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Dakishimete da yo - onegai

抱きしめて だ よ - おねがい
von

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Bad omen

Es war tiefste Nacht an einem Sonntag. Die 19-jährige zog ihre Decke höher ins Gesicht. Ihr Vater fluchte, also warf sie diese weg und rannte nach draußen. „Papa, wo warst du?“ wollte sie wissen, doch der Mann fuhr sie gleich an, so dass sie zusammenzuckte.

„Geh ins Bett, Natsumi und geh mir nicht auf die Nerven!“

Sie knallte die Tür hinter sich zu und verschwand wieder in ihrem Zimmer. Was zum Teufel machte ihr Vater, was sie nicht wissen durfte? Er kam erst spät in der Nacht wieder und sagte ihr nicht einmal, wo er gesteckt hatte, da war definitiv etwas faul.

Sie hörte die Treppengeräusche, zog sich etwas über und folgte dann ihrem Vater. Er lud etwas ins Auto, was sie ihren Augen nicht trauen ließ.

Natsumi schaute dem wegfahrenden Auto zu und schnappte sich ihren Motorradhelm und ihre Lederjacke, die sie sich fix überzog. Dann verfolgte sie ihren eigenen Vater in einem gewissen Sicherheitsabstand.

Bei einer düsteren Gegend hielt das Auto an, also stellte die Schwarzhaarige ihr eigenes Motorrad in einer kleinen Gasse ab, von wo aus sie ihren Vater beobachtete. Ein anderes, schwarzes Auto wartete hier schon und ein ebenfalls düster gekleideter schwarzhaariger Mann stieg aus diesem aus.

„Es wurde Zeit, Refosco, hast du das Geld?“

„Sicher doch, Chardonnay, der Mandant hat einiges eingebracht, tot ist er mittlerweile auch, wie du das wolltest“, antwortete der große, stark gebaute Mann, weshalb Natsumi sich die Hand vor den Mund hielt. Ihr Vater ermordete Menschen für irgendjemanden, aber wieso? Er war doch ein Mann des Gesetzes...

„Sehr schön und damit ist deine Zeit auch schon abgelaufen“, sagte der etwas schmächtigere Mann und lachte laut auf, bevor er Natsumis Vater eine Waffe an den Kopf hielt. „Chardonnay braucht dich nicht mehr, am besten steht er alleine da...“

Blitzartig war dem Opfer klar, dass man ihn hereingelegt hatte – der Mann gegenüber war überhaupt nicht sein Boss. Doch für derartige Erkenntnisse war es bereits zu spät, die Waffe war geladen und der Schuss ertönte anschließend.

Natsumi begann merklich zu zittern und sie wagte es auch nicht, an diese Person heran, wozu auch? Sie hatte ihrem Vater in den Kopf geschossen – das hieß, er war tot, das übelebte man nicht. Sie wollte nicht auch sterben und versteckte sich weiter hinter der Mauer, wo Tränen über ihre Wangen flossen, immerhin hatte man gerade eben ihren Vater umgebracht – quasi vor ihren Augen...

„Hast du verdient, du Drecksack!“

Es war ganz eindeutig die Stimme einer Frau, eine Frau hatte ihren Vater getötet, da war Natsumi sicher, sie hatte doch eben ihre Stimme gehört, oder bildete sie sich das ein?

Die Verkleidete räumte noch ein wenig am Tatort auf und ließ alles nach einem Raubmord aussehen, indem sie ihm alles aus seiner Geldbörse nahm und diese neben ihn legte.

Die Person, welche scheinbar weiblich war, setzte sich in das Auto und brauste daraufhin einfach davon, ohne sich noch großartig lange am Tatort aufzuhalten.

Als sie außer Reichweite war, rannte Natsumi zu ihrem Vater und erkundigte sich nach seinem Zustand und entschloss sein Auto ein wenig zu untersuchen. Er hatte sie lange nicht mehr in diesem mitfahren lassen und einiges zu verbergen gehabt, wie es ihr schien. Die Neugierde siegte.

Ihre Hoffnung wurde nicht erhört, denn im nächsten Moment sah sie die Wunde zwischen seinen Augen und das Blut, welches aus dieser quoll, ihr war schlecht, so sehr, dass sie sich von ihrem Vater abwandte und die Tür zu seinem Auto mit ihrem Handschuh öffnete. Wie gut, dass sie zum Motorradfahren welche trug, das ersparte ihr Ärger.

Auch wenn es so gut wie unmöglich gewesen war, dass er überlebt hatte, hatte sie sich an diese kleine Hoffnung und an ein Wunder geklammert – vergebens. Sie hätte sich das Ganze ja auch einbilden können.

Leider konnte Natsumi nichts finden, was das Geheimnis ihres Vaters hätte lüften können, deswegen gab sie es seufzend auf und schlug die Tür wieder zu.

„Na, Kleine... so spät noch unterwegs?“ wurde sie von hinten angesprochen und dann stand da der Kerl, welcher sie zurückschrecken und gegen die Tür gleiten ließ.

„Du kennst mich noch, oder?“

Ja, das tat sie und es waren ganz sicher keine schönen Erinnerungen.

Der Schwarzhaarige konnte der 19-jährigen sämtliche Angst ansehen, genauso wie die Tatsache, dass sie ihn wohl erkannt haben musste. Gut, man hatte vielleicht auch vor Fremden im Dunklen Angst, aber sie doch nicht.

„Wie könnte ich deine Visage vergessen, Takagi?“

„Du bist ganz schön frech, ganz wie deine Hure von Mutter!“

„Du Mistkerl!“

Das hätte sie nicht sagen sollen. Der Mann tickte total aus und schlug der um viele Jahre Jüngeren brutal ins Gesicht. Dann packte er die Studentin, weshalb sie zu schreien begann.

„Du kommst mit, dafür, dass du hier herum geschnüffelt hast!“

„HILFEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEE!“ schrie sie und versuchte sich von seiner Umklammerung von hinten zu befreien, aber er war stärker, sehr viel größer als sie und auch noch ein Mann, der ihr keinerlei Chance ließ – kein Wunder, immerhin übte er mit allen möglichen Frauen, wie man so etwas am besten machen konnte. Angst beschlich sie, sie wollte nicht irgendwo alleine mit ihm sein – mit gutem Grund...

Der schwarz Angezogene allerdings hielt ihr jetzt auch noch den Mund zu und verschleppte sie bis in eine andere Straße, wo er ein Auto hatte.

Natsumi bemerkte sofort, dass es genau dasselbe war, wie das, was die mysteriöse Person von vorhin gefahren hatte. ‚Stimmt, sie sah dir ähnlich, sie hat sich als dich verkleidet!’ Was wurde hier gespielt? Wieso legte diese Frau ihren Vater dermaßen herein? Hieß das, er hatte wirklich mit Keichiro Takagi Geschäfte abgewickelt? Wenn dem so war, dann war er nicht mehr ihr Vater.
 

Bevor das Mädchen in Chardonnays Auto gebracht werden konnte, weil es so eine Kratzbürste war, musste der Mann sie erst einmal betäuben, sonst würden sie einen Unfall haben, weil sie selbst neben ihm sicher auf ihn eingeschlagen hätte. Aber heute war sein Glückstag. Wenn er schon seine eigene Tochter nicht bekam, würde er eben die von wem anders nehmen – als kleinen Ersatz.

Sie klappte einfach zusammen, so dass er sie nur noch hinten auf die Rückbank verfrachten musste. Der Kofferraum fiel leider aus, weil sich dort eine verdammte Leiche befand, die er noch entsorgen musste.

In der Gegend war wenig los und Chardonnay war so gut wie immer mit seinen Leuten dort zu finden – gewöhnliche Mörder, die sich hier verschanzten, er war lediglich ihr Anführer. Sie nannten ihn zwar Boss, aber das hieß nicht, dass er wirklich der Boss von allen war. Es gab Menschen, die weitaus höher standen, als er.

Sie verschlief die ganze Fahrt, so stark war die Dosis Schlafmittel gewesen, die man ihr in Form einer Spritze gegeben hatte.

Es war für den Mann ein Leichtes, sie jetzt in seine Wohnung zu tragen, was sie nur bemerkte, weil er eine Treppe hochging und sie dabei war, aufzuwachen. Sie zuckte mit den Augen, wusste aber nicht mehr genau, was geschehen war und wo sie sich befand. ‚So dunkel?’

Es war Musik zu hören, als die Tür geöffnet wurde und anschließend zuflog.

Sein Sohn amüsierte sich wohl prächtig, wie es schien und hatte sich etwas Musik angemacht. Wenn er heute sonst nichts zu tun hatte...

Natsumi schlug die Augen auf und bemerkte, dass sie sich in irgendeiner Wohnung befand. Wegen getrübter Erinnerung tat sie noch nichts gegen den kräftigen Mann, der sie wenig später auf das Bett fallen ließ.

Dann sah sie sein Gesicht, woraufhin ihr nichts anderes einfiel, außer einen Schrei von sich zu geben, ihre Arme und Beine wollten sich nämlich nicht bewegen...
 

Der Schrei hatte Kenjiro dazu veranlasst, die Anlage abzuschalten und nach draußen zu gehen. „Was ist hier los?“ Er sah die Schuhe seines Vaters, er war also wieder zurück. Mit einem verhassten Laut, der seinem Mund entkam – es war jedoch kein Wort – knallte er die Tür hinter sich zu und verschwand wieder ins Zimmer, welches er abschloss. Er wollte dem Alten jetzt unter keinen Umständen begegnen – es reichte, wenn sie sich wegen Organisationsdingen ständig sehen mussten – er hasste den Mistkerl.
 

„Was ist los mit mir?“

„Du fühlst dich schwach...“

Die Frage, welche sich der 19-jährigen stellte, war, wieso sie sich so schwach fühlte. „Warum?“

„Und wehren kannst du dich auch nicht...“

Als sie dann erneut zu schreien begann, öffnete Kenjiro noch einmal die Tür von seinem Zimmer und ging zu dem Schlafzimmer seines Vater hinüber. Dann würde er ihn eben sehen müssen. Das nahm er in Kauf, immerhin wusste er, was sich dort drüben sonst abspielen würde.

Der 19-jährige riss die Tür mit voller Kraft auf und zeigte einen wütenden Blick.

„Hey! Wieso darfst eigentlich nur du so etwas tun? Was ist mit mir?“

Natsumis Blick fiel zur Seite, wo sie einen rotbraunhaarigen Jungen ihres Alters erblicken konnte. Sie war schockiert. Was machte er denn bitte hier? Und wie redete er auf einmal?

„Das ist mein Junge.“

Keichiro war wohl total stolz, so schien es.

„Was ist jetzt?“

Chardonnay lag beinahe auf Natsumi, drückte sich dann aber grinsend vom Bett ab. „Ich gehe uns was zu trinken holen, solange kannst du dich mit der Kleinen amüsieren, aber sei nicht zu nett zu ihr... Lass sie ordentlich schreien.“ Dann verschwand der Mann, indem er an Kenjiro vorbei ging, welcher einen monotonen Blick aufgesetzt hatte und so auf Natsumi starrte. Er wartete, bis sein Vater hinter ihm verschwunden war und ging dann mit einem völlig anderen Blick zu ihr.

„Was ist hier los?“ wollte sie wissen, doch er schüttelte den Kopf, damit sie schwieg. Kenjiro hob sie hoch und trug sie dann zu seinem Zimmer hinüber, Hauptsache weg von seinem Vater, der ihr nur Leid zufügen wollte.

Sie wollte wissen, wie es dazu kam, dass ein ehemaliger Klassenkamerad bei Keichiro Takagi wohnte, aber sie sollte schweigen, weshalb die 19-jährige das auch tat und sich ein klein wenig an den Jungen klammerte, der sie wohl gerade vor Schaden bewahrt hatte. „Danke...“ Das wollte sie wenigstens noch von sich geben, doch darauf bekam sie keine Antwort, sondern nur ein Lächeln.

‚Hab ich gerne gemacht, so was kann ich doch nicht zulassen, wenn ich es auch verhindern kann...’
 

Kenjiro setzte sich auf das Bett und seufzte. Er hasste dieses Leben, aber ihm blieb kaum etwas anderes übrig, außer hier zu bleiben.

„Können wir jetzt reden?“ Weil er sie auf das Bett gelegt hatte, konnte sie sich wie vorhin schon nicht erheben und schaute zu ihm hoch.

Kenjiro warf ihr einen traurigen Blick zu. „Der Typ ist mein Vater, so grausam der Gedanke auch ist.“

„Irgendwie dachte ich mir das – als deine Haare noch anders waren, sahst du nicht dermaßen wie Wataru aus. Kennst du ihn, oder hat dein Vater dir das vorenthalten?“ Das war dem Kerl zuzutrauen.

Der 19-jährige konnte erst nicht antworten, ein dicker Kloß saß ihm im Hals, er musste mehrmals schlucken, bevor er etwas sagen konnte. „Ja, ich kenne ihn, er ist vollkommen anders als ich. Er hasst ihn nicht, obwohl er ihm immer wieder wehgetan hat – ich hingegen, ich hasse ihn mehr als sonst irgendwen. Er hat meine Mutter vergewaltigt – dafür hasse ich ihn!“

„Du spielst ihm etwas vor...“

Allerdings, das tat er, sonst würde er den nächsten Tag sicher nicht mehr erleben. Noch einen Verrat von einem Sohn würde Keichiro nicht stand halten, er würde ihn ermorden dafür, wenn er ihm sagen würde, was er wirklich von ihm hielt. Wataru wollte er ja auch töten, wenn es ihm möglich sein würde – leider hatte man ihm das strikt untersagt, absichtlich Ärger zu machen – immerhin war sein anderer Sohn bei der Polizei. Und Polizei bedeutete Ärger. Riina war nicht bei der Polizei, bei ihr durfte er es demnach versuchen... Der Gedanke machte ihn so krank. Wie oft hatte er sich eingemischt, um sie zu retten? In dem Punkt arbeitete er sogar mit Leuten, die er nicht leiden konnte, zusammen, wenn sie das gleiche Ziel wie er hatten.

„Das heißt, wenn er wiederkommt, muss ich gemein zu dir sein... Zumindest sollte es so aussehen... Ich versuche ihn schnell loszuwerden.“ Er würde doch niemals so wie sein Vater mit weiblichen Wesen umspringen können, so weit konnte sich Kenjiro nicht verstellen.
 

Wie erwartet betrat sein Vater wenig später wieder den Raum, weshalb Kenjiros Kehle trocken wurde und er mehrmals schluckte.

„So, ich habe uns Seyval mitgebracht, den magst du ja, nicht, mein Junge?“

Er war so scheußlich nett zu seinem Sohn, dass diesem fast übel wurde. Warum musste es auch Seyval sein – der Codename seiner Mutter. Sie war ihm heilig. Und nun sollte er sie trinken und dabei einem Mädchen wehtun? Wie würde er nur wieder aus dieser Situation entkommen?

„Uns? Soll das heißen, du willst mir dabei zusehen?“ Pinot durfte man dabei zusehen, ihm nicht, das war erstens geschmacklos, zweitens konnte er dann nicht tun, was er wollte.

Er musste jemand anderes sein, um zu überleben, das war die Regel hier. Auch wenn er die Person, die ihm das immer wieder klarmachte, absolut nicht ausstehen konnte, war es die Wahrheit. Seinen Wunsch zur Polizei zu gehen, hatte er längst begraben. Wie konnte er das jetzt noch, wenn Blut an ihm klebte? Er war bei weitem nicht so stark, wie man vermutete, da war sogar Cognac stärker, der immerhin Polizist war und sich selbst zu verraten schien, indem er zu einer Mörderin hielt und ständig Menschen ermordete. Aber selbst ihn, der Kenjiros geliebte Polizei verriet, hasste er nicht so sehr wie den eigenen Vater, immerhin hasste er Kenjiros Polizei und hatte auch noch seine Mutter vergewaltigt, es gab demnach viele Gründe für seinen Hass.
 

Es war an der Zeit endlich mal etwas zu Essen zu bekommen, deswegen befanden sie sich auch zu Dritt in einem noblen Restaurant, wo sie sich etwas Gutes zu Essen genehmigten. Für den 24-jährigen war es immer wieder ungewohnt, mit reichen Leuten zu essen, deswegen saß er auch teilweise total verkrampft da.

„Wo ist Sazerac eigentlich?“ wollte die Kurzhaarige mit den schwarzen Haaren wissen, wobei ein hinterlistiger und auch ein wenig stichelnder Blick in ihrem Gesicht sichtbar wurde.

„Einen Auftrag erledigen, was denn sonst, Aiko?“ Musste ihre Tochter eigentlich in einem feinen Restaurant über die Organisation reden?“

„Wer ist Sazerac?“ schaltete sich der Schwarzhaarige am Tisch ein und warf sowohl der Schwarzhaarigen als auch der Blondine einen fragenden Blick zu.

„Nobody!“ antwortete die Blonde vollkommen ruhig, während die 25-jährige Frau, die ihr gegenüber saß, kurz lachte.

„Du kennst ihn nicht, Kenji? Dann muss ich dich aufklären.“

„Ach herrje“, seufzte die 30-jährige und trank einen Schluck Rotwein. „Erzähl dem Mann bloß keinen Quatsch.“

„Was denn? Ist es Quatsch, dass du ihn etwas benutzt?“

„Was willst du mir verschweigen, Chris?“ schmollte Sêiichî und sah sie schmollend an. Da war etwas, was sie ihm verheimlichen wollte, das lag klar auf der Hand.

„Er ist einer ihrer Lover...“ Aiko hatte sich das einfach nicht verkneifen können, immerhin war das ja wohl keine Lüge. „Jeder weiß das, nur du wieder nicht. So was macht wohl wirklich blind...“ Es gab ihr Genugtuung, dem Typen, der mit ihrer Mutter ins Bett ging, eins reinzuwürgen, selbst wenn ihre Mutter anwesend war. Sie war und blieb eben ein gemeines und hinterhältiges Miststück – und sie sah nicht ein, dass sie nett zu diesem Typen war. Das hatte er richtig verdient – das Weichei, welches in seine Mutter verliebt war und auch noch dachte, sie würde ihn zurücklieben.

„Lover ist die Bezeichnung für einen Geliebten, ich liebe Sazerac aber nicht, also ist er auch nicht einer meiner Lover... Du beleidigst mich.“

„Ach was dann? Ein Bettgefährte?“ Sêiichî war beleidigt, er konnte es nicht glauben. Da war ein Mann, den er nicht kannte, der aber wohl etwas mit seiner Freundin haben durfte.

„Dieses Essen ist wirklich vorzüglich, hier gehen wir öfter essen“, sagte die blonde Schauspielerin als würde sie das, was Syrah und Cognac sagten, überhaupt nichts angehen.

„Hallo? Ich rede mit dir, Darling! Kriege ich vielleicht heute noch eine Antwort?“

„Du hast dich nicht im Griff! Dich und deine Männlichkeit! Reiß dich mal zusammen, was sollen die Leute von uns denken?!“ Etwas anderes schien die Frau nicht zu interessieren, außer dass man sie blamieren könnte.

„Wir sollten Kenji nicht mehr mitnehmen, wenn er sich nicht benehmen kann, Chris.“ Das hätte der Kurzhaarigen in den Kram gepasst, wenn man Cognac verstieß, sie arbeitete ja regelrecht darauf hin, dass ihre Mutter ihn endlich fallen ließ. Sobald sie ihn mit einer anderen Frau sah, rannte sie zu ihrer Mutter und erzählte ihr davon – sie war mit schuld, wenn sie stritten.

„Tut mir Leid, dass ich geboren wurde, der Appetit ist mir vergangen.“

„Verträgt das dein Ego nicht, dass du nicht der einzige Mann in ihrem Leben bist?“ stichelte Aiko den Mann am Tisch und lachte auch noch. Sie lachte ihn regelrecht aus. „Also wirklich, ihr Männer seid doch alle gleich... Ihr wollt die Frau für euch – das ist doch langweilig. Kriegst du jetzt Egoproblemchen? Du hast doch genug andere Frauen, die dich wollen. Was ist dein Problem? Geht es mit dir durch und du fängst an Gefühle für sie zu hegen, oder was spielt sich bei dir ab?“ Das pure Böse war in Aikos Augen erschienen, sie wusste ganz genau, dass sie damit Cognac die Wahrheit an den Kopf knallte. Das, womit er gar nicht klar kam. So war es doch?

„Könntet ihr diese alberne Streiterei wenigstens beim Essen sein lassen? Und es ist unhöflich, das Essen stehen zu lassen, Kenji, also krieg dich ein! Du sagtest vorhin selbst, dass es gut schmeckt, also zeig das auch!“

Toll, deswegen hasste er solche Restaurants, er war lieber für einen Imbiss nebenan, aber dafür konnte er sie wohl kaum begeistern. Das Einzige, was sie noch zuließ, war, dass er ihr etwas kochte, weil er, was das anging, fast noch besser war, als wenn es um seine Qualitäten als Liebhaber ging.

„Sorry“, kam von dem 24-jährigen Mann, der betreten auf seinen Teller schaute. Nicht nur der Appetit war gänzlich weg, auch seine gute Laune, als man ihn zum Essen eingeladen hatte.

Chris beobachtete ihn von der Seite. ‚Das hast du davon. Wenn du immer fremd gehst, empfinde ich sicher kein Mitleid für dich, wenn sie es dir auf den Kopf zusagt.’ Alles war halb so schlimm, aber garantiert hatte Sêiichî nun alle möglichen Gedanken bezüglich des Mannes, von dem die Rede gewesen war. Sazerac interessierte die Blondine nicht im Geringsten, er war kein schlechter Kerl und gut zum benutzen, aber mehr? Sie hatte doch schon einen, dem sie ihr Herz quasi geschenkt hatte, doch dieser bekam es einfach nicht mit, oder er wollte es nicht mitbekommen. Dass er deswegen litt, dafür konnte sie schließlich nichts. Dass er dachte, sie könnte ihn nicht lieben, hatte sowieso damit zu tun, dass er ständig mit anderen Frauen rummachte. Warum ließ er es dann nicht sein und musste ihr immer wieder unterbraten, wenn er sich andere suchen wollte? Zu schweigen wäre ein Fortschritt gewesen. ‚Außerdem gibt es nur einen Baka, der bei Verstand ist und trotzdem dämlich genug sich in mich zu verlieben. Er kann mir widerstehen, da ist er dir meilenweit voraus, er tut nämlich nur so nett, im Grunde kann er mich doch überhaupt nicht leiden – denke ich jedenfalls.’ Da dachte Sêiichî, sie würde ihn wegen diesem Typen verlassen, dabei hatte sie bei dem doch überhaupt keine Chancen, wie es schien. ‚Und jetzt bist du auf jeden eifersüchtig, der auch nur in meine Nähe kommt... belustigend.’ Sie genoss das jedes Mal und tat es auch noch absichtlich, um seine Eifersucht zu spüren. Ja, Sêiichî war ziemlich eifersüchtig, allerdings nur bei ihr – demnach war ihr auch bewusst, dass er sie liebte. Andere Frauen, mit denen er etwas gehabt hatte, entfachten diese Eifersucht ja nie.

Aiko beobachtete belustigt, wie dieser Macho kleiner wurde als ein Fingerhut. Teran war da ganz anders, er würde seine Freundin bestrafen, wenn sie so mit ihm umging, Cognac war eben ein waschechtes Weichei. Was reizte ihre Mutter eigentlich an diesem Fremdgänger? Das würde die Schwarzhaarige nie verstehen, immerhin interessierte ihre Mutter ihr Image wirklich sehr. Sie war, was Männer anging, normalerweise total eingebildet. Dass sie da jemanden nahm, der sie betrog, war einfach nicht normal. Wahrscheinlich dachte sie auch ihn benutzen zu können, wenn es darauf ankam. Er würde für sie schließlich wahrscheinlich alles tun, sich auch ermorden lassen, um sie zu retten. Solche Leute brauchte sie in der Situation, in der sie sich befand. Aber was wäre, wenn mehr hinter ihrem Verhalten steckte?

Sêiichî machte sich tatsächlich viele Gedanken. Womöglich spielte seine Noch-Freundin die Sache mit dem unbekannten Typen auch herunter. Bei ihr wusste man ja nie. Und selbst, wenn sie diesen Mann nicht liebte, ihn selbst liebte sie ja auch nicht – demnach war es schon gefährlich. Sie könnte sich in ihn verlieben und ihn dann verlassen – der Gedanke ließ es ihm ganz anders werden. Wie sollte er da denn das Essen genießen können?
 

Es lag etwas verdammt Düsteres in der Luft. Der Schwarzhaarige blickte von der Brücke aus in die Ferne und seufzte dann.

Aiko war damit beschäftigt ihre Mutter dazu zu überreden, Cognac einfach alleine zurückzulassen, weil er wohl lieber den schwarzen Himmel betrachten wollte, als auf sie beide zu achten – er würde ja nicht bemerken, wenn sie einfach verschwanden.

„Fahr’ du doch schon mal zurück, ich bleibe noch etwas draußen. Wir kommen dann, wenn es endgültig anfängt zu regnen.“

Wie Vermouth das WIR betonte, passte Syrah nicht in den Kram. Cognac war dabei ihr die Mutter wegzunehmen. Wenn es um ihn ging, ließ man sie links liegen.

„Bleib nicht zu lange, ich habe noch etwas mit dir zu bereden“, sagte die Schwarzhaarige allerdings, doch da lief die andere schon zu ihrem Freund hinüber.

„Bis später...“

Er sah so besorgt aus, was hatte er bloß? Mochte ja sein, dass sich wieder irgendwelche seltsamen Gedanken in ihm breit gemacht hatten, aber das war ganz bestimmt nicht der Grund für seine Besorgnis.

„Was machst du da, Sêiichî?“ fragte sie leise an ihn gewand, nachdem sie ihre Hände von hinten auf das Geländer vor ihm gelegt hatte und ihn deswegen halb umarmte.

„Morgen passiert sicher etwas total Schlimmes...“

Das war also der Grund.

„Ich kann es spüren. Der Boss wird morgen etwas Furchtbares tun... Etwas, womit wir alle nicht rechnen... Und es wird bestimmt Tote geben...“

„Du spürst das also...“ Chris lehnte sich an das Geländer, nachdem sie ihn einfach losgelassen hatte und schaute nachdenklich vor sich hin. ‚Womit sollen wir nicht rechnen?’ Die Frau schüttelte den Kopf. „Der Einfluss dieser Organisation macht auch vor dir nicht Halt, jetzt spürst du schon Dinge... Fang nicht an zu spinnen – bleib gefälligst normal!“ Sie schimpfte regelrecht mit ihrem Freund, als wenn er etwas ausgefressen hatte.

„Ach man, wenn ich bloß wüsste, was er plant... Dann könnte ich vielleicht einlenken...“ Das machte ihm sehr zu schaffen, noch mehr als der Kummer, der ihn vorhin fast begonnen hatte zu zerfressen. ‚Warum spüre ich das ausgerechnet heute?’ Es war ihm ein Rätsel und irgendwie machte es ihm auch ein wenig Angst. „Bleibst du heute bei mir?“

Vermouth hatte Syrah versprochen, nicht allzu lange wegzubleiben, immerhin hieß bis später, nicht bis morgen oder Derartiges. Deswegen schwieg sie erst einmal und dachte darüber nach.

„Oder möchtest du lieber zu Sazerac? Vielleicht wird er mich ja in Zukunft ersetzen...“

Was hieß denn das? Und wieso zum Teufel war er nicht wütend? Normalerweise wurde er bei solchen Worten gleich ein wenig ausfallend, was von seiner Eifersucht herrührte. Nein, er klang mehr, als wenn er morgen nicht mehr da sein würde...

„Da schätzt du Sazerac falsch ein – ihn interessiert nur eine Person, die nur leider nicht ich bin... Du kannst also aufhören, so was zu denken...“ Unter normalen Umständen wäre sie total gemein gewesen, aber sein Verhalten verängstigte sie fast – da konnte sie seinem Ego nicht auch noch wehtun. Als sie so etwas gespürt hatte, war jemand umgebracht worden, wofür Angel verantwortlich gemacht worden war. Er sollte so etwas nicht fühlen, das war ein schlechtes Omen.

„Gut, ich bleibe heute Nacht bei dir – ausnahmsweise.“ Sêiichî war auch immer da, wenn sie es so wollte, weil es ihr gerade nicht besonders gut ging, deswegen wollte sie ihn heute auch nicht alleine lassen. Wo das wahrscheinlich enden würde, war ihr bewusst, aber dieses Risiko ging sie nur zu gerne ein.
 

~Nächster Tag~
 

Conan war gerade mit Ai und Ayumi auf dem Nachhauseweg, nachdem sie etwas zusammen Fußball gespielt hatten, sie liefen auf dem Bürgersteig entlang und waren total ausgelassen.

Ein Mädchen stand an der Ampel und wartete darauf, dass sie grün wurde. Ihr Bruder hatte sie heute nicht abgeholt, also würde sie alleine vom Nachhilfeunterricht nach Hause müssen – sie hatte Angst, aber was sein musste, das musste eben.

Als die Ampel grün wurde, kam ein Auto gefahren, das mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war. Es war rabenschwarz wie die Nacht und hielt direkt vor der 10-jährigen Schülerin, die leicht zurückwich, als die Tür aufging und ein Mann ausstieg.

„Hey, meine Kleine, ich hol dich ab!“

Ein strahlendes Lächeln war der Blondine gegeben und sie ging freudig auf ihren Vater zu, um einzusteigen, auch wenn es nicht sein Auto war und er nicht einmal fuhr.

Der Mann legte einen Arm um seine Tochter und war mit sich zufrieden...

Sie war einfach zu gut, das konnte kein liebendes Kind bemerken, wenn sie diesem etwas vorspielte...
 

Niemand rechnete mit dem blonden Jungen, der keuchend über die Straße stürmte und beinahe in Conan hinein rannte.

„Hey, Alan...“

„Keine Zeit...“

„Warte!“ rief der kleine Junge dem 17-jährigen hinterher, dieser stoppte dann doch.

„Was denn?“

„Deine kleine Schwester wurde gerade schon von eurem Vater abgeholt... Du bist wohl etwas zu spät, was?“

Dem Blonden stand der Schock ins Gesicht geschrieben. Er antwortete erst nicht, doch dann kam ein Schlucken über ihn und er sank vor Conan auf die Knie. „Mein... Vater... ist zu Hause, er hat mich eben losgeschickt... Das war er nicht! Das war eine Schauspielerin! Sie hat meine kleine Schwester entführt!“

Nun ging der Schock auch auf Shinichi über. Die kleine Josephine war in die Fänge der Schwarzen Organisation geraten – es war immer ein Schock, auf sie zu stoßen und löste Unbehagen in dem Jungen aus, aber dass ausgerechnet Vermouth ein kleines Kind entführt haben sollte, war noch bei weitem schlimmer.

‚Das kann ich nicht glauben... Das kann nicht sein!’ Bei Schauspielerin, schwarzes Auto und Entführung fiel ihm allerdings nur diese eine ein...

Alan bekam sich langsam wieder in den Griff. Ein Motorrad ganz in der Nähe, dessen Besitzer gerade aus einem Kiosk kam und davonfahren wollte, erregte sein Interesse.

Er würde jetzt etwas tun, was seinem Vater überhaupt nicht in den Kram passen würde. Aber für seine kleine Schwester würde er auch kriminell werden, wenn es die einzige Möglichkeit war...

Der Junge stürmte los und warf bei seiner Attacke den etwas kräftigeren Mann um, welchen auch der Schlüssel geklaut wurde, bevor Alan es sich auf seinem Motorrad gemütlich machte. „Sorry, Kumpel, aber ich leihe mir nur mal eben dein Motorrad... Nicht böse sein!“ Er gab Gas und fuhr davon, ließ den Besitzer fluchend zurück.

„Bist du noch zu retten, du Mistkröte? Komm wieder zurück!“

Conan sah ihm nach. Es gefiel ihm nicht, was Alan da tat. Das erinnerte ihn viel zu sehr an sich selbst, wenn es um Ran ging...
 

Conan konnte Alan nicht alleine einer total irren, wahrscheinlich auch noch unzurechnungsfähigen Verkleidungskünstlerin hinterherjagen lassen, deswegen holte er sein solarbetriebenes Skateboard hervor und fuhr damit in die Richtung, in welche Alan abgehauen war...
 

Der blonde Junge stellte das Motorrad ab und schaute sich in der Gegend um. Eine Hütte gab es dort in der Nähe, wahrscheinlich waren sie dorthin verschwunden.

Das Auto stand jedenfalls dort. ‚Hab ich euch!’ dachte sich der 17-jährige, bekam dann aber Lachen von hinten zu hören.

„Der Sohn von Helios ist dümmer, als ich dachte...“

Es war eine Frauenstimme, die sich über ihn lustig machte. Als sich Alan herumgedreht hatte, sah er, wie zwei Männer das Mädchen festhielten.

„Lasst sie los, sofort!“ befahl er allen Dreien und durfte deswegen wenig später in das Loch einer Waffe schauen. Alan zog ebenfalls eine Waffe und bedrohte damit die Schauspielerin, die wie sein Vater aussah.

Eigentlich hatten sie nur hier auf ihn gewartet, nachdem sie ihn im Rückspiegel gesehen hatten.

„Der Boss möchte Helios bestrafen... die Kleine bleibt bei uns... und der Junge, den brauchen wir dann ja nicht mehr...“

Alans Herz begann schnell zu schlagen, er lud die Waffe und visierte den Mann, der eigentlich eine Frau war, an. Doch dann ertönte ein Schuss, der ihn mehrfach traf, auch einmal am Arm, weshalb die Waffe zu Boden glitt und dort liegen blieb. Die Person machte sich einen Spaß daraus, dem Kind wehzutun und schoss dahin, wo es besonders schmerzhaft war, bevor sie zum finalen Schuss ansetzte, der dafür verantwortlich war, dass sich die Kugel böse in Alans Brust kämpfte. Nach dem Treffer verlor er das Gleichgewicht und blieb keuchend am Boden liegen. Er sah hoch in den Himmel und atmete laut und stockend. Ihm war schwindelig, der Himmel begann sich zu drehen, dabei lief ihm Unmengen an Schweiß über das gesamte Gesicht, bis ihn die Dunkelheit verschlang.

„Lasst uns hier abhauen... der ist außer Gefecht, selbst schuld, wenn sein Vater uns linken will, das wird bestraft!“ Die Frau begann größenwahnsinnig zu lachen und stieg dann mit den Männern zurück in das Auto.

Josephine schlief, man hatte sie, bevor Alan aufgetaucht war, betäubt, damit sie das alles nicht mitbekam, sie hätte sich gewehrt, das wollten sie verhindern. Dann kostete sie das zu viel Anstrengung, sie zu Chardonnay zu bringen, der sollte sich nämlich um die Kleine kümmern. Es gab niemand Besseren, um auf ein kleines Mädchen aufpassen zu lassen, als dieser Mann, fand die Schauspielerin, denn sie war von Natur aus verdammt boshaft. Seit sie ein Kind verloren hatte, war sie noch schlimmer als sonst, zumal ihre Feindin dafür gesorgt hatte. Mit den Worten Du verdienst kein Kind auch noch, das würde ihr diese Frau büßen.
 

Das Gefühl eines Déjà-vus überkam den braunhaarigen Jungen, als er auf Alan stieß, der bewegungslos am Boden lag und stark blutete. Schon einmal hatte er eine Person so gefunden – er hasste dieses Gefühl, welches ihn beschlich. „Alan!“ Der Junge stürmte auf ihn zu, doch nicht wie damals wollte er mit ihm reden, diesmal nahm er gleich sein Ohrring-Handy und wählte die Notrufnummer. Um alles in der Welt, er konnte doch nicht schon wieder dabei zusehen, wie jemand starb. Zum Glück war er diesmal etwas früher vor Ort. Akemi hatte er nämlich erst einige Minuten später gefunden, nachdem man sie niedergeschossen hatte – er hoffte, dass es Alan anders ergehen würde...

Mittlerweile hasste Shinichi diese Organisation regelrecht, er wollte, dass der Spuk endlich ein Ende hatte und würde sich noch mehr bemühen, sie zu stoppen. Sie, die jeden töteten, der zu viel wusste. ‚Von mir wisst ihr nicht. Wenn man nicht weiß, wo man angreifen muss, kann man nichts ausrichten!’ dachte sich der ehemalige Oberschüler, der zum Grundschüler geworden war. ‚Euch versaue ich die Partie, nehmt euch bloß in Acht vor Shinichi Kudō...’
 

Kenjiro befand sich gerade in einer Straße, wo er jemanden besuchen wollte – heimlich natürlich. Nur der Bruder des Mädchens wusste davon. Dem würde er auch nicht mehr in die Augen sehen können. Er hatte etwas getan, was ihm selbst irgendwie wehtat, also musste er es auch loswerden. Er konnte sie nicht belügen und so tun, als sei alles in Ordnung.

Mit gemischten Gefühlen in sich klingelte er an der Tür und ihm wurde wenig später auch vom Vater der 20-jährigen geöffnet. „Hallo, ist Hitomi noch nicht zu Hause?“ wollte der 19-jährige von dem Mann wissen, wobei er leicht schüchtern wirkte.

„Wir sind noch am Essen, du kannst aber reinkommen und schon mal in ihrem Zimmer auf sie warten.“

Der Junge war schon öfter hier gewesen, man kannte ihn, deswegen ging er auch gleich die Treppe hoch und verkroch sich in Hitomis Zimmer.

Diese kam ihrem Vater entgegen und sah ihn fragend an. „Wer war das?“

„Das war Kenjiro, er wartet oben.“

„Ich bin fertig, ich verschwinde dann...“

Das Geschirr blieb liegen, aber keiner schimpfte mit ihr. Dann sollte sie sich doch lieber über den Besuch ihres Freundes, oder was er für sie war, freuen.

Sie stürmte regelrecht nach oben und öffnete dann schnell die Tür, genauso schnell wie sie sie wieder schloss.

„Hey, Hitomi“, meine Kenjiro, wobei man ihm schon ansah, dass etwas nicht so ganz in Ordnung war. Er sah traurig aus und machte sich wohl um irgendetwas Gedanken.

„Was hast du? Glücklich siehst du ja nicht gerade aus.“ Sie setzte sich neben ihn auf ihre Couch unhd legte eine Hand auf seine.

„Das sieht man mir an?“ Seufzend verdrehte der Junge die Augen. Zum Glück war das seinem Vater nicht aufgefallen, das hätte ihm noch gefehlt. Er fühlte sich elend mit allem, durfte ihr aber auf keinen Fall alles sagen, was ihm gerade durch den Kopf ging. Von seinem Vater reden musste er aber, sonst würde sie ihn bestimmt rauswerfen und nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen, er hatte Angst, dass das passierte.

„Ich muss dir da etwas sagen... aber hör mir erst zu, bevor du wütend wirst... und mich zum Teufel schickst.“

Was für schlimme Dinge sollten das sein, wenn er dachte, sie würde ihn zum Teufel schicken? „Ich höre zu...“

„Mein Vater, es geht in erster Linie um ihn...“ fing der Junge an, senkte tief den Blick und seufzte dann, allerdings konnte Hitomi ganz genau den traurigen Schimmer in seinen hellblauen Augen sehen und dass er kurz davor war, zu weinen. Sie hasste diesen Ausdruck an ihm, er war doch sonst nicht empfindlich, selbst wenn er sensibel veranlagt war.

„Er ist ein Mistkerl, der ganz besonders Frauen und Mädchen wehtut... Und weil ich nun einmal sein Sohn bin, erwartet er bestimmte Dinge von mir... Gemeine Dinge...“ Kenjiro konnte nicht weiterreden, ihm fehlte plötzlich die Stimme dafür. Er schaffte es nicht, zu sagen, welche Dinge das genau waren, so dass es kein Wunder war, wenn sie nachhakte.

„Was wollte er?“

„Er kam mit einem Mädchen meines Alters... er hat ihr irgendetwas verabreicht, damit sie sich nicht wehren kann...“ Der Rotbraunhaarige fasste sich mit der Hand vorne an der Stirn in die Haare und machte den Anschein, als hätte er Kopfschmerzen.

„Und dann solltest du ihr wehtun?“ Hitomi kannte seinen Vater und wusste, zu was er fähig war.

„Nein, er wollte es selbst tun... Er wollte sie nebenan vergewaltigen, während ich da war... das konnte ich doch nicht geschehen lassen. Deswegen bin ich rüber, als sie zu schreien begann und habe so getan, als wollte ich sie unbedingt haben. Bevor er ihr Leben zerstört, wie das meiner Mutter wollte ich es machen... Er hätte sie wie Dreck behandelt!“ Nun stand noch etwas anderes in seinen Augen geschrieben, Abscheu, wenn nicht sogar Hass auf seinen eigenen Vater. Er wusste, wie sein Vater tickte, immerhin hatte er vor über neunzehn Jahren seine Mutter genauso behandelt, es hatte lange gedauert, bis sie wieder dazu bereit gewesen war, einen Mann zu lieben, seinen Stiefvater nämlich, dessen Leben von Keichiro bedroht wurde. Er hatte doch nur Angst, dass er ihm Kenjiro wieder wegnehmen könnte, nachdem er ihn vor über vier Jahren zu sich geholt hatte, damit er bei ihm wohnte. „Mir wird schlecht bei dem Gedanken, zu wissen, dass er das andauernd mit Mädchen tut, die noch jünger sind...“ Zu gerne hätte er ihn richtig verraten, aber da sie beide in der Schwarzen Organisation waren, konnte das sehr böse enden. Die Organisation schätzte seinen Vater leider Gottes, kein Wunder, skrupellose Schweine wurden immer gemocht.

„Also hast du mit dem Mädchen geschlafen?“

„Zwangsweise, ja. Zum Glück wollte er mir dabei nicht zusehen, das wäre ja total abartig gewesen.“

„Wie war es? War es toll?“ Sie war vielleicht sehr tolerant, was solche Sachen anging, aber Eifersucht spürte die 20-jährige auch, immerhin hatten sie so etwas noch nie gemacht.

Kenjiro fiel buchstäblich die Kinnlade runter, er schaute Hitomi mit traurigen Augen an. „Sagen wir so, meine Gedanken waren ganz woanders...“ Er war vielleicht körperlich bei der Sache gewesen, aber nicht geistig. „Also von toll sein, kann nicht die Rede sein. Es war eher okay.“ Kenjiro konnte damit leben, es ging eher darum, ob sie das konnte, deswegen war er ehrlich gewesen und hatte es ihr gesagt. Mit dieser Last hätte er niemals leben können, der 19-jährige hatte ja auch nie vorgehabt, sie zu betrügen und dann auch noch sein erstes Mal mit einer anderen zu verbringen...
 

Es war mittlerweile schon Nacht, aber trotzdem war Jamie Moore noch wach gewesen – da er auf seinen Sohn und seine Tochter gewartet hatte, doch sie waren nicht nach Hause gekommen. Alan machte ja allerhand verrückte Dinge, kein Wunder, wenn er sich so gut mit seinem Cousin Sêiichî verstand, der schließlich nur Flausen im Kopf hatte, aber nie war er mit seiner Schwester bis spät nachts weggeblieben. Deswegen hatte sich der Mann gesorgt.

Er fuhr überall herum, fand aber nur eine Spur in einem nahe gelegenen Wald. Ein kleiner Stofffetzen auf der Erde. Dieser sah aus wie ein Stück der Jacke, die sein Sohn immer so gerne getragen hatte. Er hatte sie von Sêiichî geschenkt bekommen, das würde er niemals vergessen, wie sehr sein Sohn sich damals gefreut hatte.

‚Alan...’ Die Sorge wuchs immer mehr, vor lauter Besorgnis achtete er nicht auf die Geräusche hinter sich und bemerkte diese Person, die sich angeschlichen hatte, erst, als sie ihm ihre Waffe an die Kehle drückte.

„Vermisst du was, Helios?“ hörte er die Stimme einer Frau fragen und hörte ihr Lachen. Ihm war sofort klar, dass sie etwas damit zu tun hatte – dieses Miststück. Die hasste er beinahe noch mehr als er Vermouth verabscheute, sogar sehr viel mehr. Die hatte sicher damit zu tun gehabt, dass seine Kinder verschwunden waren, immerhin redete sie ihn mit Helios an, obgleich er seine Perücke und die grünen Kontaktlinsen nicht trug.

„Du hast es gecheckt, Valpolicella?“ Helios bemühte sich um eine feste Stimme. Es war sowieso egal – sie würde ihn mit Sicherheit nun auch ermorden, immerhin bedrohte sie ihn schon und wie sie tickte, wussten sie alle – es tat ihm nur Leid um seine Kinder. Für sie müsste er eigentlich überleben. Aber Valpolicella neigte alles zu schaffen, wenn sie denn wollte – dann auch noch diese Waffe an seiner Halsschlagader – es sah sehr übel für den blonden Mann aus.

„Steh auf!“

Der Befehl passte ihm nicht, aber was sollte es? Es war besser sie nicht weiter zu verärgern. Vielleicht würde sie ihn ja doch leben lassen.

Helios stand vom Boden auf, er war schließlich in die Hocke gegangen. Dabei wurde ihm die Waffe immer noch sehr fest gegen die Kehle gedrückt. „Macht’s Spaß?“

„Was? Das Bedrohen, oder meinst du das Töten deines Sohnes, Verräter?!“

Jamie schluckte, ihm wurde nicht nur schlecht, sondern seine Augen begannen auch zu brennen. Er hatte doch nur Sêiichî beschützen wollen und verlor jetzt quasi alles, was er noch hatte? „Er hat doch gar nichts mit dieser Sache zu tun, ich wollte ihn nur raushalten!“ Vielleicht hatte diese kranke Frau doch so etwas wie ein Gewissen, es war zwar eher unwahrscheinlich, aber der 32-jährige wollte es zumindest versuchen.

„Ich für meinen Teil denke, du wolltest etwas ganz anderes, den Boss linken zum Beispiel!“ Sie ignorierte den Versuch, sie zu erweichen, das zog ohnhehin nicht – wenn das jemals jemand schaffen sollte, dann war das Carpano, sonst keiner und selbst für ihn wäre es schwer gewesen, sie zur Vernunft zu bringen in so einem Fall.

„Welchen Grund hätte ich?“

„Ich finde da sehr viele Gründe – Tantei!“ Es war so klar gewesen, dass sie das wusste, wenn ihr bekannt war, dass er einen Sohn hatte. Sie hatte durch Alans Namen auch seinen eigenen herausgefunden und was er beruflich machte – dumm war diese Frau ja leider Gottes nicht.

Sein letztes Stündchen hatte geschlagen, dem war sich der Mann bewusst. Ob sie wohl auch seine Tochter gekriegt hatten?

„Übrigens muss ich dir danken! Chardonnay ist bei bester Laune, immerhin hat er ein neues Spielzeug, mit dem er sich Freude bereiten kann...“

Sie war doch eine Frau, wie konnte sie da so etwas sagen? Jamie wusste auch sofort, was damit gemeint war. „Du bist keine Frau, du bist eine Bestie, Valpolicella! Kein Wunder, dass Carpano dich nicht leiden kann, wenn du kleine Kinder Chardonnay auslieferst...“

Für jemanden, der quasi mit dem Rücken zur Wand stand, war er noch verdammt frech, fand die rotblonde Frau, sie knirschte gemeingefährlich mit den Zähnen und dachte nur noch daran, ihn zu quälen, sie wollte alles in ihrer Macht stehende tun, um ihm so gut es möglich war, wehzutun.

Deswegen holte die Frau erst einmal aus und schlug ihm ihre Waffe mitten ins Gesicht, so dass er nach hinten flog. Dabei richtete sie blitzschnell die Waffe auf ihn und drückte ab. Immer wieder, sie wollte solange schießen, bis nur noch eine Kugel im Magazin übrig sein würde. Die letzte war dann quasi für sein Herz bestimmt.

Sie war so damit beschäftigt, ihn zu bestrafen, dass sie den anderen Mann nicht kommen hörte, weshalb sie auch nicht damit rechnete, davon abgehalten zu werden, weitere Schüsse abzugeben. „Es reicht jetzt!“ kam zusammen mit seiner Hand einher, die ihr Handgelenk nach hinten zog und sie daran hinderte, auf Helios zu schießen. Die Kugel ging ins Leere, was auch gut so war. Er hatte ja schon drei Kugeln abbekommen, die bei einer Schützin wie ihr verheerende Folgen haben konnten.

Helios war froh, Carpano zu sehen, der sich in die Angelegenheit einmischte. Zum Glück liebte sie ihn, sonst hätte sie ihn dafür bestimmt einfach erschossen, dass er einem Verräter half.

„Oh nein, Carpano, es ist noch lange nicht genug!“

Sie wollte sich von dem schwarzhaarigen, kräftigen Mann losreißen, doch er hielt sie zu gut fest, als dass sie es so einfach geschafft hätte. Trotz allem war die große Britin noch immer eine Frau und er ein nicht gerade schmächtiger Mann. „Er hat noch ein Auge zu viel!“

„Es ist total unnötig, ihn zu töten, ich denke, er hat jetzt wirklich genug... ich glaube nicht, dass er eine wirkliche Gefahr ist oder plaudern will.“

Das Leben von einem Verräter hatte Carpano nicht zu interessieren, deswegen tat sie so, als wolle sie aufgeben und ließ locker, wobei sich die Schönheit halb zu ihm herumdrehe und ihm dann mit voller Wucht die linke Hand ins Gesicht schlug.

„Sag das nicht noch einmal“, begann sie mit greller Stimme zu geifern, „eventuelle Gefahren werden ausgeräumt, so lauten die Spielregeln, und Helios ist eine Gefahr! Er hat versucht uns reinzulegen, sag mal, peilst du das nicht?! Ist es dir dermaßen egal, ob wir auffliegen? Er ist DETEKTIV!“ Das alleine reichte als Grund vollkommen aus, fand sie. War ihm eine Freundschaft zu so einem Macho wichtiger als sein eigenes Leben? Er konnte schließlich froh sein, dass sie ein so weiches Herz hatte und ihn verschonte, was sie bei anderen Typen und schon gar keinen Frauen getan hätte. Etwas mehr Dankbarkeit wäre da schon angebracht. Es verletzte sie wahrscheinlich auch noch, dass es ihm so egal zu sein schien, als Verräter dazustehen – deswegen hatte er ja immer Ärger, war es nicht so? Wann lernte er aus seinen Fehlern?

„Sei doch nicht so boshaft, Süße, das beraubt dich all deiner Schönheit.“

Beinahe wäre Helios noch schlechter geworden, als es ihm ohnehin schon gewesen war, weil Carpano wohl Valpolicella anmachen wollte. Er war eben ein Macho und würde auch einer bleiben, das war es, was er für die Leute hier war – und der Zweck heiligte ja bekanntermaßen die Mittel. Durch seine Worte schaffte es der Schwarzhaarige auch, Valpolicella etwas abzulenken und sie dazu zu bringen, dass sie sich zu ihm herumdrehte und somit mit dem Rücken zu Helios stand.

„Du weißt, dass das mein Job ist, mir bleibt kaum eine andere Wahl.“ Sie legte einen traurigen Blick auf und klammerte sich an ihn. Das tat sie sowieso bei jeder Gelegenheit.

‚Was für ein falsches Spiel ist das wieder? Du bist ja noch schlimmer, als Vermouth, wenn du etwas willst...’ Selbst diese Frau hätte sich nicht die Blöße gegeben, vor einem Mann halbwegs rumzuflennen, nur um ihn im Arm halten zu können. Das war doch total armselig.

„Deine Augen sind sehr viel schöner, wenn sie nicht voller Hass, Zorn und Mordgier sind...“ gab der 26-jährige seufzend von sich und hob ihr Kinn etwas an, um direkt in ihre Augen sehen zu können. Um der Dame den Rest zu geben, drückte er seine Lippen auf ihre, ohne die Miene zu verziehen.

Sie fühlte sich plötzlich besänftigt und vergaß für einen Moment, was sie hier gewollt hatte. Schon so lange wartete sie darauf. ‚Siehst du, du bist nur neidisch, Kir, er will doch gar nichts von dir, er will mich...’ Sie war total abgehoben und machte sich alle möglichen Illusionen, sie hatte ihn doch jetzt da, wo sie ihn wollte – dachte sie jedenfalls. Valpolicella begann zu träumen, wie diese Nacht wohl enden würde....

Vor lauter Gier auf den Schwarzhaarigen wurde das Klammern noch fester und sie konnte es einfach nicht unterlassen, eine gewisse Lust in diesen Kuss fließen zu lassen und ihm genüsslich über die Lippen zu lecken.

‚Igitt’, dachte sich Helios, ‚ich erlöse dich von dem Bösen.. ist ja... ekelhaft...’

Carpano tat das doch sowieso nur, um ihm die Möglichkeit eines Angriffs zu überlassen. Wenn er diese Tussi dann schon küssen musste, dann würde Helios darüber hinwegsehen, dass er Detektiv war, er war ja nicht bei der Polizei wie Sêiichî – seine Prinzipien konnte er nach Belieben ändern...

Die Waffe in seiner Jackentasche wurde hervorgeholt und er richtete sie auf Valpolicella, sie war direkt vor ihm, es konnte nichts schief gehen...

Es ertönte ein Schuss und die Kugel schoss an ihrem Ohr vorbei, streifte sogar ihre Haare, die wie vom Wind etwas mitgerissen wurden, dann löste sie sich schnell von Carpano und sah Helios, weil sie sich herumgedreht hatte.

„Du kleiner, dreckiger Kerl von einem Detektiv!“

So schnell es ihm möglich war, schnappte Yuichi ihre Handgelenke und verhinderte, dass sie Jamie endgültig umbrachte – dafür, dass er es versucht hatte und nicht erfolgreich gewesen war. Schade, damit war es wohl noch nicht zuende, er hätte sich ziemlich gefreut, wenn es funktioniert hätte, aber so wie Helios’ Zustand aussah, sah er nicht mehr besonders viel und hatte demnach nicht richtig zielen können. Valpolicella hatte ihn zugerichtet. Sie mussten hier weg. „Lass ihn einfach liegen... er wird ohnehin draufgehen... dafür hast du gesorgt... Kümmer dich nicht um ihn! Komm lieber mit mir...“ Was sein musste, musste eben sein, selbst wenn seine Freundin dann noch sehr viel länger auf ihn warten musste. Er würde vorher sowieso noch mal duschen, wenn die ihn angefasst hatte, dann klebte ihr widerlicher Geruch an ihm – das fand er nicht gerade antörnend.

Noch während er die Frau mit sich zog, ließ er einen Sender, den er immer bei sich trug in der Nähe von Helios fallen, damit er Hilfe bekommen würde, denn alleine konnte er es unmöglich schaffen. Es war zu dunkel, der Wald zu dicht und er bereits zu blind, um sich zurechtzufinden.
 

Fortsetzung folgt...

Pretty beginning of the cruel ending

Hi Leute!

Fühl mich gerade voll krank mit Fieber und allem drum und dran, also poste ich mal wieder was... XP

Ryolein, lies mal schön weiter und danke für den Kommentar.

Für die, die es lesen, aber mir nichts hinterlassen: Seid ihr genauso faul wie ich? XDDDD

Lasst mal was von euch hören, ich weiß, es gibt euch Xp

Von zwei Leuten weiß ich mittlerweile, dass sie's lesen, also... na dann!

Wünsche euch einen netten Nachmittag und nicht krank werden, das Wetter läd dazu sein...
 

*alle knuff*


 


 

Gott sei Dank waren sie jetzt ungestört. Sêiichî konnte es gar nicht abwarten, er war stürmisch, wie er es oft gewesen war und sie spielte mit, immerhin war er jetzt wenigstens von seinen seltsamen Gedanken abgelenkt. Was sollte schon passieren? Wenn, dann war es sowieso nicht zu verhindern, weil der junge Mann gar nicht wusste, was genau passieren würde, er hatte nur dieses miese Gefühl.

Erst war es ganz leise, dieses Klingeln, so dass Sêiichî unter der Decke nichts davon mitbekam, doch nach jeder 4. Sekunde wurde es lauter, bis es so heftig klingelte, dass sogar er, der gerade beschäftigt war, aufschrak und unter der Decke hervor kam. Er konnte sich nicht konzentrieren, wenn es klingelte. Deswegen lange er zur Seite, griff nach dem Handy und schaute auf das Display.

„Wer nervt?“ Er konnte doch nicht einfach so mittendrin aufhören – wenn das der Boss war, würde sie den aber verdammt noch mal ziemlich ärgern... Sie waren schließlich gerade beide total in Fahrt gewesen, sie mehr passiv, aber das war ja nicht unbedingt etwas Schlechtes - bei einem Liebhaber wie Sêiichî.

„Ryochi – ich geh mal ran, okay?“

Obwohl es eine Frage war, wartete Sêiichî nicht auf die Antwort. „Warum rufst du mich so spät an, Ryochi?“

„Du musst so schnell, wie es geht ins Haido-Krankenhaus kommen – deinem Cousin ist etwas zugestoßen!“

Der Detektiv knallte es Sêiichî regelrecht an den Kopf, er wollte ihn aus irgendeinem Grund in Panik versetzen. Hauptsache er nahm die Sache ernst.

„Du klingst ja ganz aufgewühlt – was ist diesmal Schlimmes passiert?“ Sein Gefühl hatte ihn wohl nicht getäuscht – irgendetwas war im Gange, das er nicht bemerkt hatte.

„Dein Cousin – er wurde niedergeschossen! Shinas Cousin hat ihm Blut gespendet, aber sein Zustand ist kritisch – bitte, beeil dich, er will unbedingt mit dir reden. Er sagt immer wieder deinen Namen. Sie mussten ihm schon etwas spritzen.“

„Alan?“ Apathisch blickte der Schwarzhaarige vor sich, so dass die blonde Frau unter ihm allmählich einen skeptischen Blick aufsetzte und sich fragte, was nun schon wieder vorgefallen war – außerdem kannte sie eine Person, die sich Alan nannte. Der Junge war ja noch jünger als Shinichi. Die hatten doch nicht etwa...?

„Ja, er! Intensivstation, wir warten dort auf dich!“

Sêiichî hielt sich nicht damit auf, zu fragen, wer da alles war, er wollte so schnell, wie es ihm möglich war, zu seinem Cousin – ihm durfte einfach nichts passieren. Er war doch ein unschuldiges Kind. Wie gut, dass er nicht wusste, dass nicht nur er durch eine Aktion der Organisation in Gefahr schwebte...

„Bis gleich, Ryo.“ Der Blauäugige befand sich noch über ihr, seufzte kurz und sah seiner Freundin tief in die Augen. „Ich muss dich jetzt leider schon verlassen. Tut mir Leid.“ Das tat es wirklich, er wäre viel lieber mit ihr glücklich, als sich Sorgen um einen 17-jährigen zu machen.

„Was hat dir Ryochi erzählt? Was ist vorgefallen?“

„Tja, das weiß ich noch nicht, aber so wie er klang, ist es schlimm. Irgendetwas ist mit Helios’ Sohn.“ Natürlich steckten die dahinter, wer auch sonst? Wenn so etwas mit Kindern von Organisationsmitgliedern passierte, dann war das meistens wegen eines aufmüpfigen Elternteils – und Helios war schließlich ein Verräter. „Na hoffentlich geht es ihm wenigstens gut.“

„Ich fürchte nicht“, meinte Sêiichî nachdenklich, „ich fürchte viel eher, dass ihm auch etwas zugestoßen ist. Sie würden seinem Sohn nur etwas tun, wenn sie ihm auf die Schliche kommen.“ Oh Gott, das hätte auch er selbst sein können. Aber Jamie war doch immer vorsichtig... Wie konnte er da auffliegen?

„Kannst du mich ganz kurz festhalten, ich brauche das jetzt – nur kurz!“ Der Satz des Mannes war in seiner Angst entstanden. Er wollte Alan doch beschützen – wieso hatte er nicht gewusst, dass so etwas passieren würde? Dass dem Jungen etwas zustoßen würde?

Chris holte verdammt tief Luft und drückte Sêiichî an sich. Er war schon arm dran. Wehe, es ging ihm mal ganz gut, dann passierten solche Dinge. „Beruhig dich, du weißt ja noch nicht, wie schlimm es ist.“

Er bereitete sich lieber auf das Schlimmste vor, um am Ende nicht schockiert zu sein.

„Na ja, er brauchte eine Blutspende – so harmlos war es also ganz sicher nicht.“ Die Stimme des Schwarzhaarigen zitterte – er mochte Alan mit am meisten aus seiner Familie, noch mehr als seinen Vater. Er hatte schon als Teenager mit dem damaligen kleinen Jungen gespielt, sie waren ein Herz und eine Seele – wenn er sterben würde, könnte sich das der Polizist niemals verzeihen – davor hatte er eigentlich Angst.

Jamies Sohn hatte also sehr viel Blut verloren, es klang wirklich nicht besonders gut, trotzdem musste man Sêiichî ja irgendwie Mut machen. „Na, dann musst du gehen, Sêi-chan“, entkam ihren blassrot geschminkten Lippen, bevor sie ebendiese auf seine drückte und damit für kurze Zeit seine Welt als auch ihre anhielt. Es war ja nur für einen Moment, so viel Zeit musste sein.

Er lächelte, nachdem sich die Blondine von ihm gelöst hatte. „Leider.“

Der Schwarzhaarige rutschte unter die Decke und suchte seine Klamotten zusammen, die irgendwo gelandet waren und zog sich diese daraufhin an. Als sie ihn so von hinten sah, wurden ihre Augen größer. Er hatte mal wieder üble Schrammen im Rückenbereich – und das waren ganz sicher nicht ihre Nägel gewesen, deswegen hängte sich die Schauspielerin wenig später auch an ihn und legte den Kopf auf seiner Schulter ab. „Sei aber bloß vorsichtig“, flüsterte sie ihm ins Ohr, „überstürz nichts, egal, was auch passiert ist.“

Es verwirrte ihn, dass sie sich Sorgen um ihn machte, sie war doch sonst nicht so ängstlich veranlagt, aber irgendwie mochte er ihre Arme um seinen Hals sehr gerne und genoss es noch einmal ihren Körper bei seinem zu spüren.

Am liebsten hätte sie ihrem Drang nachgegeben, wenn sie ihn so von hinten sah – er war eben wie Schokolade – wahnsinnig lecker. Aber, wenn es seinen Freunden schlecht ging, musste sie ihn gehen lassen – es fiel ihm auch so schwer genug, sie dann alleine zu lassen – das wusste sie natürlich.

Wenig später ließ sie ihn allerdings los und blieb auf dem Bett sitzen. Sêiichî machte sich den Gürtel zu und zog sich hastig sein Oberteil über – etwas zu schnell. Die Schrammen, die von Saperavis Messer stammten, taten noch immer weh – der Kerl war eben noch schlimmer als Pinot, der auch Sêiichîs Halbbruder war. Natürlich hatte er ihn wieder von hinten angefallen und ihn dabei verletzt – er war eben so hinterlistig. Und wenn Sêiichîs Halbbruder es so wollen würde, hätte er ihn auch umgebracht.

„Also dann! Ich ruf an, wenn ich mehr weiß.“ Er umarmte sie ein letztes Mal und warf ihr noch einen liebevollen Blick zu, bevor er zur Tür ging und dort seine Jacke schnappte, weil er sie da aufgehängt hatte. „Wir sehen uns.“

Die Tür war nun geschlossen, weshalb die Blondine sich zurück ins Bett gleiten ließ. Sie hoffte für ihn, dass alles nur halb so wild war...
 

Im Krankenhaus war nicht sonderlich viel los, Sêiichî sah nur überall Leute in weißen Kitteln. Keinen Besuchern begegnete er. Im Gang der Intensivstation sah er dann Ryochi, der wohl förmlich darauf gewartet hatte, dass sein Freund hier ankam.

Das erste, was diesem auffiel, war ein Knutschfleck über Sêiichîs Schlüsselbein – er hatte also wohl nicht einmal in den Spiegel gesehen und zerzaust war er auch vollkommen. Man merkte deutlich, dass Alan ihm wichtiger gewesen war, als sein Aussehen und es gab nicht vieles, das ihm wichtiger war – er hasste es, schlecht auszusehen.

„Was ist denn jetzt überhaupt passiert?“ Sêiichî sprach hektisch, er war die Treppe hochgerannt, was ihn doch leicht ins Schwitzen und außer Atem gebracht hatte.

„Man wollte Alan umbringen – der kleine Junge am Ende des Ganges hat ihn gefunden und einen Notarzt gerufen – und Tatsuji war es, der Alan Blut gespendet hat, wie ich sagte. Aber Alan geht’s nicht gut. Gar nicht gut.“

Ryochi sah ihn schon mit diesem Blick an – Sêiichî geriet in Atemnot, er keuchte, als wollte er jeden Moment ersticken. „So schlecht, dass du fürchtest, er könnte die Nacht nicht überleben?“

„Die Ärzte fürchten das – er hat so viel Blut verloren und ist sehr schwach.“

Sêiichî war nun blass geworden, er musste sich die Hände vor das Gesicht legen, weil ihm so schlecht war, aber er fing sich recht schnell wieder. „Das darf nicht passieren.“

Der Schwarzhaarige wandte seinen Blick nun diesem Kind zu – das seine Aufmerksamkeit erregt hatte, dann ließ er seinen besten Freund stehen und ging auf ihn zu. Er kniete sich zu ihm hinab. „Danke, Kleiner, dass du ihm geholfen hast.“ Egal, wie es ausging, er war ihm jedenfalls Dank schuldig.

Tatsuji kam gerade aus dem Zimmer, weil er sich dort ein wenig hatte hinlegen sollen und bemerkte natürlich ebenfalls Sêiichî. „Danke!“ Er bedankte sich auch bei ihm, selbst wenn sie sich kaum kannten. „Warst du bei ihm?“

‚Jetzt duzt er ihn einfach, ich fasse es nicht!’ dachte Ryochi, musste aber auch nicht befürchten, dass Shinas Cousin deswegen ausfallend werden würde. Er mochte Sêiichî nicht, das hieß aber nicht, dass er es jetzt offen zeigen würde.

„Ja, er will dich sehen.“ Der braunhaarige Mann, welcher noch etwas größer war als Sêiichî, tat es diesem gleich. Wenn er damit anfing, ihn zu duzen, konnte er das immerhin auch.

„Okay.“ Etwas zögerlich betrat der Schwarzhaarige das Zimmer, wo er einen geschwächten und deswegen sehr blassen blonden Jungen mit einer Atemmaske ausmachen konnte.

Er blickte zur Seite und sah Sêiichî. „Sêi-ichi...“, hauchte er schwach und nahm sich die Maske vom Gesicht, weil sie ihn im Moment störte. „Sie - haben - Jossy...“ Mehr konnte er nicht sagen, sein Kopf fiel auf die Seite und er kollabierte, ohne dass jemand es verhindern konnte – er war eben wirklich sehr schwach. Sêiichî drückte ihm die Atemmaske wieder ins Gesicht und schloss wehleidig die Augen, es fehlte nicht wirklich viel, damit ihm die Tränen kamen. Nicht nur, weil es Alan so schlecht ging, sondern auch, weil die Alans kleine Schwester in die Finger bekommen hatten – nicht zu fassen.

Er war blass und wurde aufgrund dessen von Tatsuji auf einen Stuhl gedrückt. „Setz’ dich erst mal und trink einen Schluck Wasser, du siehst aus, als wenn du gleich umkippst.“ Man hielt dem Jüngeren ein Glas Wasser hin, was er mit einem Nicken annahm. Wenn sie sich begegneten, stritten sie eigentlich nur – heute hatte er nicht die Nerven für so etwas – und der Braunhaarige schien heute auch anders zu sein.

„Habt ihr etwas von seinem Vater gehört?“ wollte Sêiichî dann wissen, nachdem er das Glas Wasser ausgetrunken hatte und sich gleich bedeutend besser fühlte.

„Noch nicht, aber das wird noch kommen – so hast du es doch gemeint, oder nicht?“ Sêiichî wusste natürlich vom Doppelleben seines Onkels, das konnte sich Tatsuji nicht anders denken. Sie waren beide in der Organisation, da begegnete man sich unwillkürlich.

„Na, hoffentlich nicht erst, wenn man seine Leiche findet.“

Sêiichîs Befürchtung war vielleicht gar nicht so falsch, weshalb Tatsuji ein Seufzen von sich gab. „Ich denke, während du hier bei deinem Cousin bleibst, werde ich mich mal erkundigen.“ Vielleicht wusste Yuichi ja irgendetwas. Wenn irgendetwas Schlimmes passierte, was mit Bekannten seines besten Freundes zu tun hatte, war eigentlich dieser die erste Person, die darüber Bescheid wusste.
 

Noch herrschte Stille, doch das würde nicht lange so bleiben. Da es erst kurz nach zehn Uhr am Vormittag war, war im Hause Machida wenig los.

Naru war um knapp neun Uhr aus den Federn gefallen und hatte sich jetzt mit Bestürzung die Nachrichten angesehen.

Sie lief im Haus auf und ab, kam nicht mehr zur Ruhe. Warum war ausgerechnet jetzt Hiroya nicht da? Sie wollte wissen, was er über diesen Fall wusste, denn nicht umsonst hatte er einen guten Kontakt zur Polizei.

Als Naru dann die Tür hörte, da ihr Freund einen Schlüssel für hier hatte, rannte sie die Treppe hinab, weniger um ihm hallo zu sagen, als von ihrem Wissen zu berichten, ob er denn überhaupt schon wusste, was passiert war.

„Hey, Naru, du bist noch da? Was machst du denn noch hier?“ wollte er wissen und blickte sie verwirrt und fragend an. Normalerweise war seine Freundin um diese Zeit nicht mehr zuhause. Um zehn Uhr begannen doch ihre Schwimmkurse für Kinder.

„Ich habe die Nachrichten gesehen, es war einfach schrecklich.“

Hiroya hängte seine Jacke an den richtigen Platz an der Garderobe und ging dann an Naru vorbei. „Aha.“ Großes Interesse schien er der Sache nicht zu schenken. „Ist noch was zu essen da?“

„Hiroya, weißt du es noch nicht?“ Naru lief ihm nach und blieb mit Tränen in den Augen vor ihm stehen, bevor sie ihren Freund in ihre Arme schloss. Dass er etwas essen wollte, verriet ihr, dass er von dem Unglück noch nichts wusste.

Was tat Naru denn da? Hiroya seufzte und genoss ihre Umarmung, selbst wenn sie zustandekam, da sie wohl dachte, ihm ginge es schlecht. „Ist schon okay, Naru-chan, nicht weinen, mir geht es gut.“

„Gleich nicht mehr...“ Sie schluchzte, musste ihm aber auch sagen, was passiert war.

„Wieso das?“

Die Hellbraunhaarige löste sich von ihrem Freund und blickte ihm mit einem traurigen Gesichtsausdruck und Tränen in die Augen. „In den Nachrichten - wurde berichtet, dass eine junge Sängerin zu Tode gekommen ist, es ist - Kimiko...“ Naru holte tief Luft, aber wenn sie daran dachte, er musste sich doch jetzt einfach schrecklich fühlen.

„Ach das, das weiß ich schon“, gab Hiroya vollkommen ruhig von sich, was Naru jetzt aber doch etwas aus der Bahn warf.

„Wie kannst du da so ruhig bleiben?“ wollte die 23-jährige wissen und seufzte erneut. „Tu doch nicht wieder so hart, sie ist deine Schwester.“

„Sie ist selbst schuld, es musste ja so kommen. Jetzt ist sie eben tot, Pech für sie.“ Und Pech für die Polizei, die einen einfachen Unfall in dieser Tat sah. Er würde garantiert nicht hinrennen und sie darüber aufklären, was wirklich gewesen war. Er hatte sie vor Jahren gewarnt, sie hatte nicht hören können und hatte nun die Quittung bekommen. Dass sie Kontakt zu Jami gehabt hatte, daran war sie selbst schuld, weil sie so leichtgläubig gewesen war.

„Pech für sie? Am Pech, das sie hatte, wird es wohl kaum gelegen haben!“ Naru wurde laut, sie konnte nicht glauben, dass diese Ignoranz von Hiroya stammte. „Man hat sie ermordet, Hiroya...“ Als wenn sie ihm etwas weiszumachen versuchte, klang sie, aber auch ungläubig, dass er das alles so locker sah und ohne mit der Wimper zu zucken sagte, sie sei selbst schuld daran.

„Sie hat sich vor Jahren dafür entschieden, ihr Vertrauen anderen Leuten zu schenken, tja. Ich sagte ihr, wenn sie sich auf seine Seite schlägt, muss sie auf meine Hilfe verzichten. Außerdem... Tot ist tot, Tote kommen nicht wieder zurück, also ist es... EGAL!“

Es war also egal, egal, dieses Wort hallte in Narus Kopf wider. Er hatte gesagt, es war egal. Nicht zu glauben, selbst wenn er seine Schwester verstoßen hatte, war sie doch immer noch seine Schwester, wie konnte er da denn bitte so etwas sagen? „Das war die Organisation, du wirst etwas unternehmen, oder? Du tust nur so.“

„Die Polizei geht von einem Unfall aus, Naru, ich werde mich da nicht einmischen, weil der Polizei total unklar ist, dass es diese Organisation gibt, das soll auch weiterhin so bleiben, oder willst du, dass das halbe Präsidium so endet wie dein Bruder oder Heiichirou und Hayate? Soll Naoya auch noch drauf gehen? Für ein so unnützes Frauenzimmer, wie Kimiko?“

Hiroya dachte auf Verständnis zu stoßen, immerhin war Kimiko doch daran schuld, dass Narus Bruder hatte sterben müssen, selbst jemand wie Naru musste sich irgendwann eingestehen, dass es nun einmal so gewesen war.

Doch dem war nicht so, Naru konnte es nicht verstehen, sie selbst hatte ihren Bruder über alles geliebt. Egal, was er getan hätte, nichts hätte etwas daran ändern können. Das Fass lief über, als er seine Schwester unnützes Frauenzimmer nannte, nur weil er sein Gesetz ausübte und sie getan hatte, was ihr Spaß gemacht hatte – es war genug, ihr reichte es jetzt, sie konnte das so nicht akzeptieren, es überstieg ihre Toleranz, die sie ihm stets entgegen gebracht hatte. Das war auch der Grund dafür, dass Naru nun die Hand ausrutschte und sie ihrem Freund eine heftige Ohrfeige verpasste.

„Sag das – nie – nie wieder!“ Sie stockte zwischen den Worten und musste sich erst einmal wieder einkriegen. „Du elender Kotzbrocken! Mir wird schlecht, wenn ich dich heute noch ertragen muss! Verschwinde aus meinem Haus, ich ertrage dich nicht... Geh!“ Sie schob ihn grob von sich.

„Krieg dich wieder ein, willst du, dass Kimiko uns beide trennt?“

„Das ist, wenn wir uns trennen, garantiert nicht Kimikos Verdienst, sondern dein eigener, weil du so ein Ekel bist, Hiroya!“ Als er sie umarmen wollte, um sie wieder weichzukochen, schob sie ihn erneut von sich. „Lass das, ich will das jetzt nicht, lass mich alleine...“

Nun ließ auch Hiroya locker. Die Ohrfeige seiner Freundin hatte er einfach so geschluckt, er schlug ja keine Frauen, schließlich war er doch kein Unmensch.

„Du kannst mich nicht kurz nach dem Kommen gleich wieder wegschicken.“

„Ich kann noch ganz andere Sachen, glaub’ mir, krieg dich erst mal wieder ein, vorher will ich nichts mehr mit dir zu tun haben! Ich will keinen Freund, den der Tod seiner Schwester eiskalt lässt!“

Hiroya seufzte. Dass sie diese Sache immer so auf die Goldwaage legen musste. „Ach, würde dich jemandes Tod kümmern, den du nicht leiden kannst? Du sagst das ja so, als wenn ich total grausam wäre.“

Naru gab ein Lachen von sich, wie er sich als Engelchen hinstellte, er war keines, wieso wollte er so wirken? „Dass du sie wegen lächerlichen Gründen nicht mehr magst, reicht vollkommen, Hiroya! Du bist nur aus Rache Polizist geworden, ich fasse nicht, dass ich dich immer bewundert habe. An dir gibt es nichts zu bewundern. Im Moment erinnerst du mich stark an Jami, er bedauert ja auch keine Toten, auch die von Frauen nicht, wenn sie ihn verraten haben, wie er gerne sagte, nicht wahr? Du bist kein Held, Hiroya, leider habe ich dich für so was gehalten, und jetzt geh endlich, oder du kriegst eine Anzeige wegen Belästigung und Hausfriedensbruch.“

Womit drohte sie ihm? Hiroya konnte es nicht glauben. „Ich habe aber den Schlüssel, also ist das gar kein Hausfriedensbruch.“

„Du HATTEST den Schlüssel“, sie betonte es noch einmal extra und nahm Hiroyas Schlüssel, der in seiner Jacke steckte, an sich, „jetzt nicht mehr.“ Naru war eindeutig, sie wollte ihn nicht mehr in ihrem Haus ein und aus gehen lassen, deswegen hatte sie ihm den Schlüssel weggenommen, warf ihm seine Jacke zu guter Letzt über und öffnete die Tür. „Hau endlich ab!“ Sie gab ihm sogar noch einmal einen Schubs Richtung Tür, damit er endlich verstand, was Sache war.

In der Tat war ihm noch nicht so ganz klar, was er da angerichtet hatte. Er hoffte nur, dass sie sich wieder beruhigen würde. Was ging nur in ihr vor sich? Wie konnte sie ihn denn mit einem Mörder wie Jami in einen Topf schmeißen?
 

Tatsuji war gerade auf dem Weg zu Yuichi, als er um eine Ecke bog und eine junge Frau in ihn hineinrannte. Sie wurde, da er um einiges größer war als sie nach hinten geworfen und blieb am Boden sitzen.

„Itai~!“

Sie rieb sich den Kopf, der Bekanntschaft mit seinem harten Brustkorb gemacht hatte.

„Go-Gomen, das war keine Absicht.“

Sie erkannte die Stimme des Braunhaarigen und blickte zu ihm auf.

„Natsumi?“ meinte er, betrachtete sie sich genauer und bemerkte sofort, dass irgendetwas anders an ihr war, er wusste im ersten Moment des Hinschauens allerdings nicht, was es war.

„Ja, ich bin’s, Tatsuji, hattest du es eilig?“

Er reichte der Schwarzhaarigen mit dem Pferdeschwanz seine Hand und zog sie vom Boden hoch. Sie ergriff Tatsujis Hand und wurde daraufhin von ihm locker hochgezogen – ja, er hatte Kraft, er war stark, stärker als die meisten Männer, die sie kannte. Es war ein Wink des Schicksals, ihm hier zu begegnen.

Die Kleine hatte ihn erkannt, nicht schlecht, sie vergaß Gesichter wohl nicht so schnell. Er lächelte sie nett an und ging dann neben ihr her. „Ich hatte es wirklich eilig, ich war am Ermitteln. Eigentlich habe ich ja nicht so viel Zeit, aber um kurz mit dir zu reden, dafür habe ich, denke ich dann doch Zeit.“

Ein schwarzer Schatten um die Ecke bewegte sich an den Wänden entlang. Er verfolgte beide auf Schritt und Tritt.

„Gegen wen oder was ermittelst du denn?“ wollte Natsumi von dem Profiler wissen, so dass er stehen blieb und sie kurz verwirrt ansah.

Gegen was er ermittelte, das war ja wirklich interessant. Sein Gefühl hatte ihn ein weiteres Mal nicht getäuscht. Sie machte den Eindruck härter geworden zu sein. Das unschuldige Mädchen Natsumi hatte er anders gekannt. Hoffentlich nicht deren Verdienst.

„Na ja, es wird jemand vermisst, ich suche nach ihm. Er hat sich eine Weile nicht gemeldet. Seinem Sohn ist etwas zugestoßen, man befürchtet, dass seinem Vater ebenfalls etwas passiert ist.“

Sie sah Tatsuji verständnislos an und seufzte. „Ein Vermisstenfall also.“

Ihm fiel sofort auf, dass sie nachdenklich wurde, es war sein Job auch mal Fragen zu stellen, deswegen war es kein Wunder, dass er wenig später nachhakte. „Worüber denkst du nach?“

Weil sich Natsumi von dem Älteren ertappt fühlte, lächelte sie. „Ach nur an meinen Hornochsen von Bruder, der sich seit Wochen wieder nicht gemeldet hat, aber das tut er ständig.“

Und deswegen schaute sie so nachdenklich und teilweise traurig? Nahm sie denn an, dass es sich bei ihrem Bruder auch um einen Vermissten handeln könnte?

„Und das nur, weil ich einen Vermissten suche? Steckt da nicht mehr dahinter?“

In der Tat, aber sie konnte doch nicht mitten auf der Straße mit Tatsuji darüber reden. Die 19-jährige schaute sich nach links und rechts um, überall waren Leute, viel zu viele davon, dieses Risiko konnte sie unmöglich eingehen.

„Hast du ein Auto hier?“ fragte die Studentin, so dass er nickte, ihre Hand nahm und sie mit sich über die Straße zog, da die Ampel grün geworden war. Dass sie so ein Geheimnis daraus machte, sagte ihm, dass er mit seiner Annahme vollkommen richtig gelegen hatte.

Der Schatten ganz in der Nähe kam dichter an die Straße heran und aus diesem trat auf einmal die Erscheinung einer jungen Frau hervor. „Was wird das denn jetzt?“ fragte sie sich selbst und grübelte darüber. Irgendwoher kannte sie diese Frau! Der vertraute Umgang Tatsujis mit der Dame war ihr nicht entgangen. Sie sorgte sich ein wenig. Aus der Entfernung hatte sie zu allem Überfluss nur gehört, wie Tatsuji sie ihrer Meinung nach angebaggert hatte.

Gerade am Kia Sorento des Mannes angekommen, hörte er einen Schrei, der auch von einem Mädchen hätte stammen können.

„Tatsujiiiii~!“ Sie zog den letzten Buchstaben seines Namens länger als sonst, sehr viel länger, er drehte sich zu der Stimme herum und sah, wie sie ihm aufgeregt winkte. Dann kam sie auch schon auf ihn zugelaufen.

Ach du Scheiße, dachte er irgendwie, dieses gespielt Fröhliche hatte er sofort in Riinas Stimme entdeckt.

„Was macht ihr hier?“

„Hi, Riina, wir unterhalten uns.“

„Worüber denn?“ Sie war heute wirklich übermäßig neugierig, was für ihn nur eines hieß – sie war eifersüchtig auf Natsumi, dabei hatte sie doch überhaupt keinen Grund dafür.

„Nichts Interessantes, Rii-chan“, konterte der Braunhaarige mit einem schelmischen Grinsen, er goss absichtlich Öl ins Feuer, weshalb die Rothaarige einen schmollenden Gesichtsausdruck bekam, da ihr die Antwort nicht gefiel.

„Sag mal, hast du Geheimnisse?“

Nun drehte sich Natsumi zu Riina herum und hustete. „Lange nicht gesehen, Takagi-san“, die Schwarzhaarige sagte es absichtlich, sie war total höflich, dann konnte ihr Riina gar nichts, es war so ihre Art, zumal die Rothaarige etwas älter war.

„Na-Natsu-mi?“ stotterte die Rothaarige und betrachtete sich das junge, hübsche Mädchen. Sie war geschminkt, trug einen kurzen Rock und sah einfach unwiderstehlich aus. Die Jurastudentin konnte ihren Augen nicht trauen, sie würde Rans Cousine ganz bestimmt nicht mit Tatsuji alleine lassen, niemals!

Der geschockte Blick in Riinas Gesicht, er sagte aus, dass sie alles Mögliche dachte, nur nicht, dass er sich einfach nur mit Natsumi unterhielt, aufgrund dieser Tatsache grinste Tatsuji jetzt doch ziemlich belustigt, er fand es ulkig, wie sie sich erschrak, wo es nichts zu erschrecken gab.

Sie hatte auch so diesen typischen das ist aber mein Freund, also Finger weg-Blick im Gesicht.

Dass sie so etwas dachte, war wohl darauf zurückzuführen, dass sie nicht mehr wirklich an ihr Glück glaubte, da sie mehrmals von Männern betrogen worden war, man musste aber auch dazu sagen, dass es zwischen ihnen kein Betrügen geben konnte, weil sie nämlich noch gar nicht zusammen waren, trotzdem war Riina jetzt eifersüchtig für zehn, fand der 27-jährige. Er hätte ja sehr fies sein können und mit Natsumi flirten, um Riina noch eifersüchtiger und ihr Angst zu machen, damit sie ihm endlich mal ihre Liebe gestand, aber so etwas hätte eher wieder Yuichi gebracht, Tatsuji war nicht so fies. Natürlich hatte er von ihren Gefühlen schon lange etwas bemerkt, was ihr natürlich unbewusst war, sie war eben ein kleines Dummerchen.

„Und was machst du hier mit Tatsuji?“ Riina warf ihr einen giftigen Blick zu. Für sie stand nämlich fest, dass Natsumi absichtlich in Tatsuji hineingerannt war, um sich an ihn ranmachen zu können.

„Ich komme mit, Tatsuji!“ Das entschied sie so einfach, was sollte er auch dagegen haben?

„Das geht nicht, wir haben etwas Privates zu besprechen“, entgegnete Natsumi, immerhin wollte sie über ihren Bruder reden, was Watarus Schwester absolut nichts anging, die schon gar nicht. Dazu reichte schon aus, dass sie Keichiro Takagis Tochter war. Sie wollte ihre Gedanken und Ängste nicht mit einer solchen Person teilen.

Etwas, was sie also nichts anging? Das wagte ausgerechnet Hinagawas Tochter, den Kerl hatte Riina sowieso nie ausstehen können, er hatte sie bei Vorlesungen immer belästigt, anscheinend war dem Mann das gar nicht aufgefallen. Trotz allem wusste Riina noch nicht von seinen dunklen Machenschaften und dem Bündnis mit ihrem Vater.

Eine dunkle Kluft herrschte zwischen den beiden Frauen, das bemerkte Tatsuji sofort. Riina war eifersüchtig und Natsumi hatte ein Problem mit ihr, aber welches? Der Profiler hätte schwören können, dass der Grund Chardonnay beziehungsweise Keichiro Takagi war. Vielleicht war auch dies das Thema, welches Natsumi mit ihm besprechen wollte.

So Leid es ihm tat, Riina würde wohl kaum mitkommen können, wenn Natsumi so dagegen war.

„Hör mal, Riina“, er ging zu ihr hinüber, „Natsumi will nicht, dass irgendjemand dabei ist, also werde ich mich danach richten müssen.“ Wenn er wissen wollte, was sie ihm zu sagen hatte, musste er Riina eben wegschicken, es ging nicht anders, hoffentlich bekam sie das jetzt nicht in den falschen Hals.

„Das... Das macht sie absichtlich“, flüsterte sie ihrem besten Freund zu. „Sei bloß vorsichtig bei ihr.“

Vielleicht machte sie es absichtlich, um Riina loszuwerden, ja, das konnte sein, aber sie würde überhaupt nichts ändern können, sie konnte ja nicht mal dazwischen funken. Und er glaubte auch nicht, dass Natsumi absichtlich schlecht über Riina reden würde, es war schließlich um ihren Bruder gegangen. Vielleicht würden sie von Riinas Vater sprechen, jedoch wollte er bloß, dass sie verstand, weshalb er das tat.

„Ich kann dich nicht immer und überall hin mitnehmen, das geht nicht. Ich bitte dich, das zu akzeptieren. Ich melde mich nachher bei dir.“ Sie hatten hier nicht einmal eine Verabredung, was hieß, dass sie sich nicht an ihn hängen konnte, wenn er quasi Arbeit hatte – man durfte schließlich nicht vergessen, dass er auch noch zu Yuichi wollte. „Also nicht traurig sein.“

„Ich bin nicht traurig.“ Nein, sie war trotzig, weil er mit einer anderen Frau unterwegs sein würde, im Moment kam sie damit überhaupt nicht klar. Er hatte keine Freundin, es war gefährlich, ihn mit anderen Frauen losziehen zu lassen. Deswegen senkte sie auch den Kopf, traute sich aber auch nicht zu sagen, weshalb sie das so traf. Ganz egal, welche privaten Sachen sie da zu bereden hatten, Natsumi war ganz anders gestrickt als sie, wenn sie etwas von einem Mann wollte, war sie ganz anders als Riina, sie holte sich doch, was sie wollte.

„Ach, was dann? Beleidigt?“ Es rutschte ihm mehr unwillkürlich raus, weil sie ein Gesicht zog, als wäre sie superenttäuscht.

„Nein, nichts dergleichen, wie kommst du bloß darauf?“

Ihre Frage war für ihn pure Ironie, weshalb er lachte und ihre Haare wie bei einem kleinen Kind verwuschelte.

„Ich spreche nur aus, was ich dir ansehen kann. Du solltest dein Gesicht sehen. Keine Sorge, du wirst schon nicht zu kurz kommen“, Tatsuji zwinkerte seiner besten Freundin frech zu und drehte sich dann herum.

„Wie bitte?“ Sie glaubte nicht, was der freche Baka da wieder gesagt hatte. Von wegen zu kurz kommen. Sollte das heißen, sie war... eifersüchtig?

„Du hast schon verstanden, Süße, also, bis später.“ Er winkte ihr, ohne sie anzusehen und stieg dann in sein Auto ein. Tatsuji entriegelte für Natsumi die Türen, so dass auch sie einsteigen konnte. Als beide die Türen wieder geschlossen hatten, lachte sie. „Was war das denn jetzt?“

„Was war was?“ Riinas Schmollen oder sein Verhalten? Er war sich noch nicht so ganz im Klaren, nach was sie fragte.

„Das, was ihr beide da eben abgezogen habt! Mir scheint, als wenn sie in dir etwas mehr als einen sehr guten Freund sieht“, meinte Natsumi mit einem Schmunzeln – ganz im Gegensatz zu ihr. Ihr bester Freund löste so etwas wie leidenschaftliche Gefühle in ihr nämlich nicht aus.
 

Riina sah dem Auto nur noch beim Wegfahren zu, sie seufzte und schlug einen anderen Weg ein. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als zu warten, bis er sich meldete, wie sah es auch sonst aus, als wäre sie eifersüchtig, genau.

Auf dem Weg zurück entdeckte sie eine sehr gute Freundin, die mit einem jungen Mann zusammen war, Riina wollte schon zu ihnen stürmen und sie begrüßen, wie es üblich war, doch bemerkte sie, um welchen Mann es sich da handelte und blieb deswegen wie angewurzelt stehen. Wollte man sie heute veräppeln?

Die Rothaarige versteckte sich im Park, durch den sie gerade gegangen war, hinter ein paar Gebüschen und beobachtete die beiden, die es sich auf einer Bank gemütlich machten.

„Also, worum ging es, Naru-chan?“ wollte der Schwarzhaarige wissen, so dass sie betrübt den Blick senkte und zögernd vor sich hin überlegte, was sie wohl tun sollte.

Riina entglitten buchstäblich die Gesichtszüge, seit wann nannte er ihre beste Freundin denn Naru-chan?

Verwirrt über den vertrauten Umgang ihrer beiden Bekannten beobachtete sie weiter, warum war Naru denn schon wieder deprimiert? Das hatte doch nicht mit den morgendlichen Nachrichten zu tun, oder doch? Na ja, es war Naru zuzutrauen, da sie ständig Verwandte verloren hatte und sie den Todesfall in den Nachrichten bestimmt berührt hatte, es war kein Geheimnis für Riina, dass ihre beste Freundin mit dieser Frau befreundet gewesen war, weil diese die Schwester ihres Freundes war.

„Na ja, mir ist die Decke auf den Kopf gefallen, ich brauchte einen sehr guten Freund. Weißt du, Kimiko ist jetzt auch tot... Bald habe ich gar niemanden mehr, fürchte ich.“

So war das also, nicht nur Riina verstand damit umso mehr, auch der Schwarzhaarige, er legte einen Arm um die Hellbraunhaarige, so dass diese ihm ins Gesicht sah, aus ihren Augen quollen Tränen. „Hiroya ist so was von kalt, ich kann das nicht ertragen... Schon nach Hayates Tod hat es angefangen... Er findet sich mittlerweile zu schnell mit Toten ab... Ich weiß ja, dass er Kimi nicht mehr leiden konnte, weil sie machte, was sie wollte, aber...“ Naru warf sich an die Brust ihres Bekannten und begann zu weinen. Wenn sie es schon bei Hiroya nicht mehr konnte, dann wenigstens bei ihm, er würde das verstehen, da war sie sich vollkommen sicher. Der 24-jährige war nämlich bei weitem sensibler als ihr eigener Freund, was sie im Moment einfach brauchte.

„Er tut doch nur so kalt... Ich glaube nicht, dass ihm ihr Tod nicht nahe ging, sie ist doch immerhin seine Schwester, egal, was zwischen ihnen vorgefallen ist, sie ist seine Blutsverwandte!“ Er konnte das nicht glauben, nein, Hiroya war doch kein eiskalter Mensch. Man konnte sich was vormachen, das stimmte wohl, aber er kannte doch seinen Freund, selbst wenn er ihm bestimmte Dinge zwanghaft verschweigen musste, da Hiroya Ermittler war.

„Mhum“, sie schüttelte den Kopf und löste sich leicht, die Tränen kamen immer zahlreicher, deswegen strich ihr der Schwarzhaarige mit den leicht gewellten Haaren über die Wange. „Tote kommen nicht wieder zurück, es ist also egal“, wiederholte sie die Worte ihres Freundes. Genau so hatte er es doch gesagt. „Genau so hat er reagiert mit seiner gleichgültigen Stimme! Er will nicht mal mit ermitteln, dabei weiß er genauso gut wie ich, dass sie keinen Unfall hatte, nein“, Naru schluckte tief, die letzten Tränen kamen, dann wirkte sie regelrecht apathisch, „sie wurde getötet... So wie alle anderen aus meiner Familie.“

„Ach, Naru“, er wusste nicht, wie er ihr helfen konnte, außer ihr Trost spenden, deshalb hielt er die Freundin seines Freundes ganz einfach in den Armen. Sie fand es nicht gerade aufmunternd, dass ihr jemand anderes Wärme und Trost schenken konnte, aber sie genoss es. Unter anderen Umständen hätte sie eher ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn sie einem Mann so nahe gekommen wäre.

„Er will ihr nicht helfen... Sie ist zwar tot, aber der Schuldige soll dafür gerade stehen, warum versteht Hiroya das nicht? Er wollte doch immer für Gerechtigkeit sorgen... Er sagt bloß, sie ist selbst schuld, weil sie sich auf die Seite eines anderen geschlagen hat, er ist so ein Idiot! Er verstößt sie und sie soll ihm auch noch vertrauen, ich kann so viel Verbohrheit nicht verstehen.“ Wie konnte er das von ihr verlangen? „Er war doch selbst schuld. Sie hatte ihren Bruder verloren und sich an jemand anderen geklammert, weil sie es gebraucht hatte, dafür hat Hiroya sie bestraft, deswegen hat er ihr an den Kopf geworfen, sie bräuchte keine Hilfe erwarten.“ Und den Kerl sollte sie lieben? Wieso denn? Sie wusste ja nicht einmal, ob er noch ein Herz besaß oder so etwas wie Gefühle hatte.

Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Danke, dass du für mich da bist, das weiß ich wirklich zu schätzen.“ Naru hatte sich jetzt beruhigt und die Arme um ihn geschlungen. „Hast dir eine Belohnung verdient.“ Die Hellbraunhaarige blickte ihm tief in die Augen, was ihn leicht unwohl werden ließ, er blickte zur Seite, doch als er seinen Blick wieder auf sie richtete, war sie ihm näher gekommen, als jemals zuvor und hatte ihn auf den Mund geküsst. Ihre Lippen schmeckten so süß wie Honig und waren so sanft wie ein Seidentuch, er konnte nicht widerstehen und schloss die Augen.

Riina war schockiert. Naru war doch liiert – mit Hiroya nämlich, ihrem Helden! Wie - wie konnte sie nur? Wie konnte sie überhaupt daran denken, einen anderen Mann zu küssen? Es überstieg Riinas Verständnis. Wenn es nur ein harmloses Küsschen gewesen wäre, hätte die Rothaarige ihre Freundin noch verstehen können, wenigstens ein kleines bisschen, aber in dem Fall?! Naru fraß den Kerl fast auf, das konnte sie doch nicht so einfach machen!?
 

Das Büro war leer, was das Telefon aber nicht daran hinderte zu klingeln. Der Anrufer hatte wohl etwas ganz Wichtiges mit Detektiv Môri zu bereden, jedenfalls ließ derjenige auch nach zehnmaligem Klingeln nicht locker.

Conan, der zufällig noch anwesend war, während Kogorô schon auf dem Tisch eingeschlafen war, schlich sich zum Büro und nahm das Gespräch an.

„Moshi Moshi, Detektei Môri“, gab der Junge kleinkindähnlich von sich, allerdings meldete sich gleich darauf nicht sofort jemand.

„Ano... Ich hätte gerne Detektiv Môri gesprochen.“

Klar, der Anrufer fand es wohl etwas komisch, dass ein Kind ans Telefon ging, da Kogorô aber schlief, dachte sich Conan, dass er das Ganze selbst abwickelte, immerhin hatte er ja hilfreiche Gegenstände von Professor Agasa bekommen, was es ihm ermöglichte sich als Kogorô auszugeben.

Conan stellte sich Kogorôs Stimme ein, was er ja nun wirklich häufig tat, so dass er nicht lange suchen musste und hielt sich den Stimmentransposer dann vor den Mund.

„Kogorô Môri hier, wo drückt der Schuh, hahahaha!“ Conan machte absichtlich auf Komiker, so war Rans Vater eben überall bekannt.

„Mich drückt kein Schuh...“ Ein Seufzen kam von dem Mann, es war eindeutig einer, wie der Jungdetektiv hatte feststellen können. „Ich habe einen Fall für Sie.“

Auf einmal hörte Conan das Aufstampfen eines Fußes, er drehte sich herum, rechnete schon mit Ran, die ihn belauscht hatte, sah dann aber in Kogorôs Gesicht, das von Wut und Empörung nur so gezeichnet war. ‚Ach du...’ Weiter kam der Junge nicht, Kogorô sprang ihm fast ins Gesicht.

„Was gedenkst du da zu tun, du Möchtegerndetektiv?“

Zum Glück hielt der Junge den Hörer zu, damit der Klient nicht mitbekam, was sich hier abspielte. Conan wusste im ersten Moment nicht, wen er mehr fürchten sollte, Ran oder doch Kogorô, der sich wie ein Sumoringer vor ihm aufgebaut hatte...

Sein Blick sprach Bände. Conan hatte einen verängstigen Blick im Gesicht und reichte Kogorô das Telefon, was blieb ihm auch anderes übrig? Jedenfalls schien der Detektiv nicht gehört zu haben, was er gesagt hatte, oder doch? Es war doch schon normal geworden, dass der kleine Junge Anrufe entgegen nahm...

„Wer spricht da?“ wollte Kogorô von dem Anrufer mit ernsthafter, fast schon wütender Stimme wissen.

„Sie sind doch der Detektiv, der seine Fälle scheinbar im Schlaf lösen kann, oder? Man sagt, Sie lösen jeden Fall... Nun ja, ich habe einen Fall für Sie, mein Name spielt keine Rolle.“

Was zum Teufel sollte das? Er würde doch für niemanden einen Fall lösen, von dem er nicht mal den Namen kannte, außerdem war er gerade mit anderen Sorgen beschäftigt, mit einem Kind, das anderer Leute Stimmen nachmachte und sich anscheinend als er ausgegeben hatte. Er hatte ja immer geahnt, dass etwas nicht mit rechten Dingen zuging und dass Conan schlau war, wusste er schon Ewigkeiten. Er hatte sogar vermutet, dass er die Fälle löste, zumal Kogorô sich nie an die Fälle erinnern konnte, wenn man ihn darauf ansprach. Vielleicht lag hier der Schlüssel...

„Kein Bedarf!“

„Ach nicht? Auch nicht an 2 Millionen Yen?“

Der Detektiv riss die Augen auf und gab einen Schrei von sich. „Ehhhhh??“ Er hatte sich doch verhört, oder? In den Augen des Mannes trat regelrecht der Wunsch nach Reichtum in Form von Geldscheinen. Er sah das Geld schon vor sich und das nur für einen Fall? Aber was war das für ein Kerl, der ihm so viel Geld für einen Fall bieten wollte? Hatte der irgendwie eine Schraube locker?

Perfidious plans Part 1

Naru löste sich von ihrem Gegenüber, nahm die Arme um seinen Hals jedoch nicht weg, sie schaute ihm ins Gesicht, nun etwas lächelnd. „Zeigst du mir deine Wohnung? Ich würde sie gerne mal sehen.“

Riina begann zu husten, sie konnte nicht mehr, es war einfach viel zu haarsträubend, aber Narus Worte hatten geklungen, als wolle sie aus ganz bestimmten Gründen seine Wohnung kennen lernen, ihr Blick dabei war wirklich eindeutig, sie hatte es auf den Mann abgesehen... Oh Gott, das konnte sie doch nicht ernst meinen!? War sie betrunken? Naru wollte Hiroya betrügen, so klang es für die Rothaarige.

„Ich weiß nicht, Hiroya würde das bestimmt nicht sonderlich gefallen, wenn du dir die Wohnung eines anderen Mannes zeigen lässt.“

„Allerdings, das gehört sich nämlich nicht!“ hörte man eine Stimme hinter einem Busch, weshalb Naru zusammenfuhr und den Kopf etwas nach hinten drehte. „Riina, was machst du da, schnüffelst du mir nach?“ Naru warf ihrer Freundin Halbmondaugen zu.

„Du brauchst gar nicht so zu gucken, Naru! Was zum Teufel knutschst du hier mit meinem Exfreund?“

Die Hellbraunhaarige seufzte, während sich Riinas sogenannter Exfreund fast einen halben Meter weit weg von ihrer besten Freundin setzte, er war doch jetzt nicht etwa schon wieder schuld an allem? Juro blickte unschuldig zu Riina auf. „Bist du etwa eifersüchtig?“ Etwas schuldbewusst sah er schon irgendwie aus.

„Ach du meine Güte, ganz bestimmt nicht, mach dich gefälligst nicht an Frauen ran, die halb verheiratet sind! Du kannst deine Pfoten wohl immer noch nicht bei dir behalten, wie?!“

„Halb verheiratet? Halb getrennt, passt wohl wesentlich besser“, klärte Naru ihre Freundin auf und schüttelte den Kopf. „Hiroya ist nicht dein Tatsuji, Hiroya ist - ein Vollidiot! Ich überlege ernsthaft, ob ich mit so einem jemals glücklich sein werde! Lass deinen Frust woanders raus! Oder besser noch, geh zu Tatsuji und tu endlich, wonach du im Grunde nur verlangst, Feigling.“ Sie war wütend, dass sich ihre Freundin in diese Sache so einmischte, als könnte sie ihr Befehle erteilen, das lief so nicht, deswegen wurde sie auch ein wenig gemein.

Riina hatte jetzt einen empörten Gesichtsausdruck inne. Wieso musste Naru nun so etwas vor Juro sagen?

„Tatsuji? Wer ist das, Riina? Was hast du mit dem?“

„Nichts habe ich mit dem.“

„Das ist ihr Problem.“

Juro blickte zur Seite zu Naru und nickte. „Ach, so ist das.“

„Ja, sie ist zu ängstlich und bringt es nicht fertig, ihm zu sagen, dass sie ihn liebt.“ Naru sagte es nicht nur, um Riina zu ärgern, sondern auch, um Juro die Augen zu öffnen, er sollte endlich kapieren, dass Riina nun mal nichts mehr von ihm wollte.

Eigentlich hatte Juro sich um Riinas und Hiroyas Willen zurückgehalten, aber wenn er das Ganze von allen Seiten beleuchtete, wurde ihm immer klarer, dass es falsch war. Naru zu lieben, war kein Fehler, genauso wie es Schicksal war, dass Riina erfahren hatte, dass er sie betrogen hatte.

Trotzdem fühlte er sich von seiner Exfreundin jetzt total verunsichert, immerhin war ja Hiroya sein Freund, was sie ihm wieder klargemacht hatte.

„Tja, wohl ängstlicher und vorsichtiger als du, Naru.“

„Du musst sie nicht vor mir warnen, Riina.“ Er ahnte Derartiges, immerhin war sie ja Jurastudentin, Naru liebte einen Kriminalisten. Er fürchtete, dass die Sache endete, bevor sie begonnen hatte. Wenn nicht Riina, würde vielleicht Hiroya dafür sorgen.

„Ich warne sie nicht vor dir, Juro, ich find’s nur nicht okay, was sie tut.“

„Halt den Ball flach, Riina, was du nicht okay findest, steht nicht zur Debatte! Es steht ja auch nicht zur Debatte, was ich an Hiroya nicht in Ordnung finde, das kümmert ihn einen Scheiß, also habe ich kein schlechtes Gewissen.“ Genau das versuchte Naru ihre Freundin ja einzureden.

„Deswegen musst du doch nicht gleich ans Fremdgehen denken.“

Ja, sie dachte wirklich daran, allerdings nicht an das, was Riina so fremdgehen nannte. Bei Riina tat man es schon, wenn man jemanden küsste, demnach hätte Naru Hiroya ja schon betrogen, aber es kümmerte sie wirklich kein bisschen.

„Und ich denke nicht, dass wir dieses Gespräch weiterführen müssen.“ Die Hellbraunhaarige würde sowieso tun, was sie wollte, das lag klar auf der Hand. „Komm, Juro, du wolltest mir deine Wohnung zeigen.“ Sie stand auf, nahm seinen Arm und zog ihn etwas mit sich.

„Ähm, Naru, ich halte das ja irgendwie für keine gute Idee.“

„Ach, nein? Das bereden wir weit weg von deiner Exfreundin.“

Riina wurde stehen gelassen, sie konnte es nicht glauben, war ihre Meinung denn jetzt überhaupt nichts mehr wert?
 

Nachdem Carpano sich wie so oft in Luft aufgelöst hatte und der Sender zu allem Überfluss von ihm aktiviert worden war, hatte Cencibel gedacht, dass er wohl Hilfe benötigte, er war kein Mensch, der bei einer Kleinigkeit das Knöpfchen drückte. Aber nicht nur Cencibel, auch Kir, die als erstes dieses Signal empfing. Jedes Mal brach sie in Panik aus, sie wusste immerhin, wie viel ihr Freund immer riskierte. So auch dieses Mal, sie hatte völlig aufgelöst ihre Freundin angerufen, um ihr Bescheid zu sagen, weil sie in solchen Fällen einfach die beste Lösung war, immerhin war sie Ärztin und wusste sehr viel mehr über die Behandlung von Verletzungen, die er natürlich wieder hatte, wenn das Signal ertönte. Sie selbst wäre auch viel zu panisch und unruhig. Kir hatte jedes Mal aufs neue Angst um ihn, Panik davor, ihn für immer zu verlieren – denjenigen, der Licht in das Dunkel ihres Lebens gebracht hatte.

Was war es da für ein Schock für beide Frauen gewesen, als es sich nicht um Carpano gehandelt hatte, sondern um eine andere schwer verletzte Person. Und wieso war Carpano weggewesen? Diese Frage quälte die Braunhaarige mittlerweile seit Stunden. Sie hatte ihn auf dem Handy angerufen, er war nicht rangegangen. Wahrscheinlich konnte er nicht, weil er entweder ebenfalls verletzt worden war, oder man ihn nicht ließ. Was war nur passiert?

Nicht nur, dass ein sehr enger Freund von Yuichi, der natürlich genauso wie dieser selbst ein Verräter war, verletzt worden war, sondern auch die Ungewissheit über Yuichis Verbleib, trieben die Nachrichtenmoderatorin fast in den Wahnsinn.

Alleine, dass Yuichi von Jamies Zustand wissen musste, würde ihn doch hierher treiben, das ließ nur einen Schluss zu: Er konnte nicht, auch wenn er wollte, was unter normalen Umständen das Erste gewesen wäre, was er getan hätte. Er würde vielmehr Helios retten, statt sich selbst, was, wenn es tatsächlich so war? Vielleicht war er ja gerade in irgendeiner Gasse und kämpfte nun selbst mit dem Tod, genauso wie sein Freund es schon die ganze Nacht getan hatte...

Im Moment schienen die Organisationsmitglieder ja wieder verstärkt Krieg in den eigenen Reihen zu führen. Es war schon lange Vergangenheit, dass sie wie Pech und Schwefel zusammen gehalten hatten, um unerkannt zu bleiben. Der Boss hätte es wohl gerne, wenn Gin, Kir, Cognac, Carpano und Vermouth eine kleine Gruppe geworden wären, aber Gin schien am wenigsten reinzupassen. Dass er ausgerechnet denen nichts tun durfte, ging ihm derweil doch ziemlich gegen den Strich. Was sie da eigentlich sollte, hatte Kir noch nicht ganz begriffen. Welche Rolle würde man ihr wohl zuteilen? Fünftes Rad am Wagen?
 

Die Schwarzhaarige grinste vor sich hin. Die Tür hinter ihr wurde geöffnet, sie blickte sich nicht um, immerhin wusste sie, wer gekommen war.

„Du bist echt spät, Mutter, dabei hattest du mir versprochen, nicht so spät nach Hause zu kommen.“ Sie sagte es nicht wütend, sondern mehr in einem nebensächlichen Ton, als sei es gar nicht so schlimm gewesen, allerdings ließ sie sich nicht nehmen, ihre Mutter an ein gebrochenes Versprechen zu erinnern.

Vermouth seufzte genervt – was wurde das? Bevormundung etwa? Sie konnte das nicht leiden. „Hat sich eben so ergeben, ich denke nicht, dass ich dich fragen muss, ob ich mit meinem Lover unterwegs sein darf.“ Etwas bissig war die Schauspielerin schon, sie machte ihren Standpunkt klar und zeigte ihrer Adoptiv-Tochter, dass sie zu diesem Thema nichts hören wollte.

„Also, was du so treibst, Vermouth, ist wirklich interessant. Der Kleine hat Mist gemacht, er wurde von Onkelchen erwischt, bin mal gespannt, wie er sich rausredet.“

„Ich hab’s geahnt, dass das irgendwann passiert, gut, dass ich den Boss darum gebeten hatte, dir den Fall zuzuteilen, wer weiß, was sonst passiert wäre? Vielleicht will er dem verrückten Môri auch alles erzählen... Stell dir das doch nur mal vor...“ Etwas bedrückt klang sie, was auch Syrah auffiel.

„Der Klang deiner Stimme hat nichts mit Cognac zu tun, oder doch? Nicht viel eher mit dem kleinen Kind, das bei Môri wohnt?“

Dass Syrah noch immer nicht mitbekommen hatte, worum es ging, ließ der Blonden ein Lachen entkommen. „Du hast das Kind noch nicht durchschaut – du musst dich mehr anstrengen, er ist was ganz Besonderes, du wirst mir nur beipflichten können. Natürlich werden wir nicht verraten, weshalb der schlafende Kogorô so eine Karriere hinlegen konnte, verstanden?!“

Syrahs Blick ging nun doch zur Seite, wo ihre Mutter noch stand. „Das solltest du mir vielleicht erklären! Hat dir dieser Verräter Cognac wieder Hirngespinste eingepflanzt?“ Sie war der festen Überzeugung, dass der Kerl Schuld daran hatte, wenn sie auf solche hirnrissigen Gedanken kam.

„Cognac weiß davon nichts“, meinte Vermouth, was sollte das eigentlich heißen? Dass sie sich zu irgendwas verleiten ließ?

„Aber er hat dich sicher auf diese Ideen gebracht. Das ist gefährlich, was du da planst, du planst die Organisation zu linken, so was wird mit dem Tod bestraft, egal, wer du bist.“

„Von Gin vielleicht.“

Verblüfft über die Worte schaute Syrah ihre Mutter an, sie hatte die Worte genaustens verstanden, verstand aber wiederum nicht, wie sie darauf kam. „Ich dachte, er steht auf dich.“

„Selbst wenn er das täte, Syrah, er steht am meisten auf Sherry, will sie am liebsten aber umbringen, was denkst du, was er dann gerne mit mir machen würde?“ Sie zeigte ein schadenfrohes Lächeln, was so wirkte, als würde sie sich selbst veralbern.

„Ich kann den Kerl nicht leiden, er nimmt sich zu wichtig.“

„Ist er auch, jedoch nur, weil er nie aufmuckt. Wen er töten soll, ist ihm eigentlich ziemlich egal, er würde selbst seinen Partner Vodka umlegen. Gin ist wichtig für die Drecksarbeit!“ Sie war froh, dass Derartiges wenigstens nicht an ihr hängen blieb. Sie war für die ganz trickreichen Morde da, für stinknormale Sachen, wie Gin sie immer verübte, griff der Boss doch gar nicht auf sein Schätzchen zurück. Was sie hinter seinem Rücken so trieb, ließ sie jetzt natürlich außen vor.

„So? Und du denkst, der Boss würde nicht?“

„Das Schlimmste, was dann passieren könnte, ist dass er mich irgendwo einsperrt, damit mir nicht doch noch was passiert. Ist er nicht liebenswürdig? So richtig zum gern haben.“

„Warum wirst du sarkastisch...? Er hat mehr Macht als Cognac, du solltest den Typen sausen lassen und dich an den Boss halten, er hat die Entscheidungsgewalt. Ich kann das einfach nicht verstehen. Der Typ vergöttert dich, während dich Cognac andauernd betrügt.“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf.

„Was denn? Hält es dich davon ab, Teran zu lieben, weil er dich betrügt?“ Es war nicht an der Tagesordnung, dass sie Leuten verriet, was sie wirklich für Cognac empfand, das war nur ein weiterer kluger Schachzug in ihrem eigenen Spiel. Sie kannte Syrahs Schwächen und nutzte sie aus.

„Willst du mir weismachen, du liebst Cognac?“

Ja, genau das, damit sie ihn wenigstens zufrieden ließ, aus Rücksicht auf ihre Mutter. „Tja, eine lockere Beziehung kann ich mir kaum noch vorstellen. Erstens frisst er mir förmlich aus der Hand und er lässt mich wenigstens in Ruhe, wenn ich mal mit einem anderen Mann zusammen ausgehen will. Was denkst du, was Calvados war? Nur ein Test, wie Cognac darauf reagieren würde. Er hätte ihn töten können, das hätte mir aber nur gezeigt, dass er genauso ein schlichter Mann ist, wie der Boss, aber er hat ihm nicht einmal ein Haar gekrümmt und das obwohl ich mir vollkommen sicher bin, dass er rasend eifersüchtig war.“ Seitdem war er auch ein wenig braver geworden, er hatte ihr schon lange nicht mehr gebeichtet fremdgegangen zu sein. Die Angst, die ihn wohl damals beschlichen hatte, war mit ein Grund dafür. „Ich habe die Zügel in der Hand. Wenn ich etwas will, kriege ich das auch, you know, Syrah?!“ Sie schwang die Haare nach hinten, was typisch für die arrogante Frau war, die sie innerhalb der Organisation eben war.

„Du bist verrückt, du willst doch echt Macho-Cognac erziehen, zu was eigentlich? Zu deinem Schoßhund?“

„Nein, so was steht Gin viel mehr, leider funktioniert das bei ihm nur nicht. Er ist das, was ich gewöhnlich Scheißkerl nenne. Er verprügelt Frauen, besäuft sich und hat keinerlei Manieren, auch wenn er es in meiner Nähe immer versucht.“ Sie verzog leicht angewidert das Gesicht. Das sah schon mehr nach Chris Vineyard aus, als nach Vermouth, der es total egal zu sein schien, welche Mistkerle sie sich angelte. „Außerdem, Cognac hat Stil, wenn er jemanden quält.“ Trotzdem stand sie total darauf, einen bösen Mann an ihrer Seite zu haben, was sie Syrah jetzt einfach mal einredete, nämlich, dass Cognac kein Engelchen war. Gut, er war keines, aber im gewissen Sinne war er nicht boshaft, alles andere als das.

„Ach ja, tut Cognac das? Der sieht doch so harmlos aus.“

„Alles nur Show, du hast ihn noch nicht in Rage erlebt, Syrah. Am meisten macht es mich an, wenn ich wieder Ärger hatte und er aufräumen geht. Da ist er ganz besonders schlimm drauf, am besten habe ich noch einen Kratzer und es gibt sehr viel Ärger.“ Man merkte, wie viel sie sich darauf einbildete, ihm so wichtig zu sein. „Du kannst dich ja mal mit Jami über den so harmlosen Cognac unterhalten.“ Kenichi wusste das besonders gut, ja, er kannte Cognac von seiner üblen Seite, was auch so geplant gewesen war. Was Jami wusste, wusste meistens jeder, wenn Vermouth es ihm erlaubt hatte. Dass er wegen Vermouth austickte, das hatte sie ihm verboten, rumzuerzählen, alles andere durfte er breittreten, damit auch die meisten sich vor Cognac fürchteten. Allerdings hatte es einen üblen Beigeschmack. Vermouth hatte damit dafür gesorgt, dass sich die meisten Cognac nur in Gruppen näherten, was es zu ihrer Pflicht machte, ihn beschützen zu lassen. Dass sie daran im Grunde nur zum Teil Schuld hatte und nicht komplett, wusste sie nicht. Sie wusste nicht, dass Chardonnays Bande mit Pinot befreundet war und deswegen auf Cognac losging, das war ihr leider entgangen.

Jedoch hatte sie dadurch auch erfahren, wie tapfer und stark Cognac war. Wenn Yuichi von ihm redete, hatte sie mehr das Gefühl, es handelte sich um ein wehrloses, kleines Kind, aber er schaute immer nach vorn, bisher jedenfalls... Er gab niemals auf, egal wie schwarz der Himmel mal wieder wurde. Er murrte kein bisschen, wenn ihn wieder jemand verletzt hatte, er versuchte es sogar, vor ihr zu verstecken, er hielt wirklich um einiges mehr aus, als sie gedacht hatte.

„Teran hat mir erzählt, dass er mit dieser Kimi zusammen war, die vor kurzem ums Leben gebracht wurde. Wusstest du das?“

„Nein, ich frage ihn bestimmt nicht nach all seinen Exfreundinnen aus, was hat Teran dir so gesagt?“ Natürlich war sie neugierig geworden.

„Dass sie ein süßes Ding war, und er es schade findet, dass sie tot ist.“ Syrah knirschte kurz mit den Zähnen, sie war doch sehr eifersüchtig zumindest für den Moment.

„Ach, ist das was Besonderes? Solche Anfälle hat er doch ständig bei irgendwelchen Frauen, ich dachte, du bist das gewohnt.“

„Bin ich auch. Und Cognac war wohl zu Schulzeiten mit ihr zusammen, damals soll er auch schon so ein Weiberheld gewesen sein, sie hat sich gedemütigt gefühlt und ihm mit einer handfesten Backpfeife den Laufpass gegeben, angeblich haben die sich so zerstritten, dass sie sich gehasst haben.“

„Gut möglich, er lässt sich nicht gerne verprügeln.“

Nein, niemals hatte er seine Exfreundin gehasst, das konnte er laut ihres Wissenstandes doch gar nicht. Das musste man Syrah aber ja nicht gleich erzählen.

„Im Übrigen, nimmst du alles auf, was im Hause Môri passiert?“

„Ja, mache ich, weil ich mich nicht stundenlang dahin setze, ich habe auch andere Pflichten.“

„Denk aber daran, wichtige Aufnahmen zu vernichten, es ist besser deine Speicherkarte namens Hirn zu benutzen, weil da nämlich niemals jemand rankann.“

Es war ihrer Mutter wohl wahrlich wichtig, dass die Organisation von diesem Kind ferngehalten wurde, aber was hatte es damit auf sich? Ihre Mutter wurde doch nicht gefühlsduselig wegen einem kleinen Kind, oder? Das konnte nicht der Grund sein, selbst wenn sie kleine Kinder wohl mochte, weil sie selbst keine hatte.

„Warum darf das keiner erfahren? Ich will das jetzt wissen, ansonsten cancel ich den Job.“ Sie mischte Japanisch mit Englisch, so wie ihre Mutter es immer tat und warf ihr einen überlegenen Blick zu. Syrah versuchte sie zu erpressen, was auch der Blondine schnell klar war.

„Du wirst es bitter bereuen, wenn du das Kind unserem Boss auslieferst. Du weißt doch, er neigt dazu, sich in kleine Wunder zu verlieben.“ So wie in Ryochi Akaja vor Jahren, sie hatte es nicht vergessen, kein Wunder, man erinnerte sie ständig an ihre Fehler. „Er ist zu gerecht, um so zu enden. Er wird später eher mal ein gefragter Privatdetektiv, oder Kriminalist, die Polizei will ihn unbedingt haben.“

Syrah begann zu lachen. „Denkst du wirklich, dass mein Herz so leicht zu erweichen ist, Vermouth? Du solltest mich besser kennen. Wieso sollte ich es bereuen? Willst du mir vielleicht sogar drohen?“

Sie wüsste wirklich nicht, was sie da bereuen müsste, außer dass ihre Mutter anscheinend dieses Kind mochte, aber das konnte nicht alles sein, das passte nicht zu dieser Frau.

„Weil du dich hassen würdest, wenn ich dir später sage, wer er ist.“

Das machte Syrah nachdenklich, allerdings sah es wirklich nicht so aus, als würde sie ihre Mutter umstimmen können, Erpressung war vielleicht auch der falsche Weg.

„Nur noch etwas Geduld, liebe Syrah, du wirst schon noch herausbekommen, was ich meine, ich muss es dir nicht auf die Nase binden. Du bist auf dem rechten Pfad.“

„Ich bin nicht lieb“, meinte die Schwarzhaarige mit den kurzen Haaren trotzig und drehte den Kopf weg.

‚Allerdings, alles andere als das bist du.’
 

Kogorô hatte sich vorgenommen, dem Knirps was zu erzählen, wenn der Fall besprochen war, das Angebot von so viel Moneten gab es schließlich nicht jeden Tag, er hatte längst entschieden, den Fall zu übernehmen. Dass das alles womöglich eine Falle sein könnte oder Derartiges, auf so was würde der geldgierige Môri niemals kommen.

„Also, worum geht es?“ wollte er ruhig und nun gefasst wissen.

Der Anrufer hatte schon gedacht, die Freude würde nie mehr vorübergehen, irgendwie machte ihn das auch wütend und er hätte beinahe wieder aufgelegt. Dem Kerl schien es nur um Geld zu gehen, nichts weiter, hoffentlich war er es dann auch wert. Er hatte keine Lust seine Zeit zu verplempern.

„Sie schauen Nachrichten, Môri-san?“

„Ja, also?“

„Kimi.“

Stutzig schaute Kogorô vor sich. Um diese Sängerin ging es also. Sein erster Gedanke, als man von ihrem TOD berichtet hatte, war gewesen: ‚Gott sei Dank ist es nicht Yokô.’ Noch dasselbe im Moment denkend, nickte er zu sich selbst. „Es geht also um Kimi. Die Polizei ist an dem Fall dran.“

„Die Polizei vermutet alles mögliche, nur keinen Mord, aber es war einer.“ Nun klang der Mann aufgewühlt, Kogorô würde versuchen ihn zu beruhigen.

„Ganz ruhig! Wieso denken Sie denn so etwas?“ Es war seltsam, zumal wirklich alles, laut der Nachrichtensprecherin, darauf schließen ließ, dass es ein tragischer Unfall gewesen war.

„Weil sie mir versprochen hatte in ihrem Zustand kein Auto mehr zu fahren. Wir hatten getrunken, ziemlich viel, zu viel! Und sie war ganz schön daneben danach! Ich wollte sie nicht gehen lassen, sie versprach mit der Bahn zu fahren... Wieso?“ Er zögerte, seine Stimme zitterte. „Was hatte sie in einem Auto verloren? Wir hatten viel zu viel getrunken, sie wäre in dem Zustand niemals gefahren... Das hat sie mir doch versprochen!“ Nun klang seine Stimme mehr nachdenklich, beinahe apathisch.

Kogorô hatte ihm genau zugehört, er schien die junge Frau sehr gut zu kennen.

„Und nur deswegen? Wer sollte sie denn ermorden?“

„Sie wurde ermordet, ich beauftrage Sie hiermit damit, herauszufinden, von wem!“

Ach, das wusste er nicht? Kogorô musste auf einmal lachen, es war nicht nett von ihm, aber er lachte. „Was macht Sie so sicher, dass Sie nicht Ihr Geld verschwenden?“

Schweigen herrschte, keine Antwort kam, was Kogorô nun doch seltsam fand, genauso wie Conan, er fand das gesamte Telefonat irgendwie seltsam.

„Ich weiß das einfach und SIE ist keine Geldverschwendung.“

Conan hätte gerne selbst mit dem Mann geredet, was sich hier abspielte, dem war Kogorô ja anscheinend nicht gewachsen.

„Na gut, ist ja ein nettes Sümmchen, aber seien Sie bloß nicht enttäuscht, wenn wir dasselbe herausbekommen, wie die Polizei, die schließlich nicht dumm ist.“

„Dumm vielleicht nicht, aber unwissend.“

„Ach nicht dumm, sondern unwissend?“ Was war das denn für ein schräger Vogel? Die Polizei beschäftigte sich doch tagtäglich mit Mord, wieso sollten sie sich irren?

Conans Pupillen wurden kleiner, er hatte ein schreckliches Gefühl. Von was redete der Kerl da? Er hätte sich so gerne dazwischen geworfen und das Gespräch weitergeführt, aber dann würde sein Onkel ihn wohl ermorden.

Wenn er sich nicht total verkalkulierte, dann redete man gerade mit seinem Onkel über die Schwarze Organisation, oder war er mittlerweile dermaßen gestört durch die Verhältnisse, die ihn umgaben, dass er Gespenster sah?

„Da war ein Profi am Werk. Haben Sie Angst um ihren Ruf?“

Môri fühlte sich von diesem Mann veralbert, er war doch kein kompletter Vollidiot, er schielte zu Conan, mit seinem Glücksbringer konnte ihm ja eigentlich gar nichts passieren.

„Na gut, ich gebe Ihnen meine Bankverbindung für die Bezahlung.“

„Nein, ich bin nicht so für Bankverbindungen... Ich würde gerne eine Übergabe organisieren. Ich will unerkannt bleiben.“

„Wieso wollen Sie denn bitte unerkannt bleiben?“

Der kleine Detektiv bekam es mit der Angst zu tun. Eine Falle, es war eine Falle, checkte das sein Onkel denn nicht bei all der Geldgier, die in ihm herrschte? Geld, damit köderte die Organisation doch so ziemlich jeden, Menschen, die nicht so viel Geld hatten, ließen sich doch ständig auf solche Sachen ein, er selbst hätte so etwas niemals für so viel Geld getan, aber wohl auch nur, weil er selbst reich genug war, dass er dies nicht nötig hatte.

„Fragen Sie sich denn nicht, weshalb jemand so viel Geld für eine SÄNGERIN übrig hat? Denken Sie scharf nach, dann kommen Sie sicher drauf.“

Kogorô dachte darüber nach und kam letztendlich nur auf eines: Kimi hatte einen geheimen Lover, der selbst total berühmt war, was auch sonst? Er wollte nicht, dass etwas darüber herauskam. „Verstehe.“

Was hatte man seinem Onkel weisgemacht? Conan wollte es wissen, sofort!

„Und wo soll die Übergabe dann stattfinden?“

Es durfte nicht wahr sein, Conan fragte sich, wie man bitte so dämlich und leichtfertig sein konnte, er regte sich jedenfalls tierisch über Rans Vater auf. Dass er WIRKLICH doof war, das hatte er ja vermehrt bemerkt. Wie so einer bei der Polizei hatte sein können, fragte er sich heute noch.

„Heute Abend gegen zehn Uhr – Haido-Chô S-Bahnhof. Natürlich bekommen Sie nur eine Anzahlung, den Rest bei Ausführung meiner Forderung. Ich hinterlasse das Geld in der Männertoilette, dort fällt’s nicht so auf.“ Obwohl sich der Mann sehr bemühte, bemerkte man, dass er aus dem Westen kam, Conan hatte einfach die Lautsprechertaste gedrückt, um wenigstens den Rest mitzubekommen. Er fand seine Aussprache klang der von Heiji sehr ähnlich. Er kam aus Kansai, eindeutig. Aber von der Sorte gab es so einige derzeit. Viel sagte das auf seine wahre Identität nicht aus.

„Gut, dann um zehn Uhr am S-Bahnhof von Haido-Chô.“

Conan verzog das Gesicht. Nur ein Idiot würde sich auf so etwas einlassen. In Haido-Chô war mal jemand auf der Toilette umgebracht worden. Wieso war Kogorô nicht misstrauischer?

„Gut, bis dann, wir hören voneinander.“

Die Fangschaltung des Telefons sagte an, dass die Nummer aus einer Nachbarstadt kam. Die Person befand sich gerade leider zu weit weg, er hätte zu gern gewusst, wo derjenige sich befand. Es war eine Telefonzelle, das sagte Conan die Nummer auf dem Display. Eine Telefonzelle, die sich wohl in Haido-Chô selbst befand.

Es war aufgelegt worden und Kogorô bemühte sich, seinen Herzschlag zu beruhigen. „Oh Gott, ich bin so schon reich... Jetzt brauche ich nur noch diesen Fall lösen und ich kann mich pensionieren lassen!“

Ein riesengroßer Tropfen lief über Conans Schläfe, dieser verdammte Volltrottel...

„Beruhig dich, Onkel!“ Er sagte diesmal nicht Onkelchen, sondern Onkel in ganz trockenem Ton. Nicht kindlich oder Dergleichen. „Das könnte eine Falle sein! Welcher Verrückte würde auch statt der Polizei zu vertrauen, einen Privatdetektiv auf so was ansetzen?“ Er wollte Kogorô daran hindern, diesen Fall zu übernehmen, weshalb er ihm ins Gewissen redete. „Mir ist herzlich egal, dass du mir gleich sagst, er ist ein Star! Na und? Es könnte auch nur jemand sein, der dir eine Falle stellen will, vielleicht hat derjenige auch einfach in der Sängerin ein Opfer gefunden, um DICH in eine Falle zu locken, noch nie daran gedacht?“ Er schon, immerhin war es nicht das erste Mal, dass man Kogorô Môri verdächtigte, etwas über die Organisation zu wissen. Er war schon einmal fast zum Opfer geworden, Conan konnte sich gut vorstellen, dass man ihn, trotz der Aktionen des FBIs noch verdächtigte.

„Nun hör mir mal zu, du Nervenzwerg!“ erhob Kogorô seine Stimme, stampfte auf Conan zu und zog ihn am Hemd zu sich hoch. „Ich werde mir das Geld nicht durch die Lappen gehen lassen! Er klang nicht wie ein Betrüger, sondern mehr wie ein Mann, der seine Freundin verloren hat, was er bestimmt ist!“

„Ja, oder ein total fauler Trick! Es gibt solche Menschen!“ Conan schaute Kogorô direkt in die Augen.

Eines musste der Privatdetektiv zugeben, es war wirkliche Sorge und Aufrichtigkeit in das Gesicht des Jungen getreten, was ihn aber auch total erwachsen rüberkommen ließ.

„Wer zum Teufel bist du? Kein Kind kann so schlau sein, wie du!“

„Ich bin Conan Edogawa“, einerseits nervös, aber auch nun wieder wie von einem kleinen Kind stammend, klang der Junge.

„Warum hast du die Fälle gelöst?!“ Er schüttelte den kleinen Conan regelrecht durch. „Was für einen Zweck hatte das? Auf meine Berühmtheit kannst du es wohl kaum abgesehen haben, Knirps!“

Allerdings, er hatte nie gewollt, dass Rans Vater durch ihn so berühmt wurde, so selbstlos war er dann doch nicht, er hatte es ja schließlich nur getan, um wenigstens weiter der Detektiv, der er einst gewesen war, sein zu können. Was für Ausreden konnte es nun noch geben? Außer vielleicht eines.

„Ich konnte nicht zusehen, wie du dich zum Affen machst.“ Es war so ehrlich gekommen, wie es klang, und es klang sehr böse nach Shinichi, der sich immer über Rans Vater lustig gemacht hatte...

„Und wie du die Falschen in den Knast bringst, ich wollte nur Gerechtigkeit, ich - ich möchte nämlich zur Polizei gehen.“ Damit rettete er sich wahrlich nicht, nein, Kogorô würde ihn dermaßen verprügeln, dass er tagelang nicht mehr sitzen können würde, da war sich Shinichi sicher, für seine freche Art von Ehrlichkeit würde er sein blaues Wunder erleben.

„So ist das also?!“ Kogorôs Augenbraue zuckte, doch anders wie Conan erwartete, ließ er diesen wieder auf den Boden zurück, er seufzte schwer. Was für ein beschissener Tag. Er wusste selbst, wie mies er als Ermittler war. Wäre er ein guter Detektiv hätte ihm kein Kind helfen müssen, doch das hatte es, es tat weh. Ausgerechnet ein kleines Kind war schlauer als er.

„Onkelchen?“ fragte Conan besorgt, er mochte es nicht, wenn Kogorô so betrübt war, er gefiel ihm als irrer und versauter, Frauen nachhechelnder Hengst doch viel mehr. Dann war er wenigstens unbeschwert. Es kam selten vor, dass Rans Vater so deprimiert war wie jetzt, aber es war nicht das erste Mal, dass ihn etwas getroffen hatte. ‚Wenn du wüsstest, wer ich bin, würdest du mir eine Rakete unter dem Hintern zünden und mich auf den Mond schießen, nicht wahr?’

„Onkel Kogorô?“ Auch beim zweiten Versuch kam keine Antwort, der Angesprochene stand nur fest entschlossen auf.

„Du bleibst hier!“

„Was?“

„Du bleibst hier, ich werde alleine gehen.“

Die Entschlossenheit in Kogorôs Stimme verängstigte den Jungen mit den blauen Augen. Wenn er doch etwas mehr wie Heiji gewesen wäre, in der Lage gegen diese Organsation zu bestehen, aber er tappte ja sogar im Dunklen, wie die meisten, die man einfach so ermordete. Wer wirklich Bescheid wusste, war vorsichtig, oder nicht? Aber selbst bei Heiji war der eigentlich 18-jährige nicht so sicher. Wäre er sich da sicher gewesen, hätte er den Detektiv aus Osaka mehr in diesen Fall mit einbezogen.

Heiji brachte sich sonst vielleicht noch mit seiner eigenen Dummheit um die Ecke. Er hatte es ja schon einmal geschafft, sich selbst anzuschießen. So jemanden würde er bestimmt nicht zu nahe an diese Organisation ranlassen, Heiji war auch zum Glück mehr in Osaka und bekam die Hälfte so auch gar nicht wirklich mit, das machte es ihm leichter, ihm Dinge zu verschweigen. Dafür hatte er – Conan Edogawa, auch Shinichi Kudô genannt – Rans Vater in diesen Mist hineingeritten, weil er zu unvorsichtig gewesen war. Dass jetzt irgendwer hier anrief, um ihm eine Falle zu stellen, war ganz alleine die Schuld von dem ach so tollen Detektiv Shinichi Kudô.

Betäuben, genau, er würde ihn betäuben... Und überhaupt, er hatte jetzt wieder die Chance bekommen, nahe an die Leute in Schwarz ranzukommen. Das konnte er doch nicht jemandem wie Kogorô überlassen. Ein arglistiges Grinsen war auf Conans Gesicht erschienen.

„Willst du jetzt das tun, was du immer tust, um mich schlafen zu schicken?“

Verdammt, seit wann war der Kerl denn so schnell in Sachen Denken? Conan war das Grinsen mit einem Schlag vergangen. Rans Vater stellte seine Frage in einem so spöttischen Ton, das gefiel ihm gar nicht. Er richtete das Narkosechronometer auf den Erwachsenen, mit ernstem Blick im Gesicht. „Tut mir Leid, aber du hast wohl Recht.“ Gegen Ende des Satzes drückte er ab und Kogorô sprang mit einem Satz zurück. „Was ist das?“

Nichts passierte – das Gesicht des Kindes wurde kreidebleich. Die Narkosepfeile waren leer... Das hatte er nicht bedacht. Es sah ganz danach aus, als würde er ihn damit wohl nicht aufhalten können.

„Huh? Funktioniert nicht?“ Nachdem der Privatdetektiv jetzt seinen Schreck überwunden hatte, erhob er sich vom Boden, wischte sich Schweiß vom Kinn und stürzte auf den Jungen zu. Er packte ihn am Handgelenk und zog ihn hoch, was ihm leicht fiel, immerhin war er ein Kind, welches zappelte und zu schreien begann. „Lass los!“

„Gib das her!“ Der Schwarzhaarige wendete Gewalt an und befreite Conan von seiner Armbanduhr, als er dies geschafft hatte, ließ er den Jungen fallen, der auf dem Allerwertesten landete. „Interessant! Damit kann man Leute zum Schlafen bringen, ja?“ Woher er das wohl hatte? Trieb sich der Knirps nicht oft bei diesem Professor Agasa rum? Ja, wahrscheinlich steckten sie unter einer Decke.
 

Syrah, die von ihrem Platz aufgestanden war, blickte zur Überwachungsanlage, während ihre Mutter nur ein kleines amüsiertes Lachen von sich gab. Die Schwarzhaarige wüsste nur zu gerne, was jetzt wieder lustig war. „Mit einer Armbanduhr?“ fragte sie sich allerdings selbst und setzte sich wieder auf den Drehstuhl. „Der ist ja richtig ausgerüstet.“

„Mit dem Ding hat er auf Gin geschossen... War einen Versuch wert, hat nur leider nicht so gut funktioniert und jetzt ging ihm wohl die Munition aus, wie ironisch, ausgerechnet jetzt.“ Sie fragte sich, wie er wohl das nächste Mal angriff, wenn er auf Gin traf, wenn ihn da nicht gleich die Angst lähmen würde und er gar nichts mehr fertig brachte, so dass man ihn retten müsste.

„Ein Betäubungspfeil? Dazu bräuchte man schon jede Menge von dem Zeug, um Gin kleinzukriegen, das ist ja lachhaft.“

„Vielleicht, aber er hat es geschafft, ihn solange zu beschäftigen, dass sie fliehen konnte.“ Die Blondine hatte nun die Augen geschlossen, was Syrah aus den Augenwinkeln heraus beobachtete.

„Das einzige Problem ist seine Größe, in dem Zustand wird er wohl nicht sehr viel gegen uns ausrichten können, ich brauche noch Zeit, er braucht noch Zeit, es sei denn, ich beschaffe ihm die richtige Unterstützung.“ Etwas Heimtückisches war in die hellblauen Augen der Frau getreten, die wohl gerade Pläne machte.

Aber wovon sprach sie denn so geheimnisvoll? Das Ich war klar, aber wer um alles in der Welt war er? Syrah seufzte. „Wer ist er?“

„Das würdest du gerne wissen, was?“ Sie lächelte kühl und wollte sich über die Jüngere wohl ein wenig lustig machen, weil man ihr längst nicht alles auf die Nase band. Sie würde sich hüten von ihren Plänen zu erzählen. Sie würde es sowieso niemandem sagen können, schon gar nicht ihrer Vertrauensperson. Sêiichî wusste wirklich viel über sie, doch nicht das. Vielleicht irgendwann, jedoch nicht zur gegebenen Zeit. Er würde nur wütend werden. Sie musste zugeben, dass es ein Verrat ihm gegenüber war, aber auch ihre Liebe zu ihm konnte sie nicht davon abhalten, zu tun, was in ihrer Macht stand. Und Macht, die hatte sie, besonders über Männer und derjenige, den sie benutzte, war eben einer, das ließ sich nicht leugnen. Sêiichî hatte seit langem den Verdacht, dass er am Leben war und sich bloß versteckte, irgendwann würde er wohl zurückkehren – aber erst, wenn alles ausgestanden war, zuvor konnte sie ihn nicht freilassen...

Wahrscheinlich würde am Ende ihre Intrige ans Tageslicht kommen und Sêiichî ihr eine Weile sehr, sehr böse sein.

„Du möchtest es mir wohl nicht sagen, was?“

„Streng deinen Grips doch selbst an, du kannst ja noch etwas dein Privatkino genießen, sei doch ehrlich, du findest dieses Kind interessant.“

„Allerdings, ohne diese schreckliche Brille würde er fast als Chibi-Shinichi durchgehen.“ Ein Lächeln war erschienen, eines, welches man so selten auf dem Gesicht der schwarzhaarigen Killerin sah, ein sanftmütiges Lächeln.

Vermouth gab ein arrogantes Lachen von sich, eines, das sagte: Ich weiß mehr als du, du glaubst ja gar nicht, wie nahe dran du wirklich bist.

„Ich wüsste zu gerne, wo mein Cousin steckt.“ Die Schwarzhaarige schien etwas besorgt zu sein. Eines konnte sich die Schauspielerin vollkommen sicher sein, wenn Syrah erfuhr, dass Conan in Wirklichkeit Shinichi war, würde sie alles daran setzen, dass ihm nichts zustieß und zur Verräterin mutieren.

„Eines jedoch finde ich seltsam. Shinichi verschwindet und dieser Conan greift in das Geschehen ein. Geradezu, als wäre er eine Art Ersatz, und er scheint auch genauso clever zu sein, nur jünger.“

Sie dachte es doch schon, wieso konnte sie das letzte Teil des Puzzles also nicht einsetzen, es passte doch wie angegossen?

„Tja, Syrah, find’s raus.“ Die Blondine würde es ihr ganz bestimmt nicht sagen, es war doch so leicht.

„Wahrscheinlich ist er auch mit mir verwandt. Ist das vielleicht der Grund, weshalb ich es bereuen würde, ihn an unsere Organisation zu verraten?“ Dachte Vermouth das wirklich? Sie hatte doch überhaupt keinen Bezug zu diesem Kind.

„Stell nicht so viele Fragen, eine Antwort bekommst du ja sowieso nicht. Und jetzt habe ich etwas vor.“ Sie ging Richtung Badezimmer.

„Hoffentlich nichts, was mit Cognac zu tun hat“, seufzte Syrah, nachdem die Badezimmertür zugefallen war.
 

Die Sakedose in der Hand des Schwarzhaarigen wurde schon seit Minuten angestarrt, er hatte sie zwar geöffnet aber noch nicht daraus getrunken. Sein Blick ging zu Boden, allerdings wirkte es, als wolle der Mann durch diesen hindurch sehen.

Seine Frisur sah aus, als hätte er seine Haare Tage lang nicht mehr gekämmt, rasiert war er ebenfalls nicht, hinzu kam noch dieser müde Blick, und unter der Dusche war er auch nicht gewesen. Wenn Chris ihn so gesehen hätte, wäre er vor Scham im Boden versunken, wahrscheinlich würde er aber nicht mal wahrnehmen, wenn sie plötzlich vor ihm stand, er war viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Schon seit einiger Zeit saß er auf dieser Bank im Park – ziellos umher gelaufen war er, weil er es im Krankenhaus nicht mehr ausgehalten hatte, er brauchte mal frische Luft. Und überhaupt verhielt sich der Mann total untypisch. Normalerweise brachte ihn nichts auf dieser Welt in seinem momentanen Aussehen nach draußen.

Der junge Mann, der auf ihn zusteuerte, hätte ihn beinahe nicht erkannt. So hatte er Sêiichî noch nie gesehen, er hatte ein ungutes Gefühl dabei, ihn so zu sehen. Seine Augen waren rot, wohl vom Schlafmangel, dann diese zerrupften Haare und er war nicht rasiert. Etwas total Schlimmes war geschehen, das stimmte, aber woher wusste er das schon wieder?

„Hey, Sêi-chan, was machst du hier draußen? Hast du dich nicht reingetraut?“

Erschrocken wandte der Angesprochene seinen Blick dieser Person zu, die neben ihn getreten war. Yuichi wusste es also auch schon, dass Jamie hier im Krankenhaus lag??

„Ich war schon drinnen, die ganze Nacht, ich brauche mal gescheite Luft! Diese Krankenhausluft macht nur krank.“ Ein schweres Seufzen entkam Yuichi, er zog eine Augenbraue hoch und setzte sich dann neben Sêiichî.

„Um die Uhrzeit schon Sake?“ Er fragte es vorsichtig, nicht irgendwie anklagend, selbst wenn er es nicht berauschend fand, dass sein Freund hier saß, um Sake zu trinken.

„Nachdem, was passiert ist, kann ich einen Sake ganz gut vertragen.“ Sêiichî nahm jetzt doch einen kräftigen Schluck und räusperte sich dann.

„Das bringt dir auch nichts, vielleicht vorübergehend, außerdem weißt du doch, dass du nichts trinken sollst.“ Yuichi nahm ihm die Sakedose aus der Hand. Gut, Sêiichî war ein trockener Alkoholiker, zumindest sagte Chris das so, und Sake nur harmlos, aber Alkohol war eben Alkohol und würde es auch bleiben.

„Ich werde nicht wieder anfangen zu trinken, Chris übertreibt.“ Er nahm sich die Sakedose wieder und trank noch einen Schluck, leider waren diese Dinger immer viel zu schnell leer, er warf sie neben sich in den Mülleimer und lehnte sich erschöpft zurück.

„Ach, willst du nicht zugeben, dass du ein Alkoholproblem hattest?“

„Ich habe nur ab und zu über den Durst getrunken, das heißt nicht, dass ich süchtig war, mir ging’s einfach schlecht.“

Ja, genau, es war ihm schlecht gegangen, so wie jetzt. „Du sollst nicht wieder damit anfangen.“

„Werde ich schon nicht, es war nur eine Dose Sake.“ Er wusste wirklich nicht, was Yuichis Problem war.

Vielleicht übertrieb die Schauspielerin wirklich und Sêiichî konnte damit umgehen. Yuichi hoffte es. „Und wie geht’s Jamie nun? Ich kann da jetzt nämlich nicht reingehen.“ Yuichi wusste, in welch einem Zustand Jamie gewesen war, logisch, dass er sich nun etwas sorgte.

Stille herrschte, dann sprang der Kriminalist hastig auf. „Ich wusste es! Ich wusste es!“

„Was?“ Verwirrt blickte Yuichi zum aufgewühlten Sêiichî, der sich über das Gesicht fuhr.

„Ich war Alan besuchen, Yuichi, nicht Jamie.“ Es kam sehr leise von ihm, gespenstisch leise, der Wind in den Blättern raschelte und übertönte fast seine Worte.

Ein Schweißtropfen lief über Yuichis Schläfe, er hatte Sêiichî die Sache nicht so sagen wollen. „Und wie geht es Alan? Ist er schwer verletzt worden?“ Er senkte den Blick. Alan hatte doch nun wirklich nichts mit der Organisation am Hut. Wieso mussten die immer gleich so maßlos übertreiben? Hoffentlich hatte es den Jungen nicht zu arg erwischt...

„Vielleicht stirbt er...“

Irgendwie hatte der um zwei Jahre Ältere so etwas erwartet. „Tut mir Leid.“ Das war alles, was ihm dazu einfiel, er legte seine Hand auf Sêiichîs Schulter und drückte ihn etwas an seine eigene. „Du darfst auf keinen Fall die Hoffnung aufgeben.“

„Das weiß ich, ich habe Angst, weil ich verantwortlich bin.“

„Wieso sollst du verantwortlich sein?“ Yuichi verstand nicht, wie er sich selbst so fertig machen konnte. „Mhm?“

„Er ist meinetwegen bei uns eingestiegen – deswegen trage ich den Großteil der Schuld.“ Man konnte es nicht leugnen, Jamie wäre doch nie auf so etwas gekommen, wenn er, Sêiichî, nicht mit 17 Jahren in diese Organisation eingetreten wäre. „Ohne mich hätte er das nie getan. Er dachte wohl, dass Klein-Sêiichî Hilfe braucht, dabei will ich lieber tot sein, genau, warum ist das nicht mir passiert? Jamie ist jawohl aufgeflogen, sonst wäre Alan das ja nicht passiert. Ich meine, hey, ich hatte Glück... Wieso denn? Jamie ist doch der viel bessere Mensch von uns.“ Ein Seufzen entkam dem Mann mit der schwarzen Lederjacke, er ließ den Kopf nach vorne sinken und hielt ihn mit einer Hand.

„Komm runter, Sêiichî Iwamoto!“ Yuichi reagierte ein klein wenig ärgerlich. „Dann versuch ein besserer Mensch zu werden und sei, verdammt noch mal froh, dass du es nicht warst!“

„Ich habe aber keine Kinder, es wäre halb so wild, wenn ich gehe... Aber er? Am besten dran wären sie wohl, wenn sie beide sterben! Wie traurig, nicht? Sie sollen beide überleben, oder keiner von ihnen, das würde keiner von beiden jemals verkraften. Und Jamie hat schon seine Frau verloren, meinst du, er verkraftet, seinen Sohn zu verlieren? Und Alan, er ist ein starker Junge, ja, aber ohne seinen Vater... Er hängt doch so an ihm.“

„Dann wird er sich an dich hängen, Sêiichî.“

Wahrscheinlich hatte Yuichi Recht. Es wäre viel schlimmer, wenn Alan sterben musste und Jamie weiterlebte. Für ihn gab’s nichts Wichtigeres als Alan, wobei Alan ja noch Sêiichî hatte, an den er sich klammern könnte. „Es hätte gar nicht erst passieren dürfen. Ich wollte auf ihn aufpassen. Und Jamie so gut es geht da raushalten, hat wohl nicht so ganz geklappt.“

„Das konntest du nicht, Jamie ist genauso ein Mitglied der Organisation, wie du. Du musstest auch Dinge tun, die du nicht wolltest. Und ich weiß leider auch nicht, wie sie dahinter gekommen sind.“ Was dachte Sêiichî sich überhaupt? Yuichi hatte selbst Heidenangst, ließ sich das nur nicht anmerken. Weniger wegen sich selbst, als wegen Sêiichî. Was wenn sie auch hinter sein Geheimnis kamen? Dann durfte er sich auch noch um den besten Freund seines Bruders sorgen.

„Er ist doch sehr viel vorsichtiger, als ich.“

Es stimmte, Sêiichî hatte sich schon oft sehr viel rausgenommen, sehr viel mehr als Jamie. Trotzdem lag er jetzt wohl halbtot oder sogar ganz tot im Krankenhaus, Yuichi wusste ja nicht, wie es ihm ging.

„Also, du kannst da reingehen, erkundige dich nach seinem Zustand und schick mir eine SMS. Ich will auch gerne wissen, wie es ihm geht, ich sollte mich aber nicht solange hier aufhalten, sonst kommen bestimmte Leute noch auf Ideen.“ Er verdrehte die Augen, seine Nacht war der Horror gewesen, er war froh, wenn sie ihm nicht auflauerte und hier irgendwo in der Nähe rumlungerte.

„Was hast du denn eigentlich angestellt, dass du nicht da reingehen kannst?“

Sêiichîs Worte waren nur geflüstert, er hatte durchaus das Gefühl, dass man sie beobachten könnte. „Tja, es war Valpolicella, die Jamie umbringen wollte, mehr muss ich dir nicht sagen, denke ich. Ich habe natürlich alles dafür getan, ihn zu retten – etwas zu viel, aber was sein muss, das muss eben. Also, Kopf hoch!“ Er stand von seinem Platz auf und gab Sêiichî noch einen Klaps auf die Schulter, welcher hoch sah. „Mhm.“

Klar, wenn Valpolicella der Grund war, verstand er, wieso Yuichi so schnell wie möglich wieder hier weg wollte, immerhin könnte sie so auch herausfinden, dass er Jamie hatte retten lassen.
 

Sêiichîs Beine bebten auf dem Boden noch einen Moment, bevor er sich dazu aufraffen konnte, aufzustehen und zurück an den Ort zu gehen, an dem alles so widerlich weiß war und so steril roch. Er machte am Empfang Halt und blickte die hübsche Frau monoton an, welche ihm gleich zulächelte. „Was kann ich für sie tun?“

„Wo liegt Miyazu Erikawa?“ fragte er total ruhig, sie blickte ihn etwas seltsam an und begann mit einer anderen Station zu telefonieren. Man hatte ihr wohl verordnet, niemanden einfach so zu ihm zu lassen, was er durchaus verstehen konnte.

„Setzen Sie sich doch bitte, es kann einen Moment dauern.“

Seufzend drehte er sich herum und setzte sich auf einen Stuhl ganz in der Nähe.

Es dauerte knapp zwei Minuten, da kam eine blonde Frau auf ihn zu, die er sofort erkannte.

„Ich nehme ihn mit“, meinte sie zu der Frau an der Information, so dass diese nur nickte, aber auch etwas bereute, dass sie sich mit dem Mann nicht länger hatte unterhalten können.

„Hast du nicht geschlafen?“ fragte die Frau mit den grünblauen Augen einer Amerikanerin, er nickte nur stumm und wirkte dadurch irgendwie ein klein wenig verstört.

Auch ein blinder mit Krückstock hätte erkannt, dass er nicht geschlafen und auch nicht geduscht hatte. Wenn man ihn kannte jedenfalls.

„Wie tot ist er schon?“ kam die unvermeidliche Frage, die sich in seinem Inneren breitgemacht hatte, seit von Valpolicella die Rede gewesen war.

„So tot ist er gar nicht, eigentlich sogar gar nicht“, erwiderte die 28-jährige vorsichtig, aber auch etwas aufmunternd. „Und zwar, weil er einen Fan hat, dein Onkel ist wie ein Idol für ihn, deswegen hat er sofort sein Blut angeboten, was ihm das Leben gerettet hat. Sie hat zwar mal wieder ordentlich zugelangt, aber den Rest geben konnte sie ihm nicht, weil Yuichi sie etwas verunsichert hat, wie es scheint. Drei Schüsse und er lebt noch, also anders kann es nicht gewesen sein. Ich frage mich jetzt allerdings, wie es weitergehen soll... Sie wollte nicht Helios ermorden, sondern deinen Onkel.“

Sêiichî fasste sich mit Daumen und Zeigefinger zwischen die Augen, er war müde, was man ihm ansehen konnte. „Erstmal muss er wieder gesund werden – Alan liegt übrigens auch hier, er muss auch so schnell wie möglich von hier weg, wenn es ihm besser geht, na ja, wenn.“
 

Conan hatte noch etwas Zeit bis am Abend, deswegen hatte er sich erst einmal von Kogorô gelöst, indem er ihm vorgegaukelt hatte, es sei okay, wenn er alleine ging. Onkelchen hatte einen Sender, so dass der Junge ihn schnell wiederfinden konnte, falls er schon früher gehen würde, der Professor würde ihn sicher gerne fahren. Zwar war Ai ihm auch teilweise im Weg und er würde ihr wieder nicht verschweigen können, was geschehen war, aber so konnte er wenigstens den Computer nutzen. Die Kleine war noch nicht zurück, was hieß, er konnte hier noch ungestraft nachforschen...

Die Plätzchen, die Ran gebacken und hier gelassen hatte, aß er ganz nebenbei, indem er ab und zu zur Seite griff. Er surfte seit einer halben Stunde und hatte endlich mal etwas über Kimi gefunden, was nicht so leicht war, da ihr Name auch ein einfaches japanisches Wort war. Und überhaupt, auf den meisten Seiten fand man nicht besonders viel, was ihre Identität anging, er war durch diese eine Seite also nicht weit gekommen. Man munkelte, dass ihr Name Kimiko war, das einzige, was Conan wirklich sicher sagen konnte, war, dass sie in Tokyo und Kyoto eine Wohnung hatte und wohl auch in Kyoto geboren war.

Kyoto...

Da fiel ihm ein, dass Ryochi Akaja ja auch von Kyoto nach Tokyo gezogen war. Vielleicht konnte er etwas in Kyoto schnüffeln und herausfinden, wer sie wirklich war. Er kannte sich dort doch viel besser aus und hatte mehr Möglichkeiten, sich dort umzuschauen. Wie sollte er denn nach Kyoto rüberkommen, abhauen vielleicht? Das war eine blöde Idee, zumal er später auf Kogorô ein wenig Acht geben musste. Musste diese Frau denn ausgerechnet aus Kyoto kommen? Wieso war sie nicht aus Tokyo, das hätte die Sache erleichtert.

Da alles sehr schnell gehen musste, entschied er, Ryochi einfach anzurufen und ihn zu fragen, ob er ihm helfen konnte. Also griff der Junge zu seinem Handy und suchte die Nummer des Detektiven im Speicher auf. Wenig später hörte er das Klingeln am Ohr und wartete erst einmal ab, bis sich jemand meldete.

„Moshi moshi, Akaja desu“, meinte der Mann am Telefon.

„Hey, Ryo-kun“, sprach er den viel älteren Mann an, wodurch man merkte, dass sie einen sehr vertrauten Umgang miteinander pflegten. „Ich habe ein Problem, das ich gerne mit dir besprechen will. Bist du gerade im Büro?“

„Ja, bin ich, warum?“

„Kannst du du herkommen? Ich bin bei Professor Agasa! Ich möchte das Ganze ungern am Telefon bereden.“

„Na gut, ich bin gleich bei dir, hier ist eh nicht so viel zu tun.“ Es war einer der Tage, an denen es langweilig war, um genau zu sein, vielleicht handelte es sich um einen Fall... Ryochi war sogar fast sicher, dass es so war, sonst würde Conan ja nicht wollen, dass er extra vorbei kam.

„Arigatou, bis gleich.“

„Bis gleich.“ Beide legten auf und Conan widmete sich noch ein wenig dem Internet. Was ihm da im Nachhinein noch einfiel... Aya Ueto...

Conan suchte in seinem Handyspeicher und fand ihre Nummer. Sie waren schon seit einigen Jahren gut befreundet, auch sie würde er jetzt mal ausquetschen, hoffentlich war sie nicht am anderen Ende Japans beschäftigt, das würde ihm so jetzt gar nicht in den Kram passen.

„Ahhh, da ist sie doch“, meinte er mit einem Grinsen und wählte die Nummer an, es war eine Handynummer.

„Moshi Moshi?“ hörte er sie fragen, wohl wusste sie nicht, wem die Handynummer gehörte, was ihn nicht wunderte, da er mit Conans und nicht Shinichis Handy telefonierte.

Conan hatte sich Shinichis Stimme mit dem Transposer eingestellt, was ihm immer noch blöd vorkam, dass er sich selbst nachmachen musste – es war so frustrierend.

„Hi, Aya-san, hast du kurz Zeit?“

„Ja, ich kriege gleich Besuch, wenn es nicht allzu lange dauert, habe ich Zeit.“

„Du bist zu Hause?“ Der Fakt, dass Aya aus Tokyo war, schloss ja nicht aus, dass sie ganz in der Nähe war.

„Ja, also, was gibt’s?“ Dass er eine andere Handynummer hatte, hinterfragte die junge Frau gar nicht erst.

„Kennst du Kimi? Ich meine, du bist ja auch Sängerin.“

„Mhm, ja, ich kenne sie wohl.“ Sie hörte sich etwas seltsam an, nachdenklich und irgendwie monoton, was Conan seufzen ließ.

„Dann hast du davon gehört, was geschehen ist, nicht wahr?“

„Sie hätte weniger trinken sollen...“ Mehr hatte sie wohl nicht dazu zu sagen, wie es schien, doch dann kam etwas total Unerwartetes. „Ich muss zugeben, ich kannte sie nicht, bevor die Meldung im Fernsehen kam, dass sie an den Klippen verunglückt ist. Ich frage mich sowieso, was sie mit dem Auto dort wollte, aber sie soll ja recht verrückt gewesen sein.“ Verwunderlich war es daher nicht, dass sie gefährliche Dinge gemacht hatte, wie zu nah an die Klippen ranfahren...

Der Junge dachte kurz darüber nach, bei ihrem Satz hatte er irgendwie komische Gedanken. Sollte das denn heißen, man kannte sie jetzt nur besonders gut, weil sie tot war? Wie grausam...

„Aber, weshalb interessiert sie dich, Shin-chan? Du fragst mich bestimmt nicht nur einfach so über eine Sängerin aus, nicht wahr? Also, was ist im Busch?“

Es war klar, dass Aya das fragen würde, Conan hatte seine Neugier ja auch nicht getarnt, sondern gleich gezeigt, dass er nur deswegen mit ihr reden wollte.

„Na ja, wie soll ich sagen... Ein junger Mann am Telefon möchte, dass wir herausfinden, was hinter dem Unfall noch so stecken könnte, er war etwas komisch, ich möchte wissen, woran ich bin! Er hat uns jede Menge Geld geboten! Ich nehme stark an, dass er prominent ist und einfach mit Geld um sich werfen kann, sonst würde er uns nicht so viel bieten können. Und er wollte keinen Namen sagen... Das ist doch wirklich mysteriös.“

„Oje, sie soll ja viele männliche Freunde gehabt haben. Wenn du also rausfinden willst, wer das ist, dann viel Spaß.“ Aya hatte es sagen müssen, genau das hatte in der Zeitung gestanden. Wie viele arme Männer sie denn jetzt unglücklich gemacht hatte, indem sie einfach so aus dem Leben ausschied.

„Einfach nur viele Männer oder haben die auch Namen? Wurden sie namentlich genannt?“ Man merkte deutlich, dass er Detektiv war, er wollte alles wissen, was ihm so in den Sinn kam.

„Na ja, nicht wirklich! Aber der Drummer ihrer Band gehörte wohl dazu. Vielleicht solltest du dich mal bei ihm schlau machen.“ Es wäre gut möglich, dass er es gewesen war, der so viel Geld anbot, dass er Kimi gemocht hatte, stand außer Frage. Er hatte nicht umsonst in Interviews immer ganz dicht bei ihr gestanden, es fiel auf, der Presse ganz besonders, die sich jetzt fragte, mit wem die Frau so alles etwas gehabt hatte. Nun ja, Tote konnten sich eben nicht mehr gegen so etwas wehren, jedenfalls war es Gesprächsthema Nummer Eins.

„AYA! Hat der auch einen Namen?“

„Shoji Kitami heißt er, er wohnt in Shibuya mit seiner kleinen Schwester!“ Über jeden dieser Band war mehr bekannt, als über deren Sängerin. Da fragte man sich, ob sie nicht vielleicht Probleme gehabt hatte und unerkannt hatte bleiben wollen. Oder eine komische Vergangenheit, seltsam verhalten hatte sie sich doch immer – das sagten alle.

„Was?!“ Seine Augen weiteten sich. Kitami... Shibuya...

Conan brauchte einen ganzen Moment, er war aufgesprungen und tippte Shoji Kitami schon einmal in einer Datei auf dem Computer ein. „Seine Schwester heißt doch nicht etwa... Miho?“ Das würde aber heißen, dass sie noch verdammt jung war.

„Korrekt, Shinichi! Sie heißt Miho Kitami und ist eine Klassenkameradin von dir. Vielleicht kommst du auf dem Weg an Kita ran! Viel Glück, Shinichi!“

„Moment, Aya! Noch nicht auflegen!“ Er war hektisch, der Schock saß so verdammt tief, er konnte nicht fassen, dass Miho einen berühmten Bruder hatte, davon hatte sie ja nie jemandem erzählt.

„Was willst du denn noch wissen?“

„Alles! Einfach alles! Sag’ mir alles, was du weißt, ich bitte dich!“

„Ich weiß nur das, was die Presse so berichtet hat, das war’s leider schon. Kita wird dir schon genügend Informationen geben können. Er kann dir sagen, mit wem sie so Kontakt hatte, wer alles zu ihrer Band gehört hat, was die nicht wissen, weiß ich auch nicht. Es ist einfach so.“

Anscheinend war sie wirklich die falsche Person, mit der man darüber reden konnte, aber schlauer war er jetzt trotzdem. All diese Dinge waren nicht auf diesen bescheuerten Webseiten! „Nicht mal ihren richtigen Namen, Aya?“

„Den hat sie wohl lediglich ihren engsten Freunden gesagt... Vielleicht ist es jetzt auch in, dass man seinen Namen nicht preisgibt! Das kann ich auf gewisse Weise verstehen. Ich frage mich, wieso diese Leute prominent werden, wenn sie damit nicht klarkommen, dass man dann in ihrem Privatleben rumschnüffelt! Aber momentan gibt es so einige, die ihre Namen auch einfach so geändert haben, damit man ja nicht rausfindet, wer sie wirklich sind.“

„Schon gut, danke für die Auskunft. Pass etwas auf, dass du nicht noch an die falschen Leute gerätst.“ Shinichi gab es bedrückt von sich, er machte sich so seine Gedanken, wer alles in solche Fälle verwickelt sein konnte... Jeden konnte es treffen. Er hoffte wirklich, dass sich niemand seiner Freunde als Anhängsel dieser Organisation entpuppen würde, aber irgendwie rechnete er mit so etwas schon... Nachdem selbst seine Mutter und Yokô Okino Kontakt zu jemandem gehabt hatten, der zur Organisation gehörte, glaubte er, dass alles möglich war.

Diese Kimi war irgendwie genauso komisch wie der Mann am Telefon, geradezu, als wenn sie was zu verbergen hatten. Nun war er noch sicherer, dass die Organisation dahintersteckte.

Ob es nun eine Falle oder ein verzweifelter Hilferuf war, das konnte Conan noch nicht so hundertprozentig sagen... Beides war nicht auszuschließen.

Sie hatten recht lange telefoniert. Es waren nun schon über zehn Minuten vergangen, was hieß, dass Ryochi bestimmt bald auftauchen würde. Sobald man vom Teufel sprach, hieß es ja immer – da klingelte es schon an der Tür und der Professor öffnete, so dass Conan noch vorm Computer blieb. Ryochi betrat dann wenig später den Raum und linste auf den Personalcomputer. Er sagte erst einmal nichts und beobachtete sowohl Conan, als auch das, was er da wohl betrachtete.

„Du bist kein Fan von Kimi, oder?“ Die Frage konnte man leicht deuten, wenn man Detektiv war, so dass auch Conan sofort verstand, was sein Freund da meinte.

„Nein, bis vor ein paar Stunden war sie mir noch gar kein Begriff. Aber je mehr ich erfahre, umso weniger kann ich diese Person leiden, irgendwie.“ Er wollte sie nicht verurteilen, aber dieses verdammte Misstrauen gegenüber Leuten, die so viel vor anderen verbargen, konnte er nicht abstellen.

„Sie kommt aus Kyoto, Ryo.“

„Das weiß ich schon lange, dass sie aus Kyoto kommt.“ Auch auf die Gefahr hin, dass er den Jungen jetzt total erschrecken würde, hatte er vor, zu verraten, dass er sie besser kannte, als der Kleine vielleicht vermutete.

„Oh Gott, ich wusste es! Du hast gegen sie ermittelt, weil sie Dreck am Stecken hat, oder?“ Conan war sich so sicher, dass Ryochi sie nur daher kannte, er konnte ja nicht ahnen, was der wirkliche Grund war.

„Sei vorsichtig mit dem, was du sagst, Shinichi Kudô!“ riet ihm der 23-jährige und nahm neben ihm Platz. „Ratespielchen sind unangebracht! Ich habe niemals gegen Kimi ermittelt, nein, sie ging auf die selbe Schule wie ich und mein bester Freund, sie war seine Freundin. So sieht es nämlich aus. Und ob sie wirklich Dreck am Stecken hatte, weiß ich nicht. In der kriminellen Szene bin ich ihr jedenfalls nie begegnet.“ Auch Ryochi hatte schon daran gedacht, dass jemand sie ermordet haben könnte, aber wohl mehr wegen den Dingen, die ihr netter Bruder so betrieb. Wenn jemand Dreck am Stecken hatte, dann Hiroya – ihm traute er alles zu.

Nun war der Schülerdetektiv sprichwörtlich baff. Er selbst war mit der Schwester eines Idols in einer Klasse und Ryochi kannte eine Sängerin von früher. Es wurde allmählich leicht schockierend, er bekam Gänsehaut. Irgendwann erzählte ihm noch einer, dass jemand von der Polizei Kontakt zu so etwas hatte...

„Du denkst nicht, dass sie Dreck am Stecken hatte, oder?“

„Sie kommt aus einer Familie von Polizisten, Shinichi. Allerdings wurde sie da so ziemlich verstoßen, als sie anfing Musik zu machen. Da ich selbst eine Schwester habe, die ich niemals verstoßen würde, wenn sie tut, was sie möchte, kann ich auch ihren Bruder nicht besonders gut leiden. Er war schon immer so was wie ein harter Kerl, aber mittlerweile scheint ihm der Verstand flöten zu gehen. Er ermittelt auch gegen diese Organisation, der du zum Opfer gefallen bist.“

Shinichi knurrte kurz auf. „Bin ich gar nicht! Ich bin denen nicht zum Opfer gefallen, oder sehe ich aus, wie eine Leiche?“ Empört war er schon ein wenig über Ryochis Worte.

„Doch bist du, oder bist du gerade Shinichi?“ erwiderte Ryochi ein klein wenig stichelnd, auch um dem Jungen die Lage mal etwas klarzumachen, doch ignorierte dieser das Gehässige einfach, indem er eine Frage stellte.

„Und wie heißt dieser Polizist? Vielleicht kenne ich ihn...“

„Hiroya Tokorozawa.“ Leise sprach Ryochi den Namen aus, jedoch ohne jegliche Betonung, gefühllos, kein Wunder, der Detektiv konnte den Mann nicht sonderlich leiden.

~Bumm~

Spätestens jetzt wäre Shinichi beinahe vom Stuhl gefallen. Er wippte jedenfalls schon so verdächtig zur Seite. „Nicht doch dieses Scheusal! Ich kenne ihn, er wohnt in Shinjuku mit einer guten Freundin von Wataru und Shina.“ Wie konnte es diese Frau bloß mit so einem Typen aushalten? Diese Frage war in Shinichis Kopf schon sehr oft vorgekommen.

„Doch, dieses Scheusal, gut erkannt.“ Also hatte Shinichi Hiroya zu seinem Pech doch schon so gut kennen gelernt. Den wollte man im Grunde doch gar nicht kennen, wenn man einigermaßen vernünftig war.

„Was für einen Grund könnte seine Schwester gehabt haben, um aus ihrem Leben, beziehungsweise ihrer Vergangenheit, so ein großes Geheimnis zu machen? Die Frau ist – so scheint es mir - schlimmer als Chris Vineyard.“

„Toller Vergleich...“ Er musste seufzend an Sêiichî denken, sein Freund stand nun einmal auf diese Art Frau. Frauen, die sich behaupten konnten, auch wenn Chris wohl bei weitem grausamer war als Kimiko je hätte sein können.

„Ich denke, weil sie nicht über ihre Familie reden wollte, die sie verstoßen hat, als sie Sängerin geworden ist. Sie ist schon immer etwas aus der Rolle gefallen. Während alle aus ihrer Familie mit Kriminologie zu tun hatten, hat sie ihr eigenes Ding gemacht und sich nicht so wirklich dafür interessiert. Besonders ihrem Bruder hat das nicht gepasst. Er wollte mal Zeichnen. Dann wurde seine Freundin ermordet und schon entschloss er Polizist zu werden, zumindest sagte er immer, das sei der Grund gewesen. Aber ich persönlich denke, dass er es auch wegen seiner Eltern getan hat. Sein Vater hätte ihn nie Künstler werden lassen. Er hasst Musiker so ziemlich, aber auch andere Prominenz, mit anderen Worten, er hat wohl auch seine Schwester gehasst. Falls du mit ihm über Kimi reden willst, muss ich dir sagen, dass du nicht zu viel von ihm erwarten solltest. Ich bin mir fast sicher, dass ihn der Fall kein bisschen interessiert... Es sei denn, er befürchtet, die Organisation könnte dahinterstecken, nur dann könnte es sein Interesse wecken.“

„Herzloser Typ.“ Das war es, was Shinichi dazu einfiel. Er selbst würde sich doch dafür interessieren, was mit seiner Familie geschah, da konnte er sich noch so sehr mit einem Familienmitglied gestritten haben...

Was Shinichi aber eigentlich interessierte, war, wie viel Kimiko wohl mit dieser Organisation am Hut gehabt haben könnte. „Ich habe mit Aya Ueto telefoniert, sie ist ja auch prominent, ihre Worte haben mich irgendwie ein wenig traurig gestimmt. Nachdem, was sie sagte, müssen Künstler für den Erfolg sterben, sie meinte nämlich, dass sie Kimi erst Berachtung schenkte, als herauskam, dass sie in den Tod gefahren ist, allerdings scheint diese Frau nicht sonderlich sympathisch gewesen zu sein, sonst hätte sie nicht so geredet.“

„Seid wann gibst du etwas auf die Meinung anderer, Shinichi? Hast du dich nicht immer auf deine eigene Meinung verlassen?“

Warum wohl? Wenn sie ihn schon an ein Organisationsmitglied erinnerte...

„So ein Mann rief bei uns an, es war beängstigend. Er wollte von Kogorô, dass er herausfindet, was hinter Kimikos Tod noch so stecken könnte. Entweder ist der Mann furchtbar verliebt und kommt mit dem Unfall nicht zurecht, so dass er gerne will, dass ein Mordfall daraus wird... Vielleicht hatte sie auch Probleme und er wusste davon, konnte aber wenig tun, was ich noch weniger denke, als dass es womöglich einfach eine Falle der Organisation ist, um Onkel Kogorô aus der Reserve zu locken. Der Mann am Telefon ist bestimmt ein Promi, aber was wenn er... Wenn er nicht Musiker ist, sondern... Schauspieler?“ Bei dem Gedanken schauderte der braunhaarige Junge. Er wollte nur sagen, dass man als Schauspieler anderen sehr gut etwas vormachen konnte, dann noch an einem Telefon – das war überaus gefährlich...

„Ich verstehe deine Sorge, Shinichi. Ich an deiner Stelle wäre da auch erst einmal skeptisch.“ Es galt wohl viel mehr herauszufinden, wer dieser Mann war, statt in Kimikos Leben rumzuschnüffeln. Gut, man konnte ihre Freunde befragen – aber auch nur, wenn man sie ausfindig machte.

„Ich kenne sie zwar, aber ich muss sagen, dass ich dir nicht sagen kann, mit wem sie mittlerweile so Kontakt hatte. Die einzige, die mir jetzt spontan einfällt, ist Saki Niiza, die Pianistin. Die beiden waren in der Schulzeit total dick befreundet, vielleicht hat sie eine Ahnung... Ich bin sehr dafür, sie mal zu besuchen.“

Saki Niiza, er glaubte, diesen Namen zu kennen, allerdings nicht aus den Medien – mehr persönlich. „Ist die in Shinas Alter?“ fragte Conan nachdenklich, so dass Ryochi den Kopf schüttelte.

„Du kannst komische Fragen stellen. Sie ging auf die Teitan und hat dort im selben Jahr den Abschluss gemacht, wie wir, da guckst du, mhm? Sie hat sich wohl in die Musik verflüchtigt. Nachdem sie von Takahashi immer terrorisiert worden ist, hat sie sich ziemlich verbarrikadiert. Ich weiß allerdings, wo sie jetzt wohnt – nicht, dass du was Falsches denkst, ich habe mehr unfreiwillig davon erfahren, was sie so tut.“

„Wusste ich’s doch, dass ich den Namen kenne. Dieser Takahashi, von dem du gerade redest, du meinst wohl diesen Siturô, oder?“

Ryo schwieg, Conan hatte nur zu gut erkannt, um wen es sich da handelte. Wohl erinnerte er sich auch noch an ihn.

„Wer auch sonst? Frauen terrorisieren kann er ja ganz gut. Darin ist er fast schon ein Profi.“

Conan schlug betrübt die Augen nieder, er selbst wusste, dass dieser Kerl auch Shina terrorisiert hatte.

„Ich frage mich, wie meine Cousine bitte mit so einem was haben kann“, der Junge sagte es leise, es tat irgendwo weh, er hatte immer an das Gute in Aiko geglaubt, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher, ob das nicht alles doch ein Irrtum gewesen war.
 

Riina war natürlich Naru gefolgt, womit diese jetzt aber nicht gerechnet hatte. Die Hellbraunhaarige tat es wirklich, sie ging mit Juro zu dessen Wohnung. Als er gerade aufschließen wollte, tauchte die Rothaarige aus der Versenkung auf und zog Naru nach hinten zu sich.

„Ich will mit dir unter vier Augen reden, hier sind mir zwei Augen zu viel!“

Naru seufzte, man wollte sie von Dummheiten bahalten, das war ihr klar, aber trotzdem...

„Ich werde dir nur einmal erklären, was hier los ist, verstanden? Dann lässt du uns beide in Ruhe!“ Was wie ein Befehl klang, war schlichtweg ihr Wille, den man nicht brechen konnte.
 

Während sie sich unterhielten, hielt er das Lenkrad mit einer Hand, dabei schaute er öfter einmal zur Seite, um seine Beifahrerin im Auge zu behalten.

„Also, du wolltest mir doch etwas Wichtiges erzählen, etwas, was Riina nichts angeht. Dann schieß mal los, Natsumi!“

Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt, auf ihre Beine, die nun frei lagen, da der Rock ein wenig durch das Sitzen hochgerutscht war.

Seine Aufforderung löste ein leicht ungutes Gefühl in der Schwarzhaarigen aus, sie dachte zu wissen, dass er etwas ahnte.

„Du suchst doch nach einem Vermissten, nun ja, ich denke, es ist kein Zufall, dass mein Bruder andauernd verschwindet. Jedes Mal, wenn ich ihn frage, was er wieder getrieben hat, wird er laut, ja, er schreit fast schon und verlangt von mir, dass ich mich aus seinem Leben raushalte, ich habe Angst, dass er etwas total Unvernünftiges, vielleicht sogar Kriminelles tut... Würdest du meinem früher so vernünftig gewesenen Bruder nicht auch so etwas zutrauen?“

Tatsuji dachte einen Moment nach, was er sagen sollte, grundsätzlich musste man jedem Menschen so ziemlich alles zutrauen. Ichiro sah zwar nicht so aus und verhielt sich auch nicht wie ein Krimineller, zumindest so wie er ihn kennen gelernt hatte, aber wer wusste schon, was in der Zeit seiner Abwesenheit so alles in Tokyo vorgefallen war, was ihm noch nicht bewusst sein konnte? „Sagen wir es doch so, Natsumi, ich traue allen Menschen so was zu, das muss ich wohl auch. Sonst wäre ich ja nicht objektiv genug, sondern voreingenommen.“

„Verstehe, also ja.“ Natsumi blickte aus dem Fenster und zog seinen Blick gleich auf sich, da sie so schuldbewusst wirkte – mehr als hätte sie selbst etwas verbrochen, als wüsste sie etwas, das sie ihm nicht direkt sagte – nicht, als hätte ihr Bruder etwas verbrochen.

„Natürlich, das geht nicht gegen deinen Bruder – im Gegenteil, ich bin mit deinem Bruder befreundet gewesen und eigentlich hatten wir nie Probleme miteinander. Wenn er mit jemandem aus meiner Familie Probleme hatte, dann mit Shinichi. Die beiden waren nicht gerade die besten Freunde.“

„Denkst du auch, er könnte töten?“ Sie stellte diese Frage absichtlich so, auch weil die Sprache auf Shinichi kam.

„Es gibt Situationen, die Menschen zu allem bringen können. Alles, was mit Gefühlen zusammenhängt, kann zum Mord verführen. Eifersucht, Neid und Hass sind da die drei Hauptgefühle, die schon viele Opfer hervorgerufen haben. Meistens sind sie auch miteinander verbunden, es kann aber auch einfach nur schlichter Hass sein. Dinge, die Hass auslösen, können überall herkommen. Nächstenliebe zum Beispiel. Wenn du liebst, kannst du auch hassen. Man muss beispielsweise nur jemandem wehtun, den du sehr magst, so was lässt Hass in den Herzen der Menschen wachsen, dieser Hass kann zum Mord verführen, verstehst du? Jeder, der liebt, kann zum Täter werden. Auch dein Bruder kann ein Mörder werden, je nachdem, wie groß seine Beherrschung ist und wie gut er seinen Hass unter Kontrolle hat.“ Er selbst zum Beispiel hatte genügend Selbstkontrolle, um nicht zu töten, damit er seinen Hass ertragen zu konnte. Wäre dem nicht so, hätte er wohl Pinot und Chardonnay längst über den Haufen geschossen vor lauter Hass und Zorn.

„Das kann ich dir nicht sagen, wie gut die Beherrschung meines Bruders ist, aber wohl auf jeden Fall geringer als deine, Shinas oder Shinichis. Tut mir übrigens Leid, was in eurer Familie derweil los ist. Ich habe davon gehört...“

„Tja, das Mädchen macht nur Probleme, das kann unmöglich eine Frau sein, kein Wunder, dass Riina nichts mehr mit ihr zutun haben will...“

Natsumi seufzte. „Du weißt ja immer so gut über andere Bescheid, kannst du mir da sagen, wieso Keichiro Takagi Mädchen bevorzugt?“ Die Frage brannte ihr schon lange auf der Seele, auch wenn sie selbst wohl mehr in Riinas Alter war, also nicht in dem, was Keichiro sonst so verschleppte.

„Ganz einfach, weil es einfacher geht, als bei erwachsenen Frauen, der Mann ist einfach ein erbärmlicher Feigling und Schwächling, sonst nichts.“

Tatsuji sah wieder zu ihr rüber, sie hatte den Kopf tief gesenkt. „Mein Vater und Keichiro – sie hatten ein Abkommen...“ Ganz leise sprach sie, kaum hörbar, so dass es auch ihm mit einem guten Gehör schwerfiel, es genau zu verstehen, da um sie herum der Lärm der Straße zu hören war. „Dein Vater hat was?“ Er konzentrierte sich auf Natsumi und vergaß für einen Moment die Straße, erst als Reifenquietschen zu hören war, wandte er schnell den Blick zurück auf die Straße, da war es aber schon so weit. Der weiße Sportwagen kam mit einem hohen Tempo direkt auf sie zu, Tatsuji konnte nur noch ausweichen, indem er den Lenker zur anderen Seite schwang und um die Ecke bog, wo ihm unglücklicherweise noch ein Auto entgegen kam. Beide bremsten scharf und kamen direkt vor dem anderen zum Stehen, wobei sich ganz kurz die Stoßstangen berührten - es war nicht mehr als ein Stups. Das Auto ruckelte von vorne nach hinten und ließ die beiden angeschnallten Leute mit nach vorne fliegen. Durch den Ruck fielen sie auch wieder nach hinten direkt in die Sitzlehne und starrten dann schockiert nach vorne. Die Bremsung war ruckartig geschehen.

Die Fahrertür des dunkelblauen BMW wurde aufgerissen und ein aufgeregter, junger Mann mit übelster Laune stieg aus. Sofort begann er zu toben, er furchtelte mit den Armen wild durch die Gegend.
 

Die beiden jungen Frauen waren die Straße entlang gelaufen, in welcher Juro wohnte, weit weg genug, um miteinander reden zu können, allerdings riss sich Naru jetzt von ihrer Freundin los.

„Obwohl du keine Ahnung hast, musst du dich da jetzt einmischen? Du kannst es dir doch gar nicht erlauben, über meine Handlung zu urteilen, Jurastudentin!“ Ja, sie war wütend und wollte sie jetzt aufklären, in der Hoffnung, dass sie selbst dann Ruhe hatte.

„Keine Ahnung? Ich weiß, dass du – verdammt noch mal – einen Freund hast! Was ist in dich gefahren? Was willst du denn von Hideaki?“

„Sei nicht so respektlos, Riina, er ist ein viel besserer Mann, als Hiroya jemals sein könnte, das ist leider das, was ich allmählich erkenne...“ Die Hellbraunhaarige seufzte und wurde wenig später von der Rothaarigen an den Schultern genommen und geschüttelt.

„Wie kannst du so etwas über deinen Freund sagen? Du liebst ihn doch!“

„Ja, Liebe, das zeigt wie oberflächlich die Liebe eigentlich ist, Riina!“ Naru zitterte am gesamten Körper, die Tränen standen in ihren Augen, sie musste es los werden, um nicht mehr hören müssen, wie gemein sie doch zu Hiroya war.

„Hiroya war heute Morgen bei mir. Er war alles andere als der nette Typ, für den du ihn hältst!“ Sie hielt sich die Hand vor den Mund und schluchzte auf. „Er ist ein – ich weiß gar nicht, wie ich ihn nennen soll! Ein herzloser Egoist ist er! Und ein mieser Held, ein ganz mieser Held! Kaum zu glauben, dass ich das mal so an ihm bewundert habe! Mir kommt’s gleich hoch! Du glaubst nicht, was er mir gesagt hat!“

Dass sich Naru über ihren Freund tierisch aufregte und er wohl irgendetwas Schlimmes gesagt hatte, war nun auch Riina klar, so laut wie ihre Freundin sprach, es war ja fast Schreien. „War es so schlimm, dass es einen Seitensprung rechtfertigt?“ Riina versuchte ihre Ruhe zu bewahren, selbst wenn sie solche Sachen verachtete, so war Naru ja noch ihre Freundin, die sie versuchte zur Vernunft zu bringen. Sie würde versuchen die Hellbraunhaarige zu verstehen, egal wie schwer es ihr fiel.

„Ich habe in den Nachrichten den Bericht über seine Schwester gesehen.“ Obwohl die 23-jährige den Namen nicht sagte, wusste sie, dass Riina klar war, wer gemeint war. Sie war total aufgelöst und würde wohl gleich auch noch anfangen zu weinen.

„Und weiter?“ Sie strich über Narus Schulter, total vorsichtig, um sie zu beruhigen.

„Ich dachte, er müsste mies drauf sein und wollte ihn trösten, aber das Gegenteil war der Fall. Er sagte, ihr Tod ist ihm egal! Sie sei doch eh selbst schuld, weil sie ihr Vertrauen vor Jahren anderen geschenkt hätte. Was hätte sie auch anderes tun sollen? Er hat sie wie Dreck behandelt! Wie Dreck an seinem Schuh, so war es wirklich. Als er dann noch sagte, es wäre eben ihr Pech und sie sei selbst schuld, weshalb er der Polizei nicht beim Ermitteln helfen wollte, obwohl er genau weiß, dass es Mord war, hätte ich ihn am liebsten ermordet!“ Und noch eines war ihr klar geworden, Naru schloss die Augen und grinste dann. „Ein Held, der seine Schwester nicht beschützt... Lustig, oder? Wie kann man sich bloß so in Leuten täuschen? Obwohl sie immer gestritten haben, dachte ich nicht, dass er sie so im Stich lassen würde. Was aber am meisten wehtut... Koichiru hat sich für ihr Leben geopfert, nur damit Hiroya sie dann einfach sterben lässt. Das geht nicht in meinem Kopf. Er ist total sinnlos gestorben. Er hätte doch wenigstens für meinen Bruder etwas unternehmen können. Er ermittelt doch immer gegen die Organisation. Die Frage quält mich so. Warum? Warum bloß? Musste das sein? Ich finde es so unfair. Hayates Tod hatte er ja auch sehr schnell verkraftet und so jemand war sein Freund. Ich dachte immer, er tut nur so, aber nein, er ist wirklich so kalt, dass ihm Tote egal sind. Würde er, wenn ich sterbe, genauso reagieren? Wäre es ihm auch egal? Klar, wieso nicht? Ich habe ja immer zu seiner Schwester gehalten...“ Es war zu spät, Naru konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie ging auf die Knie, weil ihr plötzlich total schwindelig war, und schlecht war ihr ebenfalls. Etwas schnürte ihr die Kehle und den Magen zu, es tat weh. Was war das nur? So etwas hatte sie seit dem Tod ihres Bruders nicht mehr spüren müssen. „Sollte er irgendwen von ihren Freunden anfangen zu sticheln, ich sag dir, ich bring ihn um!“ Sie krallte die Nägel in den Asphalt und knurrte wütend auf.

„Beruhig dich! Denkst du denn wirklich, so etwas Gemeines tut er?“

„Soll das ein Witz sein, Riina? Du kennst ihn noch schlechter als ich vor Jahren. Du glaubst nicht wie gemein er werden kann. Als vor knapp zwei Jahren Yuriko starb, hat er auch alle, nur nicht sich selbst, dafür verantwortlich gemacht. Das tat er in erster Linie nur, um anderen wehzutun und sich nicht als Versager dastehen zu sehen. So tickt er. Als das passiert ist, hätte ich eigentlich aufwachen müssen, tja, die Liebe...“ Nun lachte sie unter all den Tränen, die sie vergoss. Es war einfach so ironisch, dass sie, obwohl sie noch weinte, lachen musste.

Naru konnte sich auch gut vorstellen, dass Hiroya bei Kimis besten Freund vorbei schneite, nur um ihm Vorwürfe zu machen und ihm die Schuld daran zu geben, dass sie nun tot war. In erster Linie hasste er ihn doch abgrundtief und das nur wegen dem, was er tat. Sein Musikerhass nahm langsam Auswirkungen an, die ihr nicht gefielen, er gehörte in Therapie. Er konnte doch nicht alle verteufeln, die einfach nur Musik machten. Er sollte lieber mal selbst in den Spiegel schauen, bevor er anderen sagte, wie schlecht sie ja waren.

Naru lachte, obwohl sie so sehr litt, Riina musste sich wirklich bemühen, damit nicht auch ihr die Tränen kamen, sie beugte sich zu ihrer Freundin hinab und schloss sie erst einmal in die Arme. „Du musst ihn verlassen! Mit Betrügen wirst du nicht glücklicher“, sagte sie ihr und seufzte dann auf.

Riina gab den Versuch auf, Naru einzureden, dass Hiroya der Einzige für sie war, es war eben nicht wie bei ihr. Hiroya und Tatsuji hatten weniger gemeinsam, als sie früher gedacht hatte. Um genau zu sein, kannte sie Hiroya ja auch nicht persönlich. Sie konnte nach dieser Erzählung nicht Partei für Hiroya ergreifen, sie würde Naru doch nur unglücklich machen, das brachte sie nicht fertig, so kalt zu sein.

„Aber quäl dich nicht wegen Kimis Tod.“

Naru schob nun Riina von sich. „Das hätte ich mir denken können. In dem Fall denkst du wie Hiroya, was?“ Die Ältere reagierte nun doch etwas ruppig. Mit Tränen in den Augen, nun auch wieder wegen des Zorns. „Um wen ich trauere, ist meine Sache, halt dich da raus, Riina! Du kanntest sie nicht! Man hat dir nur Dinge von ihr erzählt. Es ist wie bei der Presse, sie steht ziemlich im schlechten Licht da... Klar, wieso auch nicht Geschichten über tote Leute erfinden? Vielleicht steckt hinter diesen Gerüchten auch die Organisation! Sie hat sie ja fortlaufend terrorisiert, wieso also nicht auch noch nach ihrem Tod ihren Ruf ruinieren? Aber glaub’ mir, ich finde die Verantwortlichen... Ich weiß nur leider nicht, was ich mit denen dann mache.“ Naru machte einen entschlossenen Eindruck und der Ausduck in ihren Augen, sagte Riina, dass es schlimme Dinge waren, die ihr da so vorschwebten...

„Hör auf damit, Naru!“ Riina begann sie erneut zu schütteln, denn es gefiel der Jurastudentin überhaupt nicht, was sich für Gelüste in ihrer Freundin breit machten. „Du hast nicht mal bei deinem Bruder an Rache gedacht, also wirst du es in dem Fall auch nicht tun, hörst du?!“

Perfidious plans Part 2

Tatsuji war total friedlich und stieg gelassen aus seinem Auto aus, doch da kamen ihm schon üble Beschimpfungen regelrecht entgegen geflogen. Es war wie mit nichts Schlimmen rechnen und dann von einem Tornado umgefegt zu werden. Er wollte sich gerade erkundigen, wie es dem Mann am Steuer des BMWs ging, aber dazu kam er gar nicht erst.

„Wollen Sie mich vielleicht umbringen? Brettern sie mir doch glatt entgegen, wie ein Verrückter! Wenn ich nicht so ein guter Fahrer wäre, dann könnten Sie und ihre hübsche Freundin jetzt tot oder schwer verletzt sein!“ brüllte er den Braunhaarigen an. Der Schwarzhaarige hatte heute ohnehin nicht gerade die beste Laune und kam auf Tatsuji zu, welcher den Arm des etwa gleich großen, schwarzhaarigen Mannes abfing, da er ihn am Kragen hatte nehmen wollen.

„Ganz ruhig! Nur nicht aufregen“, meinte er zu dem aufgeregten Mann, der rot vor Wut war. „Wie ich sehe, geht es Ihnen ja gut, nicht wahr? Es gibt also keinen Grund für so einen Aufstand, es sei denn, Sie sind nicht versichert, dann würde ich beten, dass dem Auto nichts passiert ist.“ Er hatte zwar noch bremsen können, aber ihre Autos standen direkt voreinander, sie hatten sich also bestimmt berührt, dabei entstanden Kratzer – doch das war ja alles nicht so schlimm.

„Na und? Schauen Sie sich mal meine Stoßstange an, da ist jetzt eine Beule drin!“

Tatsuji wusste nicht, was der Aufstand sollte, er war noch immer total ruhig und sprach wenig später auch so. „Na und? Sind Sie nicht oder nur unzureichend versichert?“ Wenn das der Fall war, so war der Typ nun wirklich selbst schuld.

„Was soll das Gerede? Ich bin gar nicht schuld daran, dass da jetzt eine Beule ist!“ fauchte der Schwarzhaarige und seine grünen Augen blitzten kurz hell auf.

Natsumi stieg ebenfalls aus und beobachtete beide. Sie fand, dass sie fast die gleiche Augenfarbe hatten, doch war die des aufgekratzten Mannes sehr viel kälter, als die von Tatsuji.

„Gut erkannt, wenn Sie etwas nachdenken, werden Sie feststellen, dass alles halb so wild ist. Wie Sie so schön sagen, trage ich die Schuld daran, weil ich um die Ecke gebogen bin. Ich würde es an Ihrer Stelle viel schlimmer finden, wenn jemand verletzt wäre.“

Reden konnte der Mann wohl ganz gut. Wer war das denn überhaupt?

„Wie heißen Sie?“ wollte der 29-jährige immer noch ruppig wissen. „Den Schaden zahlen Sie mir nämlich, immerhin sind Sie schuld.“

„Ich habe nie geleugnet, dass ich schuld bin und wollte mich auch nicht vor der Rechnung drücken, die zahlt nämlich meine Versicherung.“ Und da regte sich dieser Kerl so künstlich auf. Er hätte es ja verstanden, wenn man ihm gesagt hätte, dass man die Rechnung nicht zahlen wollte, aber in dem Fall... Hauptsache schon mal im Voraus aufgeregt, oder wie?

„Das kann jeder sagen! Also, rücken Sie schon Ihren Namen raus!“ drängte der schwarzhaarige Mann, welcher ein dunkelblaues Hemd und eine helle Jacke trug, er hatte schon einen kleinen Notizblock und einen Stift parat. Nur für den Fall, dass Tatsuji ihn belügen würde, notierte er sich sein Nummernschild. Misstrauisch war Hiroya eben schon immer gewesen. Jami war auch so ein scheißfreundlicher Typ. Denen misstraute er besonders. Vielleicht war es ja kein Versehen gewesen, sondern pure Absicht. Es könnte sich auch um einen Dieb handeln, der das Auto gestohlen hatte.

„Ach herrje, Sie sind aber misstrauisch“, meinte Tatsuji, weil es etwas war, was ihm so einfiel. „Tatsuji Fujimine, aber so wie ich sehe, sorgen Sie schon mal vor, was?“ Natürlich war ihm nicht entgangen, dass Hiroya sich das Nummerschild bereits notiert hatte.

Tatsuji Fujimine...

Hiroya schnaubte wie ein wild gewordenes Pferd. „Ja, es ist gesünder zu misstrauen! Die Welt ist voller linker Typen! Und jetzt geben Sie mir am besten die Telefonnummer!“

„Sagen Sie mal, Sie aufgeblasener Affe!“ mischte sich Natsumi nun ein, die sich vor Tatsuji stellte, was diesen jetzt doch etwas verwunderte. „Reden Sie gefälligst nicht so mit meinem Freund! Er hat Ihnen nichts getan, sondern war ganz freundlich! Ist es da zu viel verlangt, wenn Sie ebenfalls etwas höflich zu ihm sind?“ Was für ein Mistkerl war das denn bitte?

„Hey, Kleine, halt dich da raus, okay?“

„Nein, werde ich nicht!“

„Dann werde ich dich jetzt schlichtweg ignorieren! Ich weiß nämlich, wer du bist, deine Meinung kümmert mich nicht.“

Tatsuji fand, dass sich der Mann ganz schön daneben benahm. Aber er schien Natsumi wohl zu kennen und nicht besonders zu mögen.

„Schnauzen Sie doch bitte meine Begleitung nicht so an.“ Er betonte das Wort Begleitung absichtlich so, er wollte wenigstens mal klargestellt haben, dass es sich bei ihnen nicht um ein Paar handelte – irgendwie würde er ein schlechtes Gewissen gegenüber einer bestimmten Frau bekommen, wenn er das so stehen ließ...
 

Der behandelnde Arzt hatte auf Sêiichîs Flehen hin erst dann eine Ausnahme gemacht, als er erwähnt hatte, dass seine Mutter Ärztin gewesen war und er wusste, wie wichtig es war, dass der Patient Ruhe hatte, aber er ließ es sich nicht nehmen, Jamie einen Besuch abzustatten. Als er die Tür zum Zimmer geöffnet hatte, konnte der Schwarzhaarige den blonden Mann erblicken, der an einer Maschine hing, die seinen Herzschlag überprüfen sollte. Auf den ersten Blick schlief er, doch die Schuhe des Besuches ließen ihn wenig später die Augen öffnen.

„Sêi-chan...“ Es steckte auf gewisse Weise ein freudiger Ton in der Stimme des Detektivs, doch beinhaltete er ein wenig Sorge – sie kam ganz schwach daher.

„Du sollst nicht reden, Jamie, du sollst dich ausruhen.“ Sêiichî beugte sich leicht über den Mann, der in weißen Sachen in einem weißen Bett lag. So viel weiß... Sêiichî hatte diese Farbe noch nie wirklich gemocht, es war eigentlich noch nicht mal eine.

„Ich muss – aber reden“, sagte er brüchig, wobei er nach jedem zweiten Wort pausieren musste, da ihm die Luft für längere Sätze zu fehlen schien, er schnappte zwischendurch recht heftig nach Luft, was in seiner Brust doch ziemlich zog, er musste aber unbedingt mit Sêiichî reden, er war der Einzige, der diesen Fall noch lösen konnte – dachte sich der Blonde.

„Nein, du musst schlafen, glaub’ mir, wenn ich dir das sagte“, sagte der Kriminalist sanft und lächelte schwach.

„Kimiko braucht – dich - deine Hilfe – du erinnerst – dich?“ Nun kam ein ganz besonders tiefer Zug, der in einem Husten endete und mit tierischen Schmerzen für Jamie.

Sêiichî schluckte, selbst wenn er gerne gewollt hätte, so konnte er ihm in seinem Zustand unmöglich sagen, dass ihr keiner mehr helfen konnte. Aber ihn belügen?

„Ich erinnere mich an sie, ja. Hab’ ihr ziemlich wehgetan...“ Solche Sachen konnte er doch gar nicht vergessen.

„Sie hat Probleme – habe ich herausgefunden...“ Jamie war schrecklich müde, ihm fielen fast die Augen zu, diese Scheißärzte wollten ihn betäuben, so dass er schlief – genauso wie Sêiichî ihn beruhigen wollte, damit er schlief.

„Warum sagst du das?“ Sie hat Probleme – wenn es nur wirklich so gewesen wäre, hätte Sêiichî sich doch sehr gefreut, aber sie würde nie wieder irgendwelche Probleme mit ihrer Organisation haben, sie war das alles los geworden, anders als sie, die mit dieser Schande weiterlebten. Ihm wurde ganz schlecht. Wenn man von ihnen redete, gehörten sie schließlich auch dazu und waren mit schuldig.

„Damit du – an meiner Stelle – was unternimmst“, der 33-jährige wurde immer leiser. „Falls ich – sterbe.“ Es stand nun Schweiß in Jamies Gesicht, seine Atmung ging immer schneller und brüchiger, er strengte sich sehr an, um ihm das alles zu sagen.

„Du stirbst nicht!“ Sêiichî legte so viel Zuversicht in seine Stimme – jetzt konnte er sich immerhin nach all den Jahren mal für die Hilfe bedanken und auch etwas revanchieren. Jamie war schließlich immer auf seiner Seite gewesen und hatte sich seinetwegen solch einer Gefahr ausgesetzt, das wurde ihm mehr und mehr bewusst. Er war hier der Hauptschuldige an diesem Desaster. Dass Jamie und seinem Sohn etwas zugestoßen war – alles Cognacs Schuld.

„Ach, Sêi-chan, sei – nicht – naiv. Valpolicella... Denkst du, sie wird mich - leben lassen?“ Es war lachhaft, doch lachen war im Moment zu schmerzhaft.

„Sollte sie dir irgendetwas antun wollen, dann mache ich diese Tussi fertig, hörst du?“ Sêiichî versuchte seinem Onkel Mut zu machen.

„Misch dich nicht - zwischen einen Kampf - zwischen ihr und mir ein – es wäre tödlich für – dich.“ Nicht, dass er Cognac nicht viel zutraute – er war doch auch an ihr gescheitert, sonst würde er ja jetzt nicht hier liegen, oder? Sêiichî konnte es nicht mit ihr aufnehmen, das musste er doch einsehen.

„Mach dir keine Gedanken um so etwas. Du liegst nicht als Jamie Moore und auch nicht als Helios hier“, verriet er ihm aufmunternd lächelnd. „Sie müsste dich erst einmal finden, also ruh dich aus. Denk nicht an sie.“

„Und du – lass sie in Ruhe – BITTE!“ Es lag etwas Angstvolles in Jamies Stimme, er befürchtete, dass Sêiichî wieder unvernünftig sein würde.

„Solange sie dich in Ruhe lässt.“

„Kümmer dich lieber um Kimi. Sie hat deine Hilfe nötiger... Ist schließlich ’ne Frau.“ Es klang, als würde Jamie Valpolicella nicht als Frau ansehen...

„Schon gut, ich kümmere mich darum.“ Es war ein Versprechen, das er niemals würde halten können, es tat Sêiichî weh, ihn so zu belügen.

„Und dann – noch was...“

Sêiichî fragte sich, wieso Jamie denn jetzt so viel reden musste... Aber er hörte ihm zu.

„Such Mitsuki Ikezawa... Valpolicella – hat – leider – rausbekommen, dass ich nachgeforscht – hatte. Wenn du sie siehst – wirst du gleich – klarer sehen...“

Das verrwirrende Zeug, das Jamie von sich gab, machte für Sêiichî keinen Sinn. Was war denn mit dieser Mitsuki? Cognac kannte sie nicht...

„Sie verhält sich... merkwürdig...“

Das wollte Sêiichî nun aber doch noch hinterfragen. „Wie meinst du das?“ Doch bekam er von seinem Onkel keine Antwort mehr, er war eingeschlafen, was ihn eigentlich hätte erleichtern sollen.

Was hatte Jamie da eigentlich alles herausgefunden? Etwas, was Valpolicella verärgert hatte, so dass sie ihn ausspioniert hatte, oder war es ganz anders gewesen?

‚Wenn er doch erst heute diesen Unfall hatte... Wieso weiß er dann nichts davon?’ Jamie arbeitete einerseits als Detektiv und hatte wegen der Organisation engen Kontakt zur Presse – um genau zu sein, er war selbst jemand von der Presse, der für Valpolicella arbeitete. Er konnte einem Leid tun, da musste er diese Frau auch noch außerhalb seiner Organisationszeit dulden. Von Kimikos Tod war sehr früh berichtet worden, das hieß, dass Jamie es doch wissen musste... Irgendetwas war hier ganz gehörig faul, und wenn etwas faul roch, dann ermittelte man dagegen. Genau das würde Sêiichî tun, vielleicht lenkte ihn das auch ein wenig ab. Und sich dabei bloß nicht von irgendwelchen Organisationsleuten erwischen lassen, aber er hatte ja das Glück, eine Schauspielerin als Freundin zu haben, die ihm in so einem Fall sicher ihre Hilfe anbieten würde...
 

Am frühen Nachmittag war die Entscheidung gefallen. Als Ryochi im Auto an einer Ampel auf seine Uhr schaute, stand auf dieser: 14:15 Uhr.

Man sollte die Zeit ja nicht unterschätzen, aber früh war es trotzdem noch. Bis zu dem Treffen waren es jetzt noch mehr als sieben Stunden. Aber Ryochi wusste, wie es war, wenn man Stundenlang nach etwas suchte und einfach nicht fündig wurde. Hoffentlich würden sie die entsprechenden Personen auch erwischen. Wer der Kerl am Telefon gewesen war, wussten sie nämlich auch jetzt nicht. Er rechnete nicht wirklich damit, dass sie viel herausbekommen würden. Wenn die Presse nichts rausfinden konnte, dann sie wohl auch nicht, es sei denn man vertraute ihnen. Er selbst würde keinen Unbekannten vertrauen, die einen über eine Freundin auszuquetschen versuchten.

„Sag mal, Shinichi-kun“, meinte Ryochi aus heiterem Himmel. „Was wirst du tun, wenn wir über diese Person nichts in Erfahrung bringen sollten?“ Der Ältere konnte es sich denken, wollte aber mal gefragt haben. Mal sehen, was ihm der Junge antworten würde.

„Gute Frage“, erwiderte der Braunhaarige mit der Brille und spielte mit seinem Ohrring-Handy. „Weil ich jeder Spur nachgehen muss, egal, welchen gefährlichen Pfad ich da auch beschreiten sollte, werde ich wohl dahingehen! Wenn es sein muss, werde ich auch Kogorô außer Gefecht setzen! Ich will wissen, woran ich bin – und verstecken habe ich eigentlich schon lange satt.“

‚Ach, das war es, was sie meinte: Hide and seek is making him sick!’ Geduld war eine Tugend – diese schien der Oberschüler nicht mehr zu besitzen, kein Wunder, es war nun schon ein Jahr verstrichen. Trotzdem sollte er nicht jeder Spur tollwütig nachjagen, in der Hoffnung, den Weg zurück zu sich selbst per Zufall zu entdecken.

„Du willst da alleine hingehen, obwohl die Einladung Kogorô gegolten hat? Dir ist schon bewusst, dass du dich damit totsicher verrätst?“
 

Der Schatten hatte sich genähert und schlich sich um das Haus herum. Die schwarzen Handschuhe, die der Mann trug, knackten das Schloss und er maschierte ohne Widerwehr in das Haus hinein. Er hatte hier etwas zu erledigen. Ein flüchtiger Blick auf die Schuhe im Hausgang, verrieten ihm, wie viele Personen in etwa anwesend war. Ein Mann, das Opfer – und zwei weibliche Wesen. Die Schwester des Typen hatte wohl Besuch. Unter ganz ungünstigen Umständen würde er auch diese beiden töten müssen, aber die Zeit drängte. Man machte ihm Druck, es blieb ihm kaum eine andere Wahl, als zu tun, was man ihm sagte.

Er hörte die Tür, die oben geöffnet wurde und zwei Personen, die sich unterhielten. Erschrocken wich er einen Schritt zurück, öffnete die Tür zum Keller, ohne lange zu fackeln, versteckte sich der 22-jährige hinter dieser. Die beiden kamen näher, das hörte man eindeutig, aber noch dazu hörte er ein allzu bekanntes Lachen. Ihm brach der Schweiß aus. Nein, alles, nur nicht sie! Bitte, nicht! Das konnte von Gott unmöglich so gewollt sein! Nein, er würde sich sträuben, ihr auch nur ein Haar zu krümmen, nur weil sie eine Freundin besuchte – da sie so ein herzensguter Engel war.

Sein Körper wurde von Zittern erfasst, er fror urplötzlich schrecklich und die Angst hemmte ihn. Er konnte sich keinen Zentimeter weiter bewegen.

„Danke, dass du gekommen bist, ich wüsste nicht, was ich noch tun soll – es geht ihm so furchtbar schlecht – ich habe das Gefühl, er will gar nicht weiter leben. Er will die Band verlassen, das ist das Schlimmste, was er tun könnte, da kann man ihn auch gleich umbringen.“

Die Kurzhaarige sagte das, das wusste der unbekannte Mann hinter der Kellertür und er wusste auch ganz genau, was das andere Mädchen jetzt sagen würde – dass sich alles zum Guten wenden würde und dass es ihr sehr Leid tat.

„Mach dir nicht so viele Gedanken, nur weil er beim heutigen Konzert davon gesungen hat, dass er sterben will. Die Band verlassen will er, weil ihnen die Sängerin ausgefallen ist, er denkt, es geht nicht weiter, aber ich bin mir sicher, dass er sich in den Griff kriegen wird. Du kannst mich jeder Zeit anrufen, auch nachts, wenn irgendetwas ist. Alles wird gut werden.“

Er lehnte sich gegen die Wand und hörte ihrer sanften, lieben Stimme zu, wie sie ihrer Freundin versuchte Mut zu machen. ‚Nichts wird gut werden! Tut mir Leid für dich, aber die Organisation hat beschlossen, dass er eine Gefahr ist und will ihn umbringen lassen...’ Es tat ihm wirklich Leid, aber er wollte um alles in der Welt keinen Ärger mit diesem Gin haben, der schien alles umzubringen, was ihm nicht in den Kram passte – genau so hatte Vermouth sich ausgedrückt und dann noch so, als sei sie noch so wichtig für die Organisation, dass er sogar sie selbst töten würde. Und wie arrogant dieses mich von ihr geklungen hatte. So, wie die sich immer benahm, würde es ihn wirklich nicht wundern, wenn Gin einmal die Schnauze voll von ihr hatte, er musste immer so widerlich nett zu ihr sein, nur weil sie Schauspielerin war und das gewohnt war. Der Boss wollte wohl, dass man sie gut behandelte, eben ihrem Rang entsprechend. Nur Valpolicella stand in Sachen Gesellschaft wohl noch höher, was? Noch so ein Weibsstück, die waren in der Organisation irgendwie alle gleich heimtückisch. Wer sich als Mann in solche Frauen verliebte, hatte sie doch nicht mehr alle und war schlicht und ergreifend oberflächlich.

Irgendwann würde diese blonde Hexe wohl noch verlangen, dass man den roten Teppich für sie ausrollte, das war ihr zuzutrauen. Wäre er nicht immer freundlich zu ihr, hätte sie ihn bestimmt längst mal von hinten abgestochen. Er gab ihr das Gefühl nützlich für sie zu sein, deswegen lebte er doch noch, da war sich der Mann vollkommen sicher, dass diese Frau jeden einfach töten ließ, der ihr in die Quere kam. Was ihre Prinzipien und Vorsätze waren, war ihm allerdings unbekannt, aber aus irgendeinem Grund wollte sie ihm helfen. Es passte ihm gar nicht, dass sie von Ran wusste, aber so war er wenigstens nicht dazu gezwungen, eine Frau zu ermorden, was er aber auch fertig bringen würde, wenn es sein musste.

Und in dem Fall hier wollte er geschickt die Regel der Organisation umgehen, ohne sie zu brechen. Die besagte nämlich, jeden zu töten, der etwas wissen konnte. Vermouth hielt sich daran ja auch nur bedingt, also würde er sich das Recht nehmen, weil sie ihn nicht verraten würde – jedenfalls solange nicht, wie er ihr nicht den Rücken zuwandte und gut aufpasste, was sie so trieb. Was sie mit diesem Kudô anstellte, war ihm recht einerlei, jedenfalls hatte sie Pläne mit ihm. Dieser kleine, arrogante, selbstgefällige, sich selbst überschätzende Detektiv, es würde ihm ganz gut tun, wenn man ihm mal zeigte, wie wenig er im Grunde doch wusste. Seit geraumer Zeit war er verschwunden, vielleicht steckte da ja auch diese Schauspielerin dahinter, er vermutete es stark, es interessierte ihn aber auch nicht sonderlich, weswegen er sie nie direkt danach gefragt hatte. In erster Linie interessierte ihn seine Familie – von seinem Vater abgesehen, der war für ihn gestorben – von seinem kürzlichen Tod wusste er allerdings noch gar nichts.

„Dein Gemüt möchte ich haben, das sagst du so, Ran“, ewiderte die Kurzhaarige und senkte den Kopf. „Du kannst immer positiv sehen...“

‚Von wegen, jedes Mal, wenn mehr Zeit verstreicht, in der Shinichi mich nicht anruft, frage ich mich, ob er denn noch am Leben ist.’ Er hatte wieder seit mehreren Monaten nicht angerufen, doch bisher hatte er sich immer irgendwann gemeldet, wenn auch selten, aber der Tag konnte immer kommen, an dem seine Stimme für immer schwieg. Schon seit längerem glaubte sie nicht mehr, dass es sich um einen einfachen Fall handelte, er war an der Sache schon viel zu lange dran, das roch doch regelrecht nach großen Verbrechern – sie hoffte nur, dass er sich nicht mit den Yakuza anlegte. Sonoko hatte mal gemeint, dass sie welche gesehen hatte...

„Ich bin nur so positiv, weil Shoji doch das Einzige ist, was du noch hast. Denkst du, er bringt sich um, wenn er weiß, dass er seine kleine Schwester damit im Stich lässt?“ Ran konnte sich das überhaupt nicht vorstellen. Schon seit Jahren waren beide elternlos und immer für den anderen da, da konnte sich Kita doch nicht wegen einer Frau umbringen, das würde nicht zu ihm passen.

„Wahrscheinlich hast du Recht.“ Miho hatte zwar noch immer Angst davor, was passieren könnte, wenn ihr Bruder seinen Schmerz nicht mehr ertragen konnte, war aber durch Rans Aufmunterungsversuche wieder etwas beruhigter, denn im Grunde hatte ihre Klassenkameradin wirklich Recht.

„Komm schon, wir beide kennen deinen Bruder.“ Sie lächelte, wodurch Miho angesteckt wurde, doch dann klingelte es unerwartet an der Haustür und sie schauten sich nach dieser um.

„Hey, ich fürchte, da hatte jemand dieselbe Idee, wie ich“, meinte Ran, während der Mann hinter der Kellertür allmählich die Krise bekam. Noch mehr neugierige Besucher, jetzt war auch ihm klar, weshalb sich die meisten aus der Organisation um diesen Job alles andere als rissen. Sie wollten nicht entdeckt werden und nun hatte er diesen Mist am Hals. Vermouth hätte ja mal so nett sein können, ihn zu warnen... Sie warnte ihn doch sonst auch immer rechtzeitig, damit er nicht in irgendwelche blöden Fallen tappte. ‚Danke, sollte dir irgendwer eine Schlinge um den Hals ziehen, werde ich dich auch hängen lassen...’

Miho konnte sich nicht vorstellen, dass sie außer Ran irgendwer besuchen sollte, außer vielleicht Sonoko und das nur, weil sie total auf ihren Bruder abfuhr. „Wenn das Sonoko ist, werde ich sterben, sie kommt dann doch nur, weil sie denkt, Shoji-nii-san ist auch hier.“ Wahrscheinlich wollte Sonoko ihn dann auch noch über den Tod anderer hinwegtrösten?

„Meinst du wirklich, dass sie nur deswegen kommen würde? Sie ist zwar manchmal auf diesem Trip, was Jungs angeht, aber in dem Fall denke ich, würde sie auch deinetwegen kommen. Sie mag dich, Miho, das kann ich dir versichern.“

Es konnte ja sein, dass Sonoko sie wirklich mochte, aber doch nur, weil ihr Bruder nun einmal eine Berühmtheit war. So, wie alle aus der Klasse sie mochten, seit sie wussten, wessen Schwester sie war, früher war sie alles andere als beliebt gewesen, das musste Ran einsehen. „Wir beide sind jetzt schon so lange Freunde, wir waren es auch in der Zeit, als mein Bruder noch gar nicht bekannt war, von dem her, bist du die einzige Person, die mich einfach so mochte.“

Es klingelte erneut, der Besucher wusste wohl, dass jemand zu Hause war, oder hoffte es, jemanden zu erwischen? Eigentlich konnte es da ja nur Sonoko sein, deswegen machte Ran jetzt die Tür auf, da sie ohnehin hatte gehen wollen. Zu ihrem Entsetzen, wenn man es so nennen konnte, waren es Ryochi Akaja und Conan. Was wollten die Beiden denn bitte hier? Wäre Conan alleine gekommen hätte Ran gedacht, er wolle sie abholen, aber wenn dieser Detektiv auch dabei war, dann steckte da mehr dahinter...

„Was macht ihr beide denn hier?“ fragte sie, Ryochi dabei ins Gesicht blickend – Ran fragte absichtlich den Erwachsenen, was eigentlich natürlich war.

Mit Ran hatten beide nicht gerechnet und staunten einen Moment doch nicht schlecht.

„Ran-nee-chan“, fing Conan mit seiner Kleinkinderstimme an, er freute sich augenscheinlich sie zu sehen, doch alles andere war der Fall. So wirklich Freude verspürte der Junge nicht, sie stellte ihm zu viele Fragen.

Die Freude stank ja schon zum Himmel, sie war skeptisch. Conan machte immer so übertrieben auf Kleinkind, wenn er etwas vor ihr verheimlichen wollte. „Was, Ran-nee-chan? Was ist das für eine Antwort?!“ Sie baute sich vor ihnen auf und machte einen sehr wütenden Eindruck, so dass Conan erst einmal die Augen zukniff, nur Ryochi blieb ganz ruhig. Er schnappte sich Conan und hob ihn hoch. „Ganz einfach, der Kleine wollte seinem Onkelchen bei der Arbeit helfen! Er bekam einen Anruf von einem Mann, der deinem Vater ganze 2 Millionen Yen geboten hat, damit er einen Fall löst. Wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben. 2 Millionen Yen ist nämlich doch etwas viel für einen einfachen Fall, findest du nicht auch, Ran-chan?“ Ryochi sagte es so selbstverständlich, dass man es eigentlich glauben musste.

Verdammt, musste Ryochi denn so ehrlich sein? Er redete viel zu viel, fand Conan. Er wollte schon einlenken, als Ran etwas sagte.

„Und er ist leichtfertig einfach drauf angesprungen?“ Die Schülerin kannte einfach ihren Vater. Für so viel Geld würde er so Einiges machen, außer Verbrechen begehen.

„Du hast es erfasst. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es sich um eine Falle handelt, zumal der Mann seinen Namen einfach nicht sagen wollte. Jeder vernünftige Mensch würde sich nicht auf so einen Handel einlassen, es könnte sich auch gut um einen Verbrecher handeln. Da es sich in dem Fall um die Sängerin Kimi handelt, denkt er wohl, der Mann ist ihr Lover gewesen und will jetzt herausfinden, was mit ihr geschehen ist, aber auch, wenn es so scheint, könnte es sich um einen Verbrecher handeln, der durch Raub oder sogar Raubmord an das Geld gekommen ist und einfach Kimikos Namen missbraucht, um an Kogorô ranzukommen. Wir wollen rausfinden, zu wem die Frau so alles Kontakt hatte. Wir haben rausgefunden, dass hier jemand aus der Band wohnt, für die sie gesungen hat, deswegen sind wir hier, Ran. Wir wollten gerne mit seiner Schwester reden, was sie so weiß. Es könnte ja sein, dass sie uns helfen kann, an Kita ranzukommen. Er schien sie gut zu kennen und weiß sicher, ob jemand so viel Geld für sie hergeben würde.“

Miho schob Ran etwas zur Seite, wank die beiden zur Tür hinein und machte diese dann hinter ihnen zu.

„Meinem Bruder selbst würde ich das zutrauen. Er ist oben und hört sich Lieder an, von wem brauche ich euch nicht sagen, er ist in seiner Trauer versunken. Aber 2 Millionen Yen ist doch etwas viel. Aber wer weiß? Ich dachte bis vor fünf Minuten sogar, dass er sich wegen ihr umbringen würde.“ Sie hoffte, dass dieser Detektiv, den Rans Mitbewohner mitgebracht hatte, ihren Bruder durchschauen und ihm einige Geheimnisse entlocken konnte, die sie selbst nicht kannte.

„Wieso ist das viel für ihn? Er ist doch Musiker, oder nicht? Das schließt für mich aus, dass er sich das nicht leisten kann.“ Ryochi hatte sich nicht nehmen lassen, so etwas zu sagen.

„So berühmt, dass sie mit Geld um sich werfen können, sind sie nicht. Außerdem sind sie zu viert, jeder bekommt also nur einen Teil und ich muss sagen, die Plattenfirma hat mehr davon, als die Künstler selbst. Aber die tun alles für ihre Musik. Na ja, ich kann dazu aber nicht so viel sagen, fragt ihn selbst, was er dazu zu sagen hat.“

Ryo schüttelte den Kopf. Wieso sagte Miho so etwas, sie wusste sehr wohl Bescheid, wieso wollte sie sie so schnell wieder loswerden? Einerseits plauderte sie aus dem Nähkästchen, wollte sie dann aber zu ihrem Bruder schicken... Seltsam...

Auch Conan hatte diesen Umstand bemerkt. Irgendwas war gehörig faul. Dass sie Internes wusste, aber sagte, sie konnte angeblich nicht so viel dazu sagen, war seltsam. Es war eher so, als wollte sie nicht darüber reden. Es konnte alles Mögliche der Grund dafür sein, auch dass sie vielleicht Kimi gar nicht so besonders hatte leiden können, weil sie ihrem Bruder womöglich einen Korb gegeben hatte... Conan ging sogar so weit zu denken, dass sie vielleicht etwas damit zu tun haben könnte...

Selbst die am unschuldigsten wirkenden Leute konnten sich als Mörder herausstellen, man sollte es also durchaus jedem zutrauen.

Schlimmstenfalls würde Kita sie wieder rauswerfen.

„Na dann, zeigst du uns den Weg, Kitami-san?“ fragte Conan süß, so dass sie sich zu ihm hinabbeugte und ihm über den Kopf strich.

„Wenn du mich so lieb darum bittest, klar, warum nicht?“ Sie erhob sich wieder und wandte sich an Ryochi. „Geht aber nicht zu hart mit ihm ins Gericht, ihm geht es wirklich schlecht. Er ist der Ansicht, dass er Kimiko als einziger wirklich kannte, alles andere akzeptiert er nicht.“

Ach herrje, so ein Typ war das, Ryochi fühlte sich an Sêiichî erinnert, er dachte auch immer, dass er Vermouth am besten kannte und auch einschätzen konnte, dabei musste er zugeben, dass er vieles nicht über sie wusste.

Und überhaupt, wieso sagte Miho das nun so? Kannte sie die Frau ganz anders als ihr Bruder? Conan dachte immer mehr in die Richtung, dass sie die Sängern überhaupt nicht hatte leiden können. Mal sehen, was sich noch so ergeben würde...

Die Schülerin führte Ryochi und Conan die Treppe hinauf, Ran war ihr unauffällig nachgelaufen und nahm ihren Arm, um sie zurückzuziehen. „Warum sagst du ihnen nicht, dass du sie nicht mochtest?“ Ran flüsterte nur, aber die Frage bedrückte sie regelrecht, hatte sie etwa etwas, das sie verbergen musste? Damit sie nicht vielleicht unter Mordverdacht kommen würde? „Was ist los mit ihr?“

„Ich will nichts mehr mit dieser Sache zu tun haben – ich habe keine Lust jemanden zu bestrafen, der meinem Bruder einen Gefallen getan hat. Sie hat ihn doch immer nur gequält, auch wenn er das nicht sehen will! Ich habe nicht gedacht, dass es ihm so wehtun würde, wenn ihr etwas zustößt... Ich habe es mir aber immer gewünscht, dass sie wo runterfällt und sich das Genick bricht!“ Beide waren schon im Zimmer verschwunden, sie konnte ihrem Ärger also getrost Luft machen. „Und er war mit Sicherheit nicht der einzige Mann, sie hat sich nicht umsonst mit Männern am besten verstanden.“

Ran mochte die Art nicht, wie ihre Freundin gerade sprach, sie hatte so einen boshaften Ton in der Stimme. Die Oberschülerin mochte es generell nicht, wenn Leute so sprachen. Sharon hatte das auch einmal getan und zwar in dem Moment, als die Sprache auf Gott kam. Es war Hass. Hass machte manchmal unendlich grausam, das wusste sie als Tochter eines Detektiven nur zu gut. Wie oft hatten Menschen skrupellos gehandelt, wenn sie gehasst hatten?

Ryochi klopfte gegen die Tür und wartete darauf, hereingebeten zu werden, doch gab niemand ihnen eine Antwort, er klopfte noch einmal etwas lauter und lauschte aufmerksam.

Nichts geschah.

Miho schob den Detektiv zur Seite - Ran stand hinter ihr in dem Moment, sie hatte das Gefühl, schweigen zu sollen – das gefiel dem Mädchen nicht, es war wie, als würde sie einen Verbrecher decken. Aber trotz allem waren sie befreundet und sie dachte eigentlich nicht, dass Miho dazu fähig war, irgendwem was anzutun...

Rans Klassenkameradin riss die Tür auf und meinte mit lauter Stimme „Du hast Besuch, Nii-san!“ zu ihrem Bruder.

Warum sie so laut war, war sofort allen klar, er lag auf seinem Bett mit Kopfhörern und hatte wohl das Klopfen gar nicht erst mitbekommen. Erst als Miho mit den anderen im Zimmer stand und doch recht laut geworden war – fast geschrieen – nahm er die Kopfhörer weg.

„Habe ich dir nicht gesagt, ich will meine Ruhe haben, kleine Nervensäge? Musst du keine Hausaufgaben machen?“ versuchte er das Mädchen wieder loszuwerden, allerdings sah er dann die anderen Personen und schwang sich vom Bett auf, so dass er auf der Kante saß.

„Was wollen all diese Leute in meinem Zimmer?“

„Mit Ihnen über Kimi reden“, antwortete Ryochi direkt. „Wir haben Grund zur Annahme, dass sie jemand sehr gehasst hat und sie deswegen von dieser Person ermordet wurde.“ Mal sehen, was der Drummer dazu sagen würde.

Er grinste vor sich hin und schüttelte den Kopf. „So ein Unsinn, wer sollte sie schon umbringen wollen? Ich kenne keinen, der so was tun würde.“ Sein Lächeln sagte ihnen, dass er nicht an einen Mord glaubte, also das schloss jawohl schon mal aus, dass er der Anrufer war...

Conan beobachtete ihn, die Antwort war nun doch etwas schnell über die Lippen des Mannes gekommen, der nun auf den Boden schaute.

„Sie ist mit dem Auto zu nah an die Klippen ran, weil sie mit den falschen Personen zusammen war! Denen war wohl nicht so wirklich klar, dass sie keinen Alkohol verträgt und nach drei Gläsern schon zu spinnen anfängt...“ Das sagte ihm nur, dass er der einzige war, der sie wirklich gut kannte, sonst hätte man ihr doch keinen Alkohol gegeben und sie dann auch noch gehen lassen...

„Das ist das, was in den Nachrichten gesagt wird, das stimmt, aber die Ermittlungen sind noch nicht komplett abgeschlossen, was heißt, dass die Presse lügt.“ Ryochis Meinung nach hatte die Presse das auch viel zu früh erfahren, es war, als wenn jemand regelrecht dahin gerannt wäre, was Polizisten selten taten, er vermutete stark, dass die Polizei des zuständigen Ortes da etwas nachgeholfen hatte. Vielleicht war es auch Hiroya gewesen, dem war auch so eine Schweinerei zuzutrauen. Den Polizisten, die ermittelt hatten, würde Ryochi allerdings auch nicht hundertprozentig trauen. Gut, es war die Polizei, aber er fand, sie hatten zu schnell aufgegeben. Er selbst hatte nämlich schon vor Conan etwas gerochen und sich schlau gemacht. Man hatte ihn schnell abgewimmelt, die wollten den Fall bei den Akten haben, wahrscheinlich wurden sie dafür bezahlt. Menschen waren eben so, man konnte sie erpressen – eigentlich ausnahmslos. Er kannte nur sehr wenige, die sich nicht bestechen lassen würden. Schlimmstenfalls war das eingetreten, was Conan vermutete, dass die Organisation die Sache abgewickelt hatte.

„Ach, die Presse lügt? Das ist interessant...“ Er hatte es auch komisch gefunden, dass so schnell jeder sich auf die Story gestürzt hatte. Der Mann wusste aber nicht, was er hier sagen sollte und was nicht. Er durfte zum Beispiel keinesfalls sagen, dass Yui sehr aufbrausend war und gerade einen ziemlichen Hass auf Kimiko hatte. Nicht nur, dass ihr die Sängerin ausgefallen war, sie hatte hinter ihrem Rücken einfach irgendwelche Aufnahmen gemacht, ohne es ihr zu sagen. Und diese Aufnahmen hatte jetzt die Plattenfirma, die damit natürlich jede Menge Geld machen konnte. Es war ja bekannt, dass unbekannte Künstler nach ihrem Tod einfach mal berühmt wurden, aber bei dem Gedanken hätte Kita sich beinahe übergeben müssen.

„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, ich bin überfordert. Was wollt ihr denn jetzt von mir?“ Die dachten wohl wirklich, dass irgendwer Kimiko umgebracht haben könnte. „Na gut, zwei Personen gibt es da wohl, die Hass geschoben haben könnten. Aber tut mir den Gefallen und sagt bloß keinem, wer euch das verraten hat. Die bringen mich um.“

Schweiß trat auf das Gesicht des Mannes mit den Haaren, die bis knapp über seine Schultern reichten. Er wirkte ein klein wenig verstört.

„Wieso sollten diese Leute?“

„Weil beide etwas daneben zu sein scheinen. Der eine ist ein brutaler Typ, der andere so unscheinbar, als könne er kein Wässerchen trüben, hat es aber faustdick hinter den Ohren. Versprecht ihr mir, dass die Sache diskret behandelt wird? Ich kenne Sie, Ryochi Akaja. Ihr Name stand in der Zeitung.“ Er vertraute dem Mann, er wollte ihm hier sicher keinen Ärger machen. Außerdem hatte er überhaupt nichts Verbotenes getan, das ja wohl eher andere.

„Da sind wir jetzt aber gespannt“, meinte Ryochi, der den Mann genau im Auge behielt, wie in einem Verhör eben.

„Der eine heißt Juurouta Ikezawa und ist Sänger in der Band IRON KISS, selbst die Presse hat seine brutale Seite kennen gelernt. Kimiko und er waren mal befreundet. Sehr eng sogar. Als er anfing sich mehr für sie zu interessieren, hat diese Freundschaft einen Knacks bekommen, na ja. Er könnte sie dafür gehasst haben.“ Kita wischte sich mit einer Hand Schweiß aus der Stirn. „Der andere ist Hideto Takarai, den man auch unter dem Künstlernamen Hyde kennt. Er ist Sänger der Band L’Arc~en~Ciel, die sind im Moment ja ganz groß im Rennen. Er tut immer so verdammt unschuldig, aber so unschuldig ist der auch wieder nicht. Er und Juu haben sich wohl so ein halbes Gefecht geliefert, wenn’s um Kimiko ging. Nun ja, beide waren ihre besten Freunde. Vor einer Weile hat sie sich aber auch mit Hideto gestritten und seitdem war bei denen irgendwie was kaputt... So schien es mir.“ Kita hatte jetzt ein Lächeln inne. „Sie wollten nicht einsehen, dass sie nun mal nichts von ihnen wollte, Juu bekam von ihr schon vor etwas längerer Zeit ganz offen einen Korb, das konnte man dem Mann ansehen, er war stinkig und hat sie danach immer voll belästigt. Und was machte unser Takarai? Den Beschützer spielen! Wahrscheinlich dachte er, dass er so bei ihr landen kann – Idiot – dabei liebte sie doch schon mich.“

‚Huh?’ Conans Augen weiteten sich. „Ach, ist das so?“ Wenn dieser Mann sie nicht engagiert hatte, wer denn dann? War es vielleicht eine einseitige Liebe gewesen? So ganz den Durchblick hatte Conan noch nicht.

„Ano? Hat Sie Ihnen gesagt, dass sie Sie liebt?“ fragte Conan mit großen Augen, wie ein kleines Kind eben. „Ich würde so was nämlich nicht merken.“

Ran hustete und wurde leicht rot, als sie sich zu dem Kind hinabbeugte, um ihre Arme um seinen Bauch zu legen und ihn hochzuheben. „Das spürt man als Erwachsener einfach, du bist noch zu klein, um da mitzureden.“ Conans Herz klopfte auf einmal so schrecklich laut, dass er dachte, es würde in seiner Brust platzen. Sie machte ihn mit ihrem Lächeln und diesen so niedlich wirkenden Worten total verlegen. Er bekam keinen Ton mehr raus, so sehr hatte sie ihn in ihren Bann gezogen. Ihm war so warm geworden, kein Wunder, er hatte nun eine gesunde Röte im Gesicht. ‚Ja, Ran, bei dir sieht man es auch immer, dass du mich liebst. Ich wäre jetzt so gerne nicht dieser Knirps, es ist so schrecklich. Ich sehe dir deine Gedanken an... Ich weiß, was du jetzt denkst... Du denkst an deinen Shinichi... Es tut mir so Leid...’

„Ach, Kimi ist leicht zu durchschauen gewesen. Nur leider haben sich einige ihretwegen etwas vorgemacht, weil sie immer zu jedem Mann so nett gewesen ist. Deswegen rätselt die Presse auch immer noch, wer denn nun ihr Freund war, dabei hatte sie keinen.“

„Ach nicht? Sie waren nicht ihr Freund?“ Ryochi musste den Mann danach fragen. Wenn sie ihn doch so heiß und innig geliebt hatte, wie er ihnen mit seinem Lächeln weismachen wollte, wieso waren sie dann kein Paar gewesen?

„Nein, wir wollten uns auf unsere Karriere konzentrieren, da war kein Platz für so etwas. Die Plattenfirma hätte es nicht geduldet, ebensowenig wie die Fans. Sie hatte viele männliche Fans müsst ihr wissen. Wenn sie erfahren hätten, dass sie schon einen hat, den sie liebt, das wäre nicht gut gewesen.“

Conan schaute zu Ryochi, der kurz nachdenklich zu Boden schaute. Stars hatten doch echt einen Schatten, dachte der Ältere, beinahe hätte er geseufzt. Aber was, wenn Kita nur dachte, sie hätte keinen gehabt? „Hat sie Ihnen das genau so gesagt?“

„Nein, nicht direkt, sie sagte nur, dass das nicht geht, da wusste ich, was los ist.“

„Aha.“ Nichts von dem, was Kita zu wissen dachte, glaubte Ryochi so wirklich. Jetzt erst recht nicht. Im Grunde hatte sie doch gar nicht direkt gesagt, was sie denn jetzt für ihn empfand und trotzdem dachte er, dass sie ihn geliebt hatte. Was machte der sich eigentlich so fertig?

„Sag mal, wie redest du von Haido? Hast du sie noch alle?“

Ran erschrak, als Miho das sehr aufbrausend von sich gab und wohl wütend war, deshalb sah sie auch zur Seite zu ihrer Freundin.

„Du bist ein Mädchen, du kannst da kaum mitreden...“ Ein Lachen entkam dem Drummer. „Die zieht er an wie die Fliegen müsst ihr wissen, also bloß nicht auf sie hören.“

„Nein, auf dich sollte man nicht hören, stell Kimi nicht so als Opfer hin, die war die Person, die unschuldig tat und es faustdick hinter den Ohren hatte, nicht Haido. Und er wollte sicher nicht bei ihr landen, und hat sie deswegen vor Juu beschützt, er hat das garantiert nur getan, weil er so was eben nicht zulassen kann, du weißt doch, dass sie eng befreundet waren. Er hat so was wie eine Schwester in ihr gesehen und das weißt du ganz genau, also unterstell ihm nicht solchen Unsinn, wenn er nicht mal hier ist, um sich zu verteidigen.“ Wieso waren eigentlich immer die anderen schuld und Kimi für ihn das Engelchen? Miho konnte diese Meinung nicht ab.

„Und dass sie dich geliebt hat, tut mir Leid, das finde ich mehr als lachhaft. Wenn man wirklich liebt, dann weist man denjenigen nicht ab. Und selbst wenn sie dich liebte, dann nicht genug, um für dich ihre Karriere zu gefährden, du hast nicht mal selbst verstanden, was du da gesagt hast. Wieso trauerst du um eine Frau, der ihre Karriere mehr bedeutet hat?“

Ryochi fand es etwas übertrieben, wie Kitas Schwester reagierte, aber er ließ sie, ihr Verhalten half ihnen herauszufinden, wer etwas gegen Kimiko gehabt hatte. Jedenfalls wussten sie jetzt schon mal, dass sie Männerkontakte ja ziemlich gemocht hatte. Je mehr Ryochi darüber nachdachte, umso mehr dachte er, dass noch ein ganz schönes Stück Arbeit auf sie zukommen würde.

„Waren da sonst noch irgendwelche Männer, die sie traf?“ Natürlich banden sie ihm die Sache mit Kogorô nicht auf die Nase, sie wollten schließlich etwas über den Typen herausbekommen, der für ihren Besuch hier verantwortlich war.

„Ja, alle die bei L’Arc~en~Ciel so mitmischen... Aber lasst bloß Sakura in Ruhe, der zerrupft euch, er konnte Kimiko kein Stück leiden.“

Ahaaaaaa! Conans Gesicht begann zu strahlen, er wollte jetzt aber nicht direkt danach fragen, sondern mal so tun, als wenn er sich für die Band interessierte, er war immerhin ein Kind, die interessierten sich für so Manches.

„Kann es sein, dass die irgendwie den Spitznamen Laruku haben?“

Ran beobachtete ihren Kleinen, der komische Sachen fragte, sie schaute skeptisch und zog eine Augenbraue hoch. „Warum interessiert dich das plötzlich? Als die neulich im Fernsehen waren, hast du noch gemeint, dass du nicht schon wieder dieses Mädchen sehen willst...“ Mädchen hatte er auf den Sänger bezogen, weil er so furchtbar lange Haare hatte.

Conan konnte nicht fassen, dass sie sich an solchen Unsinn auch noch erinnerte und hatte genervte Halbmondaugen. „Ich will auch mal mitreden können“, schmollte er, natürlich war das eine Ausrede. „Und das mit dem Mädchen tut mir Leid, ich wusste nicht, dass das ein Kerl war, der hatte so lange Haare, den kann man echt mit einer Frau verwechseln, nur die Stimme war zu tief...“ Sein erster Gedanke war gewesen: Was ist denn das jetzt für eine Vogelscheuche? Nee, also das war nichts für ihn, er war doch nicht bescheuert. Nur Mädchen schienen wieder auf so was abzufahren. Leute wie Sonoko, ja genau Sonoko. „Sonoko-nee-chan hat schon oft von Laruku geredet, ich frage mich nur, ob die das sind...“

„Ja, sind sie“, antwortete Kita und nahm das Kind gar nicht erst ernst. Es war eben nur ein Kind, das war mit ein Grund dafür, dass er total leichtfertig antwortete.

„Cooooool!“

Allmählich machte er Ran Angst. Er war wie verändert... Von wegen cool. Da war doch was im Busch.

„Hast du Fieber, Conan?“

Er schaute unschuldig an Ran hoch. „Nein, aber Sonoko-nee-chan ist Fan von ihnen, ich will ein Autogramm, da freut sie sich bestimmt wie verrückt.“

Ran glaubte ihm kein Wort, er wollte sie ja wohl veräppeln... Seit wann konnte er denn Sonoko so gut leiden?

„Hyde ist der Kurze mit den langen Locken, oder? Und Sakura ist wer?“ Den hatte er jetzt so wirklich noch nie gesehen, geschweige denn etwas von ihm gehört. Er hörte von Sonoko immer nur: Ken-chan, Ken-chan... Ein Schweißtropfen lief dem Jungen über die Wange – die hatte echt nur Typen im Kopf.

„Sakura? Das ist der Drummer“, antwortete Kita und lachte, „so wie ich, wir hauen eben am liebsten drauf.“ Im wahrsten Sinne des Wortes und das nicht nur in der Band...

„So? Wie steht der so zu dem Sänger?“

Das Kind stellte komische Fragen, irgendwie war das Kita nicht geheuer, er überlegte, ob er überhaupt etwas sagen sollte. Mit Hideto vertrug er sich meistens nicht, sie waren verschiedener Ansichten, aber wer wollte schon Ärger mit Sakura haben? Irgendwie war der ja Furcht einflößend...

Ryochi fand Conans Frage nicht übel, gerade eben, als von Sakura die Rede gewesen war, hatten auch bei ihm die Alarmglocken geklingelt. „Das interessiert mich auch. Kimi mochte er nicht, und Hyde war er vielleicht sehr eng mit ihm befreundet?“

„Na gut, überredet, er ist sein bester Freund. Und er lässt nichts auf ihn kommen, weiß der Geier, warum das so ist. Vielleicht macht er wegen seiner Größe den Eindruck beschützt werden zu müssen – so’n Quatsch...“ Kita schüttelte den Kopf. Sakura hatte von Kimis Tod mindestens genauso viel, wie die Plattenfirma jetzt, das musste er sich eingestehen, aber sie umbringen? Nein, das dachte er nicht, aber andererseits hatte er immer vergeblich versucht, Hyde von Kimi fernzuhalten, der ließ sich eben nicht reinreden.

„Ich denke, die Herrn werden wir auch mal ausquetschen“, meinte Ryochi jetzt, mehr wollte er hier jetzt gar nicht mehr wissen.

„Heute noch?“ Ran fragte es total erstaunt und baff, wieso eigentlich? Ryochi blickte sie an.

„Ähm, ich wäre dafür, wieso fragst du das so?“

„Die treten nachher in einem TV-Sender auf, ich glaube kaum, dass die euch zuhören werden, die haben jetzt Wichtigeres vor.“

Ryochi und Conan entglitten sämtliche Gesichtszüge. Das durfte nicht wahr sein, das würde ja bedeuten, dass auch alle, die da mitwirkten, ausfielen, oder? Die Vermutung, dass doch die Organisation dahintersteckte, kam immer wieder in den Vordergrund. Aber wenn dieser Takarai gar nicht so ein Engelchen war, konnte er doch trotzdem etwas mit Kimis Tod zu tun haben, das war zumindest ein Anhaltspunkt. Jedenfalls gehörte er durch Kitas Worte zu den Verdächtigen, bisher hatten sie ja nur drei Männer mit einem Grund, ihr etwas anzutun.

Aber sich auf nur eine Aussage zu verlassen, war auch dämlich. Sie würden eben weiter ermitteln.

Na ja, das Ausquetschen dieser komischen Vögel hatte auch noch Zeit. Da sowieso keiner von ihnen der Mann mit dem Auftrag war, mussten sie das auch nicht. Conan hatte nun noch mehr Angst um Kogorô als zuvor, am liebsten wollte er das alles selbst in die Hand nehmen und den Fall seinem Onkelchen entziehen, bevor so ein Irrer ihn in eine Falle lockte. Man sah an seinem blassen Gesicht, dass er sich Sorgen machte. Die Panik war besonders für Ryochi sichtbar.

‚Ihm wäre wohl lieber, wenn irgend so ein Typ in Kimi verliebt war und das nicht ertragen konnte, als alles andere... Ich werde ihn im Auge behalten, wer weiß, was da noch kommt?’ Auch er war etwas besorgt. Sie wussten nur, wer es nicht sein konnte, das war alles. Und da sie ohnehin die Organisation dahinter vermuteten, war dies ein erschreckendes Ergebnis ihres Ermittlungsversuchs.

„Kita-san?“ meinte Ran plötzlich mit traurigen Augen. „Ist Haido wirklich so, wie du gesagt hast?“

Conan zuckte zusammen, die Frage kam so traurig und verletzt rüber, was hatte sie denn? Er hörte sie schniefen und wenig später sah er Tränen in ihren Augen.

„Oh ja, man kann ihn mit einem Teufel in Engelskostüm vergleichen. Der ZWERG geht mir manchmal mächtig auf den Sack!“ Es war fast ein Ausraster, er zeigte in dem Moment doch ziemlich seinen Neid, es war ganz eindeutig welcher, das ließ Kita die Beherrschung verlieren.

Ran riss die Augen auf. „Was, ein Teufel? Das klingt ja, als wenn er ein Mörder wäre...“ Und so etwas mochte dann wieder Sonoko, dabei hatte sie ihr immer gesagt, dass sie nicht so oberflächlich sein sollte, aber irgendwie konnte das Mädchen nicht hören.

‚Ach herrje, Ran, hör doch auf an so was zu denken.’ Conan seufzte, aber auch er hatte diese Gedanken, er machte sich hier die größten Sorgen um seinen vielleicht baldigen Schwiegervater. ‚Ich weiß, dass Mörder für dich schwer zu verstehen sind und du es am liebsten hättest, wenn es gar keine Morde mehr gäbe...’ Es tat ihm irgendwo weh, sie so zu sehen.

„Ach, dann bist du eine der Wenigen, die nicht drauf reinfallen“, meinte Kita erwähnen zu müssen, was seine Schwester nur zum seufzen brachte, und dass sie Ran beobachtete, die fest Conan umarmt hatte und dabei vor sich hinstarrte, als hätte sie etwas sehr getroffen.

Dass sie Sonokos Vorlieben nicht wirklich teilte, lag wohl an diesem Lied, das Sonoko so toll gefunden hatte. Ran war es eiskalt den Rücken runtergelaufen, sie hatte richtige Angst bekommen, als sie gehört hatte, was der Typ da eigentlich sang. Sie hatte sich gefragt, wie ein Mensch sich bitte Tote wünschen konnte. So etwas war doch total grausam.

„Auf was soll ich da bitte reinfallen?“ Sie klang leise. „Da gibt’s nichts reinzufallen.“ Ran war auf einmal total monoton, wischte sich die Tränen weg und stand mit Conan, der so in ihrem einen Arm hing, auf, da sie sich hingekniet hatte.

Ryochi konnte sich gut vorstellen, was in Ran vorging, er kannte sie zwar kaum, aber der Detektiv dachte zu wissen, was ihr die Laune verdorben hatte – Mordthemen. Mit einem Lächeln ging er zu ihr und Conan hin. „Wir sollten gehen, hier haben wir nichts mehr zu tun, mhm?“

Sie nickte froh und drehte sich zu Miho herum, um sie anzulächeln.

„Ran, bitte glaub ihm nicht, das ist der pure Neid.“

„Ich kenne ihn nicht, also glaube ich gar nichts.“ Sie gab ein Seufzen von sich und drückte ihre Freundin an sich. „Streite dich bloß um Himmels Willen nicht mit deinem Bruder wegen so etwas.“

Währenddessen verabschiedete sich Ryochi von diesem Musikfreak – also irgendwie war er froh, wenn er hier draußen war.

„Falls Sie Probleme haben, können Sie jederzeit in unserer Detektei anrufen“, meinte der Braunhaarige und reichte ihm sowohl seine als auch Shinas Visitenkarte. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.“ Es klang geschwollen daher, das wusste er selbst, aber es war nur seine Art von Freundlichkeit.

„Danke“, sagte der Drummer und meinte dann noch: „Wünsche euch auch einen schönen Tag. Meldet euch, falls ihr neues über den Fall wisst. Das Mädchen“, Ran meinte er damit, „weiß ja, wie sie uns erreichen kann, stimmt’s?“

„Hai“, antwortete die Oberschülerin apathisch und verließ dann mit einem „Auf Wiedersehen“ das Zimmer, noch immer hatte sie Conan auf dem Arm. Sie lief so schwerfällig, dass er sich Sorgen um sie machte. Er warf ihr sorgevolle Blicke zu. „Ist dir nicht gut, Ran?“

„Doch, mir geht’s gut.“ Ihre Stimme klang so leer, als wäre ihre Seele an einem anderen Ort und ihre Augen hatten auch einiges an Glanz eingebüßt. Von wegen ihr ging es gut, es ging ihr alles andere als gut.

„Ich habe das Bedürfnis Shinichi anzurufen...“

Das auch noch, Conan war für heute echt bedient, und da sollte er die arme Ran alleine zu Hause lassen, wenn er mit Kogorô losging? Aber sie mitnehmen, war das nicht zu gefährlich? Er dachte darüber nach. Sie würde bestimmt nicht schon um zehn Uhr ins Bett wollen, das tat sie in letzter Zeit nie. Er musste mit Kogorô darüber reden. Was, wenn ihnen etwas passierte? Was wurde dann aus Ran? Er wollte an all diese Dinge nicht denken. Ob er wohl mit Tatsuji und Jodie telefonieren sollte?

Jodie wäre vielleicht perfekt, um etwas auf Ran Acht zu geben, man wusste ja nicht, was mit ihnen passieren würde. Und am allerliebsten war ihm eine Waffe. Kogorô sollte vielleicht eine mitnehmen, er würde ihm das alles schön brav klarmachen...

„Nee, Conan-kun“, kam von dem Mädchen halb lächelnd, es wirkte so traurig dieses Lächeln, sie gingen gerade die Treppe hinab. „Was hältst du von dem Fall? Ist es so, wie ich denke? Hat er sie aus Liebe getötet? Was denkst du, hat er es getan?“

Ryochi war eigentlich etwas erstaunt darüber, wie sich Ran verhielt, sie machte auf ihn auch irgendwie einen geschwächten Eindruck.

„Warum macht die Liebe so was mit Menschen? Ich habe jetzt schon so oft erlebt, dass sie Menschen in den Wahnsinn trieb... Da muss man ja Angst haben, zu lieben.“

Sie stellte diese Fragen einem kleinen Kind, das musste ihr doch bewusst sein, oder? Ryochi hatte ein ganz komisches Gefühl. Der Junge sollte jetzt bloß nicht zu erwachsen antworten...

„Aber, Ran-nee-chan, woher soll ich das denn wissen?“ Der Junge fühlte sich, als wenn sie Shinichi hätte ansprechen wollen, nicht ihn selbst, das war ihm irgendwie nicht geheuer, als dann ihr Griff um ihn noch fester wurde, war es ihm klar. Er war Ersatz für Shinichi, den sie nicht erreichte, nicht wahr? Gott, er musste sie unbedingt anrufen und das so bald wie möglich. Wieso fiel ihm so etwas immer erst so spät auf? Hatte sie mittlerweile eine derartig gute Fassade aufgesetzt, die ihm so was entgehen ließ?

„Entschuldige, Conan...“ Sie fühlte sich so einsam und verlassen, wollte doch nur Shinichis Stimme hören und mit ihm über etwas reden, was sie so beschäftigte. Dass hier jeder Mensch einfach so zum Mörder werden konnte, das begriff sie nicht, sie konnte sich nicht vorstellen, jemals zu so etwas fähig zu sein. Sie würde sich vor lauter Verzweiflung dann sicher selbst etwas antun.

„Natsumi ist übrigens eine tolle Fotografin, findest du nicht auch? Sie hat immer so schöne Bilder von Pflanzen gemacht“, schwärmte Ran wie aus heiterem Himmel, so dass Conan für einen Moment zuckte.

„Wa-Wer ist Natsumi?“ Natürlich wusste er es, aber im Augenblick war er ein kleiner Junge, der hier schließlich nicht jeden kannte.

„Ach, du hast sie ja noch nicht kennen gelernt.“

Ryochi fand, dass Ran sich benahm, als wolle sie Shinichi gerade reinlegen, indem sie Dinge sagte, die Conan nicht wissen konnte.

„Sie ist einfach toll, fand auch Shinichi“, sie blickte zur Seite direkt in Conans Gesicht.

NEIN, er würde ihr nicht widersprechen, er war doch nicht total bescheuert.

„Meinst du, dass er sie liebt?“ Es kam bekümmert von Conan. „Oder wieso erwähnst du das so?“ Er sah sie mitleidig an, immerhin hatte sie sich Conan schon vor Ewigkeiten anvertraut.

„Vielleicht ist er mit ihr abgehauen...“

Ein riesengroßer Tropfen lief über Conans Stirn. „So etwas würde Shinichi-nii-san dir niemals antun, er liebt dich, davon bin ich fest überzeugt...“

Der Detektiv hinter den beiden konnte sehen, wie Conan seinen Kopf an Rans Schulter anlehnte und sich nun ebenfalls an sie klammerte – etwas ängstlich, als hätte er Angst, Ran würde nicht mehr auf ihn warten wollen.

„Danke, dass du mich aufmunterst, Kleiner, dabei weißt du doch gar nicht, wie vergänglich die Liebe sein kann.“

Ryochi gesellte sich neben die beiden, er wollte nicht, dass Ran ihn weiter so quälte, mit all diesen Sachen. Ob sie es nun wusste, dass sie es tat, oder es unbeabsichtigt tat, war ihm unklar, aber er wollte sich einmischen.

„Na, Yukiko wird ihm was erzählen wenn.“

„Ach ja, wird sie? Warum?“ wollte Conan wissen, das war ihm mal was ganz Neues.

„Weil sie Shinichi mit Ran-chan verkuppeln will, ganz einfach.“ Ryochi lachte etwas, auch um die Stimmung zu lockern. Ran hatte sogar ein ganz kleines Lächeln im Gesicht.

„Ach, sie kann ihn schlecht zu so was zwingen.“

Miho rannte den Dreien nach und öffnete ihnen die Tür, auch wenn sie das nicht hätte sein müssen.

„Also dann, Ran-chan, mach’s gut, wir sehen uns in der Schule.“

Das Mädchen nickte und wenig später waren sie auch mit einem „Mata ne“ die Straße hinab verschwunden.

„Du, Ran, wir sind mit dem Auto da, du kannst gerne mitfahren.“ Ryochi war noch immer freundlich zu ihr, geradezu übermäßig, wie Conan fand. Wenn der Erwachsene nicht schon ein Frau gehabt hätte, die er liebte, wäre der Junge doch sehr eifersüchtig geworden.

„Wusstet ihr, dass meine Cousine Natsumi seit heute ein Praktikum bei der Presse macht?“ wollte Ran von beiden wissen, weshalb Ryochi die Augenbrauen zusammen zog.

„Meintest du nicht, dass sie Künstlerin ist? Was macht sie dann bei der Presse?“

Es stimmte, die Sache war irgendwie komisch, aber man hatte es ihr erzählt.

„Sonoko findet das total toll, wundert euch das? Sie darf alles mögliche fotografieren. Ich denke, sie wird sich noch mehr an Natsumi hängen.“

Das war wohl der springende Punkt, aber Conan würde sicher nicht sagen, dass Ran ohnehin nicht zu Sonoko passte, so gemein war er nicht, es ging seiner Freundin schlecht genug.

„Das hat meine Frage jetzt irgendwie nicht beantwortet“, erwiderte Ryochi lächelnd, bei diesem Lächeln hatten die Frauen die Neigung dazu, sofort zu antworten, meistens ebenfalls lächelnd.

„Sonoko hat es mir erzählt, ich weiß nicht, wieso Natsumi das jetzt macht. Vielleicht will sie mal etwas anderes ausprobieren, jedenfalls wird Natsumi wohl nachher ein paar Stars fotografieren. Ich wollte das mal erwähnen, wo ihr welche befragen wollt. Laruku sind da auch anwesend. Vielleicht interessiert euch das.“

Ryochi steckte die Hände in die Hosentaschen, er dachte ganz beiläufig über den Fall nach. Die Presse, es war vielleicht gar nicht so schlecht, Natsumi einzuspannen – war es nicht das, was Ran ihnen vorschlagen wollte? Sie sagte es doch so, als wenn sie ihnen behilflich sein wollte. Er fand es gut, dass sie so mitdachte.

Die Presse hatte viel zu schnell Wind von Kimis Tod bekommen, die mussten eigentlich mit drin hängen, wenn Natsumi also so einen Kontakt hatte, sollte man den vielleicht etwas ausnutzen, aber am besten so, ohne dass Natsumi selbst es mitbekam. „Mhm, vielleicht. Wenn sie da Praktikum macht, vielleicht kriegt sie was mit? Also etwas, was uns in dem Fall weiterhelfen kann. Zum Beispiel weiß sie etwas, wer die Presse informiert hat, oder so. Warten wir doch heute Abend ab... Wir können sie dann ja mal ganz unscheinbar ausfragen. Am besten machst du das, Ran. Wenn wir sie fragen, fällt das auf. Du bist ihre Cousine, interessier’ dich doch einfach etwas für Kimi, das wird schon gehen.“

Ran schwieg erst einmal und ließ Conan runter. Er hatte sich zwar nicht beschwert, aber ein kleines Kind, das man so auf dem Arm rumtrug, war er auch nicht mehr, außerdem war der Junge auch nicht gerade leicht, wenn man ihn die ganze Zeit so mit sich herum trug.

„Das muss ich nicht heucheln.“

Verwirrt blickten Ryochi und Conan sich an. „Willst du sagen, dass dich Kimi interessiert hat?“ Sie fragten es, als seien sie ein und dieselbe Person, nur hallte es regelrecht, da es nun einmal zwei unterschiedliche Stimmen waren.

„Tut sie immer noch.“

„Seit wann interessiert dich denn so was?“ hakte Conan nach.

Ran senkte den Blick tief. Während Sonoko immer nur auf die Männer – in dem Fall Kita – achtete, fielen Ran auch Frauen auf. Ob nun Schauspielerinnen oder Sängerinnen war eigentlich egal.

„Ich fand ihre Stimme schön. Sie war eine wirklich gute Sängerin, ich hätte sie gerne mal getroffen...“

Ryochi musste sich auch bemühen, nicht deprimiert zu werden. Ran hatte einfach Pech mit so etwas, das musste auch Conan klar sein. Wenigstens hatte sie ihre Lieblingsschauspielerin vor deren Tod ein einziges Mal treffen können.

Wie oft waren Rans Lieblinge in irgendwelche schlimmen Dinge verwickelt gewesen? Conan fühlte sich total schlecht. Ihm wäre wohler gewesen, wenn er nicht Kimi so komisch eingeschätzt hätte, dass sie irgendetwas mit der Organisation am Hut gehabt hätte. Ob es wirklich so war? Es war alles noch zu verworren, um sich wirklich ein Urteil zu fällen.

„So sanft wie sie sang, war sie sicher ein total guter Mensch. Warum erwischt es eigentlich immer solche Leute viel zu früh?“

Conans Körper zitterte. Wenn sie gewusst hätte, dass auch Rena Mizunashi ein Mitglied in einer Verbrecherbande war, hätte sie dann auch so leichtfertig von guten Menschen geredet? Er fand es selbst noch total schockierend, aber irgendwie konnte da jeder drinstecken, wieso also nicht auch irgendwelche Musiker? Mittlerweile war er so weit, dass er jeden verdächtigen würde, auch Rechtsleute. Es gab ja Richter, die bestechlich waren, also konnten auch solche in die Organisation verwickelt sein – beängstigend.

„Deswegen möchtest du uns helfen, oder, Ran?“ fragte Ryochi, es hätte aber genauso gut von Shinichi stammen können, doch war er im Moment nicht da.

Ran blieb stehen, die Tränen standen in ihren Augen. Im Moment hörte sie nicht Ryochi, sie hörte Shinichi.

„Ran-chan?“ Der Detektiv hatte das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben und bereute es gleich wieder.

„Ich will, dass der Täter geschnappt wird, er soll nicht so davon kommen, wisst ihr? Er soll wenigstens für seine Tat geradestehen. Jemanden umzubringen ist schlichtweg feige, und es aus gekränkter Eitelkeit zu tun, das ist absolut inakzeptabel.“ Nur weil man abgewiesen wurde, jemanden töten, dann nahm man sich doch etwas zu wichtig, fand sie. Dazu hatte man nicht das Recht. Über jemanden zu richten, der seinen eigenen Willen besaß – und den hatte Kimi ja gehabt, das hatte man oft bemerkt. Nur wegen ihres Wunsches nach Freiheit – selbst entscheiden können, was man tat – hatte man sie vielleicht umgebracht...

Conan seufzte, er konnte es nicht ertragen, er würde alles dafür tun, dass derjenige büßte, das schwor er tief in sich, schon alleine für Ran, die jetzt wieder nur leiden musste. Sie durfte sich nicht alles so zu Herzen nehmen, aber er selbst kannte sich da ja aus. Sein Fußballidol Ray Curtis hatte schließlich jemanden aus Rache getötet – er konnte so gut nachempfinden, wie es ihr ging.

Und ihre Freundin Miho teilte die Meinung nicht mit ihr, sie musste sich unendlich schlecht fühlen. Vielleicht deckte Miho auch Kimis Mörder – sollte es diesen wirklich geben – sie mochte ja schon mal einen von den Leuten, die sie im Verdacht hatten. Deswegen dachte er auch erst mal in diese Richtung. Erst wenn sich alles als Fehlverdacht entpuppen würde – wenn alles genau feststand und alles andere einfach nicht möglich sein konnte, konnten sie sicher sein, richtig zu liegen, doch bei der Beweislage war es nicht einmal so einfach. Solange würde er die Verdächtigen sammeln wie Puzzleteile. Miho wollte, dass der Mörder davon kam, so viel stand für den Jungen fest.

„Ich habe mir auch so Gedanken gemacht, Ran. Miho hat vielleicht Recht, du solltest Kita nicht alles glauben und auch nicht zu viel darüber nachdenken. Nur weil Kita eifersüchtig war – und ich will drauf wetten, dass er es war – musst du nicht denken, wie er. Nachdem, was ich gehört habe, na ja... Ich habe selbst eine Schwester. Sollte Miho die Wahrheit sagen und Kimi war für diesen Hideto Takarai, wie eine Schwester, dann glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass er es war. Wir müssen das noch mal ganz genau von allen Seiten beleuchten, bevor wir uns vorschnell ein Urteil bilden.“ Er sagte nur, was Shinichi wohl auch dachte... Hoffentlich jedenfalls. Vor lauter Organisationsgedanken könnte er auch anderer Meinung sein.

„Willst du sagen, Ran spinnt?“ schleuderte Conan dem Älteren entgegen. „Selbst sie mag ihn nicht sonderlich.“

„Na ja, solange es keinen Beweis gibt, der den Täter überführt, sind sie alle unschuldig.“

Die Drei hatten jetzt das Auto erreicht und stiegen in dieses ein, während Ryochi mit ihnen redete.

Na, Shinichi würde ihm ja wohl beipflichten, oder war er mittlerweile so verhasst auf die Organisation, dass er in allem etwas Schlechtes sah, was damit zu tun hatte?

„Das habe ich niemals behauptet“, sagte Ran in den kleinen Raum des Autos hinein. „Ich habe mich nur gefragt, wie man so drauf sein kann, wie er es ist...“

„Wie ist er denn drauf?“ Ryochi schaute in den Rückspiegel, um Ran zu beobachten.

„Na, er wird wohl das denken, was er singt... Er hat dieses Lied schließlich verfasst. Ein Mensch, der auf so was kommt, hat entweder eine sehr ausgeprägte Fantasie, oder ist wirklich so grausam.“

Ryochi öffnete das Fach, wo ein paar CDs drin lagen und holte eine bestimmte heraus, die ihm der liebe Sêiichî angedreht hatte. Grausame Lieder also... Er hätte sich ja denken können, wieso sich Sêiichî so etwas reinzog, es gab Momente, indenen auch sein bester Freund verdammt grausam sein konnte...

„Ein Freund von mir hört die, ich sollte sie mir anhören... Ist das Lied, das du meinst auf der DC drauf?“ Er reichte ihr die CD-Hülle und sie las auf der Rückseite alle Titel ab, leider konnte sie nicht so gut Englisch, dass sie es gleich fand und wanderte mit ihrem Blick auf und ab.

Aber es waren zwei Worte, wie sie sie einfach nicht vergessen konnte. ALL DEAD

„Das zweite Lied...“ Sie gab dem jungen Mann die CD wieder und hatte es dabei ziemlich eilig, sie wollte sie gar nicht erst lange in den Händen halten.

Conan saß direkt neben ihr und beobachtete ihr Gesicht, sie seufzte.

„Na, der Titel ist ja schon richtig nett.“ Ryochi hatte es sich nicht verkneifen können. Er schob die CD in seine Audioanlage des Autos, drückte auf Play und einmal auf die Vorwärts-Taste.

Komischerweise war es eins der Lieder, die man sich mal anhören konnte...

Conan sperrte die Lauscher auf, es interessierte ihn doch jetzt wirklich, was der Kerl sang, dass Ran so Abneigungen hatte.
 

It's time to fall

It's time to say goodbye

I wish you're gone

I wish you're all dead

Undying love


 

Hach, es fing ja schon mal total nett und freundlich an, fand Ryochi und irgendwie, e rkonnte sich echt nicht helfen, aber es klang so, als sei es an bestimmte Leute gerichtet... Nun beobachtete er nicht nur Ran, sondern auch Conan, der einen rätselnden Blick aufgesetzt hatte. Wahrscheinlich dachte er gerade genau dasselbe...

Was zum Teufel war das? War er nun total grausam, oder was war es? Er mit seinen Problemen fühlte sich auf komische Art und Weise dazu hingezogen.

Ich wünschte, ihr wärt weg... Ich wünschte, ihr wärt alle tot...

Die Kehle des Jungen war auf einmal furchtbar trocken.

Ja, weg, sie sollten weg, damit sie niemandem mehr etwas antun konnten, aber alle tot haben wollte er sie nicht, doch wenn er ehrlich war, konnte er die Menschen, die so dachten, verstehen.

Vielleicht war es Zufall, dass es genau passte... Aber was, wenn nicht?

Ihm war auf einmal tierisch kalt, er schwitzte, was man am eiskalten Schweiß in seinem Gesicht zu sehen war. Ja, eiskalt war ihm.

Es fiel ihm wirklich schwer, nicht auch über die Organisation zu denken...

„Na ja... Er singt ja nur, dass er es sich wünscht, es ist nicht die Rede davon, dass er’s selbst tun will.“ Der Satz sollte beruhigend auf Ran wirken, aber wie denn bitte, wenn er zitterte wie Espenlaub.

„Ist das so?“ Ran fragte so skeptisch.

Conan sah kurz zur Seite.

Mhm? Achja, es war noch nicht fertig, also nicht zu früh freuen. Er fürchtete, dass da noch mehr kommen würde…
 

I want to give him

The same scars, the same pain

I want to give him

A nightmare from which he can't escape

Maddening fear again and again

Unchanging love


 

Conan schüttelte sich, irgendwas in ihm zog sich heftigst zusammen. Ein Albtraum, dem man nicht mehr entkommen konnte. Ja, das war es. Ein Albtraum, sonst nichts. Er wollte aufwachen und wieder Shinichi sein. Wenn das nur so einfach gewesen wäre.

Gin... Conan presste die Lippen zusammen.

Vermouth...

Alles ein einziger schlechter Traum. Und diesem Gin wünschte er wirklich nichts Gutes. Er war ein Massenmörder, er tötete alles und jeden, wenn man es ihm auftrug.

Und sie, sie dachte, sie sei im Recht.

Das Lied hatte so etwas von ihr. Sie dachte, sie durfte morden, so war es doch?

Und unerträgliche Angst, immer wieder und wieder... Oh ja, davon konnte Conan geradezu ein Lied singen. Auch heute hatte er diese unerträgliche Angst davor, dass jemanden, den er mochte, etwas zustieß.

Entweder konnte der Sänger schlichtweg Volltreffer landen oder er kannte die Schwarze Organisation.
 

You stole my freedom

This pain never lessens

Tell me, how long will it last?

Tell me you're haunted

By this murderous intent that never lessens


 

Ihr habt meine Freiheit gestohlen und der Schmerz wird nicht schwächer. Sag mir, wie lange wird er andauern...?

Erzählst mir, du wirst verfolgt, von der mörderischen Absicht, die niemals schwächer wird…

Okay, spätestens jetzt hatte Conan keinen Peil mehr, was gemeint war. Vielleicht waren es doch nur Zufälle. Das wäre ihm wirklich lieber, aber es klang alles so...

Und irgendwie musste er auch an die arme Sherry denken, deren Schmerz niemals enden würde, immerhin hatte sie ihre Schwester an die Organisation verloren und war ihre Kindheit über dort gefangen gewesen. Sie hatte niemanden gehabt, der sie hätte retten können, nicht mal wirkliche Freunde, sie hatte früh in einem fremden Land studieren müssen.
 

Ryochi schaltete die CD ab und seufzte, beide saßen doch recht mitgenommen dahinten. Und er, na ja, er musste einfach immer wieder an Sêiichî denken. Wenn sein Freund von Polizist derweil keine Rachegedanken hegte, fraß er einen Besen...

Ja, sein Freund musste auch furchtbar leiden, das war ihm bewusst. Im Moment tat er das gerade besonders schlimm. Trotzdem verschwieg der Detektiv, wie gut er solche Rachegedanken nachvollziehen konnte – denn Sêiichî hatte sie sicher. Solche Musik würde es ihm aber auch nicht erleichtern, das zeigte nur, dass er nicht alleine war mit seinen Problemen. Jeder Mensch konnte solche Probleme kriegen, die damit zu tun hatten. Einmal an die falsche Person geraten, hatte man den Salat. Vielleicht war genau das der Grund für Kimikos Tod...

„Deine Freundin Miho, Ran“, kam Ryochi auf das Thema zurück. „Wie sehr liebt sie ihren Bruder? Mehr, als alles auf dieser Welt?“

Conan zog scharf Luft in die Nase. Mussten diese Fragen denn sein? Wahrscheinlich schon. Er würde bei Fremden genauso drauf los fragen, was ihm eben half, sein Ziel zu erreichen. Und er wusste auch, was die Frage des Mannes bedeutete. Genau so hatte er auch über Miho gedacht.

„Ja, genau das denke ich“, erwiderte Ran, auch wenn man es ihr wohl nicht zutraute, wusste sie, was Ryochi dachte. „Ryo-kun, denkst du, sie hat Kimi ermordet, oder was ganz anderes?“

„Ich denke, sie denkt dasselbe wie wir und hat versucht uns das auszureden, damit derjenige so davon kommt...“

Nicht zu glauben, nicht nur der Detektiv hatte diesen Gedanken schließlich gehegt, sondern auch die Schülerin. Ihr war ganz schlecht. Wie konnte Miho so was denn unterstützen wollen? Das konnte doch nicht sein. „Sie ist – so ein liebes Mädchen – das war sie immer.“ Ihr Tonfall war ungläubig, aber auch unheimlich ängstlich, dass ihre Freundin wohl tatsächlich einen mutmaßlichen Mörder unterstützen wollte, sie wollte es einfach nicht wahrhaben.

„So lieb finde ich die nicht mal... Ich finde eher, dass sich dieses ach so liebe Mädchen innerlich total freut, dass Kimi tot ist. Das sollten wir auf keinen Fall außer Acht lassen.“

Ryochi Akaja hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Conan legte die Finger unter das Kinn und tat nachdenklich, was Ran mit äußerster Sorgfalt beobachtete.

„Tja, das würde erklären, wieso sie ihren Bruder wegen IHM so angeschnauzt hat. Sieht wirklich so aus, als wenn er es gewesen wäre... Tut mir Leid, Ryochi. So gutmütig wie du es tust, kann ich nicht denken.“ Er sah geradeaus, Richtung Autoscheibe, direkt an Ryochi vorbei. „Wie sagte sie noch so schön: ‚Ich will nichts mehr mit dieser Sache zu tun haben – ich habe keine Lust jemanden zu bestrafen, der meinem Bruder einen Gefallen getan hat.’ Das ist Hass.“

Conan klang wieder so unwahrscheinlich erwachsen, Ran sah das aber schon seit langem nicht mehr als seltsam an. Es war normal für sie geworden, dass er intelligente Dinge sagte.

Shinichi selbst wollte am liebsten, dass es ein Unfall gewesen war, in diesem Fall. Seine ganz schlimmen Gedanken waren ja bei weitem Furcht einflößender – da war so ein Mord aus Liebe nichts dagegen – außerdem passierte so etwas ja andauernd, er war es gewohnt. Er dachte nicht nur an einen einfachen Mord, er dachte auch an Organisationsmitglieder, die Gedanken wurde er nicht mehr los.

Ryochi hatte Conan im Auge - schloss diese dann jedoch. „Drei Typen und eine Frau... Das sind eigentlich ja 2 zuviel. Die würden sich gegenseitig in die Quere kommen. Da waren bestimmt noch viel mehr. Nicht zu vergessen Kitas Worte. Was hat er noch gesagt: ‚Die männlichen Fans sind ganz besonders auf sie abgefahren.’ Wir sollten nicht ausschließen, dass es sich um Rache eines Fans handelt. So eine Liebe kann weitaus weiter gehen, als die einfache Liebe. Denkt doch nur mal an diese vielen Stalker. Ich frage mich, ob es da vielleicht irgendwelche Kerle gab, die nicht an sie rankommen konnten.“ Seine Worte waren die eines Profis in Sachen Ermittlung. Erst wenn man alles ausschließen konnte und nur noch eine Möglichkeit übrig blieb, dann hatte man die Lösung vor Augen – unweigerlich. Voerst musste man aber erst einmal alles in Betracht ziehen.

‚Ja, da ist was dran, und so wie ich es sehe, werden wir um einen Besuch im Leichenhaus nicht vorbeikommen, großartig... Da nehme ich Ran ganz sicher nicht mit...’ Er wollte schließlich wissen, was die Mediziner sagten...

Jedoch war es gefährlich, nicht nur für Kogorô, sondern auch für den Jungen selbst. Wenn die Organisation dahintersteckte, war das ein ziemliches Problem, er durfte mit niemandem darüber reden, nicht mal mit den Medizinern, was er wirklich dachte. Am besten tat er, wenn er hinter das Geheimnis des Mordes gekommen war, einfach so, als würde er an einen Unfall glauben...

Er plante schon mal alles schön, es würde – nur für den Fall, dass man sie doch beobachtete – ganz doof rüberkommen, wenn der geldgeile Kogorô den Fall plötzlich doch nicht übernahm, also würden sie ranmüssen. Es würde aussehen, als wüsste er etwas und hätte es mit der Angst zu tun bekommen.

Dann war da noch der Anrufer, den Conan verdächtigte Mitglied in der Organisation zu sein. Wenn dieser Mann checkte, was gespielt wurde, war aber Schluss mit lustig. So blenzlig es auch zu sein schien, Conan hatte nur ein Ziel vor Augen. Die Geheimnisse der mysteriösen Organisation komplett aufdecken, um gegen sie vorgehen zu können.

Ran saß mittlerweile unruhig da, sie hatte ihr Handy in der Hand und klappte es auf, nur um wenig später ein paar Nummern einzutippen.

Der junge Detektiv blickte zur Seite und sah dieses Entschlossene in Rans Blick, dieses Schweigen von ihr erschreckte ihn.

„Ran-neechan, was tust du?“

„Du musst deine Cousine nicht anrufen“, sprach Ryochi dazwischen, weshalb die Schülerin ihn etwas verwirrt ansah, immerhin erriet er ihre Pläne, was wohl daran lag, dass er Detektiv war und seine Mitmenschen gut einschätzen konnte. „Ich würde sie erst fragen, wenn Natsumi nicht mehr arbeiten muss.“

Conan zog kurz die Augenbrauen zusammen. Ryochi hatte einen Verdacht, das war ihm so klar... Er hatte gerade Ran von Dummheiten abgehalten. Er dachte, dass die Presse dann etwas spitzbekam.
 

Im Auto noch gab sich ein junger Mann die volle Marilyn Manson-Dröhnung, er brauchte das jetzt... Die Musik war schuld daran, dass er das Handyklingeln nicht gleich vernahm, es vibrierte stark in seiner Hose, nur dadurch bemerkte er es schließlich und holte es während er das Lenkrad hielt und auf die Straße blickte heraus. An der Nummer sah er, von wo der Anruf kam, eigentlich konnte es nur eine Person sein. Er würde ihn nicht anrufen, jetzt nicht mehr...

„Hai, Haido desu“, meinte er in sein Handy, wobei es schon so was wie Standart war, dass er diesen Namen sagte, wenn er überhaupt so etwas tat. Die Anruferin war ein Mädchen im Alter von etwa 18 Jahren, sie hatte Freunde, die wiederum würden ihr auch irgendwelche Telefonnummer klauen, nur um ihn dann anzurufen. Wenn er da seinen richtigen Namen gesagt hätte, wäre der nie so was wie ein Geheimnis gewesen. Wenn er die Leute anrief, war das etwas total anderes. Juu zum Beispiel pflegte er mit „Hier ist Takarai“ zu begrüßen. So nach dem Motto: Ich kann dich nicht mehr leiden, deswegen wage es bloß nicht, mich beim Vornamen zu nennen...

„Du hast ein Problem“, sagte das Mädchen ins Telefon, sie war hektisch, er wettete darauf, dass sie im nächsten Moment erzählen würde, was sie diesmal für ein Problem hatte.

„Was hast du denn?“

„Wie ich? DU hast eines!“

Erst jetzt bemerkte der junge Mann, dass er der Schwester eines Bekannten nicht richtig zugehört hatte – seine Gedanken waren woanders, an einem anderen weit entfernten Ort.

„Ich habe ein Problem? Welches denn?“ Was sollte schon sein? Dass er Probleme hatte, wusste er selber.

„Kita wurde vor einiger Zeit von einem Detektiv ausgefragt, er arbeitet für die Polizei.“

Das war ja mal interessant, endlich mal kein langweiliges Thema zum Einschlafen. Das konnten sie bringen, wenn er dabei war ins Bett zu verschwinden.

„Und wieso habe ich dann ein Problem, wenn man deinen Bruder ausfragt...?“ Das verstand er nicht, aber auch wollte er nicht den Anschein machen, dass er sich freute und sprach vollkommen monoton.

„Nimm dich in Acht, dank meines Bruders wird dich die Polizei wohl in die Zange nehmen...“

Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, was war dieser Typ doch nett. Das kam davon, wenn man sich mit einer Frau gut verstand, die beliebt bei anderen Männern war. Da hatte man gelitten.

„Keine Sorge, da stehe ich drüber.“

„Keine Sorge? Dieser Detektiv... Er...“ Miho brach ab, er konnte sie nicht sehen, aber wusste genau, wie sie gerade schaute – traurig – sie hatte nie ertragen, wenn ihr Bruder sich so benahm, wie er es nun einmal ihm gegenüber tat. Meistens eher irgnorant. „Eine Frage, erwürg mich bitte nicht... Aber...“

Ihr Stottern drückte Angst aus, vor irgendetwas hatte sie diese also, er grübelte, was wohl der Grund war. Sie war nicht wie die meisten Mädchen, die auf ihn abfuhren, also, daran konnte es kaum liegen.

„Bist du noch dran?“

„Ja“, kam zögerlich von der 18-jährigen, bevor sie ihm die Frage stellte, die ihn zutiefst schockierte – beinahe hätte er nämlich angehalten. „Hast du Kimi etwas angetan? Das ist es, was der Detektiv, der hier war, denkt.“

Schweigen herrschte, genau fünf Sekunden lang war Totenstille in beiden Telefonen, bevor er sehr aufbrausend ins Telefon sprach. „Bist du noch ganz dicht?!“ Sie konnte ihn doch nicht so etwas fragen – dass sie ihm das überhaupt zutraute...

„Sei nicht sauer.“

Sei nicht sauer, meinte sie, leicht daher gesagt. Natürlich war der 26-jährige wütend, wer war das nicht, wenn man ihn für einen Mörder hielt. Wenn er so darüber nachdachte... Kita hatte dafür gesorgt, dass man so etwas von ihm dachte. Das würde aber ja heißen, dass er selbst Kita verdächtigte und dieser widerum ihn. Irgendwie ja lustig und es schränkte den Kreis von Verdächtigen etwas ein.

„Sie hat jemand anderen geliebt, vielleicht warst du verletzt deswegen...“

Es kam schon der nächste Hammer, er konnte nicht mehr auf die Straße sehen, zum Glück war nicht viel los, er starrte auf das Lenkrad. „Selbst wenn es so gewesen wäre, ich hätte ihr nie etwas angetan... Sie war meine Freundin, seinen Freunden tut man nichts an. Meiner Kleinen hätte ich nie auch nur ansatzweise wehgetan.“ Es war die Wahrheit, er hatte schon Skrupel davor gehabt, dass sie mal wegen ihm weinte, da stellten sich bei dem Mann die Nackenhaare auf. Man hatte ihm, als er noch ganz klein gewesen war, gesagt, er solle es bloß niemals wagen Mädchen unglücklich zu machen oder gar zum Weinen zu bringen. Klang irgendwie so nach Todsünde, wenn sein Vater das aussprach.

Das Traurige in seiner Stimme war nicht zu überhören. Wahrscheinlich hatte sich Miho geirrt und ihn damit nur wieder an Tote erinnert. Als wenn er das jetzt schon vergessen gehabt hätte...

„Deine Kleine? Du nennst sie deine Kleine? Na, wenn überhaupt, warst du ihr Kleiner.“

„Du, Miho, ich habe keine Zeit für so einen Scheiß. Ich muss Schluss machen. Tetsu wird mich erschlagen, schon alleine, weil ich viel zu spät dran bin, also mach’s gut. Pass auf deinen Bruder auf..“

„Momentchen mal, du wirst mich nicht so schnell los! Du nennst es Scheiß, wenn die Polizei dir Ärger machen will?“

„Wieso sollte ich panisch werden, wenn ich nichts getan habe? Mata ne!“ Die letzten beiden Worte warf er ihr knallhart entgegen und beendete das Gespräch.

Er musste lachen. Wie gut, dass ihn keiner dabei beobachtete, es war ein komisches dunkles Lachen, wie man es ihm nie zugetraut hätte. Man hätte ihn wohl für irre gehalten...

Mysterious things...

Hey, Ryolein ^^ *knuff*

Ich will dich mal etwas aufheitern damit. Glaub mir, es wird dir gefallen. Du hast ja förmlich danach verlangt X3

Bin voll nett zu dir... XDDDDDD

Lass dich von den vielen Absätzen mit "er...", "er..." nicht verwirren XD

Ich bin ja so gespannt wie'n Flitzebogen ^-^

Ob du wohl weißt, wer die beiden Frauen zu Anfang sind? >D
 

So, nun lasse ich dich und den Rest (xP) alleine.

Wünsch dir viel Vergnügen... XD


 


 


 

Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es jetzt genau zwei Minuten nach vier war. Er machte sich auf den Weg. Seine Schritte hallten leise in der kleinen Eingangshalle wider.

Als er Stimmen hörte, blieb er vor der Tür stehen und machte sehr lange Ohren. Die Stimme der Frau, die sprach, schmerzte in seinem Kopf. Sie war so unwahrscheinlich laut.

„Ja, klar, was hast du denn gedacht?“ Ein Lachen war von der Frau mit der düsteren, Gänsehautverursachenden Stimme zu hören. Sie lachte wie der Teufel höchstpersönlich.

„Ach, die arme Kleine, sie hat so eine große Karriere vor sich und bekommt es nicht mit, solche Leute sind doch zu bedauern, gibst du mir da nicht Recht? Wie siehts aus, kann ich mit deiner Hilfe rechnen?“

Die Frau an ihrem Schreibtisch hatte die Beine elegant übereinander geschlagen und wippte mit ihnen vor und zurück, dabei bestaunte sie ihre wunderschönen Nägeln, ihre perfekte Maniküre.
 

Am anderen Ende der Leitung befand sich eine rotblonde Frau, die sich ebenfalls in ihr Büro zurückgezogen hatte. Sie war Redakteurin und scheuchte ihre Angestellten durch die Gegend – das war ihre Sache. Sie grinste vor sich hin. So ein Pakt hatte schon etwas Reizvolles, zumal sie eingeweiht war...
 

„Moment, ich schalte dich kurz auf Lautsprecher.“ Die Hellbraunhaarige drückte einen Knopf und stand von ihrem Platz auf, um das Fenster zu schließen. „Also, wie sieht’s aus?“ Dass sie keine Namen sagten, war schon verdächtig, jedenfalls würde man das denken.
 

Mit wem um alles in der Welt telefonierte die Plattenchefin so gut gelaunt? Aber eines war klar, es ging um eine Sängerin, die schon tot war. Eins und Eins konnte der junge Mann zusammen zählen, ein Grund mehr weiterzulauschen, auch wenn man durch so etwas in Teufels Küche kommen konnte, damit hatte er ja schon so manche Erfahrung gemacht – er wollte aber nicht hören, sondern war noch der ungezogene Junge von früher.

„Was denn? Ich helfe dir doch schon.“

„Da hast du auch wieder Recht. Es hätte nichts Besseres passieren können, ihre CDs verkaufen sich prima, seit die Nachricht von ihrem Tod rausging! Es gibt keine Zeiten, in denen sie beliebter war, als jetzt!“ Ihre hellen Augen funkelten gemeingefährlich. Ihretwegen konnten noch mehr Künstler ins Grab gehen, solange sie mit ihren Werken anstellen konnte, was sie wollte, man musste nur vorher dafür gesorgt haben, dass man sie verkaufen konnte... Dann konnten sie abtreten, jedenfalls, wenn man so fleißig gewesen war wie diese Kleine.

„Wie sieht es mit deinen Schlagzeilen aus? Hat sich schon einer gemeldet?“

„Meinst du die Schlagzeile, die ich rausschickte, damit sich alle fragen, wen Kimi geliebt hat? Muss das ein hässlicher Vogel sein, es hat bisher keiner zugegeben, ihr Geliebter gewesen zu sein. Es hat sich bloß einer bei mir beschwert und wollte mir doch echt eine Klage aufbrummen.“

„Wer war es?“

„Hyde von L’Arc~en~Ciel. Er war da und hat Terz gemacht, du hättest den mal sehen sollen, diesen Giftzwerg!“ Die andere Frau konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. „Du musst dir vorstellen, ich kann ihm, wenn er steht, fast schon in die Augen gucken, auch wenn ich sitze und dann kommt er, haut auf den Tisch und fängt an mir zu drohen. Ich habe mich selten so amüsiert.“ Natürlich übertrieb sie, auch wenn sie fast 1 Meter 80 groß war. Es war eben zu lustig gewesen, sie musste es ihr erzählen.

„Ach, was du nicht sagst, da hat ihm wohl was nicht gepasst. Kam wohl nicht damit klar, dass er nicht der einzige Mann in ihrem Leben war. Muss ja ziemlich wehtun, wenn man mit einer Frau befreundet ist und man bei ihr keine Chancen hat, nur weil man kleiner als sie ist. Pass bloß auf, er hat seinen Jähzorn in dem Fall nicht unter Kontrolle, er wollte eindeutig was von ihr – wie so viele.“

Wie die redeten, er stand an die Tür gelehnt da, es war hundsgemein, was sie sagten, aber reinstürmen und sich zeigen, das würde er beiden nicht gönnen. Diese dumme Tussi von Redakteurin fand sich jetzt wohl supertoll, weil sie so viel größer war und die Securerity gerufen hatte, um ihn aus ihrem Büro werfen zu lassen. Sie hatte sich benommen wie ein Boss sich eben benahm... Macht ausgeübt hatte sie.

Zu viert hatten sie ihn geschnappt und nach draußen gebracht. Gott, wenn Tetsu das erfuhr, dass er sich die Presse zum Feind machte, er hätte ihn gefragt, ob er sie noch alle hatte. Schlechtes Licht auf ihr Image konnten sie alle nämlich wirklich nicht brauchen, und sein Freund konnte so was schon gar nicht leiden.

