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Atlantis sehen und sterben

A/N: Das hier ist mein Beitrag zum OneShot-WB des Story_for_you/FF-Zirkel für "eigene Serie", der den 1. Platz belegt hat. *stolz* Das Thema war "Die versunkene Stadt Atlantis" und obwohl weniger Leute mitgemacht haben, als ich gehofft hatte, hat es viel Spaß gemacht. Die Kritik und Kommentare der Jury haben mir sehr geholfen und hier ist jetzt also die überarbeitete Version von "Atlantis sehen und sterben", über die ich stundenlang reden könnte, weil es so viel zum interpretieren gibt. :D
 

Atlantis sehen und sterben

Der Grad zwischen Hingabe und Besessenheit ist so schmal, dass wir ihn manchmal überschreiten, ohne dass wir es selbst bemerken. Hingabe kann unserem Leben einen Sinn geben und es um neue Erkenntnisse und Erfahrungen bereichern. Besessenheit kann im Endeffekt nur eins: Zerstören. In den seltensten Fällen können wir uns selbst stoppen, wenn wir den Schritt hinüber zur Besessenheit getan haben. Wir können nicht zurück, doch das, was vor uns liegt, ist noch schlimmer, noch größer, noch unglaublicher.

Die meisten von uns können nicht zurück, wenn sie den Grad übertreten haben. Auch mein Vater konnte nicht zurück. Er war in seiner eigenen Besessenheit gefangen und „Halt! Stopp! Bitte wenden und zurück zur Normalität!“ gab es für ihn leider nicht. Auch jetzt, als wieder ein erfolgloser Trupp nach Hause kommt, sehe ich keine Spur von Zweifel in seinen tiefen, blauen Augen. Er sitzt nur da und nickt, während ihm die Männer erneut erklären, dass sie nichts gefunden haben.

Jeffrey Murdoch, der Leiter der Gruppe, wirft mir einen mitleidigen Blick zu und zuckt mit den Schultern. Ich schlucke, doch erwidere seinen Blick nicht. Wie könnte ich Mitleid von jemandem wie ihm annehmen? Ich sehe zu Boden und warte bis die Männer das Haus verlassen haben. Ihre hohen Anglerstiefel haben schlammige Abdrücke auf dem Küchenboden hinterlassen.

Ich wage es nicht, meinem Vater ins Gesicht zu sehen und mache mich daran, verschiedene Putzmittel aus dem Schrank unter der Spüle zu suchen, um mit dem Saubermachen zu beginnen. Mein Vater hustet trocken und in meiner Einbildung sehe ich seine Lunge zu Staub zerbröseln.

„Lass es gut sein, Meri...“, sagt er leise und ich sehe nun doch auf.

Wie zerbrechlich und klein er in seinem Rollstuhl wirkt! Wie ein getrocknetes Stück Dörrobst mit Augen, kommt es mir in den Sinn und im Stillen verfluche ich mich für solche Gedanken.

„Deine Männer sind echte Schmutzfinken!“, lache ich und versuche locker und gut gelaunt zu klingen. Das Lachen bleibt mir fast im Halse stecken. Ich kralle meine Hand verzweifelt in einen Stapel Putzlappen und muss tief durchatmen, bevor ich mich an meine Arbeit machen kann.

„Meri!“ Mein Vater klingt gereizt. „Was soll das denn?“

Ich lasse Wasser in einen kleinen Eimer laufen und gebe ein wenig Putzmittel hinzu. Schäumend wird das Wasser vom rauschenden Strahl des Hahns mit dem grünen Gel vermischt.

„Was?“, frage ich und halte eine Hand ins Wasser um seine Temperatur zu prüfen. Die wohltuende Wärme zieht langsam meinen Arm hinauf.

Ich höre, wie mein Vater hinter mir mit seinem Rollstuhl auf den Küchentisch zurollt, den wir schon lange nicht mehr benutzen, um daran zu Essen.

„Ich weiß, was du denkst...“, sagte mein Vater leise und ich drehe mich schließlich doch zu ihm um. Er hat seine faltigen Hände mit den langen weißen Fingern auf seine die Tischplatte gelegt und sieht mich aus stechendblauen Augen an.

Ich sage nichts, aber mein Blick spricht mehr als tausend Worte.

Er streicht mit einer Hand über die Papiere, die hauptsächlich verantwortlich sind für das Chaos, das auf dem Tisch herrscht. Landkarten, Übersetzungen, Zeichnungen, Bilder – seine Fingerkuppen berühren sie sanft; schon fast liebevoll.

