Mein ist die Dunkelheit von MariLuna ================================================================================ Kapitel 14: XIV. Kapitel ------------------------ „Ich stell dann Euer Essen warm", erklärt Ashiya sofort und ohne zu zögern, als sein König, schon bewaffnet mit einem großen Badehandtuch, zusätzlich aus Urushiharas Reisetasche, die immer noch neben der Couch steht, neue Kleidung hervorkramt. Von der üblichen Standpauke über Verschwendung, die das zweimalige vollständige Umkleiden innerhalb von zwei Stunden bedeutet, nimmt er diesmal großzügig Abstand. Denn wenn sich sein König nicht so eifrig um Urushihara kümmern würde, würde er es tun. „Und ich hebe etwas für Urushihara auf", verspricht er daher ohne darum gebeten worden zu sein. „Übertreibst du es nicht etwas?" will Emi von Mao wissen. „Er ist schon groß. Du musst ihm nicht beim Baden helfen." „Ich muss gar nichts", weist er sie scharf zurecht. „Ich will. Ich will nicht, dass er einschläft und in der Wanne ertrinkt. Nur, weil er auf dich fit erscheint, ist das noch lange nicht der Fall." Emi sieht aus, als wolle sie darauf etwas antworten, doch dann hält sie sich doch zurück. Das Thermometer zeigte immer noch „Error“ an und auch, wenn sie es nicht zugibt, kann sie doch nachvollziehen, wieso sich Mao solche Sorgen macht. Aufgeregt klettert Alas-Ramus von ihrem Stuhl. „Kann ich mit, Papa?" „Nein!" schreien Emi, Chiho und Ashiya sofort wie aus einem Munde. Erschrocken zuckt die Kleine zusammen und wirft ihnen verwirrte Blicke zu. Mao dagegen verbeißt sich mühsam ein Lachen. „Alas-chan", meint er ernst, „das ist sehr lieb von dir und Lucifer würde sich bestimmt darüber freuen, aber dein Papa braucht mal etwas Zeit allein mit ihm." Sie mustert ihn misstrauisch. „Bist du böse auf Lucifer?" „Was? Nein! Nein, ganz und gar nicht." „Du wirst nicht gemein sein?" „Nein, das verspreche ich dir hoch und heilig." Vielsagend hebt er die Hand zum Schwur. Sie starrt ihn einen Moment lang eindringlich an, dann nickt sie ernst. „Gut, dann darfst du gehen." Mao hat sich noch nie so klein und wertlos gefühlt wie jetzt unter diesem strengen Blick. Er schluckt einmal hart, deutet eine Verbeugung an und eilt dann ins Badezimmer.     Das ganze Bad duftet nach Kirschblüten. Mao war sehr großzügig mit dem Badeschaum und nun versinkt er nur zu gerne in dieser blasigen Wonne. Die Wanne ist groß und bietet genug Platz für sie beide. Mao ist es gewohnt, in einem Onsen nackt neben seinen Generälen - und Fremden - zu sitzen, aber das hier ist neu für ihn. Er kann sich nicht erinnern, mit Urushihara jemals so auf Tuchfühlung gegangen zu sein. Von daher erwacht in seiner Magengrube ein aufgeregtes Flattern, als er hinter ihm ins Wasser gleitet, ihm die Arme um den Oberkörper schlingt und ihn dicht an sich heranzieht. „Du steigst also wirklich zu mir in die Wanne?" murmelt Urushihara, diesmal in einem seltsamen Mischmasch aus Engelssprache, Dämonenmundart und japanisch, während er sich mit dem Rücken an Maos Brust lehnt. Ob er ihm wirklich vertraut oder einfach nur erschöpft ist, kann Mao allerdings nicht beurteilen. Tatsächlich ist es eine Mischung aus beidem. Urushihara gefällt es nicht, aber seine Blindheit hat sein Bedürfnis nach körperlicher Nähe beeinflusst und jetzt ist er einfach zu erschöpft, um sich dagegen zu wehren. „Ja", erwidert Mao und streicht ihm sanft das feuchte Haar aus dem Gesicht. „Auf diese Art kann ich am besten verhindern, dass das Wasser nicht zu heiß für dich wird. Du könntest sonst einen Kreislaufkollaps bekommen." Er hält inne, schmiegt