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Papilio

Buchstabier mir Hoffnung
von

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Ein Blick zurück

Disclaimer: Meine Charaktere, meine Story.
 

Ich hoffe, es gefällt.
 

***
 

Grau und beklemmend reckte sich das Haus in den Himmel. Einige schäbige Rollläden waren halb heruntergelassen und jemand hatte schon wieder einen der verbeulten Briefkästen abgerissen.

Der dekorative Schrottplatz gegenüber wurde längst nicht mehr benutzt. Nachts diente er als beliebter Ort für diverse Übergaben von diversen Dingen und natürlich als Platz für etliche Mutproben.

Einige Kinder aus dem Häuserblock nutzen ihn tagsüber als Lieblingstreffpunkt. Sie spielten und tobten und schrieen und ihr Lachen klang wie ein bittersüßes Versprechen, das Hoffnung spendete, mitten in diesem trostlosen Ghetto. Doch es war nichts als Illusion. Und Ironie. Über 40 Prozent der Menschen, die hier lebten, konnten das Wort "Hoffnung" noch nicht mal mehr richtig buchstabieren.
 

***
 

Ich für meinen Teil hatte dieses Viertel von Anfang an gehasst. Und ich hasste auch heute noch jeden einzelnen Tag, den ich dort hatte verbringen müssen.

Es war nichts als das dreckige Elend. Ich hasste die grauen, trostlosen Betonwände. Ich hasste den Schrottplatz. Ich hasste die verdammten Briefkästen und die ekligen Treppenhäuser, in denen es nach Zigarettenrauch und Katzenpisse stank.

Ich hasste die engen, schäbigen Wohnungen mit den Heizungen, die im Winter ständig ausfielen. Ich hasste die elende Eingangstür, die diesen schrecklichen Kreischton von sich gab, wenn man sie auf und zu machte. Ich hasste den Hausmeister, der nie da war. Ich hasste die Fenster. Ich hasste meinen Vater, der diesem ganzen Mist eines Tages den Rücken zugekehrt hatte. Ohne mich. Ich hasste jeden verdammten Fleck in diesem verdammten Viertel mit seinen verdammten, dreckigen Bewohnern.
 

Es gab nur einen Ort. Einen einzigen Ort, an dem man vergessen konnte. Hätte es ihn nicht gegeben, ich wäre wahrscheinlich genauso geworden wie meine Mutter. Krank. Depressiv. Weinerlich. Unberechenbar. Und Alkoholikerin.

Oder ich hätte es so gemacht wie Eddie Dreifinger aus dem Nachbarhaus. Aber Eddie war schon immer ein komischer Kauz gewesen. Schweigsam, unheimlich, mit glasigem Blick und nervösem Zucken im Gesicht. Irgendwann war er sturzbetrunken aus einem Fenster im 10. Stock gesprungen.

Die Anwohner beschwerten sich noch Tage später über die unschöne Sauerei auf der Straße.
 

Das Dach des Hochhauses, in dem ich mit meiner Mutter lebte, war schmutzig und flach, man musste eine kleine Luke im Treppenhaus aufstoßen, um es zu betreten.

Es war wie jedes Dach in diesem Wohnviertel so grau wie die hässlichen Betonwände. Aber ich liebte es.

Hätte es dieses Dach nicht gegeben, säße ich jetzt in einer Entzugsanstalt und würde mit schmierigen Therapeuten über meine Probleme reden. Oder wäre farbiger Matschfleck auf dem Asphalt geendet, dessen Organe man noch nicht mal mehr auf dem Schwarzmarkt loswerden konnte.

Und das Allerwichtigste: Ohne dieses Dach hätte ich einen besonderen Menschen weniger kennen gelernt.
 

***
 

Wenn ich heute an meine Zeit in dem Ghetto zurückdenke, dann sehe ich keine abgerissenen Briefkästen, keine herumliegenden Bierflaschen und auch kein obszöne Sprüche, lieblos an die Wände geschmiert.

Nein, ich sehe etwas ganz anderes. Ich sehe Farben. Bunte tanzende Lichter.

