Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 5: Erwachsen werden --------------------------- Ich blieb einige Tage zu Hause. Die schriftlichen Abschlussprüfungen der Akademie waren vorbei und bis wir unseren Dienst als Aushilfsshinigami begannen, würden noch einige Wochen vergehen. Ich schloss mich in mein Zimmer ein und ließ niemanden zu mir, weder meine Mutter und Yamachi, noch Byakuya. Ich wollte allein sein, wollte mit meinem gebrochenen Herzen im Bett liegen und die Decke anstarren. Ich wusste, dass ich zu jenen gehörte, die das brauchten. Ich brauchte meinen Schmerz und meine Trauer, musste das alles zulassen, um mit der Sache fertig zu werden. Immer wieder spielte ich in meinem Kopf das letzte Gespräch mit Gin durch, versuchte zu verstehen, in was er hineingeraten war. Tief in meinem Inneren spürte ich, dass er in etwas Übles verwickelt sein musste. Ich versuchte, ihm zu vertrauen, so wie er mich gebeten hatte und doch fiel es mir unglaublich schwer, mein ungutes Bauchgefühl auszublenden. Zusätzlich versuchte ich noch immer, mir einen Reim darauf zu machen, dass sowohl meine Mutter, als auch einige meiner Freunde Erinnerungen hatten, die ich nicht hatte und dass ich das auf keinen Fall niemanden wissen lassen durfte. Da setzte stets mein schlechtes Gewissen ein, wenn ich darüber nachdachte, dass ich Kisuke alles erzählt hatte. Ich war mir sicher, dass er sein Wort halten und niemandem davon etwas sagen würde und doch hatte ich einen letzten Hauch von Angst. Was wäre, wenn er Gin ansprach? Hin und wieder überlegte ich, ob ich Kisuke einfach erzählen sollte, alles sei nur ein Scherz gewesen oder dass ich mich geirrt hatte, aber ich wusste, dass er mir das nicht abkaufen würde – zumal er die Narbe auf meinem Rücken gesehen hatte. Ich würde ihn einfach bitten müssen, weiterhin zu schweigen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Ich seufzte. Das tat ich oft diese Tage. Es dauerte ganze zwei Wochen, da standen sie alle vor meiner Tür: Yamachi, Byakuya, Rangiku und Kiskue. Sie zwangen mich, mit ihnen zu kommen, raus an die frische Luft an den Fluss und ich gab nach. Wahrscheinlich würde es guttun, ein wenig unter Freunden zu sein. Ich war still und lauschte ihren Geschichten. Sie sprachen mich nie direkt an, unterhielten sich miteinander und ich schnappte auf, was ich verpasst hatte in Seireitei. Kisuke hatte viel Zeit mit Kommandantin Yoruichi Shihoin verbracht und uns erklärt, dass er bei ihrer Familie aufgewachsen war. Ich hatte mich schon ein paar Mal gewundert, wie es um seine Familie stand, doch er schien zu jenen zu gehören, die nicht in der Soul Society geboren waren. Er war also einer derjenigen, der aus der Welt der Lebenden mit dem Tod in die Soul Society gelangte und das scheinbar schon in einem sehr jungen Alter. Als Kind war er von den Shihoins aufgenommen worden und mit Yoruichi hatte er sich von Anfang an super verstanden (Ich war etwas beleidigt, dass er mir das nie erzählt hatte, wo ich sie doch so bewunderte!). Des Weiteren gingen die Gerüchte herum, dass Kirio Hikifune, Kommandantin der 12. Kompanie vorhatte ihr Amt niederzulegen. „Wie kommt sie denn darauf?“, fragte ich und für einen kurzen Moment starrten meine Freunde mich irritiert an. Es waren meine ersten Worte, seitdem wir uns am Fluss niedergelassen hatten. „Man sagt, sie wurde befördert, aber sie wartet noch bis sie einen würdigen Nachfolger gefunden haben“, erklärte Yamachi in einem wichtigtuerischen Tonfall, als hätte er die Infos aus erster Hand. „Vielleicht wird ja einer von uns ihr Nachfolger“, witzelte er und ich merkte, dass Byakuya die Schultern hängen ließ. Ich wusste, dass auf ihm ein unglaublicher Druck lastete. Alle Welt erwartete, dass er der Nachfolger von Ginrei Kuchiki wurde. Wir würden nach der Akademie ein Jahr als Shinigami-Anfänger arbeiten, bis wir durch Prüfungen und Beobachtungen in die unterschiedlichen Kompanien und Ränke eingeteilt wurden. Yamachi spann weiter herum, in welchen Kompanien