissen solltet", begann Duncan. "Diese Welt ist in verschiedene Königreiche unterteilt."

"Das weiß ich", unterbrach Ryan.

"Oh, gut. Dann können wir gleich zum Wesentlichen kommen. Leider muss ich Euch sagen, dass Ihr zuerst den Elfen in die Hände geraten seid." Er schaute mitleidig drein.

"Ich fand sie nett", beharrte der Lockenkopf.

"Oh ja, sie haben zweifellos ihren Zauber, das gebe ich zu, gerade auf Menschen. Mit ihrer Schönheit verstehen sie es, zu blenden und zu täuschen, insbesondere verstehen sie sich darauf, zu verschleiern, was ihre wahren Absichten sind. Wisst Ihr, Elfen sind Geschöpfe mit gespaltener Zunge. Sie sagen das eine und denken das andere und sie nutzen jeden schamlos aus, solange es zu ihrem eigenen Vorteil ist. Danach lassen sie einen fallen. Und wisst Ihr, warum? Weil sie kein Herz und keine Gefühle haben. Alles ist Schein in ihrer Welt. Sie mögen auf Euch großzügig und nett gewirkt haben, doch leider hatten sie wohl Eueren Wert erkannt und beschlossen, Euch zu umgarnen. Ist es nicht so, dass Euch dieser blonde Elf schöne Augen gemacht hat?"
 

Zu seinem eigenen Entsetzen musste Ryan feststellen, dass der Zweifel in seinem Herzen wuchs. Mahon hatte ihn jedenfalls nicht besonders ins Herz geschlossen und bei ihm würde er Duncans Geschichte ohne jeden Zweifel glauben. Doch was Nifredil anging, da konnte er sich doch gar nicht getäuscht haben. Die Zuneigung in den großen blauen Augen war doch echt gewesen, oder? Er erinnerte sich an die Wärme des Elfen, die ihn durchströmte wenn sie zusammen auf einem Pferd saßen, das Lächeln, so nett und rein und das unschuldige Erröten, das über das hübsche Gesicht zog, wenn er ihm zuzwinkerte oder ihn sacht berührte. Aber was war es, das ihm Nifredil hatte sagen wollen bevor sie getrennt worden waren?
 

"Ah, ich sehe schon, ich habe einen wunden Punkt getroffen, nicht wahr?", sagte Duncan mit verständnisvoller Stimme.

"Ryan!", hörte er plötzlich Rhocaens Stimme. "Du musst stark bleiben! Zweifle nicht an deinem Herzen!"

"Mein Herr, Dhulmar, " fuhr Duncan fort, "ist da ganz anders, wisst Ihr? Ich kann mir denken, was die Elfen Euch über ihn erzählt haben. Doch ich kann Euch versichern, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Was wissen schon Elfen über die wahren Absichten eines Gottes? Wenn Ihr Euch ihm anschließen würdet, könntet Ihr alles haben, was Euer Herz begehrt. Macht, Reichtum, alles."

"Aber das geht nicht…", murmelte Ryan unsicher.

"Warum sollte es nicht gehen?", fragte der Schamane und schaute ihm fest in die Augen. Der junge Mann fühlte seinen Widerstand brechen und Duncan drang immer weiter in seine Gedanken ein.

"Wenn ich sage alles, dann heißt das alles", sagte der Bärtige mit langsamer, dunkler Stimme.

Vor Ryans innerem Auge erschienen Bilder. Er war reich, so reich, dass er in Gold schwamm. Unweigerlich fühlte er sich an Dagobert Duck erinnert. "Reichtum wird dein sein. Du wirst dir alles kaufen können, was dein Herz begehrt", hörte er Duncans Stimme. Das Bild änderte sich. Er ritt auf einem großen Pferd eine Straße entlang. Die Menschen erstarrten erst bei seinem Anblick und warfen sich dann in den Staub um ihm zu huldigen. "Du wirst der mächtigste Mann sein. Alle werden dich fürchten." 'Ich muss ihm widerstehen!', dachte er verzweifelt. 'Nifredil, bitte, gib mir Kraft, durchzuhalten.'
 

"Auch er kann dein sein", sagte Duncan. Das Bild änderte sich erneut. "Räche dich für seine Überheblichkeit. Du kannst sein Herr werden. Mach ihn zu deinem Eigentum." Nifredil lag nackt und mit schweren Ketten gefesselt auf einem riesigen Bett. Der Traum-Ryan ging auf ihn zu und drückte seine Beine auseinander. Nifredils angstverzerrtes Gesicht erstarrte vor Schmerz als er hart in ihn eindrang. Ein lautloser Schrei löste sich aus der Kehle des Elfen. 'Nein, das will ich nicht!', dachte Ryan. Er sah die Tränen in Nifredils Augen und sofort war er wieder bei sich.
 

Duncan taumelte rückwärts. "Wie kannst du so stark sein?", murmelte er fassungslos.

"Genau so ist es richtig", hörte Ryan wieder Rhocaen. "Deine Liebe ist stärker als die Macht des Dunklen Herrschers. Vertrau darauf."

'Danke, Rhocaen', dachte er. Zornig erhob er sich von seinem Lager und kam bedrohlich auf Duncan zu.

"Du sagst, die Elfen seien die Schlangen, aber das ist nicht wahr. Du bist die Schlange. Wie kannst du nur versuchen, mir einzureden, ich solle jemanden vergewaltigen? Da sieht man mal, wes Geistes Kind du bist. Weißt du was, Alter? Das kannst du voll knicken. Und wenn du nichts dagegen hast, dann geh ich jetzt."

Er war schon fast an Duncan vorbei, da lachte dieser schallend auf. "Du willst also gehen, Shane? Der Witz war gut. Dieses Lager ist voll mit Orks. Mehr als die auf der Lichtung. Und schon gegen die hattest du keine Chance. Du siehst, es gibt keinen Ausweg. Entweder du schließt dich dem Dunklen Herrscher an oder du stirbst, denn eines steht fest: Er wird dich niemals in die Hände der Elfen gelangen lassen."
 

°°°°°
 

Rhocaen erwachte. War es ein Traum gewesen? Sicher, denn er hatte sich jung und kräftig gefühlt. Ein Vorteil an Träumen war, dass sie einem die Vergangenheit zurückholen konnten. In seinem Fall eine sehr schöne Vergangenheit, wenn auch eine unmögliche.
 

Ryan. Der Name des Drachenreiters war also gefunden. Was ihn verwunderte, war, dass er die Verbindung zu dem jungen Mann hatte aufrechterhalten können, selbst, nachdem dieser aufgewacht war. Das war noch nie passiert. Egal, Hauptsache, er war wieder auf dem rechten Weg.
 

Wenn ihm dieses Kunststück doch auch nur ein einziges Mal mit einer anderen Person gelingen könnte. Vielleicht, wenn sie wüsste, dass er noch am Leben war, dann… Nein. Völlig unmöglich. Er hatte nun schon so oft davon geträumt. Doch Träume waren für Grünschnäbel, nicht für verzweifelte, verkrüppelte Idioten, die sich nach dreihundert Jahren plötzlich wieder Hoffnung machten. 'Aus, vorbei, ich will sterben, und wenn's geht, dann bitte schnell.' Wie um seinen Wunsch zu bestätigen drang ihm wieder frischer Verwesungsgeruch in die Nase.
 

*****
 

'Okay, meine Chancen sind tatsächlich leicht beschissen, aber das krieg ich irgendwie', beschloss Ryan selbstsicher.

Duncan war anscheinend anderer Meinung, denn er griff ihn an. Allerdings hatte Ryan schon mit so etwas gerechnet und setzte ihn mit einem gezielten Schlag außer Gefecht. 'So, dann kann ich ja jetzt abhauen.'

Plötzlich hörte er von außerhalb des Zelts einen Tumult. Er schlug die Zeltplane zur Seite und rieb sich erst einmal überrascht die Augen. Einige Orks waren von riesigen, dicken Pflanzenranken gefesselt, andere wurden von Mahon und Nifredil niedergemacht.

"Du sagst mir jetzt sofort, wo der Mensch ist, den ihr entführt habt, dann beende ich deine Existenz gnädigerweise bereits vorzeitig", zischte Nifredil, der einen besonders fetten, hässlichen Ork am Wickel hatte.

"Ganz ehrlich, Nif, mit dir möchte ich keinen Ehestreit haben", sagte Ryan lässig grinsend und schritt gemäßigten Schrittes auf die beiden Elfen zu.

"Ryan!", rief Nifredil glücklich und lief freudestrahlend auf ihn zu. Als er mit leuchtenden Augen vor ihm stand fragte er: "Geht's dir gut?"

"Ja, alles bestens. Meine Güte, hätte nicht gedacht, dass der Schamane so blöd ist und sich von mir platt machen lässt", antwortete der Dunkelhaarige gelassen.

"Schamane? Das heißt, sie wollten dich auf ihre Seite ziehen. Ist auch wirklich alles in Ordnung mit dir?", erkundigte sich der Blonde noch einmal besorgt und fühlte vorsichtshalber Ryans Temperatur.

"Ja, wenn ich's doch sage", bestätigte Ryan. "Aber ich muss zugeben, ich hatte Hilfe."

"Können wir das später besprechen?", bat Mahon mürrisch wie immer. "Ansonsten würde ich vorschlagen, dass wir von hier verschwinden."

"Da stimme ich voll zu", sagte Ryan und sie verließen das Lager. Unterwegs nahmen sie noch ein Pferd für ihn mit. Irgendwie verschaffte es dem jungen Mann eine gewisse Genugtuung, dass es sich dabei wahrscheinlich um Duncans handelte.
 

Als sie zu einem kleinen Teich kamen, hielten sie an. Ryan hatte das dringende Bedürfnis, einen Schluck zu trinken, was ihm niemand übel nahm. Als er sich wieder aufrichtete und umdrehte, stand Nifredil hinter ihm. "Ich freu mich wirklich, dass es dir gut geht", sagte er völlig ernst. Unvermittelt legte er seine Arme um Ryan und drückte ihn an sich. "Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren", murmelte er an seiner Brust.

"Ist schon gut", sagte Ryan tröstend und streichelte über Nifredils Haar.
 

"Was mich zu der Frage bringt, warum es dir eigentlich so gut geht", schaltete sich nun Mahon ein.

"Wie, warum?", fragte der junge Mann verwirrt.

"Du warst ihr Gefangener und kommst gerade mal mit einer Schramme, die du vermutlich im Kampf bekommen hast, aus dem Zelt, ganz locker zu uns rüber und erzählst, dass alles mit dir in Ordnung ist. Glaub ich dir, aber wer sagt, dass du nicht die Seiten gewechselt hast?"

"Die Frage ist berechtigt", stimmte der König zu und sah Ryan fragend an.

"Na gut, dann erzähl ich es euch eben jetzt", meinte der junge Mann und setzte sich ins Gras. "Also", begann er zu erzählen, als sich auch die beiden Elfen niedergelassen hatten, "ich hab geschlafen. Glaub ich jedenfalls. In meinem Traum bin ich so einem Kerl begegnet, fragt mich jetzt aber nicht mehr nach seinem Namen, den hab ich vergessen. Jedenfalls hat mir der gesagt, dass ich standhaft bleiben soll, weil mir die wahrscheinlich einen Schamanen auf den Hals hetzen werden. Als ich aufgewacht bin, da saß so ein Typ an meinem Bett, der aussah wie ein Kartoffelsack mit Haaren. Ihr hättet mal hören sollen, was mir der für ein Zeug erzählt hat. Dass ich ja stark und mächtig sein könnte und dass Elfen ja zwei Gesichter haben und was weiß ich was. Er hätte mich fast so weit gehabt, dass ich zusammengebrochen wäre, aber dieser Typ aus meinem Traum hat mich unterstützt und ich sag euch eins: Wenn der nicht gewesen wäre, dann… Na ja, letztendlich hat mir dieser Schamane eine mögliche Zukunft gezeigt, die mir so gar nicht gefallen hat und da war dann der Ofen aus. Hab ihn überwältigt und bin abgehauen. So einfach ist das."

"Lügt er?", fragte Mahon kurz und schmerzlos.

"Nein, tut er nicht. Es gibt nur ein oder zwei Sachen, die mich aber interessieren würden", antwortete Nifredil.

"Und die wären?", erkundigte sich Ryan.

"Zum einen: Du weißt wirklich nicht mehr, wer der Mann aus deinem Traum war?"

"Nein. Hab seinen Namen vergessen. Aber ich kann dir sagen, dass es ein Dunkelelf war. Irgendwie war sein Name voll cool. Aber kompliziert, deswegen hab ich ihn vergessen."

"Dunkelelf?", rief Mahon. "Es heißt, dass die Dunkelelfen mit Dhulmar zusammenarbeiten."

"Nö, glaub ich nicht. Nicht bei dem", antwortete Ryan schlicht.

"Gut, dann zu Frage zwei", fuhr Nifredil fort. "Was für eine Zukunft war das, die er dir gezeigt hat?"

Ryan wurde plötzlich rot. Bei dem Gedanken daran wurde ihm ganz heiß. Irgendwie erregte er ihn. Nicht, dass er Nifredil Gewalt antun wollte, aber nur der Gedanke, mit ihm zu schlafen, machte ihn verrückt. "Nun, es war… ziemlich intim", sagte er schließlich.

"Oh. Na du musst ja nicht, wenn du nicht willst. Es hätte mich nur interessiert", antwortete Nifredil zögerlich.

'Mann, ich kann ihm doch nicht sagen, dass ich ihn vergewaltigt hab. Aber ich kann's ja abwandeln', dachte der Dunkelhaarige und sagte: "Jemand hat dir Gewalt angetan."

"Mir?", fragte Nifredil überrascht und wurde auch leicht rot. "Das heißt ja, dass du dir Sorgen um mich machst."

"Na ja, schon, irgendwie…", stammelte Ryan. "Ich mag dich halt. Ein bisschen."

'Ich will hier weg', dachte Mahon. 'Das Geturtel von den beiden hält ja kein Mensch aus.'

