Zum Inhalt der Seite

Strange Relationship

From a different point of view
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die blaue Tür

So~ das ist also das erste Kapitel. Nur eine Erklärung: Es spielt in Tschechien, weil ich grade dort in Urlaub war, als mir die Geschichte einfiel. Ach ja, für die Rechtschreibung übernehme ich keine Haftung ^^
 

Warum hatte er sich nur hierzu überreden gelassen? Rico fluchte als er schon zum dritten Mal die Ausfahrt verpasst hatte und das Navigationssystem ihn zum Wenden aufforderte. Sein Freund Alex hatte ihn nach Tschechien geschickt, um seinem kleinen Bruder Chris Geld und Klamotten zu brin­gen, weil der wohl schon wieder pleite war. Soweit er wusste arbeitete Chris bei der deutschen Botschaft als Dolmetscher oder so etwas ähnliches. Da die normalerweise ziemlich gut bezahlte, konnte sich der Geldkurier seinen Auftrag nicht wirklich erklären. Wahrscheinlich lief das Ganze auf irgendwelche kriminellen Geschichten heraus. Da hatte er sich mal wieder zu etwas überreden lassen, was ihm von Anfang an sehr suspekt vorgekommen war und ihm wohl früher oder später die Eintrittskarte auf irgendeinem Polizeirevier darstellte. „Bitte, es bedeutet mir sehr viel. Und außer­dem geht es nicht anders“, hatte Alex gesagt. Rico wollte nicht weiter nachfragen, sein Freund hatte das Talent mit vielen Worten gar nichts zu sagen und hätte sich da wieder rausgeredet. Alles was er wusste, und wissen musste, war dass er Chris in Prag treffen sollte. Kurz vor der Abreise hatte Alex ihn noch gewarnt, dass er einem komplett anderen Menschen begegnen würde als sonst. „Mein Bru­der ist komisch geworden. Er will mir nicht verraten wo er wohnt und hat immer entlegenere Treffpunkte ausgemacht. Wenn ich da ankam war er entweder schon zu besoffen zum Reden oder so nervös, dass er kaum still sitzen konnte.“ Hoffentlich war er diesmal anders. Rico hatte Chris schon immer sehr gern gehabt und wenn wirklich etwas nicht stimmte, würde er der Sache nachgehen, bis das Problem gelöst war. Das war auch der eigentliche Grund, warum ausgerechnet er diese Fahrt machte. Chris vertraute ihm und sein Bruder hoffte, dass er rausfand was los war. „Wa­rum immer ich?“, seufzte Rico als er sich schon wieder verfahren hatte.
 

Einige Stunden, Wendemanöver und Holperstraßen später erreichte Rico vollkommen entnervt Prag. Er war schonmal dort gewesen und kannte sich ein bisschen aus. Jetzt musste er nur noch Chris eine SMS schicken und auf die Antwort warten um ihn zu finden. Das tat er während des un­vermeidbaren Staus. Als Antwort erhielt er nicht wie erwartet eine Adresse, sondern eine komplizierte Wegbeschreibung, die ihn schließlich kilometerweit zu Fuß durch die Innenstadt führte, bis er eine sehr kleine, dreckige Seitenstraße erreichte. Dort stand an die Wand gelehnt Chris und wartete schon auf ihn. Alex hatte Recht gehabt, sein Bruder war anders. Er wirkte noch kleiner als er sowieso schon war und bestand nur noch aus Haut und Knochen. Seine schwarzen Haare fie­len über das hübsche Gesicht und verdeckten nur halbwegs die Kratzer, das Veilchen und die Schatten unter seinen himmelblauen Augen. Auch der Rest von ihm war offensichtlich übel zugerichtet worden. Er versuchte sich selbst warm zu halten indem er die Arme um seinen Oberkör­per legte. Es war September und der kleine Mann stand nur in einem T-Shirt und einer zerrissenen Jeans da. Außerdem wirkte er übernervös, sah sich dauernd um und warf ängstliche Blicke auf die Uhr. Als Rico ihn ansprach zuckte er und wurde noch blasser. „D-da bist du ja endlich“, sagte er dann zitternd und versuchte seine Fassung wieder zu erlangen. „Ähm, ja... war nicht so einfach zu finden. Hier sind deine Sachen, mit Geld und alles“, antwortete Rico und schämte sich ein bisschen für seinen mangelnden Orientierungssinn. Nachdem er sich nochmal umgesehen hatte griff Chris nach der Tasche, die er aber fast wieder fallen ließ, weil sie wohl zu schwer für ihn war. „Was ist los mit dir?“, fragte Rico geradeheraus und hoffte, sein Gegenüber würde genauso antworten. Statt­dessen schüttelte der nur den Kopf und murmelte: „Nichts“ „Ach, komm schon. Es ist ja wohl nicht zu übersehen, dass irgendwas absolut nicht stimmt. Bist du wieder in so kriminellen Scheiß reingeraten?“ Noch nervöser als vorher fuhr der Junge mit der Hand durch seine langen Haare. „Es ist kompliziert... Du willst es gar nicht wissen“, antwortete er und wirkte als ob er im nächsten Mo­ment flüchten wollte. „Doch, ich will es wissen, egal wie kompliziert oder wie schlimm es ist“ Rico legte eine Hand auf Chris´ schmale Schulter, um ihn zu beruhigen, doch das Gegenteil geschah. Der Kleinere zuckte zusammen und machte einen hastigen Schritt nach hinten, wobei er mit der Wand kollidierte. „Chris?... Was soll das, ich bin es doch nur “ Rico war verwirrt, hatte aber einen leisen Verdacht, was der Grund für dieses komische Verhalten sein könnte. Mit dem was jetzt kam hatte er erst recht nicht gerechnet. Chris brach einfach so in Tränen aus, ohne Vorwarnung. Bevor Rico sich entschlossen hatte, was er jetzt tun sollte, fing der Jüngere an mit zitternder Stimme zu sprechen. „Ich bin in etwas reingeraten und es ist auch kriminell, aber anders als sonst immer. Diesmal bin ich doch tatsächlich das Opfer “ Er lächelte bitter und sah Rico zum ersten Mal richtig an. „Was ist es? Erpressung? Geldschulden?... Prostitution?“ Er hoffte, zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Verdacht falsch zu liegen, aber als Chris nickte zerschlugen sich diese Hoffnungen. „Ja, das alles. Aber es ist nicht meine Schuld... also, es ist schon meine Schuld aber nicht im klassischen Sinn“ „Erzähl mir davon, vielleicht kann ich dir helfen“ Rico hatte gewusst, dass er diesen Satz heute ir­gendwann aussprechen würde und die Folgen mal wieder nicht absehbar wären. „Nein, du kannst und musst mir nicht helfen. Es wird Zeit, dass ich für meine Fehler allein bezahle. Das war auch das letzte Mal, dass ich irgendwas von Alex verlangt habe.“ Er wandte sich zum Gehen. „Es ginge schneller, wenn du unsere Hilfe akzeptieren würdest“, sagte Rico und hoffte ihn zum Bleiben zu überreden. Tatsächlich drehte Chris sich um und sah ihn fast genervt an. „Meinst du, das weiß ich nicht? Aber das hier ist mein Problem und mein Kampf damit. Außerdem würdest du mir einen Riesen-Gefallen tun, wenn mein Bruder nichts hiervon erfährt“ Das war nun wirklich verständlich, aber nicht möglich. „Er ist dein Bruder, er muss es erfahren“ Chris schüttelte verzweifelt den Kopf. „Woher wusste ich bloß, dass du das sagst? Aber ich bitte dich, verrate ihm nichts. Ich schäme mich... und er macht sich immer unnötige Sorgen“ „In diesem Fall wären es wohl nötige Sorgen. Chris, bitte, lass mich dir helfen. Ich hole dich da raus“ Der Jüngere seufzte und sagte dann: „Okay, damit du endlich Ruhe gibst. Es gibt nur eine Art der Hilfe, die ich von dir verlangen kann ohne, dass mein Gewissen mich erschlägt. In zweieinhalb Stunden sehen wir uns bei dieser Adresse...(er gab Rico ein Stück Papier) Frag einfach nach mir“ Mit diesen Worten drehte der Kleine sich um und lief mitsamt seiner Tasche weg. Rico sah sich das Papier an. Es war eine Visitenkarte mit einem sehr eindeutigen Firmenlogo und einer Adresse ganz in der Nähe der kleinen Straße. Wie war Chris bloß da reingeraten? Er versuchte nicht länger über das Problem, sondern nur noch über dessen Lö­sung nachzudenken, kam aber zu keinem Ergebnis. Er beschloss, auf die nächste Bank zu gehen und so viel Geld abzuheben, wie möglich war ohne aufzufallen, denn Geld würde ganz sicher helfen. Bis er dem Bankangestellten klargemacht hatte, dass er die Zahlungsmittel in Euro brauchte, war schon eine Stunde vergangen. Den Rest der Zeit überbrückte der Mann damit, die Leute zu beob­achten.
 

Als der Zeitpunkt gekommen war, ging er auf das Haus zu. Es war nicht weiter auffällig, nur eins von vielen. Die Tür stand leicht offen und Rico betrat den Flur. Nach außen hin wirkte er wohl cool, aber innerlich war die Aufregung und Nervosität kaum auszuhalten. Die erste Tür rechts zierte ein großes „R“, was wohl so was wie Rezeption bedeutete. Tatsächlich saßen dort zwei Männer an einem Tisch und sahen auf als er eintrat. Zuerst versuchte er, sie auf Deutsch anzusprechen, aber sie verstanden nichts. Dann versuchte er es auf Russisch, woraufhin der Eine erst Geld verlangte und ihm dann sagte er solle die Treppe rauf und zu der blauen Tür gehen, was Rico dann auch tat. Seine Nervosität steigerte sich und er hatte richtig Angst davor, was er hinter der Tür finden würde. Zuerst fand er aber mal die Tür verschlossen. Gut, dann würde er halt warten. Er entdeckte eine Sitzgele­genheit am Ende des Flurs und rauchte erstmal eine. Nach einer Zeit stand er wieder auf und ging unauffällig an der blauen Tür vorbei (eigentlich Blödsinn, denn er war ja allein im Flur). Er hörte Geräusche; Stöhnen und gedämpfte Schmerzensschreie, die immer lauter wurden. Das war unverkennbar Chris, dem gerade sehr wehgetan wurde. Rico unterdrückte den Drang, die Tür einzurennen und den Verursacher der Schmerzen zusammenzuschlagen. Er konnte sich denken, warum er gerade jetzt seinem Freund einen Besuch abstatten sollte. Nach dieser Sache wollte der ganz sicher eine Pause von dem ganzen Scheiß und brauchte ihn als Alibi. Der Mann setzte sich wieder und wartete angespannt darauf, dass die Tür sich öffnete. Er hörte noch einen lauten Schrei und dann nichts mehr. Nach einigen endlosen Minuten senkte sich die Türklinke langsam und ein Mann trat aus der blauen Tür heraus. Er trug einen Mantel und einen Hut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Er entdeckte Rico, drehte sich mit einem fiesen Grinsen nochmal um und sagte etwas zu Chris. Dann ging er mit hoch erhobenem Kopf die Treppe runter und nach draußen. Rico stürzte zur blauen Tür und fand den weinenden Chris zusammengekauert auf einem blutbe­fleckten Bett, vollkommen nackt und übersät mit Verletzungen. „Oh, nein... War das dieser Mistkerl? Ich bring ihn um!“, rief Rico und wollte wieder zur Tür rauslaufen um den Fremden zu erledigen. Da hob der Andere den Kopf und sah ihn bittend an, was ihn schließlich dazu veranlasste, die Tür zu schließen und den Schlüssel umzudrehen. „D-du kannst... ihn nicht umbringen... er ist P-Priester... Ich bin... froh, dass er s-eine Fantasien an mir auslässt und nicht... nicht an einem un­schuldigen Kind!“ Nachdem er das unter großer Anstrengung gesagt hatte, brach der Junge in Schluchzen aus und vergrub sein Gesicht im Kissen. Rico setzte sich zu ihm und versuchte ihn zu beruhigen, was ihm nach einiger Zeit auch mehr oder weniger gelang. Er deckte die kleine Gestalt mit einem Morgenmantel zu, den er neben dem Bett gefunden hatte. Keiner sprach ein Wort und die Stille wurde nur noch ab und zu von Chris´ leisem Schluchzen durchbrochen. Schlussendlich sah er hoch und versuchte zu lächeln, was aber bei einem Versuch blieb. Er streckte die Hand nach seinem Besucher aus, zog ihn zu sich runter und umarmte ihn. Rico ließ es mit sich machen, legte sich auf das Bett, schloss den Kleinen in seine muskulösen Arme und sorgte dafür, dass er sich richtig ankuscheln konnte. Chris war wirklich nur noch ein Strich in der Landschaft und in dieser Position konnte man jeden einzelnen Knochen in seinem abgemagerten Körper spüren. Trotzdem war es im­mer noch offensichtlich, dass er ein bemerkenswert schöner Junge war, der früher einmal eine sportliche Figur gehabt hatte. Er war der Typ Mann, nachdem sich jeder auf der Straße umsah und der an beiden Ufern nichts anbrennen ließ, wenn es um Sex ging. Dieser Kerl hatte mit 16 schon mehr Erfahrung als andere in ihrem ganzen Leben und jetzt, mit 24, war er... na ja, eine Nutte. Dieser Gedanke war schon mehr als beunruhigend, zumal Rico immer noch nicht wusste, wie es dazu gekommen war. Plötzlich regte sich Chris und ließ seine linke Hand Rico´s Oberkörper entlangwandern.

„Rico?“

„Hm“

„Willst du... das tun, wofür du bezahlt hast?“

„Nein“

„Warum? Du bist doch... schwul, oder?“

„Ja, irgendwie schon, aber ich bin hier, damit du mal Pause machst und dich besser fühlst und nicht, um dich zu benutzen, wie alle anderen das tun“

Diese Aussage ließ wieder Tränen in Chris´ Augen aufsteigen. „Danke“, murmelte er und küsste Rico auf die Wange. „Du musst dich nicht bedanken, ich hab doch gar nichts gemacht.“ Jetzt lächel­te der Jüngere zum ersten Mal. „Das ist es ja grade. Es ist das, was du nicht machst“ Nach einigen weiteren stillen Minuten sagte Rico: „Willst du mir jetzt erzählen, was genau hier eigentlich los ist? Und warum lässt du dir von diesem Typen eben so was antun?“ Chris seufzte und sah ihn ernst an. „Die zweite Frage ist die einfachere, deswegen beantworte ich die. Dieser Typ bezahlt gut. Außer­dem denkt er ich wäre erst 17, wofür ich dankbar bin, denn so kann ich Jungs, die wirklich noch so jung sind, vor diesem Schwein schützen. Dadurch kann ich es auch ertragen, wenn ich vier Tage nicht in der Lage bin zu sitzen“ Er sagte das vollkommen emotionslos, aber auch vollkommen ehrlich. Zudem hatte er Recht. Wenn man es nicht wusste, glaubte man tatsächlich, er wäre erst17 oder sogar noch jünger.„Warum läufst du nicht weg?“, fragte Rico und konnte sich die Antwort ei­gentlich denken. „Angst. Aber nicht vor dem, was sie mir antun würden, sondern davor, was sie mit Alex und seiner Familie machen würden“ Der Kleine erschauderte und rückte noch näher zu seinem einzigen Freund. Der erkannte den Zustand seiner Nerven und beschloss, es für heute gut sein zu lassen mit den Fragen. Sie blieben so liegen, bis Chris sich vollkommen beruhigt hatte und fast eingeschlafen wäre.
 

„Ich glaube, es ist Zeit, dass du wieder gehst, sonst merkt noch jemand was. Außerdem muss ich Geld verdienen“, sagte er und versuchte sich aufzurichten, was er aber an einem stechenden Schmerz in seiner Hinterseite scheiterte. „Kann ich es wirklich verantworten, dich wieder allein zu lassen?“, fragte Rico besorgt. Chris nickte und lächelte tatsächlich. „Wie viel schuldest du denen noch? Und wie viel war es am Anfang?“ Rico war auf vieles gefasst, aber nicht auf diese Antwort: „Es sind noch fünftausend Euro. Es waren hunderttausend und, bevor du fragst, ich habe fast alles auf diese Weise abgearbeitet. Wie es dazu kam erzähle ich dir später“ Der Ältere war sprachlos. Bei dieser Geldsumme, wie lange machte Chris das schon? Er zog einige Geldscheine aus der Hosentasche und gab sie dem Jungen. „Jetzt sind es nur noch viertausend. Und ich will keine Widerrede hören“, sagte er und wollte gehen, bevor der Andere etwas sagte. „Woher hast du das?“, flüsterte Chris und sah fassungslos auf das Geld in seiner Hand. „Von meinem Konto. Es war alles, was ich holen konnte, aber ich bringe dir noch mehr. Vertrau mir, Chris, ich hole dich hier raus und wenn es das Letzte ist, was ich tue“ Es sollte ihm eigentlich helfen und nicht dafür sorgen, dass der Junge wieder in Tränen ausbrach. „So hat alles angefangen... alles hat angefangen“, murmelte er und schlug die Hände vor sein Gesicht. „Was? Was hat angefangen?“ Chris rückte ängstlich von Rico weg. „Er... er hat mir Geld gegeben... ich hatte Probleme... riesige Probleme... er wollte es zurück... jetzt fängt alles wieder an. Lass mich in Ruhe!“ Rico ging auf den verängstigten Mann zu und sah ihm fest in die Augen. „Ich schwöre dir, dass ich niemals auch nur einen Cent zurückverlange. Und wenn doch, gebe ich dir offiziell die Erlaubnis, mich zu töten, auf die schmerzvollste Art und Weise, die du dir ausdenken kannst. Ich helfe dir, weil ich dich sehr gern hab und weil du ein besseres Leben verdienst als das hier“, sagte er eindringlich und hoffte aus tiefster Seele, dass sein Gegenüber ihm glaubte, denn er meinte es ernst. Eine Wandlung ging in Chris vor. Seine großen blauen Augen verloren alle Angst und Misstrauen. Er nahm Rico´s Hände in seine und küsste sie sanft. „Ich glaube dir. Danke für alles“, sagte er heiser und Rico wischte ihm zärtlich die Tränen vom Gesicht. „Ich komme immer mal wieder unauffällig vorbei in nächster Zeit. Pass auf dich auf“, sagte er, küsste den Kleinen auf die Stirn und ging wieder zur blauen Tür raus. Der Flur und das Treppenhaus waren komplett verlassen und langsam brach die Dämmerung über der goldenen Stadt herein.

Road Trip: Leg 1 – Tschechien bis Frankreich

Kapitel 2! (Das erste war so schnell freigeschaltet... wow) Das hier ist nur ein kurzes Kapitel. Der leicht komische Name ist dadurch zu erklären, dass die Geschichte bei mir den "working title" Road Trip hatte...
 

Es wurde immer mehr Herbst und die Straßen waren übersät mit buntem Laub, das ab und zu von einem Windstoß aufgewirbelt wurde. Es war kalt und Rico verfluchte sich, dass er keinen Mantel eingepackt hatte. Der Wind wurde stärker und verwuschelte seine schwarzen Haare noch mehr, so­dass er glaubte wie ein Wischmop auszusehen als er sein Ziel erreichte. Eine Woche vorher um dieselbe Zeit war er zum ersten Mal durch diese Tür gegangen um Chris zu sehen. Heute war er wieder auf dem Weg zu ihm und wusste in welchem Zustand er sein würde. Montage waren die schlimmsten Tage, hatte der Junge gesagt. Als Rico vor der blauen Tür wartete, hörte er nichts. Er hoffte, dass der Priester diesmal seinen `Termin´ verpasst hatte, aber als die Tür sich öffnete sah er, dass das Gegenteil der Fall war. Mit einem hoch zufriedenen Gesichtsausdruck trat der Kirchen­mann auf den Flur und verflüchtigte sich. Rico ahnte Böses und als er den Raum betrat wurden seine Ahnungen wahr. Chris lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett und atmete schwer. Blut war sein Bein runtergelaufen, ziemlich viel Blut. „Chris? Ist alles okay, irgendwie...?“, fragte Rico vorsichtig. Natürlich war nicht alles okay. Als Antwort bekam er ein leises Wimmern. „Du brauchst einen Arzt“ Rico traute sich gar nicht ihn anzufassen oder näher hin zu gehen, denn er hatte Angst, dass allein das dem Kleinen noch mehr Schmerzen bereiten würde. „Nein... geht schon... bald wie­der besser“, murmelte er und drehte den Kopf um den Besucher anzusehen. Er schaffte es sogar, leicht die Hand nach ihm auszustrecken, woraufhin der Ältere hinging und sich auf dem Bett niederließ. Er nahm die blasse kleine Hand in seine. „Wir schaffen das, Chris. Ich bin hier“, sagte er leise und streichelte die Hand. „Ich... hab das... G-Geld zusammen... ich gehe...“, flüsterte der Liegende und ein Anflug von Freude erschien auf seinem engelsgleichen Gesicht. „Das ist wunder­bar. Ich packe deine Sachen, du ruhst dich aus und dann gehen wir“ Chris nickte und ließ sich ohne Gegenwehr von Rico zudecken. Der machte sich nun daran die wenigen Habseligkeiten in eine Tasche zu packen und das Geld einzusammeln, das im ganzen Zimmer verteilt war. Es waren umge­rechnet dreitausend Euro in verschiedenen Währungen, die er nun in den Händen hielt. Während er mit Aufräumen beschäftigt war, hatte Chris es geschafft sich auf die Seite zu drehen und versuchte jetzt aufzustehen ohne vor Schmerzen zu schreien. Rico half ihm so gut es ging, aber es war unmög­lich für den jungen Mann, gerade zu stehen. „Warte doch noch. Leg dich wieder hin, wir müssen nicht direkt gehen“ „Aber ich würd´ mich gerne anziehen und so“, protestierte Chris relativ energisch. „Dann helfe ich dir eben“, sagte Rico in diesem gut gelaunten `Selbstverständlich-Ton´, den nur er draufhatte. „Nein!... Bitte, ich will nicht, dass du das siehst... du weißt schon, die... Verletzungen“ Er sah zu Boden und biss sich auf die Lippe. „Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen. Das alles ist nicht deine Schuld. Außerdem hab ich so was schonmal gesehen“ Aber es half nichts, Chris wollte das unbedingt alleine machen und Rico ließ ihn schließlich für sich in dem winzigen Badezimmer, das an den Raum grenzte. Nach einigen Minuten hörte er das Geräusch von zerbrechendem Glas hinter der Tür. Er stürmte in das Bad und fand Chris, mittlerweile angezogen, inmitten einem Scherbenhaufen, der einmal eine Schnapsflasche gewesen war. Sein nebliger Blick ließ erkennen, dass er diese soeben geleert hatte. Kurz bevor seine Knie sich überlegen konnten, nachzugeben, hob Rico ihn hoch und trug ihn zum Bett. Der Junge war wirklich federleicht, sogar die Tasche mit seinem Zeug erschien schwerer. „Entschuldigung“, murmelte er leise, als er auf dem Bett abgelegt wurde. „Macht nichts. Ich kann verstehen, dass du das immer noch nicht im Griff hast“, antwortete der Andere. Chris schloss die Augen. Er fühlte sich schuldig, weil er ihre Abreise verzögerte. Rico sah ihn voller Mitleid an. Es war wirklich ein erbärmlicher Anblick, den er bot. Die zerrissene Jeans war früher mal relativ eng anliegend gewesen, jetzt rutschte sie fast runter. Der abgetragene blaue Pulli war viel zu weit, sodass eine Schulter frei lag, auf der zahlreiche Verletzun­gen zu erkennen waren. Auch eine Narbe von einer Operation am Schlüsselbein war zu sehen. Sein Gesicht war zerkratzt und voll von Schatten und die langen schwarzen Haare waren vollkommen glanzlos und hingen wirr in der Gegend rum. Trotzdem strahlte er eine unglaubliche Schönheit und Wärme aus. Die ganzen Spuren, die die letzte Zeit hinterlassen hatte, konnten seine Aura nicht über­spielen, vor allem, wenn er so komplett friedlich und noch dazu betrunken auf einem Bett lag. Er öffnete die Augen und sofort erschien das Zimmer heller. Der fragende Blick war auf Rico gerichtet. „Du bist ein schöner Mann“, sagte dieser und Chris schenkte ihm ein alkoholisches Grinsen. „Du spinnst“, flüsterte er und schloss die Augen wieder. Als er aufsah war der Blick aus den ausdrucks­vollen braunen Augen immer noch auf ihn fixiert. „Was ist? Gefällt dir was du siehst?“, fragte er und grinste noch mehr als Rico errötete und wegsah. „Wie süß, du wirst ja rot“ Der Kleinere packte ihn am Kragen und zog ihn runter, bis er über ihn gebeugt war. Dann grinste er wieder, kicherte kurz wie irre und streckte sich nach oben um seinen Freund zu küssen. Rico musste sich zusammen­reißen. Er wollte Chris, aber nicht jetzt und nicht hier. Außerdem war da immer noch Alex, noch ein anderer Freund und seine Frau Myriam, die moralisch im Weg standen. Er befreite sich aus dem überraschend starken Griff und sagte: „Später, okay? Wir müssen hier weg. Je früher umso besser“ Der Junge schmollte, akzeptierte die Entscheidung dann aber und richtete sich auf. Der Alkohol schien ein Wunder gegen seine Schmerzen gewirkt zu haben und er konnte sogar fast allein aufste­hen. Rico half ihm beim Gehen und gemeinsam machten sie sich auf den Weg die Treppe runter um die restlichen Schulden zu bezahlen.
 

„Was soll das werden?“, fragte der Mann, der offensichtlich der Chef war als er die Beiden erblickte. „Chris bezahlt seine Schulden und geht in die wohlverdiente Freiheit“, antwortete Rico und hoffte, dass seine russische Armeejacke ihm ein bisschen Autorität verlieh. Er drückte dem Kerl das Geld in die Hand. „Vergiss es. Bezahlen kann er, aber gehen darf er nicht. Die kleine Schlampe ist Gold wert“ Rico unterdrückte seine Wut und versuchte auszusehen als ob er die Situation unter Kontrolle hatte. „Hey, hör zu. Entweder du lässt uns gehen und für immer in Ruhe oder ich rufe meine Kumpel bei Interpol und beim FBI an und die befassen sich dann mit deinem Laden. Du hast die Wahl“ Beim folgenden Duell der bösen und entschlossenen Blicke gewann Rico und schließ­lich, nachdem Chris seinen Pass zurückbekommen hatte, konnten sie gehen. Der Junge versuchte auf dem Weg immer wieder seine Dankbarkeit in Worte zu fassen, schaffte es aber nicht. „Weißt du, ich kenne nur eine Art mich zu bedanken...“, sagte er und wusste, dass sein Retter verstand, was gemeint war. Sie kamen beim Hotel an und weniger als eine halbe Stunde später waren sie schon auf der Straße und aus der Stadt raus. „Wohin willst du fahren?“, fragte Rico und hoffte auf eine klare Antwort, die ihm aber verwehrt blieb. „Mir egal, nur weit weg von hier“ Gut, dann also Rich­tung Grenze. Der Fahrer hatte genug geographisches Verständnis um ungefähr zu wissen, wie er fahren musste und, dass es lange dauern würde. Nach fünf Minuten war Chris auf dem Beifahrersitz eingeschlafen.
 

Hundert Kilometer später befand Rico sich in einem kleinen Dilemma. Er musste un­bedingt auf eine Tankstelle, war sich aber nicht sicher, ob er Chris wecken sollte. Er könnte wieder Schmerzen haben, wenn er wach war. Wenn Rico ihn aber im Auto ließ, musste er abschließen und er konnte sich denken, wie der Junge auf verschlossene Türen reagieren würde. Also beschloss er, ihn zu wecken, auch um rauszufinden, wie betrunken er noch war. Fast hätte Chris um sich geschlagen, erkannte aber im letzten Moment, wer ihn da an der Schulter gepackt hatte. „Alles klar? Ich muss kurz tanken und wollte dich nicht einsperren, aber auch nicht im Tiefschlaf auf einer Tankstelle zurücklassen“, erklärte Rico und merkte am Gesichtsausdruck des Anderen, dass er immer noch genug Alkohol im Blut hatte. Er stieg aus, erledigte alles und kam mit einem Haufen Energy-Drinks für sich und Schnaps für Chris zurück. „Wir müssen die Nacht durchfahren, wenn wir irgendwann ankommen wollen“, sagte er auf den skeptischen Blick des Jungen hin. Dann suchte er noch eine Decke aus dem Kofferraum, die er ihm gab, damit er besser schlafen konnte. Die Fahrt ging weiter, durch Feierabendstaus, Baustellen, bis zur Grenze. Er weckte Chris wieder, sie machten eine Pinkelpause und überquerten die Grenze fast ohne Probleme. Die Beamten waren misstrauisch, aber als sie das Gepäck durchgesehen hatten und nichts Verdächtiges fanden, ließen sie die Beiden weiterfahren und beschäftigten sich mit dem nächsten Auto.
 

Ihre Reise führte die Männer quer durch Süddeutschland, über volle Autobahnen, kaputte Landstraßen und durch sintflutartige Regenfälle. Sie fuhren durch Ostfrankreich, langsam wurden Getränke und Sprit wieder knapp. Da Rico kein Französisch konnte, musste Chris sich mit schlecht gelaunten Tankstellenbesitzern rumschlagen, was ihm so auf die Nerven ging, dass er dem Drang nachgab sich wieder zu betrinken. In der dienstäglichen Morgendämmerung erreichten sie endlich ihr Ziel. Aufgrund seines Alkoholspiegels war Chris immer noch außerstande zu laufen und Rico trug ihn die Treppe zur Eingangstür rauf und ins Schlafzimmer in der zweiten Etage. Seit Kelly June bei ihm wohnte, gab es kein Gästezimmer mehr. Er legte Chris auf sein Bett und versuchte ihn auszuziehen, damit er es bequemer hatte, aber der Junge wehrte sich erfolgreich. Schließlich ließ er ihn wieder schlafen, das hatte er am nötigsten. Rico selbst konnte nicht schlafen, nach all dem Koffein, das er in seine Blutbahn befördert hatte. Er setzte sich auf die andere Seite vom Bett und las ein Buch. Ab und zu sah er auf um zu überprüfen, ob Chris überhaupt noch lebte, denn er lag völlig ruhig da und gab keinen Ton von sich. Das Bild totalen Friedens, das er in diesem Moment abgab, brannte sich in Rico´s Gedächtnis wie Feuer in Holz.

Das Meer, die Sonne und die Wahrheit

Yay! Mein Lieblingskapitel. Komplett an einem Stück geschrieben. Das Beste und das Schwierigste bis dahin.

Musik (wichtig): Pink Floyd, Bad Religion, Manic Street Preachers(kennt die wer?)

Achtung: Dieses Kapitel ist nicht Korrektur gelesen... war zu faul
 

Er erwachte von einem Gefühl, was es genau war, konnte er nicht sagen. Sein Kopf und einige andere Körperteile schmerzten. Ein warmer Luftzug traf sein Gesicht und er hörte ganz nah das Meer rauschen. Dieses Geräusch zauberte ein breites Lächeln auf Chris´ Gesicht. Er wusste wo er war und eine tiefe Ruhe hatte seine Seele ergriffen. Aber da war dieses Gefühl, das ihn geweckt hatte. Was war es? Er öffnete die Augen und es dauerte ein bisschen, bis der Raum gerade stand. Niemand war da, aber auf dem Nachtschrank lag ein Zettel. „Hey, du Schlafmütze! Hoffe es geht dir gut und du hast keinen Kater :) Musste kurz weg, dauert aber nicht lange. Fühl dich wie zu Hause. Hab dich lieb. Rico“ Es war schwierig die Schrift zu entziffern, die Nachricht war wohl schnell und ohne Tisch untendrunter geschrieben worden. Daneben stand ein Glas Wasser und eine Packung Kopfschmerztabletten, die fast leer war. Aus lauter Vorsicht hatte Rico die restlichen Medikamente mitgenommen und nur zwei Tabletten in der Packung gelassen. Chris versuchte sich aufzusetzen, wurde aber von dem fiesen Schmerz in seinem misshandelten Hinterteil daran gehindert. Er lag wieder auf dem Bett, starrte an die Decke und hörte dem Meer bei seinem endlosen Rauschen zu. Er wusste jetzt, was er tun wollte. Unter großer Anstrengung stand der junge Mann auf und begab sich ins Badezimmer.
 

Rico kam zur Tür rein und wusste direkt, dass keiner da war. Es war so ein Gefühl, das ihn immer überkam, wenn er ein leeres Haus betrat. Er sah in alle Räume der unteren Etage und entdeckte tatsächlich keine Menschenseele. Der Keller lag auch dunkel und verlassen da. Oben standen einige Türen offen. Er klopfte bei Kelly June, bekam aber keine Antwort. Die wollte eh erst morgen zurückkommen. Die anderen Zimmer waren auch nicht bewohnt. Aber wo war Chris? Auf dem Nachtschrank lag sein Zettel noch, aber eine kurze Nachricht war unter die erste geschrieben worden. „Hi! Bin am Meer. Chris“ Am Meer, aha. Aber Chris konnte überhaupt nicht schwimmen und Alex hatte mal erzählt, dass er totale Panik vor dem Meer hatte. Rico wunderte sich und bekam es dann mit der Angst zu tun. Er hätte ihn nicht allein lassen dürfen! So schnell er konnte lief der Mann aus dem Haus und die wenigen Meter zum Strand, wo er Fußspuren entdeckte, die direkt auf das Wasser zuführten. Nur eine Person war dort gegangen. Es musste Chris gewesen sein. Er folgte den Spuren, bis sie das Wasser erreichten und dort versandeten. Er suchte die komplette Wasserfläche mit den Augen ab und rief so laut er konnte nach dem Vermissten. Er lief am Wasser entlang, in der Hoffnung, irgendwo weitere Fußabdrücke zu finden, die wieder nach oben führten, wurde aber enttäuscht. Verzweiflung machte sich in ihm breit und zog sein Herz zusammen. Er hatte ihn allein gelassen und jetzt war Chris weg und trieb irgendwo tot im Meer herum. Rico stolperte und fiel in den Sand. Tränen der Verzweiflung und Hilflosigkeit ließen sein Sichtfeld zu einem Farbenmeer verschwimmen. Er stand auf und lief weiter. Die Sonne senkte sich zur Wasseroberfläche um darin zu verschwinden und das Land in Dunkelheit zurückzulassen. Da sah er ihn. Auf einem Felsen, der zwei Meter über dem Wasser ins Meer ragte und kaum mit dem Land verbunden war saß Chris und sah der Sonne beim Versinken zu. Ein Stein, der doppelt so groß war wie dieser Felsen, fiel von Rico´s Herz und wurde von der Brandung weggewaschen. Er ging weiter und kletterte zu Chris hoch. Der bemerkte ihn erst als er sich neben ihm niederließ und anfing zu sprechen.

„Was machst du hier?“

„Gucken. Warum bist du so besorgt?“

„Ich weiß, dass du nicht schwimmen kannst. Wie schaffst du es auf diesen Steinen zu sitzen? Das ist voll unbequem“

„Ignorier es einfach und genieß den Augenblick. Ich hab mir ein Kissen mitgebracht“

Beide mussten grinsen und sahen der Sonne zu. Die Ruhe und Schönheit eines Sonnenuntergangs war Rico schon lange nicht mehr so aufgefallen wie heute. Man sah es irgendwann als selbstverständlich an, wenn man es jeden Tag sehen konnte und vergaß, wie schön es war. Das war bei vielen Sachen so, aber vor allem bei Sonnenuntergängen... und Beziehungen. Irgendwann wurde es normal und man hörte auf zu schätzen, was man hatte. Eine Berührung riss ihn aus seinen Gedanken. Chris war näher gerückt, lehnte sich an ihn und legte den Kopf auf seine Schulter. Rico legte einen Arm um den schmalen Körper. So saßen sie da im Glanz der Abendsonne. Jeder, der vorbeiging hätte sie für ein ganz normales Pärchen gehalten (vor allem, weil Chris von hinten aussah wie ein Mädchen). Nachdem die Sonne verschwunden war, kam ein rauer Wind auf und veranlasste die Beiden ihren Sitzplatz bald zu verlassen und es sich in Rico´s Wohnzimmer gemütlich zu machen. Eng umschlungen saßen sie auf der Couch, der beruhigende Effekt des Sonnenuntergangs hing noch in ihren Seelen nach. „Rico, sag mal, was läuft eigentlich zwischen dir und Alex?“, fragte Chris vorsichtig. Er wollte das schon die ganze Zeit wissen. „Ich würde es als tiefe Freundschaft und ab und zu ein bisschen mehr beschreiben. Allerdings hat komischerweise er damit angefangen. Hätte ich nie von deinem Bruder gedacht“, antwortete Rico und erinnerte sich, wie es dazu gekommen war. „Ich auch nicht. Erzähl mir davon, er wollte nie was drüber sagen“ Chris war neugierig und, wie er sich eingestehen musste, auch ein bisschen eifersüchtig. „Wir waren sozusagen gestrandet, draußen im Meer auf einem Felsen. Auf einmal hat er angefangen... na ja, mich anzumachen. Er dachte, wir würden sterben und wollte seine letzten Stunden unbedingt genießen. Ich wollte nicht, weil ich mir sicher war, dass wir das nachher bereuen würden, wenn wir wieder daheim waren. Wir wurden gerettet und ich dachte, damit wäre die Sache vorbei. Eine Woche später stand er auf der Tür und ist fast über mich hergefallen. Da wusste ich, dass er es ernst meinte und hab mich drauf eingelassen. Und mal so ganz unter uns, dein Bruder ist in dieser Angelegenheit nicht so zurückhaltend wie sonst. Eine richtig geile Sau, kann ich dir sagen“ Rico grinste zweideutig und man konnte sehen, woran er grade dachte. Chris kicherte. „Danke für diese schockierenden Enthüllungen“, sagte er und lehnte sich wieder an den Anderen. Sie saßen da, bis es um sie herum stockdunkel war. Keiner sprach und zwischendurch fielen ihnen immer wieder die Augen zu. „Wir sollten ins Bett gehen“, murmelte Rico schläfrig. Er spürte den Schlafentzug der vergangenen Tage jetzt deutlich. Chris gab ein zustimmendes Geräusch von sich, er war auch schon wieder müde, konnte sich aber nicht erklären, wieso. Sie gingen die Treppe hoch und fielen ins Bett. Rico war sofort eingeschlafen und Chris nutzte die Gelegenheit um Licht anzumachen und ihn mal richtig anzusehen und ihn nach und nach von seinen Klamotten zu befreien. Als der Ältere fast vollkommen nackt vor ihm lag, wurde er noch eifersüchtiger auf seinen Bruder, der diesen Körper haben konnte, wann immer er wollte. Rico war sicher nicht perfekt, aber gerade das machte ihn aus. Er war muskulös und man konnte sehen, dass er ziemlich viel Zeit auf einem Surfboard in der Sonne verbrachte. Sein Körper wies einige Narben auf, vor allem an den Unterarmen und den Handgelenken, die von Rasierklingen stammten, aber auch andere von Unfällen und Schlägereien. Besonders eine an seinem linken Schlüsselbein zog Chris´ Aufmerksamkeit an. Es war eine Brandverletzung, die irgendwie aussah wie ein Stern und die wohl schon lange da war. Trotzdem konnte man noch sehen, dass es sehr schmerzhaft gewesen sein musste. Chris fuhr mit dem Finger darüber, man fühlte sie kaum, aber Rico erschauderte im Schlaf. Der Jüngere beschloss sich auf den Rest von ihm zu konzentrieren und jeden Teil von ihm in seinem Gedächtnis zu speichern, vor allem sein Gesicht. Egal, was alle anderen sagten, Rico war schön. Nicht so unschuldig mädchenhaft hübsch, wie Chris, aber auch nicht so wie diese Modeltypen. Er war einfach so wie er war. Seine Nase war nicht ganz gerade, was vor allem zu sehen war, wenn er so schief grinste. Er war zu faul um sich jeden Tag zu rasieren, was in einem schicken 3-Tage-Bart resultierte. Die Tatsache, dass er dauernd skeptisch guckte hatte auch schon ihre Spuren auf seiner Stirn hinterlassen und um seine Augen zeichneten sich leichte Lachfalten ab. Diese Augen waren sowieso das Tollste an ihm. Sie waren dunkelbraun, umrahmt von langen Wimpern und man konnte alle seine Gefühle darin ablesen. Chris hätte ihn stundenlang ansehen können, beschloss aber, es zu lassen. Er war sich mittlerweile sicher, dass er auf dem Weg war, sich richtig in Rico zu verlieben und sich die ganze Nacht mit dem Anblick des Mannes, den er nicht haben konnte zu quälen war nicht förderlich für seinen Zustand. Chris machte das Licht aus und legte sich hin. Er widerstand dem Drang, näherzurücken und den Anderen zu umarmen. Das erledigte sich von selbst als Rico sich zu ihm drehte und ihn an sich zog, sicher vollkommen unklar darüber, wen er da gerade in seinen Armen hielt.
 

Am nächsten Morgen lagen sie immer noch so da und Rico´s friedlicher Gesichtsausdruck war das erste, was Chris sah. Er befreite sich irgendwie aus der Umklammerung und riss sich von dem wunderschönen Bild los um in die Küche zu gehen und Kaffee zu machen. Als er mit der furchtbar komplizierten Kaffeemaschine beschäftigt war, drehte sich ein Schlüssel im Haustürschloss. Eine Tasche flog geräuschvoll in den Flur und eine Stimme rief: „Hallo! Schon jemand wach?!“ Chris hatte sie erkannt. Er trat aus der Küchentür und sagte: „Kelly June, schrei doch nicht immer so. Du weckst ja die ganze Nachbarschaft“ Das Mädchen sah ihn überrascht an. „Chris? Alter, was machst du denn hier?“, rief sie in der gleichen Lautstärke wie vorher und sprang auf ihn zu um ihn fröhlich zu umarmen. „Das sollte dir lieber dein `Daddy´ erklären“, antwortete er grinsend. Rico war nicht ihr Vater, er hatte sie adoptiert als sie eines nachts vor seiner Tür aufgetaucht war. Irgendwie waren die beiden aber doch verwandt, Chris war es nie so ganz klar geworden. Ihre Unterhaltung verlief besser als er gedacht hatte. Er hatte Angst gehabt, Kelly´s Herz gebrochen zu haben als er mit ihr Schluss gemacht hatte, vor einigen Monaten. Aber anscheinend war sie drüber weg und mochte ihn immer noch. Rico kam verschlafen die Treppe herunter. „KayJay! Schon wieder da?“, sagte er überrascht, er hatte erst abends mit ihr gerechnet. „Jep. Aber ich gehe euch nicht lange auf die Nerven. Meine Freundin Marie hat mich für übermorgen eingeladen. Wie lange ich bleibe weiß ich noch nicht. Jedenfalls könnt ihr hier dann wieder euren... Aktivitäten nachgehen“ Sie warf einen vieldeutigen Blick auf die beiden Männer und verschwand mitsamt ihrer Tasche in der oberen Etage. „Sie weiß von...?“, fing Chris an und wusste nicht wie er es sagen sollte. „Sie weiß alles. Sie war die erste Person, die überhaupt davon wusste. Was wahrscheinlich dadran liegt, dass ich mich bei ihr ausgeheult hab“ Rico grinste wieder schief. Er war nicht immer schwul gewesen und war es auch heute nicht so ganz. Er liebte seine Frau Myriam über alles trotz der ganzen Affären, die er hatte. Auch wenn es nicht so wäre würden sie aber für die Kinder zusammenbleiben.
 

Die Männer tranken Kaffee und verbrachten auch den Rest des Tages mit wundervollem Nichtstun, größtenteils vor dem Fernseher. Kelly kam nur ab und zu mal vorbei, wohl weil sie hoffte, die Beiden bei irgendetwas zu sehen, wie Rico vermutete. Abends war sie schon wieder verschwunden und sie waren allein. „Erwischen wir den Sonnenuntergang noch?“, fragte Chris und sie machten sich auf den Weg zum Meer um das Erlebnis des vergangenen Abends zu wiederholen. Als sie auf dem Felsen standen und zum Horizont sahen spürte Rico plötzlich eine kleine Hand in seiner. Er sah zu Chris runter, der so tat als ob nichts wäre und seine Körperteile ihren eigenen Willen hätten. Wie von selbst verschränkten sich ihre Finger ineinander und sie rückten näher zusammen. Als die Sonne die letzten Strahlen in ihre Richtung schickte drehte Rico sich zu Chris um. Gespannt auf das was jetzt kam, sah der zu ihm hoch. Rico befreite seine Hand und strich einige Haarsträhnen, die der Wind aufgewirbelt hatte, aus Chris´ Gesicht. Er streichelte seine Wange und zog ihn mit der freien Hand näher zu sich. Dann beugte er sich runter und vereinte ihre Lippen zu einem sanften, zarten Kuss. Als er ihn wieder loslassen wollte, was er eigentlich nicht wirklich wollte, es aber tat um den Jungen nicht zu bedrängen, legte Chris seine Arme um ihn und hielt ihn fest. „Hör jetzt bloß nicht auf“, flüsterte er und streckte sich nach oben für eine weitere Begegnung dieser Art. Sie vergaßen alles um sich herum und Rico öffnete bereitwillig die Lippen als Chris mit seiner Zunge um Einlass bat. Die Beiden entschwebten in eine andere Welt und bemerkten das Feuerwerk im Hintergrund nicht, das zur Perfektion der Szene wesentlich beitrug. Als sie wieder voneinander ließen, fiel ihnen ziemlich schnell auf, dass es sehr kalt war und sich gegenseitig warmhaltend machten sie sich auf den Weg ins Haus, diesmal direkt ins Bett, weil es da einfach gemütlicher war. Ohne ein Wort darüber gesagt zu haben, beschlossen sie im Stillen, den Tag so zu beenden und nichts anderes mehr zu tun.
 

Der nächste Tag begann genauso wie der vorherige aufgehört hatte. Chris wurde mit einem Kuss geweckt und bedankte sich mit einem weiteren dafür. Beide schreckten hoch, als sie im Flur ein Rumoren hörten, ein gedämpftes „Autsch!“ und einige Schimpfwörter. Es stellte sich heraus, dass Kelly June die Treppe hochgefallen war, als sie auf dem Weg war, die beiden Männer zu wecken, weil sonst der Kaffee kalt wurde und bestimmt weil sie hoffte, sie in einer eindeutigen Pose zu finden. „Soll ich euch wieder allein lassen?“, fragte sie lächelnd als sie am Frühstückstisch saßen und sie einen Eisbeutel auf ihren Ellbogen drückte. Dem Mädchen waren die Blicke nicht entgangen, die sie sich zuwarfen. „Stör dich nicht an uns. Ignorier alles, was du siehst, hörst oder vielleicht gerne hören und sehen würdest“ Rico sah sie herausfordernd an. Sie lachte dreckig. „Du hast mich durchschaut, Baby“, sagte sie und biss in ihr Marmeladentoast. Dann griff sie nach der Kaffeetasse, stand auf, sah nochmal von einem zum anderen und sagte: „Ihr seid echt ein richtig scharfes Paar. Lasst die Sau raus, Jungs“ Und mit diesen Worten verschwand sie mal wieder grinsend im ersten Stockwerk. Rico konnte nur noch den Kopf schütteln. „Sie ist unmöglich, wenn es um so was geht“, sagte er und Chris erwiderte grinsend: „Sie ist genau wie du früher immer warst und heute noch manchmal bist“ Er hatte Recht. „Eine Schande, dass das mit euch nicht geklappt hat“, meinte der Ältere und verfolgte gespannt die Reaktion seines Freundes. Der zuckte die Schultern. „Wir waren nicht füreinander bestimmt. Außerdem würde ich dann nicht so mit dir hier sitzen. Sieh es positiv“ Sie lächelten sich an und fuhren mit dem Frühstück fort. Als sie den Tisch abgeräumt hatten fragte Chris: „Können wir hier irgendwo ungestört sein? Ich meine, wirklich ungestört?“ Rico nickte und führte ihn in einen Raum in der oberen Etage, in dem er die Wände schallisoliert hatte, damit er zu jeder Tageszeit Musik machen konnte. Er schloss die Tür ab und grinste vor lauter Vorfreude auf das, was er hoffte zu passieren, aber es kam anders. Als er sich umdrehte saß Chris mit ernstem Gesichtsausdruck auf der Couch und winkte ihn zu sich. Er setzte sich und machte sich mal wieder Sorgen, was jetzt kam.
 

„Du wolltest doch wissen, wie ich in die Situation kam, in der du mich gefunden hast, oder? Wo soll ich anfangen?“, fragte der Kleine mit sichtlicher Überwindung. Rico wollte auf der einen Seite nicht, dass er alles nochmal durchleben musste, aber auf der anderen Seite wollte er es unbedingt wissen. „Am Anfang. Lass dir Zeit“, antwortete er und griff nach den nervösen Händen des Anderen. „Am Anfang... Es fing schon damit an, dass ich geboren wurde“, begann er, „Irgendwie war ich meinem Vater nie gut genug. Alex war das Lieblingskind. Er war intelligent und beliebt. Ich war klein, schüchtern und vollkommen nutzlos...“ Rico wollte protestieren, wurde aber von einem Blick zum Schweigen gebracht. „Lass mich einfach nur reden. Es ist schwer anzufangen und wenn ich angefangen habe, höre ich nicht mehr auf.“ Sein Gegenüber verstand und er fuhr fort: „Zuerst hat mein Vater mich nur geschlagen, so wie meine Mutter und manchmal auch Alex. Als ich fünf Jahre alt war hat er mich zum ersten Mal vergewaltigt. Er war der brutalste Mann, den man sich vorstellen konnte. Wenn ich geschrien habe oder geweint, dann hat er mir noch mehr wehgetan. Jeden Tag... jeden verdammten Tag musste ich das mit mir machen lassen. Einmal... hat meine Mutter mich ins Krankenhaus gebracht... ich hab geblutet und konnte mich kaum noch bewegen. Sie dachte, wenn es jemand erfuhr, würde er aufhören, aber er gab ihnen Geld und... es wurde nur noch schlimmer“ Er verstummte und ließ den Tränen freien Lauf, die sich in seinen Augen angesammelt hatten. Rico nahm ihn in den Arm, sagte aber kein Wort um ihn nicht zu verunsichern. Nach einer Minute atmete der Kleine tief durch und sprach mit brüchiger Stimme weiter: „Er war nicht der einzige Mann, der das mit mir machte. Eines Tages haben wir meinen Onkel besucht und wir sind da geblieben und in der Nacht kam er zu mir. Er war nicht so brutal und später manchmal sogar richtig nett zu mir. Er hat immer gesagt, dass er mich liebt. Ich hab ihm nicht geglaubt... Mein Vater sagte, lieben können nur schwache Männer und hat mich im Keller eingesperrt... Angekettet an eine Heißwasserleitung... jedes Mal wenn ich mich bewegt hab... Nur er kam da runter um seine tägliche Qual zu vollziehen... sieben Tage im Keller...“ Er brach wieder ab und drückte schluchzend sein Gesicht an Rico´s Schulter. Er versuchte sich wieder einzukriegen und weiterzusprechen, was einige Zeit dauerte. Der Andere hatte immer noch nichts gesagt, er war einfach da und aus seinen wunderschönen Augen sprach tiefste Betroffenheit. Schließlich konnte Chris wieder reden. „Ich weiß, warum er das gemacht hat. Er wollte mich bestrafen, für... was ich war. Einmal sagte er... danach... `Weißt du jetzt, warum du ein Mädchen werden solltest?´... Jeden Tag bin ich in die Kirche gegangen und hab Gott angefleht, dass ich keine kleine Schwester bekam. Er hat mich erhört und mich dafür bestraft... Mein Vater stieß meine Mutter die Treppe runter... sie war danach nie wieder dieselbe und konnte keine Kinder mehr kriegen... Seitdem weiß ich, dass Gott grausam ist. Es ging jahrelang so weiter... ich konnte keinem davon erzählen... er sagte ich wäre ein mieses Stück Dreck und mir würde sowieso keiner glauben... Keiner weiß davon... mein Bruder... er hat es geahnt... und nie was gesagt, er hatte auch Angst... er war für mich da... immer... er hat mich vor allem anderen beschützt und versucht... ein bisschen Liebe und Wärme in mein... armseliges Leben zu bringen. Dann war er weg. Er hat mich alleingelassen, weil er es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat und ist einfach gegangen... ohne mich. Und ich musste... die Konsequenzen tragen... jahrelang, bis ich auch weggehen konnte. Ich bekam meinen Job bei der Botschaft und mein Leben in den Griff, bis... er da auftauchte. Er war der Grund, warum ich mit Kelly Schluss gemacht hab. Ich dachte, ich hätte die Liebe meines Lebens gefunden, aber mein Leben wird nie ein Happy End haben... Ich war so glücklich wie noch nie mit ihm. Dann hat irgendjemand einen Fehler gemacht, es fiel auf mich zurück. Um meinen Job und meine Freiheit zu retten musste ich hunderttausend Euro auftreiben... Er gab mir das Geld, es war von irgendwelchen Leuten... ich verlor meinen Job trotzdem. Dann verlangte er sein Geld zurück... stellte mich seinen Freunden vor, die mit mir umgingen... wie mein Vater es getan hatte... Er sagte, ich müsste meine Schuld eben mit meinem Körper bezahlen und... dass ich für nichts anderes zu gebrauchen wäre. Und der Rest, wie man sagt, ist Geschichte...“ Er sah Rico an, dem die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben war und der die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Er sah in Chris´ tieftraurige Augen und flüsterte: „Es tut mir so leid... Ich weiß, das hilft dir nicht weiter, ab er es ist so... Ich wünschte, das wäre jemand anders passiert und nicht dir. So ein wertvoller Mensch wie du, verdient ein viel besseres Leben“ Das war zu viel für Chris. Diese einfachen und ehrlichen Worte hatten eine Mauer aus Selbsthass zerschlagen, die er seit Jahren aufgebaut hatte und die niemand durchdringen konnte. Der Junge brach zusammen und lag zitternd und schluchzend in Rico´s Armen. Draußen blitzte es. Das Wetter passte sich der Stimmung an und entlud seine Spannung.

