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Angel hiss

von

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Prolog

Angel Hiss
 

Der Dämon läuft durch den herbstlichen Wald. Es regnet und der schwach modrige Geruch der feuchten Blätter lässt eine angenehm morbide Stimmung aufkommen. Er hat entschieden heute die Nacht in der Ruine der halbvergessenen Bahnstation zu verbringen, deren Lage dieser Tage kaum noch jemand kennt. Seine Schuhe sind verklebt mit Schlamm und die glatten schwarzen Haare kleben ihm schon seit einiger Zeit durchnässt am Kopf, doch dass kümmert ihn kaum, vervollständigt dieser Umstand doch auf geradezu perfekte Weise das Bild eines mitleiderregend unschuldig und leicht verloren wirkenden Jugendlichen, als der er sich im Moment so gerne ausgibt.

Es ist zwar niemand da der ihn sehen könnte, aber er war schon immer recht theatralisch veranlagt. Selbst wenn es nur seiner eigenen Unterhaltung dient. Die Kälte die der Regen mit sich bringt kann ihm aufgrund seines feurigen Erbes kaum etwas anhaben, weshalb er auch den eisigen Winter den flirrend heißen Tagen des Sommers vorzieht. Dann herrscht weniger Betrieb in seinen bevorzugten Schlupfwinkeln, wie etwa diesem hier.

Doch heute scheint es als wäre er trotz des unangenehmen Wetters nicht allein. Er kann die tiefschwarze Verzweiflung eines Anderen fühlen, sie zieht ihn an wie eine Motte das Licht, unaufhaltsam, unwiderstehlich, obwohl er noch niemanden sehen kann ist er sicher dass jemand da drin ist, verborgen in den Tiefen des brüchigen, mit Graffiti bedeckten Gebäudes.

Vorsichtig duckt er sich unter dem rostigen Bauzaun hindurch, darauf bedacht seine abgetragene schwarze Jacke nicht mit noch mehr Löchern zu verzieren als nötig ist um seine gewählte Rolle zu spielen. Die stärke der Emotion ist beeindruckend, wer immer dort drinnen ist muss großen seelischen Schmerz leiden. Bei diesem Gedanken durchfährt ihn ein begieriger Schauer, gleich wird er es wissen. Ohne es zu merken leckt er sich schon die schmalen Lippen in Erwartung des kommenden.

Behutsame, geräuschlose Schritte über rissigen Boden, der großzügig mit Müll bedeckt ist, immer weiter ins Innere des dunklen Gebäudes, bis ein Mensch kaum noch etwas erkennen könnte. Er kann jedoch sehr gut sehen. Die Dunkelheit war immer schon sein ureigenes Element. Leise geht er weiter. Nur noch eine Ecke, dann muss es so weit sein.

Was er erblickt lässt ihm für einen Moment den Atem stocken. Wie eine deplatzierte Schneeflocke hockt der Engel dort in einer großen, noch glänzenden Pfütze aus Blut, den Kopf eines toten Mädchens auf dem Schoß und scheint völlig in seinen Schmerz versunken. Sie hat sich offenbar die Pulsadern aufgeschnitten und ist langsam verblutet. Mit einem ironischen Lächeln bemerkt der Dämon, dass der Engel trotz allem unberührt scheint vom Blut, als könnte ihn nichts beschmutzen. Doch aus Erzählungen weiß er dass dem nicht so ist, auch wenn die Engel es gerne so darstellen.

Er hat noch nie eines dieser Geschöpfe aus der Nähe gesehen und tritt neugierig näher, immer noch darauf bedacht sich leise zu bewegen, aber ohne den Aufwand zu machen sich dabei zu verbergen. Dieses verzweifelte Wesen sieht nicht so aus als könnte es ihm gefährlich werden. Kleine Wassertropfen bahnen sich ihren Weg über seine Wange und tropfen aus dem nassen Haar in seinen Kragen, doch sie bleiben unbemerkt, denn sein Blick ist gefesselt von der Gestalt vor ihm. Der andere scheint ihn jedoch gar nicht zu bemerken, denn er starrt nur weiter blicklos vor sich hin, immer noch gefangen in seinen eigenen Gefühlen, während blasse Finger mechanisch durch die strähnigen Haare der Toten fahren, als wollten sie Trost spenden.