Ich höre ein Lachen, so hell und rein und doch bitter und herausfordernd zugleich. Ich sehe endlos weiten, blauen Himmel. Braune Augen mit bernsteinfarbenen Sprenkeln. Schmale Schultern, bei denen man denkt, sie würden einfach zerbrechen, sobald man sie berührt. Ich denke an den Duft von Frühling. Und ich sehe ein kleines Brandmal an dem gefährlich schmalen Handgelenk - mit ein bisschen Fantasie erinnert es an zwei tanzende Schmetterlinge.
 

°°°
 

Anmerkung: Dieser Prolog ist nach längerer Zeit des "Nichtschreibens" irgendwann mitten in der Nacht entstanden. Von daher entschuldigt bitte, falls einige Formulierungen ein wenig eckig klingen sollten oder Fehler in der Zeichensetzung auftreten. ^^'
 

Ansonsten gilt natürlich das gleiche Prinzip wie immer: Egal ob Kritik, Lob, Morddrohungen oder Heiratsanträge - ich bin süchtig nach Feedback. |D

Bei Nacht und Nebel

Rein kommst du mit links. Raus noch nicht mal mehr mit rechts.
 

"Achtung! Da kommt einer!"

Vor mir gibt es einen leichten Ruck und ein Ellbogen stößt mir schmerzhaft in die Seite. Josha’s Augen sind groß und rund vor Schreck, als er sich hastig zu mir umdreht.

Irgendwo in der Ferne sehe ich das Licht einer Taschenlampe aufblitzen, Schritte bewegen sich auf uns zu. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich Angst habe, es kann sich jeden Moment überschlagen.

"Los, lass uns abhauen!" Josha packt mich am Arm und zerrt mich vorwärts.

Langsam beginnt mir diese Situation hier ganz und gar nicht mehr zu gefallen. Obwohl ...eigentlich kann ich mich nicht erinnern, dass sie mir überhaupt jemals gefallen hat.

"Spinnst du? Marlo und Raupe sind noch da drinnen", raune ich. "Wir sollten Wache halten! Wir können sie nicht zurücklassen!" Irgendwie gelingt es mir, mich von ihm loszureißen. Josha sieht mich einen Sekunde lang zögernd an, dann schüttelt er den Kopf.

"Nicht unser Problem."

Die Schritte sind mittlerweile ziemlich nah. Verdammt nah.
 

"Hallo? Ist da wer?"
 

Josha zuckt zusammen. Panik steht ihm in fetten Großbuchstaben auf das Gesicht geschrieben, erneut spüre ich ein Zerren an meinem Jackenärmel.

Von Marlo und Raupe weit und breit noch keine Spur.

"Und wenn sie die beiden erwischen?", fragte ich.

"Was kümmert’s uns?"

"Und wenn Marlo uns bei den Bullen verpfeift?"

Josha starrt mich an. Ich starre Josha an.

Noch im selben Moment setzen wir uns in Bewegung. Mit beinahe athletischen Leistungen hieven wir uns über die Mauer und sprinten durch den kleinen Hinterhof. Gerade noch rechtzeitig.

Marlo kommt mit Geächze aus dem einst mit Holzbrettern verbarrikadierten Kellerfenster geklettert und klopft sich den Staub von den Klamotten - ohne sichtbaren Erfolg.

Hinter ihm huscht Raupe hervor. Einige Spinnweben haben sich beim Einstieg in den Keller in seinen Haaren verfangen, doch er macht keine Anstalten, sie zu entfernen. Marlo wirft uns einen missbilligenden Blick zu.

"Was gafft ihr so?", blafft er. Josha schluckt.

"Draußen ist jemand", haucht er. "Dion und ich wollten -"

"Schnauze. Ab über die Mauer!" Selbst in solchen Situationen lässt er gnadenlos den Boss raushängen. Ich weiß nicht, ob ich Marlo deswegen nun bewundern oder fürchten soll.

"Geht nicht." Ich schüttele hastig den Kopf. »Da steht jetzt einer.«

Raupe sagt nichts. Sein Gesicht ist mit einem Mal kreideweiß geworden, die schwarzen Augen zucken nervös.

Und noch im selben Moment stürzt jemand von hinten auf Marlo los. Es ist nur der Bruchteil einer Sekunde, aber auf einmal merke ich, das Josha zu laufen beginnt.

"Dion! RENN!" Marlo drückt mir mitten im Gerangel einen zerknautschten Rucksack in die Hand. Ich fackele nicht lange und presche los. Nicht mehr umdrehen. Nicht mehr stehen bleiben. Nicht mehr denken. Nur noch rennen.