„Ich für meinen Teil denke, er weiß, mit wem die Kleine zusammen war und ist deswegen so ausgerastet, wir haben ihr immerhin alles Mögliche unterstellt. Wenn es nach uns geht, hatte sie mit jedem aus seiner Band was, nur nicht mit ihm. Wir haben sie aber auch ziemlich übel hingestellt. Die Leute interessiert das eben, jetzt wo sie tot ist, wollen sie wissen, was in ihrem Leben los war.“

„Wir haben angefangen, ihre Single im Radio spielen zu lassen, der Text ist sehr interessant. Das finden wohl auch die Leute. Wie du weißt, sang sie immer nur das, was sie wirklich bewegt hat. Demnach war sie schwer verliebt, hat aber nie ein Wort gesagt. Du könntest ihre Single vorstellen und die Leute neugierig darauf machen, wer wohl der geheimnisvolle Mann war, mit dem sie heimlich etwas hatte...“

„So ala: Wer war der geheimnisvolle unbekannte Mann in ihrem Leben, für den sie sogar Songs sang? Das Ende einer dramatischen Liebe... Sie hatten eine so rosige Zukunft vor sich, doch jetzt hat der Traum ein Ende.“ Die Rotblonde am Telefon machte sich mit ihren Worten nichts weiter als einfach lustig darüber. Sie machten Geld mit solchen Storys, sie war ein skrupelloser Mensch.

„Genau, drückt mal richtig schön auf die Tränendrüse. So etwas wollen die Leute lesen und schon werden alle die Plattenläden stürmen und sich darum reißen, sie zu kaufen.“

„Dann ist ja alles geklärt, freut mich, mit dir Geschäfte zu machen. Wir hören voneinander.“

„Kann ich nur zurückgeben, mach’s gut.“ Die Chefin drückte auf den Knopf und beendete ihr Gespräch mit der Redakteurin, sie lächelte vor sich hin. ‚Läuft alles nach Plan...’
 

Das machte den beiden Frauen Spaß... Wo hatten die bitte ihr Herz versteckt? Hatten sie so etwas nicht? Sie benutzten ein Lied, das aus Kimikos Seele entstanden war und ihre Gefühle ausdrückte und das alles nur für Geld. Wut ließ ihn rot anlaufen, er war so zornig, dass er diese Plattenfirmatussi am liebsten erwürgt hätte. Aber auch Trauer verspürte er vermehrt, wenn er daran dachte, um was genau es da denn in diesem Song ging. Dass seine Augen sich mit Tränen füllten, konnte er nicht verhindern. Es geschah stumm und leise, eine Träne kämpfte sich in die Freiheit und lief geradezu in Zeitlupe über sein Gesicht.

Wie konnte sie es wagen, sie so in den Schmutz zu ziehen? Genau aus diesem Grund hatte er die Redaktion gestürmt und sich mehr als nur lächerlich gemacht. Und selbst wenn, es war ihm herzlich egal gewesen. Er konnte bei so etwas doch nicht zusehen. Da brauchte er weder Ken noch Tetsu fragen, ob sie sie angerührt hatten, er wusste einfach, dass es nicht so gewesen war. Selbst seinen besten Freund hatten sie nicht verschont, ihm zu unterstellen, er sei mit Kimiko ins Bett gegangen. Er konnte sie ja nicht einmal wirklich leiden... So was Lachhaftes wie diesen Bericht hatte er noch nie zu sehen bekommen. Diese Frau fing an zu lügen, wenn man ihr nichts erzählte. Das zeigte doch nur, dass sie keine Japanerin war. Beide waren Ausländer, vielleicht waren sie deswegen so respektlos. In Japan war es eher nicht so, dass man sich über jede Schlagzeile wie ein hungriges Tier hermachte, doch genau das taten sie und benutzten dafür eine tote Sängerin. Er musste hier weg, bevor er auf die Idee kam, diesen Schuppen in die Luft zu jagen, nur damit sie Kimi nach ihrem Tod nicht weiter benutzten. Doch, er war ja hier, um etwas mit ihrer Chefin zu besprechen. Zum Kotzen. Er wartete noch ein paar Sekunden und klopfte dann höflich an die Tür... Nur nichts anmerken lassen...

„Herein“, kam von der Frau, sie lächelte freundlich, auch sie spielte ihr Spiel und als sie Hideto zur Tür reinkommen sah, lächelte sie noch mehr. Es wäre doch gelacht, wenn sie es nicht schaffen würde, ihn zu täuschen...

„Habt ihr nicht zu tun?“

‚Willst du mich loswerden, du Schreckschraube? Hast du Angst?’ Er seufzte kurz und setzte sich auf ihre Anweisung hin auf einen Stuhl.

„Ich muss mit Ihnen reden, dauert auch nicht lange. Ich habe in der Tat etwas vor.“

Die Frau legte die Ellenbogen auf den Tisch und starrte ihm mitten ins Gesicht, auch um ihn zu verunsichern und nervös zu machen, doch nichts dergleichen passierte. Er schaute ihr komischerweise nicht mal in die Augen.

„Na dann, schieß mal los.“ Ihre Hände faltete die hellbraunhaarige Russin – denn genau das war sie – vor ihrem Gesicht und verfolgte ihn mit ihrem Blick.

„Ich will Sie darum bitten, den Verkauf dieser CD einzustellen. Ich finde es nicht richtig, jemandes CD nach dessen Tod rauszubringen.“ Was hatte sie schließlich davon? Nichts, genau. Er versuchte es mit einem herzerweichenden Blick, doch war ihm klar, dass sie nichts erweichen konnte.

„Dann hör mir mal zu, sie hat ihr Herzblut da reingesteckt und wollte, dass wir es rausbringen. Jeder sollte wissen, wie sehr sie geliebt hat. Vor allem der Mann. Meinst du nicht, es hätte ihn gefreut?“

Schweigen kam von ihm zurück, nun schaute er ihr ins Gesicht. Ihre Augen so traurig, ihre Stimme so sanft – was konnte diese Tante lügen. Sie war besser als jeder Schauspieler, hätte er sie nicht reden gehört, wäre er drauf reingefallen.

„Oder heult sich die Augen aus. Außerdem glaube ich, dass er auch so wusste, was sie für ihn empfunden hat. Das geht die Öffentlichkeit einen feuchten Kehricht an! Also! ONEGAI!“

Die Plattenchefin sprang von ihrem Platz auf. „Schau mich nicht so an, da werde ich weich! Ich bin Geschäftsfrau! Ich habe Geld in die Sache gesteckt! Meine Antwort lautet NEIN!“ Jetzt war sie knallhart, spielte ihm aber vor, es nicht zu sein.

„Ich will diese Fragen nicht mehr hören!“ Er machte einen total verzweifelten Eindruck, so dass sie sich neben ihn auf den Tisch setzte und seine Schulter tätschelte, er zuckte und zog seine Schulter weg, bevor er aufstand. „Ich will überhaupt nichts davon hören! Es ist demütigend, selbst wenn sie weit weg ist und nichts mehr davon mitbekommt!“

„Hätte sie daraus kein solches Geheimnis gemacht, wäre alles anders, sie ist also selbst schuld, wenn man sich das Maul über sie zerreißt!“

Er erlitt einen Lachkrampf, den konnte er kaum verhindern. „Und ihr bringt die Presse erst darauf, weil ihr geldgeile Aasgeier seid.“

„Du solltest dich darüber freuen – sie wird berühmter sein, als jemals zuvor, Gesprächsstoff Nummer Eins. Sie lebte für ihre Musik und bekommt endlich ihre Belohnung dafür. Endlich Respekt.“

Die wagte es von Respekt zu reden. Gut, dass hier keine Gegenstände standen, mit denen man jemanden hätte erschlagen können, er wusste nicht, was dann geschehen wäre.

Die bearbeitete ihn ja von vorne bis hinten.

„Aber sag’, weißt du, wen sie liebte?“

„Ich?“ Erschrocken blickte er in ihre Augen. Wenn er jetzt den Blick abwandte und sie ihn bei seiner Lüge nicht erwischte, würde sie alles herausfinden, also sah er ihr mutig in die Augen.

„Nein, sie hat es mir niemals erzählt. Vielleicht dachte sie, weil ich – so alleine bin und neidisch wäre, könnte sie es mir nicht erzählen.“ Es war draußen und das auch noch sehr überzeugend, er war erleichtert.

„Trauer nicht um sie, die einen anderen geliebt hat, sondern such dir eine Freundin.“

„Das ist jawohl meine Sache.“ Bockig, ja, jetzt war er es, was mischte die sich da so ein und was tat sie so fürsorglich? Das war sie nicht.

„Sorry, ist mir so rausgerutscht.“

„Ich muss gehen. Überlegen Sie sich das Ganze“, immer noch freundlich schüttelte er ihr kurz die Hand und ging dann zur Tür, er sah sie noch mal kurz an und ließ sie dann alleine.

Die Frau ließ sich genervt auf einen Stuhl stellen.

„So kann nur einer reden, dem der Erfolg zufliegt.“ Sie wusste nicht, was er hatte, es lief doch alles ganz gut. Sie lebte doch in ihren Songs immer noch, reichte ihm das nicht?
 

Auch wenn sie wohl kaum alles rückgängig machen würde, hatte man mit so etwas bei ihm gerechnet. Wäre er nicht gekommen, um sie umzustimmen, hätte sie doch nur gedacht, dass er wusste, wie falsch sie war, also spielte er sein Spiel mit ihr. Außerdem hatte er gelauscht und Dinge gehört, die er garantiert nicht hatte hören sollen. Was für Gemeinheiten hier passierten, sollte sicher niemand wissen. Das war doch das schmutzige Geheimnis dieser Plattenfirma. Yui sollte sich besser ganz schnell von dem Laden trennen und sich was anderes suchen, bevor man sie auch noch so ausbeutete. Sie war doch noch so jung, noch jünger als Kimiko. Vielleicht hätte sie mit ihrer eigenen Band noch warten sollen und sich nicht auf irgendeine Plattenfirma stürzen, die ihnen ein Angebot machte. Aber was sollte man machen? Sie war damals eben erst 17 gewesen. Ihre Eltern hätten besser auf ihre Tochter aufpassen sollen, aber da ihr Vater sie nicht einmal wirklich respektierte, konnte sie bei ihm nicht auf Beschützerinstinkte hoffen.
 

Kurz vor halb Sechs war es nun schon, es wurde langsam Zeit, dass er sich nach Hause verzog. Mit einem Getränk bewaffnet steuerte er auf den großen Parkplatz zu, wo sein Auto stand. Es war ein alter Mercedes aus dem Jahre 1988, den er schon länger hatte, der junge Mann konnte sich von dem Schlitten einfach nicht trennen. Er war mittlerweile frisch lackiert in dunkelblau metallic und wehe es war mal ein Kratzer im schönen Lack.

Er öffnete die Fahrertür, das Licht ging automatisch an, so dass er einen Schreck erlitt. Mit so etwas rechnete man ja auch als ganz normaler Mensch nicht um diese Uhrzeit. Die Tür stand offen, er stieg nicht ein, das einzige, was er tat, war in ein dunkles, kaltes Rohr blicken, das ihm entgegen gerichtet wurde. Als er den Schreck überwunden hatte, sah er sie mit Halbmondaugen an.

„Hey, du bist spät! Na, schönen Tag gehabt, Darling?!“ Sie zog genüsslich an ihrer Zigarette. Er war Rauch ja gewohnt. Ihr Grinsen hatte etwas Heimtückisches, kein normaler Mensch grinste so ohne bestimmten Grund, wenn er jemandem eine Waffe vors Gesicht hielt. „Danke, dass du das Auto offen gelassen hast. Ist richtig lieb von dir.“

„Scheiße, was machst du da?! Hast du sie eigentlich noch alle mich so zu erschrecken? Ich habe dir nicht erlaubt, in mein Auto einzusteigen! Du bist ja richtig kriminell!“

„Du musst dich irren, die Tür ist mir förmlich entgegen gesprungen, Darling! Und schon war ich drin...“ Dass er dieses kriminell so betonte? Und das nur wegen seinem heißgeliebten Auto? Männer waren eben doch alle gleich. Sie fühlten sich gleich immer so persönlich angegriffen, wenn man einen Scherz machte. Ja, sie war kriminell, aber das sah man an der Waffe in ihrer Hand, doch das schien für den Mann normal zu sein. Abnormal fand er nur, dass sie in sein Auto einbrach...

„Einsteigen!“ meinte die blonde Frau im Auto nun und lud die Waffe.

Was sollte das? Wurde das nun eine Bedrohung? Musste er sich doch vor ihr fürchten? Gott, wie hatte er nur irgend so einer Frau vertrauen können...?

Mit empörtem Gesichtsausdruck stieg er in das Auto ein, setzte sich wortlos hin und knallte die Tür zu, was sonst nicht so seine Art war, aber im Moment war er wirklich wütend. Er hasste Situationen wie diese.

„Was willst du von mir?“ fragte er ruhig, aber doch in einem Tonfall, der Unbehagen ausdrückte.

„Och, das ist meine Art jemanden zu begrüßen, mit dem ich verbredet bin! Es macht einen Heidenspaß, du hättest dein Gesicht sehen sollen, du warst so blass wie eine weiße Wand.“ Die Blondine begann amüsiert zu lachen, was er alles andere als lustig fand, sein Gesichtsausdruck sprach Bände. Er haute mit beiden Händen auf das Lenkrad und drehte den Kopf zu ihr herum, um sie anzuschnauzen.

„Chikoushou! Du bist nicht bloß kriminell, Chris Vineyard, du bist irre, komplett irre und durchgedreht! Würdest du jetzt vielleicht bitte mein Auto verlassen? Dann vergesse ich, dass du in mein Auto eingebrochen bist!“ Sein Atem ging keuchend, diese Frau würde ihn noch an den Rande des Wahnsinns treiben.

„Ich wollte mich erkundigen.“ Jetzt sprach sie ganz vorsichtig mit ihm und blickte ihn mit schief gelegtem Kopf und nettem Gesichtsausdruck an. „Sei doch nicht so nervös.“

Nicht nervös sein, das sagte sich so einfach, wenn man in solche Sachen hineingeriet, war man es nun einmal. Der Mann fuhr sich aufgeregt durch die Haare.

„Verdammt, wenn irgendwer uns zusammen sieht! Ich will nicht mit einer Irren zusammen gesehen werden! Also verzieh dich und komm wieder, wenn es dunkel ist!“

„Ich bin gleich wieder weg, ich wollte nur wissen, wie Kogorô Môri auf deinen Anruf reagiert hat.“ Prüfend sah sie den jungen Mann an, der sich seufzend nach hinten fallen ließ.

„Wie wohl?“ fragte er genervt, die Frage fand er mehr als nur dämlich, wollte die ihn eigentlich verscheißern? Es war wohl kaum ihr Ernst. „Wie fast alle Leute, die nicht so viel Geld haben, wie ich. Er war begeistert davon, den Fall zu übernehmen...“ Ein Seufzen entglitt ihm, er wünschte sich, dass Môri das auch der Ehre als Detektiv wegen machen würde, statt nur wegen des Geldes. Im Grunde interessierte der Kerl sich doch kein Stück für Kimi, die durch Ungerechtigkeit ums Leben gebracht worden war.

„Ach weißt du, darüber musst du hinweg sehen, er wird in Handumdrehen herausfinden, was wirklich geschehen ist, dann wirst du vielleicht irgendwann wieder in Ruhe schlafen können, ohne dir alle mögliche Gedanken zu machen...“ Sie brauchte ihm nur in die Augen sehen, um zu wissen, dass er sie geliebt hatte und deswegen keine ruhige Minute haben würde, bis die Verantwortlichen gebüßt hatten – was sie dem Mann allerdings nicht verriet, war, dass sie daraus einen Nutzen zog und sie nicht uneigensinnig den Kontakt zu ihm aufgebaut und ihm gesagt hatte, dass sie ebenfalls nicht an einen Unfall glaubte. Sie hatte ihm empfohlen, Môri anzurufen und ihm das zu überlassen, statt selbst die Verantwortlichen zu suchen. Es wäre nur schade gewesen, wenn man ihn dann auch noch umbrachte, nur weil er kein Detektiv war. Er hatte mit so etwas keine Erfahrungen und Conan war nun einmal ein klasse Detektiv, er würde die Sache in die Hand nehmen und ihre Spur nachverfolgen, wie er es immer tat. Sie hoffte so sehr, dass es nicht umsonst war und er einen Strich durch die Rechnungen ihres Bosses machen würde. Da er vom FBI und Interpol beschattet wurde, würde sie sich nicht einmal darum sorgen müssen, ob ihm etwas zustieß, sie musste ihn nur seiner Tätigkeit – dem Ermitteln – nachgehen lassen und alles würde seinen rechten Weg gehen...

„Ich finde es nur sehr affig, sich wegen Geld so aufzuführen, wie er. Und wehe er taugt nichts!“

„Dann musst du ihn auch nicht bezahlen, wäre ja noch schöner“, meinte Chris empört und verschränkte die Arme.

„DU hast gesagt, er ist der beste Detektiv und der einzige, der in der Lage ist, den Fall aufzuklären! Und jetzt sagst du so was?!“ Der Mann hätte sie erwürgen können. Sie klang jetzt gar nicht mehr so zuversichtlich, wie zuvor.

„Reg dich nicht auf, das ist ungesund und nicht gut für den Blutdruck. Kümmer dich lieber darum, dass Môri die Anzahlung bekommt und Lust bekommt, der Sache nachzugehen...“

Sie machte den Anschein eine Schlange zu sein, die ihn locken wollte, das erinnerte ihn jetzt ziemlich brutal an die Bibel... Ja, Schlange, das passte wirklich gut zu dieser Frau.

„Wieso interessiert dich das eigentlich so? Mitgefühl wird es wohl kaum sein, oder? Warum willst du mir helfen? Einfach so? Das kaufe ich dir nicht ab.“

Wie konnte man nur so viele Fragen aufeinmal stellen? Aber sie würde sie schlicht beantworten und das auf so eine Weise, dass er es glauben würde.

„Ach, weißt du, du hast mir echt Leid getan, vielleicht bin ich ja ein Fan von dir?“ Ein kleines Lachen kam von ihr, was ihm bloß ein Seufzen entlockte. „Ich mag dich einfach, das ist der Grund.“ Ihre Stimme klang ernsthaft und sie schaute ihn mit einem doch recht mitleidig wirkenden Blick an, er schaute in ihre Augen, das konnte manchmal Wunder wirken – und irgendwie musste er zugeben, das was er sah war wirklich Mitgefühl. Und dass sie ihn mochte, glaubte er ihr sofort, sonst hätte sie ihn doch einfach erschossen, oder? Von dem Zeitpunkt an, an dem sie sagte, sie wüsste, dass Kimi ihn eingeweiht hatte, wäre es doch ihre Pflicht gewesen, dies zu tun. Auch wenn sein Wissen nicht weitreichend war, so war das etwas, was ihm klar war.
 

Er schlich sich durch den Hintereingang rein und stürmte wenig später in die Garderobe, wo ihn alle wie einen Geist ansahen.

„Gomen, ich bin aufgehalten worden. Ampeln sind doch echt Mist“, lachte er, so dass ein Mann mit Sonnenbrille und rotbraunen Haaren auf ihn zukam und ihn an der Nase packte.

„Schieb’s nicht auf die Ampeln, wir warten seit Stunden. Die Show beginnt in gut einer halben Stunde, du bist weder umgezogen, noch warst du in der Maske, so lasse ich dich nicht nach draußen gehen, darauf nimm mal Gift, mein Lieber.“

Mit etwas Lächeln und einem netten Gesichtsausdruck brachte man Tetsu auch schon wieder runter, also tat er das.

„Warum bist du überhaupt so nass geworden?“ Ein Seufzen war zu hören. „Und guck nicht so.“

„Es hat angefangen zu regnen, und ich habe keinen Parkplatz gefunden, also bin ich durch den Regen.“

„Na, na, nicht aufregen, Tet-chan, jetzt ist er ja da, geschminkt oder nicht, ist doch egal...“

Ken hatte gut reden. Wenn man so gut aussah, wie der, konnte man sich das erlauben.

„So gehe ich nicht raus, nie im Leben. Da ist Rena Mizunashi!“

Schweißtropfen liefen den anderen über die Schläfe, als sie ihn das so sagen hörten. Jetzt hatte er Schiss, nicht gut auszusehen und das wegen einer Reporterin, die sie interviewen wollte. Das durfte jawohl nicht wahr sein.

‚Gott, kann uns nicht ein Mann befragen? Jetzt muss ich mir Sorgen darum machen, ob er anfängt rumzustottern...’ Tetsus Tag war das wirklich nicht. Ihnen blieb nichts erspart. Erst baute Kimiko einen komischen Unfall am frühen Morgen, dann kam sein Freund zu spät und wurde nervös wegen Rena Mizunashi, wobei er zugeben musste, die Frau hatte Klasse...
 

Das Studio hatte heute jede Menge Gäste und sie waren als Letztes dran, quasi so als Höhepunkt der Show. Auf der Couch, wo die ganzen Promis saßen, war kaum noch Platz. Die Fans hinten dran. Es wurde alles gefilmt, also ein Zurück gab es nicht, also immer schön freundlich und lächeln – das ganze Programm eben.

So war keinem von ihnen wirklich danach sich was abzugrinsen, also sie lächelten doch etwas in die Kamera, bevor sie sich bei den beiden Frauen niederließen, die auf einer Couch saßen. Die anderen verließen sie jetzt wieder, also durften sie sich mit Rena Mizunashi und Nazuko Hiraga auf eine schön bequeme Couch setzen.

„Die Kleine ist mein Fall“, kam von Ken, der sich die Sonnenbrille zurechtrückte und setzte sich natürlich neben sie, während sich Tetsu frech zwischen seinen Freund Hyde und die bildhübsche Rena setzte.

‚Das hat er jetzt hoffentlich so laut gesagt, dass man es noch im Fernsehen wird hören können. Yui wird ihm dann nämlich sonstwas erzählen, oder ihm was über die Ohren ziehen. An seiner Stelle würde ich meine große Klappe mal zügeln.’ Sakura war so sadistisch ihm das zu wünschen, wenn er alles angraben musste, was bei drei noch nicht auf den Bäumen war.

„L’Arc~en~Ciel desu, ich denke, jeder kennt sie nicht wahr? Wir haben sie heute Abend eingeladen, um mal etwas mit ihnen zu plaudern und natürlich werden sie uns auch was spielen... Also, Jungs. Ihr habt uns ja heute besonders tolles Wetter mitgebracht, was?“ meinte Nazuko zu der Gruppe, so dass alle mit Hai antworteten, nur Hyde nicht, er schwieg, als ging ihn das nichts an. Er durfte jawohl etwas schmollen, wenn Tetsu ihm den Platz neben Rena streitig machte...

„Hey, natürlich, Regen ist doch tolles Wetter, bei so einer Hitze, wie wir sie bisher haben doch sowieso.“ Ken dachte, er musste mal etwas mit dieser jungen Frau flirten, was Sakura nur seufzen ließ. Er saß direkt rechts neben Ken, während dieser neben Nazuko und Tetsu und Hyde auf der anderen Seite neben Rena saßen, also brav aufgeteilt.

Die kleine Gruppe begann zu lachen – na ja, fast alle jedenfalls. Das Schlusslicht konnte sich nicht dazu aufraffen, außerdem tat Lachen derweil irgendwie weh.

„Na wenigstens sind wir hier im Trocknen, da kann es draußen stürmen, wie es will, oder wie seht ihr das?“ Rena mischte sich in das Gespräch ein und wandte den Blick zur rechten Seite.

„Huhu, Haido-san, du bist ja so still.“

Allerdings, das war er, jetzt sah man ihn allerdings zusammenzucken, immerhin hatte Rena ihn angesprochen.

„Bin ich das? Ist mir gar nich’ aufgefallen!“ Man sah den Anfall von Peinlichkeit, den er erlitten hatte, weil er so teilnahmslos neben seinen Kollegen saß. Aber es war typisch, Fernsehauftritte, wo man ihn irgendwelche Sachen fragte, konnte er nicht wirklich leiden.

Jetzt war er es nicht mehr, wie auch, wenn sie sich mit ihm zu unterhalten begann.

„Was hast du da eigentlich mit deinen Haaren gemacht? Sind ja ganz kurz.“

Spätestens jetzt war alles zu spät, hätte ihm draußen eine nette Frau nicht eine halbe Tonne Make-Up ins Gesicht gedonnert, hätte man ihn knallrot anlaufen sehen.

„Klingt jetzt wie... Wie eine Beschwerde.“

„Ich habe mich nur gewundert, jeder kennt dich als Mann mit schönen langen Haaren. Was ist bloß in dich gefahren?“

Und ob das eine Beschwerde war. „Es gab in meinem Leben viele Veränderungen, also musste ich mich auch verändern.“

Die junge Frau war schockiert, Tetsu konnte sie verstehen, er war auch aus allen Wolken gefallen. Er hätte nicht gedacht, dass sich sein Freund mal seine langen Haare so kurz schneiden lassen würde. Und dann auch noch ohne Vorwarnung.

„Na, hoffentlich keine negativen Veränderungen“, meinte die Moderatorin und schaute ihm besorgt ins Gesicht. Ihrem prüfenden Blick ausweichend sah er zu Boden.

„Nur ein Todesfall in meiner Familie.“

Das Studio war in Schweigen ausgebrochen. Heiße Luft kam aus Tetsus Mund. Warum hatte er das sagen müssen? Jetzt würden nur noch mehr Fragen folgen... So war es immer. Wenn man einmal anfing zu reden, bohrten sie nach.

„OH“, die 28-jährige schluckte, sie hatte ihn nicht so bedrängen wollen – dass sein Blick zu Boden ging, sagte jawohl alles. Irgendwie bekam sie nun gar nichts mehr raus, sie war wie paralysiert.

„Wer denn?!“ Nazuko, die nun mal vorlaut war, hatte es sich nicht verkneifen können. Rena kniff ihr in den Oberschenkel, als Anweisung, das doch den erfahrenen Leuten zu überlassen und damit sie wieder damit aufhörte.

„Darüber rede ich nicht, das geht nur mich was an...“ Er hielt sein Mikrofon fest umklammert, etwas zu sehr, wie Rena fand. Sie musste diese verdammte Situation retten. Am besten war sie lustig.

„Also, wenn du zu mir gekommen wärst und gesagt hättest, ich soll dir die Haare abschneiden, hätte ich dich ausgeschimpft, boar!“

Was tat sie denn? Tetsu verstand diese Frau nicht. Versuchte sie die gute Laune wieder herzustellen?

Nun bildete sich doch ein überdimensionales Grinsen im Gesicht des Sängers. „A-ri-gatô.“ Er nickte mehrmals, es war so peinlich, hoffentlich kamen nicht noch mehr solche Sachen.

„Aber dann sind Sie meinem Friseur sehr ähnlich, er hat mich zehnmal gefragt, ob er sie echt abschneiden soll, ich habe ihn fast dazu zwingen müssen. Er wollte nicht... Beinahe hat er mich als verrückt erklärt.“

„Dann wirst du deine Fans heute auch schockieren.“ Rena schüttelte den Kopf und schaute dann zu Tetsu. „Ihr habt uns was mitgebracht, nicht wahr?“

„Mhm, ja, ein paar signierte CDs und T-Shirts“, er überreichte diese der jungen Frau und lächelte, was das Zeug hielt.

„Mhm, da werden sich eure Fans ja sehr freuen, würde ich sagen. Es sind jede Menge heute hier.“

Hinter ihnen hörte man ein paar Rufe von Fans, Hyde hielt sich die Hand an den Kopf. Davon bekam er nur wieder Kopfschmerzen. Er drehte sich kurz nach hinten um und ließ den Blick schweifen. Bei einem der Mädchen blieb sein Blick jedoch etwas länger.

Sie stand wie angewurzelt da. Oh Gott... Ihrem Blick nach zu urteilen, fiel die gleich tot um, wenn er sie noch länger so ansah, also wandte er den Blick weg.

‚Die kenne ich... Ist das nicht diese...’ Wie hieß sie noch mal? Sie hatte ihm doch ihren Namen gesagt und war panisch in sein Auto eingestiegen, weil sie solche Angst vor irgendwelchen Leuten gehabt hatte. Ja, genau, deswegen konnte er sich so gut erinnern.

„Na ja, wir haben euren Fans versprechen müssen, dass sie euch ein paar Fragen stellen dürfen, also wer will?“ Nazuko stand auf und hielt ein paar Leuten ihr Mikrofon hin, doch keiner schien sich so recht zu trauen.

Auf einmal hob eine Hellbraunhaarige die Hand und schrie wie wild „Ich! Ich! Ich! Hallo?!“

Nazuko musste sich durch die Menge kämpfen zu dem jungen Mädchen, das hochrot dastand und sich kaum einkriegen konnte.

Eine andere stieß sie zur Seite und blabberte einfach drauf los. „Stimmt’s, dass Ken fünf Freundinnen auf einmal hat?“

Tetsu hielt sich die Hand vor den Mund und begann schallend zu lachen, er kullerte sich. Und weil er gemein sein wollte, gab er von sich: „Nur fünf?“

Das fanden wohl alle lustig, sogar Hyde grinste vor sich hin, während Ken wohl schmollen wollte und leise Beschwerden von sich gab.

„Nichts da fünf...“

„Na ja, Freundin sagt man sowieso nur, wenn man mit der Frau zusammen ist, oder nicht?“ fragte Rena und lächelte. „Mit mehr als fünf Frauen wird er jawohl nicht zusammen sein, oder?“

„Hey, du blöde Kuh, ich wollte ihn was fragen!“ Die Hellbraunhaarige von vorhin nahm der Jüngeren das Mikrofon weg und starrte zitternd zu der Gruppe.

„Ken-chan“, sagte sie, „hast du eine richtige Freundin, oder machst du nur Spaß? Gibt es eine, die du liebst, oder ist alles nur ein Spiel? Los antworte!“

Gott, war die aber biestig.

Natsumi, die neben ihr stand, versank beinahe im Boden. Wie konnte Sonoko ihr so was denn nur antun?

„Nein, ich bin solo, Süße, ich habe mich da noch nicht festgelegt. Ich suche noch nach der Richtigen.“

„Ach, echt?“ Sonokos Augen strahlten. „Das ist... TOLL!“

Natsumi schlich sich etwas von ihr weg. Nein, die kannte sie nicht... Noch nie gesehen...

„Noch jemand?“ Nazuko wanderte durch die Reihen und suchte nach noch mehr mutigen Leuten.

Man hörte ein paar Geräusche von weiter hinten. Es klang wie das Winseln eines Hundes, doch war es viel mehr ein kleines Mädchen, das inmitten von Menschen stand und sich die Augen ausweinte. „Ich will gern Tetsu sehen“, kam von ihr ganz leise. Rena stand auf und schob ein paar Leute zur Seite. „Wo ist das Kind?“ fragte sie die Zuschauer, doch keiner sagte etwas, also schaute sie überall nach. Wie gut, dass sie ein gutes Gehör hatte.

„Wähää, ihr seid so gemein, ich habe doch heute Geburtstag...“ Sie begann zu schreien und machte ordentlich Terz.

„Kleine, halt die Klappe, wem bist du eigentlich entlaufen?“ meinte ein Mädchen, die Kleine wurde dann aber von der Moderatorin am Handgelenk genommen und aus der Menge gezogen.

Ihr Gesicht war verzogen und sie schluchzte wie wild.

„Gemein... Warum dürfen alle was sehen, nur ich nicht? Warum bin ich so klein?“

„Ach, Kleine, nicht weinen, heute ist dein Glückstag... Los, komm...“ Sie hob sie hoch und nahm sie dann mit nach vorne. „Jetzt darfst du ihn sehen, mhm, also nicht mehr weinen, ja?“ Sie sprach ganz sanft mit der Kleinen, die sich die Augen rieb und noch einmal schniefte. „Wirklich?“

„Ja, wirklich, schau nach vorne, da sind sie... Und du darfst dich zu ihnen setzen, was sagst du dazu?“ Sie konnte dieses Kind nicht weinen sehen, sie hasste es, wenn Kinder weinten, Kinder mussten glücklich sein, also würde sie die Regeln brechen und etwas tun, was sie normalerweise nicht durfte. Nämlich Zuschauer mit nach vorn nehmen...

„Ist doch okay, nicht wahr, Ogawa-san?“ fragte Rena etwas schüchtern, sie wollte ja nicht etwas tun, wogegen sie vielleicht etwas hatten, aber sie bekam nur lachen zurück. Sie war wirklich süß, wie sie sich um ein kleines Kind kümmerte, was wohl nicht nur Tetsu dachte. Eine durch und durch tolle Frau – wieso hatte sie noch keine Kinder?

„Rena-san, geben Sie sie mir.“ Hyde streckte die Arme aus, so dass die Moderatorin ihm das Kind überreichte und er sich die Kleine auf den Schoß nahm.

„Hey, Süße, du hast Geburtstag? Wie alt wirst du denn?“ fragte er sie und vergaß ganz einfach, dass er Kummer hatte.

Tetsu wandte sich auch gleich dem Kind zu und warf ihr ein Lächeln zu. „Bist du ein Fan von uns?“

Rena lief ein Schweißtropfen über die Schläfe. Doch nicht alles auf einmal, die würden die Kleine ja total verwirren.

„Haihai, besonders von Tetsu, er ist so witzig. Und ich werd...“ Sie hielt ihnen ihre Hand hin, knickte nur den Daumen weg. „So alt.“

Eine Vierjährige, die hier einfach so rumgeisterte, wo war bitte die Mutter? Keiner konnte verstehen, wie sie hierher gekommen war. Die Mutter müsste doch auch hier sein, aber es hatte sich niemand gemeldet, also behielten sie sie eben noch eine Weile.

„Hey, hey, und ich bin nicht witzig?“, schmollte Hyde.

„Nein, du bist putzig.“

Oh toll, das war genau das, was Männer nicht hören wollten und seinem Gesichtsausdruck zu urteilen, verging ihm wieder das Lachen. Aber es war doch nur ein Kind, welches das keinesfalls böse gemeint hatte.

„Putzig sind Tiere und kleine Kinder, aber nicht ich, nein, nein“, dagegen wehrte er sich vehement, doch das Mädchen meinte grinsen zu müssen.

„Du bist ja kaum größer als ein kleiner Junge, also auch putzig.“

Seine Antwort war lediglich ein Schmollmund. Von wegen, er war nicht viel größer als ein kleiner Junge.

„Ärger ihn nicht so, denn die größte Stärke des Menschen ist nicht seine Körpergröße, verstehst du, Kleine?“ Tetsu wuschelte ihr über den Kopf, ihre kurzen Haare luden dazu ein.

„Komm, lass uns der Kleinen ein Geburtstagslied singen, wenn sie schon bei uns ist... Mhm?“

„Cool, ihr seid cool.“ Sie freute sich und knuddelte den Mann, auf dessen Schoß sie noch immer saß, was er sich liebendgerne gefallen ließ.

„Wie heißt du?“

„Shizumi-chan“, antwortete das Mädchen leicht rötlich auf den Wangen und nun nicht mehr so laut wie vorher.

„Okay, alles klar, ein hübscher Name, den du da trägst.“ Mi-chan mochte er besonders als Verniedlichung von kleinen Mädchen. Alles, was also mit Mi endete, würde er auch mit Mi-chan verniedlichen. Kein Wunder, dass seine Mutter unbedingt ein kleines, süßes Mädchen hatte haben wollen, die waren aber doch auch wirklich zum liebhaben.

Rena beobachtete die ganze Szene und musste sich arg um Beherrschung bemühen. Sie dachte daran zurück, was er über sie wusste und weswegen... Da wurde ihr noch ganz anders. Sie hatten das Schrecklichste beobachtet, was die Organisation tun konnte... Machtlos hatten sie dabei zugesehen und sich am Ende die Schuld an allem gegeben...

Die Moderatorin hielt die Luft an, als sie dann das Geburtstagslied sangen. Obwohl es wirklich sehr süß war, fand sie es so undendlich traurig. Sie versuchte zu lächeln, aber es fiel ihr schwer.

Jami war wirklich ein hundsgemeiner Bastard, der kein Herz mehr besaß. Sie durfte nicht dran denken.
 

Happy Birthday to you

Happy Birthday to you

Happy Birthday dear Mi-chan

Happy Birthday to you


 

Das Kind saß noch immer an der gleichen Stelle, sie schien da auch gar nicht mehr wegzuwollen, sie würde es aber müssen. Rena hatte jetzt schon Angst davor, die beiden da zu trennen. Sie schienen sich ja glänzend zu verstehen. Da hatte sie wieder etwas angerichtet, mit ihrem zu groß geratenen Herzen.

„Sagen Sie mal, Rena-san“, als sie Kens Stimme von der Seite hörten und ihm dann ins Gesicht sahen, wussten sie schon, dass eine Anmache folgen würde, so wie der grinste, war das vorhersehbar. „Wo wir gerade dabei sind zu beichten... Haben Sie auch schon einen?“

Die Moderatorin hustete und wurde ein wenig rot. Der hatte wohl auch nie genug.

„Nein, tut mir Leid, Ken-san, bisher noch nicht, aber was nicht ist, kann noch werden. Im Moment denke ich aber eher nicht an Beziehungen. Dafür fehlt mir die nötige Zeit.“

„Was? Für so was muss immer Zeit sein.“ Der Braunhaarige neben Hyde warf ihr einen schockierten Blick zu, während dieser es nicht glaubte, was danach wieder kam. „Also, ich würde sofort mit Ihnen weggehen, Rena-san.“

„Hey, ich war vor dir dran, Tetsu, also bitte räum das Feld.“

Der Sänger drehte grinsend den Kopf weg. Scheiße, die waren peinlich und sie würden es immer sein. Da war wohl noch etwas zu viel von Tetsus beliebten Tagen übrig, er hätte sich das nie im Leben getraut, irgendwie war er ja zu bewundern. Die konnten doch nicht einfach so mit der Moderatorin anbändeln??? Das war unverschämt. ‚Wer hat euch erzogen, eh?’

„Moment mal, ja? Ich sagte, dass ich derweil keine Beziehung führe, das heißt nicht, dass es da niemanden in meinem Leben gibt, den ich sehr mag. Da ist kein Platz für andere. Ich denke, das wäre dann geklärt.“ Sie war froh, dass sie es hinter sich gebracht hatte. Warum sagte sie auch nicht die Wahrheit? Aus Angst vor Schreckschraube Valpolicella? Weil sie bei der Presse war und so was wieder sofort wüsste? Sie war ja so ein Feigling.

„Bleib schön da sitzen, Kleine.“ Er ging zu Rena hin und meinte, sie solle etwas auf das Kind aufpassen und das wohl aus ganz bestimmtem Grund. Sie war ganz alleine hier... Sie war leichte Beute für diese Leute. Sie wollte auf sie aufpassen. Am liebsten hätte er sie einfach mitgenommen und versteckt. Wenn sie nur wüssten, wo sie hingehörte... Das war vielleicht ein Fall für die Polizei.

Der Sänger blickte zu Rena. „Ich würde sie ja am liebsten mitnehmen... Hach man, ich will auch ein Kind.“

„Dazu fehlt dir was Entscheidendes“, meinte Tetsu grinsend sagen zu müssen, „nämlich die Frau... also geh mal suchen, ne?“ Ihm wurde auf die Schulter gehauen, er zog scharf Luft in die Nase, als auch Sakura schon zu motzen begann, wobei keiner wusste, weshalb jetzt genau.

„Halt einfach deine Schnauze, Tetsu, das gehört jetzt nun wirklich nicht hierher.“

Kimiko war tot und Tetsu fing an zu erwähnen, dass ihm was fehlte. Warum dachte der Typ nur so wenig darüber nach? Bis vor kurzen hatte er nur mit dieser einen abgehangen – natürlich fehlte ihm was. Und irgendwie traf ihn das doch sehr, dass er es wusste.
 

„Na dann“, Hyde seufzte noch einmal auf und war letztendlich der erste, der sich zur Bühne begab und sich das Mikrofon dort schnappte. Das war jetzt seines... Hauptsache, er konnte sich wo festhalten, irgendwie war ihm jetzt schlecht, das Mädchen hatte sich so fest an ihn gedrückt, dass es beinahe schmerzhaft gewesen war. Und er musste an diese Organisation denken – sie beschäftigte ihn ständig. Ob Tag, oder Nacht. Diese Sonoko, die im Publikum stand – sie war vor denen geflüchtet, ein Glück, dass sie diese Leute NUR für Yakuza hielt...

Als sie mit der Musik loslegten, wartete er seinen Einsatz ab und begann den Text wie mechanisch von sich zu geben.

Das Leben fehlte, nicht nur Rena war dies aufgefallen. Seine Augen glänzten, es war, als würde er durch alle hindurch sehen. Er sah zu den ganzen Menschen, ja, aber es wirkte, als würde er sie nicht wahrnehmen, wie so ein Geist.

Sonoko, die sich wieder neben Natsumi gesellte, musste ihre Gedanken aussprechen. „Was hat er? Fehlt ihm was?“

Natsumi blickte zur Seite. „Was genau meinst du?“

„So kenne ich ihn nicht. So leer... Normalerweise würde er jetzt wie verrückt ums Mikrofon rumtänzeln und so weiter. Er steht nur rum und singt... Ob das mit diesem Todesfall zu tun hat...“

Die 19-jährige überlegte, ob er wohl die Wahrheit gesagt hatte und nicht eher dieses Mädchen meinte, das ums Leben gekommen war. Aber wieso bitte Familie? Das war ihr zu hoch.

Und diese Valpolicella suchte nach Schlagzeilen, egal was für welche es waren. Und ihr war es sogar total egal, wenn es Lügen waren, die sie verbreitete. Sie musste echt vorsichtig sein, dass sie in Gegenwart dieser Frau nicht mal was Falsches von sich gab. Die würde sie sonst noch einfach so erschießen.

Es klang irgendwo traurig, aber hatte es auch etwas Fröhliches.
 

How far apart must we be before I can forget you?

Just thinking of it makes me feel empty

I finally alight beneath the sunbeam

I just want to softly, softly close my eyes

In to vivid colors

In to vivid colors

In to vivid colors


 

Dummerweise passte es genau zu dem, was in ihm vorging.

Vergessen, vergessen, vergessen, er wollte vergessen, aber das konnte er nicht. Nicht nachdem, was zwischen ihnen geschehen war. Als er das so sang, wurde ihm das klar. Er war weg, weg von dieser Halle, nahm gar nicht mehr wahr, wer es eigentlich war, wer hier sang. Er hörte seine eigene Stimme und da sich sowieso alles schon drehte, dachte er, ihm sei vor Kummer so schlecht. Und die Tränen, die in seinen Augen aufkamen, machten ihn so unendlich schwach.

Sie fehlte ihm so, obwohl sie noch nicht lange weg war. Die junge Frau war die einzige Frau, die es ernst mit ihm meinte, die ihn wirklich mochte – und das nicht wegen Geld. Es war absurd. Man merkte erst, was einem fehlte und was man an demjenigen gehabt hatte, wenn er unerreichbar geworden war.

Warum musste ausgerechnet sie solche Probleme haben? Nur weil ihr Bruder sich mit diesen Leuten anlegen musste? Es war so ungerecht... Und dieser Mann nahm jetzt einfach hin, dass jemand sie umgebracht hatte...
 

Gegen Ende des Liedes stand dem Sänger so viel Schweiß auf der Stirn, dass es unheimlich war, da er sich auch kaum gerührt hatte. Der Raum schwankte, er begann sich auf einmal zu drehen. Der Griff um das Mikro wurde noch fester. Seine Tränen traten aus den Augen, auch wenn er sich bemühte, sie wegzublinzeln. Nichts hasste er mehr, als wenn ihm so was in der Öffentlichkeit passierte... Und das hier war öffentlich. Es würde im Fernsehen zu sehen sein.

Die Stange kippte nach vorne und er gleich mit. Und schon war es geschehen, er landete am Boden.

Die Musik hatte auch aufgehört. Obwohl Tetsu nicht weit weg von ihm war und sofort nach vorne stürmte, war da jemand, der ihm zuvor kam, was ihn eigentlich wunderte.

Es war Rena Mizunashi, die ganz plötzlich aufgetaucht war, sie musste losgerannt sein, als er gestürzt war.

„Los, schnell!“ schrie sie förmlich durch den Raum. „Einen Notarzt, vielleicht hat er innere Blutungen! HAYAKU!“ Sie kniete sich hinab und versuchte ihn in eine Lage zu bringen, in der es nicht gefährlich war, in dem Fall sanft auf ihrem Schoß gebetet, da er nach vorne gefallen war.

Nun hatte sich auch Tetsu zu ihm niedergebeugt. Musste so etwas eigentlich passieren und wieso? War er blind und total beschränkt? Er hätte doch bemerken müssen, wenn es seinem Freund schlecht ging. Da konnte er noch so gut darin sein, Dinge zu verschweigen.

„Rena-san... Wieso innere Blutungen?“ flüsterte er nur. Woher sollte er denn so etwas haben? Wie kam sie darauf?

Die junge Frau schwieg. Was sollte sie auch sagen? Die Wahrheit war in dem Fall unangebracht. Sie wollte doch bloß darauf aufmerksam machen, was ihm fehlen könnte...
 

Eine viertel Stunde später...
 

Sonoko seufzte, sie saß draußen mit Natsumi, die ihre Aufnahmen, die sie gemacht hatte, noch an ihre Chefin weiterleiten sollte, jedoch kümmerte sie sich lieber um ihre beste Freundin, die Trübsal bließ.

„Toller Tag... Ich bin nicht dahingegangen, um irgendwen umkippen zu sehen. Wer weiß, was er hat? Vielleicht lösen die sich jetzt auf, weil er nicht weitermachen kann.“

Natsumi war es nun, die seufzte. „Komm runter! Erstens, sei nicht so schwarzseherisch! Zweitens rede nicht so! Du tust ja so, als sei sein Leben nur wichtig, weil du die Band magst...“

Sonoko sah zur Seite. „Warum regst du dich auf? Ich mag die Musik, die sollen gefälligst weitermachen und der Baka besser auf sich aufpassen... Ihm ging es die ganze Zeit nicht gut, er hat sich ja kaum bewegt... In so einem Zustand sollte er das Bett hüten... Manche Leute sind eben wahnsinnig, im wahrsten Sinne des Wortes.“
 

„Nun schau mal, wer da auf dem Stein sitzt...“ Conan deutete auf Sonoko, die sich einfach so auf einem Stein niedergelassen hatte, während Natsumi neben ihr stand.

Sie waren mehr zufällig genau jetzt hier vorbei gekommen – eigentlich wollten sie nach Hause, sich um Kogorô kümmern. Und dann saß da Sonoko und Natsumi war bei ihr. Das traf sich irgendwie ja gut...
 

„Wie lange willst du denn noch da so sitzen bleiben? Wir sollten nach Hause, es ist gleich neun Uhr...“ Die Schwarzhaarige wollte Sonoko zum Gehen ermutigen, doch sie saß einfach nur da und regte sich viel zu künstlich auf.

„Natsumi-chan!“ rief Ran ihrer Cousine zu und winkte ihr, so dass sie ihren Blick dem Mädchen mit den braunen Haaren zuwandte. Conan rannte sogleich hinter ihnen her und kam vor Sonoko zum Stehen. Na, die hatte ja eine Laune. Was war bloß losgewesen? Hatte sie nichts vom Auftritt sehen können? Weil sie zu weit hinten gestanden hatte, vielleicht?

„Hi, Ran“, meinte die Schwarzhaarige lächelnd.

„Was hast du denn, Sonoko-nee-chan“, wollte Conan wissen, während Ran sich zu ihr hinabbeugte.

„Na, was war hier los? Habt ihr was versäumt?“

„Schlimmer, viel schlimmer, Ran, es ist der Weltuntergang.“

Natsumi holte Luft und seufzte tief. Von wegen Weltuntergang...

„Es gab Unanehmlichkeiten. Der Sänger von Laruku ist einfach da drinnen auf die Schnauze gefallen...“ Sonoko machte, weil diese Rena Mizunashi so übertreiben musste, aus einer Mücke einen Elefanten, wie Natsumi fand. Sie selbst war mehr mitgenommen, weil er während er gesungen hatte, auf einmal geheult hatte.

„Einfach so?“ Ran wunderte sich ein wenig.

„So ein Vollidiot!“ schrie Sonoko und sprang von ihrem Platz auf, weshalb Ran etwas nach hinten huschte.

„Ach, jetzt auf einmal?“

„Sie denkt, die hören jetzt auf, daher weht der Wind.“

Sonoko seufzte erneut und setzte sich wieder hin. „Lebensmüder Idiot! Idiot! Idiot!“

Conan fragte sich, wie man bitte so drauf sein konnte, aber was sollte es. Es war Sonoko. Dass die unmöglich normal war, wussten sie ja.

„Gab’s denn keine Anzeichen dafür? Ist das einfach so passiert?“ fragte Conan kindlich, so dass Natsumi den Kopf schüttelte und sich zu ihm runterbeugte.

„Er sah die ganze Zeit nicht so gut aus. Vielleicht hat er einfach zu wenig gegessen. Was weiß denn ich? Er hat Rena-chan erzählt, dass wer aus seiner Familie gestorben ist und er sich deswegen die Haare abgeschnitten hat, also gut drauf war er keinesfalls.“

„Aha“, kam von Conan, Ryochi kam neben ihm zum Stehen.

„Lass mich raten, wer es war, hat er nicht gesagt?“

„Geht keinen was an außer ihn, das hat er geantwortet, als man fragte. Aber das ist auch gar nicht das Merkwürdigste daran...“ Die 19-jährige Studentin senkte tief den Blick. „Ich bewundere Rena Mizunashi...“

Conan wurde blass und machte einer Leiche Konkurrenz.

‚Kir?’ Er musste Schlucken. Warum bewunderte Natsumi sie? In seinem Gesicht machte sich Wut breit. „Wieso bewunderst du sie?“ Obwohl er das nicht hören wollte, war der Junge unwahrscheinlich gefasst... Er hätte viel lieber richtig gebrüllt.

Natsumi erschrak durch den lauten Tonfall des Jungen – er klang, als passte ihm was nicht.

„Na ja, sie wusste sofort, was zu tun ist und hat durch den ganzen Raum geschrieen, er bräuchte einen Notarzt, vielleicht hätte er ja innere Blutungen... Da war nirgendwo Blut, wie kam sie nur auf so was?“ Natsumi war die Tochter eines Anwalts und die Schwester eines Detektivs, sie hatte schon so einige Ermittlungen mitbekommen und war daran gewöhnt, so zu denken.

Gute Frage, allerdings, Ryochi und Conan blickten einander an. Sie spürten, dass sie die gleichen Fragen hatten. Conan wusste von Kir, das hatte Ryochi seine Reaktion gezeigt. Er sollte endlich die Meinung ablegen, dass alle in der Organisation ohne Ausnahme böse waren.

„Rena ist schon was Besonderes, das stimmt. Also mich wundert so was nicht mehr.“

‚Mich aber, Ran. Sie kann so was nicht wissen... Es sei denn, sie haben was miteinander zu tun, so wie ich dachte. Na, das würde doch passen. Das Sänger-Duo als Mitglied der Organisation. Und Kimi hat’s erwischt. Über beide weiß man relativ wenig. Die sind genauso übel drauf wie Chris Vineyard. Oh Gott, ich glaub’, mir ist schlecht...’ Conan kämpfte wirklich damit, diese verdammte Übelkeit zu verdrängen, aber wenn er an die Organisation dachte, wurde ihm automatisch Angst und Bange.

„War doch alles so schön da, muss der umkippen?“

„Sonoko, du gehst mir auf die Nerven! Das Leben ist nicht immer nur Eitel-Sonnenschein!“ Natsumi wurde laut und dann ließ sie die schlecht gelaunte Sonoko einfach sitzen, um davon zu laufen.

‚Halt, Natsumi...’ Ran streckte ihren Arm aus, rannte ihr aber nicht nach – vorerst. ‚Ich... Ich will doch noch was wissen...’ Die Schülerin hatte das gleiche Gefühl von hilflos Rumstehen wie sie es damals bei Shinichi gehabt hatte. Damals, als er auf Nimmerwiedersehen aus ihrem Leben verschwunden war. Zwischendurch war er zweimal aufgetaucht und dann erneut weg gewesen. Es war jetzt schon lange her... Wieso kam er nicht mal wieder vorbei? Er hätte diesen Fall mit der Sängerin auf der Stelle gelöst, er löste doch jeden Fall mit links... Sie vermisste ihn - fühlte sich schwach - deswegen konnte sich Ran nicht mehr auf den Beinen halten und ging auf die Knie. ‚Shinichi, wo bist du? Ich brauche dich...’

Sonoko blickte zur Seite, sie sah Ran und erhob sich. „Was hast du denn, Ran?“ Ihre beste Freundin machte sich Sorgen. Sie bemerkte Conan, der ihr sanft über den Rücken strich.

„Nicht traurig sein, Ran-nee-chan... Shinichi weiß sicher schon von dem Fall und wird uns helfen.“

‚Oh Gott, tu das nicht, Conan, versprich dem Mädchen nichts...’ Ryochi fand es war wie Öl ins Feuer gießen und dann jemanden enttäuschen. Auch wenn er Shinichi war und damit nur sagte: Hallo, hier bin ich doch, direkt bei dir... Am liebsten hätte der Detektiv dem Mädchen gesagt, dass es Shinichi war, der sie tröstete. Doch dann erhob sich das Mädchen wieder. „Ich... Entschuldige, Conan-chan, ich bin eine Heulsuse. Shinichi würde über mich lachen.“

„Ganz bestimmt nicht, Ran-nee-chan, er wäre sehr traurig, wenn er dich so sieht.“

„Mhm, genau, ich werde jetzt ganz stark sein und Natsumi nachlaufen, um sie nach Kimi zu fragen.“ Ran ballte eine Faust. „Der Mörder geht mir nicht durch die Lappen, der kann sich frisch machen!“ Und schon war sie losgestürmt, was Conan als gefährlich ansah, so dass er Ryochis Jackenzimpfel nahm, um diesen mit sich zu zerren. „Ich will sie nicht alleine lassen, wenn sie so wütig ist... Da passiert ihr noch sonstwas.“

Als sie Sonoko etwas hinter sich gelassen hatten, begann Ryochi mit hektischem Atem etwas zu sagen.

„Was denkst du, weshalb der Typ umgekippt ist? Meinst du, dem wurde was angetan? Und Rena wusste es?“

Conan blickte zur Seite. „So in der Art. Aber jetzt ist erstmal Ran wichtig, ich will nicht, dass sie sich darin verrennt, den Mörder alleine zu stellen, wenn der vielleicht ein Mitglied von denen ist...“ Es war die blanke Angst, das sah ihm Ryochi an. Shinichi war immer sehr vernünftig gewesen, das hatte Shina ihm gesagt. Doch wenn es um Ran ging, verlor er sehr schnell seinen kühlen Kopf, wovon der Detektiv Zeuge wurde.
 

Ran hatte mittlerweile, da sie sportlicher als Natsumi war, ihre Cousine eingeholt und seufzte. „Lauf doch nicht weg, Sonoko hat das sicher nicht so gemeint. Sie mag eben diese Band und ärgert sich jetzt... Sie wird sich beruhigen, wenn herauskommt, dass es ihm schon besser geht.“ Ran versuchte aufmunternd zu lächeln, doch Natsumis Blick ging zu Boden.

„Körperlich... Ja, das vielleicht. Ich denke nicht, dass ihm so viel fehlt, wie Rena meinte.“

Die 18-jährige beobachtete Natsumi. Irgendetwas wusste sie wohl, wenn sie schon solche Dinge sagen musste.

„Klingt, als hätte er Kummer.“ Ihr Körper zitterte. Noch immer musste sie an Kitas Worte denken, es ging nicht mehr aus ihrem Kopf. Vielleicht ein schlechtes Gewissen? Wie ging es auch anders, wenn er etwas von ihr gewollt hatte?

„Du hast vorhin nicht zugehört – er redete davon, dass jemand aus seiner Familie gestorben ist, aber das glaube ich nicht“, erwiderte Natsumi. „Ich glaube vielmehr, er will nicht zugeben, um wen er wirklich trauert und hat gelogen.“ Die Schwarzhaarige setzte sich auf eine Bank und Ran sich neben sie.

„Das denkst du nicht einfach so...“

„Ich arbeite ja jetzt bei der Presse. Weißt du, unsere Redakteurin, sie ist – scheußlich.“ Ihre Abneigung sah man ihr an. Die Schwarzhaarige fand nichts an der Rotblondhaarigen, das auf ein gutes Herz hätte schließen lassen.

„Ach, wirklich? Was ist so scheußlich an ihr?“

„Sie hat abnormale Berichte rausgegeben. Sie berichtete nicht nur über eine tote Sängerin, sie berichtete davon, dass sie mit einer ganzen Band was hatte. Na ja, fast...“ Natsumi schüttelte sich. Eine Gemeinheit nach der anderen kam und dann war diese Frau auch noch in dieser Organisation... Kein Wunder, dass sie so war und sich eine Freude daraus machte, jemandes Ruf zu schädigen.

„Dann berichtete sie noch davon, dass Kimi mit dem Mann, den ihre Bandkollegin liebt, etwas gehabt haben soll. Sie hat laut meiner Redaktionsschefin vor keinem Mann halt gemacht, verstehst du. Also stand Hyde von Laruku bei uns auf der Matte, um sie zur Schnecke zu machen. Ich habe mich so gefreut, dass sich jemand beschweren kam. Sie hat ihn allerdings rauswerfen lassen, als er ihr mit einer Klage gedroht hat. Ich denke, die Person, um die er trauert, ist Kimi. Sonst keiner.“ Sie war davon überzeugt, Natsumi war nicht dämlich, sie bemerkte, wenn etwas nicht stimmte. Und an dem stimmte so einiges nicht.

„So ist das.“ Ran war gar nicht so überzeugt. ‚Das sagt mir nur, dass er sie geliebt hat, also kann er sie auch aus Liebe ermordet haben. Schrecklich...’

„Ran, du bist so komisch, fehlt dir eigentlich etwas?“ fragte Natsumi, doch Ran lächelte nur und schüttelte die Hände.

„Nein, mir geht’s gut. Aber du weißt doch, ich bin ein Fan von Kimi, ich finde es schrecklich, was geschehen ist. Aber ich muss dazu sagen, er war bestimmt nicht nur deswegen so wütend, dass man ihr Männergeschichten unterstellte. Ich denke, er hätte selbst gerne, aber hatte keine Chance bei ihr. Hat ihn sicher sehr wütend gemacht.“

„Es gibt Veschwörungstheorien, dass er weiß, wer der Mann ist, den Kimi liebte, aber das ist auch nur ein Gerücht. Meine Chefin bekam einen Anruf, in dem ging es um den Vorschlag, eine tragische Geschichte aus ihrer Liebe zu machen. So wird Kimi wenigstens nicht ganz unten durch sein. Ich würde so gerne sehen, wenn sich dieser Mann meldet, aber außer Hyde hatte dazu keiner Lust... Was ist das für’n Feigling, der nicht zu einer Toten stehen kann, die man durch den Fleischwolf dreht?“

„Ich weiß nicht.“ Nein, das tat sie wirklich nicht. Dieser Mann, der ihrem Vater Angebote machte, liebte er sie wirklich so, oder hatte er andere Ziele? Sie fürchtete, dass ihr Vater übelst über den Tisch gezogen wurde und alles eine Falle war... Und am Ende gab es da gar niemanden, der Kimi wirklich ernsthaft geliebt hatte. Das würde aber ja heißen, dass sie niemanden gehabt hatte. Rans Augen füllten sich mit Tränen, sie fand den Gedanken so schrecklich, nur zu gut wusste sie wie es war, wenn man alleine war.
 

Nach ihrem harten Tag kam Rena leicht seufzend in ihre Wohnung zurück, ohne zu ahnen, dass man sie dort erwartete. Sie lehnte sich gegen die Tür und sammelte sich dort ein wenig. Endlich hatte sie wenigstens ihre Ruhe. Sich Sorgen zu machen und dann noch arbeiten zu müssen, war nun einmal hart. Noch dazu fühlte sie sich an Dinge erinnert, die schon eine Weile her waren. Sie hatte das Gefühl mit Schuld am Leid anderer zu sein, weil sie hier mitmachte. Rena war immerhin ein Mitglied der Organisation, die täglich für Unheil und das Leid anderer sorgte, es war nicht einfach damit klarzukommen. Es riss zu Dummheiten hin. Dummheiten, die sie eines Tages mal teuer zu stehen kommen könnten. Sie war einfach viel zu weich, um zuzusehen. Vielleicht wurde sie aus Verzweiflung auch irgendwann mal so grausam wie Vermouth? Wer wusste das schon?

Das Licht im Hausgang ging an, ohne dass sie einen Schalter gedrückt hatte. Die Moderatorin erschrak, zuckte leicht zusammen und besah die Person im Hausflur im nächsten Moment verwirrt.

„Wo – wo warst du?“ Von seiner Erscheinung, die so unwirklich gewirkt hatte, da sie es einfach nicht glauben konnte, dass er hier war, geblendet, ging sie mehr apathisch vorwärts und legte monoton ihre Arme um ihn. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“ Man hätte Rena für einen Geist halten können, aber im Moment wollte sie sich einfach beherrschen, um nicht loszuheulen. Das Zittern ihres Körpers, wie es gerade über sie kam, veranlasste ihn dazu, sie fest in seine Arme zu schließen. Sie wirkte auf ihn, als würde sie etwas ahnen...

„Tut mir Leid, ich wurde wieder verfolgt.“ Valpolicella ließ ihm ja keine Ruhe, er hatte nicht früher herkommen können. „Ich musste Jamie vor Valpolicella retten, deswegen bin ich die wieder nicht losgeworden.“ Man hörte die leichte Abneigung in seiner Stimme, auch wenn er sie dämpfte.

Sie presste ihre Hände gegen ihn und vergrub den Kopf in seinem Hemd, das sehr weit offen war – ein paar Knöpfe mussten es wohl sein. Rena war nur froh, dass er endlich wieder hier war.

„Hat sie dich wieder bedrängt?“ fragte sie leise und bekümmert, dabei hatte sie ihn so umarmt, als wolle sie zeigen, dass er zu ihr und zu keiner sonst gehörte.

Yuichi schwieg etwas länger, normalerweise hätte er ihr sofort geantwortet, doch heute konnte er nicht. Dass sie ihn bedrängt hatte, war so nicht ganz richtig. Wie um alles in der Welt sollte er ihr bitte diesen Fehltritt - auch wenn er es nicht für sich, sondern für andere getan hatte – erklären? Es war immer noch ein Fehltritt...

Das schlechte Gewissen, das er dabei hatte, weil sie ihm vertraute, ließ ihn seufzen. „Ich muss dir da etwas erzählen – das wird dir sicherlich nicht gefallen.“

„Hast du dich schon wieder verletzt?“ Sie löste sich und sah ihn beinahe schon sauer an, dabei verstand sie alles total falsch. „Was hast du angestellt? Hast du dir Ärger gemacht?“

„Wie man’s nimmt. Ärger würde ich jetzt nicht direkt sagen“, Yuichi lief ein Schweißtropfen über die Schläfe, diesmal fiel es ihm so immens schwer, ehrlich zu sein, damit hatte er eigentlich eher selten Probleme gehabt. „Jamie wurde von ihr doch fast umgebracht... Ich musste sie irgendwie wieder zur Vernunft bringen... Also habe ich...“ Der Schwarzhaarige senkte betreten den Kopf, während er stoppte und einmal tief Luft holte. „Ich habe sie geküsst, da war sie wie beflügelt. Ich habe sie quasi entführt, bevor sie Jamie noch ganz den Rest gegeben hätte, es war wirklich knapp. Und weil sie dann andauernd sagte, das würde er büßen, sie würde ihn bestrafen, bin ich mit zu ihr gegangen...“

„Du warst also nett zu ihr, um sie umzustimmen?“ Rena lächelte – jedenfalls bisher noch. „Was du so alles für deine Freunde erduldest, finde ich bewundernswert.“ Wenn sie so etwas mit Jami machte, würde er es bestimmt auch verstehen... Sie hatte bisher nie gewagt, zu sagen, wie sie ihn beeinflusst hatte.

„Oh ja, ich war nett zu ihr, zu nett, die wird mich bis an mein Lebensende verfolgen.“ Yuichi hatte das Gefühl, Rena hatte nicht so ganz verstanden, was er bei ihr zu Hause gemacht hatte. Er wollte es ihr aber auch nicht unsensibel reindrücken. Aber der Schwarzhaarige wusste sich nicht auszudrücken, alles, was ihm so einfiel, fand er irgendwie zu hart, um es ihr zu sagen. Aber, was sein musste, das musste, dieses schlechte Gewissen, er hielt es nicht aus.

„Wie nett?“ fragte jetzt Rena doch etwas ängstlich, sie ahnte etwas und schluckte instinktiv.

„Ich habe sie machen lassen...“ Sie hatte ihn ja bei sich zuhause förmlich angefallen und sich an ihm vergangen, er fand seine Art, es auszudrücken jedenfalls passend. Sie hatte getan, er hatte mitgespielt.

Angesichts der Tatsache, was genau Valpolicella ganz zweifellos von ihrem Freund wollte, musste er gar nicht mehr sagen, sie verstand sehr genau, was seine harmlos ausgedrückten Worte bedeuteten. Sie spürte einen Schmerz, der sich durch ihre gesamte Brust zog, jedoch nicht nur, weil eine andere es gewagt hatte, ihn zu berühren – mehr noch, da Rena wusste, wie groß seine Abneigung dieser Frau gegenüber war. Man konnte fast schon von Hass sprechen, so eine hatte ihn anfassen können. Dass sie die erstbeste Gelegenheit nutzen würde, war klar gewesen. Hatte diese kranke Irre denn nicht bemerkt, dass er das gar nicht gewollt hatte? Oder war es ihr einfach egal, was er fühlte oder ob da überhaupt so etwas wie Gefühle vorhanden waren? Sie schüttelte sich, was war diese Frau widerlich. Statt ihrem Freund jetzt die größte Szene zu machen, weil er sie wohl betrogen hatte, drückte sie sich jetzt erstrecht an ihn und erlag den Tränen, die blitzschnell in ihre Augen getreten waren.

Yuichi war perplex, wagte es erst nicht, sie auch nur im entferntesten zu berühren. Was war das? Jedenfalls war es nicht das, womit er die ganze Zeit gerechnet hatte... Er wünschte sich, sie wäre wütend und würde ihn sogar anschreien, doch seine zartbeseitete Freundin war das Verständnisvollste, was er je gesehen hatte. War da denn kein bisschen Wut in ihr?

Aber am allerschlimmsten war, dass sie weinte. Ihm wurde schlecht vor lauter Kummer. Er würde die nächsten Tage garantiert nicht richtig essen können, wenn er sich vorstellte, was sie nun wohl durchmachen musste, aber es hatte rausgemusst, so Leid und weh es ihm auch tat, sie nun so zu sehen. Ihm fiel nichts ein, was er hätte sagen können, deswegen drückte er sie an sich – natürlich war er froh, dass sie nicht damit gekommen war, sich von ihm trennen zu wollen, weil er so etwas getan hatte, was ihn aber nicht davon abhielt, todtraurig zu sein.

„Ja-Jamie, du hast ihn gerettet“, überkam es die Braunhaarige und sie drückte sich noch fester an ihn. Dass er andere immer beschützte, war eine der Sachen, die sie besonders mochte, aber auch eines der Dinge, die ihr die meisten Sorgen machten.

„Das hoffe ich doch...“ Wenn er seiner Freundin schon so wehtun musste, dann sollte diese dumme Kuh seinen Freund wenigstens in Ruhe lassen. Allerdings war es für den wohl jetzt aus mit Verräter... Ein falscher Schritt und Yuichis Verehrerin würde es sich blitzschnell anders überlegen...

„Ja, ich auch.“ Rena dachte im Moment an alles, nur nicht an sich selbst. Sie hatte Jamie ja zusammen mit Cencibel gefunden und wusste, wie sehr Valpolicella wieder übertrieben hatte. Er hatte wirkliches Glück gehabt, noch am Leben zu sein.

Wenn Jamie jetzt nicht äußerst vorsichtig war, hätte er ja umsonst mit dieser Irren geschlafen und seine Freundin damit betrogen. Yuichi würde aber nicht einfallen, Jamie irgendwelche Vorwürfe zu machen, wenn er andere Leute beschützte, er war ja selbst nicht anders und nur deswegen in dieser Lage.

„Ich denke, du bist nicht der Einzige, der sich Ärger macht, weil er nicht anders kann...“

Yuichi stutzte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, ich habe mich auch nie als Einzelstück gesehen, das wäre auch ziemlich aussichtslos... Und selbst wenn, ich würde alles wie bisher machen.“

Der Schwarzhaarige tat es nicht, weil er unbedingt etwas Besonderes sein wollte, sondern Yuichi sah es als so eine Art Bestimmung an immer helfen zu müssen. Ob er dann noch leben würde, wenn er der einzige gewesen wäre, war die andere Seite der Medaille.

„Was denkst du, wie extrem würde Jami bei Cognac reagieren, wenn er zu viel heraus bekommt?“ Im Grunde war sie doch eine Frau, die er eher verschonen würde, aber seinen besten Freund – den nicht auch?

„Ich weiß nicht – ich denke aber nicht, dass er ihn in ganz extremen Fällen verschonen würde. Jami ist ein Produkt unseres Bosses! Ein Abklatsch von ihm. Der Boss hat ihn zum Mörder erzogen.“

„Ich denke, dein Freund Cognac hat Mitleid mit ihm, gerade aus dem Grund.“

Sêiichî ist ja auch ein Weichling, was so etwas angeht.“

Rena seufzte leicht. „So wie ich, nicht wahr, Yuichi? Ich bin auch ein Weichling...“

Der 26-jährige schüttelte den Kopf. „Ich will gar nicht, dass du total hart wirst... Du bist eine Frau, Rena, das ist etwas anderes. Ich will nicht, dass aus dir so was wie aus Chris wird. Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um. Du solltest so bleiben, da musst du dir überhaupt keine Gedanken machen, überlass das nur den Männern.“ Yuichi strich ihr mit einem liebevollen Lächeln über die Wange, er liebte ihr ab und zu sehr zartes Wesen und ihre Empfindsamkeit, das kam von ihrem großen Herzen, was sie schließlich schon oft unter Beweis gestellt hatte. Deswegen war sie anders als die meisten Reporter und Moderatoren schon ein regelrechter Star.

Ungläubig sah ihn die 27-jährige an. Sie konnte es wohl noch nicht fassen, was er gesagt hatte. „Warum sollen Frauen sich deiner Meinung nach immer auf Männer verlassen? Manchmal ist man eben auf sich selbst gestellt...“ Sie drehte leicht bekümmert den Kopf weg. „Und es ist ja nicht so, dass ich nicht klarkomme, Yuichi. Ich komme genauso gut klar, wie Vermouth es tut. Nur weil Valpolicella eine Nummer zu groß ist, sie ist eben einfach zu gut, heißt das noch lange nicht, dass ich schwach bin.“

„Ich habe dich doch nie schwach genannt. Ich will nur vermeiden, dass du wieder in irgendwas reinschlitterst, was dich zum Töten zwingt. Am liebsten wäre es mir, du tust es überhaupt nicht. Das passt einfach nicht zu dir.“ Nun hatte auch Yuichis Stimme einen bekümmerten Klang.

„Ach komm, hör auf, das wird sich kaum vermeiden lasen, wenn man es mir aufträgt, und das weißt du.“

‚Dann bin ich schneller als du... Jedenfalls lasse ich nicht zu, dass du tötest, Rena. Noch mal will ich nicht so was wie die Sache mit Hondô mitkriegen, der Kerl hatte jawohl einen Totalschaden, dich einzusperren und zu Geständnissen zwingen zu wollen... Um den tut’s mir irgendwo nicht Leid. Wieso war ich an dem Tag nicht da? Ich hätte den Kerl erschießen sollen, nicht du...’ Sein Blick sagte alles, man sah ihm sämtliche Gedanken an. Er hatte so etwas Rebellisches, er lehnte sich doch seit Jahren gegen irgendwelche Regeln auf.

„Stellt dir Jami eigentlich immer noch nach?“ wollte Yuichi wie aus heiterem Himmel wissen, so dass Rena ihn verwirrt und schockiert zugleich anblickte.

„Wieso fragst du das? Er hat noch nie Anstalten gemacht, sich an mir zu vergehen oder so etwas, ist also harmlos...“ Kir hatte Schweiß im Gesicht, sie wirkte nervös, was ihm sagte, dass sie ihm etwas vorenthielt.

„Was versuchst du mir zu verschweigen?“ Etwas entrüstet hörte sich der Schwarzhaarige an, als er sie das fragte und blickte sie vorwurfsvoll an.

„Ich habe eine Dummheit begangen...“ Rena senkte den Blick, wirkte dadurch aber nicht deprimiert oder Derartiges, sie sah eher nachdenklich aus. „Jami war mal wieder in seinem Element. Und bevor die Situation total entgleist wäre, habe ich ihm klargemacht, dass ich ihn nicht mag, wenn er so ist, also ist er etwas friedlicher geworden... Kann sein, dass er irgendwann eine Gegenleistung dafür will... Kimi kann er nicht mehr erpressen, vielleicht wird er mich dann daran erinnern, was ich gesagt habe und weiter den netten Kerl spielen...“ Rena seufzte leicht auf. Seit diesem Tag bemühte sich dieser Mistkerl wirklich, so fair wie möglich zu sein. Er hatte aufgehört, Männer aus Spaß zu verprügeln. Langsam wurde der 28-jährige erträglich. Aber die Sache hatte natürlich einen Haken. Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er einfach nett wurde und vergaß, dass Kir ihm gesagt hatte, welche Art Mann sie mochte... Natürlich wollte er damit bei ihr landen.

„Du solltest das Frauen wie Vermouth überlassen...“ Die konnte es doch am besten, Männer zu bezirzen.

„Die war aber zu dem Zeitpunkt nicht da, und sie hätte das Opfer wahrscheinlich nur benutzt. Das ist ihr zuzutrauen...“ Manchmal war ihre Freundin wirklich skrupellos. Wenn sie gewusst hätte, was sie gerade mit einem Mann, der trauerte, anstellte, hätten sich bei Rena die Nackenhaare aufgestellt, zumal er dadurch in direkter Schusslinie war, statt Vermouth. Sie ließ also einen anderen den Kopf hinhalten.

„So ist sie eben - wenn es um ihre Pläne geht, würde sie wohl so gut wie jeden benutzen, auch dich, sei da bloß vorsichtig.“

Kir wirkte ein klein wenig bekümmert, sie war keine Träumerin, die nur das Gute in Chris sah, diese Frau hatte ihre böse und grausame Seite. „Deswegen war ich wohl auch so erpicht darauf, die Sache selbst abzuwickeln, ich dachte, dass ich sie ja nicht immer anrufen muss. Ich wollte auch mal alleine klarkommen. Also bin ich Jami suchen gegangen, der gerade schon mit dem Opfer beschäftigt war. Du willst nicht wissen, wie er wieder drauf war. Jamis Psyche ist total ruiniert. Er denkt, dass er anderen das antun müsste, was man ihm früher angetan hat. Deswegen ist er auch wie ein Gestörter auf diesen Mann los, der ihm natürlich unbewaffnet total unterlegen war.“ Sie begann zu erzählen, obwohl sie das nicht musste. Kir war aber nie ein Mensch gewesen, der, wenn er die Gelegenheit dazu hatte, mit jemandem zu reden, Dinge für sich behielt.

The beginning of the end...

Ein Regentag im April...
 

Es war wirklich gefährlich gewesen für eine Frau, alleine dorthin zu fahren, aber da es sich um den Frauenliebhaber Jami handelte, war Kir ganz alleine am Tatort aufgetaucht. Ein Wald in Tokyo. Es war schon Abend gewesen, also dunkel und es hatte geregnet – oder viel mehr sogar schon gestürmt. Die Haare waren einem um die Ohren geflogen, wenn man sie nicht hinten zusammengebunden hatte. Und klatschnass war man auch nach weniger als 15 Sekunden gewesen.

Der 15. April war es gewesen, ein Tag nach Cognacs Geburtstag.

Natürlich hatte sich das Opfer mit Händen und Füßen gegen seine Entführung gewehrt, weshalb der junge Mann schon lädiert im Wald gelandet war. Er hatte sich ein Gefecht mit Karate-Ass Carignan geliefert und einen K.O.-Schlag kassiert, weshalb es für den großen Mann ein leichtes gewesen war, ihn zu verschleppen.

Und Kir war mit schuldig gewesen, dass Jami überhaupt erst auf solche Gedanken gekommen war. Sie hätte damals leiser mit Kimiko reden sollen, oder sich wenigstens nicht dabei erwischen lassen. Erst Katori hatte ihr erzählt, dass Jami sie belauscht hatte, also hatte sie retten wollen, was zu retten war...

Kir versteckte sich hinter einem Baum und beobachtete die drei Personen – drei Männer, zwei davon waren bewaffnet. Dem Dritten im Bund hatte man die Hände auf dem Rücken gefesselt – typisch Feiglinge eben. Da war er schon quasi wehrlos, weil er keine Waffe besaß und diese Mistkerle hatten ihn noch wehrloser gemacht, als er ohnehin schon gewesen war. Ihr Körper war erzittert vor Angst. Jeder wusste, wie scharf Jami schoss. An dem Tag hatte sie der Typ total überrascht, sie hatte gar nicht erst damit gerechnet, dass er dem Jüngeren irgendwelche Chancen geben würde, zu überleben.

Er hatte sich dicht an ihn herangepirscht und mit einem überheblichen Blick zu ihm hinabgesehen. Dermaßen überlegen hatte sich Jami wohl gefühlt. Kein Wunder, er wollte schließlich Rache an dem Opfer, weil er mitten in der Stadt mal einen Streit angefangen und ihm ein paar Knochenbrüche beigebracht hatte – so hatte man es ihr erzählt. Kaum zu glauben, aber Kir konnte sich gut vorstellen, dass das Jami natürlich gar nicht gepasst hatte. Dann mit einer Waffe, die er eben in der Stadt nicht hatte benutzen dürfen, war er natürlich überlegen, was er voll und ganz hatte ausnutzen müssen. Er war ein unfaires, gemeines Schwein, das auf jemanden, den man gefesselt hatte, einschlug. Aber das war ja nicht das Schlimmste gewesen.

„Na, hast du geglaubt, dass du so davon kommst?“ war es gewesen, was Jami als erstes zu seinem neuen Spielzeug sagte.

Grinsen war ihm entgegen gekommen. „Sagen wir so, ich habe es gehofft, jetzt möchtest du meine Hoffnungen zerstören, mhm?“ Frech – ja, rotzfrech hatte sich der Satz des Jüngeren angehört und sein Blick war der eines Rebellen. Wahrscheinlich war ihm unbewusst, dass er damit bei Jami alles schlimmer machte. Dieser Killer hasste Männer, die es wagten, frech zu ihm zu sein, die quälte er besonders gerne.

„Vorsicht, Vorsicht, ich bin jetzt der Gott, der über dein Leben oder deinen Tod entscheidet... Dein Leben liegt in meinen Händen. Wenn ich du wäre, würde ich nicht so eine große Lippe riskieren. Ich habe einen guten Tag, Kleiner. Ich lasse dir sogar die Wahl. Du willst doch noch eine Weile leben, oder?“

Kir war geschockt. Bitte was sollte das heißen? Spielte Jami nur ein Spiel, oder war es sein Ernst? Er wollte jemanden verschonen?

„Wie großzügig, Kami-sama“, belustigte Worte, die nur ironisch gemeint waren.

Das Gesicht des schwarzhaarigen Mannes verfinsterte sich. „Willst du dich über mich lustig machen? Schau dir das an, Kleiner!“ Er strich mit der Waffe in der Hand über die Wange des Jüngeren, der nur mit dem Gesicht etwas nach hinten konnte, um sich dagegen aufzulehnen. „Hast du schon mal das Ausmaß von Kugeln dieser Art in einem deiner Körperteile erlebt? Ich kann dir gerne mal zeigen, wie es ist, vielleicht nimmst du mich dann ja ernst...“

Natürlich nahm ihn der Jüngere ernst, immerhin fuchtelte er mit einer geladenen Waffe vor seinem Gesicht rum. Wenn er gewollt hätte, dann hätte er ihn mit einem Schuss erledigen können...

„Ich nehme dich sehr ernst, Jami. Du scheinst mich aber ja noch ernster zu nehmen, sonst hättest du mich nicht gefesselt. Du bist ein kleiner Feigling. So einer ist nicht Gott für mich, träum mal schön weiter.“ Ein Mann, der einen anderen fesseln und ihm mit einer Knarre kommen musste, war nichts weiter als feige, es war eben so – die Wahrheit, die Jami natürlich nicht verkraften würde.

Die Angst vor Jami zu verbergen, war nicht einfach, aber man hatte sie ihm nicht angesehen – nicht ein kleines bisschen, es sei denn man war Jami und roch so was. So ziemlich jeder in dieser Lage wäre der Angst zum Opfer gefallen.

„Du bist sehr mutig, du würdest zu uns passen.“ Der Killer meinte seine Worte ernst, trotz des gehässigen Grinsens in seinem Gesicht klang er vollkommen ruhig. „Ich hatte schon lange keinen mehr, der es gewagt hat, frech zu mir zu sein“, gab Jami von sich, während er ein wahnsinniges Lachen hören ließ.

„Bitte? Ich würde lieber sterben, als meine Seele dem Teufel zu verkaufen.“ Es war dumm von ihm, so dumm, das musste er doch selbst wissen. Mit den Worten sagte er doch bloß, dass Jami ihn lieber umbringen sollte, was er auch tun würde. Das war der Grund gewesen, weshalb Kir sich zeigte.

„Jami, warte!“ hatte sie gerufen und war auf ihn zugestürmt. Sofort war sein Blick der 27-jährigen Kir zugewandt worden. „Es gibt keinen Grund ihn zu töten, ich bitte dich...“

Die süße Kir hatte Recht, deswegen gab er sich ja solche Mühe, außerdem hatte er den Kleinen total gefressen, er erinnerte ihn an sich selbst früher. Er war auch mal so ein frecher Junge gewesen, der sich nichts hatte gefallen lassen – Jami wollte ihm dieses FRECHE austreiben, indem er sehr böse zu ihm war. Wenn er ihn tötete, war das doch langweilig.

„Halt dich da raus, Kir, das ist eine Sache zwischen ihm und mir. Er hat eben meine großzügige Einladung abgelehnt. Wenn er lieber sterben will, werde ich ihm diesen Wunsch nur zu gerne erfüllen.“ Es war ein Bluff, der natürlich nicht auffiel. Man glaubte ihm jedes Wort, obwohl er noch gar nicht vor hatte, ihm die Lampe auszuknipsen, er wollte ihm nur Angst machen, indem er seine Waffe auf ihn richtete und ihm mit diesem grausamen Blick direkt in die Augen sah.

„Vergiss aber nicht, mir direkt in die Augen zu sehen, wenn du abdrückst...“ Mit einem kleinen Schlucken sagte es der Jüngere. Jetzt hatte Jami ihn so weit – er zitterte und das nicht nur wegen des Regens.

Der Schwarzhaarige hätte schon längst abgedrückt, wenn er ihn angefleht hätte. Wenn sie so große Angst hatten, dass sie um ihr Leben bettelten, erschoss er sie am liebsten. Es machte ihn an, Leute in Angst und Schrecken zu versetzen, so hatte ihm der Boss es eingetrichtert. So hatte man die Leute zu behandeln. Man musste sie solange bearbeiten, bis sie vor Angst fast in Tränen ausbrachen...

„Danke, dass du geschwiegen hast... Du hast mir sehr geholfen... Eigentlich bist du schon ein Mörder.“

Die Augen des Jüngeren weiteten sich schockiert.

Kir fand es so grausam, ihm das noch zu sagen, alles an Jami war grausam. „Jami, hör auf! Du hast es eben selbst gesagt! Er hat geschwiegen! Also lass ihn...“ Sie traute sich nicht an Jami heran. Wenn man ihm ins Handwerk pfuschte, war das alles andere als gesund. Vermouth hätte hingehen können, aber sie selbst? Was würde Jami tun, wenn sie ihn aufhielt?

Jami sah das Verletzte in den Augen seines Opfers, ja, so war es schön. Er sollte leiden, das war wesentlich schöner als Töten. Wahrscheinlich wünschte sich der Kleine gerade nicht geschwiegen zu haben, doch er hatte es getan. Da musste Jami wenigstens seinen Dank aussprechen.

Die Tränen der Wut kamen, als Jami noch eins draufsetzte. „Durch dich habe ich weitertöten können, du bist mit schuld, weißt du? Und ich werde weitertöten können. Eigentlich wollte ich dich ja dabei haben, aber wer nicht will, der hat schon... Ich werde Kimi selbst beschützen müssen. Aber keine Sorge, sie ist bei mir in den allerbesten Händen. Ich werde sie ganz lieb trösten.“ Gehässiges Lachen konnte man vernehmen, das noch durch den Wald hallte.

„Du bist dumm. Sie wird wissen, wer mich ermordet hat. Denkst du wirklich, dass sie sich dann noch anfassen lässt? Mal davon abgesehen, dass du Abschaum sowieso nicht bei ihr landen kannst. Sie ist nicht so dumm. Nur falls du denkst, dass ich jetzt wütend bin. Versuch’s doch... Du wirst gnadenlos einbrechen. Es tut mir nur Leid, dass sie dann weinen wird.“

Allmählich hatte Jami das Gefühl, man nahm ihn nicht für voll. Er hatte ihn doch morden sehen, wieso war er dann so frech zu ihm? Hatte er Todessehnsucht? Das war es jawohl nicht. Irgendwas lief falsch... Es missfiel Jami ziemlich. Einen Moment dachte er sogar daran, sein Anhängsel Carignan zu töten, doch das würde den Typen wohl kaum berühren. Es musste ihm richtig eins reinwürgen. Kir kam für Jami nicht in Frage, auch wenn sie ihn zu einem Verrat bringen wollte, wie es schien.

„Jami, du bist doch kein schlechter Mensch... Das kannst du ihr nicht antun. Er hat doch nichts getan, es ist so unnötig...“ Kir redete weiter auf Jami ein, sie appellierte an Jamis Menschlichkeit, die irgendwo in ihm doch noch vorhanden sein musste, immerhin tat er sich schwer damit, Frauen wehzutun. „Du nimmst ihr den Freund weg, ist dir das klar?“

Carignan drehte sich zu Kir um und stopfte ihr mit einem wütenden Blick förmlich das Mundwerk. Sie schwieg abrupt, als er sie so gnadenlos ansah. Ein Wort noch und er würde sie erschießen, das war seine Botschaft.

„Jami, lass uns das endlich beenden. Er will nicht, also ist sein Leben für uns nicht von Bedeutung.“

„Carignan hat dir gar nichts zu befehlen, Jami!“

Man hörte ein Klacken, das von Jamis Waffe ausging, doch schoss die Kugel direkt am Kopf vorbei und traf Carignan, der hier eine große Lippe riskierte und durch den Treffer auf die Knie sank. „Allerdings, halt den Mund, Carignan, bevor ich richtig sauer werde!“ fauchte er den Mann an und wandte seine Waffe wieder auf seinen eigentlichen Plan.

Hinter ihm stöhnte der Kerl, der ihm vorhin eins auf die Zwölf gegeben hatte. Jami hatte einfach auf seinen Kollegen geschossen, er war skrupellos.

„Eins muss ich noch loswerden, Jami. Du bist Hiroya ähnlich. Ihr seid beide total abgehobene Kotzbrocken.“

Hiroya hielt sich genauso für Gott, wie es Jami tat. Für Kimikos Bruder waren alle, die keine Kriminalisten waren, niedere Geschöpfe, so hatte er es gesagt. Und von wegen, wenn er wollte, könnte er ihn reinreiten. Und er solle ihm ja dankbar sein.

„Kotzbrocken?“

„Ja, Jami, du bist ein elender, widerlicher, hässlicher Kotzbrocken...“

Bei Jami brannte eine Sicherung durch. Er nahm Carignans Gewehr an sich, fest entschlossen blickte er dem am Boden sitzenden Mann entgegen, bevor er ihm einen kräftigen Hieb in die Magengegend verpasste – er stieß ordentlich zu, so dass man ein Schmerzenskeuchen und danach heftiges Husten hörte.

„Hässlich hat mich noch keiner genannt. Weder Frau noch Mann. So einen soll ich einfach laufen lassen, Kir-chan? Das kannst du vergessen!“

Jami schwieg einen Moment und blickte nach hinten. Er hörte eine Stimme – jawoll, das passte ihm jetzt in den Kram.

„Es ist so dunkel... Wo bist du, Mama?“ Die Stimme war erst leise, dann rief sie nach jemandem.

„Ich glaube, dir muss man mal zeigen, was ich gleich mit dir mache, wenn du nicht tust, was ich von dir verlange...“

Bis auf Carignan hatte keiner die Worte von Jami verstanden, aber zu Kirs Beruhigung ließ er vom Opfer ab, ließ sein Gewehr ins Gras fallen und steckte sogar seine Waffe weg.

„Was willst du damit sagen?“

Die Frage des Mannes ignorierte er, während Carignan sich zu seinem Rücken eins ablachte, er kicherte, ihm machte es Spaß darüber zu lachen, weil er wusste, was jetzt kommen würde.

„Mami?“ Das Mädchen, welches sich im Wald verirrt hatte, schluchzte auf. Das Gras unter ihren Füßen knisterte.

Als sie den nett lächelnden Jami entdeckte, war sie erst etwas verwirrt und blickte an ihm hoch. „Hast du Mama gesehen, Onkel?“

Er reichte ihr die Hand. „Ich bringe dich zu deiner Mama.“ Noch ehe alle außer Carignan verstanden hatten, was Jami da trieb, hatte er ihre Hand dermaßen fest genommen, dass das Kind sich nicht mehr so leicht befreien konnte.

„Lauf weg, Kleine!“ hörte man das Opfer schreien, ihm schwahnte Schreckliches. Gott, er hatte längst verstanden, wie grausam Jami war, aber ein Kind... Es war ein Kind... Das war doch selbst für Jami zu viel des Guten, oder?

Carignan hielt ihm den Mund zu und sah gehässig zu Jami und dem kleinen Mädchen, das nun verunsichert wirkte.

„Ist da wirklich Mama?“

„Ja, da ist Mama“, erwiderte Jami und lächelte, als wollte er mit der Sonne konkurrieren.

„Jami, das ist nicht dein Ernst, oder? Es ist gut jetzt. Ich denke, er hat genug. Wir sollten gehen.“

„Nicht, bevor ich erfolgreich gewesen bin. Lass mich nur machen...“

Mit so einer Wendung hatte keiner rechnen können, aber er musste diesen Irren ja irgendwie davon abbringen.

Jami nahm seine Waffe zur Hand. „Mach die Augen zu, ich führ dich zu Mami.“ Er verkniff sich zu lachen und sah ihm in die Augen, seine eigenen funkelten gemeingefährlich, während er die Waffe auf das Kind richtete. „Jetzt wirst du erfahren, wie weh so was tut...“

Carignan gab einen Schrei von sich. Dieser kleine Mistkerl hatte es gewagt, ihm in die Hand zu beißen, die vor seinem Mund gewesen war.

„Jami, hör auf! Bring mich doch um! Egal, was du tust, du wirst mich nicht umstimmen!“

Man konnte Blut sehen, das sich auf dem weißen T-Shirt des Mädchens abbildete, denn der Mann hatte abgedrückt.

Das Kind spürte einen unmenschlichen Schmerz, sank auf die Knie und begann dann zu weinen.

„Itaaaai!“

Kir schlug die Hände vor das Gesicht. Sie beobachtete das Mädchen, wie es die Hände auf die schmerzende Stelle drückte.

„Es tut weh... Es tut so weh...“

„Du verdammte Drecksratte!“ brüllte Carignan, nahm den Typen an den Haaren und zerrte ihn brutal zurück.

Jami half dem Mädchen hoch, er zog sich etwas zu sich heran.

„Arme Kleine... Willst du, dass es aufhört?“ Das Blut tropfte in regelmäßigen, immer kleiner werdenden Abständen zu Boden.

„Mamiiiii!“ schrie sie, die Tränen flossen in Strömen über ihr unschuldiges Gesicht.

Der Schwarzhaarige gab dem Mädchen einen Schubs, sie fiel mit dem Gesicht nach vorne und schaffte es nicht mehr hoch.

„Warum tust du das?“ fragte sie, während sie noch immer weinte.

Ja, warum tat Jami das? Um ihm Angst zu machen? Was hatte er denn davon? Sein Stolz war zu ausgeprägt, als dass er um sein Leben gebettelt hätte, aber deswegen ein Kind verletzen?

„Du bist ein abscheuliches Etwas, bah, wie kannst du nur? Wie kannst du auf ein Kind schießen? Du... Du verdammtes Monster!“ Er war wütend, die Tränen in seinen Augen waren nicht mehr aufzuhalten, sie flossen ihm über das Gesicht, ohne dass er es verhindern konnte, was Jami nur grinsen ließ.

Du wolltest es so. Es ist bloß deine Schuld. Du hast mich so wütend gemacht, dass meine Hand gezuckt hat.“ Der Killer begann ihn auszulachen, anders konnte man sein Lachen nicht deuten.

Es war unschwer zu erkennen, dass das Mädchen den Anschlag unmöglich überleben würde. Er hatte sie zwar nicht so getroffen, dass sie sofort tot sein würde, aber überleben würde sie nicht.

„Jami, du unmenschlicher... Das musste jawohl nicht sein! Wie kannst du nur?“ Kir sah nicht hin, sie kniff die Augen zu. Sie konnte da nicht hinsehen. Auch ihr kamen die Tränen.

„Hey, Kir-chan... Es war ein Versehen...“ versuchte er sie zu besänftigen.

„Mach, dass es aufhört, du siehst doch, dass sie leidet... Bist du so grausam?“

Jami seufzte leicht und drückte die Waffe gegen ihren Kopf.

Nun kniff auch ihr Opfer die Augen zu, er hörte nur ein Knacken, und dass der Körper des Mädchens nun total zusammensackte.

Jami ließ das tote Mädchen am Boden liegen und kam wieder auf ihn zu.

„Na, zufrieden?“ Er beobachtete ihn, er heulte, was das Zeug hielt. Er hatte schon lange nicht mehr jemanden so heulen sehen. Es war Genugtuung, nur sehr schwer verkniff Jami es sich, ihm ins Gesicht zu grinsen. „Ach, wie drollig.“ Jami machte sich damit lustig.

„Weißt du, weswegen ich es getan habe?“ flüsterte er, in der Hoffnung, Kir überhörte es, deswegen hatte sich Jami auch runtergekniet, er wollte direkt in seine Augen sehen, wenn er ihm die Wahrheit offenbarte.

„Ich war auch mal so wie du... So ein unschuldiges Lämmchen...“

Carignan verdrehte die Augen, als er Jamis Märchenstunde beiwohnte. Musste das jetzt sein?

„Ich bin kein unschuldiges Lämmchen...“

„Doch, du hast Angst, nicht wahr? Du hast Angst, so wie ich zu enden? Weißt du, so war ich früher auch. Ich hatte Angst, aber glaub mir, es gibt nichts vor dem du Angst hast, wenn du eine Waffe beherrschst. Sie beschützt dich. So, wie sie mich beschützt. Das Kind da am Boden, das könntest gut du sein... Ich war stärker, der Stärkere wird immer gewinnen. Willst du nicht auch solche Macht haben? Dann gibt es nichts mehr, wovor du Angst haben musst.“

Macht, der Mistkerl laberte von Macht, ihm kam es beinahe hoch. „Du herzloses Schwein! Du nennst es Macht, ein kleines Kind zu ermorden? Und jetzt findest du dich toll?“ Am liebsten wollte er Jami dafür ins Gesicht spucken.

„Ich wollte dir nur zeigen, wie so was abläuft und wie leicht es mir fällt, abzudrücken. Ist ganz leicht, musst es nur ausprobieren.“

„Gib’s auf... Ich bin nicht so ein erbärmlicher Schwächling, wie du es bist.“

„Schwächling? Wie würdest du es finden, wenn ich mich an deiner Familie vergreife? Damit hätte ich keinerlei Probleme...“

Kir hatte es deutlich gehört, sie fasste es nicht. In dem Moment wurde ihr klar, was Jami tat, er wollte die Vergangenheit wiederholen. Genauso war es damals gewesen. Vermouth hatte es ihr erzählt, dass man erst Jamis Schwester und dann seine Eltern ermordet hatte...

„Jami, hör jetzt bitte auf. Ich weiß, dass du sehr gelitten hast, das heißt aber nicht, dass du das anderen antun darfst...“ War er denn so fasziniert davon, einen Mörder aus jemandem zu machen, der so gutmütig war? Was war es für Jami? Eine Herausforderung?

Der Killer hörte nicht auf Kir, er hörte weg. Tief in sich wusste er, dass sie Recht hatte.

„Lass bloß meine Familie da raus, du Ratte!“

„Was dann? Tötest du mich dann?“

„Ich gehe zur Polizei, ich sage alles!“ Es war ein letzter Versuch, Jami davon abzuhalten.

„Ach, echt?“

‚Nicht doch, das war das Dümmste, was du hast sagen können.’

„Er will petzen!“ Etwas Gieriges war in Carignans Stimme zu hören, er wollte hier noch einen Mord, der des Mädchens war ihm zu harmlos gewesen.

Zum zweiten Mal an diesem Tag spürte er eine geladene Waffe an seinem Kopf. Aber es war ihm lieber, als dass man ihm die Familie wegnahm. Das würde er ohnehin nicht verkraften.

„Jami, nicht in den Kopf, das ist öde... Bitte... Ich langweile mich zutode.“

Kir holte aus und schlug Carignan mitten ins Gesicht. „Hör endlich auf, Jami zu beeinflussen, du Scheusal!“ maulte sie Carignan an und versuchte Jami mit ihrem Blick zu erweichen.

„Ich denke nicht, dass er zur Polizei geht. Lass ihn doch jetzt endlich in Ruhe!“
 

Etwas vom Geschehen entfernt, hörte man Schritte, die Füße derjenigen bewegten sich schnell fort. Als sie um die Ecke bog, erlitt sie erstmal einen Schreck.

„Jami, was zum Teufel machst du da?“ versuchte die Person von den Anwesenden herauszubekommen. Sie atmete tief durch. Dass er noch am Leben war, sah sie sofort, er saß immerhin gefesselt am Boden.

„Deine Freundin... Kannst schon mal Sayonara sagen... Wird bestimmt herzzerreißend.“

Die junge Frau wurde leichenblass. „Jami, bitte tu ihm nichts, ich mache alles, was du willst, wenn du ihn nur am Leben lässt. Ich passe schon auf, dass er nicht reden geht.“

Das, was Kir versucht hatte, probierte nun auch die andere. Sie schritt langsam auf die drei Männer und Kir zu.

Ein Seufzen war zu hören. „Mach, dass du verschwindest, Kimi, sofort!“ Sie wurde von ihrem Freund angebrüllt. Von wegen, sie würde alles tun... Das sollte sie mal schön bleiben lassen. Am Ende kam Jami auf die Idee, dass er sie dann doch haben konnte... Ihm wurde schlecht, der Gedanke war kaum zu ertragen.

„Ich habe aber keine Lust, deinen Lover am Leben zu lassen, dummes Kind. Und ich denke nicht, dass du ihn abhalten kannst...“

Es war ein Wunder, dass er nicht darauf einging, was sie ihm angeboten hatte.

„Du bist doch bloß eifersüchtig! Wenn du das tust, lasse ich euch auffliegen!“

„Kimi, sei still!“ meinte nun auch Kir, sie sollte nicht solche Dinge sagen, das reichte bei Jami doch aus, dass er sie beide erschoss...

„Genau, halt dich mal schön da raus... Ich werd’s schnell erledigen...“

Sie war schneller dahin gerannt, als Jami hatte abdrückten können, der Schuss ging ins Leere, da sie seinen Arm hochgedrückt hatte. „Bitte! Tu das nicht! Du machst dir damit unnötigen Ärger! Was denkst du, was passiert, wenn du ihn umbringst? Er ist prominent, so wie ich, das gibt einen Skandal... Ich will doch nur nicht, dass du dir zuviel Ärger machst.“

Jami gab ihr einen heftigen Schubs und beförderte sie zu Boden.

„Das kriegt keiner raus... Es sei denn, du willst es jemandem erzählen. Bedank dich bei deinem tollen Freund, dass er ein totaler Schwachkopf ist. Ich wollte nur, dass er bei uns einsteigt. Er will aber lieber tot sein... Dem bist du im Grunde egal... Außerdem ist er ein Weichei. Zu weich, um sein Leben für dich zu opfern, tut mir wirklich Leid.“

Die Schwarzhaarige war im durchweichten Gras gelandet und begann dort zu weinen. „Jami, du herzloses Etwas... Wenn du ihn umbringen willst, dann musst du mich auch umbringen!“

Sie erhob sich wieder und packte Jamis Handgelenk, sie ging ihm allmählich auf den Keks. Von wegen sie war besorgt um ihn, nein, sie machte das aus ganz anderen Gründen. Das machte ihn so wütend. Was hatte dieser Kerl bitte, was er selbst nicht hatte? Er sah doch viel besser aus.

„Jami, sie hat Recht, du bist herzlos. Wenn du ihn ermordest, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben. Wirkliche Stärke und Mut würdest du beweisen, indem du ihn leben lässt. Du hast doch bloß Angst, dass er dich verrät und du dann zu viel Ärger bekommst. Ich kann Männer, wie dich, nicht ausstehen. Du Feigling... Wirklich schätzen werde ich dich erst, wenn du jemanden verschonst... Damit würdest du Charakter beweisen, aber du hast keinen.“ Kir war jetzt hundsgemein zu Jami, obwohl es vielleicht sehr dumm von ihr war. Sie wollte nicht, dass hier zwei Leute ermordet wurden, das Kind hatte ihr gereicht. „Ich mag es nicht, wenn du so grausam bist...“

„Hast du’s gehört, Kleiner? Darfst noch etwas bei deiner Kimi bleiben, unter einer Bedingung: Du vergisst ganz schnell, was du gesehen hast. Alles, was mit mir zu tun hat, wirst du vergessen.“

Eine Antwort konnte der Angesprochene nicht geben. Weiter schweigen, Jami weitermorden lassen. Alleine den Gedanken hasste der junge Mann.

„Er hat bisher immer geschweigen, also wird er es weiterhin tun, Jami!“

„Gut, sollte er irgendwelche Scheiße bauen, Kleine, dann könnt ihr euch beide auf euren Tod vorbereiten, hast du das verstanden? Also sorg dafür, dass er schön die Klappe hält.“

„Jami, was soll das?“ mischte sich Carignan ein. Das war doch wohl ein Scherz...

„Gehört? Ich bringe euch BEIDE um!“ drohte Jami noch einmal, er sollte bloß kapieren, was er zu befürchten hatte, wenn er seine verdammte Klappe aufmachte. Mutig genug, es zu tun, war er jedenfalls, also musste er jegliche Gefahr ausräumen.

„Carignan, du kannst gehen, ich brauche dich nicht mehr.“

„Nein, ich werde nicht gehen. Und wenn du sie leben lässt, werde ich das melden...“

Jami holte tief Luft, der Mann richtete seine Waffe auf Carignan. „Doch, du wirst gehen.“ Er blickte ihm ins Gesicht, das Gewehr seines Gegenübers lag noch am Boden, er war ihm ausgeliefert, also drückte er ab. Unter einem Zucken seines Körpers ging Carignan zu Boden.

„Killer wie dich finde ich überall.“ Er blickte verabscheut zu dem Toten hinab. Bei ihm hatte er es schnell gehen lassen. „Los, Kir, du hast deinen Willen... Lass uns bereden, wann wir ausgehen.“

Die Nachrichtenmoderatorin wusste, dass sie ihn jetzt unter keinen Umständen verärgern durfte, also sagte sie nichts zur Widerwehr.
 

Katori war erst viel später im Wald aufgetaucht, sie hatte beobachtet, wie Jami die beiden Musiker verschont hatte – und ihr war auch bewusst weshalb. Kir hatte wirklich ein zu gutes Herz, dafür hatte sie sogar riskiert, mit Jami ausgehen zu müssn.

Und Kimiko hatte sich ein ernsthaftes Problem geschaffen. Sie hatte Jami gezeigt, wo ihre Prioritäten lagen. Ihr war in erster Linie bloß ihr Freund wichtig – Jami selbst war ihr egal. Seine Wut wart nur von Kir gedämpft, da sie ihm klargemacht hatte, welche Art Mann sie mochte, doch das hieß dann auch, dass sie ihm wohl eine Chance würde geben müssen. Wo das wohl enden würde?

Sie nahm sich vor, Jami etwas von Kir zu entfernen – wie er tickte wusste sie. Er vergaß Rena doch sofort wieder, wenn sich ihm eine andere Frau näherte, er war eben einfach so – widerstehen konnte er keiner, die halbwegs gut aussehend war.

Obwohl es seltsam war, dass ausgerechnet Yuichis Exfreundin verhindern wollte, dass dessen neue Freundin an den Falschen geriet, so war genau das der Plan der blonden Frau. Sie wollte es ihm ersparen, obgleich Cinzano nicht dachte, dass Kir Carpano einfach so mit Jami betrügen würde – jedenfalls wollte sie ihm den Schmerz ersparen, immerhin hatte sie selbst dem Mann genau das angetan. Sie hing unheimlich an ihm, trotzdem hatte sie ihn betrogen. Natürlich wusste sie, was sie an ihm verloren hatte. Es war so widersinnig, dass sie es getan hatte, aber der Kummer wegen Valpolicella hatte sie damals schier um den Verstand gebracht. Kir könnte es genauso ergehen. Wenn diese Frau Rena nicht bald zufrieden ließ, wer wusste schon, ob sie nicht auch mal auf die Idee kommen würde, sich einen anderen zu suchen?
 

Zurück in die Gegenwart...

21:25 Uhr


 

Man konnte man von drinnen das Knallen der Autotüre hören. Riina stand schon seit Stunden am Fenster und wartete auf ihren besten Freund, der soeben aus seinem Auto gestiegen war.

Tatsuji war nicht dämlich und sah natürlich sofort den Schatten am Fenster, der den Vorhang zurückzog, sie tat es einfach zu auffällig, als dass es ihm entgangen war. Es wunderte ihn aber auch nicht mehr, dass sie sich in seiner Wohnung aufhielt, immerhin hatte er ihr vor einiger Zeit den Schlüssel gegeben, damit sie hineinkonnte. Die Rothaarige war dabei nicht so weit gegangen, dass er das aus bestimmten Gründen getan haben könnte. Wahrscheinlich würde sie weiterträumen, wenn er nicht bald mal damit herausrückte. Aber der Profiler war wirklich gespannt, welche neugierigen Fragen sie ihm stellen würde, immerhin war er mit einer Frau unterwegs gewesen – dass sie eifersüchtig war, wusste er schließlich schon. Was die 21-jährige aber nicht wusste, war, dass sie dazu nicht den geringsten Grund hatte. Sie war und blieb eben ein Dummerchen.

Tatsuji ließ sich extra Zeit damit, den Gang zu beschreiten und seine Jacke dort aufzuhängen, genauso wie er seine Schuhe mit Sorgfalt in die Ecke stellte, er war kein bisschen in Eile. Als er dann damit fertig war, ging er frech, wie er manchmal eben war, erstmal nach oben ins Bad, um sich frisch zu machen – es sollte so aussehen, als wenn er nicht mehr damit rechnete, Riina hier anzutreffen. Sie wollte ja nicht entdeckt werden, das konnte er ihr gerne geben.

Wie erwartet stand die Rothaarige dann aber im Hausgang vor der Treppe und wartete darauf, dass er wieder runterkam. „Du bist ja ganz schön lange mit Natsumi unterwegs gewesen“, meinte Riina mit einem Seufzen, so dass er sich neben sie gesellte und ihr frech auf den Kopf tätschelte.

„Tja, sie ist eben immer noch eine sehr nette Frau, da bleibe ich gerne etwas länger weg.“ Der Spruch hatte wohl gesessen, sie sah ihn jedenfalls schon wieder ziemlich schmollend an.

„Du willst sie wohl gerne wieder treffen, was?“ Riina unterdrückte das Seufzen, das aus ihrer Kehle kommen wollte, indem sie tief ausatmete, stattdessen kam nur heiße Luft, aber kein Geräusch über sie. „Und was habt ihr überhaupt solange gemacht, sicher nicht nur geplaudert, oder?“

Tatsuji hätte beinahe losprusten müssen. Unglaublich, was sich in Riinas Gedanken so alles breitgemacht zu haben schien. Sie hatte die verrücktesten Ideen, was er wohl mit Natsumi angestellt haben könnte, nicht zu fassen.

„Was, wenn doch? Für wie öde wirst du mich dann halten?“

„Dann ist das nicht öde, sondern abnormal, immerhin hast du gerade selbst gesagt, sie sei eine sehr nette Frau. Willst du mich eigentlich veräppeln, mhm, Sushi?“ Er nahm sie doch auf den Arm – ja, natürlich, er hatte sicher längst bemerkt, dass sie eifersüchtig war – wahrscheinlich konnte man diesen Umstand nicht übersehen, was sie nun doch sehr rot werden ließ. „Denk bloß nicht, dass ich eifersüchtig auf Rans Cousine bin... Sie ist bloß so...“ Ihr fiel gerade nicht das passende Wort ein. „Sie hat keinen Freund, ist gut aussehend und nun auch noch sehr nett, da denkt man sich seinen Teil. Und sie scheint dich auch toll zu finden.“

„Hast du überhaupt mal darüber nachgedacht, was du da genau redest? Es ist bei dir schließlich genauso... Du bist mehr als nur sehr nett, gut aussehend und hast keinen Freund – mhm, ist doch jetzt wirklich verlockend.“ Er kam auf sie zu und erschreckte sie damit, das sah er an ihren hübschen Augen, die nach links und nach rechts schauten. Es wirkte, als wolle sie nach einer Fluchtmöglichkeit suchen. Wie schaute er sie überhaupt an? Wie der Wolf im Schafspelz, da musste man als Frau ja gleich flüchten. Sie benahm sich blöd – so viel zu bester Freundin, ha ha, sie hatte selten so gelacht – schon gar nicht über sich selbst. Es war ihr unangenehm, dass er wohl dahinter gestiegen war, was sie nun aber nicht mehr ändern konnte.

Tatsuji hatte sie absichtlich mehr als nur sehr nett genannt, es war ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass sie ihm noch besser gefiel als Natsumi. Ob der kleine Baka wohl dahinter kam, dass er es so gemeint hatte? Also die Chance dafür war geringer, als in einem Preisausschreiben den Hauptgewinn zu machen...

„Was ist bitte daran nun verlockend?“ Das Wort gefiel ihr so gar nicht, es klang so nach einem Macho, der einer Verlockung nicht widerstehen konnte. Oh Gott, und dann kam er mit diesem Grinsen auf sie zu. „Sushi, STOPP!“ Riina hatte die Hände gegen seine Schultern gestemmt und atmete jetzt tief ein und aus, um nicht in Ohnmacht zu fallen. Ihre Beine fühlten sich wie Butter an – hätte sie ihn nicht davon abgehalten, wäre er jawohl in sie hineingelaufen, was wohl auch Absicht gewesen war.

„Nun ja, verlockend ist der Gesichtsausdruck, den du jetzt hast, Rii-chan.“ Gleich würde sie sauer werden, er spekulierte quasi schon darauf, immerhin nahm er sie wirklich auf die Schippe – mehr oder weniger jedenfalls. „Ich finde es einfach verlockend, wenn du so peinlich berührt und panisch aussiehst, das macht dich unendlich süüüß.“ Er zog das Wort süß in die Länge, damit es auch schön stichelnd daher kam.

Nun schmollte sie noch mehr und gab sogar ein Grummeln von sich. „Du bist blöd, ich kann das nicht leiden! Musst du mich so für dumm verkaufen?“

„Wer sagt, dass ich dich für dumm verkaufe? Habe ich dich jemals belogen, mhm?“ Nun wich dieses freche Grinsen einem lieben Lächeln, er nahm seine Hand und legte sie auf ihre Wange. „Sei doch nicht so schreckhaft, ich bin nicht der Typ dafür, über Frauen einfach so herzufallen. Du siehst mich an, als hättest du einen Geist gesehen, also wirklich, Riina. Dachtest du echt, jetzt geht’s mit mir durch? Dazu gehört viel mehr, glaub’ mir. Trotzdem musste ich das einfach mal sagen. Natsumi ist wirklich nur eine nette Frau. Dass du nach so vielen Jahren immer noch denkst, du könntest mich an irgendeine andere Frau verlieren? Wer hier wohl doof ist, mhm?“ Er war gemein, das fand er ja selbst, aber sie lud ihn ja immer wieder dazu ein.

Ihr Blick sah fragend aus, als würde sie ihm nicht so ganz folgen können, dabei war sie nun wirklich nicht dumm. Wenn es um Gefühlsdinge ging, war sie aber nun einmal sehr einfältig. „Das weiß ich. Wir werden immer Freunde sein.“ Riina senkte den Kopf. „Daran kann keine Frau der Welt etwas ändern, nicht einmal gewisse Yakkos, nicht wahr?“ Sie war ja froh darum, und doch klang sie, als wolle sie ihm ihre Freundschaft zum Vorwurf machen. Oh Gott, wie konnte sie nur so undankbar mit ihm sprechen? Sie hasste diese Gefühle, sie waren störend und machten sie zur eifersüchtigen Zicke. „Tut mir Leid, ich werde nicht mehr eifersüchtig sein. Nimmst du mich in den Arm bitte? Sonst... Sonst fange ich wegen meiner eigenen Dummheit noch an zu weinen.“

Ihre zitternde Stimme jagte ihm beinahe Angst ein, er konnte nicht glauben, dass sie sich nun für ihre Gefühle bei ihm entschuldigte. „Nicht dir muss es Leid tun“, seufzte er und strich sich über die Stirn und letztendlich durch die Haare, „ich müsste mich entschuldigen, weil ich erst viel zu spät bemerkt habe, was in dir vorgeht. Und so was wie ich nennt sich Profiler...“ Es war wirklich so, er hatte sich gedacht, sie war einsam und fühlte sich alleine – dass sie sich deswegen an ihn hängte und nicht, dass sie irgendwelche Gefühle für ihn hatte, die nicht in ihre Freundschaft passten.

Ihr Mund öffnete sich schockiert. „Was willst du mir damit mitteilen? Was willst du viel zu spät bemerkt haben?“ Sie war sichtlich nervös, ihr Herz schlug einen schnellen Rhythmus, so schnell, dass sie ihn deutlich in der Brust spürte, Riina dachte sogar, man konnte ihn im Hausgang widerhallen hören. Und dann stieg ihr auch noch die Röte ins Gesicht – das war etwas, was sie nicht wirklich kontrollieren konnte.

„Das, was so offensichtlich ist.“ Tatsuji schüttelte einfach nur den Kopf und schaute ihr direkt in die Augen. „Sicher, dass es eine Umarmung ist, was du willst?“

Ihr Herz zersprang förmlich in tausend Stücke. „Wir sind Freunde, an was denkst du da bitte?“

Natürlich wusste sie es, musste aber trotzdem fragen, weil sie sich unsicher war, was er damit meinte und ob sie sich nicht doch nur wünschte, es wäre genau das.

„Freunde?“ Ungläubig sah er sie an, es war so was von offensichtlich, dass es ihr Kopfzerbrechen bereitete, wenn sie immer an ihre Freundschaft dachte. Dass sie Freunde waren, das hatte er erfolgreich verdrängt. Tatsuji dachte an andere Dinge, an welche, die sie sich nicht traute zu denken.

Gab es da jetzt schon irgendwelche Gesetze, die es Freunden verboten, so etwas zu empfinden? Sie tat beinahe so, als hätte sie irgendwelche Regeln gebrochen. Es war doch vollkommener Unfug, das musste ihr klar sein. Und genau das wollte er ihr jetzt auch klarmachen...

Wenn er nicht so verdammt sicher gewesen wäre, dann hätte er bestimmt nicht so auf Risiko gespielt, denn das wollte er tun, wenn er sie jetzt einfach so anmachte, denn genau das hatte er vor, er wollte sie ein bisschen verführen. Das war es, woran der Braunhaarige gerade wirklich dachte. Riina betören und etwas glücklich machen.

Die Jurastudentin konnte sich nicht bewegen, ihr Körper war erstarrt, wie in Eis gefroren, das einzige, was sich bewegte, waren ihre Augen aufgeregt hin und her. „Ha-Hast du was getrunken? Oder wieso bist du so komisch zu mir?“ So wie er sich verhielt, war er noch nie gewesen...

Sei still, fiel dem Braunhaarigen da nur ein – die Handlung, die ihm im Augenblick vorschwebte, hieß auch nichts anderes. Seine Hände wanderten zu ihren Schultern, von dort aus machten sie einen Abstecher zu ihrem Hals, den er sanft hinauf fuhr, bis zu ihren Wangenknochen, dort ließ er sie dann.

Ein Kribbeln durchfuhr ihren gesamten Körper, als sie seine Finger spürte, die hauchzart über ihren Hals wanderten. Verwirrt und verunsichert zugleich, blickte sie ihm ins Gesicht, das einen sanften Ausdruck inne hatte. Wenigstens war dieses Macho-Grinsen jetzt verschwunden, das erleichterte sie doch ungemein.

Die Augen musste der junge Mann schließen, er ließ seine Gefühle mit hineinfließen, das ging am besten mit geschlossenen Augen. Es geschah nur ganz sanft, ein Blatt Papier hätte zwischen sie gepasst. Lediglich eine sanfte Berührung seiner Lippen war der Kuss, nicht mehr und nicht weniger, er wollte sie auch nicht damit erschrecken, sondern ihr bloß zeigen, was er für sie empfand, was sie hoffentlich spüren konnte. Dass er es so plötzlich tat, war eine Überraschung, doch war es vollkommen unüberraschend, wie er es machte. Dass ein Kuss, der von ihm kam, total sanft sein würde, wusste sie aus den Träumen, die sie nachts manchmal hatte. Aber nicht nur nachts spielten ihre Sinne ihr solche Streiche, auch am helligsten Tag dachte Riina daran, wie es wäre, wenn...

Sie kannte ihn, seit sie vier Jahre alt war, es war nicht arrogant zu denken, dass sie wusste, wie er war. Ein Geheimnis hatte er daraus ja auch nie gemacht, er war immer sehr offenherzig gewesen. Jemand, der kein Problem damit hatte, seine Gefühle Preis zu geben, so wie es die meisten anderen Männer oft hatten. Dumm für ihre Freundschaft war nur, dass es der schönste Kuss in ihrem gesamten Leben war – so hatte das noch keiner getan. Nie hatte es sich dermaßen gut angefühlt, wie in diesem Augenblick. Sie wünschte, dass er niemals endete, obwohl die Rothaarige sich bis eben davor gefürchtet hatte, konnte sie nichts dagegen tun, dass ihr Herz einen gewaltigen Sprung machte und das Feuer in ihrem Körper aufloderte. Ohne es selbst zu realisieren, war sie es letztendlich, die ihre Lippen mehr auf seine presste und der Leidenschaft verfiel. Beanstandslos ließ Tatsuji seine beste Freundin nach seinen Lippen schnappen und öffnete sie einladend für sie, woraufhin er ihren warmen Atem spüren konnte. Noch ein klein wenig schüchtern wagte es ihre Zunge sich über die Innenseite seiner Lippen zu bewegen. Neugierig erkundete die Jurastudentin seine obere Zahnreihe und ließ ihn ihre Zunge am Zahnfleisch spüren, sie ging überall mit ihr hin, nur nicht richtig in seinen Mund.

Es durchfuhr ihn wie ein Messerstich mitten in die Magengegend, nur dass es nicht wehtat, sondern aufregend war. Tatsuji schob ihr seine Zunge entgegen und stupste ihre an, um ein wenig mit ihr zu spielen, wie eine Katze mit dem Wollknäuel. Er neckte sie mit kreisenden Bewegungen und indem er sie sanft mit seiner streichelte.

Ihr war bewusst, dass es Zeit war aufzuhören, was aber nicht hieß, dass sie es schaffte, sich von seinen Lippen zu lösen, dafür fand sie das Gefühl von ihm so geküsst zu werden viel zu spannend und sehnte sich einfach zu sehr danach. Als sei sie leicht wie eine Feder, packte der Braunhaarige seine jüngere Freundin am Hintern und hob sie hoch, wobei sie bereitwillig ihre Beine um seine Hüften schlang, während sie ihre Arme um seinen Hals legte. Er ging mit ihr wortlos die Treppe hoch, wobei er nun aber kurz von ihren Lippen loslassen musste und einen Moment tief ein und ausatmete.

Oben angekommen, machte er die Tür auf, dabei spürte er ihren Kopf, der sich gegen seinen legte.

Ihr Herz klopfte wie verrückt – was waren sie schließlich dabei zu tun?

„Willst du heut Nacht bei mir schlafen?“ flüsterte er der Rothaarigen ins Ohr, weshalb diese sich festhielt und den Kopf nach hinten drehte, wo das Bett zu sehen war.

Sie drehte den Kopf wieder zu Tatsuji und blickte ihm direkt in die Augen, wobei sie ein süßes Lächeln zeigte. „Ja, ich will – aber nur, wenn du mich im Arm hältst.“

„Wenn das alles ist, dann ist es machbar, da ich das sowieso vorhatte.“ Er schloss die Tür hinter sich mit einer Hand und schritt dann mit ihr auf das Bett zu. Ein Doppelbett hätten sie nicht gebraucht, für sie beide würde ein einfaches Bett reichen, wenn sie sich eng aneinander kuschelten. Sachte ließ er Riina auf der Matratze nieder und kroch über sie zu ihr hin, so dass ihre Beine zwischen seinen zu finden waren und er direkt über ihr war. Die Arme stemmte er neben der jungen Frau auf dem Bett ab, weshalb die Jurastudentin sehen konnte, wie viel Kraft er wirklich hatte. Dass er auf keinen Fall ein Schwächling war, wusste sie, aber wie stark er wirklich gebaut war, das sah sie jetzt erst, da er ein kurzärmliges Hemd trug. Ihre Hände wanderten über seine Oberarme, streichelten diese, dabei sah sie ihn wie ein unschuldiges Mädchen an. Ihre sanfte Berührung gefiel ihm und riss ihn dazu hin, das von vorhin zu wiederholen, also fanden die Lippen des Profilers wieder zu ihren, die er gleich sanft zu liebkosen begann. Mit der einen Hand weiterhin abstützend, begann Tatsuji ihr die Bluse aufzuknöpfen, was sie leicht rot werden ließ, da es alles Mögliche hätte bedeuten können, dabei wollten sie doch bloß schlafen gehen...

„Mhhm“, hörte man Riina ein Geräusch von sich geben, was er schlichtweg ignorierte und sich selbst enger an sie drückte. Dass es ein Doppelbett war, war im nächsten Moment sehr praktisch, da Riina mit ihm einfach eine Rolle zur Seite machte und sich daraufhin über ihm befand und seine starken Arme aufs Bett drückte.

„Hey!“ beschwerte er sich gespielt und hielt die schöne, ungeschminkte Frau an den Oberschenkeln fest, auf welchen noch fest ihre dunkelblaue Hose saß.

„Ich muss dir was gestehen...“

Tatsuji fand, der Satz begann schon so toll, er hoffte, dass sie etwas sagen würde, was er einfach gerne mal gehört hätte.

„Dann gestehe!“ Seine Arme hatte er gebeugt, um sie festhalten zu können, weshalb sie die Finger in seinen Armbeugen hatte, er war natürlich um ein Vielfaches stärker als sie, deswegen war es ihm so leicht gefallen, sie trotz ihres Festhaltens zu packen.

„Seit du gesagt hast, du willst dich von deiner Freundin trennen, bin ich glücklich. Da habe ich erst so richtig davon geträumt, dir näher zu kommen. Ich hatte aber zu viel Angst, weil wir schon solange befreundet sind. Ist doch echt lustig, oder? Wir kennen uns schon solange und plötzlich passiert so was zwischen uns. Es ist wie ein langersehnter Traum, weißt du das?“ Riina begann zu stammeln und mit einem süßen Lächeln im Gesicht wurde sie allmählich ein wenig rot. „Dafür habe ich mich immer geschämt. Naru sagte mal, als ich einen Mann abwies, dass ich verrückt sein muss, so einen gut aussehenden Herrn abzuweisen. Mir war nicht so ganz klar, warum ich das getan hatte. Ich dachte, ich will nie wieder mit einem Mann zusammen sein... Aber jetzt – weiß ich, dass das nicht der Grund war. Denn der wahre Grund, der warst du.“

Ihre sanfte Stimme ließ den Braunhaarigen tief schlucken. Etwas Schöneres, als das hatte er in letzter Zeit nicht zu hören bekommen. Nur Vorwürfe, wie er sie denn verlassen konnte – was aus seiner Liebe geworden war – wie er ihr so was Grausames antun konnte... Solche Sachen hatte Yakko ihm an den Kopf geworden, nur weil sie nicht damit zurechtkam, dass er auch einen Dickkopf haben konnte und in dem Fall vor allem die Nase voll davon sich immer wieder von ihr betrügen zu lassen... Der Bock war fett gewesen, als sie ihm auf die Nase gebunden hatte, es wieder tun zu müssen.

Dieses Wort, das sie ständig so wählte... Es machte ihn schier wahnsinnig. Sie traf ja keine Schuld, weil sie es MUSSTE. Und dann stellte sich die Frau als Engel hin.

Er hatte Riinas Gesichtsausdruck gesehen, als er ihr gestanden hatte, er sei unglücklich mit seiner Freundin und dass er mit dem Gedanken spielte, sie zu verlassen, um wieder frei zu sein. In dem Moment war ihm klargeworden, dass es unmöglich der Blick einer einfachen Freundin gewesen sein konnte. Sie hatte ihre Freude versteckt und gemeint „das tut mir Leid“. Aber er hatte es in ihren Augen gesehen, dass es ihr schwer gefallen war, es zu sagen.

Davon war letztendlich sein Mut endlich einen Schlussstrich zu ziehen, gekommen. Ihm war klar gewesen, dass sie in ihn verliebt war und die ganze Zeit wahrscheinlich Yakko verfluchte, weil sie ihn immer wieder verletzte – sie war Riinas Halbschwester, weshalb diese natürlich viel mitbekommen hatte, ohne dass Tatsuji es ihr hatte sagen müssen...

Eigentlich war es ja Miyuki gewesen, die Riina die Augen geöffnet hatte. Die ach so perfekte Yakko hätte ihren Bruder ständig betrogen. Dieses Wort aus Miyukis Mund, Riina war beinahe in Ohnmacht gefallen. Wie konnte man so einen Mann denn bitte betrügen? Sie hätte erstens ein total schlechtes Gewissen, wenn sie ihren Freund betrügen würde, zweitens war das jawohl total billig, und drittens hätte sie Angst ihn zu verlieren, wenn sie ihn erstmal als Freund hatte...

„Ich fühle mich echt geschmeichelt, so eine nette Liebeserklärung hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr.“ Er drückt sie an sich. Wenn Yakko nur halb so wie Riina gedacht hätte, dann hätte sie ihn nie betrogen. Andere Männer wegen ihm abweisen... Es klang total erleichternd, auch wenn er wusste, dass Riina bestimmt niemanden betrügen würde.

Gerade als Tatsuji sich die richtigen Worte zurecht gelegt hatte, um ihr zu sagen, dass er es gerne mit ihr versuchen würde, riss jemand die Tür auf und stand dann störender Weise im Schlafzimmer. Einen besseren Zeitpunkt hätte sich die nette Dame auch gar nicht aussuchen können...

Und Riina saß auf seinem Schoß, ihr Oberteil hatte sich verschoben, Gott, wie sah das bloß aus? Tatsuji wusste genau, was sie jetzt denken würde. Sie hatte den Hang dazu, alles kaputtzumachen. Er hoffte beinahe, Riina hätte ihre Ohren auf Durchzug.

„Was läuft hier für ein Spiel, Tatsuji?“ wollte die Schwarzhaarige im Türrahmen wissen und verschränkte die Arme.

„Yakko, siehst du nicht, dass du gerade störst?“ seufzte der Mann, es war der erste Versuch, sie wieder loszuwerden, aber irgendwie hatte er es im Gefühl, dass das fehlschlagen würde. Yakko wurde man nicht los, sie war hartnäckig, auch wenn er in ihrem Fall darauf verzichten konnte. Er wünschte sich einfach nur noch, dass sie verschwand und ihn in Ruhe ließ, damit er nicht mehr daran denken musste.

„RUNTER von MEINEM Freund!“ fauchte sie die Rothaarige an. „Was bildest du dir ein? Kaum wendet man dir den Rücken zu, machst du den Freund deiner Schwester an! Dir geht’s jawohl zu gut!“

„EXFREUND!“ mischte sich Tatsuji ein, sie sollte gefälligst schön brav Riina aus ihren Fehlern rauslassen, die sie schließlich begangen hatte. „Du hast jawohl eine Meise! Was soll das werden? Ist das ein jämmerlicher Versuch, sie zu vergraulen? Wenn du das versuchst, meine Liebe, lernst du mich mal anders kennen, verstanden?“ Normalerweise war er sehr gutmütig, aber im Moment war der 28-jährige einfach nur noch wütend, er war laut, aber schrie nicht.

„Mach, was du willst, Tatsuji, sei dir aber im Klaren, dass sie den Mann in dir nicht glücklich machen wird, sie hat ein Männerproblem.“

Sie wurde frech und ging mit Dingen hausieren, die keinen etwas angingen, geschweige denn angebracht waren, zumal sie der ärztlichen Schweigepflicht unterlagen, was er ihr auch sagen musste.

„Sie hat ein was? Ein Männerproblem? Ich glaube, du verwechselst da was! DU bist die Frau mit dem Männerproblem! DU gehst doch andauernd mit Männern ins Bett, die du nicht liebst! Dass ausgerechnet du das wagst, auszusprechen! Dafür, dass du gewisse Dinge durchgemacht hast, bist du ganz schön sexorientiert! Kaum zu glauben, wie knallhart du mittlerweile damit umgehst, du bist nicht die Frau, die ich damals kennen gelernt habe... Und ich will einfach nur noch, dass du auf Nimmerwiedersehen verschwindest! Gib mir den Schlüssel und dann geh einfach! Ich kann deine Anwesenheit nicht ertragen!“

Dass er so laut wurde, das war Riina nicht an ihm gewohnt. Und dass Yakko gesagt hatte, sie hätte ein Problem mit Männern fand sie einfach nur gemein. „Das hättest du dir verkneifen können.“

Tatsuji stand vom Bett auf und ging auf Yakko zu, er hielt die Hand auf und wartete darauf, dass sie ihm den Schlüssel gab, sie sollte jetzt bloß nicht rumzicken.

„Dann werde eben unglücklich mit deiner...“ Sie schnaubte und warf ihm den Schüssel vor die Füße, der nur so schepperte. „Pass aber auf, was du aus ihr machst, sonst könnte sich die Vergangenheit wiederholen... Vergiss das bloß nicht.“ Die Tür war sie hinter sich zu und machte sich auf den Weg nach unten, er seufzte erleichtert, aber irgendwie war ihm das zu einfach gegangen...

„Jetzt bin ich schuld, dass sie so geworden ist, nicht zu glauben.“ Tatsuji drehte sich wieder zu Riina herum, die noch auf dem Bett saß. „Alles okay mit dir?“

„Klar, könnte nicht besser sein, wenn man an seine Vergangenheit erinnert wird. Warum ist sie jetzt bloß so? Sie war doch sonst immer so nett.“ Ratsuchend blickte die Rothaarige zu ihm war, weswegen er sich zu ihr aufs Bett setzte und sie kurzerhand an sich zog.

„Sie hat die Trennung nicht verkraftet, es wird wirklich das Beste sein, wenn wir uns ganz weit weg voneinander befinden, dann kann sie auch endlich damit anfangen, es zu verdauen. Mich immer wieder zu sehen, das wird nicht funktionieren.“

„Würde es bei mir auch nicht.“

Der 27-jährige saß ihr gegenüber, also legte sie eine Hand an seinen Hals und streichelte zu seinem Haaransatz hoch. „Das ist das Gute an Freundschaften, die gehen nicht allzu schnell kaputt, sind wir nicht der beste Beweis dafür?“

Obwohl ihre Stimme ganz ruhig war, hörte er die Angst heraus, er kannte sie eben. „Baka, willst du weglaufen?“ Seine Frage war daher sehr verständlich.

„Ich weiß nicht, ich kann nicht so gut damit umgehen, von dir geküsst zu werden, das verwirrt mich. Waren wir bis eben Freunde, so ist das in dem Moment vorbei, oder nicht?“

Tatsuji schüttelte seinen Kopf. „Wieso denken das immer alle? Ich weiß, dass wir Freunde sind, aber ich habe nicht so viel Angst davor, solche Gefühle zuzulassen. Ich finde nicht, dass es Angst bei mir auslösen muss, nur weil ich mich in dich verliebt habe. Jedenfalls bist du dann nicht alleine daran schuld, dann trage ich mindestens genauso viel Schuld daran.“

Um seine Worte zu realisieren, brauchte Riina erst einmal einen Moment. „Hast du gerade gesagt, du hast dich in mich...?“ Die 21-jährige wagte es nicht, es auszusprechen. Wie peinlich wäre es denn, wenn sie sich bloß verhört hatte?

Sie dachte ernsthaft, dass sie sich verhört haben könnte. Er wusste nicht, ob er jetzt lachen oder weinen sollte. „Das hat meine Lippen verlassen. Kannst du das nicht glauben? Glaubst du, ich würde dich einfach so ohne Grund küssen? Ich habe zwar keine Angst, aber einfach so würde ich es nicht tun. Aus dem Alter, in dem ich nur rumprobiert habe, bin ich lange raus.“

„Aber Tatsuji, was soll ich denn jetzt tun? Du kannst mir diese Entscheidung doch nicht alleine überlassen.“ Sie war verzweifelt und wusste nicht mehr, was sie wollte. Ihm näher kommen, oder wie bisher einfach mit ihm befreundet sein. „Ich bin total kompliziert. Alles, was ich mit Männern beginne, geht schief.“

„Ich habe keine Angst davor, wenn es kompliziert wird, wobei ich nicht denke, dass es so schlimm werden kann. Solange du mich nicht mit anderen Männern betrügst, ist alles gut.“ Er sagte es nicht, um ihr in irgendeiner Weise zu drohen, sondern weil es stimmte. Noch einmal hatte er auf solche Eskapaden keine Lust. „Aber das würdest du mir nie antun, stimmt’s?“

„Das würde ich keinem antun, dir am allerwenigsten. Ich würde Depressionen kriegen, wenn ich das tun würde, was Yakko getan hat. Tut mir Leid. Ich will dich nicht gegen sie aufbringen, aber ich finde es unmöglich, was sie getan hat. Sie hätte mit Sêiichî zusammenbleiben sollen, die könnten sich gegenseitig betrügen...“

Tatsuji konnte nicht anders, es stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen. „Glaub mir, in dem Fall sind sie beide zu stolz. Sie meinen, der andere muss erdulden, aber wehe sie müssen das selbst durchmachen, damit kommen sie nicht klar. Sie haben beide ein ausgeprägtes Ego – das kann man auch als Arroganz bezeichnen.“ Yakko war wirklich verdammt eitel, was sehr in Richtung Arroganz ging. Sie hatte ja nie Angst davor gehabt, dass ihr Freund sie verlassen könnte, sondern immer so weitergemacht, bis das Fass schließlich übergelaufen war.

„Mit dem hatte sie damals sicher auch.“

„Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel. Ich bin echt froh, dass du davon verschont geblieben bist.“ An Sêiichî war man als Frau jawohl verschwendet. Er hatte es nicht verdient, die besten Frauen abzubekommen, er war besser bei seinem Miststück, dieser Schauspielerin aufgehoben. Irgendwie hatten sich die beiden verdient. Er hatte Riina ja für Sex mit ihr verlassen, da fehlten ihm doch echt die Worte, er würde darauf für seine Freundin verzichten. Ob er das auf die Dauer ertragen würde, war ihm da egal. Sêiichî hätte seinen Grips mal etwas anstrengen müssen, immerhin hatte er Chardonnay schließlich damals schon gekannt. Dass der Vater seine Tochter versucht hatte anzurühren, hätte ihm klar sein müssen. Wie konnte er sie so behandeln, wenn ihm das klar sein musste? Den Typen würde er nie leiden können, er verstand Yuichi wirklich nicht, wie er ihn mögen konnte, auch wenn er zugeben musste, wenn es um seine Freunde ging, war Sêiichî zur Stelle. Er wünschte sich, dass Yuichi ihm mal die Hölle heiß machte, wenn er wieder fremdging. Irgendwer musste ihm ja mal Manieren beibringen...

„Das Vertrauen war dahin – das ist das Gute an einem Mann, mit dem man vorher eng befreundet war, das Vertrauen ist vorhanden. Bei Sêiichî und bei mir, ich weiß nicht, ob da jemals so was vorhanden war.“ Sie seufzte kurz – es war besser, nicht mehr daran zu denken. Was vergangen war, war vergangen. Wenigstens konnte sie etwas Positives finden, was sie ermutigte, dieses Risiko einzugehen.

Während andere frische Paare erst einmal Vertrauen fassen mussten, hatten sie das schon Jahre lang. Somit fiel diese Phase schon mal weg. „Also, wenn es nach mir geht, können wir es gerne mal miteinander versuchen, ich stelle mir das einfach zu schön vor, ich kann nicht widerstehen. Das ist mir noch nie passiert.“ Etwas verlegen, wurde die Rothaarige rot und machte ihrer Haarfarbe somit Konkurrenz. ‚Hoffentlich kriegt Yakko das gebacken. Auf Stress habe ich irgendwie keine Lust, mit ihr schon gar nicht.’ Das sollte jetzt nicht heißen, dass sie Streit mit ihrer Schwester konsequent aus dem Weg gehen würde. „Kannst du es noch mal sagen? Das klang so schön.“

Nun musste er unwillkürlich grinsen, als seine Freundin das so sagte. „Ach ja, wirklich? Dann will ich mal nicht sein...“ Er lehnte seine Stirn an ihre und nahm ihre rechte Hand in seine. „Ich habe keine Angst, mich in dich zu verlieben, egal, wo es endet. Ich weiß nur, dass diese Gefühle so schnell nicht verschwinden werden. Je öfter wir uns treffen, umso stärker verspüre ich sie. Und jetzt habe ich keine Lust mehr zu reden.“ Mehr war die Lust in ihm aufgestiegen, sie noch einmal zu küssen, jetzt wo er es endlich mal getan hatte. Deswegen legte er seine Lippen auf ihre und schob sie wieder zurück aufs Bett. Er nahm ihre Oberschenkel und legte sie wieder auf die Matratze, wobei einer seiner Arme unter ihrem Nacken liegen blieb und er es sich doch sehr zwischen ihren Beinen gemütlich machte, da sie schließlich eine Hose trug, war das nicht so schlimm und würde ihr nicht gleich Angst machen. Er war da schon vorsichtig, sie nicht irgendwie zu überrumpeln und damit zu ängstigen.

Es war schon lange her, dass ein Mann mit ihr zusammen in einem Bett gelegen hatte, oder umgekehrt. Andere Männer hätte sie, nachdem sie ihr gestanden hatten, verliebt in sie zu sein, erstmal vom Bett geschmissen, wenn sie das getan hätten, was Tatsuji machte. Wie gesagt, das Vertrauen würde fehlen, in dem Fall konnte sie sich aber getrost zurücklehnen und genießen.
 

Nach dem Krankenhausaufenthalt fühlte sich Cognac ziemlich miserabel, er entschied sich ausgiebig zu duschen, das hatte er ja wegen Ryochis Anruf total geknickt – Chris war sowieso nicht da, er konnte sie also noch gar nicht um Hilfe bitten, dabei hatte er nicht so viel Zeit, um sich alleine um alles zu kümmern. Er hoffte auch ein wenig, dass seine Freundin darüber Bescheid wusste, was Jamie herausgefunden hatte, wobei es doch recht abwegig war, dass er ihr solche Sachen auf die Nase gebunden hatte. Der Kriminalist dachte eher so daran, dass Chris ihn wieder ausspioniert hatte. Nachdem er vorhin mit Yuichi telefoniert hatte, war er genauso uninformiert, wie vorher auch. Keiner schien zu wissen, was Jamie getrieben hatte und das, obwohl sie drei total dicke Freunde waren... Sein Onkel hatte es wohl nicht als nötig angesehen, irgendwen darüber zu informieren, oder er hatte nicht die Gelegenheit dazu gehabt...

Es war erst kurz vor zehn Uhr, aber er kam sich vor, als sei es schon Morgen und er hätte zu wenig Schlaf gehabt, was kaum sein konnte. Er hatte zwar weniger geschlafen, fühlte sich aber, als hätte er Tage lang wachgelegen. Wenn er deprimiert war, wurde er ohnehin viel früher müde.

Die Dusche war sehr erholend – vorwiegend duschte der Schwarzhaarige kalt, so auch heute. Das machte nicht nur den Kopf frei, sondern machte müde Menschen auch wieder etwas wach. Chris hatte zurzeit Urlaub, was für ihn hieß, er konnte viel Zeit mit ihr verbringen – umso seltsamer war es, dass sie noch nicht zu Hause war. Was trieb sie bloß wieder? Ihr Handy war mal wieder nicht angeschaltet, sie wollte bestimmt nicht gestört werden. Hoffentlich war sie nicht mit diesem Sazerac zusammen. Stress deswegen konnte er momentan echt nicht gebrauchen, er hatte genug andere Dinge, die ihn belasteten, so zum Beispiel auch Jamies Leben, das auf der Kippe stand...

Er stand gerade so schön entspannt unter der Dusche, hatte sogar seine Augen genussvoll geschlossen – dann ging die Tür auf. Er hörte es wegen des Duschstahls nicht, erst als der Duschvorhang aufgezogen wurde, konnte er das vernehmen. Er rechnete mit Chris, die ihn überraschen wollte, aber nicht mit dem, was wirklich der Fall war. Sêiichî wollte ihr schon um den Hals fallen, als er inne hielt, denn nicht blonde, lange Haare sah er, nein, vielmehr das Gegenteil. Kurz und schwarz. Beinahe schrie er auf vor Schreck...

„Arg, Syrah, was soll das? Ich will alleine duschen!“ Die hatte jawohl eine Meise – er spielte zwar einen Macho, aber die Adoptivtochter seiner Freundin würde er im Leben nicht anfassen, da konnte sie noch so weiblich gebaut und wunderschön sein. Er gab es zu – Syrah war keine übel aussehende Frau.

„Wirst du nun schüchtern, Cognac-chan?“ kam von der Schwarzhaarigen mit einem gerissenen Grinsen. Die 25-jährige ließ ihre Hand über seine Brust und auch seinen Bauch wandern, ohne Scham dabei zu verspüren. Sie tat so etwas ja ständig, Syrah war eine regelrechte Aufreißerin und Verführerin, noch schlimmer als Vermouth.

Cognac packte ihre Hand, bevor sie ihm zwischen die Beine konnte – die war jawohl echt nicht mehr ganz dicht, einfach den Freund ihrer Mutter begrabschen zu wollen.

„Finger weg! Ich glaub’, du spinnst! Geh Teran anfassen, aber nicht mich! Ich bin mit deiner Mutter zusammen, hast du es immer noch nicht gecheckt?“ Er glaubte schon, dass sie verstanden hatte, ihn aber um jeden Preis von seiner Freundin trennen wollte und deswegen zu seiner Schwachstelle griff, oder eher nach der Schwachstelle jedes Mannes... Das nächste Mal, wenn er hier duschen wollte, würde er die Tür abschließen...

Sie konnte diesen Macho nicht ausstehen, aber er sah - wenn sie ehrlich war - total lecker aus, da konnte man ja mal einen Versuch starten, wobei sie es so drehen würde, dass ihre Mutter dachte, Cognac würde vor absolut keiner Frau Halt machen und auch sie angefasst hatte, nicht umgekehrt.

„Wir müssen es ihr ja nicht sagen, Cognac“, flüsterte sie ihm frech ins Ohr und ließ eine ordentliche Portion Raffinesse und Betörung in ihre Stimme fließen.

Seinen Körper durchfuhr es, als hätte eine Bombe eingeschlagen – die Angst war es, die ihn zittern ließ. Sie glaubte doch nicht etwa ernsthaft, dass sie ihn verführen konnte? Er wusste ganz genau, was für ein Spiel das war. Sie würde zu ihrer Mutter rennen und ihr alles brühwarm erzählen, das war ihm natürlich klar. Und nur deswegen widerstand er ihr. Auch ihr Kuss ließ ihn vollkommen kalt, sie hatte ihn ganz plötzlich auf den Mund geküsst und ihre Zunge zwischen seine Lippen gestoßen...

Obwohl es nicht seine Art war, so grob zu werden, stieß er sie von sich und wischte sich über die Lippen. „Mach das nicht nochmal, ansonsten vergess ich mich!“

„Ohja, vergiss dich, das törnt mich an...“ Obwohl er sie von sich gestoßen hatte, ließ Syrah nicht locker, sondern sah ihm verführerisch in die Augen, wobei sie auch weiterhin den Versuch unternahm, ihn anzufassen, aber auch ihre linke Hand nahm er in seiner gefangen.

„Ich will nichts von dir, kapier das endlich! Und dann mach die Tür von außen zu.“ Äußerlich war er so kalt wie der Nordpol, innerlich aber so heiß wie ein Vulkan, auch vor Wut, dass diese Frau einen Keil zwischen ihn und Chris treiben wollte. „Sei froh, wenn ich ihr das nicht erzähle, du würdest jede Menge Ärger kriegen...“

Aiko grinste freudig vor sich hin und gab dann ein lautes Lachen von sich. „Denkst du allen Ernstes, dass sie dir glauben würde? Dir Macho, der du jede Frau verführst, die deinen Weg kreuzt?! Du hast doch bloß Angst, dass ich dich verrate, im Grunde findest du mich absolut unwiderstehlich.“

„Man kann sich auch zu viel einbilden“, seufzte er, „ich stehe bestimmt nicht auf dich – davon kannst du gerne träumen.“ Das Schlimme war ja, dass sie zumindest halbwegs Recht hatte, er fand sie attraktiv – früher, zu den Zeiten, als er noch wirklich so gut wie jede gut aussehende Frau genommen hatte, hätte sie ihn haben können, jetzt nicht mehr – er hatte sich gebessert, so schwer man es glauben konnte. Aus Fehlern lernte man bekanntermaßen.

Es verletzte ihn, was die schwarzhaarige Killerin zu ihm sagte. Er hatte in der Tat Angst davor, aber dass sie darüber lachte, fand er unverschämt frech, aber so war sie eben, die Frau war total abgehoben. Ob Chris ihm wohl glauben würde? Die Chance, dass das der Fall sein würde, lag seiner Meinung nach bei 50 zu 50. Er war sich beidseitig nicht sicher. Ob sie ihm oder doch eher Aiko Glauben schenken würde...

„Du Feigling bist ja nicht mal mutig genug ein Risiko einzugehen, wie bist du bloß in unsere Organisation gekommen? Wie konntest du unter uns überleben? Es ist mir ein Rätsel.“ Während die Dunkelblauäugige es sagte, grinste sie gemeingefährlich, sie wollte ihm eins reinwürgen, weil er es wagte, sie abzuweisen.

Wie konnte dieses Miststück Derartiges behaupten? Er ging Gefahren alles andere als aus dem Weg und war demnach kein Feigling. Aber am liebsten wäre ihr wohl, wenn er in so viele Gefahren wie möglich schlitterte und eine möglichst nicht überlebte...

„Ach, ich bin feige? Ich gehe bereits ein Risiko ein!“ Nur nichts anmerken lassen, dass es gesessen hatte, sagte er sich in Gedanken und grinste ihr mitten ins Gesicht. „Ich tue es immer, wenn ich bei Vermouth bin, also nenn mich nicht feige!“

Syrah wollte noch ein wenig ihr Spiel mit ihm treiben, legte den Kopf schief und versuchte nett zu lächeln. „Du liebst sie wirklich... Nicht zu glauben, du liebst eine deiner selbsternannten Affären. Schande über dich, Cognac.“

Der Angesprochene grinste, er würde sie ganz bestimmt nicht bestätigen. „Ach was, ich finde die Gefahr, die von ihr ausgeht, einfach nur interessant. Man wird sie dir nicht wegnehmen, zumindest nicht ich. Mir reicht, wenn ich mich mit ihr vergnügen kann, sie ist eine wirklich schöne Frau, die schönste, die ich kenne.“

Syrah glaubte ihm aufs Wort, dass Vermouth für ihn die Schönste Frau war, immerhin klebte er wie eine Klette an ihr, man wurde ihn einfach nicht los.

„Pass auf, dass ihr das nicht mal zu Ohren kommt, sie hat schon Kerle wegen viel weniger mit einer Kugel verziert.“ Die schwarze Schönheit konnte es sich nicht verkneifen, ihm Derartiges zu sagen, auch wenn er sie gut genug kennen musste, um zu wissen, wie Vermouth tickte. Sie konnte genauso grausam werden, wie sie selbst auch. Das mochte sie so an ihr, sie setzte sich durch.

„Anderen Kerlen, aber nicht mir, Syrah. Sie hat viel zu viel Spaß mit mir.“

Noch nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden, Cognac. Nämlich dann, wenn sie die Schnauze gestrichen voll hat und sich anfängt vor dir zu ekeln. Sei dir stets bewusst, dass sie einige Männer haben kann, da sind sicher auch welche dabei, die mehr taugen, als du. Und sie ist keine Frau, die man ungestraft immer wieder betrügt. Irgendwann reißt ihr der Geduldsfaden, das kannst du mir glauben...“ Auf diesen Tag würde sie warten und es dann genießen, wenn es so weit war und ihre Mutter ihren Exgeliebten fertig machte, der würde sich wundern.

Dieses kleine Biest, sie dachte wirklich, dass man ihm einreden konnte, dass Chris ihm etwas antun würde. Ja, vielleicht würde sie ihn dann bestrafen, aber auf keinen Fall umbringen, da müsste sich ihre Zuneigung zu ihm komplett ändern, sogar um 180 Grad müsste sie sich drehen.

Dass er die letzten Wochen treuer als ein Hund war, das verkniff er sich, das ging Syrah doch einen feuchten Kehricht an. Er gab sich wirklich Mühe, seine Freundin ein bisschen zu beeindrucken, auch wenn er sich andere Frauen dann eben untersagen musste. Es lief alles so gut zurzeit, dann brauchte er keine anderen. Er hatte schon so oft zu viel riskiert und war dann immer bestraft worden – meistens mit Entzug. Es ging ihm viel besser, seit er ein wenig treu war. Zwar ging er noch mit anderen Frauen aus, aber auch nicht mehr als das. Er hatte sich so etwas wie Beherrschung angeschafft, die er bei ihr wohl nie haben würde – er konnte ihr nicht widerstehen, da er ihr von Kopf bis Fuß verfallen war.

„Würdest du jetzt bitte die Güte besitzen, das Badezimmer zu räumen? Ich will zuende duschen!“ Er wurde ungemütlich, allmählich ging sie ihm nämlich ganz schön auf den Wecker. Sie wollte ihn nur verunsichern, wo er Sicherheit im Bezug auf Chris sowieso kaum hatte. Man wusste eben nie, was von ihr als nächstes kommen würde. Am meisten hatte er Angst davor, dass sie sich verliebte und dann vielleicht ihre Affäre beenden wollen würde. Zum Glück war sie aber nicht so pingelig wie seine eine Exfreundin. Die hatte ihm nämlich ordentlich gezeigt, wo es lang ging, jedenfalls war Fremdgehen nicht drin gewesen. Wenn Chris so wäre, er wäre wahnsinnig geworden.

Zu seiner Schulzeit hatte er seine Freundin ganz schlicht durch eine andere ersetzt, was er bei Chris wohl niemals könnte, sie konnte keine andere ersetzen. Je mehr ihm das bewusst wurde, umso mehr hatte er Angst davor, dass sie ihn verließ.
 

Kurz vor zehn Uhr am Abend kam auch Sonoko nach Hause. Sie hatte sich schrecklich aufgeregt und war von Natsumi zurück gebracht worden. Ihr Vater benahm sich an diesem Abend wie ein Tyrann. Er schrie, fuchtelte vor Sonokos Gesicht herum und machte ihr Vorwürfe. Sie wusste gar nicht, was sie ihm heute getan hatte und rannte hinauf zu ihrem Zimmer. Natsumi hatte ihn nur kurz gesehen und war dann förmlich geflüchtet, als würde er ihr Angst machen...

Irgendetwas lief zur Zeit gehörig falsch. Eine Suzuki zu sein, war alles andere als einfach. Es war schön und gut, dass man viel Geld hatte und sich alles kaufen konnte, doch hatte dieses Leben auch so seine Schattenseiten...

Sie wollte Ran anrufen, um mit ihr zu sprechen – viel geredet hatten sie heute ja nicht, weil sie sich so bescheuert benommen hatte.

Wahrscheinlich wusste ihr Vater, dass irgendwelche Yakuza ihm ans Leder wollten, indem sie seine Tochter ärgerten und er rastete deswegen aus, wenn sie spät nach Hause kam...

Ran hatte nie solchen Ärger. Sie bewunderte das Leben ihrer besten Freundin. Zwar war sie auch schon einmal entführt worden und lebte so gesehen auch gefährlich mit ihrem berühmten Vater, der viele Verbrecher hinter Gitter brachte, aber sie konnte Karate und war fähig sich gegen Männer zu behaupten. Wenn sie loslegte, bekamen sie doch Angst vor ihr. Aber sie selbst... Sie hatte nicht die Möglichkeit. Sie konnte nur planlos um sich schlagen, was jedoch nicht immer etwas brachte...
 

Das Telefon klingelte in die Stille hinein. Der Raum war leer, niemand war zu sehen. Der Anrufer wartete sogar über eine Minute, doch niemand ging ans Telefon. Man hätte meinen können, das Haus sei ausgestorben, doch waren die Vögel nur schlichtweg ausgeflogen...

Never trust any shadows I

So kam es, dass sich Conan doch an der Seite von Kogorô Môri in Haido am S-Bahnhof befand und auf besseres Wetter wartete, während Ryochi Akaja sie im Auge behielt. Er hoffte so sehr, dass nichts Besonderes geschehen würde. Am besten war alles ein ganz normaler Fall, ohne besondere Hintergründe, man durfte ja noch hoffen...

Es war gespenstig still, bis sie sich den Bahnsteigen näherten, dort saß eine Gruppe Jugendliche und unterhielt sich.

„Wusstet ihr, was um diese Uhrzeit hier alles schon passiert ist? Auf der Toilette hat man jemanden einfach so ermordet... Und das nicht nur einmal... Die Mörder zieht es hierher... Uhuuu!“

Man merkte eindeutig, dass der junge Mann, der das sagte, ein jüngeres Mädchen, die Schwester seiner Freundin, ein wenig damit erschrecken wollte.

„Hör auf meiner Schwester Schauermärchen über Haido-Chô zu erzählen, das ist nicht besonders nett von dir... Wir sind zu viert, uns wird schon keiner überfallen.“

„Je früher sie aufwacht, umso besser!“ Er seufzte vor sich hin und warf der Schwarzhaarigen neben sich einen ernsten Blick zu. „Außerdem ist es wahr. Ich will auch gar nicht erfahren, wie viele junge Mädchen, die wagemutig genug sind, sich hier mit irgendwelchen Chat-Freunden zu treffen, hier nachts schon vergewaltigt wurden!“

„Ja, von dir, was?“ meinte ein anderer Junge zur Rechten des Jüngeren, er fand sein Gerede allmählich nervig.

„Was, tickst du noch ganz sauber, so was Abscheuliches würde ich nie tun...“
 

Conan schüttelte den Kopf, hier würde nichts passieren, dafür waren zu viele Menschen an ein und dem selben Fleck.

„Onkel, sagte er nicht, dass er das Geld zu den Toiletten bringt? Wir sollten die mal im Auge behalten, er muss ja irgendwie an uns vorbei.“

Kogorô sah zu dem Jungen runter. „Ich denke nicht, dass er uns begegnen will, er war bestimmt schon da und hat alles hinterlegt.“

Der kleine Junge zerrte an Kogorôs Hose, so dass sie Richtung Toiletten gingen, doch lange passierte dort überhaupt nichts. Um fünf Minuten nach Zehn hatten sie dann aber die Schnauze voll und nahmen hin, dass derjenige entweder wohl schon da gewesen sein musste, ihnen da drinnen auflauerte, um sie umzubringen, oder einfach ein sehr unpünktlicher Mensch war...
 

Unterdessen hatte sich eine mutige junge Dame an den S-Bahnhof herangeschlichen. Ja, er war unheimlich um diese Zeit. Die dunklen Ecken miet sie natürlich, auch wenn sie sich verteidigen konnte.

‚Wenn ich ein irrer Mörder wäre, wo würde ich mich wohl verstecken?’ Sie dachte an den Fall zurück, in dem jemand auf der Herrentoilette erstochen worden war und machte sich auf den Weg zu den Toiletten.

Sie war noch vor Kogorô und Conan dort und öffnete die Tür, die leise quietschte. Es war dunkel und man sah die Hand nicht vor Augen, erst musste die Schwarzhaarige das Licht anknipsen.

Sie konnte in das Gesicht eines Mannes sehen, der kurz zuckte, als das Licht anging.

Dieser Jemand stellte sich ihr in den Weg und sah sie mit erbostem Blick an.

„Du hast dich in der Tür geirrt, hier geht’s zu den Männern!“ Kurz darauf packte er Rans Hand und zerrte sie von der Toilette weg, sein Griff war fest und ließ ihr keine Chance zur Widerwehr...

„Hey, was... Was tust du denn hier...? Und dann noch im Dunklen?“ Irgendetwas an ihm missfiel ihr gerade sehr, er benahm sich seltsam. Ran kannte die Person zwar, doch misstraute sie ihm, wenn er sich so merkwürdig verhielt.

„Gib mir eine Antwort! Und lass mich endlich los!“ Sie zerrte in die entgegengesetzte Richtung, schaffte sich aber nicht zu lösen...
 

„Ich geh da jetzt rein!“ Conan war festentschlossen, streckte sich zu der Türklinke hinauf und drückte sie hinunter, so dass die Tür wenig später aufsprang.

Etwas erschrocken von dem Geräusch war er im ersten Moment dann aber doch.

Kogorôs Arme packten ihn und hinderten ihn daran, in die Toilette hineinzugehen. „Das ist zu gefährlich, du bleibst hier bei mir.“

Schmollend schaute der 8-jährige vor sich hin. Musste das sein? Er wollte doch nur wissen, ob das Geld vorhanden war...

Derjenige war doch sowieso großer Wahrscheinlichkeit längst über alle Berge. Er dachte nicht, dass diese Person so dumm wäre, ihnen hier zu begegnen, wenn der Mann unbekannt bleiben wollte. Allzu früh konnte er das Geld aber auch nicht hinterlegt haben, es sei denn, er hatte es hier sehr gut versteckt, doch so wie Conan das sah, war er da weniger trickreich vorgegangen.

Es lag unter dem Waschbecken. Wäre jemand vor ihnen hier reingekommen, hätte er sich das Geld ganz einfach nehmen können... Irgendetwas war faul an dem, was der Detektiv sah. Es war so offensichtlich...
 

Ran saß mittlerweile mit dem hellbraunhaarigen Mann auf einer Parkbank und schmollte. „Warum hast du das getan? Ich hatte da etwas vor! Mein Vater steckt in der Klemme...“

Der junge Mann schaute sie skeptisch an, was meinte sie damit, er steckte in der Klemme?

„Wo ist dein Vater jetzt?“ fragte der Mann und stand von seinem Platz auf.

Verwirrt sah Ran an ihm hoch. „Was hast du? Er ist am S-Bahnhof wegen einer Geldübernahme. Wieso?“

„Du rührst dich nicht vom Fleck, hast du verstanden, Ran? Ich mach das! Das ist nichts für eine Frau!“

Die Dunkelhaarige hatte Halbmondaugen aufgesetzt. Was sollte das wieder heißen? Sie war nicht schwach, er musste das doch wissen.

„Warte, ich komme mit!“ Ran sprang auf und rannte ihm hinterher, weshalb er anhielt.

„Nein, tust du nicht!“ Er drehte sich zu der Schülerin herum und sah sie wieder mit diesem Blick an. So vorwurfsvoll.

„Tue ich wohl, er ist mein Vater, du kannst mich nicht aufhalten!“

„RAN!“ Noch ehe sich die 18-jährige versah, spürte sie seine Hand in ihrem Gesicht. Sie fasste es nicht... Er hatte sie geschlagen. Das hatte noch kein Mann gewagt...

„Warum tust du das, Ichiro?“ In Rans Augen glitzerten Tränen. Sie wusste, dass er besorgt um sie war, aber dass er sie ohne mit der Wimper zu zucken einfach so schlug, war der Grund dafür, weshalb sie beinahe weinte, nicht weil es ihr körperliche Schmerzen zugefügt hatte.

„Ich will nicht, dass du dich so wagemütig benimmst! Karate wird dir nichts bringen, wenn hier jemand rumläuft, der sich an deinem Vater rächen will, wenn du vernünftig wärst, dann würdest du die Polizei rufen! Wenn du selbst hingehst, riskierst du dein Leben! Hör gefälligst auf damit!“ Seine Stimme donnerte ihr entgegen, sie zuckte kurz. Er machte ihr beinahe Angst. Er war früher immer so schüchtern und zurückhaltend gewesen...

„Musst du mich deswegen schlagen?“

Erst jetzt bemerkte der Hellbraunhaarige, was er da getan hatte. Wäre er Shinichi, hätte sie ihn mit Sicherheit verprügelt. „Es tut mir Leid, aber du willst ja nicht hören. Versteh mich doch, ich will nicht, dass dich so ein Irrer einfach umbringt.“ Obwohl er reuevoll den Blick nach unten gerichtet hatte, etwas in Ran, was sie selbst nicht verstand, warnte sie davor ihm zu glauben. Das tat sie auch nicht. Irgendetwas anderes war da, was ihn dazu bewog und sie wollte es wissen...
 

Conan betrachtete den Eingang mit kritischem Blick. Es stank einfach nur zum Himmel. Und weil er immer neugierig war – gefährlich neugierig – wollte er die gesamte Toilette unter die Lupe nehmen. So wartete er darauf, dass Kogorô sich über das Geld freute, denn er wusste, dass das der Fall sein würde, und lief dann in der Toilette herum.

Das Innere sah man nicht, wenn man sich am Waschbecken befand. Irgendwie war es hier auch auf einmal so sauber, seit wann das denn? Skeptisch strich er mit dem Finger über das Waschbecken. Es war wie frisch geputzt und das besonders gründlich...

Conan ließ nun vom Waschbecken ab, er bestaunte den Boden, der ebenfalls wie frisch geputzt wirkte, dann machte er die Tür zu den einzelnen Toiletten auf und schaute sich dort genaustens um.

Blitzeblank waren sie, wie gehabt, doch eine davon war besonders sauber und hygienisch, wie man hier kaum eine Toilette vorfand.

Weil es ihm so spanisch vorkam, kroch er auf dem Boden herum und suchte nach allen möglichen Anhaltspunkten, doch alles, was ihm wirklich auffiel, war die Sauberkeit. Es machte ihn stutzig, er hatte ein ganz böses Gefühl.

Conan schaute zum Fenster hinauf, es war komplett verschlossen, aber nicht das war es, was seinen Blick darauf ruhen ließ – mehrere Sekunden. Er holte sich den Mülleimer, der draußen rumstand, während Kogorô wohl das Geld zählen wollte, aber im Moment war es ihm nur recht, wenn er abgelenkt war. Conan stellte ihn direkt unter das Fenster und kletterte darauf, damit er mehr sehen konnte, es war für einen kleinen Jungen einfach zu hoch. Der Detektiv kletterte auf die Fensterbank und betrachtete sich den Griff und den Rahmen, in dem Moment war ihm klar, wie dieser Typ einfach so hatte abhauen können... Ob das Kogorô wohl interessierte? Aber warum hatte er hier geputzt? War er das überhaupt gewesen? Eigentlich unmöglich, wenn er schnell wieder hatte abhauen wollen...

Jedenfalls war er durch das Fenster stiften gegangen und hatte es von außen mithilfe einer Schnur wieder verschlossen. Dass es zwar fest verschlossen war, aber uralt und deswegen schon verschoben, hatte er sich zunutzen gemacht, jedenfalls passte da eine dünne Schnur locker durch. Die Putzfee hatte jedenfalls sehr viel früher dort geputzt, man sah die Streifen auf dem Rahmen noch, die hatte derjenige nicht versucht zu entfernen, dafür alles andere, was man Spuren hätte nennen können.
 

Ran schaute ihrem Cousin direkt ins Gesicht, sie verzog nicht die Miene und ballte eine Faust. Die Schülerin hatte auch jetzt noch nicht vor, sich aufhalten zu lassen – jetzt, da sie ihm misstraute, erstrecht nicht. Ihren Arm zog sie stark nach hinten und ließ ihn dann nach vorne schnellen, direkt in Ichiros nicht schlechte Bauchmuskulatur. Sie schlug so fest zu, wie es ihr möglich war, es sollte ihn nämlich außer Gefecht setzen. Ran war zwar klar, dass ein Schlag, der von einer Frau stammte, Ichiro so schnell nicht umhauen konnte, aber sie hoffte, ihn wenigstens zum Taumeln zu bringen. Er schwankte einen Moment zurück und hielt sich sogar den Bauch, doch bevor er sie abhalten konnte, rannte die Oberschülern los, als sei der Teufel hinter ihr her.

Sollte das heißen, sie vertraute ihm nicht?

Ihre langen Beine trugen Ran schnell zurück an den Ort des Geschehens. Sie rannte vor ihrem Cousin weg, den sie schon eine halbe Ewigkeit kannte, aber wenn er sie nicht lassen wollte, dann musste sie ihm eben wehtun und dann gegen seinen Willen handeln. Jedenfalls stimmte hier ganz eindeutig etwas nicht...

Kaum zurück am S-Bahnhof rannte sie in das Innere hinein und suchte nach der Toilette, von der sie mit Gewalt getrennt worden war und riss die Tür auf. Ihr Vater war gerade daran, das Geld zu zählen, wie sie sah, Ran hatte eigentlich etwas total Fürchterliches erwartet. Weswegen hatte er sie dann bitte zurückgehalten? Hatte sie sich doch getäuscht und er machte sich einfach nur Sorgen? Jedenfalls sah Ran total überrascht aus.

„Wo ist Conan?“

Kogorô schaute sich um und grinste dann ertappt. „Du bist echt unmöglich, Paps! Du hast nur Geld im Kopf!“ Sie durchschaute den nervösen Blick. Er hatte nicht gut genug auf den Kleinen aufgepasst, was auch sonst? Dass er nicht wusste, wo das Kind steckte, sah man ihm an.

Gott sei Dank war hier kein Mörder, sie war sehr erleichtert. Sie hatte befürchtet, dass Ichiro den Mörder gesehen hatte und sie deswegen abhielt. Oder, dass er etwas vor ihr vertuschen wollte...

„Conan-kun?“ rief sie, in der Hoffnung, dass er sich meldete.

Nach ihrem Ruf öffnete er die Tür und lächelte typisch für kleine Kinder und machte einen total unschuldigen Eindruck. „Ich war nur für kleine Jungs.“

Ran seufzte erleichtert darüber, dass der Junge nicht verschwunden war, sondern sich ganz in der Nähe aufgehalten hatte.

„Und wie viel ist es?“ fragte Ran ihren Vater, der noch total paralysiert schien von seinem plötzlichen Reichtum. So ein gefragter Detektiv wie er, der seine Fälle immer löste, konnte sich darüber dann ja freuen. Er dachte doch, dass er den Fall schon gelöst hatte... Sie hatte jedoch vor, ihm die Butter vom Brot zu nehmen. Sie würde ihm nicht helfen, aber auch nicht gegen ihn arbeiten. Ran würde selbstständig versuchen den Fall aufzuklären, es war ja auch nicht das erste Mal. Nicht dass sie sich viel darauf einbildete, aber die Wahrheit wollte sie gerne selbst herausfinden. Und vielleicht war es doch eine Falle. So gesehen wollte sie ihren Vater auch beschützen. Wenn sie gar nicht weiter wusste, konnte sie noch ihre Mutter um Hilfe bitten.

„150.000 Yen!“

Ran seufzte in sich hinein. So ein Aufstand wegen 150.000 Yen. „Von wie viel?“

„Von 2 Millionen“, antwortete Conan und blickte Ran direkt ins Gesicht, als ganz plötzlich ein junger Mann in die Toilette reinrannte und dann Ran zurückzog.

„Du sollst dich nicht an solchen Orten aufhalten!“ Als er das schon gesagt hatte, sah er erst Kogorô und den kleinen Conan.

Dem Kind waren sämtliche Gesichtszüge aus dem Gesicht gewichen. Bis eben hatte er noch total gelächelt, jetzt wirkte er alles andere als erfreut. ‚Was will ER denn hier? Und was fasst er Ran so an?’

Am liebsten wollte Conan ihn blöd anmachen, aber dann würde Ran sich sicher etwas denken, so etwas konnte sich der Schülerdetektiv nicht leisten. Schon so oft hatte sie ihn fast enttarnt, Patzer konnten ihn dadurch sehr schnell verraten.

„Lass mich endlich los, Ichiro!“ Ran riss sich mit Gewalt von ihm los und taumelte noch einen Moment nach vorne, da der Schwung sehr groß gewesen war.

„Was ist hier eigentlich los?“ wollte Ichiro wissen, was Ran eine Augenbraue hochziehen ließ. Das wusste er doch schon, wieso fragte er da noch?

„Onkelchen bekam jede Menge Geld von einem Unbekannten geboten! Die Übergabe fand hier statt!“ Ganz ehrlich antwortete der kleine Junge und grinste nun wieder. Nur nichts anmerken lassen.

„Ach so. Das ist das Geld, nicht wahr? Was für ein Fall ist das denn?“

Neugierig war Ichiro ja schon als Kind gewesen, kein Wunder, dass er Detektiv war, dann war er auch noch so erschreckend intelligent, Conan musste aufpassen, sonst übertrumpfte er ihn mal. Das würde ihm nicht in den Kram passen, da er bei Ichiro immer das Gefühl hatte, dass sein Blick zu lange auf Ran ruhte. Er starrte sie ständig an, auch schon früher... Shinichi hatte das natürlich bemerkt.

„Na, dann solltet ihr das Geld nehmen und nach Hause gehen. So etwas fällt einem ja nicht jeden Tag in den Schoß.“

Conan fragte sich, was das nun sollte. War es Zufall, dass Rans Cousin ganz plötzlich hier vorbeischneite, die Toilette stürmte und Ran am Arm zurückzog?

Ran hatte Kopfschmerzen, sie verließ die Toilette... ‚Warum habe ich dieses komische Gefühl? Er macht den Eindruck, als sollten wir die Toilette ganz schnell hinter uns lassen... Ich muss das wissen.’

Die Schülerin trat zurück an Ichiro und schob ihn zur Seite, mit einem Blick, der Bände sprach.

„Hier ist es gefährlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich hier ein Verbrecher versteckt...“ Das war es, was Ran dachte. Wieder schnappte sich Ichiro ihr Handgelenk und zog sie an sich. „Du hast Recht und deswegen sollten wir auch ganz schnell verschwinden.“

Ran riss sich erneut los. „Nein, dann guckt man nach.“ Was war es, was Ichiro unbedingt vor ihr verbergen wollte? Es gab da etwas, Ran war sich mehr als nur sicher, sie war überzeugt davon. Das war keine Sorge mehr, es war schon Panik.

„Da ist nichts, Ran!“ lächelte Conan ihr zu. „Alles ist gut... Kein Mörder! Nur eine sehr gute Putzfrau.“

Ein klein wenig verwirrte Ran der Satz des Jungen, sie schaute ihn an. Kein Mörder? Woher?

„Woher weißt du das? Hast du dich etwa hier überall umgesehen?“

„Genau, und das erste, was mir aufgefallen ist, dass alles blitzeblank geputzt ist. Hier findet man nicht ein einziges Staubkorn. Diese Putzfrau ist echt klasse... Die Streifen auf dem Fensterrahmen hat sie aber nicht abbekommen...“ Und jetzt sollten Ran und Kogorô bitte nachgucken und verstehen, was er meinte. Was ihm aber auch sofort bewusst wurde, war, dass Ichiro etwas verunsichert wirkte. Was hatte er erwartet? Dass hier ein Mörder rumsprang? Als er dann noch die Tür aufstieß und zum Fenster rannte, sich auf dem Weg nach jeder einzelnen Toilette umsah, nahm Conan noch viel stärker wahr, wie seltsam Ichiro sich verhielt.

Als Detektiv müsste er sie ja jetzt alle darauf aufmerksam machen, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Und dass jemand zum Fenster raus war, das müsste er auch erwähnen... Shinichi war gespannt, was Rans Cousin dazu zu sagen hatte.

„Ichiro, was ist?“ Ran konnte sich seine Handlungen nicht erklären, aber andererseits klangen Conans Worte so verdächtig, sie wusste auch nicht.

Sogar Kogorô ließ von seinem Fund ab und folgte Ichiro, der den Fensterrahmen unter die Lupe nahm.

„Der Junge hat Recht, da ist etwas am Fensterrahmen, sieht sehr nach Klebestreifen aus. Ihr habt doch gesagt, dass hier eine Geldübergabe stattfinden sollte. Und ihr kennt die Person nicht?“ Die Fragen des Detektivs waren nicht weiter verwunderlich. Trotzdem verhielt er sich merkwürdig, fand Conan, er behielt ihn sehr genau im Auge. Nervös schien Rans Cousin nun nicht mehr zu sein. Ängstlich war Ichiro nie gewesen, er konnte ihnen nicht vormachen, Angst vor einem Mörder, der sich vielleicht in irgendeiner Toilette des Haido-Chô-S-Bahnhofes versteckte, zu haben. Nein, etwas anderes hatte ihn erschreckt, Conan wollte gerne wissen, was es gewesen war. Wusste er etwas? War das der Grund?

„Wir sind dämlich“, meinte Kogorô zu den anderen. „Während wir fröhlich vor der Toilette gewartet haben, hat er sich durch das Fenster aus dem Staub gemacht, nicht zu glauben.“

‚Doch, das ist zu glauben, du bist nur zu dämlich so weit zu denken, Kogorô! Ich wäre anders vorgegangen, aber ich musste bei dir bleiben, weil ich nicht wusste, was passieren würde...’

Als keiner damit rechnete, begann Conans Handy zu klingeln, er erschrak sich fürchterlich, als das Geräusch ertönte. Von wem sollte er auch einen Anruf erwarten? Ran musste natürlich all das nun mitbekommen. Konnte denn nichts einfach mal glattlaufen? Niemand von seinen Kinderfreunden würde ihn nach zehn Uhr anrufen... Was sollte er denn bitte sagen? Dass es Ryochi war? Wahrscheinlich war die Wahrheit am besten... Er wollte wissen, weshalb der Detektiv ihn anrief. Hatte er irgendetwas Verdächtiges bemerkt? Dadurch würde Kogorô aber auch erfahren, dass er Ryochi informiert hatte, das passte dem Jungen natürlich so gar nicht in den Kram...

„Moshi moshi?“ meldete sich der Grundschüler an seinem Handy, was alle Blicke der anderen auf ihn zog. Es dauerte nicht lange, da wich Conan das Lächeln aus dem Gesicht.

„Ich muss dir etwas sagen, das wird dir gar nicht gefallen.“ Der Satz reichte schon. Was zum Teufel war passiert? Die Organisation war hier? Es gab Tote? Was von all dem traf zu?

„Was?“

„Ich habe hier eine Leiche gefunden. Draußen hinter den Gleisen. Es ist...“

Conan brach der Schweiß aus, er lief ihm über das Gesicht, als er den Namen hörte. Das war ein Zeichen... Ein schlechtes Omen, den Fall ganz schnell zu vergessen... ‚Ganz ruhig bleiben, Shinichi, so schnell kriegt man dich nicht klein. Ganz ruhig durchatmen. Dieser Mord ist doch jetzt nicht etwa geschehen, weil wir ihn ausgefragt haben?’ Das machte ihm Angst. Er wollte nicht Schuld daran haben...

„Bevor du jetzt deinen kühlen Kopf verlierst, Shinichi, so ganz überzeugt bin ich nicht davon, dass die darin verwickelt sind.“

Der Ältere wusste gar nicht, wie erleichternd diese Worte auf den kleinen Jungen wirkten. „Ist die Polizei unterwegs?“

„Ja, das ist sie, aber er hat eine Überdosis Drogen genommen, oder verabreicht bekommen. Mit anderen Worten, es sieht wie Selbstmord aus.“

„Wir kommen raus, das sehen wir uns an...“ Conan seufzte und drehte sich zu Ran, Kogorô und Ichiro um. „Das war Ryochi Akaja, er hat mir seine Hilfe angeboten, tut mir Leid, Kogorô, dass ich dir das jetzt erst sage, aber wir haben vor dem Treffen ein wenig ermittelt. Wir wollten nicht, dass du in eine Falle rennst. Ryochi Akaja ist ganz in der Nähe, allerdings hat er jemanden tot aufgefunden...“ Dass sie diese Person befragt hatten, würde er Kogorô jetzt einfach mal vorenthalten. Dass der Mann selbstmordgefährdet war, machte es nicht leichter, einen Mord nachzuweisen.

‚Das könnte von Shinichi stammen. Dieser Junge ist seltsam.’ Ichiro beobachtete Conan, denn dessen Worte waren alles andere als typisch für ein kleines Kind. Er war viel zu schlau – und etwas an ihm erinnerte ihn ganz gewaltig an Rans Kindheitsfreund Shinichi. Wenn man sich die Brille wegdachte, sah er haargenau so aus.

„Du Nervenzwerg! Das ist mein Fall! Ich entscheide, wie wir vorgehen!“

Ran beherrschte sich eisern, wie man deutlich sehen konnte, sie kniff die Augen zu und sah, wie ihre Gesichtszüge zuckten, weil sie so wütend war, dann packte sie ihren Vater am Ohr. „Halt den Ball flach! Ich war mit von der Partie! Was weißt du über den Fall? Na, du hast dir doch wohl gar keine Gedanken gemacht! Du hast nur Geld gerochen und bist ahnungslos hierher gekommen!“ Ihr Vater konnte doch nicht so mit Conan umspringen, er hatte es ja immerhin nur gut gemeint, und dann spielte sich Kogorô wieder so protzig auf, das missfiel der 18-jährigen. Seit ihm der Erfolg zuflog, kam er sich sonst wie toll vor. Er sollte es bloß nicht übertreiben, sie war dafür zuständig, ihn von seinen Höhenflügen wieder runterzuholen, bevor er ganz tief fallen würde. Etwas mehr Bescheidenheit schadete ihm nun wirklich nicht.

„Das stimmt nicht, ich habe vorher auch schon ermittelt!“ widerlegte Kogorô, auch wenn man seine Art von Ermittlungen nicht so besonders klug nennen konnte...

„Ach ja, was weißt du? Weißt du mehr als wir? Das glaube ich nicht!“ Ran wollte sich mit ihm anlegen, doch Conan musste sie unterbrechen.

„Draußen liegt eine Leiche! Den Kopf einschlagen, kannst du ihm später auch noch. Ich habe Akaja gesagt, dass wir rauskommen, also sollten wir das auch tun. Mach dir nichts draus, Kogorô, schlimmstenfalls ist der Tote nur dein Geldgeber...“ Er winkte ab, ihn zu erschrecken, machte Spaß. Rans Vater konnte ruhig denken, dass jeder, der gegen diesen FALL ermittelte, umgebracht wurde. Dann ließ er wenigstens die Finger davon. Er selbst wusste ja Bescheid und konnte weiter ermitteln, ob man ihn dafür bezahlte, war ihm einerlei, er tat es der Ehre als Detektiv wegen.

Erschrocken blickte Kogorô zu Conan. Das meinte dieses Kind doch nicht ernsthaft? Wenn sein Geldgeber tot war, hieß das doch, dass er die restliche Bezahlung vergessen konnte. In seinem Kopf ratterte es. Was war das für ein Fall? Er behagte ihm nicht. Wer um alles in der Welt sollte ihn umbringen? Aus welchem Grund denn?

„Das heißt, der Anrufer lag richtig! Die Sängerin Kimi wurde ermordet!“

Ran hatte den Blick tief gesenkt, sie wollte es am liebsten nicht mehr hören... Also doch.

Ichiro unterdessen war überrascht davon, um was es hier wirklich ging. „Momentchen mal! Kimi? Diese Sängerin aus Kyoto, von der heute morgen gleich die Rede war? Sie hatte einen Unfall... Da war nichts mit Mord.“

„Ach, woher willst du Grünschnabel das jetzt so genau wissen?“ Conan schüttelte den Kopf. Der Typ nahm sich jawohl etwas zu viel raus, dem musste man mal das Maul stopfen...

„Allerdings, du hast doch gehört, was Conan gesagt hat. Dort draußen liegt jemand, der gut der Geldgeber sein könnte... Wieso wohl hat man ihn ermordet? Das war bestimmt der Mörder, der bestimmt über alle Berge ist... Ich werde mich jetzt an Ryochi Akaja wenden, was er rausgefunden hat.“

Ichiro seufzte, was sollte er nur tun, um Rans Familie aus diesem Fall rauszuhalten. Er wusste mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein machte. Er wusste natürlich allzu genau, wie es dem Mörder gelungen war, aus seinem Mord ein perfektes Verbrechen zu machen...

„Ran! Warte!“ Der Medizinstudent ging der Angesprochenen natürlich gleich hinterher – Conan hätte platzen können vor Wut. Dieser aufgeblassene Affe, der ihm dazwischen funken wollte. Wenn er nicht seine Finger von Ran ließ, würde er dem aber mal gehörig gegen das Bein treten... Was bildete der sich ein?

Die Oberschülerin hatte keine Lust zu warten. Sie beachtete Ichiro nicht einmal und ging stur den Weg zu den Bahngleisen, sie passierte die Glastür, die man mit einer Hand aufdrücken konnte und ging einfach durch die Unterführung auf die andere Seite, da sie dort Ryochi ausmachte. Ichiro versuchte noch mehrmals mit ihr zu reden, aber sie antwortete nicht. Als er dann ihren Arm packte, drehte sie sich herum, holte weit aus und platzierte ihre Hand kraftvoll auf seiner Wange. „Lass mich!“ Sie war nicht so wütend wegen der Ohrfeige vorhin, nein, sie war es, weil ihr klargeworden war, dass etwas stank. Er konnte aber ruhig denken, dass das ihre Revanche war. Besser er wusste nicht, was sie von ihm dachte. Er hatte sie aus ganz bestimmten Gründen vom Tatort ferngehalten – wahrscheinlich war er selbst der Mörder... Das würde sich zeigen, wenn sie nun das Opfer fanden... Sie würde ihren Kopf verwetten, dass er vergiftet worden war, weil nämlich das Ichiros Spezialgebiet war. Wäre doch nur Shinichi hier, er hätte den Fall im Handumdrehen aufgeklärt.

Auch Conan und Kogorô waren Ran und Ichiro hinterher. Der Junge hatte Rans Ohrfeige gesehen und wie vernichtend sie Ichiro ansah. So war es schön, nur nicht auf den aufgeblasenen Affen reinfallen und ihm ordentlich Saures geben, das gefiel ihm, er grinste sogar vor sich hin. ‚Tja, Ichiro, sie lässt sich nicht von jedem anfassen... Pech gehabt!’

Auf der anderen Seite der Gleise angekommen, gesellte sich die kleine Gruppe zu Ryochi, der in die Hocke gegangen war, um Genaueres zu sehen.

„Lass mich mal da ran!“

Ran hielt den jungen Mann am Handgelenk fest. „Nein, Finger weg! Lass das Ryochi machen! Er war vor dir hier! Mach dich nicht so wichtig!“

Ichiro blickte ihr ins Gesicht. Was hatte sie denn auf einmal? War es noch diese eine Ohrfeige?

„Ran-chan, das wegen vorhin, das tut mir sehr Leid, sei nicht mehr sauer auf mich.“

Der Kinder-Detektiv verdrehte die Augen. Blieb ihm denn nicht einmal Ichiros Geschleime erspart? Er versuchte sich auf die Leiche zu konzentrieren und wandte den Blick kurz von Ran ab, schaffte es aber nicht, sich nur auf diese eine Sache zu konzentrieren, weil Ichiro ja so um Ran herum scharwenzeln musste.

Kogorô stand auch in Windeseile neben ihm. Ichiros Auftauchen hatte ihn total aus der Bahn geworfen und er traute dem Drecksack nicht. Irgendwas war an dem faul. Er benahm sich so seltsam. Vielleicht war er wirklich nur um Ran besorgt, aber was wenn nicht? Wie Shinichi jetzt, war auch Ichiro verschwunden gewesen. Keiner wusste, was der Detektiv in dieser Zeit getrieben hatte. Nicht einmal Natsumi hatte so wirklich eine Ahnung gehabt, was ihr Bruder machte. Das alleine ließ Conan etwas misstrauisch sein. Man sagte, jeder konnte zur Organisation gehören und gerade bei Ichiro hatte er das böse Gefühl, genau das könnte der Fall sein. Allerdings waren es meistens die Leute, bei denen er nicht mal im Traum dran gedacht hätte, dass sie etwas mit denen am Hut haben könnten...

„Du kannst mir sicher etwas bei dem Fall helfen, oder, Ichiro?“ Kogorô schien sich mehr zu freuen, als Conan, denn er haute dem 22-jährigen Medizinstudent auf den Rücken und lächelte. Das war wahre Freude.

Shinichi hätte ihm den Hals umdrehen können. Aber es war doch wieder klar, dass Kogorô ihn mehr mochte, als Shinichi. Dieser war ihm ja mehr als nur auf den Senkel gegangen, wie Ran ihm immer wieder erzählt hatte.

„Dann musst du mir alles erzählen, Onkel Kogorô“, erwiderte Ichiro ebenfalls nett lächelnd.

‚Schleimer... Ein Grund mehr, Kogorô nicht einzuweihen, dazu habe ich ohnehin nicht die Lust. Der bringt sich noch mal selbst um die Ecke und mit dir als Partner, Ichiro, sowieso.’

Ryochi fiel natürlich auch sofort auf, dass den kleinen Shinichi etwas störte, er hatte eine gute Beobachtungsgabe in solchen Dingen, sagte es aber nicht laut, das würde er später mal mit ihm besprechen.

„Also, er hat eine Überdosis Drogen zu sich genommen... Das hat ihn umgebracht. Ob er es sich selbst verabreicht hat, ist noch unklar. Aber ich habe das hier“, er hielt eine Packung starkes Schlafmittel hoch, „gefunden und wenn ich mir das so ansehe, so sieht er mir so aus, als wenn er eine Herzattacke dadurch hatte. Bleibt also abzuwarten, was die Obduktion ergibt, vorher will ich nämlich nichts Weiteres dazu sagen.“ Er sagte es nicht, weil er unsicher war, Ryochi war nämlich sehr sicher, dass seine Vermutung stimmte, wobei ihn das Gefühl beschlichen hatte, dass man denken sollte, Kita hätte Selbstmord begangen. Es war eine sehr einfache Art, jemanden um die Ecke zu bringen. Und was die Medizin anging, war die Organisation schon sehr weit fort geschritten – leider Gottes. Obwohl ihn das auch stutzig machte. Das würde heißen, der Mörder wusste über APTX Bescheid, immerhin hatte er nicht dieses dafür verwendet – zumindest wenn der Mörder auch tatsächlich ein Organisationsmitglied war, wovon Ryochi aber ohnehin ausging.
 

Nach halb elf war Sêiichî die Schwarzhaarige endlich mal losgeworden und hatte doch noch duschen können. Jetzt, um kurz vor elf, nachdem er sich angezogen hatte, lag er auf dem Bett – tödlich gelangweilt und sich doch etwas einsam fühlend.

Er schloss die Augen und entspannte sich ein wenig, sofern das möglich war. Da der 24-jährige einen anstrengenden Tag gehabt hatte, nickte er kurz ein und schrak hoch, als sein Handy Klingeltöne von sich gab. Er holte es vom Nachttisch und schaute auf das Display.

Einen Knopf betätigend, nahm er das Gespräch an und hielt es sich ans Ohr. „Was gibt’s, Ryo?“ fragte der Mann mit einem Schnaufen, das der Detektiv am anderen Ende der Leitung sofort deuten konnte.

„Hast du schon geschlafen? So früh schon? Das ist doch sonst nicht so deine Art... Hat man dich sitzen lassen?“ Es klang etwas zynisch, geradezu, als wenn der Braunhaarige damit rechnete, dass Chris nicht bei ihm war...

Ein schweres Seufzen kam von dem Kriminalisten. „Woher willst du das wissen? Vielleicht haben wir ja schon längst und sie schläft auch schon?“ stichelte Sêiichî zurück – er konnte es nicht leiden, wenn man ihn so blöd anmachte, nur Yuichi konnte das noch besser.

„Das glaubst du ja selbst nicht. Deine Freundin hatte nämlich zu tun...“

Augenblicklich saß der Schwarzhaarige kerzengerade auf dem Bett. „Was hat sie angestellt, dass du das schon so sagen musst?“

„Sie hat jemandem geholfen, außer mir hat das wohl aber keiner gecheckt. Der Täter, dessen Name ich sowieso jetzt schon kenne, hat sich dummerweise nämlich verraten. Als mir ein guter Freund erzählt hat, wie er sich benommen hat, war mir sofort alles klar. An Kommunikation scheint es deiner Freundin ja zu fehlen. Der Täter hat das Opfer in einer Toilette des Haido-Chô-Bahnhofes vergiftet, dort alle Spuren verwischt, die ihn hätten verraten können und ließ die Leiche dann einfach liegen... Leider ist ihm eine Bekannte entgegen gekommen, als er das Feld räumen wollte... Er hat sie weggezerrt und wollte sie auf Teufel komm raus daran hindern, den Tatort zu besichtigen. Leider waren da aber schon andere Leute, denen aufgefallen ist, wie sauber geputzt die Toilette war... Frisch geputzt! Der Täter ist reingestürmt und hat einen Schock erlitten, weil die Leiche weg war. Und nun rate doch mal, was deine Freundin getan hat...“

Dass der Mörder zur Organisation gehörte, stand für Ryochi eigentlich außer Frage. Vermouth half nicht einfach so irgendwelchen Leuten, wenn doch, dann hatte das etwas zu bedeuten. In dem Fall, dass er ein neues Mitglied der Organisation ausfindig gemacht hatte...

„Beihilfe geleistet...“ Sêiichî musste darüber nicht lange nachdenken, was Ryochi meinte, er war nicht dumm, nur manchmal blind vor Liebe. „Aber warum rufst du an? Nur, um mir DAS zu sagen?“ Das glaubte der Kriminalist nicht.

„Weil ich von dir wissen will, ob deine Freundin irgendeinen neuen Partner hat... Wenn so was passiert, weißt du es doch als erstes. Yuichi hat keine Ahnung, oder er stellt sich dumm... Er war ganz kurz angebunden, ich glaube, er hat Stress.“

Sêiichî schloss die Augen. Und wie sein Bruder Stress hatte – mit Valpolicella nämlich, die ihn jetzt erstrecht nicht in Ruhe lassen würde.

„Na ja, einer ist da – der nennt sich Sazerac. Syrah meint andauernd, zwischen denen läuft etwas. Ich habe ihn aber noch nie gesehen. Ich hatte leider nicht das Glück ihm zu begegnen. Vermouth selbst sagt, er ist gut zum Benutzen.“ Er machte sich viele Gedanken darum, weshalb sie das so sagte.

„Das wundert mich jetzt überhaupt nicht, da es sich um jemanden handelt, der mit Angel verwandt ist.“ Es passte alles ins Bild.

„Woher weißt du denn schon wieder davon? Spionierst du ihr nach?“ Sêiichî war gerade etwas missgelaunt, kein Wunder, Syrah versuchte ihn zu verführen, um sie beide reinzulegen.

„Nein, sie ist nur das Spezialgebiet meiner Frau, sie hat mir von Angel erzählt, was denkst du denn? Nicht jede Frau ist so wie Chris und hat NUR Geheimnisse vor dem Mann, den sie liebt.“ Gleich würde sein Freund neidisch werden, das war doch vorprogrammiert.

„Das muss aber schon einige Zeit her sein, oder ist Shina wieder aufgetaucht?“ Die Stimme des Schwarzhaarigen war jetzt gedämpft, er redete ganz vorsichtig mit seinem Freund.

„Nein, ist sie nicht.“ Es war unvermeidlich, dass nun erst einmal Stille geschwiegen wurde. Beide sagten nicht ein einziges Wort. Ryochi, weil er nicht wusste, was er sagen sollte und Sêiichî, weil es ihn traurig machte, das zu hören.

„Tut mir Leid, und ich spiele mich auf, wenn sie mal eine Woche für mich unerreichbar ist, dabei sollte ich aufhören mich zu beschweren.“ Dass er eigentlich nicht klagen konnte, sprach Sêiichî nicht aus, aus Rücksicht Ryochi gegenüber, um ihn nicht zu verletzen.

„Wahrscheinlich musste sie wieder türmen, weil sie sich Ärger gemacht hat, ist doch jedes Mal das gleiche Spiel. Sie lehnt sich zu weit aus dem Fenster. Bleibt nur zu hoffen, dass es sie diesmal nicht endgültig erwischt hat...“ Dass Ryochi sich davor fürchtete, hörte man ihm an, seine Stimme zitterte sogar, als er es von sich gab.
 

Als Syrah von ihrem Badezimmeraufenthalt wiederkam, ging sie an ihren PC, der schon die ganze Zeit lief und verfolgte eine Wohnung mittels einer tollen Software und einem Peilsender. Es machte sich mehr als nur bezahlt, zur Organisation zu gehören. Man bekam Dinge, die andere nicht so einfach hatten. Die Mittel und Wege, die sie hatten, waren bei weitem besser und ausgefuchster, als die der Polizei, weswegen sie ihnen ja immer unterlag. Deshalb war es Syrah auch möglich, einfach so in die Wohnung einer jungen Frau zu schauen, ohne dass diese es bemerkte. Die kleine Kamera am Fenster war nicht größer als ein winziges Loch, sie sah aber alles, was sich im Zimmer abspielte. Einige sehr begabte Wissenschaftler beschafften ihnen diese Dinge. Und diese Valpolicella sollte man sich warm halten, sie konnte sehr nützlich sein. Und diesen kleinen Job machte Syrah natürlich mit Vergnügen. Sie konnte diese Frau nicht leiden, die war so ein Engelchen und erinnerte sie dummerweise an ihre Cousine...

Es war allseits bekannt, was die Kurzhaarige von ihrer Cousine hielt. Die hatte sie von Anfang an ja nur gehasst und gegen sie intrigiert, das musste sie ihr zurückgeben. Und dass Kir sie an Shina erinnerte, war mehr als nur eine Gefahr, da die Killerin dazu neigte, eiskalt mit dieser umzuspringen, was sie bei Leuten, die sie eben über alle Maßen hasste, mit Vorliebe tat.

Syrah wusste nicht mehr, mit wem sie sich da eingelassen hatte. Vermouth hatte ganz andere Ziele, als sie, das wurde ihr allmählich bewusst, diese wollte nämlich gegen die Organisation arbeiten. Und Kir, dieses Unschuldslamm war quasi zu ihrer besten Freundin mutiert – wenn die keine Verräterin war, fraß Syrah einen Besen. Was Jami an ihr fand, war ihr schleierhaft.

Nun hatte Syrah den Auftrag, Kir zu beschatten, um etwas über sie herauszufinden, was sie ihnen allen verschwieg. Nach außen hin spielte die Moderatorin nämlich die tolle, nette Frau, innerhalb der Organisation war sie Vermouth sehr ähnlich – die Schwarzhaarige meinte zu wissen, dass das alles nur Show war. Wenn nur Gin so schlau wäre, das zu durchschauen. Solange ihr die Beweise fehlten, konnte sie Kir ohnehin nichts anhaben. Jedenfalls musste sie verschwinden, sie war ihrer Mutter schon viel zu nahe gekommen...

Valpolicella hatte aus ganz bestimmten Gründen etwas gegen Rena Mizunashi – diese wagte sich wie Cinzano früher zu nahe an Carpano heran. Das war das Schlimmste, was man als Frau in den Augen der rotblonden Schönheit tun konnte, sie bestrafte es gnadenlos – wenn sie denn davon erfuhr. Sie würde Syrah eine höhere Position zuteilen, wenn sie etwas in Erfahrung bringen konnte, was Valpolicella von Nutzen war, damit versuchte die Britin die Japanerin zu ködern. Syrah würde garantiert nicht Nein zu diesem Angebot sagen – Macht war etwas, was sie sehr anziehend fand. Jami stand ja auch total darauf. Er würde alles für seine Macht tun, nur um sie nicht wieder zu verlieren. Eigentlich war der Mann ja perfekt zum Benutzen, er hatte sogar mehr Macht als Teran und der hatte schon einen gewissen Einfluss, da er zu den Elitekillern gehörte.
 

Kurz vor zwölf Uhr hatte sich die Detektei Môri endlich zur Ruhe begeben, so dass der kleine Detektiv sich kurzerhand aus dem Haus schlich. Er hatte nichts Großartiges, oder Böses vor, er wollte nur etwas herausfinden. Immer dann, wenn man manche Leute nämlich gut gebrauchen könnte, waren die unerreichbar... TOLL! Er hatte sich so geärgert und hatte vor, den Typen bis spät nachts zu nerven... Was fiel ihm ein, sein Handy auszumachen? Sein Freund und Verwandter war garantiert nach einem harten und antrengenden Arbeitstag nach Hause, schön für ihn, aber musste er dann sein Handy gleich aussschalten?

Und auf diese FBI-Agentin war auch kein Verlass. Kogorô hatte ganz schön geschimpft, dass Ran ihre Lehrerin einfach so eingesperrt hatte, nur um ihnen zu folgen. Was dachte sich das Mädchen? Er hatte ja geahnt, dass Jodie außer Gefecht war, weil sie den Auftrag gehabt hatte, Ran nirgendwohin zu lassen und auf sie Acht zu geben, aber Ran war eben nicht dämlich und hatte gewusst, was gespielt wurde, weshalb sie mit Jodie ein wenig Wein getrunken hatte, bis die FBI-Agentin den Schlaf der Gerechten geschlafen hatte, dann hatte Ran das Zimmer einfach abgesperrt und war abgehauen...

Es kostete ihn wirklich viel Beherrschung, nicht laut zu werden, er hatte nämllich ziemliche Wut im Bauch. Ran hätte etwas passieren können... Die Organisation hatte ihre Finger im Spiel, das dachte ja sogar Ryochi und seine Schwester war verschwunden, er wollte nicht, dass Ran auch noch verschwand, wobei Shina bei Ermittungen mehr Ahnung hatte, immerhin war sie Detektivin.... Aber Ran, sie wusste doch noch immer von nichts. Da konnte es Vermouth noch so gut mit seiner Freundin meinen, sie war auch nicht immer da, und von Jodie hatte er eigentlich mehr Verantwortungsgefühl gegenüber Ran erwartet. Dass sie sich einfach so von einer 18-jährigen hereinlegen ließ, das ging ihm nicht in den Kopf... So jemand stellte sich gegen die Organisation, so jemand war überhaupt Ermittlerin...

Der kleine Junge bemerkte den Schatten nicht, der ihm unaufhörlich nachschlich und sich weder durch Geräusche bemerkbar machte, noch dadurch, dass er auffällig war. Ein Grinsen bildete sich in dem Gesicht des jungen Mannes, der immer näher an Conan heranging – man sah ihm sofort an, dass er nichts Gutes im Schilde führte...
 

Aus heiterem Himmel packten ihn zwei Arme und entrissen Conan den Boden unter den Füßen. Erschrocken schrie der 8-jährige auf. „Arg, Hilfe, Loslassen!“ Er reagierte typisch für kleine Kinder – er hatte nämlich das blöde Gefühl, das wurde eine Entführung und er würde unterliegen. Mit so einem Angriff von hinten rechnete er ja auch nicht. Jetzt waren sie wohl doch auf ihn gekommen...

Gelächter war das nächste, was er hinter sich hören konnte. Der Typ fand es also lustig, wenn sich ein kleines Kind nicht wehren konnte...? Und Conan hatte auch nicht vor, sich zu wehren, er würde sich kidnappen lassen und sich zum Boss bringen lassen. Das wollte er ja schon seit langem...

„Ich weiß, was du nun denkst, Kleiner“, wurde ihm bedrohlich ins Ohr geflüstert, was der Grund dafür war, dass er die Stimme desjenigen nicht sofort zuordnen konnte, so hatte er nämlich noch nie gesprochen – in einem so tiefen Ton, dass er furchteinflößend wirkte.

„Da muss ich dich aber leider enttäuschen“, diese Worte kamen schon wesentlich freundlicher und höher daher, nun erkannte Conan die Stimme und gab sogleich einen Schmolllaut von sich.

„Mooou, Ryo-kun, willst du mich erschrecken?“ Er strampelte, doch ließ man ihn nicht los. „Lass mich sofort runter!“

„Kannst du mir mal verraten, was du um diese Uhrzeit hier draußen machst? Kleine Kinder gehören ins Bett...“

Das mit dem kleinen Kind hörte der Junge gar nicht gerne, aber es stimmte, er war ein kleiner, schwacher Junge, der sich schlecht gegen einen Mann, der von hinten kam, wehren konnte. „Ich bin kein kleines Kind!“ Conan musste sich einfach dagegen wehren – er hasste es, er wollte wieder der Alte sein...

„Ja, vielleicht nicht innerlich, aber du schaust doch bestimmt in den Spiegel, nicht wahr? Du siehst jeden Tag, dass du ein kleines Kind bist. Dann draußen rumlaufen, um irgendwelche Leute auf dich aufmerksam zu machen, damit sie dich entführen, das ist pure Dummheit!“ Das Gespräch artete langsam zu einer Standpauke aus. Dass Ryochi so laut werden konnte, hatte er bisher noch nie bemerkt.

„Was erwartest du? Immer nur zuzusehen, macht keinen Spaß! Ich will etwas tun und ich folge jeder Spur – ausnahmslos jeder.“ Er drehte sich zu Ryochi herum, als dieser ihn runterließ und schaute an ihm hoch. „Dich will ich sehen, wenn ein Knirps aus dir werden würde, und du so schwach wie ein Kind bist. Ich wäre 19 geworden... Jetzt werde ich 9. Meinst du, das ist Spaß?!“ Der kleine Junge fauchte die Worte wütend und drehte sich dann mit verbissen wirkendem Blick weg. „Ich ergreife jede Chance, wenn du mir nicht helfen willst, bist du gegen mich und kannst gehen.“ Der Satz kam leise daher, Conan begann zu laufen, während sein Blick zu Boden gerichtet war, er war doch sowieso dem Boden näher als den Gesichtern seiner Freunde.

„Was ist dein Problem, Kleiner? Du hast dein Kinderleben satt, gut, das verstehe ich vollkommen, aber deswegen musst du nicht pampig werden oder in Verzweiflung dein Leben wegwerfen! Du glaubst gar nicht, welches Glück du hast... Vor knapp sieben Jahren ist eine 14-jährige von ihm ermordet worden, bei ihr hat er nur leider kein Mittelchen ausprobiert, damals war es noch nicht fertig gestellt. Du kannst von Glück reden, ist dir das überhaupt schon klar geworden? Du hast Familie und Freunde, die sich vielleicht um dich sorgen, so was kann ich echt nicht leiden! Ich kenne da noch so einen tollen Freund, der mal so eine Phase hatte, weil er sich selbst nicht ausstehen konnte!“ Nun seufzte Ryochi, er wollte nicht so aufbrausend sein, aber alles kam in ihm hoch.

Was er dazu sagen sollte, wusste der kleine Detektiv nicht sofort, er verstand Ryochis Zorn. Er war auch ein Freund. Um seine Freunde sorgte man sich eben. „Es hat nichts damit zu tun, dass ich mich nicht ausstehen kann, Ryo“, sagte er leise und hatte den Kopf deprimiert gesenkt. „Es ist nur... Ran...“ Wahrscheinlich würde man ihn für bescheuert halten, Heiji hätte sich nie so albern aufgeführt wegen einem Mädchen. Er hätte sich bestimmt gefreut, wenn er Urlaub von Kazuha bekam, er hätte sich auch nie und nimmer bei ihr einquartiert. „In letzter Zeit höre ich sie nachts oft schluchzen und ich weiß, weshalb sie es tut. Ich will’s nicht hören und auch nicht mehr sehen müssen, wie sie traurig ist und sich Gedanken darum macht, warum ich nicht einfach vorbei komme, sie ist nicht dämlich. Sie hat damals mitbekommen, dass man meinen Namen raushalten sollte... Sie macht sich tausend Gedanken darum, wie gefährlich der Fall wohl sein könnte.“

Der Ältere hatte es geahnt, Ran war es immerhin gewesen, die ihm gesteckt hatte, dass sich ihr Cousin seltsam verhielt, sie war nahe dran, die Wahrheit zu erfahren. So weit hatte Shinichi sicher noch nicht gedacht. Dass sie es herausbekommen würde, wieso Shinichi sich nicht mehr zeigte. Sie misstraute immerhin nicht umsonst einem Verwandten.

„Es wäre auch zu verwunderlich, wenn ihr nicht klar werden würde, dass etwas nicht stimmt. Dass Ai seltsam ist, hat sie ja auch bemerkt, nicht wahr? Sie wirkt auf mich, als würde sie mittlerweile jedem misstrauen.“

Das war ja nicht unbedingt etwas Schlechtes, fand der kleine Detektiv, er grinste nun. „Wenn sie Ichiro misstraut, freut mich das, ich würde dem auch nicht über den Weg trauen – das tun nur Doofe.“

Der Junge begann zu laufen, er wollte nämlich nicht die S-Bahn in den nächsten Stadtteil verpassen, da er jemanden besuchen wollte. Ryochi ging ihm nach.

„Du verfolgst mich? Keine Sorge, ich laufe ihnen nicht in die Arme, ich besuche nur meinen Cousin, dem kann man nämlich vertrauen. Er wohnt in Tokyo, allerdings nicht in diesem Stadtteil. Er ist gerade mal wieder aus Amerika zurückgekehrt, um nach dem Rechten zu sehen... Ich wollte ihn anrufen, aber dieser Baka hat mal wieder sein Handy abgeschaltet, hoffentlich ist er nicht wieder mit einer Frau zusammen – allmählich macht er einen auf Supermacho. Ich muss noch Riina warnen, dass sie ihm eins auf die Nuss gibt, wenn er ihr mit dummen Sprüchen kommt.“

Ryochi lief etwas schneller, um neben Conan her zu gehen und ihn von der Seite aus anzusehen. „Ach komm, Riina braucht keinen Aufpasser, sie hat Sêiichî überlebt.“

Conan schaute Ryochi fragend an, weil er den Namen Sêiichî jetzt gar nicht so wirklich kannte.

„Das ist der Mann, der dir im Krankenhaus gedankt hat, dass du Alan gerettet hast... Er ist sein Cousin. Mit Sêiichî war Riina zusammen, da guckst du, was?“ Er wollte den Jungen noch etwas erschrecken, erst einmal schloss Ryochi aber seinen Mercedes auf und winkte dem Kind. „Komm, zeig mir den Weg, ich fahr dich, das geht schneller.“ Eigentlich wollte er nur noch ein wenig mit ihm plaudern, ihm fehlte jemand, mit dem er offen über die Organisation sprechen konnte – jemand, der Bescheid wusste.

„Ja, da gucke ich, mir war immer so, als wenn sie Männer hasst, weil ihr Vater sie nicht alle beisammen hat. Er hat sich ewig nicht gemeldet, was der wohl so treibt? Er ist einer der meist gesuchten Verbrecher Japans. Er ist, wenn ich richtig informiert bin, in die USA geflüchtet. Da passt er hin, die Leute dort sind allesamt ein wenig verrückt.“ Schlimmer noch als die aus Osaka, Amerika war nicht so Shinichis Land, in das er gerne vereiste, deswegen und wegen seinen Freunden – insbesondere Ran – war er ja nicht mit seinen Eltern dahin gezogen.

„Tja, Sêiichî ist zum Teil Amerikaner... Dass er auf eine amerikanische Schauspielerin abfährt, wundert daher keinen mehr.“ Er schielte zur Seite, mal sehen, was der Junge dazu sagte.

„Gleich sagst du mir, du meinst Chris Vineyard, dann halte ich den Typen endgültig für bescheuert.“

„Vielleicht solltest du dich als Wahrsager versuchen, Conan-kun“, er zwinkerte ihm zu, dabei stieg er in sein Auto ein und wartete, dass der Junge es ihm gleich tat. Dann startete er den Motor und grinste.

„Ach, war das jetzt ein Volltreffer? War nur blind geraten, was soll’s?“ Conan machte gleich einen nachdenklichen Eindruck, weshalb Ryochi die Augen schloss.

„Tja, Sêiichî ist ein wenig irre, seit er mal fast von Chardonnay erschossen wurde. Das ist so ein Polizisten-hassender Mistkerl – Sêiichî war fünfzehn. Vermouth hat sich eingemischt, irgendwie hat Klein-Sêiichî das mitbekommen und seither einen Narren an dieser Frau gefressen – er wollte unbedingt an sie ran – das hat er jetzt davon.“ Zeitgleich mit dem Schütteln seines Kopfes fuhr der Detektiv los. „Er hat sie für einen Engel gehalten...“ Da zweifelte man doch wirklich am Verstand des jungen Mannes, wenn er eine Killerin als Engel bezeichnete, nur weil sie blond war und ihn versucht hatte zu retten.

„Albern... Diese Frau hat absolut gar nichts von einem Engel, da kann sie noch so blond sein.“ Er klang abwertend, sein Gesichtsausdruck passte aber nicht zu den Worten. „Ich verstehe sie ohnehin nicht! Sie ist die erste Frau, die mir ein totales Rätsel ist, das sich nicht so einfach lösen lässt. Sie macht einerseits den Eindruck, als hätte sie die Schnauze voll, andererseits sieht es aber nicht so aus, als würde sie Verrat riskieren. Und dann guckt sie einfach zu. Ist sie zu feige, oder was hat sie für ein Problem? Versaut sich selbst die Karriere und riskiert Ärger mit dem FBI, ist aber zu feige... Kann ja nicht sein. Was geht bloß in ihrem Kopf vor sich? So furchteinflößend kann diese Organisation nicht sein, selbst Akemi hatte keine Angst zu sterben... Wenn sie diese Organisation hasst, wieso schaut sie zu?“

„Na ja“, Ryochi überlegte, wie er sich ausdrücken sollte, „Verrat begehen ist einfach. Andere ohne Erlaubnis erledigen, ist auch schon Verrat. Und sie hat ja ständig irgendwelche Männer auf ihrer Seite, die die Hand für sie ins Feuer legen, weil sie mit ihr ins Bett wollen. Sie muss es also nicht selbst tun, verstehst du? Was nicht heißt, dass sie nicht würde, wenn man sie in die Ecke drängt. Doch muss ich sagen, dass sie gegen einige Leute nicht ankommen würde, also etwas Vorsicht ist da angebracht. Außerdem hat sie Hilfe von meinem Freund, ich fürchte, dass er sich ausnutzen lassen würde. Er ist so in diese Frau verschossen, dass es schon traurig ist, zumal er Polizist ist.“ Alleine mit einem Polizisten zu verkehren, war doch schon verräterisch, hoffentlich verstand Conan es, ohne dass er es großartig erläutern musste.

„Ach herrje, dein Freund ist Polizist und dann liebt er eine Mörderin? Das ist ein sehr schlechter Scherz!“ Der Junge verstand es nicht. Das war ja gleich doppelt Verrat. „Da hat sie ja einen Vollidioten gefunden, der die Kohlen aus dem Ofen holt, wenn’s brenzlig wird, was? Wenn mal alles rauskommt, so als Absicherung, er wird ihr sicher helfen wollen.“

„Es ist schlimmer, sehr viel Schlimmer. Sie ist der Liebling vom Boss.“ DAS war es, was Ryochi an der Sache überhaupt nicht in den Kram passte. Sein Freund konnte tun und lassen was er wollte, er war sowieso zu stur, um sich davon abbringen zu lassen, aber musste er ausgerechnet gleich die Frau wollen, die der Boss am meisten liebte, die er quasi für sich wollte? Der Mann würde jeden töten, wenn er es herausbekam. „Wenn er spitzkriegt, dass sie etwas miteinander haben, ist, dass er Polizist ist, weniger von Belang, als dass sie etwas miteinander haben, das ist es, wie dieser Mann tickt. Er hat noch nie gezaudert, einfach so zu töten, der Kerl ist abgrundtief böse, und in dem Fall wird er noch wahnsinniger, als sonst schon. Wenn er Angst hat, aufzufliegen, ist er schon schlimm genug, aber wenn’s um sie geht...“ Die Situation wollte er sich am liebsten gar nicht erst vorstellen.

„Du redest, als wenn du den Boss persönlich kennen würdest...“

„Das muss man nicht, um seine Handlungsstränge in den Punkten zu verstehen, das, was er tut, spricht für sich.“

Es stimmte, der Boss als der Anführer dieser ganzen, grausamen Bande, konnte nur absolut schlecht sein. Er brachte seine Leute immerhin skrupellos um, und das war längst noch nicht alles. Er musste total wahnsinnig sein – seine Ziele, so etwas plante kein normaler Mensch.

„Im Übrigen. Wahrscheinlich würde er dich leben lassen, du kannst ihm in der Größe – seiner Meinung nach – eh nicht gefährlich werden. Er würde anderweitig Verwendung für dich finden.“

Oh Gott, Verwendung, Conan wurde auf einmal ganz mulmig zumute. Waren alle Menschen für den Kerl denn nur Gegenstände, Dinge? Und dann schaute Ryochi so komisch – so, als wüsste er etwas, wovon Conan selbst noch nichts ahnte...

„Du sagst das so überzeugt! Da ist doch etwas faul...“

Auf die Worte des Kindes hin sagte der Detektiv nichts, er wollte nicht antworten, sah es nur immer wieder vor sich. Verdammt – der Boss stand auf kleine Kinder, die man zu Killern ausbilden konnte, er sammelte sie wirklich wie Gegenstände, die besten überlebten quasi – der Kleine wäre gefundenes Fressen für ihn, deswegen war Ryochi ja so darauf aus, ihn zu beschützen...

„Du musst da lang fahren!“ meinte Conan, als keine Antwort mehr kam. Es dauerte auch gar nicht lange, da kam ein Schild auf dem der Name des Stadtteils stand, den sie suchten. Bis sie die Wohnung von Shinichis Cousin gefunden hatten, fiel nicht ein einziges Wort, jedenfalls wirkte Ryochi sehr mitgenommen. Er war intelligent und auch schon sehr lange ein Detektiv, er vermutete, dass man ihn für die Organisation hatte haben wollen. Und dass er so viel wusste, war verdächtig, vielleicht war er selbst ein total unglückliches Mitglied der Organisation, der Junge schloss es nicht aus... Wenn er so von seinem Freund sprach, der sich furchtbar gehasst hatte, so dass er sich in Gefahr begeben hatte, was, wenn er selbst dieser Freund war? Sherry hatte ja auch keine Freunde gehabt und sich sogar versucht das Leben zu nehmen.

„Ich bin gespannt, deinen Cousin kennen zu lernen.“

Der Junge hatte plötzlich strahlende Augen, seine Gedanken sah man ihm nicht an, aber hätte er Ryochi für falsch gehalten, hätte er ihn gar nicht erst mitgenommen. Und überhaupt, dann wäre er jetzt sicher auch schon tot oder irgendwo eingesperrt, dann hätte Ryochi ihn nicht erschreckt, um ihm Angst zu machen, jedenfalls hatte er diese böse Stimmlage eindeutig geübt. Vielleicht musste er das...

„Er ist sehr nett, ich bin davon überzeugt, dass ihr euch versteht.“ Conan löste den Sicherheitsgurt und riss gleich mal die Tür auf, währenddessen blieb Ryochi noch kurz seufzend in seinem Auto sitzen und starrte auf das Lenkrad.

Wenig später, als der 8-jährige schon geklingelt hatte, oder vielmehr die Klingel dauerhaft drückte, kam Ryochi auf die Tür zu und blieb neben dem Kind stehen. „Du klingelst ihn aus dem Bett, stimmt’s?“

„Korrekt, hat er verdient für das Handyausschalten.“
 

Ein veschlafener junger Mann mit zerzausten Haaren öffnete ihnen wenig später, so dass Conan schon herausfordernd und stichelnd grinste. „So verpennt, Tatsu-chan?“

„Du musst verrückt sein, es ist nach zwölf...“ Der 28-jährige rieb sich die Augen und ließ beide rein.

‚Das ist sein Cousin? Ich glaube es ja nicht! Wie wenig ich über die Familie weiß... Dass er in Amerika war, erklärt das allerdings.’ Ryochi ließ sich erstmal nichts anmerken, dass er ihn bereits kannte...

Tatsuji dachte sich auch nicht viel dabei, dass Ryochi bei Conan war, er hatte sicher auch längst herausbekommen, dass es sich um Shinas Bruder handelte.

„Kommt erst mal rein.“

Gesagt, getan. Conan schaute sich im Hausgang um, es war eine typische Handlung für ihn, er schaute sich immer überall genau um, eine Macke des Detektivs in ihm. „Rii-chan ist hier!“ Er stürmte los, ohne dass man ihn aufhalten konnte, auch Tatsuji nicht, der nur schadenfroh grinste. Er würde noch bereuen, einfach so losgerannt zu sein... Shinichi würde aus allen Wolken fallen...

Unaufhaltsam rannte Conan freudestrahlend die Treppe hinauf und riss die Tür zum Schlafzimmer auf, die sogar noch halb offen war, also nicht einmal angelehnt. Sein Blick fiel auf das Bett. Dass Riina dort schlief, hatte er erwartet, doch war sie wach, wie Shinichi später bemerkte, ihm entgleisten sämtliche Gesichtszüge, als sie dann auch noch erschrocken die Decke hochzog.

Face reality

Hey, Ryo, ist nicht der einzige Teil, den ich hochladen will, also nicht gleich ausflippen, wenn nicht das drin ist, was du hoffst ^^'

Kommt schon noch, aber teilweise XD

Ich vergesse es schon nicht u.u Obwohl ich dafür bekannt bin, viel zu vergessen -.-

Sry, bin gerade auch nicht so gut drauf ^^

ich hoffe trotzdem, dass es dir gefällt und ich weiter mit der Länge deiner Kommis erschlagen werde %DDDD


 


 

Ihm flog ein Kissen entgegen, das sie einfach nach ihm geworfen hatte, so dass er es mitten ins Gesicht bekam. „Shin-chan, man rennt nicht einfach so in Schlafzimmer, du Ecchi!“

Er wurde rot, als er sie so sah... Und irgendwie war er im nächsten Moment sauer, sehr sauer. „SUSHII~, würdest du mir das jetzt bitte mal erklären??!!“ Das glaubte er jetzt echt nicht – das mit dem Warnen war mehr ein Scherz gewesen...

„Eh?“ Etwas verwirrt besah Riina den kleinen Conan, weil er so durch das Haus brüllte.

Tatsuji kam auch wenig später zur Tür herein und lehnte sich absichtlich total lässig gegen den Türrahmen, er hatte selbst nicht gerade viel an, wie Conan jetzt auffiel.

„Pfui, Tatsuji!“

„Was? Es hat dir keiner gesagt, du sollst hier rein rennen, du bist ganz rot, Shinichi, nicht dass du umkippst.“ Er ließ die Tür los und ging auf beide zu. Riinas Haare waren im Moment nicht weniger rot als das Gesicht seines kleinen Cousins.

„Komm schon, da stehst du drüber, du hast immerhin auch schon Ran nackt gesehen, außerdem ist sie es ja nicht!“ Nun flog auch Tatsuji ein Kissen entgegen, er sollte gefälligst aufhören so machohaft zu grinsen...

„Ich bin so rot, weil ich wütend bin und das nicht zu knapp!“ Er warf unterschwellig einen Blick zu Riina, er hatte genau gesehen, dass sie nicht vollständig angezogen war...

Rausgehend holte er tief Luft, er wollte da nicht mehr hinsehen und er wollte auf keinen Fall, dass Riina es mitbekam. Er knallte die Tür zu und sah an Tatsuji mit bösen Blick hoch. „Kannst du dich nicht beherrschen? Das konntest du doch sonst auch immer so gut.“

„Keine Lust.“ Tatsuji ließ sich doch nicht von diesem Knirps, der Angst vor seiner besten Freundin hatte, die Butter vom Brot nehmen.

„Keine was? Ich habe mich ja wohl verhört!“

„Ich kann für deinen Zustand nichts, ich war nicht da“, erwiderte Tatsuji, denn sein Cousin war einfach nur eifersüchtig, das wusste er einfach. Dass sie beide in ihre beste Freundin verliebt waren, war mit ein Grund. Tatsuji konnte, Shinichi hingegen nicht, er konnte nicht einmal sagen, dass er sie liebte, ohne dass es schwachsinnig rüberkam. Er wagte es ja nicht einmal mit der Wahrheit herauszurücken.

„Das hat damit überhaupt nichts zu tun“, kam seufzend von Conan, er verdrehte die Augen. „Geh dich an einer anderen abreagieren, wenn du einen Verschließ hast!“

„Lass deine dreckige Fantasie stecken, Shinichi Kudô! Eine halbnackte Frau sagt nicht, dass etwas gelaufen ist, werd erwachsen.“

„Ach, du willst sagen, dass du sie kein bisschen angerührt hast?“ Conan schüttelte den Kopf, er glaubte ihm kein Wort. Ja, er hatte Fantasien, wie jeder normale 17-jährige Junge welche hatte.

Ryochi fasste es nicht, nun stritten Shinas Bruder und deren Cousin, er fand es amüsant, meinte dann aber sich mal reinschleichen zu müssen, um zu erfahren, was genau denn nun Conan gesehen hatte.

Riina hatte sich mittlerweile aus dem Bett erhoben und war dabei, sich gerade anzuziehen. Ryochi kam sich wie ein Spanner vor, als er so ins Zimmer linste. Sein Blick wanderte von ihren blanken Schultern über ihre schlanken Beine, bis auf Dessous trug sie nichts, kein Wunder, dass Conan verrückt wurde.

Sie zog sich in aller Seelenruhe ihre Bluse über und schaute dann nach hinten. „Du bist ja auch da, Ryochi?“ Sie tat, als wäre nichts. Riina stand ja auch nur mit offener Bluse und einem Slip vor ihm, das war ja kein bisschen peinlich, er schaute sie aber doch etwas bedeppert an und winkte ihr mit komischem Grinsen. „Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich mal wieder einen Mann findest. Freut mich...“ Das Grinsen wurde immer breiter, sie wurde nun total rot. Was er sich dachte, war ihr jetzt auch klar.

„Warum grinst du so, Ryo? Wir haben nichts Versautes gemacht.“ Sie sah peinlich berührt runter und zog sich die Bluse weiter runter, so dass sie mehr von ihren Beinen bedeckte, was ihr nicht genug erschien. „Nur ge-schlafen.“ Sie begann zu stottern, so dass auch Ryo klar war, dass sie ihn ein klein wenig anflunkerte.

„Das muss dir nicht peinlich sein. Ich finde es sehr süß, dass du jetzt rot geworden bist.“

Ihr fiel das Gesicht förmlich runter, sie starrte ihn so verdattert an, dass es schon lustig war, weshalb er lachte.

Wenig später machte Tatsuji die Tür auf, so dass Ryochi hinter ihr versteckt stehen bleiben musste, weil er sie sonst abbekommen hätte.

„So, Conan hat sich abreagiert, und wo ist Ryochi hin?“

Riina deutete rot hinter die Tür, deshalb lugte Tatsuji um die Ecke.

„Hier gibt es nichts zu gucken, was fällt dir denn ein, mhm?“

Ryochi sah Tatsuji mit Halbmondaugen an. „Ich habe nicht geguckt, sei doch nicht eifersüchtig, immerhin hast du das dem armen kleinen Conan vorgeworfen.“ Etwas überlegen fühlte sich der Jüngere in dem Moment schon, er wollte auch mal ein wenig frech sein. „Ich wollte bloß wissen, was er gesehen hat. Ich mache mir da überhaupt keine Sorgen. Sie hat mal total von dir geschwärmt, sei bloß schön nett zu ihr.“ Er boxte mit einem frechen Grinsen gegen Tatsujis Schulter, nun fiel auch Conan auf, dass sie sich kennen mussten, sonst würden sie sich nicht so benehmen.

„STOP! Zurückspülen und dann noch mal von vorne... Ihr kennt euch?“

„Der Baka ist mit meinem älteren Bruder befreundet, daher kennen wir uns. Er hat ihn mal gerettet, weil er lebensmüde ist.“

„Ryo, sei ruhig!“ Riina war verzweifelt, er konnte doch nicht davon erzählen, was sie über Tatsuji gesagt hatte, oh Gott, wie stand sie denn dann da...? Sie stürmte auf den Detektiven zu und hielt ihm den Mund zu, wogegen er sich aber zu wehren wusste, so dass er ihre Arme wenig später fest in seinen hielt.

„Du bist ihr Held, sie steht auf Helden und alle Männer, mit denen sie so zusammen war, hatten etwas von dir! Du bist der perfekte Mann, sie träumt nachts von dir!“

„Du bist gemein, sei ruhig!“ Es war so verdammt peinlich. Dass sie ihn liebte, reichte das denn nicht? Musste er ihm auch noch so etwas sagen? Es war ihr peinlich, dass sie ihn in anderen gesucht und nicht direkt gefunden hatte...

Conan schaute an Riina hoch, er hatte etwas Trauriges im Blick. „So ist das? Und er war ganz lieb zu dir?“ Er machte den Anschein, als wollte er jeden Moment heulen, obwohl es nicht seine Art war.

Sie beugte sich zu ihm runter und blickte ihn mit einem süßen Lächeln an. „Baka, es ist Tatsuji, und was heißt da ~war~? Das wird er noch öfter sein – weil ich es so will.“

Ryochi schüttelte den Kopf. Da war jemand aber sehr überzeugt, aber warum auch nicht? Sie vertraute ihm eben.

„Hat er dich angefasst?“

„Mhm... Na jaaaa.“ Sie war etwas verlegen und dachte daran zurück, wie er sie ins Bett getragen hatte und dann begonnen hatte, an ihren Klamotten rumzunesteln. Erst hatte sie sich ja ein wenig dagegen gesträubt, aber wirklich gewehrt hatte sie sich nicht, bis sie obenherum nichts mehr an gehabt hatte – er hatte sie ganz sanft berührt, dass sie nur noch schwärmen konnte. Als sie so dran dachte, wurde sie wieder etwas rot um die Wangen.

„Oh Gott, er hat wirklich! Du bist echt ein Ferkel, Tatsuji.“

„Das Ferkel heißt Shinichi Kudô, jedenfalls schaue ich keinen Frauen unter den Rock, sobald ich die Gelegenheit kriege, also sei ruhig!“

„Wieso soll ich ruhig sein?“ Der Junge war empört, er sah vielleicht aus wie ein Kind, aber er musste sich noch lange nicht so behandeln lassen. „Ihr Vater hasst dich, man könnte glatt meinen, du willst ihn provozieren! Dir traue ich auch noch zu, dass du das nur tust, um Keichiro zu ärgern“, Conan seufzte tief, „wir alle wissen, dass er dich nicht ausstehen kann, schlimmstenfalls ist es wahrer Hass.“

Nun schlug es 13, Tatsuji schnappte sich Conan und hob ihn mit einem Ruck hoch, so dass sie auf Augenhöhe waren. Mit einem ernsten Blick besah Tatsuji den Kleinen, der schon Angst bei diesem Blick bekam. „Du hast ja wohl einen Schuss! So etwas würde ich nie tun, außerdem weiß ich schon eine ganze Weile, dass es nicht Freundschaft ist, was sie von mir will, zumindest nicht mehr. Ich habe keine Angst vor Veränderungen, Shinichi, vielleicht hast du die ja...“ Außerdem lebte er nicht gerne so gefährlich, er war immerhin nicht Yuichi. Er würde es zwar auf keinen Fall verheimlichen, schon gar nicht vor Riinas Vater, aber drauf anlegen wollte er es auch nicht.

„Kannst du sie so lieben, wie sie es sich wünscht? Und bist du auch ganz sicher, dass du das willst?“ Er machte sich Sorgen, Riina war dank ihres Vaters etwas sensibler veranlagt, als die meisten anderen Frauen, und sie war noch... Na, daran dachte er jetzt besser nicht. War sie denn überhaupt noch Jungfrau??

„Solche Fragen stellt man sich nicht, man probiert es einfach aus.“

„Ach so, man probiert es einfach aus, und wenn es schief geht?“

Die kleinen, blauen Kulleraugen starrten die graugrünen Augen des Mannes direkt an. „Das muss es ja nicht! Weglaufen bringt aber auch nichts, du läufst doch schon seit Jahren weg...“

Der Junge hatte den Kopf gesenkt, es stimmte und er bereute es zutiefst. „Wenn ich je wieder die Gelegenheit dazu bekomme, es ihr zu gestehen, sage ich ihr, wie sehr ich sie liebe...“

Natürlich war er eifersüchtig, wie könnte er es nicht sein, wenn er im Körper eines kleinen Jungen gefangen war?

„Ich habe mich nicht getraut, weil ich alles für selbstverständlich angesehen habe, aber jetzt... Wenn man alles verliert, was man hatte...“ Conans Blick ging immer weiter runter, er sah niemanden an, sondern starrte auf den Boden.

Tatsuji ließ ihn wieder runter. Das Gespräch setzte ihm zu, er wusste nämlich noch nicht so wirklich, wie er dem armen Shinichi helfen konnte, damit er wieder zu seiner Freundin konnte, es tat ihm weh, seine so traurigen Augen sehen zu müssen...
 

Tolles Thema hatten sie da ja angeschnitten. Ryochi spürte, wie seine Augen leicht zu brennen anfingen und er vor die Tür treten musste, weil es auf einmal feucht um seine Augen werden wollte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lider, während Tatsuji drinnen sich noch mit seinem Cousin über dieses schreckliche Thema unterhielt. Ryochi wusste sehr genau, wie sich Ran fühlte, und auch wie Shinichi litt – es fühlte sich alles so real an. Er war eben auch wieder alleine zurück geblieben. Er sah oft nachts in seinen Träumen eine Hand, die sich nach seiner Frau ausstreckte und sie ihm beim Schlafen einfach so wegnahm, und er konnte tun, was er wollte, er konnte die schwarze Hand nicht aufhalten... Egal, wie schnell Ryochi der Hand nachrannte, sie war viel zu schnell – ehe er sich versah, hatte sie Shina in der Riesenklaue verschlungen, so dass sie gar nicht mehr sichtbar war.

Die schwarze Hand war für ihn die Organisation. Sie war immer schuld daran, wenn das passierte.

Ran hatte ihm erzählt, welch ungutes Gefühl sie gehabt hatte, als Shinichi in der Dunkelheit verschwunden war. Sie hatte Glück im Unglück gehabt, ohne es zu wissen. Der Detektiv war kurz davor, ihr zu erzählen, dass Shinichi lebte und es ihm den Umständen entsprechend gut ging, er sie aber sehr vermisste. Ob er selbst dieses Mal wohl auch noch einmal so viel Glück haben würde? Jemanden durch den Tod zu verlieren, war schlimm genug, er kannte sich damit aus, immerhin hatte seine erste Freundin einen Unfall gehabt, den sie nicht überlebt hatte, aber der Tod herbeigeführt von anderen, der machte wahnsinnig. Davor hatte er Angst.

Die Tür wurde geöffnet und Riina streckte den Kopf heraus, nach Ryochi suchend, der sich deprimiert an die Wand gelehnt hatte.

„Hey, Ryo, warum schaust du denn so traurig?“ Sie wusste noch nichts von seinem Glück... Ihr hatte man ja nichts davon erzählt, sie wäre nur wieder in Tränen ausgebrochen und hätte gesagt, ihr Vater steckte dahinter. Mittlerweile hatte sich Riina auch wieder angezogen. Sie trug eine Jogginghose von seiner Schwester, die er so hier gehabt hatte und darauf ein T-Shirt, weil das besser passte, als wenn sie sich die Bluse wieder anzog, die sie zu Anfang, als sie hergekommen war, getragen hatte.

„Ach nichts ist, ich finde es bloß so traurig, dass es Shinichi so schlecht geht. Er tut mir echt Leid. Wieder ein Kind zu sein und seine Freundin zurückzulassen, das ist nicht schön“, der Detektiv wich ihrem Blick aus, sondern starrte zu Boden, noch immer dachte er heimlich an Shina.

„Du fühlst mit ihm, nicht wahr? Du weißt genau, wie es ist, wenn man von jemandem, den man liebt, getrennt ist.“ Die Rothaarige seufzte und strich ihm über die Haare. „Wo steckt sie eigentlich wieder?“

Ertappt – aber er ließ sich nichts davon anmerken. „Sie ermittelt in einer anderen Stadt.“ Es kam ruhig von ihm, keiner hätte seine Lüge so leicht durchschaut, er wollte einfach verhindern, dass etwas Riina ihre Laune verdarb, sie wirkte gerade so glücklich.

„Du vermisst sie“, meinte die 21-jährige mit einem heiteren Lächeln. „Das ist ja so süß.“

Natürlich, sie hatte Recht, Shina war jetzt schon solange weg, er wollte, dass sie zurückkam und er würde alles dafür tun, um sie zu finden. Wenn sie in die falschen Hände geraten war, dann gnade Gott denen, die damit zu tun hatten...

„Du, ich geh dann mal, ich wollte nur Shinichi hierher fahren, ich fand es etwas gefährlich, wenn er um die Uhrzeit mit der Bahn fährt, er ist und bleibt eben ein KIND! Auch wenn er geistig viel mehr als nur das ist. Ihr könnt ihn ja bei euch irgendwo auf der Couch schlafen lassen, aber ich fürchte, er will sich zwischen euch drängen.“

„Den haben wir schon im Griff, keine Sorge...“

Ryochi drehte sich mit einem Lächeln weg, seufzte dann aber leise und verzog das Gesicht gleich wieder zu einem ernsten Ausdruck, der Traurigkeit inne hatte.

„Du, Ryo?“ Sie lief ihm bis zur Tür nach und hielt seinen Arm fest, weshalb er sich noch einmal herumdrehen musste. „Ich habe dich sehr gern, also pass auf dich auf, ja?“ Riina sah ihn besorgt an, sie machte sich ständig Sorgen um ihre Freunde – und da Sêiichî ihr hatte erzählen müssen, was ihr Vater gegen Ryochi hatte, kam sie nicht drum herum, es ihm zu sagen.

„Hey, ich bin nicht so wie Kudô oder Iwamoto, ich bin vorsichtig.“ Er versuchte sie damit zu beruhigen, auch wenn er nicht vorhatte, Risiken so sehr zu umgehen...

Total erleichtert seufzte Riina und ließ ihn ziehen, er würde schon keine Dummheiten machen – in der Tat war Ryochi um einiges vernünftiger als Sêiichî.
 

In einer dunklen Ecke des Haido-Stadt-Parkes rauchte ein junger Mann die berühmte Zigarette zur Beruhigung. Er lief auf und ab, und wartete auf seinen Kollegen. Da er schon ein wenig spät dran war und es ein heimliches Treffen wurde, war er nun doch etwas nervös. Andauernd starrte der Mann mit den gewellten Haaren auf seine Uhr. Es war recht frisch geworden, ein kühler Wind fuhr ihm durch die Haare. Schritte waren zu vernehmen, er ging dem Mann in schwarzen Klamotten entgegen, ihm fiel viel zu spät auf, dass er nicht alleine gekommen war...

‚Nicht doch der, das muss echt nicht sein...’ Der junge Mann machte auf dem Absatz kehrt, wurde dann aber von einer tiefen Männerstimme angesprochen.

„Moment mal, Freundchen, willst du etwa stiften gehen?“

Erschrocken wandte er den Kopf zu den beiden Männern, er wirkte ertappt, grinste dann aber, um es zu vertuschen. Wenn er ihm seine Angst zeigte, nutzte er das doch aus, dafür war er bekannt, außerdem konnte er außer Cognac so gut wie keinen Mann wirklich leiden. „Ich habe euch nicht gesehen. Tut mir Leid.“ Was zum Henker machte einer der Ranghöchsten hier? Hatte er nicht massig zu tun, damit alles, was der Boss in der nächsten Zeit vorhatte, glatt über die Bühne ging? Seine Kollegen bändigen beispielsweise?

„Kann es sein, dass du nervös bist, Sazerac? Hast du was verbrochen?“

Der Mann mit den grünblauen Augen ging nah an ihn ran und machte den Eindruck, von oben auf ihn herab zu schauen.

„Nein, habe ich nicht, der Typ ist tot, wie es geplant war. Der Rest lebt aber noch.“

„Und da hast du Zeit, dich mit deinem Freund zu verabreden?“ Der Satz kündigte schon an, dass es gleich zu Reibereien zwischen ihnen kommen würde, und da Jami schneller noch mit der Waffe war, als mit dem Mundwerk, würde er sich auch nicht dagegen wehren. Die, die das wagten, lebten nicht mehr... Man hatte ihn gleich zu Anfang davor gewarnt, nicht aus der Reihe zu tanzen, weil Jami ungehorsame Leute einfach so über den Haufen schoss, ohne mit der Wimper zu zucken. Er war wie der Schatten seines Bosses, er tat, was er verlangte. So etwas wie einen eigenen Willen schien der Ältere nicht zu besitzen.

„Lass ihn doch, er hat ja gesagt, der Typ ist tot, und dass er den Rest noch erledigen wird“, mischte sich der Schwarzhaarige an Jamis Seite ein, als dieser sich herumdrehte und ihm einen heftigen Stoß in die Magengegend verpasste, so dass sich der Grünäugige kurz krümmte. Jami benutzte nie seine Hände, um zuzuschlagen, immer nahm er die Gegenstände, die er am meisten mochte: Pistolen oder Gewehre. Eigentlich war der Typ ein totaler Schwächling, kein Vergleich zu diesem Gin, der auch zu körperlichen Qualen in der Lage war, obwohl dieser es am liebsten mochte, für sehr viel Blut zu sorgen. Genauso wie Teran und Plavac es liebten... Man sah schon, welche Leute ihre Feinde waren.

„So weit ich informiert bin, hast du geschlampt, JUNGE, Vermouth musste für dich die Drecksarbeit machen. Wenn ich das dem Boss erzähle, was denkst du, wird er mir befehlen?“ Ein schleimiges Grinsen lag auf Jamis Gesicht. Wirkliche Macht bedeutete, ihnen den Tod anzudrohen, sie zur Vernunft zu bringen und ihnen dann das Leben zu schenken... Das hatte Kir so gesagt, nachdem er zum ersten Mal jemanden am Leben gelassen hatte, der ihm hätte gefährlich werden können. Aber er war sicher, dass man ihn fürchtete, also würde niemand es wagen, ihn zu hintergehen.

„Wir sind ein Team, Jami, hast du das schon vergessen?“ Der etwas Jüngere versuchte es erneut, Jami zu bremsen, bevor er seinen Freund gleich halbtot prügelte, wurde dann aber mit einem erbosten Blick angesehen und spürte kurz darauf Jamis Waffe an seiner Halsschlagader. „Es gefällt mir nicht, dass du dich in die Angelegenheiten der höheren Leute einmischst. Sag mir einen Grund, weshalb ich dich nicht töten sollte? Du bist immerhin mit Detektiven, Polizisten und anderen Rechtsleuten gut Freund! Es ist nicht deine Aufgabe, mir reinzureden! Muss ich das widerholen, bist du tot! Ich werde es nämlich kein zweites Mal mehr sagen!“

„Ach, meinst du Tokorozawa?“ Ein missbilligendes Grinsen erschien auf den Lippen des Bedrohten, er hatte zwar einen leichten Schweißausbruch, musste aber grinsen. Wenn Jami ihn erschießen wollte, weil er etwas gegen ihn hatte, würde ihn nichts mehr retten. „Er ist nicht mein Freund, Jami, genauso wenig, wie er deiner ist.“ Caprino wusste, woher der Wind wehte, er war nicht dämlich, jeder sah Jami an, was er von Tokorozawa hielt, er ließ ihn ja auch nicht zur Ruhe kommen, sondern ärgerte ihn immer. Es war ja ironisch, dass sich die beiden ehemaligen Freunde jetzt so hassten, sie waren in ihrer Schulzeit die besten Freunde gewesen... Jami war demnach niemandes Freund, außer vielleicht der vom Boss. Obwohl man ihn eher als Jamis Erziehungsberechtigen bezeichnen konnte.

Ob der Mann wohl wirklich dachte, dass er Gutes vollbrachte? So gestört konnte er unmöglich sein.

„Was tust du, Caprino, wenn ich dir nicht glaube?“

„Dann war’s das, adiós, du Scheißwelt!“ Er konnte sich den Spruch nicht verkneifen. Die Welt war und blieb ungerecht. Wenn Jami gewusst hätte, dass er seine Augen auf Naru gerichtet hatte und noch mehr, dann hätte er ihn jetzt bestimmt nicht verschont.

„Ich glaube dir noch mal, aber ich warne dich, wenn du einen falschen Schritt machst, wirst du nicht mehr so viel Glück haben.“

Jami griff auf Drohungen zurück, was ging in ihm vor sich. Schön und gut, Sazerac war äußerst erleichtert, dass es bei einer Drohung blieb, doch fand er, war das nicht Jamis Art, irgendwas steckte dahinter. Er glaubte nicht an Wunder, daran, dass Jami sich besserte und plötzlich zum Wohltäter wurde.

„Jami, bleib locker, du weißt doch, der Boss will keinen Ärger. Was hältst du davon, wenn ich dir im Fall Tokorozawa mal ein bisschen helfe? Der Boss würde ihn gerne einfangen, er gefällt ihm. Traust du dir das zu? DAS wäre doch mal eine Herausforderung, nicht die Weichlinge, die du sonst so ärgerst. Er braucht richtige Kerle, er vermisst Akai und bedauert es doch wirklich sehr, dass er ihn so früh verlassen hat. Er empfindet deinen Freund als sehr korrupt, wer ihn fangen kann, kriegt eine Belohnung... Lustig, nicht wahr? Wie er davon träumt. Seine Schießkünste haben es ihm angetan...“

Jami gab einen empörten Laut von sich. „Er braucht ihn nicht, solang er MICH und Valpolicella hat. Wenn er Cencibel nicht andauernd für Kindergartenarbeit verschwenden würde, mit ihr würde ich gerne mal zusammen einen Auftrag erledigen.“ Stattdessen musste er sich die Ranghöchste geben, er konnte sie nicht leiden, das war eben so, schluckte es aber oft, weil er den Boss nicht verärgern wollte. Und dass er Hiroya nicht fangen wollte, hatte einen Grund. Er hatte Angst um seine Position, denn ihm war klar, dass er ihn übertrumpfen könnte...

„Der Boss hätte alles getan, um Tokorozawa auf seine Seite zu ziehen, nicht wahr?“ fragte nun Sazerac mit einem Grinsen. Der Boss stand eindeutig auf Detektive, das war ihm klar geworden – er wusste es aus ganz bestimmten Gründen, die man Jami offensichtlich vorenthalten hatte.

„Ja, seine geliebte Schwester umbringen und Kimiko bei uns aufnehmen. Vielleicht hat er sich geweigert da mitzuspielen...“ Der Schwarzhaarige war leicht nachdenklich, er musste an Narus Worte denken, dass es die Organisation gewesen war.

„Heul nicht rum! Sie ist eben tot, sie bringt nichts wieder.“ Jami reagierte stets so eiskalt darauf, wenn jemand von ihr redete, seit er von ihrem Tod wusste. Sie war selbst schuld gewesen. Was fiel diesem Miststück eigentlich ein? Sie war immer so unwahrscheinlich nett zu Jami gewesen und hatte ihn fast schon um den Finger gewickelt. Jami konnte das nur umgekehrt vertragen – er wickelte die Frauen um den Finger, umgekehrt machte es ihn nur wütend. „Und Hiroya... Dem war ziemlich egal, ob es ihr beschissen geht. Als er davon erfahren hat, dass sie meine Freundin ist, da ist an ihrer Beziehung ganz schön was kaputtgegangen. Er reagiert allergisch auf mich, weil ich besser als er bin...“ Jami hatte einen gewaltigen Höhenflug, auf dessen Auftauchen Caprino innerlich nur grinsen konnte.

‚Ja, in deinen Träumen, du Ratte! Dreh mir den Rücken zu und ich kill dich, alleine dafür, dass du so redest... Du bist nur ein armseliger Wurm, ein Schachzug im Spiel unseres Bosses, er würde dich für Hiroya doch abschießen, wenn er ihn denn haben könnte, du bist bloß so eine Art Ersatz!’ Dass Jami es wusste, hatte er verdient, da konnte er ja darüber nachdenken, was für eine Lusche er war. Er hatte so viele Dinge getan, die dem Schwarzhaarigen missfielen, dass er ihn unmöglich mögen, oder sogar schätzen konnte, war da eine klare Sache. Er interessierte sich nur für Naru und Kimiko, weil sie etwas mit Tokorozawa zu tun hatten, alles andere war doch nicht von Belang. Der Gipfel aller Frechheiten war jedoch der Spruch gewesen, dass Naru mal dringend eine Diät machen sollte, sie aber ein wahnsinnig hübsches Gesicht hatte... Da hörte der Spaß auf.

Frauen waren für Jami nur ein Spielzeug, das er gut behandelte.
 

Yuichi war endlich eingeschlafen, während Rena noch hellwach war, sie hatte sich von ihm abgewandt und dachte nach. Der heutige Tag hatte ihr sehr zugesetzt. Nicht nur, dass sie in die Herzen der Menschen schauen konnte, sie fühlte auch noch mit ihnen, wenn sie ihren Kummer erstmal entdeckt hatte. Trotzdem tat sich die junge Frau sehr schwer damit, Jami wahrhaftig zu hassen, egal, was er für ein Mensch war. Sie musste immer an ihn denken, es waren jedoch keine positiven Gedanken.

Jami klammerte an Frauen, das war sehr gefährlich. Um sie nicht töten zu müssen, zwang er sie mehr oder weniger dazu, in die Organisation einzusteigen, auch sie selbst damals. Er hatte ihr dieses Angebot gemacht: Wenn du überleben willst, dann steig in unsere Organisation ein, so entkommst du dem Tod. Damals war sie jung und naiv gewesen und dankbar zu allem Überfluss auch noch. Es war ihr Recht gewesen. Sterben wollte sie auf keinen Fall und es war ohnehin alles geplant gewesen. Sie war knapp 22 gewesen – etwas älter als Kimiko bei ihrem Einstieg. Eben ein unschuldiges Ding. Solche Frauen nutzte Jami am liebsten aus. Sie konnte von Glück reden, ihm nie zu nahe gekommen zu sein. Dass sie die damals 20-jährige als ihren Schützling angesehen hatte, war kaum verwunderlich, sie hatte sich an alles erinnert und hatte furchtbares Mitleid gehabt mit dem Mädchen. Es war im Jahr 1993 passiert. Rena hatte sich gerade davon erholt, was die Jahre zuvor alles geschehen war, hatte sich an das Leben in der Organisation gewöhnt, als sie so brutal daran erinnert worden war. Jami hatte es brühwarm Cognac erzählt, dieser wiederum Kir, sie war so geschockt gewesen, dass sie es selbst nicht fassen konnte. Cognac hatte gemeint, dass Jami ein toller Typ war, der das Töten umging, der war auch blinder als blind. Er glaubte immer noch an das Gute in Jami. Der Schwarzhaarige war davon überzeugt, dass es etwas Gutes war, wenn Jami Frauen verschonte, sie aber in die Organisation holte. Dass es das Gute in ihm war, das ihn dazu brachte.

Man konnte Sêiichî tausend Mal versuchen davon zu überzeugen, sein Mitleid trübte seinen Verstand, das durfte einem Polizisten auch nicht passieren. Aber sie kam ja auch nicht umhin, Leute zu bemitleiden.
 

~Ich mache dich zu einem Mitglied der Organisation! Ansonsten muss entweder ich dich töten, oder ein anderer! Wenn du leben willst, mach bei uns mit!~

Was wie eine Drohung klang, sagte Jami stets in einem sanften Tonfall und lächelte dabei. Sie kniff die Augen zusammen. Damals hatte sie sich geschworen, dieses Mädchen zu beschützen, weil ihr Bruder daran anscheinend nie Interesse gehabt hatte, sie hatte dafür wenig gekonnt, dass Jami sie vor die Wahl gestellt und sie Angst vor dem Tod gehabt hatte – jetzt war sie trotzdem tot. Es war so schrecklich zu wissen, was der Grund dafür war. Jami hatte sie nicht beschützt, weil sie ihn hintergangen hatte, unter anderen Umständen hätte er sich für sie eingesetzt. So hatte er sie einfach draufgehen lassen. Und sie – Kir – hatte es nicht verhindern können. Die 28-jährige fühlte sich so schrecklich schuldig daran, als hätte sie versagt. Sie war doch für das Gesetz, da hätte sie etwas tun müssen – gefährlich hin oder her, sie musste die Angst eben überwinden, immerhin war sie genau das, was Jami Verräterin nannte – zum Glück war er noch nicht dahinter gestiegen, sie wollte nicht wissen, was dann los sein würde. Sie traute ihm zu, dass er verletzt wäre. Dass er sie mochte, wusste sie. Sie war irgendwo zwischen Hass und Mitleid gefangen. Hass war grausam und Mitleid störte, von beiden Gefühlen war sie nicht so begeistert. Erst heute hatte sie wieder gespürt, was es hieß, Mitleid zu verspüren. Es machte traurig, deswegen war sie nun so nachdenklich geworden, dass sie trotz der starken Arme um ihre Schultern nicht einschlafen konnte, sondern sich selbst verrückt machte.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann Jami die nächste Frau mit in die Organisation zog, beziehungsweise es versuchte, um sie nicht töten zu müssen. Er hasste es, Frauen zu ermorden, doch war er dazu gezwungen, wenn sie Verräter waren, so wie seine erste Frau.

Obwohl sich auch Cinzano sehr für Kimiko eingesetzt hatte, hatte sie das nicht retten können, das gab Kir alles andere als Hoffnung für die Zukunft. Man musste sich um das Leben seiner Freunde fürchten, auch wenn man sich entschlossen hatte, sie zu beschützen, so war man oft mal nicht erfolgreich, besonders wenn man zu offensichtlich mit ihnen befreundet war. Dann wurde man gemein ausgetrickst, es war kein Zufall, dass Kir ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt anderweitig beschäftigt gewesen war. Schlimm genug, dass sie durch die Nachrichten erfahren hatte, was geschehen war. Dann die Nachrichten anzusagen, war schrecklich gewesen, sie hatte krampfhaft die Tränen unterbunden, um nicht zu zeigen, dass sie sie persönlich gekannt hatte. Und ihre Freundin Katori dachte, dass das Valpolicellas Werk war – wenn es stimmte, dann gute Nacht. Das würde heißen, diese Hexe traute Kir Verrat zu. Ein sehr schlechtes Omen... Darauf wartete Valpolicella doch nur, um einen Grund für Kirs Ermordung zu haben.

Dazu kam noch die Sache mit der Ranghöchsten, das, was sie Yuichi angetan hatte, Kir war zum Heulen zumute, obgleich sie es erst vorhin getan hatte. Alles kam zusammen, ein Problem reichte ja nicht, es mussten mehrere sein. Sie kam sich zu sensibel vor, zu unpassend für diesen Job. Manchmal zweifelte sie doch sehr an sich und ihren Qualitäten, stand aber immer wieder auf, wenn sie zu Boden gegangen war, so wie vorhin... Auch dieses Mal, würde es so sein!

Ihr Körper begann zu zittern, sie fror gerade entsetzlich, so dass sie sich die Arme rieb, was Yuichi die Augen öffnen ließ.

„Was ist los? Was tust du da? Kannst du nicht einschlafen?“

Die drei Fragen erschreckten sie ein wenig, weshalb sie sich herumdrehte und ihm ins Gesicht sah, den traurigen Blick konnte sie nicht verhindern. „Mir ist kalt! Nimmst du mich in den Arm?“ Ihre Stimme klang gerade so süß, dass er sie sofort an sich zog und seine Arme fest um sie schlang, fester als vorhin.

„Natürlich, wenn du so frierst, dass du zitterst.“ Dass sie zitterte, kam sicher nicht von der Kälte, sie waren nämlich bis oben hin zugedeckt. Seine Hand lag auf ihrem Rücken, den er sanft auf und ab streichelte, damit sie einschlief. Rena drückte ihren Kopf fest gegen seine Schulter und legte die Arme um seinen Hals, damit sie sich ein wenig an ihn klammern konnte, manchmal war sie wirklich froh, dass er für sie da war, sie wäre sonst wohl sehr einsam gewesen, besonders in solchen Stunden, in denen sie Gewissensbisse hatte.

„Ich habe versagt“, meinte die junge Frau plötzlich sagen zu müssen, was ihn jetzt doch überraschte, dass sie es sagte, dabei wurde ihr Griff fester.

„Und Chris tut, als würde es sie nichts angehen. Manchmal gewinnt man, dann verliert man, das hat sie gesagt. Ich soll nicht mehr dran denken, aber ich kann es nicht verdrängen. Sie kann so kalt mit Toten umgehen, sie verdrängt’s einfach.“

„Fang bloß nicht an, sie dafür auch noch zu bewundern“, Yuichi entkam ein Seufzen. Ob sie wohl genauso reden würde, wenn es Sêiichî erwischte? Würde sie ihn genauso verdrängen, wie alle anderen, die von ihr gegangen waren? Sie ging viel zu gut mit solchen Sachen um, wirklich wie ein Eisklotz.

Rena fühlte sich, als wenn er mit ihr schimpfte, er sagte es in diesem unerfreuten Ton, beinahe schon tadelnd. „Tut mir Leid, aber hätte ich besser aufgepasst...“

„Wovon auch immer du da gerade redest, du bist nicht Gott, du kannst nicht jedem helfen.“

‚Aber du schon? Du glaubst gar nicht, wie weh es tut, wenn man so versagt hat... Ich will es einfach vergessen! Hast du eigentlich schon jemals versagt? Du tötest schon sehr schnell, wenn jemand aus der Organisation den Menschen, die du beschützen willst, weil sie dir am Herzen liegen, gefährlich wird!’

Dass sie Töten hasste, bemerkte man nicht, weil sie ihn trotzdem liebte, sie konnte nichts dagegen tun, auch wenn es ein Helfersyndrom war, woran er litt. Er meinte es ja nicht böse, er meinte es gut. Dass er keine reine Weste hatte, war die eine Sache, die andere war, dass er dadurch vielen das Leben rettete, oder sie von Leuten erlöste, die ihnen nur Ärger machten. Und sie musste sagen, sein Beschützerinstinkt hatte es ihr angetan. Aber statt sich immer nur beschützen zu lassen, wollte sie auch alleine klarkommen. Leute, die sich immer nur beschützen ließen, brachen irgendwann ein...

Kir hätte nur zu Cencibel oder Carpano mit ihrem Wissen gehen müssen, und Jami wäre einfach nur noch Geschichte gewesen, aber sie war viel zu gutmütig, um sie damit aufzuhetzen. Sie hätten sich ein Gefecht geliefert, wer Jami wohl als erstes erledigte... Der Gedanke grauste sie, auch wenn der Kerl etwas total Schlimmes getan hatte, um jemanden einzuschüchtern.

Es wäre so vieles einfacher ohne Jami oder Valpolicella, aber beide bei Carpano oder Cencibel so anschwärzen, dass sie es als Grund ansahen, sie umzubringen, dafür war sie einfach nicht der Typ – Vermouth würde so etwas tun, sie konnte es nicht. Es war, als würde sie ihnen selbst etwas antun. Sie hatte sich doch geschworen, niemals jemanden zu töten, wenn es nicht zwingend notwenig war, und Jami hatte eine Schwäche für sie, lieber nutzte sie das aus, als ihn umbringen zu lassen, dann wäre sie ja keinen Deut besser als Valpolicella.

„Dein Kummer hat nichts mit dieser Sängerin zu tun, von der du berichtet hast, oder doch?“ Yuichi seufzte, wenn doch, verstand er sie. Rena hatte nämlich etwas auf sie aufgepasst, mehr wie auf eine kleine Schwester.

Die Braunhaarige zuckte heftig zusammen. „Katori hat es dir gesagt!“ Rena holte tief Luft, sie konnten es nicht lassen. Immer erzählten ihre beiden Freundinnen etwas an ihren Freund weiter. Das ärgerte sie jetzt doch sehr.

„Ich war gerade bei Sêiichî, als es im Fernsehen kam, ihm ist ein Glas runtergefallen, weil er sie sofort erkannt hat. Er hat nicht damit gerechnet, ebenso wenig wie ich, oder du. Ich habe es an deinen Augen gesehen, du warst total mitgenommen.“ Yuichi redete ganz vorsichtig mit ihr, um sie zu trösten.

„Kann ich verstehen, sie war ja auch seine Exfreundin, kein Wunder, dass ihm was runterfiel. Ich denke, er wollte auch auf sie aufpassen. Und ihr Bruder ist so heruntergekommen. Chris hat mal so gemeint, den bringt sie eines Tages noch um, wenn er wieder Cognac schwer verletzt.“ Ihre Stimme zitterte, woran er erkannte, dass er einen Volltreffer gelandet hatte.

„Tja, wer auch immer da nachgeholfen hat, hat dafür gesorgt, dass keiner etwas davon wusste. Und dazu ganz dreckige Tricks benutzt, damit es wie ein Unfall aussieht. Wir müssen alle noch besser aufpassen, irgendwas ist da im Gange.“ Es würde ihn nicht wundern, wenn innerhalb der Organisation wieder eifrig Gift gemischt wurde...

Sêiichî hatte in der letzten Zeit sowieso oft gesagt, es sei was im Busch, er könnte es riechen. Genau dieses Gefühl hatte Yuichi nun auch. Der Boss musste einfach etwas Größeres planen, wenn er ihn schon unbedingt in diese kleine Gruppe aufnehmen wollte. Er tat das ja nicht einfach nur so und dann auch noch mit den Mitteln, die er dazu genutzt hatte, um Carpano ein wenig ruhig zu stellen...

Natürlich hatte Carpano erst einmal gelacht, weil dem Boss bekannt war, dass er weder Gin, noch Vermouth auch nur ansatzweise mochte. Dem Mistkerl hatte schließlich klar sein müssen, dass er sich nicht einfach so dazu zwingen ließ, dieser Gruppe beizutreten. Doch auf das böse Grinsen des Mannes hin hatte Yuichi geahnt, dass etwas total Gemeines von seinem Boss kommen würde – aber dass er gleich drohen würde, Kir anzugreifen, damit hatte er nicht gerechnet. Yuichi hatte schlichtweg nicht mit dem Gedanken gespielt, dass der Boss davon wissen könnte.

Dass Valpolicella sie ohne mit der Wimper zu zucken, einfach so umbringen würde, hatte er schamlos ausgenutzt. Ihm war jetzt noch unwohl bei dem Gedanken, dass er ES wusste. Ihr Boss könnte mit allem Möglichen kommen und umbringen konnte man ihn nicht so einfach.

Ihr hatte er natürlich verschwiegen, dass man ihm Druck gemacht hatte. Irgendwie fand dieser Mistkerl immer wieder Mittel und Wege. So gesehen, war es ihm noch Recht, wenn dieser Mann nur von ihnen wusste und schön brav seine Schnauze hielt, sofern Carpano tat, was man von ihm verlangte. Wenn er nämlich erst mal erfuhr, was Cognac da so trieb, wäre das Mindeste, worum man sich sorgen musste, dass man Dinge tun musste, die man nicht wollte... Weil der Boss Cognac dann nämlich umbringen würde, woran ihn keiner hindern könnte...

Die Vergangenheit hatte doch zu deutlich gezeigt, wie er seine Leute auszutricksen pflegte. Er glaubte zu wissen, was sie dann tun würde. Ihm die liebende Frau vorspielen und ihm kurz, bevor er sie anfassen konnte, umbringen, das würde Vermouth wohl mit ihm machen, wenn er es wagte, ihrem Freund auch nur ein Haar zu krümmen, sie war eben so auf Rache aus. Yuichi wollte es aber auch nicht riskieren, zu erfahren, wie es war, wenn man eine so wichtige Person, wie die Frau, die man liebte, verlor, also ließ er sich dazu breit schlagen, mitzuspielen. Vorerst jedenfalls... Wenn Interpol ihren Weg kreuzte, würde der Boss bestimmt seine Lieblinge zurückpfeifen, wie man Hunde zurückpfiff. Was waren sie auch sonst? Sie hatten zu hören, sonst ging es ihnen schlecht... Und dass Kir dem Boss nicht so wichtig war, wie andere, das hatte er schon viel zu oft bemerken müssen.

Es belastete ihn, davon zu wissen, immerhin war sie für ihn eine sehr wichtige Person, er konnte nicht verstehen, wie man den Wunsch haben konnte, ihr etwas anzutun.
 

Der Mann mit den schwarzen gelockten Haaren konnte froh sein, dass man ihn diesmal noch am Leben gelassen hatte. Schon so oft hatte er sich auf dem Weg ins Tal der Toten befunden, hatte aber immer wieder den Notausgang gefunden, um dem zu entkommen, auch schwer verletzt. Ob nun Knochenbrüche, schwere Fleischverletzungen oder Krankheiten, die hervorgerufen worden waren durch die vielen Versuche, die man mit ihm gemacht hatte – all das hatte er überwunden.

Doch, was am meisten zu schmerzen schien, war der Gedanke daran, was er tat. Er kam aus einer Familie von Pädagogen und wusste somit, was sich gehörte. Das, was er verbrach, gehörte sich nicht – alles andere als das. Es waren die Taten eines Mannes, der nur noch Abschaum war.

Alle hier waren Abschaum, bis auf die, die keine schweren Verbrechen begingen, aber diese Leute waren mehr als nur rar. Selbst die Harmlosen waren im Grunde doch nur Abschaum, bei sich selbst machte er keine Ausnahme – auch Caprino tötete zu den notwenigen Zeiten. Zimperlich war er da wirklich nicht, der Schwarzhaarige konnte froh sein, wenn er sie richtig traf und sie nicht zurückschlagen konnten – leider war es hier zur Regel geworden, dass man töten musste, um zu überleben. In diesen Kreisen war man als Mörder am besten aufgehoben und hatte als Weichling nicht viel vom Leben zu erwarten. Solche Leute wurden in Massen getötet, wenn sie sich nicht behaupten konnten.

Kojirô war so ein Mensch, der sich nie behaupten konnte, deswegen sah es sein bester Freund auch als nötig an, ihm zu helfen, egal auf welchem Weg er sich dadurch befand. Der Weg zur Hölle. Wenn er eines Tages starb, zweifellos würde er zur Hölle fahren. Seine Taten waren nicht entschuldbar.

Seine Eltern waren streng gläubige, übermäßig korrekte Menschen. Fehler durfte man sich nicht erlauben. Seine Mutter war da besonders extrem – eine Schulpsychologin. Es wirkte auf ihn, als würde sie die Probleme der Jugendlichen, die sie behandelte, nur verschlimmern, als bessern.

Als Kind hatte er sich von ihr richtig gehasst gefühlt, nichts an seinem Charakter, den er nun einmal gehabt hatte, war der Frau recht gewesen, sie hatte ihn immer versucht zu ändern – teilweise hatte sie damit auch Erfolg gehabt. Doch hatte er Charakterzüge behalten, die er einfach nicht ablegen wollte. Wie zum Beispiel uneigennützig handeln. Die Psychologin hatte versucht, ihn zum Egoismus zu erziehen. Man musste ab und zu einfach an sich selbst denken – wie oft hatte er diesen Spruch von seiner Mutter gehört? Dabei hatte sie immer so einen beeinflussenden Blick im Gesicht, der keine Widerrede duldete.

Er hätte damals auf seinen besten Freund hören sollen, als er gemeint hatte, sie müssten ganz schnell verschwinden – am besten weit weg von hier.

Kurz darauf hatte man ihm im Park aufgelauert. Der Mann, den Caprino Jami nannte, hatte ihn entführen lassen und dann in den tiefen Weiten eines Waldes so übel zugerichtet, dass er gerade mal hatte reden können. Er wüsste von ihnen, er würde einsteigen...

Gelacht hatte er, selbst wenn es sehr schmerzhaft gewesen war, es zu tun. Als dann der Entführer sich zeigte, zusammen mit dem kleinen Bruder – Kojirô – dieser Person, hatte er starr vor Schreck das Lachen eingestellt. Der Mann mit den grauen Augen, die ganz wenig Grün beinhalteten, hatte ihm angedroht, Kojirô umzubringen, wenn er nicht tat, was Jami sagte. Für seine Aufmüpfigkeit hatte er trotzdem eine Strafe kassiert. Bevor er überhaupt einen Codenamen bekommen hatte, sperrte man ihn in ein Verließ und ließ ihn dort Tage und Nächte lang schmoren – das war die Erziehungsmethode innerhalb der Organisation, die immer dann zum Einsatz kam, wenn es sich eigentlich um aufmüpfige Kinder handelte...

Arrest, körperliche Schelte, Nahrungsentzug, schlimmstenfalls gingen diese Dinge so weit, dass man halbtot in der Zelle lag und dann rausgeschleift wurde, um ihn wieder fit zu machen, nur damit man ihn beim nächsten Mal dann noch länger einsperren konnte, ohne dass er gleich ins Gras biss.

So war es monatelang gegangen, so lange, wie er sich sträubte, zu tun, was man ihm verlangte. Als das nicht zog, hatte man entschlossen, stattdessen seinen besten Freund ein wenig zu quälen, Jami hatte es mit Freuden getan – vor seinen Augen. Es war so schlimm gewesen, dass er es nicht mehr hatte ertragen können...

Sie hatten mit Feuer, Messern, Pistolen, Peitschen und sogar mit Schlägen, die so weit gingen, dass es zu Knochenbüchen kam, gearbeitet.

Dass Kojirô das Ganze überlebt hatte, war ein sehr großes Wunder gewesen. Die Verbrennungen, die er davon getragen hatte, sah man noch heute – Jahre später – seine Haut war an einigen Stellen des Körpers total entstellt. Eine Narbe am Schlüsselbein rührte daher, dass Carignan ihn damit attackiert hatte. Die Schrammen durch die Peitsche waren zum Glück verteilt, doch hatte sein Freund noch heute Probleme mit seinem rechten Arm. Schon beim Essen fing es an, ihm fielen manchmal die Stäbchen ins Essen, oder er ließ ein Glas fallen, in seinem Arm hatte er nur noch wenig Gefühl, deswegen schrieb er nun lieber mit links. Seinen Job, den er immer hatte machen wollen, konnte er auch nicht ausüben, er war – hart ausgedrückt – körperlich behindert.

Alles war bloß seine Schuld, seinetwegen war das aus ihm geworden. Die Stärksten waren sie nie gewesen, aber Caprino würde keinesfalls aufhören, sein Leben für den besten Freund zu opfern. Er kannte ihn schon solange, war mit ihm in den Kindergarten gegangen, befreundet waren sie immer gewesen.

Und dieser Mistkerl von Pinot hatte ihn auch noch in seine Gruppe aufgenommen, weil Carignan das so gewollt hatte. Am liebsten hätte er sich am Bruder seines besten Freundes gerächt. Carignan war Pinot in Sachen Geschwisterliebe doch sehr ähnlich, immerhin hatte er einfach so dabei zugesehen, wie seinem kleinen Bruder so entsetzlich wehgetan worden war.

Man hatte Caprino mal von Sêiichî Iwamoto erzählt, wie sehr er von seinem älteren Bruder, der sich innerhalb der Organisation auch Pinot schellte, terrorisiert worden war. Zu gerne hätte er den Polizisten kennen gelernt. Dass er ein Organisationsmitglied war, hätte ihn total schockiert...

Seit fast 3 Jahren war er nun schon Mitglied in dieser Organisation und hatte seit dem ersten Tag schon die Schnauze gestrichen voll. Er wollte wieder da raus, er hatte nicht vor, ewig drin zu bleiben, aber welcher vernünftige Mensch war darauf schon besonders scharf?

Seine erste, richtige Liebe hatte er aber durch diese unglücklichen Umstände kennen gelernt. Sie war von ihrem Vater überfallen worden, und als er sah, was er im Begriff war, mit ihr zu tun, hatte Caprino sich in die Sache eingemischt. Chardonnay war dabei gewesen, seiner Tochter ernsthafte Schmerzen zuzufügen. Natürlich war es ungesund, sich mit dem Kerl anzulegen, er hatte es trotzdem riskiert und ihm mal Manieren beigebracht. Solche Sachen, wie Chardonnay sie tat – sie widerten ihn an, aufgrund dieser Tatsache hatte er nur noch den Wunsch danach verspürt, ihm wehzutun, damit er es ja nie wieder wagte. Es war aber leider nicht so einfach, den Älteren als jüngerer Mann zu verschrecken.

Die Rothaarige war ihm dankbar gewesen und hatte sich selbstverständlich in ihn verliebt, er erwiderte ihre Liebe, die solange anhielt, wie er ihr auch treu war. Leider hatte er einmal den Fehler begangen, sie mit einer anderen zu betrügen, also kam der Anfang vom Ende – die Trennung. Danach hatte er oft versucht, es wieder gut zu machen, aber sie war schlimmer als eine schalldichte Mauer. Man kam nicht an sie heran, wenn sie erst einmal ihr Herz verschlossen hatte.

An seinem Beschützerinstinkt gegenüber der Frau hatte es allerdings nie etwas geändert, er war sehr erleichtert gewesen, als er erfahren hatte, dass da nun jemand war, der auf sie Acht gab, da musste er sie nicht ständig beschatten lassen, damit ihr Vater nicht doch an sie herankommen konnte.

Es wäre einfach zu schade für sie, wenn sie enden würde wie Saki Niiza und Kimiko Tokorozawa. Nie hätte er sich verzeihen können, wäre Riina auch an Jami geraten und von diesem verletzt worden... Als Frau geriet man immer irgendwann an ihn, er pflegte sich an jede Frau, die schön genug war, heranzumachen. Frauen, wie diese Chianti waren davon nicht betroffen, was er irgendwo auch nachvollziehen konnte, aber auch die nicht wirklich hässliche Kalina ließ Jami in Ruhe, anscheinend war die ihm eine Runde zu blutrünstig.

Oft hatte Caprino das Gefühl, man sah es in seinen Augen, dass er ein Mörder war, deswegen mied er Polizeistationen, was für ihn aber auch hieß, dass er seinen Patenonkel nicht mehr besuchen konnte, was ihm wirklich sehr zusetzte...

Er war vollkommen anders als Hiroya, der angeblich sein Freund war – er dachte darüber nach, ob diese Person seine Freundschaft wirklich verdient hatte. Leute, die ihre Geschwister im Stich ließen, konnte er nicht ausstehen, aber genau so jemand war sein Freund geworden.

Da Caprino selbst eine Schwester hatte, die aber 2 Jahre älter war als er selbst, konnte er so etwas überhaupt nicht verstehen, es ging ihm schlichtweg nicht in den Kopf...

Ob sie wohl in seiner Wohnung auf ihn wartete, um sich noch etwas trösten zu lassen?

~Caprino~

Man hörte ein paar vereinzelnde Regentropfen, die auf den Boden tropften, der Wind ließ die Blätter der Bäume knistern, sonst hörte der junge Mann nur von weit entfernt seinen Codenamen, der immer lauter wurde.

~Caprino?!~

Er nahm es nur im Unterbewusstsein wahr, reagierte jedoch nicht darauf.

~CAPRINO!!??~

Nun zuckte der Angesprochene zusammen, er war einfach zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt gewesen, als dass er Jamis Worte vernommen hätte.

„Was ist?“

Man sah die Wut in Jamis Gesicht, weshalb er den um fast 5 Jahre jüngeren an den Haaren packte und an sich zog. Die etwas längeren Haare rissen ihn dazu hin, man konnte sie so gut ergreifen und daran zerren, was auch noch wehtat, da er selbst in etwa die gleiche Länge hatte, nur nicht so gewellt wie Caprino...

Der 23-jährige verzog nicht die Miene, er wollte Jami nicht diesen Triumph gönnen, dass er ihm damit wehtun konnte.

„Ich kann es nicht leiden, wenn man mich ignoriert, weißt du?! Da werde ich ungemütlich!“ Jamis Stimme klang wie das Fauchen eines wilden Tieres, das seine Zähne zeigte, um den anderen einzuschüchtern.

„Ich... Ich war in Gedanken!“

„Welche, he? Wie du Tokorozawa vor mir warnen kannst, ist es das, woran du dachtest?!“ Caprino wurde geschüttelt, seine Haare waren aber noch immer von Jamis Fingern gepackt, so dass das Schütteln erstrecht Schmerzen hervorrief.

„Was willst du immer mit dem? Ich unterstütze den Typen nicht, darauf habe ich keine Lust! Er hat Kimi verrecken lassen, meinst du, da will ich dem helfen??!!“ Nun war es Caprino, der wütend zu werden schien und schon rumschrie, seine Wut, sie gefiel Jami.

„Ach, so ist das, mhm?“ Der 27-jährige ließ nun die Haare des Jüngeren los. „So ist das eben, mein steigt bei uns ein, um zu sterben, wenn man nicht realisiert, dass man uns nicht täuscht... Merk dir das, sonst geht’s dir wie der Kleinen!“ Die Drohnung hallte in Caprinos Ohren wider, es war eine waschechte Morddrohung, und Jami selbst würde ihn töten, wenn er aus der Reihe tanzte, das war es, was er verstand. Und noch etwas hatte er ganz deutlich vernommen...

Spätestens jetzt war bewiesen, dass Naru in allem Recht hatte... Und Jami, dieses selbstgefällige, aalglatte Schwein hatte nichts anderes im Sinn, als sich seiner gekränkten Eitelkeit zu ergeben... Seine Worte waren ein Produkt daraus.
 

Endlich hatte sich Jami dazu entschlossen, anderen Dingen nachzugehen und ließ demnach die beiden Männer stehen. „Gott, ich habe solche Wut im Bauch, du glaubst es gar nicht, Sazerac!“ Der Kerl machte ihn wahnsinnig, so dass er sich kurz durch die Haare fahren musste.

„Mir ist eben fast das Herz stehen geblieben, ich habe dich schon tot am Boden liegen sehen...“

Caprino schüttelte den Kopf. Sein Freund war ein Feigling, oder weshalb hatte er ihn schon tot am Boden liegen sehen? In so einem Fall würde er sich wohl auch nicht mit Jami anlegen, wenigstens war ihm das bewusst. Obwohl Sazerac Caprino als seinen besten Freund ansah, beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit. Caprino sah ihn nämlich nicht als Dergleichen an.

Obwohl er Jami versucht hatte, klarzumachen, dass Hiroya alles andere als sein Freund war, würde er sich bestimmt nicht auf die Seite des Killers schlagen, um Hiroya zu schaden. So groß war seine Abscheu dann auch wieder nicht, dass er sich darauf hinab begeben würde.

„Was ist, Caprino?“ Er war so schweigsam, das passte nicht zu ihm, sonst erwiderte er wenigstens, aber im Moment schien er nicht so die Lust zu haben, sich mit seinem Freund Sazerac zu unterhalten.

„Nichts ist... Ich will nur noch nach Hause, für heute reicht’s mir. Bring die anderen bitte nicht zu brutal um, die haben dir alle nichts getan. Nur weil wir nicht unbedingt die Bösen sind, müssen wir nicht so übertreiben! Du würdest es irgendwann nur bereuen, wenn du zu grausam warst.“ Eines der Opfer war gerade mal 14, sie hatte noch so vieles vor sich, am liebsten wollte er es verhindern, aber da der Fall in Jamis Hände gelegt worden war und es ihn eigentlich nichts anging, wollte er sich nicht unbedingt ans Messer liefern, obwohl er am liebsten laut geschrieen hätte, wie sehr er Jami doch hasste, dass er den Boss so unterstützte.

„Was fällt bei dir bitte unter die Begriffe zu grausam? Was meinst du? Dass sie nicht leiden? Soll ich ihnen in den Kopf schießen?“ Es schüttelte ihn innerlich, er hasste es, Leute zu erschießen.

„Dieses Zeug, das du für den letzten Mord benutzt hast, ist grausam. Man leidet ewig, kann sich aber nicht mehr fortbewegen. Ertragen muss man das, obwohl man vollkommen wach ist, man spürt die Schmerzen und die sind gewaltig.“

„Hast du dich schlau gemacht? Das ist doch überhaupt nicht dein Gebiet, sondern eher meines.“ Sazerac senkte den Blick. „Ich kann Waffen nicht leiden, damit gibt man Detektiven viel zu viel zum Schnüffeln... Und ich mag kein Blut sehen, bah.“

Wenn er jetzt schon so das Gesicht verzog, wie wollte er als Mediziner denn bitte klarkommen? Caprino verstand es nicht und musste nachfragen. „Du willst zur Gerichtsmedizin, wie willst du das managen, wenn du Blut so hasst, mhm?“

„Nein, das ist es nicht! Ich mag nicht das Blut sehen, wofür ich verantwortlich bin. Versuch mich nicht zu verstehen, Psychologenkind.“ Er hasste es, wandte den Blick zur Seite und sah Caprino nicht an. Er kannte sich mit Menschen zu gut aus, er wollte nicht, dass er ihm in den Kopf schaute, da wurde ihm komisch.

Aber der Schwarzhaarige hatte den Hellhaarigen schon längst durchschaut, dazu reichte ihm auch der Satz. Wenig Spuren - er hatte ebenfalls Angst, dass es rauskam und bevorzugte den komplizierten Mord, statt den einfachen, wie Gin es lieber tat. Diesem war total egal, wie viel Blut seine Opfer hinterließen, aber Vergiften mochte er auch sehr, besonders wenn er den Todeskampf mitansah... Gin vergiftete nicht, um wenig Spuren zu hinterlassen, er tat es einzig und alleine, um das Opfer dabei leiden zu lassen. Und auch ertrug Sazerac den Gedanken daran nicht, dass er es gewesen sein sollte, der die Leute ermordete. In dem Moment fühlte sich der Grünäugige dem Hellbraunhaarigen sehr verbunden. Sie schwiegen nun und gingen wortlos in zwei Richtungen, auch ohne sich verabschiedet zu haben. Beide waren gerade doch sehr deprimiert, Caprino würde es jedenfalls gut tun sie jetzt zu sehen.

I don't care at all

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

The coldest night and the darkest day

Das Fenster war offen, da es ein wenig regnete und ansonsten total heiß war. Man hatte ihren Fast-Schrei natürlich auch draußen hören können. Wer lange Ohren machte, musste wissen, was da gespielt wurde.

Dass es ausgerechnet Hiroya war, der hier bei seinem Freund nach einem Abend sich selbst hatte trösten müssen, Zuflucht suchen wollte... Er kannte die Stimme seiner Freundin – er kannte alles an ihr in und auswenig – er wusste sogar wie es sich anhörte, wenn sie zum Höhepunkt kam.

Er hatte es gehört, noch ganz entsetzt schaute er nach oben zu diesem wehenden Vorhang – Juros Apartment. JURO!??? Tickte die denn noch ganz sauber? Dieses… Dieses Weichei?? Er konnte es nicht glauben, was zum Henker tat der Typ mit seiner Freundin?

Hiroya haute mit der Hand auf die Klingel und ließ sie darauf liegen, so dass es ein Sturmklingeln sein musste. Der Klingelton war einer der ganz alten, er war solange durchgehend zu hören, wie man auf die Klingel drückte. Und Hiroya drückte über eine halbe Minute auf die Klingel, um so richtig zu nerven.
 

Noch bevor er ihre Frage beantworten konnte, klingelte jemand Sturm an der Haustür. Es war ein schier ungünstiger Moment, wie beide fanden, die sich in die Augen sahen.

„Ich will erst eine Antwort, vorher lasse ich dich gar nicht erst aufstehen, wobei ich finde, dass du überhaupt nicht öffnen musst, es ist immerhin schon sehr spät. Es ist sowieso total dreist, um eine solche Uhrzeit noch so zu klingeln.“ Sie seufzte. Was das wohl für ein TYP war, eine Frau war das sicher nicht.

„Oh scheiße, dass kann eigentlich nur dein Freund sein...“ Dass Juro etwas panisch wurde, konnte man ihm ansehen, er war ganz hektisch und wollte nur ganz schnell seine Klamotten anziehen. Er schaute sich um, wo sie denn hingegangen waren.

„Was wirst du ihm sagen?“ Naru war innerlich auf gewisse Weise schon etwas schadenfreudig, sie hatte irgendwie keine Lust, es vor ihrem noch-Freund zu verbergen.

„Das weiß ich nicht! Gar nichts? Ich denke, ich schicke ihn weg und sage, ich habe schon geschlafen.”

Naru konnte sich nicht halten, sie verkniff sich nur knapp zu lachen, grinsen musste sie trotzdem. „Du hältst ihn für bescheuert... Schau doch nur mal zum Fenster! Wenn er eben gekommen ist, dann hat er uns todsicher gehört.“

Der Schreck stand dem Gleichaltrigen ins Gesicht geschrieben. Sie als Freund von Hiroya hätte es auch mit der Angst zu tun bekommen. Sie hatte aber bestimmt kein Mitleid mit Juro, bisher jedenfalls noch nicht, immerhin hatte er kein bisschen nachgedacht, oder was auch immer er gedacht hatte, jedenfalls waren es keine Skrupel gewesen.

„Wieso sagst du das so? Willst du mir sagen, er hätte dich erkannt?“

„Wer weiß das schon? Ich will eigentlich nur eine Antwort haben, Juro!“ Es wäre möglich, dass es von seiner Antwort abhängig war, ob sie zu Juro halten würde, oder einfach zusehen würde, wie sie sich die Köpfe einschlugen.

„Ich habe damit keinerlei Problem mit runterzukommen, so dass er mich sieht.“

Kaum zu glauben, wie gemein Naru werden konnte, das hatte er nicht für möglich gehalten. Zwar schluckte er mal kurz, würde sich dieser Situation aber stellen.

„Kannst du zu mir stehen, oder willst du lieber weglaufen?“ Die Frage kam so ruhig von ihr, so ernsthaft, er konnte es nicht glauben, was sie ihm zutraute.

„Du meinst, ich mache das einfach nur so... Das stimmt aber nicht!“ Noch immer ertönte die Klingel, als Juro seine Hände auf ihre Arme legte. „Ich lasse mich nicht mehr einfach so von einer Frau verführen“, er legte die Arme nun um ihren Körper und drückte sie an sich, dabei schloss der 23-jährige seine Augen, „wenn ich mich verführen lasse, sind da Gefühle im Spiel, genau das werde ich ihm sagen... Aber nur, wenn du auch welche für mich hast.“ Er ließ sie los und saß nun vor ihr, ihr dabei ins Gesicht sehend, wartete er auf eine Erwiderung, diese bestand im ersten Moment nur aus einem schönen Lächeln, in das man sich verlieben konnte.

„Baka – ich habe mir aus ganz bestimmten Gründen dich ausgesucht. Würde ich dich nur sehr mögen, hätte ich dich in Ruhe gelassen, alleine weil du ein Freund von ihm bist, aber ich hatte keine Lust mehr ihm treu zu sein, ich wollte einen Neuanfang. Ich habe darauf spekuliert, dass du auch gerne würdest.“

Die Verlegenheit war dem 23-jährigen ins Gesicht geschrieben, aufgrund dessen drehte er auch den Kopf zur Seite. Sie hatte es bemerkt, nicht zu glauben. Die Frau war echt unglaublich. Er hatte Hiroya um seine Freundin beneidet und wurde von dieser entlarvt, noch ehe ihr Freund selbst es bemerkt zu haben schien. Was interessierte ihn auch ausgerechnet die Freundin eines Freundes? Er war ja selbst schuld, wenn sie sich jetzt streiten würden, es war aber auch unvermeidlich.

„Er will gar nicht mehr aufhören, zu klingeln, er weiß, dass wir... Ich geh da jetzt runter! Ist ja nicht auszuhalten.“ Juro stieg vom Bett und zog sich seine Hose an, das musste reichen, wenn Hiroya ohnehin wusste, was hier gespielt worden war, dann ging er gelassener, als er in Wirklichkeit war, die Treppe runter und öffnete die Tür.

„Bist du verrückt? Es ist nach zwei Uhr.“

Den Satz hatte er gerade so ausgesprochen, da kam ihm Hiroyas Faust entgegen und fegte ihn förmlich nach hinten um. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, zur Begrüßung gleich einen Fausthieb in Richtung Kinn einstecken zu müssen. Und weil er nicht darauf gefasst war, zeigte der Schlag auch solche Wirkung, deshalb fand sich Juro auch am Boden wieder, er schaute zu Hiroya hoch.

„Eine andere Sprache ist nichts für dich, was?“ entgegnete er dem Älteren, der zornig auf ihn hinabschaute und wohl gleich losschreien würde – wen würde das noch verwundern?

Von Reden hielt Hiroya wenig, er war ein gewaltätiger Kerl, den man nicht nur als Mann mit Vorsicht genießen musste.

Naru kam die Treppe runter, obwohl sie nicht gesehen hatte, was Hiroya getan hatte, war Juros Anblick genug, sie wollte gerade ein paar Worte an den Ältesten im Haus richten, als dieser Juro am Kragen packte und ihm ein paar Worte entgegen warf, oder mehr entgegen spuckte. „Du widerliches, falsches Aas, wie kannst du es wagen, Hand an meine Freundin zu legen?!“

Naru reichte es, sie schlug mit der Hand gegen das Geländer. „Er hat nicht Hand an mich gelegt, verdreh nicht immer die Tatsachen!“

Nun erblickte Hiroya ebenfalls Naru, die halbnackt vor ihm stand, in Juros Sachen! Sie trug ein Hemd von ihm, das er selbst schon zu Gesicht bekommen hatte. „Bitte, was soll das heißen?!“ Er wollte es wohl nicht verstehen, jedenfalls klang er danach.

