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Wie Kobold Dummheit steigert

Sommerwichtelgeschichte für ChinChila
von

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Nichts ist so spannend wie ein neues Gerücht

Es hatte sich herumgesprochen wie ein Lauffeuer. Oder schneller, wenn das überhaupt noch möglich war. Holly glaubte nicht, dass sich eine Nachricht jemals so schnell in der ZUP verbreitet hatte, seit dem Aufstand, der ihrer Ernennung zum Captain der Aufklärung gefolgt war. Vielleicht reagierte sie etwas sehr empfindlich... vielleicht. Aber das würde ihr wohl kaum einer nachsehen. Außerdem... nein, sie reagierte kein bisschen überempfindlich. Immerhin ging es wieder einmal um sie.

Um sie und um Captain, nein, inzwischen Major, Trouble Kelp.
 

„Ich wusste es! Das musste ja passieren“, murrte Holly zwischen zwei Schlucken ihres Milchshakes. „Lili Frond natürlich. Wer sonst?“

Man tuschelte über sie, daran bestand kein Zweifel. Bemüht unauffällig sah sie sich um. Auf den ersten Blick wirkte die Szene normal. Oder was man eben normal nennen konnte, wenn man von der alltäglichen Mittagspause in der ZUP-Kantine redete.

Die Feenmänner besetzten wie immer die Tische im oberen Bereich, die mit Seilen von der Decke herabhingen. Sparte Platz und gab den Männern wieder eine großartige Gelegenheit ein wenig damit anzugeben, dass sie die einzigen Unterirdischen waren, die von Natur aus mit Flügel geboren wurden.

Auch die Gnome hatten ihre eigenen Tische. Etwas kleiner gebaut aus Rücksicht darauf, dass sie ansonsten kaum über die Tischplatte hätten schauen können. Nur die Hälfte war derzeit besetzt, was in Anbetracht der neusten Ereignisse trotzdem schon eine Menge war.

Für die Zwerge waren keine eigenen Tische vorgesehen angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der Zwerge, die sowohl das nötige Können als auch überhaupt erst den Wunsch, der ZUP überhaupt beizutreten, nachweisen konnten, verschwindend gering war. Und sie zudem einen Kubikkilometer frischer Erde normalerweise einem Mittagessen vorzogen.

Den größten Teil der Kantine nahmen allerdings die Tische ein, an denen die Elfen zu speisen pflegten. Die starke Gruppenbildung schlug hier ganz besonders zu. Rechts die Gruppe blonder Elfen der Reserveeinheit, größtenteils Frauen, unter inoffizieller Führung von Corporal Lili Frond, die nur zu gerne Hollys Platz in der Aufklärung haben würde. Links und in der Mitte die Officer aus den Aufklärungs-, Technik- und Bergungseinheiten.

Soviel zur Normalität der Szene.
 

Als weitaus ungewöhnlicher erwies sich die totengleiche Stille, die über der gesamten Szene lag wie ein eiserner Vorhang. Abgesehen von dumpfen Klappern des Einmalbestecks auf den Tellern und gelegentlichem Murmeln war es ruhig. ZUP-Elfen, die in ihrer Mittagspause mal den Mund hielten? Eigentlich hatte sie gedacht, dass die noch erfunden werden müssten. Aber nein, ein neues Thema, das alle brennend interessierte, reichte wohl vollkommen aus.

„Wie du es schilderst, ähnelt es einem Weltuntergang.“

Holly wandte sich von der Beobachtung der anderen Tische ab und fixierte dafür wieder ihren Gegenüber. Sofort hatte sie das Gefühl die Blicke sämtlicher Anwesender im Rücken zu spüren.

„Es ist nur ein Date, kein--“

„Kein Wort mehr, Trouble“, unterbrach Holly den Elf. Der Milchshake wurde unsanft auf den Tisch abgesetzt und einige Schlucke schwappten über den Rand. Egal, das Zeug hatte ohnehin widerlich geschmeckt. Unbeachtet bildete sich auf der Platte eine kleine Pfütze.

„Es ist nicht einmal ein Date, wenn man es genau--“

Eine weitere Unterbrechung. „Aber alle denken, es wäre eines!“ Sie starrte wieder hinüber zu den anderen Tischen, wo sofort alle sehr beschäftigt waren mit der Betrachtung von etwas völlig Uninteressantem. Alle außer... „Frond! Warum kann sie auch nie ihren Mund halten.“

„Tut mir Leid“, kam es ganz zerknirscht von Trouble Kelp. Denn leider war es sein Gespräch mit dem Commander gewesen, dass Corporal Frond mit angehört hatte. Und was Lili Frond hörte, blieb nie lange ein Geheimnis.
 

Holly seufzte und schob nun auch das nur zur Hälfte geleerte Tablett mit dem Mittagessen beiseite. „Versuchen wir das Beste daraus zu machen. Je schneller wir mit diesem Auftrag durch sind, desto schneller können wir dieses Missverständnis aufklären.“

„Ich hoffe es“, sagte auch Trouble Kelp, obwohl die nötige Überzeugung in seinen Worten fehlte. Holly schob es schlicht auf die Müdigkeit. Von Commander Root wusste sie, dass Trouble gestern noch bis vier Uhr morgens im Präsidium geblieben war. Ganz schön bewundernswert. Er hatte sich seinen neuen Posten als Major definitiv verdient.

Und auch seine Bemühung war nicht umsonst gewesen. Jetzt hatten sie eine Spur. Endlich.

„Holly...“

Dieses eine Wort reichte aus, um sie wieder aus ihrer Gedankenwelt herauszureißen. Obwohl es eigentlich nicht das Wort an sich war. Wenn sie nicht gerade im Dienst waren, sprachen sie sich immer mit Vornamen an. Viel eher weckte der Tonfall ihre Aufmerksamkeit.

Der Elf kämpfte offensichtlich mit den Worten. Er setzte mehrmals zum Sprechen an. Etwas für ihn ganz und gar Untypisches, das seit gestern aber immer wieder auftrat.

„Ja?“, fragte sie irgendwann, nachdem beinahe eine Minute still vergangen war.

„Holly... Isst du das Dessert nicht mehr?“

Die Frage traf sie unvorbereitet, weshalb sie erst einmal ziemlich verwirrt aussah. Das war nicht ernst gemeint, oder? Probe halber schob sie ihm allerdings die Schale mit dem Brennnesselsalat entgegen. „Möchtest du?“

Nicht weit entfernt erklang ein leises Kichern und das Gemurmel an den anderen Tischen wurde für einen Moment lauter als zuvor.

„Nein... nein, eigentlich nicht“, wehrte der Major jetzt ab und hob die Hände. „Ich dachte nur--“

Doch Holly hörte schon gar nicht mehr zu. Sie war von ihrem Sitz aufgesprungen, hatte sich ihr Tablett geschnappt und war damit nun auf dem Weg zum Cleaner. Dabei versuchte sie wieder einmal die neugierigen Blicke zu ignorieren, die ihr folgten.
 

Der Cleaner summte ganz leise, während er sich an die Arbeit machte, Tablett, Teller, Besteck und Essensreste voneinander zu trennen und danach alles zu recyceln. Eigentlich war sein Name eine Fehlinterpretation, aber wen kümmerte das, wenn er schön einprägsam war und außerdem gute Arbeit leistete. Tablett reinstellen, Knopf drücken und alles andere erledigte die Maschine. Und obwohl das schon so einfach war, dass jeder Dummkopf damit umgehen konnte, gab es immernoch Leute, die sich darüber beschwerten, dass der Cleaner die Tablette nicht direkt von den Tischen abholte.

Trouble holte Holly ein, als sie dem Cleaner gerade wieder den Rücken kehren wollte.

„Willst du mich jetzt fragen, was du eigentlich wissen wolltest?“

Bevor er darauf antwortete, stellte der Elf seinen eigenes Tablett in den Cleaner und drückte den Knopf. Holly kam es vor, als würde er sich für irgendetwas wappnen. Beunruhigender Weise machte es ihr Angst vor dem, was nun kommen würde.

Trouble drehte sich wieder zu ihr um, druckste noch einen Moment herum und stellte dann die Frage. „Was ziehst du heute Abend an?“

„Was?“ Das war vermutlich die letzte von allen Fragen, mit denen Holly in diesem Augenblick gerechnet hatte. Ungläubig sah sie den Elfen vor sich an. Ein besonders schlechter Klon von Trouble Kelp, anders konnte sie es sich gerade einfach nicht erklären.

„Ich meine... die Farbe... ach egal. Vergiss‘ es einfach!“

Und bevor er ihr auch nur die Chance gab, daraufhin noch etwas zu erwidern, flüchtete Trouble Kelp durch die Drehtür der Kantine nach draußen.

Kein Wochenende

Bevor es in der Erzählung nun weitergeht mit dem romantischen Abendessen in einem der besten Fünf-Eicheln-Restaurants von Haven City, wäre es vielleicht ganz interessant zu wissen, wie es überhaupt zu diesem Date zwischen Holly Short und Trouble Kelp kam. Die Umstände waren, wie man es den vorherigen Absätzen schon ansieht, alles andere als gewöhnlich. Haven City steckte wieder einmal in einer Krise.

„Und zwei der besten Officer der ZUP haben in einer solchen Krisensituation nichts Besseres zu tun, als gemeinsam essen zu gehen?“

Ja, das ist die Frage. Aber fangen wir besser von vorne an.
 

Es war nun genau drei Tage her. An diesem Sonntagmorgen ließ Holly sich, ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, von dem völlig aus der Mode gekommenem Radiowecker aus dem Reich der Träume holen. Der Wecker war ein Geschenk ihrer Tante Oatty und das allein war auch der einzige Grund, weshalb er bisher noch nicht in der Mülltonne gelandet war. Benutzt hatte sie ihn zuvor auf jeden Fall kein einziges Mal.

Und nachdem sie an diesem Morgen beschallt von den erschreckend schiefen Tönen der Wichtelpopband aus „Haven sucht den Superstar“ von einem Moment auf den anderen hellwach wurde, aufsprang und den Wecker mit einem brutalen Schlag zum Verstummen brachte, stand auch fest, dass er auch niemals wieder zum Einsatz kommen würde.

Verschlafen rieb sie sich über die Augen und beschloss dann erst einmal zu duschen. Zum Glück hatte sie die Zeit dafür mit eingerechnet. Ohne Dusche morgens konnte sie einen Tag sofort abschreiben.
 

Weshalb die Elfe an einem eigentlich dienstfreien Tag überhaupt so früh aufstand und es sogar für sicher hielt, einen Wecker zu stellen?

Der Grund war folgender: Seit gestern war das große Museum der Untergrundgeschichte in Haven City Gastgeber einer ganz besonderen Ausstellung. Das Thema lautete „Verlorene Erinnerungen“ und befasste sich mit allem, angefangen bei dem Verschwinden der Dämonen bis hin zu Theorien über das Zurückbilden der Flügel bei den Elfen, was in irgendeiner Weise mysteriös und nebulös war. Kronjuwel dieser Ausstellung war ein zigtausend Jahre alter, ovaler Steinbrocken. Holly hielt es zwar für absoluten Humbug, doch die Veranstalter warben tatsächlich mit der Tatsache, dass sie damit angeblich das letzte verbliebene Drachenei präsentieren würden.
 