Wie man bestimmten Aufforderungen folgt, oder: Die Jungs lassen die Sau raus

Yoa, Kapitel 4 eben. Der zweite Teil war zuerst nur als Verlängerung des Kapitels gedacht, weil das so kurz war, hat sich dann aber selbstständig gemacht und wurde zu dem was er jetzt ist. Die Küchenszene am Anfang ist der eigentliche Grund, warum dieses Chapter überhaupt existiert... btw: die Zeitenwechsel sind extra (ihr werdet es merken)

Musik: Stereophonics, Beatsteaks, Foo Fighters
 

Er erwachte wieder von einem Gefühl. Diesmal konnte er es bestimmen. Es war Hunger. Chris öffnete die Augen, das Unwetter hatte sich verzogen und die Sonne schien durch die Wolken. Er erinnerte sich, dass er Rico alles erzählt hatte, aber was dann passierte war aus seinem Gedächtnis verschwunden. Von weiter weg hörte er Stimmen, sie schienen aus der Küche zu kommen und klangen ziemlich gut gelaunt. Er stand auf, ein komisches Gefühl machte sich in ihm breit. Es war als ob er jahrelang geweint hätte und nun plötzlich aufgehört hatte. Er ging die Treppe runter und fand Rico und Kelly, die vor dem Backofen standen und gespannt reinsahen. Er räusperte sich und die Beiden drehten sich ruckartig um und wären fast zusammengestoßen. „Ihr habt gekocht? Trifft sich gut, ich sterbe vor Hunger“, sagte er grinsend. „Ich habe gekocht. Er stand nur daneben und hat mich genervt“, antwortete Kelly und Chris sah sie in diesem Moment als Chibi vor seinem geistigen Auge, was ihn wieder zum Grinsen brachte. „Sie will damit sagen, dass du dich bei ihr beschweren musst, wenn es nicht schmeckt“, sagte Rico und sie sah ihn strafend an und erwiderte: „Idiot“. Die folgende Szene war aus Chris´ Sicht typisch für die Beiden. Sie schlugen sich mit Topflappen und Küchenhandtüchern und lachten dabei wie die Bekloppten. Es war so kindisch, aber trotzdem normal für sie. Chris lachte. Die Streitenden hielten inne und sahen ihn mit dem gleichen positiv überraschten Gesichtsausdruck an. „Chris, du... hast gelacht... ich hatte fast vergessen, dass du das kannst. Wenn ich nicht schon... in dich verliebt wäre, dann... wäre ich es spätestens jetzt“, sagte Rico und kam auf ihn zu um ihn liebevoll zu küssen. Dieser Kuss wurde von einem undefinierbaren Geräusch unterbrochen. Kelly June sah sie mit großen Augen an, wenn sie etwas Zerbrechliches in der Hand gehabt hätte, würden jetzt tausende Scherben den Boden bedecken. „Oh... wie süß... Jungs, bitte sorgt dafür, dass ich nie mein Gedächtnis verliere. Dieses Bild will ich immer wieder sehen“, sagte sie mit unnatürlich leiser und hoher Stimme und einem verträumten Blick. Ein Klingeln ließ sie alle zusammenzucken. Das Essen war fertig. Es wurde eine ziemlich lustige Angelegenheit, die damit endete, dass KayJay und Rico wieder in einen Boxkampf verwickelt waren, der vom Telefon beendet wurde. Rico ging dran, es war Myriam. Chris´ gute Laune verging fast schlagartig als er hörte, wie er mit ihr und den Kindern sprach und er leerte in einem Zug sein Weinglas.
 

Mit einem schmerzhaften Schlag war ihm klargeworden, dass diese Zweisamkeit nur ein schöner Traum war, den sie nie ganz ausleben konnten, weil seine Familie dazwischenstand. „Mach dir nichts draus. Er liebt dich trotzdem, das merkt man“, sagte Kelly, die seine Gedanken gelesen hatte. Er sah in ihr lächelndes Gesicht und hoffte so, dass sie Recht hatte. Das Telefongespräch war ein sehr kurzes und als Rico in die Küche zurückkam fiel ihm die Stimmung seines Freundes direkt auf. Er hockte sich vor den sitzenden Jungen und sah zu ihm hoch. „Ich liebe dich“, sagte er. „Hab ich doch gesagt“, murmelte Kelly in sein Ohr und verschwand mal wieder. „Ich liebe dich auch“, antwortete Chris leise und strich durch Rico´s Wuschelhaare. Sie saßen eine Weile da und sahen sich einfach nur an. Dann stand Rico auf und zog Chris auch an der Hand nach oben. Sie standen sich gegenüber und sahen sich tief in die Augen. Der unvermeidbare Kuss, der folgte, war so leidenschaftlich und verlangend wie nie vorher. Rico schob seine warmen Hände unter Chris´ zu großen Pulli und strich über seinen nackten Rücken. Diesmal wurde wirklich etwas fallen gelassen. Sie ließen sich los und sahen in Richtung Tür, wo Kelly gerade dabei war, den verstreuten Inhalt ihrer Handtasche aufzusammeln. „Tut mir leid. Ich dachte ihr wäret rausgegangen. Wollte nicht stören... bin schon weg... nur noch den Schlüssel holen“, murmelte sie und drehte ihr tiefrotes Gesicht zum Boden hin. Ausnahmsweise war die Störung wirklich keine Absicht gewesen aber der Anblick hatte sie total fasziniert und sie rannte förmlich zur Haustür, nachdem sie den Schlüssel vom Tisch geholt hatte. „Gehen wir besser nach oben“, murmelte Rico und machte sich mit Chris im Arm auf den Weg ins Schlafzimmer. Im Vorbeigehen schloss er die Haustür ab und legte den Schalter für die Klingel um. Niemand würde sie diesmal stören. Wieder mit einem Kuss beschäftigt landeten sie auf dem Bett und zögerten keine Sekunde um ihre Klamotten loszuwerden. Als sie vollkommen nackt dalagen schien Chris doch auf einmal Hemmungen zu bekommen und verkrampfte sich leicht. „Was ist los?“, flüsterte Rico und sah ihn besorgt an. „Es ist nur... Rico, willst du mich... du weißt schon“ Er wurde nervös, aber als sein Freund den Kopf schüttelte löste sich die Anspannung. „Aber ich würde... für dich“, sagte Chris und es kostete ihn viel Überwindung, ihm dieses Angebot zu machen. Rico lächelte sanft. „Nein, ich will, dass... wir es genau andersrum machen“, sagte er und ließ auffordernd seine Hand zwischen die Beine des Jüngeren wandern. Chris war erleichtert und ging sogleich auf die Aufforderung ein. Er war auch auf diesem Gebiet ein `Profi´ und ging nicht grade zimperlich mit dem Anderen um, der in dieser Position auch einige Erfahrungen hatte. Zutiefst befriedigt lagen sie auf dem Bett und waren die glücklichsten Menschen der Welt. „Ich wünschte, es könnte immer so sein“, murmelte Chris und ergriff Rico´s Hand, an der sein Ehering schimmerte. „Willkommen in meiner Welt...“, antwortete Rico traurig.
 

Die Beiden schliefen erschöpft ein und als sie eine Stunde später erwachten, beschlossen sie kurzerhand, zusammen duschen zu gehen. Sie seiften sich gegenseitig ein und massierten sich die Schultern. Als Rico `aus Versehen´ das Shampoo fallen ließ und sich bückte um es aufzuheben, konnte Chris, der hinter ihm stand, der offensichtlichen Versuchung einfach nicht widerstehen und die beiden verbrachten mehr Zeit unter der Dusche als sie es vorgehabt hatten. Als sie aus dem Badezimmer kamen, sahen sie keinen Grund dafür sich anzuziehen und legten sich wieder ins Bett, weil ihnen kalt war. Sie lagen eng aneinander gekuschelt und in die Bettdecke eingewickelt und wünschten sich, die Zeit würde stehen bleiben, damit sie für immer ihr absolutes Glück genießen konnten. Sie sprachen kein Wort, es hätte nur die Situation zerstört und sie wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt. Eine sehr lange Zeit verblieben sie in dieser Position, bis Chris sich regte und aufstand. „Wo willst du hin?“, fragte Rico und musterte den nackten Körper seines Freundes. „Ich hab Durst. Außerdem können wir nicht den ganzen Tag im Bett rumliegen, auch wenn es toll wäre“, antwortete der Jüngere und streckte sich. „Dann ziehen wir uns jetzt halt an und gehen ein bisschen in der Gegend rum“, erwiderte der Andere und stand ebenfalls auf. Sie suchten sich Klamotten zusammen und als Chris sich runterbeugte um seine Tasche zu durchsuchen, hörte er, wie Rico ein erschrockenes Geräusch von sich gab. Er hatte bis jetzt noch keinen Blick von hinten auf ihn geworfen und erschrak als er die Spuren von Chris´ Vergangenheit so deutlich sah. Der Junge erbleichte und drehte sich hastig wieder um. „Das solltest du nicht sehen“, sagte er entschuldigend und beschämt. Rico schüttelte den Kopf. „Irgendwann hätte ich es gesehen. Tut es noch sehr weh?“ Er war mal wieder besorgt. „Nein, es geht“, antwortete Chris wahrheitsgemäß. Sie ließen das Thema fallen und zogen sich an um raus zu gehen. Inzwischen war schon wieder Abend geworden und sie konnten auf den verlassenen Straßen tun und lassen, was sie wollten, ohne, dass irgendjemand etwas bemerkte. Sie gingen in den nächstbesten Club, wo um diese Uhrzeit noch nichts los war und testeten fast die komplette Getränkekarte durch. Einige Stunden später zogen sie weiter zu einer Disco-Bar, die Rico´s Kumpel gehörte und versumpften dort vollkommen.
 

Das böse Erwachen ereilte Rico am nächsten Morgen als ersten. Er fand sich halbnackt auf seinem Bett wieder, sein Kopf schmerzte fast unerträglich und es war eiskalt. Der Grund dafür war das geöffnete Fenster, unter dem eine Pfütze stand. Hatte es geregnet? Er wusste es nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er sah in die andere Richtung und wäre fast vor Schreck aus dem Bett gefallen. Chris hatte sich neben ihm zusammengerollt wie eine Katze. Seine Hose hing irgendwo bei den Knien und überall war Blut. Jetzt erst bemerkte Rico, dass seine eigene Jeans offen war und mit Blutflecken verziert. Was war passiert? Was hatte er getan?! Was hatte er Chris angetan?! Voller Panik versuchte er aufzustehen und fiel neben dem Bett nieder. Sein Kreislauf ließ keine schnellen Bewegungen zu. Der Raum drehte sich und nahm komische Formen und Farben an. Auf was für Drogen war er bloß? Mühsam und verängstigt begab er sich auf allen Vieren zur Tür um dem Zimmer zu entfliehen. Im Flur fand er seinen zweiten Schuh und seinen Geldbeutel. In einem plötzlichen Anflug von wiedergewonnener Kraft sprang er auf und stürmte ins Badezimmer um seinen Kopf auf die Höhe der Kloschüssel zu bringen und seinen Körper auf schmerzvolle Art und Weise zu entgiften. Erinnerungsfetzen an die letzte Nacht durchzogen seinen schmerzenden Kopf.
 

Er war mit Chris im `Blue Lagoon´ gewesen, sie hatten getanzt und sich tierisch betrunken. Das nächste Bild war eine verschwommene Straße vor ihm, Chris neben ihm und blendende Straßenlampen über ihm. Das war alles. Der Rest war der totale Filmriss. Er setzte sich auf die kalten Fliesen um wieder zu Sinnen zu kommen, was scheiterte und dazu führte, dass er wieder die Kloschüssel benutzen musste. Irgendein Zeug war auf seinem Gesicht, er wusste nicht was, wusste nicht einmal ob es wirklich da war, oder nur eine Erfindung seines benebelten Gehirns. Er kroch in die Dusche und drehte das kalte Wasser voll auf. Es wirkte Wunder. Er fuhr mit der Hand über sein Gesicht und ein stechender Schmerz ließ ihn fast aufschreien. An seiner Hand rann Blut herunter. Das war das Zeug gewesen, das er gespürt hatte. Wieso war Blut auf seinem Gesicht und wieso fühlte sich seine Nase an als ob sie mit einem Vorschlaghammer kollidiert war? Waren die Flecken auf dem Bett vielleicht auch davon und nicht von dem, was er befürchtete? Wenn er sich doch bloß erinnern könnte! Ein weiteres Bild tauchte in seinem Kopf auf. Wieder diese Straße, diesmal noch verschwommener. „Regen...“, murmelte eine leise Stimme an seiner Seite. Stimmt, es hatte geregnet, sie waren nass geworden und hatten sich über diese Tatsache fast totgelacht. Rico stand auf. Das kalte Wasser der Dusche fiel immer noch auf seinen Körper und er fing an, langsam seine restlichen Klamotten auszuziehen und die Blutspritzer von seinem Oberkörper zu waschen. Nach einer Ewigkeit drehte er den Kranen zu und entstieg der Duschkabine. Er musste sich erst mal setzen und fast wurde ihm wieder schwindelig. Er wagte es, in den Spiegel zu sehen und bereute es sofort. Seine Augen waren rotgerändert, mit tiefen Schatten versehen und eins war mit einem schlecht gezielten Fausthieb blaugeschlagen worden. Seine Nase war leicht angeschwollen und auch blau. Es sah aus, als ob er auf eine harte Kante geknallt wäre, einen Tisch oder eine Fensterbank. Vielleicht hatte Chris ihm auch eine verpasst, als er gerade... Er wagte es nicht einmal den Gedanken zu denken, was er gemacht haben könnte. Es war zu furchtbar um wahr zu sein und er hoffte inständig, dass es nicht passiert war. Aber die Position des Jungen auf dem Bett, sein Gesichtsausdruck im Schlaf und das ganze Blut sprachen für sich.
 

Rico musste es wissen und beschloss nachzusehen, ob er noch weitere Indizien für seine Schuld finden konnte. Er ging wieder in den Flur, die Treppe ein Stück runter. Dort lag Chris´ Pulli, der immer noch klatschnass war. Als er die Stufen wieder raufstieg überkam ihn erneut eine Erinnerung. Sie waren die Treppe hochgestolpert, hatten sich aneinander festgehalten. Chris hatte den Pulli ausgezogen. „Nass... kalt“, murmelte er und warf das Kleidungsstück hinter sich. Dann drehte er sich halb zu Rico um, küsste ihn und fing an mit der Zunge seinen Hals entlang zu streichen. Mit der einen Hand hielt er sich immer noch an ihm fest und die andere öffnete den Knopf seiner Hose. Aber was war danach passiert? In Rico´s Erinnerungsvermögen herrschte wieder Streik und er betrat das Schlafzimmer. An dem Bild des Grauens hatte sich nichts geändert, außer Chris´ Gesichtsausdruck. Er sah nicht mehr so schmerzvoll aus wie vorher. Rico bemerkte, dass an ihm kein Blut klebte, was riesige Erleichterung auslöste, ihn aber noch nicht beruhigte. Es konnte ja sein, dass er es nur versucht hatte. Das allein war schon schlimm genug. Eine Blutspur führte über den Boden, um das Bett herum. Rico ging zuerst zum Fenster um es zu schließen, es war immer noch kalt. Ach ja, er hatte ja noch nichts an, deswegen. Der Fenstergriff zog seine Aufmerksamkeit an. Blutige Fingerabdrücke, seine eigenen, wenn er richtig sah. Da wusste er es wieder. Er hatte keine Luft bekommen, er konnte nicht atmen. Blut tropfte aus seiner Nase auf den Fußboden, auf seine Hände. Er hatte das Fenster aufgemacht, weil er Sauerstoff brauchte. Dann hatte er sich hingelegt. Das war es. Aber was war zwischen der Szene auf der Treppe und der mit dem Fenster passiert? Er beschloss, sich erstmal anzuziehen. Der Kleiderschrank war das einzige Möbelstück, das keinen Schaden davongetragen hatte. Kein Blut oder sonstige Flecken verschandelten seine Oberfläche. Rico dachte einen Moment lang daran, sich in den Schrank zu setzen und erst wieder herauszukommen, wenn er wusste, was er getan hatte, überlegte es sich aber anders. Er zog sich an und sah dann wieder auf das Chaos in seinem Zimmer. Da entdeckte er, wo die Blutspur hergekommen war, die bis zum Fenster führte.
 

Die Ecke des Nachtschranks war komplett blutverschmiert, es war runtergelaufen und hatte einen großen Fleck auf dem Boden hinterlassen. Von dort aus war er dann wohl zum Bett gegangen und dann drumherum um das Fenster zu öffnen. Sein Shirt lag zusammengeknüllt neben dem Nachtschrank. Er hob es auf und entdeckte einen riesigen Blutfleck darauf. Er wunderte sich, warum er bei dieser Menge Blutflecken im ganzen Zimmer und auf seinen Klamotten überhaupt noch lebte und nicht verblutet war. Es war eigentlich unmöglich. Wieder ein Erinnerungsfetzen. Chris war ihm voraus in den Raum gegangen und hatte sich auf das Bett gelegt. Er hatte seine Hose geöffnet und sie runter gezogen. Was war das in seiner Hand? Eine Flasche voll roter Flüssigkeit. Wo kam die her? Was war das? Der Junge hatte einen Schluck getrunken und die Flasche auf das Bett gestellt. Dann hatte er sich zurückgelehnt und irgendetwas zu Rico gesagt, woraufhin der auf ihn zuging. „Du hast genug getrunken“, hörte der Mann sich selbst lallen. Dann hatte er die Flasche genommen, den Inhalt über das Bett geschüttet und sie hinter sich geworfen. Er war rausgegangen. Da hörte die Erinnerung wieder auf. Was hatte das zu bedeuten? War das auf dem Bettlaken etwa gar kein Blut? Er sah sich die Flecken genauer an. Es war tatsächlich kein Blut, aber irgendetwas, das täuschend echt aussah und stark nach Alkohol roch. Ganz sicher war er sich aber immer noch nicht, was die Sache mit ihm und Chris anging. Zumindest war er jetzt nicht mehr so schuldbewusst wie vorher und sah sich in der Lage, seinem Freund vorsichtig die Hose wieder hochzuziehen und ihn zuzudecken. Als er ihn da so schlafend liegen sah, fiel ihm auch der Rest der unglücklichen Sache wieder ein.
 

Er war in das Zimmer zurückgekommen, Chris schlief. Er wollte aus irgendeinem Grund auf die Uhr sehen, die er auf den Nachtschrank gelegt hatte. Besoffen wie er war ging er um das Bett herum und plötzlich trat sein Fuß auf einen kalten, runden Gegenstand. Er verlor das Gleichgewicht, fiel nach vorne und krachte mit der Nase auf die spitze Ecke des Nachtschranks. Er war doch tatsächlich auf dieser blöden Flasche ausgerutscht. Rico tauchte wieder aus der Erinnerung auf und beschloss, den Grund für seinen Zustand zu suchen und aus dem Haus zu befördern. Die Flasche lag in der Ecke. Sie hatte kein Etikett und so wusste er immer noch nicht, was drin gewesen war. Er nahm sie und ging nach unten. Nachdem er diesen boshaften Gegenstand auf der Gartenmauer zerschlagen hatte, fühlte er sich besser und besorgte sich im Kühlschrank einen Eisbeutel für sein Gesicht. Er ging wieder nach oben und fand Chris im Schlafzimmer, der aufgewacht war und ihn besorgt ansah, als er eintrat. „Was passiert?“, fragte der Junge heiser. „Wir haben uns besoffen, sind durch den Regen hierhin gelaufen, du hast mir ein eindeutiges Angebot gemacht, das ich abgelehnt habe und ich bin auf einer vom Teufel besessenen Flasche ausgerutscht“, erzählte Rico ihm die Kurzfassung. „Oh... oh-oh, mir is´ nich´ gut“, brachte Chris hervor und stürmte an seinem Freund vorbei Richtung Badezimmer. Er unterzog sich derselben Prozedur, wie Rico eben und kam nach einer Ewigkeit wieder aus dem Zimmer hervor, klatschnass und zitternd. „K-kann kein H-Handtuch finden. Schrank ist leer“ Der Ältere grinste dämonisch und überlegte einen Moment lang, ihn die ganze Zeit nackt dastehen zu lassen um ihn schließlich eigenhändig zu wärmen. Dann ging er doch in das andere Bad in der unteren Etage und holte ein neues Handtuch für ihn, in das er den Kleinen einwickelte und ihn beim anschließenden Abtrocknen tatkräftig unterstützte. „Wir müssen hier aufräumen“, stellte Chris fest als er das Schlafzimmer wieder betrat um sich anzuziehen. „Wir müssen hier renovieren“, entgegnete Rico trocken und dachte vor allem an die Blutspur auf dem Teppichboden. „Komm, wir schmeißen uns einfach auf die Couch und überlegen später, was wir mit diesem Chaos machen sollen“, fuhr er fort und ergriff Chris´ Hand um mit ihm in die untere Etage zu gehen.
 

Sie saßen mal wieder lange vor dem Fernseher. Rico musste den ganzen Tag diesen nervigen Eisbeutel in sein Gesicht halten und hoffen, dass es besser und nicht noch schlimmer wurde. „Wie hast du es eigentlich geschafft, dir nur einen blauen Fleck zu holen und nicht die Nase zu brechen?“ fragte Chris, als er mal wieder mit neuem Packeis aus der Küche kam. „Wahrscheinlich mehr Glück als Verstand. Und ein sehr günstiger Einschlagwinkel“, antwortete er und zappte durch einige Fernsehkanäle, bis er den großen roten Knopf drückte um die Glotze auszumachen. „Kann ich so in die Öffentlichkeit?“, fragte er und schob das Eis zur Seite. „Ist hart an der Grenze. Wieso?“, antwortete Chris scherzhaft. „Wir gehen meinen Freund im `Blue Lagoon´ besuchen. Ich will wissen, was in der Flasche war und was passiert ist. Außerdem habe ich den Verdacht, dass er mir eins auf´s Auge gegeben hat und ich will wissen warum!“ Er setzte einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf und schließlich machten sie sich auf den Weg. Nach einigen Umwegen und Verzögerungen (sie mussten noch Kippen kaufen) kamen die beiden schließlich an ihrem Bestimmungsort an. Pablo, besagter Freund von Rico, begrüßte sie leicht zurückhaltend und spendierte jedem einen Drink. Nach einigem guten Zureden erzählte er schlussendlich von der vergangenen Nacht. Die Beiden waren bei ihm angekommen und schon ziemlich betrunken gewesen. Sie hatten immer mehr getrunken und schließlich sogar getanzt. Einige Gäste störten sich wohl daran, dass sie anfingen wie wild rum zu knutschen. Pablo hatte versucht, sie irgendwie elegant wegzuschicken und als das nicht klappte hatte er ihnen eine Flasche von dem roten Getränk gegeben und sie nach Hause befehligt. Bevor sie gingen hatte Rico plötzlich versucht ihn anzumachen, was er ja verstehen konnte, schließlich war sein Kumpel sturzbesoffen. Als er ihn dann aber in eine Ecke drängte und küsste, war das doch des Guten zu viel und Pablo hatte ihm eine verpasst. Es tat ihm leid, aber es war das einzige Mittel, das gegen aufdringliche Betrunkene half. „Alles klar. Dann bleibt ja nur noch eine Frage offen. Was war in der Flasche?“, sagte Rico, sich zurücklehnend, erwartungsvoll. „Das ist ein Betriebsgeheimnis. Aber ich kann euch verraten, dass es das ist, was die Leute kriegen, die `Nichts´ bestellen“, antwortete der Kneipenbesitzer und grinste hintergründig. Damit war ja wohl alles gesagt.

My only friend, the end

Dieses Kapitel diente ursprünglich nur dem Zweck meine Musiksucht hier mit einzubringen. Der Kapitel-Titel ist aus dem Song "The End" von den Doors. Wenn jemand einen besseren Titel weiß, kann er mir bescheid sagen. Das Lied, das hier vorkommt ist "Love hurts" von Incubus und gehört in keiner Weise mir.

Musik: Incubus -- Author´s Note: /= Songtext //= Erinnerungen
 

Die nächsten Tage waren die schönsten in ihrem Leben. Sie verliebten sich immer mehr ineinander, bis es schließlich schon fast unerträglich wurde. Die beiden Männer führten sich auf wie verrückte Teenager und liefen kichernd und Händchen haltend durch die Straßen. Was die Leute dachten war ihnen absolut egal und sie genossen ihre gemeinsame Zeit in vollen Zügen. Wie schnell aus ihrer lockeren Freundschaft Liebe geworden war, konnte keiner von ihnen so richtig glauben. Als sie wieder einmal zufrieden und erschöpft auf dem Bett lagen, griff Chris diese Frage auf. „Ist das hier alles wirklich wahr, oder ist es nur ein wundervoller Traum?“ Rico seufzte, er wollte nicht drüber nachdenken. „Es ist ein bisschen was von beidem, wahrscheinlich“ Der Kleinere rückte noch enger zu ihm, soweit das möglich war. „Was soll bloß aus uns werden?“, fragte er verzweifelt und versuchte die Tränen zurückzuhalten, die in seinen Augen brannten. Rico küsste ihn auf die Stirn und antwortete: „Versuch, nicht drüber nachzudenken. Über die Zukunft machen wir uns erst Gedanken, wenn sie gekommen ist. Genieß den Augenblick, sagst du doch immer“ Chris entspannte sich. „Du hast Recht“, flüsterte er und strich über Rico´s Brust und seinen Bauch. Sie küssten sich und bevor Rico es mitbekommen hatte, saß Chris auf ihm. „Hey, was wird das?“, fragte der Untere perplex. „Morgen kommt deine Familie zurück. Wer weiß, wann wir wieder allein zusammen sind. Also hör auf dir Sorgen zu machen und genieß den Augenblick“, antwortete sein Freund und lächelte verführerisch. Bevor er noch irgendwas tun konnte hatte Chris angefangen, das zu tun was er, eigener Meinung nach, am besten konnte. Und Rico fand, dass er damit verdammt Recht hatte. Sie gaben sich vollkommen einander hin. Rico hatte Angst, er hätte Chris wehgetan als dieser total regungslos neben ihm im Bett lag, aber das selige Lächeln des Kleinen belehrte ihn eines Besseren. Innerhalb kurzer Zeit war er eingeschlafen und Rico stand auf. Er war von einem unbeschreiblichen Gefühl erfüllt. Es war zum einen wie unendliche Freude und zum anderen Trauer, weil er wusste, dass sie ihre Gefühle füreinander in Zukunft nicht mehr richtig ausleben konnten. Er war noch nie vorher gleichzeitig deprimiert und froh gewesen und diese verdrehte Emotion machte ihm doch schon ein bisschen Angst.
 

Chris erwachte diesmal nicht von einem Gefühl, es war mehr ein Geräusch, kombiniert mit seiner natürlichen Neugier, das ihn aus dem Bett zwang und dazu brachte, über den Flur zu gehen. Die Tür zum `Musikzimmer´ war verschlossen, aber er konnte trotzdem dahinter etwas hören. Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und öffnete die Tür. Jetzt war die Musik lauter und er wurde sofort von ihrer Schönheit in den Bann gezogen. Rico saß halb von ihm abgewandt auf einem Stuhl, spielte Gitarre und sang. Er hatte eine sehr schöne und interessante Stimme, sie erinnerte Chris irgendwie an Kelly Jones von den Stereophonics. Das Lied kannte er nicht, aber es war so wunderschön und von Schmerz erfüllt, dass er einfach nur die Augen schloss und gedankenverloren zuhörte. Die Melodie trug seine Seele in die vollkommene Ruhe und zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Als die letzten Töne verhallten stand er immer noch an den Türrahmen gelehnt und nahm die totale Stille wahr, die sich ausbreitete. Er öffnete die Augen und Rico sah ihn an. „Hab ich dich geweckt?“, fragte er und ein leichter Rotschimmer zog sich über sein Gesicht. Er hatte den unerwarteten Besucher nicht bemerkt, während er spielte und war es wohl nicht gewöhnt, dass ihm jemand zuhörte. „Nein, hast du nicht. Das war ein sehr schönes Lied. Was war das?“, antwortete Chris und setzte sich auf die Couch, ihm gegenüber. „Ähm, na ja... Es hat keinen Namen, ich hab´s geschrieben“, antwortete der Musiker und der Rotton in seinem Gesicht wurde dunkler. „Wow. Es ist wunderschön. Wann hast du das geschrieben?“ Chris wollte es unbedingt wissen. Dieses Lied hatte ihm nämlich aus der Seele gesprochen. „Eigentlich... während ich es gespielt hab. Es geht um uns und um das hier alles... du weißt schon“, murmelte Rico und sah auf seine Hände. „Würdest du noch was spielen? Ich finde deine Stimme so schön...“ Chris lächelte ihn aufmunternd an. Er hätte nie gedacht, dass Rico so schüchtern sein konnte. Er fand das so süß und seine Liebe zu diesem Mann zerriss ihn fast innerlich. „Ja, ich hätte da noch was“, antwortete Rico und biss sich auf die Lippe. Er war sich nicht sicher, ob Chris das alles nur sagte, um nett zu ihm zu sein, oder ob er es ernst meinte. Er atmete tief durch, schlug die ersten Töne an und fing an zu singen: „Tonight we drink to youth/ and holding fast to truth...“ Er ging in diesem Lied komplett auf, es war so eine Art Soundtrack zu seinem Leben. Es war als ob der Songwriter in sein Herz gesehen hätte als er diesen Text schrieb. Rico sang weiter, er nahm sein Umfeld nicht mehr wirklich wahr. Musik war schon immer wie eine Droge für ihn gewesen. Er hörte auf zu denken. „... ´cause without love I won´t survive“ Er spielte die letzten Töne und sah wieder auf. Chris sah ihn ungläubig und mit Tränen in den Augen an. „Das... das war so schön, es ist unbeschreiblich... wow“, flüsterte er ehrfürchtig und hatte Angst, die Stimmung zu zerstören. „Meinst du das ernst, oder sagst du das nur so?“, fragte Rico. Er war schon immer sehr selbstkritisch gewesen und akzeptierte keine positiven Meinungen ohne sich diese Frage zu stellen. „Ich meine es komplett ernst. Außerdem steh ich total auf Incubus“, antwortete Chris lächelnd. Jetzt musste auch der Andere wieder grinsen. „Ich wünschte, ich könnte auch Gitarre spielen und singen. Musik war schon immer wie Therapie für mich, aber ich habe es nie geschafft, selbst ein Instrument zu lernen“, sagte der Kleinere und erinnerte sich an den einen Versuch, seine Eltern zu überreden ihm eine Gitarre zu kaufen. Er hatte ein schmerzhaftes Ende gefunden. „Vielleicht kann ich es dir beibringen“, sagte Rico, dem der Schatten der Erinnerung auf dem hübschen Gesicht seines Freundes nicht entgangen war. „Das wäre toll, aber ich glaube nicht, dass ich Talent für so was habe“ Diesmal war er es, der schüchtern zu Boden sah. „Woher willst du das wissen, wenn du es nie versucht hast?“, fragte Rico und drückte ihm die Gitarre in die Hand. Chris fühlte sich direkt mit dem Instrument verbunden und legte probehalber die Finger auf einige Saiten. Sein Freund nahm hinter ihm Platz und sah ihm über die Schulter. Er griff um ihn herum und führte seine Hände, sodass einige Töne durch den Raum schwebten. „So, jetzt mach mal allein“, sagte der Lehrer und sein Schüler tat wie ihm geheißen. Der Effekt war verblüffend. Es war nur eine einfache Melodie gewesen, aber Chris fühlte sich so stolz, dass er gerade Musik gemacht hatte. Er versuchte es gleich nochmal und hing noch ein paar Noten hintenan, die einfach so, wie von selbst, von seinen Fingern gespielt wurden. „Wusste ich es doch, du bist ein Naturtalent“, sagte Rico leise und küsste ihn auf die Wange. Sie saßen da bis der Himmel anfing sich orange zu färben und ihre Finger vom Gitarre spielen schmerzten. „Komm, einen Sonnenuntergang noch, bevor wir wieder in unser Leben zurückkehren müssen“, sagte Rico und sie gingen nach draußen auf den Felsen im Meer. Die Stille des endenden Tages hatte etwas Trauriges und Endgültiges an sich, das ihnen beiden fast die Tränen in die Augen trieb und sie dazu veranlasste, ihre gemeinsame Zeit noch höher zu schätzen. Jede Sekunde, die sie miteinander verbracht hatten war kostbar wie ein Schatz und sie würden die Erinnerung daran wie einen ebensolchen hüten. Als die Sonne verschwunden war kamen Chris dann doch die Tränen und er klammerte sich verzweifelt an seinen Freund. „Chris, bitte, beruhig dich. Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht mehr sehen...“ Rico´s Stimme versagte. Er wollte am liebsten jede Sekunde seines Lebens mit diesem Jungen verbringen und konnte sich nicht vorstellen, wie er es auch nur einen Tag ohne ihn aushalten würde. Er hatte sich schon oft eingebildet, richtig verliebt zu sein aber diesmal war das Gefühl echt. Es war dasselbe, das er bei seiner Frau empfunden hatte. Er wünschte sich, von irgendwoher käme Hilfe, irgendjemand würde ihm sagen, was zu tun wäre und ihn von dem ewigen Schmerz erlösen. Wenn er an Gott geglaubt hätte, hätte er sicher gebetet.
 

Chris stand auf. Er wollte Rico nicht wecken. Eine unbeschreibliche Verzweiflung, Angst und Ungewissheit machte sich in ihm breit und drohte seinen kleinen Körper zu zersprengen. Was sollte er nun tun? Wo würde er hingehen? Hier konnte er nicht bleiben, das war sicher. Vielleicht würde er wirklich für kurze Zeit zu seinem Bruder ziehen, bis ihm etwas eingefallen war. Natürlich konnte er sein hoffnungsloses Leben auch beenden, es wäre eine Erleichterung für alle, wenn er nicht mehr da war. Aber was würde Rico dann tun? „Ich kann nicht ohne dich leben“, hatte er gesagt und es auch so gemeint. Chris wanderte nachdenklich durch das Haus. Er kam an der offenen Tür zum Musikzimmer vorbei und durchquerte sie. Kaum hatte er den Raum betreten, überkam ihn eine schmerzvolle Erinnerung.
 

//Der Junge saß auf seinem Bett in dem dunklen, kleinen Zimmer, das er bewohnte. Er hatte einen Katalog in der Hand, den ihm Johannes in der Schule gegeben hatte. Johannes war der coolste in ihrer Klasse, er spielte Gitarre und Schlagzeug und fuhr immer mit seinem großen Bruder Motorrad. Das wollte Chris auch alles können. Er blätterte in dem Katalog, lauter schöne Gitarren waren abgebildet, er wollte unbedingt eine haben. Der Junge rutschte vom Bett und lief in dem Raum auf und ab. Er musste seinen Vater fragen. Eigentlich kannte er die Antwort, aber Alex sagte immer, man soll auf Wunder hoffen. Chris ging in den Flur, dort war es nicht so dunkel. Er ging auf die Küchentür zu, mit jedem Schritt wurde ihm unwohler und seine Beine schwerer. Einen Moment lang stand er noch unschlüssig vor der Holztür, dann nahm er all seinen Mut zusammen, klopfte und trat ein. „Was willst du?“, fragte sein Vater nachdem er die Tür wieder geschlossen hatte, „Du kommst doch nur freiwillig zu mir, wenn du wieder irgendwas willst“ Chris wollte fast widersprechen. Er hatte eigentlich noch nie seinen Vater um etwas gebeten. Es sei denn, man zählte das ewige `Hör auf damit!´, das er immer zu sagen wagte, wenn der Mann ihn mal wieder quälte. „Vater... ich ähm will tatsächlich etwas... Und ich würde alles dafür tun, damit ich es bekomme... Darf ich bitte eine Gitarre haben?“ Er wartete, zitterte und machte sich auf das Donnerwetter gefasst. „Und wieso sollte ich dir das erlauben? Welchen Nutzen würde ich daraus ziehen?“ Chris hatte diese Frage erwartet und war darauf vorbereitet. „Ich wäre den ganzen Tag beschäftigt und würde nicht im Weg rumstehen. Außerdem macht Musik intelligent und ich wäre dann besser in der Schule“ Johannes hatte gesagt, er sollte das sagen, es würde seinen Vater ganz sicher überzeugen. Der Mann sah ihn finster an. „Denkst du denn wirklich, ich würde mir den ganzen Tag diesen Krach anhören wollen? Es reicht schon, wenn ich dich jeden Tag sehen muss!“ Chris hatte sich fest vorgenommen, nicht zu weinen, aber diese Worte stellten ihn auf eine harte Probe. „Du musst mich ja nicht sehen. Lass mich einfach in Ruhe“, antwortete er so ruhig und gefasst wie möglich. „Du wagst es, so mit mir zu reden? Was glaubst du denn, wer du bist?!“ Der Mann hatte sich zu seiner vollen Größe aufgerichtet. Obwohl Chris ihn nicht ansah, konnte er sich den verachtungsvollen Blick vorstellen, mit dem er auf ihn runterschaute. Bevor noch ein Wort fiel packte der Vater seinen Sohn am Kragen und zerrte ihn in den Keller. Dort war es halbdunkel und größtenteils eiskalt. Er wurde brutal in eine Ecke gestoßen und flog rückwärts gegen die kalte Steinmauer. Er wusste nur zu gut, was jetzt kam. Sein Vater packte ihn an den Schultern und zwang den Jungen, ihn anzusehen. „Du weißt, wofür du bestraft wirst?“, fragte er kalt. Es war eher eine Feststellung als eine Frage aber Chris nickte trotzdem. Mit einigen starken Handgriffen war er seine Klamotten los und stand splitternackt in dem Kellerraum, wo es so kalt war, dass die Fenster zugefroren waren. Sein Vater sah ihn voller Abscheu an und verpasste ihm dann eine Ohrfeige, sodass er nach rechts stolperte. Die sich erwärmende Luft ließ ihn zu dem Schluss kommen, dass die Wasserleitungen hier irgendwo sein mussten. Bei dem nächsten Schlag landete er auf dem Boden. Außer sich vor Wut riss der Mann ihn wieder auf die Füße und verpasste ihm die nächste Ohrfeige. Die wüsten Beschimpfungen hörte Chris nicht mehr, denn seine Schulter war mit einem heißen Wasserrohr zusammengestoßen und erfüllte ihn mit schrecklichen Schmerzen. Er schrie auf und sank wieder zu Boden. Als sein Vater sah, was passiert war, wurde er noch wütender. „Was, stehst du jetzt auf Schmerzen?! Ist das was du von mir kriegst nicht mehr genug?!“, schrie er und stellte den Jungen wieder hin. Dann drückte er sein Kind vorwärts gegen die Mauer und nahm ihn auf die grausamste Art und Weise, die Chris jemals erlebt hatte...//
 

„Chris?... Chris! Bitte sag was!“ Rico´s Stimme holte ihn wieder in die Gegenwart zurück und er zuckte etwas zusammen. „Was?... Was ist los?“, flüsterte er und kam wieder zu sich. Ein besorgter Rico hockte vor ihm auf dem Boden, wo er selbst sich niedergelassen hatte ohne es zu merken. „Du warst grade ganz weit weg, oder?“, fragte er und Chris sah sich verwirrt um. „Ja, ich... es war...“, antwortete er und erzitterte bei dem Gedanken an den Ort von dem er soeben wieder zurückgekehrt war. Er legte eine Hand auf seine rechte Schulter, die voller Schmerz war. „Tut dir irgendwas weh?“, fragte Rico und sah ihn durchdringend an. „Das bilde ich mir ein“, murmelte Chris. Von diesem Zwischenfall war nur eine winzige Brandnarbe zurückgeblieben, warum sollte die plötzlich wehtun? Phantomschmerzen, das musste es sein. „Willst du drüber reden?“, fragte der Ältere. „Es war nichts, was du nicht schon wüsstest. Ich habe mich nur sehr detailreich erinnert“ Er sah zu Boden und erwartete noch mehr Schmerzen, aber auf einmal waren sie alle weg. Stattdessen spürte er sanfte Hände auf seinen Schultern und blickte auf, in Rico´s braune Augen. Er fühlte sich befreit und gleichzeitig von tiefer Ruhe ergriffen. „Rico... das ist so gruselig“, flüsterte er. „Was meinst du?“, fragte der Andere verwirrt und um seinen Geisteszustand besorgt. „Wenn du das machst. Aber es ist trotzdem schön und ich will dir dafür danken“ Ein verklärtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Aber ich mach doch gar nichts. Geht es dir gut?“ Rico konnte sich dieses seltsame Verhalten absolut nicht erklären. „Wenn du da bist hab ich keine Schmerzen mehr, keine Albträume. Sogar meine Erinnerungen sind nicht so schrecklich wie sonst. Du bist wie eine Droge für mich“ Chris zog ihn an sich und küsste ihn. Fast hätten sie überhört, wie die Haustür sich schloss und jemand nach Rico rief. Er schreckte hoch und stellte entsetzt fest, dass seine Familie wohl doch schon früher aus dem Urlaub kam als erwartet und, dass keiner der beiden Männer komplett angezogen war.

Chris-Special: Love Hurts

Kapitel 6: Meine allererste Songfic! Wie der Titel schon sagt ist sie aus Chris´Perspektive geschrieben.

Lied: Love hurts von Incubus Übersetzung: von mir (wörtlich, nicht interpretiert)
 

Tonight we drink to youth (Heute Nacht trinken wir auf die Jugend)

and holding fast to truth. (Und halten uns an der Wahrheit fest.)

I don´t wanna lose what I had as a boy. (Was ich als Junge hatte, will ich nicht verlieren.)
 

Früher war ich ein unschuldiger kleiner Junge. Ich wünschte, ich wäre so geblieben. Aber das ist ja nicht meine Schuld. Die Jugend dauert auch nicht ewig und man sollte sie genießen, solange man kann. Oh je, ich glaube, ich werde alt! Hätte nie gedacht, dass ich jemals solche Gedanken haben könnte.
 

My heart still has a beat (Mein Herz schlägt noch)

but love is now a feat. (Aber die Liebe ist mittlerweile eine Leistung.)

As common as a cold day in L.A. (So normal wie ein kalter Tag in L.A.)
 

Ich bin froh, dass ich noch lebe. Es hätte genauso gut anders sein können. Alles war ich erlebt habe hat mich verändert und seine Spuren hinterlassen. Ich bin nicht mehr derselbe wie vorher, obwohl immer noch dasselbe Herz in mir schlägt. Liebe ist eine schwierige Sache. Zu oft schon habe ich mir eingebildet, verliebt zu sein und bin auf die Nase gefallen. Es ist nicht einfach für mich zu lieben. Körperliche „Liebe“ ist ein anderer Punkt. Das war schließlich mein Job.
 

Sometimes when I´m alone I wonder (Manchmal wen ich allein bin frage ich mich)

Is there a spell that I am under (Liegt da ein Fluch über mir,)

keeping me from seeing the real thing? (der mich davon abhält die wahre Sache zu sehen?)
 

Ich frage mich wirklich, was ich falsch mache, dass es nie gut ausgeht. Es scheint unmöglich für mich zu sein so eine Art Happy End zu erreichen, was Beziehungen angeht. Der Mann, von dem ich dachte, er wäre der Richtige hat mich sozusagen verkauft und von vorne bis hinten verraten. Rico, den ich über alles liebe, kann niemals mit mir zusammen sein, weil er eine Familie hat, die er über alles liebt. Jedes Mal, wenn es hätte gut gehen sollen, ging es schief. Das ist wohl Schicksal.
 

Love hurts... (Liebe tut weh...)

but sometimes it´s a good hurt (Aber manchmal ist es ein guter Schmerz)

and it feels like I´m alive. (und es fühlt sich an als ob ich am Leben wäre.)
 

Aber solange ich immer wieder Unglück in Liebesangelegenheiten erfahre, weiß ich, dass ich lebe. Es ist so als ob ich nicht ohne diesen Schmerz existieren könnte, der mich jedes Mal wieder auf´s Neue fast in den Tod treibt. Wenn ich das fühle, wünsche ich mir, es würde aufhören und ich könnte endlich eine normale Beziehung führen, aber wenn ich es nicht fühle, wünsche ich es mir zurück, weil es das einzige Gefühl ist, mit dem ich umgehen kann und dem ich vertraue.
 

Love sings (Liebe singt)

When it transcends the bad things. (Wenn sie die schlechten Dinge übersteigt.)

Have a heart and try me, (Hab´ein Herz und versuch es mit mir,)

`cause without love I won´t survive. (weil ich ohne Liebe nicht überleben werde.)
 

Trotzdem ist die Liebe das Schönste auf der Welt und es ist jedes Mal erstaunlich, wie man alles um sich herum vergisst, wenn man glücklich verliebt ist. Deswegen habe ich es noch nicht längst aufgegeben. Ein Mensch braucht Liebe zum Überleben. Auch wenn man sie nicht immer findet, reicht allein die Suche danach aus um einen am Leben zu halten. Es war auch Rico´s unglaubliche Liebe, die mir meine Schmerzen genommen und mich aus dem Trauma befreit hat. Vielleicht hat irgendwann wieder jemand diese Wirkung auf mich. Die Hoffnung darauf macht mich stärker.
 

I´m fettered and abused (Ich werde eingesperrt und missbraucht)

I stand naked and accused. (Ich stehe nackt und angeklagt hier.)

Should I surface this one man submarine? (Soll ich dieses Ein-Mann-U-Boot zur Oberfläche bringen?)

I only want the truth (Ich will nur die Wahrheit)
 

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass immer alles meine Schuld ist. Egal, wie oft mein Vater mich grundlos eingesperrt und missbraucht hat, es war immer meine Schuld. Ich habe ihn in irgendeiner Form provoziert oder herausgefordert. Wahrscheinlich war es allein schon meine Existenz, die mich schuldig machte. Ich war allein. Ich habe mich nicht getraut, jemand davon zu erzählen, obwohl es immer mein höchstes Ziel war, der ganzen Welt klar zu machen, was für ein Schwein mein Vater war. Aber ich war allein und feige.
 

so tonight we drink to youth! (Also trinken wir heute Nacht auf die Jugend!)

I´ll never lose what I had as a boy. (Was ich als Junge hatte, werde ich nie verlieren.)
 

Es ist so eine komische Sache mit der Jugend. Es heißt, es wären die besten Jahre, aber man verbringt sie damit, in die Schule zu gehen, Liebeskummer zu haben und auf schmerzhafte Art und Weise seinen Weg durch´s Leben zu finden. Irgendwie ist das doch paradox. Und was man in dieser Zeit erlebt prägt einen für immer, egal ob gute oder schlechte Erfahrungen. In meinem Fall waren es leider durchweg die schlechten, die hängen geblieben sind und heute noch extremen Einfluss auf mich haben. Aber ich bin mir sicher, auch wenn die Liebe schmerzt wird sie mich immer wieder retten.
 

(Lyrics property of Incubus)

Erlösung?

Kapitel 7. Ab hier wird die Geschichte mehr aus Chris´und Alex´Sicht erzählt.

Musik: Metal Ballads, chronix radio //= Erinnerungen
 

Wie genau sie aus dieser peinlichen Situation rausgekommen waren, wusste Chris nicht mehr als er am Abend in Alex´ Gästezimmer saß. Er wusste nur noch, dass er sich tierisch zusammenreißen musste, um nicht loszuheulen als er von seinem Bruder abgeholt wurde. Rico hatte mit Alex telefoniert und ihm ein bisschen die Hintergründe dieser ganzen Sache erklärt, den Rest musste Chris ihm erzählen. Er hatte es selbst so gewollt, war sich mittlerweile aber nicht mehr so sicher. Wie sollte er seinem Bruder das alles sagen? Mit der Tür ins Haus fallen wollte er nicht, aber eine andere Möglichkeit war nicht vorhanden. Natürlich konnte er es auch aufschreiben, aber das war nun wirklich viel zu umständlich. Er stand auf und ging zum Wohnzimmer. Sein Bruder saß auf der Couch und las ein Buch. Er sah hoch als Chris eintrat und lächelte. Der Jüngere ließ sich neben ihm nieder und versuchte etwas zu sagen, aber es klappte nicht so richtig. „Sag es einfach. Ich bin auf alles gefasst“, meinte Alex und legte das Buch weg. „Ich... weiß nicht wie ich anfangen soll... Die ganze Sache ist mir peinlich“, antwortete Chris, fasste dann seinen ganzen Mut zusammen und erzählte seinem großen Bruder, was in Tschechien passiert war. Die Leidensgeschichte seiner Kindheit ließ er aus, das war nicht der richtige Zeitpunkt um Alex die Wahrheit über ihren Vater zu offenbaren. Als er geendet hatte, begegnete ihm ein entsetzter Blick. „Das... ist ja schrecklich... ich hatte so etwas zwar befürchtet, aber gehofft, dass es nicht so ist“, sagte Alex und legte einen Arm um den Kleinen, der zu seiner eigenen Überraschung nicht in Tränen ausgebrochen war. „Du musst ziemlich stark gewesen sein, um das zu überstehen. Ich finde, es ist beeindruckend, dass es dir jetzt schon wieder so gut geht und ich bin froh, dass das so ist“, fuhr er fort. „Das hab ich alles Rico zu verdanken. Er hat mich gerettet, mir Liebe und den Glauben an die Menschheit zurückgegeben“, antwortete Chris und schließlich liefen doch einige Tränen über sein Gesicht. „Ich würde es euch beiden so wünschen, dass ihr doch irgendwann zusammen glücklich werdet, aber die Chancen stehen leider ziemlich gering“ Alex meinte es wirklich so. Er war schon ein bisschen eifersüchtig und auch verletzt gewesen, als er von der Beziehung der Beiden erfuhr, aber als er merkte, was sie sich gegenseitig bedeuteten, waren diese Gefühle in den Hintergrund getreten. Die Brüder saßen wortlos auf der Couch, bis die Wohnzimmertür sich öffnete und Alex´ ältester Sohn Eric dastand, der einen Albtraum gehabt hatte. Die beiden Männer gingen mit ihm in sein Zimmer um es zu durchsuchen, damit ihm klar wurde, dass sich kein Monster in seinem Kleiderschrank versteckte. Als der Sechsjährige wieder schlief, beschlossen auch die beiden, schlafen zu gehen. Alex lag noch lange wach. Er hatte gemerkt, dass sein Bruder ihm irgendetwas verheimlichte, was er ihm eigentlich erzählen wollte, es aber aus irgendeinem Grund nicht tat. Chris´ immer noch erbärmlicher körperlicher Zustand war ihm nicht entgangen und er hatte den leisen Verdacht, dass diese Kerle ihn unter Drogen gesetzt hatten. Aber andererseits war er schon immer sehr dünn gewesen und sie hatten ihm bestimmt nicht viel zu essen gegeben und dann kam die ganze emotionale Grausamkeit noch dazu. Er würde ihm helfen, egal was das Problem war und egal was er machen musste; er würde alles dafür tun, Chris wieder lachen zu sehen und aus ihm wieder den gut gelaunten Herzensbrecher zu machen, der er gewesen war. Mit diesem Vorsatz schlief er schließlich auch ein. Und er träumte von ihrer Kindheit, wie er Chris immer wieder beschützt und getröstet hatte.
 