Das hämmernde Geräusch meiner Turnschuhe auf dem Asphalt dröhnt in meinem Kopf, das Blut rauscht mir in den Ohren. Es ist ein Gefühl, das man nicht beschreiben kann. Angst. Panik. Verzweiflung. Aber es macht auch Spaß. Ja, auf eine komische, verrückte Art und Weise macht es auch Spaß.

Bald habe ich Josha aufgeholt. Gemeinsam ziehen wir uns die Mauer hoch, es ist uns egal, ob dort jemand auf uns lauert, wir haben längst aufgehört uns Gedanken zu machen. Bloß weg. Schnell abhauen. Das ist das Einzige, was uns beschäftigt.

Josha gerät nach dem Sprung von der Mauer ins Stolpern, ich renne weiter. Hände packen mich, Taschenlampen flackern. Es sind nicht viele. Höchsten vier Mann. Ich trete, schlage und zerre, ohne zu registrieren, ob ich mein Ziel überhaupt treffe oder nicht. Letztendlich gelingt es mir sogar, mich loszureißen.

Jetzt habe ich wieder eine Chance. Ich meine, nicht das ich jemals eine große gehabt hätte, aber nun ist es ein Leichtes, meine Verfolger in den vielen dunklen Gassen abzuschütteln. Manchmal liebe ich diese Gegend.
 

Millionen Schritte über den Asphalt. Stolpern. Stürzen. Weiterrennen. Rasender Herzschlag. Keine Luft. Und trotzdem keine Pause.

Irgendwann breche ich in einem düsteren Straßenwinkel zusammen. Meine Lunge schmerzt bei jedem verdammten Atemzug. Rauschen in meinen Ohren. Erst jetzt merke ich, dass ich Marlo’s Rucksack verloren habe. Verflucht.

Alles ist schiefgelaufen. Und dabei habe ich doch schon vor ein paar Tagen gesagt, dass ich diesmal nicht mitmache. Wie eine Vorahnung.

"Ich bin draußen, Leute."

Wie einfach wäre es gewesen, das zu sagen. So einfach ...und tödlich zugleich.

Einbruch.

Marlos Gesicht taucht vor mir auf. Er grinst dieses gefährliche, breite Grinsen. Wie immer, wenn er wieder eine Dummheit ausheckt. Ich hasse es.

Dummheit. Verbrechen.

Wann habe ich nur verlernt, diese beiden Dinge auseinander zu halten?
 

"Heute Nacht", prophezeit der imaginäre Marlo verschwörerisch. "Starten wir ein richtig dickes Ding."
 

Schritte nähern sich. Hastig und aufgeregt. Automatisch halte ich den Atem an, kauere mucksmäuschenstill und zusammengerollt wie ein Embryo in der dunklen Ecke. So lange, bis es wieder ruhig ist.

Die Gefahr scheint vorüber. Langsam, ganz langsam setze ich mich auf und lausche. In der dunklen Gasse ist es totenstill. Nur der raue Nachtwind pfeift um die Häuserblöcke. Gerettet ...

Doch da, plötzlich, trifft mich der Schein einer Taschenlampe.

"Dion?" ein schmaler Schatten wirft sich über mich. Schmal und klein. Die Stimme ist nicht mehr als ein schwaches Piepsen.

"Raupe!" Mit einem Mal springe ich auf und stürme auf den Kleinen zu. Raupe’s Gesicht ist kreidebleich. Die Lippen sind zu einem dünnen Strich zusammengekniffen, das pechschwarze Haar vom vielen Rennen ganz zersaust.

"Ist alles okay mit dir?"

Zaghaftes Nicken. Die zwei giftgrünen Haarsträhnen, die wie Fühler aussehen, wippen dabei auf und ab.

"Ist dir jemand gefolgt?"

Kopfschütteln.

Ein Gefühl von Erleichterung macht sich in mir breit. Vielleicht ....nur vielleicht, ist ja diesmal doch noch alles gut gegangen. Vielleicht.

Es kommt mir vor, als würden Raupe und ich eine halbe Ewigkeit einfach nur so da stehen und atmen. Ich versuche, meine Gedanken zu ordnen.

Was ist passiert, nachdem Josha gestolpert ist? Ist er entkommen? Wann habe ich den Rucksack verloren? Wo habe ich ihn verloren? Wird Marlo sauer sein?