Ob nun Wahrheit oder Schwindel, auf jeden Fall zahlten die Leute anständig für eine gute Überwachung. Ein dutzend ZUP-Officer waren extra für die Bewachung der Ausstellung abkommandiert worden und Foaly selbst hatte ein Auge auf das Sicherheitssystem.

Und eben jenem Umstand hatte Holly es zu verdanken, dass sie an einem Sonntagmorgen so früh aufstehen musste. Foalys Untersuchungen waren nämlich auf eine Anomalie im System gestoßen. Angesichts der Tatsache, dass er keinen blassen Schimmer hatte, wo diese kuriosen Werteparameter herkamen, und seiner ausgeprägten Paranoia hatte er auf der Stelle Sicherheitsstufe B für das gesamte Museum ausrufen lassen.

Womit Hollys wohlverdientes Wochenende gestrichen war.
 

Eine Stunde nach der Wecker-Attacke meldete sie sich in der Überwachungszentrale. Commander Root war zu ihrem großen Erstaunen ebenfalls vor Ort und – das allerdings überraschte Holly gar nicht – war mit seiner ganz eigenen Methode der Problemlösung beschäftigt. Indem er andere Leute zur Schnecke machte.

Sein bedauernswertes Opfer erwies sich in diesem Fall als Leiter des Geschichtsmuseums, der sich allem Anschein nach über die zusätzlich in den Gängen postierten Sicherheitsbeamten beschwert hatte. Was sich nun als großer Fehler herausstellte.

„Ob und wie Ihnen das passt, interessiert mich herzlich wenig. Ob es die Besucher abschreckt sogar noch eine ganze Ecke weniger“, brüllte der Commander und der verschreckte Gnom wurde unter seinem bohrenden Blick noch etwas kleiner, als er es ohnehin schon war. „Die bewaffneten Truppen gewähren die Sicherheit im Gebäude. Wenn Sie also lieber die Sicherheit der Besucher als die Sicherheit ihres jährlichen Einkommens riskieren wollen, bereiten Sie sich besser schleunigst darauf vor, dass die Ausstellung komplett geschlossen wird.“

Daraufhin erwiderte der Museumsleiter nichts mehr. Was hätte er da auch noch sagen sollen? Allerdings war er ziemlich bleich geworden um die lange Nase herum. Nicht ungewöhnlich. Diese Wirkung hatte Commander Root auf die meisten Unterirdischen. Und obwohl Holly einigermaßen Mitleid mit dem armen Kerl hatte, war sie doch sehr froh darüber, dass er den Commander davon abgelenkt, dass sie bereits drei Minuten zu spät erschienen war. Was die Pünktlichkeit seiner weiblicher Officer – seines einzigen, weiblichen Officers – anging, verstand Root keinen Spaß. Eigentlich verstand er fast überhaupt keinen Spaß. Obwohl er sofort steif und fest behauptete hätte, dass bloss keiner seine Art von Humor begreifen würde.
 

Der Commander bearbeitete den Gnom noch eine Weile, doch Holly schaltete bereits auf Durchzug. Der Umstand, dass Root einmal jemand anderen als sie zusammenschrie, rückte die Tatsache, dass es Sonntagmorgen und dieser Job eigentlich stupide genug für einen Troll war, schnell beiseite.

Sie zog sich einen der Druckluft betriebenen Schwebesessel heran und ging einmal die Bilder sämtlicher Überwachungskameras auf dem großen Monitor durch. Die ZUP-Sicherheitsleute patrouillieren in den Gängen und den großen Ausstellungssälen. Viele von ihnen machten ein nicht gerade freundliches Gesicht, was aber wohl daran lag, dass sie kaum einen einzigen Schritt machen konnten, ohne zuvor nicht mindestens einen Wichtel, Gnom oder Elf beiseite geschoben zu haben.

Als Letztes holte sie sich das Bild aus dem Königssaal auf den Bildschirm. Dieser Museumsraum war mit Abstand der größte und bildete das Zentrum des gesamten Gebäudes. Manche Leute behaupteten sogar, dass dieser Saal schon deutlich älter war als das Museum und alles anderen nur um ihn herum aufgebaut worden war. Beweise für diese Theorie gab es wie immer keine. Zumindest keine noch lebenden Zeugen. Das Museum stand hier schließlich auch schon an die dreitausend Jahre. Nicht mehr in seiner ursprünglichen Form natürlich und früher war es auch kein Museum gewesen, aber das Gebäude war zweifelsfrei steinalt. Eigentlich an sich schon ein entsetzliches Sicherheitsrisiko. Ein wild gewordener Troll könnte es innerhalb weniger Minuten komplett in Schutt und Asche legen.

Aber nicht die zahllosen Mythen um den Königssaal machten ihn heute zum Ziel sämtlicher Museumsgäste. Mittelpunkt der Aufmerksamkeit war ein schlicht gemeißelter Marmorblock, auf dem, gebettet in ein Samtkissen, das vermeintliche Drachenei lag. Rötlich mit kleinen weißen Flecken drauf, die Holly aus irgendeinen Grund an Fliegenschiss erinnerten. Drachenei? Na sicher.
 

„Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll.“

Die Elfe drehte sich um und schaute geradewegs in Roots Gesicht. Unbemerkt war der Commander hinter sie getreten und hatte über Schulter hinweg ebenfalls die Bilder der Überwachungskameras inspiziert.

Jetzt schob er sich eine seiner unausstehlichen Pilzzigarren zwischen die Lippen und kaute ein wenig darauf herum. „Haben Sie jemals davon gehört, dass es noch Dracheneier geben soll?“

„Nein Sir“, antwortete Holly wahrheitsgemäß. Drachen waren damals nicht einmal Thema in der Schule gewesen. Vermutlich aufgrund der Tatsache, dass sie als ausgestorben galten und keine Unterirdischen gewesen waren. Man stelle sich einmal vor, ein Drache in der Fußgängerzone von Haven...

Auf dem Kontrollbord leuchtete kurz ein gelbes Lämpchen auf. „Foaly?“

Der Commander zuckte daraufhin nur mit den Schultern und drückte den Knopf direkt neben dem Licht. Sofort erschien eine Liveübertragung aus der Kommandozentrale des Zentauren auf dem Bildschirm. Irgendwie sah er übernächtigt aus. Holly hatte bisher nicht gewusst, dass das überhaupt möglich war.
 

„Morgen Holly. Julius.“

„Irgendwelche neuen Erkenntnisse seit gestern?“, fragte der Commander in einem Tonfall, der schon aussagte, dass ein ‚Nein‘ hier keine akzeptable Antwort war.

Foaly trat nervös von einem Huf auf den anderen und Holly schwante bereits Übles. Obwohl sie genau wusste, dass Artemis Fowl einer Erinnerungslöschung unterzogen worden war, galten ihre ersten Gedanken wieder einmal ihm, als sie ein neue Gefahr für Haven City aufziehen sah.

„Na ja, schon“, antwortete der Zentaur Root schließlich zögerlich. „Wird Ihnen aber nicht gefallen, denke ich.“

„Raus damit, Foaly!“ Das Gesicht des Commanders hatte, wie so oft, einen herrlich roten Farbton angenommen und mit jeder verstreichenden Sekunde vertiefte er sich noch um einige Nuancen. „Nun sagen Sie schon!“

Und Foaly sagte es ihm. Da wurde Roots Gesicht von einem Augenblick zum nächsten schlagartig weiß.

Vom Eierdieb und dem Beginn der Suche

Damit war das Wochenende auch noch für den Rest der ZUP-Officer gestrichen worden, die bisher das Glück gehabt hatten, von der Museumsbewachung ausgeschlossen gewesen zu sein. Die Unzufriedenheit war groß. Das Geschrei noch größer. Allen einen Schritt voraus in puncto Beschwerden war auch dieses Mal natürlich Grub Kelp, der normalerweise auch schon bei jeder Kleinigkeit einen Aufstand machte.

Zu ihrem Glück war es allerdings nicht Grub, dem Holly an diesem Abend noch einmal alles schilderte, was Foaly gesagt hatte, sondern dessen großen Bruder Trouble. Major Kelp kam mit seiner Bergungseinheit gerade von einem Oberflächeneinsatz zurück, als das Chaos im Präsidium der Zentralen Untergrundpolizei langsam aber sicher zu eskalieren drohte.
 

„Sag‘ das bitte noch einmal, damit ich ganz sicher sein kann, dass ich das alles richtig verstanden habe. Foaly glaubt, dass das Ei bereits vor Eröffnung der Ausstellung gestohlen wurde.“

Holly nickte müde. Dieses heillose Durcheinander, das hier inzwischen herrschte, zerrte an ihren Nerven. Außerdem war sie sich nicht sicher, wann sie heute zuletzt etwas gegessen hatte. Ihr Magen fühlte sich auf jeden Fall leerer an als ein Fass mit Loch im Boden.

„Irgendjemand muss es gegen ein Duplikat ausgetauscht haben. Täuschend echt, wenn auch nicht völlig identisch. Das echte Ei soll angeblich grüne Flecken haben. Unser Ei allerdings hat weiße“, erklärte sie Trouble.

Der Elf nickte und schien angestrengt über etwas nachzudenken. Keine leichte Aufgabe bei der Hintergrundlautstärke. Hatte denn niemand etwas Besseres zu tun? Sollte nicht eigentlich jeder fähige Officer unterwegs und auf der Suche nach dem verflixten Ei sein? Vermutlich war es genau das, dachte Holly sich sarkastisch. Fähig waren eben nur eine handvoll.
 

„Aber wann genau wurden die Eier vertauscht?“, fragte Trouble nach einer Weile.

Sie hob die Schultern und machte ein ratloses Gesicht. Wenn sie das wüssten, dann hätten sie immerhin schon einen Anhaltspunkt. Doch nicht einmal das hatte Foaly herausfinden können. „Es gibt keine Kameraaufzeichnungen davon, wie das Ei in den Ausstellungsraum gekommen ist. Erst anhand dieser Tatsache ist Foaly überhaupt darauf gestoßen, dass es das falsche Ei ist.“

„Also hätte es eigentlich Aufzeichnungen geben müssen?“

„Sie wurden aus dem Speicher der Kameras gelöscht, bevor sie ihre Daten einmal pro Stunde an den Hauptrechnung schicken. Vermuten wir zumindest.“ Die Alternative – nämlich dass die Aufzeichnungen direkt aus dem zentralen Hauptrechner des Museums gelöscht worden waren – stellten sie sich lieber nicht vor.

„Es gibt demnach keinerlei Anhaltspunkt“, fasste Trouble noch einmal korrekt zusammen. „Uns bleibt nichts anderes übrig, als ziellos überall zu suchen und zu hoffen, dass wer auch immer der Dieb sein mag, seine Beute noch nicht aus der Stadt geschafft hat. Aber lohnt sich der Aufwand überhaupt? Für ein vermutlich nutzloses Stück roten Felsens?“

Wie gerne hätte Holly ihn in diesem Punkt zugestimmt. „Natürlich. Wenn es sich tatsächlich nur um ein Stück Stein handeln würde, müsste die ZUP kaum ihre gesamten Einheitskräfte auf die Suche verwenden.“

Trouble Kelp wusste, was jetzt kommen würde, und hoffe wider besseren Wissens, dass er sich irrte. „Oh bitte, sag‘ bloss nicht, unser Stein ist tatsächlich--“

„Doch leider. Foaly schätzt, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei wirklich um ein echtes Drachenei handelt auf knappe 99%.“

D’Arvit!“

Holly brachte immerhin ein Schmunzeln zustande. „Ja... das habe ich auch gesagt.“

Hitzewelle

An den beiden folgenden Tagen hatte sich Foalys Schätzung endgültig auf die 100% gesteigert und das obwohl die großräumig anberaumte Suchaktion bisher keinen Erfolg gezeigt hatte. Der Grund war ein ganz anderer, viel simplerer: Es wurde heiß.

