Diagnose: Schreibblockade von Geminy-van-Blubel (Dreimonatige Challenge) ================================================================================ Kapitel 104: 4.4.2024: A priori ------------------------------- Während Saskia mit Jasmin zum Park ging, fühlte diese sich wie auf dem Weg zum Schafott. Die ganze Zeit überlegte sie fieberhaft, was sie sagen oder wie sie reagieren sollte und konnte gleichzeitig kaum einen Gedanken richtig fassen. Ihr Mund war ausgedörrt wie eine Wüste und ihr Herz pochte noch schneller, als Saskia vorschlug, sich auf eine etwas abgelegen stehende Bank zu setzen. „Vielleicht sollten wir doch zurück gehen, damit Sven sich keine Sorgen macht“, brachte sie schließlich hervor und bemerkte, wie Saskias Augenbrauen zuckten. „Ich hab ihm doch einen Zettel hingelegt, dass wir kurz ein paar Besorgungen machen wollen“, meinte sie und nahm Platz. Nur zögerlich tat Jasmin es ihr gleich. Sie rutschte bis an den äußersten Rand der Bank, den sandigen Boden davor nur mit den Fußspitzen berührend, die Finger in ihre Jeans gegraben und die Schultern schuldbewusst bis an die Ohren gezogen. Noch immer wagte sie nicht, Saskia direkt anzublicken, während die sie unverhohlen musterte. Dann seufzte Saskia aus und schlug die Beine übereinander. „Na ja, du streitest es zumindest nicht ab“, meinte sie und versuchte ihrer Stimme einen abgeklärten Ton zu verleihen, doch in den feinen Nuancen war rauszuhören, dass auch sie die Situation nervös machte. Sie blickte auf ihren Fuß, der immer wieder leicht zuckte. Kurz schwiegen die beiden Frauen sich an. „Wie lange geht das schon?“, fragte Saskia schließlich, nachdem Jasmin keine Anstalten machte, aus ihrer Sprachlosigkeit herauszukommen und schaute sie doch erst wieder an, als sie zur Anwort ansetzte. „Ist das wirklich wichtig?“, murmelte sie verlegen und schob die Schultern noch ein wenig näher an die Ohren. „Für mich schon“, zischte Saskia und war damit harscher als eigentlich geplant. Jasmin zuckte zusammen und linste angstvoll zu Saskia, während die sich selbst zur Raison rief – wenn sie die Wahrheit erfahren wollte, durfte sie Jasmin nicht zu sehr unter Druck setzen. „Ich bin die viele Heimlichtuerei und die Überraschungen leid. Also beantworte mir bitte die Frage“, ergänzte sie in ruhigerem Ton und Jasmin nickte verstehend. Sie atmete tief durch und gab sich einen Ruck. „Aufgefallen ist er mir schon am ersten Tag, aber… aber im Verlauf des ersten Semesters merkte ich dann, wie sehr… also… ich meine, ich hab gemerkt, dass ich ihn sehr mag“, sprach sie leise und räusperte sich. Ihr wurde abwechselnd warm und kalt und ihre Knie zitterten, weil sie am liebsten aufgesprungen und weggerannt wäre. Warum tat sich kein Loch auf, um sie zu verschlucken? Wieder erschrak sie, aber dieses Mal von Saskias tiefem, schmerzerfülltem Seufzen. „Seit dem ersten Semester schon?“, murmelte sie heiser und Jasmin sah, dass alle Farbe aus Saskias Gesicht verschwand. Es schien, als müsse sie sich jeden Moment übergeben und gleichzeitig füllten sich ihre Augen mit Tränen. Fassungslos starrte Jasmin sie an. „Ab… aber warum weinst du? Ich meine, es gab doch bestimmt noch mehr Mädchen, die ihn toll fanden, oder nicht?“, stotterte sie nervös und Saskias Augen wurden immer größer. Sie schluckte hart und stand schwankend auf. „Willst du mir grad sagen, dass er mich am laufenden Band betrogen hat und ich hab nichts gemerkt?!“, krächzte sie und drückte sich die Hand auf den Mund. Erst jetzt begann Jasmin zu verstehen. Sie sprang auf und hob beschwichtigend die Hände. „Nein, nein, nein! Dachtest du etwa, ich hätte was mit ihm gehabt?!“, rief sie schockiert und schüttelte energisch den Kopf, als Saskia ihre Frage mit einem Nicken bejahte. „Wie kommst du denn auf so was?“, konnte sie kaum begreifen, in welcher Situation sie sich gerade befand. „Ich weiß nicht mal, ob er überhaupt meinen Namen kennt, so wenig haben wir miteinander gesprochen“, rief sie aus und spürte, wie weh diese Erkenntnis tat, wenn sie sie laut aussprach. Saskia runzelte die Stirn und atmete tief durch. „Moment mal… warum hast du dich dann die ganze Zeit so komisch verhalten?