"Dann können wir also weiter?", fragte er schließlich mit beherrschter Stimme.

"Sicher, können wir", stimmte Nifredil zu. Sie gingen also zurück zu ihren Pferden und machten sich wieder auf den Weg nach Bàn.

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So Leuts, das war's erst mal. Hoffentlich komm ich demnächst mal wieder zum Schreiben.
 

Ansonsten haltet's einfach mit der Werbung: "Wenn's mal wieder länger dauert, schnapp dir 'n Snickers."
 

In diesem Sinne...
 

Bye bye. *wink*

Kapitel V - Der Drachenreiter

URLAUUUUUB!!! Es ist so herrlich, frei zu haben. ^^

Abgesehen davon hat mich die Sonne kreativ gemacht, abgesehen von der Tatsache, dass ich mir mal wieder Herr der Ringe reingezogen hab. Die Filme meine ich. Herausgekommen ist das folgende, ziemlich lange Kapitel.
 

Viel Spaß damit.
 

LG
 

Myrys

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Kapitel V

Der Drachenreiter
 

Noch am selben Abend erreichten sie einen Vorposten der Elfenstadt. Genauer gesagt handelte es sich dabei um eine nicht sehr breite Brücke, die über einen reißenden Fluss führte. Als sie sich dem kleinen Bauwerk aus starken, jedoch nicht mehr ganz einwandfreien Holzplanken und ohne Geländer näherten, fühlte sich Ryan ziemlich unwohl.
 

"Da wollen wir doch nicht wirklich rüber, oder?", fragte er unsicher.

"Oh doch, genau da. Es ist der einzige Weg nach Bàn", erklärte Nifredil mit einem verschmitzten Lächeln.

"Na Gott sei Dank hab ich meinen Freischwimmer", murmelte Ryan.

"Angst, reinzufallen?", neckte ihn der blonde Elf.

"Aber nicht doch, wie kommst du nur darauf?", konterte der Lockenkopf geziert.

'Wunderbar', dachte Mahon, 'wenn sie streiten und sich necken, dann turteln sie wenigstens schon nicht mehr.'
 

Langsam näherten sie sich der Brücke. Nifredil ritt voraus, doch noch bevor sein Pferd den ersten Schritt auf das – nach Ryans Meinung – verdammt wackelige Ding machte, rief sie jemand an.
 

"Halt! Wer ist da?", erklang eine Stimme von der anderen Seite. Ein Elf erschien. Er hielt einen Langbogen in der Hand und hatte auch schon einen Pfeil an der Sehne liegen. Als er jedoch die Ankömmlinge sah, ließ er seine Waffe augenblicklich sinken und lief in atemberaubender Geschwindigkeit zu ihnen hinüber und Ryan war verwundert, dass er auf den morschen Brettern nicht einbrach.

Bei ihnen angekommen ging er vor Nifredil auf die Knie. "Majestät. Verzeiht meine Übereifrigkeit, ich hatte Euch nicht erkannt", bat er demütig.
 

Ryans Herzschlag setzte einen Moment lang aus. "Majestät?", fragte er lauernd. Nifredil blickte bekümmert drein.

"Ich hoffe, Ihr bringt frohe Kunde, Majestät", wandte sich der Wächter an seinen Herren. Sein Blick fiel auf den Menschen. Seine Augen wurden so groß wie Teetassen. "Ist er das?", wollte er atemlos wissen.
 

"Du stellst zu viele Fragen", knurrte Mahon.

"Verzeiht, General", entschuldigte er sich. "Es ist nur so, dass seit der Nacht der Zeichen jede Menge Gerüchte im Umlauf sind. Die Elfen sind beunruhigt und hoffen, dass ihr König ihnen den Erlöser bringen wird."

"Und wenn schon. Dann geht dich das im Moment überhaupt nichts an", erwiderte der General in seiner bekannt liebenswürdigen Art. Der Wächter zog ein beleidigtes Gesicht und wollte wieder seinen Herrn fragen, doch der war gerade anderweitig beschäftigt.
 

"Majestät? König?", wiederholte Ryan noch einmal. Sein Blick wich nicht von Nifredils Gesicht. "Hattest du denn jemals ernsthaft vor, " sagte er eindringlich, "mir zu sagen, wer du in Wirklichkeit bist?"

"Sicher…", antwortete der Elf, doch der Dunkelhaarige war jetzt sauer. Er unterbrach ihn und fuhr ihn wütend an.

"Und warum, bitte? Hast du geglaubt, dass du mich so besser für deine Zwecke benutzen kannst? Weil ich dir vertraue? Weißt du was? Vielleicht hatte Duncan ja doch Recht. Du hast mich angelogen oder mir zumindest nur die halbe Wahrheit gesagt.

Wenn ich mal deine Worte wiederholen darf…" Er räusperte sich und intonierte dann: "Der König der Elfen ist noch sehr jung und regiert seit dem Tod seines Vaters. Soweit gut und schön. Aber du hast es so erzählt, als ob das irgendjemand wäre, der dich nicht im Geringsten interessiert, nein, der Herr hat mit keinem Wort erwähnt, dass er selber der Chef ist. Weißt du was? Das kotzt mich so was von an, echt jetzt. Ich hab das Gefühl, dass ich dich nicht mehr kenne. Du warst von Anfang an nicht ehrlich zu mir." Demonstrativ ritt er ein Stück von den Elfen weg.

"Ich wollte es dir sagen", erklärte der König und blickte ihn schüchtern an, wobei er ihm jedoch fest in die Augen sah. "Aber du weißt doch, dass wir getrennt wurden."

"Und warum hast du nicht gleich mit offenen Karten gespielt? Wolltest du mich dumm halten oder was?"

"Nein." Nifredil kaute unbehaglich auf seiner Unterlippe. Was sollte er ihm denn jetzt noch sagen, ohne dass es peinlich wurde? Er wusste, was er jetzt als nächstes sagte, war entscheidend dafür, ob Ryan bei ihnen blieb oder nicht. Anscheinend griffen die Zweifel, die der Schamane in sein Herz gepflanzt hatte, langsam. Schließlich entschied er sich für - zumindest annähernd - die Wahrheit und sagte: "Weißt du, ich wollte, dass du MICH magst, nicht den König der Elfen. Nur mich, einen kleinen, unscheinbaren, unvollkommenen Elfen."

"Aha." Das war alles, was Ryan dazu noch einfiel, obwohl er zu gerne gewusst hätte, warum der Elf wollte, dass er ihn mochte. Okay, insofern musste er Nifredil Recht geben. Er mochte ihn wirklich, und sein Eingeständnis gerade klang schon fast wie eine Liebeserklärung. Aber nachdem er selbst eine hoffnungslos ehrliche Haut war, verlangte Ryan das für gewöhnlich auch von anderen. Trotz des kleinen Rests an Enttäuschung, der noch in ihm war, kam er zurück geritten und platzierte sich wieder an Nifredils Seite.
 

Der Wächter-Elf blickte nur verständnislos zu Mahon. Was ging da vor? So emotional hatte er seinen Herrn noch nie gesehen. Und schüchtern. Seit wann war er so? Sogar die Wangen König Nifredils waren ganz leicht gerötet. Ein Ausdruck, den er bisher noch nie bei ihm gesehen hatte. Er ertappte sich selbst bei dem Gedanken: 'Wie niedlich er aussieht.'
 

Mahons Blick war eiskalt als er zu dem Wächter sagte: "Das hier hast du nie gesehen. Es ist nie passiert, verstanden?"
 

"Gewiss, Herr", antwortete der Elf schließlich. Er trat zur Seite und ließ den König, den General und den Fremden passieren.
 

Sobald sie auf der Brücke waren, veränderte sich deren Anblick vollkommen. Ryan staunte nicht schlecht. Wo gerade noch ein windiges, von Morsch und Moder befallenes Ding gewesen war, lag jetzt eine große, breite, aus weißen Steinen gemauerte Brücke, die auf der gegenüberliegenden Seite von zwei kleinen Türmen flankiert wurde. Jetzt wusste er auch, wo der Wächter hergekommen war. Mit völlig erstauntem Blick sah er zu Nifredil, der leise kicherte und ihm dann schmunzelnd erklärte: "Zauberei, mein Freund. Elfenmagie. Jeder, der hier zufällig oder absichtlich vorbei kommt, sieht nur den alten, hässlichen Steg. Wer unser Feind ist, der wird auch nichts anderes zu sehen bekommen. Wenn er die Brücke betritt, bleibt sie alt und morsch. Nur Freunde und natürlich andere Elfen wissen von dem Geheimnis."

"Voll verschärft", meinte Ryan perplex.

"In der Tat mussten wir die Sicherheitsvorkehrungen in letzter Zeit verschärfen", stimmte Mahon anerkennend zu. "Es wundert, erfreut mich aber auch, dass dir das auffällt."

"Oh, klar", antwortete Ryan belustigt. "Hab ich sofort gesehen."

"So hast du also doch das Auge eines Kriegers", stellte der dunkelhaarige Elf fest. "Wenn wir in Bàn sind, musst du mir unbedingt etwas von deiner Kampfkunst zeigen. Ich sah schon, dass du dich beim Überfall der Orks erstaunlich gut halten konntest."

"Wow, das war ja richtiggehend ein Kompliment", freute sich Ryan.

"Natürlich. Ehre wem Ehre gebührt", sagte Mahon. Dann versank er wieder in Schweigen.
 

Nach kurzer Zeit, die sie noch durch dichtes Waldgebiet ritten, erreichten sie schließlich eine hohe Palisade aus Holz. "Oh, lasst mich raten", sagte Ryan, "das ist wieder so ein Zauber, richtig?"

"Falsch. Das ist wirklich nur eine hässliche alte Holzpalisade", grinste Nifredil. Aber hier betreten wir das Kernland Bàns. Es wird noch etwas dauern, bis wir in der Stadt sind, aber wir kommen jetzt immer leichter voran."

Sie bogen nach rechts ab und ritten eine Zeit lang an der Wand aus Stämmen entlang bis sie auf ein Tor stießen. Dieses passierten sie, ohne dass ihnen ein Wächter begegnete.
 

Nach einiger Zeit des fast kompletten schweigend nebeneinander her Reitens sah Ryan, dass vor ihnen Rauch aufstieg. Es war nur eine ganz kleine, weiße Rauchsäule, wie aus einem Kamin.

"Gibt es hier mitten im Wald ein Haus oder so was?", wollte er wissen.

"Ja", antwortete Nifredil, "dort vorne liegt das Haus der Seherin. Sie ist eine alte Frau, die wir ab und zu aufsuchen, damit sie uns von unserer Zukunft berichtet. Die, die jetzt dort lebt ist schon die Vierte seit meiner Geburt."

"Kann man mal bei ihr Halt machen? Vielleicht weiß sie ja auch was über meine Zukunft."

"Ein andermal vielleicht", gab der Elfenkönig zur Antwort. "Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass wir zurück in die Stadt kommen. Ich denke, Mutter wird sich schon Sorgen machen weil ich so lange weg war. Sie mag es gar nicht, wenn ich so lange nicht zu Hause bin."

"Ach, sag an. Da bist du der König der Elfen und lässt dir von Mami sagen, dass du vor Sonnenuntergang zu Hause bist? Ist nicht wahr", neckte Ryan.
 

"Der König ist noch nicht volljährig", erklärte Mahon an seiner Stelle. "Natürlich ist ihre Majestät besorgt und in gewisser Hinsicht wird sie ihm wohl immer Vorschriften machen. Sie ist ja seine Mutter."

"Was? Du bist noch minderjährig? Wusste ich gar nicht", bemerkte der Dunkelhaarige interessiert.

Nifredil errötete leicht und nickte. "Nur noch zwei Jahre. Dann werde ich hundert und damit volljährig. Bis dahin haben Mahon und meine Mutter das Sagen. Natürlich, ich bin König, aber eben nur beschränkt in meiner Macht."
 

Als sie an der kleinen Schlucht der Seherin vorbei ritten, warf Ryan einen kurzen, neugierigen Blick hinunter zu der kleinen Hütte. Eine kleine Frau mittleren Alters mit lockigen hellbraunen Haaren stand davor und schaute zu ihnen herauf. Für einen kurzen Augenblick schien es Ryan, als würden sich ihre Augen direkt in seine bohren. Doch dann waren sie auch schon vorbei.
 

Als die Sonne ihre letzten roten Strahlen zur Erde schickte erschienen vor ihnen die weißen, im leuchtenden Schimmer der Abendsonne glühenden Walle Bàns.

Das Stadttor stand weit geöffnet und wirkte sehr einladend auf sie, denn sie hatten einen bisher schwierigen Weg hinter sich und waren ziemlich erschöpft.

Ryan war beeindruckt. Die schweren, mit Eisen beschlagenen Eichenflügel mussten Tonnen wiegen. Wie schafften es diese doch allesamt zierlichen Elfen, diese schweren Dinger zu bewegen? 'Okay, wahrscheinlich mit Zauberei', antwortete er sich schließlich selbst.
 

Als er einen genaueren Blick auf die Stadt warf, war er jedoch ein bisschen enttäuscht. Sie war viel kleiner, als er angenommen hätte. Sie war ziemlich leicht überschaubar und erstreckte sich bis zum Schloss, das auf einer kleinen Anhöhe stand. Die Häuser waren sehr hübsch, weiß und alle mit kleinen Säulen und Türmchen verziert. Selbst die kleinsten, an denen sie jetzt vorbei ritten, wirkten vornehm und sehr großzügig. 'Also sozialer Wohnungsbau ist was anderes', dachte er.
 

Auf der Hauptstraße kamen ihnen nun immer mehr Leute entgegen, vor allem aber Kinder, die ihnen jubelnd und lachend zuwinkten und sich anscheinend riesig freuten, sie zu sehen. Unweigerlich mussten sie langsamer und vorsichtiger reiten. Ryan musste feststellen, dass er noch nie so viele hübsche Kinder auf einem Haufen gesehen hatte. Sie alle waren mehr oder weniger pausbäckig, hatten kleine, niedliche Stupsnasen und ausnahmslos große, blaue Augen, die fröhlich leuchteten. Außerdem schienen ihre spitzen Ohren größer als die der Erwachsenen. Sie erinnerten ihn ein wenig an Putten, nur, dass sie nicht pummelig waren. Einfach nur süß.