Und heiß bedeutet in diesem Zusammenhang nicht einfach nur warm, sondern kochend. Sämtliche Klimaanlagen von Haven City waren innerhalb weniger Stunden ausgefallen. Tiefkühlschränke tauten ab. Gegenstände aus Metall durfte man ohne Handschuhe nicht mehr berühren so sehr hatten sie sich aufgewärmt.
 

Foaly erklärte die Tatsache mit folgenden Worten: „Es brühtet.“ Irgendwie verständlich, dass diese Nachricht nicht unbedingt zur allgemeinen Gelassenheit beitrug.

Doch versuchte der Zentaur auch einen positiven Aspekt an der Hitze zu finden. „Laut meinen Informationen braucht ein Drache zum Schlüpfen hauptsächlich erst einmal Wärme von außen, viel Wärme. Normalerweise würde das wohl eine Drachenmutter mit ihrem Feueratem gewährleisten, aber so... Etwas das auch nur vergleichsweise an die Wärme von Drachenfeuer herankommt, ist schwer zu finden.“

Und da würden ihm alle zustimmen, die in diesem Moment schwitzend vor ihrem Bildschirm saßen, versuchten sich so wenig wie möglich zu bewegen und ihm zuhörten.

„Auf jeden Fall gibt das Drachenei dann seinerseits wieder Wärme ab, wenn es genug bekommen hat und darum die Hitze. Aber anhand dieses Hitze...“ Hier legte Foaly eine künstliche Pause ein. Spannungsmoment. „...können wir das Ei eventuell orten.“
 

Aus dem eventuell wurde ein voller Erfolg. Mit Hilfe von Thermoscans und Wärmesensoren war die Quelle der unnatürlichen Hitze relativ schnell gefunden. Es handelte sich dabei um ein Restaurant im Westen von Haven, das Stellas. Obwohl viele für ein sofortiges Stürmen des Gebäudes gewesen wären, sprachen sich sowohl Foaly als auch Commander Root dagegen aus. Und wenn diese beiden mal einer Meinung waren, dann war das schon so gruselig, dass es einfach das Richtige sein musste.

Root wollte zuerst die Aufklärung auf das Restaurant ansetzen. Die Wahl des Officers, der diesen Job erledigen sollte, fiel ihm nicht schwer und auch der Elf, der sie sicherheitshalber begleiten sollte, stand schnell fest. Holly wehrte sich zwar dagegen – ein Drache könne auch nicht soviel schlimmer sein als ein ausgewachsenes Trollmännchen, lautete ihr Argument – doch der Commander setzte sich durch. Aus Gründen der Sicherheit und der Unauffälligkeit, die perfekte Tarnung für ihre gefährliche Aufklärungsmission.

So kam es, dass Trouble Kelp Holly zu einem Date im Stellas ausführen würde.
 

Der kleine Zeiger seiner Uhr näherte sich allmählich der Acht. Nachdem er seit über einer Stunde praktisch nichts anderes getan hatte, als in jeder verstreichenden Minute mindestens einmal nach der Zeit zu sehen, würde sein Warten hoffentlich bald ein Ende haben.

Holly Short war keineswegs zu spät zu ihrem Treffen. Trouble allerdings wartete schon seit knapp zwei Stunden am Treffpunkt auf sie. Das Risiko sie warten zu lassen, hatte er nicht eingehen wollen. Deswegen hatte er für den Hinweg alle möglichen Horrorszenarios miteinberechnet, die seiner pünktlichen Ankunft vielleicht hätten im Weg stehen können. Normalerweise wäre das auch gar nicht so unrealistisch gewesen, doch die immer schlimmer werdende Hitze sorgte wohl dafür, dass die meisten Unterirdischen lieber zu Hause blieben. Deshalb hatte es in den Tunneln keinen Stau gegeben. Selbst die Hauptröhre, die er Zeit seines Lebens noch nie anders als überfüllt erlebt hatte, war bis auf zwei schrecklich schwitzende Zwerge komplett leer gefegt gewesen. Und das in der Hochsaison.
 

Er war unterwegs auch an einem kleinen Blumenladen vorbeigekommen. Seit heute Morgen überlegte er fieberhaft, ob er Holly nun ein Bouquet mitbringen sollte oder nicht. Ihrer Tarnung als Liebespaar würde es bei der Ausführung ihres Auftrages sicher nur gut tun. Allerdings könnte sie es falsch auffassen. Etwas hinein interpretieren...

Außerdem wusste er ja immer noch nicht, was sie heute Abend anziehen wollte. Und wenn er nun Blumen geholt hätte, die nicht zur Farbe ihres Kleides passen würden? Wie kam er überhaupt, dass Holly ein Kleid tragen würde? Sie hatte nie auch nur etwas angedeutet, dass in diese Richtung ging. Trouble hatte sie vorher auch noch nie in einem Kleid gesehen. Zivil kam ja schon selten genug vor.

Das lange Warte schlug sich allmählich wohl auf seine Nerven nieder. Bildete er sich das bloss ein oder zitterte seine Hand?
 

„Trouble!“

Das war sie. Hollys Stimme. Genau aus der Richtung, aus der er nicht vermutet hatte, dass sie kommen würde. Dabei hatte er sich extra so aufgestellt, dass er sie zuerst sehen und ihr entgegen kommen konnte. Das machte dann schon einen Punkt auf seiner Liste für einen misslungenen Abend.

Trouble vollführte eine komplett 180°-Drehung. Holly stand nur knapp einen Meter von ihm entfernt und, wie er sofort feststellte, trug kein Kleid. Stattdessen hatte sie sich für eine etwas schickere, schwarze Hose und eine grüne Bluse entschieden, die ihn vom Farbton her ein wenig an die ZUP-Uniformen erinnerte. Außerdem musste sie irgendetwas mit ihren Haaren gemacht haben. Obwohl er sich keinen Reim darauf machen konnte, was man mit einem braunen Kurzhaarschnitt anstellen könnte, etwas wirkte verändert.
 

„Wartest du schon lange?“, stellte Holly die obligatorische erste Frage, die bei einem Signifikanzniveau von 5% mit absoluter Sicherheit bei jedem zweiten von drei Treffen fällt.

Und Trouble antwortete ebenso obligatorisch mit einem sofortigen ‚Nein‘. Die Tatsache, dass es dabei auf die Definition von lang ankam, ob er nun gelogen hatte oder nicht, besaß etwas seltsam Tröstliches für ihn.

Galant bot er Holly seinen Arm an. Ein bisschen Unsicherheit machte ihm allerdings immer noch zu schaffen. Ein Date war ja so schon schwierig genug, ohne dass es von seinem Chef eingefädelt worden war. Er war ein Einsatzelf, kein Frauenheld. Zum korrekten Umgang mit Frauen standen keine Lehrsätze in den Unterrichtsmaterialien der ZUP. Dass das überhaupt ein Problem darstellte... normalerweise behandelte er Holly doch auch nicht anders als jeden Kollegen. Aber das es eben doch etwas anderes war ließ sich wohl nicht leugnen.

„Kompliziert“, murmelte er leise und Holly sah ihn fragend an.

„Was denn?“ Sie hakte sich bei ihm ein.

Troubles Hirn schaltete in diesem Moment glücklicherweise in Windeseile, was ihn gerade noch davor bewahrte, den schlimmsten aller Fehler zu begehen, in dem er behauptete, dass eigentlich nichts wäre. Allerdings musste jetzt ebenso schnell auch eine passende Alternative her. „Ach nur... der Auftrag. Die Lage im Restaurant begutachten, herausfinden, wo das Ei ist und dann Bericht erstatten. Das ist gar nicht meine Art. Ich muss immer direkt handeln.“

„Nicht nur du.“ Holly grinste ihn an. „Ich hatte gehofft, du könntest mich heute Abend etwas zurückhalten.“

Der Elf schluckte. So langsam aber sicher stellte sich ihm wirklich die Frage, ob der Commander für diese Mission nicht genau die falschen Officer ausgesucht hatte.

Klischees

Das Stellas existierte schon seit Generationen. Es war ein Familienbetrieb der stets über die älteste Tochter der Stellas weitervererbt wurde. Bis vor Kurzem hatte es sich bei dem Laden um eine üble Spelunke gehandelt, doch dann war die Besitzerin an einem Morgen tot im Lagerraum aufgefunden worden. In einem Bierfass ertrunken. Nicht besonders dramatisch und nicht besonders traurig. Ihre Familie weinte ihr keine einzige Träne nach. Und nun kam die Reihe an Hrune Stellas das Familienunternehmen fortzuführen. Innerhalb kürzester Zeit war das Stellas nicht nur komplett renoviert und neu ausgestattet, sondern hatte sich sogar seine Fünf-Eicheln als Feinschmeckerrestaurant verdient.

Also, wer war diese Hrune? Sie war eine junge Kobolddame mit sehr anspruchsvollen Ambitionen. Die allerdings die Kneipe ihrer Familie nicht mit einschlossen. Seit Jahren nämlich litt Hrune unter einem ganz bestimmten Problem. Ihrer Intelligenz.
 

Als kleines Kind war sie auf einen der Christbäume geklettert, die ihr Vater zu Weihnachten von den Oberirdischen „geborgt“ hatte. Wie durch ein Wunder hatten die Äste die junge Koboldin sogar getragen, bis sie die Spitze erreicht hatte. Dann allerdings war sie auf die schlaue Idee gekommen, ihren kleinen Brüdern eine ordentliche Grimasse zu schneiden, hatte den Baum losgelassen und war ziemlich hart mit dem Kopf auf dem Boden aufgestoßen. So nahm das Übel seinen Anfang.

Hrune kämpfte gegen zwei entscheidende Klischees. Zum einen das der Unterirdischen: So etwas wie einen intelligenten Kobold gäbe es nicht. Das sprichwörtliche „dumm wie ein Kobold“ kam ja leider auch nicht gerade von ungefähr. Zum anderen gegen das ihrer eigenen Artgenossen: Bildung sei etwas für Ängstliche.

Nicht dass es sie sonderlich interessiert hätte, was andere Kobold wie zum Beispiel ihre Brüder von Intelligenz dachten. Eine einzige Person allerdings gab es, bei der es einen ganz gewaltigen Unterschied gab. Lem, der Kobold, der seine Verlobung mit Hrune ausgelöst hatte, weil sie ihm erklären konnte, weshalb das Wasser im Kochtopf heiß wurde, wenn man ihn über eine Flamme stellte.

Seit diesem Tag stand für die Koboldin fest, entweder sie bekam ihre eigentlich naturgegebene Dummheit zurück oder sie bekam ihre Dummheit zurück. Schon diese simple Feststellung machte es eigentlich klar, dass Hrune sich auf dem besten Weg befand, dieses Ziel schon bald zu erreichen.
 

