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鼓動 (Kodou)

Final Fantasy VII: Heartbeat / Kapitel 11 fertig
von

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Arrival

Das Einzige, was Naomi mit absoluter Sicherheit wusste, als sie aufwachte, war, dass jeder einzelne gottverdammte Knochen in ihrem Körper höllisch schmerzte. Zu allem Überfluss kam noch hinzu, dass sich Takeo, Shinya und Tatsuya dazu entschlossen zu haben schienen, in ihrem Kopf ein Drum-Konzert zum Besten zu geben... mit tatkräftiger Unterstützung der Gruppe Yamato. Sie hätte alles dafür gegeben, wieder einzuschlafen oder einfach das Bewusstsein zu verlieren, damit sie diese grauenhaften Schmerzen nicht länger ertragen musste… aber genau die waren es, die das verhinderten.

Für eine Weile blieb sie einfach liegen und konzentrierte sich auf ihren Atem. Allmählich ließ der Schmerz nach. Zwar verschwand er nicht völlig, jedoch reduzierte er sich auf ein einigermaßen erträgliches Niveau, so dass sie zumindest etwas klarer denken konnte.

Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit mittlerweile vergangen war, als sie schließlich ihre Augen öffnete und blinzelte. Um sie herum war es dunkel. Vermutlich war es Nacht, auch wenn sie sich dessen nicht so wirklich sicher war. Ihr Zeitgefühl war noch nie besonders gut gewesen, daher konnte sie sich nicht unbedingt darauf verlassen.

Es dauerte einige Momente, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt und den Lichtverhältnissen angepasst hatten. Es schien tatsächlich Nacht zu sein. Ein schwacher Lichtschein fiel durch ein recht großes Fenster direkt neben ihr, wobei sie nicht genau sagen konnte, ob es eine Laterne oder der Mond war. Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite und konnte einen spartanisch eingerichteten Raum überblicken.

An der gegenüberliegenden Wand war eine Tür zu sehen, in der Ecke links daneben befand sich ein Schränkchen mit einem Fernseher darauf, der sehr altmodisch wirkte. Ansonsten gab es einen Kleiderschrank, einen Tisch mit zwei Stühlen und ein Bett, auf dem sie lag.

Naomi blinzelte erneut und stützte sich vorsichtig auf ihren Ellbogen ab, damit sie sich ein wenig genauer umsehen konnte, auch wenn es hier sonst nichts mehr zu sehen gab. Nirgendwo waren Bücher oder Bilder, Blumen oder anderweitige persönliche Dinge. Wie konnte jemand nur so leben? Falls es überhaupt irgendwer tat, was sie bezweifelte, denn dieses Zimmer wirkte kalt und unbewohnt.

Sie ließ sich wieder auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Ihre Hände zitterten und auf ihrer Stirn fühlte sie kalten Schweiß.

Wo um alles in der Welt war sie nur? Sie musste definitiv in der Wohnung eines vollkommen Fremden sein, so viel stand für sie auf jeden Fall fest. Sie kannte niemanden, der sich so absolut minimal eingerichtet hatte. Okay, in Shinyas Wohnung gab es auch nicht wirklich viel mehr Mobiliar, aber selbst er besaß persönliche Gegenstände wie beispielsweise Fotos und dergleichen… und bei ihm hatte man wenigstens das Gefühl, dass dort jemand lebte, auch wenn er aufgrund seines Berufs oft längere Zeit nicht zu Hause war.

Wenn sie nun tatsächlich irgendwo in einer wildfremden Wohnung war, stellte sich vor allem die Frage, wie zum Teufel sie überhaupt hierher gekommen war. Allerdings wusste sie ehrlich gesagt nicht, was sie als letztes getan hatte und wo sie zuletzt gewesen war, bevor sie hier aufgewacht war. Erinnern konnte sie sich an vieles, doch war sie im Augenblick nicht dazu in der Lage, die vergangenen Ereignisse in eine sinnvolle und korrekte chronologische Reihenfolge zu bringen. Je mehr sie es versuchte, desto verwirrter war sie.

Die junge Frau seufzte schwer. Wenn sie herausfinden wollte, wo sie war, hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Entweder stand sie einfach auf und versuchte sich außerhalb dieses Raums umzusehen… oder sie blieb hier liegen und wartete darauf, dass sich irgendjemand ihrer erbarmte und hierher kam.

Warten schloss sie als Option zunächst einmal aus. Einerseits gehörte sie nicht gerade zu den geduldigsten Menschen, außerdem konnte es genauso gut sein, dass überhaupt niemand hier auftauchte. Oder erst in einer Woche oder noch später jemand diese Wohnung betrat. Womöglich war sie bis dahin längst verdurstet. Und dieser Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht. Abgesehen davon meldete sich langsam ihr Magen. Also sollte sie definitiv aufstehen und sich umsehen. Sie hoffte nur, dass sie überhaupt hier heraus kam, damit sie irgendwo etwas Essbares organisieren konnte… ganz zu schweigen davon, dass sie das Gefühl hatte, dringend eine heiße Dusche zu brauchen.

Naomi fuhr sich mit einer Hand durch die knapp schulterlangen pink gefärbten Haare mit den schwarzen Strähnen. Irgendwie kam ihr das Ganze sehr merkwürdig vor. Natürlich war es ihr schon mehr als einmal passiert, dass sie in einer ihr unbekannten Wohnung aufgewacht war. Aber üblicherweise hatte sie am Abend davor sehr viel getrunken und anschließend bei irgendeinem Bekannten übernachtet. Und auch wenn es manchmal ein wenig gedauert hatte, so war ihr doch immer wieder eingefallen, wo sie war und was sie zuvor getan hatte, trotz der Tatsache, dass sie das eine oder andere Mal einen ziemlichen Schock erlitten hatte – sie konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie sie sich eines Mittags nach einer durchzechten Nacht mit pinkfarbenen Haaren in Kôjis Wohnung wieder gefunden hatte… Doch noch nie war sie so durcheinander gewesen wie jetzt. Außerdem hatte sie keinen Kater, sonst würde sie sich jetzt ganz anders fühlen, und sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, in der letzten Zeit überhaupt auch nur ansatzweise in die Nähe eines alkoholischen Getränks gekommen zu sein.

Langsam und sehr vorsichtig setzte sie sich auf – wobei sich ihre Gliedmaßen wie Blei anfühlten – dann schwang sie ihre Beine über die Bettkante. Kaum hatten ihre Füße den kühlen Holzboden berührt hörte sie, wie jemand irgendwo in der Nähe einen Schlüssel in ein Schloss steckte und diesen dann umdrehte. Eine Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen, daraufhin erklangen Schritte auf der anderen Seite der Tür, die sie gerade irritiert anstarrte.

Noch bevor sie die Gelegenheit hatte, irgendetwas zu tun oder auch nur darüber nachzudenken, drückte jemand die Klinke herunter. Sie begann am ganzen Körper zu zittern und verschränkte die Arme vor der Brust, auch wenn sie nicht wusste, ob aus Nervosität oder weil sie ganz einfach nur erbärmlich fror. Wahrscheinlich beides.

Die Tür wurde aufgestoßen und Licht flutete in den Raum hinein. Geblendet schloss Naomi die Augen und blinzelte, während sie eine Hand hob, um damit ihre Augen vor dem für sie im Moment viel zu hellen Licht abzuschirmen. Sobald sie wieder einigermaßen etwas erkennen konnte, sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen zur Tür und zuckte zusammen. Vor ihr stand die bizarrste Erscheinung, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte – da konnte nicht einmal ihre beste Freundin in einem ihrer ausgefallensten Kostüme mithalten.

Die Gestalt war ungefähr so groß wie Markus – also fast 1,90 m – hatte langes schwarzes Haar, trug ein rotes Stirnband und einen langen zerfetzten roten Umhang mit mehreren Schnallen, dazu schwarze Lederkleidung – die ebenfalls mit diversen Gürteln und Schnallen versehen war – und schwarze Lederstiefel, die mit bronzefarbenen Platten verkleidet waren. Statt des linken Arms hatte diese Person eine bronzefarbene Metallklaue, an seiner rechten Seite war ein Halfter befestigt, in dem sich eine recht große Schusswaffe befand. Aber das Ungewöhnlichste waren seine leuchtend roten Augen. So etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Einige Herzschläge lang sahen sich die beiden schweigend an. Die junge Frau schluckte schwer und schien unfähig, irgendetwas zu sagen oder sich zu bewegen.

"Wie fühlst du dich?", fragte ihr Gegenüber nach einer Weile mit einer ruhigen, tiefen und durchaus sehr angenehmen Stimme.

Naomi blinzelte überrascht. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte… aber ganz bestimmt nicht, dass er sich nach ihrem Befinden erkundigte. "Ich…" Sie stockte und biss sich auf die Unterlippe. Wie fühlte sie sich eigentlich? Ihr war verflucht kalt, sie war vollkommen verwirrt, sie war durstig, hatte Hunger – was sie nicht weiter wunderte, da sie sich ehrlich gesagt nicht daran erinnern konnte, wann sie zum letzten Mal etwas gegessen hatte, was ihr sonst nie passierte – und sie hatte furchtbare Schmerzen… auch an Stellen, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt wehtun konnten. Allerdings wusste sie nicht so recht, wie sie das alles zum Ausdruck bringen sollte. Diese Tatsache irritierte sie umso mehr. Sie war doch sonst nicht auf den Mund gefallen, wieso fehlten ihr jetzt auf einmal die Worte?

Anscheinend erwartete der Fremde auch gar keine Antwort von ihr. Er schloss wortlos die Tür hinter sich, schaltete das Licht an, ging zum Kleiderschrank und holte eine schwarze Hose sowie einen schwarzen Wollpullover heraus, die er ihr reichte. Dann wandte er sich von ihr ab und sah zum Fenster hinaus.

Erst jetzt schaute sie an sich herab und stellte fest, dass sie lediglich Unterwäsche und ein viel zu großes schwarzes T-Shirt trug. Was war mit ihrer eigenen Kleidung passiert? Und warum war ihr nicht schon vorher aufgefallen, dass sie kaum etwas anhatte?

Mit hochrotem Kopf zog sie die Hose und den Pullover an – natürlich war ihr beides zu groß, weil es seine Sachen waren – dann setzte sie sich wieder auf das Bett. Sie wollte sich bei ihm bedanken, doch irgendwie brachte sie kein Wort über die Lippen.

Er drehte sich zu ihr um und betrachtete sie ein paar Sekunden lang. "Du hattest großes Glück", meinte er schließlich.

Naomi sah ihn fragend an. Fast unbekleidet in der Wohnung eines Mannes, den sie noch nie zuvor gesehen hatte und der auch noch bewaffnet war, aufzuwachen, ohne zu wissen, wie sie hierher gekommen war, entsprach nicht unbedingt ihrer Vorstellung von 'Glück haben'.

"Hätte ich dich nicht gefunden und hergebracht, wärst du jetzt vermutlich tot." Er lehnte sich gegen die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust. "Du hast die letzten vier Tage im Fieber gelegen", fuhr er fort, als sie noch immer nichts erwiderte.

Ihr klappte der Kiefer runter. "Vier Tage bin ich schon hier?!", fiepte sie entsetzt. "Oh verdammt! Rikuo wird mich umbringen!" Sofort sprang sie vom Bett auf, bereute dies aber augenblicklich, da ihr schwindelig wurde. Stöhnend ließ sie sich auf das Bett zurückfallen, stützte die Ellbogen auf den Knien ab und vergrub die Hände in ihren Haaren.

Der Fremde setzte sich neben sie. "Du solltest vorsichtig sein, du hast immer noch Fieber. Leg dich lieber wieder hin."

"Ich kann nicht!", entgegnete sie frustriert, hob den Kopf und sah ihn eindringlich an. "Wenn ich Pech habe, bin ich meinen Job los und mein Stipendium kann ich wahrscheinlich auch vergessen! Das ist schon das zweite Mal, dass ich nicht da bin ohne Bescheid gesagt zu haben!"

"Wenn du dich selbst umbringst, brauchst du deinen Job auch nicht mehr", erwiderte er gelassen. "Du bist krank, du musst dich schonen. Ich kenne diesen Rikuo nicht, aber er wird bestimmt nicht von dir erwarten, dass du für den Job dein Leben unnötig aufs Spiel setzt."

"Hast du eine Ahnung", brummte Naomi und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. "Wo bin ich hier eigentlich?", fragte sie ihn schließlich leise. "Und wo sind meine Sachen? Ich muss wenigstens im Studio anrufen und Bescheid sagen, dass ich krank bin. Die anderen machen sich garantiert Sorgen um mich…"

Für einen Moment sah er sie ausdruckslos an. "Du bist in Edge. Deine Sachen habe ich einer Bekannten gegeben, damit sie sie reinigt und repariert. Sie kommt in ein paar Stunden hierher und bringt sie dir zurück."

"Verdammt!", zischte sie und ließ den Kopf hängen. "Wo ist dieses 'Edge' überhaupt?", wollte sie dann von ihm wissen. "Davon habe ich noch nie gehört."

"Es liegt am Rand von Midgar." Er zog eine Augenbraue hoch.

"Am Rand von was?", fragte sie irritiert und sah ihn verwirrt an.

Nun legte er die Stirn in Falten. "Edge liegt am Rand der ehemaligen Hauptstadt Midgar, daher der Name. Das sollte ich eigentlich nicht erst erklären müssen, das weiß jeder."

Sie lehnte sich ein wenig zurück und warf ihm einen ungläubigen Blick zu. "Wann bitte wurde denn Tokyo in Midgar umbenannt? Willst du mich auf den Arm nehmen? Die alte Hauptstadt war außerdem Kyoto. Und Midgard gibt es nur in einer alten nordischen Sage."

Jetzt war er an der Reihe, sie irritiert anzusehen. "Midgar hieß schon immer so. Und bis vor drei Jahren war es die Hauptstadt. Ich kenne kein Tokyo oder Kyoto. Wo soll das sein?"

Naomi stieß ein freudloses Lachen aus. "Tokyo ist die Hauptstadt von Japan, was denn sonst? Und das schon seit über zweihundert Jahren. Außerdem lebe, arbeite und studiere ich seit etwas über zwei Jahren dort", gab sie zurück. "Jeder kennt Tokyo, selbst wenn er noch nie da gewesen ist." Sie schob den Unterkiefer etwas vor. "Schließlich ist es die teuerste Stadt und auch die sicherste Metropole der Welt. Und von der tausendjährigen Kaiserstadt Kyoto hat eigentlich auch jeder schon mal was von gehört."

Der Fremde sah sie abschätzend an. "Du hast Fieber, du phantasierst", murmelte er dann. "Es gibt kein Tokyo und auch kein Kyoto. Oder Japan. Die einzige Metropole, die hier je existierte, ist Midgar. Ohne ein D am Ende."

"Du lügst", fauchte sie ihn an. "Natürlich gibt es sowohl Tokyo als auch Japan, wie könnte ich sonst dort leben? Du willst mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass ich mir das alles nur eingebildet haben soll?!"

Daraufhin seufzte er und stand auf. "Ich will dir gar nichts weismachen, ich sage dir lediglich die Wahrheit. Dieses Japan existiert nicht. Vielleicht liegt es am Fieber. Oder an irgendwelchen Drogen."

"Ich nehme keine Drogen!", entgegnete sie entsetzt.

"Vielleicht nicht freiwillig oder wissentlich, aber wie sicher kannst du dir sein, dass dir niemand etwas ins Essen gemischt hat oder so?" Er ging zur Tür, wo er seine Hand auf die Klinke legte und ihr über seine Schulter einen undefinierbaren Blick zuwarf. "Ich werde dir jetzt erst einmal etwas zu essen holen, du hast bestimmt Hunger." Mit diesen Worten verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Fassungslos starrte Naomi ihm nach. Wo um alles in der Welt war sie nur gelandet? Und wie zum Teufel war sie hierher gekommen?! Das konnte nur ein Alptraum sein, anders konnte sie es sich nicht erklären. Wie konnte dieser merkwürdige Typ nur behaupten, dass ihr bisheriges Leben eine Lüge war? Natürlich existierte Japan! Sie konnte sich das doch nicht alles nur eingebildet haben!

Sobald sie ihre Sachen hatte, würde sie Yûichi anrufen und ihn fragen, ob er sie abholen könnte. Sie wollte einfach nur nach Hause! Sie zog die Beine an, legte beide Arme darum und ließ ihren Kopf auf die Knie sinken. Irgendetwas war hier ganz fürchterlich verkehrt, auch wenn sie nicht so genau wusste, was es war.

Das konnte alles nicht wahr sein! Es durfte einfach nicht wahr sein! Wenn das, was dieser Kerl gesagt hatte, tatsächlich stimmte – und sie hoffte inbrünstig, dass dem nicht so war – was war dann mit Luca? Yûichi? Shinya? Waren sie dann auch alle nicht echt? Sollten auch Kôji und Markus nur in ihrer Phantasie existieren?

Dieser Gedanke war einfach unerträglich! Naomi ließ sich auf die Seite fallen, verbarg ihr Gesicht in dem Kopfkissen und brach in Tränen aus. 'Gott', dachte sie verzweifelt. 'Bitte lass es einfach nur einen Alptraum sein. Lass mich bitte in meiner Wohnung in Tokyo aufwachen…'

Sie schluchzte eine Weile vor sich hin und war bald darauf eingeschlafen. Sie bekam nicht einmal mehr mit, wie die Tür geöffnet wurde und der Fremde ihr das versprochene Essen brachte.

Confusion

Als sie das nächste Mal aufwachte, fühlte sie sich schon etwas besser, auch wenn sie Kopfschmerzen hatte. Irgendwie hatte sie Angst die Augen zu öffnen, weil sie befürchtete, dass sie dann nicht ihr eigenes Schlafzimmer sehen würde.

"Gott sei Dank ist ihr Fieber endlich gesunken", hörte sie eine Frauenstimme, die ihr kein bisschen bekannt vorkam. Naomi seufzte unhörbar und ein dumpfes Gefühl der Resignation breitete sich ihn ihr aus.

"Sie hat wirres Zeug geredet", erwiderte nun der Fremde, mit dem sie zuvor gesprochen hatte. "Irgendwas von einer Stadt namens Tokyo, in der sie angeblich lebt."

Die Frau seufzte. "Ich kann verstehen, dass sie ziemlich durcheinander ist. Das wird sich geben. Mich würde eher interessieren, wie sie in diese Ruine gekommen ist, in der du sie gefunden hast."

Naomi stiegen wieder Tränen in die Augen, aber sie weigerte sich trotzig, ihnen freien Lauf zu lassen. Weinen half ihr jetzt auch nicht weiter. Sie hatte kein wirres Zeug geredet, verdammt noch mal! Das wusste sie ganz genau!

"Wenn sie weiterhin bei ihrer Aussage bleibt", meinte der Typ mit den langen schwarzen Haaren, "wird sie es uns vermutlich auch nicht sagen können."

Ein kläglicher Laut erklang in Naomis Kehle, den sie einfach nicht hatte unterdrücken können. Sie verstand die Welt nicht mehr. Warum musste ausgerechnet ihr so etwas passieren? Würde sie Luca, Kôji und die anderen jemals wieder sehen?

Sie hörte Schritte und jemand setzte sich zu ihr auf das Bett. Sie öffnete die Augen und wischte die Tränen weg. Durch das geöffnete Fenster drangen die typischen Geräusche einer Hauptverkehrsstraße, auf der geschäftiges Treiben herrschte, herein. Eine hübsche junge Frau mit langen, dunkelbraunen Haaren und Augen in derselben Farbe saß neben ihr und sah sie besorgt an. "Wie geht es dir?"

Naomi schnaubte und ein verbittertes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. "Beschissen. Danke der Nachfrage", murmelte sie.

Die Fremde strich ihr eine pinkfarbene Strähne aus der Stirn. "Hast du Schmerzen?" Die Besorgnis in ihrer Stimme und auf ihrem Gesicht wirkte ehrlich.

"Außer dass sich mein Kopf anfühlt, als würde eine große Gruppe Motorradfahrer eine Mega-Party veranstalten, eigentlich nicht mehr so sehr." Wieder wischte sie sich eine Träne weg.

Der schwarzhaarige Mann, der die ganze Zeit über an dem Tisch in der Ecke gesessen und schweigend zugehört hatte, stand wortlos auf und verließ den Raum.

Naomi setzte sich vorsichtig auf und sah ihm stirnrunzelnd nach.

"Er holt ein Schmerzmittel und etwas zu essen für dich", erklärte die Dunkelhaarige lächelnd, dann wurde sie wieder ernst. "Wir waren beide sehr besorgt um dich. Anfangs mussten wir jederzeit damit rechnen, dass du es nicht schaffst. Aber ich glaube, du hast das Schlimmste jetzt überstanden. In spätestens zwei Tagen dürftest du wieder vollkommen gesund sein."

Die Musikstudentin sah sie zweifelnd an. "Das bringt mich aber nicht wieder nach Hause", meinte sie leise. "Außerdem kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass er", fuhr sie fort und deutete auf die Tür, "sich besonders große Sorgen um mich gemacht haben könnte."

Zu ihrem Erstaunen lächelte die Fremde wieder. "Er zeigt es vielleicht nicht, aber er war wirklich besorgt. Er ist vier Tage lang nicht von deiner Seite gewichen und hat sich rührend um dich gekümmert, bis er sicher war, dass du dich erholen wirst. Lass dich von seiner unbeteiligten Art nicht täuschen."

Zwar war Naomi noch immer nicht wirklich überzeugt, aber sie würde ganz einfach davon ausgehen müssen, dass diese Frau die Wahrheit sagte. Außerdem konnte sie mit diesen widerlichen Kopfschmerzen ohnehin keinen klaren Gedanken fassen.

Wenige Minuten später wurde die Tür wieder geöffnet und der düstere Kerl kam mit einem Tablett herein. "Kannst du aufstehen oder willst du lieber im Bett essen?", fragte er ruhig.

Naomi machte sich gar nicht erst die Mühe ihm zu antworten, sondern kletterte sofort aus dem Bett und tapste zu dem Tisch, auf dem er das Tablett nun abstellte.

Die Dunkelhaarige stand ebenfalls auf und setzte sich zu ihr, während sich der Mann mit verschränkten Armen an die Wand lehnte.

"Oh", murmelte die Studentin und wollte schon wieder aufstehen, doch er schüttelte nur den Kopf. Verlegen senkte sie den Blick. "Tut mir leid, dass ich dir so zur Last falle und auch noch deinen Platz wegnehme", meinte sie leise.

"Das ist schon in Ordnung. Du bist hier Gast", erwiderte er.

Da sie nicht wusste was sie sonst tun sollte zog sie das Tablett zu sich heran. Darauf lag eine Tablette neben einem Glas mit etwas Wasser und einer Schüssel mit… "Suppe?" Sie zog eine Augenbraue hoch und sah die junge Frau, die ihr gegenüber saß, fragend an. Wer sollte denn bitte von einem Schluck Brühe satt werden?

Die Fremde legte die Stirn in Falten. "Du hast seit Tagen weder gegessen noch etwas getrunken. Mit allem anderen würdest du dir nur den Magen verderben", erklärte sie.

Naomi musste sich eingestehen, dass dies durchaus Sinn ergab. Sie entschied sich dagegen zu erklären, dass außer verdorbenem Essen nichts ihrem Magen schaden konnte. Es wäre auch äußerst unverschämt von ihr, wenn sie sich beschwerte, nachdem sich die beiden um sie gekümmert hatten. Daher legte sie lediglich die Handflächen aneinander und verbeugte sich leicht. "Itadakimasu!", sagte sie, bevor sie die Schüssel nahm und vorsichtig einen Schluck davon trank. Sie schmeckte vorzüglich. Es dauerte auch nicht sehr lang, bis sie die Suppe ausgetrunken hatte.

Die beiden anderen tauschten einen Blick aus, was sie jedoch vollkommen ignorierte. Es tat einfach zu gut, endlich wieder etwas einigermaßen Nahrhaftes zu sich zu nehmen. Sie stellte die leere Schüssel ab, nahm die Tablette und spülte sie mit dem Wasser runter. Dann legte sie wieder die Handflächen aneinander und deutete eine Verbeugung an. "Gochisou-sama deshita!"

Die Dunkelhaarige sah sie verwirrt an. Sie schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber offensichtlich anders. Sie stand auf und brachte das Tablett weg.

"Geht es dir jetzt etwas besser?", fragte der Mann leise.

Naomi streckte sich zufrieden und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Nachdem ich endlich wieder etwas gegessen habe, ja", antwortete sie. Glücklicherweise war die Suppe entgegen ihrer Befürchtung doch recht sättigend gewesen und auch die Schmerztablette begann langsam zu wirken.

Nun kam auch die Frau wieder herein. "Hat es dir denn wenigstens geschmeckt?", erkundigte sie sich bei der jungen Gitarristin, als sie sich auf ihren Stuhl setzte.

Diese nickte und nahm die Arme wieder herunter. "Es war sehr lecker, danke." Sie legte den Kopf schief und sah von der Frau zu dem Mann und wieder zurück. "Wer seid ihr überhaupt? Ich meine… ich kann euch ja schlecht mit 'hey' oder 'du da' ansprechen."

Die Augen der Dunkelhaarigen weiteten sich. "Entschuldige… ich bin Tifa Lockheart und das ist Vincent Valentine. Es ist überraschend, dass es noch Menschen gibt, die uns nicht kennen…"

Naomi zuckte mit den Schultern. "Nun, ich kannte euch bisher nicht, ich komme ja auch nicht von hier." Sie warf Vincent einen drohenden Blick zu. Dann deutete sie eine Verbeugung an. "Mein Name ist Naomi Crescent."

Es folgte eine bedrückende Stille, in der Tifa und vor allem Vincent sie nur ungläubig und fassungslos anstarrten. Nach ein paar Sekunden stieß sich der Schwarzhaarige von der Wand ab und verließ noch immer schweigend den Raum.

