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Einzelposting: Wie hat euch LN gefallen?


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Von:   abgemeldet 26.09.2006 15:34
Betreff: Wie hat euch LN gefallen? [Antworten]
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Ich bin durch den Bericht in der MZ 33 auf Losing Neverland aufmerksam geworden. Die Beschreibung der Handlung klang sehr interessant, ebenso das Setting in einem "alternativen Gothic-London" und auch die Idee eines Anti-Shota-Projekts fand ich gut. Somit war mein erster Eindruck von der ganzen Sache sehr positiv.

> Reviews und Kritik, Lob und tadel....legt los!^^;;
> Favchara,Hasschara,stellen die euch gefallen haben,oder auch nicht. ideen,anregung,losloslos!^^;;

Na dann leg ich mal los...

Der erste Band hat ja (leider ;_;) nur drei Kapitel und stellt somit wohl kaum mehr als eine Einleitung zur eigentlichen Geschichte dar. Zu Personen und Handlung kann man dementsprechend noch nicht allzuviel sagen - außer dass sie auf jeden Fall das Interesse am Weiterlesen wecken. Die bisherigen Haupt-Charas (Laurie, Tim, Coline) wirken auf mich eigentlich alle sehr liebenswert. Besonders interessant - obwohl er nur kurz auftaucht - fand ich Momo. Einen wirklichen Hass-Chara kann ich bisher nicht ausmachen, denn selbst die negativ besetzten Charaktere kommen nicht wirlich bösartig rüber: Lauries saufender Vater wirkt auf mich eher traurig und bedauernswert als boshaft und auch der "nette Onkel" Harry-Heiko (?!) sieht irgendwie immernoch zu sympathisch aus.

Das ist vielleicht generell etwas die Schwachstelle des Manga: "alternatives Gothic-London" hin oder her, bei einem Thema wie Kinderprostitution hätte eine etwas realistischere, weniger plüschig / rüschig / blumige Darstellung vielleicht besser gepasst. Klar, das ist nunmal dein Stil, und der ist wirklich klasse so wie er ist, aber in diesem Zusammenhang wirkt er auf mich oft etwas zu süßlich und verniedlichend um wirklich die Tragik und den Ernst der Lage vermitteln zu können. Im Grunde ist dieses Prinzip der Verniedlichung die gleiche Masche, mit der auch Shotacon arbeitet.

> Ich gehörte zu denjenigen, die sich gefragt haben ob bei einem Anti-Shota-Projekt nicht letztendlich doch wieder die ganzen Shot-Fans darauf anspringen unds toll finden, obwohl das Gegenteil damit erreicht werden soll.

Das befürchte ich allerdings auch. Wer sich in Punkto Shota-Kritik so weit aus dem Fenster lehnt, muss sich auch die Frage gefallen lassen, warum im eigenen Manga (demonstrativ niedliche und püppihafte) Minderjährige spärlich bekleidet in knappen Höschen, Miedern und Strapsen dargestellt werden. Ich stelle jetzt einfach mal die Behauptung auf, dass der Durchschnitts-Shota-Fan seine Lektüre nicht unbedingt der tiefschürfenden Handlung, sondern eher der süßen Bildchen wegen auswählt. Dies vorausgesetzt, kommt man als Shota-Leser bei Losing Neverland sicher auch irgendwie auf seine Kosten. Wer Shota mag, sieht das nicht als moralisch verwerflich an. Im Gegenteil: Mittlerweile erfreuen sich ja einige Manga (unabhängig von Shota), deren Handlung um sexuelle Nötigung und Vergewaltigung kreist, einer recht großen und kaum kritisierten Beliebtheit. Folglich dürfte auch die Tatsache dass Laurie zur Prostitution gezwungen wird für den Fan einschlägiger Literatur keine Abschreckung sein und auch kein Grund die eigenen Vorlieben zu überdenken. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es im Gegenteil vielleicht eher sogar einen Anreiz darstellt.

Dies ist mein Eindruck nach den ersten drei Kapiteln, gut möglich, dass sich dies noch ändert, wenn Laurie die Geschichte seiner Kindheit erzählt und die Handlung mehr an Tiefe gewinnt.

