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Ausgeschnittene Szenen 1. Band: Rate, rate, was ist das Eigene Serie, Ausgeschnittene Szenen, Balance Defenders, Trigger-Warnungen: Depression, Drogenmissbrauch, Gewalt, Missbrauch, Mobbing, Psychische Erkrankung, Suizid, Tod, Trauma, Vergewaltigung

Autor:  Regina_Regenbogen

Als ich davon geträumt habe, einen eigenen Blog zu schreiben, bzw. gaaaaanz am Anfang eine eigene Website zu machen (was noch ist, kann ja noch werden), da habe ich gedacht, es wäre cool, einfach alles, was man bei einem Film als Extra auf die DVD/BluRay packt oder in ein Making-of Buch oder als extra Fanheftchen veröffentlicht, dort zusammenzubringen. Und ich muss sagen, ich mag bei Filmen gerne die ausgeschnittenen Szenen bzw. die alternativen Szenen. Ich finde es immer sehr spannned, was herausgenommen wurde oder welchen anderen Weg die Handlung hätte nehmen können. 

Aus diesem Grund fasse ich mir jetzt doch ein Herz und veröffentliche hier eine Szene bzw. ein ganzes Kapitel, das ich erst für die Veröffentlichung hier auf animexx herausgeschnitten habe. 

Dieses Kapitel mit dem Titel "Rate, rate, was ist das" kam zwischen dem Mittelpunkt des Labyrinths (Kapitel 10 "Im Mittelpunkt des Labyrinths") und den Spiegelsälen (Kapitel 11 "Seelenscherben"). 

 

Warum habe ich das Kapitel eigentlich herausgeschnitten? 

Ich glaube, weil es sehr persönlich ist und beklemmend.

Es drückt in vielerlei Hinsicht all die negativen Gedanken in meinem Herzen aus, die Serena mit mir teilt. Auf der einen Seite dachte ich, dass es extrem kindisch ist bzw. es viele dafür halten könnten, besonders die Teile, die über Tierleid gehen, und auf der anderen Seite, dass es schlussendlich die Stimmung extrem niederdrückt. 

Aber daher gibt es bei diesem Blogeintrag tatsächlich Triggerwarnungen! :D

 

Zur Erinnerung, was an diesem Punkt geschehen war: 

Nachdem die fünf in Begleitung von Secret durch das Labyrinth geirrt waren und vor dessen Fallen flüchten mussten, waren sie im Mittelpunkt des Labyrinths, einem sich drehenden Raum, gelandet, wo sie leuchtende Quader in die dafür vorgesehenen Löcher bugsieren mussten. 

Da ich damals den Schluss von Kapitel 10 "Im Mittelpunkt des Labyrinths" ändern musste, damit es zusammenpasste, beginnt die ausgeschnittene Szene mit dem ursprünglichen Ende von Kapitel 10. 

Viel Spaß! 

 

 

 

 

Ausgeschnittene Szene

 

Zu guter Letzt war nur mehr ein Quader übrig, den Ariane, Vitali und Serena übernahmen. Angespannt fragten sie sich, was sie nachfolgend auslösen würden. Wieder zeigte sich das gleiche Schauspiel wie die neun Mal davor. Dann herrschte beklemmende Stille. Nichts tat sich.

Fragend schauten sie sich um, aber es trat kein außergewöhnliches Ereignis ein.

„Sollte jetzt nicht mal irgendwas passieren?“, fragte Vitali.

Wie um seinen Worten Folge zu leisten, drehte sich der Raum im Uhrzeigersinn. Andere Vorgänge blieben weiterhin aus.

Weitere Momente warteten sie, ohne Erfolg.

„Mir reicht’s!“, rief Vitali und drehte sich zu Secret. „Hey Schwarzenegger, wir rennen jetzt einfach die Wand rechts ein.“

Serena schimpfte: „Das ist doch totaler Schwachsinn!“

Vitali erwiderte entschieden. „Wenn die im Fernsehen das können, können wir das schon lange!“

Secret sah wenig überzeugt aus, rannte aber dennoch gemeinsam mit Vitali auf die Wand zu.

Plötzlich schien sich dort etwas zu tun. Bevor die beiden noch anhalten konnten, hatte die Wand sich in der Mitte geteilt und war auseinandergefahren.

Von der nun unnötig gewordenen Wucht des Anlaufs wurden Vitali und Secret mitgerissen und stürzten auf den Boden des neuen Raums.