//Alex lief durch den dunklen Flur zurück zu dem Zimmer, in dem er immer wohnte, wenn er bei seinem Onkel war. Er hatte mal wieder den Lichtschalter nicht gefunden und musste sich nun durch die undurchdringliche Dunkelheit zum Zimmer tasten. Irgendwo vor ihm ging eine Tür auf und sein Onkel trat heraus und ging in die andere Richtung. Kaum war er verschwunden hörte der Junge ein leises Weinen. Chris. Warum weinte er? Warum war der Onkel mitten in der Nacht bei ihm gewesen? Alex musste der Angelegenheit nachgehen und öffnete die Schlafzimmertür. Er fand seinen kleinen Bruder in Tränen aufgelöst, nackt und mit bandagierten Händen auf dem Bett liegend. „Chris, was ist passiert?“ Mit wenigen Schritten war Alex bei ihm und legte eine Hand auf die kleine Schulter. „Bin h-hingefallen... es tut weh...“, antwortete Chris und versuchte die Tränen abzuwischen. Alex war sich nicht sicher, ob er die Wahrheit sagte. Er vermutete schon länger, dass die Erwachsenen irgendetwas mit seinem Bruder machten, was sie nicht durften und was er nicht wollte. „Wo sind deine Klamotten? Was hat er mit dir gemacht?“, fragte Alex weiter. „Klamotten... dreckig... er hat mir geholfen... es tut weh... Alex, bitte bleib bei mir...“ Chris sah ihn bittend an. Alex schnappte sich die Decke und wickelte das zitternde Kind darin ein. Dann nahm er ihn in den Arm und strich beruhigend über seinen Rücken. „Du musst keine Angst haben. Egal was passiert, ich bin immer für dich da“...//
 

Der Wecker klingelte und beendete so Alex´ Traum. Warum hatte er den Wecker gestellt? Er musste doch gar nicht arbeiten. Egal, wenn er schonmal wach war, konnte er auch Frühstück machen. Er begab sich in die Küche und traf zu seiner Überraschung Chris an, den Langschläfer vom Dienst. Der sah aus als ob seine Nachtruhe ziemlich kurz gewesen wäre. Trotzdem brachte er ein kleines Lächeln zustande als er seinen Bruder entdeckte. Sie unterhielten sich über belanglose Dinge, bis ein Geräusch ihnen mitteilte, dass die Post gerade in den Flur gefallen war. „Seit wann kommt hier sonntags Post?“, fragte Chris und sah skeptisch drein. Alex wusste es auch nicht. Das war ihm schon etwas suspekt. Er ging in den Flur und kam mit einem Brief wieder, auf dem ein Eilpost-Stempel angebracht war. „Der ist von zu hause“, murmelte Alex, während er den Umschlag aufriss und das enthaltene Blatt Papier auffaltete. Chris wäre fast vom Stuhl gefallen, als er das hörte. Alles in ihm verkrampfte sich bei dem Gedanken an zu hause und eine grauenvolle Angst umfing ihn. Sein Bruder las den Brief und musste sich setzen. Er war blass geworden und ein undefinierbarer Ausdruck lag auf seinem Gesicht. „Chris, unser Vater... ist gestorben. Die Beerdigung ist übermorgen, wir sollen hinkommen“, sagte er und sah den Jüngeren an. Chris war sprachlos und unentschlossen. „Ich... will da nicht hin“, sagte er schlussendlich und verkrampfte sich noch mehr. Alex hockte sich vor ihn und ergriff seine Hände. Er sah ihn durchdringend an. „Wäre es nicht besser, wir gehen und ziehen endgültig einen Schlussstrich? Ich bin mir sicher, es wäre eine Art Erlösung für uns beide, zu sehen, wie er unter der Erde verschwindet“, sagte er dann und sein Blick und die Wärme seiner Hände entspannten Chris wieder, sodass er ihm schließlich Recht geben musste. Sie würden diese letzte Hürde nehmen und die `Beziehung´ zu ihrem Vater beenden, damit sie beide freier leben konnten.
 

Sie reisten am Morgen der Beerdigung zu hause an. Chris hatte sich vehement geweigert, schon am Abend vorher hinzufahren. Es reichte ihm, wenn sie die Nacht danach dort verbringen mussten. Die ganze Verwandtschaft war gekommen. Die Brüder hatten alle schon lange nicht mehr gesehen und verbrachten den Vormittag relativ entspannt damit, mit den ganzen Cousinen und Cousins zu plaudern. Alle versammelten sich nachmittags in der Kirche. Alex und Chris mussten sich ganz vorne hinsetzen, neben ihre Onkel und Tanten. Chris wäre fast aufgesprungen und weggelaufen als der jüngste Bruder seines Vaters, Onkel Frank, sich neben ihn setzte und `aus Versehen´ sein Bein berührte. Er war es gewesen, der ihn vergewaltigt hatte um ihm danach immer wieder zu sagen, wie Leid es ihm tat und, dass er ihn liebte. Den ganzen Tag schon hatte er versucht, den Jungen allein anzutreffen, aber der hatte es erfolgreich verhindert. Der Gottesdienst begann, es war eine klassische Beerdigungszeremonie. Der Priester hatte eine Rede vorbereitet, über das Leben des Toten und darüber, was für ein wunderbarer Mensch er gewesen war. Chris musste sich zusammenreißen um nicht aufzustehen und die Wahrheit durch die Kirche zu schreien. Er ballte seine Hände dermaßen zu Fäusten, dass seine Fingernägel blutige Spuren in den Handflächen hinterließen. Alex ergriff seine kleine Hand und sah ihn besorgt an. Die Anwesenheit seines großen Bruders half ihm, sich zu beherrschen und die ganze Sache zu überstehen. Als der hölzerne Sarg schließlich in das Grab neben ihrer Mutter heruntergelassen wurde fiel ein großer Teil der Anspannung von ihm ab. Der anstrengende Tag endete mit der Testamentseröffnung. Wie erwartet hatten die Brüder nichts bekommen. Eine ihrer Cousinen hatte das Haus geerbt. Sie begaben sich alle in diverse Gästezimmer. Chris versuchte verzweifelt, die Zimmertür mit irgendwas zuzustellen, damit er ruhig schlafen konnte, schaffte es aber nicht ganz. Als er sich in das Bett gelegt und das Licht ausgemacht hatte, ging die Tür auch schon auf. Er erkannte den Umriss seines Onkels im Türrahmen. „Lass mich in Ruhe! Wenn du mich anfasst, schreie ich!“, sagte der Junge. „Bitte, Chris, ich will nur mit dir reden“, antwortete Frank und kam rüber um sich auf das Bett zu setzen. Sein verängstigter Neffe rutschte von ihm weg und kauerte sich in die Ecke. Der Onkel machte das Licht wieder an und sagte: „Warum hast du Angst vor mir? Du weißt, dass ich es nie böse gemeint habe“ Er setzte sich vollständig auf die Matratze und sah sein Gegenüber von oben bis unten an. „Du bist immer noch so süß wie damals. Bei deinem Aussehen ist es kein Wunder, wenn jeder über dich herfällt. Ich hatte solche Sehnsucht nach dir“, fuhr er fort, strich Chris einige Strähnen aus dem Gesicht und wanderte mit seiner großen Hand zu seinem Hals. „Wenn du schreist, erwürge ich dich ohne zu zögern, glaub es sicher. Und jetzt zeig mal, was du in den letzten Jahren gelernt hast“ Er zog den Kleinen zu sich um ihn zu küssen. Der Mann hatte getrunken, das merkte Chris sofort. Die rauen Hände rissen ihm die Klamotten runter und strichen seinen kleinen Körper entlang. Er wagte es nicht, sich zu wehren. Obwohl sein Onkel versuchte ihm so wenig wie möglich wehzutun, war es für Chris eine Qual, das mit sich machen zu lassen und seine seelischen Schmerzen überstiegen die körperlichen bei Weitem. Er tat alles um die ganze Sache zu beschleunigen und erreichte sein Ziel auch. „Du bist so geil, mein Kleiner“, sagte Frank als er schwer atmend neben ihm niederfiel. Der Mann stand auf und zog sich wieder an. Als er damit fertig war setzte er sich nochmal und streichelte Chris´ Rücken und seinen Hintern. „Das war doch nicht schlecht, oder. Sollten wir öfter machen. Komm mich doch mal besuchen“, sagte er, küsste den Kleinen auf die Schulter und verschwand. Chris sprang auf und lief ins Badezimmer. Er stellte sich unter die Dusche und versuchte das Gefühl wegzuwaschen, das ihn beherrschte. Vielleicht hatte sein Onkel Recht, vielleicht war es wirklich seine eigene Schuld, dass ihm das andauernd passierte. Er hasste sich selbst dafür, dass er es nie schaffte sich zu wehren. Vielleicht war er krank im Kopf und brauchte das einfach. Er stellte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Er lehnte sich gegen die kalte Wand und rutschte daran herunter, bis er auf dem Boden saß. Der Junge sah sich um, bis er gefunden hatte, was er suchte. Auf der Ablage über dem Waschbecken lag eine Packung Rasierklingen. Wie in Trance ging er hin und nahm eine davon aus der Schachtel. Er besah sich seine Pulsadern, die unter der bleichen Haut seines Handgelenks blau herausstachen. So dünn wie er war, würde es sicher einfach sein, sie durchzuschneiden. Er hatte seinen Entschluss schon gefasst, als er plötzlich Rico´s Stimme in seinem Kopf hörte: „Ich kann nicht ohne dich leben“ Nein, das wollte er nun wirklich nicht zu verantworten haben. Er durfte nicht sterben, sonst würde Rico sich auch etwas antun. Von allem Mut verlassen ließ Chris die Klinge sinken. Er fühlte sich merkwürdig einsam, verloren und leer. Mit aller Kraft die er noch hatte ging er über den Flur zu seiner einzigen Rettung. „Alex?... Alex, bist du wach?“, flüsterte er und schwankte durch die Schlafzimmertür. Sein Bruder gab erst ein verschlafenes Geräusch von sich und antwortete dann: „Was´n los?“ Chris schloss die Tür. „Ich wollte grade mein Leben beenden, aber ich glaube, jetzt sterbe ich von selber“ Er war sich sicher, dass der plötzliche Verlust aller Gefühle und Kraft nur seinen bevorstehenden Tod bedeuten konnte. Mit einem Ruck hatte Alex sich aufgesetzt und das Licht angemacht. Er sah seinen Bruder mitten im Zimmer stehen, klatschnass und vollkommen nackt. Das war kein Scherz, Chris meinte es ernst. Es war auch kein Versuch, Aufmerksamkeit zu bekommen, da kannte er ihn besser. Er sprang auf und ging auf ihn zu. Der Anblick des nackten Körpers hätte ihn unter anderen Umständen wahrscheinlich erregt, aber das hier war schließlich sein kleiner Bruder, der zudem kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Er legte den Arm um die schmalen Schultern und führte ihn zum Bett, wo er eine warme Decke nahm und sie um ihn legte. Er umarmte den Kleineren und hielt ihn fest. „Du musst nicht sterben. Ich bin hier, ich passe auf dich auf“, flüsterte er. Chris schlang die Arme um ihn. Er fühlte sich als ob sein Bruder seine einzige Verbindung zum Leben wäre und wenn er ihn losließ würde er davonschweben und sterben. Plötzlich konnte er nicht mehr anders und musste ihm alles erzählen, von Anfang an und auch das, was gerade eben passiert war. Alex war sprachlos und fühlte sich schuldig. Er hatte also all die Jahre richtig gelegen mit seinen Befürchtungen. Er war schwach gewesen. „Es tut mir alles so leid. Ich habe es immer geahnt, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Wenn ich das doch bloß alles rückgängig machen könnte“, flüsterte er und fühlte plötzlich den Drang, seinen Kopf gegen die Wand zu schlagen, weil er so dumm gewesen war. „Es war nicht deine Schuld... es war allein seine Schuld... und meine vielleicht auch“, antwortete Chris und sah endlich wieder auf. „Wie kannst du nur so was sagen? Es war ganz sicher nicht deine Schuld. Wie könnte es denn...“ Alex zweifelte so langsam aber sicher ernsthaft an der psychischen Gesundheit seines Bruders. Hatte er sein ganzes Leben lang diese Gedanken gehabt? War er deswegen so geworden, wie er war? Wenn ihr Vater nicht schon tot gewesen wäre, hätte er ihn umgebracht für das, was er Chris angetan hatte und wie er sein Leben von Anfang an zerstört hatte. Wie konnte ein Mensch seinem Sohn so etwas antun und ihn dann auch noch dafür verantwortlich machen? „Alex?“

„Hm“

„Ich hab dich lieb“

„Ich hab dich auch lieb, Chris“

„Weißt du, manchmal würd´ ich dich echt gerne hassen“

„Wieso? Bin ich so schrecklich?“

„Nein, weil... es wäre einfacher. Du bist der beste Bruder, den man sich wünschen kann. Ich verdiene dich nicht“

„Sag das nicht. Gerade du verdienst einen guten Bruder am allermeisten“

Chris fing wieder an zu weinen. Er klammerte sich an Alex, der erfolglos versuchte ihn zu beruhigen. Irgendwann hatte der Kleine sich in den Schlaf geweint und auch sein Bruder wagte es, ein bisschen zu schlafen.
 

Als sie am nächsten Morgen erwachten, waren beide immer noch total fertig und zudem extrem verspannt, weil sie die Nacht mehr oder weniger im Sitzen verbracht hatten. Ihre Cousine zwang sie förmlich, wenigstens noch bis mittags zu bleiben. Den ganzen Vormittag wich Alex seinem Bruder keine Sekunde von der Seite; sie gingen sogar zusammen aufs Klo. Kurz vor dem Mittagessen war Chris plötzlich verschwunden. Alex fühlte sich von einer irrationalen Angst ergriffen, denn auch ihren Onkel konnte er nirgends entdecken. Den fand er schließlich in der Küche, wo er eine Auseinandersetzung mit seiner älteren Schwester hatte. Im Haus fand er den Vermissten nicht, also suchte er im Garten. Dort hatten sie sich als Kinder immer vor ihrem Vater versteckt und oft stundenlang auf irgendeinem Baum gesessen und sich Geschichten erzählt. Sie hatten kein Baumhaus und auch keine Schaukel gehabt, wie andere Kinder in der Nachbarschaft. Alex hörte ein Geräusch aus der Hecke kommen. Es klang nach einer leeren Flasche, die auf den dahinter liegenden Steinplatten abgestellt wurde. Er durchquerte das Gebüsch und sah ihn da sitzen. Chris hockte in der Ecke, wo er schon als kleiner Junge immer gesessen hatte, neben ihm stand eine leere Flasche, in der Hand hatte er eine Weitere. Alex kniete sich neben ihn auf den kalten Stein und entwand die Flasche seinem schwachen Griff. Der Blick des Jüngeren flackerte nur kurz in seine Richtung, sonst zeigte er keine Reaktion. Der große Bruder hob ihn hoch und trug ihn wieder zum Haus, wo er ihn unbemerkt in sein Zimmer brachte, auf das Bett legte und sich selbst daneben. Keiner sprach ein Wort als sie einfach nur dalagen und an die Decke starrten. Irgendwann drehte Chris sich auf die Seite und legte einen Arm über Alex´ Oberkörper. Er musste sich irgendwo festhalten, denn er fing an im wachen Zustand wieder nüchtern zu werden und zitterte unkontrolliert. Sein Bruder legte einen Arm um ihn, damit er die Sicherheit spürte, die er versuchte dem Kleinen zu geben. Er hätte ihn genauso gut allein lassen oder in ein Krankenhaus bringen können, aber er tat es nicht. „Alex... warum hört das nie auf?... Ich hab Angst... schreckliche Angst...“, murmelte Chris kaum verständlich. „Du brauchst keine Angst zu haben, mein Engel. Ich werde dich beschützen. Ich werde dafür sorgen, dass es aufhört“, antwortete sein großer Bruder. Er hoffte so, dass er es schaffen könnte Chris vor allem Bösen zu schützen. Es war ihm mehr oder weniger gut gegangen, wenn man von dem Liebeskummer wegen Rico mal absah, aber dieser eine Tag hatte alle psychologischen Fortschritte zerstört und die ganzen Wunden wieder aufgerissen. Außerdem konnte Alex es absolut nicht leiden, wenn gute Menschen schlecht behandelt wurden und Chris war einer der besten Menschen, die er kannte und einer von denen, die am schlechtesten behandelt worden waren.

Weihnachtszeit

Warnung: In diesem Kapitel zum ersten Mal leichte Inzest-Andeutungen. Und Chris wird wieder gequält.
 

Chris traute sich nicht mehr aus dem Haus. Alex konnte sich dieses Verhalten nicht erklären. Die letzten paar Tage hatte er keine Gelegenheit ausgelassen, rüber zu Rico zu gehen, wenn der allein war, aber plötzlich schien er vor irgendwas Angst zu haben und ging nicht mehr nach draußen. Er saß oft in seinem Zimmer und sprach mit keinem und er wirkte zutiefst deprimiert. Eines Nachmittags beschloss Alex, ihn einfach zu fragen. „Chris, was ist los? Du bist so komisch in letzter Zeit“, sagte er als sie im Wohnzimmer saßen. „Du meinst, noch komischer als sonst? Es ist nichts“, antwortete der Angesprochene und sah wieder abwesend aus dem Fenster. „Hast du Streit mit Rico?“, versuchte Alex eine andere Frage. „Nein, wie kommst du denn da drauf? Mit Rico kann man doch gar nicht streiten“, meinte Chris und sah ihn schließlich doch mal an. „Aber du hast doch was. Ist irgendwas passiert als du draußen warst?“ Der Jüngere rutschte unruhig im Sessel herum und wich seinem Blick aus. Jetzt wusste Alex zumindest, wo er weiterfragen musste. „Hat dir einer was getan? Den mach ich fertig“, sagte er und wollte schon aufstehen, als Chris ihn sehr komisch ansah. „Sieht man mir eigentlich an, was ich bis vor Kurzem war? Und gibt das den Leuten das Recht, mich als Objekt zu sehen, was sie mal haben und benutzen können und dann wieder wegwerfen?“, sagte er ruhig und gefasst. Darum ging es also. „Was ist passiert?“, fragte Alex wieder. Egal, was es war, er würde seinen Bruder davon überzeugen, dass die Leute Unrecht hatten und er keine Schuld daran hatte. „Manche gucken nur komisch, als ob sie es wüssten. Andere machen fiese Bemerkungen oder rempeln mich an, wenn ich auf der Straße gehe. Wieder Andere fragen, wie viel es die Stunde kostet und bedrängen mich. Was gibt ihnen das Recht dazu?“ Chris sah seinen Bruder durchdringend an, als ob er ihn zwingen wollte auf diese Frage zu antworten. „Hör zu, du weißt ganz genau, dass Menschen nun mal grausam sind. Sie finden etwas heraus und benutzen es, um anderen damit wehzutun. Es hat eigentlich nichts mit dir zu tun, sie würden das mit jedem anderen genauso machen. Versuch es zu ignorieren, dann hören sie von selber auf“, antwortete Alex und wusste, dass das leichter gesagt als getan war. „Ja, das haben sie mir in der Schule auch immer geraten, wenn alle gegen mich waren. Aber wenn ich es nicht ignorieren kann, wenn ich mich durch den ganzen Scheiß noch minderwertiger fühle als sowieso schon? Normale Leute sind eben mehr wert, das ist halt so“ Chris sah wütend und verzweifelt wieder aus dem Fenster. „Weißt du was? Du bist tausendmal mehr wert als die! Du bist ein Kämpfer und hast das Leben von seiner schrecklichsten Seite gesehen. Glaubst du wirklich, du wärest von der Meinung anderer abhängig? Die könnten sich doch alle noch was von dir abgucken“ Während er das sagte war Alex aufgestanden und hatte sich neben seinen Bruder auf die Sessellehne gesetzt. Chris sah ihn mit einem unergründlichen Blick an. „Meinst du das ernst, oder sagst du das aus psychologischen Gründen um mein Selbstvertrauen zu reanimieren?“, fragte er und der Blick wurde skeptisch. Der Ältere musste grinsen. Immer noch derselbe Chris, der immer alles genau wissen musste und immer zweifelte. „Ich meine grundsätzlich, was ich sage. Obwohl du mit ein bisschen mehr Selbstvertrauen leben könntest. Wirklich, Mann, lass dich doch von diesem oberflächlichen Volk nicht einschüchtern“ Alex grinste ihn aufmunternd an, wuschelte dem Kleinen durch die Haare und stand auf um ein bisschen raus zu gehen.
 

Rico machte sich so langsam echt Gedanken. Er hatte Chris seit Tagen nicht gesehen. Er beschloss, einfach mal bei ihm anzurufen. Als er gerade die Telefonnummer wählen wollte, klingelte es an der Tür. Verwundert öffnete er sie und fand seinen Geliebten draußen an das Geländer gelehnt. Chris fiel ihm direkt um den Hals und verwickelte ihn in einen innigen Kuss. „Du kannst echt Gedanken lesen. Ich wollte dich grade anrufen“, sagte Rico als sie im Flur standen. „Du wolltest mich anrufen? Wieso?“ Jetzt war es Chris, der verwundert war. „Hab mir Sorgen gemacht, weil du die ganze Zeit nicht da warst und als ich bei euch war, hat keiner aufgemacht“, antwortete der Ältere. „Ja, weißt du, ich hatte in letzter Zeit ein paar Hemmungen rauszugehen. Aber da will ich jetzt nicht drauf eingehen“, sagte sein Freund und lächelte. Sie küssten sich wieder. Wie von einer unsichtbaren Macht geführt, machten sie sich auf den Weg ins Schlafzimmer, wobei sie die Treppe mit ihren Klamotten verschönerten. „Ich hab dich vermisst“, flüsterte Rico, als sie später auf dem Bett lagen. „Hm. Ich dich auch“, antwortete Chris verträumt. „Geht es dir gut bei deinem Bruder? Du siehst viel gesünder aus als sonst“, meinte Rico und sah ihn von oben bis unten an. „Es geht mir gut. Mein Leben ist schon wieder normaler“, antwortete der Andere, „Geht es dir auch gut? Du bist so blass“ Rico zuckte die Schultern und lächelte. Chris war direkt aufgefallen, dass er krank aussah, wollte aber nichts sagen. „Ich krieg bloß eine Erkältung, das ist alles“, sagte der Ältere und lehnte sich wieder zurück.
 

Die folgenden Wochen und Monate waren eine Qual, sowohl für Chris als auch für Rico. Letzterer ging nämlich wieder arbeiten und da er Pilot war, musste er oft länger von zu Hause weg. Während diesen Zeiten saß Chris oft nur auf seinem Bett und starrte die Wand an. Er versuchte verzweifelt, sich nicht immer Gedanken und Sorgen zu machen. Alex tat sein Bestes, um ihn irgendwie aufzuheitern, scheiterte aber meistens. Eines Tages saß er im Wohnzimmer und sein Bruder kam rein. Er setzte sich ihm gegenüber und sie sahen sich einfach nur an. „Hab ich mich eigentlich schonmal bei dir bedankt, dass du das hier alles für mich tust?“, fragte Chris ohne den Blick abzuwenden. „Hast du nicht, musst du auch nicht“, antwortete sein Bruder und entgegnete den selben Blick. „Na ja, ich wüsste auch gar nicht wie. Ich kenne da nämlich nur eine Art...“, sagte der Kleinere. Diesmal sah Alex weg. „Sag mir irgendwas, das ich tun kann um mich wenigstens ein bisschen zu revanchieren“, fuhr Chris fort. „Das Wichtigste ist, dass es dir wieder besser geht. Außerdem fällt mir gar nichts ein, was du tun könntest“, kam die Antwort des großen Bruders. „Ich glaube ich suche mir einen Job“, sagte Chris nach einer kurzen Pause. Alex sah ihn überrascht an. „Meinst du denn, dass du mit dem Stress von einem Job fertig wirst?“, fragte er und sein Bruder nickte überzeugt. Er stand sogleich auf und machte sich auf den Weg in die Arbeitsvermittlung. Einige Stunden später kam er wieder und verkündete stolz: „Ich bin die wahrscheinlich einzige männliche Sekretärin im Umkreis von 100 Kilometern. Ich hab´n Job, Mann!“
 

Die folgenden paar Wochen lief es überraschend gut. Chris blühte auf, hatte Spaß an seiner Arbeit und verstand sich mit seinen Kollegen. Die Tatsache, dass alles so positiv war machte ihm richtig Angst und er wäre fast in eine erneute Depression gestürzt, aber Rico und Alex halfen ihm, bevor es soweit kam. Eine Woche vor Weihnachten saßen die beiden Älteren zusammen und unterhielten sich darüber. „Meinst du nicht, es ist gruselig, dass er sein Leben plötzlich auf die Reihe kriegt?“, fragte Alex nachdenklich. „Es ist ungewöhnlich, aber gut für ihn. Ich hoffe nur, er macht sich nicht dauernd Gedanken, was wohl passiert wenn was schief geht und hat ständig Angst. Das passiert nämlich den Meisten, die wieder so ins Leben zurückgekommen sind“, antwortete Rico und sah aus dem Fenster auf das Meer. „Da ist noch was, das ich unbedingt irgendjemand erzählen muss. Du wirst wahrscheinlich ausflippen oder so, aber ich muss es dir einfach sagen“, murmelte Alex unter Aufbringung von all seinem Mut. Rico sah ihn aufmerksam an, als ob er ihn auffordern wollte weiterzureden, was er dann auch tat. „Weißt du, eigentlich müsstest du mich am besten verstehen können, wenn ich dir das jetzt erzähle... Es geht um meine Gefühle... für Chris. Ich weiß, er ist mein Bruder und ich sollte nicht so über ihn denken, aber wenn ich ihn lachen sehe ist mir das alles egal... Du weißt schon, was ich meine. Er... hat so was... Rico, was soll ich bloß tun? Ich bin in meinen eigenen Bruder verliebt!“ Sein Gesprächspartner sah ihn entgeistert an. Als er seine Sprache wiedergefunden hatte, sagte er: „Du hattest Recht, ich kann dich verstehen. Er ist einfach wunderbar; wer würde ihn nicht lieben? Und die Tatsache, dass er dein Bruder ist kann nichts an deinen Gefühlen ändern. Aber ich sage dir jetzt, und es hat nichts mit Eifersucht zu tun, wag es ja nicht, irgendwas bei ihm zu versuchen. Sag es ihm nicht, geh einfach ganz normal mit ihm um. Es hat wirklich nichts mit mir zu tun; wenn er sich für dich entscheiden würde, müsste ich wohl damit leben. Aber wenn du dir anguckst, was fast alle Männer aus eurer Familie mit ihm gemacht haben musst du schon einsehen, dass er nicht damit leben könnte“ Zu Rico´s grenzenloser Überraschung nickte Alex verständnisvoll. „Ich weiß das doch, aber ich musste es unbedingt loswerden“, sagte er leise und sah am Fenster raus. Als Chris an diesem Tag von der Arbeit kam war er wieder komisch. Er verkroch sich in seinem Zimmer nachdem Rico gegangen war und kam den ganzen Abend nicht mehr raus. Alex wunderte sich und machte sich auch etwas Sorgen, aber einen schlechten Tag hatte ja jeder Mal und an diesem Tag war wohl Chris dran. Trotzdem würde er die Sache weiter beobachten. Am nächsten Tag war es zwar auch nicht besser, aber auch nicht schlechter, was dann doch wieder halbwegs beruhigend war. Drei Tage später stand die Welt wieder still. Zwei Stunden vor seinem regulären Feierabend kam Chris durch die Haustür getaumelt. Er war vollkommen verstört, zitterte und weinte. Sein Hemd war zerrissen und auf seiner Brust waren Kratzspuren zu sehen. Kaum war er durch die Tür getreten und hatte diese geschlossen brach er weinend zusammen. Alex setzte sich neben ihn, nahm ihn vorsichtig in den Arm und versuchte rauszufinden, was los gewesen war, obwohl er es sich denken konnte. „M-mein Chef... er hat mich schon die ganze Woche angemacht... nachdem er rausgefunden hatte... was ich war. Er hat gesagt... ich kriege mehr Geld, wenn ich Sex mit ihm habe... ich hab nein gesagt...“ Er weinte wieder stärker, konnte nicht weiterreden und vergrub sein Gesicht an Alex´ Schulter. Der große Bruder versuchte vergeblich ihn zu beruhigen. „Heute h-hat er zu mir gesagt... er hat gesagt ich könnte es doch einmal machen... als Weihnachtsgeschenk... dann hat er versucht... mich zu..... und dann bin ich abgehauen. Alex, ich will da nie wieder hin!“ Er brach wieder in Tränen aus. „Du musst da nie wieder hin. Du bist schließlich ein freier Mann“, sagte Alex in seinem typischen beruhigenden Ton. „Nein, bin ich nicht. Meine Vergangenheit hält mich gefangen... Ich werde nie mehr sein als eine nutzlose kleine Hure“ Chris war nicht mehr nur verzweifelt und verletzt, jetzt war er auch noch wütend auf sich selbst. „Hör endlich auf so von dir selber zu denken. Wenn nicht für dich, dann wenigstens für mich. Es ist unerträglich, wie du dich immer runtermachst“, entgegnete Alex, der auch wütend war, aber auf eine andere Art. Er verachtete nur das Schicksal, das seinem Kleinen das angetan hatte. Der Jüngere konnte seine Tränen wieder nicht zurückhalten und lag bald als schluchzendes, zitterndes Nervenbündel in den Armen seines Bruders. „Wir zerren das Arschloch vor Gericht, glaub mir. Und wir werden gewinnen“, sagte Alex, was aber starkes Kopfschütteln bei Chris auslöste. „Können wir nicht machen... er hat eine Frau... sie haben ein Kind... die Frau ist psychisch krank... Alex, bitte... sie ist nett... sie würde am Schock sterben“, murmelte Chris atemlos. Es war das, was man ein klassisches Dilemma nannte. Wäre Alex kein guter Mensch gewesen, hätte er das Verfahren gestartet. Am selben Tag noch brachte er die schriftliche Kündigung für seinen Bruder dort vorbei. Der Chef sah schlimmer zugerichtet aus als Chris. „Was hast du mit dem gemacht?“, fragte Alex als sie wieder bei ihm zu Hause saßen. „Was glaubst du denn, wie ich da wieder rausgekommen bin? Ich weiß nicht wo die ganze Kraft auf einmal herkam aber ich hab ihm einfach ein paar geknallt und er hat aufgegeben. Ich kann mich also doch wehren“, antwortete sein Bruder mit dem ersten Lächeln seit langer Zeit. Durch seine wiedergewonnene Stärke konnte er die ganze Sache diesmal besser ertragen als sonst und schaffte es sogar, sich nicht zu betrinken. „Komm mal mit, ich zeig dir was“, sagte Alex als er sich wieder ein bisschen beruhigt hatte und sie gingen zusammen in die obere Etage auf den Speicher. Der Ältere öffnete ein Dachfenster unter dem ein Stuhl stand und fing an rauszuklettern. Als er außen auf dem Dach saß streckte er die Hand nach seinem Bruder aus und sagte: „Hier komme ich immer hin, wenn es mir schlecht geht. Ist besser als in einem Zimmer zu sitzen. Außerdem ist die Aussicht der Hammer. Komm schon hoch“ Chris stieg auf den Stuhl und ließ sich von ihm beim Erklettern der Bedachung helfen. Er hatte nicht gelogen; die Aussicht war wunderbar. Alex nahm seine Hand und ging voraus zu einer Platte mit wasserdichten Sitzpolstern, die er neben dem Kamin angebracht hatte. Sie setzten sich. „Hast du keine Angst, dass ich runterspringe?“, fragte Chris und sah ihn von der Seite an.

„Nein, ich passe auf dich auf“

„Wolltest du schonmal runterspringen?“

„Es wäre nicht tödlich hier runterzuspringen. Sind ja nur drei Meter“

„Und woanders?“

„Siehst du die Klippe da vorne? Nachdem ich es versucht hatte wurde da ein Zaun aufgestellt“

Chris wäre vor Überraschung fast vom Dach gefallen. Sein Bruder hatte versucht sich umzubringen? Das hätte er nicht erwartet. Er beschloss jetzt nicht weiter nachzufragen und sah sich um. Es war der beste Blick auf das Meer und die Stadt, den er jemals gesehen hatte. „Ich kann verstehen, dass du hier oft hinkommst“, sagte er leise und Alex lächelte. Sie saßen stundenlang dort ohne ein Wort zu sagen. Die Sonne ging unter, es wurde dunkel und noch kälter. So langsam spürten sie die Kälte an sich hochkriechen. Chris versuchte das Zittern zu unterdrücken aber sein Bruder wurde trotzdem darauf aufmerksam. „Ist dir kalt?“, fragte er überflüssigerweise und der Andere nickte. Er legte einen Arm um den Kleinen, zog ihn an sich und nahm die eiskalten Hände in seine. Chris erschrak innerlich. Nicht wegen der Berührung an sich, sondern wegen ihrer Zärtlichkeit und der Gefühle, die sei bei ihm ausgelöst hatte. Warum fühlte er sich so komisch, wenn sein Bruder ihn umarmte und seine Hände warm hielt? Es musste was mit dem Schock des Tages und der Kälte zu tun haben. Seine strapazierten Nerven spielten ihm einen Streich, das war alles. Die Beiden saßen noch eine ganze Weile dort, bis ihnen wirklich zu kalt wurde. Der Abstieg vom Dach im Dunkeln war zwar etwas problematisch, funktionierte aber trotzdem. In der unteren Etage wartete Alex´ Frau Ella schon ungeduldig auf ihn. Sie wollten eigentlich über Weihnachten zu ihrer Mutter fahren aber Alex überredete sie, dass sie mit den Kindern allein fuhr. Ihre Mutter konnte ihn sowieso nicht leiden und er wollte Chris nicht allein lassen. Nach einiger Überredungskunst stimmte sie schließlich zu und packte ihre Sachen und die der Kinder in das Auto. Als sie ihren Mann zum Abschied küsste, spürte Chris tatsächlich einen schmerzhaften Stich in seinem Herz, der ihn für kurze Zeit aus der Fassung brachte. Das war echt gruselig.
 

Die nächsten paar Tage wurde es immer schlimmer. Die Brüder verbrachten die ganzen Weihnachtstage zusammen und mit viel Alkohol. Rico kam ab und zu vorbei; er hatte nicht viel Zeit, weil seine komplette Familie zu Besuch war. Es fiel den Beiden auf, dass er immer kranker und schwächer aussah. „Was ist bloß los mit ihm?“, fragte Chris nachdem er sie wieder alleingelassen hatte. „Keine Ahnung. Normalerweise sah er immer so aus, wenn er mal wieder auf Drogen war“, antwortete Alex nachdenklich. „Auf Drogen?!“ Chris hatte immer gedacht, sein Freund wäre eine zu starke Persönlichkeit für so was. „Er... hat er dir das nicht erzählt? Rico war fast sein Leben lang alkoholabhängig. Außerdem war er ein Junkie, ziemlich lange sogar. Er hatte damals ein bisschen Ähnlichkeit mit dir, aber irgendwie hat er es geschafft, so zu werden wie er jetzt ist. Wahrscheinlich killt er mich, weil ich dir das erzählt hab“, sagte sein großer Bruder. „Warum sollte ich es nicht erfahren? Wahrscheinlich hätte ich es eh rausgefunden“ Der Kleinere nahm sich vor, ihn bei der nächsten Gelegenheit darauf anzusprechen. „Er dachte wohl, es würde deine Meinung über ihn ändern und du würdest ihn dann nicht mehr lieben, weil sein Leben so kaputt war. Rico denkt so, das kann man nicht ändern“, erklärte Alex. „Glaubt er wirklich ich wäre so oberflächlich? Also wirklich, wenn jemand das nachvollziehen kann, dann ja wohl ich“, sagte Chris halb verärgert. „Das hat nichts mit dir zu tun. Er hat einfach immer Angst, dass andere schlecht über ihn denken und glaubt er muss nach außen hin ein perfektes Image haben, sonst würde er alle Freunde verlieren. Natürlich ist das Blödsinn, aber er glaubt es halt“ Der Ältere dachte daran, was sein Kumpel ihm alles verschwiegen hatte, auch als sie sich schon länger kannten. „Das würde ja bedeuten, dass ihn keiner richtig kennt. Der Arme, er muss sich die ganze Zeit hinter seiner Fassade verstecken“, antwortete der Jüngere leise und sah traurig aus dem Fenster. „Du bist unglaublich, weißt du das eigentlich? Jeder Andere wäre wütend auf ihn oder würde es nicht verstehen, aber du sagst, er tut dir Leid“ Nachdem Alex das gesagt hatte sprach keiner mehr ein Wort. Sie hingen beide ihren Gedanken nach. Für den Älteren war diese Situation eben wiedermal ein Beweis dafür gewesen, was für ein guter Mensch sein Bruder war. Trotz der Erfahrungen in seinem Leben war er immer noch im Grunde unschuldig und rein. Er dachte nie etwas Böses von anderen Menschen, was dazu führte, dass er andauernd ausgenutzt wurde. Es war wirklich nicht fair. Chris sah sich den nachdenklichen Alex unauffällig an. Es fiel ihm mal wieder auf, wie wenig sie sich ähnlich sahen. Der Ältere hatte dunkelbraune kurze Haare, war fast 1,90 Meter groß und sah sehr sportlich aus. Er war alles in allem eine ältere und sehr viel männlichere Version von Chris mit einer komplett anderen Nase. Nur die großen himmelblauen Augen hatten sie gemeinsam, die hatten sie von ihrer Mutter geerbt. Wenn man es wusste sah man schon, dass sie Brüder waren, vor allem, weil ihre Art zu sprechen und dabei zu gestikulieren die selbe war. Auch ihre sonstigen Bewegungen unterschieden sich nicht besonders voneinander, was aber wegen dem extremen Größenunterschied schwer zu sehen war. Rico behauptete immer, sie wären sich ähnlicher als sie selbst wussten. Wahrscheinlich hatte er sogar Recht.
 

Nachdem die Brüder eine Weile ferngesehen hatten und es draußen schon sehr dunkel war beschloss Chris, ins Bett zu gehen. Als Alex gegen Mitternacht das selbe tun wollte und gerade das Fernsehen ausgeschaltet hatte hörte er einen Schrei aus Chris´ Zimmer. Er rannte hin und wäre fast mit der Tür zusammengestoßen. Sein Bruder saß aufrecht im Bett und zitterte ängstlich. „Albtraum... alles okay“, murmelte er als er den Anderen bemerkte. Alex setzte sich neben ihn und sah ihn besorgt an. „Ist wirklich alles klar?“, fragte er, woraufhin Chris nickte. Nach einer kurzen Pause sagte der Ältere: „Du siehst aus als hättest du immer noch Angst. Soll ich heute hier schlafen?“ Chris nickte zu seiner großen Freude wieder. Sie machten das Licht aus, krochen unter die Bettdecke und hielten sich gegenseitig warm. Irgendwann war Chris eingeschlafen. Alex wollte nicht schlafen. Er wollte viel lieber jede Minute genießen, wo er seinem Bruder so nah sein konnte. Es fühlte sich so richtig an, die kleine Gestalt in seinen Armen zu halten und schließlich vorsichtig und sanft seine weichen Lippen zu küssen. Wenn sie doch bloß keine Brüder gewesen wären. Jeden Tag wurden seine Gefühle stärker und es tötete ihn innerlich, sie dauernd zu unterdrücken. Chris wachte auf, weil sich zwei zitternde Hände fest an sein T-Shirt geklammert hatten. Als er merkte, was los war, überkam ihn ein unbeschreibliches Gefühl. Es passierte nicht oft, dass sein Bruder in diesem Zustand war, das wusste er. Chris konnte es kaum glauben: Alex weinte.

Alex-Special: Over and out

Songfic #2. Alex´Gedanken, nachdem er sich über seine Gefühle für Chris klarwird. Der Songtext ist nicht übersetzt, weil man das auf Deutsch alles gar nicht sagen kann.

Lied: Over and out von Foo Fighters
 

Restless little one

Comfortable and warm

Let me fall apart

Crippled in your arms
 

Chris, ich wünschte es könnte immer so sein. Ich wünschte wir könnten ewig zusammen in diesem Bett liegen und ich könnte dich in meinen Armen halten. Wenn ich dir doch bloß sagen könnte, was ich empfinde. Aber das ist unmöglich, es würde uns beide zerstören. Wenn ein Mann sich in seinen Bruder verliebt kann das nie gut gehen, ist halt so.
 

Chase me through the dark

Ready on your mark

First to reach the stars
 

Der Ausdruck deiner Augen verfolgt mich sogar im Schlaf noch. Du siehst manchmal so unglaublich traurig aus und manchmal so froh, dass man meinen könnte das alles wäre nie passiert. Wenn ich dich nur lieben dürfte, würde ich dir die Sterne vom Himmel holen. Das würde ich sonst natürlich auch, aber nicht ohne Hintergedanken. Es ist kompliziert.
 

Wins a broken heart

One that broke apart

Shattered from the start
 

Deine Vergangenheit macht die Sache auch nicht grade einfacher. Niemand kann sich vorstellen, wie es wohl sein muss, sein Leben lang ein gebrochenes Herz zu haben. Ich meine, du kennst es ja gar nicht anders. Dir wurde immer nur wehgetan, du wurdest hintergangen und verraten. Wie kannst du den Menschen immer noch vertrauen? Wie könntest du mir noch vertrauen, wenn du wüsstest, was ich fühle und an was ich denke, wenn ich dich sehe?
 

Are you there?

Do you read me?

Are you there?

I don't feel you anymore
 

Verstehst du, was ich dir sagen will? Chris, ich liebe dich. Obwohl ich es nicht darf und es nicht sollte, liebe ich dich über alles. Aber wenn ich es dir sagen würde, könntest du nicht mehr hier bleiben und dich wieder zu verlieren wäre noch schrecklicher als die Unterdrückung der Gefühle. Merkst du es vielleicht? Bist du deswegen wieder so komisch? Bitte geh nicht weg. Es tut mir so leid.
 

Cages and alarms

Keeping us from harm
 

Warum sind wir Menschen auch in irgendwelchen Konventionen eingesperrt? Sollen sie uns beschützen, dafür sorgen, dass wir nicht verletzt werden? Die Erwartungen und Gesetze der Gesellschaft haben uns in einen Käfig gesperrt. Warum darf man seinen Bruder nicht lieben? Die Liebe kennt keine Gesetze. Man kann sie nicht aufhalten, auch wenn man es manchmal gerne machen würde.
 

I will be the guard

Hope to rest upon
 

Aber ich werde stark sein. Ich werde nicht den Gefühlen nachgeben und unser Leben zerstören. Es ist nicht richtig, dass ich dich liebe. Und trotzdem tue ich es. Du bist ein wundervoller Mensch, der es verdient geliebt zu werden, aber nur auf eine gesunde Art und Weise. Ich werde einfach dein Bruder bleiben, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Alle anderen Männer in unserer Familie konnten sich nicht zurückhalten. Unser Vater war ein Sadist, der auf kleine Jungs stand und dich nicht leiden konnte. Unser Onkel war und ist immer noch total von dir besessen. Wahrscheinlich waren die Beiden nicht die Einzigen. Sie haben es nicht geschafft sich gegen ihre Gefühle zu wehren, aber ich schaffe es. Ich werde dich nicht enttäuschen.
 

Are you there?

Will you give in?
 

Was würdest du wohl dazu sagen, wenn du es wüsstest? Würdest du mich vielleicht sogar auch lieben? Oder würdest du nur so tun und alles machen, was ich will, weil du mir gerne einen Gefallen tun würdest? Oder weil du Angst hast. Ich muss mich wirklich zwingen, es nicht auszuprobieren und zu testen, wie du reagierst. Aber ich wüsste es gerne: Würdest du aufgeben und zulassen, dass ich dich liebe?
 

Are you there?

If I give out

Over and out
 

Warum muss alles immer so furchtbar kompliziert sein? Ich kann nicht mehr so weiter machen. Es ist sowieso alles hoffnungslos. Das Problem ist unlösbar. Die einzige Lösung ist, dass ich aufgebe und alles beende. Aber das würde dir auch wieder wehtun und das will ich ja nicht. Es ist ein Dilemma: Ich kann nicht ohne dich leben, aber auch nicht mit dir.
 

(Lyrics property of Foo Fighters)

Bruderliebe

Achtung: Hier werden mal wieder Leute gequält (ich bin chronischer Sadist) und wer den Titel liest weiß schon, wodrum es noch geht. Also wer ein Problem damit hat soll´s halt nicht lesen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Muaik: Yeah Yeah Yeahs, John Butler Trio, Kyo
 

Alex´ nächtlicher Gefühlsausbruch hatte Chris verwirrt und aufmerksam gemacht. Er beobachtete seinen Bruder und versuchte rauszufinden, was mit ihm los war. Während diesen Beobachtungen wurden Chris´ eigene Gefühle immer stärker. Er begann Alex wirklich zu lieben. Trotzdem liebte er Rico auch noch genauso wie vorher. Es war die schwierigste Situation, in der er jemals gewesen war. Er wusste nicht, was er tun sollte und auch nicht, wem er sich vielleicht anvertrauen konnte. Rico war die naheliegendste Lösung und er konnte ihn in einem wegen seiner Drogenvergangenheit fragen. Aber wie würde er darauf reagieren? Wahrscheinlich eifersüchtig, aber hoffentlich auch verständnisvoll.
 

Rico erschrak als es an der Tür klingelte und er einen frierenden Chris davor fand. Chris erschrak seinerseits über den Gesundheitszustand seines Freundes. Rico war blass und abgemagert. Er musste sich am Türrahmen abstützen, damit er nicht umkippte, so schwach war er. Als er ihn so sah vergas Chris all seine eigenen Probleme. „Ach du Schande, was ist denn mit dir los?!“, fragte er, als er sich von dem Schock erholt hatte und sie im Flur standen. „Hab die Grippe; Fieber und so. Du siehst auch nicht aus als ob es dir gut ginge“ Typisch Rico; auch wenn er selbst krank war, wollte er immer noch wissen, was mit anderen los war und bemerkte ihre Probleme. „Ich will dich nicht damit belasten, wo es dir doch schon so schlecht geht“, antwortete der Jüngere und sie gingen ins Wohnzimmer. „Du belastest mich nicht. Erzähl schon“ Rico setzte sich auf die Couch, wo er offensichtlich geschlafen hatte. Auf dem Wohnzimmertisch lag eine leere Packung Fiebertabletten. Chris dachte nochmal darüber nach, dann erzählte er alles. Er versicherte seinem Freund, dass er ihn trotzdem liebte und, dass seine Liebe zu Alex irgendwie eine andere war. Rico sah ihn mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Belustigung an. Dann schüttelte er den Kopf und musste lachen. Das Fiebermittel hatte ihn wohl high gemacht. „Weißt du, wahrscheinlich sollte ich dir das nicht erzählen, aber kurz vor Weihnachten kam dein Bruder mit demselben Problem zu mir. Ihr zwei seid einfach unmöglich in so Sachen. Wenn du einen guten Rat hören willst, dann würde ich dir sagen, dass du den ersten Schritt machen solltest. Alex ist nämlich zu schüchtern und macht sich Sorgen um den psychologischen Effekt von seinen Gefühlen“ Chris sah ihn geschockt an und Rico bekam einen minutenlangen Lachkrampf, der sich in ein Husten verwandelte und dann wieder in ein Lachen. „Jetzt hör auf zu lachen, das ist nicht witzig“, sagte Chris schmollend. „Entschuldigung. Es ist nur so bekloppt“, antwortete Rico atemlos. Von einer Sekunde auf die andere fiel seine Stimmung in den Minusbereich. „Aber, wenn ihr wirklich zusammenkommt, was wird dann aus uns? Das geht doch gar nicht“, murmelte er und sah aus als ob er anfangen würde zu weinen. „Doch, das geht. Außerdem bezweifle ich, dass wir zusammenkommen. Wir sind Brüder, verdammt. Das ist etwas, das nicht geht. Und ich liebe dich über alles, Rico“ Chris sah ihm tief in die tränenerfüllten braunen Augen und nahm seine Hand. „Warum liebst du mich? Wie kann man mich lieben?“ Die Tränen tropften auf ihre vereinten Hände. „Hör auf mit dem Quatsch. Wer würde dich nicht lieben? Du bist der beste Mensch auf der Welt“, sagte Chris und nahm ihn in den Arm. Rico hielt sich an ihm fest und brach in Schluchzen aus. Fünf Minuten später hatte er sich wieder beruhigt, aber nur um dann nervös zu werden und schließlich wieder in Lachen zu versinken. „Sag mal, hast du außer Fiebermittel noch irgendwas genommen? Das ist ja abnormal“, meinte Chris und hoffte auf eine vernünftige Antwort. Stattdessen bekam er einen fragenden Blick und den nächsten Lachkrampf. Es war zwecklos; Rico stand vollkommen neben sich. Als er wieder deprimiert war stand er plötzlich auf, ging in die Küche und kam mit einer Flasche Whisky und einer Packung Tabletten wieder. Beides war halb leer. Er gab Chris die Flasche und behielt die Tabletten. „Hey, warte. Was ist das da?“, fragte der Jüngere und schnappte sich die Packung. Es waren starke Antidepressiva, die man eigentlich nur bekam, wenn man sie brauchte. „Hat dir irgendein Arzt die Dinger gegeben? Hast du die alle heute geschluckt?“, fragte Chris und Rico nickte auf jede Frage. „Jetzt ist Schluss. Du bist high genug“, sagte der Jüngere und versuchte streng zu klingen. „Man ist nie high genug“, murmelte der Andere und hatte die Whiskyflasche aufgesetzt, bevor sein Freund noch irgendwas machen konnte. Chris war ratlos. Er packte die Tabletten in die Tasche und ging zum Telefon. Alex antwortete erst nach dem zehnten Klingeln und sein Bruder erklärte ihm die Situation in unzusammenhängenden Sätzen. „Du musst schnell kommen. Er ist vollkommen am Arsch!“, rief er verzweifelt in das Telefon. Alex versprach ihm, sich zu beeilen und stand tatsächlich wenige Minuten später auf der Tür. Inzwischen hatte Chris den Whisky leergemacht, damit Rico nicht noch betrunkener werden konnte. Die Brüder waren genauso ratlos wie vorher. „Er darf auf keinen Fall einschlafen“, meinte Alex, „Wir müssen ihn wach halten, bis er wieder von dem Trip runter ist. Mal gucken, was er für Horrorfilme hier rumliegen hat“ Er wollte sich schon daranmachen einen passenden Film auszusuchen, als sein Bruder sagte: „Spinnst du? Der ist voll auf Psychodrogen, er kriegt einen Anfall, wenn wir einen Film gucken. Willst du ihm ein Trauma verpassen?“ Alex schämte sich ein bisschen, dass er nicht daran gedacht hatte. „Hast ja recht“, murmelte er, „Wie wäre es, wenn wir an die frische Luft gehen. Hilft bestimmt“ Dagegen hatte auch Chris nichts einzuwenden. Rico war in der Zwischenzeit in einen Halbschlaf gefallen und hatte noch gar nicht bemerkt, dass sie zu dritt waren. Als er seinen zweiten Besucher entdeckte grinste er breit und nuschelte: „Alex... weißt du was... dein Bruder liebt dich“ Der Angesprochene schien ihn nicht ernst zu nehmen. „Ja, schon klar. Komm, steh auf. Wir gehen ein bisschen raus“, antwortete er und zog den Betrunkenen auf die Füße. Als er Chris ansah errötete dieser und lächelte beschämt. Alex wusste nun wirklich nicht, was er davon halten sollte. War das etwa die Antwort auf all seine Fragen? War Chris in ihn verliebt? Er wollte es nicht wirklich wissen, es hätte ihn in Versuchung geführt. Sie schleppten den halb-ohnmächtigen Rico durch die Stadt, ihre Bemühungen zeigten auch schon bald Wirkung, er wurde wieder klarer im Kopf und verfiel in eine dauerhafte Depression. Als sie wieder zurückkamen brachten sie ihn ins Bett und legten sich selbst daneben, damit er in seinem Zustand nicht allein war und weil sie auch müde waren. Rico schlief gleich darauf tief und fest. „Hat er recht?“, fragte Alex.

„Was meinst du?“

„Liebst du mich?“

„Weißt du doch“

Chris war sich nicht sicher, was er sonst auf diese Frage antworten konnte, ohne ihr Leben zu verändern. „Ich meine nicht so wie einen Bruder, sondern... du weißt schon“ Alex war auch unsicher und überrascht von sich selbst, dass er diese Fragen einfach so stellen konnte ohne nervös zu werden. „Es ist kompliziert. Reden wir morgen drüber, okay“, antwortete Chris und sein Bruder gab ein zustimmendes Geräusch von sich. Bald waren sie alle eingeschlafen. Sie erwachten lange Zeit später von einem Geräusch. Es war ein Krachen, als ob etwas gegen eine Wand geknallt wäre. Wenige Sekunden später stellte Chris überrascht fest, dass es draußen stürmte. Das Geräusch war von der Straße gekommen und es war unmöglich, festzustellen, was es gewesen war, weil man wegen dem starken Regen nichts sehen konnte. Eine Figur rannte auf das Haus zu und wenige Sekunden später wurde die Haustür geöffnet und Kelly stand klatschnass im Flur. „Was denn hier los?“, fragte sie als sie die drei Männer oben auf der Treppe entdeckte. Sie murmelten gleichzeitig einige unverständliche Sachen und sahen sich ratlos an. „Schon klar“, sagte das Mädchen und verschwand im Badezimmer. „Was die wieder denkt...“, meinte Alex kopfschüttelnd. Sie konnten es sich wirklich lebhaft vorstellen.
 