Am Rand der Blutpfütze bleibt der Dämon stehen und nimmt sich Zeit sein Gegenüber in Ruhe zu mustern. Die unschuldige Schönheit die der Engel ausstrahlt schmerzt ihm fast in den Augen, obwohl er selbst nicht weniger schön ist wenn ihm der Sinn danach steht, hat die seine eine völlig entgegengesetzte Qualität.

Weißes Gewand, wie unpraktisch. Weiße Schwingen, ob er sie verbergen kann wenn er möchte? Langes hellblondes Haar das ein ovales, puppenhaftes Gesicht, mit himmelblauen Augen und klischeehafter Stupsnase umrahmt. Er fragt sich wie sich dieses Haar anfühlen mag. Wie das eines Menschen? Duftet es?

Er tritt über den Rand der Pfütze, getrieben von seiner Neugierde. Einen Schritt, noch einen, bis er so nah ist dass er ihn berühren könnte, da schaut der Engel plötzlich auf und Schuldgeplagte blaue Augen treffen die seinen. Ein überraschtes Zischen entweicht dem kindlichen Schmollmund, gefolgt von einem einzelnen Wort.

„Dämon!“

Es bringt ihn beinahe zum Lachen. Überraschung, Schuld, Abneigung, Angst alles dies kann er in den Augen des Anderen lesen und doch, trotz allem bringt er eine vernichtende Anklage über die Lippen, komprimiert in einem einzigen Wort. Solche Selbstgerechtigkeit findet er äußerst belustigend und beschließt ein wenig in den offensichtlichen Schuldgefühlen des Blonden herum zu bohren um zu zusehen wie er sich windet.

„Engel“, antwortet er mit deutlicher Belustigung, scheinbar völlig unbeeindruckt von dem implizierten Vorwurf. „Sieh an du hast versagt.“

Mit einem Grinsen lässt er sich neben dem toten Körper auf die Knie sinken, so dass er nun dem Engel frontal gegenüber hockt, während sich seine Hose mit dem Blut voll saugt, aber das kümmert ihn nicht sonderlich im Moment. Zufrieden beobachtet er den Schmerz der auf seine Äußerung hin über das blasse Gesicht zuckt.

„Ich werde Buße tun.“

Der Engel schaut beschämt zur Seite. Mehr scheint ihm nicht einzufallen zu seiner Verteidigung. Er ist noch jung und unerfahren, so viel wird offensichtlich durch seine Worte, die den Dämon nun doch in Gelächter ausbrechen lassen.

„So, wirst du das.“

Kindliche Lippen, aufeinandergepresst in wütender Scham und ein stummes, trotziges Nicken.

„Und wen wird das kümmern? Niemand hat etwas davon wenn du leidest kleine Schneeflocke.“

„Aber ich muss doch etwas tun! Sonst ist sie verloren!“

Plötzlich scheint er nur noch hilflos in seiner verzweifelten Unwissenheit. Es ist lange her dass der Dämon dass letzte Mal eine solch verlockende Unschuld und Opferbereitschaft zu Gesicht bekommen hat und der Anblick des Engels, verzagt und ratlos stellt eine Versuchung dar der er einfach nicht widerstehen kann. Langsam, jeden Augenblick genießend beugt er sich vor, bis seine Lippen die des Engels berühren. Ein flüchtiger Kontakt, fast gar nicht vorhanden, wie das Streicheln einer warmen Windböe im Sommer und doch erschüttert dies den Engel bis in sein Innerstes. Er weicht hastig zurück und gibt wieder dieses Zischen von sich, diesmal gemischt mit mehr als nur Überraschung, die blauen Augen schockiert geweitet.

„Was tust du?“ Will er alarmiert wissen und der Dämon grinst wieder.

„Ich lasse dich büßen, so wie du es wolltest.“

„Das ist keine Buße!“

Das Grinsen verbreitert sich.

„Doch natürlich“, schnurrt der Dämon hinterlistig. „Solange du dabei leidest ist es Buße.“

Dass er lügt muss der Engel nicht unbedingt wissen. Er ist selbst schuld wenn er nicht über die Regeln bescheid weiß.

„Du…“

Der Engel hebt nun abwehrend eine Hand zuckt jedoch erschrocken zusammen als er das Blut bemerkt das daran klebt. Kann es dafür überhaupt eine Absolution geben? Sich an das scheinheilige Versprechen des Schwarzhaarigen zu klammern ist verlockend in diesem Augenblick.

