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The Black Widow Tale

Sparrington
von

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Erster Teil: Des Spatzen Märe - Der Beginn einer absoluten Narretei

"Ausweglose Situationen verlangen nach verrückten, rabiaten, aber überaus spannenden Lösungen, solche, die einem nicht gleich ins Auge stechen mögen, aber einen packen, bezwingen, ja vielleicht sogar vergiften […] , denn dann kann nicht einmal der Teufel selbst nach deiner Seele greifen." - Long John Silver -
 

* * *
 

„Kaum habt Ihr Eure schicke Uniform und Euren hübschen Hut wieder, da vergesst Ihr unsere so mühevoll aufgebaute Freundschaft, nicht?“

Der Pirat, von dem ich mir erhoffte, ihm nie wieder zu begegnen, außer betend unter dem Galgen auf dem Exekutionsplatz Fort Charles´, stiefelt um mich herum, übellaunig und angetrunken, und wie es sich für ihn gehört, müffelt er ohnegleichen.

„Mister Sparrow, wenn Ihr Euch korrekt entsinnt, so bestand eine solche zu keinem Zeitpunkt.“, formuliere ich überzeugt, doch das siegessichere Aufleuchten in seinem Gesicht lässt mich Übles schwanen.

„So? Nicht einmal nachdem ich Euch in meiner überaus großzügigen und völlig uneigennützigen Art das Leben gerettet habe, Commodore? Denn entsinnt Ihr Euch an diese Begriffe: Flying Dutchman? Schwertstich? Entzückendes Treiben in der kalten See?“

Hach, welch außerordentliche Überraschung!

Wie könnte ich mich nicht entsinnen, verfolgt mich dieser Tag, an dem ich von Jack Sparrow schwer verletzt aus der See geborgen worden war, doch unaufhörlich wie ein dunkler Schatten. Und obgleich dieses Ereignis nunmehr ein gutes halbes Jahr zurückliegt, so werde ich mir sicher sein können, dass er die eine uneigennützige Tat seines Lebens bei jedweder Gelegenheit begierig erwähnen wird.
 

Von der Wahrheit, meine Rettung diesem Manne zu verdanken, unangenehm berührt, räuspere ich mich unwohl, nicht zuletzt weil durch die stete Erwähnung auch die Erinnerung wach gehalten wird, dass ich für eine Weile selbst wie ein Pirat gewesen bin.

„Sir, Euch ist der Ernst Eurer gegenwärtigen und, - gelinde gesprochen-, ausweglosen Lage nicht recht bewusst, wie mir scheint.“, will ich ihn auf den Grund meiner Anwesenheit auf der Black Pearl zurückbringen und dieses leidige Thema eilig beenden, bevor es seine Kreise zieht. Unwillkürlich straffe ich dabei meine Schultern, um mehr Autorität in Haltung und auch Stimme zu legen, als es vielleicht erforderlich wäre. Jedoch erscheint es mir in Gegenwart von Captain Jack Sparrow eine stets unverzichtbare Handlung meiner Person zu sein. Gelassen blicke ich an, während der unglücksselige Pirat mürrisch schnaubt, den Mund weit zu einer Erwiderung aufreißt, und er auch schon seinen Zeigefinger erhebt, in dieser komischen, allein ihm eigenen Weise.

Ich fange an, ihn mir zu besehen und stelle fest, dass es seine Augen sind, die mich verleiten dies zu tun, denn aus ihnen spricht neben der momentanen Wut eine große Portion Spott.

Obwohl mir ein Treffen mit ihm, - gottlob -, für längere Zeit erspart geblieben ist, so sehe ich, dass er sich in dieser kein bisschen geändert hat. Weder sein rüpelhaftes Benehmen, seine Impertinenz, noch sein äußerst schlichter Sinn für anständige Garderobe haben sich gebessert.

Noch immer ist er in ein altes Paar abgerissene Hosen gewandet, über denen ein bunt gestreiftes Tuch zurecht gebunden wurde, noch immer trägt er das mit Flicken gestopfte, einstmals wohl weiße Hemd, daneben die verdreckte Weste und den knielangen Mantel mit geschundener Knopfleiste. Er ist seinem lottrigen Stil wahrhaft treu geblieben.

Auch klimpern noch immer Perlen, Steinchen, Münzen, ja sogar ein blank poliertes Stück Elfenbein in dem zerzausten Haar, von dem ich annehme, dass es Zeit seines Unlebens niemals eine Bürste sah. Um das Bild zu verkomplettieren, fehlt jedoch sein ihm heiliger Hut.

Ich rümpfe die Nase.

Es ist geradezu erschreckend, was Menschen als äußerlich ansprechend empfinden.
 

In meine Beobachtungen vertieft, bemerke ich nur am Rande, dass, anstatt des erwarteten bissigen Kommentars, ein quengeliger Laut aus Sparrow herauskommt.

Die Augenbrauen denkerisch zusammenziehend, führt er den Finger an seine Lippen, sieht mich noch für einen Augenblick, als habe ich ihn zutiefst gekränkt, an, nur um sich dann plötzlich leicht schwankend umzudrehen. Den Finger an seinem Mund, bettet er den freien Arm um Turners Schultern.

Jener, einstmals ein begabter Schmied, aber seit der Bekanntschaft mit Sparrow zur Unsterblichkeit verdammt, steht neben ihm und gibt sich seit unserer Ankunft erstaunlich wortkarg.

„William. Mein Freund. Auf ein Wort.“, wallt die vom Rum getünchte Stimme tief aus der braunen Brust des Piraten herauf. Der Griff um seinen jungen Freund wird dabei fester, und ich komme nicht umhin zu denken, er wolle ihn erwürgen.

„Hast du dir etwas gedacht dabei, als du diesen… diesen… Mann… auf mein Schiff gebracht hast, hä? Oder hat dich dein Schnuckelschnäuzchen Elisabeth um den Verstand geküsst?“

Turner blickt reumütig zu Boden.

„Entschuldige Jack, ich hatte keine Wahl. Er braucht Hilfe.“

„Welcher er? Dieser er?“, fragt der Pirat mit einem abfälligen Nicken in meine Richtung, „und die ganzen ´ers´ da draußen, die natürlich auch, aye?“

Es ist nicht zu übersehen, dass er dem jungen Captain der Dutchman gegenwärtig alles andere als wohl gesonnen ist und dieser Zustand letzterem herbe aufs Gemüt schlägt. Von Nervosität gepeinigt, tritt Turner von einem Fuß auf den anderen, blickt nervös zwischen Sparrow und mir hin und her, um letzten Endes des Pudels Kern zu enthüllen:

„Governor Swann ist verschollen.“

Und wollte der Pirat eben noch Zeter und Mordio schreien, "Ach was?", entsteht mit einem Male ein Glanz in seinen Augen, dieser eine bestimmte Funken Neugierde, der, erst einmal geweckt, ihn nicht wieder loslässt.

„Ein bisschen präziser, Junge. Denn wäre er bloß verschollen, so könnte ich mir denken, dass die gesamte Navy nach ihm suchen würde. Wozu braucht der feine Commodore dann mich?“
 

Mit einem erleichterten Seufzen beginnt Turner in der Innenseite seines Mantels zu kramen und bringt einen Brief sowie ein Stück vergilbten Leinenstoff zum Vorschein, beides Dinge, die mir bekannt sind und mich in Sorge versetzen.

„Hier“

Mit spitzen Fingern nimmt der Pirat den ihm gereichten Stoff entgegen, entfaltet ihn, sein Gesicht wird fahl dabei, zeigt Erstaunen und nicht zuletzt ein beträchtliches Maß an Angst.

Ja, Mister Sparrow, Ihr kennt diese Abbildung, nicht wahr? Und diejenigen, von denen sie stammt.

Dürftig lächelnd vollführt er eine dieser skurrilen Handbewegungen und zupft an einem Goldstück in seinen Haaren.

„Eine schwarze Spinne. Und? Sollte mir das etwas sagen?“

„Jack, du weißt genau, was das ist! Wer immer den Governor entführt und das hier Commodore Norrington geschickt hat, er will dich!“

Schweigend sehe ich zu, wie dem Piraten nachdrücklich der zu dem Leinen gehörende Brief in die Hand gedrückt wird. Der simple Handel darin:
 

»Einen Piraten gegen einen Vater«
 

„Sparrow, Ihr kennt diese Zeichnung. Was wisst Ihr darüber?“

„Ich? Gar nichts.“, antwortet das Unschuldslamm.

Mit dem Brief und dem Leinen will er sich von uns entfernen, verstaut die beiden Dinge gar unter seinem Hemd.

„Muss ich Lieutenant Gillette erst Befehl geben zu schießen?“

Hinter mir legt meine Begleitung unwillkürlich auf ihn an und oh, ich zweifle keinen Moment daran, dass Andrew eine geradezu bösartige Befriedigung verspüren würde, gäbe ich ihm den Befehl tatsächlich. Weil der Bedrohte aber zusammenzuckend stehen bleibt und auf seinen Absätzen kehrtmacht, bleibt mir nichts anderes übrig, als ihn zu vertrösten.

„Wisst ihr Gentlemen, vielleicht weiß ich ja doch etwas.“

Auf leisen Sohlen kommt der Halunke zu uns zurück, holt den Stoff wieder hervor und lehnt sich gegen Turner.

„Will, was weißt du alles über schwarze Witwen?“

Dieser hebt unschlüssig die Schultern.

„Nicht viel. Spinnen, würde ich sagen.“

„Aye, Spinnen.“, Sparrow deutet auf den Stofffetzen, „Spinnenfrauen besser gesagt. Schöne, gefährliche und überaus blutrünstige, du verstehst doch: welche von der Sorte, denen ein Mann nur einmal im Leben begegnet.“

„Und?“

Das ist eine!“

Der Pirat rollt mit den Augen, „Liest du überhaupt jemals ein Buch, Junge?“

Ich bin schon im Begriff ihn zu maßregeln, als seine Aufmerksamkeit plötzlich von uns weg,

"Ah! Genau das, was ich brauche!", zu Master Gibbs wandert, der an uns vorbei in Richtung Steuer eilt. Mit einem schnellen Schritt ist er neben ihn getreten, um dem Überraschten seine Taschenflasche zu entreißen, die an dessen Gürtel hängt. Auf den Ansatz eines protestierenden Lauts hin,

„Besten Dank, Mister Gibbs!“, erstickt Sparrow die Möglichkeit des Widerspruchs im Keim.

Und während der Steuermann nunmehr griesgrämig den impertinenten Dieb fliehen will, er zügig zu einer der beiden Treppen, die zum Rad hinaufführen, eilt, folgt Sparrow ihm mit wiegenden Schritten dorthin. Kaum an den Stufen angekommen, gönnt er sich einen großzügigen Schluck aus dem geraubten Fläschchen, nur um sich danach mit einem lauten Räuspern auf das Geländer zu stützen. Einen ausladenden Halbkreis mit seinem Arm beschreibend, eine Bewegung, die allen Seebären zueigen ist, die mit einer übertriebenen und völlig unwahren Geschichte beginnen wollen, beginnt er seine eigene:
 

„Eine große Mannschaft!“, grölt er narrativ zu uns herüber, „Von der niemand so genau weiß, wie viele Mitglieder sie hat. Man hört das ein, man hört das andere und immer wieder, dass sie in den Gewässern von den Jungferninseln bis hinauf nach Singapur segeln soll. Auf der unvergleichlichen Soul of Empress! Schöner Name.“

Er nimmt einen weiteren Schluck.

„Die Geschütze sind es dafür umso weniger. Ohne einen eigenen Heimathafen zu haben, zieht sie plündernd von Schiff zu Schiff, Hafen zu Hafen und von Stadt zu Stadt, schnell und unerbittlich. Doch was dieses Schiff so gefährlich macht, ist nicht etwa seine Bewaffnung oder die Schnelligkeit des Kiels. Nein! Sondern die Crew! Ihr will kein klar denkender Mann begegnen.“

Er taumelt auf uns zu, er muss mir ins Ohr flüstern:

„Jedenfalls keiner, der sich vorgenommen hat seinen Lebensabend gesittet bei seinem Liebchen vor dem Ofen zu verbringen.“

Dann stellt er sich zwischen Turner und mich.

„Jeder Mann, der auf die Empress trifft, verbucht diese Begegnung als seine letzte.“

Er setzt den Hauch eines Lächelns auf.

„Und jede Frau? Nun, die verschwindet wie auf zauberhafte Weise. Man munkelt, der Captain würde sie in die Crew aufnehmen.“

„Und was hat das mit der Spin -? Willst du uns sagen, dass die Mannschaft nur aus Frauen besteht?“

Turner schnappt nach Luft.

„Absolut, voll und ganz, ganz und gar. Kluges Köpfchen.“, bestätigt Sparrow sogleich und fährt nach kurzer Pause fort:

„Angeführt werden die Witwen von einer Frau aus Santa Lucia, von einer Frau, unbeugsam, grausam und wild wie das Leben selbst. Wahnsinnig dominant, nicht zu vergessen, was dir zumindest bekannt vorkommen sollte, lieber Will, könnte sie schließlich glatt mit der schönen Elisabeth verwandt sein.“

Wenn Sparrow für die Situation bisher auch wenig Begeisterung gezeigt hat, so wird er jetzt träumerisch.

„Aber ihre Haut und das gekrauste, lange Haar sind dunkel wie Schokolade und glänzend wie Seide. Und die noch dunkleren Augen von einem Blau, als sehe man direkt ins Meerestief.“, ein sehnsüchtiges Seufzen entgleitet ihm, „als müsste man in ihnen ertrinken. Und sie hat …“, er formt mit anzüglichem Grinsen zwei Halbkugeln über seiner Brust, „… eine überaus anregende Landschaft.“

Dann legt er die rechte Hand über sein Herz.

„Und ich schwör´s, - bei der Pearl-, nie habe ich eine vollkommenere Kämpferin gesehen.“
 

Nach einer Weile des stummen Sinnierens, in welcher der Pirat hinaus auf die See blickt, drückt er Turner auffordernd Gibbs´ Rum in die Hand.

„Trink, William, trink!“, von dem dieser widerwillig nippt.

„Und nun lasst mich raten, Mister Sparrow, ihr seid dieser Dame auf das Äußerste vertraut.“, beteilige ich mich an dem Gespräch, das mir weitere Sorgen und Gram bereitet.

„… War… früher irgendwann einmal… gewesen.“, weicht er aus und pflückt sich ein nicht vorhandenes Staubkörnchen vom Ärmel.

„Und die Dame wünscht wohl, Euch zurückzubekommen?“

„Wäre möglich, ihre Statistik stimmt ohne mich nicht so ganz.“

Entnervt stöhne ich auf. Muss dieser Pirat immer Dreh- und Angelpunkt jeden Unheils sein?

„Sparrow, wem in den sieben Weltmeeren habt Ihr eigentlich nicht Eure Seele verkauft?“

„Ihr jedenfalls nicht!“, verneint der Pirat patzig.

Die maßlose Empörung, die in seinen Augen steht, verwundert mich, jedoch nur so lange, bis er mit hochgezogenen Mundwinkeln ergänzt:

„Was sie bekommen hat, vom guten, alten Jack war etwas anderes,“, nah tritt er mir gegenüber, „etwas besseres, etwas viel besseres.“

Begleitet wird seine rauchig gewordene Stimme von einem Blick, der mich so eindringlich mustert, als wolle der Pirat sich mein Gesicht einprägen, um es nicht zu vergessen.

„Und was könnte das sein, Sir?“, entgegne ich mit einem feinen Anklang an Überheblichkeit.

„Aah, Neugier, mein Freund, ist der Katze Tod!“

Süffisant streicht er über seine Schärpe. Seine Hand gleitet anrüchig über den rauen Stoff, und ich folge ihr mit den Augen, bis sie so tief nach unten gesunken ist, dass es für jeden Mann gesunden Anstands nicht mehr duldsam wäre.

"Und ich bezweifle, dass gerade Ihr das herausfinden wollt."

Langsam hebt sich das Gesicht des Piraten meinem entgegen.

„Oder täusche ich mich, Commodore?“

„Für eure Fehde haben wir keine Zeit, Jack!“, schreitet Turner schließlich vehement ein, indem er Sparrow am Arm packt.

„Wirst du uns helfen? Kannst du die Empress finden? Und ihren Captain?“

Mit einem letzten verschlagenen Blick auf mich wendet er sich dem Schmied zu.

„Dir helfen?“

„Ja“

„Nein.“

„Wieso nicht?“

Sparrow atmet tief durch.

„So gern ich den guten Governor Swann wieder in den sicheren Armen der ihn über alles liebenden Familie wissen will, darf ich dich daran erinnern, dass du es warst, der den Commodore auf die Pearl gebracht hat?“

Schuldbewusst versucht Turner etwas zu erwidern, doch die Tatsache, dass er seinen Freund verraten hat, wiegt schwer.

Verstummt sieht er, sich jeder Hoffnung beraubt, auf die Bodenbretter der Black Pearl, dann, nach kurzer Zeit, entschlossen wieder zu Sparrow.

„Ich will handeln!“

Der Pirat lacht auf.

„Und was bietet Ihr an, junger Master Turner?“, fragt er sehr formell.

Es ist ihm anzumerken, dass er ihm meine Anwesenheit nicht verzeihen will.

„Was könntet Ihr mir anbieten, dass es mir wert sein könnte, mich zurück in die überaus reizvollen Fänge dieser Frau zu begeben und damit ins Angesicht des beinah sicheren Todes?“

Die Aufmerksamkeit des jungen Mannes widmet sich damit abrupt mir. Mit geradezu flehendem Blick wendet er sich Hilfe suchend an mich. Das Gesuch entlockt mir ein leises Knurren, da ich ganz genau weiß, was er wünscht. Trotz meines Widerwillens greife ich in die Innentasche meiner Uniform. Da damit zu rechnen war, dass Jack Sparrow nicht aus reiner Nächstenliebe und aus dem dringenden Bedürfnis heraus für seine Taten auch einmal die Verantwortung zu übernehmen, kooperieren würde, habe ich mich vorbereitet. Meine Tasche bringt ein Dokument hervor, das ihn sicherlich dazu bewegen wird.

Noch einmal meinen Entschluss abwägend, werfe ich es ihm vor die Füße.

Misstrauisch, doch interessiert, hebt er das in Leder gebundene Edikt auf. Als er den Inhalt ebenfalls aufgenommen hat, findet sein spöttisches Grinsen den Weg zurück auf sein Gesicht.

„Commodore Norringon!“, ruft er laut, dabei halb lachend, „Ihr werdet in Langweile zergehen ohne mich und unsere amüsanten Verfolgungsspie-“

„Mister Sparrow, Ihr seid nicht der einzige Pirat zwischen England und Port Royal, den es zu fassen gilt. Ich traue es mir zu für euch einen adäquaten Ersatz zu finden.“

Das Lachen des Piraten verebbt sogleich, und ich könnte jeden Eid schwören in seinen Augen ein kurzes Aufblitzen verletzten Stolzes zu entdecken.

„Und wenn ich mich weigere?“
 

Auf diese Frage hin wärmt sich mir das Herz. Selbstzufrieden, wie ich es selten zuvor war, sehe ich an ihm vorbei, hinaus auf die See, nicht weit von dem Punkt entfernt, auf den er vor wenigen Minuten gesehen hat. Ich blicke hinaus, genau dorthin, wo die Flottenschiffe Port Royals vor Anker gegangen sind, allen voran mein neues Flaggschiff, die Fortress.

„Ach, Mister Sparrow, was glaubt Ihr, wird dann wohl geschehen?“

Die Hände hinter dem Rücken schließend, schreite ich an die Reling.

„Erfüllt Ihr unsere Bedingungen nicht, so werdet Ihr erneut Zeuge sein, wie die Black Pearl sinkt.“, den Blick weiter hinaus gerichtet, füge ich hinzu, „Und sagt mir eines, Sir: Wie groß, glaubt Ihr, ist die Chance, dass es Euch ein weiteres Mal gelingt, sie zurückzubekommen?“

„Aye, Eure Schiffchen hätte ich doch beinahe vergessen!“, erwidert er, „Wie freundlich von Euch, mich daran zu erinnern.“

Als ich mich ihm ruhig zuwende, wirft er mir einen mörderischen Blick entgegen.

Dann jedoch geschieht etwas, mit dem ich bei Jack Sparrow zuletzt gerechnet hätte:

Er schweigt.

Minuten sind es, in denen er mich ausgiebig betrachtet, von oben bis unten. Dann widmet sich sein Augenmerk den die Pearl umreihenden Schiffen, dann wieder mir, den Schiffen und wieder mir. Er streicht über seinen Oberlippenbart und man sieht es ihm an der Nasenspitze an, dass sein Oberstübchen arbeitet.

Dann weicht der Ärger urplötzlich einem anmaßenden Lächeln und leuchtenden Augen, gleich denen eines Lausbubens, der sich einen ganz reizenden Streich erdacht hat.

Lautlos beginnt er um mich herum zu pirschen, und ich werde das ungute Gefühl nicht los, dass er dabei ist etwas auszuhecken. Zweifellos ist es etwas total Schwachsinniges, aber dadurch nicht minder effektiv. Ich weiß, dass er glaubt einen Plan zu haben, wie er seinen Hals einmal mehr aus der Schlinge herauslavieren könne.
 

„So gern ich dem lieben Commodore, also Euch, mit Leib und Leben zu Diensten sein würde… wieder einmal,“,

und dann trifft mich, während seine Hände in meine Richtung gestikulieren, einmal mehr dieses unverkennbar respektlose Grinsen von goldenen Zähne, die ein anderer Mann mit geringerer Geduld als der meinen, unzweifelhaft bereits aus dem wettergegerbten Gesicht geprügelt hätte.

„…kann ein ehrenwerter, stets aufrichtiger und die Gesetzte, - zumindest teilweise -, achtender Pirat, Euch auch glauben? Dass Ihr mich so einfach gehen lassen werdet, wenn dieses herzliche Tête à tête vorbei ist?“

Sparrow legt den Kopf schräg und hebt herausfordernd seine Augenbrauen.

Diese Offerte gegen meine Ehre und mein Wort verlangt geradezu nach Satisfaktion!

"Commodore?!"

In höchstem Maße provoziert, atme ich deutlich beherrscht aus und muss mit Widerwillen bemerken, wie der Zorn auch heute wieder in mir aufsteigt, etwas, das in heiterer Häufigkeit in der Gegenwart dieses Menschen bei unseren Begegnungen geschieht.

Sicher, es wäre ein Leichtes, den vermaledeiten Piraten aus meinem Leben zu verbannen, müsste ich letzten Endes nur Hilfe bei seiner Ergreifung annehmen. Doch wie groß wäre die Schande einer solchen Niederlage?

So atme ich lediglich tief ein, fasse mich und begegne ihm gemäß der Art eines Gentlemans.

„Mister Sparrow, es mag Euch unvorstellbar sein, dass ein Mann sein Wort einzuhalten gedenkt, selbst wenn er sich mit einer Person wie der Euren gegenüber konfrontiert sieht. Und wenn ich Eurer Verabredung mit dem Galgen auch mit allergrößter Freude beiwohnen würde, so habt ihr dennoch mein Wort als Gentleman und Offizier der Royal Navy, dass, sollte sich unser Handel als rentabel herausstellen, ihr Eures Weges ziehen dürft, mit der Black Pearl, Eurer Mannschaft“, und mit in Falten gelegter Stirn ergänze ich, “und der euch vorliegenden Amnestie Govenor Swanns, die Euch und Eure Gefährten vollständig rehabilitiert.“

„Aha!“, ruft er aus, „nur, Ihr müsst verzeihen Norrington, aber da gibt es einen klitzekleinen Haken in Eurer hübschen Rechnung: Der Governor weiß nichts von Eurem Plan, denn seine Unterschrift fehlt! Wie es aussieht, dürft Ihr das Papierchen nicht unterzeichnen. Daher denke ich, wird Governor Swann gedenken, nicht daran zu denken, mir meinen, sagen wir mal, außerordentlich unredlichen Lebensstil so gedankenlos durchgehen zu lassen, ist er erst einmal befreit. Also kann man denken, dass dieser Umstand jemanden auf den Gedanken bringt, dass ich Eurem bloßen Worte nicht zu glauben gedenke. Klar soweit?“
 

Für einen Moment verbleibe ich sprachlos.

Sparrows Grinsen wird um einiges breiter, was meine Miene wiederum um einiges düsterer werden lässt, und zum ersten Mal, seit Turner mit dem Vorschlag, den Piraten eine Amnestie zu erteilen, zu mir kam, zweifle ich daran, dass dieser Handel sich als sinnvoll erweist. Da nicht die geringste Gefahr besteht, dass der Pirat und seine Kumpane keine neuen Gaunereien ersönnen, wären sie erst einmal begnadigt, war die Idee von diesem Schreiben Gebrauch zu machen kein allzu großes Opfer. Für welches Verbrechen Sparrow eines Tages auch hängen wird, hängen wird er.

Doch nun, jetzt da ich ihm gegenüberstehe, wäre mir der schnellste Zeitpunkt der liebste.

„Dann müsst Ihr mir vertrauen.“, sage ich entwaffnet, wie ich bin.

„Vertrauen, Commodore Norrington? Erwartet Ihr das?“

Sparrow tritt mit seinem wackeligen Gang dicht vor mich hin.

„Ja, Captain Sparrow.“, wiederhole ich, gestehe ihm das `Captain´ dieses eine Mal zu, um ihm zu schmeicheln.

Mit seltsamer Zufriedenheit dieses Wort aus meinem Mund gehört zu haben, betrachtet er mich.
 

Es ist ein nicht einzuordnendes Gefühl, das mich währenddessen befällt, als er mich derart ansieht, intensiv und fest, und erst als sein mit Rum getränkter Atem mit einem Mal mein Kinn streift, registriere ich, wie nahe wir beieinander stehen.

„Aye, Vertrauen.“, murmelt er heiser, und der lächelnde Blick seiner Augen wandert hinunter zu meinem Mund. Abgelenkt von dem warmen Braun und seiner Nähe, unter der mich ein Schauer unerklärlicher Furcht überkommt, bemerke ich viel zu spät, wie er mit seiner Hand in Richtung meines Kopfes greift, an meiner Wange vorbei und… nun ja, er mir meinen Hut entwendet.

„Gut, Commodore James Norrington, dann nehme ich Euren Hut hier als vorläufige Anzahlung auf mein Vertrauen.“

Für einen Moment bin ich unfähig zu denken und ich weiß, dass ich starre, als er zurück neben Turner tritt mit meinem Hut in seinen Händen.

Nachdem mein Geist endlich gleich einem Uhrwerk einige Male geklickt hat, weicht meine Irritation augenblicklich einer neuen Welle des Unmuts.

Es ist mir nicht fremd von diesem Mann herausgefordert und bis an die Grenze meiner Contenance gebracht zu werden, aber irgendwann ist es zu viel. Zumal es eine Sache ist, mich zu verspotten, eine andere, es unter den Augen meiner Männer zu tun. Aus den Augenwinkeln erhasche ich einen Blick auf Andrew, der stoisch geradeaus blickt. Doch es ist an den harten Linien seines Gesichts abzulesen, welch großer Mühe es bedarf, sich eines Kommentars zu erwehren.

Das einsetzende, heitere Gekicher des Piraten, in das Turner nur zu bereitwillig mit einstimmt, bringt mich dazu, mich verschnupft dem kleinen Schreibtischchen neben Gillette zuzuwenden. Darauf liegt in einer Mappe der vorgefertigte Vertrag, der die Bedingungen für das Geschäft zwischen Sparrow, seiner Crew und mir festlegt, mit William Turner als Vermittler. Die Piraten würden diese Art der Vereinbarung wohl mit ihrem beliebten „Parlay“ betiteln. Bei der Absurdität dieses Begriffes hege ich gehöriges Mitleid für die Franzosen, deren Sprache für zweifelhafte Regelaufstellungen von noch zweifelhafteren Gestalten missbraucht wird. Ich öffne den ledernen Schutz, greife nach der Schreibfeder, tunke sie in die Tinte und unterzeichne das Papier mit Namen und Titel. Hinter meinem Rücken nehme ich überdeutlich das Getuschel zwischen Turner und Sparrow wahr, letzterer hat sich wohl meinen Hut aufgesetzt.

Wie mir scheint sind die Unstimmigkeiten im Paradiese Sparrow-Turner beigelegt, und es bereitet ihnen offensichtlich größtes Vergnügen, sich über meine geweißelte Perücke zu erheitern, zweifelsohne eine weitere Probe des Piraten hinsichtlich meiner Geduld. Ich spüre förmlich seinen streitbaren Blick auf meinem Rücken und wie er darauf wartet, dass ich etwas erwidere.
 

Hingegen seinem Wunsche, wende ich mich wortlos wieder zu ihnen. Die beiden verschlucken ihre Kommentare wie auf Befehl, die dümmliche Grinserei jedoch bleibt.

„Wenn ich dann bitten dürfte, Gentlemen.“ fordere ich gereizt.

Sparrow beäugt noch einmal Turner, der ihm bittend zunickt, dann seine Leute, die auf der Pearl ihrer Arbeit nachgehen, tunlichst darauf erpicht, mir und Andrew aus dem Wege zu gehen. Schließlich, nach langem hin und her, nimmt der Captain der Black Pearl mir mit spitzen Fingern die Feder aus der Hand, als wäre ich heißes Eisen, an dem er sich nicht verbrennen will.

Unschlüssig den Vertrag begutachtend, dann nachdenklicher mich, lässt Sparrow sie über dem Papier schweben.

„Nein“, nuschelt er, „weiß es genau… nicht gut.“

Die stumpfsinnige Freude von vor einigen Augenblicken ist mit einem Schlag vorbei. Mir ist, als, wisse der Mann doch in welch prekärer Situation er sich befindet. Sein Zögern lässt mich allerdings nicht weniger ungeduldig werden.

„Sparrow, macht endlich Euer Kreuz, damit wir dieses unselige Intermezzo zu Ende bringen.“

„Intermezzo!“, knurrt er, „welch schnuckeliges, kleines Zwischenspiel, eh?“

Angesäuert ziehen sich seine schwarzen Augen zu Schlitzen zusammen, die mich erdolchen wollen, als hätte ich ihm mit diesen Worten direkt ins Gesicht geschlagen.

„´Tschuldigung Freund, habe mir die Freiheit heraus genommen, das Schicksal meiner Männer zu überdenken, bevor ich sie in den Tod schicke.“

Dass er bei all den Äußerungen, die ich ihm während unserer Bekanntschaft bereits entgegen geworfen habe, gerade jetzt auf diese eine anspringt, ist verwunderlich.

„Sir, ich denke Euch kommen diese Überlegungen einige Jahre zu spät.“, bleibe ich unerbittlich, wobei ich innerlich Verständnis für ihn aufbringe, weil er nicht leichtfertig über das Leben seiner Männer entscheiden will.

„Jack bitte. Hilf Norrington ihn zu finden,“,

Turner sieht bitter auf den Sonnenuntergang, „weil ich es nicht tun kann.“

Der eine Tag, den er an Land verbringen kann, ist bald vorbei, und er hat geradeso gereicht, um die Pearl zu finden.

„Lässt mir keine Wahl, hm Junge?“, murmelt der Pirat leise mit dünnem Lächeln und unterzeichnet, überraschenderweise nicht mit einem Kreuz.

Dann atmet er tief durch, setzt ein strahlendes Grinsen auf, von dem ich weiß, dass es falsch ist, schwenkt vergnügt die Arme in der Luft und brüllt so laut seinen Befehl, dass keiner ihn überhören kann:

„Master Gibbs, holt den Rum! Drinks für alle!“

Mit stolzierendem Gang und übergroßen Schritten zu einigen Fässern unter dem Hauptmast, trommelt er seine Leute zusammen, die begeistert eines jener Trinklieder anstimmen, das ehrbaren Damen die Röte ins Gesicht triebe.

Zurück bleiben Turner und ich.
 

„Glaubt Ihr, er wird die Soul of Empress finden? “

Stutzig über das geringe Vertrauen des Schmieds in seinen Freund, sehe ich ihn ratlos an. In seinen Augen erkenne ich aber, dass es nicht das fehlende Vertrauen zu Sparrow ist, was diese Frage hervorruft. Es ist die Sorge um den Ausgang des Unterfangens und die Not, zu wissen, dass die Befreiung des lieb gewonnenen Schwiegervaters gelingen wird.

Unüblich in meiner Art, lege ich ihm mitfühlend die Hand auf die Schulter.

„Mister Turner, wir mögen vielleicht in allen Vorstellungen über das Leben und die Wahl unserer Freunde auseinander gehen, aber was die Liebe zu Miss Swann und den Respekt gegenüber dem Governor angeht, glaubt mir, in dieser Beziehung werden wir immer Verbündete sein.“

Und dann, ohne dass ich es wirklich will, lächle ich ihn an.

„Seid unbesorgt. Ich werde Sparrow dazu bringen uns zu der schwarzen Witwe zu führen.“

Selbst nicht recht von meinen zuversichtlichen Worten überzeugt, sehe ich hinüber zu dem Piraten, dessen Schicksal wohl untrennbar mit meinem verknüpft zu sein scheint, ganz gleich wie sehr es mir und ihm auch widerstreben mag.

Ein ungleiches Paar

Als Turner auf der Planke steht, die von der Pearl hinüber auf die Dutchman führt und er noch einmal wehmütig das berüchtigte Schiff mit den schwarzen Segeln vom Bug bis zum Heck mustert, versinkt die Sonne im Meer, und die letzten Strahlen lassen seinen Tag an Land enden. Unheimlich, wie durch eine magische Kraft, wird er zu seiner Aufgabe zurückgezogen. Er erhebt die Hand zu einem letzten Gruß, den ich still erwidere, während das verfluchte Schiff von Davy Jones mit ihm ablegt. Sparrow hatte seinen Freund nicht verabschiedet, ihn rätselhafterweise nicht eines einzigen Blickes gewürdigt, seit wir den Vertrag unterzeichneten.

Bei dem Gedanken an den unliebsamen Kerl dringt das freudige Lärmen im Hintergrund zurück in mein Bewusstsein; die Stimmen der Piraten, die erfolgreich dabei sind ins Land des Bacchus zu reisen.

Selbst ernüchtert, dass ich die kommenden Tage mit dem denkbar unausstehlichsten Menschen verbringen muss, - samt dessen Crew -, wende ich mich räuspernd zu Gillette.

Noch habe ich einige Dinge zu regeln, bevor dieser Tag auch für mich sich neigt.
 

„Lieutenant“, beginne ich förmlich und fokussiere verächtlich Sparrow, der sich in der illustren Runde auf ein Fass gestellt hat und lautstark eine seiner Geschichten zum Besten gibt, freilich eine Flasche Rum dabei in der Hand.

Ich seufze gereizt und streiche müde mit der Hand über Schläfen und Stirn, schließe kurz die Augen.

„Holt ihn schon zurück, bevor er in seinem unflätigen Treiben dem Delirium anheim fällt und bringt ihn hinunter in meine Kabine.“

„Commmodore?“

Überrascht sieht mein Gegenüber mich an.

„In die Kajüte des Captains.“, kläre ich ihn sogleich auf, doch der irritierte Ausdruck verflüchtigt sich nicht. Ich setze ein schmales Grinsen auf, bevor ich fortfahre:

„Wir wollen doch nicht, dass der gute Mister Sparrow unvorbereitet feststellen muss, dass ich vorhabe, an Bord zu bleiben und er mir des Nachts, während ich im Bett liege, versehentlich die wohlverdiente Ruhe stört.“

In Gillettes Augen erscheint endlich das Verstehen und auf seinen rundlichen Zügen der Hauch eines Lächelns.

Wenn ich schon verdammt dazu bin, meine Zeit hier zu fristen und ich das leidliche Vergnügen habe die Gesellschaft von Dieben, Gaunern und Verbrechern zu teilen, dann wenigstens so bequem und erquicklich wie möglich. Und dazu gehört selbstredend ein Raum, der im Besitz eines massiven Schlosses ist. Nichts liegt mir ferner, als der Crew zu unterstellen, dass sie mich in einer spontanen Anwandlung von Übermut über die Planke schicken will.

Noch darüber sinnierend, ob der Plan, den ich ausgeklügelt habe, auch klug ist, widme ich mich den Papieren auf dem kleinen Schreibtisch. Dabei entwischt mir ein müdes Gähnen.

„Danach begebt Euch zurück auf die Fortress.“

Froh darüber, dass man mir die Schläfrigkeit nicht anmerkt, packe ich den unterzeichneten Vertrag und die Amnestie zurück in den Ledereinband und reiche ihn ihm. Doch noch in der Bewegung überlege ich es mir ohne ersichtlichen Grund anders und stecke das Papier in meine Jackentasche.

„Instruktionen für die Mannschaft, Sir?“

„Ja. Sorgt dafür, dass bewaffnete Männer auf die Pearl kommen, nicht uniformiert, wenn es geht unbemerkt.“

Mein Blick gleitet an Gillettes Gesicht vorbei zu der Menschengruppe, die um den Hauptmast sitzt, lacht, singt, in Sparrows Seemannsgarn schwelgt und trinkt,

„auch wenn ich nicht annehme, dass einer dieser Trunkenbolde noch dazu in der Lage sein wird einen Fuß gerade vor den anderen zu setzen. Morgen allerdings werden sie mit untrüglicher Sicherheit versuchen zu entkommen, wenn sie sehen, dass unser Druckmittel abgerückt ist.“

Ich sehe den Mann vor mir entschlossen an, denn bei den nächsten Worten und der Enthüllung meines weiteren Vorgehens wird er sicher Einspruch erheben:

„Die Schiffe sollen sich zurückziehen, bis nach Port Royal. Alle bis auf die Fortr -“

„Was?!“, entfährt es Andrew wie erwartet.

Dann räuspert er sich verlegen, sich meiner Stellung vergegenwärtigend und nimmt wieder Paradehaltung ein.

„Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber wie Ihr bereits erwähntet, wird die Mannschaft den Vertrag nicht erfüllen ohne die Flotte, die sie dazu zwingt.“

"Es liegt unwiderruflich im Bereich des Möglichen, Liuetenant. Aber bei der Vorgehensweise den Governor zu befreien, wie sie Sparrow unweigerlich im Sinn haben dürfte, werden die Schiffe hinderlich werden."

Ohne auf den Einwand meines Soldaten einzugehen, fahre ich fort:

„Die Fortress soll uns in gebührendem Abstand folgen. So, dass sie für die Piraten nicht zu entdecken ist. Buchten, Lagunen und Mündungen. Sie soll jede Möglichkeit nutzen, die sich ihr bietet. Ich will eine Sicherheit im Rücken hab-"

„Sir, darf ich offen sprechen?“, unterbricht mich Gillette ein zweites Mal.

Mit einem Nicken gebe ich meine Erlaubnis.

Der Brust meines Gegenübers, meines Freundes, entringt sich ein unartikulierter Laut.

„Bei allem nötigen Respekt James, ich halte das für Wahnwitz. Du setzt dich und uns einem Risiko aus, das nicht abzuschätzen ist.“

Wie immer kommt er direkt und ohne Umschweife zur Sache, eine Eigenschaft, die ich an diesem Mann zu schätzen gelernt habe.

„Das ist mir bewusst. Aber die Befreiung des Governors und seine Sicherheit haben höchste Priorität. Wie ich Sparrow kenne, wird er uns in Kreise führen, die Uniformierte wohl nicht mit offenen Armen und der gebührenden Gastfreundschaft empfangen werden, die ihnen im Normalfall widerfährt. Hinzu kommt, dass eine größere Anzahl an Schiffen der Navy auffällig wäre, speziell in den Gewässern der Piraten. Wenn diese ominöse schwarze Witwe so gefährlich ist, wie der Pirat sagt, wird sie eine Bedrohung durch uns auf hundert Seemeilen wittern. Eine Armada lässt sich nicht verbergen, wohl aber ein einziges Schiff. Bei unserer Aufgabe geht es dieses Mal nicht um Stärke und Überlegenheit, sondern vielmehr um eine gewisse Raffinesse und planendes Kalkül. Zuerst muss Sparrow diese Bande aus ihrem Fuchsbau locken und der Governor in Sicherheit sein. Erst danach können wir die Hatz beginnen.“

Über die Züge von Gillette huscht der ungläubige Zweifel sich verhört zu haben. Sich als Soldat auf das Niveau eines gewöhnlichen Gauners zu begeben und im Heimlichen zu agieren, widerstrebt nicht nur ihm allein. Dennoch sollten ihm meine Erklärungen einleuchten.

„Dann hoffe ich, dass du weißt, was du tust.“, gibt er sich geschlagen, ohne wirklich versucht zu haben, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Da er mein Naturell lange Jahre kennt, weiß er, dass eine Diskussion mit mir zwecklos ist, habe ich einmal meine Entscheidung gefällt.

„Soll ich mit dir an Bord bleiben? Oder Groves?“

Ich schüttle den Kopf.

„Nein. Die Mannschaft kennt dein Gesicht. Und auch Theos. Schick mir fünf Männer, die weder Sparrow noch einem der anderen jemals persönlich begegnet sind. Ich weiß, dass er kürzlich neue Leute angeheuert hat, von daher ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie ihm bereits alle ausführlich bekannt sind.“

Gillette nickt, woraufhin ich ihn entlasse. Schon als er im Begriff ist zu gehen, fällt mir noch etwas ein:

„Ach, und Andrew: Lass bitte mir das Vergnügen, Mister Sparrow über den Verlust seines Raumes aufzuklären.“

Bei der außerordentlich reizvollen Vorstellung vom wenig begeisterten Gesicht des Piraten entwischt mir ein schadenfrohes Grinsen. Eines, das Andrew still erwidert.

„Aye, Commodore!“
 

Während Gillette meinen Befehl überbringt und ich zuversichtlich bin, dass er eine Weile auf den Piraten wird warten müssen, beginne ich damit die Black Pearl ins Auge zu fassen. Jetzt, in diesem ruhigen Augenblick nehme ich mir die Zeit ihren Zustand zu überprüfen und bin erschrocken, wie desolat er ist.

Überall an Bord zeigen sich Schäden.

Ungläubig, dass sie mir nicht früher aufgefallen sind, gehe ich hinüber zur Takelage des Dreimasters. Bei jedem Schritt knacken die Bretter bedenklich, sodass ich an manchen Stellen sogar fürchte auf das Unterdeck hinunter zu brechen.

Bei den Seilen angekommen, muss ich feststellen, dass diese in kaum besserem Zustand sind. Vorsichtig berühre ich sie. Sie sind porös, das Holz der Befestigungen ist spröde. Nur die mit fachmännischem Wissen geknüpften Knoten lassen auf den ursprünglichen Glanz des einstmals stolzen Schiffes schließen.

Ich streiche andächtig über die schwarze Reling, die schon unzählige Male, seit ich das erste Mal in die Abenteuer von Turner, Sparrow und seinen Gefährten verwickelt wurde, repariert worden sein muss, zuletzt nach der fast völligen Zerstörung durch Jones´ Kraken.

Mein Blick wandert mitfühlend für das alte Schiff langsam nach oben, hoch zu den an vielen Stellen durchlöcherten Segeln und den monolithengleichen Masten entlang, die aber noch einigermaßen in Schuss sind.

So viele Gefechte und immer noch ist sie hier.

Vor dem Hintergrund des erschreckend schlechten Bildes, das sich mir offenbart, fühle ich mich in meiner Vorsicht, Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben, bestärkt. Wenn Sparrow die Wahrheit über die Soul of Empress gesagt haben sollte, so ist es ein Sicherheit gebendes Gefühl ein voll bewaffnetes Kriegsschiff in der Hinterhand zu haben.
 

Mit einem traurigen Lächeln für das Fossil einer sterbenden Zeit begebe ich mich zur Tür, die über eine fünfstufige Treppe unter Deck und zur Schlafstätte des Piraten führt.

Unten angekommen, drücke ich die Klinke und bin in höchstem Maße erstaunt, dass die breite, schwarze Tür sofort aufspringt, obwohl ein, wie von mir vermutet, dickes Schloss sie ziert. Gerade als ich sie gänzlich aufstoßen will, lallt Sparrows Stimme hinter mir.

„Commodore?“

Gleich darauf folgt das Geräusch trittunsicherer Schritte auf den fünf Stufen.

„Mein Freund, Euer kleiner Mann meinte, ihr verspürtet den dringenden Wunsch meiner unbedingten Anwesenheit, aye?“

Mit einem schiefen Lächeln, das vom übermäßigen Rumkonsum herrührt, bleibt er auf der untersten Stufe stehen und fixiert mich. Dann fällt seine Aufmerksamkeit auf den offenen Türspalt und meine Hand, die noch immer die Klinke festhält. Das Lächeln verbreitert sich zu einem widerwärtigen Grinsen, sein Kopf legt sich in die Schräge und die Augenbrauen wandern hämisch nach oben.

„Commodore Norrington! Ihr wolltet doch nicht etwa einbrechen?“

Ertappt in meiner Neugier, trete ich beiseite und lehne mich an die Wand in meinem Rücken. Auf Etikette bedacht, warte ich, dass er zuerst den Raum betritt.

„Ich betrachte es eher als vorbeugende Maßnahme, um auf jede Eventualität seitens Euch und Eurer Mannschaft vorbereitet zu sein.“, erwidere ich.

Der Pirat stemmt seine Hand gegen die Wand, an der ich lehne und beugt sich vor.

„Genauso vorbeugend wie der Umstand des unerklärlichen Verschwindens von Davy Jones´ Herz aus meinem Glas Dreck?“, erinnert er mich hinterhältig an die unliebsame Zeit, als für mich Ehre und Anstand erst nach der dritten Flasche Rum begannen.

Da ich weder die Muße habe seine Anklage zu entkräften, noch die Wahrheit in irgendeiner Form beschönigen kann oder will, schweige ich ihn an. Dieser Abschnitt gehört zu meinem Leben, wahrlich es ist keiner, auf den ich stolz bin, aber ihn leugnen oder mich deshalb verlegen fühlen, werde ich nicht. Daher ruht mein Blick weiterhin gelassen in dem braunen Augenpaar vor mir.
 

Sparrow betrachtet die meinen hingegen eingehend, als ob er in ihnen nach etwas suche. Unter der intensiven Musterung, die mir wie eine erneute Provokation vorkommt, deute ich wortlos mit einer einladenden Handbewegung auf die offen stehende Tür.

„Also der Pirat James Norrington hat mir besser gefallen.“, brummelt er in sein Bärtchen, bevor er mit einem letzten flüchtigen Lächeln und beschwingtem Gang sein Reich betritt.

Ich folge ihm über die Schwelle und spüre ein knirschendes Geräusch auf dem merkwürdig weichen Untergrund unter meinen Sohlen. Irritiert bleibe ich augenblicklich stehen und warte bis der Pirat einige Kerzen entzündet hat, die Dunkelheit sich lichtet und ich etwas sehen kann. Und dann möchte ich am liebsten rückwärts wieder aus der Tür.

Nie zuvor habe ich so etwas gesehen, ich will meinen Augen kaum trauen! Zum zweiten Mal am heutigen Tage weiß ich, dass ich starre wie die unbewegliche Maus in der Ecke mit der Katze davor.

„Nicht so entsetzt Commodore, es ist bloß Sand.“

Obwohl in das Anzünden der Kerzen vertieft, merkt er mir meinen entsetzten Ausdruck an.

Sand. Gut, das ist richtig, es ist bloß Sand, aber der große Raum, der im Heck des Schiffes liegt und der durch die in Ebenholz eingelassenen Fenster den Blick aufs offene Meer ermöglicht, ist über und über damit befüllt. Rötlicher, schimmernder Sand! Großer Gott, es sieht aus, als läge der Strand Morne Rouge in diesen vier Wänden.

Das Eigentümliche daran ist aber nicht allein die gewaltige Menge und die sonderbare Farbe, nein, sondern vielmehr sein Erstreckungsradius. Überall, auf Truhen, dem geschnitzten Kirschschrank, den beiden umgefallenen Stühlen, dem großen Tisch in der Mitte, ja selbst die wenigen Regale mit Büchern ertrinken regelrecht darin. Nur das Bett, das direkt unter den Fenstern steht, deren Glas nur noch zu einem Drittel unzerborsten ist, ist davon verschont geblieben und wirkt ordentlich.

Während ich erstaunt den Raum besehe, drängen sich mir unweigerlich zwei Fragen auf. Zum einen die Frage, warum ich keinen Sand auf dem übrigen Schiff gesehen habe, zum anderen, ob ich wirklich die nächsten Tage hier verbringen will, hier in diesem Loch.

Die zweite Frage kann ich mir ohne Schwierigkeiten selbst beantworten und damit ist mein Amusement, Sparrow ein wenig auf die Nerven zu fallen, für den heutigen Abend vom Tisch.
 

Während der Pirat die Stühle aufstellt und die goldbraunen Polster sauber klopft, bewege ich mich von der Neugier gebissen auf eines der Regale zu und stelle einige umgefallene Bücher wieder auf. Auf dem rötlichen Einband eines dicken Folianten lese ich ´ الف ليلة وليلة - Tausend und eine Nacht´ und muss schmunzeln, denn dass Sparrow sich mit Märchen aus Arabien, geschweige denn überhaupt mit Literatur befasst, kommt unerwartet. Dann wandert mein Augenmerk auf den Staub darauf.

Der Sachverhalt, dass die Bücher ihr Vorhandensein eher der Zierde zu verdanken haben, denn ihres unerschöpflichen Sinngehalts, erscheint mir schon eher passend und bestätigt wieder einmal vorzüglich meine Meinung über ihn.

Abschätzig, Büchern eine solche Behandlung angedeihen zu lassen, ziehen sich meine Mundwinkel wie von selbst nach unten. Steif streiche ich mit dem Zeigefinger über die eingeprägten Buchstaben und halte ihn kommentarlos in Sparrows Richtung, solange, bis er es bemerkt.

Er kommt auf mich zu, blickt auf den staubigen Finger vor seiner Nase und in meine mit Vorwurf beladenen Augen.

„Oh! ´Tschuldigung. Es ist im Moment etwas unordentlich.“

Dann torkelt er zurück in die Mitte des Raumes zu dem runden Tisch, der in seiner Größe selbst dem sagengleichen König Artus zur Ehre gereicht hätte, betrachtet ihn einen Moment kritisch, legt den Kopf dabei schräg wie ein Künstler vor seinem fertigen Bild, und wischt schließlich wenig ehrvoll mit der Länge seines Arms eine dicke Sandschicht herunter.

Zum Vorschein kommen mehrere Seekarten, geteert mit blauer Tinte und gefedert vom Sand. Das dazu gehörige Tintenglas samt Schreibfeder und die Navigationsinstrumente liegen heruntergefallen auf dem schweren Teppich.

Sparrow rückt einmal mehr die Stühle zurecht, solange, bis er endlich zufrieden ist, weist mir einen Platz gegenüber seinem eigenen zu und setzt sich. Unruhig rutscht er hin und her, bis es ihm genehm ist, nur um dann mit unverfrorenem Grinsen die Beine auf den Tisch zu legen, gespannt auf meine Reaktion.

„Unordentlich. In der Tat.“, bestätige ich und folge seinem Beispiel.

„Also Commodore, worüber wollen wir zu dieser späten Stunde denn nun plaudern?“

Mit erhobenen Brauen kreist mein Blick einmal quer durch das Zimmer, bis er wieder an dem Mann mir gegenüber hängen bleibt.

„Zuerst wüsste ich gerne, wie der viele Sand in Eure Kajüte kommt und warum die Black Pearl sich in einem solch erbärmlichen Zustand befindet.“

„Hmm, guter Anfang. Könnt aber ein bisschen länger dauern, das zu erklären, Freund. Seid Ihr denn auch willig Eure kostbare Zeit dafür zu opfern?“

Mit einem widerwilligen Schnauben kratze ich mir die in Falten gelegte Stirn. Was hatte ich auch anderes erwartet? Nichts was Jack Sparrow betrifft, könnte jemals in kurzer Zeit abgehandelt werden.

„Die Kurzfassung, wenns recht ist.“

„Was anderes hätte mich auch gewundert.“

Sparrow streckt sich daraufhin, faltet die Arme hinter seinem Kopf zu einer bequemen Stütze und funkelt mich an.

„Barbossa, seine Pearl, Tanger, die Lampe der Aicha Qandicha, meine Pearl.“

Dann grinst er mich sonnig an, nicht ohne einen gewissen Stolz, es tatsächlich vollbracht zu haben in wenigen Worten mitzuteilen, was es zu wissen gibt.

Ich dagegen lasse seine Worte erst mehrere Momente Revue passieren, da ich sehr tief in meinem verborgenen Wissen kramen muss, bevor ich erfassen kann, von was er spricht.

„Die Lampe der Aicha Qandicha?“, hake ich nach, als ich tatsächlich nach einigen langen Minuten im bisher übermäßig gehörten Seemannsgarn meines Lebens fündig geworden bin. Dann überkommt mich aber einmal mehr das untrügliche Gefühl im Bauch, dass er mich verspotten will. Absurd.

Obwohl ich offensichtlich verwirrt aussehe, erhalte ich keine weiteren Erklärungen von ihm, lediglich ein schlichtes Nicken, bevor er die Beine wieder herunternimmt und sich lauernd über die Tischplatte beugt, um mich besser beobachten zu können. Dabei streicht er mit seinen Fingern geistesabwesend über einen der silbernen Leuchter direkt vor ihm, deren brennende Kerzen den gesamten Raum in einem flirrenden Licht fluten.

Ich sehe ihn durch das rötliche Lodern der Feuer an, wie er wartet, geduldig und gespannt. Das ist absurd!

Ich schlage, mich seinem Geschwätz verweigernd wie beiläufig mit der flachen Hand auf den Tisch und schüttle den Kopf. Das ist einfach völlig absurd!

„Oh bitte. Erwartet Ihr wirklich, dass ich das glaube, Sparrow? So etwas wie Dschinne in Öllampen existiert nicht. Und wie wollt Ihr überhaupt bis nach Marokko gekommen sein?“

Mich in meinem Stuhl zurücklehnend und mit einer abwinkenden Handbewegung auf das Bücherregal füge ich hinzu: „Ihr habt zu viel in Euren Märchenbüchern geschmökert.“

Verärgert über mich selbst, dass ich den Versuch Jack Sparrow mit Rationalität zusammenbringen zu wollen immer noch nicht aufgegeben habe, verschränke ich die Arme vor der Brust. Ich sehe den Piraten durchdringend an, warte darauf, dass er in schallendes Gelächter ausbricht, weil er es wieder geschafft hat, dass ich über ihn pikiert bin.

Doch stattdessen trifft mich völlig unvorbereitet ein naiver Blick, der beispiellos ist. Dieser eine bestimmte Blick ist es, der eigentlich nur Kinder zueigen sein dürfte und den ich das letzte Mal bei eben diesen in Port Royal gesehen habe. Es ist jener Blick, der zugleich an nichts und doch an alles glaubt.

Ein leidendes Seufzen kriecht aus der Brust meines Gegenübers.

„James Norrington, da trefft Ihr auf untote Piraten, verfluchte Schiffe, schlagende Herzen in Truhen, nicht zu vergessen auf diesen schleimigen, aber jetzt sehr toten Tintenfisch, der Schiffe und Hüte frisst, und dann wollt Ihr nicht mal mit einem verschwindend geringen Hauch eine Banalität wie die Existenz einer Dschinnenlampe zumindest für möglich halten?“

Beinah vorwurfsvoll über meine stoische Art nicht an Unmögliches und Unerklärliches glauben zu wollen, sieht er mich an.

„Könnt Ihr es nicht ein klitzekleines Bisselchen versuchen?“

Ich atme schwer durch die Nase aus.

Nun, zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass sobald ich auf Sparrow und Turner getroffen war, sich die Ereignisse in höchst seltsamer Weise verändert und ab diesem Zeitpunkt sich meinem Verstand gänzlich entzogen haben. Und… er somit leider… Recht hat.

Diese Epiphanie trifft mich wie ein Schlag!

Ich öffne meinen Mund, will ihm aus Gewohnheit widersprechen, aber über meine Lippen kommt kein Ton. Es ist ärgerlich und zweifelsfrei erniedrigend, aber eine logische Argumentationsweise stößt bei den vergangenen Ereignissen, die er aufgezählt hat an ihre Grenzen.

Da ich nicht antworte, nicht antworten kann, muss ich mit ansehen, wie der Pirat sich selbstgefällig zurücklehnt und mit dem Finger auf mich zeigt.

„Aah, hab ich es endlich geschafft Euch mundtot zu machen. Interessante Erfahrung. Wirklich, sehr interessant.“

„Dann sagt Ihr eben die Wahrheit, Pirat“, grolle ich.

Was machte es auch für einen Unterschied, ob es stimmte. Wenn es die Wahrheit ist, wird mein stures Bedürfnis nach Logik sich ihr trotzdem verweigern.

„Dann soll es eben so sein, dass die sagenumwobene, männermordende Aicha Euch Euer Schiff zurück brachte, das ihr, beiläufig bemerkt, recht häufig verliert."

Ich fahre mir, die Augen rollend, erneut über die Stirn.

„Mein enormes, intuitives Gespür für Offiziere der Royal Navy sagt mir, dass Euch diese Art des Gesprächs nicht recht behagt?!“

„Was wurde aus Barbossa?“, ignoriere ich ihn, was ihn aber nicht im geringsten stört.

„Das ist eine gute Frage. Was aus dem alten Hecktor geworden ist, wüsste ich auch gern. Will ja nicht wieder unliebsamen Besuch von ihm bekommen, der jedes Mal, wie wir beide wissen, unbeabsichtigt darin gipfelt, dass er mit der Black Pearl davon segelt und ich auf irgendeinem gottverlassenem Eiland festsitze.“ Sparrow sieht ausdruckslos auf einen Punkt hinter meiner linken Schulter, „Wird auf Dauer ziemlich lästig.“

Dann grinst er mich an.

Einmal mehr kann ich mich nur über ihn wundern. Ich sehe an ihm vorbei zu den Fenstern, durch die ich trotz der Schwärze der Nacht das dunkle Meer sehen kann und das in seinen Untiefen das trübe Licht des Mondes spiegelt. Beim Blick auf die See, wie sie besonnen ihre Wellen gegen das Schiff lenkt und das Kielwasser rauschen lässt, schweifen meine Gedanken ab.

Erstaunlich wie schnell dieser Mensch von einer Emotion in die nächste stolpert.

„Fein, aber lassen wir das. Ist ja auch eine andre Geschichte.“, höre ich Sparrow enttäuscht seufzen, weil er seine Erzählung nicht an den Mann bringen kann.

„Was wolltet Ihr denn nun so außerordentlich Wichtiges vom guten, alten Jack, dass es nicht Zeit gehabt hätte bis morgen zu warten?“

Leicht verlegen, mich gehen gelassen zu haben, räuspere ich mich und sitze gerade.

„Informationen, Sparrow.“, sage ich knapp, „Ihr könnt Euch denken, worüber.“

Daraufhin erhebt er sich mit einem unzufriedenen Blick und schwankt hinüber zu einer der Truhen,

„In Ordnung“, um darin zu kramen.

„Unser Kurs wird uns zuerst nach Tortuga führen...“

Ich kann nicht sagen, ich sei überrascht.

„...Ihr erinnert Euch doch. Niedliches, kleines Piratennest. Habt Ihr schon mehrfach ausgehoben. Und zeitweise war´s Euer zweites Heim.“

Sparrow wirft mir über die Schulter ein Lächeln zu, was meine Miene gefrieren lässt. Als ich ansetzen will, etwas zu erwidern, lenkt er ein:

„Dort beginnt unsere Suche.“

Mit einer staubigen Seekarte im Arm kommt er zu mir zurück und breitet sie auf dem Tisch aus. Mit verschränkten Armen stellt er sich hinter mich.
 

Ich werfe einen Blick auf das große vergilbte Stück Papier und stelle fest, dass mir die Inseln und selbst die Sprache der Schrift unbekannt sind. An ihrem Zustand ist lediglich auszumachen, dass sie sehr alt sein muss.

„Und was suchen wir?“

Meine frage verranlasst den Piraten sich zu meinem Ohr vorzubeugen, so dass ich seinen Atem spüre.

„Freund, das was wir Männer immer suchen. Eine Frau.“

„Eine Frau?“

Sparrows Goldzähne blitzen schadenfroh auf.

„Aye. Eine Frau, die wir dringend für unser kleines Abenteuer brauchen. Ihr kennt sie bereits. Eine Frau, über deren Anwesenheit auf der Pearl sich Master Gibbs unendlich freuen wird.“

Für die Akte

"Unschuldig und von einer solchen Freigiebigkeit mit dem, was sie haben, dass niemand es glauben würde, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Was immer man von ihnen erbittet, sie sagen nie nein, sondern fordern einen ausdrücklich auf, es anzunehmen und zeigen dabei soviel Liebenswürdigkeit, als würden sie einem ihr Herz schenken."

- Christoph Columbus -
 

* * *
 

„Nein, nein. Nein! Captain, du weißt ganz genau, es bringt furchtbares Unglück eine Frau mit an Bord zu haben.“, redet Gibbs seit einer langen Weile auf Sparrow ein, wobei seine Stimme mit jedem Wort höher wird.

„Ganz besonders, wenn es diese Frau ist.“

Als hätte man ihm mitgeteilt der Leibhaftige selbst wolle ihm einen Besuch abstatten, läuft er hektisch hinter ihm her, das Gesicht bleich, während der Captain der Black Pearl mit den Augen rollend ein Stück in meine Richtung weicht.

Fasziniert, wie gestandene Männer, sich dem Aberglauben hingebend, zu verängstigten Mäusen werden, lehne ich mich übermüdet gegen die Türe, die unter Deck führt und verfolge die Szene amüsiert.

Weil die letzte, sehr kurze Nacht im Frachtraum keinesfalls erholsam war, ich jeden einzelnen Knochen spüre, erfreut es mich zu sehen, dass es Sparrow nicht besser ergeht. Denn mit mir wurde auch er durch die frenetische Jubelei seiner Mannschaft zu früh aus dem Schlaf gerissen, welche, - nebst wildesten Spekulationen-, durch das Abrücken meiner Schiffe ausgelöst wurde.