Nach diesem Zwischenfall ging es mit Rico´s Gesundheit komischerweise wieder bergauf, was seine Freunde trotzdem beruhigte. Alex und Chris waren mittlerweile an einem Punkt angelangt, wo sie nicht mehr normal miteinander reden konnten. Es war für die Beiden unmöglich, sich auch nur im selben Raum aufzuhalten ohne nervös zu werden und sich ständig `unauffällig´ gegenseitig zu beobachten. Jeder hatte Angst davor, dass der andere das gefährliche Thema ansprechen könnte und so gingen sie sich ziemlich aus dem Weg. Chris spürte wieder das altbekannte Gefühl von vollkommenem Liebeskummer und obwohl es schmerzvoll war, genoss er jede Sekunde davon. Er war am Leben, das war es, was diese Emotion ihm vermittelte. Wenn er nachts wach lag und in sein Kissen weinte, fühlte er sich verzweifelt aber gleichzeitig auch befreit. Es war abnormal, fast als ob er beide Phasen einer bipolaren Depression gleichzeitig durchmachen würde. Für ihn selbst war es am allerwenigsten verständlich, dass man sich über negative Gefühle freuen konnte, aber er musste halt damit leben. Die Tage vergingen und bald war Silvester gekommen. „Es ist jedes Mal ein Riesen-Besäufnis. Aber was an Silvester passiert, wird nie wieder erwähnt, egal wie krass es ist“, hatte Kelly gesagt. Chris überlegte hin und her, ob das eine gute Grundlage für sein endgültiges Liebesgeständnis Alex gegenüber war. Vielleicht konnte er warten, bis sein Bruder betrunken war und es ihm dann sagen, um seine Reaktion zu testen. Wenn sie positiv war, war es gut; wenn sie negativ war, konnte er es auf den Alkohol schieben. So würde er es machen. Er hatte es sich alles zurechtgelegt; um Mitternacht wollte er es ihm sagen, wenn alle anderen am meisten abgelenkt waren. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war seine eigene Unfähigkeit sich mit dem Trinken zurückzuhalten und diversen Versuchungen zu widerstehen. Die sturzbesoffene Kelly machte ihn an, allerdings war er zu dem Zeitpunkt noch zu nüchtern für Sex mit der Ex. Rico verführte ihn gleich zweimal, einmal bevor und einmal wonach Chris es mit einem extrem scharfen Unbekannten getan hatte, der sich als Myriam´s Bruder herausstellte und der eigentlich hetero war. Er bekam außerdem von allen möglichen Leuten immer wieder Drinks in die Hand gedrückt, die er natürlich alle leerte. Das führte dazu, dass er um zwölf so dicht war, dass er nicht mehr denken, geschweige denn sprechen konnte. Nach allem was er an diesem Abend getan hatte, hätte ihm Alex sowieso kein Wort mehr geglaubt. Er erwachte erst am nächsten Mittag wieder und fand sich gedächtnislos auf dem Fußboden liegend. Um ihn herum war das totale Chaos und einige Leute schliefen noch in den Überresten der Party. Es fiel ihm wieder ein, was er vorgehabt hatte und er schämte sich vor sich selbst, dass er es nicht geschafft hatte. Das machte doch alles keinen Sinn, glaubte er und ließ sich wieder auf den Boden sinken, um weiterzuschlafen, was allerdings nicht klappte. Eine Ewigkeit später war er endlich imstande aufzustehen und duschen zu gehen, nur um sich danach vollkommen erschöpft auf sein Bett fallen zu lassen. Dort versuchte er seine Gedanken zu sortieren. Er wusste, dass er es Alex nicht gesagt hatte, er wusste auch, dass er in der Nacht mindestens dreimal Sex gehabt hatte, war sich aber nicht sicher mit wem. Die Erinnerung an Kelly´s verzweifelten Versuch ihn rumzukriegen war das letzte, was er noch sicher wusste, alles andere war verschwommen. Er wunderte sich sowieso über das Verhalten des Mädchens. Sie war schon früh total besoffen gewesen und es schien ihr alles egal zu sein. Soweit er wusste hatte sie einen Freund, wollte den sogar heiraten. Er kam zu dem Schluss, dass sie wohl mal wieder eine `Phase´ durchmachte. Das konnte zur kollektiven Gefahr für die Weltbevölkerung werden, wenn man nicht aufpasste.
 

Da er momentan seine eigenen Probleme nicht lösen konnte, beschloss Chris sich Kelly´s Schwierigkeiten zu widmen. Aber anscheinend war sie nirgends aufzufinden. Niemand hatte sie an diesem Tag gesehen und auch am Tag danach erschien sie nicht wieder. „Normalerweise sagt sie wenigstens bescheid, wenn sie weg geht“, meinte Rico, der versuchte seine offensichtliche Sorge zu verstecken. Er suchte zusammen mit Chris, Alex und Myriam´s Bruder die Stadt ab, in der Hoffnung, ihre Freundin irgendwo zu finden. Auch Anrufe bei diversen Bekanntschaften führten zu keinem Ergebnis. Sie war weg. Als es dunkel war gaben sie auf und beschlossen, sie am nächsten Tag als vermisst zu melden. Chris konnte in der Nacht nicht schlafen. Er lief im Haus herum und erschreckte sich fast zu Tode als das Telefon klingelte. Er hob den Hörer ab und meldete sich voller Nervosität. Die leise, angstvolle Stimme am anderen Ende der Leitung hätte er unter tausenden erkannt. Es war Kelly June, die wohl Todesangst ausstehen musste. Er konnte ihre tränenerstickten Worte kaum verstehen, hörte nur das Meer im Hintergrund sehr nah rauschen. Plötzlich brach die Verbindung zusammen. Panisch rannte Chris nach draußen. Er wusste, dass er sie am Meer suchen musste; er würde sie suchen, bis er sie gefunden hatte. Das Gespräch hatte sich sehr nah angehört, also musste sie in der Nähe sein. Vielleicht stand sie sogar bei Rico vor der Haustür, von wo aus man fast ins Meer spucken konnte. Chris war kaum ein paar Meter gelaufen, da fing es zu allem Überfluss auch noch an zu schneien und ein schneidender kalter Wind kam auf. Der junge Mann ignorierte die Kälte und rannte weiter Richtung Strand. Niemand war dort, soweit er sehen konnte, also suchte er weiter. Im Hintergrund des Telefongesprächs glaubte er, die Hafensirene gehört zu haben, also lief er entgegen der Windrichtung zum Hafen. Die Gebäude und Anlegestellen für die Schiffe lagen verlassen da. Es war dunkel und unheimlich. Die vereinzelten Straßenlampen warfen dämmeriges Licht auf die Umgebung und verursachten große Schatten, die sich zu bewegen schienen. Chris nahm all seinen Mut zusammen und rief nach Kelly June, bekam aber keine Antwort. Er rannte zwischen den Gebäuden hindurch und sah sich aufmerksam um. Keine Menschenseele war zu sehen. Vielleicht hatte er sich geirrt und sie war nicht hier. Vielleicht wurde sie irgendwo festgehalten und gefoltert. Vielleicht war sie schon längst tot. Er durfte nicht einmal daran denken. Seine Beine wurden schwer und er begann, die Kälte und Müdigkeit zu spüren. Hätte er doch bloß Alex geweckt und ihn mitgenommen. Anrufen konnte er seinen Bruder auch nicht, er hatte kein Handy und wusste die Telefonnummer nicht auswendig. Doch in dieser Nacht hatte er das Glück ausnahmsweise mal auf seiner Seite. Eine Telefonzelle war scheinbar gerade erst aus dem Boden gewachsen. Er war sich sicher, dass sie vor fünf Minuten noch nicht da gewesen war. Ganz funktionstüchtig sah sie auch nicht aus und die Tür, die Chris vorsichtig öffnete, hing aus den Angeln. Ein zerfleddertes altes Telefonbuch war an die Wand genagelt worden und unter dem Dreck auf dem Fußboden fand sich etwas Kleingeld. Chris suchte die Nummer raus, warf das Geld ein und drückte mit seinen halberfrorenen Fingern die Tasten. Nichts geschah. Er legte den Hörer wieder auf, das Geld kam wieder rausgefallen und er versuchte es nochmal. Diesmal versetzte er dem Telefon zusätzlich noch einen Schlag, was zumindest zu einem Freizeichen im Hörer führte. Nach dem dritten Versuch klingelte es endlich durch. Alex meldete sich verschlafen und Chris erklärte ihm atemlos was passiert war. Sein Bruder war mit einem Mal hellwach und versprach, sofort zu ihm zu kommen. Nachdem er aufgelegt hatte, suchte Chris weiter das Hafengelände ab. Nirgends war die Spur einer menschlichen Existenz zu entdecken und mittlerweile lag der Schnee schon zentimeterhoch. Einige Male rutschte er aus, fiel hin und schlug sich die Hände und Knie auf. Er ging zur Straße, weil er annahm, dass Alex mit dem Auto käme. Auf dieser Straße war nicht besonders viel los, doch endlich waren mal wieder Menschen zu sehen. Als Chris auffiel, wo er hingeraten war, wäre er fast vor Schreck wieder gefallen. Auf der anderen Straßenseite standen einige leicht bekleidete junge Frauen und auf dieser Seite ein paar Jungs, die größtenteils noch jünger waren als er. Niemand bemerkte ihn und er wollte sich schon wieder aus dem Staub machen, als ein älterer Mann auf ihn zutrat. „Na, Kleiner. Neu hier?“, fragte er und musterte sein Gegenüber gierig. „Nein, ich ähm... wollte grad wieder gehen... hab mich verlaufen“, antwortete Chris und wandte sich zur Flucht. „Aber du musst doch noch nicht gehen. Komm mit rein und wir unterhalten uns ein bisschen“ Der Mann packte ihn und zerrte den wehrlosen Jungen in ein kleines Gebäude. Dort stieß er ihn in einen Raum, unter eine Lampe, um ihn richtig anzusehen. Die kleine Schönheit, die er aus der Kälte `gerettet´ hatte, verschlug ihm die Sprache. „Meine Güte, was haben wir denn da für ein Prachtexemplar? Da hast du einen guten Fang gemacht“, sagte eine andere Männerstimme aus der Dunkelheit. Dieser Mann hörte sich jünger an und hatte einen Akzent, den Chris nicht richtig einordnen konnte. Als die beiden anfingen zu lachen packte ihn schlussendlich doch die Panik und er versuchte wegzulaufen, woran man ihn hinderte. „Ganz ruhig, Kleiner. Wir wollen dir nicht wehtun. Wir wollen dir helfen einen Haufen Geld zu verdienen und uns selbst ganz nebenbei auch noch zu bereichern“, flüsterte der Ältere, der ihn festhielt und gleichzeitig seinen Körper mit den Händen erforschte, wobei er immer wieder seine Zufriedenheit äußerte. Chris versuchte mit aller Kraft sich loszureißen, aber er schaffte es nicht. Hinter ihm wurde etwas auf einen Tisch gestellt und ein Koffer wurde geöffnet. „Es wird etwas Überzeugungskraft brauchen, aber du wirst einsehen, dass du jetzt uns gehörst“, sagte der zweite Mann dicht hinter ihm, packte seinen Arm und band einen Gürtel darum. Das nächste, was Chris spürte war ein unglaublich schmerzhafter Nadelstich und eine Flüssigkeit, die in seine Vene gespritzt wurde. Die Kräfte verließen ihn und alles wurde schwarz.
 

Chris erwachte von einem pochenden Schmerz in seinem ganzen Körper. Seine Hände waren gefesselt und er war nackt. Der Junge ließ sich nicht anmerken, dass er wach war und versuchte so gut es ging sich totzustellen. Er überlegte fieberhaft, wie er aus dieser Situation entkommen konnte, am besten ohne irgendjemand mit reinzuziehen. Bevor er eine Lösung gefunden hatte wurden seine Schmerzen einen Moment lang unerträglich, sodass Chris sich bis aufs Äußerste zusammenreißen musste um nicht laut aufzuschreien. Ein schwer atmender Mann befreite sein Opfer von den Handfesseln. Eine Tür wurde zugeschlagen und Chris war allein. Er öffnete langsam die Augen, bunte Punkte tanzten in seinem Blickfeld. Der Raum, in dem er sich befand, war kalt, grau und trostlos, wie eine Gefängniszelle. Er lag auf einer Art Tisch, auf dem wohl schon öfter solche Sachen gemacht worden waren. Stöhnend richtete er sich auf und suchte eine Möglichkeit zur Flucht und seine Klamotten. Letztere fand er in der Ecke neben der Tür, die der einzige Ausweg aus diesem Verlies war. Ohne auf die Schmerzen und die Kälte zu achten zog er sich hastig an und lauschte den Geräuschen im Nebenraum. Anscheinend waren nur zwei Personen dort. Wenn er es schaffte sich an ihnen vorbeizuschleichen, hätte er gute Chancen zu entkommen. Es würde schwierig werden, weil er sich nicht besonders stark fühlte, könnte aber klappen. Sein Vorhaben wurde unerwarteterweise von der Tatsache unterstützt, dass diese Personen ein Radio anmachten. Er sah durch das Schlüsselloch und fand beide Männer mit dem Rücken zu ihm und innerhalb des Lichtkegels. Wenn sich tatsächlich einer von ihnen umdrehte, würden sie ihn nicht sehen können. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt, stieg durch die Öffnung und bewegte sich dicht an der Wand entlang auf den Ausgang zu. Zuerst glaubte er, die Tür in die Freiheit wäre verschlossen, aber sie war einfach nur furchtbar schwer. Er öffnete sie fast geräuschlos und schlüpfte nach draußen. Die kalte Nachtluft belebte seine Sinne und mit wiedergewonnener Kraft rannte er so schnell er konnte wieder in die Richtung aus der er vorher gekommen war. Als er sich in Sicherheit glaubte, ließ er sich entkräftet gegen eine Wand fallen und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Die Welt drehte sich und immer noch blitzten die bunten Lichter vor seinen Augen. Alles um ihn herum sah gleich aus. Er wusste, wenn er in die falsche Richtung lief, würden sie ihn wieder schnappen. Die Kälte war mittlerweile unerträglich geworden und er lief wieder weiter, getrieben von der Angst zu erfrieren. Er war hierher gekommen, um Kelly zu retten und hatte es nicht geschafft, im Gegenteil: er hatte es mal wieder hingekriegt selbst in Schwierigkeiten zu geraten und gar nichts erreicht. Er war nutzlos. Was wäre schon dabei, sich einfach in den Schnee zu legen, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen? Soviel er es auch versuchte, er hatte es nie geschafft, sein Leben oder die Welt zu verändern. Jedes Mal, wenn er dachte, er hätte es endlich geschafft wurde er wieder an den Anfang zurückgeworfen. Wo blieb da das eigentliche Leben, das man genießen sollte, solange man es hatte? Der endgültige Sinn des Lebens war sowieso der Tod, also machte das alles nichts. Er war auf einem riesigen Bootssteg angekommen und blickte auf das schwarze, unendliche Meer. Von Weitem kam eine Figur auf ihn zugelaufen und rief irgendetwas. Panik erfasste ihn; das war sicher einer von diesen Kerlen. Es gab keinen Ausweg... doch, einen gab es. Er rannte stolpernd auf das Ende des Stegs zu und ließ sich einfach über die Kante fallen, ohne nachzudenken.
 

Alex rief nach seinem Bruder, aber anstatt zu ihm zu kommen lief der in die andere Richtung, auf das Wasser zu. Er sah ihn fallen und schrie vor lauter Panik auf. Innerhalb von Sekunden war er am Steg angelangt und schlitterte zu dessen Ende, wobei er seine Jacke auszog, um schwimmen zu können. Er sprang in das eisige Wasser und wurde einen Moment lang von der Kälte gelähmt. Suchend streckte er die Arme nach allen Seiten aus, bevor er wieder auftauchte, um Luft zu holen. Zwei Sekunden später tauchte er wieder nach unten und suchte seinen Bruder. Tatsächlich bekam er nach kurzer Zeit dessen Arm zu fassen und zog ihn mit sich nach oben. Erleichtert stellte er fest, dass das Herz des Jüngeren noch schlug. Unter größter Kraftanstrengung schaffte er es, sie beide auf den Bootssteg zu befördern. Sobald er auf dem Boden lag fing Chris an zu husten und spuckte das Wasser aus, das er geschluckt hatte. „Chris?... Chris, hörst du mich? Bitte, mach die Augen auf!“, flüsterte Alex atemlos und zitternd. Aber sein Bruder tat ihm den Gefallen nicht. Er bewegte sich immerhin und war anscheinend außer Lebensgefahr. Vorsichtig packte der Ältere ihn in seine zurückgelassene Jacke ein und trug ihn zu seinem Auto, das er in einer Seitengasse abgestellt hatte. Dort legte er ihn auf den Beifahrersitz, setzte sich daneben und drehte die Heizung an. Sie mussten jetzt nur noch nach Hause kommen. Zuerst dachte er daran, in ein Krankenhaus zu fahren, aber die hätten Chris sicherlich in die Psychiatrie eingewiesen und auch dort behalten. Das wollte er auf jeden Fall verhindern. Wie in Trance fuhr er vom Hafen zu seinem Haus und brachte seinen Bruder rein. Er füllte die Badewanne mit warmem Wasser, zog den Kleinen aus und setzte ihn vorsichtig hinein. Er versuchte, sich den Körper nicht zu genau anzusehen und sich darauf zu konzentrieren, dass sein Kopf nicht unter Wasser rutschte. Nach einigen Minuten bekam Chris schon wieder etwas Farbe und zitterte nicht mehr so stark. Jetzt erst wurden Alex seine eigenen durchnässten Klamotten und die Kälte bewusst. Er zog sich aus, wickelte sich in ein Handtuch und setzte sich neben die Heizung, von wo aus er immer noch auf seinen Bruder aufpassen konnte. Wenige Zeit später bewegte Chris sich endlich wieder und stöhnte auf. Alex setzte sich neben ihn auf den Badewannenrand und versuchte ihn bei Bewusstsein zu halten. „Chris, nicht wieder einschlafen!... Komm schon, mach die Augen auf!... Chris, bitte... bleib bei mir“, sagte er und strich dem Kleineren die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wie in Zeitlupe öffneten sich seine Augen und er sah seinen großen Bruder verwirrt und müde an. „Endlich...“, flüsterte Alex überglücklich und streichelte das blasse Engelsgesicht. Chris brachte fast ein Lächeln zustande, aber als er merkte, dass er nackt war wich dieses einem erschrockenen Gesichtsausdruck, er versuchte von dem Anderen wegzurücken und zog die Beine an seinen Körper. „Hey, es ist okay. Ich tu dir doch nichts. Entspann dich“, sagte Alex beruhigend und zog seine Hand zurück. Der Kleine schien kein Wort von dem was er sagte zu verstehen und seine blauen Augen zeigten unendliche Panik. „Ich ähm... lass dich allein, okay? Du kannst dich in Ruhe anziehen und so“, sagte der Ältere und verschwand aus dem Badezimmer, um dasselbe zu tun. Ein paar Minuten später kam auch Chris raus. „Es tut mir leid. Hab mich nur erschrocken als ich nackt in einer Badewanne aufgewacht bin“, murmelte er ohne seinen Bruder anzusehen. „Ist doch klar. Würde ich auch“, antwortete Alex. Ohne Vorwarnung kam der Kleine auf ihn zugesprungen, umarmte ihn und brach in Tränen aus. Er zitterte immer noch haltlos und sprach kein Wort. Alex hob ihn hoch und trug ihn zu seinem Zimmer. Sie legten sich unter die wärmenden Bettdecken und lagen einfach nur da, bis ihnen etwas wärmer wurde und Chris sich wieder beruhigt hatte. „Willst du drüber reden?“, fragte Alex leise, woraufhin Chris den Kopf schüttelte, flüsterte: „Nicht jetzt“ und sich ganz nah an seinen Bruder kuschelte. Den Älteren überkam wieder das altbekannte Gefühl, das er in letzter Zeit immer in Gegenwart des anderen gespürt hatte. Das wirkte besser gegen die Kälte als alles sonst. Lächelnd sagte er: „Wie du willst, mein Engel. Ich bin so froh, dass du hier bist, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Ich hab dich lieb“ Chris lächelte auch und sah ihn dann ernst an. Er schien es sich nochmal zu überlegen, dann sagte er: „Ich wollte dir schon lange was sagen. Jedes Mal, wenn ich die Gelegenheit hatte, habe ich es nicht geschafft, aber diesmal... es ist mir sehr wichtig... und es ist kompliziert. Alex... ich... liebe dich... du bist mein Bruder, aber trotzdem liebe ich dich“ Sein Bruder sah ihn entgeistert an. „Chris, du... weißt schon, dass du das Ganze grade noch komplizierter gemacht hast?... Ich habe schon länger dieselben Gefühle für dich, aber... ich habe mich zurückgehalten... du stellst meine Selbstbeherrschung auf die Probe... wir wissen beide, dass es unmöglich ist“ Nachdem er das gesagt hatte, befreite sich Alex aus der Umarmung und setzte sich auf. Chris setzte sich neben ihn und seine kleine Hand strich über den Rücken des Größeren. „Solange wir es wirklich wollen, ist nichts unmöglich“, flüsterte er und küsste seinen Bruder sanft auf die Wange. Alex drehte seinen Kopf leicht in die richtige Richtung, bis ihre Lippen sich zu einem zarten Kuss trafen. Einen Moment lang zweifelte er an seiner Moral, riss sich dann aber zusammen und rückte hastig von Chris weg, der ihn angstvoll ansah.

„Tut mit leid. Es geht einfach nicht“

„Aber...“

„Nein, Chris! Erst wenn die Hölle gefriert können wir zusammen sein!“

Er war aufgesprungen und lief aus dem Zimmer. Er ließ einen vollkommen verzweifelten Chris zurück, der weinend zusammenbrach. Sein Bruder wollte ihn nicht.

Der Anfang vom Ende

T____________T Das ist alles, was ich zu diesem Kapitel sagen kann. Ich hab so geheult...

Hier gelten dieselben "Warnhinweise" wie beim letzten Kapitel.

Musik: Long Way Round-Soundtrack
 

Alex versuchte sich selbst einzureden, dass er das Richtige getan hatte. Vom moralischen Standpunkt aus war er sich sicher, aber war das wirklich ein Grund ihnen beiden das Leben schwer zu machen? Eigentlich hatten sie es schwer genug. Aber immerhin wäre es Inzest, wenn er sich drauf einließ und das war schließlich falsch und verboten. Aber was sollte man denn tun, wenn man einen Bruder wie Chris hatte? Es war unmöglich, seinen Gefühlen zu entkommen aber genauso unmöglich, sie auszuleben. Er musste sich bei Chris entschuldigen und es ihm erklären, das war das Mindeste. Seit dem nächtlichen Vorfall war der nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen, außer um ab und zu ins Badezimmer zu gehen. Alex klopfte an und als er keine Antwort bekam betrat er vorsichtig den Raum. Sein Bruder saß mit dem Rücken zur Wand auf dem Bett. Der Blick aus den verweinten Augen flackerte in Richtung seines Besuchers. „Und? Ist die Hölle schon gefroren?“, fragte der Sitzende in beleidigtem Ton und sah wieder aus dem Fenster raus. Alex setzte sich neben ihn und überlegte sich noch einmal, was er sagen wollte. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht so sagen dürfen“, meinte er schließlich. „Meinst du, das hätte irgendeinen Unterschied gemacht, wenn du es anders gesagt hättest? Das Ergebnis ist immer das Gleiche. Ich denke, ich werde dich nicht mehr lange mit meiner Anwesenheit belästigen. Irgendwas fällt mir schon ein“, antwortete Chris. „Nein, lass das. Bleib hier, du belästigst keinen, mich am allerwenigsten. Ich muss dir da mal was erklären...“ Der Ältere wusste nicht, wie er weitermachen sollte. „Spar es dir. Du hast gemeint, was du gestern gesagt hast, das weiß ich“ Chris sah ihn endlich mal an. Sein Blick war traurig und noch verzweifelter als sonst. „Ja, du hast Recht. Aber es war nicht nur das Negative, sondern auch das Positive, was ich gemeint habe. Chris, wenn du nicht mein Bruder wärst, wären wir schon längst zusammen. Ich liebe dich, das weißt du doch“

„Das sagst du. Ist es wirklich nur, weil wir Brüder sind? Oder tust du nur so, als ob du mich liebst, damit ich mich irgendwie besser fühle? Wenn ja, dann stellst du dich nicht besonders geschickt an.“

„Nein, ich liebe dich wirklich. Wenn du mir nicht glaubst, kann ich da auch nichts dran machen, aber es ist die Wahrheit. Ich wünschte, es wäre möglich. Ehrlich, das ist mein größter Wunsch“

Die Beiden sahen sich tief in die Augen und da wusste Chris, dass sein Bruder ihn nicht anlog. Aber alles andere wollte einfach nicht in seinen Kopf gehen. „Das ist auch mein größter Wunsch. Warum können wir es nicht einfach versuchen? Keiner muss davon erfahren. Bitte“

„Verstehst du es nicht? Es ist unmöglich. Wir könnten mit unserem Gewissen nicht leben, wenn wir das tun. Außerdem, wenn du für mich mehr als nur mein Bruder wirst, fühle ich mich, als ob ich auch nicht besser wäre, als unser Vater und unser Onkel und wer -weiß- wer- noch“

„Das ist Blödsinn. Du wirst nie so sein wie die, egal was du tust. Bei uns wäre das etwas ganz anderes. Es geht mir nicht um Sex, falls du das glaubst. Hier geht es um Liebe“

„Aber wir sind immer noch miteinander verwandt. Das ist sogar strafbar, weißt du“

„Ich verstehe nicht, was an Liebe strafbar ist, solange beide diese Liebe empfinden und keiner zu etwas gezwungen wird“

Chris hatte Recht. Die beiden blauen Augenpaare trafen sich und die Blicke blieben aneinander hängen. Der Jüngere wusste, dass er es geschafft hatte, ihn zu überzeugen. Er setzte sich auf, rückte unauffällig näher und nahm die Hand seines Bruders. Der hatte sich schon längst in den Tiefen der himmelblauen Augen verloren und seine Verliebtheit war endlich auch in seinem Gesicht zu sehen. Chris dachte nicht länger nach; er schaltete alle Gedanken ab und lehnte sich nach vorne, um Alex zärtlich zu küssen. Der Ältere schloss die Augen und genoss den Augenblick. Er war sich sicher, das Richtige zu tun. Wie lange hatte er sich nach diesen Berührungen und Küssen gesehnt, wie lange hatte er nachts wachgelegen und sich vorgestellt, Chris wäre bei ihm? Jetzt, da das so war, lebte seine Seele wieder auf und die Welt kam ihm direkt viel heller vor. Der Kleine löste ihren Kuss und sie sahen sich wieder an. Chris lächelte zum ersten Mal seit langer Zeit. Die Liebe, die er in diesem Moment ausstrahlte brachte Alex dazu, ihn an sich zu ziehen und wieder zu küssen. Die Beiden machten es sich auf dem Bett bequem und lagen eng umschlungen da. „Wieso hat es nur so lange gedauert, bis wir es endlich verstanden hatten?“, meinte Chris lächelnd und sein Bruder antwortete mit einem noch größeren Lächeln. Der Jüngere fühlte sich plötzlich ganz komisch. Er musste seine Augen schließen und sich an Alex festhalten, weil der Raum sich auf einmal drehte. War das der Schock über die überraschende Wendung in ihrer Beziehung, oder hatte das etwas mit den Vorfällen am Hafen zu tun? „Was ist denn los? Du bist so blass“, meinte Alex, sah den Anderen besorgt an und legte ihm eine Hand auf die Stirn, die er bald wieder mit geschocktem Gesichtsausdruck zurückzog. „Du hast ja Fieber...“, sagte er und wollte aufstehen, um direkt etwas dagegen zu tun, aber sein Bruder hielt ihn fest und brachte ihn so dazu, neben ihm liegen zu bleiben. „Halb so schlimm“, meinte er und machte es sich wieder gemütlich. Er spürte den Drang, einfach nur einzuschlafen, bis dieses blöde Fieber weg war, das ihn in seinem Glück störte. Tatsächlich schlief er kurze Zeit später und Alex stand auf, um eine Decke zu holen. Als er sich den Schlafenden endlich mal genauer ansah, fiel ihm sein linker Arm auf, an dem der Ärmel hochgerutscht war und den blauen Fleck der Einstichstelle offenbarte. Er erschrak nicht, er hatte sich sowieso schon gedacht, dass sie ihn unter Drogen gesetzt hatten. Wieso sonst wäre Chris vor ihm weggelaufen und ins Meer gesprungen? Vielleicht war das auch der Grund für sein Fieber. Er deckte seinen Bruder zu und wollte sich gerade wieder neben ihn legen, als das Telefon klingelte. Es war Rico, der ihm erzählte, dass sie Kelly gefunden hatten. Sie war am vorherigen Tag im Hafen von der Polizei aufgegriffen worden, weil sie einen Typen verprügelt hatte, der sie vergewaltigen wollte. Außerdem war sie voll auf Drogen und erzählte den Ermittlern unzusammenhängendes Zeug von zwei Kerlen in einem kleinen Lagerhaus.
 

Rico konnte es nicht fassen, dass Chris auch diesen Typen in die Falle gegangen war. Er fuhr direkt zu seinen Freunden, um persönlich rauszufinden, wie es seinem Geliebten ging. Er fand Chris immer noch mit hohem Fieber und schlafend und Alex auch mit den ersten Anzeichen einer Grippe und der unglaublichen Geschichte, was in den vergangenen Tagen passiert war. Es war wie ein Albtraum, aus dem sie alle wieder erwacht waren und jetzt mussten sie wieder in ihr Leben zurückfinden und zumindest dafür sorgen, dass die Verbrecher bestraft wurden. Die beiden Opfer hatten noch Glück gehabt, dass sie nur kurz Gefangene gewesen waren. Kelly war zwar immer noch im Krankenhaus, würde aber wieder gesund werden und hatte vor, sich an den Kerlen zu rächen. Sie hatte überraschenderweise keine psychischen Schäden abbekommen und war noch genauso verrückt wie vorher. Die Krisenbesprechung von Alex und Rico wurde von einem Geräusch unterbrochen. Wenig später ging die Wohnzimmertür auf und Chris stand da. Er konnte sich zwar kaum grade halten, wollte aber unbedingt wissen was los war. Es erschütterte ihn genauso wie seinen Bruder und er wollte sich auf jeden Fall mit Kelly zusammentun und Rache üben. Gleich am nächsten Tag wurde das Mädchen aus dem Krankenhaus entlassen und die Beiden verbrachten den ganzen Nachmittag mit ihren Plänen. Sie schienen sich gegenseitig nur schon durch ihre Anwesenheit zu helfen, weil sie beide jemand hatten, der dasselbe durchgemacht hatte und dasselbe fühlte. Schließlich schliefen sie sogar zusammen auf der Couch ein und sahen dabei aus wie das Liebespaar, das sie einmal gewesen waren. „Irgendwie schade, dass sie nicht mehr zusammen sind“, sagte Alex, als er sie so sah, „Vieles wäre jetzt anders“ Rico hatte in diesem Moment dasselbe gedacht. „Aber weißt du, vielleicht war es Schicksal. Chris und ich wären nie zusammengekommen, wenn das alles nicht passiert wäre, und du wärst auch nicht in der Situation, in der du jetzt bist“, antwortete er. „Doch, wahrscheinlich schon. Wir hätten uns auf jeden Fall beide irgendwann in Chris verliebt, da bin ich mir sicher. Vielleicht wäre dann doch alles so gekommen. Aber es nützt nichts drüber nachzudenken, was hätte sein können. Wir müssen nach vorne schauen“, beendete Alex ihre philosophischen Anwandlungen.
 

Nachdem Chris und Kelly ihre Aussagen bei der Polizei gemacht hatten und diese die Kerle in dem Lagerhaus festgenommen hatte, lief ihr Leben wieder normal weiter; so normal wie es eben möglich war. Alex und sein Bruder kamen sich immer näher und so langsam wurde aus ihren Gefühlen eine richtige Liebesbeziehung. Sie zweifelten zwar beide manchmal, aber trotzdem lebten sie ihre geheime Liebe aus, wenn sie unter sich waren. Chris hatte Recht gehabt, es ging nicht um Sex, sondern um Liebe. Natürlich zeigten sie sich diese Liebe auch körperlich, aber es hatte weniger etwas mit Befriedigung zu tun. Es war eher der Versuch, sich so nah wie möglich zu sein. Rico war nicht eifersüchtig. Für ihn war es kein Problem, seinen Geliebten zu teilen, solange er ihn sich nur mit Alex teilen musste, mit dem er ja selbst ab und zu etwas hatte. Es war eine eher unkonventionelle Dreiecksbeziehung, die problemlos funktionierte. Als der Winter das Land verließ, wurde Rico´s Gesundheit wieder schwächer, als hätte die davonziehende Jahreszeit seine Kräfte mitgenommen. Seine Erschöpfung fiel jedem auf, dem er begegnete, aber trotzdem fand sich keine Erklärung dafür. Eines Tages geschah das Vorhersehbare. Alex und Chris erfuhren erst Stunden nach dem Vorfall davon. Rico war auf offener Straße plötzlich zusammengebrochen und lag nun auf der Intensivstation, wo Ärzte versuchten, seinen entkräfteten Körper am Leben zu erhalten. Er war am Ende seiner Kraft gewesen, konnte weder essen noch schlafen, litt seit einiger Zeit an schweren Depressionen und sprach kaum noch. Seine Freunde und Familie konnten nichts für ihn tun, ihnen blieb nur das Warten, Hoffen und Beten. Als Chris ihn so vollkommen kaputt daliegen sah, fühlte er sich als ob die Welt untergegangen wäre. Alles war stehen geblieben. Er hätte nie auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass Rico mal krank sein könnte; für ihn war er immer unzerstörbar gewesen, zerbrechlich, aber trotzdem unzerstörbar. Der Anblick des Mannes den er liebte, wie er hilflos in einem Krankenhaus lag und sein Herzschlag aufgezeichnet wurde, ließ sein Innerstes vor lauter Schmerz zerspringen. Es war so ungerecht. Die Ärzte erzählten ihnen, dass es knapp gewesen wäre und, dass er wieder gesund würde. Aber das sagten sie ja grundsätzlich zu jedem. In diesem speziellen Fall behielten die Mediziner Recht. Zwei Tage nach dem Schwächeanfall war Rico wieder fast der Alte und machte schon wieder Witze. Das Rätsel um seine Krankheit bestand aber immer noch. Alex und Chris waren sich sicher, dass er wusste, wie es um ihn stand und es ihnen verheimlichte. Sie waren sich nicht sicher, ob sie die Wahrheit überhaupt wissen wollten. Das Problem löste sich von selber als Rico ein paar Tage nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus plötzlich bei ihnen auf der Tür stand. Er sah nicht gesund aus und hatte offenbar getrunken. Man erkannte ihn kaum wieder. „Bist du ganz allein?“, fragte er Chris, während er sich nervös im Wohnzimmer umsah. Der Jüngere nickte und sagte dann: „Ja, aber Alex kommt gleich wieder. Geht es dir besser?“ Rico sah ihn ahnungslos an und zuckte die Schultern. „Wenn ich das wüsste, Kleiner“ Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sagte Chris in seiner typisch direkten Art: „Du bist krank, oder? Ich meine, so richtig krank“ Der Ältere nickte und sah auf den Boden, um seine Tränen zu verbergen. Chris nahm ihn in den Arm und sie setzten sich hin. „Chris... ich muss sterben“, flüsterte Rico schluchzend. „Nein, das musst du nicht. Bitte sag mir, dass du das nur meinst, weil du betrunken bist“ Der Jüngere hoffte wirklich, dass das eine von seinen üblichen Übertreibungen war. „Nein, ich wünschte, es wäre so... Sie sagen... ich hab noch fünf Monate zu leben“, antwortete sein Geliebter und fing wieder an, haltlos zu weinen. Chris sah die Welt förmlich zusammenbrechen. Das war doch alles nicht wahr, hier musste eine Verwechslung vorliegen. Rico konnte unmöglich todkrank sein, das war einfach nicht möglich. Sie saßen eine lange Zeit einfach nur da und versuchten zu realisieren, was gerade ablief. Die Haustür wurde geöffnet und Alex kam rein. Als er die Beiden so sah, wusste er direkt, was los war. „Es ist nicht wahr...“, murmelte er, als ob er von ihren Gesichtern ablesen konnte, was sie dachten und worauf das alles hinauslief. „Doch, es ist wahr“, antwortete Chris, der aussah als ob er sich selbst noch überzeugen müsste. Als Rico wieder in der Lage war zu sprechen, erklärte er ihnen alles. Er litt an einer seltenen Krankheit, die auf Alkohol- und Drogenkonsum zurückzuführen war. Sein Körper zerstörte sich so langsam aber sicher selbst, bis er schließlich starb, weil nichts mehr zum Leben übrig war. Von außen sah diese Krankheit aus wie Magersucht, weil er mittlerweile schon nur noch aus Haut und Knochen bestand und es nicht schaffte irgendetwas bei sich zu behalten, was dazu führte, dass er immer dünner wurde. Irgendwann hatte sein Körper dann nichts mehr zum Leben und würde entweder einfach aufhören, oder musste künstlich ernährt werden. Rico wollte auf keinen Fall durch Maschinen am Leben erhalten werden. Er glaubte, wenn es Zeit für ihn war, zu sterben, dann sollte man den Dingen ihren Lauf lassen. Die Ärzte hatten ihm gesagt, sie könnten ihn noch mindestens fünf Monate künstlich lebendig halten. Ohne diese Behandlung hatte er bestenfalls noch drei Monate. „Wisst ihr, ich muss sterben. Das muss jeder irgendwann. Aber solange ich noch lebe, werde ich das Beste draus machen“, sagte er entschlossen und die beiden Anderen stimmten ihm zu. „Was würdest du gerne tun?“, fragte Chris. Rico lächelte hintergründig. „Jungs, ich würde gerne mit euch ein bisschen durch die Weltgeschichte reisen. Nur wir drei. Allein schon wegen der alten Zeiten und so“, antwortete er und hatte seine Gesprächspartner innerhalb von Sekunden für den Plan begeistert. Sie beschlossen, so früh wie möglich zu verschwinden. Rico musste nicht mehr arbeiten, Chris hatte keine Arbeit und Alex konnte problemlos einige Zeit Urlaub machen. Solange es dem Sterbenden noch so gut ging mussten sie ihren Plan verwirklichen. Wer wusste schon, wie es ihm in einem Monat gehen würde. In kürzester Zeit hatten sie alles geregelt und waren bereit für die Abreise. Ihren Familien gefiel es nicht, dass sie das taten, schließlich steckte ein großes Risiko dahinter, aber sie ließen sich durch nichts von ihrem Vorhaben abbringen. „Macht euch keine Sorgen, ich werde auf uns alle aufpassen“, sagte Alex zu den zurückbleibenden Frauen und Kindern. Und wenn er das sagte, dann meinte er es auch.

Rico-Special: Farewell Letter

Ich bin eine Mörderin, ich weiß *heul* Jetzt versteh ich endlich warum am Ende sonst immer die Bösen sterben... Nachdem ich das hier geschrieben hatte war ich eine Woche nicht ansprechbar. Ich hab permanent geheult, ernsthaft. Aber die Story war von Anfang an so vorgesehen...*in Tränen ausbrech*

Die Gedanken eines Sterbenden...

Song: Farewell Letter by Crematory
 

See the division of pathes

which decides about your divine ordinance
 

Es gibt viele Wege, die man im Leben gehen kann; vielleicht sogar zu viele. Egal, welchen Weg man nimmt, es ist immer der Falsche und er entscheidet darüber, wie es weitergeht. Grundsätzlich merkt man erst, wie viel man falsch gemacht hat, wenn es auf das Ende zugeht und man kurz davor ist zu sterben. Bei mir war das so ähnlich. Natürlich war mir zwischendurch immer mal wieder klargeworden, dass mein Leben aus Fehlern von nuklearem Ausmaß bestand, aber als ich in diesem Krankenhaus lag und sie mir sagten, dass ich sterben würde, kam alles zurück. Ehrlich gesagt hätte ich mich am liebsten auf der Stelle umgebracht, als ich merkte, was für ein Idiot ich gewesen war.
 

Feeling a certain coldness

of a secret power that entangles the spirit.
 

Ich wusste es, bevor irgendjemand sonst es wusste. Mir war schon vor Monaten bewusst, dass ich nicht mehr lange hätte. Zuerst glaubte ich, es wäre mal wieder eine depressive Phase, wo man diese Kälte in der Seele spürt und innerlich erfriert. Es war ein Gefühl, dass ich schon seit meiner Kindheit zu gut kannte. Aber es wurde immer schlimmer und als es nicht mehr auszuhalten war, merkte ich, wie mein Körper anfing nachzugeben und immer schwächer wurde. Da wusste ich, dass es ein langsamer und qualvoller Tod werden würde.
 

In memory of people, without them you would not exist.
 

Ich denke immer öfter über die Leute nach, mit denen ich gelebt habe und die mir geholfen haben, aber vor allem über die, die vor mir gegangen sind. Werde ich sie auf der anderen Seite wieder sehen? Es wäre schön, wenn sie dort wären und auf mich warten würden. Ich vermisse sie.
 

In memory of people, who would not exist without you.
 

Die Gedanken an die, die ich zurücklasse quälen mich. Meine Familie wird bald ohne mich zurechtkommen müssen. Meine Kinder werden ihren Vater verlieren und meine Frau ihren Ehemann. Sie werden es schaffen, da bin ich sicher. Meine Freunde werden es schaffen. Ich werde sie alle im Jenseits ganz furchtbar vermissen.
 

What would you give to live your life again?
 

Wenn ich mein Leben noch mal leben könnte und schon wüsste, was mich erwartet, würde ich alles anders machen. Ich würde es mir weniger kompliziert machen und einfach nur leben. Vor allem würde ich weniger nachdenken. Oft habe ich mir mit meiner Denkerei alles so kompliziert gemacht und einen Haufen Zeit verschwendet, die ich mit viel besseren Dingen hätte verbringen können.
 

What would you change with a second chance?
 

Wenn ich noch eine Chance hätte, würde ich die ganzen Menschen retten, die durch meine Unfähigkeit ums Leben gekommen sind. Es war meine Schuld, dass meine Geschwister gestorben sind, das ist eine Tatsache. Ich würde sie retten, wenn ich könnte.
 

And could you learn from the mistakes?
 

Alle Fehler, die ich gemacht habe, würde ich versuchen nicht mehr zu machen und stattdessen mehr positive Dinge zu tun. Auf jeden Fall würde ich nie anfangen Drogen zu nehmen, das steht fest.
 

I don´t know
 

Aber würde ich das wirklich schaffen? Es heißt, der Mensch lernt nicht aus seinen Fehlern. Ich weiß nicht, ob mein Leben besser würde, wenn ich nochmal von vorne anfangen könnte. Vielleicht ist es vorbestimmt, dass ich mein Leben wegwerfe und schließlich so sterbe. Niemand weiß das. Vielleicht erfahre ich es auf der anderen Seite. Vielleicht zeigen sie mir, wie alles hätte laufen können, wenn ich nicht so bescheuert wäre.
 

Longing for the meaning of life

while breathing day in and day out
 

Man verbringt sein Leben damit, den Sinn ebendessen zu suchen. Man findet ihn nicht. Denn es ist wahr, was viele nicht wissen: Der ultimative Sinn des Lebens ist zu sterben. Es gibt keinen großen Masterplan, der von irgendeiner höheren Macht festgelegt wurde. Man muss sich die Welt doch nur mal angucken.
 

Realize, how slight it is

Keep an eye on the universe at night
 

Ein Leben ist nur winzig klein im Vergleich dazu, wie groß und alt das Universum ist. Ein Mensch lebt ja bestenfalls hundert Jahre und das war es dann. In nochmal hundert Jahren ist dann auch keiner mehr da, der sich an ihn erinnert. Ein einzelnes menschliches Leben ist nur dann etwas wert, solange es etwas hinterlassen hat. Es ist nur solange etwas wert, wie der Mensch entweder selbst lebt, oder Andere da sind in denen die Erinnerung an ihn weiterlebt. Viele Menschen versäumen, etwas aus ihrem Leben zu machen, weil sie glauben, dass existieren allein reicht und weil sie glauben, dass es sowieso einen Plan gibt, den sie nicht ändern können, egal was sie tun. Natürlich kann man die Welt verändern, wenn auch nur für einen Augenblick, einen Herzschlag lang.
 

Der Sinn des Lebens ist der Tod. Mit seinem Leben muss man leben und das beste draus machen. Und schlussendlich doch sterben.
 

(Lyrics property of Crematory)

Road Trip: Leg 2 – Frankreich

Endlich! Auf die Kapitel, die jetzt folgen, läuft die ganze Geschichte raus. Deswegen hatte sie ja auch den Arbeitstitel "Road Trip".

Musik: Oasis, Strokes, Travis
 

An einem sonnigen Montagmorgen zogen sie los. Sie hatten keinen Plan und keine Ahnung, nur einen Haufen Landkarten im Gepäck. Nach kurzer Zeit hatten sie beschlossen, zuerst eher nach Norden zu fahren und den Süden Europas dann sozusagen auf der Rückfahrt zu besuchen. Sie hatten keine Eile, weil sie kein Ziel hatten und so fuhren sie gemütlich dahin, über staubige französische Landstraßen, durch kleine Dörfer und an Feldern voller Blumen vorbei. Die Männer sprachen wenig miteinander. Keiner traute sich, etwas zu sagen, weil sie Angst hatten, das gefährliche Thema „Tod“ könnte ihnen die Stimmung vermiesen. Aber solange keiner sprach hatten sie mehr Zeit sich die Landschaft anzusehen, die vor dem Fenster vorbeizog. Es war ruhig und das Wetter war unvorstellbar schön. Ab und zu hielten sie an den schönsten Stellen an, um die Aussicht zu genießen und sich zu überlegen, wo es als nächstes hingehen könnte. Auf jeden Fall wollten sie versuchen, bald Paris zu erreichen. Es war immerhin die Stadt der Liebe und die drei waren immerhin ineinander verliebt. Am ersten Tag ihrer Reise durchquerten sie das Zentralmassiv und kamen als es Nacht wurde in einer kleinen Stadt an, von der sie den Namen wieder vergaßen. Dort gab es zum Glück ein kleines Hotel und sie teilten sich ein Zimmer, das eigentlich für vier Personen gedacht war. „Was würden wir eigentlich machen, wenn wir mal irgendwo kein Hotel finden?“, fragte Chris. „Das würden wir dann sehen“, antwortete sein Bruder, der sich diese Frage wohl noch nicht gestellt hatte. „Genau, wir würden uns was einfallen lassen“, ergänzte Rico, der von ihnen allen an diesem Tag am meisten gesprochen hatte. Nachdem sie ihren Kram in das Hotelzimmer gepackt hatten, spazierten sie durch die kleine Stadt. Es war ein typisch französischer Ort, wie man sie in Filmen sieht. Sie fanden ein Restaurant und aßen gemütlich zu Abend. Rico schaffte es trotz seiner Krankheit, etwas zu essen und fühlte sich gleich wieder viel besser. Er warf allen ärztlichen Rat über Bord und leerte alleine eine ganze Flasche Wein, während die beiden anderen Probleme hatten zu zweit eine leer zu kriegen. Sie verließen das Restaurant relativ früh wieder und liefen weiter durch die Stadt. Die Straßen waren voll mit Menschen, die ihre Nachbarn besuchten und plaudernd vor ihren Häusern standen. Das Frühlingswetter hatte wohl die überall zu findende gute Laune verursacht und man sah nicht eine schlecht gelaunte Person in der ganzen Stadt. Die Leute sahen den Fremden neugierig hinterher. „Was glaubt ihr wohl, was die über uns denken?“, fragte Rico grinsend. „Mittlerweile wissen die bestimmt schon alle, dass wir uns ein Hotelzimmer teilen“, antwortete Alex lachend. Sie gingen zum Hotel zurück, wo Chris und Rico sich direkt in ihr Zimmer begaben. Alex meinte, dass er noch etwas zu tun hätte. In Wahrheit hatte sein Freund ihn gebeten, dass er die beiden Anderen allein lassen sollte, zumindest eine Zeit lang, damit er mal mit Chris „reden“ konnte. „Was ist los mit dir? Du bist so still“, sagte Rico, als sie zusammen auf dem Bett lagen. „Was ist wohl los mit mir? Ich muss die ganze Zeit dran denken, dass das hier nicht ewig so bleiben kann und es bricht mir das Herz“, antwortete der Andere. „Es bricht mir das Herz, dass du verlernt hast, für den Moment zu leben. Genieß es, solange es dauert“, meinte der Ältere aufmunternd. Er konnte förmlich sehen, wie sich Chris´ Stimmung änderte und im nächsten Augenblick waren sie mit einem leidenschaftlichen und verlangenden Kuss beschäftigt. Es war, wie es früher gewesen war, sogar noch besser. Keiner von ihnen verschwendete an diesem Abend noch einen Gedanken an die Zukunft. Als Alex später in das Zimmer kam fand er die Beiden schlafend und selig lächelnd in einer engen Umarmung. Am nächsten Morgen lagen sie immer noch so da und er bedauerte, dass er das friedliche Bild zerstören musste indem er sie aufweckte. „Man hat euch gehört“, sagte er grinsend als sie wach waren, was einen kollektiven Lachkrampf auslöste.
 

Als sie sich an diesem Tag auf den Weg machten war die Stimmung viel lockerer, sie sprachen mehr und lachten die ganze Zeit. Den ganzen Tag verbrachten sie damit an der Loire entlang Richtung Paris zu fahren. Wie schon zuvor hielten sie ab und zu an. Als es so weit war, dass Alex keine Lust mehr zum Fahren hatte wurden sie mit einem Problem konfrontiert. Rico durfte vom Arzt aus nicht mehr Auto fahren und Chris versuchte, sich dezent aus der Angelegenheit rauszuhalten. „Chris, du fährst“, sagte Alex entschlossen. Errötend sah sein kleiner Bruder zu Boden. „Weißt du, es gibt da so ein kleines Problem... Ich habe keinen Führerschein mehr“, antwortete er und die Anderen sahen ihn verwirrt an. „Nachdem ich eine Zeit lang in Deutschland gewesen war, wo man ja so schnell fahren kann, wie man will, wurde mir in Tschechien der Führerschein abgenommen, weil ich zu schnell gefahren war. Na ja, kurz danach bin ich in meine... Schwierigkeiten geraten und hatte bis heute keine Gelegenheit, die Fahrprüfung zu wiederholen. Deswegen würde ich sagen, es ist nicht so gut, wenn ich fahre“, erklärte er. „Es wird ein langer Tag“, sagte Alex nur und setzte sich wieder ins Auto. Am späten Nachmittag erreichten sie die französische Hauptstadt. Das Wetter war immer noch so schön wie am Vortag und es war sehr warm. Sie bezogen ein Hotel am Stadtrand; diesmal hatten sie ein Doppel- und ein Einzelzimmer. Wer wo schlafen würde, wollten sie später entscheiden. Mit der Metro fuhren sie ins Stadtzentrum und saßen ziemlich lange einfach nur auf einer Bank und beobachteten die Leute, die vorbeigingen. Es waren fast nur Touristen in der Stadt, die sie ab und zu nach dem Weg fragten, woraufhin die drei ihnen immer die Hilfe versagen mussten. Sie hatten beschlossen, etwas länger in Paris zu bleiben, denn ein Tag reichte für diese riesige Metropole nicht aus. Sie liefen ein bisschen durch die Straßen und waren nicht von den normalen Touristen zu unterscheiden, wie sie sich fasziniert umsahen. „Ich habe mich schon in diese Stadt verliebt, als ich zum ersten Mal hier war. Damals war ich acht Jahre alt“, erzählte Rico. Er war zu dieser Zeit aus Spanien nach Deutschland gezogen und auch hier vorbeigekommen. Dieser Besuch der Stadt an der Seine belebte seine Erinnerungen an diese Zeit und er fühlte sich als wäre er wieder der kleine Junge, der sich damals in den Pariser Straßen so furchtbar verlaufen und verzweifelt seine Familie gesucht hatte. In der Nacht, in der er sich das Zimmer mit Alex teilte, träumte er von seiner Kindheit. Die ganzen schrecklichen Gefühle, die er nach der Trennung seiner Eltern erfahren hatte überkamen ihn wieder. Er träumte vom frühen Tod seiner Zwillingsschwester. Die Erinnerung an ihr lachendes Gesicht ließ ihn schreiend aufwachen. Alex saß blitzschnell neben ihm und versuchte ihn wieder zu beruhigen. „Es war nur ein Traum. Es liegt an der Stadt“, flüsterte der Tröstende und Rico nickte. „Es sind die Erinnerungen. Wahrscheinlich ist das in einer Situation wie meiner normal“, antwortete er mit zitternder Stimme. Sie lagen eine Zeit lang einfach nur da und als er sich wieder beruhigt hatte sagte Rico: „Sollen wir uns nicht ein bisschen ablenken?“ Der Andere lachte leise, was als Zustimmung zu verstehen war. Den Rest der Nacht waren sie zu abgelenkt, um zu schlafen und erst in der Morgendämmerung fielen ihnen wieder die Augen zu. Kurze Zeit später klopfte Chris an ihre Tür, die sie nicht abgeschlossen hatten, und trat ein als er diesen Umstand bemerkte. Er fand die Beiden, wie Alex sie am Morgen zuvor gefunden hatte. Sie saßen kurz einfach nur verschlafen im Bett und plötzlich fing Rico an zu lachen. „Wisst ihr was mir grade aufgefallen ist? Ich hatte in den letzten zwei Nächten mehr Sex als im ganzen letzten Monat“, teilte er ihnen breit grinsend mit und sie lagen auf dem Boden vor Lachen. „Das wird ganz sicher auch noch mehr“, meinte Alex mit einem hintergründigen Lächeln. Nachdem sie sich wieder eingekriegt hatten standen sie endlich auf und gingen in die Stadt. Es war genauso viel los wie am Tag davor und das Wetter war immer noch sehr schön. Als erstes besuchten sie den Eiffel-Turm. Chris vergaß sogar seine Höhenangst, als er die atemberaubende Aussicht erlebte. Von dort oben konnte man die ganze Stadt überblicken. Die Fenster der Häuser und Kirchen glitzerten in der Morgensonne. Der Anblick der Metropole, die ihnen zu Füßen lag verschlug den Dreien die Sprache und alle Probleme rückten in den Hintergrund. Was gab es Schöneres als der Blick auf Paris an einem wundervollen Tag wie diesem? Irgendwann mussten sie sich dann aber doch losreißen und wieder auf den Boden zurückkehren, weil immer mehr Leute kamen und es so langsam richtig voll wurde. Sie erkundeten weiter die Stadt, besuchten noch einige Sehenswürdigkeiten und tranken zwischendurch immer mal wieder einen Kaffee. Am Nachmittag taten sie etwas, das man in Paris unbedingt tun muss, das aber für Männer sehr untypisch ist: Sie gingen shoppen. Das meiste konnten (oder wollten) sie sich sowieso nicht leisten, aber trotzdem hatten sie extrem viel Spaß, vor allem als Chris in einem Geschäft für ein Mädchen gehalten wurde, das Spiel mitspielte und sich Frauenkleider anzog. „Dieses grüne Kleid stand dir gar nicht schlecht. Hättest es dir kaufen sollen“, sagte Rico als sie den Laden wieder verließen und sie fingen an zu lachen wie bekloppt. Der Tag verging viel zu schnell und der nächste sollte ihr letzter in dieser Stadt werden.
 