„Nein…“

Eine einzelne Träne rinnt über die glatte Wange. Der Dämon ergreift überraschend sanft die blutigen Finger und beginnt sie genüsslich abzulecken bis der Andere anfängt leise zu wimmern. Dann lächelt er und zieht ihn langsam zu sich heran.

„Doch.“

Mehr Tränen, salzige Küsse doch keine Gegenwehr, stattdessen hilfloses Keuchen. Scheinbar ist der Engel wirklich entschlossen zu büßen. Der Dämon lässt sich nicht lange bitten, ist es doch seine Aufgabe Strafe auszuteilen wo sie gebührt, auch wenn es heute auf andere Art geschieht als sein heller Gegenpart vielleicht erwartet hat. Und nachdem er schon Leiden und Schmerzen versprochen hat muss er sich nicht einmal zurückhalten.

Als der Morgen graut erwacht der Engel auf dem harten Steinboden, neben der blicklos ins Leere starrenden Leiche und immer noch umgeben von Blut, das inzwischen zum größten Teil getrocknet ist. Der Dämon ist bereits fort und hat ihn dort zurückgelassen, allein mit seiner verlorenen Unschuld.

Folgen

Die Folgen
 


 

Was hat ihn nur dazu getrieben? Nun hat er nicht nur in der Aufgabe versagt um die er so lange gebettelt hatte, nein dazu ist er jetzt auch noch besudelt durch die Berührung des Dämons. Wieso hat er es nur zugelassen? Wieso hat er nur so störrisch darauf bestanden ausgerechnet zu dieses Mädchen in seine Obhut zu nehmen, wo doch selbst Erfahrenere zögerten und ihm nachdrücklich abrieten. In einem letzten verzweifelten Versuch sie von ihrem Tun abzuhalten hat er zum Schluss sogar gegen jede Regel gehandelt, die sichere astrale Form der Schutzengel aufgegeben und ist in einen Körper geschlüpft, in der verzweifelten Hoffnung sie doch noch zu überzeugen, aber all sein Flehen hat nichts genützt und nun ist er hier gestrandet.

Ein Versager, gefangen in einem irdischen Körper, dazu verdammt zu warten bis jemand nach ihm sucht und ihn zurückbringt, denn nach Hause kann er nun nicht mehr aus eigener Kraft. Dazu ist er nicht alt, nicht mächtig genug nachdem er seine Energie hier so nutzlos verschwendet und in fleischlicher Form gebunden hat.

Tränen der Hoffnungslosigkeit sammeln sich in seinen Augen. Was soll er jetzt bloß tun? Das schmerzhafte Bewusstsein völliger Hilflosigkeit steigt in ihm auf. Hier ist er, allein zurückgelassen mit nichts um ihm weiterzuhelfen. Mutlos schaut er sich um und schreckt zusammen als er sieht, dass seine letzte Annahme doch nicht völlig korrekt war. Er hat einen Namen. Den Namen des Dämons, der wie eine letzte lachende Verhöhnung mit dem Blut seines toten Schützlings an die Wand geschrieben wurde. Isrial.

Er denkt zurück an die gestrigen Ereignisse, die schwarzen Augen des Anderen, so voll von stillem, herablassenden Gelächter, die ihn nicht mehr losließen, gegen deren Kraft er sich nicht wehren konnte. Die Berührungen, zuerst so täuschend sanft, die bisher nie gekannte Gefühle und Schmerzen hervorriefen und seine eigene Verzweiflung die alles so bedeutungslos erscheinen ließ. Wieso hätte er auch noch Widerstand leisten sollen wenn doch alles schon verloren war? Heute bedauert er diese apathische Reaktion. Sich so sehr in Trauer versinken zu lassen hatte ihn zu angreifbar gemacht und nun muss er die Folgen tragen.

Was mag Isrial gerade tun? Prahlt er mit seiner Tat? Bei dieser Vorstellung fängt der Engel wirklich an zu weinen. Seine Schande schonungslos ausgebreitet vor allen die sie sehen wollen, während er machtlos ist und nichts dagegen tun kann. Schluchzend klaubt er sein blutiges Gewand vom Boden, hält jedoch inne als ihm klar wird, dass er sich so gekleidet kaum in die Stadt wagen kann wenn er unauffällig bleiben will. Was bleibt jetzt noch?