Was ist überhaupt mit Marlo? Ist er in Sicherheit? Was ist, wenn ihn der Kerl überwältigt hat? Was, wenn Marlo nicht mehr zurückkommt?

Ich weiß, es ist hinterhältig und alles andere als lobhaft, aber dieser Gedanke gefällt mir. Er gefällt mir sogar immer mehr. So sehr, dass sich der Anflug eines Lächelns auf mein Gesicht stiehlt.

In diesem Moment ist auf einmal alles wieder in Ordnung. Kein Marlo mehr. Keine Einbrüche mehr, keine Diebstähle, Schlägereien und Dummheiten. Die Konsequenzen? Nicht weiter relevant.
 

Auf einmal beginnt Raupe zu wimmern. Er dreht sich erschreckt um und plötzlich ist es so, als würde ich gewaltsam von unsichtbaren Klauen wieder zurück in das dunkle Loch gezogen.

Marlo. Mit schlurfenden Schritten schleppt er sich vorwärts. Blut klebt an seinem rechten Mundwinkel, das eine Augenlid ist dick angeschwollen. Wahrscheinlich ist er dem Schein von Raupe's Taschenlampe gefolgt. Ich könnte mir in den Hintern beißen, nicht vorher daran gedacht zu haben. Marlo schweigt. Raupe und ich halten den Atem an - irgendetwas stimmt nicht.

"Wo ist Josha?", frage ich.

Marlo mustert mich wortlos. Seine Augen sind zu zwei schmalen Schlitzen zusammengezogen, sie suchen nach etwas, können es jedoch nicht finden und ruhen schließlich auf meinen bloßen Händen.

"Und wo ...", knurrt er dann. "ist der RUCKSACK?"

Raupe zuckt augenblicklich zusammen. Ich stehe da wie angewurzelt. Unfähig, mich in irgendeiner Weise von der Stelle zu bewegen.
 

Vielleicht ...nur vielleicht ...
 

Marlo verzieht das Gesicht. Er holt aus. Und schlägt zu.
 

... fängt aber auch gerade erst alles an, richtig schief zu laufen. Und zwar so richtig, richtig schief.
 

***

Konfrontation

Anmerkung: Nein, ich habe die Geschichte hier noch nicht vergessen. Ich habe bloß nicht vor, in absehbarer Zeit daran weiterzuschreiben.

Dieses Kapitel ist vor einigen Monaten entstanden und ich fand es irgendwie schade, es weiter auf meiner Festplatte vor sich hin stauben zu lassen. Ich mag die Geschichte noch immer und nachdem ich sie noch einmal seit langer Zeit wieder durchgelesen habe, sind auch plötzlich all die Ideen zurückgekommen, die ich noch so gerne hatte umsetzen wollen.

und wer weiß, vielleicht wird ja doch noch was draus.
 

Meinungen sowie Verbesserungsvorschläge sind gern gesehen.
 

***
 

Die Küche ist winzig. Auf dem schiefen Plastiktisch türmen sich schmutzige Teller und umgefallene Flaschen.

Der Herd ist vollgestellt, die Spülmaschine funktioniert schon lange nicht mehr. Trübe fällt die Morgensonne durch die ungeputzten Fensterscheiben.

Es riecht nach Alkohol.

Mir ist kalt. Mühsam schleppe ich mich weiter durch den schmalen Flur, vorbei an dem ganzen Gerümpel aus Jacken und Schuhen. Meine linke Schulter schmerzt schrecklich und ich habe das Gefühl, keinen einzigen Schritt mehr laufen zu können.

Wenn ich schlucke schmeckt es immer noch nach Blut.
 

Marlo ist irgendwann einfach abgehauen. Nörgelnd und stampfend. Raupe hat mir beim Aufstehen geholfen. Mir war schrecklich schwindelig und ich war erschöpft und müde. Josha ist nicht mehr aufgetaucht. Der Rucksack war weg.

Als ich aufwachte, lag ich zusammengekauert im Treppenhaus, direkt neben der Wohnungstür.

Auf Raupe ist und bleibt eben Verlass.
 

Plötzlich wird die Schlafzimmertür geöffnet.

