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Mein ist die Dunkelheit

von

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I. Kapitel

 

 

Der Himmel ist bedeckt, doch manchmal reißen die grau-weißen Wolken auf und dahinter schimmert es hellblau. Die Sonne steht schon ziemlich tief, es ist vielleicht noch eine Stunde hell. Es war eine lange Fahrt, aber die Straßen sind geräumt und so schlängelt sich das kleine Fahrzeug auch unter Ausreizung des Tempolimits durch die hügeligen Ausläufer des Gebirges, das sich geradezu bedrohlich hinter dem Mischwald auftürmt.

Doch nicht das Gebirge und die üblichen Skigebiete sind das Ziel, sondern eine kleine, im Wald gelegene Blockhütte. Sie gehört zu einem Komplex aus einem halben Dutzend verschiedener Hütten, doch diese sind alle weit genug voneinander entfernt, dass eine gewisse Abgeschiedenheit garantiert ist. Außerdem ist es außerhalb der Saison und die anderen Gäste treffen erst in einer Woche dort ein, und dann sind sie schon längst wieder fort.

Es ist nur ein kleines Auto.Viel zu klein für fünf Personen und ein übermüdetes Kleinkind. Zum Glück musste Kamazuki Suzuno wegen einer Influenza ihre Teilnahme an diesem kleinen Urlaubstrip absagen, sonst hätten sie sich im Wagen stapeln müssen. Andererseits wäre ihre stets gelassene, vermittelnde Art gerade jetzt von Vorteil.

Sie sind schon seit sechs Stunden unterwegs und eigentlich grenzt es an ein Wunder, dass die kleine Alas-Ramus so lange durchgehalten hat ohne zu quengeln. Die ersten Stunden verbrachte sie auf Urushiharas Schoß, sah mit ihm aus dem Fenster und kommentierte auf ihre kindlich-naiv Art alles, was sie dort draußen sah.

„Da ist ein großer Brummi. Er ist blau und da ist eine Kuh auf der Seite.“

„Da ist ein großer Vogel am Himmel.“

„Die Wolke sieht aus wie Mama, wenn sie böse ist.“

„Pferdchen. Weiß. Schwarz. Braun-weiß. Da ist ein ganz kleines Pferdchen. Ein … ein … Pony? Pony!

„Häuser. Eine alte Frau mit Hund. Der Hund trägt ein Mäntelchen. Das sieht witzig aus.“

„Wald. Uh, Lucifer, da sind ganz viele Bäume. Und sie sind soooo groß.“

So sehr Emi ihre Ziehtochter auch liebt, sie sitzt am Steuer und nach viereinhalb Stunden ging ihr das Ganze ziemlich auf die Nerven, und es war wie immer die sensible Sasaki Chiho, die das zuerst bemerkte. Also lockte sie Alas-Ramus mit einem Bilderbuch zu sich.

Das lief nur nicht wirklich gut, denn eine gute Stunde später quengelt Alas-Ramus und zwischen den anderen dreien auf dem Rücksitz ist Streit ausgebrochen. Und da Mao auf dem Beifahrersitz neben ihr zu schlichten versucht, wobei er die Stimme erheben muss, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen, klingeln der Heldin von Ente Isla schnell die Ohren. Sie spürt Kopfschmerzen herannahen. Und dann reißt ihr endgültig der Geduldsfaden.

Abrupt tritt Emi auf die Bremse. Quietschend kommt der Wagen zum Stehen und rutscht auf der nassen Straße noch ein paar Meter nach vorne, bis er endgültig zum Stehen kommt.

„Raus!“ herrscht sie den üblichen Verdächtigen auf dem Rücksitz an.

Dort ist es plötzlich totenstill. Das laute Geschrei, das ihr in den letzten fünf Minuten jeden Nerv raubte, ist urplötzlich verstummt. Vier Augenpaare starren sie grenzenlos überrascht an. Eines davon gehört dem Dämonenkönig Satan Jacobu alias MgRonald's Mitarbeiter des Monats Mao Sadao auf dem Beifahrersitz.

„Emi“, beginnt er besorgt, doch diese achtet nicht auf ihn. Sie schnallt sich ab und verlässt das Auto. Während sie um den Wagen herumstapft, wechselt Mao beunruhigte Blicke mit Ashiya und Chiho, die sich mit Urushihara auf dem Rücksitz drängen.

In diesem Moment beginnt das Kleinkind auf Chihos Schoß herzzerreißend zu weinen.

„Shsh, ist ja gut, Alas-Ramus“, versucht er die Kleine sofort zu trösten. „Deine Mama ist nicht böse auf dich!“

„Nich' meine Mama“, bringt Alas schluchzend hervor.

Mao seufzt innerlich auf. Seit ein paar Wochen reagiert Alas-Ramus sehr ablehnend auf ihre Ziehmutter Emi und das zerrt zusätzlich an deren Nerven. In ihren Augen hat Urushihara nämlich der Kleinen diesen Floh ins Ohr gesetzt, kein Wunder also, wenn ihr jetzt endgültig der Kragen platzt.