Ein kleines Mädchen schaute ihn scheu an und kam dann auf sein Pferd zu. In ihrer kleinen Hand hatte sie eine Blume, die sie ihm reichte. Er nahm sie an und schenkte ihr ein dankbares Lächeln. Schlagartig wurde sie rot.

"Oh, du hast schon eine Verehrerin", meinte Nifredil schmunzelnd.

"Scheint so…", gab Ryan zurück.

"Und, willst du ein Stück mit uns reiten, Kleine?", fragte der König seine kleine Untertanin. Ihr Rotton nahm noch an Intensität zu, doch dann nickte sie und reichte Ryan ihre Ärmchen hinauf.

"Okay, na dann komm her", sagte Ryan und hob die Kleine zu sich hoch. Sofort kuschelte sie sich an ihn.

"Ich glaube, sie mag dich", behauptete Nifredil und sein Grinsen wurde breiter.

"Komisch, dabei kennt sie mich erst sage und schreibe 30 Sekunden", bemerkte der Dunkelhaarige leicht überrascht, doch er sagte nichts weiter.
 

Vor dem Schloss, welches etliche Türme und Erker aufwies, und das Ryan irgendwie ansatzweise, wenn auch nicht ganz, an Neuschwanstein erinnerte, hielten sie an und Ryan stieg ab. Dann hob er seine kleine Gefährtin aus dem Sattel und stellte sie behutsam vor sich ab. Sie lächelte ihn schüchtern an und sagte dann leise: "Aye eiron." Dann lief sie davon.

Verwirrt blickte er ihr hinterher. "Was hat sie gesagt?", wollte er wissen.

"Sie mag dich", antwortete Nifredil. "Das ist ein gutes Zeichen, weißt du? Elfenkinder sind sehr sensibel was Freund oder Feind angeht. Wenn sie dich mag, dann ist das ein Grund zur Freude."

"Aha. Heißt das dann so was wie 'Ich liebe dich?'", hakte Ryan weiter nach.

"Ja. Aye eiron heißt in etwa 'Ich liebe dich', da hast du Recht", erklärte der blonde Elf.

"Hey, cool. Nicht schlecht. Gleich am ersten Tag hat sich eine Elfe in mich verliebt. Ich wusste gar nicht, dass ich so ein Frauentyp bin", grinste der Mensch frech.

"…" Nifredils einziger Kommentar bestand daraus, gar nichts dazu zu sagen. Immerhin fand er Ryan ja selbst ganz attraktiv.
 

"Nifredil, du bist zurück!", schallte ihm ein Ruf von der anderen Seite des Innenhofs entgegen.

"Bitte, darf ich unsichtbar werden?", nuschelte der Blonde nur leicht genervt, und schon warf sich eine junge, wunderschöne Frau um seinen Hals und drückte ihm links und rechts einen Kuss auf die Wange.

"Hallo Mutter", sagte er, als sie sich wieder von ihm löste.

"Mein Schatz, ich hab mir solche Sorgen um dich gemacht", sagte die Königin und drückte ihn noch einmal. "Die Eiswüste ist so gefährlich. Jetzt ist zwar Sommer dort, aber man weiß ja nie." Dann wandte sie ihren Blick Mahon zu. Noch ehe der General reagieren konnte, hatte sie auch ihn mit einer festen Umarmung bedacht.

"Habt Ihr mir auch gut auf meinen Sohn aufgepasst, Mahon?", grinste sie ihn an.

"Natürlich, Majestät, wie immer", antwortete der Krieger mit stoischer Ruhe.

"So freundlich wie eh und je", stellte Selena mit einem leichten Tadel in der Stimme fest. Nun lenkte sie ihre Aufmerksamkeit voll und ganz auf den Neuankömmling, der mit verwirrtem Blick dastand und das ganze Szenario beobachtete.

Eine schier endlose Zeit lang musterte sie ihn nur mit prüfendem Blick. Dann nickte sie anerkennend und sagte: "Ihr seid wirklich ein schöner Mann. Genau so, wie die Alte gesagt hat."

"Majestät, bitte", zischte Mahon warnend.

"Mutter, ich würde dir gerne Ryan O'Farrell vorstellen", sagte Nifredil in geschäftsmäßigem Ton. "Ryan, meine Mutter, Königin Selena von Bàn."

"Das ist also wirklich deine Mutter?", fragte Ryan ungläubig. "Sie sieht kaum älter aus als du."

"Wie schmeichelhaft. Es freut mich, das zu hören. So ein Kompliment ab und zu tut unheimlich gut", lächelte Selena und sah damit Nifredil unheimlich ähnlich.

Ryan hatte von seiner Mutter, die in der High Society früher ein- und ausgegangen war einiges gelernt über Anstand und gute Sitten, was er aber meistens geflissentlich ignorierte. Jetzt jedoch, da er einer echten Königin gegenüber stand, wühlte er etwas in seinem Gedächtnis und förderte schließlich etwas zutage, das er zwar schon öfter gesehen, aber noch nie selber gemacht hatte. Behutsam ergriff er die Hand der Königin und hauchte einen Kuss auf Ihren Handrücken, wobei er sich tief vor ihr verbeugte.

"Majestät, es ist mir eine Ehre", sagte er mit ehrfürchtiger Stimme.

"Äußerst galant", stellte die Königin fest und gebot ihm, sich wieder zu erheben. "Also dann, lasst uns zu Abend essen."
 

Nach dem Essen, das er zusammen mit Nifredil und seiner Mutter einnahm, brachte ein Diener Ryan zu seinem Gemach. Und das war vielleicht ein Gemach! Seine Wohnung, die er sich mit Shane teilte, hätte fast noch einmal hinein gepasst, obwohl sie nicht gerade klein war. Alles war sehr liebevoll aber auch hoffnungslos altmodisch eingerichtet. Dennoch fand Ryan, dass es hervorragend passte und fühlte sich sofort wohl. Sogar einen kleinen Balkon gab es, von dem aus er in den Innenhof des Schlosses sehen konnte. Dort stand ein kleiner Brunnen, der fröhlich vor sich hin plätscherte. Alles wirkte so friedlich.
 

Er ging nach draußen und sog tief die frische Abendluft ein. Wenn doch nur bei ihm zu Hause auch alles so schön wäre.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Zwar sagte er "Herein", doch dann fiel ihm auf, dass die Tür wahrscheinlich zu dick war als dass derjenige, der davor stand, ihn hätte hören können, also ging er und öffnete selbst. Draußen stand Nifredil.

"Hallo. Ich hoffe, ich störe dich nicht", sagte er.

"Aber nein. Komm rein. Ich fing schon an, mich zu langweilen", erwiderte Ryan und trat zur Seite damit der Blonde eintreten konnte.

"Und, gefällt es dir?", wollte der König wissen.

"Ja. Sehr sogar. Ich fühl mich pudelwohl hier", antwortete Ryan.

"Schön. Freut mich", bemerkte Nifredil, der keine Ahnung hatte, was ein Pudel war, und ließ sich in einen der dick gepolsterten Sessel fallen. "Ich würde gerne noch mal kurz mit dir reden."

"Worüber?", wollte Ryan wissen und setzte sich in den Sessel dem Elfen gegenüber.

"Unter anderem wegen vorhin. Die Sache mit meiner wahren Identität. Ich denke, ich bin dir noch eine Antwort schuldig."

"Stimmt. Ich wüsste gern, warum du willst, dass ich dich mag", gab der Mann zu und fuhr sich dabei unsicher durchs Haar.

"Weil ich dich mag, deswegen. Ich wollte dich wirklich nicht anlügen. Mein Anliegen war es, dass du mich vorbehaltlos als Freund akzeptierst, ohne wenn und aber. Tatsächlich war ich dabei, es dir zu sagen, als die Orks angriffen. Es stand wirklich nicht in meiner Absicht, dich zu verletzen."

Nifredils Blick hielt ihn gefangen. Das Blau seiner Augen war intensiver als der schönste Sommerhimmel. Und seine Lippen. Überrascht von sich selbst ertappte sich Ryan dabei, wie er tatsächlich die Lippen eines anderen Mannes bewunderte und sich fragte, wie sie sich wohl anfühlten. Sie sahen so weich aus und sie waren so schön geschwungen. Es musste ein wahres Vergnügen sein, sie zu küssen.

"Hast du mir zugehört?", fragte der Elf skeptisch.

"Ja, sicher", antwortete er etwas verspätet. "Ist kein Problem. Ich bin dir nicht böse. War nur vorübergehend ein bisschen sauer auf dich. Mach dir deswegen keinen Kopf", lächelte er.
 

Danach verstummten sie wieder. Jeder hing so ziemlich seinen eigenen Gedanken nach.

"Sie ist hübsch", sagte Ryan schließlich um die Stille zu brechen.

"Wie? Wen meinst du?", fragte Nifredil, der aufschreckte, weil er gerade gedanklich woanders gewesen war.

"Deine Mutter. Du siehst ihr unheimlich ähnlich. Besonders euer Lächeln", erklärte der Dunkelhaarige.

"Das höre ich oft. Mahon aber sagt, dass ich – sehr zu seinem Glück, wie er immer betont – auch viel von meinem Vater habe. Ich kann das nicht beurteilen. Ich war erst 48 als er starb." Er blickte betrübt drein.

"48? Meine Güte. Ich denke, dass mein Erzeuger jetzt etwa um die 50 sein müsste, und da sagst du, du kennst deinen Vater nicht genug um sagen zu können, ob du was von ihm hast oder nicht?", fragte Ryan überrascht.

"Die Zeit läuft hier bei uns Elfen anders, Ryan", erklärte Nifredil. "Wenn ich sage, ich war 48, dann ist das in Menschenalter ungefähr zwölf. Außerdem war mein Vater oft nicht da. Er war im Krieg und aus einer Schlacht kehrte er als Leichnam zurück. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Mahon war damals bei mir und wir haben irgendeinen Blödsinn gemacht. Ich hab ihn damals noch gefragt, wann Vater nach Hause kommt und er hat geantwortet, dass es nicht mehr lange dauern würde. Am Abend kamen die Soldaten nach Hause und mit ihnen die Leiche meines Vaters. Das Schlimmste war aber nicht, dass er tot war. Natürlich, ich war sehr traurig darüber, und ich habe die ganze Nacht lang geweint, aber wie gesagt, ich hatte ihn kaum gekannt. Das Schlimmste war, dass ich sofort zum König gekrönt wurde, noch in derselben Nacht. Du kennst doch den Spruch, oder? Der König ist tot, es lebe der König. So war das auch bei mir. So hab ich innerhalb weniger Stunden meine Kindheit eingebüßt. Tja, so war das damals."

Wieder legte sich betretenes Schweigen über sie.
 

Überrascht musste Ryan feststellen, dass Nifredil, seit sie das Schloss betreten hatten, erwachsener und ernster war.
 

"Ryan", sagte Nifredil schließlich, "ich wollte dich damit nicht traurig stimmen. Es ist nur so, dass ich möchte, dass du mich verstehst. Es ist nicht leicht, König zu sein und ich habe mir diese Arbeit nicht ausgesucht. Also, was ich eigentlich sagen wollte: Ich möchte, dass du mich, wenn wir uns begegnen mit etwas mehr Respekt behandelst. Die Sache an der Brücke war schon schlimm genug. Und ich werde wohl in nächster Zeit wieder ziemlich beschäftigt sein und keine Zeit für dich haben. Falls du etwas brauchst, dann werden dir die Diener zur Verfügung stehen. Mahon auch, sofern ich ihn entbehren kann. Ich wünsch dir eine gute Nacht." Er erhob sich und wollte das Zimmer verlassen, doch Ryan hielt ihn am Arm zurück.

"Warte mal. Du sagst mir einfach so aus heiterem Himmel, dass ich abgemeldet bin? Und außerdem: Du willst, dass ich dein Freund bin, alles Buddy-Buddy, gut, schön, und dann kehrst du die Respektsperson raus. Ich verstehe ja, dass du deinen Ruf zu verlieren hast, aber ich behandle dich nicht anders, nur weil du jetzt meinst, wieder der kleine König sein zu müssen. Wenn du das glaubst, dann liegst du aber so was von falsch. Ich zeig dir mal, wie ich dich behandle." Damit zog er ihn an sich und er hätte ihn sicher geküsst, wäre er in diesem Moment nicht erstarrt.
 

Nifredil blinzelte überrascht und errötete als Ryan ihn einfach so an sich zog und Anstalten machte, ihn zu küssen. Doch als der Mann wie zur Salzsäule erstarrte, wunderte ihn das gleich noch mehr. "Hallo? Ryan? Alles in Ordnung?" fragte er leise und winkte vor dessen Augen herum.
 

Von draußen erklang plötzlich ein lauter, beängstigender Ruf: "Drachen!" Erschrocken blickte der König der Elfen nach draußen. Da sah er es. Vor dem vollen Mond zeichneten sich drei Paar riesige Schwingen ab. Plötzlich löste sich Ryan von ihm und ging wie ein Schlafwandler auf den Balkon. Dort blieb er stehen und starrte die Wesen an, die auf sie zugeflogen kamen.
 

Innerhalb weniger Sekunden waren sie heran. Wie Nifredil erkannte, war unter ihnen auch der schwarze Drache Shauk, der Herr der Drachen. Fast ohne jedes Geräusch landete er im Innenhof und blickte zu Ryan hinauf. Die anderen beiden Drachen zogen ihre kreisenden Bahnen über dem Schloss von Bàn.
 

Kein Ton war zu hören. Nur diese gespenstische Stille erfüllte die Stadt, so, als hätte alles Leben den Atem angehalten und erwartete mit Spannung, was als nächstes passieren würde. Nifredil selbst wagte es nicht, auch nur mit der Wimper zu zucken, geschweige denn, laut zu atmen.
 