seine Wange kurz gegen Urushiharas und flüstert dann in sein Ohr: „Und wenn du doch einen bekommst, bin ich wenigstens gleich zur Stelle." Urushihara schweigt ein paar Sekunden lang. Seit seiner Erblindung fühlt er sich ausgestoßener als je zuvor und die einzige Brücke zwischen ihm und der Welt ist jetzt sein Tastsinn - nicht seine Ohren oder seine Nase, denn Geräusche und Gerüche sind nichts handfestes, sie sind nicht greifbar. Aber das jetzt … Maos sanfte Berührungen, die Art, wie er ihn hält – so freundlich, als wären sie die besten Freunde, das lässt ihn für einen Moment wirklich an seinem wichtigsten Sinnesorgan zweifeln. „Und das ist tatsächlich echt?" fragt er deshalb zaudernd. Etwas in Mao krampft sich bei dieser Frage zusammen. „Weil ich zu nett bin?" Urushihara nickt nur. Betroffen schließt Mao die Augen und atmet einmal tief durch. „Mea maxima culpa." „Quid?" -Was? - hakt Urushihara matt nach, während er sich schwerer an ihn lehnt. Er fühlt sich schwach und furchtbar träge und das heiße Wasser trägt auch seinen Teil dazu bei. „Sunt multa me paenitet.“ Ich bedauere vieles - gibt Mao schuldbewusst zu. In der Hoffnung, dadurch seine Ernsthaftigkeit zu beweisen, kratzt er seine kläglichen Sprachkenntnisse zusammen. Lucifers Muttersprache kommt ihm nur stockend über die Zunge, er musste sie auf die schwierige Art lernen, weil Lucifer ihn keine telepathische Verbindung zu sich aufbauen ließ und seine Grammatik ist bestimmt noch furchtbarer als sein Akzent.   Lucifers violette Augen verengten sich zu zwei schmalen mißtrauischen Schlitzen. „Warum willst du das lernen?“ fragte er scharf und seine abweisende Miene hätte jeden anderen außer Satan Jacobu sofort abgeschreckt, doch der kleine, junge Black Goat grinste nur selbstsicher zu ihm auf. „Eines Tages will ich die kennenlernen, die da leben“, vielsagend deutete er nach oben auf den blauen Mond im Nachthimmel. „Es wäre also vorteilhaft, wenn ich mich Ihnen dann in ihrer Sprache vorstellen kann.“ Lucifers musterte ihn lange unter hochgezogenen Augenbrauen, doch dann nickte er und Mao versuchte, nicht allzu frohlockend zu grinsen.   Es war nur die halbe Wahrheit, aber in diesem Moment kam es ihm nur darauf an, dass er seinen Willen durchsetzte. Außerdem wollte er seinen neuesten und wichtigsten Verbündeten nicht sofort wieder verschrecken, indem er ihm gestand, dass er einfach nur neugierig war und soviel wie möglich über ihn erfahren wollte. Hastig schiebt Mao diese Erinnerung beiseite und konzentriert sich wieder auf das Hier und Jetzt. „Paenitet me, ut iratus sum tecum. Me paenitet quod Emi proiecit te de car. Me paenitet non auxilium vobis. Me paenitet quod non expecto enim ante.“ -Es tut mir leid, dass wir oft so gemein zu dir waren. Dass Emi dich aus dem Auto geworfen hat und ich nichts dagegen getan habe. Dass wir dich erst so spät gesucht haben. Ja, die Sprache der Engel ist verdammt schwer, aber er versucht sein Bestes. „Sed maxime“, -Aber vor allem- fügt er mit leiser werdender Stimme hinzu, „quod nesciebam te esse caecum.“ - dass ich nicht bemerkt habe, dass du blind bist.- Urushihara in seinen Armen verspannt sich bei diesen Worten merklich, sagt aber nichts. Doch Mao, dessen Hand zufällig gerade auf Urushiharas Rippen ruht, spürt, wie sich dessen Herzschlag deutlich beschleunigt. „Seit wann", beginnt er, wieder ins japanische wechselnd, zögert und fährt dann sehr, sehr vorsichtig fort, „... kannst du nichts mehr sehen?" „Erat ego … War ich über Nacht im Wald?" „Ja." „Dann ist das Tag triginta duo.