„Blöde Idee.“, sagte Secret.

„Wieso? Hat doch geklappt.“, entgegnete Vitali, der sich schon daran gewöhnt hatte, in neuen Räumen als erstes Mal auf dem Boden zu landen. „Vor Angst ist die Wand einfach verschwunden!“

„Super gemacht!“, lobte Vivien, die mit den anderen hinterhergerannt kam. Als der letzte von ihnen den sich aufgetanen Raum betreten hatte, schloss sich die Öffnung wieder und ihre Blicke schweiften durch das unbekannte Territorium.

Den sechsen stockte der Atem.

 

 

Rate, rate, was ist das

 

„Wir alle benutzen einander und nennen es Liebe.“

(Tennesse Williams, US-amerik. Schriftsteller)

 

Der gesamte Raum, die Wände, die Decke, der Boden, alles war tapeziert mit unzähligen Bildern. Grauenhaften Bildern!

Bilder von einer geschändeten, abgestorbenen, ausgebeuteten Natur.

Bilder von aufgeschlitzten, erlegten, gequälten Tieren. Bilder von Tierversuchen. Bilder, die zeigten, wie Nutztieren der Kopf abgeschnitten wird. Die in Angst aufgerissenen Augen. Wie Wildtiere ausgenommen, wie Rinder geschächtet werden. Langsam und erbärmlich ausbluten. Von Tieropfern und Bergen von toten Küken, massakrierten Rindern, niedergemetzelten Hühnern.

Bilder des von Blut tiefrot gefärbten Meeres. Bilder von in einer Blutlache aufeinandergetürmten Fischen, die verzweifelt zappeln. In enge Käfige gequetschte, gefangene, trauernde Geschöpfe. Bei lebendigem Leib ins Feuer oder siedendes Wasser Geworfene, Verstümmelte. Und es ging noch weiter.

Bilder, die Kinderprostitution, Drogenmissbrauch, Mord und Gewalt zeigten.

Bilder von Leichen. Menschen, die durch Krankheiten hinweggerafft wurden. Bilder von abgetriebenen Föten. Leblose Körper, die nie Liebe erfahren hatten. Abgemagerte Tote, um die sich keiner einen Dreck scherte. Geschundene Menschenleiber, die aus Spaß getötet worden waren. Kriegsleichen in Massengräbern.

Bilder von geschlagenen Kindern, von gefolterten Menschen, von einsamen, trauenden, entsetzten, aussätzigen Menschen. Bilder, auf denen drangsaliert, gepeinigt, misshandelt wurde, auf denen Menschen Selbstmord begingen, sich selbst verstümmelten, aus Selbsthass, aus innerer Leere, aus der Leere, die andere in ihrem Innern hinterlassen hatten. Unaussprechliches Leid.

Sobald die Augen auf die grotesken Abbildungen fielen, schienen diese sich unmerklich zu bewegen. Ihre stummen Schreie tönten in den Ohren und wollten nicht mehr abreißen.

Die Augen konnten nicht vor ihnen verschlossen werden. Wie Gespenster tanzten sie auf dem Inneren der Augenlider und quälten den Betrachter, brannten sich unauslöschlich ins Gehirn.

„Oh Gott!“, stieß Ariane atemlos aus. Entsetzt versuchte sie sich abzuwenden, aber die Bilder waren überall und suchten sie heim.

Plötzlich sahen die sechs, wie in der Mitte des Raums ein gelblich leuchtendes Hologramm auftauchte. Drei flimmernde Worte erschienen in dem Licht:

 

Was siehst du?

Darunter stand eine 2 geschrieben.

 

Die sechs traten näher heran.

„Wie, was wir sehen?“, fragte Vitali.

„Die Hölle.“, flüsterte Ariane, mehr zu sich als an die anderen gerichtet.

Zeitgleich wurde aus der 2 eine 1.

„Alter, was?“, rief Vitali

Justin antwortete: „Offenbar hatten wir nur zwei Versuche, um das Rätsel zu lösen.“

„Und die Antwort war falsch.“, fügte Secret hinzu.

„Tut mir leid.“, sagte Ariane beschämt, sie hatte nicht gewusst, dass ihr leiser Ausruf sie alle in Schwierigkeiten bringen würde.

„Dafür kannst du nichts.“, beruhigte Justin sie.

„Aber was will das Ding denn hören?“, schimpfte Vitali.