Ich beobachte ihn und ich spüre, wie mir schlecht wird. Sein Leben – mein Leben – ist auf diesem Tisch ausgebreitet. Eine rasche Handbewegung, ein Wisch und es würde in die schlammigen Fußabdrücke auf dem Küchenboden fallen.

Schon mein eigener Name verhöhnt mich jeden Tag aufs Neue. Meredith. Herrscherin des Meeres. Mein Vater hatte schon immer einen seltsamen Sinn für Humor.

„Du weißt, es ist nur eine Frage der Zeit bis wir...“

Das Telefon klingelt. Mein Vater stoppt und sieht mich an. Ich starre zurück. Es ist ein Moment unangenehmen Schweigens, nur unterbrochen durch das Schrillen des Telefons. Ich mache keine Anstalten den Hörer abzunehmen. Mein Vater seufzt und rollt hinüber zur Küchentür, neben dem das Telefon an der Wand angebracht ist. Er muss sich strecken und ein Stück aus seinem Rollstuhl heben um es zu erreichen.

Ich wende mich ab und starre in den mit Wasser gefüllten Eimer. Ich höre meinen Vater leise, aber deutlich zu jemandem am anderen Ende der Leitung sprechen.

„Ja... Ja...“ Er hustet ungesund. „Nein, natürlich nicht. Ich verstehe. Ja, ich verstehe. Gut, wir sehen uns dann am Dienstag. Halb 11? Ja. Nein! Schon in Ordnung... Es ist gut...“

Das leise Klicken des Hörers auf der Gabel hallt laut durch die stille Küche. Ich lasse wie beiläufig einen blauen Lappen in den Eimer fallen und drehe mich wieder zu meinem Vater um. Er sitzt immer noch neben dem Telefon und starrt ins Nichts.

„Wer war dran?“, frage ich, weil ich weiß, dass ein neutrales Gesprächthema jetzt das einzig Richtige ist.

Langsam hebt mein Vater seine Kopf und sieht mich aus glanzlosen Augen an.

Mit einem Schlag ist alles aus meinem Kopf verschwunden. Die Gedanken an die erfolglose Suche, mein Leben auf dem Küchentisch, mein Vater, das Dörrobst. Mein Magen verkrampft sich panisch und ich öffne den Mund wie ein Fisch, den man aus dem Wasser genommen hat.

Mein Vater sagt nichts. Er sieht mich nur an.

„Was... ist passiert?“, frage ich, obwohl die Antwort schon aus jeder Pore meines Körpers strömt und in jeder Zelle wiederhallt.

„Er ist...“, beginnt mein Vater, doch spricht nicht weiter. Er schluckt heftig. „Meine Testergebnisse waren positiv, Meredith...“

Positiv! Das Wort hallt in meinem leergefegten Kopf wie ein grausames Echo.

Ein kläglicher Laut entrinnt meiner Kehle und ich halte mich am Küchentresen fest.

„W-Wie...“ Mehr kann ich nicht sagen. Meine Stimmbänder versagen den Dienst.

„Meredith! Liebling, willst du dich setzen?“ Mein Vater klingt besorgt und ich lasse mich langsam auf einen der hölzernen Küchenstühle nieder. Das alte Holz knarrt beunruhigend unter meinem Gewicht.

Ich starre auf die Papiere vor mir auf dem Tisch, doch ich sehe eigentlich nicht, was darauf steht. Die schwarze Linien tanzen vor meinen Augen wie ein unlösbares Rätsel, dessen Lösung mir keine Ruhe lässt.

„Du musst sofort in die Klinik...“, höre ich mich sagen und blicke langsam auf. Mein Vater sieht mich mit wie versteinerten Gesichtszügen an.

„Nein“, sagt er nur und ich habe selten so viel Nachdruck in seiner Stimme gehört. Sein Blick huscht erneut über die Arbeit, die sich auf dem Tisch häuft. „Nein, Murdoch sagte doch, wir könnten Mittwoch wieder raus und an einer anderen Stelle suchen, die ich berechnet habe. Ich habe diesmal...“

„NEIN!“ Wie von selbst balle ich meine Hände zu Fäusten. „Nein! Du musst dich behandeln lassen! Was denkst du dir denn eigentlich?“

„Du kannst mir nicht verbieten...