Interessanterweise maß er mich lediglich mit einem skeptischen, höchst misstrauischen Blick. Mich danach gefragt, hat er bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht.
 

Mit einem versteckten Lächeln schlüpfe ich gemütlich in meine Jacke und beginne die Knöpfe zu schließen. Meine Augen wandern währenddessen über das Deck und noch einmal zolle ich Andrew Respekt dafür, dass er neben dem Befehl zum Abrücken den hinsichtlich der fünf Soldaten erfolgreich erfüllt hat. Wie angeordnet, haben sie sich unbemerkt auf die Pearl geschlichen. Ich selbst hätte meine eigenen Männer in ihrer zerschlissenen Kleidung und anhand ihres ungehobelten Auftretens nicht erkannt, wenn sie sich mir am gestrigen Abend nicht noch durch ein kurzes Zeichen zu Erkennen gegeben hätten.
 

Mit mir und der Welt zufrieden, beobachte ich weiter das sich mir bietende Schauspiel zwischen Captain und Steuermann und wie ersterer sich mit ungeduldiger Miene so abrupt umwendet, dass Gibbs beinahe gegen ihn prallt.

„Master Gibbs, was pflegen Steuermänner in der Regel zu tun?“, will er wissen, gleich einem Lehrer, der ungnädig mit seinem Schüler ist.

„Sie... sie steuern das Schiff?“

„Und was brauchen sie dazu, um diese redliche Aufgabe zu tun?“

„Einen Kurs?“

„Aha! Einen Kurs. Einen Kurs, den wir nicht haben. Und da wir keinen Kurs haben, den wir aber dringend brauchen, brauchen wir einen Steuermann, der unseren Kurs, welchen wir nicht haben, kennt.“

„Also holen wir Anamaria, damit sie das Schiff steuert?“

Sparrow hebt tonlos den Finger, formt die Lippen zu einer Antwort.

„Nein.“

Die Verwirrung ist Gibbs deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Wir holen Anamaria damit sie Euch zeigt, wohin Ihr das Schiff steuert.“

„Aber Captain! Wir haben doch deinen Kompass, wir brauchen sie nicht.“
 

Der Captain der Pearl räuspert sich, legt den Kopf in den Nacken, um ein klein wenig größer zu wirken, die Brauen herauf und die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen.

„Mister Gibbs. Euer lächerlicher und äußerst unzweckmäßiger Händel mit Anamaria hat während unserer früheren Abenteuer ungemein zu meiner Erheiterung beigetragen“, er zupft an den Perlen seines Barts, dass die Perlen gegeneinander schlagen, „und ich bin zu meiner Schande daher untätig geblieben, als sie mit schlagkräftigen und überaus schmerzhaften Argumenten das Schiff verließ.“
 

Bei dem Wort ´schmerzhaft´ reibt der Pirat knurrend seine Wange, und ich kann mir zusammenreimen, warum. Meine erste und einzige Begegnung mit der besagten Miss liegt zwar eine Weile zurück und sie war von sehr kurzer Dauer, dennoch weiß ich noch um ihr ungezügeltes Temperament.

´Jeder so, wie er es verdient, Gentleman´, denke ich vergnügt und ein kleiner Teil freut sich, aller Etikette und Anstand zum Trotz, auf die Frau, von der Sparrow in seinem Leben offenbar reichlich Maulschellen bezogen hat.
 

„Und Ihr tragt daran die Schuld, dass sie uns das letzte Mal in Tortuga shanghait hat. Also schlage ich vor, dass Ihr versucht Eure unerträglichen Streitigkeiten in Grenzen zu halten, um dieses eine Mal zumindest annähernd miteinander auszukommen.“

Sparrow wendet sich kurz zu mir, wirft mir einen ablehnenden Blick zu.

„Ich muss es ja auch. Gibt’s noch mehr Fragen?“

Gibbs schüttelt den Kopf, worauf Sparrow ihm mit wedelnden Handbewegungen bedeutet sich zu entfernen.

„Dann hopp, hopp. Lasst Segel setzen!“
 

Nachdem die frühmorgendliche Debatte endlich beendet ist, gibt Gibbs der Mannschaft Befehl in See zu stechen, immer unter Beobachtung der argwöhnischen Augen Sparrows. Erst als dieser sich sicher ist, dass sein Befehl auch befolgt wird, trottet er mürrisch zu mir. Während er sich mit verschränkten Armen neben mich stellt, tippe ich mit dem Knauf meines Schwertes, auf seinen an einer Kordel baumelnden Kompass.

„Was ist mit Eurem Kompass?“, frage ich spöttisch.

Ich habe es nicht vergessen, dass er auf das zeigt, was der Mensch, der in hält, sich am meisten auf der Welt wünscht.

„Mein Kompass funktioniert ganz wunderbar.“, gibt er spitz zurück, nimmt anmutig sein bemerkenswertes Navigationsinstrument in die Hand, öffnet es und zeigt mir das Desaster. Die Nadel schwirrt unbändig von einer Himmelsrichtung zur anderen.

„Der Mann, der ihn hält, will nicht funktionieren. Das müsst Ihr schon einsehen, dass ich nicht die Segel in mein eigenes Verderben setzen will.“

Dann schleicht sich ein tückisches Grinsen auf seine Züge.

„Und da ich annehme, dass wenn ich ihn Euch in die Hand gebe, lieber Freund, die Nadel unumwunden auf Port Royal zeigen wird, zur anständigen und ehrenwerten Misses Turner, -ehemalige Swann-, werden wir den Kurs auf althergebrachte Weise finden müssen. Ihr wisst schon, mit Karten, Navigation und dem ganzen andern Schnickschnack.“
 

Während seinen Erklärungen lege ich mir das von Turner meisterlich geschmiedete Schwert um, streife meine Uniform glatt und knöpfe ordentlich den letzten Knopf am Kragen zu. Da sich mein Hut noch in des Piraten Besitz befindet und er sich am gestrigen Abend nicht mehr dazu herablassen konnte ihn wieder herauszurücken, muss ich mich heute zu meinem Leidwesen mit meiner Perücke begnügen.

Ich setze sie auf und verstecke mein zurück gebundenes Haar unter ihr so gut es mir möglich ist ohne Pomade und Klammern.

Sparrow, der meine morgendliche Pflege teils interessiert, zum überwiegenden Teil aber höhnisch verfolgt, ignoriere ich. Ebenso den wie zufällig, aber mit voller Absicht geführten Seitenhieb durch die Nennung von Elisabeth´s Zunamen. Leugnen, dass die Retour ihre Wirkung nicht verfehlt, kann ich jedoch nicht und in meinem Innern grolle ich ihm gehörig. Auch wenn Miss Swann, -Misses Turner-, sich auf romantische Weise nicht mehr in meinem Ermessensspielraum befindet, so heißt das nicht, dass die Gefühle für die geliebte Frau begraben sind. Und dass der Tunichtgut in dieser Wunde nur allzu gerne stochert, macht die Sache nicht einfacher.

Welch glücklicher Zufall, dass ich gegenwärtig mit meiner Kleidung beschäftigt bin und ich ihn nicht anzusehen brauche.
 

„Ihr habt da eine Strähne vergessen.“

„Darf ich erfahren, woher Miss Anamaria den richtigen Kurs kennt?“, frage ich nüchtern gegen, die Manschetten an den Ärmeln schließend und in der Hoffnung, dass er mir meine Verbitterung nicht anmerkt. Zudem brennt mir diese Frage seit gestern auf den Lippen, da Sparrow sie trotz energischem Bohren meinerseits unbeantwortet ließ. Meiner Unzufriedenheit über seine gestrige Reserviertheit lasse ich auch sogleich freien Lauf.

„Gestern Nacht war unser Gespräch keinesfalls so informativ, wie ich es mir erhofft hatte, Mister Sparrow. Ganz im Gegenteil.“

Wieder korrekt in meine Autorität gebende Uniform gewandet, hebe ich meinen unterkühlten Blick… und sehe direkt auf Sparrows Zeigefinger dicht vor meinen Augen… und werde gezwungen aus Reflex heraus zu schielen.
 

„Da. Diese Strähne. Die habt ihr vergessen Commodore.“, meint der Pirat belustigt über meinen unerträglich dummen Gesichtsausdruck. Dass er nicht noch an besagten Haaren herumzupft, ist auch schon alles.

„Mister Sparrow, hört auf mich hinzuhalten, ich bin es allmählich Leid. Eure geheimniskrämerische Taktik mag vielleicht bei Turner funktionieren,“, weise ich ihn verärgert zurecht, „aber nicht bei mir.“

Die freche Hand schiebe ich mit einer überheblichen Geste beiseite.

„Wollt Euch nur helfen, Freund. Ihr habt´s doch so mit Ordnung und Disziplin.“

„Sparrow!“, entfährt es mir laut, weil mir überdeutlich klar wird, dass er sich um eine Antwort drücken will.

Automatisch legt sich meine Hand krampfhaft um den Schwertgriff, denn im Augenblick verspüre ich den innigsten Wunsch mein Gegenüber ein Stück zu stutzen. Nur die Achtung vor mir selbst und die Unmöglichkeit den Governor ohne Sparrow befreien zu können, halten mich davon ab, meinem Verlangen nachzugeben.

„Schon gut. Bevor Ihr gleich wieder die unschöne Angewohnheit entwickelt, mir Eure spitze Klinge unter die Nase zu halten… Beim Herrgott, dass Ihr´s immer so eilig haben müsst.“

Der Pirat seufzt und schließt für einen Moment die Augen, bevor er mich fest ansieht und sich ein Stimmungswechsel in ihm vollzieht, der beinah greifbar ist.
 

„Die Karte, die ich Euch vorlegte, die konntet Ihr nicht lesen, aye?“

Ich nicke und entlasse mit einem erleichternden Laut den Griff.

„Aye, konntet Ihr nicht,“, er hebt die Brauen, „kann ich auch nicht, macht Euch also nichts draus.“

Er lächelt dieses unscheinbare Lächeln und strahlt mich aus seinen tiefen, braunen Augen an, fast so, als stünden sie in Flammen, wartend auf das, was ich als nächstes tue oder frage. Das ungute Gefühl direkt in eine von Sparrows Spielereien zu stolpern, beginnt in mir zu wuchern.

„Nun lasst mich vermuten, die junge Miss vermag die Sprache zu entziffern, und das ist der Grund, warum wir sie holen.“

„Scharf geschlossen, Commodore. Diese alte und hochgradig ausgestorbene Sprache stammt noch von einem der Urvölker der Karibik, genauer gesagt den Taíno. Vielleicht erinnert ihr Euch. Ist noch gar nicht so lange her, dass Santa Lucia entdeckt wurde. Oder Louanalao, wenn Ihr in der Sprache der Eingeborenen bleiben wollt. Dieses nette, kleine Völkchen hat ein paar erstaunliche Dinge zustande gebracht.“
 

Sparrow pausiert einen Moment und hebt den Finger in seiner typisch belehrenden Weise, lehnt sich ein Stück zurück und kneift die Augen zusammen.

„Ich sag nur ein Wort: Hängematte! Ihr Briten rühmt euch doch immer, sie erfunden zu haben.“

Das selbstgefällige Lächeln, das ihn ohnehin Tag und Nacht begleitet, wird stärker:

„Tja, tut mir Leid. Das wart ihr nicht.“, er sieht kurz an mir vorbei, überlegt, „Dann gibt´s natürlich noch den Ají. Tolles Zeug! Hab noch nie jemanden so niesen sehen wie Mister Cottons Papagei! Oder das Canoa, wüsst gar nicht, wie ich sonst die ganzen dünnen Bächlein hinauf käme und selbstv –“

„Mister Sparrow! Ihr plappert.“, unterbreche ich ihn gereizt, bevor er sich vollständig im Aufzählen der Errungenschaften dieses Volkes ergehen kann, so interessant und aufschlussreich sie vielleicht auch sein mögen.

Davon abgesehen können Papageien nicht niesen.
 

Angefahren, faltet er die Hände wie zu einem Gebet und duckt sich leicht.

„Verzeihung. Hab mich hinreisen lassen. Also, bevor die Portugiesen und Spanier meinten sich auf diesem herrlichen Fleckchen Land breitmachten zu müssen und versuchten es zu kolonialisieren, besiedelten sie die gesamten Antillen und eben auch diesen Teil der Westinseln-“

„Und wer brachte die Sprache der jungen Miss bei?“

Sparrow hebt tadelnd den Finger, „Nicht so ungeduldig Freund. Will ja schon dazu kommen.“

Er tritt mir wieder sehr nah gegenüber, so nah, dass wir uns fast berühren. Dann tippt er mit seinem Zeigefinger gegen meine Brust, genau über dem Herzen.

„Anamaria ist eine der wenigen Nachfahren der Maguana, eines Stammes, der die Überfälle durch die Kariben überlebt hat, nicht zu vergessen das Abschlachten durch Christoph Columbus im fünfzehnten Jahrhundert. Klar soweit?“

„In der Tat“, bejahe ich, „die Berichte sprechen davon, dass er und die folgenden Kolonialherren sich an den Ureinwohnern vergingen und die Völker, trotz unzähliger Edikte des spanischen Hofes zu ihrem Schutz, hinmordeten. Die letzte Stammesführerin war Anacaona, Frau des Caonabo. Gehängt wurde sie auf Befehl des spanischen Gouverneurs de Ovando im Alter von nur neunundzwanzig Jahren. Wie haben die Ahnen von Miss Anamaria überlebt, das Volk gilt als ausgestorben?“
 

Sparrow kratzt sich den geraden Nasenrücken, bevor er in Richtung Reling schlendert, bewusst langsam, und ich ihm folge. Dort angekommen, greift er sich mit einer Hand eines der Seile, das nach oben zu den Segeln führt, hängt sich daran, um sein Gewicht von ihm tragen zu lassen.

„Weiß nicht, Freund. Kann ich Euch leider nicht beantworten, die Frage. Ich weiß nur soviel: Anamaria ist eine der noch etwa dreißig lebenden Taíno und so ziemlich die einzige, die diese Sprache spricht. Jedenfalls kenne ich sonst niemanden. Sie kann es und der Rest soll mir daher gleich sein.“

„Schön. Darf ich auch erfahren, was genau auf der Karte zu lesen und was durch sie zu finden ist?“

Sparrow legt bei meiner Frage den Kopf schräg und sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich noch nie zuvor bei ihm entdeckt habe. Fragend, suchend, ein wenig kritisch vielleicht und auch besorgt. Wer kann das bei ihm schon so genau einschätzen, jedenfalls unglaublich intensiv und somit außerordentlich beunruhigend.

„Wollt Ihr etwas Sparrow?“

Ich straffe mich, ein wenig verunsichert durch ihn.

„Nichts Freund. Ich überlege bloß.“
 

Seine Denkpause hält noch einen Moment an, dann fährt er mit gewohnt rauchiger, aber fester Stimme fort:

„Ihr dürft. Die Karte gibt das Versteck der Taino preis. Ihr Schlupfloch. Ihr zu Hause. Ihre Heimat. Als ich Euch und Will erzählte, dass die Soul of Empress keinen Heimathafen hat-“

„- habt Ihr nicht so ganz die Wahrheit gesagt?“, beende ich den Satz für den Piraten.

Die Arme hinter dem Rücken verschränkt, blicke ich auf das weite, ruhige Wasser, innerlich beschäftigt mit diesem verwirrenden Ausdruck, der so gar nicht in Sparrows übliches Repertoire passen will. Meine Schweigsamkeit hindert ihn aber nicht daran sich neben mich zu stellen. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie er seine Unterarme auf das raue Holz bettet und mit mir zusammen hinaus auf den Horizont schaut, hinter uns das geschäftige Treiben seiner Crew.

„Nicht so ganz. Aye. Die schwarze Witwe ist auch eine Taino und sie kennt dieses Versteck.“

„Und so wird die Wahrscheinlichkeit groß sein, dass sie dort einläuft.“, sage ich beiläufig, schenke der neuen Information nur geringe Beachtung, denn ich hänge fasziniert an dem Bildnis vor mir fest:
 

Die vor sich hin treibenden Wellen, am Horizont die Ufer ferner Länder, nur undeutlich erkennbar und die streichelnde, laue Brise auf der Haut und im Haar, zart und sanft, wie selbst eine Mutter es nicht mehr sein könnte...
 

Ich lasse mich hinreißen die Augen zu schließen und tief einzuatmen.
 

"...der salzige Geruch, der herüber weht und man weiß, dass man zu Hause ist. Mag gern glauben, dass das Wasser der Karibik immer ein bisschen blauer ist als anderswo. Dieser Anblick ist es, der einen leben lässt und die Schatten der Vergangenheit vergessen macht... ...gibt nichts Besseres, als das hier, eh? “

„Nein, das gibt es wirklich nicht.“

Sanft darüber lächelnd, dass gerade Sparrow es ist, der wie kein anderer die Liebe zur See mit mir teilt, nicke ich und lehne mich mit meinem Rücken gegen den Widerstand hinter mir, sodass ich sein Profil betrachten kann. Ein schmerzlicher Zug liegt um seine Lippen, während er gebannt hinaussieht und zum ersten Mal seit ich diesen Mann kenne, erlebe ich ihn wahrhaft traurig.

„Was habt Ihr dieser Frau getan, dass es Euch Euer Herz so schwer macht?“, frage ich ehrlich interessiert, worauf sich der Kopf des Piraten zu mir dreht. Der Rest verbleibt steif in seiner Haltung.

„Bester Commodore, ich habe sie geheiratet“
 

„...“
 

Für einen Moment herrscht vollkommene Stille, stiller wie es auf dem Meeresgrund nicht sein könnte. Dann ziehen sich meine Brauen in die Höhe, so hoch, dass sich meine Stirn in Falten legt.

„Pardon?“, stammle ich, mich immer noch an dem wunderbaren Gedanken festklammernd, mich verhört zu haben. Ich starre ihn an, Sparrow sieht schmunzelnd zurück.

Ja, mein Piratenfreund, Ihr erlebt mich sprachlos, erneut.

Und da der Mann sich beharrlich in Stille hüllt, wird sich daran auch so schnell nichts ändern.

Er genießt es sichtlich, sich an meinem geschockten - ein anderer Begriff würde ihn beileibe nicht treffen- Zustand zu weiden.

Um die tosende Stille schließlich zu brechen und dem Piraten seinen Erfolg zu vergällen, kommt mir ein rettender Gedanke.

Wollen wir doch versuchen diese neue Information ganz pragmatisch zu verarbeiten:

„Hm. Wenn das so ist, dann werde ich Eure Akte auf meinem Schreibtisch um dieses Detail erweitern müssen.“

Ich zucke mit den Schultern, gleichgültig gemeint, allerdings wenig überzeugend, was Sparrow keinesfalls entgeht. Das demonstriert er sogleich mit einem glucksenden Laut, einer dieser verzweifelten Laute, die von unterdrücktem Lachen herrühren.

„Wie kam es denn zu diesem unerwarteten Ereignis?“

„Wollt Ihr das wirklich wissen?“

In den unergründbaren Augen entsteht ein bemerkenswertes Leuchten, dieses nur Sparrow eigene Leuchten, das anzeigt, wenn ihm ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Halb lächle ich über diese Freude, bevor mir klar wird, dass dieses Mal mein Interesse der Fisch ist, der nur allzu bereitwillig in sein Netz hüpft.

„Für die Akte, Mister Sparrow.“

„Für die Akte.“, wiederholt er und das unscheinbare, aber so offensichtliche Zucken seiner Mundwinkel kann mir gar nicht verborgen bleiben.

„Für die Akte.“
 

Wir beide wissen, es wäre irrsinnig meine Neugier jetzt noch zu bestreiten.

Die Ellbogen bequem auf die Reling gestützt, schaue ihn mit großen Erwartungen an.

„Aber hinterher nicht böse werden, ja?“, bittet er mich mit geradezu ulkigem Augenaufschlag.

Wenn ich auch mit seiner Bitte nichts anzufangen weiß, nicke ich zustimmend, aber sie lässt mich wachsam werden. Jetzt kann ja nur eine grandiose Kalauerei kommen, zweifellos unterhaltsam und amüsant, für Piraten wohlgemerkt.

„Seht mich bloß nicht so gespannt an, es ist nicht so richtig was Besonderes. Lief eigentlich ziemlich simpel ab, die ganze Sache. Normal eben. Ihr wisst schon.“

Ich schüttle den Kopf, stelle mich absichtlich dumm. Er beginnt um mich herum zu pirschen.

„Mann, das Übliche eben: Kennenlernen, sich sympathisch finden, reden....sich der Familie vorstellen, turteln... sehr viel reden...“, ein verschlagenes Lächeln legt sich um seinen Mund und seine Stimme wird leiser, heiserer und vor allem verlockender. "....Neugierde..."
 

Verwirrt starre ich auf das so plötzlich entstandene, feurige Brennen in seinen Augen, die unter ihm fast schwarz werden. Gefesselt durch den seltsamen Anblick, bemerke ich zu spät, dass er sich rechts neben mir positioniert hat, seine linke Hand das dunkle Holz in meinem Rücken umfasst und er sich so dicht genug an mich heran schieben kann, um mir leise ins Ohr zu raunen, „...unkeusche Gedanken hegen. Sie und ich, ich und sie. Daraus sollte ein aufregendes „wir“ werden.“

So dicht bei ihm nehme ich zum ersten Mal den betörenden Geruch des Meeres auf seiner Haut wahr, der unter dem scharfen Geschmack des Rums verborgen liegt. Und auch erkenne ich zum ersten Mal bewusst, dass die braunen Augen eine Nuance dunkler werden, immer dann wenn er von etwas Bedeutsamen spricht. Zugegeben, objektiv betrachtet, dass er auf manche Frau anziehend wirken mag, kann ich nachvollziehen.

Ich schüttle den Kopf über solche wirren, völlig unpassenden Eingeständnisse und weiche entschlossen einen Schritt nach links aus, um seiner irritierenden Nähe und der Berührung durch seinen Arm auf meinem Rücken zu entgehen. Das flaue Gefühl in meiner Magengegend bleibt.
 

„... und noch mehr reden. Drei Tage können verdammt lang werden, wenn man redet. Vor allem wenn Mama einem im Nacken hockt und aufpasst wie ein Schießhund. Kam echt nicht dazu, das hübsche Ding ein wenig näher kennen zu lernen.“

„Und weil das Herz der schönen Frau Euch nicht sogleich zugeflogen kam, und die Familie auf ihre Ehre bestand, da habt ihr Euch gezwungen gesehen, sie zu ehelichen? Zweifelsohne unter dem Einfluss einer nicht geringen Menge an Rum?“, spekuliere ich mal wild drauf los, halte meine Worte selbst für Humbug.

„Zweiteres ja, ersteres mit Einschränkung.“

Sparrow wendet sich auf den Absätzen um und will sich langsam entfernen.

„Ich bin ganz Ohr, Pirat.“

„Ähm, das wäre jetzt eigentlich der passende Augenblick gewesen, an dem ihr sagen solltet ´ich habe genug gehört´“, ächzt er kleinlaut und wirft mir einen halben Blick über die Schulter zu, teils verdeckt durch den Ramsch in seinem Haar.

„Ich bin ganz Ohr.“, wiederhole ich unerbittlich, meine Zweifel den Ausgang dieser Liaison hören zu wollen, werden jedoch bestärkt.
 

Sparrow seufzt tief und die geraden Schultern fallen nach unten, bevor er sich wieder umdreht und wie ein geprügelter Hund zu mir zurück schleicht.

„Wie war das mit der Hochzeit?“

Ein Weilchen druckst er noch herum und spielt nervös mit seinen Fingern.

„Vielleicht nicht unbedingt Hochzeit, eher eine niedliche, winzige Zeremonie, unter Freunden.. So ganz schlicht und unverbindlich?!“

„Ihr wollt mir doch nicht erzählen, dass ihr das Mädchen betrunken gemacht und zum Schein geheiratet habt, bloß um sie ein wenig williger zu stimmen und die Brauteltern zu beruhigen?“, frage ich lachend.

Das wäre selbst für Sparrow undenkbar, wobei ich es seiner lockerer Lebensart durchaus zutrauen würde. Das wäre nun wirklich ein gelungener Klamauk, wenn er versuchte mir das weiszumachen.

Komisch bleibt die Sache leider nur so lange, bis der Angesprochene plötzlich das Gesicht panisch verziehend mit zwei großen Schritten aus meiner Reichweite hastet.

Dann wendet er sich um: „Hnnng... also um ehrlich zu sein, doch.“

Ruckartig reißt er die Hände vor sein Gesicht zur Abwehr, als rechne er damit, dass ich etwas nach ihm werfe.

Da ich nach einigen Momenten nicht die Anstalten mache, seiner Befürchtung nachzukommen, - noch nicht, weil ich nichts habe, das ich werfen könnte-, späht er vorsichtig zwischen seinen Fingern hindurch, genau zwischen zwei großen, bunten Ringen.

Völlig reglos und unverändert stehe ich wie festgenagelt an meinem Platz. Nur meine zu einer Maske verhärtete Miene, zumindest muss es so auf ihn wirken, verrät den inneren Konflikt, der in mir wütet.
 

Und immer tut sich ein neuer Abgrund in Sparrows Verhalten auf. Manchmal weiß ich wirklich nicht, ob ich lachen oder fluchen soll.

„Das klingt alles nicht gerade fein, nicht?“, fragt er mit einem verlogen unschuldigen Blick, der die Thematik auf solch groteske Art verharmlost, dass die Waage eindeutig in Richtung Zorn und Fluchen kippt.

„Nein, Mister Sparrow das tut es nicht! Nicht einmal für Euch. Eine Dame zum Schein vor den Altar und vor das Angesicht des Herrn zu zerren, nur um Eurem amoureusen Verlangen die ersehnte Befriedigung zu verschaffen... nein...“

Meine Stimme wird laut von der Empörung, die ich verspüre und ich sehe mich dazu geneigt ihn anzubrüllen.

„Das sollte selbst unter Eurer Würde sein!“

„Seht Ihr, genau deswegen wollte ich gestern nichts sagen. Ich wusste, Ihr würdet euch darüber ärgern!“

Und ob ich mich darüber ärgere! Nie habe ich jemanden getroffen, der anmaßender, respektloser gleich wem gegenüber, unverfrorener und verdorbener ist, als diesen Piraten!

„Oh, Ihr verdient es von dieser Frau gejagt zu werden", speie ich aus, bevor mich das abschnürende Gefühl überkommt, an meinem eigenen Groll ersticken zu müssen.

„Das ist jetzt aber recht unnett.“

„Ooh, Ihr bedauernswertes Lamm, Ihr würdet euch wundern, wie viel ´unnetter` es noch geht! Nach unserem ersten Zusammentreffen, als Miss Swann und Mister Turner im Fort mit dem Argument, ihr wäret ein guter Mann um Euer Leben kämpften, da war ich davon überzeugt, sie hätten Recht. Und das Bedauern an die Gesetze gebunden zu sein und Euch hängen zu müssen, war schier unerträglich. Also gab ich Euch den Tag Vorsprung, den Ihr benötigtet, um zu entkommen. Ein großer Fehler, wie es sich herausstellte.“

All die aufgestaute Wut seit dem Hurrikan und meinem darauf folgenden Austritt aus der Navy, schlussendlich die Ereignisse mit Cutler Beckett und Davy Jones, bricht aus mir heraus. Und es tut mir hochgradig wohl.

„Ihr werdet Euch nie ändern. Nicht bevor die Welt untergeht und ihr Euch nicht mehr Eurem Schicksal entwinden könnt, wie ein Wurm der Krä - “

„Vielleicht hilft es, wenn ich sage, dass sie sich hinterher nicht beschwert hat?“, fällt er mir ins Wort und mit dem niederträchtigsten Grinsen, das ich jemals bei einem Menschen gesehen habe, - und das schwöre ich vor dem Schöpfer-, fügt er hinzu:

„Wisst Ihr, wärt Ihr ein Mädchen, würde ich es Euch ja beweisen.“

Allein bei der Vorstellung lache ich bitter auf.

„Ha! Ehrlich Sparrow, wäre ich eine Frau, so wäret Ihr zweifellos der letzte Mann auf dieser schönen Welt, in dessen Armen ich mir das Finden eines zweifelhaften Vergnügens wünschen würde!“

„Aber zum Glück seid Ihr das ja nicht.“

„Was?“

„Eine Frau! Oder seid ihr ein Eunuch?“

Sein Blick wandert gespielt entsetzt an mir hinab.

Gut, das reicht. Jeder trägt in sich eine Grenze, ab der er sich genötigt sieht, den strategischen Rückzug anzutreten, bevor er etwas sehr Dummes tut. Bevor sich also meine mordenden Gedanken verfestigen können und sich meine Hände um Sparrows Hals legen, richte ich mich zu meiner vollen Größe auf, so dass ich ihn bei weitem überrage, recke das Kinn und mit bester commodore´scher Arroganz wende ich mich ab.

„Guten Tag, Mister Sparrow.“

Mich selbst scheltend, dass ich es diesem Mann zugetraut habe ehrliche Gefühle wie Bedauern und Traurigkeit zu hegen, dass ich Esel seinem Mitleid heischenden Blick geglaubt habe, lasse ich ihn stehen. Dabei rast mein Herz vor Wut und Zorn, mehr über mich selbst als über diesen Bastard.

„Kommt schon Norrington! Habt nicht noch eine schlechtere Meinung von mir als bisher!“, höre ich ihn mir lachend nachrufen, bevor die Tür zum Unterdeck krachend hinter mir zuschlägt.

Fünfzig Schritt Länge

„Gütiger Gott, ich habe die Beherrschung verloren.“

Resigniert streife ich die Perücke vom Kopf, lehne ihn gegen die Schiffswand des Frachtraums, meiner improvisierten Schlafstätte und setze mir das teure Haar mitten aufs Gesicht. Durch den feinmaschigen Stoff, auf den die vornehmen weißen Locken geknüpft sind, stehlen sich versonnen wenige Lichtstrahlen, zu klein, als dass ich sie wirklich mit voller Inbrunst als solche bezeichnen würde. Wie ausgesprochen kindisch ich mich gezeigt habe, ausgerechnet vor Sparrow. Und das bereits nach dem ersten Tag. Keinen Schritt weiter sind wir, was die Rettung des Governors anbelangt und verdammt dazu, auf diesen verfluchten Piraten zu vertrauen, der mich entweder an den Rande des Wahnsinns treiben will, oder mir gefällig mit der Schaufel in der Hand freudestrahlend und voll ersichtlicher Zufriedenheit das Grab aushebt.

Kann ein Leben noch düsterer werden? Der Allmächtige meint es die letzte Zeit außerordentlich schlecht mit mir.

Ich seufze verdrossen in den leicht muffeligen Stoff.

Oh Elisabeth, wärt Ihr nur hier. Oder zumindest Turner. Oder wenigstens irgend jemand, der diesen Menschen beschäftigt und ihn von mir fernhält.

„Am besten gehe ich ihm aus dem Weg.“

Ha! Welch geistreiche Idee! Auf einem Schiff von etwas mehr als fünfzig Schritt Länge wird sich das trefflich einreichten lassen!

Knurrend nehme ich die Perücke von meinem Gesicht und starre an die Decke, unter mir schwankt die Pearl gleichmäßig im Wellengang.
 

Eine Weile verharre ich in dieser Position, lasse mich vom Schiff wiegen, ich weiß nicht wie lange, Minuten, keine volle Stunde jedenfalls, warte bis ich an nichts mehr denke, an nichts und niemanden; leere meinen Verstand völlig bis zum Grund.

Dann stehe ich mit einem leisen Ächzen auf, lege Schwert und Mantel ab, darauf die Perücke. Ich ziehe Schuhe und Strümpfe aus, kremple die Ärmel meines Hemdes hoch und entferne das schwarze Band aus meinem Haar. Also werde ich tun, was ich immer tue, wenn ich mein ins Wanken geratenes Gleichgewicht wiederherstellen muss.
 

Dann finde ich mich auch schon an Deck wieder, werfe mich ziehend in die Seile, die sich angenehm in die Haut meiner Hände schneiden und Schwielen hinterlassen werden, Schwielen von harter, anständiger Arbeit. Unter meinen Füßen spüre ich das vom Wetter zermürbte aber von der Sonne aufgewärmte Holz, vor und hinter mir Männer. Piraten. Aber im Augenblick Seemänner wie ich. Die Sonne verbrennt meine weiße, nur noch das Kerzenlicht der Aristokratie gewöhnte Haut, wohltuender Schweiß läuft mir die Stirn, den ganzen Körper, hinunter. Die nicht mehr gewöhnte Anstrengung macht mir zu schaffen, lässt die fast verheilte Narbe auf meiner Brust wieder schmerzen und die körperliche Erschöpfung ist schon bald spürbar. Der Geist aber bleibt unbeugsam, begegnet dem Wind und dem Wasser, bis sich die Fog nach einem letzten, kräftigen Zug der Männer und meiner selbst schließlich im Wind bläht, hoch erhoben und majestätisch, sich ihm entgegen biegt wie die Geliebte der kosenden Hand und das Schiff noch ein wenig schneller eilt.

Ich gehe zu einem großen Fass mit Wasser und ohne der Etikette oder dem Anstand auch nur den kleinsten Gedanken zu schenken, tauche ich meinen Kopf hinein. Dann trete ich schnaufend, aber zufrieden einen Schritt zurück, lege die Hand über die Augen, damit die Sonne im klaren, blauen Himmel mich nicht blendet und sehe hinauf zu dem getanen Werk. Ich wische mir mit dem Arm über die Stirn, sauge die frische Brise ein, die mir erfrischend durch das nasse Haar geht, als wäre sie das Lebenselexier selbst und lächle. Lächle. Ehrlich und aus vollem Herzen. Und erleichtert. Das ist besser, als sich über die anhaltenden Wortgefechte mit Sparrow den Kopf zu zerbrechen.

Dann gehe ich wieder an die Arbeit, nehme sie in Angriff, wo sie anfällt, den ganzen Tag bis zum Abend. Die misstrauischen, missbilligenden aber auch teils anerkennenden Blicke der Crew sind mir dabei gleich.

Ängste eines Steuermanns

„Jack, diesmal hast du´s wirklich übertrieben. Der Commodore hockt nur noch bei den Männern rum und packt mit an, bis zur völligen Erschöpfung, nur damit er dir nicht begegnen

muss. Und des Nachts brütet er düster unten im Schiffsinnern neue grässliche Gemeinheiten aus, die jede ehrliche Mutter grausen lässt, die einen Sohn hat, der Pirat ist“

Der Steuermann verdeutlicht seine Aussage eindrucksvoll, in dem er sich mit dem Finger spielerisch die eigene Gurgel durchschneidet.

„Nicht mal reden will er mehr mit dir“

Nun, zu meiner Verteidigung habe ich die letzten zwei Tage ausschließlich einen verschwindend geringen Teil damit zugebracht, darüber nachzudenken, was ich den Piraten, speziell Sparrow alles antun könnte, wenn sich die Gelegenheit böte. Und diese Gedanken hatten überwiegend mit dem Finden einer effektiven Alternative zu tun, den Governor zu befreien. Und des Nachts? Habe ich durchaus friedlich geschlummert, was angesichts der vollrichteten Arbeit nicht zu verwundern braucht. Was allerdings die Kommunikation mit Sparrow angeht, die liegt in der Tat brach. Weder er hat den Kontakt gesucht, noch ich.

Da ich Sparrows Reaktion auf das Gesagte nicht sehen kann, schiebe ich die schwarze Tür einen winzigen Spalt weiter auf, bis ich an Gibbs breitem Rücken vorbei sehe und er in mein Blickfeld rückt. So leise, wie es geht, versteht sich.

Jedweder Soldat der Royal Navy, der was auf sich hält, würde mein Verhalten jetzt wohl als erbärmlich und ungehörig klassifizieren, zu lauschen, wie...

Genauso würde er aber eine geschenkte Gelegenheit nicht verpassen etwas über Sparrows Motive herauszufinden. Nicht wenn sie so überaus günstig und gelegen kommt.

„Diesen Abend erreichen wir Tortuga, aber die Sache wird mir langsam unheimlich“

Gibbs fährt sich schreckhaft über die Arme, als überkomme ihn ein Hauch von gespenstischem Frost. Während er unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt, liegt Sparrow mehr, als dass er sitzt, auf seinem breiten Stuhl, die Füße wie gehabt auf dem Tisch. In der Hand, oh, für einen Moment nahm ich tatsächlich an es handle sich um einen guten Earl Grey, eine halb geleerte Falsche Rum, nah an seinem Herzen gebettet. Mein Fehler.

Mit geschürzten Lippen sehe ich auf den Tisch. Zwei weitere Flaschen. Leer. Respekt Pirat, Respekt. Ich läge fernab jedweden Sitzens bereits neben dem Stuhl.
 

Obwohl Gibbs ihn eindringlich und laut beschwatzt, rührt er sich nicht den kleinsten Spann. Nicht einmal seinem Gesicht ist abzulesen, was er denkt, da er sich seinen zerlumpten, wieder gefundenen Hut weit bis über die Nase gezogen hat und so nur die Spitze eben dieser und der fein geschwungene Mund zu sehen sind.

„Jack?“

„Hä?

„Schläfst du Cptn´?“

„Ah! Ja. Der große Commodore James Norrington“,

Der Angesprochene fuchtelt einladend mit seiner Flasche vor Gibbs herum, beinahe wie ein Dirigent vor seinem Orchester. Den Kopf hebt er nicht, seiner Stimme ist jedoch deutlich zu entnehmen, dass er nicht mehr so ganz mit sich alleine ist.

„Edelmütig, rechtschaffen, furchtbar bewundernswert und ein guter Mann. Wohl wahr. Aber entsetzlich stur, geht als hätte er´n Stock im Hintern und benimmt sich als wäre er bereits in seiner Uniform zur Welt gekommen und will auch in ihr begraben werden. Und richtig leben tut er nur in seiner verklärten Erinnerung an die edle, tugendreiche Elisabeth Swann“

Das leichte entrüstete Schnauben, das er dabei ausstößt, irritiert. Das interessante Bild, das er da von mir zusammenbaut, tut es aber noch mehr. Ein klein wenig sollte ich wohl verärgert sein. Gut, ich mag vielleicht nicht der enthusiastischste, gefühlsbetonteste Mensch sein, auch wenn alle Außenstehenden mit Sparrows Einschätzung übereinstimmen würden, dass ich nur für meine Karriere lebe, will ich doch nachdrücklich bestreiten!

Da gibt es noch etwas, jemanden, für den ich leben will. Und dieser ´jemand´ hat Euren Freund Turner geheiratet.

Bevor sich meine Stimmung aber endgültig in ein brütendes, bodenloses Loch verwandeln kann, lässt mich der wechselnde Ton in der Stimme des Piraten hellhörig werden.

„Weißt du Mister Gibbs, wenn er nur durch seinen Hass auf mich zu solchen Ausbrüchen fähig ist, dann gönn ich die ihm in höchstem Maße gern. Es wurde auch mal Zeit, dass er´s rauslässt. Hat ja ne Engelsgeduld der Gute, Will hätte mich schon längst massakriert…. hätte ihn gerne wieder ein bisschen so, als er mir das Herz von Jones geklaut hat. Jetzt ist er unehrlich in all seiner Ehrlichkeit“

Mister Sparrow, haben wir hier eine etwas verdrehte Form von Logik?

„Gönnst du dir das Risiko auch deinen Kopf zu verlieren, wenn er mal auf den Geschmack gekommen ist, sein scharfes Messer an dir zu wetzen?“

Der Steuermann tritt neben Jack, beugt sich leicht zu ihm herab und flüstert ihm verschwörerisch ins Ohr.

“Glaub mir, mit diesem Mann zu spielen, bringt bloß schlechte Beute. Sehen wir zu, dass wir ihn wieder loswerden.“

Und gerade Mister Gibbs habe ich von dem Piratenpack, neben Bedauern für seinen Werdegang, noch die meiste Sympathie entgegen gebracht.

„Die Männer fangen schon an zu reden, weil du ihn noch nicht wie einen räudigen Hund über die Planke geschickt hast“

Die Augen des älteren Mannes werden groß, unnatürlich groß, würde ich gar meinen.

„Gerüchte Jack, unheilvolle Geschichten“

Jetzt endlich schiebt Sparrow seinen Hut mit einem Finger bis über die Stirn zurück. Durch den dünnen Türspalt sehe ich in den hell erleuchteten Raum und sogar das leichte Flackern in des Piraten Augen bleibt mir nicht verborgen. Ob es jedoch vom Alkohol kommt oder seinem angeregten Ego zu verdanken ist…… ist auch nicht von Bedeutung.

„Aye? Nur raus damit. Ich hör immer wieder gern spannende Geschichten über den berühmten und berüchtigten Captain Jack Sparrow“

„Wenn man an solche Geschichten glaubt... wie ein altes Ehepaar! Wie ein altes Ehepaar... in der „Trockenzeit“. Du siehst, übler kann´s nimmer werden…..Wenn man an solche Geschichten glaubt“

Sparrow guckt Gibbs einen Moment dümmlich an, versucht die Worte zu verstehen. Dann lacht er laut auf. Ein tiefes, warmes Lachen, heraufrollend aus seinem Innern.

Mir wird klar, dass ich es in dieser Art noch nie zuvor gehört habe, aus voller Brust, nicht bloß angedeutet durch sein irres Mienenspiel. Nein, dieses ist unverfälscht, irgendwie ungezwungener und zu meinem tiefen Erstaunen frei von jedem Spott.

„So, der liebe, alte Jack und der feine Commodore stecken in einer schicksalsträchtigen Krise ihrer so wackeligen und äußerst einseitigen Beziehung ihres ach so jungen Lebens“

Und schon winke ich meiner prächtigen Theorie über fehlenden Spott hinterher, während sie in die Ferne verschwindet.

Der Pirat schüttelt grinsend den Kopf und nimmt einen langen Zug aus der Flasche. Dann zieht er sich den Hut wieder über die Nase und rutscht in seine vorherige Haltung zurück. Recht hat er, das ist zum Kopfschütteln.

Ein längeres Schweigen breitet sich aus und Gibbs ist deutlich anzumerken, wie ihm immer unwohler wird.

Irgendwann gibt er mit einem gedehnten Seufzen auf und wendet sich zum Gehen. Ich rücke automatisch einige Schritte von der Tür weg in Richtung Treppe. Jetzt erwischt zu werden, wäre ausgesprochen peinlich.

„War´s denn so schlimm?“, höre ich Sparrow fragen, als der Navigator schon den Knauf in der Hand hält und die Tür ein Stück geöffnet hat.

Ich starre auf die leicht ergraute Rückenansicht seines Kopfes, der sich seinem Captain zugedreht hat und atme erleichtert auf als er sich zurück zum Tisch begibt, ohne mich bemerkt zu haben.

„Jack, man hat Euch über das ganze Schiff gehört! Zeitweise haben die Männer sogar Wetten abgeschlossen, wann dem Navymann endlich der Kragen platzt!“

Meine Mundwinkel kräuseln sich zusehends, ich will es nicht, aber sie tun es… und ich nehme an, dass bei Sparrow gerade das Gleiche passiert.

„Und wieviel Gold haste gewonnen, Joshamee? Oder haste gar gegen mich gesetzt, eh? Hab doch fair und ehrlich gewonnen“

Leise habe ich mich zur Tür zurück geschlichen und spähe wieder durch den Spalt.

„Dir hat das Ganze Spaß gemacht!“, japst Gibbs, unnatürlich hoch für einen Mann, und ich meine erkennen zu können, dass sein Gesicht zu einem Totentuch wird.

„Und versuch gar nicht erst es abzustreiten. Da haste deinen eigenen Vorsatz mit Norrington auskommen zu wollen aber sehr schnell über Bord geworfen“

Ich lasse meinen Blick hinüber zu Sparrow gleiten, der mit gesenktem Kopf unter seinem Hut hervorgrinst, dieses absolut zum Haare raufende Grinsen und damit den ihm gemachten Vorwurf vollstens bestätigt.

Dem Steuermann entringt sich zeitgleich mit mir ein leises Stöhnen darüber.

„Bei allen Heiligen. Und ich hatte gehofft, dass ich friedlich und glückselig im Seemannsgrab verende und nicht unter dem Galgen, den Hebel in des Commodores Hand“, jammert er.

Na, na… als ob ich der Teufel persönlich wäre.

Auch darauf erwidert Sparrow nichts, wozu sich Gibbs gezwungen sieht, zum zweiten Mal, unverrichteter Dinge den Raum verlassen zu wollen. An der Türe jedoch wendet er sich mit sorgenvollem Blick nochmals um.

„Hast du ihm von Sophia und dem Stein erzählt?“

„Das was er wissen muss“, ist Sparrows einzige Reaktion, doch sein Lächeln ist ganz plötzlich erstorben.

„Aye. Also läuft´s wie immer?!“

Sparrow leert mit einem letzten Schluck die Flasche und nickt.

„Nimm was du kriegen kannst...“

"... und gib nichts wieder zurück!"

Der Steuermann wendet sich damit ab und öffnet die Tür vollständig. Eilig, binnen eines Augenblicks bin ich zurück zur Treppe gehechtet und versuche jetzt überzeugend den Neuankömmling zu mimen, bevor der Grauschopf sich meiner Anwesenheit bewusst wird.

„Ah, Master Gibbs“, formuliere ich wenig geistreich, „ich will zu Sparrow. Ist er anwesend?“

Am Blick meines Gegenübers lese ich ab, dass es zutiefst verwundert ist über mein plötzliches Erscheinen aus dem Nichts und Gibbs offensichtlich mit sich ringt, mir Lauschen zutrauen zu wollen.

„Und ist er?“

„Uh ja. Verzeihung, natürlich“, stottert er, aus diesem abwegigen Gedanken herausgerissen und lässt mich vorbei.

Ohne ihn weiter zu beachten, betrete ich Sparrows Raum.

„Mister Sparrow, ich komme, um Euch mitteilen, dass wir in einer Stunde Tortuga erreichen“, Kurz werfe ich einen Blick auf die leeren Rumflaschen, nicht länger als nötig, und ziehe eine Braue in die Höhe.

„Ich wollte sicher gehen, dass Euch das Schreien des Krähennests auch ganz sicher nicht entgeht“

Damit wäre dann der eigentliche Grund meines Hierseins auch erfüllt, denn mit einem anderen Vorhaben als diesem war ich ursprünglich wirklich nicht gekommen. Ohne seine Antwort abzuwarten, oder ihm einen längeren Blick als dem getrunkenen Rum zu schenken, der mich dann vielleicht verraten würde, verlasse ich ihn wieder.

Schon lästig, dass mein Glück im Lauschen genauso unausgeprägt ist, wie die Begabung bei Sparrow die Fassung zu behalten.

Na ja, wenn die Sache mit der schwarzen Witwe auch weiterhin im Dunkeln liegt, so kann ich wenigstens mit untrüglicher Sicherheit sagen, dass mehr an der Geschichte dran sein muss, als Sparrow bereit ist mir zu enthüllen, und ich mich daher wie gehabt auf unliebsame Ereignisse freuen darf, die durch ein wenig lautere Offenheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden könnten.

Der Ratten Paradies

Tortuga. Der Ursprung einer jeden Piratengeschichte. Bunt, laut, Tag und Nacht hell erleuchtet, überfüllt, unsicher und vor allem: dreckig.

Beinah erstickt man an dem Geruchsgemisch aus Jauche und Erbrochenem, das jedes Haus durchdringt wie Geschwüre den Körper, und an den süßlichen Opiaten, die in schweren Duftwolken über dem Nest hängen, den Verstand bezirzen hier nie wieder weg zu wollen, unterstützt von den allen Ortes hörbaren Klängen der Fideln und Lauten. Keine zwei Schritt kommt man, ohne dass man einen Betrunkenen anrempelt, oder angerempelt wird. Keine Gasse kann betreten werden, ohne die nötige Vorsicht einer geladenen Waffe, und hier mit einer größeren Menge an Geld unterwegs zu sein, hat nicht selten gestandene Männer den Kopf gekostet.

Und doch, nirgendwo sonst findet man einen vergleichbareren Ort. Hier kommt alles zusammen, was überhaupt zusammenkommen kann und das auch noch in unvorstellbarer Eintracht.

Diebe leben Tür an Tor mit Händlern, Dirnen der zahlreichen Bordelle halten Kaffeeklatsch, lassen sich von Bürgerinnen zum Tee laden, Mörder leben in trauter Harmonie neben Männern des Gesetzes.

Und ein Commodore der britischen Marine kann neben Captain Jack Sparrow gehen, ohne Verdacht zu erregen. Selbst wenn dieser den Namen James Norrington trägt.

Trotz meiner improvisierten Verkleidung, die ich mir von meinen Gefährten zu meinem Schutz habe angedeihen lassen müssen, wobei ´Verkleidung´ dem eigentlichen Sinn des Wortes nur zur Häme gereicht, fühle ich mich unsicher, und ich erwische mich dabei, mich bei jedem Schritt umzusehen, ob hinter der letzten Häuserecke nicht jemand hervorspringt, der meint mit mir eine alte Rechnung begleichen zu müssen.
 

Und Sparrow? Der ist ganz in seinem Element. Jeder kennt ihn, liebt ihn oder hasst ihn, wobei der überwiegende Teil wohl zu Recht eher letzteres tut. Bereits als wir die Black Pearl verlassen hatten, erwarteten uns sage und schreibe siebzehn Männer und Frauen, denen er Geld schuldet und die von unserer Ankunft gehört hatten. Ausbezahlt hat er sie nicht. Es war höchst bemerkenswert, wie er sich aus dem Schlamassel herausgeredet hat angesichts der unzählig geschliffenen Klingen, wovon keine der anderen den Vortritt lassen wollte, ihn abzustechen.

Für diese Fähigkeit beneide ich ihn aufrichtig. Nicht um das ´wie er es anstellt´, seine Methoden sind unweigerlich abgrundtief schlecht, sondern vielmehr, dass es ihm immer gelingt wie ausweglos die Situation auch ist. Wie eine Katze ist er gesegnet mit neun Leben. Und immer tut er es mit einem erhabenen Lächeln, das in auf diese seltsame Weise unantastbar macht. Einer gewissen Faszination kann man sich einfach nicht erwehren.

So tritt er sicher mit der zu ihm gehörenden Grazie über die Pflaster, von Haus zu Haus, begrüßt Freunde, flieht vor Feinden – zumeist hinter meinen Rücken-, herzt seine vielen Mädchen. Die gut dreihundert Schritt vom Pier zur herunter gekommenen Spelunke „Admiral Smollet“, unserem eigentlichen Ziel, werden somit zum unvergleichlichen und überaus spannenden Ereignis, eines von der Sorte, das ich unter keinen Umständen weiterempfehlen würde. Erst recht nicht unserem jungen Begleiter: Isaac Hawkins.
 

Neben Cotton und Gibbs ist auch dieser Jungspund bei uns, was mich einerseits sehr froh macht, gehört er schließlich zu meinen Leuten. Andererseits ist eine verwerfliche und obszöne Umgebung wie diese für einen jungen Kerl von etwas mehr als sechzehn Jahren nicht geeignet. Ihm sprießt noch nicht einmal ein Flaum!

Mit seinen hellen, blauen Augen, die sich seit dem Verlassen des Schiffes um das Doppelte vergrößert haben, saugt er die Eindrücke Tortugas mit ungestillter und besorgniserregender Neugier auf. Doch auch überfällt ihn beim Anblick von sich prügelnden Menschen an jeder Ecke eine gewisse Nervosität.

Ich vermute, dass er noch nicht oft im Einsatz gewesen sein kann, sehr wahrscheinlich ist es, dass er frisch von der Kadettenschule direkt aus England kommt. Was ihm an Erfahrung fehlt, muss er daher mit ausgezeichneten Leistungen in der Ausbildung wettmachen, denn wenn Andrew ihn ausgewählt hat, so muss er fähig sein.

„Hey, Bursche!

Sparrow bleibt so unvermittelt stehen, dass ich um ein Haar gegen ihn stoße.

Er widmet sich nur einen kurzen Moment meinen böse drein schauenden Augen, bevor er mich stehen lässt und zielstrebig zu Isaac marschiert.

Und mir fast das Herz stehen bleibt!

„Sag mir, mein Sohn du bist noch nicht lange Pirat, hm?

„Ja… Sir, ich meine nein Sir“, stottert der Junge verwirrt und lächelt verschüchtert.

Mir wird richtig mulmig zumute und sehr heiß, denn wenn er sich jetzt dumm anstellt, dann löst sich der Plan in Rauch auf.

Der Pirat wandert um meinen zittrigen Mann herum, beäugt ihn skeptisch, wobei Isaacs furchtsames Lächeln ihn besonders zu fesseln scheint. Fast sieht es aus, als schnüffle er gleich einem Jagdhund, der Lunte gerochen hat, an ihm herum.

Dann streift mich ein verstohlener Seitenblick.

„Das dacht ich auch nicht“, sagt er, legt den Arm um die Schultern des Jungen, dreht ihn in Richtung einer Baracke zu unserer Linken und deutet auf eine Frau, die kokettierend an der einfachen Wand aus Brettern lehnt.

„Denn wenn du das wärst Jungchen, hättest du längst gemerkt, dass die Dame hier uns folgt und dich immerzu anstarrt. Aye?!“

Mein Blick wandert vom Gesicht des, unter der festen Hand Sparrows, erzitternden Mister Hawkins zu der etwas zu rundlich geratenen Mamselle mit dem zerschlissenen Fächer vor dem Gesicht.

Die Größe des Felsens, der mir vom Herzen rollt, als sie mit einem Augenzwinkern einen Kussmund in seine Richtung wirft, kann wohl niemand ermessen. Ein erleichtertes Seufzen entfährt mir, das ich aber im nächsten Augenblick am liebsten wieder zurücknehmen will.

„Ran an die Frau, ran an die Frau“, krächzt Cottons Papagei laut.

„Aye. Ran an die Frau“, grinst Gibbs und stößt dem armen Kerl mit dem Ellbogen auffordernd in die Seite, worauf der Blick des Blondschopfs sich panisch auf mich richtet.

„Sir, das… kann… nicht…“,

Die Aufmerksamkeit von Hawkins widmet sich damit nun zu stark meiner Person und auch wenn ich es bedaure, wende ich mich von ihm ab.

„Sparrow, meint Ihr es ist sinnvoll mit einer unnötigen Romanze von einem Eurer Männer Zeit zu vergeuden? Ihr mögt es nicht eilig haben, aber je länger wir warten, desto dünner wird der Lebensfaden von Elisabeths Vater“, versuche ich Hawkins zu helfen, wenn auch indirekt.

Der Pirat grinst mich frech an.

„Keine Sorge Commodore, solange Pappi seine Finger bei sich behält und davon gehe ich mal stark aus, wird ihm nichts passieren. Die Frau will nicht ihn. Und für die Liebe muss immer Zeit bleiben, also lasst ihm das Vergnügen vom Jungen zum Mann zu werden“
 

Der Pirat kramt in einer seiner Manteltaschen, drückt dem unwilligen Jungen ein Goldstück in die Hand und schupst ihn demonstrativ in die Richtung der Hure.

Beide sehen wir ihm hinterher, wie er sehr gemächlichen Schrittes zu ihr hinüber geht, immer wieder furchtsame Blicke zwischen mir und Sparrow wechselnd.

Für Sparrow ist das Thema, welches bei mir hingegen einen ordentlichen Krampf auslöst, vom Tisch und schon im Weitergehen inbegriffen, wirft er ein:

„Ach ja, außerdem werden wir mindestens zwei Tage in Tortuga ankern“

„Was?“, brause ich auf und packe ihn am Arm. Das Schicksal Hawkins´ rückt vollkommen in den Hintergrund.

„Es gehörte nicht zu unserer Abmachung, dass wir den Governor tot finden!“

Der Pirat sieht mit heraufgezogener Braue missmutig auf meine Hand, die seinen rechten Unterarm harsch umklammert.

„Habt Ihr gerade nicht zugehört? Dem Governor passiert nichts“

Da ich nicht im Traum daran denke, ihn jetzt loszulassen, seufzt er tief und richtet seine Augen fest auf mich.

„Norrington, jetzt mal unter uns. Es gibt nur zwei Dinge im Leben. Was ein Mann kann, und was ein Mann nicht kann. Ich zum Beispiel kann mit Euch jetzt gegen die schwarze Witwe segeln, aber gegen die „Soul of Empress“ gewinnen, das kann ich nicht. Nicht in dem Zustand, in dem die Black Pearl sich zurzeit befindet“

Ich bin verstummt bei seinen Worten, die implizieren die Pearl reparieren zu lassen. So lasse ich es geschehen, dass er sich aus meinem Griff befreit.

„Also, könnt Ihr mir nun ein gewisses Maß an Vertrauen entgegen bringen, oder könnt Ihr´s nicht?“

Ich sehe in das erwartungsvolle Antlitz und stelle mir diese Frage selbst. Eigentlich seit ich diesen Mann zum ersten Mal getroffen habe.

„Zwei Tage?“

„Zwei Tage“
 


 

Der „Admiral Smollet“ ist eine typische Hafentaverne, einem Rattenloch auf solch klischeehafte Weise entsprechend, dass man kaum an sich halten kann, nicht darüber düster zu lachen. Diese Gaststätte ist wahrlich noch verkommener als jene, in der ich während meines letzten Aufenthalts in Tortuga im Zustand geistiger Umnachtung bei Sparrow angeheuert hatte.

Ich rümpfe abfällig die Nase, da ich zuerst über den obligatorischen Säufer im Eingang steigen muss, der selig vor sich hinlallt und nicht die Güte zu besitzen imstande war, in seinem Rausch zwei Schritte neben der Tür zusammenzubrechen.

Ich schnaube gedehnt und trotte Sparrow hinterher in dieses Etablissement. Er fühlt sich heimisch, das steht zweifelsohne außer Frage, er kennt sogar den Betrunkenen auf der Schwelle mit Namen.

Das Gebäude ist selbst nicht viel mehr, als die Kundschaft es bereits erahnen lässt. Wenn ich es bezeichnen sollte und mich gewählt ausdrücken wollte, so bevorzugte ich den Begriff ´rustikal´ oder ´archaisch´.

Das immerhin aus Stein erbaute Haus mit dem einfachen Strohdach besitzt nur einen großen Raum, welcher über eine lange Treppe, die vom Eingang hinunter führt, zu erreichen ist.

Ich bleibe auf der obersten Stufe stehen, blicke auf die Menschen herab. Der Schankraum ist hoffnungslos überfüllt. Die vielen Piraten, Trinker und Spieler, sowie die Huren, die um die eben genannten Männer buhlen, besetzen nicht nur die Tische, nein, manche machen es sich in weiser Voraussicht gleich auf dem Boden gemütlich.

Das laute Stimmengewirr, untermalt von den Fidelspielern und dem Sänger, der die gängigen Loblieder auf die Piraterie zum Besten gibt, tragen nicht unbedingt zur Besserung meiner Laune bei. Nun ja, immerhin beeindruckt mich der gewaltige Lüster aus Gußeisen in der Mitte des Raumes, der, befestigt an einem dicken Seil, den Raum dominiert.

Bei der Größe und dem damit verbundenen Gewicht, frage ich mich, wie die Besitzer des Hauses es fertig bringen die Kerzen zu entzünden, ohne ihn jedes Mal herab zu lassen.

Interessiert das herauszufinden, wandert mein Blick an dem Seil, das etwa einen Spann Umfang besitzt, entlang. Beginnend von der Stelle in der Wand, wo es durch einen Haken verankert ist, bis hinauf zu dem Flaschenzug, über das es läuft.

Oben angekommen, entdecke ich in der Wand, in die auch der Haken eingeschlagen ist, ein Fenster, etwa von der Größe eines Menschen.

Ah, so also. Den Abstand überbrückt man mit einem Balken oder einer Planke und lässt einen geübten Kletterer ans Werk. Umständlich, aber weniger Aufwand, als den Leuchter herunterzulassen. Und ganz sicher mit kleinerem Risiko verbunden.

Trotz dieser architektonischen Meisterleistung verbleibe ich bei meiner Meinung über diesen Ort. Ein Ort den ich gehofft hatte, nie mehr aufsuchen zu müssen, außer in offiziellem Auftrag.

„Großartig, welch bittersüße Ironie. So sehr ich diesen Urquell an Unmoralität auch verabscheue, immer muss ich hierher zurückkommen.“, beschwere ich mich leise, dass zumindest meinem inneren Bestreben meinen Unmut kundzutun genüge getan wird.

Sparrow, der wiegenden Schrittes vor mir die Treppe hinunter schreitet, hört es und erwidert darauf ein Lachen, ebenso leise.

„Nur die Ruhe, Freund. Wir bleiben nicht länger, als der Umstand unseres Hierseins es erfordert. Ich passe schon darauf auf, das Eure tugendhaften Commodore-fingerchen nicht dreckig werden müssen.“

Er wendet sich kurz zu mir, das Gesicht strahlend vor Vergnügen. Generell überrascht er heute durch eine überschwängliche Freude seit wir den ersten Fuß an Land gesetzt haben.

„Aye, Jamie?“

„Bleibt mir denn eine Wahl, Mister Sparrow?“, seufze ich überaus frustriert, habe ihm nur mit einem Ohr zugehört. Gedanklich leide ich mit Mister Hawkins mit. Dem armen Jungen müsste es weit aus schlimmer gehen als mir. Wie es aussieht ist er das erste Mal in Tortuga.

Moment.

Vom Boden, den ich die ganze Zeit über im Auge behalte, damit ich nicht versehentlich auf etwas oder jemanden trete, sehe ich auf, die Augenbrauen auf Vollmast geflaggt.

„Jamie?“, wiederhole ich ungläubig

Jamie?“, dann gereizt.

Plötzlich bin ich geistesklar bei der Sache. Was für ein Affront!