In der Küche war die Hölle los. Hrune hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wären die nicht von Nöten gewesen, um links eine Platte herunterfallender Desserts aufzufangen und mit rechts ihren jüngsten Bruder Dex am Kragen festzuhalten, damit er nicht auf Rex, ihren anderen Bruder, losging.

„Würde vielleicht einer von euch die Freundlichkeit besitzen, mir zu sagen, was für ein Problem ihr habt?“, brüllte die Koboldin über die Titelmusik von ‚Es war einmal am See‘ hinweg, die gerade aus den Lautsprechern des tragbaren Minifernsehers erklang, den Rex zu jeder Zeit mit sich herumtrug und den er abends sogar mit ins Bett nahm.

Trotz der Lautstärke ihrer Stimme sahen die beiden Koboldbrüder sie nur verständnislos an. Hrune verdrehte theatralisch die Augen. War das etwa schon zu hoch für die zwei? „Ihr wollt es einfach?“

Ah, diese Frage kam Rex und Dex schon wesentlich bekannter vor. Ihre Schwester stellte sie oft. Zwar begriffen die beiden auch diese Worte nicht so wirklich, allerdings hatten sie gelernt, dass es deutlich gesünder für ihre Trommelfelle war, wenn sie daraufhin einfach nickten.

„Dann sagt mir einfach, wer von euch Flachschädeln diesen Streit angefangen hat!“

Dex sah nach Hilfe suchend zu Rex und leckte sich nervös über die Augen. „Hey, sag mal, war das eine Beleidigung, Rex?“

Der Angesprochene zuckte verwirrt mit den Schultern. „Kann schon sein... Hruni? War das eine Beleidigung?“

Die Kobolddame tätschelte ihren nun glücklicherweise wieder friedlichen Brüdern nacheinander über den Kopf. „Geht nach Hause zu Papi, Jungs.“

Feierabend? Das war wie Musik in den Ohren der beiden Jungspunde. Ohne Widerworte kamen die beiden der Aufforderung nach. An der Tür stießen die Brüder noch beinahe mit dem Koch zusammen. Dem Feenmann allerdings gelang eine rasche Flucht an die Küchendecke.
 

Hrune seufzte erleichtert auf, nachdem die Stimmen ihrer Brüder verklungen waren. Von dem Tablett mit den Desserts, das sie nach wie vor auf der linken Handfläche balancierte, nahm sie sich ein kleines Spinat-Marzipan-Törtchen.

„Du kannst es ruhig essen. Das Betäubungsmittel ist in den Kirschtrüffeln.“

Crunch, Koch und stellvertretender Geschäftsführer des Stellas, schwebte wieder hinab auf den Boden und genehmigte sich selbst ein kleines Praliné, von dem Hrune vermutete, dass es irgendeine Mischung mit Kaffee sein musste.

„Erzähl‘ mal, Crunch, wieso war Dex gerade dabei Rex zu erwürgen, als ich die Küche betreten habe“, forderte die Koboldin ihren engsten Vertrauten auf, während sie das Törtchen wieder auf das Tablett zurücklegte. „Und nun sag‘ mir bloss nicht, dass es schon wieder um die Häutung ging.“

Der Feenmann machte eine wage Handbewegung und grinste. „Knapp daneben. Bleiben noch zwei Versuche.“
 

Allerdings schien Hrune in diesem Moment ausgesprochen wenig von dem Ratespiel zu halten. „Witzig“, kommentierte sie trocken. „Dass es um das Ei ging, ist ja wohl klar. Du solltest mir sagen, was genau die beiden für ein Problem hatten.“

„Es ist wegen dieser Sache mit den drei Fragen. Sie glauben wirklich immer noch, dass du ihnen eine übriglassen wirst. Aber sie sind sich nicht einig, ob sie den Drachen fragen sollen, ob die Hauptperson aus dieser Fernsehserie... wie hieß sie doch gleich?“

„Es war einmal am See?“

„Ja richtig. Genau die. Rex will fragen, ob die Hauptperson den Schatz am Ende finden wird. Dex möchte aber lieber wissen, welchen von ihnen du lieber magst.“
 

Hrune lachte spitz auf. „Sie sind alle beide unverzeihliche Idioten.“

Sie drückte Crunch das Desserttablett in die Hand und durchquerte die Küche. In der Mitte des Raumes gab es einen großen, steinernen Kamin. Eine selbst für die feuerfeste Koboldin außergewöhnlich heiße Luftströmung schlug ihr aus dem Kamin entgegen je näher sie kam.

„Aber was soll’s. Ich brauche die beiden nicht für die Vollendung meines Planes.“

Sie ging vor dem Kamin in die Knie und beugte sich mit leuchtenden Augen noch ein Stück weiter vor. Dort in der Asche eines längst vergangenen Feuers lag ein roter Klumpen, oval und fleckig. Das echte Drachenei.

Liebevoll streichelte sie über die glatte Schale. Unter ihr verborgen lag die Erfüllung ihres Zieles. Oder zumindest ein großer Schritt in die richtige Richtung.

„Sobald mein kleiner Drache erst einmal geschlüpft ist, gebe ich ihm einen Namen. Und du weiß ja wie es heißt, Crunch, nicht wahr?“ Kleine blauen Flammen tanzten um Hrunes Hände herum. Das Baby brauchte Wärme, ganz viel Wärme. Kaum etwas war so heiß wie Koboldfeuer.

„Wer den Namen eines Drachen kennt, dem beantwortet er drei Fragen“, erwiderte sie auf ihre eigene Frage.

Crunch nickte hektisch. „Ja! Eine für Rex und Dex, eine für mich und eine für dich.“

Es könnte einem beinahe ironisch vorkommen, dass dieses Superhirn, das sich den Plan mit dem Drachenei ausgedacht hatte, bloss die Frage interessierte, wie sie ihre Intelligenz schnellstmöglich loswerden konnte. Aber wie gesagt, nur beinahe.

à la carte

Überall brannten Kerzen und sie spiegelten sich wider an den unzähligen reflektierenden Oberflächen, die das Stellas so auszeichneten. Eine bekannte elfische Ariensängerin stand auf der kleinen Bühne gegenüber dem Eingang und erfüllte den großen Saal mit angenehmen Tönen. Wirklich nicht zu vergleichen mit der Wichtelpopband, die Holly vor drei Tagen so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte.

Trouble hatte einen Tisch für sie reserviert. Dieser befand sich etwas in der Mitte des Restaurants und wäre unter normalen Umständen niemals von ihm ausgesucht worden, doch für die Observation des Gebäudes war die Lage genau richtig.
 

Eine Fee brachte ihnen Speisekarten, kaum dass sie auf ihren Plätzen saßen, und hieß sie herzlich willkommen im Restaurant. Dann katzbuckelte sie auch schon wieder davon, um die nächsten Gäste zu begrüßen.

Holly überflog das Angebot mit einem Auge. „Weißt du schon, was du nimmst, Trouble?“

„Die Gemüseplatte soll hier sehr gut sein und die Pilzsuppe mit Schmelzkäse.“

„Das ist doch keine Antwort auf meine Frage“, lachte sie und klappte ihre Speisekarte wieder zu.

„Sehr richtig“, meinte Trouble und grinste wie ein Spitzbube. „Eigentlich wollte ich mir das Partnermenü mit dir teilen.“

„Ach ja? Was genau ist das denn?“, fragte Holly zögernd. Ihr Gegenüber machte ein gespielt enttäuschtes Gesicht, was sie zum Lachen brachte. „Na gut. Ich lasse mich überraschen.“
 

Nachdem die Fee von eben zu ihnen zurück geschwebt war und ihre Bestellung aufgenommen hatte, konzentrierten sich beide ZUP-Officer erst einmal auf ihre Umgebung. Im Restaurant befanden sich im Moment schätzungsweise an die zwanzig Personen; Personal bereits mit eingerechnet. Und jede einzelne konnte ein potentieller Feind sein. Zwar vermuteten sie die Drahtzieher des Eierdiebstahls nicht hier, allerdings war das Drachenei selbst mit einer ziemlich großen Wahrscheinlichkeit hier irgendwo. Sicher war es nicht unbeaufsichtigt und ohne Schutz zurückgelassen worden.

Holly holte tief Luft. Wenn es bloss nicht so verdammt heiß wäre! Diese Hitze behinderte mit absoluter Sicherheit ihre Hirnprozesse. Wie sehr vermisste sie in diesem Moment doch ihren ZUP-Overall, dessen Mikrofasern mit Drähten durchzogen waren, die alternativ entweder als Heizung oder Kühlvorrichtung dienen konnten.
 

Trouble Kelp räusperte sich. „Ähm... es gibt da etwas, dass ich dich unbedingt fragen möchte.“

Doch Holly hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihre Aufmerksamkeit wurde gerade auf eine Tür gelenkt, durch die ihre Kellnerelfe in diesem Moment verschwand. Die Tür zur Küche vermutlich. Und für den Bruchteil einer Sekunde, so hatte sie das Gefühl, war es im Raum deutlich wärmer geworden.

„In der Küche?“, murmelte sie leise und Trouble sah sie irritiert an.

„Holly, was--“

„Entschuldigst du mich bitte einen Augenblick, Trouble?“ Im Aufstehen schnappte sie sich ihre Handtasche. Sie sprach extra ein wenig lauter, damit man sie an den umliegenden Tischen ebenfalls verstehen konnte. „Ich geh mir schnell die Nase pudern, Schatz.“

Sie beugte sich zu dem verdutzten Elfen nach unten, küsste ihn auf die Wange und flüsterte dabei ganz leise in sein Ohr: „Halt dich bereit, mir Rückendeckung zu geben.“

Das Gesicht des Majors lief ausgesprochen rot an – er hätte Commander Root Konkurrenz machen können – und er versuchte Holly am Gehen zu hindern. Allerdings war sie bereits außerhalb seiner Reichweite.

Jetzt wird gehandelt

Die Toiletten lagen unmittelbar neben der Küche, was sich für Holly in diesem Fall als sehr praktisch erwies, den meisten anderen Gästen allerdings eher weniger behagte. Links oberhalb der Waschbecken gab es einen kleinen Lüftungsschacht, der anscheinend direkt mit der Küche verbunden war. Eine Vielzahl unterschiedlicher Gerüche kam durch den Schacht und vermischte sich hier mit dem Duft nach Parfüm, Rosenölseife und Klos, die dringend wieder eine Reinigung gebrauchen könnten. Die Mixtur war eine Zumutung für jede Nase und Holly hatte im ersten Moment das Gefühl, ohnmächtig zusammenzubrechen.
 

Sie wartete einen Moment darauf, Foalys altbekannte Stimme in ihrem Ohr zu hören, wie jedes Mal, wenn sie auf einer Aufklärungsmission unterwegs war. Erst einige Sekunden später fiel ihr ein, dass sie überhaupt nicht verkabelt war. Kein Ohrlautsprecher, kein Mikro und keine Iriskamera dieses Mal. Das wäre zu auffällig gewesen, wo sie doch heute in Zivil war. Also würde sie dieses Mal auf die nervigen Ratschläge des Zentauren verzichten müssen.

Jetzt aber keine weiteren Verzögerungen mehr. Schnell sperrte sie hinter sich die Tür zur Damentoilette ab. Bei der folgenden Operation konnte sie wirklich keinen Zeugen gebrauchen. Holly holte sich den Papierkorb heran, stülpte ihn einmal um und prüfte die Stabilität. Das könnte ein wenig knapp werden. Hoffentlich hielt das Ding das Gewicht einer ausgewachsenen Elfe aus.