In der Nacht schliefen sie ausnahmsweise mal. Rico war vollkommen fertig und am nächsten Morgen kaum wachzukriegen. Ihm war schlecht und er konnte nicht aufstehen. Als er es endlich geschafft hatte das Bett zu verlassen wurde ihm immer schlechter und er verschwand im Badezimmer. „Es wird doch jetzt nicht immer schlimmer mit ihm, oder?“, fragte Chris angstvoll. „Es ist schwer zu sagen. Vielleicht geht es ihm morgen schon wieder viel besser und übermorgen wieder schlecht. Wir müssen uns jeden Tag auf etwas gefasst machen“, antwortete sein Bruder. „Genau so ist es“, sagte Rico, der gerade wieder ins Zimmer kam, „Es könnte allerdings auch am Wetter liegen“ Erst da fiel den Anderen auf, dass es draußen in Strömen regnete. Sie verließen das Hotel an diesem Tag nur zum Auschecken und verbrachten den Vormittag komplett im Auto. Diesmal orientierten sie sich nach Osten und fuhren immer tiefer in das schlechte Wetter hinein, das aus Richtung Deutschland zu kommen schien. Sie kamen nur langsam voran, weil sie entweder im Stau steckten, im Kreis fuhren oder anhalten mussten, weil es Rico schlecht war.
 

Die Nacht brach herein, sie hatten die Grenze, die sie suchten noch nicht erreicht und waren zu Tode erschöpft. Die Fahrerei hatte ganz schön Nerven gekostet und so hielten sie in Grenznähe an, um zu schlafen. Diesmal bekamen sie nur ein Doppelzimmer für alle drei. Wie Chris es geschafft hatte, die Herbergsbesitzerin zu überreden sie alle aufzunehmen, wussten sie nicht mehr. Alex und Rico fielen ins Bett und waren sofort eingeschlafen. Sie hatten es nicht einmal mehr geschafft, sich umzuziehen. Tatsächlich schliefen sie in Jeans. Chris wusste schon, warum er sie beide über alles liebte, als er sie so daliegen sah. Alex hatte einen Arm um Rico gelegt, dem man die Spuren seiner Krankheit deutlich ansehen konnte. Er war so dünn, wie Chris gewesen war als er ihn gerettet hatte. Jeder einzelne Knochen seines Körpers war zu sehen und sein Gesicht war eingefallen und voll von Schatten. Er sah viel älter aus als er eigentlich war. Er war jetzt offensichtlich ein sterbender Mann. Chris hoffte, dass er wenigstens diese Reise noch überlebte und auch noch genießen konnte. Die beiden Männer auf dem Bett bewegten sich. Als hätte er die Gedanken seines Bruders gelesen legte Alex seine Hand auf Rico´s Herz. Der Andere lächelte im Schlaf, legte seine eigene Hand über die seines Freundes und kuschelte sich enger an ihn. Ihrem Beobachter kamen die Tränen. Er liebte die Beiden einfach. Von tiefer Melancholie ergriffen legte er sich auch auf das Bett und versuchte zu schlafen. Als hätte er bemerkt, dass noch jemand da war streckte Rico seinen Arm nach ihm aus und zog den Kleinen an sich. Die drei waren vereint und Chris wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass sie es immer bleiben konnten. Als sie wieder erwachten wurde es gerade erst hell. Sie lagen sich immer noch gegenseitig in den Armen und lächelten sich an, als ihnen diese Tatsache bewusst wurde. Rico ging es an diesem Tag besser und innerhalb kürzester Zeit hatten sie die Grenze erreicht, die sie den ganzen vorherigen Tag gesucht hatten. Der Mini-Stau machte ihnen nichts aus und das erste, was sie auf der anderen Seite der Grenze taten war tanken. Sie waren in Luxembourg angekommen.

Road Trip: Leg 3 – Luxembourg & Deutschland

Endlich! Hat länger gedauert, als ich gedacht hatte... Dafür ist es aber mal wieder ein langes Kapitel.

Musik: Skid Row
 

Sie versuchten, das kleine Land nicht an einem Tag zu durchqueren und fuhren deswegen nur auf Landstraßen. Rico kannte sich dort bestens aus, er hatte einige Zeit dort gelebt und sogar die witzige Landessprache gelernt. Umso verwunderlicher war, dass er nie französisch gelernt hatte. Sie fuhren den ganzen Tag herum, bis sie müde wurden und in einem kleinen Dorf anhielten. Es war wie das Ende der Welt, hatte aber irgendwie was. Sie fragten einige Leute, wo man in der Nähe übernachten konnte, bekamen aber keine brauchbare Antwort. So reisten sie weiter, bis sie einen größeren Ort erreichten, wo sie ein Hotel fanden. Die Menschen waren gastfreundlich und vor allem trinkfest, aber trotzdem misstrauisch, als sie drei Männern begegneten, die kein Problem damit hatten, sich ein Zimmer zu teilen. Am Abend gingen die Reisenden in eine Kneipe und ließen sich grundlos volllaufen. Sie fielen nicht weiter auf, um sie herum waren ausschließlich Betrunkene, die sich nach einer Sauforgie ohnegleichen in ihre Autos setzten und nach Hause fuhren. Wie viele von ihnen dort an einem Stück ankamen war allerdings unklar. In den frühen Morgenstunden gingen die drei in ihr Hotel zurück, sofern man es noch gehen nennen konnte. Der Nachtportier, der gerade gemütlich einen Comic am lesen war, musste seinen Posten verlassen, um ihnen die Zimmertür aufzuschließen, was sie selbst nicht mehr hinbekamen. Rico fiel direkt auf das Bett, Chris landete gleich neben ihm und Alex verbrachte die Nacht im Sitzen auf einem Stuhl. Er hatte versucht, die Schuhe auszuziehen und war darüber eingeschlafen. Als sie wieder erwachten war ihnen schlecht und sie wollten am Liebsten den ganzen Tag im Bett verbringen. Nach einigen Stunden stillen Leidens standen sie dann doch auf und gingen an die frische Luft. „Also, eins steht fest: Heute fahren wir nirgendwohin“, meinte Alex als sie eine kleine Straße entlang gingen. Keiner von ihnen wusste so richtig, wo sie waren und wo sie hinwollten. Auf jeden Fall hatten sie vor, nach Deutschland zu fahren, dorthin wo Rico aufgewachsen war, und seinen Vater zu besuchen. Es war gar nicht mehr so weit. Diesen einen Tag verbrachten sie in der kleinen Stadt ohne Namen und Rico demonstrierte ihnen seine luxemburgischen Sprachkenntnisse, was sich positiv auf die Stimmung auswirkte. Allerdings wäre er auch fast mit einem Polizisten aneinander geraten, aus welchem Grund auch immer. Chris schaffte es, die Situation zu retten, indem er für den Abend ein Date vereinbarte. „Unfassbar, er geht da tatsächlich hin“, sagte Alex, nachdem sein Bruder zum ausgemachten Treffpunkt verschwunden war. „Vielleicht braucht der Kleine mal ´ne Pause von uns“, meinte Rico und machte es sich auf der Hotelzimmer-Couch bequem. „Hoffentlich passiert nicht wieder was Schlimmes“, antwortete der Andere und sah besorgt aus dem Fenster auf die nächtliche Straße. „Chris kommt klar. Ich glaube, er weiß mittlerweile besser, was er tut“

„Ja, und das hat er alles dir zu verdanken. Du hast ihm das Leben wiedergegeben“

„Nein, das war er selber. Ich habe ihm nur dabei geholfen und du hast auch einen großen Teil dazu beigetragen“

„Schon möglich. Trotzdem wäre er ohne dich wahrscheinlich tot“

„Alex, versprich mir was... Du wirst immer auf ihn aufpassen, oder? Du wirst ihn nicht verlassen?“

„Ich verspreche es dir“

„Das ist gut. Pass aber auch auf dich selber auf, okay?“

Alex nickte und versuchte, seine Tränen zurückzuhalten. Es traf ihn wirklich, dass er sich damit abgefunden hatte, dass er sterben musste. Wenn jemand anfing, für die Zeit nach seiner Existenz zu planen, dann hatte er das Leben aufgegeben. „Bitte, wein doch nicht... das passt nicht zu dir“, flüsterte Rico und wischte seinem Freund die Tränen aus dem Gesicht. „Tut mir leid, ich kann einfach nicht anders“, antwortete Alex und konnte sich endgültig nicht mehr zurückhalten, „Ich will nicht, dass du gehst... du darfst nicht sterben, Rico“ Er klammerte sich an dem Anderen fest, als ob er glaubte, dass er ihn so irgendwie bei sich behalten konnte. „Mach es uns nicht noch schwerer... Wenigstens du musst stark bleiben...“, sagte Rico und versuchte, ihn zu beruhigen. „Du hast Recht. Ich muss mich zusammenreißen. Einer muss ja auf euch aufpassen“, meinte Alex, der sich wieder gefangen hatte und sein Gegenüber mit strahlenden blauen Augen ansah. „Du hast es erfasst“, sagte der Andere und küsste ihn. Wie lange sie einfach nur auf der Couch saßen und sich gegenseitig trösteten, wussten sie nicht. Plötzlich drehte sich der Schlüssel im Türschloss und Chris trat ein. Er war ziemlich angetrunken, hatte aber noch gute Laune. „Und, wie war dein Date?“, fragte sein Bruder. „Ziemlich okay. Der Typ ist zwar später fast über mich hergefallen, aber ich wollte es auch, also war es nicht schlecht. Außerdem war er der absolute Teufel im Bett“, antwortete der Jüngere lächelnd. „Ihr habt...“, fing Alex an, wurde aber unterbrochen. „Ja, wir hatten Sex. Na und?“ Chris lächelte immer noch, nur jetzt sah er irgendwie herausfordernd aus. „Nichts und. Ist ja deine Sache“, meinte Rico und damit war das Thema erledigt. Die drei gingen gleich darauf ins Bett, sie hatten einen langen Tag vor sich. Am Morgen war Chris immer noch komisch drauf. „Seid ihr eifersüchtig?“, fragte er gleich nachdem sie wach waren. „Nein... doch... schon“, antwortete Alex verlegen. „Außerdem wundern wir uns, warum dir zwei Kerle nicht mehr reichen“, ergänzte Rico und zwinkerte ihm provokant zu. „Ich musste die Situation retten. Der wollte uns aus irgendeinem Grund gestern einbuchten. Dass er schwul war, war ja wohl offensichtlich. Also hab ich das beste draus gemacht. Und als mir aufgefallen ist, wie scharf der Kerl ist, konnte ich nicht widerstehen. Ich hatte echt nicht vor, direkt mit ihm in die Kiste zu springen“, erklärte der Jüngste den Anderen. Es war wirklich einleuchtend, was er sagte. Sie hätten es selbst wahrscheinlich genauso gemacht. Aber irgendwas stimmte trotzdem nicht. Sie hatten Angst, dass Chris wieder außer Kontrolle geraten könnte. In letzter Zeit hatte er sich echt gebessert, sogar mit den Drogen ein bisschen aufgehört. Sein momentanes Benehmen könnte wieder einen großen Rückschritt bedeuten, wenn sie nicht rechtzeitig eine Lösung fanden. Es war natürlich klar, dass er verzweifelt und traumatisiert war und wenn Rico starb, würde es noch schlimmer werden, aber Alex würde zumindest versuchen, ihn auf der richtigen Bahn zu halten. Es war für ihn schon längst zur Lebensaufgabe geworden, auf seinen kleinen Bruder aufzupassen. Die drei Männer verließen das Hotel und die Stadt an diesem Tag früh. Sie fuhren im Stau über die Autobahn und als sie keine Lust mehr hatten, wechselten sie wieder auf die Landstraße. Innerhalb kurzer Zeit erreichten sie schon wieder eine Grenze. „Ganz ehrlich: Ich wusste nicht, dass das Land doch so groß ist“, meinte Alex, als sie an der Grenztankstelle warteten. Die Anderen mussten lachen. Sie kannten seine Abneigung gegenüber Geographie und Landkarten nur zu gut und sie wussten auch, dass viele Leute genauso dachten wie er. Fünf Minuten später waren sie schon in Deutschland.
 

Auch hier hatte der Frühling Einzug gehalten und die Sonne schien warm auf sie herunter. Die drei Männer setzten ihren Weg fort und folgten der Mosel und dem Rhein, bis sie Köln erreichten. In einem kleinen Ort in der Nähe fanden sie schließlich das Haus von Rico´s Vater. Es war riesengroß und hatte einen Garten und sogar einen Swimming-Pool. „Wow, dein Daddy lebt nicht schlecht“, sagte Chris und sah sich um. Er wunderte sich über dieses Haus. Rico hatte ihm erzählt, dass er seine Kindheit in einer kleinen Wohnung in absoluter Armut verbracht hatte. Er hatte nicht einmal Schulbücher besessen. Wie war sein Vater also an den Reichtum gelangt, sich so ein Haus zu kaufen? Bestimmt gab es eine logische Erklärung dafür. Die Haustür öffnete sich und ein älterer Mann kam heraus, um sie zu begrüßen. Das war Rico´s Dad? Chris hatte ihn für älter gehalten. Sie wurden einander vorgestellt und gingen in das Haus, das von innen noch größer wirkte. Sofort kam jemand die große Treppe runter gestolpert und fiel Rico um den Hals. Es war ein Mädchen mit dunkelgrünen Haaren, ungefähr so alt wie Kelly June und mit demselben Punk-Stil wie sie. Sie stellte sich als Marina vor, Rico´s Halbschwester. Von der hatte er Chris erzählt. Sie hingen sehr aneinander und sie war auch eine gute Freundin von Kelly. Chris überlegte, wie es für diese Menschen sein würde, wenn Rico nicht mehr da war. Sein Vater würde einen Sohn verlieren. Keine Eltern der Welt sollten ihr Kind beerdigen müssen. Seine Schwester würde ihren großen Bruder verlieren. Ein Leben ohne großen Bruder konnte er sich nicht vorstellen. Auch ein Leben ohne Rico konnte er sich nicht mehr vorstellen. An seinem Todestag würde sicher die Welt untergehen. Sein Tod war ein viel zu großer Verlust für die Menschheit, als dass sie danach weiter existieren konnte. Mit diesem Gedanken im Kopf folgte Chris den Anderen in die Küche, wo sie erstmal was zu Trinken bekamen. Irgendetwas störte ihn an dieser ganzen Szene. Mit Rico´s Vater stimmte etwas nicht. Er ging ganz komisch mit seinem Sohn um, als ob sie Angst hätten, dass die anderen Anwesenden ein Geheimnis herausfanden. Vielleicht war es auch einfach nur die Situation des bevorstehenden Todes, oder die Müdigkeit, die Chris einen Streich spielte. Trotzdem... da war irgendwas nicht in Ordnung. Als sie später auf einem Bett im Gästezimmer saßen fragte Chris: „Was ist los?“ Rico schien aus seinen Gedanken zu erwachen und sah ihn verwirrt an. „Mit deinem Vater und dir, was ist da los?“, wiederholte er. Der Andere sah zu Boden und man konnte richtig sehen, wie er zwischen der Wahrheit und einer Lüge hin und her gerissen war. Schlussendlich entschied er sich für die Wahrheit und sah Chris wieder an. „Wir hatten bis jetzt immer Streit, wenn ich hier war. Der Grund war meistens das ganze Geld, das er plötzlich besitzt“, antwortete er. „Was ist mit dem Geld?“, fragte Chris weiter. Er hatte doch gewusst, dass hier etwas faul war. „Das weiß ich nicht. Er will es mir nicht sagen. Ich bin mir sicher, es kommt aus irgendwelchen illegalen Aktionen. Vor einem Jahr war er auf einen Schlag extrem reich“ Rico seufzte und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen. „Vielleicht hat er im Lotto gewonnen, oder geerbt, oder er hatte das Geld schon immer“, überlegte Chris und ließ sich neben ihn fallen. „Wenn er es schon immer gehabt hat, warum sollte er dann sein Leben in Armut verbringen? Und wenn er es gewonnen oder geerbt hat, würde er mir das sicher sagen“, widersprach Rico mit ziemlich logischen Argumenten. „Na ja, bei einer Erbschaft könnte es sein, dass dir ein Teil davon zusteht“, meinte der Kleinere. „Du hast Recht. Aber es ist ja keiner gestorben, von dem das alles sein könnte. Ich glaube, er ist in kriminelle Geschäfte verwickelt. Irgendwas mit Schmuggelware oder Menschenhandel. Er hat ein Transportunternehmen, weißt du. Früher war er immer in den roten Zahlen, aber auf einmal ging es bergauf. Irgendwas kann da nicht stimmen“, erklärte Rico nachdenklich. „Es gibt sicher Mittel und Wege das rauszufinden. Bankdaten und so“, sagte Chris optimistisch. „Nicht mehr in meinem Leben. Für so eine Aktion fehlt mir die Kraft. Außerdem, wenn er wirklich kriminell ist und die Polizei das rausfindet, ist er am Ende. Das kann ich nicht verantworten. Trotz allem ist er immer noch mein Vater und ich verdanke ihm viel“ Chris wurde neugierig. Jetzt hatte er endlich die Gelegenheit etwas über Rico´s Lebensgeschichte herauszufinden. „Wie meinst du das, trotz allem und du verdankst ihm viel?“, fragte er und dachte sich noch mehr Fragen aus, wie er endlich etwas über die Vergangenheit seines Freundes erfahren konnte. „Ich verdanke ihm unter anderem meine Pilotenausbildung. Er hatte einflussreiche Freunde und hat dafür gesorgt, dass ich das machen konnte. Aber andererseits hat er meine Kindheit kaputt gemacht“, antwortete Rico und wurde irgendwie nervös. „Das versteh ich nicht. Wie hat er das gemacht? Doch nicht etwa... so wie mein Vater?“, fragte Chris weiter. „Na ja, nicht ganz. Er hat mich schon geschlagen, öfters, wenn er betrunken war, aber so wie dein Vater war er nie. Nein, er hat unser Leben versaut indem er sich immer mit meiner Mutter gestritten und sie betrogen hat. Die Beiden hätten so ein schönes Leben zusammen haben können, aber er hat alles zerstört mit seiner Dummheit. Wir Kinder wurden immer zwischen beiden Eltern hin- und hergeschoben. Irgendwann hat er dafür gesorgt, dass wir bei ihm bleiben mussten. Er war ein furchtbar unzuverlässiger Vater und wir mussten uns durchschlagen, auf uns selbst aufpassen. Dann war er eine Zeit lang mit einer anderen Frau zusammen, die für uns gesorgt hat und bei der es uns gut ging. Die ist aber bei einem Unfall gestorben. Irgendwann danach hat er seine jetzige Frau geheiratet, die war damals genauso wie er und ist nicht mit uns Kindern klargekommen. Wir mussten auf die harte Tour lernen zu überleben. Weil meine Zwillingsschwester und ich die Ältesten von uns waren mussten wir für die anderen sorgen und schnell erwachsen werden. Es war nicht einfach“, erzählte Rico und bei dem Gedanken an seine Schwester füllten sich seine Augen mit Tränen. „Es tut mir leid. Hätte nicht fragen sollen“, murmelte Chris entschuldigend. „Woher solltest du das denn wissen? Dir muss gar nichts leid tun“, antwortete Rico und wischte sich beschämt die Tränen aus dem Gesicht. „Und dir muss das nicht peinlich sein“, meinte der Jüngere und küsste seinen Freund, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. „Wenn ich dich nicht hätte...“, flüsterte Rico und umarmte ihn. Darauf wusste auch Chris keine Antwort mehr und so lagen sie eine Weile in stiller Zweisamkeit auf dem Bett und jeder hing seinen Gedanken nach. Plötzlich flog schwungvoll die Tür auf und eine verwirrte Marina stand davor. „Oh. `Tschuldigung, hab mich in der Tür geirrt“, murmelte sie peinlich berührt und verschwand wieder. „Sie ist in diesem Punkt auch wie Kelly, oder?“, fragte Chris grinsend, woraufhin Rico nickte. „Die zwei sind so gleich, das ist schon fast gruselig“, meinte er. „Deine Familie ist echt krass, weißt du das eigentlich?“, sagte Chris lachend. „Dann wart mal ab, bis du meine Mutter kennen lernst“, antwortete der Ältere nur. Schlagartig wechselte seine Stimmung zu einer tiefen Depression. Er wurde ganz blass und griff sich an den Kopf. „Rico, was ist los? Ist dir nicht gut?“, fragte Chris besorgt und sah ihn erschrocken an. „Ach, ich hab bloß Kopfweh. Halb so schlimm“, sagte der Angesprochene und ließ sich erschöpft wieder auf das Kopfkissen sinken. Innerhalb von fünf Minuten war er eingeschlafen. Chris betrachtete seinen schlafenden Freund traurig. Rico hatte anscheinend auch ein beschissenes Leben gehabt. Wieso hatte er nie etwas gesagt? Und wieso hatte er selbst nie nachgefragt? Er konnte jetzt seine offensichtlichen Depressionen und die ganzen Drogengeschichten besser verstehen. Sein Blick streifte den vernarbten Unterarm des Anderen. Auch das konnte er jetzt besser verstehen. Rico drehte sich um und Chris konnte nun auch die Narben an seinem anderen Arm sehen. Ihm fielen einige auf, die vorher noch nicht da gewesen waren. Vor allem ein tiefer Kratzer über den Pulsadern erschreckte ihn. Wann war das passiert? Er würde nicht nachfragen. Sein Blick wanderte weiter den Arm entlang und was er dann sah ließ ihm den Atem stocken. Zuerst glaubte er, es wären blaue Flecken, aber als er genauer hinsah erkannte er einige Einstichstellen an der Innenseite des Oberarms. Nein, das konnte nicht sein. Er hatte doch nicht etwa wieder mit dem Scheiß angefangen... mit den Drogen, die sein Leben jahrelang beherrscht und schließlich zerstört hatten. Das verlangte nach einer ernsten Krisenbesprechung. Chris sprang vom Bett und ging seinen Bruder suchen. Er fand ihn im Garten, wo er mit einem Buch auf der Bank saß. Alex fiel seine Aufregung direkt auf und er fragte nach dem Grund. „Ja, weißt du... Es ist wegen Rico...“, fing Chris an und wusste nicht mehr weiter. „Was ist mit ihm?“, fragte sein Gegenüber in höchster Alarmbereitschaft. „Er nimmt doch Tabletten gegen seine Krankheit, oder?“, fragte der Jüngere. Sein Bruder nickte. „Na ja, wo kommen denn dann die Einstiche an seinem Arm her?“, fuhr Chris fort und hoffte auf eine Antwort, die seine Sorgen vertrieb. Doch die bekam er nicht. Stattdessen wurde Alex ganz blass und sah ihn fast schon flehend an. „Sag, dass das nicht wahr ist“, murmelte er. „Doch, es ist wahr. Was sollen wir bloß tun? Er bringt sich noch um, wenn er so weitermacht!“, sagte Chris aufgebracht. „Er hat sich schon längst umgebracht, er ist nur noch nicht gestorben. Ich hatte schon seit wir weggefahren sind den Verdacht, dass er wieder angefangen hat. Wir müssen mit ihm reden. Vielleicht gibt es ja doch eine gute Erklärung dafür“, meinte Alex. „Das würde ich zu gerne glauben“, antwortete Chris nur und lehnte sich an seinen großen Bruder, der einen Arm um ihn legte. „Wahrscheinlich ist es ihm mittlerweile egal, was er sich da antut. Er weiß, dass es keine Auswirkungen mehr auf seine Zukunft hat“ Es war eine traurige Feststellung, aber es war wahrscheinlich trotzdem die Wahrheit. Die Brüder saßen eine Weile auf der Bank und ließen sich von der Abendsonne wärmen. Als diese untergegangen war kam Marina raus und rief sie zum Abendessen. Dort lernten sie Rico´s Stiefmutter Nicola und seinen Halbbruder Ben kennen, die beide sehr nett waren. Ben hing anscheinend sehr an seinem großen Bruder und wich ihm nicht mehr von der Seite. Das Abendessen war eine lustige Angelegenheit; alle versuchten sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen. Rico´s Vater trank eine Menge Wein und war irgendwann richtig betrunken, sodass seine Frau ihn ins Bett bringen musste. „Typisch“, murmelten Rico und Ben im selben Moment kopfschüttelnd. Anscheinend war das wirklich Gewohnheit, denn Nicola kam nach ein paar Minuten zurück und war nicht einmal verärgert über ihren Mann. Bald darauf gingen auch alle anderen ins Bett. Chris und Alex tauschten einen bedeutungsvollen Blick, als Rico sagte er ginge ins Badezimmer. Kurze Zeit später betrat er das Gästezimmer, das die drei sich teilten, und war schon wieder weniger nervös als vorher. Er ließ sich auf dem Bett nieder und sah seine Freunde abwechselnd an. „Was ist denn mit euch los? Ihr seht ja aus als wär´ einer gestorben“, sagte er leicht lachend. „Wir ähm... müssen mal ernsthaft mit dir reden...“, begann Alex und sah seinen Bruder hilfesuchend an. „Es geht um, äh, deinen Zustand“, fuhr Chris fort und konnte ihn plötzlich nicht mehr ansehen. „Was ist?!“, fragte Rico skeptisch und verwirrt. „Da ist was... an deinem Arm, was da nicht hingehört. Und wir wüssten gern, wie das da hingekommen ist. Du... weißt schon“ Alex machte eine eindeutige Handbewegung, um seine Aussage zu unterstützen. „Oh, das“, meinte Rico und griff nach seinem zerstochenen Arm. „Es ist nicht so wie ihr denkt. Also, eigentlich ist es genau wie ihr denkt, aber es hat einen guten Grund. Ich brauch´ das Zeug, sonst würde ich es nicht aushalten“, fuhr er fort, „Eigentlich wollte ich nie wieder damit anfangen, aber... na ja, es kommt halt immer anders, als man denkt“ Die Brüder waren nicht so ganz zufrieden mit dieser Antwort. „Und warum hast du wieder damit angefangen?“, traute sich Alex endlich zu fragen. „Es gibt viele Gründe. Zuerst mal hilft es gegen diese furchtbaren Schmerzen. Und ich muss nicht dauernd über den Tod nachdenken. Ich mein´, jetzt macht es eh keinen Unterschied mehr, was würde es da bringen clean zu bleiben“, erklärte Rico. „Irgendwo hast du Recht. Aber du musst dein Leben ja nicht unnötig verkürzen“, entgegnete Alex. „Aber was hätte mein restliches Leben für einen Sinn, wenn ich die ganze Zeit nur nachdenklich rumliegen könnte?“, antwortete Rico mit seinem „Bitte-versteh-mich“-Blick. „Wenn du das wirklich so siehst können wir wohl nichts dran machen“, meinte Chris schließlich und sah ihm endlich wieder in die Augen. „Genau so ist es“, flüsterte Rico und starrte Chris an, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. „Jungs? Jemand zu Hause?“, fragte Alex in skeptischem Ton, nachdem sie sich eine Zeit lang nur gedankenverloren angesehen hatten. „Was? Oh, äh, ja...“, murmelte Chris, der aus seinem Trancezustand aufwachte. Sie beschlossen einstimmig, das Thema zu wechseln und redeten noch eine Weile über dieses und jenes, bis sie schlafen gingen.
 

Mitten in der Nacht wachte Chris plötzlich auf und stellte fest, dass Rico weg war. Zuerst glaubte er, er wäre nur im Badezimmer, aber dann erkannte der Junge, dass auch seine Klamotten und seine Jacke weg waren. Irritiert stand Chris auf und hatte fast eine Kollision mit der Schranktür, die offen stand. Er schlich aus dem Zimmer und wagte es, einige Schritte den kalten Flur entlang zu gehen. Es war stockdunkel und es zog, weil das Flurfenster geöffnet war. Plötzlich ergriff ihn eine blinde Panik und er sprang förmlich zurück in das Gästezimmer, wo er sich gegen die Tür drückte, damit niemand sie mehr aufmachen konnte. Er hörte Schritte auf dem Flur. Ganz leise, langsame Schritte. Die Angst erstickte ihn fast und er löste sich vorsichtig von der Tür, um zum Bett zu gehen. „Alex!... Alex, hier spukt´s!“, flüsterte er und versuchte seinen Bruder aufzuwecken. „So´n Quatsch... Schlaf weiter“, murmelte dieser nur im Halbschlaf und war direkt wieder ins Traumland verschwunden. Wenn man irgendetwas definitiv von Alex behaupten konnte, dann war es, dass er Realist war. Chris glaubte normalerweise auch eher an Spirituosen als an Spirituelles, aber dieses Erlebnis grade war genau so, wie die Begegnung mit Geistern immer beschrieben wurde. Immer noch verängstigt kroch Chris wieder unter die Bettdecke und lauschte angespannt in die Dunkelheit. Wann er eingeschlafen war wusste er nicht mehr, aber als er aufwachte lag Rico neben ihm und schlief friedlich. Es war sieben Uhr und der Morgen dämmerte. Chris sprang aus dem Bett und betrat den Flur. Bei Tageslicht war das nicht so gruselig. Er stellte sich erwartungsvoll mitten in den Gang, aber nichts geschah. Nach einer Weile drehte er sich enttäuscht um und wollte wieder ins Zimmer zurückkehren. Rico stand im Türrahmen und grinste breit. „Na, suchst du den Geist?“, fragte er. „Ja. Hier spukt es, ich bin mir sicher“, antwortete der Jüngere todernst. „Du hast Recht. Dieses Haus ist schon ziemlich alt und wie jedes alte Haus hat es seinen eigenen Geist, der hier nachts über den Flur tigert“, erklärte Rico entspannt. „Du hättest uns wenigstens warnen können...“, murmelte Chris halb perplex darüber, dass er ihm tatsächlich glaubte und sogar Recht gab. „Ich wollte euch doch keine Angst machen. Außerdem hättet ihr mir eh nicht geglaubt“, sagte sein Freund. Jetzt erst fiel Chris ein, was er ihn eigentlich fragen wollte. „Wo warst du eigentlich heute Nacht? Ich hab dich gesucht“ Plötzlich sah Rico viel müder aus als vorher. „Ach, ich konnte nicht schlafen. Da bin ich spazieren gegangen“ Sein Gegenüber hatte irgendwie das blöde Gefühl, dass das nicht so ganz wahr war. Trotzdem fragte er nicht weiter nach. Am frühen Morgen war das bei Rico sowieso zwecklos. Es war verwunderlich wie viel er an diesem Tag schon gesprochen hatte, denn vor zehn Uhr war er normalerweise immer sehr still.
 

Sie beschlossen, gegen Mittag weiterzufahren, damit sie alles, was sie vorhatten auch noch schafften. Aber zuerst wollte Rico ein letztes Mal versuchen, die Wahrheit über den Reichtum seines Vaters rauszufinden. Kurz vor ihrer Abfahrt traf er sich mit diesem im Büro. „So, ich will es jetzt endlich wissen. Wo kommt das Geld her? Ich werde keinem ein Wort davon erzählen, wenn es nicht rechtmäßig ist“, begann er ohne Umschweife und baute sich vor seinem Vater auf, der hinter dem Schreibtisch saß und ihn verständnislos ansah. „Warum ist dir das so wichtig? Es ist doch egal“, antwortete der Ältere. „Es ist mir nicht egal. Seit du hier wohnst geht mir diese Frage nicht mehr aus dem Kopf. Wo kommt es her?“, fuhr Rico fort. Er musste es einfach wissen. „Genauso stur wie deine Mutter... Na gut, wenn es denn sein muss...“, sagte der Vater kopfschüttelnd und sprach mit sichtlicher Überwindung weiter, während er im Raum auf und ab ging: „Dieses Haus, das tolle Auto, das alles gehört mir gar nicht. Wie du weißt spukt es hier. Und da Nicola in so einer spirituellen Vereinigung ist hatte sie sich gemeldet, das Haus und den Geist praktisch zu `verwalten´. Wir haben immer haufenweise Gespenstertouristen und Geisterforscher hier. Der ganze Reichtum kommt von der Vereinigung, wir müssen schließlich Eindruck machen. So ist das halt“ Rico hatte sprachlos zugehört. Die ganze Geschichte klang so absurd, dass sie tatsächlich wahr sein könnte. „Warum hast du das verheimlicht?“, fragte er skeptisch. „Na ja, ich wollte auch auf dich endlich Eindruck machen. Dein Vater, der reiche Kerl mit der riesigen Villa, der sein Vermögen hart erarbeitet hat. Du solltest endlich nach all den Jahren mal stolz auf mich sein und dich nicht immer schämen müssen“ Nachdem sie sich eine Weile wortlos angesehen hatten brach Rico in lautes Lachen aus. „Oh, Mann. Das ist so krank... Und ich hab gedacht du wärst kriminell geworden!“, sagte er und sein Vater sah irgendwie beleidigt aus. „Das denkst du also von mir... Kann ich verstehen“, antwortete der Mann und sah seinen Sohn traurig an. „Ich kenn´ dich eben zu lange. Ach, komm schon, Papa, nimm es nicht so schwer. Du hättest bestimmt das selbe von mir gedacht, wenn ich mich so aufgeführt hätte“, antwortete Rico immer noch lachend, stand auf und ging seine Freunde suchen, um ihnen die Geschichte zu erzählen. Als die Zeit ihrer Abreise gekommen war versammelten sich alle im Flur. Nur Rico hatte noch halbwegs gute Laune und benahm sich nicht so, als ob dies möglicherweise ihr letzter Abschied war. „Wir sehen uns auf der anderen Seite... irgendwann“, sagte er, als er schon halb aus der Tür war. Seine Familie sah aus, als ob sie das nicht glauben würden. Niemand außer Rico selbst glaubte das.

Road Trip: Leg 4 – Österreich 1

Oah, Maju~ ewig hat es gedauert, hier ist es. Mal wieder hab ich gelernt, dass umschreiben schwieriger ist als beschreiben und, dass Schnapsideen zu vielem führen können. Bevor jemand fragt, ich hab die Nationalitäten meiner Charas ausgewählt indem ich mit dem Finger auf den Globus getippt hab... Genug gelabert. Viel Spaß bei diesem (leicht perversen) Kapitel XD
 

Die drei Freunde setzten ihre Reise fort. Sie durchquerten Deutschland an einem Tag und kamen in der Nacht, nach einem Tag ohne Stau, an der Grenze zu Österreich an. Es war noch ein weiter Weg, bis sie ihr nächstes Ziel erreichen würden, nämlich den Ort, wo Alex und Chris aufgewachsen waren. Die Kleinstadt lag an der tschechischen Grenze, also mussten sie noch das ganze Land durchfahren. Das wollten sie aber erst am nächsten Tag in Angriff nehmen und suchten sich einen Schlafplatz für den Rest der Nacht. Wieder einmal mussten sie sich ein Doppelbett teilen, was ihnen aber nichts ausmachte. „Chris, wie schaffst du es eigentlich immer, die zu überreden, dass wir alle in einem Doppelzimmer schlafen dürfen?“, fragte Rico neugierig. „Ach, das ist ganz einfach. Man muss nur gut lügen können. Diesmal hab ich gesagt wir wären schon seit drei Tagen ohne Pause unterwegs, kämen ursprünglich aus Sibirien und könnten uns keine zwei Hotelzimmer leisten, weil unser ganzes Geld für die Reparatur vom Auto draufgegangen wäre. Dabei muss man dann noch einen todtraurigen Gesichtsausdruck und den richtigen Akzent aufsetzen und schon klappt das“, erklärte der Angesprochene gut gelaunt. „Was hast du beim letzten Mal gesagt?“, fragte sein Bruder, der gerade das Zimmer betrat. Chris grinste dämonisch. „Ich hab gesagt ihr zwei hättet schwere psychische Probleme, dürftet nicht allein in einem Zimmer schlafen und ich wäre euer Therapeut. Das haben die doch tatsächlich geglaubt“, sagte er zur allgemeinen Erheiterung. „An dir ist echt ein Schauspieler verloren gegangen“, meinte Rico lachend. Tatsächlich war Chris schon immer ein guter Lügner gewesen und schaffte es meistens, die Leute zu überzeugen. Deswegen war er ja auch zeitweise immer wieder in kriminelle Geschäfte verstrickt gewesen, die ihn schließlich seinen Job, seine Freiheit und fast sein Leben gekostet hatten. Möglicherweise war auch sein momentan stabiler Zustand nur eine Fassade, die jederzeit zusammenbrechen konnte und einen gebrochenen Mann zurückließ, überlegte sein großer Bruder. Er erinnerte sich daran, dass Chris als Teenager jahrelang ein Doppelleben geführt hatte, mit falscher Identität und einer ausgedachten Lebensgeschichte. „Hey, Alex. Was´n los? Du bist ja grad ganz woanders“, sagte der Chris der Jetztzeit und schenkte ihm ein kleines aber strahlendes Lächeln. „Es ist nur... ach, gar nichts“, antwortete der Angesprochene. Er wollte auf keinen Fall auf dieses Thema zu sprechen kommen. Die anderen Beiden sahen ihn mit demselben wissenden Blick an. „`Gar nichts´ bedeutet bei dir immer etwas, meistens sogar was Großes“, sagte Rico, der ihn einfach zu gut kannte. „Es geht um Romain“, antwortete Alex mit sichtlicher Überwindung. Im Gegensatz zu Chris war er im Lügen eine totale Niete. „Das sollte dir vielleicht mein Bruder erklären“, fuhr er fort, als sein Gegenüber ihn fragend ansah und daraufhin den Blick auf den Jüngsten richtete. Diesem war das wohl ziemlich unangenehm, denn er sah nervös in die andere Richtung. „Ach ja, Romain...“, seufzte er und blickte nach einer Weile unangenehmen Schweigens wieder auf. „Als ich vierzehn war habe ich mir ein `Alter Ego´ namens Romain zugelegt, ein französischer Schüler, der drei Jahre älter war als ich selbst. Ich hatte sogar einen falschen Pass... Romain war alles, was ich nicht war. Er war beliebt, aufgeschlossen und überhaupt nicht schüchtern, hatte eine intakte Familie, die ihn über alles liebte und einen Haufen Selbstbewusstsein. Er war meine andere Seite und lebte in einer Welt, in die ich flüchten konnte, wenn ich die Realität nicht mehr aushielt. Als Romain achtzehn wurde, ging es erst richtig los. Er ging in Nachtclubs, schleppte reihenweise Männer und Frauen ab und probierte alle möglichen Drogen. Er, ähm, ich hatte viel Spaß zu dieser Zeit“, erzählte Chris mit einem melancholischen Lächeln. „Er war damals echt gruselig. Man wusste nie, wem man grade gegenüber stand. Zuhause war er zwar meistens der kleine Chris, aber ab und zu, vor allem früh morgens nach irgendwelchen Partys, kam es vor, dass man plötzlich mit diesem sexsüchtigen Romain redete“, ergänzte Alex und versank kurz wieder in Erinnerungen. „Wo ist Romain jetzt?“, fragte Rico und war sich nicht sicher, ob das die richtige Frage war. „Er ist weg. Ich brauchte ihn immer, damit ich mich geliebt und lebendig fühlte. Wenn ich Romain war, dann war ich erwachsen und cool und sexy und konnte tun und lassen, was ich wollte. Aber eines Tages wurde er überflüssig, als ein Junge namens Johannes sagte, dass er mich, den kleinen schüchternen Chris, so liebte wie ich war. Romain und ich wurden wieder eine Person, was schließlich meine Lügenwelt einstürzen ließ wie ein Kartenhaus“ Der Ausdruck auf Chris´ hübschem Gesicht ließ erkennen, dass er nicht (oder nicht mehr) traurig über den Verlust seiner Parallelwelt war. „Oh Mann. Du hast in deinem Leben echt schon viel erlebt. Obwohl du noch so jung bist...“, sagte Rico halbwegs überwältigt von diesen Enthüllungen. Im Bezug auf Chris konnte ihn mittlerweile nichts mehr richtig schocken. „So jung bin ich auch nicht mehr. Und jetzt sag nicht `Im Gegensatz zu mir´, bitte“, antwortete der gut gelaunt. „Genau das wollte ich aber grade sagen. Ich bin viel älter als du, das ist dir hoffentlich klar“, meinte sein Freund todernst. „Komm schon, Rico. Sieben Jahre, das ist doch nicht viel. Außerdem macht das erstens in unserem Alter nichts mehr aus und zweitens... Warum kommst du dann erst jetzt damit, wenn dich das stört?“ Genau diese Antwort hatte der Älteste anscheinend erwartet, denn ein freches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Verarscht! Wenn du mir so eine Vorlage gibst, da muss ich doch was draus machen“, sagte er und sah dabei endlich wieder so jung aus, wie er eigentlich auch war; wenn nicht sogar noch jünger. Da war er wieder: Der Rico von früher, der es selten schaffte längere Zeit ernst zu bleiben und immer die Stimmung aufrecht erhielt. Genau der Mann, den sie alle so liebten. Aber er blieb nicht lange. Der dunkle Schatten, der ihn unterdrückte kehrte bald mit all seiner Macht zurück und Rico sah aus als wäre er innerhalb von Sekunden um Jahre gealtert. Er erhob sich und verschwand im Badezimmer. „Hast du das gesehen? Der echte Rico hat uns für ein paar Sekunden besucht“, sagte Alex positiv verwundert. Er hatte diese Seite an seinem Freund furchtbar vermisst und zu sehen, dass sie noch da war wirkte Wunder auf seine Stimmung. Plötzlich klingelte das Telefon. Chris hob ab und reichte den Hörer mit einem ziemlich verwirrten Gesichtsausdruck an seinen Bruder weiter, der eine Weile mit der Person auf der anderen Seite sprach. „Das war ein alter Bekannter von mir“, sagte er, nachdem er aufgelegt hatte, „Er hat uns gesehen, wie wir hier eingecheckt haben und will sich jetzt mit mir treffen. Könnte spät werden“ Er ergriff seine Jacke und verließ gut gelaunt das Zimmer. Als er im Flur stand erinnerte er sich an seine erste gruselige Begegnung mit Romain.
 

//Es war schon spät und Alex kam übermüdet von einer Geburtstagsparty. Er war die letzten zwei Stunden in der Gegend rumgefahren und hatte seine betrunkenen Freunde nach Hause gebracht, eine sehr undankbare Aufgabe. Im Wohnzimmer brannte Licht, was zu dieser Zeit ungewöhnlich war. Er betrat den Raum und machte vor Schreck wieder einen Schritt zurück. Im ersten Moment hatte er geglaubt, ein fremder Mann würde auf der Couch sitzen und Whiskey trinken, aber dann erkannte er seinen kleinen Bruder, bekleidet mit nichts weiter als einer engen schwarzen Hose und mit ziemlich viel Kajal um die Augen. Diese leuchtenden blauen Augen sahen ihn an, mit einem Ausdruck, der ihm irgendwie Angst machte und so gar nicht zu dem sensiblen Fünfzehnjährigen passte. „Chris, was machst du hier? Wie siehst du aus?“, fragte er verwundert. „Ich bin nicht Chris. Mein Name ist Romain und ich hab auf dich gewartet, voller Sehnsucht, damit du mich erlösen kannst“, antwortete der Junge mit einem leichten französischen Akzent, der ganz natürlich bei ihm klang (was auch am Whiskey liegen konnte), während er sich mit einer eleganten Handbewegung die pechschwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. Er sah seinen Bruder lüstern an und räkelte sich lasziv auf der Couch. Was hatte das zu bedeuten? Dass Chris seltsam war, war ja nichts Neues, aber das hier sprengte doch ein bisschen die Grenzen. Dieser Mensch war nicht sein süßer, ungeschickter kleiner Bruder, sondern ein verruchter böser Junge, der ihn offensichtlich verführen wollte. Zum ersten Mal fiel Alex auf, wie gut Chris eigentlich aussah. Er bewunderte diese schön definierten Muskeln, die endlos wirkenden schlanken Beine und die feinen Hände, die allein schon unglaublich viel Eleganz ausstrahlten. Und diese Schönheit versteckte der Kleine sonst immer unter seinen abgetragenen Klamotten, obwohl er doch so viel aus sich machen konnte. Chris, oder Romain, stand auf und kam auf Alex zu, der ihn immer noch anstarrte. Zärtlich streichelte er die Wange des Älteren und sah ihm von unten herauf tief in die Augen. „Na, gefalle ich dir?“, flüsterte er mit dieser verführerischen Stimme und lächelte anzüglich, als Alex errötend in die andere Richtung sah. Warum hatte dieser Junge so eine Wirkung auf ihn? Es war doch bloß Chris, der kleine Chris. Außerdem war er doch nicht schwul. Er erschauderte, als die blasse, schöne Hand leicht seinen Hals entlang strich und anfing, sein Hemd zu öffnen. Alex ergriff diese Hand und sagte leise aber bestimmt: „Lass das, bitte“ Der Kleinere sah ihn fragend an. „Das ist nicht richtig“, fuhr er fort und versuchte sich dem Blick zu entziehen, der ihn fesselte. „Natürlich ist das richtig. Lass dich mal wieder gehen, Alex“, antwortete Romain, streckte sich nach oben und platzierte einen sanften Kuss auf seinen Lippen. Schon wieder spürte Alex eine leichte erotische Anwandlung und als Chris fortfuhr, seinen Hals zu küssen wurde das Gefühl immer stärker. Als er dann auch noch anfing, ihn ab und zu zärtlich zu beißen konnte der Ältere einen erregten Seufzer nicht mehr zurückhalten. Er sah Chris´ Lächeln nicht, aber er konnte es auf seiner Haut spüren. Mit einem Mal richtete der Junge sich auf und küsste ihn verlangend auf den Mund, was Alex überraschenderweise sogar geschehen ließ. Chris beugte sich zu seinem Ohr und flüsterte zwischen seinen Küssen: „Alex, ... mach mich glücklich... schlaf mit mir... bitte“ Nachdem er einige Sekunden gebraucht hatte, um zu realisieren, was Romain da von ihm verlangte war es als ob sein Gehirn die Notbremse gezogen hätte. Das hier war sein minderjähriger, betrunkener kleiner Bruder! „Nein... Das geht nicht“, sagte er. Der Blick aus den geschminkten blauen Augen wurde fast bittend. „Wirklich... Chris, Romain, wie auch immer, du weißt doch gar nicht, was du da tust. Komm endlich wieder zu dir“, fuhr er mit eindringlicher Stimme fort. „Du weißt nicht ganz, was du hier tust. Zuerst darf ich dich anmachen und dann schickst du mich weg. Entscheid dich... Ich brauch Sex“, sagte der Angesprochene und dieser komische Ausdruck kehrte in seinen Blick zurück; als ob sein Leben davon abhinge. Er drückte seinen schmalen Körper gegen seinen Bruder und ließ seine Hand wieder über die entblößte Brust wandern. Als er die deutliche Beule in Chris´ Hose bemerkte bekam Alex es fast mit der Angst zu tun und schob den Jungen von sich. „Du bist vollkommen wahnsinnig geworden“, sagte er entschieden, drehte sich um und verließ auf schnellstem Weg den Raum...//
 

Chris dachte auch über seine Zeit als Romain nach. Er war definitiv damals sexsüchtig gewesen; irgendjemand musste es ihm jede Nacht besorgen, manchmal auch mehrmals. Auch heute hatte er ab und zu noch solche Phasen, wo es einfach sein musste, aber das war mit den Jahren immer seltener geworden. Was hatte ihn dazu gebracht, so zu werden? Seine ersten Erfahrungen mit Sex waren jedenfalls negativ gewesen, das stand fest. Als er dreizehn war hatte er einen etwas älteren und erfahrenen Freund, der ihm beibrachte, dass diese Aktivität eigentlich eine der schönsten auf der Welt war, wenn man wusste wie man es machen musste und wenn beide es auch wollten, und dass es dabei um Zuneigung ging und nicht um Strafe. Die Erinnerung an diesen Freund, seinen ersten, hatte ihn in den letzten Jahren oft davor bewahrt, komplett außer Kontrolle zu geraten. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Rico den Raum betrat und ankündigte, er würde duschen gehen. Als sein Freund wieder im Badezimmer verschwunden war hatte Chris auf einmal wieder eine von diesen Phasen. Aber diesmal würde er es aushalten. Er hatte etwas vor...
 

Rico saß auf dem Bett und spielte Gitarre (die hatte er in weiser Voraussicht mitgenommen). Er hörte das laute Rauschen der Dusche, unter der Chris stand. Nachdem das Geräusch aufgehört hatte dauerte es erstaunlich lange, bis die Badezimmertür sich öffnete. „Hey, Rico... Lust auf eine andere Beschäftigung?“, sagte Chris mit leicht heiserer Stimme und der Angesprochene sah interessiert auf. Und was er da sah ließ ihn fast vom Bett fallen. Chris lehnte lässig im Türrahmen. Seine schwarzen Haare fielen in sein Gesicht, die Augen waren mit Kajalstift umrandet und er trug eine perfekt sitzende schwarze Hose, ein offenes weißes Hemd und einen Nietengürtel, der lose um seine schmalen Hüften hing. „Chris? Bist du das wirklich?“, fragte Rico atemlos, während er fasziniert auf ihn zuging und diese dämonisch-schöne Erscheinung bewunderte. „Für dich bin ich, wer auch immer du willst“, sagte der Kleinere und schenkte ihm ein hintergründiges Lächeln. „Dann will ich, dass du ein Kerl bist, der heute Nacht nicht schläft und nicht müde wird“, antwortete Rico grinsend und betrachtete den jungenhaften Körper, der aus unerklärlichen Gründen wieder klare Umrisse von Muskeln aufwies und so schön war wie nie zuvor. Er hatte ihn wirklich noch nie so gesehen; er war immer der unscheinbare kleine Chris gewesen, den er so unsäglich liebte, und auch der machte ihn schon ziemlich an, mit seinem süßen Gesicht und seinen Beinen, die bis in den Himmel gingen. Der junge Mann, der jetzt vor ihm stand war so anders, so selbstsicher und so unglaublich sexy, dass Rico sich zurückhalten musste, nicht gleich mit aller Macht über ihn herzufallen. Chris holte ihn aus seinem Trancezustand, indem er ihn in einen langen, verspielten Zungenkuss verwickelte. Der Jüngere übernahm die Führung und fing an ihn auszuziehen, was Rico grade recht war, denn er hatte die Kontrolle über seinen Körper und seinen Geist verloren, während er so leidenschaftlich geküsst wurde. Chris brachte ihn dazu, sich auf das Bett zu legen und kniete sich über ihn. Er nahm den Gürtel ab und fesselte seinen Freund damit an das Kopfende des Bettes. „Was machst du da?“, fragte der Gefangene, der Angst hatte, Chris würde abhauen, nachdem er ihn so fachmännisch festgebunden hatte. Der Obere grinste anzüglich. „Das wollte ich schon mit dir machen, seit ich dich kenne. Vertrau mir“, flüsterte er und verteilte zärtliche Küsse auf Rico´s nacktem Oberkörper, wobei er immer tiefer rutschte und schließlich den Hosenbund erreichte. Chris küsste sich seinen Weg wieder nach oben und konnte sich nur mühsam zurückhalten, als Rico sich fast schon schmerzerfüllt unter seinen Liebkosungen wand. „Rico, mein Schatz, lass mich deine Stimme hören“, hauchte er und widmete seine Aufmerksamkeit der Tätowierung, die teilweise seinen Hals zierte. Rico brachte kein vernünftiges Wort mehr heraus, als die heiße Zunge ihn verwöhnte. Er schaffte es nur mit brüchiger Stimme ab und zu seine Zustimmung zu äußern und das war es dann. Damit gab sich der Jüngere wohl zufrieden, denn er begab sich wieder nach unten und machte sich schließlich an der Hose seines Freundes zu schaffen, die er auch schon bald beseitigt hatte. Beim Anblick dieses scharfen gefesselten Mannes, der ihn mit verschleiertem Blick ansah spürte Chris ein Verlangen wie noch nie, der letzte Rest Selbstbeherrschung ging in den Untiefen seiner Lust verloren und die Beiden erlebten eine Nacht, die sie bestimmt nie wieder vergessen würden.
 

