Because I'm Stupid ... von Lina_Kudo (»Weil ich ein Idiot bin ...« (Seiya&Usagi)) ================================================================================ Kapitel 1: One-Sided Love ... ----------------------------- Kapitel 1: ONE-SIDED LOVE … »Ich liebe dich mehr, als mein Herz ertragen kann …« Schweigend standen wir uns gegenüber. Wer hätte jemals gedacht, dass wir uns einmal in so einer Situation befinden würden? In so einer … aussichtslosen Situation? Obwohl: Eigentlich war sie doch vorhersehbar gewesen. Wir hätten es kommen sehen müssen. Diese Stille war mir unangenehm. Es fühlte sich so an, als würde sie in Form einer unsichtbaren Pranke mein Hals umschließen und gnadenlos zupacken. Wenn ich mich nicht schleunigst zur Wehr setzte, würde sie mich erwürgen. »Das gestern … das war ehrlich gemeint«, begann ich und schloss meine Augen, um mir die besagten Worte ein weiteres Mal zu verinnerlichen. Es war ja nicht so, als ob sie mir nicht schon den ganzen Tag in meinem Kopf herumgespukt wären. Diese Worte, die aus den tiefsten Kammern meines Herzens völlig eigenständig ihren Weg nach draußen erkämpft hatten. Worte, die meine geheimsten Wünsche und Sehnsüchten offenbarten. Worte, die in der Tat ernst gemeint waren. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas so ernst gemeint. »Bin ich denn nicht gut genug für dich?« Am liebsten hätte ich süffisant aufgelacht. Und das tat ich auch. Innerlich, von außen nicht sichtbar. Ich wusste nämlich ganz genau, dass ich gut genug für sie war. Dass ich diesem Mamoru das Wasser reichen konnte. Zumindest gab es keinen anderen auf dieser Welt, der sie so sehr vergötterte und begehrte wie ich. Ich wusste es einfach. Doch ihr Herz gehörte ihm. Und ich … gehörte nicht hierher. Ich musste mit den anderen zu unserem Heimatplaneten zurückkehren. Mir blieb gar keine andere Wahl. Usagi öffnete darauf endlich ihre Augen. »Seiya, ich muss dir –«, brach sie mitten im Satz ab. Ich spürte einen leisen, aber resoluten Stich in meinem Herzen. Mir war durchaus im Klaren, worauf sie hinauswollte. Natürlich war es das: Wie oft hatte sie mir zu verstehen gegeben, dass es für sie nur Mamoru gab? Schon immer hatte ich gewusst, dass ich mich in diese Beziehung nicht einmischen durfte. Und ich hatte mir diesen Umstand auch immer wieder unbarmherzig ins Gedächtnis gerufen. Nur mein dummes Kämpferherz konnte und wollte das mal wieder nicht einfach so hinnehmen. Ich hatte mich verliebt. Das erste Mal in meinem Leben. Ich liebte sie wirklich wahrhaftig. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir selbst nicht bewusst, dass ich dazu fähig war, solche starken Gefühle überhaupt zu empfinden. Das wollte ich ihr noch mit auf den Weg geben. Sie hatte das Recht, die Wahrheit zu erfahren. Die ganze Wahrheit. Die Wahrheit über mich und meine Gefühle. Denn jetzt war es an der Zeit zu kapitulieren. »Bitte fühl dich nicht verunsichert, dass ich dich liebe. Ich weiß genau, dass es eine einseitige Liebe ist.« Ich sagte diese Sätze nicht ohne eine Spur von Verbitterung, doch bemühte mich trotzdem noch, mir keineswegs mehr anmerken zu lassen. Ich wollte ihr nicht auch noch ein schlechtes Gewissen reindrücken. So ein herzloser Mensch war ich nicht. Sie sollte glücklich werden. Egal, mit welchem Mann an ihrer Seite. Und sie hatte sich schon längst für ihren Mann entschieden. Nichtsdestotrotz wollte ich es nicht so stehen lassen. Der Gedanke, auf diese Art und Weise aufzugeben, gefiel mir nicht, verursachte mir Unbehagen. Ich wollte wenigstens einen Eindruck bei ihr hinterlassen. Im idealsten Fall einen bleibenden Eindruck. Mit diesem Entschluss ging ich auf sie zu und näherte mich ihrem Gesicht. Ich spürte, wie mein Herz gleich einige Takte höherschlug. Oh je, hoffentlich hörte sie diesen offenkundigen Verräter nicht. Allerdings hatte ich ihr doch eh schon vor nicht mal einer Minute offenbart, dass ich unglücklich in sie verliebt war. Damit war mein männliches Ego so gut wie im Eimer. Jetzt noch zu versuchen, meinen falschen Stolz aufrechtzuerhalten, war nahezu lächerlich und kam einer Selbstverarschung gleich. Derjenige, der liebte, war nun einmal der Schwächere. Daran gab es nichts zu rütteln. Also drauf geschissen. »Nach dem Konzert entführe ich dich in ein wunderschönes Traumland«, hauchte ich leise. Ich konnte nicht abstreiten, dass ich eine gewisse … Genugtuung verspürte, dass sie diese Aussage leicht zusammenzucken ließ. Also bedeutete ich ihr vielleicht doch etwas? So ungerecht wollte ich jedoch auch nicht sein und gab gleich Entwarnung: »Inzwischen liebe ich dich so sehr, dass ich mir wünschte, ich könnte das tun, was ich gerade gesagt habe.« Es hatte einfach keinen Sinn. So sehr ich sie auch liebte: Wir lebten in völlig verschiedenen Welten. Während ich früher oder später mit der Prinzessin, Taiki und Yaten zu unserem Planeten zurückkehren und ihn wieder neu aufbauen musste, würde Usagi hier mit ihrem ach so tollen Mamoru dieses Sonnensystem beherrschen und ihr Schicksal erfüllen. Es war einfach aussichtslos. Trotzdem änderte es nichts an der Tatsache, dass mir dieser Gedanke unsägliche Schmerzen bereitete. »Es war mir sehr wichtig, dir zu sagen, was ich für dich empfinde.« Gelassen schloss ich dabei meine Augen. »Meine Zeit als ›Seiya‹ auf dieser Erde geht langsam dem Ende entgegen«, sprach ich und versuchte abermals, betont locker rüberzukommen. Sie durfte meinen inneren Schrei nach ihr nicht hören. Sie durfte mich nicht schwach und zerbrechlich sehen. Sie durfte einfach nicht. Doch nicht wegen meines unbedeutenden Stolzes, den ich zum größten Teile eh schon hinter mir gelassen hatte, sondern vor allem ihretwegen. Ich kannte schließlich ihr großes Herz und ihr Mitgefühl. »Seiya!«, rief Usagi verzweifelt. Doch sie war viel zu aufgewühlt, um die richtigen Worte zu finden. Ich sah es ihr nur zu deutlich an. Alarmiert nahm ich zur Kenntnis, dass unser Gespräch dabei war, eine nicht ungefährliche Wendung zu nehmen. Wenn das noch länger so weitergehen würde, würde ich früher oder später wirklich schwach werden. Ich würde alles hinschmeißen, selbst meine strengen Verpflichtungen der Prinzessin gegenüber. Und dann würde ich hierbleiben und um Usagi kämpfen. Bis zum bitteren Ende. Aber meine Vernunft riet mir dringend, es gar nicht so weit kommen zu lassen, denn auf diesem Wege würde ich mir nur mein eigenes Grab schaufeln. Die Aussicht, dass ich Usagi irgendwann erobern könnte, war praktisch nicht vorhanden und existierte nur in meinen realitätsfernen Träumen. Bevor ich mich noch weiter hoffnungslos in diese Sache verstricken konnte, wollte ich die Unterhaltung mit ihr so schnell wie möglich beenden, mich nun von ihr verabschieden und dann mit dieser ganzen Angelegenheit endgültig abschließen. Irgendwie würde ich es schon schaffen, das einigermaßen ordentlich hinter die Bühne zu bringen. Schließlich war ich doch auch sonst nie auf den Mund gefallen und mir war es dank meiner Schlagfertigkeit schon immer gelungen, mich aus jeder noch so prekären Lage zu befreien. Auch wenn diese Situation mit nichts Bisherigem vergleichbar war. Trotzdem versetzte es mich selbst ins Staunen, als ich ihr wie die Ruhe selbst das Wort abschnitt und verkündete: »Bitte entschuldige, aber es ist wichtig, dass ich mich jetzt auf unser Abschiedskonzert vorbereite.« Ich hätte irgendwie nur zu gerne gehört, was sie mir darauf zu sagen gehabt hätte. Doch auf der anderen Seite fürchtete ich mich davor, denn mal ehrlich: Die Wahrscheinlichkeit, dass sie mir irgendetwas Vernichtendes an den Kopf schmiss, war schmerzhaft hoch, auch wenn sie mich natürlich niemals mit Absicht verletzen würde. Aber um das nicht zu tun, müsste sie mir das Höchste an Gefühlen bescheren. Und ein »Ich liebe dich« aus ihren Lippen war nun einmal nicht drin. Es war unmöglich. Nicht einmal denkbar. Etwas, was nur in meinen kranken Wunschvorstellungen existierte. »Ich wünsche dir, dass du deinen Freund bald wiedersiehst.« Alles sträubte sich in mir. Trotz des untrüglichen Fakts, dass mich dieser Satz wahnsinnige Überwindung kostete, so wünschte ich es ihr natürlich ehrlich. Schließlich wollte ich nur das Beste für sie, egal was für unangenehme Folgen das auch mit sich brachte. Auch wenn das hieß, dass nicht ich an ihrer Seite sein durfte. Wäre da nicht immer mein arroganter Sturkopf, der stets der festen Überzeugung war, dass eben ich das Beste für sie war. Die penetrante Stimme, die immer wieder in meinen Kopf einhämmerte und sagte, dass keiner sie besser beschützen konnte als ich. Dass keiner sie mehr lieben konnte als ich. Auch nicht ihr über alles geliebter Mamoru. Denn ich … hätte sie niemals alleine gelassen. Ich … wäre nie von ihrer Seite gewichen. Usagi riss ihre Augen auf. Ich sah ehrliches Mitgefühl in ihnen schimmern. Und noch ein anderes, viel intensiveres Gefühl … Nein, das bildete ich mir bestimmt nur ein. Ihre wunderschönen, kristallklaren Augen füllten sich allmählich mit Tränen. Es zerbrach mir das Herz, sie so zu sehen. Sie brachte nichts Anderes heraus als ein leises »Tut mir leid«. Was sollte sie denn auch großartig dazu sagen? Was erwartete ich denn? Was wollte ich denn überhaupt hören? Ich wusste nur, was ich nicht hören wollte: ihre Entschuldigung. Ich war selbst den Tränen nahe, aber ich konnte mich gerade noch rechtzeitig am Riemen reißen. Stets bemüht, wie immer zu sein, lächelte ich sie strahlend an. Sie durfte nicht weinen, warum denn auch? Mir tat es ebenfalls furchtbar weh, dass ich sie überhaupt zum Weinen gebracht hatte, aber ich wollte ihr das nicht mitteilen. Sonst hätte ich womöglich auch noch mit der Flennerei angefangen und begonnen, sie richtig zu trösten. Genau das musste ich um jeden Preis verhindern. Ich musste diese Distanz zwischen uns bewahren, sonst gäbe es kein Zurück mehr. Geschehenes konnte man bekanntlich nicht rückgängig machen. »Nein, es braucht dir nicht leidzutun, wirklich! Ich …« Allmählich konnte ich mich aber doch nicht mehr zurückhalten. Einmal musste ich es wenigstens noch wagen. Wenn nicht jetzt, dann nie. Wenigstens ein einziges Mal wollte ich ihre zarte Haut berühren. Und gleichzeitig würde es auch das letzte Mal sein. Langsam näherte ich mich ihrer Wange, und obwohl sie zurückwich, ließ ich mich davon nicht beirren und traf letztendlich doch noch die weiche Haut unter ihrem Auge. Völlig berauscht nahm ich ihren unvergleichlich süßen Rosenduft wahr. Obwohl es nur eine kleine Berührung war, fühlte sie sich für mich wie die allerhöchste Ekstase an. Wie ein spektakuläres Feuerwerk der Emotionen. »Wie schade, dass wir uns nicht schon früher begegnet sind … mein Schätzchen.« Ich lächelte dabei, doch sagte es mit unendlicher Wehmut. Ja, vielleicht wäre dann alles anders verlaufen. Und wir hätten vielleicht doch … gemeinsam glücklich werden können. Vielleicht. Nun konnte sie erst recht nicht aufhören, zu weinen. Schien sie nun auch zu begreifen, dass ich ihr jetzt »Leb wohl« sagen wollte? Bei einem »Lebe wohl« starb jegliche Hoffnung auf ein Wiedersehen. Es war ein Abschied für die Ewigkeit. Und das traf auf uns zu. So würde es kommen. Da führte kein Weg daran vorbei. »Seiya …« Mehr brachte sie nicht heraus. Und ihre Tränen begannen unaufhaltsam zu fließen … Es fiel mir schwer, nicht meine Arme zu heben und ihre Tränen wegzuwischen oder ihre Tränen wegzuküssen. Doch bevor ich das überhaupt tun konnte, ging sie einen Schritt auf mich zu und warf sich ohne Vorwarnung weinend in meine Arme. Überrascht, doch gleichzeitig bereitwillig fing ich sie auf und legte behutsam meine Arme um ihren schmalen Körper. Ein unglaubliches Gefühl durchströmte meinen gesamten Körper, während ich sie in meinen Armen halten durfte. Endlich. Wie lange hatte ich davon geträumt? Meine Sinne waren völlig benebelt. Gierig versuchte ich, alle Hochgefühle dieses Moments in mich aufzunehmen. Als wäre ich ein Ertrinkender im weiten Meer, der so viel Sauerstoff wie möglich in sich aufsaugen wollte, als er es für kurze Zeit geschafft hatte, an die Oberfläche zu gelangen. Schließlich würde ich nie wieder die Möglichkeit dazu haben. Ein nächstes Mal würde es nicht geben. In dieser innigen Umarmung verharrten wir für einige Sekunden. Vielleicht auch länger. Ich konnte es nicht genau sagen, hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich wusste nur über eine einzige Sache sicher Bescheid. Nämlich über meinen Wunsch, dass diese Umarmung gar nicht lange genug dauern konnte. Meine innere Stimme, die diesen Wunsch immer wieder herausplärrte, war auch schwer zu ignorieren. Es war, als würde ich mich in ihre Arme flüchten vor der grausamen Realität. Sie schenkte mir das Gefühl, dass die Welt in Ordnung war, wenn auch nur für einen klitzekleinen Moment. In diesen Sekunden war mir wirklich alles gleichgültig. Euphe, Galaxia, das Schicksal – alles vollkommen egal. Meinetwegen hätte die Welt untergehen oder ich auf der Stelle tot umfallen können. Es hätte mich nicht gekümmert, denn ich wäre unendlich glücklich gewesen. Am Ende meines Weges wäre Licht gewesen. In ihren Armen hatte ich mein persönliches Paradies gefunden. Ich konnte mir nichts Schöneres vorstellen, als in ihren Armen zu sterben. Wer würde nicht gerne in den Armen eines Engels abtreten? Es war schön. Ich genoss diesen Moment. Das war die letzte Gelegenheit, ihr so nahe zu sein. Ihr so nahe sein zu dürfen. Bis hier hin und keinen einzigen Schritt weiter. Konnte es sein, dass sie mich gar nicht gehen lassen wollte? Schnell schob ich diesen Gedanken beiseite. Und selbst wenn, dann war es doch nur auf freundschaftlicher Basis – ich durfte mir nichts darauf einbilden. Denn mehr als das würde sie niemals für mich empfinden. Sie war ein Mensch, die sich nur einmal in ihrem Leben unsterblich verlieben konnte. Sie konnte nur einem einzigen Mann ihr Herz schenken. Und dieses Herz hatte seinen Besitzer schon lang vor unserer Zeit gefunden und sich dazu entschlossen, bei ihm zu bleiben. Ich war einfach zu spät gekommen. Was pflegte Taiki stets zu sagen? »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Volltreffer. Als Usagi doch ihre Worte wiederfand, horchte ich, von der Neugier gepackt, was sie mir jetzt wohl noch zu sagen hatte, erstaunt auf. »Haruka hat mir gesagt, dass ich dir sagen soll, dass wir uns nie wiedersehen dürfen. Und ich … ich habe wirklich mit dem Gedanken gespielt, es zu tun. Um es … dir einfacher zu machen. Um es uns einfacher zu machen. Doch ich … ich kann das einfach nicht. Dafür bedeutest du mir schon zu viel. Viel zu viel.