Wolfsherz von HalcyTheWolf (In den Augen des Tigers) ================================================================================ Kapitel 10: Der Wolf und das Versprechen ---------------------------------------- Was? Ich hatte noch keine Halluzinationen, oder? Bevor meine Gedanken wieder ihren verrückten Gang nehmen konnten, entschied ich mich dafür, mein Herz sprechen zu lassen. Mein Verstand hatte sich sowieso längst verabschiedet. »J-ja«, brachte ich gerade so hervor. Ich konnte kurz die Überraschung in seinen Augen aufblitzen sehen, dann kam er mir immer näher, bis sich unsere Lippen berührten. Auch wenn es nicht das erste Mal war, es fühlte sich anders an. Besser. Ich schloss die Augen und öffnete meinen Mund leicht, um mich ganz auf den Kuss einzulassen. Wie von selbst bewegten sich meine Arme und ich legte sie ihm um die Hüfte. Seua küsste mich vorsichtig, als hätte er Angst, mir wehzutun. Ich hatte Gänsehaut am ganzen Körper. Langsam fuhr er mir mit der Hand den Nacken entlang, zog mich sanft noch ein bisschen näher zu sich. Jede Berührung von ihm in diesem Moment war kaum auszuhalten. Langsam löste er sich von mir, legte seine Stirn an meine und sah mich forschend an. Ich spürte nur, wie wieder alle meine Gedanken auf mich einströmten. Ich schob Seua von mir, stolperte zur Tür und sobald ich auf dem Flur angekommen war, begann ich zu rennen. Was hatte ich da gerade getan? Der Flur kam mir vor wie ein Tunnel, der niemals endete. Ich lief an jemandem vorbei. Hinter mir hörte ich Schritte, daher beeilte ich mich, in den Aufzug zu kommen. Erst als sich die Türen vor mir schlossen, schaffte ich es, kurz aufzuatmen. Ich habe zugelassen, dass er mich küsst. Er. Seua. Ein Typ. Noch dazu einer der bekanntesten Schauspieler. Was sollte das alles? Warum? Warum ich? Wieso? Da ich überhaupt nicht mehr klar denken konnte, versuchte ich es einfach abzuschalten. Trotzdem sah ich immer sein Gesicht vor mir und diesen sanften Blick. Cai! Ganz ruhig! Als ich hörte, wie die Aufzugtüren wieder aufgingen, bahnte ich mir meinem Weg zum Ausgang, wo zum Glück auch niemand war. Sobald ich einen Fuß auf den Bürgersteig gesetzt hatte, rannte ich. Es war zwar schon dunkel, doch ich ließ mir von den Straßenlaternen den Weg weisen. Die Lichter der Autos verschwammen vor meinem Blick, ich spürte die Tränen auf meinen Wangen. Ich verstand gar nichts mehr. Weder ihn noch mich noch sonst irgendetwas an dieser Situation. Die Flucht gab mir die Sicherheit, mich aus dieser Überforderung zu retten. Meine Flucht musste für die Leute, die um diese Uhrzeit noch unterwegs waren, ein bizarres Bild abgeben. Andererseits befanden wir uns in einer Großstadt, das waren sie vermutlich gewohnt. Solange es meine Lungen und Beine zuließen, rannte ich weiter, sah Geschäfte, Menschen und Fahrräder an mir vorbeiziehen. Irgendwann bog ich in eine Gasse ab, wo ich mich schweratmend an eine Wand lehnte. Meine Lunge und Augen brannten, es dauerte ziemlich lange, bis sich meine Atmung beruhigt hatte. Auch meine Beine machten nicht mehr mit, sie waren zittrig, nur die Wand hielt mich aufrecht. Bis auf den kleinen Teil, der noch von der Straße beleuchtet war, war die Gasse stockdunkel. Ich war wirklich ein Meister darin, mich in schwierige Situationen zu bringen. Als nachtblinder, orientierungsloser Mensch ohne Handy, nachts in einem fremden Land herumzulaufen, das konnte nur ich bringen. Die Gefühle, die alle durcheinander waren, kamen noch dazu. Am besten ich versuchte mich nur auf meine Atmung zu konzentrieren und fühlte gar nichts. Dazu schloss ich die Augen, da ich ohnehin kaum etwas sah. Doch die Dunkelheit konnte die Gedanken und Gefühle nicht abstellen. Ich hörte Schritte, die immer näherkamen. Als ich die Augen öffnete, sah ich Seua neben mir, der sich auf seine Beine abgestützt hatte und keuchte. »Cai..was..machst du denn?