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Germanga LBM 2010 - Teil 2: "Baito-Oh!" und Margarita Till Baito Oh!, DManga, LBM, Margarita Till

Autor:  roterKater

Den Anfang der Review-Reihe macht die Berliner Anthologie "Baito Oh!", die zur letztjährigen MMC an den Start ging und deren zweite Ausgabe nun zur diesjährigen Leipziger Buchmesser erschienen ist. Herausgegeben wird "Baito Oh!" vom Manga-Club der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Berlin und ist damit die einzige deutsche Veröffentlichung, die von einer offiziellen Kultureinrichtung gefördert wird. Und wer sich nun fragt, ob das eine gute oder schlechte Sache ist, wird nach einem Blick in die Hefte schnell klar, denn spätestens ab Band 2 sind die Beiträge von fast ausnahmslos sehr hoher Qualität. "Baito Oh" versammelt zudem viele originelle und innovative Stile, die in einer rein kommerziellen Veröffentlichung sicher keinen Platz fänden.

Die stilistische Breite reicht quer durch alle Manga-Gattungen und bezieht auch westliche Einflüsse mit ein, während andere Zeichner ihre Japan-Kenntnisse nutzen, um authentisch japanisch aussehende Manga zu schaffen. Positiv fällt zudem auf, dass die Storys fast durchweg toll geschrieben sind, was auch die Beiträge, die vielleicht noch nicht professionell gezeichnet sind, absolut lesenswert macht. Qualität überwiegt also durchweg, wobei sich die zweite Ausgabe gegenüber der ersten noch einmal deutlich steigert. "Baito Oh!" versammelt sowohl Kurz- als auch Fortsetzungsgeschichten und macht ganz klar Appetit auf mehr. Aber schauen wir uns zuerst die Fortsetzungs-Beiträge der beiden Hefte genauer an:

Der Blickfang der zwei Bücher dürfte wohl "Babysitter gesucht" von Margarita Till sein. Der Berliner Ausnahmezeichnerin liefert eine schräge und perfekt gezeichnete Shônen-Comedy-Story um einen Hochschul-Schüler, der aus Geldnot bei einem Yakuza als Babysitter anheuert, aber nun mit dessen durchgeknalltem 17-jährigen Sohn mit Ananas-Frisur in den Urlaub nach Hawaii düsen muss, wo er auf ihn aufpassen soll. Alles andere als ein leichter Job, wie spätestens in Band 2 klar wird. Zu Margarita steht unten mehr, an dieser Stelle sei nur erwähnt, dass "Babysitter gesucht" schon allein die Anschaffung der Bände wert ist. Die Geschichte ist extrem unterhaltsam, flüssig, temporeich und spannend erzählt und absolut tadellos und auch recht sexy gezeichnet. Probeseiten gibt's auf Margaritas Homepage.

Eine große Überraschung waren für mich die Beiträge von Marianna Poppitz. Ihr Stil ist in Deutschland einzigartig - extrem dynamischer Strich, einfallsreiche Perspektiven und eine Flüchtigkeit und Leichtigkeit, die das Beste aus Manga und französischen Kunst-Comics vereint. Ihre beiden Geschichten "Curumi" und "Risadinha" handeln von kultureller Identität, Berlin, Freundschaft und dem brasilianischen Kampftanz Capoiera, womit Marianna wohl tatsächlich der erste Capoeira-Manga geglückt sein dürfte. Mariannas Stil kann sicherlich noch reifen, ist aber bereits ungemein vielversprechend und, wie erwähnt, ein innovativer und ästhetischer Hochgenuss. Ein paar Probeseiten gibt's auf deviantart.

"Nachtläufer" von Katharina kacha Kirsch ist wohl am ehesten am deutschen Manga-Mainstream dran. "Nachtläufer" ist eine witzige Shôjo-Geschichte über die Gothic-Verrückte Ally, die sich nichts sehnlicher wünscht, als einem echten Vampir zu begegnen, und sich von nichts mehr halten lässt, sobald sie meint, ihren "Meister" gefunden zu haben. Die Zeichnungen sind großartig, nicht zu süß, aber absolut zugänglich, und mit dem Thema könnte sie problemlos auch ins Programm von Carlsen oder Tokyopop passen. Kacha hat ganz sicher das Zeug zur professionellen Zeichnerin, und vielleicht schon schon bald ein neuer Stern am deutschen Manga-Himmel. Reinlesen könnt ihr gleich hier auf Animexx.