„Das, was ich sagte! Er hat nicht mich angefasst, ich habe ihn angefasst, das hättest du nicht für möglich gehalten, nicht wahr, Hiroya?“ Jetzt kam das Schadenfrohe in Narus Stimme eindeutig heraus, sie sagte es absichtlich genau so, dass auch Hiroya nichts falsch verstand.

„Bist du jetzt total durchgedreht?“ Er wollte auf Naru zugehen und das mit einer wütenden Miene, die Juro aufspringen und den Arm des Kriminalisten nach nach hinten ziehen ließ.

„Lass die Finger von ihr, wenn du es wagst, sie zu schlagen, kannst du aber was erleben!“

Hiroya drehte sich herum und schlug mit der Faust in Juros Magen, so dass er sich nur so krümmte, dabei ein Auge zukniff und hustete. „Kannst du nichts anderes, als ausrasten und um dich schlagen?“

„Hast du sie eigentlich noch alle, Hiroya? Tauchst mitten in der Nacht hier auf, um Ärger zu machen! Hast du nichts Besseres zu tun? So wie Verbrecher jagen? Oder machst du es jetzt zu deinem Job, meinen neuen Freund zu vermöbeln?!“

„Deinen was?“ So ganz hatte Hiroya die Situation noch nicht verstanden, weshalb er sie ungläubig und verwirrt ansah. Hatte sie gerade Juro als ihren neuen Freund bezeichnet? Die konnte doch nicht einfach alles beenden, ohne ihm vorher Bescheid zu sagen, dass er wenigstens etwas dagegen tun konnte...

„Meinen neuen Freund, er hat es viel mehr verdient, sich mein Freund zu nennen, als du! Mit dir bin ich endgültig fertig! Du gewaltätiger Mistkerl, mit dir bleibe ich sicher nicht zusammen!“ Sie schrie ihn an, stürmte auf ihn zu und zerrte ihn am Arm zur Tür raus. Er tat nichts zur Widerwehr, was einen wundern musste, da er viel stärker als die Frau war, aber er war so schockiert, dass sich sein Körper kein Stück rühren wollte. Immer weiter zog sie ihn mit sich, er brachte nur ein paar Worte über sich.

„Das mit Kimi, das tut mir Leid! Du wirst mich ja wohl nicht verlassen, weil ich sie nicht retten konnte!“

Ihr Blick entgegnete seinem, sie sah festentschlossen aus. „Nicht konnte?! NICHT KONNTE?“

Jetzt belog er sie auch noch vor lauter Verzweiflung. Sie konnte es nicht glauben. „Darum geht’s nicht, es geht um deine eiskalte Art, die sagt mir einfach nicht mehr zu! Selbst wenn du wie ein Irrer anfängst in dem Fall zu ermitteln, mit dir bin ich fertig, denn ich habe etwas Besseres gefunden, als dich! Wie konnte ich nur meine Zeit an dich verschwenden? Als sie damals erzählt hat, was du mit ihrem Freund gemacht hast, da hätte ich aufwachen sollen... Aber ich habe dich auch noch verteidigt!“ Und dann war Hiroya noch total arrogant, er behauptete von sich selbst, dass er Gott war, nur weil er zur Polizei gehört hatte. ‚Der beruhigt sich schon wieder’, hatte sie gedacht, ‚du musst das verstehen, Naru, seine Freundin wurde von so einem umgebracht!’ Jetzt war es aus mit ihrem Verständnis, irgendwann reichte es auch mal.

„Du willst mit einem Weichei zusammen sein?!“

Naru hatte ihn längst vor die Tür geschoben, so dass sie noch in dieser stand, ihn aber nicht noch einmal hinein lassen würde. Sie verschränkte die Arme und legte ein fieses Grinsen auf.

„Ach, wie meinte Kimi immer so schön zu sagen? Lieber ein Weichei, als so einer wie du, der sich selbst am wichtigsten ist!“ Es war nur eine Anspielung und sie würgte es ihm rein, dass sie ab sofort seine Gegenseite bevorzugen würde, weil sie genau wusste, dass es ihn verletzen würde. Er verletzte Leute ja auch mit purer Absicht, da konnte sie es ja auch mal tun. Ihre Meinung war immer gewesen, Typen, die anderen wehtaten, denen sollte man mal genauso wehtun...

„Sie hatte ja so Recht, ich bin auf den Geschmack gekommen und jetzt verschwinde aus meinem Leben, du vergeudest deine Zeit, hier so rumzustehen, es gibt keinen Weg zurück!“ Das waren die letzten Worte der Hellbraunhaarigen, sie haute Hiroya die Tür vor der Nase zu.

„Musst du sie zitieren?!“ Naru wusste genau, er hasste das, nun stand er hier, die Tür vor seiner Nase zugeschlagen und blöd rumstehend, wie sie ja gemeint hatte. Und alles, was sie sagte, war, dass sie auf den Geschmack gekommen war... Was war bloß passiert? Liebte sie ihn denn kein bisschen? Einfach so? Von heute auf morgen? Er glaubte das nicht! Es konnte nicht so einfach vorbei sein…

Jedenfalls würde er das nicht einfach so hinnehmen…
 

Es war eine harte Nacht gewesen – er hatte sogar jetzt, nach dreizehn Stunden noch genug Alkohol im Blut, um für einige Zeit suspendiert zu werden.

Das Krankenhaus stank, es stank so entsetzlich, aber er hatte allen Grund hier zu sein. Und er war nicht alleine, er würde nicht unterliegen und keine Gnade zeigen, so wie er es immer tat, doch am heutigen Tag würde es denjenigen, die er besuchte, noch schlechter gehen als sonst schon. Er hatte eine Nacht des Grauens hinter sich gebracht, die Laune des Mannes war auf dem Tiefpunkt. Jeden, der ihn falsch ansprach, hätte er angebrüllt und anschließend vielleicht sogar vermöbelt.

Der Braunhaarige, der hinter ihm herging, hatte auch einen Kollegen mit angeschleppt, sie wollten hier nur kurz ein paar Leute befragen, und alleine gehen lassen, das hatte man den Polizisten nicht können. Sie wussten wie geladen er doch war, das hatte er im Präsidium gezeigt – dieser Fall, er war nichts für ihn, da er solche Leute sowieso unter ihrem Niveau behandelte, doch leider war der Polizeichef bei einer wichtigen Sitzung außer Haus und hatte einem Kollegen, der von den psychischen Problemen des Polizisten keine Ahnung hatte, damit beauftragt, die Stellung zu halten. Er hatte den 28-jährigen einfach gehen lassen, auch noch alleine. Kein Wunder, dass sich Naoya nach der Nacht gestern an ihn gehängt hatte, wie eine Klette beinahe schon.
 

Auf dem Gang steuerte er auf zwei Männer zu, die sich über etwas unterhielten, was die Polizisten aus der Entfernung aber noch nicht verstanden.

„Du wusstest davon und hast niemandem etwas gesagt? So was Verschwiegenes habe ich auch noch nicht erlebt... Ihr beide habt ständig eure Geheimnisse, kein Wunder, dass er sich deinetwegen gerne so aufplustert...“ Sie sahen den Mann, der unaufhörlich auf sie zusteuerte nicht und plauderten munter weiter. Besonders der Mann mit den kurzen Haaren schien eine regelrechte Quasselstrippe zu sein.

„Ich war selbst schockiert, ich fragte mich, was in den Köpfen mancher Leute so abgeht.“

„Wahrscheinlich überhaupt nichts, so betrunken, wie er gestern war. Blau wie’n Feilchen...“

Einer von ihnen hatte eine dunkle Stimme, der andere so grell, dass es schon komisch klang. Der Mann mit der dunklen Tonlage hielt nun inne. „Sei ruhig, da kommt wer... Stell dich vor die Tür…”

Der Blick des Älteren schwang zur Seite und dann sah er – zu seinem Entsetzen – Kimis Bruder hier rumstolzieren, er machte einen arroganten, selbst überschätzenden Eindruck, wie er da so entlang ging, wie ein Model auf dem Laufsteg. Ohne Widerrede lehnte er sich gegen die Tür zum Zimmer seines Freundes... Er wusste, was das zu bedeuten hatte, aber das konnte der kleine Mistkerl vergessen.

„Sieh einer an, ihr seid schon draußen... Schön, das erspart mir die Mühe, euch rauszuwerfen!“ richtete der Kriminalbeamte ein paar Worte an beide, die nur genervt aufseufzen konnten. Wie er wieder redete, erkam sich ganz schlau und supertoll vor mit seinem Polizeiausweis.

„Wer sagt, dass du uns rauswerfen könntest, he?“ Der 25-jährige meinte es belustigt – Verstärkung hatte diese Type auch bei sich, kam er nicht mehr alleine gegen sie an, weil sie nicht alleine waren? Mannoman, der hatte vielleicht Probleme. Vielleicht sollte Tokorozawa endlich an eine Therapie denken...

„Ich kann euch auch verhaften, wie würde euch das schmecken, ihr verdammtes Gesocks!? So eine Nacht in einer Zelle, das wär mal was für euch!!“ Hiroya grinste missbilligend in Richtung der Beiden.

„Weswegen? Wegen was willst du uns verhaften? Welchen Grund wirst du angeben?“ Es war lachhaft, Hiroya hatte keinen Grund, höchstens konnte er sein Beileid aussprechen, oder nicht? Aber dafür war der Mann nicht extra in dieses Krankenhaus gekommen... Woher wusste er überhaupt schon wieder, wo er zu suchen hatte? Es stank nach Ermittlung. Der Kurzhaarige kannte sich da ein wenig mit aus.

„Ach, meint ihr, da muss ich was erfinden? Wie wäre es zum Beispiel damit: Widerstand gegen die Staatsgewalt, Mittäterschaft!?“

Der erste Grund war ja noch harmlos und auch verständlich, aber als Hiroya von Mittäterschaft sprach, musste sich Naoya in die Sache einmischen. „Das ist noch nicht klar bewiesen! Mittäterschaft wäre etwas zu weit her geholt, findest du nicht auch?“

Der Jüngere, er hatte etwas längere Haare als bis zum Kinn begann nun zu lachen. Er fand es witzig, was Hiroya behauptete. „Ach, wer soll wen umgebracht haben? Ich deine Schwester vielleicht? Oder soll er’s selbst getan haben?” Was dachte sich dieser Kerl? Hatte der denn wirklich dermaßen seinen Verstand eingebüßt, dass er in den Krümeln suchte, ob er doch etwas finden konnte?

„Und ihr meint, das verrate ich euch jetzt mal eben? Ihr seid so dämlich, wie ihr ausseht! Ihr könnt ja schweigen, ich weiß sowieso von der Presse schon das Wichtigste, also macht euch nichts draus, schweigen hilft IHM wenig. Und wenn ihr vernünftig seid, dann lasst ihr mich da rein, ist das jetzt ein für alle Mal klar?“

„Hör mal, Hiroya-san.“ Dass Ken von der Tür abließ, war ein sehr großes Wunder, er versuchte, trotz allem sehr freundlich mit Hiroya zu sprechen und probierte es sogar mit einem Lächeln.

‚Lass das, es ist zwecklos, der hat einen Hass!’ Yasunori wollte ihn schon warnen, doch zu spät, er hatte es schon getan.

„Ihm geht es echt beschissen, seit deine Schwester tot ist, und er liegt nicht zu seinem Vergnügen hier... Was auch immer du willst, das hat doch noch Zeit, nicht wahr?“

Anscheinend dachte Ken tatsächlich, das brachte etwas, er konnte tausend Mal freundlich zu Tokorozawa sein, er würde es ihm nie zurückgeben...

„Ist er tot?“

Die Frage war dreist und sie verwirrte den 26-jährigen, er verstand nicht sofort was gemeint war. Von wegen, ob er tot war, es klang so zynisch – irgendwie. „Wünschst du dir das?“

„Nein, das wäre doch sehr gemein von mir! Ich frage nur… Ihr tut so, als wäre er tot, und könnte nicht reden… Es dauert auch gar nicht lange, höchstens fünf Minuten.” Es kam doch noch so etwas wie eine freundliche Stimmlage über den Polizisten, jeden verwunderte es, aber am meisten die beiden Männer, die sich verwirrt ansahen. Doch der Jüngere traute ihm nicht, Hiroya war hinterlistig genug, um nur so nett zu tun.

„Er hat schon Besuch, der auch nicht lange bei ihm bleiben darf, er kann keine Aufregung verkraften. Wenn du nicht sofort verschwindest, werde ich die Schwester holen, die dir dann sagt, dass er keinen weiteren Besuch haben darf...“

„Tut mir Leid euch das mitteilen zu müssen, ihr zwei Schnarchnasen, aber diese so genannte Schwester war sehr kooperativ, ganz im Gegenteil zu euch. Ich darf fünf Minuten zu ihm, ich darf alle rauswerfen, die gerade da drin sind... Nun kapiert?“

Ein Knurren entfuhr Yasunori. Diese Schwester hatte jawohl keine Ahnung. Die Bedingung zu ihm zu dürfen, war gewesen, ihn auf keinen Fall aufzuregen, was Hiroya garantiert tun würde. Wenn nicht sogar aus purer Absicht. „Wenn ihm deinetwegen etwas zustößt, dann gnade dir Gott, du...“ Er verkniff es sich, wo es ihm immer so schwer fiel, nicht die Wahrheit zu sagen, er war ein offener Mensch, manchmal auch etwas zu sehr.

„Und nun, weg da! Naoya, halt die Stellung! Ich will in Ruhe mit meinem Freund reden.“

Die beiden Freunde hätten sich fast übergeben, als Hiroya es wagte, ihn seinen Freund zu nennen, weil es nämlich nicht stimmte. Man konnte schon von Erzfeindschaft sprechen. Sein Sarkasmus war alles andere als lustig. Ken wurde zur Seite geschoben, natürlich klopfte Hiroya nicht an, er riss die Tür auf und schaute sich um. Musik war zu hören, nicht mal im Krankenhaus konnten sie ihre Finger von Musik lassen, auch wenn sie sehr beruhigend rüberkam, ihn jedoch nicht besänftigen konnte.

„Ach du Schande, das ist ja eine Überraschung!“ begrüßte er die weibliche Person im Raum und grinste nur schäbig, als er die Tür hinter sich krachend zuwarf. „Damit habe ich nicht gerechnet!“

Der Knall, der von der Tür ausging, ließ die Person am Bett aufschrecken. Er war gestern Nacht hier eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht, bis eben. Verschlafen rieb er sich die Augen, noch wusste er nicht, wie ihm geschah. Er war einfach wach und schockiert davon, einfach so eingeschlafen zu sein.

„Ihr Besuch ist keine Überraschung! Dass SIE es überhaupt hierher wagen, Sie Mistkerl! Wir sind hier nicht bei einer Show, wo es etwas zu bestaunen gibt, ja? An IHRER Stelle, wäre ich aber schnell wieder verschwunden!“ Sie war ungemütlich, aus mehrfachem Grund. Ihre Wut war unermesslich, so wütend war sie lange nicht mehr gewesen, er widerte sie einfach an. Es dem Mann nicht zu offenbaren, wie wütend sie auf ihn war, war zu schwer, sie konnte sich nicht dermaßen gut verstellen und ließ ihn all ihren Zorn spüren, auch wenn das nicht ihre Art war.

„Ach, gehen wir zum Sie über? Ist ja nett!“ Das Grinsen in Hiroyas Gesicht schwand nun dahin. „Ich bin beruflich hier, tut mir wirklich Leid, aber ich werde IHN jetzt belästigen, ob es DIR passt, oder nicht! Leider darfst du hier nicht teilnehmen! An unserer Konversation meine ich.“

“Sicher doch! Was sollen Sie schon beruflich hier tun? Leute, die krankheitsbedingt hier sind, zu belästigen, ist ja auch schon eine sehr nette Art... Hier wird niemand belästigt, solange ich hier bin, nur damit das mal klar ist! SIE können hier nicht einfach Leute rauswerfen, was glauben Sie eigentlich wer Sie sind?!“

Was musste Kimis Bruder jetzt hier auftauchen...? Sie war beruflich hier, genauso wie Hiroya angeblich, nur dass sie dabei abgehört wurde. Ein falsches Wort von Hiroya und sie hatte die größten Probleme überhaupt, von ihm selbst ganz zu schweigen... Es musste doch für Jami schon äußerst belustigend sein, dass er alles, was Hiroya nun vorhatte, mitzubekommen würde, vielleicht gefiel es ihm auch noch...

Jami hatte sie hierher geschickt, weil er der Meinung war, dass sie einen guten Grund hatte, hier einfach reinzuspazieren spazieren. Ehatte er ihr aufgetragen, einen Sender im Zimmer zu hinterlassen, ohne dass das Opfer es bemerkte. Sie hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen bei der Sache gehabt und ganz stumm den Sender vor die Nase des Patienten gehalten. Sie hatte ihn nur auf diese Weise darauf aufmerksam machen können, dass man ihn belauschen würde, was auch immer er sprach, man würde ihn abhören. Jami war ein äußerst misstrauischer Mensch und zur Zeit hatte er total schlechte Laune, weshalb er Krümeln im Kuchen zu suchen begann. Und an wem blieb diese schreckliche Arbeit wieder hängen? An ihr, weil sie Moderatorin war... Sie hatte dieses benutzt werden so satt. Das würde ihr wahrscheinlich keiner glauben, wie sehr.

„WAS ZUM TEUFEL WILLST DU!?“ wurde Hiroya von dem ach so kranken Mann angefaucht, er beherrschte sich wohl sehr, nicht auszuflippen, jedenfalls klang es ganz danach. Obwohl es ihm wirklich nicht sonderlich gut ging nach der gestrigen Nacht, hatte er dermaßen Wut im Bauch, dass er ihn auch gut hätte verprügeln können, doch wenn er das tat, hätte Hiroya nur seine Bestätigung für all das, was er immer so felsenfest behauptete.

Es war ja nett von Rena, aber unnötig. Sich mit Hiroya anzulegen, das bereute man meistens doch sehr, wenn man es wagte. Wenn sie sich so aufregte, hatte sie irgendwie etwas von Kimiko, dei ihren Bruder geohrfeigt hatte, weil er sich an den Haaren ihres Freundes vergriffen hatte...

Hiroya saß am längeren Hebel, leider wahr. Als von einem Detektiv die Rede gewesen war, der ihn eines Mordes verdächtigte, hatte er eigentlich mit Kogorô Môri gerechnet, aber dass es Hiroya war, das musste er erst einmal verkraften. Da schwand die einzige Chance auf etwas Gerechtigkeit dahin. Er war nicht gerecht, er war grausam.

„Och, nicht viel, nur ein paar Antworten auf ein paar Fragen, aber das kannst du dir denken, nicht wahr, Takarai!?“ Er liebte es diesen Namen zu sagen, besonders wenn er es in diesem verachtenden Ton tat.

‚Wie kommt er darauf? Beschattet er mich?’ Der 25-jährige fühlte sich von dem Mann bedroht, von ihm ausspioniert, das gefiel ihm so gar nicht, er hatte alles, nur nichts Gutes im Sinn.

„Du bist echt ein armes Schwein...“ meinte Hiroya, was man schon als Ironie bezeichnen musste, wenn man ihn kannte, wusste man, dass er es gar nicht ernst meinte, und gleich noch etwas, das dem Gegenteil entsprach, folgen würde. „Ich habe dir vor Jahren gesagt, dass du sie nicht wirst beschützen können, das hast du nun davon... Wer nicht hören will, muss fühlen. Ich sagte ja, du bist ihr Untergang!“ Bevor er hier seinen Job machte, wollte er ihm das noch reinwürgen. Das hatte er seiner Meinung nach wegen mehreren Dingen verdient. Er war so ein elender Musikfreak, der zu allem Überfluss auch noch Jami Hilfe geleistet hatte, man konnte Hiroya nicht reinreden, er war eben der Meinung, dass es sich genau so zugetragen hatte. Und dann sein Künstlername, einfach passend für einen Mörder...

„Wie bitte? Sie wissen ja nicht, was Sie da reden!“ schnauzte die Frau Hiroya an, bevor ihr komplett der Geduldsfaden riss und sie dem Mann eine schmierte, die sich gewaschen hatte. Es reichte, jetzt war Schluss mit lustig. Wenn Vermouth sie so gesehen hätte, die Frau hätte bestimmt angefangen zu lachen, weil man ihr so etwas nicht zutraute. Wie konnte er ihm bitte die Schuld geben, an Dingen, gegen die er nichts hatte tun können? Hatte er selbst denn kein Gewissen? Wo war dieses Gewissen denn bitte gewesen, als er gedroht hatte, seine eigene Schwester im Stich zu lassen, nur weil sie an ihren Freunden hing und auch immer hängen würde?

„Ich weiß nicht, wovon ich rede? Er wusste, worauf er sich einlässt! Dass er mich niemals ersetzen kann, das wusste er, aber Ignoranz war ja der leichteste Weg, nicht wahr?!“ Sein Blick war der einer Hyäne und wie sein Opfer reagierte, mit einem doch sehr verletzten Ausdruck im Gesicht, und dass er seinen Blick abwandte, das gefiel dem Mann besonders gut.

Das Gespräch passte Hideto auch nicht in den Kram, nicht wenn Tetsuya im Raum war. Dieser drehte den Kopf nach hinten, man sah ihm an, dass Hiroyas Auftauchen ihn zutiefst erschütterte.

„Verdammt, was willst du schon wieder? Willst du ihm nur Vorwürfe machen? Ist das alles, was du hier tust?! Das ist wohl kaum ein Höflichkeitsbesuch!“ meinte der Braunhaarige, wobei es keine haltlose Unterstellung war, er wusste, dass Hiroya so war, Kimiko hatte es ihnen mal regelrecht eingeredet, dass ihr Bruder, wenn er sich mit ihnen abgab eigentlich nur für Ärger sorgen wollte. „RAUS!“

Was wie ein Befehl klang, ließ Hiroya nur müde grinsen, er hatte die Ohrfeige grinsend eingesteckt, sie hatte ihn damit nicht zum schweigen gebracht. Beinahe schon sanft schob er die Braunhaarige zur Seite, sie war eben eine Frau. „Raus, das war das Stichwort, Ogawa! Und tschüss!” Hiroya packte den eher schmächtig gebauten Hellbraunhaarigen am Arm und zerrte ihn gewaltsam zur Tür hinaus, die er hinter ihm schloss. Der Schwarzhaarige hielt sogar den Griff extrafest mit der Hand umklammert, damit niemand mehr ins Zimmer kam. Da Rütteln an der Tür bemerkte er, doch hatte er keinerlei Probleme, die Tür geschlossen zu halten.

Und man konnte von dem Polizisten behaupten, dass er sehr viel Kraft hatte, was so etwas anging. So schwach wie Jami war er nicht. Er wollte nicht dabei gestört werden, was er zu sagen hatte.

„Hast du sie noch alle, meinen Freund rauszuwerfen?“ Der Kerl regte Hideto einfach nur auf. Wie konnte man ihm den überhaupt antun? Er fühlte sich bestraft. Alles, was ihm etwas bedeutete, ging den Bach runter und dann kam er noch hierher, um in seinen Wunden rumzustochern.

„Das wolltest du doch so, oder hätte ich unter seinen Augen davon reden sollen, dass Kimi ermordet wurde und wer daran schuld ist, na?! Sei mir besser dankbar.“

„Das weißt du doch gar nicht, weil du nicht ermittelt hast, Hiroya...“ Kleinlaut kamen die Worte über den Jüngeren, er hatte Kopfschmerzen, und er fühlte sich eingeengt, nicht nur von Kimis Bruder, nein, es war das Krankenhaus, das wie ein Gefängnis wirkte. Eingesperrt sein, das konnte er nicht leiden, er wollte einfach nur hier raus und das so schnell wie möglich. Als er das letzte Mal hier gelegen hatte, war er beinahe draufgegangen. Obwohl es Ewigkeiten her war, hatte er eine regelrechte Allergie gegen Krankenhäuser. Und dann kam dieser Kerl hierher, wo er nicht mal das Bett verlassen durfte – das waren natürlich die besten Aussichten für einen tollen Tag.

Bis vor ein paar Minuten, als Rena reingeschneit war, war er nachdenklich gewesen und hatte sie nicht gleich bemerkt, obwohl sie höflich angeklopft hatte. Sie hatte sich bei ihm entschuldigt, obwohl sie jawohl als Frau wenig hätte tun können – Hiroya war schuld an allem, er war ein egoistischer Drecksack. Seine Freude war zerstört worden durch diesen Sender, den Jami ihr jawohl aufgezwungen hatte, damit er ihn leichter ausspionieren konnte. Dass der Kerl genauso wenig Ruhe geben konnte, wie Hiroya? Was wollte er schließlich mit denen zu tun haben? Nichts! Nicht das Geringste, am liebsten wollte er einfach vergessen. Alles, was mit ihnen zu tun hatte. Doch kam ihm nicht in den Sinn einfach Kimi zu vergessen, deren Leben von Jami versaut worden war, anders konnte man es schon nicht mehr sagen. Jami hasste er aus genau diesem Grund, aber auch, weil er einfach das pure Böse zu schein schien und Hiroya hasste er dafür, dass er einfach bloß zuschaute, wo er die Mittel hatte. Er hatte ja immer darauf gewartet, dass er in das Loch seiner Waffe schauen durfte... Aber die Waffe hatte Hiroya nie gebraucht, im Punkt jemanden zu erniedrigen brauchte er sie nicht, anders als Jami.

„Du scheinst mich ja echt gut zu kennen, mein Kleiner.“

„Ach, spar dir das Süßholzgeraspel, und dein Kleiner bin ich ganz bestimmt nicht.“

Schweiß stand auf der Stirn des jüngeren Mannes, während Hiroya grinste. „Du bist ja ganz blass, hast du Angst? Die solltest du auch besser haben, bei dem, was ich zu sagen habe.“

Rena war noch im Raum, doch das war Hiroya gerade ziemlich schnuppe, er würde sie ignorieren und gegebenenfalls Naoya Bescheid sagen, dass er und sein Freund auch Rena aus dem Raum warfen, doch war es Hiroya eigentlich ganz Recht, wenn sie hier war, während er ihn in die Mangel nahm, dann wusste sie gleich, was ihr blühen würde, wenn sie ihren Mund zu weit aufmachte. Sie einzuschüchtern konnte ja nicht allzu schwer sein. Zumal er etwas über sie wusste, was ihn innerlich einfach nur grinsen ließ, damit würde er ihr drohen.

„Ich kenne dich, und zwar mehr als du mich kennst, mich kennst du nämlich kein Stück.“ Natürlich wusste der Sänger, dass er sich Hiroya zum Feind machte, wenn er so mit ihm sprach, aber der Typ war es einfach nicht wert, nicht mal ein paar nette Worte war er Wert, nicht mal zur Besänftigung würde er nett zu ihm sein, fiel ihm gar nicht ein.

„Ich habe gehört, dass ihr gestern einen Auftritt hattet und zwar so gegen 20 Uhr... Was hast du davor getrieben?“ Durch zuverlässige Quellen wusste Hiroya sogar schon, wie spät Takarai erst beim Sender aufgetaucht war, nämlich genau um 19:30 Uhr, demnach hatte er sich echt viel Zeit gelassen. Zu viel Zeit – er konnte ja nichts dafür, dass die Sache so sehr stank, dass es ihn hierher getrieben hatte. Und er konnte auch nichts dafür, dass ein Mord stattgefunden hatte, noch bevor dieser Typ dort aufgetaucht war...

Getrieben, wie Hiroya das aussprach, als wäre alles, was er so tat, das Allerletzte, doch entsetzte ihn die Frage, er verstand sie nicht. Was war so wichtig daran, dass er so fragte?

„Sagen wir so nach 18 Uhr. Was hast du da getan?“

Die Frage löste Unbehagen in dem jungen Mann aus, er starrte in Hiroyas Gesicht. Was wollte er? Ihm etwas unterstellen vielleicht?

„Um 17 Uhr war ich mir etwas zu trinken kaufen, in Haido-Chô... Danach, na ja, ich war in der Plattenfirma, die Kimi damals unter Vertrag genommen hat. Ich wollte, dass dieser ganze Scheiß rund um sie aufhört! Ich wollte verhindern, dass sie die CD trotzdem rausbringen, leider weniger mit Erfolg gekrönt, als ich dachte... Danach...“ Nachdenklich sah er aus, er brauchte zwar nicht nachdenken, er wusste genau, was er da getan hatte, doch das würde er Hiroya sicher nicht sagen, da kam er ihm auf noch mehr komische Gedanken. „So gegen 18 Uhr war ich beim Friseur...“

„Ach? Stimmt ja… Deine Haare, die sind ganz kurz! Mein Gott, ihr Tod muss dir ja echt nahe gegangen sein, dass du dich von deinen langen Haaren getrennt hasst.“ Seine Worte und auch das Grinsen waren nichts als Gestichel, er wollte nur ein wenig nachbohren, dahin, wo es besonders wehtat. Man tat es eben meistens so, wenn man um jemanden trauerte, dann schnitt man sich die Haare ab oder veränderte sich. Natürlich fiel das sofort auf, alles andere hätte Hiroya dann auch gewundert. „Und hast du dafür Beweise, dass du deine Haare nach 18 Uhr hast abschneiden lassen?!“

Das hätte Hiroya auch anders fragen können, den Spruch rund um Trauer hätte er sich sparen können. Rena konnte ihn einfach nicht verstehen, wieso er Leute so quälen musste... Sie schüttelte den Kopf, dieses Verhalten gehörte normalerweise bestraft.

Die Augen des Jüngeren weiteten sich, das Erstaunen in seinem Gesicht sagte Hiroya, dass er einen Volltreffer gelandet hatte.

„Also nicht... Und der Friseur wird auch bestimmt keine Äußerung dazu machen, habe ich nicht Recht?“

„Soll das heißen, ich lüge?“

Was Hiroya ja nicht wusste, war, dass es tatsächlich eine sehr freche Lüge war. Er hatte um diese Uhrzeit kein Alibi, darauf wollte dieser Hornochse doch hinaus, er wollte ihm irgendetwas anhängen, wovon er selbst noch nicht wirklich etwas zu ahnen schien.

„Genau das! Ich werde dir jetzt mal was Nettes erzählen, hör mir gut zu...“ Es war fast schon ein versautes Grinsen in dem Moment, als er es aussprach und dann begegneten seine grünen Augen den braunen Augen, er nahm den Mann mit seinem Blick gefangen, als wollte er ihn hypnotisieren.

„Kimis Bandkollege Kita, du kennst ihn doch, das weiß ich ganz genau, ihr kennt euch alle.“

„Hai, den kenne ich, aber was hat das damit zu tun? Es ist ganz natürlich, dass wir uns kennen, immerhin bin ich mit der Sängerin befreundet.“ Ganz ruhig bleiben, sagte er sich, auch wenn Schweiß über sein Gesicht rann, der konnte ihm doch nichts.

„Er ist tot! Ermordet worden gestern so gegen 18 bis 19 Uhr. Du hast kein Alibi und ein astreines Motiv, deswegen bin ich hier.” Es war ihm eine Wonne, es auszusprechen. Ihn würde keiner mehr für verrückt erklären, weil er dachte, Kimikos bester Freund steckte mit Verbrechern unter einer Decke...

Wirklich toll, damit hätte man eigentlich rechnen müssen. Aber in erster Linie dachten sie, dass Hiroya scheinheilig, wie er sein konnte, einfach nur in seinen Wunden hatte bohren wollen, doch damit war er wohl schon fertig. Jetzt ging es ins Unterstellen über...

„Das würde dich glücklich machen, was, Hiroya Tokorozawa?! Und was soll das Motiv gewesen sein? Wieso sollte ich so etwas tun?“ Gespannt warf er ihm einen Blick zu. Dieser großkotzige Kriminalist, der sich für etwas Besseres hielt, dachte ja mal wieder am besten Bescheid zu wissen. Das tat er immer, er wusste ja sogar angeblich, welche dunklen Gedanken er so manches Mal hatte. Jeder Mensch hatte sie, klar, und wenn es um Jami ging, hätte er ausrasten können, obwohl er sonst eigentlich sehr gutmütig war. Dass er dann in einem Lied davon schrieb, einem Mann die schlimmsten Albträume zu geben und ihn zu quälen, wen wunderte das bitte noch? Es waren nur Gedanken, es war nicht so, dass er jemals so etwas getan hatte, aber für Hiroya war das doch nur ein weiterer Grund, ihn für einen herzlosen, abartigen Menschen zu halten.

Rena schritt nun auf Hiroya zu, sie hatte die Faxen dicke. „Das interessiert mich auch.“ Er konnte hier doch nicht einfach Dinge behaupten. Das war Verleumdung, dafür könnte man ihn verklagen.

„Halt den Mund, du Engelchen! Du erkennst nicht mal ’nen Mörder, wenn er dir direkt in die Augen schaut!“

„Sie sind wirklich das Allerletzte! Wie können Sie es wagen, damit zu kommen? Sie haben Ihre Schwester sterben lassen! Sie haben hier nicht das Geringste verloren, Sie verdammter... VERSAGER!“ Die Wut brach wieder hervor. Dass sie sich selbst wie eine Versagerin fühlte, war mit ein Grund dafür, dass sie ihn einfach nicht verstehen konnte, sie begriff nicht, wie er sich so verhalten konnte.

„Halt dich da raus, sonst setze ich dich vor die Tür, verstanden?!“ Er wandte den Blick von Rena ab und betrachtete sein Opfer, ja, es war eines, ganz eindeutig.

Dass er dachte, er könne sie einfach so aus dem Zimmer werfen, er hatte keinerlei Respekt, nicht vor ihren beiden Berufen, noch davor, dass sie auch Rechte hatte.

„Ich durchschaue dich...“ Hiroya schaute Hideto direkt in die Augen, so tief, dass man Angst haben musste, wirklich durchschaut zu werden. „Ständig habt ihr zusammen rumgehangen! Ich habe immer nur eine einzige Frau an deiner Seite gesehen! Diese ist nun tot...“ Bisher waren es Anspielungen, als er dann die Türklinke losließ, da der Typ da draußen wohl endlich aufgegeben hatte, schritt er auf das Bett zu und legte seine Arme auf das Ende des Bettes, um ihm auf die Pelle zu rücken, er wollte ihn noch etwas mehr einengen. „Ihre CD spielt im Hintergrund. Das lässt für mich nur eine Schlussfolgerung zu.“ Der Kriminalist gab ein Lachen von sich, wobei er ihm einen besserwisserischen Blick zuwarf: „Ha! Du bist hoffnungslos in meine Schwester verschossen!“ Es hatte Hiroya nur noch gefehlt, dass sein Widersacher vor lauter Scham rot anlief, weil er nur perverse Gedanken wegen seiner Schwester hatte und das Gefühl hatte, man sah ihm seine Fantasien an, doch das blieb aus, was Hiroya wirklich schade fand, gerne hätte er ihn so weit gesehen. „Und ich kenne meine kleine Schwester und ihre Vorlieben... Da frage ich mich, was wollte die denn mit dir?“

Es tat weh, es war genau das, was in allen Zeitungen stand und im Fernsehen lief. Sie hatte etwas mit seinen Kollegen gehabt, ja, mit jedem, außer ihm selbst, dabei war das ja wohl der größte Unsinn, der ihm je zu Ohren gekommen war. Kens Typ war sie nicht, er hätte sie nicht angefasst, mal davon abgesehen, dass sie sich von ihm nicht hätte anfassen lassen, Tetsu hatte nur Musik im Kopf und im Moment absolut kein Interesse an Beziehungskram, und sie war ein Beziehungsmensch, so wie er. Und Sakura, jetzt wurde es erst richtig lachhaft, hielt es nicht einmal im gleichen Raum mit ihr allzulange aus, man musste diese beiden ständig trennen, bevor Streit ausbrach, aber mit dem hatte sie ja auch etwas gehabt... Wieso unterstellte man ihm denn nicht mal Affären mit einer wirklich hübschen Frau? Tetsu war immerhin auch nicht größer als sie. Daran konnte es jawohl auch nicht liegen...

Hiroya sah wie das Gehirn des Mannes alle möglichen Gedanken durch seine Sinne jagte und ihn regelrecht quälte. Kein Wunder, er gab sich ja auch alle Mühe.

„Tja, wer weiß, vielleicht hast du erst sie umgelegt, als du rausbekommen hast, was sie wirklich von dir hält, und dann denjenigen, mit dem sie etwas hatte? Es geht das Gerücht rum, dass sie Kita geliebt haben soll, aber was soll’s, anscheinend hatte sie es mit euch allen, bloß mit dir nicht. Tut weh so was, oder?! Es tut weh, wenn man so ein kleiner, hässlicher Idiot ist...“

Ein kleiner, hässlicher Idiot. Der Spruch erinnerte den Dunkelhaarigen sehr brutal an seine Schulzeit, die er lieber vergessen haben wollte. Er hatte es gehasst und aus Verzweiflung zu Zigaretten gegriffen und das in einem Alter, in dem er es lieber hätte sein lassen, und der fing nun an ihn zu beleidigen. Man hätte Hiroya für seine Worte verklagen können. Er wollte aber nicht wissen, was er mit ihm machen würde, wenn er das jemals wagte. Hiroya war nicht so wie Jami damals, den er einfach so hatte verprügeln können, weil er ihm sehr gestunken hatte. So gesehen war Jami im Gegensatz zu Hiroya ein richtiger Schwächling – ein Schwächling, der zu Waffen griff, weil er mit seiner Schwäche nicht klarkam und sich behaupten wollte, wenn es sein musste durch Morde... ‚Meine Mutter wünsche ich dir, die würde dir aber so was von Beine machen, wenn sie rausbekommt, was für ein ungezogener Kerl du doch bist!’

‚Wer hier wohl hässlich ist, das bist du, Hiroya! Wie kannst du bloß so was sagen?’ Rena konnte es nicht glauben, sie bezweifelte, dass Hiroya so etwas wie ein Herz überhaupt besaß. Sie wusste es besser, als er. Von wegen sie erkannte keine Mörder, er hatte einen Sprung in der Schüssel. Was machte so ein Typ immer noch bei der Polizei...? Ein Polizist, der andere mutwillig verletzte und ihre Psyche angriff, der gehörte suspendiert und nie wieder als Polizist eingesetzt!

„Jaa~, drück’s mir rein! Du kennst Kimi sehr schlecht! Ich hatte nicht den geringsten Grund, ihr etwas anzutun, weißt du? Sie ist ein Engel auf Erden...“ Es war sein voller Ernst, nichts davon war gelogen. Um das zu erkennen, hatte er ihr erst einmal das Herz brechen müssen, um zu bemerken, dass sie ihm nicht einmal böse sein konnte, wenn er sie aus Angst belog. Andere Freundschaften hätten das wohl kaum überlebt.

„Ein was soll sie sein? Du hast ja eine Vollmeise.” Aber wenigstens hatte er nun seinen Beweis, der Typ war echt total verschossen in seine Schwester, und wahrscheinlich auch noch zu feige, es ihr zu gestehen. Eine richtige Memme also, so was wie Juro – ihm wurde fast schlecht bei dem Gedanken. An Juro wollte er jetzt aber alles andere als denken.

„Gut, vielleicht hast du sie nicht getötet... Aber was ist mit Kita? Mhm? Er hat sie dir doch weggenommen. Du hast ein Motiv und zwar Eifersucht und kein wasserdichtes Alibi, es tut mir wirklich entsetzlich Leid dir das so sagen zu müssen, aber du bist unser Hauptverdächtiger! Dein Weg wird vom Krankenhaus direkt ins Präsidium führen, darauf kannst du einen lassen.“

„Das glaube ich ehrlich gesagt nicht, und es würde mich doch sehr wundern, wenn du das beweisen kannst, Hiroya.“ Ein schadenfreudiges Lächeln war Rena gegeben, doch dieses verschwand gleich wieder, als der Kriminalbeamte lachte. „Was ist lustig?“

„Lustig ist, dass er ihr peinlich war und er anscheinend ihretwegen jemanden auf dem Gewissen hat, denn da bin ich mir vollkommen sicher.“ Er wandte sich wieder an sein gegenüber. „Denn weißt du, mein allerliebster Spinner, man hat dich in der Nähe des Haido-Chô Bahnhofes gesehen, dafür gibt es Zeugen. Das ist der Ort, an dem der Mord stattfand.“

Da hatten sie es, wie einen Schlag direkt auf die Mütze. Am S-Bahnhof, ja, da war er gewesen, aber nur kurz. Wer um alles in der Welt hatte ihn da bloß gesehen? Er hatte sich doch recht normal verhalten, so dass er kaum aufgefallen war. Und mit den kürzeren Haaren konnte ihm keiner erzählen, dass er ihn wirklich erkannt hatte.

Hiroya tat, als hätte er ihn höchstpersönlich dabei ertappt, was machte ihn so sicher, dass es stimmte? Was war das bloß für ein Mensch, dem Hiroya alles zu glauben schien?
 

Zu dritt saßen sie wie bestellt und nicht abgeholt draußen und warteten darauf, dass diese elenden fünf Minuten endlich vergingen. „Ihr wisst nicht zufällig, was Hiroya da drinnen gerade abzieht?“

Der Mann in der Mitte schaute nach links und nach rechts, doch nicht mal sein Kindheitsfreund wollte ihm eine Antwort geben, wie es schien, deswegen glitt der Braunhaarige auch gegen die Wand. „Hier ist es kalt!“

Zur Zeit schien es überall kalt zu sein, so empfanden das die beiden. Jedenfalls sagte das ihr Kollege andauernd. Tetsu war eben sehr sensibel veranlagt – es kam Ken auch fast so vor, als wenn er noch bei weitem mehr litt, als ihr Sänger – wobei dieser auch schauspielerisch begabt war, er konnte sich sehr gut verstellen und Gefühle verbergen, das tat er doch sehr oft. Zumal er sich immer wieder vorgenommen hatte, nie mehr zu heulen.

„Wozu soll Hiroya ja schon da sein, er beglückwünscht ihn, dass er Kimi losgeworden ist... Seiner Meinung nach hat er sie doch ermordet.“ Sakura konnte es sich nicht verkneifen, so wie er sich sehr vieles einfach nicht verkneifen konnte.

„So was kann nur einer denken, der keinen blassen Schimmer hat.“

„Du hast auch keinen blassen Schimmer, Tetsu“, meinte Ken seufzend, er lehnte sich nun auch zurück. Seinem Freund wollte er jetzt auch mal den Boden unter den Füßen wegziehen. „Ich war gestern noch in der Leichenhalle, ich wollte mich mal erkundigen, es kam mir doch höchst spanisch vor, was geschehen ist. Das, was ich dort erfahren habe, mein Gott, das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, sag ich dir... Du würdest es nicht fassen können, aber unser so lieber, netter, unschuldiger Haido hatte in der Nacht vor dem Unfall Sex.“

Sakura seufzte tief. „Ich brauch ’ne Zigarette, bis gleich…” Er hatte keinen Bock sich das noch mal anhören zu müssen, er war nicht so schockiert, wie die beiden, er hielt seinen Freund nicht für ein Engelchen, immerhin hatte er einen schwachen Moment seiner besten Freundin bösartig ausgenutzt, um ihr an die Wäsche zu gehen, das war es, was er wusste. Und das wussten die anderen auch, dennoch sahen sie in ihrem Freund ein Engelchen... Na, wenn sie meinten, sollten sie eben weiter.

„Ist sie ermordet worden? Und Haido weiß es?” fragte Tetsu, er war schon deprimiert genug für alle zusammen, aber so etwas wollte er gar nicht erst hören. „Wer, wer tut denn so etwas? Ganz bestimmt nicht er, dazu wäre er niemals in der Lage.“

„Viel schlimmer, Tetsu, es ist schlimmer, als du annimmst...“ Ken hätte am liebsten eine Zigarette rausgefischt, aber leider waren sie nicht draußen und Tetsu würde sicher nicht nach draußen wollen, während Hiroya dort drinnen war.

„Aber Kimi war schwanger... Und sie hatte vorgestern nach der Feier Sex mit unserem Freund... Mal wieder.“ Dass sie nicht nur mit ihrem Freund, sondern auch etwas mit anderen hatte, das glaubte eigentlich keiner, nicht einmal Sakura, deswegen war er doch gerade eine rauchen gegangen.

Mal wieder – wie Ken das sagte, als wenn sie so etwas andauernd getan hätte, was für ein Unsinn war das denn? Er hatte doch immer stock und steif behauptet, er sei nicht an einer Beziehung mit ihr interessiert, sondern wollte sie als gute Freundin behalten...

„Wenn du mir jetzt sagst, dass du annimmst, er hätte sie umgebracht, weil sie schwanger von ihm war, bring ich dich um, Ken!“ Es stimmte zwar, dass sein bester Freund jetzt absolut nicht an irgendwelche Kinder dachte, sie waren ja noch jung und geplant war Derartiges nicht, aber das war noch lange kein Grund in solche Richtungen zu denken...

Sein Freund sollte damit aufhören, Detektiv zu spielen, als Gitarrist war er nun wirklich besser dran. Obwohl es früher zu seinen Träumen gehört hatte, mal Detektiv zu werden, störte ihn das ungemein.

„DAS habe ich nicht behauptet, Tet-chan... Ich fand es nur schockierend, dass er schon wieder so besoffen gewesen sein soll, dass er sie flachgelegt hat... DAS ist alles.“ Es stank zum Himmel, was erzählte der Idiot da eigentlich? Man konnte doch nicht mehrmals so betrunken sein, dass man nicht mehr wusste, was einen ritt?

„Jetzt, wo du es sagst, er war lustig drauf und ist mit ihr verschwunden, um Himmels Willen!“ Tetsu sprang auf. „Er hatte was mit ihr und hat sie gehen lassen... Er gibt sich die Schuld daran, deswegen ist er so deprimiert.“

Darauf kam sein Freund ja früh, was dachte er denn?

„Ney, nicht nur...“

Nicht nur, dass ihr unschuldiger Freund sie abgefüllt hatte und das nicht nur einmal – es war alles nicht so, wie es zu sein schien. Warum tat ein Mann wohl so etwas? Weil er keine Chancen hatte, oder dachte keine zu haben? So ganz sicher war er sich da nicht.

„Ich glaube ja, dass er uns das nicht ohne Grund verheimlicht hat, ich denke, da lief die ganze Zeit was... Oder wie erklärst du dir, dass sie schwanger war? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie mit irgendwem sonst noch so blauäugig zusammen war... Mal davon abgesehen, dass es bestimmt 3 Monate her sein muss... Das erste Mal hatten sie was Ende 1993, als Kimis ältere Schwester erschossen wurde... Das ist jetzt schon über ein einhalb Jahre her... Und was sagt uns das?“ Er schüttelte den Kopf, mit seinem Hobby war es sehr einfach gewesen, dahinter zu kommen.

Chase the crumb

Teil 11 und 11 Seiten des Wahnsinns, meinem kranken Hirn entsprungen…

Bin ja froh, noch keine Morddrohungen zu bekommen *lol*

Obwohl… die werden sicher noch kommen *fg*

Ich wünschte, ich wäre schon weiter, aber das geschriebene ist noch heilloses Chaos, ist nicht so, dass ich nix mehr geschrieben habe, nur alles durcheinander und hab den Schluss im Kopp… scheiße was? Das erste Mal, dass ich den Schluss schon weiß, aber ihn einfach nicht schreiben KANN! Wäre ja total doof, erst den Schluss zu schreiben, während die FF dann liegen bleibt, hab so viele FFs, die ich weitermachen kann… aber irgendwie finde ich die Ideen hier nur… >) ich glaube, ich bin noch bei weitem grausamer als sonst….
 

Nun genug der Rede, viel Spaß beim nächsten Teil, who know’s wann der nächste kommen wird? ^^“


 

Trübsal blasen, das war es, was Conan gerade auf einer Bank tat. Der Morgen war nicht so verlaufen, wie er gedacht hatte. Seine Welt brach zusammen. Es kam ihm vor, als hätte er Wahnvorstellungen.

Dieser Mord, er war wohl doch nicht von der Organisation ausgegangen – all das, was er sich ausgemalt hatte, schien unmöglich zu sein, das konnte doch nicht sein. Er hatte so sehr gehofft, nun eine Spur zu bekommen, ihm wäre es auch Recht gewesen, wenn ihn die Organisation wegen seiner Leichtfertigkeit gekidnappt hatte, er war enttäuscht, dass es nur Ryochi gewesen war.

Die Gerichtsmedizinerin hatte doch gemeint, sie starb nicht durch fremde Einwirkung, sondern durch den Sturz mit dem Auto, denn es seien lediglich Spuren von Alkohol in ihrem Blut festgestellt worden, außerdem sollte sie schwanger gewesen sein. Und das ganz Schlimme, sie hatte wohl tatsächlich einen Typen gehabt, denn vor ihrem Tod sollte sie noch sexuellen Kontakt zu jemandem gehabt haben, sei aber nicht dazu gezwungen worden. Spuren von Gewalt, so gut wie keine, also war sein erster Gedanke gewesen, dass man ihr APTX eingeflößt haben könnte und danach irgendein anderes Mittel, um sie umzubringen, das aber genauso wenig nachweisbar war, wie das APTX-4869, das er selbst in sich trug.

Ryochis Gedanke war etwas total anderes, auch er glaubte nicht, dass es ein einfacher Mord gewesen war. Er saß neben dem deprimierten Jungen. Nicht ohne Grund wollte der Kerl am Telefon am liebsten seinen Namen nicht preis geben müssen, er fürchtete, dass dieser Mann Ärger mit der Organisation kriegen würde, wenn jemand von seinem Kontakt zu dem Detektiven erfuhr.

„Du, Conan-kun, was hältst du davon, wenn sie wirklich ein neues Mittel erfunden hätten, das wirklich tötet...?“ Die Frage schwirrte ihn so lange schon im Kopf herum, er musste sie stellen.

Der kleine Junge wollte davon nichts mehr hören, er hatte genug.

„Ach, echt? Ich glaube nicht, immerhin ist Ai immer noch in meiner Nähe, sie kann nicht mal eben ein bisschen am APTX rumspielen... Oder sogar was Neues erfinden!“ Es war so frustrierend, wie sollte diese Organisation so etwas geschafft haben? Er glaubte allmählich mehr, dass dieser Typ, der sie geliebt hatte, einen gewaltigen Dachschaden hatte und einfach mit dem Unfall nicht umgehen konnte... Er wollte einen Schuldigen, wo es höchst wahrscheinlich keinen gab – was er wohl täte, wenn sie den MÖRDER hätten? Diesen eigenhändig umbringen? Menschen waren in dem Punkt nun mal unberechenbar. Shinichi konnte sich nicht vorstellen, dass es ihn befriedigen würde, nur sein Gesicht zu kennen.

„Willst du aufgeben? Immerhin wissen wir jetzt, wer er ist. Wir haben alles untersucht, was es zu untersuchen gibt, sogar Kimis Wohnung haben wir nach Indizien untersucht, genauso sein Apartment, wofür er uns ganz schön an den Kragen könnte, Kleiner. Und da willst du aufgeben?“

„Da stimmt überall was nicht... Er hat vor Angst die Hosen voll... Ich bin noch nicht so ganz davon überzeugt, dass es kein Mord war. Ich habe das im Gespür, da war etwas am Werk... Und dann hat er auch noch Frühjahrsputz gemacht und ihr Tagebuch geklaut, das stinkt jawohl.“ Conan war wütend, er konnte diese Type nicht ausstehen, der hatte jawohl einen Vollknall – war er eigentlich auch so bekloppt, wenn es um Ran ging? Er wollte es nicht wissen, er würde – egal was passierte – niemals so etwas tun.

Conan ertappte sich dabei, wie ihm ein normaler Fall keinen Spaß mehr machte, er wollte an diese verdammte Organisation rankommen, wenn er ehrlich zu sich war. Daher rührte auch seine schlechte Laune... Er hatte sich zu früh gefreut, das hatte er nun davon. Und dann war der Sänger auch noch NICHT Mitglied in dieser Organisation – schwarz hin oder her, es hätte ihn sehr gewundert, wenn er mit denen zu tun hätte. Am liebsten wollte er ihm mal sagen, dass er es alles – nur nicht korrekt fand – in ihrem Tagebuch zu schnüffeln.

„Du wünschst dir tatsächlich, dass DIE Kimi umgebracht haben... Nur damit du eine Spur kriegst! Tut es dir denn kein Stück weit Leid, dass so etwas überhaupt erst passieren musste? Ich für meinen Teil wäre heilfroh um einen Unfall.“ Ryochi kannte sich da ja aus, der Typ hatte ohnehin sein aufopferndes Mitleid, er selbst hatte auch eine Liebe durch einen Unfall verloren, aber jemanden durch diese Organisation zu verlieren und es zu wissen, aber nichts tun können, das machte wahnsinnig... Und das wünschte sich der Junge? Das konnte doch nicht sein... Anders als Conan dachte Ryochi nämlich sehr wohl, dass dem Mann die Organisation ein Begriff war. Wenn man es von anderen Blickwinkeln betrachtete, dann kam man automatisch auf die Idee.

„Ich weiß noch nicht, ob er mir Leid tun soll... Ich bin mir noch nicht sicher, ob er vielleicht zu denen gehört, dafür benimmt er sich zu komisch. Er schützt sein Notebook dermaßen vor Angriffen und benutzt ein Dutzend Passwörter, findest du das etwa normal? Zwar habe ich keinen Beweis, aber auch keinen, der dagegen sprechen würde. Ich möchte natürlich nicht aufgeben, ich bin an der Wahrheit interessiert!“

Es war schon paranoid sein, so wie Conan es eigentlich auch war, er war verdammt paranoid geworden durch die Organisation.

„Das sagst du, du bist doch selbst total paranoid, du müsstest verstehen, wenn jemand vorsichtig ist. Du würdest dir gerne den Inhalt seines Computers angucken, nicht wahr? Wenn du nicht zufällig unter die Hacker gehst, dann wirst du wohl weiterhin so viel Pech haben...“ Ryochi fand es nicht so toll, in jemandes Privatsphäre einzudringen, es war schlimm genug, dass sie zusammen mit Sêiichî den Hausinhaber angelogen hatten, um die Schlüssel zu kriegen. Tja, Verbindungen zur Staatsanwaltschaft waren nützlich und einen Mann mit Polizeiausweis, so wie Sêiichî erstrecht. Dass dieser Mann sie auch so einfach reingelassen hatte... Kein Stück Misstrauen. Sie hätten Organisationsmitglieder sein können, Menschen, die davon nicht das Geringste ahnten, waren einfach nur naiv. „Ich hoffe für uns alle, dass wir nicht bald eine Klage wegen Hausfriedensbruch am Hals haben, weil wir einfach so in jemandes Apartment geschlichen sind! Zwar hatten wir die Erlaubnis durch den Hausbesitzer, aber es war ein Verbrechen!“ Wo zog der Junge ihn nur rein? Und Sêiichî hatte doch nur mitgespielt, weil Jamie ihm irgendwelche Flausen in den Kopf gesetzt hatte, von wegen, dass er etwas herausgefunden hatte. So gesehen war Ryochi mit seinem Wissensstand zusammen mit Sêiichî schon etwas weiter – aber auch glaubte er, dass man ihnen etwas verschwiegen hatte.

„Ich finde es so frech, dass er ihr Tagebuch liest!“ Conan plusterte sich mittlerweile ganz schön auf, er konnte selbst nicht fassen, dass er gerade so war. „Das macht man doch nicht... Ich meine... Man liest doch nicht das Tagebuch seiner Freundin, also wirklich...“ Ein Seufzen entkam ihm, obwohl er doch gerne Rans geheime Gedanken kennen wollte, hatte er so viel Anstand es nicht zu lesen.

„Weißt du, ob er es wirklich gelesen hat? Das kannst du nicht wissen. Ich finde es viel merkwürdiger, dass er ihre ganze Wohnung geputzt hat. In letzter Zeit begegnen uns lauter Männer, die PUTZEN, ist doch auch mal was.“ Ihm war so gar nicht nach Scherzen zumute, und doch machte er sie... Ryochi wollte nur Conan wieder zu Laune bringen, dafür setzte er sogar ein falsches Lächeln auf.

‚Ich habe Angst, dass man Shina vielleicht auch umgebracht hat... Aber das sage ich dir sicher nicht.’

Ryochi würde dem Jungen doch nicht seine Gedanken mitteilen, damit dieser selbst dann noch mehr der Panik verfiel, da ertrug er diese Gedanken lieber im Alleingang.

Conan hatte das Tagebuch in den Händen, er hätte alles, was diese Frau da rein geschrieben hatte, wissen können, aber er hatte Angst es zu öffnen, und nicht mehr davon loszukommen.

Gegebenenfalls hatte diese Frau ziemliche Probleme gehabt – ähnlich wie Akemi – wenn sie dann schon Tagebuch schrieb, dann hatte sie, da würde er seinen Hintern verwetten, alles in das Tagebuch geschrieben.

Das Schlimmste waren ihre Klamotten. Conan hatte natürlich alles genau unter die Lupe genommen und sie besaß so viele weiße Sachen. Wenn sie doch ein Organisationsmitglied war, wie Conan durch Ryochis Freund wusste, warum zum Teufel hing sie an der Farbe Weiß? Das war seiner Meinung nach ein Indiz dafür, dass Kimiko nichts für diese Organisation übrig gehabt hatte, schwarze Sachen hatte er nämlich nicht gefunden. Vielleicht hasste sie schwarz durch die Organisation?

Dieser komische Vogel von Sänger dieser Band allerdings... Er schien schwarz zu mögen.

‚Wir kriegen unter Garantie Ärger – wir haben seine Wohnung durchstöbert, es würde mich wundern, wenn er sich das einfach so bieten lässt – der hat so viel Kohle, dass er uns ganz schön als Leder kann! Wir sind ja auch selber schuld, was machen wir so was? Und dann musste er ihr Tagebuch mitnehmen! Wenn er nach Hause kommt, wird er merken, dass es fehlt! Und wenn da was Wichtiges drin steht, kriegt er am Ende noch Panik…’ Ryochi seufzte leise, er war zwar Detektiv, aber er hatte noch nie so oft am Tag die Regeln gebrochen – Sêiichî machte das natürlich ja wieder wenig aus, wie hatte er noch gesagt: „Er meidet Polizeikontakt, also keine Angst!“ Und was machte seinen besten Freund da so sicher? Der hatte ein Gemüt. Ein Grund mehr zu denken, dass er irgendwas verschwiegen hatte. Das Dumme war nur leider, dass sie sich ihr Wissen nicht aus den Fingern ziehen konnten. Jedenfalls legte er die Worte Kitas nicht auf die Goldwaage, denn er war ein Mann, der noch dazu total in die Sängerin verschossen gewesen war – und somit schloss er ihn als eifersüchtigen Menschen von vorne heraus aus.

„Du willst alles herausfinden, aber du weigerst dich, das Tagebuch zu lesen! Sie ist tot, es gibt nichts, was ihr noch schaden könnte, egal was da drin steht. Sie wird nie mehr herausfinden, dass jemand darin gelesen hat.“

„Wenn du Entschuldigungen suchst, vergiss es! Denn so etwas akzeptiere ich nicht.“

„Na ja, du bist zu subjektiv! Wenn du denken würdest, Ran wäre ermordet worden – würdest du nicht vielleicht auch die Antwort in ihrem Tagebuch suchen? Wäre ja möglich, dass sie ihren Mörder kannte, oder nicht? Frauen schreiben so ziemlich alles, was sie bewegt in ihr Tagebuch, auch Gefühle wie Angst! Ich würde es lesen, wenn ich ehrlich bin.“

Conan blickte zur Seite, vielleicht hatte Ryochi Recht, er hatte es noch nie erlebt, wie das war. Beim besten Willen wollte er auch nicht wissen, wie sich ein Liebender fühlte, der die Frau, die er liebte, an jemanden verlor. Er hatte schon zu viele Fälle gehabt, in denen das Schicksal jemandem einen gemeinen Streich gespielt hatte. Und im Grunde taten Menschen oft Dinge, die falsch waren, auch wenn sie die Menschen, die sie liebten, versuchten zu schützen.

„Du suchst nach dem Kern, hast aber die Schale noch nicht durchdrungen, vielleicht solltest du erst einmal das Ganze wesentlich betrachten, du bist doch sonst auch vernünftig, nur wenn es um die geht, wirst du hitzköpfig, das ist gefährlich!“ Er hatte so vieles noch nicht bedacht, was wichtig sein könnte. „Darüber hinaus – wir hatten bisher noch nicht einen Hinweis auf den Täter. Wir haben lediglich herausgefunden, dass es jemandem sehr am Herzen liegt, die Wahrheit zu erfahren. Ob sie ermordet wurde und weshalb, das ist uns gänzlich unbekannt. Wir tappen genauso im Dunklen wie vorher auch. Ich für meinen Teil traue der kleinen Miho nämlich keinen Mord zu. Und wenn sie wegen ihres Bruders Kimiko noch so sehr gehasst hat… Ich bezweifle, dass sie jemanden töten könnte. Und selbst wenn, dann wird sie nicht damit durchkommen, sie ist so ein junges Ding.“

„Miho war immer sehr nett, aber selbst die nettesten Menschen können zu Mördern werden, wenn sie ihre Liebenden zu schützen versuchen. Und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie sich über ihren Tod freut. Aber auch die kleine Ikezawa ist kein Engelchen! Sie sagte doch, sie ist stinksauer auf sie, dass sie hinter ihrem Rücken einfach so eine CD herausbringen wollte… sie hat es erst erfahren, als sie schon tot war. Ob das wirklich so ist, kann man nicht wissen… Und nun? Was gedenkst du jetzt zu tun? Wir haben zwei Frauen, die eine Mordswut im Bauch haben. Was sind deine Schlussfolgerungen?“ Dieses Gespräch war einfach von Nöten.

„Ich weiß es nicht, verdammt!“ Es war nicht so, dass er laut wurde, er sagte es relativ besonnen, Ryochi hatte Recht, sie wussten viel zu wenig, um irgendein Urteil zu fällen.

„Wenn sie jemand getötet hat, dann hat er es sehr gut gemacht“, der kleine Detektiv war nachdenklich, aber auch konnte er sich nicht vorstellen, dass es wirklich einen perfekten Mord gab, der von jemandem außerhalb der Organisation verübt wurde, bisher hatte er sie alle aufgeklärt…

Und wenn es ein Mord gewesen war, so war dieser mehr als nur perfekt verübt worden…
 

Die Tür wurde geöffnet und eine sehr angewiderte, sauer wirkende Rena Mizunashi trat aus dieser, hinter ihr war Tokorozawa, wegen ihm musste sie sich beherrschen, um nicht im Gang herumzubrüllen und jeden musste ihr Gesichtsausdruck verwundern – so ein böser Blick passte einfach nicht zu der sanften Frau.

„Sagt mal, Leute“, fragte der Mann und baute sich vor den beiden Männern auf, die rechts neben der Tür saßen, „wie ist er an diese CD eigentlich schon wieder rangekommen, wenn er das Bett hüten soll?“ Hiroya wollte ihm natürlich unterstellen, dass er aus dem Krankenhaus abgehauen war – in seinen Augen war er noch immer der Mörder von gestern. Fakt war, dass diese CD erst am heutigen Tag veröffentlicht worden war. Man dachte zwar immer, Hiroya interessierten solche Dinge nicht, aber er war für jede Menge Überraschungen gut... Und er wollte den Fall lieber gestern als heute aufklären.

„Was ist das für eine bescheuerte, überflüssige Frage?“ seufzte Tetsu, warum konnte dieser Typ denn nicht einfach die Segel streichen und musste noch so rumnerven? Er schien nie genug zu haben. Wenn es um sie alle ging, stichelte er eigentlich nur noch. Und dieses Verhalten ärgerte ihn dermaßen, dass er doch sehr pampig klang. Immer, wenn sie ihn trafen, endete es in Streit.

„Ach, ich traue ihm zu, dass er heute Morgen einfach abgehauen ist… Weil’s ihm ja so furchtbar schlecht…“ Der Sarkasmus war kaum zu überhören, so bissig, wie Hiroya es mal wieder von sich gab.

„Tetsu war’s“, erwiderte Ken, er schielte zu seinem Freund. „Er kann nicht NEIN sagen, wenn Haido was von ihm will. Er hat ihn ein bisschen angebettelt, also ist er heute Morgen los und hat sie besorgt, zufrieden... Tokorozawa?“

„Dann weiß ich, dass ich euch kein Wort glauben kann“, lachte der Polizist, worauf er von Naoya und seinem Kollegen Hachiro einen wirklich bösen Blick geschenkt bekam. Sie hatten sich ruhig verhalten, und was tat Hiroya, er bohrte regelrecht. Diese Aussage war so überflüssig.

Wobei Naoya bisher nur einer Person, die er hier gesehen hatte, einen Mord zutraute, die anderen waren nicht der Typ dafür, und sie hatten auch kein Motiv gehabt. Bisher sah es jedenfalls so aus, er als Profiler wusste aber, dass man grundsätzlich jedem so etwas zutrauen musste. Und dem Stand der Dinge nach, war der Patient nicht so fertig, weil er jemanden erledigt hatte. Und Hiroya musste es einfach wissen. Ignorierte er sein Wissen einfach, oder wie machte er das? Es war Naoya wirklich schleierhaft, wie man so gewissenlos sein konnte... Noch vor ein paar Minuten hatte er in den Wunden eines Menschen gebohrt und ihm gesagt, dass er seine Schwester geliebt hatte, er hatte es so deutlich gehört, da lag jawohl klar auf der Hand, weshalb derjenige so fertig war.

„Euer Kollege kommt wieder... Mal eine blöde Frage, aber hat er Streit mit seinem Freund, oder wieso war er nicht bei ihm?“ Naoya wollte einfach mal nachgehakt haben, anders als Hiroya nicht aus reiner Boshaftigkeit. Es fiel eben auf, dass er sich recht schnell wieder verdrückt hatte. Vielleicht mied er den Kontakt zur Polizei.

„Wer? Ya-chan?“ Ken sah Sakura kommen, aber auch so hätte er gewusst, dass nicht er selbst, sondern der beste Freund seines Bandkollegen gemeint war.

„Er hat Tetsu den Vortritt gelassen, ist doch nett von ihm gewesen, nicht?!“ Wieso musste man ihnen aus allem einen Strick drehen? Na ja, gut, man sollte nichts unversucht lassen, die Wahrheit herauszubekommen, aber es war fast ein ‚vielleicht hat der ja Kimiko umgebracht!’ und das gefiel dem Gitarristen gar nicht. Warum musste er nun auch diesen Gedanken hegen? Man sollte seinen Leuten nicht misstrauen, aber Sakura hasste Kimiko, er hasste sie so sehr, dass er sie, wenn sie nur im selben Raum waren, blöd anmachte.

Naoya erkannte an der Stimme des Musikers, dass er versuchte Zweifel auszuräumen, er hatte seine Absicht erkannt und reagierte darauf mit den einfachen Worten, um die Idee, die Naoya gehabt hatte, wieder zu zerstreuen. Doch so leicht war das bei weitem nicht... Der Drummer verhielt sich merkwürdig, da biss die Maus keinen Faden ab.

Hiroya erblickte ihn ebenfalls und freute sich schon tierisch ihn wieder zu sehen, der Kerl ließ sich von ihm leider nicht so sehr ärgern wie sein Freund, was er einfach genoss, es dennoch zu versuchen.

„Man, Tokorozawa, du bist ja immer noch da... Hast du nichts zu tun? Da draußen läuft ein Mörder rum. Solltest du dem nicht mal nachgehen? Und da suchen, wo es sinnvoll ist?“ Es war so ätzend, ihn auch noch hier sehen zu müssen. War er ihnen nicht bereits genug auf den Geist gegangen?

„Du weißt ja verdammt gut Bescheid, Sakurazawa, etwas zu gut, scheint mir.“

Selbst wenn es gesünder war, konnte der Jüngere nicht seine vorlaute Klappe halten, Ken konnte nicht glauben, was er wieder gesagt hatte. Etwas scheinheilig zu Hiroya zu sein, statt so ehrlich, konnte nicht schaden und er sagte frei heraus seine Meinung, für die man ihn wieder verdächtigen würde. „Was mich ja mal interessiert, du Mistkerl: Warum warst du dich nicht nach deiner Schwester erkundigen, wolltest du nicht wissen, ob es wirklich ein Unfall war? Und wieso interessiert dich ein anderer Mord plötzlich? Willst du bloß Haido was anhängen, oder ist das deine eigene, persönliche Logik?!“ Nun wurde Hiroya von ein paar Augen gefangen genommen und zwar von denen seines Gegenübers. Er konnte es nicht leiden, wenn man seinen Freunden ungerechtfertigt wehtat. Deswegen war ihm Kimiko und ihre ganze Sippschaft auch ein ziemliches Dorn im Auge. Diese Frau hatte nichts als Ärger bedeutet, er war froh, wenn sie weg war, auch wenn diese Art zu denken keinesfalls nett von ihm war. Und sein Freund würde mal wieder überhaupt nicht verstehen, wieso und weshalb er so dachte. Er war gutmütig, viel zu sehr sogar, er hatte sich ja immer eingemischt, wenn sie wieder aneinander geraten waren.

„Ich bin nur nicht blind... Stille Wasser sind bekanntlich ja tief, das trifft ganz gut auf ihn zu, findest du nicht auch, Sakurazawa? Du musst das ja besonders gut wissen.“ Das ganze Gestichel ging weiter, Hiroya wusste eben, dass die beiden die besten Freunde waren und einander sehr gut kannten. Er ging sogar so weit zu denken, dass Hideto ihm ALLES erzählen würde, auch wenn er einen Mord begangen hätte.

„Tut mir ja echt Leid, aber wenn er mir alles erzählen würde, dann wüsste ich ja, ob DU ihm vielleicht mal wieder wehgetan hast... Zuzutrauen wär’s dir, du hast es ja schon mal getan.“ Und das meistens aus purer Absicht. Dass er diesen Mann über alle Maßen hasste, musste man nicht erst erwähnen, man sah es an seinen Augen, die Hiroya herausfordernd anstarrten. Schon wenn er daran dachte – er war nicht dabei gewesen – aber man hatte es ihm natürlich erzählt. Kimikos Bruder war nicht nur einmal handgreiflich geworden. Er an seiner Stelle hätte ihm eine Klage an den Hals gehetzt und ihn bluten lassen, die Möglichkeiten hätte er jedenfalls.

Wahrscheinlich wollte Sakura ihn am liebsten möglichst brutal um die Ecke bringen, so wie er ihn gerade ansah, was der Polizist natürlich sofort bemerkte. „Ich finde heraus, wer das war, darauf kannst du dich verlassen! Und solltest du es gewesen sein, dann geht es dir schlecht, Scheusal.“

Auf die Drohung hin, grinste Hiroya nur, er fand es lustig, bedroht zu werden. Das machten nicht sehr viele Leute. Es war immer noch etwas Besonderes.

„Du glaubst, Hiroya würde ihn mit einem Gegenstand schlagen?“ Kimiko hatte zwar erzählt, er hätte ihn an den Haaren gezerrt, aber ihn wie Jami mit einem Gewehr zu verprügeln, das wäre selbst für Hiroyas Verhältnisse zu krass.

Renas Augen weiteten sich kurz ein wenig, sie musste sich beherrschen, sich nichts anmerken zu lassen, dass sie genau wusste, wovon die Rede war, sie holte tief Luft, sie sah aus als würde sie jeden Moment platzen, schweigen zu müssen, es war einfach schrecklich, am liebsten hätte sie hier herum gebrüllt, was wirklich geschehen war. ‚Das findest du besser nicht raus, sonst gibt es hier gleich die nächste Leiche’ dachte sie, am liebsten wollte sie, dass es aufhörte, aber ohne Jami umzubringen, war das im Moment nicht möglich.

Man hatte ihnen gesagt, die Verletzung ihres Freundes kam davon, dass irgendjemand ihm einen Gegenstand in den Magen gestoßen hatte, wodurch auch die Magenblutung gekommen war, die er gehabt hatte.

„Du nicht, Tetsu? Er ist hierher gekommen, um ihm was anzuhängen, einfach so, weil es ihm Spaß macht! Warum soll er ihn nicht auch schlagen, wenn es so viel Spaß macht, ihm wehzutun!? Aber warum? Nur weil er Sänger ist? So voller Vorurteile?“ Ein falsches Wort von diesem Polizist, und er würde SEINE Leute holen, die ihm das Leben zu Hölle machten! Gerade war mit ihm nicht gut Kirschen essen.

„Er akzeptiert mich nicht als Kriminalbeamter! Er respektiert mich nicht! Und fühlt sich falsch behandelt, weil er so verdammt eingebildet ist! Ihr bildet euch doch alle viel zu viel auf euer Talent ein, pah!“

„Wer sich zu viel einbildet, ist hier nur einer, und zwar du, Hiroya Tokorozawa! Du denkst, als Polizist kannst du dir alles erlauben, aber irgendwann kommen deine Gemeinheiten zu dir zurück, das kannst du ruhig glauben.“ Es war nur so eine kleine Anspielung, eigentlich war es eine Warnung, sich nicht so vorbei zu benehmen, in der Regel bekamen nicht die schlimmen Leute etwas ab, sondern die guten. Demnach würde Hiroya nichts passieren, aber Jami war so verhasst auf ihn, und umgekehrt, dass ihre Treffen irgendwann sicher eskalieren würden. Er sollte also besser nicht so abheben.

„Yasunori Sakurazawa, der letzte Kerl, der es wagte, mir zu drohen, wurde eingesperrt! Auch du hast deine dunklen Geheimnisse möchte ich wetten, pass auf, dass sie nicht ans Tageslicht kommen… Das würde weder dir, noch deinen Schnuckiputz Takarai gefallen! Ich glaube, er ist nicht scharf drauf, zu erleben, wie du im Knast landest und es mit eurer Karriere den Bach runter geht, lass dir das gesagt sein…“

„Nur keine Sorge, Tokorozawa, mir kannst du keine Angst einjagen!“ Sie gifteten sich weiter an, wenn sie nicht bald einer trennte, schlugen sie sich noch die Köpfe ein.

„Lachhafter ist noch, dass der Kleine denkt, meine Schwester wäre verliebt in ihn gewesen, der arme Irre, er ist nicht ihr Typ! So eine kleine Kröte! Vielleicht ist sie billig, aber so billig dann doch nicht, dass sie sich mit ’nem Kerl einlässt, der nicht mal an die 1,60m rankommt!“ Es waren bitterböse Worte, mit denen er Sakura bloß provozierte. Kens Augen waren so groß geworden. Wie konnte man nur so abgrundtief böse sein?

„Leute, die dir unterlegen sind, machst du gerne runter, habe ich nicht Recht? Kimiko würde dich dafür schlagen, hättest du das in ihrer Anwesenheit auch nur ansatzweise gewagt zu sagen, sie neigte dazu, allergisch zu reagieren, wenn man genau SO etwas über ihn sagte, merk dir das! Und jetzt mach endlich, dass du Land gewinnst, sonst rufe ich den Sicherheitsdienst, ich fühle mich langsam belästigt.“

Tetsu sollte ruhig sein, er war nicht in der Position Hiroya drohen zu können. Am Ende fand er bei ihm auch noch ein Haar in der Suppe, die fand er doch anscheinend bei jedem, oder wieso hatte er ausgerechnet Sakura gedroht, seine dunklen Geheimnisse aufzudecken?

„Lass ihn, er ist der Polizist! Mach dir keinen unnötigen Ärger, lass ihn reden“, flüsterte er ihm zu.

„Mhm, wenigstens einer mit Verstand“, ließ Hiroya noch hören mit einem gemeinen Lachen, bevor er sich verabschiedete aufs eine Art und Weise.

„Unser Job hier ist erledigt, lasst uns gehen, wir sind hier nicht erwünscht! Hey, Jungs, macht euch keine Sorgen, wir sehen uns sicher noch einmal.“ Ironischer Weise winkte Hiroya ihnen noch einmal zum Abschied. Alle, einschließlich Rena wirkten total verbissen, als sie die Augen schlossen und einfach nur einen wütenden Gesichtsausdruck hatten, ohne irgendwohin zu schauen, den Kopf aber gesenkt hatten. Als er dann außer Reichweite war, grüßte Sakuras Faust die Wand. „So ein widerlicher Kerl! Das nächste Mal drehe ich ihm den Hals um!“

„Ich dachte ja, dass er damit aufhören wird, wenn seine Schwester schon tot ist, so viel zu meiner Vorfreude... Man muss eben allem etwas Gutes abgewinnen können, ich weiß jetzt aber beim besten Willen nicht mehr, was es daran noch Gutes geben soll...“ Ken seufzte, sein Tag war anscheinend auch ziemlich versaut. Kein Wunder, sie hatten vorgestern Nacht noch munter eine Party genossen und waren mehr als nur etwas beschwippst gewesen. Zwar hatte es kürzlich auch auf dieser Party Ärger mit ein paar Leuten gegeben, die einfach bloß neidisch waren, doch trotz allem hatten sie es genossen. Und dann passierte früh am Morgen so ein blöder Unfall. Aber das dickste war dieser Anruf gewesen... Sakura dachte, er hörte nicht richtig, als Ken es ihm gesagt hatte. In dem Punkt konnte dieser Typ sich ja gleich mit Kimis Bruder zusammen tun, um ihren Freund zu erniedrigen. Etwas anderes war es nicht gewesen. Die Worte, die der Gleichaltrige zu dem noch total verpennten Hyde gesagt hatte, waren schlichte Schadenfreude.

~Manche Leute haben echt nur Pech... Du hast dir die Falsche ausgesucht, das hast du jetzt davon! Ich hingegen hatte wirkliches Glück, meine Freundin hat es schließlich nicht erwischt, es ist nur deine!~ Wenn den jemand ermordet hätte, statt Kita, das hätte keinen mehr gewundert, auf welchem Gleis der sich mittlerweile befand, der war doch nicht mehr normal im Kopf – das sagte selbst die Halbschwester des Kerls und die hing eigentlich an ihrem Bruder.

„Kleiner Träumer, Tokorozawa hasst ihn, ohne wirklich zu wissen, wer er ist. Mir kann keiner erzählen, dass er ihn KENNT, dann würde er sich nicht so aufführen.“ Sie kannten ihn mittlerweile seit gut 4 Jahren, da konnte Hiroya ja nicht mithalten, so oft begegneten sie sich nicht. Und dann meinte er immer alles besser zu wissen, was daran lag, dass er keinen von ihnen für voll hielt.

„Hiroya will ihn nicht kennen, er will ihn hassen“, meinte Rena auf Sakuras Worte hin, wenn sie etwas wusste, dann das. „Alle Musiker ausschließlich will er hassen. Er hat den Tod einer Freundin nicht verkraftet, die von einem Sänger aus einer Band vor Jahren ermordet wurde, das ist die Wahrheit.“ Die Betonung lag auf dem Wort Sänger, Rena betonte es nicht ohne Grund so, das musste sogar bei den Anwesenden die Alarmglocken klingeln lassen.

„Was für’n Glück, dass Haido unser Sänger ist, was?“ fragte Sakura. War ja klar, dass er auf Sänger einen besonderen Hass schob, für den war Hyde doch, als sei er diese Person, die seine Freundin umgebracht hatte.

„Sei nicht so zynisch, Ya-chan, das passt jetzt nicht.“ Ken konnte es im Moment gar nicht leiden, wenn er so sarkastisch wurde, dabei war er manchmal selbst so ein Mensch, der sich ironischer Weise lustig machte. Die Sache war aber alles andere als lustig, er konnte es sogar nachvollziehen, dass Hiroya Sänger hasste, selbst wenn es nicht richtig von ihm war, sie alle in einen Top zu werfen.

„… Aber er hat es sich nicht ausgesucht, ich habe ihn dazu überredet… Und wieso denkt er, dass alle Sänger gleich sind?“ Tetsuya tat es Leid darum, er hatte ihn ja solange bequatscht, bis er es gemacht hatte und dabei dachte sein Freund ja nicht einmal besonders gut darin zu sein. „Wie kann er so eklig sein? Ich bezweifle, dass Haido ihm was getan hat!“

„Der ist ja sogar eklig zu seiner Schwester! Vielleicht hatte da Haido mal die Faxen dicke und ist frech geworden, wer weiß?“ Ken schüttelte den Kopf, das würde ihm doch ähnlich sehen. „Könnte ich jedenfalls nachvollziehen, sie hat ihrem Bruder genauso wenig etwas getan.“

„Sie hat ihn geohrfeigt dafür, dass er ihm an die Haare gegangen ist! Laut Haido ist sie voll ausgetickt deswegen! Das ist eben Kimi-chan, wie sie leibt und lebt! Sie sah so zerbrechlich aus und konnte doch so sauer werden.“

Die Nachrichtenmoderatorin konnte die Worte kaum ertragen, sie war schuld an allem, sie hatte nicht gut genug auf sie aufgepasst, dass sie sehr zerbrechlich gewesen war, stimmte und Jami hatte es ausgenutzt, um sie noch mehr zu kontrollieren, wenn sie an diese Zeit zurückdachte, wurde sie traurig. Er hatte ihr ja nicht nur einmal angedroht, ihn ermorden zu lassen. Und von Katori wusste Rena, dass Kimiko eine Heidenangst um ihn gehabt hatte – mehr als um sich selbst, was wahrscheinlich ein Grund mehr dafür war, dass sie jetzt nicht mehr lebte. Sie war eben nicht so ein eiskaltes Biest wie Chris manchmal war und schauspielerische Fähigkeiten hatte sie überhaupt keine gehabt, so ziemlich alles konnte man ihr ansehen. Dass ihr Bruder sie verletzte – wenn sie Angst hatte – und sogar wen sie mochte.

Rena blickte auf ihre Uhr, leider musste sie nämlich jetzt schon gehen, sie hatte noch etwas anderes vor, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie keine Lust ihn zu treffen. Doch, was sein musste, musste eben sein, dann würde sie sich eben sein Gesülze geben, dass sie den Auftrag so erfolgreich durchgeführt hatte.

~FUCK! WARUM TUST DU MIR SO WAS AN?~

Die Stimme tönte aus dem Zimmer hinter ihnen und ließ sie kurz zucken, es war geradezu ein Fauchen und passend dazu hörte man einen dumpfen Schlag, er hatte wohl irgendwo gegen geschlagen. Sein Fluchen zeigte nur, wie wütend er gerade war – normalerweise verlor er ja nicht allzu schnell seine Beherrschung.

Die Moderatorin seufzte. „Versucht ihn etwas aufzubauen, Hiroya war, wie soll ich sagen, äußerst frech und vor allem, wie es seine Art ist, hundsgemein.“ Sie verbeugte sich noch einmal höflich vor der Gruppe und wandte ihnen dann den Rücken zu, mit einem Blick, den sie nicht sahen. Er drückte den Schmerz aus, den sie fühlte, wenn sie daran dachte, dass sie Jami deckte...

„Wundert mich nicht, er ist doch immer hundsgemein...“ Sakura schüttelte seinen Kopf, er war immer der Meinung gewesen, dass man jedem eine Chance geben sollte, aber diese Familie konnte er einfach nicht leiden und das, obwohl Kimiko vor ihm in das Leben ihres gemeinsamen Freundes getreten war.
 

Rena dachte an dieses Buch, das sie gelesen hatte. Dr. Jekyll & Mr.Hyde. Sie hatte es gelesen, um sich das Bild eines Mörders einzuprägen, weil sie schließlich einer Bande Verbrecher angehörte. Je mehr sie daran dachte, umso mehr war ihr klar, dass MR. HYDE ein Mörder war... Vielleicht trug das auch dazu bei, dass Hiroya ihn so verabscheute, weil er den Namen eines fiktiven Mörders trug. Künstlernamen waren im Grunde aber doch bloß Schein, doch Tokorozawa war ja auch voller Vorurteile, wieso also nicht auch das?

Sie setzte eine Sonnenbrille auf, die Sonne blendete sie draußen nämlich gleich sehr, es war wieder wärmer geworden, nachdem es gestern Nacht ein wenig geregnet hatte, vergebens wie ihr schien.
 

Direkt an der Ecke erfasste man ihren Arm und zog sie in eine kleine Gasse hinein, sie entdeckte die Person und ließ es mit sich machen. Sich wehren brachte in dem Fall gar nichts.

„Hey, meine Süße, das war ja wirklich eine äußerst gelungene Vorstellung... Du bist fast so gut darin, Leute zu täuschen, wie Vermouth. Ich dachte doch echt, du meinst das alles ernst, was du zu ihm gesagt hast. Deine Stimme, sie klang so mitleidig, so süß, wie du es ausgesprochen hast, einfach göttlich“, schwärmte der 28-jährige und zog sie etwas an sich, legte seinen Arm um sie.

Jami strich ihr über die Wange. „Du bist so eine süße Person, und du würdest mich niemals verraten, nicht wahr, liebste Kir? Ich werde dich beschützen, wann auch immer es sein muss.“

Man konnte meinen, Jami war betrunken, so wie er sie vollsülzte, aber irgendwie hatte sie damit gerechnet und dann drückte er sie noch so fest an sich, dass sie fast keine Luft bekam und war mit seinem Gesicht so nah an ihrer Wange – sie wollte ihm nur einen Stoß geben, damit er gegen die Wand flog, doch tat sie es nicht...

Wenn er nur wüsste, dass sie ihn genauso wie Kimiko hinterging, würde er sie dann wohl noch so vollsülzen? Sie wagte es immerhin auch einen anderen zu lieben, so wie sie.

Weil die Braunhaarige total betörend roch, war seine Nase so dicht bei ihrem Gesicht, er hätte auch gut versuchen können, sie zu küssen, doch sagte ihr Gesichtsausdruck: Lass mich, ich will nicht!

„Nein, werde ich nicht, Jami...“

„Da bin ich froh“, hauchte er ihr ins Ohr, weshalb die Braunhaarige ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.

„Was würdest du tun, wenn nicht? Mich wie alle anderen selbst umbringen, oder es jemand anderen tun lassen?“ Sie fragte es leise, geradezu verletzlich. „Oder würdest du mich sogar verschonen?“

„Du wirst es ohnehin nicht tun, daher muss ich diese dämliche Frage auch nicht beantworten, zum Glück.“ Um genau zu sein, wusste er es nicht wirklich, was dann passieren würde, er wollte es auch nicht erfahren, wie es sich anfühlte, wenn sie ihn hinterging. Seit der Sache mit Kimi hatte er die Schnauze voll von so etwas. Sie hatte ihn belogen und betrogen, mehr verarscht worden, war er noch nie in seinem Leben von einer Frau. Kir hatte zwar gesagt, sie tat es nicht aus purer Boshaftigkeit, und weil sie ihn so hasste, sondern liebte eben einfach schon einen anderen, der bei ihr klar den Vorrang hatte, aber vergessen konnte der Mann es nicht, weshalb er keinen Hauch von Trauer verspürte und nicht nachvollziehen konnte, wie man ihren Tod bitte bedauern konnte. Sie hatte mal versucht ihm ernsthaft wehzutun, die Frauen, die so etwas wagten, sie waren rar... So etwas Undankbares, wie dieses Miststück, es machte ihn immer total rasend, wenn eine Frau es ihm nicht dankte, wenn er ihr geholfen hatte. Das Mindeste wäre gewesen, dass sie ihn zumindest mal ranließ... Aber diese blöde Kuh hatte sich lieber mit einem abgegeben, der absolut nicht ihre Kragenweite war!

Bei Kir schob er seinen Misserfolg darauf, dass sie sehr schüchtern war und noch Zeit brauchte, sie war eben nicht so leicht zu haben, wie die meisten Frauen, die er sonst so nebenher zum Spaß hatte.

Wie er an ihr klebte, Rena war unwohl, sie wollte, dass jemand kam, um zu stören, aber irgendwie schien sie das Glück heute verlassen zu haben... Wenn sie sich nichts einfallen ließ, dann würde Jami ihr noch mehr auf die Pelle rücken, wo sie sich vor Angst kaum rühren konnte. Wie würde er auf eine Abfuhr denn reagieren? War sie dann vielleicht auch ein undankbares Miststück, das den Tod verdient hatte? Natürlich hatte sie Angst, Jami war manchmal unberechenbar…

Während Jami sie die ganze Zeit loben wollte, dachte sie daran, wie sehr sie ihn doch hereinlegte, aber Kir hatte den Auftrag nicht einfach so durchführen können. Dass er dachte, sie könnte das, nachdem sie diese Person gerettet hatte... Was kannte der Kerl sie doch schlecht. Er war total geblendet, eigentlich müsste sie sich ja darüber freuen, aber so von ihm bedrängt zu werden, war alles andere als besonders schön. Sie hatte einfach Angst, Yuichi doch einmal betrügen zu müssen, um ihre Haut zu retten.

Kir erinnerte sich an das Gesicht des Opfers, als sie ihm den Transmitter vor die Nase gehalten hatte, er hatte das Ding angeschaut, als würde es ihn anstarren und mit dem Blick verfolgen. So gesehen verfolgte es ihn ja auch, Jami verfolgte alles, was sich im Zimmer abspielte. Das war für ihn natürlich ein großer Vorteil, so konnte er so gut wie alles über ihn erfahren. Wer ihn besuchen kam... Ob er es wagte, den Mund aufzumachen, was er nachdem sie ihn ohne Worte eingeweiht hatte, aber wohl kaum tun würde... So konnte man es auch machen und es würde stets so laufen, wenn es sich um Stars handelte. Was passierte eigentlich, wenn sich ihre Freundin Vermouth als Verräterin entpuppte, durfte sie die dann auch linken, oder sogar töten?
 

Draußen vor dem Krankenhaus saßen noch immer Ryochi und Conan, wobei sie sich im Moment anschwiegen, bis der Ältere jemand Bekannten sichtete und sich erhob.

Conan schaute zu ihm hoch mit einem sehr fragenden Blick.

„Ich glaube, ich seh nicht richtig, was will er denn hier? Er wird doch nicht...“ Ein sehr missbilligendes Lachen kam vom 23-jährigen, der schnurstraks auf Hiroya zuging und sich ihm in den Weg stellte.

„Na, wieder am Ärger machen?“ Er war total unhöflich zu ihm, das hatte der Kerl verdient.

„Ärger machen? Meinst du wirklich mich? DU hast mich doch gerade angesprochen, um Ärger zu machen, Akaja, oder ist das falsch?“

Hachiro und Naoya sahen einander an, sie hatten nicht so ganz den Durchblick, was beide gegeneinander hatten.

„Das ist mein Fall, Tokorozawa, hast du das verstanden? Ich habe die Leiche gefunden und habe auch das Rätsel gelöst! Nicht du! Auch, wenn du das meinst, ist es nicht so.“

„Was für ein Rätsel meinst du?“ Hiroyas Augen funkelten gemeingefährlich – das wurde ein Duell, Conan ahnte es. Sie benahmen sich schlimmer als er selbst und Heiji vor einiger Zeit.

„Ich weiß, was du getan hast... Du warst im Krankenhaus irgendwelche Leute, die du nicht leiden kannst, ärgern... Also tu nicht so unschuldig, das bist du keineswegs!“

Und wie man spürte, was Ryochi von Hiroya hielt, er sah ihn an wie Abschaum und redete sehr provokativ mit ihm, was man auch sticheln nennen konnte.

„Dann irrst du dich, Akaja, kann ja mal vorkommen.“

„Denjenigen, den du verdächtigst, der war es aber nicht, dafür gibt es Beweise.“

Nun hatte Hiroya einen unerfreuten, fast schon wütenden Blick im Gesicht. „Beweise?“

„Ja, Beweise dafür, dass es ein anderer war.“

„Nun hör mir mal zu, du Polizeipräsidenten-Söhnchen!“ Hiroya schnappte Ryochi am Kragen, weshalb dieser seine Hände von sich löste, nicht umsonst war er sehr gut in Judo, er könnte Hiroya einfach so zu Boden strecken...

„Du hast keine Ahnung, wie dieser Mörder tickt! Du weißt im Grunde gar nichts, wie also willst du dahintergekommen sein?“

„Man muss seine Verdächtigen nicht kennen, um sie zu durchschauen, Hiroya, noch nie davon gehört, dass es so etwas wie Beobachtungsgabe gibt? Ich habe mir jedes Detail am Tatort angesehen, anders als du, wer ist jetzt also klar im Vorteil, mhm?“

Naoya stellte sich zwischen beide und schob sie etwas auseinander, bevor sie sich hier prügelten. „Ich denke, es wäre fair, Akaja die Chance zu geben, uns die Sache zu erklären.“

Endlich mal jemand, der vernünftig war. Ryochi freute das ungemein. „Ganz einfach, der Mord fand in Haido-Chô am S-Bahnhof in der Herrentoilette statt. Das Opfer wurde dort vergiftet. Wie es nun einmal üblich ist, kehrte der Täter an den Tatort zurück – was ihn aber zutiefst schockiert hat, war die Tatsache, dass die Leiche weg war, das hat man sofort bemerkt. Außerdem wollte er seine Cousine von dort fernhalten, nur damit sie die Leiche nicht zu Gesicht bekommt. In der Zwischenzeit hatte ein weibliches Wesen mit hellblonden Haaren das Opfer nach draußen verschleppt – ich habe nämlich ein paar Haare von ihr gefunden. So was Schlampiges aber auch... Sie haben sich nicht abgesprochen, das war der schwache Punkt dieses Mordes. Geplant haben ihn beide, er hat ihn ausgeführt und sie hat ihm den Arsch gerettet, so gesehen.“

Sie – blond, bei Hiroya klingelten heftig die Alarmglocken. Er würde sich erkundigen, ob das alles den Tatsachen entsprach. Das hieß aber, dass wieder eine Prominente die Finger im Spiel hatte. Wie erfreut er über diese neuen Ergebnisse war, ließ er nicht durchdringen.

„Und noch was! Misch dich nicht in diesen Fall ein, wo du deine Schwester hast draufgehen lassen! Wenn ich nämlich will, Freundchen, wirst du so schnell nicht mehr an irgendwelche Sternchen rankommen, weil dein Vorgesetzter es dir verbieten wird, also sei lieber so vernünftig und kümmere dich um deine Angelegenheiten. Es gibt sicherlich noch viel zu tun im Präsidium – von Fällen, die mit Musikern zu tun haben, abgesehen. Das ist sowieso nichts für dich, du hast dich viel zu wenig im Griff... Dafür, dass du Detektiv bist, achtest du viel zu sehr auf den äußeren Schein. Die Lösung liegt aber meist ganz woanders. Aber jemand, der nur glaubt, was er glauben will, ist ohnehin für eine solche Arbeit ungeeignet.“

Ryochis Tadel löste ein ungutes Gefühl in Hiroya aus, er wollte es nicht hören, kam gar nicht damit klar, dass ihm plötzlich jemand so die Meinung geigte.

„Du kennst doch meine kleine Schwester, nicht wahr, Akaja? Dein bester Freund war mit ihr zusammen, sie hat euch oft genug besucht, dass du sie gut kennst. Also sag mir, würde sie etwas von einem Typen wollen, der erstens absolut scheiße aussieht, und zweitens gut 10 Zentimeter kleiner ist. Doch wohl kaum... Oder willst du mir sagen, ich kenne meine eigene Schwester nicht?“

„Und was hat das mit dem Fall zu tun?“ Ryochi ließ sich nicht darauf ein, diese Frage beantwortete er bestimmt nicht.

„Ganz einfach, er hat Komplexe und sie hat das Ganze nur noch verschlimmert. Du hättest ihn mal sehen sollen, als ich ihm sagte, er liebt sie. Er war sehr schockiert davon, dass ich dahintergekommen bin. Und dieser Kita, der ermordet wurde, hatte etwas mit meiner Schwester. Na ja, der war auch eher ihre Kragenweite.“

„Tut mir unendlich Leid, Tokorozawa, aber wenn du das schon als Grund ansiehst, jemandem einen Mord anzuhängen, dann sollte man dich suspendieren.“ Hiroya dachte vielleicht, er wusste alles, aber dem war garantiert nicht so, dafür hätte Ryochi seine Hand ins Feuer gelegt.

Conan beobachtete die beiden noch immer, sie schenkten sich ja wirklich nichts anderes als Spott. Aber wieso zum Teufel nahm er jetzt diesen Mann in Schutz? Diese Logik verstand er nicht. Conan hatte immerhin den bösen Verdacht, dass es sich dabei um ein Organisationsmitglied handelte. Das verstärkte Conans Annahme, dass Ryochi selbst mit dieser Bande zu tun hatte – und das nicht durch seinen Beruf...

Mit Ryochi zu reden, war Zeitverschwendung, aufgrund dessen ließ Hiroya ihn stehen, ging an ihm vorbei und würdigte ihn keines Blickes mehr.

„Pah“, meinte Ryochi nur, „komm, Conan-kun, der wird sein blaues Wunder erleben – er meint, er kann sich alles erlauben, aber ohne mich, dem mache ich so richtig Ärger.“

„Was hat der denn für eine Laune? Ich kann mich nicht erinnern, dass er immer so grausam war...“

„Er hat sich nicht so gehen zu lassen, ich werde gegen ihn vorgehen, darauf kannst du dich verlassen, zumal er gar keine Beweise dafür haben kann, immerhin haben wir die Beweise.“

Conan betrachtete sich das Krankenhaus, es war von außen vielleicht ganz nett, aber scharf darauf, reinzugehen war er eigentlich nicht. Zu viele unangenehme Erinnerungen.

„Und was machen wir jetzt? Du willst ihm einen Besuch abstatten, nicht wahr? Was schlägst du vor, wie kriegen wir ihn am besten klein?“ Er selbst war der Ansicht, dass man ihn so richtig erschrecken sollte, nachdem er sich so anonym gab.

„Nett zu ihm sein, anders als Hiroya... Vielleicht kriegen wir so etwas raus. Ich bin der Ansicht, dass Hiroya einfach falsch an die Sache rangeht. Die Leute plaudern nicht mit unfreundlichen Leuten, wieso sollten sie auch? Selbst, wenn derjenige Probleme hätte... Wärst du bereit, ihm alles zu sagen, wenn er von oben auf dich herabschaut?“

Conan schloss die Augen – vielleicht hatte Ryochi Recht. Er selbst war auch so manches Mal verdammt arrogant, das bekamen die Leute zu spüren, doch hatte er noch jeden Fall gelöst, auch ohne die Nettigkeit in Person zu sein. In diesem Fall war es aber vielleicht einfach der falsche Weg, an die Sache ranzugehen. Gerade als sie den Eingang passierten, sah Ryochi Ran den Gang entlang laufen und zwar mit Sonoko.

„Warte“, mit dem Wort hielt Ryochi den Arm des Jungen fest und hinderte Ran daran, ihn zu sichtigen.

„Was... Was machen die beiden hier...? Ich habe ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache... Die kommen doch nicht einfach so in dieses Krankenhaus...“

„Das finden wir gleich heraus, aber lass ihr einen Vorsprung. Ich denke, ich weiß, was sie vorhaben.“

Um Himmels Willen, Ryochi also auch...
 

Es war mehr Zufall, dass beide gerade beobachtet wurden und auch großes Glück für Kir, dass es sich um eine Person handelte, die es gar nicht gerne sah, wenn Jami ihr so auf die Pelle rückte. Er sah sprichwörtlich rot und wollte den Typen mal etwas ärgern, damit er Rena ganz schnell wieder los ließ...

„Na, Jami, kriegst du keine mehr ab, dass du jetzt schon Frauen zwingen musst sich mit dir abzugeben?“ kam aus dem Hinterhalt, was Jami zusammenzucken ließ, da er den Mann, der dies gesagt hatte, nicht sehen konnte.

Kirs Gesicht verfinsterte sich unterdessen, sie befürchtete, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn der Mann mit den etwas längeren Haaren sie nicht augenblicklich in Ruhe ließ.

„Er... Er hat mich nicht gezwungen“, stammelte die Braunhaarige mit zitternder Stimme, sie wollte Eskapaden, wenn es möglich war, vermeiden. Und dass die beiden aufeinander losgingen, das musste jawohl wirklich nicht sein, immerhin würde Jami nicht wie es Leute wie Chardonnay gerne taten, wirkliche Gewalt anwenden...

Kir versuchte ihn vor Carpano zu beschützen, dabei war das total unnötig, wie Jami fand, er war eben ein total abgehobener Killer, der sich viel auf seine Künste einbildete. Aber Carpano war mit Vorsicht zu genießen, das war ihm bewusst, so blind war er dann doch nicht.

„Klar, er hat dich nicht gezwungen, sondern du lässt dich von ihm zwingen, weil du weißt, wie groß seine Macht ist“, legte Carpano ein und hielt Jami seine Waffe unter die Nase. „Du lässt sie auf der Stelle los, hast du das verstanden?! Sie will es nicht, lässt es sich nur gefallen, weil du einer von oben bist. Oder ist dir das zu hoch, es zu verstehen?!“

Die Stimme des Grünäugigen war laut, fast schon ein wenig unbeherrscht, als er so mit einem der Ranghöchsten sprach.

Dieser betrachtete Carpano totel unbeeindruckt, doch war er auf der Hut vor ihm. „Sag’, mir meine kleine Kir-chan, stimmt das? Hast du wirklich Angst vor mir? Das glaube ich nicht. Ich würde dir doch niemals ein Haar krümmen.“

Dieses Niemals sollte Jami besser nicht so betonen, das kam ja einem Verrat gleich.

„Ach, würdest du das nicht?!“

Die Stimme ließ Jami kurz zusammenfahren, er wandte den Blick um, auf die andere Seite, wo nun eine elegant gekleidete, rotblondhaarige Frau stand, die sehr groß war, dafür, dass sie eine Frau war. Ihre Stimme hatte nicht nur Jami aufgewühlt, sondern auch Kir, die eine solche Frage von dieser Frau gar nicht erst hören wollte und dann war da noch Syrah an Valpolicellas Seite – so, wie sie grinste, wusste sie sehr genau darüber Bescheid, was den blanken Angstschweiß in Renas Gesicht ausbrechen ließ. Sie wusste es? Aber woher? Vermouth hatte wohl kaum ihrer Adoptivtochter einfach so alles gesagt... Etwas steckte dahinter...

„Ich glaube dir, Jami, du würdest mir kein Haar krümmen, solange ich nicht unter die Verräter gehe, ist es nicht so?“ Der Hals der Moderatorin war so trocken wie die Sahara, als sie das mehr zu Valpolicella meinte, als zu Jami, was Syrahs Grinsen ins Unermessliche trieb. Ja, spätestens jetzt wusste Kir, dass sie nicht irrte.

Jetzt hatte das gute Herz seiner Freundin wohl endgültig gesiegt, oder wie hatte er es zu verstehen, dass sie Valpolicella ansah, während sie mit Jami sprach, geradezu als wolle sie Valpolicella ein wenig zur Vernunft bringen, dabei sollte sie das besser nicht tun. Wenn diese Frau Jami nicht glaubte, würde sie Kir noch weniger glauben...

Aber Kir versuchte es, sie riskierte viel zu viel für einen Mann, wie Jami. Was lag ihr denn bitte an ihm, dass sie Valpolicella bequatschte, weil sie befürchtete, gleich würde diese Frau total abdrehen und mal eben Jami um die Ecke bringen? Was ging schließlich an dem Typen verloren? Schlug sich seine eigene Freundin gerade auf Cognacs Seite, der immer noch das Gute in Jami sah? Jedenfalls war er anderer Meinung, als Kir, das sah man auch an seinem Gesichtsausdruck.

„Ach, ihr beiden seid ein Pärchen? Na dann, herzlichen Glückwunsch, Jami... Da nimmst du dir eine von relativ weit unten... Ich dachte nicht, dass du so tief sinken würdest!“ Valpolicella lachte laut auf, während sie einfach an Jami vorbei ging, um auf Carpano zuzuschreiten, und diesen in die Arme zu schließen, so als kleine Demonstration. „Ich für meinen Teil nehme nur das Beste vom Besten, so wie Carpano...“ Sie tat es wirklich, sie hängte sich förmlich an den Mann.

Kir war übel, sie wollte nicht wirklich hinsehen. Und da Jami wusste, dass Carpano auf Kir stand, nahm er deren Gesicht – sie dachte schon, dass sie gleich sterben müsste, nicht nur, dass sie sich alle gegenseitig täuschten, sie sah auch an Jamis Gesicht, dass es sein vollster Ernst war. Er wollte sie und das nicht einfach nur ein bisschen, nein, ganz. Und dann kam er ihr näher. Ihr Gesicht wurde rot, nicht, weil ihr heiß durch ihn wurde, vielmehr, weil sie sich schämte, dass ein Mann, der höchstens Mitleid in ihr auslöste, sie versuchte zu küssen und sie wusste, sie musste es geschehen lassen. Dann würde diese Ranghöchste endlich aufhören zu glauben, zwischen ihr und Capano würde sich irgendetwas abspielen.

„Wisst ihr, ihr zwei, wir sind schon viel weiter, erst gestern Nacht haben wir uns bei mir vergnügt. Kir ist verklemmt, so weit kommst du sicher nicht, Jami... Wollen wir wetten?!“

In letzter Zeit ließ Jamis Beliebtheitsgrad ja um ein Vielfaches nach. Diese kleine Sängerin hatte ihn ja auch nicht gelassen, sondern irgendsoeinen Kerl, der sich nicht mal traute, irgendwem zu sagen, wer er war. Das wollte sie ihm gerne auch mal unter die Nase reiben, dass er nämlich sehr viel schlechter war, als Carpano und die Frauen diesen bevorzugen würden.

Renas Gedanken fuhren Achterbahn, natürlich musste dieses Miststück es laut sagen, damit sie selbst es auch ja mitbekam. Jami hielt inne, er sah diesen verletzten Ausdruck in Kirs Gesicht und strich ihr über die Wange. „Nun schau nicht so“, flüsterte er nur, damit Valpolicella es nicht hörte, „vergiss den Typen, du siehst doch, da haben sich zwei gefunden. Und ob du es glaubst oder nicht, an meiner Seite bist du besser dran. Wenn er dich wollte, würdest du in Gefahr schweben, du kennst doch Valpolicella, sie würde dich töten... Also vergiss ihn!“

Vergiss ihn, vergiss ihn, er wiederholte sich, alles drehte sich – sie hatte Kopfschmerzen. Besser aufgehoben war sie bei Jami, das war doch wohl ein Scherz... Bei ihm, der zugelassen hatte, dass eine 22-jährige einfach so ermordet wurde, sollte sie besser aufgehoben sein... Wenn sie ihn schon küssen musste, er kam ihr nämlich noch immer näher und schloss die Augen, während aus ihren Tränen traten, dann wollte sie die Lippen fest aufeinander pressen... Und das tat sie im Endeffekt auch, als Jami seine Lippen sanft auf ihre legte. Kaum zu glauben, aber dieser Kerl, der ein kleines Kind ohne mit der Wimper zu zucken töten konnte, küsste wahnsinnig sanft, das traute man ihm nicht zu, wenn man ihn so erlebt hatte... Unangenehm war nur, dass Carpano es wohl sehen konnte und sie das schlechte Gewissen fast erdrückte, sie wollte keinen Gefallen daran finden und tief in sich tat sie das auch nicht. Sie dachte nur an einen, der jedoch nicht Jami hieß...

Es kostete sie schon sehr starke Nerven, den Mund nicht zu verziehen, Rena wollte nicht von einem Mann geküsst werden, der so viele andere Frauen küsste und noch mehr. Sie ekelte sich vor ihm, er war dafür bekannt, dass er es darauf abgesehen hatte, Kinder zu zeugen, alleine dieser Gedanke holte den Ekel in ihr hervor, mit so vielen Frauen hatte er schließlich geschlafen.

Diesen Kuss erwidern, das konnte sie nicht, nicht einmal, wenn sie nicht beobachtet worden wären. Ihr Inneres ließ das gar nicht erst zu, das Herz der jungen Frau machte bei anderen Männern einfach dicht.

Yuichi konnte direkt zu Jami sehen, Rena stand nämlich mit dem Rücken zu ihm. Das gefiel dem Mistkerl, dass er sie jetzt einfach so vor seinen Augen küssen konnte. Der 26-jährige Schwarzhaarige wollte nicht hinsehen, es tat zu weh, es mitanzuschauen, dass ausgerechnet der Kerl zu so etwas fähig war. Aber auch hatte er gleich bemerkt, dass Jami wahrscheinlich wusste, dass sie zusammen waren. Sollte er ihm noch dankbar sein, wenn er das vor Valpolicella tat? Die kam sich doch jetzt auch wieder wie die allertollste Frau vor...

Ihm war schlecht – bah – also nein, er wollte wirklich nicht zusehen, sondern kniff die Augen zu. Dazwischen zu gehen, wäre sehr unklug. Wenn Valpolicella sie nicht mit ihrem Besuch beehrt hätte, hätte er Jami und Kir gewaltsam getrennt...

Also spielten beide ihr Spiel, er tat, als würde ihm Valpolicella gefallen und Kir spielte Jami vor, dass ihr der Kuss gefiel.

Trotzdem beschlich ihn die Angst, sie könnte ihn betrügen. Wer wusste schließlich, was Jami noch alles dafür tun würde, um sie doch noch rumzukriegen? Sie erpressen vielleicht? Ihm traute er alles zu, immerhin war der Frauenarzt total fanatisch hinter Kir her.

Kir hätte heulen können, als er damit anfing, seine Lippen fester auf ihre zu drücken und sie wirklich sehr bedrängte. Er war darauf aus, sie richtig zu küssen. Und Yuichi schaute zu – sie wollte es nicht...

Und dann passierte auch noch etwas, womit absolut keiner rechnete...

Hinter Valpolicella und Yuichi tauchte eine weitere Frau auf, die schockiert das Szenario beobachtete. Diese Ranghöchste war gerade dabei, Yuichi zu küssen und er wehrte sich nicht... Und dann waren da Kir und Jami, es war definitiv nicht ihr Tag. Irgendwie machte es sie wütend, was hier gespielt wurde, deswegen kam der Satz auch total bissig von ihr. „Was zum Teufel tust du da, Jami?!“ Es klang wie Fluchen, sie war so wütend, am liebsten wäre sie hin und hätte diesem Typen den Kopf abgerissen, dafür dass er Kir zwang. Und Valpolicella am liebsten gleich mit, weil sie es für sich ausnutzte. Die Blondine wusste ganz genau, wie sehr ihr Exfreund Kir liebte, und dann wagte sie es nicht, Jami von sich zu stoßen, weil Valpolicella das als weiteren Anhaltspunkt angesehen hätte, dass sie etwas von Carpano wollte...

„Du bist so widerlich! Kaum dreht man dir den Rücken zu, machst du so etwas! Ich bin wirklich enttäuscht von dir und zwar maßlos!“

Cinzanos Auftauchen passte Valpolicella gar nicht in den Kram. Noch während sie mit Carpano beschäftigt war, zog sie ihre Waffe und richtete sie auf die Blondine. Um der Jüngeren zu drohen, musste sie sich von dem Mann etwas lösen, was sie noch wütender werden ließ. Niemand störte sie dabei – schon gar nicht ungestraft. Die Kleine konnte von Glück reden, wenn nicht gleich ein Schuss fiel, der sie tödlich traf...

„Mach, dass du verschwindest! Das ist ein Befehl! Ansonsten bereust du es!“

Yuichi bekam endlich wieder Luft, er hatte diese ein wenig angehalten – alleine ihr Parfüm zu riechen, fand der Mann nicht besonders antörnend, da sie darin wieder dermaßen gebadet hatte, dass es so penetrant roch, dass er es aufmehrere Meter Entfernung noch hätte riechen können. Als dann Cinzano auftauchte und seltsame Sachen tat – obwohl sie, wenn man sie kannte, nicht so seltsam waren – dachte er, nicht richtig zu hören. Kaum zu glauben, dass seine Exfreundin so etwas tat...

„Lass das, Valpolicella! Sie ist meine Partnerin, ich brauche sie noch.“ Das Erste, was ihm einfiel, war genau dieser Satz. Es war eben die Wahrheit und irgendwie musste man die Rotblone schließlich stoppen, so wütend wie sie ihm schon wieder vorkam.

Direkt nach Carpanos Worten riss sich Kir von Jami los. „Du hast etwas mit Cinzano? Und dann willst du...? Vergiss es!“ Sie zickte nun herum, aus purer Absicht – jede Gelegenheit, die sich ihr bot, um sich von ihm zu lösen, hätte sie sofort ergriffen, auch jetzt die gekränkte Frau spielen. Rena hatte blitzschnell Jami den Rücken zugedreht, damit er ihr nicht ins verletzte Gesicht sehen konnte. Sie dachte daran zurück, was Carpano und Valpolicella gehabt hatten, ihr wurde ganz übel, weil diese Frau nun schon wieder an ihrem Freund klebte, geradezu wie eine Klette. Aber sie würde niemals wagen, sich herumzudrehen und ihr zu zeigen, wie sehr es sie traf, dass sie davon wusste. Das gönnte sie der Älteren nicht. Jami legte seine Hand auf Kirs Schulter, er wollte sie nicht gehen lassen und sie gleich wieder etwas beruhigen. „Ich habe nichts mit Cinzano, Rena...“ sagte er vorsichtig, doch nahm sie gleich die Schulter nach vorne und entzog sich ihm.

„Wieso sollte ich einem Mann, wie dir, Glauben schenken...? Du hast einen gewissen Ruf! Das mit uns... Nein... Darauf lasse ich mich nicht ein!“ Mit diesen Worten ging sie mit dem Rücken zu allen gewandt in Richtung der nächst gelegenen Straße, ohne sich umzudrehen und ihrem Freund einen Blick zu schenken.

Dieser hatte nur kurz den Kopf gesenkt, entfernte sich sehr weit von Valpolicella, drehte dieser den Rücken zu, nahm Cinzano am Handgelenk und zog sie mit sich, ebenfalls ohne Rena anzusehen. Sie gingen nun in zwei verschiedene Richtungen und er hatte das böse Gefühl, dass sie sich nicht nur zum Schein so weit voneinander entfernten...

Under my mask...

*grummel* ich hab nun über ne Stunde nach einer Stelle gesucht, um das lange Ding zu trennen... aber es gibt einfach keine Stelle zum Trennen... man wird mit dem langen Teil nun leben müssen >.>' Wer lange Teile nicht mag, sollte eh nichts von mir lesen, ich kann mich doch NIE kurz halten XD~

Mhm... ich warte auf Morddrohungen >.> wo bleiben sie? Ich bin entäuscht XD
 

Man möge mir den FF-Titel verzeihen *lol* Mir fiel nix besseres dazu ein...
 


 


 

Wenn das Leben plötzlich trist geworden ist. Wenn draußen die Kirschblüten blühen. Wenn das Lachen der Kinder zu hören ist...

Und doch alles zwecklos zu sein scheint. Vergangene Trauer, vergangenes Leid, all das hatten sie hinter sich gebracht – dachte man.

Aber man sollte sich ja nie zu früh freuen. Nun lag er hier in dem weißen Bett und machte nicht den Anschein, als wolle er noch einmal für sie die Augen öffnen. Leider war es ihr nicht gegönnt gewesen, in seine Augen zu sehen, als er für einen kurzen Moment Leben gezeigt hatte...

Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, seit der Sender aktiviert worden war. Die blonde 29-jährige Frau hatte an alles gedacht, aber nicht daran, dass ihm etwas passiert sein könnte, viel mehr hatte sie sich Sorgen um Carpano gemacht, denn eigentlich handelte es sich ja um seinen Sender. Die Augenblicke des Schocks, den sie erlitten hatte, als sie ihn da so halbtot am Boden hatte liegen sehen – sie würde sie nie mehr loswerden.

Es war so unvorhersehbar gekommen – wie eine schwarze Hand, die einen packte und zerquetschte, so hatte sie sich gefühlt. Als wenn man ihr Herz zerquetschte. Da war ihr auch blitzartig klar geworden, dass es mehr als schlichte Sympathie war, die sie mit diesem Mann verband. Es war mehr eine herzliche Wärme, die sie umgab, wenn er in ihrer Nähe war, und doch wusste er von nichts...

Er hatte sich entschlossen, einfach die Augen zu schließen, nachdem Sêiichî ihn besucht hatte. Die beiden Männer hatten sogar miteinander gesprochen, sie wusste jedoch nicht was. Während sein Neffe bei ihm war, hatte sie nicht stören wollen, er war immerhin ein Familienangehöriger und hatte mehr noch als sie selbst das Recht ihn alleine zu sehen.

Ob er wohl wusste, was mit Josephine war? Ob man es ihm gesagt hatte? Wenn ja, dann nur um ihn zu erniedrigen und ihm seine Schwäche zu zeigen, wie machtlos er ihnen gegenüber stand...

Die Geräusche zur Rechten, sie würde bestimmt davon träumen, dieses Piepen, es setzte sich im Ohr und auch im Gehirn fest. Ihre Hand wanderte über die weiße Decke auf seine zu, und sie hielt sie fest. Gerade war sonst niemand hier, der dies tun könnte, also war sie für ihn da, ganz selbstverständlich.
 

Es war kurz nach halb drei Mittags, als der junge Mann förmlich in die Detektei stürmte. Er hatte – wie es nun wirklich nicht oft vorkam, schlechte Laune und knallte seine Unterlagen auf den Büroschreibtisch. Sein Kollege war gerade am Telefon und fühlte sich doch kurz gestört, als die Tür knallte. Wenn er so in Rage war, war man besser vorsichtig, aber bei seinem Fall war wohl etwas schief gelaufen, er verstand ihn. „Ruf dich später zurück, bye“, meinte der Dunkelhaarige und verschränkte die Arme, bevor er den wütenden Detektiven musterte.

„Immer das Gleiche, irgendwann flippe ich noch aus!“

„Du weißt doch, dass das nichts bringt, wenn du dich aufregst…“ wurde er besänftigt, beziehungsweise versuchte man es, das war nicht gerade leicht, da der 29-jährige dazu neigte sich allzu schnell aufzuregen.

„Null Kooperation, stattdessen werde ich blöd von der Seite angemacht, als sei ich ein Unmensch, die sollen froh sein, wenn ich mit ihnen rede!“ Offensichtlich war der Schwarzhaarige sehr abgehoben, den Eindruck konnte man jedenfalls gewinnen.

„Lass mich raten, du bist da rein und hast erst mal alle angemault, ich an deren Stelle wäre da auch nicht kooperativ.“ Nicht dass er ein Klugscheißer war, aber er war – wenn es ihm etwas brachte, der menschenfreundlichste Kerl, den man treffen konnte.

„Nein, ich wurde begrüßt mit ~du schon wieder~, da geh ich auf die Barrikaden! Noch dazu liegt Mitsuki noch im Krankenhaus – ich könnte ausrasten.“

„Bist du sicher schon“, hörte man zwei Frauenstimmen hinter ihnen, so dass sich das Augenmerk der beiden Männer auf ebendiese Frauen richtete.

„Bist du geflogen?“ fragte der Mann am Schreibtisch und erhob sich von diesem. Er war hier zu deren Unterstützung, auch wenn sie ihn wohl nicht für voll nahmen, da er es nicht wagte, auf Menschen zu schießen. Solche Sachen überließ man Hiroya, bzw. seiner Verbindung zum FBI, Shuichi Akai. Sie waren in Sachen flinker Umgang mit Waffen beide nicht zu übertreffen, fand Kazuo.

„Ne, ich habe mich her gebeamt, Kazu.“

Ein Seufzen war zu hören, da die beiden sich anscheinend wieder gegenseitig veralberten.

„Und was ist mit Jami…? Bist du diesbezüglich auch kein Stück weitergekommen?“ fragte die rotbraunhaarige, junge Frau, woraufhin man in Hiroyas Gesicht Enttäuschung entdecken konnte.

„Leider nicht… Wundert dich das? Der Kerl ist einem doch ständig einen Schritt voraus, und noch dazu hält er sich für unbesiegbar, wobei ich sagen muss, der letzte Schusswechsel endete mit einem Kratzer am Arm…“

Die blonde Frau neben der 23-jährigen, schlug die Augen nieder. „Er ist also wieder auf deine Familie losgegangen, ohne dass du etwas dagegen tun konntest, oder? Ich hoffe, dir ist klar, dass du diesbezüglich nicht alleine bist…“ Sie schritt auf den Älteren zu und versuchte ihn aufmunternd anzusehen.

„Ich brauche weder Trost, noch Mitleid, alles, was ich benötige, ist ERFOLG!“ Wie oft er schon versagt hatte, würde er niemals zugeben. Jami versuchte doch alles, dass es ihm dreckig ging – aber als er auf seine Exfreundin losging und diese ermordet hatte, war er zu weit gegangen – nun herrschte hier Krieg und jeder, der in Mitleidenschaft gezogen wurde, war mit einem von beiden in Kontakt.

Seine Schwester war früher Jamis Freundin gewesen, aber er hatte sie – blutrünstig wie er sein konnte – ohne mit der Wimper zu zucken einfach so erschossen, es ging nicht in Hiroyas Kopf. So weit ging sein Hass nun schon, da konnte er sich ja warm anziehen. Es war nicht so, dass er die Gefahr unterschätzte, er wusste, zu was Jami fähig war, wenn er eine Waffe in die Hände bekam.

„Ach, jeder ist mal schwach“, meinte Kazuo zu Hiroya, woraufhin ihn ein erbarmungsloser und entsetzter Blick des Detektivs traf. Er hatte mal wieder ins Schwarze getroffen.

„Sagt mir der Mann, der es nicht fertig bringt, auf einen Mörder zu schießen, selbst wenn sein Leben davon abhängen sollte.“

„Aber er hat Recht, selbst unser Feind Jami hat seine Schwächen – in seinem Fall die Frauen. Vielleicht sollte ich mich mal mit dem Treffen, der hat doch eh von Tüten und Blasen keine Ahnung – er würde nicht mal merken, wenn ich ihn aushorche.“

Die Rotbraunhaarige hatte ein raffiniertes, aber auch hinterhältiges Lächeln im Gesicht, für solch einen Job war sie genau die Richtige – um diesen Mistkerl hinters Licht zu führen.

„Kommt ja gar nicht in Frage“, widersprach ihr Hiroya und packte sie an den Schultern. „Ich weiß das zu schätzen, ehrlich, aber nur weil Frauen seine Schwäche sind, zögert er nicht, dich umzubringen. Das will ich wirklich nicht riskieren. Es wäre schade um euch beide, wenn ihr durch so etwas zwischen die Fronten gerät. Und spätestens, wenn er bemerkt, wohin ihr gehört, würde er keine Skrupel mehr kennen – das wurde meinen beiden Schwestern bereits zum Verhängnis – zu dem Zeitpunkt, als Kimi ablehnte, mich an die Organisation zu verraten, hatte sie gegen Jami den Kampf verloren.“ Er war nüchterner in seiner Art zu denken, als sonst und strahlte auch ein kleines bisschen Traurigkeit aus, was aber auch Narus Schuld war, die ihn daran erinnert hatte, dass er ein Mensch mit Gefühlen war – anders als Jami. Aber wenn man ein Monster bekämpfte musste man selbst zu einem werden. Er schirmte sich vor so manchem Gefühl ab, um nicht angreifbar zu sein.

„Obwohl es dir egal war, hat er sie nicht verschont, die Kröte wird irgendwann ihr Fett weg kriegen! Glaub mir, die Gerechtigkeit wird immer siegen… Hat meine Mutter mal zu mir gesagt und ich habe den Glauben daran nicht verloren.“ Es fiel ihm schwer, das zu sagen, aber im Grunde lebte er nur noch, um dieses Ziel zu erreichen.

„Wie gesagt, ich brauche kein Mitleid! Und es ist nicht so, dass ich mittellos wäre… Ich habe meine Quellen…“

Was für manche wie ein Rätsel klingen mochte, war für die drei Eingeweihten gar keines, sie wussten, wer oder was gemeint war, wenn er von Quellen sprach.

„Und er ist der Auffassung, dass Jami nichts damit zu tun hatte – aber wenn nicht das, dann hat er zumindest davon gewusst und nichts unternommen. Manchmal glaube ich, es wäre besser, wenn wir alle nie mit denen zu tun gekriegt hätten, aber es war einfach unvermeidlich, sie hatten ihr Nest immerhin in unserer Nähe. Und je öfter ich davon erfuhr, umso mehr wollte ich sie stoppen. Und das wird leider nicht besser… Mit sehr viel Pech könnte ich das sein, der so am Rad dreht, man bedenke, dass er 12 war, so alt wie ich, als ich von denen beinahe entführt worden wäre. Wenn meine überaus tapfere Schwester nicht gewesen wäre, befände ich mich in den Händen der Organisation und wäre vielleicht an Jamis Stelle. Allein der Gedanke widert mich so sehr an, dass mir ganz schlecht wird. Er hat sich selbst längst aufgegeben, der Junge von damals ist tot.“

Man könnte meinen, dass Hiroya mit seinem Feind Mitleid hatte, doch das täuschte, ganz sicher hatte er dies nicht. Vielleicht hatte er Mitleid mit dem kleinen Jungen, der verdorben worden war, aber nicht mit dem armseligen Mörder, der sich hinter seiner Waffe versteckte, ansonsten aber ein totaler Schwächling war. Nichts desto trotz kannte er ihn, seit er ein Junge von 2 Jahren gewesen war. Ihre Familien waren einander nicht unbekannt gewesen – zwei Polizeifamilien, deren Kinder sich nun bekriegten.

„Du würdest aber sicher nicht töten, wenn du dir verraten vorkommst… Besonders auf deine Freunde hat er es abgesehen, das hat sich bei Hayate und auch bei Hachiro gezeigt.“ Es tat ihr richtig weh, daran zu denken, aber nur weil sie mit Hiroya befreundet gewesen waren, hatte Jami sie angreifen lassen.

„Wenigstens kann ich diesmal sagen, dass er jemanden nicht getötet hat, weil ich denjenigen zu sehr mochte, ist doch auch etwas“, verspottete der Detektiv sich nun selbst, auch wenn seine Tat nicht so sehr von Erfolg gekrönt gewesen war, wie er es gerne gehabt hätte.

‚Tja, du vergisst leider viel zu schnell, dass Jami nicht das einzige Organisationsmitglied ist, das gefährlich ist, Hiroya’ dachte die Blondhaarige, deren Naturhaarfarbe allerdings schwarz war. Sie hatte sie zur Tarnung färben lassen, dass sie nicht die falschen Leute sofort erkannten und es hatte ganz gut funktioniert bisher.

„Ich denke, um mich umzulegen, würde er den Boss verraten“, es war eine bittere Erkenntnis, so etwas zu ahnen, er befürchtete, dass genau dieser Fall eintreten könnte. Irgendwann, wenn Jami die Chance hätte, er würde ihn töten, auch gegen den Willen seines Bosses. Sein Hass war größer als alles andere, mehr noch als das für Jami tolle Gefühl Macht zu haben.

Der Grund, wegen dem Naru ihn so sehr verabscheute, war, dass er eiskalt reagiert hatte – sie hätte sich am Ende Sorgen gemacht, er könnte sterben, wenn er sich zu sehr in die Sache reinhängte. Natürlich war er an der Wahrheit interessiert. Er wollte Jami nicht diesen Gefallen tun, niemals. Bevor er seine Schwächen vor ihm preisgab, würde man ihn umbringen.

Noch immer nachdenklich sah ihn die Frau mit den gefärbten Haaren an. ‚So selten du Gefühle zeigst, die Leute, die dich gut genug kennen, werden sie bemerken, schade nur, dass du deine eigene Freundin getäuscht hast, was sie dir wirklich übel nimmt. Es ist richtig traurig, dich leiden zu sehen, jeder von uns weiß, dass du sie eigentlich liebst und nur immer noch Angst hast, er könnte sich an ihr vergreifen. Damals war das dein Grund, um sie abzuweisen, aber sie hat nie aufgegeben. Sie ist eine normale Frau. Ihr etwas anzutun wäre noch einfacher als Kimiko, die immerhin in Kreisen verkehrt ist, in denen man ihr hätte vielleicht noch helfen können. Narus Familie ist seit langem tot, wer, außer du selbst, hätte ihr in so einem Fall helfen können? Und wie ich die Frau kenne, hätte sie nicht gezögert, sich Jami in den Weg zu stellen, um dir zu helfen.’ Sie musste sich bemühen, dass in ihren Augen nicht doch noch Tränen aufkamen – er hasste es, bemitleidet zu werden.

Natürlich bemerkte die Rotbraunhaarige die Gefühlsduseleien, die im Kopf ihrer Kollegin vor sich gingen, sie konnte so etwas schlecht verstecken, auch wenn sie es versuchte, ihre Augen konnten nicht lügen.

„Kazu-chan“, meldete sich die 23-jährige zu Wort und holte ihre Kollegin aus ihren Tagträumen, als sie es so laut von sich gab, dass es beinahe nervend klang. Tomoko fand es unmöglich – wie konnte sie nur? Hiroyas genervtes Seufzen sagte alles. Bemerkte sie denn nicht, wie es ihn verletzte, wenn die Frau sich nun an Kazuo hängte – auch wenn sie kein Paar waren. Der Schwarzhaarige hatte sich so schnell umgedreht und sich seine Jacke wieder genommen, um raus zu gehen, dass es ihr geradezu Sorgen bereitete.

„Kotomi! Du bist… Du bist so gemein! Denkst du denn nie nach, wenn du etwas tust?“ Ohne weitere Worte ging sie dem jawohl verletzten Hiroya nach, der gerade dabei war, zu seinem Motorrad zu gehen.

„Warte!“ rief sie ihm nach und hielt ihn am Arm fest, um ihn daran zu hindern, auf das Motorrad zu steigen. „Geh nicht… Sie ist manchmal eben ein dummes, unreifes Mädchen! Sie meint’s nicht so!“ Der Mann spürte den festen Druck an seinem Arm und drehte sich zu ihr herum.

„Bin nicht verletzt… Mir egal, was die tun…“

Dass er so genau erkannte, was sie dachte, ließ nur einen Schluss zu – er war genau aus diesem Grund so schnell nach draußen verschwunden und dann kam das nächste Indiz dafür, dass es ihm doch ganz schön zusetzte, von Naru getrennt zu sein und dann andere Paare zu beobachten. Er fischte sich Zigaretten aus der Jackentasche und zündete sich eine mit zittrigen Händen an. Es war sein Laster, seine Sucht und seine Art damit klarzukommen, wie sein Leben seit Jahren verlief.

„Komm wieder mit rein, es ist ja nicht das einzige Büro, das wir besitzen, lass uns zu mir reingehen“, sie zwang ihn mit sanfter Gewalt dazu, mit hinein zu gehen, hier draußen herumstehen brachte in erster Linie nichts. Er ließ sich sogar mit hineinziehen, wobei er nicht wusste, warum er es im Endeffekt tat.

Drinnen angekommen, warf sie seine Jacke über den Stuhl und schüttelte den Kopf.

„Ich weiß, dass es dich schwer getroffen hat, ich hoffe für dich, dass du es nicht an irgendwelchen Personen auslässt – manchmal muss man Schmerz auch mal zulassen, statt ihn zu unterdrücken – das ist etwas, was dein Vater versäumt hat dir beizubringen. Ihr Männer denkt immer, dass ihr stark sein müsst, dabei mögen Frauen Männer, die ihre Gefühle zeigen können. Ich bin nicht Jami, mir kannst du vertrauen, bei mir brauchst du nicht den Harten spielen.“ Ehe der Schwarzhaarige sich versehen hatte, hatte sie ihn in ihren Armen gefangen genommen und hielt ihn fest. Ein Seufzen war von ihm zu hören, er zeigte es wirklich nicht gerne. Unendlich lange war es her, dass er den Kopf bei jemandem angelehnt hatte und sich wohl gefühlt hatte. Sie war nicht sehr viel mehr als eine Freundin, vielleicht wie eine Schwester für ihn, aber er hegte keine romantischen Gefühle für sie.

Die Tür ging auf und dann stand sie hier, es war unhöflich einfach so herein zu kommen, aber sie hatte nicht damit gerechnet, etwas Derartiges zu entdecken. Die Hellbraunhaarige stellte entsetzt fest, dass sie gerade störte. Es durchfuhr sie innerlich wie ein Blitz, diese Pose der beiden, er in den Armen einer anderen Frau, sie dachte wirklich, dass sie fantasierte, doch die 23-jährige hatte sehr schnell erkannt, was hier ablief – dachte sie jedenfalls.

Sie riss immer die Bürotüren hier auf, eine blöde Angewohnheit, wie sie wusste, aber gerade bereute sie diese nicht. „So ist das! Kaum wendet man dir den Rücken zu, Hiroya, nimmst du dir die nächste! Mit dir bin ich fertig! Du… Du Mistkerl!“ Sie schnellte auf ihn zu, trennte ihn von der jungen Frau und knallte ihm sehr deftig eine, so dass sein Kopf zur Seite fiel und sich seine Wange binnen Sekunden rot färbte. Es war, als sei etwas in seinem Gesicht explodiert, er hatte noch nie eine so heftige Ohrfeige bekommen, wie in diesem Moment.

„Nimm sie! Nimm sie doch! Meinetwegen hier gleich im Büro! Los, los, leg sie doch gleich auf dem Tisch flach!“

Ihr Ausraster, so lachhaft er war, der Mund seiner Kollegin weitete sich – dass sie ein Biest war, das wusste sie, aber wie sehr, wurde ihr jetzt erst bewusst.

„Ich will doch bitten! Krieg deinen Jähzorn in Griff meine Liebe! Du fantasierst ja!“

„Ist das deine billige Rache?“

Zum Bedauern aller kamen keinerlei Widerworte aus dem Mund des Mannes, er holte einmal tief Luft. „Was du kannst, das kann ich schon lang!“ Er setzte dem ganzen noch eins drauf, als er Tomoko an sich zog und sie vor den Augen seiner Freundin einfach küsste. Kein Funken Gefühl steckte darin, aber es reichte aus, um sie zu überzeugen. Obwohl er sich selbst total widerlich fand, fast so wie Jami, eine andere Frau, als diese, die er liebte, zu küssen, war es ihm Recht, in welche Richtungen sich gerade alles entwickelte. Sollte sie ruhig ausrasten, ihn hassen und die Pest an den Hals wünschen. Es hatte ja lange gedauert, bis sie nun so ausgeflippt war. Er hatte sie doch immer wieder provoziert…

Nicht, dass er fremdgegangen war oder etwas Derartiges, aber er hatte immerzu darauf herum geritten, dass er ihre Freundin – seine Schwester – verabscheute. Nicht nur, dass er seinen Hass offen verkündet hatte, er hatte sie auch einmal eine Hure genannt. Es war nicht leicht gewesen. Und nun war es so weit, sie explodierte. Irgendwo tat es ihm Leid, aber lieber wollte er sie heulen sehen, statt dass sie irgendein Spinner mal schaffte umzubringen. Schon so oft hatte er erlebt, wie es war, schuld zu sein, gerade bei ihr hätte er das nie verkraftet. Und ja, er gab es zu, er bemitleidete Hideto, der jawohl ziemlich darunter litt, dass Hiroyas Schwester einfach so sterben musste, doch niemals hätte er ihm das auch nur ansatzweise gezeigt. Vielleicht hätte es vieles leichter gemacht, aber er konnte ihn ja eh nicht sonderlich leiden, also ließ er alles an ihm aus. Und vielleicht war es so leichter darüber hinwegzukommen, wenn man ihm sagte, dass er ein Vollidiot war und Kimiko ihn bedauerte – auch wenn er wusste, dass es im Grunde nie so gewesen war, sondern sie ihn wirklich gemocht oder sogar geliebt hatte. Sie hatten doch alle zu kämpfen, der eine mehr, der andere weniger. Und gerade hatte er das Gefühl, es war ihnen allen nicht vergönnt, Liebe zu empfinden, irgendwann bestrafte man sie dafür, wenn sie es doch taten. Es war schon so manche Sache schief gelaufen – noch immer hatte er daran zu knabbern, er war nicht unschuldig daran, dass Naru so alleine war. Ihren Bruder hatte er nicht retten können, noch ihre Cousins, einer war mittlerweile noch übrig und bei seinem Glück hoffte er wirklich, dass Jami nicht auf die Idee kam, auch ihm etwas anzutun, da er ein guter Freund war, aber gerade deswegen hätte er einen Grund. Es war gerade einfach nur noch Angst, er hatte es mit der Angst zu tun gekriegt und hoffte, dass sich alle von ihm abwendeten. Dass er so nett zu den beiden Frauen und Kazuo war hatte einen anderen Grund. Sie hatten noch weniger zu verlieren, ihre Familie war tot und sie hatten den Kontakt zu den Menschen abgebrochen, die der Organisation nicht gewachsen wären, ihrer Meinung nach, oder die sie einfach nicht gefährden wollten. Diesbezüglich hatte er ja drei Vorbilder zur gleichen Zeit. Es war gerade einfach nur noch Angst, er hatte es mit der Angst zu tun gekriegt und hoffte, dass sich alle von ihm abwendeten. Dass er so nett zu den beiden Frauen und Kazuo war hatte einen anderen Grund. Sie hatten noch weniger zu verlieren, ihre Familie war tot und sie hatten den Kontakt zu den Menschen abgebrochen, die der Organisation nicht gewachsen wären, ihrer Meinung nach, oder die sie einfach nicht gefährden wollten. Diesbezüglich hatte er ja drei Vorbilder zur gleichen Zeit.

Obwohl er sich bemühte, ein Arschloch zu sein, sah man bestimmt, wenn man ihm in die Augen blickte, dass er diese Tränen in den Augen seiner Freundin nicht sehen konnte. Es tat ihm Leid, aber von Anfang an war es ein Fehler gewesen, sich darauf einzulassen. Er wusste doch damals schon, Jami hatte ihn zu gern, so dass er alles dafür getan hätte, damit er möglichst die Lust am Leben verlor. ‚Noch bin ich hier… Bisher besitze ich noch genug Wille, um dich fertig zu machen, alter Freund! Nur über meine Leiche wirst du damit durchkommen! Als du zu ihm sagtest, du wirst sie schwängern und ihr das Kind wegnehmen, bist du zu weit gegangen! Wie kannst du es wagen, auch nur dran zu denken?? Sie hat dich geliebt und du würdest ihr so etwas antun, du bist längst kein Mensch mehr… Und was bin ich? Ich bin keinesfalls besser… Sie weint… Es wird alles gut werden, Naru… Irgendwann werde ich dir die Wahrheit sagen, in der Hoffnung, du wirst es dann verstehen… Irgendwann, in besseren Zeiten, ohne Jami in der Öffentlichkeit.’ In seinen Gedanken war die Wahrheit verborgen, die er so gewissenhaft verbarg. ‚Momentan ist es einfach zu gefährlich für dich! Was soll ich denn ohne dich tun, die du mich immer wieder aufgemuntert hast, wenn du selbst Kummer hattest? Als dein Bruder starb, hast du mich getröstet, statt ich dich, das alleine gehört normalerweise bestraft! Statt deine Tränen zu trocknen, hast du meine verhindert!’ Wenn er ihr die Wahrheit gesagt hätte, würde sie nicht auf ihn hören, so wie damals schon nicht.

Kazuo und Kotomi sahen Naru nur mit Tränen, die über ihr hübsches Gesicht rannen, zur Tür hinaus stürzen, sie fiel fast hin, so eilig hatte sie es wegzukommen. Hiroya und Tomoko blieben alleine zurück.

„Ich glaub’s nicht, wie abgebrüht du bist…“ meinte Tomoko sagen zu müssen, sie war entsetzt, sein Gesichtsausdruck nahm traurige Züge an, seine Augen machten den Eindruck glasig zu werden, geradezu als wenn er gleich ebenso weinen würde, wie sie.

„Ich auch nicht… Bitte… folg ihr… unauffällig…“ Die Worte kamen monoton von Hiroya, er machte sich Gedanken, ob sie vor lauter Tränen überhaupt noch sah, wohin sie rannte. „Und bitte schnell… bevor sie noch vor ein Auto läuft…“ Tomoko nickte und war dann schneller als der Blitz heraus gerannt, der hellbraunhaarigen Frau hinterher.

Als dann auch noch Tomoko rausrannte, fragten sich die anderen beiden selbstverständlicher Weise, was vorgefallen war. Vorsichtig öffnete Kotomi die Tür und sah Hiroya auf dem Stuhl, der für Besucher gedacht war, sitzen, den Kopf auf den Armen abgelegt und zum Fenster hinaus blickend, während das unvermeidliche passierte. Den Schmerz in seinem Herzen konnte er nicht mehr länger ertragen, was ihm letztendlich doch die Tränen in die Augen getrieben hatte, die unabwendbar ihm langsam über das Gesicht zu rennen begannen, wenn auch nicht für lange.

Kazuo musste sehr tief Luft holen, als er ihn so sah. Ach, sie waren doch wirklich alle gleich. So stark sie zu sein versuchten, umso mehr wurden sie irgendwann dann doch weich, was ihnen aber oft zum Verhängnis wurde. „Was ist passiert? Ist das noch wegen…?“ vorsichtig fragte der Mann mit der Sonnenbrille nach, die er nun abnahm, was selten geschah, da sie auch zur Tarnung gut war.

„Leider zu viel“, kam als Antwort, bevor er – sich einmal über das Gesicht wischend – zu den beiden Menschen schaute, denen er wirklich vertrauten konnte, da war er sicher, ebenso Tomoko, obgleich sie ein ehemaliges Mitglied der Organisation war. Er kannte ihre Geschichte, lieber wäre ihm gewesen, sie nicht zu kennen, aber dann hätte er sie wahrscheinlich nicht so geschätzt, wie er es mittlerweile tat, denn was ihr auch widerfahren war, so hatte sie ihre Menschlichkeit nicht mal ein kleines bisschen verloren, selbst wenn sie ihr Herz vor den meisten verschlossen hatte.

Sie war vor der Organisation geflohen, obwohl sie wusste, dass man sie umbringen würde, sollte man sie jemals aufspüren. Es war ein Wagnis, aber sie war bereit es einzugehen – und seine Aufgabe war, sie so gut es ging zu verstecken, bevor besonders Vermouth sie entdecken konnte – die alte Schreckschraube ging doch sofort bei ihrem Boss petzen, da sie um dessen Gunst ja lange genug gebuhlt hatte. Was fand Cognac bloß an dieser Frau? Der hatte auch gänzlich seinen Verstand in der Hose. Aber wie der drauf war, wusste er ja leider Gottes. Schon als Teenager war er Jami nur in Kleinformat gewesen, ein totaler Macho, der Frauen betrog. Da die Tokorozawas streng erzogen worden waren, würde keiner von ihnen es jemals selber tun. Es gehörte sich eben nicht, und keiner hatte je gefragt, wieso man das nicht durfte.
 

Aus den Ruinen meiner Träume

Blick ich nun zu Dir empor

Zu Dir mein Engel, den die Liebe

Mir zum Gegenstück erkor
 

Ich war zu blind vor Liebe

Um die Wahrheit schon zu sehen

Fremd war mir nur der Gedanke

Mich einmal ohne Dich zu sehen
 

Du hast mein Herz zerrissen, meine Seele geraubt

Das es so enden würde hätt` ich nie geglaubt

Ohne Rücksicht auf Verluste, hast Du meine Welt zerstört

Eine Welt, die vor kurzem nur uns beiden hat gehört
 

Doch selbst nach allen den Tagen

Suchen mich Nachts Dämonen heim

Die mir sanft von Dir erzählen

Und niemand hört mein stummes Schrein
 

In den Ruinen meiner Träume

Seh` ich nun langsam wieder klar

Und ich will einfach nicht glauben

Dass unsere Liebe eine Lüge war


 

Es war für manch einen eine unsittliche frühe Uhrzeit – sie fragte sich sowieso, warum er sie so früh hierher bestellt hatte, es war so gar nicht seine Art. Die Blondine war etwas früher, also wartete sie darauf, dass man sie rein rief – seit wann ließ er sie solange warten? Heute war ein komischer Tag.

Es dauerte fünf Minuten, bis die Schauspielerin bemerkte, dass sie nicht die einzige sein sollte, die her bestellt worden war. Die 30-jährige spürte, wie ihr unwohl wurde – jedoch nicht, weil sie Angst vor der heran nahenden Person hatte, sondern weil sie immer wieder ungemütlich wurde, wenn sie ihm begegnete.

„Du bist schon hier?“ sprach er sie mit seiner dunklen und oftmals gefürchteten Stimme an.

„Siehst du doch, warum fragst du da noch? Mein Auto gibt eben ordentlich was her, so dass ich zu früh bin – aber lieber zu früh als zu spät! Wer lässt den Boss schon gerne warten? Du weißt, ich gehöre nicht dazu.“

‚Man kann sich auch um Kopf und Kragen reden, Vermouth!’ Wie sie ihn nervte, wieso musste er schon wieder mit der Schlange zusammen arbeiten? Und sie ständig noch vor Chianti beschützen zu müssen, nervte ihn. Dass sie es immer wieder erwähnen musste, wie wichtig ihr der Boss war – wer ihr traute, war doch verloren, er würde jedenfalls niemals auf sie reinfallen, dafür waren Leute wie dieser Cognac zuständig.

„Und der Rest ist noch nicht aufgetaucht, hätte ich mir denken können – mit Pünktlichkeit haben sie es nicht!“

„Ach, wer kommt denn noch?“ Vermouth war hellhörig geworden, näherte sich Gin etwas mehr und bezirzte ihn, in der Hoffnung, eine Antwort von ihm zu bekommen. Es war eine Schande, immer wenn der Boss etwas als wichtig eingestuft hatte, war es am Ende nur um ein ESSEN gegangen – sollte das also heißen, diesmal stand ein richtiger Auftrag an?

„Ach – der Boss plant etwas Großes, meinte er, er will seine besten Leute schicken, um den Mann zu bekommen… Dabei kann ich nicht kapieren, was er mit BESTE meinte – die besten heißen anders, meine Meinung.“ Es waren einige dabei, die er nicht mochte und mit denen er ungern zusammen arbeitete, aber wenn es der Boss anordnete, hielt er sich daran.

„Oh, wie ich es liebe, wenn du in Rätseln sprichst, mein lieber Gin!“

Der Blonde schob die Frau ein wenig von sich, wobei er nicht ansatzweise angewidert aussah, was ihn Beherrschung kostete. Musste die ihm immer so unanständig auf die Pelle rücken? Das würde dem Boss aber gar nicht gefallen…

Gerade als sie an Gin heran gehuscht war, tauchte eine weitere, eine schwarzhaarige Person auf, die das Ganze mit Adleraugen beobachte. ‚Oh, ich glaube, mir kommt mein Essen gleich hoch… Was sie wohl diesmal erfahren will??’ Er wusste, dass Vermouth sich Gin nicht ohne Grund so widerlich näherte, dass ihm schlecht wurde, aber das verhinderte nicht, dass er die Tage hasste, wenn er es sehen musste.

„Hähähm“, räusperte er sich, um Aufmerksamkeit zu erregen, woraufhin Gin ihn mit dem Blick erfasste, dass er beinahe gezuckt hätte. Sofort hielt Gin ihm seine Waffe zur Begrüßung an die Brust.

„Ich kann es nicht leiden, wenn man sich anschleicht, Cognac! Mach das nie wieder!“

„Hey, hey, ich bin’s doch nur… Ich kann nichts dafür, wenn deine Ohren so dreckig sind, dass du mich nicht gehört hast.“

Vermouth stöhnte. „Eure Kleinkindereien bin ich echt Leid! Schießt euch doch gleich gegenseitig tot!“ Es machte den Anschein, als sei es ihr egal, wenn Gin nun ausrastete, es war sowieso nur ungesund sich einzumischen und Cognac wollte ja wieder den Starken markieren, das konnte sie ja gar nicht leiden. In dem Fall würde sie ihn ganz bestimmt nicht beschützen.

„Was hast du da gesagt, du…!“

„Guten Morgen, allerseits – wunderschöner Tag, nicht wahr, Gin?!“

Der Schönling vom Dienst, dieser Milchbubi gesellte sich zu ihnen, so dass Gin die Waffe wegsteckte, er wusste immerhin, dass Cognac sein Schützling war und er es nicht toll finden würde, wenn er ihn vor seinen Augen einfach erschoss. Er genoss leider Narrenfreiheit und war schnell mit seiner Waffe, genauso schnell wie Cognac mit der Klappe. Gin hatte wenig Lust Jami etwas anzutun, er war der ranghöchste Mann in der Organisation, wobei er oft gedacht hatte, er hätte sich die Position erschlichen. Verrat nachweisen hatte er ihm nie können, er hätte ihn auf der Stelle erschossen, wenn er etwas in die Richtung erfahren hätte. Jami war so etwas wie der Sohn vom Boss, obwohl er nicht sein leibliches Kind war, lag er ihm am Herzen wie ein Kind dem Vater.

„Ihr seid ja noch pünktlicher als ich! Kir kommt bestimmt auch gleich.“

„Ach… die auch?“ Vermouth zog eine Augenbraue hoch, jetzt verstand sie Gins Meinung, dass es nicht die besten der besten Killer waren, die her gerufen worden waren. Dazu gehörte Kir jawohl kaum.

Kaum hatte Jami sie erwähnt, kam die Dunkelbraunhaarige um die Ecke, schnellen Schrittes wohl bemerkt und eilte regelrecht auf die vier Personen zu.

„Bin ich zu spät?“

„Nein!“ Gin antworte barsch auf ihre Frage und beachtete sie kaum. ‚Lachhaft!’

‚Da ist was faul! So wichtig kann der Auftrag entweder doch nicht sein, oder…’ Vermouth musste nicht weiterdenken, sie wusste, was gespielt wurde, als sie Carpano sichtete, der sich noch etwas entfernt von ihnen gemütlich auf den Weg zu ihnen machte. Gin blickte auf die Uhr. 10… 9… 8… 7… 6… 5… 4… 3… 2… 1…

Carpano kam bei ihnen zum Stehen. „Ich glaube, wir sind vollzählig.“

Vermouth guckte ihn wegen seiner Worte schief an, warum zum Teufel wusste er wieder mehr als sie? Da musste man sich ja Gedanken machen, ob man nicht an Macht verlor. Das war unter Garantie wieder Valpolicellas Verdienst – dank dieser Tussi hatte sie schon ziemlich viel an Macht über den Boss verloren, er sagte ihr längst nicht alles. Wäre zu schön um wahr zu sein…

Gin wunderte sich nicht, dass Carpano mal wieder pünktlich auf die Sekunde hier auftauchte, er hätte sogar gewettet, dass es genau so eintreten würde.

Die riesige Tür ging auf und eine junge Frau verbeugte sich vor ihnen. „Valpolicella erwartet euch bereits.“

Jami ging ohne ein weiteres Wort der Kommunikation an ihr vorbei als erstes in den Raum. Zu Valpolicella sagte er besser nichts, es schmeckte ihm nicht, dass nicht der Boss sie empfing, sondern schon wieder seine DIENERIN, er bezeichnete sie mittlerweile so.

Es folgten Carpano, Gin, Cognac und Vermouth. Kir blieb noch einen Moment unschlüssig stehen, bevor auch sie die Türschwelle überschritt. ‚Was soll ich bloß in dieser Runde? Was denkt sich der Boss!? Was geht nur wieder in seinem Kopf vor?’ Kir fragte sich das schon seit Tagen…

„Oh, wie schön – alle pünktlich, das mag ich“, hörte man eine hohe Stimme sagen, ihr Körper hatte ihnen den Rücken zugewandt, so dass sie ihr Gesicht nicht sahen, doch alle erkannten sie auch so, sowohl an der Stimme als auch an ihrer Haarfarbe, sie mussten dazu nicht ihr Gesicht sehen.

„Wo ist der Boss?“ beschwerte sich Jami gleich, er fand es unmöglich, dass er von einer, die den gleichen Rang hatte, so behandelt wurde. Sie saß im Sessel wie der Boss höchstpersönlich, das missfiel ihm mehr als nur ein bisschen. Es war die Höhe.

Mit Schwung drehte sie sich nun auf dem Drehstuhl zu den Personen um, faltete die Hände und blickte in ihre Gesichter. Kir stand ziemlich weit hinten, gut so, sie gehörte normalerweise ja auch nicht dazu, fand Valpolicella, sie verstand sowieso nicht, welchen Beweggrund der Boss hatte, sie mit einzubeziehen.

„Einige von euch wissen ja schon, was der Boss plant, für diejenigen, die es noch nicht wissen… Hört gut zu, ich werde es euch nur einmal offenbaren.“

Es herrschte Stille, keiner wollte sie unterbrechen, auch wenn Jami es unmöglich fand, ihm nicht zu antworten – hatte die Adelige wohl nicht nötig oder was? Hochwohlgeboren empfand sich anscheinend als was Besseres.

„Wir sollen in Zukunft ein neues Mitglied bekommen! Und ihr werdet es sein, die das in die Wege leiten.“

„Lustig, welche Geschütze er für so einen einzelnen Mann auffährt“, kommentierte Carpano das Ganze, er fand es einfach witzig, dass der Boss sie alle brauchte – bis auf Kir – um den Kerl zu bekommen. „Er lässt sich sicher nicht einfach so von uns entführen.“

„Deswegen ja der ganze Spaß – da Jami alleine ja nicht mit ihm fertig wird.“ Ein gehässiger Blick wurde auf Jami gerichtet, der sich beleidigt fühlte, als sie ihn so vorführte, es machte ihr anscheinend Spaß.

„Wer soll das sein?“

Es verwunderte nicht nur Carpano, dass man die Sache ihm erzählt, aber Jami vorenthalten hatte. Was war hier nur los? Gerade wenn es um so etwas ging, wusste Jami in der Regel als erster Bescheid, lag das daran, dass die beiden verfeindet waren? Er hatte ganz böse Vorahnungen – welchen Job Vermouth in etwa haben würde, war ihm irgendwie klar. Sie war diejenige, die die Informationen über ihn beschaffen würde. Sie würde keinen Mordauftrag erhalten, da hatte sie ja noch mal Glück gehabt – im Gegensatz zu allen anwesenden Männern, die zur Waffe greifen würden, das wusste er einfach, sie würden dazu gezwungen sein – er ließ sich nicht, wenn er gesund war, einfach so kidnappen.

„Eins verstehe ich nicht: Was bringt’s dem Boss, wenn er ihn hat? Meint er etwa, er lässt sich umpolen? Er arbeitet für die Polizei und das seit Jahren! Sein Vater ist ein sehr angesehener Mann und er war stets darauf aus vor ihm zu glänzen! Er würde NIE unserer Organisation beitreten, lieber stirbt er doch!“

‚Was denn? Du hast es doch auch getan’, dachte Cognac und verkniff sich ein Seufzen – gerade Yuichi musste so reden, er war schließlich ebenfalls der Sohn eines hohen Mitglieds der japanischen Polizei. Oder war es nur eine Finte, um herauszubekommen, was der Boss zu tun dachte?

Kir musste den Namen nicht erfahren, sie wusste anhand der Worte, die Valpolicella fallen gelassen hatte, um welche Person es sich da handelte. ‚Oh Gott! Jami, bist du wirklich so dämlich? Oder gibt es mehrere, die dir Ärger machen?’ Sie hatte nichts davon mitbekommen, dass es noch mehr gab, außer diesen einen Mann. Aber er war der Sohn eines hohen Polizisten – solange es nicht Ryochi Akaja war – war es ja gut, aber die andere Person gefiel ihr auch nicht sonderlich, selbst wenn er ein selbstgefälliger Mistkerl war – er war der falsche für die Organisation. Sollte er der nächste sein, den man zu solchen Dingen zwang? Yuichi hatte Recht – wenn ER es war, würde er sich nie und nimmer zwingen lassen.

„Das weißt du wirklich nicht, Jami? Du enttäuschst mich!“ Valpolicella sah ihn an, als wenn sie ihn gleich auszulachen begann – war der Kerl am Ende wirklich so unterbelichtet, dass er nicht dahinter kam?

Sie schob ihm ein Brief-Couvert hin und grinste versessen. Sie würde ihren Kopf verwetten, dass er total begeistert sein würde…

Jami nahm das Couvert an sich und holte die Fotos heraus, die ihm gleich, nachdem er das erste gesichtet hatte, aus den Händen fielen. Sein Gesicht wurde kreidebleich und seine Hände zitterten merklich.

„Das liegt weniger daran, dass ich nicht gegen ihn alleine ankomme, sondern er überall Leute kennt!“ verteidigte sich Jami, nun zitterte er wahrscheinlich noch vor lauter Wut. „Selbst mit Chardonel als hervorragenden Schützen schaffen wir es nicht alleine gegen ihn anzukommen! Wir mussten jedes Mal türmen und es hat den Boss nie interessiert, wir sollen ihn in Ruhe lassen, meinte er! Was soll das?!“ Er haute wütend mit den Fäusten auf den Tisch. „Der Kerl ärgert unsere Organisation, aber wir sollen ihn in Ruhe lassen und jetzt will er ihm noch Zugang zu uns verschaffen?? Das kann jawohl nicht sein Ernst sein!“ Die Wut hörte man ihm an, dabei war Jami normalerweise der Letzte, der dem Boss widersprach. Er war ihm in der Regel hörig.

„Mäßige dich! Deine Meinung interessiert ihn diesbezüglich nicht! Seine Vorteile überwiegen die Nachteile! Carpanos Frage ist natürlich berechtigt! Er wird natürlich nicht sofort Ja und Amen sagen, wenn ihr ankommt! Es soll auch kein Angebot werden! Er WIRD Mitglied bei uns, auch wenn dir das wenig passt, Jami!“ Man merkte ganz offensichtlich, dass Valpolicella ihn gerne stichelte und eigentlich kein bisschen leiden konnte.

„So einer wird aber sofort zum Verräter, das schwöre ich euch! So einen will ich nicht unter uns haben… Einer, der sicher versuchen wird, uns auszutricksen und uns zu schaden… Das KANN auch nicht in deinem Sinne sein!“

„Halt endlich deinen Rand, Jami, sonst stopfe ich dir mal das Mundwerk! Lass mich – verdammt noch mal - ausreden!“

Jami zog scharf Luft in die Nase, so sehr, dass man es deutlich hören konnte. Er schnaubte fast vor lauter Wut, das war alles doch nicht wahr.

Cognac näherte sich den Fotos, hob sie auf und erstarrte als er den Mann auf den Bildern erkannte. ‚Oh scheiße… Hat man sie deswegen umgebracht? Weil sie ihnen im Weg war? Ich bezweifle stark, dass es einfach wird, den dazu zu zwingen, uns beizutreten – du hast Recht, Yuichi, lieber stirbt er.’ Cognac erhob sich und zeigte Chris die Bilder, auch sie war sehr überrascht – obwohl – eigentlich nicht so sehr wie Jami. Es war klar gewesen, dass der Boss diesen Kerl mochte, was wohl auch Jamis Problem war, er wollte ihn viel lieber ermorden lassen, als ihn zu ihnen zu holen. Er hasste ihn und fand den Gedanken ihn um sich zu haben wohl nicht sehr prickelnd – verständlicherweise.

„Oh, einen Mann, den wir alle kennen – aber ich muss Carpano Recht geben. Also verrat uns doch bitte mal, wie wir ihn dazu bringen sollen. Anschießen alleine wird wenig bringen, das hat man schon oft!“ Chris war nun auch neugierig, was genau der Boss plante.

„Als erstes einmal wirst du dich bei ihm einschleichen. Dein Auftrag ist so viele Informationen über seine Kreise zu beschaffen, wie möglich! Am besten alle Leute, die er kennt. Wir müssen wissen, worauf wir da überhaupt zielen, bevor wir irgendetwas unternehmen. Den Boss interessiert, ob er eine Freundin hat, die wir benutzen können, um ihn klein zu kriegen. Aber am wichtigsten ist, wer mit ihm in Kontakt steht und ihm helfen könnte. Erst wenn wir all dies wissen, können wir auch nur ansatzweise daran denken, ihn uns zu krallen. Anschießen ist erlaubt, aber nicht umbringen. Alles, was ihn nicht unbrauchbar macht, ist auch erlaubt! Ihr werdet freie Hand haben, wenn es so weit ist, aber Alleingänge solltet ihr euch vielleicht verkneifen. Wenn ihr zuschlagt, muss es klappen, er soll sich nicht darauf vorbereiten können.“

Das waren ja Aussichten – es war klar, weshalb es an erster Stelle stand zu erfahren, ob er eine Freundin hatte. Sêiichî dachte an Naru und bekam Bauchschmerzen, weil er sie schon solange kannte und sie hatte doch kaum einen, der sie beschützen konnte. Es tat ihm weh, dass man sie nun auch in diese Sache mit hinein ziehen wollte, und wehe Chris verriet was darüber – aber wahrscheinlich würde sie es müssen.

„Ach, sollen wir ihn mit dem Leben seiner Freundin bedrohen, oder was?“ Carpano schien anhand seiner Stimmlage und seiner verschränkten Arme nicht sehr begeistert davon zu sein. „Und ihr denkt, das klappt? Er macht immer den Anschein ein Herz aus Stein zu haben! Ich glaube nicht, dass ihm eine Frau so wichtig sein kann!“ Er lachte auf, natürlich wollte er den Verdacht erwecken, es zwar gut zu finden, aber zu bedenken, dass der Kerl wohl kaum mit der Freundin erpressbar war, es tat ihm einfach Leid um diese Frau – wer auch immer sie war – ob Ryochi sie kannte?

„Nein – hat er nicht“, widersprach Valpolicella. „Wenn er das hätte, wäre schon längst einer von euch ums Leben gekommen. Wenn er kaltherzig genug wäre, würde er euch nicht schonen, doch das tut er.“

Vermouth entkam ein Lachen. „Oh ja… er ist lieber als lieb. Cognac lag mal lange im Krankenhaus, nachdem sie aneinander geraten waren. Ich glaube nicht, dass er ihn nicht getötet hätte, wäre er besser gewesen.“

„Warum schlägst du nicht gleich vor, ihm Jami vorzusetzen, so als Köder, um zu gucken, wie weit er gehen würde? Aber, sorry, stimmt ja, selbst Jami und Chardonel kommen nicht alleine mit dem klar. Und jetzt denkt ihr, dass WIR es schaffen könnten. Ist ja klar, was sonst?“ Carpano verdrehte die Augen, ihm schmeckte diese ganze Sache nicht, aber der Boss hatte ihn ruhig gestellt – nicht umsonst war Kir mit von der Partie, sie würde jawohl nichts gegen ihr Opfer ausrichten können, da musste er ja noch auf sie Acht geben, dass sie nicht etwas abbekam. Bei Vermouth musste man sich da weniger sorgen, sie war es gewohnt, angeschossen zu werden – Kir war nur die Schikanen von Valpolicella gewohnt, nicht mehr. Bisher hatte sie noch nie wichtige Körperteile bei ihr mit ihren Kugeln versehen, das sollte sie auch besser nicht wagen.

„Wenn ich ehrlich bin, finde ich es sehr gefährlich, ihn anschießen zu wollen. Wenn er wollte, würde er Jami abknallen…“ Cognac hatte es sagen müssen, es tat ihm Leid, Jami nun auch noch als zu schwach zu bezeichnen, aber es war nun einmal so. Ihr Opfer hatte viel zu gut schießen gelernt. „Und ihr vergesst hoffentlich nicht, dass sein Vater auch so einigen Einfluss hat. Er kennt alle Polizeipräsidenten in ganz Japan und ihre Untertanen mit Namen, ein Anruf und wir haben die gesamte japanische Polizei an der Backe.“

„Ach? Seit wann schreckt euch so was denn ab? Ich dachte, ihr seid alle so gute Schützen, dass euch selbst die Polizei nichts ausmacht! Wer Schiss vor dem Auftrag hat, können wir auch gleich ganz ausschließen! Der hat in der Schwarzen Organisation sowieso nichts verloren, Schwächlinge und Angsthasen brauchen wir nicht!“ Valpolicella fand es etwas komisch, dass Cognac nun die Hosen voll zu haben schien, diesen Effekt hatte dieser Kerl auf einige, er schien wirklich gut zu sein, sie hatte noch nie mit ihm zu tun gehabt, aber Jami hatte seinen Ruf, das musste man ihm lassen – und es war einer noch besser als er.

„Cognac hat keine Angst vor ihm, das verstehst du falsch – er sieht nur die Probleme, ihr wollt doch Leute, die mitdenken, nicht wahr?“ Carpano musste grinsen, hirnlose Mörder gab es in dieser Organisation doch nur noch in den Schichten von ganz unten, die Scharfschützen zum Beispiel waren solche. Man sagte ihnen das Ziel und sie schossen darauf…

‚Du musst mir nicht immer helfen, Yuichi, das kann ich noch ganz alleine. Aber, wenn der Boss das beschlossen hat, dann wird man es von uns verlangen, dann können wir nur noch hoffen, dass ER besser als wir alle ist, was ich stark anzweifle…’ Und da Hiroya es anscheinend zu lieben schien, Alleingänge zu machen, seit Yuriko tot war und man sich ständig Sorgen um ihn machen musste, wie Naru meinte, dachte er zu wissen, wie das Ganze enden würde, wenn sich Hiroya nicht plötzlich übermenschliche Kräfte aneignen konnte. Der Boss hatte ihn schließlich bisher geschont, der Kerl wusste gar nicht, wie viel Glück er hatte. Es waren schon so viele Männer, die ihm ähnlich waren von ihrem Können, ums Leben gebracht worden, er hatte das Glück, dass der Boss ihn einfach viel zu toll fand, um ihn einfach so umlegen zu lassen. ‚Obwohl er Daten über uns sammelt wie andere Leute Briefmarken, hat er uns bisher keinen ernsthaften Schaden zufügen können! Es ist traurig.’ Sêiichî fand es traurig, dass jemand, der sich so reinhängte, anscheinend fast nur noch dafür lebte, die Organisation zu kriegen, dermaßen daran scheiterte, weil sie einfach zu viele waren und ständig ihre Standpunkte wechselten, dass es schwer war, sie auf einmal zu erwischen. Es war eben so, dass man eine Gruppe Mörder am besten in einer Gruppe bekämpfte. Hiroya hatte einfach zu wenig Team-Gefühl wollte er meinen. Mit seinem Vater im Rücken könnte die gesamte japanische Polizei längst über vieles Bescheid wissen, was hielt ihn nur davon ab? Er vermutete stark, dass Naru der Grund war. Dass er Angst hatte, wenn die Organisation ihn zu sehr hasste, man die Schwächsten angreifen würde, um sie zu stoppen. Wer wusste schon, was in seinem Dickkopf vorging? Er verstand es jedenfalls nicht. Oder er wusste immer noch nicht genug, um ernsthaft der Polizei eine Hilfe zu sein. Und so wie es momentan aussah, würde es nie so weit kommen…

„Keiner weiß, wo er sich momentan aufhält! Und wen soll ich spielen?“ Vermouth fuhr sich eingebildet durch die Haare. „Ich hoffe ja, dass es eine hübsche Person sein wird – angemessen für mich also.“

„Find’s raus, wo er sich aufhält – man muss dir ja nicht alles ganz genau auftragen, oder etwa nicht? Als Spion taugst du wenigstens was.“

Kir fand es einfach ungeheuerlich, dass Valpolicella selbst Vermouth hinstellte, als wenn sie überhaupt nichts nutzte. ‚Ob der Boss weiß, dass die sich so aufführt? Würde ihm gar nicht gefallen.’

Ach, was war sie wieder Herz allerliebst. Wenn er sie nicht schon so lieben würde, würde er es wahrscheinlich jetzt. Yuichi fühlte sich wieder daran erinnert, warum er Valpolicella nicht leiden konnte – und mit der hatte er… Gott, wie gut dass er danach ganz ausgiebig duschen war. Sie widerte ihn an, sie und ihre ganze arrogante, eingebildete und selbstgefällige Art.

„Wie mich solche Aufgaben langweilen, immer nur nach jemandem zu suchen, ist total langweilig. Aber ich finde ihn schon, keine Sorge.“

„Na dann, mach dich an die Arbeit, der Boss möchte so schnell wie möglich Ergebnisse sehen.“ Nun wurde sie auch noch von Valpolicella gescheucht, aber sie ging zur Tür und verabschiedete sich dann mit einem „Ich geh dann mal“, und knallte die Tür zu, dass man wusste, sie hatte es persönlich genommen, was Valpolicella gesagt hatte.

„Und wir anderen sollen einfach nur schön draufhalten, wenn wir gut genug über ihn Bescheid wissen, ja? Gibt’s noch was, oder können wir dann auch gehen? Es ist ja nun jedem klar, denke ich, was gespielt wird. Und es geht ja noch nicht los… Fein, leg mich dann noch mal aufs Ohr, hab gestern kaum geschlafen.“ Carpano hatte die Türklinke schon in der Hand, er hatte es echt eilig zu gehen.

„Warte, mit dir habe ich noch was zu besprechen.“

Cognac beobachtete Yuichi, es passte ihm nicht, das sah er an seinem Blick, er hatte Valpolicella den Rücken zugewandt, so dass sie nicht sein Gesicht sehen konnte, aber Cognac sah genug, um zu wissen, dass es ihn nervte, nun wieder von ihr eingespannt zu werden.

„Der Rest kann sich verabschieden.“

Yuichi schlug die Augen nieder, wahrscheinlich hatte er damit gerechnet.

Cognac wandte sich um. „Gut, komm Kir, lass uns gehen – du hast doch bestimmt gerade nichts vor, oder?“ Er nahm sie an der Hand und zog sie etwas mit sich. „Sehen uns später, Carpano“, ließ er seinem Freund noch zukommen und meinte dann „Tschüss“ an alle gewandt und verließ hastig mit Kir den Raum, er hatte sie aus bestimmten Gründen an die Hand genommen und nahm sie einfach mit.

Sie fand, er hielt ihre Hand sehr fest, sonst tat er das nicht, er war doch eigentlich ein Typ, der die Hand seiner Freundin nur sehr sanft hielt. Sie drehte den Kopf herum, blickt zur Tür, während Cognac stur nach vorne schaute. „Lass das, das fällt auf!“ flüsterte er ihr gut gemeint zu und legte seine Arme um ihren Körper, um sie eng an sich zu drücken – es sah aus, als wenn sie was miteinander hätten, da sie beobachtet wurden, war das auch so gewollt.

Dass sie beobachtet wurden, war ihr von Anfang an klar gewesen, sie dachte aber daran, dass Valpolicella ihn einfach so bei sich behielt und hatte sich einfach umdrehen müssen.

Sêiichî spürte, wie ihr Kopf sich direkt an ihn drückte, sie hatte etwas Schutzsuchendes, aber auch unglaublich Verletzliches. Er hatte sie nicht nur wegen Valpolicella an die Hand genommen, sondern auch wegen Jami, der ihr so nachstellte, er wollte ihm zuvor kommen, weil Kir überhaupt nicht wollte, dass er ihr zu nahe kam. Er hielt sie fest, bis sie zu seinem Auto ankamen, er öffnete ihr die Tür und stieg dann selbst ein. Kaum hatte er seine eigene Tür zu gemacht, hörte er wie sie zu schluchzen anfing, so dass er sie doch etwas verwirrt und fragend anguckte. „Hey, was hast du?“ Er rutschte näher zu ihr hin und strich ihr durchs Haar, woraufhin sie ihren Kopf an seine Brust drückte, was ihn dazu brachte, seine Arme um sie zu schlingen und sie einfach festzuhalten. „Du kannst es mir ruhig sagen, auch wenn es mit Yuichi zu tun hat – mir kannst du vertrauen, nichts verlässt dieses Auto.“

„Sie… Sie haben… Er hat… Sie… Er hat mit ihr… Sie waren… nachts… zusammen!“ kam bruchstückhaft über ihre Lippen, sie bekam kaum einen richtigen Satz zustande. „Jetzt… hat sie ihn mir… schon wieder… weggenommen! Kann nichts tun…“

„WAS??!!“ Entsetzt war eigentlich ein zu schwacher Ausdruck, er konnte es fast nicht glauben – sie hatte sich nicht gut ausgedrückt, aber er hatte es jawohl richtig verstanden, sonst würde sie doch nicht weinen.

„Bist du dir da ganz sicher? ER und SIE?“ Sêiichî drückte sie noch enger an sich, sie hatte Trost gerade bitter nötig, sie war seiner Meinung nach sowieso ziemlich arm dran, man hatte sie förmlich in die Organisation geschoben.

Sêiichî presste die Lippen aufeinander, er würde nichts dazu sagen, dass er diese Frau eigentlich attraktiv fand, das musste er ihr nun wirklich nicht auch noch sagen.

„Er… Er hat’s mir selbst… gebeichtet.“ Ihre Hände griffen förmlich in Sêiichîs Hemd und er spürte, wie es obenrum feucht wurde. Sie weinte wirklich, er konnte es nicht glauben, Yuichi war doch kein Typ, der Frauen zum weinen brachte, schon gar nicht die, die er liebte – das war doch sein Gebiet. Manchmal hasste er es, das zu tun, aber bei Chris brauchte man da ja nicht viele Gedanken dran verschwenden. Wenn die wegen ihm heulte, war er halbtot, aber nicht wegen eines Seitensprungs, nie und nimmer. Aber er kannte Kir jetzt eine Weile, er wusste, dass sie anders war, die Frau war empfindlich, wenn es um Yuichi ging und das wusste er ganz genau.

„A-Aber, er kann sie doch nicht ausstehen.“

„Der Zweck heiligt die Mittel – oder würdest du nicht… mit der Ranghöchsten ins Bett gehen, wenn sie dich begehrt… und du damit was erreichen könntest?“ Die Frage klang so todtraurig, sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Yuichi so weit gehen würde, Sêiichî ehrlich gesagt auch nicht.

„Ist das so schlimm für dich? Ich meine, er liebt dich doch noch immer, und du musst auch keine Angst haben, dass er sie mögen könnte! Es ist fast Hass, niemals könnte er sie lieben. Tröstet dich das nicht ein bisschen?“ Er versuchte sie aufzubauen, aber der Schwarzhaarige wusste nicht, ob es dafür einen Trost für Kir gab. Dass es mal so kommen würde, hätte er echt nicht gedacht. Früher hatte er ihm sogar dazu geraten, die Frau mal ein bisschen zu lassen, damit er mehr zu sagen hatte, das wäre ihnen sehr hilfreich, damals hatte Yuichi ihm gesagt, er würde spinnen. Und nun…

„Ich sehe es vor mir…“ Ihr Griff in sein Hemd wurde fester und ihr Kopf drückte sich noch mehr an ihn heran. „Bitte, Sêiichî… sag’s ihm nicht… aber… ich habe zumindest gedacht… es ihm gleich zu tun, aber… ich kann nich’… Ich könnte auch ein angenehmeres Leben innerhalb der Organisation haben, wäre Jami… mein Parter, aber beim Gedanken daran ihn an mich ranzulassen, wird mir so schlecht! Ich könnte niemals mit einem anderen Mann schlafen, schon gar nicht mit einem, den ich nicht liebe…. Und er hatte so viele Frauen,…“

Eigentlich wollte sie weitersprechen, doch die Tränen kamen wie kleine Fontänen aus ihren Augen gedrungen und rannten über ihre leicht geröteten Wangen.

„…Ist das so furchtbar, wenn man viele hatte?“ Nicht dass er Jami schön reden wollte, aber er fand diesen Einwand irgendwie gemein, man konnte es auch auf ihn selbst beziehen. „Hatte ich auch…“

„Ja aber du wolltest nicht JEDER… gleich ein Kind machen… und hast es drauf angelegt…“ Das Sprechen fiel ihr schwer, man verstand sie auch kaum, weil sie so viel schluchzte und immer wieder kamen neue Tränen, gerade konnte sie nicht aufhören und war froh, dass sie sich an ihn lehnen konnte.

Die meisten hatten eine konsequente Meinung über ihn, aber es gab Frauen in der Organisation, die Cognac mochten und ihn jederzeit beschützen würden, er fand nicht, dass er es nötig hatte. Cinzano zum Beispiel hatte ihn richtig gern, weshalb er mit ihr noch immer häufig Kontakt hatte, ganz zum Leidwesen seiner eigenen Freundin, die in ihr eine Gefahr zu sehen schien, wahrscheinlich wusste sie vom Seitensprung mit ihm. Er hatte damals dafür gesorgt, dass Carpano von ihr trennte, was ihm heute irgendwie noch Leid tat, da Cinzano ihn mindestens genauso liebte wie Kir – aber er wollte sich unter keinen Umständen da einmischen. Yuichi musste wissen, wem er sein Herz schenkte, oder nicht, er konnte und wollte weder Kir noch Cinzano schaden, so half er normalerweise keiner von beiden im Bezug auf ihn, indem er ein gutes Wort für sie einlegte, aber gerade glaubte er Cinzano irgendwie in den Rücken zu fallen, wenn er Kir half, aber er konnte sie ja nicht aus seinem Auto werfen und sie draußen weiterheulen lassen… Er war kein Mann, der Frauen gerne weinen sah, eher im Gegenteil. „Komm schon, Kir – wir wissen doch, dass er sie unmöglich mag, hör bitte auf zu weinen, das mag ich nicht sehen – deinem hübschen Gesicht stehen keine Tränen“, er strich über ihre geröteten Wangen und bemerkte, dass sie solche Sprüche nur mehr zum Weinen brachten, er wusste nicht weshalb es so war, vielleicht hatte Yuichi etwas ähnliches zu ihr gesagt?

Sêiichî war wirklich froh, dass Chris nicht so eine Frau war, die oft weinte – sie war eine zu starke Frau, um es zu tun – er würde es auch kaum ertragen, wenn sie wegen der Organisation – oder sogar seinetwegen weinte. Dass Rena keine Chance gegen Valpolicella hatte, stand außer Frage, sie mochte sie in Sachen Yuichi besiegen, aber niemals mit Waffen. Diese Frau war mächtig und noch dazu schnell mit der Waffe und hatte lediglich bei Carpano ein Herz, bei allem anderen war sie eiskalt, das machte sie sehr gefährlich.

Es erschütterte sein Herz, er mochte Yuichis Freundin sehr gern, sie hatte so ein weiches Herz, das man versuchte zu zerbrechen. Gin misstraute ihr immer, Valpolicella hasste sie, weil sie Carpano zu nahe kam – und übte sie bei weitem weniger Verrat aus, als so manch anderer, wie zum Beispiel Cinzano oder Carpano, die nun wirklich gerne mal taten, was ihnen am besten gefiel, wie die Anzahl Organisationsmitglieder reduzieren, wenn man sie zu sehr ärgerte.

Nun schwieg Sêiichî, er hatte Angst wieder etwas Falsches zu sagen, sondern hielt die junge Frau, die allerdings älter war als er selbst, in seinen Armen, es war ein ganz anderes Gefühl, als Chris zu halten. Ihr Körper war so zierlich und wirkte auf ihn zerbrechlich. Eine solche Frau beschützte man als normaler Mann gerne und versuchte sie abzuschirmen, doch das war in ihrem Fall nicht sein Job, sondern Yuichis. Er verstand immer noch nicht, wie er ihr bei all ihren Lasten auch noch so etwas aufhalsen konnte, er würde ihm ordentlich die Meinung geigen, immerhin hielt vor allem er ihm immer wieder vor, was er für ein Mann war, der Frauen betrog.
 

Im Regen trafen sich zwei Menschen – Mann und Frau unter einer Brücke, er hatte hier auf sie gewartet. Sie war total durchnässt, hatte wohl ihren Schirm vergessen. Ihre hellblonden Haare hingen ihr im Gesicht und sie atmete laut.

„Und, alles glatt gelaufen?“ Er drehte sich zu der hübschen Blondine herum.

„Es ist eine Katastrophe!“ verriet sie dem Mann mit den längeren schwarzen Haaren, so dass er sie entsetzt ansah – sie machte nie Scherze mit so was und auch übertrieb die 25-jährige nie.

„Carpano, Cognac, Gin, Vermouth, Jami und Kir sollen deinen Freund Tokorozawa schnappen, Valpolicella hat es eben angeordnet. Als erstes soll Vermouth ihn ausfindig machen – du würdest es nicht glauben, was die so alles vorhaben! Was weißt du über seine Freundin, man muss sie beschützen – irgendwie! Sie sollen sie dazu benutzen, ihn dazu zu zwingen, in die Organisation einzusteigen.“

„Das ist interessant, Cinzano – und Jami? Was hält er von dem Auftrag?“

„Na, was wohl? Nicht das Geringste, er würde am liebsten quer schießen, denke ich! Du kennst ihn ja, er ist empfindlich, wenn es um seinen Todfeind geht! Und das Schlimmste ist, dass dein Freund sich lieber damit beschäftigt, Kimis Freund zu ärgern, statt mal auf sich aufzupassen… Er hat keine Ahnung, dass der Boss es auf ihn abgesehen hat! Warn ihn, wenn du noch den Kontakt zu ihm pflegst, das hätte Kimi auch getan.“

„Er IST NICHT ihr Freund, nur ein Bekannter!“ beharrte der junge, hübsche Mann, dessen Augen sofort hell aufgeleuchtet waren, wobei seine Stimme einen gefährlichen Unterton annahm.

Oh man, sie würde es nicht mehr erwähnen, er war ja so eifersüchtig und redete sich immer wieder totale Schwachheiten ein, sie war tot, was musste er noch so drauf bestehen? Ihre Eltern hatten sie verlobt, das hatte doch nun überhaupt nichts zu bedeuten. In der ganzen Zeit, in der Cinzano Kimiko kannte, hatte sie Mezcal so gut wie nie erwähnt, es war geradezu, als sei er ihr egal und er bestand immer noch darauf, dass sie ein Liebespaar waren. Es schien ihn dabei überhaupt nicht vom Hocker zu hauen, dass der Boss Hiroya haben wollte.

„Tut mir Leid…“ Sein verletztes Herz war am Ende schuld daran, dass er sich das immer wieder einredete, sie wollte ihn schonen, er ertrug das doch gar nicht, von ihr verlassen worden zu sein. Sie konnte das verstehen, man hatte sie immerhin ebenfalls verlassen.

„Ist das alles, was die planen? Das ist ja lächerlich! Hiroya passt immer auf seine Freundin auf, sie ist mit am leichtesten anzugreifen, außerdem hat sie noch einen Cousin, der Polizist ist und auf sie aufpassen lässt. Um die Frau muss man sich wenig Sorgen machen“, versuchte sie der Schwarzhaarige nun etwas zu beruhigen – dass Frauen immer so schnell das Schlimmste befürchten mussten.

„Sie hetzen ihm Carpano, Cognac, Vermouth, Gin und Jami auf den Hals – Kir zählt nicht! Wie viele von denen auf Hiroyas Seite sind, ist klar. Der Boss will die besten Killer auf ihn hetzen… Wie kannst du das Ganze da lächerlich nennen?“

„Hiroya LÄSST sich nicht zwingen – selbst als man ihm drohte, seine Schwester zu töten, hat er sich nicht zwingen lassen – und bisher hat ihn nie einer ernsthaft verletzt.“

„Es hat auch keiner ernsthaft versucht!“ Ihre Stimme wurde lauter, er sollte es nicht so auf die leichte Schulter nehmen. „Cognac wird ihm kaum richtig zusetzen – Vermouth wahrscheinlich aber schon, Jami ist eh blutgeil und Carpano denkt nur an Kir“, sie seufzte tief, sie wusste, dass Kir nur die Garantie dafür war, dass Carpano nicht tat, wozu er Lust hatte, auch er würde todsicher auf Hiroya schießen.

„Vielleicht gelingt es mir, Jami auf meine Seite zu bringen, er ist ja immerhin total dagegen, dass Hiroya bei ihnen einsteigt.“

Cinzano fand den Mann seltsam, er redete von ihnen, er zählte sich also nicht wirklich zur Organisation, dabei trug er einen Codenamen, wie sie alle. Auf welche Seite er gehörte, wusste man daher sofort. „Aber ich muss dir leider sagen, dass Hiroya nicht geil darauf ist, Kontakt zu mir zu haben – es soll nicht auffallen, verstehst du? Nicht mal Kimi ist dahinter gekommen, was ich hier mache! Zu viel Kontakt ist nicht gut.“

Darüber zu reden, war genauso wenig gut, fand die Blondine, trotzdem hatte er ihr ziemlich schnell alles darüber erzählt – wie unvorsichtig von ihm, sie hätte es genauso gut weiter erzählen können – ob er wohl getötet hätte? Bisher war er ja immer ungeschädigt davon gekommen. Er hatte Glück gehabt und das obwohl Jami ihn für fähig hielt, so wie Cognac damals. Er hatte mal gesagt, dass er Hiroya nicht abkonnte und Jami war Feuer und Flamme gewesen. Der Killer hatte auch komische Vorlieben – jedenfalls waren alle Feinde von Kimikos Bruder automatisch seine Freunde. Was für den Kerl an erster Stelle stand, war somit auch schon lange klar. Warum hatte er schließlich auch versucht Kimis Freund in die Organisation zu holen? Doch nur, weil er Hiroya nicht ausstehen konnte. Er hatte leider mitbekommen, wie sie immer miteinander umgegangen waren.

„Es ist gefährlich Jami austricksen zu wollen – sollte er jemals erfahren, auf wessen Seite du wirklich stehst, würde er dich sofort töten – wahrscheinlich besonders grausam. Mit Freunden von ihm, geht er besonders nett um…“

‚Schade, dass Hiroya ihn so wenig mag – deswegen hat Jami ihn leider am Leben gelassen, aber das kann man ja noch ändern…’ Während er Cinzano ansah, ließ er seine Gedanken keineswegs zu ihr durchdringen.

„Du willst ihn also nicht warnen?“

„Mal sehen, was sich tun lässt – sei nicht so besorgt, Hiroya ist nicht alleine – das wissen nur wenige.“ Es war schon lustig, jetzt machte der Boss so einen Aufstand wegen eines einzigen Typen, ob er wohl doch mehr wusste, als er ahnte? Vielleicht musste er noch vorsichtiger sein, würde der Boss seine Vorgeschichte erfahren, würde man sofort an ihm zweifeln. Er war Hiroya immer wohl gesonnen gewesen, aber noch mehr dessen Vater. Er hatte ihm viel zu verdanken. ‚Was Cinzano wohl an Hiroya findet!? Es interessiert mich schon irgendwie. War sie einfach nur Kimikos Freundin, oder steckt mehr dahinter?’ Sie hatte sich kurz nach ihrem Tod sofort auf seine Seite geschlagen, merkwürdig. Er hatte das Gefühl, es lag ihr irgendetwas an Hiroya, und dieses Gefühl wurde er einfach nicht mehr los.

Unerwartet griff Mezcal zu seiner Waffe und zog sie hinten an seinem Gürtel, wo er sie stets versteckt hielt – nur Cinzano sah es und blickte zur Seite, wo man einen leichten Schatten ausmachen konnte – man hatte sie also belauscht, nun erfuhr sie wohl, wie weit der Mann gehen würde, wobei er eigentlich eher harmlos aussah…

Mezcal machte einen Schritt und bedrohte mit einer schnellen Umdrehung den Neuankömmling. „Ich kann’s nicht leiden, wenn man mich belauscht!“

Mit einem Mal hatte das schöne Gesicht etwas Hässliches angenommen. Die hässliche Visage eines Attentäters. Wie gut er sich verstellen konnte… Aber das mussten sie wohl alle irgendwie.

Der Mann mit den gelockten Haaren war geschockt, als man ihm die geladene Waffe unter die Nase hielt und als Cinzano ihn erkannte, lenkte sie ein. „Halt! Er wird uns nicht verraten!“

„So? Woher wissen wir das?“

„Er gehört zu den Guten!“ Sie erfasste den Arm des 24-jährigen und drückte ihn mit sanfter Gewalt runter – der andere - er hatte grüne Augen – schluckte schwer, um ein Haar…

Wieso war er so unvorsichtig, nicht gleich seine Waffe zur Hand zu nehmen, wenn er jemanden belauschte?

„Und vor allem zu Hiroyas Verbündeten – außerdem hasst er Jami… nicht wahr, Caprino?“

Sich langsam etwas beruhigend, ging er näher an beide ran. „Nicht so laut – es könnte sonst noch jemand mitbekommen! Hattet ihr von Hiroyas Freundin Naru gesprochen?“ Es war komisch für ihn, sie so zu betiteln, nachdem sie diesen mit ihm betrogen hatte.

„Ach, du kennst sie? Was’ne Überraschung!“

„Ich kenne sie sehr gut, ich kann aufpassen, dass ihr nichts geschieht, darum braucht ihr euch nicht sorgen.“

‚Ach, daher weht der Wind? Das hat ihn bloß interessiert? Nicht Hiroya! Ich weiß nicht, ob man ihm trauen kann!’

Beide Männer sahen sich mit fragenden Augen an – keiner traute dem anderen so wirklich. Wie dieser Kerl ihn ansah, so durchdringend, er vertraute ihm wohl nicht und hätte ihn viel lieber abgeknallt oder was? Mezcal fand es schlimm genug, dass dieser Kerl ankam und anbot, Hiroyas Freundin zu beschützen – von ihrem Freund selbst war nicht die Rede, das ließ ihn an seiner Loyalität zweifeln.

Cinzano bemerkte, dass die beiden sich zu misstrauen schienen, dabei war Caprino ja nun wirklich keiner, der andere absichtlich reinreiten würde. Nicht einmal seine Feinde würde er ans Messer liefern, das passte nicht zu ihm. Er war ein gerechter Mensch, wie vereinbarte er bloß seinen Job mit seiner Mitgliedschaft bei ihnen? War er wie Sêiichî dauerhaft deprimiert deswegen oder steckte er es besser weg? Sie glaubte eher an ersteres.

„Hiroya beschützt sie selber, ich glaube auch nicht, dass er zulassen würde, dass es ein anderer tut!“ Das war ja, wie wenn für ihn jemand Kimiko beschützt hätte, aber das hatte keiner. Waren eben alles Vollidioten und Weicheier um sie herum, der einzige mit Mumm konnte sie nicht leiden.

Caprino fand seinen Ton ganz schön herrisch, er würde wohl auch nie zulassen, dass ein anderer sein Mädchen beschützte. So einer würde seine Freundin auch auf Schritt und Tritt kontrollieren.

„Hiroya wird genug mit sich selbst beschäftigt sein, es kann nicht schaden, wenn dann einer ein Auge auf sie hat.“ Er würde es sich nicht nehmen lassen, auf sie zu achten, da konnte dieser Typ sagen, was er wollte. „Vier Augen sehen mehr als zwei“, fügte Caprino noch an, wo Cinzano ihm schon irgendwie beipflichten musste.

„Pass aber auf dich auf, wenn Jami oder Gin das rauskriegen, hast du ein ernsthaftes Problem. Der Boss hat es befohlen, da sind sie besonders gründlich im Beseitigen von Aufmüpfigen.“ Es wäre echt schade um ihn, er hatte immer bewiesen, dass er auf der rechten Seite war.

„Danke, Cinzano, das weiß ich zu schätzen – ich bin wachsam, mach dir keine Gedanken.“

Wie viele mutige Männer hatten das schon gesagt und waren dann doch umgebracht worden? Besonders die, die ihre Freundinnen versuchten zu beschützen, wurden am grausamsten und hinterhältigsten beseitigt.

„Es wundert mich aber schon, dass Hiroya noch mehr Freunde in der Organisation hat – das hätte ich nicht gedacht. Ich dachte immer, ich sei ein Einzelstück.“

„Der hat mehr hier sitzen, als ihm lieb ist. Die meisten sind jedoch keine Freunde, sondern eher Feinde, die ihn verarschen! Solange die ihm nichts antun wollen, ist’s mir egal. Er vertraut ohnehin nicht jedem alles an.“

„Wirklich?...“ Zu gern wollte er sie namentlich kennen. „Kannst du Namen nennen?“

„Könnte ich, will ich aber nicht.“

Nun war bewiesen, dass er ihm misstraute, Caprino wusste gar nicht, was er ihm getan hatte, vielleicht hatte Hiroya bereits geplaudert, was diese eine Sache anging. Er fühlte sich selbst schlecht, deswegen war ihm sein Freund noch lange nicht egal.

‚Interessant, dass dieser Juro dazu gehört – ist doch echt nicht zu glauben und tut noch so freundlich! Ich bin der einzige, dem Hiroya vertrauen kann, immerhin war das Ganze seine Idee. Seinetwegen bin ich unter euch… Nur seinetwegen! Er hat es in die Wege geleitet… Dich hat er kaum in die Organisation geschleust, um Informationen zu bekommen.’
 

Wenig später, nachdem Kir sich endlich wieder beruhigt hatte – Sêiichî kam es vor, als hätte es Tage gedauert – trennten sich die Wege von Cognac und Kir. Sie hatte nicht vor nach Hause zu fahren, ganz im Gegenteil, die 28-jährige wollte alles, nur nicht nach Hause.

Es war ohnehin noch früh, andere Leute arbeiteten nun, sie tat das nicht wirklich, den Rest des Tages hatte die junge Frau frei, eigentlich hatte sie sehr oft frei, wenn man es genau nahm. Es gab Leute, die hatten es bei weitem schlechter getroffen. Ab und zu hatte sie einen Auftrag, andere machten es täglich – das Morden.

Sie ging den Weg zu Fuß, es war ohnehin nicht weit. Vorbei kam sie an einigen Geschäften, so ganz hatte sie sich nicht an die Großstadt gewöhnt, weshalb sie auch lieber etwas am Rande der Stadt wohnte. Von hier aus sah man ja sogar den Tokyo-Tower.

Sie ging über eine Kreuzung und befand sich daraufhin in einem recht ruhigen, aber dunklen Eck von Tokyo. Eine Gegend, die Frauen wohl nur tagsüber aufsuchten – es sei denn sie wohnten dort, so wie sie. Aber gerade weil es dort so ruhig war, hatte sie sich den Ort ausgesucht.

Obwohl das Haus direkt in einer Sackgasse stand, machte es schon von weitem einen atemberaubenden Eindruck. Es nahm die gesamte Breite der Gasse ein und war einfach nicht zu verfehlen. Das breite Tor streckte sich einem entgegen, es war so deutlich, dass dort eine Person wohnte, die mehr Geld zur Verfügung hatte als die meisten normalen Menschen. Man sagte, es übertraf das Anwesen der Kudôs, da es so nur von vorne sichtbar war, aber der Weg, den man durch das Tor beschritt fast unendlich schien.

Rena blieb noch immer vor jedem Besuch lange vor dem Haus stehen und betrachtete es, die hübschen Verzierungen zogen sie in seinen Bahn. Obwohl sie öfter hier war, hatte sie den Inhalt des Hauses noch niemals ganz gesehen, wieso auch? Selbst wenn es noch so hübsch war, es wäre unhöflich gewesen, sich jedes Zimmer einzeln anzugucken, wobei es auch sehr viel Zeit beansprucht hätte.

Auch dieses Mal kostete es sie Zeit, erst einmal die Klingel zu betätigen. Es mochte jemanden, der sie nicht kannte, wundern, dass sie jedes Mal selbst die Tür und auch das Tor öffnete, wenn sie sich dieses Haus leisten konnte. Sie war eine Jung-Millionärin und trotzdem nicht glücklich. Wieso suchte sich dieser Jami eigentlich andauernd so reiche Damen aus, um sie zu ehelichen? Gab ihm das einen besonders hohen Wert? Da war sie ja wie ein Mädchen vom Lande…

„Rena-chan“, wurde sie mit lauten, erfreuten Worten begrüßt. Und schon war die blonde Frau mit den lockigen Haaren da und öffnete ihr.

„Ja, ich bin’s, ich wollte dich mal wieder besuchen“, erwiderte die Braunhaarige mit dem Zopf und lächelte ihr zu, bevor beide den schönen Garten entlang gingen. Immer aufs neue sah sie sich hier um, die hübschen, weißen Rosen war einer der Gründe, weshalb sie den Blick nicht abwenden konnte.

„Doch nicht einfach so, oder?“

Dass sie es bezweifelte, ließ Rena ein Seufzen entkommen – warum musste sie so etwas nun wieder sagen?

„Warum nicht? Ich habe den Tag frei“, kam etwas beleidigt von der 28-jährigen, was man ihr so alles zutraute, war einfach ungeheuerlich.

„Wie nett von ihm, dass er euch auch mal freie Tage gönnt – dabei dachte ich, es gäbe immer jemanden zum ermorden.“ Die Worte kamen seufzend von der Blondine, sie machte aber weniger den Anschein, als würde sie diesen Job über alles lieben.

Rena antwortete erst einmal nichts, wartete, bis sie die Tür passiert hatten und bezog sich erst dann auf den Satz.

„Nein – wir steigen wieder aufs Entführen um.“

„Na toll – welches arme Kind muss diesmal drunter leiden, bzw. welche jungen Eltern, die keine Ahnung davon haben, in welchen Kreisen sie sich befinden?“ Es war eine Schande, noch immer konnte sie diesen Mann nicht verstehen, der kleine Kinder in ihre Organisation holte, um sie zu Killern zu machen, es sei denn er fand anderweitig Verwendung für sie, so wie für Sherry. Benutzt wurden sie ja alle…

Beide hatten das riesige Wohnzimmer erreicht, es war kein gewöhnliches Wohnzimmer. Es hatte nicht wie üblich einen Fernseher und ähnliches, nein, es hatte einen riesigen Teppich und ein Piano ziemlich nah am Fenster. Ganz hinten gab es eine Sitzmöglichkeit, eine rote Ledercouch mit großem Tisch, auf welchem ein paar Bücher lagen.

„Setz dich, ich mache uns einen Tee.“ Dann war sie für einige Minuten verschwunden, sie wohnte ganz alleine in diesem riesigen Haus, es war wirklich gigantisch, wahrscheinlich gab es aber noch größere Häuser, die sie sich kaum vorstellen konnte, für ihre Verhältnisse war es jedenfalls total groß. Sicher wohnte Valpolicella noch viel luxuriöser, die Britin war immerhin adelig.

Als die Frau mit den türkis farbenen Augen mit einem Tablett wieder kam und dieses abstellte, entschloss sich Rena die Frage zu beantworten. „Diesmal kein Kind, es ist was Größeres – eine Herausforderung würde Gin sagen.“

Verwundert blickte sie ihre Freundin an und setzte sich dann ebenfalls auf die Couch. „Bedien dich“, meinte sie. „Wenn es kein Kind ist, was ist es dann? Ein berühmter Wissenschaftler?“

„Nein, auch kein Wissenschaftler – ich frage mich, was der Boss bezweckt, es ist geradezu, als sei er geblendet, wie bei Vermouth. Es ist Kimiko’s Bruder… Es geht mir allmählich ein Licht auf.“

„Hiroya?“ Die 23-jährige war von ihrem Platz aufgesprungen, es war ein Schock für sie, zu erfahren, dass es jemanden geben sollte, der es wagen wollte, den Kerl zu entführen. „Allerdings, eine Herausforderung ist das schon, aber warum?“

„Da fragst du die Falsche…“ Seufzend schenkte sich Rena Tee ein, ließ Zucker hineingleiten und nahm dann den silbernen Löffel, um den Inhalt umzurühren.

Kenichi weiß es sicher auch schon – was für ein rabenschwarzer Tag das wäre, wenn sein Feind in die Organisation aufgenommen wird, davor hat er sich immer gefürchtet, aber wohl nie für möglich gehalten hat, dass der Boss es mal wirklich planen würde.“

„Wenn er ein normaler Mann wäre, aber das ist er doch gar nicht, er jagt Jami, was will der Boss mit ihm?“ Sie griff sich ans Kinn, die Frage schien sie sehr zu beschäftigen, kein Wunder, sie kannte Jami mehr als gut, beinahe zu gut – eine Zeit lang war sie wie sein Schatten gewesen, was sie mittlerweile hoffentlich richtig bereute.

„Mich beschleicht mehr und mehr der Verdacht, dass JAMI wirklich nicht wusste, dass irgendwer Hiroyas Schwester in den Tod fahren lassen würde – er hat nämlich auch erst heute erfahren, dass der Boss Interesse daran hat, einen neuen Killer bei sich zu begrüßen, denn etwas anderes kann ich mir nicht vorstellen. Hiroya ist nämlich nur mit dem Mundwerk noch schneller, als mit der Waffe.“ Rena hatte keine hohe Meinung von ihm, immerhin drohte er ihr.

„Wie geht’s Katori eigentlich? Ich kann mich gut erinnern, dass wir drei oft zusammen weg waren, sie waren noch enger befreundet, als ich und Kimi.“ Es bedrückte sie irgendwie, nie mehr würden sie gemeinsam Spaß haben.

Rena stellte die Tasse zurück auf den Unterteller und schloss die Augen. „Wieso willst du das wissen? Ist dir das wichtig?“

„Wir haben uns seit der Sache nicht mehr gesehen, weißt du? Ich kann mir vorstellen, dass es ihr nicht sonderlich gut geht.“

„Sicher nicht, aber sie hat Ablenkung durch einen Mann.“

Rena schien nur halb so viel mitzubekommen, wie ihre Bekannte, sie schüttelte den Kopf, denn, dass es sich bei dem Genannten um Yuichi handelte, bezweifelte die Jüngere.

„Ach echt? Was kann so ein daher gelaufener Kerl schon für sie tun?“ Sie presste die Lippen aufeinander, Rena zu sagen, dass Katori immer noch Yuichi liebte, musste echt nicht sein. „Ich für meinen Teil glaube, sie hat schon vor langem ihr Herz vor anderen Männern verschlossen.“ Weshalb sagte die Blondine nicht, aber auch nur aus Rücksicht, was Rena aber wusste, sie war schließlich nicht dumm.

„Meinst du nach der Trennung von Yuichi war alles für sie nur noch ein Spiel?“ Die Erkenntnis traf Rena doch sehr, Katori sprach nie davon, dass es sie so schwer getroffen hatte, das hatte sie wirklich nicht gewusst.

„Ach, du musst das ja am besten verstehen, oder meinst du, eine Frau vergisst so einen Mann schnell?“ Gerade Rena, die ihn so sehr liebte, musste das am besten wissen.

„Meinst du… Meinst du, dass sie ihn tief in ihrem Herzen noch immer liebt?“ Man bemerkte das starke Hände Zittern bei der Braunhaarigen, und auch dass sie Angst davor hatte, Katori als Freundin zu verlieren, wenn sie einen Fehler machte – eigentlich hatte sie diesen schon gemacht, indem sie sich nicht gewehrt hatte. Aber sie musste dieser Frau hier danken, durch sie hatte sie Jami von seinen schlimmsten Seiten kennen gelernt.

„Ich glaube einfach nur, dass es danach mit keinem mehr so war, wie mit ihm, das ist alles. Mach dir mal keine Sorgen, Katori ist die Letzte, die dran denkt einer Freundin den Mann auszuspannen.“ Die junge Frau wollte sie nur beruhigen. „So was würde Vermouth bei Cognac tun, aber doch nicht sie bei euch, das ist albern.“ Ganz so albern war es sicher nicht, aber sie wollte nicht, dass Rena sich nun Kopfschmerzen bereitete.

„Warum sprichst du immer so über die beiden? Du lässt nie ein gutes Wort an ihnen.“

„Was denn? Dass Chris Vineyard ein liebes Mädchen ist, davon bin ich weit entfernt. Kaum eine Frau ist so verrückt nach Cognac, wie sie. Auch wenn sie es verbirgt, mir entgeht nichts! Aber er ist genauso schlimm, irgendwann wird er deswegen noch umgebracht – dabei ist er doch gar nicht so einer wie die meisten anderen Kerle, von denen sie sich hat besteigen lassen! Bah!“

„Du hast Recht… Sêiichî ist ein netter Kerl, auch wenn er einen Totalschaden zu haben scheint, wenn es um sie geht, eigentlich ist er ja zu bedauern. Seine Freundin wird von so vielen Männern bewundert, er muss sich ja fürchten, sie an einen reichen Kerl zu verlieren.“

„Er würde für sie alles tun, fürchte ich, außer vielleicht Ryochi im Stich lassen, wobei ich mir in der Sache nicht mehr sicher bin, es wäre schade um beide.“

Es verwunderte sie doch ein wenig, dass Saki Ryochis Freundschaft zu Cognac so genau kannte, sie hatte zwar in Kyoto gewohnt, aber trotzdem. „Da kann man sich niemals so sicher sein, Menschen sind nie ganz durchschaubar, sie können auch mal etwas Verwegenes tun…“ Ja, verwegen war es, sie hätte nie damit gerechnet – Valpolicella und Carpano. Sie hatte ihm diesbezüglich immer vertraut und gedacht, dass er so etwas niemals tun würde, aber auch da konnte man sich täuschen. Es war als wenn er sich mit dem Feind verbündet hatte…

„Wirst du Cinzano einweihen, was Hiroya angeht? Ich glaube, das würde sie interessieren.“

„Gerade sie, die sonst immer so gerecht zu sein scheint, hat eine Schwäche für Kimikos Bruder, ich finde es lachhaft – was hat er nur getan, dass sie so gut von ihm denkt? Ich kann ihre Meinung nicht teilen, der Kerl hat doch einen Dachschaden, schlimmer als Sêiichî.“

„Ich würde es nicht direkt eine Schwäche nennen, aber ich bin zu 99% überzeugt, dass sie etwas unternehmen würde. Du kennst sie doch, nur über meine Leiche lässt sie so was zu. Wahrscheinlich auch, weil Kimi so gehandelt hätte.“

Dazu fiel Rena nichts mehr ein, aber es stimmte. Es wäre allerdings sehr ungesund, sich da einzumischen – die Sache schien dem Boss mehr als nur wichtig zu sein. Sie war doch wohl nicht so dumm, etwas zu unternehmen, das wäre Irrsinn. Was hatte sie davon, außer einen baldigen Tod vielleicht?

„IHN in Schutz zu nehmen würde ihr nicht gut tun – Cencibel muss besser auf sie Acht geben, sie ist noch jung und macht gerne Dummheiten. Und verrückt ist sie manchmal auch.“

„Genauso verrückt wie Sêiichî, was?“

„Schlimmer, sie ist schlimmer.“

‚Vielleicht sieht sie auch nur noch halb so viel Sinn in ihrem Leben, seit sie Yuichi verloren hat? Und dass ihr dieser Kerl was bedeutet, glaube ich im Leben nicht. Vielleicht haben sie etwas miteinander, aber mehr… Er würde sie auch niemals richtig lieben, sein Herz hängt an einer völlig anderen Person.’ Es war beängstigend genug, dass sie Kontakt zueinander hatten, aber, dass er Mut hatte, musste se zugeben, immerhin spionierte er innerhalb der Organisation und wagte es Jami an der Nase herum zu führen. Sie war froh, dass sie ihn nicht verraten hatte – sie hatte es für sich behalten, nachdem sie davon erfahren hatte.

„Es würde ihm sehr schlecht ergehen, sollte mein Exmann jemals die Wahrheit über ihn erfahren. In Sachen Hiroya versteht er keinen Spaß.“

„Wem sagst du das? Aber genauso scheint er Leute zu lieben, die Hiroya hassen und umgekehrt. Er ist fanatisch hinter diesen Leuten her. Was hat er dir eigentlich über ihn erzählt?“ Das interessierte Rena schon. Bestimmt hatte er ihr ein bisschen mehr sein Herz ausgeschüttet, immerhin waren sie verheiratet gewesen.

„Hiroya hat ihm den Krieg erklärt – er will ihn kriegen, dafür würde er sein Leben opfern, ist so was wie ein Lebensziel von ihm. Es macht ihn krank, dass er ihm unterlegen ist. Niemals lässt sich Hiroya auf uns ein, dazu fehlt das Druckmittel, es sei denn, sie wissen, dass sie existiert.“

Überrascht blickte sie die 23-jährige Blondine an, sie hatte etwas erwähnt, was sie selbst nicht wusste. „Du kennst seine Freundin?“

„Es wundert mich nicht, dass du sie nicht kennst, aber leider kennt Kenichi sie. Er meinte immer, es hätte nichts mit mir oder ihr zu tun, dass er ihr nachstellen muss, er hatte es nur darauf abgesehen, ihm damit wehzutun, er wollte ihn verletzen und ihm zeigen, dass er der bessere Mann ist. Er hat sich mit ihr getroffen, aber Kimi hat ihm dazwischen gefunkt, ich glaube, er war ein bisschen sauer.“

„Alles Verrückte…“

„Ach – er weiß es nicht, dass sie beide gesehen hat, aber von ihr wusste Naru, was Kenichi bezweckt. Ich glaube, er hätte sie erwürgt, wenn er wüsste, dass sie sie gewarnt hat. Sie hat’s nicht offensichtlich getan. Hiroya sollte ihr lieber dankbar sein, sonst wäre Naru an die Falschen geraten…“

„Eine glückliche Beziehung kann das auch nicht sein, wenn es ihm gelungen wäre, hätte sie sich nicht eingemischt. Oder die Frau ist nicht ganz normal! Ich kenne sie leider nicht! Was mag das für eine sein, die diesen Mann lieben kann?? Entweder ist sie genauso grausam wie er, oder… ich weiß nicht…“

Saki überlegte, sie kannte Naru immerhin. Wie konnte man ihre ehemalige Klassenkameradin wohl beschreiben? „Grausam würde ich nicht sagen! Aber auch nicht gerade die netteste Person, die man sich vorstellen kann. Sie hat oft bewiesen, dass sie sich durchsetzen kann und war nur zu auserwählten Menschen nett. Was sie an Hiroya findet, kann ich dir sagen. Er hat ihr, als sie klein war, das Leben gerettet, seitdem hat er einen besondere Platz in ihrem Herzen.“

„So ist das also“, erkannte Rena, sie konnte es jetzt wenigstens nachvollziehen.
 

Schon seit einigen Minuten rannte sie quer durch die Straßen, die Tränen verschleierten ihr hübsches Gesicht. Schon lange hatte sie nicht mehr so sehr geweint wie heute. Wie konnte er nur derartig grausam sein und sie so betrügen? Sie wusste selbst, dass es mies von ihr gewesen war, mit einem anderen diesen Schritt zu wagen, sie hatte noch nie daran gedacht, fremdzugehen, aber sie hatte ihre Beziehung zueinander einfach nicht mehr ertragen und hatte Luft gebraucht – trotz allem liebte sie diesen Idioten noch immer? Waren Frauen denn immer dazu verdammt, die falschen Männer zu lieben?

Es war vielleicht ein blöder Zufall, aber als sie es zu einer Ampel mitten in dieser großen Stadt geschafft hatte, hörte sie die Stimme einer Freundin, die sie von hinten ansprach. Sie war eine der besten Freundinnen überhaupt und tauchte immer dann auf, wenn man nicht mit ihr rechnete. Die 21-jährige schaute die Hellbraunhaarige mit besorgten graublauen Augen an. „Naru-chan?“ Ihre liebe und sanfte Stimme sprach mit ihr und es war kein Wunder, dass die Tränen noch heftiger kamen.

„Wie… Wie konntest du Sêiichîs Verhalten solange tolerieren? Wie hast du das ertragen?“ Wie schlimm es war, betrogen zu werden, wusste sie erst jetzt.

„Bitte? Was meinst du?“ Die Rothaarige legte eine Hand auf Narus Schulter und versuchte in ihren Augen zu lesen, was sie meinte.

„Ich wollte mich mit Hiroya vertragen – weil ich ihn liebe, und dieser undankbare Vollidiot nimmt sich die nächst beste und treibt’s mit der!“ Sie drückte ihren Kopf an Riinas Schulter und fing erneut an zu schluchzen. Noch nie hatte sie in ihrer Gegenwart so bitterlich geweint, es war eine völlig unbekannte, seltsame Situation. Riina hatte ihre beste Freundin noch nie weinen sehen.

Es war einfach schrecklich, alle um sie herum schienen glücklich, jede Freundin hatte ihr privates Glück gefunden, sogar Kimiko, die von ihrem Freund immer so runter gemacht worden war. Warum hatte sie so viel Pech mit ihrer großen Liebe? Er enttäuschte sie und trat ihre Gefühle mit Füßen. War das der Dank dafür, dass sie stets zu ihm gehalten hatte? So bestrafte man sie nun also.

„Was?“ Riina konnte es nicht glauben, in Narus Erzählungen war Hiroya zwar schon oft ein Mistkerl gewesen, aber auf eine völlig andere Weise, als diese ganzen Fremdgänger. Dass er Naru betrügen würde, hätte sie doch niemals gedacht.

„Bist du ganz sicher?“

„Er hat es mir reingedrückt!“

Riina zog ihre Freundin etwas in ihre Arme und ging mit ihr von der Ampel weg, eigentlich war sie auf dem Weg zu Wataru gewesen, aber das musste nun warten. Sie konnte ihre Freundin jetzt doch nicht alleine lassen.
 

Tomoko war Naru, wie von Hiroya gewollt, die ganze Zeit über nachgelaufen und nun dementsprechend außer Puste. Die Arme war völlig fertig – aber sie schien nun jemanden zu haben, der auf sie aufpasste, das war gut. ‚Muss eine gute Freundin sein…’ Trotzdem blieb die Frau mit den blond gefärbten Haaren noch in der Nähe und beobachtete beide Frauen.
 

Sie hatten sich in eine nahe gelegenes Café gesetzt – davon gab es in diesem Stadtteil unzählige, so dass man nie wusste, in welches man gehen sollte, sie entschieden sich für das erste, was ihren Weg kreuzte.

„Nun erzähl mal, was genau passiert ist!“ wollte Riina von ihrer Freundin wissen, es war alles immer noch so absurd.

Naru hatte sich nicht wirklich beruhigt, aber weinte nun nicht mehr, ihr Kopf war gesenkt und sie sah traurig aus.

„Ich habe, obwohl du mir gesagt hast, ich soll es lassen, etwas mit Juro gehabt – Hiroya kam nach Hause und ich habe ihm gesagt, dass er nun mein neuer Freund ist. Kaum einen Tag später habe ich es schon bereut. Wieso nur kann ich Hiroya gegenüber nicht mal standhaft bleiben? Was geistert durch meinen Schädel, dass ich immer bei ihm sein will?!“ Sie hielt sich den Kopf und machte einen sehr verzweifelten Eindruck.

„Du hast gefragt, wie ich Sêiichîs Seitensprünge ertragen konnte?“ Ein ganz kleines Lächeln trat auf Riinas Gesicht, es war ein trauriges. „Die Frage kann man so leicht beantworten, das könntest du auch selbst. Die Antwort heißt Liebe! Eine Frau lässt sich viel gefallen, wenn sie liebt.“ Es war nicht gelogen, Sêiichî war ihre erste Liebe gewesen, eine traurige zwar, aber sie hatte nicht ohne ihn gekonnt, auch danach nicht. Es war so schwer gewesen, darüber hinwegzukommen.

„Warum können wir nicht vernünftig sein? Vernünftig wäre es, wenn ich jetzt zu Juro ginge! Er hat es verdient, aber ich habe ihn nur benutzt… Was bin ich für eine schreckliche Frau?“ Naru verstand sich selbst nicht mehr, sie hatte Dinge getan, von denen sie gedacht hatte, sie wäre nicht dazu imstande.

„Tröste dich, ich glaube nicht, dass es ihn so sehr verletzt – du weißt doch, dass er die ganze Zeit hinter mir her war!“ versuchte Riina Naru zu beruhigen. „Aber du solltest wenigstens ehrlich zu ihm sein.“

„Ich glaube, das kann ich nicht! Ich kann ihm nicht sagen, dass aus uns nichts werden kann, weil ich einen Vollidioten liebe! Und er macht nicht den Eindruck, als sei er noch immer hinter dir her, er war wohl gerade dabei, es zu vergessen, was zwischen euch war, er will wirklich mit mir zusammen sein.“ Es trieb ihr fast die Tränen in die Augen, Juro war so ein netter Typ, was auch immer zwischen Riina und ihm schief gegangen war, sie musste das doch wissen.

„Es zeugt nicht gerade von Anstand, dass er sich von dir hat verführen lassen, das zeigt nur wieder, wie standhaft er doch ist – so war er ja auch bei Leena! Hiroya ist sein Freund, wie kann er ihm die Freundin wegnehmen wollen?“ Riina verstand das nicht, Männer waren, wenn es um Frauen ging, oftmals so eiskalt. Ob Sêiichî wohl auch Ryochi Shina ausspannen würde, wenn sie für ihn spannend wäre? Waren die denn wirklich alle so? Wer konnte das glauben? Es musste doch auch Männer geben, denen Freundschaft mehr wert war, als irgendeine Frau. „Tatsuji würde so etwas niemals tun!“ kam aus Riinas Schmollmund, als hätte man ihr versucht weiszumachen, dass auch er so etwas machen würde.

„Ach – wenigstens bist du vernünftig und schenkst dein Herz in Zukunft nur den richtigen Männern, will ich hoffen.“

Naru glaubte, dass Riinas Abgebeteter genauso war, wie sie immer erzählte. Dass er wirklich ein Held war und so liebenswert wie ein sanfter Wind, der einem das Gesicht streichelte.
 

Ein 24-jähriger Mann lehnte sich an die Wand und dachte über die erfahrene Sache nach; in seiner Haut wollte er gerade echt nicht stecken. „Man, ich sollte mich nicht beschweren, ich dachte zuerst, dass es um Ryochi geht. Ich sollte mich nicht fragen, was man mit Yuichi machen müsste, um ihn auch zu so was zu bringen“, dachte er sich laut nach, wobei er noch immer flüsterte. Solche Fragen taten ihm gar nicht gut, er würde nur wieder Kopfweh bekommen.

Er spürte, wie jemand seinen Arm grob nahm und zu sich zog, er schrak aus seinen Gedanken hoch und dann war sie wieder hier, um ihm Vorwürfe zu machen.

„Du solltest deine Gedanken nicht laut aussprechen, sonst musst du nur wieder jemanden umbringen, wenn es die falschen Personen hören!“

„Dann wäre das so… Das macht mir wenig aus! Wenn sie es verdient haben, fällt’s mir leicht!“ beharrte er, wieso musste diese Frau schließlich schon wieder so klugscheißen?

„Du stehst hier wie einer dieser düsteren Typen, die drauf warten, dass eine heiße Frau an ihnen vorbei läuft, damit sie sie anfallen können…“ hauchte sie ihm zu, anscheinend hatte sie gerade Lust dazu, ihn anzuflirten, ihre Art Anflirten fand er gerade aber mehr störend – er dachte an Hiroyas Freundin Naru und die wollte ihn begrabschen – er spürte ihre Hände schon an seinem Hemd.

„Lass das, ich bin nicht in Stimmung“, es kam selten vor, dass solche Worte von ihm kamen, wenn sie sich ihm annäherte.

„Ach, ist es, weil du seine kleine Freundin kennst? Du kennst auch jede, oder?“ Sie nahm die Finger von ihm, als hätte sie diese Erkenntnis gerade angewidert, doch dem war nicht so – sie nahm ihn schon lange so hin, wenn man es genau sah. „Was ist das für eine Frau, dass du so intensiv an sie denken musst?“ In ihrer Stimme war etwas Heimtückisches verborgen, er hörte es jedoch sofort und sah sie mit funkelnden Augen an, er kannte sie immerhin.

„Keine meiner Liebschaften! Klärt das deine Frage?“

„Warum heute so zickig? Du klingst wie ein Mädchen, dessen Schwarm man beleidigt hat! Ist das am Ende eine Frau mit richtiger Klasse? Eine, die nicht deinem Charme erlag?“

Man merkte, dass ihre Worte ihn ärgerten, bestimmt tat sie es wieder absichtlich. Musste sie ihm so was immer wieder unterbraten?

„Ich bin keinesfalls zickig, Chris, ich wollte nur gerade alleine sein!“

Ihr Mund verzog sich nach unten – sie störte ihn? Noch nie hatte es ein Mann, mit dem sie zusammen war, gewagt, sie als störend zu bezeichnen, sie nahm es ihm wirklich übel, dass er ihr dieses Gefühl gab – er musste doch wissen, dass es ihm bei ihr nicht gut erging, wenn er sie so etwas spüren ließ, oder? Verflog ihr Zauber, der ihn in ihren Bann zog, nun doch, oder was war mit ihm los? Bisher war es immer so gewesen, dass er immer als erstes angekrochen kam, wenn sie stritten, gerade war er total verändert, so kannte sie ihn nicht.

„Tut mir Leid, ich wollte dich nicht anschnauzen“, kam dann jedoch sofort die erwartete Entschuldigung, sie hatte sich schon fast Sorgen gemacht – vielleicht bildete sie sich ja auch ein, dass er anders war.

„Es ist nur so, dass ich sie schon länger kenne – es bedrückt mich immer ein wenig, wenn man Leute mit in eine solche Sachen ziehen will, so gut solltest du mich mittlerweile kennen. Ich bin viel zu weich, das habe ich gerade wieder erkannt.“

Dass er es zugab… Doch, er war anders – was war denn los mit ihm? Schaffte er es nicht mehr, seine Rolle zu spielen? Das war sehr schlecht für seine Gesundheit, wenn er damit anfing.

„Du kannst dich nicht um alles und jeden sorgen, Sêiichî, ein bisschen ist ja okay, aber du sorgst dich um jeden, den du auch nur ansatzweise magst, vielleicht magst du einfach zu viele – du solltest dir ein paar wenige Leute aussuchen, die dir am wichtigsten sind und…“

„Sag mir bloß nicht, was ich zu fühlen habe! Diesbezüglich bin ich vollkommen anders als du, ich kann nicht anders! Ich versuche so viele Leute zu retten, wie es mir möglich ist! Wenn dir das nicht passt, dann…“

„Oh ja, es passt mir nicht! Ich hasse es, wenn du den Helden spielst, weil das immer bedeutet, dass du halbtot bei mir landest, es war schon immer so! Komm diesmal ja nicht auf die Idee, was zu unternehmen! Der Boss steht total auf Hiroya Tokorozawa, wer da quer schießt, wird eine Menge Probleme bekommen!“ Sie warnte ihn ja nur – sie wollte in Zukunft nicht auf ihn verzichten müssen, weil er sich endgültig selbst ums Leben brachte.

„Sehe ich aus, als wenn mich das abschreckt?“ Ein Grinsen war auf seine Lippen gehuscht, da war es wieder, das Wahnsinnige in seinen Augen, dieser teuflische Glanz, wenn er in seinem Element war. Im wahrsten Sinne des Wortes war Sêiichî dem Wahnsinn verfallen, es war wahnsinnig genug, die Organisation zu linken, aber er war auch noch so verrückt, die Gefahr zu ignorieren, selbst wenn er sie kannte.
 

Neuerdings war Sonoko immer mit so merkwürdigen Leuten unterwegs, Katsumi ging ja noch, aber diese hatte eine weitere Person mitgebracht, bei der Ran einfach nur die Flucht ergriff, schon alleine ihr Auftreten hatte sie abgeschreckt. Der knallrot geschminkte Mund der jungen Dame, ihr kurzer Mini-Lederrock, die Lackstiefel, welche normale Frau ging in dem Aufzug auf die Straße. Sie schien sehr viel älter zu sein, als Katsumi oder Sonoko und sie wusste ganz genau, dass Sonoko viel zu anständig war, um mit dieser Person zu verkehren. Obwohl sie ihre beste Freundin war, hätte sie nicht gedacht, dass sie sich an die Haxen solcher Leute hängte. Ihre beste Freundin konnte sie auch noch hundert Mal fragen, ob sie mit zu diesem Rockkonzert ging, sie würde wieder nein sagen, bis sie es sein ließ. Die Band hatte einen gewissen Ruf, doch das war längst nicht alles. Dem Sänger sagte man exzessiven Drogenkonsum nach und diese Aiko sah aus, als würde ihr so etwas gefallen. Es war ihr zuzutrauen, dass sie die Jüngeren dazu verführte, auch diesen Mist zu nehmen…

Als Ran und Sonoko von der Schule nach Hause kamen, wollte sie sie noch einmal zur Vernunft bringen, obwohl sie selbst wissen müsste, was sie tat.

„Wie ist Katsumi eigentlich an Misae geraten? Wo haben sie sich kennen gelernt?“

„Warum interessiert dich das, Ran?“ Etwas verwirrt guckte sie die Detektivstochter an, irgendetwas schien ihr Sorgen zu machen.

„Ich finde, dass sie ganz schön mit ihren Klamotten angibt und damit, dass sie anscheinend mit Prominenz verkehrt…“ Selbst Sonoko hängte es nicht so sehr an die große Glocke, dass sie Kontakt zu solchen Leuten hatte, da ihr Vater ein reicher Sponsor war.

„Ich finde eigentlich nicht, dass sie angibt, Ran! Sie hat uns die Karten besorgt – wieso willst du nicht mitkommen? Es wird sicher lustig.“

„Liest du Zeitung?“ Ran seufzte, es machte ihr wirklich Sorgen. „Der Sänger lag mal wegen einer Überdosis im Krankenhaus, daraufhin hat seine Plattenfirma ihn rausgeworfen! Sie haben ihm verboten, seine CDs zu verkaufen und dieses Konzert ist doch nur ein Treffpunkt für Drogenabhängige.“

Sonoko blieb stehen und hatte einen gekränkten, aber auch etwas wütenden Blick inne. „Nur, weil er so was einmal gemacht hat, heißt das doch nicht, dass er es immer tut! Außerdem bauschen die Medien so was immer wieder viel zu viel auf… Vielleicht hatte er auch Schmerzmittel genommen und hat dazu Alkohol getrunken… Es wurde nie gesagt, welche Drogen er zu sich genommen hatte! Warum musst du allen den Spaß verderben…?“ Sie wollte schon wegrennen, aber Ran hielt sie fest.

„Jetzt sei nicht gleich wieder beleidigt! Ist dir noch nicht aufgefallen, was diese Aiko Misae für eine Frau ist? Sie donnert sich auf, um Männern zu gefallen und ganz bestimmt, ist ihre Art zu amüsieren etwas anders ausgeprägt als eure… Nichts gegen deine Freundin Katsumi, aber mit IHR will ich nirgendwohin. Wenn du zum Konzert gehen willst, dann geh mit jemandem hin, von dem du weißt, dass er keinen Dreck am Stecken hat!“

„Woher zum Teufel willst du denn wissen, ob Aiko Dreck am Stecken hat? Das ist eine üble Verleumdung!“

„Ich kann mich täuschen, aber das tue ich doch recht selten, wenn es um solche Personen geht! Sie strahlt etwas total Schlechtes aus, hinter ihren hübsch geschminkten Lippen steckt ganz sicher kein guter Mensch!“

„Sie ist Shinichis Cousine, ich sage ja auch nichts gegen deine, obwohl die manchmal echt abgehoben ist!“

„Ach – seit wann hast du denn was gegen Natsumi? Ihr wart doch bis vor kurzem noch die besten Freundinnen dachte ich“, seufzte das dunkelbraunhaarige Mädchen, doch da drehte Sonoko den Kopf weg. „Sie hat sich doof verhalten! Als wir Aiko mitbrachten, hat sie sich dieser gegenüber total bescheuert aufgeführt!“

Wahrscheinlich hatte Aiko Natsumi einfach geärgert und sie war deswegen komisch gewesen, aber es war eigentlich gar nicht ihre Art unfreundlich zu sein.

„Sie hat Aiko von Anfang an nicht akzeptiert! Und ihr dann noch zu unterstellen, dass sie etwas mit ihrem Cousin hätte, da hört’s echt auf!“

„Was hat sie ihr unterstellt?!“ Rans Augen wurden riesengroß, sie glaubte einfach nicht, was sie da hörte. Ehrlich gesagt, Shinichi traute sie solche Schweinereien wirklich nicht zu, aber Aiko schon, sie würde doch hemmungslos jeden Mann verführen.

„Sie meinte, Aiko würde Shinichi nachstellen!“

„Das soll sie wagen, die hacke ich zu Kleinholz!“ Ran brachte sich in eine eindeutige Karatepose und wirkte äußerst kampflustig.

„Der ist doch für sie wie ein Kind…“, meinte Sonoko mit Halbmondaugen, um Ran wieder etwas zu beruhigen. „Ich halte das für ganz großen Blödsinn, Ran! Darum würde ich mir mal gar keine Gedanken machen. Aber wenn der Blödmann sich von einer anderen verführen lassen würde, würde ich ihm mehr als nur einen Tritt verpassen, Ran!“ Sie hoffte wirklich für ihren Freund, dass er nicht solche Schwachheiten im Kopf hatte, bei Jungs dieses Alters wusste man das ja nie so genau. Und er war schon solange weg, das stank eben zum Himmel – wer wusste, was er gerade so trieb?
 

Es war gerade Mittagspause, als ein Mädchen mit schwarzem Pferdeschwanz durch die Redaktion schlenderte. Sie klopfte und trat dann ein, die Tür schloss sie hinter sich sofort wieder.

„Was ist mit Durello-san? Wieso ist er nicht hier?!“ Ihr Blick hatte etwas Trotziges und die Rotblondhaarige blickte nicht sofort auf, als man sie ansprach.

„Was ist das für ein Ton? Er hat uns verlassen…“ Nun warf sie der Kleinen einen Blick zu, dieser gefror geradezu das Blut in den Adern, als die grünen Augen sie erfassten und gefangen nahmen. Sie schluckte schwer. Auch wenn sie es nicht verdeutlichte, das hieß doch unweigerlich, dass er nicht mehr am Leben war, oder?

„Gewöhn dir mal einen anderen Ton an! Du bist eine Waise, ein Kind ohne Eltern, dich beschützt keiner!“ warf sie ihr eiskalt an den Kopf, stand von ihrem Platz auf und kam dann vor ihr zum Stehen. Es war als wenn ein Riese vor dem doch recht kleinen Mädchen stand.

„Wieso hat er uns verlassen? War er nicht ein zuverlässiger Mitarbeiter??“

Die Handfläche der Redakteurin raste auf das Gesicht des Mädchens zu und landete ungemein fest auf der Wange der 19-jährigen, die bei dem Schlag das Gleichgewicht verlor und am Boden landete. Ihre ebenfalls grünen Augen sahen die Ältere verhasst an.

„Pass auf, dass du uns nicht auch verlässt, wenn du dich so wichtig machst! Merk dir das mal für die Zukunft, Kleine! Du bist nicht in der Position, Fragen zu stellen! Außerdem habe ich etwas, was dir sicher fehlen würde, wenn man ihm das Herz rausreißt! ER stellt wenigstens keine dummen Fragen, so wie du! Wenn man nichts geleistet hat, sollte man besser auf zu viel Worte verzichten! Solange du dich um andere scherst, wirst du es zu nichts bringen.“

Zusammenzuckend war sie schockiert über diese Nachricht, das hieß, dass ihr Bruder zumindest noch am Leben war, aber wahrscheinlich ebenfalls von der Organisation gefangen genommen worden war.

Man sah an ihren verstört wirkenden Augen, dass sie es gecheckt hatte, sie wusste ganz genau, von wem sie sprach, noch ehe ihr Bruder erwähnt worden war.

„Vielleicht befehle ich deinem eigenen Bruder einmal, dass er dich umbringen soll! Wenn ich nämlich will, werde ich genau das von ihm verlangen – was denkst du, wird er tun? Und was glaubst du, was passiert mit Verrätern bei uns? Ich habe schon schlimmere kleine Bälger erledigt, wenn sie nicht spuren wollten!“

Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollte, so hatte sie Angst vor dieser Frau. Sie war wunderschön und genauso gefährlich schien sie zu sein.

Als sie dann noch auf sie zukam und sie mit ihren gefährlichen Schlangenaugen ansah, hätte die Rotblonde schwören können, sie würde die Angst aufblitzen sehen. Es gab ja auch kaum einen, der sich nicht vor ihr fürchtete, selbst der tollkühle Cognac würde es niemals wirklich wagen ihr zu widersprechen und so ein kleines Miststück schon gar nicht.

„Are you teasing the weaker ones again?” warf ihr eine etwas höher klingende, aber eindeutig männliche Stimme zu, die gleichermaßen auch ein klein wenig überheblich klang, jedenfalls alles andere als verängstigt vor der um gut 10 Jahre älteren Person. Nicht dass er sie nicht kannte, er kannte sie zu seinem Leidwesen viel zu gut und musste sie zu oft ertragen. Der Grund, weshalb er sich dazu entschlossen hatte, Englisch mit ihr zu sprechen, kannte er selbst nicht – sie war zwar Britin, aber er konnte es sich aussuchen. Er war kein reiner Amerikaner, aber auch kein Vollblutjapaner, er war genau genommen beides und beherrschte somit auch Englisch geradezu perfekt, er hatte lange drüben gewohnt.

„That’s none of your business!“ kam verärgert von der Redakteurin, die ziemlich ausrasten konnte, wenn man ihr so kam. Wie konnte dieser Jungspund es wagen.

„Du sagst, das geht mich nichts an? Tut mir Leid, das sehe ich etwas anders“, erwiderte der Rotbraunhaarige unbeeindruckt.

„Dir liegt wohl nicht viel an deinen Eltern, oder? Kümmere dich um deine Angelegenheiten, da hast du genug zu tun, Kleiner!“

„Warum sollte ich? Du kümmerst dich ja auch nicht nur um deinen Dreck, sondern scherst dich um jedermanns Wehwehchen, nicht wahr? Du willst mir doch nicht etwa ernsthaft mit meinen Eltern drohen, oder? Du weißt, dass das Carpano sehr missfallen würde.“ Hier konnte er ja deutlich werden, es gab nichts, was die Kleine nicht wissen dürfte, was dieses Thema hier anging, auch wenn Valpolicella das wohl wieder ganz anders sehen würde.

„Halt deinen vorlauten Mund, sonst kann es sein, dass du es bald nicht mehr schaffst, ihn aufzumachen!“ Wie kam es, dass die Leute in letzter Zeit immer Carpano als Vorwand nahmen, um sie kalt zu stellen, es war wie ein Teufelskreis, sie schienen sie längst durchschaut zu haben. Die Britin fand es äußerst unschön, dass sie alle wussten, was gespielt wurde, sie machte aber auch kein Geheimnis daraus, wer ihr Günstling war und machte es den anderen dadurch doch recht einfach, sie damit unter Druck zu setzen. Besonders aufgefallen war es ihr bei Cinzano, Cencibel und bei Helios. Und nun auch noch einer von Jamis Schützlingen. Selbst wenn sie wollte, er hätte sich sofort beim Boss beschwert, hätte man einen fähigen Killer wie diesen hier einfach so ohne mit der Wimper zu zucken erschossen. In der Regel war er ja auch ein braver Junge, aber was er sich jetzt erlaubte, schlug dem Fass den Boden aus, sie war entsetzt.

„Hast du nichts Besseres zu tun, als ein Mädchen zu quälen? Keine Koordination deiner Untertanen? So weit ich weiß, hat dich der Boss doch als Stellvertreter für ihn bestimmt, man möchte meinen, du hättest genug zu tun, um dich nicht mit Mädchen rum zu schlagen, die eigentlich mit dir überhaupt nichts am Hut haben! Selbst Jami hat derzeit Besseres zu tun! Ich halte es ja für eine unkluge Entscheidung, dir das Ganze zu überlassen, du bist ja völlig damit überfordert, oder ist es gelogen, dass man dir ganz schön auf der Nase rumtanzt?“ Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, er lehnte sich ziemlich weit aus dem Fenster, hätte zumindest Helios nun gesagt, Carpano wahrscheinlich auch, aber er war längst darüber hinweg, überall aus Angst zuzusehen. Schon vor längerer Zeit hatte er einen hohen Posten innerhalb der Organisation eingenommen und konnte sich einige Freiheiten erlauben, so wie sich nun mit dieser Frau anlegen, was aber auch daran lag, dass er ein sehr enger Freund Carpanos war, das war wohl mit der wichtigste Grund dafür, der Valpolicella nicht total austicken ließ, als er sie kritisierte.

„Übrigens weiß auch Carpano längst darüber Bescheid, was du mit Cognac gemacht hast… Er war weniger begeistert davon!“ Es war schon schnippisch, wie er es von sich gab und er dachte auch, dass sie wusste, wie es gemeint war. „Sieht aus, als wenn eine üble Zeit auf dich zukommt, wenn der Boss wieder da ist!“

In dem Moment war nun alles zu spät. Carpanos Freund hin oder her, er ging einfach zu weit, weshalb sie gleich mit der Hand, in der sie keine Waffe trug, ausholte und ihm eine Ohrfeige verpassen wollte, er schaltete jedoch schnell und fing ihre Hand ab, doch das war gar nicht so einfach für einen Mann seines Alters, er war viel schwächer als Cognac oder Carpano. Sie gab sich wohl aber auch nicht die Mühe, ihn richtig zu verprügeln.

„Cognac hat es verdient, das weiß Carpano selber, und das, was geschehen ist, lässt mich daran zweifeln, dass er so furchtbar böse darüber war“, meinte Valpolicella nun zurückgeben zu müssen und nahm die Hand weg, woraufhin man die Schadenfreude in ihrem Gesicht wachsen sah.

„Irgendwann bricht es dir das Genick, dass du es dir mit allen verscherzt“, er fand es immer wieder total lachhaft, wie sie den Leuten Manieren beizubringen versuchte. Auch bei Cognac hatte sie es getan und den schlug nun echt keine Frau, außer natürlich so ein Drecksstück wie die Ranghöchste. Selbst Vermouth hätte ihm nie mit einer Waffe eine Platzwunde am Kopf beigebracht und die war bekannt dafür, ein besonderes Miststück zu sein. Er fragte sich, wie Cognac das einfach zulassen konnte, dass sie ihn verprügelte. Laut Helios war es um Vermouth gegangen, er hatte unerlaubt etwas geäußert, was der Rotblonden gar nicht gepasst hatte. Er hatte Partei für sie ergriffen und sie dadurch unterbrochen, und er konnte sich wohl bei weitem nicht so viel erlauben, wie andere Freunde von Carpano. Valpolicella hatte etwas an Cognac auszusetzen, sie schien ihn von Tag zu Tag mehr zu verabscheuen, wahrscheinlich weil sie den Verdacht hegte, dass er mit Helios gemeinsam Verrat verübte. Da hatte Cognac wirklich noch einmal Schwein gehabt, noch leben zu dürfen.

„Komm, lass uns gehen, Natsumi, was machst du bloß für Sachen?“ flüsterte er ihr zu, half ihr hoch und entschied im gleichen Augenblick, mit ihr zu verschwinden, bevor die Hexe noch richtig ausfallend wurde und einen von ihnen erschoss, er behielt sie auch hinter sich, er traute der Frau zu, dass sie auf das Mädchen schießen würde, dabei konnte sie ihr ja wohl kaum gefährlich werden.

Es war doch wie ein Triumph für die Frau, dass beide so vor ihr flüchteten, in ihren Augen war das der einzige Grund, weshalb Chardonel es nun so eilig hatte, wegzukommen. Er hatte seine vorlaute Klappe ja auch ziemlich aufgerissen.
 

Draußen hatte Natsumi Mühe ihren rasenden Atem unter Kontrolle zu bringen und sich auch nur ansatzweise von dem Schreck zu erholen. Auch hatte ihr Gesichtsausdruck etwas sehr panisches. Sie hatte sich auch unnötig aus dem Fenster gehängt, aber es war einfach furchtbar, dass kaum einer wagte, ihr Paroli zu bieten.

„Beruhig dich bitte!“ probierte Kenjiro sie zu beruhigen, als sie dann aber fast aussah, als wolle sie weinen, drückte er sie sanft an sich und strich ihr über den Rücken. „Ist schon gut! Ich bin bei dir.“

Die Schwarzhaarige mit dem Pferdeschwanz war ihm sehr dankbar, wahrscheinlich wäre sie sonst von dieser Irren umgebracht worden – warum hatte sie nicht einfach die Klappe gehalten? Es war am gesündesten. Da er sie sowieso festhielt, lehnte sie sich an und fand es sehr beruhigend.
 

Noch in der Redaktion, kurz nachdem Kenjiro mit Natsumi gegangen war, führte die Rotblondhaarige ein Gespräch am Telefon. „Sieht ganz so aus! Ich dachte, so eine Waise hätte niemanden mehr, sie hat sich wohl aber an Chardonel geklammert! Das gefällt mir gar nicht! Ich will, dass du da ein bisschen was drehst…“ Die Person am anderen Ende fing mit einem Mal an zu lachen. „Was ist so komisch?“

„Ach, nur dass sie sich ihrem Beschützer an die Brust wirft quasi. Das ist kein Wunder, Chardonnay war es schließlich, der ihren Vater umgebracht hat, kurz darauf hat er die Kleine dann zu sich nach Hause entführt, sieht so aus, als wenn seinem Sohn etwas daran liegt, dass ihr nichts passiert. Er hat den alten Schwerenöter davon abgehalten, ihr wehzutun.“

„Woher weißt du wieder so gut Bescheid?“

„Ich kenne Chardonnay und auch seinen Sohn ziemlich gut, das ist alles! Der alte Knacker ist so geblendet davon, einen Killersohn zu besitzen, dass er gar nicht merkt, dass dieser ihn eigentlich überhaupt nicht ausstehen kann. Chardonel sieht ihn auch nicht als seinen Vater an, obwohl er ihn gezeugt hat. Er war schon früher ein schlimmer Finger, seine Mutter war nämlich nicht ganz freiwillig von ihm schwanger, wenn du verstehst, was ich meine…“

Valpolicella schwieg zunächst, bevor sich in ihrem Gesicht ebenfalls ein Grinsen breit machte und sie spöttisch auflachte. „Ach und wenn schon?! Es ist mir egal, was er macht, solange er seine Aufträge sauber über die Bühne bringt. Aber sag, meinst du, er würde mir einen klitzekleinen privaten Gefallen tun? Mir ist da nämlich so eine Frau ein Dorn im Auge, ich möchte ihr gerne einen kleinen Schrecken einjagen lassen. Chardonnay wäre sehr geeignet dafür.“ Ihre schwarzen Gedanken galten der Frau, die sich an Carpano ranmachte und gerade war sie ziemlich in Spiellaune.

„Ich denke, das kommt darauf an, wer sie ist!“

„Er soll sich morgen mal im Büro blicken lassen, dann berede ich weiteres mit ihm.“ Sie legte auf, ohne ein auf Wiedersehen.
 

„Wie kann man nur so unvorsichtig sein?“ fragte Kenjiro das Mädchen nun, sie hatte ihm eben den Grund verraten, wegen dem Valpolicella und sie aneinander geraten waren. Es war einfach nur lächerlich, Natsumi hatte ihr doch gar nichts getan.

„Ich wollte nur wissen, wo er steckt.“

„Das hättest du besser mich gefragt – ich habe den Grund quasi live mitbekommen… War sehr unschön, muss ich sagen. Deswegen habe ich alles Carpano überlassen, er hat einen sehr guten Einfluss auf die werte Dame. Er ist sozusagen ihr schwacher Punkt, sie will ihm immer gefallen. Wir hoffen ja, dass sie das eines Tages in eine Situation bringt, in der sie selbst die Organisation verrät“, es kam etwas nachdenklich von ihm, während er den Motor des Autos startete, „aber nun fahren wir erst einmal nach Hause!“

Gerade als er das gesagt hatte, klopfte es furchtbar laut an seiner Fensterscheibe, weshalb er diese hinab ließ und dann geradewegs in das Loch einer Waffe guckte. „Was hattest du dort verloren, Chardonel? Man hat dich nicht eingeladen.“

Dass man ihn gesehen hatte, erschreckte ihn doch ein kleines bisschen, es musste ganz fix eine Ausrede her. Zunächst war er jedoch damit beschäftigt in ein kaltes Loch zu schauen und dabei keine Angst zu zeigen.

„Ich arbeite dort! Es ist mein Job dort zu sein! Wenn dir was nicht passt, kannst du dich ja bei Jami beschweren und nicht bei mir.“

„Hat er dir erlaubt, frei dort oben rumzuspazieren, wie es dir beliebt?“ Man bemerkte das Ärgernis des großen Mannes, der ihm noch immer seine Waffe entgegen richtete. Wenn er ehrlich war, hatte er mehr Angst vor ihm, als er vor Valpolicella hätte. Gin brachte jedem um, dem waren alle Menschen einfach nur egal, ihm ging es nur um die Organisation.

„Um genau zu sein, er und der Boss! Wenn es dir nicht passt, geh es beim Boss persönlich reklamieren, vielleicht hört man dir ja zu, Gin!“ Etwas missgelaunt, ließ er die Scheibe wieder hinauf und seufzte dann erleichtert. Man, der ging ihm wirklich auf die Nerven.

Er fuhr aus der Parklücke raus und hatte dann doch Eile wegzukommen. „Versteh Cognac nicht, man muss schon sehr wahnsinnig sein, um den freiwillig zu ärgern, dabei steht der nicht so hoch wie ich oder Carpano.“

Er dachte hörbar, aber Natsumi begriff nicht wirklich, was Gin nun gerade von ihm gewollt hatte – es klang so danach, als wenn er etwas Verbotenes gemacht hätte.

Es war auch nicht ganz erlaubt gewesen, was er getan hatte, denn Chardonel hatte das Ganze weitererzählt. Er hatte interne Pläne ausgeplaudert an Personen, die das zweifelsfrei nichts anging. Aber wie er wusste, hatte das Ganze diese Person sehr interessiert, weshalb er nicht schweigen konnte, auch wenn es vielleicht töricht war.
 

Sonoko beobachtete Ran nun seit einer Weile, bisher war sie total ruhig gewesen und hatte nur ein einziges Mal gelächelt. Dass das Mädchen unmöglich gute Laune haben konnte, war dem Mädchen mit dem Haarreif klar.

„Danke, dass du mich mitnimmst, Sonoko, wahrscheinlich würde ich mich alleine da nicht reintrauen.“ Die Dunkelbraunhaarige seufzte tief und erntete einen verwirrten Blick ihrer besten Freundin, die den Kopf darüber schüttelte.

„So kenne ich dich gar nicht... Du bist doch sonst nicht so ängstlich.“ Ran machte Jungs zur Schnecke und schreckte auch vor Verbrechern nicht zurück, und dann hatte sie Angst jemand Fremdes zu besuchen, und dann noch so einer, das passte nicht zu ihr. Was sie wohl da wollte? Sonoko wusste sowieso nicht wirklich, auch wenn sie ihre beste Freundin war, was sich in Rans Kopf abspielte, das durfte aber auch niemanden wundern, denn Ran hatte Sonoko nichts von diesem Anruf und dessen Auswirkungen erzählt. Klar wusste sie, dass es sie hart getroffen hatte, was mit dieser Sängerin geschehen war, aber sie durchblickte nicht, was Ran hier wollte. Damals als man von Sharon Vineyards Tod berichtet hatte, war Ran lange Zeit deprimiert gewesen und hatte sich ihrer Trauer ergeben, bis sie wieder hatte Lächeln können. Sie war eben ihre Lieblingsschauspielerin gewesen. Wahrscheinlich wäre Kogorô genauso gewesen, wenn es um Yokô Okino ging.

‚Ich habe bloß Angst vor der Wahrheit. Aber ich will es wissen, am besten alles.’ Unterdessen beobachtete Sonoko ihre Freundin mit Besorgnis, sie wurde nicht schlau daraus.

„Mit viel Glück wollte er meinem Vater nur einen Fall überlassen – und das aus Liebe.“ Sie hatte den Kopf gesenkt und achtete nicht auf den Weg, weshalb Sonoko ihren Arm nahm und sie ein wenig durch das Krankenhaus führte. „Aber was, wenn nicht?“

„Ran, ich bitte dich.“ Was redete ihre Freundin da überhaupt? Gerne wollte sie es wissen. „Kannst du mir vielleicht mal erklären, was er mit Kimi zu schaffen haben soll? Ich habe sie nie zusammen gesehen. So etwas bleibt nicht lange ein Geheimnis, was spinnst du dir hier zusammen?“

„Ich ermittle!“

Sonoko gab ein Seufzen von sich, ach, jetzt erwachte Rans Detektivsinn ein weiteres Mal? Aber wieso? Was ging sie die Sache schließlich an? Was wusste sie?

„Sag’ mal, Ran, irgendetwas muss doch gewesen sein... Du kommst nicht einfach nur so auf diese Dinge. Willst du mir nicht sagen, was du schon rausgefunden hast?“ Auch Sonoko war eine begnadete Schnüfflerin und durch Conan hatte sie das Hirngespinst, besonders gut zu sein.

Ran blieb stehen und ging etwas mit Sonoko zur Seite, damit die Leute sie nicht belauschen konnten, dann begann sie mit ihrer besten Freundin zu flüstern. „Ach, weißt du, alles hat damit angefangen, dass am Morgen des Unfalls ein Mann in der Detektei anrief und meinem Vater eine für uns hohe Summe geboten hat, damit wir rausfinden, dass Kimi ermordet wurde und gar keinen Unfall hatte. Nun ja, wir waren äußerst skeptisch, wer bietet schon meinem Vater solche Summen? Also haben wir alles versucht, um herauszufinden, ob es diese Person auch wirklich geben kann. Einer von ihren Bandkollegen ist gestern ums Leben gekommen... Er kann es nicht gewesen sein, aber das war ohnehin klar, denn er kommt nicht aus dem Westen.“

Sonoko wirkte nachdenklich. „So ist das.“ Wenn sie so darüber nachdachte, kam Sonoko zu dem Entschluss, dass Ran hierher gekommen sein musste, weil sie alle aus dem Westen kamen. „Aber wie bist du darauf gekommen, dass er aus dem Westen kommt?“

„Er hat Ausdrücke benutzt, die keiner aus dem Osten benutzen würde, er hat im Kansai-Dialekt gesprochen. Das ist Conan sofort aufgefallen, obwohl er versucht hat seine Stimme zu verstellen...“ Ran senkte den Blick, denn das war nicht das einzige, das sie zu dem Schluss gebracht hatte.

„Ich saß in der Nacht vor dem Fernseher und habe mir das Special mit ihr angesehen. Manchmal ist sie doch arg von ihrer harten Art abgekommen. Und bei Interviews war sie immer eine sehr nette Person. Eigentlich sehr sympathisch, wie ich finde. Außerdem ist es dir nicht aufgefallen...? Die Presse hat sie nach ihrem Tod ziemlich in den Schmutz gezogen. Mich fragend, weshalb sie so etwas tun, habe ich mich auch mit Natsumi, die dort arbeitet, besprochen, selbst ihr kam das seltsam vor. Es ist kein großes Geheimnis, dass Kimis Band und L’Arc~en~Ciel irgendwie befreundet waren und Kimi wohl mit jedem von ihnen ganz dicke gewesen sein soll... Na ja, zumindest mit jedem außer dem Sänger.“ Sie schüttelte den Kopf. „Alles ist immer so, wie es keiner vermuten würde. Sie soll mit jedem von diesen Männern Beziehungen gehabt haben, unter anderem auch mit dem einzigen männlichen Mitglied ihrer eigenen Band, die sie mit Yui Ikezawa gegründet hat. Ich kann nicht glauben, dass das alles stimmen soll... Unmöglich... Und dann soll sie oberflächlich gewesen sein. Sie hat sich nur mit Männern, die älter und größer als sie waren, abgegeben. Tut mir Leid, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so sehr nach dem Aussehen gegangen ist und Leute, die nicht in ihr Schema passten, so ignoriert hat. Freunde waren ihr wichtig, das hat sie... Das hat sie selbst mal gesagt. So ein Schwachsinn, ich hätte sie nie so eingeschätzt, auch wenn sie oft die Show abgezogen hat, eine gute Schauspielerin ist sie nicht gewesen. Wahrheit und Täuschung konnte man bei ihr sehr gut auseinander halten, anders als bei Sharon-san war sie mehr offen. Was ich auch nicht verstehe, ist die Tatsache, dass keiner von ihnen auch nur im entferntesten reagiert hat. Entweder wollen sie sich nichts anmerken lassen oder sie decken jemanden.“ Letzteres passte am besten in ihr Konzept. „In der Nacht vor ihrem Tod war sie mit dem Mann zusammen, eigentlich kann es nur einer der Vier gewesen sein, weißt du? Natsumi war ebenfalls dort, sie hat alles beobachtet. Sie sollte auch ein paar hübsche Fotos machen. Dieser Juu Ikezawa von Iron Kiss und Kimi hatten sich in der Nacht ziemlich in der Wolle. Irgendwas schien Hyde nicht gepasst zu haben, also hat er sich sehr früh aufs Hotelzimmer verkrümelt. Und wenig später war dann Kimi auch verschwunden. Erst als ich erwähnte, dass zwischen den beiden irgendetwas gewesen sein muss, fiel Natsumi dieser Umstand wieder ein, sie hatte sich natürlich nichts dabei gedacht, genauso wenig wie irgendwelche Leute von der Presse, die dort jede Menge Leute interviewt haben.“ Was Ran aber wirklich erschreckt hatte, war, dass Chris Vineyard bei der Fete als Prominente auch anwesend gewesen war. Kurz vor dem Unfall hatte man sie noch ganz in der Nähe gesehen, Ran fürchtete, dass das kein Zufall war...

Sie erinnerte sich noch zu genau, was Sharon Vineyard über ihre Tochter Chris gesagt hatte – dass sie bösartig war. Leute mit Geheimnissen hatten etwas zu verbergen, das hatte nichts mit Schönheit oder Attraktivität zu tun, fand jedenfalls Ran. Sie war davon überzeugt, dass Chris, wie Sharon sagte, mit schlechten Leuten verkehrte – vielleicht die Mafia. Sie war erstaunlicher Weise sehr oft in Japan, etwas zu oft und lange, fand die Oberschülerin.
 

Schnell hatte Sonoko das Gespräch wieder verdrängt, denn sie hatte noch ein paar andere Dinge auf dem Herzen.

Sie hatten das nächste Stockwerk erreicht und schlichen dort rum. „Gott, ist das aufregend, so viele Leute, bestimmt sind hier irgendwelche Fotografen, die Presse weiß doch ohnehin längst was gespielt wird. Hoffentlich sind nicht allzu viele Fans hier, weil wir dann ernsthafte Probleme kriegen.“ Sonoko kam sich etwas toll vor, da Natsumi bei der Presse war und diese natürlich sofort herausgefunden hatte, wo sich diese Leute momentan aufhielten, das kam ihr sehr gelegen. Und Ran, wie es schien, auch.

„Ich bezweifle, dass die einfach so hier rumrennen, damit man sie findet. Geschweige denn, dass man einfach so zu ihnen kann.“

„Lass mich nur machen, ich habe Sonderrechte, hehe.“

Ran zog die linke Augenbraue hoch. Wie hatte sie das bitte zu verstehen? Und wieso zum Kuckuck lächelte ihre beste Freundin nun so seltsam traurig? Das passte doch gar nicht zu ihrem fröhlichen Gemüt.

Sonoko blieb auf der Stelle stehen, als ein Bandmitglied einfach so an ihr vorbei lief, sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und schaute ihm nur unauffällig nach.

„Wenn hier schon Tetsu rumläuft, ist Ken-chan nicht weit!“

Ran verzog die Augen zu Schlitzen. Sie konnte es nicht glauben, jetzt suchte ihre Freundin ihren Liebling, dabei waren sie wegen etwas ganz anderem gekommen. Aber sie wollte nett sein. „Vielleicht hast du Glück und du kannst ihn mal treffen, wäre ja möglich. Unmöglich ist nichts auf dieser Welt. Ran fragte sich, ob die auch alle so schräg drauf waren, wie die Band, zu dessen Konzert diese Aiko Sonoko wieder schleifen wollte.

„Oh ja, mit ganz viel Glück ist er vielleicht im Zimmer und ich kann ihm die Hand schütteln.“ In Sonokos Augen standen Herzchen, während Ran nur Angst davor hatte, mit ihm zu reden. Wie er wohl so war? Was er wohl jetzt so fühlte nach dieser Sache? Sie kannte ihn doch kein bisschen.

„Also dann wollen wir mal“, die Hellbraunhaarige krempelte sich die Ärmel hoch und wollte gerade gegen die Tür klopfen, als jemand recht grob ihr Handgelenk packte und nach hinten zog.

Ran erschrak und sah einen Mann, der etwas größer war als sie, aber sehr kräftige Oberarme hatte.

Sonoko hingegen versuchte ihr Handgelenk zu lösen, doch entkam sie dem Griff nicht.

„Er kann keinen Stress vertragen, also kommt wieder, wenn es euch erlaubt ist, verstanden?!“ Nun ließ der Mann Sonoko wieder los, deren Handgelenk leicht gerötet war.

„Ich will doch bloß...“

„Nichts willst du, außer gehen, Kleine!“

Ran zog ihre Freundin an sich und machte den Anschein, den Neuankömmling jeden Moment mit einer Karatetechnik anzugreifen.

„Wer hat das zu entscheiden?“ Ran konnte es sich nicht verkneifen.

„Das Krankenhauspersonal!“ Man hatte hier schon jeden weggejagt, der einfach so hierher kam, am schlimmsten waren die ganzen Reporter, die Interviews wollten, Ken unterhielt sich gerade mit welchen, um die höflich darum zu bitten, das sein zu lassen.

Als er dann zurück kam, seufzte er. „Sind die hartnäckig, die wollten unbedingt wissen, was ihm fehlt... Außer Rena Mizunashi meint das bloß keiner ernst, das ärgert mich.“

Sonoko war zur Salzsäule erstarrt, sie bekam keinen Ton heraus. Sie hatte echt Glück, ihre Hände wurden ganz feucht und ihre Beine so weich wie Wackelpudding...

„Wer sind die beiden?“

„Irgendwelche Fans, die ihn nerven wollen... Hilfst du mir, die loszuwerden?“

„Sei nicht so unfreundlich! Ist doch nett von ihnen, oder? Außerdem werden die ihm schon nicht ins Ohr schreien, oder ihr beiden?“

Der Typ war wirklich nett, fand Ran, ganz im Gegensatz zu dem anderen Scheusal.

„Das glaube ich jetzt echt nicht... Ist das auch noch dein Ernst, Ken?“

„Ich werde da jetzt reingehen und ihn fragen, ganz einfach. Entscheide das gefälligst nicht so über seinen Kopf hinweg, du weißt doch, sein Dickschädel“, ein freches Grinsen war auf den Lippen des Schwarzhaarigen zu sehen, er blickte Sonoko an, diese war knallrot. „Ano... Er kennt mich bestimmt noch. Sag ihm bitte... Suzuki-san ist da! Hai, hai!“ Sie machte sich zum Affen, das wusste sie selbst, aber als man sie nur anlächelte, war sie schlichtweg froh, Gott, sie hatte mit ihm geredet...

Der Ältere öffnete die Tür, Sakura verließ kopfschüttelnd den Gang, er hatte darauf jetzt so gar keine Lust nach dem ganzen Theater, das Tokorozawa hier gemacht hatte.
 

Natürlich hatte man Sonoko ins Krankenzimmer gelassen, in der Tat erinnerte sich der Sänger an dieses Mädchen. Schon beim TV-Sender hatte er ihr Gesicht wieder erkannt, wie hätte er dieses Gesicht vergessen können, sie war ihm direkt vor das Auto gelaufen, viel gefehlt hatte nicht und er hätte sie frontal erwischt und wahrscheinlich tot gefahren. Sie war vor denen weggelaufen. Er konnte nur mutmaßen, was sie mit ihr angestellt hatten. Es war schon höchst seltsam, wenn ein Mädchen, das zum Suzuki-Clan gehörte, mit nur einem Schuh über eine Straße rannte.

Sie hatte mit Tränen in den Augen zu ihm gemeint „Tasukete onegai!“ das hieß so viel wie „hilf mir bitte“, es war ein Betteln gewesen und sie hatte Angst um ihr Leben gehabt. In dem Moment schien sie nicht mal wirklich bemerkt zu haben, wer er war... Er hatte die Tür geöffnet und gemeint „spring schnell rein“ bevor er Gas gegeben hatte. Sie hatte am ganzen Körper gezittert und die ganze Zeit den Blick gesenkt gehabt, ohne ein Wort von sich zu geben. Viele Fragen, die ihm in den Sinn gekommen waren, hatte er ihr ganz offen gestellt.

Fragen wie: Wie heißt du? Was ist passiert? Ist alles okay mit dir? Kann ich dir helfen?

Ihr Name war Sonoko Suzuki, sie war die Tochter des Vorsitzenden des Suzuki Konzerns. Er war wirklich verblüfft gewesen, diesen Konzern kannte man in ganz Japan, er war ihm ein Begriff gewesen. Sie war sehr wohlhabend dadurch, dass sie die Tochter dieses Mannes war. Wer wusste schon, ob nicht das der Grund dafür gewesen war, weshalb sie hatte flüchten müssen? Diese Organisation konnte Geld ja immer gebrauchen. Wahrscheinlich hatte man sie entführen und ihren Vater erpressen wollen – was jedoch nur seine persönliche Vermutung war.

Jedenfalls wusste Sonoko nicht, mit wem sie es zu tun hatte, sie hielt diese Kerle für Yakuza... Eigentlich ja nicht direkt falsch, er war davon überzeugt, dass diese Organisation mit den Yakuza zusammen arbeitete. Leider beschlich ihn nur immer wieder das Gefühl, dass sie wesentlich schlimmer war als die japanische Mafia.
 

Währenddessen zog Carpano Cinzano mit ein klein wenig Gewalt hinter sich her, er hatte ihr Handgelenk so fest gepackt, dass sie ihm nur entkommen wäre, wenn sie ihm wehtat, damit er locker ließ, doch das hatte die Blondine nicht vor.

„Verdammt, Carpano, wieso bist du jetzt wütend? Ich musste es tun, sonst hätte er Kir doch niemals losgelassen!“

Abrupt blieb der Schwarzhaarige stehen, drehte sich zu ihr herum und wurde ein klein wenig laut. „Du musst dich nicht um mein Wohl kümmern, das kann ich noch ganz gut alleine! Wenn sie mich mit Jami betrügen wollte, würde sie es auch tun, wenn du dich einmischst! Komm endlich damit klar, dass Menschen nicht fehlerlos sind! Spiel nicht die Heldin für mich! Was denkst du dir überhaupt, dich auf so einen Typen wie Jami einzulassen und das meinetwegen!? Spinnst du nun vollkommen?“

Katori senkte ihren Blick, sie wusste, dass ihm im Grunde klar war, weshalb sie es getan hatte, aber dass er so wütend war...

„Ich will etwas wieder gut machen. Ich habe dich sehr verletzt, ich will nicht, dass du wieder so verletzt wirst. Ich kann nicht einfach so mitansehen, wie Jami sie dir wegnimmt.“ Das hatte Kir nicht verdient, auch wenn Cinzano doch ein wenig eifersüchtig auf das Glück der beiden war. Nun war die Blondine den Tränen nahe, ihr Blick war wie aus Glas. Die grünblauen Augen der 25-jährigen wirkten so zerbrechlich, als sie all das aussprach und ihm dabei in seine Augen blickte.

Ein Seufzen entfuhr dem 26-jährigen. „Verstehst du nicht, dass ich mir Sorgen um dich mache? Jamis Eroberungsinstinkt ist ungebrochen. Und dann gibst du diesem Kerl noch einen Grund. Was ist bloß los mit dir? Solche Kerle konntest du nie leiden. Und jemandem etwas vorzumachen, ebenfalls nicht, und nun willst du ihn anmachen, damit er Kir in Ruhe lässt.“ Er sah ihr eindringlich in die Augen. Auch wenn sie ihn betrogen hatte und er immer daran zu knabbern gehabt hatte, so wollte er nicht, dass sie an so einen Typen geriet, der sie womöglich noch verdarb. „Du sollst das lassen, das will ich nicht, nicht meinetwegen. Ich weiß, dass du es gut meinst, aber ich bitte dich trotzdem darum, lass es sein.“ Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen und zu zeigen, wie ernst er es meinte, dass er besorgt war, legte Yuichi seine Arme um Cinzano und drückte sie leicht an sich. „Das ist mein Ernst.“

Sie schloss die Augen, es kam ihr schon vor, als seien Ewigkeiten vergangen, als er sie das letzte Mal im Arm gehabt hatte und es war auf gewisse Weise wie ein Geschenk – sie konnte nach allem froh sein, dass er sie nicht hasste, und das war die junge Frau auch.

„T-Tut mir Leid, ich meine... Ich... Er würde sie erpressen.“

„Überlass den Mistkerl mir, das ist nicht deine Aufgabe, ich bin der Mann, du die Frau, lass mich das machen, okay?“

Katori lag noch immer in seinen Armen, er wusste wohl nicht, dass er sie mit seinen Worten unendlich traurig machte, obwohl es seine Art war, Leute zu beschützen, die er mochte.

„Dass du so etwas immer sagen musst. Du weißt doch, dass ich nicht schwach bin. Und Jami ist kein großartiges Problem, ein wirkliches Problem ist die Klette, die an dir hängt.“ Dass damit Valpolicella gemeint war, musste man ihm nicht verdeutlichen. „Sie hasst alle Frauen, die dich lieben. Wenn wir Frauen uns vor jemandem fürchten müssen, dann vor dieser abartigen Frau.“

Im Moment dachte Yuichi jedoch kein bisschen an diese Frau, die er nun erst einmal losgeworden war – bestimmt nicht für lange Zeit, aber sie war ihm nicht gefolgt... Ein trauriger Ausdruck erschien auf dem Gesicht des Mannes. Er sagte kein Wort, zu verletzend waren seine Gedanken an Jami, wie er Kir küsste. Dass er es gesehen hatte, wie dieser Mann ihr so etwas aufzwang und ihre Bereitschaft da mitzumachen, statt ihn gleich wegzustoßen, man sah ihm an, dass ihm das sehr zugesetzt hatte.

„Ich mag dich nicht leiden sehen, Yuichi“, meinte Cinzano, als sie diesen Blick mit den Augen erfasst hatte und konnte nicht anders, sie tat etwas, was ihre Gefühle vor ihm wahrscheinlich bloßstellte, aber es mangelte der Blondine in einer solchen Situation einfach an Verstand, den sie einbüßte, wenn sich ihr Herz in den Vordergrund drängte. Also küsste sie ihn auf den Mund, ganz sanft zwar nur, aber intensiv genug, um ihn damit in Bedrängnis geraten zu lassen.

Damit rechnete er nicht, auch wenn er seine Exfreundin besser kennen musste, um zu wissen, dass er sie nur traurig angucken musste, damit sie ihn trösten wollte. Sie war eben, trotz ihres Seitensprungs ein sanftes Wesen. Trotzdem weiteten sich seine Augen, einen Moment lang konnte Yuichi sich nicht wehren, er war zu überrascht darüber, dass sie so etwas tat, wo sie doch wusste, wohin sein Herz gehörte. Dass die Beziehung zu seiner Freundin einen Knacks abbekommen hatte, änderte auch nichts daran, dass Cinzano vor Jahren ihre Beziehung kaputt gemacht hatte und er sie deswegen nun von sich schob, immerhin wusste er, wohin er gehörte, nämlich zu Kir. Er konnte ihr so etwas nicht antun, er hatte ihr schließlich schon genug wehtun müssen, als er ihr gebeichtet hatte, was zwischen ihm und der ranghöchsten Frau vorgefallen war...

„Bitte lass das...“ So Leid es ihm tat, da er wusste, dass sie noch sehr viel für ihn empfand, er konnte sich nicht darauf einlassen. Wenn sie so etwas wollte, dann musste sie zu ihrem Seitensprung gehen, der würde vielleicht...

„Vielleicht solltest du zu Sêiichî gehen, er hat dir doch mal sehr gut gefallen.“ Yuichi wollte nicht derart gemein zu ihr sein, aber es war sein verletztes Herz, das er ihr zu verdanken hatte, also kamen die Worte schneller, als er sie hätte abwenden können.

Er würde ihr diese Sache ewig nachtragen, es gab keinen Weg zurück, was Katori eigentlich wusste, doch tief in sich drin wollte sie ihn wieder zurück haben. Am liebsten wollte sie die Zeit zurückdrehen, bevor sie diesen verhängnisvollen Fehler begangen hatte.

„Ach Sêiichî, den interessiert doch nur eine einzige Frau – Ironie, was?“ Etwas pikiert blickte nun die Blondine drein. Ihr Seitensprung war ihrer Meinung nach eben so, ihn interessierte doch im Grunde nur Vermouth, auch wenn er sie des Öfteren betrogen hatte. Sie brauchte ihm ja nur drohen, ihm Angst davor machen, sie könne ihn verlassen und er schwor der Frauenwelt ab.
 

Es war Nachmittag, eigentlich ja Zeit, um endlich zu Mittag zu essen, doch fehlten einige Personen, weshalb eine kurzhaarige Blondine mit Brille mehrmals auf die Uhr schaute. „Allmählich könnten sie ja mal auftauchen... Wo die beiden wohl wieder stecken? Ständig verschwinden sie einfach so und sagen weder Bescheid, wohin sie gehen, noch lassen sie etwas von sich hören, wenn man auf sie wartet. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie irgendwo alleine essen gegangen wären und sich über uns amüsieren, weil wir auf sie hier warten.“

„Spricht die Eifersucht aus dir, Jodie?“ Nun war es ihr Begleiter, der sich über sie amüsierte, es gehörte nicht zu Shūichis Art, Leute absichtlich hängen zu lassen. Er hatte sicher irgendwo etwas zu tun. Man musste ihn einfach in Ruhe lassen, das brauchte der junge Mann einfach. Er mochte es nicht, wenn man ihm nachlief, so wie Jodie es immer versuchte, sie probierte ihn zu bemuttern, wollte immer alles wissen und bedrängte ihn damit sehr. Kein Wunder, wenn er dann mal seine Ruhe haben musste und einfach verschwand, ohne zu sagen, wohin.

„Ist das Ihr Ernst, James? Ich bin nicht eifersüchtig!“ Sie schmollte und entschied jetzt einfach ihr Essen zu genießen, ohne an diesen Mann zu denken, der ihr einfach ein Rätsel war. Doch genau das war es, was ihr gut an ihm gefiel. Er war kein offenes Buch wie die meisten.
 

Es war schon knapp nach drei Uhr am Nachmittag. Das Mittagessen hatte sie gestrichen, um einem Fall nachzugehen – es war immerhin ihr Job, den die junge Frau ernstnahm.

Ihrer Dummheit hatte sie das zuzuschreiben. Weil sie es liebte, im Alleingang zu arbeiten, sie war nämlich eine wahre Einzelgängerin und mehr oder weniger verschlossen. Sie hatte erfahren, dass ihr Bruder in die Sache verwickelt war und dachte eigentlich nur daran, ihn zu retten. Fehlanzeige... Alles nur Show, eine Finte, um sie in die Falle zu locken. Ihr Bruder war weit und breit nirgends auszumachen, wahrscheinlich wusste er von nichts. Er hätte ihr doch geholfen, nicht wahr?

In dem Moment als man sie eingekreist hatte, war der Kampf verloren. Eigentlich sollten die Typen sie nur so bedrängen, um sie daran zu hintern, flüchten zu können, während ihr Anführer den Rest erledigte. Kampflos geschlagen geben, das hatte sie nicht vor. Sie wusste, was sie wollten. Als Gin den Namen Brandy genannt hatte, er sie damit angesprochen hatte, und sie dann dieses Grinsen gesehen hatte, wie er sie ansah, so total psychopathisch und krank, da hätte sie weglaufen müssen, doch ein Blick nach hinten hatte der Braunhaarigen mitgeteilt, dass es zwecklos wäre. Er würde sie auch von hinten erschießen. Eigentlich war es egal. Sie kamen aus jeder Ecke und konnten von all diesen Ecken abdrücken, um sie lahmzulegen. Gin hatte sichtlich seinen Spaß daran, Brandy zu ärgern, sie hatte es gewagt, ähnlich wie Sherry zu flüchten, so etwas konnte der Mann auf den Tod nicht ausstehen.

Was Gin den Tag jedoch gehörig versauen würde, war die Person, die der Frau heimlich gefolgt war. Er freute sich wirklich, dass er so etwas entdeckte, einen Überfall auf seine Kollegin. Sein Grinsen hatte etwas Besessenes, als er den langhaarigen Killer entdeckte.

Nie in seinem Leben hätte er gedacht, dass sie mal Hilfe brauchen würde. Sie kam gut alleine zurecht, nicht so wie seine Partnerin Jodie, die er gerne mal vor der Organisation beschützte. Klar, beide waren beim FBI, doch überschätzte sich Jodie manchmal so ziemlich, wie in dem Fall, als sie sich mit dieser Teufelsbraut angelegt hatte. Sie dachte ihr gewachsen zu sein und war dann beinahe draufgegangen. Aber diese Braunhaarige, sie schoss so haarscharf wie ein Mann. Man konnte davon ausgehen, dass sie eine Bereicherung für das FBI war. Solche Leute brauchten sie, Menschen, die schlau waren und auch mit einer Waffe umzugehen wussten, und diese Frau hatte diese Fähigkeiten. Etwas Bewunderung war auch vorhanden gewesen, die ganze Zeit über schon. Obwohl er sich gerne mal mit ihr stritt, wenn sie ihm auf die Nerven fiel, wollte er keinesfalls, dass ihr etwas zustieß. Dass es dann ausgerechnet Gins Werk war, dass sie in Gefahr schwebte, ließ die Wut in dem Schwarzhaarigen auflodern. Bei ihm machte es besonders viel Spaß, den Beschützer zu spielen. Frauen vor ihm abzuschirmen, das könnte sein Hobby werden, wenn es das nicht schon war. Er beschützte Sherry, er beschützte seine Kollegin, und sogar Kir versuchte er vor ihm zu beschützen.

„Dachtest du, dass du einfach abhauen kannst, um in Saus und Braus zu leben, dachtest du das wirklich, Brandy? Und dann noch beim FBI untertauchen! So viel Frechheit auf einmal gehört bestraft!“

Gins Augen weiteten sich ein wenig, als die freche Göre es wagte, einen rebellischen Blick zu zeigen und ihre Waffe auf ihn richtete, um abdrücken zu können. „Das würdest du wagen?“

Sie war wirklich aufsässig, wie sie ihn ansah, dieser Blick, er würde die Kleine wie Akemi damals umbringen, schon dieses Blickes wegen. „Es gab da einst eine dumme Frau, die mich genauso ansah und wenig später am Boden lag... So wird’s dir auch gehen!“ versprach er Brandy und legte einen noch psychopathischeren Blick auf, wie er ihn die ganze Zeit über schon hatte.

Kurz bevor Gin abdrücken konnte, hörte man einen Schuss laut widerhallen, weshalb ein jeder, der bei Gin war, hellhörig wurde, um das Geräusch zu orten.

Natürlich war dem Schützen bewusst, welche so dumme Frau Gin meinte, das brachte das Fass zum Überlaufen. Jetzt war Schluss mit lustig, er würde ihm mal zeigen, was für ein Gefühl es wohl für Akemi gewesen war, als er ihr so etwas angetan hatte. Nur weil sie nicht nach seinem Willen handelte, Gin sollte aufhören, den Boss zu spielen, das war er nicht! Nie gewesen und würde es auch nie sein. Der Schuss hatte nicht nur der Rettung von Asaki gedient, nein, es war ein Schuss der Rache. Und wie immer hatte Shūichi sein Ziel getroffen. Sein Ziel war Gins Hand gewesen. Die Kugel ging hindurch und sorgte für eine 9 Millimeter große Wunde, die sich über den Handrücken des Killers bahnte. Zielgenau dahin, wo es besonders schmerzhaft war, zumal Gin Schmerzen ja so wenig ausmachten. Trotzdem versuchte der FBI-Agent es jedes Mal aufs Neue, ihm Schmerzen zuzufügen. Ein gewisser Reiz war da – gerade weil es so schwer war. Durch Herausforderungen wuchs der Mensch, deswegen hatte er es gewagt, die Organisation etwas zu verarschen. Und Gin war von Anfang an sein Liebling gewesen – als er dann gewagt hatte Akemi einfach so umzubringen, hatte er sich geschworen, niemals würde er ihn so davon kommen lassen, er würde ihm das Leben erschweren und wenn er dabei drauf ging. Die Welt war es ihm wert, Gin sein Leben zu versauen, zumal sein Leben nur aus Töten für diese Organisation bestand – zum Versager würde er ihn machen, so dass Gin ganz tief fiel. Und wieder versaute er ihm einen Job, indem er ins Geschehen eingriff.

Diese verdammte Ratte von Verräter wagte es schon wieder, sich mit ihm anzulegen und das Schlimmste an der Sache war für Gin nicht, dass dieser Verräter wie wild um sich schlug und sich wehrte, nein, viel mehr der Gedanke, dass er ihm unterlegen war.

„Warum drückt keiner ab?!“ Sie standen da wie die Salzsäulen und ließen seelenruhig zu, wie Shūichi Akai ihnen alles kaputtmachte. Ein Albtraum war das, war denn niemand mutig genug, sich dem Kerl zu stellen...? War er denn der Einzige von der Sorte? Und selbst Gin zitterte vor lauter Wut, ja, es war dumm sich ihm alleine zu stellen. Man musste ihn ganz trickreich ermorden. Und diese Idioten taten nichts auch nur ansatzweise in die Richtung, um ihr Ziel zu erreichen. Ehe er sich versah, hatten die 3 Leute das Weite gesucht, auf Shūichi Akai hatte keiner Lust, und dann kam es so, dass Gin seinem Gegner erneut alleine gegenüber stand.

Die Hand blutete – vor knapp einem Jahr hatte es schon einmal einer gewagt, ihn auf die Weise anzuschießen, Cognac nannte sich der kleine Mistkerl. Keinen Respekt hatten sie vor den Älteren, wobei Shūichi soviel jünger auch wieder nicht war. Ein paar Jährchen, mehr waren es nicht, und doch war ihm so ein Jungspund überlegen.

„Das büßt du!“ Akai würde dafür büßen, jemals gewagt zu haben, einen Fuß in die Organisation zu setzen und diese dann wieder zu verlassen. Und er würde direkt mit dem Boss über diesen extremen Problemfall sprechen. Es gab sicher jemanden, der ihm dabei half, den Störenfried loszuwerden, und wenn er diese Person bedrohen musste. Wenn man jemanden hatte, der am Leben hing, konnte man demjenigen den Tod androhen. Wenn man sie dieser Gefahr aussetzte, tat sie vielleicht alles, um ihre Haut zu retten... Es waren nämlich nicht alle so wie Calvados gewesen war.

Gin ging ein paar Schritte rückwärts, auch wenn es hieß, von seinem Opfer erst einmal abzulassen, er konnte sich darum immer noch kümmern, wenn sein Feind verschwunden war, dann gab es da niemanden mehr, der ihm gewachsen war, was ihn jetzt schon freute und neue Pläne zum Leben erweckte.
 

Mittlerweile, da Gin sein Auto erreicht hatte, hatte er seine Ruhe wieder gefunden, dennoch stand in seinen Augen der pure Wahnsinn. Obgleich der Mann vor Wut beinahe geplatzt wäre, grinste er vor sich hin, als hätte man ihm jeglichen Verstand geraubt, doch dieser war selbstverständlich noch vorhanden. Er war niemand, der allzuschnell seine Ruhe verlor, er konnte eiskalt sein. Dann hatte er eben schon wieder gegen diesen FBI-Agenten verloren, das war nicht weiter tragisch, er würde ihn schon noch kriegen, wozu war er in der Organisation?
 

Das Herz der hellbraunhaarigen Frau, deren Locken etwas länger als bis zu den Schultern reichten, klopfte wie wild, sie hielt sich die Hand auf die Brust und keuchte noch des Schreckes wegen vor sich hin. Beinahe hätten sie sie gehabt, und dieser Mann hatte sie nun vor dem Tod bewahrt wie es schien. Egal, wie schlecht sie immer miteinander auszukommen schienen, als sie hier so am Boden saß und vor sich hinbibberte, blickte sie zu ihm hoch mit leuchtenden Augen. Man hätte meinen können, sie hätte sich in ihren Held verliebt, aber so war sie nicht, im Gegenteil, ihr Herz war nur sehr schwer und langwierig zu berühren. Sie hatte aus der Vergangenheit zu viel Schaden genommen, um irgendeinem Mann einfach so ihr Herz zu schenken. Sie war vorsichtiger geworden.

Sie umfasste ihren Körper mit den Händen, ihr war eiskalt, sie fror gerade so entsetzlich, aber niemals hätte sie jemanden um eine Jacke oder Derartiges gebeten, außerdem war Sommer.

Ihre Augen waren glasig, gerade so als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Ihre wasserblauen Augen hatten in dem Moment einen besonders schönen Schimmer. Noch nie in ihrer gemeinsamen Zeit beim FBI – die durchaus schon ein paar Jahre andauerte – hatte er sie so gesehen, es war regelrecht ein Schock. Er hielt ihr die Hand hin, Asaki schien diese nicht zu wollen, denn ihr Blick ging zur Seite, sie war verletzt von ihrer eigenen Schwäche. Es war nicht gerade förderlich für ihre Beziehung, an wen ihn dieser Blick gerade erinnerte. Das war auch der Grund für die von ihm kommenden Worte. „Kannst du nicht verlieren? Ist es ein so beschissenes Gefühl von einem Mann geschlagen zu werden?“ Shūichi zog die Hand, die er ihr hilfsbreit entgegen gestreckt hatte, weg und wandte sich ab. Dann sollte sie doch alleine aufstehen und gehen, wenn sie so stark war...

Asaki sah ihm nach, er war manchmal wirklich taktlos und unsensibel. Trotzdem musste sie ihm danken, immerhin hatte er sie gerettet, was eigentlich selbstverständlich für Kollegen war. Sie erhob sich also vom Boden und folgte ihm, er stand bei seinem Auto und wartete auf besseres Wetter, es war eindeutig, dass er wusste, sie würde zu ihm kommen, damit er sie mitnahm.

„Danke“, kam leise von ihr, als sie bei ihm angekommen war, der Schwarzhaarige winkte ab und setzte sich ins Auto. Keine Geste, dass sie einsteigen solle, gab er ihr, er wartete einfach, sie würde schon einsteigen, das tat sie dann auch. Ob sie sich anschnallte, das war ihm einerlei, er tat es zwar unverzüglich, doch es war ja ihr Leben. Wenn sie es riskieren sollte, dann war das ihr Problem. Manchmal musste man eben so kalt denken.

Sie hing an ihrem Leben, das bemerkte er sofort, denn Asaki schnallte sich ohne Aufforderung an, so dass er losfahren konnte.

„Und jetzt erzähl mal, Asaki! Wie bist du in den Laden geraten? Das hast du jawohl kaum freiwillig getan, oder etwa doch?“ Dann würde er sie falsch einschätzen, er hielt sie weder für irre, noch schätzte er sie lebensmüde ein.

„Das muss ein Schock für dich sein... Eine FBI-Agentin und ihre Vergangenheit als Schnaps.“ Sie machte sich etwas lustig. James wusste zwar davon, aber das hieß noch lange nicht, dass alle anderen es genauso verstehen würden, und Akai schien Mörder ja zu hassen, oder etwa nicht? Damit war aber auch zweifelsfrei bewiesen, dass sie nichts von Akais Vergangenheit wusste...

„Och, nicht besonders, das schockt mich nicht so, tut mir Leid, wenn ich dich enttäuschen muss. Ein FBI-Agent in ihren Reihen, das ist nichts Großartiges. Wir jagen diesen Laden, dafür sind wir uns für nichts zu schade“, kam vom Schwarzhaarigen mit einem bitteren Lachen. „Auch Töten nicht. Wieso sollte mich das noch vom Hocker hauen?“

Die Gleichgültigkeit in seiner Stimme ließ sie ihre Augen zu Schlitzen verziehen, er machte sie wütend und das nur wegen seiner eisigen Kälte, die er wieder an den Tag legte. „Sollte das ein Scherz sein, dann ist das ein sehr schlechter“, gab sie ihm zu verstehen. „Ich habe zu ihnen gehört, ich habe nie einen ermordet, Gott sei Dank. Ich war kurz davor.“

„Da kannst du froh sein, den Schatten seiner Vergangenheit wird man nie mehr los, auch ich werde ihn nicht los. Wie gut, dass James darüber hinweg sehen kann, nicht wahr? Er weiß es bestimmt, habe ich nicht Recht?“ Er linste kurz rüber, während er sich ansonsten auf die Straße konzentrierte. James war jedes Mittel Recht, deswegen war er ja dort gelandet, als Eliteschütze, worauf er nur bedingt stolz war, zumal er unter Gins Befehl gestanden hatte, was ihm sehr widerstrebt hatte.

„Ja, er weiß es. Ich war damals 18 Jahre alt, also noch ein halbes Kind, als mich ein Mann namens Chardonnay aus meiner Welt gerissen hat. Er hat dafür gesorgt, dass ich von dieser Schwarzen Organisation erfuhr, woraufhin der Boss entschlossen hat, ich müsse ihnen beitreten und bei ihnen bleiben, bis zu meinem Tod. Ich war damals gerade glücklich verliebt, konnte aber lange Zeit nicht nach Hause zurückkehren, da man mich festhielt. Also bin ich eines Tages geflohen – zum ersten Mal. Als ich zurückkehrte, sah ich ihn mit seiner neuen Freundin, die beiden sahen so glücklich aus, ich wollte ihr Glück nicht zerstören, also ging ich ohne mich noch einmal bei ihm zu melden. Ein normales Mädchen war sowieso sehr viel besser für ihn, als eine wie ich, die in so einer Organisation gelandet war. Ich wollte ihn nicht in die Sache mit hineinziehen und versuchte mich an mein neues Leben als Organisationsmitglied zu gewöhnen. Vermouth trug man dann auf, mir eine Nachricht zu überbringen, in Form eines Briefes teilte sie mir mit, dass ich vom heutigen Tag an als Brandy für die Organisation arbeiten müsse. Woraus meine Arbeit bestehen würde, war mir nur bedingt bewusst, doch ahnte ich, dass es kriminell werden würde.“

Shūichi hörte ihr einfach zu, und er hatte daran zu knabbern, dass sie so traurig war. Er konnte so etwas aber sehr gut verstecken.

„Na ja, meine Freundin ist tot. Und Gin ist schuld daran.“ Er hatte gerade irgendwie das Bedürfnis, sich ihr anzuvertrauen, auch wenn er gerade noch nicht viel gesagt hatte, der Mann redete selten sehr viel und war auch genauso wenig offen. Nur James Black erzählte er oftmals von seinen Gedanken, die er so hatte, manchmal kam das rüber, als sei er sein Therapeut, aber er war schlichtweg eine der wenigen Vertrauenspersonen, zumal er Schuldgefühle hatte. Seinem Cousin konnte er auch nicht alles sagen, wenn der junge Mann wüsste, was sein Freund vom FBI angestellt hatte, wäre er wahrscheinlich an die Decke, was Shūichi verstehen konnte...

„Gin macht das Spaß“, erwiderte Asaki, „dem ist im Grunde egal, wen er töten soll, er tut alles, was man ihm aufträgt. Manchmal handelt er auch ohne Befehl, wenn es um Verräter geht. Er fühlt sich stark, wenn er eine schwache Frau umbringt.“

„Du kennst sie doch gar nicht...“ Nicht, dass er wütend war, er wollte nur nicht, dass jemand über seine Freundin urteilte. Sie war sehr mutig gewesen – etwas zu sehr, deswegen hatte Gin sie sich vorgenommen, als sie Forderungen gestellt hatte – ein guter Freund und Verwandter hatte ihn diesbezüglich sehr genau aufgeklärt.