« Ihre tiefsten Gefühle offenbarte sie mir unter Tränen, war sich wohl selbst gar nicht darüber im Klaren, was sie gerade von sich gab. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus wie ein unbändiger Wasserfall. Und stürzten mich ganz nebenbei bemerkt in ein endloses Chaos der verwirrenden Gefühle. Ich blinzelte verdattert. Was hatten ihre Worte zu bedeuten? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man fast meinen, dass sie auch etwas für mich empfand. Doch leider war das jenseits jeder Vorstellungskraft. So sehr ich auch vehement dagegen anzukämpfen versuchte … gegen diesen leisen, aufkeimenden Hoffnungsschimmer in meinem Herzen, ausgelöst durch ihre Aussage … Es gelang mir nicht. Ich erlag dieser unscheinbaren Hoffnung. Eine gewisse Frage brannte mir just in diesem Moment wie heiße, brodelnde Lava auf der Zunge. Eine Frage, die mich schon länger beschäftigte, ich mich jedoch nie getraut hatte, sie zu stellen. Und nun war sie erstmals dabei, auszubrechen wie ein zornentbrannter Vulkan. Ich musste es einfach wissen. Jetzt oder nie! Sanft löste ich mich aus der Umarmung, um ihr tief in die Augen schauen zu können. »Sag mir … Wer bin ich für dich?« Sprachlos starrte Usagi mich an. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht. Mit dieser Frage schien sie wohl nicht gerechnet zu haben. Das konnte man ihr aber auch gar nicht verübeln. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich den Mut aufbringen würde, ihr diese Frage aller Fragen zu stellen. Na ja. Im Grunde genommen hätte ich auch nie gedacht, dass mir jemals ein »Bin ich denn nicht gut genug?« über die Lippen wandern würde. Und doch war es ja dazu gekommen. Hätte ich einfach meine vorlaute Klappe gehalten, wäre nie die Situation entstanden, in der wir uns gerade befanden. Damit hätte ich uns sehr viel ersparen können. Ich schien ja in letzter Zeit ein Faible für bittere Fragestellungen entwickelt zu haben und hatte nichts Besseres zu tun, als es nun ohne Hemmungen auszuleben. Okay, das war ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für Selbstsarkasmus. Und auch für Reue war es schon viel zu spät. Jetzt mal im Ernst: Seit geraumer Zeit lernte ich völlig neue Seiten an mir kennen, von deren Existenz ich bis dato noch nicht einmal etwas geahnt hatte. War womöglich doch etwas Wahres dran an der Theorie, dass man sich selbst erst in einer Beziehung kennenlernte und neue Facetten an sich entdeckte? Gut, das traf bei mir nicht ganz zu, aber dafür ein nicht unerheblicher Aspekt: Ich war zweifelsohne in einem Zustand des Verliebtseins. Vielleicht bot ich sogar noch mehr Angriffsfläche, weil meine Liebe echt war. Dies war in der heutigen Zeit ja nicht mehr unbedingt ein elementarer Bestandteil einer Beziehung. Vielen reichte es schon, wenn man sich einfach nur mochte. Aber um auf meine These zurückzukommen: War das wirklich so? Dass man sich erst kennenlernte, wenn man jemanden liebte? Oder war es schlicht und ergreifend darauf zurückzuführen, dass die Liebe einen mit ihrer Macht veränderte? Ach du liebe Zeit – ich klang ja schon wie Taiki, so, wie ich gerade alles zu Tode analysierte. War da vielleicht eine Art Selbstschutzmechanismus? Um Abstand von der Sache zu gewinnen, indem ich krampfhaft versuchte, meine beschissene Lage aus einem nüchternen Blickwinkel zu betrachten? Ich tat es ja schon wieder! Ganz unabhängig davon, was die Ursache dafür auch sein mochte: Es fühlte sich falsch an, ausgerechnet jetzt so darüber nachzugrübeln. Nicht nur das: Es war falsch. Es sah nicht so aus, als würde ich in diesem Leben noch eine Antwort auf diese überaus dämliche Frage erhalten. Wieso sollte ich auch? Ich hätte mir selbst eine schallende Ohrfeige verpassen können für diese unmögliche Handlung. Wie hatte ich sie ihr und mir überhaupt zumuten können? Vor allem: Was hatte ich mir davon versprochen? Egal wie ihre Antwort auch ausfallen mochte: Sie würde nichts ändern. Gar nichts. Verbittert blickte ich zur Seite, als ich wieder den Tatsachen ins Auge sah. »Egal, was du auch für mich empfinden magst … Ich werde nie mit deinem geliebten Mamoru mithalten können. Das ist mir durchaus bewusst.« Usagi senkte ihren leeren Blick. Das war‘s. Mehr würde nicht mehr kommen. Mit dieser Frage hatte ich alles zerstört, ich Vollpfosten. Gerade wollte ich ansetzen, das Gespräch schweren Herzens nun wirklich zu einem Ende zu bringen und meine Hoffnung endgültig im Keim zu ersticken, doch sie kam mir zuvor. Mit einem Satz, der mir den Boden unter den Füßen mit einem Mal wegzog. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was du für mich bist. Ich habe immer gedacht, du wärst eine meiner engsten Freunde, doch … das stimmt nicht. Da ist … mehr.« Das letzte Wörtchen war nur noch ein Flüstern, doch ich verstand es nur allzu deutlich. Als hätte sie es mir durch ein Megafon ins Ohr geschrien. Denn dieses eine Wort bedeutete mir alles. In dieser Sekunde brachen alle meine Dämme. Das letzte Stück Selbstbeherrschung war nun wie ein Geist von mir gewichen. Ich packte sie sanft und zugleich bestimmend an den Schultern und sah sie energisch an. In die unschuldigen großen blauen Augen, die ich so sehr begehrte. »Wie kannst du so etwas Wichtiges nicht genau wissen, Usagi? Schau mir in die Augen und sag mir gefälligst, dass du mich nicht liebst! Dann schwöre ich dir bei Gott, werde ich dich damit für immer in Ruhe lassen!« Völlig überrumpelt über meinen plötzlichen Gefühlsausbruch sah sie mich mit geweiteten Augen an. Wie ein geblendetes Rehkitz, welches sich nicht mehr rühren konnte. Nicht einmal einen einzigen Millimeter. Erschöpft lehnte ich meine Stirn an ihre Schulter. »Ich bitte dich …« Als längere Zeit nichts von ihr zu hören war, kam ich allmählich wieder zur Besinnung. Was hatte ich sie da diesmal gefragt? Was hatte ich mir mal wieder bloß dabei gedacht? Wenn ich so weitermachte, übertraf ich mich tatsächlich noch selbst, was die bitteren Fragestellungen anging. Egal wie schlimm es war: Ich konnte immer wieder noch eins draufsetzen. Stolz war ich darauf allerdings nicht. Im Gegenteil. War ich eigentlich überhaupt noch zu irgendetwas Sinnvollerem fähig? Ich war so ein Nichtsnutz. Ein hoffnungsloser Versager, der rein gar nichts mehr richtig auf die Reihe brachte. Bei mir war doch echt schon Hopfen und Malz verloren. Auf eine seltsame Weise spendete mir dieser Gedanke sogar Trost. Ich hatte sie nämlich gar nicht verdient. Ich war es nicht einmal wert, überhaupt von ihr angesehen zu werden. Ich sollte schon dankbar sein, dass sie mich überhaupt wahrnahm. Was sollte sie denn bitteschön mit einem Taugenichts wie mir anfangen? Selbst ein nasses Handtuch wäre brauchbarer. Mit diesem Gedanken würde mir mein Weggang sicher leichter fallen. Irgendetwas Positives musste ja dabei herausspringen. Wenigstens etwas. Sofort versuchte ich abermals, diese Situation zu entschärfen. Sie runterzuspielen. Zu retten, was noch zu retten war. Es sollte sich nichts zwischen uns ändern. Es durfte sich nichts ändern. Wir konnten nicht in ein- und derselben Galaxie leben. Das war uns nicht gestattet. Das Schicksal ließ es nicht zu. Wir waren nicht füreinander bestimmt. So einfach war das. »E– Es tut mir leid, Schätzchen. Meine Gefühle sind mit mir durchgegangen. Ich habe Schwachsinn gelabert. Es ist alles in bester Ordnung. Tut mir leid, wenn ich dir gerade Angst eingejagt habe. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Du brauchst dir wirklich um mich keine Gedanken zu machen. Mir geht es gut.« Hoppla, das war ja ein echter Redeschwall. Ich sah direkt in ihr fassungsloses Gesicht. Ich las Mitgefühl in ihren Augen. Doch das schenkte mir keinen Trost. Ich wollte nach wie vor kein Mitleid von ihr. Sie hatte das größte Herz, das ich kannte. Es war so groß, dass jeder im ganzen Universum darin Platz fand. Sie war fähig, jedem Menschen Zuneigung, Mitgefühl und Freundschaft zu schenken. Doch ich war eine der wenigen Menschen, der sich damit nicht zufriedengeben konnte. Ihre reine Freundschaft reichte mir nicht. Ich verlangte nach mehr. Nach ihrer wahrhaftigen Liebe. Doch diese Liebe war für mich ein absolutes Tabu. Meine Gier grenzte beinahe schon an einer Straftat. Und genau deshalb … durfte ich mich nicht mehr in ihrer Nähe aufhalten. Dazu hatte ich nicht einmal mehr das Recht. Langsam ließ ich sie schweren Herzens los, wandte mich von ihr ab und bewegte mich auf die Tür zu. Meine Bewegungen sahen leicht aus, doch das war mal wieder ein gutes Beispiel dafür, wie sehr der äußere Schein doch trügen konnte. In Wahrheit fühlten sich meine Beine wie tonnenschwerer Beton an. Genau wie mein Herz, das von diesem Gewicht fast zerquetscht wurde. Ich musste standhaft bleiben. Ich durfte mich nicht zu ihr umdrehen. Dafür hatte ich keine Erlaubnis. »Ich muss jetzt gehen. Wenn wir es nicht schaffen sollten, das ›Licht der Hoffnung‹ mit diesem Konzert zu finden, dann …« Ich drehte den Türknauf auf und verließ das Zimmer. Ließ alles hinter mir. Auch … sie. »… dann werden wir in dieser letzten großen Schlacht unser Leben einsetzen. Taiki, Yaten? Lasst uns unser Bestes geben!« Kapitel 2: One-Sided Love? -------------------------- Kapitel 2: ONE-SIDED LOVE? »Das, was ich für dich empfinde, darf keine ›Liebe‹ sein …« Schweigend standen wir uns gegenüber. Mein Blick war zu Boden gerichtet. Ich traute mich gar nicht, ihm in die Augen zu sehen nach allem, was passiert war. Aber aus welchem Grund eigentlich? Es hatte sich doch zwischen uns gar nichts geändert. Seiya war nach wie vor Seiya. Immer noch mein bester Freund. Warum sollte also jetzt etwas anders sein? Warum sollte ich ihn anders behandeln als vorher? Nur, weil er mehr Gefühle für mich hatte, als es für einen besten Freund üblich war? Wer hätte jemals gedacht, dass wir uns einmal in so einer Situation befinden würden? In so einer … hoffnungslosen Situation? Zumindest für ihn. Oder traf diese Beschreibung etwa auch auf meine Lage zu? Auf jeden Fall hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass sich unsere Verbindung zu so etwas … ja, Kompliziertem entwickeln würde. Ich hatte bis zum gestrigen Abend nicht einmal einen blassen Schimmer von seinen Gefühlen für mich gehabt. Wie konnte ich auch nur so blind gewesen sein? Denn erst nach diesem gestrigen Vorfall hatte sich mein eingeschränktes Sichtfeld endlich geweitet. Erst ab diesem Zeitpunkt waren mir all die Dinge aufgefallen, die mir hätten offenbaren sollen, dass Seiya in mir mehr als nur ein gewöhnliches Mädchen sah. Allein schon, wie wir uns kennengelernt hatten. Wie er mir von Anfang an schöne Augen gemacht hatte. Er hatte mich schon bei unserem ersten Treffen »Schätzchen« genannt. Okay, das hätte ich vielleicht wirklich noch als harmlose Flirterei abstempeln können. Denn dass er ein Draufgänger war – daran gab es nicht den geringsten Zweifel. Man sah es ihm sogar auf den ersten Blick an: Er war attraktiv, charmant und strahlte ein gigantisches Selbstbewusstsein aus. Wenn nicht sogar eine leichte Arroganz, die jedoch trotzdem etwas Sympathisches und Liebenswürdiges an sich hatte. Doch spätestens, als er damit begann, immer wieder meine Nähe zu suchen, hätte ich stutzig werden müssen. Erst jetzt ließ ich alle Anzeichen Revue passieren. Er hatte seinen freien Tag mit mir verbringen wollen und hat mich um ein Date gebeten. Oder was heißt gebeten: Er hatte es beschlossen. Bei keinem anderen Typen wäre ich darauf eingegangen, doch ich war trotzdem erschienen. Sogar überpünktlich, was bei mir so gut wie nie vorkam. Doch es war mir irgendwie wichtig, zu kommen. Weil mir doch etwas an ihm gelegen hatte, auch wenn ich es mir selbst nie hatte eingestehen wollen. Und auch, als er sich sofort bereiterklärt hatte, mein Bodyguard zu sein an dem Tag, wo ich hätte alleine zu Hause sein müssen. Während die anderen mich eiskalt hätten alleine gelassen, war er gekommen – und das, obwohl er als angesehener Star eigentlich ziemlich beschäftigt gewesen war. Unerklärlicherweise hatten meine Freundinnen dann plötzlich doch Zeit gehabt. Was mich im Nachhinein fast schon ein wenig gestört hatte, musste ich insgeheim zugeben. Seine ziemlich begrenzte Freizeit hatte er auch damit verbracht, mir das Softballspielen beizubringen, obwohl er sicher viel sinnvollere Dinge zu tun gehabt hätte. Er hatte immer ganz besonders auf mich aufgepasst, mich nach Hause begleitet und mir zugehört. Auch dachte ich zurück an den Abend im Flugzeug. Wie nahe er mir gekommen und mir versichert hatte, dass er mich beschützen würde. Seine Augen hatten Bände gesprochen. Voller Zuversicht, mich mit Einsatz seines Lebens zu beschützen. Er war sogar so weit gegangen, mir sein größtes Geheimnis zu offenbaren und sich vor meinen Augen in Sailor Star Fighter zu verwandeln. Er hatte immer sein Wort gehalten mir gegenüber. Nicht zu vergessen seine Botschaft an dem Abend in dieser Radiosendung. Und unmittelbar danach sein geglückter Versuch, mich vor Tin Nyankos Attacke zu retten, was ihn selbst fast das Leben gekostet hätte. Er hatte sich ohne zu zögern vor mich geworfen. Nicht nur damals, sondern auch bei unserem großen Kampf gegen Galaxia. Oder wie er am Abend vor dem Schulfest unter meinem Fenster stand. Welcher junge Mann spannte vor dem Fenster einer jungen Frau, wenn kein Interesse da gewesen wäre? Und als er am nächsten Tag tatsächlich beim Schulfest aufgetaucht war, dann doch nur, um mich zu sehen. Warum fielen mir all diese eindeutigen Hinweise erst jetzt auf? Ich bin doch so dumm gewesen. Viel zu dumm. Wieso ärgerte mich das denn überhaupt? Hätte es irgendetwas an unserem Stand geändert, wenn ich mir über seine Gefühle schon eher im Klaren gewesen wäre? Hätte es das? Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann wir uns jemals so lange angeschwiegen hatten. Zwischen uns gab es doch nie eine längere Gesprächspause von einigen Sekunden. Wir hatten uns immer irgendetwas zu erzählen gehabt. Erst in diesem Moment, wo es eben nicht mehr der Fall war, merkte ich, dass mir diese Offenheit zwischen uns fehlte. Wie sehr ich es genossen hatte, über alles mit ihm sprechen zu können und mich in keinster Weise zurückhalten zu müssen. Er war der Einzige, bei dem ich so ausgelassen sein konnte. Waren diese schönen Zeiten nun endgültig vorbei? Allein der Gedanke tat höllisch weh. Diese Stille zwischen uns war erdrückend und zerriss mich innerlich. Zu meiner großen Erleichterung ergriff Seiya endlich das Wort. »Das gestern … das war ehrlich gemeint«, begann er und schloss seine Augen. Sofort rief ich mir seine Worte zurück ins Gedächtnis. Obwohl das eigentlich gar nicht notwendig war – schwirrten mir jene Worte doch sowieso schon den ganzen Tag im Kopf herum. Die Worte, die ein für alle Mal keine Fragen mehr offenließen. Die Worte, die selbst mir als personifizierte Begriffsstutzigkeit deutlich machten, wie viel er in Wirklichkeit für mich empfand. Die Worte, die nur einen einzigen Schluss zuließen: dass er mich liebte. »Bin ich denn nicht gut genug für dich?« Ich hatte ihm keine Antwort gegeben. Viel zu verdattert war ich über diese unerwartete Frage gewesen. Die Frage, die im Nachhinein gesehen gar nicht so unerwartet gekommen war. Die für einen Schnellchecker, für den es ein Leichtes war, alles gleich zu durchschauen, sogar absehbar gewesen wäre. Nun hatte ich mir aber eigentlich fest vorgenommen, klare Verhältnisse zu schaffen, weil ich Seiya nicht unnötig verletzen wollte. Doch leichter gesagt als getan. Wie sollte ich ihm bloß schonend beibringen, dass es für uns keine gemeinsame Zukunft geben konnte? Es war einfach nicht möglich, auch wenn ich gewisse Gefühle für ihn entwickelt hatte. Das konnte ich nun nicht mehr abstreiten. Ich hätte damit nur meine eigenen Gefühle verleugnet. So langsam war ich aus dem Alter raus. Denn würde ich ihn wirklich nur als einen Freund sehen, hätte mich sein Geständnis doch nie so aus der Bahn geworfen, oder? Wie sollte ich ihm denn nur klarmachen, dass er zwar mehr als nur gut genug für mich war, ich jedoch trotzdem bereits Mamoru hatte? Und dass wir uns gerade deswegen, wie Haruka mir vorhin schon gesagt hatte, nicht mehr wiedersehen sollten? Wie sollte ich ihm das erklären? Doch so offen musste ich zu ihm sein. Es führte kein Weg daran vorbei. Ich hatte gar keine andere Wahl. Das war ich ihm schuldig. Das war das Mindeste, was ich für ihn tun konnte. Denn ich … kannte meine Zukunft bereits. Ich wusste, was unweigerlich geschehen würde. Und es war meine Aufgabe, mein Schicksal zu erfüllen. »Seiya, ich muss dir … «, brach ich mitten im Satz ab. Kriegte ich eigentlich überhaupt irgendetwas gebacken? Warum nur fiel mir das nur so verdammt schwer? Etwa, weil ich es selbst gar nicht wollte? Weil ich ihn auch in meiner Zukunft wiedersehen wollte? Weil ich diejenige war, die ihn nicht verlieren wollte? »Bitte fühl dich nicht verunsichert, dass ich dich liebe. Ich weiß genau, dass es eine einseitige Liebe ist.« Während er diese Worte aussprach, klang er so seltsam heiter. Zwang er sich dazu oder ging es ihm wirklich gut? Ging es ihm womöglich sogar besser als mir, obwohl das in Anbetracht der Situation eigentlich undenkbar war? Was lief hier bloß falsch? Plötzlich ging er auf mich zu und näherte sich meinem Gesicht. Sein frischer Atem streichelte meine Wange. Mich überkam augenblicklich eine wohlige Gänsehaut. Meine Wangen glühten und ich hoffte inständig, dass sie kein Rotschimmer schmückte – doch ich befürchtete es fast. »Nach dem Konzert entführe ich dich in ein wunderschönes Traumland«, hauchte er leise. Überrumpelt zuckte ich zusammen. Mein Herz überschlug sich fast mehrfach. So laut schlug es, dass ich bereits Sorge hatte, dass Seiya es hören könnte. So heftig, dass es mir vorkam, dass es immer wieder gegen meine Rippen schlug – was natürlich völliger Quatsch war. Was war das für ein Gefühl? Solch ein starkes Herzklopfen hatte ich noch nie verspürt. Noch nicht einmal … bei Mamoru. Entsetzt fuhr ich hoch. Was hatte ich da eben gedacht? Wie konnte ich nur auch nur solche Gedanken hegen? Es war mir verboten, so etwas auch nur zu denken. Kein anderer Mann außer Mamoru durfte so eine überwätigende Wirkung auf mich haben. Niemand anderem war es gestattet, meine Gefühlswelt so durcheinanderzubringen. Doch diese innere Predigt verpuffte auf der Stelle, als ich Seiya in die unsagbar tiefblauen Augen sah und kurz davor war, mich darin zu verlieren. Am liebsten würde ich ihn direkt fragen, was genau er denn mit diesem Satz gemeint hatte. Doch zum Glück musste ich es gar nicht – denn er gab mir die Antwort auch so. Ob er meine unausgesprochene Frage aus meiner Miene abgelesen hatte? Natürlich. Er hatte mich schon immer auch ohne Worte verstanden. Seit wir uns kannten. Noch nie hatte ich mich von einem anderen Menschen so verstanden gefühlt wie von ihm. Er drehte dabei seinen Kopf weiter in meine Richtung und schenkte mir einen warmen Blick. »Inzwischen liebe ich dich so sehr, dass ich mir wünschte, ich könnte das tun, was ich gerade gesagt habe.« Mein Herz zog sich schmerzlich zusammen, als hätte es gerade einen bösen Krampf zu durchleiden. Es hatte einfach keinen Sinn: Wir lebten in verschiedenen Welten. Er musste früher oder später mit der Prinzessin, Taiki und Yaten zu seinem Heimatplaneten zurückkehren und ihn wieder neu aufbauen. Das war seine Mission. Und meine Mission war es, eines Tages zusammen mit Mamoru unser Sonnensystem zu beherrschen. Die Dinge würden so kommen. Irgendwelche Abweichungen oder Veränderungen waren ausgeschlossen. Er musste eben tun, was er tun musste. Und ich musste nun, was ich tun musste. So sollte es sein. So musste es sein. So würde es ganz gewiss auch werden. Doch warum um alles in der Welt stimmte mich dieser Gedanke daran so … unendlich traurig? »Es war mir sehr wichtig, dir zu sagen, was ich für dich empfinde. Meine Zeit als ›Seiya‹ auf dieser Erde geht langsam dem Ende entgegen.« Irrte ich mich oder versuchte er, dabei so locker wie nur möglich rüberzukommen? Die nächsten Fragen schossen sogleich wie Raketen durch mein Hirn: Warum wollte er mir etwas vormachen? Warum konnte er nicht mehr so offen und ehrlich zu mir sein wie bisher? Warum … war das so? Warum musste sich zwischen uns alles so drastisch ändern? Warum konnte es nicht so sein wie bisher? Das durfte ich nicht zulassen. Ich wollte nicht tatenlos dabei zusehen, wie unsere Freundschaft den Bach runterging. »Seiya!«, rief ich verzweifelt. Doch noch im gleichen Moment hielt ich inne. Ich wollte irgendetwas sagen. Aber was? Eine verdammt gute Frage. Schließlich wollte ich ihm keine falschen Hoffnungen machen. Dennoch wollte ich ihn unbedingt aufheitern und von seinen seelischen Qualen erlösen. Doch ich war viel zu aufgewühlt, um die richtigen Worte zu finden. Aufgewühlt, weil es mir so sehr auf der Zunge brannte, ihn zu bitten, hier bei mir zu bleiben. Ihn zu bitten, nicht zu gehen. Genau so war es. Am liebsten würde ich auf die Knie fallen und ihn hemmungslos unter Tränen anflehen, für immer bei mir zu bleiben und mich zu beschützen, weil ich mich noch nie bei jemandem so sicher gefühlt hatte wie bei ihm. Weil ich tief in mir wusste, dass er derjenige war, der mich am allerbesten beschützen konnte. Doch das durfte ich nicht. Es war nicht seine Aufgabe, mich zu beschützen, sondern die Aufgabe eines anderen. Und auch Seiya musste einzig und allein seine Prinzessin beschützen und sonst niemanden. Wie konnte ich nur so eigennützig sein und auch nur mit dem Gedanken spielen, so etwas Ungeheuerliches von ihm zu verlangen? Nur, weil ich schwaches Mädchen einen Bodyguard brauchte und er in meinen Augen am geeignetsten dafür war. Das war unverzeihlich. Viel zu feige war ich, um zu ihm aufzublicken. Was, wenn er jetzt wirklich darauf wartete, bis ich aussprach, was ich aussprechen wollte? Er würde mich doch für komplett bescheuert halten, wenn ich ihn wieder nur anschwieg. Das hatte ich mal wieder toll hinbekommen, ich Heldin! Entweder er merkte meine Zerrissenheit und war gnädig oder er wollte mich gar nicht erst ausreden lassen, als er dabei war, wieder zu Wort zu kommen. »Bitte entschuldige, aber es ist wichtig, dass ich mich jetzt auf unser Abschiedskonzert vorbereite.« Ich schreckte aus meinem inneren Wirrwarr auf. Gequält nahm ich zur Kenntnis, dass es mir wehtat, dass er unsere Unterhaltung anscheinend so schnell es ging hinter die Bühne bringen wollte. Es kam noch schlimmer: Er wollte sich nun wirklich verabschieden. Bitte nicht. Bitte lass dieses endgültige Aus niemals eintreten, lieber Gott. Diesen Verlust werde ich niemals überwinden können. »Ich wünsche dir, dass du deinen Freund bald wiedersiehst.« Ich hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Abermals wuchs der nichtsnutzige Frosch in meinem Hals, während ich ihn nur bestürzt anstarren konnte. Ich fand in seinen unsagbar blauen Augen eine Mischung aus Sehnsucht und erzwungene Freude. Doch in erster Linie entdeckte ich darin die Liebe des kompletten Universums vereint … Es fühlte sich so verkehrt an. So falsch, gerade diese Worte aus seinen Lippen zu hören. Meine Augen füllten sich allmählich mit Tränen, denn ich konnte mir vorstellen, wie schlimm es gerade für ihn sein musste. Ich konnte seinen seelischen Schmerz nahezu am eigenen Leibe spüren. Mir war klar, dass es sein Schmerz war, der sich gerade stürmisch in meiner Brust ausbreitete. Vermischt mit meiner eigenen Verzweiflung. Es zerbrach mir das Herz, ihn so zu sehen. Warum nur musste er sich ausgerechnet in mich verlieben? Er war doch so ein wundervoller Mensch … Er hatte etwas viel Besseres als mich verdient. Jemanden, der dazu fähig war, ihn glücklich zu machen. Denn das wäre das Mindeste für ihn gewesen. Aber warum löste die Vorstellung, Seiya neben einer atemberaubend schönen Frau zu sehen, so eine Übelkeit in mir aus? Oh Gott. Ich erschrak selbst am meisten über meine kranken Empfindungen. War ich inzwischen schon so egoistisch geworden, dass ich es ihm gar nicht erlauben wollte, eine andere Frau als mich anzusehen, geschweige denn zu lieben? Ich hatte mich doch tatsächlich zu einer grausamen Hexe entwickelt. Sichtlich überfordert von der ganzen Situation brachte ich nicht mehr als ein kleinlautes »Tut mir leid« heraus, bevor ich noch irgendetwas Falsches sagen konnte, was ich später bereuen würde. Was sollte ich denn sonst großartig dazu sagen? Leider durfte ich ihm nicht den Gefallen tun und ihm die Worte zuflüstern, nach denen er sich insgeheim sehnte. Die Worte aus meinen Lippen, die er sich mehr als alles andere auf dieser Welt wünschte: Ich kannte sie. Ich konnte sie deutlich aus seiner Seele herauslesen, die er mir nun so offen wie noch nie darlegte. Dass seine Liebe nicht einseitig war. Doch das würde ich ihm niemals verraten dürfen. Ich durfte nicht so rücksichtslos sein. Von dieser bittersüßen Wahrheit durfte er nie etwas erfahren. Er winkte sofort ab, versuchte mal wieder, alles locker runterzuspielen und seine altbewährte Coolness raushängen zu lassen. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug, um diese Geste als abgedroschene Fassade zu enttarnen. Er konnte mir nicht mehr länger etwas vormachen. Ich war lange genug blind gewesen. Doch auch diese Erkenntnis half mir nicht wirklich weiter. Ihn direkt darauf ansprechen konnte ich auch nicht. Am liebsten würde ich ihn fragen, warum er sich so sehr damit quälte. Etwa aus dem gleichen Grund wie ich? Wegen unserem unausweichlichen Schicksal, der uns dazu zwang, an dieser Stelle stehen zu bleiben und nicht mehr gemeinsam voranzuschreiten? »Nein, es braucht dir nicht leidzutun, wirklich! Ich …« Seine saphirblauen Augen leuchteten schlagartig auf, als er mich plötzlich verklärt ansah und in dieser Sekunde einen Entschluss zu fassen schien. Langsam näherte er sich mir. Instinktiv wich ich zurück. Er wollte mich doch nicht etwa … küssen? Das durfte ich nicht zulassen – wie sollte es denn danach mit uns weitergehen? Wie könnten wir uns danach noch in die Augen schauen? Wir waren doch eh schon viel zu weit gegangen. Viel weiter, als es uns eigentlich erlaubt war. Was dachte er sich nur dabei? Dachte er überhaupt? Oder war er auch ein Gefühlsmensch, der sich von seinem Herz leiten ließ – genau wie ich es tief in meiner Seele eigentlich auch war, nur gerade damit beschäftigt war, mich krampfhaft gegen mein eigenes Naturell zu wehren? Kaum als ich es mich versah, trafen seine weichen Lippen zärtlich die oberste Stelle meiner Wange. »Wie schade, dass wir uns nicht schon früher begegnet sind … mein Schätzchen.