Bei der Vorstellung die Kleider der Toten zu tragen sträubt sich alles in ihm, aber welche andere Möglichkeit hat er denn? Durch die langen blonden Haare und seine schlanke, zartgliedrige Statur, die ihn problemlos als Mädchen durchgehen lassen, wird er so weniger Aufmerksamkeit erregen als in dieser weiten, wallenden Robe. Immer noch haltlos heulend macht er sich mit fahrigen Bewegungen daran die abgetragenen Kleider von dem unbeweglichen Körper zu zerren und verwendet dann noch ein wenig mehr seiner kostbaren Energie darauf sie vom Blut zu reinigen und seine Flügel zu verbergen. Den ungewöhnlichen Hauch von Grau in dem normalerweise weißen Gefieder ignoriert er dabei mit der Entschlossenheit der Verzweifelten. So verkleidet hüllt er die kalte Leiche sorgsam in die Überreste seines eigenen Gewandes und streicht ihr zum Abschied noch einmal sanft durch die verfilzten, schwarz gefärbten Haare, bevor er sich endgültig abwendet und leise schniefend das Gebäude verlässt.

Der Wald scheint sich gegen ihn verschworen zu haben. Alle paar Schritte bleibt er an irgendwelchen Zweigen hängen oder tritt in schlammige Pfützen, die verborgen unter einer trügerisch trockenen Schicht von Blättern nur auf ihn gewartet zu haben scheinen. Als der erschöpfte Engel endlich einen der Hauptwege erreicht hat macht sich Erleichterung in ihm breit. Nur raus aus diesem feindseligen Gesträuch denkt er sich und eilt in Richtung Stadt weiter. Die stille Schönheit vom taufeuchten Moos das verhalten in der dunstigen Herbstsonne glitzert kann er heute weder wahrnehmen noch würdigen.

Eisiger Wind durchdringt den dünnen Stoff des grünen Pullovers sowie den des eng sitzenden T-Shirts darunter mit Leichtigkeit und er fragt sich mit klappernden Zähnen wie das Mädchen diese Kälte nur den ganzen Tag ausgehalten hat. Auch die kontinuierliche Bewegung hilft nicht viel gegen das schmerzhafte Prickeln in seinen Fingern und zu allem Überfluss fängt nun dieser Körper, den er sich so unüberlegt geschaffen hat, an ihn mit eindeutigen Hungergefühlen zu belästigen. Aber wo soll er in dieser feindseligen Welt etwas zu Essen herbekommen? Der Anblick der ersten Häuser kann ihn nicht aus seiner Mutlosigkeit reißen, doch er läuft dennoch weiter, weil sonst der grausame Wind, der erbarmungslos an den schlanken Gliedern nagt, noch viel kälter scheint.

Die sauberen, abgezirkelten Gärten, die vor den makellosen Neubauhäusern angelegt wurden, wirken so abweisend dass er nicht wagt die Bewohner um Hilfe zu bitten. Misstrauische Blicke folgen ihm durch weiße Spitzenvorhänge und er beeilt sich diese Gegend zu verlassen, wo seine Person so unerwünscht ist.

Eine Stunde und einmal schuldbewusstes Schwarzfahren später, findet sich der Engel im Stadtzentrum wieder, wo kaum noch jemand auf ihn achtet. Erschöpft hockt er sich neben eine staubige U-Bahn Treppe. Dort ist es wenigstens ein kleines bisschen wärmer als draußen und er kann sich in relativer Ruhe Gedanken über seine Lage machen, während die Menschheit an ihm vorbeihastet.

Es kommt nicht viel bei seinen Überlegungen heraus. Er hat kein Geld, keinen Platz zum schlafen und kennt auch niemanden hier außer einem arroganten Dämon. Bei diesem Gedanken muss er erneut gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen. Die Einsamkeit frisst sich langsam in sein Herz und droht ihn endgültig zu lähmen. Schnell springt er auf und läuft weiter, um den drückenden Gefühlen zu entkommen die ihn aber doch nicht verlassen werden, so weit er auch rennen mag.

Auf seinen ruhelosen Streifzügen durch Supermärkte, glänzende, wimmelnde Geschäfte voll mit Kleidern und Neuheiten wird ihm klar, dass er unbedingt Hilfe braucht um hier zu überleben. Gerade steht er mit sehnsüchtigem Blick vor einem Glas Gurken, da fühlt er wie ihn ein Blick streift, voll Belustigung und Herablassung. Das kann nicht sein! Entgeistert wirbelt er herum und erblickt Isrial inmitten einer Gruppe abgerissener Jugendlicher, die sich gerade darüber streiten ob sie genug Geld für Bier haben.