„Das war nicht auf deine Freundin bezogen, tut mir Leid. Es ist eben so, Gin macht das Spaß. Bei jeder, die ihm begegnet und es wagt, den Mund aufzumachen. Es ist als Frau nicht einfach, mit ihm klarzukommen, deswegen macht es ihm da besonders viel Freunde, das meinte ich.“

Der Kerl war 1,90 m groß und spürte so gut wie keine Schmerzen, es war klar, dass er dem Großteil an Frauen überlegen war.

„Ja, ich weiß, wie der Kerl tickt, ich durfte ihn höchstpersönlich sehr gut kennen lernen, und das von seiner Schokoladenseite.“ Shūichi vermied es wütend zu klingen, beziehungsweise verhasst, auch wenn er es – zugegeben – war.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, was er mit seinen Worten rund um Vergangenheit angedeutet hatte, und weshalb er sie so gut verstand. „Du hast auch früher zu ihnen gehört?“

Dass ihre Worte mehr eine Feststellung waren, bemerkte er trotz der Betonung am Ende ihres Satzes.

„Verblüfft es dich kein bisschen, wenn dem so ist, dass ich noch lebe?“ Gin hatte eine tierische, ja, fast animalische Abneigung gegen Verräter jeglicher Art, trotzdem lebte er noch, der Mann war echt selbst schuld, wenn er ihn so sehr gemocht hatte, dass er ihm alles gezeigt hatte, was man einem jungen Killer so zeigen konnte. Er war einer der besten, der Boss gab ihm immer alles, was schnell über die Bühne gehen sollte, weil der Mann eben niemals zögerte. Aber auf ihn angesetzt hatte man ihn nicht, was nur einen Schluss zuließ...

„Ich kenne deine Schießkünste, ich denke, du kannst es mit dem Scheusal aufnehmen, sonst wäre er kaum vorhin einfach so geflüchtet, nur weil du seine Hand getroffen hast, das hat mich doch sehr überrascht. Gin kneift normalerweise nicht, der drückt einfach ab und tötet sein Opfer... Dass er dich mag, bezweifel ich doch sehr stark.“ Nun musste Asaki sogar lachen – Gin mochte niemanden, sie war demnach sehr sarkastisch geworden.

„Und wie bist du denen entkommen? Du musst da ja noch recht jung gewesen sein!“ lenkte er ein, denn wenn sie schon anfing zu erzählen, wollte er die gesamte Wahrheit wissen.

„Na ja, Vermouth hat mir Cognac vorgestellt... Das fand ich alles andere als lustig, da er zur Polizei wollte.“ Sie schloss die Augen und rief zurück in ihr Gedächtnis, wie sie sich bei diesem Treffen verhalten hatten, sie hatte ihn nur beleidigt, und er hatte ihr im Nachhinein bei der Flucht geholfen.

„Ach, du hast Cognac kennen gelernt? Wie lange vor deiner Zeit in der Organisation kanntest du ihn?“ Seine Worte ließen darauf schießen, dass er ihren Exfreund kannte.

„Er ist der Freund, von dem ich vorhin sprach. Derjenige, der nicht auf mich warten konnte, sondern sich eine andere gesucht hat.“ Asaki dachte darüber nach und blickte dann zur Seite zu ihm, der sich höchstkonzentriert verhielt und eine Zigarette aus seiner Tasche fischte.

„Du sollst doch nicht so viel rauchen, das ist ungesund.“

Ohne dass er den Blick von der Straße abwandte, stecke er sich die Zigarette an, auch ohne beide Hände vom Lenkrad zu nehmen. „Alle aus unserer Familie rauchen, das kann mir keiner mehr aberziehen“, meinte er mit der Zigarette im Mund, was ihn etwas unverständlicher klingen ließ.
 

Schnellen Schrittes ging der Junge voran und meinte immer wieder zu dem Mädchen an seiner Seite: „Hayaku, Hayaku!“ Sie hatten es sehr eilig und rannten zur Ampel, die gerade auf rot umsprang, doch das schien die Zwei nicht zu interessieren, sie liefen auch bei Rot rüber und wurden von ein paar Älteren deswegen angeschnauzt. „Sumimasen!“ meinte der 18-jährige mit Brille und verbeugte sich kurz, ohne die Angesprochenen dabei anzusehen. Sein Schritt wurde immer schneller und die Rotbraunhaarige an seiner Seite schaffte es kaum hinter ihm her zu laufen, er musste sie richtig hinterher ziehen und sie stolperte ein paar Mal fast. Die Leute gingen nicht aus dem Weg, also liefen sie eine Schlangenlinie. Direkt vor dem Krankenhaus wurden die Leute weniger, so dass sie wenigstens diesen Weg ungehindert beschreiten konnten.

Unten an der Rezeption redete nur der Junge und das Mädchen schwieg. Sie hatte eine harte Nacht gehabt, kaum geschlafen hatte die 14-jährige. Sie klammerte sich an den Arm ihres Freundes, was etwas Schutzsuchendes an sich hatte.

Man sagte dem Schwarzhaarigen die Zimmernummer und er bedankte sich höflich bei der netten Frau, kurz darauf begaben sie sich zum Aufzug und fuhren hinauf bis zur Intensivstation.

Als sie dort ankamen, ging die Tür auf und eine in weiß gekleidete Frau in Begleitung zweier Männer trat vor diese.

„Was ist hier los?“ wollte der Junge wissen, als sie aus dem Zimmer kamen. Die beiden Männer gingen ihres Weges, die bildhübsche Ärztin jedoch blieb direkt vor ihnen stehen und wollte ihre Fragen beantworten. „Wolltet ihr den Jungen, der in diesem Zimmer lag besuchen?“

Eisuke holte tief Luft. „Wo ist er denn hin?“

„Wir konnten leider nichts mehr für ihn tun“, sagte die Ärztin mit einem gesenkten Blick und verbeugte sich vor den beiden Schülern.

Die Augen des Mädchens wurden zunächst groß, dann kniff sie sie kurz zusammen, um die Tränen zu unterbinden, doch sie war dieser Sache nicht gewachsen und klammerte sich in Eisukes Schulter, wo sie zu schluchzen begann.

Eisuke bemerkte, wie sie an seiner Schulter entlang immer weiter runterrutschte, drehte sich zu ihr herum und hielt sie fest und somit die 14-jährige davon ab, auf die Knie zu fallen. Er wusste nicht, was er sagen sollte außer „alles wird gut werden“.

„Nie mehr wird etwas gut...“ Sie versank tief in der Schuluniform des um ein paar Zentimeter größeren Jungen.

Die ebenfalls rothaarige Ärztin zog ihren Mund minimal nach oben, während ihre Augen einen gemeinen Ausdruck inne hatten. Sie sah auf die beiden Schüler, aber ganz besonders auf das vierzehnjährige Mädchen. Nun ja, sie war ihr keine Fremde, eher im Gegenteil, sie kannte sie besser als sonst irgendwer.

„Es tut mir wirklich Leid.“

Ihre Worte klangen, als seien sie weit weg, die 14-jährige hörte nichts, außer ihr eigenes Schluchzen. Eisuke schluckte tief. Mit so etwas hatte er nicht gerechnet – dass es so schlimm sein würde. Er fühlte sich schrecklich, wäre das mit Ran passiert, wäre er an ihrer Stelle gewesen, er wusste nicht, ob er solches hätte ertragen können. Je länger er von ihr getrennt gewesen war, je mehr er sie vermisst hatte, umso stärker war das Gefühl in seinem Herzen.

Und Josephine war verschwunden. War das der Grund für den Unfall? Man konnte seine Gedanken als nicht normal durchgehen lassen... Eine sehr gute Freundin weinte hier um ihren Freund, der sein bester Freund gewesen war, und er dachte nur daran, was der Grund gewesen sein könnte... Na ja, zumindest fast. Natürlich ging es ihm nahe, aber es waren in letzter Zeit so viele schreckliche Dinge geschehen. Dann noch die Sache mit seiner Schwester, er machte sich Sorgen um sie.

„Dürfen wir ihn sehen?“ wollte Eisuke durch eine einfache Frage wissen, wobei seine Stimme bedrückt klang und er das weinende Mädchen an sich drückte.

„Nein!“

„Nein?“ Er war schockiert, wie konnte diese Ärztin so etwas bloß sagen? Er war doch ihr Freund!

„Nein heißt nein und bleibt nein!“

Eisuke biss die Zähne zusammen. „Das ist jawohl...“ Ihm fiel dazu nichts mehr ein, und irgendwie misstraute er dieser Ärztin, sie hatte grüne Augen, eigentlich recht hübsch sogar, aber die Kälte spiegelte sich in ihnen wieder.

Der ganze Körper der rotbraunhaarigen Schülerin zitterte, sie fror plötzlich entsetzlich. Sie hörte die Worte der Ärztin und löste sich von Eisuke. Mit einem entschlossenen Blick machte sie einen Bogen um die Frau und riss die Tür auf, noch ehe diese hatte reagieren können.

„Ungezogenes Balg!“

Als Eisuke diese Worte hörte, fühlte er sich in seinem unguten Gefühl bestätigt. Aber noch etwas anderes ließ ihn hellhörig werden...

Piep ... piep ... piep...

Auch Liz hatte das Geräusch vernommen, drehte sich zu der erbosten Ärztin herum und fauchte sie an. „Anata wa dare?!“ Das Mädchen fragte, wer sie war, eine Ärztin war sie jedenfalls nicht, das stand für das Mädchen fest.

„Mum desu.“

Der Frost in Liz Körper verstärkte sich, als sich ihre Mutter zu Erkennen gab und leise süßlich lachte, sie hatte ihren Spaß dabei, ihre Tochter zu ärgern.

Eisuke schaffte es gerade so über die Schultern der Frau zu sehen, direkt auf die Maschine, die Alans Herzschlag anzeigte und dabei die Pieptöne von sich gab.

Die Rotbraunbraunhaarige lachte noch einmal, das Gesicht des Mädchens war Gold wert. „War doch nur ein kleiner Witz, nicht gleich durchdrehen, deinem kleinen Freund geht es ausgezeichnet, dafür, dass ihm jemand eine Kugel in die Brust gejagt hat.“ Eisuke entfernte sich von ihr, auch wenn es ihm widerstrebte, das Mädchen alleine zurückzulassen, so lief er zur Information, seine Schuhe quietschten auf dem glatten Boden, denn er bekam kaum die Kurve. „Eine Irre ist in Alan Moores Zimmer, kommen Sie schnell, bitte! Wer weiß, was sie mit ihm gemacht hat?!“
 

Während der Junge verschwunden war, schritt die 38-jährige auf das Mädchen zu und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Du erkennst deine eigene Mutter nicht, ist das zu fassen? Du dummes Kind musst noch viel lernen. Vor allem wie man sich beherrscht, schau dich bloß an, du bist eine Heulsuse.“ Ihre Hand ballte sich kurz zu einer Faust und die Knochen knackten, sie streckte die Finger wieder und holte dann aus, doch in dem Moment war eine blonde Frau in den Raum getreten und hielt das Miststück davon ab, ihr Kind zu verprügeln – und so was auch noch im Krankenhaus. Wer hatte hier wohl keine Beherrschung?

„Calm down yourself, many people are in this hospital. It’s very stupid to show yourself like this…” Sie wollte der Dame ins Gewissen reden und tat es so geschickt, sie würde ihr todsicher glauben, dass sie es gut mit der Frau meinte, immerhin hatte sie einen Job, den sie durch solches Verhalten an die Öffentlichkeit verraten würde.

„Shut up!“ Die Rotbraunhaarige riss sich von der Blonden los, was diese widerwillig zuließ und dann den Raum verließ – jedenfalls hatte der Plan der Blondine Früchte getragen.

‚Ich glaube mir wird schlecht, bestimmt arbeitest du mit Valpolicella zusammen und gehst jetzt gleich weitertratschen, dass du den Jungen gefunden hast...’ Das musste sie unbedingt verhindern, gut, dass sie es sagte, das war kaum zu ändern, aber sie konnten Alan hier wegbringen, zum Glück hatte sich sein Zustand gebessert.
 

Als nun zwei Schwestern zusammen mit Eisuke angerannt kamen, hatte sich die falsche Ärztin längst aus dem Staub gemacht, doch der Schock für die 14-jährige war geblieben. Sie stand einfach nur da, mit apathischem Blick, der zu Boden ging.

„Was ist hier vorgefallen?“ fragte eine der Schwestern, unterdessen schaute sich Eisuke im Raum um, konnte die Frau aber nirgends entdecken.

„Das wüsste ich ja jetzt auch gerne.“

„Ich denke, die Frau ist aus dem Irrenhaus ausgebrochen! Sie ist nach draußen gerannt, als ich reingekommen bin. Man sollte sie besser aufhalten, bevor etwas Schlimmes passiert“, kam von der Blondine. Die beiden Schwestern sahen sich an und rannten dann nach draußen, um die Augen nach dieser Person aufzuhalten.

Das, was die 28-jährige gesagt hatte, war ihr voller Ernst gewesen. Diese Frau war sprichwörtlich total irre, sie hatte sich einen total kranken Scherz mit ihrer Tochter erlaubt, mit dem Ziel sie weinen zu sehen...

Shannen schob das Mädchen auf einen Stuhl zu und drückte sie mit sanfter Gewalt darauf nieder. „Sie ist weg.“ Noch immer zitterte sie, wohl hatte das Mädchen große Angst vor ihrer eigenen Mutter und Eisuke vermochte nicht zu verstehen, was es mit ihrer Mutter auf sich hatte. Er kannte sie schon über ein Jahr, aber ihm wurde bewusst, dass er sie eigentlich doch nicht kannte – leider. Aber er wollte die Verrücktheit der Mutter nicht auf sie projizieren, er mochte sie dadurch nicht weniger.

Shannen blickte zur Seite – ja, sie kannte den Jungen – besser als er vielleicht ahnen könnte. Kein Wunder, sie war der jüngere Bruder ihrer besten Freundin – wie hätte sie nicht von ihm wissen sollen?

„Tasukete onegai!“ Der Blick der 14-jährigen hatte etwas sehr Ängstliches. „Bitte helfen Sie mir! Meine Mutter, sie ist... Sie will... Bringen Sie den Jungen bitte hier weg! Ich bitte sie, sie darf ihn nicht wieder finden...“ Sie warf den Kopf nach vorne, verbeugte sich so tief, dass ihr dabei beinahe schlecht wurde. „Sie tut ihm sonst vielleicht irgendetwas an...“ Tränen tropften auf den Boden, sie war am Rande der Verzweiflung – ihre Mutter hätte nie von ihnen erfahren dürfen.

„Lisa-san? Was hat es mit deiner Mutter auf sich?“ wollte nun Eisuke vorsichtig wissen. Das interessierte ihn nun wirklich. Sie schien große Angst um Alan zu haben, nicht ohne Grund fand er.

„Sie kann mich nicht leiden, sie hasst mich! Sie hasst uns alle... Und sie hat kein Herz! So was besitzt sie nicht!“ Während ihres Zitterns kniff sie die Augen zu und kugelte sich förmlich zusammen, wie ein Tier, das Winterschlaf machen wollte.

„Keine Panik, Kleines“, sagte Shannen sanft und hob ein wenig das Gesicht des Mädchens an. „Deine Mutter wird nicht in der Lage sein, ihn anzurühren, dafür werde ich schon sorgen.“

„Wirklich, Sie helfen mir?“

„Ja, so etwas lasse ich nicht zu.“ Sie wusste, wozu diese Frau fähig war – hätte Valpolicella Freunde innerhalb der Organisation gehabt, hätten die beiden perfekt zusammen gepasst, sie waren gleich blutrünstig und krank.
 

Schon seit gut einer Minute wurde er angestarrt, als würde das Mädchen jeden Moment ihm um den Hals fallen wollen, um ihn zu trösten. Es war nur sehr schwer für ihn, solchen Blicken stand zu halten. „Schau mich bitte nicht so an, ich mag es nicht, wenn man mich so ansieht. Ich kann Mitleid so gar nicht ausstehen.“

Sonoko hatte sich ganz ruhig auf einen Stuhl gesetzt und wirkte traurig. Gleich herrschte Stille im Zimmer, weil keiner von beiden wusste, was er hätte sagen sollen.

Und ihm waren mehr oder weniger die Hände gebunden, oder sollte er sagen, der Mund? Er war hier mundtot gemacht worden, er konnte schlecht anfangen darüber zu reden, wenn unter dem Bett ein Sender war, der alles zu diesem Schwein übertrug.

„Tut mir Leid! Ich frage mich, was gestern los war! Kein Mensch fällt einfach so um, trotzdem sagt man, dass es sehr knapp war... Hast du... Hast du etwa meinetwegen Ärger bekommen? Weil du mich in deinem Auto mitgenommen hast?“

Besser, sie war still, sie kostete ihn sonst noch Kopf und Kragen... Irgendwie musste er sie diesbezüglich zum Schweigen bringen. „Warum redest du nicht von etwas Erfreulichem? Es gibt doch bestimmt etwas. Hast du die Karte noch, die ich dir gegeben hatte? Wirst du kommen?“

„Mein Vater will mich nicht hingehen lassen... Er hat sich so seltsam verändert...“ Es war ganz nett als Ablenkung gedacht, aber Sonoko dachte täglich daran, dass man ihren Vater erpressen wollte, indem man sich seine Tochter vornahm. Sie hatte schon gar keine Lust mehr, irgendwohin ohne Ran zu gehen. „Wenn ich nur meine Freundin überreden könnte, mitzukommen, vielleicht würde er es erlauben. Vielleicht frage ich auch eine andere Freundin. Ran hat im Moment, glaube ich, andere Interessen. Sie vermisst ihren Freund, der verschwunden ist. Da hat sie keine Lust auf irgendwelche Konzerte zu gehen. Trotzdem ist sie heute hier... Sie ist hier und wollte unbedingt...“

Verwirrt und mit einem fragenden Blick sah er Sonoko ins Gesicht. „Was meinst du damit?“

„Sie hat mit ihrer Cousine, die bei der Presse arbeitet, zu viel geredet, das ist alles. Du musst wissen, ihr Vater ist Detektiv, das vererbt sich natürlich. Meine Freundin findet es fürchterlich, was mit ihrer Lieblingssängerin passiert ist. Und nun spielt sie die Detektivin.“ Sonoko gefiel das irgendwie gar nicht, sie konnte nicht von sich behaupten, dass sie sich wohl in ihrer Haut fühlte.

„Ein Detektiv, so? Aha.“ Er klang nicht, als würde ihn das vom Hocker reißen, oder er dem großes Interesse beimessen. Eher gleichgültig klang die Stimme des 26-jährigen. „Und welche Sängerin?“ Er gab vor von nichts zu wissen, sein Name war Hase.

„Kimi.“

„Mhm, Kimi... Den Namen habe ich schon mal irgendwo gehört, mal überlegen.“ Er tat auf nachdenklich, so dass Sonoko ihn nun ansah, als würde sie ihm gerne an die Gurgel springen. „Wenn du das zu Ran-chan sagst, schlägt sie dich k.o. Darauf kannst du mal Gift nehmen, sie versteht in solchen Sachen überhaupt keinen Spaß mehr.“

„...“ Ihm war ganz schlecht, sollte das heißen, er ließ nach und man konnte ihm das jetzt tatsächlich ansehen, auch wenn er sich noch solche Mühe gab? Da konnte er sich ja gleich einsargen gehen...

„Natsumi, ihre Cousine war vorgestern auf der Promiparty im Angel-City-Hotel, um da Fotos zu machen. Ich wollte mit ihr hingehen, aber mein Vater fand die Idee, dass ich nachts irgendwo in Hotels streunere nicht so prickelnd, und hat mich eingesperrt. Ich war voll sauer. Meine Freundin macht sich schreckliche Gedanken darum, wie schlecht es wohl ihrer Lieblingssängerin ergangen sein muss, weil sie einen bescheuerten Freund hat, der seine Liebe zu ihr leugnet. Sonst noch Fragen?“ Sonoko hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schenkte ihm einen Blick wie von einer wütenden Mutter – ja, die guckten auch immer so, wenn sie sauer waren.

„Ja, gut, ich kenne sie, sie hat nicht viel Glück gehabt, kann man sagen. Wir kennen uns aber nur flüchtig. Manchmal haben wir uns ein bisschen unterhalten. Und mit wem sie sonst so Kontakt hatte, hat mich wenig interessiert.“ Hoffentlich hatte Natsumi diesbezüglich dieses Mädchen nicht allzu sehr aufgeklärt, dann würde sie ihm das unmöglich abkaufen…

Man hörte, wie es an der Tür klopfte, die Person vor dem Zimmer war es Leid zu warten und öffnete nach einem Herein, die Tür.

„Konnichiwa“, meinte sie mehr förmlich und stand ganz weit weg in der Tür. „Ich bin Ran Môri! Ich habe ein paar Fragen.“

„Immer dasselbe, immer Fragen beantworten und hübsch lächeln. Sehe ich aus, als würde ich jetzt die große Lust dazu verspüren, irgendwelche Fragen zu beantworten?“ Er benahm sich wie ein Vollidiot, fand Sonoko, der hatte gerade aber einen gewaltigen Schaden, wie redete er denn mit ihrer Freundin? Was kotzte ihn so an, dass er so war?

„Ich muss hier raus, ich halte es keine Sekunde mehr hier aus, dieses eingesperrt sein, wir sind doch nicht im Gefängnis!“ Die Decke flog meterweit weg, er hatte doch nur auf eine Gelegenheit gewartet, um unbemerkt abhauen zu können. Jetzt kam es ihm gerade recht, er hatte keine Lust auf Fragen, schon gar nicht auf die von kleinen Mädchen.

„Ach, wieso? SIE scheinen sich ja ganz besonders gut mit so was auszukennen. Hat das einen bestimmten Grund?“ wollte Ran von ihm wissen und versperrte ihm den Ausgang.

Sonoko hörte an Rans Stimme, dass sie wütend war, und das irgendwie ja zu recht.

„Weder war ich je in einem Gefängnis, noch will ich da je hin, ich bin nicht scharf darauf. Ich bin nur scharf darauf, meine Ruhe zu haben. Ist das zu viel verlangt?“

„Es ist nur eine einzige Frage, dann gehe ich sofort wieder. Eine einzige und ich bin schneller wieder weg, wie der Blitz!“

Sich geschlagen gebend, schloss er die Augen. „Vielleicht habe ich darauf mehr Lust, wenn ich mir Zigaretten geholt habe... Ihr könnt ja mitkommen.“ Raus hier, und das so schnell wie möglich. Noch länger zusammen mit Jami im Zimmer, und er würde sie wirklich nicht mehr alle haben.

„Männer“, gab Ran von sich, in ihrer Umgebung gab es viel zu viele Raucher, sie musste es gewohnt sein, aber zu gerne wollte sie es denen manchmal abgewöhnen, die brachten sich ja selbst frühzeitig ins Grab. Sie konnte ja nicht ahnen, dass es teilweise eine Finte war, um das Zimmer zu verlassen, weil er sich belästigt fühlte. Wenn er die Schwester um ein anderes Zimmer bat, war das auffällig, wer wusste schließlich, wo sich diese Aasgeier überall herumtrieben?

Ran und Sonoko folgten ihm, so schnell kam er der Tochter des Detektiven nicht davon. Wenn er sie noch einmal so blöd anmachen würde, war aber alles zu kurz. Was bildete der sich ein? Dieser... Möchtegernmacho!
 

Um die Ecke beobachtete man die kleine Gruppe, eigentlich hätte er im Bett liegen bleiben sollen, aber Jami war der festen Ansicht, dass er das Zimmer würde verlassen wollen, wie war dieser Mistkerl nur wieder darauf gekommen? Und jetzt sollte sie hier aufpassen, das gefiel ihr natürlich besonders gut, nämlich überhaupt nicht. Die Blondine fragte sich, wie man nur so eifersüchtig und verhasst sein konnte. Jami war es, eindeutig. Und zwar auf Hiroya, und wehe man kam diesem zu nahe. Zu gerne hätte sie mal erfahren, was zwischen denen beiden war, das war unmöglich nur Jamis Hass auf die Polizei, weil er dieser stets entkommen musste, da steckte mehr dahinter.
 

Nachdem er seine Zigaretten hatte, legte er sie auf den Tisch, an den sie sich setzten. Hier durfte jeder rauchen, wenn er die Lust dazu verspürte, ein kleiner Raum im Krankenhaus, die Raucherzone, komischerweise war hier niemand außer sie drei, aber umso besser.

„War da nicht etwas mit einer Frage?“ hakte der junge Mann nach, nun etwas freundlicher klingend, als bisher. Es fühlte sich gut an, endlich frei sprechen zu können. Er bemerkte ja auch nicht, wie man ihn die ganze Zeit im Auge behielt und sogar lauschte.

„Mein Vater bekam einen Anruf von jemandem, der eindeutig aus Kansai kommt. Der Mann war mit den Nerven ziemlich am Ende und hat ihm jede Menge Geld geboten, damit er einen vermeintlichen Mord aufklärt. Das Problem ist, dass er seinen Namen nicht sagen wollte, er hat ein totales Geheimnis daraus gemacht. Mein Vater ist nicht dämlich, er weiß, dass es sich auch gut um jemanden handeln könnte, der ihm Ärger machen will. Eine Falle zum Beispiel. Es geht um Kimi, die Polizei hat gegen den Fall ermittelt, das steht in so gut wie jeder Zeitung, überall steht dasselbe drin. Sie hat sich Feinde gemacht, sie war eine männermordende Bestie, sie war oberflächlich, egozentrisch und ein durchtriebenes Miststück, das Männer als Spielzeug betrachtet hat. Nun ja, ich kann das nicht glauben. Ich glaube NICHTS, nichts von dem glaube ich. Das kann gar nicht sein, meine Menschenkenntnis hat mich noch nie im Stich gelassen. Wie sieht’s mit Ihnen aus?“

„Die Presse tratscht so vieles rum, wenn man ihnen nicht Einhalt gebietet, da macht man lieber ein Geheimnis aus allem und schweigt.“ Auf dem Stuhl sitzend, wippte er mit dem Bein hin und her, was Ran sagte, dass er wohl etwas nervös zu sein schien, hatte er dazu wirklich einen Grund? Sie war nicht hergekommen, um ihm Ärger zu machen, zumindest nicht direkt.

„Ran, komm endlich zum Punkt!“ meinte Sonoko, Ran veranstaltete hier irgendwelche Spielchen und sie verstand nichts davon.

„Vorgestern auf der Party, da war doch ordentlich was los, nicht wahr? Sagen Sie mir einfach die Wahrheit. Was ist zwischen Kimi und Juu vorgefallen, dass sie sich so schrecklich gestritten haben?“

Ein Seufzen entfuhr ihm, die Frage war lächerlich, was war schon gewesen? Er war aufdringlich und nun freute er sich noch, dass ihm so etwas passierte...

„Das ist, weil er ein Arschloch ist und Frauen belästigen muss!“

„Ach, und das war der Grund, weshalb er sich gleich eine eingefangen hat, oder wie?“ Ran schüttelte den Kopf. Sie konnte die Männer nicht verstehen, die kamen sich ja gegenseitig in die Quere und dann durften sie sich nicht wundern.

„Du weißt ja bestens Bescheid, hat dir das Hinagawa-san erzählt?“ Wer auch sonst, Sonoko hatte ja davon geredet, dass sie Rans Cousine war.

„Das ist ihr so nebenbei aufgefallen, dass es Ärger gab. Ihr beide hattet eine ziemliche Auseinandersetzung und seid aufeinander losgegangen wie die Hyänen. Was bringt einen Mann so zum ausrasten, außer dass er vielleicht ein bisschen besitzergreifend ist?“ Genau das hatte Natsumi ihr gesagt, Hyde war wie eine Hyäne auf Juu los, hatte ihn beschimpft und musste von seinen Bandkollegen gebändigt werden, weil er Juurouta sonst krankenhausreif geprügelt hätte, das waren die Worte von Natsumi gewesen.

Ran war heute wirklich nicht besonders gut gelaunt, sie sprach aus, was sie dachte und war dabei wenig zimperlich – zumindest noch. Ein falsches Wort von ihm und sie fing wahrscheinlich an zu weinen.

„Ich kann das nicht ausstehen, und dann noch in der Öffentlichkeit. Wie soll ich sagen? Ich war vorhin nicht so gut drauf, ich bin seit gestern eingesperrt, werde von Polizisten belagert und muss mich heimlich aus dem Staub machen, damit ich mal tun kann, was ich will. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch, deswegen kann ich Leute, die anderen Freiheiten rauben, nicht wirklich leiden. Juu ist so einer, er schränkt gerne Leute ein. Besonders viel Spaß hat ihm das gestern gemacht. Da war es ihm nur Recht, dass die Presse da war. Er wollte mit Kimi erwischt werden. Und mir das dann unter die Nase reiben, so als wenn sie es mit jedem...“ Er verkniff es sich, aber so war es. Juu schreckte vor nichts zurück, leider, dabei waren gerade sie drei mal die besten Freunde gewesen, aber Dinge änderten sich.

„Das sagt natürlich alles, danke, Hideto-san.“ Ran stand auf und zog den Blick beider auf sich, sowohl Sonoko, als auch der Dunkelhaarige verstanden nicht, wieso sie nun aufgestanden war.

„Bitte? Das versteh ich nicht.“ Sonoko verstand sie wirklich kein bisschen, dabei war sie doch ihre beste Freundin.

„Jetzt bin ich froh...“ Sie seufzte erleichtert auf und Sonoko dachte schon, ihre beste Freundin hätte Fieber und deswegen Wahnvorstellungen.

„Wieso das denn nun?!“

„Weil ich nun Bescheid weiß...“ Jedenfalls hatte der gute Kita ordentlichen Mist erzählt. Es hätte auch gar nicht zu den Erzählungen Natsumis gepasst.

Sein Gesicht wurde rötlich, das Mädchen war wirklich eindeutig die Tochter eines Detektiven. Von seinen Worten leitete sie nun also ab, dass er in der Detektei angerufen hatte…

„Was gestanden denn?!“ Die Braunhaarige zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

„Sag ich nicht, darauf musst du selber kommen“, Ran seufzte nur noch rum. Natsumis Erzählungen nach zu urteilen, hatte er sie beschützt und das aus einem ganz bestimmten Grund, den er gerade selbst zugegeben hatte.

„Und deswegen bist du froh?“ Er verstand zwar nicht wirklich weshalb, aber es erfreute ihn ungemein, dass Ran nun erleichtert zu sein schien. Wenigstens eine Person, der geholfen war.

„Ganz einfach aus dem Grund, dass sie nicht alleine war, sondern jemanden hatte und ich mich nicht in ihr getäuscht habe.“

Sonoko wurde wahnsinnig. „Jetzt sag endlich was los ist!“

Ran standen Tränen in den Augen. „Ich mochte sie wirklich sehr, und konnte nicht glauben, was in den Zeitungen stand. Kimi, das männermordende Miststück... Kimi die oberflächliche Frau. Das hätte nicht zu dem sanften Wesen gepasst, das ich in ihr stets sah.“

Stille herrschte, die Tochter des Chefs des Suzuki-Konzerns blickte zwischen beiden hin und her, sie sahen einander einfach nur an, Ran mit dem traurigen Lächeln und er, der den Kopf senkte. „Ich hab zu lang gebraucht, um das zu erkennen... Jetzt ist es zu spät, das einzige, was ich noch tun kann, ist sie in guter Erinnerung zu behalten. Die Kimi, die auf der Bühne stand, das war nicht sie, sondern nur ein Schatten ihrer selbst.“ Sie hatte Angst ihre sanfte Seite zu zeigen, was er verstehen konnte, solche Leute wurden immer bloß verletzt, er war selbst so jemand. Der Gedanke daran, dass dieses Mädchen ein Fan von ihr war, die tiefe Trauer, die er bei ihr spürte, obwohl sie gerade lächelte, sie ging auf ihn über, sein Herz war ganz schwer geworden, so schwer, dass es ihn zu erdrücken drohte. Je mehr er darüber nachdachte, umso trauriger machte ihn dieser Umstand. Sie war glücklich, weil sie sich in ihrem Idol nicht getäuscht hatte. Und bestimmt vermisste sie sie genauso wie er.

Sonoko schluckte schwer, jetzt verstand sie, was Ran vorhin gemeint hatte und wie so oft hatte sie Recht gehabt. Ihre Freundin hatte ein großes Herz, so groß, dass sie in die Herzen der anderen schauen konnte. Sie hatte dafür einfach ein Gefühl.

„Ich werde alles dafür tun, um herauszufinden, was in dieser Nacht geschehen ist. Derjenige kommt nicht ungeschworen davon. Das verspreche ich... Bieten Sie meinem Vater nicht zu viel Geld, sonst schnappt er noch über, das will ich nicht... Das Geld geht dann bloß für Alkohol und Zigaretten drauf, darauf kann ich liebend gerne verzichten...“ Ran seufzte und verbeugte sich noch einmal vor ihm. „Auf wiedersehen, man hört voneinander...“

Bevor er etwas sagen konnte, war Ran nach draußen gelaufen und Sonoko ihr nach. Was sie gesagt hatte, irgendwie gefiel ihm das nicht. Sie trug eine Schuluniform, demnach ging sie noch zur Schule. Es widerstrebte ihm so sehr, dass sie sich vielleicht mit den falschen Leuten anlegte, dass er ebenfalls rausstürmte, doch ehe er sich versah hatte man ihn recht grob am Arm gepackt.
 


 

„Hier geblieben!“ meinte eine Männerstimme zu ihm und er erkannte sofort um wen es sich handelte. In dem Moment wusste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte... Nun lauerte der ihm hier auf, was sollte das nun wieder werden? Wie würde es enden? Er musste doch den Mädchen nach...

Plötzlich wurde der junge Mann dichter als dicht zu dem anderen Mann gezogen, er hatte ihn im Würgegriff, was auch noch auf gewisse Weise schmerzte, da er ihn so verrenkte, war aber ja mal wieder typisch für ihn, er erwürgte ihn fast...

„Dumme Idee von dir, dein Freund hat überall im Krankenhaus Wanzen versteckt, nicht bloß in deinem Zimmer...“ flüsterte er ihm zu, was man als gut gemeinte Warnung verstehen musste, nur wurde er nicht schlau daraus, dass er ihm half. Hassten die beiden sich wirklich so sehr? Aber der Schock war groß. Jami wusste, dass Ran wusste und Sonoko... ‚Ich habe diese Mistkröte unterschätzt, ich glaube nicht, wie weit er geht, um mich auszuspioniern...’ Ihm musste ja wahnsinnig viel daran liegen. Warum eigentlich?
 

Es war doch recht viel los hier, so dass beide nicht auffielen als sie nun wortlos das Krankenhaus hinter sich ließen und er regelrecht in sein Auto entführt wurde. Das erste, was ihm auffiel, war die Automarke. „Schon wieder ein neues Auto?“ Wahrscheinlich hatte er sein altes Auto geschrottet und es hatte ein neues her gemusst, das war ja möglich. Es war ein vollkommen anderes und hatte auch eine komplett andere Farbe...

„Lass uns hier erstmal abhauen...“

„Wohin eigentlich?“

Die Antwort blieb aus, Hiroya sperrte ihn regelrecht in sein Auto, Kindersicherung. Verdammt, er war kein Kind! Etwas aufmüpfig sah er ihn an. „Wie wäre es, wenn ich eine Antwort kriege?“

„Halt die Klappe, reicht es nicht, dass ich deinen verdammten Arsch rette?!“

„Da frage ich mich doch glatt, warum? Und was hast du nun vor?“

Dass Hiroya keine Antwort darauf gab, war verdächtig, er hätte bemerken müssen, welch ein Spiel man mit ihm trieb, aber so ganz bewusst war er sich nicht, dass es eine Finte war, ihn ins Auto zu setzen und mit ihm wegzufahren.
 

Als sich der Dunkelhaarige nach hinten umschaute, bemerkte er, dass sie in einen anderen Stadtteil unterwegs waren. Nun wurde ihm doch mulmig zumute, aber immer noch besser, als von Jami die ganze Zeit beschattet zu werden. „Jetzt versteh ich das... Jami hat es auf mich abgesehen, das ist der Grund.“

„Was willst du damit sagen?“ hinterfragte Hiroya, und schüttelte seinen Kopf.

„Du tust das nur, weil du mit ihm Differenzen hast, du willst den Typen ärgern. Hätte ich mir ja denken können.“

Hiroya hielt nun an, sie befanden sich in einem kleinen Stadtteil, der sehr ärmlich aussah, also hier würde er bestimmt nicht bleiben wollen, die Straßen waren leer und nur ein Kiosk war in der Nähe. Hiroya stieg aus und machte ihm sogar die Tür auf. „Du wirst dich hier eine Weile verstecken, bis ich mit Jami fertig bin, nur damit das mal klar ist. Und wenn du es nicht freiwillig tust, zwinge ich dich dazu, hast du das verstanden?“ Der bedrohende Ton sagte einiges aus, also stieg der Jüngere aus und wurde dann von Hiroya in eine Seitengasse geführt, die sie beide in eine Sackgasse brachte. Als sie dann dort angekommen waren, verstand der junge Mann gar nichts mehr. „Was soll das denn nun?“ Er hatte ihm den Rücken zugewandt und starrte die Wand an, dann jedoch drehte er sich zu Hiroya herum. „Soll ich auf der Straße übernachten, oder wie hast du dir das gedacht?“ Sarkastische Worte, die man verstehen musste, er kam sich reichlich veräppelt vor...

Hiroya begann zu lachen und das in einem schrillen, grellen Ton, der in den Ohren schmerzte. „Baka da yo“, meinte der Schwarzhaarige und strich sich über seine Wange, bevor er dort einen Hautfetzen erfasste und sich diesen vom Gesicht riss.

Erst jetzt wurde ihm klar, was genau so seltsam an Hiroyas Verhalten gewesen war, es wurde ihm bewusster, je weiter er diese Haut von seinem Gesicht entfernte, dabei ging nicht nur diese flöten, sondern auch die schwarzen Haare, die er besaß. Und zum Vorschein kamen diese blonden Locken.

„Ach, du bist das...“ Ein bisschen Enttäuschung spiegelte sich in seinem Gesicht wider und er seufzte auf. Es wäre ja zu schön um wahr zu sein...

Wie hatte er bloß dem Glauben verfallen können, Hiroya würde sich einmal bessern und ihm sogar Hilfe leisten...? Die einzige Person, die ihm momentan wirklich zu helfen schien, war diese Amerikanerin. Manchmal verstand er sie nicht so gut, da sie es liebte, Japanisch und Amerikanisch einfach zu mixen. Aber im tiefen Grund seiner Selbst kam er mit ihr aus. Eine Hand wäscht die andere, sagte man so schön, das traf wohl sehr gut auf sie beide zu.

„Sei nicht traurig“, meinte sie mit einem Lächeln, das jedoch sehr hinterhältig wirkte, „Hiroya hat besseres zu tun. Er hat nicht einmal mitbekommen, dass Jami euch belauscht hat. Er war so gierig darauf, mit dir Katz und Maus zu spielen, dass er dumm genug war, es nicht zu bemerken. Jami muss sich wirklich toll gefühlt haben... Dass Hiroya dich hasst, das ist der eigentliche Grund, weshalb er nicht schon längst kurzen Prozess mit dir gemacht hat... Ihn interessiert nichts anderes. Er denkt wahrscheinlich, dass er dich gegen ihn aufhetzen kann.“

Ihm entfuhr ein Lachen, ihre Worte fand er irgendwie witzig. „Sehe ich aus, als wäre ich so lebensmüde, mich mit Hiroya freiwillig anzulegen? Außerdem hätte der Mistkerl dann seine Bestätigung dafür, dass ich mit Jami unter einer Decke stecke, ich würde ihm gerne beweisen, dass das nicht so ist. Bisher bin ich daran immer gescheitert. Obwohl er so ein verdammter Scheißkerl ist, liegt mir komischerweise sehr viel daran, ihn zu bekehren...“ Aber nicht nur das. Tief in sich wusste er auch, dass keiner schlimmer war als Jami, da kam Hiroya bei weitem nicht ran. Dazu müsste er anfangen kleine Kinder zu entführen, oder sie zu erschießen. So viel Grausamkeit traute er selbst diesem Kerl nicht zu. Da war Jami wahrlich ein Einzelstück.

Die blonde Frau schüttelte den Kopf, sie verstand nicht, wie man sich so um die Gunst eines Menschen reißen konnte. „Du solltest nicht vergessen, wem du deine Einsamkeit zu verdanken hast. Er ist an allem schuld, seinetwegen ist sie in dieser Organisation gelandet und auch seinetwegen bist du in so eine missliche Lage geraten. Die Organisation hätte seine Schwester in Ruhe gelassen, wäre er nicht gewesen. Jami hat sie doch bloß genommen, weil sie seine Schwester ist und er ihn ärgern wollte.“ Es war ja irgendwie traurig, arme Kimiko, wurde nur von Männern missbraucht. Wobei Vermouth eigentlich weniger bedauerte, dass man sie so auf die Schippe genommen hatte – so eine freche, ungezogene, eigenwillige Göre.

Es stimmte vielleicht, aber er ließ sich ungern einen Mörder nennen, nichts Dergleichen hatte er getan, wieso glaubte dieser Kerl das nicht? Er hoffte, man konnte ihn von seiner Krankheit, die er nun einmal hatte, heilen. „Mal was ganz anderes... Was genau weißt du über Kimis Tod? Mir scheint, als weißt du jede Menge... Das kommt mir komisch vor. Wenn du so viel weißt, wieso brauchst du dann einen Detektiv, um die Sache aufzudecken?“ Er sah in ihre kühlen blauen Augen, ihre Lippen zierte ein Grinsen, was genau sie in diesem Moment dachte, wusste er nicht, doch wirkte dieser Gesichtsausdruck mehr als heimtückisch.

„Ich selbst kann wenig tun, das kann nur jemand von außerhalb. Außerdem hat ihr Tod so auch etwas Gutes. Du willst doch auch, dass man die Machenschaften unserer Organisation aufdeckt, nicht wahr?“ Es klang, als hätte sie ganz gewählt ihn ausgesucht, weil er nun einmal gerne etwas dagegen tun wollte, aber nicht wusste wie. Und irgendwie machte sie nicht den Eindruck, als würde es ihr so viel ausmachen, dass sie tot war, gerade zu, als hätte sie selbst damit zu tun... Aber das war doch verrückt... Seine Gedanken waren es, aber sie drückte sich auch so seltsam aus und grinste dann noch.

„Hättest du sie retten können? Du machst keinen Hehl daraus, dass du es nicht bedauerst.“ So offen zu reden, war nicht seine Art, doch war es eine Frage, die ihn sonst quälen würde, wenn er deren Antwort nicht erfuhr, also musste er da durch.

Sein Blick ruhte auf ihr, diese strahlenden braunen Augen fixierten ihre eiskalt blauen Augen, und er wusste nicht, weshalb sie mit ihm hierher gekommen war. Ach, was sollte es? Sie würde die Sache sowieso beenden, also wieso sollte sie ihm nicht die Wahrheit erzählen? Er hatte sie verärgert, wusste das aber noch gar nicht, aber ihm würde das eher klar werden, als ihm lieb war...

„Bitte sag’s mir.“

Sie wurde beinahe angebettelt und dermaßen flehend angesehen, dass sie den Kopf schüttelte. „Du würdest nicht fragen, wenn du das nicht denken würdest, nicht wahr?“ Vermouth hatte ein bittersüßes Lächeln im Gesicht. Sie könnte ihm sagen, dass Kimiko sich wie ein Miststück ihr gegenüber benommen hatte und sie sich kein Stück leiden konnten. Kurzum sie hatte keinen Grund für die Kleine irgendwas zu riskieren. „Weißt du, sie ist nicht zu jedem nett gewesen. Schon gar nicht zu Frauen, wäre sie noch am leben, würde sie jetzt austicken, wenn sie uns so sehen würde...“ Sie tätschelte seine Wange, das ließ ihn ein Stück nach hinten zucken.

„Das beantwortet meine Frage nicht.“

„Ach nein? Du willst es also ganz genau wissen, was? Sagen wir es doch so, ich stand direkt daneben, als es passiert ist... Ich war dabei, ich habe alles gesehen.“

Sein Mund öffnete sich wie automatisch, als hätte man ihn mit magischer Kraft aufgezogen. Wenn sie das so sagte, das hieße ja, dass sie ihn die ganze Zeit an der Nase herum geführt hatte. Aber das war bei weitem nicht das schlimmste, diese Frau benutzte ihn, sie hatte ihn von vorne herein nur belogen. Vielleicht war sie ja ein Fan von ihm... Er tat ihr ja so furchtbar Leid... Sie war eine zu gute Schauspielerin. „DU hast mich belogen! Wenn du das alles wusstest, war es vollkommen unnötig, mich zu diesem Detektiv zu schicken, du selbst hättest mich aufklären können!“ Es war nicht zu vermeiden, dass er gerade ziemliche Wut verspürte, die er unterdrücken musste. Sie war bewaffnet, das ließ ihn noch sehr vernünftig sein, doch schlug er ihre Hand von sich weg. Wenn die ihn noch einmal anfasste, würde ihm schlecht werden. Und sie sollte ihn ja nie wieder Darling nennen.

„Sei doch nicht so verstimmt, sei froh... Du hast mir einen sehr großen Gefallen getan. Mehr brauchst du auch gar nicht tun, alles ist in die Wege geleitet.“

Es musste ihr wirklich viel bedeuten, diese Organisation auffliegen zu lassen, wenn sie zu solchen Mitteln griff, wie konnte man so kaltherzig sein, und irgendwelche Leute opfern?

„Ach, der Witz an der Sache ist, dass du dachtest, es wäre um EUCH gegangen, es ging niemals um SIE, noch ging es um DICH, mir ging es darum, mein Ziel zu erreichen, nichts weiter. Trotzdem hast du einen großen Anteil daran, wenn wir erfolgreich sind, das ist doch auch etwas wert.“

Sie wollte ihn verarschen, sie spielte ihr Spiel mit ihm, und er sollte sich darüber freuen? Er brachte kein Wort heraus, zu wütend war er.

„Ach komm, sei nicht traurig, du hast es im Grunde leid dabei zuzusehen“, sagte die Hellblauäugige dem 26-jährigen auf den Kopf zu, sie beide wussten, dass es so war, da konnte sich die Schauspielerin derartiges nicht verkneifen, „und danke für deine Hilfe, du hast mir wirklich sehr geholfen... Nun bin ich wieder einen Schritt näher an mein Ziel herangekommen. Ihr Tod ist letztendlich etwas Gutes, das musst du einsehen. Er hat jemanden, den ich sehr bewundere, auf uns aufmerksam gemacht...“

Dass sie dachte, das sei es ihm wert, nein, so konnte er nicht denken...

Der junge Mann schüttelte den Kopf, er wollte das einfach nicht glauben, es war ein Albtraum... „Sonai!“ Immer wieder schüttelte er den Kopf, dabei sank er hinten gegen die Wand.

„Weißt du, warum dir so etwas passiert? Weil du zu naiv bist. Naiver noch als kleine Jungs. Werd erstmal erwachsen, Kleiner, und benimm dich deinem Alter entsprechend! Du bist selbst schuld, du warst wie ein gefundenes Fressen für mich. Aber tröste dich... Jami wird dich nicht mehr ärgern, dafür sorge ich schon.“
 

Chris wurde belauscht, was sie nicht wusste. Ganz in der Nähe befand sich eine Person, der all das, was sie da sagte, nicht besonders gut gefiel. Sie war ein Miststück, ja, das wusste er, aber dass sie so weit gehen würde, hatte er nicht zu denken gewagt. Sie hatte diesem jungen Mann gestanden, dass sie Kimiko geopfert hatte, na, der würde er was erzählen... War ja schön für sie, wenn sie seine Exfreundin nicht leiden konnte, aber dass sie ihren Tod einfach so hingenommen hatte, ohne einen Finger krumm zu machen, sie wusste doch, dass er noch an ihr hing. Jede Frau, mit der er mal fest zusammen gewesen war, mochte er noch immer. War das vielleicht ein Problem für sie, oder wie hatte er das zu verstehen? Ihre letzten Worte machten den Schwarzhaarigen stutzig. Ach und nun wollte sie wieder Samariterin spielen, oder wie? Von wegen sie würde dafür sorgen, dass Jami ihn nicht mehr ärgerte... Meinte sie, dass das seine Wunden kühlen würde, oder wie war das zu verstehen? Es war für Sêiichî als Außenstehender nicht schwer zu erkennen, dass ihre Worte den Dunkelhaarigen wie ein Schlag ins Gesicht getroffen hatten, er konnte nur hoffen, er würde Chris nicht erwürgen wollen... An seiner Stelle hätte er das wohl gewollt.
 

„Soll ich mich jetzt noch dankbar zeigen?“

Chris lachte, während sie ihre Waffe aus der Jackentasche zog und sie betrachtete. „Nein, das musst du nicht... Jedenfalls wirst du Angel nie wieder etwas sagen! Du hast einem 19-jährigen Mädchen Sachen erzählt, die du dir hättest verkneifen sollen! Was hast du dir dabei gedacht? Du hast unseren Plan eigenhändig geändert, das ist unverzeihlich!“ Sie wurde wütend, ihre Augen funkelten ihm entgegen, immer mehr schien sie diesem Zorn zu verfallen, und Angesichts der Tatsache, dass sie eine Waffe in der Hand hielt, gefiel das weder ihm, noch ihrem Publikum. „Wir hatten ausgemacht, dass du Kogorô anrufst, nicht dass du Kaffeekränzchen mit seiner Tochter hältst! Ich kann keine Sentimentalisten brauchen, die bedeuten nur Ärger! Was wenn dieses Mädchen nun anfängt zu ermitteln, hast du daran gedacht?!“

„Ich wollte sie doch-“

„Du willst gar nichts, ich brauche dich jedenfalls nicht mehr, du hast getan, was du solltest. Es tut mir sogar ein bisschen Leid, dass ich dich als Handlanger schon verliere, aber ich kann nicht riskieren, dass so etwas noch einmal passiert.“

~Klack~ Die Waffe war nun geladen und sie war ihm entgegen gerichtet. „Und nun bringst du mich um? Weil ich einen schwachen Moment hatte? Du bist noch herzloser, als ich gedacht habe!“ Dieses Miststück, sie hatte ihn – seiner Meinung nach – die ganze Zeit absichtlich verletzt, und nun wollte sie ihm noch sein Leben nehmen, nur weil sie ein wenig verärgert war. Er hatte diesem Mädchen noch nachgehen wollen, aber dann war sie da in dieser Verkleidung, sie hatte ihn doch selbst davon abgehalten.

„Beschwer dich doch nicht bei mir, du solltest froh sein! Ich tue dir einen sehr großen Gefallen, ich bring dich zu deiner Freundin, woanders willst du doch gerade nicht sein, nicht wahr?“

„Woher willst du denn wissen, was ich WILL? Du hast dich doch kein Stück dafür interessiert, für dich war ich eine Marionette!“ Nein, wenn sie dachte, er war scharf darauf, zu sterben, dann irrte sie sich, er hing viel zu sehr an seinen Leben, immerhin hatte er noch immer eine Familie und seine Freunde, das warf man nicht gerne weg, auch wenn er in seiner Trauer versank, das war noch lange kein Grund Todessehnsucht zu entwickeln.

„Stimmt, es ist mir vollkommen egal, was du willst!“ Sie drückte ihm die Waffe entgegen, er dachte, ihm würde das Herz stehen bleiben. Sie wollte also wirklich Ernst machen, sie hatte ihn hierher gelotst, nur um das hier zu tun. In einem Punkt hatte sie Recht, er war viel zu naiv gewesen, ihr zu vertrauen... Nur weil sie ihn anfangs verschont hatte.

Manche Leute gingen eben über Leichen, um davon zu kommen – was es ihr nun bringen sollte, eine unbedeutende Person, wie ihn zu töten, verstand er nicht. Vielleicht hatte sie einfach Spaß daran… So wie sie Spaß daran gehabt hatte, dabei zuzusehen, wie man seine Freundin einfach umbrachte. Und dann noch stolz darauf sein… Und selbst wenn er wollte, er konnte sie nicht mal bestrafen dafür. Wieso war er eigentlich damit gestraft, dass so einer wie Tokorozawa ihn immer wieder triezte, er sollte sich besser mal um die wirklichen Gefahren auf dieser Welt kümmern, statt um ihn… Um solche Leute wie SIE, die ihn gleich erschießen und damit davonkommen würde…

A stiff price

Die allgemeine Hektik vom Morgen hatte sich auf den Mittag verschoben. Als sie den Eingang passierte, wurde sie fast über den Haufen gerannt.

Die Kollegschaft hatte es eilig ihre Abteilungsleiter zufrieden zu stellen – nur eine Person wagte es mit Abwesenheit zu glänzen.

Bei der Dienstbesprechung fehlte er, noch nicht einmal abgemeldet hatte sich der 29-jährige. Er nahm sich viel raus, fanden auch einige Kollegen, noch dazu war er weniger beliebt im Präsidium, seit er hierher versetzt worden war.

Sein Kollege Ryochi Akaja hingegen erfreute sich äußerster Beliebtheit. Nicht nur die Frauen liebten ihn, sondern auch die Männer. Es gab niemanden, der ihn nicht grüßte, wenn er an ihnen vorbei ging. Er war ja auch immer freundlich zu den Leuten… wenigstens zu denen, die es verdient zu haben schienen.

„Hey, Mitsuki!“ Sie drehte sich herum, als Miwako sie ansprach und bemühte sich um ein Lächeln.

„Hallo… Da bin ich also wieder! Frisch verpackt und servierfertig“, sie verbeugte sich kurz und grinste dann frech vor sich hin. „Und wo steckt er wieder? Glänzt er wieder mit Abwesenheit?!“

Miwako rollte mit den Augen, als Mitsuki ihn ansprach – der Typ war noch unmöglicher als ihr damaliger Kollege Matsuda. Er nahm sich viel zu viel raus, kommandierte die Jüngeren herum und war einfach nur ein widerliches Ekel.

„Der soll sich bloß nicht blicken lassen, der Polizeipräsident hat heute schon 3 Beschwerden wegen ihm bekommen und ist außer sich! Matsumoto weiß Bescheid und wird ihm den Kopf waschen, wenn er aufkreuzt!“ Es war nun wirklich nicht so, dass sie sich freute, wenn Kollegen einen Anschiss erhielten, aber bei ihm war es überfällig. „Keine Ahnung, was er sich denkt, aber irgendwann musste es ja mal so kommen! Akaja ist total entsetzt und hat drei Leute beauftragt, ihn herzuschaffen! Herzuschaffen! Bestimmt hat er sich wieder vorbei benommen!“ Der Kerl hatte doch kein Benehmen gelernt.

„Ach komm, geh nicht so hart mit ihm ins Gericht, er hat’s nicht leicht!“ Sie lächelte, aber es war zwecklos mit ihr über Hiroya zu sprechen und sich aufzuregen, sie würde doch immer eine Entschuldigung finden.

„Da muss man sich trotzdem nicht so haben“, erwiderte Miwako, sie kannte ihn auch nicht so gut und er hatte sich wohl mit Wataru gestritten, dabei war der jawohl total friedlich.

„Darfst du eigentlich schon das Krankenhaus verlassen? Er hat erzählt, dass du schwer verletzt bist und mindestens 3 Wochen weg wärst“, es kam ihr schon seltsam vor, dass sie nun so quietschfidel hier herumlief.

„Glaub den Quatsch bloß nicht – ich bin ok – ok sein heißt auch arbeiten können. Außerdem kann ich ihn doch nicht allein lassen, er braucht jemanden, der nun auf ihn aufpasst… es ist ja noch nicht lange her.“ Sie seufzte schwer, es musste ihn ziemlich quälen.

„… Was soll diese übertriebene Fürsorglichkeit? Das versteh ich nicht!“ Er war ihr einfach suspekt. „Lass ihn das bloß nicht hören, er würde dich töten.“

„Irgendwie erweckt er meinen Beschützerinstinkt, weiß auch nicht“, sie kicherte, mehr wie ein kleines Mädchen, als wie eine 22-jährige Frau.

Die Tür ging auf und ein verwunderter Naoya kam zum Vorschein. „So wurd’ ich noch nie angeschnauzt“, er rieb sich den Kopf und beide Frauen mussten einfach lachen. „Matsumoto hat mich richtig angefahren, also an Hiroyas Stelle würde ich ihm die nächsten Tage aus dem Weg gehen…“

„Warum du denn? Du hast doch gar nichts getan.“

„Hätte ihn aufhalten sollen… Ich muss mich mehr durchsetzen und überhaupt… Warum muss man denn immer alles selber machen?? Und dann hat er auf den Tisch gehauen, dass ich gezuckt hab.“

„Oh je – mein aufopferndes Mitleid!“

„Tut mir Leid“, meinte auch Mitsuki und Naoya sah sie an, als hätte er einen Geist vor sich. „Was machst du eigentlich hier? Ich dachte, du hast eine Gehirnerschütterung und sollst noch im Bett bleiben?“

„Ach was, so schlimm ist es gar nicht, ich habe nur Kopfschmerzen, aber dagegen kann man ja was tun – wieso soll ich deswegen denn im Krankenhaus bleiben, wenn ich hier gebraucht werde?“

„Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu scherzen, so was kann auch gefährlich sein“, tadelte sie die Ältere und sah sie mit ernstem Blick an.

„Ach ich hasse Krankenhäuser, ich will lieber meinem Bruder helfen, er hat ja nun nur noch mich, ich geh dann mal“, sie stürmte davon und beide sahen ihr nach.

Naoya schwieg und ging an Miwako vorbei, während diese sich an die Stirn fasste wegen des Satzes. „Der kriegt noch mal ’nen Anfall, wenn er das erfährt! Seine kleine Schwester will ihm helfen, das lässt er doch niemals zu.“
 

„Es reicht, Chris Vineyard, du gehst zu weit!“ Nun war alles zu klein, der Schwarzhaarige kam aus seinem Versteck und packte ihren Arm, den er nach hinten zog, dabei flüsterte er ihr etwas sehr bedrohlich zu. „Hat dir jemand die Gehirnwindungen verdreht, oder was genau ist dein Problem?! Es gefällt mir nicht, dass du ihn erst ausnutzt, um ihn dann umzubringen, sobald er was tut, was dir nicht in den Kram passt!“

Sie war etwas erschrocken, ja, das konnte sein. Sêiichî gefiel das nicht, natürlich, er war dagegen so etwas zu tun, aber sie hatte das böse Gefühl, dass er wegen ganz anderen Dingen so aufgebracht war. Wie lange hatte er ihr nun aufgelauert? Hatte er etwa ihr gesamtes Gespräch belauscht?

„Beruhig dich, Cognac, ich wollte ihm doch bloß einen Schrecken einjagen…”

„Was du nicht sagst...“ Aus irgendeinem Grund glaubte er ihr das nicht. Sie hatte sich viel zu sehr einen Spaß daraus gemacht, ihn so zu ärgern.

„Willst du sagen, dass ich ihn wirklich töten wollte?“

Sêiichî drückte vorsichtshalber ihre Waffe runter, was keine besänftigende Wirkung auf sie hatte. Er glaubte ihr nicht, wahrscheinlich kannte er sie zu gut, um zu durchschauen, dass es kein Spiel sondern blutiger Ernst gewesen war.

„Du.. eiskalte… Hexe!“

Man hörte die Stimme des Sängers, er sah sie voller Verachtung an und wäre ihr wohl am liebsten an die Gurgel gegangen. „…hast sie einfach… sterben lassen…“

Sêiichî beobachtete ihn einen Moment, der junge Mann war so blass, dass er schon in diesem Moment wusste, was gleich geschehen würde… Wie in Zeitlupe sah er ihn fallen, mit dem Kopf nach vorne, er konnte nichts dagegen tun, dass dieser den Asphalt grüßte. Er lag da – Chris versuchte sich das Grinsen zu verkneifen. Vielleicht musste sie ihm nichts tun – er war erst operiert worden, vielleicht würde er von selber sterben… Das hätte sie wenig gejuckt.

„Du hast eine Vollmeise, geh mir aus den Augen!“ Sêiichî war eindeutig stinksauer, aber jawohl nicht wegen diesem Sänger, er war so wütend auf sie, weil er wusste, dass sie bei dem Fall anwesend gewesen war. So war er noch nie gewesen…

„Ach, du meinst, dass ich ihr hätte helfen sollen? Jemanden, der mich total verachtet hat, ja?“

„Sei ruhig, über dieses Thema rede ich nicht mit dir! Ich bin Polizist… Krieg deine Eifersucht in den Griff… und deine gestörte Rachsucht auch!“

Ihre gestörte Rachsucht also – er wollte Streit – ihretwegen könnte er auch Krieg bekommen – wie behandelte er sie eigentlich? Und das wegen diesem Püppchen!

„Ich bin gestört?“

„Manchmal schon…“ Sêiichî kümmerte sich lieber darum, herauszufinden, wie schlimm es um den jungen Mann stand. Die Wunde war nicht aufgegangen, das war nicht der Grund, weshalb er zusammen gebrochen war – er war bloß ohnmächtig.

„Wenn du es wagst, ihm noch mal zu nahe zu kommen, mit dem Versuch ihn in diese Sache hineinzuziehen, um deinen Nutzen daraus zu ziehen, dann gnade dir Gott! Dann lass ich dich selbst einbuchten!“

Sêiichî hatte ihr noch nie gedroht, das hieß doch unweigerlich, ihm lag etwas an Hiroyas Schwester. Sie war voller Zorn und wollte ihm am liebsten das Gesicht zerkratzen. Sie waren so verschieden – mochte er sie denn so sehr, dass er nun mit ihr streiten musste? Sie wollte ihren Fehler nicht erkennen und malte sich den Grund so aus, wie sie ihn haben wollte.

Er war traurig und verletzt, kümmerte es sie denn überhaupt nicht, dass er seine Freunde beschützen wollte? Und SIE hatte zu diesen Personen gehört. Einfach so ihn zu hintergehen, er konnte seine eigene Freundin gerade nicht mehr ansehen. Es war ihre ganze Art momentan. Gut, sie wollte raus aus der Organisation, sie hatte das Leben satt, aber dafür eine Frau zu opfern, die ihr jawohl nie gefährlich geworden wäre, das ging dem Polizist nicht in den Kopf. Ein absurder Mord; was hätte sie schon der Organisation entgegen setzen können? Sie war in den Mist doch nur wegen ihres Bruders hineingeraten, auf den sie sich nicht hatte verlassen können. ‚Vielleicht solltest du dich mit Hiroya zusammen tun, das passt wahrscheinlich besser, als wenn du mit mir arbeitest! Gott, warum tut sie so was bloß? Ich kapier’s nicht! Es ist jawohl ausgeschlossen, dass ich noch mal was mit ihr gehabt hätte, eher hätte sie mir einen Arschtritt gegeben für die Sache früher! Und dann noch sich darüber freuen…’ Sêiichî war traurig darüber, dass sie nun schon so weit waren.
 

Aus sicheren Quellen hatte er erfahren, dass Rena gerade bei Saki war, weshalb er sich dorthin begab – Chris wollte er bis auf weiteres nicht mehr sehen. Er war so wütend, dass er dann nur ausfallend werden und es sich mit ihr verscherzen würde. Nur weil er glaubte, dass Rena nicht gleich zu Yuichi rannte, um ihr Wissen kundzutun, tat er es. Tunlichst war zu vermeiden, dass dieser darin bestätigt wurde, wie Chris wirklich war, Sêiichî hatte doch so ungern Unrecht.

„Boah bin ich wütend!“ sagte er vor sich hin, als Saki die Tür öffnete und sich schon über den Besucher wunderte, der total rot im Gesicht war.

„Worüber?“ fragte sie ihn, da sie seinen Anfall noch gehört hatte, was dem Schwarzhaarigen dann doch unangenehm war, er ließ sich nicht gerne gehen. „Möchte ich nicht an der Tür erzählen – ist Rena noch bei dir?“

„Ja, sicher – komm doch rein“, sie öffnete die Tür und schloss sie gleich hinter Sêiichî wieder, führte ihn zum Wohnzimmer und bat ihm einen Tee mit Rum an, den er wirklich gut gebrauchen konnte.

„Hallo Rena, ich habe dich gesucht“, meinte er gleich und lief zum Fenster. Die Angesprochene sah ihn argwöhnisch an, da er sich nicht neben sie setzte. „Es ist genug Platz für 3.“

„Ich steh lieber, sonst haue ich noch auf den Glastisch – das wäre schade um das edle Stück“, er seufzte einmal schwer und hatte das Bedürfnis sich die Gesundheit in Form von Zigaretten und Alkohol zu ruinieren, jedoch eins von beidem fand er absolut widerlich.

„Was ist los mit dir? Ist etwas passiert?“

„Ich kenne meine eigene Freundin nicht mehr!“ Der 24-jährige kniff die Augen fest zusammen und ballte seine Hände zu Fäusten. „Sie ist total übergeschnappt! Ich weiß gar nicht mehr, ob ich ihr wirklich vertrauen kann… boah nein, das gibt es nicht… So was hat noch keine mit mir gemacht, scheiße!“ Er lief hin und her und war total außer sich. Sie machte sich wirklich Sorgen um ihn, er wirkte so verzweifelt auf sie.

„Bitte beruhig dich doch, Sêi-chan.“

„Man, das ist doch so unfair! Wie kann man nur so bescheuert sein, wie ich?? Und das nur, weil sie so perfekt aussieht und… wir das Bett teilen… ich bin so DUMM!“

Allmählich machte er ihr echt Angst, so kannte sie ihn nicht, er zweifelte an ihr, das war nicht gut für ihre Beziehung.

„Gut – sie hat dich enttäuscht, aber so was kommt eben vor.“

Sêiichî schwieg jetzt erst, er wusste gar nicht, wie er es ihr beibringen sollte. „Sie denkt nur an sich, sie ist eine Egoistin – bitte mach nicht denselben Fehler und seh sie als deine Freundin an, du wärst am Ende nur enttäuscht.“ Es war eine ernst gemeinte Warnung, er hatte noch nie jemanden vor Chris gewarnt, so weit war er jetzt also schon vorangeschritten.

Saki hatte sich entschlossen vor der Tür mit dem Tee stehen zu bleiben und zu lauschen.

Die CIA-Agentin erhob sich nun von ihrem Platz und ging zu ihm hin, legte eine Hand auf seine Schulter, um ihn zu beruhigen und umarmte ihn dann. „Na komm, was hat sie Schlimmes getan, dass du mich warnst?“

„Ich und Ryochi haben uns vorgenommen, den Fall rund um Kimiko aufzuklären… und weißt du was? Chris wusste die ganze Zeit darüber Bescheid, was vorgefallen ist, sie hat es nicht für nötig befunden, UNS zu informieren! Nicht nur mich hat sie damit hintergangen, sondern auch dich, Saki und Katori! Sie hat uns allen vorgespielt, dass sie nichts wüsste! Und ich dachte, dass ich ihr vertrauen kann, sie weiß doch, dass ich Kimiko immer geholfen hätte, egal was in der Vergangenheit vorgefallen ist… Meine Gefühle sind ihr total scheißegal… Wie es mir geht, interessiert sie gar nicht! Dass man jemanden umgebracht hat, den ich mochte, juckt sie nicht!“

Entsetzen machte sich in Renas Gesicht breit – das Gesagte musste sie erst einmal verdauen. Dieses fiese und gemeine Verhalten von Chris hatte sie bisher immer für Tarnung gehalten, aber was Sêiichî sagte, klang gar nicht danach. „Du meine Güte! Was sagst du da?“

Man hörte wie es draußen schepperte und beide drehten sich erschrocken zur Tür herum, die um einen Spalt offen stand. Saki hatte alles mit angehört, Mist! Sie würde sofort zu Katori gehen und auch sie warnen, da war er sicher – obwohl es ihn nun nicht so sehr störte, er hätte es ihr nur gerne selber gesagt.

Sie war gerade daran die Tasse aufzusammeln, die zu Boden gegangen war und sah Sêiichî dann vor sich. „Deine Freundin war mir noch nie geheuer, ich wusste, man kann ihr nicht vertrauen! Ich habe mich immer gefragt, wie du ihr vertrauen kannst! Und ich weiß auch, warum sie so was Hinterhältiges und Gemeines tut!“ Sie blickte an Sêiichî hoch, brachte den Tee weg und kam dann mit frischem wieder. Er stand noch an derselben Stelle und betrachtete sie. „Ach… bist du schlauer als wir…? Klär uns auf!“

„Sie hat nicht verkraftet, dass ihr eine Göre die Meinung gegeigt hat! Es gab da nämlich so eine Situation in einem Café… da sind sie aneinander geraten!“ Sie stellte das Tablett ab, trotzdem zitterten ihre Hände ungemein. Man musste echt höllisch aufpassen, dass man nicht hinterrücks ermordet wurde.

„Sie hat dich noch immer gemocht! Das ist sicher, Sêi-chan! Sie war besorgt um dich, weil sie bemerkt hat, dass du Chris liebst! Und dein Miststück saß dann mit ’nem anderen Typen flirtend in diesem Café, da is’ ihr der Kragen geplatzt und sie hat sich mit ihr angelegt.“

„Dummes Ding! Was hat sie gesagt?“

„Sie hat… also…“
 

„Findest du es nicht beschämend, was du hier in aller Öffentlichkeit treibst?“

Nicht nur Chris hatte es als Angriff gesehen, so von der Seite angemacht zu werden. Das Publikum wurde Zeuge davon, wie die Schwarzhaarige und die Amerikanerin sich miteinander anlegten. Die Stimmlage der Japanerin war sehr anmaßend geworden.

Die blonde Frau blickte auf in das Gesicht der Dunkelblauäugigen. Unbeeindruckt lächelte sie ihr entgegen. Ihr Dekolleté ließ tief blicken, jede Amerikanerin hätte sie um diese Oberweite beneidet und die Japanerinnen es ziemlich gewagt gefunden und sich geschämt, so rumzulaufen.

„Oh, meintest du mich?“

„Wen denn sonst? Wer läuft sonst noch vor jungen Männern in einem derartigen Dekolleté rum, dass man ihr von gegenüber direkt reingucken kann? Wer flirtet in einem Café ganz heftig mit einem jüngeren Mann, obwohl sie bereits vergeben ist?! Du hast doch schon einen! Was fällt dir ein, in aller Öffentlichkeit dich über ihn lustig zu machen?? Wie geschmacklos ist das bitte?!“ Die Stimme der Japanerin war lauter geworden, sie hatte bestimmte Prinzipien, die sie nicht brechen würde, was man von der Amerikanerin nicht hoffen konnte. Sie war ein Biest und manchmal war sie so kalt, dass die Männer Angst vor ihr hatten.

„Schau nur, dein Dekolleté hängt ja fast auf dem Boden!“

„Tja! Dazu muss man erstmal die entsprechende Oberweite haben, um so etwas bieten zu können! Dein Freund tut mir Leid mit seinem kleinen Mädchen, das bloß eine große Klappe hat! Pass nur auf, dass du nicht wieder betrogen wirst… Vielleicht stehst du drauf, oder wie darf ich das verstehen, dass du dich um Sêiichî sorgst??“ Was fiel der eigentlich ein, nach all den Jahren hier Moralapostel zu spielen, er hatte es bei ihr doch schließlich auch nicht anders gemacht.

„Halt ihn da raus!“

„Wieso? Es würde ihn sicher interessieren, dass seine Freundin mit der neuen ihres Exfreundes in Streit gerät, weil sie ihren Exfreund ja sooo sehr hasst!“ Die Blondine amüsierte sich ganz offensichtlich darüber, dass man ihr so dumm kam, sie nahm es nicht erst – bis dahin jedenfalls.

„Er muss sich wenigstens keine Gedanken machen, dass seine Freundin sich auch von anderen Kerlen durchnehmen lässt, weil sie eine kleine, eingebildete Hure ist!“

Saki hätte sich niemals getraut, Chris als Hure zu bezeichnen, aber Worte konnte man schlecht zurücknehmen und auf den Mund gefallen war ihre Freundin leider auch nicht. „Eine Hure, die die Gefühle von Männern schamlos ausnutzt! Wenn dir Sêiichî so wenig bedeutet, dann verlass ihn und spiel nicht mit seinen Gefühlen! Bei euch in Amerika ist es vielleicht an der Tagesordnung, aber du befindest dich hier auf japanischem Boden, also lerne dich auch dementsprechend zu benehmen! Fremdgehen ist mit das schlimmste, was man als Frau tun kann, selbst wenn der Freund einen andauernd betrügt! Das gehört sich einfach nicht! Hast du nie Benehmen gelernt??“ Gott, solche Sachen machten sie immer wieder total sauer und da war sie nicht die einzige, die sie nicht verstand, wie man so etwas auch nur ansatzweise denken konnte, aber das lag daran, dass man sie so streng erzogen hatte.

„Das prüde kleine Mädchen hat gesprochen – frag mal die Männer, wie die so etwas finden! Deiner guckt doch jedem Rock nach – den würde ich auch rumkriegen, wenn ich wollte! Bei mir hätte er was zum Anfassen!“

Ihr Gegenüber fand den Streit zwischen den beiden Frauen mehr als lachhaft, aber auch amüsant, er steckte sich eine Zigarette an und beobachtete das Ganze interessiert. Es war nur sehr ungesund, eine Frau wie Chris so zu reizen, dabei fiel man schnell auf die Schnauze.

„Er weiß, was sich gehört!“

„Mhm – ja doch – das sagen viele, bevor sie betrogen werden, selbst dann, wenn es ihnen gut genug geht… Ich habe schon viele Männer getroffen, die gesagt haben, sie würden so etwas niemals tun, du kannst mir vertrauen und dann doch mit der nächst besten im Bett lagen und das waren meistens so zurückhaltende Männer...“

Dass sie sie als Hure bezeichnete, fand Chris nicht wirklich lustig, sie tat hier schließlich nichts Verbotenes, nur weil sie mit einem Mann öffentlich flirtete – was konnte sie denn dafür, wenn ihrer es nicht gebacken bekam in der Öffentlichkeit mal seine Liebe kundzutun, sie war doch nur neidisch.

„Komm, Kimi! Lass sie einfach… Die ist eben so, das geht uns nichts an!“ Saki wollte schließlich nicht, dass sie sich zerfleischten, mit Chris wollte sie keinen Ärger haben.

„Vielleicht solltest du die Standpauke deiner Freundin Katori mal halten! Wie man fremdgeht weiß sie! Und ausgerechnet mit Sêiichî! Das Recht habe ich auch – gleiches Recht für alle, es lebe die Emanzipation!“ Sie nahm einen Schluck von ihrem Cognac und war dabei so offen damit, dass sie vorhatte fremdzugehen, dass man schon von Arroganz sprechen konnte, wenn man sie auch nur hören konnte. Und dass sie überhaupt nicht interessierte, was so eine kleine Göre ihr über Moral erzählte. Sie kannte die Spielregeln – er kannte die Regeln, mit ihren Regelbrüchen, die sie schließlich nur seinetwegen beging, damit er wusste, wie es war, musste er dann leben.

Die Leute fanden die kleine Auseinandersetzung anscheinend noch immer recht interessant – und morgen stand dann in der Pressezeitung, dass die beiden Frauen sich an die Gurgel gegangen waren.

„Oh Gott – hör bitte auf schmutzige Wäsche in aller Öffentlichkeit zu waschen!“ Saki war entsetzt, Katori war leider nicht unbekannt hier und konnte sicher auf solcherlei Geschichten rund um sie verzichten. „Oh, ich vergaß unser kleines Popsternchen möchte ein reines Image…“ Sie lachte darüber, brave Mädchen vs. Emanzen – es war einfach zu lustig. Wer von beiden Sorten wohl glücklicher waren? Als braves Mädchen konnte man nicht glücklich sein. Sêiichî hatte überhaupt kein Interesse an solchen Frauen, er stand darauf dominiert zu werden, er war eben kein reiner Japaner und hatte lange in Amerika residiert, das färbte eben ab, er stand nicht umsonst auf füllige Oberweiten. „Mhm wenn es dich glücklich macht, der Norm zu entsprechen, dann tu das, aber lass andere damit in Ruhe!“ Sie fand die Frauen hier in der Regel ziemlich öde, und dann dieses ganze Klischee – eine Frau, die schwanger war, zu heiraten. Männer gingen arbeiten und die Frauen blieben zuhause, nein, das war nicht ihrs. Aber so lief es im Alltag. Ausnahmen betätigten aber die Regel ja.


 

Sêiichî hatte sich längst auf die Couch gesetzt und war stiller als still. „Sie glaubt, dass mich das verletzt hat??“

„So ganz Unrecht hatte sie da ja nicht, oder?!“

Der Polizist hatte nun das Bedürfnis den Kopf auf den Tisch sinken zu lassen, so empfindlich wie er in dieser Hinsicht eigentlich war, er fühlte sich doch schuldig. „Sieht man mir das an?“

„Nicht dein Ernst, Sêiichî?!“ Saki fasste die Frage nicht, er wusste das wirklich nicht??

Rena schwieg nach Sakis Erzählung, sie glaubte einfach nicht, dass es sich so abgespielt hatte, auch wenn Chris nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass sie Kimiko nicht wirklich ausstehen konnte, dass sie sich so sehr in der Wolle gehabt hatten…

War er denn die ganze Zeit blind gewesen? Hatte er denn nie gespürt, dass sie es ihm heimzahlen würde? Dass es ihr Spaß machte, ihn zu quälen, wusste er doch. Und sie in erster Linie wohl nur an sich selbst dachte und daran wie sie ihn möglichst behalten konnte? Mit ihm befreundet zu sein, hieß nicht gleich mit ihr befreundet zu sein. Aber dass sie so etwas tun würde, nur weil sie eine von seinen Freundinnen nicht leiden konnte – starkes Stück.

„Ich… ich kann nicht mehr, das war einfach zu viel… Und sie hat’s echt mit dem Typen getrieben?“ Es schüttelte ihn ganz entsetzlich bei dem Gedanken. „Wegen Katori??!!“ Er mochte sie wirklich, da musste er sich ja fragen, ob sie gegen sie nun auch einen Groll hegte…
 

Saki verriet Sêiichî jedoch nicht die gesamte Geschichte. Dass Kimiko Katori darum gebeten hatte, Chris ihren Freund auszuspannen, damit er nicht mehr so viel leiden musste. Sie sollte sich ein wenig um ihn kümmern und versuchen das Beste aus ihrem Seitensprung zu machen. Yuichi hatte sich von ihr getrennt und sie hatte Sêiichî gemocht – die beste Voraussetzung eigentlich, wären die Gefühle gegenseitig gewesen… Der junge Mann musste ja nicht wissen, dass beide ziemlich besorgt um ihn gewesen waren und Katori ihn darum so oft besucht hatte.
 

„Denkt ihr wirklich, dass sie wegen dieses albernen Streits kein Interesse daran gehabt haben soll, dass ihr jemand hilft?“ Renas Frage kam naiv daher, als wolle sie Chris’ Verhalten entschuldigen. Sie suchte nach einem triftigen Grund, ohne triftigen Grund würde sie doch nie so was Abscheuliches tun…

„Ich war nicht dabei, aber ich habe sie reden gehört!“ Er begrub den Kopf in den Händen, er hatte doch viel zu viel gehört. „Sie hat furchtbar gehässig und gemein gesagt, dass sie dabei war und zugesehen hat. Und sie schien es zu genießen, es tut ihr kein Stück Leid. Nicht mal um meines Willen – wahrscheinlich deswegen erstrecht nicht – ich fürchte sie ist zum ersten Mal eifersüchtig – ich hab’s mir gewünscht, nun will ich, dass sie wieder damit aufhört! Wer weiß, was mit der nächsten Frau passiert, die mir nahe steht!?“

Saki machte sich mehr Gedanken darum, was für eine Freundschaft das zwischen Kir und Vermouth war, wenn sie sich gegenseitig in die Quere kamen. Sie wusste aus sicherer Quelle, dass Kir auf Kimiko aufgepasst hatte – und Vermouth hingegen… Es war ein Verrat an ihrer Freundschaft und Kir suchte immer noch Gründe. Katori würde die Sache ganz anders sehen und Kir wieder kritisieren… Sie war ebenfalls krank vor Eifersucht.

Katori fand sowieso, dass Rena viel zu naiv war und den falschen Leuten vertraute. Sie bezeichnete es sogar als gefährlich, eindrucksvoll hatte sich doch erst neulich erwiesen, dass sie niemanden wirklich beschützen konnte.

„…“ Kir schwieg, sie musste bitter daran denken, dass Syrah selbst es gewesen war, die sie weggelockt hatte und leider konnte sie nicht jeden beschützen, zumindest nicht gleichzeitig.

„So etwas kann nur einem Amateur passieren – Katori wäre doch niemals darauf hereingefallen, so etwas passiert immer nur mir!“ Sie kniff die Augen zu – weil sie zu dumm war, auf sich selbst aufzupassen, hatten andere immer wieder Ärger.

„Ich bin ja nicht einmal in der Lage auf ein 19-jähriges Mädchen aufzupassen… Genauso wie ich meinen Vater nicht retten konnte! Und auch nicht Yuichi.“

Wer um alles in der Welt hatte ihr das eingeredet? Yuichi passte doch gerne auf sie auf – hatte Katori ihr vielleicht mal Derartiges erzählt? Oder ihr Vorwürfe gemacht?

„Ach! Die supertolle Katori kann sich aber auch nicht zweiteilen! Die soll mal hübsch aufpassen, dass sie es nicht mal ist, die bei so einer todesmutigen Aktion draufgeht! So wie ich das sehe, ist sie auch nicht unfehlbar, also lass dir nichts einreden!“ meinte Saki jetzt, sie konnte die traurigen Augen dieser Frau nicht mehr ertragen, die sich schließlich schon oft Vorwürfe gemacht hatte.

„Eigentlich weiß ich nichts über sie, außer, dass sie Yuichis Freundin war…“ So etwas wurde einem immer erst viel zu spät bewusst.

„Katori hatte was mit Hiroya zu tun, den man nun jagt – oh toll! Ich freu mich richtig, ihn wieder zu treffen und bitte ohne Ryochi… Carpano dreht dann durch und ich mit“, er hielt sich den Kopf, immerhin war Ryo ebenfalls Detektiv und es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn er nicht bereits Wind davon bekommen hatte – er hatte Augen und Ohren überall, besonders wenn es um Aufträge von Cognac ging – leider. Und Shina war auch noch nicht wieder aufgetaucht, er wusste doch sicher selbst, dass Teran sich ihrer angenommen hatte.

„Schon wieder…“ Weder Vespolina, noch Kir konnten sich das erklären, ebenso wenig Cognac, der schon viel länger in der Organisation war, als die Blondine.

„Er hat sie mal laufen lassen“, hörte man eine helle Stimme aus dem Hintergrund und alle drei zuckten auf, als sie ihn sahen. Erschrocken blickte Kir in die grünen Augen ihres Freundes, er hatte doch hoffentlich nicht die ganze Zeit an der Tür gelauscht.

Kir hielt sich die Brust, sie ging auf Yuichi zu und umarmte ihn, was er erstaunlich kühl erwiderte. „Außerdem ist Kimikos Verlobter, der sich Mezcal schellt, wohl so etwas wie Hiroyas Informationsquelle – ihr solltet das vertuschen, bevor Vermouth davon Wind bekommt, sie würde sich genauso freuen wie Hochwohlgeboren.“

Ein bisschen schonte er Rena, indem er ihren Namen nicht aussprach, aber leicht fiel es ihm nicht. „Katori scheint drauf zu stehen – sie ist zu ihm gerannt wie eine Irre… Und unser lieber Mezcal hat nichts Besseres zu tun, als sich mit Caprino zu streiten! Deine Freundin Naru hat’s echt gut getroffen – ihr Freund wird von der Organisation bald gejagt und ihr Neuer ist ein angehender Anwalt, der sich unter uns befindet, sie tut mir echt Leid.“

„Woher weißt du das schon?“

„Ich erhielt vorhin einen Anruf von Chardonel, der mir alles erzählt hat! Und dann ist er noch Gin in die Finger geraten… Er ist zu Tatsuji gefahren, nachdem er Katori die Sache gesteckt hat… Den Jungen bringt man irgendwann um, besonders wenn Katori nicht aufhört so zu tun, als wäre sie erwachsen – sie ist’s nicht! Sie ist noch genauso wagemutig wie früher, als Hochwohlgeboren ihr meinetwegen die Hölle heiß machte…“

„Manchmal glaube ich, dass du sie noch liebst“, Saki hatte sich den dummen Spruch nicht verkneifen können, er sprach immer so komisch von ihr, als sei sie eine Heldin, dabei war sie nur etwas mutiger als zum Beispiel Rena…

„Blödsinn, sie ist eine gute Freundin! Dein Exmann Jami würde es wohl auch nicht sonderlich prickelnd finden, wenn man ihn an der Nase herumführt – das gilt übrigens für dich genauso wie für Rena, verstanden?? Ihr wollt doch noch nicht so früh sterben, ne? Katori sollte dem netten Kerl mal sagen, dass der Letzte, der Jami veräppelt hat, nicht mehr lebt, vielleicht kühlt das sein Gemüt etwas ab, nachdem er zu dumm war, zu erkennen, dass seine eigene Verlobte in Schwierigkeiten steckte? Und ich brenne darauf zu erfahren, wann Hiroya ihn dann fallen lässt…“ Er schüttelte den Kopf, leider war der Kerl nicht so nett wie sein Bruder Ryochi.

„Hat dir das auch Tatsuji erzählt?“ Rena schmollte etwas, er wusste schon viel zu gut Bescheid, während alle anderen noch im Dunkeln tappten.

„Mezcal & Caprino – nie gehört! Sind die zwei neu bei uns?“ Cognac wunderte sich ein wenig darüber, ihm entging doch sonst auch nicht die wichtigsten News, Vermouth hatte ihm da immer sehr geholfen, sie wusste das meiste als erstes, weil sie dem Boss nahe stand – ihm war schlecht.

„Na was soll ich sagen? Mehr oder weniger bist du beiden noch nicht über den Weg gelaufen, wobei Mezcal keinen Wert auf dich legt, er kennt dich gut, nimm dich besser in Acht!“ Jemanden, den er also kannte - aus Kyoto? Da hatte er nur Feinde… er leitete es von Yuichis Worten ab.

„Oh ja – er ist älter als du! Dass du dich nicht erinnerst wundert mich nun. Er hatte mit deinem Bruder sehr engen Kontakt.“

„Ohjeee“, erwiderte Sêiichî mit einem Riesenseufzen, das waren wirklich nicht die schönsten Erinnerungen. „Und so einer ist in Kontakt mit Hiroya? Das glaub ich nicht!“

Vespolina erinnerte sich leider noch an ihn, sie hatte nie gewusst, was sie von ihm halten sollte. Einerseits schien er ein guter Typ zu sein, andererseits auch nicht – er war so zwiegespalten wie ein Fisch. „Jag dem armen Cognac doch nicht solch einen Schrecken ein – er würde doch niemals mit Pinot gemeinsame Sachen machen, so’n Unsinn! Und Katori ist nicht dumm!“

„Dumm genug sich auf ihn einzulassen und dem armen Caprino den Kopf zu verdrehen – der hat auch nur Pech bei Frauen.“

„Oh, eine Runde Mitleid – ich vergaß, dass das normal ist bei uns.“

„Ist irgendwas zwischen dir und Vermouth vorgefallen?“

„Nee, wie kommst du denn darauf? Wir sind ein Herz und eine Seele“, wurde Sêiichî ironisch, weshalb beide Frauen lautstark seufzten, wieso musste er bei Yuichi immer so komisch reagieren, wenn es um Vermouth ging? Wollte er einfach Recht haben oder hatte er noch andere Wehwehchen…?

„Du willst mir gerade sagen, Cinzano und Mezcal haben…??“

„Gefällt mir genauso gut wie Vermouth auf Cognac!“

„Also bitte!“ Sêiichî verdrehte die Augen. „Katori ist hinter mir her!“

„Das glaubste ja selber nicht, du kleiner Träumer – sie weiß längst, dass du dich nur um eine gewisse Schauspielerin scherst, sonst wäre vielleicht mehr aus euch geworden…“

Wie er plötzlich die Luft anhielt, sollte das heißen, dass er schon wieder irgendwelche Frauen unglücklich machte? ‚Dann würde sie vielleicht weniger an mir und anderen Kerlen hängen…’

„Stimmt! Sie war diejenige, die ziemlich intensiv mit Männern flirtete, wenn wir zusammen ausgingen...“ Dabei hatte sie nur vergeblich versucht, ihren Exfreund zu vergessen, der sie wegen ihres Seitensprungs mit Sêiichî verlassen hatte. ‚Ob er das nicht auch weiß? Er tut ja gerade so, als würde sie Sêiichî vielleicht mehr mögen… Ich weiß nicht, was ich glauben soll… Was ist da zwischen euch gelaufen, Cognac?’

„Cognac ist halt ein hübsches Kerlchen, nicht mehr und nicht weniger, da wird schon mal ne Frau schwach!“

„Lass gut sein, Yuichi, auf das Thema lass ich mich nicht ein! Ich war mit Katori im Bett – das tut mir Leid… wir hatten eine heiße, leidenschaftliche Nacht zusammen, aber mehr ist nicht passiert!“ wollte Sêiichî nun doch mal klarstellen.

„Ach, denkst du einmal an die Gefühle von Frauen?! Hast du je daran gedacht, dass sie nicht einfach so mit dir ins Bett gestiegen ist??“ Er fasste Sêiichî am Kragen, es sah ganz so aus, als wollten sie streiten.

Rena versetzte es einen Stich im Herzen, ihn so zu sehen und das wegen Katori. An ihre Gefühle dachte wohl auch nur Sêiichî momentan, oder? Wie konnte er ihn so angreifen? Er war doch so ein netter und lieber Kerl, der nun einmal bei Vermouth rumhing, das hieß doch nicht, dass er ein schlechter Mann war, oder?

„Eine Frau wie Katori es ist, tut so etwas nicht einfach mal so! Sie ist nicht wie deine Freundin, die eiskalt, wie sie ist, einfach mal sagt, dass du heute keine Zärtlichkeiten kriegst…!“

Sêiichî war rot im Gesicht, er fand es unfair von Yuichi so etwas breit zu treten vor zwei Frauen. Er sagte ihnen, dass auch er sich um die Gunst seiner Schönen buhlte. Dass er sensibel war und auch schon mal sanfter angefasst werden wollte. Er war echt froh, dass nicht auch Katori hier war, er wäre gestorben vor Scham.
 

Zu dritt lungerten sie vor dem städtischen Krankenhaus herum und hielten Ausschau nach Hiroya Tokorozawa, den man von ihnen suchen ließ. Der Auftrag, anders konnte man es nicht nennen, war eine Strafe und noch dazu musste er mit dem öden Wataru Takagi und dessen inkompetenten Kollegen Chiba Vorlieb nehmen.

„Wieso müssen wir eigentlich ’nen Spitzbuben wie Tokorozawa suchen, könnt ihr mir das mal erklären? Schafft er es nicht alleine ins Präsidium oder was?“ Wie es ihn ankotzte, dass er diese Strafarbeit machen musste, hörte man sofort.

„Ryochi ist schuld, er hat ihn bei seinem Vater angeschwärzt – er verscherzt es sich eben gerne!“ Er verstand nicht, wie man seine Kollegen anschwärzen konnte – so etwas war für Wataru ein Fremdwort und noch dazu musste Ryochi ihn jawohl verstehen. Er hatte kürzlich seine Schwester verloren und schlug sich mit einem Fall herum, der ihm eben sehr zusetzte, wer würde da nicht mal ausfallend werden? Wenn er sich vorstellte, dass das seiner Schwester Riina passieren würde – er würde durchdrehen, ausflippen, den Verstand sofort gänzlich verlieren.

„Und wer ist schuld, dass WIR hier rumhängen und keinen blassen Schimmer haben, wo unser lieber Freund steckt? Hättest du dir mal mehr Gedanken gemacht, statt Miwako andauernd anzustarren, wären wir längst im Büro und würden unsere Arbeit machen! Aber du musstest ja die Strafe freiwillig annehmen! Wie kann man nur so verdammt blöd sein?“ Shiratori lehnte sich auf das Dach des Autos, mit welchem sie hierher gefahren waren.

„Müsst ihr denn immer streiten? Ich glaube, Tokorozawa ist nicht hier, wir sollten es woanders versuchen – und redet nicht immer so über Satô, ich glaube, sie wäre weniger angetan, wenn sie euch beiden Streithähne erleben würde!“ Chiba war ein bisschen verstimmt und schlug die Autotür zu, er fuhr heute Watarus Auto, da dieser sich vor kurzem bei einem Gefecht verletzt hatte und deswegen leichte Aufgaben bewältigen durfte, Megure war eben ein wahres Herzchen.

„Ich mache mir momentan eher Gedanken darum, was mit meiner Schwester los ist… Sie verhält sich total seltsam!“ Wataru schien sich wirklich damit zu beschäftigen, weshalb Shiratori ihn am Arm ins Auto zerrte. „Bitte außerhalb der Arbeitszeiten!“

Man sollte seine jüngeren Kollegen ja schätzen und er war wirklich noch nett zu Wataru im Gegensatz zu anderen Leuten, die es ebenfalls auf Miwako abgesehen hatten.

„Aber ist es nicht seltsam?“

Wataru nervte und eins schien er besonders gut zu können – REDEN.

„Was ist weswegen seltsam?“

Man gab ja jedem mal seine Chance sich zu offenbaren, vielleicht schaffte Wataru es ja sich zu erklären. In den meisten Fällen waren seine Einwände ja nicht klar durchleuchtbar um nicht zu sagen er redete Unsinn.

„Sie kommt in letzter Zeit immer total spät nach Hause und hat überhaupt keine Angst mehr alleine wegzugehen, früher war sie nie so! Früher ging sie auch nicht in Clubs und hat gefeiert, irgendetwas stimmt doch nicht mit ihr! Und vor allem: Sie war NIE geschminkt, neuerdings fängt sie damit an und es wird immer schlimmer, sie trinkt sogar Alkohol!“

„Klingt nach sehr guten Freunden, die sie verleitet haben, nun solltest du dir echt Gedanken darum machen, dass sie nicht in die falsche Gesellschaft gerät“, Shiratori konnte Wataru mit solchen Worten sehr schnell verrückt machen, er war sowieso meistens zu ängstlich, wenn es um Riina ging.

„Das ist es ja gerade; mit wem um alles in der Welt treibt sie sich in der Weltgeschichte herum??“ Dass Naru so etwas machte, konnte er nicht glauben.

„Hattest du noch nie Freunde, die dich zu etwas verleitet haben? Nehmen wir zum Beispiel die Packung Zigaretten in deiner Schublade, zu denen du heimlich greifst, wenn niemand schaut! Ein Mensch wie du würde doch nicht von sich aus damit anfangen…“

„Arg Kôji – du meinst, sie hängt mit Kôji rum??!“ Da hatte Shiratori ja einen Stein ins Rollen gebracht. „Wahrscheinlich auch noch Iwamoto, der hatte noch nie einen guten Einfluss auf meine arme kleine Schwester!“

„Ja, wahrscheinlich ist es ein Mann, für den sie sich schön macht, das ist aber doch ganz normal, Wataru – deine Schwester ist schon über 20, da wird es Zeit, dass sie sich einen Gatten aussucht!“ Shiratori empfand das eben so, es gab nur wenige Frauen ihres Alters, die noch nicht verlobt waren. „Nimm dir zum Beispiel Hiroyas kleine Schwester, die ist auch in einem Alter, wo man sich einen Mann sucht!“

„Reden wir von Mitsuki oder von Kimiko? Wenn’s um Kimiko gehen sollte, die braucht sich keinen mehr suchen… denn die ist…“ Schweigen trat in das Auto, Chiba glaubte nicht, was Shiratori da mit Wataru machte, er würde ihn noch mal in den Wahnsinn treiben.

„Deswegen bin ich so beunruhigt! Ich will nicht, dass meine hilflose Schwester nachts alleine irgendwohin geht!“ Er war eben ein besorgter Bruder, der wirklich Angst um seine Schwester hatte, er wusste doch aus Erfahrung, dass sie immer an die Falschen geriet. „Du weißt ja nicht, was in der Gegend, wo wir wohnen, los ist! Da treiben sich lauter alte, besoffene Kerle rum, die nur darauf geiern meiner unschuldigen Schwester etwas anzutun!“

„Übertreibst du da nicht ein wenig, Takagi?“ Selbst Chiba fand, dass er ganz schön überfürsorglich war.

„Nein, tue ich nicht! Angetrunkene Mädchen ihres Alters sind doch genau die Zielgruppe für ältere Männer, die leichtes Spiel haben wollen! Und vielleicht hat sie ja auch mal einen Unfall…“

Shiratori verstand es ja irgendwo, er hatte auch eine Schwester, die war aber schon verheiratet, auf die passte man bereits auf. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, Watarus Verhalten fand er nicht ganz normal, er benahm sich genau andersherum wie Hiroya. Ihm war es egal gewesen, was seine Schwester so trieb, er tat so als wäre sie Luft und Wataru war das krasse Gegenteil, als wenn er mehr wüsste…

„Jetzt redet mal nicht so einen Unsinn, es passiert ihr schon nichts! Du passt schon auf sie auf, sie wird nicht betrunken Autofahren, so dumm ist deine Schwester nicht und sie wird auch nicht Selbstmord begehen, nichts dergleichen wird ihr passieren! Du bist natürlicherweise um sie besorgt, aber ich weiß aus sicherer Quelle, dass man auf sie aufpasst! Sie ist nicht alleine… Shinas Cousin Tatsuji ist nämlich in Japan musst du wissen!“

Wataru entfuhr nur ein „Wahas? Tatsuji Fujimine ist hier in TOKYO?!“ Wieso zum Henker wusste er nichts davon? Weder Ryochi noch Miwako hatten ein Wort davon verloren – wieso eigentlich?

„Ja…“ War das eine Sensation, dass er gleich so schreien musste? Tatsuji hatte öfter hier zu tun und Riina wusste das, sicher war die Kleine nun mit ihm beschäftigt…

„Guck mal, da ist ja unser Ausreißer“, grinste Shiratori, so dass Chiba anhielt. Er war der Fahrer und würde definitiv kein Wort zu dem Typen sagen, auch wenn er sich sträuben sollte, nicht.

Wataru sprang aus dem Auto raus und stellte sich gleich Tokorozawa in den Weg. „Man sucht dich überall, wo zum Teufel treibst du dich denn rum?“

„Zu Hause!“ kam als kurze Antwort, er fand das vollkommen ausreichend.

„Im Präsidium ist deinetwegen schon die Hölle los! Der Polizeipräsident hat angeordnet, dass wir dich sofort HERSCHAFFEN!“

„Du sollst sofort zu Matsumoto, HEUTE NOCH!“ wurde er von Shiratori nun doch etwas härter rangenommen, so dass er sich erst einmal ganz gemütlich eine Zigarette anzündete und die Ruhe selbst war, das brachte den am meisten zur Weisglut. Und dann pustete er ihm den Qualm ins Gesicht und Shiratori begann zu husten. ‚Ekel…’

„Warum schickt er euch, statt mich mal auf dem Handy anzurufen? Ich dachte, ich hätte klar gemacht, dass ich auf dem Handy erreichbar bin!“ Er steckte die Hände in die Hosentaschen und lief los zu seinem Auto. Gott, dieser Shiratori ging ihm auf die Nerven, er schien ihm zu misstrauen, woran das wohl lag? Hatte dieser Akaja die Klappe aufgerissen, oder was war hier nun los, dass sie so zu ihm waren? Wieso war in Tokyo alles anders? In seiner alten Dienststelle war es anders zugegangen, da hatte keiner dumme Fragen gestellt wie „wo hast du gesteckt?“.
 

Gleich als er den Eingang des Metropolitan passierte, traf ihn der Blick von Kommissarin Satô und er grüßte sie – netter als er sonst war, was diese eh nur als Spott abtat, er tat so etwas sonst nie. Auf dem Gang begegnete er noch Naoya, der noch immer total am Boden zerstört war, dass man ihn so runtergeputzt hatte.

„Du sollst nen Bericht schreiben, jetzt gleich und mit dem sollst du sofort zu Matsumoto! Ich hoffe, du weißt, was du tust, sonst bist du recht bald deinen Job los…“

„Einen Bericht? Wovon?“

„Unseren Ermittlungen im Krankenhaus.“

„Großartig – und wem hab ich so was zu verdanken?“ Er drehte sich herum und sah einen gut gelaunten Ryochi Akaja, ja er wusste wem er das zu verdanken hatte.

Es konnte nur Ryochi gewesen sein, ihm fiel da auf die Schnelle keiner ein – außer vielleicht der tolle Freund von Takarai, dem traute er so eine Schweinerei auch zu, aber was konnte er ihm schon tun? Ryochi hatte direkt mit dem Fall zu tun gehabt, er hatte mehr Beweise und wollte ihn auflaufen lassen. „Na warte, Akaja, das kriegste wieder, das schwör ich!“

„Nicht nur Akaja hat sich beschwert, es waren heute schon drei Leute hier, die sich über dich beschwert haben! Du würdest deine Arbeit mit Füßen treten, hat man gesagt, der Polizeipräsident hat lediglich mit seinem Sohn über dich gesprochen, sie haben dich Problemkind genannt und wollen dir ans Leder, sei also vorsichtig!“

„Drei?“ Er überlegte, zwei hatte er ja im Sinn, aber wer sollte der dritte im Bunde sein – ihm gingen die Ideen aus.

„Ist ja fein, der eine ist ein Yakuza-Sohn und der andere der Sohn vom Polizeichef, da kommt sicher einiges auf mich zu, wer weiß, womit er ihnen gedroht hat, damit ich IHN in Ruhe lasse, ha! Was denkt er, wer er ist??“ Er hatte selbst einen guten Kontakt, vielleicht sollte er ihm mal sagen, dass er sich mit ihm anlegen sollte, mal sehen, wer hier mehr Sagen hatte, wäre doch gelacht.

„Was murmelst du da vor dich her von Yakuza, Hiroya?“ Naoya blieb zurück und Hiroya betrat den Raum direkt zu Matsumoto, nahm ein leeres Papier und legte es ihm hin.

„Hier – mein Bericht, geht hoffentlich so!“

Man sah ihn mit wütenden Augen an und fasste nicht, dass er so dreist, frech und überheblich war.

„Verbrenn dich nicht, Tokorozawa, so was hat noch keiner gewagt! Was soll das für ein Bericht sein? Bist du nun unter die Leute gegangen, die keinen Wortschatz pflegen??“

Er verschränkte die Arme vor dem Hauptkommissar und machte dadurch einen widerspenstigen Eindruck.

„Ich hörte, man hat sich über mich beschwert – ich höre gerne bei den Beschwerden zu und werde mich selbstverständlich auch dazu äußern!“

Matsumoto haute auf den Tisch und kam um diesen herum, am liebsten hätte er ihn wohl am Kragen gepackt, doch das unbeeindruckte Gesicht des jungen Mannes, sagte alles.

„Es wird nichts bringen, wenn Sie mich nun anbrüllen!“ Er würde dastehen, als wäre der Hauptkommissar Luft für ihn, er konnte Leute ganz gut ignorieren. „Was haben die netten Menschen denn über mich geäußert?“

„Du bist ohne Beweislage gestern im Krankenhaus bei einem Patienten aufgetaucht und hast ihn beschuldigt, bis er mit den Nerven total runter war und das VÖLLIG ohne Grund! Äußere dich dazu!“

„Ach die Geschichte – tut mir Leid, ich kann den Affen nicht ausstehen und dann ist er auch immer so frech zu mir, da bin ich ausgerastet! Er lacht mich hinter meinem Rücken aus und ist unkooperativ, das gilt auch für den, der sich über mich beschwert hat, er ist mit der Schlimmste von ihnen – er hat es auf mich abgesehen. Ich kann nun mal auch nichts dran ändern, dass die bekloppten Affären meiner Schwester ihr das Genick gebrochen haben und ich deswegen ins Krankenhaus stürmen musste, weil einer ihrer Lover dort nun Zeit verbringt! Ich kann auch nichts dran ändern, dass das Opfer von gestern und er sich hassten! Noch kann ich es ändern, dass er auf mich herabschaut, wann auch immer wir uns begegnen. Ich lass mir nicht alles gefallen, das kann keiner von mir verlangen!“

„Du sollst ihn geschlagen haben“, erwiderte Matsumoto nun, was Hiroya jetzt doch schockte. „Ich werde hier keine Art von Gewalt dulden, damit das klar ist! Wir sind nett und freundlich zu allen, egal ob wir sie ausstehen können oder nicht! Wir sind auch zu Verdächtigen nett, auch wenn ihre Schuld bewiesen wurde! Wir achten die Menschenrechte und dazu gehört auch, Vermeidung von Gewalt!“

„Was hab ich?“

Gut, manchmal war er gewalttätig, aber dieses Mal war er vollkommen unschuldig. „Das kommt doch öfter bei dir vor, habe ich von deinem ehemaligen Vorgesetzten gehört!“

„Mag sein… aber ihn hab ich niemals geschlagen, ich war nur mal etwas grob zu ihm, mehr nicht!“ Jetzt musste er sich hier noch dazu äußern.

„Der Arzt hat uns gesagt, dass jemand mit einem harten Gegenstand auf ihn losgegangen ist, würden Sie mir das echt zutrauen, dass ich so etwas tue??“ Er sah doch nun wirklich nicht wie ein übler Schläger aus.

„Ist mir ehrlich gesagt scheißegal, Hiroya Tokorozawa! Ryochi übernimmt den Fall und die Betreuung der Involvierten! Alles, was mit Musikern und deiner Schwester zu tun hat, ist ab jetzt nicht mehr dein Job – und ich möchte dich doch bitten, zu unserer Polizeipsychologin mit deinem Problem zu gehen, du scheinst selbst nicht zu wissen, was du da tust!“

„Jetzt will ich aber schon gerne noch erfahren, wer die dritte Person war, die sich über mich beschwert hat? Bei zweien ist es mir klar!“

„Es war deine eigene Freundin, Hiroya! Naru kam ganz aufgelöst hier an und hat uns alles erzählt. Du hast ein Problem und damit gehst du zur Psychologin, sie wird sich mit dir über deine seelischen Probleme unterhalten.“

Wie er ihn runterputzte, passte Hiroya gar nicht – er war kein Fall für den Seelenklempner, das konnten die doch nicht ernsthaft von ihm verlangen. „Was hat Naru Ihnen genau erzählt? Doch nicht etwa die Sache von damals?“

„Sie macht sich Sorgen um dich, sei ihr nicht böse.“ Oh nein, nie, wie konnte er ihr denn böse sein, wenn sie ihn bei seinen Vorgesetzten als kompletten Vollidioten darstellte, der nicht mehr wusste, was er tat? Vielleicht war er damit zu weit gegangen, aber deswegen gleich beim Chef zu petzen, er war fassungslos und er wusste auch, dass es keinen Weg am Besuch bei der Psychologin vorbei gab.
 

Inzwischen hatte Ryochi das Präsidium längst verlassen, weshalb Hiroya das Glück hatte, ihm nicht über den Weg zu laufen und umgekehrt. Er wusste zwar nicht, wo Sêiichî gerade war, aber als er vor dem Haus parkte, sah er das Auto – unverkennbar, so ein Auto fuhren hier zwar viele, aber selten stand er in solchen Gegenden, jenseits von gut und böse. Es war doch eigentlich eine hübsche Gegend mit sehr viel Bäumen, die schön verzierten. Und doch zog es die BÖSEN stets hierher.

Vor dem Anwesen kurz verweilend, auf seine Armbanduhr blickend, dauerte es einen Moment, bis er die Klingel am riesigen Tor drückte.
 

Saki zog den Vorhang ganz leicht zur Seite, um zu kontrollieren, wer nun noch ihr Haus füllen wollte. Sie hatte erst nicht vor, sich zu erkennen zu geben, doch dann erblickte sie ihn.

„Oh, es ist Ryo-chan“, warf sie in den Raum, so dass Sêiichî aufsprang, da es ihn wunderte, dass er Saki besuchen wollte. „Muss der denn nicht arbeiten?“

Rena schloss die Augen, aus irgendeinem Grund hielt sie sein Auftauchen für einen Ermittlungsbesuch.

Saki lief wie in Trance nach draußen, öffnete ihm und geleitete ihn bereitwillig ins Haus, sie war nett und freundlich zu ihm und bat auch ihm einen Tee an, den er aber mit einer Gestik seiner linken Hand ablehnte. „Ich will nicht lang bleiben, ehrlich! Mach dir nicht die Mühe!“

„Warum konnte ich mir das denken??“

„Weil du eine intelligente Frau bist“, erwiderte Ryochi, woraufhin Saki ihn skeptisch ansah, als würde sie nicht glauben, dass er das ernst meinte.

Sêiichî warf Ryochi einen Blick zu, als hätte er etwas an seinem einfach so Vorbeikommen auszusetzen.

„Du brauchst gar nicht so zu gucken, nur weil du als erstes mit den Damen alleine warst!“

„Hast du aber schlechte Laune…“ Sêiichî schien gleich zu schmollen. „Was ist wieder passiert?“

„Oh, ich habe keine schlechte Laune, jedenfalls nicht schlechter als sonst“, er ging an Sêiichî vorbei und schien ihn ignorieren zu wollen. „Mit dir hatte ich auch nicht gerechnet, Rena“, er betonte ihren Namen ganz seltsam.

Sie hatte ihn schon längere Zeit nicht gesehen und war nicht darauf gefasst, dass sie es ausgerechnet in einer solchen Zeit tun würde, weshalb sie nur ein leises „Hallo Ryochi“ von sich gab, was man aber auch als Indiz dafür sehen konnte, dass sie sich besser kannten.

„Wie geht’s meinem Bruder?“ zögerte er keinen Moment nachzuhaken und vergaß fast, weshalb er hergekommen war.

„……. Na-ja……“ In brüchigen Silben kam die Antwort, sie war sofort sichtlich nervös und wollte ihm wohl nicht recht die Wahrheit sagen.

„GEHT’S IHM SCHLECHT??“ Seine Stimme war panisch geworden, obwohl er nicht schnell die Beherrschung zu verlieren drohte. Hier waren keine Leute, denen er seine Gefühle verbergen sollte – er kannte sie alle – bis auf Rena – aus Kyoto. Aber diese war die Gefährtin seines Bruders und er hielt sie nicht für so durchgeknallt wie zum Beispiel Chris, welcher er ihre Gefühle niemals zeigen würde.

„Na, gut wäre was anderes, aber schlecht würde ich nicht unbedingt sagen“, seufzte sie, wie konnte es einem halbwegs normalen Menschen denn in diesem Laden gut gehen?

„Er ist nicht schwer verletzt“, mischte sich Sêiichî ein.

„Dich hat doch überhaupt keiner gefragt!“ Er wurde ziemlich scharf angefahren – und da wollte sein bester Freund ihm weismachen, er hätte keine schlechte Laune…

„Man, tschuldigung, was für eine Laus ist dir über die Leben gelaufen??“

„Misch dich nicht immer überall ein; das sagt Yu-chan dir doch auch immer…“

Sêiichî senkte den Kopf. Wahrscheinlich nervte das nicht nur Ryochi, dabei wollte er bloß nett sein. Es war aber vielleicht auch nicht ganz so clever gewesen, ihm so zu kommen, dass es seinem Bruder zwar körperlich gut ging, aber innerlich… Warum hatte er nur so eine vorlaute Klappe?

„Also geht es ihm nicht gut?“

Rena druckste rum. „Na jaaaaaa~“, sie wollte wirklich ungern darüber reden, was geschehen war. „Keinem normalen Menschen geht es wirklich gut bei Ihnen.“

„Das ist für mich nichts Neues, aber ansonsten ist nichts Schlimmes passiert?“

Sie wich den Blicken des Detektivs dermaßen aus, dass er wusste, sie verschwieg ihm etwas.

„Rena, bitte! Sag mir, was los ist?“

Sêiichî wollte ihr nun nicht in den Rücken fallen, aber Ryochi würde keinesfalls klein beigeben. „Es hat keinen Sinn; sag es ihm! Er kriegt es ohnehin raus, immerhin ist er Detektiv.“

„Es ist nichts Gravierendes, Ryochi, bitte, glaub mir!“

Damit gab sich dieser aber nicht zufrieden, er legte die Hände auf ihre Schultern.

„Rena-chan! Bitte sag es mir! Du kannst seinem Bruder doch nicht wirklich verheimlichen, was ihm fehlt.“

„Es ist……………………………………………………….“ Es kam eine lange Pause, so dass man schon dachte, dass die junge Frau nun nichts mehr sagen wollte. „Val-po-li-cella.“ Bruchstückhaft ließ sie den Namen nur sehr schwerfällig über die Lippen gleiten und begann nun schneller zu atmen. Eindeutig: Sie hatte Angst!

„Was ist das für eine? Schlimmer als Vermouth?“

Sêiichî empörte sich bei diesem Vergleich und schnaubte verächtlich. „Dass du sie nicht leiden kannst, ist ja schön, aber behalt das gefälligst für dich!“

Saki fand es sehr gefährlich nach allem, was er erzählt hatte, nun Partei für sie zu ergreifen. „Sêiichî – du weißt doch, dass sie ein Miststück ist… Wieso lässt du ihm nicht seine Meinung?“

„Ich bin weg!“

„Fahr bitte vorsichtig in deinem Zorn“, bat Ryochi ihn und warf ihm einen besorgten Blick zu, weshalb der 24-jährige aber auch gleich wieder besänftigt schien.

„Nein! Keine Sorge! Ich fahr vorsichtig”, versicherte er ihm und machte sich auf den Weg zum Ausgang. „Du musst nicht mitkommen“, meinte er zu Saki, die ihm nachgehen wollte und dann stehen blieb, „ich kenne den Weg.“

Ihr mitleidiger Blick fiel nicht nur Rena, sondern auch Sêiichî auf; es tat ihm Leid, dass er so etwas gefragt hatte, er wusste doch, wie sehr sein Freund sie liebte.

„Er ist unbelehrbar; leider…“

Es war besser, wenn Ryochi sich nicht äußerte, aber es lag ihm schon auf der Zunge, die Worte mussten raus. „Ist eben stur… Er lässt sich nicht gerne reinreden, dabei versucht er es bei anderen auch immer!“ Ein schweres Seufzen glitt über Ryochis Lippen.

„Aber mal ein anderes Thema“, er fand es gerade passend, was nicht hieß, dass er die Sache rund um diese Valpolicella nicht noch einmal hinterfragen würde.

„Ich habe den Verdacht, dass Vermouth auch Cognac betrügt, wenn es ihr in den Kram passt und ich muss sagen, dass mir das überhaupt nicht gefällt, da macht mir diese Frau nicht sympatischer. Dummerweise liebt dieser Baka sie wirklich!“

„Er hört auf keinen, auch nicht auf Yuichi, in dem Fall hört er nur auf sich selbst! Und das obwohl er gerade so enttäuscht von ihr ist.“ Saki machte sich auch große Sorgen um einen ihrer alten Freunde, sie hatte die Befürchtung, dass er mal den Falschen half, wenn auch ohne es selbst zu bemerken.

„Ach – er ist enttäuscht von ihr? Was war los? Sexverbot?“ Er veralberte Sêiichî ja nicht gerne und riss ungern Witze auf seine Kosten; schon gar nicht bei einem solchen Thema, aber er konnte auch sarkastisch sein. Seine Worte fand er selbst total bescheuert, aber Sêiichî war eben so.

„Wegen mehren Dingen, Ryochi! Auch auf die Gefahr hin, dass du sie dann hasst, aber“, sie konnte es ihm nicht verschweigen, er war doch der einzige, auf den Sêiichî vielleicht doch hören würde. „Kimiko hat es nicht geschafft, ihm das klar zu machen, deswegen bitte ich dich, das was ich dir sage, verwende es, um auf ihn einzureden, dass er endlich von ihr ablässt! Sei für ihn da in dieser schrecklichen Zeit; er ist so sensibel und sie nimmt darauf überhaupt keine Rücksicht...“

Darum musste man ihn nicht bitten. Wenn es ihm in dieser Beziehung nicht mehr gut ging, würde er etwas dagegen tun und wenn es hieß, sie ins Gefängnis zu bringen, um sie voneinander zu trennen. Aber da gehörte sie seiner Meinung nach ohnehin hin. Sêiichî würde es ihm übel nehmen, aber er konnte nicht ernsthaft erwarten, dass man darauf Rücksicht nahm.

„Ich habe eine Zeit lang gedacht, dass sie es genau weiß und auch Rücksicht darauf nimmt! Ich habe wirklich versucht, sie zu akzeptieren und das Gute in dieser Beziehung zu sehen… es fällt mir schwer, wenn du das sagst. Ich kenne wenige Menschen, die so wenig nachtragend sind, wie du! Du würdest ihr nicht schaden wollen, auch wenn sie oft gehässig zu dir war und teils Schuld daran hat, dass auch du in dieser Organisation nun gefangen bist.“

„Es gibt schlimmere als sie…. Ich bin ihr auch nicht böse, dass sie meinen einzigen Bruder getötet hat, er hatte es verdient.“

Oft hatte er das Bedürfnis, Frauen wie sie einfach nur zu umarmen. Von wenigen Menschen hatte sie es einfach nicht verdient, so zu enden. Alleine… Es war wohl auch der Grund dafür, dass sie sich mit Rena angefreundet hatte.

„Um genau zu sein, ja – aber sie hat nur getan, was getan werden musste.“

„Oh ja, nachdem sie Yoshio erschossen hat, musste sie gleich zu Jami gehen und ihm sagen, dass du etwas weißt!“ Es war doch klar, was Jami tun würde. Hätte sie einfach darüber hinweggesehen, dass man sie beobachtet hatte, wäre Saki bestimmt nicht hinein geraten. „Sie hatte die Wahl! Zu der Zeit wurde sie noch nicht einmal beobachtet; das hat sie vor Sêiichî schön zugegeben! Sie konnte ja nicht wissen, dass er mir sagen würde, wie sehr es ihn freut, dass sie mehr Freiraum bekommen hat.“ Ryochi schüttelte den Kopf, es war einfach dumm gewesen, musste er zugeben. Sie hielt ihn wohl für unterbelichtet oder doch eher unwissend. Vielleicht dachte sie auch, dass er immer noch nicht wusste, was mit Yuichi geschehen war.

„Dass du mich überhaupt noch leiden kannst, immerhin war ich mit Toshizo Katō zusammen. Wir beide wissen ja, dass er Sêiichî über alle Maßen hasst.“ Sie bereute es immer, dass sie ihn mal geliebt hatte – Liebe machte bekanntermaßen ja blind, sie schien sich immer auf die Falschen einzulassen, sie war noch mehr verflucht als Kimiko, die nun wirklich einige Mistkerle hinter sich gehabt hatte. Wenigstens hatte sie Jami nicht geheiratet, so etwas Dummes konnte nur ihr wieder einfallen. Wie konnte sie einem Mann wie ihm ihr Herz schenken? Er betrog sie vor ihren eigenen Augen, flirtete mit jeder Frau, aber sie hatte ihm dennoch vertraut. Auch als Kimiko sie davor warnte, dass er es nicht gut mit ihr meinte. Dass Frauen für ihn nur Sexobjekte waren… Dass er keine liebte und auch keiner treu war. Am Ende hatte sie es geklaut, als auch Rena ihr davon erzählte, dass er ihr Angebote machte. Und da waren sie bereits Mann und Frau gewesen. In der Vergangenheit war Sêiichî mit ihr fremdgegangen und Kimikos Freund Sojuro hatte es aufgedeckt. Saki hatte angenommen, dass sie die Sache mit Jami nur erfunden hatte, um ihr die Sache von damals heimzuzahlen. Sie war kein Engelchen, das hatte sie so oft bewiesen – deswegen hatte sie sich wohl auch mit Katori gut verstanden, die war genauso wenig eines.

„Ich kann kaum einem Menschen vertrauen; immer wenn ich es tue, werde ich enttäuscht.“

„Da geht’s vielen so! Aber ohne Vertrauen kann ein Mensch nicht glücklich werden.“

„Nicht einmal Katori…“

Ryochi sah sie fragend an. Die Aussage fand er nun seltsam. „Wieso nicht einmal?“

„Weil sie es immer gut mit uns zu meinen scheint! Sie hat so manches Mal Kimiko davor bewahren können, dass man sie wegen ihrer Frechheit umbringt. Das ist doch ein eindeutiger Beweis, oder? Auch ich verdanke ihr viel. Als Kenichi und ich uns scheiden ließen, war sie es, die mich mitgenommen hat. Sie hat mich bei sich aufgenommen, war eine so gute Freundin und ich misstraue ihr.“

„Das wird seine Gründe haben.“

Saki schwieg, immerhin war Rena noch hier, auch wenn sie total schweigsam aus dem Fenster schaute und so aussah, als würde sie ihr Gespräch nicht mitbekommen. Sie machte sich wohl Gedanken um Yuichi. Hoffentlich endeten sie nicht auch als getrenntes Paar; sie hatte so schlimme Vorahnungen, dass noch lange nicht der Gipfel erreicht war. Was Jami wohl als nächstes tat, um sie zu kriegen?

„Katori hat dir noch nie was getan, stimmt’s?“

„Nein, aber aus irgendeinem Grund…“ Wenn nur Rena nicht da wäre, hätte sie ganz anders mit ihm gesprochen. Sie wusste nicht, wie sie ihr das beibringen sollte, dass sie Katori besser nicht alles erzählte und sie nicht als zu enge Freundin ansehen sollte…

„Aus irgendeinem Grund“, ihre Stimme wurde auffallend leiser, „hat sie an Rena etwas auszusetzen und diese hält sie für ihre Freundin… Dass sie ihr wirklich vertrauen kann, glaube ich nicht. Und das liegt an ihm…“

Es war kein Wunder, dass er den Mund öffnete und immens nach einem Happen Luft schnappte. Er wusste natürlich, dass sein Bruder gemeint war.

„Die soll sie in Ruhe lassen! Und ihn auch! Sie ist die schreckliche Frau, die mit meinem besten Freund fremdgegangen ist, als sie mit meinem Bruder zusammen war!“ Dass er ihr das nicht vergab, hörte man in seiner Stimmlage, denn es klang verärgert tief in den Raum.

Zum Glück wusste keiner der Beteiligten, dass Yuichi auf dem Weg zu dieser ach so schlechten Frau war…
 

Die beiden Freundinnen hatten sich getrennt, so dass Sonoko und Ran nun jeweils alleine unterwegs waren. Ihre Freundin wollte sich wieder mit Aiko Misae treffen; Ran hätte sie ansonsten begleitet. Aber sie konnte mit dieser Person eben nichts anfangen, egal wer sie auch war.

Ran versuchte zwar damit klarzukommen, dass Sonoko auch andere Freunde; so wie Aiko hatte, aber es war nicht so einfach für sie, obwohl sie ein sehr toleranter Mensch war. Es war, als wenn diese Person das Boshafte ausstrahlte. Ihre Augen, die so heimtückisch waren, war ein Grund für ihre Abneigung. Sie hatte Bilder gesehen, was kein Wunder war, da sie ja mit den Kudōs verwandt war. Das letzte Mal, als sie mit Yukiko telefoniert und nach Aiko gefragt hatte, meinte sie gehört zu haben, dass diese Frau kein Thema war.
 

Sonoko wollte noch unbedingt mit ihren Freundinnen in Shibuya einkaufen gehen. Es war alles so groß und man bekam viel Designerkleidung. Sie kam eben aus einer reichen Familie und hatte ein Taschengeld, wie es sonst kaum jemand in ihrer Schule vorzuweisen hatte; vielleicht noch Shinichi Kudō. Seine Mutter schickte ihm bestimmt viel Geld zum Leben und übertrieb dann, so kannte man sie schließlich, doch sprach der Junge nie über sein Vermögen. Im Gegensatz zu ihnen beiden war Ran ein armer Schlucker.

Die 18-jährige konnte sich gut vorstellen, wie Yukiko mit besorgter Stimme alle 2 Wochen anrief und ihren Sohn fragte, ob er auch wirklich noch genug Geld hatte. Und es war bestimmt viel zu viel. Trotzdem merkte man es ihm niemals an, dass er so stinkreich war. Sonoko war da ein anderer Fall; sie nutzte es schamlos aus, dass sie reiche Eltern hatte, um sich tolle Klamotten zu kaufen; Sparen kannte sie nicht.

Sie nahm wie immer die Abkürzung zur U-Bahn: eine ganz kleine Gasse mit einer Treppe.

Es war dunkler als in den meisten anderen Straßen, gerade weil sie so winzig war und gerade mal ein Mensch durch passte, nicht gar ein Fahrzeug. Sie rechnete nicht damit, dass ihr jemand entgegenkommen würde. Er lief direkt auf sie zu, gerade so würde er an ihr vorbei können, er war nämlich recht breit. Als er bei ihr angekommen war, hatte sie nicht einmal die Hälfte des Weges beschritten und dann packte er sie und hielt ihr den Mund zu. Sie gab erstickte Schreie von sich, die jedoch bis zur Straße drangen. Man konnte jemanden nicht einfach komplett zum Schweigen bringen.

„Jetzt mach hier keinen Aufstand; du kommst jetzt mit! Ich tu dir nur ungern weh, bedank dich bei deinem Vater, der zu geizig ist!“

Natürlich machte Sonoko den so genannten Aufstand trotzdem; sie fürchtete sich, es war ja schließlich bereits das zweite Mal, dass man sie überfiel. Mit dem kleinen feinen Unterschied, dass es diesmal am helligsten Tag passierte, nicht so wie das letzte Mal.
 

Zwei Männer stiegen gerade aus einem Silber farbenen Porsche, wobei der Jüngere die Autotür ziemlich zuwarf. „Gott ist mir langweilig; krank sein gehört verboten!“

„Sag mal spinnst du? Würdest du aufhören, mein Auto so zu misshandeln?“

Er war ja eigentlich ein friedliebender Mensch, aber wer seinem Auto wehtat, tat es indirekt auch ihm selbst. Ihm wurde sogleich ein Schmollmund geschenkt; wahrscheinlich hielt er ihn für empfindlich. „Guck nicht so! Ich haue deine Autotür demnächst auch so zu; mach das doch bei deiner Kar-“

Man bemerkte wie er mitten im Wort abbrach und zu lauschen schien.

„Was ist?“

„Still!“ Er hatte ganz eindeutig etwas gehört, trotz stets lauter Musik war er nun wirklich nicht taub. „Da war was…“

„….“ Nun lauschte auch der andere, doch was er da hörte, gefiel ihm gar nicht.

„Ich hab’s Handy im Auto liegen lassen…“ Er warf seinem Kumpel den Schlüssel zu, so dass dieser das Auto aufschließen konnte. Doch als der Dunkelbraunhaarige mit dem Handy hinter dem Auto hervor kam, war er nicht mehr da…

Nur ein totaler Idiot würde so etwas tun. Wer wusste, was da gerade geschah? Es war ein Fall für die Polizei und nichts für Zivilisten, aber das schien seinen Kindheitsfreund nicht zu interessieren.

„Arg, nein, was hast du vor?? Komm zurück!“ Nichts als Ärger hatte man mit ihm; und es hatte bestimmt nichts damit zu tun, dass es eine Frauenstimme war, welche sie gehört hatten. Bei Frauen war er eben etwas komisch, aber trotzdem musste er nicht gleich jeder Frau in Not helfen gehen. Was in dieser Stadt manchmal so alles passierte. Vielleicht dramatisierte er das Ganze und es war ein stinknormaler Überfall, aber was wenn nicht?
 

Der 26-jährige hatte sich in die kleine Gasse begeben und dann sah er es: Das Mädchen, welches ihm nicht gerade unbekannt war – sie waren sich schon vermehrt begegnet – wurde gegen die Wand gedrückt, dabei machte sich der Mistkerl auch noch zunutzen, dass die Gasse zu eng war. Es fiel ihm leicht das schwache Mädchen wehrlos zu machen, sie hatte keine Chance gegen den starken Mann. Im ersten Moment fragte er sich selbst, was am besten war. Ihn aufmerksam auf sich selbst zu machen, oder einfach hinzugehen und ihn zu überraschen, doch die Zeit zum überlegen, hatte er nicht.

Fünf Schritte reichten bereits, da hatte er die kurze Strecke rennend überquert und griff nach dem Arm des Typen, um ihn von dem Mädchen zu trennen, was ihm der Überraschung wegen auch vorerst gelang.

Der Mann, welcher noch größer als der Eingreifer war, war nicht darauf gefasst, gestört zu werden, während Sonoko weinend zu Boden sank und sich dort ganz klein machte. Der Gangster flog in die entgegen gesetzte Richtung, da man ihn dorthin zerrte.

Sie wusste noch nicht, wer es war, aber sie war ihm überaus dankbar, dass er ihr helfen wollte. „Vo-Vorsicht Waffe!“ warnte sie ihn, doch zu spät; die so genannte Waffe kam bereits zum Einsatz.

Es gefiel dem Kerl natürlich gar nicht, dass sich da irgendein Idiot einmischte. Bei Aufträgen verstand er keinen Spaß; den legte er um, da konnte ihn keiner dran hindern.
 

Sein Freund hörte die Stimmen, noch während er mit der Polizei telefonierte. „Bitte, bitte… schnell… Ich hab was von Waffe gehört; mein Freund ist hingerannt…“ Man hörte ihm an, dass er wohl jeden Moment anfing zu heulen, er hatte selbst viel zu viel Angst, ihm jetzt nachzugehen… Aber er konnte seinen Freund doch nicht alleine lassen in einer solch gefährlichen Situation.

Doch kurz darauf hörte man exakt zwei Schüsse; nachkommend herrschte Stille. Tetsuya fiel das Handy aus der Hand, welches scheppernd zu Boden fiel und sein Atem beschleunigte sich. Als er das Ganze mehr oder weniger realisiert hatte, rannte auch er zu der kleinen Seitengasse, wo er blass wie ein Toter wurde, als er die Schweinerei sah. Beinahe hätte er aufgeschrieen. Blut klebte an den Wänden.

Secret suspicions

Nyu, Ryo XD

Wegen deines fetten Kommentars erstmal danke, auch wenn er aus ganz viel bösen Drohungen bestand *lol* ich wusste, dass ich dich damit ärgere XD und ich bitte dich, vor allem dich LIES ES AUFMERKSAM! Es steckt voller Sachen...

ich bin gespannt, wie du es findest. Im Ganzen. *g*

Wünsch dir viel Spaß beim Lesen. Und den anderen natürlich auch!


 


 


 

In dem Moment, als dem jungen Mann die Waffe entgegen gerichtet wurde, wusste er nicht, was er tun sollte, außer auf ihn einzureden. „Na komm, damit machst du dich doch nur selber unglück-lich…“ Dummerweise sah der Typ nicht so aus, als wäre es das erste Mal, dass er jemanden mit einer 35er bedrohte. In Amerika wäre es dem Schwarzhaarigen jetzt sicher besser ergangen, dort lief der Hase etwas anders. Obwohl er es nicht als gutes Mittel ansah, auf Menschen zu schießen, hätte er sich mit einer sicherer gefühlt.

Ein Blick auf die Hand des Mannes verriet ihm, er würde jeden Moment abdrücken.

Die beiden Schüsse ließen ihn zusammen fahren, es fuhr ihm durch Mark und Bein.

Stille…

Kein Rauch aus der Waffe, viel mehr dieser Anblick, nicht er war getroffen…

Sein Blick huschte nach oben, wo er eine blonde Frau kopfüber hängen sah. Es kam schnell bei ihm an – Frau und Blond. Er dachte sie zu kennen, doch war sie so schnell aus seinem Sichtfeld verschwunden, dass er nicht viel Zeit dafür hatte. Einen tiefen Atemzug später realisierte er die eine Leiche vor sich und eine weitere nicht weit weg, er hatte ihn nicht einmal bemerkt… sie anscheinend aber ja schon.

In Amerika wäre so was normal gewesen, aber doch in Japan nicht… Noch nie hatte er so etwas in der Realität gesehen… Eine Ermordung.

Als Tetsuya so schnell angerannt kam, konnte er nicht verhindern, dass er alles sah.

„Bi-Bin ok…. Und sie auch…“ Seine Stimme klang ernst, nicht so verspielt wie sonst. Er schien nachdenklich zu sein und dann kümmerte er sich um Sonoko. „Brauchst nun keine Angst mehr haben… und sieh nicht hin!“ Er drückte sie leicht in seine Arme und stand dann mit ihr auf, zog sie von dem Unglück, das eigentlich keins war, weg. Ihr Atem ging stoßweise, es war das zweite Mal, dass sie von jemanden aus seiner Band gerettet wurde; obwohl, er war’s nicht gewesen, sondern irgendjemand anders.

„Du… Du… Du hast jawohl einen Schaden!“ Das Tetsuya fuchsteufelswild wurde, war nicht zu überhören. Nun ja, er rechnete damit, es wunderte ihn kein bisschen, er hatte sich bestimmt um ihn gesorgt. „Du kannst doch nicht einfach so in ein Verbrechen eingreifen; und ich will nichts davon hören, dass du früher darüber nachgedacht hast, zur Polizei zu gehen! DU bist nicht bei der Polizei!“

„Ja-ja…“ Man musste ja nicht zwangsläufig derselben Meinung sein, um befreundet zu sein. „Kannst aufhören wie ein Weib zu krakeelen! Ich weiß selbst, dass es dumm war.“

„Bitte was?!“ Er schniefte. „Erst kippt Doiha um“, er schniefte nochmals, „und stirbt fast! Und dann machst du auch noch so was!“

„Ja, ich weiß, deiner Meinung nach hat man sich bei Fremden ’rauszuhalten, bin ich anderer Meinung, also komm runter!“

Man hörte das Schluchzen des Mädchens, er seufzte tief. Niemals hätte er das ignorieren können…

„Tetsu, holst du mir bitte auch mein Handy…“

„Warum??“

„Will wen anrufen“, war alles, was man ihm zur Antwort gab, also wollte Ken ihn wohl nicht darüber aufklären, wen er anrufen wollte. Wenn er eben offene Fragen stellte, dann war er selbst schuld.

„Die Polizei ist hoffentlich gleich da.“

„Schön.“ Ken tippte exakt 4 Mal auf dem Handy, was nicht für das Eintippen einer gesamten Nummer reichte, sondern nur zeigte, dass er jene Nummer im Handy bereits gespeichert hatte.
 

Unterdessen hielt ein Auto direkt an einer Mauer, wo eine junge Frau gerade hochgesprungen war und sich aus dem Staub machen wollte, als die Scheibe heruntergefahren wurde. „Lass mich raten, Katori Shirakawa… Es ist kein Zufall, dass du hier rumlungerst?“

Sie sprang von der Mauer runter, ihre blonden Haare waren teilweise unter einer Kapuze verborgen. Natürlich hatte Hiroya bereits ziemlich gut erkannt, dass es kein Zufall war.

Zu seinem Pech klingelte sein Handy. „Wehe du haust ab!“

„Vor dir? Bestimmt nicht.“

Der Kriminalist fand ihre Worte zwar nicht witzig, aber er wollte erst mal ans Handy gehen. „Trifft sich gut, da kann ich ihm ja gleich unter die Nase reiben, was er getan hat“, murmelte er, bevor er sich mit „Moshi moshi“ meldete.

„Ich wurde gerade in ein Verbrechen verwickelt; kannst du herkommen?“

„Eigentlich nicht, ich habe dank deinem Freund Sakurazawa einen Termin bei unserer Therapeutin, weißt du?“ Er klang wenig begeistert, wieso auch? Er fühlte sich nicht als Kranker.

„Das tut mir leid! Hinter dem U-Bahnhof direkt beim Haido-Krankenhaus gibt’s zwei Leichen… Mit einem Kopfschuss getötet…“ Er wollte ja am liebsten auflegen, um sich den ganzen unangenehmen Kram zu ersparen, aber er wollte den Herrn nicht gern verärgern.

„Das fängt ja gut an“, meinte Hiroya mit einem sarkastischen Ton in der Stimme. Er fragte sich, wieso die Freunde seiner Schwester andauernd in so einen Mist verwickelt wurden; nun hatte es auch ihn getroffen, viel fehlte ja nicht mehr und sie hatten alle damit zu tun. Und er glaubte nicht, dass es ein einfacher Fall war. In der Regel wurden in Japan nicht einfach so Leute in den Kopf geschossen.

„Was hast du gesehen?“ Das war die jawohl wichtigste Frage, die er ihm unweigerlich stellen musste.

„Zu viel… Wir sind gerade aus dem Auto gestiegen, da haben wir jemanden schreien hören, so als wenn man ihr den Mund zuhält, ersticke Schreie; Tetsu hat die Polizei gerufen und ich hab mir erlaubt nachzusehen… Ich… Ich hab nicht damit gerechnet, dass er wirklich bewaffnet ist. Er hat ein Mädchen gegen die Wand gedrückt, also habe ich ihn von ihr weggezerrt. Kurz darauf hat er dann seine Waffe gezogen! Ich dachte schon, dass es aus mit mir ist, aber dann…“ Hiroyas Blick schweifte zur Seite zu Katori. Ken hatte ihm noch gar nicht gesagt, dass eine Frau ins Geschehen eingegriffen hatte, aber er ahnte bereits, dass sie ihre Finger im Spiel gehabt hatte. „Und weiter?“

„Ich… ich bin ein wenig kurzsichtig, ich bin mir nicht sicher…“

„Sprich’s aus!“ raunzte Hiroya ihn an, auf solche Sachen hatte er jetzt überhaupt keine Lust. „Sag, was du gesehen hast!“

„…Sie sah wie Cat aus…“ Die lange Pause sagte Hiroya nur, dass ihn das schockte. Welchen normalen Menschen würde das auch nicht schocken? Katori sah eben nicht aus wie eine Mörderin, wäre er selbst normal, hätte er jetzt wahrscheinlich gelacht. Eine bekannte Sängerin, die bei einem Mord gesehen wurde.

Hiroya verzog das Gesicht und kicherte. „Du hast Recht, du bist kurzsichtig…“

Dass der Kriminalist ihn nun auslachte, war nicht komisch, aber er würde es wahrscheinlich auch tun. Er hatte sie ja auch aus viel zu großer Entfernung und zu kurz gesehen, um sagen zu können, dass er sich vollkommen sicher war. „Ja… bestimmt… Wäre ja auch viel zu haarsträubend, eine hübsche Frau wie Cat und eine Mörderin, wie konnt’ ich bloß überhaupt daran denken??“ Es war aber leider so, dass die nettesten Menschen zu Mördern wurden und wenn sie noch so unglaublich unschuldig aussahen.

„Ich denk meine Kollegen sind bald bei euch… Erzähl ihnen einfach, dass du nicht weißt, wer sie getötet hat, ja?“

„… Weiß ich ja auch nicht 100-prozentig, das wäre nicht mal gelogen.“

„Na also!“ Hiroya war mit sich zufrieden, auch wenn er auch irgendwie ein schlechtes Gewissen hatte, es war aber wirklich besser, wenn er ihm diesen Zahn schnell zog. „Ciao!“

Hiroya hatte daraufhin aufgelegt und machte die Tür auf. „Du hast jawohl einen Knall, los rein da mit dir!“ Er schnappte Katori und zwang sie mehr oder weniger dazu, ins Auto zu steigen.

„Ja doch! Nicht aufregen!“ Auch, ohne dass sie dem Anrufer zuhören konnte, wusste sie, dass er sie wohl gesehen haben musste. Sie würde damit leben müssen, sie konnte ja nicht zulassen, dass diese Kerle über eine 18-jährige herfielen, dagegen hatte sie eben was… Dass er auch da gewesen war, das war ihr persönliches Pech. Vermouth würde jetzt wahrscheinlich hingehen und sich an ihr heranpirschen, um ihn auch zu töten. So wollte sie niemals sein. Nicht wegen einem Missgeschick, es kam aber immer auf die entsprechende Person an.

„Ich hätte echt fast zu ihm gesagt, noch eine Musikerin mit schwarzen Geheimnissen…“ Er raufte sich die Haare.

„Bist du ein bisschen schlecht drauf?“

„Nein, gar nicht! Ist ja nicht so, dass ich Sachen rausgefunden hätte, die das Bild meines Vaters zerstört haben; es ist ja auch nicht so, dass mir meinen beiden Schwestern genommen wurden; nein und meine Kollegin Mitsuki hatte auch keinen Unfall… Und zu guter Letzt, nein, meine Freundin hat mich nicht betrogen… Und nein, Jami ist auch nicht hinter ihr her“, er seufzte, seine Worte waren ziemlich sauer gekommen. Kurzum, sie wusste ganz genau, dass es ihm schlecht ging, warum fragte sie noch so dämlich?

Katori senkte leicht den Kopf. „Und dann gerätst du meinetwegen noch in Korruptionen, nicht wahr?“ Sie hatte gehofft, dass er nie wegen ihr korrupt werden musste, aber im Grunde war er es schon.

„Das war ich auch, bevor wir uns kannten; auch wenn ich’s nicht gerne bin.“ Am besten machte sie sich keinen Kopf darum. Er holte seine Packung Zigaretten raus und wollte sich schon eine anstecken, verstaute sie dann aber wieder in der Tasche. Immer wenn er sich aufregte, brauchte er eine Zigarette, er sollte sich nicht so gehen lassen.

„Also, was war da wörtlich los? Das will ich jetzt genau von dir wissen!“ Es war ein regelrechtes Verhör.

„Die kleine Suzuki sollte eigentlich entführt werden; die Typen haben ihren Auftrag aber etwas umstrukturiert! Das letzte Mal sind sie mir entwischt; Gott sei Dank ist ihr nichts passiert. Jemand hat sie im Auto mitgenommen und sie ist demjenigen, der sie schnappen sollte, ausgebüxt. Deswegen waren sie diesmal zu zweit, damit nichts mehr schief geht. Ihr Vater soll mit ihrem Leben erpresst werden; er ist einer unserer Geldgeber und streikt momentan wohl ein bisschen. Zu dumm, dass er eine Familie hat, die man benutzen kann, aber selbst wenn nicht, dann würde man ihn wahrscheinlich zu Tode ängstigen und wenn das nichts hilft, ihn töten.“

Hiroya tippte auf dem Lenkrad, er wirkte abwesend, doch hatte er jedes Wort vernommen. Es gefiel ihm nicht, was geschehen war. „Nichts desto trotz hat man dich gesehen, wie du zwei Leute ermordet hast, was mache ich nun mit dir, mhm? Ich dürfte dich nicht einmal laufen lassen.“

„Wenn überhaupt, hat man mich weniger als 4 Sekunden gesehen; ich hing über der Mauer und hab von oben geschossen. Als sein Blick hoch huschte, war ich quasi schon wieder verschwunden.“

„Nimm das nicht so auf die leichte Schulter – du kannst von Glück reden, wenn nicht die falschen Leute davon Wind bekommen, es wäre schade um dich.“

Katori wusste nicht, weshalb er das sagte; Hiroya war im Grunde kein Mensch, der einem Mörder einfach so verzieh. Und doch würde er es schade finden, wenn man sie umbrachte. „Du meinst, es würde mir wie Kimiko gehen, ja?“ Ein leichtes Seufzen war von der 24-jährigen zu hören. „Sorg dich lieber nicht um mich, es wäre besser, wenn du dich mehr um dich sorgen würdest. Es gibt da nämlich gewisse Dinge…“

„Es ist ungesund für dich, wenn du’s mir erzählst – ich weiß längst, dass Jami mich liebt und es am liebsten hätte, wenn mich alle hassen. Er lässt nichts unversucht, um alle möglichen Leute aufzuhetzen, sogar meine eigene Schwester und deren besten Freund; musst du dir mal vorstellen! Er hat doch sicher Wind davon bekommen – pah! Ich glaub nicht, dass meine Schwester ihn von einem Mord würde abhalten können.“ Wie man es auch drehte und wendete, Kenichi war mal sein bester Freund gewesen. Doch man hatte ihn zum Mörder erzogen, Menschen bedeuteten ihm nicht mal mehr das Geringste. „Es ist ihm doch total egal, wen er umbringt. Und wenn man mich zufällig nicht leiden kann, hat man echtes Schwein gehabt.“

Natürlich fiel Hiroya sofort auf, dass sie vehement schwieg und ihm darauf keine Antwort geben wollte, oder nicht wusste, wie sie es ausdrücken sollte.

‚Das trifft wohl so ziemlich den Punkt.’

Sie war so furchtbar still, wieso sagte sie nichts dazu? Er war vollkommen sicher, dass sie mehr wusste.
 

So etwas hatte der Schwarzhaarige auch noch nie erlebt. Weder bei Männern, noch bei Frauen. Schon zum zweiten Mal lachte man ihn aus, doch war es diesmal nicht die Ranghöchste, die sich über ihn amüsierte, sondern eine weitaus weniger hochgestellte Person: Vermouth. Sie hatte nicht das Recht über ihn zu lachen. Was war in sie gefahren? Und überhaupt, was fiel ihr ein? Seine Mundwinkel formten immer mehr einen Bogen nach unten.

„Was ist so komisch, man?!“ fragte er mit empörter Stimmlage. Seine so sanfte Stimme klang mehr wie die von einem Jungen, als wie von einem Mann, der es fast täglich mit Verbrechen zu tun hatte.

„I’m amused, Jami“, meinte sie ihr Lachen langsam unter Kontrolle bringend, nur schwer war es ihr möglich, nicht über ihn zu lachen, ihr kamen ja fast die Tränen. „Das mag bei anderen funktionieren, my Darling, aber die sind dem Boss auch nicht so wichtig, you know what I mean?“ Sie grinste ihn heimtückisch an, ihr Lächeln konnte einem Mann Angst einjagen, aber nicht Jami. Sie würde es nicht wagen, ihm dumm zu kommen – aber eigentlich tat sie das schon mit ihren Worten, die nichts als Spott zu bedeuten hatten.

„Ich will, dass du den Auftrag sauber ausführst, haben wir uns verstanden?“ Die und ihr Englisch – warum sprach sie immer in beiden Sprachen gleichzeitig, da wurde man auf Dauer ja total bescheuert. Sie konnte beide Sprachen perfekt, trotzdem war es eine Angewohnheit von ihr, kleine Phrasen auf Englisch loszulassen.

„Tut mir Leid, Jami – ich nehme nur Aufträge an, die auch wirklich vom Boss kommen; muss dich enttäuschen. Du bist nicht mein Boss und hast mir dementsprechend nichts zu befehlen…“ Wäre Valpolicella mit einem Auftrag angekommen, hätte sie garantiert nicht so eine große Lippe riskiert, dieser war nämlich total egal, ob der Boss sie liebte oder sonst etwas, sie würde kaum zögern, sie einfach zu erschießen.

„Wie bitte?! Wie kannst du es wagen?“

„Ach komm, sei nicht beleidigt“, kam bittersüß von der Blondine mit den eisblauen Augen, die ihn gefährlich anfunkelten, „ du hast es versucht, hat nicht geklappt, leb eben damit! Du kannst mir eben nicht einfach so einen Auftrag geben, nur weil du gerade Bock darauf hast. Aber ich muss sagen, zwei von eurem Schlag wäre auch zu viel des Guten – sie reicht vollkommen!“ Sie meinte natürlich Valpolicella, die bei jeder Kleinigkeit, die schief ging – auch wenn es Lappalien waren – total austickte und für Blutbäder sorgte. Jami hatte eine wesentlich bessere Beherrschung, was das anging. Wenn er ausrastete, dann wollte er sich doch gar nicht beherrschen. Diese Art von Person brauchte man nun wirklich nicht doppelt in den oberen Reihen. Und solange sie der Liebling vom Boss war, würde auch Jami so vernünftig sein, ihr kein Haar zu krümmen, sie befand sich also absolut auf der sicheren Seite.

‚Woher weiß die arrogante Kuh jetzt bitte schön schon wieder, dass es NICHT vom Boss kommt? Kann die auf einmal hellsehen, oder ist mir einfach was entgangen?’

„Dann werde ich mich eben an Syrah wenden!“

Jami wandte sich zum Gehen, während sie nur zufrieden vor sich hingrinste, Hauptsache sie hatte ihn geärgert und er kam nicht auf die Idee, dass es nicht bloß ein Spiel für sie war. Sie sah ja auch nicht aus, als wenn sie sich um irgendwen sorgte; in Jamis Augen war sie ein eiskaltes Miststück, das keinerlei Gefühl besaß, es sei denn es ging um die Liebe zu sich selbst…
 

„Jami hat Kimiko nicht umgebracht“, kam plötzlich wie aus einer Kanone geschossen. „So viel kann ich dir sagen! Obwohl sie ihm nichts genutzt hat, war er doch bemüht, sie nicht zu ermorden, solange sie die Organisation nicht verrät. Sagen wir doch so: Sie hat der Organisation nicht geschadet und durfte weiterleben; einziges Problem war nur, dass ihr bester Freund sie bei jeder Gelegenheit ausgequetscht hat und Rena zu unvorsichtig ist, dabei ist sie um ein vielfaches älter als Kimiko. Sie hätte wissen müssen, dass es dumm ist, darüber zu reden… Jami hat’s rausgekriegt. Das erste, was ihm einfiel, ist ihn zu uns zu holen. Und jeder von uns weiß, welchen Auftrag er ihm erteilt hätte, wäre es so weit gekommen.“ Ob sie es wohl extra erwähnen musste, dass er es auch verstand, oder kam er selber drauf? Er war doch Detektiv.

„Ich denke besser nicht zu stark darüber nach, davon kriege ich nur Kopfweh. In seinem Leben dreht sich anscheinend alles um mich. Ist nur schade, ich wüsste gerne, was er mit mir gemacht hätte.“

Es war wie sich selbst veralbern, er tat ja auch alles Mögliche dafür, um gehasst zu werden.

„Jami ist dumm in der Hinsicht; er ist der festen Überzeugung, dass er dich hasst und dich auch ermorden würde! Rena musste ihm erstmal klarmachen, dass Kimiko ihn dafür hassen würde, da hat er’s sein lassen und es stattdessen dabei belassen, ihn zu beschatten, dass er es nicht wagt, seinen Mund aufzumachen.“

„Oh toll! Und am Ende ist alles meine Schuld! Meinetwegen ist sie in diese Sache hinein geraten, durfte niemals glücklich sein und dachte wahrscheinlich, dass ich ihr böse bin, dummes Ding“, er seufzte, „sie musste mich doch kennen.“

„Ich weiß, wenn ich ehrlich bin, auch nicht, wie das alles passiert ist, wir sind zwar irgendwo schon ein Team, aber es gibt so viele Verrückte unter uns, die einfach so Leute umbringen… Mir hat jedenfalls keiner nebenher erzählt: Wir planen Kimiko umzubringen.“

Es hatte auch nichts die Runde gemacht. Sie vermutete mal stark, dass die Richtigen davon gewusst hatten und leider nicht die, die gerne mal was an Cinzano weitertratschten. Leute wie Vermouth zum Beispiel. Sêiichî wäre sicher total sauer, hätte sie das zu ihm gesagt. Dem Miststück konnte nun mal keiner trauen.

„Klar; sicher… Die sind ja nicht blind! Die erzählen sicher ihrer Kollegin, dass sie sie vorhaben, umzubringen…“ Witz komm raus, du bist umzingelt, dachte er sich.

„Aber mal was ganz anderes. Du musst wirklich vorsichtig sein. Sie sind überall und in der richtigen Menge können sie auch einem Superschützen wie dir gefährlich werden. Darüber hinaus solltest du auf sie aufpassen.“

„Wenn du Naru meinst, das Thema ist endgültig gegessen – ich werde sie so schnell nicht wieder sehen, ihr passiert also nichts.“

Wie locker er das sagte, er hatte ja keine Ahnung, was ihm bevorstand. „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, außerdem bemerkst du ja nicht einmal, wenn Jami mit dir in einem Zimmer ist, um interessanten Dingen zu lauschen.“

Ihm fiel da nur ‚ihhhh’ ein, wenn er so darüber nachdachte. „Da muss ich mir ja noch mehr Mühe geben, ein Scheißkerl zu sein, wenn ich seinen Weg kreuze… Oh, was muss er sich gefreut haben.“

„Ungeheuerlich… Ist wie wenn Geburtstag und Weihnachten auf den gleichen Tag fällt… Und Ostern dazu, wenn er dich dafür abknallen würde.“

Hatte Jami es also auch Cinzano erzählt, daher wusste Katori so gut Bescheid; woher sonst sollte sie wissen, dass Jami alles belauscht hatte, was im Krankenhaus stattgefunden hatte?

„Hat keiner von euch versucht, den Irren zur Vernunft zu bringen??“

Katori hätte am liebsten gelacht, ihrer Meinung nach war Jami verloren, er hatte sich vor Jahren für die böse Seite entschieden, er war der Sohn vom Boss, wortwörtlich. Und das obwohl er wie Hiroya aus einer regelrechten Polizeifamilie kam.

„Ich will deine Träume ja nicht zerstören, Hiroya, aber Jami zur Vernunft zu bringen, kannst du vergessen. Er wurde als er klein war vom Boss erzogen, er hat so viel Angst, dass er es nicht wagen würde, quer zu schießen. Da gibt es nichts zu retten. Man kann ihn ein bisschen beeinflussen, aber Verrat… Das glaube ich einfach nicht!“

‚Oh, da täuschst du dich bestimmt, Katori… Für mich würde er auch das tun.’

Wie gut, dass er das nicht musste; Hiroya konnte sich gut vorstellen, dass es den anderen Organisationsmitgliedern und vor allem dem Boss nichts ausmachen würde, wenn er ums Leben kam…
 

Als Jami sich entfernte, drehte sich auch Vermouth herum und wollte gerade die Tiefgarage mit dem Auto verlassen, als ihr von hinten eine Waffe gegen den Schädel gedrückt wurde. „Du erzählst mir sofort alles, was Jami wollte!“ befahl man ihr und sie blieb starr stehen, jedoch ohne dass man ihr anmerkte, dass es ihr nicht behagte, was er hier wollte.

„Seinen privaten Bullshit regeln lassen, weil er selbst zu bequem ist…“

„Geht’s wieder um die Tokorozawas? Langsam wird’s peinlich“, meinte der junge Mann belustigt und ließ nun die Waffe sinken, als Vermouth sich mit einer blitzschnellen Bewegung herumdrehte und sein Handgelenk ergriff, um ihn wehrlos zu machen.

Der 24-jährige, gut aussehende junge Mann blickte sie unbeeindruckt an. „Du wirst doch keine Angst vor mir kriegen, Vermouth?“ Wie sie sein Handgelenk ergriffen hatte, geradezu als würde sie befürchten, dass er doch abdrückte, nachdem er seine Antwort hatte. Er war doch nicht total durchgeknallt, sie zu töten. Er wollte gern noch am Leben bleiben, hatte schließlich noch einen Grund nicht schon zu verschwinden…

„Nein??“ Sie betonte ihre Antwort als Frage – mehr konnte der doch nicht von ihr verlangen.

So schnell würde er nicht klein beigeben und wenn er die Wahrheit aus ihr herausquetschten musste wie den Saft einer überreifen Zitrone.

„Verarsch mich nicht!“ zischte er, es war aber nicht so, dass es unbeherrscht wirkte. „Also, Tokorozawas, ja oder nein?“

„Ja…“

„Wen?“

„Daddy…“ Er kam ihrem Gesicht nahe, man hätte meinen können, dass er sie küssen würde, aber er schaute ihr nur direkt in die Augen, er hatte die Fähigkeit Lügen sofort zu durchschauen, was dem Boss besonders gut gefiel. Er war wie ein wandelnder Lügendetektor. Vermouth war nur leider ein Spezialfall, ihre Schauspielkünste waren einmalig in der Organisation; da reichten weder Baileys noch Hiroyas Exfreundin heran, auch wenn sie beide gut waren – gut hieß ja nicht perfekt. „Sagst du mir auch die Wahrheit?“ Die Stimme wurde tief und er wirkte plötzlich männlicher, seine eher zierlich wirkende Statur passte überhaupt nicht zu dem Tonfall, ebenso wenig wie zu seiner Größe. Obwohl er nicht viel größer als sie war, konnte er jähzornig wie ein kleiner Berserker werden und das wollte nun echt keiner.

Also irgendwie hatte die 30-jährige das Gefühl, der Gute konnte sie nicht leiden – was sie nun wirklich nicht mehr verwunderte, da sie innerhalb der Organisation nicht gerade beliebt war.

Noch genau erinnerte er sich, wie er zur Organisation gestoßen war – ein Autounfall. Er hatte sich dazwischen geworfen und ihn vor dem sicheren Tod bewahrt. Das Auto war mit 100 Sachen die Straße entlang geschossen gekommen. Er – gerade mitten auf der Straße, da er es eilig hatte als die Ampel für Fußgänger auf rot sprang – hatte nicht damit gerechnet, dass er ausgerechnet das Pech haben würde in diesem Moment als Zielscheibe zu fungieren. Das Motorgeräusch war das letzte gewesen vor dem harten Aufprall am Boden. Der Autofahrer bremste wie ein Gestörter und kam von der Straße ab, krachte direkt in eine Laterne hinein, ausweichen konnte er nicht mehr – aber dank ihm hatte er nicht mehr als ein paar Kratzer abbekommen…

Vermouth wusste noch, wie er zu ihnen gestoßen war: Jami hatte ihn einfach angeschleppt. Und der Boss war ja so stolz gewesen, dass man ihm so einen fähigen Kerl gebracht hatte. Seine Schießkünste waren nicht zu verachten, von den anderen Sachen ganz zu schweigen. Er war auch computertechnisch mehr als einfach nur begabt und seine unschuldig wirkenden Augen schienen jeden Menschen zu durchschauen…

Der Mann mit den Haaren, die er sich mittels eines Haargummis, der seine doch etwas lang geratenen Haare zusammenhielt, aus dem Gesicht gefegt hatte, glaubte ihr nicht, das war schlimm genug. Am besten sagte sie kein Wort zu viel. Es war schon selten, wenn eine Frau wie sie auf Brocken zurückgriff.

‚Warum fragt er mich direkt nach den Tokorozawas, was hat er mit denen zu tun?’ ging Vermouth durch den Sinn – oh wie gerne hätte sie ihm in den Kopf geschaut, um seine Gedanken zu kennen…

Anscheinend war er fertig damit ihre Augen und ihren Körper auf Anzeichen der Lüge zu untersuchen, er drehte sich zur Seite, jedoch hatte sie das Gefühl, dass er immer noch alles sah, obwohl seine Augäpfel nicht auf sie gerichtet waren.

Lautlos ließ sie ihre Hand in die Jackentasche gleiten, kaum hatte sie ihre Waffe herausgefischt, fegte er ihren Arm zur Seite, so dass die Waffe an seinem Ohr vorbei in Richtung der Straße zeigte.

„Wie kommt’s, dass du so gute Reflexe hast?“ Man konnte es ja mal versuchen, etwas rauszukriegen.

„Komm schon! Denkst du wirklich, dass ich deine kindliche Neugierde befriedigen werde? Da musst du dich schon geschickter anstellen“, er lachte dämonisch auf; nichts mehr von Unschuld an sich habend, verzogen sich seine Augen zu gefährlichen dunklen Schlitzen, von denen man kaum noch so etwas wie Farbe erkennen konnte, so sehr hatte er sie zusammen gekniffen.

„Hmpf“, entfuhr der Blondine, die seine Worte keineswegs als witzig empfand. „Bevor du andere versuchst auszuhorchen, pass lieber mal auf, dass man dich nicht mal aushorcht“, mit den Worten drehte er sich herum. Er spürte regelrecht die Waffe in seinem Nacken, auch wusste er noch ganz genau, wo die schöne Frau stand. Er griff ebenfalls in die Tasche, holte etwas Silber glänzendes heraus, bevor er sich halb herumdrehte und sie pfeilschnell etwas den Wind schneiden hörte. Es schoss geradewegs an ihrer Wange vorbei und streifte sie sogar. Einen brennenden Schmerz auf der Wange fühlend, stand sie regungslos vor ihm. Er in einer Position direkt nach dem Wurf. Den Arm vor dem Körper, während sein schwarzer Mantel im Wind flatterte. Nicht nur, dass er sie nicht gesehen hatte, sie hatte auch nicht ausweichen können. Aber das schlimmste war: Blut! Ganz deutlich bildete es sich auf ihrer Wange.

Mit Genugtuung betrachtete er ihre Wange, das Blut lief stellenweise nach unten.

„Richte NIE MEHR deine Waffe gegen mich, das kann ins Auge gehen!“

Er hatte ihren Wangenknochen gestreift, was jedoch Absicht war, er hatte sie nicht knapp verfehlt, das wusste Vermouth einfach. Der konnte was erleben, sie würde dem Boss sagen, was geschehen war und das auf dem schnellsten Weg. Was fiel der Mistkröte ein, ihr schönes Gesicht zu verletzen? Ja genau, das würde er sagen. Und sich von dem Typen verabschieden.
 

Conan war auf dem Nachhauseweg, er schaute zu Boden und achtete kaum auf den Weg; der Junge war einfach zu nachdenklich. ‚Warum ist alles so verzwickt? Und wieso musste Ryochi so dringend weg? Mir sagt ja wieder keiner etwas…’ Er ärgerte sich darüber so hängen gelassen zu werden, dabei wusste Ryo-kun doch, dass es ihn verrückt machte, nicht Bescheid zu wissen. Wahrscheinlich machte er sich gerade seine eigenen Gedanken. Wer der Geldgeber war, wussten sie immer noch nicht… Oder ließ man ihn schlichtweg außen vor? Er war an einem Punkt angelangt, wo er selbst seinem zukünftigen Schwager nicht mehr 100-prozentig vertrauen würde. Er verdächtigte ihn ja ohnehin, ein Mitglied der Organisation zu sein und so einem hatte er so viel erzählt – er hielt sich für komplett schwachsinnig. Sein Selbstvertrauen wurde immer wieder von dieser Bande geschrumpft. War er eigentlich naiv?

Da Conan nicht aufpasste, stieß er mit jemandem zusammen, wenig später hörte er eine bekannte Stimme.

„Conan-kun! Wo hast du denn deine Augen?“

Er schaute zu der weiblichen Stimme, die er sofort zuordnen konnte – er könnte es sogar im Schlaf.

„Ich war nachdenklich.“

„Ist es immer noch der Fall? Das ist doch nichts für Kinder… Du solltest das Paps und mir überlassen.“

Seine Augen wurden groß. „Nein, Ran-neechan, halt dich da bitte raus!“ Er hatte Angst; sie konnte doch nicht ernsthaft vorhaben, sich da einzumischen? Lag das nur daran, dass es sich um einen Fall ihrer Lieblingssängerin handelte oder war da noch mehr?

„Warum sollte ich das tun? Ich bin an der Wahrheit interessiert! Und ich weiß ja jetzt, dass wir ihm trauen können; er will auch die Wahrheit erfahren!“ Die Überzeugung in Rans Stimme machte ihn irgendwo doch panisch, sie sollte niemandem so schnell vertrauen, aber was hieß da bitte er? Sollte das heißen, sie wusste mehr als er?

Noch nie war er so kurz davor gewesen, ihr alles über diese Organisation zu erzählen, nur um sie von Dummheiten abzuhalten, sie war auch noch nie so nahe daran gewesen, in die Sache verwickelt zu werden.

Sie töten alle, die mit dir in Verbindung stehen…

Ai’s Worte gingen ihm durch den Kopf. Kogoro war bereits darin verwickelt; nicht auch noch Ran, das ertrug er nicht. Es war haarscharf gewesen, er hatte ihn geradeso retten können. Um ein Haar wäre sein zukünftiger Schwiegervater ermordet worden… unverzeihlich so ein Fehler.

„Du weißt, wer er ist? Wie hast du das herausgefunden?“ Das wollte er jetzt erst einmal ganz genau erfahren, wie gut sie Bescheid wusste.

„Ja – ich weiß es“, sie lächelte ihn an, das kam ihm auch total komisch vor – warum war sie so glücklich.

„Und?“ Musste man dem Mädchen denn wirklich jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.

„Es ist der Sänger von L’Arc~en~Ciel, der das alles nur tut, um den Schuldigen zu finden.“

Sie sagte es einfach so und was sie sagte, gefiel ihm gar nicht. „Nein, Ran – das geht nicht! Nein, er kann es nicht sein!!!!“ Er wurde total nervös und schüttelte mehrmals den Kopf, seine Stimme war auch quietschend laut geworden. „Erinner dich! ER hatte einen Auftritt, als das Geld am Bahnhof hinterlegt wurde! Keiner geht ein hohes Risiko ein bei so viel Geld – mir egal wie viel Geld er hat! Das tut keiner, auch keiner mit viel Geld! Er hatte keine Zeit kurz vor uns dort zu sein, da musste er längst im Studio gewesen sein!“

„Er hat einen Komplizen…“

Es kam wie ein Brett geflogen. Ein Komplize – er wusste nicht, ob ihm das jetzt schmecken sollte.

„Wer soll das sein? Es kann keiner sein, der ebenfalls im Studio war. Also wer?“

„Das weiß ich noch nicht“, antwortete Ran, aber das gab ihr wohl nicht den geringsten Anlass zur Sorge. ‚Ich ahne es… Wer war schließlich total schockiert, als die Leiche weg war?? Hat er damit zu tun? Aber warum? Woher soll er deinen Cousin kennen?’ Das wäre ja eine gute Tat, doch misstraute er Ichiro. Noch zu gut wusste er, dass er ähnlich wie Shinichi einfach so verschwunden war, kaum tauchte er auf, wurde er in einen Mord verwickelt – sehr verdächtig.

„Aber eines ist mir schleierhaft: Wie hast du herausgefunden, dass er es war? Ich will FAKTEN!“ Schon wieder kamen Worte von Conan, die furchtbar erwachsen klangen. Worte wie ~schleierhaft~ benutzte kaum ein Kind. Und er wollte Fakten. Wahrscheinlich hatte er einfach zu viel Kontakt zu ihrem Freund Shinichi gehabt, dass er seine Art unwillkürlich übernahm.

„Ich habe ihn gefragt! Ganz offen und ehrlich, wie seine Beziehung zu Kimiko aussah und ob er sie geliebt hat.“

‚Oh mein Gott, du hast was getan? Also wenn ich ein Täter wäre, würde ich auch sofort JA sagen! Und dir was vom Bären erzählen; Ran du bist so naiv…’

„Und das gibt der einfach so zu? Das glaube ich nicht! Von Natsumi weiß ich, dass er nicht drauf steht, zu viel zu verraten – so wie.. so… so wie Chris Vineyard!“ Und dann wollte sie ihm vertrauen, das ging doch nicht, immerhin hatte sogar Kita gemeint, er könne sich wunderbar total unschuldig stellen… Dabei waren seine Songtexte doch ein gutes Beispiel dafür, dass er nicht so ein unschuldiges Herz hatte, wie er vielen Glauben machen wollte. Er traute dem Kerl keinen Meter über den Weg.

Ja, den Vergleich fand er absolut passend – aber Moment! Wenn er so darüber nachdachte…

Chris Vineyard…

Blonde Haare…

Vermouth…

Hatte Ryochi ihm nicht gesagt, dass jemand dem Mörder geholfen hatte, der blonde Haare hatte?? Wäre es vielleicht möglich, dass auch SIE ihre Finger im Spiel hatte?

Da hatte er doch seine Verbindung mit der Organisation, alles gab plötzlich irgendwie doch einen Sinn.

Vermouth hatte Kontakt zu Rans Cousin, was für ihn nur einen Schluss zuließ…

Die Frau ging ihm mittlerweile mehr als auf den Geist mit ihren Verbindungen in seiner Familie und nun auch noch Rans Verwandtschaft, er konnte und wollte es nicht glauben – es war ein Albtraum schlechthin. Er stellte sich eben schon jetzt zu gut vor, was passieren könnte. Und wie immer hatten seine Vorstellungen mit vielen Leichen zu tun – unter ihnen Ran und Kogoro.

„Chris Vineyard? Die hatte auch ihre Finger mit drin, fürchte ich!“ gab ihm Ran als Antwort, für Conan wurden die Umstände immer bedrückender, er fühlte sich davon eingeengt. „Sie war schließlich auch auf der Party kurz vor dem Unfall. Es wäre interessant zu erfahren, ob die beiden sich kannten und wie sie sich verstanden haben. Kaum ein normaler Mensch würde Chris Vineyard mögen, es sei denn, er ist männlich; so wie Heiji.“ Sie wollte Kazuhas Freund nun wirklich nicht beleidigen, aber er hatte sie mal links liegen lassen, weil er nur an die tollen Brüste von Chris Vineyard gedacht hatte, sie konnte es nicht glauben. Und so was war Detektiv, wie konnte er diese Frau denn bitte mögen? Gut, sie machte optisch was her, aber reichte das schon? Sie strahlte etwas Grausames aus, ganz im Gegensatz zu Kimiko.

Dass Conan sehr in seinen Gedanken abgedriftet war, bemerkte auch Ran. Sie hatte ja immer gesagt, das war nichts für Kinder und sie bekam langsam das Gefühl, dass das nun die Auswirkungen von all den Mordfällen waren, in die ihr Kleiner verwickelt gewesen war.

„Was glaubst du, was passiert, wenn DER endlich weiß, wer Kimiko ERMORDET hat? Was denkst du, was wird passieren?? Es liegt jawohl klar auf der Hand, was ER dann tun wird!“ Dass Ran nicht von selbst drauf kam, wunderte ihn, sie war nicht dumm. Sie dachte nur noch nicht genug nach, um eine Detektivin zu sein. „Er will einem Kerl die schlimmsten Albträume geben, die er nie mehr vergessen wird… Er will, dass sie ALLE tot sind… Er will ihnen die gleichen Schmerzen zufügen… Ich denke, alles andere ist selbsterklärend!“

Ran schwieg und guckte auf den Boden.

„Wie oft hast du Leute kennen gelernt, die genau SO gewesen sind? Die nur die Wahrheit wissen wollten, um anderen damit schaden zu können?!“

Warum ließ sie sich von einem Kind eigentlich so anpfeifen? Er redete, als wüsste er mehr als sie, dabei war sie es doch, die ihn gerade aufgeklärt hatte. Es wehte sie wieder etwas Shinichi-ähnliches an und das behagte ihr nicht.

„Was soll das bringen? Rache bringt sie ihm auch nicht wieder“, kam leise, aber auch ein wenig verletzt von Ran, sie konnte so was eh nicht verstehen. Wie denn auch? Noch nie hatte sie im entferntesten daran gedacht, jemanden zu töten.

„Oh glaub mir, die die lieben, sind die allerschlimmsten. Sie sind erst zufrieden, wenn sie ihr verletztes Herz hinter Mord verstecken!“

Sie sah Shinichi vor sich und die Tränen zwängten sich immer mehr aus ihren Augenwinkeln. Er redete gerade überhaupt nicht wie ein Kind; wie konnte ein Kind denn bitte so etwas wissen?

Entweder hatte er zu viele Bücher aus Shinichis Haus-Bibliothek gelesen oder sie bildete sich ein, dass er genauso redete.

„Du willst also sagen, jemand der liebt, hat die Tendenz zum Mord?? Soll ich vielleicht auch denjenigen umbringen, der mir Shinichi weggenommen hat? Bin ich denn auch ein potenzieller Mörder, weil ich ihn so schrecklich vermisse??“

Als er so an ihr hochguckte und ihre verzweifelte Stimme vernahm, begriff er erst, dass sie wohl schon lange etwas ahnen musste, von dem Verbrechen, dem er zum Opfer gefallen war. Wieso sonst sollte sie annehmen, dass man ihr Shinichi weggenommen hatte?

Als sie sich wegdrehte und davonrannte, starrte er ihr nur nach. Wie gern wollte er alles ungeschehen machen. Wie oft hatte er sich gewünscht, ihnen niemals gefolgt zu sein? Wie viele Tage hoffte er schon, dass er sie endlich in seine Arme schließen konnte? So viele Tage war er nun schon ein kleines Kind – er wollte es ihr nicht so sagen; er würde sich beschränkt vorkommen. Auch wenn er sie immer wieder weinen hörte, ihren Kummer spürte – er konnte nicht.
 

Sêiichî hatte kaum das Präsidium erreicht, da kam ihm Miwako Satō entgegen, er wunderte sich, dass sie so in Eile war.

„Iwamoto, kommen Sie schnell mit; wir nehmen mein Auto!“

Er guckte ihr nach, wie sie losrannte, er wusste zwar noch nicht wirklich, was los war und was er damit zu tun haben sollte, aber er stand ja auf Überraschungen.

So folgte er der jungen Frau und stieg auch schnell in ihren roten Sportwagen ein. Er fand, sie hatte ein sehr schickes Auto, was er auch kommentieren musste. „Nette Karre“, meinte er in typisch männlichem Tonfall.

Miwako warf ihm einen empörten Blick zu, er sprach mit ihr wie mit einem Kerl.

„Was ist eigentlich vorgefallen, dass du so hetzt, Satō-san?“ Der junge Mann nannte jede andere Frau im Präsidium mit dem Vornamen, aber bei ihr hätte er das niemals einfach so gewagt. Sie verdiente seinen Respekt und seit er in Tokyo war, war sie ihm eine große Hilfe bei seiner Arbeit. Eine Frau als leitende Ermittlerin war etwas Neues für ihn…

„Wir haben einen Anruf erhalten!“ klärte sie ihren neuen Kollegen auf, ließ den Motor aufheulen, und drückte dann auf die Tube, zeitgleich warnte sie ihn vor ihrem Fahrstil, „festhalten!“

Sêiichî tat sogar wie ihm geheißen war, er hielt sich am Griff über seinem Kopf fest und dann bretterte sie los, so fuhren in der Regel nur Männer, die eine geile Karre hatten, so wie er. Aber er musste zugeben, Frauen, die solch einen Stil pflegten, regten sein Interesse ungemein an, es verdeutlichte nur ihren Charakter und diese Art von Frau gefiel ihm besonders.

Man erzählte ihm im Präsidium ja so vieles und es war stimmig mit dem, was er nun eh über sie dachte. Laut Erzählungen gab es keinen besseren und mehr verantwortungsbewussten Kriminalisten, wie diese Frau. Sie sollte immer das Gerechte tun und hatte verdammt viel Mut, mehr als die meisten Männer, es imponierte ihm.

„Welchen Anruf? Ein Mordfall?“

„Hoffentlich nicht!“

Sêiichî blinzelte einmal, weil er nicht verstand, was genau sie meinte. Sie schien noch nicht genug Details zu kennen. Die Polizeisirene jaulte auf, da sie diese auf das Dach geschoben hatte und nun alle Autos vor ihr den Weg frei machten. Sie fuhr auch unheimlich schnell.
 

Zur gleichen Zeit war Ryochi hingegen gerade noch mit Saki beschäftigt als sein Handy anfing zu klingeln und er ein Stöhnen von sich gab; er war noch gar nicht fertig hier, aber es schien ein wichtiger Anruf zu sein. Wenn es aus dem Präsidium kam, war es immer wichtig.

„Ja, was gibt’s?“

„Wo steckst du gerade?“ fragte ihn eine männliche Stimme, die er Naoya zuordnete. Wenn man ihn schon so fragte – das tat man wirklich selten ohne bestimmten Grund – war sicher etwas vorgefallen, vielleicht mit Tokorozawa.

„Wenn du in der Nähe des Haido-Bahnhofs bist, dann fahr bitte zu der kleinen Seitengasse, die dorthin führt. Iwamoto und Satō sind auch dorthin gefahren; ein Mädchen wurde von Männern belästigt und es wurde gesagt, dass MINDESTENS eine Waffe im Spiel ist. Ich mach mir etwas Sorgen; dein Freund ist da ja etwas hitzköpfig und Satō nicht weniger.“

Woraus Naoyas Sorge bestand, war deutlich, obwohl es ihn wunderte, dass er es so deutlich rauskommen ließ. Wie er seine Worte schon wählte: Dein Freund ist da ja etwas hitzköpfig!

Woher wusste dieser Mann das alles so genau? Er würde es aber schon noch rausbekommen.

„Bin auf dem Weg!“ Er legte auf und meinte dann zu Saki: „Ich komm später wieder, ich hoffe du bist dann noch da, ansonsten ruf mich an, muss ganz schnell weg!“

„Okay… Ich bin heut den ganzen Tag zu Hause“, verriet sie ihm und er nickte. „Bis dann!“
 

Auch Wataru Takagi und Ninzaburō Shiratori hatten einen Funkspruch erhalten und sie waren am nächsten dran, da sie Hiroya ganz in der Nähe aufgespürt hatten.

Es war also kein Wunder, dass sie noch vor Miwako Satō und Sêiichî Iwamoto am Tatort eintrafen. Schon als sie aus dem Auto stiegen, nahmen sie ihre Waffen zur Hand. Der kleine Menschenauflauf direkt bei der Seitengasse machte sie sofort aufmerksam; sie rannten direkt hin und wollten ihre Waffen schon auf Verbrecher richten, als sie das Desaster sahen.

Shiratori drehte sich zu den beiden Männern und Sonoko herum, bevor er sie auch gleich ansprach. „Hat einer von euch die Polizei gerufen?“ Er mochte es nicht sonderlich, wenn Leute ihre Namen nicht sagen wollten.

„Ich war’s.“ Der Jüngere meldete sich zu Wort, während der Ältere noch Sonoko tröstend in den Armen hatte.

Er wandte sich an Ken. „Und dem Mädchen ist nichts weiter zugestoßen?“ Das klang alles sehr haarsträubend. Sie lebten, stattdessen waren die Männer tot.

„Nein, sie is’ ok!“

„So-So was macht doch kein normaler Mensch.“ Jeder normale japanische Mensch – wie Tetsu – bekam es mit der Angst zu tun, wenn es um so etwas ging. Nur Yakuza würde so etwas einfallen, jedenfalls dachte er sich das. Man, wieso musste er sich in so was einmischen? Es war noch keinem bekommen, sich in die Angelegenheiten der Mafia zu mischen.

„Was ist passiert, Sonoko-chan?“ wollte Wataru jetzt von dem Mädchen wissen, in dessen Augen noch Tränen standen und welches sich in die Jacke des Mannes krallte.

„Die wollten mich mitnehmen!“

„Wie?“ Ken war etwas überrascht, es hatte nicht ausgesehen, als wollten sie sie NUR entführen. Der Kerl war dem Mädchen gegen ihren Willen so unsittlich auf die Pelle gerückt, dass ihm schlecht geworden war. „Darf ich dazu was sagen?“

„Was denn?“ Gerade in dem Moment als Wataru nachhakte, hielt ein roter Sportwagen nahezu quietschend und Staubwolken aufwirbelnd in direkter Nähe; zwei Kriminalisten stiegen aus.

„Mou ii!“ Ken klatschte sich die Hand vor’s Gesicht, das war ja ein regelrechter Auflauf. „Was hast du denen denn bitte erzählt, Tetsu? Wie sehr hast du übertrieben, dass sie nun schon zu fünft gekommen sind?“

Miwako und Sêiichî waren etwas verwundert, als sie die kleine Gruppe sahen. „Was ist hier los? Wo sind die Täter?“

„Ich fürchte, tot“, antwortete Wataru, sofort ging ein scharfer Blick in Richtung der zwei Männern.

‚Oh Vorsicht, bissig!’ fiel Ken dazu nur ein, er legte sein charmantestes Lächeln auf. „Sie verdächtigen doch wohl nicht mich?“ Seine Stimme klang wie von einem unschuldigen Engelchen.

Sie nahm einen seiner Arme und überprüfte ihn auf Spuren, den anderen Arm blickte sie ebenfalls an, dann musste er seine Jacke ausziehen und wurde auf Waffen untersucht. Tetsu bekam einen Schreck, als sie es auch bei ihm machte. Aber es war wohl ihr Job und sie schien ihn korrekt auszuführen.

„Also ich war es, der angerufen hat und er ist hingelaufen. Ich habe aber nicht gesehen, was passiert ist.“ Jetzt so im Nachhinein interessierte es ihn doch, wer es gut mit seinem Gitarristen gemeint hatte, die hatten sich jawohl nicht selbst umgebracht…

„Es kamen plötzlich Schüsse vom Dach“, meinte Sonoko, natürlich wollte sie ihr IDOL schützen, was das anging, er hatte ja nichts Schlimmes gemacht.

„Ich glaube nicht, dass Sonoko-chan uns belügen würde, Miwako“, legte Wataru ein, er wusste ja noch nicht, dass sie total auf seine Band stand, noch hatte er mitbekommen, wer er war.

„Wahrscheinlich glaubt er noch an Weihnachten“, musste Shiratori doch ein wenig klugscheißen. Er kannte Sonoko, es gab weit und breit kaum ein Mädchen aus seinem Bekanntenkreis, das ein größeres Groupie-Verhalten an den Tag legte, als sie und ihr wollte er anstandslos alles glauben?

„Hast du was gefunden, Satō-san?“

„Nein, sie sind beide unbewaffnet und haben keine Schmauchspuren. Sieht wirklich so aus, als wäre noch jemand involviert gewesen.“ Sie wandte sich wieder an die beiden Männer. „Und die Schüsse, hat einer von euch etwas gesehen, eine Person oder wenige Details, das alles ist wichtig!?“

„Ich bin erst hingerannt, da war es schon passiert“, antwortete Tetsuya und war echt froh nicht in Kens Haut zu stecken, aber auch geschah es ihm Recht, er musste damit leben, dass sie ihn nun ausquetschen würden wie eine Zitrone – was rannte er auch hin?

Als er zunächst noch schwieg, fragte sich Tetsuya, was er wohl gesehen hatte, man sah ihm das an.

„Also, wenn ich ehrlich bin“, die Worte klangen so unvollständig und die Pause war zu lang, was wohl daran lag, dass er sich seine Zigaretten aus der Jackentasche fischte.

Tetsuya verdrehte gleich die Augen – aus irgendeinem Grund hatte er gewusst, dass das kommen würde. Die waren halt alle abnormal, nur er war normal. Wie konnte man nur rauchen? Er fand’s widerlich.

„Ja??“ Miwako musste nachhaken, sonst kam da nie wieder was.

„Wer rechnet schon damit, dass so was passiert?! Ich wusste zwar, worauf ich mich einlasse, aber in dem Moment als die Schüsse fielen, war ich damit beschäftigt Angst zu haben – man hat mich nämlich mit einer Waffe bedroht. Würden Sie da in der Gegend rumgucken?“

Man wollte Miwako ein bisschen ja den Schneid abkaufen, obwohl es nicht klang, als wenn er sich lustig machte, sondern ernst.

‚Du machst wohl Witze!? Du wusstest worauf du dich einlässt? Ja klar, du bist hingerannt, weil du von vorne herein wusstest, dass sie bewaffnet waren! So bescheuert kannst nicht mal du sein… So was würde nur Sakura bringen, der ist so lebensmüde… Was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann!’

Es waren erneut ein paar Minuten verstrichen, weshalb nun auch Ryochi eintraf, was wirklich aussah, als würde man aus einer Mücke einen Elefanten machen. ‚Entweder halten die das aus irgendeinem Grund für einen Yakuza-Anschlag, oder Tetsu hat ihnen erzählt, dass es sechs wären, damit sie schneller kommen…’ Ihm war das zuzutrauen, dass er total übertrieb, er hatte das Gespräch mit der Polizei ja leider nicht mitbekommen. Na ja, wenn er ehrlich war, es sah auch wirklich alles andere als harmlos aus. In den Nachrichten hatte er bereits heute Morgen von einem gestrigen Mordfall in Haido erfahren – der Ort war anscheinend verflucht, oder wieso passierte hier ständig so etwas? Wie gut, dass er nicht so nahe dran wohnte und es bei ihm friedlich war.

Auch Kimiko war in diesem Stadtteil ums Leben gekommen und nicht nur sie, auch Kita…

„Allmählich kann ich diesen Ort nicht mehr leiden“, noch während Ken diesen Satz sagte und zwischendrin seufzte, bevor er fortfuhr, stieg Ryochi aus seinem Auto aus, „ständig passiert so etwas!“

Ryochi hörte noch das Seufzen des Mannes, doch auf den ersten Blick war keiner tot; wie er es sagte, war es wohl auf diesen Stadtteil bezogen, in dem es so manches Mal besonders schlimm zuging. Aber es schien schon vorbei zu sein.

„Alles okay bei euch?“ hinterfragte er das Ganze dennoch einmal und bekam ein Kopfschütteln von Chiba.

„Es ist alles sehr merkwürdig, Ryo-san!“ meinte er. „Die Männer, die dem Mädchen wohl aufgelauert haben, wurden vom Dach aus erschossen, jedenfalls sagte das Mädchen das. Die beiden anderen haben nichts gesehen.“

„Konntest du denn etwas sehen, Sonoko?“ versuchte Ryochi von dem 18-jährigen Mädchen zu erfahren.

„Nein, ich saß mit dem Rücken an der Wand und machte mir total Sorgen um Ken-chan!“

„Ach was, leb ja noch, ne?“

Tetsuya gab ihm einen Katzenkopf. „Ja, Gott sei Dank, das hätte auch schief gehen können!“

„Itaaai!“

Ryochi ging zu der Seitengasse und betrachtete sich das WERK. Er hätte einen Besen fressen können, wenn das nicht Organisationsmitglieder gewesen waren und derjenige, der sie getötet hatte, er war ein geübter Schütze. Er begann sich das Ganze genauer zu betrachten, auch wenn er bereits einen Verdacht hatte. „Sêiichî, komm her!“ meinte er, was wie ein Befehl klang und den Angesprochenen sofort zu seinem Freund gehen ließ, bisher hatte er nicht viel gesagt, um nicht zu sagen, er hatte geschwiegen.

„Schau dir das an! Und sag mir einfach nur, ob ich richtig liege!“

Sêiichî beugte sich runter und betrachtete eine der Wunden am Kopf.

„Und? Ist es eine Kimar?“ wollte Ryochi leise flüsternd wissen und Sêiichî nickte.

„Um genau zu sein, es ist die 8mm Kugel einer Kimar CZ 75“, verriet Sêiichî ihm ehrlich, obwohl er genau wusste, was Ryochi in dem Moment dachte. Ihm war bewusst, dass er seine Waffe mit Namen kannte, obwohl Pistolen und Gewehre eher Sêiichîs Fachgebiet waren. Er konnte anhand einer Kugel feststellen, um welchen Waffentyp es sich handelte. Als Killer in der Organisation musste man so etwas einfach wissen, aber das war nicht der Grund dafür. Sein Vater hatte Waffen gesammelt, Sêiichî hatte sich die augenscheinlich beste Waffe ausgesucht.

Als der Detektiv aufstand und zu den Dreien hinüberging kam todernst, „Da hattet ihr Glück, dankt demjenigen, der das war“, von ihm, was nicht nur die beiden Männer zunächst etwas entsetzte, sondern auch seine Kollegen. Miwako konnte nicht fassen, dass der vernünftige Ryochi einem Mörder danken wollte, auch wenn derjenige wohl den Retter in der Not gespielt hatte; er war eindeutig kein Polizist aus der Nähe und hatte eigentlich nicht das Recht dazu, aber noch schlimmer fand sie es, nicht dazu zu stehen. Was hatte derjenige bitte zu verbergen, dass er abhaute? Es war ja ohnehin Nothilfe, man würde ihn kaum dafür verurteilen, es sei denn, er hatte mächtig Dreck am Stecken.

„Mhm…“

Sonoko blickte an Ken hoch, der doch noch ein Stück größer als sie war, er machte einen nachdenklichen, fast schwermütigen Eindruck.

Der 26-jährige war schlichtweg ziemlich mit den Nerven fertig, weil er gesehen hatte, dass es eine Frau gewesen war, denn in dem Punkt hatte er sich sicher nicht getäuscht – aber Cat? Kimikos Freundin? Das glaubte er einfach nicht… Da hielt er sich eher für total schwachsinnig. Was aber nicht hieß, dass er es für unmöglich hielt. Es gab Frauen, denen würde er sofort einen Mord zutrauen, aber es war ja bekannt, dass solche, die am harmlosesten aussahen, die schlimmsten waren – konnte man aber auch auf Männer beziehen.

„Ich glaube weniger, dass er ihm dankt, Ryochi“, meinte Sonoko beleidigt, „dank demjenigen hat er zwei Leichen sehen müssen, ich glaub, er ist traumatisiert!“

‚Traumatisierte Leute sehen anders aus, Sonoko’, dachte Ryochi. Eher sah man dann aus wie der andere, er war blass und es war unter Garantie das erste Mal, dass er so was aus nächster Nähe gesehen hatte.

„DU solltest demjenigen auch danken!“ Es war ein Anfahren auf Ryochi-Art, er war nicht laut, aber klang doch ein kleines bisschen sauer. „Dein KEN-CHAN könnte nämlich genauso gut an deren Stelle jetzt da liegen… Es ist FAKT, dass derjenige euch allen das Leben gerettet hat, also rede nicht so leichtfertig von so was. Es gibt Menschen, die nicht dieses Glück haben.“

Es lag wohl an der Tatsache, dass es sich um eine Kimar handelte, dachte Sêiichî und weil er sie beide irgendwie ja deckte. Wie oft hatte er wie Yuichi so etwas getan und auf Mörder geschossen, um ein Mädchen oder andere Leute zu retten?

„Sie meint es ja nicht bös’, Ryo-chan! Sie ist noch ein Mädchen, das auch noch zum Opfer geworden ist. Du musst sie verstehen, also wenn ich in Gefahr wäre und Chris Vineyard würde mich retten und dabei fast sterben, würde ich auch so etwas sagen.“

Dass sein Freund so etwas sagen musste und auch noch Chris erwähnte, er fasste es nicht, wie konnte er nur so offen zur Schau stellen, dass er Chris Vineyard mochte.

„Ich bin aber nich’ Chris Vineyard, will ich mal klar stellen!“ Es klang ein bisschen trotzig, bestimmt gefiel es Sêiichî kein bisschen, dass jemand sein Schwärmen nicht nachvollziehen konnte.

„Hey, sachte! Diese Frau hat Klasse und auch noch einen wahnsinns Vorbau.“

Ken verdrehte die Augen, als er den jungen Mann – ja er hielt ihn für unreif – so reden hörte. Chris hatte Klasse, das fand er überhaupt nicht – wenn jemand Klasse hatte, dann war es Rena Mizunashi. „Und denkt, dass sie bei jedem landen kann, so eine Frau kann doch unmöglich einen Mann richtig lieben, Männer sind ihr Spielzeug.“

„Also deren Spielzeug würd’ ich aber gern sein, du nicht?“

„Nee danke, gibt’s besseres.“ Er winkte ab und Miwako grinste, da Sêiichî es ihm wohl übel nahm, dass er so von seiner angebetenen Chris sprach, es war ja kein Geheimnis, dass er alle Filme von ihr hatte und sie vergötterte. Sie war wohl seine absolute Traumfrau und er hörte ungern von einem anderen Mann, dass er unter Geschmacksverkalkung litt.

„Ich bitte euch, wir sind bei einem Fall, benehmt euch nicht wie Kinder. Chris Vineyard ist kein Thema, Iwamoto!“ Miwako konnte nur den Kopf über Sêiichî schütteln. Er konnte hier doch nicht mit ihm anfangen zu streiten, weil er anderer Meinung war, na ja, er war eben ein Mann und auch noch einer, der viel von sich hielt. Aber der andere, der schien noch mehr von sich zu halten und gab sich nicht gern mit billigem Zeug ab.

„Wirklich, Sêiichî“, legte auch Ryochi ein, „ du bist unmöglich – was für ein Bild vermittelst du bitte von unserer Polizei? Du solltest dich schämen“, selbst auf der Arbeit zog man ihn auf, was ihm natürlich gar nicht passte.

„Ich schick die Spurensicherung her, damit sie den Tatort absperren und untersuchen“, meinte Wataru wenig später und begann im Präsidium zu berichten, was geschehen war…

Nur Wataru ritt nicht so darauf herum, weshalb er sich auch gleich um die wirklich wichtigen Sachen zu kümmern begann; Sêiichî tat ihm ein bisschen Leid, sie gaben ihm ja richtig Feuer.

„Ich nehme dann solange die Personalien auf.“ Chiba wollte sich wenigstens auch mal ein bisschen wichtig machen.

„Lass mich das machen“, zwängte sich Sêiichî dazwischen und schob Chiba weg, so dass dieser ihn etwas verwirrt ansah.

„Die Namen weiß ich schon, denk ich jedenfalls…“ Er fing an zu schreiben. Miwako schämte sich so für Sêiichî, der nun auch noch ein Kleinkinder-Verhalten zeigte, schlimmer als Sonoko.

Wataru fand es zwar auch komisch, dass Sêiichî die Namen schon kennen wollte, aber auch gut, er gesellte sich neben ihn und versuchte seine Schrift zu entziffern, er hatte eine sogenannte Sauklaue.

„Hehehe, gleich weiß ich auch eure Adressen“, kicherte Sêiichî vor sich hin, während zumindest Shiratori und Takagi sich fragten, was mit ihm los war.

„Kitamura, Ken? Und O-O-Ogawa,Tetsuya?“ Er tat sich schwer damit Sêiichîs Schriftzeichen zu lesen. „Woher weißt du das, kannst du hellsehen?“

‚Ken?? Tetsuya??’ nachdenkend stand auch Ryochi da, er kam aber noch vor Wataru darauf.

„Also Sêiichî, du enttäuschst mich, hast du das Ufer gewechselt?“ Da die anderen ja schon so lustig drauf waren, er wollte nicht den deprimierten markieren und etwas Spaß machen. Dass er es wusste lag daran, dass er sich die CD genau angeschaut hatte und hatte die Namen entdeckt, da war es nicht schwer draufzukommen, er hätte sie fast nicht wieder erkannt, dabei war er ihnen im Krankenhaus noch über den Weg gelaufen.

„Ach sei ruhig“, er fand es gemein, wieso durfte er nicht auch mal etwas mögen, ohne dass man ihn gleich aufzog? Sêiichî war zwar beleidigt, aber er fand es sehr praktisch, gleich noch deren Adressen zu kriegen, doch dann nahm Miwako ihm den Notizblock aus der Hand. „Du machst nur Mist damit, lass mich das erledigen.“

„Hey!“ schmollte Sêiichî, wieso wurde er ständig beiseite geschoben?

„Also, einer hübschen jungen Frau geb’ ich doch gern meine Adresse“, kam es charmant von Ken und Wataru fand das gar nicht witzig, dass ein anderer sie für hübsch hielt und ihr das noch offenbarte.

„Ganz im Element, was? Aber wir sind hier ja nicht bei einer Show, brauchst dir nicht so viel Mühe damit geben, dass man dich für einen Macho hält!“

Sonoko schmollte ein bisschen, da er sich um Miwako kümmerte und sie auch noch so anlächelte. Sie versuchte natürlich zumindest mal auf Miwakos Notizblock zu gucken, so viel Glück hatte man ja nicht alle Tage.

„Er ist 50% ein Macho und 50% einfach nur nett zu Frauen“, entgegnete Tetsu, es war ja nichts Schlimmes.

„Man ist nicht gleich ein Macho, wenn man Frauen liebt“, äußerte Ken, ein bisschen musste er sich ja verteidigen, er empfand sich nicht als Macho.

‚Klingt nach Jami’, dachte Sêiichî und seufzte doch ein bisschen, er war wohl kaum Jami ähnlich, aber dieser war auch so scheißnett zu Frauen und ein Macho.

„Machos, das sind Kerle wie Kimikos Exfreund, sie haben keinen Respekt vor Frauen und brechen ihnen das Herz!“ Dass Machos nie vor einer Frau heulen oder über ihre Gefühle sprechen würden, verkniff er sich.

Spätestens jetzt war Sêiichî ein bisschen schlecht, am Ende meinte man sie beide, es würde jedenfalls auf sie zutreffen.

Dass er auf Kimiko zu sprechen kam, war Ryochi glatt recht. Er konnte ruhig weiter reden und Sêiichî sollte jetzt gefälligst nicht beleidigt sein, dass seine Exfreundin anderen davon erzählt hatte, wie man sie behandelt hatte, da war er selbst schuld, immerhin hatte er sich wie ein Schwachkopf aufgeführt, dem nur Sex wichtig war.

„Du kennst… ich meine kanntest Kimiko näher?“ erwiderte Sêiichî dem um 2 Jahre älteren Mann, woraufhin dieser erst schwieg, bevor er überhaupt auf die Frage antwortete.

„Ach, lass raten, du auch?“ Es hätte ihn ja gewundert, wenn sie wirklich nur Freunde in der Musikszene gehabt hätte, sie hatte eine Vergangenheit, so wie sie alle. Es gab ein Leben vor der Musik.

„Wir sind auf dieselbe Schule in Kyoto gegangen.“ Sich als ihr Freund zu bezeichnen, machte ihm wohl etwas Angst, da er sich so auf Machos bezogen hatte.

„Dann mein Beileid.“

„Ist nicht mehr zu ändern…“

„Das nicht, aber man kann das Beste d’raus machen.“ Aus irgendeinem Grund wehte Ryochi gerade so etwas an. Er war haargenau der Typ Mann, den Kimiko mögen würde… Und nicht nur das, er klang gerade furchtbar traurig darüber, dass sie tot war.

„Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ein guter Detektiv etwas genauer den Fall beleuchtet und alles Ungereimte aufdeckt! Da sind nämlich einige Dinge, die mich stören.“

Es klang als hätte er den Verdacht, dass es kein einfacher Unfall gewesen wäre und dass ihn das total störte, nicht Bescheid zu wissen.

Sonoko war nach seinem Gesagten total verwirrt.

Was - er?

Nein, nein, das ging doch nicht.

Er hatte doch selbst gesagt, er hatte keine Freundin; er war solo.

Das alles war doch nicht wahr…
 

Auf der anderen Seite der Straße war eine kleine Mädchengruppe zu finden, welche neugierig das Geschehen beobachtete. Sie versuchten Wortfetzen aufzuschnappen und pirschten sich schon seit einigen Minuten näher ran; bis man sie von hinten ansprach.

„Was zum Henker wird das, wenn es fertig ist?“ fuhr man sie von hinten an. Die junge Frau war sehr aufbrausend und hatte die Kinder eigentlich im Griff.

„Ihr sollt doch nicht immer abhauen, was soll Oma sagen??“ Sie stöhnte genervt und packte die Jüngste am Arm. „Du kommst mit!“
 

Arisa (15) Hisakawa; Sängerin/ Schülerin
 

Das dunkelbraunhaarige Mädchen wurde nach hinten gezogen und wehrte sich vehement dagegen von der kurzhaarigen Frau mit schwarzem Haar mitnehmen zu lassen.

„Es ist deine Oma, nicht meine!“ wehrte sich das Mädchen und versuchte sich aus dem Griff der 1,65 Meter großen Frau zu befreien, sie mochte sie nicht und wollte nicht von ihr angefasst werden.
 

„Sei doch nicht so böse zu unserem Sempai“, meinte daraufhin ein weiteres Mädchen, sie war eine Freundin und Schulkameradin von Arisa und nannte sich Miyuki.
 

Miyuki (17) Iwasa; Sängerin/ Schülerin
 

Die 20-jährige seufzte schwer. Sie hatte ja nun echt nichts gegen Kinder, aber sie stressten sie völlig. „Hör zu, Arisa-chan; deine Oma hat gesagt, ich soll gut aufpassen, besonders hier in Haido ist es gefährlich!“ Sie nahm sie nun wieder am Arm und zog sie entlang der Gasse, als sie eine Person ausmachte, dass sie ihren Augen nicht zu trauen wagte.

ER und eine Horde Polizisten; sie bekam geradezu einen Schreck und versteckte sich mit Miyuki und Arisa hinter der Mauer.

‚Was will er bei der Polizei? Warum redet er mit denen? Was soll das? Ich dachte, die Sache sei für ihn jetzt endlich gegessen?? Verdammt, warum interessiert dich der Fall immer noch so? Du bist ja schlimmer drauf als Hideto, der nimmt’s wenigstens hin, wie’s is’…’ Es erschreckte sie zutiefst, dass er schon wieder so ein Interesse an einer anderen Frau zu haben schien…
 

„Komm, lass uns mal nachschauen, was da so los ist“, zwei weitere Mädchen – Shiori und Chihiro – konnte die junge Frau nun nicht davon abhalten über die Straße zu rennen.

„Halt!“ rief sie ihnen nach, doch sie hörten nicht. „Oh, na toll – war ich eigentlich auch so, als ich in dem Alter war?“ Sie seufzte tief. Es war ja ironisch, sich diese Fragen zu stellen, zumindest wenn es um einen bestimmten Mann ging, hatte sie oft nur an Blödsinn gedacht, er hatte sie immer zur Vernunft bringen müssen. Wie oft hatte sie einfach von zu Hause abhauen wollen, um bei ihm zu sein? Ihre Eltern waren immer sehr streng gewesen und sie in einem Alter, in dem man einfach nicht mit über 20-jährigen verkehrte.

Na ja gut, dann würde sie eben auch hingehen. Wirklich erinnern tat sie sich nicht, dass sie so drauf gewesen war. Sie hatte sich in diesem Alter bloß für Gitarren und Metal interessiert, war eben ein sehr extremer Spezialfall und nicht wie die meisten anderen Mädchen. Kein Wunder, wenn sie nun auch in der Liebe Gitarristen mochte.
 

„Urg…“ Als das Geräusch von Tetsuya kam, wurde er von allen, einschließlich Ken angesehen. „Da ist Ikezawas Schwester, lass uns verschwinden…“ Dass er ihn und sie nicht mochte, hörte man sofort, was seinem Freund ein Seufzen entlockte. „Musst du schon wieder so eklig zu ihr sein? Untersteh dich! Sie kann nichts dafür, dass sie mit ihm verwandt ist.“

„Mal davon abgesehen, dass ihre richtige Mutter eine Geliebte von ihrem Vater war – ich würde es sogar vorziehen, in einem Polizeiauto zu fahren, nur damit ich sie nicht sehen muss.“

Sêiichî blickte sich um, da er sie nicht gleich sah, dafür aber die zwei Mädchen, die es eilig hatten über die Straße zu kommen.

„Achtung, euer Fanclub kommt angerauscht!“ meinte Sêiichî ganz frohlockend sagen zu müssen.

‚Ach, halt den Mund, Sêiichî, auf deine blöden Sprüche habe ich gerade gar keine Lust und am besten bleibt die Kleine drüben… Wieso kommt die ausgerechnet jetzt?’ Durch den Kommentar hatte er ja erfahren, wer die junge Frau war.

„Ist das Yui Ikezawa?“ fragte er ganz vorsichtig nach, von Saki wussten sie ja, dass sie ziemlichen Krach mit Kimiko gehabt hatte, weshalb er sich jetzt einfach mal für alles interessierte, was mit dieser Person zu tun hatte.

„Tetsu kann sie nicht ausstehen – aber ihren Bruder noch weniger, der befindet sich auch auf einem ziemlich absteigenden Gleis – leider.“ Es hatte Zeiten gegeben, in denen er noch nicht so schräg drauf gewesen war: Keine Frauen belästigt, seine Freunde nicht beleidigt und ihn nicht gegen sie versucht hatte auszuspielen.

„Ja – das weiß jawohl jeder.“ Es tat Ryochi beinahe Leid, dass er das sagte, aber man kam ja so vieles durch die Nachrichten mit. Der Kerl war ein Rüpel von der schlimmsten Sorte, hatte der keine Gefühle oder tat er so als ob er keine hätte? So sicher war er sich nicht. „Aber was hat man gegen seine Schwester?“

„Sie is’ ein Miststück.“ Mehr musste man dazu eigentlich nicht mehr sagen. „Wenn man weiß, aus welcher Familie beide kommen, wundert das keinen mehr.“

„Tetsu, sei ruhig – du musst SIE nicht bei jedem schlecht machen, weil’s bei mir nicht funktionieren will…“ Er konnte das überhaupt nicht nachvollziehen. Dass sie ein Miststück war, konnte er nur bedingt zurückgeben. Sie war zickig und tat, was ihr gefiel, das war nicht unbedingt was Schlechtes. Nur übte sie es stärker aus als zum Beispiel Kimiko.

„Sie hat als Kind versucht ihre Adoptivschwester loszuwerden! Wieso soll ich so jemanden mögen?“ Er wollte ihm ja nur klarmachen, was für eine sie war, bei ihr dachte er ja leider mit viel zu weit unten – und war leicht liebesblind.

„Jetzt reicht’s aber wirklich!“

‚Ist ja wie mit Sêiichî und Jamie, wenn’s um Chris geht’, dachte sich Ryochi, wobei er sich fragte, wer von beiden wohl in dem Fall Recht hatte.

Aber die Streiterei verging, als die Mädchen es zu ihnen geschafft hatten. Beide sagten nichts mehr über Yui, da diese ebenfalls etwas hätte mitbekommen können.

„Hey – so ein Zufall, dass wir uns hier treffen.“

„Könnt’ ich drauf verzichten“, zischte Tetsu und versuchte dieses Weibsstück zu ignorieren. Vorhin noch hatte Ken über Frauen wie Chris Vineyard gehetzt und dann himmelte er Ikezawas kleine Schwester an – das passte irgendwo nicht zusammen, die war doch ganz genau der Typ Frau, nur jünger. Schon wenn er dran dachte, wie sie sich manchmal eingemischt hatte. Sein Freund war gerade mit einer anderen Frau zugange und sie war auf sie losgegangen.

Natürlich hatte die Schwarzhaarige schon lange bemerkt, was er von ihr hielt und versuchte nicht gegen ihn anzugehen. Das brachte in erster Linie überhaupt nichts.

Die Mädchen wollten natürlich gleich ihre Neugierde befriedigen und wurden von Ryo und Ken davon abgehalten. „Das is’ nichts für Kinder, was macht ihr überhaupt hier?“

„Arisa will nicht hören, dabei hatten wir eigentlich vor ins Studio zu gehen, wir haben da nämlich einen Termin, aber mit Terminen haben sie noch so ihre Probleme.“

„Na ja – sind Kinder! Die nehmen das noch nicht so ernst“, er zuckte mit den Schultern.

„Ich nehme den Termin sehr ernst, aber ich lasse mir von Ikezawa-kun nichts sagen, sie ist nicht meine Mutter und hat mir nichts zu sagen!“

So war das eben mit Kindern. Wenn man ihnen etwas sagen wollte, wurden sie gleich sauer und man war der Böse.

„Seid so lieb und geht mit Yui ins Studio, wenn sie euch extra einen Termin dort macht, sie macht das nämlich nur, weil sie euch gern hat, ne?“ Er zwinkerte Yui zu und diese musste fast lachen. So ganz stimmte das nämlich nicht.

„Kimiko ist viel cooler gewesen, mit ihr wäre ich lieber in ein Studio gegangen.“ Es bildete sich ein Schmollmund, wieso hatte man ihr nun diese dumme Kuh aufs Auge gedrückt.

„Nun sei nicht gemein, Kleines, immerhin hat Yui-chan euch ihre Musik beigesteuert. Kimiko ist bei den Engeln, sie kann nicht mit euch ins Studio gehen. Meinst du nicht, dass es sie nicht auch traurig macht, nun alleine mit euch zu gehen?? Sie wäre doch viel lieber mit Kimiko gemeinsam gegangen, um Musik zu machen. Sieh, sie sind ein eingespieltes Team.“

So ganz überzeugt schien Arisa nicht zu sein. „Eingespieltes Team? Yui und Kimiko? Das glaubst du doch selber nicht – so wie ich mitbekam, haben sie sich ständig darum gestritten, wer jetzt die Kompositionen machen darf! Sie haben sich ständig gestritten, weil Kimiko eben die besseren Ideen hatte. Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ihre Band nur Krach gemacht.“

„Du bist ganz schön frech, meine Liebe, das macht man nicht! Und ich mache nur Krach??“ Das war ja echt ungeheuerlich, ihre Gitarre machte keinen Krach, wie konnte sie sie so beleidigen.

„Ja, du kannst nur Krach machen, es sei denn man sagt dir mal, wo es lang geht.“ Man streckte der 20-jährigen die Zunge raus.

„Yui spielt sehr gut Gitarre“, legte Ken ein, er fand es schrecklich, dass sie so auf Yui losgingen, sie hatte wirklich Talent zum Gitarre spielen und das als Frau, nur tat sie sich eben noch etwas schwer, die anderen Instrumente miteinander zu verknüpfen. Es stimmte, dass Kimiko davon mehr Ahnung gehabt hatte, aber in Sachen Gitarrenspiel konnte ihr nicht mal er selbst was vormachen. „Sie ist keine Komponistin. Gitarre ist ja auch das Einzige, was sie richtig beherrscht, seid nachsichtig. Wozu ist man in einer Band, wenn man am Ende doch alles alleine macht? Da kann man’s dann auch lassen und sich auf Solopfaden bewegen.“

„Das hatte Kimiko ja auch vor, was ich gut verstehen kann“, meinte das Mädchen ehrlich, sie nahm kein Blatt vor den Mund, was ihre Meinung anging, „bei einer so schrecklichen Person.“

Sonoko verhielt sich ruhig, obwohl sie meist immer am lautesten war, weshalb Wataru sich zu ihr gesellte und eine Hand auf ihre Schulter legte, was sie total erschreckte und zusammenfahren ließ.

„Was ist los?“

„Hach~…“

Wataru blinzelte sie an, sie machte einen verliebten Eindruck. „Ich wünschte, er würde mich so in Schutz nehmen! Er scheint sie beide sehr gern zu haben: Kimiko und Yui.“

„Na ja – er wird sie näher kennen; kommen ja beide aus der Musikbranche.“

„Fragt sich nur wie nah, er soll mit beiden was gehabt haben; ich will es nicht glauben, der’s viel zu nett für so was.“ Der Kriminalist dachte darüber nach und empfand das nicht so, da er Leute kannte, die ihm ähnlich waren und doch nicht nett genug, um so etwas zu tun. „Ach weißt du, Sonoko, Männer sind in der Hinsicht seltsam. Selbst die nettesten können sich als Fehlschlag herausstellen und dich betrügen. Männer wie Sêiichî sind überall beliebt, weil sie so nett sind, aber das ist alles nur Schau, in Wirklichkeit tun sie das nur, um Frauen zu erobern. Meine kleine Schwester kannte genug solcher Typen und die waren alle nett zu ihr, so dass sie sich in sie verliebt hat.“
 

„Wie sieht’s aus, wird das heute noch was? Oder willst du weiter bockig sein, Arisa?“ Es brachte ihr nichts, sie musste mit Yui Vorlieb nehmen, ob sie wollte oder nicht. Kimiko war eben nicht mehr da und konnte sie nicht mehr unterstützen. Natürlich waren sie alle ihrer Meinung, aber sie übertrieb es ein bisschen, sie griff Yui ja regelrecht an, so schlimm war sie auch wieder nicht, dass man sie so anmachen musste. Das war eben Miyukis Meinung.

„Is’ ja gut…“ Sie seufzte schwer, da es ihr natürlich nicht passte. Aber ohne Yui gab’s keine CD, also würde sie es wohl oder übel hinnehmen müssen.

„Können wir jetzt gehen?“

Es gefiel Yui immer noch nicht, dass er mit der Polizei sprach, weshalb sie ihn am Arm schnappte und von den Polizisten wegzog, was besonders Tetsuya nicht sehr gefiel, wie man an seinem Gesichtsausdruck sehen konnte.

„Geht ja ganz schön selbstverständlich ran“, meinte Sêiichî skeptisch, woraufhin er natürlich bereitwillig eine Antwort von dem jungen Mann bekam.

„Yui ist hinter Ken her wie der Teufel hinter einer armen Seele. Man sollte eben aufpassen, mit wem man was anfängt, außerdem würde Juu ihn zerpflücken, der ist leider etwas brutal in manchen Dingen und wenn’s um seine Geschwister dreht, ist er eh komisch. Manchmal denke ich, er will auch mit Yui was haben… Hab auch zwei Schwestern und würde nie so mit ihnen umgehen, wie er.“

Verbale Hetze gegen Ikezawa war wohl gerade total angesagt. Es wäre kein Wunder, wenn er Kimiko was getan hätte, aber aus irgendeinem Grund glaubte Ryochi das weniger – schlichtweg zu offensichtlich, wie alle sich gegen den Kerl ausließen. Da könnte er ja genauso gut jedes Wort von Hiroya glauben. Was das Mädchen jedoch von sich gegeben hatte, es ergab für ihn irgendwie Sinn, er hatte alles gierig in sich aufgesaugt. Sie hatte ihm das Befragen ja halbwegs abgenommen, indem sie so offen über die Beziehung der beiden gesprochen hatte. Sie sah alles mit den Augen eines Mädchens. Total unschuldig und ohne wirklich darüber nachzudenken, was sie über die betreffende Person verriet.
 

„Was tust du?“ Wie Yui ihn von der Polizei trennte hatte etwas davon, als wollte sie etwas verbergen. „Warum ziehst du mich weg?“

Sie wusste gar nicht wie sie ihn fragen sollte, ohne dass er wieder tausend Fragen stellte. Meistens endete es so. „Was ist hier überhaupt los? So viele Polizisten.“

„Bin in einen Mordfall verwickelt worden…“

Seine Worte waren absolut nicht das, was sie hören wollte, obwohl sie ja froh sein konnte, wenn es nicht um Kimiko gegangen war. Trotzdem war es nicht erleichternd, was er sagte.

„Wie hast du das bitte geschafft?“ Ihre Stimme zitterte merklich.

„Da waren zwei Typen, die sind über ein Mädchen hergefallen, bzw. sie haben es probiert. Tetsu und ich waren gerade angekommen, da hat sie erstickte Schreie von sich gegeben. Daraufhin bin ich hin und wollte ihr helfen. Kurz darauf hat der eine allerdings gemeint, er muss eine Waffe ziehen und auf mich zielen.“

„Oh man, andere rufen da einfach die Polizei oder hören weg; die Polizei rufen ist ja okay, aber eingreifen ist immer gefährlich – wie oft muss man dir das noch sagen, dass du das nicht machen sollst? Ist ja nett, wenn du einem Mädchen hilfst, aber sei dir da bitte im Klaren, ob du ihr auch in der Lage bist zu helfen. Du bist auch nicht Superman.“

„Hey – was soll das denn heißen?“

„Dass du ein halbes Hemd bist im Gegensatz zu so manchem anderen Mann. Nehmen wir meinen Bruder doch als Beispiel, im Gegensatz zu ihm seid ihr alle halbe Hemden.“

„Das halbe Hemd legt dich gleich über’s Knie“, meinte er spaßig, er nahm es nicht ernst und es sich auch gar nicht zu Herzen, das wusste er alles selber. Aus Erfahrung wusste er ja eigentlich gut genug, dass sie sich nur Sorgen machte. „Du tust so, als würde ich das täglich tun.“ Es klang etwas schmollend.

„Fang ja nicht damit an, solche Leute erwischt es immer als erstes. Man sagt nicht umsonst: Helden sterben früh. Und wir wollen ja nicht, dass Tetsu noch mehr Kummer hat, ich denke, dem reicht’s vorerst mal.“ Sie hatte im Grunde nichts gegen ihn, auch wenn er auch manchmal einen großen Knall haben konnte.

„Ja, ich weiß, Mama!“ kam wie von einem kleinen Jungen beleidigt, bevor er schnell das Thema wechselte. „Aber mal was anderes… Du nimmst den ganzen Müll, den man über uns in der Zeitung berichtet nicht für voll oder? Ich mein, das mit Kimiko. Dass sie ’ne Männer fressende Bestie ist und wir alle was mit ihr gehabt haben.“

Es war immer noch ungeheuerlich, besonders Sakura musste sich grün und blau ärgern, er hätte doch niemals auch nur einen Finger an sie gelegt. Er war leider bei weitem schlimmer als Tetsu und hatte sie fertig gemacht, wo es nur ging.

Die Frage war so komisch – wieso sollte sie das glauben? Warum stank es nach Fangfrage?

„Muss ich das beantworten?“ Versuchte er sie gerade irgendwie auszuquetschen? Aus welchem Grund, fragte sie sich.

„Na komm – du warst und bist noch immer sauer auf sie, in deiner Wut könntest du so manches glauben.“

„In meiner Wut denke ich, dass sie nicht bloß mit Hyde in der Kiste war, das trifft wohl zu. Sie hat mit Kita angebändelt, oder er mit ihr, ist mir egal. Und mit Tetsu war sie auch oft weg, aber der würde wohl kaum mit ihr ins Bett gehen, obwohl… dem trau ich auch alles zu, so wie er sie immer vor Sakura versuchte in Schutz zu nehmen.“

Tetsu versuchte doch nur gut vor Hyde dazustehen, dieser war manchmal eben ein kleiner Schleimer. Und wenn er damit Sakura ausbooten konnte, nahm er eben auch Kimiko in Schutz – er war doch nicht zu blöd, um das zu bemerken. Er war froh, wenn sie friedlich waren, sie neigten doch dazu, sich um ihren Freund zu streiten, wie zwei Weiber um einen Kerl.

Ein fettes Seufzen kam von ihm, wollte die ihn eigentlich absichtlich falsch verstehen. „Du glaubst, sie hat mich auch versucht zu verführen – ist es nicht so? Kannst es ruhig sagen, ich nehm’s dir nicht krumm. Und wenn du eifersüchtig warst, auch nicht! Aber ich will’s wissen.“

„Wieso fragst du mich das? Hat sie?“

„Ach komm, hör auf! Ich weiß genau, dass du ihr das zugetraut hättest, hast du ja bereits zugegeben. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass du ein total eifersüchtiger Mensch bist, dabei hast du keinen Grund. Liegt’s vielleicht ein bisschen daran, dass sie Mitsuki ähnelt?“

„Ich möchte das nicht hier bereden; die Polizei könnte sich dabei was denken. Lass uns später drüber reden – zuhause.“ Sie hatte große Angst davor, dass die Polizei sie verdächtigen könnte.

„Ich komm spät, da haben kleine Yuis schon im Bett zu liegen und zu schlafen.“ Ihr Gesichtsausdruck war ein Bild für die Götter, es war immer wieder schön sie mit ihrem Alter aufzuziehen.

„Ich bin 20 und Frauen sind Männern 7 Jahre voraus, bin also noch älter als du! Wer ist jetzt das Baby?“

Yui musste immer das letzte Wort haben und sie ließ sich nur ungern von einem um 6 Jahre älteren Mann ärgern, der manchmal selber ein totales Kind sein konnte.

„Pfui, schäm dich Yui, dich an einen nicht mal volljährigen Mann ranzumachen.“ Sein Grinsen sagte alles, er verstand ihren Spaß und spielte mit.
 

„Er versteht mehr Spaß als du, Sêiichî“, machte sich Ryochi ein bisschen lustig. Wenn Chris so was zu ihm sagen würde – was sie schon mal tat – wäre er gleich wieder Tage lang beleidigt.

Er hatte den laut gesagten Satz natürlich mitbekommen, aber auch hatte die junge Frau mit ihm geflüstert, vieles hatte er einfach nicht aufschnappen können und das hatte sicher seine Gründe. ‚Es ist eindeutig was faul, aber ich bin noch nicht sicher, ob es DAS ist! Ist ja nicht so, dass sie als einzige was davon hätte. Aber interessant zu wissen – so habe ich mir Ikezawas kleine Schwester vorgestellt.’ Sie hatte schon so etwas an sich, was ihm sagte, worauf sie stand; dass sie ein Freak war, war ohnehin klar. Ein Freak, der richtig biestig sein konnte, nur eigentlich eher auf nette Weise, was Chris einfach nicht fertig brachte. Sie zeigte zu undeutlich, wenn etwas nur Spaß war, und Sêiichî legte sowieso jedes Wort von ihr auf die Goldwaage und neigte dazu, alles zu glauben – es war gefährlich Ryochis Ansicht nach.

„Gar nicht wahr“, kam in Kleinkinder-Schmollton von Sêiichî, als sein bester Freund ihn wieder so ärgerte.
 

„Was machen die denn solang? Wollten wir nicht gehen?“ seufzte Miyuki, eins der Mädchen und beobachtete die beiden.

„Wären die noch kleiner, würde ich denen glatt die Augen zuhalten“, ließ Sêiichî einen Spruch los, „bestimmt knutschen sie gleich rum.“

„So was machen normale Leute nicht in der Öffentlichkeit, Sêiichî, zumindest nicht so, wie du es dir jetzt gleich wieder wünschst, ne?“ Ryochi musste dazu einfach etwas sagen, es machte zu viel Spaß. Es kamen ständig Spitzen in Richtung Sêiichî geflogen, bei ihm war es am tollsten, wobei er es natürlich nicht böse meinte.

Wataru guckte nicht hin, ging ihn ja schließlich nichts an. Wieso wollte Sêiichî immer so was sehen?
 

Arisa wurde es zu bunt, also ging sie hin und zerrte an Yuis Klamotten. „Los komm, genug geflirtet, ich dachte wir haben einen Termin. Sag tschüss zu Ken und los geht’s!“ Das Mädchen bekam die junge Frau nicht von ihm weg, weil sie sein Handgelenk umschlungen hatte und sich an ihm festhielt.

„Mach bitte nicht wieder Dummheiten…“ Der besorgte Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

„Ne ne… bin brav… CHU~!“ Er warf ihr einen Handkuss zu und löste dann ihre Hand sanft von seinem Handgelenk. „Bis nachher, Yui-chan!“ hauchte er noch und zeigte dabei ein wohlwissendes Grinsen im Gesicht, das nicht ganz so brav wirkte, wie seine Worte.

Miwako hatte die ganze Zeit bei Wataru verweilt und sah es an Sonokos Gesicht: Sie wollte heulen.

„Nimm’s nicht so schwer, du findest sicher auch noch einen Freund. Und er ist nun wirklich nur zum Träumen da. Ach ja, ich hab früher nie von Männern geträumt, diese Jugend von heute.“

„Sag’ mal, Tetsu! Hast du auch was, was du uns sagen möchtest? Den Namen deiner Freundin vielleicht?“

Als Sonoko das von sich gab, glaubte Wataru nicht, dass sie das jetzt wirklich gefragt hatte.

„Meine Freundin ist mein Bass, den darf auch kein anderer anfassen. Dazu brauche ich keine Frau, ich bin lieber allein.“

„Boah, lüg doch nicht!“ Ken schüttelte den Kopf, kein Mann war gern alleine. „Außerdem: Ein bisschen Sex geht doch immer, oder?“

Irgendwie hatte Sêiichî ja auf so einen Spruch gewartet und dann behauptete er, er sei kein Macho, das glaubte ihm jawohl niemand.

„Und euer Sänger – dem Publikumsliebling – was ist mit dem? Hat der denn wenigstens eine, die er versteckt?“

Es war ja wieder klar, dass Sêiichî so dämlich fragen würde. Und wie er dabei klang, wie ein wahres Kleinkind – und so einer war 24.

„Also… nja… der hat, denke ich, momentan andere Sorgen, als sich auch noch darum zu scheren, dass er schnellstmöglich eine findet.“ Irgendwie hatte Ken ja das Bedürfnis zu seufzen, er konnte es nicht mehr mitansehen. Jedes Mal, wenn er ins Zimmer gegangen war, hatte sein Freund geheult – heimlich natürlich. Es war aber wohl auch zu viel verlangt, es ihm nach knapp zwei Tagen schon zu verbieten.

„Was redest du da? Du weißt doch, dass er nicht gern allein ist.“ Für Tetsuya redete Ken in Rätseln, schon im Krankenhaus hatte er nicht verstanden, was gespielt wurde.

„Haido-chan mag nur Kimi, da gibt’s keinen Kompromiss.“

„Wie jetzt? Willst du sagen, er liebt sie, oder hat sie geliebt?“

„Ich werf’ ja ungern mit Geheimnissen von anderen um mich, aber ja, ganz offensichtlich. Du bist blind auf beiden Augen, weil du bloß Musik im Kopf hast. Meinst du, dass es Zufall war, wenn beide verschwunden waren? Das war ja nun nicht nur einmal der Fall. Und dass er nur im angetrunkenen Zustand mit ihr abgehauen ist, stimmt auch nicht. Hast du überhaupt ne Ahnung, wo sie wohnte?“ Er tätschelte Tetsu auf den Kopf wie einen kleinen Jungen. „Klein-Tetsu hat’s wieder nicht mitgekriegt… Du bist der einzige, der es nicht weiß. Baka!“

‚Ja, verrat uns alles, danke.’ Ryo war zufrieden, er hatte ja nicht mal fragen müssen. Sêiichî mit seiner Kleinkinderart hatte es alleine geschafft.

„Jetzt, wo du mich fragst… Nein, wusste ich nicht.“

„Tja, Pech – das sag ich dir bestimmt nicht.“

„Wie gemein von dir“, mischte sich Sêiichî ein, woraufhin er einen Schlag in die Seite bekam. Wehe dem, er würde petzen. Sie waren immerhin nicht ganz mit Erlaubnis in beide Wohnungen eingedrungen. Er wusste genau, dass er schreien wollte Ich, ich, ich, weiß es!

Sêiichî spürte den Schlag und schmollte innerlich, er war ja nicht dumm. Sie wussten, was sie wissen wollten, dann konnten sie ja verschwinden – nichts wie weg hier. Es war ihm unwohl genug, dass er die ganze Zeit nur dumme Witze riss und sich aufziehen ließ, aber kaum einer hatte bemerkt, was wirklich vor sich ging.
 

Gerade stieg ein schwarzhaariger Mann aus seinem Auto und machte sich auf den Weg zu seinem Termin. Es gefiel ihm nicht, allein daran zu denken, dass er darüber sprechen sollte, ließ ihm unwohl werden. Ihm war schlecht um genau zu sein.

Es war solang her und doch hatte er es niemals vergessen und trug es immer noch mit sich herum.

Und die einzige, die ihm geblieben war – tja, die war in gewissen Punkten nicht besser als seine Schwester. Warum konnten alle etwas, nur er nichts damit anfangen? Sie mochten Leute, da stellten sich bei ihm die Nackenhaare auf. Und er überlegte stark, ob er Tamiko Kagawa wirklich erzählen sollte, was ihm in der Seele wehtat…

Sein bester Freund war ein Mörder und hasste die Polizei… Das hieß auch seine familiäre Verbindung war ihm ein Dorn im Auge.

Mitsuki war nicht besser als Kimiko; sie hängte sich an einen Musikfreak, einen Sänger, wieso eigentlich ausgerechnet einen Sänger? Mochte ja sein, dass sie seiner Schwester in dem Punkt ähnlich war. Ja gut, ein Musiker wäre okay gewesen, aber wieso ausgerechnet derjenige, der am meisten im Mittelpunkt stand? Sie waren alle gleich – eingebildet, abgehoben, Mistkerle… In seinen Augen gab es keine Ausnahme.

Er konnte keinen Menschen mögen, der sich so in den Mittelpunkt drängte und seine Kollegen in den Schatten stellte. Obwohl Hiroya in vielen Dingen ganz genauso war und wirklich gerne der Mittelpunkt der Show namens Ermittlung war, hasste er sie. Er konnte mit denen nichts anfangen, selbst wenn er sie mochte, sah er in ihnen diesen grausamen Mord von damals, der ihn in den Nächten quälte – den er immer vor sich sah. Was ihn innerlich zerriss…

Er wusste zu gut, dass er ein kleines seelisches Problem hatte. Ein Arschloch werden, das hatte er nie gewollt, aber dass sogar Naru ihn hinterging, das tat erst so richtig weh. Er hatte ihr immer vertraut, ihr alles erzählt, was ihn bewegte – außer es ging um Organisationsdinge, da hatte keine Frau was drin verloren.

Und – Gott verdammt – er war empfindlich, keiner würde glauben wie sensibel er doch sein konnte, gerade in der Sache mit Jami war er unglaublich verletzlich. Seine Sensibilität vertuschte er aber gut, er versteckte sie unter einer harten Schale, die bisher noch nie jemand geknackt hatte.

Wenn er ehrlich zu sich selbst wäre, hätte er bemerkt, dass es Leute gab, denen er seine wirkliche Seite gezeigt hatte, Leuten wie Katori. Naru hatte ihm die ganze Zeit als Stütze gedient, solange er sie um sich hatte, war er okay, aber gerade war er alles andere als okay.

Ob Katori wohl bemerkt hatte, wie es ihm wirklich ging? Er mochte sie wirklich sehr, er fand es schade, dass sie in diese Sache verwickelt war, sie wäre jemand gewesen, in den er sich hätte verlieren können, wäre sie keine Mörderin gewesen…

Aber ehrlich gesagt, war sie die einzige, auf die er zählen würde, wenn es um sein Leben ging, er würde ihr richtig sein Leben anvertrauen. Hiroya vertraute ihr mehr, als er Kimiko vertraut hätte.
 

Miwako unterhielt sich noch heimlich ein bisschen mit den beiden Musikern und kam dann zu Wataru mit einem Grinsen. „Grüß deine Schwester lieb von mir, Wata-chan“, meinte sie, während sie ihm ein paar Karten in die Hand drückte und ihm zuzwinkerte.

„Du hast sie um Autogramme gebeten, bist du verrückt?“

„Na komm, hättest du gewusst, dass deine Schwester und Naru sie mögen, hättest du das auch getan, oder? Gib sie ihr mit einem dicken Küsschen von mir. Aber gib ihr nicht die falschen. Sie mag den Bassisten.“

Wataru war total platt. Seit wann kannte sie seine Schwester so gut und wieso?

„Hat sie dir das denn gesagt?!“ Er konnte es nicht glauben, er hatte sie ja auch nie zusammen gesehen.

„Wir saßen in einem Café und dann lief ihre Musik, Riina-chan meinte dann, dass Naru und sie zum Konzert gehen würden, um so richtig abzurocken.“

„Och nö“, ein Seufzen entkam ihm. Erst Partys und nun irgendwelche Konzerte. Was machte Naru mit seiner Schwester.

„Lass sie doch, sie ist noch jung und angeblich hat ihr BÖSER BRUDER sie nie weggelassen, sie holt das nun nach. Versuch ihr das nicht zu verbieten, Naru ist ihre beste Freundin und hat sie dazu überredet. Also, tust du mir den Gefallen?“

„Na ja – es ist mir lieber, als wenn sie übermorgen auf dieses Konzert von IRON KISS ginge, Sêiichî wollte mit mir dahin, war mir dann aber doch etwas zu heftig, wie der Sänger abdreht, da lass ich lieber die Finger von. Wenn mich als Polizist jemand dort sieht, die denken doch, dass ich gestört bin.“

Miwako versuchte sich daran zu erinnern, ob sie den Namen nicht auch gehört hatte.

„Die spielen in der Halle ganz in der Nähe, oder?“

„Ja – übermorgen gegen halb 10, ziemlich spät also, damit da nicht so viele Kinder hingehen. In der Nähe des Präsidiums haben sie ein großes Poster angebracht – vielleicht hast du es gesehen.“

„Ach der Gestörte ist das…“ Miwako hatte sich als sie es gesehen hatte, nur gedacht, dass er gruselig und zum fürchten aussah. Wie ein richtiger Verbrecher, aber das musste er wohl auch bei der Musikrichtung, die sie zu spielen pflegten. „Das ist Death Metal, Wataru, das ist auch nichts für dich und auch nichts für deine Schwester, sie wird nicht auf so ein Konzert gehen, darum brauchst du dir keine Gedanken machen. Auch nicht, wenn Sêiichî sie fragt. Sie wird nicht plötzlich von Poprock auf Metal umsteigen – sie ist nicht so irre.“ Das sollte wiederum nur heißen, dass Sêiichî der einzige Irre hier weit und breit war, der sich so was reinzog.

„Hoffentlich hast du Recht, Naru wird mir nämlich immer unheimlicher.“ Wataru neigte nun einmal dazu, vollkommen zu übertreiben, was er in dem Fall auch wieder tat.

„Fährst du schon mal ins Präsidium zurück“, meinte Miwako, während sie ihm ihren Autoschlüssel hinhielt. „Du darfst mein Auto nehmen! Ich komme später nach, ok?“

Shiratori beobachtete das Ganze und platzte beinahe innerlich. Nun ging sie schon so weit, dass sie sich ihr Auto teilten. Niemand durfte jemals mit Miwakos Auto fahren und jetzt gab sie Wataru einfach so den Schlüssel. Er nahm ihn entgegen und lächelte sie an, auch wenn er nicht im geringsten wusste, warum er das tun sollte, er hinterfragte es jedoch auch nicht und ging zum Auto, ihr ein „bis später“ zuwerfend, stieg er ins Auto und fuhr wenig später weg.

Sie drehte sich herum und ging auf Ryochi zu, mit sehr ernstem Gesichtsausdruck, der Bände sprach.

Der Detektiv ahnte zumindest, was nun kommen würde – Miwako war ihm nun wirklich nicht unbekannt. Er kannte ihre Meinung, die sie nicht teilten.

„Iwamoto, Chiba, Shiratori, lasst ihr uns bitte alleine?“ meinte Miwako dann gleich, sie wollte ihn nicht vor seinen Kollegen runterputzen, das versuchte sie tunlichst zu vermeiden, weshalb sie beide wegschickte. „Du kannst mit Chiba fahren.“

Chiba nahm Iwamoto am Arm und zog ihn mit. „Bis später“, warf er Miwako zu und auch die beiden gingen, wobei es Sêiichî nicht behagte, dass sie mit Ryochi alleine reden wollte, er hatte irgendwie ein ungutes Gefühl in der Magengegend und blickte die ganze Zeit nach hinten, als Chiba ihn mitschleifte.

„Was sollte das Ganze, Ryo-kun? Du kannst doch nicht ernst gemeint haben, was du sagtest! Seit wann dankst du Mördern! Du weißt genau, dass die beiden Männer mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet wurden, das wiederum heißt, derjenige hat es nicht zum ersten Mal getan. Es passt nicht zu dir, so etwas zu sagen. Was ist los mit dir? Liegt es an Shina?! Ich bitte dich, sag mir, was dich bedrückt, ich weiß nämlich, dass es dir sehr nahe geht. Man sieht, wie sehr du sie vermisst und die Angst davor, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte.“ Miwako redete ganz behutsam mit ihm, sie gab sich große Mühe, nicht anklagend zu klingen, sie wollte ihm wirklich nichts Böses tun, die junge Frau machte sich Sorgen um Ryochi. Er war in letzter Zeit ganz anders...

See behind the curtain

Bitte wundert euch nicht über diesen Teil...

Ich habe mich von Lyriken inspirieren lassen! Zu viel HYDE - New Days Dawn (Gruselstimmung pur), Eisblume & gegen Ende Fräulein Wunder - Sternradio!

Ihr werdet ja sehen, was dabei herauskam XD
 

@Ryo: Dein Liebling kommt vor, darfst dich schon mal freuen, mal sehen wie lange du das tust *lol*

Mitsuki kommt auch vor... Juu auch, ich erwarte von dir ein Feedback XD~ Ich weiß ja, du weißt nicht, was du von Mitsuki halten sollst.
 

Ebenso ist der eine Songtext dir nicht unbekannt... Mal sehen, ob du ihn erkennst.... Es passte zu gut, ist wie mit ALL DEAD >.>"
 

Bin gespannt, was ich Retour kriege... >.<"
 

jetzt werde ich verschwinden und euch den Teil da lassen...

Bis zum nächsten Mal.


 


 


 

Allmählich dämmerte es, die Sonne wurde in dunkelrote und lila farbene Töne getaucht, während sich der Mantel der Nacht gierig über die Stadt legte und sie in der mächtigen Finsternis begrub.

Die Schattengestalten schlichen leise durch die Straßen, ungehört wie Geister bewegten sie sich fort. Das Licht, welches in der Nähe auszumachen war, kam von der Stadt, wo auch jetzt noch viele Menschen waren. Doch, da wo sie sich aufhielten, waren wenige Laternen das einzige Licht, das in die Straßen hinein zu dringen vermochte.

Es war ein schöner Anblick von oben in die Stadt Tokyo hinabzusehen. Es glitzerte und funkelte, trug einen Kampf mit den Sternen aus, welche ebenso wunderschön den Himmel teils erhellten.

Da es sich um eine regelrechte Einöde jenseits von der Tokyo-Innenstadt handelte, waren um diese Zeit eigentlich nie Menschen hier zu finden. Er befand sich – um genau zu sein – in der Großstadt Kawasaki, jedoch in einem absoluten Loch am Rande der Stadt, welches dennoch an Tokyo grenzte.

Es war ein besonders kleiner Pfad, der zu einem Bach führte in einen kleinen Wald. Trotzdem konnte er den ganzen Wald überschauen bis rüber in Richtung Tokyo, wo alles nur aussah wie kleine Punkte. Das war aber auch nur möglich, da er sich auf dem höchsten Punkt eines Gebäudes befand, welches höher war, als alle Bäume in besagtem Wald. Er hielt Ausschau und wartete schon seit fast einer halben Stunde, dass etwas passierte, doch in der Regel passierte um diese Uhrzeit nichts Großartiges mehr…
 

Eine junge dunkelblondhaarige Frau mit leichten Locken ging den schmalen Pfad entlang, dicht gefolgt von einem Mann ihres Alters, welcher sie begleitete. Er schloss zu ihr auf und ging dann neben ihr her, sie verhielten sich ruhig und sagten kein Wort. Man sollte sie nicht bemerken.

Die Person, die Ausschau hielt, hatte beide Personen nicht bemerkt, er war zu fasziniert von den Lichtern der Hauptstadt.

Die Wege trennten sich – er nach rechts – sie nach links.

Das Tor hinten war verschlossen, aber das machte nichts, denn er war sich nicht zu schade drüberzuklettern. Einige Rosen zerkratzten seine Arme, da sie dicht am Tor verwachsen waren. Er konnte nicht verhindern, dass er am Armgelenk zu bluten begann, scherte sich jedoch nicht darum, dass er nun ein paar Kratzer hatte, es machte ihm wenig aus und er hatte andere Pläne, als sich Blut wegwischen.

Die junge Frau hingegen nahm den Vordereingang klopfte dort mit einem Eisenring, der verziert war mit einem Löwen, gegen die Tür.

Eine gut aussehende, mit vielen Schmuckstücken verzierte etwas ältere Frau öffnete ihr. Ihr Kleid war aus Seide und sie hatte sich den Schmuck förmlich umgehängt, als hätte sie Angst, ihre Kleider würden ihn verstecken, sie war bemüht, ihn jedem vorzuzeigen. Ihren Reichtum vor anderen strotzend, grinste sie die Blondine mit einem zwielichtigen Lächeln an.

„Was treibt dich denn hierher, Kleine?“ Ihre Worte passten einfach nicht. Sie klangen so wie von einer einfachen Frau.

„Ich will zu Keichiro – also lass mich durch!“ Sie konnte nicht nett zu diesem Weibsstück sein, sie war das Ebenbild der Schönheit und Grausamkeit. Ihre hübschen Lippen, die ein aubergine farbener Lippenstift zierte, verzogen sich zu einem fadenscheinigen Lächeln. Sie wirkte auf den ersten Anblick, als sei sie adelig, doch ihr Wortschatz ließ viel zu sehr zu wünschen übrig, selbst Vermouth beherrschte es besser sich in solchen Kreisen zu bewegen, als sie.

„Für dich immer noch Chardonnay, Mädchen!“ Sie machte keine Anstalten, die Blondine vorbei zu lassen.

Als sie dann noch die Tür zumachen wollte, zwängte sie ihren Fuß zwischen Tür und Rahmen und dann zückte sie aus ihrem Ärmel heraus etwas Eispickel-ähnliches, was sie der Älteren in Dekolleté-Nähe rammte, nicht gerade zimperlich war sie dabei, sie wollte dafür sorgen, dass der Gegenstand tief genug ging.

Vor der Tür sah man nur die Schatten der beiden Frauen, es sah geradezu danach aus, als hätte man sie getötet, mit einem gezielten Stoß, da der Schatten auch gleich in sich zusammenfiel und nur einer übrig blieb.

Sie schritt über die Türschwelle, nachdem die Braunhaarige zu Boden gegangen war und hatte einen nicht bedauernden Gesichtsausdruck. „Was ich will, krieg ich auch!“ Mit den Worten ging sie in Richtung Treppe und wanderte diese hinauf.

Ganz sanfte Klaviermusik ertönte von oben, obwohl sie sehr laut war, empfand man sie nicht als Lärm. Es war eine tragische, leicht melancholisch wirkende Melodie, welche eine Geschichte von äußerster Erbarmungslosigkeit erzählte – er hörte diese Musik immer dann, wenn er eine seiner Taten im diesem Haus beging. Kaum einer wusste davon, er kam auch nur her, um genau das zu tun.

Und der arme Ken bekam es mit… Doch dieses Mal schien es dem alten Mann besonders viel Spaß zu machen.

Man hörte das Gewimmer eines kleinen Kindes. Obwohl sie den Auftrag hatte auf ihn zu warten, rannte sie hektisch die Treppe hinauf bis zum Zimmer und riss dort die Tür auf.

Die Musik erschlug sie fast und doch konnte man das Mädchen hindurch hören, sie weinte und das so laut, dass es das Klavierspiel durchdringen konnte. Versuchte er ihre Schreie und ihre leidenden Laute zu übertönen, dann hatte er versagt.

Vespolina nahm eine Vase, holte nach hinten aus und schlug auf den Schädel des Mannes ein, als wolle sie diesen zertrümmern. „Du widerlicher Dreckskerl! Wie kannst du eine 10-jährige so quälen??! Wie kannst du es wagen vor meinen Augen weitermachen zu wollen??!!“ schrie sie voller Zorn. Die Vase spaltete sich und ging klirrend zu Boden, die Scherben verteilten sich auf dem Boden.

„Jamis Miststück!“ kam wie von einem Berserker der jungen Frau entgegen zuflogen. „Das Weichei hat dir wohl noch nicht so richtig gezeigt, wo es im Leben lang geht und dass man es nicht wagen sollte!“ Er hatte sich schneller herumgedreht und von Josephine abgelassen, als ihr eigentlich lieb war, zumindest, wenn er nicht zu Boden ging. Sie hatte voll zugehauen, aber er stand immer noch und dann packte er sie am Hals und hob sie an. „Du wagst es?? Mir meinen Spaß nehmen zu wollen? Wer hat dich überhaupt eingeladen?“

Die Blondine röchelte, er drückte ihr die Luft ab.
 

Durch das Klirren der Vase war auch in die männliche Person Hektik gefahren. Was hatte sie gemacht? Man hörte wie Chardonnay laut wurde und man wusste ja wie er war, wenn er wütend wurde.

Binnen weniger Sekunden, dadurch dass er mehrere Stufen auf einmal nahm, war er da und richtete dem Mann seine Waffe entgegen. „Finger weg von ihr, und das plötzlich!“

Chardonnay hatte einen wahnsinnigen Gesichtsausdruck und drückte noch fester zu, so dass sie zappelte. Der Mann mit den gewellten Haaren fühlte sich dazu gezwungen abzudrücken. Obwohl er schoss, passierte dem Mann nicht viel – nur ein Streifschuss am Hals. „Die nächste sitzt, darauf kannst du wetten! Und jetzt lass sie los und rück das Kind raus! Dein Spaß ist vorbei!“ Seine Stimme war laut, er schrie, da er auch verstanden werden wollte und die Musik so furchtbar laut war.

„Willst du mir drohen, Kleiner?“ Auch seine Worte waren ein einziges Zerstörerisches Schreien.

„Ich mach noch ganz andere Sachen mit dir, wenn ich dich jemals wieder in der Nähe von Kindern sehe, Drecksack!“ Er war total in Rage, in solchen Dingen war er nicht sonderlich beherrscht. ‚Ich zerfetz dir deine Eier, dann wirst du nie wieder irgendwelche Lust verspüren!’

„Okay, okay – ich gebe sie euch, ich gebe euch die Kleine, aber dafür will ich auch was von dir haben, Caprino!“ Er ließ die Blondine auf den harten Boden fallen, weshalb sie schmerzbedingt keuchte.

„Es ist ja keine Glanzleistung, meine Nichte zu nehmen, die lässt sich von jedem nehmen! Du warst zu dumm, es meiner Tochter zu besorgen, ich weiß alles über dich und deine Familie.“ Während seine Stimme liebliche Gewalt ausstrahlte, grinste er boshaft und seine hellen Augen blitzten irre auf. Er hatte ihn doch total im Griff. „Ich will, dass du mir meine Tochter Riina bringst, du bringst sie hierher, dann kriegst du das Kind.“

Der alte Knacker wollte ihn nur beleidigen und ihn in die Enge treiben; dazu benutzte er sogar seine Vergangenheit. Er hatte bestimmt nicht vergessen, dass der hier Pinots Vater war, sie passten wie die Faust aufs Auge, waren beide gleich rücksichtslos, natürlich hatte sein Sohn ihm gleich alles erzählt.

Unbeeindruckt erlaubte er sich ein Grinsen an Chardonnay zu schicken. „Machen wir doch einen Kompromiss, ich bringe dir gerne was, ein kleines Geschenk quasi“, noch ehe er den Satz vollendet hatte, drückte er ab, „du wirst deine Freude daran haben.“ Caprinos Worte kamen voller Missmut und Zorn inne, der jedoch von dem jungen Mann gedämpft wurde, da er es scharf und auf süße Art und Weise feindselig aussprach.

Ein leidend klingendes Keuchen war zu hören, bevor der Mann, den so schnell nichts umhaute, hinfiel und sich die Hand an die Einschussstelle presste. Schon jetzt hatte er – wie Caprino schon sagte – Freude am Geschenk des Organisationsmitglieds.

„Wäh!“ kam ein angewiderter Laut hastig über den Jüngling. „Ist ja eklig…“ Er nahm das Kind behutsam in seine Arme und nickte zu seiner Begleitung, dass sie mitkommen sollte, er half ihr dann mit einer Hand hoch, während er das Mädchen festhielt und sie daraufhin hochhob.

Chardonnays Kampf mit den Schmerzen wollte er beim besten Willen nicht beiwohnen. Wie das Blut über seine Finger quoll war bei weitem genug gewesen. Obwohl er ihm verheerende Schmerzen schenkte, schrie der Mann nicht, es war nur ein einziges Jammern. Er dachte auch gar nicht daran, einen Arzt zu holen, alles Weitere würde das Schicksal entscheiden, er hatte nur über seine Zukunft entschieden…
 

Die Verdüsterung schwebte wie ein giftiger Luftzug über ihren Köpfen heran und tauchte alles in absolute Finsternis – nicht einmal der Mond vermochte die dicken schwarzen Wolken zu durchdringen. Aus der seichten Brise wurde schnell ein tosender Wind, der die Blätter aufgeregt rascheln ließ. Wie die Ruhe vor dem Sturm umwehte er die Bäume und ließ lose Blätter am Boden entlang gleiten. Sie flogen im Bogen, bis sie irgendwo hängen blieben. Die Luft war feucht und kaum eine Minute später kam es zum Wolkenbruch. Wie gefährliche Nadeln, die vom Himmel schossen, prasselte der harte Platzregen auf den Asphalt ein. Und die Leute, die gerade unterwegs waren, hatten nichts zu lachen. Erbarmungslos knallten die kleinen Geschosse auf die Erde ein, das Geräusch - hervorgerufen davon – klang, als würde es der Welt die schlimmste Folter zufügen. Wie Peitschenhiebe musste es sich für die Leute anfühlen, welche nun draußen ohne Schutz herumirrten.

Den dichten Regen konnte man aus sicher entfernter Überdachung wunderschön beobachten. Es wirkte schon gar nicht mehr wie einzelne Tropfen, sondern wie ein riesiger Eimer Wasser, den jemand von oben auf die Erde herab schüttete; geradezu Wasserfallartig kam der Starkregen herab und es bildeten sich sofort riesige Pfützen, in welche das durchdringende Nass lustige Kringel malte, wenn es einschlug. So schlimm hatte es in diesem Jahr noch nie geregnet, es war der heftigste Regenguss seit langem, obwohl es noch nicht einmal gewitterte, mied man die Straßen automatisch. Sogar direkt in Tokyo hatten sich die Leute in ihre Behausungen oder in Geschäfte verzogen, als sie vom Regen überrascht worden waren.

Deprimiert schaute ein junger Mann von einem Balkon aus dem Regen zu, er blickte in die absolute Finsternis, die über Tokyo hereingebrochen war – so plötzlich. Und dann begann er sich mit der Naturgewalt zu unterhalten.

„Na, bist du auch so traurig wie ich?“ Was er nicht getan hatte, holte jemand anderes nun nach - der Himmel weinte entsetzlich, durchlitt so schreckliche Qualen, dass es wie eine Ladung Wasser über ihn kam. Er wünschte, auch einfach so losweinen zu können.

Das erdrückende Gefühl der Ungewissheit, was der nächste Tag wohl bringen mochte, machte sich in ihm breit. Die letzten Tage waren doch eher ein einziges Desaster voller barbarischer Mächte gewesen. Sie hatten viel zu viel Macht, was sie anfassten, wurde vergiftet. Ganze Familien, wurden von der Hand eines einzigen Mannes, der sie alle kontrollierte, ausgerottet, liebende Menschen quälte er furchtbar, bis sie sich ihm ergaben, da sie dieser unendlichen Macht nichts entgegen zu setzen hatten. Er hatte so viel erlebt und durchgemacht, dass es normal für ihn war.

Er blickte weiterhin in die Ferne und seufzte trübsinnig. Der Wind wurde heftiger und wirbelte Dreck und Müll durch die Luft. Was auf den Straßen lag, hob ganz selbstverständlich vom Boden ab.

Trotz des regelrechten Sauwetters, konnte er wenig später eine junge Frau sehen, die durch den Regen rannte, statt sich irgendwo unterzustellen – sie kämpfte sich durch den dichten Regen, der ihr fast gänzlich die Sicht geraubt hatte.

Man sah, dass sie ganz zierlich und klein war, ja kaum etwas dem Sturm entgegen zu setzen hatte. Ihre Kleider waren durchtränkt mit Wasser und Schmutz, der ihr um die Ohren flog und sie durchpeitschte. Eine heftige Windböe warf sie beinahe um. Sie hielt sich den Arm vors Gesicht, um nichts in die Augen zu bekommen und wenigstens ein bisschen was zu sehen.

Geräuschvoll wie der Wind brauste und der Regen noch immer auf den Boden eindrosch, hörte man erst wenig später, dass sie nicht die einzige Person war, die bei diesem Wetter doch noch auf den Straßen war…

„Schnappt euch das kleine Biest, lasst sie nicht entwischen!“ dröhnte es von nicht weit entfernt, die Schritte der beiden Männer immer näher kommend, der Abstand zu der jungen Frau immer mehr verringernd, ihre Angst immer größer werdend, knickte sie um und fiel nun doch hin. Sie verlor dabei ihren offenen Schuh und ihr weißer Rock wurde nun mit Schlamm getränkt. Ihr Gesicht sah aus, als hätte sie eine Ladung Sand abbekommen. Das passte überhaupt nicht zu einer topgestylten Person, die viel zu gut angezogen war, um im Regen rumzurennen – sie würde sich die Klamotten ruinieren, doch diese waren ihr in diesem Augenblick ziemlich einerlei. Die Angst hatte wie eine Hand Besitz von ihr ergriffen und sie gepackt, sie rannte einfach nur noch los. Ihre Haare waren gelockt und pechschwarz, hingen nun jedoch glatt herunter, auch hatte sie überall Dreck in den Haaren, sie sahen nicht mehr so schön glänzend aus wie sonst. Als sie die Männer hörte, beeilte sie sich hochzukommen, der Regen wusch schnell das herab rinnende Blut an ihrem Knie weg.

Nicht lange hatte er den Kampf derjenigen beobachtet, da war er die Treppe hinab geflogen, er lief sie nicht hinab, er ging sie auch nicht, rannte nicht, er sprang runter, nahm somit mit einem einzigen Sprung ein Stockwerk. So war er ziemlich schnell im Erdgeschoss, riss die Tür auf, gerade wollte sie wieder wegrennen, da sah sie sein Gesicht, wie es aus der Ecke herauslugte. Zwar nur kurz schaute sie ihn an, aber es reichte, um ihn zu erkennen.

Dadurch wurde sie allerdings auch aufgehalten, weshalb die Männer ihr noch näher kamen und sie mit einem ehrfürchtigen Blick nach hinten spähte. Er sprang einen riesigen Satz in ihre Richtung, zwischen sie und diese Kerle, die sie wohl schon eine Weile jagten.

„Hey – was soll das?!“ fuhr man ihn an, er hatte nur einen Gesichtsausdruck, wie von einem Mann, der gerade an den äußersten Rand seiner Wut geraten war, so zornig, dass man ihm alles zutrauen musste. Seine blaugrünen Augen funkelten gemeingefährlich in deren Richtung, allein der Blick ließ sie beinahe der Angst verfallen. Vor lauter Angst zogen sie ihre Waffen, blitzschnell jedoch geschah es. Er hatte geahnt, dass die feigen Schweine das tun würden und kam ihnen zuvor, noch ehe sie überhaupt auf den Rotbraunhaarigen gezielt hatten, hatte dieser zwei Schüsse an der Zahl abgefeuert und sie fielen um wie die Fliegen – chancenlos. Waffen, insbesondere Pistolen waren nicht gerade sein Freund, aber dafür reichte es noch…

In der absoluten Dunkelheit waren sie sich begegnet, unter Umständen, wie niemand sie hätte je vorher sehen können.

Das Mädchen fiel voller Erleichterung, die in ihrem Körper aufkeimte, auf die Knie und blickte auf den Rücken desjenigen, der sie davor bewahrt hatte, dass sie sie einfingen. Schon solange war er verschwunden, nun war er plötzlich da, aus dem Nichts aufgetaucht…

Die Männer hatten das Unwetter abgewartet, den Moment als alle Menschen fluchtartig die Straßen verlassen hatten. Man hatte sie gepackt, mitzerren wollen, aber sie hatte sich ängstlich losgerissen, als man sie so grob anfasste. Da es so leer war, hatte man sie weiter verfolgt, dass keiner ihr helfen könnte, das hatten sie gedacht und weil sie so klein war, sie leicht bändigen zu können.

Schnell drehte er sich herum, packte sie am Arm, was einen Schreck in ihre Glieder fahren ließ und zog sie schnell von der Straße, sie war ohnehin nass genug. Bis zu der Treppe zog er sie, schloss die Tür hinter ihnen, zunächst fiel nicht ein einziges Wort.

Es war die traurige Geschichte zweier Menschen, die voneinander getrennt worden waren und sich schicksalhaft wieder bei einem Platzregen über den Weg gelaufen waren.
 

Kurz nachdem das Unwetter seinen Lauf ging, war eine gut aussehende, dunkelbraunhaarige Frau in ihr Auto gestiegen. Sie fuhr langsam, denn selbst im Auto war es noch gefährlich, da man kaum etwas sah, da brachte auch der beste Scheibenwischer nichts, so schnell und kraftvoll wie der Regen niederprasselte. Es war so stürmisch und sie hoffte, dass sie es bald geschafft hatte, denn es war ja nicht mehr weit. Sie fühlte sich wie in einer Geisterstadt, als wären alle Menschen und Autos plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und sie ganz alleine da. Aber es war ihr Recht, sie sah ja sowieso nur Regen vor sich und ein bisschen die Straße, weshalb sie sehr langsam fuhr, langsamer als es eigentlich erlaubt war auf dieser Straße.

Nach knapp fünf Minuten hatte sie die Straße, die nach Misato führte, erreicht und bog in diese ein. Ihr Haus lag sogar recht nahe gelegen und somit war sie nach weiteren zwei Minuten bereits zu Hause. Rena fuhr in die Garage, machte den Motor aus und stieg dann aus dem Auto. Aus der Garage draußen, verschloss sie diese und ging dann durch den Hof bis zur Haustür, welche sie mit ihrem Hausschlüssel öffnete und somit gehört wurde. Aber wie es oft gewesen war, wurde sie nicht begrüßt – wobei er aber schon da war, sie sah seine Schuhe im Flur stehen.

Dass er sie nicht hörte, konnte man nicht sagen. Er lag gerade auf dem Bett; nachdenklich und mit bedrückter Stimmung hatte er wenig Lust zur Tür zu gehen und sie anzuspringen. Nicht dass er sie nicht sehen wollte, es zog ihn nur einfach nicht dazu hin, sich zu erheben.

Es bedrückte sie schon, dass nicht mal ein „Hallo“ ertönte oder etwas Ähnliches; er ignorierte sie. Erst als sie bei Saki gewesen war, hatte er nicht einmal ihre Umarmung erwidert, was hatte sie ihm denn getan? Er hatte bei weitem schlimmere Dinge getan, wieso bestrafte er sie bloß so?

Schweigend lag er auf dem Bett, sie nicht ansehend, sondern die Decke als interessanter empfindend, als sie das gemeinsame Schlafzimmer betrat.

„Hallo Yuichi, ich bin wieder da“, machte sie doch unwillkürlich auf sich aufmerksam, noch immer wandte er ihr nicht den Blick zu, sondern nur ein schlichtes „Okari“ kam von ihm, er begrüßte sie ja, selbst wenn er sie nicht ansah.

„Du siehst so bedrückt aus – sag mir bitte, was los ist“, wollte Rena sanft von ihrem Mitbewohner wissen, sie mochte es nicht, wenn er so aussah, wobei der junge Mann nun wirklich nicht gerade eine Frohnatur war, die letzten Jahre jedenfalls nicht. Sie hatte immer versucht, ihm eine gute Freundin zu sein, damit der ganze alltägliche Ärger von ihm abprallte. Sie fühlte sich im Moment so furchtbar hilflos und hatte das Bedürfnis, sofort loszuheulen. „Yuichi bitte – bitte, sprich doch mit mir – sag irgendwas – meinetwegen schrei mich auch an, aber lieg nicht einfach nur so da.“

„Was soll ich bitte sagen und wieso soll ich dich denn anschreien? Das mache ich bestimmt nicht!“ Er klang ein bisschen so, als wenn es ihn entsetzte, dass sie von ihm angebrüllt werden wollte; dafür gab es keinen Grund. Wenn jemand angeschrieen werden sollte, dann jawohl er, weil er sie verletzt hatte. Sie hatte wegen ihm geweint, er sah es noch genau vor sich. Wenigstens hatte er es zurückbekommen, hatte sie dabei gesehen, wie sie von einem anderen geküsst wurde, es geschah ihm Recht. Wie mit einem Spiegel hatte es ihre Last dadurch reflektiert.

„Lass mich an deinem Gefühlsleben teilhaben, so wie es immer war.“ Rena ging zu ihm hin, kniete sich vor das Bett und legte ihre Hände auf seinen einen Arm, sie sah ihn todtraurig an, er spürte ihre Blicke und drehte den Kopf zu seiner Freundin herum.

„Nein, besser nicht – es tut mir Leid, dass ich hier im Dunklen liege und dich kaum beachte, ich war nachdenklich“, mit den Worten drehte er auch sich selbst leicht zu ihr herum und legte seine Hand an ihre Wange. Ganz vorsichtig strich er entlang nach unten und versuchte sie anzulächeln, wenigstens das, damit sie ihn nicht nur deprimiert sehen musste, auch wenn er all das war – nach so einem Tag war das kein Wunder. Sêiichî war total fertig, weil man eine Freundin von ihm umgebracht, seinen Cousin und seinen Onkel beinahe ins Grab gebracht hatte und alles gerade einfach nur nicht rosig aussah. Eine blumige Zukunft darauf konnten sie wohl kaum bauen. Und für Tokorozawa würde auch das Leben nicht mehr so sein, wie zuvor, wenn sie ihn erst einmal hatten, würde er sehen, was es hieß ein Organisationsmitglied zu sein – solange der Boss ihm drohte, würde er ihm den Gefallen tun, und ihm Hiroya persönlich bringen, wenn es sein musste.

Um ihres Willen…

Derjenige war ja ein Mann, der das ganz sicher verkraftete… Ihm war seine Freundin in dem Punkt viel wichtiger, ihr musste es gut gehen, da ging er über Leichen, wenn es sein musste.

Die 28-jährige Frau genoss sein Streicheln und schloss ihre Augen, um es intensiver zu spüren, war es schließlich das erste Mal nach seinem Geständnis, dass er sie berührte.

„Worüber hast du nachgedacht? Doch hoffentlich nicht über einen blöden Kuss von Jami, mhm?“ Ihr Herz klopfte angstvoll in ihrer Brust – sie wollte nicht, dass er diese Sache so nah an sich heran ließ.

„Ach der Kuss“, es klang gleichgültig, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann waren seine Worte eine einzige Lüge, die er ihr vorspielte, um ihr nicht sein verletztes Herz zu zeigen.

„Ich wollte es nicht“, betonte sie es so, als würde man ihr nicht glauben. Geradezu, als würde sie befürchten, er könne es ihr übel nehmen und sich auch, weil er Valpolicella nicht umgebracht hatte. Stattdessen hatte er sich von ihr anfassen lassen, die Augen geschlossen und es ertragen… Sie verzieh ihm alles; wieso konnte er nicht auch einfach darüber hinwegsehen, dass sie von einen anderen Mann sich hatte küssen lassen? Warum hatte er immer wieder Jami mit schadenfreudigem Lächeln vor sich, wie er ihn auslachte, dass er seine Freundin hatte küssen können, er musste sich doch furchtbar toll vorkommen.

„Ich weiß das!“ Natürlich wusste er, dass sie sich bestimmt geekelt haben musste.

„Wenn du das weißt – warum tust du-“, ein Schluchzen kam nun über sie, „du gibst mir ein nicht gerade schönes Gefühl, wie oft muss ich mich entschuldigen? Wie oft muss ich dir sagen, dass du der einzige Mann für mich bist?!“ Ihre Stimme wurde lauter, verzweifelter, bedrückter.

„Shh, Shhh“, er legte ihr seinen Zeigefinger auf den Mund und zog sie noch enger ran, drückte ihren Kopf an seine Brust. „Ich hab’s kapiert! Es tut mir Leid, Hidemi! Ich bin… Ich bin empfindlich, was so was angeht… Die Sache mit Katori hat mich härter getroffen, als ich dachte.“

Ob er wirklich dachte, dass sie das nun beruhigte?

„Katori…? Katori…? Ich bitte dich, Yuichi, sag nicht, dass du befürchtest, ich würde es wie sie machen! Das kann unmöglich dein Ernst sein“, klang sie todtraurig, er dachte, sie würde mit Kenichi schlafen wollen. Lieber brachte sie sich um, als das jemals zu tun. „Er müsste mich schon vergewaltigen.“

Yuichi drückte sie bei dem Satz noch enger an sich, als wolle er sie erdrücken, der Gedanke fuhr in all seine Glieder und vor Wut zitterte er ein bisschen. „Wenn er das wagt… dann lernt er mich kennen!“

„Nein bitte – er wird nichts Dergleichen tun, so ist er nicht, bitte bring ihn nicht um...“ Er sollte nicht schon wieder ihretwegen zur Waffe greifen, das hatte er viel zu oft bereits getan.

Warum musste sie Jami jetzt auch noch vor ihm beschützen? Es klang so, als würde ihr an dem Mistkerl auch noch was liegen! Was war das nur? Es störte ihn ungemein.

„Dieses Riesenarschloch hat seine erste Frau umgelegt, als sie ihm nicht freiwillig seine Tochter aushändigte, der zweiten hat er so zugesetzt, dass sie ihr Baby verlor, indem er mit anderen Frauen zusammen war, hat immer wieder ihr sensibles Herz verletzt und tötet ohne ein Gewissen zu besitzen – so einen willst du vor mir beschützen? Das ist ein ganz übler Scherz! Er ist ein Schandfleck, er wird immer einer bleiben und wenn er den Bogen überspannt, werde ich Schicksal spielen, davon hältst auch du mich nicht ab!“ Der Kerl machte ihn schlichtweg krank, was der mit Frauen anstellte mit seinem krankhaften Trieb war absolut inakzeptabel. „Und zu guter letzt hat dieses widerliche, blutrünstige Schwein auch noch die Schwestern seines Erzfeindes benutzt, um ihm zu schaden – ne du, da hört’s bei mir auf! Er ist längst schlimmer als jedes Tier bei seinem Jagdtrieb.“

„Er hatte eine fürchterliche Kindheit, Yuichi.“ Ihre Stimme klang bedrückt, traurig und sie schien es ihm einreden zu wollen, damit er von seiner Hartherzigkeit abließ. Er war doch kein schlechter, sondern ein guter Mensch, der anderen helfen wollte und sie beschützte und trotzdem hatte er etwas furchtbar Eiskaltes zu Zeiten. Wenn er skrupellos irgendwelche Leute tötete, dann war er kälter als das Eis in der Antarktis, nichts vermochte sein Herz dann zu erweichen.

„Die hatte auch Sêiichî und der ist bei weitem nicht so verkorkst wie Jami. Er käme nicht auf die Idee, meinen Bruder zu ermorden…“ Er verstand immer noch nicht, wie sie ihn so in Schutz nehmen konnte, er hatte so viele schreckliche Seiten und verdiente überhaupt kein Mitleid. Wenn er ehrlich war – Hiroya war viel mehr zu bedauern, so weit wie Jamis Zuneigung ihm gegenüber ging. „Und seine krankhafte Eifersucht, sein elender Hochmut gegenüber Hiroya, weil er ihm nicht gewachsen ist – den kann er sich sonst wohin stecken. Er versucht ihm doch wo es geht, das Leben zu versauen – er würde sogar seine gesamte Familie ermorden, nur damit es ihm schlecht geht – er ist ein Verbrecher der ganz heimtückischen und feigen Sorte – weil er ihn nicht töten kann, versucht er’s hinten rum – ich glaub ich KOTZE gleich.“ Sie sollte nicht mehr über den Mistkerl reden, sonst stritten sie noch wirklich…

„Du klingst, als wenn du das Scheusal bemitleidest…“ Rena war entsetzt, sie entzog sich seinen Armen, unglaublich dass er so einer kleinen Mistkröte Mitleid entgegenbrachte.

„Er wehrt sich nur.“ Es kam etwas nüchterner als sein vorheriger Satz, der total aufbrausend und wütend kam, nun war er leise geworden. „Warum glaubst du, ist der Mann manchmal so gemein? Seine ältere Schwester, die er wie niemanden sonst bewunderte, wurde von seinem besten Freund getötet, als sie versuchte ihre kleine Schwester vor ihm zu warnen, weil die dachte, ihr Freund sei eifersüchtig und würde Jami schlecht machen… Sie wollte sie beschützen und vor lauter Wut und Hass hat Jami sie erschossen, weil sie ihm im Weg war bei seinen Plänen die Kleine ins Bett zu zerren und ihr ein Kind zu zeugen, dabei war Yuriko mal mit ihm zusammen, was Hiroya stillschweigend geduldet hat… Er hat sich eben total in dem Kerl geirrt und er muss sich ja nicht alles von ihm gefallen lassen, oder soll er sich hinstellen, die Arme ausbreiten und sagen: Na los, befriedige dich daran, töte mich, wenn es dir danach besser geht?“ Yuichi wurde dramatisch und auch noch total zynisch. Es war schlimm, dass sich die beiden ehemaligen Freunde gegenseitig die Köpfe einschlagen wollten, wobei dieser unendliche Böswilligkeit von Jami kam. Hiroya reagierte doch längst nur noch darauf. An seiner Stelle hätte er den ja längst in die ewigen Jagdgründe geschickt.

Rena versuchte irgendwie ihren Freund zu verstehen, aber so ganz konnte sie es nicht fassen. Wenn sie es sich durch den Kopf gehen ließ, es stimmte schon, dass Jami ein ganz besonderes Interesse daran hatte, dass es dem Kerl so schlecht wie möglich ging, aber dieser bekleckerte sich ja auch nicht mit Ruhm. Und von wegen er wehrte sich nur; so ein Unsinn!

„Frag mal Katori, was sie davon hält – sie ist nämlich der gleichen Ansicht wie ich.“

„Ich werde nicht Katori fragen, ich bin ein eigensinniger, selbst denkender Mensch, Yuichi – wenn dir das nicht passt, ist das dein Problem. Deine supertolle Katori ist immerhin in manchen Punkten genauso ein herzloses Stück wie Jami! Wenn sie dir so furchtbar wehgetan hat, als sie mit Sêiichî zusammen war, warum zum Teufel vergleichst du mich andauernd mit ihr? Sie ist ja so supertoll – kannst sie ja gleich heiraten – mein Gott, ich geh duschen!“

Rena war ein total netter und liebenswerter Mensch, aber was zu viel war, war zu viel, immerhin hatte er es heraufbeschworen, dass sie wütend wurde. Sie wollte nicht mit seiner Exfreundin verglichen werden, die schuld daran war, dass er so empfindlich auf diesen einen Kuss reagierte. Sie hatte ihm wehgetan – weil man ihr wehgetan hatte – und er mochte sie immer noch; vielleicht… ja vielleicht war da noch mehr. Womöglich ertrug er einfach nicht mehr von ihr verletzt zu werden und das war der einzige Grund für ihre Trennung gewesen – tief in sich drin, vermutlich liebte er sie da ja immer noch…
 

„I-Ichiro-niisama?“ flüsterte sie leise fragend zu ihm, als würde sie es noch nicht so wirklich glauben können, was geschehen war. Diese Frau hegte einen so starken Groll gegen sie, dass sie sogar zwei erwachsene Männer hinter ihr herjagte, damit sie sie bestraften für ihre Zickerei gegenüber der Ranghöchsten.

„Ja, Imoto-chan.“ Seine Stimme klang ganz sanft und ein Lächeln kam auf seinen schmalen Lippen auf. Sie hatte ihn seit knapp zwei Jahren nicht mehr gesehen, hatte schon gedacht, er sei tot, bis diese schreckliche Frau ihn erwähnt hatte – dann stimmte es also: Er war ein Mörder für die Organisation.
 

Nur knapp hatten zwei Personen das Gefährt erreicht, mit welchem sie bis nach Kawasaki gefahren waren. Jedes Mal, wenn er in sein Auto stieg, erinnerte er sich an seine quirlige Exfreundin. Wie sie ihn dazu überredet hatte seinen Subaru in eine andere Farbe zu lackieren. Es war zuvor unauffällig Grau gewesen und nun strahlte es in einem wunderschönen Himmelblau. Niemals hätte er sie Chardonnay aushändigen können.

Die junge Frau neben ihm, zückte ihr Handy und kontaktierte sofort jemanden bezüglich des Mädchens, welches sie hinten mit dicker Flauschedecke eingewickelt und ihren Kopf auf den Schoss genommen hatte. „Hallo, Cencibel - wir haben Jossy und sind auf dem Weg zu euch – bitte bereite alles vor, sie benötigt eine Untersuchung, eine sehr gründliche.“ Die Worte kamen apathisch und auch ein bisschen traurig, jedoch verbarg sie den hohen Ton, der verriet, dass sie weinte. Sie sprach so ungewöhnlich tief, dass es untypisch für sie war.
 

Gerade noch hatte sie entschlossen zum Parkdeck des Krankenhauses zu gehen, der sie vor dem Regen schützte, der wie endlose Trauer vom Himmel fiel, als sie ihr Handy vernehmen konnte und das Gespräch sofort entgegen nahm. Die Worte der Jüngeren klangen einerseits aufmunternd, doch ab einer bestimmten Stelle stiegen ihr die Tränen in die Augen, die sie aber am Fließen hindern konnte. Sie verstand sofort, was Vespolina andeutete.

„Ja, ich beeil mich – bis später.“ Sie legte auf und griff sich an die Stirn. „Ich habe es geahnt, so etwas hätte nicht passieren dürfen – wenn Jamie aufwacht… Was soll ich ihm sagen? Sein Sohn liegt im Koma und seine kleine Tochter wurde von Chardonnay misshandelt… Da fällt er ja gleich wieder in Ohnmacht, wenn er nicht sofort aufspringen würde, um sich an Chardonnay zu vergreifen.“ Sie seufzte bedrückt, es lag ihr sehr am Herzen, dass es Jamie gut ging, das Leben hatte ihm so oft schon übel mitgespielt, ihm waren anscheinend nur seine beiden Kinder geblieben...
 

In dem Moment, als sie vor ihm wegrennen wollte, packte er ihren Arm und hielt sie davon ab. Seine strahlend grünen Augen sahen sie bittend an. „Das war nicht so gemeint! Und ich will sie nicht heiraten, was redest du da denn, du dummes Ding? Würde ich sie noch lieben, hätte ich mich damals nicht von ihr getrennt – es war vorbei, als ich von ihrem Seitensprung mit Sêiichî erfuhr, auch wenn wir noch eine ganze Weile so getan haben, als würde es funktionieren. Ich konnte es nicht ertragen, man kann auch die Liebe eines Menschen durch seine Taten töten.“

Genau das war bei Yuichi selbst geschehen. Er hatte sie unendlich geliebt, hätte ihr die Sterne vom Himmel geholt, das alles ging am Ende nicht mehr, übrig geblieben war nur ein Gefühl der Freundschaft, das er jedoch hegte und pflegte. Niemals hätte er sie angeklagt dafür, dass es bei ihr vollkommen anders aussah. Er hatte doch erst neulich gespürt, dass sie ihn unheimlich vermissen musste und ihn noch immer liebte…

Rena fühlte sich durch seine Worte nur bedingt besänftigt, sie war verletzt und traurig, da reichte das bei weitem nicht. „Trotzdem ziehst du immer wieder Vergleiche zwischen uns – da komme ich mir vor, als würden viele Dinge dich einfach an mir stören…“ Nicht einmal Jami vergleiche sie mit anderen Frauen so direkt, aber sie verkniff sich es auch noch auszusprechen. Er schien sie einfach nur für sich zu wollen, wäre er nicht so ein Macho hätte sie sich vielleicht für ihn interessiert, hätte er doch nicht so einen verdammt verdorbenen Charakter. Er war so völlig anders als Yuichi, ein verkorkster Mörder, leider.

Dass er eifersüchtig war, passte nicht in die Situation, in der sie momentan gefangen waren. Ihr Spinnennetz schlang sich immer fester um Yuichis Körper. Sie war schlimmer als eine Spinne, eine Horrorgestalt in Form einer wunderschönen Frau. Sie versuchte ihn zu kontrollieren, zu manipulieren und ihre Spinnenweben, die sie immer mehr um ihn schlangen, erstickten ihn fast.

Diese grässliche Frau nutzte ihre Macht schamlos aus. Sie benutzte ihre hohe Position ja sogar dafür, um ihn verführen zu können. Er hatte es mit sich machen lassen, es war ihm momentan sehr gelegen, wenn sie gute Laune hatte, wenn sie ihr verloren ging, war es wie wenn man einem Tier seine Welpen wegnahm. Sie wurde ausfallend und zerfetzte alles, was ihren Weg kreuzte. Wer ihr dann wohl als erstes zum Opfer fallen würde?

Er hatte Angst, dass es so weit ging, dass sie es zu sehr zu vermissen begann, was sie mit ihm getan hatte. Und dass er vielleicht dann wieder… Nein, das kam auf keinen Fall in Frage. Er fragte sich schon die ganze Zeit, wie er diese Schande übergehen konnte… Ihm fiel jedes Mal dasselbe ein und er fand es schrecklich, dass Mord die einzige Lösung zu sein schien, die sein Problem würde lösen können.

„Ja, vielleicht tue ich das – wahrscheinlich ziehe ich zu viele Vergleiche zwischen meinen ehemaligen Freundinnen und der Frau meines Herzens“, gab er ehrlich zu. „Du solltest jedoch niemals vergessen, dass ich dich gegen nichts und niemanden eintauschen würde – niemals!“ Er zog sie an sich. Aus der Sache mit Jami einen Elefanten zu machen, war lachhaft. Er konnte in diesem Fall nicht plötzlich so verletzbar und eifersüchtig sein, immerhin hatte er etwas viel Schlimmeres getan. Sie hatte nicht mit ihm geschlafen, es war nur ein läppischer Kuss. Dass er deswegen sich in sein Schneckenhaus zurückzog, konnte er seiner Freundin unmöglich sagen. Es war einfach inakzeptabel und total egoistisch von ihm. Doch immer, wenn er Jamis Gesicht sah, hatte er Angst sie zu verlieren. Angst davor, dass er es schaffte, sie zu entzweien. Dieser Kerl drehte alles so, wie er es haben wollte. Er tat seiner Freundin unwahrscheinlich gerne kleine Gefallen, um sie zu ködern, um ihr zu zeigen, dass er ja so ein toller Mann war, den man als Frau einfach vergöttern musste.

„Nicht nur, dass du mich mit ihr vergleichst, sondern du nimmst Katori auch ständig vor mir in Schutz und fällst mir damit irgendwie schon - hart ausgedrückt - in den Rücken. Manchmal glaube ich, dass ich irgendwas falsch gemacht habe. Du tust, als sei sie ein Engel, dabei sind wir in so manchem Fall anderer Meinung.“ In Renas Augen hielt Katori ihre Morde für nötig und gut. Sie dachte wie Yuichi, vielleicht fühlte er sich deswegen ein bisschen zu sehr mit ihr verbunden. Im Gegensatz zu ihnen war Mord für sie keinesfalls mit etwas Gutem verbunden – in keinem Fall – sie sah es noch immer als etwas Schlechtes an, einen Lebewesen zu töten. Das kleine bisschen, was aus ihrer CIA-Zeit geblieben war, verhinderte, dass sie so etwas gut finden konnte, dabei war es ein offenes Geheimnis wie dieser Geheimdienst mit Problemen umging; sie unterstützten Mord, wenn es ihnen etwas brachte, man konnte sagen, Yuichi und Katori hätten besser zu ihnen gepasst, als seine Freundin.

„Warum ich Katori in Schutz nehme? Weißt du das wirklich nicht?“ Er legte einen ungläubigen Ton in seine Stimme. Dass seine Freundin nicht darauf kam, wunderte ihn eigentlich.

„Ein feinfühliger Mensch, wie du einer bist, Hidemi, sollte so etwas nicht fragen…“

Mit einem Knopfdruck auf der Fernbedienung, die zur Anlage gehörte, sprang der CD-Player an. An ihre Ohren klang ein düsterer Ton, dann traurige, tiefe Klavierklänge. Kurz gefolgt von der sanften Stimme einer jungen Frau…
 

So leise wie trockenes Laub fiel dein Abschiedswort

ein Tränenschauer wusch mir meine Träume fort

und in mein Herz zog eisiger Regen ein

Auf meiner Haut dein Kuss

ich kann ihn kaum noch spüren

Gedanken häng ich nach

die in die Irre führen

kühler Wind weht mir ein Blatt herein
 

Ich werd dich überleben

aber ich werde nie mehr dieselbe sein

ich werd mich nicht verlieren

egal was passiert und stürzt meine Welt auch ein

du kannst mich nicht zerstören

das kann keiner

das kann nur ich allein

ich werd dich überleben

aber ich werde nie mehr dieselbe sein
 

Ich sitze reglos hier

in diesem dunklen Garten

und kann nichts anderes tun

kann nur noch darauf warten

dass meine eigene Welt langsam noch mal entsteht

die Stille ist so leer

kein Vogel wird mehr singen

und mein Herz ist aus Glas

wie schnell kann es zerspringen

ich bete nur noch dass dieser Tag vergeht


 

Während draußen der Himmel weinte und die schmutzigen Straßen sauber wusch, wie er so manches schwarze Herz von der Sünde rein wusch, passte das traurige und bedrückende Gefühl des Alleine seins gut zur Stimmung, die man dort vermittelt bekam. Zuerst wusste sie nicht, weshalb er das Lied nun angeschaltet hatte, aber da es Katori war, die da sanft wie ein Engel sang, wurde es ihr klar, schon beim ersten Satz, der ihre Lippen hauchend verließ…

Sie hatte doch nie bezweifelt, dass es ihr sehr wehgetan hatte, als er sie verlassen hatte.

Obwohl der Refrain so aufmunternd klang und ihre innere Stärke bewies, hatte es auch etwas Todtrauriges. Dazu die düstere Stimmung, die ihr verletztes Herz und das Licht im Leben, das ihr verloren gegangen war, andeutete. Kein Vogel wird mehr singen…

Sollte das heißen, sie würde niemals über die Trennung hinwegkommen??

Sie gab gegen Ende ganz offen zu, wie zerbrechlich sie war, wenn es um ihn ging. All die Jahre hatte sie das nie bemerkt. Für sie war Katori immer das Zeichen der Stärke gewesen.

Das Lied war eine regelrechte Symphonie der Trauer um längst vergangene Zeiten. Der Schmerz, welcher nie mehr vergehen wollte…

Dass Rena nun nicht mehr wagte in sein Gesicht zu sehen, zeigte, sie hatte es verstanden.

„Ich wusste nicht, dass sie das so runterzieht, sie sieht eben nie so aus.“

„Meinst du, es hat sie beglückt, als wir uns getrennt haben? Sie hängt noch immer vergangenen Zeiten nach – dabei ist es schon solang her, es sind Jahre, aber nichts hat sich verändert. Diese Frau würde ohne Zögern ihr Leben für meines geben, weil sie trotz Traurigkeit immer noch dazu fähig ist, mich zu lieben. Dumm für sie ist nur, dass es keinen Weg zurückgibt und das weiß sie, was sie noch mehr zerstört.“ Ja, es hatte ein bisschen was in ihr zerstört – ihr Herz hatte einen Sprung und drohte ganz zu zerbrechen…

Wenn jemand sie zerstören konnte, dann war es Katori selbst, weil sie sich selbst so fertig machte.

„Nein!“

Niemals hatte sie gedacht, dass es sie beglückt hatte – wieso war er so zynisch?

„Das alles kommt tief aus ihrem Inneren - wie muss es da wohl aussehen?“ Er musste aufpassen, dass sein Mitleid ihn nicht irgendwann auch mal verrückt machte, weil er sie nicht mehr lieben konnte und sie bei ihm keinen Hehl daraus machte, was sie eigentlich noch immer von ihm wollte.

„Wenigstens treibt ihre Liebe sie nicht so sehr in den Wahnsinn, dass sie darüber geiert, dich aus meinem Leben zu schaffen, so wie gewisse andere Frauen, deren Namen ich mir nun verkneife.“ Auch wenn sie hochkarätig eifersüchtig war, das hatte sie noch nie dazu hingerissen, seiner Freundin etwas anzutun… Das rechnete er ihr hoch an und ließ ihn Sympathie für sie empfinden.

„Die Liebe kann Menschen zu kalten Leuten machen, bei ihr ist das nicht so. Dafür ist sie viel zu nett. Sie würde niemals etwas tun, was dein Leben gefährden würde.“ Dass er damit zugab, sie würde Rena niemals körperliches Leid zufügen, aber seelisches schon, bemerkte er nicht wirklich.
 

Der Himmel war ein einziges düsteres Inferno von weit entfernt. Die Hölle, in die er sich momentan befand, wollte kein Ende nehmen.
 

Deine Augen…

Immer noch so klar und rein

Süß wie ein junges Mädchen

Deine aschfahle, weiße Haut

Sie glitzert und schimmert

Rein optisch gesehen passt sie nicht

Nicht zu deinem entzückenden Kleid

Welches im Wind flattert

wie die zerbrechlichen Flügel eines Schmetterlings
 

Zu jeder Jahreszeit, die ich mir für die Ewigkeit für uns wünschte

Frühling… Die Zeit der Liebe

Selbst wenn du diese tief in mir verborgene tiefe Liebe nicht erwidertest

Diese stille Qual lauerte mir heimlich und leise auf

In der Dunkelheit und ergriff Besitz
 

Sie sollten alles zu Asche verbrennen

Auf blutige Art und Weise sollten sie für alles büßen
 

Niemals wieder werden deine hübschen Augen diese wundervolle Dämmerung sehen

Selbst wenn ich nun dieses Leben opfere

das ohnehin niemals wahr werden wird

Auch wenn ich meine Seele zum Tausch anbiete

Du erwachst nicht von den Toten

Auch nicht mit meinem allerletzten Kuss
 

Wer schenkte dir nur dieses Leben?

Wer wünschte sich es zu gebären mit einem solchen leidvollen Ende?

Wie oft habe ich dein Gesicht still und heimlich betrachtet, wenn du schliefst

Wie lang

Bis der zärtliche Hauch uns beide in den Schlaf wiegte


 

Den geschriebenen Text konnte man kaum noch erkennen, da seine Tränen die Tinte bereits stellenweise verwischt hatten.

Nichts würde mehr so wie früher sein. Die Leute, die ihre glückliche Zukunft nicht nur zerstört, sondern auch ihr Leben ausgelöscht hatten – er wünschte ihnen allesamt den grausamsten Tod, den man sich vorstellen konnte…

Wie oft in den letzten Stunden hatte er darüber nachgedacht, sich einfach aus dem Fenster zu werfen, alles zu beenden? Alle Hoffnung, die sich in ihm aufgebaut hatte bis zuletzt, war mit einem Schlag vernichtet worden.
 

Anscheinend würde es nur einmal regnen und zwar die Nacht hindurch. Als der junge Mann aus dem Fenster schaute, bot sich ihm das schöne Schauspiel von sich im heftigen Wind wiegenden Bäumen. Sie beugten sich der Naturgewalt, waren chancenlos.

Er zog den Vorhang zur Seite und konnte so auch vom Bett aus den Regen beobachten.

Es war als wenn jemand unendlich trauerte, jedenfalls sah es dem Braunhaarigen so aus. Er setzte sich aufs Bett und begann die Melodie auf seiner Gitarre zu spielen, welche er immer spielte, wenn es draußen in Strömen regnete.
 

Vom Badezimmer aus hörte eine 22-jährige junge Frau ihren so genannten Freund auf seiner Gitarre spielen, traurige Melodie. Akustik-Gitarren machten sie immer ganz sentimental. Sie betrachtete sich schon seit geraumer Zeit im Spiegel, bewunderte ihre Gesichtszüge, ihre glänzenden schwarzen Haare. Je länger sie sich ansah, umso mehr begann sie ihr Spiegelbild zu hassen. Die junge Frau sichtbar im Spiegelglas, das konnte unmöglich sie sein. Hätte sie nicht auf dutzend Schulfotos den Beweis gehabt, dann hätte sie sich vor ihrem eigenen Aussehen gefürchtet. Das erste Mal hatte sie es im Krankenhaus gesehen, gleich darauf den jungen Mann, der gerade Gitarre spielte. Sie könnte schwören, dass sie sich vertraut waren, aber sie hatte ja nicht einmal seinen Namen frei heraus nennen können. Aber das war längst nicht alles – als die Ärztin sie nach ihrem Namen gefragt hatte, konnte sie genauso wenig antworten. Alles war wie weggewischt. Am schlimmsten war das Fernsehen, was man ihr angeboten hatte. Zwar nur fünf Minuten, doch diese hatten ausgereicht, dass sie sich schreiend den Kopf hielt.

Alles, was sie jetzt über sich selbst und ihre Familie wusste, hatte man ihr erzählt…

Aus irgendeinem ihr unerklärlichen Grund konnte sie diesen Personen jedoch vertrauen.

Ihm, dem Musiker, der sie immerhin gerettet hatte, als sie im Regen gelegen hatte.

Aber auch dem Polizisten, der sie gleich beim selben Namen genannt hatte, wie er. So war sie wenigstens sicher, dass es auch wirklich ihr Name war.