wir alle einmal Kommandanten werden würden. „Genau, wir drei werden Kommandanten und ihr beide werdet unsere Vizekommandanten“, meinte er gerade zu Rangiku und Kisuke, die sich einen vielsagenden Blick zuwarfen. Selbst Byakuya runzelte die Stirn, doch ich lachte. Yamachi wusste besser als jeder andere von uns, dass er keinerlei Chance hatte, ein Kommandant zu werden. Nicht nur, weil ihm die nötige Energie fehlte – er hatte schlicht und einfach keinerlei Ehrgeiz, ein großer Krieger zu werden. Er gab sich damit zufrieden, die Akademie bestehen, und theoretisch in den Dienst der Gotei 13 zu treten. Es war etwas, dass er sich selbst beweisen wollte, und nur das zählte für ihn. Sein Hauptaugenmerk lag auf den Geschäften unserer Familie. Ich war dankbar, für seine Witzeleien, da ich wusste, dass es ihn viel Überwindung gekostet haben musste, sich über sich selbst lustig zu machen. Eine Sache, die er nicht für jeden getan hätte. Ich kehrte an die Akademie zurück und hatte das Gefühl, sowohl die Trennung als auch das traumatische Erlebnis mit dem Hollow langsam verarbeitet zu haben. Es tat gut, Zeit mit meinen Freunden zu verbringen und mich wieder dem Training zu widmen. Tag für Tag vermisste ich Gin weniger und die Erinnerungen an diesen schrecklichen Donnerstag in Rukongai verblassten. Kisuke war nicht gerade begeistert, als ich ihn darum bat, die Angelegenheit zu vergessen. Kurz nach meiner Rückkehr zur Akademie saß ich in seinem Forschungslabor und es fiel mir schwer, seinen Blick zu erwidern. „Er hat mich darum gebeten und ich vertraue ihm…“ „Trotz allem?“, Kisukes Frage hatte einen gewissen Unterton und ich sah ihn nicht an. „Ja, trotz allem.“ „Und obwohl du ihm vertraust, hast du ihm nicht gesagt, dass du es mir erzählt hast?“ Ich war wie erstarrt und fühlte mich ertappt. Ich senkte den Blick und begann mit mir zu ringen, doch ich konnte es selbst kaum in Worte fassen. „Kisuke… ich bitte dich einfach darum, behalte es für dich, ja?“ Er sagte nichts, nickte aber schließlich und erhob sich. „Aber vergiss nicht… wenn du doch weiter nachforschen willst, ich bin für dich da“, fügte er noch hinzu und ohne darüber nachzudenken, drehte ich mich herum und umarmte ihn kurz aber herzlich. „Danke.“ Ich ließ ihn mit hochrotem Kopf zurück. Ich hatte meine Trauer gehabt und erholte mich langsam wieder. Verbrachte viel Zeit mit unserer kleinen Gruppe, die wie eine zweite Familie für mich geworden war und als unser Jahr als Aushilfsshinigami begann, stürzte ich mich in die Arbeit. Nach und nach war ich wieder ganz die Alte. „Es scheint dir besser zu gehen.“, stellte Kisuke nach einigen Wochen fest und betrachte mich mit seinem verträumten Lächeln, dass ich mittlerweile so gern in seinem Gesicht sah. Ich konnte es mir selbst kaum eingestehen, aber nach und nach war er zu meinem engsten Freund geworden – nie hätte ich geglaubt, dass irgendjemand Byakuya diesen Posten einmal streitig machen würde, und doch hätte ich mittlerweile nicht sagen können, mit wem von beiden ich mich besser verstand. Ich kannte Byakuya schon, seitdem ich angefangen hatte zu laufen, doch Kisuke und ich verstanden uns auf eine Art und Weise, die ich kaum beschreiben konnte. Wir waren auf einer Wellenlänge, hatten dieselbe Energie und verstanden uns ohne Worte. Die Erinnerungen an Gin verblassten mehr und mehr, sodass ich die Sache irgendwann objektiver betrachten konnte. Ich begann zu realisieren, dass er wohl meine erste Liebe war, wir aber von Anfang an dazu verdammt gewesen waren, irgendwann auseinanderzugehen. Denn auch wenn Rangiku es nicht zugeben würde, spürte ich, dass sie insgeheim doch Gefühle für ihn hegte. Allein an der Tatsache wie unglaublich wütend und verletzt sie davon war, dass weder Gin noch ich ihr erzählen konnten, was der Grund für unsere Trennung war, ließ mich aufhorchen. Einerseits war sie besorgt um uns beide, aber ich wusste auch, dass es an ihr nagte, dass wir etwas vor ihr geheim hielten. Selbst jetzt noch, da wir getrennt waren. Sie versuchte, noch ein paar Mal das Thema anzuschneiden, doch ich bat sie, es gut sein zu lassen und nachdem sie eine Weile etwas distanziert war, näherten wir uns wieder an. Eines Abends als sie erst spät aufs Zimmer kam, brach sie fast in Tränen aus, als ich sie fragte, wo sie sich so herumgetrieben hatte und ich wusste sofort, dass sie Zeit mit Gin verbracht haben musste. „Schon gut, er ist deine Familie… das war er schon vor unserer Beziehung und mir war klar, dass es auch danach so bleiben würde. Du kannst ihn ruhig erwähnen, wirklich es ist in Ordnung.