« Er lächelte dabei, doch sagte es mit unendlicher Wehmut, die ich mehr heraushörte, als mir lieb war. Mehr, als mein angeschlagenes Herz aushalten konnte. Ja, vielleicht wäre dann alles doch anders verlaufen. Aber ob sich dann auch etwas an unserer Zukunft geändert hätte? Wer wusste das schon? Doch was brachte es, sich jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen, was theoretisch hätte geschehen können? Am Ende war man doch genauso schlau wie vorher und immer noch keinen einzigen Schritt weiter. Nun konnte ich aber erst recht nicht aufhören zu weinen. Es klang nach Abschied. Nach einem Abschied für immer. War es das denn nicht auch? Das wollte ich aber nicht. Mein Herz wollte nicht, dass es zu Ende ging. Doch wir waren nun dabei, mit riesigen Schritten geradewegs auf das Ende zuzurasen. »Seiya …« Mehr brachte ich nicht heraus. Und meine Tränen fanden weiterhin kein Ende. Nein, so konnte ich das nicht zwischen uns stehen lassen. Meine Beine bewegten sich wie von Geisterhand auf ihn zu, bevor ich mich ohne Vorwarnung an seine stählerne Brust schmiss. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich zur Kenntnis nahm, dass er nach kurzem Zögern doch seine Arme um mich schlang. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, welches gerade meinen gesamten Körper durchflutete und mich gewaltsam mit sich fortriss. In dieser innigen Umarmung verharrten wir für einige Zeit. Ich konnte nicht sagen, ob es sich um Sekunden oder Minuten handelte. Das Einzige, wo ich mir sicher war, war mein verbotener Wunsch, dass er mich nie wieder loslassen sollte. Dieser Wunsch war auch nicht zu ignorieren, da die Stimme meines Herzens ihn ununterbrochen und lautstark äußerte. Es war wunderschön, so in seinen Armen zu liegen. Hier an diesem sicheren Ort konnte mir nichts auf diesem Universum etwas anhaben. Ich kostete diesen Moment aus. In vollen Zügen. Was blieb mir denn noch? Ich wusste ja, dass dies die allerletzte Gelegenheit war, ihm so nahe sein zu können. Ihm so nahe sein zu dürfen. Schließlich hatten wir hiermit das absolute Limit für uns erreicht. Auch war mir klar, dass das hier mehr als nur falsch war. Dass ich mich ihm gegenüber total eigennützig und unfair verhielt. Ich pflanzte Hoffnung in ihm, wo keine sein sollte. Ich handelte gerade rein nach meinem Instinkt – wie ein wildes Tier. Doch das war mir egal: Ich wollte ihn unter keinen Umständen gehen lassen. Wo doch schon Mamoru mich verlassen hatte. Seiya auch noch zu verlieren … das könnte ich niemals ertragen. Tja, Selbstegoismus ließ grüßen. Er hatte nun vollständig von mir Besitz ergriffen und verwandelte mich wirklich in eine selbstsüchtige, verwöhnte Göre, die nur an sich und ihr eigenes Wohlergehen dachte und keinerlei Rücksicht auf die Gefühle ihrer Mitmenschen nahm. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Die Liebe konnte einen wirklich sehr negativ beeinflussen und die hässlichste Seite aus einem herausholen. Schockiert stellten sich mir im gleichen Moment die Nackenhaare auf. Warum verband ich das Wort »Liebe« mit »Seiya«? Dass ich eine tiefe Zuneigung zu ihm hatte, ließ ich ja noch eingehen, denn so und nicht anders war es. Aber … Liebe? Ich verwarf diesen Gedanken schleunigst und begann – ohne darüber nachzudenken – offen zu ihm zu sein und ihm alles zu erzählen. »Haruka hat mir gesagt, dass ich dir sagen soll, dass wir uns nie wiedersehen dürfen. Und ich … ich habe wirklich mit dem Gedanken gespielt, es zu tun. Um es … dir einfacher zu machen. Um es uns einfacher zu machen. Doch ich … ich kann das einfach nicht. Dafür bedeutest du mir schon zu viel. Viel zu viel …« Unter Tränen offenbarte ich ihm die Umstände, war mir selbst gar nicht im Klaren darüber, was ich da eigentlich gerade von mir gab. Was meine Worte wirklich zu bedeuten hatten. Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus wie ein unbändiger Wasserfall. Ich hatte ja ihm gegenüber schon immer ein besonderes ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis gehabt. Noch nie haben sich meine Gefühle und Worte so heimisch gefühlt wie bei ihm. Sie spürten, dass sie bei ihm am besten aufgehoben waren. So war das schon immer zwischen uns gewesen: Ihm konnte ich ausnahmslos alles erzählen, ohne mich zurückzuhalten und Angst haben zu müssen, dass er sich über mich lustig machen könnte. Als Antwort blinzelte er mich nur sichtlich irritiert an. Als ob er sich allen Ernstes fragen würde, ob ich bescheuert geworden war. Na ja, so weit hergeholt war das ja gar nicht. Um nicht zu sagen: Es entsprach sogar der Wahrheit. Das war die einzig logische Erklärung für mein jetziges Verhalten. Allmählich befreite sich Seiya aus der Umarmung. Augenblicklich fing eine nahezu unerträgliche Eiseskälte an, sich in meinem Körper auszubreiten, die jedoch gleich wieder im Nebel verschwand, als er mir intensiv in die Augen sah. Mit einem Blick, der mir den Atem raubte und alles um mich herum vergessen ließ. »Sag mir … Wer bin ich für dich?« Wer du … für mich bist? Ich war wie versteinert. Jegliche Farbe wich aus meinem ohnehin schon blassen Gesicht. Von allen möglichen Fragen, die es gab – warum musste er mir ausgerechnet so eine Frage stellen? Mein armes Herz – schlug es überhaupt noch? Ich spürte keine Schläge mehr … Verbittert blickte er zur Seite, ehe ich überhaupt meinen Mund aufmachen konnte. »Egal, was du auch für mich empfinden magst … Ich werde nie mit deinem geliebten Mamoru mithalten können. Das ist mir durchaus bewusst.« Mein Blick wurde leer, als ich ihn schuldbewusst senkte. Ich war wieder einmal verstummt. Warum nur … fühlte ich mich so miserabel für meine Gefühle? So schuldig, dass ich Mamoru liebte? Warum fühlte sich das in meinem Herzen so … unrichtig an? Schließlich war es doch richtig, ihn zu lieben. So sollte es doch sein, verdammt! Abermals fasste ich einen folgenschweren Entschluss: Ich musste ehrlich zu ihm sein. Wenigstens dieses eine Mal, auch wenn danach alles völlig aus dem Ruder laufen würde. Ich musste einfach. Im Grunde konnte ich eh nichts dagegen unternehmen, weil mein Mund sich mal wieder selbstständig machte. Das war ja nicht unbedingt eine Premiere an diesem Abend. Eher konnte dieses Phänomen bald sein Jubiläum feiern in kürzester Zeit. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was du für mich bist. Ich habe immer gedacht, du wärst eine meiner engsten Freunde, doch … das stimmt nicht. Da ist … mehr.« Oh Gott – hatte ich das gerade wirklich laut ausgesprochen? Obwohl das letzte Wörtchen nicht mehr als ein Flüstern war, verriet mir seine darauffolgende Reaktion, dass er mich trotzdem sehr gut verstanden hatte. Ehe ich es mich versah, hatte er mich sanft und zugleich bestimmend an den Schultern gepackt und sah mich nun energisch an. Wieder musste ich mir eingestehen, wie sehr ich seinen dunklen Augen schon verfallen war. Sie waren so blau wie die sternenklare Nacht. »Wie kannst du so etwas Wichtiges nicht genau wissen, Usagi? Schau mir in die Augen und sag mir gefälligst, dass du mich nicht liebst! Dann schwöre ich dir bei Gott, werde ich dich damit für immer in Ruhe lassen!« Völlig entsetzt über seinen blitzartigen Gefühlsausbruch sah ich ihn mit geweiteten Augen an. Es war so, als wäre ich in eine Schockstarre versetzt worden. Wie musste das nur für ihn aussehen? Warum machte ich mir überhaupt darüber Gedanken? Es war mir doch sonst auch immer ziemlich schnuppe gewesen, was er von mir gehalten hatte. Oder? Erschöpft lehnte er seine Stirn an meiner Schulter. »Ich bitte dich …« Eine Kette von unverhofften Reaktionen fand in meinem Körper statt. Kein einziger Ton wollte meine verflixten Stimmbänder verlassen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich hörte selbst das Rauschen meines in Wallung geratenen Blutes in den Ohren. Mein Rachenraum war zu einer staubtrockenen Wüste geworden. Ich war mir sicher, dass er trockener war als die größte Wüste der Erde. Wie hieß sie nochmal gleich? Oh je, wieder konnte ich aus dem Stegreif nicht mehr auf die Lerninhalte des Erdkunde–Unterrichts zurückgreifen. Doch eigentlich war ich in diesem Moment sowieso nicht fähig, überhaupt irgendeinen sinnvollen Gedanken zu fassen und meine Gehirnzellen zu beanspruchen. Die hatten sich schon längst von mir verabschiedet und ließen mich nun erbarmungslos im stürmischen Regen der Gefühle stehen. Und das lag nicht nur an seiner Frage, sondern auch an dieser unerwarteten Nähe zwischen uns. Plötzlich blickte er ernüchtert auf und lächelte mich entschuldigend an. Der Ausdruck in seinen Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Das Unfassbare war eingetreten: Der Kampfwille von Seiya Kou war gebrochen. Er war dabei, für immer aufzugeben. »E– Es tut mir leid, Schätzchen. Meine Gefühle sind mit mir durchgegangen. Ich habe Schwachsinn gelabert. Es ist alles in bester Ordnung. Tut mir leid, wenn ich dir gerade Angst eingejagt habe. Das wollte ich auf gar keinen Fall. Du brauchst dir wirklich um mich keine Gedanken zu machen. Mir geht es gut.« Noch nie zuvor in meinem Leben hatte ich mich so entsetzlich mies gefühlt. Um Fassung ringend sah ich ihm in die Augen und versuchte herauszulesen, was in ihnen vorging. Alles, was ich dort fand, war unendlicher Schmerz. Auch mich erfasste zum wiederholten Male die gewaltige Welle der tiefen Trauer und Verzweiflung und spülte mich wieder weit weg. Wie konnte ich diesem Mann nur helfen? Ich hatte bereits viel zu viel offenbart. Viel zu viel von meinen Gefühlen preisgegeben, die mich selbst schockiert hatten. Auch ich hätte nie für möglich gehalten, dass er mir doch so wichtig werden könnte, wie er es heute nun war. Ich hatte mich bereits viel zu weit aus dem Fenster gelehnt. Ich durfte keinen weiteren Schritt mehr weitergehen und uns damit ins sichere Verderben stürzen. Langsam ließ er mich los, wandte sich von mir ab und bewegte sich auf die Tür zu. In diesem Moment erfüllte diese eisige Kälte von vorhin nun vollständig mein Herz. Ihre Dunkelheit nahm gänzlich Besitz über meinen gesamten Körper und ließ mich in ein endloses schwarzes Loch stürzen, aus dem ich mich aus eigener Kraft niemals wahrhaftig befreien konnte. Es war nun wirklich … vorbei. Aber ich musste stark bleiben. Ich durfte ihm nicht hinterherrufen. Ich musste ihn ziehen lassen. Nur für ihn und sein Wohlergehen. Es ging hier nicht um mich. Meine Augen waren auf ihn gerichtet. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm abwenden, war wie gebannt. Selbst wenn ich es gewollt hätte, hätte ich dagegen nicht ankämpfen können. Ich war schon lange nicht mehr Herrin meines eigenen Körpers. Als ob dieser Körper gar nicht mehr mir gehörte, sondern nur geliehen war. Bei einem Kampf gegen ihn wäre ich hoffnungslos unterlegen. Ich hatte nicht mehr die Kraft, mich durchzusetzen. Ich hätte dafür dankbar sein sollen, dass er alles endlich zu einem Ende brachte. Dass er mir diese undankbare Arbeit abnahm. Doch alles, was ich empfand, war Verbitterung. Verbitterung für einen unersetzlichen Verlust. Denn der Preis, den wir für unser Schicksal zahlen mussten, war nichts Geringeres als unsere Freundschaft. »Ich muss jetzt gehen. Wenn wir es nicht schaffen sollten, das ›Licht der Hoffnung‹ mit diesem Konzert zu finden, dann …« Er drehte kurz am Türknauf und verließ entschlossenen Schrittes das Zimmer. Ließ alles hinter sich. Auch … mich. Ich spürte längst keinen Schmerz mehr in meiner Brust. Die Finsternis in meinem Herzen schien sämtliche Empfindungsfähigkeiten verschlungen zu haben. Ich fühlte nicht mehr als … Leere. Endlose Leere. »… dann werden wir in dieser letzten großen Schlacht unser Leben einsetzen. Taiki, Yaten? Lasst uns unser Bestes geben!« Kapitel 3: Because I'm Stupid ... --------------------------------- Kapitel 3: BECAUSE I’M STUPID »… weil ich ein Idiot bin.