«, brachte er zwischen den Atemzügen hervor. Mein Fluchtreflex setzte wieder ein, ich machte kehrt und wollte weiter in die Gasse laufen. Seua packte mich am Handgelenk: »Bist du bescheuert? Das ist gefährlich!« Ruckartig drehte ich mich um, löste mich gleichzeitig aus seinem Griff: »Ja, bin ich!« Wieder spürte ich meine Tränen, doch in diesem Moment war es mir einfach egal. »Anders als du, bin ich es nicht gewohnt, Typen zu küssen! Aber das ist noch nicht mal mein Problem! Ich verstehe es nicht. Warum machst du das? Willst du mir oder Dice was beweisen? Hast du es gemacht, weil ich dich provoziert habe? Es waren bestimmt so viele Typen, da macht das auch keinen Unterschied mehr. Ich weiß einfach nicht, was ich denken oder fühlen soll! Du bist ein Star, wieso solltest du dich mit Leuten wie mir abgeben? Doch weißt du was das Schlimmste an der Sache..«, ich konnte nicht zu Ende sprechen, da nahm er mich in den Arm. »Verdammt, halt mal für einen Moment die Luft an, Cai!«, selbst durch die dicke Jacke konnte ich sein Herzklopfen hören. Nach einer Weile schob er mich von sich, nahm meine Hand und legte sie an seine Wange. Er weinte? Ich spürte die Tränen, die über meine Hand liefen. »Wenn du glaubst, dass du als einziger verwirrt bist, kann ich dich beruhigen, denn es ist nicht so. Ich verstehe, was du gesagt hast, aber es gibt eins, was ich dir dazu sagen will. Dass ich dich geküsst habe, hat mit nichts und niemandem zu tun. Es macht sehr wohl einen Unterschied, denn ich wollte es einfach. In diesem Moment war ich kein Star, kein Typ, sondern einfach nur Seua. Und gewohnt bin ich sowas schon gar nicht«, flüsterte er in einem sanften Ton. Da standen wir nun, weinend, zitternd und völlig durcheinander. Es beruhigte mich, dass nicht nur ich aufgewühlt war. Seine Ehrlichkeit ehrte mich, aber was bedeutete das? Ich ließ meine Hand sinken, um sie in seine zu nehmen. Okay, Cai, du ziehst das jetzt durch. Einmal in meinem Leben war ich froh darüber, nicht im Dunkeln sehen zu können. Ich brachte es trotzdem nicht über mich, ihn direkt zu fragen, stattdessen versuchte ich es auf eine andere Art. »Okay. Wenn du willst, verrate ich dir meinen Plan.« »Bist du dir sicher?« »Aber nur hier und jetzt. Ich kann das nur machen, wenn ich dich nicht sehen kann.« »Also?« »Es fing alles damit an, dass Dice mir gedroht hat und ich es nicht mochte, euch zusammenzusehen.« Ich sah seine Silhouette vor mir ruhig atmen, doch der Griff seiner Hand wurde fester, als ich das sagte. »Dice war der Grund dafür, dass ich mich kindisch benommen habe, aber das war nicht der Plan. Du hast von Anfang an mit mir geflirtet und das hat mich verwirrt. Vor allem weil die Szenen im Drama und die Realität sich immer ähnlicher wurden. Daher wollte ich herausfinden, ob du das nur machst, weil es ohnehin dein Job ist, oder ob da nicht doch etwas Wahrheit hinter steckt«, meine Stimme wurde immer leiser. Bis zu diesem Punkt in meinem Leben war es mir noch nie schwergefallen irgendetwas zu sagen, doch das war anders. Trotz der Dunkelheit wandte ich meinen Blick ab. »Mit anderen Worten, du hast Gefühle für mich und willst wissen, ob es mir genauso geht?«, natürlich musste Seua es mal wieder auf den Punkt bringen. »Keine Ahnung. Vielleicht. Kann sein. Ich weiß einfach nicht, ob das, was ich fühle von mir selbst kommt, oder nur eine Reflektion von Wolf ist.« »Ich weiß genau, wie du dich fühlst, Cai. Normalerweise kann ich Realität und Fantasie gut auseinanderhalten, aber diesmal nicht.