Mit "30+" von Mutsuko Tomita hat sich noch ein Manga in den Helfen eingefunden, den man so nur in Japan kennt: eine reife Josei-Geschichte um Heiratsdrang, Arbeitssorgen und andere verbreitete Probleme von Japanern, wenn sie das dreißigste Lebensjahr überschreiten. Ein in Japan typischer Erwachsenen-Manga, in Deutschland bisher gänzlich ungesehen. Insofern erlaubt "Baito Oh!" hiermit auch Einblick in die Vielseitigkeit von Manga, die man bisher hierzulande noch gar nicht wahrgenommen hat. Mutsukos Strich ist interessant, ihr Seitenaufbau aber ziemlich zerfahren und teils nicht ganz einfach zu lesen. Ein Werk, dass sicherlich eher interessant als unterhaltsam ist, aber aufgrund seiner Einzigartigkeit in Deutschland empfehlenswert.

Ein weiteres Stammmitglied bei "Baito-Oh!" ist Yani-Hu, die auch den Manga-Wettbewerb der DJGB 2009 gewann und dadurch in Ausgabe 2 gleich zweimal vertreten ist, einmal mit ihrer neuen Fortsetzungsgeschichte "Das Abendessen", in der eine Schülerin ihrem unglücklich verliebten Lehrer nachstellt, und mit der wunderschönen Fantasy-Geschichte "Monster", die von einem Jungen handelt, der ständig von einem Schwarm Krähen verfolgt wird. Yanis Stil ist auch eher erwachsen, aber leicht und bezaubernd geführt. Zwar fehlt noch etwas die Reife und Detailfreudigkeit, aber bereits seit der ersten Ausgabe ist eine enorme Verbesserung erkennbar, die zukünftig auf eine bemerkenswerte Zeichnerin hoffen lässt. Denn worauf sie aufbauen kann, ist bereits jetzt beachtlich.

Weitere Highlights der beiden Bände sind die Gastbeiträge von berfreundeten Zeichnern. In Band 1 ist es Hannes "HanRad" Radke, der eine witzig-böse Story um zwei Beziehungs-Loser präsentiert und deutschen Cartoon-Stil mit japanischem Manga aussöhnt. Im zweiten Band darf der Chicken King Martin MaddinBlechdose Geier höchstpersönlich zur infernalen Geisterschlacht aufrufen. Eine wilde Shônen-Story, etwas chaotischer als sein "Shounen Go! Go!"-Beitrag, aber dafür fetzig gezeichnet.

Und nicht minder beachtlich ist wohl, dass man genug gesundes Selbstbewusstsein hat, einen David Yeo Füleki noch mit ins Heft aufzunehmen, ohne ihn auf dem Front- oder Backcover auch nur zu erwähnen. Aber hier sei euch gesagt, es gibt noch neun Seiten durchgeknallte Monster-Action von Def und seinem Texter Andi Völliger ("The Big L") ganz hinten in Band 2, und damit sollte nun wirklich jeder mit "Baito Oh!" glücklich werden können!

Dazu gibt es auch noch zahlreiche weitere Beiträge, Bonus-Illustrationen und witzige Yonkoma-Manga zu entdecken, die hier nicht alle im Detail besprochen werden können. Schaut einfach mal rein!


Als ganz besondere Überraschung hatten die "Baito-Oh!"-Zeichner sogar noch ein weiteres Buch am Start:

Margarita Till hat klammheimlich ihre Kurzgeschichten zusammengesammelt und in dieses schicke Buch gedruckt. Ein Teil der Geschichten sind bereits in Manga-Mixx und Animania erschienen, aber ein Großteil ist unveröffentlicht. So gibt es hier die Möglichkeit, auf über 200 Seiten das Schaffen der vielleicht besten verlagslosen Zeichnerin Deutschlands über die letzten Jahre genießen zu dürfen. Margaritas Stil ist ungewöhnlich für den deutschen Manga-Markt und doch durch und durch japanisch. Ihr Stil erinnert an Tsukasa Hojo ("City Hunter") und Soda Masahito, dessen "Firefighter!" sie offen zu ihren größten Einflüssen zählt. Über die Jahre hat sie allerdings zu einem gereiften eigenen Stil gefunden, der klar wiedererkennbar und in Deutschland absolut unverwechselbar ist.