Tifa schlug sich seufzend eine Hand vor die Stirn und Naomi blinzelte sie irritiert an. "Was ist… habe ich was Falsches gesagt?"

Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf und sah nachdenklich zum Fenster, als sie die Wohnungstür zuschlagen hörten. "Nein…", sagte sie leise. "Es ist nur…" Sie holte tief Luft und sah die Musikerin interessiert an. "Wie heißen deine Eltern?"

"Huh?" Nun war Naomi erst recht verwirrt. "Marc und Sara Crescent… warum?" Sie beugte sich ruckartig vor. "Kennt ihr sie? Sind sie auch hier? Heißt das etwa…?" Sie brach mitten im Satz ab und schüttelte den Kopf. "Nein… das kann gar nicht sein…"

Tifa zog fragend eine Augenbraue hoch. "Wieso… was ist denn mit deinen Eltern?"

Die Studentin seufzte. "Sie sind vor ungefähr drei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen… genau wie mein kleiner Bruder…" Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. "Ich hatte gehofft…", murmelte sie, "dass sie noch am Leben sein könnten, wenn sie hier wären… aber ich habe Bilder von dem Unfall gesehen… und ich musste ihre Leichen identifizieren… also können sie gar nicht hier sein…" Naomi nahm ihre Hände runter und wischte sich einige Tränen von den Wangen. "Dies hier ist ja schließlich nicht das Leben nach dem Tod… oder?"

Tifa sah sie mitleidig an. "Das tut mir leid…", sagte sie leise und legte beruhigend eine Hand auf Naomis Arm.

Die Pinkhaarige schniefte. "Aber was ist jetzt mit ihm?", fragte sie mit brüchiger Stimme. Dankend nahm sie das Taschentuch, das Tifa ihr reichte, entgegen und putzte sich die Nase. "Hab ich ihm irgendwas getan?"

"Nein." Tifa schüttelte den Kopf. "Aber… Vincent hat vor langer Zeit den Menschen verloren, der ihm am wichtigsten war… ich glaube, er macht sich heute noch Vorwürfe, dass er sie nicht retten konnte… ich weiß nicht, vielleicht kennst du sie ja… ihr Name war Dr. Lucrecia Crescent."

Naomi zog die Augenbrauen hoch. Nun konnte sie seine Reaktion einigermaßen nachvollziehen… aber eigentlich auch nicht so richtig. Sie konnte nichts für ihren Namen, außerdem kannte sie diese Lucrecia überhaupt nicht. "Wer war sie? War sie Ärztin oder so?"

"Sie war Wissenschaftlerin", antwortete die Dunkelhaarige. "Und Vincent war ihr Bodyguard. Irgendwann hat sie mit ihrem Mann Professor Hojo an ihrem eigenen Körper herumexperimentiert… sie war damals schwanger…"

Angewidert verzog die Gitarristin das Gesicht, dann beugte sie sich vor. "Soll das heißen, sie hatte ein Verhältnis mit ihrem Bodyguard, obwohl sie mit diesem Professor verheiratet war? War es Vincents Kind?", meinte sie ungläubig.

Tifa seufzte. "Nein… sie waren früher ein Paar… ich weiß nicht, warum sie später diesen Professor geheiratet hat… Vincent spricht nicht darüber. Aber soweit ich weiß, war es Hojos Sohn… zumindest hat er es behauptet und Vincent hat dem nie widersprochen", erwiderte sie. Gedankenverloren spielte sie mit einer Haarsträhne. "Vincent war damals gegen dieses Experiment, aber er konnte sie nicht davon abhalten… und wurde letztendlich selbst zu einem ihrer Versuchsobjekte. Das Ergebnis hast du ja gesehen… zumindest einen Teil davon."

"Aber… das ist…", stammelte Naomi. Sie wusste ehrlich gesagt nicht, was sie von dieser Sache halten sollte. "Willst du mir sagen, dass er sein jetziges Aussehen ihr zu verdanken hat?", grummelte sie. "Ich will gar nicht wissen, was sie alles mit ihm angestellt haben", sagte sie schnell, als Tifa etwas darauf erwidern wollte. "Ich habe zwar eine sehr lebhafte Phantasie, aber ich glaube nicht, dass ich mir das auch nur ansatzweise vorstellen könnte."

"Das kannst du auch gar nicht", erklang eine dunkle Männerstimme an der Tür und die beiden Frauen zuckten erschrocken zusammen. Sie hatten während ihrer Unterhaltung gar nicht mitbekommen, dass Vincent wieder zurückgekommen war.

Der Schwarzhaarige trat auf sie zu und legte einige Kleidungsstücke auf den Tisch, die Naomi sofort als ihre eigenen erkannte. Dann stellte er ihre Tasche daneben.

Die Musikstudentin wühlte in ihrer Handtasche herum und fischte triumphierend eine Zigarettenpackung heraus. Sie nahm sich eine Zigarette und wollte sie gerade anzünden, hielt jedoch inne und sah zu Vincent auf. "Darf ich?"

Er machte eine ausladende Geste mit seiner Metallklaue, doch sie legte das Feuerzeug auf den Tisch und wandte sich zum Fenster um. Zum Glück gab es einen Balkon. Sie stand auf, öffnete die Tür und trat in die fische Nachmittagsluft hinaus. Sie atmete tief ein und zündete sich dann erst ihre Zigarette an. Schon nach dem ersten Zug wurde ihr leicht schwindelig, doch das war ihr egal.

Tifa folgte ihr nach draußen und sah sie ungläubig an. "Ist Rauchen nicht furchtbar ungesund?"

Naomi zuckte lediglich mit den Schultern. "Wen kümmert das?", sagte sie gleichgültig. "Irgendwann muss ich sowieso sterben." Sie fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. "Abgesehen davon… wenn man es ganz streng nimmt, dann dürfte man so gut wie nichts mehr essen und auch nicht über die Straße gehen."

Tifa zog eine Augenbraue hoch. "Essen? Was ist denn am Essen ungesund?", wollte sie von der Studentin wissen.

Seufzend wandte sich Naomi zu ihr um. "Bei all den ganzen Bakterien, Rinderwahn und Schweinepest… dazu noch Salmonellen und ich weiß nicht, was noch alles… darüber darf man wirklich nicht nachdenken, genauso wenig wie über Genmanipulation und dergleichen. Ansonsten kann einem das echt alles verderben." Wieder zog sie an ihrer Zigarette. "Wenn ich mir über solche Dinge Gedanken mache, vergeht sogar mir der Appetit."

Die Dunkelhaarige sah sie verständnislos an. "Was um alles in der Welt sind denn bitte Salmonellen? Oder Rinderwahn?"

Naomi legte die Stirn in Falten. Wo zum Geier war sie hier nur gelandet? Sie sparte sich die Frage, warum die junge Frau nicht wusste, wovon sie sprach. Angeblich gab es ja auch kein Tokyo… Sie seufzte erneut.

Nun kam auch Vincent zu ihnen auf den Balkon. Er warf zuerst Tifa und schließlich der Gitarristin einen vielsagenden Blick zu, sagte jedoch nichts.

Die junge Musikerin erwiderte seinen Blick ebenso stumm und wandte sich dann mürrisch von ihm ab, bevor sie noch ein letztes Mal an ihrer Zigarette zog und den Filter einfach achtlos über das Geländer hinweg schnippte. Schließlich ging sie wieder hinein und nahm sich ihre Tasche, um den Inhalt zu überprüfen.

Zigaretten, Feuerzeug und Schlüssel waren noch da, ebenso ihr Handy und auch ihr Portemonnaie. Sie fand auch ihren Pass. Als sie diesen aufklappte, stieß sie einen Triumphschrei aus. "Ha!" Sie öffnete ihr Portemonnaie und verteilte die Geldscheine und Münzen auf dem Tisch.

Neugierig gesellte sich Tifa zu ihr. "Was ist denn?"

"Siehst du?", meinte Naomi und hielt ihr die Scheine und schließlich den Pass unter die Nase. "Das ist japanisches Geld und schau, was in meinem Pass steht! Da ist auch mein Visum, das beweist, dass ich in Japan leben, studieren und arbeiten darf!" Froh darüber, einen Beweis in der Hand zu haben, lehnte sie sich zufrieden zurück. Nun konnte niemand mehr behaupten, dass sie phantasierte.

Tifa sah sich die Sachen an und legte die Stirn in Falten. Sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte weder das Geld noch einen solchen Pass jemals in ihrem Leben gesehen. So etwas gab es hier eigentlich gar nicht. "Merkwürdig…", murmelte sie nach einer Weile.

Vincent stand an der Balkontür und sah zu ihnen herüber, eine Augenbraue nach oben gezogen, trotzdem verriet sein Gesicht keinerlei Gefühlsregung. Er war nicht sicher, was er von der ganzen Sache halten sollte. Entweder log Naomi, was er sich nicht vorstellen konnte, da sie absolut nicht den Eindruck erweckte… oder aber irgendjemand erlaubte sich einen verdammt schlechten Scherz… Vielleicht sollte er sich diese Ruine, in der er das Mädchen gefunden hatte, noch einmal genauer ansehen. Möglicherweise fanden sich dort einige Hinweise, die er zunächst übersehen hatte…

Meeting

Laut fluchend warf Naomi ihr Handy auf den kleinen Tisch – so fest, dass das Display einen kleinen Riss bekam. Diese Tatsache entlockte ihr weitere Verwünschungen. Seit drei Tagen versuchte sie nun schon, irgendjemanden zu erreichen. Drei geschlagene Tage lang hatte sie die meiste Zeit damit verbracht, alle möglichen ihr bekannten Nummern zu wählen – immer wieder bekam sie das Gleiche zu hören: nichts.

"Das ist aber keine Ausdrucksweise für eine junge Dame", meldete sich eine tiefe Stimme hinter ihr trocken zu Wort.

Erschrocken drehte sie sich um. "Vincent!", rief sie aus. "Musst du dich immer so an einen heranschleichen?!"

Der Schwarzhaarige trat näher an sie heran, wobei er sich trotz seiner schweren Stiefel annähernd lautlos bewegte. "Ich schleiche nicht", war die knappe Antwort.

Sie zog eine Augenbraue hoch, erwiderte jedoch nichts darauf. Sie wusste genau, dass sie lediglich auf taube Ohren stoßen oder gegen eine Wand laufen würde. Auch wenn sie noch nicht lange hier war, so hatte sie doch eines gelernt: Diskussionsversuche mit Vincent waren selten von Erfolg gekrönt und zudem stellten sie eine enorme Geduldsprobe dar.

"Wer hat dir diese ganzen Schimpfwörter eigentlich beigebracht?", wollte er von ihr wissen, als er sich zu ihr an den Tisch setzte. Seine Stimme klang gleichgültig, doch das täuschte. Es waren seine Augen, die ihn verrieten. Außerdem würde er sich gar nicht erst die Mühe machen zu fragen, wenn es ihm wirklich egal wäre.

Naomi hob die Schultern. "Teils habe ich sie von Freunden und Bekannten, das eine oder andere habe ich so hier und da aufgeschnappt…", meinte sie mit einer vagen Geste. "Aber mein bester Lehrer war mein Ex-Freund." Sie grinste breit. "Glaub mir, den möchtest nicht mal du fluchen hören."

Vincent legte die Stirn in Falten. "Viel schlimmer als Cid kann er nicht sein", erwiderte er ruhig. "Von ihm und Barret bin ich so einiges gewohnt."

Seufzend fuhr sie sich mit beiden Händen durch die Haare. Von Tifa wusste sie, dass Cid ein Pilot war und sowohl er als auch dieser Barret gut mit ihnen befreundet waren. Es nervte sie irgendwie, dass sie so vieles hier noch nicht wusste oder kannte. Einerseits freute sie sich darauf, dass sich das bald ändern würde, und dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf, doch noch nach Hause zu kommen. Ruckartig hob sie den Kopf, wobei ihr Genick sehr unangenehm knirschte. "Kann ich mir mal kurz dein Telefon ausleihen?"

Einige Sekunden lang betrachtete er sie regungslos. "Warum?", fragte er, bevor er sein PHS aus der Tasche holte und es ihr reichte.

Die Studentin nahm es an sich und griff gleichzeitig nach ihrem eigenen Handy. "Weil meines kaputt zu sein scheint", entgegnete sie abwesend und suchte eine Nummer heraus, die sie in Vincents Mobiltelefon eintippte. Sie hielt es sich ans Ohr und lauschte eine Weile.

"Die gewählte Nummer ist nicht existent."

Naomi verzog genervt das Gesicht, als sie die überdrehte Frauenstimme hörte. Sie versuchte es mit einer anderen Nummer und schließlich mit einer dritten, doch das Ergebnis war das gleiche. Grummelnd klappte sie das Telefon zu und gab es Vincent zurück. "Danke", murmelte sie.

Der Schwarzhaarige sah sie an und seine Mundwinkel zuckten leicht. "Manchmal denke ich, dass du mit deiner Wortwahl Cid oder Reno ernsthaft Konkurrenz machen könntest."

Irritiert starrte sie ihn an. Machte er sich etwa lustig über sie? Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Ausgerechnet er? Irgendwie war das für sie nur schwer vorstellbar. Dieser Mann schien tatsächlich Humor zu haben. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. "Wenn du das sagst!"

Er nickte kaum merklich. "Hast du immer noch niemanden erreichen können?"

Sie schnitt eine Grimasse. "Offensichtlich nicht… mit meinem Handy kann ich hier überhaupt nicht telefonieren und wenn ich es mit deinem versuche, sind die gewählten Nummern nicht existent!", murrte sie. "Irgendwas stimmt hier nicht."

Ohne ein Wort zu sagen stand er auf und hielt ihr seine Hand hin.

Naomi blinzelte und sah dann zu ihm auf. Sie wusste nicht was er von ihr wollte, doch sie ging nicht davon aus, dass es irgendetwas Schlimmes war, daher legte sie ihre Hand in seine. "Was ist?"

Noch immer schweigend zog er sie von ihrem Stuhl hoch und ging mit ihr in Richtung Tür.

"Wo gehen wir hin?", wollte sie wissen als sie stehen blieb, womit sie ihn dazu zwang das ebenfalls zu tun und sich zu ihr umzudrehen.

"Du hast sicher Hunger", erwiderte er nun. "Ich kann nicht so gut kochen wie Tifa, außerdem hast du nichts davon, wenn du den ganzen Tag in meiner Wohnung sitzt und Trübsal bläst."

Abwehrend streckte Naomi ihre freie Hand vor sich aus, da er die andere noch immer in seiner hielt und nicht losließ. "Du willst mich doch nicht etwa zum Essen einladen?!", fragte sie ihn entsetzt. "Das kann ich unmöglich annehmen!"

"Und von welchem Geld willst du das bezahlen?", gab er trocken zurück.

"Erm…" Sie sah ihn entgeistert an. "Aber ich kann doch nicht immer…"

Vincent schüttelte seufzend den Kopf. "Im Moment bleibt dir nicht viel übrig", meinte er gelassen. "Es sei denn, du möchtest lieber verhungern."

"Nein!", erwiderte sie erschrocken.

Ein leichtes amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. "Das dachte ich mir schon." Er öffnete die Wohnungstür und zog die Gitarristin hinter sich her. "Dann lass uns gehen."

Vollkommen verwirrt folgte sie ihm aus seinem Appartement und auf die Straße. Dies war das erste Mal, dass sie das Haus verließ, seit sie hier war. Zielsicher führte Vincent sie durch die Straßen, bis sie vor einem kleinen Gebäude stehen blieben. Auf dem Schild über der Tür stand '7. Himmel'.

Verwundert legte sie den Kopf schief. Den Namen hatte sie definitiv schon mal gehört. Doch bevor sie die Gelegenheit hatte, sich Gedanken darüber zu machen, legte Vincent ihr seine Hand auf den Rücken, stieß die Tür auf und schob sie hinein.

Naomi sah sich neugierig um und fühlte sich irgendwie stark an das 'Starbucks' erinnert, in dem sie mal nebenbei gearbeitet hatte. Allerdings waren Tische und Stühle aus Holz und die große Milchschaummaschine fehlte ebenfalls. Es war auch gar nicht mal so sehr die Einrichtung, die sie an den Kaffeespezialitätenladen denken ließ, sondern eher die Atmosphäre.

Sie ließ den Blick in Richtung Theke schweifen und sah dort einen blonden jungen Mann stehen, der sich nun zu ihnen umdrehte. Für einen kurzen Augenblick hatte sie das Gefühl, ihr Herz würde einen oder auch zwei Schläge aussetzen. Doch als sie das Gesicht und vor allem die ungewöhnlich blauen Augen des Mannes sah, wurde ihr erst bewusst, dass es nicht Shinya war – es auch gar nicht sein konnte – und sie entspannte sich wieder.

"Alles in Ordnung?", fragte Vincent leise, dem ihre kurzzeitige Anspannung nicht entgangen war.

Die junge Musikerin atmete einmal tief durch und nickte dann. Das war nicht Shinya. Der Sänger war nicht hier. Außerdem war er schon seit einer ganzen Weile nicht mehr blond – er war bereits im vorigen Jahr zu seiner Naturhaarfarbe zurückgekehrt. Sie schluckte mühsam den Kloß in ihrem Hals herunter.

Gemeinsam gingen die beiden zur Theke, wobei sie den Blonden aus dem Augenwinkel beobachtete. Bei genauerem Hinsehen hatte er keinerlei Ähnlichkeit mit Shinya.

"Hallo, Vincent", grüßte er den Schwarzhaarigen. "Lange nicht gesehen! Wie geht es dir?"

Der Angesprochene nickte ihm zu. "Wie läuft das Geschäft?"

"Bestens. Ich habe mir für heute frei genommen, um Tifa ein wenig zur Hand zu gehen und nach den Kindern zu sehen." Er sah Naomi neugierig an, welche sich irgendwie fehl am Platz fühlte.

Vincent legte ihr seine Hand auf die Schulter. "Dies ist Naomi Crescent… und das ist Cloud Strife", stellte er die beiden einander vor.

"Crescent?", fragte Cloud irritiert als er ihr die Hand reichte. "Doch nicht etwa…?"

"Nein", erwiderte der Schwarzhaarige. "Sie sind nicht miteinander verwandt."

Cloud schürzte die Lippen. "Deine Freundin?"

In diesem Moment kam Tifa durch die hintere Tür herein. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus als sie Vincent und Naomi sah. "Hey", sagte sie und umarmte die junge Studentin. "Wie geht es dir?" Sie legte ihr eine Hand auf die Stirn. "Dein Fieber ist weg", freute sie sich.

"Meine Nerven werden zwischendurch ein wenig strapaziert, aber ansonsten geht es mir hervorragend", grinste Naomi.

Tifa zog eine Augenbraue hoch und warf Vincent einen strafenden Blick zu. Dann wandte sie sich wieder an die Pinkhaarige. "Was kann ich für euch tun?"

"Naomi braucht etwas zu essen", meinte Vincent trocken.

Cloud sah irritiert von Naomi zu Tifa und dann schließlich zu dem Schwarzhaarigen. "Anscheinend habe ich so einiges verpasst."

Tifa drehte sich zu ihm um. "Du warst ja auch eine ganze Weile nicht hier", gab sie schlicht zurück, dann begab sie sich wieder zu der hinteren Tür und blieb kurz stehen. "Was möchtest du denn essen?", wollte sie von Naomi wissen.

Diese zuckte unbestimmt mit den Schultern. "Irgendwas… am besten etwas Einfaches, das schnell geht."

Die Dunkelhaarige lächelte und verschwand in der Küche. Nach wenigen Sekunden wurde die Tür wieder geöffnet und Tifa steckte den Kopf hindurch. "Hast du Lust, mir zu helfen?"

Naomi sah sie entsetzt an. "Bist du verrückt? Wenn du deine Küche behalten möchtest, dann solltest du dieses Risiko lieber nicht eingehen und mich möglichst weit davon entfernt halten."

Tifa sah sie ungläubig an, zuckte dann jedoch mit den Schultern und schloss die Tür hinter sich.

Seufzend ließ sich die Gitarristin auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und vergrub ihre Hände in den pinkfarbenen Haaren. "Ich bin wirklich zu nichts zu gebrauchen", murmelte sie deprimiert.

Vincent setzte sich neben sie und legte ihr seine Hand auf die Schulter. "Sag das nicht", meinte er leise.

"Und wieso nicht?", erwiderte sie bitter. "Bei dem, was ihr alles für mich getan habt… ohne mich zu kennen… und ich kann nichts, was irgendwie von Nutzen wäre…" Sie nahm die Hände herunter und sah ihn verzweifelt an. "Ich kenne mich hier nicht aus und mit meinem Geld kann ich hier auch nichts anfangen… ich bin meinen Job los, von meinen Freunden und Kollegen kann ich niemanden erreichen, ich kann nicht nach Hause… und sowieso ist im Moment alles voll für'n Arsch…"

Darauf wusste Vincent nichts zu sagen. Für eine Weile sah er sie ausdruckslos an. "Du kannst nichts dafür", sagte er schließlich ruhig.

Naomi schnaubte. "Leider kann ich auch nichts dagegen." Sie fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, dann seufzte sie wieder und legte den Kopf in den Nacken.

Nun setzte sich auch Cloud, der die ganze Zeit schweigend zugehört hatte, zu ihnen an den Tisch. Es war mehr als offensichtlich, dass diese Frau mit ihrer momentanen Situation alles andere als zufrieden war.

Das Quietschen der Tür und schnelle, leichte Schritte rissen ihn aus seinen Gedanken.

"Cloud ist wieder da!", rief Denzel freudig aus und sprang dem Blonden auf den Schoß, der ihm lächelnd durch die braunen Haare wuschelte.

"Wo ist Tifa?", fragte nun Marlene, als sie zwischen Vincent und Naomi stehen blieb, welche sich eine Hand über die Augen gelegt hatte. Das kleine Mädchen sah sie verwundert an.

"Tifa ist in der Küche", antwortete Cloud. "Und das ist Naomi."

"Geht es dir gut, Onee-chan?", fragte Marlene vorsichtig.

"Hm?" Die Gitarristin nahm ihre Hand herunter und wandte sich dem Mädchen zu. Lächelnd nickte sie. Schließlich sah sie zu Vincent auf. "Wo sind hier die Waschräume?", erkundigte sie sich.

"Durch die Tür und dann rechts", antwortete er.

Als Naomi aufstand griff Marlene nach ihrer Hand. "Ich zeig's dir", meinte sie hilfsbereit.

Die Pinkhaarige konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und folgte dem Mädchen.

Nachdem sie die Tür geöffnet hatte kam ihnen Tifa mit zwei großen Tellern entgegen. "Wo wollt ihr hin? Das Essen ist fertig."

"Ich zeige Onee-chan, wo der Waschraum ist", entgegnete Marlene ernst.

Tifa lächelte und nickte dann. "Gut, ich stelle das Essen dann auf den Tisch. Möchtest du auch etwas essen, Marlene?"

Das Mädchen nickte eifrig. "Und Denzel hat bestimmt auch Hunger!", meinte sie, dann führte sie Naomi zum Waschraum.

Mistake

Im Laufe des Nachmittags füllte sich die Bar beträchtlich und Tifa hatte alle Hände voll zu tun, die Gäste zu bedienen, und somit nicht viel Zeit sich mit Cloud, Vincent und Naomi zu unterhalten.

Denzel und Marlene waren zwischenzeitlich gegangen, um mit ein paar anderen Kindern draußen zu spielen.

Cloud und Vincent unterhielten sich über irgendwelche Dinge, von denen Naomi keine Ahnung hatte. Zunächst hatte sie ihnen begeistert zugehört, doch nach einer Weile hatte sie das Interesse daran verloren. Gelangweilt betrachtete sie die Leute an den anderen Tischen, bis es ihr schließlich zu dumm wurde.

Seufzend stand sie auf und ging zur Theke, hinter der Tifa gerade ein paar Drinks mixte. Sie hoffte, der Brünetten irgendwie behilflich sein zu können. Zum einen, weil sie sich auf irgendeine Art revanchieren wollte, zum anderen, weil sie sich furchtbar langweilte.

Zunächst lehnte Tifa ihre Hilfe freundlich ab, mit der Begründung, dass sie es auch ganz gut alleine schaffte, aber nach einer kurzen Diskussion willigte sie schließlich doch ein.

Da sie noch nicht wusste, wo sich alles befand, beschränkte sich Naomi zunächst darauf, leere Gläser und Teller einzusammeln und zu spülen, wobei sie die Gelegenheit nutzte, sich den Inhalt der Schubladen und Schränke einzuprägen. Wann immer es möglich war, beobachtete sie Tifa beim Mixen und fragte, wie sie die Getränke nannte. Irgendwann ging sie schließlich dazu über, die Gäste zu bedienen, wobei sie das Kassieren der Brünetten überließ, da sie mit der hiesigen Währung noch nicht so ganz zurecht kam und auch die Preise nicht kannte.

Nach etwa zwei oder drei Stunden leerte sich die Bar wieder einigermaßen, so dass nur noch fünf von den dreizehn Tischen besetzt waren und ein Gast an der Theke saß.

Naomi war gerade dabei, hinter der Theke ein wenig sauber zu machen, als Tifa ihr eine Hand auf die Schulter legte. Die Studentin hatte nicht damit gerechnet und zuckte kurz zusammen, bevor sie sich zu der anderen umwandte.

"Sag mal", begann Tifa, "hast du nicht Lust, mir hier öfter zu helfen?"

Die Pinkhaarige zog die Augenbrauen hoch. "Du willst, dass ich hier arbeite?"

Tifa zuckte mit den Schultern. "Nur wenn du möchtest", erwiderte sie. "Aber es wäre eine gute Lösung, meinst du nicht? Einerseits hast du so die Möglichkeit, etwas Geld zu verdienen, und außerdem kommst du unter Leute."