„Aye Freund. Oder wäre es Euch rechter, wenn ich `Commodore Norrington´ durch den Raum schreie? Habe nichts dagegen. Könnten aber Komplikationen entstehen.“

Er zuckt die Schultern, über sein Gesicht huscht der Schalk, den er durch das Senken seines Kopfes zu verstecken versucht

„Wogegen ich ja wiederum auch nichts hätte. Und Ihr?“

Er schlägt die Augen mit einem berechnenden Schmunzeln halb zu mir auf, und ich sehe es ihm an, dass er weiß, dass er in diesem Punkt gewinnen wird. Und diese Tatsache ihn über die Maßen erfreut. Vor allem weil er mich mit seinem Einwand auf dem Gebiet der Logik abfängt. Ein Gebiet, das mir besser liegen sollte, als ihm.
 

Untreue Disziplin, die du bist! Verrätst mich an einen Piraten!
 

„Nun? Ich würde ja auch `James´ sagen, aber welcher Pirat heißt heutzutage James. Es soll glaubwürdig sein, nicht?“

Meine Miene wird grau, ich würde behaupten, als hätte man sie durch einen Aschepott gezogen. Drohend hebe ich den Finger.

„Mister Sparrow, Ihr werdet diesen“, ich räuspere mich „Namen nicht außerhalb dieser Stadt verwenden. Verstanden, `Freund´?“, gebe ich streng und glasklar zu verstehen, das `Freund´ muss ich über meine Lippen zwingen, selbst wenn es nur der Ironie zu frönen hat. Schließlich habe ich wieder eine Schlacht gegen ihn verloren, noch bevor ich überhaupt disputieren konnte. Herrgott, das darf nicht zur Gewohnheit werden!

Mitleidig legt Sparrow mir seine Hand auf die Schulter, das Gesicht zu einer weinerlichen Grimasse verzogen. Seine Augen lachen aber ohrenbetäubend laut

„Ertragt es mit Fassung, Jamie.“

Elender Heuchler!

Ich baue mich steif vor ihm auf und sehe, die Geste missbilligend, auf die Hand. Er schreckt darauf hin zurück und entfernt sie schleunigst, die Finger nervös bewegend, bevor mich die Lust überkommen kann, sie ihm abzubeißen.

Die Männer, die hinter mir stehen, kichern verhalten. Über mich oder über den Mann vor mir, weiß ich nicht zu sagen.

Mit einem letzten Blick auf meine Person stellt Sparrow sich neben mich und richtet sich an unsere Begleiter.

„Also dann Männer, trinkt, feiert, spielt und stellt nichts an, was ich nicht auch anstellen würde. In zwei Tagen will ich Euch zurück auf der Pearl sehen. Klar soweit?“

„Aye!“ brüllen die Männer laut, heben in ihrer Begeisterung die zur Faust geballte Hand und schwärmen lachend aus.

„Halt, Master Gibbs!“, hält er den Steuermann jedoch zurück, „Bevor ich es vergesse...“, er nimmt ehrfürchtig seinen kostbaren Hut ab und zaubert aus ihm zwei pralle Säckchen hervor. Diese wirft er ihm entgegen.

„Gut darauf aufpassen!“

Die Augen des Piraten blitzen ungewohnt scharf auf, worauf Gibbs genauso bedächtig nickt. Erst danach schließt er sich fröhlich pfeifend den Anderen an.

Ich sehe ihm hinterher, frage mich, was sich wohl Kostabres in den Stoffbeuteln befinden mag.

„Für die Black Pearl.“, raunt mir Sparrow entgegen und ich kann mich nur einmal mehr über ihn wundern.

Wie außerordentlich unbefriedigend es doch ist, dass ich nicht auf die selbe Art seine Gedanken lesen kann wie er die meinigen.

Während mir dieser bitter schmeckende Fakt durch den Kopf geht, hat der Pirat längst begonnen sich durch die Menge zu schlängeln, höchst elegant, muss ich gestehen. Und da die Crew ebenso gesammelt unter das Volk getaucht ist, alte Kameraden zum Trinken herausfordert und sich beim Glücksspiel versucht, bleibt mir nichts anderes übrig als ihrem Captain zu folgen bis zu seinem angestrebten Ziel, einem Tisch nahe der Theke.

Sparrow scheucht mit eindeutigen Worten die Gäste davon, und wenn er auch nicht sehr groß ist und bestimmt alles andere als sauber, ist es immerhin ein Platz, an dem man nicht genötigt wird den Körperkontakt mit diesem Gesocks zu suchen.

„Kommt!“, weist Sparrow mich an mich zu setzen und verschwindet in Richtung Wirt.

Etwas mürrisch nehme ich Platz und lasse den Blick angewidert über die schwere Tischplatte aus Eiche schweifen.

Gemütlich breiten sich neben Speiseresten verschiedene Flüssigkeiten darauf aus, sickern in das ohnehin schon fleckige Holz und verschaffen meinem Gutdünken nach nicht nur den Piraten einen ordentlichen Rausch, sondern auch den bemitleidenswerten Holzwürmern. Tischlern würde er allein zum Grauen werden, wenn sie der vielen eingeritzten Namen ansichtig werden würden, mancher Drohung gegen Leib und Leben und den Herzen mit Beteuerungen unsterblicher Liebe.

Mein Augenmerk fällt auf ein kleines, unscheinbares. Es befindet sich nahe an der Kante, ist unter dem Schmutz kaum zu erkennen. So wische ich es vorsichtig sauber. Was genau mich darauf aufmerksam werden lässt, kann ich nicht erklären. Nicht das Herz an sich ist es, sondern vielmehr die beiden darin eingravierten Buchstaben.

„E + W“, murmle ich leise vor mich, was mich lächeln lässt. So viele Namen beginnen mit diesen Anfangsbuchstaben und dennoch, beide waren sie mehr als einmal in Tortuga. Ich streiche liebevoll über das dreckige Holz.

Wie lange kenne ich die beiden eigentlich?

"Hat Will rein gemacht."

Sparrow setzt sich mir mit zwei Krügen und zwei Stücken Brot gegenüber. Neben einer der Brotscheiben schiebt er mir einen von den Bechern hin, zu eifrig, sodass von dem Rum, der sich darin befindet ein wenig überschwappt und auf das Herz trifft.

Er nimmt seinen Hut ab, zögert einen Moment und bevor er ihn auf das auserkorene Stück Tisch legt, wischt er es sauber.

„Hab nicht gedacht, Ihr würdet es entdecken.“

Er führt seinen Pott an die Lippen und nimmt mehrere ordentliche Züge, mich währenddessen aus halb geschlossenen Lidern musternd.

„Wann?“

„Hm?“

„Wann hat Turner es hinein geschnitzt?“

Ich frage nicht, weil die Eifersucht mich packt, ich tue es lediglich aus Interesse. Als wir Turner damals aus dem Meer fischten war er keine fünfzehn Jahre alt und Elisabeth noch ein junges Mädchen. Ein Kind. Und als Sparrow uns das erste Mal in Port Royal mit seiner unerwünschten Gegenwart beehrte waren zu diesem Zeitpunkt keine fünf Jahre vergangen. Ein Herz in ein Stück Holz einzuritzen, ist die Tat eines Jungen, nicht die eines Mannes.

„Ist eine Weile her. War, glaube ich, kurz nachdem er mich Euren navy´schen Klauen entrissen und wir die Interceptor gekapert hatten.“, erklärt er, während er sein Brot kaut.

Ich nicke und fahre mit den Fingern über das „E“. Durch Sparrows Worte wird mir schmerzlich bewusst, dass es an mehr lag als an meiner Art, dass Elisabeth mich nicht liebte. Bei der Rettung von Turner vor acht Jahren war ich bereits erfolgreicher Captain eines Schiffes und schaffte zu meinem einunddreißigsten Geburtstag die Beförderung zum Commodore. Bei letzterer Festivität war Elisabeth gerade schüchterne zwanzig.

Wie konnte ich annehmen, dass ihr dieser Unterschied an Jahren nichts ausmachte.

Zum ersten Mal wird mir mein Alter bewusst. Wie sagte ich doch noch zu ihr an jenem Tag: ´was noch fehlt ist die Hand einer ehrbaren Frau´.

Ich habe nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen ist. Ha! Wenn man einen Sinn im Leben hat, glücklich damit ist, dann denkt man auch nicht darüber nach.

Erstmals spüre ich jedes einzelne Jahr meiner gezählten vierunddreißig, jedes entsprechend einem zentnerschweren Kohlesack. Ich seufze schwer, nehme meinen Becher und umfasse ihn mit beiden Händen, nur um brütend in das bräunliche Gebräu mit dem sanften Stich ins Rote zu starren.

„Ihr solltet trinken, bevor der Alkohol hässlichen Schimmel ansetzt.“

Ich schüttle den Kopf, lösche die Erinnerung an Elisabeth aus und komme Sparrows Rat nach. Der Rum läuft meine Kehle hinunter und einmal mehr betäubt der brennende Geschmack Kummer und Schmerz.
 

Du musst sie vergessen James. Es ist erniedrigend ihr weiter hinterherzulaufen.
 

Ich kneife die Augen zusammen, damit ich den Krug bis zum Grund geleert bekomme. Danach stelle ich ihn ab und warte darauf, dass sich die vertraute wohlige Wärme und sie hinauf in meinen Kopf steigt. So ungern ich es wahr haben will, sich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken, kann seinen Reiz haben. Von Zeit zu Zeit.

Mein Blick gleitet zurück zu meinem Gegenüber. Der Pirat stiert mich mit aufgerissenen Augen und offenem Mund an, die Kante Brot, die er noch nicht verschlungen hat, fällt ihm aus der Hand.

„Überrascht?“, grinse ich ihn schief an, der Alkohol tut wohl schneller seine Wirkung, als erwartet. Sparrow reagiert jedoch nicht.

„Al Faras!“, stammelt er stattdessen, verzieht entsetzt das Gesicht und ist im nächsten Augenblick unter dem Tisch verschwunden. Ohne seinen Hut.

Verwundert über seinen plötzlichen Stimmungsumschwung wende ich mich um, lege meinen Arm über die Rückenlehne, besehe mir die Gäste. Und dann entdecke ich ihn, den Grund für Sparrows plötzliche Panik: Einen breiten, wütenden Bären mit schwarzem Turban von schätzungsweise fünfzig Jahren. Dieser Mann muss auffallen, nicht nur durch seine orientalische Kleidung, nein, die Beschreibung `Bär´ trifft den Kern der Erscheinung in der Tat am besten! Der dicke Bauch des fast zwei Schritt hochgeschossenen Mannes hängt über die viel zu knapp geschnittene, farbenprächtige Pluderhose, gleich einem Rettungsboot, das an der Reling eines Schiffes befestigt wurde. Und auch die dünne Weste, die die monströsen Oberarme zur Geltung bringt, vermag die Leibesfülle nicht annähernd zu bändigen. Das braune Gesicht ist grobschlächtig und Narben zieren es auf verunstaltende Weise. Der stattliche, ergraute Bart, der ihm bis über die tätowierte, gut behaarte Brust hängt, verdeckt vermutlich weitere.

Soweit ich es erkenne, trägt der Koloss keine Waffe, völlig irrelevant bei der Größe seiner Fäuste. Wen er sucht?

Also beuge ich mich hinunter. Was ich da allerdings unter dem Tisch sehe, lässt mich schmunzeln. Dieser Anblick lässt jeden noch so trübseligen Gedanken fliehen:

Sparrow kauert auf seinen Knien, nagt verbissen an seinen Fingernägeln und stiert panisch auf die vielen Stiefel, die über den Boden laufen, in der Hoffnung rechtzeitig die des Mannes ausfindig zu machen. Was hat er nur wieder verbrochen…

„Mister Sparrow, ist das nicht ein bisschen lächerli-?“

„Schhht!“, zischt er mich an, die Hände abwehrend vor sich hinwedelnd, „Nicht so laut, Jamie.“

Er schaut mich mit diesen tiefbraunen Augen böse an.

„Eure kleine Mission wird sich kaum ohne mich erfüllen lassen!“

Damit hat er vermutlich sogar Recht, aber dieses Risiko gehe ich gerne ein. Ich kann mir es einfach nicht verkneifen, zu verlockend ist die Gelegenheit, die Schändung meines Namens zu rächen, selbst wenn Rache recht unchristlich ist. Wollen wir doch einmal herausfinden, ob es ihm gelingt auch dieser Situation Herr zu werden.

„Ertragt es mit Fassung, Jack. Zumal ihr Euren geliebten Hut habt liegen lassen.“, posaune ich.

Der Blick, der mich daraufhin trifft, ist ein Musterbeispiel an Ausdruckslosigkeit. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, hockt er vor mir, nur das nervöse Zucken seiner Mundwinkel verrät, dass der Pirat noch am Leben ist. Dann werden seine Augen riesig und ein Ruck geht durch seinen Körper, als hätte er einen Aal berührt. Er wendet mir urplötzlich seine Hinterseite zu und kriecht das mickrige Stück zur anderen Tischseite.

Mit einem Lachen setze ich mich wieder auf. Soll er versuchen zu fliehen, ob der Unbekannte ihn erwischen mag oder nicht, die kleine Revanche lohnt sich außerordentlich. Zumal werde ich nicht zulassen, dass der Mann ihn tatsächlich einen Kopf kürzer macht. Da müsste er sich redlich hinten anstellen. Meine Ansprüche in dieser Hinsicht sind wesentlich nachhaltiger.
 

Nanu?

Während ich mich zufrieden in meinem Stuhl zurücklehne, erscheint auf der Tischplatte eine freche Hand, jene mit einem breiten, schwarzen Lederband und den vielen Ringen, eine, die ich freilich kenne. Ah, doch nicht ohne Euren Hut. Pirat, Ihr überrascht mich. Dass Ihr Euer Leben an ein solches Stück Leder hängt. Das nächste Mal stehle ich ihn Euch. Dann kommt ihr freiwillig nach Port Royal und seiner Gerichtsbarkeit.

Die nervöse Hand tastet behutsam über das Holz, ich könnte mir jetzt den Spaß erlauben, ihn stets zu verrücken, aber das wäre wohl unlauter.

Schon im Begriff mein Vorhaben umzusetzen, fällt mir der helle Streifen Haut an seinem Ringfinger auf. Er hebt sich deutlich von der ansonsten makellosen Bräune, die den Körper Sparrows überzieht ab und nur den Schluss zulässt, dass hier eigentlich der Wohnort eines Ringes zu sein hat.

Kaum ist mir dieses Detail eine längere Überlegung wert, donnert, anders kann man es kaum beschreiben, ein Bierkrug mit Macht auf das Objekt meiner Aufmerksamkeit nieder und bringt mein Herz dazu einen Moment auszusetzen.

Ich blicke auf die mächtige Hand, die ihn hält und wandere bis hoch zu dem vor Zorn verzerrten Gesicht des Besitzers. Selbiger steht neben mir, erschienen wie eine plötzlicher Sturm.
 

Hat er mich also gehört.
 

Neben einem tief verborgenen Gefühl der Befriedigung, kommen mir doch Zweifel, ob es eine so glorreiche Idee gewesen ist, Sparrow diesem wild gewordenen Eber auszuliefern. Mein Vorhaben den Piraten notfalls vor ihm zu verteidigen möchte ich auch lieber überdenken.

„Mach dass du hochkommst, Kadeb!“, poltert er in einem tiefen Bass, der Akzent legt eine Herkunft aus einem arabischen Land nahe.

Sparrow fährt unter dem Tisch heftig zusammen, schlägt sich dadurch seinen Schädel an der Unterseite der Platte an, so stark, dass der Tisch erbebt.

„OUUH!“, tönt der Schmerzensschrei von unten zu uns herauf. Dann aber bleibt es wieder still. Wäre Sparrow nicht der Mann, der er ist, würde ich jetzt ein gewisses Mitleid verspüren, ihm sicher zur Seite stehen wollen, auch wenn mir mein Gegner zweifellos überlegen ist.

Der Pirat rührt sich weiterhin nicht, verständlicherweise, doch nach einem weiteren harten Schlag mit dem Krug auf den Tisch erscheint letzten Endes langsam, Stück für Stück, das rote Tuch seines Haarschopfs, gefolgt von der hohen, in Falten gelegten Stirn und den furchtvollen Augen. Diese schielen verkniffen über die Tischkante zu dem wutschnaubenden Mann.

„Hoch, Sparrow!“, befielt dieser gnadenlos, die Spur der Vorfreude offen zeigend, indem er die Gelenke seiner Fäuste knacken lässt.

„Jabbar“, nuschelt der Pirat mit einem schüchternen Lächeln, einen der verletzten Finger im Mund.

Bevor er jedoch mehr über die Lippen bekommt, holt der stämmige Mann erneut aus und platziert das Gefäß zielsicher auf Sparrows linker Wange. So geht er mit einem schmerzvollen Stöhnen gleich einem gefällten Baum zu Boden. Das scheint dem Hünen jedoch noch nicht zu genügen, denn er versucht um den Tisch herum zu kommen.

Gut, ab diesem Zeitpunkt sollte ich wohl eingreifen. Blaue Flecke und gebrochene Rippen sind eine Sache, ein gespaltener Schädel eine andere. In der Tat brauche ich den Halunken lebend.
 

Sparrow, hierfür schuldet ihr mir was.
 

Bevor der Fremde nach dem Piraten greifen kann, um sein Werk zu vollenden, springe ich auf und trete ihm von hinten in die rechte Kniekehle. Nicht so fest, dass ich sie damit zertrümmern würde, aber dennoch stark genug, dass es ihn mit einem Schrei nach vorne stürzen lässt. Stärke mag ausschlaggebend sein für den schnellen Erfolg in einem Kampf, doch macht sie auch behäbig. Und nicht zu unterschätzen ist der Moment der Überraschung.

Gemütlich ziehe ich dann mein Schwert, trete neben ihn und halte es bereit. Der schwerfällige Araber braucht einen langen Augenblick, um zu realisieren, was geschehen ist und einen wesentlich längeren, um sich ungeschickt zu mir zu wenden. Nur um dann auf die scharfe Klinge meines Schwertes direkt vor seiner Nasenspitze zu sehen. Die grünen Augen weiten sich zuerst erschrocken, jedoch nicht annähernd panisch, wie ich es erwartet habe. Stattdessen flammen sie wutentbrannt auf. Das Knirschen seines Kiefers und das Ballen seiner Fäuste entgeht mir nicht.

„Sir, es ist mir unlieb Euch zu verletzen, aber das Privileg Jack Sparrow jetzt zu töten, kann ich Euch nicht einräumen.“

Es ist nur eine kühl vorgetragene Warnung, das Dumme, das sein Hirn gerade regiert, nicht auszuführen. Damit er mich auch sicher nicht missversteht, verleihe ich meinen Worten den gebührenden Nachdruck, in dem ich einen weiteren Schritt auf ihn zumache und die Spitze meiner Klinge an seinen Hals setze.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich, dass Sparrow es mittlerweile fertig gebracht hat, sich aufzusetzen. Er schüttelt sich benommen, sodass die wilde Haarpracht ihm um die Schultern tanzt, dann hält er sich mit beiden Händen stöhnend den Kopf fest. Erst als er wieder einen Punkt klar fixieren kann, steht er ächzend auf, die Hände dabei weit von sich gestreckt der Balance wegen.

„Jabbar Schön… dich zu sehen. Wie war es denn so in Marrakesch?“

„Du hast mir die Lampe gestohlen, Haramey!“

„Und du ein wenig abgenommen. War das Essen im Ayadina so schlecht?“, grinst Sparrow. Die haarige Situation lässt ihn völlig unbekümmert. Ein drohender Blick über meine Schulter lässt ihn jedoch verstummen und einen Schritt hinter meinen Rücken weichen.

„Und du hast immer noch Freunde.“

Der dunkle Mann mustert mich schmunzelnd und schnalzt abfällig mit der Zunge.

„Nicht wirklich ein Freund. Eher eine bedingte Zweckbekanntschaft.“, stelle ich sogleich richtig und bedeute ihm mit dem Schwert sich zu erheben „Aufstehen!“

Der Araber kommt der Forderung brummend nach, rückt seinen schwarzen Turban zurecht und richtet sich zu seiner vollen Größe auf, so dass ich mich strecken müsste, um seinen Hals noch treffen zu können. Daher belasse ich es dabei auf seinen dicken Bauch zu zielen. Ich bleibe vorsichtig, anerkenne aber, dass er keine weiteren Anzeichen der Aggression zeigt.

„Werdet Ihr Euch benehmen, Sir?“

„Muss ich ja, Ihr habt die deutlich besseren Argumente, Junge.“, entgegnet er mit einem fahlen Grinsen, das die ein oder andere Zahnlücke zum Vorschein bringt.

Junge? Das letzte Mal nannte mich mein alter Herr so, beim Eintritt in die Marine.

Al Faras lässt sich schwerfällig auf meinen Stuhl fallen, was das einfache Gebilde bedenklich unter seinem Gewicht aufächzen lässt und schreit laut nach, - erstaunlich-, Tee.

„Gut. Dann sprecht, was ist Euer Begehr? Wenn es allerdings Sparrows Kopf ist, so muss ich zu meinem eigenen Bedauern leider ablehnen.“

„Zu viel der Nettigkeit, Jamie.“, motzt es hinter meinem Rücken, oh, beinah hätte die angenehme Stille mich dazu verleitet ihn zu vergessen, „meine Habe, wenn ich bitten dürfte.“

Der Pirat schiebt sich neben mich und greift sich seinen Hut.

„Ich will die Lampe und Aicha zurück!“

Nur ein Satz, kurz und prägnant und sehr erfrischend im Vergleich zu Sparrows ausschweifender Schwafelei. Besagter torkelt, sich sein Heiligtum aufsetzend, auf den Araber zu, der trotz seiner sitzenden Position ihm noch bis zur Schulter reicht.

„Jabbar… Freund, alter Kumpel, das wird sich nicht so einfach gestalten lassen. Sie … ist… öh… nicht mehr so ganz auffindbar.“

„Was soll das heißen Kadeb?“, entfährt es dem Mann panisch und ich sehe es ihm an, dass er am liebsten dem Piraten wieder an den Hals gehen würde.

Sparrow springt einen Schritt zurück an meine Seite, die Sicherheit des Degens suchend.

„Das soll heißen, dass ich sie nicht mehr ha-“

„Verloren?“

„Das hab ich nicht gesa–“

„Verkauft??“

„Nein“

„Doch nicht etwa gestohlen?!“

„Das hab ich auch nicht gesagt! Wenn du es mich ausreden lassen würdest, die Erklärung wird dir zwar nicht gefallen, aber du würdest es verstehen.“

„Sparrow!“ Ich sehe ihn ungeduldig an, was ihn tief seufzen und in seinen Bart brummeln lässt.

„Was? Ein wenig lauter.“

„… hab…sie.. .. Ich hab sie frei gelassen.“

„Du hast was?“

So schnell, wie der Fremde aufspringt, mein Schwert mit der bloßen Hand zur Seite schlägt, über den Tisch langt und Sparrow am Schlafittchen packt, kann ich nicht reagieren.

Im Gegensatz zu meiner Befürchtung, dass seine große Faust jetzt unwiderruflich auf den Kiefer des Piraten trifft, schüttelt er ihn nur.

„Und wie gedenkst du deine Schuld jetzt zu begleichen, Effendi? Was soll deiner Meinung nach den Wert von drei Wünschen, drei unvorstellbaren Wünschen, aufwiegen können?“

„Nun, der Mann der die Lampe geklaut hat, könnte dem Mann, dem sie geklaut wurde einen Drink… Tee… spendieren. Der Mann der bestohlen wurde, wird ihn genießen, während der Mann, der die Lampe entwendet hat, ihm einen Vorschlag unterbreitet. Und ich möchte erwähnen, einen durch und durch lohnenswerten Vorschlag.“

Der Araber lässt Sparrow zögerlich los, besonders, da ich mich wieder in der Gewalt habe und das Schwert kommentarlos in seinen Rücken setze.

Der Pirat rückt sich seinen Hut zurecht und setzt sich, den rechten Arm gefällig über die Rückenlehne gelegt.

Al Faras und ich folgen seinem Beispiel nach einem kurzen Blickwechsel, meiner drohend, seiner sein Einverständnis bekundend, dem Verlangen eines Wutausbruchs nicht noch einmal nachzugeben. Ich stecke den Degen zurück an seinen Platz, lege aber zur Vorsicht und stetigen Erinnerung meine Pistole auf den Tisch, die Hand darüber.

„Fein, mein Freund. Wusste du würdest vernünftig sein. Dann müssen wir ja jetzt nur noch warten.“

„Auf Anamaria?“, schließe ich spitz, des Wartens langsam überdrüssig, da es das Einzige ist, das ich die letzten Tage getan habe.

„Völlig richtig Jamie. Gibbs wird sie herbringen, falls die Nachricht unserer Anwesenheit oder dieses spaßige Getümmel eben nicht gereicht hat, um ihre hübsche Nase zu mir zu führen.“
 

Nach einer Weile, einigen weiteren Bechern Rum und etlichen Erklärungen, wie sich die Begegnung Sparrows mit al Faras abgespielt hatte, wie der Pirat an die Lampe der Aicha Kandicha gelangt war und diese tatsächlich existierende Dschinni befreite, landet ein kleiner, brauner Beutel vor uns auf dem Tisch. Einer der beiden, die er zuvor dem Steuermann mitgegeben hatte. Ich sehe auf und werde der Neuankömmlinge hinter ihm ansichtig.

„Seht ihr?“, fragt Sparrow mit einem Lächeln mit beiden Händen auf den Beutel deutend. "Ich wusste sie würde sich nicht lange bitten lassen."

„Jack, ich dachte wir haben eine Übereinkunft.“, meint die dunkle Frau kühl, ohne sich mit einer überflüssigen Begrüßung aufzuhalten. Die verärgerten, dunkel funkelnden Augen wollen förmlich den wirren Haarschopf des Piraten versengen. Kein Zweifel, ich erkenne sie wieder. In schwarze Lederhosen und ein einfaches weißes Hemd gekleidet, steht Miss Anamaria da, ein zierliches Rapier um die wohlgeformten Hüften geschnallt.

Sparrow erhebt sich zufreiden, wischt anstandsvoll seinen Stuhl sauber und bietet ihn ihr an.

„Anamaria, Liebes. Setz dich. Gut dass du da bist. Werde mich dir und deiner Verärgerung wegen unserer Übereinkunft gleich ausgiebig widmen. Aber zuerst: Mister Gibbs, Jabbar dürftest dir noch bekannt sein. Er wird uns wieder eine Zeit lang mit seiner Anwesenheit auf der Black Pearl erfreuen. Gib ihm seinen alten Schlafplatz und räum für Jamie auch ein Fleckchen frei.“

„Ich gedenke nicht mit Euren Männern im selben Raum zu schlafen, Sparrow.“, lege ich sofortigen Protest ein, die Vorstellung mit dreckigen Piraten die Nächte zuzubringen, ist abscheulich.

„Sir, die Kojen und Matten sind voll belegt. Für den Commodore wäre nicht mal mehr eine Decke drin. Entweder die Ratten waren mit ihrem Zuwachs diesen Frühling zahlreich, oder wir haben zu viele Männer an Bord.“

Mich in meinem Einspruch ereifernd und weil ich konsequent von den beiden ignoriert werde, habe ich nicht bemerkt, wie Anamaria an mich herangetreten ist und mich jetzt ungläubig mustert.

„Commodore Norrington?“

Jetzt, da sie mich anspricht, erhebe ich mich und verneige mich vor ihr, wie es sich in der Gegenwart einer Dame geziemt.

„Miss“

„Was macht Ihr denn in Tortuga?“,

Jabbar steht ebenfalls auf.

„Ich soll wieder mit auf dein Schiff?“

„Seltsam.“

Obwohl ich bemüht bin, Anamaria zu erklären, wie es mich hierher verschlagen hat und das Gespräch zwischen Gibbs und Sparrow mitzuverfolgen, fällt es mir zunehmend schwerer, mich in dem entstehenden Stimmengewirr zu konzentrieren.

„Hab mich doch noch nie verrechnet.“

„Und das Mädchen will sicher auch nicht bei uns schlafen Cpt´n. Hat sie früher auch nicht gemacht.“

„Dann zieht der Commodore zu mir und Anamaria in den Frachtraum.“

„Hat der alte Tunichtgut wieder was verbrochen, dass es Euch hierher führt?“

„Aicha kannst du nicht mit einer Überfahrt auf der Black Pearl ersetzen!“

„Ganz sicher nicht Sparrow. Da nehme ich doch mit beträchtlichem Vergnügen mit Ratten vorlieb.“

Mein Protest ist dieses Mal energischer. Nicht einmal in meinem schlimmsten Traum würde ich mir den Gedanken auch nur gestatten mit Jack Sparrow im gleichen Zimmer zu nächtigen!

„Commodore! Ihr hört mir nicht zu.“

„Was? Ähm, ja, ich meine nein.“

„Kadeb!“

„Mister Sparrow!“

"Aufhören...", verlangt Sparrow.

„Commodore Norrington!“

„Captain?“

„Aufhören! Mund halten. Alle!“, schreit er in unsere Mitte und reißt die Hände in die Höhe. Das entstandene, heitere Durcheinander unserer Stimmen, basierend auf unser aller Ungeduld wird damit beendet.

„Wie soll ein normaler Mensch bei diesem Tohuwabohu denn denken können, eh?“ Sparrow sieht einen nach dem anderen an, zuletzt mich.

„Mister Spar –“, will ich trotzdem ansetzen, werde aber durch seinen erhobenen Zeigefinger daran gehindert.

„Nein Commodore Norrington. Ruhe. Erkleckliche, wohltuend stille und angenehme Ruhe!“

Der Pirat atmet tief durch, sieht in unsere wartenden Gesichter und tritt mit einem großen, torkelnden Schritt zu Anamaria.

„Beginnen wir mit der Dame. Anamaria, du wirst uns auf die Pearl begleiten und für mich die Karte übersetzen, die du mir zur Verwahrung gegeben hattest. Bedauerlicherweise entstanden Komplikationen, die leider andauern und nun überwunden werden müssen. Unsere Übereinkunft ist somit hinfällig. Was mich zu dir bringt Jabbar, denn das Lösen eben erwähnter Komplikationen gipfelt unbeabsichtigt darin, dass ich meine Schuld, auch wenn ich sie nicht als solche anerkenne, an dir begleiche. Deshalb hast du die große Ehre erneut unter Captain Jack Sparrow segeln zu dürfen. Mister Gibbs, Ihr werdet Sorge dafür tragen, dass der Sand endlich aus meiner Kajüte verschwindet. So langsam krieg ich Pusteln und wir wollen nicht, dass es den seidenen Hinterbacken von Norrington genauso ergeht.“

„Aye Sir.“

Sparrow macht auf den Absätzen kehrt.

„Und nun zu Euch, zum Fürchten anständiger Commodore. Ihr werdet bei mir schlafen, ob ihr nun wollt oder nicht. Und bevor ihr erneut widersprecht: Mein Freund, ich könnte mir auch liebsamere Zeitgenossen vorstellen, denen ich die hohe Gunst einräume mit mir mein bescheidenes Gemach und Bett zu teilen. Und ich würde es Missy hier anbieten, wenn ich es nicht besser wüsste, dass Ihr mich dann in Eurer tugendhaften Art zu Unrecht der Lüsternheit beschuldigen würdet und verbissen um die Erhaltung ihrer Ehre kämpftet. Und selbst würdet ihr aus Anstand heraus wohl nicht bei ihr liegen wollen. Erspart uns und Euch also das lästige Lamentieren und überwindet Euren überaus eigenwilligen und hinderlichen Sinn für Stolz.“

Mit offenen Mündern stehen wir da, alle wohl gleichermaßen überrascht wie sprachlos. Dass er ein Machtwort spricht, das auch noch derart bestechend einleuchtend ist… ist selten.

„Endlich.“, ruft er erleichtert aus, da keiner von uns etwas erwidert, keiner es mehr wagt.

„Dann kann ich ja jetzt mein Schiff reparieren gehen. Komm Gibbs. Anamaria, klär die Herrschaften über unser Reiseziel auf.“

Er nimmt den kleinen Beutel vom Tisch, zieht einen Ring heraus, der wohl an den Finger mit dem weißen Streifen Haut gehört. An besagten Finger steckt er ihn zurück. Ein Ring mit blauem Stein.

„Aye, Captain“, stammelt die junge Frau, dem Rücken des Piraten mit den Augen folgend.

Auch ich sehe ihm nach, wie er mit Gibbs in Richtung Treppe und schließlich durch die Türe verschwindet. Ein anhaltendes Grollen stellt sich in mir ein, denn die Behandlung, die er mir zuteil werden lässt, erinnert mich aufdringlich an meinen letzten Besuch, als ich unter seinem hämischen Blick das Deck schrubben durfte.

„Und jetzt?“, brummt Jabbar in unser gemeinsames Schweigen hinein.

Ich räuspere mich, setze mich zurück an den Tisch.

„Jetzt werden wir uns anhören, was die junge Miss uns zu sagen hat.“

Verhandlungssache

In meinem Leben habe ich viel gehört, gesehen und musste mich daran gewöhnen, Dinge für wahr zu halten, die für den normalen Verstand bloß absonderlich und unvorstellbar sind. Daher mache ich mir gar nicht erst die Mühe den Wahrheitsgehalt der Worte Anamarias in Zweifel zu ziehen und kapituliere gleich zu Beginn, besonders im Hinblick und Anbetracht dessen, dass ich mich im Bezug auf die Geschichte mit der Dschinnenlampe gründlich geirrt zu haben scheine.

Schläfrig flaniere ich den Pier entlang, folge dem schmalen Steg der hinüber zur Pearl führt. Das Städtchen ist immer noch nicht müde geworden, auch wenn die Uhr die Mitternacht weit hinter sich gelassen hat und die Sterne am Firmament stehen.

So irrsinnig der Glaube an die zuvor gesprochenen Worte auch ist, warum sollte diese neue, völlig abstruse Erzählung nicht auch einen unbedeutend geringen Kern an Wahrem enthalten?

Ich lasse das Gespräch noch einmal meinen Verstand passieren, in der Hoffnung vielleicht einen geeigneten Ansatzpunkt zu finden, sie als blanken Unsinn abzutun. Ich kann nicht aus meiner Haut. Kapitulationen sind nicht Teil meines Repertoires:
 

„Der Ring, den der Captain trägt, öffnet ein Tor, besser gesagt der Stein im Ring. Der Stein der Anoli.“

„Stein der Anoli? Was soll das sein Mädchen?“

„Nenn mich nicht Mädchen, Arab. Ich habe einen Namen!“

„Bei Allah, was macht ihr Ungläubigen nur mit euren Weibern. Laufen in Hosen und schwatzen wie die Hühner auf der Stange.“

„Sir, bitte. Ich behaupte von mir selbst ein geduldiger Mensch zu sein, aber sie ist nicht unerschöpflich. Miss, ihr fragtet mich, warum ich hier in Tortuga sei. Ihr erinnert Euch sicher noch an Governor Swann, den Vater von Elisabeth. Zu meinem Bedauern muss ich einräumen, dass er entführt wurde. Entführt von einer alten Bekannten Sparrows, die sich selbst die ´schwarze Witwe´ nennt. Seiner Aussage nach ist sie eine Taino, ebenso wie Ihr. Wenn Ihr also etwas über diese Frau wisst, so sprecht und haltet Euch nicht mit unwichtigen Details auf.“

„Ich weiß, Sir. Deshalb hat Jack mir ja den Ring geschickt. Ich will wa ja erklären, wenn der da mich lässt.“

„Nur zu Emra-ah.“

„Also, zuerst muss man wissen, dass die Black Pearl nicht Jacks erstes Schiff gewesen ist und dass er nicht immer Pirat war. Vorher war er bei der Handelsmarine, daher kannte er auch den Beckett. Der war irgendwie so was wie sein Vorgesetzter. Aber darüber weiß ich nicht viel, müsstet Ihr ihn selbst fragen.“
 

Bei der Erwähnung von Cutler Beckett war mir gewesen, als speie sie den Namen förmlich aus und ich konnte mich der Zustimmung, die ich dabei verspürte nicht erwehren. Dieser Mann war das beste Beispiel dafür gewesen, dass auch ein vermeintlich gesetzestreuer Mann ohne Ehre sein konnte. Verrat war ihm wohl in die Wiege gelegt worden, und es wird mir bis auf mein Sterbebett nachgehen, dass ich dies um ein Haar zu spät erkannt hätte.
 

„Jack kam während einer Überfahrt in die neue Welt vor fünfzehn Jahren nach Castries, Proviant laden und all das. Und da lernte er ein Mädchen kennen. Und wie das nun mal so ist bei ihm, hat er sich in sie verguckt. Sie hieß Sophia und wollte ihn sogar heiraten. Nicht, dass Jack nicht vielleicht auch gewollt hätte, aber Sir, Ihr kennt ihn ja, er macht nie was ohne Gegenleistung.“

„Ist mir leidlich bekannt, ja. Was hat er von ihr verlangt?“

„Die Familie des Mädchens waren tüchtige Bootsbauer, die besten wohlgemerkt, und da hat er ein eigenes Schiff haben wollen.“
 

An der Stelle hatte ich mich an meinem Rum verschluckt. Dies war wirklich eine höchst unerhörte Forderung, selbst für Sparrow.
 

„Bitte? Ein Schiff? Ein wenig hoch gegriffen, würde ich gar meinen, für eine Aussteuer.“

„Aye. Aber er wollte nicht in der Handelsmarine bleiben, redlich bleiben war nicht seine Sache. Aber auf hoher See bleiben, das wollte er, hat schon immer den fixen Traum gehabt in die Geschichte einzugehen wie Flint, Blackbeard und Drake. Und da Sophia wirklich richtig schlimm verliebt war, hat sie zugestimmt. Hat in ihm vielleicht was gesehen, das allen anderen entgeht. Sie hat ihm geglaubt, als er ihr ausmalte, wohin er sie überall bringen würde, zu fernen Welten, Ländern und Schätzen. Hat ihr das blaue vom Himmel runter gelogen. Jack kann da sehr überzeugend sein. Er hat sie sogar rumgekriegt vor der Heirat.“

„Und wie passt nun der ominöse Ring in Eure Erzählung?“

„Der Stein im Ring gehörte Sophias Familie. Von Generation zu Generation war er weitergegeben worden, ihn zu hüten und zu verwahren, war ihre Pflicht. Genauso wie die dazu gehörige Legende. Er öffne ein Tor zu einer verschollenen Stadt, die nicht gefunden werden kann. Mit keinem Kompass, nicht mal mit dem von Jack. Es heißt, die Götter hielten ihre Hand über sie und versteckten sie vor der Welt. Das dumme Mädchen hat ihm alles drüber erzählt, hat ihm sogar gesagt es gäbe eine Karte und hat seine Neugier drauf geschürt die Stadt suchen zu wollen. Sie wollte sie zusammen mit ihm finden, das neue Schiff nehmen, wollte sie. Die Schätze in der Stadt wollte sie ihm schenken, doch hat sie ihm nicht gesagt, was er noch dort finden würde.“

„Was befindet sich ´noch´ in dieser Stadt?“

„ … “

„Miss!“

“Ihr müsst wissen Commodore, die Taino sind ein aussterbendes Volk und Sophia war nicht so dumm, dass sie eine gute Gelegenheit nicht erkannt hätte, wenn sie vorbeizieht. Jack kam ihr gerade recht, ein Mann, dessen Neugier einmal geweckt, sich wie ein Hai in seinem Opfer verbeißt und nicht mehr loslässt. Ihr war klar, dass er die Stadt früher oder später finden würde, vorausgesetzt es gibt sie wirklich.“

„Noch einmal: Was genau befindet sich in dieser Stadt?“

„Die Wächter. Wie gesagt, nur eine Legende, aber das Mädchen hat sie geglaubt. Tagtäglich erzählte sie den Eltern davon: Die Anoli. Wächter, die das Volk beschützten, eingesetzt von Yucahú selbst, vor´m Untergang retten sollen sie es und die verdammen, die dafür verantwortlich sind. Es weiß niemand so genau, wie sie aussehen, wie viele es sind, oder ob es überhaupt stimmt. Viele Legenden, viele Geschichten. Wer weiß schon, was wahr ist und was nicht. Sophia war ganz wirr im Kopf und besessen, hat immer davon gesprochen sie zu holen. Sie hat die Kolonialisten gehasst bis aufs Blut, die Portugiesen besonders. Was für eine gemeine Ironie, dass sie sich dann ausgerechnet den Captain ausgesucht hat, oder? „Ist wenigstens ein halber Karib.“, das hat sie immer gesagt.“
 

Verschollene Städte, sterbende Völker und Frauen, die diese Völker rächen wollen und Captain Jack Sparrow mittendrin. Manchmal hege ich den Wunsch, mich versetzen zu lassen. Die Verlockung der Vorstellung von einem tristen, regnerischen Streifen guten, britischen Landes gewinnt von Stunde zu Stunde an wohlschmeckender Süße.
 

„Wie hat es sich zugetragen, dass Sparrow besagte Stadt, falls sie existiert, nicht gesucht hat und nicht in den Genuss der Ehe kam?“

„Der Captain mag vieles sein, aber der Mutigste ist er nicht, da macht die Ehe keinen Unterschied. Als er erfahren hat, warum Sophia so großes Interesse daran trägt, ist er abgehauen. Mit Ring, versteht sich, aber ohne Schiff. Es zu segeln, wäre so ganz allein wohl ein bisschen unmöglich gewesen.“

„Und diese Karte? Er zeigte mir vor einigen Tagen eine Karte in einer Sprache, die ich nicht zu entziffern vermag. Sparrow sagte, sie weise den Weg zur Heimat der Taino.“

„Aye Commodore, die hat er von mir. Auf ihr ist wirklich ein verborgener Ort verzeichnet, der nur unserm Volk bekannt ist, da hat er nicht gelogen. Sie soll aber auch den Standpunkt der verschollenen Stadt preisgeben. Es hat aber niemand bisher nach ihr gesucht. Ich hatte sie dem Captain zur Verwahrung gegeben mit der Bedingung, dass er die Stadt Stadt sein lässt. Im Gegenzug habe ich dafür gesorgt, dass Sophia ihm nicht auf die Pelle rückt, habe ihr vorgelogen, er sei verunglückt und dabei umgekommen. Hab seine Spuren die erste Zeit auch gut verwischen können, aber er musste sich ja die Black Pearl holen und sich einen Namen machen als Pirat. Sie hat dann natürlich versucht ihn zu fangen, mit dem Schiff, das sie für ihn hat bauen lassen. Jack ist aber immer wieder entwischt. Kennt Ihr ja, das Problem, nicht? Irgendwann hat sie´s dann aufgegeben, spätestens ab dem Zeitpunkt, wo Barbossa gemeutert hatte und Jack wirklich verschollen war. Sie hat sich aber geschworen, dass nie wieder ein Mann sie hintergehen würde. So bekam sie ihren Namen.“

„Anamaria, wird sie dem Governor etwas zu Leide tun?“

„Ich bin mir nicht sicher. Der alte Mann ist für sie nicht von Interesse. Er ist zu alt, wenn Ihr versteht, was ich meine. Aber verwundert bin ich schon, dass sie über ihn an Jack herankommen will. Das hätte sie leichter haben können.“

„Und dieses Schiff, Sparrows erstes Schiff meine ich.“

„Ja, Sir, die Soul of Empress. Die Familie hatte sich selbst übertroffen beim Bau, wohl die gleichen Hintergedanken teilend wie das Mädchen. Sie kanns mit der Pearl aufnehmen. Sie ist nicht ganz so schnell, aber wendiger und nicht so schwer. Und die Kanonen schießen schärfer.“

„Miss, eine letzte Frage: Woher wisst Ihr das alles? Woher kennt ihr diese Frau?“
 

Auf diese Frage hin war sie verstummt, hatte auch nach einer Weile darauf nicht geantwortet. Trotz meiner Neugier auch dieses letzte Detail noch zu erfahren, habe ich nicht weitergefragt. Der Schmerz, den ich in ihren Augen beinahe hätte greifen können, hielt mich davon ab. Einen Schmerz, den ich nicht einordnen kann.

Darüber sinnierend, steige ich die Planke zum Deck der Pearl Pearl hinauf, von oben herab tönen Stimmen.

„Ladies, wie versprochen, die Black Pearl. Will meinen kleinen und unbedeutenden und in der Tat entschuldbaren Ausrutscher von letztem Mal wieder gutmachen. Natürlich lag es daran, dass mein Schiff gestohlen wurde, ganz und gar ohne Grund und Anlass.“

„Oh Jack, du hast zu mir gesagt, du liebst mich nicht.“

„Und zu mir ich wäre fett!“

Die weiblichen Stimmen, von denen eine höher als die andere dominiert und die jeweils andere an Empörung zu übertreffen versucht, heischen geradezu nach der Aufmerksamkeit des Piraten.

Ich rolle mit den Augen, als ich das Deck betrete und das schwärmerische Treiben der beiden Frauen um Sparrow, wie Motten ums Licht betrachten darf. Ihr Beruf ist ihnen anzusehen, nicht allein an den einladenden, die Rundungen betonenden Kleider, vielmehr ist es die mit der Tätigkeit verbundene Verbrauchtheit der Gesichter, die an jedem kleinen Flecken ablesbar ist. Und diese kann auch nicht durch die dicken Schichten an Puder und Rouge verborgen werden.

„Giselle, Liebes. Du bist nicht fett, heroisch proportioniert und in wagemutiges Tuch gehüllt. Scarlett, natürlich liebe ich dich. Wer kann eine Frau, die so sorgfältig ihre Männer wählt und mit Großzügigkeit ihr Herz verschenkt denn nicht lieben?“

Der Name des Piraten wird im Duett ergeben geseufzt und es wird sich enger in seine Arme geschmiegt. Keineswegs möchte ich die Damen für dumm halten, oder sie gar so bezeichnen, aber die Vermutung einer gewissen Naivität liegt doch recht nahe, wenn sie die beißende Ironie in Sparrows Worten nicht vernommen haben.

Ich sehe ihm dabei zu, wie er abwechselnd die eine, dann die andere mit einer - wie ich gestehen muss - charmanten Attitüde bezirzt, die jeder aber, der den Mann nur gut genug kennt als reine Lügerei enttarnen kann.

„Oh, was ist denn das?“

Der Pirat führt in kreisenden Bewegungen seinen Zeigefinger neugierig zum Brustansatz der brünetten Mamsell, Scarlett, wenn ich mich entsinne und streicht vorsichtig über die ausgesuchte Stelle.

„Dieses Mal ist mir so gar nicht bekannt, Liebes. Ist es neu?“

„Freilich Jack.“, kichert sie verführerisch „wir haben uns fein gemacht für dich.“

„Das ist… ganz und gar…“, Sparrows Stimme wird rauchig und er schiebt sich näher an die Frau heran, der Blick gleitet über die sanften Hügel, „…überaus reizend und durch und durch ansprechend.“

Bei diesem lüsternen Gehabe, das jedem redlichen Benehmen widerspricht, muss ich unwillkürlich die Stirn runzeln. Ein wenig aufgesetzt das Ganze… so als spiele er in einer schlechten Aufführung der Commedia del Arte Tirso´s Don Juan. Mit der damit verbundenen Komik… und auch wenn Komödien zu den aristotelischen Grundwerken gehören mag, so gehören sie nicht zu meiner bevorzugten Wahl an klassischer Unterhaltung…

Ein pikiertes Schnauben entrinnt mir darüber, was die Aufmerksamkeit der im Augenblick stark vernachlässigten zweiten Frau auf mich lenkt.

„Jack, wer ist das?“

Der Pirat setzt an die eben berührte Stelle Haut mit seinen Lippen zu bedecken.

„Wer ist was Liebes?“, haucht er an der Brust des Freudenmädchens mit einem versteckten Lächeln, jedoch nicht wirklich gewillt die Frage der anderen, Giselle, in seinen Geist zu lassen und mehr als ein Schielen aus den Augenwinkeln gestattet er ihr und mir nicht.

„Das!“

Die mit Kohle geschwärzten Augen des Piraten flirren mit einem murrenden Laut zuerst zu der Frau, die nachdrücklich darauf bestehen will meine Identität in Erfahrung zu bringen. Dann zu mir, dem Störenfried. Mit einem Räuspern, begleitet von einem angedeuteten Lächeln entlässt Sparrow die Hure aus seiner Umarmung und neigt sein Haupt auf die Schulter der blonden Frau, jene die gefragt hat. Ein, wie ich finde, berechnender Glanz erhellt sein Antlitz und ich kann mich dem zwickenden Verdacht, dass er mich längst vor den beiden bemerkt haben muss nicht verschließen, auch wenn es keinerlei Beweis für dieses gibt.

Wohl an, so mag seine unmögliche Inszenierung mir gelten…

„Das? Liebes, das ist Jamie. “

Dieser Name, Himmelherrgott dieser Name!

„Freund oder Feind Jack?“

Die blonde Hure kommt mit wiegenden Hüften und anrüchigem Augenaufschlag auf mich zu, die anzüglich gehobenen Röcke geben schlanke Beine preis und das üppige Decoltée reizt zum längeren Bestaunen.

„Ein Freund will ich inständig hoffen... solch ein gut aussehender Bursche.“

Die Dirne kann es leider nicht lassen an meine rechte Seite zu drängen, mich eingehend zu begutachten gleich einer Käuferin auf dem Markt und aufdringlich an meinem Ärmel zu nesteln.

„Stattlich ist er. Breite Schultern und ein hübsches Gesicht. Hach, welch Frauenherz mögt Ihr wohl schon gebrochen haben?“

„Verzeiht Madame“, entschieden, aber auf Höflichkeit bedacht schiebe ich sie von mir, bevor sie ihren Arm vertraulich bei mir einhaken kann, „mich gelüstet es heute nicht nach Begleitung. Aber ich denke Mister Sparrow hier wird meine Unpässlichkeit gänzlich zu vertreten wissen.“

Ich bemühe mich sie so herablassend und kalt anzustieren, wie es mir möglich ist. Und zu meinem Glück bedarf ich keiner Uniform, um meiner Autorität, die ich unzweifelhaft besitze, Ausdruck zu verleihen.

Das beleidigte Abwenden ihres Kopfes und ein empörter Laut sind Beweis genug.

„Oh, sicher wird er das“, ruft Sparrow hingegen begeistert aus, das Schauspiel ergötzt ihn regelrecht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass er sich bedauerlicherweise nicht so einfach vergraulen lässt und daher verwundert es nicht, dass er mit belehrend erhobenem Zeigefinger und mit wenigen, aber großen und gelenkigen Schritten sich neben mich stellt.

„Bloß, das Bett dürfte für vier Personen zu reichlich ausgelastet sein, aye?“

Er presst die Lippen fest aufeinander und rollt die Augen in gespielter Unschuld nach oben. Dann kneift er sie zusammen, seine Stirn legt sich angestrengt in Falten.

„Is das eine Krähe oder ein Rabe da oben auf dem Fockmast?

Misstrauisch beäuge ich ihn, die leise Ahnung in mir, worauf er anspielt. Die Vorstellung von der Brittsche gewinnt deutlich an Festigkeit.

„Sprecht es nur aus, Mister Sparrow.“

Einen Moment noch starrt er wie gebannt auf den vermeintlichen Vogel, bevor er sich mir widmet.

„Hier mein Angebot: Ich verschiebe mein luftiges Tete-a-tete im Mondenschein und das darauf folgende Vergnügen in meinem Raum und gönne Euch die erholsame Ruhe eines weichen Bettes, wenn – “

„Wenn was?“

In der Tat bin ich überrascht… erwartet hätte ich das Anliegen, die Nacht auswärts zu verbringen…

Sparrow legt seine linke Hand bequem auf die Pistole in seinem Gürtel, die legere Geste widerspricht jedoch dem verbissenen Ernst in seinem Gesicht, während er seine Forderung ausspricht.

„Wenn Ihr das Zanken um die Verteilung der Schlafplätze einstellt, welche Ihr in Eurer unnachgiebigen Art heute nochmals auf den Tisch gebracht hättet.“

So, so das ist es also was Ihr wollt Pirat… ein verworrenes Machtspiel hat sich Euer Hirn erdacht…

„Dafür schwör ich auch hoch und heilig, dass sich Euer Gemüt erholen darf, das heute Abend schwer Schlagseite erlitten hat. Hä, was sagt Ihr, ziemlich gut oder?“

„Ihr wuchert Pirat. Derlei Gehorsam einzufordern steht Euch kaum an“, erwidere ich kühl. Mich mit der Idee anzufreunden dass ein Offizier der Royal Navy einem Piraten klein beigeben muss, schlimmer noch, ihm damit einen gewissen Respekt zollt, lässt mich alle Nackenhaare sträuben.

„Das Erlangen vorteilhafter Fortschritte erfordert harte Verhandlungen, Freund.“

„Vorteilhafte Fortschritte durch Nötigung“

Knurrend muss ich dabei zusehen wie Sparrow seinen Kopf in den Nacken legt und sich die Lieder seiner teuflischen Augen bis zur Hälfte schließen.

„Völlig richtig.“

Zwei Worte. Zwei verflixte Worte. Kein Leugnen, kein inbrünstiges Verteidigen seiner selbst. Recht schönen Dank. So bleibt mir nicht einmal der Genuss sein verwerfliches Verhalten anzuklagen…

und als der Pirat mir auch noch die Hand reicht, um unsere Übereinkunft zu besiegeln, möchte ich ihn einfach nur noch erwürgen.

„Nun?“

Ich recke das Kinn und verziehe das Gesicht, gebe aber auch zu erkennen, dass ich einverstanden bin. Zu wohlig ist der Gedanke an ein bequemes Bett, das ich seit etwa zwei Wochen auf See schmerzlich vermisse… und wann es mir das nächste Mal vergönnt sein wird eines aus der Nähe zu sehen... nun denn... die Hand nehme ich selbstverständlich nicht entgegen!

Um, wie er sagt meinem ´schwer Schlagseite erlittenen Gemüt´, noch den versenkenden Kanonenschuss zu setzen, neigt er in spöttischer Demut den Kopf.

„Nach Euch. Sire.“

Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen schreite ich an ihm vorbei und höre ihn vergnügt eines seiner Piratenlieder anstimmen.

„Jack Sparrow!“

Die aufgebrachten Stimmen der beiden Freudenmädchen begleiten ihn dabei bissig. In seiner guten Laune hat er jedoch nur ein:

„´s tut mir in der Seele weh Liebes“, für sie beide übrig, bevor er sie mit fassungslosen Gesichtern und weit aufgerissenen Mündern stehen lässt und die Tür zu seiner Kabine hinter uns schließt.
 


 

Es dauert kurz, erschreckend kurz, bis das zusammenziehende Gefühl meines Magens beim Anblick der erlesenen Speisen sich lautstark sein Recht verschafft.
 

Verfluchter Pirat!
 

Ich habe mich nicht getäuscht, denn es gibt nur zwei Gedecke! Die ganze Scharade diente also wirklich nur dem einen Zweck, mich ohne größere Widerworte und Schwierigkeiten in sein Quartier zu lotsen. Zugute halten muss man ihm wohl, dass er nicht gelogen hat.
 

Und dieser Geruch, lieber Gott, dieser Geruch.
 

Gebratenes Fleisch und Fisch, feinste Pasteten, süße Partissiers, reichlich Obst, vieles davon kenne ich nicht einmal. Ein frisches Blumengesteck ziert den Tisch, Kerzen und edles Kristall, doch die Krönung besteht in der Flasche Balaton, die neben Sparrows Teller steht und zu einigen Spekulationen anregt, wo er sie erworben, - gestohlen -, hat.

Es ist ein Bild wie ein kleiner paradiesischer Garten Eden auf den Bundglasfenstern der großen Kathedralen.

„Greift zu Commodore, wir vergessen die Hemmungen, ja?“

Sparrow, dem der Begriff der Hemmungen wie keinem zweiten fremd ist, betrachtet mich zwischen zwei herzhaften Bissen, die in seinem Mund verschwinden, forschend, kalkulierend, aber nichtsdestoweniger ebenso verdammenswert einladend. Er lässt es sich seit einer Weile schmecken, während ich noch der Frage nachgehe, wem er das kleine Vermögen für ein solches Gelage abgeknöpft hat.

„Werdet Ihr vom Zugucken satt, frage ich mich?!“

Wie gebannt starre ich auf den gedeckten Tisch vor mir, der dem so vollkommen fremd ist, der noch vor wenigen Stunden ein chaotisches Stillleben aus Sanddünen bildete. Jetzt bildet er das Zentrum eines heimeligen und sauberen Raumes.

Selbst das ausladende Bett ist frisch bezogen, jedes Krümmelchen Sand ist verschwunden. Bücher, Truhen und der Schrank erstrahlen in sauberem Glanz und das einzige, was noch darauf schließen lässt, dass hier wohl eine Dschinni ihr Unwesen getrieben haben muss, sind die nicht reparierten Fenster, durch die ein frischer Wind geht.

Ich schlucke trocken, setze mich nicht, obwohl ich deutlichen Hunger habe. Zu behaupten es wäre nach einem langen Tag nicht so, täte nur ein Narr.

Weil mir aber bekannt ist, dass Sparrow nichts ohne eine entsprechende Gelegenleistung verschenkt, hadere ich mit mir.
 

Meinem Gegenüber, dem mein Zögern nun eindeutig zu lange dauert, nimmt mir die Entscheidung schließlich ab und unbewusst ahne ich mehr, als dass ich die Bewegung seines Arms tatsächlich sehe.

Knapp bevor mich das Stück Obst im Gesicht treffen kann, fange ich es ab und löse mich damit aus der Starre. Der grimmige Blick, den sich der herumlümmelnde Pirat daraufhin einfängt, ist leider nicht von Erfolg gekrönt. Selig aber dümmlich schenkt er mir ein Grinsen.

„Und ich nahm schon an, Ihr hättet uns verlassen.“

Es verbreitert sich gar widerwärtig, während er sich ein Stück Brot in den mahlenden Kiefer steckt und mich kauend heran winkt.

„Wisst Ihr mein lieber Freund, wenn Barbossa auch mit nichts Recht hat, so hat er Recht mit dem, dass ein Mann richtig essen muss.“

Ich bewege mich steif auf den freien Stuhl zu, in dem Wissen, dass ich mir soeben eine herbe Blöße geleistet habe. Sie ist jedoch nicht unkorrigierbar.

Die eine Hand auf die Lehne legend, hebe ich mit der anderen die rote Frucht empor - eine Grenadine - und ziehe die Augenbrauen hinauf. Ich drehe das runde, leicht bitter riechende Gebilde in der Hand, begutachte es von allen Seiten, als sei es das faszinierendste, was ein Menschenauge je erblickt hat.

„Schmeicheleien werden Euch keineswegs vor dem Schafott bewahren, wenn unsere Wege sich wieder trennen. Ebenso wenig Bestechungsversuche irgendeiner Art. Ihr seid nicht so dumm, dass Ihr annehmen könntet, ich legte ein gutes Wort für Euch ein.“

Ich werfe ihm die altehrwürdige Köstlichkeit mit einem gelangweilten Seufzen zurück.

„Was wollt Ihr hiermit also anfangen?“

Ich deute auf das überreiche Gedeck.

„Aufessen?“

Das belustigte Lächeln, das zu keinem anderen Zweck dient, als mich zu prüfen, wird nur mit einem Schulterzucken meinerseits quittiert. Ich habe mir vorgenommen meine Contenance nicht noch einmal so schnell zu verlieren, doch befürchte ich, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird.

„Mister Sparrow, macht es nicht umständlicher als nötig.“

Die Goldzähne des Piraten blitzen kurz auf.

„Davon satt werden?“

Ich betrachte ihn geduldig, als er unsere Becher mit Wein füllt und danach mit feingliedrigen, aber kräftigen Fingern nach einer Rispe Trauben greift. Eine süße Frucht nach der anderen wird sorgfältig von den Stielen gezupft, langsam an die leicht geöffneten Lippen geführt und genießerisch von ihm zerkaut, ohne dass er mich dabei aus den gefährlich funkelnden Augen lässt.

„Sir, Ihr tragt nicht gerade zu meinem Kurzweil bei.“

„Ah. Nach welch sittlicher Unterhaltung wäre Euch denn zumute, Norrington?“

Er richtet sich in seinem Stuhl auf, sieht mich interessiert an und streicht beiläufig mit den Fingern über den Rand seines Bechers. Den zweiten schiebt er zu mir.

„Einzelheiten über die Witwe, wie unsere junge Übersetzerin mit ihr zusammenhängt, Bewaffnung der Empress, eventuelle Verstecke in denen sie den Governor gefangen halten könnte. Sucht euch etwas aus. Alles schöne Themen, die mich interessieren.“

Ich nehme den Becher soweit auf, dass meine Nase das blumige Bouquet des schweren Rotweins riechen kann. Dann nippe ich davon und kann mich vergewissern, dass der erste Eindruck eines teueren Tropfens nicht getrogen hat.

„Immer an die Pflicht denken, nicht wahr? Gute, starke Eigenschaft.“

„Habe ich mit Euch die zweifelhafte Ehre? Ohne Einschränkung.“

Ihn nicht beachtend, nehme ich mir etwas von dem aufgeschnittenen Braten, ein wenig Gemüse, ein bisschen Okra und ein Stück Brot. Das verräterische Geräusch, das sich beim Anblick der Köstlichkeiten von unter heraufwühlt, kann ich leider nicht unterdrücken.

Auch die Beherrschung eines Offiziers seiner Majestät muss vor manchen Bedürfnissen des Körpers das Knie beugen. Etwas, was sehr bedauerlich ist.

Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich das kleine Lächeln, das um Sarrows Mundwinkel erscheint. Es ist keines, das spottet.

„Ich hoffe für Euch, dass die Crew besser kocht, als dass sie meutert. Und nicht in die Töpfe gespuckt hat. Ihr habt sie vielleicht ein bisschen zu oft gegeißelt mit Eurer Pflichtversessenheit.“

Ich lache verhalten und beginne zu essen.

„Nun, tragischerweise gibt es keine Bestrafung für das Spucken in das Dinner eines britischen Commodores.“, bringe ich hervor, als ich meinen Mund geleert habe. Meinen Blick hebend, proste ich dem Piraten zu.

Dieser stützt sich plötzlich mit beiden Unterarmen auf den Tisch und stiert förmlich zurück, als sei ihm gerade ein genialer Einfall durch sein rumdurchtränktes Hirn geschossen.