So wenig ihr geblieben war, an eines schien sie sich viel zu genau zu erinnern.

Ein Mann mit hoher Stimme, der sagte: Töte deinen Bruder, oder du wirst es bitter bereuen, mein Kind! Zu dumm war, dass sie sich zwar an das Gesicht des Schwarzhaarigen genau erinnerte, jedoch nicht daran, welchen von den beiden er gemeint hatte. Einer von ihnen war in Gefahr und sie konnte nicht sagen, ob ihr Adoptivbruder oder ihr leiblicher Bruder.

Wie gern wollte sie sich an die gesamte Konversation erinnern…

Oh wie gern hätte sie ihm geholfen...

Ob nun ihrem Retter oder ihrem Bruder, es war ganz egal, sie waren beide furchtbar nett zu ihr, schon seit sie im Krankenhaus aufgewacht war.

Aber wie sollte man anderen Menschen helfen, wenn man nicht einmal in der Lage war sich selbst zu helfen?

Die Klänge hatten aufgehört, übrig blieb nur der Regenfall, der gegen die Scheibe des Badezimmers klopfte und dann seine Schritte. Hart klopfte er gegen die Tür, weshalb sie wenig später heraus kam, er musste gar nichts sagen.

„Du warst aber lange da drin, ist dir nicht gut?“

„War alles etwas viel, ich habe Kopfweh… Ich leg mich hin.“

Schon als sie sagte, es wäre alles zu viel gewesen, streckte er die Arme aus und wollte sie in diese schließen, doch da war sie ihm ausgewichen und an ihm vorbei.

„Es hat ja auch keiner gesagt, du sollst gleich am ersten Tag ins Präsidium gehen“, warf er ihr hinterher und folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie hatte sich auf sein Bett – oder eher ihres, so sicher war sie nicht einmal – gesetzt, es war dunkel, kein Licht brannte.

„Das kann nur einer sagen, der mit der Polizei nichts am Hut hat; ich muss doch auf ihn aufpassen…“ Wenn man ihn wirklich töten wollte, dann würde über früher oder später etwas passieren, sie wollte da sein.

„Bitte?“ Ein Lachen kam von ihm, er fand es komisch, dass sie meinte ihren Bruder beschützen zu müssen. „Er hat noch nie einen Schutz gebraucht! Und glaubst du wirklich, er lässt sich von einem Mädchen beschützen? Du hast mit seinen Problemen NICHTS zu tun, nicht das Geringste, halt dich da bitte raus!“

„Das kann ich nicht! Ich habe mich für die Polizei entschieden, wie meine Mutter! Ich kann nicht einfach darüber hinwegsehen, was ich weiß.“

„Sie ist nicht deine Mutter“, widersprach er ihr mit etwas erhobener Stimme, „und du bist auch NICHT meine Schwester! Du hattest geschworen, mich nie mehr als deinen Bruder zu bezeichnen… Wir sind keine Geschwister, man hat uns dazu gezwungen, das zu fühlen… Unser Vater hat sich dazu entschieden, er wollte seiner Frau unbedingt ein Kind schenken – die Wahl fiel auf dich, er hat dich ausgesucht wie man ein Tier aussucht und es jemandem schenkt… Nur weil sie dich Tochter nennen, muss ich dich nicht auch Schwester nennen, das wäre ja auch wohl das Allerletzte, nachdem wir nun schon seit so vielen Jahren mehr als Geschwistergefühle hegen.“

Schon im Krankenhaus hatte sie bemerkt, dass er sehr empfindlich auf dieses Thema reagierte. Er hatte wohl Angst, sie könne sich umentscheiden, ihn plötzlich doch wieder verlassen und ihn wieder Bruder nennen. Jetzt, da sie ihr Gedächtnis fast gänzlich verloren hatte, musste es am schlimmsten für ihn sein, sie wusste ja nicht einmal mehr, wie sie für ihn empfunden hatte. All das, was er ihr erzählte, sie erinnerte sich nicht daran.

„Ich weiß, ich weiß – so etwas sollte ich nicht sagen. Es tut mir auch Leid, dass ich wohl ständig darauf herumreite, dass du mein Bruder bist.“ So gesehen, war er das ja auch, sie hatten fast ihr gesamtes Leben im gleichen Haus, mit den gleichen Eltern, mit den gleichen Geschwistern erlebt.

„Ich BIN nicht dein Bruder!“ Man musste befürchten, dass er gleich ausrasten würde, seine Stimme wurde nämlich noch um ein vielfaches lauter. „Also sag es nicht immer so!“

„Schrei doch nicht… Ich weiß, dass du die Tatsachen gerne verdrehen möchtest. Muss man blutsverwandt sein, um jemanden als Bruder zu bezeichnen? Ich denke, du kennst die Antwort.“

Sie war eben anderer Meinung, wieso versuchte er immer wieder, sich daran zu klammern, dass sie gar nicht seine Schwester war, fühlte er sich dann besser?

„Uns kann keiner verbieten zusammen zu sein, was unsere Eltern nicht daran hindert, es dennoch zu versuchen. Sie versuchen es jedes Mal wieder… Und am Ende stehe ich wieder als missratener Sohn da – was ich ihrer Meinung ja schon alleine deswegen bin, weil ich nicht nach Vaters Pfeife tanzen wollte.“ Ihrer Meinung nach hätte er studieren sollen, am besten Jura. Wie gut konnte er Kimiko verstehen, sie hatte ein ähnliches Schicksal erlitten.

„Liegt das nicht in der Familie?“ Mitsuki schüttelte den Kopf. „Yui hat es doch genauso gemacht.“

„Bei ihr ist es ihm aber egal. Ihm ist egal, was das Kind seiner Geliebten tut, er hat sie nie als seine Tochter anerkannt. Dass er sie trotzdem geschlagen hat, hat andere Gründe. Er hätte sie gerne ausradiert. Ihre Mutter hat sie ihm ja auch aufgezwungen, weil sie kein Kind gebrauchen konnte, leider war es schon da und meine Mutter hatte Mitleid mit dem armen Kind. Auf meine Mutter ist wenigstens Verlass, mein Vater ist ein Mistkerl.“

Dass sie in dem Punkt ihren Kopf gegen den Hausherrn hatte durchsetzen können, war ihm noch immer ein Rätsel, obwohl er sich noch an den Abend erinnerte. Seine liebe Mutter hatte sich die gesamte Nacht und den nächsten Tag über um Yui-chan gekümmert. Sie hatte ihr ja auch den Namen gegeben, es war ihr Kind, auch wenn sie es nicht geboren hatte. Obwohl sie aus einer Affäre ihres Mannes mit einer reichen Frau hervorkam, hatte sie das unschuldige Kind niemals dafür verteufelt, das hatte sein Vater zur Genüge getan, da so sein Seitensprung aufgedeckt worden war. Der angesehenste Anwalt der Gegend hatte eine Affäre mit einer reichen Geschäftsfrau. Wie ein Lauffeuer hatte es sich über der Stadt verbreitet, ab diesem Zeitpunkt hatten seine armen Kinder nichts mehr zu lachen, aber am wenigsten Yui, immerhin stammte sie von einer inakzeptablen Frau ab. Vergleichbar mit einer Professionellen…

„Was du über ihn erzählt hast, reicht mir, es ist besser wir reden nicht über ihn, lass dich von ihm nicht runterputzen. Er sollte sich schämen, seine Familie so schändlich zu hintergehen, zumal sie zu dem Zeitpunkt schwanger gewesen sein muss. Es gehört schon ziemlich viel dazu, seine schwangere Frau mit einer anderen Frau zu betrügen. Er hätte ihre Gefühle genauso gut mit Füßen treten können. Du würdest doch niemals so etwas tun? Du würdest keiner Frau so etwas antun?“

Die Frage traf ihn doch etwas heftig, er senkte den Blick, um ihren Augen auszuweichen. „Wie kommst du überhaupt auf die Idee? Natürlich würde ich dir so etwas niemals antun!“ Empört in seiner Stimmlage richtete er nun sein Gesicht auf sie und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn an. „Es ist nun schon acht Jahre her, meinst du nach all den Jahren würde ich dich noch verlassen?“ Sein Herz klopfte wie wild, es war nicht einfach für ihn, sie so zu belügen. Aber dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte und sich an ganz bestimmte Dinge nicht erinnerte, die vorgefallen waren, war ihm nur Recht.
 

Mittlerweile schlug die Uhr Mitternacht, doch am Wetterumstand hatte sich rein gar nichts geändert, noch immer regnete es in Strömen, so dass die Lokale und Restaurants überfüllt waren. Viele waren schlichtweg ins trockene geflüchtet.

Der 26-jährige guckte hinaus, und sah wie an den Fenstern die Tropfen regelmäßig in Schlangenlinien über das Glas liefen. Der Sturm hatte einen Mülleimer umgeworfen, so dass sich der ganze Müll auf der Straße niederlegte. Langsam könnte es mal aufhören zu regnen, aber er störte sich gerade wenig daran, er hatte seinen Jack Daniels, welchen er an der Bar trank.
 

Es waren seit er gekommen war, kaum Leute gegangen. Sie mieden den Regen, eigentlich war es auch nicht mehr wirklich nur Regen, sondern ein regelrechter Sturm, denn Schirme nutzten schon lange nichts mehr. Er hatte weder einen Schirm dabei noch wasserfeste Klamotten. Wenn er raus ginge, wäre er im Nu durchweicht, selbst wenn er nur zu seinem Auto musste.

Nach langer Zeit hörte man endlich mal wieder die Tür. Eine gut aussehende, dunkelbraunhaarige Frau trat direkt hinter ihn und verlangte einen Cognac zum aufwärmen. Auch sie war vom Regen erwischt worden, er schielte nach hinten.

Offene Schuhe…

Kurzer Rock…

Sie musste total durchgefroren sein. Warum kam sie erst jetzt?

„Um Gottes Willen waren Sie bei dem Wetter etwa noch draußen?“ wollte der Kellner wissen und rannte um die Theke herum, kümmerte sich gleich um die hübsche Frau.

„Ich bin mit dem Auto gekommen; ich bin okay! Ich bin auch nicht aus Zucker und werde nicht zerlaufen.“

Irgendwoher kannte er die Stimme.

Sie veranlasste die Leute auch sofort zum Tuscheln, das hörte er ganz genau, wie sie alle über sie sprachen. Jetzt wollte er es auch wissen und drehte den Kopf ganz zu ihr. Obwohl er ihr Gesicht nur von der Seite sah und ihre Haare es halb bedeckten, durchfuhr es ihn wie ein Blitz, er wäre beinahe aufgesprungen, als er sie erkannte.

„Wie wäre es mit einem schönen heißen Sake?“

„Nein danke, ich möchte einen Cognac!“ beharrte sie, weshalb die Leute noch mehr tuschelten, was aber kein Wunder war. Sie war nicht unbekannt, weshalb es wohl auch so schockierend war, dass eine solch hübsche Frau nach einem Cognac verlangte.

„Na gut, kommt sofort. Ganz hinten ist noch ein Tisch frei, direkt am Ofen.“

Man hörte ihre Absätze, sie ging elegant zum empfohlenen und ließ sich an diesem nieder. Ihre Jacke wurde von einem Bediensteten entgegen genommen und auf einen Bügel in der Garderobe fein säuberlich aufgehängt. Man versuchte besonders zuvorkommend zu sein.

Die Frau, welche keinesfalls als Japanerin durchging, schlug eins ihrer Beine über das andere und gab für die Herrn des Lokals einen netten Blick auf ihre Beine frei, so dass auch ihr Bekannter sie mit gierigen Blicken auffraß, aber auch etwas bewunderndes im Blick hatte. Er zögerte nicht lang, nahm seinen Jack Daniels und ging zu ihr hinüber. Seine Schuhe trugen noch immer Wasser quer durch den Raum, der Boden war längst voller Fußabdrücke.

„Ist der Platz noch frei?“ fragte er äußerst charmant, weshalb die Dame ihm ihren Blick schenkte.

„Bitte.“

Den Stuhl zurechtrückend, ließ er sich auf diesem nieder und grinste ihr entgegen.

Dass die Gäste erneut intensiv tuschelten, war kein Wunder, kaum einer hätte es gewagt, sich zu ihr zu setzen. Sie sah schon aus, als käme sie aus gehobenen Kreisen, jedenfalls ließen ihre Kleidung und ihr Schmuck darauf schließen. Doch das täuschte, sie war schlichtweg hineingeraten.

„Schickes Outfit, was würde dein Bruderherz nur dazu sagen?“ meinte der Gleichaltrige mit einem leicht schelmisch wirkenden Blick, was der weiblichen Person am Tisch aber auch verriet, dass er sie erkannt habe musste.

„Er würde sagen: Willst du, dass die Männer dich bei lebendigen Leibe auffressen?!“ Sie zuckte mit den Schultern, sie war ungern ein braves Mädchen.

„Warum Verkleidung? Wieso Namensänderung?“ flüsterte er, zwischen ihnen und dem nächsten besetzten Tisch waren einige Meter, so dass man sie nicht hörte. Sie beugte sich leicht über Tisch, was für alle Insassen geradezu nach „Skandal“ schrie. Eine Frau wie sie und ein Mann, sie kamen sich näher, es würde mit Sicherheit in allen Zeitungen stehen. Dabei waren Leute wie Chris Vineyard für solche Dinge eher zuständig, als sie. Sie hatte sich bisher immer benommen und sich um ein reines Image bemüht.

Ihr sein Ohr hinhaltend, sah es aus, als wollten sie flirten, dabei war sie nur dabei ihm seine Frage zu beantworten. „Das solltest du am besten wissen, weshalb. Du kennst mich schon so lang’… Eigentlich weißt du es doch schon, nicht wahr?“

„Ach, so ist das“, es war amüsant, sie lachte innerlich sicher über ihn, dass er sie noch fragte. „Ich dachte schon, du hättest den Berufszweig geändert.“ Es war albern, so etwas passte nicht zu ihr.

„Ach, so wie du? Nein, da muss ich dich enttäuschen, so viel gemeinsam haben wir nicht. Ich bin meinem Beruf treu geblieben, das wird sich auch so schnell nicht ändern.“ Dass sie sich in die High Society schleichen könnte, war ein Fakt, sie kam aus einer gut angesehenen Familie und war doch überhaupt nicht daran interessiert, zum Spießer zu werden.

„Du bist also noch immer Detektivin“, was wie eine Feststellung klang, war der Anfang einer Frage an sie. „Könntest du mir vielleicht einen Gefallen tun?“

„Welchen?“ Bevor sie nicht wusste, um was es sich handelte, würde sie weder annehmen, noch ablehnen.

„Meine Verlobte war in eine Sache verwickelt und ich weiß nicht, was ich glauben soll. Es sind so viele Dinge passiert – könntest du sie beschatten? Und ein bisschen auf sie Acht geben? Das wäre ein sehr großer Gefallen. Ich bin leider nicht immer da und kann nicht immer selbst auf sie Acht geben, sie ist noch jung und gerät zu gern in irgendwelche Sachen. Ich will gern wissen, ob sie vielleicht irgendwelche Geheimnisse vor mir hat… Es ist nicht so, dass ich ihr nicht vertraue, das wäre albern, aber es gibt sicher etwas, was sie mir nicht sagt.“

„Du willst deine Verlobte ausspionieren? Das ist ganz schön frech, sollte sie das rauskriegen – wie würde das denn aussehen?“ Es würde aussehen, als wenn er ihr misstraute. Sie hätte nicht gedacht, dass er solche Angst hatte.

„Ich kann ihr diese Fragen nicht stellen – sollten meine Vermutungen nicht zutreffen, wäre das ein ziemlicher Vertrauensbruch und bei weitem schlimmer, als wenn du sie ein bisschen im Auge behältst.“

„Was müssen das für Vermutungen sein, dass du es nicht selbst wagst, sie danach zu fragen…“ Es war nur ein schlichter Gedanke, den sie hegte, er glaubte seine Beziehung damit kaputtzumachen, was konnte man einem Menschen unterstellen, dass er solche Konsequenzen zog.

„Was ist es, was du ihr zutraust?“

„Mittäterschaft bei einem Mord.“

Das waren schon ziemlich heftige Anschuldigungen. Würde ihr Freund oder Verlobter – ganz egal – ihr so etwas zutrauen und es wäre eine haltlose Anschuldigung würde sie wohl auch ziemlich sauer werden. „Das ist eine ziemlich derbe Anschuldigung… Was an dieser Frau gibt dir den Grund zu dieser Vermutung?“ Es musste ja einen Grund geben, dass er ihr das zutraute. Nur weil er detektivische Fähigkeiten besaß, hieß das noch lange nicht, dass er einfach so einen Menschen verdächtigte, da Detektive in jedem einen Verdächtigen sahen.

„Mal ganz davon abgesehen, dass die Verstorbene wie ihre Schwester, die sie hasst, aussieht, war sie über ihre Tod nicht sonderlich traurig – sie lehnt es sogar ab, auf ihre Beerdigung zu gehen. Sie sollte mich begleiten, was normal gewesen wäre, da sie Kolleginnen waren, aber sie wehrt sich vehement dagegen. Darüber hinaus ist sie ein eifersüchtiges Biest, das bei jedem Anzeichen von Untreue in die Luft gehen möchte. Bei meinem Ruf nachvollziehbar, aber im Fall der Toten doch sehr übertrieben. Ich weiß nicht, ob es nicht doch daran liegt, dass ich etwas mit ihrer Adoptivschwester hatte, bevor wir zusammen kamen, oder es an etwas anderes liegt. Ich kann das alles noch nicht so wirklich fassen. Ihr Bruder ist bei der Polizei und hat bei dem Fall mitgewirkt. Und meine Verlobte benimmt sich seitdem total komisch, sie versucht mich auch von ihm fernzuhalten. Auch hatten sie kurz vor dem Todesfall einen ziemlich heftigen Streit. Es gibt so vieles, was mir durch den Kopf geistert und ich fände es doch weniger schön, wenn die Frau, die ich plane zu heiraten, in einen Mordfall verwickelt wäre…“

„Oh – an ihrer Stelle würde ich meine Schwester auch hassen… was muss diejenige abgebrüht sein…“

„Es ist viel schlimmer, als du denkst! Obwohl’s schon so lang’ her ist, hat es seine Spuren hinterlassen. Ihre Schwester hat es total übertrieben. Wir waren zwar kein Paar, doch hat sie es so aussehen lassen und es meiner Verlobten bei jeder Gelegenheit dick unter die Nase gerieben. Ich kann von Glück reden, dass ich rechtzeitig erkannt habe, was gespielt wurde. Manchmal glaube ich, dass ihre Schwester mich nur wollte, um ihre kleine Stiefschwester zu triezen.“

„Du stehst wohl auch darauf, benutzt und gequält zu werden, oder? So was selbst zerstörerisches aber auch, bist du denn immer noch nicht erwachsen geworden?“

„Ich fahre überhaupt nicht darauf ab, benutzt und gequält zu werden und noch weniger kann ich es leiden, wenn man andere versucht mit mir zu quälen. Ich kann ihre Schwester nicht leiden. Wie kann so ihrer Schwester so was antun? Hat die kein Gewissen? Und dabei ist mir ziemlich egal, dass sie als Kind mal versucht hat sie mit einem Kissen zu ersticken! Bei so einem Miststück wundert mich das auch nicht mehr und ich kann ihr nicht einmal böse sein! Es wundert mich nur, dass sie nicht mal versucht hat sie mit einem Küchenmesser zu erstechen, nachdem sie ihr reingewürgt hat, wie toll ich bin, wie sehr sie mich anbetet, und noch ganz andere Sachen, die andere nichts angehen… Aber zu weit gegangen ist sie, als sie ihr offenbarte, dass wir heiraten wollen. Daran hatte ich überhaupt kein Interesse, sie hat das alles erfunden. Es hat nur alles schlimmer gemacht. Ihre Eltern waren weniger begeistert, dass ich mit einer 17-jährigen zugange war. Und da ihr Vater sie sowieso für eine Hure hält, habe ich nur alles fein bestätigt. Dieses kleine Miststück hat alles brav so gedreht, als hätte ich sie mit ihr betrogen. Und ihr Bruder hätte mich damals fast vom Balkon gestürzt deswegen.“

Er war also von dieser Frau regelrecht ausgespielt worden, es war wohl nicht besonders toll zu erkennen, dass man reingelegt worden war. „Ich frage nicht nach, was die anderen Dinge waren, die sie rumposaunt hat, ich denke mir einfach meinen Teil, das wird in deinem Sinne sein. Aber irgendwie hast du das verdient. Hast du früher Frauen benutzt, so hast du wenigstens erfahren, wie es ist.“ Es war ja nicht einmal böse gemeint, aber verkneifen konnte sie sich das Ganze nicht wirklich. „Was muss das bitter sein, mhm? Und ich dachte, du lässt dich nicht verarschen.“

„Ich weiß auch nicht, wie ich auf sie fliegen konnte…“ Außer ihr etwas nettes Aussehen fiel ihm da nichts ein, was sie attraktiv für ihn gemacht hatte.

„Also gut – ich kenne jemanden, der sie etwas im Auge behalten kann, ich bin leider total ausgelastet. Sie ist bei meinem Bruder in den besten Händen, er wird sie mit Argusaugen beobachten, darauf kannst du Gift nehmen.“

Es hätte die Leute im Lokal sicher total interessiert, was sie sprachen, doch flüsterten sie noch immer, ungehört und geheimnisvoll, was es jedoch noch spannender machte, sie belauschen zu wollen.

„Ihren Namen musst du mir aber schon noch verraten, ich erzähl’s auch nicht weiter – will dir ja keinen Skandal andichten.“

„Ach komm, du weißt wie ich, dass es unnötig ist, den Namen auszusprechen, wenn du willst, findest du den selber raus. Wozu bist du Detektivin? Und dazu noch eine richtig gute, ich würde dir jeden Fall anvertrauen.“

„Aber einen Gefallen soll ich dir tun… Wenn du vermeiden möchtest, dass ich dir folge und in euer Schlafzimmer gucke, sag ihn lieber gleich…“ Sie würde im Zweifelsfall auch so etwas tun, in seinem Fall war es aber eher nur Spaß.

„Sie ist die Schwester vom Sänger der Band IRON KISS“, verriet er ihr, aber nicht weil er Angst hatte, dass sie ihn beobachten würde, das wäre ihm im Grunde bloß Recht gewesen.

„Mhm… Du klebst seit 3 Jahren an ihr, das ist schon lang.“

„Nein, falsch – ich klebe seit 5 Jahren an ihr, vor 3 Jahren habe ich in den sauren Apfel gebissen… Deine Schlussfolgerungen lassen nach.“

„Das war keine Schlussfolgerung, sondern blind geraten, immerhin hast du von einer 17-jährigen gesprochen, mittlerweile ist sie aber gar nicht mehr so klein. Sie ist volljährlich und komplett strafmündig. In einem Mordfall hättet ihr wenig zu lachen. Ich hoffe, dass du der Polizei nicht irgendwelche Indizien vorenthalten würdest, das würdest du bereuen. Mit solchen Leuten verfahren sie besonders hart, du verstehst mich, oder?“

„Glaubst du allen ernstes, dass ich sie ans Messer liefern würde??“

„Irgendwie bezweifele ich das – nachdem du sich mit ihren Eltern angelegt hast.“ Ihre Menschenkenntnis hatte sie außerdem noch nie im Stich gelassen.“

„Ihr Vater wollte mir damals die Polizei auf den Hals hetzen – weil ich sie bei mir versteckt hatte. Die Anschuldigungen waren: Verführung Minderjähriger, Kindesmissbrauch, Entführung und Freiheitsberaubung.“

„Kindesmissbrauch an einer 17-jährigen??“ Sie war entsetzt, auch wenn Väter in dem Punkt wohl ziemlich drastische Methoden hatten. „Und welche Art von Nadel hast du ihm zurückgeschickt, um ihn zu pieksen?“

„Körperverletzung… Er hat sie so sehr verprügelt, dass er mit seinen Anschuldigungen nicht durchkam, denen war schnell klar, dass ich sie nur bei mir versteckt hatte, weil er sie körperlich gezüchtigt hatte. Das einzige, was mir wehtat, war der Fakt, dass sie gegen den Willen ihrer Eltern mit einem Mann zusammen war, der um einiges älter als sie ist, damit konnten sie mir leider auch eins reinwürgen. Und dann kam er auch noch mit einstweiliger Verfügung an… Waren keine netten Zeiten…“ Wenigstens konnte ihnen nun endlich niemand mehr was, ihre Eltern hatten nun überhaupt nichts mehr zu melden, sie hätte sowieso immer getan, was sie wollte, egal ob man es ihr verbot.

Die 26-jährige hatte wenig Lust, Dinge herauszufinden, die ihnen mehr schadeten, als ihnen am Ende hilfreich sein würden, aber es war auch ihr Job, Ungerechtigkeit zu verhindern. Und wenn die Kleine was mit einem Mordfall zu tun hatte, würde er dabei auch weniger gut wegkommen.

„Ich hoffe für dich, dass sie nichts damit zu tun hatte, zumindest nichts, womit sie sich strafbar machen würde. Und dass du nicht in die Lage kommen magst, sie decken zu müssen. Das wäre der Anfang vom Ende…“

Es waren nun fast zehn Minuten vergangen und der Cognac kam, sie würde nie mehr hierher kommen. Zehn Minuten für einen Cognac, was hatten die denn für Probleme?

„Ging das nicht schneller? Maulaffenfeil halten war wohl wichtiger als das Bedienen der Geste“, meinte sie zu dem Kellner, der sich bestimmt 10-mal bei ihr entschuldigte, dass es solange gedauert hatte.
 

Ein 19-jähriger Junge hatte keine ruhige Nacht mehr. Als er die Tür passiert hatte, sah er Blut am Boden und Iwamotos Mutter mittendrin. Die Treppe hinaufsteigend sah er das nächste Blutbad, diesmal sein Vater mittendrin. Er sah sofort, was Caprino wohl getan hatte. Es stand in dem Moment für ihn fest, dass er ihm zumindest das Leben retten musste, ganz anders als das, was nun unwiderruflich verloren sein würde… Es war eine weitaus schlimmere Strafe, als ihn nun sterben zu lassen…

Trotz allem – auch wenn er ihn nicht einmal mochte – würde er ihn nicht einfach liegen und verbluten lassen. Hätte er nicht Caprino und Vespolina damit beauftragt, das Kind zu retten, würde sein Vater längst nicht mehr leben. Die wenigsten, die Jamie mochten, hätten ihn verschont und schon gar nicht Carpano und Cinzano – ebenso wenig hätte Cencibel oder Plavac ihn leben gelassen. Sie hätte ihn wohl auch eiskalt einfach abgeknallt.
 

Auch im Zimmer des Jungen war es dunkel. Obwohl es bereits nach Null Uhr war, schlief er nicht, wie Ran dachte; er hatte sich schlafend gestellt und blätterte in einem Buch, auf der Suche nach der Wahrheit. Letztendlich hielt er es nicht mehr aus und er wusste auch, dass irgendetwas da drin stehen würde, was ihn todsicher interessierte – Sachen über die Organisation. Sicherlich würde es ihn länger fesseln.

Auf Seite 40 fand er zufällig gleich einige Sachen, die ihn doch mehr interessierten.
 

14. April

Rena hat eine Möglichkeit gefunden, die Regeln zu umgehen… Vielleicht wird doch bald alles wieder gut?


 

Es nervte ihn ein wenig, dass sie es so umschrieb, aber aus solchen Worten konnte man ja schon folgendes schließen: Rena hatte einen Plan geschmiedet, um die Regeln innerhalb der Organisation zu umgehen.

Als er weiter las, klopfte sein Herz gleich heftiger.
 

15. April

Wir wurden belauscht… Kenichi weiß alles! Nur durch Renas Hilfe konnte ich verhindern, dass man IHN tötet… Ich fühl mich schrecklich. Und ich dachte, es würde alles gut werden. Ich weiß jetzt endlich, weshalb so viele Paare zerrissen werden. Es ist eigentlich immer dasselbe… Ein Wort von ihm zur Polizei und wir sind BEIDE tot! Ich hatte noch nie so viel Angst, noch nie kamen die Tränen so fürchterlich aus meinen Augen geschossen… Ich denke, es hat gewirkt.


 

Kenichi war wohl auch ein Organisationsmitglied…

Mit IHN war wohl Kimikos Freund gemeint. Rena hatte ihnen geholfen. Er wollte zur Polizei gehen und sie versuchte es zu verhindern, auch indem sie ihm Tränen vortäuschte, so ein böses Mädchen. Und er ließ sich von ihr erweichen…

Darauf folgte eine Pause von 4 Tagen, bevor wieder etwas spannendes für den 8-jährigen kam.
 

20. April

Neue Regeln, neues Glück?

Ich werde ab jetzt nicht mehr widersprechen, nie wieder… Ich mische mich auch nirgendwo mehr ein.


 

Hatte sie irgendetwas für die Organisation Schändliches getan? War es das, was Rena geplant hatte und sie hatte mitgewirkt? Ein sicheres Todesurteil.
 

25. April

Katori ist ein Mitglied der Organisation… Ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll. Mich freuen oder trauern? Sie ist so ein netter Mensch, immer freundlich und fürsorglich. Ich kann nicht glauben, dass sie vor meinen Augen…


 

Eine gewisse Katori hatte sich ebenfalls als Organisationsmitglied entpuppt und so wie es sich las, war sie ebenfalls eine Mörderin…

Eines war ihm suspekt: Sie nannte die Personen stets beim Vornamen. Zu gerne wollte er wissen, wie sich innerhalb dieser Bande schellten… Ihre Codenamen… Ihre Alkoholsorten…
 

Katori und Kenichi – was man wohl über sie herausfinden konnte? Er würde sich erst einmal an SHERRY wenden…

The lurking complot

Erst einmal danke für den netten Kommentar zum letzten Teil, Ryolein...

Tut mir Leid, dass du bei Chardonnay so viele Vorstellungen hattest XD ich musste das so schreiben, es hat zu gut gepasst!

Ich finde es schockierend, dass du schockiert davon warst, dass Juu Ken vom Balkon hat werfen wollen *lol* Du sagst einen Satz vorher, dass er durchgeknallt ist und dann wundert dich das noch? Unfassbar wirklich XDDD
 

Und da du ja so danach verlangst: Ja, es gibt neue Steckbriefe, du solltest sie dir reinziehen, bevor du diesen Teil anfängst! Bis auf eine Person sind sie alle IRGENDWO vorhanden!
 

Also Have Fun!

Natürlich auch den anderen...


 


 


 

Es war noch früh am Morgen und der Kommissar war nicht ausgeschlafen, er hatte so gut wie kein Auge zugemacht, wenigstens hatten sich die meisten Unannehmlichkeiten im Präsidium gelegt. Er wurde nicht mehr von seinem Kollegen belästigt und es war im Gespräch, dass er eine Kollegin bekommen würde. In seinem Kopf geisterten die verrücktesten Sachen; wie sie wohl aussah; ob sie eine gut aussehende, vor allem junge Dame war, an der er sich versuchen konnte.

Die Frauen waren hier ja leider sehr rar und an Miwako hätte er sich niemals herangemacht. Es war ein offenes Geheimnis, wohin sie gehörte.

Auf einmal begann das Telefon zu klingeln, er griff sofort nach dem Hörer und hob ab. Es war reine Routine.

„Guten Morgen, Iwamoto – wir bekommen eine neue Polizeipsychologin, wusstest du das?! Sie heißt Yakko Kajiwara und wird heute Nachmittag anfangen. Hallo, Sêiichî? Du sagst ja gar nichts… Was hast du?“

„Ich dachte, ich kriege eine neue Kollegin??“ Er hatte die Füße auf den Tisch gelegt und wippte mit dem Stuhl; es hatte sich seit seiner Schulzeit nichts geändert, er war noch immer wie ein kleiner Junge. „Aber ich bin doch etwas überrascht, es ist nicht ihr Berufszweig – ich meine die Polizei… Was sie wohl in Tokyo will…“ Er stellte sich diese Frage unwiderruflich, ob sie hier wohnen wollte und deswegen auch einen Job bei der Polizei annahm? Es war ihm nicht ganz klar, er hatte seine Exfreundin lange nicht gesehen.

„Sie soll ein heißer Feger sein – was beschwerst du dich? Da lässt du dich doch gerne therapieren… Du kannst ihr ja gleich deinen Kummer anvertrauen…“

Sêiichî schmollte etwas, was der Anrufer jedoch nicht sehen, aber im nächsten Moment doch deutlich hören konnte. „Was soll das heißen?! Ich springe nicht jede gut aussehende Frau an…“

„Nein – du doch nicht, lieber glotzt du dir Bildchen von Chris Vineyard an; die spielt allerdings in einer anderen Liga, was soll sie denn mit einem stinknormalen Polizisten?“

Naoya meinte es ja nicht böse, aber seine Worte trafen ihn – wie oft hatte er sich diese Frage schließlich bereits gestellt?

„Woher willst du wissen, für welche Art von Mann sich diese Frau interessiert? Manchmal reicht schon gutes Aussehen – und ich sehe gut aus, das kannst du kaum widerlegen!“ Man hörte, dass sich Sêiichî sehr viel auf sein gutes Aussehen einbildete, zum Glück wussten die Wenigsten von seinen Narben, die weniger appetitlich aussahen und ihn regelrecht entstellten – fand er jedenfalls. Wie hielt es seine Freundin nur mit so einem Kerl aus? Jedenfalls hatte der Vorfall ihn einiges seines Selbstvertrauens gekostet, es war förmlich von einer unbekannten Macht aufgefressen worden.

„Ich weiß ja, du findest sie unwiderstehlich, Sêiichî, aber es wird kaum einer im Präsidium deiner Meinung sein, für 99 Prozent der Polizisten gibt es nur Miwako Satō.“

„Würdest du sie, wenn du eine Chance hättest, von der Bettkante stoßen?“ kam mit einem fetten Grinsen in Sêiichîs Gesicht, seine Direktheit hatte Naoya schon oft in Verlegenheit gebracht. Und Iwamoto wollte auch immer solche Sachen wissen, er unterhielt sich eben gerne mit seinen Kollegen über Frauen und meistens ging er dabei richtig in Frechheiten über, er hatte doch schon jeden über sein Sexleben versucht auszuquetschen. Was sich manche hier furchtbar quälten – dieser Shiratori zum Beispiel. Seines sah sehr traurig aus, da er sich ja immer nur für Miwako begeistern konnte, für den gab’s einfach keine andere Frau, aber irgendwie konnte Sêiichî ihn auch verstehen. Lange Zeit hatte er keine anderen Frauen beachtet und sich nur für diese eine interessiert… Aber ganz ohne Sexleben…??

„HÖR AUF ZU TRÄUMEN UND MACH DEINE ARBEIT!“

Es wurde aufgelegt und Sêiichî zuckte ein wenig. Mensch, verstand der Mann denn überhaupt keinen Spaß? Konnte man mit ihm denn nicht diese Witzchen machen? Selbst Ryochi verkraftete sie und er war in einigen Sachen anderer Meinung. Naoya wollte sich wohl nicht dazu äußern, was hatte der Typ bloß? Irgendwie war mit ihm was nicht in Ordnung. Hatte er vielleicht ein Frauenproblem?

Als die Tür geöffnet wurde, sendete man gleich ein paar Halbmondaugen zu dem jungen Kriminalisten. Die Kurzhaarige blickte ihn mahnend an, wie ihre Stimme kurz darauf auch klang. „Runter mit deinen Füßen, Iwamoto! Du bist hier nicht zu Hause und im Kindergarten befindest du dich auch nicht, also benimm dich!“ Miwako konnte nicht glauben, dass er 24 Jahre alt war, er benahm sich wie ein kleiner Junge – schon neulich beim Fall hatte er seine nicht vorhandene Reife unter Beweis gestellt.

Wie Naoya ihn wieder abgewimmelt hatte… Unglaublich und nun stänkerte Miwako ihn auch noch an.

„Na komm, sei nicht so zickig, Miwa-chan“, er versuchte es mit einem herzerweichenden Blick. „Ein bisschen Spaß schadet bei unserem Beruf wirklich nicht, schließlich sehen wir fast täglich Leichen…“

„Das ist schön für dich – aber vergiss dabei bitte nicht den ernsten Beruf, den wir da machen, klar?“

So schlimm stand es bisher nicht um ihn, er würde wegen einem Fall doch jede bildhübsche Frau sitzen lassen. Es war eine schöne Nebensache, aber er stellte sie nicht über seinen Beruf. „Keine Sorge, das werde ich schon nicht!“

„Trotzdem tut mir Mitsuki wirklich Leid mit dir als neuen Kollegen – ich hoffe, du weißt dich zu benehmen, sie ist jünger als du, kommt von der Polizeischule und hat noch nicht so viele Erfahrungen, sei nett zu ihr und vermeide es unter ihren Rock zu sehen, das gehört sich nicht! Und fass ihr BITTE nicht an den Hintern.“

Also wirklich – als würden sich die Frauen bei ihm beschweren, weil er so aufdringlich war, das hatte irgendjemand rumgetratscht und nun glaubten es alle Frauen. „Ich fass sie nicht einfach an – nur wenn sie es will!“ Kurz darauf wurde er nachdenklich „Mhm… dann heißt meine neue Kollegin also Mitsuki… Irgendwo habe ich den Namen schon mal gehört“, er murmelte es mehr vor sich hin, als dass er Miwako fragte.

„Bei dir weiß man nie – du sollst ihr was beibringen und nicht mit ihr flirten, bitte halt dich auch daran…“ Sie hörte sich an wie Mama, weshalb Sêiichî nun brav die Füße herunternahm und sie anlächelte. „Wird gemacht, Chef!“ Sie war nun mal seine Vorgesetzte, was ihm unheimlich imponierte. Es wunderte ihn schon, dass der schüchterne Wataru sich diese Frau tatsächlich geangelt hatte. Dass er sich das traute…

Die Tür schlug etwas fester zu, so dass Sêiichî leicht seufzte, die Frau war ein totaler Trampel.
 

Miwako hatte ihre Zeit nicht für Sêiichî alleine reserviert, der kam im Grunde alleine klar, wie die meisten hier, sie machte sich um andere Sachen viel mehr Gedanken. Vor ihrem Büro sah sie Ryochi und Wataru stehen, das traf sich ganz gut. So ganz hatte sich Ryo nicht ausquetschen lassen, als es um Shina ging. Und eine richtige Antwort hatte sie auch nicht bekommen, was aber nicht hieß, dass sie ihn einfach so davon kommen lassen würde. Das, was die beiden besprachen, schien ihr doch sehr geheimnisvoll. Der Typ benahm sich komisch…

„Ich weiß nicht, was ich tun soll! Ich habe die Zeit gar nicht dafür“, meinte Wataru gerade, was seine Freundin Miwako noch aufschnappte und doch etwas neugierig war, was der Kriminalist meinte.

„Wofür hast du keine Zeit?“

Beide Männer sahen ein wenig erschrocken aus. Wataru lief rot an und meinte nur „Nichts…“ und Ryochi hatte wohl auch nicht mit ihr gerechnet, jedenfalls war das Ganze nicht für sie bestimmt, wie es aussah.

„Was vertuscht ihr da?“

Da Wataru ja anscheinend nicht gut darin war anderen etwas vorzumachen, dachte sich Ryochi einfach mal für ihn zu antworten.

„Wir haben ein kleines Problem, bzw. Wataru hat das! Man hat ihm ein Kind angedreht und er weiß nicht, wie er das managen soll“, meinte Ryochi nun ganz locker, er verstand auch nicht, weshalb Wataru nun wieder so rot geworden war, sicherlich war ihm dieses Thema gegenüber Miwako etwas unangenehm, er war eben schüchtern.

„Ach, keine Zeit für ein Kind! Wem sagst du das? Ich hätte auch keine Zeit dafür.“

Miwako hatte auch den Hang dazu, in Fettnäpfchen zu treten und er nahm sich alles zu Herzen, das würde er sicher wieder auf ihre Beziehung beziehen. ‚Sag Wataru doch nicht so was, der macht sich nur wieder unnötige Gedanken darüber und die ganzen Fragen, die in ihm aufkommen, würde er nur wieder verschweigen…’

Der Detektiv sah es schon, er musste nur in das Gesicht des Mannes sehen und er wusste Bescheid. „Vielleicht solltest du die Kleine in eine Einrichtung bringen. So wie es aussieht hat hier keiner wirklich Zeit sich um ein kleines Kind zu kümmern. Oder frag doch mal Riina. Sie hat viel Freiraum, immerhin muss sie nicht täglich zur Uni gehen.“

„Kommt ja überhaupt nicht in Frage, Ryochi“, widersprach Wataru ihm, allein der Gedanke gruselte ihn. „Am Ende kommt sie noch auf schwachsinnige Ideen!“

„Andere Brüder sind froh, wenn ihre Geschwister an so etwas denken, nur du wieder nicht.“

„Riina und Männer, das geht nicht gut… das ist bisher immer schief gegangen. Und Kinderwünsche kann sie jetzt echt nicht gebrauchen. Sie hatte keine schöne Kindheit, sie ist zu labil, um sich an einen Mann richtig fest zu binden und sie ist doch noch so jung – sie sollte damit noch ganz lange warten.“

„Ich würde ihr raten, erst einmal Karriere zu machen, alles andere ist nichts Halbes aber auch nichts Ganzes. Man sollte nicht zu früh an Kinder denken, das bereut man nur.“

Am liebsten hätte Ryochi der jungen Frau den Mund zugehalten, was da wieder herauskam, unglaublich. Es war so leicht miss zu verstehen…

„Du bist 25, Miwako Satō, du solltest am wenigsten so was sagen, außerdem hast du mehr Erfolg, als so manche andere Frau in deinem Alter.“ Ryo schüttelte nur den Kopf, während Miwako Wataru wohl weiterhin schockieren wollte.

„Und ich plane auch nicht das aufzugeben!“ Sie war eben nicht so erpicht darauf, ein Kind zu bekommen und als Hausmütterchen zu enden, wie es ihre Mutter gerne hätte. „Egal, was meine Mutter dazu auch sagt! Die Zeiten, in denen Frauen an den Herd gehörten, sind längst vorbei! Es soll auch Frauen geben, die haben anderes im Sinn.“

„Es gibt auch Männer, die sehen das ein wenig anders, liebe Miwako, für die bist du dann unmöglich“, er fand ihr Verhalten gerade unmöglich, sie redete von Dingen, die sie eigentlich selbst nicht kannte, sie biss sich an ihrem Beruf fest. Es war ihm ja klar, dass sie um nichts in der Welt ihre Position aufgeben wollte, aber leider kam Wataru dabei nicht ganz so gut weg. Was war er für sie? Eine nette Sache nebenher? Jedenfalls gab sie ihm das Gefühl, da war er sicher.

„Zu Shina würdest du das nur einmal sagen, sei froh, dass nur ich es bin“, gab Ryochi zurück, ihm tat Wataru irgendwie Leid, aber wenn er auch nie den Mund aufmachte, konnte das ja nichts werden. Seine Verlobte hätte es nicht sehr lustig gefunden, dass Miwako so etwas vor ihrem besten Freund äußerte.

„Ich fürchte, ich kann heute Abend nicht“, hörte man Wataru dazwischen sagen. „Lass uns das Ganze abblasen. Es ist ja auch nicht so wichtig, dass ich deine Mutter kennen lerne“, er drehte sich herum und wollte nicht wirklich, dass sie eine Möglichkeit bekam, ihm danach in die Augen zu sehen.

‚Na toll, das hast du nun davon, Miwako – jetzt fängt er so an.’

Als er davon ging, bemerkte auch die Kriminalistin, dass er es sich wohl zu Herzen genommen hatte, was sie unwillkürlich zu einem Seufzen brachte. „Warum muss er das darauf beziehen? Und was hat bitteschön Shina damit zu tun, sie wäre ohnehin nicht so begeistert von uns, da bin ich sicher! Ich frage mich sowieso, wo sie sich herumtreibt – wahrscheinlich weißt du es selbst nicht – diese Frau ist so unmöglich. Haut einfach ab, lässt ihren Verlobten hier versauern und meldet sich nicht einmal…“ Nun drehte sich Miwako ebenfalls herum, Ryochi fand es nicht nett, dass sie sich damit nun so aus der Affäre zog, es war noch nicht einmal das, sie trat die Flucht nach vorne an. Dass Shina nicht begeistert wäre, war ein Gerücht. Sie hatte doch als erstes gewusst, wie es in Wataru bezüglich Miwako aussah. Sie wäre nur nicht angetan davon, dass sie ihrem besten Freund wehtat mit ihrem Verhalten.

Wataru klopfte gegen Naoyas Tür an und wurde wenig später hereingebeten, sofort kam dem 28-jährigen ein Seufzen entgegen. „Sieht schlecht aus, ich kann nicht auf die Tochter deines Cousins aufpassen! Du wirst Yumi woanders hingeben müssen. Mir fällt auf die Schnelle auch keiner ein…“

„Trotzdem danke für deine Mühe, ich kann hier leider nicht weg – manche Leute denken zu wenig nach, wenn sie einem etwas andrehen. Zu denen gehöre auch ich. Mir fällt nur Naru ein, das würde sie auch von dem Stress, den sie momentan hat, ablenken, allerdings könnte es sie genauso gut deprimieren, immerhin ist ihr Freund ein Schwachkopf in Frauendingen. Er merkt’s nicht mal, wenn er sie deswegen vor den Kopf stößt. Kannst du nicht Riina fragen? Sie hat viel Zeit und wird nicht deprimieren, wenn sie sich um ein Kind kümmert, oder etwa nicht?“

„Du kannst doch nicht ernsthaft darüber nachdenken, ein Kind auf ein Kind aufpassen zu lassen!“ warf Wataru energisch ein, er sah in seiner Schwester eben noch ein Kind.

„Ach, komm mir nicht so! Sie ist 21… Also schon das zweite Jahr volljährig.“ Er verstand ihn einfach nicht, für Naoya war Riina kein kleines Mädchen.

„Ach, lass doch Mai auf sie aufpassen, immerhin hast du mit ihr ein Kind… Lass Riina da raus, sie hat NICHTS mit Kindern am Hut und jetzt Schluss damit!“ Wataru war kein Typ, der schnell sauer wurde, aber dass alle seiner Schwester ein Kind andrehen wollten, machte ihn gerade sauer, weshalb er das Büro sehr energisch wieder verließ, indem er die Tür zuknallte, was ihm selten passierte.

Gerade in dem Moment begegnete ihm Chiba. „Ich frage besser nicht, was dich so aufregt! Machst du dir immer noch Sorgen um deine Schwester? Ich will dich echt nicht angreifen, aber findest du nicht, dass du es allmählich übertreibst? Warum versuchst du so vehement anderen klar zu machen, dass sie noch ein Kind ist? Sie sieht überhaupt nicht wie ein Kind aus und sie benimmt sich auch eigentlich nicht so – was also soll das alles?“

„Sie soll nur nicht wieder auf die Idee kommen, sich einen Mann anzulachen, du weißt ja nicht, was sie mit Männern alles erlebt hat – der Mann, der sich an sie ranmacht, kann was erleben! Ich werde so was nie wieder zu lassen! Männer tun ihr nicht gut! Zumindest nicht solche, wie sie bisher immer mit nach Hause brachte.“

Chiba verstand ihn nicht, er biss sich daran fest, und er wusste noch immer nicht warum. „Liebe heißt eben auch mal Schmerz, das weißt du so gut wie ich, Takagi! Du kannst deiner Schwester doch nicht verbieten, sich zu verlieben – wie würdest du es finden, wenn dir deine Schwester verbieten würde, Miwako zu lieben?“

„Das ist etwas völlig anderes, Riina ist ein Mädchen, ein sehr verletzbares Mädchen! Und sie neigt dazu, sich mit den falschen Männern einzulassen. Männer, die sie nur ins Bett kriegen wollen! Und ich fürchte ihr Kinderwunsch könnte sie dazu hinreißen, es zuzulassen…“ Es schüttelte ihn, so etwas sollte man gut planen und wissen, mit wem man sich einließ, leider war seine Schwester zu naiv, um zu erkennen, wenn ein Mann nur auf das Eine aus war. Sie würde so wie seine arme Mutter enden, mit einem Mann, der sie nur für Sex haben wollte, dem seine Kinder aber nicht wichtig waren… Leider hatte er viel zu viele davon…
 

Ein wenig enttäuscht war Sêiichî ja schon, als sich die neue Polizeipsychologin als 44-jährige Dame herausstellte. Sie sah auch ihrem Alter entsprechend aus, nicht so wie einige andere Frauen, die er kannte. Jedenfalls war sie nicht sein Fall und er unterhielt sich nur ganz kurz mit ihr, bevor er sich wieder ins Büro verkrümelte, wo eine junge Frau bereits seine Akten sortierte. „So ein unordentlicher Mensch, ich kann es nicht glauben – es wird Zeit, dass hier mal eine Frau rankommt“, meinte sie, ohne den jungen Mann in der Tür zu bemerken.

„Da kann ich ja froh sein“, kam mit einem Grinsen in der Stimme von ihm, was sie erschrocken zusammen fahren und sich herum drehen ließ.

„Oh entschuldigen Sie, ich wollte nicht über Sie herziehen, Herr Iwamoto!“ Es war ihr unsagbar peinlich, dass er sie gehört hatte.

In diesem Moment fiel Sêiichî die Kaffeetasse buchstäblich aus der Hand und ging klirrend zu Boden, als er in ihr Gesicht sah.

Die Überraschungen an diesem Tag setzten ihm wirklich zu. Erst war Yakko nicht die neue Psychologin – warum auch immer – und dann das hier. Diese Erscheinung, er hielt sie für eine. Aber jetzt wusste er auch, was Jamie im Krankenhaus gemeint hatte, als er sagte:
 

„Such Mitsuki Ikezawa... Valpolicella – hat – leider – rausbekommen, dass ich nachgeforscht – hatte. Wenn du sie siehst – wirst du gleich – klarer sehen...“

Das verwirrende Zeug, das Jamie von sich gegeben hatte, hatte für Sêiichî keinen

Sinn gemacht. „Sie verhält sich... merkwürdig...“ Sêiichî hatte noch nachhaken wollen, was Jamie damit gemeint hatte, doch hatte er keine Antwort mehr bekommen, er war eingeschlafen.
 

Zwar wusste er nicht im Geringsten, was genau sein Onkel herausgefunden hatte, aber es stimmte, jetzt da diese Frau vor ihm stand, war ihm so einiges klar. Warum Jamie erst von Kimiko und dann von Mitsuki gesprochen hatte, machte plötzlich Sinn.

Diese Person, die ihm einerseits vertraut erschien, aber doch so unbekannt – wieso tauchte sie ausgerechnet jetzt hier auf? Bei der Polizei. Aus irgendeinem Grund machte ihm das alles ziemliche Angst. Sie bei der Polizei und Ärger mit Valpolicella, das war ein schlechtes Omen…

„Nicht schlimm; ich weiß selbst, dass ich hier mehr Unordnung reinbringe, als etwas anderes!“ Er musste sich erst wieder einkriegen, es war verrückt. Er hätte schwören können, dass es Kimiko war, nur die Haare waren kurz, aber die hatten sie obduziert. Irgendwie fühlte es sich an, als wäre er ihrer verstorbenen Seele begegnet, als würde ihr Geist vor ihm stehen. Gruselig, wenn er so darüber nachdachte. Sicher gab es eine plausible Erklärung dafür.

„Weißt du, dass du aussiehst wie die Schwester meines Kollegen? Sie ist vor kurzem an den Klippen ums Leben gekommen, tragische Geschichte…“ Er wollte nur ganz langsam darauf kommen, aber direkt fragen, wer sie war, das traute er sich nicht, obwohl er sonst sich nie davor fürchtete, solche Fragen zu stellen.

„Ja, leider…“ Glücklich schien die Betreffende darüber ja nicht zu sein, wie ihre Worte klangen.

„Was soll das denn heißen?!“ Dass Sêiichî ein bisschen empört darüber war, war ganz deutlich zu vernehmen.

„Weil es nervt! Ständig reden dich irgendwelche Leute an und halten dich für deine Schwester! Warum muss meine Schwester ausgerechnet eine Prominente sein? Als hätte ich nicht genug davon? Ich habe zwei Geschwister, die beide ebenfalls in der Musikbranche tätig sind, das ist nervig genug. Irgendwie scheine ich nicht so ganz dahin zu gehören. Als hätte man die Falsche von uns weggegeben.“

Es entsetzte ihn, was sie sagte. Dann war sie also ihre Zwillingsschwester und man hatte sie nach ihrer Geburt getrennt. Wie konnte man nur ein Zwillingspaar trennen? Er verstand es nicht.

„Du wirst lachen, aber Kimiko hätte dir wahrscheinlich Recht gegeben. Sie fühlte sich von ihrer Familie vor den Kopf gestoßen, was daran lag, dass sie aus einer Polizeifamilie kommt und ihre Eltern gerne eine Anwältin aus ihr gemacht hätten…“

„Du musst mir das nicht erzählen, ich kenne die Geschichte schon! Mein Bruder und meine Schwester haben wohl Ähnliches durchmachen müssen, unser Vater ist nämlich auch Anwalt und seine Frau eine ehemalige Polizeipsychologin…“ Noch während sie die Akten im Aktenschrank verstaute, redete sie mit ihm. Selbst von hinten sahen sie identisch aus, es gruselte ihn der Gedanke daran, wenn es da draußen am Ende einen zweiten Sêiichî gäbe.
 

Conan wollte sich wieder verflüchtigen, wurde aber auf dem Flur von Ran aufgegriffen.

„Wo willst du schon wieder hin?!“

Er fühlte sich kontrolliert, aber da er nun ein Kind war, musste er sich damit abfinden, dass man ihn eben auf ihn aufpassen musste.

„Ich wollte zu Professor Agasa, Haibara besuchen.“

Es war nicht einmal gelogen, genau das hatte er gerade vorgehabt.

„Das ist schön, dass du gute Freunde hast, aber ich wollte dich da mal etwas fragen.“

„Was denn?“ Er schaute sie mit seinen blauen, treudoofen Augen an, was sie einfach lächeln ließ.

„Als du bei den Kudōs warst, hat Shinichi da mal von einer Aiko Misae gesprochen?“

Etwas verblüfft darüber, dass Ran so etwas wissen wollte, war er ja schon, aber er wüsste nicht, weshalb er ihr nicht ehrlich antworten sollte. „Was genau willst du über Shinichis Cousine wissen?“ fragte er direkt und gab Preis zu wissen, um wen es sich handelte.

„Glaubst du, dass er sie mag?“

Die Frage war eigentlich zum Lachen. Momentan hatte er ein ziemliches Problem damit, diese Person zu mögen. „Ich weiß nicht, weshalb du das fragst, aber wenn du glaubst, er mag sie mehr, als dich, dann glaubst du falsch! Mir ist eher so, dass er sie versucht zu meiden, wo es geht. Sie ist bei den Kudōs nicht so beliebt, weißt du, Ran. Yukiko-san mag sie auch nicht sonderlich.“ Was eigentlich ironisch war, da sie so jemanden wie Sharon Vineyard mochte, so empfand jedenfalls ihr Sohn.

„Sie hat eine grausame Ausstrahlung, ich habe sie nämlich getroffen – Sonoko und Katsumi sind öfter mit ihr unterwegs. Katsumi hat sie wohl durch eine Freundin kennen gelernt! Aber als ich diese Frau das erste Mal sah, war sie mir schon nicht geheuer und dann wollen sie noch zu so einem Konzert gehen. Dem Sänger der Band sagt man Drogenkonsum nach; das scheint die Mädchen nicht zu jucken. Sonoko wollte auch, dass ich mitgehe, aber ich habe abgelehnt, worum ich auch irgendwie froh bin. Ich mache mir doch ziemliche Sorgen um Sonoko…“ Sie beugte sich ein wenig zu ihm runter, um ihm in die Augen zu sehen. „Meinst du, dass das übertrieben ist?“

In Sachen Aiko war er sich wirklich nicht sicher. Übertrieben war es bestimmt nicht. „Der Sänger soll Drogen nehmen? Wenn das stimmt, dann ist es sehr vernünftig, die Finger davon zu lassen, das würde auch Shinichi sagen!“

Er klang selbstsicher, als könnte er in Shinichis Kopf sehen, aber er hatte wohl auch Recht. So gut kannte sie ihn auch.

Sie lief eine Weile neben ihm her und erzählte ihm so viele Sachen, unwichtige Dinge, er hörte nur halb zu, doch dann…

„Eines jedoch ist mir aufgefallen… Und zwar, dass dieser Juu genauso ist, wie man uns erzählte! Ein Rüpel, der Kimiko die ganze Zeit nachstellte und sie demütigte. Vielleicht war er es auch, der zur Presse gegangen ist, um sie in den Schmutz zu ziehen.“

„Was hast du da gesagt, Ran?“

„Nur eine Vermutung“, sie lächelte, konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sich diese Beiden echt gut verstanden hatten.

„Nein! Das mein ich nicht! Sie gehen zu einem Konzert und der Sänger ist wer? Juu? Ach du dickes Ei!“ Er würde Sonoko ja so was von ausquetschen.

„Ja, genau der – schon komisch, ausgerechnet zu dem, der sie so belästigt hat.“

„Beruhig dich bitte, Ran, dich darüber aufzuregen, bringt nichts.“ Ihm fiel nur gerade ironischer Weise auf, dass sie dem Typen noch überhaupt nicht auf die Pelle gerückt waren, er musste noch mal mit Ryochi telefonieren, er hatte sich so lange nicht gemeldet, aber zuerst wollte er mit Sherry über Kenichi und Katori sprechen, das interessierte ihn gerade mehr.
 

Gegen Mittag tauchte eine schwarzhaarige Frau bei Syrah auf, sie wollte sie erst nicht reinlassen, da ihr bekannt war, dass sich ihre Mutter um sie kümmerte. Es war wie eifersüchtig auf ein Rudelmitglied zu sein; sie sah eine Gefahr in der Frau, schließlich hatte sie ebenfalls von Vermouth gelernt. Es reichte, wenn sie gut war, sie musste nicht jeder daher gelaufenen Kuh so was beibringen, so jedenfalls Syrahs Meinung. Und sie kam mit Sicherheit nur her, um sich bei dieser einzuschleimen.

„Was willst du schon wieder hier? Ist dir dein Spielzeug abhanden gekommen?!“ Es war eine überflüssige Frage, deren Antwort sie bereits kannte. Aber es fiel ihr nicht ein, freundlich zu dieser nutzlosen Frau zu sein.

„Warum so unhöflich, Syrah? Du bist ja schlimmer, als jede Diva!“ Sie warf die Haare nach hinten, was sie sehr an Vermouth erinnerte – wollte die sie jetzt etwa auch imitieren? Das würde sie nur einmal wagen, dann würde sie der Spitzpfeil von Syrah treffen, der zufällig immer mit Gift getränkt war. „Kannst du nicht bei Baileys nerven? Ich glaube, zu der passt du besser!“

„Willst du mich ärgern?“ Es kam so temperamentvoll geflogen wie eine Metallstange jemandem den Kopf zertrümmern konnte.

„Oh je“, ertönte es von weiter hinten. „Syrah und Shiraz können sich nicht leiden; das ist eigentlich Ironie, ihr Zwei“, ein wenig frohlockend klang es ja schon. Vermouth machte sich eben gerne lustig und die beiden waren sich im Grunde so ähnlich, sogar vom Codenamen und dann gifteten sie sich so an. „Ich will keine Leichen im Flur, Syrah, also halt dich etwas zurück, das gilt auch für dich, Shiraz!“

„Ich war ganz friedlich, sie hat angefangen.“

„Komm erstmal rein, ich denke, das was du willst, ist wichtig für uns!“

MUTTER!“ fluchte Syrah Vermouth entgegen wie ein Kind einer Mutter ihr „Menno!“ entgegen werfen würde, wenn sie etwas unfair fand.

„Passt dir was nicht?! Es steht dir nicht zu, meine KOLLEGEN so anzufauchen, wir sind hier nicht im Zoo und du bist kein Tier, also benimm dich dementsprechend!“ Wenn Vermouth von Kollegen sprach, meinte sie eigentlich Handlanger, was Syrah nun doch fadenscheinig grinsen ließ.

Mit einem „Verstehe“ ließ sie beide links liegen und verschwand in Richtung Keller.

Der Shiraz-Wein war in der Regel süßer und reifer und der Geschmack sollte einen an Schokolade erinnern, Syrah hingegen war alles andere als süß; trotzdem handelte es sich um den gleichen Ursprungsstoff, der nur anders weiterverarbeitet wurde, was Vermouth so amüsierte, da beide sich nicht riechen konnten.

„Also, was willst du?!“ Kurz und bündig, Vermouth machte sich nicht die Mühe viel mit ihr zu reden.

„Ich weiß, wer Hiroya Tokorozawas Freunde sind“, kam von der Frau mit den langen schwarzen Haaren mit einem Kichern wie von einem Kind; wie gesagt süß wie Schokolade, sie war ja auch nur 1,59 m groß. Doch der Schein trog…

„Lass mich raten, das verrätst du mir ganz uneigennützig, nicht wahr?“ Vermouth zog an ihrer Zigarette, sie glaubte dieser kleinen, besserwisserischen Kuh nicht, dass sie einfach so vorbei kam und liebes Kind spielte.

„Ich kenne sogar seine Flamme“, nun kam ein grausamer Ausdruck in ihrem Gesicht auf, was Vermouth sofort den wahren Grund verriet. So sahen nur die Augen einer rachsüchtigen Frau aus, davon konnte sie ein Lied singen.

„Sie ist dir ein Dorn im Auge, sie soll weg?!“

„Naru Machida – allein stehend, keine Familie, ein leichtes Spiel, Vermouth!“

„Kann es sein, dass du Tokorozawa nachstellst?“ Solche Fragen endeten meist in einer Erpressung, wenn man Vermouth kannte, und Syrah stand schon die ganze Zeit hinter der Tür, um beide zu belauschen, sie wollte alles wissen, so war es am besten. Wenn sie gut Bescheid wusste, konnte sie endlich etwas gegen diese aufdringliche Person tun, die ihrer Mutter doch nur am Rockzipfel hing, um sie auszuhorchen und zwar gegen ihre Feinde.

Syrah war ganz skeptisch gegenüber dieser Frau, noch dazu missbrauchte man ihren Namen, um sie zu betiteln. Sie war ihr Abklatsch und tat einen auf Vermouths Tochter, das war einfach zu viel. Wie konnte sie es wagen?

„Nachstellen ist aber kein schönes Wort; ich würde eher sagen, ich unterstütze die Idee vom Boss!“

So konnte man es natürlich auch ausdrücken, sie war dagegen, dass man ihn tötete, da sollte sie aber aufpassen, Jami konnte sie ohnehin nicht sonderlich leiden, da nicht er sie in die Organisation eingeführt hatte, aber es gab auch noch andere Gründe. Sie sollte besser vorsichtig sein, wenn er sie erkannte, hatte sie ein großes Problem, mit Sicherheit wusste Jami dann sofort von ihrer Gunst, die sie Hiroya entgegen brachte. Da brachte ihr ihre Weiblichkeit auch nichts mehr.

„Was tust du, wenn ich die Idee vom Boss als schwachsinnig empfinde?“ Vermouth schickte ihr einen gemeinen Blick, sie war nicht immer nett zu ihr, obwohl sie Freunde ganz gut gebrauchen könnte, viele davon hatte sie nun wirklich nicht. Sie verscherzte es sich eben gerne bei anderen…

„Du doch nicht! Mich kannst du nicht hinters Licht führen“ – was ein Grund für Syrah wäre, sie auf der Stelle von Teran umbringen zu lassen – „ich weiß, wonach du geierst, Süße! Einen Pakt mit dem Teufel würdest du eingehen, um diese Organisation zu stürzen. Meinst du, ich bin so blöd wie alle anderen? Du bist mit einem Bullen zusammen, alleine diese Tatsache ist Verrat, den der Boss keinem verzeihen würde.“

Spätestens nach diesen Worten wusste ihre Tochter, dass sie richtig lag. Shiraz wusste, dass Vermouth schon lange die Schnauze voll von der Organisation hatte und alles dafür getan hätte, um es zu beenden. Dass sie für ihren persönlichen Erfolg über Leichen ging.

„Dass du ihn LIEBST - oh Gott nein - das glaube ich nicht, du benutzt Cognac! Und er fällt drauf rein, weil er dumm ist!“

Das ging niemals gut, was sie sagte, war ungeheuerlich. Aber wie würde es aussehen, wenn sie ihr nun eine pfefferte, weil sie Cognac als dumm hinstellte. Er war nicht dumm, alles andere als das, man traute ihm nur aus unbekannten Gründen oft zu wenig zu. Wäre er dumm, hätten ihm seine vielen Freunde auch nichts genutzt. Aber Sêiichî hatte es mehr nötig Freunde in der Organisation zu haben, als sie. Sie hatte das Glück, dass es ihren Hassern verboten war, sie zu töten, bei Sêiichî sah es anders aus. Der Großteil von Pinots Freunden waren Anhänger von Chardonnay und Pinot nutzte es schamlos aus, dass Chardonnay sein Vater war. Er benutzte dessen Killer, um seinem Halbbruder zu schaden. Es war traurig, aber eigentlich hatte er ihr vollstes Mitgefühl, weshalb sie allergisch reagierte, wenn man über ihn herzog. Sie war in dem Punkt sehr nachtragend, was auch Shiraz zu spüren bekommen würde, jedenfalls war sie in ihrer Gunst gerade tief gefallen.

„Wir kommen vom Thema ab, mein Schätzchen! Tell me everything about Tokorozawas girlfriend and then leave this place”, zischte Vermouth doch etwas ungehalten. Diese dumme Pute kannte Cognac ja gar nicht; wie konnte sie da so von ihm sprechen?

„Ich bin Japanerin, also sprich bitte Japanisch mit mir!“ Es nervte sie, wenn Vermouth damit anfing. Sie hatte zwar auch in Amerika gewohnt, aber den Großteil ihres Lebens in Japan verbracht, weshalb sie sich als Japanerin ansah, aber selten den Anschein machte, eine zu sein, sie benahm sich viel mehr wie jemand, der im Westen zuhause war.

„Sind wir etwas empfindlich? Also! Was hast du mir zu sagen? Ich habe nicht ewig Zeit, ich habe auch zu tun, akzeptier das!“

„Sie wohnt in Shinjuku, mit ihm.“ Man hörte, dass es ihr nicht gefiel, ihn bei einer anderen Frau zu wissen. „Sie arbeitet mit Kindern zusammen, sie bringt ihnen das Schwimmen bei. Außerdem ist sie auch Rettungsschwimmerin. Im Schwimmverein wird man fündig. Jeder kennt sie, jeder mag sie… widerlich.“

„Und sie hat außer ihm niemanden?“ Wenn sie sie benutzten, dann war es wenigstens nicht zu grauenvoll für andere.

„Nicht mehr als ein paar Freunde.“

„Haben die Namen?“

Ein kleines bisschen kam die 29-jährige ins Straucheln, als man sie fragte, sie musste nachdenken. „Also sie war mal mit Shina Kudō befreundet und auch mit Ryochi Akaja. Außerdem ist sie sehr oft mit ihrer Freundin Riina Takagi zusammen, deren Bruder bei der Polizei von Tokyo arbeitet. Ich glaube, das war alles Wichtige.“

„Du glaubst?“ Mit dem bloßen Glauben schien sich Vermouth nicht zufrieden zu geben. Dass die Person mit Shina und Ryochi befreundet war, machte ihr ein wenig Bauchschmerzen und Carpano würde es sicher auch weniger gefallen, würde er darin verwickelt werden. „Ich denke, ich werde mich selbst noch mal darum kümmern.“ Sie wollte es keiner ihrer Schülerinnen überlassen, da mussten Profis ran, auch wenn die Kleine Talent als Schnüfflerin hatte. Doch sie selbst hingegen war eine perfekte Schauspielerin. Sie hatte eben das Doppelte an Erfahrung und war doch auch viel reifer, obwohl sie in Wirklichkeit gerade nur ein Jahr älter als sie war.
 

Es war still – fast gespenstig, das einzig Hörbare waren die Stimmen einer Frau und eines Mannes. Sie schien sich gerade sehr über jemanden auszulassen…

„Ach, der Boss hat ihr immer wieder Pillchen gegeben, sie musste ja so überschnappen“, hörte man die sanfte Stimme einer jungen Frau ironischer Weise lästern. Es war jedoch kein Böswilliges über jemanden Herziehen, sondern schlichtweg die Wahrheit, welche bisher nie ihren Mund verlassen hatte.

„Das ist nicht nett, so was über jemanden zu sagen!“

In der Tiefgarage war es dunkel und die beiden fühlten sich unbeobachtet. „Das kann nur ein Kerl sagen, ihr Kerle seid alle total hinter dieser Frau her! Warum? Weil sie oben herum etwas mehr hat? Das ist doch lächerlich“, die Dunkelhaarige winkte ab und gab einen abfälligen Laut von sich. Diese ganze "Hinter-den-Titten-einer-Frau-her"-Hechelei fand sie einfach zum schießen. „Es tut mir echt Leid um den guten Helios, der schließlich einer der Wenigen ist, die nicht auf Vermouths falschen Charme reinfallen! Er würde sie auch nicht anspringen, wenn sie die einzige Frau auf Erden wäre, endlich mal ein Mann mit Niveau und Klasse!“ Sie lächelte, anscheinend hatte es ihr dieser Mann bereits angetan, was ihren Kollegen nun jedoch mit gespitzten Ohren lauschen ließ.

„Helios, aha?!“ Er spielte mit seinem Feuerzeug, welches in Abständen knackte. „Carpano nicht zu vergessen. Ich frage mich nur, wie die beiden an Cognac geraten sind, vielleicht erweckt er den Anschein, dass sie ihn beschützen müssen – alles Aasgeier, die dem armen Cognac ans Leder wollen, dabei ist der doch weitaus weniger interessant, nicht wahr?“ Ein wenig wollte der junge Mann seine Kollegin triezen, was auch wunderbar zu funktionieren schien, wie ihre darauf folgenden Worte verrieten.

„Bleib weg mit dem! Er ist das Schlimmste, was innerhalb der Organisation herumläuft, nur Jami ist schlimmer – das ist aber auch der Einzige, der das noch übertrifft. Den kann man gleich mit diesem Teran in einen Topf werfen.“ Anscheinend hatte sie keine gute Meinung von Männern, so wie sie redete, was ihn aber auch nicht mehr wunderte. „Und Caprino… Ist der etwa auch niveaulos, deiner Meinung nach?“

„Hat auch eine Frau betrogen, dafür gibt es keine Entschuldigung…“

„So wie die Kerle, die du deswegen umgelegt hast?“

Ein dunkles Lachen kam von der Dunkelhaarigen, ihre Augen blitzten im Dunkeln auf. „Alles Schandflecke, die man beseitigen sollte, aber als erstes werde ich mich mal an Cognac versuchen – er ist ja so arm dran mit seiner Vermouth; ich glaube mir wird schlecht, wie ich diese Art von Mann hasse, da werde ich immer richtig ausfallend!“ Sie rammte ihr Messer in den Kunststoff des Autos, weshalb der Mann die Augen aufriss. „Was soll das? Verunstalte gefälligst dein eigenes Auto!“ Er strich besorgt über die schwarze Ebene, welche nun einen hellen Kratzer hatte.

„Unglaublich… Und das wegen so einem Kerl!“

„Ach, sei doch ruhig! Du würdest Jami doch auch sofort von hinten erstechen, sobald sich eine Gelegenheit bietet, immerhin hat er deine Schwester auf dem Gewissen, das Aas!“ Sie knurrte gefährlich auf; wenn sie jemanden nicht abkonnte, dann Jami, aber die obere Schicht war ja generell ziemlich durchgeknallt. Valpolicella mit ihren Ausrastern und Mérille, diese Psychopathin allen voran.

„Jami und Valpolicella - man sollte sie miteinander verkuppeln“, lachte der Mann, „stell dir mal vor, die hätten Kinder, urg!“ Die Vorstellung war wirklich nicht sehr appetitlich. Was Jami mit Kerlen anstellte, machte Valpolicella mit Vorliebe bei Frauen, besonders wenn Carpano in irgendeiner Weise mit ihnen zu tun hatte. Sie war einfach verabscheuungswürdig.

„In deinem Alter schon so lebensmüde? Du träumst davon, in die Nähe dieser Frau zu kommen“, erwiderte sie ruhig und gelassen, „nur Wahnsinnige würden das versuchen.“

Obwohl sie Männer nicht ausstehen konnte – dem ersten Anschein nach – würde sie es sehr bedauern ihn schon als Kollegen zu verlieren.

„Was hältst du davon, Süße – wir stürzen gemeinsam die von oben?“

„Hast du keinen Lebenssinn, oder was für Probleme hast du?!“ Er sollte damit keine Scherze machen, es war nicht witzig.

„Hast du Angst vor der rotblonden Hexe?“ Er glaubte nicht, dass eine Frau ihr Angst einjagen konnte.

„Die ist schlimmer als jeder Mann sein könnte! Ich halte sie nicht für eine Frau, sie ist mehr so etwas wie ein Parasit, der sich an der Macht unseres Bosses nährt! Und solange er ihr seine Macht gibt, wird sie immer die besseren Karten haben; von ihren Schießkünsten sprechen wir besser nicht! Aber eine, die würde sie auch besiegen können…“ Sie wusste jedoch aus sicherer Quelle, dass sie sicher nicht dafür zu gewinnen war, Valpolicella in die ewigen Jagdgründe zu bringen. Dafür war diese Frau zu liebenswürdig. „Man möchte meinen, dass sie eine Heidenwut haben sollte, immerhin mag sie Helios.“ Es herrschte nun urplötzlich Stille, obwohl sie sich so angeregt unterhalten hatten. Der Mann machte einen nachdenklichen, aber auch leicht deprimierten Eindruck.

Es klopfte, was ihn hochfahren ließ und aus seinen Gedanken riss, sie jedoch blieb weiterhin ruhig und ließ die Scheibe runter, woraufhin sie einen jungen Mann mit eisblauen Augen ausmachte.

„Ach herrje – musst du nicht schon ins Bett?!“ meinte sie zu dem Jüngling, was dieser ihr krumm nahm, weshalb sich seine Mundwinkel nach unten verzogen, sie allerdings zu einem kleinen Kichern führte. Der Schmollmund war unbezahlbar. „Komm schon, Kleiner, war doch nur Spaß… Bald hast du es ja geschafft.“

„Was zum Henker macht ihr hier?? Ihr seid schwerer zu hüten wie ein Sack Flöhe, furchtbar mit euch! Was soll ich denn Jami sagen? Der killt euch, wenn er davon erfährt!“

„Mit welchem Grund? Dass wir Kaffeekränzchen halten? Die Nacht ist noch jung, entspann dich, mein Kleiner!“ Sie legte die Arme auf der Scheibe ab und strahlte ihn mit dem nettesten Lächeln an. „Macht dich der Vollmond schon so nervös? Oder ist es Cinzano?!“

„Cinzano?“ Er guckte die Dunkelhaarige mit einem unschuldigen Blick an.

„Meinen Witz versteht er nicht, Palomino“, seufzte sie enttäuscht.

Der Junge fand es nicht witzig, dass sie ihn veralberten, denn eigentlich stand er über ihnen; was musste die das ja ärgern, er war viel jünger, na ja zumindest mehr als die Frau.

Obwohl sie ihn ständig ärgerten, konnte er sie wohl seine Freunde nennen – jeder tat sich irgendwo mit Leuten zusammen, und wenn sie ein wenig irre waren. Auf ganz normale Menschen konnte man in der Organisation nicht hoffen und man ging bekanntermaßen auch einen Pakt mit dem Teufel ein, wenn es einem etwas brachte – so in etwa würde er seine Freundschaft zu ihnen erklären. Selbst Carpano und Helios waren nicht normal geblieben, dabei hatten sie einen guten Kern in sich.

„Chasselas meint es nicht so – ihr ist bloß langweilig“, er zündete sich mit seinem Luxus-Feuerzeug, das kunstvoll verziert war und in Gold glänzte, eine Zigarre an, weshalb der rotbraunhaarige Junge das Gesicht verzog. „In der Organisation drehen alle durch und sei es, dass sie Nikotin konsumieren – da würde ich mich noch eher besaufen, als so was anzurühren! Was würde bloß deine Schwester dazu sagen, wenn sie dich nun sehen könnte?!“

„Dasselbe wie deine Mutter, fürchte ich, wenn sie wüsste, wo du dich wieder herumtreibst! Du machst ihr nur Kummer – hat sie nicht genug Ärger?“ kam nun von dem Mann, der seit seiner Ankunft nur sehr wenig gesagt hatte.

„Haaaach“, ihr Kopf sank auf ihre Arme, sie schien sich tödlich zu langweilen.

„Fang nicht wieder so an, du bist nicht viel älter!“ Immer behandelten sie ihn wie fünf, dabei hatte er es weiter geschafft, als die meisten älteren Leute, was er auch Jami verdankte.

„Nicht aufregen, Chardonel, wir wissen, dass du ein großer Junge bist“, er lachte, fasste an seiner Partnerin vorbei und wuschelte ihm durch die Haare. Innerhalb der Organisation war er der Einzige, der ihm noch geblieben war.

„Jetzt will ich aber den Witz mit Cinzano auch verstehen! Was soll mit ihr sein?“ Er kam nicht darauf, was sein männlicher Kollege damit meinte, dieser musste sich das Lachen verkneifen.

„Nun ja – sie ist ein hübsches Ding, was sonst?!“

„Bring ihn nicht auf schwachsinnige Ideen! Das war ein Scherz! Ein dummer Joke, hast du verstanden??“ Sie boxte ihn, was er mit einem empörten Blick erwiderte.

„Ich hab das ernst genommen!“

„Oh man – Kerle!“

Chardonel dachte leider Gottes etwas intensiver darüber nach und am Ende trieb es ihm die Röte ins Gesicht; was waren sie gemein, nur weil er etwas unerfahrener war, als zum Beispiel Palomino.

„Hahaha“, er fand es überhaupt nicht witzig, dass sie Cinzano auf ihre Weiblichkeit projizierten.

„Die verdreht dem armen KIND noch den Kopf, dann kann die sich aber frisch machen; irgendwann ist genug“, zischte die junge Frau, sie konnte dieses WEIB nicht leiden, die war selbst so unausstehlich wie Cognac, den sie immerhin angesprungen hatte.

„Ach komm! Cinzano ist doch harmlos, nicht durchdrehen, mein Schatz.“

„Dein Schatz verpasst dir gleich eine Kugel zwischen die Augen, wenn du nicht mit diesem dummen Schmus aufhörst.“

Ein nervöses Lachen war von Chardonel zu hören – was sich liebt, das neckt sich eben. Sie stritten doch immer, aber es war ein liebesvolles Necken, er wusste, dass sie sich im Grunde mochten.

„Sie ist meine Freundin, ich weiß nicht, was euch so an ihr stört.“

„Ohhhh, mich stört sie überhaupt nicht, ist nett anzuschauen und hat auch nicht gerade wenig.“

„Also echt mal! Du solltest dich schämen, du möchtest doch nicht Cognac Nummer 2 werden, oder? Dann müsste ich dich auch umbringen.“

Die ganzen Witze hatten auch eine Grenze, die sie damit erreichte, jedenfalls bei Chardonel. „Lass bloß Cognac in Ruhe, der hat euch überhaupt nichts getan, kapiert??!“

„Du magst ihn ja selber nicht, was nimmst du ihn in Schutz?“ fragte der 20-jährige. „Uns kannst du nicht täuschen.“

„Carpano wäre weniger begeistert, wenn du deine Knarre an ihm ausprobierst.“

„Mehr würde sie ihr Messer benutzen und ihn unten herum etwas zurecht stutzen, wenn du verstehst.“

„Boah, hört auf, ihr seid manchmal echt eklig.“ Der Rotbraunhaarige stellte sich besser nichts darunter vor, aber seine Fantasie war leider ausgeprägt genug, dass er es am Ende doch tat. Sie war an für sich kein schlechter Mensch, das hatte Chardonel immer gedacht, aber bei Männern konnte sie wirklich grausam werden. Es war geradezu ein Wunder, dass sie noch nicht mit ihrem Messer über Palomino hergefallen war, immerhin ließ er nichts anbrennen – wie Cognac, nur noch bahnbrechender. Ja, das beschrieb ihn gut, was aber auch daran lag, dass er seine Schwester mit 15 verloren hatte und auch noch wusste, an wen. Jeder trug Hass in sich, der eine mehr, der andere weniger.

„Was erwartest du, er hat seine Unschuld mit 14 verloren… Da kann nur so was bei rauskommen.“

Mit einem Schmollmund blickte er Chasselas an; wie konnte eine so hübsche Frau nur so drauf sein?

„Oh bitte, bitte, verschont mich damit – so was will ich überhaupt nicht wissen“, Chardonel schüttelte es innerlich. Er war doch selbst gerade mal 20 Jahre alt und dann schon so versaut.

Einen Moment später hörten die Drei schon ein heran nahendes Auto; normalerweise war hier wenig los, sie hatten immer das Glück…

Besagtes Auto hielt dicht neben ihnen, ein schwarzhaariger Mann mit Sonnenbrille stieg aus, welche er sich an seinem Hemd befestigte, nachdem er sie abgezogen hatte.

„Habe ich nicht gesagt, dass ich euch im Hotel erwarte?! PÜNKTLICH!“

Seiner und der Blick von Palomino trafen sich. Immer wenn er ihn ansah, konnte er all den Hass, der in diesem Jungen noch immer wohnte nicht nur sehen, sondern auch spüren, er strahlte ihn aus. Und dieser galt ganz alleine ihm.

Seine Aufmüpfigkeit war ihm nur Recht, da konnte er wenigstens zu Mérille sagen, dass er es verdient hatte, geschlagen zu werden; nur für den Fall, dass ihm mal wieder die Hand ihm gegenüber ausrutschte. Der Junge war so völlig anders als er selbst, wegen seiner Schwester hasste er ihn – ganz schön nachtragend und rebellisch noch dazu.

„Palomino!“ fuhr er ihn an. „Hast du nichts dazu zu sagen? Wie wäre es mit einer Entschuldigung?“

Dieses aufsässige Kind wusste genau, was ihm blühte und doch war er wieder so bockig. Es machte ihn jedes Mal irgendwie rasend, wenn er ihn wie Luft behandelte.

„Entschuldigung??“ fragte der Insasse mit einem leichten Grinsen. „Da gibt es nichts zu entschuldigen! Wenn du etwas an meiner Arbeit zu beanstanden hast, dann bitte direkt beim Boss.“ Diese Art von Spruch hatte er so ähnlich schon mal gehört und das vor nicht allzu langer Zeit; dachten die, dass sie so mit ihm umspringen konnten?

„Du kommst da jetzt raus!“ Er nahm ihn am Kragen und zog ihn mit dem Kopf halb aus dem offenen Fenster hinaus zu sich. „Dir bring ich Manieren bei, du ungezogenes Balg! Was bildest du dir ein?“

„Du machst ja schon wieder ganz schöne Valpolicella-Anstalten“, kam frech von ihm, was Chardonel nicht wirklich klug fand. Warum musste er dem immer zeigen, was er von ihm hielt? „Dabei kannst du sie gar nicht leiden.“

„Das zu beurteilen steht dir nicht zu!“ Er hielt ihm seine Waffe an die Schläfe, musste ihm einmal mehr seine Macht demonstrieren – für Palomino war es allerdings nichts als Schwäche.

„Fühlst du dich einem 20-jährigen überlegen, wenn du ihn mit deiner Waffe bändigst, Jami?“ hörte man ganz ruhig von der jungen Frau im Auto, die zwar keine Miene verzog, aber schließlich nicht wollte, dass man ihn umbrachte. Es war keinem geholfen, wenn er ihn provozierte und sie zeigte, dass sie Heidenangst hatte in diesem Moment.

„Halt dich da raus, Süße, das geht dich nichts an!“

„Und ob es mich was angeht, denn du bedrohst hier meinen Kollegen! Ich will nicht auf ihn verzichten, also lass ihn los!“

Chardonel sagte die ganze Zeit nichts, er wusste, dass sie das schon regeln würde, sie war die älteste in der Gruppe und zum Glück eine Frau.

„Liegt dir so viel an ihm? Er ist doch nicht einmal ein richtiger Mann!“

„Ach, so wie du, Jami?“ Beinahe hätte sie gewürgt und angefangen zu lachen, er war kein Mann, sondern eine Memme, die sich hinter seiner Waffe versteckte und sich einen Spaß daraus machte, einen 20-jährigen, der noch grün hinter den Ohren war, zu ärgern. Wenigstens ließ er Kenjiro diesbezüglich unversehrt.

„Ich erwarte euch im Hotel – ich gebe euch ganze 10 Minuten, um dort anzutanzen! Und wir reden noch mal, meine Kleine…“

Seine Hand langte zu ihr herüber und fasste an ihr Gesicht, was Chardonel als sehr gefährlich ansah, wenn Palomino noch anwesend war.

„Reden?“ Palomino lachte auf. „Du weißt doch gar nicht, was das ist!“

„Mino!“ hörte er nun von Chardonel, welcher ziemlich verstimmt war, dass dieser weiter Öl ins Feuer goss, obwohl die Flamme bereits wie wild in Jami loderte…

„Was denn? Reden ist nicht das, was Jami mit Frauen tun möchte, stimmt das etwa nicht?“ Manche Leute wussten einfach nicht, wann es genug war, weshalb Jami nun ausholte und ihm ins Gesicht schlug, was für dessen Verhältnisse noch harmlos war, da der Schlag lediglich von seiner Hand ausgegangen war und nicht von der Waffe in seiner anderen. Jami ließ ihn los und drehte sich wortlos und ohne ein Abschiedswort herum.

Alle Drei warteten einige Minuten, bevor sie etwas sagten.

„Die hattest du verdient… Misch dich nicht in so was ein! So was lebensmüdes…“ Sie startete den Motor, obwohl sie wusste, dass er wenig Lust hatte, auf Jami zu hören, aber sie würde ihn dazu zwingen, schließlich war er jünger als sie.

„Spring schon rein, Chardonel, wir nehmen dich mit, obwohl ich von dir weiß, dass du vernünftig bist“, seufzte sie und öffnete ihm die Tür. Er nahm das Angebot gerne an.

Nicht nur Palomino war der Tod seiner Schwester nahe gegangen, auch Chardonel hatte es gekümmert. Sie war eine nahe Verwandte seiner Mutter gewesen, alleine dieser Umstand reichte aus, um ihn zu berühren. Was für Palomino seine Schwester war, war für Chardonel seine Mutter; sein ein und alles. Trotzdem hatte er sich so weit im Griff, Jami seine Abneigung nicht zu zeigen.

„Leg dich nicht mit Jami an, das haben schon andere Kaliber versucht, glaube mir, wenn ich sage, dass ich mich da auskenn’“, hörte er den Jungen hinten leise vor sich hin murmeln, er wollte ihm wirklich keinen Kummer machen, aber es kam manchmal so über ihn. „Du kannst von Glück reden, dass Chasselas ein bisschen was zu melden hat, sonst hätte er womöglich eine Kugel in deinen Kopf gejagt, du weißt doch, dass er so was wie Skrupel gar nicht kennt, dann wäre er nicht so weit gekommen.“

Die junge Frau beobachtete Chardonel im Spiegel, seine Augen hatten immer diesen traurigen Schein, aber gerade sah er aus, als wolle er losheulen. Der arme Junge hatte wenig zu lachen, auch wenn er brav war im Gegensatz zu anderen Organisationsmitgliedern. Obwohl er mit Carpano und Helios befreundet war, hatte er noch nie einen Verrat verübt, was sie auch gut fand. In seinem Alter sollte man besser nicht auch schon auf die schiefe Bahn geraten, das versaute einem nur das Leben, es sei denn man hatte Glück, so wie Carpano. Mit Helios verfuhr man gleich ganz anders, als mit ihm. Der Kerl konnte sich echt einiges erlauben, was so eine Freundschaft mit Valpolicella alles ausmachte, aber es war noch nicht einmal das, es reichte, dass sie ihn mochte, mehr als irgendwen.

Sie wusste, dass Jami vor Chardonels Augen schon Schlimmes angerichtet hatte, auch um ihm zu zeigen, wie man so etwas machte, er stand viel mehr unter seiner Fuchtel, als unter der seines leiblichen Vaters, der ihn in die Organisation geholt hatte.

Solange Palomino Jamis Wut auf sich zog, würde er auch Chardonel nicht anrühren. Er hatte sich einmal mehr nur auf ihn konzentriert, immerhin war Chardonel selbst zu spät dran, er würde dem fein weismachen, dass es seine Schuld war, dass er ihn aufgehalten hatte. Man musste Jami eben beeinflussen, er merkte es nicht mal, wenn man es auf unscheinbare Weise tat. Es durfte nur nicht zu offensichtlich geschehen…

Dass nun Stille herrschte, war kein Wunder, nach so einem Gefecht war selten die beste Laune ausgebrochen. Eigentlich war es schade, dass sie sich so schnell runterziehen ließen.

„Mhhhhm – was diese Karre wohl so alles drauf hat?“ hörte man die Dunkelhaarige fragen, aufgrund dessen blickten beide sich an; sie ahnten, was nun kommen würde, weshalb sich Chardonel schon einmal am Griff festhielt, was auch gut so war. Denn m nächsten Moment gab sie so sehr Gas, dass die Reifen quietschten, und da die Straße etwas uneben war, das Auto kurzerhand abhob und dann wieder auf den Reifen aufkam.

Beide fluchten im Gleichklang, während Chasselas amüsiert wie sie war zu lachen anfing.

„Bist du jetzt total durchgeknallt, oder was?!“ Palomino fuhr sich durch die Haare, die durch das plötzliche Abheben und der Geschwindigkeit des Autos ganz zerzaust waren.

„Jahahahahahuhuuuuuu!“ gab sie einen Hurra-Schrei von sich und versetzte beide in Angst und Schrecken. „Und jetzt die richtige Musik!“ Sie schaltete den CD-Player an und ihnen donnerte die schlimmste Partymusik aller Zeiten entgegen. Für trübsinnige Gedanken war in diesem Auto nun kein Platz mehr.

Während Chardonel schlechte Laune hatte, drehte sie vollkommen durch. Als sie lautstark YMCA zu singen begann, musste er doch irgendwie grinsen. Obwohl sie ein Organisationsmitglied war, konnte nichts ihr wirklich die Laune verderben, schien es.

Und den Zweck, den sie mit der Aktion, erreichen wollte, wurde erfüllt.

Jetzt, da sie sich in einer hell erleuchteten Straße befanden, sah man auch, dass Chardonel und Palomino beide sehr helle Haare hatten und es sich bei beiden um keine reinen Japaner handelte, sie hingegen war eine. Ihre braunen Augen leuchteten hell im Licht und ihre schwarz glänzenden Haare waren einfach der Wahnsinn. Immer mehr lächelnd, sah Palomino sie an, während er mit der Hand fast schon verträumt anfing ihren Arm mit dem Handrücken entlang zu streicheln.

Jeder Blinde sah, was sich da abspielte, auch Chardonel. ‚Mach nicht so was, das macht sie nur wieder sauer, immerhin bist du verheiratet…’ Zu seiner Verwunderung geschah aber nichts dergleichen, sondern sie ließ ihn…
 

Mittlerweile war Conan bei Professor Agasa angekommen, er schlug die Zeit am Computer tot, während seine kleine Leidensgenossin noch immer im Badezimmer verschollen war. Er surfte ein bisschen im Internet und wurde regelrecht mit Informationen erschlagen. Die Newsseiten waren voll mit Dingen, die ihn interessieren sollten. Wo er hinguckte, irgendwelche Teeniebands, die gerade angesagt waren, darunter auch L’Arc~en~Ciel und eine ihm total fremde Band namens Wild Cherryblossom. Der Name klang an für sich schon anders und es waren fast nur Mädchen. Nach einigem Lesen erfuhr er auch, dass es die Band von Kimi war, mit Yui als Gitarristin, also die Band, die sie in Ōsaka gegründet hatten, nur unter einem fremden Namen – eine Undergroundband. Nicht das, was alle hörten. Ja, eigentlich war Yui Ikezawa mit L’Arc~en~Ciel befreundet, was wohl von ihrem Bruder kam, der ebenfalls in Ōsaka gewohnt hatte. Vor knapp vier Jahren sollten sie sich dort alle über den Weg gelaufen sein, wobei Yui wohl einige von ihnen schon länger kannte, unter anderem den Sänger – und den Gitarristen. Er wusste auch, wer das war, mittlerweile jedenfalls, nachdem Sonoko ihn täglich erwähnte und von ihm schwärmte.

Ai stand schon längst hinter ihm und verfolgte seine Recherchen, gab sich aber nicht zu erkennen, sie war mucksmäuschenstill und fragte sich, was er da machte.

„Das is’ ja’n Ding… Dann ist Kimi denen mehr zufällig über den Weg gelaufen… Sie hat die Familie verlassen und ist nach Ōsaka abgehauen, ohne viel Bargeld. Und wo bekam sie das Geld her, in einer Großstadt zu wohnen? Na klar, sie hat sich mit denen angefreundet… Es würde mit dem Teufel zugehen, wenn sie die nicht ausgebeutet hätte“, murmelte er vor sich hin, wer eben bekannt und angesagt war - was sie zweifellos in Ōsaka waren – wurde eben grundsätzlich ausgebeutet. Es leuchtete ihm ein, in Ōsaka waren die verrücktesten Leute, da konnten diese komischen Vögel drauf wetten, bekannt zu werden. Sie hatten eines gemeinsam: Alle waren in Kansai groß geworden. Da konnte man ja nur schräg drauf sein, die Städte waren so multikulti, dass es ihn nicht wunderte, wenn sie in Tōkyō auffielen. Und Heiji war schließlich ein gutes Beispiel dafür, wie die Leute sich in Ōsaka benahmen.

„Die Kleine muss Geld haben, wenn die mit 17 schon ihr eigenes Ding machen konnte und nicht auf einen Nebenjob angewiesen war“, er kaute währenddessen auf einem Keks rum und hörte ganz unverhofft Ais Stimme.

„Oder einen reichen Macker, der sie aushält.“

Erschrocken drehte er sich herum, sie sollte sich nicht so heranschleichen, das konnte sie leider zu gut. „Ich habe dich nicht kommen hören – du bist doch ein Mädchen – was sagst du dazu?“

„Du verhältst dich merkwürdig! Was interessiert dich so’n Mädchenkram?“

„Ach, das habe ich noch nicht erzählt, die Kleine auf dem Foto dort, das ist Hiroya Tokorozawas Schwester; er ist Kriminalist, der zu uns transferiert wurde, ein schlimmer Zeitgenosse. Und seine kleine Schwester war Mitglied bei euch – ich fürchte, dass sie sie ermordet haben, weil sie ihnen entweder wie Akemi nichts nutzte, oder etwas unternommen hat, was mit Verrat gleichzusetzen ist! Wahrscheinlich beides. Sie hat ein Tagebuch geführt, das ich gerade habe, das was ich bisher gelesen habe, lässt mich darauf schließen, dass sie mehr wusste. Leider benutzt sie in ihrem Tagebuch Vornamen – nichts Verwendbares für mich; ich da-“

„Du dachtest, dass ich dir da vielleicht behilflich sein kann, Kudō-kun?“ beendete Ai seinen Satz, eigentlich wusste sie, dass es so war, er war immer da, wenn es so etwas gab.

„Sie hat von Katori und Kenichi geschrieben – kannst du damit was anfangen?“

Als er sie erwähnte, wurde sie tödlich blass und machte den Anschein einen Schreck erlitten zu haben, aber das war kein Einzelfall; so hatte sie bisher immer ausgesehen, ihre Angst ihnen gegenüber war noch immer sehr groß.

„Was weißt du?“ war daraufhin keine Shinichi-untypische Frage. Ihr Gesicht sagte ihm ja schon, dass sie etwas wusste.

„Kenichi… Das ist… Er steht in Kontakt mit Vermouth und nennt sich bei uns Gotano – ich habe mit ihm zusammen gearbeitet, er hat mir vieles beigebracht, er ist Wissenschaftler und war mit meinen Eltern befreundet; irgendwann hat ihm aber das, was er tat, nicht mehr gefallen, also wurde er aufmüpfig. Da hat man ihm die Frau weggenommen, was keine schöne Geschichte ist. Vermouth hat sich auch ständig zwischen sie gedrängt, man munkelt, dass sie und Gotano eine Affäre hatten... Sie ist, glaube ich, mit Gotanos Frau verwandt, ich weiß aber nicht inwiefern.“

Es war mehr an Informationen, als Shinichi sich erträumt hatte. Dann war der Kerl eigentlich Wissenschaftler.

„Und Katori?“

„Eine Sängerin – solltest du eigentlich auch kennen.“ Sie sah ihn mit Halbmondaugen an, natürlich wollte sie ihn etwas ärgern.

„Sehr witzig.“

„Wieso witzig? Es war mein voller Ernst – eben noch hast du dich informiert, ich glaube nicht, dass du nicht über ihren Namen gestolpert bist – sie hat mit Kimiko nämlich zusammen gearbeitet.“

Conan wandte sich wieder dem Computer zu. „Und ihr Codename?“ Schweigen wurde ihm entgegen gebracht, also surfte er ein wenig weiter und stieß dann auf den Bandnamen Frozen Roses, die Mitglieder waren Kimi und Cat… Es dämmerte ihm, Katori konnte man auch mit Kat abkürzen, sie hatte ein C daraus gemacht, was dann Cat ergab. „Ich hab’s! Also… Katori Shirakawa, Tochter eines Diplomaten und einer Psychologin, geboren in Sapporo, sie hat eine Zwillingsschwester – interessant, wenigstens keine zweite Vermouth mit tausend Geheimnissen… Das beruhigt mich doch jetzt echt.“

„Sie ist ihr charakteristisch wohl auch kaum ähnlich, sie ist mehr wie ein Engel mit Teufelsflügelchen…“

Der Satz erinnerte sie stark an den von Kita, den er über Hyde fallen gelassen hatte. Was hatte er noch gesagt? Ein Teufel im Engelskostüm!

„Also mehr Engel als Teufel?!“

„Ja – sie steht unter der Fuchtel von Cencibel; sie ist Kinderärztin und hat sich in der Vergangenheit viel um mich gekümmert. Sie hat eine hohe Position und Katori ist so was wie Töchterchen, sie kontrolliert sie. Ich glaube ihr Name war…..“ Ai schien nachzudenken, leider hatte sie mit denen nicht so viel zu tun gehabt. „Cinzano! Ja, genau das war es! Sie kam vor etwa 10 Jahren in die Organisation, ich kann mich aber auch irren, um ein paar Jahre.“

„Und diese Cencibel, wie ist die so drauf?“

„Sie macht die Drecksarbeit, wenn’s um Kinder geht! Und sie hasst es, weil sie Kinder eigentlich mag. Kinder haben nur eine Funktion bei ihnen: Entweder forschen, uns mit Technik versorgen oder morden… Und das alles im Dienste des Bosses, damit es den Killern noch leichter fällt, ihre Arbeit zu machen. Ihre Zukunft sieht jedenfalls alles andere als rosig aus, es macht ihr natürlich keinen Spaß, dabei mitzuwirken.“

Anscheinend schien Sherry Cencibel sehr zu mögen, er wollte sie aber nicht darüber entscheiden lassen, ob sie nun gut oder böse waren, es war sowieso ein weit gefächerter Begriff, den man kaum genau definieren konnte. Und Sherry selbst hielt sich ja für 100-prozentig gut, sie hatte sich mit der Ausrede herausgewunden, dass sie ja niemanden getötet hatte. Man konnte auch auf andere Weise böse sein, ohne jemanden zu ermorden. Er war sicher, dass der Boss nicht selbst mordete, sondern ALLES seinen Untertanen überließ, was aber nicht ausschloss, dass er abgrundtief schlecht war…

„Und was macht Cinzano in der Organisation?“

„Töten“, kam wie aus der Kanone geschossen, Conan schloss die Augen, denn er hatte das irgendwie erwartet. „Und wie steht sie zu Vermouth?“

„Gar nicht!“

„Wie, gar nicht? Haben die keinen Kontakt zueinander?“

„Doch – unwillkürlich, aber sie macht sich nichts daraus! Die besten Freunde sind sie jedenfalls nicht.“

Er hasste es, dass man im Grunde Sherry alles aus der Nase ziehen musste, wenn sie doch so viel wusste, wieso hatte sie Cencibel, Cinzano und Gotano niemals erwähnt? Sie kannte sie doch – es war wie bei Chianti und Korn, die sie ebenso gekannt, aber erst erwähnt hatte, als er auf sie gestoßen war. In dem Punkt konnte er sich nicht ausnahmslos auf seine Freundin verlassen.

„Aber mal eine kleine Frage am Rande – du kennst L’Arc~en~Ciel, oder etwa nicht?“

„Wer kennt sie nicht? Was ist damit? Machst du dir Gedanken wegen Kimi?“ Sie las Zeitung, weshalb sie darüber informiert war.

„Der Sänger – ist der Mitglied in der Organisation, ja oder nein?!“ Mehr wollte er ja eigentlich gar nicht wissen.

„Nein, was eigentlich verwunderlich ist.“

„Ach? Was daran ist verwunderlich, außer die Tatsache, dass seine Art zu denken der von Vermouth bis ins kleinste Detail zu gleichen scheint?“ Conan wurde sarkastisch, er musste das einfach sagen, diese ganze Geheimniskrämerei und Rachsucht waren ihm nicht im Verborgenen geblieben.

„Das meinte ich eigentlich nicht – eher sein enger Kontakt zu Hiroya Tokorozawa und seiner Schwester.“

„Wieso erwähnst du den als erstes? Was hast du mit dem Typen zu schaffen?“

„Ach, er hat viele Feinde in der Organisation – und so viel Kontakt wie er zu Tokorozawa hatte, wäre es nur natürlich, wenn ihm zumindest mal was zugestoßen wäre – es gibt da nämlich einen, der ärgert den Mann mit Freuden.“

Conan gab ein sehr schweres Seufzen von sich – wieso zum Teufel nannte sie ihm nicht gleich den Namen? Er verstand sie einfach nicht, einmal mehr musste er nachhaken. „Hat der keinen Namen?“

„Jami – der Sohn vom Boss – aber wohl nicht sein leiblicher.“ Aus irgendeinem Grund hatte er kein gutes Gefühl dabei; der Sohn vom Boss also. Das klang wie sein Spiegelbild und das freute ihn nun überhaupt nicht. „Und ein richtiger Name?“

„Den kenne ich nicht!“

„Schließt du aus, dass die Kleine ihrem Freund von der Organisation erzählt und ihn mit hinein gezogen hat?“

„Dann wäre ihm sicher schon was zugestoßen…“ Sie fand seine Fragen komisch und verdrehte leicht die Augen.

„Merkwürdig – alles merkwürdig, er verhält sich nämlich genau so, wie sich Leute verhalten, wenn sie vor etwas totale Panik haben. Mich hat da so was angeweht, du verstehst?! Und normal ist er keineswegs. Wenn du seine Musik gehört hast, verstehst du, was ich meine!“

„Habe ich und ich kann da beim besten Willen nichts feststellen, was mich darauf schließen ließe. Ich glaube fast….. Kudō-kun…. dass du überall die Organisation siehst, weil du selbst schon so paranoid bist.“

„Du meinst, ich spinne?!“ fuhr er sie an, das ließ er nicht auf sich sitzen. Sie konnte ihn doch nicht als schwachsinnig bezeichnen. „Ich finde es NICHT normal, wenn einer findet, SIE ALLE sollten verrecken – ist das für dich etwa der Satz eines ganz normalen Menschen? Das doch wohl kaum!“ Dieses SIE ALLE beschäftigte ihn eben ungemein.

„Bezieh das mal auf stinknormale Verbrecher, das würde auf dasselbe herauskommen. Für dich mag es abnormal klingen, aber viele ganz normale Menschen sind für die Todesstrafe an Schwerverbrechern.“ Sie fand das total normal und konnte nichts dafür, dass er da eben grundsätzlich anderer Meinung war.
 

Ran wurde erst aufmerksam, als sie die Stimme ihrer Freundin unten vernahm. Sie wollte sich schon wundern, als sie sie hörte, aber diese sich nicht bei ihr gemeldet hatte.

„Du würdest mir einen riesigen Gefallen tun, wenn du dir das mal genauer ansiehst… Sie ist ungehobelt, unsympathisch und ein total schlechter Mensch – es würde keinen wundern, wenn sie einen Mord begehen würde“, versuchte Sonoko Kogorō die ganze Zeit über einzureden, was Ran zunächst überhaupt nicht verstehen konnte. Auf wen bezog sie sich und warum? Lauschend, versteckte sie sich noch auf der Treppe.

„Es kann doch nicht sein, dass so eine Person frei herum laufen darf!“

„Nun aber mal langsam, Sonoko, was lässt dich darauf schließen, dass wir bei ihr an richtiger Adresse wären?“

„Sie versucht Polizeikontakt zu meiden und wollte IHM dann auch noch verbieten, dass er mit Polizisten redet! Wenn das nicht verdächtig ist, Onkel?“

Ran wurde es nun zu bunt und sie trat in Erscheinung, ihr Vater war anscheinend ja hoffnungslos mit Sonoko überfordert.

„Na jaaaaaa“, erwiderte der Angesprochene mit einem Schweißtropfen an der Schläfe. Er hatte doch noch überhaupt keine Ahnung… „Das leuchtet schon ein…“

„Worum geht’s hier? Was mischst du dich nun auch hier ein?“

Sonoko erblickte Ran und rannte sofort zu ihr. „Ran! Ich wurde in einen Fall verwickelt! Gestern! Und dabei ist dieses komische Weib aufgetaucht! Die Schwester des Sängers von IRON KISS!“

„Yui Ikezawa?“

„Ja, genau die! Sie wollte ihn am liebsten von der Polizei trennen und hat sich selbst gleich wieder aus dem Staub gemacht und wie die über deine Kimi redete, nicht zu fassen… Die denkt, dass sie an Ken rumgebaggert hat und wurde richtig ausfallend… Sie ist es, sie! Ganz sicher!“

Die kleine Detektivin konnte ihrer Freundin noch nicht so ganz folgen, sie war zu aufgeregt und vergaß die Hälfte. „Moment! Was hat Ken damit zu tun?“

„Also na ja – das war so…“ Sonoko fing an alles breit und lang zu erzählen, damit beschäftigte sie Ran und Kogorō noch einmal gut eine viertel Stunde, es war aber mehr eine Märchenstunde, als eine Erzählung eines Tathergangs…
 

Bisher war alles ruhig und eigentlich waren sie auch bisher nur im Büro gewesen, welches jetzt aber blitzblank war und so aufgeräumt, wie noch nie. Eine Frau in seinem Büro, daran konnte er sich wirklich gewöhnen, Miwako wäre nie auf die Idee gekommen, seine Unordnung zu beseitigen, sie war einfach hinreißend. „Besorgst du uns noch Kaffee?“

Auf seine Frage hin, war sie sofort losgegangen, um frischen Kaffee zu besorgen, er fühlte sich, als hätte man ihm eine Dienerin gegeben, statt einer Kollegin. Er hatte sich an einer Sache festgebissen und bekam langsam Kopfschmerzen, da würde ein guter Kaffee ihm sicher gut tun. Gerade, als er so tief in Gedanken war, klingelte sein Telefon. Er hörte es erst gar nicht, erst als Mitsuki wieder den Raum betrat und ihn aus den Gedanken riss, bekam er es mit. „Das Telefon, Iwamoto-san!“

Er blickte auf und griff nach dem Hörer. „Ja?“ Man redete einige Momente mit ihm. „Ja – stell durch!“ Er wartete ab, bis sich schließlich eine Frau meldete. „Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?“

„Anata – wann hast du Feierabend? Musst du noch lange arbeiten?!“ Die bittersüße Stimme einer Frau klang an sein Ohr und er presste das Telefon fester dagegen.

Gerade war er eigentlich nicht zu Späßen aufgelegt, und von wegen Anata, was hatte die denn bitte genommen? Nicht Darling? Das sagte sie doch sonst immer.

„Wieso fragst du?“

„Ich sitze gerade in der Badewanne und mache mich schön“, bezirzend klang ihre Stimme und er konnte sie förmlich vor sich sehen, überall mit Schaum bedeckt und wie sie ihr Bein verführerisch anhob für ihn, um etwas Haut zu zeigen.

„Eigentlich wollte ich länger bleiben, ich mache mir gerade Gedanken um einen Fall; ich wollte meine Gedanken nicht unterbrechen…Und ich hätte da auch einige Fragen, die ich mit dir klären will, bevor ich an mein Vergnügen denke.“ Er wollte eigentlich nicht auf ihre Flirterei eingehen, während eine andere Frau gerade im Zimmer war und alles mitbekam. Er hoffte, es hörte sich nicht zu sehr nach einem Gespräch mit der Freundin oder Frau an, sonst dachte sie am Ende noch, er wäre vergeben.

„Bist du nicht allein im Büro, oder warum redest du so komisch?“

„Du hast es erfasst – ich schau auf jeden Fall noch mal bei dir vorbei, bis dann!“
 

In der Leitung blieb nur Tuten übrig, einfach aufgelegt hatte dieser undankbare Klotz. Sie gab ihm seine Fantasien und es interessierte ihn gar nicht…

Ein wenig verstimmt konnte man sie schon nennen, sie hätte doch fast das Handy im Badewasser versenkt. Sie würde sich was Hübsches für den undankbaren Herrn einfallen lassen, um ihn zu ärgern…
 

„Wer war das denn?“

Sêiichî wollte eigentlich nicht darüber reden, trotzdem entkam seinen Lippen ein „Niemand besonderes“ und er guckte sich weiter die Akte an, die er sich vorhin rausgesucht hatte.

„Das klang aber gar nicht danach“, gab sie zurück, was er jedoch als Grund ansah, aufzuseufzen.

„Ich versuche zu arbeiten, bitte verhalte dich ruhig, ich muss denken.“ Nach ihrem Anruf war mit dem Kriminalisten kaum noch etwas anzufangen. Selbst die Kaffeetasse verwandelte sich in sie und die Zeilen in der Akte ergaben keinen Sinn mehr. Er musste immer wieder daran denken, was sie getan hatte, da freute er sich überhaupt nicht mehr auf den Feierabend. Aber benahm er sich nicht kindisch? Er führte sich auf, als hätte man ihm einen Lolli geklaut, geradezu wie ein Kind, er fand es lächerlich, aber er konnte es gerade einfach nicht vergessen…
 

Shannen war wirklich sehr erleichtert, zu wissen, dass Chardonnay Jamies Tochter nicht auf die übelste Weise misshandelt hatte. Er hatte sie nur geschlagen, weshalb sie Angst vor ihm hatte – aber jedes kluge Kind hätte Angst vor diesem Mann. Vor allem wenn man ein Mädchen war, hatte man die automatisch, falls er einem begegnete.

Sie war noch immer bei ihr zu Hause, ebenso wie Liz, die schon lange schlief. Die Blondine konnte das Mädchen auf keinen Fall dieser Irren überlassen und es war ja auch eigentlich ihr Job, sich um sie zu kümmern, sie tat also noch nicht einmal etwas Verbotenes, aber wie ihre Mutter das wohl sehen würde, ganz sicher würde sie sich bei Valpolicella deswegen beschweren. Diese würde aber wohl nicht allzu viel gegen Cencibel unternehmen, schließlich hatte sie nicht nur einmal Carpano vor dem Tod bewahrt und sie hatte ihr vor Jahren viel zu gut das Schießen beigebracht, was Valpolicella doch allmählich ein wenig bereuen musste…

Als sie gerade etwas für Jamies Tochter kochte, begann das Haustelefon zu klingeln, so dass sie sich die Hände an der Schürze abwischte und zum Telefon rannte.

Sie nahm das Gespräch entgegen und hörte am anderen Ende die Stimme des Arztes, welchem sie extra ihre Nummer gegeben hatte; offiziell hatte sie sich als Frau von Miyazu Erikawa ausgegeben. Sie hatten alles so arrangiert, dass das Krankenhauspersonal keinen Verdacht schöpfte. Sie hatten für den Fall der Fälle falsche Ausweise anfertigen lassen, was kein Problem war, da sie Freunde bei Interpol hatten, die ihnen gerne solch einen Gefallen taten.
 

Unterdessen wurde eine junge Frau mit leichten schwarzen Locken in die Enge getrieben; man drängte sie gegen die Wand und grenzte sie ein. Obwohl sie kaum eine Gegnerin war, war Valpolicella nicht alleine. Die 33-jährige schaute nach rechts und links, wo sie jeweils noch zwei weitere Menschen ausmachte.

Es waren Sirius, Mérille, Mistelle und Alvarello. Vier fast genauso gefährliche Leute, wie die Ranghöchste selbst. Sie standen alle ganz oben und bedrohten sie nun.

„Nun rede endlich, elendes Miststück! Trincadeira deckt Helios, ist es nicht so?!“

„Wie – wie…“ Ihr gefror fast das Blut in den Adern, Valpolicella war ungeduldig und diese Ungeduld schlug nicht selten in Missmut um, welcher sie zu unschönen Ausrastern brachte – und sie hatte eigentlich nicht vor zu sterben.

„Also weiter: Sie hat es ihm ermöglicht, uns zu täuschen, indem sie mit ihm das verliebte Ehepaar spielt, ich liege doch richtig, oder?“

„Ich weiß nicht, wie du darauf kommst!“

„Ach nein?!“ In die Stimme der großen Britin fuhr Rage, man bemerkte sofort deutlich, dass sie kurz davor stand zu platzen – warum musste sie ihretwegen so wütend werden? Ob sie von ihrer Freundschaft zu Jamie Moore wusste?

„Du willst mir allen ernstes sagen, dass du keine Ahnung hast, was deine Schwester tut? Dass wirklich eine Hochzeit stattfand? Dass sie WIRKLICH Durello heißt??“ Sie glaubte dem falschen Weib nicht das Geringste und knallte ihr erst einmal eine; bevor sie ihr das Knie in die Magengegend rammte und mit der Knarre näher kam, sie ihr entgegen richtete. „Los, mach den Mund auf, oder soll ich ihn dir stopfen?“ Ihre Augen glänzten vor Wut und gerade dieser Ausdruck machte die junge Frau total fertig, obwohl sie 2 Jahre älter war.

„Ich weiß nichts! Wirklich…“ So ganz überzeugend kam es nicht rüber, fanden wohl auch die fünf Personen.

„Die Hochzeit, fand sie statt oder nicht?! Ich will nur ein JA oder NEIN!“

Wenn sie sie nun belog, was würde diese grausame Frau wohl mit ihr machen? Sie einfach nur erschießen, oder sie brutal und mordlustig wie sie war, erst ein wenig anschießen, bevor sie sie wirklich umbrachte? Aber sie konnte doch nicht ihre Schwester ans Messer liefern… Auch wenn sie noch so große Angst um ihr Leben hatte. Wenn sie jetzt zugab, dass Trincadeira und Helios unter einer Decke steckten, was würde sie wohl mit ihrer Schwester machen? Sie sah in das Loch von Valpolicellas Waffe, ihr lief die Zeit weg, sie beobachtete wie in Zeitlupe, wie sie den Finger nervös am Abzug bewegte.

„Hey, was soll das?“ mischte sich ein Mann mit etwas längeren schwarzen Haaren ein, indem er die Rotblondhaarige ansprach, was die anderen vier gleich ärgerlich beobachten.

Jami stellte sich sofort zwischen die Frau und Valpolicella, was diese zu einem Knurren führte, und dass ihre Hand noch mehr zuckte. Das wiederum hatte zur Folge, dass sie Jami mit ihrer Waffe so fest ins Gesicht schlug, dass wenig später Blut an seiner Schläfe hinab lief. Das linke Auge zukneifend, erfuhr er ziemliche Schmerzen, das wagte selten jemand…

Sie hatte genug von diesem Kerl, am liebsten wollte sie ihn untenherum zerstückeln dafür, dass er wieder einer Frau half.

„Sie ist eine Verräterin, also weg da! Sofort!“

„Sie hat überhaupt nichts getan, was uns schadet! Was kann sie dafür, wenn ihre Schwester einem Verräter hilft?!“ fauchte er in Valpolicellas Richtung – was fiel diesem WEIB ein, ihn zu schlagen? Was erlaubte die sich? Sie war nicht der Boss, das nahm er niemals einfach so stillschweigend hin. Sie tat immer so unglaublich toll, nur weil sie mehrere Sprachen fließend beherrschte und deswegen zur Vermittlungsperson ernannt worden war. Ja, sie durfte alle befehligen, sogar ihn, das passte ihm überhaupt nicht, da sie somit mehr Macht als er hatte.

„Was sie dafür kann?! Du bist triebgesteuert, mit dir rede ich nicht über so was und jetzt verschwinde endlich, oder ich werd ungemütlich!“

„Aber er hat doch Recht“, hörte die 31-jährige hinter sich jemanden sagen, was sie tief Luft holen ließ. Carpano hatte ihr gerade noch gefehlt, er schien doch sowieso nicht so ganz zu kapieren, dass er sich selbst zum Verräter mauserte, wenn er diesen Leuten half.

„Bitte misch dich nicht hier ein, Carpano, das geht dich nichts an! Das ist eine Sache zwischen mir und ihr. Das gilt auch für dich, Jami. Du kannst nicht ernsthaft einer Verräterin helfen wollen, oder? Sie ist gegen uns, damit ist sie gegen den Boss und das wird mit dem Tod bestraft!“ Sie versuchte wieder ganz ruhig zu reden, was ihr wirklich schwer fiel bei einem Kerl wie Jami. Nichts desto Trotz hatte Carpanos Anwesenheit auch eine sehr beruhigende Wirkung auf sie.

„Nein, ich werde nicht zur Seite gehen – und Chenin kommt mit mir! Sie gehört zu mir, das weißt du ganz genau! Ich sorge dafür, dass sie nichts Unrechtes tut, außerdem weiß sie, was sich gehört – stimmt’s, Chenin?“ Er blickte ganz kurz nach hinten, viel mehr schielte er zu ihr, was sie erschrocken wahrnahm. Sicher hatte seine Hilfe auch ein Nachspiel, es war immer so, aber es war wirklich sehr beruhigend, dass er zwischen ihr und Valpolicella stand und somit verhinderte, dass sie ihr einfach den Rest geben konnte. Dazu hätte sie Jami erschießen müssen, was sie unter den gegebenen Umständen nicht gewagt hätte. Der Boss hatte Pläne mit Jami und sie hatte nicht dagegen zu entscheiden, es war eben einfach so, auch wenn Valpolicella schon oft eigenmächtig entschieden hatte, jemanden oder mehrere Menschen zu töten, ohne um Erlaubnis zu fragen – warum auch, wenn sie wusste, dass manche entbehrlich waren.

„Oh man – die oberste Schicht unserer Organisation und ihre kleinen Reibereien! Es ist lachhaft, wie ihr euch benehmt! Ihr habt beide ja nur Angst, verraten zu werden – ich für meinen Teil halte es für unnötig, gleich alle umzubringen, die mal in Helios’ Richtung gesehen haben – und sie kann ja nun nichts für ihre Schwester. Und ich für meinen Teil glaube auch, dass Trincadeira einfach nur auf Helios reingefallen ist.“

„Was interessiert uns deine Meinung? Wer hat dir überhaupt erlaubt, mitzuwirken?“ Sirius war leicht verärgert darüber, dass Carpano sich einmischte, er hatte nicht die Position zum Einmischen, fand er jedenfalls. Allerdings spürte Sirius wenig später den Ellenbogen seiner Begleitung, sie hatte ebenfalls rotblondes Haar, so wie Valpolicella nur sehr viel kürzer und nannte sich Mérille. Sie fand es überhaupt nicht klug, gegen Carpano zu hetzen – Valpolicella war doch so allergisch dagegen und man musste ihr durchaus zutrauen, dass sie solche Aussagen auch bestrafte, wenn sie zu giftig kamen. Er sollte um Himmels Willen nicht zeigen, dass er was gegen Carpano auszusetzen hatte.

„Gut – ich lasse sie leben“, meinte Valpolicella, die Sirius Worte erst einmal ignoriert hatte und in Jamis Richtung grinste. „Du kannst sie haben, ich schenke sie dir.“ Kurz darauf wandte sie sich an die Schwarzhaarige. „Aber wehe, ich sehe dich einmal zu viel auf der falschen Seite, dann kannst du was erleben, Süße!“

Armer Jami, musste dieser Frau helfen, nur damit er sie ein wenig anfassen durfte; sie würde es ihm noch mal gönnen, immerhin war bekannt, dass die kleine Kir ihn ziemlich zappeln ließ.

Die Schwarzhaarige fiel auf die Knie, als sie dieses Gnadenurteil bekam, es war wie vom Richter frei gesprochen werden, nachdem man schon zum Tode verurteilt gewesen war. „Ein falscher Augenaufschlag und du bist dran… Du weißt ja, keiner kommt damit durch, uns zu hintergehen. Und grüß deine Schwester, sie wird von mir hören; ich hoffe, sie hat bessere Antworten, als du sie hattest. Ich will kein Ich wusste nicht hören. Aber es wird sich ja zeigen, wie sie zu Helios steht, ich weiß auch schon, wie ich das aus ihr rauskriege…“

Erneut hielt die Frau die Luft an. Was Valpolicella ihr da sagte, war eine indirekte Ansage á la: Ein Fehler und du bist tot! Dazu gehörte wohl auch das warnen ihrer Schwester. Wenn sie jetzt zu ihr ginge und sie davor warnte, was ihr blühte, sie wollte nicht wissen, was sie mit ihr anstellen würden. Sie und ihre Anhänger.

„Du musst ihr das nicht extra sagen, Valpolicella“, entgegnete Jami, der sich mit der Hand ein wenig das Blut wegwischte. Das zahlte er ihr irgendwann heim. Wenn er die Möglichkeit bekommen sollte, sie für ihre Liebe zu Carpano zu bestrafen, er würde es sofort machen. Irgendwann brach ihr das nämlich das Genick. Sie merkte ja noch nicht einmal, wie der Kerl sie beeinflusste. Ein falscher Schritt und er würde ihr ihren hübschen Hals rumdrehen, sie war für ihn keine Frau, sondern eine Hyäne.

Eine Drohung, ausgesprochen von Valpolicella, sollte man besser teuflisch ernst nehmen, denn sie würde sie wahr machen. Als sie die anderen zum Gehen aufforderte, folgten sie ihr anstandslos. Warum ließen sich Leute, die genauso hoch standen, nur so von dieser Frau befehligen? Jami verfolgte ihr Abmarschieren, er kam sich vor wie in der Armee. „Arg…“ Ihm wurde schwindelig, denn der Schlag hatte gesessen.

So ganz sicher war sich Carpano nicht, ob man die Frau nun bei Jami lassen sollte; sie war schließlich schon verheiratet und er würde sicher die Situation ausnutzen. Was hätte wohl Jamie in dem Fall jetzt getan? Er dachte darüber nach und kam zu dem Entschluss, dass Jamie sie mitgenommen hätte, weg von Jami.

Sie hatte eine Heidenangst, dass Valpolicella sie wirklich tötete, oder töten ließ, was das Zittern, das durch ihren Körper immer noch fuhr zeigte, es machte keinen Unterschied, die Frau sah nicht aus, als wolle sie jetzt schon sterben, sie war doch vor kurzem erst Mutter geworden; er wusste all das, Jamie hatte es ihm erzählt, sie redeten oft über so was. Es bekümmerte ihn, dass so viele Frauen in der Organisation gefangen waren, obwohl sie nie hatten in diese eintreten wollen. So wie sie hier auch. Die 33-jährige war durch ihre Schwester mehr zwischen die Fronten geraten und hatte bisher nicht den Versuch gewagt, auszubrechen – das wäre ihr auch nicht bekommen. Aber Trincadeira konnte Valpolicella wenigstens nicht einfach so umbringen, was aber nicht hieß, dass sie es nicht versuchen würde damit zu entschuldigen, dass sie Verrat verübt hatte. Noch jedenfalls hatte der Boss an Trincadeira jemanden, der stets an Vermouth klebte, auch ohne dass sie es sofort bemerkte. Sie konnte sich ja sogar mit am Set aufhalten, das nutzte er schamlos aus. Aber ob Valpolicella wohl darauf Rücksicht nahm, dass der Boss sein Schätzchen beobachten konnte? Das glaubte er kaum. Die Sache mit Helios würde der Frau einen verheerenden Absturz bereiten, wenn man sie nicht ganz schnell vor der Gefahr warnte… Jamie würde es sich niemals verzeihen können, wenn diese Frau seinetwegen zu Tode kam…

„Es tut mir Leid“, hörte er die Schwarzhaarige sagen, was den Lippen des Grünäugigen nun doch ein Seufzen entkommen ließ. Carpano glaubte ja nicht, was er da sah. Dass sich die Frau nun um Jamis Verletzung kümmerte, er verstand sie nicht. Er beschützte sie doch nur, um sie anfassen zu können.

‚Man, wach auf, Mädchen, du bist seine Beute!’ dachte er sich, doch er sah nicht ein, dass er nun noch etwas sagte, oder sie von ihm trennte – wenn sie darauf reinfiel, war sie nun echt selbst schuld. Er sah ihr noch dabei zu, wie sie mit einem Taschentuch sein Blut abtupfte, ihm war schlecht, er musste schnell hier weg, bevor er sich übergeben musste…

„Ach – die ist eben so! So hübsch sie aussieht, so grausam ist sie, das mag ich gar nicht an Frauen…“ Jami empfand sie eigentlich ja eher als Hyäne und nicht als Frau, auch wenn sie Brüste hatte und lange Haare, was sie sehr weiblich wirken ließ. Sie parfümierte sich ja noch mehr ein als Vermouth und das hatte etwas zu heißen.

„Ich fand’s nett von dir, dass du mir beigestanden hast, ich hätte wenig gegen die fünf tun können.“

‚Ich verstehe nicht, weshalb sie mit Kompanie anrückt – sie wäre doch spielend leicht mit ihr alleine fertig geworden. Vielleicht will sie denen demonstrieren, wie schlimm sie ist…’

Er lächelte sie mit dem süßesten Lächeln an, welches er fertig brachte. „Nett von mir? Also, hör mal, ich würde dich doch nicht im Stich lassen! Ich bin so erzogen worden; man muss Frauen in Not doch helfen.“ Er nahm mit der rechten Hand ihr Kinn und blickte tief in ihre Augen; sie kniete noch immer am Boden und tupfte ihm die Schläfe ab, es blutete ziemlich. So eine abartige, hässliche Frau, kein Wunder, dass Carpano vor ihr stiften ging.

„Blödmann, irgendwann tickt sie mal so richtig aus, dabei könnte dir auch was zustoßen. Für sie sind Frauen eine Gefahr, dabei ist die doch selbst eine.“

„Inwiefern?“

„Sie mag es Frauen zu erniedrigen, du magst es, ihnen zu helfen. Das kann nicht gut gehen, leb ihr das besser nicht zu sehr vor.“ Die kam noch auf dumme Ideen, auch wenn sie bei ihm wohl nicht sofort zum Schießeisen griff.

„Sie geht auch auf Männer los, wie du gesehen hast. Cognac hat das auch schon zu spüren bekommen, er steht um einiges unter ihr, deswegen kümmert es auch nur wenige, wenn sie ihn ärgert. Er kann wie ich nicht wegschauen, doch bei ihm verfährt sie ganz anders, wenn sie es mitbekommt. Er hat nicht viel zu lachen“, seufzte er und hoffte, dass die blöde Wunde bald mal aufhören würde, zu bluten, das versaute ihm nur die Klamotten. Er war leider gerade nicht komplett schwarz unterwegs und dann noch mit einem weißen Hemd, wie sah das denn aus?

„Es tut mir außerordentlich Leid, dass du dir so was Unappetitliches ansehen musst; eigentlich sind blutige Angelegenheiten nichts für Frauen.“ Seiner Meinung nach sollten Frauen auch nicht töten oder sonstige Gewalttaten begehen, Valpolicella machte das aber wenig aus, ein Grund mehr sie weniger zu mögen. Selbst Vermouth machte sich nicht gern die Finger schmutzig, die war weitaus normaler als dieses rotblonde Miststück, das auch noch Kir hasste, das machte sie bei Jami nicht beliebter. „Frauen sind zarte Wesen, die muss man beschützen.“

„Komisch, Helios hat das auch immer gesagt… Ich kann einfach nicht glauben, das was sie über ihn sagt. Was ist deine Meinung zu Helios?“ Ein bisschen konnte man ihn ja wenigstens aushorchen.

„Er ist mit Carpano befreundet, was soll da meine Meinung sein? Sicher hat er ihm diese Sache vorgeschlagen. Ihm traue ich alles zu, auch Verrat… Cognac und er scheinen sich aber zu verstehen, das gefällt mir ganz und gar nicht. Wenn Carpano Verrat beginge, ich glaube nicht, dass Valpolicella dann so ausrasten würde, das macht sie zu einer wirklichen Gefahr für uns alle. Sie stellt ihn über die Organisation, seit ich das weiß…“ Er hätte nichts dagegen, wenn sie einen Unfall hätte, ohne sie wären sie alle besser dran. Den Frauen würde es besser ergehen und dem Boss auch, der ihr auch noch blind vertraute.

„Wenn allerdings Cognac so weitermacht, wie Carpano, wird er öfter von Valpolicella Ärger kriegen, das einzige, was ich dann tun kann, ist sie daran erinnern, dass ihr Carpano dann auch bestraft werden muss, das wird sie nur leider wieder nicht hören wollen.“

Es kam Chenin so vor, als würde Jami sich ein wenig um Cognac sorgen, was ihn ihr aber auch etwas sympathischer machte, als so manchen anderen Mann.

„Ich denke, der liebe Cognac wird schon klarkommen und Carpano lässt nicht zu, dass sie ihn umbringt, falls du das befürchtest.“

Dass sie ihn gleich umbrachte, befürchtete er eigentlich nicht, aber das letzte Mal war schon haarscharf gewesen, dabei hatte er doch nur eingelenkt, er hatte gewagt, sich zu äußern. Valpolicella konnte ihn einfach nicht leiden und hatte ihre Wut an seinem Gesicht ausgelassen. Und er hatte danach einen schlimmeren Anblick geliefert, als er selber nun bestimmt aussah.

Was er Chenin aber nicht verriet, war der wirkliche Grund. Vermouth hatte wieder was falsch gemacht, Valpolicella war rasend gewesen und dann hatte Cognac auch noch den Mund aufgemacht. Er hoffte nur, dass sie solche Geschehnisse nicht zu detailliert dem Boss berichtete, sonst kam der irgendwann noch auf die Idee, dass Cognac in Vermouth verliebt war. Dass er ihn diesbezüglich deckte, war mehr als er tun konnte, ein Freundschaftsdienst, von dem der Boss besser nie erfuhr, es war mit Verrat gleichzusetzen. Aber in der Hinsicht war ihm Cognac wichtiger als der Boss.
 

Statt nach Hause zu gehen, taumelte jemand in der Straße herum, mit einer Flasche in der Hand. Er hatte sie schon fast leer gemacht und stieß wenig später gegen einen Bordstein, der ihm beinahe den Boden unter den Füßen entgleiten ließ. „Muss der hier im Weg sein, menno?!“

Sobald man vom Teufel sprach, kam er angerannt – so konnte man es nennen.

„Hey, Cognac – was machst du denn hier?“ sprach ihn Jami an, nachdem er ihn hatte fluchen hören. Dieser machte einen angetrunkenen Eindruck und wirkte gar nicht mehr Herr seiner Sinne.

„Oh Jami, schön dich zu sehen – ich glaube, ich habe mich verlaufen.“

Chenin seufzte, der Junge war ja total hinüber – ja ein Junge, das war er für sie. „Ich glaube, wir sollten ihn nach Hause fahren, bevor er noch unter ein Auto kommt.“

„Gerne kannst du mich mitnehmen, hübsches Kind, ich bin noch zu haben… hehehehe!“ Ein Schweißtropfen lief Jami über die Schläfe, er sollte ihm hier nicht die Frauen streitig machen, warum auch immer er so drauf war, dass er sich sinnlos besoff.

„Ich glaube, du solltest lieber ins Bett gehen und deinen Rausch ausschlafen, mein Lieber, du stinkst wie ein ganzes Whisky-Fass, Cognac! Ich glaube nicht, dass sie auf so was steht.“ Wie konnte er sich so gehen lassen? Hatte er ihm denn nicht gesagt, er sollte es nicht so übertreiben? Sich zu betrinken war das allerletzte.

Dass Jami so etwas sagen musste, war ihr klar. Die schlechten Seiten der anderen verdeutlichten seine eigenen guten. Er neigte eben dazu, alles schönzureden.

„Hier“, er hielt der Frau seinen Schlüssel hin, „du weißt wohin! Warte dort auf mich, ich werde Cognac erstmal nach Hause bringen, bevor er irgendwo in der Gosse landet.“ Er musste auch mal mit ihm reden, er war immerhin sein Sempai, auf ihn würde er schon hören. Aber vor allem war er gespannt auf den Grund. Er wollte gerne wissen, welche Sorgen es waren, die ihn zu so etwas trieben.
 

Kaum zwanzig Minuten später fuhr ein pechschwarzer Ferrari Modena vor einem abgelegenen Haus an. Sein Freund hing mehr im Sitz, als dass er saß, er war total fertig und hatte ein deprimiertes Gesicht. Wohl war es noch nicht genug Alkohol gewesen, um seinen Schmerz zu betäuben, was auch immer er hatte.

Er schnallte Cognac ab, er hatte nur nicht gewollt, dass er vielleicht zur Seite fiel, das hätte er ihm in dem Zustand zugetraut.

Als er ausgestiegen war, zog er Cognac aus dem Auto und hängte ihn sich ein wenig über die Schulter. „Du machst Sachen – hast doch echt einen Knall, man bist du schwer, was hast du wieder alles in dich reingestopft!?“

„Ich bin nich’ fett!“ moserte der Jüngere, woraufhin der Ältere ein kleines Lachen von sich gab. „Habe ich ja auch nicht behauptet, du siehst super aus, nur etwas fertig gerade; sei froh, dass uns nicht noch mehr Frauen begegnet sind, also mir wär das peinlich.“

Sie schafften es bis zum Tor, welches er aufschloss und Cognac bis zur Haustür schleppte. Sie gingen hinein und er gab ihm dort ein paar Hausschuhe. „Ich glaube, ein Tee wird dir ganz gut tun nach so viel Alkohol.“ Obwohl sie sich nach Alkohol benannten, musste es ja nicht heißen, dass sie sich täglich betranken.

Kaum war die Tür offen, hörten sie ein leises Miauen und wenig später erblickte Sêiichî eine Katze mit braun geflecktem Fell, welche sich an Jamis Bein schmiegte und freudig miaute.

„Hast du auf mich gewartet, Rena-chan?“

Ein bisschen verdutzt, blickte Cognac die Katze an, die sich an Jamis Bein schmuste. Eine Katze, das passte überhaupt nicht zu ihm… Obwohl, eigentlich doch, er war gar nicht so ein Mistkerl, wie die meisten dachten. Er glaubte immer noch nicht, dass dieser Mensch einfach so skrupellos andere Leute umbrachte, wenn man es verlangte, oder er verraten worden war.

Sie machten es sich im Schlafzimmer gemütlich, wo er ihm gleich ein Nachtlager aufschlug.

„Sag mal – was war der Grund, weshalb du dich so betrunken hast? Ist irgendwas passiert? Und nun sag nicht, dass es wegen Helios ist, dann krieg ich Zustände.“

Cognac saß auf dem Bett, es war am gemütlichsten dort, es war auch nicht das erste Mal, dass er hier war.

„Und selbst wenn, würdest du mich dann verachten, Jami?“ kam eine sehr ironisch angehauchte Frage des 24-jährigen, welcher ein sarkastisches Lächeln zeigte.

„Überhaupt nicht, du weißt, ich habe ihn auch zu meinen Freunden gezählt, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass er Detektiv sein könnte und uns linkt. Sei nicht traurig darüber; solche Leute gibt es eben, die es nicht ernst mit uns meinen, darüber kommt man hinweg. Wenigstens können wir beide uns vertrauen…“

Um Himmels Willen, er durfte nun kein schlechtes Gewissen ihm gegenüber entwickeln, denn auf gewisse Weise belog er ihn auch. Wüsste Jami, dass er ein Polizist war, hätte er ihn wohl erwürgt, und das war noch die harmloseste Variante, dachte Sêiichî.

„Ich glaube, es gibt nicht viele Männer, die es berauschend finden, dass ausgerechnet wir beide befreundet sind, das kann ich mir gut vorstellen, wie einige sich das Maul über uns zerreißen… Du bist nicht gerade beliebt bei der Männerwelt, Jami.“

„Das macht mir nichts aus, das ist eben der Preis, den man zahlt. Und nun erzähl, was ist los mit dir?“

Etwas bockig wirkte es ja schon, wie Cognac seine Arme vor der Brust verschränkte. „Was weißt du über Kimis Tod? Und keine Ausflüchte, ich will’s wissen! Du bist doch meistens bestens informiert.“

‚Ja, meistens… Aber wenn es um ihren Bruder geht, werde ich ausgeschlossen – was bildet die Kuh sich ein, mich so im Dunkeln tappen zu lassen?!’ Er musste immer wieder an diesen Schreck denken, den er erlitten hatte, als sie bekannt gab, dass sie Hiroya schnappen wollten und nicht gar töten. Das war überhaupt nicht das, was er wollte.

„Ich hatte nichts damit zu tun, wenn du das meinst.“

„Das glaube ich dir sogar, aber Vermouth, sie hatte damit zu tun. Ich will nur wissen, ob das Ganze ein Auftrag war oder…“ Oder eine Inszenierung seiner Freundin, um jemanden loszuwerden, was er weniger prickelnd gefunden hätte.

„Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, es war etwas, womit man Rena treffen wollte…“ Es kam ganz leise daher und Jami holte einmal Luft. Er bedauerte es nicht so sehr, aber wenn er an Rena dachte, die sich immer um sie gekümmert hatte, interessierte es ihn plötzlich doch.

„Wie viele es wohl gibt, die sie nicht ausstehen können? So viele fallen mir da nicht mal ein! Gin macht solche Spielereien nicht; mir fallen da irgendwie nur Valpolicella und ihre Anhänger ein. Vielleicht Mérille und Sirius? Sag mir, was du darüber noch weißt.“

Es kam ihm so vor, als hätte Cognac den Besoffenen nur gespielt, jedenfalls klang seine Stimme nun weniger wie die eines total Betrunkenen, aber er konnte sich das auch einbilden.

„Kir hat sich um Kimiko gekümmert, womöglich war das einer der Gründe, aber ich schwöre dir nochmals, ich hatte damit überhaupt nichts am Hut! Tot bringt sie mir gar nichts…“ Auch wenn sie einem ihrer Freunde Geschichten über IHN erzählt hatte, außer Kir und Cinzano wusste ja keiner davon, den Einzigen, der plaudern gegangen wäre, hatte er getötet: Carignan.

„Ich halte es nicht für angebracht, irgendwen dazu zu benutzen, Hiroya zu schaden, das ist falsch, Jami und das weißt du!“ Cognac konnte das nicht ausstehen, wenn er wieder wegen diesem Mistkerl zu solchen Maßnahmen griff. „Was wird wohl, wenn er bei uns mitmacht? Dann kannst du alles, was du in seiner Hinsicht geplant hast, vergessen! Du würdest dir nur Ärger mit dem Boss einhandeln.“

„Du bist auch nicht begeistert davon, oder?“ Ganz bestimmt war der Jüngere das nicht, er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm wohl dabei war, den Kerl, der ihn oft bei Aufträgen gestört hatte, unter ihnen zu wissen.

„Es ist wie ein Angebot, uns zu verraten! Ich hätte nicht gedacht, dass der Boss das Risiko eingehen würde, er ist doch sonst übervorsichtig und tötet jeden, der zu viel weiß.“

„Nein, nicht immer, denn er mag Detektive.“

„Gin hasst Detektive – wie er das wohl findet? Bestimmt sehr berauschend, jemanden am Leben zu lassen.“

„Er hat noch nicht erkannt, was wahre Macht bedeutet“, es kam mit einem Lächeln daher und Cognac wusste auch nicht, was er damit meinte.

„Pardon?“

„Macht bedeutet, jemanden der unterlegen ist, auch mal am Leben zu lassen; derjenige wird immer dankbar sein, dass man positiv über ihn gerichtet hat. Wir haben die Macht zu entscheiden. Gin hält es für Macht, einen Menschen einfach so zu töten, aber das ist es nicht. Man beweist Charakter, indem man anderen hilft.“

‚Das sagst du? Ich fass es nicht! Wer hat dir den Blödsinn wieder eingeredet? Der Boss wohl kaum und auch sonst keiner von oben.’ Sêiichî fragte sich wirklich, wo diese Hirngespinste herkamen. „Das klingt aber nicht nach dem Boss…?“

„Das waren Kir’s Worte und ich muss sagen, diese Art von Macht gefällt mir.“

‚Lachhaft – Rena-chan kann dir wohl alles einreden, das sollte sie öfter machen! Hätte sie nur eher mal damit angefangen… Vielleicht hätte das so manchen retten können.’
 

Die Tür ging auf und Licht trat hinein. Im Raum war es ziemlich dunkel. Man hörte den Herzschlag in Form eines Piepsens, welches von einer Maschine ausging.

„Bist du wirklich wach?“ fragte sie in die Stille hinein, was ihn seinen Kopf zur Seite drehen ließ und er sie anlächelte. Er war froh sie zu sehen.

„Sag mir, Shannen-san, wie geht es den Kindern? Geht’s ihnen gut, oder…?“

Die 29-jährige drückte den Lichtschalter hoch, schloss die Tür und ging auf ihn zu. Das Licht erhellte sofort den Raum, er sah müde aus, aber es schien ihm gut genug zu gehen, um sich mit ihm zu unterhalten. Sie setzte sich zu ihm ans Bett und legte ihre Hand auf seine. „Jossy ist wohl auf und Alan ist wie du im Krankenhaus, allerdings auf dem Weg der Besserung, also keine Sorge“, versuchte sie ihn zu beruhigen und lächelte ihn aufmunternd an.

„Kannst du mir denn verzeihen? Dass ich so dumm war, sie zu unterschätzen?“ Er machte einen traurigen Eindruck, seine Augen funkelten sie so bekümmert an.

„Wie gemein wäre ich, würde ich nun mit NEIN antworten? Mach dir um so was keine Gedanken. Konzentrier dich lieber darauf, wieder ganz gesund zu werden und dich zu erholen.“ Er war so ein Baka, aber sie verkniff es sich, ihm das auch noch an den Kopf zu werfen.

„Das ist sehr lieb von dir, Shannen, dabei mache ich dir doch nur Ärger, nicht wahr?“ Er wandte seinen Blick ab und starrte zur Decke. „Und nicht nur dir – was wird denn nun mit ihr werden?“

„Sie steht unter dem Schutz vom Boss, um sie musst du dich nicht sorgen.“ In ihrer Stimme klang auch ein wenig Traurigkeit mit, er wusste aber nicht, weshalb ihn dieser Ton nun so beschäftigte, es hörte sich an, als wenn sie das sie ein wenig störte; als würde sie nicht gerne von ihr hören; vielleicht hatte sie ja sogar was gegen diese Person…

„Hoffentlich, ich habe sie in eine unmögliche Situation gebracht, wie konnte ich nur so etwas tun? Ich habe mich von ihr decken lassen – ich… ich Feigling!“ Er kniff die Augen zu. Ein bisschen auch hatte er es ausgenutzt, um in ihrer Nähe zu sein; wenn man sie nun deswegen umbringen würde, wahrscheinlich würde er daran zugrunde gehen…

„Feigling? Du? Das passt nicht zu dir, Jamie, du bist kein Feigling.“ Sie schüttelte den Kopf. „Es ist nicht feige, seine Kinder zu beschützen. Du hast es doch nur getan, um sie aus dieser Sache herauszuhalten, und weil du deinem Neffen helfen wolltest.“

„Ich war mal furchtbar gemein zu ihm; das war damals, als ich erfuhr, dass er Cognac ist. Er war mit Vermouth zusammen“, seine Augen verzogen sich zu Schlitzen, was ihr einmal mehr zeigte, was er von dieser Frau und vor allem von ihrer Bindung zu Cognac hielt.

Sie konnte das verstehen, Carpano dachte ähnlich.

„Du hast dir Sorgen um ihn gemacht, das kann ich verstehen, man kann sich auch nur um ihn sorgen, immerhin hängt er sich ausgerechnet an die Frau, die dem Boss am nächsten steht. Er betrachtet sie als sein Eigentum, aber der kleine Sêiichî ignoriert das einfach.“

„Tja, so ist er – tollkühn und rotzfrech in der Hinsicht, wenn es um eine Frau geht. Ich hoffe nur für ihn, dass sie ihn mehr glücklich macht als dass sie ihn quält, ich bin mir da nicht sicher. Zwar habe ich erkannt, dass ich sie nicht trennen kann, dass er sie weiterlieben wird, egal wie viel Schlechtes ich ihm über sie erzähle, aber es macht ihn auch so verletzbar, sie zu lieben. Das bereitet mir richtige Kopfschmerzen. Wenn sie ihn mal enttäuscht, wird Sêiichî nicht mehr Sêiichî sein.“

„Darum würde ich mich nicht so viel sorgen, sie passt schon auf. Er ist einer der wenigen, die wirklich zu ihr halten, sie wird kaum so dumm sein, den Einzigen auf ihrer Seite zu verlieren. So grausam das klingen mag, und ich glaube, ein bisschen verliebt ist sie auch in ihn. Im Gegensatz zu einigen anderen von uns, weiß sie, was es heißt zu lieben. Wenn sie ihm wehtut, ist Yuichi der Erste, der ihr aufs Dach steigen wird“, sie grinste ein wenig. „Und wahrscheinlich auch die gute Katori, denen ist da egal, wer sie ist.“

„Mir wäre lieber, er wäre zu Katori gegangen, wir hatten sie ja auch richtig dazu gedrillt, sich an ihm zu versuchen, leider alles vergebens, er ist doch wieder bei ihr gelandet, der Baka.“

„Starrköpfigkeit scheint in eurer Familie zu liegen; du bist schließlich auch ein totaler Dickkopf, Jamie“, sie wollte ihn nur ein kleines bisschen necken, es war ein liebevolles Ärgern, außerdem sah man an ihren Augen, die ihn besonders anstrahlten, was der Grund dafür war. Er sah sie mit einem leichten Schmollmund an und meinte mit einem „Hey“ dass sie ihn nicht ärgern sollte.

„Aber eine Sache wäre da doch noch, die mich interessiert“, fing sie an und fand sich doch innerlich total unmöglich, dass sie damit anfing. „Vielleicht klingt sie für dich merkwürdig, womöglich sogar unverschämt, aber du und Trincadeira, was ist wirklich zwischen euch?“

Dass eine Frau ihn so etwas fragte, ließ ihn jetzt doch ein wenig rot werden, es kam so überraschend und verwegen daher, dass es ihn total sprachlos machte. Dass sie eine toughe Frau war, das wusste er ja, aber dass sie ihn gerade nach seinem Liebesleben befragte…

Sich räuspernd, fand er es unendlich peinlich, ihr darauf zu antworten, aber er wollte sie nicht im Unklaren lassen. „Also, ich mag sie, aber ich musste feststellen, dass sie nicht wie sie ist, es ist ja auch total schwachsinnig, immer der ersten Liebe nachzutrauen, während es so viele andere tolle Frauen auf der Welt gibt, aber ich habe gedacht…“ Er wurde stiller und schaute auf die Decke, während seine Hände diese fest ergriffen. „…Also ich dachte, dass ich Christina wieder gefunden hätte, aber es war nicht so. Sie mag wie sie aussehen, wie ihr Spiegelbild, aber ihre Art ist eine völlig andere.“ Mehr noch interessierte ihn aber der Grund für diese Frage. Er schaute sie mit seinen hellblauen Augen fragend an. „Aber weshalb möchtest du so etwas über mich wissen, Shannen?“

„Weil ich mich für dich interessiere“, erwiderte sie wie selbstverständlich und warf ihn damit total aus der Bahn. Die Kinderärztin sah an seinem Blick, dass er es nicht fassen konnte, schließlich war er der freche Kerl, der spät abends dafür sorgte, dass sie Überstunden machen konnte. Obwohl sie in der Regel Kinder behandelte, hatte sie auch ihn mehr als nur einmal verarztet, weil er sich wieder selbst was getan hatte. Manchmal hatte sie das Gefühl gehabt, er tat das wirklich absichtlich, eigentlich sehr bescheuert, so etwas zu denken. So hinterhältig war er doch gar nicht. „Ich mag es, wie aufopfernd du dich um deine Kinder kümmerst und ganz selbstverständlich deine eigenen Bedürfnisse hinten anstellst.“

„So etwas denkst du von mir? Ich halte mich eigentlich für ziemlich egoistisch…“ Jamie zog leicht eine Augenbraue hoch, er war noch immer etwas fassungslos über ihre Aussage, dass sie sich für ihn interessierte. Für ihn als Mensch oder sogar… als… Mann? Also wirklich, wie konnte er nun bitte an so etwas denken? Was für ein Unsinn, er tat es als schwachen Moment ab.

„Meine eigenen Bedürfnisse hinten anstellen? So einen Unsinn habe ich schon lang nicht mehr gehört“, er hätte beinahe angefangen zu lachen, das Freche in seinen Augen leuchtete regelrecht auf. „Statt nach Hause zu fahren, zu meinen Kleinen, bin ich oft bei dir vorbei, nur um dich zu sehen“, das empfand er als alles andere als aufopfernd die eigenen Bedürfnisse hinten anstellen.

Sie fand es überhaupt nicht unsinnig, immerhin hatte er seinen Kindern nicht irgendeine Frau aufgezwungen. Viele Männer taten es…

„Du scheinst ja schon wieder ganz gesund zu sein, zumindest so gesund, dass du dich amüsieren kannst, das freut mich.“ Noch vor kurzem hatte er im Koma gelegen und nun war er so drauf, sie hatte sich so viele Sorgen um ihn gemacht und innerlich so sehr gehofft, dass er endlich wieder die Augen öffnete. Die Angst, die in ihr aufgekeimt war, sie hatte sie des Nachts fast erstickt. In ihren Träumen hatte sie ihn schon so oft verloren.

„Jamie – als wir dich fanden… Weißt du, wie schrecklich es für mich war? Obwohl ich in meinem Leben wirklich schon viel Blut sehen musste, war es furchtbar. Ich dachte, dass wir nie wieder miteinander reden könnten, im ersten Moment dachte ich, dass du schon nicht mehr lebst. Die Angst und Verzweiflung, als wir dich fanden, sie brachte mich fast um. Es war nicht nur meinetwegen, in erster Linie hatte ich Angst um die Kleinen. Besonders Jossy ist noch so klein, sie braucht ihren Dad, ohne ihn ist sie doch verloren, man hat ihr schon ihre Mutter genommen.“ Sie wusste davon, dass Vermouth und Cognac damit zu tun gehabt hatten, aber nicht alle Einzelteile des Puzzles.

„Ja, ich weiß, Sêiichî – nein Cognac – hat sie damals vor meinen Augen erschossen, um uns zu retten. Vermouth war’s, die Jossy beschützte. Eigentlich muss ich ihr noch dankbar dafür sein, aber ich kann nicht vergessen, was sie damals getan hat. Dass sie Christina in diese Sache mit reinzog und ich am Ende alleine dastand. Du siehst, ich bin ganz schön egoistisch.“ Ihre Worte berührten ihn aber auch, weshalb er sie nicht einfach so im Regen stehen lassen wollte und konnte. „Es tut mir Leid, dass du meinetwegen so viele Sorgen hast, du hast weiß Gott Besseres zu tun und genug Kummer, da sollte ich mich nicht so anstellen und dir noch mehr Probleme machen. Ich weiß nur leider noch nicht, wie es nun weitergeht. Eigentlich kann ich nicht hier bleiben… Hier, bei dir.“ Er guckte leicht runter, es tat ihm in der Seele weh. Ihre Stimme, all ihre Sorgen hatte er in ihr vernommen und es war bloß wegen ihm und seinen Kindern. „Wenn ich verschwinden muss, würdest du dafür sorgen, dass es den Beiden gut geht? Ich würde sogar zustimmen, sie zu Pflegeeltern zu geben, weit weg von irgendwelchen dunklen Machenschaften. Ich werde nicht zulassen, dass sie noch tiefer in die Sache hineingeraten. Es ist schlimm genug wie es ist.“

„Das klingt, als wolltest du aufgeben… Sieht dir nicht ähnlich.“

„Oh nein, nicht aufgeben! Aber Valpolicella will mich am liebsten eigenhändig in Stücke reißen, was das heißt, muss ich dir doch nicht sagen, liebe Shannen, oder?“ Er schaute ihr todtraurig in die Augen, mit einem Blick, der ihr durch Mark und Bein ging. Es war ein eindeutiges „ich würde dich gerne lieben, aber es geht nicht“.

„Ach – das wollte sie schon bei so manchem, man muss sie nur mit ihren eigenen Waffen schlagen. Außerdem, es bringt überhaupt nichts, vor ihr stiften zu gehen. Überlass das schön brav mir, ich kümmere mich darum, ich habe keine Lust, dich gehen zu lassen – was ich will, kriege ich auch.“

Jamie erhob sich angstvoll sofort leicht vom Bett. „Oh nein, bitte sag das nicht so! Ich will nicht, dass du schon wieder Ärger wegen mir hast! Und sich mit Valpolicella meinetwegen anzulegen, wäre Irrsinn! Ich bitte dich!“ Jamie ergriff sogar ihre Schultern, er wollte nicht, dass ihr etwas passierte.

„Keine Panik, leg dich wieder hin!“ Sie drückte ihn sanft zurück aufs Bett, er durfte doch noch lange nicht aufstehen, dafür war er bei weitem nicht gesund genug. Vor ein paar Stunden hatte er noch im Koma gelegen, er durfte sich jetzt auf keinen Fall überanstrengen, das war schändlich für seine Gesundheit, die durch die ganzen Verletzungen einen ziemlichen Knacks bekommen hatte.

Dennoch ergriff er ihr Handgelenk so fest, dass sie spürte, wie sich sämtliche Adern in ihrer Hand anspannten und sogar sichtbar wurden. „Du sagst, ich soll keine Panik haben, wenn du dich den Löwen zum Fraß vorwerfen willst?“

„Was soll das denn heißen? Ich werde ganz normal mit dem Boss darüber reden, dass ich dich noch brauche; er weiß, dass Valpolicella gerne überreagiert, mir gelingt es sicher, die Situation zu entschärfen.“

Ihre Worte konnten ihn einfach nicht beruhigen, sie würde sich damit todsicher unbeliebt machen, weshalb er seine Hände zu ihrem Gesicht fahren ließ. Sie gingen vom Unterkiefer bis über die Ohren, er hatte unwahrscheinlich große Hände und konnte damit ihren Kopf gut in ihnen halten. Er hielt sie aber nicht grob fest, sondern war ganz sanft, gerade so, dass er ihren Blick auf sich richten konnte.

„Ich möchte das nicht! Damit würdest du mich bevorzugen. Es gibt so viele Leute unter uns, die das als Grund sehen würden, dir zuzusetzen, ich möchte, dass es dir gut geht, Shannen. Du hast so viel erlebt, von dem ich nur ahnen kann, wie fürchterlich es war. Wenn du meinetwegen in Gefahr gerätst, das wäre nicht in meinem Sinne. Siehst du, du bist eine Frau, eine wunderschöne, kluge und mutige Frau, aber eben immer noch eine Frau, keine wie Valpolicella eine ist. Du bist auch verletzbar und ich als Mann sehe es eigentlich als meine Pflicht an, dich zu behüten, wenn ich nun zulasse, dass du dich für mich einsetzt, was für ein feiger Kerl bin ich dann? Dich in Gefahr laufen lassen und selbst die Füße still halten, es wäre das Letzte, so was zu tun.“ Er seufzte einmal schwer und zog ihr Gesicht näher an seines heran, während er sprach, so dass Shannen schon ihr Gesicht in seinen Augen widerspiegeln sah.

Ungeplant kamen Tränen in ihren Augen auf, als er all diese schönen Dinge zu ihr sagte. Er war ein richtiger Mann, keine Mimose, trotzdem fiel ihr nicht ein, die Begebenheiten zu belassen, wie sie nun waren.

„Um bei dir sein zu können, gehe ich auch das Risiko ein, dass andere mich verabscheuen. Dass Valpolicella sauer wird, ist mir egal.“ Sie würde es todsicher sein, immerhin widersprach sie ihr gerne und stellte sich ihr in den Weg, auch wenn es um Carpano oder Kir ging. Damals, als Cinzano so viel Ärger mit ihr hatte, war sie auch da gewesen, um sie zu bremsen. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und es ist auch nicht, als würde ich mich den Löwen zum Fraß vorwerfen, ich bin ganz vernünftig. Valpolicella wird es auch nicht wagen, auf mich zu schießen, sie müsste befürchten, dass ich zurückschlage, das vermeidet sie.“ Ein Lächeln kam nun in ihrem Gesicht auf, auch wenn die Tränen noch immer in ihren Augenwinkeln glitzerten. „Glaubst du denn tatsächlich, Jamie, dass ich zusehe, wie sie entscheidet, dich zu töten, obwohl ich es verhindern kann? Und ich werde es verhindern! Männer wie dich gibt es nicht viele, es ist immer wieder traurig, einen solchen Mann zu verlieren; das kann ich niemals zulassen.“

Seine Hände zitterten bereits ein wenig, er konnte sie also nicht davon abbringen, so etwas Waghalsiges zu tun? Die Verzweiflung, welche sich allmählich in ihm aufbaute, schlug in Heidenangst um, diese wiederum riss ihn zu diesen Sachen hin. Dazu, dass er ihr Gesicht noch näher an sich heran holte und ihr seine Lippen fest aufpresste, wobei ihm sogar selbst die Tränen kamen. Er würde denen niemals vergeben, wenn sie auch sie töteten, und er wollte auch nicht Schuld daran haben, immerhin tat sie es für ihn.

Seine Hände lagen noch immer auf ihren Wangen und er beseitigte den Rest an Abstand zwischen ihnen so schnell, dass sie nicht darauf gefasst war. Für einen kurzen Kuss, spürte sie seinen weichen Mund auf ihrem und riss im ersten Moment doch die Augen ein wenig auf; man konnte sagen, er überfiel sie damit. Dass er so etwas tun würde, damit hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Aber als sie den Schreckmoment überwunden hatte, schloss sie einfach die Augen und ließ es geschehen. Mit freudiger Erwartung hatte sie gehofft, dass es geschah; gerade nach seinem Unfall hatte sie sich oft gefragt, wie es sein würde. Auch wenn es in seiner Panik und Verzweiflung, die sie ihm geschenkt hatte, geschah, sie war froh darum. Als sie so wenig Gegenwehr zeigte, wurde der Druck geringer, geradezu als hätte er sie zu dem Kuss zwingen wollen, um sie zur Vernunft zu bringen. Es war eigentlich nicht ein einziger Kuss, er berührte ihre Lippen mehrmals hintereinander. Er konnte sich nicht lösen, immer wieder berührte sein Mund ihren, wobei seine Lippen wie kleine Magnete immer wieder an ihre gezogen wurden. Erst nach knapp 30 Sekunden schaffte er den Absprung, öffnete seine Augen und blickte in ihre, da sie diese ebenfalls geöffnet hatte, als er es beendete.

„Tut mir Leid – ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“

‚Oh, ich glaube, das weißt du ganz genau.’ Dass er sich nun wirklich entschuldigte, weil seine Gefühle ihn übermannten, ein kleines bisschen Frechheit hatte noch nie geschadet. Sie legte ihre rechte Hand an seinen Kopf und fuhr in seine weichen, blonden Haare hinein, bevor sie ihn stürmisch zurückküsste. Schon lange hatte sich keine Frau mehr so über ihn her gemacht. Sie verschmolz mit seinen Lippen und saugte an ihnen, was ziemlich prickelnd und erotisch sich anfühlte und ihn unheimlich heiß machte. Sie küsste ihn bestimmt genauso lange, wie er sie, nur auf eine andere, mehr provozierende Art und Weise. Er war doch zurückhaltender gewesen; sie versetzte ihm einen regelrechten Schreck.

Mit einem kessen Grinsen nahm sie mit der rechten Hand sein Kinn und blickte sie ihn schelmisch an. „Im Gegensatz zu dir, Mr. Moore, werde ich mich nicht dafür entschuldigen.“

Ihr Gesichtsausdruck hatte einen solchen Spruch fast schon angedeutet, trotzdem trieb dieser ihm die Röte ins Gesicht. Dass er derartig leidenschaftliche Gefühle in ihr auslöste, hatte er bisher noch nicht so ganz mitbekommen und fühlte sich ein bisschen hitzig.

„Gut, Ms. Crúz, ich nehme meine Entschuldigung augenblicklich zurück!“ gab er ihr zurück und lächelte sie an, es war ein Lächeln, wie ein eigentlich glücklicher Mann es zeigen würde. Da Jamie sich ohnehin aufgerichtet hatte, drückte er sie mit einer Hand mit dem Kopf an sich heran, so dass sie seinen mittlerweile wieder regelmäßigen Herzschlag vernehmen konnte. Während er ein wenig zur Wand starrte und gedankenverloren in ihren welligen Haaren spielte, ging die Tür auf und eine blonde Frau trat hastig in den Raum hinein, blieb allerdings stehen, als sie die beiden Menschen in den Armen des anderen erblickte.

„Helios!“ entfuhr ihr fast atemlos, sie hatte sich schreckliche Sorgen um ihn gemacht.

Als Shannen ihre Stimme vernahm, zuckte etwas in ihrem Inneren zusammen. Wieso, woher und warum? Das waren die Fragen, wie sie in ihren Gedanken aufkamen.

Er brauchte etwas länger, als seine Besucherin, um die Hellhaarige auszumachen und er löste sich noch nicht einmal, sondern ließ Shannen noch immer nicht los, auch als sein Blick zu der jungen Frau schweifte, die gerade seinen Codenamen ausgesprochen hatte.

Ihre schockierten Augen, sie sahen beinahe entsetzt, scheinbar von ihm selbst enttäuscht drein. Was sie dachte und fühlte, dachte er an ihrer Miene zu sehen, wie sie ihn verständnislos und verletzt anblickte. Er wollte etwas sagen, doch blieb er stumm…

Minor differences

Puh… Ich habe mich durch Seiten des Kansai- bzw. Ōsaka-Ben gequält und bin doch echt froh, dass es nun überstanden ist XD Das ist so anstrengend *lol* Dass ich so was schreibe, kann nur einen Grund haben: Jap, es tauchen ein paar Leute aus Ōsaka auf XDDDD Aber erst gegen Ende des Teils. Das FBI kommt ebenso vor, wie andere lustige Sachen… >D

Ich bin jetzt stolz auf die Polizei von Japan *hust* ihr werdet sehen, warum, bzw. lesen.

Aber nun habe ich keine Lust mehr, mehr zu schreiben ^^

Aber BTW: neue Charas…
 

Wünsch euch viel Fun beim Lesen…
 


 


 

Ihre schockierten Augen, sie sahen beinahe entsetzt, scheinbar von ihm selbst enttäuscht drein. Was sie dachte und fühlte, dachte er an ihrer Miene zu sehen, wie sie ihn verständnislos und verletzt anblickte. Er wollte etwas sagen, doch blieb er stumm…

Shannen löste sich etwas von ihm und blickte ihn an; kein Wort verließ seine Lippen, nicht einmal eine Begrüßung brachte er fertig. Solch ein schlechtes Gewissen hatte er?

Die Hellblondhaarige kam auf ihn zugelaufen, blieb direkt vor ihm stehen, sein Blick haftete geradezu am Boden.

„Würdest du das bitte lassen?“ Etwas verstimmt, sah die 29-jährige die Frau an, die einfach so seinen Codenamen ausgesprochen hatte. „Ich meine… diesen Namen.“ Dass sie ihm diese Blicke schenkte, war schlimm genug, und dann riskierte sie noch, gehört zu werden. Er lag hier nicht umsonst weder als Jamie, noch als Rodriguez und sie stürmte zur Tür, die sie natürlich offen gelassen hatte, herein und nannte ihn beim Codenamen. Außerdem konnte er Aufregung jetzt nicht auch noch brauchen.

„Sonst noch was?!“ Sie fühlte sich von dieser Person gedemütigt; lag sie schließlich mit ihrem Mann Arm in Arm hier. Auch wenn sie sich ein wenig gelöst hatte, ihre Hände lagen noch immer auf Jamies Brust. „Reicht's nicht, ihn anzufassen?!“

„Wenn ich ehrlich bin, nein, tut es nicht!“ gab sie frech zurück, wenn die ihr schon so kam, dann musste sie mit dem Bumerang leben.

„Bitte – hört auf damit“, entschloss sich Jamie nun doch ein Wort an seine so genannte Ehefrau zu richten, da sie dem Augenschein nach total der Eifersucht verfiel. Dieses Gefühl, was viele Menschen schon zu grausamen Killern gemacht hatte, wenn sie zuviel davon empfanden. „Rachel, nimm das bitte nicht so ernst.“

„Was denn? Was um Gottes Namen soll ich deiner Meinung nach nicht so ernst nehmen?! Die Umarmung mit der Frau, oder etwas ganz anderes? Du solltest dich im Spiegel ansehen, du hast ja sogar Lippenstift am Mund! So wenig versuchst du es vor mir zu verbergen, dass du mit dieser Frau, bis vor kurzem noch...“ Als sie ihn ansah, konnte er erneut diese unendlich traurigen blauen Augen sehen, was ihm fast das Herz brach, da sie noch immer wie seine verstorbene erste Ehefrau aussah. Es kam ihm sogar so vor, als würde sie sich besonders viel Mühe dabei geben, dass sie auch ja haargenau so aussah…

„Schätzchen! Ich hoffe, dir ist klar, warum hier so viele Schläuche liegen! Er ist an die Maschine angeschlossen – warum wohl? Deine Eifersüchteleien spar dir – wenn dir etwas an ihm liegen sollte – besser für später auf! Er ist erst vor kurzem aus dem Koma aufgewacht, wie kannst du ihm da gleich Vorwürfe machen?“ Sie fand ihr Verhalten unmöglich und noch nicht einmal angebracht, immerhin waren sie nur dem Namen nach verheiratet.

„Schon gut, Shannen, ich verkrafte das – wirklich!“ Er wollte nicht, dass sich die beiden Frauen gegenseitig an die Gurgel gingen. Alle zwei waren alles, nur keine schlechten Menschen, er hatte auch nicht gewusst, dass Rachel ihre Ehe mit ihm so ernst nahm, dass sie sich mit anderen Frauen anlegen würde. „Es tut mir Leid, dass du es so erfährst… Aber das zwischen uns… Es würde für eine Weile gut gehen, aber du musst einsehen, dass du nicht Christina bist und nie sein wirst. Du siehst ihr mehr als nur ähnlich, aber du bist nicht sie. Du kannst dich auch nicht so verhalten, wie sie. Es gibt so viele Dinge an dir, die nicht sind wie bei ihr, deswegen… Bitte, lass uns damit aufhören, uns selbst was vorzumachen, bevor wir daran zerbrechen.“

„Damit du mit deinem neuen Betthäschen rummachen kannst? Meinst du, ich weiß nicht, was hier läuft?“

„Jetzt reicht es!“ Shannen war aufgestanden, ergriff den Arm der Hellhaarigen und zerrte sie doch etwas grob zur Tür. „Besser du gehst bevor du mit deinem Gift hier die Luft verpestest! Du kannst wiederkommen, wenn du vernünftig geworden bist!“ Sie versuchte Jamie zu manipulieren, indem sie ihm was vorheulte und sah ihn mit ihren bekümmerten blauen Augen an, nur damit er wieder schwach wurde, sie würde nicht dabei zugucken, wie sie ihn immer mehr an sich band. Er liebte sie nicht und sie wollte ihn dennoch nicht gehen lassen, das war doch genau das, was er ihr eben versucht hatte klarzumachen, und das auf eine schonende Art und Weise. Nicht jeder Mann hätte die Geduld dazu, wenn diejenige ihm schon eine Szene machte.

Sie wurde mit hinausgezogen und dann machte die Ärztin auch noch die Tür zu, sie blickte sie voller Abscheu an.

„Was fällt dir ein?“

„Mir? Ich würde die Frage eher an dich richten! Was fällt dir ein, ihm das Gefühl zu geben, er würde dich betrügen? Das tut er nicht, denn in Wirklichkeit seid ihr überhaupt nicht verheiratet… das wart ihr nie… Alles war gespielt! Man kann nichts verlieren, was einem niemals gehörte!“

„Ach?“ kam schnippisch von der Blondine, welche die ebenfalls blonde Frau mit einem fast schon gemeinen Blick strafte. „Und du meinst nun, dass er dir gehört?“ Wenn Blicke töten könnten, wäre Shannen im Moment, als das die Lippen der 27-jährigen verließ, wohl nicht mehr lebend aus dem Krankenhaus entkommen.

„Sei jetzt bitte vernünftig und geh!“ Eigentlich war Trincadeira ja älter als Cencibel, doch das merkte man ihnen vom Verhalten nicht an, des Weiteren war Shannen schon viel länger ein Mitglied der Schwarzen Organisation. Ihr Gegenüber war vor fünf Jahren erst zu ihnen gestoßen, während Shannen das Ganze schon seit über einem Jahrzehnt mitmachte. Trincadeira und sie hatten eines gemeinsam: Keine Kinder. Sie konnte von Glück reden, dass sie keine Mutter war, denen erging es, sollten sie normal und mal aufmüpfig sein, ziemlich schlecht. Trincadeiras Schwester hatte da leider etwas weniger Glück wie sie gehört hatte, aber sie hatte bei weitem nicht die Position, um sich schon zu freuen, weil man sie in der Regel in Ruhe ließ…

„Was wenn nicht? Tust du dann das, was alle tun, die nicht kriegen, was sie wollen?“ Die Hellblauäugige blickte die Blondine mit den dunkleren Haaren widerspenstig an. Sie zeigte zwar keine Angst vor ihr, aber die Worte hatten etwas Boshaftes, als wolle sie genau das heraufbeschwören. Wahrscheinlich nur, um Jamie zu beweisen, dass sie nicht besser war, wie die Frau, die er seit Jahren verachtete.

„Ich bitte dich, als Jamies Freundin“, flüsterte sie, „dass du ihm Zeit gibst, sich erst einmal zu erholen. Was willst du mit einem toten Ehemann, mhm?“ Damit konnte man sie vielleicht für eine gewisse Zeit zumindest ein wenig ruhig stellen…
 

Seit Keichiros schwerem Unfall waren die Leute vom FBI, welche sich auf japanischem Boden befanden, in ziemlicher Aufregung. Er hatte schließlich zwei beste Freunde, die direkt beim FBI tätig waren, zu denen er rannte, wenn es Probleme gab. Nicht, dass er ihnen wirklich nützlich war… Er war ein Schmarotzer der schlimmsten Sorte, ließ sich von ihnen unterstützen und gab ihnen doch nichts zurück; immerzu gab er vor nichts zu wissen, wenn man ihn fragte. Und von sich aus redete er sowieso nicht über die Organisation.

Gerade wurde es einer rotbraunhaarigen Frau zu bunt, obwohl sie ihre Haare mittlerweile nachfärben musste, sah sie wie das blühende Leben aus und nicht ihrem Alter entsprechend.

„Wie lange wollt ihr euch von diesem Scheißkerl noch aufs Glatteis führen lassen?!“ Die Frau haute auf den Tisch, es reichte ihr, sie hatte endgültig genug von diesem Parasit.
 

Jane (50) Lindsay; Mitglied des FBIs
 

Jodie fand ihren Ausbruch durchaus verständlich, sie mochte diesen Keichiro Takagi auch nicht sonderlich. Er versorgte sie zwar immer wieder mit brandheißen Infos über Vermouth, aber mehr hatte er bisher nie getan. Die Ältere war in Rage, sie fand es äußerst interessant, wenn sie sich so aufführte. Aber sie hatte ganz andere Probleme, als ein Kerl, der sie kein Stück weiterbrachte. Sie dachte darüber nach, was sie tun würden, wenn sie diese Frau erst einmal hatten, außer in die Staaten verschleppen, das war doch längst nicht alles, was James mit ihr tun würde… Er ließ ihnen immer ziemlich freie Hand, wenn es darum ging, sie zu fangen. Und Jodie durfte nach Lust und Laune ihrem Hass freien Lauf lassen; doch das war schon lange kein befriedigendes Gefühl mehr…

„Reg dich doch nicht so auf, Jane! Wir können seine Hilfe in unserer momentanen Situation gut gebrauchen. Shūichi sieht es ja auch ein“, meinte James besänfigend, während er die Hände beschwichtigend erhoben hatte.

„Was mach ich? Ich dulde es, das heißt nicht, dass ich es einsehe“, er ließ sich nicht so gern Gedanken und Worte in den Mund legen, er durfte nur ordentlich drauflos schießen, wenn es darauf ankam. Trotzdem büxte er dem guten James immer wieder aus und dieser hatte schon seit langer Zeit aufgegeben, den Jungen zu bändigen, weshalb er ihn seine Sache machen ließ, wie es ihm beliebte.

„Shuuu, was soll das denn jetzt heißen?“

„Keichiro Takagi will nur Deckung, für den Fall der Fälle, dass mal etwas schief geht, und im Grunde interessiert ihn nur diese Killerin, bah!“ Er war angewidert, an ihr konnte er nun wirklich nichts abgewinnen.

„Ich kenn ihn – ich musste ihn mein halbes Leben ertragen und das sind – weiß Gott keine schönen Erinnerungen!“ Sie wollte sich nicht umkrempeln lassen, auch wenn James sie immer wieder am Reden hinderte.

„Lass das nicht vor den Kollegen diskutieren…“ Er nahm sie am Arm und zog sie aus dem Raum, was Shūichi als ziemlich merkwürdig empfand. ‚Ich spüre schon lang, dass da was faul ist!' Er stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen, bevor er unauffällig seinem Boss folgte.

„Bleib du bitte hier“, ließ er Jodie zukommen, welche seit geraumer Zeit mit ihrer Kollegin Asaki gut befreundet war. Sie war Japaner, wie Shūichi und teilte ihre Meinung im Bezug auf Vermouth, es tat manchmal wirklich gut, darüber zu reden.

„Was hat Jane?“

„Das frage ich mich auch die ganze Zeit.“
 

FBI-Agent Akai war mittlerweile hinter einer Säule verschwunden und belauschte die beiden Personen.

„Ich kann nicht glauben, James, dass Sie das Ganze so auf die leichte Schulter nehmen!“ äußerte sich die Brünette und wurde fast wieder ausfallend. „Dieser Mistkerl vergreift sich an minderjährigen Mädchen und das auch noch gegen ihren Willen und Sie helfen ihm auch noch!“

„Beruhig dich bitte, Jane, du weißt genau, weshalb ich das tue – es ist nicht so, dass ich ihm wirklich helfe, und natürlich weiß ich, was er Sharon und ihrer Adoptivschwester angetan hat…“

„Jesus Christ!“ fluchte sie. „Das macht sie auch nicht mehr lebendig, nachdem er sie in den Wahnsinn getrieben hat – und Marcus, den er umbringen wollte, noch weniger… Haben Sie eine Ahnung, wie es für einen Mann ist, der Verbrennungen dritten Grades erleiden musste, 15 Jahre im Koma lag und dann zum Gejagten der Organisation wurde? Nein, wahrscheinlich nicht, denn Chardonnay ist ja Ihr Freund, seine Freunde lässt er zufrieden, aber auch nur, wenn sie nicht aufmucken…“

Sharon hatte mehr als nur aufgemuckt und was tat der gute Chardonnay, bestrafte sie, indem er ihren Freund über die Klinge springen ließ. Leider hatte der arme Marcus das Feuer überlebt, mehr oder weniger. Das, was er vor den meisten versteckte, war weniger appetitlich.

„Marcus erinnert sich doch gar nicht mehr so genau daran, was damals geschehen ist, er hatte eine Amnesie.“

„Dass er seine Freundin anfassen wollte, hat der Gute sicher nicht vergessen, da haben Männer ein zu gutes Gedächtnis – seines hat zwar Lücken, arbeitet in Sachen Chardonnay aber mehr als gut – ich kenne keinen Mann, der ihn besser kennt, zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass es einer tut.“

‚Oh doch – ich denke Wataru Takagi kennt seinen Vater mehr als gut, er ist auf der Hut und versucht seiner Schwester ein guter Bruder zu sein, in jeder Hinsicht', dachte Shūichi, er würde diesen überheblichen, widerlichen Drecksack auch ermorden, hinter James Rücken, um die Familie des Mannes vor ihrem tyrannischen Vater zu retten. Das war er ihnen schuldig, nachdem er schon ihrer Mutter nicht viel Gutes tun konnte.
 

„Oh und wie er das verdient hat – ich habe kein Mitleid mit ihm“, hörte man eine tiefe Frauenstimme voller Spott von sich geben, sie lachte anschließend grausam auf…

Die schwarzhaarige, junge Frau hatte die Blondine belauscht. Ihre Stimme… dieser heimtückische Klang – es war der Gleiche wie vor ein paar Tagen…
 

Hast du verdient, du Drecksack…
 

Sie hätte diese Worte und die zugehörige Stimme niemals vergessen. Sie war kennzeichnend für diesen unbarmherzigen Mord. Ein Schuss, direkt zwischen die Augen ihres Vaters. Diese Schauspielerin schreckte vor rein gar nichts zurück.

Wenig später entdeckte sie eine weitere Person – ihr wurde fast übel, als sie sein Grinsen sah.
 

„Na – hast du dich etwa schon wieder hinter meinem Rücken amüsiert, Vermouth?“ fragte er, man hätte meinen können, er sei genauso rücksichtslos und gemein zu Menschen, wie sie es war. „Und mit welchem armen Mann spielst du nun schon wieder?“ Er lachte ebenso erfreut wie sie zuvor noch. Er lauschte immer wieder gerne ihren Geschichten, wenn man sie so ein wenig aushorchen kann.

„Dieses widerliche Aas hat es gewagt, Angel zu nahe zu kommen! So etwas wird bestraft, da gibst du mir doch Recht, oder Sazerac?“

Ihre Verbindung bestand nur in diesem Punkt, er nickte nur, gab aber ansonsten keinen Ton von sich.

„Ich bin ja so froh, dass ich dich habe“, sie strich ihm provokant über die Brust und liebäugelte mit ihm, gerade als Cognac auch schon aus dem Bad kam und es sah.

„Du kannst immer an meine Tür klopfen, Darling.“

Louisianas Augen huschten zu dem gut aussehenden, jungen Mann hinüber, sie kannte ihn nicht erst seit gestern. Er hatte ihr aufopferndes Mitgefühl. Man sah ihm das Gefühl der Eifersucht und der Kränkung an. Sie stichelte ihn, ihr gesamtes Verhalten hatte nur einen Zweck: Cognac demütigen und verletzen.

Nichts sagte der Schwarzhaarige, er wehrte sich nicht einmal. Die Schwarzhaarige wünschte sich einfach nur, er würde sie anschreien, sie packen, gegen die Wand schmeißen, sie verprügeln – irgendwas davon, aber doch nicht einfach hinsehen und es schweigend hinnehmen.
 

Endlich lernte er diese Mistkröte mal kennen, die sich Sazerac schellte. Ihre Blicke trafen sich, der Braunhaarige begann zu grinsen. „Hey, Cognac – gibt's was Spannendes? So was Spannendes wie mich?!“ Er war eingebildet, arrogant und selbstherrlich – Cognac hätte ihn am liebsten angespuckt, aber sie sollte es nicht spüren, wie er gerade doch wie eine tickende Zeitbombe jeden Moment drohte zu explodieren.

„Bist du immer so stumm?!“ Ein fadenscheiniges Lächeln – er lachte Cognac ins Gesicht, das bemerkte dieser sehr wohl. „Was macht er eigentlich bei dir, Vermouth? Sag' nicht, ihr geht miteinander“, es lagen jede Menge Spott und Belustigung in Sazeracs Stimme. Er behandelte Cognac wie einen kleinen Bubi, weshalb er sich auch so kleinkinderhaft ausdrückte.

„Nein! Ich rede nur nicht gerne mit Leuten, die gerade dem Charme von ihr erliegen und sich deswegen als sonst wie toll vorkommen, that's it all you stupid guy“, nun grinste Sêiichî, der für Chris jedoch nur einen verachtenden Blick übrig hatte, den er ihr zukommen ließ.

‚Er denkt wirklich, dass ich ihm sein Weibchen wegnehmen will – kaum zu glauben, dass sie schafft, dir das einzuflößen wie ein Gift, das man zum Töten benutzt… Du schluckst es – ahnungslos was es ist - und hilflos bist du, innerlich frisst es dich längst auf, doch du weißt es noch nicht einmal… Es ist wie ein Mord mit diesem Gift, das mir zur Verfügung gestellt wurde, das Menschen innerlich zersetzt. Ja, Eifersucht ist genauso wie ein Gift!' Mit Giften und Medikamenten kannte er sich mehr als nur gut aus, was ihn zu einem gefährlichen Zeitgenossen machte.

„Oh ich bitte dich, Kleiner – du bist der Dumme von uns, da du immer noch hier bist, obwohl du längst nicht mehr willkommen bist…“ Vielleicht übertrieb er das Spiel, das sie mit ihm trieben, aber wenn er ihn dumm nannte, bekam er etwas Entsprechendes zurück. Sie gifteten sich so herrlich an – Cognac platzte gleich wie ein Luftballon und Sazerac war einfach drauf aus, ihn zu reizen. Am besten so weit, dass er ihn verprügelte. Er kitzelte ihn und Cognac sollte lachen…
 

Louisiana fragte sich, weshalb Cognac sich das gab und warum er jemandem solch fürchterlichen Dinge an den Kopf warf. Er hatte sich total verändert. Seine gesamte Art, er hätte niemals einem Menschen auf die Weise versucht im Herzen rumzustochern. Der arme Cognac liebte Vermouth, das sah ein Blinder und Sazerac trat auf ihn ein. Und seine Augen – der boshafte Schein in ihnen war zum fürchten – er hatte früher so schöne, sanfte Augen gehabt, jetzt waren sie hart, kalt und erbarmungslos.
 

Der leitende Polizeipräsident der Metropolregion Tōkyō saß an seinem Schreibtisch, er hatte viel zu tun, unter anderem seine Angestellten unter Kontrolle zu halten, wobei es sich bei dieser Kontrolle manchmal um mehr als das handelte, dabei hatte der Mann genug zu tun. Das lag daran, dass er Freunde innerhalb ganz Japan hatte und diese ihn gerne um kleine Gefallen baten, das kam noch hinzu. Es kam selten vor, dass er vor neun Uhr am Abend nach Hause kam. Leitender Präsident zu sein, hieß nämlich nicht den Luxus eines frühen Feierabends zu genießen.

Gerade hatte er wieder einen seiner engsten Freunde am Telefon.

Heizōs Sohn is' wieder nach Tōkyō ausgebüxt“, verriet an ihm, „deswegen soll ich bei dir anrufen, Akaja – er befürchtet, dass Heiji wieder Dinge tut, die er eben nicht tun soll. Der Junge is' eben ein ungezogenes Kind, du weißt das genauso gut wie ich, mein Freund“, ein breites Grinsen lag auf dem Gesicht des Hauptkommissars, er musste Heizō manchmal wieder runter holen, wenn er in Rage geriet, sonst hatte der arme Heiji irgendwann nur noch blaue Flecken, wobei er seinem Freund beipflichtete, wenn es darum ging, dass er manchmal bestraft gehörte.

„Oh – hat er deine Tochter etwa auch wieder entführt?“ Er konnte es sich nicht anders vorstellen. Wo Heiji war, da war meistens auch seine Freundin Kazuha.

„Von wegen – er hat sie hier alleine in einem Vergnügungspark sitzen lassen! Aber das wäre nich' das erste Mal.“

Takeshi gab ein lautes Lachen von sich, welches klang wie von einem hohen Polizeitier, tief, rau und durchdringend; natürlich konnte er sich denken, was der Grund war.

„Da war ein Fall wohl interessanter als deine Tochter, Tōyama!“

„Heizō wär' es lieber, er würd' sich mal mehr für die Schule begeistern, damit er sich wenigstens nich' darum sorgen muss, was aus seinem Sohn später mal wird, aber er is' jung, unausgeglichen und braucht etwas, wobei er seine überschüssige Energie loswird. Sein Kendō reicht da wohl nich' aus... Er liebt Herausforderungen, leider überschätzter sich auch gern.“

„Und der eigentliche Grund deines Anrufs ist, dass ich ein Auge auf Heiji haben soll, nicht wahr?“ Er drehte sich auf seinem Chefsessel zum Fenster. An Heizōs Stelle würde er wahrscheinlich auch jemanden auf ihn ansetzen, der auf seinen Sohn Acht gab, da er viel zu schnell in brenzlige Situationen geriet und manchmal einfach zu wenig über Gefahren nachdachte, aber auch war er ein mutiger Junge, das musste ihm der Neid lassen. Aber zu viel Mut konnte in dieser Stadt mehr als schädlich sein… Und in Ōsaka hatte Heizō die Möglichkeit gehabt, Miura und Iwamoto an Heijis Fersen zu kleben, wenn sie gerade nicht zu ausgelastet waren. Meistens war es Miura gewesen, der auf den kleinen Hattori aufpasste. Aber Miura war seit geraumer Zeit nun ebenfalls verschwunden, sie hatten improvisieren müssen.

„Was macht Iwamoto eigentlich? Geht's ihm gut?“

Da kam er gleich auf das nächste Sorgenkind zu sprechen, was Takeshi wiederum erneut auflachen ließ.

„Ihm geht es sehr gut, er hat sich hier schnell eingelebt, nur macht es ihm noch zu schaffen, dass er nun einer Frau untersteht. Aber er wird sich schon daran gewöhnen, er ist ja nicht verbohrt! Sicher kann er sich etwas um Heiji kümmern, ohne dass er es bemerkt, er wird ohnehin hier reinschneien und Sêiichî besuchen, da bin ich mir sicher.“
 

Es war eine unmenschliche Hitze im Büro, weshalb Sêiichî beide Fenster seines Büros auf Durchzug gestellt hatte. Ein frischer Wind trat ins Zimmer rein, doch Blätter, die auf dem Tisch lagen, wurden erst aufgewirbelt, als die Tür stürmisch aufgerissen wurde.

„Iwamoto-han!“ wurde er von einer quietschend fröhlichen Stimme eines Jungen angesprochen und erschrak dabei vollkommen, da er in Gedanken gewesen war.

„Heiji-kun, sumimahen…“ Er konzentrierte sich auf seinen Besucher, bei dem Fall war er bisher ja nicht weitergekommen, auch wenn er ihm Kopfzerbrechen bereitete. Man hätte ihm gesagt, er solle Japanisch reden, wäre er nicht mit Heiji alleine gewesen, da er nun selbst wieder total in den Kansai-Dialekt verfiel. Es war wie bei einem Schalter, den man an und ausschaltete.

„Warste grade sehr beschäftigt?“ Bei Miura hätte er niemals so etwas wie eine Entschuldigung gebracht, wenn er ihn störte. Das war ein Indiz dafür, dass er Iwamoto wohl ziemlich mochte.

„Nur mit Büromist“, stöhnte Iwamoto, man merkte ihm an, dass er lieber Verbrechern hinterher jagte, in dem Punkt war er Heiji auch nicht so unähnlich, wobei er noch ein bisschen mehr nachdachte, bevor er losstürmte. „Und was machste in Tōkyō, musste nich' für die Prüfung lernen?“ Er grinste den Jüngeren etwas spitzbübisch an, immerhin war er früher genauso ein Rabauke gewesen, der sich ungern mit Lernen beschäftigt hatte…

„Was? Lernen??“ Geschockt sah er Sêiichî an, der würde doch nun nicht auch mit diesem Blödsinn anfangen, oder? Er war doch ein absolut cooler Typ. „Ich lern doch nich' innen Ferien – wie bescheuert wär'n das?“

Mit einer solchen Antwort hatte er gerechnet, was den Kriminalisten noch mehr grinsen ließ. Ja, mit ihm hätte er sich als Junge seines Alters wohl noch mehr verstanden, als ohnehin schon. Sie hätten beide zusammen nur Blödsinn gemacht, wie gut, dass er Ryochi hatte, der weitaus vernünftiger war, als Sêiichî.

„Meinetwegen kannste hier bei mir bleiben, ganz in der Nähe is' die Bibliothek, da kannste dir so viele Bücher ausleihen, wiede willst“, Sêiichî reichte ihm eine Karte, die es ihm erlaubte, alles auszuleihen, was er mochte. Er versuchte ihn ja nur ein wenig zu beschäftigen. „Müssen auch keine Schulbücher sein, aber sinnvoll wär's, oder nich'? Willst doch mal in die Fußstapfen deines Vaters treten können, oder?“ Anscheinend wollte Sêiichî, dass in Ōsaka das Chaos ausbrach, aber das war ihm nicht so ganz bewusst.

„Ich beschäftig mich lieber mit Fällen, als mit so etwas“, Heiji verdrehte die Augen, lesen fand er zwar nicht überflüssig, aber ein spannender Fall wäre ihm gerade lieber gewesen.

„Und wo nimmste dein Wissen her, wenn du lesen nicht magst?“

„Ich hab ja nicht gesagt, dass ich's hasse, aber grade will ich lieber ermitteln.“

Sêiichî schloss die Augen, bevor er ihn mit einem sanften Lächeln ansah. „Sei froh, wenn's ruhig is', Kogorō Mōri hat in Haido die meisten Fälle, es is' als säßen wir direkt an der Quelle des Bösen – da is' man froh, wenn's an einem Nachmittag mal eher ruhig is'.“ Zwar mochte Sêiichî Büroarbeit nicht so gerne, aber wenn es hieß, sich zwischen Toten und Büroarbeit zu entscheiden, würde er die verhasste Büroarbeit wählen. Es gab so viele unsinnige Morde, er fürchtete sich nicht vor Toten, aber es sich zu wünschen, wäre ziemlich abartig, fand er. Es gab immerhin genug blutrünstige Leute innerhalb der Organisation, die täglich für Blutbäder sorgten und danach gierten so viel Blut wie möglich fließen zu lassen, auf Kosten anderer.

„Unser Job is' aber, diese Verbrechen aufzuklär'n und die Täter zu überführ'n, damit man sie verurteil'n kann – wo wär die Staatanwaltschaft ohne schlaue Detektive?“

Wo Heiji Recht hatte, hatte er Recht, aber auch die Staatsanwaltschaft war nicht dumm. Aber die hatte genug andere Sachen zu tun, als auch noch Fälle aufzuklären.

„Und wie lange willste in Tōkyō bleiben? Und was is' mit Kazu-chan? Haste die etwa nich' mitgebracht?“

‚Die is' in Ōsaka sicherer aufgehoben, als hier an meiner Seite – wiede sagtest, Haido hat die höchste Kriminalitätsrate in ganz Tōkyō und das hat was zu heißen…' Er ließ sich seine Gedanken nichts anmerken, grinste über beide Ohren und hatte etwas ziemlich Durchtriebenes und Freches. „Ach – wenn ich sie mitgenomm'n hätte, wär' ich damit beschäftigt, mir ihr Gekeife anzuhören. Du weißt doch, wie Frauen sin', immer wollense Recht haben und verderben einen den Spaß.“

„Was du nich' sagst, dabei sind Frauen auch zum Spaß haben gut“, nun war es Sêiichî, der beinahe pervers schon grinste. Solche Gespräche hatte es in der Vergangenheit oft gegeben, mit Heiji redete sich gut über solch Dinge, obwohl er genau wusste, dass er in der Hinsicht mehr ein Engelchen - oder sollte er sagen unschuldiges Baby - war.

„Nich' mit Kazuha – wir würden eher streiten, als so was!“

Sêiichî kicherte beinahe kindisch, jedenfalls hatte er etwas sehr Süßes, bis sein Blick sich in einen hinterhältigen wandelte, mit dem er Heiji direkt in die Augen blickte. „Kennste das Sprichwort: Was sich liebt, das neckt sich? Das trifft zweifellos auf euch beide zu! Sie fängt an und du schaukelst sie immer mehr hoch, das is' nich' unbedingt der schlechte Anfang für eine heiße und leidenschaftliche Nacht!“

Es war für Sêiichî Genugtuung, ihn in Verlegenheit zu bringen, was er zweifelsohne geschafft hatte. Es machte sich bezahlt, dass er ihm etwas von einer heißen und leidenschaftlichen Nacht erzählte und sich auf Kazuha bezog.

„Du spinnst – mit so einem Mädchen kann man das nich'“, kam hochrot von ihm, er fand das gerade gar nicht witzig.

„Sieh an Hattori-chan wird rot! Heiji + Kazuha, das neue Traumpaar aus Kansai“, veralberte er ihn weiter, was Miwako von draußen noch mitbekam.
 

Sie war gerade auf dem Flur und hörte das kindische Geschrei von beiden. „Hattori-chan? Das wird dem guten Sohn von Heizō Hattori aber gar nicht gefallen…“ meinte sie zu Wataru und dieser musste lachen, wobei beide jedoch an sich schon diesen Dialekt so gruselig fanden, wie konnte Sêiichî damit auch noch anfangen? Es klang so schrecklich, das war doch kein Japanisch, höchstens ein Fetzen davon…

„Ich wusste gar nicht, dass er schon wieder hier ist… Er ist mittlerweile öfter in Tōkyō als Kudō, findest du das nicht auch merkwürdig?“

Sie sagte es natürlich gerade in dem Moment, als Tatsuji Fujimine den Eingang passierte. Sein Weg hatte ihn ins Präsidium von Tōkyō verschlagen, eigentlich sogar ständig. Es war kein Wunder, da er zwangsläufig zu Interpol-Japan gehörte, obwohl er seine Karriere in Amerika begonnen hatte. Er hatte jede Menge Gründe länger in Japan zu bleiben.

„Hallo ihr – na, was ist denn mit euch los? Ihr macht ja so betrübte Gesichter…“

„Ach – uns ist aufgefallen, dass Kudō schon lange nicht mehr hier war. Der Junge muss eigentlich zur Schule, stattdessen treibt er sich in der Weltgeschichte herum. Und Heizō Hattoris Sohn ist gerade bei Iwamoto, der ist genauso ein ungezogener Bengel.“ Miwako verdrehte leicht die Augen – wenn sie mit solchen Kindern gestraft wäre, denen würde sie aber Beine machen. „Und Ryos Verlobte, deine Cousine, Tatsuji, die hat sich genauso verkrümelt. Obwohl er es sich nicht anmerken lässt, weiß ich, dass es ihn ziemlich fertig macht, dass sie sich seit über einem Monat nicht mehr bei ihm gemeldet hat.“

„Ran-chan geht es ähnlich, Miwako, sie fragt fast jeden Tag hier bei uns nach, ob wir etwas von Shinichi wissen.“

„Soll das heißen, er ist auch verschwunden, so wie Ichiro Hinagawa, dieser angehende Gerichtsmediziner?“ Miwako war etwas geschockt, dass Wataru so etwas sagte und musste diese Frage an ihn stellen. Sie wusste bisher nur von Ichiro und Shina, die verschwunden waren.

„Ja, es stimmt, Kudō ruft manchmal bei Ran an, aber er taucht nie auf.“

„Aus irgendeinem Grund glaube ich nicht, dass Hattori aus Lust und Laune so oft hier ist! Der Junge hat in Ōsaka genug zu tun, was will er im Metropolitan? Ich meine, er ist ein angesagter Detektiv, der in Ōsaka genauso bekannt ist, wie die Kudōs in dieser Gegend. Ich für meinen Teil glaube, er sucht seinen Detektiv-Kollegen.“

Tatsuji blickte Miwako besänftigend an, er wusste nicht, ob man ihr all das erzählen konnte. Sie war eine gute Polizistin, aber Shina leider in einigen Punkten zu ähnlich, es wäre gefährlich, sie einzuweihen, sofort würde sie drauf los stürmen und sich an diesem Fall versuchen. Sie machte oft Alleingänge, genauso wie seine Kudō, was dieser zum Verhängnis geworden war…

„Shinichi meidet Tōkyō“, erwiderte der Profiler nun mit einem beschwichtigenden Lächeln. „Er hatte Ärger mit einigen Verbrechern und musste türmen, er befindet sich aber an einem sicheren Ort – auch mich hat er angerufen, wisst ihr. Es ist besser, wenn er nicht in Tōkyō ist, solange die Gefahr noch nicht gebannt ist. Und seid nicht traurig, ihr habt ja in Mōri einen würdigen Ersatz gefunden“, Tatsuji grinste ein wenig schief, er konnte selbst noch nicht so ganz glauben, was er gesagt hatte. Fassungslos von sich selbst, dass er das über seinen Cousin gesagt hatte. Eigentlich sagte er mehr, als er wollte, aber er musste sie auch etwas beruhigen. „Shina allerdings… Sie wird von Interpol gesucht, bisher ohne Erfolg.“

„Da hat ihr Vater wohl auch ziemlichen Mist gebaut, oder wie sehe ich das? Er meinte mal, er hat Bekannte bei Interpol, und dass seinen Sprösslingen deswegen nie was zustoßen kann.“

„Also dass Interpol weiß, wo sie steckt, ist ein Gerücht, mehr kann ich leider nicht sagen.“ Er seufzte. „Yūsakū geht es selbst nicht gut dabei“, meinte Tatsuji ein wenig traurig, er wusste, dass er sich ein bisschen mit verantwortlich fühlte, dass seinen Kindern so etwas zustoßen konnte, da er in Amerika war und ihnen freie Hand gelassen hatte, wobei er wohl nicht wusste, um wen er sich mehr sorgen sollte, sie waren beide manchmal so hitzköpfig, wenn es um einen schwierigen Fall ging. Und das am traurigsten an der ganzen Sache war, dass eine Detektivin, die sich auf Vermisstenfälle spezialisiert hatte, selbst zum Vermisstenfall geworden war…
 

„Wir sin' überhaupt kein Traumpaar“, hörte man aus dem kleinen Raum laut widerhallen, der kleine Hattori hatte seinen Jähzorn schon wieder nicht im Griff und fuhr Sêiichî total an, es gab nicht viele, die damit einfach so umgehen könnten und es ihm schon gar nicht hätten durchgehen lassen, wenn er sie so ungehobelt anfuhr. Er hatte manchmal echt kein Benehmen, da war Shinichi ein ganz anderer.

Sie stritten schon die ganze Zeit, was die Personen vor der Tür zwar als ziemlich störend empfanden, aber auch nicht reinstürmen wollten, wegen einer Lappalie. Heiji war eben noch jung und hatte noch Unmengen zu lernen.

„Du willst's ja nur nich' zugeben, dabei musste vor mir nich' lügen“, Sêiichî wollte Einzelheiten, das hörte man sofort, es war auch der typische „Sêiichî-will-Sexfragen-und Antworten-Spiel-spielen“-Blick. Was meist als harmloser Scherz begann, ging oft später in haargenau diese Richtung. „Ich weiß, dass'de in Kazuha verknallt bist und es bloß leugnest, weil du Bammel hast, sie gibt's dir mit 'ner Bratpfanne – was für 'ne Frau!“ Das Mädchen konnte wirklich giftig werden, es war nicht unbedingt etwas, was er an einer gut aussehenden Dame als schlechtes Merkmal ansehen würde. Die Triezereien von Chris waren da völlig anderer Natur, auch wenn sie ihn schon mal ziemlich heftige Schrammen beibrachte, wenn sie die entsprechende Laune hatte.

„Richtig toll is' Sex meistens nur, wenn's Versöhnungssex is', das heißt, man vorher einen richtig handfesten Streit hatte.“

Es war schon ziemlich frech von ihm, einfach so diese Schlüsse zu ziehen und sie ihm an den Kopf zu werfen. „Bei uns hat das mit so was gar nichts zu tun! Klar? Sie is' wie 'ne Schwester für mich!“

„Du weißt doch gar nich', wie das is'! Du bist'n Einzelkind, wie kannste da behaupten, sie wär' wie 'ne Schwester für dich?“ Es war nur die letzte Möglichkeit sein Gesicht zu wahren, Sêiichî kannte das, auch ihm fiel es schwer, zu Gefühlen zu stehen, wobei er sich hinter seinen Affären bislang immer versteckt hatte. Und dass Heiji so rot angelaufen war, sagte für ihn eigentlich alles. „Ich bin aber ganz bestimmt nich' in Kazuha verliebt, oder so was… ich werd' das jawohl wissen“, er wich nun Sêiichîs Blick aus. Er war ein Detektiv wie er und brauchte doch nur in seine Augen sehen, um alles zu erfahren.

„Was'n? Kazuha sagt das auch immer und sie is' auch ein Einzelkind.“ Was wollte Iwamoto ihm eigentlich in den Kopf pflanzen, er war doch nicht einer seiner Verdächtigen, denen er etwas Bestimmtes einreden konnte.

„Ein Tipp Heiji: Es is' oft wichtiger, jemandem zu zeigen, dass man ihn mag, als sein Gesicht zu wahren! Irgendwann bereust's, wennde sie zum Weinen bringst, das macht man nich'. Und ich weiß, dass sie zwar kratzbürstig is', aber es ihr nicht egal is'. Kazu-chan mag dich wirklich sehr, mit deinem „ich-kann-dich-nicht-ab“-Getue verletzte sie nur, das is' wohl kaum das, wasde damit erreichen willst, außer dich dahinter zu verstecken, weil du eigentlich kein Mädchen hast, dasde so sehr magst. Weibliche Wesen haben sehr zarte Gefühle und manches Mal reicht schon ein böses Wort, um ihnen das Herz zu brechen. Glaub mir, wenn ich sag', ein bisschen is' okay, aber überspann den Bogen nich'“, meinte der Kriminalist, stand auf und schaute nun aus dem Fenster. Er gab ihm Tipps, die man ihm selbst hätte genauso gut geben können, er hatte so viele Mädchen zum weinen gebracht, so viele Herzen gebrochen, er wollte nie mehr dahin zurück, jetzt da er wusste, wie es war, wenn die Gefühle eines anderen keine Rolle mehr spielten und man mit dem Menschen nur noch Ignoranz erlebte. Er hätte nicht gedacht, dass es so wehtun könnte, vor Augen geführt zu bekommen, was man selbst immer falsch gemacht hatte.

Sêiichî war älter, kannte sich mit Frauen aus und war auch noch sein Freund, was Grund genug war, dass er ihm irgendwie schon Vertrauen entgegenbrachte und seine Worte nicht als Blödsinn abtat. Er war eben drastisch, es jedoch so gesagt zu bekommen, machte ihm auch klar, wie schrecklich er manchmal wohl mit ihr umsprang. Eigentlich behandelte er sie oft wie den letzten Dreck, ein Wunder, dass sie sich nicht schon mal einen anderen Freund gesucht hatte und stattdessen immer noch seine Freundin war. Er hasste sich im Grunde selbst, so ein verbohrter Sturkopf zu sein, der nicht zu seinen Gefühlen stehen konnte und ihr lieber wehtun wollte, statt ihr mal zu sagen, dass er sie mochte.

„Ich weiß selber, dass es nich' das Gelbe vom Ei is', sich so zu verhalten, aber wir sind schon so lang' befreundet, wie dämlich wär' es dann, plötzlich zu sagen, dass sich was verändert hat. Sie is' nich' mehr klein, das is' mein eigentliches Problem. Schliefen wir früher einfach so zusammen in 'nem Bett, war's nich' so, dass es mir unangenehm war.“

Sêiichî sah zwar nicht so aus, aber er hörte ihm zu, seine Hände hatte er auf der Fensterbank abgestützt. „So war ich auch mal, es bringt nichts, davor wegzulaufen. Irgendwann trifft's jeden Mann, dass er so was fühlt… Ich war damals fünfzehn und in 'ne Schulabgängerin verliebt. Sie war reifer als ich und es war mir sogar peinlich, ihr in die Augen zu sehen, so schlimm wird's bei dir nich' sein.“ Es war lachhaft, vor was war er eigentlich weggelaufen? Er würde jedem raten, das nicht zu tun. Die Sache mit Chardonnay, die damals passiert war, hatte ihm klargemacht, dass es Schlimmeres gab, als einem Mädchen zu sagen, dass man es gern hatte. Und jedes Mal, wenn er in Gefahr schwebte, hatte er Mut entwickelt. „Ich schwebte mal in Lebensgefahr, ich dacht', dass ich den Tag nich' überleben würd', dann hab' ich's ihr gesagt. Warste noch nie inner Situation zu bereuen?“ Er drehte sich zu Heiji herum und er sah ihn mit einem aufrichtigen Ausdruck in seinen Augen an, er hatte etwas Warmes und Liebevolles.

„Doch…“ Heiji wurde nachdenklich, noch zu genau wusste er, wie sich das Ganze abgespielt hatte. Sie waren beide kurz davor gewesen, ermordet zu werden und in dem Moment, als er mit seinem Leben abgeschlossen, sich selbst aufgegeben hatte, wollte er es ihr zumindest gesagt haben, doch dann hatten sie überlebt, weshalb er sich nur weiter versteckt hatte. „Ich war ganz kurz davor… Und als die Gefahr gebannt war, hab' ich was ganz Dummes gesagt, ich glaub', sie hat's mir krumm genommen.“ Selbst in einer solchen Situation hatte er nicht über seinen Schatten springen können, sich hinter einem Geheimnis versteckt.

„Was genau liebste an Kazuha? Verrätst's mir?!“ Er klang eigentlich total lieb und nicht mehr so gemein, wie vorhin noch, es interessierte ihn ernsthaft. „Irgendwas gibt's sicher.“

Heiji wurde wieder rot um die Nasenspitze und musste gar nicht allzu lange nachdenken. „Dass ihr eigenes Leben ihr nich' so viel bedeutet, wie meines – seit ich das weiß… Sie is' ein tolles Mädchen, obwohl sie eine totale Zicke is', aber ich glaub', genau das mag ich so an ihr. Es gab da mal 'ne Situation, in der mir das besonders bewusst wurde… Wir hingen an den Klippen, da sie meinetwegen abgestürzt war, und dann… Dann… ich hielt sie fest mit meiner Hand, und da sie dacht', ich würd' es nicht schaffen, uns beide zu retten, rammte sie mir 'nen Pfeil in die Hand – das waren höllische Schmerzen, sage ich dir. Das dumme Mädchen dachte, dass ich sie loslassen würd', deswegen hat'se mir diesen Pfeil in die Hand gerammt… Sie wollt' sich opfern, nur damit ich überleb', ich denk' sie hat es verdient, dass man sie mag. Ich würde sie gegen niemanden auf dieser Welt eintauschen wollen, das ist mir nun klar… Ich hab' so viel falsch gemacht und doch hält sie stets zu mir.“

„Ahō-Heiji!“ grinste Sêiichî. Wäre Kazuha ein kleines bisschen älter, wäre er sicher mal mit ihr ausgegangen, sie war eigentlich total sein Typ. „Ein Mädchen, das so was tut, is' verrückt nach dir… Kein Zweifel! Und du hast Angst davor, es ihr zu zeigen.“ Es war eigentlich nicht lustig, es war traurig, er war ja so ein Baka. „Ich glaub', sie is' der Typ Mädchen, der nur drauf wartet, dass du aus deinem Schneckenhaus rauskommst...“ Er zwinkerte dem Detektiv zu.
 

In Ōsaka war nicht nur Chaos ausgebrochen, da mal wieder irgendein Killer sein Unwesen trieb, sondern die Tochter des Hauptkommissars auch noch ihren Vater dazu beknieen wollte, zu ihrer Freundin nach Tōkyō fliegen zu dürfen. Heiji war vor kurzem auch nach Tōkyō verschwunden, er hatte ja immerhin darum gebeten, dass man auf den Sprössling von Hattori aufpasste, er wollte sich schon freuen, dass sein Kind nicht so unvernünftig war, durch die Gegend zu fliegen und sich nicht von Heijis Wahnsinn anstecken ließ, immerhin war sie die Ältere von beiden und meistens etwas vernünftiger. Aber gerade war sie alles nur nicht das.

„Bitte Papa! Ich bin doch schon 19, ich kann auf mich selber aufpassen!“ versuchte sie es weiter, was ihn nur zum Seufzen brachte. Er glaubte nicht so ganz, dass sie wirklich zu ihrer Freundin nach Tōkyō wollte, es war eher ein Ich muss Heiji hinterherreisen, das würde nur wieder heißen, man musste auf sie beide aufpassen. „Bitte, bitte, bitte“ bettelte sie ihn an und er konnte den Augen seiner Tochter selten etwas abschlagen.

„Du fliegst nich' alleine, Kazuha! Du nimmst gefälligst jemanden mit und du wirst bei Ayana bleiben!“

„Wieso behandelt ihr mich wie ein kleines Kind? Heiji is' ja auch allein nach Tōkyō und der is' weitaus unvernünftiger als ich!“

„Deswegen hat'r zu seinem Vater gesagt: Ich bin in Tōkyō, tschüss!“ Tōyama gab ein Seufzen von sich und grinste dann fies. „Heiji weiß eben, dass sein Vater ihn sicher nich' gelassen hätte, also hat er ihm nich' die Wahl gelassen… Er macht's doch immer so, ich bin ja froh, dass wenigstens du immer fragst.“ Er könnte sich niemals verzeihen, wenn seiner Tochter etwas zustieß, weil man zu wenig auf sie aufpasste und es war ja nun nicht so, dass nur Minderjährige Opfer eines Verbrechens werden konnten, sondern auch Erwachsene. Sie konnte sich zwar verteidigen, aber es herausfordern musste man nicht. In brenzligen Situationen, in denen eine oder mehrere Waffen benutzt wurden, würde ihr Aikido auch nicht so viel nützen. Es gab Leute, gegen die sie nichts ausrichten könnte, Heiji genauso wenig, da konnte er noch so gut im Kendō sein.

Jemand packte Kazuhas Arm und hielt ihn fest umklammert. Sie schaute an ihm hinauf und blickte in grünblaue Augen eines um einiges größeren Mannes.

„Ich kann sie gern nach Tōkyō bringen und bei Ayana absetzen, Tōyama, ich wollt eh dahin, hatte einen Anruf erhalten… Na was sagste, Kazuha?“

Kisara kam wie gerufen, fand Tōyama und grinste ihn mit einem gewieften Grinsen an.

„Du würdest damit nich' nur mir einen großen Gefallen tun, Kisara“, erwiderte der Hauptkommissar und zückte seinen Geldbeutel, es sah wie ein Bestechungsversuch aus, aber im Grunde wollte er beiden nur genug Geld mitgeben, mehr Kazuha als ihm, er war alt genug und sehr zuverlässig. Hauptsache Kazuha flog nicht alleine.

„Nein Tōyama, das kann ich nicht annehmen“, meinte er, doch man steckte ihm einige tausend Yen zu.

„Wirst du müssen, Kazuha braucht Geld und du passt auf beides auf.“

Der Grund, weshalb die Polizei von Ōsaka mit Kisara zusammenarbeitete, hatte damit zu tun, dass in der Vergangenheit mehr als einmal Leute aus der kriminellen Szene geschafft hatten, sich als Polizisten auszugeben. Unter anderem auch Sêiichî Iwamoto, der jedoch eine triftige Erklärung gebracht hatte und nach Tōkyō versetzt worden war, um dort ein wachsames Auge auf alle neuen Polizisten zu haben. Es fiel nicht einmal auf, denn sie waren beide erfahrene Kriminalisten, welche man auf einen Auftrag ansetzen konnte. Polizeichef Hattori und Hauptkommissar Tōyama hatten sich das gemeinsam mit Polizeichef Akaja aus Tōkyō ausgedacht. Sie wollten keine Spione unter sich haben, was nur verständlich war.

Bei Iwamoto hatte man ihnen hoch und heilig versprochen, er würde niemals die Polizei verraten. Ōsaka hatte also nun einen Agenten, der sich mit so etwas auskannte und Tōkyō sogar zwei von der Sorte, Iwamoto und Kanata und bei Bedarf mischte auch Fujimine mit seinen Kollegen mit, wobei er eher zwischen Ōsaka und Tōkyō hin und her wechselte. Laut Fujimine konnte man Kisara trauen, wobei Kisara auch nur ein Deckname war, um sich vor der Organisation zu tarnen.

Kazuha fand es ja merkwürdig, dass ihr und Heijis Vater so vorsichtig wurden und sie ständig bewachen ließen, sie fand es übertrieben, aber sie nahm es mehr hin, als Heiji es tat.

„Übrigens Heiji is' wohlbehalten in Tōkyō angekommen und befindet sich bei Iwamoto“, flüsterte Tōyama Kisara zu und dieser nickte. „OK – ich meld mich, wenn wir da sind“, gab er leise zurück, was Kazuha gar nicht mitbekam, sie heckten oft Dinge aus, das lag ganz in der Natur von Hattori und Tōyama, sie zogen hinter den Kulissen die Fäden, nicht einmal die unterstehenden Kriminalisten waren alle aufgeklärt darüber, was die Beiden trieben. So etwas klappte eben auch nur, wenn man es nur mit den engsten Vertrauten teilte.

„Fährste mich nach Haus'?“ fragte Kazuha, sie hatte ihren Vater zwar gefragt, aber noch gar nichts eingepackt, es war auch eher ein spontaner Entschluss von ihr gewesen, man musste eben spontan sein, wenn man einen Freund wie Heiji hatte, der von einer Minute auf die nächste entschied, nach Tōkyō abzuhauen.
 

Seine Schwester war total aufgebracht und funkelte ihn entsetzt an. „Musste das sein? Musstest du dem armen Kerl das alles reinwürgen? Ich denke, er hat genug Probleme, findest du nicht auch?“ Sie glaubte immer noch nicht, was er mit Vermouth da betrieb. Es war Schikane, so etwas konnte sie überhaupt nicht leiden.

„Ich fand seinen Gesichtsausdruck lustig“, lachte er in einem hämischen Ton. Es tat ihm nicht Leid, wenn er Cognac kränkte.

„Du hast da gestochert, wo es wehtut! Warum hast du das getan? Stehst du so sehr unter Vermouths Einfluss?“

„Urusai!“ fuhr er sie an, sie zuckte einmal, er hatte tatsächlich gesagt, sie sollte ihr Maul halten und das in einem scharfen Ton, wie sie ihn sonst nur an ihrem Vater kannte, weshalb Tränen in ihre Augen traten – er war ein vollkommen anderer Mensch geworden.

Louisiana fand es furchtbar, wenn seine Augen sie so kalt ansahen, wie gerade eben. War es ihm denn vollkommen egal, wenn er andere Menschen verletzte?

„Ich dulde es nicht, dass du so über sie sprichst, sie hat mich von meinem Alten befreit, ich werde ihm nie vergeben, niemals, hast du verstanden?? Und sie ist auf unserer Seite – okay, nicht wirklich – sie ist auf ihrer eigenen Seite, aber…“ Er grinste vor sich hin, vor nichts schreckte er zurück, auch Vermouth hinterrücks zu hintergehen. Solange sie Angel mochte und beschützen wollte, würde er diese Freundschaft zwischen ihnen aufrecht erhalten, was aus ihr wurde, war ihm jedoch einerlei.

„Übrigens hat sie die Mittel um Shinichi wieder normal zu machen, wenn du weißt, was ich meine, das dürfte in deinem Sinn sein, nicht?“ Er hatte schon wieder dieses hinterhältige Grinsen im Gesicht, das es ihr eiskalt den Rücken herunterlaufen ließ. „Und ich werde dem guten Gotano mit Rat und Tat zur Seite stehen, ich muss gehen – und lauf mir nicht nach!“ Er wusste, wie seine Schwester war, sie würde ihm folgen. Was man wieder gefunden hatte, wollte man nicht gerne wieder so schnell hergeben.

Er hasste seinen eigenen Vater, was man an der Miene, die voller Hass und Verachtung war und die er stets hatte, wenn er an ihn dachte, bemerkte. Die Machenschaften seines Vaters, sein Pakt mit Chardonnay hatte endlich ein Ende. So einer gehörte nicht in die Rechtswissenschaftsebene. Einer, der seine Arbeit missbrauchte, um dieser Organisation zu helfen, sollte sich nicht zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei und Jura-Studenten aufhalten. Besonders Riina Takagi hatte ihn von seiner nettesten Seite erlebt. Ihm war egal, ob er sein Vater gewesen war, er bezeichnete ihn eher als seinen Erzeuger. Noch dazu hatte dieser Mensch etwas gegen Kogorō Mōri gehabt, das gehörte gleich mitbestraft – und das hatte Vermouth schließlich getan. Ihn dafür bestraft, dass er die Organisation noch mehr auf Mōri aufmerksam gemacht und vorgeschlagen hatte, dessen Tochter zu sich zu holen. Es war ja schlimm genug, dass er mit Chardonnay zusammen gearbeitet hatte, aber Ran in diese Sache mit reinziehen, dafür hatte er zumindest lebenslänglich verdient, aber mehr hoffte er, dass man ihn mal richtig folterte.

Auf seinem Weg lief er seinem besten Freund über den Weg, welcher ihm davon berichtete, was Chardonnay vor kurzem erst zugestoßen war, was in Sazeracs Gesicht ein dämonisches Grinsen aufkommen ließ. Es gab doch noch Gerechtigkeit auf dieser Welt, er hatte die Hoffnung ja fast aufgegeben. Dass Chardonnay wohl nie wieder eine Frau vergewaltigen würde, war die gerechte Strafe für all die Gemeinheiten, die er in der Hinsicht immer in seinem geisteskranken Schädel hatte. Caprino hatte er ja auch dazu benutzt, um seiner Tochter Riina zu schaden. Ihn selbst hatte er in dem Punkt in Ruhe gelassen, Chardonnay hatte im Grunde Angst vor ihm, weil er Medizin studierte, Mediziner mochte er nicht so wirklich gegen sich aufbringen, vielleicht lag daran seine Verbindung zu Merlot, die schließlich Ärztin war, dass er sie liebte, glaubte Sazerac einfach nicht…
 

Der Mann war wie ihr Vater, sie schaute zu ihm auf, bewunderte ihn und er war auch ein guter Freund ihres Vaters, sie hätte ihm doch niemals misstraut und doch schien ihre Frage ihm so vorzukommen, was sie berichtigen musste. Die Blondine hatte James gefragt, wie es sein konnte, dass er Jamies Vater und dieser ihr Bruder war. Der 32-jährige hatte seiner jüngeren Schwester vor einiger Zeit davon erzählt, dass er der Sohn von James und ihrer Mutter war, da läuteten natürlich bei ihr die Alarmglocken. Er hatte sie nach dem Tod ihrer Eltern ja sofort zu sich genommen, natürlich auch, weil sie es so gewollt hatte.

Es wäre dem Boss des FBIs selbstverständlich lieber gewesen, wenn Jodie es nie erfahren und niemals gefragt hätte, aber er schuldete der jungen Frau einige Antworten, alles andere würde sie nicht akzeptieren und ihn nur verdächtig machen.

„Deine Mutter dachte, dass ihr Mann zeugungsunfähig war, da bat sie mich um einen kleinen Gefallen“, meinte James zu Jodie, die endlich mal wissen wollte, was Jamie sich dabei dachte, ihren Vorgesetzten nicht zu mögen, sie war schon seit langem furchtbar misstrauisch geworden wegen mehrerer Dinge und nun rückte er damit raus. „Sie hat deinem Vater so gesehen ein Kind untergeschoben, um ihm einen Gefallen zu tun, er wollte unbedingt ein Kind – und wie ein Wunder kamst du dann zwei Jahre später.“

„So ist das… Dann mag Jamie dich deswegen nicht, denke ich.“

„Deswegen und weil er etwas gegen das FBI hat.“

Jamie kam ihr eigentlich gar nicht so vor, dass er einfach so bestimmte Sachen nicht mochte, seine Verachtung gegenüber Vermouth hatte schließlich den gleichen Grund, wie bei ihr…
 

Dass Kazuha ihrer eigenen Katastrophe entgegen fuhr, das wussten weder Heiji noch sie selbst wirklich, zumindest sie ahnte nicht das Geringste davon, was in Tōkyō geschehen würde…

Bittersweet Insomnia

Heute war ein absoluter Scheißtag und seine Laune war schon so am Tiefpunkt. Als er die Tür passiert hatte, war dort Teran, der gerade gehen wollte und ihm böswillig auf die Schulter klopfte, dass Cognac beinahe vor Schmerzen aufgekeucht hätte und ihm schon schwindelig wurde. Er hatte passgerecht dahin geschlagen, wo er wusste, dass es todsicher wehtun würde.

„Na, hast du es doch noch her geschafft? Ich dachte, du seiest nicht mehr in der Lage, dich zu bewegen?“ Ein schäbiges Grinsen an den Schwarzhaarigen schickend, lachte der Braunhaarige auf und grinste Vermouths Geliebtem ins Gesicht. Natürlich hatte ihn einer seiner Freunde längst darüber aufgeklärt, in welch einem Zustand sich der Jüngere befand. Sie waren – wie immer häufiger – über ihn hergefallen. Helios war im Krankenhaus und Carpano beschäftigte man ein bisschen, da hatten sie freie Bahn, um Pinots Bruder wieder ein wenig zu ärgern, am meisten Spaß hatte Saperavi daran, der Kerl war krank und blutgierig. „Wenn du zu Vermouth willst, ich weiß nicht, ob sie jetzt Lust hat, dich zu sehen, ich bin schon länger hier, musste wissen… Sazerac war fast 4 Stunden hier und ich fürchte, da braucht sie einen wie dich nicht auch noch.“

„Wer fragt dich, Teran? Was ich hier mache, geht dich einen Dreck an! Wolltest du nicht gerade gehen?“ In seine Stimme war Härte gefahren, denn er ließ sich ungern anmerken, was er fühlte – sein zerbrochenes Herz sah und hörte man nicht, es fiel ihm recht leicht, Teran vorzumachen, es sei ihm egal, obwohl er wohl genau wusste, wie es in ihm aussah, oder es zumindest ahnte und sich darüber nun lustig machte. Der Kerl hatte sie eben auch nicht alle, steckte mit den anderen unter einer Decke, deswegen hatte er ja so passgerecht auf eine frische Wunde gehauen, nur um ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten.

„Mach was du willst! Ein Blödmann wie du rafft eben einfach nicht, wann er nicht mehr die absolute Number One ist. Sie betrügt dich vor deinen Augen und du lässt es dir gefallen – du kannst nicht normal sein – da sieht man doch nur wie primitiv du bist; nicht nur ein notorischer Fremdgänger, sondern auch noch ein Weichling sein, ist wirklich ein hartes Los!“

Cognac zog scharf Luft ein, es kostete ihn wirklich Beherrschung, ihn nicht gegen die nächstbeste Wand zu pfeffern, aber das würde er wahrscheinlich nur wieder bereuen.

„Was läuft hier denn schon wieder?“ hörte man die blonde Schönheit fragen, Teran zuckte mit den Schultern und gab ein „Cognac ist beleidigt, weil du ihn vernachlässigst, deswegen hat er mich dumm angemacht, das ist alles“, von sich. Sein Grinsen vermittelte ihr den Grad seiner Belustigung. Sie hatte vielleicht das Recht dazu, Cognac zu kränken und zu triezen, aber Teran hatte das nicht zu tun, weshalb sie ihm einen wütenden Blick schenkte. „Hattest du nicht zu tun?“

„Ja, hatte ich – wünsch euch beiden viel Spaß, besonders dir, Chris, ich weiß ja, wie du’s genießt…“ Mit einem Lachen verschwand er zur Tür raus. Wahrscheinlich hatte Syrah ihm das Ganze erzählt.

Gerade als der Mistkerl die Segel gestrichen hatte, hörte man Cognac seufzen, bevor er ohne wirkliche Begrüßung an ihr vorbei lief. Man fragte sich, wieso er herkam, wenn er sie eh nicht beachten wollte. War das seine Art von Strafe dafür, dass sie ihm vorlebte, wie er sich immer verhielt? Dass er so beleidigt war, das war kaum zu glauben.

„Warte, Sêiichî“, sprach sie ihn an, wobei auch sie ihm an die Schulter griff, was ihn zischen ließ, er drehte sich herum und schlug ihre Hand weg.

„Ich hatte einen total anstrengenden Tag, ich habe keinen Bock auf Spielereien jetzt, such dir wen anders zum spielen – und wie ich hörte hattest du heute ja bereits deinen Spaß – also LASS mich!“ Was war nur in ihn gefahren? Seine Augen sahen sie zornig an, er verlor nicht schnell die Nerven, er hatte ein gutes Gemüt, aber gerade hatte er genug – von allem. Sein Leben ging den Bach runter und sie interessierte das doch gar nicht. Es tat weh, so behandelt zu werden – ihm mehr, als er je gedacht hätte. Sie wusste genau, dass es ihn verletzte, zumindest dachte er das und dennoch verfuhr sie so mit ihm und tat ihm weh, wo sie konnte, indem sie ihn ganz offensichtlich mit einem anderen Mann betrog, es ihm gleichtat.

„Reg dich ab, Sêiichî!“ warf sie ihm entgegen. Der hatte jawohl einen Knall, sie so anzufahren, sie tat das ja auch nicht, wenn er mit anderen Frauen zugange war. „Warum beschwerst du dich? Du bist es doch, der gewollt hat, dass es so läuft! Du wolltest für ab und zu eine Affäre – nun bekommst du deinen Willen und bist doch nicht damit zufrieden! So sieht es aber aus, wenn man eine Affäre hat – keine Pflichten und keine Reue, wenn man eine andere Person mal etwas näher an sich ranlässt, ich tue nur das, was du seit Jahren mit MIR machst!“ Er wollte keine Beziehung mit ihr, redete immer davon, dass sie eine Affäre hatten, dabei war es gar nicht so – sie hatte mal die Spielregeln geändert, um ihm zu zeigen, was er da überhaupt von ihr verlangte. Sie sollte ihn teilen und trotzdem ihm alleine gehören, so lief das nicht.

„Ach hör auf – dir ist doch eh egal, ob ich wie ein Wilder in der Gegend rumvögle, das hat dich niemals auch nur ansatzweise interessiert!“ Sie konnte man damit nicht verletzen, aber ihn dummerweise schon. „Ich weiß schon gar nicht mehr, was ich daran geschätzt habe, mit dir meine Zeit zu verplempern! Mir ist nicht mal klar, wie ich mich in dich verlieben konnte… Jetzt geh mir aus den Augen, ich will dich gerade nicht mehr sehen…“ Er schob sie weg und wollte an ihr vorbeigehen.

Eigentlich war es fast niedlich, wie verzweifelt er nun war, Angst hatte, dass er sie verloren hatte, an einen anderen Mann. Sie, die schon Jahre an seiner Seite verbrachte, wenn er doch nur mal endlich aus seinen Träumen aufwachen würde. Immer stellte er alles in Frage…

„Du hast deine eigene Medizin nicht verkraftet.“

Sêiichî gab ein gehässiges Lachen von sich. „Das wäre so, wenn es dich interessieren würde, aber das einzige, was dich kümmert, ist, dass es andere Frauen – außer dir – in meinem Leben gibt, die ich auch schätze und dass ich mich nicht nur mit dir vergnügt habe, wahrscheinlich fühlst du dich in deinem Stolz gekränkt, aber das, was ich da fühle, davon hast du nicht mal ansatzweise eine Ahnung, Chris Vineyard, weil du eiskalt bist!“

Was er ihr sagte, war ungeheuerlich – er lag vollkommen falsch mit dem, was er von ihr dachte. Sie war eben einfach zu gut, da konnte sie sogar Cognac täuschen, der selbst nicht schlecht war, anderen eine Lüge aufzutischen.

„Ach, fängst du nun wieder mit Tokorozawas Schwesterchen an?! Ihretwegen behandelst du mich wie Luft, was soll ich deiner Meinung nach davon halten? Sie hat dir den Krieg erklärt und du liebst sie immer noch.“

„So ein Unsinn – ich liebe sie überhaupt nicht mehr. Du bist doch bescheuert. Aber wenn ich könnte, würde ich sie wählen.“

In dem Moment kam ihre Hand rasend schnell geflogen und traf ihn auf die Wange. Es war ein harmloser Schlag, aber es war eben einer, sie hatte ihm eine heruntergehauen und er sah sie unberührt an.

„Ja, schlag mich, kratz mich, beiß mich, schmeiß mich gegen die Wand, wenn du willst… Meinetwegen KNALL MICH AUCH AB!“ Seine Stimme wurde immer forscher, bis sie am Ende sogar ein Schreien war. Gerade traute er ihr alles zu, auch das. „Na los!“ forderte er sie sogar seine Arme ausbreitend auf, nur um sie zu provozieren. „Ich bin längst an einem Punkt, an dem mir mein Leben ziemlich egal ist, du kannst es haben!“

Sie verstand ihn nicht, wieso er nun alles so dramatisieren musste. Es war ja nur ein Spiel und er war total drauf reingefallen. Seine Welt war in sich zusammen gefallen, das wusste sie, er sollte eben spüren, wie es war, obwohl sie keine Frau war, die an einem Seitensprung gleich sterben würde, aber hatte sie nicht das Recht dazu, ihn so zu behandeln, wie er sie immer behandelte, das war schließlich gerecht.

„Heul nicht rum, Sêiichî, es reicht! Du führst dich auf wie ein Mädchen, das von ihrem Freund hintergangen wurde. Ich war und bin noch immer für dich da, aber als Dank ernte ich nichts als Spott, ist kein schönes Gefühl, wenigstens weißt du jetzt, wie es ist!“ Er konnte jetzt nicht ernsthaft hier rumheulen wollen und den verletzten Sêiichî spielen – nein sie wusste, dass er diesen nicht bloß spielte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du so rücksichtslos wärst, ich habe immer an den guten Kern in dir geglaubt, aber gerade glaube ich nicht einmal, dass du mich auch nur ansatzweise magst. So etwas macht man doch nur mit Leuten, die man hasst – denn ich glaube, du weißt genau, dass du gerade dabei bist, alles zu zerstören – in mir und zwischen uns.“ Er hatte Angst gehabt, herzukommen, ihren Schikanen erneut ausgesetzt zu sein und irgendwann doch zusammen zu brechen, er hatte zumindest versucht, seine Gefühle zu verbergen, aber spätestens jetzt, musste sie alles – wirklich alles – wissen. Wenn nicht, dann stellte sie sich dumm.

„Ja, jetzt ist Chris wieder die Böse und alles andere zählt nicht mehr… Du fühlst dich besser, wenn Chris die Böse ist, oder Sêiichî?“ redete sie auf ihn ein und grinste ihn arglistig an.

„Ich würde niemals absichtlich deine Gefühle verletzten, aber wahrscheinlich bin ich deswegen auch nicht der Richtige für dich – Teran hat vollkommen Recht, wenn er sagt, ich sei ein Weichling… Ein Wunder, dass ich die Jahre über überlebt habe, so ein Schwächling wie ich sollte längst tot sein. Das muss dich ungemein freuen, dass du mich so demütigen, kränken und mir im Herzen rumstochern kannst…“

„Hast du mit mir ja schließlich auch gemacht, also komm nicht so!“

„Es scheint dir überhaupt nichts auszumachen, wenn wir uns trennen… Es bedeutet dir nicht einmal etwas, dass ich immer zu dir gestanden habe, dich sogar vor den Ranghöchsten beschütze. Ich habe Menschen für dich getötet“, es traten Tränen in seine Augen und er steigerte sich erst so richtig rein. „Und ich habe es ganz selbstverständlich getan und dabei nur an dein Wohl gedacht – obwohl es mich innerlich auffrisst, dass ich so etwas Abscheuliches tue, ich stecke so was weit weniger weg, aber ich habe es trotzdem getan.“ Er musste aufschluchzen und hatte Mühe, seine Tränen am Fließen zu hindern. „Wenigstens passe ich in dem Punkt zu dir – ich bin genauso rücksichtslos, wenn es darum geht, wieder jemanden zu erschießen.“

Ihr Gesicht war kalt, jedoch nur dem Anschein nach. Natürlich hatte sie aus einer Mücke einen Elefanten gemacht und das zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt.
 

Um knapp 1 Uhr kam er vom Präsidium zurück und sie sprang ihm in die Arme, freute sich so ihn wieder zu haben. Er fing sie mit den Armen auf und hob sie hoch, bevor er sie genauso stürmisch begrüßte wie sie ihn, jedoch nicht nur mit einer Umarmung. Seine Lippen fanden ihre und er küsste sie lange und voller Leidenschaft.

Im Grunde war Riina Takagi so glücklich wie noch nie. Ihr Herz schlug schon wieder wie wild. Er war einfach toll, sie wollte ihn nie mehr hergeben und doch waren tief in ihr verborgen diese Ängste vor etwas Neuem, etwas Unbekannten – und davor, dass sie ihn enttäuschen könnte, weshalb sie ihn so angesprungen hatte und kurz darauf rot und nachdenklich wurde.

„Du bist ganz schön stürmisch, Rii-chan – hast du mich so sehr vermisst?“ Es hörte sich weniger so an, als würde er es nicht gut finden, er genoss es, in vollen Zügen.

„Ich habe nachgedacht… Und ich frage mich die ganze Zeit, wie es mit uns weitergehen soll. Was hast du nun vor, Tatsuji?“

„Du hattest mich nicht ausreden lassen, bzw. Yakko kam dazwischen – tut mir Leid, dass ich dich so im Dunkeln hab tappen lassen.“ Er lehnte sanft seine Stirn an ihre und blickte ihr dabei sehr tief in die Augen. „Ich, Tatsuji Fujimine, habe entschlossen, dich als meine feste Freundin zu wollen, lass es uns doch zusammen probieren. Ich will mit dir zusammen sein und ich weiß, das ist es im Grunde, was du auch willst.“ Ein sanftes Lächeln war in seinem Gesicht und er konnte nicht anders, als sie erneut liebevoll zu küssen. „Na, wie findest du diesen Entschluss?“

„Und wenn wir überhaupt nicht zusammen passen?“

„Das weiß man vorher nicht, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, Süße – und ich will’s wagen. Ich bin neugierig, das war ich schon immer, ich will wissen, wie es zwischen uns wäre, das finden wir nur heraus, wenn wir es ausprobieren.“

Wenn jemand mit ihren Erlebnissen und den daraus resultierenden Ängsten umgehen konnte, dann er, aber sie hatte auch panische Angst, sich neu zu verlieben, vor allem in ihn, das hatte sie immer gefürchtet, da ihr Vater schon einmal versucht hatte sie zu trennen und sie wollte ihre Ängste ihm auch mitteilen. „Ich will das sehr gerne, es ist das, wonach sich mein Herz immer gesehnt hat. Nach einem liebevollen Mann, der mich liebt und beschützt, aber…“ Sie schmiegte sich ängstlich an ihren Freund und er strich ihr vorsichtig übers Haar.

„Du hast Angst um mich, das musst du nicht. Dein Vater kann mich nicht mehr so einfach töten. Ich bin sehr gut in der Lage mich zu wehren, bei dem gefährlichen Job, den ich mache, muss ich das auch beherrschen, sonst wäre ich schon lange nicht mehr am Leben. Lass Angst zu, lauf nicht vor ihr weg, und lass dich niemals von ihr beherrschen, denn das kann man nicht, man kann nur lernen damit umzugehen. Ich weiß, worauf ich mich einlasse, aber ich habe zum Beispiel keine Angst davor, dich zu lieben, mein Schatz.“

Seine unglaublich liebenswürdige Stimme, sie hörte ihm so gerne zu, er sprach leise und sanft mit ihr.

„Dir würde ich alles glauben, es gibt so viele Dinge, vor denen ich Angst habe, sie dir zu zeigen. Mit der Liebe ist das bei mir so eine Sache, Yakko hat schon Recht, wenn sie sagt, ich hätte ein Männerproblem, ich bin immer am letzten Schritt gescheitert, weil ich vor lauter Angst total blockiere… Ich möchte nicht, dass du am Ende darunter leiden musst.“

Ein wenig wehleidig schloss er ja doch die Augen und drückte sie noch sanfter an sich. „Ich werde dich immer beschützen, auch davor. Ich werde dich zu nichts drängen und zu nichts zwingen, ich kann ein sehr geduldiger Mensch sein. Ich warte, bis du bereit bist, und wenn es ewig dauern sollte.“

Kein Mensch würde ewig darauf warten, dass er erhört wurde, das konnte man sich einfach nicht vorstellen, aber er würde diese doch bittere Medizin schlucken, solange es ihr gut ging.

„Eigentlich will ich es ja, aber bisher bekam ich es immer mit der Angst zu tun.“

„Du meinst, mit einem Mann schlafen?“ Er fragte direkt, Umschweifungen waren nicht seine Art.

„Die Vorstellung, unter einem Mann zu liegen und er hat Gewalt über mich, das ist ein Gedanke, der mir nicht behagt. Und trotzdem, ich hab’s mir so oft vorgestellt und war hoffnungsvoll, dass es dir gelingt, dieses Problem zu lösen, dass ich auch mal eine normale Frau sein kann, die es genießen kann.“

„Es gibt andere Dinge, als nur das, ich werde dir all das zeigen, wenn du willst, und du musst nur sagen, wenn dir irgendwas nicht gefällt, dann lass ich das selbstverständlich. Aber im Moment will ich dich einfach nur in meine Arme nehmen und an dir knabbern“, er ließ spielerisch seine Zähne kurz über ihr Ohr wandern und lutschte wenig später auch daran; stupste mit der Zunge in die Ohrmuschel und begann sie am Hals entlang abwärts zu küssen, was sie die Augen schließen und den Kopf zur Seite neigen ließ. Diese Art von Liebkosung genoss sie wie ein Kätzchen und klang sogar auch so. Ihr Atem kam hauchend über ihre Lippen und das genussvolle Geräusch dabei, ließ ihn schlussfolgern, dass er etwas tat, was ihr unwahrscheinlich gefiel, was für ihn nur hieß, er würde es öfter bei ihr tun.

Ihre Hände wurden neugierig und tasteten sich unter sein Hemd, wo sie an den Seiten schon seine Muskeln spürte, es war total spannend, ihn zu berühren, er war so lecker. Sie hatte ganz viele Ideen, was sie mit diesem traumhaften Mann würde anstellen können…
 

Ob es wohl wirklich Schicksal war, oder herbeigeführt, wusste der junge Mann nicht. Aber im Zimmer nebenan ging die jawohl am meisten passende Musik an. Wie gerufen eigentlich. Da Chris kein Wort sagen wollte, schien es ihm, schloss er die Augen… Er kannte den Song; aus irgendeinem Grund brachte er ihn mit sich und Chris in Verbindung, es war wie für ihn gemacht. Alles, was er im Moment fühlte…
 

Wenn du am Abgrund stehst, dann schwebt sie nur

und wenn du runter fällst: Sie fängt dich garantiert nicht!

Wenn du auf sie setzt, bist du verlor’n.

Sie hat dir noch nie etwas geschwor’n.

Du hast gesagt, du willst sie nicht verlier’n

- willst du Alles, was du hast, mit ihr verspiel’n?

Bitte wisch’ die Tränen wieder auf

- sie hat eure Träume längst verkauft!

Das Gefühl, das du vermisst, das ist Liebe.

Sie ist der Schatten und du das Licht.

Du weißt nicht, wer sie ist

- bitte lieb’ sie nicht!
 

Solang’ die Welt sich weiterdreht

- bist du in ihr gefangen.

Warum macht sie alles, was du liebst - kaputt?

Ihr Herz ist Gift für dich!
 

Sie leuchtet wie ein Stern, der nie vergeht.

Doch wenn du nach ihr suchst – ist sie verglüht.

Du läufst nur ihrem Schatten hinterher.

Das, woran du glaubst, gibt es nicht mehr.

Den Schmerz, den du jetzt spürst, das ist sie!

Sie ist der Schatten und du das Licht.

Du weißt nicht, wer sie ist

- bitte lieb’ sie nicht!
 

Ihr Herz hat dich längst vergiftet.

Das Feuer - Feuer in ihr schlägt über zu dir.

Doch es wärmt dich nicht.


 

Am liebsten wäre sie zu Syrah gestürmt und hätte sie eigenhändig erwürgt, dass sie es wagte, dieses Lied zu hören – sie wusste, was es andeuten sollte. Und sie befürchtete, dass Sêiichî es noch viel besser wusste.

Noch während es lief, schritt sie auf ihn zu – es entsprach dem Miststück in ihr, dass sie ihn jetzt beeinflussen würde – sie hatte den Kampf gegen die Tote nicht aufgegeben. Selbst nach ihrem Tod versuchte sie sie noch voneinander zu trennen.

„Hör auf zu weinen, das passt nicht zu dir… Beruhig dich!“ probierte sie es und wollte die Arme um ihn schlingen, als er ihre Handgelenke packte und sie somit daran hinderte.

Nicht einmal umarmt werde wollte er, was für sie schon bitter war, da seit Jamies Unfall nun vier Tage vergangen waren und sie seit dieser Zeit nicht einmal mehr einen Kuss geteilt hatten…

„Don’t listen it!“ bat sie ihn mit besänftigender Stimme, denn er hatte doch noch nie auf jemand anderen gehört und nun wollte er damit anfangen – wie oft hatte man versucht ihn zur Vernunft zu bringen und er hatte es immer ignoriert. „It’s a lie“, sie hatte eine komplett andere Stimmlage, eine sanftere, angenommen, hell und hoch.

„Lass es gut sein – aus dem Märchen ist ein Albtraum geworden.“ Seine Hände hatten sie fest im Griff, während er sie nun mit diesem unendlich traurigen Blick ansah.

„Du weißt, das ist das Ende. Zwischen uns gibt es nichts mehr als Streit und Schmerz, ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es mir unerträglich geworden ist. Finde einen neuen zum betrügen und verletzen, ich spiele nicht mehr mit! Meine Träume mit dir, sie sind schlecht… “ Es fiel ihm schwer, allein diese Entscheidung zu treffen. „Ich habe nur noch Schmerzen im Herzen, ich kann nich’ mehr… Ich bin am Ende… Nun muss ich gehen, weg von dir!“ Ihm war schon ganz schlecht geworden, all das wollte er nicht, aber Sêiichî wusste, sie zu vermissen würde erträglicher sein, als bei ihr zu bleiben…

Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden, sie war nun wirklich keine schwache Frau, aber er war auch nicht schwach, weshalb es ihm recht leicht fiel, seine Freundin festzuhalten. „Sêiichî, red nicht solch einen Blödsinn – du weißt selbst, dass du mich nicht einfach so verlassen kannst!“ Nun sah sie einen rebellischen Blick und seine Augen funkelten auf, er war entsetzt, man konnte ihm einfach alles ansehen.

„Ach nein, kann ich nicht? Was denkst du, wie einfach das ist?!“ Ein Lachen verließ seinen Mund, während er sie beinahe schon hämisch angrinste. „Das ist genauso einfach, wie es wäre, dich aufs Bett zu schmeißen und mich an dir zu vergehen!“

„Das bringst du nicht übers Herz“, was eigentlich amüsiert hätte klingen sollen, hatte mehr einen ziemlich gekränkten Ton.

„Ja, weil ich viel zu gut für dich bin – ich habe aber keine Lust mehr, mich weiter demütigen zu lassen, verstehst du? Es ist aus!“

„Glaubst du auch brav selbst an das, was du sagst? In Worten warst du schon immer sehr gut!“ Sie glaubte ihm kein Wort, er war abhängig von ihr und konnte nicht von ihr lassen und derselbe Mensch redete gerade davon sie zu verlassen…

„Du hast es mir noch nie so leicht gemacht, daran zu glauben, dass ich es auch ohne dich schaffen kann“, erwiderte er trocken und schob sie kraftvoll von sich.

„Your beautiful kisses were a sign of devotedness. You can’t deny it, but only a lie can make it right, sure?” Noch nie hatte er von ihr gehört, dass seine Küsse wunderschön gewesen seien, sie waren mitunter ziemlich ungeduldig, er dachte ihr nie seine wahren Gefühle gezeigt zu haben und doch kannte sie sie – musste sie ihn fast innerlich töten, um sie ihm wirklich zu entlocken? Dass er sich enttarnte? „From the first moment I saw you, I knew that there would be these strange kind of creature between us. It’s strong, sensitive and the truth is hidden inside you, don’t you see it?!” Es war schon sehr merkwürdig, wenn Vermouth von Gefühlen sprach, es lief ihm eiskalt den Rücken runter, so sehr gruselte er sich gerade. Sie wurde ihrem Wesen untreu, sie würde sich niemals die Blöße geben, es zuzugeben; alles gelogen, um ihn zu halten. Er, der soviel Verrat begangen hatte, was ihn spannend und interessant für sie sein ließ – und gut zum Benutzen, so war es doch?

„You’re making fun of me, you’re trying to let me look silly – you’re such cruel person to hold me from escape, but beauty is only skin-deep and nothing more!“ Unwissend scheinen hatte seinen Grund ohne Zweifel darin, dass man auch wissend sein konnte. Das beschrieb sie, wer ihr traute war verloren.

„Not everything that glitters is gold. You’re shining only behind the dusk. Der äußere Schein ist die Maske deiner Wenigkeit, nimmst du sie ab, verlierst du… Und nur in den Schatten bist du stark.“ Seine Stimme klang ernst.

Innerlich hoffte sie, sein Herz vergab ihr nicht und er ging – in Wirklichkeit ließ sie nicht zu, dass er sie verlässt. Dieser Dummkopf in Liebesdingen, dessen Leben sie oft über ihres gestellt hatte, raffte es einfach nicht – auch wenn sie ihm die Worte direkt an den Kopf geworfen hätte, der Mann würde sie nicht verstehen. Schon so lang war sie innerlich tot – nur er schaffte es, ihr Leben einzuhauchen. Der winzig kleine Teil verborgen tief in ihr hing an diesem gestörten Typen – dieser irre Kerl, der eigentlich Polizist war und sich in ihre Reihen gewagt hatte. Der lebensmüde Vollidiot, welcher ihr schon so viele Sorgen gemacht hatte. Und der andere, riesige Teil, den sie besaß, der war zu stolz - viel zu stolz - um ihm etwas Liebevolles zu sagen. Etwas wie Zuneigung ihm entgegen zu bringen, dass er es auch verstand. Er heulte rum; kaum zu glauben, dass das der Mann war, der dem Boss seine Flamme streitig zu machen versuchte, derselbe, der sie jederzeit dessen Armen entrissen hätte, der ihn am liebsten ermorden wollte, wenn er sie wieder für sich beanspruchte.

Es war einfach sich etwas anzugewöhnen, aber wieder abgewöhnen war schwer – er war sie gewohnt, schon so lange und nun wollte er sich selbst auf Entzug setzen. Wenn jemand wieder und wieder zugeräuchert wurde, hatte er die Fähigkeit des Riechens bald verlernt. Was man verlor, das kam nicht wieder. Gut und schlecht, richtig und falsch zu unterscheiden, woran machte man das fest? Hatte überhaupt irgendein Mensch das Recht dazu, jemanden als gut oder schlecht zu bezeichnen? Eigentlich nicht. Was von beidem er war, das wusste der junge Mann schon längst nicht mehr. Einige hätten gesagt, er sei gut, andere hätten ihn für schlecht gehalten und wieder andere würden sagen, dass er weder noch oder beides war. Ein Mann, der als Polizist Menschen ermordete, konnte der denn wirklich liebenswert sein? Das war wahrscheinlich einer der Gründe, weshalb er sie verstehen konnte. Sich selbst empfand er nicht als liebenswert, zuweilen hasste er sich regelrecht, was aus ihm auch diesen selbst zerstörerischen Menschen machte. Manche Leute quälten sich gerne selbst, dazu hatte Sêiichî immer gehört, er wollte von Chris gequält werden, aber in einem gesunden Maß, das sie nun überschritten hatte. Er stand darauf, wenn sie ihn biss, kratzte und ihn etwas schindete, wie ein untreues Tier, aber sein Inneres durfte keiner anrühren.

Um ihn auf ihrer Seite zu halten, musste sie ihn nicht gleichzeitig als ihr Betthäschen missbrauchen, er wäre sowieso auf ihrer Seite gewesen – ihn zu verführen war also vollkommen unsinnig – warum hatte sie das mit ihm gemacht, wieso ihm das Herz gestohlen?

Doch sie zu fragen, war überflüssig, sie würde ihm entweder gar keine oder eine unzureichende Antwort geben. Sie war verboten und für einige so gefährlich, das hatte sie immer aufregend für ihn gemacht. Er hatte die Gefahr geliebt und somit sie, wobei er diesem Teufelskreis mittlerweile zumindest entkommen war. Eigentlich hatte Sêiichî nicht vor diese Welt freiwillig zu verlassen, denn der junge Mann hatte so viele Aufgaben, die er sich selbst gegeben hatte, all das war sein Lebenswille. Er musste seinen Vater finden und die Organisation von innen zerstören, mit seinen Freunden. Sie gehörte auch zu ihnen, zu seinen wahren Freunden, jedenfalls hatte sie ihm nie einen Grund gegeben, an ihrer beider Freundschaft einen Zweifel zu hegen. Bis vor kurzem… Es war vielleicht auch zu viel verlangt, dass sie alle Menschen, die er mochte, auch mögen musste.

Diese Sache hatte ihn total fertig gemacht. Die Gefahr, welche von ihr ausging, würde sie sich auf seine Freundinnen übertragen, wenn er sie zu sehr mochte, er hatte sie noch immer nicht gefragt, was sie geritten hatte…

„Ich geh jetzt!“ Bevor er hier noch mehr hörte, was er nicht zu wissen bezweckte, wollte er lieber die Flucht antreten, am besten schwieg sie einfach. Er verstand sowieso nur Bahnhof, sie gab sich ja nicht gerade die Mühe, dass es für ihn verständlich war.

„Nein, tust du nicht!“ Sie versuchte ihn festzuhalten, doch obwohl der Griff nicht der eines schwachen Mädchens war, schaffte Sêiichî es, dass sie vom Boden abhob, als er sie versuchte von sich zu kriegen. „Dass is’ doch albern! Lass meinen Arm los, Chris Vineyard“, noch immer schüttelte er sie und wirkte dabei richtig panisch. Sie sollte es nicht wagen, ihn anzufassen oder solche Späße, er war gerade nur mit Vorsicht zu genießen. Was fiel diesem Weib ein, ihm etwas zu verbieten, sie war ja nicht seine Mutter.

Ihr musste ja schon längst schlecht sein, so wie er sie schüttelte, sie fühlte sich wie ein Milchshake. Dass sie jetzt Angst bekam, er würde seine Drohungen wahr machen, das passte überhaupt nicht zu ihr - was wollte sie denn noch?

„Was zum Teufel… Was willst du eigentlich noch von mir?? Ich habe dich betrogen – so oft schon – aber du willst immer noch, dass ich bei dir bleibe – du bist… du bist komplett übergeschnappt, glaube ich langsam! Sofort loslassen!“ Seine Stimme wurde immer lauter und er richtig zornig, doch die 30-jährige krallte ihm schon die Nägel ins Handgelenk, so fest hatte sie zugegriffen. Im Augenblick, als er sie endgültig los bekam, bohrten sich ihre Nägel tief in die Haut hinein, dass es schon anfing zu bluten, sie konnte die Dinger als Mordinstrumente nutzen – und dann landete sie am Boden. Ohne Rücksicht hatte er sie weggestoßen. „Geh zu Sazerac, lass dich von ihm vögeln, so oft wie du willst, aber mich wirst du NIE MEHR auch nur ansatzweise anrühren, hast du das jetzt kapiert?!“ Sein Atem und sein Herz rasten, in seiner Brust schmerzte es mehr, als an seinem Handgelenk.

So hatte man sie bisher erst einmal gesehen – in dem Moment, als sie sich vom Boden aufrappelte, nach den Schüssen, die Akai auf sie abgefeuert hatte – kurz nachdem sie durch die Luft flog. Einen Schritt rückwärts gehend, war er selbst schockiert davon, wie panisch er sie zu Boden befördert hatte, im Grunde hatte er bloß Angst, dass sie es doch schaffen würde, ihn wieder weich zu kochen.

Sêiichî bezweifelte, dass er sie je wieder bedingungslos lieben konnte, trotz allem, was sie getan hatte. Es hatte doch überhaupt keinen Sinn und Zweck. „Du bist krank, sieh mich nicht so an! ICH LASS MICH NICHT MEHR KONTROLLIEREN!“ So laut er konnte, brüllte er ihr diese Worte ins Gesicht, weder andere noch er selbst hatten ihn je so wütend erlebt, dass er auf diese Weise austickte. All die Wut brach wie Feuer aus einem Vulkan hervor.

Dass Chris es herausgefordert hatte, konnte man nicht sagen, sie hätte nicht gedacht, dass er wirklich so wütend werden konnte, schon gar nicht auf sie, sie hatte ihn doch für ein gutmütiges Schaf gehalten, jedenfalls bei ihr, aber gerade war er fast schon beängstigend, jede normale Frau hätte es nicht gewagt, jetzt noch frech zu werden.

„Schau dich an, du hast ja Angst davor! Ich habe wohl eine ziemlich starke Wirkung bei dir hinterlassen.“ Belustigung, oder vielmehr schon Spott war alles, was er von ihr bekam und noch mehr Beleidigungen, wie er fand. „Du glaubst nicht im Ernst, dass du das mit mir machen kannst, oder Sêiichî Iwamoto?!“ Sie räumte vor Wut eine Vase von ihrem Tisch, klirrend fiel diese zu Boden und ließ ihn für einen Bruchteil einer Sekunde zucken. Er wollte die Beine in die Hand nehmen, aber sie war schneller bei ihm, als es ihm lieb war. Seine Reflexe waren noch gut genug, dass er ihre Hände schnappen konnte, sonst hätte sie ihn wohl ziemlich heftig gestoßen, aber es reichte nicht. Sie ging wie ein Amokläufer auf ihn los, sie setzte ihren gesamten Körper ein und er hatte ein Handicap – das Donnern der Tür war zu hören und sein Keuchen, als er mit dem Rücken dagegen geschleudert wurde.

Während er noch Probleme mit seinen Sinnen hatte, als ihn der Schmerz durchforstete, packte sie ihn am Hals und ließ ihn röcheln. Mit den Händen versuchte er sie zu schieben, aber sie bewegte sich keinen Zentimeter, auch war seine Kraft mit einem Mal wie weggeblasen. So ganz realisierte er nicht, was geschehen war.

„Du bist der erste Mann, der es wagt, mich verlassen zu wollen! So unverschämt war noch keiner!“

Allmählich wurde er wenigstens wieder Herr seiner Sehkraft, er hatte sprichwörtlich Sterne gesehen.

Ihr Blick traf seine blauen Augen, die doch so etwas unglaublich Treues haben konnten. Er fühlte sich doch ein wenig gekränkt und gedemütigt – jetzt da er sich endlich mal wehrte. Dass sie ihn würgte, verhinderte, dass sofort etwas zurück geschossen kam. Er nahm erneut ihre Handgelenke. Als Polizist hätte er sie jetzt glatt einsperren können. Auf seiner Stirn war regelrechte Sintflut ausgebrochen, die Haare klebten an seiner Stirn, ihm war heiß und kalt, er wusste nicht ganz warum, es fühlte sich wie Angst an, aber es waren die Schmerzen.

Teran hatte schon passend draufgehauen, aber sie hatte es noch besser gemacht. Seine Hände zitterten merklich, was sie nicht realisierte, so wütend war sie darüber, wie er sich aufführte. Einer, der sie ständig betrog – sie hatte ihn ein wenig gequält, ja, etwas gestichelt, nur ganz harmlos, ihrer Meinung nach – sie wollte ihm bloß eins reinwürgen – ja verdammt noch mal, sie war eifersüchtig – so wollte er es doch. Er hatte immer versucht mehr als ihr müdes, gleichgültiges Lächeln zu sehen. Wieso sonst hatte er es ihr förmlich an den Kopf geknallt, dass er sich schon wieder eine andere suchen wollte? Ihr Spiel war die Retourkutsche gewesen und er sah das gleich als Grund an, den eingeschnappten, gekränkten Sêiichî zu spielen, den man ja ach so schlecht behandelte…

Blass, verschwitzt und mit röchelndem Atem, sahen seine zu Schlitzen verzogenen Augen sie an, er kniff sie fast zu, sein Blick hatte etwas sehr Verletztes. Seine Hände lagen nur schwach um ihre Handgelenke, er hatte keine Kraft mehr. Zu viel Blut verloren, sich zu sehr aufgeregt und noch dazu Tage lang viel zu wenig Schlaf gehabt.

Langsam aber sicher wirkte sein Blick immer benommener, als wenn er kurz davor wäre, das Bewusstsein zu verlieren, während er sie aber noch immer ansah. Die ganze Zeit über blickte er mit ein und demselben Ausdruck in ihre Augen und sie war hart genug, ihn eiskalt anzusehen, ohne jegliches Mitgefühl. Es war der Blick eines unsterblich liebeskranken Mannes, der eigentlich nicht anders konnte, als ihr sein Herz zu schenken, es war ihm einfach nicht möglich, sich gegen dieses mächtige Gefühl zu wehren. Er wollte sich schon gratulieren, dass er sie so weit gebracht hatte, dass sie einem Wutanfall erlag, aber so sarkastisch er gerne war, ihm war schwindelig und ihm fehlte die Luft zum atmen, die ihm durch ihre Hände mehr und mehr geraubt wurde. War das die Strafe dafür, dass er zwar körperlich nicht, aber im Herzen umso treuer gewesen war?
 

Im Polizeipräsidium hatte man unterdessen einem anderen Kriminalisten Heiji aufs Auge gedrückt. Der junge Mann war hoffnungslos überfordert damit, auf den Sprössling Hattoris aufzupassen. Ständig schnüffelte dieser Junge hier herum und wenn man ihn dann darum bat, es zu unterlassen, gab er zwar zur Antwort, dass er nicht wusste, dass es sich um Geheimnisse handelte, wurde dann aber wenig später erneut dabei erwischt. Er ließ sich hier doch nicht von einem 18-jährigen Schnüffler ärgern – allmählich verlor der Dunkel-Braunhaarige die Geduld, weshalb er Heiji mit Gewalt von den Akten trennte. „Jetzt reicht’s, du kommst mit! Ich mache das nicht mehr mit, ich muss hier auch noch andere Dinge tun, als Babysitten, was denkt sich Iwamoto??!“

Ein wenig entsetzten die Worte Heiji – Babysitten? Sollte das heißen, dass man auf ihn wie auf ein kleines Baby aufpasste?

„Ach, Iwamoto soll auf mich aufpassen?“ quetschte er den Kriminalisten aus und dieser gab brav Antwort.

„Ja, verdammt noch mal, aber er ist noch mal weggefahren, er kommt später wieder und holt dich ab, du sollst solange du in Tōkyō bist bei ihm bleiben, das hat der Polizeipräsident sogar höchstpersönlich angeordnet!“

‘Iwamoto vernachlässigt seine Aufgaben? Das sieht ihm nicht ähnlich, aber noch schlimmer find’ ich die Tatsache, dass mein Vater hier angerufen hat, damit sie mich wie ein Kind beobachten… Ob er was weiß?’ Er machte sich so seine Gedanken, bis vor kurzem hatte er so etwas noch nicht getan, sicher hing das mit dem Vorfall neulich zusammen, es war ja auch eine verzwickte Situation gewesen und man hatte sich in der Tat Sorgen um Heiji machen müssen…

„Ja klar, dann muss es wichtig sein, wenn es von Akaja-han kommt“, man bemerkte die Ironie in Heijis Stimme.

„Mir persönlich ist es egal, was du machst, solange du es außerhalb des Präsidiums tust und uns nicht bei der Arbeit behinderst!“ Es war deutlich, dass man den Mann nicht eingeweiht hatte, sonst hätte er das nie und nimmer so gesagt.

„Ist ja nicht zu fassen – sind Sie verrückt, das so auf die leichte Schulter zu nehmen, Herr Kommissar?!“ wurde der Braunhaarige von seinem Kollegen, der auch noch jünger war, in den Boden gestampft, ja es klang schon fast wie Miwako Satō, aus dem Mund ihres Kollegen allerdings war es eine Sensation. „Wie können Sie das so sagen? Wenn dem Jungen was zustößt, das kann Ihnen doch nicht egal sein! Was machen Sie bei der Polizei, wenn Ihnen derartige Dinge so egal sind? Was tun Sie, wenn gerade dann etwas passiert? Würden Sie sich verantworten wollen, wenn dem Jungen etwas Schlimmes zustößt, weil Sie Ihre Aufsichtspflicht verletzt haben? Ich dulde es nicht, dass Sie so etwas sagen!“

„Kaum geht er mit Satō ins Bett, nimmt sich der liebe Takagi zu wichtig“, ließ er los, es kümmerte ihn nicht wirklich, dass er ihn belehrte, er war jünger und hatte ihm nichts zu sagen. „Noch bist du nicht Abteilungsleiter, Takagi, das ist immer noch Satō, also riskier hier nicht so eine große Lippe!“ So lief es momentan, alle wussten es und alle waren dagegen. Shiratori war ein lieber Kerl im Gegensatz zu den anderen Kriminalisten, die allesamt Satō vergötterten und ihn nun bei jeder Gelegenheit beim Chef anschwärzen würden, nur damit er möglichst schnell verschwand…

„Ich bin nicht Abteilungsleiter, aber Satō hat mich gebeten, hier die Stellung zu halten – kaum ist sie weg, tut die Abteilung, wozu sie Lust hat, sie wusste das, deswegen hat sie mich ja auch darum gebeten“, entgegnete Wataru doch leicht verstimmt. Die Worte und wie sie dieser Kerl gewählt hatte, gefielen ihm nicht, auch wenn er damit auch zugab, was er ohnehin ahnte. „Satō wäre weniger begeistert und Iwamoto auch, wenn Sie davon wüssten, dass du deinen Job weniger ernst nimmst, als du solltest.“

„Was soll Heiji schon passieren, er ist doch nicht mehr im Kleinkindalter. Er war schon so oft hier und man hat ihn nicht wie einen Hund bewacht, was soll das?“

„Ein Serienkiller läuft frei hier rum! Ist das nicht Grund genug?“ Er zischte es dem Älteren zu und dieser schüttelte bloß den Kopf.

Wieso sollte Heiji ausgerechnet diesem Täter begegnen, wo sie selbst nicht wussten, wo er sich aufhielt? Das lag aber auch daran, dass Wataru mehr über den Fall wusste, als ihm lieb war. Er selbst hatte es mit ihm zu tun gehabt und von Glück reden können, dass er ihn nicht anvisiert hatte, stattdessen hatte er auf Ryochi und Hiroya geschossen… Im Gegensatz zu Heiji besaßen sie alle ihre Dienstwaffe und der Junge wusste weder, wie man eine benutzte, noch besaß er eine, das wäre ja auch noch schöner gewesen.

„Was is’ das für’n Killer, Takagi-han?“ war Heiji nun doch interessiert zu erfahren, warum sie so einen Stress hier hatten – seinetwegen.

„Das darf ich dir nicht sagen und du wirst dich auch nicht in diese Angelegenheit einmischen, das ist nichts für dich! Du magst ein talentierter Detektiv sein, aber mit Mördern, die keine Skrupel kennen, kannst du es nicht aufnehmen! Eins kann ich jedoch sagen: Er ist ein Profi! Bisher konnten wir ihn nicht schnappen, fast die ganze Abteilung ist an diesem Fall dran, bisher erfolglos. Akaja tötet uns, wenn du damit zu tun kriegst!“

„Takagi kommen Sie bitte schnell!“ hörte der Besagte wenig später seinen Namen, es klang, als wäre es furchtbar wichtig.

„Tun Sie mir den Gefallen, nehmen Sie Ihren Job ernst, Tamura! Achten Sie auf Heiji, dass er keinen Unsinn macht, ich muss weg!“
 

Kei (26) Tamura; Kriminalist im MPD in Tōkyō; bester Freund von Ninzaburō Shiratori
 

Tamura blickte Heiji mit einem vernichtenden Blick an. „Hast du es gehört? Du bist jetzt brav, sonst erlebst du was, verstanden?!“

Etwas netter hätte der Kerl das ruhig sagen können, wofür hielt er sich, ihn so anzufahren? Ganz bescheuert war er ja nun nicht, schade nur, dass er nicht mehr über den Fall wusste – er fand sich eigentlich nicht unfähig es mit einem Serienkiller aufzunehmen, aber es war wohl ein etwas anderes Bild, als damals in Ōsaka. Es klang alles so mysteriös, vielleicht sollte er mal Megure fragen. Der war ohnehin viel netter, als dieser Tamura hier.
 

Wenig später bei Inspektor Megures Büro, sah Heiji ein weiteres bekanntes Gesicht. Er hingegen erkannte ihn nicht, auch als er ihn mit „Hidekiii!“ ansprach, er war schneller weg, als man schauen konnte, hatte wohl einen wichtigen Fall, mit dem er sich befasste, so dass er Heiji einfach übersah. Jedenfalls rannte er durch den Gang und telefonierte dabei.

„Ja – ich weiß – bleib trotzdem zu Hause, Sayaka! Du weißt doch, dein Vater will nicht, dass du auch noch damit zu tun kriegst…“ Er hatte es eilig aus dem Präsidium zu kommen, aber Heiji hatte gerade etwas sehr Merkwürdiges angeweht - heute waren alle so panisch. Er wollte jedoch nicht so anfangen, wie Conan, dass er in jedem und allem einen Kontakt mit dieser Organisation sah.

„Was macht Hideki Ikezawa hier? Ist er auch hierher gezogen?“ Also ihn als Kansai-Bewohner würde es nicht nach Honshū ziehen. Aus seiner Umgebung hatte es jedoch so mancher getan, auch Iwamoto.

„Der Grund ist der“, Kei überlegte, wie er es wohl am besten erklärte, „also Sayaka Iwatani, ist auf Besuch bei den Koizumis – er will ein wenig auf sie aufpassen; er hat sich also vorübergehend - glaube ich - hierher transferieren lassen – Megure und Matsumoto sind die Einzelheiten bekannt.“

‘Noch mehr Beschützerinstinkte, das stinkt in der Tat… Da kriegt dieses Wort gleich noch eine ganz andere Bedeutung’, Heiji war von Grund auf sehr misstrauisch, aber er wollte den Teufel nicht an die Wand malen. Die Geschehnisse in Ōsaka ließen ihn jedoch daran zweifeln, dass es eine tolle Zeit für Kudō werden würde. Solange er aber nicht Genaueres wusste, würde er die Pferde nicht scheu machen, er wusste ja, wie der Junge auf die Organisation reagierte. Wenn er erfuhr, dass sein Freund Heiji seinetwegen auch tief in der Tinte saß, würde er nur wieder Schuldgefühle kriegen. Und Ikezawa war sicher nicht von Ōsaka hergezogen, alleine deswegen, um auf Sayaka aufzupassen, die passte selber auf sich auf, so ein Schwachsinn… Und dass er sich deswegen nicht hatte beurlauben lassen, sondern mehr versetzen, das stank einfach zum Himmel – wieso war dieser Kriminalist so doof, das wirklich zu glauben? Nein, da steckte was Anderes dahinter…

„Ich werde mal Inspektor Megure einen Besuch abstatten, ist doch erlaubt, oder?“

„Mach, was du nicht lassen kannst, Hattori, aber ich glaube kaum, dass sie Zeit haben, sie sind mit dem Serienkiller beschäftigt“, er ließ Heiji die Wahl, ob er in die Höhle des Löwen gehen wollte, oder nicht. Takagi war ja gerade hineingerufen worden. Heiji wollte gerade klopfen, als er sie reden hörte und es erst einmal sein ließ.
 

„Dann hat der Killer also wieder zugeschlagen… Und diesmal sind 5 Leute zu schaden gekommen, das heißt aber unwillkürlich, dass er nicht alleine ist. Die Tatzeit ist in etwa gleich und auf zwei Orte verteilt, es ist unmöglich, dass er alleine zugeschlagen hat.“ Es war ein dickes Ding, aber genau das, was Megure die ganze Zeit schon vermutet hatte. Wataru sah ziemlich mitgenommen aus, weshalb er an ihn herantrat. „Machen Sie doch nicht so ein Gesicht; ich bezweifle, dass es sich um Ihren Vater handelt.“

„Das hoffe ich doch sehr, ich bin nicht scharf drauf, ihm zu begegnen, wir sollten trotzdem alle Sicherheitsvorkehrungen treffen, die möglich sind. Der Mann hasst Polizisten und ist dementsprechend brutal und grausam, wie Sie bereits wissen!“ Takagi wiederholte es immer wieder gerne, damit es ja niemand vergaß, er wollte nicht, dass seine Kollegen am Ende dran glauben mussten.

Wirklich vom Hocker reißen, konnte die Tatsache Heiji nicht, aber er war dementsprechend überrascht, Takagi so offen darüber sprechen zu hören, dass sein Vater ein Mörder war, der bisher nicht von der Polizei hatte geschnappt werden können. Es klang auch ein bisschen wie die Situation in Ōsaka, bis auf den kleinen, aber feinen Unterschied, dass es jetzt ruhig bei ihnen war, stattdessen hatte Tōkyō den ganzen Ärger am Hals. Da wunderte es eigentlich keinen mehr, dass ein Mann seiner Freundin hinterher reiste, um sie an Dummheiten zu hindern und auch zu beschützen. So ganz paradox wäre es nicht, würden sich die Täter aus Ōsaka als die gleichen entpuppen, die auch hier ihr Unwesen trieben.

Wataru wusste, dass sein Vater eine ganze Bande Verbrecher anführte und man zu ihm aufblickte, ihm half, wo man nur konnte – demnach würde alles ins Bild passen. Dass es mehrere waren… Nur Kriminalisten kamen zu Tode… Und den weiblichen Polizistinnen hatte man besonders viel Schmerz und Leid angetan; Tatsuji hätte ihm sicher Recht gegeben, dass es die Handschrift von Keichiro Takagi – nein Chardonnay – war.
 

Unterdessen hatte man Kazuha zu den Kudōs chauffiert, da sie unbedingt jemanden dort besuchen wollte. Die Mädchen machten sich sowieso gerade schick, da störte sie keinen, doch wusste sie von ihrem Glück noch nichts. Als ihr Sonoko öffnete, dachte sie schon, dass Ran sicher auch da sein würde, doch sie irrte sich. Stattdessen waren andere junge Frauen anwesend. „Hey, Kazuha – was für ein Zufall, komm doch rein! Meine Freundinnen sind gerade dabei uns richtig zu stylen, du hast sicher auch Lust, los komm rein!“ Sie zog Kazuha zur Tür herein, welche sie hinter sich schloss.

Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz guckte sich Sonoko perplex an. „Ihr stylt euch so richtig auf und dann geht ihr auf ‘ne Party?“

Die Hellbraunhaarige nickte begeistert und führte Kazuha zu den anderen.

„Oh, da kommt ja noch jemand… Ist das deine Freundin, Sonoko?“ wollte ein Mädchen mit braunen Locken wissen, sie sah um einiges älter als sie beide aus, was aber auch von ihrem aufwendigen Make-up kommen konnte. Sie war geschminkt, wie eine Erwachsene.

„Ran hat sie bei einem Ausflug nach Ōsaka kennen gelernt, sie ist die Freundin von Heiji Hattori!“

„Du meinst eine Freundin“, korrigierte die 20-jährige, welche sich als Shinichis Schwester Katsumi entpuppte. „Ich bin übrigens Katsumi Kudō – endlich lerne ich die kleine Kazu-chan auch mal kennen, Hei-chan hat so viel von dir erzählt“, meinte sie, was Kazuhas Augen schon zu Schlitzen verformte. Also doch – sie hatte es ja gewusst – Kudō war ein Mädchen und deswegen war er so oft in Tōkyō gewesen… Und was bildete die sich ein, von wegen eine Freundin, eine unwichtige Freundin, oder was wollte sie damit andeuten?
 

Katsumi (20) Kudō; Shinichis Adoptivschwester; Studentin an der Schauspielschule
 

Obwohl sie keine geborene Kudō war, trug sie die Haare wie ihre Adoptivmutter, dieselben Locken im Gesicht und an den Haarenden. Natürlich war sie eine angehende Schauspielerin, sie bewunderte ihre Mutter und wollte wie sie sein, weshalb sie sich aber auch für aufwendiges Make-up und Kleidung interessierte.

„Seine beste Freundin“, kam ein wenig patzig nun doch von Kazuha, immerhin ließ sie sich nicht sagen, sie sei eine unwichtige Person in Heijis Leben. Von so einer blöden, eingebildeten Kuh schon gar nicht, wie die schon rumlief und wie sie sie ansah… Der 20-jährigen war etwas zu Kopf gestiegen, wie Kazuha auch gleich bestätigt wurde.

„Hei-chan steht auf Schauspielerinnen und ich werde in naher Zukunft eine sein, ich werde berühmt sein wie meine Mutter, erst erobere ich Japan, dann Amerika und die ganze Welt!“

„Man, trägst du aber dick auf, Katsu“, erwiderte eine weitere Frau, noch älter als die 20-jährige, sie betrachtete sich das hübsche Mädchen. „Nette Anlagen, daraus kann ich sicher was zaubern“, ihr kritischer Blick lag auf Kazuha.

„Was, aus mir?“ Als wenn man da zaubern musste, sie fand ihr Outfit eigentlich ziemlich passend.
 

Aiko (25) Misae; Maskenbildnerin/Make-up-Artist/Stylistin
 

Die Kurzhaarige betrachtete ganz besonders Kazuhas Haare, die mit einer Schleife zu einem Pferdeschwanz gebunden waren. „Deine schönen Haare solltest du nicht vor anderen verstecken“, meinte sie bedauernd, „daraus lässt sich einiges machen! Du solltest deine Haare offen tragen, Kazuha-chan, das macht dich erwachsener, und das richtige Make-up macht dich zur Queen des Abends.“

„Hey, Momentchen mal, Aiko-san! ICH bin die Queen des Abends, fall mir doch nicht in den Rücken!”

„Eigentlich mag ich meine Frisur…“ entgegnete Kazuhas ein wenig beleidigt, sie trug sie seit Jahren so und wollte im Grunde nichts daran ändern.

„Heiji findet sie kindisch“, meinte Katsumi, „er steht auf lange Haare, so wie meine“, sie fuhr sich eingebildet durch ihre langen Haare und kostete Kazuha den letzten Nerv. Sie hatte ein Ego, das bis zum Mond reichte und fast hätte die Oberschülerin das auch gesagt.

„Aber keine Sorge, Kleine, ich bin nicht eifersüchtig, dass du so viel mit ihm zusammen bist, er ist ja schließlich nicht der einzige Kerl, der auf mich steht. Trotzdem kannst du ihn mit dieser Frisur wohl kaum für dich gewinnen, selbst wenn er nicht mit mir zusammen wäre!“

„Ärger dich nicht, die ist immer so, momentan hat sie ja auch gleich 3 Männer, die sich für sie interessieren, außerdem ist Heiji in der Hinsicht mehr ein kleines Kind für sie, die beiden anderen sind schon über 20 Jahre alt – aber wenn du bei Heiji landen willst, solltest du dir eine erwachsenere Frisur zulegen, Aiko weiß schon, was sie tut und ich sorge für die Klamotten.“ Die Rotblondhaarige zwinkerte der Schülerin zu, sie selbst trug ebenfalls teures Make-up und ihre Kleidung war vom Designer höchstpersönlich für sie angefertigt worden, was man deutlich sah. „Ich bin übrigens Shiori, eine Freundin von Aiko und Katsu“, meinte sie und wirkte schon wesentlich freundlicher als Katsumi es tat. Sie wollte nur die schönste und beste Frau sein und angeben, während sie sich auch mit Leuten anfreundete – und sie wusste, wer Kazuha war…
 

Shiori (22) Sawatari; Fotomodell
 

Die Rothaarige guckte gerade auf ihre teure Armbanduhr, da sie jemanden vermisste, als Kazuha Katsumi anfauchte, als hätte man ihr den Welpen genommen.

„Wie behandelste bitte Heiji? Haste sie noch alle?!“ Beinahe hätte sie ihr dafür eine Ohrfeige verpasst. Schlimm genug, dass er mit dieser Kuh zusammen war, aber wie sie über ihn redeten, sie dachte jeden Moment zu platzen. „Wie kannste mir ins Gesicht sagen, dassde ihn betrügst?!“ Und sie machte sich Gedanken, was ihm wohl an dieser Kudō gefiel, wahrscheinlich nichts weiter als ihr Aussehen, ihren Charakter konnte er unmöglich toll finden, da hätte sie ja nie eine Chance bei ihm gehabt – so ein Miststück.

„Reg dich ab – ich hatte sowieso vor, ihn zu verlassen“, kam gleichgültig von Katsumi, „ich habe mir eingebildet, er wäre schon ein Mann, aber es hat sich deutlich gezeigt, dass er fast zwei Jahre jünger ist als ich.“

Wie gefühllos sie klang, geradezu als sei ihr Heiji vollkommen egal. „Was haste mit ihm gemacht?!“ Kazuha war so außer sich, dass sie Katsumi anschrie, die konnte doch nicht mit ihm rummachen – sie befürchtete, dass sie das getan hatte - und ihn dann behandeln, als sei er Luft.

„Hey, ihr Zicken!“ mischte sich Sonoko ein und versuchte Kazuha zu beruhigen, da diese total auf Katsumi losging. „So was passiert eben, nicht aufregen, Kazuha! Außerdem kann dir das nur Recht sein, oder? Also, wenn die beiden sich offensichtlich trennen werden.“ Sie verhinderte, dass das Mädchen aus Kansai Katsumi noch eine klebte für ihre Frechheit, indem sie sie festhielt.

„Ich warte eigentlich nur noch, dass er sich mal erbarmt, mich anzurufen oder herzukommen, wobei es natürlich einfacher wäre, wenn er mich anruft.“

„Das wagste zu sagen? Ruf ihn doch selber an, Miststück!“ Die Tochter von Tōyama war kaum zu beruhigen, sie versuchte sich immer wieder von Sonoko loszureißen – wahrscheinlich hätte Ran genauso reagiert, wenn man Shinichi versuchte ihr wegzunehmen und ihn dann verließ, ohne dass es einem was ausmachte.

„Ach je, ihr seid vielleicht kindisch – es ist NUR ein Kerl, davon gibt’s noch mehrere auf der Welt, außerdem sollten wir uns sputen, wenn wir rechtzeitig bei der Halle sein wollen – und du Katsumi wolltest dich ja am Keyboarder versuchen. Und dass ihr mir ja den Sänger in Ruhe lasst, der gehört mir.“

Geschockt blickten Sonoko und Kazuha einander an, selbst Sonoko hatte keine Ahnung wovon sie sprachen. Dass sie sich wirklich auf die Bandmitglieder stürzen wollten, hatte sie bisher nicht mitgekriegt.

„Als du sagtest, dass du die Band kennst, hast du das am Ende wirklich ernst gemeint, Aiko?“

Shiori lachte, Aiko hatte es doch ständig mit solchen Typen, sie war eben Stylistin, was es ihr leicht machte, an sie heranzukommen. „Natürlich meinte sie das ernst, wir gehen natürlich auf die Aftershow-Party, das ist sowieso mit das Beste an einem solchen Konzert, natürlich nur, wenn man eingeladen ist – was denkst du, wieso wir uns schick machen?“

Ich und Shiori sind mit Juu befreundet, er freut sich sehr, mal ein paar neue Leute kennen zu lernen, du solltest es genießen, Sonoko, solch eine Gelegenheit kriegst du selten, vielleicht ist einer von den Jungs auch nicht abgeneigt, es mit dir zu versuchen.“

Sie bekam einen Schock – was zum Teufel meinte die denn mit versuchen?

‘Hoffentlich geht das gut… Ich glaube mehr und mehr, dass Ran nicht umsonst was gegen Aiko hat…’ Es war ja schön und gut, dass sie Kontakte zur Prominenz hatte, aber es gleich so breitzutreten, war alles andere als wirklich sympathisch. Wahrscheinlich mochten sie alle nur, weil sie eben diese Kontakte hatte.

„Wakana ist spät dran, dabei ist sie ja wohl der schlimmste Freak von uns“, meinte Shiori, als sie erneut auf die Uhr gesehen hatte und sich dann Sonoko und Kazuha zuwandte. „Na kommt, wir machen euch etwas schick und schminken euch, ihr werdet sehen, die Männer liegen euch zu Füßen – und Katsumi hat sicher nichts dagegen, dass du Heiji etwas anbaggerst, dazu brauchst du aber erst mal die richtigen Klamotten und ein bisschen Make-up, der wird Augen machen!“

„Ich will ihn gar nich’ anbaggern“, verteidigte sich Kazuha hochrot, doch wurde sie schon von Sonoko vorwärts geschoben.

„Die beiden können das wirklich gut, du wirst unglaublich aussehen und dann kannst du ins Präsidium fahren, dort wirst du sicher fündig, Heiji ist nämlich dort, habe ich von Ran gehört – sie wollte es noch Conan sagen, die beiden sind fast wie Brüder, aber der Kleine spielt gerade mit seinen gleichaltrigen Freunden!“

‘Ich würde mich schämen, mich aufzudonnern…’ Mit Sicherheit würde sie sich nie trauen, ihm in einem solchen Aufzug unter die Augen zu treten…
 

Der Boss verarbeitete gerade die Fakten, die über Hiroya Tokorozawa ermittelt worden waren; einige Dinge, die er erfahren hatte, bereiteten ihm noch Kopfschmerzen. Nicht nur, dass dieser Mann in halb Japan Freunde bei der Polizei hatte – das stufte er noch als harmlos ein – er kannte die Yasuakis und die Kanōs, zwei Familien, die in den Yakuza-Reihen sich einen Namen gemacht hatten. Und durch diese hatte er noch weiter reichende Verbündete im Untergrund, was dem Boss gar nicht passte. Um ihn zu kriegen, würden sie erst einmal einige Yakuza loswerden müssen. Es gab eben auch Dinge, die seine Leute nicht so witzig finden würden. Mit den Yakuza kamen sie ohnehin nicht so gut aus, sie waren ein Clan, der wie Pech und Schwefel zusammenhielt, was ihm noch nicht gelungen war. Seine Leute tanzten ab und zu noch immer aus der Reihe…

So eine hinterhältige Type, da musste er ja richtig aufpassen lassen, dass er nicht auch so wurde, wie einige, die er fast täglich bestrafen lassen musste, weil sie taten, was ihnen gefiel. Hiroya schien sich selbst irgendwo zu betrügen. Der Polizei traute er jedenfalls nicht, jetzt wusste der Boss leider auch, warum das so war. Wenn er Kontakt zu den Yakuza hatte, war eigentlich längst alles klar. Er hinterging seine eigenen Leute, mit anderen Worten: Er war ein Verräter und der Boss müsste nicht einmal fürchten, dass er bei der Polizei petzen würde. Er wusste so viel und doch hatte er seine Kollegen und Vorgesetzten niemals vor der Gefahr gewarnt. Aber es war ein Spiel mit dem Feuer, solche Aktionen fand der Boss seit eh und je spannend und aufregend, da er sich sowieso im Hintergrund hielt und das Ganze andere Leute bewerkstelligen ließ. Viel konnte ihm da ja nicht passieren. Wenn dabei einige seiner Leute draufgingen, war es ihm das wert.

Die besten Ideen, so wie jetzt, hatte der Boss beim Schach spielen, seine Schachzüge waren gut durchdacht und nur selten machte der mächtigste Mann in der Organisation einen Fehler. Nur ab und zu gingen bei seinen Aktionen die eigenen Leute drauf, was ihn nicht kümmerte, da er immer wieder Ersatz hatte. Menschen, die scheiterten, waren es ihm nicht wert. Es waren ja immer wieder welche da, die Versager ausmerzten, Leute wie sein Gin und Jami zum Beispiel.

Nur wenige waren so krank im Kopf, dass sie wagen würden, Yakuza zu ärgern, aber sie existierten. Doch selbst Gin dachte reiflich darüber nach, ob er einen Yakuza verärgern wollte, es kam ganz darauf an, wie mächtig sie wirklich waren. Je höher sie standen, umso gefährlicher war der Versuch sich in deren Angelegenheiten einzumischen. Es war eigentlich wie bei ihnen auch, ein falscher Fußtritt und es versaute einem zunächst das Leben, bis man die erlösende Strafe – den Tod – bekam.

„Ich glaube Carpano wird begeistert sein, wenn er erfährt, dass der Kerl Kontakt zu Yakuza hat“, meinte eine junge Frau, die gerade ein Glas Sekt mit ihm trank.

„Wir sagen es ihnen nicht, dass es Yakuza sind, ganz einfach, Schätzchen – sie sind unsere Untertanen, es geht sie nichts an“, kam aus einer dunklen Ecke, wo nur ein wenig Kerzenlicht flackerte, um ihm die Sicht auf sein Brettspiel zu ermöglichen. „Und Schachmatt!“ Er hatte noch nie gegen jemandem in diesem Spiel verloren – wie langweilig. Auch dieses Mal hatte er sein Opfer besiegt.

Man sagte ihnen, wen sie töten sollten und basta, ihre Vergangenheit hatte seine Leute nicht zu interessieren, es reichte, wenn er wusste, worauf er sich einließ. Und Fragen stellen war nur den wenigsten erlaubt. Er fand seine Bande viel besser als die der Yakuza, er würde sich jeder Zeit mit ihnen anlegen und ihnen so viele Leute schicken, wie ihm möglich war um dieses Pack loszuwerden. Meistens waren sie arme Leute, ohne Zukunft, ohne Zuhause, die versuchten zu überleben, die unterste Schicht der japanischen Menschheit; sie waren ihm zuwider, fast noch mehr als die Polizei. Dass sie es wagen würden, unter ihn zu kommen, hätte er nie zu glauben gewagt, aber dem war so. Er würde jeden von denen kreuzigen lassen, wenn sie es wagten, ihn auch nur ansatzweise zu hintergehen. Würde – als Beispiel – Saperavi auch nur in die Richtung eines Yakuza gucken, würde er den so körperlich züchtigen lassen, dass er es nicht noch einmal wagte…
 

Währendessen versorgte Shannen Jamie mit den neusten Informationen. Er hatte sie darum gebeten, sich schlau zu machen und ihm dann alles zu erzählen, da er das Krankenhaus noch lange nicht verlassen durfte. Sie hielt es für etwas früh, dass er sich den Kopf zerbrach, aber man konnte ihn eh nicht davon abhalten. Er wollte die bittere Wahrheit in all ihrer Grausamkeit und keine Märchen hören; nicht das, was er gerne gehört hätte; nicht das, was sie für schonend empfunden hätte.