Eine Frau tritt heraus. Sie ist klein und beängstigend schlank, der weiße Bademantel fällt beinahe gespenstig an ihren blassen Schultern herab. Sie sieht aus wie eine lebensgroße, kaputte Porzellanpuppe.

"... hallo Ma.", sage ich. Ich hätte wissen müssen, dass ich ihr über den Weg laufe. Ich hätte gar nicht erst nach Hause kommen sollen.

Sie sieht mich an. Die Augen sind ausdruckslos und schimmern glasig.

Dann schiebt sie sich an mir vorbei in die Küche. Ihre Bewegungen sind eckig und langsam.

"Dion ..." Schranktüren knallen. Wahrscheinlich sucht sie nach einer sauberen Tasse. Widerwillig schlurfe ich hinter ihr her.

"... du siehst gar nicht gut aus heute." Wenn sie spricht, dann klingt es wie ein leiser Singsang. Früher hat mir ihre Stimme gefallen. Heute hört es sich an, als wäre sie ständig betrunken.

"Bin die Treppe runtergefallen.", nuschele ich. Im Grunde genommen, ist es ihr ja sowieso egal.

Sie seufzt. "Schon wieder?"

Mittlerweile hat sie eine Tasse gefunden, wankt zur Spüle und dreht den Wasserhahn auf.

"Wieso bist du nicht in der Schule?"

"Heute ist Samstag."

Sie reagiert nicht. Benommen lässt sie sich auf den Stuhl fallen und rührt in der Tasse mit dem Leitungswasser. Ich nehme ihr den Löffel aus der Hand.

"Du hast den Kaffee vergessen."

Für einen Moment sieht es aus, als wolle sie sich lachend an den Kopf fassen. So wie früher. Doch sie seufzt nur und schiebt die Tasse von sich weg.

"Hast du schon gehört?", fragt sie. "Gestern Nacht hat jemand bei den Weingarts eingebrochen. Die Schwester von Dreifinger Eddie hat es mir erzählt, unten bei dem kaputten Zigarettenautomaten."

Der Löffel landet klirrend auf dem Boden. Irgendwie gefällt mir diese Situation nicht. Ganz und gar nicht.

Der Blick meiner Mutter ist traurig.

"Pflaster sind im Bad.", murmelt sie dann und ich krieche unter den Tisch, um den Löffel aufzuheben. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht bloß so tut, als würde sie nichts von meiner plötzlichen Nervosität mitbekommen.

"Hm.", mache ich nur, richte ich mich schnell wieder auf und lege den Löffel auf den Tisch. Die hässliche Uhr in der Küche steht auf halb elf.

Meine Mutter ist schon längst wieder woanders mit ihren Gedanken.

"Vorhin hat dieser Marlo angerufen. Du warst nicht da.", während sie spricht, steht sie auf und geht zur Spüle. Schmutziges Leitungswasser fließt aus der Tasse zurück in den Abguss.

Ich zucke mit den Schultern. Mir tut alles weh.

"Und du musst wirklich nicht zur Schule?", fragt sie dann.

"Nein. Ich hab doch gesagt, es ist Samstag, Mama."

Sie murmelt irgendetwas unverständliches vor sich hin.

Sie ist verrückt, sagen die Leute im Haus. Ich sage, sie ist rettungslos verzweifelt.
 

Schweigend schlurfe ich ins Bad. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie meine Mutter den Kühlschrank aufreißt und eine halbvolle Flasche herausholt.

Es riecht immer noch nach Alkohol.
 

***
 

Hinterhof.

Eine Gruppe Jugendlicher lungert bei den alten Bänken herum. Gelächter. Vor geraumer Zeit hat irgendjemand an der Hofmauer provisorisch einen hässlichen Basketballkorb befestigt. Er hängt schief und wackelt und das Netzt ist aus schäbigen Lumpen geknotet.
 

Marlo, wie immer in der Mitte. Wild gestikulierend und mit einem netten Veilchen im Gesicht. Ich atme einmal tief durch, trete durch die ausgehängte Eingangstür meines Wohnblocks und gehe dann leicht zögerlich auf den Pulk zu. Er macht mich rasend, dieser Kerl. Rasend. Wie er da steht, mit seiner verdammten Secondhand-Lederjacke und dem überheblichen Grinsen im Gesicht. Das schreit ja förmlich nach einem hübschen Fausthieb. Vielleicht auch nach zweien.

