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Überbrückungstätigkeiten eines Shounen-Manga-Helden DManga, Protagonist, Storytelling, Workshop

Autor:  roterKater

Der letzte Workshop ist schon eine Weile her. Jetzt gibt's wieder ein paar neue Tipps zum Erzählen mit Manga!

Heute soll es um die visuelle Aufbereitung von Dialogszenen gehen. An diesem Punkt sind Autoren wie Zeichner gleichermaßen gefragt. Spannende, witzige, unterhaltsame und pointierte Dialoge zu schreiben, ist ja schon eine Schwierigkeit in sich. Doch selbst wenn einem dies im Skript gelingt, ergibt sich daraus noch keine gute Dialogszene.

Dialoge müssen nicht nur geschrieben, sondern auch inszeniert werden. Inszenieren, das heißt "in Szene setzen". Also, im Falle von Manga, in Panels betten. Dies auf eine interessante Art zu tun, ist nämlich deutlich komplizierter, als man vermuten würde. Was hat man denn in einer Dialogszene? Zwei (oder mehr) Personen, die miteinander reden. Sonst nichts. Und redende Personen sind alles andere als spannend anzusehen, besonders wenn sie gezeichnet sind. Wo uns im Film oder Theater ein guter Schauspieler allein durch Sprachrhythmus, Intonation und Stimmlage begeistern kann, bleibt der gezeichneten Figur nur der nackte Text. Ausdruckskraft und Dynamik eurer Dialogszene muss also auf anderen Ebenen gewonnen werden. Und hier kommt die Inszenierung ins Spiel.

 

Im Wesentlichen gibt es hierbei vier Bereiche, die beachtet werden sollten:

 

1. Einbettung in eine Handlung

 

Schreibt nach Möglichkeit keine Szenen, in denen nur geredet wird, sondern bindet Dialoge in Handlungen, Bewegungen und Actionszenen ein. Die faktische Bewegung der Figuren und der Handlung verbindet sich so mit den Dialogen und überträgt ihr Bewegungsmomentum auf sie, kann sogar mit ihnen kontrastieren und so Spannung erzeugen. Das ist nicht immer möglich, aber versucht,wenigstens eine interessante Situation oder Umgebung für einen Dialog zu finden, oder irgendwo eine Bewegung in die Szene einzubauen. Zum Beispiel können Figuren einfach irgendwo entlanggehen (zur Schule etc.), während sie sich unterhalten.

 

Beispiele:

- Ein Kriminalfall wird diskutiert, während die beteiligten Ermittler gerade zu einem Tatort rasen.

- Ein Liebesgeständnis, währned die beteiligten Figuren in einem Riesenrad/Karussel sitzen.

- Die Figuren bereiten ihre Waffen vor, während sie eine Angriffsstrategie ausdiskutieren.

- Ein Familiendialog, während die Beteiligten gerade beim Kochen sind.

- Sehr beliebt in Battle Manga: Die Figuren diskutieren ihre traumatische Vergangenheit, ihre Pläne oder Ansichten, während sie gerade in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt sind. Ist selten sehr glaubwürdig, aber dramaturgisch äußerst effektiv.

 

2. Grafische Inszenierung

 

Hierzu gehören natürlich Paneling, Perspektivwechsel, Größenvariation, Komposition. Alles was eure Seite spannend, attraktiv und dynamisch aussehen lässt. In westlichen Comics wird hier gerne abgekürzt. Ihr kennt sicherlich Seiten aus US-Mainstream-Comics, in denen eine ganze Dialogszene in einer Splashpage mit nur einem Panel inszeniert wird, wobei rund ein Dutzend Sprechblasen mit dem gesamten Gespräch in einem komplizierten Blasenlayout quer über die Seite tapeziert werden. Ist zwar zeichenökonomisch sinnig, liest sich aber selten sehr spannend. Der Grund ist ganz einfach: Ein einzelnes ausgewähltes Bild soll mimisch und gestisch ein gesamtes Gespräch repräsentieren. Zwangsläufig treten hier die Figuren in den Hintergrund. Handlung und Dialog werden hingegen überbetont. In solchen Comics wird die Handlung den Figuren vorgezogen.