„Man hat Johnny meinetwegen aus dem Weg geräumt, nicht wahr?“ Man merkte an seiner Art direkt zu fragen, dass er Detektiv war. „Am gleichen Tag, wie sie es mit mir vorhatte, ist es nicht so?!“

„Ja…“ Ihre Stimme klang bedrückt, sie glaubte nicht, dass sie Jamie hätte belügen können, dafür war er viel zu scharfsinnig.

Die unverschleierte Wahrheit, mehr wollte Jamie ja gar nicht, auch wenn er sie bereits zu kennen glaubte. „Er ist meinetwegen nach Japan gereist?“

„Ja…“

„Aber seiner Kollegin geht’s noch gut?“

„Ja“, Shannen seufzte, da er das noch geradezu teuflisch betonte. Es war nur natürlich, dass er vom Schlimmsten ausging, es wäre nahezu ein Wunder, würde man die Dame so davon kommen lassen, dafür hatten Valpolicella und der Boss viel zu großes Interesse daran, dass nicht zu viel über sie beide bekannt wurde – im Mordbefehle erteilen, waren sie schneller als jede Eisenbahn.

„Was hat man mit ihr vor?“ war keine verwunderliche Frage seinerseits, da er ohnehin wusste, dass sie auch in die Sache verwickelt war.

„Valpolicella übernimmt das – mehr weiß ich nicht“, es klang bedauernd, sie wusste sowieso, dass er es würde verhindern wollen, und wenn er sich selbst entließ, was sie aber niemals zulassen würde.

„Was zum Henker wissen die über uns, dass man so drastisch reagiert hat? Wusste Johnny von meinem Geheimnis?“ Er war ein totaler Schnüffler gewesen, der in den USA über ihn und seinen besten Freund recherchiert hatte, durch ihn waren sie in die bekannteste Zeitung gekommen – die New York Times.

„Die reine Vermutung, sie könnten mit dir unter einer Decke stecken, reicht schon!“

So etwas war sicher nicht das, was er hören wollte, aber er hatte sie ja förmlich angefleht, ehrlich zu sein, da hatte er nun den Salat.

„Dann sollte Cognac nicht wagen ums Krankenhaus herumzuschleichen, am besten vergisst er mich möglichst schnell und macht sich nichts draus, dass ich beinahe gestorben wäre. Es war dumm von ihm, herzukommen – ich hoffe, dass Vermouth wenigstens dazu was taugt, dass man ihn nicht auch noch wegen eines Verdachtes umbringt.“ Die bedrückte Stimmlage des Detektivs, der Menschenleben auf dem Gewissen hatte, klang im Raum wider. Er gab sich an allem die Schuld, auch wenn er es nicht selbst verschuldet hatte, sondern die Ranghöchste, die mal wieder übertrieben hatte in ihrer Vorsorge, dass sie auch ja unentdeckt blieben – wenn die wüsste, was so manchem über die Organisation bekannt war, hätte sie denen aber sehr wehgetan…

„Die interessiert sich doch am Ende eh nur für sich, ich bin nicht sicher, ob sie es schon mitbekommen hat, welch großen Groll Valpolicella gegenüber Cognac entwickelt hat – ich werde ihm gut zureden, damit er keinen Blödsinn macht, das verspreche ich dir.“ Sie lächelte Jamie an, was normalerweise eine ansteckende Wirkung auf den Blonden hatte, doch diesmal schien diese verfehlt. Er blickte noch immer total bekümmert drein, was sie dazu brachte, seinen Kopf gegen ihre Brust zu drücken. „Wird schon alles gut werden“, versuchte sie ihm Mut zu machen.
 

Es war wie ausgestorben, rund um das Haus hatte sich eine Aura der Einsamkeit ausgebreitet. Draußen mochte Trubel herrschen, doch das Mädchen bekam von all dem nichts mit. Jeder Laut wurde von ihr im Keim erstickt. Die Türen und Fenster waren fest verriegelt und ließen nichts in das Haus hineindringen. Obwohl es so ruhig war, wusste sie, dass die 17-jährige sich wieder im Zimmer eingesperrt hatte. Die Wohnung war viel zu groß für sie, natürlich fiel der Schülerin die Decke auf den Kopf. Die letzten sechs Jahre hatte sie hier mit ihrem Bruder alleine gewohnt, doch dieser war vor kurzem an einer Überdosis gestorben – wie konnte dieser Dreckskerl seiner kleinen Schwester so etwas bloß antun? Sie war nun ganz alleine – in einem riesigen Haus, das sie von ihren Eltern geerbt hatten.
 

Die Person mit ihrem schwarzen Minirock und dem im Gegenzug viel zu viel Haut bedeckenden Oberteil, klingelte, da sie sich langsam Sorgen machte. Ihre Freundin war laut Sonoko seit dem Tod ihres Bruders nicht zur Schule gekommen und hatte auch auf Anrufe nicht reagiert, also hatte sie heute früh schon bei ihr angerufen – mehrmals vergebens. Nun war sie hier, obwohl sie eine Verabredung mit Sonoko und den anderen hatte und war natürlich mittlerweile viel zu spät dran.
 

Wakana (20) Suzuki; Schülerin an der Musikhochschule
 

Nach fünf Mal Klingeln rührte sich noch immer nichts, andere Menschen wären nun gegangen, aber sie würde nicht aufgeben, sie wusste, dass sich diejenige nur tot stellte…

Wenig später konnte eine junge Frau im gegenüber liegenden Haus das Mädchen an der Dachröhre hochklettern sehen und bekam einen Schrecken – sofort griff sie zum Hörer und wollte die Polizei rufen…

Wakana hatte es bis zum Fenster des Zimmers ihrer Freundin geschafft und blickte hinein; sie lag auf dem Bett, sich nicht einmal bewegend. Die 20-jährige klopfte hart gegen das Fenster und hoffte, man reagierte auf sie.

„Miho, mach endlich auf, ich weiß, dass du da bist!“ Die aufsteigende Panik war kaum zu verhindern, sie lag dort wie tot… Welch grausames Verhalten, sie weiter auf die Folter zu spannen und sich nicht einmal zu rühren. Je länger sie ins Fenster reinguckte und dagegen hämmerte wie eine Irre, umso mehr hatte sie das böse Gefühl, dass sich das Mädchen nicht nur so tot stellte.

Mit mächtig klopfendem Herzen und zitternden Händen entschied sie etwas Verbotenes zu tun; ihrer Ansicht nach war dieses Verbot sowieso ein total bescheuertes, weshalb sie ausholte und mit dem Ellenbogen die Fensterscheibe kaputtschlug. Um sie herum flogen Splitter und sie wurde sogar von einem am Hals gestreift, was ihr eine klitzekleine Schramme beibrachte, bevor sie hineingriff und von innen das Fenster öffnete, um hineinsteigen zu können. Nun, da sie mehr sah, hatte sie ihre weibliche Intuition doch nicht getäuscht, wie sie leider befürchtete. „Miho! Sag was!“ Sie kletterte rein und stürzte zu dem Mädchen hin, auf den ersten Blick wirkte sie, als würde sie schlafen. Ihr Blick huschte zum Nachtisch – Schlaftabletten…

Nachdem sie ihren schwachen Puls gefühlt hatte, zückte sie ihr Handy und rief den Notarzt, den das Mädchen bitter nötig zu haben schien. Es waren zwei Päckchen…
 

Unterdessen betrachteten Aiko und Shiori ihr gemeinsames Werk – in ihrem Fall Kazuha – und waren mit sich mehr als zufrieden. „Also wäre ich Heiji, würde ich dich sofort abschleppen.“

„Seid doch nicht immer so drastisch!“ warf Sonoko auf Aikos Worte ein. „Also ich finde, dass es dir steht, egal was der Heinie dazu sagt! Der hat anscheinend eh keine Ahnung von dem, was er redet! Man muss schon sehr irre sein, um mit einem Kind über die Brüste von Chris Vineyard zu sprechen, das sind eh nur Sprüche, der würde sich im Leben nicht trauen, irgendetwas mit Kazuha anzufangen.“

„Ich lass mich doch von dem nich’ abschleppen!“ Kazuhas Gesicht färbte sich rot, als sie sich im Spiegel betrachtete, fiel ihr nur ein, dass man jemand völlig anderen aus ihr gemacht hatte, was aber jetzt nicht negativ gemeint war, sie hatten wirklich gezaubert, es war nicht so, dass sie sich gerade abstoßend fand.

„Na, was sagst du?“

„Nicht schlecht – aber so ungewohnt“, meinte sie und grinste im nächsten Moment ein wenig fies. ‘Damit kann man Heiji sicher ‘n bisschen erschrecken…’
 

Die Sirenen jaulten an diesem Abend ganz besonders laut – viele Menschen fragten sich, welche Tragödie sich nun wieder ereignet hatte. So oft hatte man sie in letzter Zeit in Tōkyō aufheulen hören, meistens waren schwere Unfälle der Fall gewesen.

Auch der junge Mann im Bett klammerte sich unweigerlich in seine Decke hinein. Eine Nacht wie vor kurzem, man hatte den Krankenwagen so deutlich gehört. Er wollte sie nicht mehr hören, sich nicht mehr daran erinnern, am liebsten hätte er all das vergessen, was in den letzten zwei Jahren in seinem Leben passiert war.
 

Eigentlich hatte man sie angerufen, um einen Raub zu melden. Bei den Kitamis, wo nur noch eine 17-jährige wohnte, würde eingebrochen werden. Wenn sich die Leute doch nur so sehr für dieses arme Mädchen interessiert hätten, statt für einen elenden Einbrecher. Wataru machte das furchtbar traurig, sie war so alleine, in einem riesigen Haus, ihre Verwandten scherten sich einen Dreck um sie, besuchten sie ja nicht einmal. Es war als sei sie alleine auf der Welt.

Wenig später, als er in der Nähe des Hauses sein Auto parkte, erkannte er das Gefährt eines Kollegen. Er hatte fast direkt vor dem Haus der Kitamis geparkt, was den Kriminalist doch nachdenklich stimmte.

In dem Moment, als er aus dem Auto stieg, sah er die junge, verängstigte Frau, die hinter ihrem Vorhang hervorlugte und ihn heimlich beobachtete. Watarus Blick zum Fenster verriet ihm, dass der Täter die Scheibe eingeschlagen hatte, trotzdem war es furchtbar ruhig. Zu ruhig, wenn man annahm, dass das Mädchen auch zu Hause war. Sich anschleichend, war die Tür nur angelehnt, weshalb er sie leise aufdrückte. ‚Eingeschlagenes Fenster und offene Tür, das passt gar nicht zusammen, seltsam.’ Er hörte nun Stimmen – zwei bekannte sogar und atmete auf – es schien kein Täter hier zu sein, weswegen er seine Knarre erst einmal wegsteckte.

Das was sie redeten, verstand er nur bedingt, nur Wortfetzen wurden an seine Sinne getragen.

~Sie lag schon so da~

~Die Sanitäter haben sie schon mitgenommen~

~Ich bin hier eingebrochen, werd ich nun bestraft?~

Wataru lief die Treppe hoch, er konnte sich denken, was vorgefallen war, anhand der Worte, wie er sie aufschnappen konnte. Als er die Tür öffnete, drehten sich beide herum, sahen die fragenden Augen des Mannes.

„Tamura, was machen Sie denn hier?“ Das interessierte ihn schon – und wo um Gottes Namen war Heiji nun schon wieder? Hatte er ihm nicht gesagt, er sollte auf ihn aufpassen?

„Ich hab ihn angerufen“, erwiderte die 20-jährige, welche einen besorgten Ausdruck im Gesicht hatte.

„Und Sie, Takagi?“

„Uns wurde ein Einbruch gemeldet, die Frau von gegenüber, Frau Tanekawa hat uns alarmiert, weil sie jemanden zum Fenster hinein steigen sah, ich nehm an, dass es Wakana-san war! Also, was ist hier vorgefallen?“ Es war außer Wakana Suzuki und Kei Tamura niemand anwesend.

„Ja, sie war es, sie hat das Fenster eingeschlagen, weil sie besorgt um ihre Freundin war, nicht ohne Grund, wie ich erfahren musste. Der Krankenwagen ist gerade weggefahren, als ich kam. Es sieht ganz so aus, als hätte sich Miho Kitami vorhin versucht das Leben zu nehmen, Takagi. Ich nehm an, sie hat den Tod ihres Bruders wohl nicht verkraftet.“

„Sie kam laut meiner Cousine nicht mehr zur Schule“, kam ganz geistesabwesend von der 20-jährigen, sie blickte auf den Boden, wirkte gedankenverloren. „Sie hat auch auf Anrufe nicht reagiert, ich habe zigmal hier angerufen, ohne Erfolg. Deswegen bin ich heute meiner Intuition gefolgt, ich hatte das Gefühl, dass sie Probleme hat, jemanden an sich heran zu lassen, seit ihr Bruder tot ist. Als ich zum Fenster hineinschaute und klopfte, sie aber nicht antwortete, da ergriff ich die Selbstinitiative und schlug das Fenster ein. Mir war egal, ob es ein Verbrechen ist. Wie wir erfahren mussten“, ihre Stimme wurde gegen Ende leise und brüchiger, bevor man die Tränen aus ihren Augen quellen sah, „nicht unbegründet“, und sie sich kurz darauf die Hand vor den Mund hielt, um sich zu beruhigen.

Kei blickte zu Wataru, eine stumme Botschaft. Er wusste genau, was sein Kollege dachte, ohne dass er es äußerte. Sie beide hatten eine Schwester und konnten diesen Kerl nicht verstehen, der sich und damit auch seiner Schwester das Leben versaut hatte.

„Beruhig dich, Wakana!“ meinte Kei und legte einen Arm um sie, sie hatte ihn nicht umsonst angerufen, weil es ihr zu viel gewesen war. Wenn das Mädchen überlebte, hatte sie aber einen großen Anteil daran, was er ihr auch sagen musste. „Es war geistesgegenwärtig von dir, die Scheibe einfach so einzuschlagen, das hätte nicht jeder gewagt. Nun trockne deine Tränen, bestimmt wird alles gut.“

Wataru kannte Wakana, aber bei weitem nicht so gut wie Kei es tat. Sie war eine enge Bekannte seiner Familie, er musste sie also besonders gut kennen, während Wataru sie von seiner Schwester kannte, da sie eine Weile zusammen in die selbe Schule gegangen und sogar fast gleich alt waren.

„Aber… wieso bin ich nicht eher… auf die Idee gekommen“, schluchzte sie, „herzukommen… Ich hätte sie davon abhalten können, überhaupt irgendwas zu nehmen! Ich wusste, dass sie labil ist und ohne ihren Bruder nicht kann, er ist doch das einzige, das sie hatte, seit dem Unfall ihres Vaters! Ihre Mutter hätte sich damals doch am liebsten einfach erhängt…“

„Sie hat es ihrer Tochter vorgelebt, das erinnert mich fast an unsere Mutter, wobei sie uns gezeigt hat, wie man sich von einem Mann abhängig macht, ich hoffe, Riina wird nicht genauso enden. Sie neigt auch dazu viel zu viel mitzumachen.“

Wataru musste natürlich gleich wieder seine privaten Sachen mitbringen, er sollte lernen seine Gefühle abzuschalten. „Kannst du aufhören, den Fall hier mit deiner Schwester zu verbinden, danke!“ Kei war nie sonderlich nett zu ihm, ob das nur an Miwako lag oder eher an Shiratori, war eigentlich egal – vielleicht konnte er seine Art auch einfach nicht ausstehen. Mittlerweile war es Wataru wirklich egal, was die anderen von ihm dachten, solange Miwako darauf nichts gab.
 

Es war schon dunkel, als der junge Polizist aus seinem Auto stieg, er trug eine Sonnenbrille, ebenso wie die Frau hinter und der jüngere Mann neben ihm. Dass sie zur Tarnung dienen sollten, bemerkte man an dem ebenso pechschwarzen Auto. Auf den ersten Blick wirkten sie verdächtig, dabei sollte genau das nicht so sein. Gut, es war mehr so, dass sie nicht erkannt werden wollten. In die Kreise, in welche sie verschwinden würden, passte es wie die Henne zum Ei. Um sie herum waren fast nur schwarze Autos, ihres fiel also überhaupt nicht auf. Auch als sie ausstiegen – Menschen in schwarzen Klamotten – passten sie hierher. Die schwarzhaarige Frau hatte ihre Haare über ihren Schultern hängen, die wenig Stoff aufwiesen. Es war eigentlich nicht ihre Art sich so zu geben, aber ihr Job an der Seite der beiden Männer war eindeutig weiblich. Sie wollte so passend aussehen, dass sie sogar ihre roten Haare verbarg. Während ihr Kollege auf sein grünes Hemd nicht hatte verzichten wollen, dieses aber weitest gehend unter seinem Jackett verbarg. „Wisst ihr wie heiß so ein Jackett ist? Ich werd gleich flüssig!“

„Benimm dich bitte! Die Person, die wir besuchen, ist aus gutem Hause und eine gewisse Klasse gewohnt, also stellt euch darauf ein.“

Was an diesem Treffen so wichtig war, wussten sie noch nicht, weswegen sie sich fragend ansahen und dann ihrem Boss folgten.

Das Haus war groß, angemessen für eine Frau wie diese. Zumindest wenn man wusste, welche Position sie in ihren Kreisen hatte, fand man das.

Sie klingelten und nicht gar die Hausherrin öffnete den Dreien, sondern ein Dienstbote.

„Sie wünschen?“

„Guten Abend, Hiroya Tokorozawa ist mein Name, die gnädige Frau erwartet mich. Ich habe allerdings noch zwei Freunde mitgebracht – ich bitte um Erlaubnis, dass sie mit eintreten dürfen.“

Wie er sich auf einmal ausdrückte, ließ nicht nur der weiblichen Begleitung eiskalten Schauer über den Rücken laufen, sondern auch dem Dunkelbraunhaarigen.

„Einen Augenblick bitte.“ Die Tür schloss sich wieder und man ließ sie zunächst stehen.

Man hörte von oben, wie ein Streit entbrannte und das Dienstmädchen einen regelrechten Anpfiff bekam, da sie es wagte Hiroya die Tür vor der Nase zuzumachen, sie wüsste doch längst, dass er ein und ausging. Mit gesenktem Haupt öffnete sie wenig später die riesige Tür und trat zur Seite. „Die gnädige Frau erwartet Sie, bitte treten Sie doch ein“, ihre Stimme war dünner und ehrfürchtiger geworden, man merkte, dass sie ausgeschimpft worden war.

Der große Eingangsbereich ließ nun Kotomi ein „Wow“ entfahren. „Muss Tantchen reich sein!“

„Sei still, Kotomi, so was sagt man nicht!“ belehrte sie nun Kazuo und hielt ihr den Mund zu. Wie konnte sie das Wort Tantchen wählen? Nur weil Hiroya sie so nannte, hieß das nicht, dass sie es hier tun sollte. Es stimmte zwar, dass Hiroya sie als seine Tante bezeichnete, aber verwandt waren sie nicht, das wäre ja noch schöner gewesen. Es war ihm nicht geheuer, was hier lief – der Name am Tor hatte ihn mit dem Gedanken spielen lassen, ganz schnell wieder abzuhauen. Es war für ihn in etwa das, was für Kinder das Haus einer Hexe wäre.

„Nun macht euch mal locker, sie ist eine total nette Frau! Nur nicht so steif, sie wird euch ja nicht fressen…“ Er begann zu lachen, weil er ihre Furcht lustig fand, sie war überhaupt nicht Furcht einflößend.

Er spürte Kotomis und Kazuos Atem in seinem Nacken, sie schnauften so heftig, dass er sich herum drehte. „Jetzt kriegt euch ein, sie ist wirklich nett…“

„Bitte hier entlang“, wies sie das Dienstmädchen an, die Treppe hinauf zu gehen, Kotomi musste sich den Nacken verrenken, um das Ende der Treppe zu entdecken, sie ging geradeaus nach oben, wie viele Stufen es wohl waren? Bestimmt hundert.

‚Wie viel von ihrem Vermögen wohl erschlichen ist? Kein normaler Mensch kann so luxuriös wohnen, ohne andere abzuzocken.’ Sie blickte zu Kazuo und hielt sich an seinem Arm fest, sie war froh, dass er bei ihr war, obwohl sie wenig später merkte, wie er zitterte. ‚Das beruhigt mich jetzt wirklich, dass er auch so viel Angst hat… Warum will er uns unbedingt dieser alten Frau vorstellen?’

Sie folgten ihrem Boss, was er sagte, war Gesetz für sie.

Man führte sie direkt zu der Hausherrin, welche in einem riesigen Zimmer ein Buch las, wie sie sehen konnten, als das Dienstmädchen gegen die Tür klopfte und wenig später ein „Herein“ ertönte und sie die Tür öffnete.

„Tokorozawa-san, Gnädige Frau!“ Sie verbeugte sich tief und ließ sich die Angst vor ihrer Macht nicht anmerken, bevor sie dem Genannten den Weg frei machte.

„Hallo Kioko – es ist eine Ewigkeit her, dass wir uns gesehen haben.“

Überrascht über seine Wortwahl blinzelten Kazuo und Kotomi ein paar Mal. Nicht nur, dass er sie beim Vornamen nannte, er sprach mit ihr, wie mit jedem anderen normalen Menschen auch, sie hatten anderes erwartet.

„Hallo Hiroya, freut mich sehr, dich zu sehen.“ Sie legte augenblicklich ihr Buch weg. Ihr Schmuck musste einige Millionen Yen kosten und ließ vor allem Kotomis Augen glänzen. Man sah ihr sämtlichen Reichtum an, nicht nur das Haus war eine Villa schlechthin, auch ihre Kleidung war aus reiner Seide und ihr Schmuck, der Teuerste, den sie je gesehen hatte.

Dass die beiden sich sehr vertraut waren, wurde beiden ein weiteres Mal bestätigt, als sie sich in die Arme schlossen, sie hatten Hiroya nie so erlebt, mit keiner Person, schon gar nicht mit seinen Eltern. Trotzdem fehlte hier irgendwas – die Frau schien ganz alleine hier zu wohnen, zumindest wirkte es so, man hörte nirgendwo andere Personen. Und kein Mann bisher war ihnen begegnet.

„Ich habe auch gleich zwei sehr enge Freunde mitgebracht, auf sie kann ich mich verlassen.“ Er drehte sich leicht zu beiden, die wie angewurzelt stehen geblieben waren und wie gebannt alles verfolgten, als sei es die größte Sensation. „Jetzt steht hier nicht wie die Ölgötzen! Kommt her und sagt Kioko guten Abend, ihr habt vielleicht Manieren!“

Erschrocken verbeugten sich beide, es ertönte ein „Konban wa“ im Chor, weshalb die alte Frau zu lachen begann. „Jag den Kindern doch nicht so einen Schreck ein, lieber Hiroya.“

‚Lieber Hiroya??’

„Ja und jetzt kommt endlich her, also wirklich, ihr benehmt euch wie die allerersten Menschen!“

Doch etwas eingeschüchtert schritten sie an beide heran.

„Ist das Naru-chan?“

„Ähm…“ Hiroya seufzte und wich ihrem Blick aus.

„Was, etwa nicht? Und wann willst du mir deine zukünftige Frau bitte vorstellen?“

„Ich glaube, das ist das falsche Thema…“

„Kazuo!“ Kotomi konnte nicht glauben, dass er das gesagt hatte, es war ja wie wenn er ihr das Thema vorschreiben wollte.

„Ach schon gut – sagen wir doch so, so bald wirst du sie nicht kennen lernen, Kioko, wir hatten nämlich einen großen Streit, aber das ist eine andere Geschichte, ich wollte eigentlich was nettes essen, ich weiß doch wie hervorragend euer Küchenchef ist.“

„Du weichst mir aus – was ist passiert?“ Sein Wohl lag ihr sehr am Herzen, wie man eindeutig hörte und auch spürte.

Wie ausgerechnet der Sohn des Polizeichefs von Kyoto an so eine Freundschaft kommen konnte, fiel ihnen nicht ein.

„Ach…es ist… nur mal wieder Kenichi Ashida.“

Seine Worte zogen beiden förmlich die Schuhe aus. Was war das für eine Frau, der Hiroya sogar diese Sorgen anvertraut hatte? Ausgerechnet einer wie ihr, einer Frau, die skrupellos andere ausbeutete, das lag doch wohl auf der Hand?!

„So eine Frau, die diesem Scharlatan hinterher läuft ist sowieso nicht die richtige Frau für dich!“ versuchte sie ihn aufzuheitern, was er natürlich sofort berichtigen musste.

„Nein, nein, Naru ist nicht so, sie ist noch nie auf ihn geflogen, auch wenn er es bei ihr versucht hat, sie hat mich nicht mit ihm betrogen, sie nicht…“ Stattdessen hatte sie ihn mit einem anderen betrogen, ein Seitensprung mit Kenichi hätte er wohl auch kaum überlebt.

„Was ist es dann? Du hast so offen erwähnt, dass es an ihm liegt.“

„Ach, der Kerl kann es nicht ertragen, dass sie nicht auf ihn hereinfällt, er befürchtet, dass er noch weiter geht, um seine Ziele zu erreichen… Dass er sie vergewaltigt, schwängert und sie mittels des Kindes an sich bindet zum Beispiel – oder er sie einfach kurz und schmerzlos ermordet, nur damit es ihm schlecht geht.“

„Musst du das so sagen, Kazu?“ seufzte Hiroya, es war wie seine Gedanken bloßlegen. Was aber eigentlich sowieso egal war, da sie seine Gedanken meistens erkannte und ihm dann versuchte zu helfen, er musste nur aufpassen, dass ihre Art zu helfen nicht zu weit ging. Sie hatte ihm ja schon einmal aus der Patsche geholfen, das würde er bestimmt niemals vergessen.

„Ich bin dir sehr dankbar, wie lautet dein Name?“ fragte sie den Dunkelbraunhaarigen, da sie sich noch nicht persönlich vorgestellt hatten.

„Ähm… mein Name ist Kazuo Takanami“, er hatte für einen Moment darüber nachgedacht, ob er seinen richtigen Namen sagen sollte, doch er entschied sich dafür, es bei einem Geheimnis zu belassen. „Und meine Begleitung ist Kotomi Okamoto!“

„Oh Okamoto…Du bist durch die Heirat deiner Tante mit den Kanōs verwandt, das ist wirklich interessant.“

„Was daran soll interessant sein? Außer, dass die Kanōs eine Verbrecherfamilie sind?“

„Bitte nicht – bitte fangt nicht dieses Thema an, das führt nur zu Streit. Weißt du, Kioko, Kotomi studiert Kriminologie und will nichts mit den Verbrechen ihrer Familie zu tun haben. Bitte sei ihr deswegen nicht böse. Ihr Onkel ist nicht gerade ein Held sozusagen, sein Bruder allerdings noch weniger. Lasst uns das Thema wechseln, zum Beispiel dazu, dass Kazuo natürlich nicht sein richtiger Name ist. Du weißt doch, er hat auch Probleme mit der Schwarzen Organisation. Er ist Kōji Miura.“

‚Vielen Dank, dass du es rumerzählst… Ich traue ihr nicht! Sie ist zu 99% keine unschuldige Person, ich würde es auf das Grab meiner Mutter schwören.’

„Kōji Miura? Der Detektiv? Ich habe schon viel von dir gehört, mein Junge – du bist viel rumgekommen. Man erzählt von einem Detektiv, der von einem Ort zum anderen reist, um die Polizei zu unterstützen. Und dass er der Rivale von Ryochi Akaja ist.“

„Oh, DER RIVALE!“ Ein Grinsen breitete sich auf Kōjis Gesicht auf, er wusste noch gar nicht, dass er als DER EINZIGE RIVALE von Akaja galt, das machte ihn ja richtig stolz. Auch Hiroya musste grinsen, er hatte Ryochi schon seit einiger Zeit gefressen – der Kerl mischte sich in Dinge ein, die ihn nichts angingen. „Ach, dieser Angeber kann es nicht mit dir aufnehmen, Kōji!“ Es musste raus, da er es sowieso dachte. „Er ist nur das Söhnchen des Polizeipräsidenten, nicht mehr!“

„Das könnte man bei dir auch sagen“, neckte Kotomi ihn, immerhin hatte er auch die Bürde aufgelastet bekommen, dass sein Vater der Polizeipräsident war und ihm deswegen alles in den Schoß fiel.

„Da täuschst du dich, sein Vater sieht ihn als seine Marionette an, die zu tun hat, was man ihm sagt. Einen eigenen Willen hat er ihm nie erlaubt. Seinen Trotzkopf hat man ihm schon früh ausgetrieben, was ich schade finde, da seine Begabung eindeutig der Kunst gehört.“

„Bitte, Kioko, sprich nicht darüber, ich bin lange darüber hinweg, ich finde es auch viel wichtiger Menschen zu helfen, als etwas zu tun, was wirklich Spaß macht. Leider ist die Polizei total unfähig, ich kann mich nur auf meine Leute verlassen.“ Er meinte natürlich niemand anderen als Kōji, Kotomi und Tomoko, wobei er diese besonders ins Herz geschlossen hatte.

„Die Polizei ist in vielerlei Hinsicht unfähig, Hiroya – die Yakuza musste ihnen schon so oft unter die Arme greifen.“

„Stimmt! Weil Kenichis Familie so unfähig war, ist er einer der am meisten gefürchteten Mörder Japans geworden. Weil sein Vater ihm nicht helfen konnte, musste seine ältere Schwester eingreifen und ihr Leben lassen“, es standen Tränen in Hiroyas Augen, was ihm einfach selten passierte, aber auch daran lag, dass sie eine Freundin seiner älteren Schwester gewesen war, die auf ähnliche Weise ums Leben gekommen war. „Sie war eine bewundernswerte Frau, so wie meine Schwester, es fehlte ihnen einfach der Mann, der sie beschützte. Ich hatte mehr Glück als er, was ich dir zu verdanken habe, Kioko, ich werde es niemals vergessen, immer werde ich in deiner Schuld stehen. Dir und deiner Familie, die auf mich aufpasste, als meine Eltern nie Zeit für mich hatten.“

Allmählich kam Licht ins Dunkel. Daher rührte also diese Freundschaft, sie hatte Hiroya gerettet, wahrscheinlich war es damals gewesen, als man die beiden Kinder versucht hatte, von den Eltern zu trennen. Bei einem waren sie erfolgreich, beim anderen nicht.

„Was ist dir eigentlich widerfahren, dass du deinen Namen geändert hast, Kōji Miura? Welche Probleme hattest du mit der Organisation?“ Kioko interessierte sich sehr für Hiroyas Freunde, all jene, die ihm böses wollten, waren ihre Feinde, der größte Abschaum war jedoch Kenichi, aber das war in ihren Reihen bereits bekannt, weswegen dieser auch immer wieder Ärger mit ihnen hatte.

„Meine Freundin saß mittendrin im Pulverfass und einer meiner Verwandten meinte, er muss sie abknallen…“ Dass er sich hatte rächen wollen, klang durch die lange Pause durch, auch ohne dass er es sagte, seine Gesichtszüge sprachen Bände.

‚Warum trauerst du immer noch um sie? Sie hat sich deinem Cousin an den Hals geworfen… Diese Hure, zum Glück ist sie tot! Bestimmt ist Shina ihretwegen in Schwierigkeiten geraten…’ Sie zeigte ihre Eifersucht nicht, doch sie bestand noch intensiver als zu Schulzeiten, sie hatte Akemi sowieso immer als Störfaktor angesehen, sowohl bei Shina, als auch bei Kōji.

„Das tut mir Leid für dich. Hast du viele Freunde?“

„Momentan nicht – nur Hiroya, Tomoko Minazuki und Kotomi. Shina Kudō ist seit einiger Zeit verschwunden, mit ihr bin ich eigentlich auch gut befreundet. Akemi und sie hatten ständig Ärger mit dem Kerl, der Akemi dann auch ermordet hat. Er ist ein blutrünstiges Monster, der Frauen als schwach ansieht, es machte ihm die größte Freude eine Frau wie Akemi eine war, zu erschießen, Akemi war eine sehr toughe Frau, Shina ist Akemi in dem Punkt sehr ähnlich. Für eine Frau hat sie sehr viel Kraft, ich mag solche Frauen.“ Noch weniger verstand er, wie eine so tolle Frau mit einem Idioten wie Akaja verlobt sein konnte, er war ein totaler Weichling, dabei hatten sie das gleiche Sternzeichen, er konnte den Typen einfach nicht verstehen, wie man so drauf sein konnte. Shina hier, Shina da – dabei bemerkte Kōji gar nicht, dass Kotomi schon schlechte Laune bekam, weil sein letzter Satz so viel Akemi beinhaltete, dass es schon beängstigend war, wie oft er ihren Namen gesagt hatte.

Dass Kōjis Blickfang, nun da Akemi nicht mehr lebte, Shina war, wusste Kotomi leider noch nicht. Nur in Akajas Träumen würde er Shina heiraten, wenn er es auch verhindern konnte. Er würde ihr schon klar machen, dass Ryochi nicht der richtige Mann für sie war. Nur sie war ein würdiger Ersatz für Akemi, keine sonst. Sie hätten nicht umsonst Zwillinge sein können, zumindest von ihrer Art. Bis auf die Tatsache, dass Shina etwas gegen seinen Cousin hatte. Er träumte ja noch davon, dass Akemis Seitensprung damit zu tun hatte, dass Shina so eine schlechte Meinung von Shūichi hatte. Er dachte sowieso, dass Akemi ihr davon erzählt hatte, mit wem sie da anbändelte, Shina hatte immer gewusst, was in ihrer Freundin vor sich ging.

„Dann solltest du besser nicht auf die Idee kommen, alleine etwas gegen diesen Mann zu unternehmen. Die Mitglieder dieser Organisation sind… mhm wie soll ich sagen? Sie neigen dazu, alles zu schaffen, wenn man keinen hat, der einem den Rücken stärkt. Ich bin froh, dass Hiroya Freunde hat, auf die er sich verlassen kann. Wäre er auch so alleine wie der Cousin meines Enkels, das möchte ich mir nicht vorstellen, schrecklich!“ Sie hielt sich nun den Kopf, als würden sie fürchterliche Gedanken quälen, Gedanken daran, wie es wäre, wenn Hiroya nicht mehr da wäre, keiner würde sie mehr besuchen. „Passt mir nur gut auf ihn auf, er ist ein Hitzkopf und lehnt sich gerne zu weit aus dem Fenster.“ Wie oft schon hatten ihre Leute Killer aus der Organisation, die etwas gegen Hiroya hatten, beseitigen müssen, damit sie sich nicht an ihm vergriffen? Sie wollte die Taten gar nicht zählen. Er war fast so etwas wie ihr Sohn und in ihren Kreisen war es normal andere auf eine solche Weise zu beschützen.

„Keine Sorge – ich bin nicht so dumm, mich alleine an denen zu versuchen! Ich bin auch kein Freund von Waffen. Dass Hiroya mich mal wieder beschützen muss, ist nahe liegender, als dass ich auf ihn aufpasse.“ Er schloss die Augen, schon seit Jahren beschützte man ihn, er musste ihnen wirklich dankbar sein, dass sie sich so sehr für ihn interessierten, um sich mit der Organisation seinetwegen anzulegen. Doch, obwohl sich Shūichi so sehr bemüht hatte, auf Kōji aufzupassen, hatte er es am Ende nicht geschafft. Wie auch, wenn seine Gedanken bei Jodie waren und er erstmal sie retten musste. Da war Kōji gefundenes Fressen für Gin; der Mann musste Hiroya entsetzlich hassen dafür, von ihm angeschossen worden zu sein. Als Kōji nämlich mit dem Rücken zur Wand stand, war niemand außer Kotomi da gewesen, die natürlich gegen Gin nichts ausrichten hatte können, war er auf einmal aufgetaucht und hatte Gin schöne Grüße von Shūichi ausgerichtet, die in einem halben Blutbad geendet hatten. Auch Hiroya war aus diesem Gefecht nicht unbeschadet entkommen. Dass er es trotzdem getan hatte, obwohl es so schlecht für ihn ausgesehen hatte, rechnete er ihm hoch an. Kōji war schwer verletzt worden, da er als Mann natürlich Kotomi beschützen musste, und im Krankenhaus offiziell verstorben; danach war er bei Hiroya geblieben, er schuldete ihm schließlich etwas für sein Leben. Da er wenig zu verlieren hatte, hatte er sich entschlossen, es ihm irgendwann zurückzugeben, irgendwann wenn er mit dem Rücken zur Wand stand, würde Kōji ihn auch retten – und wenn es ihn das Leben kosten sollte…

Ein weiterer Grund war auch Tomoko, bei ihr war er doch überrascht gewesen, sie wieder zu sehen, nachdem sie auf Nimmer Wiedersehen verschwunden war. Es lag irgendwie auf der Hand, dass es sich um einen Fall mit der Organisation handelte, das tat es bei Detektiven fast immer. Es war geradezu ein riesiges Wunder, dass sie Hiroya nicht erneut versucht hatten, zu kriegen…

Natürlich hatte Hiroya gleich sie beide bei sich behalten. Kotomi war seiner Meinung nach denen ohnehin ausgeliefert, sie musste untertauchen, was ihr aber Recht war, da sie so mit Kōji zusammenwohnen konnte.

„Der Cousin Ihres Enkels, ist das zufällig Saki Niizas Bruder?“ Kōji fragte es so unscheinbar, dass man keine Fangfrage dahinter vermutete, es war die Frage eines Detektivs.

„Yoshio Okita, ja!“

„Oh, sorry – mir kommen die Tränen! Dass er tot ist, ist das Beste, was Saki passieren konnte.“ Er dachte, dass es ihm gleich hoch kommt. Kōji war ein Mensch, der stets seine Meinung sagte, auch wenn diese Frau hier viel Macht genoss, würde er nicht davon ablassen. „Okita war ein Schwein, keine Ahnung, wie sein Vater war, aber der Mistkerl hat es verdient, tot zu sein. Bestimmt hat er sich auch zu weit aus dem Fenster gelehnt.“

„Yoshio war ein guter Junge, seine Schwester nur nicht ganz normal“, meinte sie ihm widersprechen zu müssen, was Hiroya gar nicht gut fand, dass ihre Meinungen so weit auseinander drifteten, er wusste auch, was sie gegen Saki auszusetzen hatte, zumindest glaubte er es. „Sie hat ihm doch hemmungslos den Kopf verdreht. Vergiss nicht, Hiroya, auch mit dir hat sie geflirtet, bis sie dann an Kenichi geraten ist…“ Sie hatte es sehr darauf abgesehen, dass Hiroya Saki ja nicht zu sehr mochte.

„Bitte lass das! Sie ist kein schlechter Mensch, sie hat sich eben in ihn verliebt, er kann ja auch ein total netter Mensch sein, scheinbar.“

Kōji fühlte sich fast ausgeschlossen, da sie nun diskutierten, wollte er sich nicht noch einmal einmischen, er sah schon, dass es keine Diskussion für sie gab, aber er kam noch nicht darauf, dass Saki so richtig mit Hiroya angebändelt hatte.

„Du findest immer Entschuldigungen für das Verhalten solcher Frauen – nicht nur, dass sie versucht hat, dich deiner damaligen Freundin auszuspannen, ihr war jedes Mittel Recht. Sie hat versucht einen Keil zwischen euch zu treiben, nur um dann mit diesem Halunken ins Bett zu hüpfen. Sie hat sich gegen dich verschworen, sie ist auf seine Seite übergelaufen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie es gewesen wäre, die ihm erzählt hat, mit wem du liiert bist.“

Kotomi schwieg, während Kōji total geschockt von dieser Geschichte war. „Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun, ich bin ein Mensch, der andere für unschuldig hält, bis die Schuld klar erwiesen ist.“

„Unschuldig? Reden wir auch von derselben Saki? Sie war auch mit einem meiner Enkelkinder zusammen. Sieh sie dir heute an! Wohnt in einem halben Schloss und hat nichts dafür getan.“

‚Mit anderen Worten, sie hat rumgehurt!’ Kotomi wurde sowieso immer schlecht, wenn sie daran dachte, dass ihre Cousine und Saki mal eine Nacht mit Toshizo und Takahashi verbracht hatten – gemeinsam, das war widerlich. Seitdem stand sie im Clinch mit ihrer Cousine, da sie Takahashi ja angeblich total hasste… Sie hatte aus Prinzip etwas gegen Kerle, wie ihn, zumal er Shina besitzen wollte, gegen ihren Willen.

„Ich will nicht über seine Exfrau reden, bitte, danke“, meinte Hiroya, diese alten Geschichten aufzuwärmen, fand er unpassend, außerdem bekam er dann nur wieder das Hirngespinst, dass es besser gewesen wäre, Saki festzuhalten, statt zuzulassen, dass sie mit diesem Kerl etwas anfing. Dass sie jetzt in ihrem riesigen Haus versauerte, war nur Jamis Schuld. Sie war nicht ganz darüber hinweg gekommen, was er getan hatte.
 

Trotz der etwas unschönen Themen wurde es noch ein relativ schöner Abend, das Essen war gut, sie unterhielten sich über Dinge, die nichts mit der Organisation zu tun hatten, aber wie Kioko Yasuaki Hiroya damals gerettet hatte, darüber fiel kein Wort mehr, obwohl es Kōji sehr interessiert hätte, was sie gemacht hatte, um ihm zu helfen.

Sie saßen eine Stunde beisammen und gingen dann auch wieder, im Grunde war Kōji froh, als sie dieses Haus wieder verlassen hatten. Sie hatte mit Sicherheit unzählbare Leichen im Keller, von denen sie nichts ahnten.

Im Auto kam dann jedoch die erwartete Frage von Kōji, sie waren kaum eingestiegen: „Nun sag, was hat sie getan, um dir zu helfen?! Das interessiert mich jetzt wirklich, du scheinst ja ihr Liebling schlechthin zu sein… Außerdem ist es nicht normal, dass der Sohn eines Polizeikerls von Yakuza gerettet wird… Das ist sehr merkwürdig, es ist doch bekannt, dass die Yakuza die Polizei nicht abkönnen… Und dieses geschwollene Reden, mannoman, das war vielleicht anstrengend…“ Er öffnete sich das Jackett und warf es hinter sich auf den Sitz, woraufhin Kotomi es fein säuberlich zusammenlegte.

„Ach, halt den Rand! Sie ist eine nette Frau, das sagte ich bereits! Und lass bloß diese Yakuza-Vorurteile weg, ok? Die musste ich von meinem Vater früher immer anhören… Und das obwohl er seine Tochter mit dem Enkel einer Yakuza-Frau verheiraten wollte. Das war plötzlich okay, sie waren auf einmal Partner… Ich brech gleich!“ Natürlich hatte sein Vater einen Vorteil daraus geschlagen.

„Das beantwortet meine Frage leider nicht! Also, was hat die TANTE gemacht?!“ Wie schlimm war es wohl gewesen, er würde wieder auf das Grab seiner Mutter wetten, dass es übel gewesen sein musste, dass Hiroya die Sache unter den Tisch kehren wollte.

„Ich dachte, du wärst anders als die 0815-Leute, die jedes Klischee glauben und alles verallgemeinern. Ich weiß, dass sie ein Yakuza ist, sie ist sogar eine in diesen Kreisen hoch angesehene Frau – ihr Mann ist der Boss von vielen anderen Clans! Sie ist wie eine Hoheit für sie…“ Ein Seufzen kam von ihm, natürlich redete er nicht gerne darüber, das trübte das Bild, welches er von ihr hatte vermitteln wollen unweigerlich. Sie war kein Engel, eigentlich war Kioko alles andere als das. Wie denn auch, wenn sie mit einem mächtigen Yakuza verheiratet war? Das färbte nun einmal ab.

„Kioko ist viel alleine, ihre Kinder sieht sie selten, denn die meisten wollen mit den Machenschaften ihrer Eltern nicht viel zu tun haben, um nicht zu sagen, gar nichts, sie hassen es, in einer Yakuza-Familie geboren zu sein und vertuschen es, wo sie nur können. Einer ihrer Enkel ist Mitglied der Organisation, sie weiß nichts davon, was ich auch als gut empfinde, solange er nicht auf die Schnapsidee kommt, ihrer Familie was zu tun… Er ist durchgeknallt, mehr als so mancher Verbrecher unseres Landes, er spielt mit Messern und hat seine eigene Frau getötet, er ist eigentlich genauso schlimm wie Jami, nur dass er es alleine geschafft hat! So einer ist-!“

„Du driftest ab, Hiroya! Komm jetzt zum Punkt! Dass Yasuaki einen Schaden hat, wissen wir beide schon gut genug!“ Er fand es nicht witzig, wie wütend Hiroya nun wirkte, er wurde ja richtig laut. Dass sie ihn gerettet hatte, trübte seinen Verstand, da war er sicher.

„Ich war knapp 12 und eine leichte Beute für diese Kerle. Aber ich habe es geschafft, ihnen zu entwischen. Da ich aber nicht so schnell laufen konnte, wie sie, hatten sie mich bald. Es gab keinen Ausweg, und da sie mich gegen meinen Willen mitnehmen wollten und nicht mit sich reden ließen…“, sein Kopf sank auf das Lenkrad, er konnte es kaum aussprechen, „hat Kioko alle 5 Männer erschossen. Einen nach dem anderen…“

Es überraschte keinen von beiden, dass es sich so abgespielt hatte, man sagte über Yakuza, dass sie keine Skrupel kannten, aber warum sie es getan hatte, war ihnen noch schleierhaft.

„Bleibt nur die Frage, warum sie es getan hat.“

„Vielleicht hatte sie einfach etwas dagegen, wenn man kleine Kinder entführt, oder es reichte die Tatsache, dass die Yakuza und die Organisation nicht gerade befreundet sind, in den meisten Fällen jedenfalls können sie nichts miteinander anfangen.“

„Dass du sie so sehr magst, liegt doch nicht etwa daran, dass sie etwas gegen die Organisation hat, oder? Mensch, Hiroya, das macht sie auch nicht zu einem guten Menschen! Sie hat Leute abgeknallt, geht das in deinen Schädel rein??“ Kōji war stinksauer, er hatte Prinzipien, das schloss aus, dass er einfach so eine Mörderin mögen konnte. Nicht einfach so…

„Natürlich nicht, was denkst du denn von mir? Sie war immer so nett zu mir… Wenn ich Probleme hatte, konnte ich zu ihr gehen. Wenn meine Eltern mich wegschickten, bin ich zu ihr gegangen, sie hatte immer Zeit für mich. Sie ist mehr eine Mutter für mich, als meine eigene, zumindest gab sie mir das Gefühl, es sei so… Sie tut alles für mich. Nicht, dass ich begeistert davon bin, zu wissen, dass sie jederzeit wieder für mich töten würde, oder ihre Leute schicken würde, dass sie mir helfen… Aber es ist eben eine Tatsache. Ohne sie wäre ich jetzt wahrscheinlich wie Jami oder bereits tot, weil ich nie so grausam sein könnte, wie er zu handeln… Wer weiß schon, was geschehen wäre…“

„Ich glaub’s nicht, es verschlägt mir doch echt die Sprache…“ Kōji ließ sich in den Sitz fallen, er musste sich gleich noch einmal etwas das Hemd öffnen. Er wusste nicht, ob er es so prickelnd gefunden hätte, wäre Shūichi auch so gewesen und hätte einfach so Leute umgebracht, in der Regel brachten die sich ja selber um, wenn er sie bewegungsunfähig gemacht hatte, oder Dergleichen.

„Was verschlägt dir die Sprache? Dass ich ihr für meine Rettung dankbar bin?! Na komm, ich bezweifle, dass sie es mit gutem Zureden geschafft hätte. Die Kerle waren das Schlimmste, sie hätten sie umgebracht, hätte sie die nicht gleich erschossen. In dem Fall war es so.“ Obwohl er wusste, wie grausam sie sein konnten, war es ihm oft noch unmöglich zu erkennen, warum manche Leute aus der Organisation einfach töten mussten. Menschen wie Cognac oder Chardonel. Wenn er nicht direkt darin verwickelt war, erkannte er diese simple Tatsache nicht, oder er wollte sie einfach nicht sehen.

Es kam ihm gerade Recht, dass sein Handy klingelte und er noch einmal aus dem Auto aussteigen konnte. So entkam er der Situation, sie verstanden ja sowieso nicht, was ihn bewegte, in dem Fall konnte Kōji ihn nicht verstehen, er spürte das und verschleiern tat er es ja sowieso nicht wirklich. Er legte viel zu offen dar, dass er es falsch fand, wahrscheinlich waren sie jetzt enttäuscht von ihm – in ihren Augen hatte er sich auch mit den Verbrechern verbündet, dabei war dem gar nicht so. Sie half ihm automatisch, da musste er nicht drum bitten.

Kotomi und Kōji beobachteten, wie Hiroya ausstieg – es hatte etwas von Heimlichtuerei, es gab also etwas, was er vor ihnen vertuschte. Dabei hatte er vorhin noch gemeint, sie seien die einzigen, denen er wirklich vertrauen konnte…

„Was ist?“ Sie bemerkte, wie er versuchte zu lauschen, da er besonders still war.

„Psst… mach mal das Fenster einen Spalt auf, will wissen, was er da Geheimes zu bereden hat.“

„Das gehört sich nicht, Kazuo“, meinte Kotomi, doch er schien es ernst zu meinen. Da sie ihm kaum einen Wunsch abschlagen konnte, öffnete sie das Fenster, es war nur ein klitzekleiner Spalt, aber sie konnten seine Stimme hören.

„Schön, dass du anrufst, das wollte ich nachher eh tun. Es ist noch so früh und ich will noch nicht ins Bett gehen. Wollen wir zusammen was trinken gehen? Würd mich freuen… Was, die Idee hattest du auch? Das trifft sich ja gut – wo treffen wir uns?!“

Es war ein Wortwechsel, den er auch im Auto hätte führen können, jedenfalls nichts so furchtbar Weltbewegendes, um auszusteigen. Da blieb natürlich die Frage übrig, mit wem er da so telefonierte, auf den ersten Ton klang es nach einem guten Kumpel, aber sie beide befürchteten wohl, dass er sich mit irgendeiner Frau treffen wollte, wovon sie natürlich nichts mitkriegen sollten – aber warum? Was war das bitte für eine Frau, dass es ihm peinlich ihnen gegenüber war? Vielleicht wollte er auch einfach den Eindruck erwecken, er wäre stark und könnte alleine klarkommen, hatte sich aber längst irgendeine Tussi geschnappt, um sich nicht alleine zu fühlen.

Als er dann zurück ins Auto kam, wurde er mit neugierigen Blicken gestraft. Kotomi kam von hinten an und umarmte ihn halbwegs, bevor sie ihm ins Ohr flüsterte: „Na, was gab’s denn so Geheimnisvolles zu bereden, das wir nicht wissen dürfen, mhm?!“

Dass sie fragen würden, war ja irgendwie klar gewesen, er sah nach hinten. „Etwas sehr Privates, ihr wollt ja auch nicht bei euren Privatgesprächen von jedem belauscht werden, oder?“

„Ahh ja“, meinte sie und gab sich damit zufrieden, jedenfalls wussten sie nun, dass der Jemand ein großes Geheimnis war, also irgendwas Verbotenes, aber wozu waren sie Detektive? Sie würden schon rauskriegen, um wen es sich handelte.
 

Es kam kurzzeitig zu einem Platzregen und das natürlich genau dann, als man sie vor der Halle stehen ließ. Schlimm genug war eigentlich, dass man sie nun bereits seit einer Stunde versauern ließ. Das Konzert hätte schon längst anfangen sollen, aber die Band schien Leute gerne auf die Folter zu spannen – doch noch nie war es zu einer derartigen Verspätung gekommen.

Sie wurden klatschnass, Sonoko wünschte, sie wäre zuhause geblieben. Und wie ihre Schminke nun aussah, wollte sie eigentlich gar nicht wissen, als Aiko dann einen riesigen Schirm auspackte und diesen nur über Shiori und sich hielt, fand sie das alles andere als komisch, sie rückte näher ran und wurde dann von Shiori an sich gedrückt, so dass sie weniger nass wurde. Aiko interessierte sich überhaupt nicht dafür, ob Sonoko krank wurde.

Auf einmal klingelte Sonokos Handy und sie kramte in ihrer Tasche rum, was Aiko sehr störte, da sie ihr einmal den Ellenbogen übergebraten hatte. „HALLO?!“ Sonoko schrie nun auch noch rum, um sie herum waren kreischende Mädchen und Frauen, sie verstand kaum ein Wort. „OH, HI! WANN KOMMST DU, WAKANA?! WIE? DU KOMMST NICHT?? WARUM?? WIR STEHEN NOCH VOR DER HALLE! ES IST NOCH NICHT ZU SPÄT!“ Sie verstand nicht das Geringste, auch als ihre Cousine in Tränen ausbrach, sprach sie nur vom Konzert, weil sie kein Wort von den wichtigen Dingen, die man ihr versuchte zu erzählen, enträtseln konnte.

„Nun hör mir mal zu, Sonoko Suzuki!!! Hast du noch andere Gedanken, als irgendwelche Typen?! Miho hat versucht sich umzubringen, wie kannst da immer noch denken, dass ich kommen werde? Du hast jawohl einen Knall! Na dann, viel Spaß!“ Es wurde aufgelegt und Sonoko wusste nicht, weshalb sie so wütend geworden war, sie hatte nur den Namen Miho verstanden und umbringen.
 

„Was ist denn nun wieder passiert?“ fragte Wataru, der in Wakanas errötetes Gesicht sah und ihre triefende Nase erblicken konnte, sie hatte in der letzten halben Stunde so viel geweint – er war froh gewesen, als sie endlich aufgehört hatte und nun ging das Ganze von vorne los.

„Ach, Sonoko ist zu diesem beschissenen Konzert von IRON KISS gegangen – mit zwei Freundinnen! Als ich… sagte, was Miho versucht hat… dachte sie doch tatsächlich, ich will jetzt noch kommen. Die hat doch einen Schuss… Bei der piept es!“

Wataru konnte nicht glauben, dass Sonoko jetzt auch schon so abdrehte, er war ja froh, wenn Riina davon verschont blieb. „Oh… das tut mir Leid… Vielleicht hat sie es nur falsch verstanden?!“

„Nein, die findet Aiko nur total toll… Ich muss kotzen… dieses Weib!“ Dass sie sich nicht besonders gewählt ausdrückte, wenn sie wütend war, wusste er, aber gerade war sie noch schlimmer, als er sie in Erinnerung hatte. „Aiko?!“

„Ja, Aiko Misae…“

„WAS?!“ Wataru packte Wakana an den Schultern, während seine Augen weit aufgerissen, sie anstarrten. Der Name hatte ihn nun ziemlich erschreckt…

„Das Miststück macht aus allen willenlose Marionetten – sie tun, was sie will. Und das nur, weil sie ein bisschen beliebt ist. Sie und ihre drogenabhängige Freundin. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass wir gemeinsam zu einem Konzert gegangen wären… Das letzte Mal endete in einer wilden Orgie und damit, dass ich und Natsumi das Weite gesucht haben.“

„Das passt ganz und gar zu Aiko“, meinte er ein wenig bedrückt, er war ja auch mehr als einmal in Aikos Spiele mit hineingezogen worden. Bei ihm war es jedoch eher der Triumph gegenüber ihrer Cousine Shina gewesen, sie wollte ihr beweisen, dass sie auch Wataru haben konnte, der damals unsterblich in seine beste Freundin verknallt gewesen war. Sie hatte nichts unversucht gelassen, sogar Schlafmittel hatte sie für ihre Zwecke benutzt, um ihn müde zu machen, so dass er sich weniger zur Wehr setzen konnte… Er dachte wirklich nicht gerne an diese Zeit zurück, schließlich war er sowieso schüchtern und dann rückte ihm so ein Weib auf die Pelle…
 

So schnell hatte sie damit nicht gerechnet, einen von ihnen wieder zu sehen, sie dachte, es sei vorbei. Nun, da sie ihm gegenüberstand und in sein grinsendes Gesicht blickte, wusste sie, es war kein Zufall gewesen, dass sie sich hier begegnet waren. Bestimmt hatte er sie die ganze Zeit auf dem Weg verfolgt. Die Laternen waren das einzige Licht in dieser vollmondlosen Nacht. Die Sterne zeigten sich hier nie wirklich, sie lebten in der Großstadt Tōkyō. Man würde mit ihr schimpfen – eine junge Frau hatte sich um diese späte Uhrzeit nicht draußen rumzutreiben – wie oft hatten Leute das zu ihr gesagt? Sie war ein waghalsiges Mädchen gewesen, das kein Risiko scheute, so wie mit einem erwachsenen Mann ins Auto zu gehen, auch wenn sie wusste, dass er ziemlich angetrunken war und alles Mögliche mit ihr machen könnte. Sie, die Männer gut unter Kontrolle hatte, war es nicht gewohnt, von einem in die Enge getrieben zu werden, aber dieser hier, der war ein anderes Kaliber.

„Es überrascht mich, dass du so verblüfft bist, mich zu sehen… Hast du mich etwa schon vergessen? Böses Mädchen! Seinen Retter vergisst man nicht!“

Dass er sich als Held fühlte, konnte man an seiner Stimme erkennen, die nur so strotzte vor Überheblichkeit. Er kam sich furchtbar toll vor. „Ich hätte eigentlich damit gerechnet, dass du mich mit offenen Armen empfängst, meine Kleine, und nicht mit einem solchen Blick.“ Es war einer Raubkatze ähnlicher Blick. Ihre Augen funkelten ihn herausfordernd an, so einen Blick kannte er sonst nur an Frauen wie Cinzano, Cencibel oder Vermouth. Sie gefiel ihm – zweifellos, auch wenn er mehr auf unscheinbare Frauen abfuhr, sie war eine kleine Sünde wert.

„Was hätte alles passieren können, wenn ich nicht gekommen wäre? Bestimmt wärst du nie mehr glücklich und dein Verlobter hätte dich längst verlassen – ist es da zuviel verlangt, dass du mir ein wenig entgegen kommst?!“

Er rückte an sie heran, packte ihre Handgelenke und versuchte sie an sich heran zu ziehen.

„Jetzt reicht’s!“ Ihre Hand landete klatschend auf seiner Wange, was in einem brennenden Schmerz endete, welcher ihm durch die Glieder fuhr. Es entsprach nicht der Regel, dass die Frauen ihm eine knallten, nachdem er so nett gewesen war, sie zu retten.

„Hey, du Miststück!“ Er riss sie an sich heran und drückte sie gegen einen Baumstamm.

„Lass mich sofort los, sonst schrei ich, dass alle Lichter angehen, du Mistkerl!“

„Oh ja – schrei doch – Wildkatze, das macht mich ganz besonders an! Glaubst du echt, dass es sich mit einem kleinen Gefallen getan ist, na? Ich hab sie erschossen – alle – nur für dich. Was denkst du, was deinem Verlobten blüht, wenn du nicht spurst!?“

Kontrolle über Frauen zu haben, war herrlich.

„Ich geh zur Polizei, das ist Erpressung! Mein Vater ist ein angesehener Anwalt, der bringt dich hinter Gitter, darauf kannst du-!“ Er hielt ihr den Mund zu, seine Hand presste sich fest gegen ihre Lippen, so dass sie nicht weiter zetern konnte. Seine Lippen scheinbar hämisch zu einem Lächeln verziehend, lachte er sie belustigt an.

„Es wäre nicht das erste Mal, dass ich Bullen, Anwälte und sonst was töte, meine Kleine. Du steckst mit drin, du entkommst mir so schnell nicht. Du gefällst mir, du würdest es zu viel bringen… Bei uns.“

Ein kleines bisschen Angst konnte man doch in ihren Augen entdecken, auch wenn sie sonst furchtlos war. Ein tollkühnes Frauenzimmer, das vor Männern alles andere als kuschte.

„So weit mir bekannt ist, hast du auch noch ein paar Geschwister. Du möchtest in nächster Zeit auf viele Beerdigungen gehen, so kommt es mir vor. Das alles kannst du haben. Ich habe damit keine Probleme, sie alle zu töten, dein Cousin, der Bulle ist auch kein Problem. Wie schnell so was gehen kann…? Eins, zwei, drei und es ist vorbei.“ Er lachte erneut hämisch auf, während in ihren Augen Tränen aufkamen. Sie hatte keine gute Zeit vor sich, auch ohne seine Existenz, wäre es so gewesen. Dass sie Kummer hatte, reichte doch, ihm anscheinend nicht, er wollte ihr ins Leben reinpfuschen – was hieß wollte – er tat es ja bereits.

Der Dreckskerl schien sie besser zu kennen, als ihr zunächst bewusst gewesen war. Er kannte ihre Familie – zumindest gab er dies vor.

„Bist du jetzt brav und gibst deinem kleinen Retter ein Küsschen und steigst in sein Auto ein, damit wir das andere, was mir zusteht, auch noch erledigen können? Ich verspreche dir, es wird nicht wehtun. Und es macht mir auch nichts aus, wenn du dabei an ihn denkst…“ Bei ihr war es ihm egal, er wollte nur endlich mal wieder eine Nacht mit einer Frau verbringen, um das zu erreichen, hätte er so ziemlich jede Schandtat begangen.
 

“Findest du das nicht auch armselig, einer Frau zu drohen, nur um sie in die Kiste zu kriegen,Jami-chan?“ Er hörte die männliche Stimme hinter sich und ließ seinen Blick die Gasse entlang schweifen – ihn nicht sehend, sondern nur hörend, wusste er nicht einmal, wohin die Stimme gehörte, er hatte sie noch nie gehört.

„Wer bist du, mich so zu nennen? Was fällt dir ein?!“ Er war erbost über die Verniedlichung eines gefürchteten Namen, wie seinen.

„Und wer bist du, dir herauszunehmen, eine Frau auf diese Weise zu behandeln, Ratte?!“ Die Wut in der Stimme des anderen war nicht ausschlaggebend, dass er die Schwarzhaarige nun losließ, diese atmete schnell und angstvoll, ihr Herz klopfte bis zum Hals, so große Angst hatte sie noch nie gehabt und das Auftauchen des anderen linderte es nicht im Geringsten. Es war im Grunde die gleiche Situation. Würde der Mann sich am Ende auch als so ein fadenscheiniger Hund entpuppen, der es nur darauf abgesehen hatte, ihr an die Wäsche zu gehen? Männer waren doch nun wirklich hirnrissige Idioten – es gab nicht viele, mit denen sie auskam. Bei den meisten bekam sie das Kotzen, deswegen war sie lange alleine gewesen. Ihr Vater war auch nicht gerade das Bild von einem Mann, was sie sich als Frau wünschte. Er war abschreckend in seiner Diktatur, die er ausübte, aber so musste ein Anwalt wohl auch sein…

Jami war wenig begeistert und Missstimmung schlug bei ihm sehr schnell in kleine Wutausbrüche um, die verheerend sein konnten. Sein Gegenüber schien nicht viel von ihm zu wissen, sonst hätte er sich fein rausgehalten – und überhaupt, der Kerl... Vielleicht war es Einbildung, aber er erinnerte ihn – ganz zum Leidwesen desjenigen – dummerweise an Carpano. Alleine dieser Umstand ließ ihn im nächsten Moment aus der Haut fahren und nach ihm brüllen. „Zeig dich, Feigling! Zeig mir deine verdammte Visage!“

Ein amüsiertes Lachen war zu hören. „Du siehst mich nicht, aber ich sehe dich, löst das Unbehagen in dir aus, du mieser Schwächling?!“ Es machte ihm die größte Freude solche miesen Kerle wie ihn zu ärgern, schon aus Prinzip stichelte er dahin, wo es ihm besonders missfiel. Schwächling – dieses Wort aus dem Mund eines Mannes – da ging der Kerl immer so wunderschön auf die Barrikaden. Es war wie eine Zigarette ins Benzin zu werfen, obwohl man mit einem Feuer rechnen musste…

„Schwächling? Das sagt mir ein Feigling, der sich in den Schatten versteckt!“ Der Plan des anderen trug Früchte, er lockte Jami erfolgreich von der Frau weg, das war ihm im Moment auch am wichtigsten. Solche Köder wurde er immer schlucken, denn er war nicht sonderlich helle, schien es dem Mann. Dass er seine Waffe bereits gezogen hatte, verdeutlichte nur zu gut, wie vorsichtig Jami doch war, wenn es um sein eigenes beschissenes Leben ging.

„Ich weiß, du hattest eine fürchterliche Kindheit! Manchmal geht’s dir so dreckig, dass du auf anderen rumhackst, das alles kann ich einsehen, aber nicht die Helden-Masche, das ist arm und absolut widerwärtig. Schaffst du es nicht unter normalen Bedingungen? Deine Komplexe lass mal zuhause, das Mädchen kann nichts dafür, dass du bei einer bestimmten nicht landen kannst, sie ist bei Verstand – nur eine ohne Verstand könnte dich lieben, Mörder – weißt du, Frauen sind sensible Wesen, zumindest wenn sie normal im Kopf sind. Vielleicht solltest du zu Vermouth gehen, die wäre verrückt genug dazu, dich zu lieben. Sie gehört in eine Anstalt, da wohin du auch gehörst, deinen Charakter hast du längst verloren. Und das weißt du eigentlich…“

Jemand, den er selbst nicht einmal kannte, wie konnte er ihn so gut kennen? Es war beängstigend. Wer zum Teufel war dieser Mensch, er hörte sich an wie ein Psychologe, er war doch nicht total übergeschnappt, dass man so mit ihm reden musste. „Halt’s Maul! Wag’s nicht mehr über meinen Charakter zu urteilen, was weißt du denn schon? Dein bester Freund hat dich nicht im Stich gelassen!“

„Och, armer kleiner Jami – du möchtest bemitleidet werden. Und so einer wie du nennt sich Killer – alles, was du tust, ist Angst.“

„Sei ruhig, sei endlich ruhig!“ Jamis Stimme wurde immer zorniger und als Außenstehender würde man sogar denken, er redete mit sich selbst, als sei er wütend auf sein eigenes Ich.

Während der 28-jährige noch eifrig der Stimme nachging, um denjenigen aufzuspüren, hatte dieser sich längst von hinten an Jamis Opfer herangeschlichen und hielt ihr nun den Mund zu, was sie zusammenzucken ließ. Doch alles war besser, als von diesem Kerl bedrängt zu werden – von dem Kerl, der ihr androhte, ihre Familie zu töten.

Gerade als Jami sich herumdrehte, konnte er in die Waffe desjenigen sehen und war geschockt darüber, dass er es geschafft hatte, sich an sie heranzuschleichen. Und er hatte sich nicht getäuscht… Eine gewisse Ähnlichkeit mit Carpano schien ihm vorhanden, er sah auch kaum etwas durch die Dunkelheit. Aber alleine die Tatsache, dass er in grüne Augen blickte und diese Gesichtszüge, so viel mehr Mann als er selbst war er.

Sein Arm hatte sich um die Frau geschlungen, er hatte sie ihm weggenommen. Es war kein Wunder, dass wenig später ein Schuss fiel, doch weniger wie erwartet, hatte die Kugel Jami böse an der Hand gestreift und ihm eine kleine Verletzung zugefügt.

„Na warte, dich krieg ich!“

Es war Zeit zum Türmen, weshalb sich der Mann mit der Frau mit einem Satz nach hinten entfernte, weshalb der nächste Schuss ins Leere ging und keiner von beiden getroffen wurde.

Alles erinnerte Jami an Hiroya und Carpano, das machte es nun wirklich nicht besser, - eine nahezu teuflische Mischung zweier Männer, die er nicht leiden konnte, weil sie in verschiedenen Aspekten einfach besser waren - er tobte, schrie und rannte wie wild hinter ihnen her. Wenn sie nun nicht schnell verschwanden, wer wusste, was passieren würde… Er hatte sich weit aus dem Fenster gehängt, als er ihn so provoziert hatte…
 

Währenddessen spielte sich ein vorprogrammiertes Szenario ab. Es war so offensichtlich, dass man schon sehr naiv sein müsste, um als Mann nicht dahinter zu steigen. Er dachte ja nichts Schlimmes, auch bemerkte er die Blicke der schwarzhaarigen Frau nicht, die sich fast schon gierig wie ein Geier um ihn herumbewegte. Ihre Blicke klebten an ihm, voller Faszinierung, man sagte, dass man Blicke auch spüren konnte, aber er hatte keinen Kopf für Frauen, die weit außerhalb seines Beuteschemas lagen. Sie war um einiges älter als er, doch schämte sich die um die 40 Jahre alte Frau nicht, den Mann mit ihren Augen regelrecht zu fressen. Einige Augen sahen es, dieses sündhafte in ihrem Blick; man sah, was sie gerne mit dem jungen Mann tun wollte. Es wunderte daher keinen der Besucher, als sie gegen ihn stieß und ihr Getränk über seinem Hemd vergoss.

„Oh, ich bin untröstlich – das schöne Hemd!“ Sofort fingerte sie an ihm herum, drängte sich total auf. Sie nutzte jede Chance, ihm nahe zu kommen, was ihm ein etwas nervöses Lächeln gab. Sie sah nicht alt aus, aber eben älter – wobei sie ihm wirklich gut gefiel. Leider war er seit Jahren in einer Beziehung und gerade dabei zu gehen, als sie ihn zu unterhalten begann, drauf losredete wie ein Wasserfall. „Ähm…“, meinte er nur und ließ nur widerwillig zu, dass sie ihn antatschte. „Nicht schlimm, ehrlich… Also…“ Ihre Finger fassten ihn immer wieder an, sie schien nicht genug davon zu kriegen.

„Warte, ich mach das sauber!“

„Ääääh…“ Ihre Finger wurden immer aufdringlicher, ehe er sich versah, hatte sie ein paar Knöpfe offen. Übertrieben gesagt, fühlte er sich von dieser Frau sogar belästigt, er hatte sie ja nicht darum gebeten…

Er nahm ihre Hände und entfernte sie von seinem Hemd. „Da ist jetzt nichts mehr zu machen, reiben macht es nur schlimmer“, bei dem flotten Spruch hörte man hinter ihnen eine Frau kichern, es klang so durchtrieben, wenn er das sagte. Der junge Mann guckte der Schwarzhaarigen auf direktem Blick in die Bluse – das was sie da hatte, fand er interessanter als ihr Gesicht, wobei sie überdurchschnittlich gut aussah und – etwas jünger – total sein Typ gewesen wäre.

„An einem gut aussehenden Mann reibe ich doch gerne“, ihre Worte ließen Personen hinter ihnen doch heftigst aufhusten – war die Tante ein bisschen pervers? Der Kerl könnte ja ihr Sohn sein. Entrüstung belegte den Raum mit Tuscheln.

Dass sie wild war, sah man ihr an, genau sein Typ, aber garantiert mindestens 10 Jahre älter als er. „Ich bin leider spät dran…“

„Ach, für einen Drink wirst du doch noch Zeit haben, Süßer.“

„Äh… nee…“ Sie ergriff seinen Arm und zwang ihm ihren Willen auf, ihr Handgriff war fest und man spürte deutlich, dass sie nicht zu der Art Frau gehörte, die sich so leicht abwimmeln ließen.

„Du erinnerst mich da an wen.“

Er war Meister im Flirten – er kannte sie alle, jeden Spruch hatte er an den Damen ausprobiert. Dass man es nun mit ihm probierte, ließ ihn fast verlegen werden. Sie war eine reife Frau, da bekam selbst ein Kerl wie er rote Ohren. Sie machte keinen Hehl daraus, was sie am liebsten mit ihm treiben würde, sie verspeiste ihn ja fast bei lebendigem Leibe.

Und wieder hörte man es hinter ihm kichern, jemand amüsierte sich wirklich sehr darüber, wie er auf die Anmachversuche von Mami reagierte.

‚Sie weiß was gut ist… Das beste Alter… Oh so ein böser Junge, wo guckst du mir hin?!’ Dass er ihr Dekolleté so bestaunte, ließ ihr Ego um einiges wachsen, in der Hinsicht war sie schlimmer als die meisten Männer. „So ein junger, hübscher Kerl wie du, sag, was treibt dich mutterseelenallein hierher?! Was ist das für eine irre Frau, die dich alleine unter die Leute lässt?!“

„Diese irre Frau – würde sie deine Blicke sehen, hätte sie dir längst die Augen ausgekratzt!“ warf er ihr entgegen, diese unverschämten Blicke, er fühlte sich von ihr ausgezogen.

„So eifersüchtig? Man kann keinem Mann trauen, es würde ihr sicher auch weniger gefallen, wenn sie deinen Blick in meine Bluse gesehen hätte, Herzchen.“

Dieses überhebliche in der Stimme, ließ ihn rot werden, aber nicht weil sie ihn damit in Verlegenheit brachte. „Ich find dich lecker, lass uns in ein Hotel gehen!“ Sie legte frech die Arme um ihn.

„Moooooment mal“, er entfernte ihre Arme, die unverschämter nicht werden konnten.

„Ach komm, sei doch nicht so, ich weiß, dass du es willst. Ein Mann, wie du einer bist, lässt doch keine schöne Frau abblitzen, das passt nicht ins Schema, in das ich dich gesteckt habe.“

„Ich kann es nicht leiden, in irgendwelche Schubladen gesteckt zu werden! Wir kennen uns nicht und noch nie hat man mich so frech und unverschämt angemacht, so offen mir angeboten, dass ich naschen darf. Was tust du, wenn ich nicht an dir naschen will, weil zu Hause mein ganz besonderer Leckerbissen wartet?!“

„Ich kann dir einiges beibringen. Dinge, von denen deine Kleine keine Ahnung hat. Eine kleine Amateurin, die noch nie in ihrem Leben mit einem anderen Mann geübt hat. Du hast doch Angst, deine versauten Fantasien mit ihr zu teilen, weil sie Angst vor dir kriegen könnte. Das, was sie vielleicht mit dir tut, ist wie unschuldiges Kuscheln mit einem kleinen Schulmädchen…“

„Was bildest du“, er stellte ruppig sein Glas Alkoholisches auf der Theke ab, während er sie scharf anfuhr, „eigentlich ein? Wir kennen uns nicht, ebenso kennst du sie nicht!“

„Oh glaub mir, ich kenn sie sehr gut – sie hat einen leckeren Verlobten, an dem ich nur zu gerne genascht hätte, du weißt ja nicht, was du verpasst.“

„Bist du irgendwie pervers, dass du fremde Leute beobachtest?“ Es war ihm längst zu bunt geworden, weshalb er sich sein Glas hektisch gönnte, das Glas zurück stellte, dem Barkeeper einige Scheine hinwarf, was natürlich zu viel war und dann auf dem Absatz kehrt machte.

Sie lief ihm nach, bis jemand grob nach ihrem Handgelenk griff und sie daran hinderte, ihm nachzulaufen.

„Es reicht, du Miststück! Er hat keinen Bock auf dich, leb damit!“

„Was geht dich das an, Kleine?!“ Sie sah in braune Augen, die sie hell anstrahlten.

„Weil er mehr als deutlich gezeigt hat, wie er deine Anmachversuche findet! Lässt du ihn nicht in Ruhe, verklickere ich ihm, wer du wirklich bist! Was würde er dann von dir denken? Du alte Schachtel!“

„Lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster, meine Süße! Es kann sehr schnell gehen, dass du einen Unfall hast.“

„Es haben schon andere Kaliber versucht, mich zu bedrohen, mit einem billigen Weib wie dir, komme ich geradeso noch klar! Man merkt, wo du herkommst! Die Kleine kann froh sein, dich nicht zu kennen, ihr würde schlecht werden! Pfui!“

Wie sie das aufregte, zum Glück hatte er mittlerweile das Weite gesucht. An seiner Stelle hätte sie das auch getan, wäre sie ein Mann. Bei der Tante musste man ja als Mann echt Angst haben, dass die einen vergewaltigte.
 

Inzwischen hatte sich Hiroya erfolgreich von seinen Aufpassern gelöst und war mit einer anderen Person unterwegs. Zusammen zu sein mit ihr, gefiel ihm, sie war eine trostvolle Gesellschaft, die auch sein gebrochenes Herz kitten konnte. Nach ein paar Gläsern Alkohol wurde auch er, der sonst oft zu ernst war, lockerer. „Nun sag es schon, du machst mich neugierig! Es gibt da sicher einen Mann, dem du dein Herz geschenkt hast. Einen, der dich auffängt, wenn du fällst.“

Schweigen war alles, was den 29-jährigen erreichte – entweder hatte sie keine Antwort darauf, oder wollte ihm keine geben.

Sie schauten von der Brücke aus hinab in die Stadt, alles war hell erleuchtet, um sie herum war jedoch mehr eine bedrückende Schwärze, sie war sehr ruhig gewesen, heute Abend, er hatte sie unterhalten, dabei war es sonst eher umgekehrt.

„Was hast du? Habe ich irgendwas Falsches gesagt? Du bist so still…“

„Nein, nichts Falsches – aber deine Vorstellungen von diesem Abend passen wohl nicht ganz zu meinen. Hier und da ist da mal ein Mann, aber von Auffangen kann nicht die Rede sein. Es gibt keinen, der im Weg wäre“, ihr Blick wurde auf den Schwarzhaarigen gerichtet, während sie sich ihm seitlich näherte, so dass sich fast ihre Arme berührten.

„Was soll das denn heißen? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du mir gerade ein unmoralisches Angebot machen willst.“

„Du fühlst dich einsam, das passiert jedem Mal, deswegen bin ich ja da. Ich bring dich auf andere Gedanken, Hauptsache, du denkst mal an was Schöneres, als daran, dass du betrogen wurdest. Weißt du, Hiroya, ich bin ein ganz schön böses Mädchen. Als ich in einer festen Beziehung war, habe ich den Mann meiner Träume betrogen – damit habe ich alles kaputtgemacht. Deine Schwester war weniger begeistert von meiner Leichtfertigkeit mit so etwas umzugehen. Sie lebte in der Welt, in der Mann und Frau sich für die Ewigkeit lieben und an niemanden anderen denken, in dieser Illusion, die im wahren Leben nicht existiert. Kein Mensch ist perfekt, Menschen machen Fehler, die einen mehr, die anderen weniger. Die einen machen sie früher, die anderen später. Was mich nervt, sind die Ansichten solcher Leute, die naiv, wie sie sind, sagen: SIE oder ER würden das niemals tun! Sie glauben felsenfest daran, solche Leute sind am meisten geschockt, wenn sie ihr Partner dann hintergeht. Bist du schon einmal fremdgegangen?“

„Nein, bin ich nicht, aber ich bin wohl auch einer jener Träumer, die dachten, es ist für immer. Sie hat mir immer das Gefühl gegeben, ihre Liebe sei vollkommen. Aber ich gebe ihr auch gar nicht die Schuld, schuld ist nur ER, der sie verführt hat. Sicher hat er ihr kompletten Schwachsinn über mich erzählt, bis sie sich auf ihn eingelassen hat, unter normalen Umständen hätte er das niemals geschafft!“

„Befriedigt das sein Ego, wenn du dir einredest, dass es seine Schuld war? In solchen Fällen sind immer zwei Personen schuld, sie trägt 50% der Schuld genauso, wie er. Diese Ausflüchte mögen dich beruhigen, aber warum willst du dieser Person treu sein, die dich so hintergangen hat? Wie lange willst du traurig sein? Wie lang sie vermissen? Sie hat dich verlassen und das mein Lieber ist die nackte Realität!“ Ihr Arm legte sich um seine Schulter und sie holte ihn näher an sich heran. „Du denkst daran, doch beißt du dich noch zu sehr an dem Gedanken fest, keine andere als sie zu lieben! Weil du auf sie warten willst. Du bist ein Träumer, der noch an die wahre Liebe glaubt. Du denkst, ihr seid füreinander bestimmt. Was wirst du tun, wenn sie diese Ansicht nicht mit dir teilt? Wenn sie nie mehr zu dir zurückkommt? Willst du dann alleine bleiben?“

Man redete auf ihn ein, kein Wunder, dass er die Augen schließen und tief seufzen musste. „Ach sag so was nicht… Das klingt, als wär ich schwachsinnig.“

„Es ist schwachsinnig zu warten und auf Wunder zu hoffen, während man sich der Alternative, die sich einem bietet, immer wieder verwehrt. Dir wird’s schlecht damit gehen, zu denken, dass Sex außerhalb einer Beziehung etwas Böses ist. Und ich weiß, dass du daran gedacht hast.“

Das böse Mädchen, was sie erwähnt hatte, zeigte sich in ihren Worten, er fand es unmöglich…

„Du bist mit mir weggegangen, weil du mir DAS anbieten willst? Der Person, welcher ich dann ähneln würde, möchte ich nicht ähneln. Sein Verhalten finde ich zum Kotzen, er hat nichts als Sex und Frauen in seinem verdammten Schädel!“

„Du hast Angst davor, ihm zu ähneln? Keine Sorge, so verdammt tief kannst du niemals sinken, dazu gehört schon was.“ Dass er beunruhigt und verunsichert war, machte ihn auch süß, er dachte zumindest noch darüber nach, bevor er so tief sank, sich auf irgendwelche Frauen einzulassen, die er nicht liebte, denn das war sein eigentliches Problem. „Keine Sorge – es ist ganz simpel! Ich bin nicht verliebt in dich, ich werde nichts von dir verlangen. Ich werde nicht, wie andere Frauen eifersüchtig sein und dir nichts vorschreiben. Ich bin einfach DA…“ Er verhinderte schon mal nicht, dass sie ihn umarmte, das war ein Fortschritt. „Ich bin da und sorg dafür, dass es dir wieder besser geht.“
 

Es war schlimm genug, dass er sie wirklich mit nach Hause nahm, dass er sie nach der Sache, mit in seine Wohnung nahm. Keine andere Frau hatte je dieses Haus betreten. Es war die Wohnung, die er bewohnt hatte, bevor er mit Naru zusammen gezogen war. Wenn er daran dachte, wurde er jetzt noch fuchsteufelswild. Dass sie mit Juro in IHREM gemeinsamen Bett gelegen hatte. Ihm war schlecht.

„Mein Loch zum verkriechen. Eigentlich ist es mehr ein Unterschlupf, wunder dich bloß nicht. Hier habe ich zusammen mit meiner Schwester immer sehr viel gearbeitet, bis Jami sie umbrachte. Jeden Tag ist’s hier stiller geworden. Wir waren ein eingespieltes Team, oft hat sie mich hier getröstet, gerade dann, wenn er sich wieder damit beschäftigt hat, mir das Leben zu ruinieren. Ich vermisse sie ganz schön, gerade jetzt. Die Mitte zu sein, ist ein bisschen von allem. Einerseits habe ich beschützt, es wurde aber auch auf mich Acht gegeben. Als sie weg war, war es für mich, als hätte sich ein schwarzes Loch geöffnet und ich wäre hineingezogen wurden, als hätte dieses Loch mich verschluckt. Immer wenn ich Probleme hatte, war sie da. Schon als ich noch ein kleiner Junge war. Es scheint mir unendlich lange her, dabei sind’s kaum 2 Jahre. Ich habe jeden Kerl gehasst, der ihr wehgetan hat und das war’n nicht wenige.“ Dass es bei ihnen ein ähnliches Gefühl war, erwähnte er nicht, denn es war nicht das, was sie gerne hören wollte.

„Du musst unzählige Mordgedanken in deinem Kopf gehabt haben, immerhin war es Jami, der sie dir weggenommen hat“, sie strich mit einer Hand durch seine Haare und schaute in seine Augen, er wich ihrem Blick deprimiert aus.

„Das Schlimme ist, ich könnte es nie selbst tun. Nicht, dass ich ihm den Tod nicht wünschen würde, aber durch meine eigene Hand… Ich will nicht, dass er mit all den Taten so davon kommt. Er gehört nur nicht auf die Straße. Er ist eine Gefahr für sich selbst und andere. Natürlich ist es immer noch besser, wenn man ihn tötet, aber dann wird er nie erfahren, was in seinem Leben kaputtgegangen ist. Und weißt du was? Am liebsten wäre es mir noch, wenn er seine Fehler erkennt.“

„Du solltest nicht so viel träumen, das ist nicht gut“, meinte Katori leise, darüber konnte sie nur den Kopf schütteln. Jami dachte doch, er war im Recht, niemals würde er erkennen, dass es falsch war, wie er handelte.

„Dieser Mann lebt nur dafür, dir wehzutun, warum fällt es dir so schwer? Es ist nichts einfacher, als jemanden aus Hass zu töten! Willst du ihn denn nicht tot sehen? Vergeltung?!“

„Solche Worte aus dem Mund einer Frau, das ist auch nicht gut!“ Er umarmte sie fest, als wolle er sie vor all diesen bösen Gedanken beschützen. Sie war eine Mörderin, sie verstand das natürlich nicht. Wie konnte sie das verstehen, wenn sie Leute aus dem Weg räumte, die ihr im Weg waren?

„Ich wünschte, du würdest das alles nicht schön reden“, er sprach in ihre Haare hinein, was leicht erstickt an ihre Ohren getragen wurde. „Mord ist schlecht und wird schlecht bleiben, niemals wird er gut werden. Und gerade du als Frau solltest aufpassen, dass du dir die Finger nicht zu schmutzig machst. Die Drecksarbeit gehört den Männern. Ich weiß, du hast kaum eine Wahl, aber ich wünschte, es wäre so. Ich hoffe, dass du niemals auf die Idee kommst, es auch meinetwegen zu tun. Ich werde alles ertragen… Jede Schikane. Versprich es mir bitte.“

Sie wollte ihn aufmuntern, nicht deprimieren. Mit reden kam sie jedenfalls nicht viel weiter. ‚Das ist nichts, was ich versprechen kann, nicht unter den gegebenen Umständen. Ich glaub nicht, dass Yuichi da mitspielen will – schuld ist doch bloß wieder nur Kir. Da sieht man doch wieder, wie sehr sie doch stört. Er hat sicher keinen Spaß an dieser Sache, aber sie macht ihn erpressbar… Wo soll das enden?’

Nach schier unendlich wirkender Zeit hatte Hiroya sie wieder losgelassen, sich an sie zu klammern, würde er ziemlich schwach finden. „Irgendwas tief in ihm ist noch der Mensch von damals, er hat das leider nur noch nicht bemerkt. Ich wollte ihn da rausholen, aber er hat sich für dieses Leben entschieden. Ein verhunztes Leben, wie ich finde.“

„Du kannst ihn nicht retten!“ Sie packte ihn an den Schultern, diese Hirngespinste wurde er lieber ganz schnell los. Es gab keine Hoffnung mehr, da war sie sich vollkommen sicher. „Er will nicht gerettet werden, alles, was er will, ist Macht! Und dafür tut er alles!“

„Er kann nicht vergessen haben, dass ich sein Freund war. Alles, was er tut, macht er, um das Gefühl seiner eigenen Einsamkeit zu bekämpfen. Er hat niemanden, obwohl er Macht hat, ist er doch alleine. Wenigstens bringt ihn das nicht dazu, Frauen zu vergewaltigen. Zumindest davor konnte man ihn retten...“

„Sei still!“ Sie hatte ihre Hände auf seine Wangen gelegt. „Es tut dir nicht gut, seine Taten zu entschuldigen und dir einzubilden, dass er irgendwann schon versteht, dass du ihm helfen wolltest. Ich kann es dir sicher nicht ausreden, dass du es versuchst, aber ich kann dich auf andere Gedanken bringen. Auch ich brauche heute mal ein bisschen mehr als Freundschaft. Ich nenne es fairen Kompromiss: Du lenkst mich ab und ich dich.“

Dass sie mehr als Freundschaft von ihm wollte, hatte er schon längst bemerkt. Die Art, wie sie sich ihm gegenüber verhielt, zeigte ihm zur Genüge, dass ihr viel an ihm lag. Eigentlich konnte sie nicht mehr tiefer abstürzen, sie war ein gefallener Engel und somit bereits ganz unten angekommen. Obwohl Hiroya das durchaus bewusst war, ignorierte er es jedes Mal, wenn er sie sah. „Ich fühle mich schäbig, dich auszunutzen. Wenn du mir wenigstens sagen könntest, dass du mich liebst, würde ich mich nicht so schlecht dabei fühlen. So was ist überhaupt nicht meine Art… Kimiko war eher der Wildfang von uns… Sie ließ sich von Moral und dergleichen nur wenig beeindrucken. Sie konnte einfach so, sich auf Männer einlassen. Für mich sind Frauen aber kein Mittel zum Zweck.“

„Sie flog wie ein kleines Vögelchen von einem zum anderen. Dass sie’s zum Spaß gemacht hat, ist falsch. Die Männer haben sie nur immer als Spaß nebenher angesehen. Sie war eben ein Naivchen. Jedes Mal aufs Neue. Selbst von ihrem besten Freund ließ sie sich ausnutzen und das nur, weil sie es jedes Mal als was Besonderes angesehen hat. Weit weg von der Vorstellung, wie Männer wirklich sind. Tief in dir kennst du das Bedürfnis, doch du lässt es nicht zu. Deine Aggressionen hängen vielleicht auch damit zusammen, dass du deine eigenen Bedürfnisse verdrängst. Dein Kummer, den sie dir zugefügt hat, statt ihn zuzulassen, lässt du andere deine Wut spüren. Wärst du weniger anständig, könntest du deinen Frust im Sex vergessen.“

„Oh mein Gott…“ Eine Frau so reden zu hören, war für ihn ungewohnt, selbst wenn Naru auch keine Angst davor zu haben schien und wesentlich schlimmer drauf war als er. In den meisten Fällen war es von ihr ausgegangen, er war dafür einfach zu defensiv.

Ihre Hände vergriffen sich an seinem Hemd und sie schob ihn durch die Tür in sein Schlafzimmer, sie hatte keinerlei Hemmungen dabei, ihm den Weg zu zeigen.

„Du bist ganz schön draufgäng-“, weiter kam der 29-jährige nicht, da ihre Lippen seine gefangen hatten und ihn am Weiterreden hinderten. Ein kleines bisschen rutschte ihm ja schon das Herz in die Hose, als sie ihn so zum Bett dirigierte und ihm dann einen Schubs gab, der ihn aufs Bett beförderte…
 

Zur etwa gleichen Zeit saß ein total übermüdeter Ryochi in einem Café und unterhielt sich mit ein paar Leuten. Irgendwann wartete er abwesend auf seine Bestellung; es war das am meisten angesagte Café hier weit und breit, doch zog es ihn nicht aus diesem Grund hierhin. Es war einer der Orte, wo man Shina das letzte Mal gesehen hatte. Dass er die Tage kaum geschlafen hatte, sah man an den dunklen Rändern unter den Augen. Nicht bloß, dass er in letzter Zeit viel Kummer hatte, er kümmerte sich ja auch noch um Conan – Shina konnte ja nicht mehr auf den Jungen aufpassen. Ihm lag viel daran, dass ihm nichts zustieß und er NORMAL blieb. Als er aufblickte, da man ihn ansprach und ihm einen Espresso brachte, schaute er unwillkürlich auf die Straße, die von hellem Licht erleuchtet war.

Hellbraune Haare, leicht rötlich angehaucht, mittellang… Gerade lief sie vorbei…

In dem Moment hastete er von seinem Platz zur Tür der Person hinterher. Sie verschwand um die Ecke, in eine dunkle Sackgasse und holte gerade ihr Handy heraus, da sie wohl telefonieren wollte.

Verwirrt schaute die Bedienung ihm nach, er hatte doch so sehnsüchtig auf seinen Kaffee gewartet und nun rannte er einfach so davon…

Erschrocken fuhr die junge Frau herum, als Ryochi einfach so ihren Arm packte und sie zurückzog. Ihre Blicke trafen sich und sie löste sich recht schnell von ihm, sah ihn verblüfft, aber auch etwas verstimmt an.

„Shina?!“

„Wer?“

Jetzt, da er ihre Stimme hörte, machte sich Traurigkeit in seinem Blick breit. „Oh – das tut mir Leid – ich hab Sie mit jemandem verwechselt!“ Er nahm gleich Abstand zu der fremden Frau und fühlte sich total komisch, sie so an sich gezogen zu haben; eine vollkommen unbekannte Frau, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte, aber sie sah ihr so verdammt ähnlich.

Sie sah ihn mit ihren strahlend blauen Augen an, ein klein wenig mitleidig. „Es tut mir auch Leid…“ Die Hellbraunhaarige drehte sich von ihm weg, er sah ihr ziemlich lange nach, wie sie sich immer mehr von ihm entfernte. Es kam ihm beinahe vor, als wenn sie erneut von ihm ging. Ihn beschlich das schreckliche Gefühl, dass die Vorstellung, sie wieder zu sehen, das einzige war, was ihn noch aufrechterhielt, die immer geringer werdende Hoffnung, die er immer mehr verlor.

Ryochi hörte sie nicht mehr, aber er hatte sie nachdenklich gemacht. „Der war ja ganz verstört… Wer wohl Shina ist? Seine Geliebte? Armer Kerl…“
 

Das penetrante Klingeln des Handys ließ sie zusammenfahren, sie hob es vom Boden auf und blickte auf das Display. „Ryochi….“ Sie ließ es lange noch klingeln, er war hartnäckig, wahrscheinlich brachte ihn seine eigene Liebe zu dieser Frau endgültig um den Verstand, so dass er schon wieder Trost suchte. Wann er wohl aufhörte, ihr nachzutrauern und sich eine andere suchte, oder wollte er immer alleine bleiben? Sie hatte ihn ja längst verlassen…

Als sie das Handy ausschaltete, öffnete der junge Mann die Augen, er sah ziemlich benommen aus, etwas orientierungslos raffte er sich halb an der Wand auf und starrte ihr entgegen. „Finger weg von meinem Handy! Sag nicht, du…“ Er klang schon sehr jähzornig, weshalb sie die Hand sinken ließ.

„Es war Ryochi! Ihr könnt euch ja gegenseitig trösten! Manche Männer kapieren nicht, wenn sie etwas verloren haben, dass es eben weg ist! Du solltest ihm das mal klarmachen!“

„Hast du sie noch alle? Wie kalt kann man sein??“

„Ich halte wenig von Schonung, das solltest du wissen! Irgendwann findet er’s raus!“

„Ach! Hast du bei ihr auch nachgeholfen??!“ Sêiichî hatte es nun geschafft, wieder halbwegs Luft zu bekommen, auch wenn er mehrmals noch husten musste, da sein Hals trocken geworden war, seit ihrer Attacke.

„Mach dich nicht lächerlich, ich will keinen Ärger mit den Akajas haben, außerdem wäre Yuichi der erste, der dafür sorgt, dass ich mich aus diesem Thema heraushalte. Du suchst doch bloß nach Gründen… Wenn du gehen willst, geh einfach! Da ist doch die Tür! Solange du wegen einer Sängerin stänkerst, die dir anscheinend so viel bedeutet hat, kannst du mir gestohlen bleiben. Mach deinen Scheiß doch alleine!“

Sie warf ihm das Handy förmlich hin, so dass er zuckte. Dass sie ihn vor einiger Zeit nicht hatte gehen lassen, davon war nicht die Spur übrig geblieben – sie hatte ihn gewürgt, ihm richtig den Hals zugedrückt, wie bei jemanden, den sie hasste und dabei war, zu erdrosseln. Gerade fühlte sie sich als Gefahr für ihn.

„Mach ich auch! Und komm nicht auf die Idee, mir ins Handwerk zu pfuschen!“

„Keine Sorge, wir haben so unterschiedliche Ziele, dass sich das ausschließt, will ich meinen!“

Sêiichî schnaubte, es klang wie ein Pferd, das gerade wütend geworden war. „Was hast du mir noch verschwiegen??“ Er kam ihr näher und packte sie so grob am Arm, wie er es noch nie in seinem Leben bei einer Frau gemacht hatte. Einmal schüttelte er sie. „Ich will jetzt Details! Was macht dich so sauer, dass du tatenlos dabei zuguckst, wie man sie umbringt! Dass du mich liebst, ist jawohl total absurd, wie du mich doch immer behandelst, bin ich nicht mehr als ein Fußabtreter!“

„Findest du nicht, es ist Grund genug, dass sie mich eine Hure nannte??!“

„Vielleicht hat sie ja Recht, mit Männern lässt du ja nichts anbrennen!“

„Lass mich los, jetzt drehst du wohl durch!“

„Ich will die Wahrheit hören und zwar die Ganze!“ Sein Griff brannte um ihr Handgelenk wie ein heißes Eisen.

„Du kannst es ja wie Ryochi machen und der Sache als Detektiv nachgehen, oder traust du dir das nicht zu?“ Sie weigerte sich, ihm die ganze Story zu unterbraten, er würde es nicht verstehen.

„Ich warne dich! So entkommst du mir nicht! Was macht dich diesmal zu diesem rachsüchtigen Biest, das sich über das Unglück anderer freut? Mit viel Pech könnten wir das sein, ist dir das klar?!“

„Ja klar, wir! Er ist kein Bulle und nicht so krank im Kopf uns beizutreten, wie du! Und du würdest dich wohl kaum von deiner Freundin beschützen lassen, wenn du genau weißt, dass du eh nicht gewinnen kannst. Ich hoff nur, du kommst niemals in ihre Lage! Sei froh, dass du NUR einen verkorksten Bruder hast und nicht der Sohn eines hohen Polizeitiers bist. Alleine diese Tatsache ruiniert dir sämtliches Leben.“

„Was?“ Etwas verwirrt blickte er sie an, eigentlich war er nämlich genau das. Er hatte Geschwister und war der Sohn eines Polizisten – oder war ihr nicht ganz klar, wohin er gehörte?

„Was hat sie verbrochen?“

„Die Frage kannst du dir selbst beantworten. Glaubst du, Jami lässt ihr durchgehen, dass sie ihn belügt und ihm auch noch die Hilfeleistung untersagt? Du weißt doch, für ihn gibt’s nur ihren Bruder. Dieses egozentrische Weibsstück wollte eben nicht hören, dafür hat man sie bestraft. Sie war sich zu schade für die Aufgaben, die man ihr zugeteilt hat. Es wundert, denke ich keinen, dass es ihr wie Akemi ergangen ist. Wieso sollte ich für diese unbedeutende Person irgendwas riskieren? Dann wäre ich jetzt tot… Es wurde vom Boss so entschieden – ob man ihm dazu geraten hat, sie abzuschießen, weiß ich nicht, aber er war’s letztendlich, der ihr diesen Schubs verpasst hat, wenn auch indirekt. Wir sind in der Schwarzen Organisation, Sêiichî Iwamoto! Wann kapierst du, dass wir schnell fallen können? Und oft dazu gezwungen sind, Dinge zu tun, die wir hassen?! Das wollte sie ja nicht einsehen! Trotzige Frauen hat er gar nicht gern. Und Valpolicella noch weniger…“

‚Soll das heißen, sie hatte was damit zu schaffen….?! Ist das eine Ausrede, um mich zu besänftigen? Dann ist es eine hinterhältige, aber das würde ja zu dir passen…’

‚Wärst du dabei gewesen, hätte es mit Sicherheit einige Tote gegeben, danach wärst du an der Reihe gewesen, selbst wenn du aus der Situation entkommen wärst, in Dinge, die der Boss und SIE anordnen, mischt man sich besser nicht ein, wenn doch, Kopf ab!’ Sie traute ihm leider auch noch zu, dass er es hätte verhindern können, ihm fiel ja so schwer, bei solchen Schweinereien, die von der Organisation kamen, zuzuschauen. Rena hatte bei weitem Schlimmeres mit angesehen, als er, ihm war wohl noch nicht die wirkliche Grausamkeit begegnet. Cencibel konnte davon ein Lied singen, genauso wie Cinzano, sie alle hatten mehr Ahnung, nur klein Sêiichî war mal wieder naiv.

„Valpolicella und Jami bekämpfen sich, statt sich zu unterstützen, allein der Umstand hätte ihn dazu getrieben, ihr zu helfen.“

„Jami versucht so wenig Ärger wie möglich zu machen! Denkst du da wirklich, er würde sich selbst damit konfrontieren, gegen sie zu agieren? Wegen einer Frau, die ihn abgewiesen hat, um mit einem anderen ihre Zeit zu verbringen, der auch noch schuld daran war, dass er sie nicht rumkriegen konnte? Deine Meinung von Jami lässt zu Wünschen übrig. Ist er in seinem Ego gekränkt, schaut er gerne weg, nur macht er sich ungern die Finger an so was schmutzig. Und wenn du darüber nachdenkst, wollte er mit ihr im Boot nur seinem schlimmsten Feind eins reinwürgen. Ich kann nicht fassen, dass du so naiv bist! Du bist naiver als Jami, selbst er hat erkannt, dass Hiroyas Hass nur Show ist, um ihn davon abzuhalten, seiner Schwester was anzutun. Das ist mit Verrat gleichzusetzen. Sie hat ihren Mund gehalten, aber hätte wohl kaum mitgespielt, wär’s darum gegangen, ihn ans Messer zu liefern. Wenigstens in dem Punkt konnte er sich auf sie verlassen. Ansonsten hat sie ihm ja nur Ärger gemacht. Es war ja ihre Schuld, dass seine ältere Schwester umgebracht wurde.“

„Es ist ein Schauspieler an ihm verloren gegangen, selbst Ryochi glaubt es und der ist nicht blöd.“

Für eine angeblich Außenstehende wusste sie verdammt viel über diese Sache, dass Jami sie aufgeklärt hatte, glaubte Sêiichî nicht. Er dachte zwar nicht, dass sie eine Verräterin war, kannte ihre Gedanken nicht, zumindest glaubte er das, aber seine Rachegefühle mit ihr zu teilen, so weit ging sein Vertrauen sicher nicht.

„Ryochi ist nicht blöd, aber er kann Hiroya nicht leiden – ich übrigens auch nicht! Kein bisschen, ich will nicht, dass dieser Kerl auch noch bei uns einsteigt! Der Gedanke widert mich an, auch wenn er sicher sofort auf der Seite der Verräter wäre.“

„Kannst ja Jami einspannen, der will ihn lieber umbringen“, Sêiichî wollte lieber nicht davon reden, was er von Hiroya hielt, am Ende war sie noch enttäuscht von ihm, weil er nicht ihrer Meinung war.

„Nein, nicht ihn – seine Leute.“ Hiroya direkt angreifen, war ihm ja auch verboten worden – nicht dass sie glaubte, er könnte es alleine schaffen, dazu brauchte er schon ein paar mehr Mitwirkende. „Der ist doch viel zu feige, um es wirklich mit ihm aufzunehmen. Feige Ratte Jami eben.“

Sêiichî holte tief Luft, in ihren Gesprächen rund um Jami waren sie stets anderer Meinung, aber das war in der Regel bei so ziemlich jedem, den er mochte, so. War er wirklich naiv?

„Sicher wünscht sich nun der liebe Jami, dass Kimiko noch leben würde – dann hätte er etwas, womit er seinen neuen Freund erpressen kann, denn dann könnte er wunderbar Hiroya aus dem Weg räumen. So gesehen, ist es gut so. Ich kann dir jede Menge Gründe geben, dass auch du irgendwann einsiehst, dass sie nichts als ein Störfaktor war. Außerdem gibt’s da noch Shiraz und Raki, erstere ist sicher furchtbar traurig, nun kann sie Hyde nicht mehr vor ihren Augen erschießen, dafür hat zweitere nun endlich mal Ruhe, ist doch auch was.“

„Pfui! In deinem kranken Schädel geht manchmal ziemlich viel rum, was? Woher willst du wissen, dass Shiraz so etwas wollen würde?“

„Ach, sie ist das, was Jami für Hiroya ist – der Untergang. Sie langweilt sich unendlich – außerdem habe ich sie gelehrt, wie man so etwas macht, ich kann also sagen, ich durchschaue sie.“

Nun brachte sie den Leuten noch bei, wie man besonders gezielt abdrückte. „Aber eines ist sicher, sie findet die Idee, Hiroya in die Organisation zu holen, besser als Jami, das wird ein Problem werden, vielleicht sind wir die auch bald wieder los, weil sie Jami verärgert. Momentan findet er sie noch furchtbar toll, immerhin lässt sie ihn ab und zu spielen… Wie Hiroya das wohl finden wird? Ich brenne darauf, wenn sie sich über den Weg laufen und Jami ihm sagt, dass er die Kleine genagelt hat. Sie müsste Jami töten, um das je wieder gut zu machen. Und dann haben wir noch den lieben Mezcal, weißt du, was dieser kleine Scheißkerl neulich gemacht hat? Schau dir diesen Kratzer an!“ Sie zeigte auf die Stelle, wo man ihr neulich erst eine dicke Schramme beigebracht hatte.

„Warum erzählst du mir davon? Hat sich der Boss diesmal nicht dafür interessiert?!“

Es kam alles wieder hoch, sie hatte ihm ja ordentlich etwas vorgeheult. „Ich hasse diesen Kerl, ich habe das Gefühl, er hat sich in die Organisation geschlichen, aber der Boss empfindet mein Urteilsvermögen wohl als nicht gut genug, um sich reinreden zu lassen. Er hat mit seinem Messer ziemlich genau in mein Gesicht gezielt, das war pure Absicht!“

‚Du wirst es verdient haben…’ Er ließ sich den Gedanken nicht anmerken. „Hast du versucht ihn in die Enge zu treiben? Ich bin nicht begeistert, dass er wieder hier auftaucht, ich hoffe ja, er hat vergessen, was damals passiert ist. Noch mehr Verbündete von Pinot kann ich nicht brauchen, Saperavi reicht vorerst.“ Er griff sich an die verletzte Stelle, die er diesem Mistkerl, der auch mit Teran befreundet war, zu verdanken hatte.

„Keine Angst, ich glaube, es gibt Leute, die Mezcal mehr hasst, als dich, Sêiichî.“

„Oh toll, davon gibt’s eine Steigerung?? Als Saperavi, der übrigens sein Cousin ist, auf mich losging, war alles, was man sehen konnte, das schadenfreudige Grinsen.“

„Würde er dich richtig hassen, würde er mehr tun, als zusehen… Da bin ich sicher, du kannst also ganz beruhigt schlafen.“ Sicher hatte Yuichi ihn schon total aufgewühlt, als er ihm bestimmt erzählt hatte, wer der Kerl war und woher sie sich kannten. Carpano machte Cognac doch gerne mal ein bisschen Angst… Mezcal schien ihr ziemlich gehässig und sogar ganz schön sadistisch zu sein, er liebte es, bei Saperavis Spielchen zuzusehen, oder er gab vor, dass es so war. Sie war sich in seinem Fall nicht sicher, wo er hin gehörte. Aber GUT war er mit absoluter Sicherheit nicht.

„Wenn er wirklich so ist, wieso gibt sich Cinzano mit ihm ab?“ Die Frage quälte ihn die ganze Zeit, er wusste noch genau, was Yuichi neulich gesagt hatte: ‚Gefällt mir genauso gut wie Cognac auf Vermouth!’ Was sein Freund von ihnen hielt, wusste er, und langsam begann er zu begreifen, warum das so war…
 

Immer wieder wurden diese Schüsse auf sie abgegeben, und wenn man bisher keine Angst gehabt hatte, dann hätte man sie spätestens jetzt bekommen. Dieser Irre jagte sie wie ein Jäger seine Tiere.

Und im Moment hatte sie wenig zu befürchten, solange der unbekannte Mann hinter ihr war. Sie war heilfroh, als sie in einem Auto saßen, er hatte sie reingeschoben und die Türen verriegelt – so gesehen saß sie wie eine Maus in der Falle, eine Situation wie sie ihr keinesfalls behagte. Ihr Verlobter war ein wahres halbes Hemd im Gegensatz zu diesem Mann, und er schaffte es mit Leichtigkeit sie zu überwältigen, wenn er wollte…

„Wer zum Teufel bist du, dass du mir geholfen hast?!“ Sie hörte das schwere Schnaufen des Mannes, was ihr sagte, dass er wohl von den Kugeln getroffen worden war. Es war nicht die Aktion eines normalen Menschen. „Los rede, was hat dich dazu bewogen?“

Secret missions

Mit den Händen in den Hosentaschen und nachdenkend, war es einfach für sie, den jungen Mann zu verfolgen, ohne dass er es bemerkte. Es ging ihm wohl noch immer nicht besser, weswegen sonst sollte er gedankenverloren durch Tōkyōs Straßen gehen, statt um diese Zeit zuhause zu sein? Als sie ihm auf die Schulter tippte, zuckte er natürlich zusammen, da er total versunken gewesen war.

„Ach du bist es, ich dachte schon…“

„…Dass die alte Schachtel dir nachgelaufen ist?!“ Anscheinend amüsierte es die junge und hübsche Frau, die für jeden Mann eine Augenweide war. „Keine Sorge, die habe ich in ihre Schranken gewiesen – sie hat sich wie eine Professionelle aufgeführt. Aber diese Bezeichnung passt ja auch zu ihr. Deswegen bezeichnet sie andere Frauen wohl auch meistens als Amateurinnen.“

„Die war doch mit Sicherheit inmitten der Dreißiger. Es hat noch keine ältere Frau versucht so an mir rumzufingern wie sie… Und dann noch frech werden, weil’s nicht funktioniert hat. Hast du alles mitbekommen, Aoi-chan?“

„Sie hat sich wie ein hungriger Tiger auf dich gestürzt; ich konnte dich als armes Opfer ja nicht im Stich lassen!“

„Hey!“ Das arme Opfer, er fühlte sich eigentlich nicht wie ein Opfer und hilflos war er schon gar nicht.

„Habe ich deine Männerehre angegriffen? Du wärst natürlich alleine klargekommen, ich konnte es nur leider nicht ertragen.“ Dass sie ein bisschen mit ihm flirtete, lag daran, dass ihr Bruder sie stets von allen Männern fernhielt, so gut er es kontrollieren konnte, sie hatte Spaß daran. Ob er wohl den kleinen Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte? Sie wettete darum. „Übrigens bin ich immer noch Sayaka – es wäre nett, wenn du meinen richtigen Namen nicht einfach so ausplaudern würdest.“

„Gomen – es ist immer noch seltsam für mich, dich so zu nennen, da ich dich persönlich kenne. Aber was meinst du, mit nicht ertragen können?...“ Es war besser, er machte sich darüber keine Gedanken, aber zu spät, sie hatte gekräht, was er kaum überhören konnte.

„Wir sind zusammen zur Schule gegangen, das solltest du schon wissen, mein Lieber. Sagen wir so, der Gedanke daran, dass sie irgendwelche unanständigen Sachen mit dir macht, gefiel mir nicht.“

„Mir auch nicht – Unverschämtheit!“

„Es gibt wohl nicht viele Frauen, die es schaffen, dass du rot wirst – und das warst du, sehr amüsant. Ob ich das wohl auch schaffe?!“ Er spürte ihren Atem am Ohr und ihre Hand, die sich auf seine Schulter gelegt hatte.

„Du solltest nicht mit Männern spielen, dann wirst du nur verletzt, das wollen wir doch nicht, oder?!“ Er sah ihr direkt ins Gesicht, in ihre wunderschönen braunen Augen, man konnte sich in ihnen vergessen.

„Was macht dich so sicher, dass ich nur spielen will?“ Ihre Stimme in diesem Flirt-Ton zu hören, hätte ihm fast ein Lachen entfahren lassen; was er vor Augen hatte, war die kleine, süße Aoi, der kein Kerl was zuleide tun konnte, die so unschuldig war, dass man Angst hatte, etwas in ihr zu zerstören, wenn man sich ihr näherte. Das Mädchen hatte sich zum schönen Schwan entwickelt, das Männer kontrollieren, ihnen den Verstand rauben konnte und dabei noch unglaublich schön war.
 

Aus der Ferne näherte sich ein Auto, was sie noch nicht sahen.

„Ich dachte eigentlich, dass ich heute noch eine Antwort kriege! Wird es bald?“ Allmählich wurde die Schwarzhaarige jähzornig, er grinste in den Spiegel und amüsierte sich darüber, wie sie immer ungeduldiger und nervöser wurde.

„Mach dich locker!“ Er bemerkte ihre Unsicherheit. Jami hatte sich wohl bereits ziemlich intensiv mit ihr beschäftigt. „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich wurde damit beauftragt, auf dich Acht zugeben, schuld ist ein total besorgter Mann, der nicht wusste, was er machen soll. Dieser Mann ist ein ehemaliger Kollege von mir. Wir sind gemeinsam in Nagoya zur Schule gegangen. Er hat meine Schwester um einen Gefallen gebet-“ Seine Stimme verstummte und man merkte, wie das Auto beschleunigte und mit einem Quietschen direkt neben den Beiden stehen blieb und man die Fensterscheibe herunter ließ. In dem Moment war seine kleine Schwester so nah am Gesicht des Mannes, dass ihm vor Wut die Röte ins Gesicht stieg. Aber sie hörte nicht auf, als sein Blick auf sie fiel, sondern ging noch näher ran.

Da die Situation zu eskalieren drohte, wie Hayato selbst bewiesen wurde, weil er sich einfach nicht dagegen wehrte, dass seine Schwester dabei war, ihn zu küssen, riss er die Tür auf.

„Es reicht, auseinander!“ fuhr er sie barsch an und nicht nur seine Schwester, er warf ihm einen Blick zu, der ihn auf der Stelle getötet hätte, wäre es möglich gewesen. „Kann man dich denn nicht einen Moment aus den Augen lassen?!“ Wen genau von beiden er meinte, bemerkte man nicht sofort.

Noch ehe die Insassin verstanden hatte, warum das Auto beschleunigt und dann so rapide gebremst hatte, war er auch schon hinaus gesprungen. Dass er wohl ein Freund von ihm war, hatte sie jedoch noch mitbekommen, es hatte sie beruhigt. Wenn NUR das der Grund gewesen war, hatte sie wenig zu befürchten, auch wenn es sie schon interessierte, wie er zu einer Waffe kam, um damit diesem Mistkerl Beine zu machen.

„Herrje“, kommentierte die Braunhaarige den kleinen Aussetzer ihres Bruders, der natürlich wieder rot sah. „Jedes mal das Gleiche! Lass mich in Ruhe…“ Sie schlang die Arme um ihn, der leider noch nicht gecheckt hatte, welches Donnerwetter ihn erwartete, er rechnete nicht damit, dass noch jemand bei Hayato war.

„Du tust ja, als wäre sie 15 und ich würde sonst was mit ihr tun.“

„Du hältst dich raus, Ken Kitamura! Einen Weiberhelden wie dich lasse ich ganz sicher nicht an sie heran – nur zu deiner Info, ich bin nicht alleine…“ Er entfernte die Sperre, damit sie auch ja aussteigen konnte – ihm gehörte ein Satz heiße Ohren. „Du lässt aber auch gar nichts anbrennen, und jetzt Pfoten weg von meiner kleinen Schwester!“

Die Tür sprang auf, in dem Moment hatte er sie meilenweit von sich geschoben, als wäre nie etwas passiert. Den kleinen Schweißausbruch konnte man nicht übersehen. ‚Hat sie es gesehen?? Hoffentlich nicht… Ich will noch ne Weile in Frieden leben…’

„Wer – verdammt noch mal – sind diese beiden?? Sollte ich die kennen?! ICH hab’s gesehen!“ Mit zwei Schritten war sie bei ihm und unternahm den Versuch ihn am Ohr zu packen… „Was ist da zwischen euch, was ich wissen sollte?!“

Hayato hatte ein zufriedenes Grinsen im Gesicht. ‚Selber Schuld, hoffentlich gibt sie dir einen Satz heiße Ohren, hast du verdient, wenn du mit meiner Schwester flirtest!’

Weil sie so hübsch ausflippte, mischte sich Sayaka in die Konversation ein, indem sie erst einmal ihre Hand daran hinderte, ihn zu packen und ihn fest an ihren Körper drückte.

„Wir sind sehr enge Freunde, was denkst du denn? Ich kenne ihn, da hat er noch in die Windeln gemacht!“

„DAS ist übertrieben…“ Es war blamabel… alles, nicht nur Yuis Auftritt war unendlich peinlich, weil sie aus einem Mücken wieder einmal einen Elefanten machte, als auch Hayatos, der nun bestimmt noch viel wütender sein würde. Und Aoi goss noch fröhlich Öl in ein Feuer, das bereits lichterloh brannte. Sie würde austicken…

„Im Übrigen stört ihr.“ Er würde ihn ermorden wollen, er kannte ihn ja, dabei war sie es gewesen, er hatte – zur Abwechslung mal überhaupt nichts in die Richtung versucht, das hätte er sich bei ihr niemals getraut. „Ich habe ihn soooo lange nicht gesehen, eigentlich wollte ich mit ihm alleine sein!“

‚Provozier sie nicht, du weißt ja nicht, was dann passiert…’ Es war schwer, sie wieder von sich zu kriegen, nachdem sie ihn so fest umarmt hatte. Er bekam ja fast keine Luft mehr, so eng war die Umarmung der hübschen Dame.

„Sayaka! Es reicht! Du kommst sofort mit!“ Hayato war am Ende seiner Geduld angelangt, wie konnte sie das alles so einfach tun. Sie waren keine Kinder mehr, wo das normal war – und ihn kannte er leider viel zu gut, bei Frauen ließ er nun wirklich nie etwas anbrennen – es war, als würde sie sich als unschuldiges Lämmchen dem Wolf zum Fraß vorwerfen, er würde sie gnadenlos zur Schlachtbank führen, wenn sie es zuließ…

„Nicht aufregen, sie hat sich eben total gefreut, mich wieder zusehen“, sein anschließendes Lachen klang mehr als nervös, mit Hayato wollte keiner Ärger haben, aber momentan machte er sich mehr Sorgen um die andere Person, die ihm die Hölle heiß machen könnte.

„Ist dir klar, dass es mein Verlobter ist, den du da so unsittlich an dich drückst?? Lass ihn los, augenblicklich, ansonsten passiert was!“ Ihre Augen funkelten herausfordernd und man musste damit rechnen, dass sie Drohungen wahr machte.

„Das muss ja nicht so bleiben… Solche Dinge sind dazu da, um geändert werden.“ Ihr war bewusst, dass es unverschämt, frech und sogar gemein war, so etwas zu sagen, bestimmt schmollte er gleich auch noch, weil sie so etwas offen vor seiner Verlobten verkündete, die sowieso gleich explodierte.

Hayato fand den Spruch unmöglich. Vielleicht war sie ein wildes Mädchen, wenn es darum ging, sich mit anderen Leuten anzulegen, so wie mit der 20-jährigen – sie goss schließlich absichtlich Öl ins Feuer.

Das tiefe Einatmen klang wie das Zünden der Schnur, die zur Explosion führte. Jedenfalls wagte die 20-jährige einen Moment lang nichts zu entgegnen. Sie bemühte sich wirklich, ihr nicht an die Kehle zu hüpfen…

„Hast du jetzt Angst? Glaubst du, wenn du dich rumdrehst, macht er der nächsten schöne Augen, um sie flachzulegen? Ich dachte, er ist dein Verlobter?“ Unglaublich – die hatte doch einen Schaden. Wenn er ihr Verlobter war, dann sollte sie ihm etwas mehr Vertrauen schenken, dass er nicht von jeder dahergelaufenen Frau sich abschleppen ließ. Von Vertrauen hatte sie noch nichts gehört.

„Pass auf, was du sagst!“ Sie ging auf diese unverschämte Person los, die IHN an sich drückte, als würden sie sich ewig kennen, besser als sie ihn kannte und dann damit angab wie eine Tüte Mücken. Wer ihren Kerl anfasste, der erlebte ein blaues Wunder. Das hatte sogar ihre Schwester schon zu spüren bekommen.

„Du solltest wissen, worauf du dich einlässt, Kleine – man kann schnell falsche Entscheidungen treffen, wenn man jung ist!“

Er wünschte nur, Aoi würde endlich schweigen, sie machte es nur schlimmer.

„Bitte hört auf, es ist doch überhaupt nichts passiert. Sie hat nur Spaß gemacht…“

„Ach sei ruhig – ich bin nicht blind! Du hast es genossen!“

Immer das Gleiche, sie ließ einfach nicht mit sich reden. „Also es ist wirklich so, dass wir uns lange nicht gese-“, doch im nächsten Moment fuhr sie ihm mitten ins Wort.

„Ach, erzähl doch nichts! Ich hab’s doch gesehen, wäre ich nicht gekommen… na, was wäre passiert?“

„Wir wären ins Hotel gefahren und dort hätte ich ihn vernascht, was sonst?!“ Die Braunhaarige gab ein tiefes Seufzen von sich, man musste den Sarkasmus in ihrer Stimme einfach hören.

„Ich glaube, da gibt’s schlimmere Personen, als mich, die es bei ihm probieren könnten… Ich wurde Zeuge davon!“ Bevor die Kleine total den Verstand verlor und er nichts mehr zu lachen hatte, ließ sie ihn los und schüttelte den Kopf. „Komm endlich runter! Wenn du so was von ihm denkst, dann solltest du diese zweifelhafte Beziehung sofort beenden. Mit dir hält es ja kein Mensch aus…“

„Jetzt red ihr keinen Blödsinn ein!“

‚Oh mein Gott – er ist wirklich hoffnungslos verloren. Manche Männer brauchen das einfach. Ich hoffe, sie kann auch noch anderes, als dich runterputzen, sonst putz ich die mal runter.’ Aoi wusste, welche komischen Beziehungen hinter ihm lagen. Damals hatte er die Schnauze gestrichen voll von so was gehabt und sich lange gesträubt eine neue Beziehung anzufangen – und dann gleich so eine. Mit einer Frau, die ihm ständig misstraute, bestimmt schnüffelte sie ihm auch noch hinterher. Sie wusste, ein Mann wie er, würde immer Freundschaften zu anderen Frauen pflegen – bestimmt tat er das heimlich, damit sie nicht ausrastete, so wie gerade. Gut, sie hatte es provoziert, aber mehr um die Lage abzuchecken. Vielleicht war sie ein bisschen voreingenommen, immerhin vermutete er selbst, dass sie jemanden aus Eifersucht ermordet haben könnte. Wenn das stimmte, dann würde diese Geschichte nicht gut ausgehen, und wenn sie selbst dafür sorgen musste…

„Bist du jetzt wieder lieb?“

„Das überleg ich mir!“ Sie drehte den Kopf zur Seite, so kam er ihr nicht davon.

‚Die weiß doch genau, wie sie dich rankriegt… Sei doch nicht so nett!’ Dass er sie so besänftigen wollte, statt mal ein bisschen angriffslustig zu sein und die Konfrontation nicht zu scheuen – es war wie Friedenswahrung.

Hayato hatte sie am Handgelenk genommen und zu sich gezogen, weg von ihm, auch wenn er sich längst seiner Verlobten zugewandt hatte. „Du bist unmöglich“, flüsterte er ihr zu, „wie kannst du sie so verärgern? Sie hat sowieso total angekratzte Nerven… Komm mit!“ Er zog sie einige Meter weiter weg. „Ich musste sie vor Jami retten, er hat ihr wohl irgendwann geholfen und wollte eine Gegenleistung.“ Sie unterhielten sich heimlich, da die beiden mit sich selbst beschäftigt schienen, bekamen sie es ohnehin nicht mit. „Dein Verdacht, dass sie in Kontakt mit denen steht, war also nicht unbegründet.“

„Ein Grund mehr, die beiden schnellstmöglich zu trennen. Erspart ihm den Schaden, der verursacht wird, wenn die Organisation die Sache riecht. Du weißt doch, wie das läuft.“

„Jami weiß, dass sie verlobt ist, ich glaube aber nicht, dass er schon gecheckt hat, wer’s ist. Dafür hat er sich über ihre Familie schlau gemacht – er drohte ihr, sie alle zu ermorden, so weit geht er schon, sie scheint ihm sehr zu gefallen – als Mörderin. Er würde sie gern zu ihnen holen. Was schlägst du vor, außer sie von ihm loszureißen?“

Die junge Frau schloss die Augen – natürlich konnte das Mädchen nichts dafür, dass dieser Kerl es auf sie abgesehen hatte, andererseits fand sie dieses Weibsbild unmöglich – wie sie mit ihm umging…

„Kannst du sie im Auge behalten? Ich will wissen, ob sie was mit Kimi’s Tod zu tun hat… Wer gegen Kir arbeitet, gegen den werde ich von Anfang an einen Groll hegen…Und sie war ihr Schützling.“

Bei ihr drehte sich vieles um Kir, er verstand das zwar, aber dass sie diese ganzen Sachen mit einbezog, war schon gruselig. Sie hatten doch überhaupt keinen Kontakt zueinander gehabt und Yui es sicher nicht mutwillig getan, das glaubte er nicht.

„Kei ist an dem Fall dran, von ihm weiß ich, dass Yui zur Tatzeit kein Alibi hat und dann auch noch die erste Person war, die darüber Bescheid wusste, was vorgefallen war. Genauso wie die Presse. Angeblich hat sie sie gefunden und gleich ihren Bruder angerufen, der wiederum hat sich im Hotel gemeldet. Er wollte Kimis Freunden gleich erzählen, was mit ihr geschehen ist. Meiner Meinung nach ist er noch viel verdächtiger als sie, auch wenn sie ANGEBLICH eher Bescheid wusste. Wer sagt, dass das die Wahrheit gewesen sein muss? Es kann genauso gut sein, dass sie ihren Bruder deckt. Ich meine, das würdest du genauso tun, nicht wahr?“

Es war eine Überlegung wert und ein Tathergang, den sie akzeptieren könnte. „Der Kerl ist mit gewissen Aspekten nicht klargekommen, sagt man – Kimis Affären, ihr abweisendes Verhalten ihm gegenüber… Ich glaube, er hätte sie lieber getötet, als sie nie besitzen zu können, das hat sein Ego nicht verkraftet… Mistkerl! Egozentrik scheint bei denen in der Familie zu liegen. Sie ist ja nicht anders.“

„Sei nicht so, sie hatte ziemliche Angst, dass der Kerl sie noch vergewaltigt. Er sagte, es wäre ihm egal, ob sie dabei an einen anderen denkt. Dieser Scheißkerl! Und dass sie nur an sich denkt, glaube ich nicht. Meine Erfahrung sagt, dass sie nur so eifersüchtig ist, weil sie Angst hat ihn zu verlieren. Wer weiß, was sie erlebt hat?“ Hayato sah nun leicht nachdenklich aus. „Und er weiß das mit großer Sicherheit, sonst würde er sich nicht so von ihr anmachen lassen. Außerdem – woher weißt du, dass sie immer so zu ihm ist? Er ist keiner, der in einer Beziehung nur gibt, das solltest du nie vergessen – und er würde sie ja wohl nicht heiraten wollen, wenn sie ihn nur anzickt… Selbstfolter ist nicht so sein Ding.“

„Wenn du das so sagst, wird mir nur klar, dass ich von Beziehungen keinen blassen Schimmer habe. Und noch weniger von Liebe…“ Einen Teil der Schuld trug aber auch Hayato, er ließ es nicht so weit kommen, sie war von der Liebe verschont geblieben, er hatte dafür gesorgt, was sie aber sehr bedauerte – sie würde sich auch gerne mal verlieben.

„Wie oft muss ich dir sagen, dass du um diese Zeit alleine nichts auf der Straße zu suchen hast?!“ Die erhobene Stimmlage des 26-jährigen war, nachdem er so den Schwanz eingezogen hatte, doch eine wahre Sensation, die Hayato auch noch kommentieren musste. „Jetzt guck dir mal die beiden Turteltäubchen an! Er macht sich wohl ziemlich große Sorgen um sie, ich fürchte, er ahnt was. Irgendwie glaube ich nicht, dass er dich nur wegen Kimi um diesen Gefallen gebeten hat. Obwohl ich ihm noch nicht einmal Einzelheiten erzählt habe, weiß er schon, dass etwas vorgefallen sein muss.“

„Wieso wundert dich das? Er war früher schon ein schlauer Junge, der sich wenig vormachen ließ. Sie hat ihm ja auch jede Menge Indizien geliefert, er hat mir Einiges über sie erzählt. Muss ja ein ganz schön wildes Turteltäubchen sein, das war mein erster Gedanke – und ich habe mich nicht getäuscht. Das Verhalten der Beiden erinnert mich ironischer Weise ziemlich an dich und Mia, sie hat dich auch total unter ihrer Fuchtel. Wenn sie loslegt, bist du kleiner als ein Fingerhut.“ Ja, ja, die starken Männer – wenn ihre Frauen ihnen böse waren, wurden sie ziemlich weich. Es war manchmal gruselig, er ließ sich nicht viel gefallen und dann von einer Frau unterbuttern. Wäre sie nicht ihre beste Freundin und würde sie verstehen, hätte sie wahrscheinlich etwas gegen sie einzuwenden gehabt. Sie machte sich ja bloß Sorgen wegen des gefährlichen Berufs, den er ausübte.

„Du bist ganz schön frech! Pass bloß auf, dass du nicht irgendwann mal so wirst! Das würde nicht zu dir passen, einem Mann in den Hintern zu kriechen. Pass auf, die nutzen das schamlos aus.“

„Du musst es ja wissen, du bist schließlich ein Mann. Du hast Mias Schwäche ja auch für dich zu nutzen gewusst. Dass sie dir nicht widerstehen konnte, hast du zu deinem Vorteil ausgenutzt, um sie rumzukriegen. Und von so einem muss ich mir das anhören! Meinst du wirklich, dass du mich aufhalten kannst? Die Liebe ist nicht aufzuhalten, Hayato, jeden trifft’s mal.“ Sie war sich vollkommen sicher, dass die Liebe etwas Wundervolles, aber auch etwas total Grausames sein konnte. Um sich, mit der Befürchtung, dass es nicht gut ausgehen konnte, einem Menschen unterzuordnen, war sie im Bezug auf Männer viel zu vorsichtig - worum machte er sich bitte Sorgen? Sie war keine Frau, die zu leichtfertig mit der Liebe umging. Das machte sie auch zu einem schlechten Ziel für Kerle wie Jami. Wenn ein Mann zu nett war, dann war in der Regel bereits etwas im Busch.

Die Begegnung mit ihm hatte sie aus der Bahn geworfen, er erinnerte sich viel zu gut an sie, obwohl es gut 6 Jahre her sein musste, seit sie sich das letzte Mal in Nagoya über den Weg gelaufen waren.

Im Grunde hatte sie bereits jetzt genug von den Sorgen, die sie sich immer um ihre Freunde machen musste. Ihr Jahrgang bestand aus vielen jungen Kriminalisten, die zu ihrem Pech auch noch Kontakt zu der Schwarzen Organisation hatten; und dann war da noch Hidemi, die von ihrem Vater ins Unglück gestürzt worden war. Es gab Leute, die das ertragen konnten, Hidemi gehörte nicht dazu, sie machte sich große Sorgen. Wenn es um Mord ging, verzieh sie sich selbst genauso wenig wie Tomoko oder Shizuka. Beide hatten es früh mit der Organisation zu tun gekriegt, viel früher als es bei ihr der Fall gewesen war. Sie war verschont geblieben, bis sie zum CIA ging. Dass er sich in eine andere Richtung bewegt hatte, als alle, die mittlerweile gegen die Organisation ermittelten, darum war sie froh gewesen – das war mit ein Grund dafür, dass ihr dieses Mädchen – für sie war sie keine Frau, sondern ein unreifes Gör – ein Dorn im Auge war. Ihr war egal, wer sie war, solange sie eine reine Weste hatte und ihn nicht auch noch in diese Sache mit hineinzog.

Als sie sich den Kopf hielt, fiel ein besorgter Blick von Hayato auf sie, bestimmt hatte sie sich furchtbar viele Gedanken. Die Rolle der Leidtragenden haftete an ihr wie ein Magnet des Unglücks, sie zog es geradezu an. Von ihren gemeinsamen Freunden war sie am schlimmsten davon betroffen, von der Hilflosigkeit, die sie verspürte, wenn wieder jemand von ihnen von der Organisation angegriffen wurde. Tomokos Mitgliedschaft und ihre Flucht aus der Organisation war nicht allen bekannt, er hatte es ihr bis zuletzt verschwiegen, dass sie in ihre Fänge geraten war. Dass sie durch ihre Zugehörigkeit beim CIA davon Wind bekommen musste, war vorprogrammiert und doch hatte er versucht, es vor ihr zu vertuschen, in der Hoffnung, dass sie es niemals erfahren musste, dass zwei ihrer Freundinnen dazu gezwungen worden waren, Menschen zu ermorden. Hidemi war da eine gute Ablenkung, seine Schwester hatte sie sofort gemocht und sich mit ihr angefreundet, um ihren Vater hatten beide sie nie beneidet. Der Tiefschlag kam, als auch sie zu diesen Taten gezwungen wurde. Somit hatte man 3 Freunde von ihr in den Schmutz gezogen; keine von ihnen war denen freiwillig beigetreten, sie waren schlimmer als jede Sekte. Hayato fand es furchtbar, am liebsten wollte er sich gegen sie eintauschen, damit sie nicht damit gestraft waren, als Frauen solche Taten zu begehen. Wie oft hatte er daran gedacht, Kir verschwinden zu lassen, und wenn er sie entführte, Hauptsache, sie entkam dieser unendlichen Schande. Warum hatte ihr Vater auch ausgerechnet sie gewählt und nicht beispielsweise ihn – einen Mann? Weil er es ertragen hätte… Zwischen seinem Chef und ihm stand stets eine tiefe Kluft, er hatte sich so oft mit ihm angelegt. Obwohl er ein Jahr jünger war, fühlte er sich mehr in der Lage in Verbrecherkreisen klarzukommen. Wenigstens hatte das FBI es besser gemacht, sie hatten einen Mann gewählt – wobei dieser sich eher selbst ausgesucht hatte, diese Aufgabe zu bewältigen. Dass er noch immer beim CIA war, konnte man beinahe Wunder nennen, er hatte für den Laden nicht viel übrig. Der Grund war Aoi, er wollte besser auf sie aufpassen, als damals auf Hidemi. Den Kerlen war zuzutrauen, dass sie ihre künstlerischen Fähigkeiten ausnutzten, damit sie sich AUCH in die Organisation schlich. Was sie unter dem Deckmantel von Cassis momentan trieb, war ihm noch nicht bewusst, obwohl es so leicht war, dahinter zu kommen, dass es bereits riskant war. Sie hatte sich ja sogar dazu geäußert, wie sie Kir fand, auch wenn es auf den Alkohol bezogen war.

„Meinst du, er hat immer noch die Tendenz dazu, waghalsig zu agieren? Nachdem, was damals passiert ist? Machst du dir am Ende deshalb Sorgen?“

„Mehr über den Grund, weshalb er bei uns mitgemacht hat. Neugierde kann einen teuer zu stehen kommen, wenn man sie mit den falschen Dingen verbindet. Tomoko und Umi sind ein allzu gutes Beispiel, wo das enden kann. Sie hatten die Verbrecherwelt auf sich aufmerksam gemacht, das kann ihm kaum passieren, wenn er nicht plötzlich einen Anfall von Schnüffler-Sucht erleidet. Hoffen wir mal, dass ihm bald die Zeit für so was ausgeht.“

„Ich halte Jami von den Beiden fern, ich habe ja bereits damit angefangen. Wenn es zu gefährlich für ihn selbst wird, lässt er sie schon in Ruhe. Es sei denn, sie weiß mehr… Aber das studiere ich in Ruhe, ich war zu beschäftigt auf meine Gesundheit zu achten, als er diese Konversation startete…“

„Wie hast du es geschafft sie zu retten? Welche Psychospielchen hast du diesmal mit deinem Opfer gespielt?“ Die Braunhaarige schloss wissend die Augen, sie kannte ihren Bruder – die Leute, welche er jagte, wurden von ihm meist verbal angegriffen. Er studierte seine Verbrecher und konnte dementsprechend genau da angreifen, wo es ihnen zusetzte.

„Ach weißt du… Bei Jami ist es sehr hilfreich, ihn auf seine eigenen Schwächen anzusprechen, das kann Wunder bewirken. Er ist ein Weichei der besonderen Sorte, zum Kotzen. Er versteckt sich hinter seiner Macht… Wenn du das erkannt hast und ihn damit konfrontierst, verliert er schnell die Nerven. Hiroya Tokorozawa ist leider nicht in der Lage ihn mit Worten anzugreifen, er benutzt seine Waffe, darauf kann Jami angemessen reagieren, mündlich ist er nicht so helle, wie mit seinem Schießeisen.“

„Du hast den Irren also mal wieder richtig geärgert, so wie du es mit einigen getan hast. Dabei sollst du Mia nicht so viele Sorgen bereiten. Glaub mir, Jami ist keiner, der sich das gefallen lässt. Pass auf dich auf, Bruderherz, vergiss niemals, dass er Macht besitzt – Macht über viele, die er dazu nutzen kann, dir zu schaden. Ich hoffe, du hast ihm nicht zu viel zum schnüffeln gegeben. Wenn er herausfindet, wo du hin gehörst, gibt’s nur wieder Ärger. Er scheut weder FBI noch CIA – das Einzige, wovor er Respekt haben könnte, ist Interpol.“

Aus den Augenwinkeln heraus konnte der junge Mann genau sehen, dass sich Hayato und Sayaka unterhielten – er war nicht blöd, er erkannte, dass sie es heimlich taten und sogar zu flüstern schienen. ‚Was hat er rausgefunden, das ich nicht wissen darf? Ich kann’s nicht ausstehen, wenn man mir versucht, etwas zu verschweigen! In was für einen Mist ist sie nun wieder reingeraten? Sobald man sich herum dreht, hat sie Ärger am Hals! Und ihr Vater ist bloß damit beschäftigt, wie er mich am leichtesten auf seine Seite ziehen kann! Am Ende ist er froh, wenn er sie loswird, er hat’s ja schon passend formuliert: Ich kann sie haben, dann lasse ich wenigstens seine tolle Tochter Mitsuki in Ruhe – armer Tropf, der hat doch echt einen an der Klatsche. Unter seiner Fuchtel konnte Juu ja nur durchdrehen. Er hat ihm gezeigt, wie man Frauen am besten unterdrückt. Es ist am besten für seinen Bruder schnellstmöglich auch auszuziehen, bevor es auch ihn trifft. Aber er war ja immer ein gehorsamer Sohn, bei ihm wird er seine Macht kaum so extrem zeigen.’

„Ich rede mit dir, wo bist du mit deinen Gedanken?!“ Sie hatte das Gefühl, dass ihr Ken nicht mal zuhörte, dabei schimpfte sie gerade zurück, nachdem er sie angemacht hatte, da sie so spät alleine noch unterwegs gewesen war. Er wollte ja bloß von dieser Frau ablenken. „Starr noch offensichtlicher zu ihr, damit es auch ja alle mitbekommen! Sag mir endlich, was da zwischen euch läuft!“ Ihre Stimme wurde immer grober und zog die Blicke von Hayato und Sayaka auf sich.

„Da hast du ja was angerichtet, sie wird ihn nicht mal schlafen lassen, fürchte ich, bis sie die Antwort kennt! Du hast ein Talent dafür, andere Frauen zu attackieren, dass sie richtig böse werden!“

„Nichts läuft da, nur in deiner Fantasie.“ Man stupste sie mit dem Zeigefinger gegen die Nase und grinste sie frech an. „Es ist unhöflich, zwei seiner Freunde so stehen zu lassen. Also bitte sei nett und benimm dich. Was sollen sie von dir denken, wenn du dich so aufführst.“ Als Gipfel tätschelte er ihren Kopf, wie bei einem kleinen Mädchen, was Hayato endgültig ein belustigtes Lachen entfahren ließ.

„Du solltest dich sehen, Kleine – solange ich auf meine Schwester aufpasse, wird es bei Fantasien bleiben, weil ich ihm sonst seinen Hals rumdrehe, besser ist also, wenn du auf ihn aufpasst, sonst stößt ihm mal was zu!“ Sein Blick war gefährlich geworden. Wer seine Schwester anfasste, wurde gnadenlos zur Schnecke gemacht, er konnte mit jeder Sorte Mensch passend umgehen, auch bei ihm wusste er, wo er hinzielen musste.

„Oh man, wusstest du nicht, dass ich auf Gefahr stehe?? Vielleicht gehe ich dieses Risiko ja mal ein? Ein gutmütiger Mensch, wie du einer bist, ist kaum eine Gefahr für mein Leben, da gibt’s Schlimmeres.“

‚Wenn du wüsstest! Hayato kann ganz schön böse werden, du hast es nur noch nicht erlebt, dass er richtig ausgerastet ist! Wenn ihm einer den Kampf ansagt, wird er, irre wie er ist, den Kampf mit demjenigen aufnehmen. Nicht selten musste dabei jemand in psychische Behandlung – jedoch ist es bei den meisten angebracht. Er hat noch nie einen ohne Grund fertig gemacht, er findet immer ein Haar in der Suppe, das er zu seinem Vorteil nutzen kann. So gesehen, ist er ganz schön raffiniert und auch skrupellos. Und etwas vor ihm zu verbergen, das geht nicht lange gut, ich habe alles versucht.’ Als es aussah, als würde sie sich in Kei verlieben, hatte er früh dafür gesorgt, dass das für sie nicht in Frage kam, sie wünschte, er hätte sich aus dieser Sache heraus gehalten. Dass er nicht hundertprozentig ehrlich zu seiner Schwester gewesen war, hatte ihm das Genick gebrochen. Dem hatte er mit seinen verbalen Attacken ordentlich zugesetzt, er hatte nie mehr den Versuch gewagt, sich an Aoi ranzumachen. Aber das lag auch daran, dass er Hayato als seinen Freund ansah. Und dabei war dieser grausam genug, ihm Mia vor der Nase wegzuschnappen. In der Liebe musste man eben Opfer bringen, mit diesen Worten hatte er sein Verhalten entschuldigt. Seitdem trieb sich Kei ziemlich mit Frauen herum, er hatte es nicht verkraftet…

„Spiel bloß nicht wieder Rambo – spiel lieber Gitarre, das ist gesünder.“ Was wie ein kleiner Spaß am Rande klang, war in Wirklichkeit ein ernst gemeinter Ratschlag. Noch mehr Kummer war nicht das, was er seiner Schwester wünschte. Man hatte bereits Umi umgebracht und Tomoko war verschwunden, geradezu als wäre ihr das gleiche Schicksal ereilt, das reichte doch vollkommen. Noch mehr Freunde, die in Schwierigkeiten gerieten, brauchte sie nicht. Als sie sich für dieses Detektiv-Leben entschieden hatten, wären sie nie auf die Idee gekommen, dass es so schlimm werden könnte… Trotzdem würde er nie den Gedanken hegen, sein Leben umzukrempeln. Ob seine Schwester nicht manchmal daran dachte, wusste er nicht. Sie hatte das Talent ihres Vaters geerbt und genoss es doch bestimmt sehr, im Rampenlicht zu stehen und bewundert zu werden – als Abwechslung für den Job, den sie machen musste. Sie hatte es sich zwar ausgesucht, aber dass sie es liebte, davon konnte nicht die Rede sein. Es machte eben keinen Spaß, dabei zuzusehen, wie Menschen skrupellos benutzt wurden, wie vom CIA und man hätte sie auch kaum einfach so gehen lassen; der Geheimdienst war in dem Punkt der Organisation erschreckend ähnlich…

„Sag mal – kann es sein, dass das Leute aus deinem früheren Leben sind?“ Mit früherem Leben war das gemeint, was er vor seiner Karriere so getrieben hatte. Es war ja nicht so, dass das Einzige, was er vorgehabt hatte, Musik zu machen war, er hatte lange Zeit mit dem Gedanken gespielt anderweitig Karriere zu machen. „Das würde erklären, wieso er auf einmal da war und eine Waffe bei sich hat.“

„Sagte sie doch bereits! Unsere Jahrgangsstufe hat ein paar brauchbare Detektive hervorgebracht. Alle bis auf Sayaka und er, sind noch dabei.“ Natürlich log er wie gedruckt, er wusste ja nicht, dass seine Schwester ihm verraten hatte, dass es Tarnung war, damit verriet er etwas ganz Bestimmtes, da sie sich diesbezüglich nicht abgesprochen hatten.

‚Jetzt lügt er mir auch noch frech ins Gesicht. Warum tut er das? Ich fürchte, dass sie nicht zum Spaß ihren Namen mal eben geändert hat, sie sagte selbst, dass sie noch immer Detektivin ist. Unglaublich!’ Ein fadenscheiniges Grinsen aufsetzend, provozierte er Hayato für die Lüge doch ziemlich. „Das freut mich, dass wir so viel gemeinsam haben, dann werden wir uns wohl öfter über den Weg laufen, das ist schön.“ Aber nicht nur ihn provozierte er.

„Sehr snobistische Ansichten, Freundchen.“

„Pass bloß auf, sonst platzt sie gleich, wenn du so weiter machst“, Sayaka lachte, obwohl sie wusste, dass er sich bloß nichts anmerken ließ, sie nun darauf anzusprechen, wieso ihr Bruder ihn so anlog, aber das würde sicher noch kommen. Sie hasste es jetzt schon, darauf auch noch zu antworten – wie sollte sie sich auch rausreden? Sie würde ihm die Wahrheit über ihre Arbeit erzählen müssen, sie war kein Freund von Lügen.

„Was machen eigentlich Shizuka und Tomoko? Wenn sie Detektive sind, wieso hört man nichts von ihnen? Tomoko war eine Weile in den Medien, dann ist sie aus irgendeinem Grund von der Bildfläche verschwunden…“ Er fragte sich, ob das an Ryochi Akaja, Shinichi Kudō, Kōji Miura und diesem Kogorō Mōri lag. Es schien geradezu, als wäre da kein Platz mehr für die beiden gewesen.

„Shizu is’ zum FBI gegangen…“ Dass Shizuka ihren Namen ebenfalls geändert hatte, erwähnte sie gewissenhaft nicht und die Frage um Tomoko ließ sie unbeantwortet, sie hätte sie auch nicht beantworten können, weshalb sie nun seinem Blick auswich, sie befürchtete, dass er sowieso dahinter stieg, dass sie einfach nur WEG war.

„Tomoko hasst die Presse, sie ist nicht wie du. Sie lehnt es ab, in irgendwelchen Nachrichten aufzutauchen, wo Verbrecher darauf aufmerksam gemacht werden, wie gut sie wirklich ist. Natürlich arbeitet sie heimlich noch immer für die Polizei, diese lässt es jedoch nicht nach außen dringen. Sonst geht’s ihr wie Kudō.“ Das sollte ihn zufrieden stellen, dachte Hayato, er konnte auch viel besser lügen, als seine Schwester.

„Eine Frau wie sie muss unzählige Feinde haben, ich hoffe, dass es ihr wirklich gut geht, sie war die Beste von uns.“

‚Gut, dass er dieses uns nicht mitbekommen hat, er würde sich schrecklich aufregen.’ Aus irgendeinem Grund löste diese Sayaka bei ihr ziemliche Bauchschmerzen aus. Sie war groß, nicht auf den Mund gefallen, wunderschön und kannte ihn schon so lange, was sollte sie da bitte von dieser Person halten, die sie offensichtlich zur Weisglut treiben wollte. Nicht umsonst hatte sie fast an seinem Gesicht geklebt und war dann noch frech geworden, in der Regel kuschten die Frauen vor ihr. Sie schien außerdem viel von sich zu halten, hatte großes Selbstvertrauen, kein Wunder – würde sie wie die aussehen, wäre sie wahrscheinlich schon abgehoben. Da konnte sie ja froh sein, wenn sie es nicht bei ihm wirklich versuchen wollte. Und wenn doch, dann gab das Krieg.

„Was ist aus den anderen geworden, außer dass sie offensichtlich Detektive geblieben sind? Wo stecken sie alle?“

Hayato musste lachen, er war noch genauso neugierig, wie früher und wollte alles, wenn schon genau wissen. „Kei arbeitet im MPD! Er ist dort in der Vermissten- und Mordfälle-Abteilung tätig und arbeitet eng mit einem der Inspektoren zusammen. Seine Schwester Aika ist Phantombild-Zeichnerin, ebenfalls im MPD! Mia ist Juristin und mein bester Freund Shinji arbeitet in der Pathologie! Was mich angeht, ich bin viel im Ausland unterwegs gewesen…“

„Was is’n das nun wieder für eine Aussage, willst du mich verarschen? Noch konkreter ging’s nicht?!“

„Doch, tut es! Er ist mit Mia verheiratet und sie haben eine Tochter.“ Es war, als hätte sie mit einer Nadel einen Ballon zum Platzen gebracht, so entsetzt, geschockt und überrascht sah er sie beide nun an. „Emi ist bereits 2 Jahre alt, mein Brüderchen konnte es nicht erwarten, sie zu heiraten und mit ihr ein Kind zu bekommen.“

„Ich dachte, sie und Kei…“

„Du spinnst jawohl!“ fuhr Hayato ihn an, man bemerkte, dass er auf den guten Kei so gut nicht zu sprechen war. „Zwischen den Beiden lief nie was, Gott sei dank.“

„Ja, weil du es so wolltest…“ Sayaka seufzte tief, er hatte den armen Kei doch regelrecht terrorisiert, um sie zu bekommen. Er hatte ihm alle möglichen Schwachheiten eingeredet, um ihn zu ängstigen. Der Zweck heiligte die Mittel.
 

Es war dunkel, das einzige Licht im Raum ging von einer Maschine aus; dem Computer. Eine junge Frau tippte eilig auf den Tasten, man hörte wie die Hightech-Anlage irgendwelche Daten ausspuckte. Er stand gegen die Wand gelehnt und mit verschränkten Armen da. „Geht das nicht schneller?!“

„Sei nicht so ungeduldig! Gute Arbeit braucht eben seine Zeit.“ Noch immer ratterte die Suchmaschine und spuckte im nächsten Moment Unmengen an Informationsmaterial aus.

Weil sie eine Frau war, ließ er ihr die Worte durchgehen, rückte allerdings näher, als der Drucker ihm alles besorgte, was er brauchte. Jedes Gesicht sah er sich an, er würde die Augen des Kerls so schnell nicht vergessen… Die Beschreibung des 28-jährigen passte auf mehrere Personen. Und zu seinem Leidwesen bekam er auch einen von Interpol geliefert, was ihn zischen ließ. „Ähnlichkeit ist vorhanden, aber der ist es nicht! Gut zu wissen, dass er auch dazu gehört, ich glaube ihn irgendwo schon einmal gesehen zu haben. Fujimine ist mir ein Begriff.“

„Er ist der Neffe von Yukiko Fujimine, der Schauspielerin. Seine Mutter ist ihre Schwester.“

„So jemanden bei Interpol… aber er interessiert mich gerade weniger, mit ihm hatte ich zum Glück noch keinen Ärger.“ Er schloss nicht aus, dass er ihn mal kriegen würde, aber momentan interessierte ihn nur diese vorwitzige Person, die ihm den Spaß verdorben hatte und ihn furchtbar an Carpano und Hiroya erinnerte.

Er schob ein Blatt nach dem anderen nach hinten, bis sein Blick auf einer Zeichnung hängen blieb. In den Augen des Killers kam Wut auf und dann ließ er sie in Form von Worten raus. „Das ist der Kerl!“ spie er zornig aus. „Erzähl mir alles, was du weißt!“

Sie begann vorzulesen: „Katsuya Kisara – ledig – Einzelkind – arbeitet mit Interpol-Japan zusammen. Tatsuji Fujimine und er sind Kollegen.“

„Ich glaub, ich muss gleich kotzen…“ Er schien solche Typen anzuziehen, dass er zu Interpol gehörte, gefiel ihm kein bisschen. Wie ein tollwütiger Köter knurrte er auf, er hasste es, wenn Kerle besser waren als er und dieser Kisara hatte es immerhin geschafft, ihn reinzulegen und war dann noch mit dieser Kleinen abgehauen. „Hat der denn niemanden, der ihm nahe steht?“

„Seine Eltern sind seit langem tot… Leider nein.“

Das war nicht das, was er wissen wollte, Jami wollte etwas zum angreifen, natürlich hatte er wenig Lust sich mit dem Kerl direkt anzulegen. Er kannte ihn so gut, wie er sich beinahe selbst nicht kannte, das jagte ihm eine Heidenangst ein.

„Irgendwelche Verwandte, egal wie weit entfernt?!“

„Keine! Die einzige Verbindung zu ihm ist Interpol! Scheint so, als wäre der Gute alleine auf der Welt.“

„Das kann doch nicht sein, es gibt sicher jemanden, der ihm nahe steht. Niemand ist wirklich alleine!“ Diese Nachrichten trugen nicht gerade zu seiner guten Laune bei. „Es ist mir egal, wie du es anstellst, aber schaff Infos über ihn ran, die mir weiterhelfen.“

„Der muss dich aber ganz schön geärgert haben, Kenichi, dass du so erpicht darauf bist, ihm Schaden zuzufügen.“

„Seine Kugel traf mich…“ Das war natürlich nicht der einzige Grund, auch seine Worte hatten ihn getroffen, eigentlich noch viel härter als seine Kugel es getan hatte. Was war das für ein Typ, der ihm in den Kopf zu schauen vermochte?

„Ach ja, beide sind Profiler – mit solchen Leuten gehst du besser vorsichtig um, sie durchschauen einen schnell und scheinen immer zu erkennen, was zu tun ist.“

„Profiler? Soll das heißen, sie erstellen Profile über ihre Täter und wissen immer bestens Bescheid?“

„Ja, im Spuren lesen sind sie auch nahezu perfekt. Kleinigkeiten können ihnen den Tathergang verraten.“

„Ich weiß das, ich komme aus einer Familie von Polizisten… Ich weiß, was das heißt: Er ist eine Gefahr, eine große sogar.“ Wenn er ihn so genau studiert hatte, dann musste er so schnell wie möglich verschwinden, egal ob er von Interpol war – und das am besten noch ehe der Boss spitz bekam, wen Jami da an Land gezogen hatte, das würde ihm gar nicht gefallen. Und das wegen einer jungen Frau, die er nur zu gerne in der Organisation hätte. Es gefiel ihrem Gesetzgeber ohnehin nicht, wenn sie irgendwelche Leute anschleppten, was Jami einfach viel zu oft machte – immer waren es Frauen.

Einmal mehr war Jami einer Wahnsinns Angst verfallen. Solche Patzer konnte er sich nicht erlauben, wenn er besser als die ranghöchste Frau sein wollte, um vor dem Boss zu glänzen. In letzter Zeit fügte man ihm jedoch verheerende Schäden zu. Hiroya Tokorozawa war nicht der Einzige, der das tat, es gab noch andere Leute, die Jami nur zu gerne ins Handwerk pfuschten. Und nun war ein weiterer dazu gekommen.

So ein Kerl vom FBI hatte ihm neulich auch erst gezeigt, dass er mit ihm kein leichtes Spiel hatte, noch dazu, waren es mehrere gewesen. Es war wie 3 Shūichi Akais zu haben. Sie waren zu viert auf ihn losgegangen, er hatte nur noch vor ihnen türmen können. Was sie alleine nicht schafften, das machten sie in der Gruppe, da es wenige gab, die Jami in solchen Situationen unterstützten, ihn konnte kaum jemand leiden. Während sich Gruppen bildeten, blieb er fast immer alleine. Die einzigen Personen, die noch auf seiner Seite schienen, waren Cognac und Chardonel; zweiterer jedoch nur, wenn man ihn dazu zwang. Freiwillig würde auch sein kleiner Schützling keinen Finger krumm machen.
 

Inzwischen hatte Wataru Feierabend, während Miwako noch über einem Fall saß, der ihr Kopfzerbrechen bereitete. Als er zur Tür hereinkam, bemerkte sie ihn nicht, so vertieft war sie in die Sache, auch als er sie ansprach, reagierte sie nicht.

„Miwako? … Miwako, hörst du…? Miwako… Willst du nicht auch Feierabend machen?“ Nach dreimaligem Ansprechen, seufzte er, sie fasste sich an die Schläfen, als die Tür aufging und zwei Personen eintraten.

„Wolltest du nicht gehen, Takagi?!“ sprach ein Mann ihn an, der sich als Kei Tamura in Begleitung seiner Schwester entpuppte. „Stör sie gefälligst nicht! Geh nach Hause, wir haben hier noch was Wichtigeres zu tun!“ Kaum war der Mann an ihm vorbei, tippte er Satō auf die Schulter, so dass sie den Kopf nach hinten wandte und ihn mit dem Vornamen ansprach.

„Kei, ach du bist es, Aika ist auch da! Hast du die Phantombilder?“

„Ja, hier“, sie reichte der jungen Polizistin die Bilder, sie war eine 28-jährige Frau mit dunkelbraunen, leicht rötlichen Haaren, die etwa so groß war wie Miwako.

Die Abteilungsleiterin betrachtete die drei Zeichnungen mit Argusaugen, sie sahen alle harmloser aus, als sie waren. „Kaum zu glauben, dass diese Leute Menschen töten! Aber man kann nicht jedem ansehen, wie er tickt, die hier gehören jedenfalls zu den größten Problemen Japans. Sie sind Untertanen dieses Kerls, ich wage kaum seinen Namen auszusprechen, Wataru könnte uns hören.“

Still und leise schlich er sich nun an und erhaschte einen Blick auf die Bilder, zwei von ihnen jedenfalls sah er lange genug, um die Gesichter der Männer zu erkennen.

„Ach – Wataru darf das nicht wissen?!“ Er sprach in der dritten Person von sich selbst, es verletzte ihn ziemlich, dass sie ein Geheimnis darum machten und dann auch noch mit diesem Kei Tamura, der ihn ohnehin nicht sonderlich leiden konnte, da wäre ihm sogar Shiratori lieber gewesen. Mittlerweile hatte er einen guten Draht zu ihm, es war ihm fast so, als würde er ihn sogar mögen. „Wataru könnte sich ja schämen, dass sein Vater ein Mörder und Vergewaltiger ist! Sprecht es ruhig aus, es weiß sowieso bald jeder!“

„Na toll! Was machst du noch hier, Wataru? Du hast längst Feierabend, du musst nicht auf mich warten.“ Miwako wusste, dass er nun beleidigt, vielleicht sogar sauer auf sie war, weil sie die Sache mit anderen besprach und ihm nie offenbart hatte, was sie über ihn wusste. „Kei, würdest du uns alleine lassen bitte? Nimmst du auch gleich deine Schwester mit?“

„Aber Miwako…“

„Ich bitte dich darum!“ Sie sah ihn scharf an, duldete keinen Widerspruch, es war schließlich auch ihr Büro und gerade wollte sie mit Wataru alleine darüber sprechen.

Ohne weitere Widerworte nahm Kei die Hand seiner Schwester und führte sie hinaus, aus dem Raum, auch wenn sie es prima selbst gekonnt hätte. Sie hätte nicht gegen Miwakos Anweisung gehandelt. Als sie draußen waren, seufzte sie. „Konntest du sie nicht warnen, dass er im Raum ist? Man könnte meinen, das war pure Absicht von dir.“

„Ich kann den Typen nicht leiden! Der erinnert mich an deinen Exmann und der ist ein Widerling! Es ist gut, dass du das getan hast, Aika – er kriegt was er verdient.“

„Du weißt doch gar nicht, wie es dazu gekommen ist… Ich kann nicht glauben, dass er so was freiwillig macht.“

„Hör auf, ich will’s nicht hören! Unterlasse es endlich über diesen Kerl so zu reden, denk bitte daran, was er dir angetan hat.“

Derartigen Worten hatte die Frau wenig entgegen zu setzen, weshalb sie nun schwieg.
 

Wataru, der nun schweigend hinter Miwako stand, hatte ein ungutes Gefühl dabei – warum tat sie das? Selbst Megure ging ehrlich mit ihm um, während sie um Geheimniskrämerei bemüht war.

„Es tut mir Leid, Wataru, ich wollte nicht, dass du dir zu viele unnötige Gedanken machst. Du bist emotional mit diesem Fall verbunden, deswegen solltest du nichts davon mitbekommen. Vor allem nicht, wer an dem Fall dran ist. Ich hatte Megure darum gebeten…“

„Emotional verbunden?“ Es klang entsetzt, obwohl ihn das nicht schockieren durfte, da man familiäre Verbindungen nun einmal so nannte. Selbst wenn er wollte, man würde nicht zulassen, dass er an diesem Fall mitwirkte, was ihn aber doch total schockte, da es ihm vorkam, als würde man ihm in dieser Hinsicht nicht 100-prozentig vertrauen. Dachten sie, er würde seinem Vater helfen? Solche und ähnliche Gedanken gingen in seinem Kopf umher. Er war Polizist mit Leib uns Seele, niemals hätte er ihm geholfen, egal wer dieser Kerl war… Dass Miwako so etwas von ihm dachte, verletzte ihn, was sein Blick ihr auch mitteilte.

„Ich weiß, was du nun denkst… Bitte glaub mir, du bist emotionaler davon betroffen, als du vielleicht glaubst. Ist der Gedanke daran, dass dein Vater Menschen tötet, nicht schon schlimm genug? Ich will nicht, dass du damit zu tun hast!“

Ihm fehlten einen Moment die Worte, es stimmte, dass er es oft verdrängte, es belastete ihn wie ein dunkler Schatten seine Seele verdunkelte. Der schwarze Punkt in seinem Leben, er hatte gehofft, sie würde ihn niemals erfahren. Musste er nicht etwas Böses von seinem Vater mitbekommen haben, schließlich war er sein Sohn… Diese Gedanken hatte er ständig, dann versuchte er ein besonders guter Mensch zu sein.

„Keine Sorge, dass ich ihm helfe, ist unwahrscheinlich, da er mich hasst“, meinte er in einem sarkastischen Ton, man hörte sofort, was er annahm. „So wie alle Polizisten…“ Er war ein schrecklicher Sohn, ausgerechnet zur Polizei hatte er unbedingt gehen wollen, ganz zum Entsetzen seines Vaters. „Ich weiß es zu schätzen, dass du dir Sorgen um mich machst! Es ist aber besser, wenn du das anderen überlässt. Wie kann Megure dich auf diesen Fall loslassen?? Ich weiß, es ist schwer, aber lass die Finger davon! Mein Vater hasst Polizistinnen ganz besonders. Das liegt daran, dass er Frauen verletzt, weil er mal von einer verletzt wurde. Ich will nicht, dass dir irgendwas zustößt.“

Vorhersehbar war es und trotz der Hoffnung, die sie gehabt hatte, musste er als Mann so etwas doch sagen. Er kannte seinen Vater immerhin noch viel besser, als alle anderen es jemals könnten. „Und die Tatsache, dass du zu mir gehörst, macht es noch viel schlimmer.“

Miwakos Augen weiteten sich, sie wurde Zeuge davon, wie die Tränen in Watarus Augen zu schimmern begannen, wie kleine Kristalle – es war nicht sehr klug von ihm, diese Worte zu wählen, da sie bei der Polizistin unweigerlich die Alarmglocken klingeln ließen, weshalb sie von ihrem Stuhl aufsprang und ihn an den Schultern packte. „Was hat er dir angetan!?!“ Sie ahnte es, doch fragte sie danach, die 26-jährige wollte es genau wissen.

Obgleich bereits viele Jahre ins Land gestrichen waren, der Moment des Schmerzes saß tief, er würde ihn nicht vorher loswerden, bis der Mann im Gefängnis saß, wo er nicht für ein Déjà-vu bei Wataru sorgen konnte. Dieser Mensch hatte schreckliche Dinge getan, aber bei den meisten war er nicht selbst davon betroffen gewesen. Es war als hätte er versucht, seinem Sohn zu zeigen, wie man mit Frauen umging. Die einzige Frau, bei der er so etwas wohl nie getan hatte, war seine eigene Mutter, bei ihr war er sich auch nicht sicher, ob sie ihm nicht Hilfe leisten würde. Sie liebte ihn zu sehr, sie hatte ihm vieles verziehen, von dem Wataru entsetzt war, dass sie es verzeihen konnte. Seitensprünge waren dabei die harmlosesten Taten.

„Ich kann es dir nicht sagen, außer dass es schlimm gewesen ist. Das ist nichts für dich“, niemals könnte er ihr sagen, was geschehen war, zumindest nicht die gesamte Geschichte. Er wollte sie schonen, auch wenn Miwako schon durch ihren Beruf einiges erlebt hatte, die Sache fand er zu extrem, er hätte es keiner Frau freiwillig erzählen wollen.

Nicht nur, dass Wataru ihr verschwiegen hatte, was für ein Mensch sein Vater war, nun wollte er auch noch weiter schweigen, sie missverstand die Situation, weshalb sie ihrem Freund die Hand ins Gesicht schlug, was nicht das erste Mal war. Doch dieses Mal war der Schlag wesentlich härter, als der letzte. Ihr, einer Polizistin Informationen zu einem Täter vorzuenthalten, wie konnte er nur? Und dann behauptete er, nicht emotional davon betroffen zu sein.

„Selbst wenn du mich richtig verprügelst, werde ich es dir nicht sagen, Miwako.“ Sein Blick war tief gesunken, als diese Worte leise seinen Mund verließen, mit der Ohrfeige hatte er im Grunde gerechnet, er kannte sie immerhin nicht erst seit gestern. „Es ist besser so.“

„Ich krieg ihn, darauf kannst du dich verlassen! Willst du, dass er mit seinen Taten davonkommt? Ich nicht! Deswegen werde ich etwas dagegen unternehmen, egal was du davon hältst! Keiner hält mich auf!“ Sie verließ den Raum, wobei sie die Tür zuknallte und ihn alleine zurückließ. Ein erneuter Blick auf ihre Unterlagen, ließ ihn die Augen schließen. Die beiden Kerle auf den Zeichnungen waren in der Tat harmlos. Solange sie seinen Vater nicht ausfindig machte und sich ihm als Opfer anbot, war alles gut. Das Schlimme an ihnen war jedoch, dass sie beide um seine Schwester herumgeschwirrt waren – er kannte sie, wie gut, dass Miwako nicht wusste, was sie von seiner Schwester gewollt hatten, oder die Sachen, die man ihnen aufgetragen hatte, ihr anzutun. Er wusste, dass sie deswegen bei ihr gelandet waren, auch wenn er keinerlei Beweise hatte.
 

Wenig später als Miwako zurück ins Büro kam, hatte Wataru dieses verlassen, worum sie auch froh war. Sie hasste es mit ihm zu streiten und sie wusste auch, dass sie manchmal drastisch werden konnte, in dem Punkt glaubte sie allerdings im Recht zu sein. Sie wusste nicht, wie er wirklich tickte, er redete so wenig von sich. Auf seine Mutter ließ er auch nie ein Thema kommen, das einzige, was ihr bekannt war, war dass seine Schwester Jura studierte und wohl eine sehr gute Freundin von Tatsuji Fujimine war. Sie verbrachte momentan all ihre Freizeit mit ihm. Wataru schien etwas dagegen zu haben, sie wusste nicht warum. Tatsuji war ein anständiger Kerl, der seiner Schwester wohl kaum absichtlich wehtun würde und er konnte sie beschützen. Dass ihre beste Freundin Yakko und er total zerstritten waren, hieß zumindest, dass es eine Chance für beide gab.
 

Dass Wataru Kei begegnen musste, war eigentlich vorprogrammiert, bei dem vielen Pech, das er zu haben schien. Es war fast ein Auflauern, so wie er grinste. Ihm blieb aber auch nichts erspart.

„Na, hast du ihren Zorn entfacht?! Es war doch klar, dass das schief geht. Du, der Sohn eines mutmaßlichen Killers.“

Genau das dachten wohl nun viele von ihm, jetzt hatten sie alle etwas gegen ihn in der Hand. Und es war das, was ihn am meisten verletzen konnte. Er hasste es ja selbst, der Sohn eines Mörders zu sein, wenn ihn dann noch einer so darauf ansprach, setzte ihm das mehr zu, als alles andere. „Ich habe mir nicht ausgesucht, der Sohn eines Mörders zu sein, Kei Tamura. Der wurde mir von Anfang an aufgedrückt, tut mir Leid. Meine Mutter konnte nicht von ihm lassen, das ist wohl kaum meine Schuld“, verteidigte er sich, er musste sich schließlich nicht sagen lassen, was er war, das stand ihnen nicht zu.

„Trotz allem ist er dein Vater, Takagi! Oder willst du mir gerade sagen, du würdest gegen ihn arbeiten? Das glaubt dir keiner.“

„Du kennst mich nicht! Nur weil ich sein Sohn bin, finde ich sein Verhalten nicht gut!“

„Ich habe etwas dagegen mit dem Sohn eines Killers zusammen zu arbeiten. Du kannst tausend Mal sagen, dass du ihm nicht hilfst, ich werde dir nicht glauben. Die Leute, die am unschuldigsten wirken, sind meistens die Schlimmsten. Also tu nicht so…“

„Kei, es reicht!“ Man hatte eine Hand auf die Schulter des braunhaarigen 26-jährigen gelegt, um ihn zu besänftigen, oder eher davon abzuhalten, weiter auf Wataru loszugehen, was schon verwunderlich war, dass dieser Mann nun Partei für den Jüngeren ergriff. Er hatte ihm doch immer am schlimmsten zugesetzt. „Es ist unfair, so was zu sagen, er hat niemals etwas getan, was seinem Vater helfen würde, stattdessen war er es, der Megure davon berichtet hat, dass er denkt, unser Serienkiller sei Keichiro Takagi – sein Vater!“ Er war freiwillig damit rausgerückt, aber solche Sachen verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Wataru war nicht sonderlich beliebt, so dass man die Chance ihm zu schaden, natürlich nutzte, er hatte vieles mitbekommen, da er viele Freunde hier hatte. Zumindest dachten sie, dass sie seine Freunde waren.

„Auf wessen Seite stehst du denn bitte, Ninzaburo?!“ Dass ausgerechnet er ihm in den Rücken fiel, war wirklich schockierend, denn Shiratori hatte bis vor einiger Zeit noch dabei mitgewirkt, Wataru das Leben schwer zu machen.

„Auf keiner, Kei. Behandle ihn nicht, wie einen deiner Täter, er ist keiner, sondern dein Kollege. Er ist bei der Polizei, wie ich und du, weil er Ungerechtigkeiten verhindern will, ich glaube kaum, dass er bei so was mitmachen würde. Und auf Miwakos Menschenverstand konnte man sich auch schon immer verlassen. Dass sie ihn liebt, ist Indiz genug dafür, dass er…“

„Hör auf, hör auf!“ Kei ließ seinen besten Freund nicht zu Ende reden. „Miwako ist blind, irgendjemand muss sie doch aufklären, wie er wirklich ist.“

„Nein, du hörst jetzt auf! Oder ich werde bei Megure Beschwerde einreichen. Das, was du da tust, ist auch Rufmord.“

„Das würdest du nicht tun…?“ Ungläubig blickte der 1.75 Meter große Mann Shiratori an, der ihn fest entschlossen anblickte.

„Bitte sei vernünftig. Megure wird jeden in den Boden stampfen, der diese Geschichte dazu nutzt, um Takagi eins reinzuwürgen, du weißt auf welcher Seite er steht, oder? Er kann solche Eskapaden nicht leiden, erinnere dich an Takagis Vorgänger. Als er mies behandelt wurde, weil er Probleme hatte, wurde die Sache erst richtig unschön. Wir sind Polizisten, so sollten wir uns verhalten. Takagi hat sich für die Polizei entschieden, vor vielen Jahren, gegen den Willen seines Vaters.“

„Seit du mit dieser Frau anbändelst, hast du den Verstand verloren…“ Kei riss sich los und ließ dann seinen besten Freund und Wataru auf dem Gang stehen. Er hatte keine Lust, sich von ihm belehren zu lassen, er wollte all das nicht einmal hören…

Seufzend blickte Shiratori auf einen mitgenommen wirkenden Takagi, er schüttelte den Kopf. „Hör nicht hin, er hatte einen schlechten Tag und sucht in den Krümeln. Hör nicht auf die anderen, sie sind neidisch auf deine Beliebtheit bei Satō. Ich kenne die Wahrheit, sie nicht. Für sie bist du bloß der Mörder-Sohn.“

Dass Shiratori ihm half, verwunderte ihn zwar, aber dass er so gut Bescheid wusste, noch mehr. „Danke… Mir wird keiner mehr trauen. Selbst Miwako hat mir verschwiegen, dass sie gegen Keichiro Takagi ermittelt.“ Dass er nicht Vater sagte, verriet ihm, dass er schon seit langem davon weg war, sich zu ihm verbunden zu fühlen, das hieß aber auch, dass er sich unendlich alleine fühlen musste, seine Mutter war ja schließlich auf der Seite ihres Mannes, da war sich Shiratori fast sicher.

„Das glaube ich nicht. Sie würde dich niemals so hintergehen, ohne Grund.“

„Ich fürchte, dass das wirklich alles ändert. Vielleicht bereut sie es schon…“ Wataru ließ den Kopf hängen, er hatte Angst wie schon lange nicht mehr, seit er sie wirklich erobert hatte – wobei sie eher ihn gefangen hatte – war es schlimmer als sonst. Jetzt, da er sie hatte, wollte er nicht mehr ohne sie sein müssen, vorher war es okay gewesen, da er nicht gewusst hatte, wie es zwischen ihnen sein würde. „Vielleicht ist das auch der Grund, dass sie den Gedanken so sehr hasst… Dass sie ihre Karriere niemals für mich opfern würde.“

„Du reimst dir da was zusammen…“

„In mir steckt das Blut eines Mörders. Das ist eine Tatsache, während in ihr nur Gutes steckt.“

Wer auch immer ihm diese Sachen eingeredet hatte, es stimmte keineswegs.

„Erinnere dich, du warst es, der Miwakos Zorn dämpfte, als sie drauf und dran war, jemanden zu erschießen. Sein Blut hat also keinerlei Macht über dich, du bist nicht schlecht, nur weil er dein Vater ist. Wenn die Eltern die Zukunft ihrer Kinder steuern könnten, wären wir beide heute nicht hier.“ Er selbst hätte genauso gut die Firma seines Vaters übernehmen können, um in Saus und Braus zu leben, statt sich bei der Polizei Gefahren auszusetzen, aber es war eben seine Bestimmung. Sein Vater war auch weniger begeistert, nur war er nicht so ein Polizistenhasser, wie wahrscheinlich Watarus Vater einer war, er beneidete ihn nicht darum, aber er konnte ihn ziemlich gut verstehen. Nicht, weil er von Miwako abgelassen hatte, hatte er ihm gerade geholfen, sondern weil es ihm Leid tat, dass niemand erkannte, welch guter Mensch in ihm steckte. Die Frauen mochten ihn, die Männer waren leider nur auf Miwako fixiert, er war lange Zeit auch so gewesen. Die gemeinsame Dienstzeit hatte ihm nur immer mehr bewusst gemacht, dass Wataru gar kein übler Typ war, Miwako war der einzige Grund gewesen, der sie beide an einer Freundschaft hinderte. Wobei er bei Wataru das Gefühl hatte, dass er ihm noch nicht einmal böse gewesen war. „Ich war nicht immer nett zu dir, so gesehen, war ich ein ganz schöner Mistkerl. Lass uns diese Zeit niemals wiederholen.“

Es war genau das, was man Friedensangebot nennen konnte, es war eigentlich sogar ein Freundschaftsangebot. Es würde heißen, dass nicht nur Chiba sein einziger Freund hier blieb, er hätte auch jeder Zeit ja zu dieser Freundschaft gesagt, wäre da nicht Miwako gewesen, die Shiratori davon abgehalten hatte, ihn zu mögen.

„Ich hatte nie was gegen dich. Von daher sollte das kein Problem sein.“ Dass er naiv darauf ansprang, wusste er, aber Wataru war nie ein Freund von Streitigkeiten gewesen, er wollte mit jedem gut auskommen und er hier war schließlich sein Kollege, sie alle waren es. Als Polizisten untereinander Streit zu provozieren, wäre ja auch idiotisch gewesen.

„Wir sind alle Polizisten, wir sollten uns gut vertragen, immerhin wollen wir alle Gutes tun, oder etwa nicht? Ich kann die Leute nicht verstehen. Wir sind ein Team und sollten uns nicht bekriegen. Diesen Machtkampf habe ich nie verstanden. Ich versuche nur mein Bestes, nicht mehr und nicht weniger.“

„Spätestens wenn Satō mal auf den Tisch haut, weil sie was mitbekommt, wird es sehr ruhig werden, alle haben Respekt vor ihr. Und sie würde niemals zulassen, dass sie zu weit gehen, dem sei dir sicher. Sie steht auf deiner Seite, denn sie hat sich vor einiger Zeit für dich entschieden. Nach der schweren Zeit damals hatte sie Angst, aber im Grunde hatte sie nur Augen für dich, du kannst stolz auf dich sein.“ Shiratori wusste, dass er niemals eine Chance bei ihr gehabt hatte, damals als sie drauf und dran gewesen war, sich ihm hinzugeben, hatte er gespürt, dass sie an Wataru gedacht hatte. Sie hatte sich diese Entscheidung also keineswegs einfach gemacht. „Ihr beide gehört zusammen, es liegt an dir, was du daraus machst.“

„Ich glaube, es geht mir besser, danke.“

Shiratori schmunzelte, er stand auf Megures Seite und der war mittlerweile fast so etwas wie Watarus Adoptivvater, jedenfalls kümmerte er sich um ihn, als wäre er es. Er musste den Zeitpunkt, als Shiratori Miwako aufgab, bemerkt haben, sonst hätte er ihm kaum so viel über Watarus Vater erzählt. Aber auch Ryochi Akaja war nicht unschuldig daran, dass er so vieles wusste. Der Detektiv schien sich um seinen Freund sehr zu sorgen. Er war sogar froh darum, dass Shiratori diesen sinnlosen Kampf endlich aufgegeben hatte. Es gab genug Scherereien im Präsidium, es war eine Schande, was hier vor sich ging. Er hatte ihm die Augen geöffnet. Sie alle hatten das gleiche Ziel und doch vertrugen sie sich nicht – es war schwachsinnig.
 

Obwohl es schon spät war, stattete Tatsuji dem Polizeipräsidium noch einmal einen Besuch ab. Er war erst bei Megure, dann bei Matsumoto. Als er sich auf den Weg machte, da Riina zuhause sicher schon auf ihn wartete, begegnete ihm Miwako, die ebenfalls noch im Präsidium war. Die Frau lebte auch nur für ihre Arbeit, er hoffte, dass sie es nicht zum Leidwesen von Wataru tat, er kannte das schließlich von Yakko und diese war eng mit Miwako befreundet. Er hob die Hand, um sie zu grüßen, was sie ebenfalls mit einem Handgruß erwiderte und dann auf ihn zusteuerte.

„Na, so spät noch hier?“

„Ich war mit den Auswertungen einiger Dinge beschäftigt, das hat etwas mehr Zeit in Anspruch genommen“, gab sie dem 27-jährigen zur Antwort und lief nun neben ihm her. „Und was hat dich so spät noch hierher getrieben?“

„Inspektor Megure hat mich hinzugezogen, es ging um einen Serienkiller.“

Die junge Frau blieb auf einmal stehen, was ihn verwunderte – er hätte schwören können, dass sie bereits davon wusste. „Dieser Kerl ist ein ganz schönes Kaliber, er muss ein hohes Tier in den Yakuza-Reihen sein, um eine ganze Bande zur Verfügung zu haben. Kaum zu fassen, dass dieser Mann der Vater von Wataru ist.“ Dass es sie sehr beschäftigte, das zu wissen, bemerkte er, aber auch schien es sie sehr zu belasten.

„Jeder, der Wataru kennt, kann das nicht glauben, aber es ist so. Wie hast du Wind davon bekommen? Megure macht nicht den Anschein, dass er es an die große Glocke hängen will, auch um Wataru zu beschützen. Es gibt einige, für die wäre das wie ein gefundenes Fressen.“ Die Umstände, die hier herrschten, waren Tatsuji bekannt, denn seine Cousine Shina hatte ihn ziemlich gut informiert.

„Ich habe Megure und Takagi darüber reden hören, ich war ziemlich geschockt, muss ich sagen – zumindest Shina hätte mir mal etwas darüber sagen können. Selbst sie hat es mir verschwiegen, aber am meisten macht mir zu schaffen, dass Wataru so wenig Vertrauen zu mir hat. Er erzählt ungern was von sich selbst, ich habe das Gefühl, ihn überhaupt nicht mehr zu kennen. Und das macht mich fertig, zu denken, es gibt andere, die ihn besser kennen. Was soll denn das, sogar Yumi scheint mehr zu wissen, die lenkt immer vom Thema ab. Ich fühle mich ganz schön vor den Kopf gestoßen.“ Tatsuji hatte den Kopf gesenkt, er konnte sich vorstellen, wie es in Wataru wirklich aussah, er wusste aber nicht, ob Miwako das verstehen konnte, sicher war er da nicht, sie war ein ziemlicher Hitzkopf und verstand manchmal wenig Spaß in diesen Dingen. Es war nicht schlau von Wataru, ihr so vieles zu verschweigen, aber verstehen konnte er es.

„Lass uns zusammen was trinken gehen, da können wir uns unterhalten.“

Sie gingen ins nächstbeste Café, setzten sich aber gewissenhaft in die letzte Ecke, es war an diesem Tag auch nicht sonderlich voll.

Erst nachdem beide einen Schluck zu sich genommen hatten, begannen sie erneut dieses heikle Thema.

„Ich glaube, dass Wataru seinen Vater noch immer sehr fürchtet. Das Thema totzuschweigen, ist total seine Art, das ging mit Sicherheit nicht gegen dich, Miwako. Er spielt anderen gerne eine heile Welt vor, er hatte nie eine. Sein tyrannischer Vater hat seine Schwester und ihn terrorisiert. Und er wird es jederzeit wieder tun. Seine Tochter hat er, als sie klein war, ja auch versucht ihrer Unschuld zu berauben. So einer ist das, Miwako. Selbst von seiner Tochter konnte er nicht lassen, sein Interesse gehört ja auch jüngeren Mädchen… Er ist ein Widerling.“

„Ich glaube, mir wird schlecht… Ich habe das Gefühl, dass Wataru nicht dazu in der Lage ist, der Polizei zu helfen, weil er emotional zu sehr an seinem Vater hängt.“

Tatsuji glaubte nicht, was Miwako da sagte, er wollte sie eines besseren belehren. Gerade, als er ausholen wollte, hörte er, wie jemand durch den Raum schritt, sie blieb hinter ihm stehen, also schwieg er, da der Profiler sie nicht sah.

„Soll das ein Witz sein? Wataru wird seinem Vater niemals verzeihen!“

Erschrocken blickte Miwako in das Gesicht einer hellbraunhaarigen Frau, die Shina nicht unähnlich war, auch vom Ton, den sie angeschlagen hatte, nicht.

„Kennen wir uns?!“

„Bleib ganz ruhig, Naru…“ versuchte Tatsuji sie zu beruhigen, da sie so patzig gegenüber Miwako geworden war.

„Wie kannst du als seine Freundin so was von ihm denken? Wataru hasst seinen Vater, so viel ist sicher.“

Tatsuji schüttelte den Kopf, er glaubte nicht, dass es Hass war, wenn dann war es eine Abneigung, wie Polizisten sie nun einmal solchen Leuten gegenüber entwickelten, aber keinesfalls Hass.

„Er ist sein Vater“, entgegnete Miwako, sie konnte sich nicht vorstellen, wie so etwas war, ihr Vater war ihr größtes Vorbild gewesen, was bei ihrem Freund jawohl kaum so war.

„Egal, ob er sein Vater ist. Wataru und sein Vater können nicht miteinander. Noch bevor Keichiro gezeigt hat, wie er wirklich ist, hatten sie viele Meinungsverschiedenheiten. Wie könnte er den Kerl mögen, der seiner kleinen Schwester zu nahe gekommen ist und deren Freundinnen ebenfalls? Selbst bei mir hat er es versucht. Diese linke Type tut ja auch alles, um Wataru das Leben zu versauen. Deswegen wollte er auch nicht, dass er Polizist wird, da sein Vater die am meisten hasst… Wataru hat es dennoch getan, was glaubst du eigentlich, meine Liebe, was das bei Watarus Vater ausgelöst hat?? Damit hat er den Stein ins Rollen gebracht!“ Naru erinnerte sich noch zu genau, immerhin waren sie Klassenkameraden gewesen, es war nicht selten vorgekommen, dass Wataru mit blauen Flecken übersäht gewesen war, wenn sein Vater wieder ausgetickt war – und das waren harmlose Sachen gewesen. Die Misshandlungen waren nicht das Schlimmste, was Keichiro im Leben seines Sohnes ausgelöst hatte. Die richtig schlimme Zeit hatte er erst erlebt, als er seinen Schulabschluss gemacht hatte.

„Setz dich doch, Naru…“ Tatsuji deutete auf einen weiteren Stuhl, er wollte sie zwar nicht unterbrechen, aber sie musste doch nun wirklich nicht stehen.

Erst als sie sich gesetzt hatte, wollte der 27-jährige die Karten auf den Tisch legen. „Naru ging mit Shina und Wataru in eine Klasse, sie hat so viel mitbekommen, sei ihr nicht böse, sie kennt Watarus Schwester genauso gut wie ich.“

Die Polizistin fürchtete, dass sie die schreckliche Wahrheit kannten, die Wataru ihr nicht gewillt war, zu offenbaren. Die Sachen, über die der liebe Takagi niemals sprechen wollte, zumindest nicht mit ihr. „Ich weiß, dass ihr euch gut kennt“, Miwako lächelte und hoffte für sie das Beste, nach den Sachen, die sie nun schon gehört hatte.

Das Grinsen ließ Tatsuji husten, er hoffte, dass sie es Wataru nicht einfach so an den Kopf knallte. „Das zwischen uns, das ist noch nicht spruchreif, bitte behalt es für dich. Ich würde es Wataru gerne selbst beichten, mit eigenen Worten. Er wird total sauer werden, wenn er erfährt, was uns beide verbindet.“

„Wusste ich’s doch, ihr beide seid ein Paar. Ich hoffe, sie macht’s besser als Yakko.“

„Also wirklich, Miwako, das klingt jetzt aber zweideutig.“ Er versuchte fast etwas vom ernsten Thema, das sie hatten, abzulenken.

„Was hat Yakko denn Schlimmes gemacht?“ wollte nun Naru wissen, da Riina ihr nichts davon erzählt hatte.

„Ach weißt du, ich war nicht der einzige Mann für sie, so kann man es ausdrücken – bei Riina kann ich aber sicher sein, dass ich es bin.“

Miwako seufzte, sie verstand Yakko nicht, die nun so deprimiert war, da sie es schlichtweg vergeigt hatte – wie sie würde sie niemals handeln. „Keine Sorge, dein Geheimnis ist sicher bei mir. Es tut mir Leid, wenn ich allzu schnell das Thema wechsle, aber was wisst ihr noch über Watarus Vater? Ich bin gewillt alles zu erfahren, was ihr wisst, ich ermittle nämlich gegen ihn.“

‚Das ist sicherlich nicht in Megures Sinne, ich glaube nicht, dass er freiwillig Frauen an den Fall lässt, nachdem was ihm Wataru erzählt hat, er weiß alles, was Wataru auch weiß.’ Tatsuji wusste nicht, ob es so schlau war, ihr zu viel zu erzählen, aber es gab sicher Dinge, die ihr helfen würden, Wataru zu verstehen, weshalb er ihr all das verschwieg.

„Keichiro Takagi hasst Wataru dafür, dass er Riina beschützte und dann wollte er zur Polizei, das reichte aus, dass er nicht sonderlich nett zu ihm war. Er hat ihn als Kind sehr oft verprügelt, weil es ihm nicht gepasst hat, wie er sich entwickelt hat. Zu den Zeiten ist er oft zu den Kudōs geflüchtet. Shinas Vater ist mehr als einmal mit Watarus Vater aneinander geraten, den kann er auch nicht gut leiden, deswegen hat er sogar mal versucht, Yukiko anzufallen. Der Mann macht regelrechten Psychoterror.“ Naru sah jetzt ebenfalls mitgenommen aus. „Nachdem Wataru mitbekommen hatte, dass er seine kleine Schwester angefasst hat, warf er ihn aus dem Haus. Für einige Zeit war dann auch Ruhe, wir dachten an nichts Schlimmes, bis er wieder auftauchte und anfing, Watarus Freunde anzugreifen. Besonders Shina hat er damals gerne angegriffen, zum Glück gab es Ryochi mit seinen Verbindungen zur Polizei, dabei kamen jedoch einige Polizisten zu Tote, er schreckt vor nichts zurück, schon gar nicht davor, Polizisten zu töten, aber das ist längst nicht alles…“ Bevor Naru fortfahren konnte, musste sie tief Luft holen, die Geschichte war selbst für sie, die von Mord umgeben gewesen war, nicht einfach zu erzählen. „Weißt du, Wataru war kurz vor seinem Abschluss mit einem Mädchen sehr eng zusammen. Er wollte sie sogar heiraten.“ Als Naru das sagte, schluckte Miwako, sie konnte sich denken, was dieser Mistkerl getan hatte, wie sie es aussprach, sagte es doch alles.

„Er hat sie getötet, nicht wahr?... Das ist die Sache, die Wataru als schlimm bezeichnet, mir aber nicht sagen kann?“ Es waren seine Worte gewesen, dass er es nicht konnte…

Heute noch fing Naru fast an zu weinen, wenn sie daran dachte, was auf der Abschlussfeier geschehen war, dabei war der Mord längst nicht alles.

„Ja, wahrscheinlich – und die Tatsache, dass sein Vater mehrmals versucht hat, sie zu entführen und einmal abends versucht hat, sich an ihr zu vergreifen. Hätte er sie gekriegt, wäre es wie Riinas Freundin Miyako gegangen – sie wurde von diesem Dreckskerl vergewaltigt. Sie hätte fast ein Kind von ihm bekommen. Riina ging’s zu dieser Zeit wirklich schlecht.“

Tatsuji schloss die Augen, als Naru davon erzählte, er hatte mit Wataru nämlich schon einmal darüber gesprochen. Wataru war felsenfest davon überzeugt, dass es Keichiro gelungen war, seine Freundin zu fangen. ‚Laut Riinas eigener Aussage, hat Keichiro Yūmikō mehrmals vergewaltigt und sie Wataru dann noch ganz weggenommen. Da wundert es doch keinen, dass er dir nichts gesagt hat. Er muss doch ständig Angst haben, dass es dir genauso ergeht, muss er Heidenangst haben…’

„Ich glaube, das ist nicht ganz richtig, Naru“, korrigierte Tatsuji ihre Aussage, wobei er etwas Verabscheuendes in den Augen hatte. „Riina meinte, dass ihr Bruder ganz genau weiß, was ihr Vater mit seiner damaligen Freundin gemacht hat. Dass er genau wusste, dass er sie angefasst haben muss und das auch noch mehrmals. Danach war seine Beziehung ein einziger Trümmerhaufen. Sie war einfach nicht dieselbe… Dennoch war sie bis zuletzt mit ihm zusammen, das muss den alten Takagi gewurmt haben, weshalb er sich entschlossen hat, die Kleine zu erledigen, um Wataru noch tiefer in ein Loch zu stürzen, er hasst ihn so sehr, dass er über Leichen geht, Miwako, er würde es jederzeit wieder tun, wenn er herausfindet, dass sein Sohn glücklich ist. Es ist eins seiner großen Ziele, dass es ihm so schlecht geht, wie irgend möglich.“

„Wataru befürchtet, dass es dann mich trifft?!“ Den Schrecken in ihren Augen, sprang sie von ihrem Platz auf, die Hände hatte sie fest auf den Tisch gepresst.

„Wohl eher, dass sein Vater seine Taten an dir wiederholt. Dich zu töten, wäre dabei noch harmlos.“

Als Tatsuji das gesagt hatte, ballte sie die Hände zu Fäusten. „Dieser elende Bastard!“ Mit einem Fausthieb, der die Tischplatte traf, sah man wie sich unbändiger Hass in Miwako aufbaute. Die Geschichte war zu viel und traf sie so hart, dass sie diesem Kerl am liebsten… sie wusste nicht, was sie mit ihm tun würde, wenn er ihr jemals begegnete.

„Jetzt ist es noch schlimmer, nun ist Wataru der Polizist, den Keichiro am meisten hassen muss. Er hat ihm verboten zur Polizei zu gehen, doch er hat es trotzdem getan…“

„Naru…“ Tatsuji fand, dass es nun reichte, Miwako war sowieso schon am Limit angelangt, noch wütender musste man sie wirklich nicht machen. Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, was sie gerne mit diesem Kerl tun würde, er hatte viele Vorstellungen, die nicht gerade schön waren. Selbst er würde, wenn er es müsste, Keichiro auch erschießen. Es gab Situationen, da würde ihm auch die Sicherung durchbrennen, wenn es um Riina ginge beispielsweise, würde er niemals zögern ihn zu töten.

„Zahlst du für mich, Tatsuji?“ Miwako hatte etwas Geld auf den Tisch gelegt, woraufhin der junge Mann nickte. „Ich muss nämlich jetzt ganz schnell zu ihm…“

„Geh schon“, meinte der Braunhaarige und schon rannte sie aus dem Café, woraufhin Naru den Kopf tief senkte.

„Ich hoffe, dass man ihn bald kriegt, damit er solche Sachen nie wieder machen kann, es waren schreckliche Zeiten.“

„Glaub mir, es gibt etliche Leute, die diesen Tag im Kalender rot anstreichen würden…“ Tatsuji konnte es sich nicht verkneifen, aber ganz Japan war hinter diesem Mann seit Jahren her.
 

Nach einem entsetzlichen Tag war Rena auf dem Nachhauseweg. Sie hoffte, dass Yuichi sie ein bisschen auffangen konnte – in der Erwartung, dass er wenigstens zu Hause war. Doch kurz, bevor sie es geschafft hatte, sah sie die Gestalt einer blonden Frau, die wohl sogar auf sie gewartet hatte.

„Hallo Katori“, begrüßte sie die Jüngere ahnungslos, was ihr nun blühte.

Ihr Gesichtsausdruck war nicht gerade freundlich, aber Rena wusste nicht, weshalb das so war. Wahrscheinlich war Katoris Tag genauso schlecht gewesen, wie ihr eigener.

„Wir müssen reden“, fing die Blondine an, was die Braunhaarige natürlich nicht schockte, das kam zuweilen vor.

„Worüber willst du mit mir reden, Katori? Ist irgendetwas vorgefallen?“

Die Blondine überlegte sich gut, wie sie darüber sprach, nicht dass die junge Frau noch bemerkte, dass sie aus ganz bestimmten Gründen etwas verriet.

„Findest du es eigentlich in Ordnung, dem Kerl immer noch zu helfen? Wie lange willst du Yuichi noch Kummer machen? Reicht es nicht, dass er deinetwegen schon wieder Dinge tun muss, die er nicht will? Antworte, Rena.“

Zunächst wusste die Angesprochene nicht, was Katori von ihr wollte, aber als die letzten Worte kamen, erfuhr sie das, was sie bisher noch nicht gewusst hatte. Das was sie gequält hatte, Tage lang. Das war also der Grund, weshalb Carpano so brav war und tat, wie ihm geheißen wurde.

„Ich kann nicht einfach zugucken, wie er in Jamis Falle läuft, wie hast du überhaupt davon erfahren?“ Sie wich der Sache rund um Yuichi aus, sie wusste selbst, dass sie ihm zuweilen Kummer machte, was sie oft zum Weinen gebracht hatte.

„Geh mal nicht zu viele Gefahren ein! Wenn Jami das rauskriegt, bringt er dich skrupellos um, das ist dir doch klar, oder denkst du, er würde dich so sehr lieben, dass er dich verschont?!“ Diese Sache machte sie wirklich sauer, sie hatte nur auf eine passende Gelegenheit gewartet, es ihr unter die Nase reiben zu können, endlich.

„Ich bin vorsichtiger geworden, mach dir mal keine Sorgen.“

„Vorsichtiger? Du hast verdammtes Glück, dass ich es war, die von Jami beauftragt worden ist, rumzuschnüffeln. Er könnte auch andere schicken, dann hättest du jetzt ein ausgewachsenes Problem. Du weißt doch, dass Valpolicella nur darauf wartet, mal was Richtiges gegen dich in der Hand zu haben?! Wie kann man so dumm und naiv sein?“

„Du vergisst, wer ich bin, Katori! Das schließt aus, dass ich da einfach zugucke, wie er den armen Kerl so fertig macht. Und du solltest aufpassen, dass keiner von deiner Gunst gegenüber Hiroya erfährt, daran kannst du dich ganz schön verbrennen. Ganz besonders Leute wie Jami sehen das gar nicht gern. Der würde weniger begeistert davon sein…“ Sie waren total unterschiedlicher Ansichten, im Gegensatz zu Katori konnte sie den Kerl kein Stück leiden.

„Du hilfst dem Kerl, der Kimiko ins Verderben gestürzt hat, weil er kein Mann, sondern eine Lusche ist. Ein richtiger Mann hätte sie beschützt und ihr geholfen, statt umgekehrt. Sein Stolz war größer als seine Liebe zu ihr, der soll mir ja nicht alleine begegnen, den vertrimme ich!“

„Spinnst du jetzt?? Seit du Kontakt zu diesem Meczal hast, bist du vollkommen durchgedreht. Nur weil er sich zu schade war, bei uns einzusteigen! Es gibt Leute, die bei Verstand sind.“ Sie glaubte nicht, dass Katori nun ins gleiche Rohr blies wie dieser Spinner. „Kimiko würde dir was husten, wäre sie noch am leben und wüsste, wie du über ihn redest. Wie kannst du so was bloß sagen? Er hat genug durchgemacht, da musst du nicht auch noch mitmischen. Reicht’s nicht, dass Hiroya ihn runterputzt?!“

„Er putzt ihn zu Recht runter. Daran schon mal gedacht? Immerhin hat er seinetwegen nun auch Kimiko verloren.“

„Oh ja, dass er das so bedauert, merkt man.“ Rena wusste gar nicht, was das sollte, es kam fast so rüber, als wollte Katori grundsätzlich immer anderer Meinung als sie selbst sein.

„Du hättest Kimi diese Schwachsinnsidee ausreden sollen, statt sie noch tiefer reinzureiten. Was für Ammenmärchen hast du ihr erzählt? Dass alles gut wird?!“ Rena war eine Träumerin, ganz sicher hatte sie etwas in der Art gesagt.

„Welche Schwachsinnsidee? Das war kein Schwachsinn! Jami hatte versprochen, ihn zufrieden zu lassen, wenn er nichts sagt. Er hat nichts gesagt, ihm ist nichts passiert – was also willst du von mir??“ Sie hatte ihr nie etwas vorgemacht, sondern alles getan, damit sie von diesem Mist verschont blieb und sie hatte eben einen guten Draht zu Jami, er ließ mit sich reden, was war so falsch daran? Hätte sie tatenlos dabei zusehen sollen, wie man ihren Freund umbrachte? Die hatte doch einen Dachschaden.

„Ja und was denkst du, wieso ihm nichts passiert ist, he? Ganz bestimmt nicht, weil Kimi sagte: Oh bitte, tu ihm nichts! Mag ja sein, dass Jami auf dich gehört hat, weil er dachte, er darf mal ein bisschen an dir rumspielen, du hast keine Ahnung, was in seinem kranken Kopf vor sich geht. Natürlich hat er ihn nicht umgelegt, weshalb auch? Er hatte viel zu viel Schiss, als dass er das getan hätte, noch dazu kommt, dass er und Hiroya sich nicht sonderlich gut verstehen. Jami hatte in ihm einen für die Drecksarbeit, es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er ihn so weit gehabt hätte. Leider wusste der Boss wenig von Jamis jämmerlichen Versuch, Hiroya endlich loszuwerden. Er hat stattdessen den Störfaktor beseitigt, der ihm im Weg war, Hiroya einzufangen. Stell dir mal vor, sie sollte ihn ans Messer liefern und du hattest nichts Besseres zu tun, als Pläne schmieden. Bist du eigentlich noch ganz sauber? Während die von oben schon darüber nachdachten, wie sie sie beseitigen, hast du immer noch vom Himmel auf Erden geträumt. Und deine ach so tolle Freundin Vermouth war maßgeblich daran beteiligt. Nur weil du so dumm und naiv bist, ist sie tot. Hättest du Jami seine Arbeit machen lassen, statt dich einzumischen, wäre Kimiko noch am Leben. Als du IHN gerettet hast, hast du alles zerstört.“

„….Du hast es ihm verraten…?“ Rena war entsetzt, es klang jedenfalls so. Man hörte ja deutlich heraus, dass sie etwas gegen diese Person auszusetzen hatte und seinen Tod wenig bedauert hätte.

„Wo denkst du hin?! Ich bin ja nicht Vermouth.“ Sie schloss die Augen. Ganz so durchgeknallt war sie jawohl nicht, um auf solche Mittel zurückzugreifen. „Pass bloß auf, dass du wegen dem Kerl nicht mal untreu werden musst.“

„Was soll das? So etwas würde ich niemals tun.“ Nicht im Traum dachte sie daran, sich Jami zu ergeben.

„Irgendwann wird er genug davon haben, dir Gefallen ohne Gegenleistung zu erbringen. Bist du wirklich so blöd, zu denken, dass er das einfach so für dich macht? Eines Tages wird er richtige Forderungen stellen, der Geduldigste ist er sowieso nicht.“

Natürlich hatte Rena Angst vor der Situation, die eintreten könnte, wenn Jami die Geduld verlor, das hieß jedoch nicht, dass sie Yuichi untreu werden würde.

„Ich wünschte, Kimi würde noch leben und das hören. Denkst du, es macht Spaß, zu versagen? Sie ist tot – und ihn rette ich, sofern es möglich ist. Einfach so aufgeben, ist nicht meine Art.“

„Und ich wünschte, er springt von der nächsten Brücke, weil er die Schande, sie getötet zu haben, nicht mehr erträgt!“ Als dieser Satz von Katori kam, holte Rena aus und knallte ihr eine, sie konnte ihr das unmöglich durchgehen lassen. Von so einer kleinen Göre doch nicht.

„Du herzloses Miststück! Warum heiratest du nicht gleich Hiroya und Meczal? Die sind in dem Fall ja einer Meinung und genauso herzlos, wie du. Wie kannst du dich darüber freuen, wie schlecht es jemanden geht? Hast du denn endgültig dein Herz verloren?!“ Sie war mehr als nur wütend, diese Worte so von einer guten Freundin zu hören und die Ohrfeige sollte sie zur Vernunft bringen, Katori jedoch nahm es persönlich. Sie sah nicht den Versuch, den Rena verzweifelt unternahm, um sie vor der Finsternis zu retten, die allmählich ihr Herz einzunehmen schien.

„Ich soll Mitleid mit einem feigen Kerl haben, der bloß an seine Karriere denkt und sie deswegen verleugnet hat? Ach komm, das ist doch nicht dein Ernst… Nimm die rosarote Brille ab, du bist schlimmer als Kimi je hätte sein können, selbst sie wusste es!“ Rena sollte endlich die Realität erkennen und aufhören, alles in bunten Farben zu sehen. Sie waren in der Schwarzen Organisation, auf eine schöne Zukunft konnte keiner von ihnen hoffen, nur Rena tat es noch…

„So ist es leichter, nicht wahr? Du bist nur neidisch, es tut mir wirklich Leid, dass du so alleine bist, Katori. Es ist erträglicher, all das zu behaupten für dich, stimmt’s? Du erträgst nicht, dass sie glücklich war, anders als du, deswegen ist er jetzt der Böse, der dir deine Freundin weggenommen hat... Du bist zu bedauern.“

„Rede keinen Blödsinn! Ich bedauere sie eher, weil ihr Freund ein Weichei ist. Sie hatte was Besseres verdient. Wäre sie doch nur bei Mezcal geblieben, er hätte sie bestimmt beschützt.“

Rena seufzte tief, was Kimiko von Mezcal hielt, wusste Katori wohl leider nicht. Der hatte sich nämlich ziemlich daneben benommen, was kein Wunder war, da er jawohl eindeutig mit Hiroya gut befreundet war, da konnte der Kerl ja nur einen Knall haben.

„Liebe Katori, Mezcal war für sie kein Thema und zwar von dem Tag an, an dem er versuchte ihrem Freund mit einem Messer zu kommen… Er wolle sein Messer nämlich ungünstiger Weise an ihm wetzen und sie hat es mitbekommen. Dein Freund Mezcal ist nämlich ziemlich eifersüchtig gewesen und auf ihn losgegangen, weil er der Ansicht war, sie sei immer noch seine zukünftige Ehefrau. Ich weiß nicht, in welchen Halluzinationen er lebt, aber sie fand es nicht witzig.“

„Bestimmt hat er ihn provoziert, sonst hätte Mezcal so etwas niemals getan. Er war ihr bester Freund und Geliebter, glaubst du wirklich, er lässt sich von so einem sagen, dass sie nun einem anderen gehört? Nur in deinen Träumen.“ Nicht nur, dass er ihn in Beziehungsdingen – und zwar in jederlei Hinsicht - gänzlich ersetzt hatte, er hatte sie auch noch angefasst und einen Keil zwischen sie getrieben. Cinzano verstand Mezcals Wut daher sehr gut.

„Seine Meinung zählt in dem Punkt nicht. Sie hat sich für einen anderen entschieden, das gibt dieser kleinen Kröte nicht das Recht, ihn anzugreifen. Du spinnst doch, das damit entschuldigen zu wollen. Nein heißt nein und bleibt nein. Das muss ihm mal einer klarmachen. Und ich glaube, Kimi war mehr als deutlich, was das angeht. Das hat der Kleine nicht verkraftet… Jetzt hat er sie für immer verloren…“

„Und das macht ihn fuchsteufelswild und verhasst gegen ihn. Mit viel Glück bringt er ihn um.“

„Ich sehe, diese Unterhaltung neigt sich dem Ende, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich werde Jami darum bitten, dem lieben Mezcal mal etwas auf die Finger zu schauen.“

„Das lässt du schön bleiben, sonst kannst du was erleben!“ Katori konnte nicht glauben, dass dieses Weib so etwas sagte, nun wollte sie schon wieder Jami beeinflussen.

„Wieso sollte ich? Ich finde schon etwas, was Jami darauf eingehen lässt.“ Sie war vorsichtig, in dem Fall verlangte sie ja nicht, dass er irgendwen verschonen sollte, sondern dass er auf den Kerl etwas Acht gab, damit der nicht aus der Reihe tanzte. Zwar kam sie damit Hiroya in einigen Plänen in die Quere, aber so ganz realisiert hatte sie das nicht.

Als sie den Hausgang passiert hatte, klopfte ihr Herz so wild wie noch nie – sie hatte sich allen ernstes mit Katori gestritten und überhaupt, was verhielt sie sich so? Es wirkte, als hätte sie etwas gegen sie, was aber eigentlich Schwachsinn war, da sie ihr schon oft gegen Valpolicella geholfen hatte.

Aber es war wohl leider etwas Wahres dran, dass sie Fehler gemacht hatte – jedoch nicht in dem Ausmaß, wie Katori ihr weiszumachen versucht hatte. Sie wusste, dass sie sich in Sachen Schutz von Kimiko nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatte, sie sollte sich wirklich schämen, sich so weglocken zu lassen, damit andere leichtes Spiel hatten. Sie als Mitglied des CIA sollte so schlau sein, solche Fallen zu erkennen… Katori hatte erfolgreich in ihren Wunden gebohrt.

Sie stand hinter der Tür, als ihre Augen wässerig wurden und sie langsam hinab glitt, um wenig später am Boden zu landen und ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Eine Versagerin war sie, jemand, der wenig der Organisation entgegen zu setzen hatte und Katori hatte ihr das einmal mehr klargemacht. Ohne Yuichi war als alleine, ein Nichts, ein nervliches Wrack. Dass ihr Vater sie als stark genug empfunden hatte, verstand sie nicht – aber niemals hätte sie ihren Auftrag einfach so hingeschmissen, immerhin hatte er sein Leben dafür geopfert…

Die Geräusche aus dem Flur blieben nicht unbemerkt. Sie weinte so laut, dass man sie hören musste. Schnelle Schritte ertönten in der Wohnung, die Person hatte es eilig zu ihr zu kommen. Als er sie dann sah, war er geschockt. Sofort rannte er zu ihr hin und ging sogar auf die Knie, um sie an sich zu drücken. „Hidemi, ich bin da, alles wird gut werden.“ Obwohl er nicht wusste, was sie zu diesem Anfall brachte, wollte er sie beruhigen, seine Stimme war auch ganz sanft geworden, selbst wenn sie einen traurigen Klang hatte. Sie so fertig zu sehen, setzte ihm fürchterlich zu, er wollte zwar wissen, was geschehen war, doch hielt er sie zunächst stillschweigend gegen seine Brust gedrückt und versuchte sie zu trösten, so gut es ihm möglich war. Da der Flur kalt war, hob er sie zu sich auf die Arme und spürte wenig später, wie ihre Hände sich in sein Shirt krallten.

„Yuuuichiiiiii!“ kam zwischen ihrem Schluchzen von ihr, was einfach schrecklich klang, so dass er schluckte und sie ins Schlafzimmer trug, wo er sich mit ihr hinsetzte und sie noch enger an sich drückte.

„Ja, ich bin ja hier, ich geh auch niemals weg“, versprach er, es war das, was ihm im Moment durch den Kopf ging. Dass er sie niemals alleine lassen würde und für immer bei ihr bleiben wollte – egal was auch passierte.

Hidemi war froh, dass er gerade da war und sie auch noch in den Arm genommen hatte. Die Schmerzen in der Brust linderte es zumindest ein kleines bisschen. „Ich fühl mich so furchtbar, alles mach ich falsch!“ Ihr Kopf drückte sich fest an ihn, er wusste leider nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten. Wieso alles?

„Bitte beruhig dich“, er strich ihr vorsichtig über den Kopf und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. So hilfebedürftig hatte er sie lange nicht erlebt. Er hatte auch wieder das Gefühl, sie beschützen zu müssen, vor allem, was sie quälte.

In seinen Armen fühlte sie sich wohl, es war als hätte man das Licht zurück in ihr Leben gebracht, doch momentan fiel es sogar ihm schwer, ihre Welt zu erhellen. Es war so vieles schief gelaufen. „Verlass mich nicht – das steh ich nicht durch.“ Ihre Hände umklammerten ihn und ihm wurde bewusst, wie schrecklich die jetzige Zeit für sie sein musste, weil er sich ihr so entzogen hatte. Musste sie erst so schrecklich weinen, bis er erkannte, wie sehr er sie mit seinem abweisenden Verhalten verletzt hatte?

„Keine Sorge, das werde ich nicht“, seine Stimme klang apathisch. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, sie, die er so unendlich liebte zu verlassen, und wenn es ihn umbringen würde…

Sie löste sich von ihm, nur um ihn mit Tränen verschleierten Augen anzusehen. Ihr Blick zeigte, wie zerbrechlich sie wirklich war, er nahm einige ihrer Tränen mit den Daumen mit, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm. „Ich werde immer da sein. Hab keine Angst.“
 

Zur gleichen Zeit ruhten kritische Blicke auf einem jungen Mann, welcher nicht selten nervös wurde, wenn Frauen ihn so genau musterten. Ihre Schritte hallten auf dem Boden wieder. Auch ohne die verdammten Stöckelschuhe war sie fast so groß wie er. Und das ~klack klack~ machte ihn furchtbar zappelig. Aber ihnen war alles lieber, als die Ranghöchste, daher war die Frau das kleinste Übel und besser als Vermouth fand er wohl jede Frau…

„Nun schau dir deine Klamotten an – jeder sieht dir an, was du getan hast. Das kann ich dir nicht durchge-“

„Ich bin schuld!“ warf ein weiterer Mann sofort ein, ein blinder mit Krückstock würde erkennen, dass er dem Jungen wohl gesonnen war.

Ohne beim Thema zu bleiben, wandte sie den Körper dem blonden Mann zu, der kaum älter war, als ihr Problemkind. „Wo ist Chasselas? Man trifft dich sonst nicht ohne deine Partnerin an.“ Es schien sie sehr zu interessieren, wo Genannte steckte – es war etwas faul.

„Ein Auftrag, aus dem man mich versucht rauszuhalten – es geht um einen Mann…“ Er schielte zur Seite und gab einen äußerst abfälligen Ton von sich; er hasste es, wenn sie Männern nachrannte und ihrer Lieblingsbeschäftigung nachging – spielen.

„Oh – ich hoffe doch, dass er seiner Frau treu war, sonst wird es besonders blutig.“ Dem ersten Anschein nach, kümmerten sie Blutbäder nicht wirklich, was aber widersprüchlich zu ihrem Seufzen war, das sie von sich gab, als sie Chardonel noch einmal einen Blick schenkte, „genauso wie bei dir…“

Den Blick gesenkt schämte er sich entsetzlich, so vor eine Frau zu treten, mit blutverschmierten Klamotten und dreckigen Händen.

„Mein Opfer hatte sich entschlossen, sich zu wehren… Und dann ist sie mir auch noch entwischt.“

„Dieses miese kleine…“, zischte sie murmelnd vor sich hin. Dass sie dem Jungen solche Opfer verschaffte, hatte nur den Grund, dass sie ihn ärgern wollte. Es war die Strafe dafür, dass er mit ihrer Tochter Kontakt hatte, diese Leute hatten wenig zu lachen. Obwohl sie in der gleichen Organisation waren und im Grunde den Job teilten, waren sie unterschiedlicher Ansichten – wie beispielsweise Spielereien wie von Kindern gehörten nicht an einen solchen Ort – doch sie hielt sich nie daran, sie spielte so gerne mit Menschen, die Irre hatte regelrechte Freude daran, ihnen das Leben zu verderben. Dass das Opfer sich gewehrt hatte, war eher nicht ihr Problem, jedoch Chardonels.

„Patzer und dergleichen werden dir auf die Dauer das Genick brechen – ich weiß, sie ist eine Frau und du tust dir wegen deines Vaters schwer damit, Frauen Gewalt anzutun…“ Eigentlich fiel ihr nichts ein, was ihn getröstet hätte, in dem Punkt war Chasselas viel eher geeignet, sie hatte ihm schon so manchen Unfug ausgeredet, ebenso wie Palomino, der sich nun wirklich nicht gerne die Hände dreckig machte.

Die Rothaarige fand einfach nicht die Worte, um es ihm leichter zu machen.

„Ich kann keine Frau töten, lieber sterbe ich.“ Der Rotbraunhaarige wich ihrem Blick aus, eigentlich hätte er einen richtigen Anschiss verdient, sie war viel zu nett für diese Organisation zu ihm, das würde eher ihr das Genick brechen. „Und einen Ratschlag, auch wenn er von einem Minderjährigen kommt: Zeig niemandem dein wahres Gesicht. Sei nicht nett zu denen, die es aus der Sicht vom Boss nicht verdient haben, sonst wirst du es nicht weit bringen… Und nun geh zum Boss berichten, was mir widerfahren ist.“ Mit den Worten hatte der Junge sich herum gedreht, er hatte natürlicher Weise Angst, was nun mit ihm passieren würde – wie tief er wohl fallen würde? – und welche Strafe auf ihn wartete.

„Der Boss hat Wichtigeres zu tun, als kleine Bälger zu erziehen“, als die Stimme ertönte, zuckten Palomino und die Rothaarige sichtbar zusammen, doch ehe sie zu Chardonel hätten stürmen können, hatte sich eine dicke Kette um seinen Hals gelegt, „dasselbe gilt für Jami, deswegen bin ich jetzt dein Schatten, Junge – du hast ein Problem mit Frauen? Ich zeig dir, wie man so was löst, Schätzchen“, die Kette wickelte sich fest um seinen Hals, so dass er sich röchelnd mit beiden Händen an den Genannten griff, um dem qualvollen Ersticken zu entgehen, da sie mit einem kräftigen Ruck zuzog.

„Er gehört mir, also haltet euch da raus!“ Eine Drohung, von ihr ausgesprochen, nahm die Rothaarige immer ernst, verdammt, sie konnte dieses Dreckstück allmählich nicht mehr sehen, sicher war er auch hier, er war wie ein Hündchen, das ihr stets hinterherlief – auch wenn sie ihn damit ganz schön beleidigte, was sie nun wirklich nicht wollte – sie mochte ihn.

Durch ihre eigenen Worte hatte die blauäugige Halb-Europäerin ihn in eine schreckliche Situation gebracht; leider kannte sie die Rotblonde viel zu gut, sie wusste bei Gott nicht, wer von den beiden rotblonden Weibern schlimmer war: Mérille selbst oder Valpolicella. Sie gaben sich beide nicht viel, wenn es darum ging, andere zu verletzen und sie waren sich auch für Blutbäder nicht zu schade.

Dass Sirius ausgerechnet hinter ihm auftauchte, wunderte Palomino kein Stück, da er seine Waffe aus seinem Gürtel gezogen hatte und mit dieser auf Mérille losgegangen wäre, hätte er nicht das kalte Eisen im Nacken gespürt. „Das lässt du schön bleiben – sie macht nur ihre Arbeit.“

Seine Naivität war unübertrefflich, sie hätte lachen können – ja natürlich, es war ihr Job, deswegen war sie so grausam – wie oft wollte er ihre Taten damit rechtfertigen und entschuldigen?

Man sah, wie sie all diese Gedanken hegte und man konnte, wenn man sie sehr gut kannte, auch voraussehen, was sie tun würde…

Die Rothaarige richtete ihre Waffe auf Mérille, einen Bruchteil zuvor hörte sie die Stimme, dem es als einzigen Menschen vergönnt war, sie zu zähmen. „Sancerre!“ Ihr Name reichte dabei normalerweise schon aus.

„Krieg nicht die falschen Ideen, du glaubst doch wohl nicht, dass ich das geschehen lasse?“

„Und du gib mir einen Grund und ich befördere dich ins Jenseits, egal wer du bist!“

Die Worte der ranghöheren Frau verrieten allen unwissenden Beteiligten, dass sie irgendeinen Grund hatte, diese Frau nicht zu töten, obwohl sie sich deutlich wenig mochten. Mérille würde niemanden, den sie nicht mochte, einfach so verschonen, es war etwas im Busch – ihre Worte >egal wer du bist< ließen bei Chardonel und Palomino heftig die Alarmglocken klingeln.

Man hörte ein Seufzen von weiter hinten. „Jetzt nimm sie runter, sie sitzt am längeren Hebel.“

‚Du würdest es niemals wagen, mich zu erschießen, Yvette, weil Marcel dich dann hassen würde.’ Wer hier wohl am längeren Hebel saß? Mit einem fadenscheinigen Grinsen drückte sie ab und die Kugel schnitt scharf die Luft. Die Rotblonde wurde an der Schulter gestreift, was schon schlimm genug war, um jemanden blutrünstig zu ermorden. Verängstigt vor dem, was passieren könnte – alleine die Vorstellung war schrecklich für Sirius, er kannte Mérille besser als sonst irgendwen, sie war seit Jahren an seiner Seite, die Mutter seines Kindes.

„Ihr benehmt euch wie kleine Mädchen, hört endlich auf damit!“ Konfrontationen wie diese hatte es wohl gerade nicht zum ersten Mal gegeben, wie man hörte. Er hatte das Bedürfnis vor die Jüngere zu springen und sie vorm herannahenden Sturm zu beschützen, noch war sie ruhig – die Ruhe vor dem Sturm. Er hatte recht schnell Palomino links liegen lassen, was dieser als sehr dumm ansah, aber es schien diesem Killer wichtiger den roten Besen vor seiner Flamme zu retten… Ob das so schlau war? Er war selbst ein Mann… So etwas taten sie nur, wenn sie eine Frau liebten, wieso sonst würde er diesen riesigen Knall riskieren?

Noch immer würgte die Irre den armen Kenjiro, welcher verzweifelt gegen die Kette ankämpfte. Wäre nur Chasselas hier, sie würde niemals zögern sich mit Mérille anzulegen. Die Situation war nicht gerade die Beste, Kenjiro war außer Gefecht und bei Sancerre wusste man nicht so recht, woran man war. So gesehen stand es einer gegen zwei oder vielleicht sogar drei.

„Glaub mir, ich würde dich sofort abknallen, würde ER es nicht gut mit dir meinen! Trotzdem kann ich dir so was nicht durchgehen lassen… Mir fällt da schon was ein… Gerade verplempere ich aber ungern Zeit mit dir, also warte bis du dran bist, Süße“, sie rammte Kenjiro etwas Spitzes in die Schulter, was ihn die Augen weit aufreißen ließ. Gegenstände, wenn sie von dieser Frau kamen, in Körpernähe zu spüren, darauf war er nicht scharf gewesen. Eine, wie sie, die Leute gerne betäubte, zumindest so, dass sie sich nicht rühren konnten, die wollte er nicht als Gegnerin. Sie hatte ihn fest im Griff und er spürte schon ihren Atem am Ohr, auch schien sie die Kette lockerer zu lassen, da sie nun keine Flucht mehr mit einberechnen musste, in ihre kranken Plänchen, die sie gerne hatte.

„Zurück zu uns, Süßer, ich sorge dafür, dass du Frauen leicht töten kannst…“ Mit einem reißenden Geräusch hatte sie das blutverschmierte Hemd in seine Einzelteile zerrissen und ihn oben herum entblößt.

„Das wagst du nicht, dich bring ich -“, hörte man noch von Sancerre, bevor sie der Schlag von Sirius ins Reich der Träume versetzte und sie in seine Arme fiel; er hatte keine andere Möglichkeit sie von Dummheiten abzuhalten und gleichzeitig zu beschützen…

Palomino rannte mit einem Schrei, der klang wie der einen Amokläufers mit seiner Waffe auf Mérille zu, richtete sie auf die Frau, doch dann ertönten mehrere Schüsse, der erste ließ ihn die Waffe verlieren, der zweite legte ihn lahm, der dritte schmerzte so sehr, dass er den Boden unter den Füßen verlor und mit leerem Blick liegen blieb. Sein Atem ging stockend, er hatte damit gerechnet und es trotzdem riskiert…Jeder kannte Sirius, er würde immer Mérille helfen, war es nicht so?

Behutsam legte er die Rothaarige am Boden ab und musterte sie kurz, bevor er seinen Blick zu seiner Lebensgefährtin schweifen ließ, die den Jungen in Angst und Schrecken versetzte. ‚Und wer macht die Schweinerei weg, wenn du dich mit ihm zuhause beschäftigt hast? Ich kenn dich… Danach hasst er euch alle… So wie die meisten.’ Nur bei ihm vermiet sie es, Gewalt anzuwenden, das liebevolle Wesen in ihr, das kannte nur er alleine und kein anderer. Er hätte auch nie ein Wort darüber verraten.

Der am Boden liegende Palomino konnte ihm nicht helfen, es war auch besser so. Er war manchmal so vorwitzig, nur hoffte Kenjiro, dass es ihn nicht zu schwer erwischt hatte. Kugeln von Sirius trafen immer ihr Ziel, er war ein guter Schütze, zwar nicht der beste in der Organisation, aber einer von ihnen.
 

Von Handygebimmel jäh unterbrochen, schwiegen plötzlich alle, nachdem sie sich noch sehr angeregt unterhalten hatten. Hayato jedoch war ein Mensch, der jeden Anruf beantwortete, was an seinem Beruf lag, es war immer möglich, dass jemand ihn dringend brauchte oder wieder etwas Schreckliches passiert war.

„Hey – was gibt’s? Ich dachte, ihr gebt gerade ein Konzert.“

„Es ist eine Katastrophe – Tokorozawa schnüffelt hier rum… Kannst du nicht herkommen und ihn ein bisschen vom Tatort fernhalten?“

„Was ist passiert?“ Hayato hatte das Handy mit der Hand geschützt und flüsterte die Worte nur noch – Tatort war ein unmissverständliches Wort.

Augenscheinlich ein Unfall – unser Sänger ist dabei beinahe drauf gegangen – wo bin ich bloß hingeraten…?“ Dass er sich fehl am Platze fühlte, lag nicht nur daran, dass seine Kollegen allesamt einen Schuss hatten, sondern auch noch ein bisschen jünger und demnach unvernünftiger waren.

Spätestens als Hayato zu flüstern begann, ruhten die Blicke auf ihm und man lauschte unwillkürlich. Nicht nur Ken tat es, sondern auch Sayaka, die sich recht fix an ihren Bruder herangeschlichen hatte und das Gespräch teilweise mithören konnte.

„Du würdest nie glauben, wer gerade in meiner Nähe ist. Aber erstmal erzähl mir Genaueres.“

Es war laut im Hintergrund, was seinen Bruder dazu veranlasste, ziemlich zu schreien, weshalb man einiges durch das Handy hörte.

„Lass mich raten, Yuis Bruder hat wieder Ärger am Hals.“ Er seufzte. „Oh mein Gott – halt die beiden bloß voneinander fern, das eskaliert sonst… Und du sagst, Sojuro Tatsuno ist ebenfalls hier? Was macht der denn bei euch?“

„Stimmbilder für unseren Sänger spielen, weil er ein paar kleine seelische Problemchen hat und Konkurrenz in den eigenen Reihen.“

„Da kann euer Sänger auch gleich ans schwarze Brett pinnen, dass er Drogenabhängig ist. Sojuro Tatsuno ist der schlimmste Journalist weit und breit, nur die Redakteurin ist noch schlimmer“, als er von der Redakteurin sprach, hatte seine Stimme etwas leicht Angewidertes angenommen, aber er wäre nie auf die Idee gekommen seinem Bruder zu verraten, weshalb er diese Frau so wenig mochte.

„Ach, der will ja nicht hören, dabei würde er bestimmt nicht mehr auf der Bühne stehen, wenn unsere Mutter nicht wäre – ist wie ein kleines Kind. In seinem Zustand bringt er Tokorozawa nur gegen sich auf, der sieht sicher nicht gerne, dass er mit Mitsuki zusammen ist, übrigens weiß er davon. Du weißt, das eine, was keiner wissen sollte.“

„Die Polizeischülerin und ihr Drogenabhängiger… das wären Schlagzeilen.“ Dass Hiroya wusste, wer Mitsuki war, wunderte Hayato nun wirklich nicht, sie war das Ebenbild ihrer Schwester.

„Sei nicht so zynisch! Sie weiß es ja nicht.“

„Nur eine Frage der Zeit, dass sie es mal rafft, ich wünsche ihr, dass sie das bald tut und sich dann ihr Kind schnappt und damit abhaut, ganz weit weg von dem Typen.“ Er war ja eigentlich nicht so, aber was sich bei denen abspielte, war nicht mehr normal. Und Hiroya machte solche Krisen nicht besser, er schüttete gerne Öl ins Feuer. Bei Jami war es ja nicht anders, sie schienen das Spielen mit den Flammen besonders toll zu finden.

„Du hast wahrscheinlich Recht – er behandelt sie wie den letzten Dreck, sie ist nicht zu beneiden. Ich glaube, in Hiroyas Anwesenheit, würde er es nur einmal wagen, seine Hand gegen sie zu erheben. Sie ist ja schließlich das einzige, was ihm noch geblieben ist und noch dazu genau das, was er und seine Eltern gerne aus Kimiko gemacht hätten. Komisch, dass es ausgerechnet jetzt rauskommt, als hätte Mitsuki nur darauf gewartet, ihren Platz einzunehmen. Ich kann die Giftspritze nicht ausstehen – so unschuldig sie auch aussieht.“

„Da bin ich anderer Meinung… Ihr Vater ist ein alter Tyrann und ihr Freund ist dabei auch einer zu werden, wie würdest du dich da verhalten? Sie wartet doch nur darauf, aus ihrem Käfig fliehen zu können, ich hätte nicht wenig Lust, mich mit ihr zu unterhalten, wie er wirklich ist. Ob sie mir glauben würde, ist ein anderes Ding. Frauen, die lieben, erkennen die deutlichsten Tatsachen nicht. Schau dir unsere Miki an, sie ist noch immer mit Shin zusammen, obwohl er sie überhaupt nicht verdient.“

„Was denkst du, was passiert, wenn Juu nicht bald aufwacht? Shin hat sich sofort angeboten, für ihn einzuspringen, du weißt, was das heißt…“ Man musste es nicht mehr verdeutlichen, dass dieser Shin es auf die Rolle des Sängers abgesehen hatte, er hätte wetten können, dass er alles dafür tun würde und Teru sprach es aus; er verdächtigte ihn und damit war er nicht alleine.
 

Teru (30) Fujikage, Bassist in der Band IRON KISS
 

„Jungspund!“ meinte Hayato, er wusste ja, dass Shin der Jüngste von ihnen war. Alleine wegen Miki würde er ein ernstes Wörtchen mit dem Typen reden. „Hör zu – ich bin gerade noch an etwas anderem dran – ich werde im Präsidium anrufen, Hiroya hat nämlich Star-Verbot und wird dafür einen ordentlichen Einlauf bekommen. Er hat sich wieder vorbei benommen, deswegen hat ihm der Polizeichef einen Riegel vorschieben lassen und ihn zur Psychologin geschickt. Kei reibt sich jetzt die Hände, in der Hoffnung, dass er Hiroya möglichst schnell wieder loswird. Seine Freundin scheint sich für Hiroya zu interessieren, da sieht er natürlich rot. Ich bin ja froh, dass Aoi endlich vernünftig geworden ist.“

Dass Hayato besonders stolz darauf war, was er mit Kei damals gemacht hatte, hätte auch ein Außenstehender mitgekriegt. Er strotzte ja nur so von Überzeugung, immer das Richtige zu tun.

„Ich würde mir wünschen, dass sie sich mal so richtig verliebt. In den richtigen Mann. Sie ist so alleine.“

„Wenn du wüsstest, wobei ich sie erwischt habe, würdest du so was nicht sagen, sie ist schlimmer als jeder Teenie.“ Ein verärgerter Ausdruck zierte sein Gesicht, als er ihm einen Blick zuwarf, er hatte ihn gut im Auge, aber da war er nicht alleine. Er sah an den Augen der jungen Dame, dass sie keine allzu nahe an ihn ranlassen würde. ‚Fast so schlimm wie ihr Bruder! Ist ja fast verwunderlich, wie viel er sich gefallen lässt. Irgendwann platzt er. Aber dann wird er NICHT bei meiner Schwester landen.’

„Oh je, sie hat eben einen eigenen Willen und lässt sich nicht von dir einschüchtern, eine richtige Fujikage eben“, er war froh, dass sie so war, sonst hätte sie aus Angst, dass ihr Bruder austickte, nicht einmal mehr in die Richtung von Männern gesehen. Da sie jedoch die meiste Zeit ohne Mutter aufgewachsen war, wusste sie sich alleine durchzusetzen. „Ich fühle mich hier echt wie im Kindergarten. Nein, es ist schlimmer als dort. Ich dachte, sie werden irgendwann erwachsen, aber es ist eher schlimmer geworden, als hätten sie sich zurückentwickelt. Bei solchen Kollegen kann man, wenn man einen schwachen Willen hat, nur durchdrehen. Bei denen geht es nur darum, wie sie hoch hinauskommen und wenn sie mal zu viel Geld haben, wird es in Partys investiert. Eine Sauforgie nach der anderen. So etwas habe ich seit 10 Jahren nicht mehr getan.“

„Pass auf, dass du nicht zu sehr den Erwachsenen raushängen lässt und ihnen in allem widersprichst, nehmen wir zum Beispiel Shin, dem würde das gar nicht gefallen, überlass den kleinen Scheißkerl mir. Etwas Scheinheiligkeit hat noch nie geschadet. Bei solchen Leuten sowieso. Und lass Tatsuno mal nicht zu nahe an Juu ran – der Kerl hat nur Kimiko in seinem verdammten Kopf, genauso wie er selbst, das geht niemals gut. Wenn er das erstmal checkt, wird er ihn als seinen Feind betrachten – wer weiß, ob er ihm dann nicht mal die richtigen Drogen besorgt… Behalt ihn im Auge!“

„Vielleicht sollte er mal an eine Therapie denken – es ist doch wohl lachhaft, jeden, der sie zu sehr mag, gleich zu verdachten.“

„Tut er nicht – sein Problem ist, dass sie ihn verlassen hat. Sie sind beste Freunde aus Kindertagen, er kann nicht ohne sie, aber sie konnte ohne ihn schon. Sie ist vor ihm weggelaufen und er ihr hinterher gejagt wie ein Jäger hinter seinem Tier. Er hätte sie niemals gehen lassen, eher hätte er alle getötet, denen sie zu nahe stand. In seiner Traumwelt ist sie noch immer seine Verlobte und seine beste Freundin. Niemals wird er einsehen, dass sie nicht zu ihm zurückgekommen wäre. Dass sie sich nicht mehr wehren kann, nutzt er aus, um zu behaupten, dass er der einzige für sie wäre und alle anderen nur Lückenbüßer. Sie kann ihm ja nicht widersprechen, damit kann er so manchem ein Pfeil ins Herz jagen. Und nun hängt so einer an eurem Sänger, ich seh’s kommen, der nimmt ihm das letzte bisschen Menschlichkeit, das noch in ihm steckt. Was die Drogen noch nicht zerstört haben, das frisst er auf.“ Menschen wie Tatsuno waren manipulativ und gefährlich alleine durch ihre Anwesenheit. Sie waren unscheinbar und schlichen sich langsam ins Herz der Menschen. Was er über diesen Typen wusste, schloss aus, dass er ihn gemocht hätte. Sein Stolz hielt ihn davon ab, auf brutale Weise Menschen abzuschlachten, aber seine Liebe machte ihn nur grausam. Das alleine sein hatte auch das letzte bisschen Verstand aus ihm vertrieben. Er war schon längst nicht mehr zu klarem Denken fähig. Und weil er mit der Wahrheit nicht zurecht kam, erfand er Lügen und zog die Frau, die er über alles liebte, in den Schmutz. Alles schlechte, was die Presse über sie schrieb, entstammte Tatsunos Fantasie. In seinen Augen hatte sie ihn ja auch die ganze Zeit mit Männern betrogen, dabei war es aus gewesen. Es war anscheinend besser zu verkraften, sich all diese Schwachheiten einzureden. Wie gut, dass seine Schwester von so etwas verschont blieb, er passte eben immer ordnungsgemäß auf sie auf.

„Ich hoffe, dass der Kerl schnell verschwindet – für den sind wir der Abschaum der Gesellschaft, dabei hat er überhaupt keine Ahnung von den Dingen, die rund um uns geschehen. Seit Yuriko tot ist, hat er total den Verstand verloren. Sein Hass richtet sich gegen uns, er würde uns nie eine Chance geben.“

„Unterschätze ihn nicht, ich könnte dir Dinge erzählen, die würden dich umhauen, aber das eher ein anderes Mal, man boomt mich nämlich mit Arbeit voll; ich würde wirklich gerne selbst kommen, aber in Tōkyō ist einiges los.“

„Du redest so geheimnisvoll… irgendetwas ist im Busch, Hayato.“ In welche Machenschaften war sein Bruder nun schon wieder geraten – er schien ihn vor irgendwas zu schützen, was zu wissen, ihm schaden würde. Doch was war es?

„Ich kann dir nichts darüber sagen, es ist alles top secret.“ Im Grunde war es nicht so, dass er nicht gekonnt hätte, da ihm wenig am CIA lag, trotzdem benutzte er den Geheimdienst stets als Ausrede für Geheimnisse, die er nun einmal hatte.

„Sind diese Dinge wieder so schlimm, dass sie uns am Schlafen hindern können?“ Nach Terus Frage kam keine Antwort mehr, was genug aussagte, dass er sich große Sorgen um seinen Bruder machte. Und nicht nur um ihn, es gefiel ihm wenig, dass sie beide beim CIA waren. Und die Show, die Aoi als Sayaka abzog, war auch äußerst heimtückisch – bestimmt war es so ein dummer Befehl vom CIA jemanden auszuhorchen. Wer von ihnen es wohl war? Welcher Prominente hatte dieses Mal etwas zu verbergen, ihm fielen auf Anhieb genug ein, die Dreck am Stecken haben könnten – Shin und Sojuro Tatsuno allen voran. Bei letzterem war es aber wohl eher auf seelische Probleme zurückzuführen, wenn er Mist baute, ihm war vieles zuzutrauen. Früher waren sie mal gut ausgekommen, doch hatte sich das geändert, er verkehrte mit merkwürdigen Leuten. Trotz ihrer Gemeinsamkeiten konnte Sojuro Shin wenig leiden, was wohl daran lag, dass er Juu in gewissen Dingen unterstützte und deswegen etwas gegen Shins Einmischung hatte.

„Bei weitem nicht, ich kann nur eben nicht darüber reden, bitte versteh das. Und jetzt muss ich auch leider Schluss machen, bitte gib auf dich Acht, Teru“, mit den Worten ertönte ein Tuten im Handy, was besagte, dass der Gesprächspartner aufgelegt hatte. Der Nachsatz ließ ihn doch sehr an der Wahrheit zweifeln…

Während Hayato bei seinem Bruder für gemischte Gefühle gesorgt hatte und man das Handy in einen anderen Modus versetzte, so dass ein roter Punkt auf dem Display erschien, erhaschte Ken den nachdenklichen Blick von Hayato, der wie ein Besessener auf sein Handy starrte.

„Sag mal“, fing er an, was sehr nach ~ich will’s wissen~ klang und dann auf ihn zuschritt. „Was war das denn?“

„Was war was?“ Grundsätzlich war es am leichtesten, wenn man sich dumm stellte.

„Dieses merkwürdige Gespräch am Handy. War das Teru? Hat der denn nicht gerade zu tun?“

„Das Konzert verschiebt sich um eine Weile – er wollte nur was wissen…“

„Er wollte nur was wissen? Das kannst du dem Papst erzählen! Lass uns mal kurz ein paar Schritte zusammengehen.“ Er drehte sich um. „Und du mach keine Dummheiten!“

„Wenn sie mir nicht dumm kommt, komme ich ihr auch nicht dumm“, ein böser Blick huschte zu Sayaka, welche ein Grinsen zeigte.

„Ich jemandem dumm kommen? Ich reagiere nur, keine Sorge, ich werde dir nicht dumm, sondern schlau kommen.“ Ihre Augen funkelten kurz hell auf, was Yui merklich zusammenzucken ließ. Was sollte dieser Blick? Es wirkte so, als wüsste sie mehr, als es den Anschein machte.

„Ich mein das ernst!“ Kurz darauf schnappte man Hayatos Arm, welcher tief seufzte. „Ich will mich mit einem alten Freund unterhalten… ALLEINE!“ Er hätte ihm viel erzählen können, aber seine Schwester würde ihn lynchen, es reichte, was ihn selbst betraf, auszusprechen, da würde er lange genug dran zu knabbern haben. Er überlegte schon, wie er es ihm schonend beibringen konnte. Dass Yui in seinem Auto gesessen hatte, reichte ja schon aus, da Aoi ihm ein Versprechen gegeben hatte.

„Was bereden die, was ich nicht wissen darf?? Der glaubt jawohl nicht, dass ich darauf hereinfalle?“ Alter Freund – ja klar, so wie die sich angegiftet hatten…

Die Schwarzhaarige spürte die Hand der größeren Frau, wie sie sie am Handgelenk zurückzog. „Ken kann es nicht leiden, wenn man ihm so nachläuft… Es wäre also viel besser für euch, wenn du ihn alleine mit meinem Bruder lässt.“

Dieser Satz brachte bereits wieder mehrere Tonnen Hochexplosives zum Fallen, sie drehte sich herum und riss sich von dieser Person los, die ihr vorlebte, wie viel besser sie ihn kannte.

„Was bitte soll das heißen? Ich weiß, was er leiden kann und was nicht! Und ich kann euer Getue gerade nicht leiden!“

„Sei doch nicht so zickig, oder bist du nervös, dass Hayato ihm irgendetwas über dich zu berichten hat, was ihm weniger gefallen könnte? So etwas, was eurer Beziehung schadet, vielleicht? Dinge wie… deine Beziehung zu Kimiko Tokorozawa?“

„Was weißt du schon? Ich weiß noch nicht einmal, wo du hergekommen bist und warum du es auf meinen Verlobten abgesehen hast! Ich warne dich, misch dich nicht in meine Angelegenheiten ein, das würde dir nicht bekommen.“

„Weißt du überhaupt, mit wem du es zu tun hast, du kleines Gör?“ Ihr platzte ja wirklich selten der Kragen, aber dieses Mädchen machte sie furchtbar aggressiv. „Red dich nicht raus, ich weiß genau, dass du glücklich darüber bist, dass sie verschwunden ist. Wahrscheinlich hast du sie genauso angesehen, wie mich, ich weiß, dass sie sich gut verstanden haben. Wann kapierst du eigentlich endlich mal, dass er nicht jede Frau anhüpft, die er ein bisschen mag? Du siehst in jeder Frau eine Gefahr – solche Leute tun alles, wirklich alles, um Gefahren loszuwerden. Was hast du bei Kimiko getan, um sie loszuwerden? Na los, sag es!“

„Ni-Nichts hab ich getan! Du kennst mich nicht, also unterstell mir nicht solche Dinge.“

„Die Polizei wird dir auf die Pelle rücken und genau dieselben Dinge fragen… Möchtest du nicht schon einmal mit mir üben, was du ihnen sagst? Was denkst du, was wird passieren, wenn sie erfahren, dass du in der Nacht des Unfalls nicht im Hotel gewesen bist? Vielleicht wird Ken schweigen, aber es gibt sicherlich genug Leute, die dich haben gehen sehen und das mitten in der Nacht. Was hast du mitten in der Nacht getrieben, na?“

Die Farbe war ihrem Opfer bereits aus dem Gesicht gewichen, sie hatte sie in die Enge getrieben mit dem Wissen, das sie von ihm hatte, auch wenn sie bei einigen Dingen blind hineinriet.

„Ich bin zu meinem Bruder gefahren, weil es ihm nicht gut ging. Und auf dem Weg habe ich ihr Auto gefunden… Ich habe ihn informiert…“

„Dumm nur, dass ich dir nicht glaube.“ Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt. „Und weißt du, wer diese Geschichte ebenfalls als zu sehr an den Haaren herbei gezogen findet? Ich bin Detektivin und das schon seit Jahren, mir kannst du keinen Unsinn auftischen, Ken war es, der mich darum gebeten hat, dich im Auge zu halten, deswegen habe ich meinen Bruder auf dich angesetzt. Wir wissen genug, um dir zu schaden. Rate doch nur mal, was die beiden nun bereden? Danach solltest du dir Gedanken darum machen, wie du ihn wieder beruhigst. Ich glaube nicht, dass er all das so witzig finden wird.“

„Er hat dich auf mich angesetzt? Das glaube ich nicht…“

„Tja, anscheinend vertraut er mir mehr als dir, woran mag das liegen?“

„Ich… Ich habe mich nicht über Kimikos Tod gefreut, das lass ich mir von dir nicht sagen. Vielleicht habe ich ihr gutes Verhältnis mit ihm nicht gut geheißen, aber ich selbst habe ihr nichts angetan…“ Ihre Stimme begann zu zittern und ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich habe all das, was geschehen ist, so nicht gewollt. Dass jemand stirbt, das wollte ich nicht.“

Obwohl sie sie so wenig mochte, fing sie an ihr zu glauben. Aoi wusste, dass diese Tränen nicht gespielt waren. Mikis Geschichte war auch nichts weiter als Mutmaßung dessen, was wirklich vorgefallen war. „Ach – und stimmt es etwa nicht, dass er sie oft alleine getroffen hat und du deswegen ausgeflippt bist? War er nicht sogar eine Nacht mit ihr zusammen?“

„Blödsinn! Es stimmt, er war nächtelang weg, aber sicher nicht bei ihr.“

„Allein der Gedanke, dass es so sein könnte, hat dich fast getötet. Und nun leugne es nicht, du hast es selbst zu Miki gesagt. Dass du Kimiko den Hals umdrehen könntest und sie doch besser wieder dahin zurückkehren soll, wo sie hergekommen ist. Dass sie deinetwegen jedes Trostpflaster nehmen kann, aber nicht IHN.“ Dass sie jetzt so tat, als wüsste sie nichts davon, als hätte sie das niemals von ihm gedacht, war ein starkes Stück, sie traute ihm ja sogar zu, dass er mit ihr…

„Ja, ich hätte ihr die Hölle heiß gemacht, wenn sie das getan hätte… Aber ich hätte sie nicht umgebracht, auch wenn sie aussieht wie meine Schwester Mitsuki, die ihn sowieso wollte, sie wollte ihn mir wegnehmen, aber Kimiko ist nicht wie sie. Kein bisschen… Man sollte nicht alles auf das Aussehen projizieren.“

„Wenn ich rauskriege, dass Kimiko deinetwegen tot ist und Ken deswegen traurig ist, lernst du mich kennen, denn zufällig kenne ich ihn schon sehr lange und ich lasse nicht zu, dass jemand ihm wehtut, verstanden?“

Ihre Worte brachten sie nicht gerade dazu, dass sie diese Person zu mögen begann, eher das Gegenteil, sie wollte ihr ans Leder und drohte ihr auch noch. „Glaub mir, ich bin die Letzte, die so etwas will…“ Die Augen schließend, dachte sie daran, wie sehr ihn Kimikos Tod beschäftigte und das brach ihr buchstäblich das Herz. Dass er so oft an sie dachte und wohl ernsthaft annahm, Yui könnte damit zu tun haben. Am schlimmsten war, dass er damit Recht hatte. Sie hatte maßgeblich damit zu tun gehabt, was aber nicht hieß, dass sie das, was geschehen war, wirklich gewollt hatte. Und es war ja nun wirklich nicht so, dass Kimiko als einzige Probleme gehabt hatte, die ihr schlussendlich das Genick gebrochen hatten. Sie hatte das böse Gefühl, dass die es als nächstes nun auf sie abgesehen hatten, wieso sollte dieser Kerl von vorhin sonst von ihr verlangen, irgendeinen Auftrag zu erledigen? War es nicht schlimm genug, dass sie Kimiko angerufen hatte, mitten in der Nacht und sie in eine Falle tappen ließ? Das war mehr, als sie verkraftete. Mehr als er verkraften würde. Mehr als ihre Beziehung verkraften konnte. Er durfte unter keinen Umständen je die Wahrheit erfahren…
 

„Verrat mir, wie schlimm es wirklich ist! Darf ich’s nicht wissen?“

Hayato guckte ihm dabei zu, wie er sich vor lauter Nervosität eine Zigarette anzündete. Er wusste, er war nicht dumm und machte sich viele Gedanken um alles. „Ich bin beim CIA, Ken, ich kann’s dir nicht verraten, ich kann es nicht einmal Teru verraten. Aber es wäre besser, wenn du Yui nicht nachts alleine draußen herumgeistern lassen würdest. Es gibt jede Menge Leute, die sich auf junge Mädchen stürzen, Tōkyōs Straßen sind nicht sicher! Ach, was rede ich da, das weißt du selbst am besten. Du hast auch eine Schwester, die einiges erlebt hat und die wohnt nicht in Tōkyō.“

„Irgendwas is’ mit dir, du würdest nicht einfach so auf diese Weise reden. Dass sie in deinem Auto saß, hat doch nicht etwa zu heißen, dass sie Ärger mit Kerlen hatte?“

„Hör gut zu, ich sag’s dir nur einmal… Deine Verlobte hat ein riesengroßes Problem mit einem Mann, der ihr einen Gefallen getan hat, er möchte nun, dass sie ihm auch einen Gefallen tut. Er wollte von ihr verlangen, dass sie in sein Auto steigt und mit ihm nach Hause fährt… Er ist schlimmer als du, was denkst du, was er dort mit ihr gemacht hätte? Seine Worte waren, es sei ihm egal, ob sie dabei an einen anderen Mann denkt… Ich ermittle gegen diesen Mann, eigentlich dürftest du das gar nicht wissen. Aber ich will nicht, dass er bei irgendwelchen Frauen, egal welcher, erfolgreich ist. Er ist ein jämmerlicher Hund, der Frauen eigentlich liebt, wenn sie ihn jedoch nicht zurücklieben, bestraft er sie.“

Was für ein widerliches Ekel das doch war – jedem Mann mit ein bisschen Anstand wäre das zuwider, am Ende war das so ein Mistkerl, wie Yuis Vater und so etwas konnte er gar nicht leiden, der sollte ihm ja nicht begegnen.

„Danke, dass du sie gerettet hast!“ kam doch sehr erleichtert mit einem Seufzen daher, er wusste ja, dass sie gut darin war, sich selbst in Schwierigkeiten zu bringen, was er wenig später auch begründete. „Sicherlich ist sie wieder in den dunkelsten Ecken herumgelaufen. Sie denkt immer, dass sie stärker als alle Männer ist, das ist sie nicht – dann wäre sie keine Frau. Frauen sind nicht stärker als Männer, aber das sag ihr mal, sie hält sich für sonst wie stark, dabei ist sie ein verletzbares Mädchen, sie ist verletzbarer als sie selbst jemals zugeben würde.“

„Na ja, er sieht nicht wie ein Mann aus, der über Frauen herfällt. Er ist eigentlich total unscheinbar, keiner würde ihm diese Schweinereien zutrauen. Das lässt Frauen sich auf ihn einlassen, das bereuen sie nur ziemlich schnell – nämlich dann, wenn er sein wahres Gesicht zeigt. Pass auf sie auf, mehr kann ich dir nicht raten!“ Es widerstrebte ihm irgendwo, die ganze Wahrheit auszupacken, es war ein ganzes Bündel und er wollte niemanden in Schwierigkeiten bringen, es wäre nicht das erste Mal, er verschwieg ja sogar seinem Bruder etwas, er hatte mit seinen Problemen nichts zu tun, er kam alleine klar.

„Das werde ich schon – ihr Vater tut es ja nicht. Er hasst sie, weil sie ihm untergeschoben wurde. Wenn es nach ihm ginge, würde ich sie jeden Tag verprügeln, er ist der Meinung, dass sie es verdient.“

„Mädchen aus solchen Familien hängen sehr an ihren Freunden. Ihre kaputte Familie lässt sie sich danach sehnen, eine eigene Familie, eine bessere Familie zu haben. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Unsere Familie ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Aoi ist deswegen auch total darauf aus, sich zu verlieben. Ich habe immer große Angst um sie, dass es der Falsche sein könnte und sie wie unsere Mutter endet. Deswegen...“, er starrte in den Himmel, „… bin ich auch schon oft nicht nett zu Männern gewesen, die ihren Weg kreuzten.“

„Ich bin nicht böse, ich würde mich genauso verhalten. Ich war auch ganz schön erschrocken, als sie das so einfach getan hat. Sie denkt kein bisschen an die Konsequenzen. Sie hat keine Ahnung, zu was Männer fähig sein können. Yui hat da mehr Ahnung, ihr Vater hat sie, als sie nachts weg blieb, so verdroschen, dass sie am nächsten Tag vor meiner Tür stand. Sie war grün und blau, Hayato. Ich könnte immer ausrasten, wenn Kerle sich so was erlauben. Du nicht auch?“

„Das würde kein Mann ein zweites Mal tun, wenn ich davon erfahre. Man schlägt keine Frauen, auch keine Töchter – unglaublich.“ Frauen waren grundsätzlich schwächer und man sollte sich ja nicht an Schwächeren vergreifen. „Ihr habt viel durchgemacht, stimmt’s? Das ist mit ein Grund, weshalb du große Angst davor hast, dass sie in irgendwelche Sachen verwickelt war, oder? Ich sage dir nur eines dazu: Erstens kommt es immer anders, und zweitens schlimmer. Ich könnte auch sagen, dass nichts so ist, wie es scheint. Verlass dich nie auf den ersten Anschein – das war schließlich früher unser Motto. Gründe gibt es viele, die einen sind gut, die anderen schlecht. Denk drüber nach.“

„Das ist Auslegungssache. Ein Mord ist nicht immer schlecht, er kann auch als Hilfe dienen. Ich würde es nicht gut finden, wenn sie meinetwegen jemanden töten würde. Manchmal wünschte ich mir, etwas weniger davon. Es ist mit den Jahren nur schlimmer geworden. Wenn Menschen aus Liebe töten, ist es für alles zu spät. Wenn man nur noch an andere denkt, kann man nicht mehr glücklich werden.“ Seine Auffassung von Liebe war nichts ungedingt Schönes. Wenn man jemanden liebte, gab man sich selbst auf, um für diese Person perfekt zu scheinen – niemand war es – dennoch versuchten es viele immer wieder. Er war wirklich froh, dass sie es nicht versuchte, sie war noch immer sie selbst und ließ sich nichts gefallen, auch von ihm nicht.

„Du denkst, sie würde so weit gehen… Statt dich darüber zu freuen, dass du endlich eine Frau gefunden hast, die dich liebt, beschwerst du dich. Du bist auch nicht mehr normal. Deine komischen Beziehungen haben dich verlernen lassen, dankbar für so etwas zu sein. Ich würde auch alles für Mia tun.“ Hayatos Auffassung von so etwas war eine völlig andere, er fürchtete sich nicht davor, töten zu müssen, um seine Liebsten zu schützen, jedoch wollte er nicht so sehr geliebt werden, dass sie es tun würden…

An Mia erinnerte man sich immer sehr genau, sie war der Schwarm jedes Jungen gewesen, alle hatten sie bewundert und geliebt, aber am meisten hatte er es bei Hayato gespürt. „Ja, ich erinnere mich daran, du warst immer hinter ihr her, da hatte sonst keiner eine Chance, was? Es hat mich trotzdem ganz schön erschreckt, dass ihr eine Tochter habt. Sie ist die Liebe deines Lebens, oder?“

„Anders kann man es nicht sagen. Ich gebe sie nie mehr her. Und ich würde jeden ermorden, der es wagt, ihr wehzutun.“ In der Stimme des Mannes mit den gelockten schwarzen Haaren war Tiefe gefahren, die bedrohlich auf jemanden wirken konnte, doch seinem Gegenüber entlockte es nur ein leichtes Lächeln.

Er glaubte allmählich, es war normal, wenn man jemanden liebte, seinen Verstand zu verlieren.

„Deswegen habe ich es vorgezogen, Menschen nicht zu nahe an mich ranzulassen, ich wollte nicht so werden. Wäre ich allerdings in so einer Situation, sie retten zu müssen, würde sicher jemand dran glauben.“ Felsenfest davon überzeugt, wie der 26-jährige war, schüttelte er den Kopf über sich selbst.

„Hoffen wir, dass der Tag nie kommen wird…“ Bestimmt wusste Hayatos Gegenüber nicht, wie sehr er sich das wünschte. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie alle mal dazu gezwungen sein würden. Er schloss es jedenfalls nicht aus, dass so etwas passierte. In der heutigen Zeit, in der es diese Organisation gab, musste man mit allem rechnen…

If they are near…

Vor der Konzerthalle parkte ein Auto, welches den Eingang im Auge behielt, was nicht einfach war bei diesem heftigen Regenfall und dem Menschengedrängel. Zu 90% waren es weibliche Wesen, die dieser Band nachhechelten, sie fand es sehr amüsierend, wie dumm Menschen sein konnten. War denen denn nicht klar, was sie da unterstützten? Die halbe Band gehörte zur Schwarzen Organisation; der Sänger war Drogenabhängig – dachten sie denn nicht darüber nach, welche Sponsoren sie hatten? In der Regel brachte ein drogenabhängiger Alkoholiker es nicht mehr weit in der Musikindustrie und doch gab es Plattenfirmen, die sich seiner annahmen. Diese dummen Mädchen wussten es nicht, wie denn auch? Kaum ein normaler Mensch würde so weit denken. Und sie machten ihren Eltern nur Kummer, wenn sie auf solchen Feten herumflogen. Das Konzert war ein einziges Loch für Abhängige. Die Konzerthalle war groß und hatte seine kleinen Löcher, in die sich die Junkies in den Pausen verzogen. Die blonde Frau konnte über dieses Verhalten nur den Kopf schütteln. Ihr kam spontan ein Song in den Sinn, den Kimiko mit ihr gemeinsam gesungen hatte…

Es passte gut zum Leben dieses Kerls – wieso hatte sie Mitleid mit ihm gehabt? Er hatte sie behandelt wie sein Eigentum… Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man ihn in eine Klinik eingesperrt und dort nicht mehr rausgelassen, stattdessen verdarb er Japans Jugend. Am Mitleid, das die Plattenfirma ihm gegenüber hatte, lag es nicht, sie benutzten ihn und er bemerkte es nicht mal, er dachte ihnen viel zu verdanken – eine zweite Chance nach seinem Zusammenbruch, den er wegen seines Konsums erlitten hatte.

Dass Hiroya drinnen war, war zumindest ein winziger Anteil Gerechtigkeit dafür, dass man ihn auf die Menschen losließ, er musste schnell etwas daran ändern, ein erneuter Drogentest wäre von Vorteil gewesen. Die Polizei fand es sicher interessant, zu erfahren, was sich da abspielte. Dass sich die Umstände verändert hatten, wusste sie nicht. Als Polizeiautos in der Nähe parkten, läuteten die Alarmglocken, wenn man Hiroya hier erwischte, würde er ziemlichen Ärger bekommen, da er sich nicht an die Regeln hielt, die seine Abteilung ihm zugeteilt hatte. Sein neuer Aufgabenbereich war es jedenfalls nicht, einen abhängigen Sänger zum Drogentest zu schleppen… Dass es sich um versuchten Mord handelte, wusste die Blondine nicht, sie war der festen Überzeugung, dass Hiroya ja nur hier war, um dem guten Juu zu schaden, stattdessen war er dabei einen Schuldigen zu finden. Er hatte gerade auch dienstfrei. Nichtsdestotrotz griff Katori zu ihrem Handy und warnte ihn.
 

„Ich verstehe nicht, was du hier tust, lieber Teru“, meinte Hiroya, er kannte ihn schon lange, seine Schwester war mit ihm gemeinsam zur Schule gegangen, bis er nach Osaka gezogen war. „Deine Mutter muss sich wirklich für dich schämen. Du solltest besser schnell etwas Gescheites tun. Ich fürchte nämlich, dass diese Band nicht mehr lange existieren wird, und das ist nicht mein Verdienst. Ihr arbeitet gegeneinander, Sakurai hat es auf Ikezawas Position abgesehen, die anderen sind ausnahmslos nur darauf bedacht, Kohle zu machen, damit sie ihre Saufpartys bezahlen können. Bis auf dich und Ikezawa ist doch keiner wirklich darauf bedacht, Musik zu machen, das sieht man ihnen an, wie sie nach Geld gieren. Ikimatsu ist scharf auf Ikezawas Gitarre, die er so ungern loslässt, weil er eben ein Egoist ist in dieser Hinsicht. Noriyama hasst ihn, weil er ihn ständig kritisiert und ihm vorschreibt, wie die Drums zu klingen haben. Und Watanabe findet die Musik scheußlich, euer Sänger wiederum wird aggressiv, wenn er etwas von ihm singen soll, du siehst, euer Laden ist zum dichtmachen verdammt. So, wie ihr momentan spielt, könnt ihr nicht überleben, es passt nichts. Keiner von euch ist zu Kompromissen bereit, noch dazu ist nicht jeder davon überzeugt, dass Ikezawa am besten als Sänger geeignet ist. Nehmen wir doch Sakurai, der am liebsten selbst das Mikro nehmen würde, weil er sich für sehr viel geeigneter hält, und nicht nur er selbst denkt so, ist es nicht genau so? Mehr als die Hälfte der Band zweifelt an eurem Leader. Es ist nur eine Frage der Zeit, seine Macht hat er im Grunde schon verloren. Er hat keine Macht über die Band, die wirkliche Macht hat die Plattenfirma. Such besser das Weite, bevor es wirklich eklig wird.“ Das Wort eklig fand er ziemlich passend, unter der Fuchtel von Nianka Šostakovic und Svetlana Iwanow, diesen beiden schrecklichen Weibern, fiel ihm kein besser passender Begriff ein. Es war wie ein Pakt mit dem Teufel, nur um weiter Musik machen zu dürfen. In Sachen Ausbeutung waren sie Meister; Kimis Band hatten sie auch ziemlich ausgebeutet, sie konnte von Glück reden, rechtzeitig die Fliege gemacht zu haben, diese Plattenfirma war eine Beleidigung an alle Künstler. In ihren Reihen hatten sie auch nur Künstler, die tief gefallen waren und eigentlich längst gemieden wurden. Katori hatte wenig für sie übrig, was er gut nachempfinden konnte, sie hatte Kimiko bestimmt auch gut zugeredet, den Laden schnell zu verlassen. Als Karrieresprungbrett mochte sie reichen, aber irgendwann war es Zeit sich abzunabeln. Spätestens dann, wenn man einen gewissen Status erreicht hatte.

Teru fand es beängstigend, wie gut Hiroya schon wieder Bescheid wusste und er klang so besonnen, als hätte man ihm mal ordentlich die Leviten gelesen und er hätte es – oh Wunder – verkraftet. Ausnahmsweise war er nicht total verhasst.

„Ich war noch nie einer, der wegläuft, wenn es schwierig wird. Es war nicht immer so… Es gab Zeiten, da waren wir alle wirklich gute Freunde.“ Dass Juu sich immer so zudröhnte, war nicht alleine seine eigene Schuld, er hatte von Anfang an zu viel Lampenfieber gehabt und die Band war nie in der Lage sie ihm zu nehmen. Nur wenn er high war, war er wirklich gut, das hatten sie schon bald mitbekommen, die anderen hatten dann immer dafür gesorgt, dass er genug genommen hatte, um wirklich gut zu sein, es wirklich probiert, hatte er nie. Sie konnten also nicht wissen, ob er es schaffen würde, oder nicht. Zumindest bei den Proben hatte er sich weder zugesoffen, noch Drogen genommen, Teru war also davon überzeugt, dass er es könnte, wenn er wollte.

„Man sollte nie der Vergangenheit nachrennen, weil es zwecklos ist.“ Hiroya war felsenfest überzeugt, dass er damit den Nagel auf den Kopf traf. Vergangenes kam eben nicht wieder, wieso glaubten die Leute das ständig?

„Juu tut für seine Musik alles. Und solange er das tut, gehöre ich zu dieser Band, du kannst mich nicht umstimmen. Ich war von Anfang an dabei, ich habe Höhen und Tiefen erlebt. Es wäre falsch, jetzt wegzurennen, weil es etwas schwierig geworden ist. Er hat sich für die Musik und gegen seine Familie entschieden, ihm ist sonst nichts geblieben.“

„Sich gegen seine Familie zu entscheiden, war das falscheste, was er tun konnte, damit hat er im Grunde sein Leben geopfert. Seinen gesellschaftlichen Status. Genauso gut hätte er den Yakuza beitreten können, es käme auf dasselbe raus. Warum tut der Kerl sich das an? Niemand wagt es über ihn zu berichten, die Presse macht einen großen Bogen um euch, kaum einer würde zugeben, dass er zu diesem Konzert kommt, ihr seid der Abschaum des Abschaums so gesehen – eure CDs würde kein Laden freiwillig anbieten, es sei denn, man bezahlt ihn fürstlich dafür. Ist es das, was du willst? Verachtung? Ich meine es nur gut, streich die Segel, bevor es richtig los geht…“

„Ich habe keine Angst davor! Wir sind nur eine Band, die Musik macht, doch die Leute tun, als wären wir schlecht. Unser Sänger ist ein Junkie, aber er hat niemals gesagt, dass unsere Fans das auch tun müssen. Er rennt ja nicht rum und verbreitet es, dass Drogen toll sind. Was glaubst du, wie oft er versucht hat, davon loszukommen…? Er ist mal wieder mittendrin. Einer muss auf ihn aufpassen, sonst bringt er sich noch mal selbst um die Ecke. Es ist ja keiner gewillt, einem Irren zu helfen. Ich halte mich für menschlich genug, für einen alten Freund einzustehen, auch wenn wir uns längst nicht mehr so gut verstehen. Selbst deine Schwester hätte ihm geholfen, wenn sie es nur gekonnt hätte, leider hatte sie zu viel Angst vor ihm, um es direkt zu machen. Du vergisst, dass auch er einer ihrer besten Freunde war. Seine Liebe zu ihr, hat ihn noch mehr kaputtgemacht, als sowieso schon. Als er sich in sie verliebt hat, ist die Sache mit den Drogen richtig eskaliert. Wenn er vorher nur vor Konzerten etwas nahm, so hat er es danach täglich getan…“

„Man soll Menschen, die sich selbst aufgegeben haben, nicht gegen ihren Willen helfen, Teru. Zwinge niemals jemandem Hilfe auf, er wird es dir nicht danken.“
 

Piep Piep Piep Piep

Das Handy meldete sich, so dass der 29-jährige es zur Hand nahm und dann Katoris Nachricht erblickte.

~Polizeialarm, mach dass du verschwindest! Sie sind auf dem Weg!~

Dumm war, dass er der Lösung auf der Spur und es der schlechteste Zeitpunkt für so etwas war. Warum auch immer die Polizei nun hier rumschnüffeln wollte. ‚Warum ausgerechnet jetzt?’ Er blickte zu Teru, in seiner Hand war ebenfalls ein Handy – hatte er die Polizei alarmiert? Traute er ihm nicht zu, diesen Fall zu lösen?

„Dir ist hoffentlich klar, was nun passieren wird? Meine Güte, musst du eine schlechte Meinung von mir haben. Ich bin gewillt, den Schuldigen zu finden! Die Polizei will nur für Schlagzeilen sorgen…“ Seine schlechte Meinung von der Polizei kundtuend, ließ er dem schwarzhaarigen Bassisten ein gehässiges Geräusch entfahren. „PAH! Und was bist du dann? Du gehörst zur Polizei, wie kannst du da über sie hetzen?“

„Weil es eben so ist. Wir beide wissen, wer versucht hat, Juurouta Ikezawa eine Menge Volt zu verpassen, um ihn zu töten. Es fehlt nur der entsprechende Beweis. Ich glaube nicht an solche Unfälle.“

„Ach komm, es wird ohnehin morgen in der Zeitung stehen – das ist unvermeidlich, wenn dieser Tatsuno hier ist. Er kann seine Fresse eben nie halten, ein Geheimnis bleibt bei ihm nicht geheim. Glaubst du allen Ernstes, dass ich dir abkaufe, du würdest es gut mit Juu meinen? Davon träumst du! Ich weiß, was du von Sängern wie ihm hältst, also komm mir nicht so. Du bist nur darauf aus, ihm zu schaden.“

„Er ist nicht bei Bewusstsein, selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht.“

„Du wartest nur darauf, dass er aufwacht, um ihm was nachzuweisen. Leute, wie du, sind erst zufrieden, wenn sie jemandes Leben zerstört haben, weil du ein zerstörerisches Wesen bist.“

Die Unterhaltung wurde allmählich unschön, fand der Kriminalist, jedenfalls hatte Teru eine riesige Abneigung gegen ihn, doch im Gegensatz zu manchen anderen Anwesenden, war er mehr oder minder normal, er konnte gut von schlecht sehr gut unterscheiden, dachte er jedenfalls.

„Und ob er bei Bewusstsein ist…“ Erschrocken drehte sich Teru herum und wenig später Shin, der ein zischendes Geräusch von sich gab, als er den Braunhaarigen erblickte. ‚Hätte ja klappen können… Eigentlich hätte ihn längst mal was umbringen müssen – hat sieben Leben wie eine Katze.’ Juu sah jedoch nicht aus, als würde er ein 2 ½-stündiges Konzert durchstehen, so blass er war, eher kippte er mittendrin um, weshalb Shin mit einem fadenscheinigen Lächeln zu ihm ging. „Fühlst du dich wirklich schon wieder besser? Du hast einen Stromschlag bekommen – du siehst aus, als hättest du auf dem Weg hierher bereits mit dir zu kämpfen gehabt, damit du nicht umkippst. Willst du dich nicht noch ausruhen?“

„Ich will in erster Linie die Fans nicht noch länger warten lassen – mir geht’s wirklich gut, ausgezeichnet, mach dir keine Sorgen.“ Obwohl er sich dankbar zeigte, wusste er genau, dass Shins Freundlichkeit nicht echt war, er machte sich keine Sorgen, er war traurig, dass es nicht mehr Volt gewesen waren und er noch lebte. „Ich fühle mich vollkommen in der Lage auf die Bühne zu gehen, guckt nicht so, ein kleiner Stromschlag kann mich nicht umhauen.“

‚Witzig – als du die Gitarre angefasst hast, lagst du schneller zuckend am Boden, als du denkst. Wären die Sanitäter nicht so schnell zur Stelle gewesen, wärst du nun bestimmt nicht mehr hier. Ich weiß, du weißt, dass jemand versucht hat, dir die Lampe auszuknipsen…’

Hiroya empfand ihn als wahnsinniger, als zuvor, er wollte also wirklich auf die Bühne gehen, in seinem Zustand. So was Fanatisches hatte er noch nie erlebt.
 

Katori hatte unterdessen mit Entsetzen beobachtet, wie die Polizei sich Zugang zur Konzerthalle verschafft hatte, und Hiroya war noch nicht aufgetaucht. Hatte er ihre SMS nicht gelesen?
 

Für kurze Zeit verschwand Sojuro hinter der Bühne, entfernt von den anderen, er hatte ohnehin dort zu tun, weshalb er klammheimlich verschwand, das hatte auch Hiroya bemerkt. Er zückte das Handy und telefonierte mit jemandem, dem er rätselhafte Dinge zukommen ließ, die man so einfach nicht verstand. „Es dauert nicht mehr lange, dann ist es soweit. Allerdings ist die Polizei wider Erwartens hier, wie ich gerade sehe. Lasst euch bloß nicht erwischen.“ Auflegend, löschte er sofort den ausgegangenen Anruf und steckte das Handy zurück in die Hosentasche. Nicht umsonst hatte er Hiroya persönlich angerufen, um zu verhindern, dass die Polizei Wind davon bekam, am liebsten hätte er den Anschlag vertuscht, doch nun war es zu spät. ‚Er wird weniger Glück haben, als du Juu… Es sei denn, er hat genauso viel Schwein, wie du. Doch das ist kaum möglich… Zwei glückliche Zufälle an einem Tag sind wirklich zu viel, wenn es um so was geht… Bei ihm ist ER auch mehr daran interessiert, dass es funktioniert.’
 

Natürlich entdeckte die Polizei Hiroya und er bekam einen ziemlichen Anschiss. „Ich bin privat hier, das kann mir keiner verbieten“, verteidigte er sich, natürlich glaubte ihm keiner, dass er niemandem versucht hatte Salz in die Suppe zu streuen. Er gab vor, von einem Anschlag nichts zu wissen, es sei ein bedauernswerter Unfall gewesen – mit der Aussage machte er es möglich, dass die Polizei sogar die Halle öffnen ließ. Was sie damit möglich machte, wussten sie nicht.

Hiroya wusste dabei schon längst, wer von den Anwesenden Ikezawa die Stromstöße verpasst hatte, aber dass er noch lebte, wunderte ihn nicht. Es war ja auch nie vorgesehen gewesen, er kannte ihn schließlich und wusste, dass er ihm nichts getan hätte, da er nicht alles von ihm wusste, was gut so war. Jedenfalls stand er nun gut vor Jami da und das gefiel Hiroya mehr als nur gut, er sollte ihm nur schön vertrauen, damit hatte er etwas gegen ihn in der Hand, was ihm einen Vorteil einbrachte. Sojuro würde dafür sorgen, dass alle davon erfuhren, dass der Sänger fast ums Leben gekommen war – ganz besonders Yui Ikezawa – es diente doch nur dazu, ihr Angst zu machen. Eine weitere Person, die von Jami geärgert wurde, das nächste Mal würde tödlich enden, würde er ihr zukommen lassen – er kannte ihn einfach zu gut, konnte ihm ja bereits in den Kopf schauen, es war wie ein Schauspiel, das sich stets wiederholte und längst kein Geheimnis mehr war. Und so wie er sie einschätzte, würde sie einen Schock erleiden. Sie waren sich einig, dass Jami in ihrem Fall erfolgreich sein würde. Und dabei konnte Hiroya froh sein, dass es NUR Juu war. Es hätte genauso gut andere Personen treffen können: Seinen Kollegen Hideki, ihren Vater, Kitamura, Satoshi oder am Ende Mitsuki. Wobei er froh um das angespannte Verhältnis der beiden Frauen sein musste. Diese Information hatte er dem guten Jami längst untergeschoben, das hielt ihn davon ab, sie anzugreifen. Er war so manipulierbar. Sicher fragten sich einige, was Hiroya getan hätte, wäre es darum gegangen, Juu wirklich umzubringen, wie viele Menschen wären davon überzeugt, er hätte ihm nicht geholfen? Die Tatsache, dass er Sänger war, musste einige davon denken lassen, dass er so einem nie helfen würde…
 

Es wurde dunkel, was die schwarzen Schatten wie die Ratten anzog. Sie tummelten sich in den dunkelsten Ecken und warteten auf ihre Chance.

Mit seinem Getränk, was natürlich hochprozentig war, hatte sich ein junger, schwarzhaariger Mann weit nach vorne gedrängelt, nahe am Absperrbereich links, wo er viele junge Damen ausmachte, die jedoch schlimmer aussahen als bunte Vögel. Er war pechschwarz gekleidet und deswegen fiel er auch nicht auf. Nach dem ganzen Stress in der letzten Zeit kam ihm das Konzert gerade recht. Hämmernde Instrumente und ein ausflippender Sänger mit bösen Texten, ja das würde ihm heute besonders gut tun.

Ganz in der Nähe, als er zur Seite schaute und seinen Blick entlang der Schlange schweifen ließ, sah er dann SIE. Die Frau, die schlimmer als jede Cobra war, die ihm stets vorgehalten hatte, wie wenig Chris ihn liebte. Dass sie sich hier herumtrieb, dürfte ihn nicht wundern, aber dass dieses Mädchen bei ihr war, gefiel ihm nicht. Es war auch kein Konzert, das Sonoko Suzuki besuchen sollte, sie war ein viel zu normales Mädchen, um so etwas gut zu finden.
 

Das Intro begann, das kam ihm schon komisch vor, da es erschreckend klassisch anfing. Das kannte man ansonsten nur an Mittelalter-Rock. Man durfte sie jedoch auf keinen Fall unterschätzen.

Erst wenig später kam man auf die Idee, dass es ein Metal-Konzert werden sollte, doch das blieb nicht lange so. Ein bisschen fühlte man sich wie im falschen Film. Erstens war die Gitarre zu soft und die Drums nicht hart genug, er dachte schon, er hatte sich in der Halle geirrt, bis er seine Stimme so verändert vorgesetzt bekam – zwar erkannte man, um wen es sich handelte, aber es war komplett anders, als wäre der Sänger ausgetauscht worden.
 

I'm up against the best

'Cause whenever she is near

I'm my own worst enemy

Forbidden and so dangerous

But in spite of all we've been through I can't flee
 

Hatte er sonst die Lyrics regelrecht gebrüllt, so war er heute umso leiser, oder sollte er sagen ‚sanfter’? Es war kein Schreien, es war ein unverhofft seltsames Singen – ja singen.

Nicht nur die Fans waren geschockt, auch den Bandmitgliedern waren sämtliche Gesichtszüge entglitten, sie sahen geradezu aus, als wollten sie gleich von der Bühne stürmen, vor ihrem Sänger flüchten. Und dann hörte man, wie der Keyboarder von hinten anfing den Sänger zu übertönen, weil er einfach zu leise war.
 

Und Sojuro ärgerte sich maßlos, dass dieses Aas nun seinem Sänger die Show stehlen wollte. Er hatte sich schon so oft über die Einmischung Shins aufgeregt und dann drehte er ihm den Saft ab und erhöhte die Lautstärke des anderen Mikrofons, jetzt konnte er sich mittels Schreien die Stimme kaputtmachen, es hätte ihn gefreut. Dieser kleine eifersüchtige Pisser, dem würde er die Tour ordentlich vermasseln.
 

Sêiichî kannte die Band nicht erst seit gestern und er hatte den Zeitpunkt, als dem Keyboarder das Mikrofon fast gänzlich abgedreht wurde, mitbekommen. Ihm kam es vor, als würde Juu sich heute nicht trauen ins Mikro zu plärren, wie man es sonst an ihm kannte. Irgendwas stimmte nicht mit ihm…

Erst beim Refrain zeigte er, dass er es noch draufhatte…
 

(Ignite)

I'm about to hit the floor

(Right now)

I shouldn't have begged for more

(This fight)

I fight against myself

(This time)

I'm gonna lose so
 

Hold me down

I can't trust myself

If she's near

So please take me out of here right now
 

Unwillkürlich dachte er an Chris, denn wenn er mit ihr zusammen war, konnte er sich selbst nicht mehr über den Weg trauen. Während der Sänger seine Erfahrungen mit einer gewissen Frau verarbeitete, wurde es Sêiichî kalt. Ihm wurde so genau bewusst, was diese Frau mit ihm gemacht hatte, wie sie ihn verändert hatte.
 

Somebody help me awake

I know this is surreal

And she makes me feel

Subconsciously self-destructive

'Cause her lies are lethal but insanely seductive
 

(This fight)

I fight against myself

(This time)

I'm gonna lose so

Hold me down

I can't trust myself

If she's near

So please take me out of

Here right now

I can't trust myself

If she's near

So take me out of here
 

Aiko Misae fühlte sich angesprochen, weshalb sie grinste – was musste der Typ Angst vor ihr haben, dass er sogar ein Lied über sie sang…

Sie musste ihn sehr geprägt haben – zusammen mit ihrer Freundin Shiori. Er wollte vor ihr gerettet werden, doch niemand würde ihm helfen. Jetzt, da sie sich um ihn herum geschlungen hatte und ihn fast erstickte, würde sie ihn niemals loslassen, nicht bevor ihm alle Luft ausgegangen war…
 

Selbst Sêiichî bemerkte die Schreie tief aus seinem Inneren, die darum baten, dass man ihn doch aus dieser Hölle befreite. So intensiv hatte man es noch nie gespürt oder gar gehört. Bisher hatte er ihn für einen irren, durchgeknallten Kerl gehalten, der von Natur aus böse war. So böse, dass er auf der Bühne zu einem Tier wurde – nichts davon war heute zu vernehmen. Es war eher, als sei er ein kleiner Junge, den man retten musste…

Er war ja froh, dass er beim nächsten Song die bedrückende Stimmung, die er hergestellt hatte, nicht beibehielt, sondern mehr wieder nach IRON KISS klang. Davon wäre er eher depressiv geworden, als dass es ihm half. Auch wenn es keine rosigen Texte waren von einem schönen Leben, sondern Themen wie Mord, Hass und Gewalt in sich vereinte, tat es ihm erstaunlicher Weise gut. Die Gitarre hatte das Talent, alle anderen Instrumente in den Schatten zu stellen, selbst die Drums. Es war unglaublich, welche Macht dieses Instrument hatte, wenn er dieses spielte. Er spürte die Wellen, die sich anfühlten, als würde man ihn unter Strom setzen, sie fuhren ihm durch Mark und Bein. Das mochte er am meisten an solchen Konzerten, das Adrenalin, welches sich in ihm aufbaute. Wenn man das Gefühl bekam, die Gitarre riss einem die Magenwände jeden Moment auf und die Drums sich wie Fußtritte in den Bauch anfühlten.

Aber auch der erstaunlich melodisch gespielte Bass, gefiel ihm, der Bassist war der einzige, der mit dem schnellen, harten Gitarrenriffs wirklich mithalten konnte und den man noch immer hörte. Die Melodie vom Keyboarder, so wenig sie sowieso vorhanden war, klang leise im Hintergrund, nicht mehr. Und dann bangten die beiden Kerle um die Wette. Die Gitarre klang laut und dunkel in die Halle hinein, immer schneller und schneller, wie man es vom Speedmetal her kannte, Sêiichî kam nicht umhin auch wild mit dem Kopf anzufangen, erst vor und zurück, dann im Kreis, bis ihm davon schwindelig geworden war.
 

Volle 2 Stunden bestand die Halle aus einem Pulverfass des Wahnsinns. Die harten Instrumente hatten ihre beste Zeit erlebt und der Sänger die Tobsucht durchgestanden, obwohl er noch immer zitterte, ihm ging es nun erstaunlich gut. Doch das Schlimmste und Schwierigste sollte noch kommen. Seine Elektrogitarre tauschte er mit dem zweiten Gitarristen, was schon beim Publikum für fragende Gesichter sorgte.

Mit zittriger Stimme trat er ans Mikrofon, noch kein Wort hatte er an sie gerichtet.

„Hier kommt der Abschluss-Song. Es ist ein völlig anderer Song als die, die ihr schon kennt. Es ist ein Abschied und ein Neuanfang zugleich… Ich will ihn euch nicht länger vorenthalten. Ich nenne ihn Moonlight flower.“

Betretendes Schweigen und entsetzte Gesichter, als hätte man ihnen allen einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet.
 

Und dann hörte man eine Violine… Mehrere Violinen… den Kontrabass… Viele Cellos… Dann das grausam romantische und traurige Piano, das zeitgleich mit der Gitarre und den Drums einsetzte. Vorsichtig und langsam… Nichts außer das Piano blieb am Ende übrig, als er begann seinen Text ins Mikrofon zu hauchen.
 

I saw traces of you

In a sadly blooming flower.

Even though I love the rain,

Today it seems so cold.

Faint , fleetingly, the flower sways in the night

Letting out a single sigh, a fallen flower petal

I gather shards of the moon, decorate a dream and sleep

Even if I scatter the sands of time

I know I can never return to those days.
 

I looked up at the sky suddenly

Searching again for you

How many nights will it take

before tears become strength?
 

Sonoko kamen die Tränen, es war so wunderschön wie eine Blume im Mondlicht. Und der Text so unendlich traurig, dass sie dachte, gleich würde sie sterben müssen. All diese Gefühle, ihrer Meinung nach negative, steckten in dem Lied… Sie konnte nicht glauben, dass es der gleiche Mensch war, der vor kurzem noch über die Bühne gehetzt war und seine Gitarre gequält hatte.
 

The seasons change. The forests are stained

The winds play a tune. Thoughts overflow
 

The flower knows that it will die and be scattered,

but still it lives on full of vitality and color.

I gather shards of the moon, decorate a dream and sleep

Even if I scatter the sands of time

I know I can never return to those days.
 

I want to meet you, my beloved

I want to touch you, it’s so cruel

But it won’t reach you, I can’t tell you

These things won’t come true, it’s too far away.

You are no longer here.
 

Ein Abschiedslied, das er verzweifelter nicht mehr singen konnte und der schreckliche Abschluss des Konzerts sollte es sein. Es war fast so, als wolle er sich für immer verabschieden. Aiko und Shiori hatten nicht vor, ihn so einfach davonkommen zu lassen. Er wollte ein anderer werden, nicht wenn sie ihm das nicht erlaubten, sie wussten schon, was mit Kerlen wie ihm zu tun war. Das Weichei, das nun von einer toten Freundin sang und von einem neuen Leben, er würde dieses neue Leben verteufeln und am Ende auch sich selbst.
 

Sojuro hinter der Bühne hatte ihm beigebracht, wie man diesen Song am besten rüberbrachte, er hatte ihm einen kleinen Schubs in die richtige Richtung verpasst und er spürte es selbst, die schrecklichen Gefühle, die er seit Tagen mit sich herumtrug. Mit denen er nicht klarkam, die ihn letztendlich an der Wand entlang gleiten ließen, wo er langsam auf dem Boden landete und sich in die Haare fasste. Noch nie hatte ihn ein Lied dermaßen zerrissen und die Tränen über sein Gesicht rinnen lassen. Er kniff die Augen zu und sie quollen hervor wie ein Wasserfall. Es passte eben einfach zu perfekt, entsprach genau dem, was er momentan fühlte. Sie war nicht länger hier… sie würden nie mehr in diese Zeit zurückkehren können… seine Träume würden nie wieder wahr werden können…
 

Hiroya hatte es vorgezogen, all das nicht an sich heran zu lassen. Seine Schwester hatte ja ziemlich was angerichtet. Nicht, dass er den Kerl jetzt bedauerte. Warum trauerte er denn um etwas, was ihm nie gehört hatte? Sojuro konnte wenigstens sagen, dass sie ihm vor Jahren mal gehört hatte – er kannte sie viel besser und länger als diese ganzen anderen Kerle, die nun dachten, die Welt würde für sie untergehen. So ein Blödsinn. Die Welt würde sich nämlich weiterdrehen, es sei denn, jemand jagte sie in die Luft, doch das würde schwer werden… Solange die Welt sich weiterdrehte, würde es Verbrechen immer geben. Und Menschen, die litten. Sie sollten sich bloß nicht so anstellen, der Tod gehörte zum Leben, das hatte sogar er begriffen. „Du stellst dich am meisten an, Ikezawa, dabei hast du längst nicht alles verloren – weißt du überhaupt, dass du verdammt viel Glück bisher hattest. Sojuro und Hideto sind Einzelkinder. Du hast eine Familie, also heul nicht rum!“ Der Kerl machte ihn gerade ziemlich aggressiv. „Wenn überhaupt haben sie mehr ein Recht dazu, rumzuflennen! Und am meisten Sojuro, der immerhin von seiner Familie verstoßen wurde, weil er nicht machen wollte, was man ihm sagte! Und wo zum Teufel denkst du an Mitsuki? Du hast ein Kind mit ihr, ist dir das noch immer nicht bewusst geworden?!“ Er stampfte seine Zigarette aus, er hätte ihn anspucken können. Da träumte der Drecksack davon, es mit der Schwester seiner Freundin zu treiben und hing immer noch an ihr… Warum sollte er ihm Mitsuki überlassen? Er gab ihm nicht einen einzigen Grund. Leider konnte er schlecht etwas gegen ihre familiäre Verbindung tun. Er konnte ihr nicht vorenthalten, dass sie ein Kind mit dem Kerl hatte. Wie konnte man nur so gestraft sein?

Seine Schwester hatte keine Ahnung davon, sie wusste nicht, dass ihr ach so toller Freund es auf Kimiko abgesehen hatte. Dass er nun froh war, dass sie am Leben geblieben war und es ihm erträglicher machte, sie zu vergessen.
 

Gerade als Sêiichî schon über die Absperrung hing und trübsinnigen Gedanken nachhing, tauchte eine nicht unbekannte Person neben ihm auf. „Ach herrje – warum müssen manche Leute sich hier so sinnlos voll laufen lassen? Is’ ja gut, an so etwas stirbt man nicht gleich. Ich weiß, dass es ne harte Zeit für uns ist.“

„Was machst du denn hier, Larry?“ Er hatte ihn an der Stimme erkannt, sah ihn aber noch immer nicht an. Ihm war mehr nach Heulen und weniger nach Gesellschaft zu mute.

„Ach, fast dasselbe wie du, ich wollte mir die Band anhören – war aber ein komisches Konzert, findest du nicht auch? Es ging viel ruhiger zu, als sonst immer. Ich glaube, der Gute hat was Wichtiges vergessen… Ich glaube, er war heute bei Verstand. Ganz anders als sonst. Mal sehen, wie lange der das durchhält. So ein Radikalentzug kann richtig übel werden. Ich bin gespannt, ob er das durchhält. Ob er stark genug ist, es auch ohne zu ertragen. Ich hege große Zweifel daran. Es kommt vieles zusammen. Die Streitereien mit seiner Familie, seine Probleme mit Mitsukis ständiger Fremdgeherei, der Zoff in seiner Band, die meines Erachtens längst aufgehört haben müsste, Probleme mit dem Bösen.“

„Laber mich nicht voll – ich will meine Ruhe haben… Ich weiß sowieso, dass Jamie dich angeleiert hat, auf mich aufzupassen, man muss nicht auf mich aufpassen.“

„Deswegen lässt du dich auf einem Konzert voll laufen. Hat Chris dich nicht getröstet? Musst du dich deswegen so gehen lassen?“

Nicht gerade gewillt eine Antwort zu geben, stand er da, wich seinem Blick aus und fühlte sich wie immer von seinen Freunden vor den Kopf gestoßen. Er wollte nichts mehr davon hören, nur ein bisschen Frieden. Also ließ er Larry stehen und bewegte sich Richtung Ausgang. Er konnte ihn schlecht irgendwo festbinden, also ließ er ihm zumindest die Freiheit, zu gehen. Auch wenn er wenig später mit der Polizeipsychologin telefonierte, um sie zu informieren, dass sie sich doch mal ein wenig um Sêiichî kümmern sollte.