Der Dämon zwinkert ihm zu und grinst boshaft, bevor er auf einmal, mit der ganzen Truppe im Schlepptau, auf ihn zukommt. Erschrocken will der Engel die Flucht ergreifen, aber er kommt nicht weit und nach ein paar Schritten ist er bereits eingekreist. Unruhig schaut er um sich. Noch stehen alle entspannt da ohne Anstalten zu machen aggressiv werden zu wollen. Der Geruch von Alkohol vermischt mit Schweiß geht von ihnen aus und der Engel muss sich zurückhalten um nicht die Nase zu rümpfen. Keine besonders angenehme Gesellschaft die Isrial da pflegt.

„Was willst du hier?“ Fragt der Schwarzhaarige gerade misstrauisch.

„Ich äh… wieso? Was meinst du?“

Ein genervtes Augenrollen.

„Ich meine warum bist du hier und nicht zuhause wo du hingehörst?“

Der Engel schluckt nervös.

„Ich kann nicht zurück“, sagt er, so leise dass man ihn kaum hören kann über der aufdringlich fröhlichen Kaufhausmusik. „Ich bin zu schwach.“

„Geht ihr schon mal das Zeug besorgen. Ich muss hier noch was klären.“

Eine knappe Handbewegung und die restlichen Jugendlichen zerstreuen sich. Der Engel will alarmiert zurückweichen, aber da hat ihn Isrial schon am Kragen gepackt und nah herangezogen.

„Zu schwach hm?“ sagt er leise. „Wieso erzählst du mir das und offenbarst deine Schwäche? So naiv kannst du gar nicht sein! Was tust du wirklich hier?“

Nach einem misslungenen Versuch sich unauffällig loszumachen antwortet der Blonde schließlich gepresst: „Du hast gefragt. Ich habe dir gesagt ich kann nicht weg. Das ist die Wahrheit. Und jetzt lass mich los!“

Doch der Griff lockert sich nicht.

„Soso, du kannst nicht weg. Und wie willst du das überstehen kleiner Unschuldsengel? Du hast doch nicht die geringste Ahnung wie das Leben hier läuft. Bestimmt hast du doch Jemanden den du um Hilfe rufen kannst oder? Wieso bist du nicht bei denen? Wieso folgst du mir?“

„Ich folge dir gar nicht!“ faucht der Engel, der inzwischen fast am Ende ist mit den Nerven. „Ich habe niemanden. Sie würden mich auch gar nicht erkennen jetzt wo ich den Körper habe. Keiner weiß wo ich bin oder was geschehen ist. Ich bin hilflos! Bist du jetzt zufrieden Isrial?“

„Verarsch mich nicht!“ Knurrt der Dämon jetzt wütend. „Wieso verfolgst du mich? Hä? Wen willst du mir auf den Hals hetzen?“

Jetzt hat auch der Engel genug. „Es geht hier nicht um dich!“ erklärt er in schon gefährlich hysterischem Tonfall. „Es geht hier einzig und allein um mich! Es ist mein Leben das zerstört ist nicht deins! Du hattest deinen Spaß und jetzt lass mich endlich gehen!“

Damit bricht er wieder in Tränen aus und wäre einfach auf dem Boden zusammengesunken, würde er nicht aufrecht gehalten von dem Dämon, dem nun dämmert dass ihn der andere vielleicht wirklich nicht anlügt. Verstohlen riecht er an den blonden Haaren, während der Engel mit seinen Tränen seine Jacke befeuchtet und gar nicht mehr zu realisieren scheint an wem er da gerade hängt. Es ist immer noch derselbe verwirrende, aber gleichzeitig faszinierende Geruch wie Gestern, grün und frisch, seltsam lebendig, wie ein sonnenbeschienenes Blatt.

Dennoch, ganz überzeugt ist er noch nicht, aber wenn der Andere wirklich so schwach ist wie er behauptet gibt es eine einfache Möglichkeit dies herauszufinden.

„Wie ist dein Name?“ fragt Isrial mit leiser, schmeichelnder und auf einmal ganz sanfter Stimme und der Engel, noch immer völlig aufgelöst, antwortet ohne nachzudenken.