Ihre Seiten setzen nie auf Spektakuläres. Blickfänge haben ihre Zeichungen gar nicht nötig. Stattdessen hat man das Gefühl, dass alles einfach perfekt zusammenpasst, dass die Seiten gar nicht anderes sein könnten. Das Paneling ist klar und übersichtlich, aber niemals langweilig, und anatomisch gibt es nichts zu bemängeln. Margarita hat ihre Vorbilder genau studiert und das Gefühl für japanische Manga verinnerlicht, so dass man tatsächlich überzeugt sein könnte, eine professionelle japanische Arbeit vor sich zu haben.

Ihre Geschichten kreisen oft um alltägliche Themen und profitieren zudem von ihrem lagen Aufenthalt in Japan und ihrem Hang zu Realismus und Authentizität. Hier macht nicht nur jemand Japan nach, wie es japanische Manga vorkauen, sondern Margarita weiß sehr genau, worüber sie schreibt. Anregungen zu ihren wunderschönen Geschichten findet sie in ihren eigenen Erfahrungen und Erlebnissen, und es ist erstaunlich, wie gut ihr das Kurzgeschichten-Medium dient. Denn Margarita schafft es immer wieder, in rund 20 Seiten eine mitreißende und spannende Geschichte zu erzählen, auch wenn hier und da der Zufall der Dramaturgie etwas in die Hände spielt.

Aber ganz ehrlich: mir ist absolut schleierhaft, wie man mit 20 Jahren schon eine derartige zeichnerische und erzählerische Reife erlangen kann. Ich vermute ja immer noch, dass ein kleiner, alter japanischer Meister-Mangaka sich ein lebensechtes Margarita-Till-Kostüm übergestülpt hat, dass sogar einer näheren Betrachtung in dunklen Doujinshi-Märkten standhält, und sich einen Spaß daraus macht, die deutsche Mangaszene an der Nase herumzuführen. Entweder das, oder wir haben einfach einen Klumpen Manga-Gold mitten unter uns, an dem die Szene hoffentlich nicht mehr lange vorbeischauen wird. Für Freunde anspruchsvoller Manga-Kunst ein absoluter Pflichtkauf!

Für Bestellungen der Bücher am besten eine Mail direkt an mangaclub[ät]djg-berlin.de schicken. Es lohnt sich!

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Datum: 25.03.2010 23:51
Deine Reviews sind große Klasse! XD

Ich frag mich auch immer, wie Frau Till es so weit bringen konnte. Ansolut bewundernswert! Eine Meisterin! =D
Preiset Slash-kun, den Einzigartigen, der hinabgestiegen ist, um uns unsere Einfalt vor Augen zu führen.
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Datum: 26.03.2010 11:08
Schöne Review!
Trifft´s ziemlich genau, wobei ich zugeben muss, dass ich bei Baito Oh immer noch ganz schön hinterherhinke. So was wie "Babysitter gesucht" oder die Gastzeichner-Beiträge werden aber natürlich immer gleich gelesen.

Und Margaritas Kurzgeschichtenbuch is echt um Weiten besser als das meiste Verlagszeug, aber psssst! ;-]
Datum: 04.06.2010 14:01
Ich habe das Buch von Margarita auch gekauft! x3 Und ich muss sagen/schreiben, dass ich es kein bisschen bereue sondern im Gegenteil total freue! (*0*) (+ Signatur! x3)
Ihr Stil ist einfach einzigartig! ;) Aber nicht nur das sondern auch ihre Geschichten. x3
Ich frage mich echt, warum sie noch keinen Manga rausgebracht hat? Ich würde sie mir alle kaufen! (>.<)
Schade, dass sie nicht erster wurde beim Comic Star Wb! (T___T)

Aber wie Yeo schon geschrieben hat, die Qualität ist besser als bei einigen deutschen Manga in großen Verlagen. Da denke ich mir manchmal wirklich, dass es für einige Leute noch zu früh ist mit dem Veröffentlichen! xD *daher sich selbst nicht bewirb*

Zu Baito-Oh: Ich hab echt lange darüber nachgedacht, ob ich mir die Reihe kaufen soll, weil ich schon von einigen Sammelbänden enttäuscht wurde. Ehrlich gesagt, wenn ich mir den holen, dann nur wegen Margaritas Story! xD *lach*



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