Gestern bei Weingarts eingebrochen. Kumpel im Stich gelassen. Sich mit mir geprügelt. Heute wieder Star des Häuserblocks.

Erwähnte ich bereits, wie sehr ich ihn hasse?

Eine Gruppe Mädchen kichert, als ich an ihnen vorbeigehe. Sie tragen viel zu weite Hosen und die meisten von ihnen viel zu kurze Röcke. Die Nylonstrümpfe haben Laufmaschen, die Gesichter trotz Schminke fahl und längst nicht mehr zart und mädchenhaft. Sie rauchen.

Mich erinnern sie ein bisschen an bissige, streunende Katzen, die zu oft ihre Bekanntschaft mit dem Wasser gemacht haben.
 

"Dion!" Eine kleine Gestalt löst sich aus der Menge und läuft auf mich zu. Wieder kichern die Mädchen. Blöde Hühner. Auf dem Boden konkurrieren zertretene Zigarettenstummel mit kaputten Flaschen. Der Inhalt? 200% alkoholischer Herkunft.

Raupe lächelt. Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals wütend gesehen habe.

"Danke noch mal," sage ich und bewundere verlegen die schöne Bodendekoration. "...wegen gestern und so."

Raupe nickt und ich merke, wie sein Blick zu den Mädchen schweift. Marlo grölt.

Ich muss mich zusammenreißen, nicht kopfüber auf ihn loszustürzen und meine Faust seinem Gesicht Guten Tag sagen zu lassen.

Ein paar Jungs mit grellbunten Haaren und Punkerkluft starren zu uns rüber.

"Marlo hat erzählt, dass du den Rucksack versemmelt hast.", erklärt Raupe, jetzt wieder mit Blick zu mir. Eins von den Mädchen lacht auf und stößt ihre Nachbarin grinsend an. Sie ist klein und ihre Haut hat die Farbe von hellem Mokka. Die Haare sind teuflisch rot und mit zwei lustigen Haargummis zu mehreren kleinen Zöpfchen gebunden. Sie trägt bunte Ringelstrumpfhosen.

"Nicht anders zu erwarten", knirsche ich. "Richtig leicht, jedes Mal aufs Neue der Versager der Nation zu sein. Mit Marlo zum Kumpel, jedenfalls",

Raupe versucht ein Lächeln, jedoch wirkt das Resultat leicht gequält. Er beugt sich vor und flüstert: "Kennst du Joshas Schwester?"

Ich schüttele den Kopf. Doch ich ahne, es muss sich wohl um das Mokka-Mädchen handeln. Sie hat die gleichen Augen und den eigenwilligen Stil. Ich glaube, Raupe mag sie. Aber das nur nebenbei. Der Kleine räuspert sich.

"Sie hat erzählt, Josha ist gestern nicht nach Hause gekommen. Und heute auch noch nicht",

Eine zarte Furche gräbt sich in Raupes Stirn.

"Hoffentlich ist ihm nichts -"

"Dreck", wütend balle ich die Fäuste. Ich hätte Josha nicht hängen lassen sollen. Meine Schuld. Rucksack weg. Josha weg. Schwester besorgt. Meine Mutter trinkt schmutziges Leitungswasser. Himmel noch mal, wie beschissen kann ein Leben eigentlich sein?

Beschwichtigend schüttelt Raupe den Kopf.

"Marlo hätte genauso gut -"

"Dieser Mistkerl - !" Unbewusst hebt sich meine Stimme und ich werfe giftige Blicke in Richtung Marlo. Noch hat er mich nicht bemerkt. "Schau ihn dir doch an! Wie der sich sonnt in verdammter Bewunderung und seiner Selbstverliebtheit. Und wofür? Was hat er den gemacht, gestern? He?"

"Lass es einfach ...",

Ein zaghafter Versuch seitens Raupe, mich zurückzuhalten. Doch ich bin gerade viel zu sehr in Rage, als dass ich mich einfach so bremsen lasse. Mittlerweile spüre ich die ersten neugierigen Blicke auf mir.