Nachdem die junge Gitarristin für ein paar Sekunden darüber nachgedacht hatte, breitete sich ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. "Klar!", freute sie sich. "Vor allem komme ich mir dann nicht mehr so nutzlos vor", fügte sie nach einer kurzen Pause leise hinzu.

Die Brünette sah sie mitleidig an und umarmte sie.

In diesem Moment trat Cloud an die Theke und räusperte sich, um die beiden auf sich aufmerksam zu machen. Naomi löste sich aus der Umarmung und die beiden Frauen wandten sich zu ihm um.

"Kann ich was für dich tun?", wollte Tifa von ihm wissen.

Der Blonde schüttelte leicht den Kopf. "Ich wollte euch nur Bescheid sagen, dass Vincent und ich beschlossen haben, zu dieser Ruine zu fahren und uns dort ein wenig umzusehen. Vielleicht finden wir dort einen Hinweis, wie wir Naomis… Problem lösen können."

Tifa sah ihn kurz verwirrt an, warf einen Blick in Vincents Richtung, dann nickte sie. "Okay, aber seid vorsichtig."

"Natürlich, wir sind immer vorsichtig", erwiderte Cloud mit einem Schmunzeln, wofür er ein ungläubiges Schnauben von der Brünetten erntete. "Wir werden schon lebend wieder zurückkommen. Was kann in einer einfachen Ruine schon großartig passieren?" Mit diesen Worten kehrte er zu Vincent zurück, welcher dem Blonden zunickte und aufstand.

"Ich hole dich nachher ab, sobald wir wieder da sind", meinte Vincent zu Naomi und verließ dann mit Cloud die Bar.

Tifa legte besorgt die Stirn in Falten und starrte für eine Weile auf die Tür, nachdem diese sich hinter den beiden Männern geschlossen hatte.

Naomi sah sie fragend an. "Was hatte das jetzt zu bedeuten?", wollte sie wissen. "Muss ich mir Sorgen um die beiden machen?"

Tifa schüttelte den Kopf. "Ach was. Ihnen wird schon nichts passieren", versuchte sie die Musikerin zu beruhigen. "Es gibt keinen Grund zur Sorge. Die beiden wissen, was sie tun und können durchaus auf sich aufpassen. Außerdem…" Mitten im Satz unterbrach sich die Brünette selbst und seufzte. "Lass uns später darüber reden", meinte sie mit einem Blick auf die besetzten Tische. "Im Moment haben wir noch genug andere Dinge zu tun."

Naomi war zwar noch nicht wirklich beruhigt, aber es brachte nichts sich jetzt verrückt zu machen. Außerdem hatten sie ja wirklich noch genug zu tun.

Nach einer Weile hatte sich die Bar bis auf den Gast an der Theke geleert. Dieser bezahlte gerade seine Drinks und stand dann auf, wobei er die Studentin aufmerksam betrachtete, was ihr eine Gänsehaut bescherte. Kaum hatte er sich von ihr abgewandt, verschränkte sie die Arme vor der Brust und schauderte.

Tifa stellte mit einem Seufzer das Glas des Gasts weg und warf einen Blick auf die Uhr. Cloud und Vincent waren nun schon recht lange unterwegs, doch im Grunde wunderte sie das nicht weiter. Sicher wollten sie sich diese Ruine genau ansehen und Tifa wusste weder wo noch wie groß sie war, oder in welchem Zustand sie sich befand. Womöglich konnten sie sich nur sehr langsam bewegen, um nicht verschüttet zu werden.

Nachdem sich die Tür hinter dem letzten Gast geschlossen hatte, verzog Naomi kurz das Gesicht und begann, die Gläser zu spülen. "Wie sieht es denn mit den Öffnungszeiten aus? Schließt du die Bar zu festen Zeiten oder wenn die letzten Gäste gehen?"

"Üblicherweise um Mitternacht. Aber wenn nichts los ist, auch schon mal früher oder wenn viel los ist, auch später", antwortete die Brünette. "Und wenn du nicht auf Vincent warten möchtest, kannst du auch gern über Nacht bleiben. Dann werde ich ihn anrufen und Bescheid sagen, dass du bei mir übernachtest."

"Wenn es dir nichts ausmacht, dann würde ich gern noch ein wenig warten", gab die Studentin zurück. "Wenn er in einer Stunde nicht zurück ist…"

"Du machst dir Sorgen, hm?" Tifa lächelte aufmunternd. "Okay, warten wir noch ein wenig. Falls er in einer Stunde nicht zurück sein sollte, rufe ich ihn an."

Naomi nickte und machte sich daran, die Stühle an den Tisch zu rücken und diese abzuwischen. Derweil räumte Tifa in der Küche auf. Die Gitarristin hatte sich gerade zur Theke begeben um diese ebenfalls zu wischen, als sich hinter ihr die Tür öffnete. Naomi wandte sich zu den Neuankömmlingen um, in der Hoffnung, dass es Cloud und Vincent waren.

Doch sie wurde enttäuscht. Zwar waren es zwei Männer, die hereinkamen – jedoch war der eine gut gebräunt, hatte eine Glatze und trug eine dunkle Sonnenbrille. Der andere hingegen war eher schlaksig und hatte zerzauste rote Haare.

Vor Schreck fiel Naomi der Lappen aus der Hand und sie wich einen Schritt zurück. Das konnte nicht sein… Wie war das nur möglich?!

Die beiden hatten etwa die Mitte des Raumes erreicht – der Gebräunte mit ernstem Gesichtsausdruck, während der Rothaarige sie breit angrinste – als Naomi ihren ersten Schock überwand, welcher in unbändige Freude umschlug. "Kôji!", rief sie aus und hatte innerhalb von Sekundenbruchteilen die Distanz zwischen ihnen überbrückt, um ihren Freund zu umarmen. Stürmisch fiel sie ihm vor lauter Wiedersehensfreude um den Hals, so dass er das Gleichgewicht verlor und sie beide auf dem Boden landeten.

"Ich hatte schon befürchtet, dass ich dich nie wieder sehe", wisperte sie, wobei sie nicht mal auf die Idee kam, wieder aufzustehen oder den Rothaarigen auch nur loszulassen. "Wo um alles in der Welt hast du nur gesteckt? Wie bist du hierher gekommen? Was ist mit den anderen passiert? Wie geht es Yûichi? Rikuo? Luca?"

Der Mann unter ihr ächzte und versuchte, ihre Arme um seinen Hals vorsichtig zu lockern. "Ich hasse es, dass ich dir jetzt den Spaß verderben muss", meinte er atemlos, "aber ich befürchte, dass du mich da mit irgendwem verwechselst."

Naomi blinzelte. Das war eindeutig nicht Kôjis Stimme. Sie setzte sich verwirrt auf und betrachtete den Mann nun eingehend. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Augen nicht braun, sondern aquamarinblau waren, außerdem hatte er Sommersprossen und zwei Narben auf den Wangenknochen, die durch sein schelmisches Grinsen – das wiederum dem von Kôji sehr ähnlich war – kaum zu sehen waren.

In diesem Augenblick traf sie die Erkenntnis, dass sie in ein ihr vollkommen fremdes Gesicht blickte, wie ein Schlag. Sie lief rot an und stand nun endlich auf, wobei sie verlegen eine Entschuldigung vor sich hin murmelte.

Nun rappelte sich auch der Rothaarige mit Hilfe seines Kollegen auf und wuschelte der Studentin durch die pinkfarbenen Haare. "Ist schon okay, ist ja nix passiert", entgegnete er mit amüsiertem Unterton in der Stimme. "Du darfst mich auch gern öfter verwechseln, wenn du mir versprichst, dass du nicht wieder versuchst mich zu erwürgen."

Naomi konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich noch ein wenig. "Ich werde es mir merken."

Der Rothaarige legte ihr einen Arm um die Schultern und dirigierte sie zur Theke als Tifa aus der Küche kam, sich wundernd, was der Lärm zu bedeuten hatte. Als die Brünette die beiden Männer in den dunkelblauen Anzügen sah lächelte sie. "Reno! Rude! Schön euch zu sehen!", grüßte sie die beiden, die gerade an der Theke Platz nahmen, während Naomi Renos Arm wegnahm und den Lappen aufhob, den sie zuvor hatte fallen lassen.

"Hallo Tifa", gab Rude mit tiefer Stimme zurück. "Lange nicht gesehen."

"Was ist passiert?", erkundigte sich diese, dann fiel ihr Blick auf Naomis gerötetes Gesicht. "Reno…", meinte sie langsam, "hast du Naomi etwa geärgert?" Die Missbilligung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

Der Angesprochene hob abwehrend die Hände. "Wie kannst du nur so etwas von mir denken?!", rief er mit gespieltem Entsetzen. "Es war nur ein Missverständnis!"

Tifa verschränkte die Arme vor der Brust. "Tatsächlich?"

"Es war meine Schuld", mischte sich Naomi ein. "Ich habe ihn mit einem Freund von mir verwechselt", fügte sie etwas leiser hinzu und senkte den Kopf ein wenig.

Die Brünette bedachte sie mit einem mitleidigen Blick. "Wenn das so ist…", gab sie nach. "Kann ich etwas für euch tun?", wandte sie sich an die beiden Männer, die einen kurzen irritierten Blick austauschten.

"Wir wollten eigentlich nur mal vorbeischauen und uns erkundigen, wie es euch geht", antwortete Reno. "Schließlich haben wir uns wirklich lange nicht mehr gesehen. Und gegen ein Bierchen wäre sicher auch nichts einzuwenden", fügte er breit grinsend hinzu.

Rude sah von Tifa zu Naomi und wieder zurück, sagte jedoch nichts.

Die Gitarristin wollte gerade hinter die Theke gehen, aber Reno hielt sie zurück. "Moment, junge Dame, du schuldest mir noch etwas."

Sie sah ihn verwirrt an. "Wofür?"

Ein schelmisches Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. "Für den Anschlag." Er zwinkerte ihr zu. "Das Mindeste, das du tun kannst, ist etwas mit mir zu trinken!"

Rude schnaubte. "Gib doch zu, dass es dir gefallen hat", murmelte er.

Renos Grinsen wurde noch breiter. "Klar, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen als von einem süßen Mädel angesprungen zu werden."

Naomi zog eine Augenbraue hoch und drehte sich irritiert zu Tifa um.

Die allerdings schüttelte nur lächelnd den Kopf. "Mach dir nichts draus, der ist immer so", meinte sie. "Aber setz dich ruhig, im Moment ist ja ohnehin nichts zu tun."

Mit einem Seufzer ließ sich die Studentin auf dem Barhocker neben dem Rothaarigen nieder. "Gut, ein Bier könnte jetzt wirklich nicht schaden."

"Du brauchst doch keine Erlaubnis, um mit mir etwas zu trinken?!", wunderte sich Reno.

"Ich arbeite erst seit heute hier", erwiderte Naomi und nahm ein großes Bierglas von Tifa entgegen.

"Außerdem kann man bei dir nie vorsichtig genug sein", warf die Brünette amüsiert ein.

Reno sah sie kurz an und zuckte dann mit den Schultern, bevor sie miteinander anstießen. "Ich habe dich noch nie hier gesehen", sagte er zu Naomi, als Rude ein Gespräch mit Tifa begann.

"Kunststück, ich wohne ja auch erst seit ungefähr einer Woche hier in… der Stadt und bin auch zum ersten Mal in dieser Bar", antwortete die Studentin. "Und bisher kenne ich hier kaum jemanden."

"Aha?" Der Rothaarige lehnte sich interessiert in ihre Richtung. "Und wo kommst du her?"

"Aus…" Sie schluckte schwer. "Du hast sicher noch nicht davon gehört, es ist verdammt weit weg."

Reno legte die Stirn in Falten, doch bevor er ihr noch weitere Fragen stellen konnte, klingelte Tifas Telefon. Das Gespräch dauerte auch nicht sehr lange und als die Brünette auflegte, sah sie Naomi aufmerksam an.

"Was ist los?", wisperte die Gitarristin kläglich. "Ist etwas passiert?" Ihr wurde leicht schwindelig und sie hielt sich an der Theke fest, um nicht mit dem Barhocker umzufallen.

Reno und Rude wurden sofort hellhörig.

"Vincent geht es gut", erwiderte Tifa. "Den beiden ist nichts passiert und sie sind auf dem Weg hierher", beruhigte sie die Studentin, die kreidebleich geworden war. "Aber sie haben… einige merkwürdige Dinge gefunden, vielleicht gehören sie ja… nun ja… sie wollen etwas davon mitbringen, damit du es dir ansiehst."

Reno legte Naomi eine Hand auf die Schulter. "Wo haben sie was für Dinge gefunden?", wollte er wissen. "Und wer sind 'sie'? Was hat Naomi damit zu tun?"

Tifa wandte sich seufzend zu ihm um. "Das ist eine verdammt lange Geschichte. Willst du sie wirklich hören?"

Er warf einen Blick auf das schneeweiße Gesicht der Musikerin, die sich mit zitternden Fingern an die Theke klammerte, dann nickte er.

Odds

Nachdem Tifa und Naomi die Situation geschildert hatten, saßen sie alle schweigend da. Es dauerte nur wenige Momente, bis die Studentin ruckartig aufstand. "Waschraum", erklärte sie knapp und verschwand durch die hintere Tür.

"Oh Mann…", murmelte Reno und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. "Also doch…"

"Hm?" Tifa sah ihn fragend an. "Was denn?"

Der Turk schüttelte den Kopf. "Ich weiß leider nichts Genaues… nur Spekulationen und Gerüchte… Ich habe vor Kurzem etwas über einen Wissenschaftler gehört, der wohl mal eine Zeit lang mit Hojo zusammen gearbeitet hat…" Er seufzte. "Gerüchten zufolge soll er an irgendeiner seltsamen Maschine gearbeitet haben. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass einer seiner Versuche ziemlich in die Hose gegangen ist und… nun ja… er hat die Explosion nicht überlebt, fürchte ich."

Nun wurde die Brünette hellhörig. "Wann war das?"

Reno zuckte mit den Schultern. "Kann ich nicht genau sagen… vor zwei Wochen oder vielleicht auch drei. Soweit ich weiß, liegt das Haus, in dem er gearbeitet hat, jetzt in Trümmern."

"Du meine Güte…", keuchte Tifa entsetzt.

"Aber das erklärt nicht, warum Naomi jetzt hier ist", wandte Rude ein.

"Da wäre ich mir nicht so sicher", widersprach Reno. "Was ist, wenn diese Explosion erst verursacht hat, dass sie hier gelandet ist? Wie auch immer das passiert sein kann?"

In diesem Moment kam Naomi wieder zurück. Der Rothaarige sah sie nachdenklich an. "Was ist?", fragte sie mit hochgezogener Augenbraue. "Hab ich was im Gesicht?"

Er schüttelte den Kopf. "Wir müssen uns damit was einfallen lassen", meinte er, als sie sich wieder neben ihn setzte, und zupfte an einer ihrer pinkfarbenen Strähnen. "Die sind viel zu auffällig."

Die Gitarristin stieß ein verbittertes Lachen aus. "Und was? Ich kann ja wohl schlecht in den Supermarkt gehen und ein Bleich- oder Färbemittel kaufen… Außerdem haben Kôji und Yûichi mir die Haare so gefärbt."

Reno schürzte die Lippen. "An deiner Ausdrucksweise solltest du vielleicht auch arbeiten. Es wäre klüger, wenn du zumindest in Gegenwart Fremder nichts erwähnst, was es hier nicht gibt."

Grummelnd wandte sie sich von ihm ab. "Kann ich noch ein Bier haben?", fragte sie Tifa.

Rude stand auf und die anderen sahen ihn fragend an. "Ich werde mal ein paar Leuten auf die Füße treten, vielleicht hat jemand ein paar Informationen für uns." Als sein Kollege ihm folgen wollte, bedeutete er ihm mit einer Geste sitzen zu bleiben. "Ich mach das schon. Bleib du lieber hier und behalte die Situation im Auge." Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ die Bar.

Der Rothaarige blinzelte irritiert, zuckte dann aber mit den Schultern und nahm dankend das Bier entgegen, das Tifa ihm reichte. Amüsiert beobachtete er, wie Naomi ihr eigenes Glas in einem Zug zur Hälfte leerte. "Willst du dir jetzt die Kante geben?"

Sie lachte kurz auf. "Wenn ich das vorhätte, würde ich was anderes trinken", meinte sie breit grinsend. "Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich kann einiges vertragen." Sie zog einen Aschenbecher zu sich heran und begann, ihre Taschen zu durchsuchen.

Reno bot ihr eine von seinen Zigaretten an und gab ihr Feuer, bevor er sich selbst eine anzündete. "Bist du überhaupt schon alt genug für so etwas?", fragte er sie belustigt.

Naomi machte eine wegwerfende Geste. "Kommt darauf an, wie alt man hier dafür sein muss. Zu Hause auf jeden Fall."

"Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass du über sechzehn bist", grinste er sie an. "Ansonsten würde ich mir jetzt ernsthafte Sorgen machen."

"Da liegst du aber fast neun Jahre daneben", entgegnete sie lachend. "So jung bin ich dann doch wieder nicht."

Er sah sie überrascht an. "Soll das heißen, du bist fünfundzwanzig? Das hätte ich jetzt nicht gedacht! Ich hätte dich nicht für älter als achtzehn gehalten."

Sie schüttelte den Kopf. "Ich werde erst im Juli fünfundzwanzig. Dauert also noch ein bisschen."

"Na… so lange dauert das dann auch nicht mehr, wir haben ja schließlich schon Ende Mai", wandte Tifa ein. "Am achten war das, richtig?"

Die Gitarristin nickte zustimmend. "Genau…", seufzte sie. "Dann hab ich bereits ein Vierteljahrhundert hinter mir…" Sie verdrehte die Augen und ließ den Kopf mit einem Knurren auf die Tischplatte sinken. "Ich bin so alt…"

"Ach was…" Reno klopfte ihr leicht auf den Rücken. "So alt bist du nun auch wieder nicht."

Daraufhin richtete sie sich wieder auf, allerdings etwas zu schnell, und sie wäre beinah mit dem Hocker nach hinten gekippt, hätte der Turk sie nicht festgehalten.

"Nun mal langsam, junge Dame", meinte er erschrocken. "Wenn du so weitermachst, wirst du die Fünfundzwanzig wohl doch nicht mehr erleben."

Sie atmete tief durch und bedankte sich bei ihm. In diesem Moment wurde die Tür geöffnet. Hoffnungsvoll wandte sie sich um. Ihr Gesicht hellte sich auf, als sie Cloud und Vincent hereinkommen sah. Ihr Blick fiel sofort auf einen Gegenstand, den der Blonde in der Hand hielt und mit einem lauten Ausruf sprang sie auf und lief zu ihm hin.

"Oh mein Gott!" Behutsam nahm sie ihm den Gitarrenkoffer ab. "Das ist…" Sie legte ihn auf den Tisch und klappte den Deckel auf. Der Koffer hatte zwar einige Schrammen abbekommen, aber das Instrument schien vollkommen unbeschadet zu sein.

"Wir haben auch noch das hier gefunden", sprach Vincent sie an und stellte ihren Verstärker daneben. "Und auch noch andere Dinge, aber wir haben nicht alles mitgebracht."

Fassungslos ließ sie ihre zitternden Finger über das Gerät gleiten. In erster Linie schien es nur sehr verstaubt zu sein. "Wo ist hier eine Steckdose?", flüsterte sie. Sie war so schockiert, diese Gegenstände hier vorzufinden, dass ihr gerade die Kraft fehlte, lauter zu reden. Noch bevor sie eine Antwort erhalten hatte, entdeckte sie auch schon was sie suchte. "Ich hoffe, du hast nichts dagegen?", fragte sie als sie den Verstärker anschloss, weil sie umgehend testen wollte, ob auch tatsächlich noch alles funktionierte.

"Mach ruhig", gab Tifa zurück. Sie legte das Handtuch zur Seite, mit dem sie gerade die Gläser abgetrocknet hatte.

Nachdem sie alles eingestöpselt hatte, setzte sich Naomi auf einen Stuhl und stippte ihre heiß geliebte Gitarre, bevor sie wahllos einige Akkorde anschlug. Sie war froh, dass nichts kaputt gegangen war. Schließlich packte sie das Instrument wieder ein.

"Spiel doch was für uns!", bat Reno, doch sie schüttelte den Kopf.

"Nicht jetzt, es ist schon spät", murmelte sie, dann sah sie Vincent an. "Waren die Sachen vor einer Woche auch schon da?", wollte sie von ihm wissen.

"Ich weiß es nicht", erwiderte er ruhig. "Beim letzten Mal hatte ich auch nicht die ganze Ruine durchsucht." Er griff in seine Tasche. "Das hier gehört vermutlich auch dir."

Naomi streckte ihre Hand aus und er gab ihr einen Füllfederhalter. Bei diesem Anblick erstarrte sie förmlich. Sie kannte ihn durchaus – allerdings gehörte er nicht ihr. Die junge Gitarristin konnte sich nur allzu gut daran erinnern, wann sie das Schreibgerät zum letzten Mal gesehen hatte…

Reno ging auf sie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Geht es dir gut?"

Sie zuckte zusammen, dann nickte sie langsam. "Ja…" Sie schluckte. Wenn dieser Füllfederhalter hier war, dann war es sein Besitzer wahrscheinlich auch. Sie sah zu Reno auf. "Kannst du mir einen Gefallen tun?"

Er grinste sie breit an. "Wenn ich dafür nicht wieder mein Leben aufs Spiel setzen muss… gern."

Die Studentin zog eine Augenbraue hoch. "Besteht die Möglichkeit, dass du jemanden ausfindig machen kannst, wenn ich dir ein Bild gebe?"

Reno überlegte kurz. "Das müsste gehen… ich weiß nur nicht, wie lange es dauert", antwortete er. "Jemand, den du kennst?"

Sie nickte und bat dann Tifa um ein Blatt Papier. Nachdem sie es bekommen hatte, begann sie zu zeichnen. Für ein lebensechtes Porträt reichten ihre künstlerischen Fähigkeiten nicht aus, doch die Skizze, die sie nun anfertigte, war detailliert genug, um die Person darauf wieder zu erkennen. "Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dann müsste er auch hier irgendwo in der Stadt sein", meinte sie, als sie Reno das Bild gab. "Sein Name ist Markus Jansen, wenn dir das weiterhilft."

Der Rothaarige betrachtete die Zeichnung eingehend. "Ich werde sehen, was ich tun kann", versprach er ihr. "Sobald ich etwas weiß, sage ich dir Bescheid."

"Danke." Naomi unterdrückte ein Gähnen. "Was war denn noch alles da?"

"Kann ich nicht genau sagen", gab Cloud zurück. "Wir wollten sowieso noch mal dorthin, um die anderen Sachen zu holen. Bei der Gelegenheit können wir direkt überprüfen, ob vielleicht noch etwas verschüttet wurde."

"Dann sollten wir jetzt langsam gehen", wandte Vincent ein, dem nicht entgangen war, wie erschöpft die Pinkhaarige war.

Müde sah sie ihn an. "Das ist eine gute Idee", stimmte sie zu.

"Gut", befand Tifa. "Wir sehen uns dann morgen?"

Die Studentin nickte. "Um wie viel Uhr soll ich hier sein?"

"Zwölf Uhr reicht vollkommen. Vorher ist ohnehin kaum etwas zu tun. Ich will ja nicht, dass du dich hier langweilst." Sie umarmte Naomi zum Abschied und wünschte ihr eine gute Nacht, was die Gitarristin erwiderte.

Reno wuschelte ihr grinsend durch die Haare. "Träum was Süßes und schau dir beim nächsten Mal die Leute genau an, bevor du sie anfällst."

Die junge Frau schnaubte. "Das werde ich bestimmt." Sie winkte noch einmal in die Runde und verließ dann mit Vincent den '7. Himmel'.

Lonesome

Die nächsten Tage verliefen recht ereignislos. Zwar ließ sich Reno jeden Abend im '7. Himmel' blicken, doch bisher hatte er keinerlei Neuigkeiten für Naomi mitbringen können.

Etwa eine Woche, nachdem sie sich kennen gelernt hatten, betrat der Rothaarige die Bar und fand die Studentin mit einem halbvollen Glas mutterseelenallein an der Theke vor. "Nanu?", wunderte er sich. "So ganz allein hier?"

Die Gitarristin wandte sich zu ihm um. Sie verzog das Gesicht und stand dann auf. "Hi Reno", murmelte sie, als sie hinter ihm die Tür abschloss und das Licht bis auf eine Lampe an der Theke ausschaltete.

Irritiert zog er eine Augenbraue hoch. "Ist alles in Ordnung?", wollte er von ihr wissen.

Sie sah ihn fragend an, dann nickte sie, bevor sie sich umdrehte und zu ihrem Glas zurückkehrte. Seufzend ließ sie sich auf dem Barhocker nieder.

Reno folgte ihr und setzte sich neben sie. Besorgt sah er sie an. "Bist du sicher, dass es dir gut geht?"

Naomi warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Mit einem erneuten Seufzen hob sie die Schultern. "Ich denke schon…", brummte sie. "Im Moment ist nur alles ein bisschen komisch, verstehst du?" Sie zog eine Grimasse und stürzte den Inhalt des Glases hinunter.

Stirnrunzelnd nahm er ihr das Glas ab. "Ist es das nicht schon, seit du hier bist?", wandte er ein. "Wo ist eigentlich Tifa?", erkundigte er sich dann bei ihr.

"Mit Cloud und den Kindern in Corel", war die schlichte Antwort.

Wieder wanderte eine Augenbraue nach oben. "Und Vincent?"

"Irgendwo unterwegs."

Der Rothaarige schürzte die Lippen. "Das heißt, du bist ganz alleine?", fragte er sie verwundert.

Sie wandte den Kopf in seine Richtung. "Du bist doch hier."