Ryan und der Drache starrten sich einfach nur an. 'Er blinzelt nicht einmal', fiel Nifredil auf. Er stand einfach nur da und sah dem riesigen Ungetüm, das fast den kompletten Innenhof einnahm, fest in die Augen. Dann sackte er von einem Augenblick auf den anderen in sich zusammen. Nifredil sprang hinzu und fing ihn gerade noch auf bevor er auf dem Stein des Balkons aufschlug. Der Drache nickte kurz und erhob sich wieder in die Lüfte, wobei er beim Ausbreiten seiner mächtigen Schwingen leichte Schwierigkeiten hatte. So schnell wie sie gekommen waren, verschwanden die Drachen wieder.
 

Nifredil starrte ihnen ungläubig hinterher. Ryan rührte sich in seinen Armen und schlug kurz darauf die Augen auf. "Was ist passiert?", fragte er leise.
 

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König Trian war äußerst beunruhigt. Soeben war bei ihm eine sehr schlechte Nachricht eingegangen. Aus ebendiesem Grund hatte er seinen Sohn rufen lassen, welcher nun mit gelassen verschränkten Armen vor ihm stand.

"Kaneth", grollte der König der Dunkelelfen. "Lies das", sagte er mit unterdrücktem Zorn und drückte seinem Nachfolger ein Stück Papyrus in die Hand.

Der junge Dunkelelf überflog die hin gekritzelten Worte kurz und schaute dann, nicht wirklich über den Inhalt überrascht, zu seinem Vater.

"Und, was hältst du davon, Sohn?", fragte Trian und seine Stimme troff förmlich vor Zorn und ein leicht höhnischer Unterton schwang in ihr mit.

"Beunruhigend", antwortete der Prinz und gab seinem Vater die Nachricht zurück. "Aber nicht unerwartet. Es bedeutet nur, dass wir unsere Neutralität nicht mehr wahren können."

"So ist es. Wie es aussieht, müssen wir uns jetzt mit dem Stärksten verbünden und das ist, noch schlimmer, Nifredil. Die Drachen sind über Bàn erschienen, das heißt, er hat den Drachenritter auf seiner Seite. Und wessen Schuld ist das?", wollte Trian wissen, dessen Stimme während er sprach immer lauter geworden war, sodass er die letzte Frage geschrieen hatte.

"Was hätte ich tun sollen, Vater?", fragte Kaneth in gemäßigtem Tonfall zurück. Sein Gesicht blieb so emotionslos wie eine Maske. "Wir gerieten in einen Sturm, das sagte ich dir bereits. Ich hätte mein Leben und das meiner Männer riskiert. Außerdem muss die Tatsache, dass der Drachenreiter in Bàn ist, noch lange nicht bedeuten, dass die Hochelfen damit die stärkste Partei in diesem Krieg sind. Meiner Meinung nach sind wir, die Dunkelelfen, das Zünglein an der Waage, denn mit uns entscheidet sich auch, auf wessen Seite unsere Verbündeten, die Zwerge, stehen. Ich würde mir noch keine allzu großen Sorgen machen."

"Ganz so, wie ich dich kenne. Du lenkst nur von deiner eigenen Schwäche ab! WIR hätten die Stärksten sein sollen und nicht nur irgendein eventuell entscheidender Faktor! Nur wegen dir und deiner Unfähigkeit ist uns der Drachenreiter durch die Lappen gegangen! Wie, bitteschön, mein lieber Sohn, willst du das jemals wieder gutmachen?", schrie Trian förmlich.

Der Prinz der Dunkelelfen blieb emotionslos. In seinem hübschen Gesicht mit den stechend grünen Augen bewegte sich kein einziger Muskel. "Lass sie zu uns kommen", antwortete er mit fast schon übertriebener Gelassenheit während er sich von seinem Vater abwandte und ans Fenster trat. "Sehen wir uns an, was uns Dhulmar für ein Angebot macht. Wobei ich jedoch sicher bin, dass Nifredil der Bessere sein wird in dieser Partie. Jeder hat eine Schwachstelle, sogar der junge König der Hochelfen. Wenn wir uns ihm anschließen, dann sei versichert, ich werde diese Schwachstelle finden. Und ich werde sie zu nutzen wissen. Die Dunkelelfen werden die Stärksten sein."

"Das will ich stark für dich hoffen", knurrte der König und entließ seinen Sprössling.
 

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Und wieder einmal schlitterte er über den glatten Boden von Dhulmars Thronsaal. War ja nichts Neues.

"Ich möchte, dass du noch einmal einen Blick in die Zukunft wirfst", sagte der Dunkle Gott.

Wieder wurde Rhocaen ein Gegenstand gereicht. "Das kenne ich schon", schmunzelte der Dunkelelf als er das Buch mit der Prägung darauf erkannte. "Was soll ich damit?", fragte er.

"Lies!", befahl Dhulmar.

"Sehr komisch. Der Witz war richtig gut", kommentierte Rhocaen. "Und wie? Wie Ihr ja wisst, oh großer, oh mächtiger Herrscher der Finsternis, wart Ihr es, der mir einst das Augenlicht nahm." Seit wann war er eigentlich so spöttisch? Heute lehnte er sich wirklich verdammt weit aus dem Fenster. Aber seit er Ryan im Traum begegnet war, hatte er neuen Mut geschöpft.
 

Einige Augenblicke herrschte nur ein unangenehmes Schweigen im Raum, dann wurde er hochgerissen und die krallenbewehrten Handschuhe von Dhulmars Rüstung bohrten sich schmerzhaft in seinen Genitalbereich. Vor Schmerz und Entsetzen stieß er schwer den Atem aus.

"Was hältst du davon, wenn ich dir den hier abschneide?", fragte Dhulmar und verstärkte seinen Griff. Rhocaen schwanden die Sinne. Noch bevor er das Bewusstsein verlor, wurde er losgelassen und er sackte schwer atmend auf dem kalten, glatten Stein zusammen.

"Jetzt lies!", befahl der Dunkle Herrscher und Rhocaen nahm das Buch auf. Der Schmerz pochte heftig in seinem Unterleib. Er hatte zwar immer noch keine Ahnung, wie er, ein Blinder, lesen sollte, aber noch weniger hatte er Lust, seine Männlichkeit zu verlieren. 'Versuch macht klug', dachte er. Also schlug er den dicken Wälzer auf und fuhr mit den Fingerspitzen über die Seiten. Es war ganz normaler Papyrus, nichts Besonderes.
 

Auf einmal sah er etwas vor sich. Es war Ryan, der Drachenritter. In einer strahlenden Rüstung saß er auf Shauks Rücken und trieb seine Feinde vor sich her. Das heiße Feuer des schwarzen Drachen versenkte sie und verwandelte ihre Körper in kleine dampfende Aschehäufchen.

Plötzlich war da etwas anderes. In Ryans Gesicht waren nicht mehr die Augen eines Menschen. Es waren die eines Drachen. Und auf einmal eröffnete sich ihm die ganze Wahrheit. Alles war, wie es war und sein musste und nur er allein wusste es. Überwältigt von der Fülle an Wissen, das ihn überkam, sank er zusammen und wurde kurz bewusstlos.
 

"Was hast du gesehen?", wollte Dhulmar ungeduldig wissen.
 

Er konnte es ihm nicht sagen. Wenn er das tat, war alles verloren. Er kannte jetzt alle Zusammenhänge. Er wusste, was es mit dem Drachenreiter auf sich hatte und mehr als das. Letztendlich lag es ganz allein an Ryan, wie sich das Schicksal ändern würde und er hoffte inständig, dass dieser es schaffen würde, seinen schlimmsten Feind zu besiegen.
 

"Es ist nichts Besonderes", antwortete er schließlich. "Ihr wisst es bereits."

"Jungs, holt mir ein Messer. Möglichst stumpf und am besten noch ein wenig angerostet", befahl der Gott.

"Ja, ja, ist ja schon gut, ich rede ja schon", warf Rhocaen schleunigst ein. Tatsächlich wusste er, dass Dhulmar Ernst machte, wenn er etwas versprach. Im Geiste sah er schon seine Männlichkeit fliegen. Urgs. Also gut, dann eben die halbe Wahrheit. Das musste genügen. "Es war nur die Legende vom Drachenreiter. Ich habe gesehen, wie er seine Feinde vernichtete. Das war alles."

"Und davon wirst du bewusstlos?", hakte der Dunkle Herrscher misstrauisch nach.

"Nur wegen seiner Grausamkeit", antwortete der Dunkelelf. "Diese Gnadenlosigkeit, mit der er sie vor sich hertrieb und zu Asche verbrannte, war so überwältigend", sagte er so überzeugend wie möglich, wobei seine Stimme sogar leicht zitterte, aber eher, weil er Angst hatte, den Dunklen Herrscher nicht zu überzeugen. Das hätte das Ende für "Klein-Rhocaen" bedeutet.
 

Dhulmar schien sich damit zufrieden zu geben, denn er fragte nicht weiter nach. Stattdessen erklang ein schallendes, bösartiges Lachen. "Also doch! Er ist nicht auf ihrer Seite!", rief er schon fast belustigt. "Da können die Drachen noch so über Bàn schweben, wenn sie weiterhin Menschendörfer in Asche verwandeln, dann haben wir doch eine Chance!"
 

'Was? Sie greifen Menschendörfer an? Und das, nachdem Ryan bereits als ihr Herrscher in Erscheinung getreten ist? Das kann nur eines bedeuten. Ich muss mal dringend mit ihm reden', beschloss Rhocaen. Wahrscheinlich würde er demnächst genug Zeit dazu haben.
 

*****
 

Ryan lief mit nachdenklichem Blick durch die Gärten des Schlosses. Nifredil hatte ihm erklärt, was seiner Beobachtung nach passiert war. Das war aber auch schon alles, was er vom gestrigen Abend wusste. Er selbst hatte nämlich keinerlei Erinnerung. Da war nur einheitliches Weiß, wie zäher Nebel, der seine Gedanken durchzog. Seitdem hatte er den Elfen nicht mehr gesehen. Ein leichter Windhauch streichelte ihn und blies ihm ein paar vorwitzige Locken ins Gesicht.
 

"Ryan!", hörte er plötzlich hinter sich einen Ruf. Als er sich umdrehte, erkannte er Mahon, der mit großen Schritten auf ihn zukam.

"Was gibt es?", fragte Ryan den Berater des Königs.

"Ich möchte dich um einen Gefallen bitten", kam der General ohne Umschweife zur Sache.

"Und welchen?", hakte der Mensch nach. 'Nifredil kommt schon wieder nicht. Ich vermisse ihn jetzt schon, dabei haben wir uns erst vor nicht einmal 24 Stunden voneinander verabschiedet', dachte er betrübt.

"Deine Gedanken sind bei ihm, was?", fragte Mahon.

"Bitte was? Wen meinst du?", erwiderte Ryan überrascht.

"Tu nicht so. Du weißt ganz genau, wen ich meine. Nifredil natürlich. Hör zu, ich soll dir etwas von ihm ausrichten." Er räusperte sich und sagte dann: "Der König möchte gerne mit dir zu Abend essen. Natürlich nur, wenn du dazu in der Lage bist."

"In der Lage? Wie soll ich das denn verstehen?" Ein gewisses Misstrauen konnte er nicht aus seiner Stimme verbannen.

"Nun, ich werde dich heute auf deine kriegerischen Fähigkeiten hin testen. Das war der Gefallen, um den ich dich bitten wollte. Ich möchte, dass du mich in deine Kampfkunst einweihst", erklärte Mahon.

"Na ja, offiziell darf ich das gar nicht. Ich bin ja selbst noch ein Schüler. Mein Meister würde das bestimmt nicht gutheißen, denke ich", meinte Ryan nachdenklich.

"Nun, ich habe nicht gesagt, dass du mich unterrichten sollst, ich möchte mir nur mal ansehen, was du so kannst. Und darüber hinaus würde ich mich gerne mit dir messen. Das ist alles", erwiderte der Krieger.

"Na dann. Wenn das so ist, worauf warten wir dann?", sagte der junge Mann fröhlich und brachte sich in Kampfposition.

"Nicht hier", sagte Mahon und schüttelte den Kopf. "Komm mit."
 

Sie gingen durch einen Hintereingang zurück ins Schloss. Mahon führte Ryan ein paar Treppen hinunter, sodass sie schließlich in einem großen, unmöblierten Raum ankamen. "Das hier ist der Übungsraum für den König", erklärte der General. "Natürlich lernt er auch zusammen mit anderen den Umgang mit Waffen und dergleichen, doch er bekommt spezielle Unterrichtseinheiten und das findet hier unten statt. Wir sind hier die nächste Zeit ungestört, weil außer dem König und mir niemand einen Schlüssel hat. Deshalb habe ich dich hierher gebracht."

"Du hast doch gar keine Tür aufgeschlossen…", merkte Ryan an.

"Nicht jede Tür ist mit einem Schloss versehen", lächelte Mahon geheimnisvoll.

"Lass mich raten, Elfenzauber, richtig?"

"Richtig. Also dann, fangen wir an. Ich denke, es wäre dir gegenüber ungerecht, wenn ich Waffen einsetzen würde, nicht wahr?", wollte der Elf wissen.

"Würde mich nicht stören, zumindest nicht, wenn du ein absoluter Laie wärst. Aber da ich das nicht annehme, hast du Recht", antwortete Ryan gelassen und schob seine Haare nach hinten. 'Mist, ich hätte sie schneiden lassen sollen bevor ich herkam', dachte er kurz, als er feststellte, dass sie ihm schon fast bis auf die Schultern reichten. Seine Mutter hätte ihn bestimmt gemaßregelt, hätte sie ihn so gesehen.

"Hier", sagte Mahon und reichte ihm ein Lederband. "Bind sie dir zusammen."

"Danke", gab der junge Mann zur Antwort und tat wie ihm geheißen. Konnte der jetzt auch schon Gedanken lesen oder was?
 