Apropos Tiefe: Ein Punkt der mir persönlich nicht ganz so gefallen hat (Geschmacksfrage) sind die Hintergründe. Diese bestehen zum Großteil aus verschiedenst gemusterten Rasterfolien und sind zusätzlich oft geradezu überladen mit Symbolen (Schnee, Kristalle, Glitzer, Federn, Blümchen, Schmetterlinge, Engelchen...). Das Ganze bekommt dadurch so einen verniedlichten Shojo-/Fantasy-/Lovestory-Stil und wirkt oft ziemlich durcheinander, unübersichtlich und künstlich. Ist mir schon klar, dass es mit Rasterfolien schneller geht, aber die Möglichkeiten durchgezeichneter Hintergründe in Punkto räumliche Tiefe und Atmosphäre sind einfach unschlagbar. Was man mit einem viktorianischen London in diesem Zusammenhang alles machen könnte... Leider kommen diese Möglichkeiten im ersten Band nur Ansatzweise und in wenigen Panels zum Tragen. Das solltest du unbedingt ausbauen! (sofern es die Zeit erlaubt...)

Eine weitere Möglichkeit das Ganze wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zu bringen wäre vielleicht auch, in den Zusatztexten / Kommentaren mal etwas über die reale Kinderprostitution im viktorianischen London zu erzählen. Die Armut, die schlechte Bildung, Krankheiten die sich die Kinder eingefangen haben und die ihr Leben verkürzten. Auch über die im ersten Band erwähnte Pest, der Lauries Mutter zum Opfer gefallen ist, könnte man genaueres erzählen. Das würde die Geschichte sozusagen etwas aus dem Puppenhaus heraus in die wirkliche Welt holen.

Stellen die mir gefallen haben oder auch nicht *mini-spoil*

Am besten haben mir wohl die Seiten rund um Finnegan gefallen und der Teil in dem Laurie ein Märchen erzählt ("Ich finde die Prinzessin doof!"). Nicht gefallen hat mir eigentlich... nichts. Nur ein, zwei Szenen mit Coline fand ich im Nachhinein betrachtet nicht ganz schlüssig: Warum macht Coline Laurie erst total zur Schnecke und versucht in wohl sogar zu verprügeln, obwohl sie später meint, dass er seiner Mutter wirklich unverkennbar ähnlich sieht und ihn in den Arm nimmt? Hm? Fand ich etwas komisch.

Was sonst aus meiner Sicht in Punkto "Lob und Tadel" zu erwähnen wäre:

Die Farbgestaltung des Umschlags gefällt mir gut, Vorhandensein von Farbseite und Ausklapp-Poster sind ebenfalls sehr lobenswert, das etwas größere Format des Buches gefällt mir ebenfalls ausgezeichnet. Interessant fand ich, dass die gesamte Geschichte sich vor einem schwarzen Hintergrund abspielt, während nur die Erinnerungen / Träume (an eine glücklichere Zeit?) ganz am Anfang in Weiß gehalten sind. Eine Umkehr der üblichen Vorgehensweise, die sehr schön die Düsterniss von Lauries jetzigem Leben unterstreicht. Die kleinen Charakter-Steckbriefe von Laurie und Tim nach dem dritten Kapitel fand ich sehr schön. Man erfährt so Details über die Personen, die sich in der Handlung vielleicht nicht haben unterbringen lassen. Kommt da noch was zu den anderen Charakteren? Wäre schön. Die Story ist gut ausgearbeitet - da merkt man das jemand Ahnung hat und nicht einfach wild drauf los zeichnet. Nur selten hat man bei einigen Doppelseiten das Gefühl, dass sie nicht ganz flüssig ins Geschehen passen, und manchmal scheint die Reihenfolge der Spruchblasen nicht ganz stimmig zu sein.
Das Charakter-Design gefällt mir wie erwähnt sehr gut und es zieht sich ohne negative Ausrutscher in gleichbleibender Qualität vom ersten bis zum letzten Kapitel. Einzig Colines Oberweite fällt in dieser Hinsicht etwas aus dem Dekolleté... äh... aus dem Rahmen. Ich hoffe die hört auch irgendwann mal wieder auf zu wachsen?? Die kriegt noch Kreuzschmerzen, die arme Frau...
Das Probekapitel in "PaperTheatre" fand ich übrigens eine gute Idee. Man hätte nur vielleicht noch genauer darauf hinweisen können, wie man an das Buch herankommt. Gibt es im übrigen verschiedene Cover? Die Abbildung in der Anzeige sieht anders aus als mein Exemplar vom Comicsalon.