Vorsichtig kletterte sie auf den umgedrehten Abfalleimer. Perfekt, jetzt war sie groß genug, um die Gitterklappe des Lüftungsschachtes zu öffnen. Wenn die Klappe denn zu öffnen gewesen wäre. Aber leider war sie zugeschraubt.

„D’Arvit!“
 

Hach! Nach so einem Fluch ging es einem doch direkt schon wieder besser. Zum Glück hatte sie ja noch... Mit einem Griff in ihre Tasche förderte Holly eine handtellergroße Pistole zum Vorschein. Neutrino m100 mit derselben Schusskraft wie eine normale Neutrino. Einzig die Reichweite der Waffe war entsetzlich beschränkt.

Innerhalb von Sekunden war das Problem der Lüftungsschachtklappe aus der Welt geschafft. Doch sie sollte sich wohl lieber nicht zu früh freuen. Die wirklichen Probleme dieses Auftrags standen ihr immer noch bevor.

Die Elfe zog sich nach oben in den Belüftungsschacht. Hier war der Geruch nicht mehr ganz so schlimm, weil sie jetzt eigentlich nur noch die Gerüche aus der Küche erreichten. Langsam und auf allen Vieren kriechend krabbelte sie vorwärts und achtete darauf, möglichst kein Geräusch zu verursachen. In diesem Schacht würde es vermutlich widerhallen wie tausend Trompeten.

Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn und ein vorlauter Tropfen lief sogar an ihrer Nase hinab. Sie kam der Quelle der Hitze immer näher, da war sie sich absolut sicher. Es konnten auch nur noch ein paar Meter sein, bis sie die Küche erreichen würde. Jetzt schon hörte sie das muntere Geklapper von Geschirr und das leise Echo von Stimmen.
 

„...nicht mehr hier sein.“

„Stell‘ dich nicht so an. Höchstens noch einen Tag, dann ist es soweit“, erwiderte eine Frauenstimme schnippisch. „Wir warten, bis mein Baby geschlüpft ist, dann können wir von mir aus den Standort wechseln.“

„Dann könnte es längst zu spät sein.“

„Ach, Crunch, du bist so ein entsetzlicher Pessimist.“

Holly konnte sich ein Grinsen nicht so ganz verkneifen. Für die beiden war es auch jetzt schon zu spät. Dass die ZUP ihr Versteck so schnell finden würde, damit hatte wohl selbst dieser Crunch nicht gerechnet. Innerlich triumphierte Holly. Offensichtlich war sie hier goldrichtig und hatte es sogar mit dem Kopf der Bande zu tun.
 

Das Ende des Lüftungsschachtes lag jetzt direkt vor ihr. Auch hier war er von einem Gitter versperrt. Doch glücklicherweise hing dieses lose in seinen Angeln. Keine Schießerei, um aus dem Schacht herauszukommen. So konnte sie hoffentlich unbemerkt aussteigen und erst einmal die Lage überprüfen, bevor sie selbst entdeckt wurde.

Durch die Löcher in der Gitterklappe hindurch sah sie auf eine weiträumige Küche hinab. In ihrem eingeschränkten Sichtfeld befanden sich nur drei Personen und es klang nicht so, als wären dort noch weitere Leute. Zwei der drei Gestalten standen direkt vor einem großen Kamin. Es handelte sich bei ihnen um eine Koboldin und einen Feenmann und anscheinend waren sie diejenigen gewesen, die gesprochen hatten. Die dritte Gestalt erkannte Holly als die Kellnerin, die ihre Bestellung aufgenommen hatte und die jetzt offensichtlich mit der Zubereitung ihres Partnermenüs beschäftigt war.
 

So leise wie möglich hob Holly die Klappe vor dem Belüftungsschacht an. Hoffentlich drehte sich jetzt niemand um, denn ansonsten hockte sie hier wie auf dem Präsentierteller. Besser sie beeilte sich ein wenig.

„Besser ein freier Pessimist als ein Optimist hinter Gittern“, antwortete Crunch, als ihm endlich eine passende Antwort eingefallen war.

Holly verdrehte die Augen. Und dafür hatte er so lange gebraucht? Da schaltete ja selbst die Koboldin an seiner Seite schneller. Moment... Koboldin?

Sie kletterte aus dem Lüftungsschacht und hockte sich hinter einen großen Sack Trockenalgen. Mit zusammengekniffenen Augen spähte sie hinter dem Sack hervor. Tatsächlich, es bestand kein Zweifel daran, dass es sich bei dem zweiten Geschöpf um eine Kobolddame handelte. Gehörte dieses Restaurant nicht auch einer Koboldfamilie? Dann war sie womöglich die Besitzerin. Angestrengt versuchte Holly sich an den Namen zu erinnern. Achja, Hrune Stellas. Erst letztens hatte etwas über sie in der Zeitung gestanden: „Koboldin bessert den Restaurantbetrieb ihrer Eltern. Neueröffnung des Stellas. Hrune Stellas beweist die Intelligenz, die unter Kennern schon seit geraumer Zeit im Gespräch ist.“

Holly hatte den Artikel nur überflogen. Erstens hatte es sie nicht wirklich interessiert und zweitens war auch ein überragend intelligenter Kobold immer noch dümmer als ein durchschnittlicher Elf.

Das also war sie.
 

„Vielleicht möchtest du aus der ganzen Sache aussteigen, Crunch? Vielleicht hast du zuviel Angst, um den Plan bis zum Ende durchzuziehen?“ Die Stimme der Koboldin hatte einen gefährlichen Unterton angenommen. „Nur zu. Geh‘ ruhig. Dann bleibt eine Frage mehr für mich übrig.“

„Oh nein! Nein, Hrune, so habe ich das nicht gemeint“, versicherte der Feenmann hastig und hob abwehrend die Hände.

„Wunderbar! Dann verschone mich jetzt mit deinen ewigen Bedenken. Deine Stimme macht mir Kopfschmerzen und ich kann mich nicht auf die Feuerbälle konzentrieren.“

Crunch wich sofort einige Schritte zurück. Er sah Hrune noch einige Sekunden lang an, dann drehte er sich um und flüchtete sich zu der Fee, die dem Gespräch bisher keine Beachtung geschenkt hatte.
 

Holly schnappte nach Luft, als ihr nun plötzlich freien Einblick auf den Kamin und das darin liegende Drachenei gewährt wurde. Sie hatte ja vermutet, dass sie mit einer ziemlich hohen Wahrscheinlichkeit hier genau richtig war, aber es ist doch immer noch etwas anderes, wenn man seine Vermutung bestätigt findet.

Hrunes Gesicht flackerte ein wenig im Feuerschein der von ihren Händen ausging. Holly brauchte nicht lange zu überlegen, weshalb das so war. Vor allem da die Koboldin nach einer Weile anfing, mit dem Ei zu reden. „Ich bin schon so aufgeregt. Wie du wohl aussehen wirst, wenn es erst einmal soweit ist. Wir werden bestimmt gut miteinander auskommen. Ich bin dann ja wohl so etwas wie deine Mami. Na, ist das nicht schön?“

Aus Crunchs Richtung kam ein leises Husten, das er benutzte, um nicht in lautes Lachen zu verfallen. Die Kellnerin neben ihn klopfte ihm hilfsbereit auf den Rücken, was das Husten allerdings eher schlimmer als besser machte.

Nervös wippte Holly von einem Fuß auf den anderen. Was sollte sie tun?

Nun, eigentlich stand es fest, was sie tun sollte. Durch den Schacht zurück kriechen, zu Trouble gehen und mit ihm zusammen den Commander über die Sachlage informieren. Allerdings hielt etwas sie zurück. Irgendetwas erlaubte ihr noch nicht, ihren Beobachtungsposten zu verlassen.
 

„Mein Baby, mein kleines Baby, hm?“

Holly wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Koboldin zu. Was sollte sie tun? Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Das half aber auch nicht sonderlich. Verdammte Hitze. Wie sollte sie dabei auch vernünftig denken können.

Außerdem wurden ihre Denkansätze jedes Mal aufs Neue von Hrune unterbrochen. „Ein schöner Gedanke, dass du mich verstehen kannst, obwohl du noch gar nicht geschlüpft bist, oder? Ich hoffe wirklich, dass es so ist.“

Alle guten Vorsätze über Zurückhaltung und Unterdrückung übereilter Handlungen wurden über Bord geworden. Holly verlor endgültig den letzten Rest an Geduld, den sie krampfhaft versucht hatte festzuhalten. Diese Koboldin trieb sie sonst noch an den Rand eines Nervenzusammenbruches.

Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Crunch und die Fee jeweils mit drei Platten bepackt, die Küche verließen. Na, das war doch mal ein perfektes Timing!

„Bald ist es soweit, mein kleiner Freund. Bald wirst du schlüpfen und dann werden wir--“

Holly schnellte aus ihrem Versteck hervor. „Und dann landest du mindestens für ein halbes Jahrhundert in Howler’s Peak.“

Sie hob ihre Neutrino m100 und schoss.

Unter Beschuss

Wie schon einmal an diesem Abend war Trouble Kelp dazu übergegangen, jede Minute mindestens einmal einen Blick auf seine Uhr zu werfen. Die Zeit verging und Holly war immer noch nicht zurückgekommen. Sie war jetzt fast eine Viertelstunde fort. Ihr war doch hoffentlich nichts zugestoßen. Wenn doch, dann könnte er sich das vermutlich niemals verzeihen. Nur um sie zu beschützen, war er doch überhaupt mit ihr in die Höhle des Löwen gekommen.

Aber jetzt war sie fort. Er hatte sie nicht aufhalten können und wusste nun weder wo sie war, noch wie es ihr ging. Seine Sorgen nahmen mit jeder verstreichenden Minute zu. Sein Ausbruch stand kurz bevor und wenn Holly nicht innerhalb der nächsten fünf Minuten wenigstens ein Lebenszeichen von sich geben würde, konnte er für absolut nichts mehr garantieren. Ihr durfte einfach nichts passiert sein. Er hatte ihr seine Frage noch gar nicht stellen können.
 

Die Küchentür schwang auf. Troubles Kopf zuckte in die Höhe. Konnte es Holly sein?

Allerdings wurde seine Hoffnung in Windeseile wieder zerstreut. Anstelle seiner Kollegin kamen stattdessen zwei Feen, beziehungsweise eine Fee und ein Feenmann, auf ihn zu. Auf sechs großen Tabletten trugen sie sowohl Essen, dass Trouble sich nicht ganz sicher war, ob er nicht aus Versehen mehrere Partnermenüs bestellt hatte.

Die beiden Feen lächelten freundlich, während sie die Platten mit Müh‘ und Not so auf dem Tisch plazierten, dass auch keine Gefahr lief, bei der leichtesten Berührung schon herunterzufallen. Keine leichte Aufgabe. Aber wieso hatte dieses Restaurant auch so kleine Tische, wo es ansonsten doch nahezu perfekt war?

„Ich wünsche einen guten Appetit.“ Die Fee klopfte sich die Hände an der weißen Schürze ab und sah Trouble fragend an. „Wo ist denn ihre Frau Gemahlin?“

„Wer? Ach so, nein, wir sind nicht verheiratet“, wich Trouble der Frage geschickt aus und machte ein gespielt unschuldiges Gesicht.