“, stemmte sie die Hände auf die Hüften und musterte Jasmin, als die beschämt zur Seite blickte. „Im Café ist mir schon aufgefallen, dass du ziemlich neben der Spur warst, als wir über Detlefs Weggang gesprochen haben und vorhin hast du mich ständig gemustert, obwohl man dir anmerken kann, dass du nicht gern in meiner Nähe bist.“ Jasmin kaute auf der Unterlippe. „Du hast grad selbst gesagt, dass ich im Café ziemlich überrumpelt war. Das zeigt doch, dass ich eigentlich nicht viel mit ihm zu tun hab“, murmelte sie und nestelte an ihrer Jacke herum. Saskia war von dieser Argumentation allerdings wenig überzeugt. „Nicht, wenn du der Grund warst, warum er abgehauen ist“, verschränkte sie die Arme und wieder schaute Jasmin sie bestürzt an. „Ich würde a priori niemals eine Beziehung zerstören!“, rang sie die Hände und hoffte, dass Saskia ihr glaubte. Die war allerdings eher irritiert von Jasmins Ausspruch. „A priori?“, wiederholte sie und hob die Augenbraue. Jasmin zuckte ertappt zusammen und schalt sich selbst dafür. „Grundsätzlich… ich würde mich grundsätzlich niemals in eine Beziehung drängen oder gar versuchen, jemanden den Freund weg zu nehmen“, sagte sie kleinlaut und wartete darauf, dass Saskia sie für ihre „seltsame Ausdrucksweise“ kritisieren würde – so, wie schon so viele vor ihr. Stattdessen fragte die aber, warum Jasmin wegen Detlefs Entscheidung so erschüttert gewesen war und sich ihr gegenüber immerzu ängstlich zeigte. „Ist das denn nicht offensichtlich?“, murmelte Jasmin und setzte sich wieder. „Nein, erklär es mir“, meinte Saskia und tat es ihr gleich. „Weil es mir peinlich ist. Ich wusste zwar lange nicht, dass er eine Freundin hat, aber das ändert nichts daran, dass ich für ihn schwärme, obwohl er vergeben ist und jetzt stell ich mich auch noch so blöd dabei an, dass es dir sogar aufgefallen ist. Genau das wollte ich eigentlich verhindern“, nuschelte sie und sank in sich zusammen. Saskia lehnte sich an die Rückenlehne und betrachtete die Wolken. „War… vergeben war. Wir sind nicht mehr zusammen, schon vergessen?“, sagte sie fast gedankenverloren und war unschlüssig, ob die Aussprache mit Jasmin sie glücklich machen sollte oder nicht. Noch immer verstand sie Detlefs Entscheidung nicht in Gänze. Die Uni abzubrechen war eine Sache, aber warum die Trennung von ihr, obwohl er gesagt hatte, dass er noch etwas für sie empfinde? Warum wollte er diesen Weg ohne sie gehen? Sie hätte ihn unterstützt, das war doch spätestens bei ihrer Hilfe mit Steffen deutlich geworden! Und trotzdem hatte Detlef sie nicht gefragt, ob sie zu ihm zurückkäme. Das tat fast noch mehr weh als die Trennung selbst. „Du… vermisst ihn, oder?“, fragte Jasmin vorsichtig und Saskia nickte. Jasmin gab sich einen Ruck. „Ich find es faszinierend, wie stark du bist“, meinte sie und Saskia schaute sie überrascht an. „Ich hab dich vorhin beim Gespräch mit Sven so beobachtet, weil ich es toll finde, wie direkt und offen du bist“, gab sie zu und schämte sich im nächsten Moment dafür. Saskia schenkte ihr aber ehrlichen Dank dafür. „Du hast nicht viele Freunde, oder?“, fragte sie und Jasmin schüttelte den Kopf. „Merkt man mir da so leicht an?“ Saskia grinste. „Du wohnst freiwillig mit Sven zusammen und der kann eine ganz schöne Nervensäge sein!“, lachte sie und Jasmin zuckte die Schultern. „Ich finde ihn sehr nett. Er nimmt mich, wie ich bin und mäkelt nicht ständig an mir herum. Im Gegenteil, er ermutigt mich sogar, mehr aus mir heraus zu gehen.. aber nicht so drängend, wie die andren immer. Und es ist bei ihm deutlich ruhiger. Vorher hab ich mit drei anderen Mädels in einer WG gewohnt.“ Saskia hob die Augenbrauen und seufzte aus. „Muss nicht immer schlecht sein, aber du klingst so, als wäre das ein ziemlicher Zickenhaufen gewesen.