Bauchgefühl von Norrsken (Ein Ass im Bett) ================================================================================ Kapitel 6: 2007-03-11 --------------------- Die Fenster seiner Wohnung waren zum Westen hin ausgerichtet, sodass die weißen Wände jeden Tag von der untergehenden Sonne in leuchtendes Rot getaucht wurden. Inzwischen war der Abend so weit vorangeschritten, dass die spärlichen Sonnenstrahlen nicht mehr genügten, um die Zimmer auszuleuchten. Für gewöhnlich schaltete Yuriy die Stehlampe neben seinem Sofa ein, um in Ruhe sein Buch weiterzulesen. Dieses Mal war es ihm kaum bewusst, dass er im hinteren Teil seines Wohnzimmers bereits im Dunkeln saß. Seine Lider waren gesenkt und er blickte wie in Trance auf die Saiten seines Cellos. Die dunklen Töne vibrierten in seinem Brustkorb und zogen ihn in die Komposition von Dvořák hinein. Zwischen seinen Brauen bildete sich eine tiefe Falte der Unzufriedenheit darüber, dass ihm die Läufe nicht so schnell von der Hand gingen, wie er es von sich erwartete. Seit seinen Jahren in der Abtei spielte er. Wie beim Beybladen hatte er stets nach Perfektion gestrebt und war in der Zeit nach der Abtei bis er sich selbstständig ein Cello kaufte ruhelos gewesen. Zu Beginn waren Betreuer und Therapeuten seiner Obsession gegenüber skeptisch und befürchteten Rückfälle in alte Muster. Es fiel ihnen schwer zu begreifen, dass es aus dieser Zeit etwas geben sollte, dass es zu bewahren galt. Die Bedenken verstummten ihm gegenüber als sie ihn spielen sahen. Ein dumpfes Poltern führte dazu, dass er beim nächsten Lagenwechsel daneben griff. Yuriy blinzelte, bemerkte die Finsternis in seinem Zimmer, doch sah trotzdem davon ab, das Licht einzuschalten. Um aufzustehen, müsste er das Cello zur Seite legen. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, legte er den Bogen an die Saiten und überlegte, ob er von vorne beginnen sollte. Erneut hörte er ein Knarzen, schloss die Augen und spielte weiter. Seine Finger drückten krampfhaft auf die Saiten, während die Töne unsauber klangen. Missbilligend verzog er den Mund. Tief in sich wusste er, dass er Musik nicht erzwingen konnte, selbst wenn er diese Phrase sonst mit einem Augenverdrehen als romantisch abtat. Mit einem Schnauben blies Yuriy sich eine vorwitzige Haarsträhne aus dem Gesicht und führte beharrlich den Bogen. Wenn er spielte, schaffte er es, seinen Kopf zu leeren. Während einer kurzen Pause drang eine weibliche Stimme mit verzückten Lauten an sein Bewusstsein und er rutschte mit dem Bogen ab. Zischend stieß er die Luft zwischen den Zähnen aus und fluchte innerlich über die dünnen Wände. Noch ein drittes Mal setzte Yuriy den Bogen an die Saiten, verharrte in dieser Position, ohne zu spielen, und wartete. Seine Wirbelsäule fühlte sich auf seinem Rücken an wie eine glühende Naht. Die Hitze konzentrierte sich in seinem Nacken und erschwerte es ihm, sich auf die Noten und Griffe zu konzentrieren. Es war Yuriy ein Rätsel. Sie lebten schon zwei Jahre in diesem Block und es war nicht das erste Mal, dass er Fetzen davon mitbekam, was Boris über ihm so trieb. Die Tatsache, dass er sich an kein konkretes Mal erinnern konnte, zeigte ihm, wie leicht es ihm bisher gefallen war, diese irrelevanten Dinge auszublenden, wenn er gerade ein Buch las oder am Cello spielte. Yuriy hob den Kopf zum Fenster und bemerkte dabei, wie steif sein Nacken inzwischen war. Seine Schultern waren vollkommen verspannt. Das Brennen in seinem Nacken verblasste, er senkte den Blick auf die Saiten und spielte. Die Klänge füllten seine Brust und betäubten das Ziehen in seinem Bauch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)