“ Zweiunddreißig. Entsetzt schnappt Mao nach Luft. „Seit über einen Monat!" Er zermartert sich das Hirn, aber ihm will nichts einfallen, was damals passiert sein könnte, was zu einem solch schweren Schaden geführt hätte. Aber diese Frage wird schnell von einer ganz anderen abgelöst. „Und seit wann weiß Alas davon?" „War ja klar", genervt stöhnt Urushihara auf. „Keine Angst", seine Stimme klingt sehr rauh und er macht viele Pausen. Das heiße Wasser macht ihn wirklich müde und es fällt ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu kleiden. Es ist, als würden sie auf dem Weg zu seiner Zunge in einen Stau geraten. Sie dann nochmal ins japanische zu übersetzen, kostet ihn noch zusätzliche Kraft. Aber diese babylonische Sprachverwirrung wird langsam peinlich. „Ich habe sie ... nie zu einer Signifer Secretorum … Geheimnisträgerin gemacht. Das ... würde ich ihr nie antun... Sie geht davon aus, ... dass ihr es wisst und ... mich einfach nur nicht... in ...Watte packen wollt." „Ich wollte dir nie etwas vorwerfen." „Non ne?" - Wirklich nicht? - kommt es gedehnt zurück. Betreten beißt sich Mao auf die Unterlippe. „Lucifer", versichert er ihm, „das wollte ich damit doch gar nicht sagen. Es ist nur... Ich wollte, du hättest mir auch so vertraut." Seufzend lässt sich Urushihara tiefer in seine Umarmung sinken. „Ich habe Alas ... nichts gesagt", murmelt er zunehmend erschöpfter. „Alas … instar eam.“ „Sie hat es von allein herausgefunden? Wie das?" Urushihara gluckst leise, aber nur kurz, denn sein Hals schmerzt. „Sie ist", seine Stimme bricht und er muss husten. „...klüger als ihr“, stößt er den Rest seines Satzes heiser hervor. Mao packt ihn unwillkürlich etwas fester, als Urushihara von diesem Hustenanfall durchgeschüttelt wird. „Mist", hastig öffnet Mao den Wasserhahn und lässt heißes Wasser nach, während er Urushihara prüfend über die Stirn streicht. „Jetzt hast du dich auch noch erkältet. Hoffentlich bekommst du kein Fieber. Warm halten", denkt er dabei laut, „viel trinken und viel Ruhe. Wie fühlst du dich? Bist du müde? Erschöpft? Du solltest aber auch eine Kleinigkeit essen. Du brauchst die Energie. Ashiya hat versprochen, dir etwas aufzuheben, aber er macht dir bestimmt auch gerne eine Brühe. Und dann ab ins Bett mit dir. Wir haben hier ein schönes, großes, westliches Bett, das wird dir gefallen." Urushihara gibt nur einen unbestimmten Brummton von sich, der alles und nichts bedeuten kann. Eine ganze Weile lang sitzen sie nur schweigend in der großen Wanne und Mao dreht das Wasser wieder ab, als er meint, es sei wieder warm genug. „Wie ist das passiert?" fragt er irgendwann leise. Urushihara versteht sofort, worauf er anspielt. „Meningitis", entgegnet er bereitwillig, aber gleichzeitig auch mit immer schwerer werdender Zunge. „Glaub' ich", fügt er dann noch leise nuschelnd hinzu. „Konnt' nich' viel im Internet recherchier'n, bevor alles dunkel wurde." Bevor alles dunkel wurde. Betroffen drückt Mao ihn an sich. „Es tut mir leid“, verzweifelt vergräbt er sein Gesicht in Urushiharas Nacken und drückt ihm, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, einen kleinen Kuß auf die empfindliche Haut. „Es tut mir furchtbar leid.“ Urushihara erstarrt, glaubt dann aber, sich bestimmt nur getäuscht zu haben und weil alles gerade so schön ist – das heiße Wasser, Maos Arme, die ihn halten, ja, sogar Maos Nähe als solche – beschließt er, lieber nichts zu sagen und das hier einfach nur weiter zu genießen. Tatsächlich dauert es auch nicht lange, dann döst er in Maos Armen ein.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)