Wenig später rannte eine junge Frau auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. Sie wirkte völlig aufgelöst und in Panik, was ihm sofort verriet, dass irgendetwas passiert sein musste. „Gott sei Dank habe ich dich gefunden, Cognac, du musst mir helfen, es gibt sonst niemanden mehr, der uns helfen kann! Vermouth steckt tief im Mist, in der alten Fabrik brennt es mittlerweile, weil sie und Baileys wie ein paar Verrückte aufeinander losgegangen sind!“

„Was heißt denn da WIE, sie SIND verrückt…?!“ Der Schwarzhaarige seufzte, er wusste auch nicht, weshalb die Kleine sich nun aufführte, als wäre die Welt am untergehen. Dass die Beiden nicht gerade Freunde waren, wusste er ja – und Syrah beschäftigte sich gerade mit anderen Dingen, als ihrer Mutter beizustehen.

„Baileys ist nicht alleine, es ist wie im Krieg, sie sind zu viert oder zu fünft auf sie losgegangen und ballern nun im alten Fabrikgelände herum. Die bringen sich noch alle gegenseitig um… Sazerac war auch dort und hat sich nun verdünnisiert, weil er keinen Schaden nehmen wollte. Mal von dem ganzen Benzin, das da rumsteht, abgesehen… ist die Fabrik kurz vorm Einstürzen, sie haben nicht umsonst diesen Ort gewählt, sie sollen sie umbringen!“

„Beruhig dich mal, was geht dich das denn an? Außerdem ist Baileys zu dumm, um sie umzubringen. Das weiß jedes Kind. Sie ist so verhasst, dass sie Fehler macht. Darüber hinaus braucht sie mich nicht, um den Schikanen von denen zu entkommen. Die werden bereuen, so was gewagt zu haben, das kannst du mir aber glauben.“

„Nein, es läuft genau anders herum. Baileys hat sie mit Benzin übergossen, als ein Balken sie getroffen hat. Nun liegt sie da drin und das Feuer breitet sich immer weiter aus.“

„Die werden immer asozialer. Sie ist kein hilfloses Mädchen, das ich retten muss, sie kommt da schon raus.“

„Von wegen… Ich glaube fast… sie will gerettet werden…“

Sêiichî schaute einen Moment baff, bevor ein wenig lachen musste. „Sie ist keine Frau, die sich von Männern retten lässt. Du hast da was in den falschen Hals bekommen. So ein blödes Spiel würde selbst einer Irren wie ihr nicht ein-fallen…“ Wenn er so darüber nachdachte, sie war irre genug. „Ach was, wir sind doch nicht in einem Hollywood-Movie.“ Er grinste darüber und schien sich mit den eigenen Worten von diesem albernen Gedanken wieder abbringen zu wollen, weil es zu absurd, ja zu bescheuert klang, selbst für sie. Dass sie sich, um nicht bei einem Auftrag nicht einzuschlafen, verletzte, war normal, aber sich auszuliefern, damit man sie rettete, nein, das war selbst für ihre Person etwas sehr weit vom Himmel geholt. Louisiana war eben noch ein kleines Mädchen, das vor sich hinträumte, er schob es darauf.

„Willst du ihre Leiche da rausholen müssen?! Jetzt tu doch mal was, Feigling!“

Er sah wie die Rauchwolken am Himmel empor stiegen. „Nein, diesmal nicht… Ich mache mir auch gar nicht so große Sorgen. Baileys’ Anhänger werden bereuen, da mitgemischt zu haben, du wirst sehen.“

„Heilige Scheiße“, hörte man von nicht weit entfernt eine hellbraunhaarige Frau sagen, die sich an einer Mauer abstützend an sie heranschleppte. „Es brennt alles lichterloh und sie sind beide immer noch da drin.“

So wie die nicht schlecht aussehende Frau aussah, brannte es wirklich, doch er wusste nicht, ob sie wirklich da drin war.

„Bist du in Ordnung, Anisette? Du siehst nicht gut aus. Und wo hast du SIE gelassen?“

„Ich bin nicht so irre, sie auch noch mitzuschleppen, ich war froh, als ich dieses Höllenfeuer hinter mir hatte.“

Dass selbst Anisette nicht die größte Lust verspürte, seiner Freundin zu helfen, machte ihm nur wieder klar, dass sie im Grunde keine Freunde hatte, von Syrah abgesehen. „Es war auch ein Mann dabei, der hat ordentlich mitgespielt. Und er rettet wohl gerade Baileys aus den Flammen, diese Irre… Die tut echt alles, um sie loszuwerden! Der Boss wird begeistert sein… Sie sollte ganz schnell das Land verlassen, die Aktion lässt er ihr kaum durchgehen… Sie ist total drauf aus, dass ihr Gesicht Feuer fängt…“

Die Vorstellung war gruselig, aber man musste es dieser kranken Person wirklich zutrauen. „Was ist eigentlich mit ihm los?“ Anisette blickte skeptisch auf Cognac, der viel zu ruhig war. „Ist wohl geil für dich zu sehen, wie Frauen leiden, was, Cognac?!“ Sie schwankte auf ihn zu, so etwas Waghalsiges konnte nur einer kranken Person, wie Vermouth einfallen. Das mit dem Feuer hätte nun echt nicht sein müssen…

„Du wirst gebraucht, Cognac, es sei denn du möchtest eine Neger-Vermouth, sie ist gerade etwas Hitzeempfänglich… Man hat uns fast mit abgefackelt, ich lehne es ab, mit jemandem wie ihr in einem Feuer umzukommen, so weit geht meine Sympathie dann doch nicht…“

„Spinnst du?“ Lousiana glaubte nicht, dass diese Frau so etwas sagte, auch wenn sie ziemlich verkokelt wirkte.

„Ach, wenn einer spinnt, dann sind das die beiden, die offensichtlich Spielchen mit dem Feuer lieben.“ Und der dusselige Typ stand immer noch da, wahrscheinlich stand er wirklich auf schwarze Frauen.

Man merkte, wie er mit sich kämpfte, um nicht gleich einen Schrei- oder doch besser einen Heulkrampf zu kriegen. ‚Er wird doch nicht wirklich…?’ Noch ehe sie den Gedanken zu Ende gebracht hatte, flitzte der Schwarzhaarige an ihr vorbei ins brennende Haus. Sie seufzte schwer und hoffte für den armen Cognac, dass er weniger etwas abkriegen würde… aber selbst wenn, Chris würde sich rührend um ihn kümmern, ganz sicher.

Das Fabrikgelände war groß und so viel Glück wie sie hatte, war sie bestimmt am nächsten am Feuer dran. Er musste in den 1. Stock, wo er Rauchschwaden ausmachen konnte, es stank furchtbar und es sah aus, als würde hier wirklich bald alles in sich zusammenfallen, die Risse in den Wänden ließen ihn darauf schließen, das Ding war abrissreif. „Ich frage mich, ob Baileys schon längst draußen ist und wo zum Teufel sie steckt?“ Kein Geschrei, kein Kampf, nichts dergleichen, nur wenig später hörte er ein Schnaufen, kein Wunder, es war ziemlich heiß und er schien dem Feuer näher zu kommen. Mit einem Mal sah er es, wie es sich durchkämpfte und dann fiel ein Balken direkt vor seine Füße. So geschwitzt hatte er noch nie, er rannte den Gang entlang, es wirkte mehr als würde gleich die ganze Bude auf ihn niederfallen.

Und dann hatte er sie gefunden… Zwischen einer Tür und einem Türrahmen eingeklemmt. Dem Feuer teuflisch nahe. „So viel Schusseligkeit sieht dir wirklich nicht ähnlich…“, versuchte er zumindest belustigt zu wirken.

Ihr Blick ging nach oben, direkt in seine blauen Augen, er sah nicht gerade begeistert aus und so wenig schwarz. Er hatte wohl den rechten Weg genommen, sie war ja beinahe froh darum.

„Ich habe Schlimmeres erwartet… Zumindest, dass du ein bisschen entstellt bist.“

Doch dann passierte das Unglück. Die Tür fiel langsam auf sie zu und er zerrte sie mit letzten Kräften unter diesem Balken hervor.

„Du bist doch echt durchgeknallt! Lässt dich von einer Bekloppten überlisten!“ Seine Stimme klang wütend, aber auch enttäuscht von ihr. Wie konnte sie bloß so etwas machen…?

Er hatte vor ganz schnell diesen Ort zu verlassen, wo sich die beiden Frauen wohl mal wieder ordentlich Zunder gegeben hatten, so dass sie sogar zum Feuerlegen griffen.

Gerade als sie den Rückweg zurücklegen wollten und er sie schon an sich gedrückt hatte, da sie offensichtlich verletzt war, sah er eine schwarz gekleidete Person, die ihnen fies zulächelte.

„Wie romantisch, die irre Vermouth und ihr noch wesentlich wahnsinnigerer Cognac. Wisst ihr wie man solche Szenen in Filmen nennt? Gescheitertes Happy End. Du bist wirklich bemitleidenswert, Kleiner. Sie schickt ihre Freundinnen und löst Panik in dir aus und du rennst zu ihr, um sie vor den so gefährlichen Flammen zu retten… Das gehört bestraft, deine Liebe zu ihr sollte dich umbringen, das wäre gerecht! Sie hat dich gar nicht verdient, warum bist du so dumm, ihr immer wieder zu helfen? Hat es nicht gereicht, dass Valpolicella dich bestraft hat? Anscheinend nicht! Ich werde dir zeigen, was aus dir wird, wenn du die da liebst?!“ Voller Abschaum zückte die Schwarzhaarige eine Streichholzschlachtel und zündete ein Streichholz. „Ich finde, ihr beide, brennt zu wenig“, mit den Worten warf sie das Streichholz inmitten der Benzinspur, die Vermouth noch so schön selbst verursacht hatte…

Die Worte der anderen im Sinne, war das erste, was er tat, ihr Gesicht in sein Hemd zu drücken, um es zu schützen und dann rollte er sich schneller, als man doch schauen konnte, zum Fenster, schlug dieses ein und machte einen riesen Satz, um hinauszukommen, kurz bevor sich das Feuer in den Gardinen hoch angelte und alles den Flammen erlag. Der erste Stock war zum Glück nicht lebensgefährlich, somit hatten sie wenigstens nicht viel zu befürchten, doch bei seinem Hechtsprung, war vorprogrammiert, dass er sich verdammt wehtun würde. Er schlug mit dem Knie zuerst auf und blieb mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegen… Jedoch war ihm das lieber, als zu verbrennen. Ja, er wusste, was sie meinte… Er kannte das, nicht erst seit gestern. Es war gefährlich bei ihr zu sein und noch viel gefährlicher sie zu lieben – aber solche Gefühle waren bisher leider noch nicht heilbar. Er griff sich mit einer Hand ans Bein, mit der anderen hatte er sie fest umschlungen.

„Ich hasse dich, scheiße tut das weh… Wie ka-kannst du so etwas Hirnrissiges machen??“

„Um mir selbst zu beweisen, dass du ja doch wieder kommen wirst.“ Wie sie die Arme um ihn legte, engte ihn ziemlich ein und ihre Worte fand er keinesfalls witzig.

„Und wenn ich nicht gekommen wäre, was dann? Hättest du dann gewartet, bis das Feuer dich kriegt?“ Er drehte sich unter Schmerzen leicht herum. Ihm tat das Bein weh und die machte komische Spielchen mit ihm – es war einfach unglaublich, das durfte man ja keinem sagen. Erstens würden sie lachen, weil er sich so reinlegen ließ und zweitens ihm den Kopf waschen, je nachdem, wer es war…

„Ich bin auch noch so blöd und mach mir Sorgen, es war jawohl offensichtlich, dass ihr das gemeinsam ausgetüftelt habt, um ein bisschen Spaß auf meine Kosten zu haben… Es ist ja auch so komisch, dass Baka-Sêiichî wie ein lebensmüder Vollidiot in die Flammen rennt!!!“

„Du bist kein Vollidiot…“ Er war wohl sauer auf sich selbst, weil er so dumm war, aber wenn er ein Idiot war, dann ein süßer Idiot, der jederzeit gekommen wäre, das wusste sie einfach. „Ich bin der Idiot, einem Fremdgänger Vertrauen zu schenken, ist schon ziemlich bescheuert, findest du das nicht auch?“

Die Arme ausstreckend, war es zwar nicht lustig gewesen, aber ihre Worte gingen ihm auch nahe. Wahrscheinlich würde sie jederzeit dasselbe auch für ihn tun, dass sie irre, lebensmüde und bekloppt war, wusste er ja.

„Mit dir rede ich nie mehr ein Wort, du Verrückte!“ Liegen bleibend, hatte er die Augen geschlossen, jedoch stieß er sie nicht runter, sie lag ja gerade recht passend auf ihm, er hätte auch nicht die Kraft gehabt, oder mehr wollte er sie nicht haben. Ihre Brüste, die sich so an ihn drückten, er wäre ja bescheuert, hätte er sie in diesem Moment von sich geschmissen.

„Um ein Haar wären wir gemeinsam verbrannt, dann wären wir geradewegs in die Hölle gekommen, wenigstens hätten wir uns daran gewöhnen können, wie es da unten ist.“

Noch mehr schlaue Sprüche und er würde ihr den Mund zuhalten. Was redete sie bitte von Hölle, fand sie etwa auch, es wäre der am meisten passende Ort für sie beide? Er war schließlich genauso schlimm… Er, der nicht nur einmal jemanden aus Liebe erschossen hatte und es nicht einmal bereut hatte, bis vor kurzem. Im Grunde waren sie ja quitt, sie hatte ihn schließlich auch schon mehrmals gerettet.

„Ich bin wieder insoweit normal, zu wissen, dass wir diese Bühne nicht als glückliche Menschen verlassen werden, nicht gemeinsam, denn für uns gibt es so etwas wie ein Happyend nicht… Nun bin ich nicht mehr so naiv zu glauben, dass es so etwas jemals geben kann. Sollte die Organisation jemals aufhören zu existieren, so wie du es willst, wird sich alles verändern. Ich werde der Polizist sein, der dich, die Killerin, jagt. Und ich werde dich kriegen, ganz bestimmt. Ich hoffe, dass du dann damit leben kannst.“

Die Gefahren durch die sie gemeinsam gingen, würden irgendwann ein Ende haben – entweder indem einer von ihnen wirklich mal ins Gras biss, oder sie Erfolg hatten, sie hatten so gesehen das gleiche Ziel, doch es würde nicht für beide glücklich enden.

„Entweder verlassen wir die Bühne mit traurigen oder glücklichen Gesichtern. Und ein Happyend ist Auslegungssache.“ Was er Happyend nennen würde, sie konnte es sich vorstellen. So wie er sich das bestimmt vorstellte, war es kaum möglich. Sie würden kaum in Japan zusammen glücklich werden, es gab genug Leute, die das zu verhindern wüssten. Und in Amerika hätten sie Jamie Moore und Larry Starling als Gegner – doch auch für dieses Problem gäbe es eine Lösung, sie müssten sie einfach töten. Jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellen würde.

„In welcher Welt lebst du?... In einer Zeit ohne die Organisation wären wir Feinde. Es sei denn, du würdest das Schießeisen für immer weglegen. Aber das würdest du nicht, nicht für mich.“ Er glaubte nicht, dass sie ganz normal leben könnte, ohne diesen Nervenkitzel, sie war einfach zu irre, als dass sie sich mit einem ganz normalen Familienleben zufrieden geben würde.

„Ich würde mich auch mit einem Messer zufrieden geben. Es muss nicht immer eine Knarre sein.“

Es war kein Thema, dass sie gerne mit ihm beredete, wenn sie beide nach einem Sturz am Boden lagen. Und er nutzte es doch sowieso wieder schamlos aus. Zwar redete er von komischen Dingen, die noch nicht spruchreif waren und deswegen keinerlei Gedanken bedurften, aber er genoss es doch sichtlich, sie so im Arm zu haben. Es war eben immer so, wenn einer von ihnen kurz davor war, zu sterben, dass sie sich danach umso näher waren, dieser Umstand herrschte einfach gegenseitig. Vielleicht war sie deswegen so wahnsinnig, ein Feuer zu legen, damit er sie halbtot fand. Nun ja, dafür hatte er sich aber ja nicht genug Zeit gelassen. „Sicher würde Baileys sich totärgern, wenn sie uns jetzt sehen würde. Das Gefühl gefällt mir, die Vorstellung ist lustig.“

„Klar ist jedenfalls, dass Plavac für sie so etwas unmöglich machen würde, sieht so aus, als wäre ihr Neid nicht unbegründet.“

„Plavac ist Mittel zum Zweck und das weiß er auch. Viel interessanter ist ihre heimliche Beziehung zu einem meiner Verehrer – es wäre bestimmt amüsant, wenn er wüsste, wer ich wirklich bin. Er würde ihr sofort wieder abhauen.“

Es wurde still um sie herum, da er über ihre Worte nachdachte. Nicht dass sie auf solche Gedanken kam, sondern von sich selbst sprach, also von der Person, die sie eigentlich wirklich war. Er hatte es so lange verdrängt, aber gerade sprangen ihm so viele Gedanken in den Kopf. „Sharon war viel netter zu mir… Manchmal vermiss ich das.“

„Du stehst auf alte Frauen? Ist nicht wahr… Mit so einer riesigen Brille! Soll ich ab jetzt mit einer gigantischen Brille rumlaufen? Und immer lieb und nett zu dir sein? Warum sagst du es nicht gleich?“

„Ich redete von ab und zu… Manchmal… So wie gerade.“ Es war ihm so peinlich, bemerkte sie das denn nicht? Er musste furchtbar rot im Gesicht sein. Zum Glück sah ihn niemand außer ihr, das war schon schlimm genug. ‚Wo ist das Loch zum Verkriechen?’

Dass sie ihn nicht ernst nahm, bemerkte er wieder. Immer wieder musste sie ihn ärgern, dabei hatte er ja nur ein wenig ehrlich sein wollen. „Im Moment bin ich………. liebesbedürftig. Ich bin empfindlich, seit Jamies und Alans Unfall. Ich bin auch nicht zum Spielen aufgelegt. Alles ist furchtbar, ich habe keinen Spaß mehr. Ich will mich am liebsten nur im Bett verkriechen. Und mich hängen lassen, am liebsten wär’s mir noch, wenn mich jemand tröstet. Und mir sagt, dass alles gut wird. Dass nicht alle sterben und mich alleine lassen…“ Oh nein, das hatte er nicht gesagt, das hatte er nicht, er konnte ihr doch nichts vorheulen. Es war genauso schlimm, wie neulich, er hatte gesagt, er hätte nur noch Schmerzen im Herzen, aber genau das hatte seine Gefühle in dem Moment ausgedrückt. Gefühle, oh Gott, er redete von beschissenen Gefühlen, er hasste sie, am liebsten wollte er keine mehr haben.

„Eine Person wird übrig bleiben… Es werden also nicht alle sterben.“ Er musste momentan wohl viel Angst aushalten, das war eben das Problem, wenn man Gefühle hatte und sich vieles zu Herzen nahm. Wenn sie alles so runterziehen würde, wie ihn, dann hätte sie sich doch bestimmt längst erschossen. „Wenn alle sterben sollten, ich nicht.“

„Klar, du bist ja auch Superwoman – ich habe keine Sekunde daran gezweifelt, dass du ohne mich da rausgekommen wärst, aber irgendwie hatte ich dann doch kalte Füße bekommen. Es macht mir nicht so viel aus, alleine zu sein, solange ich entscheiden kann, wann ich es bin. Doch wenn du gehst, wenn du stirbst, kann ich nicht mehr darüber entscheiden, das gefiel mir nicht.“ Es war eigentlich zum heulen, was redete er da schließlich? Er fand sich zum bedauern dämlich. „Ich bin trotzdem sauer, du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt. Hat es wenigstens Spaß gemacht?“

„Oh ja, natürlich – es war richtig schön gefährlich und heiß. Und die schönste Szene überhaupt. Der Mann, der für seine Dame in die Flammen springt und sich nicht scheut, dass das Feuer ihn auch verbrennen könnte. Wir beide umschlossen von Flammen, kein Ausweg und wir haben nur uns. Das reicht auch. So ist keiner von uns alleine. Und außerdem ist es romantisch und du hast es genossen, mich zu retten.“

„Ja klar, jetzt kommt deine romantische Ader hervor. Weil es ja auch so romantisch ist, zu sterben. Das hätte nämlich durchaus passieren können.“ Er konnte immer noch nicht darüber lachen, was hätte sie gemacht, wenn keiner sie gerettet hätte? Zugeschaut, wie sie selbst verbrannte?

„Keine Sorge, einen Notausgang gibt es immer – ich will schließlich nicht ohne dich sterben, ich verspreche dir, ich nehme dich dann mit auf die letzte Reise.“ Natürlich war es nicht ernst gemeint, aber es hatte auch etwas Romantisches, das musste er jawohl zugeben. Welche Frau wollte schließlich nicht mit ihrem Helden sterben?

„Das ist alles andere als witzig… Was bist du gerade eigentlich so anhänglich?“ Sie hatte sich überhaupt nicht über seine feste Umarmung beschwert, er drückte sie immerhin schon die ganze Zeit auf diese Weise an sich, dass es ihm peinlich war, sich so zu benehmen.

„Steh doch nicht immer so auf der Leitung.“

Er war eben ein Baka, der grundsätzlich nie durchschaute, obwohl er eigentlich Polizist war. Doch, sicher wusste er es, konnte es nur wieder nicht glauben, wollte es nicht wahrhaben, deswegen sah er ja auch alles momentan so schwarz.

„Was denkst du denn, warum ich das tue?!“

Wie sie mit ihm spielte, er fand es blamabel, darauf auch noch einzugehen und sich ihr buchstäblich in die Hände zu spielen. „Dass du irgendein Ziel haben musst, einen Plan, ich soll bestimmt irgendetwas für dich tun und nun willst du mich um den Finger wickeln“, ein schmollender Ausdruck kam in seinem Gesicht auf; sie war jawohl nicht einfach so plötzlich nett zu ihm. Vor kurzer Zeit hatte sie sich mit diesem Kerl im Bett gewälzt und es ihm immer schmerzhaft unter die Nase gerieben, dass er ja nicht der Einzige für sie war, dass sie jeden haben konnte und diese ganzen Geschichten, die sie ihm in den Kopf gepflanzt hatte. Bevor von ihm die Rede war, hatte alles zwischen ihnen gestimmt und dann diese Affäre, die ihn in ein tiefes Loch gestürzt hatte.

„Zu viele schlechte Filme gesehen?!“ Sie tat geschockt und überrascht zu sein. „Das Leben ist doch kein Film. Wie wäre es mit etwas weniger Spektakulärem? Wie zum Beispiel Dankbarkeit meinem Retter gegenüber?“

„Neeeein, das würde dir gar nicht ähneln. Bisher hast du immer mit mir geschimpft, wenn ich mich deinetwegen verletzt habe, wieso solltest du denn jetzt die Meinung ändern?“

„Eigentlich stehe ich auf Liebesbeweise von Bakas, die einfach nicht anders können. Und du hast es ja selbst gesagt: Manchmal willst du ein bisschen Sharon…“

„Stimmt gar nicht, ich habe nicht nach Sharon verlangt, Gott nein, bitte, das ist ja schrecklich… Die Bilder in meinem Kopf… Ahhhh.“

„Angst vor reifen Frauen?“

Sêiichîs Wangen blähten sich auf und er erlitt fast einen Schreikrampf, als sie das so ernst fragte. „Du bist mir reif genug, mehr muss nicht sein. Es ist schlecht, wenn Frauen schon über dreißig sind.“ Gerade noch einmal gut gegangen, dachte er sich.

„Oi, dann musst du dich aber wirklich recht bald nach einer neuen umschauen, nicht einmal mehr ein Jahr Zeit hast du, dann werde ich nämlich schon 31. Und dann?“

Überlistet schaute er auf den Boden und malte Kreise dorthin, was sehr jungenhaft wirkte, manchmal war er eben einfach noch nicht erwachsen, sondern noch der, den sie damals vernascht hatte. Ein kleiner Weiberheld, der sich vor der Liebe fürchtete. „Also dann… Ich bin davon überzeugt, dass du dann immer noch so aussiehst, wie jetzt und… außerdem bin ich dann ja auch schon ein Jahr älter, hab ja nicht viel später, sind gerade mal 13 Tage Unterschied und…“ Sein Mund war so schmollend geworden, dass sie es so ansprach und ihn so aufs Glatteis führte… Diese Schäkereien hatten sie lange nicht gehabt, es war alles viel zu ernst geworden, nun hatte er sie wieder, die Frau, die ihn mit Vorliebe ärgerte – aber nicht boshaft. „Für mich wirst du immer die gleiche schöne Frau sein, auch wenn du alt sein solltest. Ich werde ja auch nicht ewig ein schöner Jüngling bleiben…“ Dass er in die Zukunft sehen konnte, stimmte ja so auch nicht.
 

Die Welt schien auf ein Neues unterzugehen. Jedenfalls konnte man schnell den Anschein kriegen, wenn man mitten im Pulverfass saß und täglich die Angst verspürte, am Ende alleine zu sein. Schon solange kannte sie das Gefühl der Einsamkeit zu gut, obwohl sie es momentan nicht wirklich war, wusste sie, wie es sich anfühlte, wenn man niemanden hatte. Leute, wie sie und Akemi Miyano mussten täglich mit dem Tod ihrer Liebsten oder von sich selbst rechnen. Am besten überlebte man, indem man wurde wie sie oder vorgab, so zu sein, wie sie. Was ihr Herz anging, war es zerbrochen, so hasste es sich leichter. Es war ihr nur recht, so zerrissen zu sein, irgendwie waren sie das ja alle – sogar Vermouth, die immer als so starke Frau galt, war es.

Sie selbst war es mehr, als sie offen zugab, nicht einmal ihre engsten Vertrauten wussten es. Heute war ein besonders schwarzer Tag, es regnete und als sie das Klingeln ihres Handys vernahm, wusste sie schon, dass irgendetwas Fürchterliches passiert war…

Ihr Treffpunkt war der Hafen, wo sie sich oft rumtrieben, es zog sie einfach zum Meer hin, das sie vom Heimatort trennte.

Es war schon merkwürdig, wenn er am Handy nichts sagte. Also suchte sie nach ihm und sie fand ihn… Es war kein Anblick, den sie nicht bereits kannte, es konnte sie nicht vom Hocker hauen, zumal Blutverlust zu einer nahezu alltäglichen Sache geworden war. Die Jungs machten sich oft Ärger, sie waren hitzköpfig darin, die Organisation zu verraten, weil man sie damals gezwungen hatte, in diesem Spiel mitzuwirken, welches vom Boss vor Ewigkeiten ins Leben gerufen worden war. Sie waren nicht freiwillig eingestiegen, um eine Killerkarriere zu beginnen, doch er war bei weitem schlimmer, als Kenjiro, er wusste, was er sich rausnehmen durfte und konnte, Palomino war meilenweit davon entfernt, weshalb ihre größte Sorge seinem Leben galt. Er war nun schon seit Beginn ihres Lebens innerhalb der Organisation ihr Partner – und sie hatte ihn gekannt, bevor sie sich dort über den Weg gelaufen waren. Natürlicherweise lag er ihr als Freund, als Partner, als Seelenverwandter am Herzen. Sie wüsste nicht, was aus ihr würde, wenn er nicht wäre. Mit wem auch immer er sich angelegt hatte, er war wie immer nicht vorsichtig gewesen. Gerade als sie ihn anfasste, um ihn aufzuheben, blickte er ihr mit diesen unendlich schuldbewussten Augen in ihre. Der Blick erschrak sie im ersten Moment. Unfähig zu deuten, was er ihr mitteilen wollte, war sie froh, als er es freiwillig sagte.

„Mérille und Sirius haben Chardonel“, es waren die letzten Worte, bevor er erneut das Bewusstsein verlor und in ihren Armen versank.

„Falsch“, meinte die Schwarzhaarige apathisch, „Mérille hat ihn…“ Dass Sirius sich nicht dafür interessierte, was sie tat, sondern still und heimlich ihren Taten beiwohnte, war ja bekannt. Er war nie gegen sie, er war immer für sie, selbst wenn er nicht wusste, welche Spiele sie nun schon wieder trieb. „Das Weib muss weg, und zwar schleunigst!“ Die von oben waren ohnehin ihr größter Feind und das nicht nur, weil sie diesen Laden hasste. Nahezu jeder von ihnen war dem Boss hörig und viel kränker als sie, dass sie auch ein bisschen krank war, würde sie nie zugeben. Mérille gehörte seit Jahren zu diesem Laden, sie war durch ihre Mutter, die sie selbst getötet hatte, aufgenommen worden. Ein Kind, das seine eigene Mutter tötete, war für den Boss interessant, es lag für die junge Frau auf der Hand. Ihre Familie war auch nicht die Beste, ihre Eltern hatten sich nichts mehr zu sagen, nach Jahren einer glücklichen Ehe, aber niemals hätte sie jemanden aus ihrer eigenen Familie töten können. Ihren Vater nicht, der einst ihre Mutter wegen einer anderen verließ; ihre Mutter nicht, die einen unehelichen Sohn mit jemand anderem als ihrem Ehemann hatte. Die Scheidung war einerseits ein Freudentag, aber andererseits ein auch Trauertag für sie gewesen. Und Bryan nicht, der sich feige vor seiner Verantwortung gedrückt hatte… Jedoch könnte sie ihn nicht einmal hassen, er war damals knapp 15 Jahre alt gewesen und hatte kurz zuvor seine Schwester verloren. Seine Eltern in den USA, seine Schwester im Himmel und sie die einzige, die bei ihm geblieben war – und dann hatte Jami ihn zu sich geholt, und ihren Bruder, und ihre kleine Schwester, ihre Mutter, ihren Vater – am allerschlimmsten war jedoch, dass Jamis Cousinchen die Geliebte ihres Vaters war. Ein junges Ding, das noch schön war. Wie gut, dass ihre Mutter nie wieder solchen Ärger haben würde, sie hatte ihren Einstieg ja nicht überlebt – sie wollte niemals so enden. Von Jami ermordet, eher würde sie ihn kastrieren, dann konnte er nie wieder Freude in seinem Leben empfinden. Er hätte es verdient…
 

Eine halbe Stunde später befand er sich in einem großen Haus, in einem weichen Bett, das ihn wärmte, die Verletzungen hatte sie längst versorgt.

Er fühlte sich alleine in dem Zimmer, nahm ihren Duft wahr und schwelgte in Erinnerungen, die so unangebracht waren, stets wenn er sie hatte, erdrückte ihn das schlechte Gewissen beinahe. Man konnte es gut auf den Schock zurückführen, dass er nun so vieles stärker wahrnahm, aber es war auch viele Jahre da gewesen, hatte sich nur im Untergrund seiner Seele versteckt, zumindest hatte er sich große Mühe gegeben.

Als sie das Zimmer betrat, verfolgte er sie mit seinem Blick. „Wie kannst du untätig bleiben? Mérille hat Chardonel, du solltest ihm helfen, statt mir“, er unternahm den Versuch, sich vom Bett zu erheben und sackte wenig später wieder zusammen.

„Wer sagt, dass ich untätig bin?“ Sie anzumotzen, nachdem sie ihm das Leben gerettet hatte, fand sie nicht sonderlich amüsant, weshalb sie ihm ein kaltes Tuch auf die Stirn klatschte, nicht besonders sanft.

„Wenn du hier bist, wer kümmert sich dann darum?“

„Nebbiolo wird sich mal ein bisschen damit beschäftigen, er schuldet mir einen Gefallen.“

„Du kannst ihn nicht leiden – wieso hast du ihm einen Gefallen getan?“

„Genau für solche Fälle, damit ich einen Mann habe – außer dir – der sich wenigstens wehren kann.“

„Nebbiolo alleine gegen Mérille… ist keine gute Idee, der arme Kerl bringt sich vielleicht gerade selbst um.“

„Er wird nur die Hebel in Bewegung setzen. In kürzester Zeit wird diese Frau sämtliche Freunde von ihm im Nacken haben, die sich die Hände reiben… Du weißt doch, sie erfreut sich nicht sonderlicher Beliebtheit, er schon – ich weiß, dass er das nicht verdient, nachdem er meinem Vater so ähnlich ist, aber der Zweck heiligt ja die Mittel, zudem mag er Chardonel ganz gern, das macht ihn erträglich.“

Ihre Worte waren darauf zurückzuführen, dass sie Männer nicht wirklich mochte, es gab jedenfalls nicht viele, die sie ertragen konnte.

„Ich hoffe, er tut schnell etwas, sonst fühle ich mich, als hätte ich ihm das Leben kaputtgemacht, eine Nacht bei diesem Weibsstück… nicht dran denken… mir wird sonst schlecht.“

„Ich kann leider nichts daran ändern, dass sie ihn hat. Aber die Polizei kann das. Die freuen sich bestimmt auch, wenn sie eine Irre verhaften können, die arme kleine Jungs quält.“ Natürlich war sie sauer, weil sie wieder für großen Ärger sorgten. Und sie hatte Angst um Kenjiro. Bei Frauen war er ja sowieso nicht mutig, sondern eher zurückhaltend, man könnte meinen, er hätte ohnehin Angst vor ihnen, doch sie würde es richtig schlimm machen, danach würde er sogar Angst vor ihr haben, obwohl sie ihm nie etwas zuleide tun würde… Ihr Bruder war ganz genauso, er traute sich nicht einmal mehr mit weiblichen Wesen Kontakt aufzunehmen, außer zu seiner Schwester, weil diese Verrückte über ihn her gestiegen war. Und Sirius, dieses gutmütige Schaf, zeigte ihr noch nicht einmal, wo es langging. Der war ein genauso feiges Aas wie Jami, den sie noch weniger leiden konnte. ‚Beide sollte man möglichst grausam foltern, damit sie damit aufhören! Feige Schweine konnte ich noch nie leiden und die sind am feigesten, weil sie so kuschen! Der hat doch nur Angst, dass sie ihm was tun könnte… Die regen mich auf, diese Pärchen, die sich gegenseitig so wenig Liebe geben, wie die. Eine Seite von ihnen ist meistens die Leidtragende – gibt es denn nirgendwo eine Beziehung, die auf Gleichberechtigung basiert? Sind wir denn dazu verdammt, für andere einstecken zu müssen?’
 

Die Dunkelheit verbarg nur zu gern ihre Gesichter, sie war ihr bester Freund. Der einzige Beweis, ihrer Anwesenheit, waren ihre tiefen Stimmen. Sie waren froh, dass man sie nicht sehen konnte, waren sie schließlich bis in die Zähne bewaffnet unterwegs.

„Nun verrat mir, wie es gelaufen ist“, der junge Mann versorgte sich mit den neusten Informationen. Und der andere würde sie ihm anstandslos geben.

„Von der Irren fehlt jede Spur, selbst Alvarello weiß nicht, wo sie sich herumtreibt, und der ist normalerweise immer darüber informiert, was seine Schäfchen tun.“

Die grünblauen Augen des Mannes leuchteten verärgert auf. „Und da wagst du, hierher zu kommen? Wenn ich diese Informationen an sie gebe, bin ich morgen impotent, du weißt doch, wie sie ist. Außerdem – tut es dir kein bisschen um den armen Jungen Leid?“

„Er kann nichts dafür“, hörte man von weiter hinten eine weitere männliche Stimme sagen, die zu einem anderen Mann gehörte, den beide kannten. „Er hat wie viele einfach zu sehr die Hosen voll, vor diesem Biest. Vielleicht solltest du das nächste Mal jemanden nehmen, der sich mehr traut! Jemanden wie Mezcal zum Beispiel.“ Es wirkte so ironisch, wenn Caprino etwas Nettes von Mezcal zu berichten hatte, sie schienen sich nicht gerade zu lieben, weshalb Nebbiolo auch sehr skeptisch gegenüber dieser Aussage wurde.

„Mezcal ja? Was interessiert den Kerl, was mit irgendjemandem passiert?“

„War auf seine weniger ausgeprägte ANGST bezogen“, erwiderte das Gegenüber schulternzuckend. „Und ich weiß, dass du ihn in der Hand hast, ha“, ein gehässiges Lachen war zu hören, was ohnehin selten an dem Schwarzhaarigen war, er war eigentlich gar nicht so. „Es würde dir sehr leicht fallen, Jami über Mezzis Vergangenheit aufzuklären. Ich glaube nicht, dass Jami sich freuen würde, wenn er erfährt, dass er nicht nur mit dir und Hiroya zur Schule ging, sondern auch noch immer mit ihm gut Freund ist. Warum also“, er ging um Nebbiolo herum, als wolle er ihn beeinflussen, als würde er ihn verhören und zugleich einkreisen wollen. „nutzt du dein Wissen nicht dazu, damit er ein bisschen spurt? Es sollte in seinem Sinne sein, was wir planen.“

„Caprino!“ Es widerte ihn an, wenn er davon sprach, andere Menschen zu benutzen, so wie es Chardonnay immer tat. „Ich halte wenig davon, ihm zu drohen, das macht uns nicht besser, als Chardonnay und der mag ihn.“

„Ach, der alte Knacker mag doch so gut wie jeden, der etwas gegen Iwamoto, seine eigene Kriminalisten-Familie und gewisse andere Leute hat – wie Cognac zum Beispiel. Er ist ihm ja im Weg. Wie schade, dass ich den noch nicht kennen gelernt habe.“

„Er ist das arme Schwein, das dein Freund Sazerac momentan ärgert.“ Von selbst bekam Caprino so was ja nicht mit.

„Sazerac ist nicht mein Freund, niemals – zu seinen Spielen gehört es diesem Gotano zur Hand zu gehen und Leute zu vergiften! Ich kann nichts dafür, dass er mich zu seinen Freunden zählt, weil ich einmal seine Schwester beschützt habe. Er denkt wirklich, dass ich das seinetwegen gemacht habe. Kommt davon, wenn man nur Weiber im Kopf hat… Das beeinträchtigt das Denken.“

Caprino hasste es, wenn Frauen – so wie Sazeracs Schwester – Männern zum Opfer fielen und man ihre Schwächen ausnutzte, als Mann fand er es am allerschlimmsten, einer Frau Schmerzen zuzufügen. Er konnte nicht dabei zusehen.

„Hat Cognac doch auch – nur geistern irgendwelche blonden Bengelchen in seinem Kopf herum. Der bringt sich um Kopf und Kragen, wer wagt es schließlich, der Tante schöne Augen zu machen? Es sei denn, er möchte drauf gehen, wie Calvados“, Nebbiolo schloss die Augen, er hatte schon einige nicht übel aussehende Kerle in ihr Verderben rennen sehen – er kannte den Boss zu gut, nie mehr wollte er einen Mord, geplant aus seiner Liebe mit eigenen Augen beobachten. Einer von ihnen lag im Koma – wenn er nie wieder daraus erwachte, hatte er mehr Glück, als würde er es zurück ins Leben schaffen, wenn man das noch Leben nennen konnte… Dieser Mann war buchstäblich mit dem Gesicht voran ins Feuer gefallen und dementsprechend entstellt, er würde sicher niemals mehr glücklich werden, so eingebildet wie er war – Cognac war ähnlich.

„Teuflisch wie Mezzi; er gefällt dem lieben Boss, kein Wunder, er ist ja auch mit einem 15 Zentimeter langen Messer auf Kimikos Freund losgegangen, um ihn zu entstellen – und er schien große Freude daran zu haben, mehr noch als gewisse Jamis, die ihm ins Gesicht schlugen.“

„Mezzi… Das klingt so harmlos, hast du keinen bessere Spitznamen parat?“ Nebbiolo fand diesen Kosenamen unpassend, auch wenn der Kerl auch niedlich sein konnte, doch diese Seite sah man selten. Das lag aber mehr daran, dass er nicht sonderlich groß war. Wenige wagten sich nahe an Mezcal heran, er war gemeingefährlich klug, durchgeknallt und schien keine Skrupel zu kennen. Ganz anders als sie beide.

„Du bist doch der Experte – ihr seid gemeinsam zur Schule, zusammen mit Kimiko, Sêiichî und den Akajas.“

„Oh ja, Carpano ist total begeistert ihn wieder zusehen, vor allem mit Cinzano am Rockzipfel, die hat auch eine Spritze, das Weibsstück…“

Während Nebbiolo sich gegen eine Mauer lehnte, noch immer die Augen geschlossen, schnaufte dritte Person einmal ängstlich. „Cinzano… Die hat doch eh nur ihre Karriere im Kopf, genauso wie Vermouth.“

„Das will ich überhört haben“, hörte er eine Frauenstimme sagen und zuckte sofort am ganzen Körper zusammen und machte den Anschein, flüchten zu wollen, doch der Braunhaarige im Bunde hielt ihn am Arm fest und hinderte ihn dadurch daran. „Cinzano und Vermouth sind wie Tag und Nacht!“

„Deine Meinung, Cencibel, meiner Meinung nach sind sie gleich krank. Sie verscherzen es sich gerne und haben eine Schwäche für Cognac,… ist doch albern! Ein notorischer Fremdgänger mit verdächtigen Starallüren, dabei ist sie doch der Star, nicht? Cognac und Cinzano wären das perfekte Paar, wenn du mich fragst, immerhin hat sie Carpano betrogen, bei denen wäre es ausgeglichen. Und sie könnten sich in Sachen Starallüren gegenseitig nerven.“

„Chasselas würde dich dafür töten, dass du es wagst, so über andere zu reden und dabei dich als was Besseres ansiehst – und was notorisch ist, hast du schon einmal gar nicht zu entscheiden, klar jetzt, Nebbiolo!?“

„Dann ist er eben promiskuitiv – jedenfalls hat er ein Frauenproblem, das er selbst bisher leider noch nicht erkennen konnte. Wenn er in Sachen Frauen mal so schnell checken würde, wie bei Waffen, würde Vermouth nicht mit dem guten Sazerac schlafen und dabei ihr letztes bisschen Stolz aufgeben… Aber na ja, sie hatte ja was mit Gotano, das ist ekelhaft genug, nicht wahr?“ Gesucht und gefunden, sie waren beide auf gewisse Weise widerwärtig. Und er war sicher, Cognac würde Vermouth verlassen, wenn er von ihrer Affäre mit Daddy wüsste. „Man sollte ihm mal sagen, dass sie mit seinem Vater auch was hatte, vielleicht würde ihn das vernünftig machen.“

„Cinzano und Cognac, ist das dein Ernst? Armer Cognac, dem würde es ja noch dreckiger gehen, als bei Vermouth“, kam von Caprino mit einem Kopfschütteln, „die liebt doch nur Carpano und sonst keinen, wir anderen sind nur Spielzeug, das ihr die Langeweile vertreibt. Ich weiß, wovon ich rede: Wenn du dich in diese Frau verliebst, bist du verloren, sie merkt nämlich nicht, wenn sie dich ständig mit ihm vergleicht, für sie sind alle anderen keine richtigen Männer – vielleicht ist die ja genauso besessen wie Mezcal?!“

Sogar Cencibel musste den Atem anhalten, sie kannte Cinzano schließlich auch nicht erst seit gestern und wusste, wie sie tickte – in der Tat hatte sie nur Carpano im Kopf und Cognac war – auch wenn Jamie es nicht wahrhaben wollte – doch viel besser bei Vermouth aufgehoben, auch wenn sie kalt, herzlos und ein Miststück war, die in seinem Herzen stocherte. Bei Cinzano war es so, sie würde es tun, ohne es zu realisieren, bei Vermouth konnte man wenigstens davon ausgehen, dass sie es absichtlich machte, bis zu einem gewissen Punkt. Cencibel hatte sie schon oft gewarnt, es nicht auf die Spitze zu treiben und das war nicht wegen Sêiichîs Vater. ‚Sie schafft es immer wieder, Frauen zu ihren Feinden zu machen und das nur, indem sie ihren Männern zu nahe kommt! Baileys… Chianti… Merlot, das sind nur drei der Personen, die sie am meisten hassen, weil sie ihnen jemanden weggenommen hat. Nur wo ist die Frau, die Cognac liebt? Mit ihm hält es keine lange aus und es würde auch nie eine ihn zurücknehmen… außer sie… Eigentlich ja dumm, wenn man bedenkt, wen sie so alles haben könnte, stattdessen nimmt sie sich einen Polizisten, der auch noch der Sohn von ihrer meist gehassten Cousine ist. Die Liebe macht komische Sachen. Wie eine Killerin mit einem Polizisten zu verbinden. Wie oft haben wir gehofft, dass er vernünftig wird – das Schlimmste ist ja, dass er genau weiß, was er tut… Er weiß, dass es ein Verrat an seinem Beruf ist, den er über alles liebt, aber wohl nicht so sehr wie sie. Und keiner weiß, warum das so ist. Welcher normale Mann kann diese Frau denn lieben? Und alle warten auf den Knall!’ Diese unglückliche Beziehung war ja schließlich vielen ein Dorn im Auge, einige wagten nicht, den Mund aufzumachen, weil sie entweder Angst vor Carpano oder vor Vermouth selbst Angst hatten, andere fürchteten die Reaktion vom Boss, wenn er davon erfuhr, weil sie Vermouth mochten, was aber eher die Minderzahl war. Die größte Gefahr war Syrahs Gefährte Teran, der Carpano und Cognac hasste und nur zu gerne damit hausieren ginge, was die Neigungen gewisser Polizisten anging…

Feinde hatten sie beide mehr als genug, dass ihre Beziehung innerhalb dieser Organisation zum Scheitern verurteilt war und der Baka wusste ganz genau von der Gefahr, die den Liebling vom Boss umgab, wenn man ihr zunahe kam – sie liebte, ihr vertraute, sie verehrte und zum Schluss auch noch für gut hielt. Bei ihr konnte man nicht sicher sein, ob sie einem nicht doch irgendwann einen Dolch in den Rücken rammte. Ihr ähnlich sehen würde, Cognac an den Boss zu verraten, weil er sie so behandelte, sie nicht die einzige Frau für ihn war und er einfach zu leichtfertig mit so etwas umging, oder sie würde ihm sehr wehzutun. Alles nur nicht es dulden, aber genau das tat sie ja eigentlich. Bisher immer, nun hatte sie ihm das Ganze heimgezahlt. Es war zwar grausam von ihr, es zu diesem Zeitpunkt zu tun, aber verdient hatte er es ja doch ein bisschen.

„Ich kenne Cognac persönlich, er war zusammen mit Mezcal in einer Klasse. Er war auch nicht immer so ein Spinner – alles liegt sicher an dem Attentat.“

Caprino hörte gespannt zu und rückte nun sogar näher an seinen Freund heran, er war gewillt diesen Cognac zu verstehen, von Erzählungen war er genauso wenig böse, wie er selbst, sondern hatte ein ganz bestimmtes Ziel, was ihn beeindruckte. Fremdgänger hin oder her, das zählte für ihn nicht. Er war der letzte Mensch, der so jemanden verurteilen würde…

„Welches Attentat? Was ist passiert?“

„Der Junge war 15 Jahre alt, als Chardonnay entschlossen hatte, ihn brutal zu ermorden, weil er Iwamotos Sprössling ist. Das sagt jedenfalls Carmina, sie scheint ihn zu kennen, als er noch ein Junge war. Sie meinte, dass Chardonnay in dieser Nacht richtig Spaß hatte. Er hat Cognac aufgelauert und ihn regelrecht niedergemetzelt. Vermouth hat ihn dann verschleppt und erstmal dafür gesorgt, dass er die Nacht übersteht – das ist jedenfalls das, was Cognac Freunden erzählt hat. Gleich zusammen mit dem Satz, dass sie für ihn ein Engel ist.“

„Gott, ist das ansteckend? Da muss man ja echt Angst bekommen, dass es sich dabei um eine ansteckende Krankheit handelt. Ein Engel, ausgerechnet die, der man nachsagt, sie hätte die Miyanos zum Highway to hell gejagt… Die Frau, die zusammen mit Kalina FBI-Agenten getötet hat. Ob Cognac eine Therapie helfen würde? Das kann doch nicht sein Ernst sein.“

„Das ist seine eigene Sichtweise, frag mal Carpano, wie oft er zu ihm sagte, dass er einen Knall hat und dass der Schein trügt? Der Junge ist hoffnungslos in seine Retterin verliebt und wird es nicht mehr los, ja, ich glaube, man kann es schon als Krankheit sehen, wenn jemand die Wahrheit und Lüge nicht mehr unterscheiden kann.“ Cencibel meinte es nicht einmal böse, sie traute Cognacs Urteilsvermögen nur nicht.

„Was erwartet ihr? Sie ist eine Frau…“ Der eher ruhige Zeitgenosse seufzte schwer und zog die Aufmerksamkeit der 29-jährigen auf sich, sie hatte ihn ja fast nicht bemerkt. Es war Chasselas Bruder, der einst von Mérille eingesperrt worden war und seitdem ein ausgewachsenes Frauenproblem hatte.

„Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist, Nero…“ Sie wollte dem armen Kerl ja keine Angst einjagen, immerhin kannte sie die Geschichte. Der 21-jährige vermied den Blick in ihre Augen, als würde er ihn innerlich sofort töten. „Nicht alle Frauen sind so wie Mérille und Vermouth, wobei letztere das kleinere Übel ist. Und deine Schwester Chasselas ist auch nicht ohne. Sie hasst Männer.“

„Nein, Fremdgänger!“ korrigierte Nebbiolo sofort Cencibel, wobei ein bitterer Ton in seiner Stimme mitschwang, bevor er die Augen zusammenkniff, so dass sie wesentlich kleiner wurden. „Sie hat nur Mist erlebt, wenn es um Männer ging, aber Männer hasst sie nicht. Zum Beispiel Carpano und Helios kann sie gut leiden – und komischerweise auch Palomino… Das Früchtchen.“ Jeder wusste, dass der Kerl auch nichts anbrennen ließ, man musste ihm einiges zutrauen, immerhin war er verheiratet und hing doch so sehr an seiner Partnerin. „Cinzano kann sie auch nicht leiden und die ist weiblich, ebenso wenig Cognac, weil sie alle schon mal fremdgegangen sind, auch mich verachtet sie, das weiß ich. Aber ihr größter Feind ist Jami.“ Ein bisschen belustigt wirkte er ja nun auch. Nur sehr wenige Männer würden sich darüber nicht freuen, Jami war nicht gerade beliebt bei seinen Kameraden.

„Wen würde das wundern?“ seufzte Caprino.

„Sie hasst auch die von ganz oben! Mérille und Sirius zusammen mit Jami allen voran, danach kommen Alvarello und Hochwohlgeboren. Gefolgt von Asti und Othello. Ich glaube, Vermouth stört sie nicht einmal so sehr, die hat zu wenig zu sagen.“ Dass Nero die Geheimnisse seiner Schwester preisgab, gefiel Nebbiolo wenig, auch wenn die Personen, die gerade anwesend waren, dieses Wissen nicht gegen sie verwenden würden.

„Ich weiß, dass sie sich gerne verbrennt…“, hörte man Nebbiolo nur geflüstert und ein bisschen sogar besorgt sagen, „verrückte Sachen machen, scheint ihrem Leben erst einen Sinn zu geben, sie würde wohl jede Chance nutzen, um die von ihrem Thron zu stürzen.“ Das machte dem 28-jährigen nicht gerade wenige Sorgen, er mochte sie, noch immer.
 

Wie nichts auf dieser Welt hasste sie es, diesen Job, zu dem man sie nun zwang. Zwar war es das Angenehmste überhaupt, in der Organisation tun zu dürfen, was man im Grunde gerne machte, aber wozu es diente, das gab dem Ganzen einen bitteren Beigeschmack. Die Arbeit bei der Presse machte Spaß, solange die Aufträge nicht von Valpolicella kamen, so wie heute Abend. Die armen Mädchen, die sie fotografierte, hatten bisher ein schönes Leben gehabt… Die Hauptattraktion war Nami, eine 12-jährige Schülerin, denn zu ihrem Pech war sie für den Boss sehr interessant. Er wollte ganz viele Fotos, von allen Seiten, scharf und klar wollte er sie haben, hatte sie gesagt, er wollte das Weiße in den Augen sehen können. Sie hielt die 19-jährige für eine einfache Pressefotografin, genauso wie die Hellbraunhaarige, welche die ganze Zeit schon an ihrer Seite war, von ihr sollte sie auch Bilder machen. Das größere Interesse schien der Boss jedoch an dem jungen Mädchen zu haben, sie war süß, unschuldig, liebenswert, ein Sonnenschein…

All das wollte man nun zerstören: Ihr unbeschwertes Leben, ihr reines Herz, ihre Unschuld – alles, was Kinder noch hatten.

Blitzlichtgewitter, das kannte sie schon. Mit Naru an ihrer Seite – einer Profisportlerin und einer berühmten Tante, mit der sie oft schon durch die Stadt geschlendert und fotografiert worden war, war es ihr jedenfalls nicht fremd. Als sie die Kamera entdeckte, machte sie das Victory-Zeichen und lächelte vergnügt in die Kamera, sie lachte viel und schien den größten Spaß zu haben. Sie wusste leider nicht, dass es Spionage-Fotos waren, mit dem alleinigen Interesse ihr auf die Pelle zu rücken, sie perfekt zu kennen, ihre Psyche zu studieren. Und das alles nur wegen einem Kriminalisten, der es dem Boss angetan hatte? Louisiana glaubte das nicht, es musste noch etwas anderes dahinter stecken. Da das Mädchen ein Naturtalent war, fotogener noch als Kimi je hätte sein können, gewann sie an Lust, sie konnte nicht aufhören, dieses Kind zu fotografieren, welches etwas Besonderes zu sein schien. Sie machte unzählige Bilder von dieser kleinen Prinzessin.
 

Das Mädchen hatte jede Bewegung ihres Vorbildes verfolgt und strahlte sie an, diese junge 23-jährige Frau, die doch schon so ein Star für sie war. Sie hatte keinerlei Angst davor, sich wehzutun, sich einen Finger zu brechen, sich die Knie aufzuschüren – die Dinge, die bei einem harten Hallensport nun einmal vorkamen. Sie spielte Volleyball, als wäre sie mit dem Ball verschmolzen, zeigte keinerlei Furcht vor ihm, nahm ihn wie er gerade kam und würde niemals weglaufen…

Sie wurden interviewt, alle beide, jedoch nicht von der Fotografin, sondern von jemand anderem, dem sie wenig sagten… über Familie, Bekannte, ihr Leben. Es waren persönliche Fragen dabei, viel zu viele, wie Naru meinte, weshalb sie die Unterhaltung bald abbrach und ihre Sachen zusammenpackte. „Ich gehe heute früher – ich muss sie noch nach Hause bringen, ihr schafft das auch ohne mich. Wir sehen uns morgen.“ Sie nahm das Mädchen an die Hand und ging mit ihr zur Tür hinaus, in die finstere Nacht – es war schon viel zu spät…
 

Währendessen musste Hayato einen kritischen Blick ins Auto werfen, jedoch beruhigte es ihn, dass Kazuha noch immer am selben Ort war. „Ach weißt du… in Zukunft wird sich vieles ändern: Die Yakuza werden ihre Macht verlieren, es werden viele Menschen sterben… und die, die sich einmischen, denen wird es am schlimmsten ergehen. Vielleicht gibt’s auch Krieg zwischen Japan und Amerika. All das könnte passieren, die düsteren Machenschaften, die seit Jahren zwischen Amerika und Japan herrschen, schwappen immer mehr zu uns rüber. Was denkst du, warum es das FBI, das CIA und andere Geheimdienste nach Japan verschlagen hat. Glaub mir, ich wäre nicht hier, wenn dem nicht so wäre. Manchmal habe ich es ungemein satt, das CIA tut alles für seine Ziele. Wenn sie Ratten mit Rattengift fangen wollen, werden sie es tun. Ich wäre nicht mehr dort, wenn Aoi nicht zufällig dort festgehalten werden würde. Ein Ausbruch ist sinnlos. Sie ist zu begabt, als dass unser Chef sie einfach so gehen lassen würde.“

Nun war es soweit, im Grunde hasste er es, aber er packte seine Zigaretten aus und steckte sich vor Ken eine an. „Ich rate dir, ganz weit weg zu sein, wenn es ausbricht, die schrecken auch vor Kindern nicht zurück, denen ist egal, wen sie töten, wie sie es tun und wie viele es sind.“

Nach dieser Erzählung, die ihm den Boden unter den Füßen wegzog, musste er es Hayato erst einmal gleichtun. „Yui ist an sie geraten“, es fuhr ein Zittern durch seinen Körper, das er seit Jahren nicht mehr gespürt hatte, das letzte Mal war seine Schwester an einen Penner geraten, den er erst einmal vertrimmt hatte, so war das eben, wenn man eine Schwester hatte – ob eine Jüngere oder Ältere war egal. Und Hayato war in derselben Situation, wenn man es so sah – sie war ein junges hübsches Ding, wahres Futter für Mistkerle. Und was er über das CIA sprach, wunderte ihn so sehr nicht – mehr die anderen Dinge, er sprach vom Krieg zwischen zwei Ländern – wer wollte schon so etwas?

„Der Kerl, mit dem sie Ärger hatte… gehört der etwa zu diesem Laden, den ihr jagt?“ Es war so offensichtlich, er brauchte es nur andeuten. Hayato konnte zwar gut lügen, aber er gab sich nicht einmal richtig Mühe, ihn zu täuschen. Es war ein freundschaftlicher Rat, eine Warnung, die man ernst nehmen sollte. Und er nahm ihn todernst – also ließ er ihn weiterreden.

„Er ist einer von ganz oben, ein schmieriger Macho, der vor keiner Frau Halt macht, sie schwängert und dann tötet, wenn sie ihm nicht gehorchen. Eine wollte ihr Kind beschützen, sie wollte ihm ins Ausland abhauen und dann hat er sie erschossen.“ Ihm kam es fast hoch, wenn er daran dachte – als er es erfahren hatte, wollte Hayato diesem Jami nur noch die grausamsten Folter antun, die man sich vorstellen konnte. Er hatte sich jedoch gut genug im Griff, um nicht komplett überzuschnappen.

„Lass mir den vor die Flinte geraten, dem erzähl ich was“, man hörte die Knochen des Mannes gefährlich knacken, als er seine Faust gegen die blanke Hand schlug.

„Gegen den hättest du keine Chance, wenn du nicht plötzlich ’nen Ballermann zur Verfügung hast. Er mag’s nicht, wenn Leute, die schwächer als er sind, auf ihn losgehen. Das Problem ist, dass er mit dem Schießeisen sehr schnell agiert und ihn das stärker macht – ist eben ein kleiner, linker Hund, der sich stark fühlt, wenn er anderen seine Waffe unter die Nase halten kann. Versuch auf sie aufzupassen, sonst wird’s hässlich. Ich kann nicht immer da sein und auf sie aufpassen, man hat mir noch so einige andere Dinge auf’s Auge gedrückt, während Aoi ein Spiel mit unserer Gesellschaft treibt. Sie versucht ihr wahres Ich zu verschleiern, um diese Organisation zu täuschen – mit dir anzubändeln, gehört nicht zu ihrem Plan, also bleib bloß bei deinem Früchtchen.“

„Is’ ja gut, du musst es nicht so betonen, ich weiß, was Anstand bedeutet. Das wurde mir schon des Öfteren eingeprügelt, zumindest hat mein Vater es früher oft versucht, wenn ihm was nicht gepasst hat. Wenn man bedenkt, wo ich gelandet bin, ein sinnloses Unterfangen, ich mach ja doch, was ich will.“

„Eine Freundin von mir wurde auch von ihrem Vater unterdrückt, allerdings mit mehr Erfolg, als bei dir. Er war beim CIA und hat seine eigene Tochter in die Organisation geschleust. Sie ist darin gefangen…“

Nach dem, was diese Organisation vielleicht bewirken könnte, war es kein schönes Gefühl zu wissen, dass es Frauen gab, die durch solche Mistkerle inmitten der Schlacht landen könnten.

„Lass dich aber bloß nicht umbringen, das würde ich echt bedauern.“

„Bei einem Krieg gibt es Verluste, ich habe aber nicht vor, zu ihnen zu gehören. Ich habe eine Frau und ein Kind, dieses Leben will ich nicht missen müssen.“
 

Ein lautes Seufzen war zu hören, welches von Yui stammte. Mittlerweile schwiegen sie, was aber besser war, da sie sonst nur wieder aneinander gerieten. „Kommen die beiden denn nie wieder? Haben die uns nun sitzen lassen?“

„Kommt vor, wenn man sich Jahre nicht gesehen hat. Wundert es dich? Er hatte schon in seiner Schulzeit viele Freunde. Es gibt Dinge, die sich niemals ändern.“ Es machte ihr immer wieder Spaß, damit zu prahlen und die Kleine auf die Palme zu bringen, diesmal war es jedoch nicht beabsichtigt.

„Wir haben so viele verrückte Sachen getan, du würdest es nicht glauben. Die Jungs taten doch echt alles, um einen Kick zu bekommen. In der Schule haben sie sich gelangweilt und sind deswegen gerne in gefährliche Situationen geraten. Sachen, wie einen Dieb fassen, waren da noch die harmlosesten Varianten. Er war so ein kleiner Hitzkopf, der dann von seiner älteren Schwester beschützt werden musste. Wir haben oft Detektivspielchen getrieben, bis aus dem Spaß dann mal Ernst wurde…“ Wie sehr in Gedanken sie bereits war, bekam die Braunhaarige nicht mit, es sprudelte aus ihr wie ein Wasserfall. „Sie haben es mit Spaß verwechselt, sich von Verbrechern entführen zu lassen. Sie waren so gesehen doch ganz schön dumme Jungs – und nur Kei hatte die Hosen voll. Und Tomoko hat deswegen nur Ärger gehabt, er sollte sich schämen. Im Gegensatz zu ihm hatten die anderen wenigstens Mut.“ Tomoko war noch immer ein wesentlicher Faktor – wie es ihr wohl ging? Ob sie immer noch auf der Flucht vor denen war?

„Das alles ist nun schon solange her, trotzdem kommt es mir vor, als sei’s gestern passiert. Dieses Messer, das auf mich gerichtet war… Er hat’s abbekommen… Man, ich war auch ganz schön verrückt, die hätten mich töten können. Aber wie das eben so ist, die Jungs passen auf die Mädchen auf, das war in jeder Hinsicht so, es sei denn, man heißt Kei Tamura und ist ein kleiner Hasenfuß.“

„Das hat er nie erwähnt, nicht mal wie es passiert ist… Du wirst jawohl nicht sagen wollen, dass du hinter ihm her bist, weil er dir mal geholfen hat… Das ist doch absoluter Schwachsinn! Ihr habt euch Jahre nicht gesehen… vergiss es einfach.“

„Hättest du jawohl gerne, kampflos kriegst du ihn nicht, da musst du dich schon anstrengen und ein liebes Mädchen sein“, diesmal war es nur Spaß, aber aus Spaß wurde so schnell ernst, schneller als man gucken konnte.

„Da bist du an die richtige Person geraten, das kann ich nur zurückgeben – du bist eigentlich total in Ordnung“, ein bisschen erinnerte sie diese Aoi auch an Kimiko, was sie nun total deprimierte. „Kein Wunder, dass er euch mag, ihr seid gut… ihr habt nicht versucht, eure Stiefschwester mit einem Kopfkissen zu ersticken, als ihr ein 6-jähriges Mädchen wart. Ich hatte da mal einen Traum, ich wollte zur Polizei… Aber ich fand, jemand, der schon als Kind jemanden töten wollte, ist dafür nicht geeignet. Meine Schwester ist ein Drecksstück, sie war hinter den Männern her, für die ich mich interessierte, aber mittlerweile kann ich ihr ins Gesicht lachen, denn ich habe gewonnen.“

‚Ach, du weißt nicht, was in meinem Kopf manchmal vorgeht… Du wärst entsetzt, wie boshaft auch ich sein kann. Menschen sind nun mal so… Manchmal sind sie nett, und manchmal sind sie fies.’

Vor ihrem geistigen Auge spielte sich ein Szenario ab, wie es schon einmal stattgefunden hatte. Sicher wäre er furchtbar entsetzt, wenn er es wüsste, dass auch sie… Aoi kniff die Augen zusammen, sie wollte es am liebsten vergessen, so war es mit Sicherheit immer. Das erste Mal vergaß man nie und doch versuchte man es immer wieder.
 

Mittlerweile war die Party in vollem Gange – aber ohne den Sänger. Er hatte sich in die letzte Ecke verzogen und hielt sich so im Verborgenen. Dachte er jedenfalls. Dass er alleine sein konnte und doch anwesend, weil man das eben von ihm erwartete. ‚Diese elenden Menschen… kaum gibt’s was umsonst…’ Gerade als er sich etwas entspannt zurückgelehnt hatte, spürte er den heißen Atem einer Person im Nacken, der es ihm jedoch eiskalt werden ließ – er wusste wer sie war und er wollte nichts, aber auch gar nichts mit diesem Weib zu tun haben.

„Wieso so alleine? Warum bist du eigentlich immer alleine? Du bist ein Star! Du kannst sie alle haben.“

Was sie ihm zugeflüstert hatte, war ihm einerlei.

„Lass mich in Ruhe, geh doch woanders spielen, Aiko Misae! Deine Anwesenheit ist unerwünscht“, er fürchtete sich jetzt schon, wenn sie ihn wieder anfassen würde, es war immer so anstrengend sie loszuwerden.

Und dann schlangen sich Arme um seinen Hals. „Ey, was soll das?!“ Er versuchte sich von der Rothaarigen zu lösen, die von der Seite nun anfing zu klammern.

„Werd locker – wieso solltest du es anders machen? Gucke dir dieses kleine Miststück an! Sie betrügt dich vor deinen Augen! Merkst du es nicht?“ Aiko spielte eben gerne, er wusste das und doch war er immer der Verlierer, sie wusste seine Schwächen gekonnt auszunutzen, in diesem Moment war es seine Eifersucht. „Flirtet völlig ungeniert mit deinen Bandkollegen… Wieso lässt du dir das von so einer kleinen Tussi gefallen?!“

Seine Augen fielen unwillkürlich auf den Kerl, der sein Mikrofon für sich wollte, und auf den anderen, der es auf seine Gitarre abgesehen hatte – und das veranlasste ihn dazu, alles durch einen roten Schleier zu sehen. Es war nicht das erste Mal… Sie hatte ihn schon so oft betrogen… Mit seinen Freunden. Er schnaubte verächtlich, bevor es Shiori unmöglich wurde, ihn festzuhalten, da er auf die drei Personen zustürmte und die Kurzhaarige grob am Arm packte, dass es zu blauen Flecken kommen konnte.

„Was wird das, wenn es fertig ist? Lass die Finger weg von den Kerlen!“ Bevor sie sich versah, fing sie sich ziemlich deftig eine – seine Augen, die vor Wut nur so funkelten, jagten ihr einen größeren Schreck ein, als die Aktion, die sie mit einem schmerzhaften Gefühl auf der Wange empfing. „Ich LASS nicht betrügen, nicht von dir! Wie kannst du es >schon wieder< wagen?!“

„Hast du ’nen Schaden, komm runter!“ Teru ging dazwischen und zog Mitsuki an sich, bevor ihr Freund sie noch umbrachte. Er wusste ja, dass diese Eifersuchtsattacke nicht gerade von Ungefähr kam, weil sie in der Vergangenheit wirklich fremdgegangen war, aber das rechtfertigte nicht, dass er sie nun ins Gesicht schlug. „Sie hat nur mit den beiden geredet…“

Das heftige Schnaufen des Mannes zeigte, dass er außer Kontrolle war, so war er schon lange nicht mehr gewesen. Er war sonst die Ruhe in Person, aufgeregt war er immer dann, wenn er nichts genommen hatte. Dass er sie gerne schlug konnte man nicht sagen, er hatte bloß Angst, geradezu als hätte man sie ihm eingeredet, aber das schaffte er wunderbar alleine, weil er wegen Mitsuki und Kimiko einen Komplex entwickelt hatte. „Denk an die Leute, wie sieht es denn aus, wenn du dich schon wieder mit jemandem schlägst und dann noch mit einer Frau…“, flüsterte Teru ihm zu und versuchte ihn zur Vernunft zu bringen. „Der Krach mit Tetsu und Hyde war schlimm genug. Reicht’s nicht mal? Es redet jeder von deiner Attacke auf Kimi und dass man sie vor dir beschützen musste, und noch dazu: Hiroya ist hier! Wenn er das spitzkriegt, macht der dich alle! Also bitte, beruhig dich jetzt…“

„Hiroya, diese kleine Pissplage kann mir gar nichts“, er fuhr sich nervös durch die Haare, natürlich konnte der Kerl ihm was, auch wenn er eine andere Lieblingsperson hatte, der er gerne mal auf den Keks ging. Dem machte so etwas eben die größte Freude – was er aber verstehen konnte, er hatte es ja auch getan. Leute, die nett waren, wehrten sich eben nicht sonderlich.

„Ich hab dich betrogen? Wieso sollte ich so etwas denn machen?“ Die Frage stellte sich die Blauäugige wirklich, sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie so etwas getan hatte – einfach so – aber wenn er so ausrastete, fragte sie sich wirklich, ob sie den Kerl wirklich liebte, oder er ihr das einfach nur einzureden versuchte…

‚Er hatte allen Grund, mir auf die Fresse zu hauen… Alle beide hatten allen Grund! Ich wollte seinen besten Freund vom Balkon werfen, als ich von ihm und Mitsuki erfuhr... Und ich wollte ihm die Freundin wegnehmen, als ich erfuhr, dass sie was miteinander hatten. Nicht nur, dass er die Situation schamlos ausgenutzt hat, er hat auch noch unsere Freundschaft verraten… Das kann ich dem ja unmöglich durchgehen lassen, dafür soll er leiden… und Sojuro sorgt dafür! Es ist nur gerecht, wenn er denkt, er wäre schuld daran, dass sie tot ist… Wie gut, dass er niemals dahinter kommen wird, was wirklich geschehen ist! Das Geheimnis nehme ich ins Grab…’ Das besessene, leicht verrückte Lächeln in seinem Gesicht, machte auch Teru ein wenig Angst, er hätte so gerne sine kranken Gedanken gekannt, wahrscheinlich war er stolz darauf, was er anderen Menschen angetan hatte. Die Drogen hatten ihm das Gehirn weg gefressen, da war er mittlerweile sicher. ‚Wenn Yui ihre Klappe nicht hält, stopfe ich sie ihr! Wie gut, dass das so gut wie ausgeschlossen ist, dass sie ihm irgendwas sagt, sie hat doch selbst zu viel Angst, dass er sie dann hassen könnte… ich werde ihr bestimmt nicht verraten, dass das so gut wie unmöglich ist, dass er sie jemals hasst. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß. Sie ist nur ein Opfer ihrer eigenen Angst… Wer sagt, dass ihre Liebe zu einem Menschen, was Schlechtes sein kann, mir nutzt sie nur.’

„Man, arme Mitsuki, hat einen Irren zum Freund“, hörte man von etwas entfernt einen jungen Mann flüstern. „Der kann einem ja echt Angst einjagen, wenn er nicht gerade besoffen oder high ist. Wer hat den eigentlich aus seinem Stall gelassen? Kein Wunder, dass sich die meisten normalen Leute von ihm fernhalten…“ Er kannte ihn schon lange, er hatte das große Glück mit ihm verwandt zu sein und fand das gerade gar nicht schön. „Es wird mal wieder Zeit, dass Hideki Tacheles mit ihm redet, ist ja unter aller Sau, wie der sich benimmt!“ So etwas war sein Cousin und noch dazu waren sie in der gleichen Band. Dieses ewige rumnörgeln, diese Unzufriedenheit kam doch nur daher, dass der Kerl nicht glücklich sein konnte, weil er so depressiv war. Er versaute es sich mit allen, sogar mit netten Leuten wie Ken, wie konnte man so blöd sein? Er machte das mittlerweile schon lange so, er war eben gerne ein Arschloch, das er zu gerne raushängen ließ. Dass sich die beiden aus dem Weg gingen war gut so, sonst hätten sie sich am Ende geprügelt, so wie andere Leute, die von ihm stets gestichelt wurden. „Du, Juu…“ Er war ja lebensmüde, es auszusprechen, aber es musste einfach raus. „Kein Wunder, dass Kimiko dich nicht mehr leiden konnte, ohne dein Scheißzeug kriegst du nichts wirklich hin! Du bist eine Schande für unsere Familie. Warum bringst du dich eigentlich nicht um? Damit wäre vielen geholfen!“

Auch wenn es Dinge waren, die man nachvollziehen konnte, dass sie jemand aussprach, fand Teru den Spruch etwas hart gewählt. „Vielleicht solltest du auch mal rausgehen, dich abkühlen, wie wär’s?“

Dass ihn alle hassten, machte dem Kerl mehr aus, als es den Anschein machte. Das schlechte Gewissen ließ ihn anfällig werden, besonders für Menschen wie Aiko, die ihm nun über den Kopf strich. „Ach komm, mach nicht so ein Gesicht, als würde die Welt gleich untergehen, ich weiß da etwas, was dir todsicher wieder zu guter Laune verhilft“, sie flüsterte es heimtückisch in sein Ohr und Shiori strich ihm mit einem ihrer Fingernägel über die Wange. „Lass uns ein bisschen Spaß haben, du bist ja total verkrampft. Lass die Tussi doch tun, was sie will, das kannst du schon lange…“ Dass sie ihm schon wieder Drogen andrehen wollte, hörte er an ihrer bittersüßen Stimmlage, seine Kehle war auf einmal trocken.

„Lasst ihn in Ruhe“, man zog Aiko von ihm weg und wenig später auch Shiori. „Er hat keinen Bock, war das nicht deutlich?!“ Teru kannte sie, sie waren oft in seiner Nähe gewesen und meistens hatten diese Besuche damit geendet, dass er hinüber gewesen war. Wahrscheinlich hatten sie ihm auch noch süße kleine Geschenke in Form von Drogen gemacht, wie die schon aussahen...

Dass jemand sie nun störte, fand Aiko gar nicht berauschend. Sie ließ sich ungern reinpfuschen…
 

Unterdessen saßen die 26-jährigen Geschwister in seinem Auto und schwiegen zunächst, bis die gleichaltrige Frau die Stille brach. „Hat ja lange gedauert – ich dachte schon, dass du die Märchenstunde niemals beendest, jetzt interessiert mich, worüber ihr gesprochen habt.“

„Alles Relevante“, kurze Antworten war sie ja durchaus von ihm gewohnt, doch wollte sich die Braunhaarige damit nicht zufrieden geben.

„Ach, so viel Relevantes, dass ihr eine halbe Stunde verquatscht? Erzähl mir keinen Unsinn – über welche Sachen habt ihr noch geredet? Hast du ihm ausführlicher drohen müssen?“ Die Halbmondaugen, die ihn nun anblickten, spürte er auch wenn sein Blick stets konzentriert auf die Straße gerichtet war.

„Das war auch relevant, und untersteh dich gefälligst, ihm wie eine wild gewordene Löwin nachzusteigen! Du willst dir doch dein Image nicht mit so etwas versauen, na?!“ Noch immer war Hayato entsetzt von seiner Schwester. „Leute wie diese Valpolicella sind immer auf der Suche nach Skandalen – und das würde einer werden, todsicher!“

„Ich dachte eher an eine romantische, kitschige Lovestory und nicht an einen Skandal.“

„Du willst mich stressen, Schwesterherz, oder? An Lovestorys ist sie nicht interessiert, sie will die Leute schocken und tut alles dafür.“

„Die hat dir schon mal was getan, kann es sein? Welchen engen Kontakt hattest du zu dieser Dame, wenn du sie schon so genau kennst?!“ Um den Spieß mal etwas umzudrehen, kam dieser äußerst bissige Satz von ihr, die sich einfach bemuttert fühlte und nur ihren Spaß haben wollte, und sei es auf Kosten ihres Zwillingsbruders.

Hayato gab ein Seufzen von sich, vor allem sie sollte über diese Frau bestens Bescheid wissen.

„Sie ist Kirs schlimmster Albtraum, wusstest du nicht davon?“

„Erzähl mir Genaueres!“ Was wie ein Befehl klang, war eigentlich bloß eine Bitte, selbst wenn sie sich nicht so anhörte.

„Sie hat noch mehr Macht, als dieser Jami und ist unsterblich in Carpano verliebt, wie es scheint. Ach, was erzähl ich dir, es scheint nicht so, es ist so. Und weil Kir mit Carpano zu engen Kontakt pflegt, ist diese Frau ständig gegen sie aufgebracht. Bei Kleinigkeiten macht sie ihr Beine. Ich weiß nicht, was ich von dieser Beziehung halten soll, ich kenne Carpano nicht wirklich. Ich hoffe, er weiß sie zu beschützen.“

„…Carpano…“ Diesen Namen sprach die junge Frau aus, als hätte sie ihn gerade nicht zum ersten Mal gehört. Ihre Augen wirkten auf einmal nicht mehr so freundlich wie eben noch, es war fast derselbe Blick, den sie Yui gegenüber zeigte…

„Ist was?“ Hayato blieb natürlich nicht verborgen, dass seine Schwester den Namen kannte und nun über ihn nachdachte. „Was stimmt nicht mit Carpano?“

„Recherchen zufolge war er mal mit dieser Cat zusammen und ist dann halbherzig zu Kir übergelaufen. Diese Tussi ist nicht gerade liebenswürdig, so ein Kerl, der diese Tussi in Schutz nimmt, kann nicht gut für Hidemi sein. Cat und diese Ranghöchste – also schon zwei Frauen, wegen denen Kir Ärger hat. Und er ist nicht unschuldig daran, weil er nicht Klartext mit denen redet! Wäre er der richtige Mann für Kir, würde er diese beiden Tussis schnell aus dem Weg schaffen, damit sie sie in Ruhe lassen! Das ist los… Ein Kerl, der nur Ärger bedeutet!“

Ihr Bruder bremste scharf, und blickte sie mit einem nicht erfreuten Blick an. „Ich verbiete dir, so zu reden!“ Sie machte die Liebe eines Mannes davon abhängig, ob er bereit war, alle aus dem Weg zu räumen, die seiner Freundin schadeten. „Man muss doch nicht immer gleich solch drastische Mittel ergreifen, um jemanden zu beschützen!“

„Da bin ich anderer Meinung! Zumindest könnte er der blonden Giftspritze mal Grenzen setzen! Und aufhören, diese Ranghöchste zu besänftigen!“

„Die ist keine einfache Frau und deswegen ist es wohl ganz gut, wenn er sie besänftigt! Wäre er eiskalt zu ihr, würde sie noch mehr durchdrehen, sie verkraftet es nämlich nur schwer, wenn er sie nicht beachtet…“ Da konnten sie gleich die Schlacht um Leben oder Tod anzetteln, es war nämlich nichts anderes, wenn sie loslegte.

„Dann soll er ihren Platz einnehmen, damit könnte er Kir wirklich beschützen, aber wahrscheinlich ist der Kerl sich zu schade dafür… Er ist ein Mann, sie eine Frau – sie ist unmöglich besser, als er.“

„Unterschätz sie nicht, trotzdem… Wenn man es vermeiden kann, sollte man es auch tun. Du bist nicht unter ihnen und weißt nicht, wie das ist. Sei bloß froh. Glaubst du, Kir würde ihm verzeihen, wenn er ihretwegen einfach so Menschen tötet? Da kennst du sie schlecht, sie verzeiht nicht einmal ihrem eigenen Vater…“ Hayato fänd es furchtbar, würde dieser Mann, den sie liebte, auch noch ihretwegen töten, wie schwach würde sie sich fühlen und wie schrecklich wäre die Qual, alleine schuld daran zu sein? Er glaubte nicht, dass sie so etwas jemals gut finden könnte…

„Du vergisst, dass ihr Vater sein Leben geopfert hat, um sie zu retten. Das zeigt doch nur, dass er sie geliebt haben muss. So ein Opfer zu bringen…“

„Ach sei ruhig, Aoi! Du weißt nichts von Liebe! Er tat das nur für Erfolg! Hätte er das nicht getan, wäre ihre Mission gefährdet gewesen! Nichts da mit Liebe, auch wenn er sie erst einmal gerettet hat! Das wird er nie wieder können, er hat sie im Stich gelassen, verdammt noch mal!“ Die letzten drei Worte spie er förmlich aus und haute zeitgleich mit der Faust auf das Lenkrad. Dass er Hidemis Vater nicht besonders gemocht hatte, war allzu deutlich.

Hidemi war nun ganz alleine in dieser Organisation und litt seiner Meinung nach – obwohl er das normalerweise nicht genau wissen konnte – schrecklich unter ihrer Gefangenschaft. Er war nicht bei ihr, aber kannte sie gut genug, dass sie diese Mission verteufelte. Und wie er sie kannte, tat sie so ziemlich alles dafür, um eine gute Tochter zu sein, ihren Vater nicht zu enttäuschen…

Dass er Ethans Tochter besonders mochte, war nicht der einzige Grund, weshalb er ihn hasste, es war die Tatsache, dass er eine Frau den Machenschaften dieser Bande ausgesetzt hatte, was seiner Meinung nach einfach unverantwortlich war. Wenn er so scharf auf Geheimnisse der Organisation war, wieso hatte er sich nicht selbst in ihre Reihen begeben?

„Sie ist nicht alleine, ich bin ja auch noch da und ich werde mein Möglichstes tun, um sie zu retten!“

„Komm nicht auf schwachsinnige Ideen! Du kannst sie nicht einfach da rausholen! Ich glaube ja langsam, dass dir nicht bewusst ist, welches Risiko du damit eingehen würdest! Ich finde es ohnehin unvernünftig, dass du es ganz offiziell gemacht hast, Kir besonders zu mögen. Vielleicht hältst du die Organisation für dumm. Die kommen dahinter, was euch verbindet, wenn du nicht vorsichtig bist. Und am Ende würde sie dich retten müssen und deswegen noch mehr Ärger kriegen! Ich gönne dir deinen Spaß ja, aber halt dich aus dieser Sache raus! Versuch bloß nichts im Alleingang.“

„Reg dich ab, Hayato! Ich bin hinter Cinzano her, sonst nichts. Ich will ihr etwas auf die Nerven fallen und ihr Angst machen, du weißt, das beherrsche ich wie kaum jemand.“

„Sie ist eine Mörderin, geh ihr besser mal nicht zu sehr auf die Nerven, wer weiß, zu was sie fähig ist, wenn sie erfährt, wo du hingehörst. Wer mit dem Feuer spielt, kann sich böse Verbrennen.“ Dass sie sich gerne überschätzte, wusste er ja. Sie ignorierte am liebsten, dass sie eine Frau war.

Seinen Warnungen zuwider, schwieg sie. Es war eine Anordnung des CIA, wahrscheinlich wusste er nicht, um was genau es bei diesem Auftrag ging. Man sagte ihm nicht besonders viel, hielt ihn nicht für zuverlässig genug. Es stimmte ja auch, dass er wenig für das CIA übrig hatte und deswegen oft quer schoss.

„Hast du gehört? Keine Alleingänge!“

„Ist ja gut – ich bin ja schließlich nicht dumm. Es wäre waghalsig, sich mit denen alleine anzulegen. Aber für den Fall der Fälle bin ich gerüstet“, sie kramte ihre Waffe hervor und hielt sie ihm unter die Nase. „Ich kann mich sehr gut wehren!“

Nicht, dass er seiner Schwester nichts zutraute, aber sie war tief in ihm drin sein kleines Mädchen, das er beschützen musste.
 

Der Abend neigte sich dem Ende und machte Platz für die schwarze Nacht. Jene Uhrzeit, welche für sie die Spannendste, die Aufregendste darstellte. In Tōkyō passierte um diese Zeit immer etwas, auch wenn keiner es sah, es ahnte. Es war ja schließlich nicht die Erste dieser Art, welche ihnen geboten war. Für Unwissende mochte eine Nacht wie diese überraschend erscheinen, die Geschöpfe der Nacht jedoch empfanden sie als normal, alltäglich, nicht sonderbar spektakulär.

Er hatte schon seit geraumer Zeit damit gerechnet. Dass sie kamen, um ihn zu holen…

Doch zu seiner Überraschung ging es diesmal nicht um ihn, nur durch eine Verwechslung hatten sie ihn gejagt und am Ende links liegen lassen, was ihn sehr überraschte, vor allem diese Frau, die sie förmlich zurückgepfiffen hatte…

Als er vollkommen durchnässt nach Hause kam und die Wohnung trist und verlassen wiederfand, erkannte er wieder, was es für ein Gefühl war, das er verspürte – Einsamkeit. Ihr Duft war längst verflogen, es fühlte sich an, als wäre etwas in dieser Wohnung mit ihr gegangen. Das Heimische, was er immer so geliebt hatte. Es fehlte schlichtweg etwas, etwas Wichtiges, welches sein Leben komplettierte. In der Dunkelheit voranschreitend, seufzte er tief und betätigte den Lichtschalter. Erschrocken blickte er auf die Couch, auf welcher jemand mit übereinander geschlagenen Beinen saß.

„Guten Abend, lang nicht gesehen, zu lang“, meinte sein Gegenüber mit einem monotonen Gesichtsausdruck, während Ryochi seine Fassung endlich wieder gewann und noch darüber grübelte, wie der Kerl wohl in seine Wohnung gekommen war…

„Ich kann nicht gerade behaupten, dass es mich freut, dich zu sehen – nur für den Fall, dass du das denkst!“ Dass Ryo so reagierte, hatte weniger damit zu tun, dass er dachte, er sei in seine Wohnung eingebrochen, sondern hatte mit Dingen zu tun, die ihn an dieser Person störten; er traute ihm nicht.

„Lässt du immer deine Wohnungstür offen stehen? Was ist los mit dir, Ryochi Akaja? Geht es dir an die Substanz, dass Shina Kudō verschwunden ist, weil sie deine Verlobte ist?!“ Der Mann, älter als Ryochi selbst, erhob sich von dessen Couch und kam auf ihn zu, wollte ihm die Hand reichen, doch der Jüngere schlug die freundliche Hand weg. „Spar dir das! Nur weil Sêiichî auf dich zu stehen scheint, muss das bei mir nicht genauso sein! Und jetzt komm zum Punkt, du willst mir sicher nicht Trost spenden, weil sie verschwunden ist!“

„Gerade frage ich mich nur, wo dieser Missmut herkommt, du tust geradezu, als hätte ich dir was getan.“ Dass es dem Blaugrünäugigen etwas ausmachte, hörte man und er senkte – ähnlich wie Sêiichî, wenn er sich etwas zu Herzen nahm – den Kopf.

„Als wenn es dich interessiert…“ Abwertend in seinen Worten und auch in seiner gesamten Handlung, bemerkte sein Gegenüber natürlich sofort, dass er ihn nicht sonderlich mochte – ohne den Grund zu kennen, war er freundlich gesinnt und hatte – anders als Ryochi wahrscheinlich dachte – keine bösen Absichten. Es wunderte ihn schon sehr, dass sich der nette, junge Mann ihm gegenüber so verhielt. Der Mann, den Sêiichî Iwamoto als den gutmütigsten Menschen der Welt bezeichnen würde.

„Ich wollte dich eigentlich um deine Hilfe bitten, das kann ich mir wohl sparen – hör mich aber wenigstens an… Die Sache ist heikel und eigentlich geht’s auch nicht um mich. Es geht um ihn!“ Das Ihn betonend, brauchte es nicht lange, bis Ryochi bemerkt hatte, um wen es da wirklich ging. Sein Gesichtsausdruck änderte sich mit einem Schlag, er hatte ihn doch für seine Verhältnisse ziemlich böse angesehen, nun prägte Sorge seine Gesichtszüge.

„Mach nicht so ein Geheimnis daraus, was ist mit Sêiichî?“

„Wie du weißt, habe ich sehr viel Zeit mit deinem Freund verbracht – ebenso mit seinem älteren Bruder, viel zu viel Zeit. Nun, das Problem ist, dass Takeshi einfach nicht vergessen kann. Sêiichî bildet sich immer noch ein, dass es sich um eine Art Hassliebe handelt, dabei geht er selbstverständlich davon aus, dass Takeshi ihn eigentlich liebt und ihn deswegen am Leben lässt. In seinem verspielten Kopf sind alle immer nur lieb und nett, das sind sie nicht, am aller wenigsten Takeshi Iwamoto, er hat nur im Sinn, seinem kleinen Bruder das Leben zur Hölle zu machen – diesmal plant er etwas Größeres und das hat mit Sêiichis Liebe zu Vermouth zu tun. Der Mistkerl ist doch längst durch Baileys und Teran dahinter gestiegen, was da abläuft, gleichzeitig könnte er seiner Mutter einen riesigen Gefallen tun und damit Sêiichî das Herz brechen, was er eigentlich plant. Und dann ist da noch dein Bruder, Yuichi, Sêiichî hat mir viel von den Auseinandersetzungen zwischen den Zweien erzählt, es sollen schreckliche Streitereien gewesen sein, das kann ich mir bei so einem Scheusal auch nicht anders vorstellen.“

Dass der ebenfalls braunhaarige Mann ihm geheime Pläne von Chardonnays Sohn erzählen wollte, konnte Ryochi nicht einfach so glauben. Er gehörte doch selbst zu Chardonnays Leuten und war sein treuer Diener, oder etwa nicht? Wie konnte Sêiichî ihm einfach so all diese Sachen anvertrauen? Er musste es wirklich besser wissen, dass sie seine Feinde waren – und der da wollte das wohl auch nicht so einfach akzeptieren.

„Ausgerechnet du willst Pinot hintergehen – bist du sicher, dass du nicht zu viele Tabletten genommen hast? Wieso sollte ich dir glauben?! Des Weiteren, lass Yuichi da raus!“

„Nein, lasse ich nicht, er ist der Erste, der sich wieder in die Konfrontation der Beiden einmischen wird, weil er es nicht lassen kann. Du willst deinen Bruder doch behalten, oder? Takeshi hat so ziemlich jeden Killer, den Chardonnay in die Organisation brachte, auf seiner Seite. Sofern es Chardonnays Pläne nicht gefährdet, sind sie fast alle bereit, alles zu tun, solange es nur blutig genug ist und Spaß macht. Das, was er damals in Amerika mit Sêiichî getan hat, hat Ausmaße angenommen. Glaubst du, dass er eine Chance gegen alle hat? Er ist alleine gegen sie alle.“

Es klang eigentlich plausibel, doch dieser Kerl, er konnte nicht einfach so diesem Mann vertrauen, er kannte ihn viel zu wenig und auf Sêiichîs Menschenkenntnis war eben nicht immer Verlass – obwohl er Polizist war, liebte er eine Killerin, das reichte bereits aus, um an ihm zu zweifeln, obwohl er das natürlich nie zu ihm gesagt hätte.

„Dass Pinot sich an Vermouth rantrauen würde, glaube ich nicht.“

„Ach, der hat sich schon an ähnliche Frauen rangetraut, Frauen wie Yakko Kajiwara, die er seiner Zeit aus den Armen seines kleinen Bruders riss, die beiden sind sich in gewissen Aspekten sehr ähnlich, sie ließ sich auch nie etwas von Männern bieten, da hat er sie angeschossen und vergewaltigt, auf die brutalste Weise, die wir uns wahrscheinlich nicht vorstellen können, nur Sêiichî hat eine Ahnung, was damals vorgefallen ist. Seinen Schilderungen zufolge, war es furchtbar…“ Die Sachen, die man ihm erzählt hatte, wollte er nicht mal in den Mund nehmen, so widerlich waren sie.

„Ja, Sêiichî hat es mir erzählt, aber woher weißt du das? Hat er sich dir auch anvertraut? Der hat doch eine Klatsche! Sorry, deine Sorge kaufe ich dir nicht ab… Nur was du bezweckst, ist mir echt schleierhaft. Was willst du mit deinem Yuichi-könnte-sich-einmischen-Gefasele wirklich erreichen?“ Seine Augen funkelten den Mann gemeingefährlich an.

„Ich will verhindern, dass Takeshi erfolgreich ist. Er hatte schon bei so vielen Menschen Erfolg. Meine Schwester hat er wahnsinnig gemacht, Yakkos Gefühlswelt zerstört, ihr Wahrnehmungsvermögen, Sojuro ist reif für die Klapse, weil Takeshi ihn ständig manipuliert hat, eigentlich manipuliert er alle, sogar Teran, nur merkt der das nicht wirklich, weil er selbst so verhasst auf Sêiichî ist.“

„Dass Teran das nicht merkt, will ich anzweifeln, er hält Pinot nicht für seinen Freund, sie haben lediglich ein paar gemeinsame Interessen, so ist er eben – ein durch und durch skrupelloser Typ, wenn es um seine Ziele geht. Vielleicht hat er sich auch von Pinot helfen lassen, Sh-“, Ryochi brach ab, er wollte es nicht aussprechen, schon gar nicht vor ihm, nur knapp konnte er sich den Satz verkneifen.

„Shina interessiert Pinot nicht, er würde sich höchstens mit ihr beschäftigen, weil sie genauso eine Kratzbürste sein kann, wie eine gewisse Yakko, aber das ist Pinots eigene Schwäche, die er ungern zeigt. Ich will ihn stoppen, er soll zurück ins Gefängnis, wo sie ihn rausgeholt haben, um ihn für ihre Zwecke zu benutzen. Natürlich ist er dem Boss dankbar für seine Befreiung und würde so ziemlich jede Schandtat begehen, einer für’s Grobe, so wie Gin, nur mehr frauen- als menschenfeindlich.“

„Ich würde ihm das auch niemals durchgehen lassen, selbst wenn Sêiichî dann ausflippen würde – Rücksicht ist bei Pinot nicht gefragt, der Kerl gehört eingesperrt, da gebe ich dir Recht.“ Den Rest dachte er nur noch: ‚aber wenn es sein müsste, würde ich ihn auch erschießen – ein Übel weniger, das die Welt nun echt nicht benötigt.’ Ryochi hoffte, dass Sêiichî niemals dahinterstieg, dass er so über seinen Halbbruder dachte. Er wäre nur aufgebracht, weil er ihn einfach nicht hassen konnte und sich noch immer die Schuld daran gab, dass Takeshi so geworden war.

Dass Ryochi genau diese Gedanken hatte, meinte er ihm ansehen zu können, außerdem kannte er ihn ja selbst aus Kyoto gut genug, um ihn einzuschätzen, wie weit er in Sêiichîs Fall gehen würde – er war ja weder dumm, noch blind. Er selbst würde genauso handeln, irgendjemand musste Sêiichî ja beschützen, wenn er es selbst nicht konnte… Außerdem hatte er gute Gründe ausgerechnet zu Ryochi mit diesem Problem zu kommen. Er wollte ja nicht, dass Carpano und Pinot sich gegenseitig umbrachten…

„In Amerika habe ich einiges mitbekommen! Ich kannte Takeshi vor Sêiichîs Geburt, er war ein normaler Junge, bevor ihn der Neid und Hass zerfraß, weil seine Mutter ihn vernachlässigte. Wie das eben ist, wenn ein Neugeborenes da ist.“

„Das ist kein Grund, so auszuticken, also nimm ihn gefälligst nicht in Schutz!“

„Ach… Das ist der Grund? Deswegen misstraust du mir! Menschen lernen dazu, Ryochi. Ich war ein kleines Kind, als ich mich mit Takeshi anfreundete – dummerweise vertraut er mir deswegen noch immer, er käme nicht einmal auf die Idee, dass ich Sêiichî helfen würde… Man, der wäre vielleicht entsetzt.“

„Dir kann keiner trauen, hast du ja eben bewiesen, auch wenn du in dem Fall Takeshi Iwamoto hintergehen willst. Aber mal was anderes: Wie soll ich dir in dem Fall helfen? Was genau erwartest du nun von mir? Soll ich dem störrischen Sêiichî vielleicht klarmachen, wie sein Bruder wirklich ist? Weil ich einen großen Einfluss auf ihn habe? Oder was schwebt dir vor?“ Er machte sich irgendwo ja lustig, es hätte genauso gut so kommen können, dass sich Sêiichî innerhalb der Organisation einen passenderen Freund suchte, aber in dem Punkt war er eine viel zu treue Seele.

„Ich habe da einen guten Freund… Caprino. Er wurde von Chardonnay dazu gezwungen, sich Riina Takagi zu nähern. Er ist gezeichnet von Pinots Taten, er hat mich ursprünglich auf die Idee gebracht, wie wir Sêiichî helfen könnten. Er würde sich mit ihm zusammen tun, wäre da nicht sein bester Freund, der wie ein Bruder für ihn ist… Kommt dir das nicht auch irgendwoher bekannt vor? Takeshi hat vor, Yuichi aus dem Weg zu schaffen, dich zu holen und dich vor Sêiichîs Augen zu foltern. Das hat er damals auch mit Caprinos Freund gemacht, der arme Kerl hat nun eine Behinderung und ist für’s Leben gestraft. Ich dachte, dass ich… dieses… Unheil… von euch abwenden kann“, gegen Ende war die Stimme des Blaugrünäugigen sehr leise und bruchstückhaft geworden, die Vorstellung gruselte ihn. „Wenn er dich fertig macht, macht er Sêiichî fertig. Wenn er es dann noch schafft, einen Keil zwischen ihn und diese Frau zu treiben, und sei es, dass er ihr Schmerzen zufügt… Sêiichî würde entweder sein Herz verlieren oder Selbstmord begehen, weil er es nicht verkraften würde, euch nicht retten zu können. Jedenfalls ist Pinots größter Traum, dir, Ryochi Akaja und Vermouth wehzutun, weil er damit Sêiichî am meisten Schmerzen zufügen kann. Noch dazu weiß er von Dingen, die Sêiichî besser niemals erfährt. Es gibt nämlich Dinge, die diese Frau konsequent vor ihm verheimlicht, nicht aus purer Boshaftigkeit, sondern weil es ihn zu sehr verletzen würde.“

„Liegt es daran, dass du in Amerika gewohnt hast, dass du so viel weißt?“ Obwohl die Frage bereits beantwortet war, wollte Ryochi noch einmal eine Bestätigung.

„Ja – Sharon Vineyard und Kenichi Iwamoto...“ Es war sowohl eine Antwort auf die Frage, als auch auf das, was Sêiichî nicht verkraften würde, er aber nicht länger verkneifen konnte, da es aus ihm heraus wollte.

Als wenn Ryochi DAS geahnt hätte, er wusste ja, dass Merlot – also Sêiichîs Mutter – und Vermouth nicht gut aufeinander zu sprechen waren, aber dass DAS der Grund war, waren nun keine Spekulationen mehr, sondern die Wahrheit, eine Wahrheit wie es eigentlich traurig war, dass er es nicht wusste.

„Du unterschätzt Sêiichî, er kann alles schönreden, und wenn er sagen würde, dass sie nun nicht Sharon ist. Er findet immer etwas, um ihr Verhalten - und sei es noch so furchtbar - zu entschuldigen. Er sagt auch gerne: Sie muss das tun. Oder: Man zwingt sie dazu!“

Der gebürtige Amerikaner schloss die Augen, denn er konnte sehr gut nachvollziehen, warum Sêiichî diese Dinge sagte, er kam sich damit nicht so furchtbar schlecht vor. Er war eben Polizist und trat seine Prinzipien seit Jahren mit Füßen – aber ein normaler Bulle war er nie gewesen. Er war schon immer der Auffassung gewesen, dass Menschen – wenn notwenig – töten durften. Dieses Recht hatte er sich ja auch einfach rausgenommen.

„Unsere Eltern waren eng befreundet, wir Kinder mussten ja mitkriegen, was zwischen Sharon und Yohkos Mann ablief, es war so offensichtlich, wenn auch für Kinderaugen scheinbar unsichtbar, so oft wie Yohko auf hundertachtzig war… Diese Frau findet wohl verheiratete Männer am interessantesten. Es ist nahezu ein Wunder, dass sie Sêiichî interessant findet, der ist ja weder verlobt, noch verheiratet, oder sonst was.“

„Aber nicht treu – da kann sie ihn noch erziehen, scheint auch interessant zu sein“, Ryochi seufzte, manchmal war er diese Spielchen wirklich Leid. Sie spielte mit Sêiichî und er ging drauf ein, statt dass sie ihm mal klare Regeln gemacht hätte, war es ein einziges auf und ab. Mal waren sie glücklich, mal nicht, je nach Laune der guten Frau…

„Er ist ein treues Seelchen, ich hoffe ihr ist klar, dass er wohl alles für ihr Wohl tun würde.“

„Ich glaube, das weiß die Alte ganz genau und nutzt es schamlos aus, es ist doch so offensichtlich, Sêiichî kann das nicht vor ihr verstecken, vor ihr schon gar nicht. Sie wickelt ihn doch um den kleinen Finger. Und er lässt es mit sich machen.“

„Aber er ist nicht alleine… Ob sie die Richtige ist, sei mal dahingestellt. Ich hoffe, dass er ihr nicht zu sehr vertraut und am Ende enttäuscht wird.“

„Das muss sie nicht machen, das schafft er schon alleine. Alleine deswegen, dass es ausgerechnet sie sein muss, sie oder keine. Wahrscheinlich würde er nach einer Trennung abstinent werden, dem traue ich in dem Fall alles zu. Er hängt schon seit mehr als 6 Jahren an ihr, solange hing er an keiner, das ist ein Zeichen.“ Bei einem notorischen Fremdgänger wie Sêiichî war es das wirklich.

„Ich weiß, dass er wohl für sie ins Gras beißen würde, eine solche Liebe macht das Leben lebenswert.“ Dass er sich nach einer solchen Liebe sehnte, war kaum zu überhören, er hatte wohl weniger das Glück, nicht alleine sein zu müssen. „Ich sollte das nicht sagen, es sind schon viele Männer für ihre Frau gestorben, weil sie sie einfach zu sehr geliebt haben, das ist alltäglich bei uns… Oder die Frauen, weil sie ihre Familie beschützen wollten und kläglich daran scheiterten…“ Nun drehte er den Kopf zur Seite und man sah für einen Moment die Trauer in seinen Augen aufblitzen, die er nun zu verbergen versuchte. Kazuki Aisawa war älter als Sêiichî selbst, er hatte Kinder, war verheiratet gewesen. Er wusste gar nicht, die wievielte Frau sie ihm schon umgebracht hatten, nur um ihn zu erziehen, eigentlich konnte er einem Leid tun.

„Wie glaubst du, soll ich verhindern, dass sie sich gegenseitig umbringen? Die Frage stelle ich dir jetzt bereits zum wiederholten Male, also was ist?!“

„Ihn jagen und einsperren… Ihm die Polizei auf den Hals hetzen… Ich habe sie selbst aus verschiedenen Gründen am Hals, es wäre nicht ratsam, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Wataru Takagi wäre außerdem weniger angetan davon, mich wieder sehen zu müssen.“

Was auch immer Kazuki angestellt hatte, es konnte nichts Gutes sein und da er zu Chardonnays Leuten zu gehören schien, ging ihm da recht schnell ein Licht auf. Der alte Sack hatte Kazuki auf Riina, seine Tochter angesetzt, weil es zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte.

„Ich bin nicht Wataru, aber“, Ryochi ergriff Kazuki am Kragen und blickte ihm tief in die Augen, „ich mag Riina – was hast du ihr angetan, dass Wataru nicht angetan von dir ist? Hast du es wie die anderen Scheißkerle gemacht?“

Kazuki war etwas verblüfft, er hatte geradezu das Gefühl Riinas Bruder vor sich zu haben. „Beruhig dich, ich habe nichts mit ihr gemacht. Das konnte ich gar nicht, sie ist ein so liebes Mädchen gewesen. Das Einzige, was mir vorzuwerfen ist, wäre, dass ich mir ihre Freundschaft erschlichen habe. Dass ich ihr Mitleid erregt habe, um das zu erreichen. Aber ich habe sie nicht angerührt, ich schwör’s. Ich fühle mich, als würde ich mit Wataru reden.“

„Ich habe auch eine Schwester und was dieser Mann mit Riina vorhat, ist eine Schweinerei! Kerle, die da mitspielen, verachte ich zutiefst! Wie kann man seiner eigenen Tochter so was bloß antun wollen?“

„Kerle, die da mitspielen? Wer sagt, dass sie mitgespielt haben? Die meisten fanden sie nett und haben sich wirklich in sie verliebt. Einer von ihnen war so verliebt in sie, dass er etwas mit ihrer Cousine angefangen hat, nur um sie nicht mal im Affekt falsch anzurühren. War nicht gerade eine Glanzleistung, das weiß er mittlerweile selbst.“

Dass sie ganz offensichtlich von diesem Juro Hideaki sprachen, dachte sich Ryochi, nur leider war ihm dessen Codename völlig unbekannt, sonst hätte er dem auch gleich noch was gehustet für seine Blödheit. Wie konnte man so dumm sein, diese Leena in einem Parkhaus durchzunehmen, nur um deren Cousine nicht zu enttäuschen, wie bescheuert war das? Nur weil er nicht stark genug gewesen war, es auszuhalten…

„Juro hat ihr Herz gebrochen – das hätte er wissen sollen, dass sie so reagiert, wenn er ihre Cousine besteigt. Was glaubst du, hat sie da gefühlt? Sie wurde immer nur betrogen, zum Glück vertraut sie jetzt den richtigen Männern…“

„Na hoffentlich nicht wieder einen, den Papa ihr geschickt hat.“

„Ich kann dir zu hundert Prozent versichern, dass er aus freien Stücken zu ihr gekommen ist.“

Natürlich erregte er Kazukis Neugierde, welche Ryochi jedoch nicht befriedigen würde, er würde ihn schön im Dunkeln tappen lassen. „Ich werde mir die Sache vorknöpfen, sei unbesorgt, mein Vater beschäftigt sich bestimmt gerne mit Sêiichîs Problem-Brüderchen. Versuch du den Irren auszuspielen, damit könntest du deine Loyalität beweisen. Um meinen Bruder kümmere ich mich selbst, er hat einen Takeshi-Hass, wird schwer zu bremsen sein.“

„Dass er den hat, weiß ich, das ist ja das Schlimme. Deswegen bringen die Zwei sich noch mal gegenseitig um.“

„Besser du gehst jetzt, es wäre etwas unglücklich, wenn dich jemand bei mir erwischt“, es war auch so, dass er ihn loswerden wollte, weil er, so dumm es vielleicht klang, doch etwas eifersüchtig darauf war, dass dieser Mann und Sêiichî sich hinter seinem Rücken trafen und sein bester Freund nie ein Sterbenswörtchen darüber gesagt hatte, dass sie so eng befreundet waren, er fühlte sich ein kleines bisschen sogar hintergangen.
 

Unterdessen verstand ein braunhaariges, 17-jähriges Mädchen die Welt nicht mehr. Schon seit diesem Anruf hatte sie geahnt, dass fürchterliche Dinge passiert waren, sie spürte so etwas immer. Jedes Mal, wenn ein Menschenleben für immer zu verschwinden drohte, beschlich sie dieses unheilvolle, grässliche Gefühl der Hilflosigkeit. Das Krankenhauspersonal hatte ausnahmsweise gestattet, dass sie um die späte Uhrzeit noch blieben, wenn sie sich ruhig verhielten. Auf dem Weg hatte sie Eisuke getroffen, für welchen komplett die Welt unterzugehen schien. Es war nicht der erste Tag in dieser Woche, dass er sich Sorgen um seinen Bekanntenkreis machen musste.

„Erst Alan und jetzt Miho, ich versteh die Welt nicht mehr“, Eisuke griff sich an den Kopf, er schmerzte und es wollte einfach nicht aufhören.

„Ich verstehe, was du meinst“, erwiderte Ran und tätschelte seine Schulter, auch wenn es dem Jungen wohl wenig half. Sie kannte diesen Alan kaum, er ging in die Parallel-Klasse ihrer Schule und war Austauschschüler, ebenso wie ihr Klassenkamerad Eisuke. „Andauernd sterben Menschen um uns herum, mein Vater zieht so etwas an, wie ein Magnet - und ich auch“, meinte die 17-jährige mit einem traurigen Gesichtsausdruck. Egal, wo sie hinkamen, es kamen Menschen ums Leben.

„Hört bloß auf, mit diesem Geschwätz, keiner ist vom Pech verfolgt, das ist nichts als Aberglaube“, widersprach ihnen eine hohe, süßliche Stimme, welche Ran sofort Wakana Suzuki zuzuordnen wusste. „Miho selbst hat dieses Unglück doch herbei geführt, sonst niemand – sie wollte gehen…“

Eisuke kniff die Augen zusammen und fing mit einem Mal zu zittern an, es war voraussehbar, dass er Wakana wohl anschnauzen würde für diese sehr unpassend gewählte Aussage. „Das war kein Unfall! Das war, das war kein Unfall“, wiederholte er und gestikulierte mit den Händen vor dem Körper der beiden Mädchen. „Miho würde sich doch niemals das Leben nehmen! Sie war immer dankbar für jeden Tag! Das hat jemand herbeigeführt!“ Er war fest davon überzeugt, dass es sich um einen Mordanschlag handelte. Der sonst eher heitere Junge war in schwarzen Gedanken versunken, ständig musste er daran denken, es verfolgte ihn wie der Jäger sein Tier. Er war total außer sich und schnaufte.

„Sag mal, geht’s noch? Du kannst doch hier nicht so rumbrüllen!“ Wakana baute sich vor dem ungehobelten Jungen auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Warum will das keiner sehen? Shoji-san hätte SIE auch niemals alleine gelassen! Erst haben sie ihn geholt und nun wollten sie auch seine kleine Schwester holen!“ Wo Wakana nur einen Ausraster sah, bemerkte Ran auch die Angst, die ihr Freund zu haben schien, als er von ihnen zu sprechen begann.

„Wenn das stimmen sollte, dann finden wir es heraus – ich und Paps – keiner soll ungestraft davon kommen. Aber bitte beruhig dich erstmal.“

Der schnelle Atem, das Verkleinern seiner Pupillen, das blasse Gesicht, sein Herzklopfen – für Ran waren das eindeutige Indizien für Eisukes Angst.

Dass er Panik machte, bemerkte der 17-jährige nun selbst und verließ in Windeseile das Zimmer, Ran und Wakana sahen ihm nach.

„Was ist denn mit dem bitte los? Zu viele Horrorfilme?!“

„Nein, zu viel Realität“, meinte Ran traurig und wischte sich ein wenig Schweiß von der Stirn. Sie konnte ihn verstehen, seine Ängste, seine Gedanken, all die Dinge, welche er gesagt hatte. Aber das sie, was es enthielt, war ihr noch schleierhaft. „Sonoko und ich haben schon oft erlebt, dass Menschen um uns herum umgebracht wurden, es ist also nicht auszuschließen, dass es sich um solche Fälle handelt. Eisukes Einwände sind nicht aus der Luft gegriffen – ich für meinen Teil glaube nämlich auch nicht, dass Miho so etwas tun würde.“

„Ach Sonoko, die hat nur ihre Stars im Kopf, deswegen ist sie ja nicht hier.“ Die Bitterkeit und das Unverständnis für besagte Person verkündend, blickte Wakana Ran noch nicht einmal an – was ihre Cousine sich heute geleistet hatte, war unglaublich.

„Sag das bitte nicht – ich konnte sie nicht mal erreichen – hoffentlich geht es ihr gut. Ich traue den Leuten nicht, mit denen sie weggegangen ist.“ Dass aufrichtige Sorge der Grund für Rans Worte war, konnte man an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, sie war eben ein liebes Mädchen, das nun auch Wakana zu einem Lächeln brachte und ihr mehr Aufmerksamkeit schenken ließ.

„Ihr passiert schon nichts. Die Doofen trifft’s nie“, es war noch nicht einmal wirklich böse gemeint – aber so einer wie Sonoko würde schon nichts zustoßen.

„Es war beruhigend zu wissen, dass du bei ihnen sein würdest, aber nun bist du hier. Was wenn diese Aiko Misae sie zu irgendwelchen Sachen überredet?“

Wakana konnte schon nachvollziehen, was Ran mit ihren Worten andeuten wollte, sie selbst fand diese Aiko auch nicht sonderlich sympathisch, sie schien in jeder Hinsicht ein falsches Stück zu sein. Aber schlimmer noch fand sie Shiori…

„Ich für meinen Teil denke nicht, dass sie sich zu irgendwelchen Drogengeschichten verleiten lässt.“ Der Satz brachte das Fass zum Überlaufen, Rans Augen weiteten sich augenblicklich. Es war als wenn sie diese Sachen geahnt hätte.

„Ich hab’s gewusst! Ich wusste, dass sie so eine ist. Aber Sonoko will ja nicht hören! Sie findet Aiko toll!“

„Ja, solange bis sie ihr den besten Typen vor der Nase wegschnappt… So ist sie nämlich. Skrupellos und link. Sie will immer die Beste sein, die Frau, die am meisten begehrt wird, deswegen gibt sie an, wie eine Tüte Mücken, dass sie ein paar Stars gut kennt! Sie reibt es jedem unter die Nase und prahlt damit.“ Diese Kuh war das reinste Brechmittel, aber so musste sie es der armen Ran ja nun auch nicht an den Kopf werfen.

„Und Sonoko springt drauf an. Kannst du ihr denn nicht mal ins Gewissen reden?“

„Wenn sie morgen wieder da ist, wird sich das erübrigt haben. Weil dieses Weib grundsätzlich jedem die Stimmung vermiest, es sei denn, man spielt mit ihren Regeln. Das heißt: Drogen und Sexorgien. Bei beidem wird mein Cousinchen kaum mitspielen. Wenn diese Hexe ihr wahres Gesicht zeigt, wird sie aufwachen.“

Was auch immer Wakana bezüglich Aiko erlebt hatte, es klang widerwärtig, so dass sich bei der Schülerin fast der Magen herumdrehte. „Natsumi hat mir erzählt, dass Aiko es auf Shinichi abgesehen hat… Glaubst du, dass das stimmt?!“

„Ich wüsste nicht, seit wann sie auf Kinder steht, nichts für ungut, aber mittlerweile traue ich ihr auch zu, dass sie ihn wie eine Schlange ins Paradies lockt.“ Die Stimme des Mädchens mit dem Pferdeschwanz war noch abfälliger geworden.

„Das soll sie wagen“, Rans Blick wirkte vernichtend, als ihre Faust die Wand grüßte. So eine Tussi würde sie nicht ungestraft an ihren Freund lassen.

Ran war süß, wenn sie wütend war, fand zumindest die 20-jährige. „Ich glaube ja nicht, dass Shinichi so doof wäre, auf sie anzuspringen, der hat doch nur eine bestimmte Person im Kopf.“

Ran schenkte Wakana einen verwirrten Blick, was dieser wiederum verriet, dass die Kleine nicht wusste, welche Person sie damit gemeint hatte. Oder sie wollte es nie wahrhaben.
 

Da es dunkel war, konnte das Mädchen mit dem Haarreif kaum etwas erkennen. Es war spannend und aufregend, bisher jedenfalls empfand sie das so. Der knapp einen halben Kopf größere, junge Mann hatte sie einfach in dieses Zimmer geschoben, sie spürte seinen Körper an ihrem, wie er sich an sie presste und die Hände um sie schlang.

„Wo… Wo sind die anderen denn jetzt eigentlich?“

„Die beschäftigen sich eindringlich mit dem Sänger, wir sind ganz alleine hier“, raunte ihr diese unglaubliche Stimme ins Ohr, sie bekam Gänsehaut. Er hatte eine markante, aber nicht aggressive Stimme, sondern klang ein klein wenig spitzbübisch, was ihr klar sein ließ, dass er nicht so viel älter als sie selbst sein konnte.

„Wie… Wie alt bist du eigentlich?“ fragte Sonoko ganz vorsichtig nach. Sie war zu aufgeregt, um klar zu sehen. Dieser Typ war einfach göttlich, sie vergaß gänzlich, dass es auch gefährlich war, einfach so mit einem Mann in ein Zimmer zu gehen.

„Ist das wichtig?“

„Es interessiert mich.“

„Ich bin 22 – und du bist 17, stimmt’s? Du bist die Tochter von Shirō Suzuki, dem Chef der Finanzgruppe.“ Seine Worte hatten einen bestimmten Grund, er wollte nicht bloß mit seinem Wissen prahlen.

„Ich wusste gar nicht, dass die Leute mich so schnell erkennen… Jetzt bin ich aber beeindruckt.“

„Ein hübsches Mädchen aus dem Fernsehen vergisst man so schnell nicht.“

In ihr Gesicht trat eine übernatürliche Röte, seine Worte machten sie total verlegen. Seine Hand legte sich sachte unter ihr Kinn. „Du weißt sicher, was ich jetzt tun werde…“

„Ich glaube schon…“ Verunsichert und fast gelähmt vor Aufregung ließ sie es geschehen. Den teuren Tabak, den er wohl rauchte, sie schmeckte ihn, es machte ihn auf einmal so männlich, dass sie beinahe der Angst erlab, dabei war sie nie sonderlich ängstlich gewesen… Dachte sie jedenfalls. Ihr Körper wanderte schneller gegen die Wand, als sie aufatmen konnte. Seine Arme erdrückten sie beinahe, sein Körper gab ihr keinerlei Einfluss darauf, was sie taten, er hatte die totale Gewalt über sie. Bewegungsunfähig, klopfte ihr Herz wilder, da er keine Zeit verlor, um sich über ihren Hals herzumachen. Sie drückte ihm sanft gegen den Brustkorb. Doch als das nichts brachte, schob sie die Hände zu seinen Handgelenken und versuchte es dort, sie streifte etwas Kaltes, Metallisches und blickte runter. Ein Armreif – etwas, was normalerweise keine Rolle spielen sollte, doch sie blieb daran haften. Das Licht des Mondes, welches in das Zimmer hineinschien, ließ ihn aufblitzen. Es war ein Armreif, wie ihn nicht viele Leute trugen – und an diesen hier würde sie sich immer erinnern, er war extravagant – sie hatte einen solchen bisher nur einmal gesehen – zu eindeutig, um ein Zufall zu sein.

‚Sicher hast du dich getäuscht, es ist ja auch sehr dunkel’, versuchte sich das Mädchen selbst zu beruhigen, aber die Art wie er sie gegen diese Wand presste, löschte das letzte bisschen Zweifel aus. Er war es…

Dass sie unruhiger wurde, spürte der 22-jährige, was ihn ein fieses Lächeln zeigen ließ – sogar löste er seine Lippen von dem Mädchen. „Endlich erinnerst du dich an mich – ich dachte schon, das wird nie etwas!“ Ihre Ängste bestätigte er mit diesen Worten und ließ ein Zittern durch ihren schlanken Körper fahren, er genoss es, sie so in Angst und Schrecken zu versetzen.

Mit einem Ruck und dem Umschlingen ihres Körpers mit den Händen trug er sie quer durch den Raum und warf sie rücksichtslos ins Bett. Den Versuch aufzustehen, vereitelte er, indem er sie zurück aufs Bett drückte. „L-Lass mich in Ruhe! Ich sag auch keinem was!“

„Du weißt wohl nicht, was du da redest! Du wirst keinem was sagen, dafür sorge ich schon… Was glaubst du eigentlich, warum ich mich einer eingebildeten Pute wie dir überhaupt nähere? Eigentlich bist du es nicht wert, aber es gibt so gewisse Leute, die wollen dich unbedingt haben! Ich soll dich bloß zu denjenigen bringen – ein bisschen Spaß muss man mir doch auch mal gönnen!“

Woraus dieser Spaß bestehen sollte, hatte er schon das letzte mal allzu deutlich gemacht, indem er ihr unanständig auf die Pelle gerückt war. Sie hatte geschrieen, ihn gekratzt und gebissen, sogar um sich geschlagen. Und dann dieses Auto, die Rettung. Sie wäre wohl in jedes Auto gesprungen, selbst wenn sie die Person nicht gekannt hätte. Sie wäre in das Auto eines total Fremden eingestiegen, nur um den beiden Kerlen zu entkommen. Und nun war sie mit einem von ihnen in diesem Zimmer, alleine, hilflos, ausgeliefert.

Grob nahm er ihre Hände in Gewahrsam und drückte seinen schweren Körper zwischen ihre Schenkel, ihre Hilfeschreie erstickte er in einem Halstuch, welches er noch um den Hals getragen hatte.

Doch sie blieben nicht ungehört…
 

Drei Männer, die durch den Flur liefen, hörten sie zwar nicht sofort, sie waren damit beschäftigt, beide nicht den Boden zu grüßen. Zwei von ihnen stützten den anderen, welcher kaum noch alleine gehen konnte. „Irgend-wann bring ich dies-es Weibs-stück u-hum!“ lallte der Braunhaarige und warf seinen Bekannten beinahe um, als er sich an ihn hängte. „Was denkt die, wer sie is’, das Filittchen…?“

„Ja, is’ gut, wir sind gleich da…“

„Er ist voll hinüber!... Ich glaube, wir sollten ihn ins Bett schaffen.“

„Ja, das wird das Beste sein.“

„Da ist ein Zimmer…“ Der Schwarzhaarige an der Seite des anderen, ergriff die Türklinke und dann konnte er diese verdächtigen Geräusche hören.

„Was zum…?“ Nun drückte der Braunhaarige die Klinke hinab und Licht kämpfte sich durchs Zimmer, bot ihnen den Anblick der Schülerin auf dem Bett. „Ich glaub, es hackt!“ Er drückte seinen Bandkollegen dem anderen förmlich in die Arme und stürzte sich auf den Mann, der sich in den Augen desjenigen an der Schülerin vergehen sollte. „Dass du dich das traust, du Wichser!“ Ihn an den Haaren packend, riss er ihn brutal von dem Mädchen weg und sorgte mit einem Fausthieb dafür, dass der 22-jährige inmitten des Nachttisches krachte und eine Lampe hinabriss, welche am Boden zerschellte.

Das hatte gerade noch gefehlt. Shin, der Mädchen nötigte und ein angetrunkener Sänger, der diesen ohnehin auf den Tod nicht ausstehen konnte… Und dann war er auch noch etwas verhindert, immerhin musste er ihren Bandkollegen, der total betrunken war, auch noch Beachtung schenken.

„Ja, scheiße, kloppt euch… macht euch gegenseitig alle… ach is’ mir egal… euch ist eh nicht zu helfen“, er gab ein Seufzen von sich. Es war ja eigentlich ironisch gemeint, um ihm zu sagen, er solle bloß nicht schon wieder ausflippen. ‚Arg, ohne eine ordentliche Dosis ist er nicht genießbar! Das gibt blaue Flecken, Shin und dann schmollst du wieder und redest kein Wort mit ihm!’
 

Durch die Streiterei im Zimmer kamen auch bald zwei weitere, neugierige Leute angerannt und schauten nach dem Rechten. Alles, was sie nun sahen, war einen ausflippenden Kerl in Rage, dem sie ohnehin wenig Respekt beziehungsweise Vertrauen entgegen brachten. Da es nicht das erste Mal war, dass derjenige so aus der Haut fuhr, brach eine der beiden Leute nun endgültig in Tränen aus. „Du bist ein Ekel – kannst du dich mit deiner eigenen Band nicht vertragen?!“ Sie rannte davon, weg von diesem Typen, der nur Gewaltausbrüche fertig brachte und ihr momentan einfach Angst machte.

Teru sah der jungen Frau bestürzt nach, sie missverstand die ganze Situation, aber das taten jawohl alle.

„HÖRT ENDLICH AUF!“ brüllte er nun ungehalten in den Raum hinein, was den anderen doch erreichte, welcher Shin am Kragen hielt und noch einmal kurz schüttelte. „Mit dir bin ich fertig! Für Kerle, wie dich ist kein Platz hier bei uns, verpiss dich!“ Am liebsten hätte er ihm mitten in die Klöten getreten, er sah nur noch rot und musste eiserne Beherrschung aufbringen, ihn nicht mit bloßen Händen zu erwürgen.

„Ohne mich seid ihr nichts! Ich mach mein eigenes Ding! Du kannst einpacken, Ikezawa, mit deiner elenden Arroganz und Selbstherrlichkeit wird dir nichts bleiben! Am allerwenigsten Mitsuki!“

„Halt – dein – Maul!“

Der Menschenauflauf im Zimmer war von der einen Seite beruhigend, auf der anderen war es so laut, sie schrieen sich an, doch sie sah auch, dass man sie gerettet hatte – ausgerechnet dieser ausgeflippte Irre hatte sie gerettet.

Den Blick, welchen Juurouta Ikezawa ihr schenkte, er wirkte, als würde er sie für total billig und verdorben halten – all das, was er ausstrahlte, seine grausamen Augen, die so schnell sich abwandten, seine Stimme, die sich so teilnahmslos an sie richtete. „Hör auf zu flennen, heulende Weiber kann ich nicht ertragen!“

Als sie das hörte, fing sie erstrecht an zu weinen. Sie wussten ja gar nicht, was dieser Kerl zusammen mit einem anderen vorgehabt hatte. Entführen wollten sie sie, aber erst noch mal so verletzen, weil das ja Spaß machte. Einzig und allein der Bassist näherte sich Sonoko und setzte sich neben sie, mit seinem Kumpel, den er noch immer mit sich herum schleifte. „Sei ihm bloß nicht böse, er kann keine Frauen weinen sehen… schon gar nicht, wenn Shin Sakurai der Grund ist.“

Den Namen hätte sie früher oder später sowieso herausgefunden, aber dass der Schwarzhaarige mit Sonnenbrille ihn freiwillig rausrückte, war gut – sie würde mit Takagi darüber reden, was ihr widerfahren war, das hätte sie schon längst tun sollen…
 

Zur etwa gleichen Zeit befand sich Kazuha auf dem Weg ins Präsidium, in der Hoffnung, dass Heiji noch immer dort sein würde. Irgendwie fand sie ihren Aufzug ja peinlich, bestimmt würde er sie auslachen…

Während das Mädchen noch über solche belanglosen Sachen schmiedete die Person hinter ihr ihren Plan weiter und grinste dabei schon teuflisch in sich hinein, weil die Kleine ebenso ahnungslos war, wie ein unschuldiges Baby. „Sag mal, Kazuha-chan“, meinte die Rothaarige in einem harmlosen Ton, der ihre gespielte Unschuld darbot, die sie zweifelsohne nicht besaß. „Was tust du, wenn er anbeißt? Wirst du ihn vernaschen?“

Die Schülerin lief rot an und blieb abrupt stehen. „Für was hältst du mich?“

„Du bist doch eine Frau, nicht? Frauen sehnen sich manchmal nach so was. Du bestimmt auch! Nun tu doch nicht so unschuldig…“

„Ich bin nicht, wie diese Katsumi“, verteidigte sich Kazuha, „ich würde mich niemals auf ihn stürzen, so was macht man nicht.“

„Ach – nur weil es sich nicht schickt?“ Die Rothaarige begann zu lachen und blieb neben der Schülerin stehen. „Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse Mädchen jedoch überallhin, das Sprichwort solltest du dir merken! Es macht Spaß einen Mann unter Kontrolle zu haben. Stattdessen lässt du dich von ihm kontrollieren. Entzieh ihm seine Kontrolle! Ihm gehört’s mit der Peitsche, sein Vater würde dir da sicher rechtgeben!“

„Er hat auch seine guten Seiten.“

„Mhm… wir werden sicher bald erfahren, wie viel du ihm wirklich bedeutest“, man hätte ihre Fratze auch sehen können, ohne sie anzublicken. Die Stimmlage, welche die 22-jährige angenommen hatte, verriet es schon, wie sie wohl gerade guckte. Und als Kazuha sich zu ihr herumdrehte, blickte sie in eine Waffe, die auf ihr Gesicht zeigte. „Zum Beispiel, wenn ich ihm offenbare, dass eine Knarre auf dich gerichtet ist, mein Schätzchen! Bist du nicht auch gespannt darauf, wie er reagiert?!“

Der Angst ins Angesicht zu sehen, war sie gewohnt. Mit Heiji an ihrer Seite, wusste sie, wie es war, in Angst und Schrecken zu leben, er hatte sie schließlich schon so oft in brenzlige Situationen gebracht, auch wenn er es gar nicht wollte. Ihre Augen waren zwar groß, doch bemerkte die Killerin sofort, dass sie kein ängstliches Mädchen war, das sofort beim Anblick eines Revolvers in Panik ausbrach. Die Tochter eines hohen Polizeitiers eben. Das war auch der springende Punkt: Sie war Tōyamas Tochter. Nur deswegen wurde sie jetzt von der jungen Frau bedroht. Man konnte gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, der Boss würde begeistert von ihrer Arbeit sein und sie bestimmt noch einmal befördern, wenn sie ihm den kleinen Hattori und seine Freundin präsentierte…

Surreality

Ich tat mein Bestes

um euch zufrieden zu stellen

Aber mein Bestes war niemals gut genug

Irgendwie seid ihr nur imstande zu sehen

was ich nicht bin
 

Habt ihr jemals zurück gesehen?

Fürchtet ihr euch nicht vor den Puzzelteilen

die ihr findet?

Ich hab euch im Stich gelassen

Aber ihr habt mich auch im Stich gelassen
 

Es ist einfach diejenigen zu zerstören

Und zu verurteilen

die ihr nicht versteht

Habt ihr euch je gefragt ob es gerechtfertigt ist?

Es ist einfach diejenigen zu zerstören

Und zu verurteilen

die ihr nicht versteht

In eurem Leben

Warum habt ihr es nicht einmal versucht?
 

Ich schließe meine Augen

als ich die dünne Linie

zwischen Liebe und Hass gehe

Für die Person

mit demselben Blut in ihren Adern
 

Ihr zeigt keine Reue

für all die Dinge die ihr getan oder gesagt habt

Ich hab euch im Stich gelassen

Aber glaubt mir

Ihr habt mich auch im Stich gelassen


 

Ran, die mittlerweile wieder zu Hause war, saß auf dem Bett, ein Kissen fest mit den Armen umschlungen und gegen die Wand starrend. Leise sang sie ein Lied mit und nahm um sich herum nichts mehr wahr.

Eltern, die ihre Kinder im Stich ließen, waren doch furchtbar. Manchmal – aber auch nur manchmal – fühlte sie sich auch von ihren Eltern im Stich gelassen, obwohl es natürlich nichts mit ihr persönlich zu tun hatte, dass sie sich getrennt hatten. Ihr Vater mochte ab und zu ein wahrer Trottel sein, aber er war ein liebenswerter Trottel – konnte das ihre Mutter nicht endlich auch wieder verstehen? Sie hatte ihn doch in vollem Wissen, wie er war, geheiratet. Konnte sie ihm nicht vergeben? Ran selbst konnte es, immerhin hatte Shinichi auch schon einmal eine Waffe auf sie gerichtet – jedoch mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass Ran einsah, dass es hatte sein müssen, anders als damals Kogorōs Frau Eri.
 

Vor einem großen Haus parkte eine schwarze Limousine. Der Chauffeur öffnete dem Herrn die Türe und geleitete ihn zum Haus. Das Tor wurde hinter sich gelassen, der Weg führte durch den 200 Meter langen Rosengarten, gerade blühten die roten Gewächse besonders schön, denn es war Sommer.

„Ich verabschiede mich dann, Mr. Cruise, und wünschen Ihnen einen angenehmen Abend“, der junge Mann verbeugte sich tief und machte dann auf dem Absatz kehrt. Kaum war der Mann bei der riesigen Haustür angelangt, riss jemand die Tür auf und eine junge Frau kam zum Vorschein. „Papa, endlich bist du wieder da“, sie umarmte ihn herzlich und beide gingen ins Haus hinein.

„Hast du mich schon wieder so sehr vermisst?“ fragte er die Braunhaarige und strich ihr wie einem kleinen Mädchen über den Kopf, wobei sie bereits 26 Jahre alt war. An ihrem Hosenbein lugte etwas Kleines vorbei und der Mann schaute runter, entdeckte den 10-jährigen Jungen, welcher sich beim Anblick des Mannes mit Schnurbart ängstlich hinter der jungen Dame versteckte.

„Na komm, willst du deinem Großvater nicht guten Abend sagen?!“

„Is’ er doch gar nicht, er ist nicht mein Großvater… Mein Großvater ist Seiji Minazuki!“

„Dem Namen nach vielleicht“, seufzte sie und beugte sich zu ihm runter, „du weißt doch, er ist nie da, wenn man ihn braucht – Blut ist zwar dicker als Wasser, sagt man, aber das ändert nichts daran, wer dich in seinem Haus aufgenommen hat, also sei höflich!“ Sie schob ihn nach vorne. „Verzeih ihm, er ist noch klein und seine Mutter in Amerika verschollen“, sie meinte es nur leise, aber der Junge verstand es ganz genau, was seine Tante da gesagt hatte. „Tante, ich will spielen – kann ich wieder hochgehen?“ Diese verdammte Neugierde war es gewesen, die ihn ihr hinterher laufen ließ, er bereute es mittlerweile schon wieder.

„Na gut, geh spielen, wenn dir das lieber ist“, sie gab sich geschlagen, konnte ihn schließlich schlecht dazu zwingen, ihren Vater zu akzeptieren, auch wenn es diesen wohl wieder besonders hart traf.
 

Mia (10) Fujikage, Sohn von Teru (30) Fujikage, [Grundschüler]

Aoi (26) Fujikage, Tochter des Hauses, [CIA-Agentin]

Dylan Benjamin (46) Cruise, Herr des Hauses, Aois Vater [Opernsänger]


 

Der Junge war schneller die Treppe hoch gerannt, als es den Anwesenden lieb war. Beide wussten, dass er wohl von diesem Kerl manipuliert wurde, er machte ihm teure Geschenke und versuchte sich bei ihnen einzuschleimen. Er interessierte sich doch sowieso nur für dieses Kind, weil er seinen eigenen Sohn nicht leiden konnte und der Junge eine Intelligenzbestie zu sein schien. Er wollte den Jungen seinem Vater am liebsten wegnehmen, aber da hatten sie auch noch ein Wörtchen mitzureden. So gut es möglich war, versuchten sie ihn vor dem Politiker zu schützen. Am liebsten hätten sie ihm den Kontakt gänzlich untersagt, doch das war kaum möglich, er war nun einmal Terus Vater.

„Diese undankbare Person soll mir bloß nicht unterkommen! Wie kann sie es wagen, Teru und den Jungen so zu behandeln? Verschwindet einfach und meldet sich noch nicht einmal!“

Aoi konnte das Ärgernis ihres Vaters sehr gut verstehen, er war schließlich von Amerika hierher gereist, um bei seinen Kindern zu sein. Ohne zu zögern hatte er auch deren ältesten Bruder, welcher nicht sein leiblicher Sohn war, hier aufgenommen. Die Mutter der drei war wenig davon begeistert, es war nur eine Frage der Zeit, wann sie wieder aufkreuzen würde, um sich mit ihm zu streiten. Da sie Staatsanwältin war, würde sie sicher wieder ein Haar in der Suppe finden, um ihrem Vater eins reinzuwürgen – wie immer. Seit sie mit dieser Psychologin, Yakko Kajiwara und deren Freundin Shiyako Kiuchi gut befreundet war, wurde es immer schlimmer. Yakko war ihre engste Vertraute geworden und unterstützte sie in ihrem Kleinkrieg gegen den Opernsänger, der seitdem nichts mehr zu lachen hatte. Sie griffen ihn meist da an, wo es wehtat. Wenn Hayato davon erfuhr, würde es Blutvergießen geben – was diese Yakko konnte, hatte er auch drauf. Sie rechnete mit viel Blut und Tränen…

„Ich bin froh, dass du diesen gefährlichen Job nicht mehr machen musst, es ist mir viel lieber, dich im Rampenlicht zu sehen.“

Der Satz ließ der jungen Frau fast das Blut in den Adern gefrieren, sie durfte sich nichts anmerken lassen, weshalb sie ihn anstrahlte und so tat, als sei alles in bester Ordnung. „Mach dir keine Sorgen um mich, Papa – ich werde diese Dinge ab jetzt meinem Bruder überlassen, er ist viel besser dafür geeignet. Ich als Frau bin doch nur Futter für diese Verbrecher.“ Die Braunhaarige war kein Freund von Lügen, aber manchmal waren sie notwenig, so wie in Zeiten wie diesen…

„Das heißt, du bleibst endgültig in Japan?“

„Mal sehen – vielleicht versuche ich es auch in Amerika…“ Dieses Versprechen konnte sie ihrem Vater nicht geben – wie sollte sie dann erklären, wenn das CIA sie nach Amerika rief und sie dem Befehl folgen musste? Sie war nicht frei, wie er dachte, sie war eine Gefangene, jedenfalls würde Hayato es so bezeichnen.

„Ich habe gehört, er ist auch in Japan – was ist hier eigentlich los?“

„Keine Ahnung, er jagt einen Verbrecher, der von Amerika hierher abgehauen ist. Weiteres ist mir unbekannt“, mit den Schultern zuckend, tat sie weiterhin auf ahnungslos und unschuldig, das Thema war ihr sowieso unangenehm.

„Na hoffentlich passiert nichts – Ethan und Hidemi Hondō hatten in diesem Land nur Pech.“

Diese Themen waren ihr alles andere als Recht, da sie ein großer Anteil der Gründe waren, weshalb sie sich unter einem Decknamen in Japan in Verbrecherkreisen bewegen sollte.

‚Von wegen – das ganze Drama ging los, als Hidemi zum CIA ging’, dachte sich Aoi, sie wäre dem Saftladen auch nie wieder beigetreten. Zu ihnen zu gehören, war nichts anderes als zur Organisation zu gehören – ausbrechen war nicht so einfach drin. Wie es dieser Fujimine wohl geschafft hatte, dass man ihn gehen ließ? Wieso hatte sie nicht dieses Glück? Kaitlyn Fairell hatten sie auch zu Interpol ausbüxen lassen, nur sie selbst natürlich nicht…

Ihr Vater hatte der 26-jährigen einen ordentlichen Karriere-Schub verpasst, sonst wäre es ihr nicht so schnell möglich gewesen, sich in die Musikindustrie einzuschleichen. Er wusste zum Glück nicht, was seine Tochter wirklich trieb, er wäre entsetzt von ihr gewesen, dass sie sich einer solchen Gefahr aussetzen wollte…
 

Conan konnte in dieser Nacht nicht sonderlich gut einschlafen, zu viele spannende Lektüren vor dem Schlafengehen regten eben zum Nachdenken an und dann musste er auch noch auf Toilette. Auf dem Weg hörte er die leise Musik von Ran und blieb doch länger vor der Tür stehen. Es war eine tieftraurige Melodie, weshalb er seufzend die Türklinke runterdrückte und mit seinem unschuldigen Gesichtsausdruck ins Zimmer lugte. „Du, Ran-neechan, kannst du auch nicht schlafen?“ Er schloss die Tür hinter sich.

Die Schülerin blickte auf mit einem für den Jungen entsetzlich traurigen Blick. „Ich denke nach über das Warum, das Wieso und das Weshalb.“

Mit doch verwirrter Miene kam er auf sie zu und krabbelte zu ihr aufs Bett. „Manchmal sollte man nicht nachdenken, das ruft Kopfschmerzen hervor und man kann nicht schlafen. Es ist schon spät, wir sollten schlafen…“

„Ich muss aber nachdenken, wieso Eisuke so schreckliche Angst vor etwas hat, worüber er nicht mit mir sprechen will. Einerseits hat er totale Panik, andererseits schweigt er die Sache tot. Denkst du, das hat mit seiner vermissten Schwester zu tun?“

„Kann sein, er sah traurig aus, als er das letzte Mal von ihr sprach. Das ist aber schon eine ganze Weile her. Was hat er denn gesagt?“

„Miho Kitami musste heute wegen versuchtem Selbstmord ins Krankenhaus eingeliefert werden, sie hat nur knapp überlebt… Eisuke war total außer sich und sprach davon, dass sie so etwas niemals tun würde, dass sie das herbei geführt haben. Als ich ihn auf sie ansprach, schwieg er plötzlich. Er tut mir schon etwas Leid, seinem Freund Alan ist vor kurzem etwas zugestoßen, ich frage mich jetzt, ob sie das waren und ob sie mit Hidemis Verschwinden zu tun haben könnten… Und natürlich, um wen es sich dabei handeln soll.“ Ihr Blick wurde noch trauriger – obwohl sie es nicht sagte, wusste er, dass sie nicht nur an Hidemis Verschwinden dachte, sondern auch an Shinichis. Sie war so nah an der Wahrheit dran, dass es ihm fast die Luft zum Atem stahl.

„Shinichi geht’s gut, er wollte mal wieder anrufen…“

„Jemand, der offensichtlich auf der Flucht ist, dem kann’s unmöglich gut gehen!“ Ran legte den Kopf auf ihrem Schoß ab und schluchzte einmal auf. „Ich weiß von Inspektor Megure doch längst, dass er vor irgendwem fliehen musste, er sollte sein Auftauchen nämlich vertuschen, auch er macht sich Sorgen.“

„Vielleicht ist Shinichi auch in den USA, bei seinen Eltern, er hat da mal so etwas fallen lassen…“

„Erzähl mir keinen Quatsch! Ich habe mit Yukiko telefoniert, sie weiß genauso wenig, wo er sich herumtreibt! Wenn er bei ihnen wäre, würde sie mir das jawohl sagen, oder etwa nicht?!“ Ein wenig wurde sie auch sauer, dass der Junge ihre Gedanken als unsinnig abtat. Dass er wieder irgendwelche Sachen erzählte, die Shinichi ihm anscheinend eingetrichtert hatte.

„Ich weiß nicht…“

„Aber ich weiß, dass es einen triftigen Grund geben muss – auch eine Intelligenzbestie sollte zur Schule gehen. Unsere Klassenlehrerin ist auch schon bei der Polizei gewesen, hat seine Eltern angerufen, war bei ihm zu Hause – aber keine Spur. Mittlerweile ist sie auch sauer und sagt immer, was dieser Flegel sich dabei denkt, einfach so abzuhauen! Was denkst du, was für ein Gefühl es ist, wenn sie ausgerechnet mich darauf anspricht, ob ich etwas über seinen Verbleib weiß…?“ Ran musste sich einige Tränen wegwischen. „Ich kann nicht glauben, dass er mich einfach so im Stich lässt. Er schafft es ja noch nicht einmal, die Woche einmal anzurufen. Er lässt mich im Dunkeln tappen, das ist nicht fair.“

Diese Zweifel, welche sie nun in seiner Gegenwart kundtat, verletzten ihn, aber dass er es verdient hatte, war ihm klar. Er ließ sie hängen, sagte ihr nicht, was Sache ist, aber doch nur, um sie zu beschützen. Konnte sie sich das nicht denken, wenn sie schon den Verdacht hatte, dass man ihn jagte?

„Shinichi hat dich gern… Wenn er in Gefahr ist, wird er es für besser halten, sich nicht zu oft bei dir zu melden, weil er dich dann mit in diese Sache hineinziehen würde. Natürlich hat es sicher einen Grund, dass er nicht mehr zur Schule kommt. Aber wenn du seine Stimme hörst, kannst du dir doch sicher sein, dass es ihm gut geht. Ich denke, dass er klarkommt und dich ganz bestimmt auch ganz doll vermisst“, seine Stimme war höher aus purer Absicht, was sie auch ein wenig kindisch klingen ließ, trotzdem waren die Worte für ein Kind zu gut gewählt.
 

Es wartet auf den Tag, an dem ich es hinauslasse

Ihm einen Grund gebe, ihm Macht zu geben.
 

Ich habe Angst vor dem, was ich werde,

Ich fühle, dass ich die Kraft im Inneren verliere.

Ich kann es nicht länger zurückhalten,

meine Stärke verblasst.

Ich muss nachgeben
 

Es ist die Angst

Die Angst der Dunkelheit

Sie wächst in mir.

eines Tages wird sie leben.

Muss retten, meinen Liebsten retten,

es gibt kein Entrinnen

weil mein Glaube Horror und Verderben ist.
 

Lass deinen Kopf jetzt unten,

lass mich nur vorbei,

Füttere meine Angst nicht,

wenn du sie nicht rauslassen willst
 

Ich habe Angst vor dem, wer ich sein werde,

Ich fühle, dass ich all die Schönheit in meinem Inneren verliere.

Ich kann es nicht länger zurückhalten,

meine Stärke verblasst

Ich muss nachgeben
 

Lange zuvor kam es zu mir

und immer, seit dem Tag

infiziert es mich mit der Wut und dem Hass

aber es endet heute


 

Was auch immer sie da hörte, es passte erschreckend gut zu dem, was er tief in sich fühlte. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem er wählen musste. Wählen zwischen dem richtigen und dem falschen Weg. Wenn er sich entscheiden musste, was ihm wichtiger war – sie oder seine Prinzipien, er fürchtete sich jetzt schon davor, sie zu brechen.

„Du solltest sie abschalten und schlafen, es ist schon spät, bin müde…“ Er gähnte demonstrativ und hopste vom Bett, sie schaute ihm nach und seufzte dann. Gerade jetzt fühlte sie sich zu dieser Musik hingezogen – schade um die Person, bei welcher sie nie mehr die Gelegenheit haben würde, sie kennen zu lernen. Und sie hoffte, dass Shinichi nicht ein ähnliches Schicksal ereilen würde und sie so fühlen würde, wie er. Denn sie würde es, ganz sicher.

Nachdem die Tür sich geschlossen hatte, klingelte ihr Handy. Ohne das Display zu sehen, ahnte sie, wer sie um diese Uhrzeit nun wohl anrufen würde. Sie war nicht blöd. Immer, wenn sie mit Conan über lange vergangene Anrufe von Shinichi gesprochen hatte, hatte er angerufen…

Sie nahm das Handy und schlich sich zur Tür, öffnete sie und ging mehr als leise über den Gang. Direkt vor Conans Tür blieb sie stehen und lehnte sich gegen das Holz. „Ich dachte, du rufst nie mehr an… Was denkst du dir überhaupt, du Vollidiot?!“

„Was heißt denn hier Vollidiot? Begrüßt man denn so seine Freunde“, ein Lachen entfuhr ihm, diesem Krimispinner, der sich wohl köstlich über ihre Dummheit amüsierte.

„Ja, Vollidiot, weil du dich nie meldest“, sie schluchzte auf, „deswegen bist du ein absolut hirnrissiger, bescheuerter, verblödeter Vollidiot!“

„Hör auf zu weinen, Ran… du bist doch keine Heulsuse!“

„Was macht dich da so sicher?“ Ihre Stimme war leise und sie sank an der Tür hinab. „Wo steckst du? Was machst du die ganze Zeit? Wieso kommst du nicht zur Schule? Und warum sagst du es mir nie? Was für ein schreckliches Geheimnis verbirgst du vor mir? Und erzähl mir jetzt ja keine Märchen, dann brauchst du hier nicht mehr auftauchen, weil ich dich dann so vermöble, dass du freiwillig wieder gehst!“

Sie klang überhaupt nicht so wütend, als dass er es geglaubt hätte, obwohl es ihre Art war, ihn zu vertrimmen, wenn er wieder äußerst frech gewesen war.

„Glaub mir, Ran, ich würde mich gerade liebend gerne vermöbeln lassen. Ich wollte mich nur melden, damit du weißt, dass ich nicht aus der Welt bin.“

„Du weichst mir aus! Was ist passiert?! In was für eine Eskapade bist du hineingeraten, dass du dich verstecken musst? Verkauf mich nicht für dumm! Hast du dich zu weit aus dem Fenster gelehnt?!“ Ihre Stimme war merkwürdig ruhig, er hatte ein ungutes Gefühl – wahrscheinlich war sie kurz davor, alles herauszufinden, das machte es nicht besser, er wollte es ihr nicht sagen. Nicht, wenn er ihr gegenüberstand und noch nicht einmal am Telefon konnte er es. Es trat ein langes Schweigen ein, das war sonst nicht seine Art. Sie wusste doch sofort, dass sie den Nagel auf den Kopf getroffen hatte, wenn er so schwieg, aber ihm fiel nichts ein…

„Shinichi??“ Nun sagte er noch nicht einmal mehr etwas. „Ich will keine Lügen mehr hören! SAG MIR JETZT SOFORT WAS HIER LOS IST??!“

Dass das Mädchen unmittelbar vor seiner Tür stehen musste, bekam er mit, da sie ihn nun so anbrüllte, hörte er ihre Stimme gleich zweimal, einmal im Handy und einmal ganz in der Nähe. Jetzt war sie wieder sauer…

„Ich kann es dir nicht sagen, akzeptier das bitte.“

„Dann will ich dich sehen! JETZT!“

Ihm rutschte das Herz in die Hose und er krabbelte unter das Bett, als wolle er sich vor einem riesigen Monster verstecken. „Das geht nicht, ich bin viel zu weit weg…“

„Oh ja, das glaube ich dir aufs Wort, dass du so weit weg bist, dass es dir unmöglich wird, dich mit mir zu treffen“, ein verdammt sarkastischer Unterton war nun nicht mehr zu vermeiden. „Nur damit du es weißt, Mr. Oberschlau! Andere Mütter haben auch schöne Söhne, ich werde mich nicht brav hinsetzen und weiter darauf warten, dass du mir sagst, was los ist! Ruf nicht mehr an… Bleib doch da, wo du bist, ich will dich nie wieder sehen!“ Sie legte auf, was ihn doch erschreckte. „Ran… warte doch…“ Übrig blieb nur das monotone Tuten im Handy und er bemerkte sehr spät, wie verzweifelt seine Stimme geklungen haben musste, sie hatte doch hoffentlich nichts gehört, sie war ihm so nah… Am liebsten wollte er hinrennen, ihr alles erzählen, wahrscheinlich würde er vor Freude heulen, wenn sie es endlich wusste, aber gerade ging es nicht. Er konnte ihr nichts sagen, auf keinen Fall, niemals würde er sich verzeihen, wenn ihr dann etwas Schlimmes zustoßen würde.

Warum dieser Vollidiot sich niemals zeigte, das war ihr jetzt klar. Aber, was dieses Spiel wirklich sollte, war ihr noch unklar – es war ja auch absurd – ein 17-jähriger, der sich als Grundschüler hier eingeschlichen hatte. Mit welchem Ziel? Aus Eigennutz – um trotzdem bei ihr zu sein. Trotz allem war sie froh, zu wissen, wo er sich aufhielt, auch wenn er davon noch nichts ahnte. Es würde ihn unvorbereitet treffen – und dann gnade ihm Gott…
 

Mittlerweile war es nach zwölf Uhr, ein neuer Tag hatte begonnen. Obwohl es finster war, liefen unglaublich viele Pärchen in diesem Vergnügungspark herum. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie versetzt hatte. Es war dumm, eine Frau, die willig war, einfach so sitzen zu lassen, nur weil man gerade mal keinen Bock hatte. Die Lust hatte er erst gegen Mitternacht entwickelt und hatte sich auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, dass sie noch immer auf ihn wartete. Er würde sich 100-mal entschuldigen und es würde nicht genug sein, so was war einfach unverzeihlich.

Am Treffpunkt angekommen, konnte er die Kurzhaarige nirgends entdecken. Egal wie oft er sich umsah, sie war nicht da. Es wäre ja auch ein zu großes Wunder gewesen, hätte sie ganze zwei Stunden hier auf ihn gewartet.

In der Finsternis war es wirklich gruselig, wenn man alleine war – hoffentlich hatte sie nicht allzu große Angst gehabt, hier alleine.

Ein nicht zu überhörendes „Hilfeeeeeeeeee!“ ließ ihn innerlich wie auch äußerlich zusammenfahren. Ihre Stimme erkannte er sofort und es riss ihn zu ihr hin, sofort folgte er der Stimme, die ganz offensichtlich verängstigt um Hilfe bat. Er dachte nicht großartig darüber nach, welchen Weg er beschritt. Eine Frau, die um Hilfe schrie – die man selbst auch noch irgendwo mochte – man musste ihr sagen, dass alles okay war, dass sie in Sicherheit war und keine Angst haben musste. Warum sie so verängstigt schrie, konnte man wenig später hören. Es fiel erst einer, dann war der zweite zu hören. Schüsse – schon zum zweiten Mal hörte er sie, bei Nacht hörten sie sich jedoch viel schlimmer an, als bei Tag. Warum es ausgerechnet jetzt so ausgestorben hier war, konnte man sich fragen.

Das Mädchen war zu Boden gegangen, als der letzte Schuss fiel. Als sie ihn in der Finsternis erblickte, war es wie Freude und Trauer zugleich. Dieser Typ, welcher sie schon die ganze Zeit jagte, hatte vor sie umzubringen – und obwohl sie damit nun nicht alleine war und sich über seine Anwesenheit freute, hieß das, dass der Kerl sie beide erschießen würde. „Lauf weg! Er hat eine Waffe und er setzt sie skrupellos ein!“ Es gab wenig Chance auf Rettung, aber wenn sie es konnte, würde sie ganz bestimmt verhindern, dass es ihn erwischte.

Nach einem kurzen Zögern, gab er sich einen Ruck und rannte zu ihr hin, zog sie hoch und zerrte sie in die entgegen gesetzte Richtung. Es fiel erneut ein Schuss, welcher die Luft schnitt und Stoff streifte – im Nu war er zerrissen und eine feine Blutspur bildete sich am Arm des Mannes – es war höchstens eine Sekunde, in der er das Gesicht verzog, seine Hand umklammerte fest die Ihre, während sie beide um ihr Leben rannten. Er würde sie doch nicht mit einem Verrückten, einem Durchgeknallten alleine zurücklassen – wofür hielt sie ihn?

Krampfhaft seine Hand haltend, spürte er am Hosenbein, den nächsten Schuss, der ihn streifte und dann entdeckten sie einen weiteren Menschen, der ihnen entgegen kam und ebenfalls eine Waffe zückte. Reflexartig hielten sie an. „Was sind das für Leute? Was wollen die denn von dir?!“

„Die wollen mich umbringen! Sie sind hinter uns her!“

„Du machst Witze, ich will noch nicht sterben, ich habe noch viel zu viel vor, Miki!“

„Kimi hat ja auch keiner gefragt, ob sie das will!“

„WAS?!“ Das Gesicht des Schwarzhaarigen zeigte pures Entsetzen – wollte sie ihm gerade sagen, dass der Unfall gar kein Unfall gewesen war? Diese Kerle hatten es wohl nur aus diesem Grund auf sie abgesehen. „Hier lang!“ Einem erneuten Schuss entgingen sie – weglaufen, etwas Besseres fiel ihm nun wirklich nicht ein. Er hatte keinen Bock schon ins Gras zu beißen, also lief er mit ihr weg.

In einer Sackgasse sah es dann jedoch danach aus, als wäre ihre Flucht schon vorüber.

„Handy… Handy…“ Er kramte in seiner Tasche und hatte es bald zur Hand, tippte die Notrufnummer ein und es klingelte…
 

„Jami und Sazerac auf einem Haufen – nett, wo hast du denn deinen Vorgesetzten gelassen? Hat er sich verpisst, als er mich gesehen hat?!“ Die vor Arroganz nur so strotzende Stimme löste alles, nur keine Freude in dem Mann aus. Dass der ihnen half, darauf hoffte er wirklich nicht. Wie er schon wieder redete – Menschenverachtend.

Der Schütze hatte nun aufgehört in der Gegend herum zu ballern – der 25-jährige war noch nicht einmal sicher, ob er so genau wusste, was er da tat. Sein Umgang mit der Waffe war jedenfalls nicht geübt.

„Weglaufen bringt gar nichts, Sazerac – in anderer Richtung habt ihr bereits zu viele Leute aufgescheucht, als dass ihr da einfach so vorbei kommt! Drei Streifenwagen, die sind bestimmt hoch erfreut, wenn sie zwei Verrückte einkassieren können!“

Der 29-jährige Mann lächelte sein Gegenüber hinterhältig an und entwaffnete ihn mit einem gezielten Schuss, blitzschnell. Als er flüchten wollte – ja nun war der Drecksack der Gejagte – drückte er noch einmal ab und traf ihn in die Schulter, was seinem Opfer einen Schrei entfahren ließ – ja Schmerzen, die hatte er verdient, dieser feige Mistkerl. „Mhm, es macht Spaß Schwächere zu jagen, nicht wahr?! Jetzt weißt du, wie es sich anfühlt!“ Ja, er bezeichnete ihn als schwächer, der Kerl hatte ja von Waffen keinerlei Ahnung.

Jami, welcher seinen größten Feind aus der Entfernung beobachtete, zischte einmal vor Abscheu – es war schade um Sazerac, aber man würde ihm doch ganz bestimmt verzeihen, wenn er nun das Weite suchte und den Kerl seinem Schicksal überließ. Schlimmer war die Tatsache, dass diese Kleine noch immer lebte und wahrscheinlich ein weiteres Mal bei der Polizei landen würde, wo sie ihre Erfahrungen sicher berichten würde. Vor allem über Dinge, wie sie Hiroya Tokorozawa doch bestimmt interessieren würden. Oder aber auch nicht, er hatte ja nie großartiges Interesse an diesem einen Fall gezeigt – aber er kannte ihn gut genug, dass er zumindest die Antwort kennen wollte – so waren Detektive nun einmal.

Der Kerl nahm die Beine in die Hand, er fiel beinahe hin, so in Panik hatte er ihn versetzt, was ihn wirklich stolz machte. Er hielt vorsichtshalber die Augen offen, falls Jami sich doch noch mal aus seinem Loch trauen würde, womit er aber nicht rechnete.

„Man hat nur Ärger mit euch Musikern“, dass er über sie hetzte, nachdem er ihnen wohl das Leben gerettet hatte, gehörte zu seiner Art – er würde sie beide jetzt runterputzen und Spaß daran haben, weil er eben ein Scheißkerl war – aber er hatte es sich ausgesucht so zu sein. Als er mit diesem Grinsen auf sie zuging, hätte der 25-jährige ihn doch am liebsten mitten ins Gesicht gespuckt.

„Du bist ja ein genauso großer Problemfall, wie Hyde – und ich dachte, der ist ein Einzelstück! Ich dachte, nur er ist so bekloppt, sich die falschen Frauen zu angeln – so Weiber wie meine kleine Schwester.“

Dass er es wieder ausnutzte, um über seinen Sänger herzuziehen und seine eigene Schwester, machte ihn furchtbar wütend, man sah es in seinen Augen, er hasste diesen Saftsack.

Während Miki noch vor lauter Angst an der Schulter des anderen weinte, machte Hiroya seine Sprüche, er war außer sich. „Und jetzt soll ich mich bei dir bedanken?!“

„Normale Leute würden das tun, ja, aber ihr seid doch abgehoben – ihr mit eurer Karriere, deswegen verachte ich euch!“

„Ich danke dir ganz sicher nicht, weil ich nämlich nicht dankbar dafür bin, dass ausgerechnet du hier aufgetaucht bist, mir wäre jeder lieber gewesen. Ich will dir sicher nichts schuldig bleiben – und hör endlich auf deine Schwester schlecht zu machen, weil sie anderer Meinung als du war!“

„Für jemanden mit zwei Streifschüssen bist du ja ganz schön frech, finde ich. Das nächste Mal warte ich, bis sie dich tödlich verletzen, verlass dich nur drauf. Jetzt, da du sein Gesicht gesehen hast, wird er dich erst zufrieden lassen, wenn er dich hat.“ Mit seinem Wissen zu prahlen gehörte ebenfalls zu seinem Charakter.

„Es tut mir so Leid“, schluchzte die 19-jährige, es war offensichtlich, dass ihr die Gefahr bewusster war, als ihm. „Ich wollte das nicht!“

„Ist ja nicht viel passiert… Nur zwei Kratzer, nicht mehr.“ Den Starken zu spielen, war männlich, denn auch Streifschüsse taten weh, es brannte.

„Die Heldennummer steht deinem Freund mehr, das kauft dir keiner ab, nicht mal ein 19-jähriges Mädchen. Einen Held nennen kannst du dich, wenn du für sie stirbst.“

„Du bist ein Ekel, wie kannst du so etwas sagen?“ Die Braunhaarige klammerte sich an seinen Arm und funkelte ihn mit zu Schlitzen verzogenen Augen an. „Kimi war nicht zu beneiden, um so einen Bruder. Du hättest sie beschützen sollen… Stattdessen bist du froh, dass sie tot ist.“

„Halt deinen frechen Mund, du dummes Gör, du weißt ja nicht, wovon du da redest!“ Erschrocken reagierte sie auf die andere Stimme, die eines Mannes, der nun dazwischen funkte. Er war Hiroya vorsichtshalber gefolgt, bevor er sich noch, selbstzerstörisch wie er momentan war, selbst ums Leben brachte.

„Was denn? Sie hat doch Recht – Hiroya Tokorozawa ist sich selbst am Wichtigsten und alle anderen, die nicht wie er denken, sind schlecht. Vielleicht habe ich das verdient, aber nicht Miki und nicht Haido, er hat dir überhaupt nichts getan. Du hast doch bloß nicht verkraftet, dass sie lieber zu ihm gegangen ist, als zu ihrem Bruder. Er hat ihr die ganze Zeit den Bruder ersetzt, weil der ein Arschloch und Egoist ist.“

„Ich bezweifele doch stark, dass ich meine Schwester vögeln würde. Von einem geschwisterlichen Verhältnis kann nicht die Rede sein, oder bist du so krank, es mit deinen Schwestern zu treiben, Tetsuya Ogawa?!“ Ein Lachen entfuhr Hiroya, er war wirklich witzig – das was er sagte, dachte er doch nicht etwa wirklich?

„Da war nie was Geschwisterliches, wenn überhaupt, hat er euch das eingeredet, damit’s nicht so auffällt, dass er offensichtlich in sie verschossen ist und ihr ihn nicht damit aufzieht. Wenn ihr alle so eng mit ihm befreundet seid, wieso hat er euch davon nichts erzählt? Na ja, bis auf zwei bestimmter Personen, die du selbst nicht sonderlich gut leiden kannst. Der eine ist sein bester Freund und die andere ist Yui Ikezawa, die ist dir doch auch ein Dorn im Auge. Es würde dich umhauen, was sie euch noch alles verschwiegen haben.“

„Hiroya bitte, hör auf“, meinte Naoya, er fand es war nicht der richtige Ort für so etwas, und es kam ihm beinahe vor, als wolle er ihn bloß schocken und ein wenig ängstigen.

„Die Kerle von eben sind nicht etwa Yakuza, sie sind euer schlimmster Albtraum – sie haben Kimiko aus dem Weg geräumt und als nächstes ist dein heißgeliebter Sänger dran, weil er zu viel weiß. Aber ich habe meiner Schwester damals versprochen, dass ich ihr nicht helfen werde, wenn sie bei ihm bleibt. Mein Interesse, ihn aus der Scheiße zu holen, ist auch sehr gering bemessen. Sieht düster für eure Karriere aus, du solltest dir schnellstmöglich einen anderen Spinner suchen. Ach, ich vergaß, wenn du dazu in der Lage sein wirst, denn du hast sie ja auch gesehen. So ein Pech.“ Hiroya hasste sich selbst furchtbar für all die Dinge, die er ihm gerade an den Kopf warf, er war ein richtiger Scheißkerl, das konnte er wirklich gut.

„Was hatte Kimiko bitte mit denen zu tun?!“ Der doch etwas ahnungslose, junge Mann bemerkte wie sie an seiner Schulter noch mehr zu weinen begann, und er begann sich vor der Wahrheit zu fürchten. „Du weißt, wer ihn krankenhausreif geprügelt hat… Wenn du es nicht warst, wer macht dann so was?!“

„Die Leute, die er geärgert hat, weil er sich zu viel raus genommen hat. Liebe macht blind und dumm, das weiß ich am besten. Sie belügen und betrügen dich und du merkst es noch nicht einmal. Man muss es dir wie mit einem Amboss an den Kopf werfen, dass du was merkst. Er war auch so. Weißt du, da war so eine Sache, die vergesse ich bestimmt nicht. Kimiko war auch so blind vor Liebe – verliebt in diesen Mörder, meine Schwester hat versucht ihr klarzumachen, dass er nicht gut für sie ist – und dann wurde sie von dem Kerl erschossen, weil dein Supersänger sich feige versteckt hat. Kimiko und er sind schuld, dass meine Schwester zu Grabe getragen wurde – da wo sie jetzt ist, ist sie gut aufgehoben.“

Hiroya redete ohne Punkt und Komma und allmählich verstand er diese ganzen Konflikte, die stattgefunden hatten.

„Er hat sich bei dir dafür entschuldigt… Du kannst ihm das nicht nachtragen.“ Miki wusste anscheinend mehr über diese Sache. „Ich hab’s zufällig mitbekommen und Kimiko darauf angesprochen, sie fing fürchterlich zu weinen an. Sie konnte sich niemals verzeihen, dass sie auf den Kerl reingefallen ist und nicht auf ihre ältere Schwester gehört hat. Sie hat niemandem geglaubt, aber Hideto nicht, als er sagte, der Kerl würde sie nur benutzen, sie ging davon aus, dass er bloß eifersüchtig ist und ist weiterhin mit ihm weggegangen.“

„Oh wie nett von ihr – ist sie nicht ein herzensguter Engel. Ihr bester Freund ist offensichtlich in sie verliebt und sie geht trotzdem mit der Mistkröte weg. Dabei wollen ihn immer alle schonen, dich inbegriffen. Dass ihr sie alle so mochtet, kann ich einfach nicht verstehen.“

„Sie hat ihn oft geschont, außerdem hat sie es ihm nie unter die Nase gerieben, dass da andere Männer waren, sondern geschwiegen“, verriet ihm Miki, „letztendlich war er der Mistkerl, der sie zappeln ließ, nachdem sie sich für ihn entschieden hatte. Neun ganze Monate hat er kein Wort mit ihr geredet, nachdem die Sache mit Yuriko passiert war. Sie hat sich auf ihn eingelassen und auf einmal war er kälter als Eis, sie hat furchtbar darunter gelitten.“

„Hat sie verdient, nicht? Selbst er lässt sich nicht von ihr auf der Nase rumtanzen. Als er sie wollte, wollte sie ihn nicht, also hat er den Spieß umgedreht, um sie zu strafen. Tja, aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, oder? Jetzt ist sie es, die von oben herab ihn auslachen kann, weil er’s nicht verkraftet, dass es ein Fehler war. Er wusste, dass er sie nicht beschützen kann und hat es dennoch riskiert. Wenn jemand schuld daran ist, dass sie tot ist, dann er. Und ich bin nicht der einzige, der so denkt.“ Hiroya war eigentlich ein Engelchen, wenn man ihn mit Sojuro verglich, der brodelte wirklich und würde mehr tun, als ihm mit Worten eins reinwürgen. Er war gefährlich, wenn er jemanden hasste – und momentan gab es nur eine Person, die er über alle Maßen hasste. Und dieser Person hätte er am liebsten das Leben zur Hölle gemacht, wäre es das nicht bereits gewesen. Dass er mit einem Messer versucht hatte in seinem Gesicht rumzuschnippeln, wusste Hiroya noch nicht, es hätte ihn doch ein kleines bisschen geschockt, dass er ihn nicht nur am liebsten töten würde, sondern ganz andere Dinge plante, die er im Begriff war, durchzuziehen, sobald die Zeit reif war. Er erzählte ihm schließlich nicht von jedem dunklen Gedanken, den er mal hatte.

„Überlass die beiden mir, ich nehme sie mit aufs Revier und nehme alles zu Protokoll. Du kannst nach Hause gehen, dich ausruhen, es war ein anstrengender Tag. Wenn die im Präsidium davon erfahren, suspendieren die dich noch komplett. Du hast heute nicht nur einmal böse Worte zu Musikern gesagt, dabei sollst du das lassen.“

„Ich halte mich nicht für gemein, oder so etwas. Ich war nur ehrlich, ist das nicht auch die Art seines besten Freundes? Offen und ehrlich sein? Er war der einzige, der es gewagt hat, den Mund aufzumachen. Der meine Schwester kritisiert hat und erkannte, dass sie eine Gefahr darstellt, aber das wollte ja keiner hören – nun habt ihr den Salat. Wir würden uns sicher gut verstehen, wenn er nicht wäre. Es geht ihm leider nicht gut rein, wenn ich ihn piesacke und ich gebe es zu, es macht Spaß – er lässt es so schön mit sich machen.“

„Geh mir aus den Augen, du elender Abschaum! Ich wünsche dir, dass einmal jemand so auf dir herumhackt, wie du es bei ihm getan hast – und dass du dann ins Kissen heulst, wie eine abscheuliche Memme!“

„Eine abscheuliche Memme? Wer sagte zu seinem besten Freund, dass er ein Mädchen in Not im Stich lassen soll? Gerade du wagst es so was zu sagen, lachhaft!“
 

Aufträge, die nicht vom Boss kamen, nahm er immer teuflisch ernst – sie waren wichtig, wichtig für sie alle. Der junge Mann scheute die Gefahr nicht, deshalb befand er sich unerlaubter Weise im Haus der kurzhaarigen, rotblonden Frau. Aus diesem Grund verschleppte er einen halbtoten 20-jährigen Mann. Diese Tussi, die er sowieso nicht sonderlich leiden konnte, hatte ihn ans Bett gefesselt, damit er sich nicht wehren konnte und ihn dann behandelt – ihm war noch nie bei etwas so schlecht geworden – mit sehr viel Pech hätte er das sein können. Wie gut, dass er mit dem Töten nicht so große Probleme hatte und man ihn deswegen bisher in Ruhe gelassen hatte. Er trug ihn raus – das Weib würde ausrasten, wenn sie zurückkam.

Nebbiolo war ja ein Scherzkeks – drohte der ihm ernsthaft an, ihn an Jami, den er selbst so hasste, zu verpfeifen. Sofort hatte er mitgespielt, nicht mal gezögert hatte der 24-jährige. Er fühlte sich als Held und genoss es in vollen Zügen. Er war viel mutiger, toller und atemberaubender, als gewisse kleine Mistkerle, die ihm seine Freundin weggenommen hatten. Auf ihn konnte man stolz sein – er hatte sich schließlich in die Organisation begeben, um seine Verlobte zu beschützen, ganz anders als der Kerl, mit dem sie in die Kiste gesprungen war, dieses undankbare Miststück! Nur für sie erlitt er diese Qualen und was machte sie? Verachtete ihn, weil er Menschen tötete. Es war das allerletzte, ihm das anzukreiden, sie war schließlich schuld.

Als der 20-jährige wieder zu Bewusstsein kam, hörte er den 24-jährigen vor sich hinbrabbeln. „Von wegen, besserer Mensch – ein Teufel ist er, ein kleiner Teufel! Großes Maul und nichts dahinter, war sich zu schade, ihr in ihrer Not zu helfen, ich musste ihr ja helfen… Warum hat sie nicht erkannt, dass er sie ins Verderben stürzt? So ’ne linke Nummer… Wer hat Jami die Stirn geboten, selbst als er mit Knarre auf sie losging? Das war nicht er, ich war’s! Wer hat Leute ermordet, damit sie am Leben bleiben kann? Wieder ich! Und was hat der Typ getan… sie gehen lassen… Ich meine, er hat sie mitten in der Nacht gehen lassen… Sie in die Gefahr laufen lassen… Er und diese kleine Kuh, diese Schnalle mit ihrem Gitarristen-Lover! Wie mir das stinkt! Es geschieht ihr nur Recht, dass sie nun in der Scheiße sitzt, ich hol die sicher nicht raus! Dem einzigen, den ich helfe, ist ihrem Bruder, sonst keinem. Seine Band, dieses Gesocks, die haben alle den Tod verdient. Erbärmliche Vollidioten… Keiner von denen taugt was, was hat sie sich dabei gedacht… Dieser Flachwichser hat die ganze Zeit die Freundin seines Kumpels heimlich angehimmelt und Kimi bloß als Ersatz missbraucht. Was der wohl mit ihm machen würde, wenn er davon erfährt, dass er mit Kimi auch was hatte… Er will’s noch nicht wahrhaben, aber das hehehehe, das kommt noch. So wahr ich mich Mezcal nenne. Vielleicht bringen die sich dann ja gegenseitig um. Ken weil der kleine Spast scharf auf seine Freundin is’ und der Vollidiot, weil Ken Kimi angesprungen hat. Und die kleine Ikezawa kann dann heulen. Ich hoffe, Jami macht sie richtig fertig! Ich hab dem ja nicht umsonst erzählt, dass sie eine Gefahr für die Organisation ist.“

Ein Stöhnen war zu hören. „Ich will das alles nicht wissen! Was um alles in der Welt tust du eigentlich? Machst du das wegen Vater?!“ Ihm war kotzübel, ihm dröhnte der Schädel – er wollte nicht von seinem Vater gerettet werden, lieber starb er – diese Schande würde er sowieso nie mehr loswerden.“ Der war aber auch ganz schön durch den Wind, hatte nichts als Rachegedanken an Leuten, die einfach mehr Glück gehabt hatten.

„Nebbiolo hat mich darum gebeten, muss dich enttäuschen, deinem Vater bist du nicht so wichtig, als dass er die Gefahr eingeht, Ärger mit den oberen Reihen zu kriegen, du weißt doch, die meisten haben Angst vor den Big Five.“ Er selbst zählte sich nicht zu diesen Angsthasen, welche die Ranghöchsten fürchteten.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Cognac nicht sonderlich gut leiden kannst. Wie wär’s, wenn wir uns zusammentun? Damit könntest du dich für die Rettung revanchieren! Chardonnay will nämlich gerne mal mit Cognacs Flamme Spaß haben! Na ja, leider kann er das ja nicht mehr, ein anderer wird tun, wie Chardonnay befiehlt und er sieht zu, diese Schrulle hat’s nicht anders verdient!“

„Ich halte wenig davon, diese Frau auch nur anzufassen. Chardonnays kranke Fantasien in die Tat umsetzen muss man auch nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass er sie gerne selbst vergewaltigen würde, aber ihm wurde dazwischen gefunkt. Jetzt muss er die Drecksarbeit einen anderen machen lassen. Ich kann sie nicht leiden, das stimmt, aber ich würde sicher niemals irgendwem dabei behilflich sein, ihr anzutun, was man meiner Mutter antat…“ Ja, er hasste diese Frau, weil sie der Grund war, aber sein Hass ging bei weitem nicht so weit, dass er alles dafür getan hätte, um sie leiden zu sehen. Und Cognac war solange erträglich, bis er ihm dazwischen funkte.

„Ach komm – sie ist ein Miststück, sie hat es verdient – und Cognac ist nicht besser, er verdient’s genauso, weil er es gewagt hat, Kimiko zu betrügen, das gehört bestraft! Wenn du es nicht machst, dann werde ich mich eben um Vermouth kümmern, ich hab keine Angst vor ihr.“

„Dass ich nicht lache – sie lässt sich bestimmt von einem 1.70-Kerlchen vergewaltigen, eher bringt sie dich um, Mezcal.“ Ein Grinsen huschte über Chardonels Gesicht, er stellte sich das vor, sie war mindestens genauso groß wie Mezcal, und der wollte sich mit ihr beschäftigen, guter Witz, beinahe wär ihm sogar ein Lachen entfahren.
 

Mittlerweile befand sich der Schüler auf dem Weg der Besserung, was vor allem die Ärzte, die dem 17-jährigen jede Menge Medikamente verabreicht hatten, zutiefst ja schon schockte. Sie hatten ihn bereits abgeschrieben, doch nun ging es ihm soweit gut, dass er die Augen geöffnet hatte und geschockt den anderen Jungen beobachtete, der bereits hier gewesen war, bevor er von seinem Schlaf erwachte. Er hatte zu weinen begonnen, was ihn besorgt machte und ihm über die Schulter strich. Er hatte sich wohl schrecklich gesorgt und gelitten. Seit sie sich in Amerika über den Weg gelaufen waren, bei einem Besuch seines Vaters, waren sie schon enge Freunde, selbst wenn es lange um eine Brieffreundschaft gehandelt hatte, da Eisuke nun einmal in Japan lebte. Die Austausch-Schüler-Geschichte hatte Eisuke nur erfunden, um andere zu täuschen – nur Alan hatte davon gewusst. Er war sein bester Freund, dass es ihm nahe ging, ihn halbtot im Krankenhaus vorzufinden, war ihm klar gewesen.

„Du kannst aufhören, ich lebe ja noch“, so einen Spruch war man sonst an Alans Vater gewohnt, aber er hatte ihn schon genauso gut drauf, wie ebendieser.

„Haha, wie witzig!“ Natürlich freute sich Eisuke, seinen Freund wieder zu haben, da er ihn ebenfalls schon abgeschrieben hatte, aber trotzdem erleichterte es ihn auch.

„Ich dachte ja auch, dass mein letztes Stündlein geschlagen hat, aber dem ist wohl nicht so, mach nicht so ein Gesicht, es ist ja alles gut gegangen. Wie geht es Liz?“

Eisuke lächelte nun ein kleines bisschen. „Na wie wohl? Sie macht sich fürchterliche Sorgen – ich muss sie auch gleich anrufen – sie wird überglücklich sein, wenn sie davon erfährt, dass du nicht tot bist. Hast du es denn noch nicht bemerkt?“

Die Frage ließ Alan rot um die Nase werden und er begann vor sich hin zu stammeln. „Nja.. ich… weißt du… es ist… sie ist… ein tolles Mädchen.“

Es legte sich ein schiefes Grinsen auf Eisukes Lippen. „Du solltest ihr das vielleicht sagen, sicher freut sie das. Als die Ärztin, ich meine ihre kranke Mutter ihr sagte, du seist tot, hat sie angefangen zu weinen.“

„Ihre Mutter“, ein Gesichtsausdruck hatte sich verfinstert, denn diese Frau war ihm nicht unbekannt, dass sie nicht normal war, hatte er ihr im ersten Augenblick angesehen. „Eine schreckliche Person, ich überlege ernsthaft, ob ich meinen Vater darum bitten soll, sie bei uns aufzunehmen…“

Eisuke schüttelte den Kopf. „Ich glaube, er ist momentan nicht belastbar, er liegt ebenfalls im Krankenhaus.“

Sofort erhob sich Alan mit einem entsetzten „Was?“ und wollte aufstehen, doch Eisuke drückte ihn zurück ins Bett. „Halt, du darfst doch noch nicht aufstehen.“

Auf einmal ging die Tür auf. „Junger Mann, es wird Zeit, es ist 1 Uhr in der Nacht und Schlafenszeit. Husch husch!“

Alan verzog das Gesicht, er fühlte sich nicht müde und wollte eigentlich nicht alleine sein. „Muss das sein? Ich habe lange genug geschlafen.“

„Na, na, na, kaum wieder auf den Beinen schon wieder so unvernünftig? Nur weil du wieder aufgewacht bist, heißt das nicht, dass du dich überanstrengen darfst. Es wird jetzt geschlafen!“

„Mou“, seufzte er und schloss die Augen, in Gedanken voller Sorge um seinen Vater – wie schlimmes wohl war – was Sêiichî machte – und ein Mädchen, das seinetwegen weinte. „Ich will sie sehen…“

Die Krankenschwester beobachtete Eisuke und Alan, der etwas verträumt lächelte. „Wen denn?“

„Na seine Freundin – Liz Bonavera!“

„So so – dazu ist morgen noch Zeit!“

„Ich versprech’s, ich bring sie morgen mit, Alan, wenn ich nämlich wieder komme.“ Er gab seinem Freund die Hand und dieser nahm das als Versprechen.
 

Tut Tut Tut Tut…

Der gewünschte Gesprächspartner ist vorübergehend nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es später noch einmal…

Wie oft er diesem Spruch nun schon gelauscht hatte, wusste er nicht. Wozu hatten Menschen Handys, wenn sie sie doch abschalteten? Diese neumodischen Dinger, die jeder hatte, wozu taugten sie letztendlich? In seinen Augen standen die Tränen, er versuchte es weiter und das bereits seit über 10 Minuten. Es würde sich nichts ändern.

Auch als der dunkelbraunhaarige Polizist den Raum betrat, hing der Schwarzhaarige am Handy, es war so verdammt wichtig, aber er ging nicht ran. Notgezwungen rief er sie an, hoffend, dass sie rangehen würde, anders als die treulose Tomate.

„Ikezawa?!“ meldete sich eine Frauenstimme und dem Mann entfuhr ein Schluchzen. „Ist Ken bei dir? Bitte, lass ihn bei dir sein!“

„Was ist denn mit dir los? Ist irgendwas passiert? Ja, er is’ da… Soll ich ihn dir geben?!“ Es war ihr lieber, wenn Tetsu anrief, als wenn es irgendwelche Frauen waren.

„Ja… bitte, schnell…“ Die Verzweiflung in der Stimme erschreckte Yui zwar, aber es gab keinerlei Grund – auch wenn er sie schlecht behandelte – ihn nicht weiterzuleiten. Sie wohnte hier zwar, konnte aber schlecht kontrollieren, mit wem er Kontakt hatte – er wäre auch sauer gewesen, wenn sie es getan hätte. Verwundern tat es sie ja doch, aber sie drückte ihm ihr Handy in die Hand und beobachtete ihn, wie er sich am Handy meldete. „Ja… was gibt’s?“

„Fahr ins Krankenhaus, bitte, ich habe ganz schreckliche Sachen erfahren…“ Ohne Umschweife rückte er damit raus, was ihn beschäftigte. Es war typisch, immer fiel Tetsu mit der Tür ins Haus.

„Beruhig dich erstmal und erzähl mir, was vorgefallen ist!“ Die Stimme des Mannes klang ruhig, obwohl ihn die Vorahnungen und Ängste natürlich einholten, nach so einem Gespräch mit einem CIA-Agenten. Nicht umsonst trieben sie sich hier herum. Hayato hatte ihm einfach viel zu viel von Gefahren erzählt. Es klang überzogen, aber ihm fiel kein plausibler Grund ein, weshalb er ihn in Angst und Schrecken versetzen sollte, wenn es nicht zutraf.

„Ich bin im Präsidium, man hat versucht Miki und mich zu erschießen - Tokorozawa war auch da - ohne ihn wären wir wahrscheinlich beide tot - Haido und Kimi waren in etwas verwickelt - Miki weiß davon, -Yui weiß auch davon – Gott - die wollen alle töten - die davon wissen - also fahr SOFORT dahin!“ Ohne Punkt und Komma ratterte der Jüngere die Worte runter, es klang so, als hätte er sämtliche Sprach-Regeln vergessen. Nur ab und zu holte er Luft, weil sie ihm ausging.

Jetzt musste der 26-jährige sich setzen, anders als sein Freund entsetzte ihn das nun nicht mehr so sehr. „Ich wollt’s dir schon sagen, aber ich dachte, dass du damit dann zu ihm gehst und ihn verrückt machst“, erklärte Ken seinem Freund, er war bemüht um eine ruhige Stimme, selbst wenn sein Herz wie wild schlug. „Es ist schlimm genug, wie es ist, er muss sich nicht die Schuld daran geben, das würde er bestimmt.“

„Du hast die ganze Zeit davon gewusst? Wie kannst du mir das verschweigen? Es geht hier um Leben oder Tod, ist dir das klar?!“

„Nein, nur um Tod – ihren Tod.“

„Hast du etwa rumgeschnüffelt?!“ Tetsuyas Stimme war verärgert und ängstlich zugleich – jetzt musste er sich auch noch um ihn Sorgen machen. Um alle musste er sich sorgen.

„Ach komm – es war zu offensichtlich – es gab so viel Stress zuvor – und dann der Anruf. Yui sagte zwar, dass sie ihren Bruder anrief, aber…“ Er blickte zu ihr, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich, offensichtlich sollte sie seine Gedanken nicht erfahren. „Erstens: Sie hat sich nachts weggeschlichen und mir nichts davon gesagt. Zweitens: Ich hab’s von ihrem Bruder erfahren, als er anrief! Drittens: Sie kam total verstört wieder und fing dann vor den Augen aller an zu heulen! Viertens: Es ist mir gleich aufgefallen, dass etwas nicht stimmen kann. Er murmelte immer wieder vor sich hin, dass er sie hat gehen lassen, dass er es hätte wissen müssen. Und als er sich vom Balkon stürzen wollte, sagte er: Verzeih mir… Ist das denn nicht verdächtig? Wenn er gedacht hätte, dass es ein Unfall war, hätte er so etwas doch nicht gesagt. Mir war klar, dass jemand den Unfall herbeigeführt hat. Ich wusste sofort, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, ich hab’s nicht gesagt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so blind war… Ich wollte ihn nicht zusätzlich quälen. Vielleicht hätte ich ihr helfen können, ich wusste doch, dass etwas nicht stimmt, nur nicht was…“ Er raufte sich die Haare und verdeckte seine Augen mit der Hand. „Ich habe nur ans Heiraten gedacht… Als Kimi verunglückt ist, habe ich Yui darum gebeten, nicht damit rauszurücken, weil er total ausflippen würde, kurz nach ihrem Tod hat er sicher keine Lust, auf eine Hochzeit zu gehen. Ich wollte auch nicht, dass du es so erfährst.“

„Jetzt red nicht so viel, diese Leute sind angeblich schlimmer als Yakuza, bitte fahr endlich ins Krankenhaus. Nimm sie meinetwegen mit, auf die Polizei ist kein Verlass…“

Auf die Polizei war also kein Verlass, Kei Tamura nahm ihn am Arm und sah ihm mit ganz bestimmtem Blick in die Augen – wie konnte er es wagen, so etwas zu behaupten?

„Schluss jetzt, genug gelabert! Auflegen, aber sofort, sonst lernst du mich kennen, Ogawa!“

„Muss Schluss machen, Tamura will uns verhören – beeil dich!“

„…Argh!“ Aufgelegt war worden, ein leises knarrendes Geräusch war zu hören und dann stand sie da, in ihren Augen die Tränen – ihre Hand schlug ihm ins Gesicht, mehrmals, sie schlug auf ihn ein und begann dann wie wild geworden zu schreien, so dass im Hof das Licht anging und die Leute hellhörig wurden, da sie beide anfingen zu schreien.

Seit sie hier wohnten, hatte man es noch nie erlebt, dass sie sich anbrüllten – noch dazu war es besonders heftig.

„Was ist es, was ich nicht wissen darf?! Ist es Kimi?! Los sag’s! Oder ich prügel’s aus dir raus!“
 

Die ersten Sonnenstrahlen hatten sich bereits durch die Gardinen gekämpft und kitzelten den Jungen an der Nase, sie kribbelte, so dass er sich mit dem Handrücken darüber rieb.

„Alan!“

Er zuckte, als er eine hohe Stimme seinen Namen sagen hörte. „Gott sei Dank!“ Sofort hatte er ihre Stimme erkannt und öffnete nun die Augen. Es war ein schönes Gefühl gleich beim Aufwachen eine bekannte Stimme zu hören, nicht alleine zu sein. Sein Blick ging Richtung Tür, jedoch konnte er nicht nur das rothaarige Mädchen dort ausmachen, sondern eine Frau, die geradezu wie ein Engel aussah. Blonde gewellte Haare, ein engelsgleiches Lächeln, er war total hin und weg. „Guten Morgen“, meinte er und musterte die junge Frau.

„Der Überfall tut mir Leid, aber sie wollte heute Morgen sofort hierher und dich sehen, junger Mann. Sie hat nicht eher Ruhe gegeben, bis ich mit ihr hierher gefahren bin, auch wenn es erst halb Sieben ist.“

„Lizzy-chan! Du hast es doch sonst nicht so mit dem frühen Aufstehen. Und wo ist Eisuke?“

„Der Junge war nicht aus dem Bett zu kriegen, er ist noch Zuhause und schläft, er muss nachher ja auch ausgeschlafen sein, schreibt heute eine Klassenarbeit in Mathematik…“ Shannen hatte sich erlaubt zu antworten, der Junge sah sie noch immer total fasziniert an, sie konnte sich nicht helfen, irgendetwas hatte er doch.

„Wer sind Sie?!“

„Sie kümmert sich um deinen Papa, sie ist Ärztin, und ich glaube sie mag ihn.“

„LIZ!“ Ein klein wenig war sie laut geworden, sie konnte den armen Jungen doch nicht damit überfallen.

„Siehst du? Sie mag ihn sogar sehr.“

„Ich lasse euch besser mal alleine, seid aber nicht so laut, es gibt viele Patienten, die noch tief und fest schlafen.“

Zweimal blinzelte der Blonde und sah Liz unverständlich an. Liz wollte ihm das Ganze erklären und setzte sich an sein Bett. „Mum war hier und wollte mich mal wieder ärgern, da hat sie eingegriffen und mich mitgenommen, um mich vor ihr zu beschützen. Da habe ich mitbekommen, als sie mit jemandem über deinen Vater am Telefon sprach. Sie war auch ganz oft hier, so wie ich. Tag für Tag ist sie hergekommen, um ihn zu besuchen – ich habe sofort bemerkt, dass sie in deinen Papa verliebt sein muss.“

Alan war noch immer baff, sein Gesicht war mehr als verwundert, aber er wunderte sich kein bisschen. „Ja, ich glaube sogar, sie wäre sein Typ.“

„Hehe“, das Mädchen hatte ein vergnügtes Lächeln im Gesicht, aber auch bemerkte Alan, wie sie ihn anhimmelte, er erhob sich und kam ein wenig auf sie zu.

„Du Liz…“ Der Junge wurde ernster und legte seine Hand auf ihre, als er tief in ihre Augen blickte, er seinen Arm um ihre Schulter legte und sie nah an sich heran holte, ganz vorsichtig. „Du warst jeden Tag bei mir. Ich weiß das zu schätzen, ehrlich, aber…“ Man sollte das, was Männer vor einem ABER sagten, nicht ernst nehmen, da es sowieso nicht stimmte, dennoch sah sie ihn sehnsüchtig an, auch wenn der Blick kurz darauf traurig wurde und sie ängstlich die Augen zukniff.

„Bitte sag es nicht… bitte…“ Dass er sie abweisen wollte, war ihr klar, sie wusste doch längst, dass er eine Freundin hatte.

„Ich habe es aber schon solange mit mir herumgetragen, es muss jetzt raus…“ Seine Arme schlangen sich fester um ihren Körper und nahmen sie doch unweigerlich gefangen. „Ich finde, dass du ein unglaublich tolles, hübsches und intelligentes Mädchen bist, aber ich bin noch immer mit Michelle zusammen, es wäre nicht fair, dich zu küssen und sie darüber im Unklaren zu lassen, bitte lass mich das erst klären, wenn du mich überhaupt als Freund willst.“

Erschrocken wollte sie die Hände vor ihr Gesicht schlagen, doch er hielt sie zu fest, so dass er nur den Schrecken in ihrer Miene sah.
 

Inzwischen hatte Kei Tamura die beiden jungen Leute förmlich an den Stuhl gefesselt und sie wie zwei Verbrecher behandelt – ähnlich wie man es von Hiroya kannte. Er behandelte sie auch immer so und diese Pissnelke war nicht besser, dabei hatte zumindest Tetsuya ihn anders in Erinnerung, er war doch mal so nett gewesen… Anders als sein Freund Ken fragte er sich aber nicht nach dem Grund, er hatte eben andere Dinge in seinem Kopf als sich um die Vergangenheit anderer Menschen Gedanken zu machen. Dass er sie so runterputzte, die so offen und ehrlich seine Fragen beantwortet hatte, verstand er nur nicht und warf Kei böse Blicke zu. Einige der Fragen waren auch frech, dreist und gingen unglaublich unter die Gürtel-Linie. Gerade als es ihm zu bunt wurde, öffnete sich die Tür.

„Was ist hier für ein Krach? Da kann ja kein Mensch arbeiten! Man hört dich bis über den Flur.“

„Ach – deine Miki hatte Ärger und ich muss das wieder ausbaden – Iwamoto hat schon wieder die Kurve gekratzt, statt uns hier zu helfen, so ein…“ Man hörte lediglich ein Grummeln. Das Schimpfwort blieb unausgesprochen, selbst wenn es dem Kriminalisten auf der Zunge lag.

Hayato hatte ihn angesprochen, noch ehe ihm bewusst war, wen er da so schroff von der Seite angemacht hatte. „Ach du scheiße – behandelst du die Leute immer so von oben herab, die anderer Meinung als du sind!?“ Das konnte er ja noch nie leiden. „Was ist hier überhaupt los? Wieso sind die Beiden hier?!“ Mit dem Blick deutete er den Schwarzhaarigen und die Braunhaarige an.

„Das geht dich überhaupt nichts an, Fujikage!“

Bei der Nennung des Namens drehten sich die 19-jährige und der 25-jährige um. Miki sprang von ihrem Stuhl auf, auf welchem man sie mit einschüchternden Blicken festgehalten hatte. Hayato gehörte Keis Meinung nach nicht hierher, er empfand ihn nicht mal als seinen Kollegen… Mit dem CIA wollte er nichts am Hut haben…

„Onkel!“ sprach sie ihn an und fiel ihm um den Hals, so dass Kei sich räusperte und den Kopf schüttelte.

„Ich habe nicht gesagt, dass wir schon fertig sind!“

„Welchen Mist spinnst du dir nun wieder zusammen? Fahr sie gefälligst nicht so an, ich glaub, bei dir ist eine Schraube locker!“ Nun wurde Hayato ein wenig zornig, was man seiner Stimme entnahm. Was fiel dem Typen ein, sich so aufzuführen? Nur weil er mit bestimmten Sachen nicht so gut zurecht kam, hatte er gegen alle etwas, die zu seiner Familie gehörten.

„Miki, was machst du denn schon wieder hier? Du siehst aus, als wäre etwas Fürchterliches passiert!“ Der Profiler erkannte es an ihrem Gesicht, sie hatte vor nicht allzu langer Zeit wohl sehr heftig geweint, es war aber auch nicht schwer, zu erkennen, wie sehr sie mit den Nerven am Boden war, ihr gesamter Körper zitterte, selbst wenn ihr Blick auch vermittelte, dass sie sich sehr darüber freute, dass ihr Onkel Hayato da war.

„Ignorier mich nicht, Fujikage! Hier spielt die Musik!“

„Stell dich hinten an! Zu dir kommen wir noch…“ Wie er sich immer in den Vordergrund zu drängen versuchte, er hasste es und wandte sich lieber seiner Nichte zu.

„Ich… also… Im Vergnügungspark hat man mich überfallen – Tetsu kam ganz zufällig vorbei“, meinte die 19-jährige mit gesenktem Blick.

‚Was, GANZ zufällig?’ Der 25-jährige verstand die Welt nicht mehr – wieso log sie ihren Onkel nun an? Er würde jawohl kein Drama daraus machen, dass sie zusammen hatten weggehen wollen…

„Nach Zufall sah mir das weniger aus…“, verriet nun Kei und fing an zu lachen. Sein Blick nahm Miki gefangen und er ging über zum Angriff. „So ein kleines Luder! Da haben wir’s – den Grund, warum ich so laut geworden bin. Sie lügt das Blaue vom Himmel runter! Man wollte mich umbringen, man ist hinter mir her! Verfolgungswahn nenne ich das! Kein Wunder, wenn sie ihren Freund mit DEM DA betrügt!“

„Jetzt halt die Luft an!“ funkte Tetsuya dazwischen. „Hier betrügt keiner wen! Eine blühende Fantasie hattest du ja schon früher! Ständig hast du irgendwelche Leute verdächtigt! Und jetzt denkst du, dass Miki so etwas tut…“

„Tamura, das ist kein Grund, sie so zu behandeln, selbst wenn da was wäre. Außerdem würde ich es begrüßen, weil ihr Freund ein Ekel ist. Du denkst, er wollte ihr vielleicht etwas antun – dann solltest du dem Problem nachgehen – sie ist das Opfer – und nicht dein Täter, das sind zwei ganz verschiedene Aspekte… Wir sind doch nicht im Kindergarten!“

„Dich habe ich nicht gefragt, Ogawa! Freundinnen von Kollegen haben dich ja immer sehr interessiert – ich habe allen Grund zur Annahme…“

„Annahmen?!“ fuhr Hayato dem Gleichaltrigen ins Wort. „Wegen Annahmen hackst du auf ihr rum, Freundchen?! Das ist jawohl nicht dein Ernst!“ Welche Vermutungen sein Ex-Schulfreund auch immer wieder aufstellte, er sollte seine schlechte Laune doch woanders auslassen, nicht an seiner Verwandtschaft.

„Ja – wichtige Indizien – Tokorozawa hat mich ja auch schon bestens über alles aufgeklärt!“

‚Oh ja – bist du so dumm, oder tust du nur so? Tokorozawa manipuliert euch und ihr merkt’s nicht! Ohne die Tatsachen zu kennen, stellt er Hypothesen auf, die anderen schaden sollen. Seine Fantasie in allen Ehren, aber er sollte sich lieber mit was anderem beschäftigen – vielleicht hat er den Beruf verfehlt… In der Kunst wäre er besser aufgehoben – er wäre sicher ein guter Buchautor…’ Ein Lächeln erschien auf Hayatos Gesicht. „Einem voreingenommenen Scheusal willst du also Glauben schenken – ich glaube kaum, dass er dir alles gesagt hat. Er ist doch nur daran interessiert, dir genau das zu erzählen, was du hören willst. So ist er eben, ein aalglatter Mistkerl mit ganz eigenen Interessen.“

„Rede nicht so von meinem Kollegen.“

‚Dabei kannst du den gar nicht leiden – es ist lustig, wie er dich manipuliert hat. Er steckt dir Kleinigkeiten und du glänzt dann vorm Chef. Und Tokorozawa kommt ungeschoren davon. So weit ich weiß, hätte er auch ziemlichen Ärger, wenn du den Fall nicht übernehmen würdest. Statt ihn bei der Dienstaufsicht zu verpfeifen, spielst du mit. Jetzt kannst du dich als Retter aufspielen, der du gerne wärst. Aber du hast selbst zu viel Angst, um einer zu sein.’

Dass Naoya da auch mitspielte, verstand er nicht. Der Kerl war viel zu gut, um Hiroya beizustehen – er fand es doch selbst ungerecht, wie dieser sich manchmal aufführte.

„Ich sage dir das im Vertrauen, Kei, nicht um dir eins reinzuwürgen. So weit ich mich entsinne, sind wir noch immer Schulkameraden. Hiroya zu vertrauen, bedeutet in etwa so viel, wie als Schaf in ein Gehege von Wölfen zu gehen!“ Hayato appellierte an den Teil in Kei, der Hiroya selbst nicht ausstehen konnte und ihm eigentlich misstraute, weil er es so wollte, nicht weil er Beweise gegen ihn in der Hand hatte. Natürlich hätte Kei es melden können, aber im Grunde hatte er Angst, so war es immer gewesen. Die Stärkeren hatte er nicht nur bewundert, sondern war ihnen böse gewesen, dass sie mutiger gewesen waren und er fürchtete sie, denn sie waren nun einmal die Stärkeren.

„Hiroya ist ein schlechter Mensch – er macht Leute gerne runter – und den Helden spielt er nur, damit wir ihm die Stiefel lecken sollen. Wir müssen ihm bis ans Lebensende danken, dass er – der Bulle – uns das Leben gerettet hat. Ich wusste, dass ihm nicht daran gelegen war, uns zu retten, er wollte uns nur demütigen. Und dann hat er Tamura-san noch gegen uns aufgebracht. Er redet und denkt schon genauso wie Kimikos Bruder.“ Er behandelte sie genauso und sprach auch in derselben herablassenden Sprache – es war eindeutig Hetze.

„Man sollte ihn zu Schreibtischarbeit verdonnern und ihm die Dienstwaffe wegnehmen, sonst gibt es bei seinen Anfällen der Selbstherrlichkeit noch Verletzte! Ich will doch hoffen, dass nicht er das hier war?“ Er zeigte auf einen Verband an Tetsuyas Arm, es war ihm sofort aufgefallen, als er ihn angesehen hatte. Miki war weitestgehend unversehrt, sie hatte keinerlei Verletzungen davon getragen, ein Glück, dass sie eine Frau war oder lag es daran, dass der Schütze sie nicht getroffen hatte, weil er nicht gut im Umgang mit einer solchen Waffe war?

„Nein, das war dieser Mann, vor dem Miki weggerannt ist. Als wir uns aus dem Staub machen wollten, schoss er wie wild um sich, dabei hat er mich zweimal gestreift. Ist nicht so schlimm gewesen – er hätte unglücklicher treffen können. Ich fürchte, dass er das erste Mal eine Waffe in der Hand hatte… Er war nicht sonderlich geschickt.“

„Ein blutiger Anfänger, das trifft es wohl. Und er hatte hellbraune Haare, gelockt – etwa 1.80 groß.“

„Wow, den hast du dir aber genau angesehen, Miki“, staunte Tetsuya, Hayato jedoch fand es äußerst verdächtig, dass sie ihn so gut beschreiben konnte…

„War es nicht furchtbar dunkel?“ stellte auch Kei Stirn runzelnd fest und fragte sich, ob sie schon wieder log und aus welchem Grund diesmal.

„Ja, deswegen ist es ja so erstaunlich, dass sie das alles so genau weiß. Ich habe weder eine Haarfarbe erkennen können, noch, dass seine Haare gelockt gewesen sein sollen…“ Noch immer verwundert, blickte der schwarzhaarige Bassist in die Runde.

„Ich stand ihm gegenüber. Zuerst war er freundlich und wollte sich bloß unterhalten…“, verriet das Mädchen, wenig später kniff sie die Augen zu. „Dann fing er an… Er fing an von Kimikos Tod zu reden! Und dass ich es unterlassen soll, der Polizei alles Mögliche über die Beziehungen der Leute zueinander zu erzählen, sonst würde ich es bereuen. Ich sagte ihm, dass ich ihnen bereits alles gesagt habe. Dann war da dieser zweite Kerl. Größer als der andere – der befahl dann, dass er schießen soll. Und bitte gleich ins Herz!“ Sie schlug die Hände vor das Gesicht, seine Stimme würde sie von Hunderten unterscheiden können, er hatte so eine abnormal hohe Stimme gehabt, fast wie eine Frau, als sei er noch nicht einmal 20. Eine hohe Jungenstimme, nicht das kleinste bisschen männlich, aber doch mit einer gewissen Grausamkeit inne, welche nur von einem Mann kommen konnte.

„Die Beziehungen der Leute zueinander?“ fragte sich der 25-jährige eher selbst, sprach es jedoch so laut aus, dass jeder es hören konnte. „Dann sollen sie doch vor der Tür der Ikezawas kehren – wegen denen gibt es immer nur Stress! Die Kuh hatte gleich an zwei meiner Kollegen einen Narren gefressen, nur haben die sich auch für Kimiko interessiert. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kens Freundin in dieser Sache verwickelt war.“

„Sag nicht so was, Tetsu“, Miki hatte das Bedürfnis zu heulen, auch wenn es auf gewisse Weise wohl zutraf. „Es wäre sehr dumm von Yui gewesen, dein Freund denkt doch nur an sie – außerdem wäre er nie auf die Idee gekommen, etwas mit einer Frau anzufangen, die sich Haido ausgepickt hat.“

„Yuis Bruder hingegen schon – und sie hätten beide etwas davon. Beide sind furchtbar eifersüchtig, einer unbegründet und einer leider begründet.“

Hayato gab ein nachdenkliches „mhm“ von sich und schüttelte dann den Kopf. „Männer wie er machen erst den Kerl runter, der sie ihnen weggeschnappt hat.“

„Was denn? Hat er doch! Er hätte es ihm nicht besser geben können, als sie umzubringen, weil ihn das am meisten treffen würde… Und Yui muss nichts mehr befürchten… Wäre ja möglich gewesen, dass er zu ihr überläuft, so wie die sich immer aufführt, da kriegt man als Mann doch Zustände. Sie will die Einzige sein… Ihr diesen Wunsch zu erfüllen ist für ihn nicht immer einfach – er mag Frauen… Er trifft sie hin und wieder gerne mal und lernt sie näher kennen… Das ist für Yui wie ein rotes Tuch. Die braucht ihn nur in der Nähe einer Dame zu sehen und ist gleich auf hundertachtzig.“

‚Ähähm… ja, ich glaube, das trifft’s wohl ganz gut’, Hayato hatte sich ja selbst davon überzeugt, wie eifersüchtig diese DAME sein konnte, wobei seine Schwester ungezogener Weise ziemlich Stoff gegeben hatte, sie so weit zu bringen. Er seufzte leise.

„Ich glaube, es gibt allerdings noch einige Leute, die ebenfalls einen Vorteil aus ihrem Tod gezogen haben. Diamond Records und die Presse… Vor allem ein Reporter namens Sojuro Tatsuno, das ist übrigens Kimikos Verlobter gewesen.“

„Der Kerl ist bei der Presse?!“ Für Tetsuya ein herber Schock, wenn er so darüber nachdachte, was dieser Mann über seine zukünftige Frau in der Zeitung schrieb. „Warum macht er denn so etwas?!“

„Er weiß, dass er verloren hat und versucht sein Gesicht zu wahren, so würde ich das bezeichnen“, verriet Hayato, denn er kannte Männer wie ihn. Sie hatten von Natur aus ein kleineres Ego, wenn man dieses angriff, stärkten sie ihr Selbstbewusstsein mit Illusionen. ‚Und ich gehe stark davon aus, dass er die Wahrheit auch kennt – IHN hat er schön brav weggelassen, am liebsten würde er ihn wohl ausradieren. Stattdessen kriegt er erstmal sein Fett weg, weil er sie ihm weggenommen hat. Männer verkraften so etwas weniger gut und so einer sowieso. Er will es eben nicht wahrhaben, deswegen ist sie nun die Hure, die ihn verlassen hat. Armer Kerl, ist ja richtig bedauernswert. Es würde unschön werden, wenn Ikezawa es wirklich war und Tatsuno das spitz kriegt. Er wäre ein toter Mann, so viel ist klar.’ Dass Teru in direkter Nähe dieses Sängers war, gefiel ihm gar nicht, er ließ ihn bewachen, um bei einem Notfall zur Stelle zu sein. Teru war kein Detektiv und auch kein Psychologe… Er hoffte für ihn, dass seine Menschenkenntnis besser war, als die von seiner Schwester Aoi. Sie neigte dazu, Menschen zu sehr zu vertrauen und sie falsch einzuschätzen, sie war eben noch ein kleines Mädchen in seinen Augen.

„Jetzt fällt’s mir wieder ein“, Tetsuya klopfte mit der Faust in die Handfläche, „die Plattenfirma hatte etwas gegen Kimi, Yui hat sie denen ja auch förmlich aufgezwungen – sie waren überzeugt davon, dass Shin Sakurai besser in die Band passen würde – und zwar als der Sänger der Band. Ist er denn nicht total erpicht darauf zu singen?“

„Das ist doch schon solange her, Tetsu, mittlerweile ist er doch längst davon weg…“ Ganz so überzeugt wirkte sie ja nicht, denn manchmal ließ er noch Sätze fallen, die darauf schließen ließen, dass er neidisch auf jeden Sänger war und nur deswegen Keyboard zu spielen begonnen hatte. „Du willst doch nicht sagen, dass er deswegen Kimi irgendwas angetan hat. Ist das nicht weit hergeholt…?“

„Ich bitte dich – dieser Mensch hat dich – davon bin ich nun wirklich felsenfest überzeugt – vor ein Auto stoßen lassen, damit man dich anfährt und du dein Ki-“, die 19-jährige hielt ihrem Freund den Mund zu, er sollte bitte nicht mehr von diesem Höllentag erzählen, schon gar nicht der Polizei – Shin war ja nicht immer ein Mistkerl und sie wollte nicht, dass die Polizei ihn zu sehr nervte, er würde nur schlechte Laune bekommen… und dann… und dann… da war er besonders gemein und gefühlskalt. Wenn er schlechte Laune hatte, wenn man ihn an Dinge erinnerte, die er lieber vergessen wollte.

„Damit sie ihr Kind verliert? Bitte sag, dass das nicht wahr ist!? Du warst nicht ernsthaft schwanger von Sakurai?“ Für Hayato fühlte es sich an, als hätte man ihm in den Magen getreten, ihm wurde schlecht bei dem Gedanken – kein Wunder, dass Tetsuya es ansprach. Wenn er Miki mochte, hatte er Sakurai sicher besonders gern, da dieser Mann seine Freundin wie den letzten Dreck behandelte, weil er so abgehoben war.

„…Doch…“ Es kam etwas kleinlaut daher, was Kei wie ein angriffslustiger Tiger auf sie losgehen ließ.

„Da sieht man es ja – sie ist dumm! Will ihren Freund beschützen und nebenher was Nettes mit einem anderen haben. Ich finde es abscheulich, wenn Frauen sich so aufführen. Wenn man liiert ist, lässt man die Finger von solchen Geschichten. Vielleicht hattest du da auch schon was mit ihm und ihm sind ein paar Sicherungen durchgebrannt.“

„Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Seit wann gehört dieser Sakurai zu deinen besten Freunden? Und schieb Miki bitte nicht in die Schuhe, dass sie selber schuld ist, wenn er sie so behandelt. Ich glaube kaum, dass sie ihn einfach so betrügen würde… Es ist nur einfach an der Zeit, dass sie sich trennen.“ Hayato sagte es ja immer, der Mann tat ihr nicht gut, sie war auch eigentlich viel zu jung für so etwas, er ließ den großen Bruder raushängen und warf auch Tetsuya Blicke zu, die ihn hätten töten können.

„Ich sag’s ja immer wieder, aber sie will nicht hören.“ Obwohl sie so voller Zweifel war und ihm nicht vertraute, weil er ständig besoffen nach Hause kam und ihr wegen allem Möglichen Vorwürfe machte, sie als undankbares Miststück beschimpfte, aber sie ihn einfach zu sehr liebte, was er einfach nicht verstehen konnte.

„Kannst sie ihm ja wegnehmen“, entfuhr Kei, welcher keine Skrupel kannte, so etwas zu tun. Er wartete ja schließlich selbst förmlich darauf, dass Hayato mal einen Fehler machte und er etwas gegen ihn in der Hand hatte, etwas was er Mia klar machen konnte, damit sie Hayato verließ.

‚Dann müsste ich ihr etwas versprechen, was besser ist… Das kann ich nicht. Noch einer, der sie unglücklich macht, braucht sie echt nicht. Ich will keine Beziehung, das geht sowieso niemals gut… Nicht jetzt… nicht schon wieder. Ich hab’s satt!’ Es hatte jedoch seinen Reiz so einem Untier wie Sakurai die Freundin auszuspannen, der würde vielleicht kochen.

Dass Kei nur auf einen Fehler Hayatos wartete, wusste er natürlich, aber er würde ihm keine Fehler liefern…
 

Zur gleichen Zeit unterhielten sich zwei Männer im Licht einer Laterne, obwohl er die Dunkelheit bevorzugte. „Na, dann lass dir mal was einfallen, Sazerac – Jami wird dir die Hölle heiß machen, wenn er herausfindet, dass du sie hast leben lassen. Und ihr kleines Geheimnis lebt auch noch. Schade, dass du ihn nicht richtig getroffen hast. Es wäre wirklich witzig, wenn ganz Laruku im Krankenhaus landet. Am besten so schwer verletzt, dass sie aufhören müssen. Es wird Zeit für etwas Neues, was Besseres. Die breiten sich wie ein Lauffeuer aus – kein Wunder, dass Ikezawalein ihn so hasst. Mit seinem Stimmvolumen lässt sich was anfangen, er kann ihn mit einem Atemzug wegfegen. Der Kerl ist kein Sänger, sondern ein Armleuchter. Wer hat ihm bloß den Floh in die Ohren gesetzt, dass er singen kann?!“

„Man – mir ist Ikezawa so was von egal, das ist dein Gebiet, lass mich doch damit in Ruhe. Und ganz Laruku im Krankenhaus hättest du jawohl gerne. Jami findet es sowieso nicht sonderlich prickelnd, dass er im Krankenhaus ist. Was denkt er sich? Dass er ewig so weiter machen kann? Tokorozawa interessiert sich mehr für alles, als es dem lieben Jami bewusst ist. Es ist unlogisch, dass er ihn leben lässt.“

„Jami soll sich lieber mit Tetsu beschäftigen, es ist viel interessanter, ihn zu ärgern. Er wagt es doch tatsächlich mit ihr anzubändeln, das wird er bereuen. Und mit ihm Yuis Freund, mit dem bin ich noch lange nicht fertig. Was bilden die sich eigentlich ein? Tauchen auf und machen einen auf Obermacker und Beschützer!“

„Verlobter bitte – sie sind verlobt! Er hat Kontakt zur Polizei, das heißt, du müsstest ihn schon umbringen lassen… Yuis Vater ist Anwalt, ihr Cousin ebenfalls Polizist, das Ganze ist eine heikle Sache, mir wäre lieber, wir lassen alle die Finger da raus, ich will mich nicht verbrennen.“

„Sei doch nicht so ängstlich, Sazerac – was will die Polizei schon tun? Wir haben den Boss auf unserer Seite, er ließ ganze Familien einfach so auslöschen.“

Prominente, reiche Leute – er hasste sie. Die dachten immer furchtbar toll zu sein und sich alles erlauben zu können. Es hieß immer sich auf ein gefährliches Spiel einzulassen. Cassis war ihm seit ihrem Auftauchen ein Dorn im Auge. Diese CIA-Agentin dachte doch tatsächlich, sie könne ihn täuschen – ihn doch nicht. Für sie interessierte sich der gute Sazerac weitaus mehr. Die Show, welche sie abzog, war für ihn eindeutig. Ihre Schnüffler-Nase roch drei Meilen gegen den Wind – jedenfalls wenn man selbst ein Detektiv war. Ryochi Akaja war ebenfalls ein wesentlicher Aspekt, der ihn mehr interessierte, als die Probleme eines Musikfreaks. Er war nur neidisch und froh, dass Kimiko nicht mehr plaudern konnte.

Sazerac hasste es – und er würde es immer hassen, dass Jami am längeren Hebel saß und der Boss ihn in seinen Aktivitäten unterstützte.

„Geheime Unterhaltungen von Arrak und Sazerac“, meldete sich dritte Person und schritt auf beide zu, zog eine Waffe und hielt sie geradewegs an Sazeracs Hals.

„Ich hab da so ein Problem und du wirst es lösen, ist das klar, Missgeburt?“

Schon beim Anmarschieren des Mannes mit den längeren Haaren, war Sazerac leicht zurückgewichen, doch jetzt bog er sein Kreuz, dass es fast einen Halbkreis formte, da die Klinge ihm eine kleine Wunde am Hals beibrachte und er befürchtete, dass er ihn abstach. Sein Blick fiel auf Arrak, dieser verzog keine Miene, es wirkte jedenfalls nicht, dass ihn der Neuankömmling beeindruckte.

„Was macht ihr denn da, ihr Pack?! Habe ich nicht gesagt: Kein Aufsehen?!“ Mit einem mächtigen Hieb in sein Kreuz wurde Arrak zu Boden geschleudert und wandte sich unter Schmerzen. Die Waffe des Ranghöchsten hatte ihn in die Schulter getroffen, er hatte ja auch mit voller Wucht zugeschlagen. Er hasste Männer, schien es ihm.

„Ich will nicht, dass ihr eigenständig Pläne macht, ist das klar? Und Tuscheln hasse ich am meisten!“ Er hatte besonders Arrak im Blick und grinste zu dem Dunkelhaarigen, welcher noch immer Sazerac bedrohte. „Auf dich ist wenigstens Verlass – mach aber schön sauber, wenn du mit Sazerac fertig bist. Er verdient es bestraft zu werden. Ich kann das ja getrost dir überlassen, damit nimmst du mir liebenswürdiger Weise eine Menge Arbeit ab“, mit seinem Grinsen drehte er sich herum und ließ die drei alleine zurück. Er war schneller verschwunden, als man schauen konnte. Im Abhauen war er einsame Spitze.

Allmählich erhob sich Arrak wieder vom Boden und schaute diesem Jami missmutig nach. Wie er sich immer aufspielte… Er tat, was ihm passte, er ließ sich von dem Idioten doch nicht so behandeln. Seine Rache würde fürchterlich sein…

‚Menschen, die Jami beschützt, darf man nicht anrühren… Er muss uns gehört haben… Aber was hat ER jetzt? Tut er das nur, weil Jami es ihm aufgetragen hat?’ Mit einem beobachtenden Gesichtsausdruck und auch etwas Angst inne, bewegte er sich zusammen mit ihm rückwärts, er drängte ihn ja quasi gegen eine Wand.

„Jami hin oder her, das ist etwas ganz Persönliches“, kündigte er an und fuhr mit dem Messer durch die Haut, entlang des schmalen Halses bis in sein Gesicht. Sofort bildete sich eine Blutspur und der Verletzte schrie unter brennenden Schmerzen auf. Das Messer des Mannes brachte ihm eine tiefe Fleischwunde bei, die er so schnell nicht mehr vergessen würde. Er würde sie sehen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Er liebte es, Männer, die er verabscheute, so zu behandeln. Gerade fand er es unschön, an eine andere Person nicht ranzukommen, deswegen musste eben Sazerac darunter leiden – er fühlte sich bedeutend besser, als er das Blut aus der Wunde treten sah und wie der Schönling entsetzt die Hand auf die Verletzung presste, voller Angst, dass Narben zurückbleiben würden – das war gewiss.

Arrak war froh, dass dieser Typ ihn nicht auf dem Kieker hatte. Er war – seiner Meinung nach ein Winzling, aber mit seiner Messerattacke konnte er so manchem größeren Mann einen Heidenschreck einjagen, sie sogar verängstigen. Welcher Mann war schon scharf darauf, dass man ihn entstellte?

Er hatte jedoch das Glück, dass man ihn nicht so gut durchschaute – er jedenfalls nicht – war er doch immer um ein Pokerface bemüht, das ihm schon so oft geholfen hatte. Bei der Polizei, in den Kreisen, in denen er sich zu bewegen bevorzugte, bei Frauen, die ihm zu Füßen lagen. Und natürlich bei so einem Kerl, der andere angriff, wenn sie ihm nicht in den Kram passten, wenn er sie schlichtweg nicht ausstehen konnte.

‚Man, zum Glück hab ich Kimi rechtzeitig in den Wind geschossen, sonst wär ich das vielleicht! Jeder weiß, was er von Kerlen hält und mit ihnen zu tun pflegt, die sie anhimmeln…’ Er hatte es mit eigenen Augen gesehen, es war der Horror – er an seiner Stelle hätte es auch mit der Angst zu tun gekriegt, die er natürlich nicht so offenherzig gezeigt hätte…
 

Zum Glück hatte man sie gehen lassen – gemeinsam. Sie wüsste nicht, was sie tun sollte, hätte sie nach dem Spektakel alleine nach Hause gehen müssen. ‚Was Aoi wohl tun würde?’ Die ganze Zeit hielt der smarte junge Mann ihre Hand, sie fühlte sich wohl. Es war wie der verpasste Spaziergang. Eine Abwechslung zu dem, was sie mit einem bestimmten Mann erlebt hatte. Eigentlich war der Weg viel zu kurz, zum Glück hatte er nicht darauf bestanden, sie nach Hause zu chauffieren, sie wären innerhalb von 3 Minuten zu Hause gewesen, so hatte sie wenigstens etwas davon. Irgendwann war sie anschmiegsam geworden und er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, einfach so.

Sie waren da, es wurde Zeit, dass sie ihn losließ. Er war bereits stehen geblieben, doch fühlte sie sich anscheinend zu wohl an seiner Schulter. Ein Seufzen entfuhr ihm, er war kein guter Tröster und diesen schien sie nötig zu haben.

„So, Endstation, alle aussteigen“, sie würde ihn ansonsten ja nie mehr loslassen. Natürlich bemerkte Miki, dass er nun ebenfalls nach Hause wollte. Dass Tetsu wahrscheinlich noch so viel Arbeit hatte, um nicht vor dem Morgengrauen ins Bett zu kommen, dabei hatte er sich so nett um sie gekümmert.

„Danke für’s Nachhausebringen. Ich weiß das wirklich zu schätzen, und bis bald“, die 19-jährige fasste ihm an Kinn und drückte ihm einen Kuss auf die Wange – freundschaftlich.

„Habe ich gerne gemacht – du kannst immer zu mir kommen, wenn du Kummer hast. Und lass dir von ihm nicht so viel gefallen! Versuch deinen eigenen Wert etwas höher einzuschätzen.“

„Ich werd’s versuchen.“ Größtenteils würde das Ganze daraus bestehen, dass sie ihren Freund nicht zu verärgern versuchte. Sie würde lieb und nett sein, so dass er keinen Grund fand, böse auf sie zu sein. Eine kurze Umarmung später winkte er ihr und machte sich dann auf den Weg.

Als sie ihn so weggehen sah und sie nach oben zur Wohnung blickte, überkam sie die Angst – er würde nicht da sein, eigentlich sollte sie ja froh sein, aber es war auch die Angst vor dem Alleinsein, die ihrem Bekannten hinterher rufen lief. „Warte!“

Sofort blieb er stehen, drehte sich jedoch nicht herum. Er hörte sie schon, wie sie mit ihren flachen Absatzschuhen über die nasse Straße rannte, ganz sicher auf ihn zu und dann spürte er sie. Ihren Körper, ihre Arme.

Die sich so sehnsüchtig um ihn schlangen.

Die ihn gefangen nahmen.

Die ihm sagten, er solle nicht gehen.

Noch ehe sie es mit Worten verdeutlichte, spürte er es. Sie umklammerte ihn so stark, dass er befürchtete, keine Luft zu bekommen. Ihre Tränen nässten sein grünes Hemd, sie schluchzte einmal auf. „Bitte geh nicht, bleib bei mir!“ Verzweiflung in der Stimme und Trauer in ihrem Herzen waren ausschlaggebend dafür, dass ihm sich der Hals zuschnürte. Er war doch nicht der Richtige dafür, er wusste, wie das enden würde. Er kannte sich schließlich am Besten. Aber auch fühlte er sich verantwortlich, sie war noch so jung und diesem Kerl ausgeliefert, wenn er nicht schleunigst etwas dagegen unternahm. Und sie flehte ihn an, nicht zu gehen. Wann hatte das letzte Mal eine Frau wirklich darum gebettelt, dass er blieb…?

Sich langsam von der jungen Dame lösend, drehte er sich herum und blickte in ihre glasigen Augen. „Schon okay – wenn du das unbedingt willst“, seine Hand fuhr ihr zärtlich über die Wange, während er sanft mit ihr sprach. „Aber nur heute Nacht.“ Ob er sein Gewissen erleichtern wollte, indem er es extra ansprach – er wusste es selbst nicht, ob das der Grund war, oder die Angst, sich auf zu viel einzulassen, ihr Hoffnungen zu machen. Es gab keine Hoffnung – er und Musik, da gab es keinen Platz für so etwas.

‚Was Aoi jetzt wohl tun würde? Sie ist immer so stark und so mutig. Sie würde mich auslachen, wenn sie mich sehen würde! Dass ich mich nicht mal traue, obwohl ich es eigentlich will. Bitte nimm mich IHM weg! Er ist so grausam, aber ich kann ihn nicht verlassen… Nicht alleine…’ Sie warf sich an seine Brust, voller Erleichterung und der Hoffnung, dass er seine Meinung ändern würde.

Als sie ihn am Arm in Richtung des Wohnblocks zog, wusste sie genau, worauf sie sich einließ. Sie wusste, wo es enden würde. So gesehen hatten Kei und Hayato sie auch auf die Idee gebracht…

Und Aoi, die Männer aussaugte, wie ein kleiner Vampir, weil sie sich so sehr danach sehnte, geliebt zu werden, war keinen Deut anders, doch das wusste Miki nicht. Sie bewunderte die junge Frau schon seit Jahren. Ohne sich zu verlieben, hatte sie schon so oft etwas mit einem Mann gehabt, sie war viel stärker als sie.
 

Es war eine heikle Angelegenheit, wenn ein Mann die Wohnung einer Frau betrat. Es gab Gerüchte, denn jeder würde denken, dass es passierte. Für gewöhnlich besuchte er Frauen auch nicht einfach nur zum Kaffeeklatsch, das machten sie nur unter sich.

Mit Sicherheit gab es hinter einigen Gardinen neugierige Hausfrauen, die alles nun voller Neugierde beobachteten – so waren sie nun einmal.

Aber auch boshafte Männer, die sich amüsierten, waren darunter. Diese jedoch beobachteten es mit Ferngläsern. „Hat dieses kleine Luder ihn doch rumgekriegt – ich hoffe, er passt auf, sonst gibt’s böse Überraschungen. Shin hat ja gerade noch mal die Kurve gekriegt – jeder weiß, dass es ihm ungelegen käme, wenn eine Frau von ihm schwanger wird. Dann kann er ja keine Karriere mehr machen, sondern muss sich um seine Frau und sein Kind kümmern. Dabei will er nicht einmal eine Frau heiraten.“

„Das sagst ausgerechnet du, du drückst dich doch auch feige vor deiner Verantwortung.“

„Ach, sei ruhig! Man, er benimmt sich auch wie der aller erste Mann, es ist jawohl offensichtlich, was sie von ihm will. Da kommt nur noch Auspacken in Frage.“

„Macho!“

Man hörte in der Dunkelheit lediglich die Worte der beiden Gestalten und sah nicht gar ihre Gesichter. Auf das Macho fing der 25-jährige sofort an zu lachen. „Die Erfahrung sagt mir, dass es besser ist, ein Macho zu sein. Männer wie du werden nur von Frauen verarscht. Sie stehen nicht auf Weicheier, das ist dummes Gerede, sie wollen von einem Kerl richtig rangenommen werden.“

„Es darf nicht wahr sein, was ihr da für einen Schwachsinn von euch gebt, ihr unbelichteten Idioten“, kaum war die weibliche Stimme mit dem Satz fertig, hatte sie beide mit einer Waffe ins Visier genommen. „Wer erlaubt euch eigentlich, in fremde Zimmer zu gaffen, ihr Hirnis? Habt ihr kein Sexleben?“ Sie wollte sie ja nur etwas erschrecken, weil sie ja so groß und stark waren…

In der Dunkelheit konnte man wenig erkennen, doch ihre rötlichen Augen funkelten verheißungsvoll in die Nacht hinein. Die Stimme und ihre Augen waren ihr Markenzeichen, was beide Männer klarer sehen ließen, als es in der Dunkelheit für gewöhnlich aus Entfernung möglich war.

„Ich dachte, ihr habt zu tun, war es nicht so?“ Die junge Frau erinnerte beide Männer noch einmal daran, dass es ja Dinge gab, die sie gefälligst zu erledigen hatten.

„Seit wann haben Weiber das Sagen?“ gab einer der Männer von sich, er ließ sich ungern von so einem Miststück Befehle erteilen.

„Komm mal in der Gegenwart an! Die Zeiten, in denen Männer das Sagen hatten, sind lange vorbei, mein Schätzchen! Was sagst du zu einem Loch im Kopf – als Zierde vielleicht?“ Sie hatte ihre Waffe sowieso bereits geladen und wartete nur darauf, einen dieser Kerle ermorden zu dürfen – sie waren allesamt schlecht.

„Provozier sie nicht“, flüsterte der andere ihm zu, bei ihr sollte man nicht noch Öl ins Feuer gießen, sie konnte Männer ohnehin nicht wirklich leiden und würde jeden, der frech wurde, einfach so erschießen.

„Dafür, dass du heute bereits einen Herzstillstand hattest, bist du ganz schön frech! So weit ich weiß, hast du auch Geschwister – wenn du nicht spurst, sind sie die ersten, die darunter leiden! Oder unschuldige Kinder – hast du denn nicht bereits eines? Und dann noch mit einer Polizistin! Tze tze – ich an deiner Stelle wäre da etwas vorsichtiger! Du hast es meiner Fairness zu verdanken, dass der Boss noch nicht darüber Bescheid weiß, das kann man schnell ändern.“

Die junge Frau – sie war ein Jahr jünger als er – kannte ihn anscheinend gut genug, um ihm das Leben zu versauen, das und nichts anderes war es schließlich, was sie versuchten.

„Bist du noch ganz bei Trost? Du kannst sie doch nicht so verärgern?“

„Halt dich da raus, du Memme!“ Er besah die Schwarzhaarige, sie hätte ihm ja ganz gut gefallen – vielleicht war das ein Weg, wie er ihn besser beschritt. Wenn er sie auf seiner Seite wusste, brauchte er sich nicht großartig zu sorgen. „Sei doch nicht so biestig – ich weiß es zu schätzen, dass du geschwiegen hast. Leider gibt es da einen Zeugen…“ Wen er meinte, war nicht allen Anwesenden bewusst. Sie sahen ihn auch nicht an, sondern sprachen nur von Personen – es war nicht einmal klargestellt, dass diese anwesend waren.

Natürlich war der Killerin bewusst, wen der gute Ouzo damit andeuten wollte. Sie kicherte leise. „Oh, tut mir Leid, hab ich zu viel verraten… Ups…“

„Ja ups“, es klang heimtückisch, da er nun plante auch etwas auszuplaudern – aber auch, um sie zu verunsichern und zu ärgern, ihr klarzumachen, dass ihr Mann nicht besser war.

„Ach übrigens – dein Ehemann ist mir begegnet – zusammen mit der Schwester von Kei Tamura – war ein heftiges Zusammentreffen der beiden. Fand auch Nebbiolo“, nun lachte er, es war ihm ein Vergnügen, ihr diese Information nun zu geben.

„Was willst du damit sagen?“

„Dass er sie knallt – und du es nicht bemerkt hast.“ Noch deutlicher konnte er wirklich nicht in seiner Wortwahl sein.

„In deinen Fantasien – niemals würde er so etwas tun, er ist ja nicht so wie du. Ein Wort über ihn und du bist ein toter Mann, nur damit das mal klar ist!“ Ihrer Meinung nach war es eine Information, wie sie keinen etwas anging. Genauso wenig, wie es jemanden etwas anging, woraus die Familie des jungen Mannes bestand.

„Dann sind wir uns ja einig – keiner erfährt etwas von unserem kleinen Geheimnis – jetzt muss nur noch der Zeuge verschwinden.“

Dass sie sich einig waren, war seine Vorstellung, sie konnte ihn trotzdem nicht ausstehen – Männer wie ihn hasste sie von Natur aus. Ahnungslos wie seine Begleitung war, dachte er sich nichts dabei, als die Frau auf ihn zukam, er hatte ihr ja nichts getan… Das dachte er jedenfalls, bis sie ihn mit einem heftigen Stoß vom Dach beförderte und er mit einem Schrei in die Tiefe stürzte…

Ouzo sah dem Fallenden nach und erfreute sich daran, sie hatte es getan, nur für ihn.

Doch es täuschte – Chasselas hatte es keinesfalls für Ouzo getan, sondern für andere, unschuldige Menschen…

„Endlich alleine“, meinte sie mit sanfter Stimmlage, die nicht dazu passte, was die Dame im nächsten Moment tat: Sie schlug mit ihrer Waffe mit aller Kraft, die sie als Frau aufbringen konnte, auf die Wange des Mannes ein. Voller Jähzorn und Hass gegenüber ihm, dem undankbaren Mistkerl. Es lag ihm zwar etwas daran, seine Familie zu schützen, doch behandelte er seine Frau nicht gerade so, wie es sich gehört hätte. Er war eigensinnig, eingebildet, hatte nur kranke Dinge in seinem Kopf – wie mit Zwillingen gleichzeitig ins Bett zu gehen, eine reichte ihm ja nicht, er wollte sie am liebsten alle vernaschen. Er glaubte, seinen Blick hätte sie nicht deuten können, sie kannte diesen Gesichtsausdruck – so viele Männer nahmen ihn an, wenn sie scharf auf eine Frau waren. Dachte er wirklich, dass sie so dumm war, das nicht zu bemerken? Chasselas hatte zu viele schlechte Erfahrungen – vor allem mit gut netten Männern – gemacht, um auf so eine linke Tour hereinzufallen. Fremdgänger waren ein rotes Tuch. Männer in Kombination mit Fremdgeherei waren das Schlimmste, was man ihr vorsetzen konnte. Es war Jami eine Wonne, sie dabei zu beobachten, wie sie den Kerl nun verprügelte. Er hätte es genauso getan, aber wenn es von einer hübschen, jungen Frau kam, wirkte es wesentlich besser. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er die Dame für sich beanspruchen würde…

Dabei vergaß er sogar, dass er selbst in das Fremdgeher-Schema passte und sie ihn genauso mögen würde, wie Ouzo.
 

Drinnen wurden erst einmal die Schuhe ausgezogen und sie standen wie bestellt und nicht abgeholt im Dunkeln, bis sie den Lichtschalter fand. Man merkte sofort, dass sie erst vor kurzem hier eingezogen war. Eigentlich war die Wohnung groß genug für drei Personen, es war also klar, was Miki damit bezweckt hatte, hier einzuziehen. Er dachte daran, was sie ihm erzählt hatte. Dinge, die Männer eben einfach nicht von Frauen erfahren wollten. Von Muttergefühlen hatten sie sowieso keine Ahnung und konnten wenig damit anfangen.

Es war ihm unangenehm an ihre Erzählungen denken zu müssen, er bedauerte sie schrecklich, was sie mit diesem Kerl durchmachen musste, aber er selbst war schließlich nicht besser. Die meisten Männer würden beim Wort „Kind“ die Flucht ergreifen. Es lag in der Natur der Männer, die Bindungsängste hatten, dann zu verschwinden, trotzdem war es immer noch zu krass, dass dieser Kerl ihr so etwas angetan hatte.
 

Teru hatte bereits mehrere Anrufe bekommen, war allerdings gerade zu sehr durch andere Dinge abgelenkt, als dass er nachgeschaut hätte, wer den Vibrationsalarm zum wiederholten Male ausgelöste hatte. Das arme Mädchen – er hatte gerade nur Aufmerksamkeit für sie übrig. Dass Shin nicht ganz sauber war, war ihnen ja durchaus klar, aber dass er vor seinen Augen fast eine Schülerin vergewaltigt hatte, hatte ihn doch in einer Heftigkeit getroffen, die er selbst als Schriftsteller schwer zu beschreiben wusste. Da Juu sich verdrückt hatte, war er die einzige Person, die das Mädchen heil nach Hause bringen konnte, er konnte und wollte sie nicht alleine gehen lassen. Sie war still gewesen, bis sie vorm Anwesen der Suzukis Halt gemacht hatten.

„Danke für’s Fahren“, kam monoton von ihr, sie hatte einen Schock, das sah man auch als Laie.

„Keine Ursache, hab ich gern gemacht“, er beobachtete sie, wie sie ausstieg und gleich zum Tor lief, man schien sie bereits zu erwarten, denn das Licht ging bereits an, als sie die Tür öffnete. Es war unschön für ihre Mutter, die sich fürchterlich gesorgt hatte, dass er noch wartete, bis sie hineingegangen war. Sie sah seinen dunkelblauen Schlitten - wie man so schön sagte. Sein Nissan Silvia war ein Protzauto, er hätte genauso gut einen Porsche fahren können. Der Sportwagen glänzte und funkelte, war also mit Sicherheit neu. Es war so eindeutig zweideutig: Älterer Mann, Sportwagen, Macho – und ihre Tochter, weshalb sich diese zur Begrüßung erst einmal eine von ihrer Mutter einfing.

„Was fällt dir ein, uns so anzulügen und dann noch spät nachts wiederzukommen?!“ fuhr ihre Mutter sie an, was normalerweise eine Seltenheit darstellte. Sonokos Freude wieder zu Hause zu sein, erübrigte sich mit diesem harten Schlag der Hand ihrer Mutter auch bereits. Nicht nur ihr Vater behandelte sie wie eine Gefangene, nun fing ihre Mutter auch noch damit an.

Teru beobachtete das Ganze und fand es überzogen, zumindest die Ohrfeige, aber andererseits war er selbst Vater und konnte sich vorstellen, was in ihr vorging. Eltern zu sein, hieß auch manchmal ungerecht zu werden, wenn man in seiner Sorge vergaß, was richtig und was falsch war – wobei er Gewalt an Kindern und Jugendlichen, als letzte Lösung ansah. Dem ein oder anderen – hatte er es sich auch noch so geschworen – passierte es doch einmal, denn es war menschlich. Wenn man weder ein noch aus wusste und die Verzweiflung immer mehr anwuchs, konnte einem alles Mögliche passieren – auch Mord. Der gutherzigste Mensch war dazu fähig einen anderen zu töten. Er war an Menschen interessiert, wollte alles über sie wissen, manchmal studierte er sie regelrecht, das jedoch lag daran, dass er Stoff für seine Geschichten brauchte. Es mochte grausam klingen, aber Erfahrungen, je mehr davon man hatte, waren in der Hinsicht sehr nützlich. Nicht alles konnte ein Mensch aus der Fantasie saugen, so gesehen war Teru ein ziemlicher Blutsauger, der Menschen benutzte. Dennoch gab es Menschen, die er besonders mochte und die er nicht nur als lebende Figur mit interessanten Aspekten ansah. Wie zum Beispiel das weibliche Wesen, das ihn versucht hatte zu erreichen – mehrmals – und er hatte sich auf anderes konzentriert. Jetzt, da er sah, dass nicht nur sie, sondern auch ER ihn angerufen hatte, machte er sich Sorgen. Der 30-jährige befürchtete schreckliche Dinge. Fünf Anrufe von ihr und zwanzig von ihm…

Gerade als er sie anrief, klopfte es gegen die Fensterscheibe – Teru ignorierte die Person, die nun aufdringlicher dagegen hämmerte – lauter… und lauter… so laut hatte er noch nie jemanden klopfen gehört.

Die Sorge kam wie ein bedrohlicher Schatten in ihm auf, als keine von beiden Personen ans Handy oder Telefon ging. Nach einiger Zeit legte er auf, mit einem Seufzen wandte er sich der Person zu und holte tief Luft, als er sie sah. ‚Muss das jetzt sein?’ Er ließ die Scheibe runter, woraufhin sie ihm ein zuckersüßes Lächeln schenkte, was er noch viel schlimmer fand, als ihr penetrantes Parfüm, das man Meilenweit gegen den Wind roch – sie musste sich nur in der Nähe befinden und man nahm es bereits wahr. Meistens verzog er sich, wenn sie anrückte. „Hallo Fiona“, er bemühte sich stets in einem netten und nicht genervten Tonfall zu reden – sie war trotz allem eine Frau, ein zerbrechliches Wesen, auch wenn sie ihn förmlich belästigte.

„Schön, dass ich dich treffe, Teru! Du warst so schnell von der Party verschwunden, das fand ich furchtbar schade.“

‚Ich nicht!’ Er versuchte ein schwaches Lächeln zu zeigen, aber es sah eher wie ein jämmerlicher Versuch aus, gute Laune vorzutäuschen.

Sofort sah die 20-jährige, dass er nicht bei der Sache war – wahrscheinlich dachte er schon wieder an sie, immer dachte er nur an sie, an diese dumme, eingebildete Pute von Schauspielerin. Er hatte was Passenderes verdient, als so eine Tussi, die ihm am Ende das Herz brechen würde. So etwas wie sie selbst. Sie war passend für ihn, doch das hatte er wohl leider noch nicht mitgekriegt.

„Ich bin eher gegangen, weil so ein Vorfall mir die Laune vermiest hat – ich bin auch total außerhalb meines Zeitplans und habe im Grunde überhaupt keine Zeit. Wenn es also nicht dringend ist, bitte ich dich, nicht meine Zeit zu stehlen.“ Es war eine nette Abfuhr, aber mehr ging wirklich nicht.

„Du immer mit deinem Zeitplan! Wie kann man nur alles im Voraus planen? Wie unspannend! Du solltest mal etwas total spontan tun. Du glaubst gar nicht, was für ein Gefühl von Freiheit das ist. Nimm dir deine Schwester als Beispiel – sie hat spontan entschieden mit ihrem Vater eine CD zu produzieren. Ich habe immer sehr viele spontane Ideen, gerade schwebt mir vor, mich mit dir zu amüsieren.“

‚Noch direkter geht’s nicht, oder? Dräng dich doch auf! Hab ich nicht gesagt, ich habe keine Zeit?’ Er schüttelte den Kopf. „Es sind wichtige Dinge, die lassen sich nicht verschieben. Manche Termine kann man eben nicht verlegen, verstehst du?“ Die Kleine musste endlich mal erwachsen werden, das Leben bestand nicht immer nur aus Spaß.

„Schade!“ Sie verzog das Gesicht zu einer leidvollen Miene, die ihm gleich ein weiteres Seufzen entlockten. Er schlug die Augen nieder.

„Ich muss jetzt – mach’s gut!“ Mit den Worten fuhr er die Scheibe wieder hoch und trat das Gaspedal durch, dass die Reifen nur so quietschten. Sein Sportwagen fuhr in einer knappen Kurve auf die Straße und ganz offensichtlich konnte er nicht schnell genug davonkommen – davon von ihr.

Erneut nahm er sein Handy zur Handy zur Hand, doch trotz Freizeichen wollte niemand antworten, das war ihm noch nie passiert, dass sie nicht ranging…
 

Fiona drehte sich herum, er hatte sie schon wieder einfach so abserviert, das passierte ihr viel zu oft in letzter Zeit.

„Hat dein Schätzchen dich allein gelassen“, kam aus einer Ecke – zynisch, wie sie es nicht selten von der Frau hörte. Mit einem huschenden Blick in die Richtung der Stimme und mit wenig Gefallen darin, stand sie da, einen Moment lang nach einer passenden Antwort suchend. „Hast du uns beobachtet, Kat?“ Es gefiel ihr nicht, wenn man sie ständig so beobachtete, das hatte was von Kontrollzwang.

„Nenn mich nicht Kat, ich bin Cinzano, klar?“ Ihre Stimme klang für einen Moment hart und kalt, kaum zu glauben, dass sie dieselbe Person war, mit der Kimiko gut befreundet gewesen war. Seit ihrem Tod hatte sie fast nur schlechte Laune und ließ die an so ziemlich jedem aus.

„Es ist nicht gerade asthätisch in einem solchen Ton zu sprechen. Wir Frauen müssen immer freundlich klingen, das macht wahre Schönheit aus.“

„Lachhaft!“ Das Püppchen wusste noch nicht, dass ihr das in der Organisation das Genick brechen wurde, sie war wie Futter für die bösen Mädchen. Davon gab es leider viel zu viele, man sollte den Laden mal wieder aufräumen…

„Liebe Cynthiana, du bist wohl darauf aus, einen schnellen Tod zu sterben. Unter uns ticken die Leute anders – wieso wollt ihr das nicht kapieren? Kimi wollte es auch nicht kapieren und ist deswegen tot – willst du auch so enden?“

„Ach ja, Kimi – das hat dich schwer getroffen, nicht wahr? Sie machte allerdings eher den Eindruck ein kleines, hilfloses Mädchen zu sein, als eine Frau. Ich bin ganz anders als sie und werde sicher nicht so enden, ich weiß meine Vorteile als Frau zu nutzen – mach dir da mal keine Gedanken. Ich habe Männer auf meiner Seite.“

Cinzano entfuhr ein Lachen, sie konnte nicht anders. Die wusste ja nicht, wovon sie da redete. „Diese Männer sterben mit dir, wenn sie dir helfen – so was kann verflucht schnell gehen – es gab viele solcher Männer, die Anzahl wurde allerdings mit der Zeit um einiges reduziert.“
 

Der Hilfeschrei ließ bei einigen Menschen die Lichter angehen und neugierige Blicke nach draußen senden. Trotzdem gab es relativ wenige, die es wagten, einzuschreiten. Sie sahen zwar den schwarzhaarigen Mann, der das Kind an sich nahm und die hellbraunhaarige Frau, die es zu verhindern versuchte, aber von einem zweiten Mann - helle, blonde Haare - davon abgehalten wurde. Sogar ein dritter Mann tauchte auf, bedrohte die Frau mit seiner Smith & Wesson. „Das würde ich lassen“, ließ die hohe Stimme ihr zukommen, doch sie stürzte todesmutig nach vorne. Ein weiterer Mann in Schwarz griff sie von hinten und hielt sie nun fest, presste sie gegen seinen Körper. Somit waren es bereits vier Männer in tiefschwarzen Kleidern, die sich mit beiden beschäftigten. Der Geruch von Parfüm stieg der Blaugrünäugigen in die Nase, eines wie sie es bereits seit Jahren kannte. Ihre Augen hatten sich schockiert geweitet. Mit gutem Grund hatte sich der 24-jährige ihr von hinten genähert und hielt ihr den Mund zu. Er wollte kein zu großes Aufsehen, obwohl ihr Schrei sicher nicht ungehört gewesen war. Wieso waren sie eigentlich so zahlreich erschienen? Doch genau, um das zu erreichen – wenig Aufsehen… Trotzdem scheiterten sie. Nur weil dieser Gin mal wieder drauf losstürzte. Und Jami war keinesfalls besser, hielt er der Frau doch echt eine Knarre unter die Nase…

Naru war nur so geschockt, weil sie sein Parfüm kannte. Wie sehr man sich doch in Menschen täuschen konnte. Polizist… Ein Polizist, fiel ihr da nur ein. Auch wenn sie ihn nie hatte leiden können, so viel Korruption hatte sie ihm nicht zugetraut.

„Lasst sie los!“ rief eine weibliche Stimme und stürmte im nächsten Moment sogar auf die Männer zu. Todesmutig wagte sie sich an sie heran, auch wenn sie die Waffe bereits gesehen hatte. Die Rothaarige hatte es bald geschafft und zerrte den Arm des Mannes von Naru weg, wendete ihn und streckte ihn mit einem Schlag direkt in sein Gesicht nieder. „Los, kommt her! Traut euch!“ Die hellblauen Augen funkelten sie gemeingefährlich an, weshalb Jami seine Waffe einsetzte, damit endlich wieder Ruhe herrschte. Er visierte die Brust der Rothaarigen an und drückte ab. Blitzschnell wie es geschah, konnte niemand den Schuss verhindern, der die junge Frau auch traf. Selten verfehlte Jami seine Opfer und auch dieser Schuss saß perfekt…

Naru wollte sie noch davon abhalten, als sie ihre Stimme hörte, doch dann passierte alles viel zu schnell.

Eine Braunhaarige stieg aus einem Wagen, warf dem Kind ein „komm“ zu und entfernte sie vom Spektakel – es war schrecklich, sie sollte es nicht sehen. Nicht sehen die Schmerzen, welche eine junge Frau durch einen Mann erlitt, der skrupellos genug war, jemanden in einer dunklen Gasse zu erschießen. In diesem Viertel wohnten teilweise sehr viele arme Leute, es war alles so unsicher, so etwas hatten die Menschen hier sicher nicht zum ersten Mal erlebt. Kir drückte sie an ihre Brust und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. „Alles wird gut, meine Kleine – dir wird nichts geschehen!“ Keinen der Männer würde sie an das Mädchen ranlassen. Die würden sonst was mit ihr anstellen – nun gut, Cognac eher weniger, trotzdem wollte sie sich selbst um sie kümmern… Wozu sonst war sie hier? Wobei Cencibel besser geeignet gewesen wäre – kein Wunder, sie wollten ja Carpano dabei haben und Cencibel war weniger erpressbar als Kir selbst. Und sie war Carpano noch mal ein Stück wichtiger, auch wenn es sich bei beiden nicht viel gab.
 

Sêiichî bekam den Schock für’s Leben, als seine Exfreundin in das Geschehen einfach so eingriff. Bei ihrer Panik vor Männern war das etwas, was ihn wirklich entsetzte. Aber nicht nur das, sondern auch Jamis Schuss, der sie so böse traf, dass er um ihr Leben bangen musste, hatten ihn in Aufruhr versetzt…

Sich in der Situation nichts anmerken zu lassen, war nur bedingt möglich. Beim Anblick des zu Boden gehenden Körpers entwich ihm sämtliche Gesichtsfarbe. Man würde es womöglich darauf schieben, dass es eine Frau war, Jami jedenfalls, aber er konnte sein Entsetzen einfach nicht verbergen. Die Abscheu gegenüber dieser Tat hingegen bemerkte man nicht.

Nightmare

Der Befehl holte ihn zurück in die Wirklichkeit: „Los, Cognac! Schnapp sie dir und dann weg hier!“ Naru schnappen, Riina liegen lassen – alles in ihm weigerte sich, das zu tun. Deswegen zögerte er und ließ das Haarmonster von den Männern in blinde Wut geraten, so dass er seine Waffe bereits auf Cognac richtete. „Los, komm jetzt!“ warf ihm auch Jami zu, welcher Gin an der Schulter ergriff, um ihn abzuhalten, dieser jedoch zog die Schulter nach vorne und wollte sich nicht von Jami zähmen lassen. Es gab keinen Grund für ihn, Cognac am Leben zu lassen. Für ihn war er bereits durch Befehlsverweigerung zum Verräter geworden.
 

Im nächsten Moment hörte man Schüsse vom Dach, die Gins Aufmerksamkeit von Cognac auf ebendieses Dach lenkten. Ehe er wusste, um wen es sich handelte, trafen ihn welche in den Bauch und beide Schultern. Allen anderen Anwesenden jedoch war sofort klar, wer Gin da so ärgerte…

Dass der Schütze Cognac damit nicht nur das Leben rettete, sondern die Truppe auch zur Flucht zwang, war keinem von ihnen wirklich bewusst, vor allem Gin nicht, was auch gut so war. Denn er ließ Cognac mit den beiden Frauen zurück, wohl hoffend, dass Shūichi Akai ihn wie Calvados in den Selbstmord trieb, und sollte das nicht zutreffen, würde er sich noch einmal eingehend mit ihrem Problemfall beschäftigen. Er hätte allerdings die Hand ins Feuer gelegt, dass Akai ihn dazu brachte, sich das Lämpchen freiwillig auszuknipsen…

Aus der Entfernung sah Gin ohnehin nicht jedes Detail. In Sêiichî machte sich eine ungemeine Erleichterung breit, auch wenn er zumindest den Schein wahrte, abhauen zu wollen, indem er mit seiner Waffe auf den FBI-Agenten zielte.

„Na, Schießwütiger?“ sprach ihn Akai an und feuerte eine ganze Ladung in Cognacs Richtung. Mit einem Satz nach hinten, entging er dem, wenn auch mehr als knapp. Es war aber auch deutlich, dass Shūichi ihn gar nicht treffen wollte. Da Gin bereits mit seinem Porsche auf der Flucht war, wagte Cognac es, die Waffe sinken zu lassen. „So ernst brauchst du das auch nicht nehmen, Akai! Der ist längst weg!“

Auf diese Worte hin gingen weitere Schüsse in seine Richtung, so dass er fast einem Tanz gleich, rückwärts sprang und sogar auf dem Allerwertesten landete.

„Jemand muss ihr helfen!“ Er wandte sich nach hinten um und ignorierte den FBI-Kerl, ganz zum Missfallen für jenen.

Naru hatte die Schießerei nur im Unterbewusstsein mitbekommen, sie telefonierte längst mit einem Notarzt und versuchte ihre Freundin daran zu hindern, einzuschlafen.

„Alles dreht sich“, meinte die Rothaarige, während Naru sie auf ihren Schoß hob und das T-Shirt, welches sie trug, aufriss. Das Blut sickerte langsam zu Boden, sie konnte kaum hinsehen, denn ihr war schlecht vor Angst.

Cognac wurde währenddessen noch immer von Akai bedroht, was er am langen Rohr des Gewehres bemerkte, welches neben seinem Kopf sichtbar wurde. „Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber sie braucht dringend ärztliche Hilfe.“

„Die wird sie kriegen“, versicherte der FBI-Agent, legte augenblicklich das Gewehr um Sêiichîs Hals und zerrte ihn hoch, so dass dieser um Luft ringen musste. Er verstand nicht, was der Kerl für ein Problem hatte…

Dieser dumme Kerl, dachte er, sie seien unbeobachtet, nur weil Gin außer Reichweite war, Akai war nicht so dumm, er spielte das Spiel weiter. Cognac hatte wohl vor, demnächst unter die Toten zu gehen, das gefiel ihm wenig. Er spielte sich so furchtbar als Held auf, das sollte er gefälligst lassen, es würde ihn in ein falsches Licht rücken…

Cognacs geheuchelte Hilfsbereitschaft konnte Narus nun gebildete Meinung von ihm nicht ändern. Nur weil er so was sagte wie „man musste ihr helfen“ gehörte er nun nicht wieder automatisch zu den Guten. So leicht war das einfach nicht...

„Nimm ihn mit, bring ihn bloß fort von hier“, kam von der Hellbraunhaarigen – eine Träne tropfte auf die helle Haut der Rothaarigen, um genau zu sein auf die Hand, welche sie in ihrer hielt. „Am besten mit nach Amerika, damit ihn keiner mehr sehen muss, den Mistkerl!“

„Naru, lass mich das erkl-“, wollte Sêiichî versuchen Naru klarzumachen, dass er ihr wirklich helfen wollte, als Akai ihn an den Haaren wegzerrte und Sêiichî schmerzbedingt aufkeuchte. „Mit Freuden mach ich das!“ Nicht glaubend, was Akai da versprach, kniff der 24-jährige ein Auge zu, beobachtete wie sich die beiden Frauen immer mehr von ihm entfernten, da man ihn in eine Seitengasse verschleppte.

„Was soll das? Lass mich los!“ forderte der Schwarzhaarige von dem Älteren, doch dieser zog ihn weiter in die Gasse hinein, ohne ein weiteres Wort.

Erst eine schier endlose Strecke weiter, ließ man ihn los, pfefferte ihn gefühllos gegen die Wand. „Und du fandest deine Show auch noch oscarreif, oder?“

Überrascht blickte der Blauäugige dem FBI-Agenten entgegen, weil er kaum fassen konnte, was man ihm an den Kopf warf. Sein Blick wurde deprimiert, schließlich war er von sich selbst enttäuscht, wie sehr ihm die Fassung entglitten war, nachdem auf Riina geschossen worden war. „Nein“, kam kleinlaut von Sêiichî, er machte sich auf eine ordentliche Standpauke gefasst, immerhin hatte er ihn gerettet…

Sein Blick erweichte sogar Akais Herz – wie ein schutzloser Junge wirkte er für den Moment. Es fehlte nur noch, dass er anfangen würde, zu heulen, das sähe ihm aber wenig ähnlich.

„Guck mich nicht so an! Das nächste Mal helfe ich nach!“ Obwohl er sie ansah, als würde sein Herz in alle Einzelteile zerspringen, kam der Satz in einem eiskalten Ton von Akai. Was dem äußeren Schein nach Kälte aussah, war im Inneren desjenigen etwas völlig anderes. Es ließ ihn alles andere als kalt. Er musste einfach vorsichtiger sein. Gin knallte ziemlich schnell eine Sicherung durch und er machte auch keinen Hehl daraus, dass er Cognac nicht ausstehen konnte. So eine Chance nutzte er doch liebend gerne aus. Nicht einmal Jami hatte ihn abhalten können.

„Es tut mir Leid…“ Auch wenn seine Freundin gerade als ein grausamer FBI-Agent auftrat, musste er ihr danken, denn sie hatte ihm das Leben gerettet – schon wieder. Warum war er nur nicht in der Lage, das selbst zu tun? Er hatte doch so oft geübt, hatte so oft andere Männer erschossen, um sich zu retten… Nur bei Gin klappte es anscheinend nicht so gut. Er fühlte sich schlecht und schwach. Musste er sich von einer verkleideten Frau, die sich als ein FBI-Agent ausgab, retten lassen.

„Was tut dir Leid? Dass Gin dich fast erschossen hätte, oder andere Sachen?“

„Alles – einfach alles…“ Sein Blick ging zu Boden. Toll, Depressionen waren das Letzte, was er nun brauchte.

Ein Seufzen entfuhr dem FBI-Agenten, er drehte sich leicht von Sêiichî weg. „Du hast noch viel zu lernen. Du bist weder in der Lage, dich selbst einzuschätzen, noch andere. So schwach, wie du wieder denkst, bist du nicht. Es ist keine Schande, sich helfen zu lassen. Hör nur endlich auf zu träumen! Du bist nicht Superman, das wirst du niemals sein, also fang an vorsichtig zu sein! Und lerne Gefühle abzustellen! Selbst ich, die weit weg von dir war, hab sie gesehen… Die Gefühle für das Mädchen…“ Ihre monotone Stimme – sie bemühte sich nicht einmal mehr, Akais Stimme nachzuahmen – war ohne jegliches Gefühl, im Gegensatz zu ihm, war sie dazu in der Lage, sie zu verbergen. Meistens jedenfalls.

Trotzdem hörte er sie heraus. Die Eifersucht, als sie von dem Mädchen sprach.

„Dann möchtest du nicht sehen, wie ich reagiere, wenn dir so etwas geschieht“, meinte der Schwarzhaarige. Wenn sie von Gefühlen für Riina sprach, war es lachhaft. Die Vorstellung von seiner Freundin blutend in seinen Armen – er würde schreien und zu heulen anfangen.

„Mir kommen die Tränen…“ So gleichgültig sie klang, umso mehr wusste sie tief in sich, was er damit andeuten wollte. Nein, wenn man sie umbrachte, dann wenigstens richtig, so dass sie es nicht mehr mit ansehen musste.

„Ich weiß, erbärmlich. Dir würde so etwas ja nie passieren.“

Wie gesagt, seine Einschätzungs-Fähigkeiten waren mehr als begrenzt, er dachte auch, es würde sie kalt lassen – aber das nahm wohl so ziemlich jeder an. Dass sie mit ihm spielte und es für sie lediglich ein Zeitvertreib war. Es gab auch Zeiten, da war sie netter zu ihm gewesen. Da hatte er auch nicht ständig Roulette mit seinem Leben gespielt. Am liebsten folterte sie ihn wohl, wenn er sich wieder fast selbst ins Grab gebracht hatte. Ein Psychologe hätte es chronische Angst genannt. Man musste sich eben ständig um ihn sorgen und in Angst verfallen. Natürlich zeigte sie ihm diese nicht. Er würde wahrscheinlich daran zerbrechen. Ob er wohl dann vernünftiger geworden wäre, wenn er wüsste, dass sie bei der Vorstellung, dass man ihn ihr wegnehmen würde, bereits zur Furie wurde?
 

Noch immer fühlte sich der schwarzhaarige Mann wie ein Störenfried. Sie hatte immer so furchtbar viel zu tun, aber es ging ihm schlecht, da nahm sich die Kurzhaarige jederzeit für ihren Schützling Zeit. Sie war fast so etwas Ähnliches wie seine Therapeutin.

„Und dann ist Gin ausgeflippt – ich bin davon überzeugt, dass Cognac genauso wenig davon hält, wie ich, dass man diesen Kerl in unsere Organisation holen will. Ich meine, der bekriegt uns – wieso ist es dem Boss nur so wichtig, ihn zu bekommen? Er wird sowieso ein Verräter werden… Es würde ziemlich nach Trotzkopf aussehen, wenn ausgerechnet ich ihn wegen einem Verrat bestrafe. Ich weiß einfach nicht, wie ich ihm gegenübertreten soll, dem kann doch keiner trauen! Dass Gin da freiwillig mitmacht, enttäuscht mich wirklich. Ich habe ihn für klüger gehalten.“ Keiner wollte ihm glauben, dabei wusste Jami am besten über den Kerl Bescheid.

Asti schüttelte den Kopf, ihr Sohn machte sich da viel zu viele Gedanken. Es wäre besser für ihn, die Sachen hinzunehmen, wie sie nun einmal waren, aber etwas tief in ihm war noch genauso stur wie früher.

„Cognac hat nur Angst, dass man ihm den Rang abläuft. Du denkst zu viel nach. Der Boss hat großes Vertrauen in dich. Wenn der Neue zu einem Verräter wird, vertraut er auf deinen Verstand und deiner Liebe gegenüber ihm.“

Liebe – was war das schon? Er hatte keinerlei Ahnung von Gefühlen wie diesen. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er nichts Dergleichen mehr erfahren.

„Ach, ich weiß nicht… Ich wünschte, der Boss würde diese Idee schnell verwerfen. Ich will Ärger vermeiden. Manchmal glaube ich, ihm ist langweilig und er holt sich deswegen diese ganzen tendenziellen Kriminalisten.“

‚Dabei warst du selber einer – das scheinst du vergessen zu haben. Ja, der Boss mag sie! Weil es ihm ein Gefühl von Genugtuung gibt, wenn er der Polizei ihre Sprösslinge wegnimmt. Das war auch bei dir der Grund. Er wollte deinen Vater besiegen, indem er sich seinen Sohn holt…’ Nun musste sie wieder Überzeugungsarbeit leisten, sie wusste wie man ihn manipulierte – schließlich kannte sie ihn schon, seit er ein Kind gewesen war.

Es klopfte an der Tür, doch dies ignorierten beide – sie waren nun eben nicht zu sprechen. Mehrmals klopfte es, doch sie interessierten sich nur für sich selbst. So war es immer. Sie hatten ein alleiniges Interesse an ihrer Wenigkeit.

„Kriminologie und Kriminalität liegen nah beieinander. Kaum ein Mörder ist so schlau gegen Kriminalisten anzukommen. Sie kennen sich am besten mit Mord aus. Detektive sind die besten Mörder, sie haben schon alles gesehen, was es so gibt. Ihnen ist es in die Wiege gelegt worden, wie es funktioniert – außerdem können sie andere besser täuschen, als man es bei ihnen könnte. Darüber hinaus – je weniger Kriminalisten existieren, umso besser geht es den Verbrechern.“

„Es ist kein Verbrechen, die Welt zu ändern. Da es sonst niemanden gibt, der wirklich etwas dafür tut. Wir haben die besten Mittel, ich verstehe nicht, wieso man uns Verbrecher nennt. Was ist schließlich dabei, etwas zu verändern? Jeder, der uns in die Quere kommt, ist der wirkliche Verbrecher…“ Die Überzeugung in Jamis Stimme besagte, dass man ihm all das schon sehr früh eingetrichtert hatte und er es wirklich glaubte. „Leute wie Hiroya Tokorozawa behandeln uns wie den letzten Dreck und nennen uns schlecht, dabei wehren wir uns nur.“ Er hasste diesen Besserwisser, so einer war mal sein bester Freund gewesen – wie konnte man sich in einem Menschen nur so täuschen? Jami hatte großes Vertrauen in Menschen und wurde dafür oft bestraft.

„Ich werde ihm nie vergeben! Niemals werde ich ihn unter uns dulden! Beim ersten Anzeichen ist der Kerl Geschichte!“

Asti grinste, es war so interessant, wie konsequent Jami vorging. Hatte er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt, setzte er es gnadenlos durch – und wenn es hieß, eine Frau zu töten, weil sie die falsche Entscheidung getroffen hatte.

Das Klopfen wurde jetzt so laut, dass beide sich davon belästigt fühlten. Jami ging zur Tür. Er öffnete sie mit einem Ruck. Dort standen zwei Männer, die wohl ziemlich nass geworden waren.

Der eine hatte längere schwarze Haare und der andere dasselbe in braun, dieser war jedoch ein ganzes Stück größer und doch war er kleiner als sein Gegenüber. Jami überragte kaum jemand, er war ja auch fast 1.90 groß.

„Ach, was treibt euch denn hierher?“

Asti schielte nach hinten und erblickte Mezcal und den anderen, eher stillen Zeitgenossen. Sie war nicht ganz so erfreut, ihn hier zu sehen…

„Was machst du hier?“ Der Braunhaarige ging einfach an Jami vorbei, was dieser äußerst ungehobelt fand, um sich mit der Frau zu unterhalten, statt Jami eine Antwort zu geben.

Mezcal zuckte mit den Schultern. „Anscheinend kennt er sie schon, was für eine Überraschung.“

„So überraschend finde ich das nicht, sie hatte die Idee…“, flüsterte Jami ihm zu und dieser staunte nicht schlecht.

Ja, alles passt ins Bild. Ist ja unglaublich, dass die sich bereits kennen. Kleine Welt.

„Gut, dass ihr beide da seid. Mezcal, warte bitte draußen“, forderte die Schwarzhaarige und ließ ihn nicht gerade erfreut dreingucken.

Auch mal wieder… Immer schickt sie mich raus. Sie traut mir nicht. Ganz schlecht. Wenn sie mir nicht traut, dann hat der Boss sicher auch Bedenken. Was will sie mit ihm besprechen, was ich nicht wissen darf? Betrifft es mich etwa?

Ohne ein Murren verließ Mezcal das Zimmer und ließ den um ein Jahr älteren Mann mit Jami und Asti alleine.

„Warum schickst du ihn raus?“ Man konnte seine Stimmlage schon erbost nennen. „Er ist mein bester Freund geworden! Jemand, dem ich meine Seele anvertrauen würde…“ Nach den Worten stand die Grünäugige auf und knallte ihm eine. Wie einem Schuljungen, der etwas ausgefressen hatte, schenkte sie ihm Blicke.

„Was hab ich jetzt falsch gemacht?“ Es traf den 25-jährigen sehr, wenn sie ihn so behandelte, er mochte sie wirklich gerne.

„Mezcal ist nicht vertrauenswürdig! Merk dir das mal, Juu-chan!“

‚Juu-chan? Die kennen sich anscheinend wirklich näher, wie interessant.’ Jami beobachtete beide. Was gab es da noch zu erfahren, was er noch nicht über ihn wusste?

„Alles machst du falsch! Treibst es mit deiner Schwester, machst ihr ein Kind, und lässt dich dann auch noch von ihr knebeln!“ Ihre Augen funkelten zornig.

„Das war jawohl nicht geplant!“

„Vieles ist nicht geplant, aber du hättest das Ganze geschickter behandeln können. Ohne dich auf dieses Weib einzulassen! Ich hab dir tausendmal gesagt, dass du so etwas nicht machen sollst!“

Sie behandelte ihn ja schlimmer, als Jami selbst, dieser war mehr als nur überrascht, er hätte schwören können, es war das Verhalten einer Mutter gegenüber ihrem Sohn. „Wie hat deine Mutter dich bloß erzogen? Es ist unfassbar! Bei deiner Schwester hat sie auch maßlos versagt! Sie angelt sich einen Gitarristen. Hat ihr niemand gesagt, dass man sich als Frau immer den Besten nimmt? Wäre sie klug, hätte sie sich an den Sänger rangemacht. Die stehen nun mal im Mittelpunkt, Mitsuki hat es besser gemacht, sie hat ihn rechtzeitig in den Wind geschossen.“

„Wenn jemand einen in den Wind geschossen hat, dann war er das, tze“, entrüstete sich der Braunhaarige, er verstand sowieso nicht, wie er so etwas hatte machen können.

„Wie auch immer…“, sie räusperte sich, „wie siehst du überhaupt aus? Hast du dich wieder mit Leuten angelegt, denen du unterlegen bist? Was denkst du eigentlich, weshalb ich mir die Mühe mit dir mache? Damit du möglichst bald ins Gras beißt? Darüber hinaus sind Drogen schlecht für den Verstand, also lass die Finger davon!“

„Ich bin auf dem besten Weg, klar? Bin seit Tagen auf Entzug und fühl mich nicht sonderlich… Hatte etwas Streit mit Sakurai, der hat sich mal wieder aufgeführt, wie das allerletzte Rindvieh.“ Andere Männer als Rindviecher zu bezeichnen, sah ihm ähnlich, dabei war er selbst das allergrößte, fand jedenfalls Asti.

„Du lässt dich benutzen… Nicht nur von Mitsuki, auch von so ziemlich allen anderen Leuten um dich herum. Nenne Mezcal nie mehr deinen besten Freund, das verbiete ich dir! Er ist es nicht!“ Der Kerl hatte nur Kimiko im Kopf und er nannte ihn seinen besten Freund – war er eigentlich so dumm, zu denken, diese Freundschaft würde Bestand haben, wenn er die Wahrheit erfuhr? Bisher konnte er anderen die Schuld geben und gegen sie hetzen, aber irgendwann machte er einen Fehler, das war dann das Ende.

„Warum willst du Yui eigentlich ständig erziehen? Es ist doch ihr Leben – warum gönnst du’s ihr nicht? Sie hat den Sänger für ihren Gitarristen verlassen, na und? Ist das denn ein Verbrechen?“ Juu war beides, er konnte damit angeben und fühlte sich auch äußerst toll damit. Er hätte niemandem eines von beidem überlassen. Er konnte Hyde nicht verstehen, der so etwas mit sich machen ließ, er war doch schließlich auch Gitarrist. Nein, das Weichei gab seine Gitarre an Ken ab, weil Tetsu das so wollte. Der war sowieso herrschsüchtig. Erinnerte ihn ungemein an seinen Vater, kein Wunder, dass Yui nicht mit ihm auskam.

‚Das wüsstest du gerne, was?’ Sie blieb ihm eine Antwort schuldig, während sie auf ein völlig anderes Thema kam. „Männer wie er sind für ein Spiel gut, aber nicht für mehr. Irgendwann erkennt auch deine kleine Schwester, wie er tickt. Sie hat keine Ahnung von Männern, auch wenn sie immer so tut.“

„Was soll schon jetzt noch passieren? Er hat ihr einen Antrag gemacht…“

„Pure Verzweiflung, um sie ruhig zu stellen. Glaubst du etwa wirklich, er will sie JETZT heiraten? Verlobungen sind nur dafür da, etwas anderes zu vertuschen! Männer sind so hinterhältig! Sie ist eine eifersüchtige Zicke, mit dem Heiratsgedanken im Hinterkopf, gibt er ihr das Gefühl, es ernst zu meinen.“ Die junge Frau mit dem knallend roten Lippenstift fuhr sich durch die Haare. „Ich kenne einige Mädchen, die ihm schöne Augen machen, irgendwann wird er schwach werden… So ist der Lauf der Dinge. Wenn sie sich weiter so aufführt, treibt sie ihn ja geradezu dazu.“

Sie hatte wirklich gut reden, so gut kannte sie ihn nicht mal, sie hatte ihn 1 bis 2 Mal gesehen. Mehr nicht, Juurouta wusste auch nicht, weshalb sie bei Männern immer im Recht sein wollte, nur weil sie bereits 45 war. Manchmal glaubte er auch, dass sie eine Affäre mit seinem Vater gehabt hatte, so wie sie immer von ihm gesprochen hatte. Sie schien ihn mehr in der Hand zu haben, als seine eigene Mutter. Aber das konnte jawohl nicht sein, sie war die beste Freundin seines Vaters, seine Patentante. Andererseits… wieso traf er sie jetzt wieder, da er in dieser Scheiße saß? In einer Organisation, deren einziges Interesse Macht zu sein schien. Auch noch im direkten Kontakt mit diesem Ekel Jami.

„Vielleicht löst sich das Problem auch von ganz alleine – wenn er das Ganze publik macht, haben wir neues Futter. Irgendwem passiert noch was, weil sie so verdammt stur ist. Hoffen wir, sie wird vernünftig, wenn der gute Jami ihr davon erzählt, was mit dir geschehen ist.“

Deutlicher musste sie nicht werden, er wusste sofort, dass sein Unfall nicht auf Shin Sakurais Mist gewachsen war, sondern an seine Schwester gerichtet. Ihm lief es eiskalt den Rücken runter, am Ende lebte er nur noch, weil seine Patentante in der Organisation war…

Und überhaupt, alles passte irgendwie. Doch sein Verdacht blieb unausgesprochen, es war offensichtlich, dass sie ein reges Interesse an seinem Vater und dessen Kindern hatte, insbesondere an Yui. Was wäre also, wenn sie ihre… wäre?
 

Jami musste grinsen. „Also ich plane anderes“, verriet er seiner Erziehungsberechtigten, woraufhin diese ihm ihre gesamte Aufmerksamkeit schenkte. „Sie ist jetzt vielleicht noch hartnäckig, aber wenn ich sie etwas länger bearbeite, wird er es sein, der sie verlässt, weil sie ihm zur Seite gesprungen ist. Aber es würde mich schon interessieren, wer der Kerl ist, vielleicht kann ich den ein bisschen ärgern.“

„Wenn du das wagst, lernst du mich kennen! Du mischst dich da gefälligst nicht ein!“

Ein jüngerer Kerl, auch noch einer, der frisch bei ihnen war, wagte es, so mit ihm zu reden – wäre Asti nicht daran gelegen, dass er überlebte, hätte er sonst was mit ihm angestellt. Der hatte ein großes Maul, weil er genau wusste, dass sie ihn beschützte. „Na komm, Asti, verrat’s mir, ich renne schon nicht gleich hin und nehm dir deine Beute weg! Na, wer ist es?“

„Nein!“ Sie blieb diesmal hart, obwohl er sie um so manches bitten konnte, worauf sie auch einging. Aber in dem Fall hatte er keinerlei Chance, sie kannte ihn einfach zu gut. Wer wusste schon, was er mit ihr machte, sobald er DAS wusste?

„Wir tragen es auf fairem Wege aus! Wer von beiden als erstes anbeißt. Ohne irgendwelche Tricks, Jami!“

‚Schlecht… ich hab sie bereits zu sehr geärgert, um noch bei ihr erfolgreich zu sein, also werde ich betrügen müssen… Ich krieg schon raus, wer das ist. Vielleicht kenne ich ihn sogar. Wäre ja zu lustig, wenn die beiden in der gleichen Band wären… Das wäre ein Spaß, damit kann man ihm gleich noch etwas auf die Nerven gehen… Vielleicht macht er dann endlich, was ich ihm sage…’ Jami war diese Warterei einfach satt. Er war ohnehin nicht gerade der geduldigste Mensch.
 

Mitten in der Nacht klingelte das Haustelefon und die Mädchen wurden dadurch aufgescheucht, während die beiden Männer den Schlaf der Gerechten zu schlafen schienen.

Am anderen Ende der Leitung war der unangenehmste Zeitgenosse, den man sich vorstellen konnte. Zum Glück war es nicht Tomoko, welche den Hörer abhob, es wäre ihr nicht bekommen, wenn er ihre Stimme gehört hätte. Stattdessen war es eine total verschlafene Kotomi.

„Hallo?“ meinte sie leise und bekam eine Männerstimme als Antwort, die ihr jedoch wenig sagte.

„Ich will Hiroya sprechen, es ist dringend.“

Dass er ihn verlangte, wunderte sie nicht, denn sie waren hier, ohne dass jemand davon wusste. „Ja, Moment!“ Ahnungslos holte sie ihn aus dem Bett, ans Telefon. Er nahm den Hörer und fragte gleich: „Wer ist das?“ Seine Stimme klang dunkel, man bemerkte, dass er geschlafen hatte.

„Werd’ erstmal wach!“ forderte der Mann von seinem Freund und dieser verzog das Gesicht noch um ein Vielfaches mehr.

„Was zum Teufel willst du?!“ raunte er den Mann an.

„Begrüßt man so seinen besten Freund?“

Hiroyas Gesicht erschreckte Kotomi, aber sie konnte sich denken, wer es war. Seine unweigerliche Mädchenstimme – wie sie zumindest empfand – und Hiroyas Gesichtsausdruck verrieten es ihr. Außerdem wurde er ziemlich laut, weshalb sie zu Kazuo lief, um ihn zu wecken. Das gestaltete sich jedoch als äußerst schwierig – auf Grund dessen verpasste sie die spannenden Teile des Ganzen. Die ganzen Drohungen und Aufforderungen.

„Ich wüsste nicht, dass wir beste Freunde sind! Seit wann wühlst du in Vergangenem rum?“

„Ach komm – ich habe dich besonders gern, was denkst du, warum ich mich so gern mit dir beschäftige! Wir haben deine Nichte… Ich nehm an, du möchtest sie unversehrt wieder haben, nicht wahr? Also hör gut zu!“ Natürlich machte es ihn wütend, dass Kenichi eine 12-jährige in die Sache mit hineinzog, doch lauschte er aufmerksam, ohne ihn erneut anzufauchen.

„Heute Nacht, 3 Uhr in Kawasaki – am See – komm alleine! Dann siehst du sie wieder, Hiroya!“ Es klickte, so dass monotones Tuten im Telefon blieb. Mit einer wutentbrannten Fratze schmiss der Besagte den Hörer auf die Gabel und rannte zur Garderobe. Gerade als Kotomi mit einem verpennten Kazuo die Treppe runterkam.

„Was war los? Wo willst du hin?“ fragte der Detektiv den Älteren.

„Jami!“

„Was will der?“ entgegnete der Braunäugige entsetzt.

„Spielchen spielen…“ Um klare Antworten war Hiroya nicht bemüht, aber aus irgendeinem Grund hatte Kōji nicht vor ihn alleine gehen zu lassen, weshalb er ihn am Arm packte. „Langsam! Du sagst es doch immer… Man darf sich nie zu blinder Wut hinreißen lassen, weil man dann Fehler macht! So wie du gerade drauf bist, läufst du direkt in eine Falle!“

„Ist mir klar“, er versuchte sich von seinem Freund loszureißen, doch dieser hatte ihn gut im Griff.

„Wenn dir das klar ist, warum willst du es dann tun? Damit Jami dir ins Gesicht lächeln kann? Das kannst du unmöglich wollen…“

Hiroyas Blick ging in Richtung des 23-jährigen Mannes, er sah wild entschlossen aus. „Ich soll alleine kommen! Natürlich ist das eine Falle, sie werden auf mich warten, aber ich muss es tun – er hat Nami in seiner Gewalt! Das bereut er! Sie ist erst 12! Wie kann er es wagen, sich an ihr zu vergreifen? Hat er keine würdigeren Gegner? Leute wie mich? Dem bring ich Manieren bei!“ Es war ein ernst gemeintes Versprechen.
 

Naru konnte von Glück reden, dass nach Sêiichîs Verschwinden Juro aufgetaucht war und ihr geholfen hatte, bevor sie einen Nervenzusammenbruch hatte erleiden können. Sie war auch total aufgewühlt, was ihn kein bisschen wunderte, da es sich um ihre beste Freundin handelte.

„Ich kann nicht glauben, dass man Nami einfach vor meinen Augen entführt hat – alles ist meine Schuld! Hiroya bringt mich eigenhändig um, wenn er davon erfährt.“

„Überziehst du nicht ein bisschen, Naru? Hast du etwa deswegen Fujimine alarmiert?“ Dass sie ihrem Exfreund nicht gerne sagen wollte, dass man seine Nichte gekidnappt hatte, war ihm klar, aber wieso ausgerechnet den Typen?

„Weil er ihr Freund ist und außerdem bei Interpol!“

„WAS?!“ Es brauchte einen Moment, bis der Schwarzhaarige den Schock überwunden hatte. Interpol gefiel ihm gar nicht – am liebsten wollte er auf der Stelle die Fliege machen…

„Das ist ganz schön… Riina und der geheimnisvolle Agent von Interpol“, er zog es ein bisschen ins Lächerliche, sonst kam sie noch dahinter, dass ihn das wirklich schockte. Er war ein Mitglied der Organisation – und Fujimine auf dem Weg. Das war nicht sein Tag.

„Oh ja, der geheimnisvolle Mann, der kommt und geht…“ Warum dauerte das heute eigentlich so lange? Was hielt ihn auf?

Naru wurde zunehmend nervöser. Nicht nur, dass Tatsuji noch nicht gekommen war, die Ärzte wollten ihr auch keine Auskunft geben. Ob das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, vermochte die Hellbraunhaarige nicht zu deuten…

Da sie in der Nähe eine Treppe hatten, hörten sie natürlich sofort als jemand schwer atmend ebendiese hinaufkam. Sofort gingen die Blicke der Beiden auf die Treppe. Wo daraufhin jedoch nicht Tatsuji war, sondern zu ihrem Leidenswesen Sêiichî Iwamoto. Dass der sich hierher traute, unglaublich!

„Was willst du denn hier? Willst du gucken, ob sie schon gestorben ist?!“ warf Naru dem 23-jährigen zu – sie glaubte einfach nicht, dass er sich wirklich für Riina selbst interessierte, doch eher für seinen beschissenen Auftrag.

„Spinnst du, Naru?“ Sie entsetzte ihn mit ihren Worten – das war hoffentlich nicht ihr Ernst. „Ich will wissen, wie es ihr geht!“

„Das Eine schließt das Andere jawohl nicht aus, oder wie siehst du das?!“ Er war ein schlechter Kerl, er hatte denen geholfen, ein kleines Mädchen zu entführen und noch dazu zugelassen, dass sie Riina fast umbrachten. Wer wusste schon, ob sie heil aus dieser Sache kommen würde?

Wenig später hörten sie erneut Schritte und ein hektischer Tatsuji gesellte sich zu ihnen. „Wie - geht’s - ihr?!“ Seine Stimme holperte, was seine Sorge zeigte, und dass er anscheinend drei Stufen auf einmal genommen hatte. „Und was machst du hier?“

„Dasselbe wie du, will ich meinen, auch wenn sie nicht glaubt, dass es so ist! Ich bin genauso geschockt wie du… Ich war dabei und musste es mit eigenen Augen mit ansehen.“

„Warum hast du nichts unternommen?“ Tatsuji schnappte Sêiichî am Kragen und schüttelte ihn, das war sonst nicht seine Art, er hatte ein ziemlich ruhiges Gemüt.

„Hätte ich ja gerne, aber es ging so schnell. Ehe ich mich versah, hat der Scheißkerl dann abgedrückt und sie getroffen! Und dann wollte er mich auch noch töten.“

„Tut mir außerordentlich Leid für dich“, meinte Naru ironisch und schenkte ihm hasserfüllte Blicke. Bei ihr hatte er es sich endgültig verschissen…

Tatsuji ließ Sêiichî los – was war nur los mit ihm? Er wurde von einem Schwindelgefühl heimgesucht und setzte sich für einen Moment, den Kopf in den Händen vergrabend.

„Es tut mir Leid, dass ich nicht eher gekommen bin – ich bin fürchterlich hierher gerast und dann in eine Polizeikontrolle gekommen. Da hat es dann noch länger gedauert. Was sagen die Ärzte?“ Er blickte auf zu Naru, diese schlug die Augen nieder.

„Bisher gar nichts!“

Juro hatte die Arme verschränkt und stand nahezu abwesend da, weshalb Sêiichî sich ein bisschen fragte, was er hier überhaupt machte, zudem kannte er ihn nicht.

„Und er-?“ Der 24-jährige hoffte so etwas herauszubekommen.

„-Wurde auch von Naru angerufen“, antwortete dieser selbstständig und musterte Sêiichî. „Ich bin Juro – wie sieht’s mit dir aus?“

„Sêiichî… Ich war mal mit ihr zusammen.“

„Ja, leider Gottes“, murmelte Tatsuji in den nicht vorhandenen Bart hinein, er hatte sich das leider nicht verkneifen können. Eine Exfreundin von dem zu sein, war eine Strafe, seiner Meinung nach.

„Ich weiß, ich hab Mist gebaut… Aber nach 6 Jahren hat sogar sie mir verziehen.“

Tatsuji gab einen ziemlich schnippischen Laut von sich. „Trotzdem ist es eine Strafe!“ Die Frau, die momentan mit ihm zu tun hatte, war zumindest seine Kragenweite, die würde ihm wenigstens die Hölle heiß machen, wenn er den Bogen überspannte – es geschah ihm ja Recht. Sie war die richtige Frau für Sêiichîs Erziehung.

„Ach, er wird ja auch ständig bestraft von so einer Schauspielerin“, machte sich Naru lustig, was der 24-jährige nicht amüsant fand und einen Schmollmund zog.

„Erziehung der Extraklasse, oder wie?“ Tatsuji machte sich große Sorgen um Riina und doch stieg er ein, um Sêiichî etwas zu ärgern.

„Ich bin bereits erzogen, danke!“ Vermouth erzog ihn nicht, wieso glaubten das alle?

Als wenig später ein Arzt ihren Weg kreuzte, war es Tatsuji, der sofort hinrannte und diesem keine Ruhe ließ, bis er eine Antwort gab.

„Sie ist noch im Operationssaal – es ist eine komplizierte Verletzung, da kann es durchaus länger dauern. Es sieht aber gut aus – bis auf den großen Blutverlust, gab es bisher keinerlei Komplikationen – wirklich wissen, wie es um sie steht, tun wir aber erst, wenn die Operation erfolgreich abgeschlossen ist. Bitte gedulden Sie sich.“

„Hoher Blutverlust, was bedeutet das nun genau? Wird sie Folgeschäden davon tragen?“

„Keine Sorge, einer Transfusion steht nichts im Wege. Eine junge Frau hat ihre Hilfe angeboten und genug Blut gespendet.“

„Und meines wollte keiner haben…“, seufzte Naru, obwohl ihre Blutgruppe auch kompatibel gewesen wäre.

„Nein, die junge Frau hat nur exakt die gleiche Blutgruppe, wie Frau Takagi, deswegen und weil sie eine enge Verwandte des Chef-Arztes ist, wurde sie bevorzugt behandelt.“

Naru hätte ihrer Freundin gerne selbst geholfen, was sie äußerst deprimierte, doch der Arzt versuchte ihr das auszureden. „Zudem standen Sie unter Schock, Sie wären nicht in der Lage gewesen, so viel Blut zu spenden.“

„Ich wüsste gerne ihren Namen, damit wir uns bei ihr bedanken können.“

„Mitsuki Ikezawa“, antwortete Juro und blickte in die Runde. „Sie ging auf die gleiche Uni wie ich, daher kenn ich sie, aber nur flüchtig.“

„Ich glaub, ich muss mich setzen“, Naru holte tief Luft, ihr war nun auch schwindelig geworden, aber mehr, weil sie diesen Namen gehört hatte. Natürlich war er ihr ein Begriff, sie lebte ja nicht ganz hinter dem Mond. Hiroya sprach zwar wenig über Familiäres, aber das hatte er ihr erzählt. „Da kann ihr Bruder ja wahrlich stolz auf seine kleine Schwester sein, er lobt sie sowieso in den höchsten Tönen -“, obwohl sie dabei gewesen war, auch noch zu sagen, dass sie Mitsuki nicht leiden konnte, schwieg sie es tot. Zumindest solange der Arzt anwesend war.

„Ich werde es ihr ausrichten“, meinte der Arzt und wollte sich auf den Weg machen, als Naru sich erneut an ihn wandte.

„Nein, das machen wir selber – wir kennen sie immerhin persönlich.“

Tatsuji wunderte sich ein wenig, dass Naru darauf bestand.

„Nun gut – gedulden Sie sich. Und lassen Sie sich einen Kaffee bringen, Sie sehen müde aus.“

„Geht schon!“

Der Arzt lief den Gang entlang und verschwand um die nächste Ecke, da brachte Tatsuji etwas zur Sprache, worüber Naru ungern sprach.

„Und nun sag mir, was das sollte! Kann es sein, dass du keine hohe Meinung von dieser Dame hast?“

Ein Seufzen entkam der Hellbraunhaarigen – wie gut Tatsuji doch Menschen durchschaute. Er sah es ihr anscheinend an.