Mühsam unterdrückte er einen Seufzer. "Wann kommen sie wieder zurück?"

Einen Moment lang betrachtete sie ihn stumm. "Nicht vor morgen Abend. Aber ich vermute, dass sie wahrscheinlich mindestens zwei oder drei Tage länger bleiben werden." Bevor er etwas darauf erwidern konnte, fuhr sie fort: "Tifa hat die Bar meiner Obhut überlassen, weil sie der Meinung ist, dass ich schon zurechtkomme. Und das werde ich auch." Dann stand sie auf und nahm ihm ihr Glas aus der Hand.

Reno griff nach ihrem Handgelenk. "Indem du dich betrinkst", gab er sarkastisch zurück. "Vielleicht solltest du lieber nach Hause gehen."

Die Gitarristin löste sich von ihm und begab sich hinter die Theke, um sich einen weiteren Drink zu mixen. "Ich betrinke mich nicht. Außerdem kann ich nicht nach Hause, wie du weißt", seufzte sie.

Er zog es vor, nichts darauf zu erwidern und stützte die Ellbogen auf dem dunklen Holz ab. Da hatte er mal wieder ein Fettnäpfchen erwischt. "Was wird das?", wollte er wissen, als er ihr dabei zusah, wie sie diverse Säfte und Spirituosen in den Shaker gab.

Sie fügte noch ein paar Eiswürfel hinzu. "Sex on the Beach", erwiderte sie, dann stülpte sie den Deckel auf den Becher und begann ihn zu schütteln. "Magst du auch?"

Für wenige Sekunden blickte er sie verwirrt an, doch dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Klar!"

Naomi zog die Augenbrauen hoch, dann schaute sie seufzend zur Decke. "Das ist ein Cocktail, Reno", erklärte sie grummelnd. "Also wirklich!"

Er grinste schief und zwinkerte ihr zu. "Das dachte ich mir schon… ich wollte nur wissen, wie du reagierst." Sein Grinsen wurde noch etwas breiter. "Ich hatte gehofft, ich könnte ein bisschen aufheitern."

Sie schürzte die Lippen und sah ihn abschätzend an, doch dann konnte sie sich doch noch zu einem Lächeln durchringen. Sie wusste, dass er nichts für ihre Situation konnte und dass er ihr nur helfen wollte. Als sie mit dem Mixen fertig war, nahm sie noch ein zweites Glas und verteilte den Inhalt des Shakers gleichmäßig, schließlich warf sie noch einige Eiswürfel in die beiden Gläser, bevor sie diese auf die Theke stellte. Dann setzte sie sich wieder neben Reno. "In der Hoffnung, dass es auch so schmeckt, wie es soll", meinte sie, als sie miteinander anstießen. "Im Moment experimentiere ich eher ein bisschen, weil es hier nicht unbedingt alle Getränke gibt, die wir zu Hause haben."

Der Rothaarige nahm einen großen Schluck, dann verzog er das Gesicht und stellte das Glas ab.

Sie legte die Stirn in Falten. "Nicht gut?", fragte sie und nippte testweise an ihrem eigenen Getränk. "Der ist doch okay… wenn auch nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte."

Blinzelnd sah er die Studentin an. "Hättest du mich nicht vorwarnen können, dass das Zeug so süß ist?", beschwerte er sich mit einem Grinsen.

"Du hast doch gesehen, dass Säfte drin sind", gab sie pikiert zurück. "Was hast du denn erwartet? Dass es salzig ist? Oder bitter?"

Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. "Schon gut, du hast gewonnen." Für einen Moment betrachtete er sie nachdenklich. "Ich stehe zwar auf Süßes, aber das ist wohl doch etwas zu viel des Guten", meinte er dann schulterzuckend.

Die Gitarristin zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. "Willst du lieber ein Bier?"

"Ja, bitte."

Sie wollte schon aufstehen, aber er legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Damit meinte ich nicht sofort."

Naomi sah ihn einige Sekunden lang stumm an und stand dann trotzdem auf. "Soll ich lieber alleine trinken?" Dann leerte sie erst ihr Glas und dann seines. "Außerdem arbeite ich hier… auch wenn die Bar offiziell geschlossen ist – du sitzt immer noch an meiner Theke."

Abwehrend hob er beide Hände. "Ich sag ja schon nichts mehr", erwiderte er lachend. Als sie mit zwei Biergläsern wieder zu ihm zurückkehrte, legte er den Kopf schief. "Wann kommt Vincent eigentlich zurück?", wollte er von ihr wissen.

Seufzend zuckte sie mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Er hat wohl irgendwas Wichtiges zu erledigen. Wer weiß, wann er wieder hier ist."

"Und du wohnst immer noch bei ihm?"

Sie wiegte den Kopf hin und her. "Nicht so richtig. An sich schon." Sie verzog das Gesicht. "Im Moment bleibt mir ja nicht viel anderes übrig…", murmelte sie. "Eine eigene Wohnung kann ich mir hier noch nicht leisten. Außerdem hoffe ich ja eigentlich immer noch darauf, dass ich wieder nach Hause kann. Und undankbar erscheinen, indem ich einfach gehe, will ich auch nicht."

Aufmunternd wuschelte er ihr durch die Haare. "Das wird schon wieder…", meinte er. "Und wenn ich dir irgendwie helfen kann…"

Sie schüttelte langsam den Kopf. "Ihr helft mir alle schon genug." Nachdenklich neigte sie den Kopf zur Seite. "Du hast aber bisher noch nichts herausgefunden, oder?"

"Leider nein", gab er bedauernd zurück. "Sonst hätte ich es dir längst gesagt."

Die Studentin seufzte schwer und nahm einen Schluck von ihrem Bier. "Ist okay", brummte sie, als sie leicht das Gesicht verzog. "Ich habe ohnehin nicht damit gerechnet, dass es schnell gehen wird. Oder dass es einfach wäre."

Er zupfte an einer ihrer Haarsträhnen. "Wo schläfst du denn heute, wenn hier alle ausgeflogen sind?", erkundigte er sich bei ihr.

Daraufhin richtete sie den Blick nach oben. "Hier, wo sonst?"

Reno sah sie nachdenklich an und zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht… sonst hätte ich dir angeboten, dass du bei mir bleiben kannst."

Naomi zog eine Augenbraue hoch. "Das ist nett von dir, aber das kann ich beim besten Willen nicht annehmen."

"Warum nicht?", fragte er irritiert.

Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch die Haare. "Weil es mir unangenehm wäre…", murmelte sie. "Ich mag es nicht, wenn ich auf andere Leute angewiesen bin… ich bin für eure Hilfe wirklich dankbar, versteh mich bitte nicht falsch, aber…" Wieder seufzte sie und ließ den Kopf auf die Theke sinken. "Ich komme mir dabei so minderwertig und nutzlos vor…"

"Sag doch so was nicht!", gab der Rothaarige bestimmt zurück. "Du hast es nun mal nicht leicht… in einer fremden Umgebung mit Leuten, die du kaum oder gar nicht kennst. Abgeschnitten von deinem Zuhause und deinen Freunden." Er sah sie ernst an. "Ich finde, dass du dich in Anbetracht deiner Situation sehr gut hältst."

Sie setzte sich wieder auf und warf ihm einen dankbaren Blick zu. Dann nahm sie wieder einen Schluck von ihrem Bier.

"Hm." Reno leerte sein Glas. "Ich glaube nicht, dass Tifa begeistert wäre, wenn wir ihre Bar leer trinken". Er stand auf.

Fragend sah sie ihn an. "Glaub mir, das hatte ich nicht vor", versicherte sie. "So viel würde ich nun wirklich nicht vertragen… Willst du schon gehen?"

"Eigentlich wollte ich dich mitnehmen", entgegnete er grinsend. Als sie lediglich die Stirn in Falten legte, verdrehte er die Augen. "Offensichtlich willst du jetzt nicht allein sein, sonst hättest du nicht auf mich gewartet und wärst längst im Bett."

"Ich habe nicht…", setzte sie zu einem Protest an, wurde aber von ihm unterbrochen. "Trinken können wir auch woanders und Widerspruch ist zwecklos. Willst du lieber alleine hier herumsitzen und Trübsal blasen?" Er schüttelte den Kopf. "Wann musst du die Bar morgen öffnen?"

Sie stieß einen frustrierten Seufzer aus. Seine Ähnlichkeit mit Kôji war in diesem Augenblick frappierend. "Am Nachmittag… so um zwei."

Er nickte, nachdem er einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. "Genug Zeit noch etwas trinken zu gehen und morgen einigermaßen auszuschlafen", befand er. "Wenn du willst, können wir auch etwas essen. Aber wenn du alleine hier sitzen bleibst und trinkst, kriegst du nur Depressionen. Das kann ich doch nicht zulassen", zwinkerte er ihr zu.

Einen Moment sah sie ihn ausdruckslos an, dann leerte sie ihr Glas und stand leise grummelnd auf. "Lass mich wenigstens eben noch die Theke sauber machen, sonst klebt morgen alles."

"Lass dir ruhig Zeit."

Nachdem sie fertig war, verließen die beiden gemeinsam die Bar und Naomi schloss sorgfältig alles ab. "Wo willst du denn was trinken gehen?", wollte sie von ihm wissen, als sie schweigend ein Stück gegangen waren und in eine Seitenstraße einbogen. "Hat denn jetzt überhaupt noch etwas auf?"

Er warf ihr einen Seitenblick zu. "Wir finden schon was… im Zweifelsfall gehen wir halt zu mir."

Die Musikerin blieb stehen und zog eine Augenbraue hoch. Seufzend wandte er sich zu ihr um. "Ich tu dir schon nichts, keine Sorge." Er trat einen Schritt auf sie zu, legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie durch die nächtlichen Straßen.

Als sie vor einem recht kleinen Haus stehen blieben, waren sie natürlich an keinem einzigen geöffneten Lokal vorbeigekommen. Naomi überraschte das überhaupt nicht und sie verschränkte die Arme vor der Brust, während er die Tür aufschloss. Mit einer übertrieben theatralischen Geste verbeugte er sich und deutete ins Hausinnere. "Wenn ich Euch nun bitten dürfte, in meine bescheidene Behausung einzutreten."

Unwillkürlich musste sie lächeln und mit einem Nicken ging sie hinein. "Es ist schön zu sehen, dass hier nicht alles so grundlegend anders ist als zu Hause", bemerkte sie. Sie folgte ihm in sein Appartement und nachdem er die Tür geöffnet und das Licht angeschaltet hatte, sah sie sich ausgiebig um. Es schien nicht besonders groß zu sein, wirkte aber gemütlich.

Reno machte sich unverzüglich auf die Suche nach etwas zu trinken. "Entschuldige bitte das Chaos", meinte er, "aber ich war eigentlich nicht auf Besuch vorbereitet."

Amüsiert zog sie eine Augenbraue hoch. "Chaos?" Sie hatte eindeutig schon wesentlich Schlimmeres gesehen. Hier und dort lagen ein paar Zeitungen und andere Sachen verstreut herum. Zumindest waren nirgendwo Lebensmittelreste verteilt. "Man kann noch viel zu viel vom Boden sehen, das ist kein Chaos", grinste sie, als sie sich auf die Couch setzte.

"Wenn du das sagst", entgegnete er schmunzelnd und stellte zwei Gläser und eine Flasche auf den Tisch.

"Hmm…" Naomi nahm die Flasche in die Hand und öffnete sie, bevor sie prüfend daran roch. "Sieht aus wie Whisky." Sie schenkte ihm etwas ein, schließlich sich selbst. "Riecht wie Whisky." Sie stellte die Flasche zurück auf den Tisch, als er sich neben sie setzte. Dann stieß sie mit ihm an und nippte an ihrem Getränk. "Schmeckt auch wie Whisky", stellte sie mit einem zufriedenen Nicken fest.

Der Rothaarige betrachtete sie interessiert. "Mit Alkohol kennst du dich anscheinend aus."

Stirnrunzelnd wandte sie sich zu ihm um. "Was willst du damit sagen?!"

"Gar nichts", wehrte er ab. "Es war nur eine Feststellung."

Sie schürzte die Lippen und nahm noch einen Schluck. "Nun ja", brummte sie und zuckte mit den Schultern. "So viel Ahnung habe ich eigentlich auch nicht… obwohl ich schon ein paar Sachen probiert habe. Irgendwie muss man ja herausfinden, was man mag und was nicht."

Er nickte bedächtig. "Stimmt schon…" Dann lehnte er sich gemächlich zurück und legte einen Arm auf der Rückenlehne ab. "Darf ich dich was fragen…?"

Naomi schlüpfte aus ihren Schuhen und schlug die Beine unter. "Was denn?"

"Dieser Typ, den ich für dich ausfindig machen soll", begann er langsam, "dieser Markus Jansen, oder wie er hieß… Wer ist das eigentlich?"

Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch die Haare. "Mein Ex", grummelte sie. "Wir kennen uns jetzt seit neun Jahren… auch wenn wir uns zwischendurch einige Jahre nicht gesehen haben…"

Reno legte die Stirn in Falten. "Und wie kommst du darauf, dass er ebenfalls hier sein könnte?", wollte er dann wissen.

Sie nippte an ihrem Glas und lehnte sich zurück. "Weil", erklärte sie und zog den Füllfederhalter aus der Hosentasche, den Vincent in dieser Ruine gefunden hatte, "ich ihm das hier vor langer Zeit einmal geschenkt habe. Deswegen dachte ich, er könnte vielleicht auch hier sein." Sie legte den Kopf schief und sah ihn an.

Er erwiderte ihren Blick. "Und wenn nicht?"

Die Studentin hob die Schultern. "Dann ist er halt nicht hier", seufzte sie. "Ich bin mir ehrlich gesagt ohnehin nicht sicher, ob es mir lieber wäre… aber… ich kann absolut nicht vorstellen, dass dieses Ding rein zufällig auch hier gelandet ist."

Der Rothaarige kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. Schließlich zuckte er mit den Schultern. "Ich werde sehen, was sich machen lässt", versprach er.

Naomi nickte knapp und verstaute den Füller wieder in ihrer Hosentasche. Damit war das Thema für sie vorerst erledigt.

"Du vermisst deine Freunde sehr, hm?", fragte er, nachdem sie für einen Moment geschwiegen hatten.

Sie leerte ihr Glas und stellte es auf dem Tisch ab, dann legte sie seufzend den Kopf in den Nacken. "Ja", gestand sie leise. "Sie fehlen mir sehr…" Sie sah ihn aus dem Augenwinkel an. "Nichts gegen euch, ihr seid wirklich sehr nett…", versicherte sie, "aber es ist halt nicht dasselbe."

"Das weiß ich", gab er ernst zurück, als er ihnen noch etwas einschenkte. "Und ich kann auch verstehen, dass du wieder nach Hause möchtest."

Mit einem tiefen Seufzer rutschte sie in eine bequemere Position. "Natürlich... aber dann werde ich euch vermissen." Sie verzog gequält das Gesicht. "Irgendwie ist das alles voll blöd."

Er sah sie mitleidig an und reichte der Studentin ihr Glas, dann nahm er seins und lehnte sich zurück. "Das glaube ich dir gerne." Reno legte ihr einen Arm um die Schultern und zog sie zu sich heran. "Je eher du zurück kannst, desto einfacher wird es für dich."

Naomi drehte den Kopf in seine Richtung und zog eine Augenbraue hoch, sagte aber nichts dazu. Nach ein paar Sekunden lehnte sie ihren Kopf an seiner Schulter an. "Da ist was dran…", murmelte sie schließlich. "Ich versuche zwar mich anzupassen, aber noch ist hier alles ziemlich fremd für mich."

Ein zustimmendes Brummen erklang in seiner Kehle und er wuschelte ihr durch die Haare. "Gibt es eigentlich jemanden, den du ganz besonders vermisst?", wollte er dann von ihr wissen.

Die Gitarristin holte einmal tief Luft. "Schwer zu sagen", antwortete sie ausweichend. "Am meisten vermisse ich meine beste Freundin und meine Arbeitskollegen… vor allem Kôji und Yûichi. Die beiden sind ja nun auch meine besten Freunde."

"Sonst niemanden? Kein Verlobter, Freund, Ehemann… irgendwas?" Er legte den Kopf schief, um ihr ins Gesicht sehen zu können. "Das kann ich mir gar nicht vorstellen."

Stirnrunzelnd sah sie zu ihm auf. "Zum Heiraten bin ich wohl noch ein bisschen jung, meinst du nicht? Und von meinem letzten Freund habe ich mich schon vor einer ganzen Weile getrennt…", erwiderte sie grummelnd. "Anfangs war es sehr schwer, aber eigentlich bin ich darüber hinweg."

"Eigentlich." Er sah sie nachdenklich an.

Seufzend verdrehte sie die Augen. "Okay… hin und wieder fühle ich mich schon ein bisschen einsam. Vor allem seit ich hier bin. Aber auch nicht so viel mehr als vorher", wandte sie ein. "Wir waren beide Musiker, hatten unsere Bands und waren daher viel unterwegs. Da blieb für ein Privatleben nicht so besonders viel Zeit." Sie zog eine Grimasse. "Abgesehen davon hatten wir unterschiedliche Terminpläne, auch wenn wir bei derselben Firma unter Vertrag waren."

Nachdenklich nippte er an seinem Glas. "Ich kann mir gut vorstellen, dass das hart war… wenn man sich nicht sehen kann, obwohl man gar nicht so weit weg von dem anderen ist", meinte er schließlich langsam. "Aber leider kann man an solchen Dingen dann auch nicht viel ändern."

Sie stieß ein bitteres Lachen aus. "Eher gar nichts, würde ich sagen." Grimmig leerte sie ihr Glas. "Außerdem kann ich es ohnehin nicht mehr rückgängig machen. Ich glaube, ich hätte es auch gar nicht gewollt." Sie seufzte. "Wir hätten uns über Kurz oder Lang ohnehin getrennt. Also besser früher als später, wenn es noch mehr wehtut."

Er leerte ebenfalls sein Glas und stellte es auf den Tisch, dann nahm er der Studentin ihres aus der Hand, als sie im Begriff war es wieder zu füllen. "Meinst du nicht, dass du für heute genug getrunken hast?"

Daraufhin zuckte sie lediglich mit den Schultern. "Für mich macht es eigentlich keinen großen Unterschied, ob ich jetzt noch was trinke oder nicht. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich einiges vertragen kann." Als er ihr Glas auf den Tisch stellte und sich dann zu ihr umdrehte, zog sie eine Augenbraue hoch. "Oder hast du einen besseren Vorschlag?"

Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. "Hm." Er tat so, als müsste er erst einmal darüber nachdenken. "Ich glaube, ich wüsste da wirklich etwas viel besseres." Als er das sagte, legte er ihr eine Hand auf den Nacken und zog sie zu sich heran.

Im ersten Moment war Naomi viel zu verblüfft um reagieren zu können und so wehrte sie sich zunächst nicht dagegen, als Reno ihr die Haare aus dem Gesicht strich und seine Lippen über ihre legte. Doch endlich überwand sie ihren ersten Schock und wich ein wenig zurück. "Was tust du da?!", murmelte sie leise, wobei sie ihn forschend betrachtete.

Er zog die Augenbrauen leicht zusammen. "Das ist doch offensichtlich, oder?"

"Ja… aber…", stammelte sie und ihre Wangen färbten sich rötlich. "Ich kann doch nicht…"

Nun legte er die Stirn in Falten. "Und wieso nicht?", fragte er leise. "Was spricht denn dagegen?"

Sie schlug die Beine unter und senkte den Kopf, so dass ihre Haare das Gesicht verdeckten. "Ich weiß auch nicht…", murmelte sie. "Es ist nur…" Sie fuhr sich mit einer Hand durch die Haare, als sie nach den richtigen Worten suchte – allerdings fand sie keine Erklärung dafür, warum sie dies für keine gute Idee hielt.

Die ganze Zeit über strich er ihr mit dem Daumen sacht über den Nacken, was ihr eine Gänsehaut bescherte, und wartete darauf, dass sie weiter sprach.

Nach ein paar Sekunden seufzte sie schließlich. Warum um alles in der Welt zierte sie sich so? Sie fühlte sich einsam – das war Tatsache. Und er sicherlich auch, ansonsten würde er nicht so viel Zeit mit ihr verbringen. Wo war also das Problem? 'Zum Teufel damit', dachte sie und wandte entschlossen den Kopf, um ihn ansehen zu können.

Er hatte sich zwischenzeitlich vorgebeugt und füllte gerade ihre Gläser, wovon er ihr eines reichte.

Mit einem Nicken nahm sie ihm das Glas ab, schloss kurz die Augen und stürzte dann den Inhalt in einem Zug herunter. Als sie es auf dem Tisch absetzte, hatte er seines überhaupt noch nicht angerührt, also griff sie danach, leerte es ebenso schnell und stellte es neben ihres.

"Besser?", fragte er amüsiert und zog eine Augenbraue hoch.

"Jep." Sie streckte sich und legte ihm dann die Arme um den Hals. Er wollte gerade etwas sagen, doch augenblicklich verschloss sie seine Lippen mit ihren eigenen. Wenn sie jetzt noch weiter redeten, würde sie der angetrunkene Mut wieder verlassen, das wusste sie genau.

Seine Arme glitten um ihre Taille und seine Hände wanderten unter ihr Trägertop, als er sie leicht nach hinten drückte, so dass sie schließlich auf dem Rücken lag. Sacht ließ er seine Finger über ihre Haut gleiten, was ein leichtes Prickeln hinterließ, so dass sie schauderte.

Sie schloss die Augen, strich mit ihren Händen durch seine Haare und zerzauste sie somit noch mehr. Dabei blieb sie mit einem Fingernagel an seinem Haargummi hängen, das sie kurzerhand entfernte, damit es sie nicht weiter störte. Achtlos warf sie es zur Seite.

Derweil schob er ihr Top ein wenig hoch und löste seine Lippen von ihren. Sanft hauchte er einige Küsse auf ihre Wange und den Hals, während der Stoff immer weiter nach oben wanderte. Wenige Momente später setzte er sich auf und zog sie mit sich hoch. "Lass uns rüber gehen", murmelte er und stand auf. Er hob sie mit Leichtigkeit hoch und trug sie in sein Schlafzimmer, wo er sie auf seinem Bett absetzte. Dann zog er sein Jackett aus und gesellte sich zu ihr.

Naomi griff mit beiden Händen nach seinem Kragen und zog ihn ein wenig näher zu sich heran, bevor sie anfing die Knöpfe seines Hemdes aufzuknöpfen. Daraufhin streifte sie es ihm von den Schultern, wobei ihre Finger leicht über die entblößte Haut glitten.

Mit einem leichten Grinsen sah Reno sie an und legte seine Lippen über ihre, als er beide Arme um sie schlang und sie mit sich nach unten zog.

Daybreak

Als Naomi am nächsten Morgen aufwachte, war es bereits hell. Verschlafen rieb sie sich die Augen und blinzelte in Richtung Fenster, durch das die Sonne herein schien, bereute dies jedoch umgehend. Grummelnd drehte sie sich auf die Seite und kuschelte sich tiefer in die Decke, während sie das Gesicht im Kopfkissen vergrub. Sie spürte eine Bewegung neben sich, reagierte jedoch zunächst nicht darauf.

Schließlich legte ihr jemand einen Arm um die Taille und zog sie dicht zu sich heran. Ein genüssliches Brummen erklang in ihrer Kehle. Der einzige Wermutstropfen an diesem Morgen war die Tatsache, dass sich leichte Kopfschmerzen bemerkbar machten. Zudem fühlte sich ihr Mund ziemlich trocken an. Das konnte nur bedeuten, dass sie am Vorabend viel getrunken hatte. Doch sie fühlte sich nicht dazu motiviert darüber nachzudenken, was sie sonst noch getan haben könnte.

Hinzu kam noch, dass sie langsam aber sicher Hunger bekam. Murrend verzog sie das Gesicht und drehte sich auf die andere Seite, wobei sie sich an die Person, die bei ihr lag, anschmiegte. Sacht wurden ihr einige Strähnen aus der Stirn gestrichen, als ein leises "Guten Morgen" an ihrem Ohr gemurmelt wurde.

Augenblicklich versteifte sie sich. Sie kannte diese Stimme, hatte allerdings nicht damit gerechnet, sie hier zu hören – und eigentlich auch eine andere erwartet. Für einen Moment hielt sie den Atem an und stieß ihn dann geräuschvoll wieder aus. Wo war 'hier' überhaupt?

Vorsichtig öffnete sie die Augen und hob langsam den Blick zu dem Gesicht, das zu der Stimme gehörte. Mit einem breiten Grinsen sah Reno sie an. Blinzelnd erwiderte sie seinen Blick und wollte etwas sagen, wusste allerdings nicht, was. Dann wich sie ein wenig zurück und sah an seinem Oberkörper herab, der völlig unbekleidet war. Und wenn sie nicht alles täuschte, hatte sie ebenso viel an wie er – nämlich nichts.

Der Rothaarige legte die Stirn leicht in Falten. "Alles in Ordnung?", erkundigte er sich bei ihr.

Sie nickte mechanisch, dann entfuhr ihr ein tiefer Seufzer. "Ja", murmelte sie leise. "Ich hab nur ein wenig Kopfschmerzen."

"Kein Wunder", gab Reno schmunzelnd zurück. "Du hast gestern genug für mindestens zwei getrunken. Da würde es selbst mir nicht besonders gut gehen. Hast du Lust auf Frühstück?"

"Mhm", brummte sie zustimmend und verzog das Gesicht. "Das ist eine gute Idee."

Grinsend wuschelte er ihr durch die Haare, bevor er aufstand. "Sag mal… wie viel hattest du gestern eigentlich schon getrunken, als ich in die Bar kam?", fragte er und suchte nach etwas zum Anziehen. Dann überlegte er kurz. "Obwohl…", meinte er langsam, "ich glaube, ich will es lieber doch nicht wissen." Er zwinkerte ihr zu. "Trinkst du immer so viel?"