Secret starrte ernst auf das Hologramm. „Die nächste Antwort müssen wir uns auf jeden Fall gut überlegen. Wer weiß, was sonst passiert.“

Widerwillig schauten sie sich noch einmal um.

Vivien drehte sich zu Justin. „Fällt dir was ein?“

Er schüttelte betrübt den Kopf.

Serena ergriff das Wort. „Das ist doch nicht so schwer.“

Fragend sahen die anderen sie an.

Serenas Gesichtsausdruck war versteinert. „Das ist die Wirklichkeit.“

Schlagartig färbte sich das Hologramm in einen dunkleren Farbton, die Schrift verschwand und wurde ersetzt durch eine andere.

Für einen kurzen Moment starrten die fünf Serena an.

Sie erwiderte die Blicke nicht. Stattdessen war sie bereits auf den neuen Text fixiert, der gerade aufgetaucht war.

Die anderen taten es ihr gleich. Jetzt war nicht die Zeit, sich über Serenas Antwort tiefsinnige Gedanken zu machen.

Vivien las vor: „Diese Empfindung, die mein Blut zum Kochen bringt, die in meinen Adern pocht. Nicht von mir ablässt, meine Sinne benebelt, meine Gedanken nur in eine Richtung lenkt. Dieses Gefühl zwischen Lachen und Schreien, zwischen Wahnsinn und Freude, das mir fast den Verstand raubt und doch klarer mich denken lässt als je zuvor. Das mich trotz allem am Leben hält. Dessen Name mir entfallen.“

„Wir sollen also dieses Gefühl benennen.“, schlussfolgerte Secret.

Vitali nörgelte. „Ist das hier ’ne Gedichtinterpretation, oder was?!“

Dieses Mal wandte Ariane sich erst den anderen zu, um nicht versehentlich wieder eine falsche Antwort zu geben. Sie sah, dass Serenas Blick fest auf das Gedicht gerichtet war. Irgendwie schien sie mit den Gedanken weit fort zu sein.

„Es klingt wie in vielen Liebesliedern, findet ihr nicht?“, erkundigte sie sich bei den anderen, darauf bedacht, nicht unbeabsichtigt einen Mechanismus auszulösen.

Justin nickte.

„Aber …“ Ariane sah zu Serena.

Serena war unsicher. Sollte sie den anderen sagen, was sie vermutete? Sicher hielten sie sie für verrückt. Dieses quälende Gefühl, das sich in ihr eingenistet hatte und das durch die Worte des Gedichts angeregt worden war… Vielleicht hatte Ariane mit ihrer Idee ja doch Recht.

Vivien schüttelte den Kopf.

„Was ist?“, fragte Justin.

„Ich weiß nicht, was es ist, aber es ist nicht das, was wir denken.“, antwortete sie. „Es klingt eher wie…“ Sie unterbrach sich. „Ihr wisst schon, wenn man wütend ist.“

Serena schwieg.

„Aber dann kann man doch nicht klarer denken.“, wandte Ariane ein.

Vivien lachte. „Wenn man verliebt ist auch nicht.“

Ariane schwieg, denn sie hatte keine Ahnung, wie sich Verliebtheit anfühlte. Sie kannte nur die zahlreichen Beschreibungen.

„Wollen wir jetzt irgendwas sagen oder nicht?“, maulte Vitali.

Justin wandte sich an die anderen. „Vielleicht ist es doch, was Ariane zuerst vorgeschlagen hat. Serena?“

Serena zuckte mit den Schultern.

„Sicher?“, fragte Ariane.

Keiner antwortete.

„Das klingt eher, als wäre jemand total besessen.“, meinte Vitali.

Schüchtern gab Justin von sich: „Naja, man ist auch …“ Er errötete und wagte nicht in Viviens Richtung zu sehen.

„Wir sind hier inmitten von Horrorbildern und ihr denkt ernsthaft, dass das die Antwort ist?“, rief Vitali.

Plötzlich veränderte sich etwas an dem Hologramm, es begann rot zu blinken und ein Countdown lief von 10 rückwärts.

Vitali stieß einen Fluch aus.

Der Raum fing an, heftig zu beben. Dann rieselte Staub von der Decke, ehe im nächsten Moment ganze Betonblöcke herabfielen.

Vitali sah die anderen drängend an. „Schnell!“

Wie vom Donner gerührt brüllte Serena nun aus Leibeskräften: „Hass!“

Stille.