"Von uns hat doch jeder schon mal was geklaut.", redet Raupe leise auf mich ein. "Das ist keine Seltenheit. Und das gestern ...",

"... war nichts weiter als ein netter kleiner Einbruch, Wochen vorher bis ins Detail und auf kriminelle Art und Weise geplant.", vervollständige ich. "Mensch, Raupe, kapierst du es nicht? Eben im Treppenhaus, da hab ich gehört, der alte Weingart soll dich und Marlo erwischt haben und -",

"Es war zu dunkel, er konnte uns bestimmt nicht erkennen!" Raupe wirkt gehetzt.

"... und dann hat Marlo ihn kurzerhand einfach so mal niedergeschlagen. Klar. Das hat ja jeder von uns schon mal gemacht. Ich mach das ständig, jeden Tag mindestens dreimal, ehrlich."

Raupe kaut auf seiner Unterlippe herum.

"Weißt du eigentlich, wie man so was nennt? Weißt du’s? Einbruch. Körperverletzung. Wir waren immer stolz, nicht zu den Typen zu gehören, die sich hier durch die Gegend " verbrechern" ...! Wir haben es immer irgendwie anders geschafft, wir -,"

Mitten im Satz breche ich ab und schiebe Raupe beiseite. Marlo ist gerade dabei viel zu detailliert und viel zu großkotzig herumzuposaunen, wie er vor ein paar Tagen ein Mädchen namens Jessica abgeschleppt hat.

"Den kauf ich mir,"

Raupes Augen werden groß wie Tischtennisbälle. "Lass es!" zischt er.

Ich gehe nicht weiter darauf ein. In einem Anflug von höchstem Mut und tiefster Idiotie mache ich ein paar Schritte in Richtung Pulk.
 

"Hey!", rufe ich. "Mr. Obermacker!"

Beinahe bin ich erschrocken über die Lautstärke meiner eigenen Stimme. Die Mädchen stellen augenblicklich ihre Gespräche ein und einer der Punks vergisst sogar an seiner Zigarette zu ziehen.

Marlo horcht auf.

Jetzt bin ich mir entgültig sicher, dass nahezu ALLE Augenpaare auf mich gerichtet sind.

Verdammt.

Hab ich mich nicht gerade gefragt, wie beschissen ein Leben eigentlich sein kann?

Knapp ein Dutzend Kerle, Marke: “Wer will Hiebe?“ drehen sich zu mir um. Darf ich vorstellen, Marlos ganz persönliche Gangster-Gilde.
 

Und ich hab noch nicht mal mehr eine Lederjacke.
 

...



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Kommentare zu dieser Fanfic (6)

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Von: abgemeldet
2009-05-31T17:44:14+00:00 31.05.2009 19:44
Huch? *umguck* Was ist hier denn los? Wieso ist es hier so leer?
Ehrlich, nach diesen ersten drei Kapiteln hätte ich eigentlich sehr, sehr, seehr viel mehr Kommentare erwartet. Skurril...

Du hast - ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll - die Zeilen mit Farbe gefüllt. Von der ersten Seite an war ich komplett drin.
Der Prolog ist ein herrliches Über-allem-drüber-schweben, dagegen knallt es mit dem Anfang des ersten Kapitels sofort rein und geht voll los. ... Ok, das klingt wahrscheinlich mehr als unverständlich, aber so ist es halt für mich und ich finde es großartig.
Hier und da waren winzige Rechtschreibfehler, aber im Vergleich zu allen anderen Geschichten hier war es wirklich sehr wenig. Sehr angenehm :)
Die Formulierugen, deine Schreibweise finde ich toll.
Zum Beispiel war der Dialog mit seiner Mutter sehr bewegend. Sehr schön geschrieben. Und auch sonst wirkten die Dialoge auf mich sehr authentisch.

Ansonsten kann ich meinem Vorredner nur zustimmen, es wäre wirklich Verschwendung, wenn du das hier nicht weiter schreiben würdest.

lg Aleonora
Von: abgemeldet
2009-02-02T08:05:16+00:00 02.02.2009 09:05
O.K., also das erste Kapitel war wunderschön. Jetzt versteh ich auch, was du mit Heiratsanträge meintest.- Danach hast du bestimmt enige erhalten. XD
Und danach das zweite, war ein klein wenig, den Leser in unbekanntes Terrain geworfen. Und ein wenig war die Schönheit des ersten Kapitels... weg ist das falsche Wort, aber umgewandelt. Ein bisschen war es zu sehr in der Handlung drin, und das hat den Prolog invertil gemacht. Dennoch hattest du da enige schöne Formulierungen. "Zusammengekauert wie ein Embryo." war genial.
Und das zweite Kapitel war dann endgültig Naganaga. Die Handlung hat endlich Sinn gemacht und war super, und mann hat endlich gemerkt wozu der Prolog gut war. Und die Mutter war super- Bei der mann nicht wusste ob mann lachen oder weinen soll.