„Sariel.“

Das darauf folgende befriedigte Lächeln des Dämons kann er nicht sehen. Könnte er es, würde er wahrscheinlich auf der Stelle fliehen so schnell es ginge.

„Küss mich Sariel“, sagt er und diesmal vibriert seine Stimme geradezu vor Macht. Der Engel zuckt zwar erschrocken zusammen, aber er kann sich in seinem ausgelaugten Zustand nicht widersetzen, muss sich der Macht des Stärkeren beugenden und Befehl ausführen.

Zwei Lippenpaare treffen aufeinander in der Parodie eines leidenschaftlichen Kusses und als sie sich voneinander lösen steht tiefe Erschütterung in den blauen Augen Sariels.

„Das ist nicht dein Ernst“, wispert er entsetzt. „Das kannst du nicht machen!“

Der Andere hat ihn nun endlich losgelassen, doch frei zu gehen ist er damit noch lange nicht.

„Und ob ich kann.“ Grausame Belustigung spiegelt sich in dem arroganten Gesicht. „Du selbst hast mir die Macht gegeben indem du mir freiwillig deinen Namen verrietest.“

Er wendet sich ab.

„Komm.“

„Nein! Ich will nicht. Lass mich gehen!“

Isrial schenkt ihm ein weiteres rasiermesserscharfes Lächeln.

„Willst du dass ich dich zwinge… Sariel?“

„Aber ich habe nicht gelogen. Wirklich! Wieso tust du mir das an?“ will der Blonde verzweifelt wissen.

„Weil ich es kann und jetzt komm endlich.“

Damit packt er den Engel einfach am Arm und zieht ihn hinter sich her durch den gut besuchten Supermarkt. Eigentlich ist sein Handeln ziemlich unklug. Er könnte noch ernsthafte Probleme bekommen falls doch einer der mächtigeren Engel nach Sariel suchen sollte, aber es ist einfach zu verlockend als dass er diese Macht, die ihm der unerfahrene Junge einfach so übergeben hat, ignorieren könnte.

Er erinnert sich an andere die dasselbe Spiel mit ihm getrieben haben. Niemals wieder beschließt er grimmig, niemals wird er sich wieder so benutzen lassen. Er hat seine Lektion gelernt und der Engel wird das nun auch tun. Letztendlich ist es nur zu seinem Besten.

Kapitel 3

Ein unerwartetes Treffen
 

Eine schlanke Gestalt hockt, vorsichtig darauf bedacht nichts zu berühren, neben der kalten, in ein blutverschmiertes Engelsgewand gewickelten Leiche. Dreck auf dem teuren, schwarzen Stoff seines Anzuges käme ihm sehr ungelegen. Die einzelne Strähne langen aschblonden Haares die sich aus dem Zopf gelöst hat, wird unwirsch hinter ein perfektes Ohr gestrichen.

Was ist nur vorgefallen? Die Umstände die er hier vorgefunden hat sind äußerst rätselhaft. Wäre Isrial für den Tod dieser Frau verantwortlich, wie der Name an der Wand andeutet, müsste ihre Seele längst an ihrem Bestimmungsort angekommen sein. Sie war es auch beinahe, laut dem zuständigen Dämon, ist jedoch im letzten Augenblick wieder entschwunden. Diese Angelegenheit erfordert eindeutig Nachforschungen und genau deshalb ist er jetzt hier.

Eine weitere Person erscheint wie aus dem Nichts, auch sie blond, mit einem Anzug, der seltsame Ähnlichkeit mit jenem aufweist den unser Erstankömmling trägt. Sie scheint nicht sonderlich überrascht noch jemanden anderes hier anzutreffen.

„Azrael.“

Eine nüchterne Anerkennung seiner Anwesenheit nichts weiter. Diese scheinbare oder möglicherweise sogar echte Gleichgültigkeit ruft ein leises, bitteres Lächeln hervor. Einst hat er selbst sehr viel mehr bei dieser Person hervorgerufen als dieses eisige Desinteresse. Aber das ist lange her. Sehr lange. Es braucht einiges an Entschlossenheit um diese Erinnerungen zu verbannen.

„Du kommst spät Raphael.“

„Nun dann hast du ja sicher bereits eine Erklärung gefunden.“

Die Geste mit der die offenen goldblonden Haare zurückgeworfen werden wirkt gewollt kühl, arrogant. Soll sie etwas anderes, tiefer gehendes verbergen? Er sollte aufhören darüber nachzugrübeln.