„Natürlich kann ich dir das verbieten! Was glaubst du denn, was passiert, wenn du es findest? Dass du dann geheilt wirst? Dass es dir von einer Sekunde auf die nächste wieder gut geht? Denkst du eigentlich auch nur ein einziges Mal nicht an dich selber?!“ Ich bin so wütend, dass ich kaum merke, dass ich aufgestanden bin und wie meine Beine zittern.

Mein Vater schweigt einen Moment betroffen. Sein Gesicht ist bleich geworden.

„Hasst du es wirklich so sehr, Meri?“, fragt er und seine Stimme ist leise geworden. Ich bereue fast, was ich ihm an den Kopf geworfen habe.

„Nein“, sage ich und setze mich wieder. Seufzend fahre ich mir mit einer Haar durchs Haar und werfe meinem Vater einen verzweifelten Blick zu. „Du weißt, dass ich es nicht hasse. Aber du bist mir wichtiger als es zu finden...“

„Wenn ich dir wirklich so wichtig wäre, würdest du mir helfen anstatt mich wieder an ein Bett fesseln zu wollen!“

Ich sehe ihn ungläubig an. Warum ist er immer so?

„Das ist nicht fair!“, rufe ich. „Es ist Krebs, verdammt noch mal!“ Mir schießen Tränen in die Augen und ich wische sie ärgerlich mit dem Ärmel meines Pullovers fort.

„Ja! Aber es ist mein Krebs!“ Sein Gesicht hat den Ausdruck eines trotzigen Kindes angenommen. „Ich entscheide wann und wie ich mich behandeln lasse!“

Ich schweige perplex.

„Bist du wirklich so dumm?“, frage ich und es klingt schrecklich nüchtern und ernst.

Die Miene meines Vaters stürzt ein wie ein Kartenhaus. Der Horror, der dahinter liegt, erschreckt mich fast noch mehr als seine Dummheit.

„Ich will es doch nur sehen!“, sagt er schwach und machte eine fahrige Bewegung mit seinen Händen. „Ich will es doch nur sehen...“

Seine Worte verlieren sich fast in der Stille der Küche.

„Du wirst es nicht sehen, wenn du so weitermachst, Dad... Du wirst sterben...“

Es ist, als hätte ich meinem Vater ins Gesicht geschlagen. Sein kleiner, dürrer Körper, noch geschwächt von der letzten Chemo, windet sich unter meinen Worten wie eine getretener Hund.

„Aber es ist mein Leben, Meredith. Es ist alles, wofür ich je gearbeitet habe!“

„Wie kann diese Suche dein Leben sein, wenn sie dich ins Grab bringt?“ Es ist schwer wieder auszuhören, wenn man einmal begonnen hat, auszusprechen, was man denkt.

Mein Vater antwortet nicht. Langsam, wie in Zeitlupe rollt er sich hinüber zum Tisch und nimmt ein paar Zeichnungen in die Hand, die ganz oben auf einem Stapel Papier liegen. Mit einem Finger fährt er die grauen, verblichenen Linien nach, die sich elegant verschwungen zu Gebäuden zusammenfügen.

Atlantis.

Jedes Mal, wenn ich an diesen Namen denke, erscheint er mir unwirklicher. Wie ein Traum. Und ein Traumgebilde ist es wohl auch, dem wir jetzt schon seit Jahren hinterher jagen.

„Aber wie soll ich ernsthaft weiterleben wollen, wenn ich weiß, dass ich nicht jede, noch so kleine Chance wahrgenommen habe? Verrat es mir, Meredith! Wie soll ich kämpfen, wenn da nichts ist, wofür es sich lohnt?“

Ich sehe ihn wütend an.

„Jetzt werde nicht melodramatisch!“ Ich deute auf die Zeichnungen. „Das wird dir nicht helfen, Dad! Das wird das kranke Gewebe nicht aus deinem Körper entfernen! Das wird dein Leben nicht retten!“

Ein trockenes Lachen kommt aus der Kehle meines Vaters.

„Wer ist hier melodramatisch?“

„Ich will dich doch nur nicht verlieren!“, starte ich einen letzten, verzweifelten Versuch an das Gewissen meines Vaters zu appellieren. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir diese Diskussion jetzt schon geführt haben.

„Wusstest du, dass manche Menschen glaubten, dass Atlantis seine einzigartige Macht Oreichalkos zu verdanken hat?“ Die Augen meines Vaters funkeln erregt. Mein Magen macht einen Sprung bei diesem abrupten Themenwechsel.