"Nein", grummelte sie, "das kommt nur selten vor." Sie rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht und setzte sich benommen auf, die Decke bis über die Brust hochgezogen. Dann sah sie sich im Raum um und fand ihre Sachen überall auf dem Boden verstreut. Sie zog die Beine an und legte ihre Arme darum. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie den Kopf auf ihre Knie sinken als sie hörte, wie Reno die Badezimmertür hinter sich schloss.

Also doch…

Wieder seufzte sie. Sie musste eindeutig zu lang allein gewesen sein, dass ihr so etwas passieren konnte. Im Grunde hatte sie nichts gegen Reno… sie mochte ihn eigentlich recht gern… Aber es war das erste Mal, dass sie… Sie kannte ihn doch erst seit einer Woche! Lag es am Alkohol? Obwohl es ihr auch betrunken noch nie zuvor passiert war, dass sie mit einem Kerl, den sie kaum kannte, direkt im Bett gelandet war. Vielleicht hatte es auch eher damit zu tun, dass er Kôji so sehr ähnelte, dass sie sich üblicherweise nicht bewusst machte, wie kurz sie ihn erst kannte…

Frustriert vergrub sie ihre Finger in den Haaren. Eigentlich wollte sie auch nicht Reno die Schuld geben. Auch wenn er im Grunde die Situation ausgenutzt hatte, so hätte sie nicht unbedingt mitmachen müssen… Anscheinend beschränkte sich die Ähnlichkeit der beiden Rothaarigen nicht nur auf das Aussehen…

Als Reno aus dem Bad zurückkam, saß sie noch immer so auf dem Bett. "Was ist los?", fragte er leise, setzte sich neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Geht es dir etwa nicht gut?"

Mit gerunzelter Stirn sah sie zu ihm auf und nahm nun die Hände herunter. "Doch… es ist alles in Ordnung…", gab sie murmelnd zurück. "Es ist nur mein Kopf." Ihre Ohren schienen zu glühen, als sie den Blick abwandte.

"Ich kann dir ein Schmerzmittel geben, wenn dir das hilft", bot er ihr an, doch sie winkte ab.

"Aspirin bringen nichts, etwas Wasser wäre jetzt hilfreicher…" Sie richtete ihre Augen wieder auf sein Gesicht und zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. "Viel Flüssigkeit ist die beste Methode, weil Alkohol dem Körper Wasser entzieht." Schließlich hob sie eine Hand und strich mit dem Daumen über seine Wange. "Das sind ja gar keine Narben…", flüsterte sie und verengte die Augen, um ihn genauer zu betrachten. "Das sind Tätowierungen."

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und er griff nach ihrer Hand. "Fällt dir das jetzt erst auf? Bei den vielen Gelegenheiten, die du schon hattest?" Sein Grinsen wurde noch breiter. "Kann es sein, dass du ein wenig abgelenkt warst?"

Naomi schnaubte. "Ach… wann war das und was sollte mich deiner Meinung nach abgelenkt haben?", grummelte sie, als sie ihm ihre Hand entzog.

"Nun ja…" Er zupfte an einer ihrer Haarsträhnen. "Als wir uns kennen lernten, zum Beispiel… da hast du mich mit deinem Freund verwechselt. Und gestern warst du auch ganz eindeutig mit anderen Dingen beschäftigt… und nicht unbedingt mit meinem Gesicht", grinste er.

Gespielt entrüstet knuffte sie ihn in die Seite, woraufhin er sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. "Also wirklich!" Sie zog eine Augenbraue hoch. "Ihr Männer seid doch alle gleich!"

"Das ist nicht wahr", setzte sich Reno zur Wehr. "Du wolltest doch wissen…" Mitten im Satz unterbrach er sich selbst und wieder erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht. "Du bist irgendwie echt niedlich, weißt du das?" Dann wuschelte er ihr durch die Haare und stand wieder auf. "Ich werde dir jetzt erst einmal ein Glas Wasser holen."

Seufzend ließ Naomi sich auf das Kissen sinken und schloss die Augen, als sie einen Arm auf ihre Stirn legte. "Wie spät ist es überhaupt?", wollte sie wissen.

Der Rothaarige kam mit einem großen Glas Wasser zurück und setzte sich wieder zu ihr. "Zehn… du hast also noch genug Zeit, bevor du die Bar aufmachen musst."

Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite und warf ihm einen skeptischen Blick zu. "Zeit wofür?"

Theatralisch verdrehte er die Augen und hielt ihr das Glas entgegen. "Das Wasser zu trinken, zum Beispiel." Er legte die Stirn in Falten. "Und frühstücken wolltest du auch. Vielleicht möchtest du gern noch duschen. Für so was halt." Er schüttelte leicht den Kopf. "Was du wieder von mir denkst…"

"Blödsinn", brummte sie leise. "Ich wusste nur nicht, ob du irgendwas vorhast oder so." Dann nahm sie den Arm herunter und stützte sich auf ihre Ellbogen. "Aber duschen ist gar keine so schlechte Idee." Sie drehte sich ein wenig auf die Seite und nahm ihm das Glas ab. "Danke."

"Immer wieder gern", gab er schmunzelnd zurück, als sie einen großen Schluck von dem Wasser nahm. "Möchtest du erst duschen oder lieber vorher etwas essen?", wollte er dann von ihr wissen.

"Erst duschen", erwiderte sie knapp.

"Okay." Noch einmal fuhr er ihr spielerisch durch die Haare. In dem Moment, als sie ihr Glas leerte, begann sein Telefon zu klingeln. Er verdrehte die Augen und stand auf um ranzugehen. Daraufhin stellte sie das Glas ab und nutzte die Gelegenheit, um schnell im Bad zu verschwinden.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, lehnte sie sich seufzend und mit geschlossenen Augen dagegen. Da hatte sie sich ja was Schönes eingebrockt… Was um alles in der Welt hatte sie sich nur dabei gedacht?

Offensichtlich nichts. Ansonsten wäre sie jetzt nicht hier – zumindest nicht in dieser prekären Situation. Allerdings, wenn sie es recht bedachte… so schlimm war es eigentlich gar nicht. Jedenfalls hoffte sie das.

Sie strich sich die wirren Haare aus dem Gesicht, stieß sich von der Tür ab und trat unter die Dusche. Als sie das heiße Wasser anstellte, ließ sie den vergangenen Abend – bzw. die letzte Nacht – noch einmal Revue passieren. Es dauerte jedoch nicht lang, bis sie versuchte sich davon abzulenken, da sie der bloße Gedanke daran doch irgendwie nervös machte, auch wenn sie das niemals zugeben würde.

Während sie sich ausgiebig wusch, versuchte sie verzweifelt an etwas anderes zu denken. Wie sollte sie sich Reno gegenüber nun verhalten? Am besten genauso wie bisher auch. Doch sie war sich nicht sicher, ob das so einfach sein würde, wie sie es sich erhoffte.

Mit einem tiefen Seufzer stellte sie das Wasser ab und verließ die Duschkabine, dann machte sie sich auf die Suche nach frischen Handtüchern. Glücklicherweise wurde sie recht schnell fündig, so dass sie zumindest nicht in die Verlegenheit kam, Reno danach fragen zu müssen. Rasch trocknete sie sich ab, wickelte das eine Handtuch wie einen Turban um ihren Kopf, ein weiteres schlang sie um ihren Körper, bevor sie die Badezimmertür öffnete.

Reno, der gerade dabei war ihre Kleidung aufzusammeln, richtete sich auf und wandte sich zu ihr um. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er sie betrachtete. Dann hielt er ihr das Bündel in seinen Händen entgegen. "Du solltest dir etwas anziehen, sonst könnte ich noch auf dumme Ideen kommen."

"Untersteh dich", murmelte sie als sie ihm die Sachen abnahm. "Ich habe heute noch nichts gegessen, da ist mit mir nicht gut Kirschen essen."

"Ich werde es mir merken", schmunzelte er. "Ich soll dir übrigens schöne Grüße von Tifa ausrichten."

Überrascht sah sie auf. "Ist sie schon wieder zurück?"

Der Rothaarige schüttelte den Kopf. "Nein… sie sagte, dass sie etwas länger in Corel bleiben wird. Sie hatte zuerst versucht, dich im '7. Himmel' zu erreichen, aber logischerweise ohne Erfolg. Deswegen hat sie mich angerufen und gefragt, ob ich wüsste, wo du steckst."

Naomi zog eine Augenbraue hoch, erwiderte aber erst mal nichts darauf.

"Nun sieh mich nicht so an", meinte er belustigt. "Ich habe ihr gesagt, dass es dir gut geht und dass ich dich quasi entführt habe, damit du nicht so viel allein bist." Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Es entspricht ja auch der Wahrheit, auch wenn ich ihr nicht gesagt habe, dass du schon seit gestern Abend hier bist."

Noch immer schweigend lehnte sie sich an den Türrahmen und legte die Stirn leicht in Falten. "Und warum nicht?", fragte sie nun doch. Sie mochte es nicht, wenn jemand um den heißen Brei herumredete und partout nicht zum Punkt kommen wollte.

Er sah sie gespielt entsetzt an. "Bist du verrückt?! Ich will gar nicht wissen, was sie mit mir anstellt, weil sie annimmt, ich hätte dir irgendwas angetan! Außerdem könnte sie mir Cloud oder Vincent auf den Hals hetzen. Oder beide."

Die Musikerin biss sich auf die Unterlippe, um sich das Lachen zu verkneifen, was ihr jedoch nicht allzu lang gelingen wollte. Schließlich fing sie an zu kichern, wobei sie eine Hand vor ihr Gesicht hob, um es einigermaßen zu verbergen.

"Was ist denn daran so witzig?", wollte er von ihr wissen.

Sie schnappte verzweifelt nach Luft und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. "Tut mir leid", japste sie. "Aber du erinnerst mich gerade unheimlich an Kôji… der hatte auch immer Angst, dass Luca ihm wehtun könnte…"

Daraufhin zog er die Augenbrauen ein wenig zusammen und sah sie forschend an. "Aha?"

Langsam beruhigte sie sich wieder und drückte ihre Kleider mit beiden Armen an sich. "Ja… auch wenn er eigentlich überhaupt keinen Grund dazu hatte, schließlich hat er ihr nie einen Anlass geliefert, ihm etwas anzutun. Zumindest nicht soweit es mich betraf."

Reno schürzte die Lippen. "Und warum hatte er dann Angst davor?", wollte er wissen.

Naomi seufzte schwer. "Kôji ist ein unverbesserlicher Weiberheld. Und bei unserer ersten Begegnung hat Luca ihm schon angedroht, ihn leiden zu lassen, sollte er jemals auch nur auf die Idee kommen, mich anzufassen…" Sie verzog wehmütig das Gesicht. "Er hat sich immer daran gehalten. Sicher gab es hin und wieder die eine oder andere scherzhafte Bemerkung… Aber es gab halt immer diese Grenze, die er nie überschritten hat. Außerdem ist er einer meiner besten Freunde und mein Arbeitskollege. Es ist demnach quasi ein ungeschriebenes Gesetz, dass solche… Kombinationen absolut nicht in Frage kommen."

Für eine Weile betrachtete er sie nachdenklich, dann zuckte er kurz mit den Schultern. "Kann ich verstehen", erwiderte er. "Unter Kollegen sollte man wirklich nichts miteinander anfangen." Er verstaute seine Hände in den Hosentaschen. "Hättest du denn gewollt?"

"Was gewollt?", gab sie verwirrt zurück. "Etwas mit Kôji anfangen?" Sie schüttelte vehement den Kopf. "Auf keinen Fall! Ich mag ihn zwar unheimlich gern und wir haben auch viel zusammen unternommen, aber…" Sie seufzte erneut. "Ich weiß auch nicht, aber diese Art von Interesse bestand nie."

"Nun ja…" Breit grinsend betrachtete er sie von Kopf bis Fuß. "Trotzdem solltest du jetzt lieber etwas anziehen. Sonst kommen wir hier so schnell nicht weg." Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum.

Naomi verdrehte die Augen und kehrte wieder ins Badezimmer zurück, wo sie ihre Haare frottierte, beide Handtücher säuberlich aufhängte und sich nachdenklich anzog. Für einen Moment hatte Reno den Eindruck erweckt, eifersüchtig zu sein. Aber da musste sie sich getäuscht haben. Mit einem tiefen Seufzer schüttelte sie diesen Gedanken ab. Es brachte nichts, wenn sie sich den Kopf über Dinge zerbrach, die überhaupt nicht zutrafen. Außerdem hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, bald nach Hause zurückkehren zu können.

Sie verzog das Gesicht und sah sich nach einer Bürste um, die sie auch schnell fand. Nachdem sie fertig war, ging sie wieder ins Schlafzimmer, allerdings war der Rothaarige nicht dort. Die Gitarristin schürzte die Lippen und setzte ihren Weg ins Wohnzimmer fort, wo sie ihn schließlich mit einer Zigarette vorfand.

Er sah zu ihr auf. "Für eine Frau warst du jetzt erstaunlich schnell", grinste er sie an, als sie sich neben ihn setzte und eine Zigarette aus der Packung fischte, welche sie anzündete. "Eindeutig ein Pluspunkt für dich." Er zupfte an einer ihrer Haarsträhnen. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und stand dann auf. "Können wir dann gleich mal so langsam?"

"Können wir was?", gab sie verwirrt zurück.

"Frühstücken." Er begann zu lachen, als sie die Zigarettenschachtel nach ihm warf.

"Du bist wirklich unmöglich!", grummelte sie. "Darf ich erst einmal aufrauchen?"

"Natürlich darfst du." Er warf ihr einen amüsierten Blick zu als er seine Schuhe anzog.

Als sie fertig war, schlüpfte sie in ihre eigenen Schuhe und stand dann auf. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und verließ mit ihr das Appartement. Sie verzog leicht das Gesicht. "Wo willst du denn frühstücken?", erkundigte sie sich bei ihm.

"Ich kenne da ein nettes Café, das gar nicht weit weg von hier ist", antwortete er. "Im Moment habe ich nicht viel da… wie ich gestern schon sagte, war ich eigentlich nicht auf Besuch vorbereitet." Da sie nicht darauf antwortete, ging er davon aus, dass sie keine Einwände hatte und er versuchte ein Grinsen zu unterdrücken als er mit ihr um eine Ecke in eine Seitenstraße einbog, die sie direkt zu dem besagten Café führte.

Back

Gelangweilt saß Naomi an der Theke, blätterte in der aktuellen Tageszeitung und wartete darauf, dass irgendjemand den '7. Himmel' betrat. Schon vor einer Stunde hatte der letzte Gast die Bar verlassen und seither war sie allein hier. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es gerade mal neun Uhr abends war und demnach viel zu früh, um die Bar jetzt schon zu schließen.

Seufzend legte sie die Zeitung zusammen, stand auf und machte sich daran, die Tische abzuwischen. Tifa war noch immer nicht aus Corel zurück, Vincent war ebenfalls noch unterwegs. Nicht einmal Reno hatte ihr heute Gesellschaft geleistet, obwohl er sonst jeden Tag hier war. Eigentlich sollte sie die Ruhe genießen, von der sie in der letzten Zeit nicht besonders viel gehabt hatte, aber dennoch fühlte sie sich ein bisschen einsam.

Nach einer Weile verzog sie genervt das Gesicht und legte den Lappen hinter die Theke. Sie ließ sich auf einem Barhocker nieder und nippte an ihrem Glas. Wie immer in solchen Momenten, wenn sie nichts Produktives zu tun hatte, kehrten ihre Gedanken zu dem Abend vor vier Tagen zurück, auch wenn sie eigentlich gar nicht darüber nachdenken wollte. Sie hatte schon alles versucht, um sich irgendwie abzulenken, doch nichts schien zu funktionieren. Dass sie so viel Zeit mit Reno verbrachte, war diesbezüglich auch nicht gerade hilfreich.

Noch immer verstand sie nicht, warum sie sich auf den Rothaarigen eingelassen hatte. Anfangs hatte sie es auf seine Ähnlichkeit mit Kôji geschoben – die im Endeffekt gar nicht so groß war wie sie zunächst gedacht hatte – weil er ihr dadurch vertrauter vorkam. Aber das konnte es eigentlich nicht sein.

Als sie von draußen laute Stimmen vernahm, horchte sie auf. Wenn sie sich nicht täuschte, gehörte eine von ihnen Tifa. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und sie stand auf, wobei sie in ihrer Eile fast mit dem Hocker umkippte. Sie beeilte sich zur Tür zu kommen. In dem Moment, als sie diese erreichte, wurde sie schwungvoll geöffnet und sie konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, um nicht mit dem massiven Holz zu kollidieren.

Mit schnellen Schritten kam Marlene auf sie zugelaufen und schlang ihre Arme um die Musikerin. "Onee-chan!", rief sie aufgeregt, als Naomi ihr grinsend durch die Haare wuschelte. "Ich hab dich vermisst! Und ich soll dir schöne Grüße von Papa ausrichten, auch wenn er dich nicht kennt! Und wir haben dir was mitgebracht…", plapperte sie munter drauflos.

Die Angesprochene trat einen Schritt zurück und ging in die Hocke. "Tatsächlich? Das freut mich." Sie legte der Kleinen beide Hände auf die Schultern. "Aber das hört sich ganz so an als hättet ihr viel Spaß gehabt." Dann richtete sie sich wieder auf. "Komm, ich helfe euch dabei, die Sachen rein zu tragen."

Marlene griff nach ihrer Hand. "Das musst du nicht. Cid und Reno machen das schon", erklärte sie.

"Reno ist hier?", wunderte sich die Studentin. "Und was ist mit Cloud?"

"Cloud hat noch irgendwas zu erledigen, deswegen kommt er später nach", antwortete das Mädchen. "Cid hat uns hierher gebracht und Reno ist auch gerade erst angekommen."

"Aha?" Eine Augenbraue wanderte nach oben. Naomi griff die kleine Hand etwas fester, öffnete die Tür und wollte hinausgehen, stieß allerdings mit jemandem zusammen, der gerade auf dem Weg hinein war. "Gomen", entschuldigte sie sich automatisch, schüttelte leicht den Kopf und sah ihr Gegenüber an.

Reno erwiderte den Blick mit einem breiten Grinsen. "Hast du mich so sehr vermisst, dass du mir gleich an der Tür in die Arme läufst?", feixte der Rothaarige und rückte die große Reisetasche über seiner Schulter zurecht.

Naomi schnaubte. "Konnte ich wissen, dass du hinter der Tür stehst und mich überfallen willst?", konterte sie, wobei sie ihn leicht in die Seite knuffte. "Und jetzt beweg mal deinen Astralkörper zur Seite, damit ich beim Tragen helfen kann."

Der Turk sah sie verdutzt an, ließ sie jedoch vorbei und ging weiter in den rückwärtigen Teil der Bar.

Als sie hinaus auf die Straße trat sah sie, wie Tifa und ein ihr unbekannter blonder Mann einige Taschen aus einem Auto luden. Sie ging mit Marlene auf die beiden zu und grüßte sie fröhlich.

Die Dunkelhaarige wandte sich freudestrahlend zu ihr um. "Hallo Naomi!" Sie umarmte ihre Freundin, dann deutete sie auf den großen Blonden, der sich das Ganze schmunzelnd ansah. "Das ist Cid Highwind, ein alter Freund von uns", stellte sie ihn vor. "Und dies ist Naomi Crescent. Ich habe dir ja unterwegs von ihr erzählt."

Die Studentin ergriff die Hand des Piloten, die er ihr zur Begrüßung reichte, und sah Tifa mit leicht gerunzelter Stirn an. "Und was hast du ihm von mir erzählt?", fragte sie mit einem Hauch von Skepsis in der Stimme.

"Bestimmt nur das Beste", hörte sie Reno hinter sich sagen, bevor er neben ihr auftauchte. Lässig legte er ihr einen Arm um die Schultern und zwinkerte ihr zu als sie den Blick hob. "Schlechtes gibt es bisher ja noch nicht über dich zusagen", fuhr er breit grinsend fort.

"Das kommt noch", versprach sie heiter, "ob du nun willst oder nicht. Wenn du mich erst mal besser kennst, wirst du dich noch wundern."

"Na, da bin ich ja wirklich mal gespannt." Er ließ sie wieder los, um weiteres Gepäck herein zu tragen. "Ach du heilige Scheiße", ächzte er als er einen großen Karton hochhob. "Was habt ihr alles eingekauft?! Habt ihr halb Corel eingepackt?!"

Tifa lachte. "Da sind nur ein paar Souvenirs drin. Die Stadt steht noch. Glaube ich zumindest." Sie wechselte einen amüsierten Blick mit Naomi. "Und wie lief es bei dir?"

Die Studentin zuckte kurz mit den Schultern. "Es war okay", gab sie ausweichend zurück. "In der Bar hatte ich genug zu tun und Reno hat mir hin und wieder Gesellschaft geleistet. Somit hatte ich definitiv keine Langeweile."

"Ich hoffe, er hat dich nicht allzu sehr geärgert." Die Brünette nahm zwei Taschen und reichte eine davon Naomi.

Diese nahm das Gepäckstück an und die beiden Frauen gingen hinein. "Hat er nicht. Und selbst wenn… ich kann mich schon zur Wehr setzen." Sie seufzte. "Es ist halt nur manchmal ein wenig verwirrend, weil er mich oft an einen meiner besten Freunde erinnert."

"Das kann ich mir vorstellen", erwiderte Tifa mitfühlend. "Aber…" Sie stockte kurz. "Ich hoffe für dich, dass du bald wieder nach Hause kannst", meinte sie dann. "Auch wenn ich dich dann vermissen werde… und Marlene wird das auch."

Naomi seufzte erneut. "Ja… ich werde euch auch vermissen", gestand sie. "Es ist alles so furchtbar kompliziert." Mürrisch verzog sie das Gesicht. "Wenn es eine Möglichkeit gäbe, nach Hause zu kommen und euch dann auch noch besuchen zu können, wäre das natürlich ideal… aber wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich nicht wirklich daran…"

Während sie das Gepäck herein trugen unterhielten sie sich über alles, was ihnen gerade so einfiel. Die meiste Zeit über vermieden sie im weiteren Verlauf des Abends das Thema Tokyo und alles, was damit zu tun hatte, damit die Stimmung nicht so bedrückend war. Cid und Reno blieben noch dort, nach einer Weile brachte Tifa die Kinder ins Bett. Dann schloss sie die Bar ab, damit sie unter sich bleiben konnten, während sie sich einige Anekdoten erzählten, wobei sie zwangsläufig auf Naomis Zuhause zu sprechen kamen.

Cid erzählte gerade die Geschichte von einem ersten Flug ins Weltall. "… und als wir dann mit der Rettungskapsel die Rakete verlassen wollten, ging doch glatt – BAMM! – der Tank hoch, von dem Shera gesagt hatte, er wäre nicht in Ordnung", schloss er seine Erzählung.

Naomi sah ihn interessiert an. "Du warst tatsächlich schon mal im Weltall? Wann war das?", fragte sie ihn.

"Hm", murmelte der Pilot. "Vor etwas über drei Jahren. Warum?"

Die Pinkhaarige zuckte mit den Schultern. "Nur so", entgegnete sie. "Reine Neugier."

"Was ist eigentlich mit dir?", erkundigte sich Reno bei ihr. "Warst du schon mal im Weltall?" Dankend nahm er das Bier entgegen, das Tifa ihm gerade brachte.

Die Studentin nippte kurz an ihrem eigenen Glas und schüttelte dann den Kopf. "Ich nicht. Aber bei uns ist bereits vor über 40 Jahren der erste Mensch im Weltall gewesen… wenn ich das jetzt richtig in Erinnerung habe. Heutzutage arbeiten sogar einige Leute dort auf verschiedenen Raumstationen."

Cid war eindeutig beeindruckt. "Ist nicht wahr…" Er zog die Augenbrauen hoch. "So was gibt es bei euch? Da könnte man glatt neidisch werden! Erzähl mir mehr davon!", forderte er sie auf.

Sie erwiderte seinen Blick. "Viel kann ich nicht dazu sagen…", wandte sie ein. "Die meiste Zeit über war ich viel zu beschäftigt, um mich mit solchen Dingen zu befassen." Sie hob entschuldigend die Schultern. "Als Kind habe ich mich ehrlich gesagt auch nie großartig dafür interessiert… und später hatte ich halt weder die Zeit noch das notwendige Interesse, um solche Dinge mitzuverfolgen. Ich weiß nur sehr wenig aus irgendwelchen Nachrichten. Zum Beispiel dass hin und wieder mal Probleme auf der einen oder anderen Raumstation auftraten… oder wenn mal das Personal gewechselt wurde. Das ist aber auch schon alles."

Der Pilot war offensichtlich enttäuscht über den Mangel an Informationen, sagte aber nichts Derartiges. Er rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. "Nun ja…", seufzte er. "Aber dann besteht zumindest Hoffnung, dass wir es auch irgendwann schaffen könnten. Habt ihr auch Flugzeuge?"

"Klar", gab sie gleichmütig zurück. "Mehr als genug… Kampfjets, kleine Flugzeuge, große Flieger für die Personenbeförderung… reiche Menschen haben sogar ihre eigenen Privatjets." Sie zündete sich eine Zigarette an, während Cid sie mit offenem Mund anstarrte. "Tut mir leid", meinte sie schließlich. "Aber dafür gibt es bei euch Dinge, die sich bei uns niemand vorstellen könnte", wandte sie ein. "Magie zum Beispiel. Ich habe schon viel davon gehört und auch einiges darüber gelesen, aber im Grunde ist das bei uns lediglich graue Theorie. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so etwas tatsächlich beherrscht."

"Das gibt's ja gar nicht", meinte Cid irritiert und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. "Man sollte gar nicht meinen, dass unsere Welten so verschieden sind." Er stockte kurz. "Wobei ich ja bis vor Kurzem nicht mal davon ausgegangen bin, dass es außer unserer noch weitere geben könnte."