„Bedrückt Euch etwas?“, frage ich misstrauisch.

Er öffnet ein paar Mal den Mund, ohne, dass dabei etwas herauskommen würde, verzieht etwas das Gesicht, nur um dann nach einigen offensichtlich angestellten Überlegungen seine Goldzähne würdevoll und selbstgefällig dem Kerzenschein zu präsentieren.

„Wenn ich meine fachmännische Meinung zum Thema Bestrafung einbringen dürfte, solltet Ihr nicht eigentlich aus den Diensten der Navy entlassen worden sein? Ich meine, schließlich seid Ihr einem Gesetzlosen nicht ganz unähnlich, aye?"

Der kalte Schrecken fährt mir wie ein Schlag durch die Glieder, dass mir das Stück Fleisch, das meinen Hals eben hinunterrutschen sollte in ebendiesem stecken bleibt.

„Was redet ihr?“, huste ich.

Die Frage ist genauso lächerlich wie die Annahme, ich wüsste nicht, worauf er anspielt. Ich dachte mir, dass er diese Sache nicht auf sich beruhen lassen würde, doch nahm ich an, dass sich nicht so schnell eine Gelegenheit findet, meinen Faux-pas auf den Tisch zu bringen.

Den Kopf mit seinem vermaledeiten Geist auf die aufgestellte Faust lehnend, sieht mich der Pirat durchdringend an. Mein unübersehbar kalkweißes Gesicht hindert ihn nicht daran auszusprechen, was er schon lange mit großem Vergnügen aussprechen will.

„Ah, da gebt Ihr dem verruchten und gefürchteten Captain der Black Pearl die Chance dem Henker vom Galgen zu hüpfen, segelt zeitweilig mit in seiner Crew, werdet zum herumtreibenden Säufer und Taugenichts und befreit letztendlich eine Piratenmeute vom Flaggschiff der East India Trading Company unter den Augen von Cuttler Beckett höchstselbst und hier seid ihr nun, an einem Stück und noch immer mit dem hübschen, spitzen Hut in Eurer Habe.“

Mit leuchtenden Augen und diesem abscheulichen Lächeln neigt er den Kopf.

"Ich frage mich, - allen Ernstes, mein Freund -, warum Ihr krampfhaft an ihm festhalten wollt."

Er muss nicht lange auf meine Antwort warten:

„Mister Sparrow, Ihr seid anmaßend. Ich schulde Euch keine Rechenschaft noch schulde ich sie irgendeinem Piraten!“

Distanziert lehne ich mich in meinem Stuhl zurück und begegne den dunklen Augen mit gewohnter Härte. Was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass mich dieser Punkt reizbar macht.

„Wisst Ihr,“,

Sparrow nimmt sich seinen Becher und erhebt sich mit einem Ächzen,

„…wo Ihr doch so eine finstre Einstellung gegenüber Piraten habt und ihnen nie eine völlig uneigennützige Absicht zutraut,“, er verweist auf das großzügige Mahl auf dem Tisch,

„seid Ihr auf dem besten Weg einigen von ihnen ans Herz zu wachsen.“

Sparrow deutet mit beiden Zeigefingern in kleinen Kreisen auf sich selbst.

Ich möchte ihm schon eine passende Antwort entgegen werfen, da senkt er schnell den Blick und beschäftigt sich mit heuchlerischer Unschuld mit seinen Fingernägeln, kratzt an ihnen herum und entfernt kleine Stäubchen.

Fein.

Ich schlucke meinen aufkommenden Ärger hinunter, das Verlangen mich zu beherrschen, schwindet mit jedem Schritt mehr, den er auf mich zu macht.

Wie zum Teufel bringt es dieser Mensch bloß fertig mich mit jedem Satz, jeder Geste und jeder Regung seines Gesichts derart in Rage zu bringen, dass ich all die Ausbildung der letzten Jahre vergesse? Wie bringt er es fertig mich in knapp drei Jahren unlauterer Bekanntschaft an den Rand des Wahnsinns zu treiben, so dass ich mich selbst nicht mehr zu kennen glaube?

Grollend beobachte ich ihn, wie er langsam um den Tisch herum schlendert, seine Finger dabei anmutig über die fein geschliffene Platte gleiten, bis er den angestrebten Platz dicht neben meinem Stuhl erreicht hat.

„Zumal die Gesellschaft dieser Piraten auch überaus reizvoll sein könnte. Ihr könntet feststellen, dass es ganz und gar ohne Feindseligkeiten möglich ist mit besagten Piraten auszukommen, aye? Es würde Euren Horizont ungemein erweitern.“

„Sir, ich bin ganz und gar abgeneigt und die Erweiterung meines Horizonts soll Euer Anliegen nicht sein.“

Ich schenke ihm ein drohendes Knurren, das jedem anderen Schweigen gebieten würde.

„Ihr wärt vielleicht überrascht, mein guter Freund.“

Der rauchige Ton und die beängstigende Sicherheit in seiner vollen Stimme lassen mich die Schultern strecken und die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenziehen. Wenn er sich eine Konfrontation wünscht, dann bitte. Es wäre nicht das erste Gefecht zwischen uns und dieses Mal ist kein Schmied in der Nähe, der meinem Degen im Weg steht!

Sparrow stockt verblüfft, als er sieht, wie ich das Besteck beiseite und demonstrativ die linke Hand um die Scheide meines Schwertes lege, das gegen den Tisch lehnt.

Ich hebe meinen Blick eisern zu seinen Augen, der ihm bedeutet, dass ich binnen eines Augenblicks auf den Beinen bin, wenn es sich als notwendig herausstellt. Ich werde keinen Zweifel daran lassen, mich bis zum Äußersten zu wehren.

Die Augen meines Gegenübers werden groß vor Erstaunen.

„Ihr glaubt? Ach, Jamie...“, und deutet erheitert auf die Waffe, „... und ich dachte der hässlich knurrige Ausdruck käme von einer kneifenden Sprungfeder."

Er lehnt sich belustigt gegen die Tischplatte, verschränkt die Arme vor der Brust, den Wein behält er dabei in der Hand und mustert mich von seiner erhöhten Position aus. Dabei berührt sein rechtes Knie ansatzweise den vorderen Teil der Armlehne und somit auch meine Hand. Die ungewollt zarte Berührung trägt die Anspannung gleich einer Böe davon und hinterlässt die Erkenntnis, dass mein Gegenüber offenbar keinen Kampf will.

„Was wollt Ihr dann? Sagt es, dass wir diesen ganzen Hokuspokus hinter uns bringen."

Sparrow sieht mich intensiv an, mir kommt es so vor, als vergingen mehrere Minuten, bevor er endlich seine Lippen bewegt und zu einer stillen Antwort ansetzt:

„Was sagt denn die sich in Port Royal befindende zukünftige Misses Commodore zu Eurer Vorliebe für das Herumziehen mit verfluchten Trunkenbolden?“

Ich weiß nicht, ob ich zu viel Wein getrunken habe, oder ob es an der Müdigkeit liegt, dass ich glaube, solch eine Frage gehört zu haben.

„Sagt Pirat, ist Euch nicht wohl?“

Ich habe Sparrow nie für einen dumme Menschen gehalten, ungebildet vielleicht und ganz sicher für einen Mann, der irgendwann einmal nach dem Leeren von zu vielen Flaschen Rum den Verstand verloren hat.

Doch wie mir scheint, schließen sich diese Dingen nicht notwendigerweise gegenseitig aus.

„Ich gedenke nicht mit Euch ein Gespräch privater Natur zu führen.“, echauffiere ich mich, da der er erste Schrecken der Empörung über die unglaubliche Impertinenz weicht, „vielleicht ist es Euch entgangen, aber ich bin nicht Turner. Und auch nicht Elisabeth. Ich bin nicht Euer Freund! Wenn Ihr jemanden für Teestubenkonversation braucht, sucht dafür eine geeignetere Person. Sagt, was Ihr wollt und wir beenden diese Farce!“

"Ihr habt es gerade selbst angesprochen, Freund", entgegnet der Pirat. Den Kopf in gespielter Schüchternheit gesenkt, kratzt er mit seinen Nägeln am Rand der Tischplatte herum. Es ist nicht zu übersehen, dass er dabei schwer an sich halten muss nicht zu grinsen.

Ich blicke ihn an, verärgert, ratlos, am deutlichsten aber irritiert, doch dann dämmert es mir. Der Groschen fällt! Und oh, wie er fällt!

Das ist doch also... das ganze Theater mit den Schlafplätzen, das Dinner… Grundgütiger!

Dieser Erkenntnis gebührt ein herzhaftes Lachen. Ohne Zweifel. Und wäre es nicht Jack Sparrow, der diesen Blödsinn verzapft, dann würde ich diesem Drang auch nachgeben.
 

Ein Freundschaftsangebot von einem Piraten!
 

Doch ich lache nicht. Denn dieses unausgesprochene Anliegen ist entsetzlich, sogar so sehr, dass ich ihn erst einmal sprachlos anstarre und ihn nicht sogleich in Arrest nehme.

„Das ist doch… Das ist lächerlich“, weise ich den Gedanken von mir.
 

Welch Grausen!
 

„Hm“

Sparrow schiebt mit einem Ruck Teller und Essen klirrend beiseite und hockt im nächsten Moment ungeniert auf dem Tisch. Meinen halbherzigen Versuch aufzustehen unterbindet er sogleich, indem er seine Beine zu beiden Seiten auf die Armlehnen stellt, sodass ich nun zwischen seinen Beinen gefangen bin. Dann wendet er sich halb mit einem beschwörerischen Lächeln um und nimmt sich ein Stück aufgeschnittene Pina, in der anderen Hand hält immer noch den Wein.

„Warum nicht?“

Er beißt ein ordentliches Stück von dem ausgesuchten Obst ab und schmatzt mich sonnig an.

"Ich finde, wir zwei sind uns ziemlich ähnlich.“

Kauend bietet er mir den Rest an.

„Auch mal?“

Der schummrige Schein der Kerzen und Laternen verleiht seinem Antlitz dabei eine merkwürdige Wärme, die nicht minder von seinen Augen ausgeht.

Für ihn muss das alles ein ungeheuer großer Spaß sein.

Mit dem Knauf meines Schwertes schiebe ich sein Bein mit deutlichem Ekel und Abneigung in ihrer reinsten Form fort, nur um im Anschluss einen möglichst großen Abstand zwischen uns zu bringen.

Er hindert mich diesmal in keiner Weise daran, aufzustehen, und auch dann nicht, als ich mich vom Tisch entferne. Stattdessen macht er es sich in kaum auszudrückender Lasterhaftigkeit bequem, ein Bild, das mich dazu bringt mich von ihm abzuwenden.

Um meine innere Fassung ringend, starre ich stur aus den Fenstern.

„Da Ihr gerade sowieso nur rumsteht, hört genau zu. Joshamee ist nicht mehr der Jüngste. Er muss irgendwann ersetzt werden und der Welpe taugt nicht zum richtigen Piraten. Zu ehrlich. Leicht berechenbar. Und stellt unentwegt etwas Blödes an. Ganz davon zu schweigen, dass seine Loyalität gezwungenermaßen bei einem anderen Schiff als der Black Pearl liegt. Und Elisabeth, die ist, wie soll ich sagen, ein bisschen zu sehr lebensverkürzend. Hätte immer das ungute Gefühl des kalten Hauchs im Nacken. Kar soweit?"

Ich höre, wie das Holz sich leicht bewegt, als Sparrow von der Platte hinunter gleitet und obwohl ich sein Gesicht nicht sehe, so sehe ich sehr wohl das manipulierende Lächeln und die wiegenden Gesten und Schritte mit denen er sich zu mir gesellt.

„Commodore dagegen würdet sogar Ihr einen prima Piraten abgeben.“

„Abgesehen von meiner Einstellung zu Gesetz, Recht und Ordnung. Ganz zu schweigen von meiner rein persönlichen Abneigung euch gegenüber.“

Ein dunkles Lachen wühlt sich aus meinem Inneren herauf. Es ist kein freundliches, lautes oder gar fröhliches Lachen, nein, es liegt all die Lächerlichkeit darin, welche dieses Angebot auszeichnet. Einem Angebot dem ausschließlich mit deutlicher Überlegenheit und Gelassenheit begegnet werden kann. Mit einem resignierten Seufzen wende ich mich ihm wieder zu.

„Sparrow, Sparrow, Sparrow ich dachte selbst Eure Einfältigkeit besäße irgendwo ihre Grenzen. Aber es scheint wohl nicht so. Denn anders kann ich mir ein solches Angebot kaum erklären, das Ihr in Eurer Trunkenheit macht und an das Ihr Euch morgen höchstwahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern werdet.“

„Ah, und noch etwas, das wir gemeinsam haben. Seht Ihr, wie ergänzen uns ganz toll.“

Harmlos nimmt er einen Schluck von seinem Wein und prostet mir vielsagend zu.

Genug der Sticheleien. Ab jetzt ist das Maß voll. Ich habe es gründlich satt, dass ich mich anklagen lassen muss wegen vergangener Ereignisse.

Noch weitaus mehr erregt es mein Gemüt, dass er glaubt, sie mache uns zu Männer gleicher Art.

Ich packe Sparrow grob am Arm, für ihn überraschend, sodass ihm der Becher aus der Hand rutscht und zu Boden fällt. Der schwere Teppich saugt binnen Augenblicken die blutrote Flüssigkeit gierig auf. Ebenso giert mein Verlangen danach ihn jetzt zu schlagen. Nur zu gerne würde ich ihm den Kiefer zertrümmern, damit er nie wieder meine Geduld auf eine derart harte Probe stellen kann.

„Gebt Euch nicht der falschen Annahme hin, dass ein verschwindend geringer Teil meines Lebens, der nicht in den richtigen Bahnen verlaufen ist uns zu Männern eines Standes macht. Oder gar zu Verbündeten. Und auch ein wenig freundliches Benehmen und guter Wille vermag daran nichts zu ändern. Ihr habt Eure Mädchen umsonst fortgeschickt!“

Ich ziehe ihn nah zu mir, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren und er den tödlichen Ernst seiner Lage auch ja nicht missverstehen kann. Er legt den Kopf in den Nacken, schluckt nervös und das halbe, furchtsame Lächeln will nicht recht gelingen.

„Parlay?“

Einen Augenblick stiere ich noch kalt in die aufgerissenen Augen, bevor ich ihn mit einem Fluch zu der geschlossenen Türe seines Raumes zerre, sie öffne und ihn hinaus stoße.

Seine Lippen formen sich bereits zum Protest, als ich ihm das schwarze Zedernholz vor der Nase zuschlage.

„Ähm, was mache ich hier draußen, wenn Ihr doch dort drinnen seid? Ungünstige Konstellation für Verhandlungen über Eure Anheuerung, nicht?!“

Kompromisslos drehe ich den Schlüssel.

„Commodore?“

Ein Klopfen und dann ein Drücken der Klinke.

„Commodore, das ist nicht sehr fein mich auf meinem eigenen Schiff aus meinen Wänden auszusperren, in denen wohlgemerkt mein Essen steht!“

Beharrlich schweige ich weiter, setze mich zurück an den Tisch und leere Schluck für Schluck meinen Becher. Nur langsam stellt sich meine Gelassenheit wieder ein,

„Mist. Mist, Mist, Mist, MIST!“, vor allem wenn ein Pirat an einer bedauernswerten Klinke rüttelt, die ihm so gar nicht den Wunsch erfüllen möchte, aufzugehen.

Nach geraumer Weile gibt er es schließlich auf, das Fluchen und die üblen Verwünschungen, wobei keine einzige davon meine Person trifft, dafür aber das arme Stück Baum, das den traurigen Werdegang einer Tür genommen hat.

Ich muss sagen, nie habe ich einen leblosen Gegenstand mehr bemitleidet als in diesen Minuten.

Diesem Gedanken nachhängend, betrachte ich das große Bett, das unzweifelhaft für mehr als eine Person genügen würde, Sparrows Worte mit vieren wäre es überlastet mag ich nicht glauben wollen beim Anblick der vielen Kissen und Decken.

Erstaunlich, wie mag er es bloß hier hinein bekommen haben?

Ich greife mir zwei Kissen und eine Decke.

Respektable Qualität, ordentliche Auswahl. Zumindest für einen Piraten. Dann improvisiere ich ein Lager auf dem Boden, denn der Anstand würde es verbieten, mir einen unlauter erkämpften Vorteil zu Nutze zu machen, zumal ich mir nicht vorstellen will, wer bereits alles auf Sparrows Lager gelegen hat und was er mit ihnen angestellt hat. Scarlett, Giselle? Beide? Wie viele Mädchen werden seinem Charme hier wohl schon erlegen sein?

Ich reibe mir die müden Augen, als ich die Lichter bis auf eine Laterne lösche und mich hinlege.

Himmel, wie umwölkt muss mein Hirn sein, dass ich mich mit Sparrows Liebeleien befasse! Ich führe mit mir selbst Teestubenkonversation, die ich ihm vorgeworfen habe! Schlimmer als die kokettierenden Gesellschaftsdamen am englischen Hof.

Ich schnaube verärgert auf. Selbst wenn dieser Mensch nicht anwesend ist, ist er anwesend!

Ich grüble düster vor mich hin, es ist erschreckend, wie der Pirat mein Denken beherrscht. Gut, es mag meinem derzeitigen Standort zuzuschreiben sein,

doch es wäre vermessen zu behaupten, dass es auch nur einen Tag gab, an dem ich nicht darüber philosophiert habe, warum Sparrow mich aus der kalten See gefischt hat, halb verblutet, dem Tode näher als dem Leben. Nahe liegt das Argument, dass er von Anfang an diese fixe Idee hatte, Gibbs durch mich zu ersetzen.

Ein grauenvoller Gedanke, ohne Zweifel.

Minutenlang starre ich wahllos nach oben, wälze mich unruhig von einer Seite zur anderen, aber der Schlaf will sich nicht einstellen.

Seufzend stehe ich auf, nehme die Laterne und schreite zur Tür.

In der Regel bin ich kein Mensch, der unüberlegt handelt, doch bei Sparrow gelten mehr die berühmten Ausnahmen, denn die Regel selbst.

Und ich befürchte ich neige zu leichten Überreaktionen, wenn er nur den Mund aufmacht.

Nach einem tiefen, befreienden Atmen - ich weiß, ich werde es bereuen - öffne ich die Tür und leuchte hinaus in den kurzen Gang.

Der Pirat hockt trotzig schmollend im Dunkel auf der ersten Treppenstufe.

"Wollt nur mit Euch auskommen, Freund!“, grollt er mir entgegen.

Für einen Mann, der mich an Jahren beträchtlich überragt, hat er zeitweise eine unglaublich kindische Art an sich.

Ich rolle mit den Augen und winke ihn mit einem Kopfnicken hinein.

Im Nu ist er auf den Beinen und folgt mir in die Kajüte, misstrauisch den Schlüssel aus dem Schloss entfernend.

Ich rümpfe die Nase und schleiche zu meiner Schlafstätte zurück.

Wahrlich, mit dem Gewissen ist das so eine Sache. Es ist ein wunderbares Problem, es bewahrt einen vor Schaden, weist einem den rechten Weg und manchmal schlägt es auch im ungünstigsten Moment zu.

Schon im Dämmerschlaf höre ich die vorsichtigen Schritte Sparrows, wie er sich entkleidet und wie sich das Bett unter seinem Gewicht senkt.

„Habe gewusst, Ihr würdet aufmachen.“

„Dann wisst Ihr auch, dass wenn Ich es einmal vermag Euch aus meinem Blickfeld zu entfernen, es mir ohne weiteres auch ein zweites Mal gelingt.“, nuschele ich.
 

Unter dem leisen, zufriedenen Lachen eines unausstehlichen Spatzen schlafe ich endlich ein.

Von delinquenten Piraten und ertappten Kommodoren

"Treu gemeint sind die Schläge eines Freundes, doch trügerisch die Küsse eines Feindes." - Altes Testament, Sprüche Salomos 27, 6 -
 

Geweckt werde ich durch den Wohlklang von Hammer, Meisel und Säge, gegenseitigen Beschimpfungen und der darauf folgende Versöhnung.

Mit einem müden Gähnen wische ich mir den Schlaf aus den Augen.

Eins muss man den Piraten lassen, sie verschwenden keine Zeit. Sparrow hatte doch tatsächlich den Tag nach unserem, sagen wir mal scherzhaft ´Rendezvous`, Schiffszimmerleute geheuert, um die Reparaturen an der Black Pearl vorzunehmen. Ohne, dass ich ihn hätte gängeln müssen, dies zu tun.

Und diese verliefen anfangs recht schnell, doch seit gestern Mittag kamen die Arbeiten ins Stocken, das Schiff befindet sich offenbar in einem weit schlechteren Zustand, als ich es bereits befürchtet hatte.

Die Streitereien zwischen Sparrow und dem Handwerksmeister, Mister Puppis, waren nicht zu überhören. Selbst als ich schon einige hundert Schritt von der Pearl entfernt war, um den bedauernswerten Mister Hawkins wieder zu finden, der nach seinem Abenteuer nicht zurückgekommen war, war das Gebrüll zu hören gewesen.

Gefunden habe ich den Jungen schließlich in irgendeiner Straßenecke, ausgenommen wie eine Poullatte und besäuselt vom Alkohol, selbst die Schuhe hatte ihm seine holde Gespielin gestohlen.

Nicht wissend, wo ihm der Kopf stand, verwechselte mich der arme Tropf sogar mit ihr, kurios, recht kurios, brabbelte lauter wirres Zeug, und ich wage zu bezweifeln, dass mir der Name Margarit ernsthaft steht. Mit klarem Kopf und demütigerem Gemüt wird er keineswegs erfreut sein, zu wissen, wen er anstatt des Mädchens geküsst hat!

Nun ja, es wird ihm eine Lehre sein, und wenn nicht das, dann wenigstens der ordentliche Kater, den er heute sicher noch hat. Ihn wegen seiner Disziplinlosigkeit zu maßregeln, war angesichts des grünlich schimmernden Gesichts kaum durchzuführen.
 

Ich gehe zu der kleinen Kommode hinüber, auf der eine schmale Waschschüssel steht. Mein Gesicht und die Brust waschend, erinnere ich mich mit einem vergnüglichen Grinsen an meine erste Mission zurück, es war kein Isaac Hawkins, keine Margarit, kein Jamaika und es war auch kein Rum. Dafür ein ebenso unbelehrbarer und einfältiger James Norrington, Lime, zwei Flaschen irischer Sherry und ein hübsches, dralles Mädchen namens Elise.

Es ist schon verwunderlich, dass manche Fehler von jeder Generation aufs Neue begangen werden, ohne dass die darauf folgende aus ihnen lernen würde.

Vor einigen Monaten noch hätte ich den Jungen vor den Disziplinarausschuss gestellt, ein solches Verhalten steht einem Soldaten King George´s nicht wohl zu Gesicht. Aber vor einigen Monaten war ich auch noch über jeden Zweifel erhaben, war verlobt mit dem ehrenwertesten Mädchen Port Royals und verbrachte meine freie Zeit mit Jagd, Tanz und Tee, nicht mit Gesindel.

Und jetzt? Jetzt sitze ich an Bord der Black Pearl, esse mit Jack Sparrow zu Abend, teile mit ihm sein Zimmer und arbeite mit ihm zusammen. Mit Einem Piraten!

Ich lache bitter auf.
 

Wahrlich, viel ist nicht vom früheren James Norrington übrig geblieben.

Ich habe nie zu Gefühlsausbrüchen geneigt, war nie unbeherrscht, in keinem Gefecht, und ich bin auch nie Gefahr gelaufen eines Tages vom Schlag getroffen zu werden.

Auch jetzt bin ich mir meinem Selbst wieder näher, als am Abend dieses aus dem Ruder gelaufenen Dinners.

Doch der Mann hat eine Art an sich, diese bestimmte Art, Dinge beim Namen zu nennen.

Mit diesem Essen und seinem Angebot hat er mich kalt erwischt. Voll und ganz. Es ist schändlich, aber es ist so.

In die Brigg sollte man ihn werfen! Das ist es, was man mit Piraten macht.

Mit einem Seufzen betrachte ich mein sauberes Gesicht in dem kleinen Spiegel, den ich Sparrow nach einigen deutlichen Worten abschwatzen konnte und fahre mir kritisch über den kratzigen Bart.

„James, James, das Gewächs in deinem Gesicht macht dich älter.“, murmle ich meinem Spiegelbild entgegen.

„Oh, das finde ich nicht. Eher das Gegenteil. Verrucht, verwegen, ein wenig piratisch vielleicht. Menschlicher.“

Mit einem Seufzen drehe ich mich zur Tür. Im Rahmen lehnt Sparrow, prüft mein Gesicht und meinen Körper mit den Augen, dabei umspielt ein süffisantes Lächeln sein Antlitz.

Da ist sie wieder. Diese Anspannung, dieses sonderbare Gefühl allein durch seine bloße Anwesenheit in die Position der Rechtfertigung gedrängt zu werden.

„Im Anklopfen seid ihr nicht bewandert?“

„In meinem eigenen Heim?“

Er sieht mich noch einen langen Moment an, einen Moment, der mich unruhig macht. Ich kann nicht erklären warum, aber zum ersten Mal empfinde ich Unbehagen aufgrund meiner Nacktheit vor einem anderen Mann.

Ich greife mir mein Hemd und streife es über. Überhastet vielleicht.

„Angst, ich schaue Euch etwas weg?“

„Nichts, was Ihr bereits von Euch selbst kennt. Nun Mister Sparrow, welch unglückseligem Umstand verdanke ich Eure Anwesenheit so früh am Morgen?“

Der Pirat räuspert sich und sieht zu Boden.

„Da Ihr jetzt wach seid, solltet Ihr mitkommen. Wir haben ein Problem.“

„Eines für das Ihr meine Hilfe braucht?“

„Weniger, aber ich bin ungern der Überbringer schlechter Kunde. Ganz besonders wenn der Empfänger ein britischer Offizier ist, noch dazu ein Commodore mit mäßiger Geduld.“

Oho, vor ein paar Tagen hat er jene noch gelobt.
 

Während ich dem Mann hinauf auf das Achterdeck folge, knöpfe ich mein Hemd.

„Oh, glaubt mir, nicht die Geduld und die Botschaft sind hierbei das Problem.“

Ich muss selbst lächeln. Irgendwie endet auch jedes Gespräch auf dieselbe Weise.

„Ihr müsst immer das letzte Wort haben, nicht?“

„Sehr richtig.“

„Oh gut! Dann dürft Ihr nämlich Mister Puppis erklären, dass wir vorhaben noch heute auszulaufen und wir jeden seiner Einwände in den Wind schlagen.“

Sparrow winkt den Zimmermannsmeister zu uns her, ein runzeliger, graubärtiger Mann mit schütterem Haar, Pfeifchen und undefinierbarem Alter. Ich möchte keinen Vergleich mit Methusalem anstellen.

Die kleine, gebeugte Gestalt tritt Schritt für Schritt auf uns zu, der Stock in seiner Rechten hilft ihm nicht wirklich schneller voranzukommen, bei jedem Meter ein Ächzen.

Wenn ich es recht bedenke, ich möchte es doch.

Die Gebrechlichkeit täuscht jedoch nicht über den scharfen Verstand hinweg, der hinter seiner eingefallenen Stirn arbeitet und auch nicht über das reich erlangte Wissen.

„Hey Puppis!“, der Pirat nimmt den Alten mit einem warmen Lächeln in Empfang und legt ihm den Arm um die Schultern.

„Das hier ist wenn man so will mein Auftraggeber. Und der feine Herr hat es eilig.“, beginnt er langsam zu erklären, damit der Handwerksmeister versteht,

„Und er ist ganz und gar abgeneigt länger als bis heute Abend zu warten. Zumal er mein Wort hat.“

Der spitze Unterton den er anschlägt, entgeht mir nicht, auch nicht, dass er mich nachäfft.

„Du siehst also, dass wir nicht in eine Werft können.“

Sparrow lächelt eines jener bestechenden Lächeln, das einen davon überzeugen soll, dass man Unrecht hat.

Der Alte hingegen lässt sich nicht beeindrucken, zieht stattdessen an seiner Pfeife und entlässt den Rauch durch die Nase, genau in Sparrows Richtung.

Der Pirat unterdrückt mit Mühe ein Husten und rückt ein Stück nach hinten.

„Captain, ich habe es dir mehrfach gesagt, ihr werdet absaufen wie die Sussex vor Gibralta.“, schnarrt die erstaunlich tiefe Stimme kompromisslos.

„Der Kiel ist völlig zerfressen und morsch. Der bricht euch schneller unterm Hintern weg, als ihr aus Tortuga ausgelaufen seid. Wenn ihr Euch ein Lüftchen zulegt oder eine etwas größere Welle, verlierst du dein Schiffchen wie die Mägde ihre Unschuld. Ratze Fatz.“

Das ist in der Tat ein ernstes Problem. Sparrow und ich wechseln einen kurzen Blick.

„Seid ihr Euch auch sicher, Sir?“, hake ich nach, die Hoffnung schwindet mit dem bedauernden Blick des Mannes.

„Für ihr Alter ist sie ja immer noch eine ganz patente Lady, die Pearl. Aber sie muss in eine Werft.“

Der Alte nickt ergeben, zieht merhmals an seiner Pfeife und tippt mit dem Stielende gegen meine Schulter.

„Du kommst dieses Mal nicht drum rum, Jack. Da ändert auch dein feiner Herr hier nichts daran. Und es ist ja nicht so, dass die Pearl nicht schon zweimal gesunken wäre.“

Zeitgleich entwindet sich Sparrows Kehle und meiner eigenen ein unbeherrschter Laut.

„Puppis, Puppis, dir ist aber eines entgangen, mein Freund.“

Ein unverbesserlicher Optimismus huscht über das Gesicht des Piraten, um den ich ihn im Moment ehrlich beneide.

„Ich bin Captain Jack Sparrow! Und die Black Pearl ist nicht irgendein Schiff. Sie ist mein Schiff. Dieses ehrenwerte Mädchen säuft nicht einfach ab wie ein billiger Kutter oder eine Schaluppe, nicht ohne Hilfe eines Seeungeheuerleins.”

Der Pirat grunzt verhalten auf.

„Also, flick sie zusammen. Heute Abend noch laufen wir aus. Keiner soll ein gegebenes Wort von Captain Jack Sparrow in Zweifel ziehen müssen.“

Mit einem Grinsen beugt er sich zu mir, um mir leise ins Ohr zu flüstern.

„Nicht einmal Ihr.“

„Fein, fein. Dem wohltätigen Kunden sei ich sein ergebener Knecht. Gefällt hast du deine Entscheidung ohnehin schon.“

Wohl wahr.

„Aber beschwer dich hinterher ja nicht, wenn dir dein Liebchen die Freundschaft kündigt und sich jemand anderen zum Spielen sucht. Irgendwann ist nämlich Schluss mit Wieder-auftauchen!“

Mit einem tadelnden Seitenblick auf den Piraten, einem weitaus tadelnderen Blick auf mich und nicht enden wollenden Seufzern trottet der Handwerksmeister davon.

Eine Weile stehe ich an Sparrows Seite, er schweigsam wie selten zuvor und mit einem harten Zug um den Mund.

Mit einigem Erschrecken merke ich, was ich dem Mann tatsächlich abverlange. Er liebt dieses Schiff.

Und ich zwinge ihn dazu, es möglicherweise in die Zerstörung zu segeln.

Die warnende, eindringliche Stimme in meinem Kopf schreit laut das alte Lied: Pirat, Pirat, Pirat!

Doch das aufsteigende Mitgefühl eines Mannes, der den Verlust eines Schiffes am eigenen Leib erfahren durfte, wiegt dieses eine Mal schwerer.

„Die Pearl kann das, Norrington.“, wispert er schließlich leise, als ahne er meine Gedanken.

Ich räuspere mich, ich war nie besonders gut im Spenden von Trost, aber es scheint mir hier sehr angebracht zu sein.

„Ich weiß, was sie Euch bedeutet Sparrow.“

Sein goldenes Antlitz, mit der Umrandung aus schwarzem Haar und darunter liegenden, ebenso schwarzen Augen, wendet sich zu mir.

„Dann vergesst das nicht, wenn Euch der Captain dieses Schiffes das nächste Mal die Hand reicht, aye?“

Ich sehe ihn lange an, kann ihn einfach nicht begreifen.

„Sagt, warum besteht Ihr darauf?“

Sparrow seufzt auf, lächelt dann aber.

„Norrington, es ist einfacher etwas Schönes an einen Freund zu verlieren, als an einen Feind.“
 

Während dieses seltenen Moments der Offenheit sehen wir einander in die Augen, bevor er sich verlegen räuspernd in übertriebener Dekadenz gegen die Reling lehnt, den Arm herrschaftlich ausstreckt, der Scherz zurück auf seinen Zügen.

„Und es ist viel praktischer. Einen Feind an seiner Seite oder gar im Rücken zu haben ist selten erstrebenswert… Jeder Mann von Verstand hat sie immer lieber vor sich. Wisst schon, verringert das Risiko einen fiesen Pieks zwischen den Schultern zu spüren. Angemerkt sollte werden, dass es dann wohl das letzte auf dieser Welt wäre, das zu Spüren die bedauernswerte Seele in der Lage ist“

"Muss ich einen versteckten Vorwurf aus Euren Worten heraus hören?"

Grinsend reibt er sich die Nase...

Dieser Mensch macht es einem einfach unmöglich ihn sympathisch zu finden…

Zugegeben, dass ich ihm das eine ums andere Mal die Pest an den Hals wünsche ist richtig, aber ihn hinterrücks zu meucheln…

Wo bleibt da der Sinn für Stil und Ästhetik?

Und auch würde ich es zutiefst bedauern, das befriedigende Gefühl missen zu müssen, seinen entsetzten Blick zu sehen, wenn er den letzten Atemzug auf dieser Welt tut, bevor seine schwarze Seele hinab fährt in den tiefsten Kreis der Hölle.

„Sparrow, Ihr seid ein unverbesserlicher Delinquent und Unruhestifter und kaum die passende Gesellschaft für mich, wenn unser Zusammentreffen hier nicht eine akzeptierte Ausnahme wäre“

„Ahaaa!“, ruft der Pirat begeistert aus, „Ist doch ein netter, kleiner Fortschritt. Vom verabscheuten Piraten zum unverbesserlichen, aber akzeptierten Delinquenten. Vielleicht geruht der feine Commodore zu bemerken, dass ich bereits in seiner Gunst steige?“

Ein Strahlen geht ihm übers Gesicht, als nenne er den Schlüssel zu einer ganz besonders wertvollen Schatztruhe sein eigen. Um seinen überschwänglichen Sinn für Hoffnung muss man ihn wohl gleichermaßen beneiden wie bemitleiden.

„Werdet bitte nicht pathetisch über den Austausch eines Schimpfwortes durch ein anderes.“
 

Ich verschränke die Arme vor der Brust und lege den Kopf schräg.

„Doch, doch Freund. Denn Übeltäter verurteilt Ihr, Piraten hängt Ihr gleich an den Strick. Und akzeptierten Übeltätern schenkt Ihr sogar einen Tag Vorsprung“

Der Pirat legt mit einem heimtückischen Lächeln einen Arm um meine Schultern und führt mich einige Schritte mit sich.

»Schock schwere Not!«

Wenn ich nicht gleichermaßen überrascht wie entsetzt wäre über diese plötzliche und vertrauliche Geste, so würde ich mich über seine Impertinenz mir die Worte im Munde zu verdrehen echauffieren.

Jedoch kann ich ihn nur anstarren, blöde wie ein Huhn im Angesicht des Hackbeils.

„Und mal ehrlich… Norrington, mein Freund, Jamie-kumpel… welch anderem Piraten habt Ihr zuletzt, oder jemals eine solche Großzügigkeit entgegengebracht, eh?“

In seinem Griff versteife ich mich vollends und die Antwort, die mir auf der Zungel liegt, kommt genauso bissig, wie ich es mir erwünsche:

„Euer Leben war ein Geschenk an Elisabeth, nur in zweiter Linie an Euch selbst“

Ich kämpfe hart um meine Fassung, dass die Worte tatsächlich nicht vollständig der Wahrheit entsprechen weiß er so gut wie ich…. die Nähe zu diesem Kerl macht diesen Kampf aber auch nicht gerade leichter…

„Würdet Ihr vielleicht…?“, ich sehe gereizt auf die vorwitzige Hand auf meiner Schulter, deren Besitzer sich in seiner Handlung eindeutig zu weit vorgewagt hat.

„Hm?“

Da er keine Anstalten macht loszulassen, helfe ich dem nach und haue ihm kräftig auf die Finger.“

„Oh. Das. ´ Tschuldigung. War so eine Eingebung“

Er nimmt, den Kopf neigend Abstand, die Hände zur Entschuldigung vor sich hinstreckend.

Ich sehe ihn grimmig an, lange, Zeit in der er vor mir steht und sich nicht rührt, wohl abwartend, ob meine Selbstbeherrschung an ihre Grenzen gestoßen ist.

Da ich nicht die Anstalten mache, mich in irgendeiner Form zu mokieren räuspert er sich und fährt fort:

„Ein Geschenk an die Frau, die Euch das Herz gebrochen hat? Als Hochzeitsgeschenk vielleicht?“

Ein verspieltes, humorvolles Lächeln zuckt um seine Mundwinkel, eines das ich ihm gerne in den Rachen zurückrammen würde…

„Redet Euch das ruhig ein“, Sparrow tritt wieder näher an mich heran, auf merkwürdige Weise lauernder als zuvor und ungleich näher,

„Aber wir wissen´s beide. Ihr und ich. Dass Ihr an diesem Tag im Fort Klein-Willileins Meinung geteilt habt“, stellt er leise fest, „dass ich ein guter Mann bin.“

Seine tiefen Augen verharren zunächst in meinen, dann aber intensiv auf meinen Lippen.

"Ach das ist es, was Ihr hören wollt", spotte ich ihm offen ins Gesicht und halte seinem fordernden Blick mühelos stand,

„Jack Sparrow, wenn Ihr jemals diese Worte aus meinem Munde hören wollt, dann müsst ihr sie Euch zuerst verdienen“, nicht ohne dabei festzustellen, dass der warme, braune Farbton wieder fast schwarz geworden ist.

„Captain Jack Sparrow, vergesst das ´Captain´ nicht. Weiß wirklich nich, was daran so schwer ist“

Oh ja, darauf besteht Ihr, nicht wahr?

„Auch das werdet Ihr erst hören, wenn Ihr Euch dieses Titels in meinen Augen als würdig erwiesen habt, Pirat.“

Die barsche Zurückweisung schmälert keineswegs das Leuchten seines von der Sonne verwöhnten Antlitzes, das Gegenteilige ist der Fall.

Er sieht mich an, zufrieden, mit ordentlichem Stolz und nicht zuletzt mit verstecktem Triumph.

„Hübsch. Dann haben wir eine Übereinkunft“

„Wie bitte?“

Der Pirat greift meine rechte Hand, so schnell, dass es mir zu spät dämmert, wohinein dieser Halunke mich gelenkt hat.

„Das ´Captain´ müsst Ihr dann aber auch ehrlich meinen“

Übertölpelt! Unmöglich!

Warum schafft dieser Mann es immer wieder mich dazu zu bringen etwas zu tun, das ich ganz und gar nicht will?

Niemals hätte ich daran gedacht es auch nur in Erwägung zu ziehen, die ausgestreckte Hand Sparrows anzunehmen. Und was macht er? Bringt mich dazu meine eigene zu offerieren… Geradezu herausgefordert habe ich ihn!

Unbarmherzig greift Sparrow fester zu, dass ich gar nicht erst die Möglichkeit habe von diesem „Geschäft“ zurückzutreten…

Ich knurre ihn gefährlich an.

Jetzt kenne ich diesen Mistkerl eine Zeit, die für drei Commodores reichen würde, und immer noch rieche ich einen faulen Braten nicht, wenn er ihn auslegt.

Und er weiß das auch.

„Guckt nich so trübselig. Dürft auch eine Bedingung nennen, falls der absolut schlimmste, undenkbare und auf keinen Fall eintretende Fall des Falls eintreten sollte und Ihr´s nicht zugeben werdet“

Ich nicke. Wenigstens etwas.

Nun, was könnte das sein? Ich muss nicht lange überlegen. Ein, für meine Verhältnisse, bösartiges Lächeln legt sich um meine Lippen und ich drücke die Hand in meiner eigenen etwas fester. Das allein bringt Sparrow dazu die Stirn zu runzeln und eine Augenbraue misstrauisch in die Höhe zu ziehen.

„Dann Mister Sparrow revidiere ich den Tag, an dem ich Euch Gnade gewährte“

Einen kurzen Moment braucht er, um zu begreifen. Trotzdem lächelt er weiterhin.

„Ah. Ich soll nach Port Royal zurück. Freiwillig natürlich. Ohne mein Schiff, ohne Crew und ganz besonders ohne die Begnadigung des Governors, aye?“, er nickt beinah anerkennend,

„stolzer Preis, Norrington. Wirklich. Der Preis eines Piraten“

Mein Lächeln verbreitert sich zu einem ausgewachsenen und nichtsdestoweniger kalten Grinsen. Dass er mich der Piraterie bezichtigt übergehe ich.

„Nehmt sie an, oder tretet zurück“

Mein Gegenüber, obgleich es weiß, dass es bei Verlieren dieser Herausforderung hängen wird, lässt meine Hand nicht los.

„Abgemacht, Commodore“

Stattdessen beginnt dieses groteske Duell, denn etwas anderes ist es nicht, zwischen uns gleich hier und jetzt.

„Abgemacht, Sparrow“

Wir starren und beide an, keiner will sich die Schmach geben, als erster wegzusehen, oder gar an Kraft des eigenen Händedrucks verlieren.

Er drückt erstaunlich fest zu für einen Mann seiner Körpergröße… Hände eines Seemanns...

Sie sind angeraut und schwielig, ein Zeichen, dass er es sich nicht nehmen lässt selbst mit anzupacken.
 

Unbemerkt fange ich an sein Gesicht ausgiebig zu mustern. Jetzt durch diese Nähe sehe ich Kleinigkeiten darin, die sein humoristisches Gehabe und das übertriebene Minenspiel seiner Züge für gewöhnlich verdecken.

Eine kleine sauber verheilte Narbe knapp oberhalb seines linken Mundwinkels, eine über seiner rechten Braue, ein kaum zu erkennendes Muttermal an der rechten Schläfe…

Winzige hellere und dunklere Stellen, welche die vollendet goldene Bräune seiner Haut durchbrechen und auf das harte Leben auf See und auf die Siege vergangener Schlachten verweisen …

Winzigkeiten, die mir erst jetzt auffallen.

Auch die Fülle des dunkelbraunen, langen Haars ist aus der Nähe betrachtet nicht so wirr, wie es den Anschein hat. Es klingt absurd, aber mir scheint es existiere eine unerklärliche, aber logische Anordnung seiner Zöpfchen, dem klimpernden Müll, den Perlen und dem roten, gemusterten Tuch.

Und es riecht auch nicht, als hätte es zuletzt vor Jahren die Bekanntschaft einer Waschschüssel und die von Seife gemacht. Im Gegenteil. Eine liebliche Mischung von Kokos und Salz geht davon aus.

Alles in allem ist der Mann mit seinem zurechtgestutzten, geflochtenen Bärtchen gepflegter, als man es auf den ersten Blick vermutet.

Ich lächle schmal bei dieser Erkenntnis, was den aufmerksamen Augen meines Gegenübers nicht entgeht.

„Ich hoffe, Euch gefällt, was Ihr seht“

Die leise, dunkle Stimme bar jeder Belustigung jagt mir einen warmen Schauer über den Rücken und bringt mich in die Realität zurück.

Gewissermaßen ertappt, funkle ich den Piraten böse an und das dunkle Knurren, das sich aus meinem Innern heraufwühlt drückt glaubwürdiger aus, dass dem nicht so ist, als wenn ich anfange zu leugnen.

Besonders, wenn die Augen vor einem die unerhörte Fähigkeit haben, in einen hinein zu sehen und jede kleine Lüge entdecken...

„Ähm, Sirs?“

Erst die schüchterne Stimme Mister Hawkins´ beendet gottlob dieses... ´Spektakel´ und entlässt mich aus dem durchdringenden Blick des Piraten.

Annähernd gleichzeitig wenden wir uns ihm zu

„Was?“

Sparrow fährt den armen Jungen, dem man die durchzechten Nächte noch immer ansieht, dabei höchst unzufrieden an.

„Ich wollte nicht stören Cap´n“, meint er schmunzelnd, „bei was auch immer…“

Der Blondschopf deutet mit einem dünnen Lächeln auf uns und im gleichen Moment noch werden sowohl Sparrow, als auch ich uns bewusst, dass wir noch immer die Hand des anderen halten.

Als ob wir uns aneinander verbrannt hätten, lassen wir zur selben Zeit los und treten jeweils einen Schritt zurück, er ein wenig schwankend, ich die Haltung eines Offiziers wieder einnehmend.

Diesen ausgesprochen peinlichen Moment werde ich im Alter wohl nicht zu den besten meines Lebens zählen können…

Sparrow hingegen ist eher wütend, dass wir diese, mir jetzt völlig absurde und überaus kindisch vorkommende Balgerei nicht beenden konnten.

„Junger Master Hawkins, was willst du? Rum, Frauen, mehr Sold? Geht die Welt unter? Ich hoffe es ist wichtig!“

Offensichtlich war er guten Mutes zu gewinnen…

Ich bin ganz zufrieden, dass mein Mann uns in dieser leidigen Situation unterbrochen hat, mag er nun von mir denken, was immer ihm beliebt.

„Ich bin so frei, es als klares Patt zu deklarieren, Sparrow“

Ich gönne mir ein schwaches Grinsen.

Sparrow sieht es - oh, das soll er auch – und kneift die Augen mürrisch zu zwei schmalen Schlitzen zusammen.

„So klar wie Milch, Commodore“

Mich ab sofort ignorierend widmet er sich Hawkins, mit einem zuckersüßen und überaus verlogenen Lächeln.

Der Junge wirft mir einen kritischen Blick zu und holt tief Luft, bevor er mitteilt, weswegen er gekommen ist.

„Cap´n, die Frau, die wir mitnehmen hat eine Nachricht geschickt. Einer von uns soll sie abholen. Und ihr Gepäck“

Sparrow sperrt fassungslos den Mund auf, die Banalität verschlägt ihm doch in der Tat die Sprache.

Hm… ein Moment des puren und reinen Genusses… für mich…

Dann wird das Gesicht des Piraten auf merkwürdige Weise zur selben Zeit ausdruckslos, wie überheblich. Er stemmt die Hände in die Hüften und zieht die Augenbrauen in die Höhe, wer den Mann kennt, der weiß, dass er jetzt gereizt ist.

„Jungchen, deine dürren Füßchen können laufen und dein kleines Köpfchen denken. Warum sagt dein Kopf deinen Füßen dann nicht, dass sie das tun sollen, was sie am besten können, laufen hoffe ich, für die dein Kopf wiederum die Richtung kennt, der wie du weist, deinen Füßen sagt zu laufen. Nochmal: Warum bist du hier?“

„Ich soll die Lady abholen?“, fragt der arme Tropf unbeholfen, für einen Kadetten, der bisher stets streng nach Vorschrift und Hierarchie gehandelt hat, ist selbstständiges Agieren eine unbekannte Freiheit.

„Zackig, Matrose!“, befielt der Pirat ihm ungeduldig und als mein Mann in inkognito auf den Absätzen kehrt macht, fügt er mit einem mürrischen Brummen hinzu: „und nimm den hier mit. Wie ich Anamaria kenne, braucht sie mehr als einen Träger “

Sparrow deutet mit einer Kopfbewegung auf mich, was mich innerlich dazu bringt aufzulachen.

„Saprrow, das ist eine armselige Rache an mir“

„Weiß ich Freund, aber die beste, die mir im Moment einfällt“

Einen Moment ist er noch knurrig, bevor er den Kopf schräg legt, die Lider zu mir aufschlägt und herausfordernd grinst:

„Aber… wenn Ihr mir ein paar Stunden gebt… “

Das Gold seiner Zähne blitzt herrlich in der aufgegangen Morgensonne auf, ebenso wie die kleinen Plättchen und Perlen in seiner Mähne, während er sich lässig zurücklehnt.

Es ist immer wieder auf´s Neue verwunderlich, wie schnell sich seine Gemütslage komplett verändert.

Ich muss gestehen, dass es ein angenehmer Zug an ihm ist, dass seine Verärgerung zumeist schnell verraucht… soweit ich das beurteilen kann…

Und auch wenn der Pirat es selbstverständlich nicht weis, so tut er mir einen großen Gefallen mit seiner vermeintlichen Demütigung, denn die Möglichkeit mit einem meiner Leute unter vier Augen zu sprechen ist mir herzlich willkommen. Eine Möglichkeit, die sich vermutlich nicht so schnell wieder ergeben wird. Auf solch unkomplizierte Weise.

Sophia 1

Nachdem der morgendliche, wach machende Disput mit Sparrow hinter mir liegt und das späte Frühstück an Bord eingenommen wurde, schicke ich mich an Hawkins zurück in den „Admiral Smollet“ zu begleiten.

An der Reling stehend, poliere ich mit einem öligen Lappen das Schwert, das mir Turner zur Ernennung in den Stand eines Commodores geschmiedet hatte.

Mein geübtes Auge geht prüfend die scharfe Klinge Stück für Stück ab, erfasst Unebenheiten und Kerben, entstandenen durch die Vielzahl an bestrittenen Kämpfen.

Der außerordentlich gut bearbeitete Stahl ist noch in erstaunlich gutem Zustand, aber bald werde ich ihn flämmen lassen müssen, wenn ich nicht will, dass das Eisen darin spröde wird und mir im ungünstigsten Moment entzwei bricht.

Automatisch gleitet mein Blick bei diesem Gedanken zu Sparrow, der mit Gibbs am Steuerrad steht, tief ins Diskutieren versumpft über den Kurs und wie er am besten gesetzt sei.

Ich schüttele den Kopf. In meiner bedauernswerten Nachgiebigkeit, die ich von mir selbst erst seit der Begegnung mit dem Piraten kenne, habe ich ihm die Chance eingeräumt zu beweisen, dass ich vor einigen Tagen zu Unrecht meine Meinung widerrufen habe. Dass er ein guter Mann sei und dass diese Einschätzung an jenem Tag vor drei Jahren auf den Zinnen des Forts die richtige gewesen war.

Nun gut, da sich daran nichts mehr ändern lässt, ohne dass ich dabei mein Gesicht verliere, so darf ich nicht bei jeder Gelegenheit meinem Misstrauen ihm gegenüber den Vorzug geben.

Soll er seinen Versuch haben.

Ich halte in meiner Arbeit inne, sehe hinunter in die spiegelnde Klinge und seufze frustriert auf.

Sparrow, Sparrow, ganz gleich wie die Sache ausgeht, verlieren werde auf jeden Fall ich. Selbst wenn ich Euch hänge und ihr Eure kleine Wette verliert, so sterbt Ihr mit der Gewissheit, dass ich Euch nicht gefangen habe, sondern Ihr Euch ergeben habt…

Piraten! Sie gehen immer mit dem größten Voreilt aus einer Verhandlung heraus…

Mit einem unzufriedenen Brummen stecke ich das Schwert zurück in die Scheide und mache mich daran meine Pistole zu reinigen, um sie danach zu laden.

Gedankenverloren starre ich dabei in den Hafen Tortugas, in den ein neues Schiff einfährt, direkt auf Backbordseite der Black Pearl und auf gleicher Höhe.

Eine Weile sehe ich dem stolzen Linienschiff in all seiner Pracht und seiner im Vergleich heruntergekommenen Mannschaft zu, zu wunderlich ist die Erscheinung der Männer an Bord in ihren aufgeriebenen und zerschlissenen Fetzen. Sie will nicht so recht zu dem voll rahgetakelten Dreimaster passen, der mit seinen zwei Geschützreihen an Feuerkraft mit der Fortress mithalten könnte.

Militärische Routine und das kindlich jungenhafte Interesse an allem, was soldatisch ist, beginnen die Kanonen zu zählen; schätzungsweise sechzig, Rang vier also und folglich etwa eine Crew von dreihundert Mann.

Ich mache mir klar, dass alleine die untere Kanonenreihe genügen würde die Black Pearl mit einer einzigen präzise gesetzten Salve zu versenken. Im Speziellen in ihrem jetzigen Zustand…

Gleichzeitig ist es eigenartig. Ich kann mich nicht entsinnen, dass weitere Kriegsschiffe außer meinen eigenen aus Port Royal ausgelaufen wären. Zumal die Mannschaft nicht im Besitz von Uniformen ist… ja sie gerade einmal zur Hälfte besetzt ist.

Und Meldungen anderer Forts über ein bevorstehendes Gefecht, oder etwa einer zurückliegenden Kaperung haben den Stützpunkt nicht erreicht.

Mit einem flauen Gefühl im Magen und aufkeimender Nervosität gehe ich auf die andere Seite der Pearl und besehe mir die See.

Keine weiteren.

Es ist immer ein ungewöhnlicher Anblick ein einzelnes Kriegsschiff außerhalb des Geschwaders anzutreffen, noch dazu in einem Piratenhafen.

Das mulmige Gefühl wird zunehmend stärker und schließlich erreichen die Rufe und Befehle des Kommandanten mein Ohr, und innerlich fahre ich zusammen, blicke unumwunden zu den beiden - tatsächlich zwei - Flaggen hinauf. Es überrascht mich nicht wirklich, dass eine davon den Totenkopf trägt, schließlich sehen die Männer an Bord keineswegs wie Soldaten aus. Noch dazu bin ich seit gut zwei Wochen nicht mehr auf Jamaika gewesen, so ist es durchaus möglich, dass die Nachricht von einem verlorenen Schiff durchaus eingetroffen sein kann, ohne dass ich davon Kenntnis habe.

Doch beim Anblick der anderen kralle ich hart die Finger in das schwarze Holz unter meinen Händen.

Drei goldene Lilien auf weißem Grund.

„Ein Schiff der Armées Royale Française!“

Ungläubig suche ich die Bordwand mit den Augen ab. Und tatsächlich…
 

Honneur, Patrie, Valeur, Discipline*
 

Der Kodex der Streitkräfte Ludwig XIV!

Auf ein Neues beäuge ich die Crew des Linienschiffes, - dieses Mal kritischer -, deren Aufmachung auf jeden Fall in aller Form der von Piraten und Söldnern gleicht, auch wenn es sich um französische Piraten handelt. Auch der Captain hebt sich nicht wesentlich von ihnen ab.

„Was macht dieses Schiff hier?“

„Die Isle de Tortue ist neutrales Gebiet Effendi. Nicht ungewöhnlich, dass auch die Faransey** hierher kommen. Müssen halt auch essen und ab und an ein bisschen Gesellschaft haben“

Neben mir auf den Brettern landen mit voller Wucht alte, schwere Seite. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass Al Faras sich zu meiner zu Salz erstarrten Gestalt gesellt, sich den Schmutz von den Händen und den Schweiß von der Stirn reibt. Dann rückt er sich mit einem Lachen seinen Turban zurecht.

„Neutral? Mitnichten. Die Insel ist britisches Hoheitsgebiet…. auch wenn sie in der Hand von Piraten sein mag“, erwidere ich, während mein Blick sich merklich verdüstert. Strategisch gesehen liegt Tortuga unbedeutend und der Araber hat damit Recht, dass viele französische Schiffe diese Stadt anlaufen.

Aber Linienschiffe segeln für gewöhnlich nicht alleine, noch weniger lassen sie sich kapern. Diese Erfahrung durfte selbst Sparrow machen…

Es mag stimmen, dass ich mir oft den Vorwurf machen lassen muss von Natur aus ein misstrauischer Mensch zu sein, und benennen kann ich es nicht, was genau mich unruhig macht, da das Schiff schließlich nicht unter der Flagge unseres Kriegsgegners gesegelt wird… aber etwas stimmt einfach nicht an diesem Bild…

Vorsicht ist auf jeden Fall geboten, denn die politische Situation erfordert planendes Kalkül, nicht zuletzt, da Port Royal zu nahe an dem Piratennestes dran liegt, als dass ich mir Sorglosigkeit erlauben könnte.

Das Fort liegt bloß zwei Tagesreisen entfernt, bei gutem Wind, wenig Tiefgang und etwas Glück ist der Weg sogar in knapp der Hälfte der Zeit zu schaffen.

„Wisst Ihr Junge, das ist das Schöne am Piratentum. Keine Fragen nach Herkunft, Lage der Loyalität und vor allem nicht nach Stand. Kann es denn neutraler gehen?“

Al Faras, der damit begonnen hat beschädigte Teile aus den Seilen zu entfernen und die noch brauchbaren Enden wieder miteinander zu verknüpfen schielt zu mir herüber.

Den Blick fest auf das Schiff längs der Pearl gehaftet, bleibt mir jedoch nur wenig Aufmerksamkeit für sein überaus lobenswertes, handwerkliches Geschick

„Sir, wisst Ihr, ob des Öfteren Kriegsschiffe Kurs auf Tortuga nehmen?, frage ich den dunklen Mann, was ihn herzhaft lachen lässt.

„Sahib, woher soll ich das wissen? Ich bin kein Pirat, auch kein Seemann, nur ein einfacher Schneider aus Rabat und selbst das erste Mal in dieser…“,

schmunzelnd sieht er mich an,

„´faszinierenden´ Stadt. Nur weil man zu einem unlieben Zeitpunkt die Bekanntschaft mit Jack Sparrow gemacht hat, muss das nicht heißen, dass man seine Neigung für Raub, Schmuggel und Hehlerei teilt.“

„Ihr seid Schneider?“

Das hätte ich zuletzt vermutet. Eine diffizile Arbeit wie diese passt nicht wirklich zu ihm, weder zu seinen tellergroßen Händen, dem vernarbten Gesicht, noch zu seiner eigenwilligen Art sich zu kleiden.

Unter dem struppigen Bart erscheint ein breites Grinsen und seine dunkelblauen Augen funkeln mich amüsiert an.

„Der erste Schein trügt oftmals, Effendi“

Ich grinse verlegen, da er mich durchschaut.

„Verzeiht Sir, ich wollte Euch nicht beleidigen“

„Habt Ihr nicht“

Gemeinsam sehen wir auf das Schiff, das den Anker hinunterlässt. Da aber keiner von uns noch etwas zu sagen weiß, schweige ich und der Araber geht wieder seiner Arbeit nach.

Eine geraume Weile stehen wir so in Stille nebeneinander bevor Al Faras mein Brüten schließlich nicht mehr aushält und das Wort ergreift:

„Wenn Euch das große Schiff Sorge bereitet, genügend Männer sind hier, die Auskunft geben können“, brummelt er vor sich hin und nickt dann in Richtung der Mannschaft, ohne seine Arbeit zu unterbrechen, oder mich anzusehen.

Auch mein Blick verharrt auf meinem gegenwärtigen Ziel, dem französischen Schiff, während ich nach meiner Waffe greife und sie in meinen Gürtel stecke.

„Bis jetzt ist es nur eine Ahnung. Kein Grund die Pferde scheu zu machen.“

Ich nicke ihm zu.

„Ich werde mich zuerst ein wenig in der Stadt umhören.“

Sophia - 2

„Jeg kan ikke forstå hvad du siger!“

Ein Musterbeispiel an grenzenloser Ratlosigkeit begegnet mir mit dem eingefallenen Gesicht des jungen, blonden Fischers, der in seinem morschen Kahn die Netze vom morgendlichen Fang befreit. Die Ausbeute an maritimen Früchten ist gering, mager um nicht zu untertreiben.

Ebenso mager wie die Ausbeute an Informationen, die wir zwei gemarterten Seelen, Mister Hawkins und ich, über das Schiff in Erfahrung bringen konnten, das neben der Black Pearl am Pier vor Anker liegt.

Entweder waren die Leute verschreckt davon gerannt, als gäbe es kein Morgen mehr, berichteten Gerüchte absonderlichster Natur, oder aber die Preise für ehrliche, anständige Antworten waren zu hoch, als dass ich den Wucher guten Gewissens bezahlt hätte. Davon abgesehen bin ich nicht im Besitz von mehr als drei Schilling.

Zu guter letzt stehe ich vor einem Mann, wenn mich mein Sprachgefühl nicht täuscht skandinavischer Abstammung, der kein einziges Wort von dem versteht, was ich ihn frage.

„Sir, vielleicht hätten wir doch Margarit bezahlen sollen?“

„Mister Hawkins, obgleich Euer naives Vertrauen in das Mädchen in mir die Milde eines Freundes weckt, der dem verliebten, närrischen Kameraden nur das Beste wünscht, so ist eine dahergelaufene Hure sicher nicht die erste und vertrauensvollste Anlaufstelle, wenn es um die Verlässlichkeit von Auskünften geht, im Besonderen nicht jene, die Euch, wenn ich mich entsinne, zu einem armen Mann ohne Schuhe gemacht hat. Inständig hoffe ich, dass sie Euch an diesem Abend nicht auch noch das gestohlen hat, was zwischen Euren Ohren sitzen sollte.“

Ich seufze über die Gutgläubigkeit des Jungen.

„Ich bedaure Euch das sagen zu müssen, aber die Dame hätte das Geld genommen und wäre daraufhin spurlos entschwunden und gewiss auch entschwunden geblieben“

In der Tat war das Freudenmädchen uns zuerst in den Sinn gekommen, das die letzten beiden Tage nur allzu bereitwillig aus der Börse meines Soldaten gelebt hat, ist sie schließlich das einzige bekannte Gesicht in dieser Stadt.

Wesentlich unwilliger zeigte sie sich trotz gutem Zureden bei den Fragen nach unserem geheimnisvollen Schiff. Erst als ich ihr die drei Schilling unter die ungeputzte Nase gehalten habe, meinte sie sich dunkel an etwas erinnern zu können…

Jedoch war nicht zu übersehen, dass die ´Erinnerungen´ Hawkins´ nächtlicher Lerche wohl eher gieriger Natur gewesen sind, als dass sie tatsächlich mehr wusste, als er oder ich.