„Wie kommt die Selbstmörderin zu uns?“

Azrael weist stumm auf das blutige Gewand und schaut mit heimlicher Befriedigung zu, wie hellbraune Augen sich zum ersten Mal seit vielen Jahren in Unglauben weiten. Also ist es doch nicht nur eine gefühllose Hülle die da vor ihm steht.

„Sariel hat ihre Stelle eingenommen?“

Stummes Kopfschütteln. Wie befreiend endlich wieder ein Gefühl auf diesen gefrorenen Zügen zu sehen und sei es nur Frustration. Es ist zu lange her. Die gewünschte Information vorzuenthalten wäre vielleicht noch besser, aber die bittersüße Erinnerung an frühere Zeiten lässt ihn schließlich doch antworten.

„Nein. Er ist nie bei uns aufgetaucht. Es scheint als hätte er den anderen Weg eingeschlagen.“

Obwohl es kaum möglich scheint werden die Augen noch um einen Bruchteil weiter als zuvor.

„Das ist unmöglich! Er hat keine Ahnung, ist viel zu jung um darüber bescheid zu wissen.“

„Unter diesen Umständen ist die Lage natürlich verständlich. Wie leichtsinnig von euch dieses Mädchen in die Obhut eines derart Unerfahrenen zu geben.“ Ein spöttisches Lächeln schleicht sich auf Azraels Züge. „Jetzt muss er wohl mit den Folgen seiner und eurer Handlungen leben.“

„Wir müssen es rückgängig machen!“

Zusammengepresste Lippen und die schlecht verborgene Sorge, die aus dem delikaten Gesicht leuchtet, rufen eine ungläubige Belustigung hervor. Raphael: Immer besorgt um andere. Er selbst konnte diese Gefühle noch nie recht nachvollziehen. Nicht einmal zu jener lange vergangenen Zeit, als er selbst noch in den Diensten des Himmels stand. Vor seinem Fall. Seine Sorge gilt nur denen die ihm wirklich etwas bedeuten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt also ausschließlich ihm selbst.

„Wir?“

Glaubt Raphael tatsächlich ihn einfach für seine Zwecke einspannen zu können? Was kümmert es ihn denn wenn der junge Engel leidet in seinem selbst gewählten Schicksal? Es gibt unzählige andere die ebenfalls die Ungerechtigkeiten dieses Lebens erdulden müssen, ohne dass es irgendjemanden berührt.

„Wir müssen gar nichts.“

Er wendet sich zum gehen. Vielleicht sollte er nach diesem Sariel suchen. Ihn leiden zu sehen würde möglicherweise auch Raphael Schmerzen zufügen. Verdient hätte er es.

„Warte!“

Eine Hand umklammert mit unnachgiebigem Griff seinen Arm und leider erinnert dieser direkte Kontakt, so unpersönlich er in diesem Moment auch sein mag, ihn an andere lang zurückliegende und doch unangenehm gegenwärtig scheinende Berührungen. Wie wäre es wohl noch einmal seine Finger über diese samtige Haut gleiten zu lassen, ihnen mit den Lippen zu folgen und auf den leisen Schauer zu hoffen der manchmal darauf folgte. Aber das ist lange vorbei, auch wenn der Schmerz der Zurückweisung immer noch frisch ist in seinem Gedächtnis.

„Was?!“

Die kurze Frage ist unfreundlicher ausgefallen als er eigentlich beabsichtigt hatte. Sie gibt eindeutig zu viel von dem inneren Auffuhr preis, der zurzeit in seinem Geist herrscht. Unsanft entzieht er sich, bleibt jedoch abwartend stehen nachdem er eine erträgliche Distanz zwischen sich selbst und dem beunruhigenden Engel geschaffen hat. Jetzt zu gehen ohne ihn anzuhören würde aussehen wie eine Flucht und sein beträchtlicher Stolz erlaubt ihm nicht diesen Eindruck zu erwecken.

„Wer ist Isrial?“



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von: abgemeldet
2009-08-09T16:23:29+00:00 09.08.2009 18:23
hey :)
die ff ist echt traurig :( ich hoffe, isrial behandelt sariel jetzt besser. der kleine tut mir soo leid :(
ich hoffe es geht bald weiter :)
mag deinen schreibstil sehr :D
ggglg yoko


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