Ganz so überzeugend wie er dachte, schien er allerdings nicht zu sein. Nun sah ihn auch der Feenmann fragend an. Gerade öffnete er den Mund, um die Frage richtigzustellen, als in der Küche ein Schuss fiel.
 

Drei Köpfe bewegten sich vollkommen synchron und so sahen alle drei, wie nur wenige Sekunden später die Küchentür aus den Angeln gehauen wurde und zusammen mit einer etwas angekokelt aussehenden Elfe durch den Raum flog.

„Holly!“

Trouble gewann als Erster seine Fassung wieder. In sekundenschnelle hatte er seine Waffe aus dem versteckten Pistolenhalter unter seiner Anzugjacke hervorgezogen, die eingestellte Stufe überprüft – er wollte hier ja niemanden grillen - und zwei Schüsse abgefeuert. Der erste traf die verdutzte Kellnerin und setzte sie damit für mehrere Stunden außer Gefecht. Dem Feenmann allerdings gelang es im allerletzten Moment noch auszuweichen.

Im Stellas brach jetzt ein heilloses Chaos aus. Alle schrien wie am Spieß, sprangen von ihren Stühlen auf und versuchte möglichst als erster den Ausgang zu erreichen. Tische wurden umgestoßen, unvorsichtige Gnome einfach über den Haufen gerannt, Essen flog in alle Richtungen.
 

Doch darauf achtete Trouble in diesem Moment gar nicht mehr. Er rannte los und rief erneut Hollys Namen.

„Autsch! Schrei‘ doch nicht so. Mein armer Kopf.“

Holly Short rappelte sich auf und versuchte sich wieder zu orientieren. Ihr ganzer Körper tat weh. Außerdem roch sie irgendwie seltsam. Ein Blick auf ihre teilweise noch glimmende Abendgardrobe verriet ihr den Grund. Hrune hatte sie wohl mit einem Feuerball getroffen. Sie war nach hinten geschleudert worden und die Wucht des Aufpralles war der armen Küchentür zuviel gewesen.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Trouble, als er vor Holly zum Stehen kam.

„Meine Bluse ist ruiniert“, war die einzige Antwort die er bekam. Trotzdem konnte er wirklich beruhigt sein. Wenn Holly in einem Moment wie diesem noch scherzte, dann war alles bestens. Außerdem hatte er die blauen Funken der Magie bemerkt, die anfingen um ihren Körper herum zu tanzen und ihre Verbrennungen und Prellungen zu heilen.
 

„Holly, was ist da in der Küche passiert?“

„Später.“ Holly sah sich blitzschnell um. „D’Arvit!“

„Was ist denn--“

„Kopf runter!“, brüllte sie und zog den Elf alles andere als sanft hinter einen umgestürzten Tisch. Nur eine Sekunde später flog ein Feuerball über sie hinweg. „Das ist Hrune Stellas. Sie steckt hinter dem Diebstahl des Dracheneis.“

Der nächste Feuerball prallte gegen die Tischplatte und ließ sie heftig erzittern. Viel würde sie sicher nicht aushalten. Vielleicht noch drei oder vier weitere Angriffe, dann war das Ende der Fahnenstange erreicht. Vermutlich aber eher nur zwei. Sie brauchten einen Plan.

„Also, wir müssen näher an sie heran, sonst schafft der Betäubungsschuss es nicht über die Distanz. Zu dumm, dass wir nur zwei m100er haben.“ Aber hadern brachte sie nicht weiter. Holly atmete tief durch. Die Idee war riskant. „Du gibst mir Feuerschutz und ich arbeite mich Tisch um Tisch näher an Hrune heran.“

„Das ist verrückt.“

„Dann ist es genau richtig“, meinte sie und grinste ihn aufmunternd an. Ein weiterer Feuerball schlug hart gegen den Tisch. Jetzt wurde es knapp. „Also los!“

„Nur einen Moment noch.“

„Wenn es um die Frage geht, die du schon seit heute Morgen versuchst zu stellen... heb‘ sie dir für später auf.“

Trouble blinzelte und dann war Holly schon weg. Er richtete sich auf und feuerte auf die Koboldin. Sein unruhiger Blick verfolgte allerdings Holly auf dem Weg zum nächsten Tisch, hinter dem sie in Deckung gehen konnte. Wenn das mal gut ging.

Sich seine Frage für später aufheben? Wieso hatte sie das gesagt? Was, wenn es nun gar kein Später geben würde? Wenn er nie wissen würde, was sie ihm vielleicht geantwortet hätte?

Feuergefecht

Das alles passte so absolut gar nicht in Hrunes Plan. Dass jetzt diese Leute aufgetaucht waren, die offensichtlich im Auftrag der ZUP handelten, hatte sie nicht mit einbezogen in ihre Überlegungen. Es gab keinen Plan B, keine Vorbereitungen für einen solchen Notfall.

Ihr Gehirn lief auf Hochtouren. Allerdings befasste es sich nicht mit der Frage, wie sie aus dieser misslichen Lage wieder herausgekommen sollte. Sondern damit, weshalb sie einfach davon ausgegangen war, dass die ZUP sie nicht rechtzeitig finden würde. War das nicht verdammt naiv gewesen? Genau wie Crunch ihr gesagt hatte. Aber auf ihn hatte sie ja nicht hören wollen. Schließlich war er nur ein Feenmann.

Sie hatte so wunderbare Pläne gehabt, doch nun sah sie einen nach dem anderen wie bunte Seifenblasen einfach so zerplatzen. Hrune sah sich in eine Ecke zurückgedrängt, aus der es kein Entkommen gab. Außer nach vorne.

Ehrlich, einen Kobold in die Ecke drängen... das sollte niemand auch nur wollen.
 

Die Intensität der Feuerbälle nahm rasend zu. Holly hatte sich hinter einem anderen Tisch verkrochen, aber wie schon der erste, war auch dieser nicht dafür gedacht, einem Beschuss lange standzuhalten.

Ihr Herz pochte wie wild gegen ihren Brustkorb und trotzdem riskierte sie einen flinken Blick um die Ecke. Noch zwei Tische weiter, dann war sie hoffentlich nah genug an die Koboldin herangekommen, um sie mit einem Betäubungsschuss außer Gefecht zu setzen. Ein Hindernislauf zwischen umgefallenen Stühlen, heruntergezogenen Tischdecken, dem Hauptgang und Feuerbällen. Klang doch gar nicht so schwierig.

Ein Feuerball kam mit entsetzlicher Geschwindigkeit und Präzision heran. Gerade noch rechtzeitig zog Holly ihren Kopf zurück. Gut, jetzt oder nie. Nachdem ein Kobold erst einmal einen Feuerball abgeschossen hatte, brauchte es immer eine kurze Weile, bevor er mit dem nächsten gefährlich werden konnte.

Holly sprang auf, bereit ihre Chance zu nutzen.
 

„Nicht! Auf den Boden!“, brüllte Trouble entsetzt.

Rein instinktiv kam sie dieser Aufforderung auf der Stelle nach. Erst einen Moment später verstand sie den Grund. Ein weiteres Geschoss zischte über ihren Kopf hinweg. Dieses Mal allerdings kein Feuerball, sondern ein Neutrinenstrahl.

Sie hörte Trouble fluchen und riskierte erneut einen Blick um den Tisch herum. Ihr selbst gefror der Fluch dieses Mal auf den Lippen, als sie direkt in das Gesicht von Crunch schaute, der nur noch wenige Meter von ihr entfernt war.

Nachdem Troubles Betäubungsschuss an ihm vorbeigegangen war, hatte sie ihn aus den Augen gelassen. Ein schwerer Fehler, wie sich jetzt herausstellte. Irgendwoher hatte der Feenmann sich eine Waffe und einen Schild besorgt.
 

Holly feuerte drei Schüsse ab, doch Crunch gelang es jeden einzelnen mit seinem Schild abzufangen. Er grinste aus einer wahrlich diebischen Freude heraus. Jetzt hatte er hier die Fäden in der Hand. Jetzt könnte er die beiden Eindringlinge ausschalten und Hrune wäre ihm noch mehr zu Dank verpflichtet als sie es ohnehin schon war. Vielleicht würde sie ihm dann zwei Fragen gewähren. Oh ja, das würde sie sogar mit Sicherheit. Sollte sie sich ruhig ihren Wunsch nach Dummheit erfüllen. Das war für ihn klar der einfachste Weg, sie loszuwerden.

Nur zuerst musste er die beiden ZUP-Elfen aus dem Weg schaffen. Sie wussten Bescheid. Das konnte er nicht zulassen. Beide hatten sie sich jetzt hinter den umgefallenen Tischen verkrochen, hielten den Kopf unten wie kleine Würmer.

Er schnaubte verächtlich. Mit der Frau würde er beginnen. Noch zwei Schritte trennten ihn von dem Tisch, der ihr jetzt noch Deckung bot. Seine Vorstellung davon gleich eine zitternde, verstörte Elfe zu sehen, wurde allerdings ziemlich abrupt davon unterbrochen, dass sich sein Opfer plötzlich aus dem Versteck heraus rollte und sich in Windeseile an ihm vorbei auf einen neuen Unterschlupf zu bewegte.
 

Er schoss, doch die kleine, zur Kugel zusammengerollte Gestalt bot ihm ein zu geringes Ziel. Crunch war kein fähiger ZUP-Schütze. Ein Knurren verließ seine Kehle. Seine Laune wurde aber auch mit jedem Moment schlechter.

Crunch versuchte es wieder, aber auch dieser Schuss ging ins Leere. Er ging sogar soweit an Holly vorbei, dass sie sich ernsthaft fragte, ob er wohl jemals zuvor schon eine Schusswaffe in der Hand gehabt hatte. Seine Konzentration ließ nach je wütender er wurde.

Holly kugelte noch einen Meter weiter, dann tauchte sie wieder hinter der trügerischen Sicherheit eines Tisches ab.

Mit dem Vorsatz das Spiel noch einmal neu zu starten – und die Elfe dieses Mal nicht zu verfehlen – setzte Crunch sich wieder in Bewegung. Etwa fünf Meter trennten ihn nun wieder von Hollys Schutzwall. Kein Problem, wenn er sich ein wenig Zeit ließ und den Augenblick genoß. Irgendwie war er ja auch ein gewaltiger Idiot.

Als sie seine Schritte hörte sprang Holly auf und feuerte ohne zu Zögern. Natürlich blockte Crunch auch dieses Mal wieder alles mit seinem Schild und grinste sie an. „Glaubst du, damit wirst du Erfolg haben, Elfchen?“ Er lachte und machte einen Schritt weiter in ihre Richtung, während er seine eigene Waffe hob und zielte. Dann allerdings erstarrte er auf der Stelle.

Wieso? Er hatte doch alle Betäubungsschüsse abgewehrt. Alle, bis auf...

Bevor der Feenmann diesen Gedanken allerdings zu Ende führen konnte, wurde er bewusstlos und fiel wie ein Stein zu Boden.