Was mich auf den Fischer zurückbringt, der sich kopfschüttelnd wieder seiner Arbeit zugewendet.

Ich seufze auf.

„Mister Hawkins, da unstrategisches Herumfragen offensichtlich nichts für sich hat, werde ich Miss Anamaria abholen gehen. Ihr werdet nachkommen, sobald Ihr dieses Schriftstück hier in meinen Händen an einen Boten übergeben habt, der es nach Port Royal bringen wird“

Aus meiner Hosentasche ziehe ich einen Brief, den ich in Sparrows Quartier verfasst habe, bevor ich mit dem Jungen von Bord gegangen bin, in weiser Voraussicht, dass es sich in einer Piratenstadt als schwierig gestalten würde Fragen zu stellen, ohne das nötige Kleingeld.

Daher bleibt mir nichts anderes übrig als meinem Instinkt zu folgen.

„Aye Sir“

Ich drücke meinem Soldaten den Brief mit den Mitteilungen für den Kommandeur des Forts während meiner Abwesenheit in die Hand. Dazu mein restliches Geld. Für eine Kurierfahrt mehr als genug.

Ohne weitere Worte will ich mich aufmachen,

„Sir, darf ich eine Frage stellen?“,

doch werde daran gehindert.

„Welche Konsequenzen werden mich in Port Royal erwarten, wegen meines Versäumnisses gegenüber Captain Sparrow zu protestieren?“

„Präzisiert, Mister Hawkins“

„Wegen Marga…. dem Mädchen, Sir. Und wegen meines darauf folgenden… ´Zustands…´ gestern Nachmittag“

„Erkennt Ihr die Unziemlichkeit Eures Betragens?“

„Natürlich Sir!“

Die Schamesröte, die den sommersprossigen Jungen überzieht, untermauert seine Worte eindrucksvoll.

So will ich hoffen, dass er nicht in einem weiteren Anflug toller Lüsternheit mir unter lautem Kichern die Wange küsst, wie gestern geschehen in der Annahme ich wäre das Mädchen. Ein Mädchen, das ihn um drei Köpfe überragt… oh Himmel!

Das hämische Lachen darüber, dass es jedoch mehr komisch war, als entwürdigend, lasse ich aber nicht nach außen dringen.

„Dann betrachtet den ´Vorfall´ als verziehen“, sage ich stattdessen nüchtern, die Augen kühl auf ihn geheftet.

Er schweigt betreten, wie unangenehm es dem Knaben ist, mir jetzt alleine gegenüberzustehen ist nicht zu übersehen und vielleicht dreht er in Gedanken Sparrow den Hals dafür um, mich ihm zur Seite gestellt zu haben. Als ich mich umwende, ertönt noch einmal seine Stimme.

„Sir!“

„Ein weiteres Problem Mister Hawkins?“

„Ihr seid doch anders, als meine Kameraden sagen“, schießt es aus ihm heraus.

Ich ziehe ausdruckslos meine Braue in die Höhe.

„Wie meinen?“

„Ich wage sicher zu viel … kalt eben. Hart und unnachgiebig. Ich wollte nur sagen, dass ich das nicht so sehe! Nicht mehr…“

Mit unveränderter Miene sehe ich den Kadetten vor mir an, der mir nichts Neues damit mitteilt, aber auch nichts anderes versucht, als mir seinen Dank auszusprechen, nicht diszipliniert zu werden.

„So, so. Sagt man das“

Ich nicke wie zur Bestätigung und erwidere streng:

„Dann tut Ihr gut daran, Euch keinen weiteren Ausrutscher dieser Art zu erlauben“

Ohne auf ihn weiter zu achten mache ich mich auf.

Sophia - 3

Ich atme tief ein bevor ich durch die offen stehende Türe des Admirals trete.

Zu meiner grenzenlosen Freude hält der Betrunkene, dessen Bekanntschaft ich vor zwei Abenden zu machen die Ehre hatte, sie heute nicht offen, stattdessen ein Weidenkorbstuhl mit sich einer in der Sonne räkelnden Katze. Diese ist ausgesprochen groß für ihre Art, von langem, seidigen Fell und interessantem, farbenfrohen Couleur. Und sicherlich ist die majestätische Erscheinung nicht dazu gedacht sich der Mäuse in den Mauerritzen anzunehmen, eher des Besitzers eben jener Mauern. Die dicke Matrone im Vorübergehen ein wenig hinter dem Ohr krauelnd, verdiene ich mir ein wohliges Schnurren und Entgegenrecken, bevor ich eintrete.

Jetzt während der Mittagszeit in der schwülen, karibischen Hitze sind Örtlichkeiten wie diese stets Zufluchtstätten für ausgedörrte, von der Arbeit ermüdete Kehlen und nicht für die, die sich ein lasterfrohes Abenteuer erhoffen. Dementsprechend gibt sich die Kundschaft erfrischend ´kultiviert´ und lautlos.

Schnellen Schrittes steige ich die Treppen hinab in der Hoffnung Anamaria sogleich anzutreffen, denn auch wenn die Atmosphäre der Hafentaverne heute zu meinem Wohlsein beiträgt, so tut es meine Aufmachung keinesfalls. Die Piratenkluft klebt energisch unangenehm auf der Haut, auf der sich das grobe Leinen mit meinem Schweiß zu einem scheuernden Gemisch verbunden hat und ich mich zwingen muss nicht sekündlich an irgendeinem Zipfel herum zu zerren.

Alles in mir schreit nach einem ausgiebigen Bad und einer erlösenden Rasur.

Doch sehe ich ein, dass sich das Piratenmädchen nicht wesentlich von anderen Frauen unterscheidet und ich den schwärmerischen Gedanken an einen großen Zuber mit kaltem Wasser zunächst verwerfen muss.

Die Taschenuhr meines Vaters, die er mir voller Stolz zum Eintritt in die Marine schenkte, tickt vorwurfsvoll aus meiner Westentasche heraus, und auch ohne mir die Zeit zu besehen, weiß ich, dass es weder zu früh noch zu spät ist.

Damen, wie mir scheint ganz gleich auf welchem schönen Flecken Land, haben das unziemliche Vorrecht einen Gentleman auf sie warten zu lassen und alle machen sie von diesem Vorrecht ausgiebigen Gebrauch.

Selbst Elisabeth bildete da keine Ausnahme…

In der Hoffnung, dass das Mädchen aber nicht allzu viel zu packen haben dürfte und ich kaum eine andere Wahl habe als ihr ihr recht zu gewähren, bestelle ich mir Tee, – immer noch erstaunt, dass er gerade in solch einem Hause zu bekommen ist -, und übe mich in asketischer Geduld.
 

Ich sehe bereits auf den Grund meines zweiten Becher Schwarztees, der nicht besser riecht als faulendes Brackwasser und dessen bitterer Geschmack keinen anderen Schluss zulässt, als dass die wertvollen Blätter schon mehrfach aufgebrüht worden sind.

Am Ende meiner Ruhe stehend will ich aber lieber anderes tun als klagen und wieder, wie die Zeit davor, stoisch auf die Türe starren, damit sie sich möglicherweise etwas schneller auftue und die junge Miss in ihr erscheine.

Zunächst jeden Schatten einfangend, der seinen Weg entlang der Mauern und des Bodens durch den offenen Eingang nahm und der jeweiligen Person vorauseilend den Raum betrat, zähle ich nun seit einiger Zeit, wie oft sich die Türe aufgetan hat, nachdem sie von einem klugen Geiste geschlossen worden war, damit die Kühle sich in den Mauern halte. Und jedes Mal schürt das spannende Ereignis aufs Neue die Hoffnung, dass das Mädchen endlich kommt… nur um dann mit einem fremden Gesicht diese wieder grausam zu Staub zu zertreten.

Gerade eben war wieder ein solcher Glücksmoment, einer wie sie alle nur von brüchiger Dauer sind. Auch füllt sich so das Haus auf unerträgliche Weise, denn keiner der Ankommenden ist bereit die es auf demselben Wege wieder zu verlassen.

Ich seufze verärgert auf und reibe mir dir Stirn.

Pünktlichkeit sollte wirklich in die heiligen Reihen der Tugenden als solche aufgenommen werden.
 

Als sich die Tür des Admirals aber schließlich öffnet und Anamaria den Raum betritt ist sie in Begleitung zweier Damen, angeregt ins Gespräch vertieft. Ihr bloßes Erscheinen auf dem Treppenabsatz genügt, um die Gespräche für einen kurzen Augenblick zum erliegen zu bringen, die Aufmerksamkeit auf die Gruppe zu lenken und auch ich kann die Veränderung, der das Mädchen unterworfen ist nur zu deutlich sehen.

Kleidung, durch und durch aus Leder bis auf das Hemd und passend zum nachtschwarzen Ton ihrer Haut gewählt, ein großer Hut mit reichem, sehr dunklem Federschmuck, darunter ein breites Band, das ihr krauses Haar hinter dem Kopf zusammenhält. Selbst die Handschuhe sind schwarz und runden das zierliche, doch nichtsdestoweniger imposante Bild der jungen Frau ab, die wirkt, als sei sie über Nacht um viele Jahre gealtert.

Auch ist sie heute erheblich stärker gerüstet, in weiser Voraussicht auf eventuell zu bestreitende Kämpfe.

„Anamaria!“, rufe ich deutlich zu laut und vorwurfsvoll quer durch den Raum, würge den Satz der Brühe hinunter und werfe den letzten Penny meiner Habe, den ich mir aufgespart habe auf den Tisch.

Noch während ich Anamaria schnellen Schrittes entgegeneile wendet sich die kleine Gruppe meiner Stimme zu.

Die drei Augenpaare blicken mich allesamt gleichermaßen überrascht wie sprachlos an, beinahe so, als empfänden sie es als ungeheure Unverfrorenheit, sie angesprochen zu haben.

In meinen eigenen Groll vertieft stelle ich mich der Miss in den Weg, die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt.

„Ihr seid wahrlich übertrieben spät“, schnaube ich; warum verbergen, was mich reizt?

„Bin ich das?“, entgegnet sie mir mit einem leichten, gleichgültigen Schulterzucken und geht an mir vorbei, ohne auf den Vorwurf auch nur im Geringsten einzugehen. „So lieb es mir auch ist Gelegenheiten wie diese zu Sparrows Unwohlsein zu nutzen…-“ will ich einen kühlen Befehl vortragen - es ist mir immer ein Dorn im Auge, wenn ich mit derlei Kaltschnäuzigkeit ignoriert werde -

doch muss ich ihn erst gar nicht vollenden, da die Erwähnung des Piraten allein genügt, um die wohl verdiente Aufmerksamkeit der jungen Frau zu erringen.

„Jack? Jack Sparrow?“, unterbricht sie mich herrisch, sich in der Bewegung umwendend und mich noch einmal von oben bis unten musternd, als vergegenwärtige sie sich erst jetzt so recht, wer vor ihr steht.

„Ist er hier?“

Mit flinkem Auge überfliegt sie die Köpfe an den Tischen. „Nein. Ich fürchte er sieht es lieber einen Commodore zu schicken, denn sich selbst, um sich um Euch zu bemühen. Zumal Ihr ihn sicher hören würdet, wäre er anwesend“

Ich grolle dunkel, doch sie zieht lediglich die Brauen in purem Unverständnis in die Höhe.

„Er erwartet uns auf der Black Pearl am Pier“, ergänze ich mit einer geheuchelten Verbeugung, gleich einem Kutscher der ein edles Fräulein zum Balle abholt, worauf sie nur ein düsteres Lachen hören lässt.

„Aye, natürlich tut er das“

Den Finger an die Lippen legend senkt sie den Blick, während sie überlegt.

Dann tauscht sie einen raschen Blick mit ihren Begleiterinnen aus, die uns auf einen Fingerzeig hin in Richtung Treppe verlassen. Es kommt mir merkwürdig vor zu sehen, wie sehr sie es gewöhnt zu sein scheint zu befehlen.

„Und was verschafft mir nun die Ehre. Commodore?“

Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen gezogen sieht sie mich an, meinen Titel seltsam betonend.

„Junge Frau, ihr schicktet nach einem Träger für Euer Gepäck. Und hier bin ich“

Als mache sie eine Kehrtwende mit einer Jolle, so erhellt sich ihr Gesicht schlagartig und wird von einem entzückenden Lächeln gesäumt, vergleichbar mit Sparrow, wenn er in einer brenzligen, ungleich hoffnungslosen Lage den zündenden Einfall zur Flucht bekommt

„Das tat ich dann wohl“

Ich dagegen, weit weniger erhellt, rümpfe die Nase und nehme Haltung vor ihr an.

„Aber wie ich sehe habt Ihr bereits Hände dafür gefunden? So denn. Wollen wir dann?“, verlange ich, demonstrativ mit einer auf die Türe weisenden Bewegung meines Armes.

Anamaria reagiert darauf mit einem geheimnisvollen Lächeln und mein Gesicht muss sich einer erneuten Musterung unterziehen lassen durch ihre ach so blauen Augen. Ähnlich, wie es der Pirat am ersten Abend vor seiner Schlaffstatt getan hat, mit Augen, die zum ersten Male richtig sehen…

In einer geschmeidigen Bewegung legt die hübsche Frau dabei ihre Hand auf den Knauf ihres Degens, eine dieser Gesten, die bezeichnend ist und ich mich frage, ob wohl alle Piraten diese Angewohnheit an sich haben, sich derart überlegen präsentieren zu müssen.

„Commodore… Norrington, nicht wahr?“

Die Handschuhe, die mir bereits beim Hereinkommen aufgefallen waren, werden nun gemächlich ausgezogen, „der gute Jack wird es sicher verstehen, wenn wir noch einen Becher zusammen leeren, gerade, weil Ihr Euch umsonst herbemüht habt. Kommt ich werde Euch einladen und ein bisschen mit Euch plaudern“

Sie zwinkert mir freundlich zu und will jeden Widerspruch, den ich möglicherweise auf den Lippen haben könnte verhindern.

„Miss, ich denke es ist kein günstiger Zeitpunkt. Auf dem Schiff bleibt uns genug Zeit“, versuche ich es trotzdem, obwohl sie bereits im Begriff ist sich zu setzen und auf ihren Wink hin der Wirt zwei Becher bringt.

„Pah! Kommt schon, kommt. Ich will zu gerne wissen, was es in Port Royal Neues gibt“

„Warum habt Ihr nicht vor zwei Tagen gefragt?“

Noch angewurzelt vor dem Tisch bin ich nicht bereit ihrem unterschwelligen Befehl Folge zu leisten. Erst als der schlaksige Wirt sich leise entschuldigend und mit gesenktem Kopf an mir vorbeischiebt, zwei Weinkrüge in der Hand, gebe ich ihr nach.

„Da gab es wichtigeres zu besprechen, oder?“, sagt sie und steckt dem duckmäuserischen Mann einige Münzen in die dreckige Schürze. Der hagere, fast schon ausgemergelte Kerl weicht bei ihrer Berührung unwillkürlich zurück und schluckt hart.

„Durchaus“

Ich sehe ihm mit einem Stirnrunzeln bei seinem regelrecht panischen Rückzug zu, anders kann man es nicht nennen.

Kopfschüttelnd wende ich mich von dem sonderbaren Bild ab und lasse Anamaria ihren Willen nach einem Gespräch.

„Dann redet, worüber immer Ihr zu reden wünscht“,

„Aye. Sehr gern“

Das Mädchen setzt den schwarzen Hut mit dem prächtigen Schmuck vom Kopfe, streift einige Strähnen aus dem hübschen Antlitz und gibt damit den Blick auf eine dünne, ungewöhnliche Narbe unter dem Haaransatz frei. Ungewöhnlich weil sie sich von einem Ende ihrer Stirn bis zum anderen erstreckt.

Vor zwei Tagen war mir dieses doch sehr auffällige Detail entgangen.

„Erteilt Ihr mir auch eine Prokura Sir?“

Ich rolle mit den Augen.

„Wenn es denn hilft schneller den Admiral zu verlassen, so dürft Ihr sie als Euer betrachten“

Anamaria stützt ihren Kopf in die Handfläche und mustert mich spitzbübisch.

„Wisst Ihr was, Ihr gefallt mir. Dann will ich wissen, wie Jack es geschafft hat, dass Ihr alleine auf seinem Schiff seid. Das seid Ihr doch…“

„Doch nicht über Port Royal?“

Mit einem Anflug von Abwesenheit beginnt sie an einer dieser gewellten Locken zu zupfen, die hinter ihren Ohren hervorschauen.

„Später vielleicht“

“In der Tat. Ich bin alleine auf der Black Pearl.“, lüge ich, „es war unumgänglich“

„Ah. Seit wann besitzt ein Offizier der Marine derart weit reichendes Vertrauen zu einem Lumpen wie Jack Sparrow?“

Anamaria lacht auf, setzt sich zurück und lässt den Arm über die Rückenlehne ihres Stuhls hängen.

„Miss, er ist Pirat... Genau wie Ihr“

„Commodore, Ihr weicht aus“, lächelt sie mich wissend an.

„Natürlich“, bestätige ich, „von Vertrauen zu sprechen grenzte schon fast an Blasphemie. Sagen wir einfach, dass der Mann durchaus mit sich verhandeln lässt und er Abmachungen einhält, wenn man das richtige Argument zur richtigen Zeit zur Hand hat“

Langsam kreist ihr Zeigefinger um den Rand ihres Bechers.

„Und die Männer? Hat er noch die alte Mannschaft oder wurde wieder gewechselt? Die hässliche Sache mit Barbossa, Ihr wisst schon… Es wäre keine schöne Vorstellung für ein Mädchen, wenn es noch dieselben wären. Sagt Sir, wie viele hat Jack davon behalten?“

Verwundert über diese Frage lege ich den Kopf in den Nacken und rechne. Das Mädchen müsste eigentlich besser darüber Bescheid wissen, als ich, schließlich war sie mit an Bord, als Sparrow aus dem Wasser gelesen wurde… nachdem er höchst elegant von den Zinnen des Forts gefallen war.

„Lasst mich nachdenken… einige wurden von meinen Männern auf der Isla de Muerta getötet, nachdem der Fluch aufgehoben war und wieder einige ließ ich in Port Royal exekutieren. Ihr müsst schon verzeihen, aber ich behalte nicht die Namen noch die Zahl von Piraten, deren Todesurteile ich unterschrieben habe“

Ein Schnauben verlässt ihre Kehle.

„Sparrow wird Eure Sicherheit sicher berücksichtigen“, versuche ich sie zu beruhigen, „zumindest gegenüber Damen scheint er sich einen gewissen Anstand zu bewahren“

Ihrem Gesicht nach zu urteilen befriedigen sie meine aufmunternden Worte aber keineswegs.

„Und Gibbs?“

„Ich hörte, dass er Eure Anwesenheit missbilligt“

„Das könnte interessant werden“, meint sie nickend und einen Schlucken aus ihrem Becher nehmend.

„Und wie sieht die Pearl aus? Ich habe Gerüchte gehört, Jack hätte Ärger gehabt mit Davy Jones und seiner Crew. Die Pearl sein vom Kraken in die Tiefe gezogen worden…“

Ich blicke sie stumm an, eine ganze Weile lang.

„Ist das Schiff arg beschädigt und überhaupt noch waffenfähig?“

„Miss, es kommt mir so vor, als horchtet Ihr mich aus“, konfrontiere ich sie direkt mit meinem Verdacht.

„Entschuldigt, aber Ihr seid nicht sehr gesprächig. Gleich welches Thema ich anbiete“

Ich lache vergnügt auf.

„Aber keines zu dem ich mich äußern will. Die Crew des Piraten und sein Schiff sind mir einerlei, solange er mich nur zu Elisabeths Vater bringen kann“

Daraufhin breitet sich anhaltendes Schweigen zwischen uns aus. Es ist wahr, ich suche nie das Gespräch und bin auch kein Mensch, der redet um des Redens Willen… und Anamaria weiß scheinbar nicht anders anzusetzen, als belanglose Nichtigkeiten zu erfragen, die sie in Kürze an Bord ohnehin erfahren wird, sobald sie nur aufstehen und mir folgen würde.

Im Geheimen drängt sich mir sogar die Feststellung auf, dass sich Gespräche zwischen mir und Sparrow anders verhalten. Natürlich, sie nehmen immer einen irrwitzigen Verlauf, doch ergeben sie sich stets einfacher. Gut, meistens redet er und ich höre zu… zumeist fassungslos... aber es ist nicht von der Hand zu weisen…

Ein Räuspern meines Gegenübers, lässt mich aufblicken.

„Wo seid Ihr Commodore?“, fragt sie in einem leichten, wohlig klingenden Singsang und schlägt lächelnd die Lider zu mir auf.

„Jedenfalls nicht bei mir“, haucht sie heiser dazu und legt ihre kleinere Hand über meine, dass mir anders dabei wird.

Irritiert über den plötzlich aufgetretenen Stimmungsumschwung starre ich sie an.

„Was muss ich tun, damit ich Eure Aufmerksamkeit bekomme und Ihr es nicht nur als lästiges Unterfangen anseht, mit mir hier zu sitzen?“

„Es ist mir nicht lästig“, widerspreche ich, auf die schlanken Finger sehend. „Nur nicht entsprechend der Etikette und zeitlich überaus unpassend“

Ich muss ordentlich betreten dreinschauen, als sie beginnt über meine Haut zu streicheln, denn genauso schnell beendet sie die Berührung, wie sie sie begonnen hat.

„Schade drum, dass Ihr so verstockt seid“, meint sie enttäuscht und nippt von ihrem Getränk. Dennoch lässt sie ihre Hand weiterhin auf der meinen ruhen.

Unumwunden beginne ich sie zu betrachten. Die Narbe verunstaltet sie keineswegs, sie ist kaum zu erkennen und gut geheilt. Ihr schönes Äußeres wird dadurch nicht geschmälert. Auch das ist mir vor zwei Abenden nicht ins Bewusstsein getreten: Was für eine schöne Frau Anamaria doch ist. Doch jetzt im Lichte des Tages und durch ihre… nennen wir es… kühne Tat meine Hand zu ergreifen…

Ich muss gestehen, dem Mann, dem sie einst angetraut sein wird, bietet sie viel. Und noch mehr.

Unwillkürlich schlucke ich bei dem Blick in ihre blauen Augen, denen keine andere Beschreibung gerecht werden würde, als der Vergleich mit der tosenden See.

„Ihr starrt Commodore“, lächelt sie spöttisch und beugt sich dekadent vor. Dabei öffnen sich die Kordeln ihres schwarzen Hemdes ein kleines Stück und geben den Ansatz samtener Brüste frei.

„Tue ich?“, frage ich mich verlegen räuspernd, habe ich es nicht bemerkt und suche Halt für meine Finger und vor allem für meine Augen an dem Becher vor mir.

Sie wendet sich aber nicht ab von mir, was mir das drückende Gefühl der Blöße vermittelt.

Ich meine das eigene Blut in meinen Ohren rauschen zu hören, peinlich, wie ausgesprochen peinlich… wie ein dummer Scolar, der zum ersten Male erfahren hat, was es heißt ein Mädchen als solches zu erkennen…

Der klägliche Versuch einer Erklärung: es ist lange her, dass ich eine Frau in mein Bett holte.

„Mhm. Mit glänzenden Augen. Als sei ich ein edler Schmuck“

„Ich bitte um Vergebung Miss. Es lag nicht meiner Absicht Euch zu diskreditieren“, entgegne ich reserviert, die angemessene Distanz wieder aufbauend, indem ich ihr meine Hand entziehe und meinen eigenen Becher an die Lippen führe.

„Oh, aber bitte. Diskreditiert! Reden muss nicht das Einzige sein… nicht wahr?“

Ich beobachte sie über den Rand hinweg, wie sie in seidiger Bewegung ihrer Fingerspitzen über die leicht verschwitze Haut ihres Halses streicht, hinunter zu dem kleinen Tale zwischen dem Ansatz ihrer Brüste und, meinen Blick mit ihren stürmischen, blauen Augen derweil einfangend.

Und gerne lasse ich mich fangen, selbst wenn ich es nicht wollte, so kann man diesen bezaubernden Tiefen und dem samtigen Glanze junger Begierde kaum entkommen.

Ich würde mich selbst einen Lügner schimpfen, würde ich behaupten, dass mir das Mädchen nicht gefällt. Erst recht wenn ich mich bei dem niedren Gedanken erwische mich zu fragen, ob sich ihre Haut wohl genauso anfühle, wie ich es mir in meiner Vorstellung ausmale.

Wie versteinert durch den Blick einer Medusa verweile ich in meiner Position bis sie sich erhebt, ihren Weg mit geschmeidigen, kleinen Schritten um den Tisch herum macht, an der Ecke des Tisches kurz verharrt, nur um sich dann hinter mich zu stellen. Ohne mich umzuwenden, spüre ich ihren ruhenden Blick auf mir und ein bisschen mulmig ist mir zumute, als sich ihre weichen Hände auf meine Schultern legen. Schöne, minutiös zärtliche Hände auf dreckigem, nichtswürdigen und grobem Stoff, die in kleinen Kreisen die verspannten Muskeln abfahren und nur einen Moment später spüre ich ihren warmen Atem an meinem linken Ohr.

„Mein feiner Commodorre“

Mich nicht gegen die zarten Berührungen sträubend, lasse ich es zu, dass sie über meine Schulter greift, sich auf mich lehnt und mir den Becher aus der Hand nimmt. Sie trinkt davon und nachdem sie vor mich getreten ist, zurück an den Platz, an dem ihr verführender Reigen begonnen hat, nimmt sie anregend langsam den letzten Tropfen von den dunkelroten Lippen. Achtlos wird dann der Becher auf den Tisch gestellt.

Es ist lange her, dass mich eine schöne Frau derart offensiv und mit solcher Offenheit begehrt hat. Und das tut sie, keinen Zweifel, auch wenn ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Ich war kein Kind von Traurigkeit, sicher nicht. Und bestimmt nicht war ich es die Monate nach Elisabeths Zurückweisung gewesen. Lieber ist es mir nicht zu wissen, wie oft ich des Morgens neben einer Schankmaid erwacht bin, deren Namen ich nicht einmal kannte.

Ich schließe die Augen.

Und diese Frau ist schön, bei Gott, betörend schön! Jeder Mann klaren Verstandes wäre ein Dummkopf ein Angebot wie dieses abzulehnen, zumindest für eine kurze Weile…
 

Ein wenig Vergnügen bedeutet nicht die Ehe. Gerade ein schwarzes Mädchen weiß das
 

Aber das Verhalten entspricht so gar nicht ihrem Naturell, das ich bisher, wenn auch kämpferisch, eher als zurückhaltend erlebt habe.

„Anamaria, seid Ihr wohl auf? Ihr wirkt heute ein wenig… anders…“, bemerke ich darum verstockt, aber das leichte, erregte Zittern meiner Stimme bleibt nicht einmal mir selbst verborgen.

„So?“

Sie ergreift die Rückenlehne meines Stuhls und bevor ich etwas daran ändern kann, habe ich Hände kraftvoll am Kragen meines Hemdes und sie einen Augenblick später rittlings auf meinem Schoß.

Der Stuhl ächzt bedenklich unter unserem Gewicht und schaukelt nach hinten.

„Wie anders genau Commodore?“, flüstert sie mir ins Ohr, die Worte gleich dem Schnurren einer Katze.

Ich ziehe die Luft scharf ein, als sie mir so nahe ist, um so vieles näher als zuvor, sie ihre Stirn gegen meine Schulter lehnt, ich ihren heißen Atem nun an meinem Hals fühle, wo unter der weißen Haut mein Puls rast.

Völlig überrumpelt weiß ich nicht wohin mit meinen Händen.

„Eh“

So balle ich sie zu Fäusten, um wenigstens etwas zu tun und um nicht in die Verlegenheit zu geraten sie dort zu platzieren, wo sie nichts zu suchen haben.

Noch immer krallen sich Anamarias Hände in den Stoff meines Hemdes, weigern sich mich frei zu geben und als sie ihre Augen zu mir hebt, lese ich in ihnen Verlangen, Begierde, aber auch etwas Undeutbares.

Kaum abwenden kann ich mich von ihr. Von der makellosen, dunkelbraunen Haut, dem ebenmäßigen Gesicht, in das einzelne Löckchen ihres Haars fallen und wie gebannt starre ich auf die blutroten Lippen.

„So ist… es kaum Eure Art einen Mann der Navy verführen… zu wollen. Oder ich müsste… einer… schweren Fehleinschätzung erliegen“, stammle ich unschuldig vor mich hin, doch spüre ich geradezu vernichtend, wie mein Körper nach kalter, freudloser Abstinenz auf ihre Nähe weit weniger unschuldig reagiert. Anamaria lacht nur leise mit einer warmen, wunderbaren Stimme, verführerisch und von unbeschreiblichem Klang.

„Ihr glaubt mich gut zu kennen, was mein Lieber? Piraten sind doch alle gleich. Etwas in der Art dachtet ihr doch gerade nicht wahr“

Wie zur Demonstration, dass es nicht so ist, bewegt sie ihre Hüften sanft auf meinem Schoß….

Und das Gefühl überrollt mich mit der Wucht einer Welle.
 

Und führe mich nicht in Versuchung…
 

„Nicht hier Miss!“, bringe ich mit einem verhaltenen Laut hervor, der Einwand der Piraterie lässt meinen Kopf ein wenig klarer werden und das aufkommende Verlangen nach Vereinigung niederringen.

Auch tritt mir jetzt überdeutlich ins Bewusstsein, dass wir uns nicht im dunklen, lichtlosen Schutze eines Hinterzimmers befinden, fernab der Blicke. Und mit einem Mal fühle ich mich beobachtet.

Hektisch sehe ich mich um, jeder Blick eines Gastes ist nichts anderes als lüstern und verstohlen.

Richtig. Sie ist ein Pirat. Eine Frau. Aber ein Pirat. Und es ist nicht recht!

„Doch, Norrington. Genau hier“

„Nein, Anamaria“, sage ich jetzt bestimmter und zwinge mein Gesicht in eine ausdrucklose Maske. Die Maske, die ich gerade unbedingt brauche, um wieder Herr meiner Sinne und dieser Situation zu werden.

„Ihr werdet jetzt aufstehen Miss und danach werden wir auf direktem Wege zur Black Pearl gehen“, sage ich gepresst, doch ich bin zuversichtlich, dass ich dieses Mal das Zittern meiner Stimme verbergen kann.

„Gefalle ich Euch denn nicht, Commodore Norrington? Sagt, was muss eine Frau tun, damit sie Eure Gunst erhält, hm? Auswählt ist, bei Euch liegen zu dürfen…“

Unendlich langsam nehme ich wahr, wie ihre Fingerspitzen meine Wange berühren und beginnen sie zu kosen. Spielerisch vergraben sie sich dabei in meinem Bart.

Für einen Augenblick, der mir quälend lange erscheint verharre ich, unfähig auch nur zu denken. Ein kurzer Moment der zurückkehrenden Schwäche, in der ich es genieße und am liebsten meine Augen schließen würde.

Dann aber treffen mich die Wirklichkeit und all die Probleme, die sich aus dieser zweifelsfrei vergnüglichen Liaison ergeben würden mit einem Schlag.

Ich packe ihr Handgelenk.

„Sofort!“

Das Mädchen lässt sich von meinem brüsken Befehl aber nicht beirren, sondern drückt mich mit ihrem Gewicht stärker auf den Stuhl.

„Aaah…Ja, man sagte mir, der Kommandant der Flotte Port Royals sei unnahbar und bar jeder Empfindung. Dass er nur die Pflicht kenne und kein Vergnügen. Übertriebenes Geschwätz, dachte ich, denn Männer sind alle gleich auf ihre Art. Ein wenig Kokettieren hier, gehobene Rockschöße da und die guten Geister verlassen Euch. Und ich spüre, du bist da nicht anders. Auch wenn du zäher bist“

Mittlerweile sitze ich wie erfroren unter ihr, das angenehme Gefühl vom Anfang macht dem des Zorns Platz.

Ich weiß, dass ich das hier nicht will, nicht auf ihre Art und ganz sicher nicht jetzt unter den Augen anderer.

„Ich fordere ein letztes Mal: Steht auf.“

„Nun, was kann man da tun, hm? Was kann ein Mädchen tun, um dieses kalte Offiziersherz zu erwärmen?“

Meinen Willen vollständig übergehend verschränkt sie ihre Hände in meinem Nacken und zwingt mein Gesicht vorwärts, dicht an ihres heran. Ich habe den Eindruck, dass sie mich nicht einmal mehr richtig wahrnimmt.

„Ich will Euch nicht verletzen, aber Ihr werdet die Konsequenzen tragen“, entgegne ich kalt während ich den Kopf abwende und sie bei den Hüften packe, um sie zur Not von mir herunter zu stoßen.

Verärgert über meine Zurückweisung packt sie mit einer Hand meine Kehle. Es ist erstaunlich, welche Kraft in ihren kleinen Händen liegt

„Droh mir nicht Schätzchen“

Ihre eisige Stimme hat jeden Hauch von Wärme verloren und auch jene Zärtlichkeit, die ich in langen einsamen Nächten herbeigesehnt habe, wenn auch von nur einer einzigen bestimmten Frau.

Schauerlich ist die Szenerie geworden, in der Anamaria wie verwandelt agiert.

„Ich akzeptiere kein „nein“ Norrington“

Mich und meinen Willen verachtend, greift sie mit ihrer freien Hand grob in mein Haar und reist meinen Kopf nach hinten. In ihren Augen steht weniger Lust und Verlangen als pure Bosheit.

Ich winde mich unter ihr, als sie versucht ihren Mund meinem näher zu bringen. Das mit dem herunter stoßen gestaltet sich jedoch schwieriger, als erwartet…

Bleibt nur der Ausweg Worten auch Taten folgen zu lassen…

In Gedanken ein Gebet sprechend, hole ich aus….

Doch noch bevor ich mich innerlich tatsächlich überwunden habe dem Mädchen ihren Verstand wieder einzuprügeln, vernehmen wird beide hinter meinem Rücken lautes Klatschen, begleitet von einer selbstgefälligen, wohlbekannten Stimme, die das Mädchen dazu bringt von mir abzulassen und an mir vorbei zu sehen.

„Reizvoll. Unsagbar reizvoll Liebes. Du hast nichts verlernt in den dreizehn Jahren, in denen wir uns nicht gesehen haben. Doch mein untrügliches Gefühl sagt mir, unser lieber Freund Jamie hier fühlt sich reichlich ungut unter dir“

Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich je über seine Anwesenheit aus tiefstem Herzen so vollkommen ehrlich freuen könnte. Ich spüre sogar die verlangende Neigung ihn an mein Herz drücken zu wollen, so lieb und teuer ist er mir!

Ich atme befreit auf, lege den Kopf in den Nacken und schließe kurz die Augen. Erleichtert wische ich mir den Schweiß von der Stirn… so unsagbar erleichtert…

„Danke Mister Sparrow“

Doch die glückliche Zufriedenheit weicht ebenso schnell aus mir, als ich mich ihm zuwende und sehe, wie er mit entsicherter Pistole auf den Kopf der jungen Miss zielt, ihr mit gefährlich ruhiger Miene bedeutet von meinem Schoß zu steigen.

„Wenn ich dann also bitten dürfte“

Sophia - 4

Anamaria kommt mit einigem Zögern widerwillig seinem Wunsche nach, ohne aber Anzeichen von Furcht zu zeigen, Furcht die verständlicherweise angebracht wäre, stünde man vor dem Lauf einer Flinte. Mehr noch, die irre Szenerie belustigt sie, macht sie sogar vergnügt, als sie sich mit einer Hand auf den Tisch stützt und Sparrow erwartungsvoll misst, ungleich provozierend und nicht zuletzt …dankbar.

Mir soll es lieb sein, ist mir schließlich die scheußliche Situation vom Halse geschafft. Mit einem Räuspern, nicht zu definieren, ob es nun im Bereich der Verlegenheit, oder doch wohl eher in einer verhaltenen Form der Erleichterung liegen möge, folge ich ihr in ihrem Tun.

„Willkommen“, spricht sie, den Blick auf Sparrow verbleibend.

„Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst. Es muss sehr schlecht um die Pearl stehen, wenn du´s dir nehmen lässt wie sonst betrunken unter dem Schanktisch zu liegen“

Hat das Mädchen mich in den vergangenen Minuten auch mit ihrer überreichlichen Aufmerksamkeit beschenkt, so erfahre ich jetzt unbedingte Gleichgültigkeit. Ebenso wie von Sparrow.

„Wohlan Liebes, so bedarf es noch immer einer deiner ´unlauteren´ Taktiken, um ehrenwerten Männern ihrer Fürsprache zu berauben. Oder aber ihrer Börse…“,

Mit dem ihm eigenen Laufstil tritt er auf sie zu, die Pistole fest in der Hand, das ihn stets begleitende hochmütige und verdammenswert überlegene Lächeln auf den Lippen

„besser noch: ihres Lebens, aye?“

Unter den argwöhnischen doch gleichsam ruhigen Blicken anderer Gäste, setzt er sich auf den Nachbartisch und lässt die Beine in der Luft baumeln.

„Aber ich fürchte, diesen einen Mann kann ich dir nicht lassen Liebes. Hab so zusagen einen gewissen, völlig winzigen und irrsinnig geringen Eigenbedarf an ihm“

„Der da wäre?“

„Oij, leistet ganz hervorragenden Dienst unter mir…“, lacht Sparrow, „er… schrubbt das Deck, erledigt ganz prächtig Botengänge und ab und an bessert er einem erheblich die Laune, nicht Jamie? Wenn er nicht gerade in seiner unvergleichlichen und unerträglichen Art einem aufrichtigen Mann Schiffchen auf den Pelz hetzt, die wie er weiß sowieso von der Pearl oder einem anderen Piratenschiff versenkt werden“

Der Pirat wendet sich einen beschwörenden Moment zu mir.

„Nicht, dass das keinen Spaß macht… nur hin und wieder ist es sogar für mich …öh… anstrengend“

Ich nicke ihm mit gerecktem Kinn spitz zu.

„Wohl wahr“

Über sein offensichtliches Empfinden unserer Jagden als Spiel, die ich mitnichten als solches betrachte, sondern als bitteren Ernst, verdrehe ich die Augen.

„Jack, da sehen wir uns nach all der langen Zeit wieder und du willst mir meine Beute stehlen. Ich bin dir nicht böse, aber ehrlich mein Herz, die Art eines Gentlemans ist das nicht“

Beute! Ha!

Anamaria schüttelt die unbezähmbaren Locken, die unter dem breiten Kopftuch hervortanzen und sieht den Piraten mit einer Mischung aus Empörung und wildem Wahn an. Der Mann vor ihr, kaum eingeschüchtert, meidet ihr Antlitz nicht, doch tritt gegen den Stuhl vor sich, so dass er direkt vor ihre Füße fällt, als sie sich ihm nähern will Demonstrativ entsichert er seine Waffe.

Mag die Situation bis eben noch grotesk und gewissermaßen lächerlich absurd gewesen sein, so packt mich jetzt gemäßigtes Entsetzen.

„Nicht doch Liebes. Es wäre unfein auf dich schießen zu müssen…Und was den Gentleman betrifft: Das Verhalten eines tadelfreien Gentlemans in erlesener Gesellschaft misst sich am Verhalten der erlesenen Gesellschaft in der sich der tadelfreie Gentleman bewegt“

Ohnegleichen ist die indirekte Drohung, die in Sparrows Worten mitschwingt, mich aufhorchen und beschwichtigend die Hände heben lässt.

„Sachte Sparrow, dieses Verhalten ist maßlos übertrieben. Es ehrt Euch zwar mich verteidigen zu wollen, aber seid versichert, ich bin kein Mensch, der etwas gegen seinen Willen geschehen lässt“, greife ich verstört ein.

„Nehmt´s jetzt ja nicht persönlich“, grunzt der Angesprochene renitent, „aber manchmal Jamie seid Ihr sehr langsam“

Während er den Kopf schräg legt, fügt er raunzend hinzu, jetzt aber nicht mehr an mich gewandt:

„Komm Schätzchen, erleuchte den guten Commodore darüber, wer du bist, blumig und ausschmückend und ganz en Detail, aye? Kann leider nicht wie wir bemerkt haben, den Gentleman der Dame spielen, da die Dame eben leider keine Dame ist“

Dabei gestikuliert er wild in die Richtung Anamarias.

Ich selbst kann meine Konfusion schwerlich verbergen und beäuge die beiden wechselseitig. Doch eine innerlich keimende Befürchtung, sie sich wohl nicht nur als Befürchtung erweisen wird, lässt mich näher in Sparrows Richtung weichen und mir argwöhnisch die dunkle Frau besehen.

Wie vom Blitz getroffen erinnere ich mich an die ausschmückenden Beschreibungen des Piraten zurück, seine Wehmut mit der er von unserer künftigen Gegnerin sprach und auch an Anamaria, die Anamaria, die ich kenne.

Es hätte mir auffallen müssen, die schwarze Kleidung, die wie ich jetzt einsehen muss, eindrucksvoll den passenden Titel untermalt, die übersehbare Narbe auf der Stirn, die keineswegs so übersehbar ist, die Eleganz ihrer Art zu sprechen am Anfang zunächst, die herablassende Weise danach und die mir sinnlos erschienene, nichtsdestoweniger ergiebige Fragerei nach der Black Pearl, ihrer Crew und natürlich meiner Anwesenheit.

Das unvorhergesehene Ausmaß dieser mir jetzt sehr delikat vorkommenden Sachlage wird mir urplötzlich klar und geistig vermerke ich eine Notiz, lediglich eine kleine, weit hinten in meinem Hinterstübchen vergrabene Notiz, die ich bei passender Gelegenheit herauszukramen gedenke, um den vermaledeiten Piraten zu ersäufen.

Erst dann und nur dann ziehe ich langsam mein Schwert und stelle mich dicht neben ihn.

Die schwarze Witwe nickt mir triumphierend zu, mich genarrt zu haben, einen Triumph der meines Erachtens nicht von kunstvollem Wert getragen wird.

„Sie kam mit zwei weiteren Frauen. Sie schickte sie fort, als sie Euren Namen hörte. Vor etwa zehn Minuten“

Im Hintergrund suchen mehrere Gäste das Weite nebst denen, die an Sparrows Tisch, auf dem er zu sitzen geruht, ihren Platz gefunden hatten.

Allen in diesem Raum ist bewusst, welch missgünstige Ereignisse sich hier in den nächsten Minuten abspielen werden.

„Aye. Machen wir, dass wir auf die Pearl kom -“

Sparrow hat seinen Satz nicht annähernd beendet, da

trifft mich auch schon ein Holzteller an der Schläfe, nicht mit genügend Wucht, um mir mehr als ein anhaltendes Schädelweh zu bescheren, aber doch genug, um ein essentieller Moment der Ablenkung zu sein.

Der eine bestimmte Moment, in dem die schwarze Witwe vorschnellt, mit dem gezogenen Rapier in der Hand, das direkt auf das Herz des Piraten abzielt.

Und Sparrow dieser Idiot bleibt sitzen!

Mehr aus Instinkt heraus, denn durch durchdachtes Handeln reagiere ich und wehre, -mehr schlecht als recht-, den Angriff ab…

Ich weiß nicht, ob er es gleich hier erproben muss, wie weit sein eigenes Vertrauen in mich reicht, das ich ihm zu Beginn unseres Abenteuers abverlangt habe, oder ob das Alter langsam seine Spuren bei ihm hinterlässt.

…Immerhin aber gut genug, so dass sich das Metall bloß durch den weißen Stoff seines linken Ärmels fräßt anstatt in Fleisch und Blut.

„Jack, ich will den Stein! Gib ihn freiwillig heraus!“

Mit einem schnellen Ruck, der auf einmal durch Sparrows Körper schießt, rollt er sich in einer flinken Bewegung rückwärts vom Tisch, das Hemd zerreißt und das Geschirr von der Platte poltert zu Boden.

Es bleiben mir nur einige Sekunden mich zu vergewissern, dass ihm nichts weiter geschehen ist und ich aus den Augenwinkeln heraus beobachten muss, wie der Pirat sich aufrappelt und die ihm jetzt mehr als lästig vorkommenden Haare aus dem Gesicht streift, bevor die falsche Anamaria fluchend ein weiteres mal die zum Angriff ansetzt, dieses Mal mit einem neuen Ziel: mich.

Und Sparrow? Der Hurenbock macht sich gemäß seiner Natur aus dem Staub, zwischen den in Bewegung geratenen, teils panisch, teils erfreut durcheinander brüllenden Gästen.

„Commodore, das ´langsam ´nehm ich zurück!“, ruft er mir zu, und obwohl beschäftigt damit mein Leben zu schützen, spüre ich nur zu deutlich das hinterhältige Grinsen des Mannes in meinem Rücken, der trotz der sich anbahnenden Wirtshausschlägerei ein gutes Stück Abstand zwischen sich und uns gebracht hat.

„Das ist nicht hilfreich!“, schreie ich aus Leibeskräften, während ich den sehr hart geführten Schlag pariere, der dazu dient mich nach hinten zu treiben.

„Ihr habt mein vollstes Vertrauen in Eure Fähigkeiten mein Bester“, verhallt die Stimme des Piraten in der Menge, während der nächste Streich nur knapp mein linkes Ohr verfehlt.
 

Fantastisch!,
 

denke ich bei mir, denn so ungern ich es gestehe, so hat es mir mehr Mühe bereitet ihm zu entgehen, als mir lieb ist und ich erwartet habe.

Und auch den nächsten überaus geschickt geführten Streichen vermag ich nur die langjährige Erfahrung im Kampf entgegen zu setzen, die der Dienst mit sich bringt. Doch bleibt es bei reiner Verteidigung, ein Kontern macht das Mädchen mir gegenwärtig unmöglich und ich muss neidlos einräumen, dass der feige Pirat dieses eine Mal mit seinen Behauptungen über die Fertigkeiten dieser Frau nicht übertrieben hat. Ihr Stil ist zwar hölzern und mit mehr Kraft als notwendig ausgeführt, wie es alle Piraten zu tun pflegen, doch stünde sie mir nicht als ein solcher gegenüber, so zollte ich ihr trotzdem den höchstmöglichen Respekt, insbesondere für eine Frau…

Wäre sie ein Mann, so wäre es eine lohnende Herausforderung, sie zu einer glänzenden Fechterin auszubilden.

Schnell geführte Finten, gute Riposten, die auf exzellente Paraden folgen und erschöpfende Bindungsversuche, denen ich mit mehr Glück als Verstand in den engen Gängen zwischen Tischen und Menschen entkommen kann. Dieses Mädchen bietet trotz ihrer geringen Zahl an Jahren ein beachtliches Repertoire auf und schon bald merke ich, dass die schnellen Schritte, Drehungen und Kombinationen an meiner Konstitution zu zähren beginnen, deren miserabler Zustand auch nicht gefördert wird durch das Pochen hinter meiner Stirn. Zudem bin ich durch meine erst vor kurzem zu Ende gegangene Bettlegrigkeit nicht mehr in allerbester Übung. Das Ziehen in meiner Brust und die Schwerfälligkeit meiner Atmung sind eine stechende Ermahnung, dass ein Kampf dieser Art wesentlich verfrüht kommt und ich schelte mich selbst für meine Sturheit, die nicht auf den Rat des Arztes gehört hat noch einen Monat mit dem Dienstbeginn zu warten.

Auch das Manövrieren inmitten der anderen gestaltet sich höchst ungelenk und ermüdet schnell. Doch die Gewissheit, dass es der schwarzen Witwe nicht anders ergeht macht mich zuversichtlich. Zudem ist ihr angeschlagenes Tempo reiner Wahnwitz, nicht durchzuhalten. Auch wenn sie unzählige Kämpfe bestritten haben muss, so hat sie scheinbar nicht gelernt ihre Kräfte sorgsam einzuteilen, insbesondere wenn der Gegner ebenbürtig ist – oder dieser es zumindest hofft.

Ganz gleich… ein schneller Sieg muss her, zumal ich befürchte in dem Gerangel zusätzlich jemand Unbeteiligtes zu treffen.

Sie mag mir an Kraft und Ausdauer unterlegen sein, doch ihre geringe Körpergröße und Wendigkeit verschafft ihr hier in der Enge einen immensen Vorteil.

Zu meinem Glück weiß sie ihn nicht ausreichend zu nutzen. So muss ich nur auf den passenden Augenblick warten… und dieser kommt schneller als gedacht.

Nach einem Angriff meinerseits wird sie gezwungen nach hintern zu treten, stößt dabei versehentlich gegen einen Tisch in ihrem Rücken und gerät aus dem Gleichgewicht.

Eine Chance, die ich zu nutzen weiß. Mit einem hoch angesetzten Hieb schlage ich die Spitze ihrer Klinge beiseite, sodass sie auf die Tischplatte prallt, rücke nach vorne vor und verkante sofort den Knauf ihres Rapiers am Rand mit meinem eigenen.

Ihren hartnäckigen Widerstand und die zappelnden Versuche sich zu befreien unterbinde ich indem ich ihren Oberkörper mit meinem eigenen, schwereren Gewicht niederdrücke.

“Lasst es fallen!“ keuche ich, nachdem ich wieder zu Luft gekommen bin. Sie beißt aber nur trotzig ihre weißen Zähne aufeinander, dass mir das mahlende Knirschen einen Schauer über den Rücken jagt, sie nur noch fester den Griff ihrer Waffe umklammert und widerborstig den Kopf schüttelt.

„Ihr hättet Euch nicht einmischen sollen“, speit sie mir gefährlich zwischen zwei heftigen Atemstößen entgegen und ich kann den Hass förmlich in ihren Augen brennen sehen.

Alles, was zuvor liebreizend an der jungen Frau gewesen ist, verformt sich zu einer verzerrten Fratze. Ich habe nie erfahren, was es bedeutet mit einer solchen Intensität verachtet zu werden, oder selbst jemals dieses Gefühl einem anderen Menschen entgegen zu bringen.

„Dies ist eine Sache zwischen mir und ihm!“

Die unerschütterliche Entschlossenheit des Mädchens macht mich wütend und lässt mich leise flüstern:

„Mit der Entführung von Governor Swann habt Ihr sie zu meiner Sache gemacht“

Da sie dennoch den Gehorsam verweigert und sie mich dazu zwingt, hole ich zum Schlag aus. Mein Ziel: Die Naht des Stahls.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie simpel es ist eine Waffe ihrer Gefährlichkeit zu berauben, wenn man nur den jeweiligen Schwachpunkt kennt. Ein Schwert beispielsweise ist scharf, die Klinge hart und unnachgiebig. Doch macht sie ihre Härte zur gleichen Zeit anfällig dafür unter dem richtigen Druck zu brechen.

Und so berstet das Metall durch einen einzig wohldurchdachten Treffer, die Klinge fällt abgebrochen zu Boden und der schwarzen Witwe entgleitet endlich das Heft aus der Hand mit einem schmerzvollen Stöhnen.

Danach fange ich grob zuschlagende Hände ein, die den

ein, oder anderen Kratzer in meinem Gesicht hinterlassen. Um noch bessere Kontrolle über das widerborstige Frauenzimmer zu bekommen und nicht doch noch in einem unbedachten Moment ihren Krallen zum Opfer falle, schiebe ich eines meiner Knie zwischen ihre Beine und beuge mich so tief über sie hinab, dass ich auf ihr liege. Für einen Unbeteiligten wird die Szene recht… verfänglich aussehen…

„Der Governor war nicht meine Idee!“,

„Schwört, dass er noch am Leben ist und es auch bleibt!“, knurre ich böse und drücke sie hart hinunter, dass ihr Kopf leicht auf die Platte schlägt.

„Norrington, Ihr werdet hier nicht heraus kommen. Meinen Mädchen mögt Ihr entkommen. Aber nicht La Rochelle!“, lacht sie mir frech ins Gesicht.

„Was… habt… Ihr gesagt?“

Dieser Name!

Von einem zum anderen Augenblick stehe ich förmlich unter Schock. Es ist unmöglich… ganz und gar unmöglich! Dieser Name!

Den Griff um ihre Handgelenke lockernd starre ich sie an.

Sie bemerkt es sogleich, doch statt sich zu befreien, blickt sie ebenso zurück.

„Ha! Da sieh mal einer an! Ihr kennt ihn!“, stellt sie dann triumphierend fest, während ich mich fange.

„Schwört es!“, befehle ich erneut, leiser dieses Mal und hochgradig verunsichert, doch krallen sich meine Nägel dabei in ihre Hände, dass sie zischend den Atem bei dem überkommenden Schmerz anhält und nickt.

„Commodore, ich weiß es fällt Euch schwer, aber wehe Ihr fangt jetzt an damit etwas unglaublich Blödes zu tun!“, höre ich Sparrow wie aus weiter Ferne laut warnen, was mir zwar die Gewissheit gibt, dass er doch mehr Rückgrat in sich haben muss, als vermutet, aber auch, dass ich einen sehr instabilen Eindruck abgeben muss.

„Sie ist allein, Sparrow!“

„Noch“

Und so gern ich es auch täte, sie jetzt in Haft zu nehmen, um aus ihr herauszupressen wo sie den Governor versteckt hält, und ich unbedingt erfahren muss, ob ich mich verhört habe, so hat der Pirat Recht. Denn bald dürfte es im Admiral wimmeln von Mitgliedern ihrer Besatzung. Wo immer die Empress auf dieser Insel auch vor Anker liegen mag.

So trete ich Schritt für Schritt rückwärts von ihr zurück, mit einem sich zusehends verknotenden Knäuel im Magen, bis ich außer Reichweite für eventuelle Angriffe bin und hetze durch die Menge zur Treppe, an deren Kopfende Sparrow bereits wartet.

Während ich die Stufen zu ihm hinauf eile, zieht er gemäß seinem Naturell den Hut vom Haupt, verbeugt sich halb und brilliert in seiner üblichen Rede über das Entkommen, mit der er dem unterlegenen Gegner noch einen demütigenden Tritt zum Andenken mitgibt:

„Alsdann Anasophia, du wirst den Tag nie vergessen, an dem du Captain Jack Spar-“

Weiter kommt der Mann nicht, da genau in dem Moment, indem ich ihn und den Ausgang erreiche die Tür der Taverne auffliegt, mit einer Gewalt, dass sie fast aus den Angeln gehoben wird und donnernd gegen die steinerne Wand schlägt, um haaresbreite an meinem Kopf vorbei.

„Nicht gut“, ist mit das letzte, das ich höre, bevor ich eine dieser ´freudigen´ Erfahrungen miterleben darf, durch die sich Sparrow auszeichnet. Denn schon im nächsten Augenblick spüre ich die Kraft zweier zupackender Hände, die mich am Arm zurückreißen und ich der scharfen Klingenspitze einer der im Türrahmen stehenden Piratinnen entgehe, bedauerlicherweise aber den Schwung besser nutze, als es gut für mich ist und nach hinten taumle…

… über das Geländer… mit der noch gezogenen Waffe in der Hand!

„Hoppla!“

Zu schnell geht die ganze Sache. Zum Schreien, Fluchen oder gar Mordgedanken schmieden reicht die Zeit nicht, bevor ich den Boden unter Füßen verliere und es abwärts geht. Und wäre nicht ich der arme Hund, so würde ich herzerfrischend darüber lachen, über das erstaunt ungläubige, mitunter sehr dumme Gesicht, das jener Mann im Fall gerade macht.

So komisch die Szenerie auch ist, der Aufprall ist es nicht.

Zu meinem Glück entgleitet mir Turners Schwert dabei, das klappernd zu Boden fällt, als ich krachend mit dem Rücken auf einem der Tische aufschlage.

Nun, ein Gelehrter könnte so manche Abhandlung der Natura alleinig über das Bersten von verschiedenen Hölzern durch darauf fallende Commodores verfassen, die Geräusche, das Brechen, das Spalten vorbei an den Augen und Entstehen ungleichmäßiger Risse im einstmals edlen Handwerk, die Spane und Partikel, die durch die Luft geschleudert werden und sich in das Fleisch herumstehender Geschöpfe bohren. Und zweifellos wäre es lesenswert…

Doch wie es nun mal bei allen Dingen im Leben so ist, bleibt es das nur solange, wie man selbst nicht davon betroffen ist.

Meine Stimme ächzt gepeinigt auf. Ächzen über die schmerzvolle Feuersbrunst in meinem Kreuz, die versengend durch die Glieder fährt.

Brennen, Schmerzen, Pochen und Stechen und keines von allen weiß, welches aus ihrer Mitte hervortreten soll.

Um mich herum höre ich noch immer das Fidelspiel, Fiedelspiel, das malerische Lautkulisse für die sich prügelnden Männer und Dirnen ist, von denen manche gelegentlich gegen mich stoßen, ansonsten nehmen sie keine Notiz.

Leise stöhne ich auf und versuche die Schwärze zurückzudrängen die sich vor meine Augen legen will, Schwärze, die die Bewusstlosigkeit ankündigt und fixiere die Kerzen des Lüsters schräg über mir, und dann wie aus einem Traum heraus, verschwommen und keinesfalls klar, flirrt ei Spatz vorbei...

Lautes Geschrei. Das Aufschlagen von etwas großem, sehr schweren… Verschwinden der Kerzen… Schwärze…

Zwischenspiel I

„Francois! Francois, so mach doch langsam! Du brichst dir den Hals!“

„Sei nicht feig James!“

Ich hatte mich schon oft über die Unvorsichtigkeiten meines Freundes geärgert, ja manches Mal stand ich dabei sogar der Agonie näher als der Vernunft. Ich dachte daran, dass Francois der Bedächtigere sein müsste, war er schließlich ein Jahr älter als ich selbst. Einem Vierzehnjährigen konnte man nicht abverlangen, dass er auf den Älteren Acht gab. Und Mutter hätte zugestimmt.

Ich ritt meinem Freund hinterher, der trotz der warnenden Rufe sein Pferd weiter antrieb, das Lachen hell und klar und durch die Luft schallend.

Die grünen Auen flogen unter den Hufen unserer Tiere dahin, Geäst und Sträucher der Wälder des Winchester Colleges wichen zur Seite in ehrfürchtiger Demut vor dem jungen Chevalier La Rochelle. Und vor mir.. Ja selbst die Bäume… Und ich wunderte mich über meine brennende Bewunderung, die ich Francois in jenen Augenblicken immer entgegen brachte, selbst wenn ich ihn im selben Moment verfluchte.

Den unbändigen Willen zur Freiheit. Über alle Grenzen hinweg.

Die Schönheit, die aus ihm heraus floss, selbstverständlich und wunderbar wie nur das Leben selbst sie gebärt.

„James, James! Siehst du die Sonne! Ich will zur Sonne reiten. Auf Wellen des Lichts will ich reiten. Ihr entgegen. Zur Sonne werden!"

Ich sah die Sonne.

Und in diesem Moment liebte ich ihn für seine Worte.

Charakteristikum 1

„Wenn ich um einen Berg herum gehe, so ist es nicht der Berg, der sich ändert.“ - Archimedes 23.1.2008 -
 

„…dore!“

Wie lange ist es nun her, dass Francois und ich uns das letzte Mal sahen, bevor er das College und damit England verließ? Bevor der Krieg Freunde auseinander riss? Damals glaubten wir noch voll kindlicher Unschuld und hoffnungsvollem Vertrauen, dass es nicht von Bedeutung sei… dass er Franzose war… wie lange ist es her, dass ich mich zuletzt an ihn erinnert habe?
 

Kindlicher Idealismus
 

Ich habe ihn fast vergessen…

„…mmodore!“

Ich sehe in den Himmel hinauf. Denselben Himmel wie damals in demselben strahlenden Blau gefärbt, als Francois und ich wie immer in der studienfreien Zeit durch die Wälder geritten waren. Der Tag, an dem sein englisches Vollblut über einen grasbedeckten Baumstumpf strauchelte, sich die Beine brach und erschossen werden musste…

Heute wird dieses friedliche Blau durchbrochen von weißen Vögeln hoch droben und den schimmernden Strahlen einer heißen, versengenden, karibischen Sonne. Und immer noch bleibt es derselbe Himmel.

„Isaac lauf, hol den Cap´n! Der Navymann ist wach“

Die weibliche, schnarrende Stimme und das dazu gehörige dunkle Gesicht, das sich freundlich über mich beugt, das mir die Sicht auf die Erinnerung nimmt und die sanfte, führsorgliche Hand auf meiner Stirn, sind mir sehr vertraut.
 

Das richtige Gesicht zur richtigen Frau,
 

denke ich bei mir und obwohl ich es erst nur verschwommen sehe, so weiß ich, dass die warmen braunen Augen über mir nicht zu der verführenden, heimtückischen Spinne gehören, die mir im Admiral begegnet ist.

Zwei Gesichter, die bis auf kleine Unterschiede wie ein Ei dem anderen gleichen…

Das nächste, das in mein Blickfeld rückt sind wettergegerbte und schmutzige Piratenantlitze, die mehr aus Neugier und erlauchter Schadenfreude denn aus ehrlicher Besorgnis auf mich blicken. Ja meine Herren, - seht es euch gut an, diese Gelegenheit ergibt sich so schnell nicht wieder- der furchtbare Commodore James Norrington liegt lang gestreckt wie ein Maikäfer auf dem Rücken vor euch. Nicht präsentabel und ganz sicher nicht so furchtbar wie sonst.

Trotz des entwürdigenden Anblicks, den ich abgebe bin ich bin froh die verlausten Männer zu sehen. Sie sind mir nicht mit Namen bekannt, noch will ich sie jemals wissen, doch dass sie zu Sparrows Crew gehören, hat unter diesen Gegebenheiten eine durchaus beruhigende Wirkung. Es ist besser unter bekannten Feinden zu ruhen, als unter jenen, um die man noch nicht weiß.

La Rochelle… ein Name…

Verlaust und dreckig… ja… das sind die Männer wohl…

Mit einem unterdrückten Stöhnen rolle ich mich auf die Seite, was mir den vermaledeiten Schmerz und die Erinnerung an einen überraschenden und nichtsdestoweniger würdelosen Fall in einer noch weitaus würdeloseren Kaschemme zurück ins Gedächtnis ruft. Langsam finde ich Gefallen daran, wie ablenkbar der Mensch ist und dazu in der Lage mühelos die größten Schmerzen zu ertragen, wenn nur die passende, Aufmerksamkeit heischende Begebenheit seinen Weg kreuzt.