Mahon hatte inzwischen seine Waffen, also sein Schwert und diverse Dolche, abgelegt, und sah ihn erwartungsvoll an.

"Was schaust du mich so an?", fragte Ryan. "Ich darf dich nicht angreifen. Meine Kampfkunst dient nur der Selbstverteidigung. Du musst schon zu mir kommen."

"Wie du meinst", antwortete Mahon.
 

Noch bevor Ryan richtig reagieren konnte, war der Krieger schon heran. Gerade noch schaffte er es, sich unter einem gezielten Schlag weg zu ducken.

"Wow, du bist ganz schön schnell", bemerkte er anerkennend.

"Danke, deine Reflexe sind aber auch nicht schlecht", gab Mahon zurück. "Also dann, weiter geht's."

Wieder setzte der Elfenkrieger zum Angriff an, doch diesmal war Ryan vorbereitet. Blitzschnell trat er ein Stück zur Seite, griff sich Mahons Arm und hielt ihn daran fest. Mit einer geschickten Bewegung schleuderte er den Elf zu Boden.

"Faszinierend", stellte dieser staunend fest. Ryan grinste nur. "Aber nicht gut genug", fügte Mahon an und trat mit dem Fuß aus, worauf der junge Mann jedoch sofort reagierte und auswich.

Mahon sprang auf und versuchte nun, einen direkten Angriff von vorne zu starten, doch Ryan wich ihm aus, hob sein Knie und rammte es in Mahons Magen. Dann versetzte er ihm einen Schlag in den Nacken und schickte ihn damit erneut zu Boden. Gerade als sich der Elf nach Luft schnappend umdrehte, setzte er sich blitzschnell auf dessen Brustkorb und hielt ihm seine Hand wie ein Messer an die Kehle. "Schachmatt", grinste er breit.

"Wie bitte?", fragte Mahon leicht verwirrt.

"Das bedeutet du bist tot", erklärte Ryan.

"Ach so. Na dann. Ich gebe zu, du bist gut. Solange du EINEN Gegner hast, der dazu noch unbewaffnet ist. Aber in der Schlacht hilft dir das nicht viel. Es ist der Wunsch des Königs, dass ich dich in der Kunst des Schwertkampfes unterrichte. Wenn du an seiner Seite kämpfen willst, dann hilft dir deine Selbstverteidigung wenig. Einverstanden?"
 

Hatte er das richtig verstanden? Er sollte lernen, wie man ein Schwert benutzt? War ja klar, dass das irgendwann kommen würde, aber so bald? Er stand auf und reichte seinem Gegner eine Hand um ihm aufzuhelfen. Dieser ergriff sie und ließ sich hochziehen.

"Na gut, ich akzeptiere", sagte er schließlich. "Ich will Nifredil ja keine Schande machen."

"Gut. Aber dir ist klar, dass das ein hartes Stück Arbeit wird. Wir haben höchstens noch ein paar Wochen. In diesen wirst du oft und hart üben müssen um einigermaßen mithalten zu können. Und du wirst mich als Lehrmeister haben, was bedeutet, dass die Lehrstunden intensiv und anstrengend werden. Ich gehe davon aus, dass du abends ins Bett fallen und dir wünschen wirst, du wärst tot. Kannst du das vertragen?", fragte Mahon skeptisch.

"Klar. Hab ich eine andere Wahl?", konterte Ryan sarkastisch.

"Nein", war Mahons einzige Antwort.

"Also, worauf warten wir dann noch", meinte der "Ritter in Ausbildung" achselzuckend.
 

Tatsächlich fühlte sich Ryan am Abend derart zerschlagen, dass er am Esstisch fast einschlief. Nifredil entging natürlich nicht, in welcher Verfassung sein Gast war, hatte er doch selbst alles, was er wusste, von Mahon gelernt. Im Gegensatz zu Ryan jedoch hatte er dafür Jahrzehnte Zeit gehabt, nicht nur Wochen.

Nachdem er mit Essen fertig war, fragte Ryan: "Ist es mir gestattet, mich zurückzuziehen?"

"Aber sicher", antwortete Nifredil. "Geh ruhig. Oder besser, ich komme gleich mit. Dein Zimmer liegt ohnehin auf meinem Weg." Damit erhob er sich und sie gingen gemeinsam zu den Schlafgemächern.
 

"Es ist hart, nicht wahr?", fragte der Blonde mitfühlend.

"Hmmm", brummte Ryan. Mehr brachte er nicht mehr zustande.

"Leider muss es sein. Wir brechen in zwei Wochen zu den Dunkelelfen auf. Ein Bote ist bereits unterwegs zu ihnen. Es ist für uns von äußerster Wichtigkeit, dass wir sie als Verbündete bekommen. Wer weiß, wie es jetzt weitergeht. Wenn wir Pech haben, hat ihnen Dhulmar schon ein lohnendes Angebot gemacht, was ich nicht hoffen will."

"Und welche Rolle soll ich in dem Ganzen spielen?", fragte Ryan und gähnte unverhohlen.

"Du bist, wie es aussieht, der Drachenreiter, das hab ich dir doch schon gesagt, anderenfalls würde in Bàn jetzt kein Stein mehr auf dem anderen stehen. Du bist unser wichtigster Trumpf, um es mal so krass auszudrücken. Es wäre übel, wenn du nur eine Witzfigur abgeben würdest", erklärte Nifredil schon fast emotionslos.

"Du bist echt hart zu mir, weißt du das? Also, wenn es hier in dem Laden was zu reklamieren gibt, dann, dass mein Gastgeber seit unserer Ankunft kälter und härter als ein Eisblock ist. Da fühlt man sich nicht gerade wohl…", meckerte Ryan.

"Tut mir Leid, Ryan, wirklich, aber hier schauen mir alle auf die Finger. Ich kann eigentlich keinen Schritt tun, ohne beobachtet zu werden. Man merkt es vielleicht nicht, aber diese Wände haben Augen und Ohren. Natürlich nicht alle, aber die meisten. Ich bin auch nicht so frei, wie ich es gerne wäre." Bei dieser Erklärung wurde er leicht rot, was Ryan ziemlich niedlich fand, obwohl es eine ernste Behauptung war. Nifredil war also so etwas wie ein Gefangener in seinem eigenen Schloss. Im Grunde war es logisch, doch von dieser Seite hatte Ryan das Ganze noch nie betrachtet.

"Deswegen möchte ich trotzdem gerne den alten Nifredil wiederhaben. Du warst immer so lieb und fröhlich und anschmiegsam. Jetzt gehst du nur noch auf Distanz zu mir", meinte der junge Mann traurig.

"Tut mir wirklich Leid", entschuldigte sich der Elf erneut.
 

Als sie vor Ryans Tür ankamen, schaute er sich kurz vorsichtig um, dann zog er Ryan kurz aber fest in seine Arme und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. "Wir sehen uns morgen", raunte er. "Gute Nacht, mein Ritter."

Ryan war zuerst so geschockt, dass er erst bemerkte, was eigentlich passiert war, als sich der blonde Elf wieder von ihm löste. "Ähm, ja, gute Nacht, Nifredil", murmelte er schließlich.

Allein der Tatsache, dass Mahon ihn so geschunden hatte, verdankte er es, dass er in dieser Nacht Schlaf fand.
 

Es gab noch einen anderen Grund, aus dem Nifredil wollte, dass Ryan stark wurde. Er hatte eine Nachricht von den Druiden erhalten, aus der hervorging, dass die Drachen, trotz des Erscheinens des Drachenritters, weiterhin Menschendörfer angriffen. Diesmal verstärkt im Süden. Was, wenn ihnen der Mensch, der gekommen war, um sie zu beherrschen, nicht stark genug war? Es erschien ihm ohnehin seltsam, dass sie sich von einem ganz einfachen Menschen kontrollieren lassen würden. Gut, er hatte den Drachenreiter auf seiner Seite, aber bedeutete das auch, dass das auch automatisch die Drachen mit einschloss?

Kapitel VI - Die Macht des weißen Drachen

Halli hallo zusammen,
 

ich begrüße euch herzlich zu einem neuen Kapitel von meinem kleinen Elfenkönig. Dazu muss ich gestehen, weil ich nur selten zum Schreiben komme, wird das wohl für längere Zeit das letzte Update bleiben, da auch mein Vorrat an im Voraus geschriebenen Seiten zu Ende geht.

Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse und genießt die weiteren Entwicklungen. ^^
 

Liebe Grüße und viel Spaß

Myrys
 

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Kapitel VI

Die Macht des weißen Drachen
 

Ryan schlief schlecht. Wilde Träume verfolgten ihn und brachten ihn um seine wohlverdiente Ruhe. Er sah die Drachen – seine Drachen – die wild fauchend und Feuer speiend über Menschen herfielen. Er wollte ihnen "Hört auf" zurufen, doch er schaffte es nicht, seine Stimme erreichte sie nicht durch das Tosen der Flammen.
 

"Siehst du nun, was du angerichtet hast?", erklang eine vertraute Stimme hinter ihm. Als er sich umdrehte, stand da der Dunkelelf, den er schon aus seinen Träumen kannte und plötzlich fiel ihm auch sein Name wieder ein.

"Rhocaen…", flüsterte er.

"Sie verletzen, töten, brennen alles nieder", sagte Rhocaen leise und trat näher an Ryan heran. "Und es ist das ärmste aller Völker, über das sie Leid und Verderben bringen. Warum, frage ich dich."

"Ich weiß es nicht. Ich wusste nicht einmal, dass sie das tun. Also ist es die Wahrheit, was ich gerade gesehen habe?", hakte Ryan zerknirscht nach.

Rhocaen nickte nur.

"Warum sagt mir das keiner?", fragte der Drachenreiter fassungslos. "Ich dachte, ich sei ihr Herr. Also sollte ich das wissen, oder?"

"Vermutlich, um dich nicht zu beunruhigen", erklärte Rhocaen. "Also, hast du eine Ahnung, was sie suchen?"

"Suchen? Was sollen sie denn suchen? Woher soll ich das wissen? Ohne Nifredil wüsste ich nicht einmal, dass ich überhaupt jemals Kontakt mit ihnen gehabt hätte."

"Sowas dachte ich mir schon", seufzte der Dunkelelf. "Hör zu, ich habe nicht genug Zeit, es dir zu erklären, aber sie müssen aufhören. Wenn nicht, hat der Dunkle Gott im Süden leichtes Spiel. Die wenigen Sûr, die noch überleben, werden sich ihm anschließen. Das muss ein Ende haben, verstehst du?"

"Aber wie? Wie soll ich das machen? Ich kann mich nicht daran erinnern, was geschah, als Shauk kam. Wie soll ich da mit ihnen Kontakt aufnehmen? Und dann, soll ich ihnen einfach sagen, dass sie aufhören sollen? Vielleicht war es ja tatsächlich mein Befehl… Ach, Rhocaen, ich weiß gar nichts mehr."

"Du bist ihr Herr. Du wirst einen Weg finden, da bin ich ganz sicher. Ich muss mich jetzt von dir verabschieden, Herr der Drachen. Meine Zeit bei dir ist um. Bis dann." Rhocaen drehte sich um und ging.
 

"Warte doch mal kurz!", rief ihm Ryan hinterher. Tatsächlich drehte sich der Dunkelelf noch einmal zu ihm um und blickte ihn fragend an. "Du hast die Lösung zu dem Rätsel, nicht wahr? Du weißt mehr, als du mir sagst, ist es nicht so?"

Rhocaen lächelte nur. Im nächsten Moment war er verschwunden.

"Mann, ich hoffe, dass mir der Typ nie in der Realität über den Weg läuft, sonst bring ich ihn um", murmelte Ryan verstimmt.
 

Er erwachte mit Kopfschmerzen. Seufzend rieb er sich die Schläfen und kämpfte sich müde hoch. Die Sonne schien schon in voller Pracht durch das Fenster seines Schlafgemachs. Aber was war das denn? Vor dem blauen Hintergrund des Himmels stand jemand.
 

"Und, ausgeschlafen?", fragte eine fröhliche Stimme.

"Nifredil? Was machst du denn hier?", rief Ryan überrascht.

"Ich komme, um dich zu retten", lächelte der Elf.

"Muss ich das jetzt verstehen?", wollte der Mann wissen und schob sich eine vorwitzige Locke aus der Stirn.

"Na ja, zum Einen finde ich, dass ich dich in letzter Zeit wirklich etwas vernachlässigt habe und zum Anderen, Mahon wird dich in den nächsten Wochen ziemlich schinden, deswegen hab ich mir gesagt, dass du noch einen freien Tag brauchst und den darfst du mit mir verbringen. Wenn du magst, natürlich", erklärte der Blonde.

"Wie kommst du überhaupt hier rein?"

"Über den Balkon, durchs Fenster und rein. Gar kein Problem."

"Ach so. Moment noch, ich muss mir nur eben was Anständiges anziehen", meinte Ryan und verschwand im Nebenraum.
 

Soso, Nifredil wollte also den Tag mit ihm verbringen. Sehr schön. Schell schlüpfte er in seine Kleider und seine Stiefel und kämmte sein Haar. Dann kaute er eines der Blätter, die ihm Nifredil gegeben hatte und die wie Zahnpasta schmeckten und ebendiese Funktion erfüllten.
 

Als er zurückkam, saß der Elf auf seinem Bett und lächelte ihn an. Vor seinem inneren Auge stiegen Bilder auf, in denen er jetzt zu ihm ging, ihn aufs Bett schob und mindestens leidenschaftlich küsste. Aber er verbot sich, weiter zu denken, denn dann hätte er seine Gedanken wohl nicht mehr verstecken können.
 

"Und, bist du bereit?", fragte Nifredil gut gelaunt.

"Bereit wofür genau?", erkundigte sich Ryan.

"Wir machen einen kleinen Ausflug. Aber wir müssen vorsichtig sein, es weiß nämlich niemand davon." Er stand auf, nahm Ryan bei der Hand und führte ihn auf den Balkon. Von dort aus führte ein kleiner Mauervorsprung unter den Fenstern entlang zu einem großen Baum.
 