Mao dreht sich ganz im Sitz herum, um Urushihara, der direkt hinter ihm sitzt, einen mitleidigen Blick zuzuwerfen. Und vielleicht ist sein Blick auch ein kleines bißchen anklagend, denn dessen ständiges „sind wir schon da?“, zusammen mit seiner sturen Weigerung auf Ashiyas Aufforderung, der quengelig werdenden Alas-Ramus etwas vorzulesen, hat letztendlich einen nicht unerheblichen Anteil an der ganzen aufgeheizten Stimmung hier.

Doch Urushihara ignoriert ihn geflissentlich und starrt nur auf dieselbe Art und Weise gleichgültig vor sich hin wie überhaupt immer in letzter Zeit. Dieses teilnahmslose Starren ist so nervtötend, dass Mao Emis Ausraster plötzlich nur zu gut verstehen kann.

In diesem Moment ist Emi einmal halb ums Auto herum und reißt nun die Tür auf Urushiharas Seite so heftig auf, dass dieser erschrocken zusammen zuckt.

„Ich habe die Nase voll von dir!“ schreit sie, packt ihn am Kragen seines Parkas und zerrt ihn rigoros aus dem Wagen. Sie ist größer als er, außerdem ist sie stark und er wiegt nicht viel und sie weiß das gut einzusetzen. Schwungvoll befördert sie ihn in den hohen Schnee am Straßenrand.

„Die letzten drei Kilometer läufst du zu Fuß!“

Umständlich rappelt sich Urushihara aus dem Schnee auf.

„Das kannst du doch nicht machen!“ protestiert er. „Was habe ich denn getan? Mao, hilf mir!“

Mao lächelt unglücklich. Er hat Emis Wutanfälle zu fürchten gelernt, vor allem, weil sie sich auch nicht scheut, ihrer beider Ziehtochter Alas-Ramus als Druckmittel einzusetzen. Glücklicherweise antwortet Ashiya für ihn und nimmt ihm daher die Bürde ab, sich eindeutig auf eine Seite stellen zu müssen.

„Es sind nur drei Kilometer, Urushihara. Etwas Bewegung tut dir ganz gut.“

Alas-Ramus heult regelrecht auf und Chiho versucht, sie zu trösten, drückt sie an sich und streichelt ihr über das Haar, während ihr die ganze Situation immer unangenehmer wird.

„Emi“, verteidigt Chiho Urushihara, „das ist nicht fair. Urushihara trifft keine Schuld. Ich habe den Streit angefangen.“

Doch Emi interessiert das nicht. Sie wirft die hintere Tür wieder zu, schleudert noch einen ihrer berühmten Todesblicke in Urushiharas Richtung und stapft zurück zur Fahrertür.

„Hey!“ Schwankend kämpft sich Urushihara auf die Füße. „Das könnt ihr doch nicht machen! Hey! Leute! Leute!

Er macht einen Schritt auf sie zu und streckt flehentlich die Hand aus, doch da fährt das Auto schon mit aufheulendem Motor davon.

„Hey!“ Er macht einen weiteren hastigen Schritt, stolpert und fällt dann der Länge nach in den Matsch. Eine Sekunde lang bleibt er einfach nur geschockt liegen, dann rappelt er sich langsam auf die Knie auf.

„Geht sterben, ihr Idioten!“ schreit er dem hinter einer Kurve entschwindenden Auto nach. „Ich wollte sowieso nicht mit!“

 

 

Scheiße!

Frustriert wirft Urushihara den Kopf in den Nacken und dann gellt sein lauter, durchdringender Schrei durch den Wald. Erschrocken flattern ein paar Vögel aus den Bäumen davon, kleine Zweige und Schnee rieseln zu Boden und ungefähr eine Sekunde, nachdem der Schrei verklungen ist, beschwert sich keckernd irgendwo ein Eichhörnchen.

Nachdem er sich all seinen Frust von der Seele gebrüllt hat, sackt Urushihara regelrecht in sich zusammen. Mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf kniet er im Schnee am Straßenrand und ringt sowohl nach Fassung wie auch nach Atem. Aus seiner Kehle löst sich ein Laut, es klingt wie ein ersticktes Schluchzen, doch er unterdrückt es schnell.

Ein paar Minuten lang kniet er nur da und versucht, sich zu sammeln.

Es ist nicht weit. Es sind nur drei Kilometer. Ich sollte maximal eine Stunde unterwegs sein. Das schaffe ich.

Es ist nicht leicht, gegen die beginnende Verzweiflung und die Angst anzukämpfen, aber wenn er eines in den letzten vier Wochen gelernt hat, dann, dass ihm gar keine Wahl mehr bleibt. Er muss sich dem stellen, was vor ihm liegt.

Und so atmet er ein paar Mal tief durch und konzentriert sich ganz auf seine Umgebung. Über das laute Pochen seines Herzens hinweg hört und spürt er den leichten Wind. Die Luft riecht rein und klar mit einem Hauch von altem Laub und leicht holzig. Sie ist trocken, aber er kann den nahenden Schneefall beinahe schmecken. Irgendwo hinter ihm raschelt es. Ein kleines Tier, vielleicht eine Maus oder ein Vogel.

Wenigstens gibt es hier keine gefährlichen Tiere, die mich auffressen wollen.

Um seine Lippen zuckt ein bitteres Lächeln, als er langsam aufsteht. Etwas geduckt macht er ein paar vorsichtige Schritte in die Richtung, von der er glaubt, dass sie ihn zur Straße führen.

Sehen kann er sie nicht.

 



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