Selbst den widerlichen Geruch nach Jauche und Unrat, der von irgendwo in meiner Nähe ausgeht, bemerke ich erst jetzt.

Angeekelt das Gesicht verziehend blicke ich düster anklagend in die illustre Runde der Männer, die es immer noch für unabdingbar halten genüsslich die Ansicht zu genießen, die ich ihnen biete.

„Zurück an die Arbeit ihr lahmen Hunde!“, brüllt Anamaria ihren Befehl, die mein Widerstreben bemerkt hat und überraschenderweise hat ihr Wort einiges an Autorität.

Mit etwas Mühe greife ich nach dem Arm des Mädchens, als sie sich mir wieder zuwendet und versuche mich daran hochzuziehen. Weiter als in eine sitzende Position, über die ich alleine sehr zufrieden bin, komme ich nicht, dank des Schmerzes in meinem Kreuz und Kopf.

„Sahib, Sahib. Ihr seid ganz schön tief gefallen“, brummt ein tiefer, erleichterter, mir ebenfalls bekannter Bass hinter mir.

Danach spüre ich wie sich seine großen, hilfreich gemeinten Hände unter meine Arme graben, und bevor ich mich dagegen wehren kann, werde ich mit einem Ruck von den Deckbrettern des Schiffs gnadenlos bis in die Gerade gebracht.

Den Atem anhaltend, damit mir nicht doch ein verräterischer Schrei entflieht, beiße ich die Zähne zusammen und balle die Hände Fäusten, bis sich die Nägel in die Innenseiten bohren.

Ein Schmerz lindert den anderen…

„Junge, Ihr hattet einen eifrigen Schutzengel an Eurer Seite. Ihr hattet großes Glück, dass ein Tisch da stand“

Aus der Stimme des Arabers höre ich neben der Erleichterung auch eine unterschwellige Honorierung heraus, die mich kurz befürchten lässt, der große Mann müsse mir nun anerkennend auf die Schulter klopfen, wovon er gottlob absieht, wohl weißlich, dass es mich unweigerlich zurück in die Knie zwingen würde.

Einige Augenblicke muss ich sogar die Augen schließen und mich mehr auf das Mädchen stützen, als es schicklich wäre, damit mich der Schwindel nicht übermannt und erst einige Atemzüge später wage ich es gar mich zu bewegen.

Und was zum Teufel ist das für ein Gestank?!

„Ich erinnere mich“, gebe ich schließlich gequält zurück, die leichte Übelkeit niederringend, die der Gestank in mir hervorruft und beginne mich vorsichtig zu strecken. Schnell merke ich dabei erleichtert, dass nichts gebrochen ist, aber an den Prellungen und den blauen Flecken werde ich eine Weile meine Freude haben, ebenso an der großen Beule auf meiner Stirn, die der gut geworfene Teller hinterlassen hat. Während ich die Erhebung abtaste und verwundert krustige Brösel an Dreck abschabe, die neben

meinen aufgeschürften Händen auch meine Kluft überziehen, sehe ich mich um. Wie angenommen sind wir auf der Black Pearl, mitten auf dem Meer.

„Meine Liebe, ich muss sagen Eure Schwester wirft recht hart für eine Frau“, scherze ich, die neuerlichen Gebrechen in den gedanklichen Hintergrund schiebend, als ich mich Anamaria zuwende. Das Lächeln, das ich versuche aufzusetzen bleibt leider beim Versuch, der wohl eher wie eine jämmerliche Grimasse aussehen muss.

„Sir, die Kraft der Frauen in unserer Familie liegt in ihren Händen. Ich hoffe Ihr entschuldigt, dass ich nicht mit meiner Verwandtschaft hausieren gegangen bin“

Mit fast verkrampften Gesichtszügen weicht sie einen Schritt zurück. Al Faras verharrt ausdruckslos auf seinem Platz, jedoch rümpft er die Nasenflügel.

„Was ist? Ich werde Euch schon nicht einen Strick daraus drehen, dass Ihr geschwiegen habt“

Erschrocken winkt sie ab.

„Nein, nein das meine ich nicht“, die folgenden Worte fallen der jungen Frau sichtlich schwerer,

„Sir jetzt da Ihr wieder steht, wenn auch wacklig… ich will ja keineswegs beleidigend sein, aber…der Wind… hat… gedreht“

Wie blöd ein Mann nur starren kann, so starre ich jetzt.

„Und was gebt Ihr mir damit zu verstehen?“

„Ihr müffelt ganz furchtbar“, wird meine Frage von einer Männerstimme beantwortet, die ein unvergleichliches Déjà-vu auslöst. Eine absonderliche Vorstellung von James Norrington, der nach einer verlorenen Prügelei und mit reichlich Kopfweh unfreiwillig bei den Schweinen gelandet war...

Ich rieche an meinem Hemd…
 

Verzeiht meine Herrn Piraten, ich habe geirrt.
 

Grandios... wirklich überaus grandios...

Meine Arme in die Seiten stemmend seufze ich auf, hebe mein Gesicht zum Himmel und schließe die Augen.

Immerhin kann ich dankbar dafür sein, dass dieses Mal die Perücke verschont geblieben ist.

Dann schüttele ich den Kopf und drehe mich mit streng hochgezogener Augenbraue, dies mehr aus Gewohnheit heraus, in Richtung Heck der Pearl und seinem Steuerrad, von wo aus mein piratischer Zeitgenosse mit einem versteckten, aber deutlich amüsierten Lächeln auf mich zuläuft, hinter ihm ein überaus zerknirschter Mister Hawkins… in ausreichender Entfernung…

War meine Intension soeben noch gewesen, Sparrow mit Verwünschungen heimzusuchen, da ich mir in etwa denken kann, wem ich meinen miserabel riechenden und aussehenden Zustand zu verdanken habe, ist sie es jetzt ausgiebig zu lachen.

Der Ärger über meinen Sturz und meine Erscheinung ist binnen eines Momentes vergessen, da ich seiner ansichtig werde. Denn auch er ist über und über verdreckt… mehr noch als sonst…

Als hätte man ihn kopfüber in einen Kübel Matsch getaucht. Selbst an seinem Bart und an dem Klimbim, den er Haarpracht schimpft haben sich Brösel fest gehaftet, die durch das Trocknen grau und rissig geworden sind.

Zusammen mit dem aufblinkenden Gold seines Gebisses ergibt sich ein interessanter Kontrast.

Es ist fast nicht zu beschreiben, dieses urkomische Bild, das prädestiniert ist zum Lachen zu verführen. Als ob ein in Lehm eingegossenes Männchen vor einem stünde, das nur durch die Anwesenheit zweier leuchtender Augen verrät, dass es da drinnen steckt.

„Commodore, Ihr seht ja furchtbar aus“, meint der Pirat gut gelaunt und mit großen Augen, gefolgt von einer tiefen Verbeugung. Wenn ich ihm einen genauso amüsanten Anblick biete, wie er mir, dann völlig zu Recht.

„Das Kompliment gebe ich gerne zurück“, erwidere ich mit trockenem Humor, während ich einen der größeren Brocken Dreck von seinem geflochtenen Bart breche, sobald er vor mir steht und letzten Endes, trotz schmerzendem Kopf nicht mehr an mich halten kann dem spaßigen Anblick den richtigen Tribut zu zollen. Und lache. Lachen, das fröhlich und unverkrampft, ja seltsam befreiend aus mir heraus rollt.

Lachen, das der Mann vor mir mit einem liebenswerten und gewinnenden Lächeln erwidert.

Ein Weilchen stehen wir so voreinander, sehen uns gegenseitig an, zutiefst zufrieden in stillem Einverständnis, dass wir den Kopf heil aus der Schlinge bekommen haben.

Wofür ich ihm wohl oder übel zu danken habe…

Für einen Augenblick glaube ich gar zu verstehen, was den Spatzen an seinem Leben reizt...

bis Al Faras mit einem lauten Husten die Zweisamkeit durchbricht und mir neben der Tatsache, dass ich mich gerade mit einem Piraten freue ins Gedächtnis ruft, dass wir vor einem weit reichenden Problem stehen.

Mit einigem Aufwand zwinge ich mich unter den Augen aller, besonders denen Isaac Hawkins´ zurück in den Commodore und nehme Haltung an.

„Mister Sparrow, will ich wissen, welch glücklicher Fügung wir es verdanken aus dem Schlamassel heraus gekommen zu sein? Nachdem Ihr mich zwei Stockwerke nach unten auf einen Tisch gestürzt habt?“, frage ich deutlich reserviert.

„Versehentlich Freund. Versehentlich! Und nein, Ihr wollt es nicht wissen. Zumindest den genialen Teil mit den Schweinen und dem Stall nicht. Sollten wir wirklich lieber auslassen. Könnte unfreiwillig die Vermutung auftauchen, dass Ihr eine gewisse Anziehungskraft auf die Tierchen ausübt. Belassen wir´s also dabei, dass der Admiral einen neuen Kronleuchter braucht und wir etwas Verstärkung hatten, nachdem Ihr ins Traumland gereist seid“

Weiter dümmlich vor sich hin grinsend, obwohl mir selbst das Lachen im Halse stecken bleibt, klopft er dem betretenen Hawkins auf die Schulter und deutet danach auf Anamaria.

„Euer Junge hier ist ein Prachtkerl, muss man ihm lassen und Anamaria… ist… die ist halt Anamaria“, mit wiegenden Schritten wandert er hinüber zu dem Mädchen. Dieses nimmt sogleich Reißaus, als der Pirat seinen Arm in freundschaftlicher Geste um ihre Schulter legen will, die kleine Hand zur Faust geballt, um sie ihm zur Not auf die Nase zu schlagen.

„Untersteh dich Freundchen mich wieder schmutzig zu machen! Hab lang genug gebraucht, um allen Dreck runter zu bekommen! Du und deine Ideen!“

“Wär´s dir lieber bei deinem Schwesterlein zu sein?“

Da sich Sparrow nicht von seinem Vorhaben abbringen lässt ihr auf seine ganz besondere Weise zu danken und sie unter dem lauten Lachen Al Faras´ und der Crew trotz ihrer starken Proteste in eine feste Umarmung zieht, bei der es Anamaria nicht erspart bleibt eine tiefe Nase voll des Gestanks zu nehmen, landet wie angekündigt ihre Hand in seinem Gesicht, sobald er sie losgelassen hat.

„Ich fange an die Karte zu übersetzen“, giftet sie daraufhin und ich hätte früher beschworen, dass die Haut eines schwarzen Menschen nicht rot vor Wut anlaufen könnte…

„Ist sie nicht reizend?“, grummelt der Pirat sich die verdient geschundene Wange reibend.

„Gereizt würde ich sagen“, entgegne ich jetzt wieder ganz der Offizier und bringe größeren Raum zwischen uns.

Zusammen folgen wir dem Mädchen mit den Augen nach, wie sie fluchend versucht ihre Kleidung abzuklopfen und sie ihren Weg zwischen den Männern der noch immer gut unterhaltenen Mannschaft antritt, sich dort ihr Recht verschafft, wo auch immer eine bedauernswerte Seele ihr den Weg versperrt.

„Sparrow, ich muss mit Euch sprechen. Allein“, verlange ich, worauf ich von ihm einen überraschten Blick ernte.

Danach hält es mich keine Minute länger auf dem Fleck, auf dem ich stehe.
 

* * *

Charakteristikum 2

So, hier kommt also das nächste Kapitel. Es ist wieder nur die erste Hälfte. Mal gucken, was euch eure Fantasie sagt, wie´s weitergehen könnte....hehe... *dreckige-Gedanken*... nein Spaß...
 


 

* * *
 

Unter der Wolke sorgenvollen Nachdenkens stapfe ich die Stufen hinab, ein Weg der mit mitterweile wie selbstverständlich in Fleisch und BLut übergegangen ist, verharre vor der Tür unserer Schlafstatt, mit der Klinke in der Hand. Aus den Ritzen der Türscharniere dringt schummriges Licht, der frische Duft nach parfümierter Seife und wohlige Schwere warmen Wassers. Dahinter wechseln menschliche Schatten geschäftig von einem Ort zum anderen.

Mir glüht das Gesicht, als müsse es sogleich in einer Feuersbrunst verbrennen. Selbst die vornehme Blässe meiner Wangen, die auf den ersten Blick immer kränklich wirkt, leuchtet heute in einem blumigen Rot. Meine Hände dagegen scheinen zu erfrieren…

Es ist als gäbe es ein geheimes, natürliches Gesetz, dass man in Jack Sparrow mehr sehen kann, ein Gesetz, das keiner Logik folgt und von dem er Gebrauch macht, als sei er sein ureigenster Erfinder.

Albernes Herumgehampel, weibisches Benehmen, Trinkerei und unvergleichlicher Egoismus. Nicht zu vergessen Unaufrichtigkeit und Anstößigkeit in Graden, die bei weitem jeden irgendeines anderen Menschen übertreffen.

Und trotzdem… zum zweiten Mal entkomme ich einer lebensbedrohlichen Lage – durch ihn verursacht - nur durch sein Zutun.

Ich fahre mit meiner Hand über die immer noch schmerzende Narbe auf der Brust.

Eben noch war Sparrow dem Gefühl nach nicht mehr der Pirat. Nein… ein Waffengefährte, mit dem man zusammen eine brenzlige Situation bezwungen hat. Und ein Kamerad. Einer mit dem man Rücken an Rücken stehen kann…
 

» Einer, der deinen Allerwertesten hingegen seinem von dir angenommenen Naturell gerettet hat. Und keinen Dank hat er bekommen, der arme, brave Mann«,
 

piepst eine wehleidige Stimme in meinem Kopf und fast muss ich glauben, das Haupt des Tunichtguts kreise um das meine mit beschwörerischem Geiste.
 

» Keine Bange, du mieser Heuchler, vergessen werde ich es schon nicht. Dir verpflichtet zu sein schmeckt schal«
 

Ja, ein faulendes, die Kehle verstopfendes Gefühl ist es in seiner Schuld zu stehen, bereits seit dem Moment als er Elisabeth aus dem Hafen Port Royals gefischt hatte. Damals war das Finden einer Lösung für dieses ´Problem´ einfach wie einleuchtend... hätte ich ihn schließlich hängen können, ohne mir große Gedanken um irgendeinen nichtigen Mann mit einem weitaus nichtigeren Ruf zu machen, und gelassene Worte hätte ich gesprochen, die mein nicht vorhandenes Bedauern ausdrückten, ihn frei baumelnd an einem reißfesten Strick zu sehen mit nichts unter den Füßen als hoffnungsvollen Bittgebeten des Pfaffen, der ihm die letzte Beichte abnimmt.

Bedauerlich, dass das heute nicht mehr so einfach ist. Elisabeth würde es mir nicht verzeihen…

Doch…

Vielleicht fände die Flotte Governor Swann auch ohne seine Hilfe, ich weiß ja nun, dass er am Leben ist.

Eventuell ließe sich eine weitaus rentablere Vereinbarung mit der schwarzen Witwe treffen, eine deren Haken kleiner sind, als diejenigen, welche sich an das Abkommen mit dem Piraten knüpfen. Sie will nur den Mann und den haben wir in unserer Gewalt… Das Schöne an Plänen der Rache ist, dass sie immer simpel gestrickt sind. Wie sie selbst sagte, der Governor war nicht ihre Idee.
 

»Meinen Mädchen mögt Ihr ja entkommen. Aber nicht La Rochelle!«
 

Aber dieser Name… ich dachte, er sei im Krieg gefallen.
 

»James, es muss nicht derselbe Mann sein! Nicht jeder zweite trägt den Namen, aber selten ist er nicht«
 

Im Stillen habe ich die Laufbahn des jungen Chevaliers in der Armee Frankreichs verfolgt nachdem ich mit fünfzehn Jahren in die Marine eingetreten war. Mit Stolz und Bewunderung, aber auch mit tief sitzendem Gram und Furcht, welche prophetisch vorausschaute, was in den Jahren nach unserem Abschluss kommen würde und schließlich gekommen war. Ein jahrelanger Krieg zwischen den zwei größten Nationen Europas in denen sich die Kräfte beider Seiten aufgerieben haben. Und trotz der schwierigen politischen Situation, des Mordens und des Sterbens ließen wir uns den regen Briefverkehr nicht nehmen. Ein kleiner, hoffnungsvoller Trost in einer sich selbst zerstörenden Welt.

Und als schließlich nach endlosem Leid der erlösende Frieden geschlossen wurde, so galt er nicht für die Kolonien. Das Festland war weit und die Gier nach der neuen Welt groß…

Und so kam der unvermeidliche Tag, an dem Francois und ich uns in einem Gefecht bei Santa Barbara gegenüber standen, jeder auf seinem Schiff, auf seiner Seite und so Brüder im Geiste zu Feinden wurden.

Mit dem Handrücken wische ich mir über die faltige Stirn.

Wenn Francois tatsächlich noch am Leben ist, er interveniert und mit der schwarzen Witwe kollaboriert, so kommt ein Bündnis nicht in Frage. Und die Angelegenheit in der wir uns befinden ist von weit größerem Ausmaße, als erwartet. Die Entführung des Governors wird demnach zu mehr dienen, als der Befriedigung niederer Rachegelüste.

Und wer kann schon sagen, dass die Frau nicht gelogen hat?

Überfordert hole ich zum Schlag gegen das schwarze, unbeteiligte Holz der Tür aus.

Verdammt. Ich bin kein Intrigant, kein politisch planendes Genie. Nichts von alledem, was Francois La Rochelle ist. Wenn es denn derselbe Mann ist.

Wenn Sparrow es mir nur nicht so schwer machen würden. Erwarten kann man von ihm keine Ehre, Loyalität und Treue, da brauche ich mir nichts vorzumachen, aber doch wohl einen gewissen Respekt. Respekt vor einem jeden, der sich seiner Pflicht bewusst ist und diese nach bestem Gewissen erfüllen will.

Ich seufze auf und lasse die Faust, in der das Klümpchen Lehm fest umklammert verborgen liegt, sacht gegen die Türe fallen, statt dagegen zu schlagen. Gleich daneben findet sich eine müde Stirn wieder, um die kleine Spatzen ihre Bahnen ziehen…

Wie ich es verabscheue auf seine Hilfe angewiesen zu sein.

Die Augen schließend halte ich den metallenen Knauf in der einen Hand, in der anderen drehe ich nun den Lehm, bröckele Teile ab, die nieder rieseln. Nur ein Stück Dreck. Bröselig und sich auflösend, nur um dann vom Wind fortgeweht zu werden. Als hätte es ihn niemals gegeben.

Den Kopf weiter gesenkt sehe ich in meine staubige Handfläche.

„Welch außerordentliches Unglück, dass dies nicht einfach mit Sparrow zu machen ist. Ich bin es so müde geworden“, murmle ich gegen das sprisselige Holz, zerbrösele den Rest und lasse ihn durch meine Finger zu Boden fallen.

Nur ein Stück Dreck, ja?

Es ist schon eine faszinierende Zwickmühle in die ich mich selbst manövriert habe.

Als wäre das Alter Mister Puppis´ das meinige, richte ich mich wieder auf und stoße gegen meinen Degen.

„Erstaunlich, ich dachte, es sei in der Menge verloren gegangen“

Verwundert über das Vorhandensein der Waffe an ihrem angestammten Platz und dass es mir herzlich wenig ausgemacht hätte, wäre dem nicht so, betrete ich den hellen, freundlichen Raum.

Darin werden die zuvor undeutlich erkennbaren, geschäftigen Schatten zu zwei von Sparrows Leuten. Ich kann mich dunkel an sie erinnern, zwei Männer, die von Anfang an zur Besatzung der Pearl gehört haben, mehr verbunden mit dem Schiff selbst, als mit seinen immerzu wechselnden Captains. Und zwei, die offensichtlich aus dem Gefängnis ausgebrochen und meiner Gerichtsbarkeit entkommen sind…

Der eine hager unterernährt, von ausgedünntem, blondem Haar, gezeichnet durch ein fehlendes Auge.

Der andere zu stämmig geraten mit spärlichem Haarkranz gleich einem Franziskanermönch, ebenso schmutzig wie sein Kumpan, beide mit zerfressenen Zähnen und fleckiger Haut.

Angeregt ergötzen sie sich an der Vorstellung einer nackten, badenden Anamaria, mokieren sich aber über die Anweisung die große Waschwanne zu schrubben und parodieren Sparrow so ausgesprochen gut dabei, dass ich mich – da sie mich nicht bemerken - gegen die geöffnete Türe lehne und zuschaue.

„Hehö, haste den Commodore gesehen? Nichts mehr mit Sauberkeit und Piekfeinität“, albert der ´Mönch´, schnüffelt an einem Flakon und schüttet dessen Inhalt mit hochgezogenen Nasenflügeln in das wartende Wasser,

„könnt glatt einer von uns für zwischendurch sein“, während der andere den Boden mit einem dreckigen Lappen wischt.

„Aber ist der ehemalige Commodore überhaupt noch der Commodore? Mein, hat das letzte Mal auch schon so ausgesehen“, fragt er an seinem Holzauge reibend, was sie zusammen in anhaltendes Beraten stürzt mit sehr… sagen wir… phantasievollen Argumenten.

Letzten Endes kommen sie zu dem Schluss, dass das Für und Wider unbefriedigend ist, und so legt der Einäugige schließlich den Kopf schräg und zuckt die hängenden Schultern:

„Immerhin kann er saufen…“

Tadelnd baut sich der andere schulmeisterhaft vor ihm auf und sieht streng auf ihn herab.

„Aber Ragetti, so einer säuft doch nicht!“

Das eben noch Duftwasser enthaltende Fläschchen wird gepflegt erhoben,

„der nimmt das Glas vornehm in die Hand, spreizt das hübsche Fingerchen ab“, den kleinen Finger abspreizend führt er das Glas an die Lippen,

„Siehst du, so…“,

spitzt die Lippen in übertriebener Weise,

„und schlürft dann ganz sachte davon“, und tut so, als ob er davon nippe.

„Das machen die hohen Herrschaften aus der höheren Gesellschaft nämlich so. Genau“, mit großen Augen und ironiefreier Ernsthaftigkeit nickt er dem Knienden zu.

Meine Brauen ziehen sich wie auf Kommando in die Höhe und ich verschränke die Arme amüsiert vor der Brust, hart gegen das Kräuseln meiner Lippen ankämpfend… wobei… einige dieser dargestellten Exemplare gibt es, aber wenn ich an mir herunter und auf meine vom Dreck verkrusteten Hände sehe, liegen Meilen zwischen deren Vorstellung und der Realität.

„Die Herren haben eine interessante Vorstellung von der Aristokratie“, werfe ich ein und mache mich damit neben einem Klopfen an der Wand bemerkbar. Der Schrecken, der sie durchfährt, nachdem ihre Köpfe zu mir geschnellt sind und sie erkannt haben unter wessen Beobachtung sie stehen, gefällt mir, und während der hagere Pirat schluckt, furchtsam von unten herauf lächelt und das Holzauge in seiner Höhle umherrollt, fällt dem anderen der Flakon aus den Händen.

„Wir, wir… Bad“, stottert er, bückt sich danach und wechselt Blicke vom Glas zu seinem Freund, nur um es ihm dann in die Hand zu drücken und mit dem Finger die Schuld auf ihn zu verweisen.

„Haben nur gemacht, was der Cap´n gesagt hat“, verteidigen sie sich simultan und als ich einen Fuß vor den anderen setze, mich in meiner Autorität aufbaue, werfen sie sich in einen bemerkenswert perfekten Salut.

„Sir!“

Ich tue ihnen den Gefallen, marschiere um sie herum, streng, sehr militärisch und immer noch mit kritisch erhobenen Brauen, ein kleines bisschen Spaß ´für zwischendurch´… ein spannendes Ereignis, zwei zitternde Figuren wie diese vor sich zu haben… die mehr Angst vor einem einzelnen Mann haben, als einem Fluch, der die Verdammnis bedeutet hat.

Die Anspannung der beiden ist greifbar und so kommt ein einzelnes, überhebliches Wort erlösender, als der Tod des Menschensohns am Kreuz.

„Wegtreten“

So schnell die Füße die Männer tragen flüchten sie aus dem Zimmer, stolpern über ihre eigenen Beine, rempeln gegeneinander, stoßen Kleinigkeiten an Badezusätzen um, der, der nicht Ragetti heißt gar einen Stuhl,

„ruft nur, wenn Ihr was braucht. Zu Diensten Commodore“, bis sie schließlich in wiederholenden Verbeugungen die gerade mal vier Schritt rückwärts bis zum Ausgang geschafft haben.

Noch durch die zugeworfene Türe höre ich gedämpft das erleichterte Aufatmen der beiden und das Getuschel.

„Jagt einem Angst ein der Kerl, auch wenn er nicht mehr aussieht wie ein Commodore“

„Jaaa. Mehr als der Kraken“

„Das heißt Krake!“

„Stört den Fisch doch nimmer“

Während die trippelnden Schritte auf den Stufen verhallen, widme ich mich der großen Wanne mit ihrem verlockenden, dampfenden Wasser, das einladend darauf wartet seine Arbeit zu tun.

Ohne dass ich es selbst bewusst wahrnehme bin ich schon dabei mich so schnell es der Schmerz zulässt zu entkleiden, werfe die schmutzigen, mittlerweile abgewetzten Sachen achtlos auf einen Haufen und tauche in dem wohltuenden Nass unter.

Keine fünf Minuten liege ich darin, mehr als dass ich sitze, bis Schmerz, Erschöpfung und der leichte Schlaf der letzten Tage mich schummrig machen. Der hitzige Nebel, der mir die Lungen füllt und die Sinne betörenden Aromen – was auch immer die Piraten ins Wasser geschüttet haben - tun ihr Übriges und ehe ich mich versehe werde ich schläfrig…

verworfen ist der Gedanke an das Gespräch mit Sparrow,

...bis ich einnicke.
 

_______________
 

Es gibt nichts besseres, als in der Badewanne zu sitzen, den Arm ganz gediegen über den Rand hängen zu lassen, seinen Gedanken nachzuhängen und dann einzuschlafen...und aufzuwachen, wenn das Wasser kalt ist... >_>

Charakteristikum 3

Langsam lehne ich meinen Kopf gegen den Rand, um nicht ein plätscherndes Geräusch zu machen und grinse selig vor mich hin… fasziniert auf den Rücken des am Boden hockenden Piraten schauend, der nicht realisiert, dass ich wach bin.

Zu versunken ist er im Durchwühlen meiner Sachen, als dass ihm aufgegangen wäre, wie ich ihn und sein köstliches Treiben aus meinem kalt gewordenen Bad heraus seit einer guten halben Stunde beobachte. Ohne, dass ich ihn dabei unterbrechen wollte, mit ihm streiten oder einfach nur vor Entrüstung zu protestieren, ich lasse ihn machen, denn ich bin ihm einen Schritt voraus und kann seiner Suche sorglos entgegenblicken, wird er doch nicht finden, was er so sehr will.

„… s sie denn? Wo is sie denn?“, brummelt er zu sich selbst, „Jackie wenn du ein kleines, feines Papierchen wärst zum Retten netter Piraten, wo würdeste dich von unserem guten Jamie-Commodore hinpacken lassen? Komm Schätzelchen, ruf mal ganz laut nach mir…“

Ratlos wirft er eines meiner Hemden neben sich, kratzt sich am Kopf, dann stärker im Nacken… der eingetrocknete Schlamm muss fürchterlich jucken…

„Bekommst auch ein schönes Plätzchen an meiner Brust, aye?!“

Mit einer unerschütterlichen Geduld begnadet durchsucht Sparrow zum wiederholten Male Hosen, Mantel, Tasche, die Scheide des Schwerts und den anderen Besitz, den ich auf die Pearl mitgebracht habe. Die weiße Perücke wird malträtiert, an ihr herumgezupft und an den Locken gespielt, ob sich nicht dazwischen das begehrte Edikt verberge. Da er es dort natürlich nicht findet, das Dokument wäre selbst gefaltet zu groß um es zwischen zwei Nähte zu packen, wird sie kurzerhand auf den Kopf gesetzt direkt auf den wulstigen Zopf unseres immer noch seienden Lehmmännchens.

Dazu stimmt er leise ein passendes, sehr betrunkenes Piratenliedchen an.

Ich unterdrücke ein Glucksen ... neben der brennenden Frage, wo eigentlich mein vergessener Hut abgeblieben ist.

„Freund, Ihr habt eindeutig dazu gelernt“, seufzt der Suchende und erhebt sich schwankend aus seinem Schneidersitz sich nebenher mit zwei Fingern das Haarteil wieder vom Haupt ziehend. Als stecke noch mein Kopf darunter und damit ein Gesicht, mit dem es sich reden lässt hält er es vor sich hin.

„Vielleicht hast du´s aber doch auf dem Schiff versteckt Jamie. Was sagst du?“

Sehr groß ist die Versuchung gerade jetzt zu antworten und das hochphilosophische Gespräch zwischen Pirat und Perücke zu unterbrechen…

„Kommst dir die meiste Zeit ja sehr überlegen vor und gut isses, macht die Sache viel spannender“

Grinsend dreht er seine Hand, so dass es wie das Schütteln meines Kopfes aussieht, sieht sich dann im Zimmer um und setzt die Locken zurück auf den Platz, auf den eigentlich sein Dreispitz gehört. Er hüpft damit auf Zehenspitzen zu seinem Bett - staubt dabei -, durchstöbert Kissenbezüge, Decken und die Matratze.

Truhe, Schränke und Schubladen folgen und all das bewundernswert leise.

Ich bette meinen Arm auf den feuchten Wannenrand und lehne meine Wange in die Handfläche. Ihr seid wirklich der schlechteste Pirat, von dem ich je gehört habe… dass Ihr nicht darauf kommt…

Ich hatte tatsächlich daran gedacht Gilette die Begnadigung mit auf den Weg zu geben, so dass der Pirat gar nicht erst in Versuchung gerät unsere Übereinkunft zu hintergehen, doch war es für mich eine glänzende Gelegenheit zu prüfen, wie sicher ich mich auf Sparrow verlassen kann. Und ich muss sagen, ich habe früher damit gerechnet, dass…

Nebenbei bemerkt ist es mir wohltuende Genugtuung, dass er mich nicht annähernd gut durchschaut, wie ich es befürchtet habe und seine Schläue wohl doch überschätzt wird. Ansonsten würde er an etwas nahe liegendes denken, ein Plätzchen, oder vielmehr an einen Gegenstand genau in seiner Nähe, der dazu auch eine seiner Vorlieben ist und zu dem er vermutlich öfter greift als nach frischen Strümpfen…

Als er endlich mit einem gedehnten Stöhnen aufgibt und sich unzufrieden zu mir wendet, zweifelsohne mit der Absicht den Schlafenden im Wasser mit Blicken zu erdolchen, ist einer der wunderbarsten Augenblicke unserer ansonsten eher anstrengenden Bekanntschaft gekommen:

Er stiert direkt in meine grünen, wartenden Augen.

„Ouh“, entkommt es ihm.

Mit den Fingern tipple ich gegen meine Wange, sehe ihn einfach stumm an, aber ich weiß, dass ihm meine aufgesetzte –eigentlich nicht vorhanden – Wut geradezu entgegen springt.

Wie eine Statue steht er da gefangen von meiner gespielten Entrüstung und man sieht ihm das Arbeiten seines Verstandes an, sich am besten aus der verfänglichen Lage herauszureden,

„Eeeh.. Ihr seid sicher schon eine ganze Weile wach, nicht?“, doch bringt er nicht mehr zustande als einen Mundwinkel zu einem verkorksten Lächeln hochzuziehen und die Stirn in Falten zu legen.

Ich nicke stumm.

„Werdet mir nicht den Gefallen tun noch mal schnell einzuschlafen, oder?“

Ich schüttle den Kopf.

Ich muss zugeben, ich habe meine böse Freude daran wie er vor mir steht, die Perücke schief auf seinem Kopf und ich ihn genüsslich auflaufen lasse.

Wortlos deute ich mit der rechten Hand, von der das kühle Wasser perlt auf ihn, er versteht sofort und nimmt sie schluckend herunter. Danach wandert meine Hand zeigend auf meine Kleider. Er kommt dem Befehl nach, macht einen nervösen Schritt vor um den Arm langsam weit auszustrecken, die Perücke zwischen Zeigefinger und Daumen festgeklemmt mir noch einen demütigen Blick zuzuwerfen und er sie dann mit einem Räuspern schnell über dem Stapel loslässt und einen Schritt zurückspringt, als ob sie sobald sie auf den Boden trifft nach ihm schnappen wolle.

Die Arme weit von sich gestreckt und den Oberkörper nach hinten gebogen betrachtet er sein Kunstwerk.

Da liegt sie nun…

Mit entschuldigender Miene wackelt er mit dem Kopf.

„Mister Sparrow, Ihr werdet die Begnadigung nicht einmal dann finden, wenn Ihr allen Euren kostbaren Rum leer getrunken hättet und in Eurem engelsgleichen Rausche eine dieser glückenden Eingebungen erhaltet, für die Ihr in diesem Zustand bekannt seid“, sage ich von ihm abgewandt, greife nach einem Stück Seife und beginne damit den in der letzten halben Stunde aufgeweichten Dreck von mir abzuwaschen.

"Es sei denn eine Meerjungfrau fällt Euch auf´s Deck und zwitschert es Euch zu. Oder wie wäre es mit einer Flaschenpost?..."

Innerlich grinse ich…

„Denn wie Ihr ganz richtig bemerktet, habe ich dazu gelernt“, sorgsam schäume ich Bart und Haare ein,

„und ich gedenke diesen Lernprozess andauern zu lassen“, danach Arme und Brust.

Sparrow sieht mir die ganze Zeit über schweigend zu und im Vergleich zu unserer letzten Begegnung dieser Art macht es mir nichts aus…

Auch dann noch nicht, als er schwankend zu mir stiefelt, in die Hocke auf Augenhöhe geht und die munteren Steinchen seiner Haarsträhnen mir entgegen klimpern.

„Freund, das war reichlich unfair“, beklagt sich der arme Kerl, legt die Hände gefaltet auf den Wannenrand und tastet mich mit den Augen vorwurfsvoll ab.

„Oh Sir, glaubt nicht Ihr wärt der einzige, der ein geradezu mephistophelisches Vergnügen daran entwickeln kann andere zu piesacken. Außerdem habt Ihr es verdient“

Ich besehe ihn mir von oben bis unten, sehr abschätzig wohl gemerkt,

„auch wenn ich meiner Form des Piesackens eine weit redlichere Motivation gebe und es nicht zu meinem persönlichen Vergnügen tue“

Mich vorbeugend seife ich mir die Beine ein. Sparrow stellt den Arm auf den Rand und legt den Kopf schief.

„Weil Ihr Euch daran erinnert, dass Ihr anderen dient und nicht nur Euch selbst?“

Überrascht, dass er sich das gemerkt hat blicke ich ihn an,

„Sieh an, es besteht noch Hoffnung für Euch“, lächelnd werfe ich ihm die Seife in die Hände und spüle mir das Gesicht.

Als mir das Wasser über Stirn, Nase und Mund gelaufen ist und von meinem Bart tropft, funkelt der Pirat mich plötzlich dunkel aus seinen braunen Augen an,

„So, glaubt Ihr…“, sagt er herausfordernd, lässt die Seife ins Wasser fallen, springt auf und zieht sich mit geradezu rasanter Geschwindigkeit die Stiefel aus, welche er achtlos über seine Schulter wirft. Einer davon fällt auf den Tisch…

Jetzt ahne ich Böses!

Charakteristikum 4

Jetzt ahne ich Böses!

Und diese Ahnung bestätigt sich umgehend, denn Waffengurt und Weste folgen den Stiefeln auf dem Fuße.

„Wagt es ja nicht!“, brülle ich ihn in an, mir völlig im Klaren darüber, was er vorhat und im Nu bin ich auf den Beinen, als dieser impertinente Mensch schon im Begriff ist sich aus seinem Hemd zu schälen.

„Na und ob ich es wage Commodore, Ihr habt schließlich genug Zeit gehabt um sauber zu werden“, nuschelt er unter dem Stoff hervor von dem einige Klumpen Dreck ins Wasser fallen und ich weiß, dass er grinst! Ich WEIß, dass er grinst!

„Kann ich ja nichts für, dass Ihr eingeschlafen seid“

Sparrow zieht sich das Hemd vom zerzausten Haarschopf und steht mir direkt gegenüber, so nah, dass nur noch das vergilbte Leinen zwischen uns ist und ich seinen Atem, den das leise Flüstern hinterlässt an meinen Lippen spüren kann:

„außerdem hab ich schon alles gesehen, was es bei Euch zu sehen gibt“,

mit einem unflätigen Lächeln deutet er mit beiden Zeigefingern nach unten,

„und mein lieber Commodore, Ihr seid ganz sicher… kein… Eunuch“

Ich weiß nicht, ob es die Scham ist vor einem anderen Mann zu stehen wie Gott mich schuf, seine anzüglichen Worte, oder nur altbekannter Zorn und egal was die Ursache der peinlich roten Farbe auf meinen Wangen ist, jedenfalls setzt er mich damit matt…

Unfähig mich zu rühren, sehe ich dem Piraten zu wie er das Hemd zu Boden gleiten lässt, mit wackelnden Zehen die Temperatur des Wassers prüft und die Miene brummig dabei verzieht, weil es ihm zu kalt und schmuddelig geworden ist.

Ich kann nicht verhehlen, dass ich ihn betrachte, seine durchgängig gebräunte Haut, die meinem eigenen kalkweißen Teint gegenüber steht wie Kaffee der Milch, die unzähligen Tätowierungen auf Brust, Rücken und Armen, unter anderem der fliegende Spatz auf seinem rechten und ihn keineswegs damit verunstalten, wie man annehmen müsste.

Vielmehr tun es die vielen Narben, zwei Schusswunden, herrührend von Kugeln, die er sich im Laufe seines Lebens eingefangen hat, eine davon hat knapp neben dem Herzen getroffen und lange schmale Narben, entstanden durch die vielen Zweikämpfe mit dem Schwert… das eingebrannte ´P`, das ihn für den Rest seines Lebens als Piraten ausweisen wird… Ob ich ihm auch die ein oder andere beigefügt habe?

Ich denke an den Kampf zwischen Turner, ihm und mir auf Isla Cruz zurück, seit dem zumindest ich eine von ihm mein eigen nennen darf...

Ich kann nicht anders als ihn anzusehen, wie in einem Traum aus dem man nicht erwachen kann, oder unter einem Bann stehend…

Als dann seine Hände beginnen das breite Tuch von seinen Hüften zu wickeln und nach den Knöpfen seiner Hose tasten, höre ich nur noch Rauschen in meinen Ohren. Rauschen wie Wellen, die sich an Felsen brechen.

Wie in Trance greife ich Sparrows Finger, halte sie fest und sehe in dieses warme, von Kohle umrandete, unheimlich amüsierte Paar Augen vor mir… und nach ewigen Momenten, in denen er sonnengleich zurücksieht bin ich wieder bei klarem Verstand.

„Lasst sie oben!“, warne ich böse, die Stimme versagt mir fast den Dienst.

“Ich denk gar nicht dran! Ich hab Euch lieb schlafen lassen und wisst Ihr überhaupt wie scheußlich das Zeug juckt?“, kommt Sparrows vorwurfsvolle Frage und meine Hände werden energisch beiseite geschoben,

„und jetzt macht Platz!“

Zielstrebig will er sich an mir vorbeizwängen, setzt auf die Kraft seiner Ellbogen um mich zu vertreiben und steht schon mit einem Bein im Wasser, da kommt mir der ausgesprochen dumme Einfall ihn stoßen zu müssen…

Es ist nur aus dem Affekt heraus, eine Laune, ein spontanes Gefühl des ´Sich-Luft.machens´ zu dem ich mich verleiten lasse, vielleicht auch um mein besetztes ´Revier´ gegenüber dem Piraten zu verteidigen… ich denke nicht einmal darüber nach und schon befinden sich meine Hände auf seiner Brust… und in diesem Moment ist es ein wahrhaft prachtvoller Gedanke…

…noch in der Aufwärtsbewegung seines Kopfes, wie er mich anraunzen will, taumelt er nach hinten und erwischt mit einem Fuß die zuvor ins Wasser gefallene Seife. In Sekundenbruchteilen wechseln sich auf seinem Gesicht Überraschung, Erkenntnis und Schock ab, die Lippen sind zu einem stummen „oh“ geformt… und dann greift er instinktiv nach meinen Armen, als er fällt…

bringt mich aus dem Gleichgewicht…und…

nun ja… ein sehr dummer Einfall eben und ich erinnere mich an wahre Worte meiner Mutter, dass Gott kleine Sünden immer gleich bestrafe…

Unter lautem Schreckensgeschrei stürzen Sparrow und ich in die emaillierte Wanne, er mit dem Rücken auf den Boden, ich auf ihn, die braune Brühe um uns herum spritzend und schwappend und über den Rand laufend und beide schlucken wir zu viel davon, als dass es gesund sein kann.

Um Atem kämpfend, ohne ihn gewährt zu bekommen, finde ich mich unter Wasser wieder, auf Sparrow liegend und mit der Stirn an seiner Brust. Kurz realisiere ich den hämmernden Schlag seines Herzens, der viel zu schnell geht, bevor er unter meinem schweren Gewicht wild geworden strampelt, sich gleichzeitig aber auch an mir festhält, um nicht abzusaufen. Ein Problem, das ich ausnahmsweise mit ihm teile…

Unsere Hände arbeiten gegeneinander, sehr egoistisch und wenig hilfreich um zusammen wieder hochzukommen, und unfreiwillig fahren sie dabei über die Haut des anderen, welche nass geworden sich wie warmes Leder anfasst. Darunter verborgen spüren sie die festen, wohlgeformten Muskeln an Armen, Schultern, Rücken und Hüften und zumindest ich stelle in diesem Chaos noch fest, dass Jack sich anders anfühlt, als eine Frau und gleichzeitig doch so viel vertrauter durch die eigene, bekannte Physiognomie. Sehniger, stärker… und so unwirklich es klingt… sicherer.

Meine Finger verheddern sich in unserem Gerangel in seinem zu langen Haar und dessen Schmuck, Sparrows Ringe dagegen in meinem Bart und beide reißen wir dem anderen ungewollt einige Strähnen aus.

Ich spüre seine angerauten Fingerspitzen, wie sie tastend in meinem Gesicht herum wandern auf der Suche nach Halt und auch unsere Beine, wie sie sich ineinander verweben, weil sie nicht ausreichend Platz haben. Es ist ein seltsamer Kampf…

Nah am Ersticken stemme ich mich mit den Unterarmen auf Sparrows Bauch, als er mich für einen kurzen Moment loslässt, drücke mich ab und ihn damit noch einmal hinunter ins Wasser, bevor ich mich - mir die Seele aus dem Leib hustend - auf meine Fersen zurücksetze. Keuchend wische ich mir das Wasser aus den Augen und die wie bei einem begossenen Pudel herab hängenden Haare zur Seite.

Einen Moment später taucht auch der Pirat schnaufend auf, eines seiner Beine ist zwischen meinen eingeklemmt, prustet und ächzt vor sich hin und macht sich dabei keine Sorgen, dass er mir das Wasser ins Gesicht spuckt. Mir ist es nicht minder egal, ob die Brühe von mir auf ihn hinunter tropft…

Keuchend zieht er sich am Wannenrand hoch.

Sein triefendes, struppiges Haar verdeckt gleich einem Vorhang sein Gesicht aus dem nur die spitze Nase heraus schaut.

„Ich hasse Euch Sparrow! Ich schwöre, ich hasse Euch!“, japse ich leise, und während ich es sage meine ich es aus tiefstem Herzen und Seele.

Dann aber muss ich mir auf die Lippen beißen, ein lautes Lachen runterschluckend, als er stumm die Haarpracht mit seinen ringbesetzten Fingern in der Mitte teilt, sie auseinander zieht und zum Vorschein ein wütendes, hochrot angelaufenes Antlitz kommt, aus dem mich von der Schminke zwei verlaufene Augen anblitzen.

So still ist es im Raum, dass das Fallen einer Stecknadel hörbar wäre, als wir einander lauernd betrachten, weder er noch ich uns bewegen und einmal mehr keiner von uns bei diesem sinnlosen Starr-duell nachgeben will, ähnlich wie beim Schluss unseres Abkommens heute morgen.

Der Pirat hat jedoch die deutlich unbequemere Position mit einem Bein über den Wannenrand baumelnd, mit den nassen Hosen am Leib - wobei das über den Rand hängende Hosenbein erstaunlicherweise trocken geblieben ist - und sein anderes Knie unter meinem gesamten Gewicht begraben wird. Und so ist Sparrow es, der endlich nach einer langen Weile sich langsam unter mir aufrichtet, geschmeidig und seidig wie feiner Stoff auf der Haut.

Und mit jedem Zentimeter, den er sich mir nähert weicht die Wut aus ihm und das alte Goldzahnlächeln stielt dich verstärkend zurück auf seine Züge. Sicher, weil er eine passende Antwort gefunden hat, nachdem er die meinige verdaut hat.

Kurz bevor er auf gleicher Höhe mit mir ist hält er inne, schließt die Augen zur Hälfe, zwirbelt dann die beiden Seiten seines Bartes bis sie in die Höhe stehen und gestikuliert mit den Fingern in kleinen Kreisen vor meiner Nase herum.

„Tut Ihr nicht, Ihr mögt mich“, das ´mögen´ wird gedehnt lang gesprochen,

„ich bin nämlich das, wie wir wissen, was Eurem tristen Leben die Würze gibt, jetzt da die liebreizende Elisabeth liebreizend zu einem anderen ist, aye?“

Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe und verschränke die Arme vor der Brust.

„Ach wirklich, dann muss ich maßlos enttäuscht sein, dass Ihr nicht im Besitz holder Weiblichkeit seid, da, wie wir ebenfalls wissen, für gewöhnlich die Damen an denen mir was liegt das Weite suchen. Zu dumm, wirklich ausgesprochen dumm, dass Ihr ein Mann seid“

Sparrow lehnt sich leicht zurück, um mich komplett ins Auge zu fassen, die Hände lässt er ins Wasser sinken.

„Ah, dann wird der Herr Commodore geruhen mal irgendwann von diesem einen Mann hier runter zu gehen, ja? Oder hat er´s recht bequem?“, fragt er mit schiefem Grinsen, nicht ohne seiner Frage mit entschiedenen Bewegungen seines Beins Nachdruck zu verleihen.

„Sollte der Herr Pirat dafür nicht zuerst einmal loslassen?“

Ich sehe mit hoch erhobener Braue auf Sparrows Hände, die aus Versehen auf meinen Oberschenkeln ruhen und zum ersten Mal in der langen Zeit, in der wir uns kennen sehe ich mein Gegenüber ernsthaft erschrecken, als er die Finger gehetzt zurückzieht.

„War keine Absicht“, stammelt er, hält sie weit von sich gestreckt, furchtbar verwundert darüber, dass er selbst es nicht gemerkt hat, wohin sich seine Finger verirrt haben.

„Ich weiß“, erwidere ich nachsichtig, rücke nach hinten um mich zu setzen und ziehe die Beine an den Körper, damit wir in der Wanne Platz haben.

Sparrow ruckelt mit einem lauten Räuspern auf seinem Fleck und verschränkt die Beine zum Schneidersitz, eine Haltung, die er gerne einzunehmen scheint.

Mit den Fingern im Wasser plätschernd, sieht er an mir vorbei.

Schweigend. Peinlich berührt...

Charakteristikum 5

...

Schweigend. Peinlich berührt...

Genau in diesem Moment klopft es an der Tür, ohne auf die Erlaubnis zum Eintreten zu warten wird sie geöffnet und der Kopf Anamarias erscheint im Rahmen.

„Cap´n wir dachten weil wir nach eurem lautstarken Gestreite nichts mehr gehör-“

Mitten im Satz bricht sie ab, starrt das sich ihr bietende, unglaubwürdige Bild an, eines wo sie sich noch Tage lang fragen wird, ob ihr Verstand ihr nicht einen gemeinen Streich gespielt hat. Zuerst mich, bei dem sie damenhaft errötet, wobei ich vermute, dass sie an Bord eines Piratenschiffes als einzige Frau weit mehr nackte Männer gesehen hat, als ich während meiner Ausbildungszeit, oder den Jahren danach. Dann blickt sie auf Sparrow, der Stück für Stück unter ihrem Blick nach unten rutscht, bis der Wannenrand sein Gesicht verdeckt. Sprichwörtlich im Boden versunken ist nur noch sein rotes Kopftuch für sie zu sehen.

Ich fühle es ihm nach. Derart vor eine Frau in Erscheinung zu treten, mit der mich keinerlei intimes Verhältnis verbindet ist weder duldsam noch schicklich.

Ein lautes Räuspern meinerseits reißt sie schließlich aus ihrer Erstarrung und lässt sie mit einem hohen Krächzen sich die Hand vor die Augen schlagen.

„…von euch gehört haben…. Wir… wir, wir, na ja, ich meine Gibbs war der Meinung, ´s sei besser, ich geh mal nachseh´n…ob der Commodore noch lebt“,

verlegen lachend und plappernd stottert sie ihre Worte heraus und streift sich nervös eine Locke mit der noch freien Hand unter ihr Haartuch zurück,

„aber ich seh ihm geht´s gut. ´Tschuldigung, wollt dich nich stör´n Jack. Mach ruhig weiter, als wär ich nie da gewesen“

Uns zuwinkend schiebt sie sich aus dem Rahmen und zieht die Tür ins Schloss. Dahinter kann sie dann einen Aufschrei nicht mehr zurückhalten, vor Entzückung, Entrüstung oder weil sie andernorts an einem würgenden Lachen erstricken würde.

„Halt den Rand! Ich hab die Hose an, klar?!!“, ruft Sparrow ihr wütend hinterher und wesentlich wütender werde nun ich taxiert.

„Zufrieden? Bloß eine Woche mit Euch und Ihr ruiniert mir den Ruf!“, knirscht der Pirat zwischen zusammengepressten Zähnen hervor mit einem vorsichtigen Schielen auf die Türe, was mich angesichts seiner zügellosen Persönlichkeit sehr amüsiert, bedeutet dieses Missgeschick doch, dass ihn gewisse Dinge aus der Fassung zu bringen vermögen. Ich hatte zeitweise meine Zweifel….

„Ich schwör´s es dauert keine halbe Stunde und man erzählt sich an den Feuern der Inseln ´ne neue Geschichte von Captain Jack Sparrow!“

Der arme Mann greift sich an die Stirn und fröstelt.

Ha!

„Fabelhaft! Da habe ich das große Vergnügen Jack Sparrow beschämt zu erleben. Das wäre direkt eine ausführliche Notiz in Eurer Akte wert!“

Der Kopf des Piraten wendet sich mir zu, langsam, berechnend, sofern ein Kopf sich berechnend drehen kann und die daran befestigten Perlen warnend klappern können.

Beschwichtigend winke ich ab, bevor ihm der Kragen platzt.

„Lasst das Mädchen herumerzählen, was es will und diese Begegnung nur reichlich ausschmücken und ich garantiere Euch, keiner wird es ihr glauben. Allein, weil ich derjenige bin, der die hohe Gunst hat in diese Situation geraten zu sein. Also, es ist nur eine lächerliche Peinlichkeit. Mehr nicht“

„Sagt einer, der das kalte Grausen kriegt und sich tot stellt, wenn man einen Arm um ihn legt und auf Kumpel macht“, schnaubt er entrüstet und mit einem darauf folgenden Stöhnen legt der er den Kopf in den Nacken um sein Gesicht mit einem Arm zu bedecken.

Ich rolle mit den Augen und entscheide mich dafür, dass es angenehmer ist einen penetrant nervenden Piraten an seiner Seite zu haben, als einen weinerlichen, am Boden zerstörten.

„Sperrt die Ohren auf Pirat, denn ich werde mich nicht wiederholen: Es kommt nicht so sehr auf missglückte Situationen an, sondern auf die Bedeutung, die man ihnen beimisst. Und diese hier hat keine, weder zum positiven noch zum negativen, es war ein Versehen, ohne Absicht und Zweck. Ich vermag diese Angelegenheit zu vergessen und Ihr solltet das auch. Begegnet mir und Eurer Crew wie gewohnt und in ein, vielleicht zwei Tagen ist das leidige Thema vom Tisch“, erkläre ich mich und trete ihn gegen eines seiner Schienbeine,

„und jetzt hört auf zu jammern, denn ich verspüre ganz und gar nicht das Bedürfnis Seelentröster für ein Waschweib zu spielen“

„Waschweib?!“

Der Kopf des Piraten schnellt in die Gerade zurück, die Augen klar bei der neuerlichen Konfrontation.

„Jungchen, ich bin Captain Jack Sparrow! Klar soweit?“

Innerlich rolle ich mit den Augen… mein Gott, wie berechenbar er doch ist! Da drängt sich mir ehrlich die Frage auf, wie er sooft entkommen und die Navy, –ich-, derlei Schwierigkeiten bei seiner Ergreifung haben konnte, wenn er von solch einfachem Gemüt ist.

Mit einem Seufzen gebe ich nach.

„Sir, dann erwarte ich von Euch, dass Ihr Euch auch so benehmt“,

kaum zu glauben, dass ich ihn tatsächlich auffordere sich gemäß seiner Manier zu verhalten,

„und jetzt wascht Euch endlich. Ihr stinkt wie ein Maultier“

Der Pirat legt die Arme auf den Seiten des Zubers ab.

„Hat das stinkende Maultier auch die Erlaubnis sich aus den nassen Hosen zu quälen, die wie das stinkende Maultier meint, eklig kleben?!“

Sparrow legt den Kopf schräg und grinst mich an. Ja, jetzt ist er wieder der Alte.

„Tut, wie Euch beliebt“, ächze ich beim Aufstehen mir kurz an meine lädierte Brust fassend, greife mir eines der trocken gebliebenen Tücher von einem Stuhl, der neben dem Zuber steht, bedecke meine Blöße um die Hüften und mache ihm Platz,

„aber auf meine Anwesenheit müsst Ihr bedauerlicherweise verzichten“

Während ich aus der Wanne steige, beginnt Sparrow befreit vor sich hin zu pfeifen, entledigt sich des restlichen Stoffs, der den Weg seiner anderen Sachen nimmt und fängt an sich ordentlich zu schrubben.

„Darf ich Euch eine persönliche Frage stellen Norrington?“, fragt er während er aus seinem braunen Bart einen seifig, weißen macht.

„Nur zu, fragt. Ihr werdet sehen, ob ich den Willen habe sie zu beantworten“

Eine saubere Hose und ein Hemd aus dem Haufen heraussuchend, den der Pirat gebaut hat, beobachte ich ihn aus den Augenwinkeln.

„Was bringt Euch auf den Gedanken, dass ich in meinem wie ihr ganz sicher immer überschwänglich geneigt seid zu glauben, ´verwirrten´ Geiste dieses Techtelmechtel hier nicht geplant habe? Dass dieses schicke Spielchen keinem anderen Zweck dient, als dem Zweck euch davon zu überzeugen, dass ich nicht immer gewillt bin zweckmäßig zu denken, um dann meine Zwecke ungeniert verfolgen zu können. Aye?“

Ich lache auf, trockne mich ab und sehe ihn danach an wie ein Vater seinen kleinen Jungen ansieht, der gleichsam etwas dummes, wie lustiges gesagt hat… einen Jungen, der gerade einen langen weißen Bart trägt…

„Sparrow Ihr seid vielleicht vieles, unverschämt und dreist, lasterhaft und ungeschickt, ein schlechter Pirat und ganz sicher seid Ihr eine Plage, vielleicht sogar die Ausgeburt der Hölle höchstpersön…-“,

„klingt ja fast wie ein Kompliment!“, knurrt er mich an.

Ich schlüpfe in mein Hemd.

„Es könnte in der Tat wie eines klingen, wenn Ihr mich nicht unterbrecht..…, aber eines seid Ihr ebenso sicher nicht: Ein Sodomit. Und ich bin gerecht genug das anzuerkennen, ohne auf falschen Stolz zu beharren, dessen richtigere Ausführung Ihr nur zu gerne in der Gosse sehen würdet“

Einen Moment überlegt mein Gegenüber, bevor es mir frech einen Schwamm zuwirft, - einen sehr nassen -, den ich fange.

„Find ich gut. Dann seid hübsch gerecht und frei von falschem Stolz, tut was Nützliches und schrubbt mir den Rücken“, erwidert er mit einem halben Lächeln.

Gemütlich hebe ich meine schmutzige Kleidung auf, seine dazu und bin mit ein paar Schritten bei meinem Enfant terrible, das glaubt jetzt doch noch einen Sieg einfahren zu können, mich zu schockieren. Dort gehe in die Hocke und seufze:

„Ach Sparrow, gebt mir nicht nur einen lausigen Schwamm, sondern eine Drahtbürste und ich erhöre Euer Flehen zu gerne“

Mir einem bösartigen Grinsen klopfe ich ihm auf die Schulter, werfe das ganze Zeug in meinen Händen zu ihm in die Wanne mit der Aufforderung es zu putzen. Und während ich meinen errungenen Sieg in diesem Wortgefecht still und heimlich zelebriere, schnipst er der Schwamm grollend beiseite, dass er wie ein kleines Boot auf zu hohen Wellen vor ihm hintreibt.

Dann stemmt er die Hände flach vor sich in den Zuber, die Kleidung hinunterdrückend,

„Pah!“,

und das Bild eines trotzigen Kindes kommt mir unweigerlich in den Sinn. Ein trotziges Kind, ja, an das erinnert er mich manchmal… solange bis ich ihn sehe, kämpfend und immer wieder entkommend, kommandierend auf der Black Pearl, oder er in seiner einfachen, aber dennoch klugen Art Dinge ausspricht, die kein anderer auszusprechen wagt. Oder er mit seinen wachen Augen jedes noch so geheime Gefühl in einem Menschen erkennt… und es schäbig ausnutzt!

„Was wolltet Ihr jetzt eigentlich von mir?“, werde ich von ihm aus meinen Gedanken geholt und der Anflug stupider Freude ist sofort verflogen.

Charakteristikum 6

„Was wolltet Ihr jetzt eigentlich von mir?“, werde ich von ihm aus meinen Gedanken geholt und der Anflug stupider Freude verpufft, so schnell wie er gekommen ist.

Lasten, die einem Mensch auf die Schultern gelegt werden kommen immer mit gnadenloserer Schwere zurück, nachdem sie zeitweilig von ihnen genommen wurden.

Noch in der Hocke sehe ich über Sparrows Schulter hinweg, durch das milchige Glas der Fensterscheiben, auf denen sich die feinen Nebel der aufziehenden Nacht niederschlagen, aufziehend von den dunklen Gewässern und den Raum dunkler werden lassen.

„Von Francois erzählen…“, wispere ich und verbleibe still, als der Pirat mich geduldig mustert, greifbar und intensiv und mit freundschaftlicher Nähe.

„Is´ was Bedrückendes“, schließt er murmelnd.

„Das ist es Mister Sparrow“

Ich erwidere die mir freundlich entgegengebrachte Offenheit und kurz wäre jener Gedanke ein ungemein tröstlicher, meine Stirn an diese mir unendlich stabil vorkommende Schulter vor mir zu lehnen. Die Last zu teilen…

Meine erlernte Überlegenheit über diffizile Situationen aber gewinnt die Oberhand zurück und so richte ich mich auf, um zu dem Tisch im Zentrum des Raums zu gehen. Dort angekommen bekleide ich mich zu Ende, die Kniebundhosen ordentlich über das an den Ärmeln weit fallende, schlichte Hemd getragen, die Knöpfe an den Ärmeln geschlossen und um den Hals einen weißen Jabot gebunden.

Danach stütze ich mich mit gesenktem Kopf und eisernem Blick auf die Platte und trage die Fakten vor:

„Ich habe die Pflicht Euch darüber in Kenntnis zu setzen, dass Eure ehemalige Gespielin während unseres Kampfes den Namen eines Mannes erwähnte, ein Mann, der die Angelegenheit entschieden verkomplizieren wird: La Rochelle“

Obwohl ich den Piraten nicht sehe, so weiß ich, dass er seinen Kopf jetzt recken wird und sein Interesse entflammt, da alles Unerwartete wahres Brennholz für seine Neugierde ist.

„Chevalier Francois La Rochelle. Bis vor einigen Jahren diente er als Geschützmeister in der Armee, bevor er als Protege des fanzösischen Hofes nach St. Lucia ging, mit der Absicht Handel zu treiben. Vordergründig…, wenn Ihr versteht“

Ein sorgenvolles Runzeln läuft mir über die Stirn, das ich glatt zu streichen versuche.

„Der Chevalier ist ein begnadeter Intrigant und Informant, Spion, wenn Ihr so wollt und er versteht sich darauf, wie es kein zweiter tut, die Menschen um ihn herum zu manipulieren. Überheblichkeit und vermeintliche Unantastbarkeit hochdekorierter Aristokraten vermag er zu nutzen, um sie in scharwenzelnder Sicherheit zu wiegen, nur um dann im passenden Augenblick den Dolch zu zücken und wie ein Brutus seinen Cäsar zu erstechen.... und bis heute Morgen nahm ich an, er sei vor acht Jahren vor Santa Barbara gefallen. Doch wie mir scheint waren die Berichte über sein Ableben maßlos übertrieben“

Mir die feuchten Haare im Nacken zusammenzurrend, binde ich ein schmales Bändchen streng darum.

„Und ich befürchte unsere attraktive Gegnerin hat ein Bündnis mit ihm geschlossen. Ich ersehe noch nicht den Profit darin, den sie durch eine Verbindung mit ihm hat, vor allem, da ihre uneingeschränkte Abneigung gegen jegliche Form der kolonialen Herrschaft mir durchaus bekannt ist“

Seufzend füge ich hinzu, „oder welchen Vorteil er dadurch hat… aber die Entführung des Governors wird demnach zu mehr dienen“

„Eine Bekanntschaft, darf ich also annehmen?“, fragt Sparrow mit einem merkwürdig spitzen Unterton, der mir wie eine Nadel in den Rücken sticht und mich veranlasst mich umzudrehen.