« Das Konzert hatte begonnen. Ich musste all meine Willenskraft zusammenkratzen, um mich voll und ganz auf unsere Auftritte zu konzentrieren. Leichter gedacht als getan, wie sich ziemlich schnell herausstellte. Ich war noch viel zu aufgewühlt wegen unseres Gesprächs vorhin. Es war natürlich nicht spurlos an mir vorbeigegangen. Wie denn auch? Schließlich war es das wichtigste Gespräch, welches ich bisher in meinem Leben geführt hatte. So etwas hatte man nicht alle Tage. Da war es doch naheliegend, dass es mich immer noch beschäftigte. Mehr noch: Es würde mich noch den Rest meines Lebens begleiten – dessen war ich mir sicher. Für mich würde es wohl sogar das einzige Gespräch überhaupt in dieser Richtung bleiben. Denn für mich war von Vornherein klar, dass ich nie eine andere Frau so sehr begehren könnte wie mein Schätzchen, so vernarrt, wie ich in sie war. Ja, das traf es so ziemlich auf den Punkt: Ich war ein Narr, weil ich mich trotz der gegebenen und zumindest für mich äußerst ungünstigen Umstände in sie verguckt hatte. Und dabei hatte ich mich extra von Anfang an ermahnt, ja nicht mehr als Freundschaft bei ihr zuzulassen. Sie hatte mir sogar schon bei unserem ersten Treffen mehr als deutlich mitgeteilt, dass es für sie keinen anderen Mann als ihren Mamoru gab. Tief in mir drin hatte ich mich eigentlich damit abgefunden und wollte nur ganz harmlos ein wenig mit ihr flirten ohne irgendwelche tieferen Hintergedanken. Denn so rein und unschuldig, wie sie war, würde sie sich nie auf jemanden einlassen, solange sie einen Freund hatte. Erst recht, wenn sie ihn so sehr liebte, dass sie sogar vorhatte, ihn zu heiraten. Ich hatte mir eigentlich nie wahre Chancen bei ihr ausgerechnet – so hatte ich zumindest geglaubt. Denn je mehr ich sie kennengelernt hatte, desto mehr war ich ihr am Ende doch verfallen. Alles an ihr hatte mich fasziniert. Ihre strahlend blauen Augen. Ihr liebliches, rundes Gesicht. Ihre langen, blonden Haare. Ihre naive Stimme. Ihre unbeschreibliche Ausstrahlung. Einfach alles. Ehe ich es mich versah, war es geschehen: Ich hatte ihr mein Herz geschenkt. Für immer und unwiderruflich. Ich konnte nicht mehr als nur hilflos dabei zuzusehen und hatte mir damit blind das teure Ticket für den Zug gekauft, der mich geradewegs in die Hölle des Unglücks bringen würde. Es war einfach passiert, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte. Ich hatte nie eine Chance gehabt. Nicht einmal den Hauch einer Chance. Vor zwei Tagen hatte ich sogar erstmals ein Lied über meine Gefühle geschrieben, welches ich jetzt nun singen würde. Zwar wussten Taiki und Yaten, dass ich einen Solo–Auftritt eingeplant hatte, doch das Lied kannten sie noch nicht. Das hätte sonst nur Ärger gegeben, da dieser Text eindeutig war und keinerlei Fragen offenließ. Ich wünschte mir sogar, dass die Botschaft, die dahintersteckte, auch bei Usagi ankommen würde. Selbst, wenn das alles komplizierter machen würde. Ich wollte diese Unterhaltung von vorhin nicht so stehen lassen. Irgendetwas lag noch in der Luft. Ich wollte auf diese zugegebenermaßen unkonventionelle Art endgültig mit diesem Thema abschließen. Das Lied sollte unsere Situation perfekt abrunden. Spontan entschied ich, ihr sogar aktiv eine Botschaft damit zu überbringen. Meine weiblichen Fans kreischten, wie es zu erwarten war, lauthals Beifall, als ich verkündete, ein Lied alleine zu singen. Ich wagte einen hastigen Blick auf Usagi, die mit benommener Miene dreinschaute. Sie hatte schon den ganzen Abend einen leicht betäubten Eindruck gemacht. Ob es ihr gut ging? Oder war es etwa im Bereich des Möglichen, dass ihr unsere Aussprache von vorhin ebenfalls noch schwer in den Knochen lag? Na ja, das war doch auch kein Wunder. Ich hatte mich wie ein wild gewordener Vollhonk verhalten. Ich hatte es wirklich gewagt, sie zu fragen, wer ich eigentlich für sie war. Mehr noch: Ich hatte ihr sogar Vorwürfe gemacht, warum sie denn so etwas Wichtiges nicht wissen konnte. Ich hatte doch selbst bis vor Kurzem keinen blassen Schimmer über meine Gefühle gehabt, und trotzdem hatte ich mir das Recht genommen, von ihr zu verlangen, über ihre eigene Gefühlswelt bestens Bescheid zu wissen? War ich eigentlich noch ganz bei Trost? Aber in diesem Moment hatte mein Verstand in der Tat komplett ausgesetzt. Ich hatte nicht gewusst, wie mir geschah. Ganz automatisch hatten sich meine Lippen bewegt und ihr all diese Dinge an den Kopf geworfen, die unverzeihlich waren. So einen Typen wie mich konnte sie doch nur in die Wüste schicken. Das war gut so. Das war das einzig Richtige. In diesem Augenblick streifte ich wieder verstohlen für eine Sekunde ihren Blick. Irrte ich mich oder konnte ich in ihren Augen so etwas Ähnliches entdecken wie … ungestillte Sehnsucht? Vielleicht war es ja auch mein Liebesgeständnis, der für ihre emotionale Verwirrung verantwortlich war. Ich lächelte schwach. Wenn das wirklich stimmte, dann war ich ihr wohl doch nicht ganz egal. Oh man – ich war wirklich ein unverbesserlicher Optimist. Ich sollte langsam echt damit aufhören, in jede ihrer Handlungen irgendetwas Utopisches hineinzuinterpretieren. Es hatte doch sowieso alles keinen Zweck. Die Zukunft war für uns alle vorgeschrieben. Das Schicksal hielt die Fäden in der Hand und wir waren seine Marionetten. Ihm waren wir alle hoffnungslos ausgeliefert. Es gab eben auch Dinge, gegen die selbst ich nicht ankam trotz meines netten Kampgeistes. Das sollte nun endlich auch in meinen sturen, primitiven Schädel rein. Als Taiki und Yaten sich zurückzogen und mir Hocker und Gitarre gebracht wurden, nahm ich sie dankend an und setzte mich. Gedankenverloren schloss ich meine Augen und begann mit dem Vorspiel, indem ich mit meinen Fingerkuppen sanft durch die Saiten strich. Ich war mir durchaus bewusst, dass ich dabei war, etwas Verbotenes zu tun. Dass es eigentlich meine offizielle Mission war, das ›Licht der Hoffnung‹ ausfindig zu machen. Nur wegen der Botschaft an dieses Licht hatten wir uns überhaupt dazu entschlossen, dieses Abschiedskonzert überhaupt zu geben. Doch dieses eine Lied … Dieses Lied wollte ich nur für meine Herzensdame singen. Wenigstens dieses eine Lied wollte ich ihr schenken. Das bedeutsamste und zugleich eben auch erste Lied, welches ich jemals geschrieben habe, wollte ich ganz alleine ihr widmen: Der Liebe meines Lebens. War dieses eine Lied wirklich zu viel verlangt? War der Preis dafür zu hoch? Aber selbst wenn, war es mir egal. Ich würde jeden Preis in Kauf nehmen. Nur für diese allerletzte Botschaft an sie. »Weil ich so dumm und ein Idiot bin, sehen meine Augen niemanden außer dich. Obwohl ich weiß, dass du einen anderen liebst … Du könntest nie den Schmerz verstehen, den ich fühle.« Schätzchen … Obwohl ich es mir verboten habe … so kann ich doch nicht anders. Diese letzte Botschaft sollst du noch von mir erhalten. Ich verspreche dir gleichzeitig auch, dass es die letzte Nachricht sein wird, die du von mir erhalten wirst. Bitte vergib mir, dass ich so selbstsüchtig bin und dir meine letzten Gedanken noch mitgeben möchte, bevor sich hier an dieser Stelle unsere Wege für immer trennen werden. »Ich werde nicht in deiner Zukunft sein, und wahrscheinlich nicht mal in deinen Erinnerungen. Aber ich werde meine Zukunft damit verbringen, immer an dich zu denken. Und meine Tränen werden weiterhin fließen …« Ich muss dir einfach noch einmal offenbaren, wie sehr ich dir inzwischen schon verfallen bin, auch wenn du es wahrscheinlich gar nicht mehr hören kannst. Ich hoffe, du fasst meine Worte nicht auf irgendeine Art und Weise als Vorwurf auf, denn so ist es ganz bestimmt nicht gemeint. Du bist von Anfang an fair zu mir gewesen, hast immer mit offenen Karten gespielt und mir nie falsche Hoffnungen gemacht. Du hast mir sogar schon bei unserem ersten richtigen Treffen gesagt, dass du nur einem einzigen Mann gehörst. Und trotzdem war ich so dumm gewesen. Viel zu dumm. Obwohl ich gewusst habe, dass ich es nicht durfte, habe ich mich Hals über Kopf in dich verliebt. »Ich bleibe, du läufst fort. Ich halte mich zurück, beobachte dich Tag für Tag. Du merkst nicht, wie sehr ich dir verfallen bin. Wie der Wind fliegst du einfach an mir vorbei …« Lange habe ich es selbst gar nicht bemerkt – meine Gefühle für dich. Oder besser gesagt: Ich wollte sie mir nie eingestehen. Was hätte es denn großartig geändert? Außer, dass ich dich dann noch mehr von mir distanziert hätte? Das wäre absolut das Letzte gewesen, was ich gewollt hätte. Ich kann es eh schon kaum ertragen, dass du mir schon immer so fern gewesen bist, auch ohne dass ich auch nur einen falschen Ton von mir gegeben habe. Außerdem war ich nie der Typ, der gerne Gefühle oder gar Schwäche zeigte. Es wundert mich selber, dass ich sie dir jetzt so offen gestanden habe. Liegt es daran, dass ich nun wirklich das erste Mal in meinem Leben so richtig verliebt bin? Ist das ein Verlangen, was alle Verliebten in sich tragen? Das Verlangen, diese Gefühle offen und ohne jegliche Scham auszusprechen? Wenn dem wirklich so ist, dann können die Liebe und ich wohl niemals beste Freunde werden. Ich bin schon immer lieber mein eigener Herr gewesen und habe mir nur ungern irgendetwas von anderen Leuten sagen lassen. Die Liebe lässt das allerdings nicht zu, übernimmt die Kontrolle über mich – und ich kann nicht mehr, als unbeteiligt dabei zuzuschauen, was sie mit mir anstellt. Sie lässt mich Dinge tun und denken, die mir bis dato völlig fremd waren. Dass ich solche Seiten überhaupt an mir habe, habe ich selbst nie für möglich gehalten. Deswegen tut es mir aufrichtig leid, dass ich dich vorhin so in die Ecke gedrängt habe mit meinen unmoralischen Fragen. Bitte vergiss sie alle und behalte mich als den Seiya in Erinnerung, den du kennengelernt hast. Vergiss diesen verliebten Narr, der ich geworden bin. Ich bitte dich. »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Was hast du nur mit mir angestellt, Schätzchen? Wie hast du es nur geschafft, mich so dermaßen zu verändern? Ich erkenne mich ja selbst nicht mehr wieder. Allein schon, dass ich so ein schmalziges Lied geschrieben habe. Und überhaupt ist es das erste richtige Lied, das ich jemals geschrieben habe. Für sämtliche Liedtexte war bisher ja immer Taiki zuständig gewesen. Dass ich mich selbst an eins herangewagt habe, grenzt schon an eine Sensation. Das sollte jetzt keinesfalls arrogant oder eingebildet rüberkommen – ich möchte dir nur zeigen, was für eine Macht meine Liebe zu dir auf mich ausübt. Eine unvorstellbar große Macht. Ich hoffe, dass dir dieses Lied gefällt. Da fällt mir ein: Taiki und Yaten werde ich später auch noch Rede und Antwort stehen müssen. Wird bestimmt nicht lustig. Ich höre jetzt schon ihre tadelnde Stimme: ›Was für einen Schwachsinn hast du dir denn jetzt schon wieder einfallen lassen?‹ Aber das ist mir gerade so herzlich egal. Schließlich ist das nun die letzte Gelegenheit, noch mal mit dir auf diesem intimen Weg zu sprechen – und diese Chance nutze ich auch aus, bevor ich den Rest meines Lebens von Reue erfüllt sein werde. »Wahrscheinlich wirst du nie von mir träumen. Und ich weiß, dass nur ich es bin, der liebt. Deshalb haben wir wirklich keine gemeinsamen Erinnerungen. Letzten Endes werde ich sie alleine machen.« Normalerweise würde ich jetzt selbstlos sagen: ›Werde glücklich mit ihm! Vergiss unsere Zeit und werde einfach nur glücklich. Ohne mich. Ich bin glücklich, wenn du es bist.‹ Doch das wäre nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte wäre erstunken und erlogen. Ich war noch nie ein Heuchler und werde das auch nie sein, weil das gegen meine obersten Prinzipien verstoßen würde. Lieber sage ich die Wahrheit und gehe unter als mein Lebtag mit einer Lüge verbringen zu müssen. Und ich wollte schließlich immer ehrlich zu dir sein – erinnerst du dich noch? Es tut mir leid, aber ich bin von Natur aus viel zu selbstsüchtig. Ich könnte dir niemals, so gierig und unersättlich wie ich leider bin, ehrlich wünschen können, mit ihm glücklich zu werden, ohne dabei innerlich tausende Tode zu sterben. »Liebe ist wie ein Fluss voller Tränen, der fließen wird, solange du nicht bei mir bist. Auch, wenn dein Herz niemals mir gehören wird, genügt es mir, dich lächeln zu sehen. Auch wenn ich nicht mit dir lächeln kann …« Die Wahrheit ist: Ich ertrage diese Gedanken einfach nicht, wie du mit ihm dein Glück leben und mich vergessen wirst. Ich weiß, dass es mir nicht zusteht und ich das gar nicht darf. Trotzdem kann ich nichts dagegen machen, dass es für mich die Hölle ist, zu wissen, dass ich in deinem Herzen niemals den gleichen Platz einnehmen werde wie du in meinem. Ich es auch niemals schaffen werde, dir jemals so wichtig zu sein, wie du es für mich bist und zweifelsohne auch sein wirst. Für alle Zeiten. Alleine die Vorstellung tut verdammt weh. Es tut weh, dass ich niemals derjenige sein werde, der an deiner Seite sein darf. Zu wissen, dass du mir dein Herz niemals schenken wirst … »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine werde ich um dich weinen. Wieder alleine werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Aber so soll es sein. Das Schicksal hat schon längst seine Entscheidung über uns gefällt, bevor wir überhaupt auf der Welt waren. In solchen Dingen haben wir leider nie ein Mitspracherecht gehabt. Auch du hast dich schon längst für deine Zukunft entschieden. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als das schweren Herzens zu akzeptieren. Schließlich bin ich der Einzige, dem das nicht passt. Ich muss echt anfangen, von meinem Ego–Trip runterzukommen. Ich selbst finde ja mein eigenes Verhalten inakzeptabel – wie wird es da erst euch gehen, die keinen Einblick in mein krankes Hirn haben? Ich bin doch wirklich das Allerletzte. »Bye bye … Sag niemals Goodbye. Selbst wenn nicht ich es bin, der an deiner Seite sein wird. Ich brauche dich; ich kann kein Wort sagen, aber ich will dich. Ich kann nicht aufhören, mich nach dir zu sehnen. Und werde hoffen … und weiterhin hoffen.« Die härteste Zeit meines Lebens steht mir unmittelbar bevor. Und auch, wenn es mich wahnsinnig macht. Gleichzeitig wird aber der Gedanke, dass es dir gut gehen wird, der einzige Trost für mich sein in dieser schweren Zeit. Also sei glücklich. Auch wenn es mir Höllenqualen bereiten wird. Ich kann selbst die schlimmste Höllenfolter ertragen, wenn ich dein Lächeln vor meinen Augen sehe. Das allein reicht mir. Das muss mir einfach reichen. Ich weiß, dass das verdammt widersprüchlich klingt und es auch ist. Ich kann es also gut verstehen, wenn du kein Wort von dem verstehst, was ich hier vor mich hin labere. Ich verstehe mich ja selbst nicht – wie soll mich da jemand Anderer bitte verstehen? Ich verlange daher gar nicht von dir, dass du mich verstehst. Dass du mir überhaupt zuhörst bei dem Schwachsinn ist für mich schon das Höchste. »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen.« Bitte sei nicht traurig. Auch, wenn das nach meiner Botschaft echt zu viel verlangt ist. Ich kenne ja dein überaus großes Herz und deine ›Begabung‹, so intensiv mit deinen Mitmenschen mitzuleiden. Ich hoffe, du behältst unsere gemeinsame Zeit in genauso guter Erinnerung wie ich. In der Zeit, die ich mit dir verbringen durfte, habe ich das erste Mal in meinem Leben wirklich gespürt, was »Glück« beinhaltet. Du hast mir gezeigt, was es heißt, wahrhaftig glücklich zu sein. Die Erfahrung, mit jemandem, den man mehr als alles Andere auf diesem Universum liebt, Zeit zu verbringen. In seiner Gegenwart zu sein. Es gibt kein schöneres Gefühl auf der Welt – jedenfalls kenne ich bisher nichts Vergleichbares. Und dafür werde ich dir ewig dankbar sein. »Es gibt Tage, an denen ich nur den Regen spüre. Es gibt Tage, an denen ich einfach so viel Schmerz empfinde. Mein Herz sich kalt und traurig anfühlt. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Du hast mir beigebracht zu lieben. Dank dir begreife ich nun, was »Liebe« tatsächlich bedeutet. Das war eine sehr wertvolle Lektion für mich, die ich niemals vergessen und immer in meinem Herzen tragen werde. Ich werde dich niemals vergessen, mein Schätzchen. Bitte gestatte mir noch, dich um einen winzigen Gefallen zu bitten. Ich hoffe, dass ich mir damit nicht zu viel erlaube, aber bitte … Bitte vergiss mich nicht … Zum ersten Mal seit Anbeginn des Konzerts wagte ich es, Usagi direkt und intensiv anzusehen. Den ganzen Abend lang hatte ich es vermieden, denn sonst hätte ich für absolut nichts garantieren können. Sie sah mich mit weit aufgerissen Augen an. Mit einer Mischung aus Entsetzen, Fassungslosigkeit, Schmerz und … tiefe Zuneigung und Liebe. So klar und deutlich wie noch nie zuvor. Irritiert sah ich sie an. Versuchte aus ihren Augen abzulesen, was ihr Blick wirklich zu bedeuten hatte. Was er mir wirklich sagen sollte. Hütete mich davor, wieder irgendeinen falschen Schluss zu ziehen. Doch im nächsten Moment bekam ich etwas zu hören, wovon ich niemals gedacht hätte, dass ich sie jemals zu hören bekommen würde … Eine Botschaft. Von ihr. Ich liebe dich auch, Seiya … Sie sah mich jedoch mit so einer endlosen Trauer an, die mir sagen sollte, dass ich mir gleichzeitig keine falschen Hoffnungen machen brauchte. Ich erwiderte ihr trauriges Lächeln mit dem gleichen Ausdruck. Ihre Botschaft war bei mir angekommen. Wir wussten beide, dass es trotzdem nichts an unserer Lage ändern würde. Gar nichts. Im Gegenteil: Es würde alles nur noch schwerer machen. Kapitel 4: Admission -------------------- Kapitel 4: ADMISSION »Auch das Schicksal ändert nichts daran, dass ich dich liebe.« Was war das nur? Seit unserem Gespräch vorhin fühlte ich mich so … seltsam. So benommen. Als hätte ich gerade einen Rausch hinter mir. Oder war ich noch mittendrin? Zwar war ich noch nie betrunken oder dergleichen, doch ich konnte mir sehr gut vorstellen aus Beschreibungen, dass sich das genauso anfühlen musste. Ich nahm alles eher verschwommen wahr, als könnte sich jederzeit alles um mich herum in Luft auflösen. Mir wurde ganz anders, wenn ich an Seiya dachte. Vor allem nach der Unterhaltung vorhin hielt dieses Gefühl besonders hartnäckig an. Unweigerlich erinnerte ich mich an unsere Momente zurück. Sie waren … wunderschön. In diesen Momenten war ich richtig … glücklich. Wunschlos glücklich trotz Mamorus Abwesenheit. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass es mir so dermaßen gut gehen könnte nach seinem Fortgang. Dass mir das Leben auch ohne ihn Spaß machen konnte. Dass ich mich auch ohne ihn so unbeschwert und vollkommen fühlen konnte. Vielleicht sogar, dass ich auch ohne ihn … leben konnte? Ich hatte mich immer zu sehr auf Mamoru fixiert. Ich hatte mein ganzes Glück von ihm abhängig gemacht wie ein junger, bis über beide Ohren verknallter Teenager. Schließlich war ich das ja auch. Ob das wirklich richtig war, mich so sehr an ihn zu binden? Oder war es sogar ein Fehler? Doch meine Gedanken blieben nicht lange bei Mamoru In meinem Kopf gab es momentan keinen Platz für ihn – so hart das auch klingen mochte. Ich war einfach viel zu geflasht von den Ereignissen der letzten Tage. Seiya hatte mich so tief berührt und so tief beeindruckt, dass er sich damit mühelos einen permanenten Platz in meinem Kopf ergattert hatte. Vielleicht auch … in meinem Herzen? Die Hormone schossen wie kleine Raketen durch meinen Körper, als ich an seine Worte von eben zurückdachte … »Bitte fühl dich nicht verunsichert, dass ich dich liebe. Ich weiß genau, dass es eine einseitige Liebe ist.« Ich sah vor mir wieder seine Augen, die so unendlich viel Traurigkeit ausgestrahlt hatten, als er mir diese Worte offenbart hatte. Als hätte er dort die Trauer der ganzen Welt in sich vereint. Er … liebte mich. Das hatte er mir selbst gesagt. Dieses Geständnis kam aus seinen Lippen mit seiner Stimme aus seinem Herzen. Jeglicher Zweifel war ausgeschlossen. Aber auch so hätte ich niemals an den Wahrheitsgehalt seiner Worte gezweifelt. Abgesehen von seiner Identität als Sailorkriegerin war er immer ehrlich zu mir gewesen. Ich verstand bis heute nicht, warum er sich deswegen mir gegenüber so schuldig fühlte. Schließlich hatte ich ihm mein Kriegerdasein doch auch verheimlicht. Warum hatte er deswegen nur so ein schlechtes Gewissen? An dem Abend der Radiosendung hatte er mir ja auch gestanden, dass er mir schon lange die Wahrheit sagen wollte. Obwohl es für alle Sailorkrieger oberste Priorität war, ihre Existenz geheim zu halten, hatte er mir das anvertrauen wollen. Und nun wusste ich endlich auch, wann er das tun wollte. An dem Nachmittag, als er bei mir war, um mein Bodyguard zu sein. Schützend warf sie sich auf ihre beiden Kuchenstücke. »Nein, das geht nicht! Auf diese Weise kommst du nie bei Mädchen an.« Doch das beeindruckte den jungen Mann in keinster Weise. »Na und? Ich hab doch nie behauptet, dass ich bei Mädchen ankommen will«, offenbarte er ihr ehrlich. Das verwunderte die Blondine dann doch. »Was?« Der Frauenheld schlechthin unter den »Three Lights« wollte tatsächlich nicht bei Mädchen ankommen? Wie passte das zusammen? Unbeirrt fuhr Seiya mit seiner Erläuterung fort, ohne sich wirklich bewusst zu sein, dass er sich auf einem ganz gefährlichen Terrain befand. »Ich meine: Auch wenn wir singen, tun wir das nur für diese eine bewusste Lady.« Nun vollkommen verwirrt setzte sich Usagi wieder aufrecht hin. »Hm? Ihr singt nur für diese eine bewusste Lady?« Ein zärtliches Lächeln umspielte seine Lippen, bevor er ihr bestätigend antwortete. »Genau. So ist es. Wir stehen nur auf der Bühne, damit diese Lady uns hört. Irgendwo in der Galaxis.« Usagi blieb es nicht verborgen, wie die Augen des Schwarzhaarigen plötzlich zu leuchten begannen, als er von ihr sprach. Nun hatte das Mädchen die Neugier endgültig gepackt. Wer sollte denn diese Lady sein? Sie zögerte nicht lange, ihm diese Frage auch direkt zu stellen, während sie sich unbewusst weit zu ihm vorbeugte. »Sag mal, von wem redest du eigentlich?« Ach herrje – wie musste das denn auch für sie klingen? Das war ja klar, dass sie gar nicht verstand, wovon er eigentlich redete. Wie denn auch? Vielleicht … war das der richtige Zeitpunkt, daran etwas zu ändern. Er wollte schon immer ehrlich zu ihr sein. Und irgendwie hatte er das dringende Bedürfnis danach, sich ihr anzuvertrauen. Er konnte sich nicht erklären, warum das so war. »Ich glaube, ich muss dir ein Geheimnis anvertrauen. Aber Yaten und Taiki dürfen nichts davon wissen. Versprichst du, nichts zu verraten?« Usagi nickte ohne zu zögern. »Ja.« »Es ist so … Ich meine … Ich fühle …« Er konnte nur herumdrucksen, während er seinen Verwandlungsstern in der Jackentasche fest umklammert hielt. Wie sollte er ihr das nur am besten und verständlichsten beibringen? Würde sie ihm das überhaupt glauben können? Er näherte sich ihrem Gesicht. Im gleichen Moment wich sie jedoch sichtlich scheu zurück. »Nein, warte! Ich kann nicht, Seiya.« Oh je, sie hatte das wohl in den ganz falschen Hals bekommen. Ihre Wangen hatten inzwischen ein saftiges Rosé angenommen, welches perfekt ihre Verlegenheit zum Ausdruck brachte. Doch er blieb weiterhin ernst, sah sie mit verzweifelter Miene an. »Warum nicht? Wir wollten doch keine Geheimnisse voreinander haben.« »Ja, ich weiß, aber das kann ich nicht machen. Das geht eindeutig zu weit.« »Bitte hör mir doch zu«, bat er sie eindringlich und stützte sich auf den Tisch ab. In diesem Moment bekam Seiya jedoch von Chibi–Chibi eine ganze Ladung Kuchen ins Gesicht. Damit war die Spannung zwischen ihnen mit einem Mal wie weggeblasen. Doch das war für Seiya kein Grund, aufzugeben. Er blieb hartnäckig. Und die nächste Situation kam auch schon wenige Stunden später … »Was soll das? Hör auf mich anzufassen, Seiya!« »Hab ich doch gar nicht.« »Was? Du leugnest?« »Weil’s nicht stimmt!« »Scht.« Peinlich berührt fuhren sie auseinander, als sie merkten, dass es da ja noch Chibi–Chibi gab. Diese Situation war wirklich mehr als prekär. Wer hätte gedacht, dass sie jemals in so einem dunklen engen Raum zusammensitzen würden, um sich zu verstecken? Doch irgendwie war das doch auch die ideale Gelegenheit, um … »Ähm, wir sind vorher gestört worden. Weißt du noch? Ich wollte dir etwas sagen, was kein Anderer wissen darf.« Usagi fuhr erschrocken auf, stieß jedoch wieder gegen die niedrige Decke. »Das ist nicht der richtige Ort«, versuchte sie ihm auszuweichen. Doch Seiya wäre nicht Seiya, wenn er sich so leicht abschütteln lassen würde. »Aber es ist doch niemand außer uns hier.« »Du irrst dich: Chibi–Chibi ist hier, oder bist du blind? Außerdem hab ich Mamoru, das weißt du!« Innerlich verdrehte er seine Augen. Mit missbilligender Grimasse sagte er darauf nur: »Du verstehst da etwas völlig falsch.« »Das ist eindeutig, da gibt es doch nichts falsch zu verstehen!« war Usagi voll von ihrer Meinung überzeugt. Es war ihm so wichtig gewesen, keine Geheimnisse voreinander zu haben. So sehr, dass er sogar bereit gewesen wäre, das große Tabu zu brechen und seine Identität jemandem zu verraten, von dem er glaubte, dass sie rein gar nichts mit dieser Sache zu tun hatte. Wie konnte ich damals nur so dumm sein und ihm solche schmutzigen Hintergedanken zutrauen? Heute kam mir das so lächerlich und absurd vor. Ich schämte mich richtig dafür, ihn so falsch eingeschätzt zu haben. Nicht nur das: Es tat mir unendlich leid. Auch ich fühlte mich schuldig. Schuldig, ihn so sehr verletzt zu haben. Mit allem, was ich tat oder auch nicht tat. Ich war wohl zu nichts Anderem fähig, als ihn unglücklich zu machen. Ach Seiya … Instinktiv legte ich meine Hand auf die Brust. Fühlbare Wärme strömte bei dem Gedanken an ihn in meine Herzgegend. Wie konnte er sich nur in mich verlieben? Was war denn an mir bitte so toll? Warum … musste er sich ausgerechnet in mich verlieben? Was fand er denn nur an mir? Ich war nicht einmal sonderlich hübsch, viel zu klein und hatte kaum weibliche Rundungen. Obendrein auch noch viel zu kindisch und quirlig. Im Gegensatz dazu war er ein gefeierter Star. Er könnte doch jede kriegen mit seinem Charme und seiner Attraktivität. Ein wahrer Frauenmagnet, der sich seiner Wirkung auf Frauen durchaus bewusst war und das auch raushängen ließ, aber auf eine Art, die ihn trotzdem so wahnsinnig anziehend und sympathisch machte. Frech, aber trotzdem ein gefühlvoller Gentleman. Der absolute Traum jeder Frau. Moment mal! Was dachte ich denn da? Wieso geriet ich auf einmal so ins Schwärmen? Warum gerade jetzt? Siedend heiß und blitzartig schoss ein Gedanke durch meinen Kopf. Oder eher … eine Person. Schuldbewusst schluckte ich meinen Kloß im Hals, während ich ein schlechtes Gewissen Mamoru gegenüber bekam. Es wog so schwer auf meinen Schultern, dass ich mir nicht sicher war, wie lange ich diesem Gewicht noch standhalten konnte. Aber … warum dieses schlechte Gewissen? Was war denn dabei? Ich durfte doch nach wie vor auch andere Männer … schön finden, oder was war falsch oder verboten daran? Mamoru guckte doch auch ziemlich offensichtlich anderen hübschen Frauen hinterher – auch in meiner Gegenwart. Das lag doch in der Natur des Menschen, das andere Geschlecht attraktiv zu finden – daran war doch nichts verwerflich. Und doch war es nicht das erste Mal, dass ich mich ihm gegenüber schuldig fühlte, was Seiya anbelangte. Das erste Mal tauchte dieses schlechte Gewissen an unserem Date auf, als wir uns in dem Privatraum in der Disko befanden und ich einen Kuss von ihm befürchtet hatte. Komischerweise erst da und nicht schon am Tag zuvor, als er beschlossen hatte, seinen freien Tag mit mir zu verbringen. Da hatte ich mir nämlich wirklich gar nichts dabei gedacht und keinen einzigen Gedanken an Mamoru verschwendet. Für mich war es einfach nur ein Treffen zwischen guten Freunden gewesen. Doch … konnte so etwas überhaupt gehen? Eine richtig enge, tiefsinnige Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau? War das möglich? Ich schüttelte diesen Gedanken ab. Mal wieder war ich mit meinen Gedanken abgeschweift. Wo waren wir? Ach ja: Als es auf der Tanzfläche plötzlich stockdunkel geworden war und er mich so beschützend in seine Arme genommen hatte – ein unbeschreibliches Gefühl einfach. Eine gigantische Welle der Wärme war in diesem Augenblick über mich hergefallen. Vergleichbar mit Mamorus Geborgenheit, doch andererseits hatte es sich so merkwürdig fremd angefühlt. So frisch. Ob diese Fremdartigkeit nur daher kam, weil diese unerwartete Nähe zu ihm eben noch so neu gewesen war? Denn ich musste mir eingestehen, dass ich mich danach erst recht immer sehr wohl gefühlt hatte in seiner Gegenwart. Ja, fast wie … zu Hause. Und nun konnte ich mir meine Frage auch selbst mit hundertprozentiger Sicherheit beantworten: Dieses Gefühl war tatsächlich so fremd gewesen, weil es noch … intensiver war als alles, was ich bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt hatte. Und es hatte auch durchaus Phasen gegeben, wo ich wirklich keine Sekunde an Mamoru gedacht hatte. Vor allem zu der Zeit, nachdem Seiya so schwer verletzt worden war – alleine meinetwegen. Ich hatte mir nichts sehnlicher gewünscht als ihn wiederzusehen. Sogar mehr, als Mamoru zu sehen, weil ich mich fast schon an dessen Abwesenheit gewöhnt hatte. Jedoch nicht alleine aus Schuldgefühl oder Dankbarkeit, sondern aus meiner unendlichen Sorge um ihn. Alles Andere war mir so egal erschienen, so unwichtig. Selbst, dass mir Mamoru nicht auf meine Briefe geantwortet oder auf Anrufe reagiert hatte, war mir herzlich gleichgültig gewesen. Ich wollte nur, dass es ihm gut ging. Mehr nicht. Unweigerlich kam mir seine vorherige Frage in den Sinn … »Sag mir …Wer bin ich für dich?