„Ja...“, sage ich schwach. Es ist mehr ein Seufzen als eine wirkliche Antwort.

„Niemand weiß bis heute, was Oreichalkos eigentlich ist“, fährt mein Vater fort, als wäre ich überhaupt nicht da. „Ein sagenumwobenes Metall, das es nur in Atlantis gegeben haben soll. Es könnte so vieles sein. Manche sagen, es hätte sie dabei um einfaches Messing gehandelt, andere vermuten dahinter die größte Waffe der Menschheit...“

Ich schnaube.

„Was soll das, Dad? Du kannst nicht einfach...“

Mein Vater unterbricht mich. Es ist, als habe er mich nicht gehört.

„Wäre es nicht unglaublich aufregend, herauszufinden, was Oreichalkos war? Es als erster Mensch seit Jahrtausenden wieder zu sehen. Wäre das nicht wunderschön?“

Er sieht mich jetzt an und ich brauche nur kurz in seine Augen zu sehen, um zu begreifen, dass er nicht mehr bei Sinnen ist.

„Dad...“, sage ich leise und greife nach seiner kleinen, knochigen Hand. Doch mein Vater befindet sich in schon lange in einem Traumland. Ein Land jenseits meiner Vorstellungskraft. Ein Land, in dem ich nicht existiere.

Ich muss hart schlucken.

„Ich bin müde...“, sagt er plötzlich und es ist wieder so etwas wie Klarheit in seiner Stimme. Mit einer Hand fährt er sich über den fast kahlen Schädel, der übersäht ist mit bräunlichen Altersflecken und Muttermalen. Sein eingefallenes Gesicht verzieht sich zu einem verhaltenen Gähnen.

Ich nicke erschöpft und er rollt sich langsam zurück.

„Gute Nacht...“

Mein Vater stoppt und sieht mich an. Ich sehe, in seinem Gesicht, dass er mit sich kämpfen muss, um die nächsten Worte aussprechen zu können.

„Ich... Ich rufe morgen Murdoch an. Vielleicht... kann man die Expedition verschieben. Ich glaube allerdings nicht, dass wir dann den zweiten Roboter bekommen und...“ Er beißt sich auf die trockene Unterlippe und schweigt.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

„Du willst sie verschieben? Heißt das, du gehst doch in die Klinik?“ Mein Verstand wehrt sich gegen vorschnelle Freude und ich versuche ruhig zu bleiben. Mein Vater schüttelt langsam den Kopf.

„Ich werde zum Arzt gehen und mit ihm besprechen, wann... ich wieder aufs Schiff kann. Nicht mehr und nicht weniger!“ Mit diesen Worten rollt er aus der Küche und lässt mich allein zurück.
 

Ich stehe auf und trete wieder hinüber zum Spülbecken, in dem immer noch der gefüllte Eimer steht. Das Wasser ist noch warm und ich hebe ihn aus der Spüle. Etwas Schaum schwappt über den Rand und landet auf dem Küchenboden.

Ich hocke mich hin und beginne den Schlamm vom Boden aufzuwischen. Es ist eine lange Schlammspur bis zur Tür, die zum hinteren Teil des Garten führt und durch die Murdoch und seine Männer zu kommen pflegen.

Als ich endlich zum letzten Mal den Lappen auswringe, sind meine Finger schrumpelig und schmerzen vom scharfen Putzmittel.

Ich stehe auf und starre in den Eimer mit dem dreckigen Wasser zu meinen Füßen. Mein Blick wandert weiter bis zum Küchentisch und ich bemerke, dass die Zeichnungen fehlen. Mein Vater muss sie mit in sein Zimmer genommen habe. Von wegen Schlafen...

Das schrille Klingeln des Telefons unterbricht mich in meinen Gedanken und ich steige über den Eimer und die großen Pfützen Wasser, um den Hörer abzunehmen.

„Ja?“, melde ich mich.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klingt undeutlich und verzerrt. Wahrscheinlich ruft er von einem Handy aus an.

„Meredith? Bist du es?“ Es ist Murdoch.

„Ja“, sage ich. Murdoch ist der letzte, mit dem ich jetzt reden will. „Was ist denn?“

Ein Rauschen folgt, doch dann steht die Verbindung wieder.