„Gewissermaßen“, antworte ich knapp, den Blick auf meine nackten Füße richtend, um ihm auszuweichen, als er mich forschend aus seiner Wanne heraus betrachtet.

„Eine nahe?“, bohrt er an seinem Oberlippenbart kratzend ohne Erbarmen weiter. Dann zieht er sich das nasse Kopftuch herab und taucht unter.

Anzunehmen, er bemerke mein Unwohlsein nicht, beleidigte selbst seine Intelligenz.

Als er wieder auftaucht und sich die restliche Kohle von den Wangen wischt, gebe ich ihm eine nichts sagende Antwort:

„Möglicherweise“

„Aus Kindertagen vielleicht?“, hakt er weiter nach.

Abwehrend verschränke ich nun die Arme vor der Brust, ohne aber die Augen zu heben. Wie deutlich muss man einem Menschen zu verstehen geben, dass man nicht gewillt ist zu antworten?

Stumm verharre ich in dieser Position, lasse mich nicht weiter ausfragen und in der Tat scheint Sparrow nicht zufrieden. Stattdessen erhebt er sich aus seinem Bad, nur um mit ein paar fahrigen Bewegungen bei mir zu sein, ohne… mit einem Räuspern halte ich mir die Hand vor Augen… nun ja... drücken wir es so aus: Das Privileg mich offenbart bis auf das Mark zu sehen, erhält gerade seine Revanche. Sparrow bleibt vor mir stehen, Wasser läuft über seine Haut und sucht sich einen Weg nach unten… und ich folge den Tropfen mit den Augen… mein Blick hebt sich augenblicklich vom Boden, weil ich nicht in die Verlegenheit kommen will, ein wenig zu tief zu schauen.

Der Pirat selbst ist, wie wir wissen, von derlei Hemmnissen frei und macht auch keinen Hehl daraus. Wie der junge Narziss aus den griechischen Sagen zeigt er in seiner Selbstverliebtheit nicht den geringsten Willen sich zu verhüllen, bleibt lieber vor mir stehen, seine Hände in akrobatischer Bewegung, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und mich zwingen ihm ins Gesicht zu sehen.

„Ich sag Euch was Commodore, und darauf verwette ich meinen Kompass“, setzt er an, den Zeigefinger an den Mund legend, „unser zukünftiger Großpapi Swann ist nicht der Einzige, den Euer Freund gebrauchen kann. Denkt darüber nach, was er erreichen könnte, hätte er nicht nur einen mächtigen Mann, sondern derer gleich zwei? Wer beschützte dann noch Port Royal?“

Mit erhobenen Brauen sehe ich an. Erst jetzt geht mir auf, dass der Pirat über meinen Bericht keinesfalls überrascht ist. Sein Interesse hält sich auch deutlich in Grenzen… zumindest, was den Teil anbelangt, der nicht privat ist.

„Was beabsichtigt Ihr mir zu sagen?“, frage ich kühl gegen, das Misstrauen in meinem Inneren, das seit einiger Zeit geschwiegen hat, glimmt auf, „Ihr macht nicht gerade den Eindruck, als wärt Ihr über die Erwähnung La Rochelles sonderlich überrascht“

Sparrow will schon mit einem Grinsen zu einer Antwort ansetzen, -

„Und kommt mir nicht mit Eurem ´ich bin Captain Jack Sparrow!´ - Gefasel“, - als ich ihn unterbreche und er gleich einem geprügelten Hund enttäuscht die Schultern fallen lässt. Bedächtig und mit einem wütenden Funkeln in den Augen verkürze ich den Raum zwischen uns.

„Warum seid Ihr nicht überrascht? Erklärt Euch!“

Der Pirat legt den Kopf im Gegenzug schief, schürzt die Lippen auf gar komische Weise und meint dann trotzig: „Nein“, dass mir für einen Moment die Luft weg bleibt.

„Wie war das?“, knurre ich ihn düster an, doch Sparrow wendet sich unbeeindruckt von mir ab.

Halb über seine zuckenden Schultern blickend, schielt er mich aus halb gesenkten Lidern an.

„Erst will ich wissen, in welcher Beziehung Ihr zu diesem Mann steht. Wenn wir doch gerade eine so reizende Runde der Offenheit haben. Findet Ihr nicht auch?“

Mit einem schelmischen Lächeln fügt er bei, „wobei ich sowieso sehr offen bin. Im Augenblick… zufällig…“

Dass der Kerl die Situation über Gebühr genießt ist ihm anzusehen.

„Sparrow, hört auf mit mir zu spielen. Ich habe nicht darum gebeten, dass Ihr vor mir herumstolziert“, überfordert winke ich ab, „so… in dieser Aufmachung!“

„Hm, nein. Das gibt´s als Zugabe. Gerechtigkeit. Sozusagen“

Mit einem Grinsen nimmt er sich endlich, endlich!... etwas zum Anziehen. Währendessen marschiert er selig zu dem kleinen Kamin hinüber, dessen Feuerstelle in der Karibik kaum gebraucht werden wird und gibt dabei die Ansicht auf, hm, seine… Rückseite… preis, die als sei sie verhext meinen Blick anzieht…

Dort angekommen nimmt er vom Sims eine kleine Schachtel, die den Weg zu mir findet.

„Norrington macht Licht. Draußen wird´s duster“

Einige Streichhölzer herausnehmend, entzünde ich die bis zu einem drittel herab gebrannten Kerzenstumpen in ihren Leuchtern und die Laternen im Raum.

Nachdem alle brennen, der Pirat mit Ankleiden fertig ist und sich gesetzt hat, tue ich es ihm gleich, den Arm auf die Lehne gestützt, den Kopf in die Handfläche gebettet.

„Was also wollt Ihr wissen von mir und Francois?“, schnaube ich resigniert.

„Nichts Bestimmtes. Mein Gefühl sagt mir, dass Ihr darüber reden wollt. Und wenn Ihr das schon einmal wollt, dann sollte ich wohl zuhören wollen. Ich kann ein guter Zuhörer sein, wenn ich will“

Ich sehe an dem Piraten vorbei, der den blauen Ring an seinem Finger dreht, wieder hinaus auf das ruhige Wasser.

Ich falte meine Hände in meinem Schoß und überschlage die Beine.

„Nun, um die Sache kurz zu machen: Francois La Rochelle ist…, war ein Freund. Zu Studienzeiten in England, damals, als sich das Empire noch nicht mit Frankreich im Krieg befand und Europa sich vor Gier selbst zerriss“,

gleichgültig zucke ich die Schultern,

„ich weiß nicht mehr den Tag, an dem er gezwungen war abzureisen und sich unsere Wege so trennten. Ich habe es vergessen, und bis heute Mittag war jede Erinnerung an den Jungen von damals in der Bedeutungslosigkeit vergraben“

„Klingt nach einer wirklich engen Freundschaft Commodore“, grunzt der Pirat ironisch auf, meine Wortwahl offensichtlich missbilligend.

„Sparrow, um Tote zu trauern ist legitim. Doch ändert sich trotz der herzzerreißendsten Gefühlsduselei nichts daran, dass sie nun einmal tot sind und es in der Regel auch bleiben“

Zum zweiten Mal an diesem Abend versetze ich Sparrow sonderbarerweise einen eindrücklichen Schrecken, der an seinem Gesicht abzulesen ist. Wie es aussieht, will er auch nicht verbergen, dass meine Worte ihm nahe gehen.

Ich fahre dennoch ungehindert fort.

„Vor acht Jahren erhielt ich schließlich die Nachricht, dass er in einem Seegefecht vor Santa Barbara gefallen war. Etwa zu der Zeit, als ich Elisabeth und ihren Vater auf der Überfahrt von England in die Karibik begleitete und wir unseren lieben Freund Turner aufgelesen haben...

Zu dieser Zeit geriet das Handelsschiff des Chevaliers in direkten Konflikt mit einem Kriegsschiff der Royal Navy. Das Kommando führte damals ein unerfahrener, englischer Captain, ein wenig tölpelhaft und erst seit kurzer Zeit Inhaber des Kapitänpatents. Seine zweite Mission… Und es war eine leichte. Er hatte seine Befehle und hat sie bravourös gemeistert. Ohne zu fragen“

Ich lächle vor mich hin.

„Ich muss euch sicher nicht erklären, welche Partei in der Schlacht den größeren Verlust davon getragen hat.“

Nebenher zeichne ich die Maserung der Armlehne nach, die kleinen, feinen Verzierungen, die Weinblätter zeigen, welche kleine Kugeln aus Gold einfassen.

„Das ist das Kreuz des Soldaten Sparrow. Die zu machende Arbeit ist zumeist eine unangenehme“, seufze ich wehmütig, winke ab und eise meinen Blick von dem Holz los.

„Mehr gibt es nicht zu sagen. Ihr seid an der Reihe“

Der Pirat tippt sich gegen die Nase, schnalzt die Zunge und ist in einer fließenden Bewegung aufgestanden.

„Eigentlich müsste ich böse auf Euch sein Commodore“, ein Auge zukneifend und mit dem Kopf wackelnd, erhebt er den Zeigefinger.

„Ja. Doch. Ich müsste böse auf Euch sein. Da erzählt Ihr mir zu Beginn unserer Reise etwas von Vertrauen Freund, dass dieser Pirat hier- “,

er pausiert und legt sich die Hände auf die Brust, dabei zu mir an den Stuhl herantänzelnd,

„darauf bauen soll, dass Ihr ihm nicht bei der nächst besten Gelegenheit den Kragen ein wenig zu eng schnürt, wo wir doch beide zu genau wissen, wie gerne Ihr diesen Piraten habt, aye? Und nehmen wir an, der Pirat ist blöd genug das zu machen“

Mit zur Seite geneigtem Kopf tritt er neben mich, die Finger seiner Rechten laufen jetzt beiläufig über den Tisch, gleich einem Cembalisten, der seine Tasten greift. Seine ansonsten vollen Lippen sind zu schmalen Strichen verzogen, wirken verbittert und die Augen verhangen mit dunklen Wolken, entfremdet von dem gewöhnlich erhellenden Glanz. Den Kopf sacht in den Nacken legend, sieht er mich an, die nassen Zöpfchen fallen lockig nach hinten über seine Schultern.

„Er weiß zwar nicht warum, aber er macht es. Commodore. War das ein Fehler?“

„Was meint Ihr?“, hake ich ein, ein aufschreiendes Gefühl sich zusammenknüllender Gedärme wühlt sich von meinem Magen bis hinauf zu meinem Verstand.

Das Gesicht des Piraten erfriert augenblicklich.

„Euer junger Freund Hawkins. Und vier weitere Män-“,

noch während er spricht, fahre ich aus meinem Stuhl auf, so dass ich ihm und seiner Anklage auf Augenhöhe begegnen kann.

Himmel, nein! Von einem Augenblick zum anderen rast mein Herz in gefühllosem Takt, bringt mein Blut in den Adern zum kochen und macht mich schwindeln.

Sparrow dagegen steht reglos vor mir, unnatürlich ruhig und gelassen und einer für ihn untypischen Kälte in den Augen.

Er kann es nicht wissen!

„Vier weitere Männer habt Ihr an Bord geschmuggelt“, vollendet er den Satz, der

alles ins Wanken bringt.

Weißlich gekalkt und porös spannt sich die Haut meines Gesichts über darunter liegende Knochen, Muskeln und Fleisch von denen ich spüre, dass sie obwohl miteinander verwoben, keinen Halt für ernsthafte, kontrollierte Züge mehr haben.

Man könnte auch in dem unterprivilegiertesten Jargon sagen, mir fiele alles aus dem Gesicht.

Meine Herren, dieser Zeitpunkt wird es wohl sein, an den ich mich als denjenigen erinnern werde, an dem mir klar wurde, wie gefährlich der Kerl vor mir tatsächlich ist. Nicht nur in kämpferischer Hinsicht, sondern trotz seines belächelnswerten Gemüts, auch geistig.

In dem meinigen überschlagen sich bei dieser Erkenntnis die Gedanken:

Außer Hawkins war keiner der anderen Männer an Deck! Der Junge war betrübt, niedergeschlagen um nicht zu untertreiben, hat mich nicht einmal angesehen!

Wo sind die anderen?

„Ich dachte wir seien Gentlemen. Mein Freund…“

Mein Atem geht nur noch flach, Worte, wie sie sonst problemlos zu mir kommen, finden nicht den Weg, den sie sollten.

Wenigstens gelingt es mir Haltung zu bewahren, meine körperliche Überlegenheit durch Größe zu nutzen eine kühle, distanzierte Fassade zu errichten, und wenn auch nur äußerlich vorhanden, so doch gut genug, um nicht schmachvoll diesem kleinen Kerl zu unterliegen.

„Ihr seid bleich um die Nase Commodore. Läuft´s nicht wie geplant?“

Die Kiefer aufeinander beißend, forciere ich stumm die Wand hinter ihm. Hinter meinem Rücken balle ich die Hände zu Fäusten, die Nägel in die Innenseiten rammend.

„Im Admiral war ich drauf und dran Euch zu erschießen. Fühlt Euch geehrt, ich hätt selbst die Kugel genommen, die mal für Barbossa bestimmt war. Wenn ich sie noch hätte. Das hat nur die Gute, wie heißt sie doch gleich, ah Elisabeth, bisher geschafft“

Der Pirat watschelt zum Kamin und greift sich den Schürhaken, der an einem Haken an der Seite hängt.

„Seid also bloß froh, dass Sophia Euch gegenüber saß und nicht Anamaria“, ergänzt er grinsend, den langen Eisenstab in meine Richtung schwenkend, als ob er eine Reitgerte in den Händen halte.

„Seit wann und woher?“, frage ich und obwohl ich keine Berechtigung habe zu befehlen, kann ich nicht vermeiden, dass meine Stimme eisig und autoritär klingt. Ja, nicht einmal begegnen will ich den braunen Augen meines Gegenübers.

Ich höre, wie Sparrow mit einem Seufzen den Schürhaken klirrend zurück an seinen Platz hängt und wage es aus den Augenwinkeln zu ihm zu stieren.

„Lächelt Commodore“, fordert er mich abgewandt auf und bückt sich vor den Kamin.

Ratlos und auch seltsam gelöst starre ich auf seinen sich bewegenden Rücken, erkenne aber nicht, was er gerade tut.

„Kommt schon, ich will, dass Ihr lächelt. Kann nicht so schwer sein“, wiederholt er, genau im Bilde darüber, dass ich es nicht tue.

Mit einem Schnauben füge ich mich, schließe die Augen und setze ein verzerrtes Grinsen auf. Eine Grimasse…

Keine Sekunde später spüre ich leichten Druck an meiner oberen Zahnreihe.

Erschrocken weiche ich zurück, reiße ich die Augen auf und schaue direkt…. auf vom Ruß schwarze Fingerspitzen. Die soeben noch in meinem Mund herumfuhrwerkt haben!

Die freche Hand packend, wische ich mir über die Zähne, habe nun selbst Asche an der Hand und den schalen Geschmack auf der Zunge.

„Was in Dreiteufelsnamen macht Ihr?!“, brause ich auf.

Der Pirat gluckst auf, nagt an seiner Unterlippe, um mich nicht königlich auszulachen.

Nachdem ich ihn drohend niederstarre, klärt er mich auf:

„Nächstes Mal Jamie, solltet Ihr Euch Leute suchen, denen der ein oder andere Zahn fehlt. Oder zumindest welche, die sie in naher Zukunft verlieren. Denn kein Pirat, der was auf sich hält, hat seine Beißerchen vollständig beisammen, klar?“

Wie zum Beweis schenkt Sparrow mir eines jener strahlenden Lächeln, das seine goldenen Kronen zur Geltung bringen.

„Skorbut“, komme ich zu dem einzig logischen Schluss und mir fällt es wie Schuppen von den Augen, warum der Pirat Hawkins bei der Ankunft in Tortuga einer derart ausgiebigen Musterung unterzogen hatte.

Ich schüttle mit einem resignierten Grinsen den Kopf. Mein Gott, wie einfältig kann ein Mensch sein?!

„Ihr wusstet es von Anfang an, seit wir den ersten Fuß auf Tortuga gesetzt haben und ihr Hawkins ins Visier genommen hattet. Er entsprach wohl nicht ganz dem Klischee“

„Geahnt Freund. Nur geahnt“, wirft er ein, „stärker geahnt, als plötzlich auf der Pearl zu wenig Schlafraum war und ich mich in diesem Punkt nicht verrechne... ein wenig blauäugig die Annahme, dass ich ein solch schlechter Pirat bin, was Jamie?..."

Schwer um meinen inneren Frieden ringend, füge ich mich dieser niederdrückenden Wahrheit:

"Es scheint wohl so"

"...Tja, und gewusst hab ich´s, als Jabbar wegen dem französischen Schiff und Eurer Sorge ankam und ich daraufhin einige Ründchen Rum im der Stadt spendiert hab. Ich schätze, ich habe ein bisschen mehr herausbekommen, als die zwei seltsamen Gestalten, die unbescholtene Freudenmädchen und erfolgreiche Fischer begfragt haben. Und ja, ich kann bestätigen, es handelt sich um Euren verloren geglaubten Freund mit dem Sophia meint anbandeln zu müssen."

Sparrow seufzt.

"Auf dem Rückweg zum Schiff hab ich dann den Jungen auf seinem Weg zur Taverne abgefangen. Beiläufig“

Schwer lasse ich mich in zurück in den Stuhl fallen, als ob meine Beine nachgäben. Und die halb verheilte Wunde muss zu allem Überfluss gerade jetzt anfangen zu schmerzen!

Müde reibe ich mein Gesicht mit den Handflächen, den Kopf auf die Rückenlehne gelegt.

Zähne! Wegen zu weißen Zähnen!

„Und ab da war´s sehr einfach. Ein wenig Drohen hier, ein kleine Erpressung dort. Wirklich, Ihr solltet weniger nervöse Leute für Heimlichtuereien nehmen. Hawkilein hat viel zu schnell geplappert“

„Meine Männer?“

„In der Brigg. Vorläufig. Außer dem Jungen. Der hat ja, wie wir wissen, zumindest wie ich weiß, einen nicht geringen Anteil daran, dass wir aus den Klauen meiner Gespielin, wie Ihr sie nennt, entkommen sind. Neben Anamaria. Aber die muss ich ja nicht in die Brigg werfen“

Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle hinab bei dem Gedanken, was die Crew mit ihnen anstellen wird.

Missgelaunt presse ich meinen Atem durch die Nase.

Belustigt stellt Sparrow sich hinter mich, jetzt wieder ganz der heitere Tunichtgut, den kein Wässerchen trüben kann. Lächelnd schaut er auf mich herab, mir direkt in die Augen. Seine Hände bettet er links und rechts neben meinen Kopf, die dabei sanft mein zurückgefallenes Haar berühren.

"Ein bisschen Strafe muss sein, das werdet Ihr wohl einsehen müssen"

Trotz der Nähe verspüre ich weder die geringste Lust mich zu rühren, noch dadurch wie ein Flüchtender zu wirken. So ziehe ich lediglich die Braue fragend nach oben, und selbst dann bewege ich mich nicht, als vereinzelte Tropfen von seinem Bart und seinen nassen Zotteln, die ihm ohne sein Tuch ins markante Antlitz hängen, mir auf die Stirn fallen.

Stattdessen nutze ich die Gelegenheit meinen ´Feind´ zum dritten Mal an diesem Tag genauer zu betrachten, ebenso wie er es gerade tut. Beide wohl mit der Intension etwas zu entdecken, das bisher unentdeckt geblieben ist. Und tatsächlich sieht er anders aus. Ohne seine charakteristische Kleidung, den zotigen Hut, das breite Tuch und die von Asche umrandeten Augen, die ohne das Geschmiere größer sind und noch um ein vielfaches klarer… die kleinen Falten, die sich um Mund und Augen legen, wenn er lacht und an denen man sein Leben ablesen kann, das nicht spurlos an ihm vorbei gegangen ist. Die kleine nässende Wunde auf seiner rechten Wange, die einfach nicht heilen will und bloß nicht auffällt, weil kunstvoll zurechtfrisierter Bart und Dreck sie meistens verdecken. Es ist, als sehe ich ihn jetzt zum ersten Mal... vielleicht das, was Elisabeth, Turner und all die anderen sehen…

Einen Teil von Sparrow, der nicht Pirat ist und der großmütig genug ist, Soldaten, die sich an Bord geschlichen haben, nicht gleich über die Planke zu schicken. Ja, er ist ein Unikum unter den Freibeutern...

„Warum tragt Ihr Kohle um die Augen?“, flüstere ich in die wohlwollende Beobachtung hinein.

Zugegeben eine seltsame Frage. Eine seltsame Frage für einen seltsamen Moment. Aber die einzige, die mir einfallen und mich wahrhaftig interessieren will…

neben der einen, was Jack wohl sieht, wenn er hinter den Commodore blickt…

„Warum weißelt Ihr Eure Perücke?“, fragt er ebenso leise gegen, vorsichtig an einer meiner Strähnen zupfend, ohne den innigen Augenkontakt zu brechen.

„Sicher nicht zu modischem Zweck“, necke ich ihn lächelnd.

„Oh gut. Seht Ihr Jamie, ich auch nicht“
 

* * *
 

Freu mich über Kritik! ^_-

Zweiter Teil: Die verlorene Stadt - Auf ins Abenteuer!

The Black Widow Tale

Zweiter Teil - Die verlorene Stadt
 


 

Kapitel 1: Auf ins Abenteuer!
 

Die Tage an Bord während der Überfahrt von Tortuga über Santo Domingo, San Juan, Plymouth und Bridgetown zum südlich gelegenen Castries verliefen ereignisreich.

Nachdem Sparrow meine Männer einen Tag nach ihrer Entdeckung wieder aus der Brigg entließ, (nicht ohne eine einstündige Ansprache zu halten, in der er uns vor versammelter Mannschaft mit der größten Freude zurechtwies und die am Abend zuvor aufgesparte Moralpredigt vollführte), war die Stimmung an Bord gedrückt. Sparrows Männer reagierten wie angenommen: mit gewetzten Messern, gebleckten Zähnen und dem aggressiven Wunsch uns auf den Meeresgrund zu schicken.

Nach längerem Händel brachte ich aber zu meinem Erstaunen heraus, dass dieser Wunsch aus vielen verlorenen Partien Pharo und Würfelspiel geboren war, bei dem meine Soldaten anscheinend ein Händchen bewiesen hatten, die Piraten bis aufs letzte Hemd auszunehmen.

Des weiteren wäre es eine ausgezeichnete Möglichkeit gewesen die erbärmliche Schmach zu tilgen von Marinesoldaten dabei auch noch nach allen Regeln der Kunst unter den Tisch getrunken worden zu sein. Für Piraten eine wohl unerträgliche Erfahrung…

Besonders ein Mann tat sich dabei derart herausragend hervor, dass er sich zweifelhaften Respekt bei der Crew erwarb: Patrick Mac Allister.

Ein Londoner Urgestein irischer Abstammung, von hohem Wuchs und massigen Schultern, einem markanten Gesicht, das umrandet wird von kurz geschnittenem, rotem Haar und geprägt durch eine ganz besondere Zierde: einem voluminösen Schnauzer, dessen Enden kunstvoll mit reichlich Pomade in die Höhe gearbeitet sind.

Der Leutnant, auch er ein mir unbekanntes Gesicht, - dient er für gewöhnlich unter Captain Jepedaja Ford -, wirkt damit wie das hellhäutig christliche Pendant zu Al Faras. Und wie es sich gezeigt hat entsprechen sich die beiden Männer nicht allein in äußerlichen Gemeinsamkeiten. Die letzten Tage erlebte ich sie mehrfach angeregt ins Gespräch vertieft, streitend vielmehr, zumeist über kulturelle Besonderheiten ihrer Länder und über den Genuss von Alkohol. Den der Araber gemäß seiner Religion ablehnt.
 

Generell ist es besorgniserregend, wie gut sich die Männer in der kurzen Zeit in die Mannschaft integriert haben. Nicht dass sie ihre Pflicht vergessen, doch die Entwicklung von Sympathie für das Bukaniervolk ist unübersehbar.

Positiv wirkt sich das Verhältnis auf die Zusammenarbeit aus, speziell auf die Reparaturen am Schiff, die durch den überhetzten Aufbruch zum Erliegen gekommen waren.

Sparrow hatte die ersten Tage auf See sogar versucht den schwer angeschlagenen Zustand der Black Pearl vor mir zu verheimlichen. Im Besonderen das gewaltige Leck in der rechten Bordwand des Frachtraums, das durch ein hölzernes Reparaturgestänge beim Auslaufen hinein geschlagen wurde.

Notdürftig wurde es geflickt, doch brauche ich keinen Mister Puppis mehr, um zu erkennen, dass es unumgänglich ist das Schiff in eine Werft zu bringen... oder sogar stillzulegen.

So waren wir gezwungen alle Häfen unserer Route anzulaufen, Baumaterial zu kaufen und längere Pausen einzulegen.

Auf Sparrows Laune wirkte sich dies zermürbend aus, so sehr, dass ich mich sogar dazu herabgelassen habe, mich privat mit ihm zu befassen, Anekdoten aus meinem Leben zu erzählen (über die er herzlich gelacht hat) und sogar mit ihm… – unter Einfluss von zu viel Rum – …Piratenlieder zu singen!

Jedoch stellte sich bei all dem Klamauk heraus, dass er ein durchaus kurzweiliger Gesprächspartner sein kann… auch wenn seine geistreichen Ergüsse nie sehr lange anhalten.

Doch ich muss einräumen, dass sich hinter der Fassade des Trunkenbolds ein geschärfter Intellekt verbirgt, einer, von dem ich mich frage, wie er ohne gehobene Bildung entstanden sein kann.

Auf Nachfragen über seine Vergangenheit hüllte sich Sparrow aber in eisernes Schweigen und beendete sogar eiligst ganze Gespräche sobald ich auf Cuttler Beckett auch nur zu sprechen kam.

Ebenso Mister Gibbs und Anamaria. Zusammen hüten die drei seine Herkunft wie einen geheimen Schatz und wenigstens in diesem Punkt gibt es zwischen Steuermann und Navigatorin keinen Zwist.

Auch nach langem Bohren brachte ich nicht mehr aus den beiden heraus, als Gibbs´ standardisierte Antwort:
 

´ ´S ist nicht viel bekannt von Jack Sparrow, bevor er in Tortuga aufgetaucht ist!´
 

Nicht einmal der Rum half. Im Gegenteil. Der Verhörversuch des Mannes scheiterte spektakulär, - wie bereits erwähnt – im Singen von Piratenliedern. Sehr zur Freude von meinem Enfant terrible…
 

Und die Probleme reißen nicht ab.

Weder die Soul of Empress, noch das französische Linienschiff haben, wie ich es erwartet hatte, die Verfolgung der Black Pearl aufgenommen. Keines der beiden Schiffe wurde gesichtet. Und so kann ich Sparrows Theorie (geäußert in einem dieser geistreichen, hellen Momente) auch nicht nachvollziehen, dass es sich bei der ganzen Sache um ein Komplott handele mich gefangen zu setzen. Es eine Scharade sei und der Handel
 

´Einen Vater gegen einen Piraten´
 

nicht dazu diene ihn zu fangen, sondern mich.

Sein Argument, ich sei im Bezug auf ihn, den Governor und besonders Misses Turner sehr berechenbar und leicht zu durchschauen, kann ich aber nicht von mir weisen…

In der Tat hätte ich keinem anderen das Vertrauen entgegen gebracht, diese Mission zu erfüllen.

Eine Mission, die, wie sie es schon die ganze Zeit tut, auf Messers Schneide steht und in der unsere einzigen Trümpfe die Karte und Sparrows Ring sind. Zwei Dinge, die von der schwarzen Witwe gewollt werden, bzw. das, was sie preisgeben: Die verschollene Stadt der Anoli.

Die wir zuerst finden müssen, um ein Druckmittel zu haben.

Doch Anamaria müht sich nun seit beinah zwei Wochen mit der Übersetzung der Seekarte ab. Und zunächst war sie auch recht erfolgreich.

Zunächst…

Denn bald zeigte sich, dass der ausgestorbene Dialekt der Sprache ihr zwar keine Probleme bereitete, aber die Inseln und die zugehörigen nautischen Angaben auf dem Papier keinen Sinn ergeben.

Ganz gleich anhand welcher anderen Seekarte sie die Lage der Eilande auch bestimmen wollte, auf keiner existierten die Inseln.

Vielmehr entpuppte sich das alte Pergament als nicht zu lösendes Rät-
 

„Dreimal verflucht seiest du, du dummes Stück Papier!“

Unter lautem Geschrei schlägt knapp vor meinen Füßen ein Sextant ins Deck ein, so dass ich erschrocken zusammenfahre und von meinem Eintrag in meinem improvisierten Logbuch hochfahre. Keine fünf Meter entfernt von dem Mast, unter dem ich mich niedergelassen habe, steht eine furiose Anamaria, die in schierer Rage vor ihrem Tisch auf und ab geht.

„Du wirst dich nich so dumm anstellen, du dummes Ding!“, mault sie das darauf liegende Pergament an, sich nicht im Klaren darüber, dass sie mich fast getroffen hätte.

Mit einem Seufzen klappe ich das Buch zu.

Sparrow hatte uns heute früh aus seiner Kajüte verbannt, sie, weil ihm ihr ungestümes Gezeter zu viel wurde und mich, weil ich ihn konsequent ignoriert hatte, um meinen Bericht zu schreiben.

Auch die Laune der anderen ist auf dem Nullpunkt angelangt und geht beängstigend einher mit dem trüben Wetter, der seit vorgestern fehlenden Sonne, dem steifen Wind und dem hochschlagenden Wellengang.

Alle Zeichen deuten auf einen großen Sturm in den nächsten Tagen hin. Wenn wir Pech haben, einen Hurrikan…

Zu spüren bekomme besonders ich das durch den nie aufhörenden, pochenden Schmerz in Brust und Schulter, den ich bei jedem Wetterumschwung bekomme.

Fest forme ich meine linke Hand mehrmals zur Faust, um das dazugehörende taube Gefühl in meinem Arm loszuwerden. Vergeblich…

Immerhin machen wir aber gute Fahrt und erreichen morgen Abend St. Lucia, obwohl die Pearl bei jeder Seemeile erschütternd ächzt.

Es ist fast so, als ob die alte Dame es uns allen noch einmal beweisen muss, was in ihr steckt und sie sich besondere Mühe gibt.

Mir mein braunes Haar aus dem Gesicht streifend, stehe ich von meinem Fass unter dem Mast auf, fröstle in der kalt gewordenen Luft und ziehe die aufgeknöpfte Uniformjacke enger um mich.

Dann hebe ich den Sextanten auf, dessen Spiegel den Wutausbruch des Mädchens nicht überlebt hat.

„Ich versteh einfach nich, warum die Stadt auch mit Jacks Kompass nich gefunden werden kann. Der ist doch auch so´n magischer Firlefanz“, giftet sie.

„Weil manche Dinge vielleicht nicht gefunden werden sollen“

Mit einem Lächeln lege ich das zerbrochene Gerät zurück auf den Tisch.

Dabei fällt mein Blick auf Sparrows blauen Ring. Neugierig nehme ich ihn auf und halte ihn in die schwachen Sonnenstrahlen.

„Ein beeindruckendes Stück“, lobe ich, „wisst Ihr, was es für ein Stein ist?“

„Saphir, Lapislazuli ... was weiß ich. Hab nen Hang zu Münzen, nicht zu Schmuck“

Mit in Falten gelegter Stirn starrt Anamaria auf die Karte. Verbissen und unfähig sich mit mir zu unterhalten.

Ich lasse ihr ihre brütende Stimmung, gebe ihr den Ring zurück und schlurfe an die Reling.

Es ist lange her, seit ich mich zuletzt gelangweilt habe…

Aber die letzten Tage zogen sich unerträglich schleppend hin.

Die siebzig Mann starke Crew des Schiffs plus meinen eigenen fünf Männern bieten mehr als genug Hände zum arbeiten. Und bei den Reparaturen stehe ich mehr im Weg herum, als wirklich von Hilfe zu sein.

Und Gott bewahre, den ganzen Tag mit Sparrow zu verbringen, das würde nicht einmal Turner aushalten!

An der Reling stehend blicke ich auf das Wasser hinaus und auf die in einiger Entfernung gelegene Küste von Barbados.

Zur Vorsicht segelt die Pearl immer in seichtem Gewässer.

So widersinnig es aus navigatorischer Sicht auch ist, Sandbänke und Riffe in Kauf zu nehmen, es ist die weniger risikoreiche Variante. Sollte der Kiel des Schiffs tatsächlich brechen, so ist es die einzige Möglichkeit an Land zu kommen.
 

Ich weiß nicht, wie lange ich auf diesem Fleck stehen geblieben bin ohne des Anblicks der See und der größer werdenden Küste mit ihren Kalksandstränden müde zu werden, als der Ruf des Ausgucks ertönt. Und hinter der nächsten Bucht Bridgetown in Sicht kommt, unserem letzten Ankerplatz, bevor wir französisches Territorium betreten.

Von hier aus ist es eine Tagesreise nach Castries.

Auf dem Schiff beginnt nun hektisches Treiben.

Meine Uniform zuknöpfend gehe ich zu Hawkins hinüber, der mit einigen von Sparrows Männern begonnen hat die Großsegel einzuholen.

„Master Hawkins, ruft Mac Allister und die anderen zusammen. Sie sollen sich richten“

„Sir?“

Der Junge sieht mich fragend an.

„Gewaschen, rasiert und uniformiert“, befehle ich, „danach tretet zu weiteren Instruktionen an Deck an“

Ohne Zweifel wird er meine Anweisung ausführen.

Zeit, dass aus uns wieder die werden, die wir sind.

Schnellen Schrittes eile ich hinunter in Sparrows Quartier, aus ´Jamie´ wieder einen Commodore zu machen.
 

„Mister Sparrow, ich werde nicht mit Euch darüber debattieren! Solange die Männer an Bord bleiben, steht Ihr und Euer Schiff unter meinem Schutz. Ihr habt mein Wort!“

„Das auch nich mehr das ist, was´s mal war!“

Miesepetrig stiefelt der Pirat um mich herum.

„Ihr habt keine Wahl. Einmal in Eurem Leben werdet Ihr gehorchen“

Frisch rasiert, gut gekleidet und mit Perücke auf dem Haupt betrete ich den Pier, an dem die Pearl in Bridgetown angelegt hat. Gefolgt von meinen Männern und einem unzufriedenen, um mich huschenden Mister Sparrow.

„Ein Kompromiss Freund, nur ein kleiner? Ein bisschen Reden? Ein wenig Feiern vielleicht? Ein Mädchen? Ein bisschen viel Rum? Wenn wir schon in einer der Rumhauptstädte sind! Bitte, bitte!“

Ich bleibe abrupt stehen und fixiere ihn böse.

„Kein Kompromiss. Kein Feiern. Kein Rum. Und auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: Ihr werdet nachdenken über jede mögliche Bedeutung des Satzes ´schweigen wie ein Grab´“

Ihn hinter mir zurücklassend – ich schwöre gehört zu haben, wie er mit dem Fuß aufstampft - setze ich meinen Weg fort zu der bewaffneten Garde am Ende des Stegs, die uns erwartet.

„Commodore Norrington! Es ist mir eine Freude Euch und Eure Männer in Bridgetown willkommen zu heißen“, werde ich freundlich mit Handschlag von Captain Ford begrüßt. Ein Nicken zu Mac Allister, das dieser erwidert.

Den Piraten würdigt er dafür nur eines kurzen Blickes.

„Captain Ford. Halten wir uns nicht mit Höflichkeiten auf. Die Angelegenheit, weshalb ich hier bin, duldet keinen Aufschub“

„Ich verstehe. Das ist Jack Sparrow in Eurem Gewahrsam -“

„CAPTAIN, wenn ich bitten darf!“, wirft dieser sofort ein, doch beide nehmen wir keine Notiz von ihm.

„Habt Ihr ihn endlich zur Strecke gebracht. Meinen Glückwunsch“

Auf einen Wink hin umzingeln die Soldaten Fords den Piraten,

„Hey!“, und packen ihn dabei nicht gerade zimperlich an.

Mit ausdrucksloser Miene trete ich neben ihn.

„Ich bedaure das zu sagen Sir, aber Sparrow ist als Verbündeter gekommen. Er genießt im Augenblick den Status der Unantastbarkeit. Wie auch Mannschaft und Schiff“

Der zu kurz geratene, pummelige Mann sieht ungläubig aus seinen hervorstehenden Augen von mir zu Sparrow.

„Hört auf den klugen Commodore“

Ich trete an ihm vorbei, davon überzeugt, ihm die Demütigung ersparen zu können seinen Befehl aufzuheben, Sparrow zu arretieren.

Stattdessen marschiere ich zielstrebig zu einem sich in der Nähe befindenden Kutschenstand.

Ford folgt mir auf dem Fuße und auch Sparrow, der von seinem Anhang befreit triumphierend vor sich hin pfeift.

„Aber wieso?“, keucht der überforderte Kommandeur Bridgetowns, „seine zahlreichen Verbrechen sind doch legendär!“

„Oho! Ein Kenner!“, ruft der Pirat begeistert aus, der leichtfüßiger Schritt halten kann, als Ford.

„Captain, lasst uns das im Parlament mit Governor Dutton besprechen“
 

* * *

In stürmischen Zeiten 1

„Und wann hattet Ihr vor diese unwichtige Kleinigkeit zu erwähnen?“

„Überhaupt nicht Mister Sparrow. Dass die Black Pearl von der Fortress verfolgt wurde, diente nicht dazu Euch nach Abschluss unserer Übereinkunft gefangen zu setzen“, sage ich ihm gleichgültig in das wutrote Gesicht.

Nun gut, es ist eine halbe Lüge, aber er wird es sicher verschmerzen können.

Zusammen stehen wir unter dem Kuppelvordach des Parlamentsgebäudes und warten, dass der eingesetzte orkanartige Regen nachlässt, dessen brausender Wind uns dicke Tropfen auf Schuhe und Gesicht weht.

Palmen und anderes Geäst flattern in seinen Wogen wie Fahnen an den Masten, doch nehme ich nichts von alledem bewusst wahr.

„Norrington, wir müssen dringend an unserer Beziehung arbeiten. Gibt es noch etwas, das ich wissen sollte?“

„Nein“, antworte ich.

Meine Gedanken drehen sich momentan ausschließlich um mein Schiff, das noch immer nicht im Hafen eingelaufen ist.

Einige Stunden hatten Sparrow und ich bei Governor Richard Dutton und Captain Ford verbracht, ihnen die Sachlage in allen Einzelheiten um die Entführung geschildert und unser weiteres Vorgehen geplant.

Ab jetzt ist die Zusammenarbeit mit den Piraten offiziell, sehr zum Missfallen aller Beteiligten. Auch musste ich offenbaren, dass die Fortress auf dem Weg hierher ist. Sparrow war sichtlich geschockt, gereizt und… enttäuscht.

Kann ich ihm nicht verdenken.

Aber die Befindlichkeiten des Piraten bereiten mir weniger Kopfzerbrechen, als mein Schiff, das längst hätte hier sein müssen.

Von der grünen Anhöhe aus, auf dem das Parlament steht, überblickt man die Häuser der Stadt und auch die See. Und so überwache ich, des Wartens überdrüssig, das Wasser, ob ich nicht die Segel irgendwo entdeckte.

Doch am Horizont ist nur die dichte, grau schwarze Wolkenfront zu sehen, die sich wie ein sterbender Gigant aufbäumt, von der tosendes Donnergrollen erschallt und in regelmäßigen Abständen gleißende Blitze nieder gehen, sie für einen Wimpernschlag erhellen. Peitschende Wellen schiebt sie vor sich her auf Bridgetown zu, bringt die ankernden Schiffe im Sturm zum Schwanken und ein Meer aus Fackeln an den Stegen und in den Straßen versucht zu retten, was zu retten ist.

Männer und Frauen, die Schiffe und Häuser so gut es ihnen möglich ist befestigen, ihre Habe vor dem Hurrikan schützen, vor der zerstörerischen Naturgewalt, die diese Nacht über die Stadt hinwegrollen wird.

Neben mir brodelt der Pirat schimpfend vor sich hin und geht mir damit unbeschreiblich auf die Nerven. Statt sich um die Pearl zu sorgen, ergeht er sich in Vorhaltungen und Gemecker.

„Regt Ihr Euch mehr darüber auf, dass sie uns gefolgt ist, oder dass Ihr es nicht bemerkt habt?“, bricht es schließlich aus mir heraus und soeben ist wohl die Entscheidung gefallen, dass es einen beherrschten James Norrington in der Anwesenheit Sparrows wohl nicht geben kann.

Der Pirat, der mit verschränkten Armen an einer steinernen Säule des Parlaments lehnt, sperrt den Mund weit auf, weiß aber nichts darauf zu sagen.

„Geht besser zurück zu Eurem Schiff ´Captain´, bevor Ihr Euch diesen Titel nie wieder verdienen könnt“

Getroffen von meinen Worten, wendet er sich eingeschnappt ab und starrt hinaus.

Doch ebenso schnell geht plötzlich ein Ruck durch ihn.

„Das sollten wir beide tun“, entgegnet er, kneift die Augen konzentriert zusammen und keinen Moment später hebt er den Arm.

„Dort!“

Ich folge seiner Hand, den Ringen und schließlich dem ausgestreckten Finger… und…

Sie ist es! Sie muss es sein!

Und bevor ich ein zweites Mal darüber nachgedacht habe, bin ich schon in die gefräßige, nasse Dunkelheit hinausgerannt, den Abhang hinunter, die guten sechs Meilen bis zu den Docks in Angriff nehmend. Dem Sturm mein Schiff dieses Mal abzutrotzen.
 

Durchnässt bis auf die Knochen kämpfe ich mich durch die Straßen, gegen den übermächtigen Wind, der mit mir spielt, als sei ich ein Laken auf der Wäscheleine.

Das Wasser peitscht mir strömend ins Gesicht, hinterlässt rote Striemen auf brennender Haut und nimmt mir zeitweise die Sicht.

Der Boden ist aufgeweicht, die Pflasterstraßen schmierig und nicht selten bin ich gestrauchelt und gerutscht.

Lose, nicht gut genug genagelte Bretter und Blechtafeln der Dächer brechen von den Balken, wehen wie Papier über die Wege und werden dann durch andere Hindernisse aufgehalten. Fässer, Karren, Hütten, abgebrochene Äste und entwurzelten Bäume… panische Menschen, die von den Trümmern niedergeschlagen werden.

Ich hetze zu der einlaufenden Fortress, vorbei an anderen Männern, die um Sack und Pack kämpfen, um das was sie haben und doch verlieren werden. Zwänge mich durch schreiende Menschen, Frauen, die ihre wimmernden Kinder gepackt haben und sich in sicheren Steinhäusern verbarrikadieren und weinenden Kindern, die ihre Eltern aus den Augen verloren haben. Bis hinunter auf den Steg.

Knirschend und krachend kreischen die Bretten unter meinen Füßen, singen zu den harschen Befehlen, der angstvollen Rufen und Gebeten der Männer an Bord, die trotz der brechenden Wellen an mein Ohr dringen.

Meine stolze Fortress.

Zu einem Geisterschiff ist sie geworden. Die Segel zerfetzt, der Fockmast in Schieflage, dass er bald brechen wird und die Takelage an etlichen Stellen gerissen.

Und zu schnell fährt sie in den Hafen ein!

Viel zu schnell!!!

Unkontrolliert.

„Andrew!“, schreie ich gegen die tosenden Wogen an, versuche ihn in dem Chaos auszumachen und starre unbeweglich auf das größer werdende Schiff.

Die Wellen brechen sich hoch über meinem Kopf, drücken mich nieder, bis eine mich schließlich von den Beinen reißt. Mit meiner ohnehin verletzten Schulter treffe ich auf den Boden auf.

Ich schreie den Schmerz in die Dunkelheit hinaus, der von ihr verschluckt wird, als sei er nie gewesen. Vergeblich versuche ich mich auf dem rutschigen Untergrund wieder in die Gerade zu bugsieren.

Und dann taucht an meiner Seite Sparrow auf, wie aus dem Nichts und werde von ihm kompromisslos in die Höhe gezogen.

„Sie kommt zu steil rein! Sie wird den Pier rammen!“, schreit er mir durch das Tosen des Sturms zu und reißt mich gewaltsam zurück. Wir sind noch nicht am Ende des Stegs angekommen, als im Hintergrund die Fortress mit voller Fahrt zermalmend auf die ersten Stangen trifft. Wie ein hungriges Ungeheuer frisst sie sich in den Hafen vom Sturm vor sich hergetrieben.

Sowohl Sparrow, als auch ich werden von der Wucht umgerissen.

Mit schierem Überlebenswillen hechten wir zurück auf die Beine, springen die letzten Meter ans rettende, steinerne Ufer, als unter unseren Füßen die Planken weg brechen und in der Tiefe verschwinden. Instinktiv rollen wir uns beide ab und kommen vor einer Häuserwand zum liegen.

Ich werfe einen Blick zurück, sehe mein Schiff am Pier zerschellen, der Granit fräst sich in den Bug wie ein Messer durch Butter geht.

Holz zerschmettert, Gesteinsbrocken splittern, Schiffsteile zerbersten und fliegen uns explodierend um die Ohren, krachen in die Wand und zerschlagen verrammelte Fenster.

Und in diesem Moment bekomme ich Angst, dass ich in meinem zweiten Hurrikan mehr verlieren könnte, als wieder nur ein Schiff. Dass wir das hier nicht überleben…

Einem inneren Trieb folgend, rolle ich mich schützend über den Piraten und schlage die Hände über meinem Kopf zusammen.

Ich schließe die Augen. Erwarte die infernalische Hölle, die über uns hereinbricht. Die Hölle, die von dem ohrenbetäubenden Lärm begleitet wird, den das Schiff in seinem Sterbenskampf macht.

Erwartungen…

Ich hatte immer erwartet auf einem Schiff zu sterben und nicht darunter begraben zu werden. Und sicher nicht an der Seite von Jack Sparrow…

Und dann ist es still.
 

* * *

In stürmischen Zeiten 2

…so still…im Auge des Sturms, der täuschenden Ruhe…

Ich lausche dem Keuchen des Piraten unter mir, unseren schnell schlagenden Herzen und dem matten Klang seiner Perlen in der Windstille. Erfüllt wird die die Luft von einem Grollen das nur noch an ein sich selbst besänftigendes Knurren erinnert, dem sanften Plätschern abfließender Fluten und dem knackenden, gespenstischen Stöhnen der Fortress.

Auferstanden aus dem zum Stillstand gekommenen Geschehen, schiebe ich ein größeres Brett und Glassplitter von mir, -Geräusche in der reinen Friedlichkeit- und rolle mich vorsichtig von Sparrow.

„Seid Ihr verletzt?“, frage ich ihn in der Bewegung, worauf er den Kopf schüttelt.

Langsam setzen wir uns auf, stützen uns gegenseitig dabei und besehen uns das Übel.

Vor uns türmt sich in einer Staubwolke aus Spänen der Schiffsrumpf wie ein gewaltiges Felsmassiv auf, groß und schwer und mächtig. Der lange Bugspriet ragt steil über den Kiel und über unsere Köpfe hinweg. Er hat den oberen Bereich des Fachwerkhauses hinter uns durchschlagen, den hölzernen Speicher und ihn aufgespießt wie Köche ihre Spanferkel.

Wäre er tiefer gerutscht, oder die Strecke zwischen Pierrand und Haus geringer, so wären Sparrow und ich jetzt nicht mehr.

Ich schlucke hart bei dem erschütternden Gedanken. Meine Augen gleiten mitfühlend an der Vorrichtung für die Vorsegel, welche nicht gerefft wurden, hinab bis an die Stelle, an der die weibliche Galionsfigur sich befinden müsste.

„Mistress Clementine“, war sie von Andrew und Theo während unserer ersten gemeinsamen Fahrt getauft wurden. Auf der ersten Fahrt, nach meiner Rückversetzung in den aktiven Dienst vor vier Monaten.

Nun klafft dort ein riesiges Loch, das das salzige Meerwasser gierig in die Hohlräume dazwischen saugt, den Innenraum fluten lässt mein Schiff zu ertränken. Trümmer versperren es, verhindern aber nicht, dass die Ladung hinaus geschwemmt und Zeuge der unausweichlichen Wahrheit wird, dass die Fortress vielleicht nicht zu retten ist.

Weggerissen ist das einstmals schöne Mädchen Clementine mit den geschnitzten Zitronenblüten im Haar, der spitzen Nase und den vollen, geschwungen Lippen.

´Meine Loreley der Karibik´, wie Theo sie liebevoll genannt hatte.

Das hübsche Gesicht wiegt nun auf den Wellen und wird mit sanften Stößen wiederholt gegen die Überbleibsel der Mauer getrieben.

Wir haben sie nicht gefeiert, die Jungfernfahrt vor vier Monaten Abgeschlagen habe ich den beiden das kleine bisschen nostalgische Freude.

„Das war knapp“, brummt der Pirat an meiner Seite, lässt sich mit einem Ächzen wie ein Käfer zurück auf das dreckig nasse Pflaster fallen, die Augen fest auf den Bugspriet über ihm gerichtet.

„Ich sag´s Euch Freund, jetzt hab ich mir den Rum und ein Mädchen verdient“

Unsere ´Loreley´...

Auf diese Weise bleibt er auf dem klammen Untergrund liegen, einfach nur auf den langen, an der Spitze zersplitterten Balken starrend… und hält meine Hände fest in seinen.

Ich spüre die Kälte seiner Finger. Meine sind nicht wesentlich wärmer und beide wissen wir, wenn auch weder er, noch ich es aussprechen würden, dass es nicht an den Temperaturen liegt.
 

»James Norrington, fürchtest du den Tod?«
 

Das hatte mich Jones damals gefragt und es war merkwürdig. Denn, als er die Worte sprach, da spürte ich sie nicht und hatte den Frieden mit mir und der Welt gemacht. Erst weit später kam das abschnürende Gefühl der Leere, erst im eisigen Wasser, verloren und mutterseelenallein auf dem Meer und den Gedanken ausgesetzt, was es wirklich bedeutet zu sterben.
 

…was fehlt ist die Hand einer ehrbaren Frau…
 

Was es bedeutet allein zu sterben... nach einem einsamen Leben…

„Verflucht knapp. Kommt hoch Sparrow“, bestätige ich, „Ihr holt Euch den Tod“

Ich seufze mürbe bei meinem dünnen Scherz und helfe ihm auf.

Zum Lachen ist mir wahrlich nicht zumute, doch ist es besser, als schwachsinnigen Ideen anheim zu fallen, die einem in horriblen Situationen wie diesen immer kommen müssen...

Mit einem halben Hochziehen seiner Mundwinkel legt der Pirat Zeugnis ab, dass er den tieferen Sinn meiner Worte verstanden hat.

...vielleicht sind wir beide einfach zu alt geworden für diese Art von Abenteuer und Gefahren, als dass wir dem Tod noch mit Freuden entgegen treten und ihm mit jugendlicher Überheblichkeit ins Gesicht Lachen.
 

Die ersten Stimmen und Schreie von Verletzten dringen vom Deck zu uns herunter, durch die staubige Wolke in der die Zeit scheinbar zum Stillstand gekommen ist.

Sie erwecken das Geschehen und die Menschen darin zu neuem Leben.

Rufen mich zur Ordnung.

Und endlich vernehme ich Andrews Stimme, seine Befehle das Schiff, - das Wrack -, zu sichern.

Planken und Seile werden an der Reling herabgelassen, fußen auf dem unsicheren Untergrund, der einmal ein Steg war.

Im nieselnden Regen kommen Sparrows Leute durch die Straßen gelaufen, erleuchten die düsteren Wege und nächtlichen Häuser mit ihren Laternen, weit vorne weg Al Faras, Cotton, Anamaria und all die anderen… jene, bei deren Namen ich mir nie die Mühe gemacht habe sie mir zu merken.

Dahinter Ford, seine und meine Soldaten, bepackt mit Leitern, Brettern, Haken und Seilen.

Tatkräftig gehen sie die Sicherung des Schiffes zusammen mit den Piraten an. Männer, die verhindern, dass Bruchstücke in der zweiten Welle des Hurrikans über die Stadt hinwegjagen und weiteres Unheil anrichten werden.

Gemeinsam, Hand in Hand.

Niemand hätte es wohl für möglich gehalten. Dass jedwede Unstimmigkeit so schnell von allen vergessen wird… zuallerletzt von mir.

Zusammen mit Sparrow schließe ich mich ihnen an, steige über die wackeligen Stangen des einstmaligen Stegs hinweg und bahne mir einen Weg durch das kühle Wasser zu der in schwere Krängung geratenen Steuerbordseite.

Als ich mir eines der Seile greife und beginne nach oben an die Reling zu klettern, wie viele von Fords Männern, blicken vertraute Gesichter auf mich herab, viele angstvoll und ausgezehrt in ihrer Erschöpfung, andere dankbar und erleichtert, einige sind verletzt, die meisten aber unversehrt. Doch alle werden sie erschüttert in ihren Grundfesten und dem Glauben an die See zurückbleiben. An eine See, die unbezähmbar und grausam sein kann.

Viele werden nach dieser bitteren Lektion den Dienst quittieren.

Auf dem Weg nach oben höre ich Sparrow im Hintergrund seinen Leuten befehlen.

Viele der Piraten weist er an beim Bergen der Ladung zu helfen, das Strandgut einzusammeln und einfach überall dort mit anzufassen, wo sie gebraucht werden.

Die Kräftigsten seiner Crew schickt er hinter mir her, Al Faras und auch Mac Allister, betraut sie mit der Stabilisierung des angebrochenen Masts.

Alles in allem erweist er sich in letzter Zeit nicht wie ein Verbrecher, den es zur Strecke zu bringen gilt…

Ich lächle über mich selbst, suche in mir das übliche flaue Gefühl, wenn Sparrow mal wieder eine meiner Grenzen überschreitet und mich an den Rand der Raserei bringt.

Doch da ist nichts.

Nun ja, es wäre wohl auch reichlich undankbar über Hilfe in einer Situation wie dieser zu klagen.

Und früher oder später werden sich die Motive des Piraten offenbaren, denen ich skeptisch gegenüber stehe. Redlich können sie nicht sein, das lehr die Erfarhung... nicht ohne, dass ein Vorteil für ihn heraus springt.

Und schon ist es zurück... mein flaues Gefühl...

Oben schwer atmend angekommen, werde ich von einem Matrosen an Bord gezogen und vor mir entfaltet sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Wehmütig wandern meine Augen das Deck ab, das neben Kiel und Bug den größten Schaden genommen hat.

Gerissen von achtern bis querab, und mit dem aufgeschlitzten Kiel ist es ein wahres Wunder, dass der Hauptmast noch immer verankert und nicht ins Wanken geraten ist, ja nicht einmal eine leichte Krümmung hat.

„Grundgütiger!“, höre ich die schockierte Stimme Gibbs´ neben mir, "das Schiff in Tripoli muss damals genauso ausgesehen haben!"

Sich bekreuzigend wandert der alte Haudegen umher.

Nach und nach erreichen weitere Piraten das Deck und werden kritisch von der Mannschaft beäugt, die in ihrer Arbeit innehält.

Unschlüssig stehen sich beide Parteien gegenüber. Bevor eine der beiden Seiten ab des ungewöhnlichen Anblicks Schwerter und Pistolen zieht, bin ich endlich wieder der Commodore, der ich schon die ganze Zeit auf der Pearl über hätte sein müssen:

"Master Gibbs, Ihr habt Sparrow gehört. Kümmert Euch mit Euren Leuten um den Mast. Und nur um den Mast. Nirgendwo sonst haben sie die Erlaubnis sich aufzuhalten. Ich bin kein Freund unliebsamer Überraschungen!"

Die Piraten ab sofort sich selbst überlassend, befasse ich mich mit meiner Crew:

„Bootsmann Schoten auffieren, Segel reffen und bergen“,

schnell und ohne zu zögern, wandere ich von einem Ort zum nächsten,

„Mister Hodgen Beiboote abfieren“, lasse die nötigen Anweisungen über das Schiff erschallen, „und lasst abtakeln. Beeilung!“, treffe nüchtern kalkulierend die Entscheidungen, die getroffen werden müssen.

Hektisches, aber geordnetes Treiben entsteht in der Crew, die sofort, -weil es ihr Kommandeur tut-, die Piraten an Bord akzeptieren und die Hilfe, die sie bieten. Für unbequeme Fragen bleibt später Zeit.

Ich renne hinüber zum Heck, auf dem ich Gillette ausmachen kann… und hoffentlich auch Groves, der in all der Zerstörung bisher nicht aufzufinden ist.

Unterwegs werde ich der Verletzten ansichtig, der schreienden, stöhnenden Männern, von denen manche mehr tot als lebendig aussehen und einer nach dem anderen von den unteren Decks nach oben geschafft werden.

Da kommt mir ein Gedanke, der mich einen Unverletzten Matrosen abfangen lässt:

„Mister Humphrey, nehmt Euch genügend Männer, geht auf die unteren Decks und seht zu, dass Ladung und Kanonen von Bord kommen, soweit dies gefahrlos möglich ist. Tragt Sorge, dass Sparrow und seine Kumpane ihre schmutzigen Finger von der Munition lassen. Ich würde es bedauern, wenn morgen früh auch nur eine Kugel fehlt!“

„Aye Sir!“

Unter dem markerschütternden, allgegenwärtigen Wimmern der Verletzten hetze ich die Treppenstufen zum Ruder hinauf, wo Andrew sich an irgendetwas abmüht. Allein, ohne Theo.

„Bericht Lieutenant!“, fordere ich ihn harsch auf.

Erst als er zusammenfährt und beiseite tritt, sehe ich den Matrosen auf dem Boden, dessen Arm unter einem abgebrochenen Teil des massiven Schanzkleids eingeklemmt wurde und apathisch vor sich hin lacht.

Ein junger Kerl, etwa so alt wie Hawkins, der in einer sich ausbreitenden Blutlache liegt, die das Holz tränkt.

Ich gehe in die Hocke, packe zusammen mit Andrew mit an, das Gewicht von der bedauernswerten Seele herunterzuhieven.

„Bericht Lieutenant“, fordere ich erneut, leiser dieses Mal.

„Schäden am Rumpf, auf allen Decks und den Bordwänden, Sir. Einer der ersten Brecher hat das Ruder zerschlagen. Kreuzen oder gar Beidrehen vor dem Anlegen war unmöglich. Das Schiff war manövrierunfähig“

„Warum wurden die Segel nicht gerefft?“

„Sir, wir haben versucht dem Sturm davonzufahren. Er hat aber ständig die Richtung geändert, als ob er unseren Kurs übernommen hätte. Er hat uns regelrecht verfolgt“

Andrew blickt mich aus Abbitte leistenden Augen an,

„Es tut mir Leid James“, Abbitte, die mehr mir selbst gilt als seinem ranghöheren Offizier.

„Das ist jetzt nicht mehr zu ändern. Erklärt später, bei wem die Schuld für dieses Desaster liegt“

Ich nicke und sehe ihn dann fest an.

„Auf drei Lieutenant“, kommandiere ich leise und zähle. Gemeinsam wuchten wir mit einiger Anstrengung das schwere Stück von dem Mann herunter, der vor Qual gotteserbärmlich aufschreit und das Antlitz verzerrt, dass es nicht mehr wie das Gesicht eines Menschen aussieht. Und schließlich das Bewusstsein verliert.

Unter dem Bruchstück kommt das ganze schaurige Bild zum Vorschein, die von dem Gewicht und der Gewalt zertrümmerten Knochen. Stücke, die blank und spitz herausragen aus einer einzig blutenden Suppe zerquetschten Fleisches und nicht mehr viel Ähnlichkeit mit einem Gliedmaß aufweisen.

„James, ich muss…“

Andrew schluckt hart beim Anblick des zur Hälfte abgetrennten Arms, der grotesk von der Schulter baumelt, mehr in die Holzdielen gepresst wird, als dass er noch zum Körper des Jungen gehören würde. Und auch ich kämpfe hart mit mir selbst. Beide wissen wir zu gut, dass dem Mann der Arm abgenommen werden muss… wenn er denn überhaupt eine Chance hat zu überleben.

Wenigstens ist es ein Segen, für ihn und für uns, dass er nun das Bewusstsein verloren hat.

Ich rufe nach weiteren Helfern. Jene, die den Matrosen forttragen, die dabei sein werden, falls er stirbt.

Der plötzlich wiedereinsetzende Regen wäscht derweil das zurückbleibende Blut von den Deckbrettern und unseren Händen… kündigt aber an, dass nicht mehr viel Zeit bleibt.

„Verluste?“, frage ich gradlinig und besehe mir das Schiff, auf dem die Aufräumarbeiten zügig voran gehen.

Nur Andrew antwortet nicht. Ungeduldig wende ich mich dem rundlichen Gesicht zu, in dem ein kummervolles Augenpaar sprechen will, was die Lippen nicht zustande bringen.

„Verluste Lieutenant?“, wiederhole ich streng.

„Mit diesem hier geschätzte zwanzig“, stammelt er schließlich und sieht zu Boden.

Ein zweistelliger Bereich. Das war zu erwarten und doch fällt die Zahl geringer aus, als gedacht. Und doch sind es zwanzig zu viel…

Mein Ausdruck verbleibt reglos, verschlossen das aufkommende Gefühl der Betroffenheit und der Trauer.

„James, da…“, setzt Andrew erneut an, doch ersticken seine Worte in einem lautlosen Schluchzen.

Ein Gefühl, als komme der kalte Hauch über mich, legt sich über mein Gemüt, krampft mir das Herz zusammen, da ich ahne, was er mir sagen will. Was ich befürchtet habe, seit ich ihn alleine gesehen habe.

Über das Deck marschierend, gebe ich weitere Befehle an die Mannschaft und die Piraten, zwinge Andrew mir zu folgen und auszusprechen, was ich nicht aussprechen werde.