Ihr größter Wunsch

Holly atmete erleichtert auf. Ihr erster Gedanke galt Trouble und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Genau im richtigen Moment.“

„Das hast du alles Hrune zu verdanken, wenn sie im entscheidenden Moment nicht ihre Feuerbälle eingestellt hätte, wärst du weiter auf dich allein gestellt gewesen.“

Sie nickte. Ja, das war wirklich ein Glück gewesen. Nachdem Crunch nämlich wieder auf der Bildfläche erschienen war und es so aussah, als hätte er die Lage vollkommen im Griff, war die Koboldin in die Küche geflüchtet und hatte somit Trouble überhaupt erst die Chance gegeben, sein Versteck zu verlassen und sich von hinten an den Feenmann heranzuschleichen. Im Gegensatz zu Crunch hatte Holly die wechselnden Machtverhältnisse durchaus bemerkt und ihn extra noch von Trouble abgelenkt mit ihrem direkten Angriff.

„Als hochrangiger Officer muss ich Ihnen sagen, dass das ganz schön waghalsig von Ihnen war, Captain Short“, tadelte Trouble sie mit einem Lachen auf den Lippen, das seinen Worte jedwede Ernsthaftigkeit raubte.

„Danke Trouble.“

Er winkte ab und deutete dann in Richtung Küche. „Dafür ist es noch ein wenig zu früh.“
 

Holly nickte und Seite an Seite schlichen sie auf den leeren Rahmen zu, in dem sich vor weniger als einer Stunde noch eine Tür befunden hatte. Sie waren allzeit bereit sich jeden Augenblick einer ausgesprochen grimmigen und Feuer schleudernden Kobolddame gegenüber zu sehen.

Und tatsächlich erschien Hrune nur einige Sekunden später in der Tür. Auf ihr Gesicht hatte sich ein gehetzter Ausdruck gelegt. In den Armen hielt sie fest umklammert das Drachenei und schaukelte es sachte hin und her. Ihre Lippen bewegten sich, doch kein Ton drang heraus.

Ihre entsetzlich großen Augen wurden sogleich noch ein Stück größer, als sie die auf sich gerichteten Waffen sah. Hrune quiekte erschrocken, riss die Hände in die Luft und ließ das Ei fallen. Zu spät bemerkte sie, was sie getan hatte. Verzweifelt versuchte sie zwar noch, das Ei rechtzeitig aufzufangen, doch vergebens.
 

Mit einem lauten Splittern schlug das Drachenei auf dem Boden auf. Urplötzlich verteilte sich ein unglaublich heißer Wasserdampf in dem verwüsteten Restaurant. In Sekundenschnelle waren alle Anwesenden nass bis auf die Haut und schwitzten schlimmer als sie es in den gesamten letzten Tagen zusammen getan hatten.

Der Dampf war so dicht, dass man die eigene Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte. Holly tastete blind umher und hoffte dabei, Trouble zu fassen zu bekommen.

Ein markerschütterndes Brüllen ertönte und ließ alle zusammenzucken. Direkt darauf hörte Holly Hrune kläglich wimmern. Sie nahm das Geräusch als Anhaltspunkt, um zumindest die Koboldin in dem Wasserdampf wiederzufinden. Sie durfte die Chance auf keinen Fall für eine Flucht nutzen.
 

Man könnten meinen, dass das Chaos nun wirklich schon groß genug war. Einer allerdings sah das offensichtlich noch ein wenig anders.

Zuerst hörte Holly ein neues Geräusch. Es klang ein wenig wie das Rauschen bei einer fehlerhaften Fernsehübertragung, dann steigerte es sich und erhöhte auch seine Frequenz. Peitschend wie der kühle Wind, der einer Magmawoge in den Schächten vorangeht, hörte es sich jetzt an. Nun erkannte Holly auch, was genau es war. Flügelschlag.
 

Ein plötzlicher Windstoß riss sie allesamt von den Beinen und ließ sie wie kleine Spielzeugpüppchen durch den Raum segeln. Positiv anzumerken sei in diesem Moment allerdings, dass durch den Flügelschlag der größte Teil des Wasserdampfes fort geweht und die Sicht auf die Ereignisse im Restaurant wieder vollkommen klar wurde.

Trouble war von dem Windstoß fast bis zum Eingang geweht worden. Sich an einen Stuhl abstützend versuchte er gerade wieder halbwegs auf die Beine zu kommen. Holly hatte Glück gehabt. Ihr Flug war von einer eingeklemmten Tischdecke gehindert worden, in die sich ihr Fuß verfangen hatte. Und Hrune hatte sich, wie es schien, am Türrahmen zur Küche festgeklammert. Auch jetzt ließ sie noch nicht davon ab.
 

Aber das wirklich Verrückte dieser Szene hockte dort, wo Hrune das Ei hatte fallen lassen. In einem Haufen aus rötlichen Scherben und einer undefinierbaren, schleimigen Substanz saß ein winziges, geschupptes Etwas mit unproportional riesigen Flügeln und einem gezackten Schwanz, mit dem es freudig hin und her wedelte.

Das Etwas machte den Rachen auf und entblößte zwei Reihen bereits voll ausgebildeter Zähne. Holly legte die Hände über die Ohren, nur für den Fall, dass jetzt wieder so ein Trommelfell zerstörendes Gebrüll folgen würde, wie schon kurz nach dem Aufprall des Dracheneis auf dem Boden.

Drachenbaby holte Luft und Holly bereitete sich innerlich darauf vor, doch anstelle des erwarteten Brüllens kam ein kurzes, glucksendes Geräusch.

„Schl-Schluckauf?“, stammelte Trouble, der sich unbemerkt an Hollys Seite geschlichen hatte. Sie sah ihn verwirrt an und zuckte mit den Schultern. Konnten Drachen Schluckauf haben? Woher sollte sie das wissen. Immerhin war der letzte, lebendige Drache vor über fünfhundert Jahren gesichtet worden. Jahrhunderte vor ihrer Geburt. Außerdem war er natürlich oben bei den Menschen gewesen. Wer sagte ihnen überhaupt, dass dieses winzige Geschöpf wirklich ein Drache war?
 

Hicks.

Zumindest konnten sie sich relativ sicher sein, was den Schluckauf anging. In regelmäßigen Abständen hickste das kleine Flügelding und fuhr sich dann jedes Mal mit der Pranke über die Stupsnase.

„Fantastisch. Ist das niedlich“, schwärmte Holly, bevor sie den Drang danach unterdrücken konnte.

Trouble sah sie schief von der Seite an. Offensichtlich fand er es ausgesprochen befremdend von einem potentiell gefährlichen Wesen, das mit spitzen Zähnen, verdammt scharfen Klauen und einem mit Stacheln bewehrtem Schwanz bestückt war, als „niedlich“ zu reden. Holly konnte es auch nicht so ganz erklären, aber irgendwie drückte dieses Drachenkind wohl auf den Mutternerv, den ausnahmslos jede Frau besaß, egal welchen Alters und egal welcher Rasse auch immer sie war.
 

Auch Hrune schien es da nicht anders zu ergehen. Sie löste sich endlich vom Türrahmen und ging furchtlos und mit verklärtem Blick auf den Drachen zu.

„Oh, du bist geschlüpft. Mein kleiner Schatz. Mami ist so stolz auf dich.“

Die Koboldin breitete im Näherkommen die Arme aus. Dass der Kleine mit jedem Schritt, den sie herankam, auch einen Schritt zurück machte, entging ihr dabei völlig. Ihre Freude war ehrlich und sie erkannte die Zeichen nicht.

„Lass‘ dich umarmen, mein Süßer. Wir zwei... wir werden ein klasse Team sein. Du beantwortest mir nur eine einzige Frage und ich werde dir jeden deiner Wünsche erfüllen.“

Verzückt lachte sie auf bei der Vorstellung. Der Blick des Drachen allerdings verfinsterte sich. Oder zumindest glaubte Holly, dass man es so nennen konnte.

„Komm zu Mami!“

Als Hrune sich zu dem Drachenkind hinab beugte, um es tatsächlich in den Arm zu nehmen, wich es noch ein Stück zurück, gab etwas, das an ein Niesen erinnerte, von sich und schlug kräftig mit den Flügeln. Beinahe hätte es wieder alle drei von den Füßen gerissen, doch dieses Mal waren sie besser vorbereitet und warfen sich sofort flach auf den Boden.
 

Die Kobolddame rappelte sich allerdings schnell wieder auf. Vorwurfsvoll sah sie ihr „Baby“ an und hob tadelnd den Zeigefinger. „Also wirklich. Das tut man doch nicht.“

Und als hätte sie wirklich überhaupt nichts aus ihren Fehlern gelernt, startete sie sofort einen neuen Versuch. Der Drache fauchte dieses Mal drohend und hob die Vorderbeine hoch, bis er nur noch mit den stummeligen Hinterpfoten auf dem Boden stand. Hrune kam wieder näher und er sog Luft tief durch seine Nüstern ein.

Holly wollte die Koboldin noch warnen, doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Hrune legte ihre Arme um den Winzdrachen, Trouble hob seine Waffe und feuerte drei Schüsse auf sie ab und das Drachenbaby spuckte ihr einen gewaltigen Feuerstrahl direkt ins Gesicht.

Unter der mit nichts anderem vergleichbaren Hitze der Drachenflamme plusterten sich selbst auf Hrunes gegen Feuer resistentem Gesicht die Brandblasen auf. Die Wucht der heraus platzenden Flammen schleuderte sie außerdem durch den Raum, bis sie unsanft von einer Wand gebremst wurde, herunterfiel und mit dem Kopf voran auf dem Fußboden aufprallte. Was weder Hrune – da sie bewusstlos war – noch Holly und Trouble – da sie zu sehr auf den Drachen fixiert war – registrierten, war die Tatsache, dass der Koboldin mit diesem Aufprall zugleich, auch ihr größter Wunsch erfüllt worden war. Wenn sie wieder aufwachen würde, heute oder morgen, im Gefängnis Howler’s Peak, dann würde sie dumm sein. So dumm, wie es sich für einen anständigen Kobold eben gehörte.

Mama

Es war absolut still geworden im Stellas, nachdem der kleine Drache Hrune mit dem Feuer erwischte hatte. Holly und Trouble trauten sich beide nichts zu sagen, um nicht vielleicht ebenfalls die Wut dieses winzigen Geschöpfes auf sich zu ziehen. Sie hatten keine Ahnung, was sie jetzt tun sollten und warfen sich gegenseitig fragende Blicke zu, doch eine Antwort wollte keinem einfallen. Was sollte jetzt aus dem Drachen werden?

Der Kleine räkelte sich ausgiebig, spuckte noch einen letzten Funken in Hrunes Richtung und wandte sich dann ab. Holly musste lachen, so hochnässig wirkte das Drachenkind dabei.

Sein geschuppter Kopf zuckte herum und die matschfarbenen Augen fixierten die Elfe, der augenblicklich das Lachen im Hals stecken blieb. Sie wich nach hinten zurück, bis sie gegen einen Tisch stieß. Trouble stellte sich schützend zwischen sie und das Miniaturmonster.
 

Und dann fiepte der Winzdrache wahrlich mitleiderregend. Er kniff den Schwanz ein und ließ die Flügel hängen wie ein geprügelter Hund. Mit dem Unterschied, dass Hunde normalerweise keine Flügel haben, natürlich.

„Oh...“

Holly drängte sich an Trouble vorbei, obwohl er versuchte sie zurückzuhalten. Die Miene des Drachenkindes hellte sich auf. Es schlug ganz leicht mit den Flügeln und hob vom Boden ab, bis er in Hollys Augenhöhe auf der Stelle schwebte.