Der Einsturz war abgebremst worden. Das Hologramm verschwand.

Die sechs schnappten nach Luft.

Vitali schrie sie an. „Wenn du es wusstest, hättest du es auch gleich sagen können!“

Serena wich seinem Blick aus.

„Woher wusstest du…“, hob Ariane verunsichert an.

Serena antwortete kurz und distanziert. „Wahrscheinlich hast du noch nie jemanden richtig gehasst.“ Sie spuckte das Wort auf eine Weise aus, die einen unwillkürlich an die Stimmen der Schatthen erinnerte.

Ehe einer von ihnen auf den Kommentar eingehen konnte, zeigte sich eine neuerliche Veränderung an der Umgebung.

Aus dem Boden einige Schritte vor ihnen zischten an einer Stelle helle, ausgefranste Lichtfetzen. Weiße Funken stoben auf, ähnlich denen bei einer Wunderkerze.

In rasender Geschwindigkeit zog das Lichtband einen großen Kreis. Als Anfang und Ende der Linie sich fanden, färbte sich das Innere des Kreises weiß, das Licht aus dem Kreisrand erlosch. Dann tauchten gleichzeitig sechs große Punkte innerhalb des Kreises auf. Sie erschienen von der Mitte ausgehend, bis sie vollständig sichtbar waren, als seien sie mit einem Spezialeffekt aus einer Powerpoint-Präsentation eingeblendet worden. Anschließend entstanden Verbindungslinien zwischen den einzelnen Punkten und zeichneten zwei sich schneidende, gleichseitige Dreiecke auf den Boden, die gemeinsam einen sechszackigen Stern bildeten – ein Hexagramm.

 

„Was soll das jetzt?“, fragte Vitali ungläubig.

Die sechs betrachteten die Bodenverzierung, die es ihnen endlich ermöglichte, ihre Augen auf etwas anderes als auf grauenhafte Horrorbilder zu richten.

Secret stellte fest: „Die Punkte in den Ecken sind jeweils groß genug für einen.“

Vitali hakte nach: „Also sollen wir uns da reinstellen?“

„Das gefällt mir nicht.“, sagte Justin. „Wir sollten zusammenbleiben.“

„Es wird schon nicht so lange dauern.“, meinte Vivien zuversichtlich und lächelte Justin ermutigend an.

„Uns bleibt ohnehin keine Wahl.“, entgegnete Secret knapp.

Ariane sah bekümmert aus. „Langsam wirkt es so, als würden wir hier ewig von einem kranken Spiel ins nächste stolpern.“

Vivien scherzte. „Vielleicht gibt es irgendwann ein Rollenspiel mit uns!“

Secret blieb ernst. „Wollen wir nur hoffen, dass das die letzte Etappe ist.“

„Ich hoffe viel eher, dass wir das überleben.“, meinte Serena.

Etwas widerwillig begab sich jeder von ihnen auf einen der Punkte.

Serena nahm den Platz zwischen Justin und Secret ein, gegenüber Vitali, der links von Ariane und rechts von Vivien umgeben war. Kurze Zeit standen die sechs schweigend da, ohne dass etwas geschah.

„Alter, wieso macht es nie sofort etwas?“, rief Vitali.

Im selben Atemzug schoss etwas aus der Begrenzung ihrer Kreise hervor und schloss jeden der sechs ringsum ein.

Noch ehe ihre Augen dem Schauspiel überhaupt hatten folgen können, sahen sie sich jeweils in einem durchsichtigen Zylinder gefangen.

Ein paar von ihnen hämmerten sogleich auf ihr Gefängnis ein und schrien nach einander, aber das panzerglasähnliche Material verschluckte jeden Ton.

Von jetzt auf nachher erlosch sämtliches Licht im Raum und tauchte ihre Umgebung in Finsternis. Nur das Innere ihrer sechs Zylinder war in einen blassen petrolfarbenen Schein gehüllt und hob sich aus der undurchdringlichen Schwärze ab.

 

Noch einmal schlug Justin auf die Scheibe ein. Nutzlos.

Er gab es auf. Entsetzt starrte er auf die anderen, deren Angst und Verzweiflung deutlich auf ihren Gesichtern geschrieben standen.

Er musste ihnen doch helfen!