P.S.: Hoffentlich schreibst du das irgendwann doch noch mal weiter.- Wäre sonst wirklich zu schade.
Von: abgemeldet
2006-10-05T20:02:26+00:00 05.10.2006 22:02
Tjaa~
habschs also endlich gelesen *g*
Was soll ich sagen? Erst mal: Ich finde es gut! Gefällt mir!
Dann: Die Stimmung ist so gut wie im Prolog, will das nicht noch mal schreiben, auch das mit dem Film, toll!

Besonders süß dein einziger schreibfehler:
...das pechschwarze Haar vom vielen Rennen ganz zersaust.
xD

Ich find nichts schlimes daran das es irgendwo anfängt, auch ich liebe solche geschichten, sind einfach spannender*-*
Bloß ist es noch schwer den sinn zu erkennen, was dieses kapitel genau gebracht hat im zusammenhang mit der story die ich ja schon kenne...
aber ich glaube das kann man erst später erfahren oder?
Die charaktere sind gut beschrieben, obwohl du das gar nicht gemacht hast kann man sie sich super vorstellen!
Die Hauptfigur und seine gedanken liebe ich! Find ich toll! EInerseits negativ und sarkastisch, dann wieder anders~
Weiß auch nicht, mir gefällts und ich freu mich aufs nächste :D!!

Ps: DU machsts spannend, weil man wissen will wer die verdammte person mit dem mal ist und du im ersten kapi die leser so so zu sagen bissl ärgerst xD sehr gut!
Mach schnell weiter!!
Von: abgemeldet
2006-10-05T19:45:19+00:00 05.10.2006 21:45
Meine Meinung kennst du ja schon.
Aber hier, extra von mir für dich noch mal ein paar für mich wichtige Sachen *g*:
Der Prolog vermittelt mir eine unglaublich starke und auch realistische Wirkung.
Du hast es geschafft, in den Augen der Leser (mir jedenfalls) einen Film ablaufen zu lassen, außerdem die Gefühle und Situation des Jungen zu verstehen und mit zu fühlen.
Man ist gespannt auf das erste Kapitel weil man wissen will, WAS diesen Jungen der schlechter von seiner Welt da nicht hätte denken können dazu gebreacht hat, anders zu denken.
Besonders toll und gut gelungen finde ich die kleinen, eigentlich unwichtigen Einzelheiten, wie die sache mit der Katzenpisse oder dem Mann der aus dem Fenster gesprungen ist.
Und das alles in diesem unglaublich kurzen Text oô
Respekt xD!
Ich liebe ihn*_*!
Von: abgemeldet
2006-09-07T17:26:02+00:00 07.09.2006 19:26
Hai!Einfach klasse!Selten das man so etwas tolles zu Gesicht bekommt!Respekt^^

Drohungen?Heiratsantrag?Jep!Also,eine drohung gibts wenn du net weiter schreibst,und wenn das nichts hilft...dann gibts nen Heiratsantrag xDDD Höchststrafe^^

Mach bitte schön weiter so,ja?Die Story hört sich sehr interressant an!!!Zu deinem Schreibstil und deiner Rechtschreibung (etc.) sag ich jetz echt nichts mehr...da bin ich grad viel zu neidisch drauf^^ Ich freue mich auf eine Fortsetzung!

Silberperle
Von: abgemeldet
2006-07-27T16:10:39+00:00 27.07.2006 18:10
Heiratsanträge O.o Drohungen?

also ich bleib bei Heiratsantrag!! *__* gut hasus hinbekommen jut jut jut kriegst gleich ne 1 von mir ^___^
joah da freu ich mich schon gleich aufs erste kapi XDD ich werd dich mit Peitsche und Handschellen zum weiterschreiben zwingen XDDDDDD

^^ aber ne frage O.o heißt schmetterling nicht papillion?
nja egal ich fins einfach super!!
schreib schnell weiter und vergiss nicht.. wir haben noch eine Welt zu vernichten XDDD


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