Ohne groß nachzudenken kletterte der Elf auf den Vorsprung, balancierte vorsichtig an ihm entlang bis zu einem starken Ast des Baumes und hangelte sich auf diesen. Von dort aus kletterte er in die Krone und kam kurze Zeit später unten auf dem Boden an.
 

"Na los, komm schon!", rief er hinauf. "Mahon kommt gleich! Wenn er feststellt, dass du weg bist, dann kriegst du Ärger!"
 

Ryan schluckte. War der Kerl eine Katze? Na ja, Augen zu und durch. Vorsichtig kraxelte er auf den Vorsprung und hangelte sich mit beiden Händen an der Wand entlang. Am Baum angekommen kostete es ihn einige Überwindung, den Ast zu ergreifen.
 

Hinter sich hörte er Mahons Stimme, die rief: "Ryan, wo bist du?"

'Okay, jetzt oder nie', sagte er sich.

"Komm schon, beeil dich!", rief Nifredil.

Im nächsten Moment hatte er den Ast in der Hand und schwang sich in die Baumkrone. Gut, auf Bäume klettern und auch von ihnen wieder runterkommen konnte er. Im Garten seiner Großeltern hatten riesige Apfelbäume gestanden, also kein Problem. Schnell wie der Blitz war er unten bei Nifredil, der, bereits einen Korb in der Hand haltend, dastand und auf ihn wartete.

"Los, komm", sagte der Blonde und zog ihn mit sich.
 

Sie liefen schnell, jedoch schien Nifredil zu befürchten, dass Mahon sie vom Balkon aus sehen konnte, deswegen hielt er bei der nächsten Mauernische inne, schaute zurück und schob Ryan hinein. Es war sehr eng und Ryan spürte den heißen Atem des Elfen an seinem Hals, dessen warme Hände auf seiner Brust.
 

Verstohlen lugte Nifredil an ihm vorbei und an der schräg gegenüberliegenden Wand, wo Ryans Zimmer lag, hinauf und atmete auf. "Gut, er ist gegangen", sagte er schließlich. "Weiter."
 

'Schade', dachte Ryan als der Elf sich von ihm löste, doch er zuckte nur die Achseln und folgte dem König.

"Wo gehen wir eigentlich hin?", fragte er, als sie das Schloss hinter sich ließen und in den Wald jenseits der Schlossmauer eintauchten.

"Ich will dir was zeigen", antwortete Nifredil nur geheimnisvoll. Er wartete kurz, bis Ryan zu ihm aufgeschlossen hatte und nahm wieder dessen Hand.

'Nanu, schmusebedürftig heute?' Durch einen kleinen Seitenblick stellte er fest, dass die Wangen des Elfen leicht gerötet waren.
 

Nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergegangen waren, erreichten sie eine große Lichtung, auf der unzählige, etwa kniehohe Statuen standen. In der Mitte erhob sich ein kleines, weißes Gebäude, das wie eine Gruft aussah.

"Wo sind wir hier?", fragte Ryan.

"Auf dem Friedhof", erklärte Nifredil. "Hier ruhen die Krieger aus allen Kriegen, die jemals geführt wurden. Weißt du, normalerweise sind Elfen unsterblich. Aber im Krieg kann es durchaus passieren, dass uns ein Feind tödlich trifft. Wenn es den Überlebenden gelingt, die Leichen zu bergen, werden sie hier bestattet und eine kleine Statue des Verstorbenen aufgestellt um ihm zu gedenken."

"Sind ganz schön viele", stellte der Mensch fest.

"Ja. Allein mit denen, die hier liegen, könnten wir zur Festung des Feindes marschieren und sie in den Boden stampfen. Und das sind noch nicht einmal alle gefallenen Elfenkrieger. Ein großer Teil von ihnen wurde vom Feind verschleppt und in den Gefängnissen zu Tode gefoltert oder auf dem Schlachtfeld so geschändet, dass es unmöglich war, sie zu bergen, außer in Einzelteilen."

"Igitt. Bitte erspar mir die Details, ja? Und das da drüben?", erkundigte sich Ryan neugierig und zeigte auf das Gebäude.

"Das ist die Königsgruft. Da wollte ich hin. Weißt du, mein Vater liegt dort", erklärte Nifredil.

"Oh. Und das war's, was du mir zeigen wolltest, ja?", fragte der Drachenreiter skeptisch.

"Nein, eigentlich nicht. Aber es liegt auf dem Weg, deshalb."
 

Er ließ Ryans Hand los und ging hinüber zur Gruft. Zögernd folgte ihm der junge Mann. Irgendwie hatte er so ein komisches Gefühl, was diesen Ort anging. Wie ein feindlicher Wille, der ihn daran hindern wollte, näher zu kommen. Aber das war absolut unsinnig. Oder?
 

Nifredil war schon jahrelang nicht mehr hier gewesen. Wohl, weil die Erinnerungen an seinen Vater immer mehr verblasst waren. Bevor er Ryan geweckt hatte, hatte er noch ein paar Rosen aus dem Garten geholt, um sie auf den Sarkophag seines Vaters zu legen. Er betrat die Gruft und ging ganz nach hinten. Natürlich war sein Vater nicht der erste verstorbene König, doch mit Sicherheit einer der jüngsten unter ihnen.
 

Vor der letzten Ruhestätte des Mannes, den er kaum gekannt hatte, hielt er inne und betrachtete nachdenklich das Gesicht, das seinen schlafenden Vater zeigte. Eine Eigenheit, die seine Mutter sich so gewünscht hatte. Sie hatte gewollt, dass man sich auch an die Schönheit ihres Gatten erinnerte. Und wenn schon einfache Soldaten eine Statue bekamen, warum dann nicht auch ihr Mann? Tatsächlich war er der einzige, dessen Grabmal die lebensgroße Statue auf dem Deckel des Sarkophags aufwies. Es hieß nämlich, dass Elfenkönige ausschließlich wegen ihrer Taten im Gedächtnis bleiben sollten und deshalb nur bescheiden beigesetzt wurden. Verhältnismäßig natürlich. Je nachdem, wie stark sie die Staatskasse heruntergewirtschaftet hatten.
 

"Vater. Ich war lange nicht mehr hier. Verzeih mir", murmelte er und legte die Blumen, die er aus dem Korb holte, zu Füßen der schlafenden Gestalt. "Wärst du doch nur noch ein paar Jahre länger geblieben. Mutter hätte dich gebraucht. Ich hätte dich gebraucht. So kenne ich dich nicht einmal richtig…"
 

Plötzlich spürte er eine warme Hand auf seiner Schulter. Zögernd legte er seine eigene darauf und stellte fest, dass ihn diese Geste mehr tröstete, als alles andere zuvor.

"Ich weiß, wie du dich fühlst", sagte Ryan leise. "Zwar ist mein Vater nicht tot, aber verloren hab ich ihn auch. Weißt du, vielleicht ist es sogar besser, wenn jemand tot ist, aber du weißt, dass er dich geliebt hat, als dass er lebt, aber sich einen feuchten Dreck darum kümmert, ob du überhaupt existierst."

"Ich weiß nicht, ob er mich geliebt hat", meinte Nifredil traurig. "Er hat es mir nie gesagt und viel hat er mich auch nicht von seiner Liebe spüren lassen."

"Vielleicht konnte er nur nicht. Aus irgendwelchen Gründen. Möglicherweise war er nur nicht der Typ dafür."

"Möglich…", murmelte der Elfenkönig und schwieg dann, tief in seine Gedanken versunken. "Komm, gehen wir. Sonst verlier ich noch meine gute Laune", sagte er schließlich und zog Ryan mit sich aus der Gruft hinaus.
 

Noch bevor sie den Friedhof verließen, hatte Ryan wieder dieses Gefühl, von unfreundlichen Augen beobachtet zu werden. Wurde er langsam verrückt oder lag es nur an der merkwürdigen Stimmung, die Friedhöfe nun einmal so an sich hatten?
 

Nach einiger Zeit lang wanderten sie erneut schweigend nebeneinander her und genossen einfach die Gegenwart des jeweils anderen. Schließlich erreichten sie einen kleinen Teich, der von einem Fluss gespeist wurde und an dem ein kleiner Wasserfall aus geringer Höhe in die Tiefe stürzte.
 

"Ist es nicht schön hier?", fragte Nifredil und lächelte.

"Ja. Wunderschön", stimmte Ryan zu. Genauso einen Ort hatte er sich immer als ideal für die Schönheit des Elfen vorgestellt.

"Ich komme oft hierher. Es ist einfach so friedlich", erklärte der Elfenkönig. "Es ist ein guter Ort zum Nachdenken."
 

Aus seinem Korb zog er eine Decke und legte diese auf den Boden. Anschließend ließ er sich darauf sinken und klopfte neben sich. "Komm, setz dich", forderte er seinen Ritter auf.

"Was wird das hier? Ein Picknick oder so?", wollte dieser wissen.

"Keine Ahnung, was ein Pick… was auch immer ist. Ich nenne es einfach Essen im Freien." Ein schelmisches Grinsen huschte über sein Gesicht.
 

"Na gut, dann eben so", meinte Ryan und ließ sich neben dem blonden Elf nieder. Dieser schnappte sich wieder seinen Korb und holte zwei belegte Brote heraus.

"Ich weiß nicht, welches du lieber magst", meinte er nachdenklich. Schließlich reichte er Ryan einfach eines mit etwas Fleisch und Käse.
 

Der Drachenreiter starrte den Elfenkönig fasziniert an. Jetzt war er wieder so unbeschwert und fröhlich wie ein Kind.

"Du kannst es ruhig essen, es ist nicht vergiftet", grinste der Blonde auf Grund seines Zögerns. Und wie um seine Behauptung zu unterstreichen schnappte er sich Ryans Handgelenk der Hand, in welcher er das Sandwich hielt, und biss eine Ecke ab. "Siehst du? Ist ganz harmlos und ganz lecker."

Daraufhin musste Ryan laut lachen. "Du bist echt süß, Nifredil", sagte er mit Lachtränen in den Augen.
 

Der König starrte ihn kurz verständnislos an. Dann schluckte er den Rest seines Sandwichbissens, den er gerade von seinem eigenen abgebissen hatte, hinunter und steckte einen Finger in den Mund, an welchem er mit nachdenklichem Blick kurz lutschte und ihn dann wieder herauszog. "Hm, ich finde eigentlich nicht, dass ich süß schmecke. Allenfalls ganz leicht salzig", stellte er fest. "Und überhaupt, woher willst du eigentlich wissen, ob ich süß bin oder nicht? Du weißt doch gar nicht, wie ich schmecke."
 

Okay, das war zu viel. "Das lässt sich nachholen", raunte Ryan mit tiefer Stimme und lehnte sich zu Nifredil hinüber. Seine freie Hand legte er auf die Wange des Elfen und zog in so näher zu sich. Warum schlug sein Herz plötzlich so schnell? Zu Hause hätte er es nie zugelassen, einem Mann so nahe zu kommen. Doch bei Nifredil war das anders. Er hörte, wie der Elf scharf den Atem einzog. Im nächsten Augenblick berührten sich ganz sanft ihre Lippen.
 

Im Gebüsch hinter ihnen knackte plötzlich etwas und die zwei fuhren auseinander. Nifredils Gesicht hatte die Farbe einer reifen Tomate angenommen. Um sich abzulenken rief er: "Wer ist da?"

Ein Quieken war zu hören, allerdings keines von einem Tier.

"Komm raus, ich weiß, dass du da bist", sagte der Elf, diesmal mit Respekt einflößender Stimme.
 

Ein dunkler Haarschopf erschien. Unter diesem leuchtete den beiden Männern ein leicht gerötetes Mädchengesicht entgegen.
 

"Dich kenne ich doch!", rief Ryan. "Du bist die Kleine, die mit mir zum Schloss geritten ist."

Das Mädchen schaute schüchtern und kam schließlich aus dem Gebüsch hervor.

"Komm her", forderte der König sie auf und sie leistete seinem Befehl folge.

"Wie heißt du?", fragte er sie.

"Lia", antwortete sie schüchtern.

"Bist du uns gefolgt?", wollte er weiter wissen.

Lia schüttelte den Kopf. "Nein, Herr. Ich bin einem Kaninchen nachgelaufen. Aber ich hab es hier verloren."

Nifredil schaute sie durchdringend an. Da war er wieder, der Blick, den Ryan insgeheim den "Königsblick" nannte. Diese unterschwellige Autorität, die den jungen Elfen umgab. Lia sah das Ganze anscheinend ähnlich, denn sie lief zu Ryan und versteckte sich hinter ihm.

"Keine Angst, er guckt nur so böse. Er beißt nicht, nicht wahr, kleiner König?", wollte Ryan sie beruhigen und grinste Nifredil an.

"Natürlich nicht", antwortete dieser und schenkte dem Mädchen ein warmes Lächeln. Ryan hingegen schickte er einen "Fall-tot-um-oder-ich-helf-nach-Blick".
 

Noch bevor sich der Ritter irgendwie herausreden konnte, veränderte sich die Atmosphäre um den Wasserfall herum. Es schien, als hörten die Vögel auf, zu singen und die Temperatur sank merklich. Die vereinzelten Sonnenstrahlen, die durch das Blätterdach gebrochen waren, verschwanden, so, als hätte sich eine Wolke vor die Sonne geschoben. Auch das sanfte Rauschen des Wassers klang nun nur noch gedämpft.
 

Lia klammerte sich ängstlich an Ryan. Als er sie ansah, fiel ihm auf, dass sich vor ihrem Mund kleine weiße Wölkchen bildeten, ebenso vor Nifredils und seinem eigenen.

"Was passiert hier?", fragte er und wunderte sich, dass seine Stimme so verzerrt klang.

"Ich weiß es nicht", antwortete der Elf beunruhigt. Er griff in den Korb und zog einen Dolch heraus.
 