„Mama“, quäkte es und pustete ein wenig Rauch aus. „Fantastisch.“

Dann versuchte es, Hollys Lachen nachzuahmen, was ihm mehr oder minder gänzlich misslang. Allerdings stimmten dann und auch Trouble in das Lachen mit ein. Aus klugen Augen sah es die beiden an und rief noch einmal „Mama“.
 

Draußen fielen mehrere Autotüren ins Schloss. Stimmen wurden laut und es näherten sich mindestens ein Dutzend Leute, dem Geräusch der Schritte nach zu urteilen. Holly wechselte einen schnellen Blick mit Trouble. Der Elf nickte. Er glaubte ebenso wie sie, dass jetzt endlich eine ZUP-Bergungseinheit im Anmarsch war. Wenn man sich auf eines verlassen konnte bei der Bergung, dann war es die Tatsache, dass sie immer dann kamen, wenn eigentlich alles schon längst vorbei war. Manchmal glaubte Holly, sie würden das mit Absicht machen.

Die Tür des Stellas verwandelte sich innerhalb von Sekunden in einen Splitterhaufen zu den Füßen der Einsatzelfen. Insgesamt neun Officer stürmen in das Gebäude. Einige blieben wohl draußen, um dort Wache zu stehen.

„Sie sind hier, Commander. Ich kann sie sehen“, rief jemand in sein Mikrofon. „Ja, Captain Short und Major Kelp. Beide dem Augenschein nach unverletzt.“
 

Mit einem leisen Fiepen lenkte der Drache Hollys Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Sie schauten sich einen Moment lang in die Augen und Holly wusste plötzlich ganz genau, was er jetzt als Nächstes tun würde. Er sagte es ihr nicht und sie erriet es auch nicht. Nein, ist wusste es einfach von einer Sekunde auf die andere.

„Mama... bis bald.“ Und schneller als die Augen ihm folgen konnten, hatte er seine Flügel zu ihrer vollen Spannweite von dreißig Zentimetern ausgebreitet, flog quer durch den Raum mitten durch die Glasscheibe des Fensters und ließ nur ein Loch in dem schönen Buntglas zurück.

Wie betäubt sah Holly dem Kleinen hinterher, obwohl er schon gar nicht mehr zu sehen war. Sie bemerkte es kaum, wie Trouble sie zu einem Stuhl zog und mit sanfter Gewalt zum Sitzen zwang. Er sagte auch irgendetwas, aber sie verstand es nicht. Der Stress der letzten Stunden machte sich bemerkbar.

Ganz am Rande bekam sie noch mit, wie der Commander eintraf und von Trouble ebenfalls zu einem Stuhl dirigiert wurde. „Setzen Sie sich erst einmal, Sir. Das Ganze ist eine etwas längere Geschichte.“

Dann wechselte sie hinüber ins Reich süßer Träume.
 

Trouble hatte Holly in dieser Nacht noch nach Hause gebracht. Sie hatte eine Dose Instant-Suppe warm gemacht und Trouble gebeten, dass er noch ein Stündchen da blieb. Sie redeten nicht viel. Viel gab es eigentlich auch nicht zu sagen. Erst als sie beide ihre Suppenteller geleert hatten, stellte sie ihm die Frage, die ihr schon die ganze Zeit brennend auf der Zunge lag. „Hast du dem Commander von dem Drachen erzählt?“

„Das musste ich wohl“, erwiderte er seufzend. „Wie hätte ich sonst das Verschwinden des Eis erklären sollen?“

Widerwillig musste sie daraufhin zustimmend nicken. „Werden... werden sie ihn suchen? Ich will nicht, dass...“

„Dass er endet wie eine Zirkusattraktion?“

Wieder ein Nicken.

„Root hat allen befohlen, dass keine Suche beginnen soll. Er denkt, dass er allein da draußen ohnehin keine Überlebenschancen hat. Vermutlich ist das besser so.“

„Vermutlich...“
 

Trouble legte tröstend einen Arm um Hollys Schulter und sie legte ihren Kopf an seine Schulter. „Das war ein verrückter Tag.“

Sie lächelte. „Das kannst du aber laut sagen.“

„Etwas Gutes hat es“, meinte Trouble und lachte, als er sah, wie Holly zweifelnd eine Augenbraue anhob. „Root hat uns für den Rest der Woche freigegeben.“

„Ach ja, ich kann es immer noch kaum glauben.“

Dann wurden sie irgendwie beide wieder still. Keiner wusste mehr, was er noch sagen sollte und eigentlich brauchte dieser Moment auch gar keine Worte. Holly schloss die Augen. Obwohl sie eben im Restaurant schon beinahe drei Stunden geschlafen hatte, fühlte sie sich todmüde. Trouble streichelte ganz sanft über ihre Schulter. Dabei konnte sie wirklich wieder einschlafen. Vielleicht würde sie das ja sogar auch. Allerdings gab es da vorher noch eine Sache zu klären.

Holly drehte den Kopf ganz leicht, um Trouble besser ins Gesicht sehen zu können. „Willst du mich nicht fragen?“

Beinahe wie ein auf frischer Tat ertappter Schuljunge sah er aus und wurde rot. „W-was denn?“, tat er den Ahnungslosen, doch Holly ließ sich davon nicht ablenken.

„Was du mich schon seit dem Mittagessen in der Kantine zu fragen versuchst.“

„Ach so, das... Das ist gar nicht so wichtig.“ Ausweichend sah er sich im Zimmer um, betrachtete fasziniert ein Bild, dass Holly mit ihren ersten Flügeln zeigte.

Doch Holly wusste es besser. Sie hatte von Anfang an gewusst, was Trouble so verzweifelt zu fragen versucht hatte. „Was hältst du davon, wenn wir noch einmal zusammen essen gehen? So ganz privat dieses Mal natürlich. Ein Date, wenn du so willst.“

Trouble glaubte seinen eigenen Ohren kaum, als er das hörte. Er traute seiner Stimme nicht, deshalb sah er Holly einfach nur an und nickte glückselig.

„Okay.“ Holly lehnte ihren Kopf wieder an seine Schulter und schloss erneut die Augen. „Nächsten Samstag. Sieben Uhr.“

Ohne sich davon zu überzeugen, ob Trouble dieses Mal auch mit einem Nicken seine Zustimmung zeigte, fuhr sie fort: „Ich ziehe ein rotes Kleid an. Achte bei den Blumen darauf, welche du mitbringst. Es passen sicher nicht alle gut zu der Farbe.“

Trouble konnte nur noch staunen. Nie hätte er gedacht, dass diese Elfe ihn so gut verstand. Aber es herauszufinden, machte ihn unglaublich glücklich. Er hatte ja schon immer gewusst, dass es einen guten Grund geben musste, weshalb Holly Short für ihn etwas ganz Besonderes war.
 


 

_________________________________________

A/N: *einen dicken "Happy End"-Schriftzug einblend* Nun sind wir schon an das Ende dieser kleinen Geschichte gekommen. Ich hoffe, dass euch auch das letzte Kapitel gut gefallen hat.

Es wäre übrigens sehr schön, wenn sich auch mal die Schwarzleser mit einem kleinen Kommentar zum Abschluss melden würden. (Verstecken ist sinnlos. Ich weiß, dass ihr da seid. ;))



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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  Cygni
2009-01-09T15:52:49+00:00 09.01.2009 16:52
ohhhh toll!! Ich glaub sie passen voll gut zusammen! und ich interprertire jetz einfach das der drache ein langes und glückliches leben in i-einem wald lebt^^ weiter so!
LG Stellax3(das 'stellas' sollte ich das persönlich nehmen?^^)
Von: abgemeldet
2008-12-17T18:15:05+00:00 17.12.2008 19:15
oh wie suess!!
du hast mir damit in der letzten woche meine freistunden verschoenert^^dankeschoen xD
was passiert mit dem drachen? kommt er zu Holly zurueck? so als adoptivkind oder so? ;))
Von:  Hatshepsut
2008-10-26T18:12:21+00:00 26.10.2008 19:12
Hallöchen ^^
Endlich komme ich dazu, deine Geschichte zu lesen und es stellte sich als gute Entscheidung heraus :)
Ich liebe sie! Vor allem dein Schreibstil ist so gut, dass ich mir alles ziemlich gut vorstellen kann.
Root und Foaly sind super geworden. Genau so stelle ich sie mir vor! ;)
Love it! XD

Von: abgemeldet
2008-08-17T15:11:03+00:00 17.08.2008 17:11
Nachdem ich die FF vor einiger Zeit auf der berühmt-berüchtigten Liste gesehen habe, hab ich mir gesagt: Irgendwann liest du die! Und heute war es soweit ...
Wow! Ich muss sagen, sie wird den Büchern absolut gerecht - eine würdige FF zu wirklich tollen Büchern. Der Humor ähnelt dem von Colfer sehr, was mich besonders gefreut hat. Das Lesen hat wirklich Spaß gemacht!
Und die gute Bewertung hat deine FF auf jeden Fall verdient.
Von:  Schwesel
2008-06-29T18:45:30+00:00 29.06.2008 20:45
ich find das ende total cool, ich find die idee mit holly und trouble total tool, die idee is mir auch schon öffter gekommen
Von:  Alaiya
2008-06-29T10:38:41+00:00 29.06.2008 12:38
Tolle geschichte und passt auch zu den Büchern, meiner meinung nach, auch wenn ich mich Ro anschließe: Bin eigentlich kein Artemis eigentlich nicht so der Pairingfan, aber es da es hier eher so unterschwellig ist: Wieso nicht xD
Ich fand die Geschichte auf jedenfall richtig toll geschrieben und habe auch einige Mal sehr gelacht. Stilistisch sehr schön. Erinnerte mich wirklich an die Bücher, auch wenn es schon etwas her ist, dass ich die gelesen hab.
^-^
Von:  _Delacroix_
2008-04-27T21:51:51+00:00 27.04.2008 23:51
Sehr schöne Geschichte.
Bis vorhin hätte ich noch ernsthaft bezweifelt, dass man bei Artemis Fowl überhaupt irgendein Pairing bilden kann, (Ok, abgesehen vielleicht vom letzten Band.) aber ich fühle mich jetzt eines Besseren belehrt.
Ich fühlte mich komplett gut unterhalten und habe Artemis nicht eine Zeile lang vermisst.

Die Story ist dir wirklich sehr gut gelungen.^^
Von:  AngelofAme
2008-02-29T19:16:12+00:00 29.02.2008 20:16
Das letzte kapi war echt klasse die gesamte geschichte is echt klasse, aber...
..ich will den drachen HAben *chibi augen macht* Bitte kann ich den knuffigen Drachen haben? Ich werde auch gut für ih sorgen.

Jay-the_shadow

Ps schreib weiter so , freue mich auch wenn du eine weitere ff zu diesem paar schreibst^^
Von:  DarkAngelSatan
2008-02-28T21:26:54+00:00 28.02.2008 22:26
mehga geiles Kapitel. Schreib bitte noch eine ff über das Paar oder am besten eine Vortsetzung.
Von:  CptJH
2008-02-28T21:06:35+00:00 28.02.2008 22:06
Aaaaaw, wie süß.... genau mein Gedanke, ehrlich!
*lol*
Tja, aber da Diener_des_Feindes das schon erwähnt hat... >->"""
Aber das Kapitel ist wirklich toll und das Ende passt zu der GEschichte!


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