Nicht so gut finde ich, dass der Manga nur schlecht zu bekommen ist und der Verlag generell kein Marketing zu betreiben scheint (außer der "PaperTheatre"-Sache). Wenn man nicht zufällig in einem Fachmagazin davon gelesen hat, weiß man garnicht, dass es das Buch gibt, es ist im normalen Buchhandel nicht zu finden, hat keine ISBN-Nr. und ist offenbar nur auf Cons oder direkt über den Verlag zu beziehen. Somit gibt es im Grunde keine Laufkundschaft und selbst dem interessierten Leser wird es unnötig erschwert an das Buch heranzukommen. Schlecht. Ganz schlecht. Aber das ist wohl das Manko der Independent-Verlage. Ebenso wie der im Verhältnis zur Seitenzahl und zu anderen Manga recht hohe Preis. Für mich war dieser Punkt jetzt nicht so ausschlaggebend, für die Taschengeld-beziehende Leserschaft ist er es vielleicht schon - besonders wenn noch Versandkosten oder Eintrittspreise dazukommen.
Gestalterisch hat mir (unabhängig von den sehr schönen Zeichnungen) nicht so gut gefallen, dass der Umschlag des Manga sehr nach Kinderbuch aussieht, obwohl er doch eigentlich wohl erst ab 12 sein soll (was auch gerechtfertigt ist, aber nirgends drauf steht). Das eigenwillige Verlagslogo trägt sicherlich auch einiges zu diesem Effekt bei. Außerdem geht die schnörkelige Schrift im unruhigen oder gleichfarbigen Hintergrund unter und ist somit ziemlich schlecht lesbar. Man entdeckt überhaupt erst auf den zweiten Blick den Titel und der Autorenname säuft in einem Meer von rosa Blümchen ab. Die Inhaltsangabe auf der Rückseite in der gleichen Farbe wie der sie umgebende Kasten? Schlecht. Im Inneren des Manga ist ein ähnliches Phänomen bei den kleinen Texten nach Kapitel eins und zwei zu bemerken: Die negative Schrift (teils ob der ganzen Schnörkel sowieso schon schlecht lesbar) läuft ziemlich zu und ist somit in der Lesbarkeit beeinträchtigt. Der Text im Hinteren Teil des Manga ist dann wieder sehr gut lesbar. Generell hätte man sich vielleicht auf ein paar Schriften weniger und ein einheitlicheres Erscheinungsbild der Nicht-Comic-Seiten einigen können. Das sähe dann nicht so durcheinander aus. Über eine Pagina und ein Inhaltsverzeichnis könnte man außerdem vielleicht noch nachdenken. Ach ja: In einigen gerasterten Flächen (vor allem anfangs des ersten Kapitels) hat sich ein Moirée gebildet. Das ist nicht weiter tragisch (typischer Manga-Makel), es sieht nur komisch aus, wenn z.B. eine Möwe über einen karrierten Himmel fliegt...

Alles in allem hat mir Losing Neverland jedenfalls sehr gut gefallen. Und mit diesem Fazit will ich diesen Roman hier nun auch langsam mal zu Ende bringen.

Ich wünsch dir also in diesem Sinne:
Ein ruhiges Händchen, viel Geduld und Stressresistenz für nicht enden wollende Zeichensitzungen, und noch viel mehr gute Ideen!
Bin auch schon sehr gespannt auf den zweiten Band!

lg
Le Chat Noir

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