"Denkst du, ich hätte damit gerechnet, irgendwann aufzuwachen und irgendwo anders zu sein? Außer auf der Erde?", gab Naomi verdutzt zurück. "Ich nehme an, du kannst nachvollziehen, dass ich nicht unbedingt begeistert davon war. Pfeif auf die ganzen Theorien über Parallelwelten und den Quantenphysik-Krempel… ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde." Sie seufzte tief. "Abgesehen davon sind sie gar nicht 'so' verschieden, wie ich festgestellt habe. Zumindest sind die Menschen hier den unseren sehr ähnlich. Und die Umweltbedingungen gleichen sich soweit auch."

"Was ja doch schon einiges ist", merkte Reno an. "Immerhin besser als nichts. Aber die Politik wird bei euch wahrscheinlich auch anders funktionieren, oder?"

Sie bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. "Nun ja… wir haben verschiedene politische Systeme… weil es ja viele unterschiedliche Städte, Länder und Kontinente gibt… und fast überall wird es anders gehandhabt… ich weiß natürlich nicht so viel über die Länder, in denen ich noch nie war… aber es gibt Monarchien – also Länder, die von einem König oder Kaiser regiert werden – und auch Demokratien, Diktaturen… und ich weiß nicht, was noch alles… Wobei die Regierungsform in einem Land auch wechseln kann."

"Hm…" Cid stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab. "Und wie viele Menschen leben so bei euch?", wollte er dann wissen.

Naomi dachte kurz nach. "Ungefähr sechs Milliarden", antwortete sie langsam. "Und wenn ich mich recht entsinne, gibt es etwas über vierzig Länder auf sieben Kontinenten."

"So viele?", fragte Tifa erstaunt. "Das ist beachtlich…"

"Allerdings", erwiderte die Studentin ernst. "Vor allem, wenn man bedenkt, dass weniger als die Hälfte des Planeten bewohnbar ist… der Rest besteht hauptsächlich aus Wasser. Seen, Meere und so weiter. Die Erde ist hoffnungslos überbevölkert."

"Das kann ich mir vorstellen", sagte Reno daraufhin, dann seufzte er. "Hat jemand Lust auf ein Kartenspiel?"

"Was denn für eins?", wollte Naomi wissen, froh über den Themenwechsel. Sie hegte den Verdacht, dass Reno genau dies beabsichtigt hatte: sie abzulenken.

Tifa sah die beiden an, dann lächelte sie und stand auf, um einen Satz Karten zu holen.

Der Rothaarige erklärte ihr kurz die Regeln und Naomi strahlte über das ganze Gesicht. "Das ist ja fast genauso wie unser Poker-Spiel, mit nur wenigen Änderungen", freute sie sich. "Also dürfte das kein Problem sein. Das kann ich."

Nach dieser Aussage tauschte der Turk einen kurzen Blick mit dem Piloten. "Um was spielen wir?", fragte er dann.

Naomi stand auf. "Der Verlierer gibt 'ne Runde", beschloss sie, sammelte die leeren Gläser ein um sie zu füllen. "Was haltet ihr davon?"

"Das ist eine gute Idee", erwiderte Tifa und öffnete ihre Kasse. Sie holte ein paar Geldscheine und Münzen heraus, welche sie der Studentin gab. "Hier, schließlich hast du dafür gearbeitet."

"Danke." Naomi steckte das Geld ein und kehrte mit den Getränken an den Tisch zurück. "Spielst du nicht mit?"

Die Dunkelhaarige schüttelte den Kopf. "Irgendwer muss sich ja um eure Getränke kümmern", grinste sie. "Spielt ihr ruhig."

Der Rothaarige begann die Karten zu mischen und schließlich auszuteilen. Naomi nahm ihr Blatt auf und betrachtete es eingehend. Die Regeln glichen wirklich fast denen des Pokerspiels. Sie schürzte die Lippen. "Ich hätte gern eine neue Karte", meinte sie und legte eine von ihren eigenen ab.

Sie spielten etwa vier Stunden lang, bis Cid sich schließlich geschlagen gab. Sie hatten in der Zwischenzeit so einiges getrunken und er meinte, dass er eindeutig genug hatte. Naomi vermutete, dass er nur aufhören wollte, weil er die meisten Runden verloren hatte, was er allerdings dementierte. Die Studentin hingegen hatte nur drei Runden verloren und zwinkerte Reno zu. "Siehst du? Ich sagte doch, ich kann das."

"Das habe ich auch nie angezweifelt", grinste er sie an und wuschelte ihr durch die Haare. "Aber du solltest vielleicht auch darüber nachdenken, mal schlafen zu gehen, oder meinst du nicht?"

"Ach was… Schlaf wird doch vollkommen überbewertet", gab sie zurück und leerte ihr Glas. "Ich halte noch was aus."

Tifa räumte die leeren Gläser weg und bot Cid eines der Zimmer im oberen Stockwerk an, in dem er übernachten konnte. Der Pilot nahm das Angebot dankend an und verschwand auch, nachdem er sich von den anderen verabschiedet hatte. Die Dunkelhaarige setzte sich wieder zu ihnen an den Tisch. "Was hältst du davon, wenn du dir ein paar Tage frei nimmst?", meinte sie zu Naomi. "Du hast die letzten Tage komplett allein gearbeitet, da hast du dir das auch verdient."

"Das ist eine tolle Idee", antwortete Reno, noch bevor die Studentin etwas sagen konnte. Sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu, den er jedoch mit einer lässigen Geste abtat. "Dann kannst du mich morgen zur Gold Saucer begleiten."

Sie sah ihn fragend an. "Gold Saucer? Was ist das? Was will ich denn bitte in einer goldenen Untertasse?"

"Das ist ein großer Vergnügungspark", erklärte Tifa. "Dort gibt es ein Geisterhotel, ein Theater, eine Achterbahn und noch vieles mehr. Es ist schwer zu erklären, es ist besser, wenn du es dir selbst ansiehst." Sie warf Reno einen neugierigen Blick zu. "Was willst du denn da?", fragte sie ihn.

Er zuckte mit den Schultern. "Was überprüfen", antwortete er vage. "Und wenn Naomi ohnehin frei hat, kann sie auch mitkommen. Dann sieht sie mal ein wenig mehr als nur Edge."

Naomi lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Sie hatte keine Ahnung, was Reno in dieser Gold Saucer überprüfen wollte, aber wenn er sie schon mitnehmen wollte, konnte es ja kein allzu großes Geheimnis sein. "Und was genau musst du da machen?", wollte sie von ihm wissen. "Musst du wegen des Jobs dorthin, oder ist es etwas anderes?"

Der Rothaarige hielt es gar nicht für nötig ihr zu antworten, sondern sah lediglich auf die Uhr. "Von mir aus können wir auch gleich schon los, dann sind wir auf jeden Fall vor morgen Abend dort." Er kramte in seiner Tasche nach seinem Telefon. Die Studentin beobachtete ihn ungläubig dabei, wie er irgendeine Nummer wählte. Er sah kurz auf. "Willst du nicht schon mal ein paar Sachen packen? Du möchtest dich sicher zwischendurch umziehen. Wir sind länger als zwei Tage unterwegs."

Fassungslos wandte sie sich zu Tifa um, welche lediglich mit den Schultern zuckte. "Komm, ich hab da noch was für dich, das du vielleicht brauchen kannst", meinte sie, stand auf und bedeutete Naomi ihr zu folgen.

Noch immer ein wenig verwirrt kam sie dieser Aufforderung nach. Die beiden Frauen gingen in die obere Etage, wo die Dunkelhaarige in einen der Räume ging, welche die Studentin bisher noch nicht betreten hatte. "Was willst du mir denn geben?", fragte sie.

Die Angesprochene kramte in einer Kiste herum, mit dem Rücken zu ihr. Schließlich wandte sie sich wieder zu der Musikerin um. In ihren Händen hielt sie ein paar kleine Kugeln, die in unterschiedlichen Farben leuchteten. "Du hast so etwas zwar noch nie benutzt", erklärte sie, "aber es ist nicht schwer damit umzugehen." Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Tür. "Du solltest sie auf jeden Fall mitnehmen." Tifa ging an Naomi vorbei und verließ den Raum wieder.

"Was ist das überhaupt?", wollte die Pinkhaarige wissen, als sie der anderen zu ihrem eigenen Zimmer folgte. Neugierig betrachtete sie die kleinen Kügelchen, als ihre Freundin sie auf ihrem Bett ablegte. "Und was macht man damit?"

"Das", begann Tifa, "ist Materia."

Naomi sah sie irritiert an. "Was?"

Lächelnd griff die Dunkelhaarige nach Naomis Tasche und öffnete diese, dann griff sie nach etwas, das sie an ihrem Hosenbund befestigt hatte. "Ich nehme an, du hast keine Kampferfahrung?" Sie überlegte kurz. "Nein, das hast du wohl nicht", beantwortete sie ihre Frage schließlich selbst.

"Ich habe mich früher oft mit anderen geprügelt, aber ich glaube nicht, dass man das als… Kampferfahrung bezeichnen könnte", erwiderte die Studentin langsam. "Warum sollte ich das auch haben? Zu Hause war so etwas nicht notwendig."

"So etwas dachte ich mir schon." Tifa seufzte und reichte ihr ein Paar fingerlose Lederhandschuhe, die mit Nieten versehen waren. "Du solltest im Umgang mit Materia sehr vorsichtig sein. Aber ich habe dir extra welche ausgesucht, bei der du dir nicht so viele Sorgen machen musst."

Mit leicht gerunzelter Stirn nahm Naomi die Handschuhe entgegen. "Und was mache ich damit?", wollte sie wieder wissen, dann warf sie einen Blick auf das Leder in ihren Händen. "Können die was Besonderes?"

Tifa betrachtete sie nachdenklich. "Es ist schwer, dir das jetzt so auf die Schnelle zu erklären", meinte sie bedauernd. "Du solltest die Sachen einfach mitnehmen. Lass dir unterwegs von Reno erklären, wie das alles funktioniert." Sie strich der Gitarristin eine Strähne aus der Stirn. "Du kannst dir sicher denken, dass dies keine normalen Handschuhe sind… und die Materia verwendet man, um so etwas wie Magie zu wirken…"

Naomi zog eine Augenbraue hoch. "Magie." Als die Dunkelhaarige nur nickte, seufzte sie. "Ich habe von so etwas keine Ahnung. Wie soll ich das machen?"

In diesem Moment konnten sie Reno von unten nach Naomi rufen hören. Tifa packte die Materia einfach in die große Handtasche. "Hier, nimm sie einfach mit, du wirst sie vielleicht wirklich brauchen…" Dann griff sie in ihre Hosentasche und holte eine Schleife heraus, welche sie um Naomis Arm band – genauso eine, wie Tifa selbst trug. "Die solltest du auch mitnehmen. Reno erklärt dir dann alles Weitere." Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ließ die Studentin verwirrt zurück.

Naomi warf einen Blick auf die Tür, dann zuckte sie mit den Schultern und packte schnell etwas zum Anziehen in ihre Tasche, schnappte sich diese und eilte dann selbst aus dem Zimmer. Sie würde sich beizeiten mal länger und ernsthaft mit Tifa unterhalten müssen… Dringend.

Moving

Die Gitarristin schulterte gerade ihre Tasche als sie die Bar wieder betrat, in der Reno auf sie wartete. "Ich bin fertig", sagte sie in einem undefinierbaren Tonfall, den sie sich von Shinya angewöhnt hatte. "Können wir?"

Überrascht wandte er sich zu ihr um. "Sicher." Grinsend wuschelte er ihr durch die Haare, woraufhin sie ihren Kopf wegzog und ihn lediglich abschätzend ansah. Er zog eine Augenbraue hoch und das Grinsen wich langsam von seinem Gesicht. "Gut, dann wollen wir mal."

Tifa umarmte Naomi zum Abschied. "Passt auf euch auf", meinte sie. "Und viel Spaß."

Die Musikerin nickte knapp und tippte ihrer Freundin leicht gegen die Stirn. "Wenn ich wieder zurück bin, müssen wir zwei uns mal unterhalten." Mit diesen Worten drehte sie sich um und folgte Reno zur Tür.

Dieser legte ihr einen Arm um die Schultern, öffnete die Tür und führte sie nach draußen. "Was ist los? Hast du schlechte Laune?", wollte er von ihr wissen.

"Nein." Sie blieb stehen und bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick. "Es ist nichts", murmelte sie schließlich. "Lass uns gehen."

Er legte die Stirn in Falten, sagte jedoch nichts dazu. Nachdem sie ein kurzes Stück schweigend nebeneinander her gegangen waren, bog er nach rechts ab.

"Wie kommen wir überhaupt zu dieser… Gold Saucer?", brach sie letztlich doch noch das Schweigen.

"Wir nehmen einen Goldenen Chocobo, das geht jetzt am schnellsten", antwortete er, wobei er erleichtert klang.

"Einen… was bitte?" Sie wandte sich irritiert zu ihm um. "Ist das irgendein spezielles Auto?"

Er konnte sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen, das in ein halbwegs unterdrücktes Husten überging. "Das ist kein Auto", erwiderte er schließlich. "Komm, ich zeig's dir."

Verwirrt folgte sie ihm die Straße entlang bis zu einem kleinen Gebäude, das so aussah wie der Stall eines Bauernhofs. "Ist es ein Pferd?", vermutete sie als sie sich die hölzerne Doppeltür ansah.

Fragend sah er sie an. "Was ist denn ein Pferd?", wollte er wissen.

"Anscheinend kein Chocobo", konterte sie.

Sie tauschten einen herausfordernden Blick aus, bis er nach einer Weile seufzend nachgab. Er schob den Riegel zur Seite und zog die linke Türhälfte auf. Reno bedeutete ihr leise zu sein und ging hinein.

Leicht irritiert folgte sie ihm ins Innere und sah ihm zu, wie er irgendein Gemüse aus einer großen Kiste herausnahm. Sie traute sich nicht etwas zu sagen, als er zu einem größeren Verschlag ging und vorsichtig die Tür öffnete.

Währenddessen blieb sie vorne am Eingang stehen und beobachtete den Rothaarigen schweigend. Es waren Momente wie dieser, in denen ihr wirklich bewusst wurde, dass er Kôji durchaus weniger ähnelte als es anfangs den Anschein gehabt hatte. Nach einer Weile schaute er um die Ecke und winkte sie zu sich heran.

Sie kam dieser Aufforderung nach, legte den Kopf schief und sah ihn aufmerksam an. Als sie bei ihm ankam, legte er ihr einen Arm um die Schultern und schob sie vorwärts, direkt auf einen großen Laufvogel zu, dessen Schnabel, Krallen und Gefieder golden schimmerten.

Beeindruckt legte sie den Kopf zurück und zog die Augenbrauen leicht zusammen. "Das ist ein Chocobo?", flüsterte sie leise. "Sieht irgendwie aus wie ein Vogel Strauß, nur größer."

Er klopfte dem Tier leicht gegen den Hals. "Ja, das ist ein Chocobo", antwortete er ebenso leise. "So kommen wir am schnellsten zur Gold Saucer. Und Sam kennt den Weg."

Naomi schaffte es nicht ganz, sich ein Lachen zu verkneifen. "Sam? Wer hat sich den Namen ausgedacht?", fragte sie amüsiert, dann fand sie ihre Fassung wieder. "Wenn du es sagst… werde ich dir einfach mal glauben müssen."

Er wuschelte ihr durch die Haare, dann überprüfte er die Satteltaschen, bevor er sich wieder zu ihr umwandte. Der Rothaarige half Naomi dabei aufzusteigen, schließlich setzte er sich direkt hinter sie und legte beide Arme um die Studentin.

Sie wandte sich halb zu ihm um und warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, bevor sie wieder nach vorne sah, sagte allerdings nichts dazu und lehnte sich leicht an ihn. "Und der ist auch wirklich zahm?", erkundigte sie sich unsicher.

"Ist sie", raunte er ihr beruhigend ins Ohr. "Mach dir keine Sorgen."

"Mach ich nicht", entgegnete sie indigniert. "Aber Vorsicht ist nun einmal besser als Nachsicht."

"Schon klar", murmelte er. "Aber du musst dir wirklich keine Sorgen machen. Selbst wenn ich Tifa nicht hätte versprechen müssen, dass ich gut auf dich aufpasse, würde ich es trotzdem tun."

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Warum?"

"Warum was?", entgegnete er als sie sich etwas bequemer hinsetzte. "Warum sie mir dieses Versprechen unter fürchterlichen Drohungen abgerungen hat? Das ist doch offensichtlich, oder? Sie macht sich Sorgen um dich."

"Das meinte ich nicht", grummelte sie. "Obwohl sie manchmal eine recht seltsame Art hat mir zu zeigen, dass sie sich Sorgen um mich macht."

Ein leises Lachen erklang in ihrer Kehle. "Das ist wohl wahr."

Für eine Weile ritten sie schweigend dahin, schließlich seufzte sie. "Was ist nun? Willst du meine Frage nicht beantworten?"

Reno ließ sich ein paar Sekunden Zeit, bevor er etwas sagte. Seine Arme schlossen sich unwillkürlich ein wenig fester um ihre Taille. "Weil ich nicht will, dass dir etwas passiert", meinte er ruhig. "Und das könnte hier sehr schnell passieren, wenn man nicht vorsichtig ist."

Naomi ließ sich seine Aussage durch den Kopf gehen. "Was soll denn passieren?", erkundigte sie sich bei ihm. "Lauern hier irgendwo Banditen? Ich glaube, wenn es nicht zu viele sind, könnte ich mit denen noch fertig werden." Sie knackte mit den Fingerknöcheln. "Nicht dass ich stolz darauf wäre, aber bis vor wenigen Jahren hatte ich einige Schlägereien. Und ein paar davon habe ich auch selbst provoziert."

"Du hast dich mit anderen geschlagen?", fragte er amüsiert. "Das kann ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen." Dann wurde er wieder ernst. "Wann hast du denn damit aufgehört?"

"Nach dem Unfall meiner Familie", antwortete sie düster. "Und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du meine Fragen nicht immer mit Gegenfragen beantworten würdest…" Wieder seufzte sie.

"Tut mir leid", murmelte er, wobei er offen ließ, was er genau meinte. "Banditen gibt es hier auch, aber ich zweifle nicht daran, dass du ihnen Angst einjagen könntest…" Er lehnte seinen Kopf gegen ihren. "Ich meinte eher, dass es hier teilweise vor Monstern nur so wimmelt. Unbewaffnet hat man ohne Chocobo so gut wie keine Chance."

Das erklärte einiges. Nun verstand sie auch, warum Tifa ihr die Handschuhe und diese Materia mitgegeben hatte. Weshalb sie Reno gebeten hatte, auf sie aufzupassen und dass sie mit diesem Chocobo unterwegs waren. Und natürlich auch warum Tifa sie nach ihrer Kampferfahrung gefragt hatte. Sie sprach Reno darauf an.

Dieser schien nicht im Geringsten überrascht zu sein. "Natürlich kann ich dir zeigen, wie man Materia benutzt", meinte er. "Ich hatte ohnehin vor, gleich eine Rast einzulegen. Ansonsten wären wir die ganze Nacht unterwegs und ein bisschen Schlaf würde uns beiden sicher auf nicht schaden."

Naomi gab ein zustimmendes Brummen von sich. "Aber ist es nicht zu riskant, irgendwo unter freiem Himmel zu übernachten?", fragte sie und legte den Kopf zurück, damit sie ihn ansehen konnte.

Reno erwiderte ihren Blick. "Uns wird schon nichts passieren…", meinte er leise. "Man merkt, dass du hier nicht aufgewachsen bist, ansonsten wäre das alles für dich genauso selbstverständlich wie für uns andere auch." Als sie eine Augenbraue hochzog, schüttelte er leicht den Kopf. "Ich mache dir keinen Vorwurf. Nur kann es hin und wieder vorkommen, dass ich bei manchen Dingen einfach nicht daran denke, dass du sie nicht kennst."

"Ich weiß", brummte sie. "Ich muss mich auch erst noch daran gewöhnen." Sie rutschte in eine bequemere Position und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. "Ich bin euch auch dankbar dafür, dass ihr mir helft… ohne euch wäre ich hier wahrscheinlich hoffnungslos verloren." Langsam fielen ihr die Augen zu. Der Alkohol, die Arbeit, die vorangeschrittene Uhrzeit und auch der gleichmäßige Rhythmus des laufenden Chocobos sorgten dafür, dass sie sich kaum noch wach halten konnte.

Es dauerte auch nicht lange, bis sie eingeschlafen war. Sie konnte sich nicht daran erinnern, irgendetwas geträumt zu haben, als sie irgendwann von Reno geweckt wurde. "Hey…", meinte er leise, als er sie leicht rüttelte. "Aufwachen, Süße… sonst kann ich unser Nachtlager nicht aufschlagen."

"Hmm…", grummelte sie und setzte sich einigermaßen gerade hin. Mit einem halbwegs unterdrückten Gähnen rieb sie sich die Augen und wandte sich zu ihm um. "Sind wir schon da?", fragte sie verschlafen.

Grinsend strich er ihr eine Strähne aus der Stirn. "Nein, sind wir nicht. Aber eine Rast wäre angebracht, wenn ich dich so ansehe." Er zwinkerte ihr zu. "Bleib einfach da sitzen, dann wird dir auch nichts passieren." Reno stieg ab und suchte irgendwelche Sachen aus den Satteltaschen heraus, wobei sie im Halbschlaf kaum mitbekam, was er tat. Sie konnte auch nicht abschätzen, wie lange es dauerte, bis er sie antippte. "Ich bin fertig. Komm, ich helfe dir runter."

Mit der Unterstützung des Rothaarigen schaffe sie es, von dem Chocobo herunter zu kommen, ohne sich ernsthaft zu verletzen. "Was passiert denn mit Sam?", nuschelte sie als sie sich zu dem Laufvogel umdrehte.

"Um Sam musst du dir die wenigsten Sorgen machen… es leben genug Chocobos in freier Wildbahn", erklärte er. "Sam ist zwar ein Zuchttier und daher zahm, aber sie wird schon zurechtkommen." Daraufhin führte er sie in das Zelt, das er zwischenzeitlich aufgebaut hatte. Darin lagen je zwei Thermomatten, Kissen und Decken.

Sie blinzelte verschlafen und ging in die Hocke, um sich die Schuhe auszuziehen. Bis sie es geschafft hatte, diese von den Füßen zu streifen, war sie schon fast wieder wach. Naomi kniff die Augen zusammen und sah zu Reno auf, der bis auf seine Boxershorts schon gar nichts mehr anhatte. "Das ging schnell", murmelte sie verwirrt.

Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. "Eigentlich nicht, du bist nur so langsam", zwinkerte er ihr zu. "Das bin ich von dir gar nicht gewohnt." Das Grinsen wurde noch breiter. "Wenn du willst, kann ich dir auch gerne helfen."

Die Studentin zog eine Augenbraue hoch und widmete sich ihren Socken. "Das hättest du wohl gern", grummelte sie und massierte kurz ihre strapazierten Füße. "Du hast doch bestimmt wieder irgendwelche Hintergedanken."

"Wieso wieder?", fragte der Rothaarige verwirrt, als er sich auf seine Matte setzte. "Ich wollte nur nett zu dir sein, das ist alles", schmollte er. "Und letztes Mal hatte ich eigentlich auch keine Hintergedanken, das kam eher… spontan. Und du hättest ja auch 'nein' sagen können, oder nicht?"

Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen. "Tut mir leid", flüsterte sie. "Es ist nur alles so verwirrend, verstehst du… ich weiß, dass ich das nicht an dir auslassen sollte…" Seufzend wandte sie sich zu ihm um. "Es tut mir wirklich leid."

Er betrachtete sie nachdenklich. "Das weiß ich", erwiderte er schließlich. "Wenn ich das nicht wüsste, hätte ich dich wahrscheinlich längst zum Teufel gejagt", fügte er mit einem Zwinkern hinzu. "Aber eigentlich mag ich dich so, wie du bist."

"Eigentlich", gab sie belustigt zurück, zog sich bis auf ihr Shirt aus und tapste dann zu ihrer Matte rüber. "Das ist ja immerhin schon mal was", grinste sie, als sie unter die Decke kroch.

Er stützte sich auf einem Ellbogen ab und blickte auf sie herab. "Du kannst mich ja auch nicht unbedingt hassen, ansonsten wärst du sicher nicht hier", entgegnete er, dann rutschte er näher an sie heran.

"Wer behauptet denn, dass ich dich hasse?" Sie verzog ungläubig das Gesicht. "So ein Blödsinn!" Naomi schüttelte den Kopf. "Aber du hast Recht, dann wäre ich tatsächlich nicht hier. Dann würde ich auch nicht mehr mit dir reden als unbedingt notwendig wäre." Sie gähnte herzhaft. "Zeigst du mir dann morgen, wie das mit dieser Materia funktioniert?"

"Sicher." Reno streckte einen Arm aus und zog die Studentin zu sich heran.

Diese drehte sich auf die Seite, mit dem Rücken zu ihm, und kuschelte sich in die Decke. "Ich verstehe gar nicht, wie du mich ertragen kannst", murmelte sie schläfrig. "Ich gehe mir ja selbst manchmal tierisch auf die Nerven… wie du das aushältst, ist mir wirklich ein Rätsel."

"Tja... irgendwie schaffe ich das halt", antwortete er vage und drückte sie leicht an sich. "Du kannst ja selbst versuchen herauszufinden, wie ich das mache."

Sie brummte genüsslich. "Hmm… vielleicht werde ich das auch", meinte sie leise. "Irgendwann mal. Aber bestimmt nicht jetzt."