« Ja … Wer war er denn jetzt eigentlich für mich? Eine durchaus berechtigte Frage, das musste ich ihm wirklich lassen. Ich … wusste es wirklich nicht. Auf jeden Fall war er … ein Freund. Ein ganz besonderer Freund. Der beste Freund, den ich jemals hatte. Noch nie in meinem Leben konnte ich so offen mit einem anderen Mann reden wie mit ihm. Noch nicht einmal mit Mamoru. Und noch nicht einmal … mit meinen Mädels. Es war für mich ein Mysterium, warum ich ausgerechnet ihm damals auf dem Riesenrad anvertraut hatte, dass Mamoru sich noch nicht bei mir gemeldet hatte. Er war der Einzige, dem ich das offenbart hatte. Noch nicht einmal Rei oder den anderen hatte ich das mit nur einer Silbe erwähnt. Rei hatte es ja erst vorhin aus mir herauskitzeln können. Warum hatte ich von allen denkbaren Freunden gerade ihm davon erzählt? Lag es daran, dass ich ihm unterbewusst schon immer blind vertraut hatte? Mehr als jedem anderen? Ich hatte ja einfach drauf losgesprochen ohne weiter darüber nachzudenken und mein Hirn einzuschalten. Ich hatte lediglich auf mein Herz gehört. Für ihn war es ja wie das Normalste auf der Welt, als ich so ausgelassen mit ihm über alles geplaudert hatte. Als hätte er nie etwas Anderes gemacht, als seine intimsten Gedanken Seiya anzuvertrauen. Als würde mein Herz ihn schon seit Ewigkeiten kennen. Er war zweifelsohne mein bester Freund. Vielleicht sogar mein Seelenverwandter? Aber natürlich. Das war doch des Rätsels Lösung! Noch nie hatte ich mich so sehr von einem anderen Menschen verstanden gefühlt. Bei ihm konnte ich wirklich so sein, wie ich war, ohne mich dafür schämen zu müssen für meine Tollpatschigkeit oder Naivität. Er hatte mir nie das Gefühl gegeben, ihm zu dumm zu sein oder ihm nicht zu genügen. Keinesfalls. Bei Mamoru hatte ich immer besonders darauf achten müssen. Musste mich immer zusammenreißen, um gut genug für ihn zu sein. Um mich ihm würdig zu fühlen. Das war zugegebenermaßen, wenn ich jetzt die Situation mit Seiya verglich, anstrengend. Bei ihm hatte es immer eine unsichtbare Hemmschwelle gegeben, die ich nie überschreiten durfte und auch nicht konnte. Da war schon in meinem Unterbewusstsein ganz fest verankert, dass ich aufpassen musste, nichts Falsches zu tun. Habe mich immer selbst ausbremsen und ermahnen müssen. Erst durch Seiya lernte ich diese unbeschwerte Leichtigkeit kennen. Es war eine völlig neue Empfindung. Eine sehr schöne Empfindung. Als ob ein Gefühl von Freiheit meinem Körper und meiner Seele neue, ungeahnte Kräfte verlieh. Seiya war wie eine erfrischende Windbrise, die meinem Dasein einen neuen Sinn schenkte. Er war immer für mich da, wenn es mir schlecht ging. Wie mein persönlicher Feuerwehrmann, der jederzeit bereit war, das brennende Feuer, welches in meiner Seele immer wieder loderte, zu löschen. Wie mein Rettungsanker, meine lebensrettende Schwimmweste inmitten des eiskalten, ja fast schon gefrierenden Ozeans. Meine helfende Hand. Mein Schutzengel. Mein Beschützer. Das alles war er für mich. Und noch viel mehr. Doch so schön und angenehme eine Brise auch sein mochte: Sie ging vorüber. Wie ein normaler Wind würde auch er nie zurückkehren, sobald er vorbeigezogen war. Eine Windbrise kam nie an den Ort zurück, wo er schon einmal gewesen war. Ich spürte, wie sich meine Nasenflügel bereits wankelmütig aufblähten, als die Tränenflüssigkeit wieder dabei war, sich in meinen Augen anzusammeln. Nein, daran durfte ich nicht denken. Ich durfte hier und jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Hastig versuchte ich, mich abzulenken und sah wieder zu Seiya vor. Das war nicht schwer, denn meine Aufmerksamkeit hatte sowieso schon von Anfang an nur ihm gegolten. So nahm ich auch rasch Notiz davon, wie er seinen Solo–Auftritt ankündigte und sich die anderen beiden zurückzogen, bevor ihm von einem Jungen eine Gitarre überreicht wurde, die er dankend annahm. Halb setzte er sich anschließend auf den Hocker und zupfte mit so einer Leichtigkeit das Vorspiel, dass mir warm und kalt zugleich wurde. Wie er so lässig dort saß und seine Finger mit solch einer unbeschreiblichen Eleganz über die Saiten strichen … Ein göttliches Bild. Nicht von dieser Welt. Warum war mir nur nie aufgefallen, wie anziehend Seiya schon immer war? Wie konnte ich nur all die Zeit so blind gewesen sein und ihn noch nie als richtigen Mann gesehen haben statt nur als einen normalen Kumpel? Als jedoch seine sanfte Stimme die Halle erfüllte, setzte mein Herz schlagartig für Sekunden aus. Sie erreichte die verwinkelteste Wurzel meines Herzens. Versetzte mich in einen tauben, rauschartigen Zustand. Mein Herz war wie der Flügel des Ikarus, der gnadenlos von der Sonne, in diesem Fall seine Stimme, verbrannt wurde. So fühlte sich das gerade an. Doch es war der schönste Schmerz, den ich je erlebt hatte. Ein Schmerz, von dem ich niemals genug bekommen würde. Und als wäre das noch nicht genug, kam es noch härter … »Weil ich so dumm und ein Idiot bin, sehen meine Augen niemanden außer dich. Obwohl ich weiß, dass du einen anderen liebst … Du könntest nie den Schmerz verstehen, den ich fühle.« Dieser Text. Ich konnte mich unmöglich irren, oder? Er … handelte von unserer Situation. Ohne Zweifel. Seiya, warum tust du mir das an? Bei Seiya Kou musste man sich auf etwas viel Spektakuläreres gefasst machen. Ein stinknormales Gespräch wäre ja sterbenslangweilig. Ganz wie es seiner Art entsprach, setzte er natürlich noch zusätzlich einen drauf … Abermals stockte mir der Atem, als ich in meinem Kopf seine Stimme wahrnahm. Aber nicht die Stimme, mit der er gerade dieses bittersüße Lied sang. Schätzchen … Obwohl ich es mir verboten habe … so kann ich doch nicht anders. Diese letzte Botschaft sollst du noch von mir erhalten. Ich verspreche dir gleichzeitig auch, dass es die letzte Nachricht sein wird, die du von mir erhalten wirst. Bitte vergib mir, dass ich so selbstsüchtig bin und dir meine letzten Gedanken noch mitgeben möchte, bevor sich hier an dieser Stelle unsere Wege für immer trennen werden. Das verräterische Glänzen in meinen Augen löste allerspätestens in diesem Moment echte Tränen aus. Ich hatte sie schon viel zu lange zurückgehalten, was mich selber ins Staunen versetzt hatte. Warum nur … Warum mussten sich unsere Wege trennen? Warum konnten wir nicht weiterhin Freunde bleiben und jeden einzelnen Tag unseres Lebens miteinander verbringen? Denn ich spürte es in mir. Ich nahm es ganz deutlich in meinem Herzen wahr: Genau das wünschte ich mir. Ich wünschte mir, ihn jeden Tag zu sehen … Jeder Tag ohne ihn war für mich ein verlorener, trockener Tag. Ich brauchte ihn, um aus vollem Herzen lachen zu können. Ich war auf ihn angewiesen. Mehr, als mir lieb war. Viel mehr. »Ich werde nicht in deiner Zukunft sein, und wahrscheinlich nicht mal in deinen Erinnerungen. Aber ich werde meine Zukunft damit verbringen, immer an dich zu denken. Und meine Tränen werden weiterhin fließen …« Wie konnte er nur so etwas Schreckliches sagen? Wie konnte er nur behaupten, dass er nicht in meiner Zukunft oder in meinen Erinnerungen sein würde? Kannte er mich etwa gar nicht? War er wirklich der festen, aber fälschlichen Überzeugung, dass ich ihn vergessen würde? Er, der mein Leben so sehr geprägt hatte? Der immer für mich da war? Der mir ausnahmslos immer zugehört hatte, wenn ich reden wollte? Wenn dem wirklich so war, dann musste ich ihn enttäuschen: Als der beste Freund, den ich jemals hatte, würde er immer in meinen Erinnerungen zu finden sein. Er würde immer ein Teil meiner Zukunft sein, weil er mit hundertprozentiger Sicherheit für immer und ewig einen riesengroßen Platz in meinem Herzen einnehmen würde. Deswegen würde er auch immer ein Teil meines Lebens sein und bleiben. Am liebsten hätte ich ihm diese Gedanken entgegengeschrien. Hätte. Doch ich durfte nicht. Ich durfte die ganze Zukunft, für die wir die letzten Jahre so hart gekämpft hatten, nicht komplett durcheinanderschmeißen wegen ein paar Gefühlen und Hormonen, die gerade verrücktspielten. Dies konnte nicht mehr als eine harmlose, flatterhafte Schwärmerei sein. Mehr war gar nicht möglich. Haruka und Michiru hatten vollkommen Recht. Ich musste meine Pflicht erfüllen. Ich war nicht irgendwer: Ich war die Mondprinzessin Serenity, von der das Glück der gesamten Menschheit auf der Erde abhing. Ich durfte nicht tun, was ich wollte oder wonach mir war. Es stand mir nicht zu, nur an mich zu denken. Dazu hatte ich nicht das Recht. Ich muss dir einfach noch einmal offenbaren, wie sehr ich dir inzwischen schon verfallen bin, auch wenn du es wahrscheinlich gar nicht mehr hören kannst. Ich hoffe, du fasst meine Worte nicht auf irgendeine Art und Weise als Vorwurf auf, denn so ist es ganz bestimmt nicht gemeint. Du bist von Anfang an fair zu mir gewesen, hast immer mit offenen Karten gespielt und mir nie falsche Hoffnungen gemacht. Du hast mir sogar schon bei unserem ersten richtigen Treffen gesagt, dass du nur einem einzigen Mann gehörst. Und trotzdem war ich so dumm. Viel zu dumm. Obwohl ich wusste, dass ich es nicht durfte, verliebte ich mich Hals über Kopf in dich. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht vor Schmerz loszubrüllen. Es tat so weh. So entsetzlich weh! Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Seine Worte stachen direkt in mein Herz ein. Immer und immer wieder. Ich krümmte mich innerlich vor Schmerzen. Es war nicht zu ertragen. Ich wollte nicht, dass es endete. Egal, was das zwischen uns auch sein mochte. Egal, wie verboten das auch war … In meinem Herzen fühlte es sich so richtig an. Und war das nicht das Wichtigste? Sollte man nicht immer auf sein Herz hören, um wirklich wahrhaftig glücklich werden zu können? Wie konnte sich etwas so Falsches denn nur so richtig anfühlen? Wie war das möglich? »Ich bleibe, du läufst fort. Ich halte mich zurück, beobachte dich Tag für Tag. Du merkst nicht, wie sehr ich dir verfallen bin. Wie der Wind fliegst du einfach an mir vorbei …« Für meine eigene Blindheit hätte ich mich ohrfeigen können. Wie musste es ihm die ganze Zeit ergangen sein? Ständig hatte er sich zurückhalten und seine wachsenden Gefühle im Zaum halten müssen. Wie schwer musste es für ihn gewesen sein? Unvorstellbar, was er durchmachen musste. Und dabei war er auch noch ganz auf sich alleine gestellt, konnte sich niemandem anvertrauen. Denn so, wie ich Taiki und Yaten einschätzte, hätten sie ihn nie verstanden oder seine Gefühle erduldet. Das schlechte Gewissen war gerade dabei, mich aufzufressen. Nur wegen meiner dummen Ignoranz musste er unnötigerweise noch mehr leiden als er es eh schon getan hätte. Hätte ich früher davon Wind bekommen, hätte ich entsprechend und vor allem früher darauf reagieren können. Ich alleine hätte es ihm leichter machen können. Ich hatte ihn so sehr verletzt. Dass ich das die ganze Zeit über ohne böse Absicht getan hatte, war keine Entschuldigung dafür. Diese Tat war nicht wiedergutzumachen. Ich würde es mir selbst niemals verzeihen können. In diesem Moment verspürte ich erstmals ein Gefühl, dass sich genauso hässlich anfühlte, wie es klang: Selbstverachtung. Lange habe ich es selbst gar nicht bemerkt – meine Gefühle für dich. Oder besser gesagt: Ich wollte sie mir nie eingestehen. Was hätte es denn großartig geändert? Außer, dass ich dich dann noch mehr von mir distanziert hätte? Das wäre absolut das Letzte gewesen, was ich gewollt hätte. Ich kann es eh schon kaum ertragen, dass du mir schon immer so fern gewesen bist, auch ohne dass ich auch nur einen falschen Ton von mir gegeben habe. Außerdem war ich nie der Typ, der gerne Gefühle oder gar Schwäche zeigte. Es wundert mich selber, dass ich sie dir jetzt so offen gestanden habe. Liegt es daran, dass ich nun wirklich das erste Mal in meinem Leben so richtig verliebt bin? Ist das ein Verlangen, was alle Verliebten in sich tragen? Das Verlangen, diese Gefühle offen und ohne jegliche Scham auszusprechen? Wenn dem wirklich so ist, dann können die Liebe und ich wohl niemals beste Freunde werden. Ich bin schon immer lieber mein eigener Herr gewesen und habe mir nur ungern irgendetwas von anderen Leuten sagen lassen. Die Liebe lässt das allerdings nicht zu, übernimmt die Kontrolle über mich – und ich kann nicht mehr, als tatenlos dabei zuzusehen, was sie mit mir anstellt. Sie lässt mich Dinge tun und denken, die mir bis dato völlig fremd waren. Deswegen tut es mir aufrichtig leid, dass ich dich vorhin so in die Ecke gedrängt habe mit meinen unmöglichen Fragen. Bitte vergiss sie alle und behalte mich als den Seiya in Erinnerung, den du kennengelernt hast. Vergiss diesen verliebten Narr, als der ich geendet bin. Ich bitte dich. Ja, das war sie: die Liebe. Eigensinnig und egozentrisch. Die Liebe