Aufmerksam sahen sie sich um, mit zum Zerreißen angespannten Nerven, jederzeit bereit, zuzuschlagen. Da fiel es Ryan auf. Dadurch, dass die Sonnenstrahlen verschwunden waren, waren auch die Schatten verschwunden. Doch aus der Richtung, aus der sie gekommen waren, fiel ein langer, schwarzer Schatten auf den Rand der Lichtung.

"Nifredil, da drüben", flüsterte er.

Der Elf sah hin und verstand sofort. Blankes Entsetzen erschien auf seinem Gesicht. "Ein Schatten…", murmelte er.

"Ja, das seh' ich selber", gab Ryan zurück. "Was ihn wohl wirft?"

"Das ist nicht das Problem", antwortete der Elfenkönig, doch er kam nicht mehr dazu, weiter zu erklären, denn der Schatten richtete sich auf, wurde größer und deutlicher. Als er seine volle Größe erreicht hatte, sah er aus wie eine große Gestalt mit einem Kapuzenumhang. Ganz deutlich waren Arme, Beine und ein Kopf zu erkennen, welcher jedoch unter der Kapuze steckte.
 

Lange, dürre Finger griffen nach den beiden Männern und dem Mädchen aus. Lia schrie entsetzt auf. Sofort sprangen Ryan und Nifredil auf, doch die Waffe des Elfen entglitt seinen Händen, als wäre sie plötzlich glühend heiß und er hätte sich daran verbrannt.

"Keine Waffe kann ihn verletzen…", jammerte er.

"Ach was", meinte Ryan nur locker. "Irgendwas muss es doch geben."
 

Todesmutig stürzte er sich auf seinen Gegner, doch es war, als würde er durch einen Schauer kalten Wassers stürzen als er durch ihn hindurch fiel.
 

'Scheiße', dachte er. Er drehte sich um und erstarrte mitten in der Bewegung. Der Schatten schwebte auf Lia zu und schlang sich um die Beine der Elfe. Es schien, als würde er sie komplett einwickeln wie mit einem schwarzen Spinnennetz. Nifredil schrie auf.

"Lass sie los!", schrie Ryan panisch. Sofort ließ das Wesen von dem Mädchen ab und wandte sich dem blonden Elf zu. Lia sank kraftlos zusammen.
 

Wieder einmal ging eine Veränderung mit Ryan vonstatten. Auch das Wesen schien sie zu bemerken, denn es wandte seine Aufmerksamkeit dem Drachenreiter zu.
 

Nifredil verfolgte gebannt, was mit dem jungen Menschenmann geschah. Es war, als würde sich eine bedrohliche Aura um ihn herum aufbauen. Sie war so stark, dass man sie fast greifen konnte. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und seine Augen hatte er geschlossen. Als er sie wieder öffnete, erschrak der Elfenkönig bis ins Mark.
 

Sie waren gelb. Nicht nur die Iris, das ganze Auge hatte diese Farbe. Und die Pupille war nicht mehr die eines Menschen sondern die eines Reptils. Trotz des Feuers, das in ihnen brannte, waren sie eiskalt.
 

Der tödliche Blick richtete sich auf den Schatten. Kleine Flämmchen begannen, an dem Gewand der Gestalt empor zu lecken. Ein entsetzter, spitzer Schreckensschrei stieg auf und verhallte, als die Flammen das ganze Wesen einhüllten und zu Asche verbrannten.
 

Kaum, dass der Schatten verschwunden war, war die Sonne wieder da, die Vögel waren wieder zu hören und die Luft wurde wieder warm. Lia regte sich vorsichtig und schaute mit müden Augen auf ihren Retter. Dieser ging in die Knie.
 

Schnell war Nifredil bei ihm, doch diesmal verlor Ryan nicht das Bewusstsein. Als er seine Augen wieder öffnete, waren sie wieder ganz normal. Sanftes, warmes Braun.

"Was war das denn?", fragte er fassungslos.

"Ein Schatten", erklärte der Elf.

"Wo ist das Ding hin?"

"Weißt du das denn nicht? Es ist in Flammen aufgegangen." Nifredil schaute ihn verwirrt an.

"Ich hab was verpasst, stell ich gerade fest. Ich bin durch das Ding durchgefallen und dann bist du plötzlich neben mir."

"Du kannst dich nicht erinnern?", hakte der König nach.

"Nö. Hab keine Ahnung, was gerade war. Wie nanntest du das Teil? Schatten?"

"Ja. Schatten sind böse Geister. Die Seelen Verstorbener, die keine Ruhe finden und deshalb rastlos durch die Welt ziehen. Sie können nicht mit gewöhnlichen Waffen verletzt werden, deshalb schart der Dunkle Herrscher sie um sich und nährt ihren Hass auf die Lebenden. Dann lässt er sie los und sie töten alles Leben, das ihren Weg kreuzt", erklärte Nifredil.

"Aha. Und du sagst, der hier ist verkokelt? Einfach so?", wollte Ryan wissen.

"Ja, einfach so. Na ja, nicht ganz einfach so. Es heißt, dass nur Drachenfeuer ihnen etwas anhaben kann."

"Also war ein Drache hier?"

"Nicht direkt." Der Elf atmete tief durch. "Du warst der Drache."

"Ich?", rief der jung Mann entsetzt. "Jetzt versteh ich gar nichts mehr."

"Ich auch nicht", erwiderte Nifredil.
 

Nach ihren verkorksten Ausflug beschlossen sie, wieder ins Schloss zurückzukehren. Dort kassierten sie beide erst einmal einen riesigen Anpfiff. Nifredil von seinem Beraterstab und seiner Mutter, Ryan von Mahon. Dieser ließ es sich nicht nehmen, den Ritter in Ausbildung jetzt noch mehr zu schikanieren. Und so vergingen die zwei Wochen bis zum Antritt ihrer Reise zur Felsenburg wie im Flug.
 

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Auf der Felsenburg wanderte Prinz Kaneth im Thronsaal auf und ab. Soeben war ein Bote Dhulmars eingetroffen. Sein Angebot war nicht schlecht gewesen. Nicht mehr oder weniger als das Reich der Hochelfen. Bàn konnte unter die Herrschaft der Dunkelelfen fallen.
 

Er war jetzt sehr gespannt, was ihm Nifredil anbieten würde. Er wollte es nicht laut vor seinem Vater aussprechen, doch er hoffte, dass der junge König das bessere Angebot machen würde.

Kapitel VII - Was uns verbindet

Hallo zusammen,
 

zunächst einmal möchte ich um Verzeihung bitten, dass es so furchtbar lange gedauert hat, bis ich eine Fortsetzung hochlade. Das Problem ist einfach die mangelnde Zeit meinerseits. "Der Elfenkönig" wurde zu einer Zeit begonnen, als ich noch zur Schule ging und wirklich MASSIG Zeit übrig hatte, aber bei einem 40-Stunden-Job mit Überstunden en masse dauert's eben ein bissi. ^^

Ich hoffe, das hält euch nicht ab, unsen Helden treu zu bleiben.
 

In dem Sinne viel Spaß
 

Myrys

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Prinzessin Kisea wachte urplötzlich auf, so als hätte sie etwas an der Nase gekitzelt. Verwirrt blickte sie sich einen Augenblick um. Neben ihr lag ihr Gatte und schlief friedlich. Anscheinend war es noch tiefste Nacht, denn der Mond stand hoch am Himmel, umrahmt von zahllosen Sternen, die hell funkelten.

'Ich glaube, ich brauche einen Schluck Wasser', dachte die Prinzessin der Dunkelelfen und stand vorsichtig auf, um ihren Liebsten nicht zu wecken. Sie ging zum Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers, wo ein kleines Tischchen stand. Auf diesem standen ein Krug und ein Tonbecher, in welchen sie sich einen Schluck Quellwasser eingoss und trank. Dabei wandte sie ihren Blick dem Innenhof zu, welchen sie von hier aus gut sehen konnte.

'Nanu? Das da unten ist doch…?', schoss es ihr durch den Kopf. Tatsächlich, da unten wandelte ihr Bruder durch die Nacht. 'Das hat er seit Jahren nicht mehr getan. Seltsam. Besser, ich sehe mal nach ihm.'
 

Schnell warf sie sich einen Umhang um die Schultern und machte sich auf den Weg in den Innenhof. Dort angekommen erblickte sie den Kronprinzen ihres Volkes bei einem Beet mit kleinen, roten Röschen, die nur auf dem relativ kargen Boden der Felsenburg wuchsen.

"Was tust du hier so spätnachts allein? Kannst du nicht schlafen?", fragte sie besorgt und ging auf ihn zu.

Kaneth schüttelte nur den Kopf. "Es geht nicht", murmelte er schließlich.

Vorsichtig legte ihm seine große Schwester eine Hand auf seine Schulter. "Willst du mir sagen, warum?"
 

Der Prinz atmete tief durch. "Ich habe geträumt", sagte er und wandte sich ihr zu. "Von ihm." Ein leicht gequälter Ausdruck stand in seinem sonst so regungslosen Gesicht.

"Von ihm? Wie lange hast du das schon nicht mehr getan?", wollte Kisea überrascht wissen.
 

"Seit es damals passierte. Dreihundert Jahre lang", fuhr Kaneth fort. "In meinem Traum war es Sommer. Ich stand auf einer prächtigen Wiese und ein sanfter Wind wehte mir um die Nase. Plötzlich spürte ich eine Gegenwart und drehte mich um. Und da stand er, so schön wie eh und je. So wie damals, kurz bevor er starb. Ich hatte das Gefühl, zu fallen. Allein sein Anblick nach so langer Zeit war überwältigend. Ich wollte etwas sagen, doch er bedeutete mir, zu schweigen. Stattdessen sprach er mich an. Er sagte: "Hoheit, endlich sehe ich Euch wieder." Darauf konnte ich nichts sagen. Ich lief auf ihn zu und wollte ihn berühren, um sicher zu gehen, dass er wirklich vor mir stand, doch er wich vor mir zurück. "Bitte, mein Prinz, meine Zeit bei Euch ist beschränkt. Ich will Euch einen Rat geben, denn ich weiß, was Euch bedrückt. Die Last des Thronfolgers und Heerführers lastet schwer auf Euch und Ihr wisst nicht, welche Entscheidung Ihr treffen sollt. Schließt Euch Nifredil und seinem Heer an."

"Warum sollte ich das tun?", fragte ich ihn. Er antwortete darauf: "Wofür hat unser Volk gekämpft? Wofür habe ich gekämpft?"
 

Ich wusste, was er meinte. "Freiheit. Die Freiheit der Dunkelelfen."

"So ist es", sagte er und lächelte. Ich wollte nur noch weinen in diesem Moment. Wie sehr hatte ich sein Lächeln vermisst. "Seht Ihr, Hoheit? Die Freiheit, für die wir lange kämpften, können wir nur halten, wenn wir uns den Hochelfen anschließen. Ich weiß, Ihr werdet jetzt sagen, dass wir ein souveräner Staat sind und uns nicht ihrer Herrschaft unterwerfen werden, und das ist richtig. Aber wenn Ihr den Weg der Dunkelheit wählt, dann werdet Ihr ins Verderben gestürzt. Dhulmar wird die Dunkelelfen entweder versklaven oder bis auf das letzte Kind ausrotten. Versteht Ihr?" Er blickte mich durchdringend aus seinen goldenen Augen an und ich nickte.
 

Ich lief auf ihn zu, breitete meine Arme aus und wollte ihn fest an mich ziehen, doch er löste sich auf. Wie Nebel, den man nicht festhalten kann, verschwand er einfach aus meinen Armen. Seine Worte klangen noch um mich herum nach. "Lebt wohl, Hoheit."
 

Kisea blickte ihren Bruder mitleidig an. Der Mann, von dem er sprach, war sein ein und alles gewesen. Sein bester Freund. Der erste, der ihm aufrichtige, ehrliche Zuneigung entgegengebracht hatte.
 

Sie und Kaneth waren ungeliebte Kinder. Ihr Vater hatte Kiseas Mutter, nachdem sie ihm 'nur' eine Tochter geschenkt hatte, verstoßen, weil sie nach der schweren Geburt keine weiteren Kinder mehr hatte bekommen können. Danach hatte er erneut geheiratet; eine sehr junge Frau. Die junge Prinzessin war damals schon fast erwachsen gewesen, ihre neue Stiefmutter kaum älter als sie selbst. Sie war bei der Geburt des Thronfolgers gestorben.
 

Sie, Kisea, war es gewesen, die ihren Bruder aufgezogen hatte, doch war er noch sehr jung gewesen, als sie geheiratet hatte. Das ließ ihr weniger Zeit für ihn. Dennoch, es waren immer die beiden Geschwister gewesen, die sich gegenseitig Halt gegeben hatten.
 

Kaneth war oft Spielball von Intrigen geworden. Schon als Kind hatte er erfahren müssen, dass nicht alle Freunde auch echte waren. Viele hatten ihn benutzt, zu viele. Oder sie hatten ihn mit Samthandschuhen angefasst, was fast ebenso schlimm war. Erst, als er zum Militär kam, änderte sich das alles.
 

Dort hatte er ihn kennengelernt; seinen Ausbilder, den General. Rhocaen, ein stattlicher Mann, den so manche Frau gerne gehabt hätte, doch Rhocaens Herz gehörte dem Kampf allein. Er war der erste gewesen, der Kaneth nicht als Prinzen sondern als ganz normalen Kadetten behandelt hatte. Er trieb ihm seine Flausen aus, indem er ihn für Dummheiten oder Fehler strafte, aber auch für besondere Leistungen lobte. Weder ließ er ihn jemals gewinnen, noch schenkte er ihm irgendetwas.

Zum ersten Mal in seinem Leben hatte der junge Prinz Respekt vor jemandem verspürt. Aus Respekt wurde Freundschaft und aus Freundschaft…
 

Zumindest bis zu einem gewissen Grad war sich Kisea sicher, dass da mehr gewesen war. Lange Zeit hielt sich damals das Gerücht, der General habe sich in ein Mitglied der Königsfamilie verliebt und dass es eine unmögliche Liebe sei. Die Leute hatten geglaubt, es handle sich dabei um sie. Sie selbst hatte so gedacht.
 