“ Jasmin nickte und hob die Füße auf die Bank, um ihre Knie mit den Armen zu greifen. Kurz erzählte sie Saskia das, was sie auch schon Sven über ihre WG berichtet hatte. „Ehrlich gesagt war ich nicht sicher, ob ich mir einen Gefallen tu, wenn ich Svens Angebot annehme und bei ihm einziehe, aber inzwischen bin ich echt froh darüber“, schloss sie die Erzählung ab und sah Saskia verständnisvoll nicken. „Jetzt weißt du, warum ich mir direkt eine eigene Bude genommen habe“, meinte die und schob die Hände in die Jackentaschen. Jasmin nickte, aber sie wusste auch, dass sie das nicht schaffen würde, neben der Uni noch ausreichend viel zu arbeiten, um sich eine eigene kleine Wohnung leisten zu können. Ihr Studentenjob schlauchte sie so schon und der hatte noch den Vorteil, dass sie ihre Dozenten bei Recherchen und ähnlichem unterstützte, sodass ihr das gesammelte Wissen auch beim Studium half. Wieder merkte sie, wie sehr sie Saskia beneidete. Sie schien so viel Stärke zu besitzen, so viel Mut und Durchsetzungswille und auch wenn es schmerzte, musste Jasmin sich eingestehen, dass sie Detlefs Entscheidung zur Trennung nicht verstand. „Die Trennung ist bestimmt schon schwierig genug. Tut mir leid, dass ich das durch mein Verhalten noch verschlimmert habe“, sagte sie schließlich und schaute schüchtern zu Saskia, die ihr ein Lächeln schenkte. „Wir können ja nichts für unsere Gefühle“, meinte sie mit einem leichten Schulterzucken. Auch bei anderen Mädchen hatte sie es schon mitbekommen, wenn sie für Detlef schwärmten, aber es war eine andere Situation gewesen. „Vielleicht hab ich vor Eifersucht auch ein bisschen überreagiert.“ Jasmin war unschlüssig, was sie darauf sagen sollte und Saskia merkte ihr das an. „Du hast noch nicht so viel Erfahrung in Beziehungsdingen, oder?“, meinte sie und überraschte Jasmin wieder einmal mit ihrer Direktheit. „Nein, eigentlich noch gar nicht…“, gab sie zu und überlegte, ob es noch peinlicher werden könnte, als es eh schon für sie war. „Ich hab immer diese Liebesgeschichten in Romanen und Filmen gesehen und mir das auch gewünscht, aber bisher hat es sich nicht ergeben“, murmelte sie und verschwieg dabei, dass sie sich auch immer solche Freundschaften wie in diesen Geschichten gewünscht hatte. Saskia schmunzelte, aber sie verkniff sich das Lachen. „Glaub mir, an diesem Kitsch solltest du dir kein Vorbild nehmen! Es sieht immer alles so toll aus, aber wie viel Arbeit eine Beziehung auch bedeutet, wird oft genug gar nicht gezeigt“, überschlug sie wieder die Beine und stützte einen Ellenbogen auf dem Oberschenkel ab, um ihren Kopf in die Hand zu lehnen. Jasmin schaute sie zweifelnd an und legte die Stirn in Falten. „Aber es ist doch nicht alles nur Fiktion“, murmelte sie nachdenklich. „Nicht alles, aber vieles. Und vor allem sieht man in den meisten Filmen nur den Weg hin zur Beziehung und nicht die Beziehung selbst. Oder wie sich die Paare wieder zusammenraufen, sich nach Jahren wieder treffen und alte Gefühle aufflammen und so weiter – das sind alles nur Momentaufnahmen, unterlegt von passender Musik und ins richtige Licht gesetzt. Das solltest du dir immer vor Augen halten“, sagte sie ohne Wertung und ergänzte: „Und dass es wichtig ist, die Menschen kennen zu lernen und nicht nur von dem Bild auszugehen, das man sich von ihnen gemacht hat.“ Jasmins schuldbewusster Blick bestätigte Saskias Vermutung, dass sie nun endlich verstanden hatte, was ihre Gesprächspartnerin in Bezug auf Detlef bewegte: Sie war verknallt in ein Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte und kannte den echten Detlef dabei kaum. „Ist gar nicht so einfach, wenn man nicht viele zwischenmenschliche Beziehungen hat“, murmelte Jasmin und schaute hoch, als Saskia aufstand. „Vielleicht nicht einfach, aber etwas, das sich lernen lässt“, bot sie Jasmin die Hand an und zog sie auf die Füße. „Ich finde, nach dem unglücklichen Start war das ein gutes Gespräch, meinst du nicht auch?“, fragte Saskia und lächelte zufrieden, als Jasmin mit einem ehrlichen Nicken antwortete. „Das können wir ja weiter ausbauen. Aber jetzt lass uns zurück gehen, bevor Sven noch einen Suchtrupp aufstellt“, sagte sie mit einem Zwinkern und brachte Jasmin sogar zum Lachen. „Gern, aber wir dürfen nicht vergessen, noch eine Kleinigkeit zu kaufen – als „Besorgung“. Saskia nickte anerkennend – diese Richtung, in die es sich jetzt bewegte, gefiel ihr deutlich besser, auch wenn sie bei Detlef noch immer nicht richtig weiter war. Sollte sie versuchen, die Beziehung zu retten oder endgültig mit ihr abschließen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)