Auf einmal bildete sich auf der Zylinderoberfläche vor ihm ein virtuelles Fenster ab. Einzelne Buchstaben wurden von links nach rechts in schnellem Tempo eingeblendet und fanden sich zu einer Frage zusammen. Darunter setzte sogleich ein bei zehn beginnender Countdown ein.

Die anderen fünf sahen Augenblicke später, wie in der Mitte des Hexagramms ein Licht aus dem Boden floss. Die Fläche wirkte wie ein mehrdimensionaler Fernseher, bei dem jeder der sechs einen guten Blick auf das Bild werfen konnte. Verschiedene Bilder flimmerten auf. Fotos, kurze bewegte Sequenzen, Schlagzeilen von Kindsmord, Kindesmissbrauch, von dem Hungertod überlassenen und geschlagenen, einsamen, weinenden, im Stich gelassenen Kindern.

Entsetzen schnürte ihnen die Kehle zu. Manche von ihnen mussten sich abwenden, weil sie den Anblick nicht länger ertrugen.

Dann verschwanden die Bilder wieder, als wären sie von einem schwarzen Loch eingesogen worden.

Und mit ihnen erlosch das Licht von Justins Zylinder.

Die aufgeschreckten Schreie der fünf kamen nie bei ihm an.

 

Arianes zitternde Hände ruhten auf der Glasfläche. Ihre Augen waren ausdruckslos auf Justins Zylinder gerichtet, oder besser gesagt auf den Ort, an dem er eben noch gestanden hatte. Wer wusste schon, ob er nicht von der Schwärze verschluckt oder in den Boden aufgesaugt worden war.

Was war das nur für ein krankes Psychospielchen?

Ein schluchzendes Atemgeräusch erfüllte Arianes Zylinder und Tränen schossen ihr in die Augen.

Es sollte endlich aufhören!

Die Zylinderoberfläche vor ihr veränderte sich.

Sekunden darauf erschien die Bildfläche in der Mitte des Hexagramms erneut. Dieses Mal waren es Bilder von streitenden Paaren, die in Gewalt ausarteten. Eine Ehestatistik. Liebloses Nebenherleben. Treulosigkeit. Vergewaltigung in der Ehe. Schlagende, brutale Partner, die auf ihr Gegenüber eindroschen.

Arianes Zylinder wurde schwarz.

 

„Neeeeiiin!!!!!“ Vitali schlug erneut auf das Fenster vor sich ein. „Neeeiin!“ Bebend vor Verbitterung und Entsetzen lehnte er seine Stirn und beide Fäuste gegen die Scheibe. Seine innere Pein suchte einen Weg an die Oberfläche und ein unwillkürliches Wimmern stahl sich von seinen Lippen.

Es hörte ja eh keiner.

Mit fest zusammengebissenen Zähnen starrte er anschließend auf die anderen drei, die übrig geblieben waren. Er sah, dass Serena mit leerem Ausdruck erstarrt war, als habe sie noch gar nicht richtig registriert, was hier eigentlich geschah.

Diese dumme Kuh! Und Secret dieser Idiot! Sein Gesichtsausdruck war der gleiche unnahbare wie immer. So als würde ihn das alles überhaupt nichts angehen!

Verflucht!

Vitali wurde von einer Mischung aus Wut und Verzweiflung gepackt. Er wollte auf etwas einschlagen, irgendwie seinen Zorn freilassen. Denjenigen umbringen, der ihnen das antat!

Dann fiel sein Blick auf Vivien.

Als Justins Zylinder verschwunden war, war sie hysterisch in sich zusammengebrochen. Nichts von dem immerfröhlichen Mädchen war übrig geblieben. Sie war ein Häufchen Elend gewesen, gefangen in der Einsamkeit des engen Zylinders.

Vitali wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, sich überhaupt wieder aufzurichten. Ihr nunmehr seltsam fester Blick war auf ihn gerichtet.

Es blieb Vitali nicht die Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, was dieser Blick bedeutete. Etwas anderes zog seine Aufmerksamkeit auf sich.

Nachdem ein neuer Film zu den Themengebieten Freundesverrat, Ausnutzung und schmerzhafte Enttäuschung vorübergezogen war, verschwand auch Vitali in der Finsternis.

 

Vivien hörte ihren eigenen Atem und zwang sich, beherrscht zu bleiben. Sie musste klar denken. Das alles war immer noch ein Spiel. Bei den anderen drei hatte sie gesehen, wie ihre Augen sich auf etwas auf der Zylinderoberfläche konzentriert hatten, auch wenn man von außen nicht erkennen hatte können, was genau es war. Kurz darauf waren dann jedes Mal die Filme abgespielt worden und Justin, Ariane und nun auch Vitali waren verschwunden.