„Ach, sie ist das liebe Kind der Tokorozawas, die nun über einen sehr schmerzlichen Verlust hinweg kommen, weil sie einen Ersatz haben. Ich könnte schreien vor lauter Wut, wenn ich daran denke, wie sie sich in ihr Leben eingeschlichen hat. Da konnte Kimiko ja nicht gut dastehen. Mitsuki tut nämlich alles, was ihre Eltern ihr so sagen. Ganz anders als sie.“

„Übertreibst du nicht, Naru?“

„Mitsuki hat sich überhaupt nicht in die Familie geschlichen, sie gehörte schließlich eigentlich schon immer zu ihnen!“ entrüstete sich Sêiichî, immerhin kannte er sie mittlerweile auch.

„Es gibt Menschen, die das anders sehen und deine Meinung interessiert mich in keiner Weise, Iwamoto, also halt dich da raus!“ Dass Kimiko im Schatten ihrer Schwester stand, konnte man schon sagen, wenn man von den familiären Verhältnissen ausging. Sie fand es äußerst unfair, seiner Schwester Vorhaltungen zu machen, dass sie verkorkst sei, nur weil ihre Schwester bei der Polizei war. Und nicht zu sagen, der nette Spruch „man hätte dich weggeben sollen“ war gefallen, was Naru einfach unfassbar fand, dass man ihrer Freundin so etwas an den Kopf geworfen hatte. Es hätte sie nicht gewundert, hätte der Vater auch noch damit zu tun gehabt, dass ihr keiner helfen wollte, sicher hatte er Hiroya auch bearbeitet, dass er sich schön aus Kimis Angelegenheiten heraushielt. Sie war eben das schwarze Schaf der Familie, Mitsuki passte besser zu ihnen. Polizistentochter, schön brav bei der Polizei tätig, dabei log die doch wie gedruckt – da war sich Naru vollkommen sicher.

„Das erklärt einiges, muss ich sagen“, meinte Tatsuji, „sie ist die verlorene Tochter – wenn man das so nennen kann. Es ist unverschämt von den Eltern. Geben sie nach ihrer Geburt weg und tauschen ihre Zwillingsschwester gegen sie ein, furchtbar.“

„Nicht nur sie tauschen sie ein, auch ihr Freund sieht es nun ziemlich gelassen, dass Kimiko tot ist. Es fehlt nur noch, dass er sie mit Kimiko anredet. Das traue ich dem Kerl auch noch zu.“

Naru dachte nicht gerne daran – wenigstens war da ein Haar in der Suppe und Mitsuki war nicht ganz die perfekte Tochter, hoffentlich bekam sie wegen ihrer Beziehung zu diesem Kerl ordentlich ihr Fett weg, die Tokorozawas hatten grundsätzlich etwas gegen Prominenz und diese kleine Plage war mit einem Musiker zusammen – sogar ein Kind hatte sie mit dem. Dafür, dass sie nicht perfekt war, war das der Beweis. Uneheliches Kind von einem Musiker, das dürfte den Eltern und vor allem Hiroya wenig schmecken.

„Redest du von ihrem Stiefbruder?“ hinterfragte Tatsuji und Naru schüttelte den Kopf.

„Mit dem sie in der Kiste war, ja. Zum Glück war Kimiko schlauer und hat nichts mit dem angefangen. Am liebsten wär dem Schwachmaten gewesen, wenn er es gleichzeitig mit ihnen hätte treiben können.“

„Anderes Thema“, schlug Tatsuji vor, den Gedanken fand er nicht appetitlich.

„Och, wieso denn? Ich finde das interessant – Zwillinge, ui!“

Sêiichî kassierte einen Schlag gegen den Hinterkopf, als er das so sagte und zwar von Naru – das war nun wirklich wieder typisch für ihn, dass er so etwas interessant fand.

„Aua!“

„Geschieht dir nicht anders“, meinte Tatsuji, er würde ihm garantiert nicht helfen, wenn er sich so um Kopf und Kragen redete. Er machte sich eher Gedanken darum, wie er das Wataru erklärte. Dass seiner Schwester etwas zugestoßen war. Außerdem war er viel zu besorgt, um sich über die Probleme von anderen Gedanken zu machen.

Juro beobachtete Sêiichî – wie sie auf ihm herumhacken, fand er äußerst unfair. Und der lange Kerl benahm sich auch nicht gerade freundlich. Zum Glück stellte er ihm keine neugierigen Fragen – doch wer wusste, was im Kopf des Mitarbeiters von Interpol vor sich ging? Ob er ihn vielleicht kannte? Ob er was ahnte? All diese Fragen quälten den schwarzen Lockenkopf. Aber auch, was Sêiichîs Gefühlszustand anging. Er kannte ihn aus Kazukis Erzählungen, doch nicht aus eigener Erfahrung.

„Magst du mit mir Kaffee holen?“ meinte er zu Sêiichî, selbst wenn es Tatsuji verwunderte, dass der Mann sich mit Sêiichî offensichtlich davonstehlen wollte.

„Warum?“

„Ach, einfach so! Ich will auch an die frische Luft eine rauchen“, er sah mit seinen faszinierend grünen Augen in Sêiichîs strahlend blaue, er war skeptisch, aber irgendwas war da… „Weißt du, alleine eine rauchen gehen, ist langweilig, kannst auch gerne eine haben.“

„Ich rauch nicht, aber mitkommen kann ich ja trotzdem.“

Juro blickte zu Naru und Tatsuji. „Noch jemand einen Kaffee?“

„Für mich nicht!“

„Nein, danke, ich werde dann nur noch hippeliger!“ kam von der Frau, nachdem Tatsuji bereits abgelehnt hatte.

Daraufhin liefen beide Männer den Gang schweigend entlang – man hatte erwartet, dass sie sich auf dem Weg unterhalten würden, doch schwiegen sie.

„Hast du eine Ahnung, was das jetzt sollte?“ fragte Naru Tatsuji um Rat, als sie bereits verschwunden waren.

„Wir haben den jungen Mann ziemlich links liegen lassen, jetzt sucht er sich wahrscheinlich Beschäftigung mit Sêiichî. Woher kennst du ihn eigentlich und wieso hast du ihn angerufen?“

Naru errötete leicht, als er sie so direkt nach Juro fragte und sie griff sich an die Wange. „Er ist einer der Exfreunde von Riina und man kann sagen, er ist mein Geliebter.“

„Lass das ja nicht Hiroya erfahren, der würde das nicht so komisch finden, denke ich. Warum verlässt du den nicht gleich?“

„Räumliche Trennung bereits vollzogen“, antwortete sie monoton. „Mal sehen, was passiert – er hat zu leicht aufgegeben… So wie es aussieht, hat er sogar bereits eine andere…“ Dass es ihr dennoch etwas ausmachte, so etwas zu erfahren, sah man an ihrem Gesichtsausdruck, es hatte sie hart getroffen.

„Ich hoffe für dich, er ist einer von der netteren Sorte – Riina hatte diesbezüglich schließlich wenig Glück.“

„Er bereut es furchtbar, was er getan hat, so viel ist sicher.“

„Dann ist das Juro Hideaki“, erriet Tatsuji und grinste leicht. „Das erklärt natürlich alles, er ist der Mann, der es nicht aushalten konnte, zu warten und dann in Leena Takadas Fänge geraten ist.“

In ihre Fänge also, das klang gruselig, aber wahrscheinlich traf es das wirklich.

„Dafür, dass du solange in Amerika warst, weißt du erstaunlich gut Bescheid.“

„Ja, ich wurde gut aufgeklärt… Von Shina. Sie hat mir immer alles Relevante erzählt, sie dachte wohl, was Riina treibt, interessiert mich… Die Frau hat schon so manchen Menschen durchschaut und das ganz ohne eine psychologische Ausbildung. Es liegt ihr einfach im Blut. Sie wusste auch sofort, dass Yakko nicht der Mensch ist, den sie vorgab zu sein. Ihr Vorschlag war, doch mal wieder in Riinas Leben zu treten… Ganz schön frech, das zu sagen.“

„Blödmann!“ Naru schüttelte den Kopf. „Dass man dir das auch noch sagen musste, ist wirklich der Oberhammer. Wärst du damals nur geblieben, dann wäre sie von Iwamoto nicht so verletzt worden. Ich weiß, dass ihr euch trotz ihrer Beziehung mit ihm nahe gekommen seid, du hättest sie richtig verführen sollen.“

„Ach du S…“ Beinahe hätte er wirklich Scheiße gesagt. „Sie war doch erst 15, ich kann doch nichts mit einer 15-jährigen anfangen. Außerdem wusste ich ja nicht, wie er so drauf ist.“ Allwissend war er ja schließlich auch nicht, aber es kam ihm wirklich so vor, als wollte Naru ihm nun Vorwürfe machen.

„Ach weißt du, Tatsuji, ich bin froh, dass du es jetzt endlich gepackt hast, sonst würde sie die nächste schreckliche Beziehung erleben, was sie nämlich nie wahrhaben wollte, ist, dass du derjenige warst, den sie immer wollte. Sie hat sich auf diese Männer doch nur deswegen gestürzt. Und jetzt stirb bloß nicht, sie würde nie mehr glücklich werden.“

Warum sie nun vom Sterben sprach, er wusste es nicht. Anscheinend wusste sie besser Bescheid, als er gedacht hatte. „Mich wird so schnell keiner umbringen, keine Sorge, ich bin vorsichtig, was auch immer ich tue, ich tue es mit Bedacht. Wahrscheinlicher wäre, wenn sie nun stirbt.“ Er stand auf und fing nun auch an hin und her zu laufen, bis er sich vor das Fenster stellte, auch damit sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Da passte er einmal nicht auf und sie rannte in irgendwelche Gefahren, riskierte ihr Leben… Er würde ein ernstes Wörtchen mit ihr reden müssen, damit sie so etwas ja nie wieder machte. Seine Art von ernstem Wörtchen würde allerdings verhältnismäßig mild ausfallen. Er musste dem Wildfang wohl mal ganz bestimmte Dinge klarmachen…
 

Draußen fühlte sich Juro bereits wesentlich sicherer, denn Tatsujis Anwesenheit hatte ihn zunehmend nervös gemacht. „Ich wollte da einfach raus… Tatsuji ist bei Interpol und das gefällt mir, wenn ich ehrlich bin, kein bisschen“, verriet der Gleichaltrige Sêiichî, so dass dieser ihn schief anguckte. Es brauchte einen Moment, seinen männlichen Verstand anzukurbeln. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten: Er stand einem Mitglied der Organisation gegenüber, von dem er bislang nie etwas gewusst hatte. Ja, sie waren wirklich weit reichend und oft erlebte man eine Überraschung. So wie es eine Überraschung gewesen war, seinen Bruder in dem Laden wieder zu treffen, darauf hätte er gut verzichten können, genauso wie auf die vielen anderen Mistkerle, die Pinot und Chardonnay wie ein Magnet anzogen.

„Na ja, Tatsuji Fujimine ist nicht gerade der Schlimmste. Es bangt mir schon eher bei Hiroya Tokorozawa…“ Sêiichî blickte den Unbekannten an, man sah ihm an, was er jeden Moment fragen würde. „Und wie nennst du dich?“

„Mir wurde der nette Name Caprino aufgedrückt!“ antwortete Juro mit einem Ächzen, das war hoffentlich deutlich genug für Sêiichî, um zu erkennen, dass er es sich nicht ausgesucht hatte.

„Die Zeiten, in denen man sich seinen Namen noch quasi selber aussuchen konnte, scheinen damit vorbei. Ich jedenfalls habe mir den Namen Cognac geben lassen. Weil ich ihn mag.“

Dass Cognac seinen Codenamen mochte, war bedauerlich, so hing er an seinem Organisationsleben am Ende noch. „Häng dich nicht zu sehr daran… Sonst kommst du irgendwann, wenn die Zeit gekommen ist, nicht mehr los. Genauso wenig, wie von dieser Frau. Sie ist wie die Pest, man wird sie nie mehr los, wenn sie das nicht selbst will.“

Es erschreckte den Blauäugigen, als Juro von Vermouth sprach und da war er sich sicher, dass sie gemeint war. Wohl war er auch völlig anderer Meinung, als er. Seinen Codenamen sollte er nicht mögen, irgendwie merkwürdig. „Du bezeichnest sie als Krankheit.“

„Das ist sie ganz offensichtlich! Und die armen Männer, die sie liebten, sind alle tot. Möchtest du auch einer von ihren Verflossenen werden? Einer, der für sie ins Grab geht? Ich hoffe nicht.“

Ja, es stimmte, er bezeichnete die Frau als eine tödliche Krankheit, eine die einen umbrachte. Sêiichî musste tief schlucken. Und er hatte gedacht, Carpano, Chardonel und Helios waren so ziemlich die einzigen, die so etwas von ihr dachten. Und nun wurden es immer mehr Männer, die etwas an ihr auszusetzen hatten und ihm das auch noch mitteilen mussten. Wieso konnten sie es nicht still und leise denken und belasteten ihn stattdessen mit dieser Qual? Er fühlte sich alleine gelassen in seiner Meinung, teilte sie schließlich keiner mit ihm. Vielleicht war er auch ein Einzelstück – jemand, den sie einfach hatte retten müssen, anders als die meisten anderen, die sie im Stich ließ. Wahrscheinlich sah er einfach zu gut aus – das fand ja auch seine werte Mutter.

„Oder etwa doch?“ hinterfragte Juro seinen Leidensgenossen, nachdem dieser vehement zu schweigen begonnen hatte.

„Was soll ich dazu schon sagen? Sie ist mein Schutzengel.“

„Diese Frau als einen Engel zu bezeichnen, ist schon krankhaft!“ verriet Juro seine eigene persönliche Meinung. Er wollte sich gern mit ihm anfreunden, auch wenn es laut Kazuki der falsche Weg war, es so zu tun. „Die hat in ihrem Leben schon so viel verbrochen, dass man dich bestrafen sollte, allein dafür, dass du so etwas zu sagen wagst… Du bist doch bei der Polizei, oder etwa nicht?!!“

Na toll, was sein Leben anging, wollte er wirklich nicht damit hausieren gehen, auch wenn der hier ungefährlich aussah, konnte er ihm ziemlich schaden…

„Woher willst du wissen, dass ich bei der Polizei bin? Seh ich aus, wie ein Verräter?“

„Vermouth schläft eigentlich nur mit Verrätern, wusstest du das nicht? Leider haben die das alle nicht überlebt… Du bist bloß ein Ersatzrädchen. Und weil du so verdammt verliebt in die Schönheit bist, kriegst du es nicht mit. Du solltest endlich mal die Augen aufmachen. Diese entsetzliche Frau hat sogar vor dem Mann ihrer Cousine nicht Halt gemacht. In so eine verliebst du dich, nur weil sie ein bisschen nett ausschaut. Oberflächlichkeit wird in jeder Hinsicht bestraft. In deinem Fall bisher jedoch noch nicht richtig. Irgendwann wird sie eine Gegenleistung von dir wollen. Du glaubst doch wohl nicht, dass Sex das einzige ist, was sie will? Dafür ist sie viel zu schlau. Im Gegensatz zu den Männern, die sie verführt, verliebt sie sich nicht in ihre Opfer – das seid ihr schließlich, Opfer.“

Kein gutes Haar ließ er an ihr, genauso wie Yuichi und Jamie es stets taten, aber auch sagte er Dinge, die Sêiichî schockten. Der Mann ihrer Cousine – das war, was ihn am meisten schockte, sogar so sehr, dass er anfing zu lachen. „Ach komm, der Mann ihrer Cousine. Der ist doch schon viel … zu… alt…“ Gegen Ende ging ihm ein Licht auf, weshalb er stockte und die letzten zwei Worte wie in Trance von sich gab. Es war nicht zu leugnen, dass sein Vater und er sich äußerlich ähnelten – und da Sêiichî einfach eine oberflächliche Denkweise hatte, dachte er nun, dass es tatsächlich nur sein Aussehen war. Er fühlte sich nun wirklich wie ein Ersatzrädchen, immerhin war sein Vater bei seiner Mutter geblieben. Dass sie ihre Cousine wenig mochte, hatte Seyval schon so oft verraten – und nun hatte sie auch noch einen Grund, sie, bzw. die Frau, die sie früher gewesen war, hatte sich an seinen Vater rangemacht – ihm war schlecht, kotzübel war ihm. Der Gedanke hatte ihm wahrhaftig die Übelkeit die Kehle hoch geholt. Sein eigener Vater… Was kam denn als nächstes? Yuichi? Jamie? Hatte sie seine Frau deswegen vielleicht absichtlich ins offene Messer laufen lassen? Nein, das konnte nicht sein. Er glaubte es nicht, wollte es nicht wahrhaben, dass sie so etwas tun würde. Aber wenn er darüber nachdachte – sie war am Tod seiner Exfreundin beteiligt gewesen…

„Und woher… wie kommst du darauf, dass sie mit dem Mann ihrer Cousine…?“ Er konnte den Ausdruck nicht mal passend wählen, der beschrieb, was sie getan haben sollte.

„Es gibt Leute, die das mitbekommen haben. Menschen wie Kazuki Aisawa beispielsweise, er ist immerhin auch ein bisschen älter und hat mehr gesehen, als du, weil du noch ein kleines Kind warst.“

Gott, Kazuki – nicht der. Sêiichî fühlte sich hin und her gerissen. Natürlich kannte er ihn, sie waren gemeinsam in Amerika als Nachbarn groß geworden. Bis seine Familie nach Japan gegangen war. Warum sollte der Kerl lügen? Es gab keinen Grund dafür. Noch weniger einen, ihm zu schaden.

„Ich weiß, dass deine Mutter ihre Cousine ist und dein Vater ihr Liebhaber war.“

„MOMENT!“ Sêiichî reagierte ein wenig gereizt, als Juro das so sagte. „Mein Vater ist nie fremdgegangen, ja?!“

„Nein schlimmer, sie haben sich gegenseitig betrogen. Dein Vater mit Vermouth und deine Mutter mit Chardonnay!“ Na die Sache dürfte er jawohl wissen. „Und weißt du warum? Es war die kleine schmutzige Rache einer Frau. Sie sind beide gleich schlecht, was das angeht! Deine Mutter interessierte sich schließlich nur für Chardonnay, weil der einen Narren an deinem Schätzchen gefressen hatte.“

„Dafür konnte sie jawohl nichts, dass der alte Sack sie belästigt hat!“

„Bist du dir auch ganz sicher, dass er sie belästigt hat? Ich hab da ganz andere Sachen gehört!“

„Nein, hör auf, hör auf, hör auf!“ Sêiichî hielt sich die Ohren zu, er wollte es nicht mehr hören. Dass sie mit seinem Vater ins Bett gestiegen war, war schlimm genug, und nun wollte dieser Kerl ihr auch noch etwas mit Chardonnay unterstellen – er war ja schließlich nicht von gestern.

„Chardonnay war nicht immer ein alter Sack, denk endlich nach! Sie ist Sharon Vineyard gewesen! Chardonnay und sie trennen gerade Mal läppische 5 Jahre.“ Und nun machte sie mit einem Jüngeren rum und verdarb ihn. Sêiichî war doch viel zu gut, um mit dieser Hexe zusammen zu bleiben, es war an der Zeit, dass man ihn endlich aus seinen Träumen aufweckte.

Sêiichî fragte sich, was er getan hatte, um so gestraft zu werden… Am Ende hatte sie mit Chardonnay und seinem Vater etwas und hatte zu guter Letzt Jamies Frau verunglücken lassen. Dass Leute in ihrer Umgebung gerne Unfälle hatten, war nun einmal so. Sie hatte es bei Sherrys Eltern getan – und Kimi war auch so gestorben… Er konnte nicht mehr, schnappte hektisch nach Luft. Er war kurz vor einem Nervenzusammenbruch, ihm entwich die Gesichtsfarbe und er wirkte, als würde er jeden Moment einfach umkippen.

„Ich muss weg… Lass dir von Naru meine Handynummer geben, schreib mir eine SMS wie es Riina geht…“

„Was?“ Juro war geschockt und wollte ihm hinterher rennen, aber Sêiichî schien schneller als der Blitz zu sein. Er stürmte über die Straße, zwischen fahrenden Autos hindurch, dass Zweiterer es nicht schaffte, ihm so schnell nachzukommen, weil sonst irgendein Auto ihn erfasst hätte…
 

Sêiichî hatte sich erst einmal Trübsal blasend in eine Bar begeben und dort einen doppelten Cognac getrunken, bevor er bei Yuichi anrief, dass er vorbei kommen würde. Hidemi, die ans Telefon gegangen war, überraschte es zwar, dass er diesmal nicht fragte, ob es passte, aber sie verbot es ihm auch nicht.

„Wer war denn dran?“ fragte ein frisch geduschter Yuichi, der gerade aus dem Bad gekommen war und sich die Haare rubbelte.

„Nur Sêiichî, er will gleich vorbei kommen.“

„Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit – außerdem ist es schon total spät… Hoffentlich ist es nicht wieder Vermouth.“

Die Braunhaarige gab ein leichtes Seufzen von sich. „Versuch ihm nicht wieder ihre schlechten Charakterzüge unter die Nase zu reiben, bitte, ihm geht’s nicht sonderlich gut – auch wegen Alan und Jamie.“

„Ich weiß… Ganz so grausam bin ich jawohl nicht, oder denkst du das?“ Er blickte sie an, als hätte man ihm eine total absurde Frage gestellt.

Kaum eine halbe Minute später, als er sie gerade in die Arme geschlossen hatte und auf dem besten Weg war, sie zu küssen, klingelte es an der Tür. Zwar nur einmal, aber am laufenden Band. „Gott, ich ahne Schreckliches, wenn er schon Sturm klingelt.“ Sêiichî riss zwar oft Türen auf, ohne anzuklopfen, aber so penetrant hatte er die Klingel hier noch nie betätigt. Es kam ihm vor, als sei etwas total Schlimmes vorgefallen. Hoffentlich fiel er ihm nicht gleich blutend in die Arme, weil gewisse Personen mal wieder unachtsam gewesen waren…

Deswegen machte er sich auch auf schnellstem Wege zur Tür, öffnete sie und erblickte Sêiichî im Laternenlicht. Er ließ sich nicht herein bitten, er stieß die Tür auf und ging an ihm vorbei.

„Wie immer höflich…“ Der Satz kam noch über seine Lippen, als er dann aber das Gesicht seines Freundes sah, unterließ er weitere Kommentare. Es sah nicht nur so aus, er roch auch so, aus irgendeinem Grund hatte er sich wohl schon wieder Cognac genehmigt, dabei sollte er das lassen.

„Ich habe ja nichts dagegen, dass du herein platzt, aber ich kann es nicht ausstehen, wenn Hidemi dich so sieht, also renn nicht gleich ins Wohnzimmer!“ Yuichi hielt ihn am Arm fest, er wollte ihr wirklich ersparen, einen Sêiichî, der wieder total am Boden war, ertragen zu müssen.

Der 24-jährige zitterte am ganzen Körper, obwohl es auch am Abend ziemlich warm war und er keinen Grund dafür hatte, eher wäre es normal gewesen, hätte er geschwitzt.

„Wir können auch hier im Flur stehen bleiben“, verriet Sêiichî seinem Gegenüber, er konnte selbst nicht fassen, dass er hier war, um Wahrheiten über seine Freundin zu erfahren und das von Leuten, die sie nicht leiden konnten. So etwas hatte er noch nie gemacht, sondern immer anstandslos zu ihr gehalten… aber jetzt…

„Was ist vorgefallen?“ Auch Yuichi konnte Sêiichî mal vorsichtig behandeln, so gemein er so manches Mal mit ihm redete, wenn es darum ging, die Wahrheit auszusprechen.

Sêiichî hörte Sorge aus Yuichis Stimme und fragte sich, wie furchtbar er wohl gerade aussehen musste.

„Hat Jamie eigentlich jemals mit dir über Chris gesprochen? Was damals passiert ist? Details?“ Er kannte ja keine Details, es war immer das Gleiche gewesen. Ihre Freundschaft zu Chris hatte sie das Leben gekostet. Mehr wusste er nicht. Denn es war ja schon schlecht, mit ihr befreundet zu sein, sie brachte ja die Leute ins Grab.

„Warum willst du das so plötzlich wissen und wieso von mir?“ Es wunderte ihn, dass er ihm doch noch Glauben schenken wollte, wo er ihm doch ständig widersprach, wenn es um sie ging.

„Es ist alles wie ein Albtraum“, meinte Sêiichî todtraurig und ließ den Kopf hängen. Wäre es möglich gewesen, wohl auch bis auf den Boden.

„Jetzt sag schon, was los ist!“ forderte Yuichi und legte beide Hände auf Sêiichîs Schultern. „Was ist wie ein Albtraum? Du weißt doch, dass Jamie sie nicht sonderlich mag“, fügte Yuichi an, wobei er die Sache verharmloste. Das, was Jamie für Sêiichîs Freundin empfand, war Hass. Schlimmer, als er selbst.

„Ich habe das Gefühl, dass das nicht mehr nur nicht sonderlich mögen ist, sondern er sie am liebsten bei der nächst besten Gelegenheit ermorden würde…“

Yuichi gab nun zwar ein Seufzen von sich, aber zumindest konnte er seinen Freund diesbezüglich beruhigen. „So schlimm, dass er sie ermorden würde, ist es nicht. Er sieht in ihr die Schuldige, deswegen bringt er sie nicht gleich um. Du kannst doch nicht erwarten, dass er sie mag wie du es tust. Das kann er nicht, damit würdest du viel zu viel von ihm verlangen. Er geht ihr lieber aus dem Weg.“

„Und hat mich so oft gewarnt…“

„Das haben auch andere“, kam von Yuichi mit einem Kopfschütteln und er schob Sêiichî erst einmal zur Treppe, da er wirkte, als würde er umfallen wollen. So setzte er ihn erst einmal auf die Treppe und kniete sich zu ihm runter, um auf seiner Augenhöhe zu sein. „Aber du willst ja nie hören. Du bildest dir steht’s deine eigene Meinung, dir etwas einzureden ist schwer. Was ist passiert, dass du zu mir kommst und mir diese Fragen stellst?“ Es war einfach zu merkwürdig, als dass es unbegründet sein konnte.

Der Atem des Jüngeren ging schneller. „Kazuki hat mitbekommen, dass sie etwas mit meinem Vater hatte“, nun konnte der 24-jährige es nicht mehr verhindern, ihm entfuhr ein Schluchzen und er warf sich Yuichi an die Brust. Das hatte er Jahre nicht getan, um genau zu sein, nicht mehr, seit sein Bruder ihn als Kind terrorisiert hatte.

„Wahrscheinlich ist er deswegen tot“, schluchzte er weiter und machte es damit keinesfalls besser. Wie hatte Juro noch so schön gesagt, die Männer, mit denen sie zusammen gewesen war, waren alle tot. Das würde bedeuten, dass auch sein Vater tot war, es fehlte nur noch, dass herauskam, dass Chardonnay ihn kalt gemacht hatte. „Und mit diesem Ekel Chardonnay hatte sie anscheinend ja auch was! Das ist mehr als ich ertrage!“ Seine Stimme war fast ein Schreien.

Chardonnay war ein wunder Punkt bei Sêiichî, aber es war auch ein Punkt, an dem er ansetzen konnte, um ihn wieder einigermaßen hinzukriegen. „Ach weißt du, Sêiichî, selbst wenn sie früher mal was mit ihm hatte, so hat sie ihm deinetwegen in seinen alten Arsch getreten!“ Normalerweise sprach er ja nicht so, aber es passte einfach zu gut. „Sie hat seinen Plan, dich zu töten, zunichte gemacht. Was die Sache mit deinem Vater angeht, wundert es mich ehrlich gesagt nicht. Der war auch mal jung und hat nun einmal große Ähnlichkeit mit dir… Ihre Affären sind ja bekannt. Du wusstest das alles… Ich sage es mal so, auch sie war mal jung. Du weißt nicht, was damals vorgefallen ist. Jedenfalls kannst du sicher sein, dass sie den Kerl nie mehr freiwillig an sich ranlassen würde. Meinungen ändern sich manchmal…“ Es fühlte sich irgendwie komisch an, so zu reden. Aber er war nur darauf bedacht, es ihm erträglicher zu machen – das was ihn so schrecklich getroffen hatte. Es war aber ja auch bescheuert, einem sensiblen Kerl wie Sêiichî Storys über seinen Vater, den verhassten Mann und seine Flamme zu stecken. Wusste der Idiot denn nicht, dass er damit die schlimmsten Albträume von Sêiichî wahr machte?

„Hast du mich etwa auch deswegen nach Jamies Erzählungen von früher gefragt? Weil du denkst, dass sie Interesse an ihm gehabt haben könnte? Das alles ist solange her, warum beißt du dich daran so fest? Wir leben im Hier und Jetzt! Dass sie gut darin ist, Mist zu verzapfen, weißt du ja…“ Dass sie kein Engelchen war, das wusste Sêiichî doch und plötzlich war alles furchtbar, weil sie früher vielleicht auch mal Fehler gemacht hatte. Chardonnay war ein Fehler, wahrscheinlich sogar der Schlimmste, den sie hatte begehen können. Was sie von dem Kerl hielt, wussten ja selbst diejenigen, die sie nicht so gut kannten.

Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie wirklich hinter Jamie her gewesen war, aber doch bestimmt nicht wirklich ernsthaft. Sie probierte es doch bei allen gut aussehenden Männern einmal, auch bei ihm selbst. Aber das würde er Sêiichî nie sagen. Er war nämlich auch so ein schwacher Punkt, wo man ihm verdammt wehtun könnte. Und wenn sie das je wagte, würde die ihn aber mal richtig kennen lernen…

„Ja…“ Es kam in einem schwachen Laut, mehr war ihm auch gerade nicht möglich

„Das kann dir nur Jamie selbst wirklich beantworten.“ Er ließ den Gedanken, dass er es ihr zutraute, weg. Das wühlte ihn nur noch mehr auf.

Bestimmt würde auch Jamie diesbezüglich lieber schweigen, selbst wenn es so gewesen war. Er wusste ja, wie sensibel Sêiichî auf das Thema reagierte.
 

Nun, die Ohrfeige, die ihm seine Verlobte gegeben hatte, früher hatte er sie verdient, mittlerweile war diese Aktion völlig überzogen, doch ignorierte er diese. „Ich hab keine Zeit für deine Eifersuchtsattacken!“ Mit seiner Meinung nach kaltherzigen Worten ergriff er das Handgelenk der Kurzhaarigen und zerrte sie unsanft den Gang entlang. „Wir fahren nun ins Krankenhaus, du kommst mit!“ So sehr Mann war er noch nie gewesen, er hatte noch nie einer Freundin Befehle erteilt, aber gerade blieb ihm kaum eine andere Möglichkeit. Die Fahrt würde die Hölle werden, sie war gerade mal wieder ihrer Eifersucht verfallen.

„Spinnst du?!“ Sie unternahm den Versuch sich von ihm loszureißen, aber sie hielt sich für stärker, als sie es tatsächlich war, das ließ sie dem 26-jährigen unterliegen.

„Nein, du spinnst, Yui!“

„Was?“ Sie war geschockt, dass er sie als eine Spinnerin bezeichnete.

„Bist eifersüchtig auf Tote, das ist krank, total krank!“

Den Gang hinunter, zur Tür hinaus, die Treppe ließen sie ebenfalls hinter sich – und den ganzen Weg zwang er sie dazu mitzukommen. Im Hof begegneten ihm mehrere Leute, er ignorierte die entsetzten Blicke, die sich auf sie richteten.

„War ja ganz schön laut bei euch!“ warf man ihm zu und er gab ein gleichgültiges: „Das war nötig“, zurück. Das Tor flog zu und sie stiegen ins Auto – die Leute waren ihm gerade egal.
 

Im Krankenhaus, wo es Juurouta hingezogen hatte, herrschte Ruhe, Nachtruhe. Und doch fand er sein Bett leer vor. Wo er mitten in der Nacht hingegangen war? Wollte er flüchten, vor ihnen? So eiskalt er sich ihm gegenüber verhalten hatte, war er hierher gekommen. Und zwar nach diesem Gespräch mit Asti, die ihm Mezcal auszureden versuchte. Es war ja auch ein Versuch, Hideto in den Arsch zu treten, dass er sich gerade mit dem größten Feind, der diesen terrorisiert hatte, einließ und ihn seinen besten Freund nannte. Er wollte es ihm heimzahlen… Was er ihm angetan hatte… Die Frau, die er liebte, für sich alleine zu beanspruchen, so etwas tat man nicht.

Also machte er sich auf die Suche, fragte sogar die Nachtschwester, ob sie etwas über seinen Verbleib wüsste. Sie war geschockt, denn man hatte ihm nie erlaubt, das Bett zu verlassen. Typisch, man verbot ihm etwas und er machte es erstrecht. Sie machten sich beide auf die Suche, auch wenn die junge Frau deswegen ihren Posten verlassen musste. Sogar die Ärztin alarmierte sie…. Ob es ihm so schlecht ging, dass das nötig war?

Auf dem Weg erklärte sie dem Sänger, dass sein Freund unter einer starken Depression litt, dass er sogar Halluzinationen hatte. Er bildete sich also Dinge ein… Kein Wunder, Jami hatte immerhin seine Finger mit im Spiel.

Auf dem Dach, wo der 25-jährige die Tür aufriss, sah er ihn und atmete aus. Endlich hatte er ihn gefunden und begann sich ihm von hinten zu nähern.

„Ganz schön tief“, murmelte sein Freund immer wieder, ehrfurchtsvoll, allerdings in einem bedenklichen Ton. „Wie laut der Knall wohl wäre, wenn ich aufkomme?“

Unweigerlich - er spürte es kaum – beschleunigten seine Schritte, bis er zu ihm rannte, seine Arme um den Oberkörper des 26-jährigen schlang und ihn festhielt. „Tu es nicht!“ kam es von selbst aus dem Mund des Braunhaarigen.

Erschrocken von seiner plötzlichen Anwesenheit versuchte er sich zu lösen, auch wenn es hieß, er würde vom Dach stürzen. Er fasste ihn an, der Widerling wagte es, ihn noch mal anzufassen, nach allem, was er getan hatte. „Lass mich los, Ikezawa, sofort! Fass mich nie mehr an!“

„Bist du verrückt? Ich lass dich nicht in die Tiefe stürzen!“

„Ach, warum nicht? Es würde dich doch beglücken!“

„Ganz bestimmt nicht!“

„Versteh ich nicht, immerhin hast du dich über mich amüsiert, als es mir schlecht ging…“

„Ja, ich weiß… Ich wollte mich eigentlich bei dir entschuldigen, deswegen bin ich gekommen.“

Anscheinend litt er auch noch unter Schizophrenie, es konnte doch unmöglich sein Ernst sein, dass er sich auf einmal für seine Boshaftigkeit entschuldigen wollte. Er hatte es doch viel zu sehr genossen. „Selbst wenn du wieder mein Freund sein willst, der Zug ist längst abgefahren… Du verstehst nichts! Und nun lass mich!“ Der Versuch sich loszureißen, glückte nun. Daraufhin sah er ihn an, verachtend. „Du bist zu weit gegangen, als du sie vergewaltigt hast!“ Die Faust des Kleineren traf ihn ins Gesicht und der Jüngere taumelte rückwärts. Schmerzen in seinem Kieferknochen waren das Resultat.

„Ach, sind wir nun wieder beim Anfang, mit dem Unterschied, dass nun ich statt du Prügel beziehe??“ Was bildete sich der Zwerg ein, ihn zu schlagen? Bei dem waren wohl die Sicherungen durchgebrannt. Früher war es umgekehrt gewesen, da hatte er ihn verdroschen.

„Weil du sie verdient hast, Arschloch!“ Ob er sich noch im Spiegel ansehen konnte? Er, der Frauen verachtende Mistkerl?

„Damals schon hast du mir Kotomi weggenommen, wieso konntest du es mir nicht gönnen?“ Die Tränen traten in Hidetos Augen. Er hatte es hingenommen… seinetwegen.

„Was willst du eigentlich von mir? Du bist doch mit Kotomi zusammen gewesen…“

„Ja… und zwar solange, bis du mit ihr in die Kiste gestiegen bist! Du hattest etwas gut zumachen, also habe ich mir Kimiko genommen! Das war fair! Findest du nicht?“

Diese Sache von damals, er trug sie ihm also immer noch nach. „Das hast du absichtlich gemacht?“ Und den wollte er retten…

„Du hast es nicht gerafft! Stattdessen hast du sie belästigt, auch als sie sich längst für mich entschieden hatte, Scheißkerl! Du kannst einfach nicht verlieren! Immer willst du alles für dich selbst beanspruchen! Ich hab sie dir vorgestellt… Ich habe unsere Freundschaft sogar mit dir geteilt! Dann hast du angefangen, sie anzumachen, auf deine gewohnt primitive Art und Weise! Und wolltest sie mir wegnehmen!“

Seine Wut war verständlich, er hatte es schon wieder getan, oder zumindest versucht. „Ich wusste nicht, dass du sie liebst!“

„Damals vielleicht nicht, aber danach schon, und trotzdem hast du immer weitergebohrt! Und damit hast du unsere Freundschaft kaputtgemacht! Los, hau ab! Lass mich in Ruhe! Geh mir aus dem Weg… Ich will dich nie mehr sehen, egoistischer Drecksack!“

Egoistischer Drecksack, Scheißkerl, Mistkerl – ja, das alles passte auf ihn, maßgeschneidert für seinen Charakter. „Hättest du nur teilen wollen, wäre es nie so weit gekommen“, was ihm mehr rausrutschte, war die Wahrheit. „Wir hätten so viel Spaß zu dritt haben können.“

„Bitte was? Verpiss dich, du elender Abschaum, die Freundin teilt man nicht mit dem Kumpel!“ Hideto drohte ihm erneut mit der Faust. „Hau endlich ab!“

„Was ist denn hier los?“ hörten beide plötzlich eine weitere Stimme, die eines Mannes, den sie beide lange genug kannten, um zu wissen, dass er den Streit beenden würde… schade eigentlich, er hatte gerade große Lust weiter auszuteilen. Ihm das zurückzugeben, was er anderen Leuten angetan hatte.

„Oh, hallo Ken, Yuis Bruder wollte gerade gehen…“

„Nein, wollte er nicht“, gab Juurouta in der dritten Person von sich selbst zurück, doch wurde er von Yui am Hemd geschnappt und weggezogen. „Was zum Teufel machst du mit ihm auf dem Dach? Wolltest du ihn in einem Anfall von blinder Wut nun auch noch umbringen?!“

Was seine eigene Schwester ihm zutraute, war unglaublich, selbst Ken war geschockt.

„Komm endlich wieder runter, du bist krank! Nachdem du ihn ausgelacht hast, solltest du wenigstens so viel Charakter beweisen, ihn nun zufrieden zu lassen! Am Ende zeigst du nur, dass du selbst unglücklich bist, dabei hast du Mitsuki!“

Er ging ohne ihn anzusehen an ihm vorbei und kümmerte sich um das, was wirklich wichtig war. Natürlich wusste er, dass Mitsuki eher eine Strafe war, aber er war ja selbst schuld, wenn er sich von diesem Miststück betrügen ließ und sie dann noch als so furchtbar gut hinstellte. Es war eben schwer zuzugeben, dass man seiner Freundin so wenig wichtig war, dass sie mit anderen Männern rum machte. Wer gab gerne zu, betrogen zu werden? Kein Mann tat das.

Wahrscheinlich bereute er, dass er Kimi niemandem mehr wegnehmen konnte und war deswegen hier, ihm war alles zuzutrauen. Er dachte alles Schlechte von dem Kerl, nicht dass er wirklich wieder mit ihm befreundet sein wollte.

„Ich war hier, um mich zu entschuldigen, du Chaot!“

„Das erzähl dem Papst… Deine Freundschaft ist wie eine Krankheit, die andere ansteckt, du weißt doch gar nicht, was dieses Wort bedeutet, Idiot!“ Die Freundin des Freundes war ein absolutes No-Go, Yuis Bruder interessierte doch gar nicht, ob er anderen Leuten wehtat, schließlich tat er es ständig. Der einzigen Person, der er momentan loyal gegenüber stand, war doch Yui. Zumindest fiel ihm da sonst keiner ein.

„Halt’s Maul, Ken, du hast schließlich deinen wahren Charakter für meine Schwester geopfert!“

„Pass auf, was du sagst!“

„Irgendwann wird dein wahrer Charakter wieder erwachen, du wirst sehen, und dann bin ich da, um dir zu sagen, ich hab’s dir ja immer gesagt. Ich finde eure Beziehung zum Kotzen, das wollte ich dir immer schon mal sagen! Freundschaft ist die wahre Beziehung, alles andere ist vergänglich.“

„Dein Geschwätz geht mir sonst wo vorbei.“ Dass er Treue als etwas Verwerfliches darstellte, war klar, er hatte ja keine erfahren und tat deswegen so, als wäre sie ihm total unwichtig.

„Auf wessen Seite bist du? Willst du ihm sagen, es ist dumm, mir treu zu sein?“

„Du bist naiv und dumm, Yui, er will eigentlich gar nicht, er tut das nur, weil er ein schlechtes Gewissen hat! Hast du dir mal angeguckt, was er früher getrieben hat, ich glaube, du hast seinen wahren Charakter noch gar nicht kennen gelernt…“ Gerade gab es ihm Genugtuung nach diesem Gespräch, sie zu piesacken, alle, jeden Menschen. Es war ihm gerade egal, wem er da Wunden zufügte, er fuchtelte wie wild um sich, egal wen er traf.

„Wenn du so etwas annimmst, tust du mir Leid, dann hast du noch nie Liebe empfunden. Ich glaube, du weißt gar nicht, was das ist. Werde erwachsen, Kleinkind!“ Ken brachte seinen Freund vor Juu in Sicherheit, im Moment war es ungesund mit ihm in einem Raum zu sein.

Yui ließ ihren Bruder los… Er hatte sich so sehr verändert. „Ich kann nicht glauben, dass du ihn wegen Kimi so behandelst, du solltest dich schämen, er war der Einzige, der sich mit dir abgab, nachdem es sonst keiner mehr tat. Warum tust du das nur? Du hast diese Frau über eure Freundschaft gestellt… Dabei wollte sie dich doch gar nicht!“ Nun blieb ihm gar nichts mehr. Er konnte unmöglich stolz darauf sein.

„Das liegt daran, dass er ein Einzelkind ist und nicht gelernt hat, zu teilen.“

Ken blieb mit Hideto an der Tür stehen und schnaubte. „Ich bin kein Einzelkind und trotzdem teile ich nicht gerne, wenn es um Liebe geht! Das kannst du von NIEMANDEM verlangen!“ Der hatte echt einen Knacks, er machte eine Freundschaft daran fest, ob sein Freund die Freundin mit ihm teilte, der hatte doch einen Knall.

Es war ein unglücklicher Zufall, dass Beide nun aufgetaucht waren, sein schlechtes Gewissen, tötete ihn fast und er meinte das mit der Entschuldigung ernst. „ICH WILL WIRKLICH NOCH MIT DIR BEFREUNDET SEIN!“ rief er ihnen nach und blieb kurz darauf dennoch alleine auf dem Dach zurück. Ja, alleine, das war es, wie er sich fühlte, auch wenn Mitsuki da war. Sie interessierte sich nicht für ihn, auch jetzt nicht, da er sich ganz auf sie einlassen wollte. Sie liebte ihn einfach nicht… Er hatte doch alles dafür getan, dass sie ihn liebte und blieb doch alleine zurück. Wie alleine er wirklich war, hatte sich erst in den letzten Tagen gezeigt. Mit Sicherheit spielte sie mit dem Gedanken, ihn ganz zu verlassen. Sie würde nie etwas fühlen, nichts. Wie sollte er es nur schaffen, dass sie sich in ihn verliebte, jetzt da er die zweite Chance bekommen hatte. „UND ICH HAB SIE NICHT VERGEWALTIGT!“ Das ließ er sich von ihm nicht sagen, er hatte sie zwar belästigt, ja, aber er hatte sie nie ganz gehabt.
 

„Was redet er da?“ flüsterte Ken. „Wieso vergewaltigt?“

„Mir ist schlecht…“ Sein Kopf drückte sich unter Kens Arm und er kniff die Augen zu, er wollte nur, dass es endlich aufhörte.

„Wie kommst du darauf?“ Es interessierte den Gitarristen wirklich.

„Mein Bruder vergewaltigt keine Frauen… So schlimm ist er dann doch nicht.“

„NEIN! Sie hat mich nicht betrogen, also muss er sie vergewaltigt haben!“

Obwohl Ken etwas ahnte, schwieg er nun, der Gedanke, der ihn überkam, war weniger beruhigend. Die Vorstellungen, er hätte ihn wahrscheinlich blutig geschlagen, wenn es stimmen sollte…

„Du bist nicht der Vater gewesen… Oder?“

Schweigen in den Krankenhausgängen, er brauchte nicht antworten. Die nicht vorhandene Antwort sagte alles.

„Wie kommst du darauf, dass mein Bruder so etwas Abscheuliches getan haben könnte? Wieso ausgerechnet er? Er macht so was nicht!“ Es war schwer für Yui, dass die Tatsachen andere Dinge bewiesen.

„Weil er der Vater des Kindes ist“, die Stimme des jungen Mannes klang leer, verlassen, todtraurig in den Gang, es schallte sogar, obwohl er ganz leise gesprochen hatte. „Versprechen waren ihr heilig und sie wäre nie fremdgegangen… NIEMALS! Sie verachtete so etwas! Obwohl ich es verdient hätte, immerhin hab ich’s auch gemacht. Dummerweise… war total sinnlos…“

„Yui… auch wenn du es nicht glauben willst, dein Bruder kann ein brutales Ekel sein, das vor nichts zurückschreckt, auch einen Menschen zu töten“, meinte Ken, er hatte es schließlich am eigenen Leibe zu spüren bekommen, dass ihr Bruder durchaus in der Lage war, so etwas zu tun.

„Dazu müsste man ihn zwingen!“ beharrte sie, doch er schüttelte den Kopf.

„Als ich etwas mit Mitsuki hatte und er kam dahinter, wollte er mich vom Balkon stoßen… Was sagst du jetzt?“

„Was?!“ Sie war geschockt und blickte ihn an, als hätte man ihr erzählt, dass ihre Mutter die heilige Jungfrau Maria war und sie alle dem heiligen Geist entsprungen waren.

„Ich dachte, ihr beide seid Freunde.“

„Juus Definition von Freundschaft ist etwas merkwürdig. Um nicht zu sagen, schizophren. Der redet davon, dass du deine Freundin hättest mit ihm teilen sollen, das widerspricht dem, wie er bei mir reagiert hatte. Und dass ihm ihre Seitensprünge egal sind, kann er wirklich dem Papst erzählen. Keiner will einen anderen vom Balkon stürzen, wenn es ihm nichts ausmachen würde. Bestimmt hat er dir auch alles Mögliche über mich erzählt, wie schlimm ich bin. Dass ich Frauen nur ausnutze und du mir nichts bedeutest…“ Der Gute kannte seine Freunde leider nicht, sondern lebte in der Vorstellung, wie sie waren. Und er liebte es im Recht zu sein, also konnte er nicht akzeptieren, wenn sie sich als anders herausstellten.

„Er hat mir erzählt, wie ihr zu zweit eine Frau ran genommen habt.“

„Pisser!“ entgegnete Hideto. „Alle anderen sind schlimmer als er und er ist ein Engel! Er wurde ja nur verdorben, ja klar…“

„Oh man, da kann ich ja froh sein, dass ich nicht in den Hintern getreten wurde, wenn er dir solche Geschichten erzählt hat. Außerdem ist das nur die halbe Wahrheit. Ich war dabei, aber dass ich so aktiv war, kann man nicht sagen. Er tut ja, als wenn man mich nur auf diese Weise beglücken kann, du hast so einen Schwachmat als Bruder.“ Für einmal war das vielleicht okay, aber nichts, was wirklich von Bedeutung gewesen wäre. Sie waren eben Männer und probierten manchmal komische Sachen aus, aber gefallen musste es ihnen deswegen noch lange nicht.

„Der soll mal nicht zu viel von sich auf andere beziehen. Er ist der Kerl, der die Freundin des Freundes auch als seine Freundin ansieht.“

„Fies wäre, wenn du dir Mitsuki vornimmst… Ob er das so gut finden würde?“ Ken erschreckte sich selbst, vielleicht erweckte der Kerl nun seine fiese, rachtsüchtige Ader…

„Mit dem bin ich fertig, wir sind jetzt quitt!“

„Der wird sich schon wieder beruhigen“, legte Yui ein, sie konnte immer noch nicht glauben, dass ihr Bruder ein Vergewaltiger sein sollte. Aber dass Kimiko irgendwen betrogen hätte, konnte sie sich auch nicht vorstellen. Sie war die Letzte, der so etwas passieren würde. Sie meinte, dass der Wunsch den anderen zu betrügen für sie bereits ein Grund für eine Trennung sei.

„Ich will gar nicht, dass er sich beruhigt! Er hat damit geprahlt, dass er noch eine Freundin hat, dann soll er sie doch behalten… Die, die er wirklich wollte, hat er nie bekommen und er wird sie nie bekommen! Ich denke, er hat genug…“

Yui versetzte sich in seine Lage. Wenn man sie so behandelt hätte, ihr rachsüchtiger Geist würde ihm das Leben zur Hölle machen. „Es tut mir Leid, dass er so geworden ist… Mitsuki ist eben ein ganz spezieller Fall, sie hat ihm nicht gut getan. Ich wünschte, er würde sie verlassen und ein neues Leben anfangen.“

„Ich fürchte, das wird er nicht tun, sie ist sein doppeltes Netz. Er ist die ganze Zeit über mit ihr zusammen geblieben, auch wenn er Kimiko angesabbert hat. Sie war die Sicherheit, dass er, falls er bei Kimi scheitert, nicht alleine bleibt.“ Solche Menschen würden immer zweigleisige Beziehungen führen und ihre Partner betrügen, nur um keinen Moment alleine sein zu müssen. Deswegen wollte er sie beide haben.

„Ich glaube, du hast Recht. Als er mit meiner Freundin in die Kiste sprang, war er auch in einer Beziehung, die sehr wackelig geworden war.“ Anscheinend war Juu wirklich krank, er musste nur aufpassen, dass er ihn nicht doch wieder bedauerte, weil er ein Problem damit hatte, alleine zu sein.

„Wird das nun die wir-bedauern-Juu-Runde? Entweder er kapiert irgendwann mal, dass solche Beziehungen aussichtslos sind, oder er macht so weiter! Mir egal, lasst uns das Thema wechseln“, schlug Ken vor, „sonst krieg ich Hassgefühle, die mag ich nicht sonderlich“, außerdem gab es da Wichtigeres, als Yuis durchgeknallter, älterer Bruder. Die Zeiten, in denen er sich für ihn interessiert hatte, gehörten der Vergangenheit an, er würde ihn ja nicht einmal zu ihrer Hochzeit einladen.

„Du hast mir noch nicht gesagt, wieso du wie ein Gestörter hierher gerast bist!“ fiel Yui ein.

„Ich habe hellseherische Fähigkeiten, ich wusste, dass dein Bruder hier sein würde, um ihn zu belästigen?“ witzelte der Gitarrist, auch wenn es wohl kaum so gewesen war.

„Ich glaube, der gute Tetsu war besorgt um ihn und hat dich jetzt wahnsinnig gemacht!“

„Das trifft’s, er ist wirklich schlimm! Wenn er jemanden wahnsinnig machen will, tut er das!“ Ken runzelte die Stirn, diesmal waren diese Ängste wohl aber auch begründet.

„Warum hast du ihn nicht gleich mitgebracht, Ken?“ wollte Hideto wissen. Wenn Tetsu besorgt war, konnten ihn doch keine zehn Pferde halten.

Der Arm des Angesprochenen schlang sich unweigerlich fester um seine Verlobte. Die wahnsinnige Angst, die er seit neustem entwickelt hatte, riss ihn dazu hin, sie besonders fest zu halten. Was Tetsu am Telefon gesagt hatte, kam ihm nun in den Sinn. Dieser Ort, war er für ein Gespräch über diese Dinge geeignet? Er war unsicher. Hayato meinte, dass sie schlimmer als die Yakuza waren, sie konnten überall sein…

Wie sollte er Hideto nur beibringen, dass Tetsu bei der Polizei festsaß, da man sie überfallen hatte? Wenn er ihm das erzählte, würde auch ihn die Angst packen. Sie mussten schreckliche Angst gehabt haben… Und ihr Tod weckte mit Sicherheit weitere Angstgefühle in ihm. Er musste doch die ganze Zeit denken, dass sie als nächstes ihn umbrachten…

Aber es gab noch etwas, was ihm nun wieder einfiel. Kat, die er dachte gesehen zu haben. Mittlerweile würde es ihn nicht wundern, wenn dem wirklich so gewesen wäre. Vielleicht waren sie irgendwann dazu gezwungen… Und so sehr war es keine schlimme Tat gewesen. Diese Person hatte ihm und Sonoko das Leben gerettet. Wenn er nur sicher gewesen wäre, hätte er sich dafür bedankt…
 

Die Gedanken an früher; sie hasste sie. Jedes Mal, wenn die 23-jährige dachte, sie sei darüber hinweg gekommen, holte sie irgendetwas auf den Boden der Tatsachen zurück. Bestimmt wollte man sie nur verunsichern – er war keiner von diesen Menschen, die andere betrogen. So sehr konnte man sich nicht irren, zudem hatte sie großes Vertrauen in diesen Mann. Und das musste sie auch, selbst wenn ihre vergangenen Beziehungen stets daran gescheitert waren, dass man sie betrogen hatte.

Das Vibrieren ihres Handys in der Tasche ließ sie die Gedanken verwerfen. „Hallo Schatz“, meinte sie, als sie die Nummer erblickte.

„Mama, Papa hat mir erlaubt bei meiner besten Freundin zu schlafen, ist das nicht toll?“

„Ja, Waaaahnsinn, das freut mich für dich, meine Kleine!“ Dieser kleine hinterhältige Kerl, sie konnte sich denken, was das sollte. Er wollte mit ihr alleine sein und schob deswegen die Tochter zur besten Freundin ab. Das Kind bemerkte es natürlich nicht.

„Die haben ein gaaaanz großes Schloss! Ein Palast! Sie haben ganz viele Zimmer.“

„Hey, das ist ja toll. Wo wohnen sie denn? Ich hoffe doch, nicht zu weit weg.“ Irgendwie hatte die 23-jährige ein ungutes Gefühl. Sie hasste es, wenn er ihrer Tochter Dinge erlaubte und es nicht mit ihr absprach. Aber seiner Meinung nach tat sie dem Kind nicht gut und sei eine miserable Mutter. Warum um alles in der Welt hatte sie ihm je Kontakt zu ihrer Tochter erlaubt? Sie würde es nie wieder machen. Der Kerl war eine Plage… Er wollte ihr dieses Kind nicht mehr überlassen, dabei war er nicht einmal der richtige Vater. Was wäre jedoch besser gewesen? Ihr Exmann war reich und hatte eine Zukunft. Bei ihnen sah das etwas anders aus. Sie knabberte noch immer daran, ein Doppelleben zu führen. ‚Wenn ich es irgendwann schaffe, wieder ein normales Leben zu beginnen, oder Bryan das gelingt, holen wir dich weg von ihm!’ Er war zwar ein ganz brauchbarer Vater, aber an sich war er diese Art Mensch, den sie verachtete. ‚Ich habe dir Noriko nur überlassen, weil du ein normales Leben zur Verfügung hast! Bei der erstbesten Gelegenheit auf ein neues Leben, bist du sie los, und wenn du sie nicht freiwillig rausrückst, bring ich dich um! So einfach ist das! Sie ist nicht dein Kind, es ist meins, und Bryans! Man sollte sich niemals nehmen, was einem nicht gehört!’

„In Tōkyō!“

„Ach, Schatz, Tōkyō ist riesig!“ Sie war eben noch ein kleines Kind, ob sie ihr diese Frage wirklich beantworten konnte, war nicht sicher. „Wohnen sie im Zentrum oder mehr außen?“

„In Shibuya, Mami“, antwortete das 5-jährige Mädchen zu der Verwunderung ihrer Mutter.

‚Ausgerechnet da… Ich hasse diesen Stadtteil! Die reichen Leute ziehen dorthin… Leute wie Jami, Valpolicella…’ Trotz ihrer düsteren Gedanken erfreute sie sich daran, dass ihre Tochter ein zufriedenes Leben führen konnte und lächelte. „Und wie heißt deine Freundin?“

„Kaori Ashita“, meinte die Kleine verzückt, auch wenn sie den Nachnamen falsch aussprach…

„Was?!“ Ihr blieb vor Schreck fast das eine Wort im Hals stecken. Kalter Schweiß breitete sich auf ihrer Stirn aus. Sie dachte sich verhört zu haben, aber sie kannte Kaori. Wie hätte sie die Tochter von Jami vergessen können? Die Tochter, die er mit Bryans Schwester hatte…

„Si-nd ihre El-tern auch da?“ fragte die 23-jährige in einer Art Schockzustand und der blanken Angst verfallen. Noch schlimmer als Jami Frauen zu überlassen war es, wenn man ihm kleine Kinder überließ. Er pflegte sie an sich zu reißen und dem Boss zu bringen.

„Sie hat nur einen Papa und der ist total nett! Er holt uns gerade Pizza! Toll oder?“

‚Oh ja, furchtbar toll…’ Die Freude für ihre Tochter war mit einem Mal erstorben. Auch wenn es grausam klingen würde, Kaori war eine Freundin, die sie ihrer Tochter verbieten würde. Sie würde ihr den Umgang mit ihr verbieten, selbst wenn die Kleine nichts dafür konnte, so einen Vater zu haben. Es war einfach nicht fair, dass er ein unbeschwertes Leben führen konnte, der ihnen allen das Leben zur Qual machte. Er sollte leiden; ins Gefängnis mit diesem Kerl hatte sie gedacht, mittlerweile war sie eine Stufe weiter. Zu Tode foltern sollte man ihn, oder zumindest fast bis zum Tode, damit er noch etwas davon hatte.

Die fürchterlichen Vorstellungen, was Jami mit einer Pizza anstellen könnte, um ihre Tochter gefügig zu machen, beherrschten sie.

„Hör zu, Noriko-chan! Du sollst vor dem Schlafen gehen doch nichts mehr essen! Das ist ungesund! Du wirst ein braves Kind sein und die Pizza ablehnen, verstanden?“

„Du bist gemein, Mami“, kam traurig von ihrer Tochter, aber sie wollte dem armen Kind nicht sagen, was das für eine Familie war. Sie wollte ihr all diese unangenehmen Dinge ersparen.

„Ja, Mami ist gemein, weil sie besorgt um deine Gesundheit ist. Versprich mir artig zu sein!“

„Ok, Mami, Noriko-chan ist artig“, zwar klang ihre Stimme trotzig, aber man konnte sich auf die Kleine verlassen. Wenn man nein sagte, hielt sie sich daran. Man konnte sagen, sie war ein wohlerzogenes Kind.

Dennoch war ihr noch immer unwohl, wenn sie daran dachte, dass sie gerade bei diesem Kerl zuhause war, ihm ausgeliefert. Sie brauchte eine Person, die ihr schnell helfen konnte…

Leider gab es wenige, die bei Jami einbrechen und ein Kind entführen würden. Zuerst brauchte sie seinen Wohnort… All das hätte gar nicht erst passieren dürften. Ihm würde sie die Hölle heiß machen, oder wenn Noriko nicht mehr erreichbar sein sollte, ihm den Hals umdrehen, aber richtig.

Hospital of insanity I

Mit der Hand in ihrem Kittel und einem gedankenverlorenen Gesichtsausdruck betrat die rothaarige Ärztin nun den Flur zu den wartenden anwesenden Personen – sie warteten schon so lang und sahen fertig aus.

„Hallo Naru“, begrüßte sie ihre Schwägerin und nahm die Hand aus ihrer Tasche, um diese Naru zu geben.

„Wie geht’s ihr? Kannst du mir das BITTE sagen?!“ Das Bitte kam sehr eindringlich daher, weshalb die Ärztin nickte.

„Es ist nicht so schlimm, wie es zuerst aussah. Sie hatte einen Schutzengel“, antwortete die 31-jährige und lächelte nun Naru an, welche augenblicklich glasige Augen bekam, jedoch nicht zu weinen begann.

„Danke“, erwiderte Naru, „das dürfte ihn auch sehr beruhigen“, sie warf einen Blick zur Seite, wo Tatsuji selbstverständlich auch schon aufgetaucht war, weil er wissen wollte, wie es seiner Freundin ging.

„Was heißt nicht so schlimm?“ wollte er nun wissen, weshalb sich die Ärztin ihm zuwandte.

„Augenscheinlich wurde sie in die Brust getroffen, es war jedoch nur in die Schulter. Wir haben die Blutung schnell unter Kontrolle bekommen können. Wir verlegen sie gleich auf die Intensivstation, wo sie rund um die Uhr überwacht wird. Nur um allergische Schocks oder Komplikationen auszuschließen. Nicht selten kommt es bei Verletzungen durch schmutzige Kugeln zu einer Vergiftung.“

„Das weiß ich alles, ich arbeite in einem Beruf, wo der ein oder andere einmal eine Kugel abbekommt. Können wir denn zu ihr?“

„Wenn, dann nur einer zur gleichen Zeit. Sie braucht Ruhe, um sich zu erholen. Ihr Blutverlust war doch verhältnismäßig groß.“

„Geh du, Tatsuji… Ihr scheint es ja so weit gut zu gehen… Außerdem braucht sie jetzt den Mann an ihrer Seite, nicht eine läppische Freundin.“

Der 27-jährige nickte zwar, wollte jedoch Naru nicht alleine gehen lassen. „Warte aber bitte noch auf deine Begleitung, er soll dich nach Hause fahren, nachdem was passiert ist.“ Dass er besorgt um sie war und sie nicht gehen lassen wollte, spürte sie, deshalb reagierte sie auch leicht ungehalten. „Ich kann alleine auf mich aufpassen!“

„In dem Fall ist ein Mann, der auf dich aufpasst, aber besser. Und glaub mir, er wird auf dich aufpassen… So gut er kann!“

Verwirrt besah sie Tatsuji, der davon überzeugt schien, dass Juro als Beschützer etwas taugte. „Wie kommst du darauf?“

„Weil er sich wegen Riina mit deren Vater angelegt hat. Dass er ein Feigling ist, ist damit ausgeschlossen.“

„Man… hast du das auch von Shina? Die Frau macht mir manchmal Angst… was weiß sie denn noch?“

‚Zu viel und ist höchstwahrscheinlich aus dem Grund wie vom Erdboden verschluckt’, doch diesen Gedanken behielt er für sich alleine.

Asami fragte sich, wie es Naru ansonsten ging, außer dass ihre beste Freundin sie fast verlassen hätte. „Ich habe gleich Feierabend, ich könnte sie auch fahren. Außerdem glaube ich, dass eine Freundin gerade besser für sie ist, als so ein Mann!“

Tatsuji hörte etwas Männerfeindliches aus der Stimme der Ärztin heraus, er konnte sich jedoch nicht vorstellen, dass sie es wirklich war. „So ein Mann kann aber besser auf sie aufpassen“, legte Tatsuji ein, „ich würde sie am liebsten selbst fahren, aber ich kann mich nicht teilen.“

„Die werden schon nicht wieder kommen“, meinte Naru wie in Trance, „die haben, glaube ich das, was sie brauchen, um meinem Exfreund einen ordentlichen Tritt dahin zu verpassen, wo es wehtut – und alles ist nur meine Schuld… Auch, dass Riina…“

„Schon gut“, er drückte sie leicht gegen seine Schulter und streichelte ihren Arm zur Beruhigung, „gib dir nicht die Schuld daran. Sie sind Profis, gegen die ein normaler Mensch wenig entgegenzusetzen hat.“ Außerdem war nicht Naru daran schuld, dass Riina ein hilfsbereiter Mensch war, der für andere auch in Gefahren rannte. So war sie nun einmal.

„Exfreund? Welchen denn?“ Ein verwirrter Blick lag auf Asamis Gesicht, da sie natürlich noch nichts davon wusste, dass sich Naru von ihrem ersten Freund getrennt hatte. Und von weiteren Freunden wusste sie nichts.

„Witzig, da gibt es ja nur einen zur Auswahl, Hiroya natürlich.“

„Was hat er angestellt?“

„Er hat sich entschieden, ein Kotzbrocken zu werden und anderen Menschen das Leben zu einer Qual zu machen! Reicht das als Antwort?“

Das Gespräch der Frauen würde so schnell nicht enden, weil sie nun einmal so waren und gleich alles genau wissen wollten.
 

Asami Machida, die Ärztin, welche die erste gewesen war, die ihm begegnet war, hatte ihm von den Halluzinationen und Wahnvorstellungen erzählt. Sie würden kommen, um ihn zu holen. Sie würden ihn umbringen, wenn er weiter im Krankenhaus blieb. Es passte alles so wunderschön ins Bild… SIE hatten ihn bereits allzu gut unter Kontrolle. Also Wahnvorstellungen waren es wohl kaum, es war die nackte Realität. Wobei WAHN noch passend war. Wahn konnte man wunderbar von Wahnsinn ableiten. An seiner Stelle wäre er wohl auch wahnsinnig geworden…Hiroya hatte ihm bereits vor langer Zeit erklärt, weshalb er sich so oft vorbei benahm. Ihr Tod hatte ihm sehr zugesetzt, aber mit Sicherheit nicht nur ihm. Menschen sterben zu sehen, war alles andere als schön und leicht zu verkraften, im Gegenteil. Und dabei kannte er die Geschichte mit dem Mädchen noch nicht einmal. Es war alles so schrecklich, am liebsten wollte er Japan weit hinter sich lassen.

Versunken in seiner eigenen Welt, hätte er fast einen Herzanfall erlitten, als schwarzes Haar über seine Schulter fiel. Er zuckte, nachdem ihre Stimme ihn wie ein kleines Mädchen aus den Träumen holte. „Huhu, sag mal träumst du immer so vor dich hin?“

„Was willst du denn hier?“ Die Begeisterung hielt sich in Grenzen, was sie enttäuscht wirken ließ.

„Klingt ja nicht gerade so, als würdest du dich über diesen Umstand freuen?“

„Kannst du mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ginge das? Davon hätten wir beide etwas!“ Bei ihr musste er sich wirklich bemühen, um nicht aus der Haut zu fahren und er tat das wirklich nicht allzu schnell.

„Was für ein Mensch war ich…?“ Die Blauäugige lehnte sich gegen die Wand und sank fast an ihr nieder, so dass er ihr doch Aufmerksamkeit schenkte. Diese Antwort würde er ihr gerne geben. „Verhasst, intrigant, machtgierig, neidisch, möchtegernunschuldig, … und sexgeil! Kurzum ein ganz schönes Biest! Sei bloß froh, dass du dich nicht mehr an dich selbst erinnerst, du bist unausstehlich, Mitsuki Ikezawa!“

Die junge Frau konnte sich nicht vorstellen, dass sie so gewesen sein sollte. Ob er wirklich ehrlich war, oder es einfach daran lag, dass sie mit ihrer Adoptivschwester nicht sonderlich gut auskam?

„Gerade habe ich Blut gespendet… ich bin also zum Glück weit davon entfernt, ich selbst zu sein, denke ich. Dumm nur, dass ich die Frau im Spiegel nicht erkenne. Ich bin nicht in der Lage zu fühlen. Mein Freund bemüht sich um mich, aber ich spüre NICHTS!“

„Du hast doch noch nie etwas gespürt… Eure Beziehung war nie in Ordnung. Du solltest auf dein Herz hören, das wird das allerbeste sein. Deinen Stiefbruder interessiert nur, dass du wie SIE aussiehst. Er blieb nur mit dir zusammen, weil sie ihn nicht wollte. Ein doppeltes Netz ist besser als keines, wenn du verstehst… Du warst ein Miststück, das ihn ständig betrogen hat. Und Kimiko war die Treue in Person… Deswegen war er so hinter ihr her.“

Es versetzte ihr nun doch einen Stich ins Herz, das zu hören. Vielleicht hasste er sie so sehr, um ihr so schmerzhaft klarmachen zu müssen, wie sie wirklich war.

„Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich so etwas getan haben soll. Kannst du das belegen?“

Kaum zu glauben, dass sie ihn gerade als Lügner bezeichnete. Etwas ungehalten reagierte er ja nun doch. „Hast du dich je gefragt, weshalb Yui dich mit diesen Blicken straft? Du hast uns versucht gegeneinander auszuspielen! Du hast dich doch nur für mich interessiert, weil du wusstest, dass sie hinter mir her war… Du wolltest deiner kleinen Schwester wehtun, geh mir endlich aus den Augen, sonst vergess ich mich!“ Dass sie nun so unschuldig tat, fasste er nicht. Nie und nimmer hatte sie alles vergessen. Das unschuldige Getue war zum kotzen.

„So etwas würde ich nie…“

„Du hast es aber getan!“ Er packte sie am Arm, so dass sie für einen Moment IHN sah, obwohl er ihr im Krankenhaus gar nicht über den Weg gelaufen war.

„Ich habe ihn mit dir betrogen?“ Die Tränen funkelten in ihren Augen.

„Wenn nur ich es gewesen wäre, aber du hast es mit jeden x-beliebigen Kerl getrieben, um deinem Käfig zu entkommen, du… Fl-“, nein, das sagte man nicht, auch wenn es so war.

Da sie weinte, ließ Ken ihren Arm los und ermöglichte es ihr damit, vor ihm wegzulaufen. Für einen Moment betrachtete er seine Hand – handgreiflich war er noch nie bei einer Frau geworden… Viel hätte nicht mehr gefehlt.

Jetzt wusste sie wenigstens, weshalb Juu so überreagiert hatte – sie musste sich unmöglich benommen haben. Betrogen und belogen hatte sie ihn, kein Wunder, dass er ihr etwas vom Bär erzählte. Alles, was in ihrer Beziehung nicht gepasst hatte, wollte er nun passend machen…
 

Zur gleichen Zeit befand sich Hayato auf dem Weg zu den Suzukis, knapp hatte er Teru dort verpasst. Er parkte sein Auto dummerweise im absoluten Halteverbot, aber da er es furchtbar eilig hatte, passierte es ihm ausnahmsweise. Er warf die Autotür zu und verriegelte diese mit der Fernsteuerung, dann rannte er zum großen Anwesen der Suzukis, klingelte und wartete bis ihm geöffnet wurde. Sonokos Schwester Ayako, welche sich gerade auf dem Weg befand, ließ ihn auch sogleich rein und erkundigte sich für ihn nach Kazuha. Obwohl sich Hayato hundertprozentig sicher war, dass Tōyamas Tochter bei den Suzukis war, sagte ihm Ayako, dass sie zwar vorher mit Sonoko und Katsumi hier gewesen war, aber die Truppe sich längst wieder getrennt hatte. Sie berichtete ihm auch vom Anfall ihres Vaters wegen Sonoko, da diese viel zu spät nach Hause gekommen war, noch dazu im Auto eines Mannes…

Mit gemischten Gefühlen verabschiedete sich der 26-jährige und ging zurück zu seinem Auto. Tōyama würde ihn lynchen, wenn er davon erfuhr…

Gerade, als er den Motor starten wollte, meldete sich sein Handy in der Hosentasche, welches auf Vibrationsalarm geschaltet war.

„Es ist der Weltuntergang!“ tönte es in sein Ohr, kaum dass er sich selbst gemeldet hatte. Es war Kei, welcher der Verzweiflung nahe nun wieder angekrochen kam, so war es immer gewesen.

„Ist es das?“ Die Ironie in seiner Stimme war kaum zu überhören. Nur weil Kei von einer Katastrophe oder einem Weltuntergang sprach, entsprach das nicht der Realität. Sein ehemaliger Klassenkamerad war eben ängstlich.

„Dir wird das Lachen vergehen, mein Lieber! Also unterlass diesen Spott, verstanden? Die Lage ist ernst!“

„Okay, Spaß beiseite… Was für ein Problem soll ich diesmal für dich lösen?“ Nein, er konnte den Spott nicht aus seiner Stimme verbannen. Der Typ zwang ihn ja dazu…

„Heiji ist mir ausgebüxt, dieser verdammte Bengel! Kaum dreht man sich um, ist er verschwunden! Naoya ist auch schon total außer sich, auch weil Heiji Hals über Kopf aus dem Büro gerannt ist. Der stellt sicher schon wieder was an und ich bin dann wieder schuld…“

Ein Seufzen war zu hören. Er hatte gerade schlimmere Probleme, als ein ausgerissener Heiji Hattori, der nur Fälle und Gangster in seinem Schädel hatte. „Du solltest genau das verhindern! Er wird sich an irgendwas hängen, nur um sich nicht zu langweilen… Mit Pech läuft er dann den richtigen Verbrechern in die Arme, großartig gemacht, Tamura!“ Es war ja auch nicht seine Idee gewesen, ihn Tamura zu überlassen, er wäre nie auf die Idee gekommen. Wenn er bei Iwamoto geblieben wäre, hätten sie sicher jetzt nicht dieses Problem, weil auf den nämlich laut Akaja Verlass war. Dummerweise hatte er auch nicht gut genug auf Kazuha aufgepasst, was er dem guten Kei jedoch nicht verraten würde.

„An deiner Stelle würde ich Heiji schnell finden, bevor er etwas anstellt und sein Vater es ausbaden muss, dann wird es echt hässlich…“ Und wie unangenehm dieser Mann werden konnte. Er hatte es selbst bereits am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Jedoch hieß sein Problem nun wohl eher Tōyama.

Das Funksignal kommt aus dem Hause der Suzukis… Wer soll das verstehen? Sie muss den Sender verloren haben! Und wer weiß, wo sie nun wirklich steckt?

Hayato hatte Kazuha vorsichtshalber verwanzt, nur um sie schnell wieder finden zu können. Es war nie geplant gewesen, dass sie auf irgendwelche Partys ging, aber er wollte dem Mädchen auch nicht ganz den Spaß verderben, also war ihm bei dem Gedanken, dass sie bei den Suzukis war, nicht unwohl geworden. Er dachte, sie sei dort gut aufgehoben. Dass Aiko und Shiori sie neu eingekleidet hatten, wusste er ja nicht. Dabei war nämlich der Sender bei Sonoko im Zimmer liegen geblieben. Jetzt hieß es auf jeden Fall die Ruhe zu bewahren, nicht so wie Kei in Sachen Heiji.
 

Mehr zufällig, da er gerade in der Nähe gewesen war, sah der Dunkelbraunhaarige, wie Heiji aus dem Präsidium kam. Der Junge sah aus, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her und er müsste vor diesem fliehen. Ein Heiji Hattori, der ohne Sinn und Verstand rumrannte, den konnte man nicht alleine lassen, auf keinen Fall. Aus diesem Grund verfolgte Ryochi ihn auch. An einer Kreuzung hielt er neben dem Schwarzhaarigen, jener allerdings rannte über die rote Ampel, so dass der Detektiv ebenfalls weiter fuhr und dann direkt vor ihm stehen blieb. Er versperrte ihm sozusagen den Weg und warf ihm einen ernsten Blick zu. „Warum zur Hölle hast du es so eilig? Ist was passiert?!“

„Kazuha! Lass mich gehen! Ich muss ihr helfen!“ Natürlich versuchte der Jungdetektiv sich an Ryos Auto vorbei zu schummeln, doch der 23-jährige riss die Tür auf und packte den anderen an seinem Arm. „Ich lass dich ganz sicher nicht gehen! Du wirst mir erstmal erzählen, was passiert ist!“

Dass es Ryochi Akaja war, änderte nichts an der Tatsache, dass das Gespräch am Telefon, welches er mit Kazuha gehabt hatte, ihn nicht losließ. Da setzte sein Verstand schon mal aus. „Loslassen, ich muss zu ihr!“

„Beruhig dich erstmal!“

„Wenn das Shina wäre, würdest du sicher auch losrennen!“

Bei Leuten wie Heiji half manchmal kein Reden und mit diesem Satz hatte er sogar einen sonst immer besonnenen Ryochi auf die Palme gebracht, so dass er ihm Schelte in Form einer Ohrfeige gab und ihn hoffentlich wieder runterholte.

Es war eigentlich auch ein Liebesgeständnis, da er Kazuha auf die selbe Stufe gestellt hatte, wie Shina bei Ryochi stand, aber das war ihm weniger bewusst in seiner Angst, seiner Wut auf diese Leute und auf sich selbst, weil sie ihn in der Hand hatten. Ihre Drohungen würden sie ernst machen. „Ich will dich nicht in diese Scheiße mit rein ziehen, es ist meine Sache, halt dich da raus, Akaja-san!“

Offensichtlich war es schlimmer, als zuerst angenommen. Es sprach Panik aus den Worten des 18-jährigen, der - offensichtlicher konnte es nicht mehr sein - ebenfalls an die Organisation geraten war, er war sich vollkommen sicher, dass dem so war. Oder noch schlimmer, Kazuha war an sie geraten.

Die dunkle Kluft, die Heiji umgab, äußerte sich passend im nächsten Moment auch in Form eines Wolkenbruchs. Dunkel war es ja schon, es konnte nicht mehr finsterer werden, dafür jedoch frischer und windiger. Dass es zu regnen begann, spürte er als seine Haare nass wurden. Er fand es aus dem Grund passend, weil er sich so gedemütigt fühlte. Klatschnass zu werden empfand er ähnlich. Man hatte ihm schon so oft eine Ladung Wasser ins Bett gekippt, um ihn zu wecken, er hasste es, es war demütigend. Und nichts hasste er mehr, als zu unterliegen. Deswegen betrieb er Kendo wie ein Weltmeister.

Ryochi hatte ihm eine geschmiert. Sein Vater hätte ihm wohl mehr einen Kinnhaken gegeben, wenn er sich wieder auf irgendwas stürzte. „Warum wollt ihr mich nicht verstehen? Ihr alle?! Ich MUSS ihr helfen, ich kann sie doch nicht im Stich lassen!“

„Das hat doch überhaupt keiner gesagt“, Ryochi zog Heiji näher und legte seine zweite Hand auf die Schulter des Jungen. „Ich will bloß, dass du mir sagst, was vorgefallen ist, vielleicht kann ich dir helfen.“

Ja, er wollte nur helfen, das glaubte der Detektiv aus dem Western sogar. „Wenn ich dir das erzähle, gerätst du auch in diese Sache hinein…“ Die Stimme war wackelig und ängstlich, diesen Ton hatte er an sich selbst noch nie gehört.

„Bin ich schon… Genauso wie Kudō und...“ Ryochi brauchte Shina nicht erwähnen, er wollte es auch nicht. Es klang so, als hätte er sie abgeschrieben. „Was wollen sie von dir? Was haben sie verlangt? Sollst du jemanden für sie töten? Das sähe ihnen ähnlich! Glaub ihnen kein Wort! Nur weil du so etwas machst, wirst du Kazuha nicht wieder sehen. Sie halten selten ihre Versprechen, die sie Leuten geben, stattdessen verlangen sie immer mehr…“

Was Ryo sagte, leuchtete ein, er schien diese Verbrecher zu kennen, er hatte sogar das Gefühl besser als Shinichi. Irgendwie erschreckte ihn das sogar.

„Das trifft’s, denk ich… Sie wollen erstmal, dass ich mich mit ihnen treff’… Vielleicht erschieß’n sie mich auch einfach… Es hat sicher die Runde gemacht, dass ich im Umgang mit Waffen nicht der Geschickteste bin.“ Natürlich konnte man nie sicher sein. Aber solche Profis wussten sicher über ihre Opfer Bescheid.

„Wäre auch möglich, aber ich glaube, die wollen was ganz Anderes. Deren Anführer mag Sprösslinge von hohen Polizeitieren. Du, Kazuha, ich, Hakuba, Tokorozawa, wir alle haben ziemliche hohe Polizeitiere als Eltern… Und jeden von uns werden sie mal versuchen, zu holen. Bei mir hat man es versucht, als ich 14 war. Du siehst, es läuft alles nach Schema ab.“

„Was meinste mit holen? Uns unseren Eltern wegnehmen, um uns umzudrehen?“ So hatte er Ryochis Worte jedenfalls verstanden.

„Schlauer Junge! Was gibt es Schlimmeres für einen Kriminalisten, als wenn die Kinder zu Verbrechern gemacht werden und sich gegen ihre Eltern stellen?“

Oh Gott, das würde heißen, dass Kazuha nicht nur der Lockvogel war, um ihn zu holen, sondern dass sie sie auch wollten. Ihm war ganz schlecht. Sie war ein starkes Mädchen, aber doch sicher nicht für so etwas gedacht.
 

Der Sekundenschlaf hatte sie wie schon einmal eingeholt. Ihr waren auch wirklich nur für einige Sekunden die Augen zugefallen. Es war schon ein unangenehmes Gefühl, wenn einen die eigene Schwester rund machte, so wie Asami es gerade tat. Und sie konnte sich noch nicht einmal wehren, immerhin stand sie über ihr. Über ihr… ja, den Satz hatte sie schon einmal gehört. Sie konnte nicht mehr schlafen, seit sie dies wusste. Deshalb war ihr dieser bedauerliche Fehler passiert. Sie hatte Nachtschicht und war sowieso total unausgeruht. Da war es geschehen - wieder einmal.

„Es kommt nicht mehr vor“, versprach sie der Rothaarigen und diese griff sich genervt an den Kopf.

„Das sagst du in letzter Zeit ziemlich oft!“ ließ die 31-jährige keinerlei Ausreden gelten und strafte ihre kleine Schwester zusätzlich mit einem verächtlichen Blick. „Wir haben eine Verantwortung gegenüber unserer Patienten! Muss ich dich daran erinnern, dass er einen angesehenen Anwalt hat, der uns jederzeit Probleme bereiten kann? Unser Chefarzt sieht es nicht gerne, wenn wir…“

„ACH HÖR AUF!“ Ihre laute Stimme hallte für einen Moment durch den Krankenhausflur.

„Was?“ Entsetzt über den Tonfall der jungen Frau, blickte die Ärztin zunächst perplex drein.

„Du machst dem Chefarzt schöne Augen, meinst du, das merke ich nicht? Das ist der einzige Grund – Menschen sind dir egal! Du hast dein Herz verloren, nachdem du Ärztin geworden bist und Koichiru nicht hast retten können! Es ist dir doch egal, wenn jemand unter deiner Hand stirbt! Du steckst es weg, als sei es nie geschehen!“

Für diese Frechheit – es war taktlos – kassierte die Schwarzhaarige mit den kurzen Haaren einen deftigen Schlag auf die eigene Wange, welcher von der Hand ihrer älteren Schwester ausgegangen war.

Die 23-jährige wusste sehrwohl, dass sie so etwas nicht hätte sagen dürfen. Sie an Koichiru erinnern tat nie jemand, noch nicht einmal dessen kleine Schwester Naru. Sie hätte Asami auch niemals einen Vorwurf gemacht, dass er ausgerechnet unter ihrer Hand davongegangen war. Doch es musste gesagt werden. Ihre eiskalte Art, welche sie an den Tag legte, ging der Jüngeren schwer gegen den Strich, da meistens sie die schlechte Laune ihrer Schwester ertragen musste. Und dann noch dieser Chefarzt – er hasste sie – er hatte Geld, er hatte Macht, er war beliebt bei Frauen. Kurzum ein richtiges Scheußsal unter dem viele zu leiden hatten, es sei denn man sah so super aus wie ihre Schwester und ließ ihn mal ein bisschen in den Ausschnitt gucken, um ihn zu besänftigen. Andere Leute hatten wirklich Probleme…

„Ich finde, du erlaubst dir ziemlich viel! Sei froh, dass wir hier alleine sind, Schatz, sonst würdest du dich gleich beim Chefarzt wiederfinden – er würde dir die Leviten lesen, das kannst du aber glauben. Du machst zu viele Fehler, deswegen bestraft er dich – an meinem guten Aussehen liegt seine Sympathie mir gegenüber nicht. Du musst besser aufpassen, wir sind hier immerhin im Krankenhaus. Deinen kleinen Ausrutscher mag ich dir verzeihen, aber nicht, dass du eingeschlafen bist und währenddessen einer unser Patienten verschwinden konnte. Er war übrigens auf dem Dach… zum Glück hat man ihn gefunden. Du hast wirklich Glück gehabt. Ich sage es dir gerne noch mal. Er ist depressiv und deswegen soll er nirgendwo alleine hingehen, auch wenn er Medikamente bekommen hat, das ist kein Spaß, Asako-chan!“ Ja, sie verzieh ihr den Ausrutscher mit Koichiru und dem Chefarzt, aber ihre Fehler durfte sie nicht einfach so ignorieren, immerhin war sie die zuständige Ärztin, die auch einen Job zu erledigen hatte – und wenn es hieß, die eigene Schwester zu ermahnen, wenn sie zu viele Fehler machte.

Ein Seufzen entfuhr Asako. „Ich weiß, dass er etwas deprimiert ist, ich habe ihn weinen sehen, als er sich unbeobachtet fühlte. Im Gegensatz zu dir, sehe ich ihn jeden Tag… Jedes Mal, wenn ihm etwas neues einfällt, um mich zu rufen… Depressiv ist etwas anderes. Er ist nicht depressiv und hätte sich garantiert nicht vom Dach gestürzt, Asami-san“, meinte sie und schüttelte daraufhin den Kopf. Nur weil er sich etwas schlecht fühlte, war er nicht suizidgefähret, sie machte aus einer Mücke einen Elefanten.

„Das ist nicht deine Aufgabe, mir zu sagen, was richtig oder falsch ist. Das ist nicht dein Fachgebiet, also nimm doch bitte deinen Mund nicht so voll, nur weil ich deine Schwester bin.“

„Ach bitte, Schwester!“ Sie verdrehte die Augen. Ja, dass sie Ärztin war und sie selbst nur eine mickrige Krankenschwester gefiel ihr doch, weil sie deswegen immer am besten Bescheid wusste… Dachte Asami jedenfalls. „Ein depressiver Mensch glotzt keinen Frauen sonstwohin… und sie rufen sie auch nicht, um genau das zu tun. Und er hat förmlich Spaß daran. Ständig fällt ihm etwas runter und dann bittet er mich total nett darum, es ihm doch aufzuheben…“

„Das bildest du dir ein, ich glaube kaum, dass er Interesse daran hat, eine Frau anzustarren! Nicht in diesem Zustand… Als er von Sêiichî Iwamoto hierher zurückgebracht wurde, war er total außer sich. Er hat um sich geschlagen, als wollten wir ihm etwas Böses. Und dann sagte er immer wieder die gleichen Worte, die von Paranoia nur so strotzen: Sie kommen, um mich zu holen, sie werden mich umbringen und keiner wird je herausfinden, wozu es diente!“

‚Klingt eher so, als hätte er es mit ihnen zu tun bekommen, ich denke, er ist vollkommen klar im Kopf.’ Asako war ganz schlecht, wenn sie daran dachte, was ihr Cousin ihr über den eigenen Bruder erzählt hatte. Wie schlimm es wirklich um ihn stand. Diese Organisation, welche er stürzen wollte – in Hiroyas Auftrag. Außerdem konnte sie diesen eingebildeten Kerl, der ihnen allen den Psychopathen vorspielte nicht ausstehen. Von Sojuro wusste sie, wie manipulativ er sich verhalten konnte. Er hatte diesen und Kimiko schließlich auseinander gebracht. Mistkerl!

Und Kimiko, diese Blindgängerin hatte kein Mitleid mit Sojuro gehabt, der sie unendlich geliebt hatte, diese dumme Kuh. Sie war beziehungsunfähig. Ihre Liebe hielt nie lange. Kaum hatte sie scheinbar den Richtigen gefunden, kam ein anderer und dann ließ sie sich wegnehmen… Es kam in letzter Zeit oft vor, dass sie an ihren Cousin dachte – er hatte sein schönes Leben für diese Frau geopfert und sie hatte es ihm nie gedankt. Es war sein verwegener Vorschlag gewesen… Sich von denen einkassieren zu lassen. Hiroya hatte den Vorschlag zu einem Plan umgewandelt. Sojuro war sein Spion. Eine gefährliche Sache, aber für Kimiko hätte er alles getan. Sich in Gefahr begeben und Menschen ermordet, um sie zu retten. Sie machte ihm das zum Vorwurf. Vielleicht würde er am Ende sterben – weil es immer so lief, das sagte selbst Sojuro. Er wusste genau, worauf er sich da eingelassen hatte und dass er durchaus dabei draufgehen könnte. Asako wünschte sich, Sojuro hätte ihr nie davon erzählt. Er war so lang verschwunden, dass sie ihn gefragt hatte, was er machte. Und dann hatte er ihr die gesamte Geschichte erzählt. Diese schleppte sie nun tagtäglich mit sich herum. Asami wusste gar nichts von all der Gefahr, deshalb konnte sie den seelischen Stress, den ihre kleine Schwester nun hatte, weil sie einfach besorgt war, nicht nachvollziehen.
 

Heiji war blass geworden, weshalb Ryochi ihn an den Schultern festhielt, da er befürchtete, der Junge würde jeden Moment einfach umkippen. „Kudō hatte Glück, pures Glück… Der Kerl, der ihn versuchte zu töten, hätte ihn auch verschleppen können. Das ist schlimmer als das, was er nun durchmacht. Die können nicht ernsthaft Kazuha zu solchen Dingen zwingen, die würde eher wie eine Furie auf die losgehen – dann bringen sie sie mit Sicherheit um.“ Sie hatte sich nicht im Griff.

„Im Moment hat sie wohl eher Angst, fürchte ich. Ich glaube nicht, dass sie ihnen gewachsen wäre. Und dumm ist das Mädchen nicht, sie wird sich nicht mit ihnen anlegen.“

„Dann kennst du sie schlecht. Als mir ein Verbrecher stiften ging, war sie es, die ihn niedergestreckt hat, obwohl er bewaffnet war…“ Kazuha war alles zuzutrauen, auch dass sie auf ihre Entführer losging.
 

Shiori grinste hämisch, als sie sich mit der Schülerin unterhielt. „So ein graues Mäuschen wie du interessiert uns kein bisschen. Zum Glück weiß ich, dass Hattori genauso blöd ist, einem grauen Mäuschen wie dir zu helfen.“

„Mit einem hast du Recht“, Kazuha hatte die Augen geschlossen und grinste noch viel hämischer als die Frau, welche sich an die Mauer lehnte und sie im Auge behielt, während sie über sie spottete, „ich bin nicht wie ihr – Gott sei dank! Und Heiji ist in der Tat nicht blöd, deswegen wir der auch nicht kommen, um mir zu helfen. Aber glaube ja nicht, dass ich mich kampflos geschlagen gebe!“

Beinahe hätte Shiori das beeindruckt, doch als sie den Blick von Kazuha sah, welcher sich in boshaft und rebellisch gewandelt hatte, erschrak sie. Diese GÖRE ging tätsächlich auf sie los, obwohl sie gefesselt war. Für einen Moment dachte die Killerin auch, dass sie es nicht mehr war und es deswegen wagte. Doch alles, was geschah, war Kazuhas Kopf, der sie rammte. Dieses Gör rammte ihr den Kopf in die Magengegend, dass die Rothaarige sich fast erbrechen musste.
 

Amüsiert beobachtete Teran das Treiben zwischen dem Mädchen und der Profikillerin. Selten wagten es ihre Opfer, so etwas zu machen, wie die Kleine da. Er leckte sich angetan über die Lippen. Die Kleine brauchte einen kräftigen Mann, der ihr mal Manieren beibrachte…

Nach einem Lachen tauchte er aus der anderen Ecke auf und packte Kazuha an ihren Fesseln, um sich ranzuziehen. Das Mädchen hob für einen Moment vom Boden ab und donnerte regelrecht gegen den Männerkörper. Sie zuckte zusammen und schielte nach hinten. Ein fettes Grinsen bildete sich auf dem Gesicht des Grünäugigen. Er umschlang ihren Körper mit einer Hand, damit sie nicht so zappelte. Den für einen Moment lang entsetzten Blick genoss er in vollen Zügen. Menschen in Angst zu versetzen, das war so etwas wie sein Hobby. Also wickelte er seinen Arm fest um ihren Hals und drückte sie an sich. „Du bist ja genauso wild wie Shina“, alleine der Satz ließ Shiori nun auflachen. Sie schenkte dem Mädchen einen dreckigen Blick, der seinem fast Konkurrenz machte.

„Schlecht für dich, dass du ihn an Shina erinnerst, das wird dir nicht gut tun – weißt du, er ist nämlich total scharf auf sie – und würde sie gerne mal knallen! Die Nacht ist dabei wirklich interessant zu werden. Tu dir keinen Zwang an, Teran, zeig der Kleinen dein wahres Gesicht! Du hast die offizielle Erlaubnis von mir, alles mit ihr anzustellen, was dir einfällt!“

„Wie gnädig du mal wieder mit mir bist… So ein Angebot kann man kaum ablehnen! Ich rieche schon ihr jungfräuliches Blut!“ In einer ohnehin schon psychopathischen Stimmlage und einem Lachen, wie man es nur von einem Irren kannte, schaffte er es auch, eine Kazuha zu verängstigen. Sie war nicht blöd und wusste genau, dass sie der Dame ans Bein gepinkelt hatte und sie sich nun rächen wollte. Noch dazu schien der Kerl einen so miesen Charakter zu haben, dass er sich auch noch darüber freuen würde, wenn er so was machen durfte.

„Nimm deine Griffel von mir, oder ich bring dich um!“ warf Kazuha verängstigt dem Mann zu, doch dieser lachte nur, da er genau wusste, dass sein Spruch ihr Angst eingejagt hatte.

„Wer wird sich denn gleich so haben? Vielleicht lernst du es schätzen! Ich kenn da so eine, die war wie du, doch am Ende hat sie es genossen!“

„Mein Vater bringt dich ins Gefängnis, wenn du auch nur auf die Idee kommst, mich falsch anzufassen! Er hat Heizō Hattori auf seiner Seite, die beiden kriegen jeden klein.“

Ein gleichgültiger Laut entkam ihm. „Ach was! Hattori kocht auch nur mit Wasser. Der kann mir gar nichts – und wenn dein Vater was versucht, kriegt er Blei zu fressen!“

„Wir haben sie extra nett verpackt für dich, Teran. Sag schön danke!“ Shiori begann zu lachen, während in Kazuhas Augen Tränen der Wut und Angst aufkamen. Dieses falsche Stück! Und sie hatte sich nur über Katsumi aufgeregt. Die hier hatte eine scheinbar nette Seite und war am Ende dann doch so ein fieses Stück. Ihre Eifersucht auf Katsumi hatte sie beherrscht, so dass sie die falsche Fassade der anderen nicht entdeckt hatte.

Der Killer zückte ein Messer und Kazuha dachte schon, er wollte sie aufschlitzen, doch das einzige, was er tat, war ihr ohnehin dünnes Oberteil etwas zu verschönen, so dass er ihren BH blitzen sah. „Ihr habt sie wirklich nett verpackt. Leider hat sie für meine Verhältnisse noch zu viel an!“ Es war eine fadenscheinige Lüge, denn Shina war auch nie zu freizügig herumgelaufen und hatte dennoch sein Interesse geweckt, mehr noch als die geile Syrah, mit der er nun verkehrte, seit er Mitglied in der Organisation war. Er hatte sich einen passenden Charakter zugelegt, der ihn unangreifbar sein ließ – anders als dieser Tatsuno, der einer Frau hinterher heulte. Er war im Gegensatz zu dem und Sêiichî Iwamoto ein richtiger Mann. Er war besser, als all die Weicheier, sogar Yuichi war für ihn eins. Seine widerliche Liebe zu Kir ging ihm mächtig auf den Wecker. Er wurde doch total gefühlsduselig, was auch immer die Frau tat. Als Cinzano ihm fremdgegangen war, hatte er zwar sein Gesicht gewahrt, aber jeder wusste, wie sehr ihn das gekränkt hatte. Er hätte ihr das hübsche Gesicht mit der Faust polieren sollen, als sie schlicht zu verlassen. Ein richtiger Mann ließ sich so etwas nicht gefallen. Er hatte Shina auch schon mehr als nur einmal körperliche Schmerzen zugefügt, um ihr zu zeigen, dass Frauen gefälligst den Männern zu folgen hatten…

„Wie der kleine Hattori wohl schauen würde, wenn er auftaucht und du befingerst seine Freundin, der tickt bestimmt aus – sie denkt, er hätte nichts für sie übrig und behauptet, dass er gar nicht kommen wird – wollen wir wetten, Teran, wer Recht hat? Na, was sagst du? Wird er kommen, oder wird er nicht kommen?“

„Kann ihn ja nochmal anrufen und ihm sagen, wo meine Finger jetzt hingehen“, er spürte Kazuhas Zittern, als er seine Hand auf ihrem Schenkel aufwärts wandern ließ.

„Und von wem hast du diesen Befehl erhalten, das zu tun?“ kam eine Stimme, deren Herkunft ein Geheimnis war. Man sah ihn nicht, aber das war wahrscheinlich noch schlimmer, als wenn sie sein niedliches Gesicht gesehen hätten. So war er ungesehen und konnte jederzeit zuschlagen.

‚Wie er nervt – man kann nicht mal ein bisschen Spaß haben, wenn er da ist… Noch so ein Weichei’, dachte Teran. Er beschützte Frauen, kein Wunder, dass er sich gut mit Iwamoto verstand.

‚Wer hat auch ahnen können, dass Jami hier rumlungert… Wer zum Teufel hat uns den Kerl an die Backe geklebt? Der ist so was von lästig! Valpolicella war es nicht, sie vertraut uns. Außerdem ist es ihr egal, was mit anderen Frauen geschieht. Sie findet, eine Frau, die sich das antun lässt, hat es verdient!’
 

Asako hatte nun endlich Ruhe vor ihrer Schwester. Sie würde ihr aufs Dach steigen dafür, dass sie zu Sojuro hielt, Asami war da leider anderer Meinung. Nämlich, dass er verdorben war. Sie hingegen gab Kimiko die Schuld an allem – kurz gesagt, er tat ihr Leid. Der arme Kerl hatte sie zu sehr geliebt, das war der Guten wohl zu langweilig gewesen. Es war nur zu schade, dass Sojuro nicht mehr miterlebte, wie seine Exverlobte den nächsten Kerl verließ. Es wäre für ihn sicher ernüchternd gewesen – in ihren Augen hatte die kleine einen Knacks. Sie blieb nur bei Männern, die sie nicht über alles liebten… Sobald sie zu viel Gefühl zeigten, brach sie aus, so auch bei Sojuro. Sie war davon überzeugt, dass ihrem letzten Freund das gleiche geblüht hätte. Leider würden sie das ja niemals erfahren. Sie hätte ihre Hand ins Feuer gelegt. Das Ganze hatte eine gute Freundin ihr gesagt, die sich sehr gut mit Psychen auskannte, weil sie etwas Entsprechendes studierte. Hiroya war mit Sojuro befreundet, er musste auch dementsprechend wütend auf seine Schwester gewesen sein, dass sie ihren Freund so herablassend behandelte, nachdem er immer zu ihr gehalten hatte. Er war damals ein kleiner Streber gewesen, der nichts auf die Reihe bekommen hatte, wenn es um Frauen ging. Ein Junge, den niemand ernst nahm, weil er nicht der Norm entsprach…

Von Sêiichî Iwamotos Fremdgeherei hatte er nur profitiert. So hatte er den Helden für sie spielen können und dem Verflossenen für seine Taten eine Tracht Prügel verpassen.

Sojuro, dieser Idiot, liebte sie immer noch. Egal, was sie tat, er liebte sie, diese Frau hätte sich alles erlauben können. Diese Hexe schaffte es doch nun wirklich bei jedem. Sie machte die Kerle einfach wahnsinnig. Naru war in dem Punkt jedoch auch anderer Meinung. Sie fand, dass Sojuro eine ordentliche Spritze hatte und Kimiko keinesfalls Schuld daran hatte, dass er so geworden war. Sie fand sein Hinterherrennen erbärmlich. Ihr Freund war ebenfalls ein Mann, der einer Frau alle Wünsche erfüllte, die sie so haben könnte.

Kimiko hatte ein großes Talent, sich in die Herzen der Menschen zu spielen, dabei war sie auch gerne die Unnahbare – Männer standen anscheinend darauf. Auch ihr Freund hatte sie schon in Schutz genommen, sie verstand diese Leute nicht. Eine Frau, die mit Katori Shirakawa gut befreundet sein konnte, war doch kaum normal. Was Asami auch gerne totschwieg, war das Verhältnis von Hiroyas Schwester mit ihrem verstorbenen Mann. Sie war doch mit ihm unterwegs gewesen, bevor er zutode gekommen war. Dass die Beiden sich einfach so amüsiert hatten, glaubte sie nicht. Sie konnte Koichiru nicht haben, er hätte doch nie und nimmer seine Frau betrogen, er war ein anständiger Kerl gewesen… Ihr kamen noch immer die Tränen, wenn sie an das glückliche Leben der Beiden dachte. Die Vorzeigebeziehung ihrer Schwester zu dem Kriminalisten war im ganzen Ort voller Bewunderung erlebt worden. Kein Paar, das sie kannte, hatte so perfekt zueinander gepasst, wie sie. Das perfekte Bild der Beiden im Kopf akzeptierte sie längst keinen anderen Mann mehr im Leben ihrer älteren Schwester. Sie mischte sich allzugerne in Liebeleien ein, die schneller endeten, als man gucken konnte. Jedoch nur bei ihrer Schwester. Sie sah einfach rot, wenn da ein anderer Mann ankam, der Interesse an ihrer Schwester bekunden wollte. Man hätte meinen können, sie sei eifersüchtig, dabei betraf es sie nicht einmal. Und dass Kimiko versucht hatte, sich dazwischen zu drängen, obwohl Sojuro ganz offensichtlich total in sie verschossen gewesen war, machte sie fuchsteufelswild. Eigentlich konnten alle Männer, die je mit ihr zu tun gehabt haben, von Glück reden, sie endlich loszusein. Nur sahen sie es nicht ein. Zwar hatte diese Frau noch nie einen Mann betrogen, dafür beendete sie Beziehungen mit einem heftigen Knall. Sie hatte noch nie ein so großes Drama erlebt, wie damals in Kyoto. Ihr bester Freund war offentlich in sie verliebt – ihr konnte keiner erzählen, dass sie das damals nicht bemerkt hatte – und ließ sich dann mit so jemandem wie Sêiichî Iwamoto ein, da konnte man doch nur dumm sein. Er hatte sie angehimmelt, so sehr, dass die gesamte Schule sich darüber amüsiert hatte. Doch es war ihm egal – ihm den Außenseiter. Hiroko würde jetzt sagen, dass sie den Kerl so lange hatte zappeln lassen, weil er nicht beliebt war, im Gegensatz zu den anderen Männern, die ihren Weg damals gekreuzt hatten. Hiroko ließ ohnehin nie ein gutes Haar an ihrer Cousine. Neulich, als sie telefoniert hatten, hatte diese noch gemeint, welche Fußhupe sie wohl diesmal hatte, die demnächst entsorgt wurde. Sie hoffte nur, dass Sojuro sich selbst bald wieder fand, bevor er sich gänzlich zum Deppen machte. Das tat er schließlich seit Jahrzehnten. Es hätte wohl auch keinen der beiden Frauen gewundert, wenn sie gleichzeitig mit zwei besten Freunden angebändelt hätte. Die Möglichkeit war ja gegeben gewesen. Ihr Leben war wohl so langweilig gewesen, dass sie das nötig gehabt hatte. Zum Glück hatte Sêiichî sich nicht nochmal auf sie eingelassen, obwohl es sie nicht gewundert hätte, weil er eben ein schwieriger Charakter war. Bei ihm musste man sich noch anstrengen, um ihn zu bekommen. Und er schien ein bisschen Haue auch ganz gern zu haben… Dass er keine perfekte Beziehung aufbauen konnte und wollte, lag wohl auch genau daran. Er wollte den Stress. Und den bekam er bei den meisten Frauen dann auch, wenn er wieder fremdging – bei ihm war es anscheinend wirklich chronisch. Trotzdem war er von Kimikos Exfreunden noch einer derjenigen, mit denen man als Frau klarkommen konnte, wenn er es endlich unterlassen hatte, an einem herumzugraben, weil er es einfach nicht lassen konnte. Das letzte Mal, als sie ihn getroffen hatte, war er ganz handzahm gewesen – er hatte nicht einmal versucht, ihr in den Ausschnitt zu gucken, was nun wirklich ein Wunder war – bei so einem Mann. Vielleicht lag es auch daran, dass Sêiichî wie Sojuro ein Mitglied der Organisation geworden war und deswegen genug Probleme hatte, als dass er sich noch welche schaffen wollte…

Sie kannte beide Männer seit ihrer Kindheit und konnte sich gut vorstellen, dass sie beide mit der Situation weniger zurecht kamen, als sie anderen Glauben machten.

Wenig später kam diese Plage von Schwester jedoch wieder, so dass sie die Gedanken versuchte abzuschalten, sonst würde man ihr nur auf die Nerven fallen, wo sie denn mit ihren Gedanken war, sie solle sich gefälligst auf ihre Arbeit konzentrieren.
 

„Nein, keine Sorge, ich bleib noch hier, bis er im Krankenhaus angekommen ist. Ihm passiert schon nichts, vertrau mir einfach!“

Die Männerstimme war das erste, was sie lauschen ließ.
 

Dann die Worte ihrer Schwester. „Ich mache jetzt Feierabend, weil ich versprochen habe, Naru nach Hause zu fahren. Es ist viel passiert.“

„Wohl wahr“, erwiderte Asako ihrer Schwester und blickte auf, auch wenn sie versuchte ebenfalls das Telefongespräch des Mannes am Flurende mitzuhören, was sich als gar nicht einfach darstellte, da sie bei beiden zum gleichzeitigen Zuhören gezwungen war, um ihrer Schwester antworten zu können, ohne dass sie mitbekam, dass Asako lauschte.

‚Wo hat er eigentlich seine Verlobte gelassen? Doch nicht etwa bei IHM? Der checkt auch nichts…’ Zu gerne wollte sie ihm mal verraten, was gespielt wurde, gerade weil er sich so große Mühe gab, ihm zu helfen. In Sachen Hinterhältigkeit stand er Sojuro in nichts nach, immerhin machte er sich andauernd an Freunde von ihm heran, nur um ihm zu schaden.

„Bitte konzentriere dich auf deine Arbeit… Das schaffst du schon. Mach dir einfach weniger Gedanken um andere Leute“, riet ihr die große Schwester, was diese schon wieder als bösen Angriff ansah.

„Das ergibt sich leider in diesem Krankenhaus“, für den Satz verteufelte Asako sich wahrscheinlich selbst, da sie etwas von sich Preis gab, etwas was ihr nahe ging, aber es war leider bereits über ihre Lippen gehuscht. „Ich bin Krankenschwester, ich muss mir prinzipiell Gedanken um andere Menschen machen.“

„Lass es einfach nicht zu nah an dich ran, das tut dir nicht gut, Liebes.“

„Ja…“ Sie nahm es hin, da es besser so war, sonst bohrte die eigene Schwester immer weiter in ihr herum, bis sie alles wusste.

„Gut, dann gehe ich jetzt! Wir sehen uns morgen“, mit diesen Worten verabschiedete sich die Ärztin und verließ den Gang mit dem nächsten Aufzug. Wahrscheinlich wartete Naru dort unten auf sie.

„Arme Naru, die macht auch einiges mit. Und noch dazu jetzt mit meiner Schwester. Sicher wird sie wieder Seelsorgerin spielen, weil sie es einfach nicht lassen kann.“ Naru redete ungern über ihre Gefühle, sicher würde ihre Schwägerin deswegen bei ihr anecken…
 

Tatsuji, der gerade noch bei Riina war, um ihre Hand zu halten, hörte, wie es an der Tür klopfte und bat die Person herein. Die Tür wurde geöffnet und eine elegant gekleidete, schwarzhaarige Frau betrat den Raum. Es war finster und ihre strahlend blauen Augen funkelten ihn an.

„Guten Abend, ich wollte nur mal sehen, wie es ihr geht.“ Sie schloss kurzerhand die Tür hinter sich und trat näher an den jungen Mann heran.

‚Irgendwo habe ich ihn schon einmal gesehen… Wieso erinnere ich mich auf einmal daran? Ich erinnere mich doch sonst an nichts…’ Sie besah Tatsuji sorgfältig, mit einem Detektivblick, wie er fand, so dass er sich schon ein wenig wunderte.

„Ach, du bist das Mitsuki Ikezawa“, er lachte kurz auf, „hätte dich fast nicht erkannt.“

„Ano…“ Sie schien verwirrt von seiner Aussage. „Kennen wir uns…? Ich kann mich nicht erinnern.“ Die Kurzhaarige griff sich an die Schläfen, denn sie schien schreckliche Kopfschmerzen zu haben. Tatsujis Grinsen verschwand und er stand besorgt auf. „Fehlt dir was?“

„I-Ich kann mich einfach nicht erinnern!“ Ihre Stimme war laut geworden, obwohl sie es nicht wollte. Die Angst vor sich selbst beherrschte sie noch immer. Ständig erzählten ihr andere Menschen, wie sie wirklich war, aber sie kannte sich einfach nicht. Menschen verachteten sie, ohne dass sie selbst ihnen Glauben schenken konnte. War sie wirklich so ein schlechter Mensch gewesen? Sie fühlte sich nicht danach…

„Beruhig dich bitte“, er zog sie aus dem Zimmer, da Riina nicht aufwachen sollte und stellte sie an der Wand ab, betrachtete sie. „Jetzt erzählst du mir erst einmal, was vorgefallen ist.“

So ganz hatte der Mann sie nicht verstanden.

„Gedächtnisverlust – ich weiß noch nicht einmal, was genau passiert ist. Nur wenn andere davon reden. Kommissarin Satō verschweigt mir etwas. Sie meinte, ich hatte einen Unfall und wendet sich dann von mir ab, um nur nicht mehr sagen zu müssen.“ Aber nicht nur Miwako legte dieses Verhalten an den Tag, so ziemlich alle im Präsidium verhielten sich extrem merkwürdig. Tatsuji dachte darüber nach und kam zu dem Entschluss, dass es wahrscheinlich besser so war, wenn die junge Frau nicht wusste, was vorgefallen war. Sicher war es etwas Schreckliches gewesen und man schonte sie jetzt.

„Sehr merkwürdig – ich kann mich ja mal bei Satō-san erkundigen“, schlug er vor, es war ja noch lange nicht gesagt, dass er ihr auch die Wahrheit sagen würde. Das kam ganz darauf an, ob sie ihr nutzen, oder schaden würde – er befürchtete jedoch zweiteres.

„Warum willst du das für mich tun?“

„Das ist einfach“, antwortete der Profiler. „Du hast Riina das Leben gerettet, indem du ihr Blut gespendet hast. Ich habe mich noch nicht richtig bei dir dafür bedankt, von daher schulde ich dir noch etwas. Also keine Sorge!“ Nachdem er ihr das versprochen hatte, fiel ihm noch etwas anderes ein. „Gehst du zur Therapie? Mit Gedächtnisverlust ist manchmal nicht zu spaßen.“

Mitsuki zuckte einmal und sah dann an dem großen Mann hinauf. „Ich mag meine Therapeutin nicht, die ist so komisch! Ich habe das Gefühl, sie will es schlimmer machen, nicht mir helfen.“

„Wie heißt sie denn?“

„Yakko Kajiwara.“

Der Braunhaarige seufzte schwer. Das war die falsche Antwort gewesen… Tatsuji hatte längst seinen Glauben in ihre Fähigkeiten verloren, seit er sie zu gut kannte. Sie war meistens erfolgreich, aber ihre Methoden ließen doch sehr zu wünschen übrig. Sie hatte, wenn es um ihre Arbeit ging, kein Herz. Sie war rücksichtslos. Genauso, wie sie bei ihm auch gewesen war…

„Mein Beleid – tut mir Leid“, er schüttelte den Kopf, so etwas sollte er ihr nicht sagen, das machte nichts besser.

„Was hat sie dir geraten, was du jetzt tun sollst?“

Mitsuki schüttelte es bei dem Gedanken. Und sie wusste nicht, ob sie diesem Mann Derartiges erzählen sollte. „Ich soll… Ich… Also, sie meinte, dass ich mit dem Vater meines Kindes viel Zeit verbringen soll. Er würde die Erinnerungen schon wieder bringen. Ich soll Dinge mit ihm machen, wie wir sie früher taten. Leider habe ich irgendwo Hemmungen, ihrem Ratschlag zu folgen. Er beinhaltet intime Dinge, wie ich sie zu diesem Mann einfach nicht will. Alles in mir sträubt sich davor, ihn nahe an mich ranzulassen.“

Nein danke, so viel wollte er nicht wissen, auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatte, war ihm klar, was Yakko von ihr verlangen wollte. Sie sollte sich dazu zwingen, mit diesem Kerl… Ihm war schlecht, das konnte nicht der Ernst seiner Exfreundin sein.

„Mein Ratschlag an dich: Mache niemals etwas, was du selbst nicht willst. Hör einfach auf dein Herz. Wenn es sagt, dass du das sein lassen solltest, tu es nicht.“
 

Nachdem die Ablöse kam, machte sich Asako auf den Nachhauseweg. Es war schon weit nach Mitternacht und für eine Frau, die alleine unterwegs war, gefährlicher den je.

Seit sie von der Organisation wusste, beunruhigte sie jeder Schatten, der auf sie fiel, noch mehr, als zuvor. Gut, dass ihre Großmutter ganz in der Nähe wohnte, in einer riesigen, gespenstig wirkenden Villa. Immer, wenn sie Probleme hatte, kam sie hierher. Zwar mochte die junge Frau die Methoden der Familie nicht, doch der Zweck heiligte so manches Mal die Mittel.

Sie befand sich als Familienangehörige auch wenig später im Empfangszimmer. Schüchtern wie sie sich manchmal gab, bekam sie bei der eigenen Großmutter zunächst keinen Ton heraus.

„Magst du mir nicht erzählen, was dich beschäftigt?“ musste die ältere Dame aus der 23-jährigen herauszwängen und diese blickte ängstlich drein.

„Ich habe ein größeres Anliegen, wahrscheinlich wirfst du mich am Ende wegen meiner Frechheit raus!“

„Wie käme ich dazu? Du gehörst zur Familie!“ betonte die Grauhaarige, woraufhin die Jüngere ein lautes Seufzen von sich gab.

„Es geht erst einmal um Shizue und Kazuo…“ Es fiel ihr schwer, es auszusprechen, jeder würde sie für total verrückt erklären. „Mein Bruder ist in so eine Sache verwickelt, in die er sich immer tiefer reinreitet – die beiden Kinder sind massiv davon betroffen. Sie sind sozusagen ein Druckmittel, um ihn bei Stange zu halten.“

Kioko Yasuaki zündete sich eine Zigarre an, welche zweifelsohne nicht ihr Eigentum war, sondern das ihres Mannes, der nun tausende Kilometer entfernt, sich um Belange kümmerte. Sie fühlte sich alleine und der Geruch der Zigarre erinnerte sie an ihren Mann – das konnte sie gerade gut gebrauchen. Sie genoss sie in vollen Zügen. „Schon wieder diese Schwarze Organisation“, spie die Dame aus, wobei ihre Augen gefährlich funkelten.

„Schon wieder?“ hinterfragte Asako verblüfft und man schenkte ihr einen gehässigen Laut.

„Ja, die machen andauernd so viel Ärger! Mein Sohn hatte es auch schon mit ihnen zu tun, widerliche Möchtegernverbrecher, die denken, alle seien ihnen unterlegen! Gut, dass du damit nicht zur Polizei gegangen bist – sie ist unfähig, etwas zu tun! Es gibt nur einen Polizisten, den wir beide kennen, der ihnen gefährlich werden kann…“

„Sêiichî Iwamoto?“

Man hätte meinen können, dass Asako ihrer Großmutter damit auf den Schlips trat und wie heftig, da diese ebenso reagierte. Nämlich, indem sie aufsprang und mit einem Fausthieb den Tisch zum Beben brachte. „Ach was, doch nicht Iwamoto! Ich meinte Hiroya Tokorozawa, der seit Jahren hinter ihnen her ist!“

Geschockt von Kiokos Wissen weiteten sich ihre Augen.

„Der tut doch gar nichts, er schaut bloß zu!“ kritisierte die Jüngere den Mann, was ihrem Gegenüber gar nicht schmeckte. Sie hörte es nicht gerne, wenn man so über ihren Schützling sprach.

„Und ob er etwas tut! Wie kannst du sagen, er würde zuschauen?“

„Noch schlimmer, er schickt andere vor. Ihm ist anscheinend nicht bewusst, was er dem armen Sojuro damit angetan hat!“ Asako war entsetzt, dass ihre Großmutter so blind war. Wusste sie am Ende gar nicht, was Hiroya getan hatte? Sie war gewillt, die Frau aufzuklären, immerhin hatte er Narus Bruder zusammen mit Kimiko auf dem Gewissen.

Kioko beruhigte sich - wenn auch langsam – wieder und ließ sich zurück in ihren Sessel fallen – sein Sessel. Der ihres Mannes…

„Angetan? Socchi hat sich doch selbst angeboten, weil er etwas Gutes tun wollte. Der Bengel brauchte Action – außerdem spukte so ein Weibsbild in seinem Kopf herum! Das kam ihm gerade Recht. Du tust ja, als hätte Hiroya ihn überredet, so etwas tut der Junge nicht.“ Man konnte unschwer erkennen, dass sie alle für die Frau noch Kinder – noch grün hinter den Ohren – waren.

„Na und?! Und wenn schon!? Hiroya hat es schäbig ausgenutzt, er hätte ja auch ablehnen können! So etwas Verrücktes! Und mein Bruder hält jetzt für Sojuro seinen Kopf hin, wenn ich es richtig verstanden habe! Wenn er nicht wäre, würden sie ihn töten.“

Kioko wackelte mit dem Zeigefinger. „Ah ah, er ist der Sohn eines Yakuza, er lässt sich nicht töten!“

Wenn der Boss der Schwarzen Organisation abgehoben war, so war es die Frau des Yakuza-Boss ebenso, wenn sie schon so redete. Sie sah die Gefahr schon seit langem nicht mehr, hatte mit ihr leben gelernt. „Und was passiert, wenn herauskommt, wer oder was die Beiden sind? Was denkst du, wird man mit ihnen anstellen?“

„Dein Bruder ist kein Yakuza“, dementierte Kioko, da sie den Grund für ihre Worte erkannt hatte, darauf wollte sie hinaus. „Ihm passiert also nichts. Er ist in seinem Herzen schlecht und hält Sojuro für genauso schlecht, deshalb hilft er ihm, nicht aus Nächstenliebe.“ Shinji hatte schon so oft bewiesen, dass ihm seine Herkunft wenig bedeutete – er verriet seine eigenen Leute, auch wenn sie sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen. Er war eine Schande für die gesamte Familie. „Als dein Vater ablehnte, nannte er ihn Waschlappen. Von Familienzugehörigkeit hat er wenig gelernt. Es gibt eine Regel, die er brach… Mord in der eigenen Familie, aus reiner Eitelkeit! So etwas wird nicht toleriert.“ Sie kam auf diese Sache zu sprechen, die Asakos Bruder vor einiger Zeit abgezogen hatte. Die Mutter seines Kindes… sie starb durch seine Hand.

„Mein Bruder ist kein Mörder, man zwingt ihn dazu“, legte Asako mit kraftvoller Stimme ein, denn sie war davon überzeugt, dass er ebenso wie Sojuro in Wirklichkeit ein Feind der Organisation war.

„Du irrst dich, Kind… Der Tod von Kaoru ging auf seine Rechnung“, verriet die Grauhaarige schweren Herzens. „Er ist am rechten Ort gelandet. Wenn mein Mann ihn erwischt, gibt es Saures!“ Aus ihrem Mund klang es äußerst bedrohlich, geradezu, als würde er ihn bestrafen – auf Yakuza-weise. „Und weil ich ein Miststück bin, kann ich dir ja auch sagen, dass Koichiru von Saperavi ermordet worden ist.“ Es war bestimmt ein Schock, aber sie musste endlich aus ihren grenzenlosen Naivität erwachen, so wie ihre ältere Schwester schon vor über zehn Jahren. Sie wusste, wie ihr Bruder tickte, nur das naive Mädchen wieder nicht.

„Das ist doch nicht dein Ernst! Er war der Mann unserer Schwester.“

„Wie gesagt“, fügte die Dame an, „er kennt so etwas wie Familienzugehörigkeit nicht!“

Es gab keinerlei Grund dafür, ihre Enkelin zu belügen. Und da dieser nicht existierte, musste sie dieser traurigen Wahrheit wohl Glauben schenken. Der Gedanke an die Wirklichkeit ließ sie heftig aufschluchzen.

Sie setzte noch eins drauf: „Seid froh, wenn er euch wenig Interesse schenkt, sonst seid ihr die Nächsten, die er umbringt!“ So grausam es klang, aber man musste diesem Psychopathen so etwas zutrauen, immerhin hatte dieser die Schwester eines Interpolagenten aus reiner Gehässigkeit geheiratet, um ein Kind mit ihr zu bekommen und sie anschließend auszulöschen. So tickte dieser Kerl. Töten sah er als so etwas wie sein Hobby an, er hatte einfach Spaß daran.

Obwohl sie kurz vor einem Heulanfall stand, hatte man ihr schonungslos die Wahrheit offenbart, die niemand gewagt hatte, auszusprechen.

„Ich glaube, Yuzo Tatsuno, würde seinem Sohn die Ohren langziehen, wenn er wüsste, dass er einem Mädchen die Ohren vollgeheult hat. Deswegen redest du ja so, nicht wahr? Ich glaube, er steckt es besser weg, als der Polizist, der für die Organisation arbeitet. Ich glaube jedoch nicht, dass er sonderlich erfolgreich sein wird, wenn er nicht endlich erwachsen wird. Er lässt sich von so mancher Frau aushorchen…“ Sie schüttelte den Kopf, Iwamoto würde sich nie ändern. Im Gegensatz zu ihm, konnte Sojuro sich beherrschen und würde keiner Frau vertrauen… dachte sie jedenfalls. Von seinem engen Kontakt zu Cinzano hatte sie leider noch nichts mitbekommen…
 

Die Tür fiel ins Schloss. Er lehnte an der Wand, die Augen starr auf gegenüber liegende Wand gerichtet. Auch als die blonde Frau den Raum betrat, beachtete er sie nicht. Für einen Moment hatte er sich wirklich gut gefühlt… Als er diesem Mistkerl das Messer der Wange entlang gefahren hatte. Das Blut, das aus der frischen Wunde trat, gab ihm Genugtuung. Doch es war niemals genug. Er wollte noch mehr. Rache. Es hatte ja leider die falsche Person getroffen und doch spürte er keinerlei Reue. Befriedigt kam er sich dennoch nicht vor. Sazerac jedoch dachte, dass es aus ganz bestimmten Gründen passiert war… Dass Mezcal wusste, was er getan hatte. Es war zwar nur ein Auftrag gewesen, doch die Wunde im Gesicht hatte er verdient. Das Gift wirkte schnell. Bestimmt hatte er seine dreckigen Griffel im Spiel gehabt. Es roch geradezu nach diesem Giftmischer. Die alle, verrecken sollten sie doch alle. Und das Miststück hatte dabei zugesehen, wie man ein wehrloses Mädchen um ihr junges Leben betrog. Deswegen zierte sie nun auch eine nette Schramme im Gesicht. Ja, ihr so verdammt hübsches Gesicht, was nicht ihrem verdorbenen Inneren entsprach.

„Wie lange willst du noch die Wand anstarren, Sojuro?“

Der junge Mann wandte den Kopf ein wenig schief und sah die blonde, gleichaltrige Frau an, als sei sie dem heiligen Geist entsprungen und gar nicht real. Keine Antwort kam von ihm.

„Hoffnungslos, als wenn er mich nicht hört“, seufzte sie und ging auf ihn zu. Sie packte ihre Einkäufe aus. Nicht, dass es untypisch war. Es war sogar sehr weiblich – einkaufen. Ja das hatte sie auch gerne gemacht, sehr gerne sogar. Als er die junge Frau dabei beobachtete, wie sie sich mit einem Kleid im Spiegel betrachtete, verschwamm seine Sicht, er konnte nichts dagegen tun…

Zwar hatte Katori noch niemals ein Lächeln in seinem Gesicht entdecken können, aber genauso wenig hatte er ihr Tränen gezeigt. Es war das erste Mal seit über einem Jahr, dass er diese zeigte. Warum genau sie ihm nun kamen, wusste sie nicht zu deuten. Ob es nun wegen Kimi war, oder wegen seinem Organisationsleben, das ihn doch sicher ankotzte.

Was ihm nun allmählich klar wurde… Nun hatte er sie endgültig verloren, es gab kein Kämpfen mehr. Ja, das Kämpfen um sie war sein Seelentrostspender gewesen. Das Einzige, was er nun noch konnte, war sich an eine hübsche Frau hängen. Eine, die ihn verstand. Die seine Gefühle für seine Kindkeitsfreundin wirklich verstehen konnte. Weil sie das Gefühl von Eifersucht selbst durchlebte.

„Ich wollte seine widerlich süße Visage in alle Einzelteile zerschnippeln! Warum gibst du dich mit mir ab? Ich meine, mit jemandem, der so etwas Grauenvolles getan hat? Kimiko konnte mir ja auch nicht verzeihen. Nicht, dass ich an sein Gesicht wollte.“

Katori holte tief Luft. „Weil ich es verstehen kann. Sie ist auch so widerlich niedlich, dass man kotzen möchte“, verriet die Sängerin ehrlich. Ja, Kirs Gesicht vor sich zu sehen, wie sie lieb und nett lächelte und immer das Engelchen für alle war, nervte sie extrem an.

Überrascht blickte er auf. „Du würdest wohl kaum mit einem Messer in ihr Gesicht gehen, um sie für’s Leben zu zeichnen…“

„Nein! Ich muss sagen, manchmal würde ich es gerne, aber es gibt andere Mittel und Wege! Welche, die mir weniger schaden.“ Ihr Satz strotzte nur so vor Hass. Er hatte diesen unendlichen Hass noch nicht an ihr bemerkt. „Kimi war dumm! Dich wegen eines feigen Idioten zu verlassen… Tja, du musst es so sehen: Weil sie so dumm war, ist sie jetzt tot… Selbst schuld würde ich da sagen.“ Katori bedauerte es zutiefst, dass es so weit gekommen war, obwohl ihre Worte nicht danach klangen, ihr trauriges Gesicht sprach Bände. „Ich kann sie womöglich nicht ersetzen, aber ich kann es erträglicher machen.“ Sie nahm neben ihm Platz, wohlwissend, dass ihm sicher nicht nach ihrer Gesellschaft war.

„Ich habe dieses Scheißleben satt. Schon seit ich ein Kind war, war ich oft der Buhmann. Ich will das nicht mehr. Das lass ich mir nicht mehr gefallen. In der Familie, in der ich groß geworden bin, gab es keinen Spaß. Alles musste perfekt ablaufen. Ich musste funktionieren. Leider hatte ich dazu keine Lust. Um mich zu retten, haben sie mich dann mit ihr verlobt. Im Grunde ist mein Vater schuld, er wollte es so. Danach hat der ganze Mist angefangen. Sie hat sich wohl eingeengt gefühlt… ach wär es nur so geblieben, wie es war…“ Er ließ sich an der Wand hinabrutschen und blickte nun zur Decke. „Es war doch alles gut… Bis ich sie heiraten sollte…“ Natürlich konnte er ihre Angst davor verstehen, immerhin war sie damals erst 18 gewesen.

„Und der wirkliche Grund? Wollte dein Vater verhindern, dass du dich den Yakuza anschließt?!“ Etwas anderes konnte sich Katori nicht vorstellen. Eine Ehe mit einer Polizistentochter roch schlichtweg danach.

„Mein Vater hat die Machenschaften meines Großvaters gehasst. Er wollte nie wie er sein, er war ein begnadeter Pianist. Er hatte andere Pläne für mich. Komponist, Musicaldarsteller – ein berühmter Sohn. Das Talent hätte ich dazu, meinte er immer. Er war es auch, der Kimis Traum unterstützte. Damit hat er mich auch in ein positives Licht gerückt. Leider habe ich das Gefühl, dass er es war, der uns zusammenbrachte und nicht ich selbst. Es ist kein sonderlich gutes Gefühl, wenn man selbst nichts erreicht hat. Wenigstens habe ich es selbst geschafft, mich als Kind mit ihr anzufreunden.“ Sie musste ihm ja weglaufen… Er hatte versucht ihr alles Recht zu machen. Immer nett zu ihr zu sein. Sie auf Händen zu tragen. Und sie verschwand einfach nach Osaka und lachte sich dort einen neuen an.

„Jetzt mach dich nicht selbst so klein! Es ging nicht von ihr aus, glaub mir. Er hat es von Anfang an darauf angelegt, sie rumzukriegen. Ich habe Einiges mitbekommen. Es gibt kaum ein Mann, der sich uneigennützig mit einer Frau anfreundet. Das war seine Masche.“

Sojuro war wirklich froh darum, dass sie seinen Namen nicht erwähnte, denn schon beim Erwähnen wurde ihm total schlecht. Er wusste bereits viel zu viel über seine Beziehung zu seiner Verlobten, als dass er über ihn reden könnte, ohne aus der Haut zu fahren.

„Das weiß ich“, musste der Schwarzhaarige noch sagen, weil es dazu gehörte, sich das einzureden. Hauptsache SIE kam dabei gut weg, wie andere dabei wegkamen, zählte schon lange nicht mehr. „Hiroya hat es mir erzählt, was er gemacht hat. Weil sie total auf die Freundschaftsschiene abfuhr, hat er den Tod ihrer Schwester schamlos ausgenutzt, um den Tröster zu spielen. Schon wenn ich daran denke, gerate ich in grenzenlose Wut!“

Na, wenigstens war wieder Leben in seinen Gesichtsausdruck eingekehrt, das war doch auch etwas. Er sah verstimmt aus, aber zum Glück nicht mehr so am Boden wie bis eben noch.

„Vielleicht tröstet es dich ein bisschen… Aber als ich im Krankenhaus war, hat Hiroya ihn verbal so runtergeputzt, dass er anfing zu heulen. Er schont ihn wirklich kein bisschen. Das mit seiner Schwester hat ihn schwer getroffen, das verzeiht er niemandem, selbst wenn er auf den Knien rumrutschen würde, nicht.“ Es war ein gehässiger Laut zu hören. Sie konnte den Kerl ja schon von Anfang an nicht leiden, er hatte sich zwischen sie selbst, Kimiko und Saki gedrängt. Immer wenn es um ihn ging, hatte man sie hängen lassen… Und am Ende hatte sie nur noch den Kerl im Kopf und überhaupt keine Zeit mehr für ihre beiden Freundinnen.

„Hiroya ist seinen Freunden gegenüber eben loyal. Er würde mich nie hängen lassen.“ Sojuro hätte für Kimikos Bruder seine Hand ins Feuer gelegt. Dass der junge Mann so undurchsichtig wie ein Granit war, hatte er nicht mitkommen. Seine Beweggründe waren ihm schließlich fremd und doch dachte er ihn besonders gut zu kennen, nur weil er mit ihm aufgewachsen war.

„Ja, ich auch“, meinte Katori, sie persönlich hatte Hiroya auch noch nie ans Bein gepinkelt.

Es war schon reichlich spät und sie musste leider auf ihren Schönheitsschlaf bestehen, da morgen so ein Werbespot anstand. Gute Publicity war eben alles.

„Ohne gehässig sein zu wollen… Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass dein Freund gerade üble Medikamente nehmen muss. Ihn werden Albträume plagen. Mit sehr viel Glück wird er sich selbst vom Dach stürzen, wenn er sie nicht mehr erträgt. Ich habe mir richtig Mühe gegeben, Hiroya klarzumachen, wer Kimiko ins Grab gebracht hat, damit er es ihm auch noch mal reindrückt. Und die Ärztin im Krankenhaus steht unter der Fuchtel vom Boss. Du siehst, jeder kriegt, was er verdient. Der Showdown kommt dann demnächst… Da gibt es so eine kleine Überraschung. Wenn er bis dahin nicht die Flinte ins Korn geschmissen hat, wird er es dann tun, wenn er dich wiedersehen MUSS. Am besten tauchst du mit Ikezawa und Sakurazawa dort auf, das gibt ihm den Rest.“

Katori konnte auch so wahnsinnig gemein sein, wenn man ihr dumm kam und er war ihr anscheinend ziemlich dumm gekommen. Oder sie hatte einen schlechten Tag gehabt. Er dachte aber eher ersteres. „Ach, der kleine Juu, er denkt wirklich, dass wir Freunde wären, dabei ist er Mittel zum Zweck. Bei ihm funktioniert das wunderbar. Er hat sich viele zum Feind gemacht, er hat Freunde im Augenblick wirklich nötig.“

Es stimmte, da man den – fast konnte man schon sagen armen Kerl – von allen Seiten auseinandernahm. Wer mochte schon einen drogenabhängigen Mistkerl? Katori hätte sich schon sehr gewundert, wenn Sojuro ihn wirklich gemocht hätte, da er sich gegenüber Kimiko wie ein Arsch benommen hatte – mehr noch als andere. Das ganze Rühr mich nicht an damals und Hilfe, bloß keine Beziehung-Getue hatte ihn am Ende eher zum Erfolg geführt, als Juus Du liebst mich jetzt, basta!
 

Jamis Auftauchen machte Kazuhas Situation zwar nun weniger bedrohlich, doch retten tat sie es nicht. Trotzdem war sie ungemein erleichert, als er dem Dreckskerl verbot, sie anzufassen.

Teran hingegen fand das gar nicht lustig und warf dem schwarzhaarigen Killer einen widerspenstigen Blick zu. „Mach mir mein Spiel nicht kaputt, Jami! Ich will Hattori ein bisschen ärgern, da er total abgehoben ist! Schlimmer als sein Väterchen! Das kannst du doch verstehen, oder?“ Man musste Jami eben austricksen. All seine Pläne zu verraten, wäre albern, Jami musste auch so drauf kommen. Er würde damit nur der Kleinen verraten, worum es wirklich ging.

„Polizei-Kinder, ja?“ hinterfragte Jami und ließ den Blick auf dem Mädchen ruhen. Er erinnerte sich, ob er wollte oder nicht, an seine ältere Schwester, die ihn damals hatte retten wollen – dieses dumme Ding. Deswegen hatte sie sterben müssen – hätte sie ihre Schnüfflernase doch nur aus der Sache rausgehalten…

„Du meinst der Junge ist so dämlich, sich ihretwegen ans Messer zu liefern?“

Noch mehr dumme Fragen, man hätte meinen können, Jami sei ein dummes Kind. Teran seufzte genervt und verdrehte sogar die Augen. „Kennst du das Wort Liebe, Jami? Hast du schon mal was davon gehört? Ich wette mit dir, dass wir ihn so weit kriegen, auszuflippen. Das ist es doch, was der Boss gerne sieht! Kleine Attentäter!“

Dass Heizō Hattoris Sohn eine Neigung zu Wutausbrüchen hatte, das war Jami ja bekannt, aber deswegen seine Freundin belästigen? Irgendwie gefiel ihm das nicht sonderlich.

Kazuha musste auflachen, auch wenn diese Situation nicht witzig war. „Der is’n Egoist und denkt ausschließlich an sich selber!“ Ein bisschen belog sich das Mädchen selbst, natürlich wusste sie, dass sie ihm zumindest so viel bedeutete, um ihn herzulocken. Sie bedauerte es und wünschte sich, er würde schlau genug sein, nicht aufzutauchen. Es war eine Falle, das war doch so klar. Wollte er etwa in die Falle von Verbrecherbanden tappen?

Der Lockvogel zu sein, war ein hässliches Gefühl. Und dann würde er sie in solch einem Aufzug sehen… In ihrer Magengegend herrschte ein seltsames Gefühl von Übelkeit.

„Das werden wir ja sehen, mein Püppchen… Ich werde Dinge vor seinen Augen tun, die ihm nicht schmecken werden“, er hatte es nur geflüstert, Jami musste nicht alles mitkriegen, schon gar nicht seine schmutzigen Ideen, die er wieder verteufeln würde. „Ich seh sein Gesicht schon förmlich vor mir“, grinste er, „wird bestimmt spaßig.“

Der Braunhaarige zückte das Handy des Mädchens und wählte die erste Nummer, die natürlich Heijis war, daraufhin betätigte er den Freisprechknopf. Lautstark war das Tuten des Handys zu hören, was auch Sinn und Zweck der Sache war…
 

Beinahe hatte Ryochi den Jungen aus Osaka wieder zur Vernunft gebracht, so dass er bereit war, die Polizei hinzuzuziehen. Doch dann klingelte sein Handy und er erblickte Kazuhas Handynummer.

„Ich geh ran“, kündigte er Ryochi an, welcher mit ernstem Blick lauschte.

„Hattori am Telefon“, meldete er sich, in vollem Wissen, dass es mit Sicherheit nicht seine Freundin war, sondern einer von denen, die sie gekidnappt hatten.

„Hey Hattori“, hörte der Detektiv eine männliche, arrogante Strimme am Handy erklingen, die auch den zweiten Schnüffler hellhörig werden ließ. Ja, er kannte seine Stimme, wie konnte man sie vergessen? „Hast du kalte Füße gekriegt oder was ist los? Oder ist es dir einfach nur scheißegal, welche perversen Fantasien wir mit deiner Freundin ausleben? Wenn du nicht bald kommst, hat sie nichts mehr an!“ Ein finsteres Lachen rundete die Worte des Kerls ab und schürte das Feuer, das in Heiji ohnehin schon gelodert hatte, noch mehr.

„Das bereust du, weil ich dich dann auslösche, Drecksack!“ Es war schon kein lauter Tonfall mehr, sondern ein Schreien.

„Ach wirklich? Da kriegt man ja richtig Angst! Was hat dein Vater für einen missratenen Sohn?“

„Ach, halt’s MAUL!“ Von einem Mistkerl, der drohte ein 19-jähriges Mädchen zu missbrauchen, ließ er sich gar nichts sagen, schon gar nicht so etwas.

Takahashi goss wohl regelrecht Öl in Heijis feuriges Gemüt. Er hatte wenig Beherrschung und sein Cousin provozierte ihn anscheinend ziemlich, so dass der Junge schon zu Flüchen griff. Er wollte gerade Heijis Schulter ergreifen, als Teran das Fass zum Überlaufen brachte...

„Es fehlt nicht mehr viel, sie hat nämlich heute sehr wenig an. Sie will es so haben, die Kleine. Weil du eine kleine, erbärmliche Missgeburt bist, die es nicht mal einer wie Katsumi Kudō besorgen konnte. Kein Wunder, wenn sie sich so wenig wehrt!“

Teran brachte den Detektiv aus dem Westen förmlich an seine Grenzen. Er stichelte absichtlich dorthin, wo es einem stolzen Typen wie ihn besonders traf. Woher wusste der Mistkerl überhaupt von seiner Beziehung zu Katsumi?

„Oder willst du sagen, du hast sie so richtig gevögelt? Da lach ich ja drüber!“

„Argh! Ich bring dich um, wenn du auch nur einen Finger an meine Freundin legst! Dich kriege ich!“ Mit den Worten war er Ryochis Hand entgangen und losgestürmt. Genau das, was dieser hatte verhindern wollen. ‚Oh scheiße! Das ist eine ganz dumme Idee, gegen Takahashi kommst du nicht an! Du hast ja keine Ahnung, wie schlimm dieser Kerl wirklich ist!’ Natürlich stürmte Ryochi dem Jungen nach, um zu retten, was man noch retten konnte, in dieser Situation. In dem Fall Heijis Leben, welches er vor lauter Wut aufs Spiel setzte, ohne es wirklich zu realisieren. Er konnte sich gut vorstellen, wie es in ihm aussah. Wie sehr er kochte. Dass er innerlich tobte und wie wild schrie, verhinderte klare Gedanken in seinem Kopf. Wenn er überhaupt noch in der Lage war, irgendwelche Gedanken zu fassen…

Aber er unterließ es, ihm hinterherzubrüllen, aus dem einfachen Grund, dass er seinem irren Cousin nicht gleich verraten wollte, wo er sich gerade befand… Dass Heiji nicht alleine war…

Teran hatte Kazuha ohnehin sehr gut in seinen Händen, so dass er nicht erst noch eine geeignete Position einnehmen musste, um den kleinen Heiji zu erschrecken und zu schockieren. Denn kaum zwei Minuten später, kam er um die Ecke gebogen, schwer atmend und mit einem rebellischen Blick, der schon alleine eine Strafe verdiente. Teran gab einen gehässigen Laut von sich und drückte seine Hand direkt auf Kazuhas linke Brust, woraufhin sie einen Schreckenslaut von sich gab. Als Heiji den Versuch machte, auf sie zuzustürmen, gab Jami mehrere Schüsse ab, die vor den Füßen des Detektivs einschlugen und ihn so daran hinderten, sich weiter zu nähern.

„Hey, du kleiner Teufel! Denkst du, du bist unverwundbar? Willst du mich mit bloßen Händen erwürgen, oder wie? Schau mal, was ich da habe?“ Er hielt nun auch seine Waffe vor Heijis Nase, denn er war nicht mehr weit entfernt. „Damit kann man einiges anstellen, auch lästige Biester einfach so erschießen! Willst du das?“ Er drückte die Knarre drohend an Kazuhas Schläfe. „Menschen sollen darauf sehr anfällig reagieren, wenn man ihnen in den Kopf schießt!“ Er grinste dreckig. „Wäre aber schade, um so ein hübsches Mädchen, da will man lieber fingern… So in etwa…“

„Finger weg, du Ekel! Fass mich nicht mehr an!“ spie das Mädchen aus, doch war sie mehr geschockt darüber, einen hektisch atmenden Heiji zu entdecken. Er wusste doch, dass es dumm war, zu kommen. „Du elender Ahō! Hau ab! Mir kannste nicht helfen! Verzieh dich!“

„Klappe halten, Süße! Hab’s dir ja prophezeit, dass Hattori so dumm ist, herzukommen! Deswegen kriegt er ja auch ständig Dresche von seinem Vater! Er hat befürchtet, dass genau so etwas passieren könnte. Der Mann weiß um sein dummes Kind!“

„Findeste dich jetzt megacool oder was, wenn du ein Mädchen gegen ihren Willen festhältst?“ In der Hoffnung den Killer dort anzugreifen, wo er empfindlich war, bemühte sich der dunkelhäutige Junge um eine gefasste Miene, doch man sah ihm den Zorn an.

„Oh ja, besonders wenn sie so rumzickt wie sie!“ Teran fasste ihr unter den Rock, welchen er ein bisschen hochschob, so dass man ihre weiße Haut deutlicher sah und den Ansatz des Slips. „Ja, ich weiß, Hattori, du würdest selbst gern an ihr rumfingern“, lachte er und strich über das dunkelrote Stück Stoff.

Das war mehr als man dem 19-jährigen zumuten konnte, er sah buchstäblich rot. Wie konnten die es wagen, das Mädchen, welches er so sehr mochte, vor seinen Augen so anzugrabschen? Hielten sie ihn für derart harmlos, dass sie dachten, er würde so etwas zulassen?

Das Mädchen wollte anscheinend lieber sterben, als von ihm gerettet werden, dabei war es nicht das erste Mal. Als sie beide an den Klippen hingen und sie ihn mit dem Pfeil fast die Hand durchbohrt hatte, war ihm klar geworden, dass sie in diesem Moment nur um sein Leben besorgt gewesen war. Sie hätte sich für ihn geopfert. Jetzt würde er im Gegenzug mal etwas Verwegenes tun und wenn es ihn am Ende umbrachte… Er hatte keine Angst davor, zu sterben.

„Legt euch gefälligst mit jemandem an, der euch gewachsen ist! Schwache Mädchen anfallen, kann ich auch!“ Das Verhalten des Mannes war feige, in seinen Augen sogar mehr als nur das. So ein Kerl, der mit einer Knarre vor seinen Augen rumfuchelte und deswegen dachte, stärker zu sein, war ihm doch überhaupt nicht gewachsen! Wer war schließlich unbewaffnet gekommen, um ein Mädchen zu retten? So etwas würde ein erbärmlicher Kerl wie dieser hier niemals tun.

‚Moment mal… was hat sie da überhaupt an? So etwas sieht ihr nicht ähnlich… Was hat das Mädel mit ihren Haaren gemacht?’ Er konnte für einen Augenblick nicht anders, man zwang ihm den Anblick ja auch förmlich auf. „Nimm die Griffel von Kazuha, sonst mach ich Hackfleisch aus dir, mir doch egal, ob du eine Waffe hast!“

Da der Junge seinen Mund so voll nahm, wollte er es riskieren. Wenn er Schmerzen wollte, dann sollte er sie kriegen, das war ihm doch einerlei, ob Hattoris Sprössling dabei verwundet wurde… Nur töten wäre etwas zu viel gewesen und mit Ärger verbunden…

Kazuha war schon schlecht beim Gedanken, was er noch wagen würde. Wäre sie nicht von denen gefesselt worden, hätte sie Teran wahrscheinlich erschlagen. Jedenfalls hätte sie sich das nicht gefallen lassen. „Kü-Kümmer dich nicht um mich! Hau ab, Heiji, die bringen dich am Ende echt um!“ Sie hatte Heidenangst, dass sie ihn für seinen Dickkopf über den Haufen schossen, immerhin war Teran nicht alleine hier. Hatte der Volldiot eigentlich schon gemerkt, wie viele sich an diesem Ort befanden? Sie war sich nicht sicher.

War ja eigentlich typisch für sie, dass sie so etwas von ihm verlangte, sie hatte ja auch von ihm verlangt, sie die Klippen runterfallen, ja sterben zu lassen.

„I-Ich hab… noch den Glücksbringer… mir kann doch gar nichts passier’n…“ In den Augen der Oberschülerin standen die Tränen – Tränen der Angst – und doch schaffte sie es diesen Satz einigermaßen gefasst rüberzubringen.

Das ganze Gerede rund um irgendwelche Glücksbringer war Heiji Leid. Sie dachte nicht wirklich, dass dieses Ding hier ihr wirklich helfen konnte, oder? Vielleicht wollte sie ihn beruhigen, aber das konnte sie nicht.

„Ein Glücksbringer?“ Teran erlitt einen chronischen Lachanfall und konnte sich kaum einkriegen. „Sie hat einen Glücksbringer, argh, das ist echt zu komisch! Die denkt, dass ihr irgendetwas noch helfen kann!“ Er strich ihr mit der Waffe über die heiße Wange. „Ich glaube, Schätzchen, du hast die Lage, in der du dich befindest, noch nicht so ganz erfasst, oder? Ich werde dir vor seinen Augen wehtun, bis du schreist… Keiner kann dir helfen! Damit ich es nie wieder tue, wird er schön brav Dinge tun, die wir von ihm verlangen. Ansonsten geht es dir richtig schlecht.“ Als er das fast zärtlich in ihr Ohr hauchte, lief es ihr eiskalt den Rücken runter. Obwohl ihr der Atem stockte und fast das Herz stehen blieb, kam ihr nicht in den Sinn, loszuschreien. Sie wollte Heiji zeigen, was für ein starkes Mädchen sie sein konnte und alles ertragen.

Dass sie über Kazuha lachten, fand Heiji ziemlich erbärmlich, sie war eben noch ein Kind. „Wahnsinnig witzig, wollt ihr jetzt einen Oskar, weil ihr kleine Mädchen erschreckt?“

Wahrscheinlich wollte er sie zutode nerven mit seinem Gerede. In einer ausweglosen Situation noch so dumm rumzuschwallen, war doch wieder typisch Detektiv. Ryochi redete auch immer so viel, Takahashi hasste es.

„Wollen wir doch mal sehen, wie du dich darunter anfühlst.“ Auch auf zwei Meter Entfernung konnte man das Zittern des Körpers sehen. Sogar Ryochi, der ein gutes Auge für so etwas hatte, konnte es sehen. Er wusste nicht, wer ihm mehr Leid tat. Das Mädchen, welches das über sich ergehen ließ, um ihrem Freund zu helfen, oder der Freund, der es mitansehen musste, wie man seine Freundin anfasste. Er wäre fast ebenfalls auf Teran losgestürmt, egal ob ihn dann seine Kugeln trafen, um ihm in seine widerliche Visage zu schlagen. Doch so ein Angriff musste gut überlegt sein. Es brachte keinem etwas, wenn er tot am Boden landete und ihnen dann keiner mehr helfen konnte. Wenn er einen Rettungsversuch startete, dann sollte er auch glücken, das war Sinn und Zweck der Rettung…

Das Schnauben, welches von Heiji ausging, hätte genauso gut von einem Stier kommen können. Diese Hand, die Kazuha so anfasste – was zu viel war, war zu viel. Die Hand war einfach zu viel. Er konnte das nicht länger ertragen. Mit einem Schrei wie von einem wild gewordenen Tier ging er auf den Killer los. Die Knarre war zwar noch immer auf ihn gerichtet, aber zusehen konnte er dennoch nicht…

Hospital of insanity II

Danke an meine treusten Leser. Ich mag diesen Teil, sehr sogar. Es wäre also lieb, wenn ihr Kritik dalassen würdet :D

Ich habe etwas total Verwegenes in diesem Teil, der fast nur aus einer gewissen Sache besteht ^^ Hatte ich bisher noch nie, es war etwas total Neues für mich, dass es erstaunlicherweise so gut geworden ist, wundert mich selbst.

Ich bin stolz auf diesen Teil, aber bitte, kritisiert ihn!!!!


 


 

Just in diesem Moment konnte Shiori aus den Augenwinkeln Ryochis Körper hinter einer Mauer ausmachen. Sie fürchtete, dass er ebenfalls eingriff, erschrak jedoch durch Heijis Anfall so sehr, dass sie kurz zusammenzuckte und Ryochi aus den Augen verlor. Teran, der gerade mit dem Jungen aus Osaka beschäftigt war, bekam die Anwesenheit seines Cousins Gott sei Dank nicht mit. Sie befürchtete, dass er ihn töten würde. Leider war er nicht nur Takahashis Cousin, sondern auch ihrer – mit dem Unterschied, dass sie ihn nicht sterben sehen wollte…

Kazuha sah den tobenden Heiji und wollte schon schreien, doch zu spät.

Einmal… und noch mal… Sie hörte die Kugeln, welche den Wind schnitten und in Klamotten eindrungen. In seine Kleidung. Die Schüsse wollten einfach nicht mehr aufhören…

Nach zwei Schüssen wuchs die Unruhe animalisch an und sie wehrte sich vehement gegen ihre Gefangenschaft, welche von Terans Armen und den Fesseln ausging. Sie versuchte sich ihm zu entziehen, auch auf die Gefahr hin, ins Kreuzfeuer zu geraten. Der Rauch neben ihr trat eindeutig aus des Killers Waffe und diese zeigte nun einmal auf ihren Freund. Die Tränen versperrten ihr die Sicht. Es war ein Albtraum, das alles durfte nicht wahr sein. Die ermordeten nicht gerade die liebste und teuerste Person, welche sie hatte…

Und dann entfuhr ihr doch ein Schrei: „HEIIIIIIIJIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIII!“ Der langgezogene Name ging den Anwesenden durch Mark und Bein. Schon lange hatte niemand mehr eine so kratzbürstige und laute Stimme in völliger Angst erklingen hören.

Shiori hatte sich ebenfalls wieder diesem widerspenstigen Kind zugewandt und richtete die Waffe auf ihn, drückte mehrmals ab. Einmal traf sie ihn am Bein und einmal streifte sie seine Schulter. Dass der es wagte, so frech zu werden, musste bestraft werden. Doch zum dritten Schuss kam sie nicht, denn in diesem Moment kam Ryochi richtig zum Vorschein. Er sprang auf sie zu und wirbelte einmal herum, woraufhin er wieder hinter der Mauer verschwand, da Teran ihn nun auch gesichtet hatte und auf ihn geschossen hatte.

‚Ich hasse das, wenn so was passiert! Was macht der hier?!’ Er griff fester nach Kazuha und zerrte sie mit sich nach hinten, ein bisschen benutzte er sie auch als lebendiges Schild. „Halt dich da raus, Akaja! Du bereust es sonst!“

„Einen Teufel werde ich tun! Lass das Mädchen gehen, SOFORT!“

„Teran, kümmer dich um Ryochi Akaja! Wir haben, was wir wollen!“ Jami gesellte sich neben den Angesprochenen, doch dieser hatte wenig Lust, Kazuha gehen zu lassen, da sie ihm als gut funktionierendes Schild diente. Ryo-chan würde schon nicht schießen, solange er das Mädchen hatte…

„Dann schnapp dir Hattori und hau ab, Jami! Er dürfte eine leichte Beute sein!“

„Lass das Mädchen nicht entwischen, ER nutzt uns gar nichts ohne sie“, meinte Jami und entlockte Teran ein Grinsen – endlich hatte der Unterbelichtete es mal geschnallt.

Jami begab sich unter Feuerschutz von der jungen Frau zu dem am Boden gelandeten Heiji, welcher ihm mit einem rebellischen Blick in die Augen sah. Er sah etwas in diesen, was ihm missfiel, etwas wie es auch Hiroya im Blick hatte. Alleine deswegen versenkte er den Griff seiner Waffe auf Heijis Kopf und schlug ihn damit nieder. Verletzt und ohnmächtig war immer noch besser, als nur verletzt…

„Na komm, Teran, sei ein Mann“, stichelte Ryochi seinen Cousin, der sich noch immer feige hinter Kazuha versteckte. Er warf nur ganz kurz einen Blick zu Heiji. Argh, den musste er ja auch noch irgendwie raushauen. Jetzt hatte dieser feige Mistkerl ihn zusätzlich noch niedergeschlagen. Na, musste der Panik vor Versagen haben…

Was Ryochi dem Killer sagen wollte, war klar. Er sollte sich ihm zum Kampf stellen – ohne eine schützende Kazuha vor sich. Für wie blöd hielt der Kerl ihn? Am Ende lauerte die Polizei und schnappte ihnen das Mädel vor der Nase weg. Oder noch schlimmer: Der kleine Hattori könnte sie sich krallen. Ne, das Risiko konnte er nicht eingehen, auch wenn ihn die Worte seines schwächlichen Cousins schon fuchsten…

„Frag Shina, wie sehr ich ein Mann bin!“

Die Worte verwirrten Ryochi. Wie kam er dazu, so etwas auszusprechen? Shina war ziemlich egal, wie sehr der gute Takahashi ein Mann war, trotzdem konnte er ihn damit ein wenig verunsichern.

„Was willst du damit sagen?“ Die Verunsicherung bemerkte man natürlich, was für Teran wie gefundes Fressen war, um ihn so richtig zu schocken.

„Was denkst du denn, du superschlauer Detektiv? Was glaubst du, weshalb sie verschwunden ist und sich wieder nicht bei dir meldet? Du bist kein Mann für sie, du bist eine Memme! Ein Weichling!“

Ryochi umklammerte seine Waffe fester, da er das Gefühl hatte, sein Cousin wollte ihn bloß ablenken, indem er ihm diesen Müll sagte. Shina sah die Sache nun einmal anders, da konnte Teran reden so viel er will. Trotzdem war es schrecklich verletzend für ihn, da er sie so sehr vermisste. „Du hast keine Ahnung von Shina, also rede nicht so! Du hast sie noch nie verstanden! Fakt ist, dass sie mich heiraten will und nicht dich, lerne endlich damit zu leben!“

„Oh ja, und wie sie dich heiraten will! Sie will dich so sehr heiraten, dass sie bei mir aufgetaucht ist, weil du so ein Weichling bist! Die gute Shina ist jetzt mit mir zusammen, lern du lieber, damit zu leben!“

Ryochi gab ein amüsiertes Lachen von sich. „Netter Versuch, Teran! Sie würde lieber sterben, als sich auf so einen verdorbenen Mistkerl, wie dich, einzulassen!“ Nein, das konnte er ihm nicht weismachen. Shina würde sich niemals auf ihn einlassen. Da war sie ja lieber tot.

Jedoch kam dem 23-jährigen Detektiv ein schrecklicher Gedanke… was wenn Teran sie tatsächlich gezwungen hatte und sie deswegen wirklich verschwunden war? Sie das Ganze nicht verkraftet hatte und…? Nein, er durfte nicht daran denken, das würde er kaum aushalten.

„Aber sollte ich rausbekommen, dass du ihr irgendetwas getan hast, gnade dir Gott! Dann kann dich keiner retten!“ Er würde ihn womöglich nicht umbringen, aber ihn dafür für immer einsperren lassen.

„Ich habe ihr nichts getan, im Gegenteil, ich habe ihr das schönste Geschenk gemacht, das ein Mann einer Frau machen kann…“ Nun fühlte sich Teran als Sieger und grinste auf seine gewohnt kranke und boshafte Art und Weise, auch ein wenig überheblich. Seine Worte hatte er mit Absicht so gewählt, um Ryochi ein wenig zum Nachdenken zu bringen, er wusste dass er eine blühende Fantasie hatte und bestimmt darauf kommen würde.

Also irgendwie, bei Terans Worten war ihm unwohl, er spürte wie ein Brechreiz in ihm aufkam, aber im Moment wollte er es noch nicht glauben, dass der Kerl ihm DAS sagen wollte. „Was hast du mit meiner Verlobten gemacht, Teran? Hör gefälligst auf, in Rätseln zu sprechen, verstanden?!“ Man spürte ganz deutlich, wie der Detektiv jetzt unruhig wurde, seine Stimme hatte auch an Intensität gewonnen.

„Ich habe sie geliebt…“, antwortete Teran mit dem gehässigsten Blick, den er ihm schenken konnte und fügte beinahe sanft noch etwas hinzu, „jede Faser ihres Körpers…“ Im Bezug auf Frauen war er stets ordinär, daher war es ein Wunder, dass er sich so ausdrückte. Jedes Wort sprach er so genüsslich aus, dass die Gedanken im Kopf automatisch kamen. Die Vorstellungen, wie er sie angefasst hatte – stundenlang. Der Körper des 23-jährigen begann mit einem mal zu zittern. „Duuu…“ Auch seine Stimme, selbst wenn es nur dieses eine Wort war, bebte nur so vor Zorn. „DRECKSKERL!“ Noch während des gebrüllten Wortes hatte Teran Ryochis Faust mitten ins Gesicht getroffen und er taumelte zurück. Der nächste Fausthieb ließ nicht lange auf sich warten. Gerade brauchte der Detektiv nicht einmal die Waffe, er hatte Teran seine schon durch die beiden Schläge entrissen und prügelte auf ihn ein. Seit er 13 gewesen war, hatte er sich nicht mehr so mit jemandem geschlagen…

Dass Ryochi so ausrasten konnte, hatte er nicht für möglich gehalten, obwohl er ihn so sehr gereizt hatte. Bei den ersten Schlägen lachte Teran immer wieder gehässig auf. Er hatte es geschafft und ihn zur Weisglut getrieben. Das hatte er schon immer mal sagen wollen. Dass er seine Shina endlich bekommen, sie ihm weggenommen hatte. In dem Fall musste es sich für Ryochi so anfühlen. Der Gedanke, dass ein anderer sie angefasst hatte, machte ihn total fertig, deswegen teilte er ja diese Schläge aus. Teran lachte einfach wegen des Triumpfes – in seinen Augen machte ihn das zum Gewinner und Ryochi war in dem Fall der Verlierer.

Jedoch verlor das Ganze seinen Reiz, als der Detektiv es auch noch wagte von oben herab seine Waffe auf den Kopf des Killers zu richten. Das Lachen verstummte, denn der entschlossene Blick des gekränkten, verletzten Detektivs jagte sogar einem Teran Angst ein. Seine Waffe war weg und der Mann, den er gerade zutiefst gedemütigt hatte, bedrohte ihn mit seiner eigenen. Natürlich traute er seinem Cousin auch zu, dass er sie gegen ihn verwenden würde.
 

Während die beiden Kontrahenten sich miteinander beschäftigten, lag Kazuha am Boden. Ihre Augen suchten nach Heiji, welchem gänzlich die Sinne abhanden gekommen waren. Fieberhaft versuchte sie herauszufinden, wie es ihm ging. Und sie schaffte es nicht einmal mehr aufzustehen. Es war staubig, sie hatte sich wahrscheinlich bei ihrem Sturz komplett die Beine aufgerissen, zumindest brannte etwas ganz gewaltig. Den Kopf hatte sie sich auch angeschlagen. Er lag einfach da, neben ihm dieser Kerl mit Waffe. Ein wirklich gut aussehender Mann und doch so böse. Man sollte ja nie nach dem Aussehen gehen.

Dieser hatte nur ein Auge auf Teran, der dabei war, gegen Ryochi einzugehen. Sie versuchte sich am Boden entlang zu hangeln, was sich als schwer bis unmöglich erwies, da ihre Knie so schmerzten und sie nichts andere hatte, um vorwärts zu kommen, immerhin waren ihre Handgelenke auf dem Rücken gefesselt, was ihren Sturz umso härter hatte sein lassen.

Noch nie war die 19-jährige so sehr am Ende ihrer Kräfte gewesen, wie gerade, aber sie dachte gar nicht daran aufzugeben. Das wäre ja, als würde sie ihn aufgeben. Sie konnte ihn ja nicht einfach so da liegen lassen, wenn sie ihm vielleicht doch noch helfen konnte. Alles hatte er bloß für sie gemacht. Der Idiot – war noch nie sonderlich gut darin gewesen, auf sich aufzupassen, deswegen hatte sie auch so auf den Talisman bestanden.

Zu ihrem Entsetzen hatte Jami ihr Näherkommen bemerkt und sie sah ihn zutiefst geschockt an. Für einige Sekunden konnte sie ihm tief in die Augen blicken. In diese klaren türkisfarben wirkenden Augen. Kaum zu glauben, dass der Kerl ein Mörder war. Es war geradezu, als wolle sie sein Mitleid erregen. Und da sie eine Frau war, rührte sich zumindest etwas in ihm…

„Da fragt der Kerl, ob ich weiß, was Liebe ist“, meinte er mit einem Lächeln, das auf dem Mädchen ruhte. Ja, und ob er das wusste. Er spürte es immer wieder, wenn sie in seiner Nähe war und er die Wärme ihres Körpers spürte…

Dass ausgerechnet sie beide das bei dem Mann auslösten, ließ die Schülerin ein wenig rot werden. Sie verstand, was er meinte – auf eine groteske Art und Weise hatte er ihr bewiesen, dass sie ihm doch wichtiger war, als sie je gedacht hätte.

„Keine Sorge, er lebt noch – wir wollten ihn nicht umbringen, keinen von euch“, man konnte sagen, dass Jami seine nette Seite zeigte, auch wenn man es ihm verboten hatte. Er solle kalt und herzlos sein, damit niemand ihm dumm kam. Aber gerade war ihm nicht so zumute, sich dem Mädchen gegenüber wie ein Mistkerl zu verhalten. Es fiel ihm generell schwer, bei Frauen so zu sein.

„Ich habe mich am Bein verletzt… und kann nicht aufstehen“, meinte Kazuha, was schrecklich unschuldig klang. „Hilfst du mir?“

Jami wusste nicht, ob es so klug war, dem Mädchen jetzt zu helfen, aber eine Frau hatte nichts auf dem Boden verloren und da sie gefesselt worden war, hatte sie sich bei dem Sturz sicher etwas getan. Jedoch glaubte sie nicht daran, dass der Kerl darauf hereinfallen würde…

„Hach, wer kann einem hübschen Mädchen so etwas abschlagen?“ seufzte Jami und versetzte die Angesprochene in Erstaunen. „Ich kann dich ja nicht verletzt da so liegen lassen.“

Nicht zu glauben, dass er darauf ansprang. Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, wenn auch ein erzwungenes. Es tat ihm auch Leid, dass Teran sie so erschreckt hatte. Er schielte kurz zur Seite und sah die ausweglose Situation. Der Detektiv würde ihn umbringen, konnte ihm nur Recht sein. Irgendwie war er ihr ohnehin noch etwas schuldig, dass er solange dabei zugesehen hatte. „Du willst ihm helfen, oder? Ich habe Mittel und Wege…“

Was das für ein seltendämlicher Spruch sein sollte, wusste sie zwar nicht, aber sie fürchtete, er würde es ihr noch erklären.

„Erst einmal wäre es nicht schlecht, wenn du mir diese Fesseln abnimmst, damit ich hochkomme“, Kazuha legte noch einmal einen hilfsbedürftigen Blick nach und kochte damit den Kerl endgültig weich, so dass er sich über sie beugte und die Fesseln löste. Es tat unendlich gut, endlich ihre eigenen Arme wieder zu spüren. Sie rieb sie sich ein wenig und erhob sich dann langsam. Jamis Blick ruhte auf ihren mit Schrammen übersähten Knien, das Mitleid befiel ihn. „Teran ist ein ungehobelter Klotz“, meinte er, „man wirft keine weiblichen Wesen einfach so in den Dreck, der hat sie ja nicht alle. Ich glaube, wir verarzten das erst einmal.“

Sie blickte auf die Waffe, die der Mann immer noch hatte und überlegte, wie sie wohl rankommen würde, ohne dass er sie dann doch gleich erschoss…
 

Währenddessen raste Ryochis Atem, er hatte Teran da, wo er ihn haben wollte – eigentlich. Irgendwie schien ihm dieser Sieg allerdings zu läppisch, er war in seiner Wut gefangen und konnte immer noch nicht fassen, was dieser Kerl mit seiner Shina gemacht hatte. „Du gehörst gefoltert dafür, dass du sie angerührt hast, du elender Mistkerl!“
 

„Jetzt wach schon auf, du Ahō“, kam in einem verzweifelten Ton von der Tochter des Hauptkommisars aus Osaka. Sie war bereits wieder den Tränen nahe, denn er wollte einfach nicht seine Augen öffnen. Sie klammerte sich im Stoff seines Hemdes fest und schluchzte dermaßen heftig, dass es nicht spurlos an Jami vorüberging.

„Keine Sorge, er kommt schon wieder zu sich, wir haben sehr gute Ärzte bei uns!“

In dem Augenblick wurde ihr klar, dass der Schwarzhaarige zwar nett zu sein schien, er sie jedoch nie im Leben würde gehen lassen. Nicht einfach so, er wollte sie mitnehmen, was in Kazuha ziemliches Unbehagen auslöste. Sie hatten sie entführt, um Heiji zu irgendwelchen Dingen zu zwingen – mit solchen Leuten wollte sie nirgendwohin gehen… Schon gar nicht mit einem wehrlosen Heiji. Wer wusste schon, was die mit ihnen dann anstellten?

„Hey, Jami, brauchst du Hilfe?“ hörte sie Shiori sagen, was das Mädchen kurz zucken ließ. Dieses hinterhältige Weibsstück hatte alles in die Wege geleitet und dabei so unschuldig und nett getan. Sie hasste solche Menschen. Und dann wollte sie sich jetzt noch einmischen. Sie war schuld, dass Heiji jetzt verletzt war. Die Wut loderte wie das Feuer in einem Vulkan in dem Mädchen auf, als sie sich zu ihr herumdrehte und sie anfunkelte. „Miststück! Halt dich da raus! Weißt du eigentlich, was du getan hast, na?“ Ihre geballten Fäuste zitterten vor alles vernichtender Wut.

„Ich weiß gar nicht, was du hast, Schätzchen“, wunderte sich Shiori, „dein Held ist gekommen, um dich zu retten und war sogar bereit für dich zu sterben, was willst du mehr? Wäre es dir lieber, er wäre nicht gekommen?!“

„So ein Weib wie du kann so etwas überhaupt nicht verstehen!“ Nein, das konnte sie nicht. Leute wie diese Frau waren überhaupt nicht im Stande jemanden so sehr zu lieben, dass man bereit war für denjenigen zu sterben.

„Mädchen, ich bin ein ganzes Stück älter als du! Lehn dich nicht so weit aus dem Fenster! Ich habe Dinge erlebt, von denen du nur träumst!“

Kazuha war das Gerede dieser Dame herzlich egal, sie wollte ihr nur noch in ihre verdammte Visage schlagen.
 

Unterdessen hatte Ryochi den Blick seines Cousins gefangen. Schon lange hatte er niemandem mehr so intensiv und Furcht einflößend in die Augen gesehen.

„Na, doch zu feige, Akaja? Ich wusste, du kannst es ni-!“ Doch das hätte Teran nicht sagen sollen, damit riss er den Detektiv nur dazu hin, doch abzudrücken. Seine Miene war kalt, aber man entdeckte auch so etwas wie Genugtuung darin. Er hoffte, dass es ihm richtig wehtat. Am liebsten wäre es ihm, er schrie vor Schmerz. Und so kam es auch. Als seine Kugeln sich zunächst in die eine Schulter und dann in die nächste bohrten, tat es selbstverständlich weh. Blutrünstig war er ja nie gewesen, deshalb widerte ihn der Anblick auch ziemlich schnell an. Trotzdem schoss er weiter. Eine Kugel in jeden Oberschenkel und für einen Moment visierte er sogar noch ganz andere, für Männer schmerzhafte Stellen an.
 

Jami seufzte aufgrund des Zickenkrieges, der dabei war auszubrechen, doch er entschloss, Shiori nicht gegen Kazuha zu helfen. Sie war eine erfahrene Killerin, sie musste selbst mit ihr klarkommen, ansonsten war sie entbehrlich…

Und man konnte meinen, dass das Mädchen auf die Killerin losging. Zuerst bekam sie mädchenhaft eine Ohrfeige, doch dann setzte die Schülerin gleich mit einigen Fausthieben nach. Sie schleuderte die Rothaarige gegen die Mauer, woraufhin diese Schmerzen in Rücken und Gesicht verspürte. Sie war entsetzt von so viel Brutalität, wenn sie von einer Frau kam. Am besten saß wohl der Kick in ihre Magengegend, der sie fast umwarf. Sie war ohnehin viel zu dünn und bekam somit den Tritt ordentlich zu spüren. Als Kazuha jedoch nach ihrer Waffe griff, begann sie sich zu wehren. „Spinnst du? Lass die Waffe los! Du hast sie jawohl nicht alle! Anscheinend willst du sterben! Jami?? Jami, hilf mir!“

„Fällt mir gar nicht ein, du hast Teran angeboten, dass er ihr wehtun darf, nein, da spiele ich nicht mit. Lebe mit den Konsequenzen!“ Er war kalt genug, sich das alles anzusehen, immerhin war sie ihm auch schon dumm gekommen. Dann kam er ihr eben extrem dumm. Ignoranz wurde einem in der Organisation sehr früh beigebracht, er hatte sie zur Genüge.

„Du hast ihn fast umgebracht!“ Kaum hatte sie das von sich gegeben, packte sie das Miststück am Hals und rastete komplett aus. Jami hatte ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht. Ja, sie hatten beide das Format eines Killers, eines wirklich guten Killers. Wenn das Mädchen jetzt noch gut im Umgang mit Waffen war, dann war sie einfach perfekt. Na ja, Hattori war ziemlich gewalttätig, aber hatte dafür keinen Umgang mit Waffen gelernt, aber so etwas konnte man ja nachholen, er war begeistert von den beiden Schülern und verstand, was der Boss an solchen Leuten fand. Nicht nur, dass der Detektiv eine gute Allgemeinbildung und einen scharfen Verstand besaß, noch dazu besaß er genügend Aggressionen. Die Beiden wären ein gutes Killerpärchen… Er hatte schon Vorstellungen, wie das auszusehen hätte…

Jami wurde aus seinen Gedanken gerissen, als sich ein Schuss löste. Er dachte schon, dass Shiori auf Kazuha geschossen hätte, doch war die Waffe nun abhanden gekommen – durch Ryochi, welchen er erst sehr viel später fast neben sich bemerkte.

„So, jetzt reicht’s, Shiori Sawatari! Mach, dass du Land gewinnst, sonst geht’s dir wie Teran, verstanden?!“

Geschockt von Ryochi blickte sie diesen an, wobei sie noch dankbar sein müsste, wenn er sie laufen ließ.

Jami visierte Ryochi an, doch dieser schien schnell genug zu sein, um auch ihn zu entwaffnen.

‚Irgendwas ist seltsam… ich hab ihn schon mal gesehen… nur wo…?’ Verwirrt über sich selbst und seine Unfähigkeit auf den Detektiven zu schießen, was er sowieso nicht verstand, ging er einen Schritt rückwärts, ein Blick auf Heiji ließ Ryochi wütend werden.

„Komm ja nicht auf dumme Ideen, Heiji bleibt hier! Du kannst von Glück reden, dass ich mich schon abreagiert habe!“

„Ach, denkst du, ich hab Angst? Das jawohl kaum!“

„Nein, ich denke, dass du klug genug bist, aufzugeben, wenn es aussichtslos ist! Ihr nehmt niemanden mit, schon gar nicht zwei Schüler, weil ich das nicht zulassen werde!“

Die Drohungen klangen nicht so, als seien sie heiße Luft. Irgendetwas faszinierte Jami auch an diesem Kerl. Er hatte Teran bewegungsunfähig gemacht und das aus einem ganz bestimmten Grund. Er war ja nicht dumm und hatte die Konversation genau mitgehört. „Du hast eine Frau beschützt, daher lass ich dich zufrieden, seh’s als Geschenk an! Los Mistelle!“

Ungläubig folgte sie Jamis Befehl und schlich sich von Kazuha weg, die war doch total krank im Kopf, sie so anzufallen…

„Vielleicht kann der Kerl dich etwas zähmen, wäre wünschenswert!“ warf sie ihr noch zu und machte einen förmlichen Sprung um die Ecke, um ihr zu entkommen. Jami fand es weiterhin amüssant, dass jemand wie Mistelle Angst vor dem Mädchen bekommen hatte.

Kazuha seufzte angesichts dessen, dass die Beiden wohl endlich in die Flucht geschlagen waren. Sie waren auch kaum um die Ecke, da klappte sie in sich zusammen, fiel einfach auf die Knie, was sie auch kurz das Gesicht verziehen ließ. Erst jetzt bemerkte sie, wie groß die Schmerzen doch geworden waren.

Ryo ließ einen Blick nach hinten wandern, Teran lag noch immer am Boden, entwaffnet und verletzt. Er entschloss sich erst einmal zu einem Telefonat. Im Nu hatte er auch Wataru am Telefon und teilte ihm die Neuigkeiten mit. „Ich bin in ein Verbrechen verwickelt worden. Kazuha ist bei mir in Sicherheit und Heiji braucht einen Krankenwagen… Und ich hab ein Geschenk für dich, Wataru! Ein verletzter, entwaffneter Takahashi Shiturō! Soll ich ihn dir noch verpacken, oder schaffst du das dann auch alleine?“ Ein bisschen Gehässigkeit musste nun doch noch mal sein. Auch Wataru würde erfreut sein, Takahashi verhaften zu können. Das war ja fast genauso ein großer Segen, als würde er seinen Vater erwischen und dem Inspektor bringen dürfen…

Wataru war genau so schockiert, wie Ryochi gedacht hatte. „Bist du des Wahnsinns, ihn auch noch frei herumlaufen zu lassen??!“

Der Detektiv musste einmal kurz auflachen. „Also von Herumlaufen kann nicht die Rede sein!“ Er machte sich ja doch ein bisschen über die Lage des Mannes lustig, immerhin war er so sehr verwundet, dass er kaum noch hier wegkommen konnte.

„Wenn er nicht plötzlich Flügel bekommt und wegfliegt, stehen seine Chancen zu einer Flucht gleich Null, da seine Kollegen es lieber vorziehen, zu türmen.“

Der Polizist seufzte besorgt auf und seine Stimmlage ließ auch auf seine Besorgnis um Ryochi schließen. „Was hast du getan, Ryo?“ wollte er von ihm mit reichlich Skepsis wissen.

„Ihm Schmerzen zugefügt, aber er hat es förmlich herausgefordert! Beeil dich trotzdem! Wir befinden uns ganz in der Nähe des Haido-Chō-Krankenhauses, irgendwie zieht es diese Verbrecher immer wieder zu diesem Krankenhaus zurück.“ Wahrscheinlich hatten sie hier ihr Nest. Wie hatte Jami noch so schön gesagt? Sie hatten gute Ärzte – wahrscheinlich auch noch direkt im Haido-Krankenhaus, wen würde es wundern?

‚Ich muss mit Sêiichî reden, ob Jamie immer noch dort ist… Das ist unvorteilhaft, wenn die sich da eingenistet haben… Aber Shannen müsste das doch wissen…’ Entweder ging gerade keine Gefahr von denen aus, oder Shannen sorgte irgendwie dafür. Dass sie es nicht wusste, glaubte er kaum.

„Gut, ich kümmere mich dann mal um alles Weitere“, sagte Wataru zu Ryochi in einem ruhigen Ton. Dass Takahashi sich wohl nicht mehr so gut bewegen konnte, beruhigte ihn sehr und veranlasste, dass als erstes ein Krankenwagen Heiji abholte, dann begab er sich ins Büro von Megure und Matsumoto.
 

„Gute Neuigkeiten“, er schloss die Tür hinter sich, „sagen wir ½ gute Neuigkeiten“, korrigierte sich der Wachtmeister und erblickte auch Hayato, der mit ziemlich gesenktem Blick dastand und deshalb auch nun von Wataru angesprochen wurde. „Kazuha scheint es einigermaßen gut zu gehen, aber Heiji ist verletzt worden. Ich habe sofort einen Krankenwagen dorthin geschickt, wir sollten allerdings auch dahinfahren, einer der Verbrecher wurde bewegungsunfähig gemacht und will nur noch eingesammelt werden“, obwohl er sich nicht wie ein Jäger und Sammler benehmen wollte, rutschte ihm dieser bedauerliche Satz heraus. Es klang total nach Hiroya und mit dem wollte er eigentlich nicht verglichen werden.

„Ein alter Feind von Ryochi und mir ist aufgetaucht und hatte wohl offensichtlich auch mit Kazuhas Entführung zu tun, ich nehme ganz stark an, dass er wohl auf Heiji geschossen hat.“

Man bemerkte den zuerst erleichterten und dann panischen Blick des Interpol-Agenten. Er wusste, dass Heizō ihm Beine machen würde, wenn er von Heijis Verwundung erfuhr, da verstand er wenig Spaß. Auch Tōyama würde begeistert sein, zu wissen, dass er seine Tochter in eine solche Gefahr hatte laufen lassen.

„Und das nur, weil Kei Tamura unachtsam war, sonst wäre Heiji nie in die Lage gekommen“, er schob die Schuld zumindest bei Heiji weit von sich, das war schließlich nie seine Aufgabe gewesen, aber dass er sich besser fühlte, konnte man nicht sagen.

„Ich habe auch Iwamoto angerufen, er ist bereits auf dem Weg! Da die Polizeipsychologin nicht erreichbar ist, würde ich vorschlagen, dass er mit Kazuha gemeinsam ins Krankenhaus geht, ihre Nerven dürften blank liegen. Er kann gut mit Frauen umgehen und schafft es bestimmt, dass sie sich wieder beruhigt.“ Hayato fand Watarus Denkweise zwar naiv, aber vielleicht war es die beste Lösung.

„Er wird wahrscheinlich auch wissen, wie man einem kleinen Hattori den Kopf wäscht! Das hätte er mal wieder verdient.“

„Da kann er ja froh sein, wenn niemand seinen Vater alarmiert und er herkommen muss, das gäbe ein Theater“, äußerte sich Hayato und stellte sich das vor. Am Ende ging es Heiji körperlich noch schlechter, als vorher. Das Verhalten des guten Mannes fand er schon so manches Mal überzogen, aber anscheinend brauchte der Junge Dresche. Und doch hatte er mal wieder bewiesen, dass er nicht hören konnte, wie Sêiichî eben.

„Wo ist Satō, Takagi?“ erkundigte sich Megure bei seinem treusten Mitarbeiter und Assistenten, was diesen keinesfalls verwunderte, da er stets ein Auge auf Miwako hatte. Was ihn eher wunderte, war, dass er diese Frage explizit an ihn richtete.

„Gott sei Dank schon zu Hause, so dass sie von all dem nichts mitbekommen hat“, antwortete der Wachtmeister.

„Was soll das denn heißen? Sie ist Polizistin, ich glaube das Schonprogramm ist unangebracht“, damit hatte er jedoch die falschen Worte gewählt.

„Nein, das ist schon gut so, sie hat etwas allergisch auf Takahashi Shiturō reagiert, da er uns vor einiger Zeit im Wald fast das Leben genommen hatte. Er kann mich nicht ausstehen und hatte Freude daran, sowohl mich, als auch Miwako anzuschießen. Wenn sie ihm begegnen würde, nicht auszudenken, wozu die Frau fähig wäre.“

„Allerdings“, meinte Megure und zog sich den Hut tiefer, er kannte schließlich Miwako – und seit sie eine enge Bindung zu ihrem Kollegen pflegte, würde sie so ein Vorfall noch mehr belasten, als zuvor.

‚Der Inspektor weiß schon längst, dass du Miwako nicht nur während der Arbeit triffst, sondern ihr auf dem besten Wege in eine eigene Wohnung seid, wurde ja auch Zeit, oder?’ Hayato fand das lustig, Wataru dachte wohl wirklich, dass der Inspektor blind war und nicht checkte, was um ihn herum geschah.

„Anschießen, Takagi? Das kann man kaum so ausdrücken, wenn es einem fast das Leben gekostet hätte, verstanden?!“ Megure war leicht außer sich und der Jüngere zuckte merkbar zusammen, als er ihn so anschauzte. Natürlich, Miwako war wie eine Tochter für ihn und Wataru wie ein Sohn, weshalb er sie oft auch mal etwas härter anpacken musste. Solche Patzer konnten sie irgendwann wirklich das Leben kosten. Es war ja geradezu ein Wunder, dass er diese Beziehung hier duldete, nicht jeder Chef hätte sich so verhalten. Matsumoto zum Beispiel hatte Wataru vor nicht allzu langer Zeit versetzen wollen, um Miwako und ihn voneinander zu trennen, wogegen sich Megure jedoch eingesetzt hatte. Nur ihm hatten sie es zu verdanken, nicht in verschiedenen Präfekturen tätig sein zu müssen und sich sehr wenig zu sehen.

„Tut mir Leid, Inspektor, ich werde das nächste Mal nicht so voreilig mein Mundwerk benutzen“, er seufzte schwer, auch wenn es ihm peinlich war, vor den anderen so angemacht zu werden.

„Na, dann sollten wir mal hoffen, dass Iwamoto etwas schneller mit dem Gaspedal als mit dem Mundwerk ist.“

Den Spruch fände Kei wohl ziemlich lustig, hätte er mit Anwesenheit geglänzt, aber er verzog sich wohl lieber in sein Büro, kein Wunder bei so einem Tag und so einer Nacht. Er war ja schließlich mit Schuld und würde früh genug von Matsumoto aufgesucht werden.

„Wahnsinnig witzig“, die Ironie in Watarus Worten war deutlich, er ließ nichts auf Sêiichî kommen, er hatte oft bewiesen, dass er ein Polizist mit Leib und Seele war und seinen Job sehr ernst nahm, was Wataru imponierte. Auch wenn er die Frauen nicht in Ruhe lassen konnte und es zumindest bei jeder schon mal probiert hatte, außer bei Miwako.

„Iwamoto ist einer von Hattoris besten Leuten, es ist unangebracht, solch einen Spruch an den Tag zu legen, wenn man selbst gerade Mist gebaut hat.“

„Entschuldigung“, meinte Hayato, es war ja nur ein Spruch gewesen, um die Situation zu entschärfen, das war jawohl ein Satz mit X.
 

Sêiichî war ohne Zweifel einer der Schnellsten, wenn es darum ging, irgendwo aufzutauchen, wo man ihn brauchte. So war er quasi noch vor irgendwem sonst im Krankenhaus bei Kazuha, die man noch nie so still erlebt hatte, wie am heutigen Tag, schließlich war sie eher ein aufgekratztes Mädchen.

„Magst du darüber reden?“ Er saß neben ihr und sie schwieg ihn die ganze Zeit mit einer Leidensmiene an.

„Ich war so blöd und habe den falschen Leuten vertraut, Sêiichî“, sie ließ sich unweigerlich gegen seine Seite fallen, was ihm vermittelte, dass sie Schutz und Trost suchte.

„Du machst dir Vorwürfe? Wie ist es denn genau zu so etwas gekommen?“ Es gehörte auch zu seiner Arbeit, sie all dies zu fragen, immerhin war sie auch eine Zeugin. Nur stellte er es geschickt an, so dass Frauen ihm bereitwillig alles erzählten, solange sie nicht selbst Dreck am Stecken hatten. Er war eben freundlich und hilfsbereit, außerdem hatte er eine angenehme, sanfte Stimme.

„Alles fing damit an, dass ich bei Rans Freundin Sonoko vorbeiging, weil ich dachte, Ran-chan sei auch dort. Dort waren allerdings zwei andere Frauen: Shiori Sawatari und Aiko Misae. Außerdem diese blöde Katsumi Kudō, mit der Heiji irgendwie ein Verhältnis hat. Ich habe mich total über sie aufgeregt, weil sie so schlecht von meinem Freund geredet hat… Dabei habe ich übersehen, dass Shiori eine ganz falsche Schlange ist. Sie hat sich um mich gekümmert, mich hübsch angezogen, während Aiko mich geschminkt hat. Sag nicht, dir ist das nicht aufgefallen“, Kazuha glaubte das nicht.

„Ähm, doch, ich fand es nicht angebracht, danach zu fragen, deswegen“, erwiderte der 24-jährige, aber es war schon auffällig, sie so zu sehen. „Wahrscheinlich hat der Chaot noch nicht einmal mitbekommen, dass du höchstwahrscheinlich seinetwegen so aussiehst.“

Sêiichî entlockte der Schülerin eine peinliche Schamesröte, als er das so aussprach. „Du guckst den Leuten mitten ins Herz, oder? Bitte sag ihm nichts davon, er würde mich nur auslachen.“

„Oh man… Kinder“, seufzte der Polizist und schenkte ihr ein nettes Lächeln. „Ich glaube, etwas Ähnliches geht auch in seinem verrückten Kopf rum. Ich glaube kaum, dass er das zum Lachen fände. Er mag dich auch, er kann es nur nicht so intensiv zeigen. Sehr wahrscheinlich aus dem gleichen Grund.“ Eigentlich passte alles zusammen, wie der Faustschlag aufs Auge. Sein heutiges gesamtes Verhalten sprach eine andere Sprache als sein Umgang, den er sonst so mit ihr pflegte.

„Ich fürchte, die wussten sehr viel besser, als ich, dass ich ihn erpressbar mache. Und doch hab ich so sehr gehofft, er würde mich im Stich lassen“, sie kniff die Augen zu, als diese Bilder wieder vor ihrem inneren Auge auftauchten und sie vehement versuchte, diese zu verdrängen, doch da sie in ihrem Inneren waren, konnte sie die Augen nicht davor verschließen.

„Dass er das tun würde, hast du nicht wirklich wahrhaft angenommen, oder Kazu-chan?“ Sêiichî legte den Arm um ihren Körper und drückte sie an sich.

Für einen kurzen Moment schweigend, bemerkte er, dass genau das der Fall gewesen war. ‚Wie vorbei benimmst du dich eigentlich, dass sie so etwas Schreckliches von dir denkt? Du hast noch viel über weibliche Wesen zu lernen, Baka’, dachte er und überlegte, was wohl in dieser Situation der richtige Satz wäre. Doch sie kam ihm zuvor.

„Shiori hat mir schön verraten, was sie mit Heiji planen und ständig hat sie mich damit aufgezogen, so als wären wir ein Pärchen. Und dass er ja auf mich fliegen würde, wenn er mich so sieht…“ Am Ende war sie nicht mehr so begeistert gewesen, dass er sie so gesehen hatte, weil es nämlich nicht ihrem Wesen entsprach, sondern dem von Shiori und Katsumi. Was fand er bloß an der?

Wenn er ja so auf sie flog, wieso war er dann mit so einer Schnalle wie Katsumi zusammen? Konnte ihr das bitte mal jemand erklären?

„Manchmal kommt’s auch auf die inneren Werte an, was bei Katsumi wohl eher nicht der Fall war, da dachte er mehr mit ganz weit unten. Das kommt zuweilen vor. Männer sind wie Schweine, Kazuha, manchmal versuchen sie auf den Hinterbeinen zu laufen, gelegentlich fallen sie jedoch um.“ Sêiichî kannte sich da ja schließlich aus, denn er war schon so manches Mal umgefallen und hatte an anderen Frauen genascht, als an der, die er wirklich liebte. „So gesehen sind Männer ganz schön dämlich, was? Ich bin davon überzeugt, dass Heiji diese Katsumi nicht liebt, sondern einfach mal ausprobiert hat, wie es ist… Weil er sich an dich nicht rangetraut hat. Du solltest fast froh sein, dass du nicht als sein Versuchskaninchen herhalten musstest, das sagt mir, dass du ihm keineswegs egal bist, sondern du ihm mehr bedeutest, als für ein bisschen Rumprobieren. Keine Ahnung, was er sich wirklich dabei dachte, wahrscheinlich nicht sonderlich viel. In dem Alter sind Jungs manchmal ganz schön durchgeknallt…“ Sêiichî wusste ja, wie er in dem Alter gewesen war. Alles, was bei drei nicht auf den Bäumen war, hatte ihm mal gehört…

„Aber muss er sich deswegen in Gefahr bringen?“ Sie schlug sich die Hände vor das Gesicht, die Bilder würde sie wohl nie mehr loswerden.

„Das ist mitunter der einzige Liebesbeweis, der auch wirklich als solcher angesehen werden kann, weil er rein gar nichts mit körperlichen Gefühlen zu tun hat, sondern rein emotional gültig ist“, er fand sein geschwollenes Gerede ja auch albern, aber es passte. Ihm bedeutete Sex mit einer Frau nicht so viel, auch wenn es den Anschein hatte, dass er nur dafür lebte. Wahrscheinlich wusste Chris auch nicht, dass er anderen Aspekten mehr Beachtung schenkte, als bloß Sex, weil er immer darauf aus war. ‚Sex ist im Grunde nur ein Spiel, das unser Ego aufpoliert, nicht mehr und nicht weniger. Und noch dazu macht es wahnsinnigen Spaß, dieses Spiel zu spielen. Ja, wir Männer sind wirklich wie Kinder und wollen nur spielen.’

Sêiichîs Worte klangen richtig erwachsen, seit wann denn das? Gab es da neuerdings vielleicht auch eine Frau, die er sehr mochte? Sie fragte ihn jedoch nicht danach.

„Was ist eigentlich noch passiert? Heiji ist gekommen, um dich zu retten… ja und dann?“

Kazuha sah nicht aus, als würde sie gerne darüber reden. „Ich bin knapp einer Vergewaltigung entgangen, fürchte ich. Wenn er nicht so schrecklich ausgerastet wäre, hätte der Kerl, den sie verhaftet haben, garantiert so etwas getan. Er war ja schon drauf und dran…“

Sêiichî fand das mal wieder typisch Takahashi, er hatte sich wieder einmal einen kleinen Spaß nebenher gönnen wollen und damit auch Heiji zur Weisglut getrieben, er konnte das gut verstehen. Würden die so etwas vor seinen Augen machen, wäre er wahrscheinlich auch komplett ausgerastet.

„Du hattest Glück, er macht so etwas öfter mal. Schon in unserer Schulzeit hat er es darauf angelegt, ein Mistkerl zu werden, der Frauen wehtut. Wahrscheinlich war auch er es, der auf Heiji geschossen hat?“

„Wer denn sonst? Der andere war eher harmlos“, sie erinnerte sich an diese sanften Augen und seine ruhige Stimme, seine Hilfsbereitschaft. Im Gegensatz zu dem Schützen war er ein wahres Goldkind gewesen.

„Der andere? Kannst du den beschreiben?“

„Etwas längere, schwarze Haare, türkis farbene Augen, etwa 1.85 groß, aber dafür ein sehr jungenhaftes Gesicht.“

‚Jami… Das schließt zumindest aus, dass Teran es geschafft hätte, dich wirklich zu vergewaltigen, weil Jami ihn dann erledigt hätte.’ Sêiichî hätte seinen Kopf dafür verwettet, so sicher war er sich in dem Punkt.

„Entschuldigst du mich bitte, Sêiichî? Ich muss eine Freundin anrufen, ok?“

Verwirrt über diesen plötzlichen Einfall sah er Kazuha dabei zu, wie sie mit ihrem Handy die Treppe hinab verschwand. Es gab so viele Menschen, die sich nicht daran hielten, hier ihr Telefon nicht zu benutzen, wenn es ihnen verboten war.

„Es ist echt furchtbar, dass die nun auch ihr Augenmerk auf euch Teenager gerichtet haben, aber es wäre verwunderlich, wenn nicht. Das sähe dem Scheußsal nicht ähnlich.“ Sêiichî sagte es laut, da Kazuha ihn ohnehin nicht mehr hören konnte.

Diese hatte nichts anderes im Sinn, als Ran anrufen, wenn sie schon in Tōkyō war, das hätte sie viel eher tun sollen…

Obwohl es schon wahnsinnig spät war – nach Mitternacht – schaffte es die Oberschülerin ihre beste Freundin ans Telefon zu bekommen. Sie klang noch nicht einmal müde oder gar verpennt, anscheinend war sie noch wach gewesen.

„Hallo Ran, hier is’ Kazuha. Ich weiß, dass es sehr spät is’, aber meinst du, du kannst ins Haido-Krankenhaus kommen? Ich brauch’ dich hier“, Kazuha entfleuchte ein Schluchzen, wie es ihr ging, konnte sie gerade nicht verbergen.

„Hey, Kazu-chan, was ist denn los?“ Natürlich wollte Ran sofort wissen, weshalb das Mädchen am Telefon fast zu weinen begann.

„Heiji liegt im Krankenhaus…“, ihre Stimme war leise geworden, ganz untypisch für das ruppige Mädchen.

„Oh je, was hat er wieder angestellt?“

„Das mag ich nicht am Telefon erzählen… Kannst du herkommen…? Bitte…“ Es war selten, dass Kazuha jemanden um Hilfe bat, aber Ran wäre auch so gekommen.

„Ja, ich mache mich sofort auf den Weg! Ich bin in knapp fünfzehn Minuten bei dir!“ Entschlossen wie ihre Stimme klang, würde Ran eher in zehn Minuten aufkreuzen, das war sicher.

„Danke“, das Mädchen schniefte, was Shinichis Freundin noch viel mehr aufwühlte, so dass sie hastig in ihre Schuhe sprang und sich eine dünne, blaue Jacke überzog.

„Kein Problem“, es wurde aufgelegt. Obwohl das Gespräch kurz gewesen war, beruhigte Kazuha das Versprechen ihrer Freundin, so schnell wie möglich zu kommen…

Hin und wieder gehörten dem Kerl die Ohren lang gezogen, dafür dass er sich ständig verletzen ließ. Es war ja nicht das erste Mal, dass Kazuha wegen ihm weinte, nur weil er sich dämlich anstellte. Ran verstand ihn nicht, er rannte blindlinks in die Gefahr, ohne nachzudenken. Das Mädchen nahm sich ein Taxi, da die nächste U-Bahn erst in zehn Minuten gefahren wäre. Dadurch hätte sie nur Zeit verloren, Geld war ihr hingegen nicht so wichtig. Sicher war das Taxi teuer, aber einmal konnte man sich das leisten – es war eben dringend. Sie schaffte es in genau neun Minuten vor dem Krankenhaus aufzutauchen und sah dort Kazuha auf einer Bank sitzen.

„Hey, da bin ich… Also, schieß los! Was ist passiert?“ Das Mädchen setzte sich neben Kazuha, die sich anhand ihres Gesichtsausdrucks mehr als nur freute, Ran zu sehen.

„Ach, weißt du… Ich war naiv und hab’ Idiotinnen vertraut, die mir mehr schadeten, als sonstwas!“ Man vernahm an Kazuhas Stimme, dass sie wütend auf sich selbst war, wahrscheinlich mehr als auf Heiji, der verletzt worden war.

„Was machst du eigentlich in Tōkyō?“ fiel Ran ein, da sich das Mädchen ansonsten immer sofort bei ihr meldete.

„Weil Heiji mal wieder hierher ausgebüxt ist, ich wollte wissen, was vor sich geht… Er hat sich mit Katsumi getroffen, hinter meinem Rücken. Er hat mir nichts davon erzählt… Der Idiot! Ich war ganz schön sauer…“ Sie senkte den Blick, dem Augenschein nach war sie nicht nur wütend, sondern eher verletzt von seinem Verhalten.

„Er ist ein Blödmann… Aber vielleicht wäre es mal an der Zeit, ihm bestimmte Dinge klarzumachen, damit er nicht immer wieder in Fettnäpfchen tritt. Sei mir nicht böse… Aber du kannst es ihm nicht zum Vorwurf machen, wenn er sich mit anderen Mädchen trifft, solange du ihm nicht klipp und klar etwas von deinen Gefühlen gesagt hast. Aber ist ganz egal… Was ist denn jetzt überhaupt passiert? Wie ist es dazu gekommen, dass er im Krankenhaus gelandet ist?“ Kazuha schien nicht ganz damit rausrücken zu wollen – wie schlimm stand es um ihn, dass sie sich davor drückte?

„Ich bin entführt worden, Ran, von jemandem, dem ich vertraute…“ Sie blickte starr auf den Boden, das war sonst gar nicht ihre Art. „Das Ganze diente nur dem Zweck, Heiji anzulocken. Hat leider viel zu gut funktioniert. Beim Versuch, mich zu retten, ist er mehrmals angeschossen worden…“

Nur knapp konnte Ran verhindern, die Hand vor ihren Mund zu schlagen, als Kazuha ihr erzählte, was vorgefallen war, stattdessen drückte sie ihre Freundin leicht an sich. „Ich weiß, es klingt komisch, aber würde es dir besser gehen, wenn er es nicht einmal versucht hätte?“

Die 18-jährige hatte Kazuha leider noch nicht in Aktion erlebt, wenn es um so etwas ging. Deswegen dachte sie auch nicht, dass Kazuha diese Frage mit einem eindeutigen JA beantworten würde. „Lieber sterbe ich, als dass ihm etwas passiert!“

Geschockt war kein Ausdruck, aber im nächsten Moment stellte Ran sich schlichtweg vor, wie sie sich verhalten würde, wenn es darum ginge, dass Shinichi etwas zustieß, nur damit sie überlebte. „Ich versteh dich.“ Natürlich tat Ran das, sie hatte ähnlich viel für Shinichi übrig, wie Kazuha für Heiji, daher konnte sie gut nachvollziehen, was sie zu diesen Worten bewog. „Wahrscheinlich denkt er genauso, wie du, das musst du doch verstehen, Kazu-chan. Wie lange kennt ihr euch? Seit ihr Kinder seid… Was wäre er für ein Mistkerl, wenn er nicht jederzeit dazu bereit wäre, dir zu helfen?“

„Ja, ich weiß! Aber er ist immer so tollkühn und denkt nicht darüber nach, was es für Folgen haben könnte. Meint er, ich könnte damit leben, ihn ins Grab gebracht zu haben? Das kann der Kerl mir doch nicht antun! Der kann was erleben, wenn er wieder bei Bewusstsein ist!“ Ein gefährlicher Gesichtsausdruck in ihrem Gesicht und eine geballte Faust sagten, dass das Mädchen ihre Drohung wahrmachen würde…

Obwohl sie so Furcht einflößend aussah, fand Ran Kazuha gerade total süß und musste lächeln.

Die beiden Mädchen begaben sich durch den Krankenhauseingang, wo gerade Sêiichî ihnen entgegen kam.

„Ich hab’ mir schon Sorgen gemacht…“, meinte er mit traurigem Gesichtsausdruck. Ran wunderte sich zwar, weil sie seinen Namen nicht kannte, aber sie glaubte, dass er Polizist war.

„Kennt ihr euch eigentlich?“ wollte Kazuha wissen und wandte sich dabei Ran zu.

„Schon mal gesehen…“

Der junge Mann legte den Kopf schief und besah das Mädchen genau, als er feststellte, dass es sich zweifellos um Ran Mōri und somit Angel handelte. Er legte das schönste Lächeln auf, um sie anzusehen und meinte dann: „Ich bin Sêiichî Iwamoto! Kriminalist im Metropolitan! Ich wurde vor kurzem aus Ōsaka hierher versetzt! Ich nehme an, du bist diejenige, die Kazu-chan so dringend anrufen musste…“

„Ja, die bin ich wohl“, gab sie etwas schüchtern zurück, aber auch nur, weil er sie so sehr anlächelte, dass es ihr fast unangenehm war.

‚Endlich lernen wir uns mal kennen, darauf habe ich spekuliert. Du bist also das Mädchen, das sie verweichlicht hat…’ Er musste ihr, wenn auch nicht mit Sätzen, zumindest tief in sich danken, dass sie so ein herzensguter Engel war und sie gerettet hatte.

‚Warum schaut er mich so an…?’ Ran wurde nun endgültig rot. Sie war es nicht gewohnt, dass ein Mann sie so anlächelte.

„Sêi-chan hat eng mit meinem Vater gearbeitet, er war einer seiner besten Leute und er hat ihn nur widerwillig gehen lassen! Heijis Vater hat sich deswegen fast mit ihm gestritten! Er ist ein durch und durch cooler Typ!“

Eigentlich war Sêiichî so etwas ja gewohnt, von Mädchen angeschwärmt zu werden, aber noch keine hatte es so offensiv getan, wie Kazuha.

„Jetzt übertreib mal nicht, es gibt sicher noch bessere Beamte, als mich.“

„Sei doch nicht so bescheiden.“

„Hähähm“, räusperte er sich, er fand sich eigentlich nicht bescheiden, aber gut. Wie sah es denn aus, wenn er sich mit seiner Arbeit brüstete? Es war doch schlussendlich auch nur ein Job. Er fand sich dadurch jetzt nicht besser, als andere, normale, hart arbeitende Menschen.

„Um zu den wichtigen Dingen zu kommen. Heiji hat nach dir gefragt. Er is’ wohl scharf drauf, dassde ihm den Kopf wäschst!“

Diesen kleinen Witz musste Sêiichî einfach machen, und um das Mädchen zu beruhigen, meinte er auch noch etwas anderes. „Ihm geht’s einigermaßen, jedenfalls schwebt’r nich’ in Lebensgefahr. Du kannst also aufatmen. Heizō wird ’nen Anfall kriegen, wenn er von der Sache erfährt, also sei nett zu ihm. Ärger kriegt er spätestens, wenn er wieder nach Ōsaka zurückkehrt.“

Dass Heizō seinem Sohn wieder eine Tracht Prügel verpassen würde, wussten alle Beteiligen, oder zumindest dachte Ran sich so etwas, sie hatte ihn ja schon einmal live und in Farbe erlebt, als er wegen Heiji ausgerastet war.

„Mal sehen… Wenn er mir blöd kommt, kriegt’r sie extra dick“, daraufhin gingen sie gemeinsam wieder nach oben, wo sich alle Anwesenden wunderten, dass der Dummkopf aus dem Zimmer marschiert kam, als wäre nie etwas passiert.

„Das ist doch echt die Höhe!“ Kazuha stampfte auf Heiji zu und knallte ihm deftig eine, ohne ihn auch nur zu Wort kommen zu lassen. „Haste sie noch alle?!“ schnauzte sie ihn an und er wusste nicht, wie ihm geschah. Der Schülerdetektiv wusste nicht einmal, was sie auf einmal hatte…

Dass sie eine Zicke war, wusste Sêiichî ja, aber die Aktion eben hatte doch etwas für sich, wie sie ihm einfach eine reinhaute, der arme Kerl war ja so perplex, dass sie ihm wahrscheinlich jeden Gedanken, den er hätte haben können, gerade geraubt hatte.

Ran zuckte für einen Moment. Sie war manchmal zwar auch gewalttätig gegenüber Shinichi, aber sie dachte nicht, dass sie in einer solchen Situation auch so reagiert hätte, oder nicht eher ihm um den Hals fallen würde.

Der stechende Schmerz auf seiner Wange wandelte seine Augen zu Halbmonden. „Geht’s noch? Kein Danke für die Rettung??“

„Du hast doch ’nen Sockenschuss!“ geiferte das Mädchen lautstark und fauchte sogleich wie eine Wildkatze weiter. „Für versuchten Selbstmord gibt’s keinen Orden!“

„Was’n? Wer hat sich denn entführen lassen? Wer war so dumm? Meinste, ich hab Bock, wegen dir ins Gras zu beißen, dumme Kuh?!“ Er ließ sich doch nicht so von ihr runtermachen, nachdem er sein Leben für sie riskiert hatte. Die hatte ja selber einen Sockenschuss.

„Warum machst’s dann? Hättest dich ja auch raushalten können! Wenn’s dir so zuwider war, wieso biste gekommen, du… du… KLUGSCHEIßER?“

Anscheinend waren beide nur glücklich, wenn sie sich lautstark zoffen konnten und sich anbrüllten. Beide machten sich so viele Sorgen umeinander und hatten Angst, vom Anderen nicht geliebt zu werden und das völlig unbegründet. Es gab keinen Tag, an dem sie sich nicht verkrachten und wieder versöhnten. Ihre Streits dauerten meistens einige Sekunden und wiederholten sich am laufenden Band. Der Spruch – was sich liebt, das neckt sich – hätte jetzt gut in die Situation gepasst, wär sie nicht so verdammt traurig. Sêiichî wollte keinem in den Rücken fallen. Er hätte sie gut gegeneinander ausspielen können, er wusste sowohl von ihm, als auch von ihr, dass sie beide etwas füreinander übrig hatten. Doch so war er nicht. Dabei hatte er ihm doch geraten, mal netter zu ihr zu sein, aber er verstand auch, dass es nicht einfach war, wenn man zur Begrüßung erstmal eine gescheuert bekam.

„Kazu-chan hat sich um dich gesorgt, Hei-chan“, mischte er sich nun jedoch ein, „verzeih ihr bitte“, daraufhin ging er zu Beiden hin und legte jeweils einem eine Hand auf die Schulter. „Seid lieber beide froh, dass euch nichts weiter passiert ist, es hätte wirklich schlimmer kommen können. Diese Leute sind äußerst gefährlich, sie fackeln normalerweise nicht lange, wenn ihr versteht! Der Kerl, der verhaftet wurde, hätte Heiji auch tödlich verletzen können, außerdem hat er ein Problem mit Frauen… Ihr seid lebend aus der Situation entkommen. Schätzt euch glücklich, statt euch schon wieder zu streiten.“

„Dem geb’ ich Probleme, wenn er’s noch mal wagt, sie so anzufassen!“ Noch immer brodelte alles in ihm, er hatte das Bild vor Augen. Ihre ängstlichen Augen, als er es wagte, Hand an sie zu legen. Zum Glück hatte er keine Schlagwaffe gehabt, dann wäre der Kerl wahrscheinlich tot. Er hätte ihn damit so sehr vermöbelt, dass er das Krankenhaus so schnell nicht mehr verlassen hätte.

„Das wird er so schnell nicht, da er verhaftet wurde, Heiji, also keine Sorge. Der kriegt, was er verdient!“ Sêiichî wollte sich nichts davon bildlich vorstellen, sie musste wirklich große Angst gehabt haben, bei Teran ja kein Wunder.

„Das klingt ja alles furchtbar“, meinte Ran, auch sie stellte sich das Ganze ungern bildlich vor. Sie konnte gut nachvollziehen, dass er das nicht gerne angeguckt hatte und einschreiten musste. Was waren das nur für Menschen? Leute, die anderen so etwas antaten, gehörten für immer hinter Schloss und Riegel.

„Warum haste dich auch so provozieren lassen?! Es war doch so offensichtlich, was die wollen!“

„Du denkst, ich wusst nich’, dasses eine Falle war? Für wie blöd hältste mich?“ Unglaublich, dass die Zicke dachte, er wäre in eine Falle getappt. Natürlich wusste er, was sie bezweckten.

„Ich kann nich’ glauben, dass du wissentlich so was machst!“ Ihr Gesicht wich blankem Entsetzen und ihr kamen schon wieder die Tränen, die sie versuchte, zu unterdrücken.

‚Genau das ist der Grund gewesen… Ich konnte deine Tränen nicht mit ansehen…’ Obwohl es ihm furchtbar schwer ums Herz wurde, musste ein machohafter Spruch her. „Jetzt flenn nicht rum, is’ ja nix weiter passiert!“ Der Schülerdetektiv drehte sich herum und seufzte einmal lautlos.

Ran näherte sich Heiji und gab ihm einen festen Schlag gegen den Hinterkopf. „Die hast du verdient für den Spruch!“

Dass er nun auch schon von Shinichis Freundin Dresche bekam, ließ ihn schmollen. Wieso tat sie das jetzt? Und wieso strafte sie ihn mit einem solchen Blick? Man hätte meinen können, sie hasse ihn. Er bekam es von allen Seiten.

„Nie kann man’s ihr Recht machen! Wär ich nich’ gekommen, hätt’ sie geschmollt! Und will ich ihr mal helfen, krieg ich trotzdem ’nen Arschtritt! Kann ja keiner aushalten! Ich verzieh mich!“ Im Grunde war er ja froh, dass sie sich verhielt wie immer und jetzt nicht gefühlsduselig etwas davon schwallte, dass sie jetzt wusste, was er für sie empfand, das hätte ihm jetzt noch gefehlt. Er lief lieber ein weiteres Mal weg. Wenigstens machte sie sich keine Hoffnungen. Es war so eindeutig und trotzdem dachte sie keine Sekunde daran…

Sêiichî schüttelte den Kopf. Anscheinend war es tatsächlich für Männer so furchtbar schwer, ihm ging es in dem Punkt genauso, auch wenn er ihm all diese Ratschläge gegeben hatte, hielt er sich selbst auch nicht daran. Er hatte noch nie zu irgendwem gesagt, er würde ihn lieben, auch nicht zu der Frau, für die er wirklich tiefgründige Gefühle entwickelt hatte.

„Wo willst du hin? Du kannst nicht einfach wieder abhauen!“ Sêiichî wollte ihm schon hinterher.

„Ich geh zu Katsumi! Von ihr kriege ich nicht ständig ’nen Arschtritt!“

‚Argh! Nein! Sag doch nicht so’n Scheiß! Falscher Text! Gaaaanz falscher Text! Du bist so doof! Du hast keine Ahnung von Frauen! Lass sie doch nicht einfach so stehen, wenn sie deinetwegen weint! Und dann noch wegen so einer wie Katsumi!’ Nicht einmal Sêiichî, der sich gerne ins Aus schoss, indem er fremdging, hätte so etwas zu Kazuha gesagt, nicht jetzt. Ja gut, er hatte Chris mit solchen Sprüchen auch schon gereizt, aber auch nur, weil es ihr egal zu sein schien.

Kazuha zeigte keine Schwäche, sondern gab albernes Gelächter von sich. „Oh, du weißt es noch nicht! Katsumi ist wieder auf der Suche nach einem anderen…“ Wenn er es ihr mit seiner Faust gab, dann gab sie es ihm mit einem Baseballschläger zurück. Ja, sie wollte es ihm richtig schön fies reindrücken. „Dieses Mädchen hat keinen Anstand! Sie ist sicher erfreut, wenn du einfach so auftauchst und sie störst!“ Die Ironie war kaum zu überhören.

Sêiichî fand, dass das Katsumi ähnlich sah, es hätte ihn auch gewundert, wenn die beiden lange zusammen gewesen wären, weil sie beide einander doch eindeutig nicht liebten.

„Ach?“ Natürlich glaubte ihr Heiji nicht. „Du bist ja bloß neidisch!“

„Ich bin neidisch? Ganz bestimmt nich’! Die hat zu mir gesagt, dass ich dich haben kann, wenn ich will, weil sie keinen Wert drauf legt, weiterhin mit dir zusammen zu sein!“

Das einzige, was ihn an ihren Worten störte, war, dass er anscheinend nicht so gut bei Katsumi ankam, wie er es gerne gewollt hätte. Es war einfach sein männlicher Stolz, in dem er sich angegriffen fühlte. „Kannst ja Sonoko fragen! Die war auch dabei, nur falls du wieder denkst, ich lüg dich an!“ War ja eigentlich klar gewesen, dass er ihr nicht glaubte. „Frag mich eh, was du an der findest, aber jedem das seine!“

‚Langsam frag’ ich mich das auch… zumindest wenn’s stimmt…’ Den genauen Grund, weshalb er mit Katsumi zusammen gekommen war, kannte er selbst nicht wirklich. Sie war eben ganz nett gewesen, und hübsch. Er war neugierig. Und er hatte keine Lust mehr, Kazuha nachzulaufen. Wie sah das auch aus, wenn man einem Mädchen nachlief?

‚Ich traue es Katsumi zu, dass sie ihn einfach so in die Wüste schickt… Sie ist die Frau, die ich für Geld… Nein, besser nicht dran denken, viel Niveau hat sie jedenfalls noch nie gehabt.’

‚Dumm, dass Katsumi denkt, wir würden zusammenpassen. Wir würden von morgens bis spät abends nur streiten. Das is’ nich’ das, was man Beziehung nennen kann. Selbst meine Mutter is’ netter zu meinem Vater und die kann auch austeilen…’ Warum waren Mädchen bloß so schwierig?

Er stand einfach nur da, nichts sagend. Ein bisschen machte Kazuha das Sorgen. Wollte er ihr nicht wenigstens wie immer kontra geben?

„Heiji?“ sprach sie ihn leise an. Wenn sie ihn verletzt hatte, tat es ihr bereits wieder Leid. Sie wusste, dass es gemein gewesen war, aber sie konnte ihn ja unmöglich einem Trugschluss erliegen lassen…

Ran glaubte einfach nicht, dass er mit einer anderen zusammen war, das konnte er seiner Freundin jawohl nicht antun? Aber irgendwas an seinem Verhalten sagte ihr, dass es ihm weniger etwas ausmachte, wenn Katsumi sich von ihm trennte. ‚Vielleicht gibt’s doch noch Hoffnung?’

Mit einem Seufzen drehte er sich wieder zu den anwesenden Personen herum. „Wollt ihr da Wurzeln schlagen? Haste nicht ’nen Job zu machen, Iwamoto? Eine kleine Verhör-Runde zum Beispiel? Wir waren in’n Verbrechen verwickelt, also sollteste uns mal befragen…“

Anscheinend wollte er von den anderen Sachen ablenken und würde sogar lieber Sêiichîs Fragen beantworten.

„Bist du dazu in der Lage?“

So ganz sicher war sich der Kriminalist nicht. Vorhin sah es noch ganz anders aus. Dass er wieder hier herumlief, hatte nichts zu heißen. Heiji Hattori war derjenige, der auch mit Schusswunde gerne mal dem Anschein nach so wirken konnte, als sei er in Ordnung.

„Oh, mir geht’s wunderbar, die Wunde kribbelt nur ein bissl“, meinte er, aber Sêiichî konnte sich das nicht vorstellen. „Spiel nicht den Starken, sonst klappst du uns am Ende zusammen“, meinte der Polizist und drückte ihn erst einmal auf einen Stuhl nieder. Der Schweiß auf der Stirn des Jungen sagte ihm zumindest, dass er Schmerzen haben musste. Und als er den Kopf gegen die Wand legte und die Augen schloss, war er sich sogar sicher, dass ihm schwindelig sein musste.

Shinichi wäre sicherlich total begeistert, wenn er in Rans Beisein von der Organisation sprach, außerdem hatte Kazuha keine Ahnung, um was es genau ging.

„Die wollten, dass Heiji irgendwelche Verbrechen begeht“, meinte diese jedoch wenig später, was Heiji keinesfalls schmeckte. „Der Kerl, der mich festhielt, hat mir gesagt, er wird mich bearbeiten, bis er tut, wie sie woll’n… Und darüber hinaus.“

„Atemberaubend…“

Heiji öffnete die Augen und starrte ins Leere. „Er war quasi schon dabei… Vor meinen Augen hat’r sie ziemlich unsittlich angefasst. Mir wird schlecht beim Gedanken dran.“

Ran schlug nun endgültig die Hände vor’s Gesicht. Jetzt verstand sie auch irgendwo, dass er total außer sich gewesen war. Welcher normale Kerl würde dabei zugucken?

„Hatteste schon mal Mordgedanken, Iwamoto?“ wollte Heiji von dem Kriminalisten wissen und sah ihn fragend an. „Hattest du mal richtig Bock, jemanden umzubringen? Aus schlichtem Zorn? Ich hätte den Kerl am liebsten mit bloßen Händen erwürgt!“

Ein wenig weiteten sich Sêiichîs Augen und er war weniger gefasst, als ihm lieb war. „In deiner Situation verständlich…“ Er wich Heijis Blick aus. Nicht nur den Gedanken gehabt hatte er, sondern ihn auch noch erfolgreich ausgeführt. Nicht nur einmal. Und dabei war es nicht wirklich um jemanden gegangen, für den er Gefühle gehabt hatte. Aber es zuzugeben, kam ihm nicht in den Sinn, außerdem würde das Heiji bekräftigen, vielleicht mal so etwas zu tun, wenn er es als normal hinstellte. „Ich bin aber froh, dass du keine Waffe hattest, mit der du hättest was anrichten können. Ist schlimm genug, wenn andere diese Taten verüben.“

„Wenn ich nur gekonnt hätte“, mischte sich das Mädchen aus Ōsaka ein, „dann hätte ich ihn auch ermordet, als er es gewagt hat, seine Waffe gegen Heiji zu verwenden.“

„Jetzt sag nicht so was…“ Schlimm genug, wenn er solche Gedanken hatte, nicht auch noch sie, das passte ja überhaupt nicht zu ihr. Sie war jähzornig, aber doch kein schlechter Mensch, der so etwas tat.

„Als Kriminalist kommt man so manches Mal in Versuchung, aber ich habe mich immer beherrscht! Mir ist noch nie der Finger am Abzug abgerutscht… Und ich bin froh darum!“ Natürlich belog er sich damit selbst, aber es war zum Besten aller. „Wer seinen Täter vor der Strafe bewahrt, ist nicht viel besser, als der Täter.“

Heiji, als auch Ran wunderten sich über die Worte des 24-jährigen, da er verdächtig wie Shinichi geklungen hatte. Wer seinen Täter Selbstmord begehen ließ, sei selbst nicht besser als sein Täter – das hatte er mal zu ihm gesagt.

„Mein Vater hat mal jemanden erschossen…“, äußerte sich das 19-jährige Mädchen. „Es ging nicht anders, er musste es tun, um einen anderen Menschen zu retten. Der Täter ließ ihm kaum die Wahl! Es hätte Unschuldige getroffen… Wenn es jemanden retten könnte, würde ich es tun. Ich bleib dabei, wenn ich’s gekonnt hätte, dann wäre es so gekommen…“

„Kein Mensch sollte einen anderen töten, aber wenn es nicht anders ginge, würde ich es ebenfalls machen“, stimmte Sêiichî zu. Ja, das war eigentlich sein Lebensmotto. Er konnte kaum leugnen, dass er es richtig fand.

„Meinste, die versuchen es wieder?“ Allein beim Gedanken, dass diese Verbrecher noch einmal etwas mit ihnen anstellen könnten, schlug das Herz der Tochter von Tōyama heftig.

„Unter Garantie… Bevor ich für die jemanden umbringe, bring ich mich eher selbst um.“

Kaum zu glauben, dass das aus dem Mund ihres Freundes kam.

„Das ist womöglich der Grund, weshalb sie Kazuha als Druckmittel benutzt haben. Damit du dir nicht selbst das Licht ausknipst und tust, was sie verlangen“, erklärte Sêiichî, was wohl niemandem besonders gut gefiel.

‚Ob die mich schon länger beobachten? Woher sonst wissen die, wie ich reagieren würde? Na toll, die haben es auf mich abgesehen. Welche Ehre…’ Eine Bande hochqualifizierter Verbrecher wollte ihn in ihre Kreise aufnehmen, er verzichete gerne dankend.

„Aber warum Heiji? Gibt es nicht genug andere Menschen, die williger sind?“ Ran wunderte sich sehr darüber und musste sich unweigerlich diese Fragen stellen. Auf Sêiichîs Stirn trat Schweiß, er wollte diese Antwort ungern ehrlich beantworten. Er wollte nicht mal über diese Verbrecherorganisation reden. Schon gar nicht mit Kindern…

Heiji war auch nicht scharf darauf, seine Gedanken mitzuteilen. ‚Laut Ryochi reicht’s, dass wir Kinder der Polizei sind…’

„Tja, das sind Fragen, wie sie nur diese Verbrecher wirklich beantworten könnten“, antwortete Sêiichî auf Rans Frage und glaubte so aus dem Schneider zu sein.

„Versprecht mir, einander nicht die Köpfe einzuschlagen, aber ich bin mal eben mit Ran Kaffee holen, ihr seht aus, als wenn ihr es nötig hättet“, er ergriff Rans Hand, welche ganz erstaunt darüber war, dass er so frei ihre Hand nahm, sich dann aber mitziehen ließ, auch wenn sie einen besorgten Blick nach hinten zu ihren beiden Freunden warf. „Lass den Beiden mal ’nen Moment für sich allein“, flüsterte er dem Mädchen zu und dieses verstand, was er damit sagen wollte.

„Huch, die waren aber schnell weg“, bemerkte Kazuha und warf einen Blick runter auf ihren Freund. Nun waren sie alleine und trotzdem wollte keiner auch nur ansatzweise über die Probleme sprechen, die sie nun einmal hatten. Stattdessen schwiegen beide und blickten traurig darüber drein, dass sie anscheinend nicht über ihren Schatten springen konnten…
 

Wahrscheinlich ist es etwas Persönliches, woher soll ich das denn wissen, Jami? Seufzend hatte sich Trebbiano herum gedreht – wenige Zeit später war er von Ouzo und Chasselas vom Dach befördert worden. Asti wollte ihre Leute kennen und hatte ihren Sohn Jami vorgeschickt, um herauszubekommen, weshalb sich manche Organisationsmitglieder nicht mochten, obwohl sie sich ähnlich zu sein schienen. Mezcal zum Beispiel verstand sich wunderbar mit Saperavi, sie waren vom gleichen Schlag. Dieser Arrak hingegen vertrug sich absolut nicht mit Mezcal und fing an zu bocken, wenn er auch nur in seiner Nähe sein musste. So etwas war lästig und unpassend. Sonst schien er brav das zu erledigen, was man ihm auftrug, nur bei Mezcal regte er sich künstlich auf. Es gab nur zwei Möglichkeiten – eine davon schmeckte ihr weniger – und zwar, dass einer von ihnen ein Verräter war, oder sie eine persönliche Auseinandersetzung pflegten; außerhalb ihrer Organisationszeit schon…

Darüber hinaus war ihr wenig über diese Personen bekannt, viel zu wenig. Solange sie ihre Arbeit ordnungsgemäß machten, war es auch nicht so schlimm, aber kaum taten sie etwas, was dem Boss missfiel, wollte man plötzlich alles über sie wissen…

Und besonders interessierte den Boss gerade alles über Sazerac. Dabei schien er alles zu wissen. In den Augen von Asti vielleicht, in Vermouths Augen, wussten sie wenig über seinen wahren Charakter, seine wahren Gefühle. Natürlich hatte ihre Affäre mit Sazerac die Runde gemacht, weshalb sogleich eine Einladung zum Essen eingetrudelt war. Nun wollte Asti sie ausquetschen, was sich bei einer solchen Frau als fast unmöglich herausgestellt hatte.

In Vermouths Kopf herrschte nur ein einziger Gedanke: Der Kerl wird sich zur Plage entwickeln… Wenn die auf dumme Gedanken kommen, mache ich ihn platt und vernichte die Gründe, weshalb sie zu diesen Mitteln greifen… Am meisten kümmerte sie seine Verwandtschaft. Insbesondere seine Cousine… Eigentlich ja nur seine Cousine… Ein bisschen noch Onkel und Tante.

Kein Wunder, dass sich Vermouth nun allzugerne für Asti in die Arbeit stürzen wollte. Sie bot sich förmlich an, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen…

Bei dieser Frau herumzuschleimen, konnte sehr von Vorteil sein. Und bloß keine Ungereimtheiten ihr gegenüber, sie neigte dazu, alles ihrem Boss zu erzählen. Und sollte etwas nicht passen, wurde es nur wieder anstrengend, diesem Mann seine Zweifel zu nehmen. Also lieber gleich richtig. Noch schien Asti Vermouth großes Vertrauen entgegen zu bringen – sie waren Freunde, glaubte das Miststück jedenfalls. Ein falscher Schachzug und auch diese Dame war Geschichte.

Als sie sich in der Dunkelheit mit Sazerac traf, lehnte dieser an der Wand – noch nicht einmal sah er die Schönheit, sie schlich sich aber auch wie ein kleiner Schatten an.

Doch dann erschien sie neben ihm, sein Gesicht verdeckte ein Schatten zur Hälfte, doch konnte die Blondine erkennen, dass der Mann mit den Nerven am Ende war.

„Es war doch überhaupt keine Absicht, sondern ein Unfall“, hörte sie ihn sagen, was aber gar kein guter Zug von ihm war, das so leichtfertig zu sagen.

„Bist du total irre, Sazerac, das auch noch laut zu denken?“

Erschrocken über Vermouths Anwesenheit wandte er den Kopf ganz von ihr ab. „Lass mich in Ruhe! Lass mich einfach in Ruhe, das geht dich gar nichts an! Meinst du, ich weiß nicht, welch perfides Spiel in deinem Kopf vorgeht? Meinst du, ich weiß nicht, dass du mich nur benutzen willst?“

Die Worte gefielen ihr natürlich nicht, aber mit offenen Karten spielen? Nein, Toichi Kuroba hatte ihr damals beigebracht, ein Pokerface zu benutzen. In diesem Fall jedoch…

„Nein, nicht nur das! Ich nutze nur deine Vorzüge für mich. Du würdest niemals zulassen, dass ihr etwas geschieht, lieber würdest du sterben! Das allein macht uns zu Freunden, Sazerac, findest du nicht auch? Eine Hand wäscht die andere!“

Was das andere Thema anging, verschränkte sie buchstäblich die Arme vor der Brust, als wolle sie davon nichts wissen. Dass Sazerac es als Unfall bezeichnete, wenn man eine Frau fast vergiftete und dann leider die Organe versagten, war seine eigene Sichtweise. Nun hatte der Kerl auch noch Schuldgefühle gegenüber diesem Weib, sie hätte ihm dafür ins Gesicht spucken können.

„Was bewegt so ein Miststück dazu, eine Oberschülerin zu mögen?“ Sie hatte es ihm natürlich nie verraten und er spekulierte darauf, dass es auch diesmal dasselbe sein würde. Seine Augen sahen zu ihr hinüber, wie sie auf den Boden starrte und sich eine Zigarette anzündete. „Du denkst so schlecht von mir, dass du einen speziellen Grund vermutest?“ Vielleicht war sie ja einfach so nett und mochte das Mädchen? Zog er es nicht in Betracht? Komischer Kerl. Die meisten fielen gänzlich auf ihr Getue hinein. Wahrscheinlich war genau das bei ihm der Fall.

„Ja, es muss etwas sehr Persönliches sein, denn dich interessiert nur deine eigene Haut und dein persönlicher Vorteil! Es passt einfach nicht zu dir, in ein Mädchen und ihren besten Freund vernarrt zu sein! Nicht grundlos! Was haben Kudō und Ran mit dir gemacht?!“ Dass die Frau wahrlich ein Herz haben konnte, bezweifelte er – ihr Verhalten gegenüber Cognac zeigte ihm, dass sie selbst die Leute, die sie mochte, gerne quälte, ohne Rücksicht.

„Ich mag das Mädchen ohne einen wirklichen Grund…“ Angel war so, wie sie sehr gerne gewesen wäre. Aber wahrscheinlich wäre Sêiichî dann vor ihr geflüchtet.

„Dann liebst du Kudō!“ Wie verhasst er den Namen aussprach, schockierte ihn selbst beinahe. War er nun schon so weit, ihn zu hassen? Ihretwegen?

Fast hätte Vermouth angefangen zu lachen. Hielt er sie für so einfach? Aber ein Stückchen Wahrheit war schon daran. Er überzog es natürlich, aber sie wünschte ihm alles Glück auf Erden. Mehr als sonst irgendjemand hatte er es verdient, glücklich zu sein. Und ihr schien es, als wäre die perfekte Person für Cool Guy ihr Engel.

„Du bist ulkig, Sazerac! Er ist 18! Er ist fast noch ein Kind“, amüsierte sie sich über seine Aussage, doch er schenkte ihr einen gehässigen Blick.

„Als wenn dich so ein Verbot schert! Du bist die Frau, die ihre eigenen Regeln macht“, konterte der Hellbraunhaarige der Schauspielerin.

„Ach Verbote“, winkte sie ab, „es geht mehr darum, dass du mir zutraust, etwas von halben Kindern zu wollen.“

„Bei dir weiß man nie, ich traue dir jede Schandtat zu.“

Anscheinend hatte er großes Interesse daran, von sich abzulenken und wollte lieber sie ausquetschen.

Erst nach etwas genauerem Hinsehen entdeckte Vermouth den roten Streifen in Sazeracs Gesicht, also schaute sie genauer hin. Irgendwie erinnerte es sie böse an Sêiichîs Blessuren, wenn er Auseinandersetzungen mit Saperavi hatte. „Wer hat dir das zugefügt?“ Das war auch der Grund für ihre Frage.

„Mezcal weiß aus irgendeinem Grund wohl, wer seine Verlobte ums Leben gebracht hat“, nun bröckelte jegliche Fassade, die er sich bewahrt hatte und sank kraftlos an der Wand hinab. Sie machte sich nicht die Mühe, sich auf seine Höhe zu begeben, sondern sah zu ihm herunter. Es fehlte nur noch, dass der Kerl anfing zu heulen, weil er es nicht mehr ertrug.

„Mezcal, dieser Mistkerl!“ entfuhr es ihr und sie strich entlang ihrer Wange, wo er auch ihr schon einmal eine Wunde beigebracht hatte – das würde er ihr eines Tages büßen.

„Eigentlich habe ich sie verdient, die Schramme“, entgegnete Sazerac der 30-jährigen, was sie doch etwas schockte. „Und noch Schlimmeres!“ In seinen Augen war er das Allerletzte. Dass Mörder den Tod verdienten, diese Meinung trennte ihn Meilenweit von Shinichi.

„Kein Wunder, dass Kudō der bessere Detektiv ist… Er hilft auch Mördern. Um ein Menschenleben zu retten, würde er sehr weit gehen. Auch wenn er befürchtet, dass Killer ihn dafür bestrafen, dass er ihnen geholfen hat… Er würde es wieder tun, doch du würdest zusehen.“ Sazerac hatte eine sehr schlechte Meinung von Mördern, also auch von sich selbst.

„Klingt, als hätte er es bei dir bereits getan, oder woher willst du das wissen?“

„Weil es viele Gründe dafür gibt, dass Menschen andere Menschen töten, aber man keinen einzigen braucht, um jemanden zu retten… Das waren seine Worte. Angel würde ihm uneingeschränkt recht geben, oder sagen wir… das hat sie mit Taten getan.“ Nun hatte sie die Augen geschlossen und seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Das war es also. Ja, das sah dem Mädchen ähnlich. Aber Shinichi, dieser arrogante Kerl, hatte wirklich etwas mit so viel Charakter gesagt? Dabei dachte er doch meistens nur an sich selbst.

„Ich fürchte, Kudō ist weniger ein Kind, als du annimmst… Als ich verschwunden bin, war er ziemlich kindisch. Es überrascht mich, dass er so etwas sagen kann. Trotzdem kann ich den Kerl nicht leiden, weil er sich so aufspielen muss!“

„Es zwingt dich ja auch keiner, uneingeschränkt meine Meinung anzunehmen, solange du ihm nicht schadest, kriegen wir keine Probleme.“ Vermouth drehte sich herum, nichtsdestotrotz hatte sie noch einen bescheuerten Auftrag zu erledigen.

„Es gibt Leute, die sich fragen, weshalb du dich mit Mezcal nicht verträgst. Eigentlich bin ich nur deswegen hergekommen…“ Ein genervtes Seufzen entkam ihr.

„Als wenn das so schwer zu erraten wäre… Ich habe kein Problem mit ihm, er hat eines mit mir. Sind die besagten Leute zu dumm, ihn zu durchschauen? Ich hab seine Verlobte ermordet, was wird wohl sein Problem mit mir sein, was?“ Sazerac machte sich lustig, denn es war nun wirklich so was von offensichtlich. „Mich wundert mehr, dass Jami den Unfall einfach hinnimmt, statt mir ordentlich eine zu zimmern.“ Jami befriedigte es doch, wenn er andere Männer demütigen konnte. Er war gerne überlegen, weil er so ein verdammter Schwächling war.

„Sie hat Jami ans Bein gepinkelt, daher mangelt es ihm an Trauer, ganz einfach.“ In Jamis winziger Welt gab es nichts Schlimmeres, als wenn die Frau ihn als erstes verließ, oder ihn betrog. Dieses Privileg beanspruchte er gerne für sich ganz alleine. Nur bei Kir schien es anders zu sein. Ihm war zuzutrauen, dass diese Frau ihn zum Verräter machen konnte. Sie war nicht sicher, ob er diesmal in der Lage wäre, ihr etwas anzutun. Dafür ging es bei ihm schon viel zu tief.

Ihre Unterhaltung war ungehört, da sie nicht sonderlich laut sprachen. Anders der andere Typ in der Nähe, der herumschrie, so dass man ihn kaum überhören konnte.

„DU SAGST MIR JETZT SOFORT WAS DAS SOLLTE! UND KEINE AUSREDEN!“

Vermouth zuckte für einen Moment. Nicht, weil schreiende Männer sie verängstigten, sondern weil sie es an diesem Mann schlichtweg nicht gewohnt war. Was zum Teufel war nun schon wieder kaputt?

„Gar nichts, es war ein Befehl!“

„DAS, SCHÄTZCHEN, KAUFE ICH DIR NICHT AB! REDE ENDLICH!“

„Hyaaaa, du tust mir weh, Cognac!“ Er hatte sie am Arm gepackt und gegen die Wand gedrückt. „Rede…“ Er zischte die Worte beängstigend in ihr Gesicht, während seine strahlend blauen Augen bis in die tiefsten Abgründe ihrer Seele zu schauen schienen.

‚Cognac tut Mistelle weh? Ist nicht wahr… Und seit wann ist sie so wehleidig? Wegen Ryochi?...’ Vermouth vermutete es stark. Ihr lag der Detektiv am Herzen, weshalb sie sich wohl etwas mehr gefallen ließ, als sonst.

„Bitte lass mich los“, versuchte sie auf wehrloses Mädchen zu machen, was ihn jedoch noch viel wütender machte.

„Wer gibt dir das Recht, andere so zu piesacken? Was fällt dir ein, Teran zu erlauben, irgendwelche Mädchen anzufallen!? Hast du jetzt endgültig dein letztes bisschen Verstand verloren?!“ Noch immer war der Schwarzhaarige außer sich. Sein heißes Blut hatte nichts anderes im Sinn, als Befriedigung in Form von Manieren beibringen zu erlangen. Nicht nur, dass er bei Mistelle abgeblitzt war, sie hatte es nicht anders verdient, als dass man sie mal etwas fester anpackte. Aber was am meisten saß, waren die nächsten Worte. „Du liebst Ryo, ja? Dann solltest du dich schnell von Teran lösen! Wie kann man nur so tief sinken, mit dem…?“ Sêiichî wurde bei dem Gedanken so schlecht, dass er es nicht aussprechen konnte.

Dass er anscheinend von ihrer dreckigen Affäre mit Teran wusste, löste Unbehagen in ihr aus. Er durfte es auf keinen Fall Syrah erzählen, diese wäre weniger begeistert, so etwas von ihrer besten Freundin zu erfahren.

„Ich mach’s nie wieder, ehrlich!“

„Das will ich hoffen, sonst kannst du was erleben!“ Er ging einen Schritt rückwärts und ließ sie dadurch los. Allzu sehr anfassen wollte er sie dann doch nicht mehr – nicht nachdem er wusste, dass sie etwas mit Teran gehabt hatte – ekelhaft.

Mittlerweile – nach fast vier Jahren – hätte Mistelle Sêiichî garantiert nicht mehr abgewiesen – er war mittlerweile ein sehr leckerer Mann. Schade eigentlich, dass er sie so wenig mochte. Vielleicht konnte man ihn benutzen, wenn man sich mal zum Guten wandelte… Womöglich würde er ein gutes Wort für sie bei Ryo-chan einlegen??

„Es ist nur… Ich… Ich fühle mich so einsam“, meinte Mistelle und ließ wie auf Knopfdruck Tränen fließen. „Ich wollte nur etwas Spaß… Und es ist immer noch… angenehmer, Teran zu lassen… Er ist immer so brutal, verstehst du?“

Ungern ließ er sich von diesem Frauenzimmer erweichen, aber er wusste, wie sie sich in etwa fühlte. Er hatte sich damals, als sie ihn andauernd abgewiesen hatte, ähnlich gefühlt. Und er hatte nichts anbrennen lassen. Er war eben nicht gern allein. Aber wer war das schon? Natürlich erregte sie sein Mitgefühl. Er kannte sie nicht erst seit gestern und wusste von ihren psychischen Problemen. Es war manchmal nicht leicht, bei solchen Leuten hart zu bleiben.

„Mit Kullertränen machst du es nicht wieder gut. Du hast ein 19-jähriges Mädchen in die Falle gelockt und dem Kerl dann noch angeboten, dass er sie vergewaltigen darf… DAS ist nicht zu entschuldigen…“ Sêiichî drehte sich von ihr weg, auch wenn das unklug sein konnte. Er wollte sie einfach nicht mehr sehen. Wahrscheinlich würde sie ihn doch noch weichklopfen.

„Du bist ein guter Kerl – es tut mir Leid, dass ich so kalt zu dir war“, mit diesen Worten schlang sie die Arme um ihn und sein Körper zuckte einmal, als er ihre weichen Brüste spürte. Nein, nicht schon wieder, schon gar nicht bei ihr… Er würde sich vor sich selbst ekeln, wenn er das täte…

„Ist okay, ich weiß, auch du bist manchmal einsam. Chris ist ein Miststück, bestimmt geht’s dir nicht gut bei ihr…“

„Argh, was soll das?“ Sêiichî fand es nicht witzig, dass sie so etwas sagte, während sie ihn anzufassen versuchte. Er wollte nicht schon wieder aus Kummergefühlen bei einer anderen landen, schon gar nicht bei so einer, deshalb löste er auch schnell ihre Arme von sich.

„Lächerlich, Mistelle… Der Zug ist abgefahren…“ Er ließ sich doch nicht von ihr so behandeln…
 

Nachdem man der jungen Frau erzählt hatte, dass Mezcal wohl Hiroyas Spion war, erlitt sie einen chronischen Lachanfall. „Gott is’ das komisch… Nicht zu fassen… Wie amüsant!“ Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, die ihr gekommen waren. „Darauf müssen wir trinken! Jami und Tokorozawa sind so amüsant!“ Ihr Gegenüber verstand nicht wirklich, weshalb sich sie sich so wenig beherrschen konnte – und das in einem Lokal, wo die Leute schon alle gucken.

„Würdest du mir jetzt bitte verraten, was daran komisch sein soll?“ Verwirrt und neugierig besah die blonde Frau die brünette.

„Ganz einfach – Kenichi hatte den selben Einfall und hat Hiroya Raki geschickt. Dachtest du, dass das Ganze ein Zufall ist? Leider hat sie sich eine ganze Weile nicht gemeldet, ich frage mich, was los ist… Neuigkeiten aus dem Hause Tokorozawa interessieren mich immer brennend.“

Bei solch einem Gelächter empfand Vespolina ihren Entschluss als nicht mehr so ratsam. „Raki, mhm?“ Aber man konnte das ja zu seinem Vorteil ausnutzen. „Wer zum Teufel ist Raki?“

Allmählich beruhigte sich die Brünette wieder und grinste teuflisch. „Eine Polizistin – augenscheinlich – die Hiroya Tokorozawa erfolgreich den Verstand raubt.“

Vespolina konnte noch nie verstehen, wie man derart gehässig und gemein sein konnte, aber sie hatte damit leben gelernt. Trotzdem wollte sie wirklich gerne wissen, wer diese Polizistin war. Augenscheinlich auch noch – böse. Das sollte bestimmt heißen sie war ein Vollblutmitglied der Organisation. Und demnach auf der Seite ebendieser.

„Du kannst Tokorozawa kein Stück leiden, oder? Jami genauso wenig!“

„Jami hat keine Eier in der Hose und Tokorozawa hat bis heute noch nicht bemerkt, weshalb er noch lebt. Die beiden Streithähne sind lustig.“ Sie hielt Hiroya nicht für besonders schlau, wenn er nicht dahinterstieg und Jami war eben kein Mann, sondern ein Weichei. Kein Wunder, dass Frauen ihn gerne ausnutzten – so wie Kir.

Die 28-jährige Japanerin schüttelte den Kopf. Die beiden Kerle waren doch Kinder, dabei waren sie im selben Alter wie sie selbst.

„Ist dir denn ihr richtiger Name bekannt?“

„Wieso möchtest du das unbedingt wissen, Vespolina? Du möchtest dich doch nicht etwa an Jami rächen und deswegen einen Verrat an ihm begehen, indem du ihn auffliegen lässt? Ich meine, du möchtest doch noch nicht sterben, Süße, oder?“ Die Brünette war nun etwas ernster geworden. Eigentlich fand sie Vespolina nett, auch wenn sie so einfältig gewesen war, Jami tatsächlich zu heiraten. Wenigstens war Kir nicht so dumm.

Ein bisschen fühlte sich die Blondine ertappt, was sie schlecht verbergen konnte. Aber bevor sie Jami helfen würde, half sie Kimikos Bruder. Er war im Grunde kein schlechter Mensch. ‚Ich kenne Hiroya lang… sehr lang… Ich weiß, was er durchmacht. Es gefällt mir nicht, dass Jami ihn nun auch schon ausspioniert, dann erfährt er vielleicht Dinge, die ihm einen Vorteil verschaffen! Er hat wegen Jami doch schon genug durchgemacht… Ob Katori das weiß? Vielleicht kann sie etwas herausfinden. Das hier ist pure Zeitverschwendung… Sie will es mir nicht sagen…’

Die Blauäugige seufzte. „Für einen Moment habe ich daran gedacht. Ich kann einfach nicht vergessen, was er getan hat. Dass er mein Vertrauen so schamlos ausnutzen konnte, um Kir nachzustellen, obwohl sie meine Freundin ist. Ganz zu schweigen von Carmina, Kimiko, Yakko Kajiwara, Osiris und was da noch so lief. Ich möchte es eigentlich gar nicht mehr wissen, mit wem er noch…“ Einige von den Frauen hatten ihn zwar abgewiesen, aber allein der Versuch es zu tun, zählte. Wenn sie daran dachte, dass sie so blöd gewesen war, Kimiko zu unterstellen, sie habe noch Interesse an dem Kerl und würde deswegen versuchen ihn ihr auszureden. Sie hätte ihn viel eher verlassen sollen…
 

Obwohl es bereits sehr spät war, befanden sie sich nun hier. In einer dunklen stickigen Bar. Yakuza wahrscheinlich nicht weit, doch Angst schien sie nicht zu haben. Die 35-jährige war viel zu interessiert daran, was ihn nun doch hierher verschlagen hatte…

Er hatte sich seinen Eltern stets widersetzt und nun fand sie ihn in diesen Kreisen wieder. „Nun erzähl mir schon, wie es dir ergangen ist, Toya!“ forderte sie von ihm, die Grünblauäugige war schon immer so gewesen. Sie ließ keine Ausreden gelten und war stets auf dem Pfad der Gerechtigkeit unterwegs.

„Wie soll es mir schon ergangen sein, nachdem du einfach verschwunden bist…? Du hast mich in der Teitan-Oberschule allein gelassen, ohne ein Wort, ohne Abschied…“ Sein Arm lag auf der Bank in der Bar, welche bald schließen würde, und er blickte sie nicht an, sondern aus dem Fenster. Er würde seine ehemalige Lehrerin nicht schonen und ihr die grausame Wahrheit erzählen…

„Was denkst du dir, du frecher Kerl? Ich bin eine verheiratete Frau, die ihrem Mann zurück in die USA folgen musste! Es ging alles sehr schnell! Du bist krank geworden, für fast eine Woche. In einer Woche passiert viel.“

Mitleidslos – zumindest empfand er es so. „Meinst du, du kommst mir so davon? Du grausames Biest!“ Er beugte sich über den Tisch und zog eine Menge Aufmerksamkeit auf sich, als er lauter wurde. „Ich dachte eigentlich, ich bedeutete dir genauso viel, wie du mir! Deshalb habe ich auch immer gehofft, dass du noch einmal ein Lebenszeichen von dir gibst! Es ist ungeheuerlich! Nachdem wir so sehr kämpfen mussten und ich sogar enterbt worden bin, gehst du ohne ein Wort und meldest dich nie wieder bei mir! Weißt du, dass es mir das Herz gebrochen hat?!“

„Es war besser so“, die Dunkelhaarige mit dem kurzen Haar gab ein trauriges Seufzen von sich. „Die Geschichte zwischen Schüler und Lehrerin hätte niemals gut gehen können… Du bist doch kein Kind mehr Toshiya, oder? Du müsstest es endlich verstanden haben!“

Nein, nein, er wollte es nicht verstehen. Wieso verstand sie denn nicht?

„Verstehen, ich? Die Liebe versteht keiner… Du warst die erste und einzige Frau in meinem Leben, das hat sich in 6 Jahren nicht geändert. Na, überrascht, oder eher geschockt?“ Er schockierte sie ungemein gerne, immerhin hatte sie sein Herz gestohlen, schon vor schier einer Ewigkeit.

„Bitte nicht, Toshiya, tu das nicht! Schenke dein Herz der richtigen Frau und nicht mir!“ Ihr Gemüt schien verstimmt, jedenfalls sah sie ihn mit einem grimmigen Blick an.

„Warum hast du WIEDER heiraten müssen? Ich weiß genau, dass wir füreinander bestimmt waren und trotzdem…“ Es machte ihn unendlich fertig, dass die Frau, die er liebte, nun wieder verheiratet war – mit einem Mann, den er nicht als ihren Mann akzeptierte.

„Hör endlich auf!“ Nun sprang sie auf. „Vergiss endlich diese sinnlose Sache, streich sie aus deinem Leben! So wie früher wird es nie wieder sein!“ Es war Zeit zu gehen, weshalb sie sich ihre Tasche schnappte und dann schleunigst die Bar verließ.

„Oi… warte… Jetzt renn nicht vor mir weg, Feigling!“ Toshiya war ebenfalls aus der Bar gestürzt, ohne die Rechnung zu begleichen, aber da er oft hierher kam, würde man es ihm geradeso verzeihen.

Sie rannte wie der Teufel und er verfolgte sie – nein, Aufgeben war nicht das, was er gelernt hatte. Nicht das, was ihm seine Lehrerin damals beigebracht hatte. Wie sie stets zu sagen pflegte: Gebt eurer Bestes – ihr dürft niemals aufgeben. Und das würde er auch nicht – nie.

Trotzdem hängte die Sportlehrerin ihren ehemaligen Schüler erfolgreich ab. Ihr Herz schlug noch immer wie wild – und sie war so froh, dass sie ihn losgeworden war. So etwas konnte sie im Moment wirklich nicht brauchen. Nicht doch diesen verrückten Schüler. Für sie war er noch immer ein kleiner Junge…
 

Der Grund, weshalb der 23-jährige seine Lehrerin aus den Augen verlor, war der Arm, der ihn daran hinderte, ihr weiter hinterher zu rennen. Er war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte ihn nun im Griff. Sein starker Griff, der schon so manchem Mann Angst eingejagt hatte.

„Was zum Teufel läufst du der Frau schon wieder hinterher?! Man nennt das auch stalken! Lass sie endlich in Ruhe! Sie ist glücklich und kann nichts dafür, dass du so bekloppt bist, sie noch immer zu lieben! Du bleibst jetzt hier!“

Sein um drei Jahre älterer Cousin hielt ihn von weiteren Dummheiten ab. Es war jawohl schlimm genug, was damals alles vorgefallen war. Von dieser Frau ging nichts Gutes aus, zumindest nichts, was gut für seinen Cousin gewesen wäre. Seine Eltern und Großeltern hatten diese Beziehung doch ohnehin boykottiert, wo es nur ging. Sie hatten nicht gewinnen können, nur dass die Frau die Einzige gewesen war, die das wirklich einsehen konnte. Er war stur und scheute keine Gefahr, deswegen war er ja auch fast umgebracht worden – von der eigenen Familie.

„Hayato, halt dich da raus, das geht dich überhaupt nichts an! Ich bin nicht deine Schwester, mit mir kannst du das nicht machen!“
 

Sie atmete heftig. Obwohl sie sich in einer Gegend befand, wo sich Frauen alleine nicht hintrauen sollten, war sie nicht so aufgeregt, da dies der Fall war. Sondern das Zusammentreffen mit ihm war der Grund. Er konnte nicht ernsthaft wieder in ihr Leben treten und alles zerstören, was sie sich aufgebaut hatten. Nicht schon wieder.
 

Kurz nach halb eins kehrte sie nach Hause – obwohl sie für gewöhnlich nicht sagte, es sei eines. Denn sie wohnten ja gar nicht dort. Sie waren nur vorübergehend hier eingezogen. Eine kleine Pension, die nun wirklich nicht für ewig reichen würde. Es war jetzt an der Zeit, sich endlich nach einer richtigen Bleibe umzusehen. Er hatte ja unbedingt hierher gewollt – wegen Jamie. Jennifer schlich sich in die Wohnung, da sie dachte, er sei schon lange ins Traumland entschwunden. In der absoluten Dunkelheit rechnete sie nicht damit, dass er sie bereits erwartete, doch dann blitzte das Licht einmal auf und die Lampe traf direkt ihr Augenlicht, weshalb sie zwinkern musste. Dann erblickte sie ihren Mann, mit verschränkten Armen.

„Spinnst du?!“ warf er ihr zu, entsetzt davon, dass sie sich nachts irgendwo rumtrieb.

Larry ließ ihr ja einiges durchgehen, aber genug war genug. Sie überspannte den Bogen – eindeutig. „Du weißt doch, dass ich unbedingt zu Jamie wollte! Wieso kommst du erst jetzt? Ich bin natürlich hiergeblieben, um auf die Kinder aufzupassen! Was zum Teufel denkst du dir dabei?!“

Erschrocken blickte sie ihn an, schuldbewusst und doch ein klein wenig deprimiert. „Tut mir Leid, dass ich nicht da war. Es war etwas Dringendes zu erledigen und…“ Ach, es brachte nichts, es vor ihm zu verbergen, er war Detektiv und würde es ohnehin herausbekommen. „Ich war besorgt um einen meiner Schüler… deswegen.“
 

Sie hatte schon immer eine viel zu enge Bindung zu ihren Schülern gehabt, jedoch nicht nur zu den Jungs – ja ein wenig war er eifersüchtig darauf. Doch das hatte auch Gründe und passierte ihm nicht einfach so. Er war noch nie ein eifersüchtiger Mensch gewesen, aber seit damals fand er ihre Beziehungen zu Schülern nicht gerade amüsant. Eifersucht - sie wusste um diesen Umstand. Ein Seufzen entging ihr, bevor sie frech das Licht ausknipste, um ihn alleine in der Küche sitzen zu lassen. Ein leises Fluchen war von ihm zu hören. Sie war manchmal unmöglich. Ihr Weg führte sie in drei kleinere Zimmer, sie schaute hinein und bemerkte, dass sie friedlich schliefen. Einzig und allein ihre 14-jährige Tochter öffnete die Augen, nachdem ihre Mutter die Tür geöffnet hatte, allerdings sah die 35-jährige es nicht.

Sie wartete ab, bis es still im Haus geworden war und schlich sich dann still und heimlich die Treppe hinab.

Bewaffnet einzig und allein mit einem Handy und einer kleinen Tasche begab sie sich in die dunkle Nacht. Ihre Eltern wären wahrscheinlich ausgeflippt, hätten sie es nur mitbekommen.

Ihr Weg führte sie gerade geradewegs ins Haido-City-Hotel. Sie überraschte dort nicht nur eine Person mit ihrem Auftauchen, sondern gleich mehrere. Eine davon war Jodie, die Cousine ihres Vaters, welche sich gerade im Hotel befand. Da sie nicht alleine war, schockte sie gleich noch ihre Tante Melissa. Beide waren fast gleich alt und zu später Stunde noch wach.

„What the hell are you doing here?!“ Ihre Stimme war lauter geworden und sie zog die 14-jährige entsetzt ins Hotelzimmer, woraufhin sie die Tür viel zu fest zuschmiss, weshalb nebenan ein Mann in seinen Überlegungen gestört wurde und sich vom Bett erhob. Diese Frauen… Nicht einmal nachts ließen sie einem die wohlverdiente Ruhe. Nicht, dass der Schwarzhaarige geschlafen hätte, aber er wollte über bestimmte Dinge sinnieren. Das ging kaum mit den Beiden um sich herum.

Die braunhaarige Schülerin zog einen Schmollmund. „I took a breeze“, war daraufhin keine gute Ausrede für ihr plötzliches Auftauchen.

„Ja, sicher – wir befinden uns auf japanischem Boden, also sprich auch so!“

„Nur nicht ausflippen, weil meine Mutter Japanisch-Lehrerin ist und darauf besteht…“ Dieses Land ödete sie an, sie wollte wieder zurück. Der Job ihres Vaters – es war in ihren Augen nicht mal einer – hatte ihn hierher verschlagen – sie hasste es. Sie alle waren hier, in diesem hinterwälderischen Land. Alles Spießer.

Überrascht blickte die Blondine das Mädchen an. „Willst du damit etwa sagen, du hasst es, hier zu sein?“

Dass Jodie das heute erst bemerkte, war wirklich lachhaft. „Sie haben mich gezwungen, sozusagen wollte ich gar nicht. Und das alles nur wegen Jamie.“ Sie ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken. „Mein Vater konnte ihn nicht alleine gehen lassen… Ich frage mich, wieso denn nicht! Ist er ein Baby, das nicht alleine auf sich aufpassen kann?“ Der Detektiv machte auf sie nicht den Eindruck, ein Kind zu sein, auf das man aufpassen musste.

Jodie dachte darüber nach und schüttelte dann den Kopf, bevor sie ihr über die Haare strich. „Nein, Jamie ist ganz bestimmt in der Lage auf sich selbst aufzupassen, aber es gibt Situationen, da verlassen wir uns auch auf andere, beziehungsweise wir müssen es.“ Auf der anderen Seite wollte Jamie nichts, absolut gar nichts mit dem FBI zu tun haben. Kein Wunder, dass Larry dachte, er müsse auf ihn Acht geben.

„Shut up, Jodie!“ Es war etwas rabiat, ihr den Mund zu verbieten, aber es kam so über die junge, 26-jährige Frau, welche sich nicht nur übergangen fühlte, sondern es auch unangebracht fand, mit ihr über diese Dinge zu sprechen, sie war noch viel zu jung, um überhaupt zu verstehen, was sie damit meinte, auch wenn Jodie wahrscheinlich eher weniger auf die Organisation zu sprechen kommen wollte.

„Was ist denn in dich gefahren, Shizuka-chan?“ Ein wenig beleidigt wirkte die Ältere ja schon, immerhin hatte sie von ihrem Beschützer Shūichi gesprochen.

Gerade passte es nicht hinein, aber über ihr Shizuka-chan war die Angesprochene sehr empört. Es würde nur etwas merkwürdig klingen, wenn sie ihr nun sagte, Shizuka sei tot und sie sei nun Asaki.

„Warum mussten wir dann mit ihm gehen, Jodie-san? Wenn er doch so gut auf sich selbst aufpassen kann?! Warum sind wir dann nicht einfach in Amerika geblieben?!“

„Jamie ist…“, Asaki überlegte noch über die richtigen Worte, wie sie ihr am passendsten erschienen, „…ein Chaot! Larry leitet mit ihm gemeinsam die Detektei! Ich würde sagen, sie ergänzen sich sehr gut. Jeder passt auf jeden auf.“ Die junge Frau kannte Jamie aus der Zeit, in der er noch oft in ein Flugzeug gestiegen war, nur um nach Sêiichî zu sehen. Den konnte man genauso wenig alleine lassen, dann baute der Kerl nur Mist.

„Ja, die Detektei, das war so eine Schnapsidee, typisch Jamie! Obwohl er eine polizeiliche Ausbildung hat, hat er sich geweigert, zum FBI zu kommen. James hat es ihm angeboten, aber er fühlte sich beleidigt!“ Jodie verstand Jamie einfach nicht. Was hatte er bitte an diesem Angebot auszusetzen? War es ihm zu einfach gewesen, oder was sollte die Empörung darüber, dass man ihm etwas quasi in den Schoß legte?

„Als wir am Flughafen ankamen, wurden sie von der Presse belagert! Selbst hier sind sie bekannt, wie ein bunter Hund! Zwei amerikanische Superdetektive auf japanischem Boden! Das war für die Presse wie eine Schlagzeile… und dann ist auch noch dieser bedauerliche Unfall passiert… Kaum zu fassen, dass der Reporter, der sie interviewt hat, dabei zu Tode gekommen ist.“ Die 14-jährige hatte sich das Schauspiel mitangesehen und hatte noch immer ein Trauma davon, obwohl die beiden Männer sie rechtzeitig hatten wegbringen lassen, damit sie das Schlimmste nicht miterlebte.

„Wie grausam, dass du das auch noch hast mitbekommen müssen“, Jodie senkte den Blick und griff sich an die Stirn. Es passierten andauernd solch schreckliche Dinge. Asaki schenkte ihr einen Gesichtsausdruck, bei dem man als Involvierter eigentlich Bescheid wissen müsste, doch sagte sie ihre Worte nicht laut – aus Rücksichtsnahme auf Jennifers Tochter.

‚Es werden doch immer Kinder in diese Sache mit hineingezogen. Verwunderlich, dass sie die Detektivstochter nicht gleich versucht haben, zu sich zu holen.’

Das Mädchen grinste amüsiert. „Ihr braucht euch nicht zu verstellen… Ich weiß, dass diese Verbrecherorganisation existiert. Ich bin also eingeweiht. Kein Grund auf Geheimsprache zurückzugreifen!“

Man konnte sagen, dass sie beide sprachlos waren und zunächst nicht einen Ton zustande bekamen, der auch nur ansatzweise einen gescheiten Satz ergeben hätte. „Oh mein Gott, was? Wie kommst du denn zu dem Wissen?“

Der Blick des Mädchens verfinsterte sich augenblicklich. „Alans Freundin sitzt mitten drin. Ihre Mutter hat uns versucht zu entführen… Das war wenig witzig, kann ich sagen.“ Diese Teufelsfrau war die Grausamkeit schlechthin. Sie und ihr komischer Kerl, der ihr half, wann immer sie es wünschte, der war ihr doch hörig.

„Ich fasse es nicht!“ Jodie war mehr als nur entsetzt, sie schüttelte mehrmals ungläubig den Kopf.

„Wir waren auch wirklich geschockt, als sie uns vor ihrer Mutter gewarnt hat. Dass diese Frau nicht ganz normal war, hatten wir bereits bemerkt… Aber als mir Eisuke davon erzählt hat, wie sie sich im Krankenhaus als Ärztin ausgegeben und ihrer Tochter offenbart hat, ihr Freund sei tot, wussten wir, dass sie zu jedem Mittel greift, um sie möglichst seelisch am Boden zu haben. Es fällt denen leichter, wenn sie ihren Kindern seelische Grausamkeiten antun…“

Asaki gab ein resignierendes Seufzen von sich. „Oh man, und ich war damals schon achtzehn, was hatte ich doch Glück.“ Sie hatte sich abgewandt, um aus dem Fenster zu sehen. Was sie sah, waren dunkle Wolken, die sich am Firmament breitmachten, bereit für den nächsten Anschlag, der es krachen lassen würde. An solchen Tagen passierte normalerweise immer irgendetwas… Etwas, was mit denen zu tun hatte…



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Kommentare zu dieser Fanfic (28)
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Von:  ConanKudo1984
2020-04-12T17:42:19+00:00 12.04.2020 19:42
Hi. Wollte noch mal nachfragen ob du die Geschichte noch beedendest. Liebe grüße ConanKudo
Von:  MayAngel
2017-06-12T12:17:37+00:00 12.06.2017 14:17

73 Charaktere von 2 Leuten xD enorm

Von:  ConanKudo
2015-06-27T22:12:07+00:00 28.06.2015 00:12
Hm leider gehst hier wohl nicht mehr weiter Schade
Von:  ConanKudo
2014-03-24T22:07:55+00:00 24.03.2014 23:07
wollt mal fragen wann hier weitergeht, liebe grüße an dich, tolle story
Von:  Melora
2011-09-09T16:51:39+00:00 09.09.2011 18:51
doch, ich schreib noch dran, aber derweil bin ich gesundheitlich nicht so gut drauf... sry u.u
Von:  ConanKudo
2011-04-20T08:06:41+00:00 20.04.2011 10:06
Hallo du. Sag mal. Schreibst du die geschichte denn auch zu ende oder nicht mehr. Wäre schade,wenn nicht LG ConanKudo
Von: abgemeldet
2010-06-26T11:44:36+00:00 26.06.2010 13:44
Gott ist da viel XD und doch so wenig!

Vermi hat bewiesen dass sie doll im Kopf ist knallt die ihrem Freund echt einige vor'n Latz Oo deprimiert die den nicht genug musste das auch noch sein? Genauso wie Kazuki und Juro die ihre Fresse nicht mal halten können! Yuichi hat Recht wenn er denkt ihn schonen zu müssen hätten die das nur mal auch getan!!!!

Ich dachte übrigens ich werd' nicht mehr als der bekloppte Juu im Krankenhaus auftauchte und auch ncoh meinte er möchte noch mit ihm befreundet sein XD ich glaube dem Dreckskerl kein Wort!! Kurz zuvor hat er noch daran gedacht weshalb er sich mit Mezcal abgibt da kann man dem nicht glauben der ist so hinterhältig wie ein Weib!!!! << Ken kann ihm gerne weiter die Meinung geigen ich habe es genossen!!! Lustig dass er derselben Meinung ist wie sein Freund und Yui alleine dasteht!! Tja die ist betriebsblind weil sie die Schwester ist wer würde das als Schwester von ihrem Bruder glauben?? Traurig ja dass ich nun erstrecht denke dass Juu sie aus dem Weg geräumt hat oder will der noch ein Balg am Hals haben?? Ich glaube auch dass er sie gezwungen hat und wenn er ihr wegen etwas gedroht hat die richtigen Verbindungen hat er ja damit man ihm sowas leicht beibringt >>

Naru mag also Mitsuki nicht sondern Kimi ich weiß immer noch nicht was ich von dem Mädel halten soll!! Ken hat die ja ganz schön hart rangenommen was hat dieses Weib nur alles verbrochen? Ich für meinen Teil glaube, Yui ist nicht böse, die wurde provoziert, klang alles jedenfalls so!! Wenn die konsequent die Freunde ihrer Schwester abgreift...... - -;
Aber gut, dass Asti Juu vor Mezcal warnt XD obwohl nein ich würde ihn lieber als Gearschter sehen &D

Ich hoffe Asti ist nichts Yuis Mutter das wäre richtig schön pfui!! Ich meine baggert die immer an den Kerlen der Tochter rum? oo" Würde aber leider zu gut passen wie Juu so schon merkte sie versucht die immer zu erziehen >>

Tja was soll ich sagen? Riina geht es erstaunlich gut da ist ein Haken!!! Da muss ein Haken sein sonst würde es ihr nicht so gut gehen >> denn es geht ja nun jedem schlecht der einmal ins Krankenhaus kommt >>""

Und was ist mit Kazuha??? *wissen will* ;_;

Und am Ende das geht garnicht wie kannst du nur die arme Noriko zu Jami schicken????????????? Ich weiß die sind gleich alt und befreundet aber musste das nun wieder sein? *lol* das arme Mädchen wird demnächst auch Mitglied bei dem Saftladen was? >> Ihre Mutter soll ihn kastrieren!!!!!!!!!!!!!!!!!!!

So, mehr habe ich nicht oder es fällt mir nicht mehr ein! Bitte lad ihn hoch!!! Bitte bitte bitte! Solange ich freie Internetbahn habe ;_; du weißt ja meine Ellis --" also sei so lieb, ja? ^^

Dein Ryoschweinchen ;)



Von: abgemeldet
2009-12-19T03:37:47+00:00 19.12.2009 04:37
Vor der Konzerthalle parkte ein Auto, welches den Eingang im Auge behielt

findest du den Satz etwa sinnvoll? ein Auto kann nichts im Auge behalten nur die Insassen Oo“

Die halbe Band gehörte zur Schwarzen Organisation <~~~ alter Schwede OO wer denn alles? Juu, Shin?? Noch einer oder ist das dann schon die Hälfte?
In der Regel brachte ein drogenabhängiger Alkoholiker es nicht mehr weit in der Musikindustrie und doch gab es Plattenfirmen, die sich seiner annahmen. <~~ ohoh Oo““
Am Mitleid, das die Plattenfirma ihm gegenüber hatte, lag es nicht, sie benutzten ihn und er bemerkte es nicht mal, er dachte ihnen viel zu verdanken – eine zweite Chance nach seinem Zusammenbruch, den er wegen seines Konsums erlitten hatte. <~~~ passt auf irgendeine Art und Weise ~~“
Katori macht sich ganz schön über diese ach so dummen Menschen lustig >>“
Terus Vertrauen in Juu ist ja niedlich, aber ich denke etwas unangebracht >< das schafft der doch nie er ist und bleibt ein Junkie!!!
Sojuro spielt Juu den Freund vor XDDD er war das ich weiß es ich weiß es ich weiß es, dass er ihn umlegen sollte/wollte XDDD ist so eindeutig
Sicher fragten sich einige, was Hiroya getan hätte, wäre es darum gegangen, Juu wirklich umzubringen, wie viele Menschen wären davon überzeugt, er hätte ihm nicht geholfen? Die Tatsache, dass er Sänger war, musste einige davon denken lassen, dass er so einem nie helfen würde… <~~~ ich denke nicht, dass er ihn sterben lassen würde! Du hast schon oft bewiesen, dass er irgendwo in sich drin sein Herz verbirgt ><

Ach übrigens Katori hat sich zu Hiroyas Schatten entwickelt??

Dass Juu sich vom Schreihals zu einem Sänger entwickelt ist eine Leistung XDDDDDDDD einmal Schreihals immer Schreihals dachte ich XD Was hat die kranke Syrah eigentlich mit ihm gemacht, dass er so Angst vor ihr hat? Wir wissen sie ist gefährlich und furchteinflößend aber was war es? XD

Das mit Merille und Sirius bzw. Chassi und Palo war interessant zu lesen!! Sag’ mal liebt er die Frau kann das sein? Oo seine Gedanken °°;
Und Nebbiolo wird von ihr benutzt ob ich das gut finden soll weiß ich nicht! Wen hat der eigentlich betrogen dass sie ihn nicht mag? XD
Caprino will Mezcal benutzen ist lustig XDD Nebbi kann ihn also erpressen XD tu es verdammt das hat der Scheißer verdient &D

„Gott, ist das ansteckend? Da muss man ja echt Angst bekommen, dass es sich dabei um eine ansteckende Krankheit handelt. Ein Engel, ausgerechnet die, der man nachsagt, sie hätte die Miyanos zum Highway to hell gejagt… Die Frau, die zusammen mit Kalina FBI-Agenten getötet hat. Ob Cognac eine Therapie helfen würde? Das kann doch nicht sein Ernst sein.“ <~~~ geile Stelle übrigens XDDDDDDD ich find das geil wie er das sagt XD Gott, ist das ansteckend? %DDDD;;;

Und Nero interessiert mich was hat diese Merille-Tussi mit dem gemacht dass er sogar vor Cenci Angst hat? OO;;

„Sie hasst auch die von ganz oben! Mérille und Sirius zusammen mit Jami allen voran, danach kommen Alvarello und Hochwohlgeboren. Gefolgt von Asti und Othello. Ich glaube, Vermouth stört sie nicht einmal so sehr, die hat zu wenig zu sagen.“ <~~~ der Name Alvarello sagt mir was aber ich kann ihn gerade keinem Gesicht zuordnen OO Asti möchte ich kennenlernen XD und Othello klingt wie’n Bruder von Alva XD

Nächste Szene °o°; --„ Das kleine Mädchen ist Nami oder? ><“
Das größere Interesse schien der Boss jedoch an dem jungen Mädchen zu haben, sie war süß, unschuldig, liebenswert, ein Sonnenschein…
All das wollte man nun zerstören: Ihr unbeschwertes Leben, ihr reines Herz, ihre Unschuld – alles, was Kinder noch hatten. <~~~ ._____.“ Nein bitte nicht

Währendessen musste Hayato einen kritischen Blick ins Auto werfen, jedoch beruhigte es ihn, dass Kazuha noch immer am selben Ort war. <~~ meine Lieblingspersönchen, aber… nani? Was sagt ihm dass Kazuha noch am selben Ort ist? Spioniert der die aus oder was? oO“ Holla die Waldfee!!!!
Aber weißt du was? Hayato ist manipulativ! Er will Ken ja konzequent Angst einjagen deswegen erzählt er ihm das doch in dieser Weise! Woillte ja mal Psychologe werden! Ich kenne mich da aus es ist gut gemacht XD Kann der gute Ken Jami nicht auch mal die Fresse polieren? >D ich mag es wenn Männer dem Mistvieh das Maul verhauen XDDDD je mehr umso besser! Der rührt auch immer die Frauen der Männer an die müssen ja austicken >>“
Dass er Aoi mal beschützt hat ist süß XD aber muss die Yui all das erzählen? Die brodelt ja ><“ verständlich ist es ja aber das ist wohl genauso Absicht wie Hayatos Märchenstunde!
Hat alles eine abschreckende Wikrung! Aber was macht Kei Tamura bei der Polizei wenn er so ein Schisser ist?
Dass Yui Aoi plötzlich „voll in Ordnung“ findet ist komisch Oo da ist was im Busch und dann auch noch der Vergleich mit Kimiko Oo ich finde die haben nix gemeinsam >>“
Das anschließend Gespräch über Valdrops und Carpanilein ist aber auch interessagt Oo“““ würden sie wohl beide verkuppeln OoO“

Kazukis Auftritt bei Ryo war auch seltsam weiß nicht so genau was ich davon halten soll oO Aber Ryo ist etwas eifersüchtig oder? Du hast aber glaube ich schon mal erzählt dass er gemeinsam mit den Iwamotos in Amerika ein paar Jahre aufwuchs ich erinnere mich dunkel…

Und die anderen im Krankenhaus (ja Daki ist die KH-Stoty oO!) waren auch UFF! Eisuke tickt aus und Ran findet dass alle um sie herum sterben! Wakana fand ich cool sie glaubt nicht an solchen Schepiß XD
Aber wollte Miho sich nun umbringen oder war es doch die Organisation??

Die nächste Szene war auch klasse! Besoffene Kerle und ein ausflippender Juu da war er mir sympathisch :-) auch wenn er gesagt hat er könne das Geflenne nicht ab XD
Er ist momentan wohl auch ziemlich „bei Verstand“ keine Drogen mehr oder wird er rückfällig??
Und Teru den mag ich irgendwie ^^

Boar und dann dieser Schock am Ende mit Kazuha! Von wegen noch am selben Ort Hayato!!! Schläft der jetzt? Der muss das merken ><“ Was passiert da jetzt? Jetzt gibt’s Drama mit Kazujii???? ~~“ Wie kann man nur mal wieder da aufhören?

*meckert wieder rum*

Dein Ryo XD

Von: abgemeldet
2009-11-22T18:44:11+00:00 22.11.2009 19:44
was er vor Augen hatte, war die kleine, süße Aoi, der kein Kerl was zuleide tun konnte, die so unschuldig war, dass man Angst hatte, etwas in ihr zu zerstören, wenn man sich ihr näherte. Das Mädchen hatte sich zum schönen Schwan entwickelt, das Männer kontrollieren, ihnen den Verstand rauben konnte und dabei noch unglaublich schön war. <~~ ich muss schon sagen du machst es mir leicht rauszufinden, dass er wohl auf sie steht XD

„Wir sind sehr enge Freunde, was denkst du denn? Ich kenne ihn, da hat er noch in die Windeln gemacht!“ <~~ an seiner Stelle würde ich DIE KLEINE dafür töten >< peinlich für einen Mann so etwas!!!!

Er würde ihn ermorden wollen, er kannte ihn ja, dabei war sie es gewesen, er hatte – zur Abwechslung mal überhaupt nichts in die Richtung versucht, das hätte er sich bei ihr niemals getraut. <~~~ *lol* ausnahms Weise XD Nie getraut >hört hört< XD

Die ist sowas von frech! Wie kann sie sagen, dass sie an ihrer Verlobung mit ihm was ändern will? Boar!!!!!! Aber irgendwie gefällt mir das XD Die hat einen geilen Charakter! Konflikt Konflikt XD

„Ein Grund mehr, die beiden schnellstmöglich zu trennen. Erspart ihm den Schaden, der verursacht wird, wenn die Organisation die Sache riecht. Du weißt doch, wie das läuft. <~~ _ _; *bibber* Gefahr!!!!

„Wenn du das so sagst, wird mir nur klar, dass ich von Beziehungen keinen blassen Schimmer habe. Und noch weniger von Liebe…“ <~~ ._. Sie tut mir Leid....

„Du solltest dich sehen, Kleine – solange ich auf meine Schwester aufpasse, wird es bei Fantasien bleiben, weil ich ihm sonst seinen Hals rumdrehe, besser ist also, wenn du auf ihn aufpasst, sonst stößt ihm mal was zu!“ <~~~ mir fehlen die Worte der ist ja sowas von fies XD Nur nicht seine Sissi anfassen XD

Jami ist alleine auf der Welt XDDD keiner mag ihm helfen, wenn Ärger droht *lol* Jetzt hat er Angst bekommen XD aber lustig was sie über den kerl weiß das ist ja alles so erstunken und erlogen XD

Dass Miwako Wataru schon wieder schlägt find ich schlimm er will sie doch nur schonen ;_; und dieser Kei Tamura hat den Aersch offen den mag ich ned XD STERBEN!!!!

Solange sie seinen Vater nicht ausfindig machte und sich ihm als Opfer anbot, war alles gut. Das Schlimme an ihnen war jedoch, dass sie beide um seine Schwester herumgeschwirrt waren – er kannte sie, wie gut, dass Miwako nicht wusste, was sie von seiner Schwester gewollt hatten, oder die Sachen, die man ihnen aufgetragen hatte, ihr anzutun. Er wusste, dass sie deswegen bei ihr gelandet waren, auch wenn er keinerlei Beweise hatte. <~~ aber welche beiden Kerle sind es?! Oo

Genau das dachten wohl nun viele von ihm, jetzt hatten sie alle etwas gegen ihn in der Hand. Und es war das, was ihn am meisten verletzen konnte. <~~ Dass einige Bullen im präsidium nun ein Haar in der Suppe gefunden haben um Wataru zu quälen merkt man und Kei allen voran?? >>
Shiratori war da noch erträglich ^^ Dass er Takagi sogar Mut zuspricht.... °.°

Wenn die Eltern die Zukunft ihrer Kinder steuern könnten, wären wir beide heute nicht hier. <~~ der gefällt mir besonders!

„Ich glaube, das ist nicht ganz richtig, Naru“, korrigierte Tatsuji ihre Aussage, wobei er etwas Verabscheuendes in den Augen hatte. „Riina meinte, dass ihr Bruder ganz genau weiß, was ihr Vater mit seiner damaligen Freundin gemacht hat. Dass er genau wusste, dass er sie angefasst haben muss und das auch noch mehrmals. Danach war seine Beziehung ein einziger Trümmerhaufen. Sie war einfach nicht dieselbe… Dennoch war sie bis zuletzt mit ihm zusammen, das muss den alten Takagi gewurmt haben, weshalb er sich entschlossen hat, die Kleine zu erledigen, um Wataru noch tiefer in ein Loch zu stürzen, er hasst ihn so sehr, dass er über Leichen geht, Miwako, er würde es jederzeit wieder tun, wenn er herausfindet, dass sein Sohn glücklich ist. Es ist eins seiner großen Ziele, dass es ihm so schlecht geht, wie irgend möglich.“ <~~ ich hoffe er verliert mehr als seine Fruchtbarkeit, die er ja bereits los ist >>"""""""""

Katori hatte laut Shina nicht zu viel Kontakt zu Hiroya sondern ist immer so scheiße drauf! Na super ich bin geschockt!!! Oo

„Und ich wünschte, er springt von der nächsten Brücke, weil er die Schande, sie getötet zu haben, nicht mehr erträgt!“ <~~~ ich wünschte du hättest uns niemals verraten, dass Hiroya in dem Punkto ehrlich zu ihm gewesen ist......... und Katori ist so eine gemeine Kuh kein Wunder dass die mit Hiroya im Bett war ><" Die Konversation ist echt krass. Katori scheint mir echt eifersüchtig *lol* sie ist so alleine und Yuichi bedauert sie ><"
Achja es wundert mich übrigens nicht, dass Mezzi sein Messer an Kimis Freund gewetzt hat oder es versucht hat zu tun Oo ich glaube ich kann ihn langsam einschätzen >> Mistkröte!!!

„Wieso sollte ich? Ich finde schon etwas, was Jami darauf eingehen lässt.“ Sie war vorsichtig, in dem Fall verlangte sie ja nicht, dass er irgendwen verschonen sollte, sondern dass er auf den Kerl etwas Acht gab, damit der nicht aus der Reihe tanzte. Zwar kam sie damit Hiroya in einigen Plänen in die Quere, aber so ganz realisiert hatte sie das nicht. <~~~ welche Pläne?? OO"

„Keine Sorge, das werde ich nicht“, seine Stimme klang apathisch. Keinen Gedanken hatte er daran verschwendet, sie, die er so unendlich liebte zu verlassen, und wenn es ihn umbringen würde… <~~ ;_; alles wird gut werden ja? ;_; schön!!!! ;_;

Chardonel hat Ärger mit einem Weibchen *lol* Aber wer ist diese rothaarige Frau? Halbeuropäerin Oo"

„Und du gib mir einen Grund und ich befördere dich ins Jenseits, egal wer du bist!“ <~~ ja genau das will ich wissen >>"
‚Du würdest es niemals wagen, mich zu erschießen, Yvette, weil Marcel dich dann hassen würde.’ <~~~ ahjaaa??????? zu wem hat er noch enge Bindungen? XD Spannend!!!!

Er hatte recht schnell Palomino links liegen lassen, was dieser als sehr dumm ansah, aber es schien diesem Killer wichtiger den roten Besen vor seiner Flamme zu retten… Ob das so schlau war? Er war selbst ein Mann… So etwas taten sie nur, wenn sie eine Frau liebten, wieso sonst würde er diesen riesigen Knall riskieren? <~~ich halte es für unklug, aber ich dachte Sirius liebt nur Mérille???? XD

Oh man Juu wurde fast umgebracht das wundert keinen mehr aber dieses Gespräch XD
„Da kann euer Sänger auch gleich ans schwarze Brett pinnen, dass er Drogenabhängig ist. Sojuro Tatsuno ist der schlimmste Journalist weit und breit, nur die Redakteurin ist noch schlimmer“, als er von der Redakteurin sprach, hatte seine Stimme etwas leicht Angewidertes angenommen, aber er wäre nie auf die Idee gekommen seinem Bruder zu verraten, weshalb er diese Frau so wenig mochte.<~~~ XDDDDDDDDDDDDD ach Valdropsel?

Komisch, dass es ausgerechnet jetzt rauskommt, als hätte Mitsuki nur darauf gewartet, ihren Platz einzunehmen <~~~ wie wahr...... genau das dachte ich auch >~>"

Kei reibt sich jetzt die Hände, in der Hoffnung, dass er Hiroya möglichst schnell wieder loswird. <~~ ach was hat der denn gegen Hiroya? *lol*

Alles schlechte, was die Presse über sie schrieb, entstammte Tatsunos Fantasie. <~~ oh klasse na super so was nennt sich dann noch bester Freund --" naja selbsterklärter bester Freund!

Man Sayaka/Aoi macht Yui aber fertig die nimmt sie sich ja regelrecht zur Brust!!! Ist die immer so oder nur bei Ken jetzt? XDDDD

„Allein der Gedanke, dass es so sein könnte, hat dich fast getötet. Und nun leugne es nicht, du hast es selbst zu Miki gesagt. Dass du Kimiko den Hals umdrehen könntest und sie doch besser wieder dahin zurückkehren soll, wo sie hergekommen ist. Dass sie deinetwegen jedes Trostpflaster nehmen kann, aber nicht IHN.“ Dass sie jetzt so tat, als wüsste sie nichts davon, als hätte sie das niemals von ihm gedacht, war ein starkes Stück, sie traute ihm ja sogar zu, dass er mit ihr… <~~ das ist finde ich der Hammer! Hat er? XD

„Wenn ich rauskriege, dass Kimiko deinetwegen tot ist und Ken deswegen traurig ist, lernst du mich kennen, denn zufällig kenne ich ihn schon sehr lange und ich lasse nicht zu, dass jemand ihm wehtut, verstanden?“ <~~ ich hab's geahnt XD

Dass er so oft an sie dachte und wohl ernsthaft annahm, Yui könnte damit zu tun haben. Am schlimmsten war, dass er damit Recht hatte. Sie hatte maßgeblich damit zu tun gehabt, was aber nicht hieß, dass sie das, was geschehen war, wirklich gewollt hatte. Und es war ja nun wirklich nicht so, dass Kimiko als einzige Probleme gehabt hatte, die ihr schlussendlich das Genick gebrochen hatten. Sie hatte das böse Gefühl, dass die es als nächstes nun auf sie abgesehen hatten, wieso sollte dieser Kerl von vorhin sonst von ihr verlangen, irgendeinen Auftrag zu erledigen? War es nicht schlimm genug, dass sie Kimiko angerufen hatte, mitten in der Nacht und sie in eine Falle tappen ließ? Das war mehr, als sie verkraftete. Mehr als er verkraften würde. Mehr als ihre Beziehung verkraften konnte. Er durfte unter keinen Umständen je die Wahrheit erfahren… <~~~ und nun? Nun will ich wissen was passiert ist!!!!! MENNO!!!!!!!
Muss ja grausam und schlimm sein ._.
Es macht Spaß Beziehungen zu ruinieren oder? Man siehe Tatsuji und Yakko....
Seine Auffassung von Liebe war nichts ungedingt Schönes. Wenn man jemanden liebte, gab man sich selbst auf, um für diese Person perfekt zu scheinen – niemand war es – dennoch versuchten es viele immer wieder. Er war wirklich froh, dass sie es nicht versuchte, sie war noch immer sie selbst und ließ sich nichts gefallen, auch von ihm nicht. <~~~ hachja irgendwie stimmt das ._. deswegen mag ich auch keine Sonnenschein-Liebesgeschichten .___.
Hayatos Auffassung von so etwas war eine völlig andere, er fürchtete sich nicht davor, töten zu müssen, um seine Liebsten zu schützen, jedoch wollte er nicht so sehr geliebt werden, dass sie es tun würden… <~~ ;_;


„Deswegen habe ich es vorgezogen, Menschen nicht zu nahe an mich ranzulassen, ich wollte nicht so werden. Wäre ich allerdings in so einer Situation, sie retten zu müssen, würde sicher jemand dran glauben.“ Felsenfest davon überzeugt, wie der 26-jährige war, schüttelte er den Kopf über sich selbst.
„Hoffen wir, dass der Tag nie kommen wird…“ Bestimmt wusste Hayatos Gegenüber nicht, wie sehr er sich das wünschte. Es war sehr wahrscheinlich, dass sie alle mal dazu gezwungen sein würden. Er schloss es jedenfalls nicht aus, dass so etwas passierte. In der heutigen Zeit, in der es diese Organisation gab, musste man mit allem rechnen…

,_, tolles Ende... aber was wird nun passieren? Fühl mich irgendwie nur bedingt schlauer >>"

Mähhhhh~~~~

Ryolein die Meckerziege XD
Von: abgemeldet
2009-08-30T22:33:47+00:00 31.08.2009 00:33
krasso Teilo

ich bin so baff, dass ich erstmal drüber nachdenken muss was ich dazu nun sage!

Erstens mal dieser big Zoff von Vermi und Coggi: OO; so schlimm war es noch nie!! Trennt er sich wirklich? Schafft er das echt? Ich glaube nicht an solche Wunder er ist doch total von ihr eingenommen ._. Dass der Boss sich nicht für ihre Verletzng interessiert hat ist schon ganz schön heftig und Cognac schien es auch kaum zu kratzen: Du wirst es verdient haben *oo*

Wer hat Jami geägert? Wer zum Kuckuck ist das? Der hat ihn ja psychisch ganz schön unter Druck gesetzt!!! Jetzt hat die ihn auch schon an der Backe muss er denn bei jeder Frau versuchen?? So ein Wixxer..... Wie er ihr droht! Und jetzt sag nicht er weiß wer ihr Verlobter ist dann Krieg ich echt Zustände!!!!!
Aber der Typ der interessiert mich die Unterhaltung war geil Oo Jami wurde mit Worten erniedigt!!!!!

Dass Hiroya und Katori jetzt ins Bett gehen ist nicht wirklich die Wahrheit oder? Er wird im letzten Moment NEIN sagen oder? Sie ist Sängerin....das macht er nicht OO""" Niemals........
Es wird imer verstrickter ich weiß nicht mehr was ich noch glauben soll!!!! Erst sickert durch, dass er Ken irgednwie leiden kann und dann steigt der mit Katori ins Bett???????????? *Gehirnwindungen im Arsch sind*

Aber nach dem Zoff dieses "Riina-Tatsuji"-Ding das passte nicht danach das hat mich voll angewidert, dass die so glücklich waren im Gegensatz zu den vielen anderen Leuten, die so viele Probleme haben ._.

Was macht Hyde? Traumatisiert von Vermi? Los sprich!!! Und überhaupt Shiraz wollte ihn vor ihren Augen töten? Ich glaube ich weiß wer sie ist das wollt ich aber garnicht wissen!!! Und wers Raki? Und wer ist ASTI? *Jamis Steckbrief meint* Steht an erster Stelle Oo Weibchen oder Männchen? Sie steht auch nicht bei den Freundinnen sondern bei den Freunden Oo muss ein Mann sein!!!!

By the way war Sonoko ungeheuerlich ich kann verstehen, dass Wakana so ausfallend wurde!! Und Syrah hat Wataru versucht zu verführern ><"

Man der Teil ist heavy ich weiß nichts mehr zu sagen mir fällt nichts mehr ein ggfs. schreibe ich einen weiteren Kommentar wenn mir noch was einfällt XD

Weiter so!!!!

Das Ryo-Schweinchen



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