„Wir haben hier ein paar interessante Sachen auf den Sonaraufzeichnungen entdeckt, die uns auf hoher See nicht aufgefallen sind. Es könnte sein, dass wir was gefunden haben...“

Ich kann nicht verhindern, dass mir ein Keuchen entringt. Kann es wirklich sein? Warum jetzt? Spielt mir das Schicksal einen bösen Streich?

„Meredith? Bist du noch dran?“

Ich hole tief Luft.

„Ja... Ja, klar. Und was heißt das jetzt? W-Was sollen wir machen?“

Ich weiß, dass ich Murdoch wahrscheinlich mehr als verwirre. Ein bisschen mehr Freude hat er sicherlich erwartet.

„Ist dein Vater nicht da?“

„Er schläft schon...“, lüge ich.

Murdoch schnalzt mit der Zunge.

„Gut, dann soll er sich morgen einfach melden, wenn er es für wichtig genug hält, okay? Ich habe ein bisschen rumtelefoniert und es sieht so aus, als könnten wir einen großen Schober kriegen, wenn wir Glück haben. Vielleicht auch ein paar Männer mehr und natürlich den zweiten Roboter. Allerdings müsste ich das morgen früh schon klarmachen, wenn dein Vater das Okay gibt. Ist ja schließlich sein Geld...“

Ja, das stimmt allerdings.

„Klar, kein Problem. Ich frage ihn morgen...“ Wieder eine Lüge.

„Super. Okay, ich geh muss los. Margie wartet mit dem Essen auf mich!“

„Ja, grüß sie von mir. Danke für deinen Anruf...“

„Mach ich. Bye!“

Ich lege auf, doch meine Hand verharrt noch eine Moment auf dem Hörer. Und noch während ich dort stehe, fasse ich einen Entschluss.

Rasch schütte ich das Schmutzwasser aus dem Eimer in die Spüler und werfe den Lappen in die Wäsche. Für einige Sekunden bleibe ich noch in der Küche stehen und lasse meinen Blick über den Tisch schweifen. Es genügt.

Ich schalte das Licht aus und stolpere im dunklen Flur fast über die Kommode.

„Hat das Telefon geklingelt?“, ruft mein Vater aus seinem Zimmer. Ich sehe, dass bei ihm noch Licht brennt.

Ich verharre in der Dunkelheit und beiße mir auf die Unterlippe.

„Ja“, sage ich laut. „Aber nur verwählt...“

Schweigen.

„Verwählt, mhm...“ Mehr sagt er nicht. Vielleicht weiß er, was ich getan habe und noch beabsichtige zu tun. Vielleicht hat er einen klaren Moment und kann nicht nur durch diese dicke Holztür sehen, sondern auch durch mich hindurch. Bis er tief in mir findet, was er vermutlich immer schon geahnt und befürchtet hat. Meinen Verrat.

„Gute Nacht...“, sage ich, doch er antwortet nicht.

Ich gehe vorsichtig weiter und öffne die Tür zu meinem Zimmer. Ich schalte das Licht an, setze mich auf mein Bett und sehe auf meine immer noch schrumpeligen Hände.

Glaubst du denn nicht mehr daran? Glaubst du es denn nicht mehr, Meri?

Es ist ein Spiel gewesen. Eine Frage, die er mir gestellt hat, als ich noch ein Kind war. In diesen Moment pflegte er mich auf den Arm zu nehmen und solange herumzuwirbeln bis ich lachend verneinte. Ich glaubte daran. Natürlich.

Liebst du es denn nicht mehr? Liebst du es nicht, Meri?

Natürlich liebte ich es. Ich habe es immer geliebt. Doch manchmal muss man zwischen zwei Dingen wählen. Manchmal gibt es keine andere Möglichkeit. Und es gibt etwas, dass ich schon immer mehr geliebt habe als Atlantis.

Liebst du es denn nicht?

Natürlich. Ich liebte es, weil er es liebte. Es war sein Leben, also wurde es meins. Vater und Tochter. Ich würde ihm alles geben und alles für ihn tun.

Ich werde ihn nicht sterben lassen. Und auch wenn es bedeutete, seinen Traum zu zerstören, ich werde nicht zulassen, dass er sein Leben aufs Spiel setzt. Denn sein Leben ist auch das meine.

Der Grad zwischen Hingabe und Besessenheit ist schmal. Warum habe ich das Gefühl, ihn grade überschritten zu haben?