 

Manga hingegen betonen stärker die Figuren, zweitrangig erst die Handlung. Siehe dazu die früheren Workshop-Einträge zum Protagonisten, die unten verlinkt sind. Demzufolge arbeiten Manga in Dialogen auch grafisch anders. Der Dialog wird in wesentlich mehr Einzelpanels zergliedert. Das ermöglicht, die emotionale Dynamik, die den Figuren in den Dialogszenen zugrunde liegt, genauer inszenieren zu können. Nicht der eigentliche Inhalt der Dialoge ist jetzt entscheidend, sondern die emotionalen Veränderungen, die die Dialoge in den Figuren hervorrufen. Mehr Panels bedeutet aber auch mehr Notwendigkeit, diese abwechslungsreich zu inszenieren. Hier ist ein gutes Gefühl für Perspektiven und Seitenaufbau ungemein wichtig.

 

3. Gesichtsausdrücke

 

Weitere Abwechslung und Variation ergibt sich natürlich aus der Mimik der Figuren. Diese ist selbstverständlich auch der Schlüssel zur emotionalen Tiefe der Figuren und daher gerade im Manga von absolut zentraler Bedeutung. Ein umfangreiches mimisches Repertoire eurer Figuren lässt die gerade erwähnte emotionale Dynamik in Dialogszenen erst auf dem Papier entstehen. Da Manga mit sehr vielen Panels arbeitet, müsst ihr euch hier ein abwechslungsreiches Sortiment an Gesichtsausdrücken zulegen, um euch nach Möglichkeit nicht allzu häufig zu wiederholen. Grimassen und cartoonhafte Übertreibungen sind bei Manga auch in „ernsthaften“ Geschichten absolut legitim. Meist verstärken sie sogar die Ausdruckskraft noch erheblich.

 

In Kombination mit wechselnen Perspektiven ergeben sich hier sehr schnell wesentlich mehr Möglichkeiten, als man dies zu Anfang vermuten würde. Aber das muss durchaus geübt werden, und gerade bei Newcomern sieht man es leider sehr häufig, dass Gesichter immer wieder aus den vertrauten Perspektiven und mit ähnlichen Gesichtsausdrücken inszeniert werden. Hier solltet ihr euch am besten anschauen, wie dies geschätzte Vorbilder von euch umsetzen. Da darf man auch ruhig mal zur Übung eine Zeitlang abzeichnen, bis man die Ausdrucksmöglichkeiten auf den eigenen Stil anwenden kann. Als fruchtbare Quellen könnt ihr euch zum Beispiel mal das extrem dialoglastige Bakuman. anschauen, oder auch Rin Okumuras abwechslungsreiches Minenspiel in Blue Exorcist zu Rate ziehen.

 

4. Gestik

 

Der eigentliche Anlass für diesen Eintrag. Aufgeworfen wurde das Thema von einer meiner redaktionellen Schützlinge, die ganz richtig beobachtet hat, dass eine Dialog haltende Figur eben mehr ist als ein Kopf mit Mimik. Was macht denn der Rest des Körpers, während man sich unterhält? Auch mit noch so abwechslungsreichem Mienenspiel kann man in einer Dialogszene nicht nur Köpfe zeichnen. Das Ergebnis wäre das sogenannte Talking Heads-Szenario, eine Ansammlung sprechender Köpfe, wie man sie aus Talkshows und Interviewszenen in Dokus kennt. Das ist natürlich vollkommen langweilig. Im Dienste der Abwechslung und Dynamik müssen die Figuren auch mal zu größerem Teil gezeigt werden. Und weil es ebenso langweilig ist, wenn sie während ihrer Gespräche die ganze Zeit nur herumstehen, sollten sie dabei auch irgendwelche Dinge tun, die vielleicht nicht unbedingt handlungsrelevant sind, aber die Figur nebenbei näher charakterisieren und die Szene abwechslungsreicher und unterhaltsamer gestalten.

