Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 15: XV. Kapitel ----------------------- Ashiya, Emi und Chiho beobachten mit einer Mischung aus schlecht verhohlener Neugier und offener Besorgnis, wie Mao Urushihara umsichtig aus dem Bad führt. Das heiße Wasser scheint ihm gut getan zu haben, denn Urushihara ist nicht mehr ganz so blaß. Er trägt dieselbe gefütterte Jogginghose wie zuvor, doch diesmal auch einen von Maos Hoodies und dessen bunte Kuschelsocken. Emi zieht die linke Augenbraue in die Höhe, als sie das sieht, sagt aber nichts. Schließlich ist offensichtlich, dass Maos Klamotten von besserer Qualität und daher viel wärmer sind. Mit jedem Schritt, den ihn Mao langsam zum Tisch führt, lehnt sich Urushihara immer ein kleines bißchen vertrauensvoller an ihn und Mao selbst läßt ihn keine Sekunde aus den Augen. Verlegen senkt Chiho den Blick und rührt in ihrem Pudding - sie will ihn nicht weiter anstarren, denn sie ist sicher, dass Urushihara ihre Blicke spüren kann. Außerdem fühlt sie einen leisen Stich von Eifersucht in ihrem Herzen. Sie wünschte, Mao würde ihr dieselbe fürsorgliche Aufmerksamkeit schenken wie Urushihara, aber das sind sehr egoistische Gedanken, schließlich ist Urushihara blind, da ist es doch nur logisch, dass Mao sich um ihn kümmert. „Papa!" ruft Alas, rutscht von Emis Schoß und rückt den leeren Stuhl neben sich vom Tisch ab. „Lucifer sitzt neben mir!" „Natürlich, Alas-chan", lächelt Mao und geleitet Urushihara zu seinem vorbestimmten Platz - um sich dann einen weiteren Stuhl heranzuziehen und sich ganz dicht neben ihn zu setzen. Ashiya schöpft mit einer Kelle selbstgemachte Gemüsebrühe aus der Suppenterrine auf dem Tisch in eine Schale und stellt diese dann vor Urushihara hin. „Lass es dir schmecken", meint er dabei. „Moment!“ unterbricht Emi mit schneidender Stimme und holt aus der Tasche ihres Cardigans wieder das Thermometer hervor. „Erst messen wir Urushiharas Temperatur“, bestimmt sie, beugt sich über den Tisch und rammt ihm das Ohrthermometer ins linke Ohr. Der gefallene Engel gibt einen erschrockenen Laut von sich und zuckt heftig zurück und wäre gewiß vom Stuhl gefallen, hätte Mao ihn nicht geistesgegenwärtig einen Arm um die Taille geschlungen. „Emilia Justina!“ funkelt er sie dabei aufgebracht an, während er ihr mit der freien Hand das Thermometer entwindet. „Eine Warnung wäre nett gewesen!“ Dann murmelt er leise etwas zu Urushihara und drückt diesem das Gerät in die Hand, damit er sich damit selbst die Temperatur messen kann. „Ach, hab dich nicht so“, gibt Emi derweil schnippisch zurück und wird sich plötzlich gewahr, dass nicht nur Mao sie mit seinen Blicken förmlich durchbohrt, sondern auch Chiho und Ashiya. Und vor allem Alas-Ramus. Sie blinzelt verblüfft, doch dann erinnert sie sich wieder. Unwillkürlich wandert ihr Blick hinüber zu Uruhiharas blinden Augen. „Oh“, macht sie betroffen und verlegen zugleich. Für einen Moment hatte sie das wirklich vergessen. Zum Glück für sie erlöst sie das Piepsen des Thermometers aus dieser peinlichen Situation. „Fünfunddreißig Komma acht“, liest Mao laut von der digitalen Anzeige. „Er hat gerade heiß gebadet“, bemerkt Ashiya trocken, „korrekter wäre es also, wenn wir davon jetzt ein Grad abziehen. Und das ist immer noch viel zu wenig. Also-“ entschlossen schiebt er die Schüssel etwas näher an Urushihara heran. „Iss deine heiße Brühe. Sie wird dich von innen wärmen und außerdem ist sie gesund. Und sie steht direkt vor dir.“ Urushihara nickt zustimmend und tastet suchend vor sich herum, bis er auf das glatte Porzellan stößt. Vorsichtig legt er seine Hände um die Schale. „Man muss sie trinken und dabei schlürfen", erklärt Alas in einem Tonfall, den die anderen früher als altklug abgetan haben, aber jetzt, wo sie es besser wissen, nur kollektiv betroffene Mienen zeigen. Urushihara schenkt Alas ein dankbares Lächeln und hebt die Schüssel an seine Lippen, um ihrem Rat zu folgen und daraus zu trinken. Doch schon nach wenigen Schlucken setzt er sie wieder ab. „Schmeckt gut, danke", murmelt er heiser und wischt sich den Mund mit dem Handrücken ab. „Gern geschehen", erwidert Ashiya freundlich. Nach diesem kurzen Dialog breitet sich eine gewisse Stille zwischen ihnen aus, die mit jeder verstreichenden Sekunde immer beklemmender wird. „Herrje", platzt es schließlich aus Emi heraus, „wenn sich keiner traut, den Mund aufzumachen, dann übernehme ich das eben. Lucifer", drohend richtet sie sich auf, dann bemerkt sie Alas Ramus' vorwurfsvolle Miene und entspannt sich wieder etwas. „Seit wann genau und durch was bist du blind geworden? Und schämst du dich gar nicht, meine unschuldige Tochter da mit reinzuziehen?" „Mama!" protestiert Alas-Ramus, packt eine