Ganz ruhig. Sie mussten nur gewinnen, das war alles, dann wären die anderen gerettet.

Jäher Zweifel überfiel Vivien. Übelkeit stieg in ihr auf.

Es waren jedes Mal verschiedene Filme gewesen! Was, wenn es auch verschiedene Fragen waren?

Was, wenn es dieses Mal nicht um das Gewinnen der Gruppe ging, sondern jeder für sich um sein Leben spielte? Dann waren die anderen verloren!

Nein! Vivien versuchte, den Gedanken zu verdrängen. Diese Horrorszenarien brachten sie nicht weiter. Vielleicht ging es ja darum, dass man so viele Punkte wie möglich sammelte. Drei von sechs waren ausgeschieden, das hieß, dass sie nicht mehr gewinnen konnten. Aber sie konnten unentschieden spielen!

Vivien konzentrierte sich auf die Scheibe vor sich und wartete fest entschlossen auf ihre Frage. Und die Frage kam.

 

Serena glitt auf den Boden des Zylinders. Dann sah sie Viviens fröhliches Gesicht ihr siegessicher zulächeln. War es jetzt vorbei? Für immer?

Serena starrte auf die Schwärze von der sie eingehüllt war. Das Bild vor ihr verschwamm für einen Moment. Sie war das letzte zurückgebliebene Licht.

Viviens Lächeln war nichts als ein Hirngespinst. Auch Vivien und Secret hatten sie hier in der Finsternis zurückgelassen.

Die Bilder von Geschwisterhass und erbitterten Kämpfen bis zu Geschwistermord, von Selbstverstümmelung, Selbsthass und Selbstmord, die Serena eben zu Gesicht bekommen hatte, zogen noch einmal an ihrem geistigen Auge vorbei. Alles schien so unwirklich. Es konnte nicht echt sein. Nicht echt.

Jäh war Serena einer Panikattacke nah. Sie wollte schreien und kreischen, sich einem hysterischen Anfall hingeben, aber sie blieb am Boden kauern, still und apathisch.

Ein leises, schrilles Geräusch begleitete ihr Einatmen. Wie eine Geisteskranke schüttelte Serena den Kopf und wollte nur noch, dass es vorbei war. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Maske des Leids, aber es drang kein Geräusch aus ihrem Mund, keine Tränen linderten ihre Qual.

Sie hatte solche brennende Sehnsucht nach den anderen fünf, dass es sie fast zerriss.

In diesem Moment erschien auch vor ihr die Frage, die keiner der anderen hatte richtig beantworten können.

Der Countdown lief.

10

09

08

Schnellstmöglich befreite sich Serenas Geist von ihrem Wahn und bemühte sich, ihre Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken.

07

Mit einem Mal ergab alles einen Sinn. Die Filme. Das Erlöschen der Zylinder.

Die anderen hatten die gleiche Frage gestellt bekommen und jede der Antworten war durch einen Film widerlegt worden. 

Liebe zwischen Eltern und Kindern

Die Liebe zwischen Partnern

Liebe zu Freunden

Geschwisterliebe

Liebe zu sich selbst

Alles war falsch.

06

Die Frage brannte sich in Serenas Gehirn.

Wo ist die Liebe?

05

Serena wurde panisch. Suchte hektisch nach möglichen Antworten. Fand keine. Entdeckte die eine. Die einzige.

04

Die Antwort, die so nahe lag, dass es ihr unbändige Qualen bereitete, wollte nicht über ihre Lippen kommen.

Nein…

03

Es war doch so leicht! So schrecklich leicht! Sie brauchte es doch nur noch zu sagen! Aber etwas… etwas ganz tief in ihr weigerte sich so heftig, so vehement, leidenschaftlich und verzweifelt, die letzten Worte auszusprechen, dass es ihr die Luft abschnürte. Ihre Stimmbänder widersetzten sich ihren Befehlen. Ein grauenhaftes Stechen in der Brust wollte sie zurückhalten. Doch Serena verschloss sich vor der inneren Stimme, die sie lautstark warnen wollte:

An diesem Ort gab es keine leeren Worte, keine unverbindlichen Aussagen!