Am nächsten Morgen erwachte Chris nach sehr wenig Schlaf und litt an einem quälenden Muskelkater. Nachdem er sich gestreckt und aufgerichtet hatte, um sich eine Kippe anzuzünden erblickte er seinen Bruder, der in verdrehter Haltung auf dem Sessel pennte und dabei verdammt lustig aussah. Wann war der eigentlich heimgekommen? Er erinnerte sich nicht. Aber an alles andere konnte er sich lebhaft erinnern. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf dem hübschen Gesicht aus als er daran dachte, was sie in der Nacht so angestellt hatten. Plötzlich regte sich Rico hinter ihm und warme Fingerspitzen berührten seinen Rücken. „War ich das etwa? Wenn dann tut es mir leid“, sagte er und folgte einigen bösen Kratzern, die tatsächlich von seinen Fingernägeln stammten. Entschuldigend küsste er Chris´ Schulter und setzte sich neben ihn. „Das muss dir definitiv nicht leid tun. In dem Moment wo du das gemacht hast, hat es so gepasst. Und deine Kratzer sehen auch schlimm aus. Hoffentlich werden das keine Narben“, entgegnete der Jüngere und untersuchte Rico´s Handgelenke, wo man noch zu deutlich die breiten Fesselspuren vom frühen Abend sehen konnte. „Wenn es welche werden, dann weiß jeder daheim direkt, was wir gemacht haben, wenn wir zurückkommen... Du hast da ja Knutschflecken. Da erinner´ ich mich gar nicht mehr dran...“ Chris musste grinsen; er erinnerte sich. Es war kein Wunder, dass Rico vieles nicht mehr wusste, er hatte sich nämlich so vollkommen gehen gelassen, dass selbst Chris zeitweise Sternchen sah und einmal sogar fürchtete, ohnmächtig zu werden, so wie sein Freund mit ihm umging, nachdem er ihn von den Fesseln befreit hatte. Müde legte Rico den Kopf auf seine Schulter. „Wir sollten das auf jeden Fall bald mal wiederholen. Lass uns aber zuerst noch `ne Stunde schlafen“, sagte er und ließ sich wieder auf das Bett sinken, wo er fast im selben Augenblick wieder ins Traumland verschwand. Chris betrachtete ihn aufmerksam. Er hoffte, dass seine äußerst ungesunde Farbe nur vom Schlafmangel war und er sich in der letzten Nacht nicht so verausgabt hatte, dass seine Krankheit dadurch schlimmer wurde. Dass sie irgendwann schlimmer wurde, war ja logisch, aber Chris würde es sich nie verzeihen, wenn er daran schuld wäre. Um auf andere Gedanken zu kommen stand der Jüngere schließlich auf und verschwand im Badezimmer. Als er wieder rauskam, halbwegs geheilt von seinem Muskelkater, wachte sein Bruder grade auf, wobei er fast vom Sessel fiel. Er grinste wissend in Chris´ Richtung. „Okay, wie viel hast du mitgekriegt?“, fragte dieser und schämte sich fast ein bisschen. „Na ja, als ich zum ersten Mal hier reinkam wart ihr grade voll bei der Sache, da bin ich direkt wieder gegangen. Beim zweiten Mal hab ich draußen nichts gehört, also kam ich rein und ihr wart schon wieder fast bei der Sache. Ich konnte mal wieder meine Gedanken nicht für mich behalten und hab gefragt, ob ich mitmachen darf“, erzählte er und konnte sich kurzfristig vor Lachen nicht mehr halten. „Das hast du doch nicht ernst gemeint, oder?“, fragte sein kleiner Bruder und hatte einen Moment lang ein sehr aufregendes Bild in seinem Kopf. „Doch, klar. Und Rico hat mich angeguckt und todernst gesagt: `Ein anderes Mal. Heute nur zu zweit´ War er eigentlich betrunken, oder so?“, fuhr der Ältere fort. Als Chris entschieden den Kopf schüttelte antwortete er: „Dann ist ja gut. Ich hab das nämlich wirklich ernst gemeint, damit du´s weißt“ Der Blick, den der Kleine ihm jetzt zuwarf, schwankte zwischen Erregung, Entsetzen und tiefster Verwunderung. Dass Alex auch nur an so etwas denken konnte, hätte er niemals erwartet. Der Kerl war doch um Einiges versauter als er immer geglaubt hatte, das war ihm in letzter Zeit klar geworden. Allein schon die Tatsache, dass er mit seinem eigenen Bruder schlief, egal ob aus Liebe oder nicht, war eigentlich schon pervers genug (obwohl das Chris nicht störte). Und der sehr direkte Vorschlag, den er jetzt gemacht hatte, brachte seine Körpertemperatur in fast fiebrige Höhen. „Ich weiß, was du grade denkst“, sagte Alex mit einem anzüglichen Lächeln und verschwand im Badezimmer. Er ließ einen verwirrten Chris zurück, der sich erstmal setzen musste, um die Bilder wieder aus seinem Kopf zu kriegen. Tatsächlich hatte er selbst auch schon darüber nachgedacht, schon länger und seit sie auf dieser Reise waren immer öfter. Einige Minuten später erwachte Rico wieder. Er fand seinen Freund auf der Couch sitzend, wie er mit einem zweideutigen Lächeln vor sich hinstarrte. Dasselbe Lächeln fand er auch auf Alex´ Gesicht wieder, als dieser kurze Zeit später aus dem Bad kam. Er beschloss, besser nicht nachzufragen und verschwand seinerseits unter der Dusche. „Warum hast du mir das eben erzählt? Das macht mich jetzt den ganzen Tag vollkommen wahnsinnig“, sagte Chris und begab sich zum Fenster, wo er gedankenverloren raussah. Zwei große Hände legten sich auf seine Schultern und schoben den lockeren Bademantel von ebendiesen. Er spürte, wie die weichen Lippen ihm einen kleinen Kuss auf den Nacken hauchten. „Du machst mich vollkommen wahnsinnig“, flüsterte Alex und legte die Arme um den schlanken Körper vor sich, „Chris, ich bin so scharf auf dich“ Der Jüngere verlor fast den Verstand, als er das hörte. Das hatte er definitiv noch nie zu ihm gesagt und als wollte er seine Worte unterstreichen öffnete er den Gürtel des Mantels, der sofort geräuschlos zu Boden fiel. Aufreizend langsam wanderten die starken Hände südwärts, während ihr Besitzer weiter Küsse auf Chris´ Schultern und seinem Hals verteilte. Der Junge streckte sich den Berührungen seines Bruders entgegen, unfähig seine eigene Erregung zu verbergen und seine Gedanken zu ordnen (warum denn auch?). Als die warmen Hände endlich ihr Ziel erreicht hatten, entfuhr Chris ein Stöhnen und er konnte sich nur mühsam auf seinen zitternden Beinen halten. Der Größere drückte sich an ihn, sodass ihm dessen eigene Erregung erst richtig bewusst wurde. Er ließ Chris kurz wieder los und drehte ihn zu sich um, damit er seine Lippen mit einem verlangenden Kuss versiegeln konnte. Mit einigen geübten Handgriffen hatte Chris ihn entkleidet und beförderte ihn auf die Couch, wo er damit fortfuhr ihn zu küssen und noch andere Dinge mit ihm zu tun. Sie waren sehr miteinander beschäftigt, als plötzlich das Telefon klingelte, was sie erst nach einigen Minuten realisierten, weil es nicht mehr aufhören wollte und weil sie erstmal wieder zu sich kommen mussten. Chris erhob sich widerwillig vom Schoß seines Bruders und warf sich aufs Bett, um das störende Geräusch zu beenden. Er musste sich schwer konzentrieren wieder zu Atem zu kommen, als er mit der Person auf der anderen Seite sprach. Seine Tätigkeit wurde erschwert, als Alex auch auf das Bett stieg und seinen Rücken entlang küsste. Chris bedauerte, dass er ihn aufhalten musste, aber das Gespräch schien doch wichtig zu sein. Der Anrufer war nämlich Rico´s Vater, der seinem Sohn unbedingt etwas sagen wollte. „Er... er ist grad nicht da“, antwortete Chris, der sich wieder halbwegs gesammelt hatte. „Sind Sie sicher? Ist er nicht grade anderweitig beschäftigt?“, fragte sein Gesprächspartner zynisch und man konnte hören, dass er ein Problem damit hätte, wenn es so wäre. Chris versicherte ihm, dass das nicht der Fall war und auch, dass er seine Nachricht ausrichten würde. „Ich glaube, er mag mich nicht“, sagte der Junge, nachdem er aufgelegt hatte. „Na ja, wenn du ihm einfach so sagst, dass du grad nicht mit seinem Sohn, sondern mit mir Sex hattest, ist das schon verständlich“, antwortete Alex belustigt über die Kaltblütigkeit seines Bruders, wenn es um dieses Thema ging. „Er mochte mich auch vorher schon nicht. Der hat ein Problem mit dieser ganzen Sache, obwohl Rico immer sagt, es wäre nicht so“ Besagter Freund kam aus dem Badezimmer und sah sie abwechselnd grinsend an. „Sag nichts. Er hat mich verführt“, meinte Chris verteidigend und zeigte auf den Mann neben sich. „Schon klar... Was wolltest du ihm eigentlich sagen?“, sagte Alex, bevor Rico etwas entgegnen konnte. „Ah ja, dein Vater hat angerufen. Du sollst dich melden, es hat irgendwelche Todesfälle gegeben und er vermisst etwas, was auch immer er damit meint“ Rico´s Gesicht verfinsterte sich etwas, aber er schien bescheid zu wissen. „Gut, ähm, ich... ruf ihn an“, sagte er, schnappte sich sein Handy und verschwand wieder im Bad. „Todesfälle?!“, fragte Alex, aber sein Bruder konnte als Antwort nur die Schultern zucken.

Road Trip: Leg 5 – Österreich 2

Okay, endlich hab ich´s geschafft. Dieses Kapitel sollte ganz anders werden (vor allem nicht so lang)hat sich dann aber meiner Kontrolle entzogen. Trotzdem bedeutet es mir sehr viel... Selbsttherapie. In der Endszene hab ich mich etwas in Rage geschrieben *hust, hust* Und ich bin endlich wieder sadistisch. Ach, ich quäle Chris so gerne...

(ärztlicher) Warnhinweis: Allzu sensible Seelen sollten den Teil ab dem Unfall vielleicht nicht lesen. Blut, Tod, usw.
 

Nach diesem geheimnisvollen Telefongespräch schien Rico irgendwas zu quälen. „Was ist denn los?“, fragte Chris, dem das ganze auch zu schaffen machte. „Es ist nichts. Mein Vater wollte mir nur erzählen, dass bei uns ein Serienmörder durch die Gegend läuft, der lauter Leute umbringt, die wir kannten“, antwortete der Angesprochene. „Und das Andere? Er vermisst etwas; hat er etwa gedacht, wir hätten ihm was geklaut?“, hakte der Jüngere nach. „Nein, hat er nicht. Er ist nur so furchtbar schusselig und er hat sein Protokollbuch verlegt, wo der ganze geschäftliche Kram drinsteht und da dachte er, ich hätte es vielleicht gesehen“, erklärte Rico in betont lässigem Ton. Kurz danach sagte er, er müsste noch was erledigen und verschwand. „Ich glaub´, das war die fetteste Lüge, die er mir jemals erzählt hat“, sagte Chris zu seinem Bruder. „Es war auf jeden Fall nicht die Wahrheit“, entgegnete dieser. Um sich abzulenken packten sie schonmal ihre Sachen zusammen und warteten schließlich auf Rico´s Rückkehr, was nicht lange dauerte. Sie verließen das Hotel und machten sich auf den Weg, das Land zu durchqueren. „Warum sind wir eigentlich hier?“, fragte Chris plötzlich, während er der vertrauten Landschaft vor dem Fenster zusah, wie sie an ihnen vorbeizog. „Weißt du, wir dachten uns, wenn ich mich mit meiner Vergangenheit auseinander setze, solltet ihr das vielleicht auch tun. Deswegen sind wir hier“, sagte Rico, als ob es selbstverständlich wäre. Mit einem Schaudern sah der Jüngste wieder zum Fenster raus. Er versuchte nicht drüber nachzudenken, über die Vergangenheit und auch nicht über die Zukunft. Er versuchte sich auf das Problem in der Gegenwart zu konzentrieren und sich zu überlegen, was Rico verheimlichte. Vielleicht hatte es etwas mit dieser Geistergeschichte zu tun, vielleicht aber auch mit seiner Vergangenheit. Was es auch war, Rico schien sich keine Gedanken darüber zu machen, oder er versteckte es gut. Gut gelaunt wie selten spielte er am Radio rum und als er keinen ordentlichen Sender fand suchte er die CDs aus dem überfüllten Handschuhfach. Sie fuhren den ganzen Tag durch die Gegend und je nach Musik wechselte auch ihre Stimmung. Doch plötzlich fiel ebenjene auf den Nullpunkt. Das Auto fing an, komische Geräusche von sich zu geben und ruckelte furchterregend. Sie schafften es noch bis an einen Waldweg bevor der Motor abstarb. „War ja klar, dass das irgendwann passiert“, meinte Alex nur, schaltete den Warnblinker an und stieg aus, um den Schaden zu begutachten. Nachdem sie es geschafft hatten, das Warndreieck aus dem Kofferraum zu kramen und aufzustellen standen sie alle Drei vor der geöffneten Motorhaube und taten so, als hätten sie irgendeine Ahnung, was denn nun kaputt sein könnte. Rico hatte wohl am meisten Ahnung von Autos, aber auch er konnte keinen offensichtlichen Fehler finden. So entschlossen sie sich schweren Herzens, den Abschleppdienst anzurufen. Sie vertrieben sich die Wartezeit mit ziemlich lächerlichen Kinderspielen und blöden Witzen. Als der Abschleppwagen ankam dämmerte es schon fast und sie stiegen todmüde in den LKW, der sie in die nächste Stadt brachte. Der LKW-Fahrer konnte sich sein Lachen kaum verkneifen, als er die drei Männer weckte, die neben ihm auf der Sitzbank friedlich eingeschlafen waren, und sie vor dem einzigen Hotel der Stadt absetzte. Da standen sie nun vor der Rezeption und bekamen drei Einzelzimmer an komplett verschiedenen Enden des Gebäudes zugewiesen, weil einfach keine anderen mehr da waren. Oder vielleicht auch, weil die alte Hotelbesitzerin ihre Beziehung zueinander durchschaut hatte und so etwas in ihrem Haus nicht wollte. Sie gingen in ihre Zimmer; ihre Müdigkeit hatte gegen ihren Unmut gewonnen.
 

Alex wollte gerade das Zimmer verlassen und seinen Bruder suchen, da klopfte es und ebendieser stand vor der Tür. Er wirkte betrübt und nervös, so wie früher immer, wenn er etwas angestellt hatte. „Ich muss unbedingt mit dir reden... Ist dir klar, was für eine Stelle das heute war, wo das Auto kaputtging?“, murmelte er und ging unruhig auf und ab. „Ja, das ist mir klar. Setz dich, du machst mich ganz schwindelig mit deinem Gerenne“, antwortete Alex ganz ruhig und verfrachtete ihn auf das Bett. Er wusste genau, was jetzt kam. Vor ungefähr sieben Jahren hatte Chris in der Nähe dieser Stelle auf Drogen einen tödlichen Autounfall verursacht. Alex´ damalige Freundin Jessica war dabei ums Leben gekommen. Wie sein Bruder es geschafft hatte aus der ganzen Sache an einem Stück und ohne Gefängnisstrafe rauszukommen, wusste er bis heute nicht. „Willst du mir endlich erzählen, was damals wirklich passiert ist?“, fragte er und kannte die Antwort schon. „Ja. Vielleicht kannst du mir dann endlich verzeihen“, sagte der Jüngere und sah ihm in die Augen. „Das hab ich schon längst. Aber ich will es trotzdem wissen...“, meinte sein Bruder und lehnte sich erwartungsvoll gegen die Wand. „Also gut“, begann Chris, „Wir sind zu diesem Konzert gefahren, es war abgemacht, dass ich fahren soll, weil Jessi wegen ihrer Krankheit ja nicht fahren konnte. Allerdings konnte ich mich noch nie gut zurückhalten und war bald schon total besoffen und nach der Backstage-Party auch absolut stoned. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, nur noch, dass sie von irgendeinem Typen angemacht wurde, der kurz vorher noch mit mir geknutscht hatte, und dann wollte sie auf einmal heim. Als sie gemerkt hat, in welchem Zustand ich bin, hat sie gesagt, dass sie fahren will. Sie hat mir geschworen, sie hätte nichts getrunken und auch an ihre Tabletten gedacht. Also hab ich ja gesagt, was blieb mir schließlich anderes übrig...“ An diesem Punkt unterbrach Alex ihn. „Warte mal, sie ist gefahren? Du hast ihr den Schlüssel freiwillig gegeben, obwohl du wusstest, dass sie Gleichgewichtsstörungen hatte und nichtmal immer grade gehen konnte? Warum habt ihr denn nicht einfach im Auto gepennt?“, fragte er überrascht. Bis zu diesem Zeitpunkt war er immer davon ausgegangen, Chris wäre in jener Nacht unter Drogeneinfluss gefahren. „Ich weiß es nicht. Sie war so entschlossen, nach Hause zu fahren, sie hatte den Schlüssel schon in der Hand, bevor ich es überhaupt gemerkt hatte. Ich hab ihr noch gesagt, sie soll bloß langsam fahren und wenn ihr schlecht wird soll sie sofort anhalten. Sie war immer so vernünftig und ich hab ihr fast so stark vertraut wie dir...“,fuhr Chris fort. Jetzt kam der schlimmste Teil der Geschichte. „Wir fuhren also ziemlich langsam dahin, wenn meine Erinnerungen stimmen. Und es war auf dieser Straße da, als sie plötzlich Vollgas gab. Trotz meinem Zustand merkte ich es und versuchte sie zum Bremsen zu überreden, was allerdings nicht klappte. Wie durch ein Wunder schafften wir es um die Kurven. Auf grader Strecke gab sie noch mehr Gas und plötzlich drehte sie sich zu mir um und sagte: `Es tut mir leid, Chris´ Dann riss sie das Lenkrad nach rechts, wir durchschlugen einige kleine Bäume, flogen über einen Hügel und knallten schließlich gegen einen Baum. Sie war wohl sofort tot... überall war Blut und Glassplitter. Und in diesem Moment wurde mir schlagartig klar, was passiert war. Sie hatte sich umgebracht und versucht mich gleich auch zu töten. Meine nächster Gedanke warst du und Jessi´s Eltern. Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr wüsstet, dass sie Selbstmord begangen hatte? Was hätte sie für einen Ruf, wenn es rauskäme? Also beschloss ich, es wie einen tragischen Unfall aussehen zu lassen. Ich zerrte sie auf den Beifahrersitz, wischte das Blut weg und schlug so lange meinen Kopf auf das Lenkrad, bis mein Blut überall verteilt war. Dann warf ich ein paar Pillen ein und lief zurück zur Straße, wobei ich über einen Baum stolperte und mir das Bein brach. Ich hielt an der Straße ein Taxi an, leider geriet ich an einen übelst notgeilen Taxifahrer, dem ich zuerst einige Gefallen tun musste, bis er mal die Polizei rief. Als die ankamen erzählte ich ihnen zuerst, dass ich die Drogen erst nach dem Unfall genommen hätte, wegen dem Schock und, um die Schmerzen zu betäuben. Später erfuhren sie die Wahrheit und ich kam ohne Strafe davon. So bin ich zwar schuld an Jessica´s Tod, aber ich habe sie nicht umgebracht. Und ich hoffe, dass du mich verstehst“ Das hoffte er wirklich. Er hatte all die Jahre geschwiegen, weil er diese Lüge nicht zerstören wollte, die er zum Schutz seines Bruders, Jessica´s Angehörigen und auch Jessi selbst aufgebaut hatte. Dieser Vorfall heute war eine Art Zeichen gewesen, doch endlich die Wahrheit zu sagen. Alex starrte ihn sprachlos an. Es war offensichtlich, dass in diesem Moment seine Gefühle Achterbahn fuhren, denn sein Gesichtsausdruck veränderte sich ständig. „Das hast du alles wirklich gemacht? Obwohl du wusstest, dass alle dich dafür verantwortlich machen würden? Du bist so ein dummer Junge... und so ein guter Mensch“, sagte er mit tränenerstickter Stimme und zog seinen kleinen Bruder in eine Umarmung, die voller Verzweiflung, Erleichterung und Liebe war. „Warum hast du denn nie was gesagt? Ich hätte Jessi´s Selbstmord leichter ertragen als die Tatsache, dass mein geliebter Bruder schuld an ihrem Tod war“, murmelte er nach einer Weile. „Nein, das konnte ich nicht zulassen. Ich war sowieso für meine Unzuverlässigkeit überall bekannt und ging damals davon aus, ihr würdet mich eh alle hassen. Und Jessi war so ein anständiges Mädchen... ich hatte sie so gern und ich wollte nicht, dass sie der Welt als Selbstmörderin in Erinnerung blieb. Ich wollte doch nur helfen...“, sagte Chris und wäre fast in Tränen ausgebrochen. „Das weiß ich. Du willst immer nur helfen, aber meistens geht es furchtbar schief. Oh, Chris, du schaffst es auch immer wieder es dir schwer zu machen, nur weil du es anderen leicht machen willst. Wahrscheinlich bist du deshalb so ein Engel... ein gefallener Engel“, antwortete sein Bruder und küsste ihn. Sie saßen noch eine Weile so da. Die Tränen der Erleichterung liefen immer noch über Alex´ Gesicht, als Chris sich erhob und ihm mitteilte, er müsste gehen und noch was erledigen. Der Jüngere verließ den Raum und lehnte sich seufzend gegen die Flurwand. Er war froh, dass sein Bruder es so gut aufgenommen hatte und, dass er ihm das Schlimmste verschwiegen hatte. Immer noch von Schuldgefühlen geplagt ging er in sein Zimmer und betrank sich ein kleines bisschen, um überhaupt schlafen zu können. In dieser Nacht träumte er von dem Unfall und davon, was danach passiert war.
 

//Warum fuhren sie plötzlich so schnell? Hatte Jessica das Gas mit der Bremse verwechselt, oder was? „Jessi, ... nicht so schnell... mach langsamer, bitte“, murmelte Chris unter großer Kraftanstrengung. „Wir kommen niemals zu Hause an, wenn wir weiter so schleichen. Lass mich nur machen“, meinte sie entspannt. Ihr Gesicht sprach eine andere Sprache. Wie verbissen starrte sie auf die Straße und ein Sturm der Gefühle schien in ihr zu toben. „Aber... das ist gefährlich... du bist doch gar nicht ans Fahren gewöhnt... bitte, nur ein bisschen langsamer“, murmelte er wieder. Sie flogen mit Vollgas durch einige Kurven. Nur die Schwerkraft und ein Wunder hielten sie auf dem Asphalt. Chris versuchte eine andere Taktik. „Jessi~... mir ist schlecht! Bitte, halt an“, jammerte er und klammerte sich demonstrativ am Armaturenbrett fest. „Keine Sorge, gleich ist es vorbei“, sagte sie in rätselhaftem Ton. Sie durchfuhren die letzte Kurve und Chris dachte immer noch angestrengt drüber nach, was sie grade gesagt hatte. Währenddessen trat Jessica das Gaspedal bis auf den Boden durch. Die Landschaft flog an ihnen vorbei. Sie drehte sich um und in ihrem Gesicht zeigte sich unglaubliche Traurigkeit. „Es tut mir leid, Chris“, sagte sie mit einem melancholischen Lächeln. Er wollte grade fragen, was ihr leid täte, da schloss sie die Augen, riss mit aller Macht das Lenkrad herum und schlug die Hände vors Gesicht. Bevor sein vernebeltes Gehirn verarbeitet hatte, was gerade geschah trafen sie auch schon den ersten dünnen Baum, der keine Chance gegen das Auto hatte und, genauso wie einige weitere seiner Art, unter dem Aufprall nachgab. Unfähig gegen die Schwerkraft zu kämpfen rutschte Chris in den Fußraum und versuchte sich irgendwo festzuhalten. Er spürte, wie das Auto abhob und kletterte geistesgegenwärtig wieder auf den Sitz. Da sah er den Baum kommen und fand sich im nächsten Moment, nach einem höllischen Schlag, nur einen halben Meter von dessen Stamm wieder. Was war das denn gewesen? Was sollte der ganze Scheiß? Voller Todesangst sah er nach links. Da lag Jessica mit dem Kopf auf dem Lenkrad. Ihre blonden Haare verdeckten ihr Gesicht, überall war Blut; ihr Blut. „Jessi?... Jessi, hörst du mich?... Bitte, sei nicht tot!“, rief er panisch und rutschte zu ihr rüber. Sie atmete noch, aber ihr Puls war schwach. Ängstlich strich er die Haarsträhnen aus ihrem Gesicht und entdeckte das traurige Lächeln wieder. „Chris...“, flüsterte sie und ergriff mit letzter Kraft seine Hand. „Pst, nicht sprechen. Ich rufe einen Notarzt. Alles wird gut... Bitte, du darfst nicht sterben“, sagte er und plötzlich war sein Kopf wieder klar. Er musste Hilfe holen; es war noch nicht zu spät! Er versuchte ihre Hand wegzuschieben, schaffte es aber nicht. „Chris, hör mir zu...“, sagte sie mit ihrer letzten Lebenskraft, „Ich... ich wollte immer... nur dich. Weißt... weißt du noch als wir so betrunken waren... wir hatten Sex... Chris, ich... glaub ich bin... schwanger von dir... aber... wir können nicht... zusammen sein, während wir leben... du... du bist schwul, das wusste ich gar nicht... du würdest mich nie wollen... aber ich liebe dich doch...“ Was hatte sie grade gesagt? Nein. Nein! Das konnte doch alles gar nicht... Sie zog ihn verzweifelt an sich. Mit einem letzten Anflug von Kraft hob sie ihren verletzten Kopf und drückte Chris einen Kuss auf die Lippen; einen Kuss, der nach Blut schmeckte und ihre ganze Verzweiflung ausdrückte. „Ich liebe dich... bis bald“, flüsterte sie wieder und schloss die Augen. „Nein, Jessica! Bleib hier! Ich werde dich immer lieben, ich versprech´s! Du darfst nur jetzt nicht sterben... Ich schwör´ dir, ich tu alles für dich, nur bleib am leben... Jessi...“ Ein Lächeln legte sich wieder auf ihr Gesicht und ihre Hand fiel kraftlos herunter. Sie war gegangen...//
 

Chris erwachte von seinem eigenen Schluchzen und von dem unerträglichen Schmerz in seinem Herzen. Er wünschte, er wäre damals auch gestorben. Am besten, bevor sie ihm das alles gestanden hatte. Er hatte es schon vorher geahnt, aber es immer als Einbildung abgetan. Aber sie hatte in diesem Moment die Wahrheit gesagt. Nur schwanger war sie nicht gewesen, zum Glück. Trotzdem war es schlimm genug. Sie hatten wirklich zwei Monate vor dem Unfall miteinander geschlafen; sie hatte ihn verführt. Das hatte er auch immer für Einbildung gehalten, bis sie es sagte. Sie hatte ihn tatsächlich geliebt. Wenn er das doch bloß vorher gewusst hätte, dann hätte er ihren Tod verhindern können. Er hatte sie ja auch geliebt, aber eben nur als Freundin und nicht als Frau. Aber wenn er dadurch ihr Leben hätte retten können, wäre er mit ihr zusammengekommen, hätte so getan als wäre sie seine große Liebe, ja sie sogar geheiratet, wenn es ihr Wunsch gewesen wäre. Er hätte sie retten können, aber wie so oft in seinem verfluchten Leben, hatte er es nicht geschafft. Genauso wie Anfang des Jahres, als er versucht hatte, Kelly June zu retten. Genauso wie damals vor acht Jahren, als er versucht hatte, Johannes vor dem Drogentod zu retten. Und wie oft hatte er versucht, seinem Bruder zu helfen und hatte ihn dadurch nur wieder in Schwierigkeiten gebracht. Er glaubte, nein er wusste mittlerweile, dass er allein an diesem ganzen Unglück schuld war. Die Menschen in seiner Umgebung hatten immer nur Pech. Warum war Rico wohl krank? Warum war Alex dauernd traurig? Warum war Kelly wieder in einer ihrer Phasen, sobald er da war? Warum waren seine Eltern gestorben? Warum war Jessica aus Liebe zu ihm in den Tod gegangen? Es war seine Schuld. Er legte sich wie ein Fluch über seine Mitmenschen und zerstörte sie, einen nach dem anderen. Wenn er doch nie geboren wäre, wie viel Unglück hätte der Welt erspart bleiben können! Er wünschte, jemand würde ihn in diesem Moment schlagen und ihm sagen, was für ein furchtbarer Mensch er doch war, und dass er der Welt einen Gefallen täte, wenn er starb. Aber niemand kam und schlug ihn oder schrie ihn an. Er sah die Gesichter der Menschen vor sich, die er liebte. Wie glücklich sie alle waren ohne ihn. Er gehörte in dieses einsame, dunkle Hotelzimmer, fernab von der Welt und von Seelen, die er verletzen konnte. Was sein Vater und die ganzen anderen Kerle mit ihm gemacht hatten war die gerechte Strafe für sein Dasein. Aber hier war keiner, der ihn bestrafen konnte. Dann musste er das eben selbst in die Hand nehmen. Immer noch von Schluchzern geschüttelt stand er entschlossen auf. Verzweifelt und ziemlich orientierungslos durchkämmte er seine Taschen auf der Suche nach irgendetwas, womit er diese Strafe durchziehen konnte. Schließlich kramte er ganz tief in seinem Geldbeutel, bis er einen stechenden Schmerz im Zeigefinger spürte. Tatsächlich steckte die silberne Rasierklinge, die er gesucht hatte, in seinem Finger und als er sie rauszog tropfte das Blut schon. Erleichtert ließ er sich auf dem Boden nieder. Moment, verdammt, das war Teppichboden. Das konnte ganz hässliche Flecken geben. Ungeduldig sprang er wieder auf und lief ins Bad, wo er sich schwungvoll auf die kalten Fliesen setzte und erstmal den Finger in den Mund steckte, weil der mittlerweile übelst tropfte. Der Geschmack seines eigenen Blutes legte sich über die Fähigkeit zu denken und seine Bewegungen zu kontrollieren. Er verfiel für einige Minuten einem mörderischen Blutrausch und als er wieder zu sich kam, merkte er erst, wie schlimm es wohl gewesen sein musste. Neben dem angenehmen, erlösenden Schmerz in seinem linken Arm spürte er ein Schwindelgefühl, das er leider zu gut kannte. Nach einem weiteren Moment traute er sich endlich, die Schnitte anzusehen. Aber vor lauter Blut konnte er nichts erkennen. Ihm wurde schwarz vor Augen. Nein, er wollte noch nicht sterben. Er wollte diese Welt doch zusammen mit Rico verlassen und nicht vor ihm! Er wollte ihn doch nicht zurücklassen! Das durfte doch nicht wahr sein. Nicht einmal anständig ritzen konnte er sich!
 

Rico machte sich so langsam echt Sorgen. Er wusste zwar, dass Chris ein Langschläfer war, aber das hier konnte nun wirklich nicht normal sein. Zusammen mit dem todmüden Alex, der ihm alles erzählt hatte, machte er sich auf den Weg, seinen Freund zu wecken. Zu ihrer Überraschung fanden sie die Tür offen. Das Zimmer sah chaotisch aus, selbst für Chris´ Verhältnisse (und das sagte viel). Sie erreichten die Tür zum Bad, die nur angelehnt war und standen einen Moment lang unentschlossen davor, bis Rico endlich reinging. Er schrie erschrocken auf, als er den schlafenden Chris inmitten einer roten Blutlache auf dem Boden entdeckte. „Chris!... Oh nein!... Alex, Hilfe!“, rief er in Panik und kniete sich zu der kleinen blassen Gestalt, um ihn aufzuwecken. Der Gerufene kam in das Zimmer gestürmt und blieb wie angewurzelt stehen, als er seinen Bruder so sah. Chris regte sich endlich und fuhr schläfrig mit der rechten Hand durch sein Gesicht. „Was...? Was soll´n der Krach? Kann man denn hier nie mal ausschlafen?“, grummelte er und öffnete die Augen. Einen Moment lang wunderte er sich, warum es so kalt war und warum ihn alle so besorgt-fassungslos anstarrten, dann erinnerte er sich schlagartig. „Oh, shit!... Das ist nicht das, wonach es aussieht“, sagte er hellwach und riss seinen linken Arm hoch, damit die anderen Beiden nicht mehr mit dessen Anblick gestraft waren. „Chris, was...? Warum...?“, murmelte Rico, dem die passenden Worte fehlten und ließ sich ihm gegenüber auf dem Boden nieder, damit er ihm in die Augen sehen konnte. „Erklär ich dir später“, meinte der Jüngere und machte Anstalten sich zu erheben, was nicht so ganz klappte. Rico stand wieder auf und half ihm mit besorgtem Blick auf die Beine. Alex, der die ganze Zeit nur regungslos dagestanden hatte, sprach nun endlich wieder mit ihnen. „Es ist wegen Jessi“, sagte er und bekam als Antwort ein schwaches Kopfnicken von seinem Bruder, der Mühe hatte, nicht in Ohnmacht zu fallen. Rico brachte ihn zum Bett und kramte gleichzeitig seinen Zimmerschlüssel aus der Hosentasche, den er Alex in die Hand drückte und ihm sagte, er sollte das Verbandszeug holen gehen. „Warte, das ist doch nicht nötig“, protestierte Chris schwach und wollte aufstehen. „Doch, das ist wohl nötig. Entspann dich, lass mich nur machen“, entgegnete sein Freund und besorgte einen nassen Lappen, um das Blut wegzuwaschen. Er verarztete ihn fachmännisch und zehn Minuten später fühlte Chris sich wieder als sei nichts passiert. Natürlich nur solange er in waagerechter Lage blieb. „Bitte, schock´ mich nie wieder so. Ich dachte du wärst tot“, meinte Rico und setzte sich zu ihm auf das Bett. „Keine Sorge. Unkraut vergeht nicht“, entgegnete der Jüngere und schaffte es fast, zu lächeln. „Chris... sag doch so was nicht“, sagte sein Freund halbwegs vorwurfsvoll. Er wusste selbst, dass das nur eine Redensart war, aber die Betonung, die der Junge auf das erste Wort gelegt hatte, war Besorgnis erregend. „Ich bin vielleicht blöd...“, murmelte Alex, der auf der Bettkante saß und melancholisch auf den Teppich starrte, nach einer kurzen Stille, „Letzte Nacht hab ich gemerkt, dass es dir nicht gut geht. Trotzdem bin ich ins Bett gegangen und hab dich allein gelassen. Es ist meine Schuld; ich hab versagt“ Chris wurde noch blasser (soweit möglich), richtete sich mit panischem Gesichtsausdruck auf und umarmte seinen Bruder umständlich von der Seite. „Bitte nicht... Mach dir keine Vorwürfe wegen mir... Ich bitte dich, Alex... ich hab kein Recht dazu, dich traurig zu machen“, sagte er leise und ängstlich. Keiner sprach mehr ein Wort. Sie kamen sich alle Drei ziemlich komisch vor und wussten nicht, was sie tun sollten. Ein unerwartetes Geräusch ließ sie hochschrecken. Irgendwo klingelte ein Handy. Alex befreite sich von der Umklammerung seines Bruders und stand auf, um das Telefon aus seiner Hosentasche zu ziehen. Während er telefonierte sank Chris wieder kraftlos auf das Kissen zurück, begleitet von Rico´s unsicheren und besorgten Blicken. Der sah aus als wollte er irgendwas ganz wichtiges sagen. Schließlich drehte Alex sich wieder zu ihnen um. „Das war der Auto-Dingsbums-Typ. Ich bin gleich wieder da“, verkündete er und verschwand ungewöhnlich hastig aus dem Zimmer.
 

„Sich selbst zu hassen ist eine ziemlich schlechte Angewohnheit, weißt du das eigentlich?“, fragte Rico, als sie allein waren. „Lass mich in Ruhe“, entgegnete der Angesprochene schwach und drehte sich von ihm weg. Rico wusste dieses Verhalten zu deuten. Es stand schlimm um seine Psyche, richtig schlimm. Hätte der Junge die Kraft dazu gehabt, wäre er sicher weggelaufen und hätte sich irgendwo verbarrikadiert. „Das werde ich nicht tun. Ich bleib´ solange hier sitzen, bis du wieder du selbst bist. Und in der Zwischenzeit wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir vielleicht erzählen könntest, was hier eigentlich los ist“, sagte der Sitzende entschlossen. „Nein“, flüsterte Chris bloß, mindestens genauso entschlossen. „Du Sturkopf. Aber, wenn du es so willst. Dann musst du dir eben anhören, was ich zu sagen hab“, fuhr Rico fort, der genau wusste, wie er mit einem Chris in diesem Zustand umgehen musste, „Ich kann mir vorstellen, was du durchmachst. Aber, lass dir eins gesagt sein: Es ist nicht deine Schuld. Du siehst mal wieder nur die schlechten Dinge und meinst du wärst verantwortlich für das Leid der ganzen Welt, aber das bist du nicht. Hast du eine Ahnung, wie wir leiden würden, wenn du nicht da wärst? Du kannst allein schon mit deinem Dasein so viel Gutes bewirken, aber das weißt du gar nicht. Du willst es nicht sehen. Warum? Weil du zu dem Schluss gekommen bist, nichts wert zu sein und weil du verdammt stur bist. Und egal wie viel Liebe wir dir geben, du wirst dich immer für wertlos halten und damit fortfahren, deine Existenz zu verfluchen, weil du gar nicht anders leben kannst. Du weißt nicht wie das geht, du hast es nie gelernt. Das ist schade, weil du doch so ein tolles Leben haben könntest... Ich würde ja sagen, du brauchst Hilfe, aber in diesem Punkt ist leider bei dir alles verloren. Denk mal drüber nach und wenn du zu einem Ergebnis gekommen bist, lass es mich wissen“ Er hatte das alles von Herzen gemeint und es gab noch viel mehr, was er Chris eigentlich ins Gesicht sagen wollte. Er sah selbst aus dieser Position die Tränen in den blauen Augen glitzern und wollte ihn am liebsten in den Arm nehmen und trösten, aber er wusste es besser. In einer Situation wie dieser musste man warten, bis derjenige von selbst zu einem kam. Und das dauerte bei Chris grundsätzlich nie lange. „Du hast Unrecht“, murmelte er nach einigen Minuten und setzte sich auf, „Ich bin wertlos. Nicht nur das; ich bin sogar eine Kreatur der Hölle, ein Dämon, der jedem Unglück bringt, der sich zu nah an ihn wagt. Ist dir mal die hohe Sterbe- und Depressionsrate in meinem Bekanntenkreis aufgefallen? Nein? Ich kann dir sogar einige Beispiele sagen... Meine Mutter zum Beispiel, oder Jessica, oder mein Freund Johannes, der drogenabhängig wurde, während er mit mir zusammen war. Genau wie du, übrigens. Und seitdem mein Bruder mit mir zusammen ist, ist er dauernd traurig und deprimiert. Oder Kelly, die direkt wieder ganz unten ist, wenn ich da bin. Und du. Du bist mein schlimmstes Opfer. Mein Fluch kam ganz langsam über dich, aber so grausam. Ich habe dich getötet, Rico. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, als ob ich dir etwas ganz furchtbares antun würde. Ich hätte mich besser von dir ferngehalten, anstatt mich wie ein selbstsüchtiger Idiot an dich ranzumachen. Meine Liebe tötet. Ich wusste es und trotzdem hab ich es drauf angelegt, weil ich dich liebe. Ja, weil ich dich liebe. Ich habe meine eigenen wertlosen Gefühle über dein Leben gestellt, obwohl es eigentlich absehbar war, dass du dabei sterben würdest. Weil, umso mehr ich jemand liebe, umso schlimmer ist sein Schicksal. Und dich liebe ich über alles, deshalb musst du jetzt sterben. Und mein Bruder wird der Nächste sein. Deswegen will ich dich um einen Gefallen bitten. Beende es, hier und jetzt. Töte mich, denn ich selber kann es nicht. Sobald meine verfluchte Seele diese Welt verlassen hat, wirst du dich besser fühlen. Du kannst dich selbst retten und noch einige andere unschuldige Seelen, die unter meinem schwarzen Einfluss leiden oder vielleicht in Zukunft leiden werden...“ Chris ergriff Rico´s starke Hände und legte sie an seine Kehle. „Komm schon, tu es“, flüsterte er. Er wusste, dass der Ältere imstande war, jemand nur mit einem kleinen Handgriff das Genick zu brechen und innerhalb einer Sekunde seine Lebenslichter auszupusten. Aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen bewegte sich eine Hand zu seiner Wange und wischte die Tränen ab. „Das meinst du doch nicht ernst. Du... was hast du genommen?!“, fragte Rico mit zittriger Stimme. „Ich meine es ernst. Ich würde einfach mit dir Schluss machen, wenn das denn reichen würde, aber wenn du gerettet werden sollst, muss ich sterben“ Verdammt, er meinte es wirklich ernst. „Was... was redest du da überhaupt? Du bist nicht Chris, du bist sein wahnsinniger Zwilling! Du bist komplett loco. Komm wieder zu dir! Was wären wir denn ohne dich? Was wäre ich ohne dich? Wer auch immer dir diesen Scheiß mit dem Fluch und dem Teufel eingeredet hat, der hatte es auf deine Seele abgesehen, merkst du das denn nicht? Es war kein Fluch, der dein Leben kaputtgemacht hat. Es war das Schicksal, der verdammte hijoputa! Und es war auch kein Fluch, der dich kaputtgemacht hat. Es war dein Glaube daran. Du bist die ganzen Jahre nur gefallen und ich glaube jetzt bist du endgültig auf dem Boden angekommen. Und jetzt ist der Zeitpunkt, wieder aufzustehen, mein Kleiner. Wenn du willst kann ich dir helfen. Weil ich dich nämlich liebe und nicht, weil irgendein tödlicher Fluch mich zu dir hinzieht. Comprende?“ Mit großen, tränenerfüllten Augen starrte Chris ihn an und nickte stumm. „Dann is´ ja gut... Komm her“, sagte Rico und umarmte ihn erleichtert, „Hat verdammt gut getan, dich mal anzuschreien“ Sein Freund antwortete nicht. Er war unfähig zu sprechen und konnte nur ein lautes Schluchzen entgegnen und sich verzweifelt an den Größeren klammern, der beruhigend seinen Rücken streichelte. Chris fühlte sich als ob Rico ihn aus einem Abgrund gezogen hätte. Wie damals, als er ihm seine Lebensgeschichte dargelegt hatte. Er war also nicht verflucht und konnte sein Leben weiterführen? War er tatsächlich durch das Schicksal immer an depressionsanfällige Menschen geraten? Das könnte sogar gut sein. Als er sich wieder halbwegs gefangen hatte konnte er Rico endlich wieder ansehen und sogar etwas lächeln, als er den immer noch besorgten Gesichtsausdruck entdeckte. Die lodernde Wut war aus seinen schönen Augen gewichen und der sanfte, verständnisvolle Mann war wieder da. Der war Chris auch lieber, obwohl dieser Temperamentsausbruch eben seine Liebe fast noch gesteigert hatte. „So wütend hab ich dich ja noch nie erlebt“, brachte er schließlich hervor. „Hab ich dir Angst gemacht?“, fragte Rico und spielte mit einer Haarsträhne seines Freundes. „Ein bisschen. Aber du hattest ja Recht. Mich musste mal wieder jemand auf den Boden zurückholen. Danke, mein Schatz“, antwortete dieser lächelnd und gab ihm einen kleinen Kuss. Rico musste lachen, was ihm einen fragenden Blick einbrachte. „Da bist du ja wieder. Mein kleiner Chris. Nicht mehr dein loco Zwilling“, sagte er immer noch lachend. „Hm. Das war halt meine andere Seite. War das auch deine andere Seite eben?“, fragte der Kleine. Einen seiner Gedanken musste er nämlich noch unbedingt loswerden. „Oh, nein. Das ist nur so ein Teil, der nie rauskommt. Dass mich jemand so wütend macht, dass ich anfange Spanisch zu reden ist aber nicht wirklich selten“ Da, genau dadrauf wollte er hinaus. „Es hört sich übrigens verdammt sexy an, wenn du Spanisch redest. Und, falls es dir entfallen ist, das machst du nicht nur, wenn du wütend bist...“, sagte Chris mit einem frechen Grinsen. Rico antwortete mit dem gleichen Grinsen: „Ja~, das weiß ich“ Daraufhin beugte er sich etwas vor und fing an, Chris alle möglichen Anzüglichkeiten und Sauereien auf Spanisch ins Ohr zu flüstern. Chris seinerseits beugte sich zu seinem Ohr und wisperte: „Bring mir das bei!“ Rico konnte sich vor Lachen nicht mehr halten und wäre fast vom Bett gefallen. Genau in diesem Moment kehrte Alex zurück. Chris sprang auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. „Es tut mir leid. Alles!“, sagte er zu seinem perplexen Bruder. „Was ist denn mit dir passiert?“, fragte dieser. „Rico hat mir ordentlich die Leviten gelesen... und versucht mir Spanisch beizubringen“, kam die gut gelaunte Antwort, die Rico wieder dazu veranlasste sich laut lachend auf das Bett zu werfen.

Road Trip: Leg 6 – Österreich & Tschechien

Meine Güte, ich bin echt übelst langsam in letzter Zeit! Gomen! *verbeug*

In diesem Kapitel kommen einige Szenen, die schon in den letzten Beiden vorkommen sollten, da aber nicht mehr reinpassten. Und vor dieser Szene gegen Ende hab ich mich bis jetzt immer gezogen, obwohl ich sie unbedingt schreiben wollte... Nun denn, enjoy!
 

Sie beeilten sich, endlich weiterzukommen. Anscheinend hatte Chris mit seiner Vermutung Recht gehabt, dass die Autopanne am Tag davor ein Zeichen gewesen war, denn auch die Werkstatt hatte kein Problem gefunden und an diesem Tag fuhren sie ohne Zwischenfälle weiter. Weil sie so spät losgefahren waren, kamen sie erst ziemlich spät an ihrem Zielort an. „Wir können uns jetzt entweder ein Hotel suchen oder zu unserem Elternhaus fahren. Ich würde behaupten, die Entscheidung liegt bei meinem Bruder“, meinte Alex und sah den Jüngsten erwartungsvoll an. „Hm. Lass uns erstmal gucken, ob nicht eine bestimmte Person in unserem Haus zu Besuch ist. Wenn nicht, können wir von mir aus dableiben“, antwortete dieser entspannt. Er hatte nicht mehr so viel Angst vor dem Haus und seinen Erinnerungen, wenn die Beiden dabei waren. Sie parkten drei Straßen vom Haus entfernt. Alex ging nachsehen, wer da war und kam fünf Minuten später wieder zurück. „Onkel Frank nirgends zu sehen, aber Tante Betty ist anscheinend da“, meinte er grinsend. „Na, wenn die da ist, wird er sich nicht hierhin wagen“, antwortete Chris lächelnd. Betty war Frank´s ältere Schwester, mit der er sich schon auf der Beerdigung ihres gemeinsamen Bruders furchtbar gestritten hatte, und die in der ganzen Familie für ihre rigorose Art bekannt war. Aber zu den Kindern war sie immer gütig und lieb gewesen und sie war jedem eine Mutter, der eine brauchte. „Alles klar, dann können wir uns ja reintrauen“, sagte Rico. Er hatte besagte Tante auch mal kennen gelernt und sie auf Anhieb lieb gewonnen. Die Drei machten sich auf den Weg zum Haus und klingelten. Rico war schonmal da gewesen, aber es sah so anders aus als damals. Alles wirkte viel heller und freundlicher. Im Garten sang eine Kinderstimme ein Lied. „Wenn es hier bloß früher schon so schön gewesen wäre...“, murmelte Chris gedankenverloren und sah sich mit einem verträumten Lächeln um. Sie standen eine Zeit lang vor der Haustür und gingen dann Richtung Garten, weil niemand aufmachte. Die drei Männer stiegen über den Gartenzaun, gingen um die Hausecke und standen einem kleinen dunkelhaarigen Mädchen gegenüber, das gut gelaunt einer Katze ein Schlaflied sang. Sie verstummte augenblicklich als sie die Drei sah, lief verängstigt weg und rief nach ihrer Mutter, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte. „Das... das war Lena, oder?... Sie, sie...“, stotterte Chris geschockt. „Ja, sie sieht genau aus wie du in dem Alter. Und wenn sie so eine hübsche Frau wird, wie du ein hübscher Mann bist, rennen uns die Verehrer die Tür ein“, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen. Sie drehten sich blitzschnell um und vor ihnen stand die grinsende Betty, die sofort auf sie zukam. „Meine Jungs! Endlich seid ihr mal wieder als normaler Besuch hier. Und euren Freund habt ihr auch mitgebracht, wunderbar!“, sagte sie, während sie einen nach dem anderen umarmte und abküsste. „Hallo, Tante. Wir freuen uns auch, dich zu sehen“, meinte Alex belustigt und sah auf die kleine Frau herab. „Tut mir leid, ich muss kurz die Kleine wieder einfangen. Einen Moment...“, sagte sie und wuselte ans andere Ende des Gartens. „Was hat es mit dem Mädchen auf sich? Kennt sie euch nicht?“, fragte Rico neugierig. „Sie hat uns lange nicht mehr gesehen. Lena ist ziemlich schüchtern, weißt du. Sie läuft praktisch vor jedem weg und versteckt sich. Es ist echt krass, einen Moment lang dachte ich, wir wären in eine Zeitschleuse geraten und da würde der kleine Chris sitzen. Sie hat mittlerweile sogar blaue Augen...“, meinte Alex nachdenklich. „Und sie ist das Kind von eurer Cousine?“, fragte Rico weiter. „Ja, aber... keiner weiß, wer ihr Vater ist. Sabine weiß es mit Sicherheit, aber sie will kein Wort sagen... wir glauben, dass es unser Vater ist, was zumindest halbwegs diese Ähnlichkeit und die Regelungen beim Erbe erklären würde. Vielleicht sagt sie´s uns ja jetzt endlich“ Betty kam zurück; die Katze hatte sie gefunden, Lena nicht. „Wo kann sie nur hin sein? Sie ist nicht über den Zaun geklettert, das kann sie gar nicht. Dieses Mädchen treibt mich auf meine alten Tage noch in den Wahnsinn!“, sagte die Frau verzweifelt. Endlich kam Sabine in den Garten. Sie war offensichtlich am Baden gewesen, denn ihre Haare waren noch nass und sie sah verpeilt von einem zum anderen. „Was ist denn hier los?“, fragte sie dann und begrüßte erfreut ihren Besuch. „Sabine, Lena ist schon wieder weg...“, sagte Betty. „Mach dir keine Sorgen, Mama. Sie kommt wieder, wenn sie Hunger hat. Das müsstest du doch mittlerweile wissen“, antwortete die Angesprochene. Sie gingen ins Haus. Kurz bevor er durch die Tür trat sah Chris sich noch einmal um. Er entdeckte einen kleinen Schatten, der zwischen den Hecken umher huschte. Das war unglaublich; dieses Mädchen benutzte sogar seine alten Verstecke. Wenn er es nicht besser wüsste hätte er sofort geglaubt, dass sie seine Tochter wäre; nicht den kleinsten Beweis hätte er gebraucht. Sie saßen eine Weile in der Küche und unterhielten sich. „So langsam mach ich mir doch Sorgen um Lena. So lange bleibt sie normalerweise nicht weg. Wo kann sie nur sein?“, meinte Sabine irgendwann. „Ich weiß, wo sie ist. Ich geh sie holen“, sagte Chris und verließ das Haus. Alle starrten ihm verwirrt hinterher. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Sie sahen ihn vom Fenster aus zielstrebig auf das Ende des Gartens zugehen, wo er zwischen den Hecken verschwand. Alex musste grinsen, als er das sah. Es war genau die Stelle des Gartens, wo Chris sich immer verkrochen hatte und wo er ihn auch am Tag nach der Beerdigung ihres Vaters sturzbetrunken gefunden hatte.
 