Change

Naomi hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als der Rothaarige sie wieder weckte. Sie rieb sich die Augen, setzte sich auf und blinzelte ihn verschlafen an. Er war bereits angezogen und hatte das meiste schon wieder eingepackt. "Eh…", murmelte sie. "Schon so spät?" Langsam rappelte sie sich auf und stolperte über die Decke, wodurch sie fast hinfiel.

Reno konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Du bist ja schon irgendwie niedlich, wenn du noch nicht ganz wach bist", stichelte er.

"Ach so?", grummelte sie, als sie ihre Hose anzog und dann nach ihren Socken suchte. Nachdem sie diese endlich gefunden hatte, zog sie sie über die Füße und schlüpfte dann in ihre Schuhe. Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch die Haare. "Ich könnte jetzt dringend einen Kaffee gebrauchen…", brummte die Studentin.

Er verzog amüsiert das Gesicht und wandte sich von ihr ab, wohl in der Hoffnung, dass er es vor ihr verbergen konnte.

"Das hab ich gesehen", murrte sie, als sie aufstand. "Ich wäre dafür, wenn wir gleich frühstücken könnten… ansonsten wirst du heute die Hölle auf Erden erleben", versprach sie grimmig, bevor sie auf ihn zutrat und ihm den Finger in die Seite piekte.

Er wandte sich wieder zu ihr um, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. Er sah aus, als müsste er sich mühsam zusammenreißen, um nicht lauthals loszulachen. "Es dauert nicht lange, bis wir Junon erreichen. Dann kannst du in Ruhe frühstücken."

"Was ist eigentlich so witzig?", wollte sie von ihm wissen. Grummelnd stapfte sie an ihm vorbei aus dem Zelt heraus. Mit einem herzhaften Gähnen streckte sie sich und kniff die Augen zusammen. "Könnte heute ziemlich warm werden", kommentierte sie mürrisch und blickte an sich herab.

"Das glaube ich allerdings auch", entgegnete Reno, nachdem er ihr gefolgt war, dann begann er, das Zelt abzubauen.

"Soll ich dir helfen?", erkundigte sie sich bei ihm.

Er wandte ihr den Kopf zu. "Besser nicht", gluckste er. "Werd lieber erst mal wach… ansonsten gibt das hier noch ein Desaster. Das Zelt wollte ich eigentlich noch etwas öfter benutzen können."

"Haha… sehr witzig", brummte sie, schließlich krempelte sie ihre Hosenbeine hoch. "So schlimm bin ich nun auch wieder nicht."

"Na, das hab ich ja gesehen." Mittlerweile war er schon fast fertig mit dem Abbau. "Aber mach dir nichts draus… ich find's süß." Er zwinkerte ihr grinsend zu und packte schließlich den Rest zusammen.

"Schon klar", meinte sie mit hochgezogener Augenbraue. "Du willst mich wohl auf den Arm nehmen."

"Eigentlich nicht." Er wuschelte ihr durch die Haare und verstaute alles in den Satteltaschen des Chocobos, der friedlich auf irgendwelchem Gemüse herumkaute, das Reno ihm wohl kürzlich erst gegeben hatte.

Naomi schnaubte, sagte aber nichts weiter dazu. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete den Rothaarigen, bis er sich zu ihr umdrehte und die Hände in die Seiten stemmte. Sie zog eine Augenbraue hoch und er betrachtete sie von oben bis unten, dann kam er auf sie zu.

Instinktiv wollte sie einen Schritt zurückweichen, doch er war zu schnell für sie. Noch bevor sie die Möglichkeit hatte, zu reagieren, hatte er sie schon hochgehoben und setzte sie einfach auf dem Chocobo wieder ab.

"Hey", protestierte sie. Er ignorierte dies jedoch und schwang sich hinter ihr auf den Laufvogel. Kaum saß er, setzte sich das Tier auch schon in Bewegung.

Sie beugte sich ein wenig vor und drehte sich stirnrunzelnd zu ihm um, erntete allerdings nur ein breites Grinsen von ihm. Seufzend schüttelte sie den Kopf. Sie war eindeutig noch zu müde, um sich jetzt mit ihm auseinanderzusetzen, außerdem hatte sie noch nicht gefrühstückt. Demnach war es besser, einfach den Mund zu halten, ansonsten würde es lediglich in einen Streit ausarten. Und das war definitiv nicht nötig. Er konnte ja schließlich nichts dafür, dass sie vor dem Essen ziemlich ungenießbar war.

Seufzend fuhr sie sich mit einer Hand durch die Haare. "Sind wir bald da?"

"Nein, sind wir nicht", antwortete er ruhig.

Naomi zog eine Schnute und legte den Kopf in den Nacken. "Dauert es noch lange?"

"Nein."

"Wie lange denn?" Sie hob die Augenbrauen, als er seufzte.

"Kann ich nicht genau sagen…", brummte er.

Die Gitarristin biss sich auf die Unterlippe, sagte aber zunächst nichts mehr. Sie war nicht sicher, ob es eine gute Idee war, ihn allzu sehr zu ärgern, auch wenn sie ungeduldig wurde und endlich etwas essen wollte. Schließlich waren sie hier irgendwo im Nirgendwo – zumindest ihrer Ansicht nach. Da sie sich hier kein bisschen auskannte, wäre sie aufgeschmissen, wenn er sie einfach hier in der Pampa aussetzte, weil sie ihn zu sehr nervte.

Für eine Weile schwiegen sie beide, bis sie sich seufzend nach hinten sinken ließ. Sie war versucht, ihn erneut zu fragen, wie weit es noch war, doch sie wollte ihn nicht unnötig reizen. Sie spürte, wie er sich versteifte, als sie sich an ihn lehnte. Sie zog die Augenbrauen etwas zusammen und drehte ihren Oberkörper ein wenig, um ihn anzusehen. "Was ist los?"

"Nichts", murmelte er mit zusammengebissenen Zähnen und blickte stur geradeaus.

Sie rutschte ein wenig zur Seite, um ihn besser ansehen zu können. "Hab ich dir was getan?", wollte sie wissen. So sehr hatte sie nun auch nicht gedrängelt, dass sie endlich was essen wollte. Was hatte er nur?

Er schloss kurz die Augen und sog die Luft scharf ein.

"Was denn?" Sie wandte sich noch ein wenig mehr in seine Richtung, doch er legte ihr einen Arm um die Taille und warf ihr einen Blick aus dem Augenwinkel zu.

"Tu… das nicht", zischte er leise.

Naomi zog beide Augenbrauen weit nach oben und sah ihn irritiert an. "Huh?"

"Tu mir einen Gefallen…", meinte er betont langsam, "und bleib einfach ruhig sitzen, ja?" Als er ihren verständnislosen Blick sah, seufzte er. "Bitte."

Für einen Moment starrte sie ihn verwirrt an, doch dann dämmerte ihr langsam, worauf er hinaus wollte. Als es endlich Klick machte, wurde sie rot und ihre Augen weiteten sich. "Oh", murmelte sie und drehte sich ruckartig wieder nach vorn, wobei sie deutlich merkte, wie sich sein Arm um ihre Taille anspannte. "Tut mir leid…" Irgendwie war es ihr peinlich, weil sie seine Reaktion fehlinterpretiert hatte.

Bis sie Junon erreicht hatten, sagten sie beide nichts mehr und hingen ihren eigenen Gedanken nach. Naomi achtete darauf, sich so wenig wie möglich zu bewegen, weil sie befürchtete, dass er sonst noch auf die Idee kommen könnte, sie zu Fuß gehen zu lassen. Als der Chocobo schließlich stehen blieb, fühlte sie sich, als hätte sie tagelang darauf gesessen. Aber das lag wahrscheinlich hauptsächlich daran, dass sie so wenig geschlafen hatte.

Reno stieg ab und streckte eine Hand aus, um ihr herunter zu helfen. Dankbar nahm sie sie und kletterte ungelenk herunter. Dies entlockte ihm nun doch noch ein Grinsen und sie war erleichtert darüber, dass die angespannte Stimmung damit erst einmal ein Ende hatte.

Er führte sie zielstrebig durch die Straßen von Junon und sie sah sich stirnrunzelnd um. Irgendwie hatte sie hier ein seltsames Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. Nach einer Weile erreichten sie ein großes Gebäude.

Statt den Haupteingang zu nehmen, gingen sie um das Haus herum und traten durch ein großes Tor. Hier drin waren einige Chocobos in den unterschiedlichsten Farben untergebracht.

"Wie viele verschiedene Rassen gibt es von denen?", fragte Naomi leise, als Reno Sam in einem Verschlag unterbrachte. Ein Stalljunge kam auf ihn zugelaufen und salutierte vor dem Rothaarigen, woraufhin die Gitarristin eine Augenbraue hochzog.

"Kümmere dich gut um sie", meinte er zu dem Bediensteten und wandte sich ihr zu. "Nun…", begann er nachdenklich, dann führte er sie kurz herum. "Es gibt blaue Chocobos, grüne, weiße, rote, violette, schwarze, goldene… und die einfachen gelben", erklärte er. "Ich glaube, es gibt noch mehr, aber ich bin mir nicht sicher."

"Hat die Farbe eine bestimmte Bedeutung?", wollte sie wissen.

Er nickte. "Die gelben Chocobos leben in freier Wildbahn, alle anderen sind Zuchttiere. Viele von ihnen werden eigens für die Rennen gezüchtet. Blaue Chocobos können über Flüsse laufen, sind allerdings nicht unbedingt dafür geeignet, Gebirge zu überqueren. Da sind die Grünen besser, oder auch die Schwarzen. Die Goldenen können sogar über das Meer laufen."

Sie warf ihm einen ungläubigen Blick zu, erwiderte jedoch nichts. Nur weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass ein Tier auf zwei Beinen tatsächlich über das Wasser laufen konnte, hieß das nicht, dass dem nicht so war.

Auch er ließ das Thema fallen und die beiden gingen wieder hinaus und betraten das große Gebäude durch einen Seiteneingang. Er schloss die Tür hinter sich und verzog das Gesicht. Naomi sah ihn fragend an, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie eine Erklärung für seine Reaktion erhielt.

"Reno!", ertönte eine empörte weibliche Stimme, kurz darauf erschien eine kleine Frau mit kurzen blonden Haaren, welche – genau wie Reno und Rude – einen dunkelblauen Anzug trug. Daher ging Naomi davon aus, dass sie ebenfalls zu den Turks gehörte.

"Hi, 'Lena", erwiderte der Angesprochene gelangweilt, als sie auf ihn zustapfte.

Die Blonde stach ihm einen Zeigefinger in die Brust. "Du bist spät! Mal wieder!", zischte sie, als sie die Augen verengte und ihn wütend anfunkelte.

Der Rothaarige zuckte lediglich mit den Schultern, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an. "Ich hatte zu tun." Er legte der Gitarristin einen Arm um die Schultern, dann ging er mit ihr einfach an seiner Kollegin vorbei, durch die Tür, durch die die Frau zuvor gekommen war.

"Ich seh schon", gab die Blonde verschnupft zurück und folgte den beiden. "Du solltest lieber deine Arbeit erledigen, statt dich dauernd mit irgendwelchen Frauen zu vergnügen! Ehrlich, Reno, ich kann absolut nicht verstehen, wie du bei deiner Einstellung so weit gekommen bist… hast du dich denn wenigstens um die –" Sie hatte keine Chance, ihren Satz zu beenden, da sich Reno blitzschnell umgedreht und drohend vor ihr aufgebaut hatte.

"Elena", brummte er missmutig, "du redest eindeutig zu viel."

Sie schnaubte. "Du klingst schon fast wie Tseng."

"Wenn er das auch sagt, wird ja was dran sein", murmelte er und wandte sich wieder von ihr ab. Er blieb vor Naomi stehen, die ihn mit verschränkten Armen missbilligend ansah. "Hör nicht auf sie", meinte er zu ihr. "Sie übertreibt gern."

Daraufhin zog die Pinkhaarige lediglich eine Augenbraue hoch. Dies klang viel zu sehr nach dem, was sie von Kôji kannte, um es einfach zu ignorieren. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. Sie sollte sich deswegen keine Gedanken machen. Sie sollte sich lieber darauf konzentrieren, wie sie wieder nach Hause kommen würde. Womit sich der Rothaarige beschäftigte, ging sie eindeutig nichts an.

Reno sah Elena böse an, dann führte er die Studentin geradewegs zu einer Treppe, die sie hinaufgingen und in einen Raum, der wie ein Büro aussah. Hinter dem Schreibtisch saß ein asiatisch aussehender Mann, der gerade irgendetwas unterschrieb. Als er die Neuankömmlinge bemerkte, sah er auf. Er nickte Reno zu und sah dann Naomi fragend an.

Der Rothaarige stellte die beiden einander kurz vor.

"Ich verstehe", meinte Tseng daraufhin nur und betrachtete die Musikerin eingehend. "Elena?"

"Ja?" Die Blonde sah ihren Vorgesetzten an, als würde sie ihm umgehend jeden Wunsch erfüllen.

"Kümmere dich bitte um unseren Gast. Ich habe etwas mit Reno zu besprechen."

"Geht klar!" Sie bedeutete Naomi, ihr zu folgen.

Diese kam der Aufforderung mit einem Stirnrunzeln nach.

"Ach… und kümmere dich bitte auch darum", fügte der Rothaarige zuckersüß hinzu, wobei er auf Naomis Kopf deutete. "Das Pink ist viel zu auffällig."

Die beiden Frauen sahen ihn verärgert an und verließen den Raum, ohne etwas dazu zu sagen. Als sie den unteren Treppenabsatz erreichten, wandte sich die Blonde nach rechts. "Sag mal…", begann Naomi vorsichtig, "du magst diesen Tseng sehr, oder?"

Die Angesprochene sah sie schockiert an. "Wie kommst du denn darauf?"

Naomi zuckte mit den Schultern. "Es war irgendwie offensichtlich."

Elena verzog das Gesicht. "Ja… Tseng ist der einzige, der mich hier ernst nimmt, ganz im Gegensatz zu den anderen… vor allem Reno", murrte sie.

"Kann ich mir vorstellen", seufzte Naomi. "Ist er immer so… ich weiß nicht…" Sie suchte nach dem richtigen Wort. Allerdings bekam sie keine Gelegenheit, eines zu finden. Es dauerte nicht lange und sie bereute es, ein Gespräch angefangen zu haben. Zwar kümmerte sich Elena im wörtlichen Sinne um sie – was bedeutete, dass sie etwas zu essen bekam und ihre Haarfarbe auch nicht länger pink blieb – aber als Reno etwa anderthalb Stunden später den Raum betrat, in dem sie sich gerade befanden, hatte sie das Gefühl, dass ihre Ohren bald anfingen zu bluten.

Der Rothaarige sah sie überrascht an und wollte gerade etwas sagen, doch sie verdrehte die Augen und murmelte eine Entschuldigung, als sie den Raum verließ, um duschen zu gehen.

Auf dem Weg zum Bad in der oberen Etage kam ihr Rude entgegen. Er nickte ihr zur Begrüßung zu und sie erwiderte die Geste. Schnell lief sie nach oben und verschwand im Bad, wo sie die Tür hinter sich abschloss. Sie konnte Reno bis hierher lachen hören. Wahrscheinlich hatte er gerade den Grund für ihre Flucht erfahren.

Seufzend strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Nun wusste sie auch, warum Elena immer wieder gesagt bekam, dass sie zu viel redete. Naomi konnte diese Aussage nur unterstreichen. Sie hatte noch nie zuvor jemanden getroffen, der so lange ohne Unterlass sprechen konnte.

In Anbetracht dessen ließ sie sich auch möglichst viel Zeit beim Duschen. Nachdem sie fertig war, betrachtete sie sich zunächst eingehend im Spiegel. Im ersten Moment rümpfte sie die Nase. Die neue Farbe war einfach noch ungewohnt. In ihrem Einfallsreichtum hatte Elena ihre Haare lediglich blondiert, und das ziemlich hell. Wenigstens war es gleichmäßig. Und wenn sie es recht bedachte, war es auch gar nicht mal so schlecht.

Sie zog sich langsam an und schloss dann die Tür auf. Nachdem sie einmal tief durchgeatmet hatte, verließ sie das Bad und ging die Treppe hinunter. Nach der Dusche fühlte sie sich erfrischt und nicht mehr so müde wie zuvor.

Kaum hatte sie den Raum wieder betreten, hielt ihr Reno auch schon eine Tasse Kaffee entgegen. "Die Farbe steht dir gut", meinte er. Überrascht sah sie ihn an. "Danke", meinte sie leise, als sie ihm das Getränk abnahm. Dann setzte sie sich an den Tisch. Elena war nirgends zu sehen. Rude befand sich ebenfalls nicht hier.

"Was hat sie dir eigentlich alles erzählt?", fragte der Rothaarige mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.

Naomi stützte die Ellbogen auf dem Tisch ab und nippte kurz an ihrem Kaffee. "Viel zu viel", gestand sie seufzend. "Ich hätte nicht gedacht, dass ein einzelner Mensch so viel auf einmal erzählen kann." Sie legte den Kopf schief. "Und ich hab immer gedacht, meine beste Freundin wäre gesprächig."

Reno konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. "Und was hat sie gesagt?"

Die Gitarristin legte die Stirn in Falten. "Hauptsächlich hat sie sich darüber beschwert, dass ihr sie nicht ernst nehmt, weil sie noch nicht so lange dabei ist wie ihr."

Er lehnte sich überrascht zurück. "Das ist alles?"

Daraufhin zuckte sie mit den Schultern. "Soll ich ehrlich sein? Ich weiß es nicht genau. Zwischendurch habe ich einfach abgeschaltet, weil ich einfach nicht mehr zuhören konnte… vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich müde war."

Dies entlockte ihm ein weiteres Lachen. "Hast du eigentlich Höhenangst?", wollte er dann von ihr wissen.

"Nein, warum?", entgegnete sie skeptisch.

"Weil wir von hier aus mit dem Hubschrauber zur Gold Saucer fliegen werden", erklärte er grinsend. "Und wenn du Höhenangst hättest, wäre das sehr ungünstig."

Sie zog eine Augenbraue hoch. "Warum mit dem Hubschrauber? Was ist mit Sam?"

"Ich wollte ihr etwas Ruhe gönnen und mit dem Hubschrauber sind wir schneller. Nur in Edge stand mir keiner zur Verfügung, deswegen können wir erst ab hier fliegen." Er legte einen Arm lässig über der Stuhllehne ab. "Rude und Elena werden wohl auch mitkommen."

Naomi trank noch einen Schluck von ihrem Kaffee. "Wird der Flug lang dauern?"

"Nicht sehr lang", meinte er daraufhin. "Du kannst dann auch gern versuchen, noch ein wenig zu schlafen. Ich werde dich dann wecken, wenn wir angekommen sind."

Gold Saucer

Naomi war todmüde. In Anbetracht der Tatsache, dass sie sich gerade köstlich amüsierte, interessierte sie sich im Moment jedoch nicht weiter dafür. Sie wusste schon gar nicht mehr, wie lange es her war, dass sie zuletzt in einer Spielhalle oder einem Vergnügungspark gewesen war. Hauptsächlich lag es daran, dass sie den größten Teil ihrer Zeit mit Arbeit verbracht hatte, was natürlich nicht viel Freiraum für Freizeitaktivitäten gelassen hatte.

Die Gold Saucer war toll! Sie hatte zuvor nie etwas Vergleichbares gesehen. Hier gab es so gut wie alles, was man sich nur vorstellen konnte! Es war im Grunde eine Kombination aus Vergnügungspark und Spielhalle, wenn man so wollte. Außerdem war dieses Ding einfach nur riesengroß.

Irgendwie tat Reno ihr leid, weil er sie die ganze Zeit hier herumführte, um ihr alles zu zeigen. Somit hatte er bisher noch keine Gelegenheit dazu gehabt, sich um das zu kümmern, was er hier eigentlich erledigen wollte. Er hatte gesagt, dass ihm das nichts ausmache. Rude und Elena waren irgendwo hier unterwegs, um sich um ein paar Dinge zu kümmern. Wenn sie ihn brauchen sollten, würden sie sich schon bei ihm melden. Wenn sie ehrlich sein sollte, war sie ganz froh darüber, dass er sie begleitete. Wenn sie alleine hier herumlaufen würde, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich verlaufen hatte.

Direkt nach ihrer Ankunft waren sie als erstes im Ghost Square gewesen. Naomi fand es toll. Natürlich war es irgendwie offensichtlich, dass die Geister und alles nicht echt waren – auch wenn sie eigentlich darauf gehofft hatte – aber sie fand es trotzdem niedlich. Als ein Kunststoffskelett unerwartet aus einem Schrank heraussprang, an dem sie gerade vorbeiging, blieb ihr fast das Herz stehen. Reno konnte es sich nicht entgehen lassen, sich über sie lustig zu machen.

Am besten gefiel ihr der Second-Hand-Shop. Ihrer Meinung nach waren die Hände in dem Fass, das direkt am Eingang stand, welche in Richtung des Ladens zeigten, eine tolle Idee. In dem Moment, als sie sie zu Gesicht bekam, begann sie vor Begeisterung zu quietschen, so dass Reno sich fast zu Tode erschrak. Naomi hatte ihre helle Freude daran, dass nun sie sich über ihn lustig machen konnte.

Nachdem sie ihr Gepäck im Hotel abgeladen hatten, machten sie sich auf den Weg zum Chocobo Square, wo sie sich eines der Rennen ansahen. Es überraschte Naomi, dass es diese Laufvögel tatsächlich in so ziemlich jeder existierenden Farbe gab. Nicht dass sie an Renos Ausführungen gezweifelt hätte, aber es war dennoch was anderes, etwas mit eigenen Augen zu sehen. Man konnte sogar selbst an einem solchen Rennen teilnehmen, doch daran wollte sie nicht einmal im Entferntesten dran denken. Sie hatte von ihrem letzten Ritt auf einem Chocobo noch immer Muskelkater in den Beinen.

Als nächstes gingen sie zum Round Square. Er sah sich kurz um und warf ihr dann einen Blick zu. "Warte mal kurz, ja? Ich bin gleich wieder da." Kaum hatte er das gesagt, war er auch schon in der Menschenmenge verschwunden.

Irritiert sah sie ihm nach. Sie blinzelte, dann zuckte sie mit den Schultern, bevor sie sich umsah. Sie entdeckte eine hübsche Gondel, mit der man eine Rundfahrt durch den gesamten Park machen konnte. Mit einem erneuten Seufzer begab sie sich zum Info-Schalter und erkundigte sich nach einer Karte.

"Hey, Schönheit", hörte sie eine nur allzu bekannt klingende männliche Stimme hinter sich, als ihr der verlangte Plan ausgehändigt wurde. Sie hielt die Luft an und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Es war gar nicht so leicht, ruhig zu bleiben.

Das konnte nicht sein. 'Nein!', dachte sie verzweifelt. Zweimal würde das nicht passieren. Nicht einmal ihr.

Lässig legte ihr der Typ einen Arm um die Schultern. "Ich steh auf hübsche Blondinen. Aber du bist besonders hübsch. Kann ich dich zu einer romantischen Rundfahrt in dieser ach so reizenden Gondel bewegen, die du natürlich mit dem großartigsten Gitarristen, der je auf diesem Planeten wandelte –"

Er brach mitten im Satz ab, als Naomi seufzend die Augen verdrehte und sich nun endlich zu ihm umdrehte. Diesmal war jeglicher Irrtum ausgeschlossen. Er war es tatsächlich. "Lass den Blödsinn, Kôji", brummte sie und zog die Augenbrauen hoch, als sie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen. "Seit wann interessierst du dich neuerdings für die Haarfarbe deiner Frauen?"

Der rothaarige Typ starrte sie an. "Naomi?" flüsterte er leise. Allerdings überwand er seinen ersten Schock recht schnell. "Nee-chan!" rief er freudig aus als er sie fest in den Arm nahm. "Es ist ja so toll, dich wieder zu sehen!"

Sie musste lächeln als sie seine Umarmung erwiderte. "Ja, das ist es", antwortete sie. "Was machst du eigentlich hier?" Sie freute sich sehr, ihren Freund zu sehen, doch sie fand es eindeutig seltsam, dass er überhaupt hier war.

"Irgendwie bin ich hier gelandet und komme nicht mehr weg", gab er zurück, als er seinen Griff lockerte und ihr beide Hände auf die Schultern legte. "Ich nehme an, bei dir ist es genauso?"

Sie nickte. "Ich weiß immer noch nicht, wie ich hierher gekommen bin, nur dass ich in irgendeinem zerstörten Haus gefunden wurde. Ich versuche aber, einen Weg nach Hause zu finden", erzählte sie ihm. "Bist du allein hier?"

Kôji schüttelte den Kopf. "Yû ist auch irgendwo hier." Er grinste sie breit an. "Aber ich bin froh, dass es dir gut geht… Also, erzähl mal. Was ist mit deinen Haaren passiert?" Er zupfte an einer ihrer nun blonden Haarsträhnen. "Ich hab dich im ersten Moment gar nicht erkannt."

"Das ist mir wohl aufgefallen", erwiderte sie trocken. "Ich muss mich auch erst mal daran gewöhnen." Sie seufzte und fuhr mit einer Hand durch die Haare. "Die sind erst seit heute so."

"Aha." Der Gitarrist betrachtete sie einen Moment lang. "Steht dir."

"Danke." Sie lächelte ihn an. Dann sah sie sich um. Reno brauchte länger als sie erwartet hatte.

"Was ist los? Wartest du auf jemanden?", wollte Kôji von ihr wissen.

"Eigentlich ja", meinte sie zerstreut. Sie hatte den Rothaarigen endlich entdeckt und winkte ihm zu, um ihn auf sich aufmerksam zu machen. Er bemerkte es und begab sich auf den Weg zu ihnen. "Ich hab hier ein paar sehr nette Leute kennen gelernt", fuhr sie fort, als sie sich wieder Kôji zuwandte. Sie nahm seine Hände von ihren Schultern herunter.