Strähne ihres langen roten Haares und zieht daran. „Au, Alas-chan, was soll denn das?" „Emi", unterbricht Mao sie mit schneidender Stimme, „Lucifer hat niemanden da mit reingezogen. Und es ist nicht seine Schuld, dass wir zu blöd waren, um irgend etwas zu kapieren. Es war eine Krankheit“, erklärt er dann an alle gewandt in einem etwas sanfteren Tonfall. „Vor fast fünf Wochen." „Vor fast fünf Wochen", wiederholt Ashiya nachdenklich, während er beginnt, seine Erinnerungen nach dem passenden Ereignis zu durchforsten. Ihm ist sofort anzusehen, wann der Groschen fällt, denn seine Augen weiten sich und sein Mund öffnet sich zu einem stummen „oh“. „Das verstehe ich nicht", verwirrt runzelt Chiho die Stirn. „Ich weiß, dass ihr nicht viel Magie besitzt, aber habt ihr nicht gesagt, dass es immer ausreicht, um euch vor schweren Krankheiten zu schützen? Wie eine Sprinkleranlage, die nicht bei Zigarettenqualm, aber bei einem Großbrand anspringt?" Der Vergleich bringt Urushihara unwillkürlich zum Schmunzeln. „Für die Spätfolgen blieb nichts mehr übrig", erklärt er bereitwillig und bricht am Ende seines Satzes in einen heiseren Husten aus. „Oh. Ich verstehe“, betroffen beißt sich Chiho auf die Unterlippe. „Aber mit mehr dunkler Magie würdest du doch wieder heilen? Könnt ihr ihm denn gar nicht helfen?" wendet sie sich hilfesuchend an Mao und Ashiya. Sie ist wirklich einfach nur ein netter Mensch, stellt Urushihara bei sich verwundert und ja, auch sehr beeindruckt, fest. Nicht zum ersten Mal hofft er, dass Mao genug Verstand besitzt, ihren Avancen nicht nachzugeben, egal, wie sehr es seinem Ego auch schmeicheln mag. Keiner von ihnen kann in der Welt des anderen lange leben ohne sich selbst dabei völlig aufzugeben. Und so wenig, wie er will, dass Mao aufhört, Satan zu sein, will er, dass Chiho aufhört, Chiho zu sein. „Je länger der Schaden her ist, desto mehr Magie wird zur Heilung benötigt", erklärt Ashiya der Teenagerin geduldig. „Um so viel negative Energie einzusammeln, bräuchte es schon die Angst und Verzweiflung Tausender wie bei einer schweren Katastrophe." „Leider ist keine Zombieapokalypse in Sicht", kichert Urushihara müde. „Lucifer." Mao hat ihm immer noch einen Arm um die Schultern gelegt und berührt ihn nun mit der freien Hand an der Wange und dreht sein Gesicht in seine Richtung. Obwohl er weiß, wie nutzlos das ist, starrt er eindringlich in Lucifers violette Augen. „Ich lasse dich nie, nie wieder im Stich, das schwöre ich dir. Ab sofort werde ich dir helfen, wo immer ich kann. Ich kaufe dir auch einen Blindenhund, egal, was unsere Vermieterin zu Haustieren sagt." „Blindenhunde fallen nicht unter die Kategorie gewöhnliche Haustiere“, erklärt Chiho eifrig. „So etwas muss sie zulassen, das ist gesetzlich vorgeschrieben.“ „Au ja, ein Hund!“ begeistert klatscht Alas in die Hände. „Mama, ich will auch einen Hund!“ „Eh – lass dir lieber erstmal einen von Urushihara stricken“, schlägt Emi ausweichend vor. „Au ja! Lucifer, bekomme ich einen Hund?“ „Natürlich“, verspricht ihr Urushihara ohne ihr jedoch richtig zugehört zu haben, denn Maos seltsames Verhalten lenkt ihn erfolgreich von allem anderen ab. Er spürt Maos Stirn an seiner, fühlt und riecht seinen Atem in seinem Gesicht und die Wärme seiner Hand auf seiner Wange. Maos Arm um seine Schultern und Nacken scheint plötzlich Tonnen zu wiegen und ihm wird richtig heiß von so viel Nähe. „Ich verspreche es dir“, wiederholt Mao flüsternd und dann streifen seine Lippen hauchzart Urushiharas. Nur für einen klitzekleinen Moment, aber jeder hier hat es gesehen. Emis Augenbrauen kriechen fast hoch bis zu ihrem Haaransatz und sie hält der fröhlich glucksenden Alas hastig die Augen zu. Ashiyas Miene bleibt völlig unbewegt und lässt keine Rückschlüsse auf seine Gedanken zu, ganz im Gegenteil zu Chihos Miene, die erst Verwirrung, dann Unglauben und dann wieder ihre übliche Fröhlichkeit zeigt. Und selbst, als Mao die Geste wiederholt, etwas nachdrücklicher diesmal und Urushihara dann ganz fest in seine Arme schließt, ändert sich nichts daran, als habe sie beschlossen, das als eine reine freundschaftliche Geste abzutun. „Ist das echt?“ haucht Urushihara in Maos Schulter, während er seine Finger zaghaft in dessen kuscheligen Wollpullover krallt. Es ist Ewigkeiten her, dass er jemanden so nahe an sich heranließ und noch viel länger, dass ihn jemand küsste – außer Alas-Ramus, aber die ist ein Kind und das zählt nicht. „So echt wie es nur sein kann“, gibt Mao ebenso leise zurück, vergräbt seine Nase in Urushiharas vom Bad noch ganz feuchtem Haarschopf und atmet seinen Duft, seine Wärme, seine Nähe – ganz einfach das Leben dahinter – tief ein.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)