Chris selbst wusste das am allerbesten. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Hecke, bis er bei den Steinplatten angekommen war. Dort saß Lena und legte ein Muster aus Kieselsteinen. Sie bemerkte ihn und wollte schon aufspringen, als Chris sich auf dem Boden niederließ und sich ebenfalls ein paar Steine zusammensuchte. „Sag mal, Lena, erinnerst du dich noch an mich und meinen Bruder Alex?“, fragte er nach einer Weile. „Ja, du bist mein Onkel Chris. Meine Mama redet ganz viel von euch. Aber ich war noch ganz klein, als ihr uns besucht habt“, antwortete sie und wandte sich wieder ihren Steinen zu. „Warum bist du denn vorhin weggelaufen? Hattest du Angst vor uns?“, fragte er weiter. „Nicht so richtig. Aber dein Bruder... der hat mich an den Opa erinnert und den mocht´ ich nicht. Vor dem hatte ich immer Angst“, antwortete sie und sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. Chris traf fast der Schlag. Wieso hatte sie Angst vor seinem Vater gehabt? Er überlegte einen Moment lang, zu beten, bevor er mit zitternder Stimme die nächste Frage stellte. „Hat dir dein Opa was getan, wo er noch da war?“ Sie sah wieder zu Boden und zerstreute das Steinmuster. „Du kannst es mir sagen, wirklich. Er kann dir ja jetzt nichts mehr tun, er ist weg“, versuchte er es wieder. Sie überwand sich offensichtlich und antwortete: „Er... war ganz gemein zu meiner Mama. Er hat sie geschlagen und sie hat immer geweint, wenn er bei uns war. Und er hat mich... er hat mich angefasst und er...“ Sie sprach nicht weiter, aber Chris wusste den Satz zu beenden. Das durfte nicht wahr sein! Sein Vater, das verdammte Dreckschwein, hatte das Leben dieses unschuldigen kleinen Mädchens zerstört! Einfach so, gewissenlos, rücksichtslos. „Weißt du jetzt, warum du ein Mädchen werden solltest?“, schallte die Stimme aus seiner Erinnerung. Nein, das durfte nicht wahr sein! Sie war es. Lena war die Tochter, die sein Vater sich immer gewünscht hatte. Und er hatte sie bekommen und genau das mit ihr getan, was er vorgehabt hatte. Das war einfach zu viel... „Onkel Chris, was hast du?“, fragte die leise Mädchenstimme. Jetzt erst fiel ihm auf, dass er die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und verzweifelt vor sich hinstarrte. „Lena, meine Kleine, hör mir gut zu, das was ich dir jetzt sage ist wichtig. Dein Opa... er war ein böser Mann. Er war so böse, dass er gerne anderen Leuten wehgetan hat. Das war nicht deine Schuld. Aber er ist weg und du musst nie wieder Angst vor ihm haben. Und das, was er gemacht hat, ist vorbei. Er kommt nie wieder und macht das mit dir. Du kannst ohne Angst leben, weil er für seine Verbrechen bestraft worden ist. Hörst du, Lena? Leb einfach wieder, ohne über ihn nachzudenken. Dann wirst du bald wieder so fröhlich sein, dass die ganze Welt mit dir lacht. Und die Leute, denen du begegnest, die werden lächeln und sich freuen, weil du so ein glückliches kleines Mädchen bist, das keine Angst mehr hat“, sagte er und sah sie verzweifelt an; seine Halbschwester Lena mit den großen blauen Augen, in denen jetzt Tränen standen, die aber trotzdem wieder befreit strahlten. Sie stand auf und fiel dem Sitzenden um den Hals. „Danke, Onkel Chris. Jetzt bin ich nicht mehr traurig. Ich versprech´ dir, ein fröhliches Mädchen zu sein... Aber, sag, hat er das auch mit dir gemacht?“, meinte sie und sah ihn auf diese kindliche Art und Weise forschend an. „Ja, aber guck, ich bin auch erwachsen geworden und ich hab einen Freund, den ich liebe und der mich liebt. Es ist alles gut geworden“, antwortete er und wünschte sich, das wäre die Wahrheit. Aber wenn es Lena half, konnte er in dem Punkt ruhig lügen. „Komm, lass uns zum Haus gehen. Deine Mama macht sich schon Sorgen“, sagte er und sie machten sich auf den Weg. Sabine und Betty trauten ihren Augen kaum, als die Beiden aus der Hecke gekrochen kamen und Lena lachend und gut gelaunt Chris´ Hand ergriff und ihn zum Haus zog, wobei sie fröhlich durch das Gras hüpfte. „Das ist unglaublich... einfach unglaublich“, sagte Sabine, die vom Anblick ihrer lachenden Tochter zu Tränen gerührt war. „Tja, Chris hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern. Wahrscheinlich, weil er selbst noch eins ist“, meinte Alex grinsend. Der Abend war danach nicht mehr lang. Obwohl es Lena wieder so gut ging lagen die unausgesprochenen Tatsachen wie ein Gewicht auf der Stimmung der Erwachsenen. Die drei Gäste gingen früh in ihr Zimmer (sie teilten sich eins). Alex und Rico wollten den deprimierten Chris fragen, was er hinter der Hecke erfahren hatte, aber sie trauten sich nicht. „Alex, sie ist unsere Schwester“, sagte Chris plötzlich in die Stille hinein. „Im Ernst jetzt? Woher weißt du das?“, fragte sein Bruder. „Früher... damals sagte Vater immer zu mir, er würde sich wünschen, dass ich ein Mädchen wäre... Er hat Sabine das Haus vererbt, weil sie dieses Mädchen für ihn war, zumindest eine Zeit lang... Sie bekam ein Kind von ihm. Ich weiß, dass sie damals keinen Freund hatte und ich hab gesehen, wie er sie nachts, ungefähr neun Monate vor Lena´s Geburt, in eins von diesen Gästezimmern gezerrt hat... Es liegt auf der Hand: Lena ist unsere Schwester“, erklärte Chris seine Theorie. „Und was willst du uns noch sagen?“, fragte Alex, der das alles nicht so recht glauben wollte. Sein kleiner Bruder atmete tief durch und sah ihn an, mit dieser tiefen Verzweiflung in seinen Augen. „Er... er hat Lena auch missbraucht... unser verfluchter perverser Vater“ Eine unangenehme Stille machte sich wieder im Zimmer breit. „Das darf nicht wahr sein...“, flüsterte Alex geschockt. Rico konnte gar nichts sagen. Er dachte an seine älteste Tochter, die im selben Alter war wie Lena. Wenn ihr sowas passieren würde, dann würde er ohne zu zögern den Verantwortlichen erschießen. Oder zuerst foltern und dann erschießen. „Ich wünschte... unser Vater wäre noch nicht tot... Dann könnten wir ihn jetzt eigenhändig umbringen“, sagte Chris nach einer Weile. „Wir müssen Sabine davon erzählen... ich geh schon“, meinte Alex, sprang auf und verschwand mal wieder. Chris ließ sich erledigt auf das Bett fallen, auf dem Rico saß. „Was ist das bloß für eine Welt...?“, fragte er seinen Freund, der auch ziemlich fassungslos wirkte. „Das frag´ ich mich auch oft. Und was sind das bloß für Menschen, die diese Welt zu dem gemacht haben, was sie ist?“, erwiderte Rico. Keiner von beiden konnte diese Fragen beantworten und so lagen sie wortlos da, bis sie schließlich einschliefen.
 

Rico erwachte am nächsten Morgen als Erster. Eine Weile beobachtete er die schlafenden Brüder, bis Alex schließlich auch wach wurde. Das war eine ganz komische Sache: Wenn man ihm beim Schlafen zusah, wachte er direkt auf und sah einen verwirrt an, als wollte er sagen: „Lass das bleiben“. Man musste ihn gar nicht wecken; es reichte schon, ihn anzusehen. „Wir sollten uns schon bald auf den Weg machen... denk ich“, meinte er während er sich streckte und aufstand. „Hm, ja das sollten wir. Es sei denn, Chris hat was dagegen. Hat er nicht gestern gesagt, er müsste noch was erledigen?“, antwortete Rico. „Na dann fragen wir ihn doch... Hey, Chris. Aufstehen!“ Alex pikste seinen kleinen Bruder in die Seite, woraufhin dieser nur ein genervtes Grummeln von sich gab und mit dem Kopfkissen nach ihm warf. Chris murmelte etwas von wegen „mitten in der Nacht“ und drehte sich wieder um. „Es ist nicht mitten in der Nacht. Wir haben schon zehn Uhr und wollen bald weiterfahren. Steh schon auf“, entgegnete Alex. „Nur noch fünf Minuten“, sagte der Kleinere verpennt, womit die beiden Anderen sich endlich zufrieden gaben und in die Küche gingen, um etwas Essbares und Kaffee aufzutreiben. „Ich würde wetten, wir müssen ihn noch mindestens fünfmal wecken, bis er endlich aufsteht... Das war früher immer ein Drama, wenn er in die Schule gehen sollte und einfach nicht aus dem Bett kam“, meinte Alex kopfschüttelnd. Aber zu ihrer Überraschung stand Chris tatsächlich fünf Minuten später in der Küchentür, ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte müde den Kopf auf den Tisch. „Jetzt zufrieden?... Mann, du bist echt ein Sklaventreiber“, sagte er zu seinem Bruder. „Wieso? Das war doch noch harmlos...“, erwiderte dieser gut gelaunt. „Wolltest du heute nicht noch was erledigen?“, fragte Rico den müden Jungen, der schon fast wieder schlief. „Ja, ist ja auch wieder wahr“, sagte Chris wie vom Geistesblitz getroffen und setzte sich wieder auf. „Ich muss weg“ Er erhob sich und verschwand bevor einer etwas sagen konnte. „Er ist und bleibt ein seltsamer Vogel“, meinte Alex als sie allein waren. „Wahrscheinlich lieben wir ihn deswegen so sehr“, antwortete Rico. Sie sahen sich an und brachen in Kichern aus. Einige Zeit später kehrte Chris zurück. Er war in einer seltsam melancholischen Stimmung und sein Bruder befürchtete schon den nächsten Zusammenbruch, als er ihn vorsichtig fragte, wo er gewesen sei. „Auf dem Friedhof. Jessi und Johannes besuchen... und unsere Eltern“, antwortete der Jüngere und lächelte traurig. Sie beschlossen, dass es Zeit war, endlich weiter zu fahren. Sie wollten es, wenn möglich, an diesem Tag noch bis nach Prag schaffen, wo Chris schon genug mit seiner Vergangenheit konfrontiert würde. „Ich muss noch kurz was holen, dann können wir fahren“, sagte er, als sie ihre Sachen gepackt hatten und zur Abfahrt bereit waren. Er verschwand in Richtung seines alten Zimmers, das mittlerweile zum Abstellraum umfunktioniert worden war. Es war immer noch dunkel; da konnte auch die helle Glühbirne nichts dran ändern. Er suchte eine bestimmte Stelle in der Ecke und fing an, die Bodenbretter zu entfernen, was gar nicht so einfach war. Schließlich fand er das, was er gesucht hatte. Ein blaues und ein rotes Buch, wobei in dem blauen viel mehr geschrieben war. Seine Tagebücher, in denen er als Kind versucht hatte, seine Gefühle zu verarbeiten. In dem blauen standen die schlechten Dinge und in dem roten die guten. Er würde sie mitnehmen, vielleicht hatte er schon bald Verwendung dafür. „Was hast du da?“, fragte Rico, als er wieder in das Schlafzimmer kam und die Bücher in seine Tasche warf. „Ein Souvenir“, antwortete Chris bloß und verließ mitsamt seinen Sachen den Raum. Die beiden Anderen würden die Bücher noch früh genug zu sehen kriegen. Aber von seinem grünen Tagebuch wollte er ihnen erst später erzählen...
 

Sie machten sich auf den Weg. Die Grenze war nicht weit und sie überquerten sie ohne weitere Schwierigkeiten. Wenn sie durchsucht worden wären, hätten sie definitiv ein Problem gehabt, denn Rico hatte logischerweise seine Drogen bei sich. Und auch Chris hatte ein paar illegale Substanzen in seiner Tasche. Sie waren sehr erleichtert, als sie die Grenzposten hinter sich gelassen hatten und beflügelt von dieser Erleichterung waren sie den ganzen Tag bestens gelaunt. Auch wenn die schlechten Straßen und die irre Verkehrsführung sie teilweise fast in den Wahnsinn trieben kamen sie doch ziemlich gut voran und erreichten überraschenderweise am Abend die tschechische Hauptstadt. Sie wollten den nächsten Tag auch noch dort verbringen, weil es einfach so viel zu sehen gab und, weil Chris seinem alten Freund einen Besuch abstatten wollte, um ihm mal gut die Meinung zu sagen, was er sich nie getraut hatte, als er noch in seiner Gewalt gewesen war. Nachdem sie ihr Hotel bezogen hatten gingen sie noch in eine Kneipe. „Also, wenn ich irgendwas wirklich vermisst habe, dann ist es das hier. Die Kneipen, das Bier und die ganzen Leute, die so furchtbar viel davon trinken können, ohne umzufallen“, sagte Chris während er sich lächelnd umsah. Er hatte diese Stadt und auch dieses Land immer gemocht und mochte es auch jetzt noch, aber die schmerzlichen Erinnerungen hatten doch immer noch die Überhand über seine Gefühle. Die Männer tranken an diesem Abend nicht so viel wie sonst, wenn sie zusammen weggingen und als sie die Kneipe wieder verließen waren sie nur leicht beschwipst. Sie kehrten in ihr Hotel zurück und waren in einer ziemlich seltsamen Stimmung. Alle Drei wollten anscheinend etwas sagen, aber keiner wusste so genau, wie er das anstellen sollte. Als sie sich schließlich in ihrem Zimmer befanden ergriff Rico die Initiative und gab Chris einen Kuss, der seine Absichten ganz deutlich machte. „Darf ich heute Nacht über dich herfallen?“, fragte der Größere überflüssigerweise und bekam als Antwort nur ein dämonisches Grinsen. „Aber nur, wenn ich gleichzeitig über dich herfallen darf“, sagte eine Stimme hinter ihm und Alex legte die Arme um seine Taille. Der Angesprochene errötete leicht und bei der Vorstellung, was passierte, wenn er ja sagte wurde ihm ganz warm. „Natürlich darfst du das... ehrlich gesagt warte ich schon lange auf diese Gelegenheit“, murmelte er dann und sein Gesicht wurde noch dunkler rot. „Dann ist ja alles geklärt“, meinte Chris und küsste seinen Freund voller Verlangen, während sein Bruder sich daran machte den Mann in ihrer Mitte auszuziehen und seinen Körper entlang zu streichen. Rico wusste gar nicht wirklich wie ihm geschah und auch nicht, welchem Bruder er sich entgegenstrecken sollte. Die Beiden selbst hatten keine richtige Ahnung, was sie da eigentlich taten und wozu das noch führen sollte. Als sie schließlich nackt auf dem Bett landeten folgten sie einfach ihren Gefühlen und machten sich gegenseitig zu sehr zufriedenen (oder eher: befriedigten) Menschen.
 

Am nächsten Morgen erwachten sie praktisch gleichzeitig. Sie hatten sich die ganze Nacht, oder was davon übrig gewesen war, in den Armen gehalten und kuschelten sich auch jetzt ganz nah aneinander. „Sagt mal, kann man von Sex eigentlich einen Kater kriegen?“, fragte Rico heiser. Er wusste, dass sein schlechter Zustand an diesem Morgen nicht vom Alkohol kommen konnte. „Schon möglich. Aber ich hab keinen“, murmelte Alex gähnend. „Dann ist es was Anderes“, meinte sein Freund nur und schloss die Augen wieder. Nach einer Weile stand er auf und verschwand mit seiner Tasche im Badezimmer. Die Zurückgelassenen wussten genau, was er dort tat. Eine Zeit lang waren sie sehr still und hingen ihren Gedanken nach. „Ich hab sein Zittern gespürt“, flüsterte Alex plötzlich besorgt. „Ja, ich auch“, antwortete sein Bruder und warf einen unsicheren Blick in Richtung Badezimmer, „Meinst du, er ist okay? Vielleicht braucht er Hilfe da drinnen“ Der Ältere sah auch besorgt zur Tür und wusste diese Frage nicht zu beantworten. Er stand auf und klopfte an. „Rico? Ist alles okay?“, rief er und lehnte sein Ohr gegen die Tür, die sich mit einem Mal öffnete. „Klar ist alles okay. Wollte grade duschen gehen. Hättet ihr nicht Lust, mitzukommen?“, sagte der Mann im Badezimmer und grinste Alex an, der peinlich berührt vor ihm stand und sich dann lächelnd in den Raum hinter ihm begab. „Geht ihr zwei duschen. Für uns alle ist da kein Platz drin“, sagte Chris und rutschte wieder unter die Decke, um sich noch etwas auszuruhen. Schon bald hörte er eindeutige Geräusche aus dem Nebenzimmer. Hatte sein Bruder es etwa nicht bemerkt? Er hatte direkt vor Rico gestanden und den komischen Ausdruck in seinen Augen nicht gesehen? Eigentlich war da gar kein richtiger Ausdruck mehr gewesen, nur noch die abgestumpfte Leere, die von betäubten Gefühlen zeugte; von einer kaputten Seele, die nach Zuneigung und absoluter Aufmerksamkeit hungerte. Rico hatte auf jeden Fall etwas genommen, während er allein im Bad gewesen war. Aber was? Es war keine Droge, die Chris kannte, beziehungsweise selbst mal ausprobiert hatte. Natürlich hatten alle Drogen die unterschiedlichsten Wirkungen auf verschiedene Menschen, aber normalerweise nicht so eine Wirkung. Sie lösten, wenn auch nur kurzfristig, verschiedene Gefühle aus, aber sie räumten nicht vollkommen die Seele leer. Anscheinend war es irgendein körperliches Betäubungsmittel gewesen, das er wegen seiner Krankheit bekam, oder sich bei einem seiner nächtlichen Ausflüge illegal besorgt hatte, denn seinem Körper war es wohl besser gegangen, als er wieder aus dem Bad gekommen war. Diese psychischen Nebenwirkungen wiesen auf die zweite Möglichkeit hin. Kein vernünftiger Arzt hätte einem schwer-depressiven Mann wie Rico so ein Medikament verschrieben, auch nicht, wenn dieser Mann sowieso kurz vor dem Tod stand. Chris wusste nicht, was er tun sollte. Einerseits war es unverantwortlich, ihn weiter dieses Gift nehmen zu lassen; andererseits würde er es wohl vor Schmerzen kaum aushalten, wenn er es nicht nahm. Rico selbst würde wohl wieder damit argumentieren, dass er sein restliches Leben nicht in Schmerzen verbringen wollte und nur versuchte seine letzten Wochen zu genießen. Irgendwo hatte er ja auch Recht, aber was er sich selbst antat war einfach nur grausam. Die Geräusche von nebenan waren verstummt und man hörte nur noch das Rauschen der Dusche und ab und zu gedämpfte Stimmen, die liebevoll miteinander sprachen. Das rief bei Chris die Erinnerung an die letzte Nacht wach. Es war die Erfüllung seiner wildesten Träume gewesen. Die zwei Männer, die er über alles liebte, körperlich wie seelisch, gleichzeitig mit ihm in einem Bett und das auch noch freiwillig. Er hatte sie nicht hypnotisieren oder betrunken machen müssen, um endlich in diese Situation zu kommen. Das letzte Mal als er so etwas gemacht hatte, hatten sie ihn betrunken machen müssen und unter Drogen gesetzt. Es war in dieser Stadt gewesen, in dem alten, heruntergekommenen Haus in dem er gefangen gewesen war. An die zwei Kerle erinnerte er sich nicht mehr, aber an die Schmerzen und den Abscheu, den er dabei empfunden hatte, schon noch. Aber keins dieser Gefühle war letzte Nacht zurückgekehrt. Es war schön gewesen, hatte nicht wehgetan und er hatte pure Lust dabei gespürt. Letzte Nacht hatte er alles vergessen können, wirklich restlos alles. Die Vergangenheit und die Zukunft waren plötzlich weit weg gewesen. Es zählte nur der Moment und ihre Gefühle füreinander. Wenn ihnen doch nur mehr solche Momente gegeben wären...

Road Trip: Leg 7 – Tschechien

Alex hatte sehr wohl bemerkt, dass mit Rico etwas nicht stimmte, als er ihm ins Badezimmer gefolgt war. Dieser Blick war ziemlich gruselig gewesen. Als könnte man durch seine Augen direkt in seine leere Seele sehen. Aber in der hintersten Ecke dieser leeren Seele fand Alex einen frierenden kleinen Jungen, der ihn mit seinen traurigen braunen Augen ansah und bitterlich weinte, als hätte er sich nachts im Wald verlaufen. Er sah ihn nur einen Moment lang, dann schloss der erwachsene Rico die Augen, zog seinen Freund an sich und küsste ihn voller Verzweiflung. Das hier war der echte Rico; er hatte ihn endlich wiedergefunden. Und dieser Mann brauchte ihn jetzt mehr denn je in seiner Nähe. Sie verschwanden unter der Dusche und von da an tat Alex alles, was er von ihm verlangte. Auch als er ihn dazu aufforderte, ihm wehzutun kam der Größere ohne Widerrede (aber widerwillig) seinem Wunsch nach. Er wusste nicht, ob Rico´s ständiges Schaudern etwas Gutes oder etwas Schlechtes bedeutete, wusste nicht ob die Tropfen, die sein Gesicht hinunterliefen, Tränen waren oder das Wasser der Dusche. Und vor allem wusste er nicht mehr, wer der echte Rico eigentlich war. Der gut gelaunte Typ, der immer alle verarschte oder der kleine verzweifelte Junge, der in seinem Leben schon so viel Leid gesehen hatte? Oder vielleicht doch der fürsorgliche sanfte Musiker, der sich immer um alle sorgte? Wie viele Gesichter hatte er eigentlich? Und Alex war mal so dumm gewesen zu glauben, er würde ihn wirklich kennen und könnte seine Launen und Zustände voraussehen. Jetzt hatte er festgestellt, dass das praktisch unmöglich war. Rico war unberechenbar. Das hatte zwar den Vorteil, dass es nie langweilig wurde mit ihm eine Beziehung zu führen, egal welcher Art, aber es war auch anstrengend und kostete viele Nerven. Man musste Rico wirklich mögen, um auf die Dauer mit seinen üblen Stimmungsschwankungen klarzukommen und man musste ihm auch immer wieder verzeihen können, wenn er seine schwierigen fünf Minuten hatte und mal wieder redete ohne zu überlegen. Aber Alex mochte ihn nicht nur; er liebte ihn und hatte mit der Zeit gelernt mit jeder seiner Launen umzugehen. Er kannte auch diesen vollkommen verzweifelten Teil seiner Persönlichkeit schon ganz gut, aber dieser liebeshungrige Junge, der so verloren wirkte, war ihm bis jetzt noch fremd gewesen. Er wollte den Kleinen bei der Hand nehmen, aus der Dunkelheit führen und mit einer warmen Tasse Tee und einer Decke vor den Kamin setzen. Chibi-Rico weckte ernsthafte Vatergefühle bei ihm. Aber war dieser Junge überhaupt echt, oder war er nur ein Trugbild, das die Drogen geschaffen hatten? Er würde es erfahren, wenn sein Freund ihn wieder ansah. Aber das tat er vorerst mal nicht. Er stand da, hatte sich lässig gegen die kalte Kachelwand gelehnt und die Augen geschlossen. „Mann, ich hätte nie gedacht, dass ich dich mal soweit kriege, dass du mir tatsächlich wehtust. Das könntest du öfters machen“, sagte er mit dieser ihm eigenen Coolness, die viele Menschen aus dem Konzept bringen konnte, und einem leicht spöttischen Lächeln. Das war der normale Rico, so wie Alex ihn kannte und so wie sie ihn trotz seiner ganzen Ecken und Kanten alle liebten. „Rico... guck mich mal an“, meinte Alex vorsichtig. Er musste einfach in diese Augen sehen. „Wieso? Hast du Angst, ich könnte lügen?“, fragte der Angesprochene immer noch cool. Er wusste selbst sehr gut, dass seine Augen die Angewohnheit hatten ihn beim Lügen zu verraten. „Ich will endlich wissen, wo der echte Rico geblieben ist und wo die Drogen die guten Teile seiner Seele eingesperrt haben. Ich sehe dich an und ich finde nur noch Verzweiflung“, antwortete Alex ehrlich. Geschockt riss Rico die Augen auf und sah seinem Freund direkt ins Gesicht. Einen Moment lang konnte man förmlich sehen, wie die Fassade wackelte, aber dann fiel die verteidigende Kälte von ihm ab und der kleine Junge tauchte wieder in seinen Augen auf. Alex konnte Rico fast innerlich schreien hören und er sah, wie der Junge hilfesuchend die Hand nach ihm ausstreckte. „Ich bin doch... was?... du hast ihn gesehen?... Den Kern von meiner Seele?“, fragte er schwach. „Klar und deutlich. Und ich hab mich gefragt, wo wohl der Rest davon hingekommen ist“, entgegnete der Größere und wollte diese bemitleidenswerte Gestalt in seine Arme schließen. Aber er wusste, dass er warten musste, bis Rico von selbst zu ihm kam. „Sie liegt in Scherben... schon so lange... und ich weiß nichtmal genau wieso. Und... ich dachte ich hätte sie gut versteckt... aber du hast sie gefunden“, flüsterte er und diesmal waren es Tränen, die durch sein schönes Gesicht rannen. „Ich bin eben einer von den Wenigen, die dich so oft ohne deine Maske gesehen haben, hinter der du dich immer so verzweifelt versteckst, damit keiner merkt, wie du wirklich bist... so zerbrechlich wie Glas, so verletzt und einsam“, sagte sein Freund und so langsam wurde die Verzweiflung greifbar. Rico machte einen unsicheren Schritt auf ihn zu. „Alex, bitte... halt mich fest... nur ganz kurz“, flüsterte er unter Tränen. „So lange du willst“, antwortete der Angesprochene und nahm ihn endlich in seine Arme, wo er in erleichterndes Schluchzen ausbrach. „Du musst dich nicht mehr verstecken... du darfst weinen so viel du willst und ich bleibe bei dir so lange du willst“, sagte Alex sanft und streichelte den narbenbedeckten Rücken seines Freundes, der sich wie ein Ertrinkender an ihn klammerte und haltlos weinte. Endlich hatte er Rico´s Seele aus ihrem Gefängnis befreit. Aber wie lange würde dieser Zustand anhalten? Vielleicht verschloss er seine Gefühle in fünf Minuten schon wieder und tat so als ginge es ihm besser. Aber immerhin hatte Alex ihn dazu gebracht sich zu offenbaren, was auch schon viel wert war. Tatsächlich richtete Rico sich nach wenigen Minuten schon wieder auf und ließ seinen Freund los. Er sah zu ihm hoch und schenkte ihm sein erstes ehrliches Lächeln seit langer Zeit. „Danke...“, flüsterte er, „Wir sollten hier raus, bevor wir noch anfangen durchzuweichen“ Alex konnte nur zustimmen und nachdem sie schnell fertig geduscht hatten gingen sie wieder in das andere Zimmer, wo Chris sie schon ungeduldig erwartete, damit er endlich das Bad benutzen konnte. Ihm fiel die seltsame Stimmung zwischen den Beiden auf und er beschloss sich Zeit zu lassen, damit sie ihre Probleme in Ruhe aussortieren konnten. „Willst du drüber reden?“, fragte Alex als sie allein waren. „Weiß nicht... Sag mal, du hast eben gesagt du siehst bei mir nur noch Verzweiflung... Was hast du denn früher gesehen? Die Verzweiflung ist doch schon lange da“, fragte Rico. „Ja, aber... früher war da nicht nur Verzweiflung. Auch wenn du traurig warst konnte man in deinen Augen noch den fröhlichen Rico finden. Und wenn du wütend wurdest war ein Teil von dir immer noch sanft... Du wurdest nie nur von einem Gefühl beherrscht. Aber heute... Als die Mauer um deine Seele verschwunden war, fand ich in deinen Augen nur noch die Verzweiflung, keine Spur mehr von irgendwelchen anderen Emotionen. Und ich frage mich wirklich, wo sie hingekommen sind“, erklärte sein Gegenüber, während er sich neben ihm auf dem Bett niederließ. „Ich weiß nicht, wo sie die ganze Zeit waren, aber ich glaub´ jetzt sind sie wieder da. Und das hab ich dir zu verdanken“, meinte Rico lächelnd. Er hatte Recht. Sie waren alle wieder da. Die ganzen Facetten seiner in der Tat sehr komplexen Persönlichkeit sahen Alex aus seinen Augen entgegen. Verzweiflung, Fröhlichkeit, Liebe, Verrücktheit... die verschiedensten Teile dieser sensiblen Seele waren wieder aufgetaucht. Rico hatte genug Persönlichkeit für drei Leute! Trotzdem dominierte immer noch die Depression seine Stimmung. „Aber wie ist es dazu gekommen? Wie wurdest du zu dem, was du bis eben warst? Und wieso konnte ich dich vorher nicht finden?“, fragte Alex. „Ich weiß es nicht so genau. Ich weiß nur, dass die Verzweiflung immer größer wurde. Immer wenn etwas Schlimmes passierte, wurde es von meiner Seele praktisch aufgesaugt. Es reichte schon, wenn ich irgendjemand Trauriges sah... Normalerweise, wenn man deprimiert ist oder wenn einem was passiert kommt man irgendwann drüber hinweg, aber bei mir ist die Funktion wohl ausgeschaltet. Die ganze Traurigkeit und das ganze Leid, das ich in meinem Leben bei anderen sehen und auch selbst ertragen musste ist in meiner Seele geblieben und wurde zu einem großen schwarzen Loch. Mit der Zeit hat dieses schwarze Loch alle anderen Gefühle verschluckt und mich mit einer Verzweiflung zurückgelassen, die so langsam größer wurde als ich selbst. Eines Tages letzten Winter sagte ich mal wieder ohne zu überlegen etwas Blödes zu jemand. Der nahm es mir zwar nicht übel, aber ich hasste mich selbst so dermaßen in diesem Moment...“ Rico hörte auf zu sprechen und begutachtete die tiefe Narbe an seinem linken Handgelenk, dann fuhr er fort: „Das hat mich dann endgültig umgehauen. Die Verzweiflung wurde zu groß und ich versuchte... mich umzubringen. Wie du siehst klappte es nicht... Als ich mich so weit wieder gesammelt hatte, dass ich klar denken konnte fing ich an, diese Mauer aufzubauen. Ich wollte nicht, dass irgendjemand bemerkte, wie schwach ich war. Seitdem hing ich wieder an der Nadel, um mir selbst wenigstens ab und zu eine heile Welt vorzumachen und nicht ganz wahnsinnig zu werden. Aber als wir von zu Hause weggefahren sind hab ich beschlossen, doch wieder clean zu werden, damit ich meine letzten Tage auf dieser Erde mit einem klaren Kopf verbringen kann. Gestern hab ich mir meinen letzten Schuss gesetzt, seitdem nehme ich andauernd Schmerztabletten, um die Entzugserscheinungen zu verstecken und die Schmerzen loszuwerden. Du konntest mich nicht finden, weil... die Drogen und der Selbstbetrug meine Mauer stabil gehalten haben. Aber wo ich wieder runterkam konnte ich dieses Gefühl nicht länger unterdrücken... Du hast ihn auch gesehen, oder? Den Kleinen, der da in meiner Seele saß und einfach nicht mehr konnte. Jedes Mal, wenn ich die Augen zugemacht hab, hab ich ihn gesehen... Er hat geweint und geschrien. Er wollte, dass irgendjemand ihm hilft und ihn endlich da rausholt... Dieser Jemand warst du, Alex. Du hast diese Verzweiflung in deine Arme genommen und ganz festgehalten, bis endlich die Tür für die anderen Gefühle wieder aufging und sie zurückkamen... ich bin dir so unglaublich dankbar“ Rico´s Stimme versagte und er sah den geschockten Alex mit einem melancholischen Lächeln an. „Die ganze Zeit, die ganzen Jahre hast du so gelitten... und nie was gesagt“, flüsterte dieser kopfschüttelnd. „Na hör mal... ein bisschen Stolz hab sogar ich“, meinte Rico fast beleidigt. „Ja~, nicht nur ein bisschen... Komm her, du Sturkopf“, sagte sein Freund und zog ihn in eine sanfte Umarmung. Sie verblieben eine lange Zeit in dieser Position, bis Rico schließlich erschöpft einschlief. Alex legte ihn auf das Bett und deckte ihn zu. In diesem Moment betrat Chris wieder den Raum und sah ihn erwartungsvoll an. Der Ältere stand auf, schob seinen Bruder zurück ins Badezimmer und erzählte ihm, was vorgefallen war. Chris war mindestens genauso geschockt wie er und machte sich Vorwürfe, weil er nichts bemerkt hatte. „Wie hättest du es bemerken sollen? Er hat es wirklich gut versteckt und auch ich konnte es erst sehen als ich direkt vor ihm stand und als die Drogen nachgelassen haben... Aber jetzt ist er wieder unser geliebter Rico, der uns nichts mehr vormachen kann“, sagte Alex. „Trotzdem verheimlicht er noch was. Vielleicht erzählt er es uns ja bald“, erwiderte Chris. Sie wechselten das Thema und kamen auf die Sache zu sprechen, die Chris noch vorhatte. Es würde nicht einfach werden...
 

Am Nachmittag besuchten die drei Männer das heruntergekommene Haus. Rico ging es wieder besser und er wollte unbedingt mitgehen, weil er es sonst vor Sorge nicht ausgehalten hätte und weil er Chris im Notfall helfen wollte. Der Jüngste erschauderte, als er in das Haus ging. Er zweifelte einen Moment lang an seinem Vorhaben, dann betrat er als Erster den Raum mit dem „R“. Die ganzen mühsam überwundenen Ängste brachen wieder über ihn herein, als er seinen Peinigern gegenüber stand, die ihn überrascht musterten. „Chris?... Bist du endlich vernünftig geworden und kommst jetzt um Vergebung betteln?“, sagte einer der Männer eiskalt. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, als Rico und Alex eintraten. „Nein. Ich bin hier, weil ich sehen will, ob du immer noch so ein furchtbarer Feigling bist, der Schwächere unterdrückt und quält... und wie ich sehe hat sich nichts geändert“, entgegnete Chris, der seine Ruhe wiedergefunden hatte. „Wollen wir nicht mal kurz unter vier Augen reden und sehen, ob du dich geändert hast, oder ob du es immer noch so geil findest dich von mir quälen zu lassen und noch genauso laut stöhnst, wenn ich dich verge-...“ Der Mann stoppte abrupt, denn Chris´ Hand war in seinem Gesicht gelandet und hatte eine flammend-rote Spur auf seiner Wange hinterlassen, was ihn aus allen Wolken fallen ließ. „Ich bin nicht mehr der kaputte kleine Junge, den du rumschubsen kannst, wie es dir passt. Das ist auch eigentlich alles, was ich dir zu sagen habe... Und du“, wandte er sich an den anderen Mann, „Dir ging es eh immer nur ums Geld. Du bist genauso unverbesserlich“ Mit einem überlegenen Grinsen sah Chris nochmal von einem zum anderen. „Ihr seid so erbärmlich. Ich hoffe, wir sehen uns nie wieder“, sagte er dann und drehte sich um, um das Haus endgültig zu verlassen. „Wir sehen uns in der Hölle!“, rief einer der Männer ihnen hinterher. Als sie auf der Straße standen lehnte der Jüngste sich erleichtert an die Hauswand. „Das war ja einfacher als ich gedacht hatte... Kaum zu glauben, dass ich den Scheißkerl mal geliebt hab... aber wenn ihr nicht dabei gewesen wärt, würde ich jetzt schon wieder hinter der blauen Tür sitzen und auf einen Freier warten“, sagte er mit geschlossenen Augen. „Das glaub´ ich nicht. Du hattest Recht; du bist wirklich nicht mehr der kaputte kleine Junge von damals, den ich hier raus schleppen musste“, meinte Rico und als Chris in seine Augen sah, meinte er ein bisschen Stolz durchschimmern zu sehen. „Vielleicht... Aber ich muss an die ganzen anderen Jungs denken, die nicht so einen Retter haben wie dich... Könnte mir mal einer von euch sein Handy leihen?“, antwortete der Jüngere und richtete sich voller Entschlossenheit auf. Er telefonierte einige Minuten. Wenn Rico es richtig verstanden hatte, sprach er mit der Polizei. „Das ist doch nicht zu fassen! Die Bullen glauben mir nicht!... Sie sagen, dieses Haus wäre überprüft worden und sie hätten nichts gefunden. Das darf doch nicht wahr sein! Diese verdammten korrupten Bullenschweine!“, regte Chris sich auf, nachdem er aufgelegt hatte, „Was mach ich denn jetzt? Wenn die mir schon nicht glauben...“ Die beiden Anderen sahen sich ratlos an. „Vorerst können wir nichts tun. Aber wir könnten eine internationale Behörde fragen. Ich hab da so meine Kontakte. Jetzt lass uns endlich hier verschwinden“, sagte Rico dann und sie kehrten in ihr Hotel zurück. Dort telefonierte er lange mit einer Person, mit der er Spanisch sprach. Am Ende bedankte er sich enttäuscht und murmelte noch einige Schimpfwörter vor sich hin, als der andere schon aufgelegt hatte. „Die können uns auch nicht helfen. Zuerst hat er gesagt, er braucht einen Zeugen. Ich hab ihm gesagt, ich hätte einen. Dann hat er gesagt, er braucht Beweise. Ich hab gesagt, die könnte ich besorgen. Und dann hat er gemeint, er braucht die Bestätigung der lokalen Polizei. Na ja, ab dem Punkt war wohl alles verloren. Wir müssen uns was Anderes einfallen lassen“, erklärte er. „Uns fällt schon was ein. Belaste du nicht schon wieder deine Seele mit so was“, sagte Chris und sah ihn besorgt an. „Zu spät“, meinte Rico nur und ging zum Fenster, wo er gedankenverloren raussah, bis sich zwei schlanke Arme um seine Mitte legten und die dazugehörige Person sich an seinen Rücken drückte. „Tut mir leid... Ich wollte dich doch nicht schon wieder... du weißt schon“, murmelte Chris geplagt von Schuldgefühlen. Rico drehte sich um und nahm ihn in den Arm. „Das hast du nicht. Mach dir keine Sorgen um mich“, sagte er sehr überzeugend.
 

Der Abend war schnell gekommen und wieder landeten sie in einer Kneipe. Diesmal hielt sich zumindest Chris nicht so zurück wie am Vortag. Sie mussten ihn schließlich beim Nachhause gehen unterstützen, weil er nicht mehr gradeaus laufen konnte. Er selbst kam erst wieder zu sich, als er auf dem Bett abgelegt wurde und Rico ihn dazu aufforderte, seinen Rausch auszuschlafen. Am nächsten Morgen ereilte ihn ein schmerzhaftes Erwachen. Zum Einen, weil er einen Kater hatte und zum Anderen, weil Alex die ganze Nacht auf seinen Beinen geschlafen hatte. Er musste seinen Bruder ziemlich unsanft aus dem Schlaf reißen, damit er endlich aufstehen und ins Badezimmer schleichen konnte. Zuerst hielt er es für eine Sinnestäuschung, aber als er genauer hinsah merkte er, dass es echt war: Da war Blut auf dem Boden. Auch in der Dusche fand er ein paar rote Flecken. Er schwankte ins Schlafzimmer zurück und sah sich die beiden Männer auf dem Bett genauer an. Keine äußerlichen Verletzungen waren zu erkennen und sie sahen auch beide nicht aus als hätten sie irgendwelche Schmerzen, ganz im Gegenteil. Aber Chris wollte es unbedingt wissen, also weckte er die Beiden, die ihn verpeilt ansahen. „Da ist Blut im Badezimmer. Und es ist nicht meins“, sagte er und wartete auf eine Antwort. Beide sagten ihm, sie hätten keine Ahnung und so beschloss er, dass es zwecklos war, noch länger drüber nachzudenken. Sie verließen kurze Zeit später das Hotel und fuhren wieder Richtung Westen. Nach zwei Stunden fing es an zu regnen und dieser Regen verwandelte sich langsam in Schnee, bis er zu einem ausgewachsenen Schneesturm geworden war. Es schneite so stark, dass sie nicht mehr weiterfahren konnten und es nur mit Mühe und Not in den nächsten Ort schafften. Mittlerweile war schon alles von einer weißen Schicht bedeckt, die einige Zentimeter hoch war. Sie parkten unter einem großen Baum, der sie einigermaßen vor den Schneemassen schützte. „Was machen wir jetzt?“, fragte Chris, dem dieses Wetter zu dieser Jahreszeit nicht so ganz geheuer war. „Wie wär´s mit einem Winterspaziergang. Wir müssen eh rausfinden, wo wir hier übernachten können, weil weiterfahren bei dem Wetter ist unmöglich“, antwortete sein Bruder, dem das alles anscheinend nichts ausmachte. Aber er hatte Recht. Ordentlich fahren konnte man nur noch, wenn man in einem Schneepflug saß. Sie holten ihre Jacken aus dem Kofferraum und machten sich auf den Weg durch die kleine Stadt. Bald waren sie vollkommen durchnässt und halberfroren, weil keiner von ihnen dran gedacht hatte, dass sie möglicherweise auf ihrer Reise auch mal schlechtes Wetter erleben könnten. Als sie die Hoffnung schon aufgeben wollten standen sie endlich vor einer Art Gasthaus. Sie gingen rein und es war überfüllt mit Touristen und Einheimischen, die der Sturm wohl auch kalt erwischt hatte. Chris fragte nach, ob man dort übernachten konnte, aber der Wirt sagte, sie seien ausgebucht. Er telefonierte mit einem befreundeten Hotelbesitzer im Nachbarort, der auch nur noch ein Zimmer frei hatte. Sie hatten sich ja schon öfters ein Doppelbett geteilt, insofern war das kein Problem. Aber wie sollten sie dorthin kommen? Der Schnee lag schon so hoch, dass man die Straße nicht mehr erkennen konnte und sie besaßen keine Schneeketten. Nach einigem Hin und Her meinte der Wirt, er hätte Schneeketten im Auto. Er bot ihnen bereitwillig an, dass sie sich diese leihen könnten und Chris versprach, sie so bald wie möglich zurückzubringen. Sie kämpften sich zum Auto zurück und bastelten eine Ewigkeit mit den Ketten herum. Alex war schon oft in solchen Wetterbedingungen gefahren und brachte sie relativ entspannt auf die Straße zurück (oder zumindest dahin, wo er diese vermutete). Sie konnten nur sehr langsam fahren, aber es war immerhin besser als zu Fuß zu gehen. Noch bevor sie den Ortsausgang erreicht hatten wurde der Schneefall so heftig, dass man keine Hand mehr vor den Augen sehen konnte und sie mussten am Straßenrand anhalten, was fast dazu führte, dass sie in den Graben rutschten. Sie saßen einige Minuten ratlos im Auto, bis sie von hinten ein sehr beruhigendes Geräusch hörten. Ein Schneepflug näherte sich und passierte sie. Das war die Chance. Sie fuhren langsam hinterher. Das orange Blinklicht war ihr einziger Anhaltspunkt und sie folgten ihm über die ohnehin schon schwierigen Landstraßen bis in die nächste Stadt. Dort parkten sie bei der erstmöglichen Gelegenheit und gingen zu Fuß das Hotel suchen. Nachdem sie lange durch den Ort geirrt waren beschlossen sie, doch endlich einen von den wenigen Passanten zu fragen. Der teilte ihnen mit, dass sie ganz an das andere Ende der Stadt mussten. Zum Glück war diese nicht besonders groß. Als sie die angegebene Adresse schließlich gefunden hatten, stellten sie entsetzt fest, dass sie auf der anderen Straßenseite geparkt hatten und nun für nichts und wieder nichts eine Stunde durch den Schnee gelaufen waren. Frustriert und klatschnass betraten sie das Gebäude, das von außen nicht besonders einladend wirkte. Hinter der Rezeption saß eine Frau, die sie freundlich begrüßte. Ihr Chef betrat sogleich den Raum und musterte die drei Neuankömmlinge. Als Chris ihn in seiner Sprache ansprach hellte sich sein Gesicht auf und er erkannte, dass sie die drei Männer waren, wegen denen sein Kumpel angerufen hatte. „Es überrascht mich, dass Sie so schnell hierher gefunden haben. Wir haben Ihr Zimmer schon hergerichtet“, sagte er und gab ihnen einen Schlüssel. Sie begaben sich in die obere Etage und wurden erstmal ihre durchweichten Klamotten los. Chris drehte die Heizung ganz auf, aber die gab kein Zeichen einer Funktionstüchtigkeit von sich und so blieb es im Zimmer eiskalt. Er ging an die Rezeption und fragte danach, und die Frau erklärte ihm, das Heizöl sei ausgegangen und der Tankwagen würde im Schnee feststecken. Aber sie bot ihm eine Flasche Wodka an, mit der Begründung, dass man davon auch warm würde. Dankend kaufte er ihr das Getränk ab und kehrte ins Zimmer zurück. Er fand seine Mitreisenden zitternd vor Kälte unter der Bettdecke. Grinsend füllte er die mitgebrachten Gläser und sie tranken auf besseres Wetter. „Hey Jungs, wisst ihr was das beste Mittel gegen die Kälte ist?“, fragte Rico irgendwann mit einem teuflischen Grinsen. „Ja... guter Sex!“, antwortete Chris, der in diesem Moment denselben Gedanken gehabt hatte. „Dann sollten wir doch aus unserer Notlage was Gutes machen“, meinte sein Bruder. Na ja, gut war wohl noch untertrieben...
 

Sie erwachten von ihrem eigenen Zittern. Es war sehr dunkel, obwohl es erst vier Uhr nachmittags war und vor dem Fenster fiel der Schnee immer noch unaufhörlich. Wo sollte das noch hinführen? Irgendwann waren sie dann bestimmt eingeschneit und mussten verhungern. Hunger war ein gutes Stichwort. Sie hatten alle schon länger nichts mehr gegessen und an diesem Tag praktisch nur vom Wodka gelebt, was keinem von ihnen wirklich gut bekommen war. Nachdem sie duschen gewesen waren (das Wasser war eiskalt) gingen sie runter, um rauszufinden ob noch etwas vom Mittagessen übrig war. Die Frau von der Rezeption bedauerte ihnen mitteilen zu müssen, dass sie nur noch Brot im Haus hatten, weil einfach keine Lieferungen zu ihnen durchkamen. Es war praktisch ein Wunder, dass der Strom noch nicht ausgefallen war. Die drei Gäste waren so langsam aber sicher wirklich frustriert. Sie kehrten zwar mit weniger Hunger in ihr Zimmer zurück, aber trotzdem waren diese Zustände Besorgnis erregend. Weil sie nichts Besseres zu tun hatten legten sie sich wieder ins Bett und machten den Fernseher an. So erfuhren sie, dass im ganzen Land Schneechaos herrschte und überall Menschen von der Außenwelt abgeschnitten waren. Die nächste Nachrichtenmeldung versetzte vor allem Chris einen riesigen Schock. Es hatte einen Doppelmord in Prag gegeben, in dem Haus wo sie am Vortag noch gewesen waren. Die Mordopfer waren Chris´ perverser Ex-Freund und sein geldgeiler Geschäftspartner. Offensichtlich war es ein Raubmord gewesen, begangen mit einer handelsüblichen Pistole. Das war einfach unglaublich. Sie hatten die Jungs aus dem Haus von der Herrschaft dieser Tyrannen befreien wollen, aber jetzt hatte das wohl jemand anders für sie übernommen. „Was passiert jetzt wohl mit... meinen „Kollegen“? Die streunen vollkommen pleite im Schnee rum. Wenn sie nicht erfrieren geraten sie an den nächsten Zuhälter, der ihnen das Blaue vom Himmel verspricht und sie wieder einsperrt. Ich wünschte, ich könnte irgendwas für sie tun...“, sagte Chris traurig. „Du hast versucht, etwas für sie zu tun... Sie kommen bestimmt zurecht, sie haben gelernt zu kämpfen“, meinte Rico beruhigend und man konnte hören, dass er selbst nicht so ganz daran glaubte. Mit einem Schlag wurde es dunkel und der Fernseher ging aus. „Na toll. Jetzt sind wir ganz zugeschneit“, sagte Chris genervt und ließ sich mit einem Seufzer zurück auf das Bett fallen. Irgendwann mussten sie eingeschlafen sein, denn als sie die Augen öffneten war es hell. Rico saß schon auf der Fensterbank und sah dem Schnee zu, der schon wieder in dicken Flocken vom Himmel fiel. Es lag möglicherweise am Licht, aber Rico´s Hautfarbe schien sich nicht mehr wirklich von der Schneedecke zu unterscheiden und wenn man genau hinsah konnte man ein leichtes Zittern erkennen, das nicht von der Kälte ausgelöst wurde. Als Chris seinen Freund grade fragen wollte, was los sei, klingelte ein Handy und ließ sie alle zusammenzucken. Der Jüngste suchte nach dem Telefon und ging dran. Sabine meldete sich am anderen Ende der Leitung. Durch das Rauschen konnte er sie kaum verstehen. Er erzählte ihr kurz, wo sie festsaßen. „Chris, hör zu... *rausch*... wichtiges erzählen... *rausch*... ist tot!“, sagte sie kaum verständlich. „Was, wer ist tot?! Ich versteh dich nicht“, rief er. „Frank... Onkel Frank ist tot. *rausch*... ihr da wart erschossen“, antwortete sie und die Leitung brach zusammen. Chris wandte sich an seine Mitreisenden. „Onkel Frank wurde erschossen während wir da waren. Das alles kann kein Zufall sein...“, sagte er und wandte sich an Rico. Eine Sekunde später fiel dieser praktisch von der Fensterbank. Er zitterte haltlos und konnte kaum stehen. „Rico, was hast du?“, fragte Chris geschockt, während Alex den Älteren stützte, damit er nicht umfiel. Er versuchte ihn zum Reden zu kriegen, aber Rico bekam kein Wort heraus. „Wo sind deine Tabletten? Komm schon, Mann. Sag´s mir“, sagte Alex eindringlich und sah ihm in die Augen. „D-die sind... leer... Hilf mir“, flüsterte Rico und klammerte sich mit aller Macht in den Pulli des Größeren, der seinem ebenso ratlosen Bruder einen verzweifelten Blick zuwarf. „Chris, besorg irgendwas! Mach schnell“, sagte er flehend und warf dem Kleinen den Geldbeutel zu. „Warte, vielleicht hab ich noch...“, murmelte Chris, während er in Rekordzeit alle seine Taschen und Hosentaschen durchsuchte. In der Zwischenzeit waren die beiden Anderen auf den Boden gesunken. Rico biss die Zähne zusammen, um sich selbst vom Schreien abzuhalten. Es war auch von außen schon offensichtlich, dass seine Schmerzen unerträglich sein mussten. Sein Zittern war nun so stark, dass es eher einem Zucken glich und Tränen voller Schmerz liefen unaufhörlich durch sein Gesicht. Gerade als Chris rief: „Ich hab sie!“, kippte Rico nach der Seite um und schrie schmerzerfüllt auf. Er krallte sich in den Holzboden und hinterließ tiefe Kratzer in ebendiesem. Sie beeilten sich, ihm das Schmerzmittel einzuflößen. „Komm schon, Rico! Du musst das Scheiß-Zeug schlucken! Runter damit!“, rief Alex, der ihn festhielt, während Chris versuchte, die in Wodka aufgelösten Tabletten irgendwie in seinen Mund zu bekommen. Tatsächlich schaffte Rico es, das halbe Glas zu trinken (die andere Hälfte ging daneben). Eine Minute später zitterte er schon nicht mehr so stark. Jetzt rannte Chris endlich los, neue Tabletten besorgen. Er wusste, dass sie bald wieder in dieser Situation wären, wenn er erfolglos blieb. Die Frage, die er Rico eigentlich stellen wollte und die möglicherweise alles verändern würde, konnte warten. Er lief wie verrückt durch den unaufhörlichen Schneesturm, bis er eine Apotheke gefunden hatte, wo er verzweifelt gegen die verschlossene Tür hämmerte. „Ich brauch Schmerztabletten... viele“, keuchte er, als der Apothekenbesitzer endlich vor ihm stand. „Tut mir leid, mein Junge. Die kann ich Ihnen nicht einfach geben ohne ärztliches Rezept“, sagte der ältere Mann. „Bitte, ich flehe Sie an... die sind für meinen Freund... er ist krank und hat so schreckliche, furchtbare Schmerzen... er hält es nicht mehr aus... bitte, ich tu alles, nur geben Sie mir das Zeug. Bitte!“, flehte er und wäre fast vor dem Mann auf die Knie gefallen. „Das müssen Sie nicht... Hier nehmen Sie. Das ist alles, was ich hab“, antwortete dieser und gab ihm einige große Packungen aus einer Schublade im hinteren Teil der Apotheke. Chris wollte ihn grade bezahlen, da schüttelte der Mann den Kopf. „Ich hab Ihren Freund gesehen. Es steht schlimm um ihn... Das hier will ich für ihn tun. Wenn es ihm irgendwie hilft...“ Er sprach nicht weiter, denn Chris war ihm um den Hals gefallen und bedankte sich unter Tränen. Dann packte er die Tabletten in seine Tasche und eilte zum Hotel zurück, wo er seinen Bruder immer noch auf dem Boden sitzend fand und mit einem hoffnungslosen Blick begrüßt wurde. Alex hatte geweint, das war offensichtlich. Er hörte lautes Schluchzen aus dem Badezimmer. „Er hat sich eingesperrt, mitsamt der Wodkaflasche“, flüsterte Alex besorgt und stand auf. Er klopfte an die Tür. „Rico. Bitte, mach nichts Dummes da drinnen... Hörst du mich? Bitte, komm raus...“, sagte er scheinbar ruhig. Die Tür öffnete sich und Rico stand ihnen gegenüber, der immer noch furchtbar weinte. Als er sah, dass Alex auch die Tränen kamen wich er zurück und wollte die Tür wieder zuschlagen, was ihm aber erst gelang, als Chris an ihm vorbeigeschlüpft war. Rico erschrak als er sich umdrehte und sein Freund auf einmal hinter ihm stand. Chris ging auf ihn zu und wollte ihn beruhigen, aber Rico drückte sich panisch in die Ecke und versuchte aus seiner Reichweite zu kommen. „Geh weg!... Lass mich!“, rief er und schob den Kleineren von sich. „Rico, was soll das? Warum hast du Angst vor mir?“, fragte dieser verwirrt. „Lass mich doch einfach allein... Ich... ich bin es nicht wert, dass... du dich um mich kümmerst... Was hab ich euch bloß angetan?! Ihr verschwendet eure ganze Kraft an mir“, sagte er und wehrte sich immer noch. Chris kniete sich vor ihn auf den Boden und sah in die verzweifelten braunen Augen. „Rico... Du bist keine Verschwendung. Wenn unsere Kraft für dich gebraucht wird, dann wird sie für etwas Gutes gebraucht... Wir lieben dich doch beide“, sagte er leise. „Aber warum denn?“ Das war die schwierigste Frage, die jemand stellen konnte. „Wir tun es einfach, ohne irgendwas in Frage zu stellen. Und obwohl du manchmal echt schwierig bist, lieben wir dich bedingungslos und das wird immer so bleiben, egal was du getan hast“ Chris wusste, dass das die Wahrheit war und auf einmal war die Antwort auf seine wichtige Frage gar nicht mehr so wichtig. „Chris, ich... ich wollte niemals, dass ihr mich so seht. Ich bin so ein schwacher Mann und ihr musstet meine Schwäche mit ansehen und dagegen kämpfen, weil ich es selbst nicht konnte. Es tut mir so leid“, sagte Rico. „Es war nicht deine Schuld. Die Medikamente und der Schnee waren dran schuld. Mach dir bitte keine Vorwürfe... Das wird nicht nochmal passieren. Ich hab dir Tabletten besorgt... Jetzt komm, steh auf. Es ist doch viel zu kalt hier auf dem Boden“, entgegnete Chris, erhob sich und streckte ihm die Hand hin, die Rico zögerlich nahm und sich auch aufrichtete. Sie verließen das Badezimmer wieder. Alex erwartete sie strahlend. „Es hat aufgehört zu schneien. Und die Heizung geht wieder. Das ist ein Zeichen“, sagte er und seine Laune besserte sich noch mehr, als er sah, dass sein Freund nicht mehr weinte. Rico ging auf ihn zu und umarmte ihn. „Es tut mir so leid... Ich hab dich zum Weinen gebracht...“, sagte er leise und hätte fast selbst wieder damit angefangen. „Ist schon gut. Jetzt ist es ja alles wieder vorbei. Du solltest dich ausruhen“, antwortete Alex. Rico nickte und ließ sich auf dem Bett nieder. Dann sah er Chris durchdringend an. „Du wolltest mich doch noch was fragen. Dann mach schnell, bevor ich´s mir anders überleg“, sagte er. Chris dachte nicht länger nach, wie er diese Frage am geschicktesten stellen sollte. „Warst du es? Hast du all diese Leute erschossen, mit der Pistole, die du deinem Vater geklaut hast, als wir da waren?“, fragte er. „Ja. Ich erkläre es euch später“, antwortete Rico geradeheraus und legte sich schlafen. Und obwohl sie wussten, dass er ein Mörder war, legten Alex und Chris sich ohne zu zögern zu ihm, um ihn warm zu halten.