„James!“

„Lieutenant, ich erwarte einen vollständig, schriftlichen Bericht über den Hintergrund der Misere, der alle Schäden dokumentiert, sowie namentlich die verletzten und verstorbenen Männer aufführt. Lasst die Leichname bergen und verfertigt eine Liste der Hinterbliebenen, denen das Kondolenzschreiben und der verbleibende Sold ihrer Männer und Söhne zugeschickt werden muss“

So emotionslos wie es mir möglich ist formuliere ich und liefere ihm eine passende Vorlage. Auch wenn sie ihn quält.

Die Schritte hinter mir verebben plötzlich und als ich mich umdrehe, starrt er auf den Boden. Trotz des Regens sehe ich die stillen Tränen, die ihm aus den geschlossenen Lidern quellen und über seine Nasenspitze zu Boden fallen. Die zitternden Schultern und die Mühe, die es ihm bereitet das Leid nicht hinauszuschreien und sich zu befreien.

„Commodore Norrington. Ich versuche zu sagen dass Groves auch dabei ist. Er wurde auf hoher See von einer Welle von Bord getragen“, zischt er dann gefährlich ruhig. Aus ihm sprechen Schock, Trauer und Wut.

„Ich dachte, Ihr wolltet das vielleicht sofort wissen“

Seine mit Unverständnis beladenen Augen heben sich zu mir, grenzenloses Unverständnis, dass ich gelassen und ruhig bei der Nachricht bleibe. Dass ich mich nicht meinen Gefühlen und dem Bedürfnis, -vielmehr Andrews Bedürfnis- nach Trost nachgebe.

Ich weiß, dass Theo immer derjenige von beiden gewesen war, den diese gefühlskalte Rationalität an mir besonders betroffen machte, dass er mich für ´hart und unnachgiebig´ hielt, wie Hakins es in Tortuga auszudrücken pflegte. Außerhalb des Dienstes waren wir öfter deswegen ins Disputieren verfallen.

Doch niemals war es Andrew gewesen, der an mir gezweifelt hat.

Doch dieses Mal hatte er eine andere Reaktion meinerseits erhofft. Ja, hat sie sogar erwartet.

„Bis morgen früh“, gebe ich zurück, wähle andere Worte, als die, welche ein Freund zweifelsohne verdienen würde.

„Aye Sir“, erwidert Andrew erstickt und es kommt regelrecht einer Flucht gleich, wie er von Bord stürzt, als jage ihm der Teufel selbst nach.

Ich sehe ihm nach, verstehe ihn nur zu gut, doch ist es der falsche Zeitpunkt zum Trauern.

„Ein wenig hart waren wir eben, eh Freund?“, flüstert mir plötzlich eine raue Stimme ins Ohr, warmer Atem streift mein Ohr und es ist nicht überraschend, dass beides Sparrow gehört. Er ist ein wahrer Meister darin, sich anzuschleichen und im ungünstigsten Zeitpunkt zu erscheinen. Dann, wenn man ihn ganz und gar nicht ertragen kann.

„Vor allem, wenn man bedenkt, dass Ihr´s nicht hättet sein müssen“

Mit von sich gestreckten Armen umkreist er mich stakend einmal rundum, mustert mich von oben bis unten, bevor er sich umwendet und mich sprichwörtlich im Regen stehen lässt.
 

* * *

Eineinhalb Pfund Heuer

Verdrossen lehne ich mich in meinem Sessel zurück, der mich weich und mollig einsinken lässt, eine Eigenschaft, die dem Benutzer unleugbar ein tiefes Gefühl der Geborgenheit vermitteln soll.

Draußen vor den Fenstern, an die dicke, kugelrunde Tropfen kalten Regens hämmern mit ihrer vehementen Forderung um Einlass, ist der Sturm. Kaum abgeflaut, doch nicht mehr verheerend genug, um eine ernste Gefahr für Haus und Hof zu sein.

Das große, warme Zimmer, in dem ich in des Governors Haus untergebracht wurde, ist alles, was die Black Pearl und Sparrows Kajüte nicht sind: Gemütlich, sauber und gepflegt. Kein einziges Staubkörnchen liegt da, wo es nicht hingehört. Und ausgestattet ist es mit dem Luxus, den eine hohe Stellung mit sich bringen sollte und den ich die ersten Tage auf der Pearl schmerzlich vermisst habe.

Verschnupft begutachte ich den Raum, die Tapeten, die in den neuesten Mustern englischer Mode die Wände einkleiden, die silbernen Leuchter an den Wänden und die schweren Teppiche auf dem Boden.

Kurz verweile ich bei der Sicht aus den Fenstern und der Tür, die auf den steinernen Balkon führt, der umzäumt wird mit grazilen Säulen im Stil der Antike.

Auf den marmornen Fliesen bilden sich klare Seen, die wie in Sturzbächen über die Brüstung treten.

Bei Sonnenschein muss der Blick auf das Meer von dort atemberaubend sein.

Ich betrachte das pompöse Bett mit seinen seidenen Spitzenbehängen zum Schutze vor den liederlichen Stechmücken in lauen Nächten, den aufgeschüttelten Kissen, und den Daunendecken, darüber ausgebreitet der bestickte Überwurf.

Das Zimmer, an das ein Ankleideraum grenzt und der durch eine Flügeltür zu erreichen ist, ist prunkvoll und mit schnödem Popanz gefüllt.

Selbst Tintenglas und Schreibfeder auf dem wuchtigen Schreibtisch aus Kirschholz an dem ich sitze, sind von einem Wert, der eine gesamte Familie für eine Woche versorgen könnte.

Nichts hat er mit dem muffeligen Raum des Piraten gemein, selbst der Geruch ist ein anderer…
 

Fremd, leblos..., denke ich, ... freudlos...
 

Und so sehr ich mich zweifelsfrei auf dem Schiff nach mehr Bequemlichkeit gesehnt habe, -und nach einem Zimmer ohne nervtötenden Gesellschafter -, so zweifelsfrei unwohl fühle ich mich, jetzt da mir mein Wunsch erfüllt wurde.

Es ist mir schier unerklärlich warum, aber ich bin rastlos in diesem unheimeligen Zimmer.

Trotz der Ereignisse gestern Abend und der Strapazen, welche eine bleierne Müdigkeit über mir entleert haben, kann ich nicht schlafen. Ja sogar das leichte Fieber, das ich seit einigen Stunden habe, macht mich ruhelos anstatt mich in das einladende Bett zu locken.

Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell sich ein Mensch an Verzicht gewöhnen und ein harter Boden zur Gewohnheit werden kann…
 

... und wie sehr mir dieses bisschen Gewohnheit zu meinem eigenen Entsetzen fehlt...
 

Unruhig fahre ich mir über die heiße Stirn und unter zusammen gebissenen Zähnen befühle ich meine Brust. Die ständigen Belastungen der letzten Wochen haben die schmale aber tiefe Narbe, die Turner Senior auf mir wie ein Mal hinterlassen hatte, wieder aufreißen und erneut bluten lassen. Und es war mir in dem fürchterlichen Durcheinander, den grässlichen Auswüchsen des Sturms und seinen bitteren Folgen nicht aufgefallen, weder das Blut noch der Schmerz. Nicht, bis einer von Fords Männern in einer stillen Stunde nach den ersten Aufräumarbeiten mich auf den mittelgroßen Fleck hin gewiesen hatte, der sich auf meinem schmutzigen Hemd ausgebreitet hatte.

Ich berühre sie erneut, dieses Mal vorsichtiger, und seufze.

Die Verletzung ist nicht groß und so dachte ich daran, sie selbst notdürftig zu versorgen, höchst unklug mag mancher das wohl nennen, doch im Augenblick bleibt keine Zeit für unangebrachte Empfindlichkeit:

Vor mir liegt ein unfertiges Schreiben, angefangene Worte der Bekundung tiefsten Mitgefühls und Anteilnahme am Verlust, den die Familie erlitten hat. Das zwanzigste und damit vorletzte Beileidsgesuch.

Graduierte Heuchelei, wie selbst Sparrow sie nicht reiner vortragen könnte, so erscheint es mir und so furchtbar einfach daran zu erkennen, dass es mir ohnegleichen leicht von der Hand geht die Zeilen geschwind zu Papier zu bringen. In der letzten Stunde habe ich von einem Brief zum nächsten gewechselt, habe dieselben Worte verfasst, immer und immer wieder, bis ins kleinste Detail identisch wie der zuvor, nur der Name ist ein jeweils anderer.

Ich kannte den Mann nicht, noch kannte ich die meisten der anderen näher und obwohl es mich gemäß meiner Pflicht zu bekümmern hat, unter meiner Verantwortung stehende Männer zu verlieren, so erfahre ich dennoch keinen persönlichen Verlust. Sicher bin ich weit davon entfernt erfreut zu sein, doch fällt es mir schwer aufrichtigen Schmerz in mir zu finden…

Es ist mehr ein stummes Gefühl des Bedauerns, das in mir wütet, wie man den Tod eines jeden Menschen eben bedauert, doch ist es unverankert und wird in ein paar Tagen vergessen werden. Ein Zustand zwischen Akzeptanz und Trauer. Nichts Halbes. Nichts Ganzes. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Eine schreckvolle, vor sich hindämmernde Leere, Gleichgültigkeit käme dem Gefühl wohl am nächsten.

Ich unterzeichne seufzend das Beileidsschreiben mit meinem Namen und zähle die wenigen Münzen ab, die ihm beigelegt werden sollen.

Diese werden die Familie jenes jungen Kerls erreichen, den Andrew und ich unter dem Schanzkleid hervorgeholt haben. Er hat den Abend nicht überstanden, noch auf dem Weg in das eingerichtete Lazarett war er dahingeschieden...

Eineinhalb Pfund Heuer für sechs Wochen Dienst auf der Fortress sind es geworden. Das ist alles was von ihm zurückbleibt… und eine kummervolle Mutter, deren Sohn nicht mehr nach Hause kommt, ein den Himmel verfluchender Bruder vielleicht und eine jammervolle Braut, die vielleicht den Werber um ihr Herz verliert. Mehr nicht.

Gesichter die ich nie zu Gesicht bekommen werde. Der Junge wird zu einer Notiz werden in einer Liste, die wiederum in einer der Akten auf meinem Schreibtisch in Port Royal verschwinden wird. Eine Akte neben den vielen anderen.

Ich habe es satt…

Seufzend verschließe ich das Schriftstück, schmelze blutrotes Wachs an einer niedergebrannten Kerze.

Routiniert drücke ich das Siegel mit der englischen Krone hinein, mache den Brief dadurch zu offiziellem Gut und woran die Familie sogleich erahnen kann, erahnen muss, was er enthält… während draußen der neue Morgen in der Dämmerung anbricht, um einen weiteren tristen, stürmischen Tag zu bringen.
 

So satt...
 

Ich lächle schwach.

Ein seltsames Völkchen sind wir Seeleute. Nie schreiben wir den Lieben daheim, denn solange kein Brief kommt, kommt auch nicht die Nachricht von unserem Tod.

Erschöpft lasse ich mich zurück fallen, wische mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, nur um danach reglos sitzen zu bleiben und die Mappe mit dem Briefpapier von Governor Dutton kläglich zu hassen. Sie zu hassen, weil sich nicht von alleine das letzte Papier aus ihr entwinden wird, den letzten Brief zu verfassen, der noch bleibt.

Mich vor diesen Zeilen fürchtend, habe ich den Zeitpunkt sie zu schreiben hinaus geschoben, bis zuletzt. Ich habe der irrigen Hoffnung angehangen, dass jemand an die Tür klopfen möge, vielleicht eines der Gesindemädchen Hilfe brauche bei irgendeiner stumpfsinnigen Angelegenheit – was für eine Hoffnung! Wahrlich! -, der stock betrunkene Governor unbedingt meiner Anwesenheit bedürfe und er nicht zu Bett gegangen sein möge, oder aber nur eine verirrte Katze draußen im Regen auf einem Baum festsitze und mir eine effektive Ablenkung böte… zum Teufel, selbst ein angetrunkener Sparrow und eine Flasche Rum wären mir jetzt herzlich willkommen!

Mit zitternden Händen ziehe ich die rotbraune Mappe an mich heran, schlage sie auf und streiche ehrfürchtig über das beige Papier.

Diesen Brief werde ich persönlich übergeben. Ich werde in die ungläubigen, dann brechenden und trauernden Augen von Theos Frau sehen, werde ihre Kehle den Kloß hinunterschlucken sehen, nicht in meiner Gegenwart zu weinen, Stolz und Haltung zu bewahren, wie der verlorene Gatte es Zeit seines Lebens getan hat.

Andrew wird vielleicht dabei sein, nein, ganz sicher wird er das sogar… und er wird es sein, in dessen Armen das liebliche, zarte Ding zusammenbrechen wird… nachdem ich gegangen bin… in dessen Armen sie sich den Schmerz von der Seele schreit, bis sie die Kraft verlässt…

Mit einem kummervollen Seufzen schlage ich den Deckel der Mappe zu, fester, als es notwendig wäre. Wütend, zornig, betroffen, trauernd…

Groll, der nirgendwohin kann. Weil ein Commodore nicht wie ein hysterisches Weib zu schreien hat. Weil es eine Sache ist zu leiden, eine andere es zu zeigen.
 

Sparrow... Rum... Rum...
 

Und wider besseren Wissens festigt sich eine Idee als ich aufstehe, zu dem Hängeschränkchen neben dem Schreibtisch trete, ich Governor Duttons guten Brandy und zwei Gläser herausnehme.

In meinen Ohren höre ich ihn seinen lallenden Rat repetieren, den Rat eines Mannes, der im Normalfall ebenso wenig trinkt, wie Al Faras:
 

»Commodore Norrington, immer erfordern schlimme Zeiten Demut und Gebet. Doch manches Mal, und Gott steh mir bei, ist das demütigste Gebet ein ordentlicher Rausch!«
 

Ich pflichte ihm bei und setze mich auf das Bett, fülle beide Gläser, eines für mich, das andere stelle ich auf dem Nachttisch ab.

Denn das „Heute“ ist nicht normal.

Ich beobachte den in das Glas fließenden Alkohol, wie er langsam und schwerfällig den Boden berührt, ihn ertränkt wie die Fluten Theo ertränkt haben, der Alkohol, sobald sich einiges von ihm gesammelt hat, unscheinbare Wellen bildet. Ein trauriger Abklatsch von denen, die sich über der Fortress gebrochen haben.

Die Flammen der Kerzen schimmern über die Tropfen der braunen Flüssigkeit, spiegeln ihre Wärme auf dem kalten Nass wieder. Wärme und Kälte, ein beißendes Gemisch der Gegensätze, im unnormalen „Heute“ aber in Harmonie vereint.

Ich erhebe mein Glas, stoße an mit dem, das von niemandem erhoben werden wird,

„Auf dass du jetzt an einem besseren Ort bist, Theo“, und erweise meinem Freund mit einem Trinkspruch die letzte Ehre, die einzige, die ich ihm noch erweisen kann.

Dann trinke ich mich Schritt für Schritt, mich an den Dienst, die gemeinsamen Stunden und die Abenteuer mit Theo und Andrew zurückerinnernd, in die Bewusstlosigkeit.

Zwischenspiel II

„Mon ami, wie ich sehe hast du dich über die Jahre hinweg nicht verändert. Vom Vater zur Krone Captain Norrington“

Ich hatte Francois´ Worte gehört, gesprochen mit der vertrauten und lang vermissten Stimme eines Freundes und widerhallend aus einem bekannten und mir zugleich so fremden Gesicht. Es waren Worte des Zorns gewesen. An einem Nachmittag wie jeder andere. Mit dem einen Unterschied, dass für mich die Sonne an diesem Morgen mehr gestrahlt hatte, das Meer noch einen Funken blauer und klarer gewesen zu sein schien, die Luft frischer und reiner.

Ein Tag von lauer Wärme, nicht zu heiß und nicht zu kalt, und mit einem Himmel so groß und weit, dass er ein unendliches Azur mit der See gebildet und mir in der denkbar niederträchtigsten Form vorgemacht hatte, alles könne möglich sein, wenn man nur wolle.

Ein Tag von dem Poeten zu dichten gewagt und über den so manche Sänger ihre Lieder geschrieben hätten, über einen dieser wenigen Momente, in denen der Mensch glaubt, der Himmel habe die Erde geküsst.

Ein Tag, dessen Morgen mit der Nachricht von meiner Versetzung nach Port Royal auf Wunsche Governor Weatherby Swanns nicht hätte besser beginnen können und der nur noch besser gemacht worden war durch seine mir offen gelegten Ambitionen mich unter seine Obhut nehmen und protegieren zu wollen.

Geglüht hatten meine Wangen vor Freude, wie in einem dieser plötzlich auftretenden Schübe von Fieber, die ich früher zahlreich bekommen hatte, als ich noch einer dieser dürren, kränkelnden Jungen in Winchester gewesen war…

Ich hätte die Welt umarmen mögen.

So überaus wunderbar war dieser Tag gewesen. Vielleicht zu wunderbar, als dass ein Mensch allein dieses Glück verdient gehabt hätte.

Ein Tag, dessen Prädestination es hätte sein sollen einem Picknick beizuwohnen, sich einem guten Buche und einer Tasse Tee zu widmen, oder nur einer gepflegten und so oft schon geführten Konversation in erlesener und belesener Gesellschaft.

Und doch hätte dem Ende dieses Tages ein düsteres, die Erde fressendes Unwetter besser entsprochen, als irgendetwas sonst. Ein bisschen nostradamische Weltuntergangsstimmung…
 

…Eisern stand ich an der Reling der Dauntless, in all der dekadenten Haltung eines Offiziers mit unbeugsamen Stolz und der unnachgiebigen Art alles hinten an zu stellen, hinter den Dienst an der Krone.

Äußerlich gefasst erwartete ich das Spektakel eines versinkenden Schiffs. Es war nicht das erste und es wäre auch nicht das letzte geblieben.

Und weder kam unerwartet heraus, dass es sich bei dem fälschlich angenommenen französischen Handelsschiff aus Castries um eines für Schmuggel handelte, -war es eine geraume Zeit schon im Auge behalten worden, immer dann wenn es Kurs in britische Gewässer genommen hatte ,- noch der erbitterte Widerstand der Franzosen an Bord, nachdem die törichte, wie sinnlose Absicht einen geheimen Stützpunkt bei Santa Barbara zu etablieren, aufgedeckt und die Soldaten und Waffen im Frachtraum gefunden wurden...
 

…Unerwartet ist aber der Blick in das Gesicht des Captains dieses Schiffes gekommen, der mich bis ins Mark erschüttert hat, als er gefangen gesetzt zu mir gebracht worden ist. Ich muss ihn angesehen haben mit einer Mischung aus ungläubigem Staunen, aufsteigender Fassungslosigkeit über eine grausame Fügung des Schicksals und beginnender Leblosigkeit, als stürbe mit dem Blick in sein Gesicht ein Teil von mir ab.

Es ist vorauszusehen gewesen, dass dieser Tag kommen würde, an dem der Mann neben mir, den ich einmal einen Freund nannte, zeitweise vielleicht sogar den besten und einzigen, mir nicht mehr als solcher gegenüber stehen würde. Von dem Zeitpunkt an, als wir beide ins Militär eingetreten waren.

Nun in Ketten gelegt zweifelt er zu Recht an, ob das Wort „Freund“ jemals eine Bedeutung für mich gehabt haben kann…
 

…eine schemenhafte Erinnerung.
 

Nebel liegen über den Wassern, kriechen aus Bretterritzen und Türspalten unheimlich und grau meine Füße empor, um mit Geisterhänden nach mir zu greifen, als kämen sie aus dem Grabe. Mit sich bringen sie eine unerträgliche Hitze, die mir versengend durch das Blut gellt, meinen Herzschlag hindurch pulsieren lässt, sodass mich verklärender Schwindel befällt.

Er macht, dass meinem Kopf leicht ist, macht ihn schattenhaft für jeden noch so klaren Gedanken.

Es ist, als verliere ich mit seinem Kommen die Fähigkeit zu atmen, die ohnehin stickige Luft aus der beklemmenden Enge in mich einzusaugen, aus der erschreckenden Still, die mich umgibt.

Ich sehe die Kanonenschüsse auf das Schiff treffen. Sie machen keinen Laut, auch nicht die ersten Detonationen des sich entzündenden Schießpulvers, oder die wüsten Flüche der französischen Crew in unseren Rücken, die aus trockenen, zu Staub verfallenden Mündern kommen aus mit verfaulender Haut bedeckten Gesichtern.

Noch nicht einmal die gierenden Möwen im Himmel mit ihren sichelartigen zum Kreischen aufgerissenen Schnäbeln in denen poröse Zähnen heraus wachsen, knochenblank, bis sie herausbrechen. Auch nicht die schwarzen Wellen der See, die sich ölig an den verrottenden Schiffen brechen, mit ihren verrottenden Idealen.

In dem vor der Stille kapitulierenden Sein sind die Absätze meiner Stiefel und mein rasselnder Atem die einzig hörbaren Geräusche, widerhallend und surrend in der Luft, Luft die ich einschnappe wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mit verkrampften Händen fasse ich mir an die Brust, huste gequält auf bei dem Schmerz, der mich durchfährt. Das Schwert, das mir Turners Vater einst ins Fleisch rammte, ragt steil heraus und hinterlässt eine Narbe, die tiefer gehen und länger überdauern wird, als körperlicher Schmerz.

Ich fühle die Schwäche und die Kälte nahen, die mich ergreifen werden.
 

„Jede Freiheit hat ihren unfreiwilligen Anfang. James.“, wird eine Stimme neben mir flüstern mit unerschütterlicher Klarheit und meinen Namen aussprechen mit einer Intensität, die mich frösteln lassen wird…
 

…Ich blicke auf, und obwohl irgendein rationaler Teil in mir noch weiß, dass er nicht wirklich hier sein kann, dass Francois´ Gesicht ein Traumgespinst sein muss, gesponnen aus Erinnerung und Schuld, sehe ich es verschwommen in den Nebelschwaden vor mir, so deutlich, als könne ich es berühren sobald ich nur die Hand danach ausstreckte.
 

… Und wie an diesem Tag werde ich nicht darauf gefasst sein, dass er sich aus den Händen seiner Wachen befreit, es in einem Kraftakt irgendwie fertig bringt mit seinen Ketten auf die Reling zu springen, er mir einen letzten Blick schenken wird, bedeutungsschwanger mit tiefer Entschlossenheit und Überzeugung… und sich fallen lassen wird...
 

…Die Worte hallen in mir nach, wie das leiser werdende Echo von Schritten in einem verlassenen Ballsaal…
 

…Ich werde dabei zusehen, wie er in seinen eisernen Ketten hinüberschwimmt zu seinem brennenden Schiff und werde nicht reagieren.

Auch dann nicht, wenn er in seinen Ketten mehrfach untergehen und die hilflosen Fragen des ersten Maats mich in meinem geistigen Gefängnis erreichen werden, nachdem er auf eigene Faust den Beschuss des Schiffes einstellen lässt…
 

…ich weiß nicht mehr, was es war, das mich dieses letzte Wort sprechen ließ und das aus dem Jugendfreund ´Francois´, den Franzosen und Feind der Krone ´Chevalier La Rochelle´ für mich machte.

Ein Wort, das ich mit stummen, zitternden Lippen nachahme:

Feuer!
 

* * *

Fieber

Ein umfassendes Sorry an alle, die ewig auf das neue Kapitel warten mussten. Aber wie gesagt, mit der Erzählperspektive des lyr. Ichs gestaltet es sich höchst problematisch gleichzeitig eine Halluzination zu schreiben und die äußere Realität. Hab mir sozusagen selbst ins Knie damit geschossen... *sigh*

Das Kapitel wird vermutlich noch die ein oder andere Überarbeitung erfahren, da ich immer noch nicht zufrieden bin, auch wenn es bereits die 12 Version ist. ^^;;;

Nach halbjährigem Grübeln, Denken und ständigem Umstrukturieren hatte ich die Nase jetzt aber voll.
 

Und jetzt nur noch eine kurze Einleitung: Das Schöne an Träumen, Wahnzuständen und Halluzinationen ist, dass man in ihnen Momente höchster geistiger Klarheit erreicht. Das weniger Schöne: am nächsten Morgen erinnert man sich nicht mehr daran:
 

Kapitel 25 - Fieber
 

„Feuer!“

Welch unscheinbares Wort das doch ist, so unbedeutend und alltäglich, dass es benutzt wird in allerlei Munde zu allerlei Gelegenheit.

Wie dies eine Wort ein Schiff versenken -und einen einstigen Freund in Vergessenheit geraten- lassen kann, so mag es ebenso gut bloß der herrische Wunsch eines Vaters sein, einen an seinen Jungen gerichteten Befehl in die mit Pech versiegelte Holzpfeife Tabak zu stopfen und diesen mit dem gefahrlosen Glimmen eines Spans zu entzünden. Eine allabendliche Pflicht ist es, die all jene Söhne mit ehrfürchtigem Gehorsam Tag für Tag eifrig erfüllen, um danach im Stillen zu wünschen, dass der übermächtige Mann vor ihnen nur ein einziges Mal ihnen den Vorzug vor dem Bruder gäbe.
 

Allerdings im Munde einer der runden und immer gutherzigen Köchinnen mag dies Wort ein erboster Schrei des Tadels sein, ausgestoßen in einer heißen Dunstwolke, weil der unbeholfene Küchenjunge den, für die kleinen Hände, zu großen Kupferkessel mit kochendem Wasser verschüttet und dabei das Herdfeuer zum Erlischen gebracht hat.

Und wiederum ein anderes Mal ist es der stolze Ausruf enthusiastischer Freude eines Lausebengels, der mit seinem Freund zum ersten Mal trockene Hölzchen ohne Zuhilfenahme von Zündhölzern zum Brennen gebracht hat. Und denen es dabei einerlei ist, dass die kleinen Gesichter rußig geworden sind und denen es einerlei ist, dass sie große Schelte für ihr heimliches Tun von ihren Lehrern ernten werden...
 

… und ´Feuer´ mag tatsächlich die einzige Beschreibung des liebeskranken Tors sein für die oft bewunderten Augen der geliebten Frau, die mit ihnen, den schönsten Augen, die er kennt, einen anderen anblickt…

Wie Tinte mit einem Löschbims von Papier gebannt wird, so verbannte ich mit einem einzigen Wort den Namen des jungen Burschen aus meiner Erinnerung, mit dem ich das erste Mal trockene Hölzchen ohne Zündhölzer zum Brennen gebracht habe. Er, der er der einzige Makel einer beispiellosen Karriere gewesen ist.

Und es reute mich nicht, denn es war das, was nötig war. Was bedeutete denn eine zum Scheitern verurteilte Freundschaft im Angesicht der bestehenden und funktionierenden Ordnung, die mir so viel mehr darbot als das dumme Gefühl menschlicher Brüderlichkeit?! Was war diese Freundschaft denn schon anderes als unser beider Bürde, für ihn wie für mich, im Angesicht des Privilegs Recht und Ordnung dienen zu dürfen und durch unsere Befehle Teilhaber an etwas Gutem und Großem zu sein?!

Denn so wahr es ist, dass ein einzig ordnendes Wort wie Feuer wieder alles ins Klare bringt, so wahr ist dies:

Befehle übertragen Verantwortung. Pflicht. Stolz. Würde und Ehre. Und den Willen all dies zu erhalten. Sie geben einem die erfreuliche Gewissheit auf der richtigen Seite zu stehen und ersparen in ihrer Gnade sinnloses Geplänkel über sich verwischende Fronten, die nicht verwischt werden sollten. Sie ersparen einem die Last im Nachhinein erkennen zu müssen, dass Menschen auf verschiedenen Seiten nicht zusammen gehören und dass alles verzweifelte Aufbegehren und Schreien eines Einzelnen diese Tatsache nicht zu ändern vermag…

Als das Schiff damals in der Tiefsee zusammen mit Francois versunken war, zerstört und vernichtet, und ich mit meiner neuen Erkenntnis zurückblieb, hatte ich verlernt, wie es ist, aufzuschreien.

Und es wäre eine Lüge, sagte ich, dass ich diesen Offizier, - dieses bequeme Leben- , nicht selbst gewählt und gewollt habe…

…und dann spüre ich plötzlich etwas an meinen Schultern;

ein rüpelhaftes Rütteln, unverschämt und frech in seiner ganzen Art, und es lässt keinen Zweifel daran, dass es bleiben will, bis ich mich ihm nicht mehr zu widersetzen weiß.

Heraus gerissen aus Stasis und Stillstand, leitet es mich in den Zweifel und straft mich für falsche Entscheidungen, verkehrt gegangene Wege und bitteren Verzicht. Unbehaglichkeit pflanzt dieses Rütteln in mich, ein in den gleichmütigen See geworfener Stein ist es. Von außen sieht das Wasser unverändert aus, doch auf dem Grund ruht der Brocken schwer. Es ist wie ein eindringender, mit Widerhaken besetzter Stachel einer wahreren Wahrheit, als der, an die ich gelernt habe zu glauben. Verzweifelt wehre ich mich dagegen, dass sie tiefer dringt und mich vergiftet,

doch letzten Endes lässt sie mich aufschreien.

„Wer wird denn gleich das ganze Haus zusammen schreien, aye?“

Sie sind leise, die Worte, die mich auffangen, nicht mehr als ein, mein Wimmern begleitendes, Wispern irgendwo im Äther: „Ich höre Euch doch, mein Freund“

Unter gequältem Greinen und keuchendem Röcheln, wie selbst Pestkranke es nicht Furcht erregender hervorbringen könnten, werfe ich den Kopf von Seite zu Seite und versuche die in mir widerhallende Stimme zurückzudrängen, bevor sie auf fruchtbaren Boden trifft. Und es dauert…

Als ich mich schließlich von der erschütternden Vorstellung mein Leben verfehlt zu haben, befreit habe, öffne ich die Augen einen Spalt breit. Durch klebrige Krusten schwerer Lider blicke ich ins verschwommene Dunkel.

Und es macht mir Angst, dieses schwarze Nichts, das sich vor mir auftut und sich nicht einer ordnenden Gewalt unterwerfen lässt.

Fahrig rollen meine Augen in ihren Höhlen umher, suchend und beinah panisch, bis endlich, unweit von mir selbst entfernt, kleine erlösende Lichter aufglühen. Einer hypnotisierten Motte gleich, die nicht anders kann, als surrend um sie zu kreisen und nicht darum weiß, dass eine der Kerzen sie irgendwann verschlingen wird, - denn nicht mehr als der Schein von Kerzen ist es, der flackert und wiegt-, hafte ich mich an den winzigen Flämmchen fest. Unscheinbare Feuerchen sind es, dünne Halme, nach denen ich mit verzweifelter Gewohnheit die Hand ausstrecke. So groß ist das Bedürfnis nach dem Beständigen, dass ich mich versuchen lasse, die schemenhafte Kreatur in den Schatten außer Acht zu lassen, die sie in ihren Klauen hält. Wieder und wieder greife ich danach.

Aber als steche eine silberne Gabel in ein waberndes Gebilde aus Aspik, so zappeln und zittern Arme und Beine, ein jedes geschwächtes Glied, das ich bewegen will, wann immer ich es versuche. Als wollten die kleinen Feuer mich fliehen, rinnen sie mir durch die Finger, immer und immer wieder. Und doch weiß ich, dass es dieses grässliche Geschöpf im Verborgenen ist, das sie mir entfremdet, weil es grinst und triezt und mir nehmen will, was ich kenne.

„Shh… Commodore, nicht. Bleibt liegen. Ich mache die Kerzen ja schon aus“, wagt es gar zu sprechen und die Worte durchfahren mich siedendheiß, während das Ding in seiner Grausamkeit das einzige auslöscht, an das ich zu glauben gelernt habe.

Wie ein Lavastrom sich seinen Weg durch Stein gefräßig furcht, durchdringen mich die Worte, langsam, stetig und unaufhaltsam. Und ich vergesse, wer ich bin,

„Was zum Hen-?“, und stürze mich auf die Kreatur.

Ich packe sie, wehre mich, trete, kratze und beiße, was immer ich auch von ihr zu fassen bekomme.

„Jabbar, schwing endlich deinen Hintern durchs Fenster!“, jault sie auf, „´S sieht nicht so aus, als wollte der Commodore heute ein braver Mann sein!“

Ihre schroffen Krallen greifen nach mir, bereit mich zu verderben, Hände, deren Finger über die Jahrzehnte hinweg schwielig geworden sind. Nun bilden sie zerklüftete Gebirgsketten, massive Felsformationen, deren Gewicht sich mit Gewalt auf meine Brust und bereits gekrümmte Schultern legt, um zu ersticken, wer ich bin.

Miefig beugt sich die Gestalt zu meinem Gesicht, ist mir so unerträglich nahe, dass ich den Hauch der Verdammnis über mir zu wähnen glaube.

„Das ist beeindruckend unhilfreich!“, wispert mir ihre dunkle Stimme ins Ohr und in wildem Wahn schlage ich zu,

„Oumpf!“

Mühsam werde ich es dir machen!

Mit großem Vergnügen höre ich das Fallen dieses Dings und das harte Auftreffen auf den Boden des Abgrunds, aus dem es gekrochen kam.

„Das ist noch weniger hilfreich als unhilfreich!“

Und mit größerer Zufriedenheit wittere ich, während mir schummrig wird, die Nuance von Metall, die Blut seine charakteristische Prägung verleiht.

„Mit dir und ihm ist es zum Mäuse melken Kadeb!“

Es ist das letzte, das ich höre bevor ich, ausgezehrt und schwach vom Kampf, mit einem grimmigen Lächeln ins Dunkel falle.

Woran ich glaube, ist unumstößlich...
 


 

* * *
 


 

„Lasst sie zu, Junge. Das Sonnenlicht wird Euch blenden, Euren Augen wehtun“, höre ich jemanden sagen.

Der harte Akzent, der die tiefe Stimme des Mannes begleitet, ist mir keinesfalls fremd, ebenso wenig wie es die großen Hände sind, von denen der scharfe Geruch orientalischer Gewürze ausgeht und die sich schließend über meine Augen legen.

Ich möchte gerne etwas erwidern auf die besorgten Worte, möchte sagen, dass es mir gut geht, doch gelingt mir nicht mehr als ein karges Gurgeln, das sich über eine pelzige Zunge quält.

„Und sprecht nicht. Seid sparsam mit Eurer Kraft und lasst Al Faras das richten“

Al Faras. Oh ja… ich erinnere mich…

„Die Tücher und die Kräuter, Kadeb, gib sie mir“, fordert der Muselmann, auf dass dem strengen Befehl gellende Schritte über noch weitaus gellendere Dielen folgen.

Stein mahlt auf Stein, Wasser plätschert, der Geruch von Essig erfüllt die dicke Luft und dann wird mir an den Beinen kalt. Ich zwinge mich, hingegen dem Rat Al Faras´, die Augen zu öffnen.

Entsetzlich kalt.

Nur langsam formen sich die markanten Züge mit den vielen Narben, der lange, schon vor Zeiten ergraute Bart und der schwarze Turban, den er stets zu tragen pflegt, zum Gesicht des Arabers zusammen, zum Gesicht des Mannes, der sich meiner annimmt.

„Ein Rätsel ist es mir, wie ihr Christen die Heilige erobern konntet, wenn ihr es nicht zustande bringt ein Fieber zu lindern“, spricht er erbost zu jemand anderem als mir.

Ich beginne zu zittern, als mir die Wärme aus dem Körper gezogen wird.

„Schildkröten mein Freund, mit dicken Panzern“

Schwerfällig rollen meine Augen zur Seite, als sich das Bett neben mir senkt, sich in die Weichheit der Linnen ein warmer Körper zu mir legt. Nun ja… wie es bei einer schlechten Angewohnheit, -nennen wir sie Tradition, - nun einmal der Fall ist, rümpfe ich die Nase, sobald ich Sparrows ansichtig werde.

Die Welt meint es ausgesprochen gut mit mir…

„Pah! Bewahr dir deinen Humor, während du ihm aufhilfst“

Vorsichtig werden meine Schultern von dem Piraten umfasst und aufgerichtet, eine Bewegung, die mich die Augen vor Schmerz verdrehen lässt. Mein Kopf rollt dabei haltlos in den Nacken, und benommen hänge ich in seinen Armen, verkrampft und unbeweglich wie ein alter Mann mit Gicht. Danach bemerke ich mit wachsendem Entsetzen, dass mein linker Arm taub geworden ist, schlimmer als es je zuvor war, dass ich sogar außerstande bin ihn zu bewegen. Mit einem Stöhnen sehe ich zu Sparrow auf, als dieser sich hinter mich setzt, mich an seine Brust bettet und meinen Kopf an seine Schulter lehnt.

„Uns nennt ihr Barbaren! Ihn zur Ader zu lassen, ihn zu schröpfen mit diesem... diesem Ding!"

Begleitet von einem tiefen feindseligen Knurren findet sich der bedauernswerte Schröpfschnepper zerschellt auf dem Boden wieder.

"Bei Fieber! Wissen eure Gelehrten, eure dummen Bader und Heiler denn gar nichts? Haben sie in den vergangenen Jahrhunderten nicht dazu gelernt? Ach, was frage ich denn!“, ereifert sich der der dunkle Hüne weiter, der zu einer Holzkanne greift, einen recht großen Dolch aus seinem Gürtel zieht und die Spitze hinein taucht,

„Wenn ihn das Fieber nicht umbringt, dann die Pfuscherei dieser Stümper!“

„Ah, ah, ah Jabbar, du solltest wissen, dass schwierige Gedanken über etwas Blödes, das nicht eintritt, blöde Gedanken über Schwierigkeiten, die nicht eintreten, sind“, antwortet Sparrow mit einem Lächeln, während unsere Blicke einander begegnen und er es nicht lassen kann, mich dabei in die Wange zu kneifen.

Ich bin hochgradig entzückt…

„also treten Schwierigkeiten immer nur durch gedanklich Blödes auf. Denk dran“

Während er spricht, verweilt sein Blick unentwegt auf mir und es hat den Anschein, dass seine Aufforderung nicht primär dem Araber gilt. Höchst bemerkenswert… Ein wenig will ich lächeln, denn es ist absurd und auf skurrile Weise erfreulich zugleich, dass Sparrow von mir erwartet, nicht zu wagen an die Möglichkeit des Sterbens auch nur zu denken.

„Kadeb, ich werde aus einem Elefanten keine Mücke machen, nur weil du nicht haben willst oder kannst, dass Commodore Norrington in solch einen Zustand geraten ist. Schon wieder. Und glaube, wenn ich sage: Zumeist stirbt es sich recht schnell“

„A-HA! Aber wäre er denn überhaupt ein Commodore, wenn ein winziger Pieks in die Brust vor fast einem Jahr und ein kleiner Schnupfen ihn heute umhauen? Und es heißt: ´aus einer Mücke keinen Elefanten machen´!“

„´Winziger Pieks´? Sieh ihn dir an!“

„Mit Verlaub, habe ihn gesehen mein Freund: Winziger als winzig, der Pieks, vor fast einem Jahr... klitze-winzig-klein“

Al Faras seufzt auf,

„Ein bemerkenswerter Frohsinn, den du da hast“, bevor er beginnt sich an meinem Hemd zu schaffen zu machen,

"aber du hast Recht, es ist nicht dein ´Pieks´, der mir den Kopf zerbricht"

Bereits bei der ersten Berührung fahre ich zusammen und schließe die Augen. Langsam, Streifen für Streifen, schält mich der Schneider behutsam aus dem Leinen, so behutsam es ihm eben möglich ist. Unter jedem weiteren Spann Stoff, der abgetragen wird, stöhne ich auf, krampfe und zittere. Als er nach einer endlos dauernden Weile fertig ist, ich bereits ahne, was er vorhat, ist es schließlich eine altbewährte Methode Wundbrand zu verhindern, geht er hinüber zum brennenden Kamin und bringt den vorpräparierten Dolch in die Flammen. Sofort entzündet sich der Alkohol in einer bläulichen Gloriole. Im Feuer gedreht und gewendet, bis sie leuchtendrot glüht, wird die im Normalfall tödliche Waffe heute zur Heilung verwendet.

"Es ist der Verlust seines Lebenssaftes und die Hitze in seinem Körper, die nicht fort gehen will. Sie werden es ihm schwer machen das jetzt Kommende auszuhalten", warnt er, bevor er zum Bett zurückkehrt.

„Lass ihn nicht los, Kadeb. Tust du´s, brenne ich vielleicht zu tief…“

„Aye. Mund auf Norrington!“

Von Sparrow wird mir rüde etwas zwischen die Zähne geschoben, ein Stück Holz oder etwas vergleichbares… ich weiß es nicht. Dann umfasst er mich mit einem Arm, hart und unnachgiebig, seine freie Hand legt sich mir auf die Stirn und presst meinen Kopf fest gegen seine Schulter.

„…du weißt, dann wird es keinen zweiten Versuch geben, Captain Jack Sparrow“

„´Aye´ habe ich gesagt! Ich werde ihn halten“

Der große Mann nickt.

In blankem Horror starre ich ihn an, wie er auf mich zukommt, sich über mich beugt mit dem Schlachtermesser in der Hand, das mein Herz schlagen lässt, als müsse es jeden Moment unter seiner eigenen Schnelle zerspringen. Ich habe nichts von ihm zu befürchten, der Verstand weiß das, aber das dumme Herz nicht. Ich zucke, rüttle an den Fesseln, an dem unbarmherzigen Griff des Piraten hinter mir, in dem ich mich befinde. Die Schraubstöcke der Zimmersleute könnten nicht kräftiger zupacken…

Leise flüstert Sparrow mir beruhigende Worte ins Ohr, dummes Zeug und kleine Witzeleien, immerzu, aber als die glühende Spitze meine Haut durchbricht, beiße ich auf den Gegenstand in meinem Mund, gleich dem gefangenen Pferd auf die Trense. Die Hände in die Laken gekrallt, schreie ich. Weine, fluche, bete, ich flehe jeden an, der mich erhören könnte. Ich weiß, dass mir Tränen heiß die Wangen entlang strömen, und er hält mich hier, um dem entgegenzutreten, was ich mir selbst eingebrockt habe:

Peinigendes Feuer,

innere Fäulnis,

zu Staub verfallendes Fleisch,

unsagbarer Schmerz.

Oh Allvater!

So muss die Hölle sein.

Ich ertrage es nicht länger…
 


 

* * *
 


 

Ich weiß nicht mehr, ob ich träume oder wache.
 

„Yo ho, yo ho, Piraten haben´s gut.“
 

Erinnerung. Traum. Wirklichkeit.

Der Übergang ist fließend. Alles ist eins.
 

„Wir sacken kräftig Schätze ein, trinkt aus Piraten yo ho“
 

Und zwischendrin stehe ich, stehe an Bord der Dauntless, früh im Morgengrauen, im Zwielicht, wo der Tag noch kaum von der Nacht geschieden worden ist. Wüste Nebel und der Hauch des Wirrwarrs liegen zu dieser Stunde über den Wassern, hier am Anfang aller Dinge.
 

„Betrügen und legen jeden herein, trinkt aus Piraten yo ho"
 

Ich folge der Melodie, ich kenne sie, erinnere mich an sie, träume vielleicht gerade von ihr, ja, vielleicht ist sie sogar wirklich… oder ich werde betrogen von ihr, einer Sinnestäuschung, einer schönen Einbildung…

Ich erinnere mich daran, dass Master Gibbs dieses Lied gefürchtet hatte wie einen Fluch, der sich über ein Schiff legt, kaum wurde die Melodie gesungen, wie eine dunkle Prophezeiung, kaum wurden die Worte gesprochen.
 

„Ein jeder von uns ist ein schmutziger Dieb,…"
 

Heute würde ich ihm zustimmen...

Ich folge dem Gesang über die klammen Bretter, Schritt für Schritt durch den Nebel und hinaus ins Freie, wie einst Theseus dem Garn der Ariadne aus dem Labyrinth des Minotaurus folgte. Sie führt mich hinauf zum Heck, dem höchsten Punkt des Schiffes, das gleich einem hellen Plateau über einem dunklen Wald liegt.

Ich erinnere mich, dass ich diesen Weg schon einmal gegangen bin, damals während der Überfahrt von England nach Port Royal, ich erinnere mich daran, dass ich zum Heck hinauf gegangen war, zu dem jungen Mädchen in seinem einfachen, beigen Kleid, dem Kinde Governor Swanns, das das dreizehnte Lebensjahr noch nicht erreicht hatte. Ein Kind, das nichts von der Welt wusste, sie nicht verstand und stattdessen seinen romantischen Vorstellungen von der Piraterie nachhing. Ein Kind das in seiner naiven Unschuld dieses Lied sang.
 

„…trinkt aus Piraten yo ho.“
 

Jetzt steht kein Kind mehr hier oben, kein aristokratisches Mädchen, das behütet werden muss. Ein ungebändigtes und freies Geschöpf sehe ich vor mir, mit unfrisiertem, offenen Haar, das sich unbeugsam im Wind bewegt und die geraden, aufrechten Schultern umschmeichelt, deren stolze Haltung so viel Anmut und Würde zeigen. Ich gehe hinauf, will noch einmal in die Augen sehen, die nie mit der Intensität zurückschauen werden, wie ich es mir wünsche, …mit der sie immer schon einen anderen angesehen haben.
 

„Doch trotzdem hat unser Jamie uns lieb, trinkt aus Piraten yo ho."
 

Ich berühre den geraden Rücken. Noch einmal will ich egoistisch sein…
 

"Hmhm... Commodore? Darf ich fragen, was Ihr da tut?!",

…und in dem unachtsamen Moment, in dem Ihr Euch umwendet, werde ich zum Dieb und stehle einen weiteren Kuss, der nicht für mich bestimmt ist.
 

Unsere Schicksale waren immer verflochten, doch waren sie niemals eins…
 

Es ist ein unschuldiger Kuss ohne respektloses Verlangen, doch wie beim ersten Mal erstarrt Ihr unter der vorsichtigen Berührung vor Überraschung, Unglauben und unbändigem Schrecken. Ich spüre Euren Widerwillen, Eure entschiedenen Hände, die sich auf meine Arme legen und mich kraftvoll auf Abstand halten, aber keinen ernsthaften Versuch unternehmen sich loszureißen. Ich spüre Euren stockenden Atem, wie er von rauen, zitternden Lippen kommt und wie der warme Odem versucht ein klares Wort der Ablehnung zu formen. Aber es gelingen Euch lediglich unverständlich gestammelte Laute. Eure aufgerissenen Augen blicken mich an und erscheinen mir heute um so vieles dunkler, als das letzte Mal, ja fast schwarz sind sie und so viel tiefer. Sie sind nicht wütend oder gar zornig, vielmehr erschrocken und erstaunt, zweifelsfrei fragend und, oh, so sehr verwirrt.

Ihr wisst, ich würde Euch niemals festhalten, Euch niemals zu etwas zwingen! Und ich weiß, dass Ihr das in meinen Augen lesen können müsst, die heimliche Liebe, die mich all die Jahre erfüllt hat und die bereit ist zu verzichten und Euch wieder und wieder gehen zu lassen. Ich weiß, dass Ihr es seht; weil Ihr mich nicht wegstoßt, obwohl Ihr könntet, weil Ihr, nachdem der letzte Funken des Zweifels verflogen ist, stattdessen plötzlich zu lächeln beginnt. Weil ihr weiterlächelt, als ihr langsam unsere Verbindung nach dieser quälenden Süße löst, mich anseht und an meinen Lippen leise singt:
 

"Yo ho, yo ho, Piraten haben´s gut, eh?“
 

Wir sehen einander an und Euer Blick wird zu einem warmen, dunklen Glühen. Mit einem zufriedenen Seufzen, als wäre ein Hungernder nach langer Zeit endlich gespeist worden, schließt Ihr Eure Lider, zieht mich kompromisslos zu Euch um mich festzuhalten und die Zärtlichkeit zu erwidern. Aber nicht vorsichtig und bedacht, nein, leidenschaftlich und rau, wild, voller Gier - fast grob will ich es nennen- und mit einer Hingabe, die ich nicht erwartet habe und die beinah seelisch schmerzt. Zu schwach, um mich diesem Überfall zu erwehren, ergebe ich mich und schon bald darauf liegen wir einander in den Armen und ich lasse mich von Euch treiben, wie ein Schiff von wiegenden Wellen. Und spätestens jetzt, da ich begreife, dass Ihr Euch mir zugewandt habt, Eurer Liebe zu William untreu geworden seid, weiß ich endlich, dass ich träumen muss, vielleicht in einem scheußlichen Fieber halluziniere und dass Ihr nicht die Wirklichkeit seid.

Denn,

nie hat eine wahrhaft treue Frau jemals so geküsst,

nie hat eine wahrhaft treue Frau jemals so betrogen,

und nie hat es einen ehrbaren Mann jemals weniger gestört.

„Ihr wart ein schöner Traum…“, wispere ich heiser in die Stille hinein, als Ihr nach paradiesisch langer Zeit von mir ablasst, Eure Lippen purpurrot geküsst sind und die Erschöpfung beginnt mich hinüber in den Schlaf zu schiffen,

„…Elisabeth“
 

* * *
 

Große Preisfrage: Hat jemand den logischen Fehler gefunden? Ô_o



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Kommentare zu dieser Fanfic (85)
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Von:  Parsaroth
2009-11-05T21:19:31+00:00 05.11.2009 22:19
Um ehrlich zu sein - eigentlich bin ich grade noch zu sehr irgendwo anders, als dass ich jetzt irgendwas großartig sinnvolles beitragen könnte. Was mit der unglaublichen Art, wie diese Geschichte dargestellt und geschrieben ist, zusammenhängt. Ich habe, nein, ich habe bisher wirklich noche keine so unglaublich gut dargestellte Charakterentwicklung in einer solch spannenden Handlung verfolgt. Du vermagst es wirklich, sämtliche Personen so lebendig und echt zu beschreiben und agieren zu lassen, dass die gesamte Zeit während des Lesens ein Film in meinem Kopf ablief. Grade dieses Kapitel, dieser Fieberwahn war so unglaublich einnehmend, und jedes Mal habe ich mit dem armen Norrington mitgelitten. Er wächst einem im Laufe der Geschichte wirklich ans Herz. Und ich hoffe inständig, dass letztere Sache ein relativ gutes Ende nimmt, und nicht in abstruse Peinlichkeiten führt oder dergleichen. Ah, richtig, auch dein Schreibstil ist bemerkenswert. Den Commodore und seine Gesellschaft in ihrer Art sehr genau getroffen, denke ich.

Und mich dazu gebracht, dass ich wohl die Filme mal wieder rauskrame und und den ziemlich sicheren Tod des wunderbaren Navymannes beheule.
Wirklich, alles in allem eine der wunderbarsten Geschichten, die ich bisher gelesen habe (und die in der Tat sofort gedruckt werden könnte.).
Und deren Fortsetzung ich gespannt entgegen warte. Ist aber auch 'n ziemlich übler Cliffhänger.. Mich hast du aber als Leserin sicher für diese Geschichte. Gut.
Ich bitte zu entschuldigen, sollte ich durcheinander und unverständlich geschrieben haben, aber Lesen fantastischer Dinge fesselt bekanntlich. =) Oh, aber den logischen fehler vermag ich auch nicht zu nennen.
Auch auf die Lösung dieses Rätsels bin ich mehr als gespannt...
ich bedanke mich zudem für diese wunderbar unterhaltenden und erlebten Kapitel, und hoffe inständig, dass du Zeit und Lust findest, bald die Fortsetzung hochzuladen. Oder so.

Und einen angenehmen Abend wünsche ich ebenso. =)
Wolke.

Von: abgemeldet
2009-07-28T21:12:16+00:00 28.07.2009 23:12
So.
Deine Story hat mich allen Ernstes dazu gezwungen meine "ein Kommi pro Kapitel" Einstellugn zu brechen. Und zwar weil ich fieberhaft von einer seite zur nächsten gesprungen bin. "The Black Widow Tale" ist toll. Ganz ehrlich. Deine Idee ist genial und die Umsetzung so gut dass ich fast erwarte dass du jeden Moment von einem Verlag entdeckt wirst. Ich bin heillos BEIGEISTERT von Commodore Norringtons Entwicklung!
"Fieber" ist genial. Es muss unheimlich schwer sein die Empfindungen und Wahrnehmungen eines Fieberkranken zu beschreiben und es dennoch glaubhaft rüberzubringen.
Auch wenn ich ganz ehrlich den logischen Fehler nicht sehen konnte. . .:(
Ich hoffe bald mehr zu Lesen zu bekommen von Jamie und seinen Freunden :DDD
Von: abgemeldet
2009-07-15T20:12:51+00:00 15.07.2009 22:12
Also "The Black Widow Tale" mausert sich wirklich zu einem meiner Lieblinge hoch. Die Diskussionene und Spitzfindigkeiten zwischen Sparrow und Norrington sind weltklasse - ganz ehrlich! Ich muss noch immer lachen.
Lg, Mary
Von: abgemeldet
2009-07-14T10:09:30+00:00 14.07.2009 12:09
Die Beschreibung von Sparrows Kajüte und seines Auftretens ist SO authentisch - ich bin mehrmals in Gelächter ausgebrochen, einfach weil er so genial ist.
Go on dear writer!
Von: abgemeldet
2009-07-07T20:39:10+00:00 07.07.2009 22:39
Der Anfang ist sehr vielversprechend.
Dein Stil ist ohne Zweifel ausgezeichnet und die Idee finde ich sehr originell.
Es gibt schon so viele ff aus Jacks Sicht, aber Commodore Norrington ist selten. Ich hoffe die Story wird so gut wie sie anfängt - du hast gerade einen neuen Fan gewonnen :)
Lg, Mary
Von: abgemeldet
2009-03-01T13:36:45+00:00 01.03.2009 14:36
Da die Inhaltsangabe der Autorin meiner Meinung nach alles Wichtige aussagt, fange ich direkt mal an: Die Geschichte ist bis jetzt ausschließlich aus James Norringtons Perspektive geschrieben, zeigt also nur seine Sicht der Dinge. Das finde ich vor allem deshalb gut, weil so nicht in Jacks Kopf geguckt wird. Seine Unberechenbarkeit macht einen großen Teil seines Charmes aus und das sieht die Autorin vermutlich genauso wie ich.

Allein schon rein sprachlich kann ich kaum meckern, sonder eigentlich nur loben. Der Text ist nicht nur beinahe fehlerfrei, er hält sich auch an die sprachlichen Eigenheiten der Zeit, in der er spielt. Die zahlreichen Wortgefechte zwischen Pirat und Commodore waren smart und witzig, eben genauso wie im Film. Aber sie sind nur die sprichwörtliche Kirsche auf einer wirklich tollen, tiefsinnigen und dennoch lustigen Geschichte.

Was mich vor allem beeindruckt hat, war das Hintergrundwissen der Autorin. Die Erzählung passt sich wirklich wunderbar in die historischen Ereignisse ein; und die Datierung von der Autorin ist sogar genauer als die vom Original selbst. Das allein machte die Geschichte, die Schauplätze und die Menschen in ihr viel lebendiger und glaubwürdiger. Man merkt den Unterschied ganz deutlich zwischen einer gut recherchierten Geschichte und einer, die es nicht ist. Dass die Autorin sich selbst mit Segeln beschäftigt hat, kann man an den detaillierten Beschreibungen der Schiffe erkennen. Auch der Hintergrund der Schwarzen Witwe passt perfekt zu dem, was Jack Sparrow schon alles verbrochen hat.

Wenn eine Fanfiktion schon so gut recherchiert ist, wird es kaum wundern, dass auch die originalen Charaktere sehr gut getroffen sind. Jack ist genauso rüpelhaft, charismatisch und doch unberechenbar wie seine Fans ihn kennen und lieben. Die Machtspielchen zwischen ihm und Norrington waren klug eingefädelt und so aufgemacht, dass man sie nicht sofort erkannte und dann mit James zusammen urplötzlich der Groschen fiel. Jedoch fallen diesem in vielen Kleinigkeiten auch die Facetten von Jacks Charakter auf, die dieser eigentlich vor ihm vermeiden will. Trotzdem, Jack ist und bleibt hier ein Mysterium, gerade über seine Vergangenheit wird größtenteils Schweigen bewahrt und ich persönlich finde, das sollte auch so bleiben.

Da es sozusagen „seine“ Erzählung ist, wird natürlich besonders auf James Norrington eingegangen. Dabei fasst die Autorin viele,, verschiedene Facetten seines Charakters auf. Nicht nur seine Liebe zu Elisabeth wird angesprochen, sondern auch seine langandauernde moralische Auseinandersetzung mit der Piraterie, sondern auch sein besonderes Verhältnis zu einem bestimmten Franzosen, den er längst für tot hielt. Das macht ihn vielschichtig, menschlich und glaubwürdig. Gerade mit ihm kann man sich gut identifizieren. Aber auch alle selbst erfundenen Charaktere bzw. die anderen Filmcharaktere passen sich gut ins Gesamtbild ein, sind lebendig und vielseitig dargestellt und daher in keinem Moment störend.

Bei guten Geschichten fällt es einem immer schwer Kritik zu finden und von daher lasse ich es einfach. Ich finde „The Black Widow Tale“ extrem gut gelungen und würde diesen Text an jeden weiterempfehlen, der „Fluch der Karibik“ mag. Er bietet nicht nur guten Lesestoff für die, die Slash mögen, ganz im Gegenteil. Es lohnt sich, auf die folgenden Kapitel zu warten.

~~~

Dieses Review wurde erstellt von 'Feedback für Kreative'.
Möchtest auch du, dass deine Story kritisch und fair gelesen und kommentiert wird?
Dann schau doch mal bei uns vorbei: http://feedbackfuerkreative.over-blog.de/
Von:  Inkubus
2008-12-02T23:02:36+00:00 03.12.2008 00:02
Wie ich sehe, wird diese Geschichte immer vielschichtiger und komplizierter -- ganz nach meinem Geschmack.
Ich bin auf jeden Fall schon sehr, sehr neugierig, wie das alles zusammen hängt und vor allem weitergeht!
Von:  Inkubus
2008-12-02T22:42:45+00:00 02.12.2008 23:42
Ha, mein Verdacht hat sich bestätigt! Das war es, was Norrington an dem Schiff so seltsam vorgekommen ist, nicht wahr? Die Piraten, die es gekapert hatten, waren Frauen.
Ich muss aber gestehen, dass ich mir am Ende des vorherigen Kapitels nicht ganz sicher war, aber als "Anamaria" dann die Bildfläche betrat... *g*

Die Gesichte ist wirklich großartig, das hab ich schon zum ersten Kapitel geschrieben und daran hat sich nichts geändert.
Außerdem bin ich schon richtig gespannt, wie's weiter geht, bei diesen ganzen unerwarteten Entwicklungen...
Und ich möchte dir außerdem nochmal ein Kompliment dafür aussprechen, wie gut du die Dynamik zwischen Jack und Norrington rüberbringst (eigentlich überhaupt die Dialoge, aber die mit unseren beiden Helden machen natürlich am meisten Spaß. ;D).

Von:  Inkubus
2008-12-02T01:57:44+00:00 02.12.2008 02:57
Der nun schon von zwei Kommentatoren verwendete "O__O"-Smiley trifft es in der Tat mehr als gut...
Ab der ersten Zeile war während des Lesens des ganzen Kapitels mein dämliches, glückseliges Grinsen nicht mehr vom Gesicht zu bekommen -- es ist ganz genau so, wie eine Fanfiction zu Fluch der Karibik sein muss. Ich muss wohl kaum noch anmerken, wie begeistert ich von den Charakteren bin, alle wirken sie 100%-ig in Character und Norrington als Erzähler wirkt ebenfalls komplett autentisch.
Ich bin so froh, dass ich die FF vor ein paar Tagen zufällig entdeckt hab. Schon allein als ich die Kurzbeschreibung und vor allem die Kapiteltitel gelesen habe, war es offensichtlich, dass es eine FF ganz nach meinem Herzen sein würde. XD Und im ersten Kapitel hat sich mein erster Eindruck auch gleich mal mehr als nur bestätigt.

Die FF wandert sofort in meine Favoriten. Es ist jetzt zwar schon 3 Uhr morgens und eigentlich wollte ich schon vor einer Stunde schlafen gehen, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass daraus nichts wird.
Von:  Carcajou
2008-10-12T23:49:28+00:00 13.10.2008 01:49
logischer Fehler... öh, nö, noch nicht^^. das mag aber daran liegen, das ich zuerst den Kommentar schreiben wollte, bevor ich noch weitergrüble und darüber eben jenen Kommentar vergesse...^o^

Wie schön, da man mit sich immer unzufrieden ist, noch schöner ist, wenn es die anderen dafür nicht sind.
Das Delirium hast du wirklich gut rüber gebracht. man konnte einerseits eindeutig erkennen, das Norrington halluziniert, und das heftigst, hat jedoch auch vollständig mitbekommen, was um ihn herum in der Wirklichkeit vorgeht. Ich mag den Araber und sein Gemotze über die "Christen" und ihre Heilkenntnisse... Sparrow ist sowieso wieder bestens getroffen.
Norrington hat in sich in seinem Wahn schmerzhaft mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen müssen, dabei eine Entwicklung weiter durchlaufen, die mit seinem Aufenhalt auf der Pearl in gang gebracht worden ist? bedauerlich, das er sich daran nach seiner Genesung wohl nicht erinnern wird- ebenso wenig wie an "Elisabeth"...
Du hast hier nur sehr wenig hinzugefügt?
Aber allemal ausreichend, und bestimmt nicht klischeehaft. Aus Norringtons Sicht bis zum Schluss eindeutig Elizabeth, aus der Sicht des Lesers allein schon an der Sprache und anderen Feinheiten der Beschreibung eindeutig Jack.
Wie gesagt, ich könnt mich schlapp lachen, wenn ich an Jacks wechselnden Gesichtsausdruck denke- zuerst voller Leidenschaft- und dann die kalte dusche!
"Elisabeth"
*hehehe...*

Den logischen Fehler such ich noch! sobald ich wider genug zeit und Verstand dazu zusammen habe...^^

LG,
Marderli


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