“ Auch, wenn es mir jedes Mal einen kleinen Stich versetzte, spürte ich, dass es gut so war und von Mal zu Mal schmerzte es mich weniger, wenn sie von ihm sprach. In diesen Monaten verbrachte ich viel Zeit in den Trainingsräumen, um mich auf die praktische Prüfung vorzubereiten, die uns am Ende unserer Zeit als Aushilfsshinigami in die verschiedenen Ränge einteilen würde, um endlich wirklich der Gotei 13 beizutreten. Sehr oft trainierte ich gemeinsam mit Kisuke. Yamachi hatte viel in Familienangelegenheiten zu tun und sowohl Byakuya, als auch Rangiku wollten lieber allein ihr Training absolvieren. Ich sorgte mich um Byakuya, der ein wenig zu verbissen wirkte und unbedingt die Erwartungen seines Großvaters erfüllen wollte. Jeder Rang unterhalb der Offiziersränge, würde eine Schande für die Familie Kuchiki bedeuten – was ich persönlich als absolut lächerlich empfand. Doch ich behielt diese Meinung für mich und versuchte Byakuya gut zuzureden. Rangiku hatte ganz andere Sorgen – sie wollte nicht hinter uns zurückhängen. Sie hatte bereits ein Jahr länger auf der Akademie verbracht, als der Rest von uns, da ihre Leistungen anfangs schwächelten und war nun hochmotiviert, mit uns mitzuhalten. Sie wusste, dass bis auf Yamachi, alle bessere Kämpfer waren als sie und das kratzte an ihrem Stolz. An manchen Tagen sah ich sie nur abends, wenn sie zum Schlafen in unser gemeinsames Zimmer kam. Sie schien unglaublich erschöpft und noch immer nicht recht zufrieden mit sich. Ich versuchte, ein Auge auf sie zu haben, doch ich war recht eingenommen, von meinem eigenen Training. Eines Tages, als Kisuke und ich gerade einen kleinen Kampf gegeneinander fochten und ich ihn halb durch die Wand schleuderte, erklang ein leises Klatschen und ich fuhr herum. Es war Kommandantin Yoruichi Shihoin. „Das ist ja erbärmlich Kisuke, ich dachte, ich hätte dich etwas besser trainiert“, fluchte sie und schleuderte Kisuke zurück in die Wand, aus der er sich gerade pulte. „Jetzt lasst mich doch mal zu Atem kommen“, grunzte er, setzte aber kurz danach auch schon wieder ein Lächeln auf. Ich hatte Yoruichi bisher nur einige Male von Weitem gesehen, doch nun stand sie direkt neben mir. „Wer hat dich trainiert?“, fragte sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen und ich zuckte mit den Achseln, „Ich?“, sagte ich kleinlaut und sie legte den Kopf schief. „Oh das wird super.“ Ihr Lächeln war breit. Das war der Tag, an dem Yoruichi begann auch mich zu trainieren. Es fiel mir schwer, meine Begeisterung im Zaum zu halten. Sie war so schnell, dass ich sie kaum sehen konnte. Sie unterrichtete mich im Shunpo und ich inhalierte jedes Wort aus ihrem Munde, übte jede ihrer Aufgaben bis zur Perfektion und bekam wenig Schlaf in dieser Zeit. Kisuke hatte Shunpo schon früher gelernt und ich wollte zu ihm aufholen. Schon bald waren wir drei nur noch verschwommene Flecken, die miteinander Fangen spielten. Die Aufgabe, die Yourichi uns hierbei stellte, war absurd einfach: Wir mussten es schaffen, sie zu berühren. So einfach, wie es klang, schien die Umsetzung unmöglich. Woche um Woche bemühte ich mich und dann, endlich, geschah das Unglaubliche: Ich wollte nach ihr greifen und schon war sie fort, doch ich hielt inne. Es dauerte einige Sekunden, bis Yoruichi das begriff und ebenfalls stehen blieb. Innerhalb einer Millisekunde stand sie wieder vor mir. „Was denn, gibst du schon auf?