Er legte die Stirn in Falten. "Gut zu wissen, dass du nicht allein hier unterwegs bist… Ich habe gehört, dass die Turks hier nach jemandem suchen. Du solltest vorsichtig sein."

"Huh?" Naomi war verwirrt. Warum machte er sich deswegen Sorgen? "Was ist mit ihnen?" Der andere Gitarrist schien alles andere als begeistert zu sein.

Kôji seufzte. "Ich kenne sie nicht persönlich, aber ich habe nichts Gutes über sie gehört. Sie sollen Auftragskiller sein. Solche Sachen halt. Vielleicht suchen sie ja sogar nach dir. Oder mir. Da wir ja schließlich… neu hier sind." Er sah sie besorgt an.

Sie konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. "Nein, sind sie nicht", sagte sie.

"Was meinst du? Was sind sie nicht?" Nun war er verwirrt.

"Auf der Suche nach mir. Zumindest nicht so, wie du denkst. Und schlecht sind sie auch nicht."

Reno gesellte sich genau in diesem Moment zu ihnen und räusperte sich. "Wer ist nicht schlecht?" fragte er. Mit einem Stirnrunzeln sah er die beiden argwöhnisch an.

"Du natürlich", antwortete sie unbekümmert und wandte sich zu ihm um. Sein Gesichtsausdruck gefiel ihr irgendwie nicht. "Geht es dir gut?"

"Sicher." Sein Ausdruck wurde etwas weicher. "Hier. Ich habe dir etwas mitgebracht." Er reichte ihr ein großes Crêpe, das mit Erdbeercreme gefüllt war – zumindest sah es für Naomi wie ein solches aus.

Entzückt nahm sie es ihm ab. "Nun", meinte sie. Kôji legte ihr einen Arm um die Schultern, was ziemlich Besitz ergreifend wirkte. Sie fühlte sich ein wenig unbehaglich und verlagerte ihr Gewicht. "Ich glaube nicht, dass ihr euch schon mal begegnet seid." Sie schob Kôjis Arm weg. "Das ist Kôji, einer meiner besten Freunde. Wie auch immer er hier gelandet ist. Und das ist Reno", stellte sie die beiden einander vor.

"Du hast nichts davon gesagt, dass du mit den Turks befreundet bist", beschwerte sich der rothaarige Musiker bei ihr.

Naomi konnte einen frustrierten Seufzer nicht unterdrücken. Irgendwie hatte sie gerade das Bedürfnis, ihm irgendetwas unsanft ins Gesicht zu befördern. "Kôji", murmelte sie bestimmt. "Ich bin mit einem von ihnen befreundet. Was ist daran so schlimm? Sie sind in Ordnung, soweit ich das bisher beurteilen kann. Was auch immer du über sie gehört hast, bedeutet noch lange nicht, dass sie schlechte Menschen sind. Auch wenn ich wünschte, dass Elena etwas weniger redet."

Reno konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und wuschelte ihr durch die Haare. "Ich fühle mich geschmeichelt", grinste er sie an. "Das ist dann also der berüchtigte Kôji, mit dem du mich verwechselt hast, huh?"

Kôji betrachtete ihn einige Sekunden lang. "Ich finde nicht, dass er mir ähnlich sieht", stellte er schließlich fest. "Und es tut mir leid", er stupste Naomi leicht an, "aber du kannst nicht böse auf mich sein, nur weil ich mir Sorgen um dich mache."

"Ich weiß", nuschelte sie, nachdem sie gerade erst einen großen Bissen von dem Crêpe genommen hatte. Es schmeckte ein wenig anders als die, die sie von zu Hause kannte. "Aber als ich ihn zum ersten Mal gesehen habe, hab ich nur auf die roten Haare und das breite Grinsen geachtet. Und da ich euch so sehr vermisst habe, ist es doch kein Wunder, dass ich ihn für dich gehalten habe."

"Nun gut", seufzte der Gitarrist. "Es tut mir ja wirklich leid, aber ich muss jetzt leider gehen, ansonsten reißt Yû mir womöglich den Kopf ab", meinte er, als er einen Blick auf die Uhr warf. "Du solltest das Theater mal besuchen. Wir arbeiten da im Moment." Er gab ihr einen leichten Kuss auf die Stirn. "Yû wird sich riesig freuen, dich zu sehen. Und dein Regisseur wird sicher auch nichts dagegen haben."

"Er ist nicht 'mein' Regisseur", sagte sie spitz. "Ich kenne ihn nur zufällig. Außerdem hast du mir nichts davon gesagt, dass er auch hier ist."

Kôji fing an zu lachen. "Sicher. Ich vergaß", grinste er. "Und du", wandte er sich an Reno und warf ihm einen warnenden Blick zu, "du solltest dich besser gut um unsere kleine Schwester kümmern." Damit drehte er sich um und wollte gerade gehen, hielt aber noch einmal inne. "Du musst uns unbedingt alles erzählen, wenn du vorbeikommst", meinte er zu Naomi. "Was du in den letzten Wochen gemacht hast, wen du getroffen hast – von den Turks mal abgesehen – einfach alles." Er zwinkerte ihr zu, bevor er schließlich ging.

Ungläubig schüttelte Naomi den Kopf. Er hatte sich kein bisschen verändert.

"Können wir gehen?", fragte Reno beiläufig, als er ihr einen Arm um die Schultern legte. Zufrieden stellte er fest, dass sie ihn nicht weg schob. Er führte sie zur Gondel und sie stiegen ein. "Also. Was hat er gesagt, bevor ich euch gestört habe?", wollte er wissen.

"Huh?" Sie sah ihn verwirrt an. "Ach… er meinte nur, dass er irgendwas Schlechtes über die Turks gehört hat… und dass ihr vielleicht nach mir sucht und ich daher vorsichtig sein soll", antwortete sie mit einem Achselzucken. "Er meinte, ihr wärt Auftragskiller oder so was in der Art."

Er sah sie ernst an. "Was, wenn wir das tatsächlich sind?"

Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Nun…" Sie seufzte. "Meiner Meinung nach scheint ihr sehr nette Menschen zu sein. Außerdem habt ihr mir nie etwas getan. Daher mache ich mir auch keine Sorgen."

"Weißt du…" begann er und biss sich auf die Unterlippe. "Du hast keinen Grund, dir Sorgen zu machen. Vielleicht… wenn du vor ein paar Jahren hier gewesen wärst und uns jemand…" Er unterbrach sich selbst und holte einmal tief Luft. "Was ich dir damit sagen will, ist… er hat nicht völlig Unrecht. Aber in den letzten Jahren haben sich so einige Dinge geändert. Und aus dieser Branche sind wir schon vor einiger Zeit ausgestiegen."

Naomi zog eine Augenbraue hoch. "Also habt ihr tatsächlich Menschen getötet?", fragte sie leise. Sie konnte sich Reno beim besten Willen nicht als Attentäter vorstellen. Abgesehen davon… konnte sie es auch nicht wirklich glauben. Natürlich kannte sie solche Sachen aus Filmen und Büchern. Aber dass jemand, der so nett war wie er… nein.

"Es war unser Job. Entweder töten oder getötet werden. Wie gesagt, eigentlich tun wir so was nicht mehr. Das meiste davon zumindest. Wir stellen immer noch Nachforschungen an, wenn es sein muss, und sind auch oft unterwegs. So wie jetzt. Früher lagen die Dinge halt etwas anders als heute", erklärte er. Er sah sie unsicher an. "Hasst du mich jetzt?"

Für eine Weile schwieg sie und dachte darüber nach. "Nein", meinte sie schließlich. "Nein, ich hasse dich nicht. Du warst immer nett zu mir. Ich habe keinen Grund, dich zu hassen." Sie versuchte, nicht über die Sache mit den Attentätern nachzudenken. Das lag in der Vergangenheit und sie wollte nicht, dass sie diese Tatsache zu sehr beeinflusste.

Er seufzte erleichtert auf. "Was für ein Glück", murmelte er. Er lehnte sich zurück und lächelte sie an. "Wer ist dieser Regisseur, von dem dein Freund gesprochen hat?", wollte er dann von ihr wissen.

Die Gitarristin verzog das Gesicht. "Markus Jansen", erwiderte sie. "Ich habe dich gebeten, nach ihm zu suchen, erinnerst du dich?"

"Also ist er wirklich hier", stellte Reno zufrieden fest. "Sieht so aus, als wäre mein Job hier schon erledigt." Als er ihre Verwirrung bemerkte, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Ich hörte, dass jemand Neues hier ist. Jemand, dessen Beschreibung zu dem Bild passt, das du mir gegeben hast", erzählte er. "Ich wollte sicher gehen, ob er es tatsächlich ist. Nun. Er ist es. Job erledigt. Das bedeutet: mehr Zeit, sich zu amüsieren."

Naomi warf ihm einen seltsamen Blick zu und stupste ihn an. "Welche Art von Amüsement meinst du denn?", fragte sie ihn argwöhnisch.

Er verdrehte die Augen. "So wie das hier", meinte er mit einer ausladenden Geste. "Du hast nicht ein einziges Mal aus dem Fenster gesehen. Welchen Zweck hat es, mit der Gondel zu fahren, wenn du nicht rausguckst?"

Sie konnte ein Kichern nicht unterdrücken. "Weißt du", meinte sie, als er sie nur verwirrt ansah, "Kôji hat mich wegen der neuen Haarfarbe zuerst nicht erkannt und hat natürlich versucht, mich anzugraben. Er wollte mich zu einer –", sie holte tief Luft, um nicht lauthals loszulachen, " romantischen Rundfahrt in dieser ach so reizenden Gondel bewegen", imitierte sie ihren Freund amüsiert. Nun konnte sie sich nicht länger zurückhalten und brach in Gelächter aus.

"Du tust ja grad so, als wäre das absolut lächerlich." Reno tat so, als wäre er zutiefst verletzt, als er einen Arm um ihre Schultern legte und sie näher zu sich heranzog.

"Wenn er so was sagt, ist es das eigentlich auch… irgendwie", kicherte sie. Sie lehnte sich an seine Brust und versuchte, sich wieder zu beruhigen. "Sofern es mich betrifft jedenfalls."

Der Rothaarige ließ seine Finger durch ihre Haare gleiten. "Und was hast du ihm darauf gesagt?", fragte er leise.

Naomi schnappte nach Luft und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. "Ich hab ihm gesagt, dass er den Blödsinn sein lassen soll. Das war auch der Moment, als er mich doch noch erkannt hat." Sie grinste ihn an. "Er war hellauf begeistert, mich wieder zu sehen, auch wenn er dadurch kein Date hatte. Er ist für mich wie ein großer Bruder, deswegen würde es mir gar nicht in den Sinn kommen, mit ihm auszugehen."

"Hm." Er sah sie nachdenklich an. "Was ist mit mir?"

"Huh?"

"Würdest du mit mir ausgehen?"

Sie zog die Augenbrauen zusammen. Meinte er das ernst? "Nun…" Naomi legte den Kopf schief. "Ich habe noch nie darüber nachgedacht." Auch wenn das nicht ganz die Wahrheit war. Doch wen interessierte das schon? "Sicher, warum nicht?" Verdammt. Was um alles in der Welt sagte sie da?! Sie sollte sich nicht zu sehr mit irgendwem hier einlassen… Sie lief rot an und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter, in der Hoffnung, dass er es nicht gesehen hatte.

Das hatte er sehr wohl, allerdings sagte er nichts dazu. Er wusste, dass es sie noch mehr in Verlegenheit bringen würde. "Also kann ich davon ausgehen, dass wir jetzt ein Date haben?", murmelte er.

Naomi zuckte leicht mit den Schultern. "Kann gut sein", brummte sie. Wenn sie darüber nachdachte, könnte man das Ganze wirklich als Date bezeichnen. Irgendwie machte sie das ein bisschen nervös. Sie wusste, dass es keine besonders gute Idee war. Doch es war schon eine Ewigkeit her, seit sie zum letzten Mal mit jemandem ausgegangen war. Wer hätte gedacht, dass sie das ausgerechnet hier tun würde? Und das mit Reno. Wenn er sie nicht gefragt hätte, dann hätte sie das niemals ernsthaft in Betracht gezogen. Nicht einmal nach der Nacht, die sie gemeinsam verbracht hatten. Nun ja… seither hatte er auch nicht wieder versucht, ihr irgendwie näher zu kommen. Deswegen hatte sie angenommen, dass es bei einem One-Night-Stand bleiben würde. Zumindest wäre es so besser gewesen. Dessen war sie sich sicher.

"Geht es dir gut?", flüsterte er. Sie schauderte ein wenig und ihr Herz schien einen kurzen Moment auszusetzen, als seine Finger sacht über ihre Wange strichen.

'Das ist nicht gut. Ganz und gar nicht. Das ist definitiv eine verdammt schlechte Idee', dachte sie, sprach ihre Gedanken jedoch nicht laut aus. Sie nickte schwach und die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich noch.

Sanft legte er ihr einen Finger unter das Kinn, um ihren Kopf anzuheben, damit er sie ansehen konnte. "Wirklich?" Ihr Gesicht schien zu glühen. Reno grinste. Anscheinend hatte er doch eine größere Wirkung auf sie als sie sich üblicherweise anmerken ließ. Reno sah in ihre verblüffend grünen Augen und senkte den Kopf.

In ihrem Kopf schien ein riesiges Durcheinander zu herrschen, als er seine Lippen über ihre legte. Sofort schloss sie die Augen und legte eine Hand auf seinen Nacken, um den Kuss zu vertiefen. Sie öffnete ihre Lippen und schon bald liebkoste seine Zunge die ihre. Es war ein Gefühl, dass ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Sicher, sie hatten sich zuvor schon geküsst, aber es war nicht so intensiv gewesen wie jetzt.

Als die Gondel anhielt, waren sie beide enttäuscht, dass sie ihren Kuss unterbrechen mussten. Der Rothaarige fuhr mit einer Hand durch ihre Haare und gab ihr noch einen kurzen Kuss, bevor sie ausstiegen.

Naomi räusperte sich, noch immer ein wenig benommen. "Und was machen wir jetzt?", fragte sie vorsichtig.

Er nahm ihre Hand und lächelte sie an. "Es gibt hier ein wirklich schickes Restaurant. Es ist ganz in der Nähe des Theaters", meinte er. "Klingt das gut?"

Sie erwiderte sein Lächeln. "Klingt großartig!", erwiderte sie. "Abendessen mit dir, meine Freunde besuchen, etwas Zeit allein verbringen… es könnte gar nicht besser sein!" 'Außer nach Hause zu gehen', fügte sie in Gedanken hinzu.

Er nahm sie fest in die Arme und legte sein Kinn auf ihrem Kopf ab. "Was glaubst du, werden deine Freunde dazu sagen, dass du mit einem Turk ausgehst?"

Naomi schnaubte. "Sie waren schon mit meinem letzten Freund nicht einverstanden. Das hat mich auch nicht weiter interessiert", gab sie mit gedämpfter Stimme zurück. "Ich war trotzdem mit ihm zusammen." Sie verbarg ihr Gesicht an seinem Hemd und atmete seinen Geruch ein.

Reno strich ihr über den Rücken und lachte leise. "Na dann. Auf geht's."
 

Reno hatte nicht übertrieben. Das Restaurant war wirklich toll. Naomi fand es reizend, mit den gemütlichen kleinen Sitzecken, außerdem war es sehr schön dekoriert. Das Essen war auch sehr gut. Für eine ganze Weile unterhielten sie sich, als sie in einer der etwas privateren Ecken saßen. Dabei tranken sie auch etwas. Sie fingen mit Wein an, letztendlich waren sie dann bei etwas angelangt, das sie an Tequila erinnerte. Somit war es für sie einfacher, ihr leichtes Unbehagen, was diese ganze Situation betraf, zu ignorieren. Zu guter Letzt dachte sie überhaupt nicht mehr darüber nach. Als sie das Restaurant Stunden später wieder verließen, war sie leicht angeheitert. Reno schien es nicht das Geringste auszumachen. Anscheinend vertrug er mehr als sie.

"Da sind wir", verkündete er, als sie am Event Square angekommen waren.

Sie warf einen Blick auf das Schild, auf dem die Daten für das aktuelle Stück verzeichnet waren. Die nächste Aufführung war morgen. "Schade", seufzte sie. "Ich war schon ein bisschen neugierig auf das, was er sich hat einfallen lassen."

"Nun, wenigstens haben sie diesen 'Loveless'-Schund endlich abgeschafft", murmelte Reno. "Das war so ziemlich das einzige Stück, das hier in den letzten Jahren aufgeführt wurde. Und das obwohl der letzte Akt bis zum Schluss nicht gefunden werden konnte."

"Worum ging es denn da?", wollte sie von ihm wissen, als sie ihm einen Arm um seine schmale Taille legte.

"Kann ich dir nicht genau sagen", antwortete er. "Irgendwas über eine Göttin und Rache. Ich bin mir nicht sicher. Ich hab es mir ohnehin nie angesehen."

Als sie das Theater betraten, sah sie sich um. Auf der Bühne entdeckte sie ein paar Leute, die gerade aufräumten. Kôji erkannte sie auf den ersten Blick, wegen seiner leuchtend roten Haare. Ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie auf die Bühne zutrat. "Hi!"

"Na, sieh mal einer an, wer da ist!", rief Kôji aus, als er sich zu ihr umwandte.

Ein Mann mit braunen Haaren und blondierten Spitzen drehte sich ebenfalls um. "Na, wenn mich meine Augen mal nicht täuschen, huh?", meinte er und sprang von der Bühne herunter.

"Ich glaube nicht", gab sie zurück und ließ Reno los, damit sie ihren Freund umarmen konnte.

"Oh man, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr wir dich vermisst haben, Nee-chan", sagte Yûichi. Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete sie von oben bis unten. "Du siehst toll aus."

"Danke", grinste sie ihn an. "Und ich kann es mir sehr gut vorstellen… jedenfalls hab ich euch so sehr vermisst, dass ich Reno mit Kôji verwechselt habe, als wir uns kennen gelernt haben."

"Hast du das?", meinte Yûichi lachend. Er bemerkte den Turk erst jetzt. "Hi, ich bin Shinoda Yûichi", stellte er sich vor und reichte Reno die Hand. "Nun, wenn ich nicht allzu genau hinsehe, kann ich mir gut vorstellen, wie das passieren konnte."

"Er sieht mir kein bisschen ähnlich", grummelte Kôji, als er sich zu ihnen gesellte. Yûichi und Naomi konnten sich ein Lachen nicht verkneifen.

"Mach dir nichts draus", sagte der Sänger grinsend. "Er ist nur schlecht gelaunt, weil er kein einziges Date hatte, seit wir hier sind."

"Das überrascht mich nicht", kicherte Naomi. "Mit dem Verhalten, das er mir gegenüber an den Tag gelegt hat, wird er auch in der nächsten Zeit keines haben."

"Du hast dich an Nee-chan rangemacht?", wandte sich der Sänger an seinen besten Freund. "Bist du verrückt? Du hast mir nur erzählt, dass du sie getroffen hast."

"Wie hätte ich denn wissen sollen, dass sie es war?", grummelte Kôji. "Mit der neuen Haarfarbe sieht sie ganz anders aus."

Yû schüttelte den Kopf. "Nun ja… aber es überrascht mich, dass du auch hier bist. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich sogar froh darüber. Wie geht es dir?"

Naomi erzählte ihnen mit wenigen Worten, wie sie in Edge aufgewacht war und versucht hatte, die beiden anzurufen. Wie sie Tifa und die anderen kennen gelernt hatte. Und dass sie nun im '7. Himmel' arbeitete. Und natürlich auch, dass sie quasi einen Kurzurlaub mit Reno, Rude und Elena hier verbrachte.

"Die Turks, hm?", meinte Yûichi nachdenklich. "Versteh mich nicht falsch, Kumpel, aber ich habe nicht gerade wenig Schlechtes über euch gehört."

"Vielleicht ist das auch alles wahr", gab Reno zurück, "aber vielleicht sind auch einige Dinge sehr übertrieben."

"Sie sind wirklich sehr nett", fügte Naomi hinzu. "Zufällig mag ich sie."

Der Sänger wuschelte durch ihre Haare. "Ist in Ordnung, Schwester. Solange es dir dabei gut geht, ist es für mich kein Problem. Auf mich wirkt er auch gar nicht wie ein schlechter Mensch. Auch wenn ich das nicht beurteilen kann." Er wandte sich zu Reno um. "Du solltest ihr nur nicht weh tun, ansonsten bekommst du es mit uns zu tun", versprach er.

"Das hatte ich nicht vor", meinte der Turk. "Ich mache mir nicht die Mühe, auf sie aufzupassen und sie zu beschützen, nur um dann etwas Dummes anzustellen."

"Das tust du?", fragte Naomi überrascht.

"Sicher. Bisher ist dir nichts passiert, oder? Ich versuche mein Bestes, um dich vor Schaden zu bewahren. Ansonsten würden mich ein paar Leute sicher umbringen. Außerdem habe ich dir doch gesagt, dass ich nicht will, dass dir etwas passiert. Bleibt nur noch das Problem, dass ich dich nicht vor dir selbst beschützen kann", grinste er sie an.

Sie verpasste ihm einen leichten Klaps. "Du bist unmöglich", schimpfte sie, allerdings in einem freundlichen Tonfall.

"Ich weiß, Süße." Er zupfte an ihren Haaren.

"Nun", mischte sich Yûichi ein. "Ich hoffe, du hast dich auf eine lange Nacht eingestellt. Es gibt so viel zu erzählen."

Naomi sah ihn entschuldigend an. "Eigentlich nicht. Es tut mir leid, aber ich bin wirklich hundemüde. Ich bin letzte Nacht schon recht spät ins Bett gegangen und lange schlafen konnte ich auch nicht. Es war ein ziemlich langer Tag."

"Und was ist mit morgen?", fragte er. "Wir könnten uns was zu trinken holen und eine kleine Wiedersehensparty feiern."

"Das wäre toll!", rief sie aus, dann sah sie Reno an. "Wenn das für dich okay ist?"

Der Rothaarige nickte. "Klingt gut."

"Alles klar, dann wäre das ja geklärt", stellte Naomi fest. "Dann müsst ihr mir alles erzählen, was ihr hier so alles angestellt habt."

"Aber sicher. Freut mich, dich kennen gelernt zu haben", antwortete Yûichi, als er Reno die Hand schüttelte. "Wir sehen uns dann morgen."

Reno wandte sich zum Gehen, aber Naomi hielt ihn zurück. Sie umarmte ihre Freunde zum Abschied und forderte Kôji auf, dass er sich anständig benehmen sollte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass jemand fehlte. "Wo ist Markus?"

"Oh, er ist heute schon früh ins Bett gegangen. Ungefähr eine halbe Stunde, bevor ihr gekommen seid." Yûichi hob die Schultern. "Er hat in den letzten paar Wochen fast ununterbrochen gearbeitet."

Sie zog die Augenbrauen hoch. "Tja, ich werde ihm morgen noch was dazu sagen", meinte sie. Sie winkte ihren Freunden noch ein letztes Mal zu, dann nahm sie Renos Hand und die beiden verließen das Theater.



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Kommentare zu dieser Fanfic (5)

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Von:  Jitsch
2009-07-01T14:07:22+00:00 01.07.2009 16:07
Ein schönes Kapitel. Man lernt die Welt da immer besser kennen, was vor allem für einen FinalFantasy-Neuling wie mich sehr interessant und ansprechend gemacht ist. Auch die Charaktere wachsen einem sehr schnell ans Herz, vor allem natürlich Reno und Naomi, die sind irgendwie eine lustige Kombi.

Die Fanfic zu lesen macht immer wieder Spaß ^^ Hoffentlich schreibst du bald weiter.

Jitsch*
Von:  Jitsch
2009-07-01T13:37:01+00:00 01.07.2009 15:37
Ah, ein interessantes Kapitel ^^ Ich finde es nach wie vor schön, wie lebendig bei dir alles wirkt und das Ende des Kapitels lässt ja hoffen, dass es jetzt langsam mal irgendwie auch Action gibt, so mit Kämpfen oder sowas ;)
Deinen Stil finde ich einfach nur gut, man kann sich alles wunderbar vorstellen und es liest sich sehr angenehm, keine Rechtschreibfehler und dergleichen.

Werde gleich mal weiterlesen ^^

Jitsch*
Von:  Jitsch
2008-09-20T09:49:00+00:00 20.09.2008 11:49
Interessantes, wenn auch nicht groß ereignisreiches Kapitel. Der Charme dieser Geschichte besteht einfach darin, dass die Charaktere total natürlich wirken, realistische Dialoge führen und Dinge tun, die andere Menschen auch tun - ganz normal halt ;)

Ich habe übrigens (da du den 2. Platz bei meinem Wettbewerb belegt hattest) ein Fanfic-Cover zu "kodou" gemalt. Ich werde es demnächst hochladen und dir dann den Link schicken.

Jitsch*
Von:  Yuufa
2008-06-30T19:12:01+00:00 30.06.2008 21:12
Ich finde deinen Schreibstil ausgesprochen gut. Es wird alles gut erläutert und ich finde es bisjetzt wirklich schön ^^ Vorallem, weil sich Naomi auch nach ihren Freunden sehnt... du zeigst damit, das sie wie ein Mensch fühlt, denkt und handelt... sowas mag ich sehr gerne... ^^ Nur kommt mir Cloud jetzt ein bisschen zu fröhlich herüber... o.o" Oder ich bilde es mir einfach nur ein... XD" Ich hoffe, es wird bald weitergehen ^^~
Von: kiki004
2008-03-15T17:33:56+00:00 15.03.2008 18:33
Du hast einen unglaublichen schreibstil und ich bin froh das ich über diese FF gestolpert bin. Geht es hier eigentlich noch weiter?

Würd mich nämlich riesig darüber freuen ^.^
lg
kiki


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