Von dir und mir

A/N: Eine recht ungewöhnliche Arbeit für mich. Eine kleine Geschichte nach einer wahren Begebenheit, die innerhalb von ungefähr einer Stunde zusammengeschrieben habe und für mich immer noch irgendwie Bedeutung hat. ^^
 

Von dir und mir
 

Ich sitze in meinem Auto und lese Von Mäusen und Menschen.

Draußen beginnen schon die Grillen zu zirpen und jetzt, nachdem die Sonne untergegangen ist, wird es mit jeder Minute etwas kälter. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass der dunkle Asphalt immer noch von der Hitze des Tages angenehm warm ist und ich problemlos barfuß einen kleinen Spaziergang machen könnte, wenn ich wollte. Doch ich will nicht. Ich will einfach nur in meinem Auto sitzen und Von Mäusen und Menschen lesen.

Das würde vielleicht furchtbar intellektuell wirken, wenn da nicht diese unbedeutende Kleinigkeit wäre.

Ich sitze in meinem Auto und lese Von Mäusen und Menschen vor deinem Haus.

Dieser Gedanke ist so krank, dass ich laut aufstöhne und noch etwas tiefer in den schmutziggrauen Fahrersitz meiner alten Karre sinke. Als ob ich Angst hätte, du könntest jeden Moment aus dem Fenster sehen und mich entdecken. Wahrscheinlich hast du das schon längst. Wem würde es nicht auffallen, wenn seit sechs Monaten und siebzehn Tagen jeden Abend dasselbe Auto vor seiner Tür steht? Ich will damit nicht andeuten, dass du vielleicht etwas beschränkt oder dumm bist oder einfach nie aus deinem Fenster siehst. Nicht im Entferntesten.

Sechs Monate und siebzehn Tage seit dem Tag, an dem ich festgestellt habe, dass ich dich liebe.

Die Lage von Lennie und George spitzt sich zu, doch meine bleibt immer gleich. Jeden Abend sitze ich vor deinem Haus und lese ein Buch. Glaub mir, der Stapel auf meiner Rückbank ist riesig. Ich habe mit Stephen King und Chuck Palahniuk begonnen und bin jetzt zu den Klassikern zurückgekehrt.

Back to Basics.

Sechs Monate und siebzehn Tage seit dem Abend, an dem ich zum ersten Mal in meinen Wagen gestiegen bin mit der Absicht dir zur sagen, was ich für dich empfinde. Sechs Monate und siebzehn Tage seit dem Abend, an dem ich zum ersten Mal vor deinem Haus saß und mit einem Buch, das meine Schwester vergessen hatte, versucht habe mein Angst zu unterdrücken und den Mut zu finden auszusteigen, zu deiner Tür zu gehen, zu klingeln und dir dann ins Gesicht zu sagen, dass ich dich liebe.

Ich liebe dich.

Es klingt wie ein fürchterlich ausgelutschtes Klischee, aber es klingt in meinem Kopf wirklich viel einfacher und unkomplizierter, als es in Wahrheit ist. In sechs Monaten hat man allerdings auch Zeit sich mit diesem Gedanken anzufreunden. Was sich vor einem halben Jahr noch wie ein Fremdkörper in meinem Hirn anfühlte, ist heute zu einem Bestandteil davon geworden.

Ich bin zu beschäftigt damit, in dich verliebt zu sein, als dass ich mir wirklich überlegen könnte, wie ich es dir sagen soll.

Nur hier, in den Stunden in meinem Auto, findet mein Verstand einen Weg durch das Chaos in meinem Kopf und spielt mir die Szenarien vor. Und wenn ich keine Lust mehr habe, mir vor meinem inneren Auge anzusehen, wie du mir immer und immer wieder sagst, dass es dir Leid tue, dann schlage ich einfach das Buch XY auf und beginne meine Gedanken in Worten zu ertränken.

„Es tut mir Leid, aber blablabla...“

Wenigstens würdest du dich dafür entschuldigen, mir das Herz brechen zu müssen. Du bist schließlich nett. Einer von den Guten.

Dein Fenster ist mit einem dunklen Vorhang verhangen Vermutlich sitzt du an deinem Computer oder lernst. Aber vielleicht liegst du auch in deinem Bett und liest ein Buch. Vielleicht liest du Von Mäusen und Menschen. Aber auch nur vielleicht.