“, fragte sie mit einem hämischen Grinsen und ich öffnete nur langsam die Hand vor ihren Augen. Sie starrte ungläubig auf den kleinen weißen Fetzen, der in meiner Hand lag und suchte danach ihren Haori ab. Tatsächlich fehlte dort ein kleines Stück. Ich hatte sie erwischt. Ihr Blick war schwer zu deuten. Er wirkte wie eine Mischung aus Verärgerung und Stolz. An diesem Abend, wie schon an vielen zuvor, genossen wir unseren Feierabend auf dem Dach des Trainingsraums liegend, den Blick in die Sterne gerichtet. „Sag mal Yoruichi“, begann ich irgendwann und hatte für eine Sekunde das Gefühl, ich hätte Kisuke geweckt, da er kurz erschrocken aufzuckte. „Mh?“, machte die Kommandantin und gähnte danach einmal herzhaft. „Du gehörst zur Familie Shihoin“, begann ich und sah aus dem Augenwinkel, dass sie nickte, „aber du benimmst dich nicht so.“ Sie sagte eine Weile nichts dazu, sah mich dann von der Seite her an. „Das ist einfach nicht meine Welt. Ich glaube nicht, dass die Etikette beim Essen oder die Art, wie ich mich verbeuge, mich zu einem besseren oder schlechteren Menschen macht. Es sind die Taten, die zählen, nicht die Art, wie ich meine Kleidung trage oder der Name, den ich bei meiner Geburt geerbt habe.“ Ich lachte über diese Aussage. Mir war es stets genauso ergangen. „Aber was erzähle ich dir das, du weißt ja, wovon ich spreche“, fügte sie hinzu, ich zuckte mit den Schultern und seufzte. „Aber du bist sogar Familienoberhaupt“, murmelte ich und merkte, wie Yoruichis Augen einen seltsamen Glanz bekamen. Sie war die erste Frau, die jemals zu einem Adelsoberhaupt ernannt worden war. Meine Mutter war zwar derzeit auch Familienoberhaupt, aber sie war nie dazu ernannt worden. Sie hatte lediglich den Platz meines Vaters eingenommen, nachdem dieser gestorben war, und würde diesen Platz auch nur solange besetzen, bis Yamachi alt genug war, sie abzulösen. „Wir sollten viel mehr Wert auf die Fähigkeiten und den Charakter der Leute legen und weniger darauf, wie oder wo jemand geboren wurde, das ist meine Meinung. Aber die alten Geister Seireiteis sind noch lange nicht soweit. Es wird noch dauern, bis es einen wirklichen Wandel geben wird.“ Wir trainierten weiter, doch Yoruichi hielt sich mehr und mehr zurück. Eines Tages steckte sie ihr Schwert ein und schüttelte ungläubig den Kopf. „Was ist?“, fragte ich sie verblüfft. „Dein Training ist hiermit vorbei“, meinte sie und ich runzelte die Stirn. Sie ging, ohne mir irgendeinen Grund zu nennen. Ich rannte ihr nach, wollte, dass sie mir erklärte, was ich falsch gemacht hatte, doch sie ließ mich wortlos stehen. Unglauben und Wut machten sich in mir breit, sodass ich begann, die Hologramme des Trainingsraums mit roher Kraft zu zerschlagen. Ich bemerkte Kisukes Blick aus dem Augenwinkel, gab ihm jedoch keine Chance mich anzusprechen. Ich wollte meine Wut nicht an ihm auslassen und so ging ich ihm bis zum Ende unseres Trainings aus dem Weg. Erst, als wir den Raum verließen, platzte es aus mir heraus. „Was soll das? Wieso beendet sie grundlos mein Training? Ich mein, habe ich sie irgendwie beleidigt? Oder mich zu doof angestellt? Was soll das denn?“ Kisuke neben mir lachte auf. Ich starrte ihn verblüfft an, doch er grinste nur breit. „Akari“, begann er und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, „Sie kann dir im Moment nichts mehr beibringen, weil du für deinen momentanen Rang eigentlich schon viel zu weit bist. Der nächste Schritt wäre wahrscheinlich ein Bankai zu lernen, aber dafür ist es noch viel zu früh.“ Ja zu dieser Zeit hatte ich meine eigene Kraft oft unterschätzt. Ich hatte von Kindheit an mit Byakuya einen sehr ambitionierten Trainingspartner gehabt und so oft nicht begriffen, dass wir andere Schüler der Akademie schon von Beginn an hinter uns gelassen hatten. Nur langsam freundete ich mich mit dem Gedanken an, mein körperliches Training ein wenig herunterzufahren und mich anderen Dingen zu widmen. Den Ausschlag dazu gab mir Kisuke, der an einem verregneten Mittwochmorgen in seinem Labor hinter einem Buch zum Thema Wetterphänomene las. „Viele Kämpfe mag man mit Kraft und Geschick gewinnen, doch die meisten gewinnt man mit dem Verstand. Es kann also nie schaden, sich so viel Wissen wie nur irgend möglich anzueignen.