02

Brutal riss sich Serena von allem los. Sie zerfetzte die unsichtbaren Stränge, die sie zu beschützen suchten. Dann schrie sie, schrill, hysterisch,… tödlich.

„ES GIBT KEINE LIEBE!!!!!“

Die Worte drangen mit einer immensen Intensität durch das schalldichte Glas. Sie hallten wie ein ewiges, qualvolles Echo und besiegelten Serenas unauslöschliche Entscheidung.

Und während Serenas Zylinder erleuchtet blieb, erlosch etwas anderes, weit Wichtigeres in ihrem Herzen.

 

Von der Finsternis in eiserne Fesseln gelegt und jeglicher Sicht beraubt, stand Secret da, unbewegt, unwissend, nüchtern. Er wusste nicht, ob sich etwas an seiner Umgebung verändert hatte, ob er sich noch in dem Zylinder befand oder an einem vollkommen anderen Ort. Er war allein. Allein mit seinen Gedanken und Befürchtungen. Jede Sekunde konnte seine letzte sein. Wahrscheinlich lauerte sein baldiger Tod bereits in der undurchdringlichen Schwärze. Doch nicht einmal dieser Gedanke konnte seinem Inneren jegliches Gefühl entlocken. In eisige Gefühlskälte gehüllt, wartete er. War gespenstisch gleichgültig gegenüber allem.

Dann kam der Schrei.

Die Worte berührten Secret nicht. Nichts hatte ihn berühren können, seit er in diesem Reich erwacht war, und somit soweit er sich erinnern konnte. Dennoch wusste er genau, welches Leid die Person verspürte, deren Stimme kaum noch zu erkennen gewesen war – verzerrt von innerer Zerrissenheit.

Er wusste es einfach, wusste wie Serena sich fühlte. Ohne Grund. Und er spürte es und spürte es nicht. Nicht mit seinem Herzen. Es war ein fremder Teil in ihm, der auf den Schmerz des Mädchens reagierte, als kenne er ihn selbst nur zu gut. Ein Teil, der von Secret abgetrennt war und doch untrennbar mit ihm verbunden.

Plötzlich verschwand die Dunkelheit.

 

Die Schwärze spie die fünf fehlenden zylinderförmigen Glasgefängnisse wieder aus. Sie waren alle wieder da. Justin, Ariane, Vitali, Vivien und Secret. Keiner fehlte. Noch einmal wurde ihnen kurzzeitig die Sicht geraubt, als das gesamte Hexagramm hell aufleuchtete. Die Linien, die runde Fläche, auf die der Davidsstern gezeichnet war, und dann das gesamte Gebiet wurden in gleißendes Licht gehüllt.

Als der blendende Effekt nachgelassen hatte, schwebte der sechszackige Stern, auf dem sie standen, in einer unbestimmten weißen Weite. Ohne Oben und Unten, ohne Rechts und Links. Die grausigen Bilder waren verschwunden.

Von den Ereignissen überwältigt, starrten sie einander an. Die unverhoffte Rettung erschien ihnen im ersten Moment wie ein reiner Wunschgedanke, ein letzter verzweifelter Versuch ihres Gehirns, das bittere Ende durch eine Wahnvorstellung ein wenig zu versüßen.

 Wieder beieinander zu sein, unversehrt, ohne Verluste, war einfach zu perfekt, um es nach all dem Schrecken sofort als Wahrheit zu akzeptieren.

Ohne Verluste …

Serenas Ruf, der bis in die Finsternis zu ihnen vorgedrungen war, kam ihnen wieder in den Sinn. Das blanke Grauen war über sie gekommen, als sie die schrillen Worte vernommen hatten. Wie der Schrei einer Todesfee hatte es sich angehört, schlimmer als das Geräusch von Fingernägeln, die über eine Schiefertafel kratzten, schmerzhaft und unmenschlich.

Mit dieser Seelenqual sollte Serena sie gerettet haben? Zu welchem Preis.

Sie sahen Serena auf dem Boden ihres Zylinders kauern, den Blick gesenkt, so als habe sie noch gar nicht registriert, dass sie alle wieder da waren, oder als sei das nicht länger wichtig.

Ein eisiger Schauer lief ihnen über den Rücken. Sie schüttelten das grausige Gefühl ab. Sicher war sie nur genauso erschöpft und mit den Nerven am Ende wie jeder von ihnen. Im gleichen Moment wussten sie, dass es das nicht war.