Ich blicke in letztes Mal zu deinem Fenster auf, starte den Wagen, fahre nach Hause und wünsche mir nicht sehnlicher, als endlich die Geschichte von dir und mir lesen zu können.

Stadtlichter

Ein kleines Projekt von mir, das verschiedene kurze Scribbles zum einem Thema enthalten sollte. Mein Thema war "Stadtlichter" und dies sind die beiden Texte, die mir persönlich am besten Gefallen. Ob ich die anderen hochlade, weiß ich noch nicht.
 

Stadtlichter
 

Die Lichter der Stadt ziehen mich weiter und weiter, fort von meinem Körper, hinein in die schwarzen Tiefen der Nacht. Über die Straßen und Dächer hinweg, über tote Lichter, bis hinein in die dunkle, kalte See, dessen Schwärze sogar das Fehlen von Licht übertrumpft.

Mein Körper bleibt zurück auf der Couch vor dem Fernseher. Mein Körper bleibt zurück, immer wieder beschienen vom ruckartigen Licht der Szenenwechsel. Mein Körper bleibt zurück, während ich sinke.

Tiefer und tiefer hinab geht es zu Orten, die nie ein Sonnenstrahl erreicht hat. Meine Hand greift schwach und nutzlos ins Leere, mein Mund geöffnet zu einem müden Schrei. Ich fühle nicht wie sich meine Lungen mit eisigem Wasser füllen, denn schon zu lange bin ich an den Schmerz beim Atmen gewöhnt. Ich fühle nicht die Kälte des Wassers, denn sie kann nicht mit der Kälte meines Herzens mithalten. Ich fühle nicht, wie der Druck mich langsam zerdrückt und verformt, denn schon lange bin ich nicht mehr Ich gewesen.

Lautlos schlage ich auf dem Meeresgrund auf und als sich der helle Staub um mich herum schließlich legt, sehe ich hinaus zur Wasseroberfläche. Wie weit? Zweitausend, dreitausend Meter? Ich weiß es nicht - habe vergessen wie lange ich gefallen bin.

Ich sehe hinauf und bilde mir ein, von hier, verschwommen und schwach, die Lichter der Stadt zu sehen.
 

Die Stadt hat ihr eigenes Licht und es folgt nicht den normalen Naturgesetzen. Stadtlichter tun was ihnen gefällt. Es ist wie Blut in den Adern und das Herz sind die Menschen, pulsierend, lebendig. Die Stadt ist wie ein Rausch. Und die Zeit verschwimmt. Die Welt bleibt stehen und die Lichter hängen in der Luft wie Tautropfen in einem Spinnennetz. Goldene Kugeln in den Venen der Stadt. Und für einen kurzen Augenblick vergisst man die Kälte der Winternacht. Und man vergisst die späte Stunde. Man vergisst sich selbst. Man wird Teil des Herzens. Teil der Stadt.

Und das Licht ist nur Opium fürs Herz.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Wieldy
2007-12-28T22:04:21+00:00 28.12.2007 23:04
Das ist aber schön! Dein Schreibstil ist wirklich flüssig und angenehm zu lesen, die Gedanken der Person kommen sehr gut rüber, finde ich. Eigentlich lese ich ja keine Originalgeschichten auf Animexx, aber gerade versuche ich herauszufinden, wer mein Wichtel sein könnte XD Sag mir aber bitte nicht, ob dus evtl. bist, soll ja eine Überraschung sein^^
Von: abgemeldet
2007-11-11T11:04:19+00:00 11.11.2007 12:04
Nach einer wahren Begebenheit? Bist du die Person, die in dem Auto sitzt und liest? Wenn ja, dann ich es sehr mutig von dir, das zu schreiben.

Ich finde die Geschichte liest sich sehr gut. Die Gedanken, die der Protagonist/ die Portagonistin hat, sind gut nachvollziehbar und das Motiv, dass er/sie jeden Abend vor dem Fenster sitzt und liest, ist schön beschrieben.
Auch dass er/sie sich fragt, ob die Person in dem Haus gerade liest, vielleicht sogar das gleiche Buch, ist traurig, aber auf eine romantische Art.

Besonders gefällt mir das Ende, dieser letzte Satz. Letzte Sätze machen gerade in Kurzgeschichten viel aus, daher gibt dieser hier der Geschichte eine letzte, traurige aber auch hoffnungsvolle Note. Das gefällt mir.

Die Geschichte ist wirklich süß, großes Lob an dich.

requies


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