“ Den Winter über widmete ich mich also sehr vielen Büchern. Ich las mich in unterschiedlichste Themen ein, beschäftigte mich mit der Welt der Lebenden, so wie der Soul Society, Sprachen, Chemie, Physik, verschiedenen Kulturen und vor allem Psychologie. Mein körperliches Training bestand aus weniger intensiven Einheiten, die ich zumeist allein verbrachte. Kisuke lernte noch immer von Yoruichi und so verbrachte ich einige Zeit allein. Ich besuchte häufig meine Mutter und unterstützte sie und Yamachi bei Familienangelegenheiten oder spazierte einfach so durch Seireitei, prägte mir jede Ecke, jeden Gang ein. Grüßte Leute und beobachtete die Bewohner unserer Stadt bei ihren alltäglichen Aufgaben. Ich erledigte meine aufgetragenen Aufgaben als Aushilfsshinigami gewissenhaft, doch es kribbelte mir in den Fingern. Ich wollte endlich in die Welt der Lebenden, und echte Hollows vernichten. Es reichte mir nicht, anderen Shinigami irgendwelche Dinge hinterherzutragen und Dokumente zu sortieren. Ich freute mich so sehr auf die Prüfung im Sommer, dass ich es kaum erwarten konnte. Zu Weihnachten bekamen wir Urlaub, mussten allerdings dabei helfen die Weihnachtsfeier für die Shinigami Akademie vorzubereiten. Wir Aushilfsshinigami erledigten stets solche Art von Aufgaben, Unterstützung der Akademie, wie auch der bereits ausgebildeten Shinigami. „Du schmückst hier, ich dort hinten“, bestimmte Rangiku, schnappte sich einen Karton und verschwand in einem weiteren Gang der Akademie. Ich war eine Weile nicht dort gewesen, denn obwohl wir noch immer in den Unterkünften der Akademie schliefen, benutzten wir deren Räumlichkeiten selbst kaum noch(außer der Trainingsräume, aber die waren etwas abseits). Ich schnappte mir ein paar Girlanden aus dem Pappkarton, den Rangiku zurückgelassen hatte, da fiel noch etwas anderes mit heraus. Vorsichtig bückte ich mich, um das grüne Gestrüpp aufzuheben. Es war ein Mistelzweig. Es war genau in diesem Gang gewesen. Die Erinnerung an meinen ersten Kuss mit Gin flammte in mir auf, als wäre es gestern gewesen und ich spürte, wie ein altbekannter Schmerz sich in mir breitmachte. Ich hatte einen Kloß im Hals und musste tief durchatmen, um mich wieder zu fangen. Das war mein Tiefpunkt in diesem Winter. Obwohl das Weihnachtsfest sehr schön war, musste ich an die letzten Feste denken, die ich mit Gin verbracht hatte. Natürlich hatte ich meine Familie und meine Freunde und doch war es etwas anderes. Es fehlte etwas. Vor allem wünschte ich mir mittlerweile nichts sehnlicher, als endlich mal wieder mit Gin zu sprechen. Seit unserer Trennung hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt, ich sah ihn nur noch sehr selten und die einzigen Informationen, die ich über ihn erhielt, waren die Dinge, die Rangiku mir erzählte. Doch sie hielt sich immer noch sehr zurück. Ich wollte ihn einfach nur fragen, wie es ihm ging – in was er verwickelt war und ob ich ihm irgendwie helfen konnte. Ich nahm mir vor, ihn aufzusuchen, sobald meine Prüfung vorbei war und ich mich als Shinigami innerhalb der Kompanien der Gotei 13 frei bewegen durfte. Kurz nach Weihnachten entdeckte ich etwas, das mir in den Jahren zuvor entgangen war. Der Jahreswechsel stand an und wie jedes Jahr verbrachte ich diesen Abend mit meiner Familie. Ich kehrte gerade von meinem Besuch bei Byakuya zurück, der den Abend wie stets mit seinem Großvater verbrachte, und schlenderte nach Hause, da lief Yoruichi mir über den Weg. „Hey, dich habe ich gesucht.“ „Mich?“ „Ja, du Akari, hör mal“, begann sie und verschränkte die Arme vor der Brust.“ „Kisuke wird mich dafür hassen, aber ich weiß, dass es ihm eigentlich wichtig ist. Er hält sich selbst nur leider für so unwichtig, dass er nie etwas sagt.“ Ich stutzte. „Kisuke hält sich für unwichtig? Was meinst du?