 

Besagte Zeichnerin gab nun bei ihrem Redakteur folgende Liste in Auftrag, unter der Prämisse: Was kann einen Shounen-Manga-Held so alles tun, während er sich unterhält? Drei kurzerhand gegriffene Referenzmanga (die jeweils ersten Bände von Gin Tama, Blood Lad und Blue Exorcist) gaben hier schon einiges an Möglichkeiten her, und weil ich dieses mühsam erwirkte Geheimwissen auch gerne in den Dienst der Weiterentwicklung der Manga- und Comickunst in Deutschland stellen möchte, habe ich sie hier für euch noch einmal veröffentlicht. Falls euch weitere Tätigkeiten einfallen, könnt ihr sie gerne in den Kommentaren nachtragen.

 

Alle Tätigkeiten können natürlich auch beliebig kombiniert werden, zusammen mit verschiedenen Handlungen, Bewegungen, perspektivischen Inszenierungen und Mimiken. Das gibt euch ein schier unerschöpfliches Ausdruckspotential, mit dem ihr jede Dialogszene ansprechend gewürzt bekommt! Guten Appetit!

 

 

Überbrückungstätigkeiten eines Shounen-Manga-Helden:

 

- sich an die Stirn fassen

- den Kopf in die Hand legen

- zwinkern

- pfeifen

- grinsen

- Zunge rausstrecken

- sich über die Lippen lecken

- seufzen

- sabbern

- sich den Mund abwischen

- winken

- abwinken

- auf jemanden zeigen (vor sich)

- hinter sich zeigen (mit dem Daumen, lässig)

- auf sich selbst zeigen

- sich am Hals kratzen

- sich am Kopf kratzen

- sich am Kinn kratzen

- sich an der Seite kratzen

- sich am Hintern kratzen

- rülpsen

- am Kragen rumspielen

- sich überlegend das Kinn halten

- knurren

- in der Nase bohren

- im Ohr bohren (mit dem kleinen Finger)

- die eigenen Finger betrachten

- an den Nägeln kauen

- gähnen

- sich durchstrecken

- sich gegen etwas lehnen

- Arme verschränken

- sich ein Auge reiben

- sich beide Augen reiben

- mit den Achsen zucken

- in den Himmel starren

- auf den Boden starren

- Hände in die Hosentaschen stecken

- Hände in die Jackentaschen stecken

- eine Faust zeigen

- obszöne Gesten machen

- auf dem Handy rumtippen

- Grimassen schneiden

- den Kopf in die Hände stützen

- mit einem Gegenstand rumspielen (Stift, Schlüssel, Messer, Besteck etc.)

- etwas essen / kauen

- etwas trinken

- sich etwas zu essen machen / zu trinken eingießen

- ein Buch / Comic / Zeitung lesen / darin blättern

- sich etwas unwichtiges angucken / anstarren (Wand, Bild, Himmel, vorbeilaufendes Mädchen etc.)

- niesen

- husten

- spucken

- aufstampfen

- sich die Brille / Sonnenbrille hochschieben

- sich in sein Shirt krallen

- schnipsen

- den Zeigefinger hochzeigen (als schlaue Geste)

- eine Faust ballen

- ein Piece-Zeichen machen

- die Hand vor den Mund halten (geschockt / angeekelt …)

- sich an den Hut / die Mütze fassen (falls vorhanden)

- an den Haaren rumspielen

- Finger auf die Lippen legen (pssst)

- bei Umhängetaschen: an den Riemen greifen

- sich die Ohren zuhalten

- sich die Augen zuhalten

- sich die Nase zuhalten

- sich Luft zuwedeln

- ...



Liste der früheren Blog-Workshops: *bitte clicken*


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