Doch ehe ihr Absturz aus dem Freudenhoch über ihre jähe Wiedervereinigung in beißendes Elend richtig in Fahrt kommen konnte, wurden auch ihre Körper in eine namenlose Tiefe gerissen.

Ohne Vorwarnung löste sich der Boden unter ihren Füßen auf und überließ die sechs einem abermaligen Fall.

 

Ende des Kapitels

 

Ab diesem Punkt ging es dann in Kapitel 11 weiter. 

 

 

 

 

 

Ich finde das Kapitel trotz allem sehr gelungen, weshalb ich es mit euch teilen wollte. 

In dieser vormaligen Version gab es bereits klare Anzeichen für Serenas völliges Ausrasten in den Spiegelsälen, weil sie quasi schon an diesem Punkt diesen Weg eingeschlagen hat.  

 

Einzelne Infos sind durch das Ausschneiden leider verloren gegangen, wie

  • dass Vivien, wenn es um Justin geht, ziemlich heftig reagieren kann,
  • dass Ariane keine Ahnung hat, wie sich Verliebtsein anfühlt,
  • dass Secret nichts fühlen kann, aber etwas in ihm mit Serena in Resonanz geht
  • die deutlichen Zeichen von Serenas Finsternis

Daher bin ich froh, das mit euch auf diese Weise teilen zu können. :D

 

Ich würde mich freuen, von euch zu erfahren, was ihr darüber denkt. ^^

 

Alles Liebe! 

Eure Regina

 

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Datum: 26.09.2021 21:50
Oooooooooh, so Making-Offs und natürlich auch insbesondere Out-Takes liebe ich auch immer bei den Filmen!!!!! *o* Wie coooool!!!!!
Wobei mir die Trigger-Warnung doch etwas Angst macht. XD Ich glaube, an dieser Stelle wäre ein Live-Ticker nicht nur unangebracht, sondern auch schwer umsetzbar. Daher mal schauen. °o°

Urgs okay, einen Live-Ticker Punkt habe ich doch: Das ist echt eklig. Nun verstehe ich zumindest die Trigger-Warnung. °___°

Ich finde es auf jeden Fall cool, dass das eigentlich Serenas Spiel ist. Andererseits kann ich aber auch verstehen, dass du es rausgenommen hast – finde ich ehrlich gesagt auch nicht so schlecht, weil Serena dann anfangs noch undurchschaubarer ist.
Aber was ich eigentlich kommentieren wollte: Vivien scherzte. „Vielleicht gibt es irgendwann ein Rollenspiel mit uns!“
Ich feier es, dass das eigentlich ein absolutes Easteregg ist!!!!! Eben weil sie später genau das machen!!!!!!! (So mehr oder weniger X’D)

Uff, aber trotzdem war das Kapitel echt heftig. ^^“ Wie gesagt, auf alle Fälle kann ich verstehen, warum du es rausgenommen hast, eben weil Serenas Finsternis dadurch länger verborgen bleiben kann, was ihren Ausbruch in den Spiegelsälen entsprechend auch viel intensiver macht, weil er deutlich unerwarteter kommt als wenn man schon mehr Hintergrundwissen hätte.
Außerdem verrät es auch echt viel über Grauen-Eminenz, dass er eben auch so eine schlechte Weltsicht hat und diese Überzeugung „Es gibt keine Liebe“ vertritt. Zuvor hat er ja wirklich einfach nur (wörtlich) mit dem Trupp gespielt, wenn ich es noch richtig in Erinnerung habe. XD
Also ja, in Punkto „Durchschaubarkeit“ finde ich es passend – und auch, weil eben richtig viele düstere Themen gleichzeitig aufgegriffen worden sind, sodass mir am Anfang auch ein bisschen schlecht geworden ist bei der Vorstellung. ^^“

Andererseits ist das Kapitel auch echt eindrücklich! Und halt auch zu sehen, was für eine Macht er dadurch auf Serena hatte ausüben können, dass es wirklich nur noch diesen einen „Schubser“ gebraucht hat. XoX
Und ja, gerade die Information wie „krass“ Vivien auf Justin reagiert -eben auch im negativen Sinne- fehlt dadurch leider wirklich. Vielleicht würde ansonsten vieles klarer sein… ^^“ Aber du weißt ja: Für mich ist es eindeutig genug, schließlich reden wir hier von Trunite! <3 <3 <3 <3



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