“ „Weißt du, dass heute sein Geburtstag ist?“ Mit geöffnetem Mund schüttelte ich den Kopf. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals Kisukes Geburtstag gefeiert zu haben. Aus irgendeinem Grund hatte ich angenommen, sein Geburtstag sei ihm äußerst unangenehm, da er uns nie davon berichtete. Dass es ihm jedoch wichtig war und er aus purem Selbstzweifel nichts davon gesagt hatte, obwohl es ihm eigentlich etwas bedeutete, schmerzte mich. Das schlechte Gewissen fraß sich durch meine Eingeweide und ich ließ die Schultern hängen. „Armer Kisuke. Was sind wir für schlechte Freunde“, murmelte ich und Yoruichi lachte auf. „Sei nicht zu streng mit dir, Kisuke ist ja auch nicht ganz einfach. Kommt doch gern heute Abend vorbei, dann überraschen wir ihn.“ Gesagt, getan. Rangiku backte einen Kuchen, Yamachi und ich besorgten ein Geschenk, das wir festlich schmückten und Byakuya konnten wir immerhin dazu bringen, auf unserer Karte zu unterschreiben. Nur zu dritt schlenderten Rangiku, Yamachi und ich zum Anwesen der Familie Shihoin. Wir würden nicht lange bleiben können, da Yamachi und ich unsere Mutter nicht ganz allein lassen wollten und auch Rangiku noch eine andere Verabredung hatte. Ich ahnte, mit wem, fragte jedoch nicht. Das Anwesen der Familie Shihoin war unserem nicht unähnlich, doch noch beträchtlich größer. Wir wurden von Bediensteten durch Gärten und Gänge geführt, bis wir schließlich in ein hübsch eingerichtetes Teezimmer platzten. Kisuke starrte uns einen Moment ungläubig an. „Was macht ihr denn hier?“ „Alles Gute zum Geburtstag!“ Schon lange hatte ich keinen so fröhlichen Abend verbracht. Kisuke machte sich mit kindlicher Freude über Kuchen und Geschenke her und bedankte sich mindestens ein mal zu oft bei uns. Rangiku verabschiedete sich als Erste und auch Yamachi sprang auf. „Ich gehe schon einmal vor. Akari, bleib ruhig noch ein wenig, dann kann ich mit Mutter noch Kamm spielen.“ Es war ein Kartenspiel, dass Yamachi und meine Mutter liebten, ich hasste es. Ich merkte kaum, wie spät der Abend schon vorangeschritten war, da sprang Yoruichi gähnend auf. „Wenn ihr hier kein Ende findet, dann begleite sie doch noch zu ihrer Mutter. Ich bin müde.“ Kisuke sah Yoruichi schmunzelnd an. „Vergiss es“, raunte er und warf mir einen Blick von der Seite zu. „Sie hat morgen Geburtstag, musst du wissen. Wir feiern unsere Geburtstage immer zusammen.“ „Das hättest du mir vorhin auch gleich erzählen können, dann hätten wir dir auch ein Geschenk mitgebracht.“ Yoruichi lachte. „Ich brauche keine Geschenke. Aber vielleicht können wir nächstes Jahr eine richtige Feier machen, wenn ihr auch alle in die Gotei 13 eingetreten seid.“ Ich verabschiedete mich von den beiden und hatte das unbestimmte Gefühl, Kisuke wolle noch etwas sagen, doch er ließ es und verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung. Sein Geruch war mir so vertraut wie der meines Bruders. Irgendetwas an Kisuke roch nach zuhause. Im neuen Jahr konzentrierte ich mich auf meine Arbeit und versuchte Kontakte zu knüpfen. Byakuya hatte mir diesen Tipp gegeben. Bei meinen kleinen Arbeiten sollte ich doch einfach mal ‚Konversation halten’, wie er es genannt hatte. Ich versuchte, also mit so vielen unterschiedlichen Shinigami wie möglich ins Gespräch zu kommen, und merkte schon bald, dass es sich bezahlt machte. Einige von ihnen begannen namentlich nach mir zu verlangen, um mir Aufgaben zu erteilen, andere verzichteten darauf mich Papierkram durch die Gänge tragen zu lassen, es war gut, sich ein wenig beliebt bei ihnen zu machen. „Es ist vor allem praktisch für deine spätere Karriere, wenn sie dich jetzt schon kennen“, hatte Byakuya gesagt. Eine seiner Beschäftigungen bestand auch darin, sich regelmäßig bei den Shinigami sehen zu lassen, damit sie sein Gesicht in Erinnerung behielten. Eines Abends bekam ich die Aufgabe, einen ganzen Stapel Dokumente in die zehnte Kompanie zu bringen, und war freudig erstaunt, als niemand geringerer, als mein alter Freund Shin mir die Tür öffnete. „Hey Akari, lange nicht gesehen, wie geht es dir so?