------------------------------------

The mighty Autorenkommentar:

;______________; Ich hab Rico gequält!

Obwohl ich ihn doch so lieb hab... Aber an irgendwem musste ich meine schlechte Laune auslassen.

Kam die Wendung am Ende eigentlich überraschend? *Andeutungen gemacht hat*

Road Trip: Leg 8 – Last but not least

Sie fühlten sich alle ziemlich komisch, als sie wieder erwachten. Keiner von ihnen wusste so genau, wie er mit der Situation umgehen sollte. „Ihr wollt sicher wissen, wieso...“, meinte Rico, nachdem sie eine Weile nur rumgesessen hatten. Die beiden Anderen murmelten zustimmend und sahen in verschiedene Ecken des Zimmers. „Die Leute, die ich umgebracht hab“, begann Rico unsicher „Sie waren böse Menschen. Eigentlich hätten sie was viel Schlimmeres verdient... aber das hab ich irgendwie nicht gebracht. Sie zu erschießen war schon schlimm genug...“ Er sah seine Freunde, die ihn sprachlos musterten, nicht an. „Wer waren die Menschen? Warum hast du sie erschossen?“, fragte Alex schließlich. „Na ja, die drei Letzten sollten euch bekannt sein. Ich... ich hab mich an ihnen gerächt, für das was sie Chris angetan haben... Und die drei Anderen: Einer von denen hat mir das hier verpasst“, antwortete er, hielt kurz inne und strich über die Brandnarbe am Schlüsselbein, dann fuhr er fort, „Er hat außerdem meiner Familie und mir so einiges angetan. Der Zweite hat reihenweise Frauen vergewaltigt, unter Anderem meine damalige Freundin, die sich kurz danach von einer Brücke in den Rhein gestürzt hat. Er kam ins Gefängnis, wurde aber aus irgendeinem Grund wieder freigelassen... Und der Dritte war ein sehr brutaler Lehrer. Er hat die Schüler verprügelt bis sie nicht mehr konnten und vor ihm auf dem Boden um Gnade gefleht haben. Er wurde von der Schulbehörde geschützt, von wegen schwere Kindheit, drogenabhängige Mutter und so. Kann ja alles sein, trotzdem sollte man den Kerl nicht mehr auf unschuldige Kinder loslassen... Und dann hab ich mit eurem Onkel weitergemacht. Was der getan hat ist uns Allen bekannt. Und die zwei Kerle aus Prag hatten es auch nicht besser verdient. Ich hab sie umgebracht, den Safe aufgemacht und dann hab ich das Geld an die armen Jungs verteilt, die da in den Zimmern eingesperrt waren und sie nach Hause zu ihren Eltern geschickt... Wenn sie mich kriegen... Ihr wisst von nichts, okay?“ Besorgt sah er von einem zum anderen. „Rico... Das hört sich vielleicht blöd an, aber warum fängst du erst jetzt damit an? Warum hast du die ganzen Kerle nicht schon früher erschossen?“, fragte Chris verwirrt. „Der Killer steckt in jedem von uns. Meiner kam raus als ich erfahren hab, dass ich sowieso sterbe. Ich hab ja nichts mehr zu verlieren und muss auch nicht mehr so lange mit meinem Gewissen leben. Es war die perfekte Gelegenheit mal auf der Welt ein bisschen aufzuräumen. Wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre früher oder später jemand anders gekommen, der sich dadurch wahrscheinlich in riesige Schwierigkeiten gebracht hätte. Ich wollte bloß Gerechtigkeit... Hasst ihr mich jetzt? Ich könnt´s verstehen“, sagte Rico und sah sie ängstlich an. „Ich hab dir doch schonmal gesagt, dass wir dich lieben, egal was du getan hast. Und ich für meinen Teil kann das alles voll und ganz nachvollziehen... und ich möchte dir dafür danken, dass du dich für mich gerächt hast“, meinte Chris ernst. „Ja, ich kann es auch verstehen. Es ist ja nicht so, dass du durch die Gegend läufst und wahllos Leute abknallst. Du erschießt nur die, die es verdient haben. Obwohl man natürlich daran zweifeln könnte, ob erschießen der richtige Weg ist“, sagte Alex. „Na ja, vielleicht nicht so ganz der Richtige. Aber die Polizei und so hat ja nichts gemacht, da musste ich das selbst in die Hand nehmen. Irgendwer muss doch so Leute beseitigen“ Alex grinste belustigt. „Nein, Mann. Das hab ich doch gar nicht gemeint“, sagte er, „Ich meine nur, du hättest dir da nicht selbst die Hände dreckig machen müssen und dich in Gefahr bringen. Wofür gibt es schließlich sowas wie Auftragskiller?“ Jetzt musste auch Rico wieder lachen. „Nein, Auftragskiller kann ich mir nicht leisten. Außerdem ist es doch so: Wenn man will, dass was erledigt wird, macht man es am Besten selbst. Und so konnte ich ihnen wenigstens noch persönlich die Meinung sagen, bevor sie gestorben sind“, meinte er und lehnte sich wieder zurück. Er war froh, dass die Sache geklärt war. „Sag mal, nur so aus Interesse, werden es noch mehr? Hast du so eine Art Todesliste?“, fragte Chris neugierig. Er kam sich vor wie in einem Film. Rico zögerte einen Moment. „Ja, so eine hab ich tatsächlich. Aber keiner darf sie sehen und ihr solltet mir auch keine Fragen mehr zu dem Thema stellen. Sonst werdet ihr zu sehr mit reingezogen. Ihr wisst jetzt alles, was ihr wissen müsst“, sagte er in endgültigem Ton. Sie gaben sich tatsächlich mit seiner Antwort zufrieden.
 

Kurze Zeit später waren die Straßen soweit geräumt, dass sie weiterfahren konnten. Sie hielten sich wieder westwärts und erreichten bald die Grenze zu Deutschland. Ihr Ziel war Nordfrankreich und die Atlantikküste, also durchquerten sie das Land ziemlich schnell. In Luxembourg legten sie einen sehr nötigen Tankstopp ein und hielten gegen Mitternacht kurz hinter der französischen Grenze an. Es war unmöglich zu dieser Uhrzeit noch einen überdachten Schlafplatz zu finden und so mussten sie zum ersten Mal auf ihrer Reise gezwungenermaßen im Auto übernachten. Sie waren so müde, dass ihnen das nicht wirklich etwas ausmachte. Schon nach wenigen Stunden weckte der vorbei rauschende Verkehr der Autobahn sie. Zum ersten Mal seit Tagen schien die Sonne warm auf sie herab, was Wunder auf ihre Stimmung wirkte. Sie machten sich (halbwegs in Eile) auf den Weg, denn sie wollten am liebsten noch an diesem Tag den Atlantik erreichen. Und tatsächlich kam nach einer ziemlich ereignislosen Tagesfahrt das Meer in Sicht. Sobald sie ein Hotel gefunden und alles geregelt hatten, gingen sie an den Strand. Vor allem Rico war sehr ausgelassen, kletterte gut gelaunt auf einen Felsen in der Brandung und stand so lange dort, bis er komplett nass war. „Rico und Wasser; das ist echt eine Freundschaft für´s Leben“, meinte Chris, der seinerseits immer noch Angst vor dem Meer hatte. „Was soll man auch anderes erwarten? Er hat schließlich sein Leben am Wasser verbracht“, sagte sein Bruder. Er hatte Recht: Rico war am Mittelmeer geboren, hatte acht Jahre lang dort gelebt und den Rest seiner Kindheit in Köln verbracht, das zwar nicht am Meer aber am Rhein liegt. Danach hatte er eine Zeit lang wieder in Spanien gelebt und jetzt wohnte er in Südfrankreich auch in einer Stadt am Meer. Einmal hatte er Alex im betrunkenen Zustand erzählt, er hätte gerne eine Seebestattung. Wenn man so darüber nachdachte konnte er das durchaus ernst gemeint haben. Zum ersten Mal seit längerer Zeit wurde Alex wieder schmerzhaft bewusst, dass diese Angelegenheit in der nahen Zukunft lag. Wenn man Rico so sah konnte man kaum glauben, dass er ein sterbender Mann war. Am Anfang ihrer Reise hatte er sehr krank ausgesehen aber nach und nach war es ihm besser gegangen. Er war zwar immer noch schrecklich dünn aber das konnte ja genauso gut an seiner Drogenabhängigkeit liegen, die schließlich Anfang und Ende dieses ganzen Leids darstellte. Vielleicht war er auch gar nicht krank; vielleicht hatten die Ärzte einen Fehler gemacht. Oder möglicherweise war nicht sein Körper sondern seine Psyche der Grund für das alles. Alex versuchte sich nicht in diese verzweifelten Hoffnungen reinzusteigern. Und er versuchte sich selbst davon abzuhalten, seinem Bruder von diesen Gedanken zu erzählen, denn für den hätte das schreckliche Folgen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine klatschnasse Hand in sein T-Shirt fuhr und ein grinsender Rico interessiert beobachtete, wie er überrascht aufschrie und einen Satz nach vorne machte. „Was ist los mit dir? Du schläfst ja im Stehen“, meinte der Ältere und strahlte ihn an. Alex gab nur irgendein verwirrtes Gemurmel von sich, sehr zu seiner Belustigung. „Wie wär´s, wenn wir schwimmen gehen? Wir sollten natürlich vorher unsere Sachen holen sonst müssen wir klatschnass durch die Stadt laufen“, fuhr er fort und seine Freunde stimmten ihm zu. Es war möglicherweise noch etwas zu kalt zum Schwimmen, aber Rico und Alex waren ziemlich abgehärtet, was das betraf. „Geht ihr allein schwimmen. Ich guck mir in der Zwischenzeit die Stadt an“, meinte Chris, als sie im Hotelzimmer standen. „Vergiss es. Du wirst jetzt endlich schwimmen lernen. Das hätten wir dir schon viel früher beibringen sollen“, entgegnete sein Freund. Alle Proteste waren zwecklos und so gingen sie wieder zum Strand. Sie ließen Chris noch eine Zeit lang in Ruhe, damit er sich mental vorbereiten konnte. Als der Jüngste so da saß und ihnen beim Schwimmen zusah wurde ihm bewusst, dass er gar nicht mehr so viel Angst hatte. In der Gegenwart der Beiden verlor er aus irgendeinem Grund immer seine Ängste und konnte gegen seine Feigheit ankämpfen. Er war in der Lage gewesen auf den Eiffel-Turm zu steigen, trotz seiner angeborenen Höhenangst. Und er war wieder in das Haus in Prag gegangen, obwohl ihm allein der Gedanke daran vorher schon Panik verursacht hatte. Vielleicht konnte er jetzt sogar schwimmen lernen. Aber seine Angst vor dem Meer ging noch tiefer. Es war ein fest verankertes Kindheitstrauma, das ihn normalerweise immer zur Flucht trieb, wenn er vor tiefem Wasser stand. Im Alter von vier Jahren war er am Mittelmeer in Urlaub gewesen. Das Ferienhaus lag direkt am Strand und wenn Flut war kam das Wasser bis unter die Terrasse. Chris hatte sich mal wieder mit seinem Vater angelegt und wollte vor seinen Schlägen flüchten. Es regnete in Strömen und der Wasserspiegel war derart angestiegen, dass Meer und Terrasse nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Der Junge rannte nach draußen und sprang voller Panik ohne zu überlegen in die grünen Fluten. Er versank aufgrund seiner Klamotten und weil er sich vor lauter Kälte nicht bewegen konnte. Der Sturm hatte haufenweise Sachen angespült und er verhedderte sich in irgendetwas, sodass er unter Wasser gehalten wurde. //Wasser rauscht in meinem Kopf und um mich herum. Ich sehe nichts; es ist dunkel. Über mir ein kleiner Lichtfleck; der Himmel. Ich muss atmen. Ich brauche Luft. Aber etwas hält mich fest. Egal wie ich mich wehre, es hält mich fest. Es wird immer dunkler und leuchtende Punkte tanzen vor meinen Augen. Gibt es unter Wasser Glühwürmchen? Egal, ich muss hier raus. Ich muss endlich hier raus. Ich lasse mich auch freiwillig schlagen, ich will bloß wieder hier raus. Bitte, ich will nicht ertrinken!// Wenn sein Bruder ihn nicht rausgeholt hätte, wäre Chris an diesem Tag gestorben. Vielleicht wäre das besser gewesen. Aber Alex hätte ihn niemals sterben gelassen; er hatte sich sogar selbst in Gefahr gebracht, um den Kleinen zu retten und war ihm nachgesprungen, in das stürmische Meer hinein. Zum Glück war er damals schon ein guter Schwimmer gewesen und konnte ihn befreien. Seitdem hatte Chris panische Angst vor dem offenen Meer und vor jeder Form von Wasser, das tiefer als einen Meter war. Aber es hatte sich immerhin gebessert. Damals, an seinem ersten Abend bei Rico war er freiwillig und fast ohne Angst auf diesen Felsen gestiegen und hatte die Beine über dem Meer baumeln gelassen. Aber an Neujahr hatte sich die Szene aus seiner Kindheit fast detailgetreu wiederholt. Es fiel ihm erst jetzt auf, als er drüber nachdachte. Es war genauso abgelaufen: Aus Angst vor einem größeren Übel war er blindlings ins Meer gesprungen und Alex hatte ihn rausgezogen. Also musste er ja theoretisch keine Angst vor dem Wasser haben, wenn sein Bruder dabei war. Und Rico war ja auch noch da. Seine Gedanken wurden genau im richtigen Moment unterbrochen als eine Hand vor seinem Gesicht herumwedelte und jemand seinen Namen rief. „Kommst du mit?... Oder hast du zu viel Angst?... Du musst nicht, wenn du nicht willst“, meinte Alex, der vor ihm hockte und ihm in die Augen sah. „Doch, ich will aber. Es wird Zeit, dass ich es überwinde. Und wenn ihr da seid, hab ich keine Angst“, antwortete sein kleiner Bruder strahlend. „Wir versprechen dir, dass wir dich nicht enttäuschen... oder quälen... oder untertauchen“, sagte Rico grinsend. Und er hielt sein Versprechen auch. Chris musste zugeben, dass schwimmen lernen mehr Spaß machte als er geglaubt hatte. Zuerst hatte er sich noch wie verrückt an Rico geklammert aber nach und nach wurde es besser. Trotzdem war er ein hoffnungsloser Fall. Nachdem sie ihn zum tausendsten Mal hochgezogen hatten beschlossen sie einstimmig, es aufzugeben; zumindest für diesen Tag. Der Abend dämmerte schon und sie froren bis auf die Knochen, als sie im Hotel ankamen. Chris und Rico teilten sich ein Zimmer. Sie gingen zusammen duschen und fielen danach praktisch sofort ins Bett. Rico war so todmüde, dass er augenblicklich einschlief. Sein Freund beobachtete ihn eine Zeit lang. Er sah im Schlaf unglaublich friedlich aus, als ob keine einzige Sorge seine Seele quälte. Ein kleines zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesicht; offensichtlich hatte er gerade einen schönen Traum. Chris fiel auf, dass er gar nicht mehr so schlimm aussah wie am Anfang ihrer Reise. Man konnte nicht leugnen, dass er älter geworden war aber die Spuren der Krankheit waren nicht mehr so gravierend. Sein Körper hatte anscheinend ein bisschen von seiner alten Kraft wiedergefunden, genauso wie seine Seele. Tatsächlich ging es ziemlich bergauf mit ihm, seit er in Prag diesen Zusammenbruch erlitten hatte. Seitdem war seine Seele wieder befreiter und er musste nicht mehr die ganze Zeit so kämpfen, damit niemand seine Schwäche bemerkte. Das war alles Alex´ Verdienst; ohne ihn wäre Rico vielleicht längst komplett an seiner Verzweiflung zerbrochen. Chris machte sich immer noch Vorwürfe, dass er seine psychischen Probleme nie bemerkt hatte. Er hatte geglaubt, die ganzen Veränderungen hätten etwas mit seiner Krankheit zu tun. Vielleicht lag es auch daran, dass er Rico gar nicht so gut kannte. Er vertraute ihm blind und liebte ihn von ganzem Herzen. Schon als sie sich zum ersten Mal begegnet waren konnte er ihn einfach nicht mehr vergessen. Aber was wusste er wirklich über ihn? Seine Vergangenheit war ein großes Mysterium, in dem Chris nie so ganz durchgeblickt hatte, wahrscheinlich weil er sich nie getraut hatte, ihn danach zu fragen. Alex hatte mal erwähnt, dass vor allem seine Kindheit Rico´s Schwachpunkt war und Chris wollte nicht, dass er sich daran erinnerte, nur weil er neugierig war. Das eine Mal wo er ihn gefragt hatte, war zu keinem guten Ende gekommen. Ein weiteres Rätsel waren seine genauen Familienverhältnisse. Zum Beispiel Kelly June: Sie war mit ihm verwandt und gleichzeitig war sie seine Adoptivtochter. Dann gab es da noch einen Jungen namens Paddy, zu dem Rico anscheinend auch ein sehr inniges Verhältnis hatte. Ob er nun ein Verwandter, ein Kindheitsfreund oder ein weiterer Geliebter war, konnte Chris nicht so genau sagen. Außerdem hatte Rico mal eine Zwillingsschwester gehabt. Ihr Name war Lucia und sie war sehr früh gestorben. Das war aber auch alles, was Chris über sie wusste. Er würde ihn niemals fragen... Andererseits wollte er endlich etwas über ihn wissen. Er beschloss, einfach Alex zu fragen, der würde ihm bestimmt alles erzählen. Was ihn eigentlich am brennendsten interessierte war der Ursprung dieser ganzen Narben. Als er Rico kennen lernte, hatte er die meisten davon noch nicht, zumindest die auf dem Rücken, die aussahen als ob sie von einer Peitsche stammten. Die seltsame Verbrennung am Schlüsselbein war damals schon da gewesen und hatte ihm Rätsel aufgegeben. Er war sich ziemlich sicher, dass etwas absolut grausames dahintersteckte. Hinter Rico´s Depressionen steckten bestimmt auch viel mehr Grausamkeiten als Chris auch nur ahnte. Der Schlafende bewegte sich leicht und sein Arm drehte sich, sodass sein Beobachter noch mehr Narben hatte, über die er nachdenken konnte. Chris zog die Linien auf der leicht gebräunten Haut mit der Fingerspitze nach. Er liebte jede einzelne davon, egal wo sie herkamen. Genauso wie er Rico liebte und bewunderte. „Chris... Was zum Teufel machst du da?“ Rico war aufgewacht und blinzelte verschlafen in seine Richtung. „Du hast die schönsten Narben der Welt“, flüsterte der Angesprochene und küsste den Unterarm des Anderen. „Lass das... bitte“, murmelte der Größere und zog ihn in eine Umarmung, damit er aufhörte. „Entschuldige“, sagte Chris noch, aber Rico war schon wieder eingeschlafen. Anscheinend schämte er sich doch mehr für die Spuren auf seiner Haut als man meinen würde. Chris versuchte nicht mehr darüber nachzudenken und auch zu schlafen. Aber es gelang ihm nicht wirklich. Jetzt, da er so halb auf Rico lag fiel ihm auf, dass das Herz des Älteren sehr unregelmäßig schlug und ab und zu ein Schauer über seinen Körper lief. Chris machte sich Sorgen. So gesund wie er wieder aussah war sein Freund wohl doch nicht. Was war, wenn er plötzlich zusammenbrach? Oder wenn er morgen früh nicht mehr aufwachte? Chris hoffte, dass das nicht passierte. Er hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass er ihn bald verlieren würde aber der Gedanke, dass das heute oder morgen sein könnte war einfach zu viel für ihn. „Kannst du nicht schlafen?“, fragte eine leise Stimme und ließ ihn zusammenzucken. „Nein, nicht wirklich. Und du?“, erwiderte Chris genauso leise. „Deine Schlaflosigkeit hat mich geweckt. Muss Telepathie sein, oder so“, antwortete sein Freund und man konnte hören, dass er lächelte. Eine Sekunde später lag Chris auf dem Rücken, Rico kniete über ihm und küsste ihn voller Verlangen. „Du musst dich nicht so einsam fühlen... Du hast doch mich“, flüsterte er grinsend und ließ seine Hände über den schmalen Körper unter sich wandern. „Uah, stop!“, sagte Chris entschlossen, „Schlaf weiter. Du... du musst dich ausruhen... Der Tag war schon anstrengend genug. Bitte, du willst doch nicht...“ Einen Moment lang wollte er `krank werden´ sagen, riss sich aber zusammen. Es kostete ihn insgesamt sowieso viel Überwindung Rico abzuweisen aber es war zu seinem Besten. Er durfte sich nicht so viel anstrengen. Tatsächlich ließ er von ihm ab und sah ihn ernst an. „Bist du jetzt beleidigt?“, fragte Chris mit einem schlechten Gewissen. „Nein, bin ich nicht... Ich weiß, was du denkst. Du machst dir Sorgen... Chris, weißt du warum ich hier bin?“, fragte Rico todernst und mit einem hintergründigen Blick. „Na ja, also... wegen... du wolltest mit allem abschließen... oder nicht... Ich weiß nicht“, stotterte der Untere nervös. Er wurde immer nervös, wenn Rico ihn so ansah. „Ich bin hier, weil ich noch ein bisschen leben wollte, bevor ich sterbe. Ich wollte mich noch ein letztes Mal als lebendiger Mensch fühlen... Ich dachte, du verstehst das. Zu Hause war mir ständig bewusst, dass ich sterbe. Alle haben mich so angesehen... so mitleidig. Aber du und Alex, ihr seid immer mit mir umgegangen als wäre ich gesund... Ich will einfach nur leben, verstehst du? Ist mir egal, wie anstrengend das ist. Und ich sehe in deinen Augen, dass du es eigentlich auch willst“ Er hatte Recht, aber Chris war dennoch am zweifeln. „Natürlich will ich, aber... Bist du dir sicher, dass wir das Richtige tun? Vielleicht wäre es besser für dich, wenn du dich ausruhst“ Zu seiner Überraschung musste Rico lachen. „Jetzt mal ernsthaft: Seit wann tust du das Richtige?“, fragte er und Chris musste ihm schon wieder zustimmen. „Hast ja Recht... Du kannst einen verdammt gut umstimmen“, meinte er und küsste seinen Freund als Bestätigung. Dieser kicherte leise und sie verschwanden unter der Decke.
 

Von der Weiterfahrt am nächsten Tag bekamen die Beiden nicht viel mit. Sie schliefen fast die ganze Zeit auf der Rückbank und erwachten erst in der Abenddämmerung als ein orientierungsloser Alex sie weckte. Ohne, dass sie es gemerkt hatten waren sie in Spanien angekommen und beschlossen einstimmig in einem Hotel auf der Grenze zu übernachten. Todmüde wie sie immer noch waren schliefen sie weiter, denn etwas Anderes hatten sie nicht zu tun. Am nächsten Tag waren sie endlich alle ausgeschlafen und die Reise ging weiter. Rico navigierte sie bis zum Haus seiner Mutter an der Mittelmeerküste, knapp außerhalb von Barcelona. Im Gegensatz zu seinem Vater war sie tatsächlich die Besitzerin dieses Hauses, das von beachtlicher Größe und Schönheit war und über einen Panoramablick auf das Meer verfügte. Ricos Mutter Paula war nur mit einem Wort zu beschreiben: cool. Sie war Event-Managerin von Beruf und hatte vor einigen Jahren ihre eigene Firma gegründet. Außerdem war sie noch ziemlich jung, hatte einen sehr eigenwilligen Stil und hörte gute Musik. Sie war durchgedreht und lustig, wie Rico oft. Tatsächlich hätte sie genauso gut seine große Schwester sein können, denn sie war nur knapp 19 Jahre älter als er. Doch Ricos richtige Schwester Blanca, die seit kurzem bei ihrer Mutter wohnte, war die Krönung der ganzen verrückten Familie: zwei Jahre jünger als Rico, frisch geschieden und Sängerin einer halbwegs erfolgreichen Rockband. Sie konnte keine zwei Minuten stillsitzen und tanzte immer anstatt zu gehen. Ihre Freizügigkeit in Verbindung mit ihrer Schusseligkeit brachte sie und ihre Mitmenschen immer in peinliche Situationen. So hatte sie auch an diesem Tag mal wieder fast nackt im Meer gebadet und betrat nur mit einem Handtuch bekleidet das Wohnzimmer. Mit einem skeptischen Blick musterte sie die unbekannten Gäste und stolperte dabei über den Saum des Tuchs, das sich sofort Richtung Boden verabschiedete. So stand sie da in einer sehr knappen Badehose und alle konnten ihre zahlreichen Piercings, diverse Tätowierungen und ihre beneidenswerte Figur bewundern. Sie sah so gut aus, dass sogar Rico nicht anders konnte als sie anzustarren. Aber anstatt rot zu werden und typisch mädchenhaft das Handtuch wieder hochzureißen fand sie innerhalb von Sekunden ihre Fassung wieder, strich ihre gefärbten Haare aus dem Gesicht und sagte: „Aber hallo, wer seid ihr zwei Hübschen denn?“, wobei sie besonders Alex mit einem positiv überraschten Blick bedachte. In der Zwischenzeit hatte Rico es geschafft sich wieder einzukriegen, ging nun peinlich berührt auf seine kleine Schwester zu und legte das Handtuch wieder über ihre Schultern. Er schob sie aus dem Raum, redete auf Spanisch auf sie ein und sie lachte sich halb tot. „Das ist normal. Sie ist immer so“, sagte Paula grinsend zu den beiden Brüdern, die sich fassungslos ansahen. „Du solltest aufpassen. Du bist genau ihr Typ“, fuhr sie an Alex gewandt fort. Rico betrat kopfschüttelnd das Zimmer wieder. „Verdammt, sie ist so peinlich“, meinte er. Kurze Zeit später kam auch Blanca erneut durch die Tür. Sie war mittlerweile angezogen und hatte ihre strohblonden Haare zusammengebunden. Auch mit Klamotten war sie sehr ansehnlich und man konnte praktisch an ihrem Stil ablesen, was ihr Beruf war. Sie saßen alle ziemlich lange im Wohnzimmer und redeten über Gott und die Welt. Es war schon Nachmittag als der neue Freund von Ricos Mutter zu ihnen stieß und die ganze Truppe sich auf den Weg in ein nahegelegenes Restaurant machte. Sie verschwanden bald wieder von dort, denn das Lokal war vollkommen überfüllt und sie fielen auf wie Totengräber auf einer Hochzeit. Wieder im Haus angekommen begaben sie sich mit viel Alkohol auf den Balkon und blieben dort bis weit nach Mitternacht sitzen. Mit steigendem Alkoholkonsum wurden sie alle immer sorgloser. Paula und ihr Freund waren schon bald im Schlafzimmer verschwunden. Chris und Rico waren mit sich selbst beschäftigt und wollten auch bald ins Haus gehen und Blanca flirtete hemmungslos mit Alex, der nicht grade abgeneigt war. Normalerweise ließ er sich im betrunkenen Zustand eher mit Männern ein aber diese Frau war nunmal nicht normal und sie machte ihn vollkommen wahnsinnig. Gerade als sie sich nach drinnen absetzen wollten, riss Ricos Stimme sie wieder aus ihrer Zweisamkeit. „Hey, Alex. Ich dachte, du betrügst deine Frau nur mit Männern und nicht auch noch mit den Schwestern dieser Männer“, sagte er und der Angesprochene kam zur Besinnung. „Er hat ja Recht... Tut mir leid“, murmelte er und wandte sich Rico zu, um mit diesem und Chris ins Haus zu gehen. „Rico! Das ist gemein... Du kriegst sie beide und ich darf keinen haben“, rief Blanca ihnen hinterher und ließ sich schmollend wieder auf dem Balkon nieder. Die drei Männer gingen in die obere Etage und Rico sah am Fenster raus. Als seine Schwester nach fünf Minuten immer noch da saß und schon eine halbe Flasche Wein geleert hatte ging er nach unten, um mit ihr zu reden oder sie ins Bett zu bringen; was auch immer am besten half.
 

Er blieb für den Rest der Nacht verschwunden und kehrte erst am frühen Morgen des nächsten Tages zurück. Chris erwartete ihn halbwegs wach im Schlafzimmer. „Wo warst du?“, fragte er heiser. „Du weißt, wo ich war“, antwortete Rico, stellte seine Tasche mit einem *klonk* auf dem Boden ab und verschwand Richtung Badezimmer. Ja, Chris wusste, wo er gewesen war. Er hatte weiter seine Todesliste abgearbeitet und in der Tasche befand sich seine Waffe. Der Jüngere machte sich schon Sorgen, dass er eines Tages erwischt wurde. Aber vielleicht war er ja jetzt fertig mit Töten. Chris hätte es zu gern gewusst aber er würde nicht fragen. Die Frage erübrigte sich als Rico nach einiger Zeit zurückkam und in seine Augen sah. „Du willst es wissen, oder?“, fragte er ernst. Chris nickte nervös und hoffte, dass er ihn nicht wieder beleidigt hatte oder ihm zu nahe trat mit seiner Neugier. „Es stehen noch zwei Namen auf der Liste“, sagte Rico ehrlich, „Und du musst dir keine Sorgen machen. Ich werde nicht erwischt“ Zu seiner Überraschung setzte Chris ein trotziges Gesicht auf und erwiderte seinen Blick. „Und wenn dann hau ich dich persönlich aus der Sache raus. Niemand nimmt dich mir mehr weg; auch nicht die Polizei“, sagte er entschlossen und verfolgte wie sich Ricos Gesichtsausdruck von Überraschung zu Stolz und dann zu etwas Undefinierbarem verwandelte. „So kenn´ ich dich ja gar nicht... so stark und kämpferisch“, sagte er leise und es schien fast als würde ihm diese neue Seite an Chris nicht wirklich gefallen. „Magst du es nicht, wenn ich so bin?“, fragte der Junge sofort. Er wollte keine Missverständnisse zwischen ihnen riskieren. „Doch, grundsätzlich schon. Aber ich will nicht, dass du wieder in irgendwas reingerätst“, antwortete sein Freund. „Ach so... haha, wie süß von dir“ Chris fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Ihr Gespräch hatte Alex geweckt, der verpeilt von einem zum anderen sah. Später machten sie sich auf den Weg nach Hause. Sie hatten alle Orte besucht, die sie hatten besuchen wollen, viel Spaß gehabt und Einiges in Ordnung gebracht. Die drei Männer waren sich jetzt noch näher als vorher und sie hatten diese Reise praktisch als Entschädigung dafür gesehen, dass sie in ihrem normalen Leben nur eingeschränkt zusammen sein konnten. Insofern war der Ausflug ein voller Erfolg gewesen. Als sie wieder in Sichtweite ihrer Heimatstadt kamen bat Rico Alex, mal kurz anzuhalten. Er zog ein Päckchen aus seiner Tasche und stieg mit Chris aus dem Auto, um allein mit ihm zu reden. Alex beobachtete, wie sein Freund das Paket an den Kleineren weitergab, eindringlich mit ihm sprach und ihn schließlich sehr lange küsste. Er hätte zu gern gewusst, was die beiden sprachen und was in dem Paket war. Und die Tatsache, dass Rico ab diesem Zeitpunkt seinem Lebensende überaus optimistisch entgegensah, gab ihm auch Rätsel auf...

-------------------------------

Endlich fertig! Die Verspätung tut mir leid aber ich hatte mit einigen Problemen zu kämpfen...

Das hier ist das vorletzte Kapitel, aber es ist nicht das endgültige Ende. Das kommt dann in der eigentlichen Story.

Das grüne Tagebuch

Alex betrat das stille Zimmer seines Bruders. Es war chaotisch, wie immer, aber auf dem Bett lagen drei Bücher der Reihe nach in verschiedenen Farben. Sie waren für ihn bestimmt, sonst hätte Chris sie nicht so da liegen gelassen. Das blaue und das rote Tagebuch kannte er schon. Oder zumindest wusste er ungefähr, was drinstand. In dem Blauen würde er die grausamen Details der Taten seines Vaters und seines Onkels erfahren und einige weitere traumatische Ereignisse aus Chris´ Kindheit. Er wusste jetzt schon, dass die Lektüre dieses Tagebuchs ihn verbittert, deprimiert und wütend auf sich selbst zurücklassen würde. In dem roten Buch dagegen befanden sich die guten Erlebnisse, wie zum Beispiel Chris´ erste richtige Beziehung, ausgerechnet zu Alex´ damaligem besten Kumpel Raphael, und möglicherweise einige Episoden aus der Sicht von Romain, sowie weitere Bettgeschichten. Das würde er definitiv niemals intensiv lesen. So sehr es ihn auch interessierte, was sein Bruder sich damals bei alledem gedacht hatte; das war einfach zu intim. Sicher, sie waren Brüder und auch Geliebte, aber soviel musste er nicht wissen... Nein, was ihn momentan am meisten anzog war dieses mysteriöse grüne Tagebuch, unter dem er sich absolut nichts vorstellen konnte. Er schlug die erste Seite auf und direkt sprang ihm sein eigener Name ins Auge. Chris hatte ihm eine Botschaft hinterlassen:

Dieses Buch ist nur für dich gedacht, Alex, mein geliebter Bruder. Als ich von zu Hause wegging fing ich an, meine Erlebnisse aufzuschreiben, damit ich dir nachher davon erzählen konnte. Na ja, es kam nie wirklich dazu und dieses Buch wurde zu einer Art Selbsttherapie. Leider war ich schon immer ziemlich nachlässig, deshalb steht hier noch längst nicht alles drin. Ich hoffe, wenn du meine Bücher liest, wirst du mich trotzdem besser verstehen. Möglicherweise ist das Meiste hierdrin sowieso uninteressant für dich und im Nachhinein auch für mich aber ich hab es alles aufgeschrieben, damit die Seiten voll werden und damit es nicht so aussieht als ob mein Leben leer und langweilig war, denn das war es nicht. Es war alles in allem eine Mischung aus Vergangenheitstrauma, Zukunftsangst und Verzweiflung im Hier und Jetzt. Und hunderte gescheitere Beziehungen und Dummheiten meinerseits, die den Weg säumen. Aber das weißt du ja... Jedenfalls wünsche ich dir viel Erfolg beim Lesen meiner verworrenen, kranken Gedanken, die sich ehrlich gesagt auch öfters mal um dich drehen. Bis dann. In Liebe, Chris.

Alex sah von der handgeschriebenen Seite auf. Chris hatte das also für ihn geschrieben. Aber warum hatte er nie davon erzählt? Und wenn er es für Blödsinn hielt, warum hatte er es hierhin gelegt? Vielleicht wollte er seinem Bruder nichts mehr verschweigen. Er blätterte ein bisschen in dem Buch. Die Einträge waren anscheinend ziemlich durcheinander. Die meisten hatten kein Datum und die, die eins hatten waren absolut nicht geordnet. Chris hatte wohl jedes Mal einfach so eine Seite aufgeschlagen und angefangen zu schreiben. Außerdem konnte man am Schriftbild erkennen, in welchem Zustand er gewesen sein musste als er das schrieb. Einige Seiten waren in gleichmäßiger Schönschrift mit Tinte beschriftet, andere vollgekrakelt mit kaum lesbaren Kuli-Hieroglyphen. Es gab auch Zeichnungen, die meistens im Text versteckt waren. Sie waren mehr oder weniger gut. Mit ein bisschen Übung hätte Chris vielleicht ein so guter Zeichner wie Rico werden können. Ach ja, Rico... Gerade als Alex wehmütig an seinen Freund dachte, las er seinen Namen auf einer der ordentlicheren Seiten.
 

Ich kann es nicht fassen! Heute habe ich doch tatsächlich endlich meinen Bruder wiedergesehen und wir haben uns nicht gestritten. Vielleicht lag das an seinem Bekannten, Freund oder was auch immer, den er dabei hatte. Sein Name ist Rico. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht sein richtiger Name ist, aber es passt absolut zu ihm. Rico ist ein mittelgroßer, verdammt gut aussehender Halb-Spanier, der offensichtlich ein Herz aus Gold hat und das auch ausgiebig einsetzt. Er hat Alex erstmal überredet, sich überhaupt mit mir zu treffen und ist dann auch noch mit ihm gefahren, weil er allein nicht zu mir kommen wollte. Wie cool ist das denn?! Es ist komisch: Seit ich diesem Mann begegnet bin, muss ich andauernd an ihn denken, obwohl wir uns nur kurz unterhalten haben. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder... Ich wüsste zu gern, was hinter diesem todtraurigen Ausdruck in seinen Augen steckt. Seine Augen sind übrigens wunderschön. Sie haben sich in meinen Gedanken festgesetzt, kommen mir immer wieder in den Sinn und rauben mir den Schlaf. Was ist das bloß? Normalerweise glaube ich ja nicht an die Liebe auf den ersten...

An dieser Stelle riss der Tagebucheintrag ab und ging auch auf der nächsten Seite nicht weiter. Alex suchte das ganze Buch nach einer Seite ab, die mit dem Wort „Blick“ begann, während seine Gedanken rasten. Chris hatte sich doch nicht etwa wirklich auf den ersten Blick in Rico verliebt? Er war doch nach ihrer ersten Begegnung noch mit Kelly zusammen gewesen und mit diesem Mistkerl, den er für seine große Liebe gehalten hatte. Bestimmt hatte es da auch noch Andere gegeben, aber das waren die Einzigen, von denen er wusste. Das würde ja bedeuten, dass er Kelly nur ausgenutzt hatte, um an Rico ranzukommen. Nein, das konnte nicht sein. So war Chris nie gewesen. Wenn er es vermeiden konnte, hätte er nie mit den Gefühlen anderer Leute gespielt. Aber das würde bestimmt alles irgendwo in diesem Tagebuch stehen. Er fand die Fortsetzung des ersten Eintrags nicht. Anscheinend waren einige Seiten rausgerissen worden. Aber er stolperte über einen Text, der von Chris´ erster Begegnung mit Kelly handelte.
 

... weiß auch nicht, wie ich sie beschreiben soll. Kelly June ist einfach... mitreißend. Sie ist einer der emotionalsten Menschen, die ich kenne und wenn diese ganzen Emotionen erstmal rauskommen kann man gar nicht anders: Man muss mit ihr lachen oder weinen oder ausrasten. Wenn sie gut gelaunt ist, springt sie in der Gegend rum und bringt alle Leute zum Lachen; am liebsten indem sie sich selber lächerlich macht. Sie ist ein totaler Scherzkeks. Aber wenn sie schlecht gelaunt ist, schließt sie sich anscheinend in ihrem Zimmer ein und spricht den ganzen Tag kein Wort. Sie erinnert mich ein bisschen an mich selbst. Sie hat auch Narben auf der Seele... Im Gegensatz zu den meisten Menschen versucht sie gar nicht so verzweifelt, die zu verstecken. Ich glaube das tut sie, damit ihre Mitmenschen wissen, wo sie dran sind. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie noch viel mehr erlebt hat als sie sagt. Sie stand immer außen vor und wurde verachtet. Kein Wunder, dass sie so geworden ist. Kelly vertraut keinem so ganz. Sie behält immer noch die halbe Wahrheit für sich damit sie nicht so ausgeliefert ist. Es ist ihr bestimmt oft passiert, dass sie jemand vertraut hat und dann enttäuscht wurde. Das hat Rico mir so halbwegs erzählt, als er mich vor ihr „gewarnt“ hat. Anscheinend ist ihm aufgefallen, wie gut wir uns direkt verstanden haben. Und anscheinend ist er auch der Einzige, dem Kelly fast komplett vertraut. Das kann ich verstehen. Ich vertraue ihm ja auch, obwohl ich ihn kaum kenne. Ich würde ihm sogar von meiner Kindheit erzählen, wenn er mich danach fragen würde...

Wie es aussah hatte Chris Kelly direkt durchschaut und verstanden gehabt. Alex erinnerte sich, wie lange er dafür gebraucht hatte. Auch als er sie schon ein Jahr lang kannte war er immer noch nicht in der Lage mit allen ihren Launen umzugehen. Chris dagegen musste ihr nur ins Gesicht sehen und wusste direkt, wie er mit ihr reden musste. Zwischen den Beiden stimmte einfach die Chemie. Und jetzt verstand er auch, warum das so gewesen war. Sie waren sich unglaublich ähnlich gewesen. Sie mussten nicht miteinander sprechen, um sich zu verstehen. Außerdem waren sie beide in den Augen der Gesellschaft nicht normal und kaum jemand schaffte es, sie zu akzeptieren, wie sie waren. Aber sie akzeptierten sich gegenseitig und das brachte sie schließlich zusammen. So hatte es nach außen hin jedenfalls ausgesehen. Aber trotzdem wäre das mit den Beiden nie gut gegangen. Alex stellte sich mit Schrecken vor, was passiert wäre, wenn sie sich mal gestritten hätten. Wahrscheinlich hätten sie sich im Affekt gegenseitig getötet. Oder Selbstmord begangen. Oder sie hätten sich wieder versöhnt und trotzdem wäre es nie wieder so geworden wie vorher. Denn Kelly und Chris waren zwei Menschen, die nie ganz vergeben und vergessen konnten. Irgendwann wäre es ihnen gegangen wie Rico und die ganzen negativen Gefühle wären wieder rausgekommen. Und dann wäre zwischen den Beiden der Dritte Weltkrieg ausgebrochen. Im Endeffekt waren sie dann doch zu gleich und zu stur füreinander gewesen. Alex erinnerte sich aber auch mit Verwunderung an den Tag als Chris mit Kelly Schluss gemacht hatte. Er hatte sie angerufen und ihr alles logisch und ehrlich dargelegt. Und sie war nicht ausgetickt oder in Tränen ausgebrochen. Sie war ruhig geblieben und hatte ihn voll und ganz verstanden. An diesem Tag wurden sie beide ihren Rollen nicht gerecht und das war wahrscheinlich der Grund dafür, warum sie dennoch gute Freunde geblieben waren. Das war nicht unbedingt logisch und wohl auch nicht grade normal aber es war typisch für die Beiden. Doch wenn sie länger zusammen gewesen wären, wäre möglicherweise alles ganz anders gekommen. Es hätte vielleicht zum selben Ende geführt aber der Weg dahin wäre ein anderer gewesen. Als er diesen Gedanken gedacht hatte blieb Alex an einer Seite hängen, die ihn interessierte.
 

Jetzt bin ich doch tatsächlich mit Rico zusammen. Es ist als wäre ein Wunder geschehen. Schon vor langer Zeit hat er mein Herz erobert, aber ich habe versucht dieses Gefühl zu verdrängen, weil ich mir sowieso keine Chancen bei ihm ausrechnete und dann... Dann steht er auf einmal da und rettet mir das Leben als ob es selbstverständlich wäre. Er hat mich körperlich gerettet, indem er mich aus diesem Verließ befreite und er hat mich seelisch gerettet, indem er mich nicht wegschickte oder zurückließ. Nein, er nahm mich mit und kümmerte sich um mich. Auch nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt hatte schickte er mich nicht weg. Und dieses Gefühl, das ich versucht hatte zu vergessen, war auf einmal wieder da und wurde immer stärker. Und eigentlich wollte ich mit meinen Annäherungsversuchen nur ausprobieren was er von der ganzen Sache hält. Es hätte mir schon gereicht, wenn er Sex mit mir gehabt hätte. Von ihm hätte ich mich gerne ausnutzen gelassen, nur um bei ihm zu sein. Aber er erwidert das alles sogar und dann sagt er mir einfach so, dass er mich liebt und es ist auch noch die Wahrheit. Ich glaube, er weiß gar nicht, dass er mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt macht. Ich war schon überglücklich ihn nur als normalen Freund zu haben und wunderte mich, dass sich ein so toller Mensch wie er überhaupt mit einem wie mir abgibt. Und jetzt liebt er mich sogar. Ich bin so von Glück erfüllt, dass ich es gar nicht in Worte fassen kann. Es fühlt sich an, als ob das alles so sein sollte; als ob es vorherbestimmt gewesen wäre. Ich will, dass er mich ewig in seinen Armen hält und mich küsst. Ich will ewig bei ihm sein... Endlich weiß ich wie es sich anfühlt: Ich bin mit jemand zusammen und trotzdem bin ich frei. Das muss es sein. Das muss die wahre Liebe sein, nach der ich so verzweifelt gesucht habe.

Alex konnte nicht weiterlesen. Diese Zeilen trieben ihm die Tränen in die Augen, die er an diesem Tag wohl noch öfters brauchen würde. Aufgewühlt und todtraurig stand er auf, verließ das stille Zimmer wieder und machte sich auf den Weg zur Beerdigung...
 

----------------------------------------

Das war also das letzte Kapitel meiner Lieblings-FF. Nach fast einem Jahr Schreibarbeit bin ich jetzt fertig. Das ist ein komisches Gefühl... So müssen sich Mütter fühlen, wenn ihre Kinder ausziehen XD



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (8)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  feuerregen
2008-07-02T14:42:49+00:00 02.07.2008 16:42
das ende... *schnief*
es wirkt so, als wären rico und chris zusammen gestorben, liege ich richtig?
*hoff hoff*
das wäre schöööön! ^^
*ignoriert die tatsache, dass alex allein zurückbleibt*
*liebt tragische tode*

so....
das war jetzt sehr konstruktiv! <.<
ich bin auf jeden fall gespannt auf das hauptprojekt!
würdest du mir eine ens schicken, wenn du es hochlädst?
ich krieg das sonst nicht mit! ^^"

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-07-02T13:40:00+00:00 02.07.2008 15:40
eigentliche story?
klär mich auf! ^^"
.
.
.
okay, ich hab mich selbst aufgeklärt! xD
*hat kurzbeschreibung gelesen*


Ein stilistisch und sprachlich schönes Kapitel, wie ich finde! ^^
irgendwie mag ich die Vorstelung eines eiskalt abdrückenden Ricos... *schauder*
ich würd ihn zeichnen, wenn ich nicht so ewig viel noch zu zeichnen hätte! xD
irgendwann mach ich es noch mal! *nod* ganz sicher! *nod nod*


lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-05-03T17:29:58+00:00 03.05.2008 19:29
wow, du tischt einem echt alle abgründe der menschlichen gesellschaft auf...
*lob*

auf jeden fall ein schönes kappi.
gut zu lesen und trotz der heftigkeit doch noch ziemlich romantisch. *g*
endlich hatten sie ihren dreier. *gg* *fähnchen schwenk*
darauf wart ich schon die ganze zeit! ^^
...aber ich war auch sofort für ne dreiecksbeziehung. ^^"
*schämt sich ihrer verschautheit kein stück*

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-04-01T21:40:59+00:00 01.04.2008 23:40
weiter!!! *schnief*
bald sind sie wo weit und meine heiß geliebte dreiecksbeziehung geht in die "heiße" phase! xD
okay..... *räusper*
ich bin schon still! ^^"

auf jeden fall wieder schön geschrieben, irgendwie sympathisiere ich in diesem kappi mit ricos vater, auch wenn der so prüde ist! xD

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-03-24T22:54:56+00:00 24.03.2008 23:54
ich bin irgendwie immer den tränen nahe, wenn rico so locker über seinen tod oder vielmehr gar nicht über seinen tod sondern über das leben der anderen nach ebendiesem redet.... T.T

dass chris einfach so mit dem einen schläft, hätte ich nciht erwartet, aber nun ja, er hatte ja seine gründe. ^^
marina war/ist lustig!
und der ursprung des reichtunms von ricos vater auch! ;D

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-03-13T20:09:41+00:00 13.03.2008 21:09
rico nimmt sein schicksal echt wie ein mann! ^^
er jammert nicht rum, dass es ihm ja ach so schlecht geht und er das alles gar nicht verdient hat sondern genießt das leben!

er ist so lieb!! *rico anluv*
bin mal gespannt, wie du weitermachst! ;D

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-03-07T19:44:26+00:00 07.03.2008 20:44
;__;
rico, mein liebling!!
wie kannst du nur?
*mein plüschtier erdrück*

und sie haben eine dreiecksbeziehung! xD
wenn doch alles so schön wäre... í.ì
na mal gucken, was sie zu dritt alles anstellen! *eg*

lg, feuerregen
Von:  feuerregen
2008-03-05T18:58:56+00:00 05.03.2008 19:58
jetzt mal eine mich ausgesprochen irritierende frage:
wieso hat eine so gute story keine kommis??

also ich fand sie toll, hoffe mal, dass bald das nächste kapitel online gestellt wird.
chris' leben ist ja ne nummer.... der arme tut mir so leid!
mein liebling ist ja rico! *g*
und mich würde es irgendwie freuen, wenn alex, chris und rico ne dreiecksbeziehung anfangen! ^^"

lg, feuerregen


Zurück