machte, was sie wollte. Ließ uns Menschen Dinge tun, die wir nie gedacht hatten, dass wir sie jemals wagen würden. Die Liebe war sogar so furchterregend, dass sie Menschen … veränderte. Diese entsetzliche Macht besaß sie. Man sollte eigentlich vor der Liebe ängstlich zittern, so gewaltig, wie sie war statt sie immerzu mit offenen Armen zu empfangen oder gar so blöd zu sein und nach ihr zu suchen. Der Teufelin namens »Liebe« waren wir alle hilflos ausgeliefert. Dass ausgerechnet ich einmal so negativ über die Liebe nachdenken würde, hätte wohl keiner für möglich gehalten. Ich, die eisige Verfechterin für Liebe und Gerechtigkeit, die immer so sehr von ihr überzeugt war. Mehr als jeder Andere. Nannte man das vielleicht »Ironie des Schicksals«? »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Allein der Gedanke, ihn weinend und wartend vor mir zu sehen wie ein Häufchen Elend … Dieses Bild, diese Vorstellung … Sie ließ mich innerlich zu Grunde gehen. Und doch gab es noch etwas, was dieses schlimme Gefühl des Mitleids bei Weitem übertraf: Ich konnte seine Gefühle selbst spüren. Als hätte er in meine Seele geschaut und würde über deren Empfindungen gerade dieses Lied singen. Unsere Herzen schlugen im gleichen Takt. Unsere Gefühle und Gedanken waren zu einem Ganzen verschmolzen. Unwiderruflich. Ohne ihn war ich nur noch eine lächerliche, halbe Portion. Mehr nicht. Eine Erkenntnis, die mich hart traf. Das durfte nicht sein … Wann war es nur so weit gekommen? Was hast du nur mit mir angestellt, Schätzchen? Wie hast du es nur geschafft, mich so dermaßen zu verändern? Ich erkenne mich ja selbst nicht mehr wieder. Allein schon, dass ich so ein schmalziges Lied geschrieben habe … Und überhaupt ist es das erste richtige Lied, das ich jemals geschrieben habe. Für sämtliche Liedtexte war bisher ja immer Taiki zuständig gewesen. Dass ich mich selbst an eins herangewagt habe, grenzt schon an einer Sensation. Das sollte jetzt keinesfalls arrogant oder eingebildet rüberkommen – ich möchte dir nur zeigen, was für eine Macht meine Liebe zu dir auf mich ausübt. Eine unvorstellbar große Macht. Ich hoffe, dass dir dieses Lied gefällt. Da fällt mir ein: Taiki und Yaten werde ich später auch noch Rede und Antwort stehen müssen. Wird bestimmt nicht lustig. Ich höre jetzt schon ihre tadelnde Stimme: ›Was für einen Schwachsinn hast du dir denn jetzt schon wieder einfallen lassen?‹ Aber das ist mir gerade so herzlich egal. Schließlich ist das nun die letzte Gelegenheit, noch mal mit dir auf diesem intimen Weg zu sprechen – und diese Chance nutze ich auch aus, bevor ich den Rest meines Lebens von Reue erfüllt sein werde. Sogar in so einer aussichtslosen Situation entlockte er mir ein schwaches Schmunzeln. Die Liebe eben. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich über alle Maßen geehrt fühlte, dass er sein allererstes Lied praktisch alleine für mich geschrieben hatte. Welches Mädchen träumte nicht davon, von seinem Liebsten ein Lied komponiert zu bekommen? Moment – »von seinem Liebsten«? »Wahrscheinlich wirst du nie von mir träumen. Und ich weiß, dass nur ich es bin, der liebt. Deshalb haben wir wirklich keine gemeinsamen Erinnerungen. Letzten Endes werde ich sie alleine machen.« Das war eine glatte Lüge, mein Lieber. Mir war jetzt schon klar, dass ich von ihm träumen würde. Es würde kein Tag vergehen, wo ich nicht an ihn denken würde. Ich wusste es. Ohne dass ich es gemerkt hatte, hatte er sich nicht ganz legal in mein Herz eingeschlichen und sich dort seinen festen Platz reserviert. Für die Ewigkeit. Normalerweise würde ich jetzt selbstlos sagen: ›Werde glücklich mit ihm! Vergiss unsere Zeit und werde einfach nur glücklich. Ohne mich. Ich bin glücklich, wenn du es bist.‹ Doch das wäre nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte wäre erstunken und erlogen. Ich war noch nie ein Heuchler und werde das auch nie sein, weil das gegen meine obersten Prinzipien verstoßen würde. Lieber sage ich die Wahrheit und gehe unter als mein Lebtag mit einer Lüge verbringen zu müssen. Und ich wollte schließlich immer ehrlich zu dir sein – erinnerst du dich noch? Es tut mir leid, aber ich bin von Natur aus viel zu selbstsüchtig. Ich könnte dir niemals, so gierig und unersättlich wie ich leider bin, ehrlich wünschen können, mit ihm glücklich zu werden, ohne dabei innerlich tausende Tode zu sterben. Über diese dezente, aber dennoch so direkte Ehrlichkeit, die nur er in dieser vollendeten Form draufhatte, hätte ich zweifelsohne schmunzeln können. Wenn mir danach gewesen wäre. Ich spürte ganz genau, was er meinte. Denn auch ich war ebenfalls mehrere Tode gestorben. Aus Gründen, die seinen so sehr glichen, aber gleichzeitig doch völlig anders waren. Niemals hätte ich gedacht, dass sich »Sterben« so schlimm anfühlen könnte. Wobei … richtig zu sterben war bestimmt einfacher und erträglicher. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen als diesen Schmerz, den ich gerade durchlebte. Den wir gerade durchleben mussten. Wie zwei hoffnungslose Vollidioten. »Liebe ist wie ein Fluss voller Tränen, der fließen wird, solange du nicht bei mir bist. Auch, wenn dein Herz niemals mir gehören wird, genügt es mir, dich lächeln zu sehen. Auch wenn ich nicht mit dir lächeln kann …« Die Wahrheit ist: Ich ertrage diese Gedanken einfach nicht, wie du mit ihm glücklich wirst und mich vergessen wirst. Dass ich in deinem Herzen nicht den gleichen Platz einnehmen werde wie du in meinem. Ich es auch niemals schaffen werde, dir jemals so wichtig zu sein. Um ehrlich zu sein … Tut dieser Gedanke verdammt weh. Es tut weh, dass ich niemals derjenige sein werde, der an deiner Seite sein darf. Zu wissen, dass dein Herz mir niemals gehören wird … Er war nicht der Einzige, für den diese Vorstellung die Toleranzgrenze des Erträglichen überschritt. Er hatte wirklich gar keine Ahnung. Doch Vorwürfe konnte ihm niemand machen. Aber das Schlimmste von allen war ja: Es musste auch so bleiben. Er durfte nichts erfahren. Er durfte nichts von diesen neuen Gefühlen erfahren, die ich gerade erst in mir entdeckte. Diese Gefühle, die verboten gehörten … »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich liebe dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine werde ich um dich weinen. Wieder alleine werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Aber so soll es sein. Das Schicksal hat schon längst seine Entscheidung über uns gefällt, bevor wir überhaupt auf der Welt waren. In solchen Dingen haben wir leider nie ein Mitspracherecht gehabt. Auch du hast dich schon längst für deine Zukunft entschieden. Mir bleibt nichts Anderes übrig, als das schweren Herzens zu akzeptieren. Schließlich bin ich der Einzige, dem das nicht passt. Ich muss echt anfangen, von meinem Ego–Trip runterzukommen. Ich selbst finde ja mein eigenes Verhalten inakzeptabel – wie wird es da erst euch gehen, die keinen Einblick in mein krankes Hirn haben? Wie sehr wollte ich ihn aufhalten. Ihn erlösen von seiner Ungewissheit, für die er nichts konnte. Ihm entgegenschreien, dass er sich auf dem Holzweg befand. Meine Seele erlitt brennende Höllenqualen bei dem Gedanken, ihn so im Unwissen zu lassen. Ihm eine Lüge glauben zu lassen. Dass wir mit einer Lüge auseinandergehen würden – wie könnte ich das jemals mit meinem lautstarken Gewissen vereinbaren? War das etwa auch mein tonnenschweres Schicksal? Für immer in tiefer Reue zu leben? Das hatte ich nie gewollt. Doch so war wohl das Leben. Menschen, die sich nie begegnen wollten, begegneten sich. Und Dinge, die nie passieren sollten, passierten … »Bye bye … Sag niemals Goodbye. Selbst wenn nicht ich es bin, der an deiner Seite sein wird. Ich brauche dich; ich kann kein Wort sagen, aber ich will dich. Ich kann nicht aufhören, mich nach dir zu sehnen. Und werde hoffen … und weiterhin hoffen.« Mein Herz zerbärste in Abermillionen Teile. Gleichzeitig war es ein schönes Gefühl. Ein wunderschönes Gefühl zu wissen, dass er sich weiterhin Hoffnung machte und auf mich wartete. Zu wissen, dass er nicht Ausschau nach einer anderen halten würde. Heftig schüttelte ich meinen Kopf. Wie unfassbar egoistisch das doch von mir war, ihm nicht das Glück zu gönnen, welches er von allen Menschen am allermeisten verdient hatte. Was hatte ich denn davon, wenn er sein ganzes Leben lang an etwas Imaginäres, Unmögliches festhielt? Doch nicht etwa die Möglichkeit … selbst noch weiter hoffen zu können …? Die härteste Zeit meines Lebens steht mir unmittelbar bevor. Und auch, wenn es mich wahnsinnig macht … Gleichzeitig wird aber der Gedanke, dass es dir gut gehen wird, der einzige Trost für mich sein in dieser schweren Zeit. Also sei glücklich. Auch wenn es mir Höllenqualen bereiten wird. Ich kann selbst die schlimmste Höllenfolter ertragen, wenn ich dein Lächeln vor meinen Augen sehe. Das allein reicht mir. Das muss mir einfach reichen. Ich weiß, dass das verdammt widersprüchlich klingt und es auch ist. Ich kann es also gut verstehen, wenn du kein Wort von dem verstehst, was ich hier vor mich hin labere. Ich verstehe mich ja selbst nicht – wie soll mich da jemand Anderes bitte verstehen? Ich verlange daher gar nicht von dir, dass du mich verstehst. Dass du mir überhaupt zuhörst bei dem Schwachsinn ist für mich schon das Höchste. Wie konnte er nur so sein? Wie konnte er mich nur so sehr lieben? Wie war das möglich? Wie konnte so eine grenzenlose Liebe überhaupt existieren? Als ob er all die Liebe, die es gab, in sich vereint hätte … und die nun ganz allein mir galt. So viel Liebe hatte ich in keinster Weise verdient. Erst recht nicht von ihm. Ich war unfähig, konnte mit so viel Liebe nicht umgehen. Ich war es schon gewohnt, mehr Liebe zu schenken als zu bekommen. Mit seinen Gefühlen, die sich aufgrund ihrer Gewaltigkeit jenseits meiner Vorstellungskraft befanden, war ich überfordert. Denn noch nie hatte ich mich mit solch starken Gefühlen auseinandersetzen müssen. Noch nie zuvor hatte ich mich so sehr von einem Menschen geliebt gefühlt. Noch nie wurde ich so sehr geliebt. Noch nicht einmal von demjenigen, für den es sich als Einzigen ziemte, derartige Gefühle für mich zu besitzen: Mamoru. »Es gibt Tage, an denen ich dich so sehr vermisse. Es gibt Tage, an denen ich mich nur nach deiner Berührung sehne. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen.« Bitte sei nicht traurig. Auch, wenn das nach meiner Botschaft echt zu viel verlangt ist – ich kenne ja dein überaus großes Herz und deine ›Begabung‹, so intensiv mit deinen Mitmenschen mitzuleiden. Ich hoffe, du behältst unsere gemeinsame Zeit in genauso guter Erinnerung wie ich. In der Zeit, die ich mit dir verbringen durfte, habe ich das erste Mal in meinem Leben wirklich gespürt, was »Glück« beinhaltet. Du hast mir gezeigt, was es heißt, wahrhaftig glücklich zu sein. Die Erfahrung, mit jemandem, den man mehr als alles Andere auf diesem Universum liebt, Zeit zu verbringen. In seiner Gegenwart zu sein. Es gibt kein schöneres Gefühl auf der Welt – jedenfalls kenne ich bisher nichts Vergleichbares. Und dafür werde ich dir ewig dankbar sein. Und wieder einmal lag er vollkommen daneben. Ich empfand viel für ihn. Mitleid nahm inzwischen jedoch nur einen winzigen, kaum wahrnehmbaren Teil ein. War nun fast schon unbedeutend. Hinter ihrer Fassade steckte etwas viel Größeres. Etwas viel Gigantischeres. Doch ich verstand wieder sofort, was er damit meinte. Denn mir ging es auch hier nicht anders: Erst durch ihn hatte ich erfahren, wie schön es war, wirklich wahrhaftig glücklich zu sein. Glück bedeutete … mit einem Menschen jederzeit lachen und weinen zu können. Mit demjenigen über alles reden zu können, weil man ihm bedingungslos vertrauen konnte. Jemanden zu haben, mit dem man alles teilen konnte. Glück bedeutete, einen Seelenverwandten zu haben. Und ich wollte diese bestimmte Person niemals loslassen … denn ohne diese Person würde mein Glück niemals vollkommen sein. In ihm hatte ich diese Person gefunden. »Es gibt Tage, an denen ich nur den Regen spüre. Es gibt Tage, an denen ich einfach so viel Schmerz empfinde. Mein Herz sich kalt und traurig anfühlt. Die Worte ›Ich vermisse dich‹ tanzen auf meinen Lippen … Wieder alleine, werde ich um dich weinen. Wieder alleine, werde ich dich vermissen. Baby, ich liebe dich. Ich warte auf dich.« Du hast mir beigebracht, zu lieben. Dank dir begreife ich nun, was »Liebe« bedeutet. Das war eine sehr wertvolle Lektion für mich, die ich niemals vergessen und immer in meinem Herzen tragen werde. Ich werde dich niemals vergessen, mein Schätzchen. Bitte erlaube mir noch, dich um einen winzigen Gefallen zu bitten. Ich hoffe, dass ich mir damit nicht zu viel hole, aber bitte … Bitte vergiss mich nicht … Und in diesem Moment sah er mir direkt in die Augen. Während des gesamten Liedes hatte er es vermieden – das war nicht zu übersehen gewesen. Doch nun war er wohl der Versuchung erlegen, hatte ihr nicht mehr länger standhalten können. Ich seufzte innerlich, bevor ich mir offenkundig endlich die Gefühle eingestand, die ich schon seit unserem ersten Gespräch tief in mir drinnen für ihn hegte. Es hatte keinen Sinn mehr, sie zu verleugnen – ich würde mich damit nur selbst belügen. »Ich liebe dich auch, Seiya …« Seine Augenbrauen zuckten merklich – er hatte mich also gehört. Mit einem ungläubigen, unverwandten Blick musterte er mich skeptisch. Ich erwiderte ihn mit einem traurigen Lächeln. Denn wir beide wussten es nur zu gut: Ganz egal, was ich auch für ihn empfand: Es würde nichts ändern an unserer Situation. Gar nichts. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)