“ Wir unterhielten uns kurz, er hatte nach seiner Prüfung direkt einen Offiziersrang belegt und in der zehnten Kompanie gab es einiges an Arbeit. „Oh ja, die Einsätze in der Welt der Lebenden machen schon Spaß, aber dieser Papierkram…“, er rollte mit den Augen, während er den Stapel Dokumente auf einem Tisch ablegte, den ich gebracht hatte. „Du hast diesen Sommer auch deine Prüfung, nicht wahr?“ Wir plauderten noch ein wenig, bevor ich mich auf den Rückweg machte. Von diesem Tag an wurde ich öfter von der zehnten Kompanie gerufen, zwar waren die Aufgaben, die ich dort erledigen durfte echt sehr dröge, doch konnte ich mich so immerhin ab und zu mit Shin unterhalten und so seinen Berichten über die Außeneinsätze lauschen. Als das Frühjahr anbrach, hatte ich also gefühlte hundert Bücher gelesen, täglich trainiert und einen Haufen Kontakte geknüpft. Ich konnte Rangiku überreden, jeden zweiten Tag zusammen mit mir zu kochen, und bald saßen wir wieder auf der Wiese und aßen seltsam zusammengestellte Gerichte. Selbst Byakuya und Yamachi fanden wieder ab und an Zeit und so unterhielten wir uns stundenlang über unsere Trainingseinheiten und über das, was wir in unseren Prüfungen wohl zu erwarten hatten. Die Tage flogen dahin und ich freute mich so unendlich auf meine Prüfung, dass die anderen es schon seltsam fanden. „Ich bin so nervös, dass ich kaum schlafen kann, und du freust dich darauf?“, hatte Rangiku eines Abends zu mir gesagt und ich hatte nur geseufzt. „Ich kann es einfach nicht abwarten endlich etwas Vernünftiges zu tun. Dieses Papier hin und her tragen und das Bekämpfen von Hologrammen ist nicht wirklich erfüllend.“ Vor allem wenn man im Training keine echten Ziele hatte, weil man anscheinend nichts Vernünftiges mehr lernen konnte, fügte ich in Gedanken hinzu. Einer der ersten warmen Sommertage, genau eine Woche vor unserer Prüfung, lockte uns alle wieder auf unsere Wiese. Wir aßen, tranken und tauschten uns aus, bis einer nach dem anderen sich verabschiedete. Rangiku sprang auf, kurz nachdem Yamachi gegangen war und so blieben Kisuke und ich mit dem dreckigen Geschirr und Essensresten zurück. Wir plauderten, bis der Himmel sich komplett Orange verfärbt hatte. Langsam sammelten wir die Teller und das Besteck auf, legten alles in Rangikus großen Korb und wickelten die Decke ein. Stumm erledigten wir diese Aufgaben und ich bemerkte, dass Kisuke mir verstohlene Blicke von der Seite zuwarf. Er holte Luft, als wolle er etwas sagen, pustete sie jedoch wortlos wieder heraus. Für einen kurzen Moment wollte ich ihn ansprechen, ihn fragen, was er sagen wollte, doch irgendetwas hielt mich zurück. Ein seltsames Gefühl machte sich in meinem Magen breit, kroch bis in meinen Brustkorb und ließ meine Finger kribbeln. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, als wolle ich nicht hören, was er zu sagen hatte. Er schnappte sich den Korb und ich nahm die Decke, wir schlenderten langsam den Gang zurück zu den Schlafunterkünften und ich überlegte fieberhaft, welch unverfängliches Gesprächsthema ich anschneiden konnte. Doch Kisuke holte erneut Luft und dieses Mal kamen die Worte aus ihm heraus. „Weißt du Akari... heute vor einem Jahr...“, begann er und ich hob die Hand. Ich wollte nicht, dass er weiter redete, ich wusste, was heute vor einem Jahr geschehen war. Es war der Tag gewesen, an dem Gin sich von mir getrennt hatte. Der Tag, an dem ich Kisuke von diesem Einsatz in Rukongai erzählt und ihm meine Narbe gezeigt hatte, die mittlerweile kaum noch sichtbar war. Kisuke warf mir einen traurigen Blick zu und blickte dann in den Himmel. „Als wir uns kennen lernten, wollte ich dich heiraten“, platzte er heraus und ich warf ihm einen belustigten Blick zu. Diesen Themenwechsel hatte ich so nicht erwartet. Kisukes Wangen leuchteten rot und sein Grinsen wurde breiter. „Aber ich hätte damals nicht gedacht, dass wir uns tatsächlich eines Tages so gut kennen würden ... und ich noch immer den gleichen Wunsch habe.