Doch dann kam jene schicksalhafte Schlacht. Sie und ihr Bruder hatten beide daran Teil genommen und natürlich Rhocaen. Es war nur ein kurzer Augenblick, doch er hatte genügt, um sie die Wahrheit sehen zu lassen.

Die Schlacht war verloren gewesen, die Dunkelelfen auf dem Rückzug, da schwirrte ein verirrter Pfeil heran und direkt auf Kaneth zu. Niemand anderes als Rhocaen war es, der den Pfeil mit seinem eigenen Körper abfing. Er war zusammengebrochen und Kaneth hatte ihn im Arm gehalten. "Geh nicht…", hatte er nur leise gewispert. Er war damals nicht viel mehr als ein Junge gewesen. "Ho…heit…, bitte…" Rhocaens Hand hatte die Wange ihres Bruders berührt, so ungemein zärtlich. Da wusste sie es. Er liebte ihn.

Doch sie mussten weg, es half nichts. Sie zog Kaneth von dem Sterbenden weg und brachte ihn in Sicherheit. Seine Schreie hallten immer noch in ihrem Kopf nach.
 

Kaneth hatte die ganze Nacht lang geweint und sie hatte ihn im Arm gehalten und getröstet, ihn gewiegt, gestreichelt und ihm leise Worte zugeflüstert. Immer wieder war er zwischendurch eingeschlafen, doch dann war er wieder aufgewacht und hatte nach Rhocaen gerufen. Seine Tränen hatten einfach nicht versiegen wollen.
 

Danach hatte er sich in sich selbst zurückgezogen. Niemand kam mehr an ihn heran. Seine Gefühle blieben verborgen hinter einer Maske aus Kälte und Gleichgültigkeit. Er war für viele nur noch eine Puppe. Eine sehr intelligente, kampferprobte Puppe zwar, aber eine Puppe.
 

Doch sie wusste, wie es in ihm aussah. Seine erste große Liebe war auf dem Schlachtfeld gestorben und er hatte es ihm nicht einmal sagen können.
 

Vorsichtig legte sie ihre Arme um ihren Bruder. Sie fühlte ihn zittern und das lag eindeutig nicht an der kalten Nachtluft. "Sch… ist ja gut, Kaneth. Ich bin bei dir."

"Rhocaen…", wimmerte er leise und eine feine Träne tropfte von seinem Kinn und versiegte sofort auf dem trockenen Stein.
 

**********
 

Das Heer der Hochelfen war in Bewegung. Natürlich nicht das ganze, nur der Teil, der den König, zusammen mit seinem Berater und dem Drachenreiter, zur Felsenburg begleiten würde. Letzterer ritt schweigend neben dem König her und das schon seit sie aufgebrochen waren. 'Was ist nur los mit mir?', dachte er betrübt. 'Welche Kräfte schlummern in mir? Und warum merke ich es nie, wenn ich sie anwende?' Er seufzte.

"Warum seufzt du schon wieder?", fragte Nifredil besorgt. "Das geht schon die ganze Zeit so."

"Ach, ich weiß es doch auch nicht. Es ist alles so… verwirrend. Ich weiß langsam nicht mehr, wer ich bin. Ich habe das Gefühl, als würde ich mich selbst verlieren. Kennst du das?"

Der Elf schüttelte den Kopf. "Nein, das kenne ich nicht, tut mir Leid."

"Gut, dann frag auch nicht."

Nifredil zuckte zusammen. So eine kühle Antwort war er von dem sonst so temperamentvollen und warmherzigen Ryan gar nicht gewohnt. "Ist gut, ich lass dich in Ruhe…", murmelte er leise und ritt weiter voraus, sodass etwas Abstand zwischen sie beide kam.
 

"Nifredil!", rief Ryan dem Elf hinterher, doch dieser war schon zu weit voraus. 'Ich wollte ihn doch nicht verschrecken…', dachte er traurig.
 

Als sie ihr Nachtlager aufschlugen, wollte sich Ryan einen Platz in der Nähe seines kleinen Elfenkönigs suchen, doch dieser war von Soldaten und auch, sehr zu Ryans Leidwesen, von Mahon umgeben. So ging er zu einigen Elfenkriegern, die ums Feuer versammelt saßen und unterhielt sich mit ihnen.
 

Immer wieder suchten seine Blicke nach Nifredil, versuchten, mit ihm Kontakt aufzunehmen, doch es schien, als sei dieser ständig beschäftigt. Traurig und niedergeschlagen legte er sich schließlich in sein kleines Zelt und fand keinen Schlaf. 'Ich hab ihm wehgetan wegen nichts. Was für ein Idiot ich doch bin.' Frustriert seufzend verschränkte er die Arme hinterm Kopf und lauschte den Geräuschen der Nacht.
 

Plötzlich hörte er etwas, das sich gar nicht nach dem Rauschen des Windes in den Bäumen anhörte. Dann war um ihn herum plötzlich ein weißer Nebel, der ihn umschlang. Sein Körper schwebte in hellem Nichts, das nur von hellgelbem Licht durchzogen wurde.

"Herr, wir haben es", hörte er eine tiefe, knurrige Stimme hinter sich und er drehte sich um. Vor ihm stand, oder besser, schwebte Shauk, der Herr der Drachen und neigte seinen schweren, geschuppten Kopf vor ihm.

"Sehr gut", antwortete der Drachenritter. Aber das war doch nicht seine Stimme, oder? Sie klang so rau und irgendwie… alt. "Wo ist es?"

"Hier ist es, mein Gebieter." Der schwarze Drache ließ etwas fallen, das er bisher in seinen Pranken gehalten hatte. Ryan hob es auf und plötzlich war der Nebel verschwunden.
 

Er stand am Lagerfeuer und vor ihm hockte tatsächlich Shauk in voller Größe und seine goldgelben Augen blickten ihn an. "Nun könnt Ihr uns rufen, wann immer Ihr unsere Hilfe benötigt, Herr", hörte er die Stimme des Drachen und antwortete: "Das werde ich. Sei herzlich bedankt, Shauk. Du wirst immer mein treuester Diener sein."

"Wie Ihr befehlt, Gebieter." Der Drache senkte sein Haupt und erhob sich mit einer starken Windböe, die von seinen Schwingen ausgelöst wurde, in die Lüfte, um noch kurz über dem Lager zu kreisen und dann in der Nacht zu verschwinden.
 

Neugierig blickte Ryan auf den Sack, den er in der Hand hielt. Darin war etwas Massiveres. Etwas wie ein Glasbehälter. Er zog die Kordel locker und schaute hinein. Tatsächlich, ein großer, verkorkter Glaszylinder, in dem in einer merkwürdigen Flüssigkeit etwas herumschwamm.

"Was in aller Welt ist das?", hörte er Nifredils Stimme hinter sich.

"Weiß ich auch nicht. Soll ich es mal rausholen?", wollte er wissen.

"Nein, bloß nicht! Nicht hier", kam umgehend die Antwort. "Komm mit in mein Zelt."
 

Die Stimme des Elfen war ernst und befehlend. So hatte er gar keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Die Elfen, die um sie herumstanden, sahen sie verwirrt aber auch mit unverhohlenem Misstrauen an.
 

Im Zelt ließ sich Nifredil auf einen Hocker nieder und schaute ihn einerseits neugierig, andererseits misstrauisch an. "Was hast du da draußen zu Shauk gesagt?", fragte er mit ernster Stimme.

"Ich hab mich bei ihm für dieses – was auch immer es ist – bedankt. Er meinte, ich könnte ihn damit immer rufen, wenn ich es wollte", gab Ryan zur Antwort.

"Es hörte sich scheußlich an", meinte der Elfenkönig gelassen. "Nun, lass sehen, was drin ist."
 

Ryan ließ den Sack auf den grasigen Boden sinken und öffnete ihn vorsichtig. Dann zog er das Glasgefäß heraus und besah sich den Inhalt. "Was zum Geier…", murmelte er, als er sah, dass darin ein gelbliches, schleimiges Etwas schwamm, das einmal ein Organ oder sowas hätte sein können.

"Weiß ich auch nicht", antwortete Nifredil und kam zu ihm herüber. "Aber es sieht eklig aus."

"Stimmt."

"Wenn Shauk sagte, dass du ihn damit rufen kannst, solltest du gut darauf aufpassen", riet ihm der Elfenkönig und sah ihn durchdringend an.

"Keine Sorge, das hab ich vor", gab Ryan zurück und schaute dem blonden Elf tief in die Augen. "Hör mal, wegen vorhin. Ich wollte dich nicht irgendwie blöd von der Seite anmachen, ich meine, du hast es ja nicht böse gemeint mit mir und wolltest mir nur helfen, oder?"

"Ist schon in Ordnung. Du warst einfach nur so… kühl zu mir. Das mag ich gar nicht", erklärte Nifredil und wurde leicht rot. "Da dachte ich, ich gehe dir vielleicht auf die Nerven."

"Aber nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Jede Minute, in der ich nicht bei dir sein kann, ist für mich verlorene Zeit." Ein sanftes Lächeln umspielte die Lippen des Drachenreiters. Nifredils Gesicht wurde noch röter und er sah verlegen zur Seite. 'Gott, wie goldig', dachte Ryan und strich seinem Gegenüber sanft über die Wange.

"Ich gehe jetzt schlafen. Gute Nacht, kleines Spitzohr Royal", grinste er und stand auf.

"Hör auf, mich zu beleidigen, du, du, mir fällt gerade nichts ein, du…", keifte Nifredil aufgeregt.

"Wie wär's mit großer, starker, gutaussehender…", schlug Ryan vor, doch der Elf warf einen Seidenschal nach ihm. "Du unmöglicher Mensch, du!"

"Oh, das war aber mal 'ne tolle Beschimpfung."

"Raus!"

"Okay, okay, bin ja schon weg", grinste der Drachenritter und schon war er aus dem Zelt.



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Kommentare zu dieser Fanfic (57)
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Von:  Mel_Vineyard
2009-07-19T19:12:33+00:00 19.07.2009 21:12
danke für die ens;)

armer kaneth...

uh, schleim!O.o

ein seidenschal, wie brutal! ts, ts, ts...

ja find ich auch, mensch ist ein schlimme bekeidigung!

Mel
Von:  YuMorino
2009-07-19T15:17:46+00:00 19.07.2009 17:17
<3.<3
ich liebe es so viel kaneth!!
auch wenn er mir sehr leid tut der arme
aber das kapi war mal wieder super schön und wieder sehr spannend und hat viele neue fragen aufgeworfen was um alles in der welt ist das in dem gefäß??
lg hdl
yu
Von:  xXGokuX
2009-07-19T12:06:52+00:00 19.07.2009 14:06
Huhu es geht weiter!^^
*Die wartezeit hatte sich wirklich gelohnt!
Ich hoffe das es schon bald weiter geht.
Bis dann
Vamp.^^
Von:  Kio4578
2009-07-19T11:25:46+00:00 19.07.2009 13:25
Na ich wusste doch,die Wartezeit lohnt sich. Wirklich wieder ein sehr schönes Kapitel. Da ist man ja schon gespannt was noch alles passieren wird, schließlich kamen ja wieder ein paar neue Informationen heraus, die man irgendwie noch verarbeiten kann. ^^
Ich freu mich auf die Fortsetzung
LG
Von:  aYaKaShI
2009-07-19T10:01:16+00:00 19.07.2009 12:01
echt toll
sie sind echt goldig zusammen die zwei
aber ich wüsste nur zu gern was das für ekliges zeug ist^^

lg aya
Von:  jean1384
2009-07-19T08:21:30+00:00 19.07.2009 10:21
klasse kap schreib bitte schnell weiter
Von:  ushios
2009-07-17T21:19:54+00:00 17.07.2009 23:19
ICH HOFFE DOCH SEHR DAS DU WEITER SCHREIBST DEN ES IST SEHR INTERESSANT GEMACHT AUCH ICH BIN DER MEINUNG DAS DU ES SCHÖN BILDLICH BESCHREIBST SO DAS MAN MANCHMAL DAS GEFÜHL HAT DIREKT DABEI ZU SEIN AUßERDEM MÖCHTE ICH GERNE WISSEN WIE ES DAZU KOMMT DAS ER EIN DRACHENREITER UND GLEICHZEITIG EIN DRACHE IST KANN MIR VORSTELLEN DAS ES ER UNGEWÖHNLICH IST UND NICHT ZU VERGESSEN WIE MIT DEN BEIDEN WEITER GEHT
Von:  jean1384
2009-06-15T11:21:12+00:00 15.06.2009 13:21
klasse kap schreib mir doch bitte ne ens wenns weiter geht
Von:  Mel_Vineyard
2009-01-07T14:53:52+00:00 07.01.2009 15:53
ich hatte ja eigentlich das kapitel viel früher lesen wollen, aber konnte ich wissen, dass wir 2 monate lang kein internet mehr haben werden?na ja jetzt hab ichs gottseidank endlich geschafft!

"Fall-tot-um-oder-ich-helf-nach-Blick" der blick ist toll!^^

och mensch, sie hams nicht geschafft sich zu küssen..schade...=((
aber das kommt hoffentlich noch!;))

ok ich glaub jetzt hätt ich angst vor ryan, an wessen stelle auch immer=))...
aber da sind sie sich ja einig, wenn sie beide nicht wissen was passiert ist...^^

Mel
Von:  YuMorino
2008-11-02T15:07:20+00:00 02.11.2008 16:07
hi!!^^
das kapi war mal wieder der hammer!!!*freudig durch die gegend hüpf*
ach ja so schön besonders der anfang mit Rhocaen war toll wie er wieder aufgetaucht ist!!
udn wie schön du das wieder beschrieben hast gott noch bildlicher un^d ich sitze mitten drin!!
bin ja mal gespannt wie es weitergeht ich hoffe kaneth behält recht und unser kleiner könig macht ein gutes angebot!!^^
freu mcih schon auf das nächste kapi!!
*knuddel*
hab dich lieb yu



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