“ Ich riss die Augenbrauen hoch und lachte. „Du willst mich heiraten?“, fragte ich belustigt, doch er blieb ernst. „Nicht sofort“, gab er zu und lächelte. Es war ein trauriges Lächeln. Das Lächeln gefror auf meinen Lippen und das Kribbeln in meinen Fingern verstärkte sich. Ich wich seinem Blick aus. Wollte etwas sagen, doch kein Ton löste sich aus meinem Mund. „Weißt du... es ist schon lange her, dass ich mich in dich verliebt habe.“ Nun spürte auch ich die Hitze in meinem Gesicht, die meine Wangen vermutlich rot glühen ließ. Mein Herz raste in meiner Brust und ich hatte das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wie man richtig lief. Meine Knie fühlten sich so weich an, dass ich damit rechnete, jeden Moment einfach wegzusacken, doch ich ging stumm weiter. Den Blick auf den Boden gerichtet. „Aber an dem Abend, an dem ich es dir gestehen wollte... nun da standest du mit Gin unter diesem Mistelzweig“, er drehte sich herum und merkte, dass ich den Atem anhielt, doch er schmunzelte nun. So lange schon hatte er Gefühle für mich und ich hatte es nicht begriffen. Ich schluckte. Die Erinnerung an sein Verhalten am Anfang meiner Beziehung mit Gin durchstreifte meine Gedanken. Er hatte sich zurückgezogen, bis ich ihn zur Rede stellte. „Ich war erst traurig“, fuhr er fort und spazierte weiter, ich folgte ihm wieder, immer noch stumm. „Dann schließlich war ich wütend. Auf mich selbst, dass ich wirklich dachte, jemand wie du könnte sich jemals für mich interessieren ... also auf eine romantische Art. Aber als ich sah, wie glücklich du warst ... Ich weiß nicht, da konnte ich es auch wieder sein. Es war nicht schön, aber es war irgendwie erträglich. Ich wollte dir ein guter Freund sein.“ Er blieb erneut stehen, sodass ich zwei Schritte an ihm vorbei ging. Langsam wandte ich mich um und bemerkte zu meinem Entsetzen, dass sein Gesichtsausdruck sich verändert hatte. Er wirkte ernst, fast schon wütend. „Aber heute vor einem Jahr ... als du zu mir kamst mit dieser Narbe… und mir erzähltest, was passiert war und er…“, in seiner Stimme schwang nun offene Abneigung mit, „… einfach davonging, ohne die Sache aufzuklären… Als er dich nach all dem einfach zurückließ mit deinem Schmerz und der Verwirrung, da schwor ich mir, dich zu beschützen.“ Einen Moment lang war es still und nur der Wind blies leicht durch mein langes Haar, das ich offen trug. Ich atmete nicht. „Kisuke... ich...“, begann ich leise, doch er hob die Hand und sein Lächeln kehrte zurück. „Du musst mir dazu jetzt nichts sagen. Du musst mir gar nie etwas dazu sagen, wenn du nicht möchtest, ich musste das nur endlich loswerden. Aber wenn es dir lieber ist, dann vergiss es einfach.“ Ich wollte etwas sagen, doch kein Ton löste sich aus meinem Mund. Kisuke schenkte mir ein Lächeln und die Art, in der er mich ansah, schnürte mir den Atem ab. „Gute Nacht, Akari.“ Mit diesen Worten ging er weiter und ich folgte ihm nicht. In dieser Nacht hatte ich wirre Träume von Gin und Kisuke, die ein Schachspiel gegeneinander ausfochten, Kisuke redete immer wieder etwas davon, dass er seinen Glückshut nicht aufhatte. Dieser Traum machte mir eines klar: Kisuke war schon immer an meiner Seite gewesen, genau wie Yamachi und Byakuya. Er gehörte zu denen, die mich niemals im Stich lassen würden, dessen war ich mir sicher. Was auch immer geschah, ich wollte ihn nicht verlieren, aber noch weniger wollte ich ihm wehtun. „Da ist er ja“, sagte er in meinem Traum und zog den weiß und grün gestreiften Hut aus seinem Ärmel. Er trug ihn nicht mehr jeden Tag, aber ich wusste, dass er ihn noch immer hatte. In unserer Freizeit hatte er ihn oft auf. „Jetzt kann ich dieses Spiel gewinnen“, sagte er zu Gin und machte seinen Zug mit einer grün und weiß gestreiften Schachfigur. Ich erwachte am frühen Morgen und schwor mir, niemals jemandem von diesem Traum zu erzählen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)