« Seua ging es also genauso wie mir? Es machte mir Angst, gleichzeitig war ich aber auch erleichtert, dass es ihn nicht komplett kalt ließ. Er nahm auch meine andere Hand, zog mich nach vorne, bis wir wieder in dem schwach erleuchteten Teil der Gasse standen. Ich konnte sein Gesicht sehen, auch wenn er mit den geröteten Augen und roten Wangen ziemlich fertig aussah, sah er mich lächelnd an. »Siehst du, ich wusste, dass ich diesen Plan mögen würde. Cai, wenn wir doch das Gleiche fühlen, warum ziehen wir den Plan nicht gemeinsam durch?« Ich konnte kaum glauben, dass wir auf derselben Seite standen und Seua sich anbot, mein Verbündeter zu werden. Das war er zwar vorher auch schon, aber das gleiche Ziel wie er zu haben, hatte ganz andere Ausmaße für mich. Er empfand etwas für mich und egal, ob es echt war oder nicht, es war einfach nur ein schönes Gefühl. Ich nickte: »Aber wie sollen wir das machen?« »Wir machen weiter wie bisher und wenn wir uns damit wohlfühlen, können wir auch mehr zulassen. Ich bin mir sicher, dass wir irgendwann merken werden, ob es von uns selbst kommt.« »Okay«, stimmte ich ihm zu und ich war mir sicher, dass es mir nur leicht fiel, weil ich genügend Adrenalin in meinen Adern hatte, dass es für mindestens ein Jahr reichen würde. Ab jetzt hatten wir den gleichen Plan. Seua ließ meine rechte Hand los, hielt sie mir hin, den kleinen Finger ausgestreckt. Ich kannte diese Geste. Ein Versprechen. »Eins musst du mir aber versprechen, Cai. Egal wie schwierig es wird, wir werden nicht aufgeben, okay?« Ich verschränkte meinen kleinen Finger mit seinem und sagte: »Gu sanya.« (Ich verspreche es.) »Sanya.« Später lehnten wir uns beide gegen die Wand, ich konnte wieder ruhig atmen und mein Puls war niedriger als hundertachtzig. Seua fuhr sich mit der Hand durch das Gesicht und gähnte: »Deine Aktion hat mich ganz schön fertig gemacht, Cai. Ich bin todmüde.« Auch meine Müdigkeit meldete sich in diesem Moment wieder zurück. Wir waren schließlich gerade erst vom Camp zurück und schon bei der Ankunft war ich müde, das Rennen und die ganzen Gefühle hatten die Müdigkeit nur verdrängt und auch noch schlimmer gemacht. »Du kannst froh sein, dass man die Tür der Wohnung mit einem Code öffnen kann und keinen Schlüssel braucht«, bemerkte er und tastete seine Taschen ab: »Natürlich hab ich das Handy auch in der Wohnung gelassen.« Manchmal wünschte ich das Leben wäre genauso unrealistisch wie ein asiatisches Drama. Aber dann wäre nach unserem Versprechen wahrscheinlich der Abspann gelaufen. »Ich hab‘ meins auch nicht dabei«, gab ich zu. Er seufzte: »Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig als zurückzulaufen.« Leider. Ohne Geld und Handy konnten wir auch schlecht ein Taxi nehmen, also gingen wir in Richtung Straße und traten den Rückweg an. Ich konnte überhaupt nicht einschätzen, ob es weit war oder nicht, aber in unserem Zustand wäre jede Strecke anstrengend. Dazu machte ich mir noch ganz andere Sorgen: »Sollen wir nicht lieber die Seitenstraße nehmen, P‘Seua? Wenn die Leute dich sehen…« Er legte mir einen Arm um die Schulter: »Du meinst, wenn sie »uns« sehen? Du solltest ein bisschen mehr Selbstbewusstsein als Star haben. Außerdem solltest du mich stützen, schließlich bin ich den ganzen Weg hierher gerannt. Du hast ganz schön Ausdauer, machst du Sport?« Schön wärs. Es war nur meine dämliche Angewohnheit, immer wegzulaufen. »Nee, ich habe nur Übung darin wegzulaufen, vor allem vor Ray«, gab ich zu. Das musste ich dringend loswerden, es brachte schließlich nichts als Schwierigkeiten. Eine Weile liefen wir schweigend weiter, bis er fragte: »Woran denkst du?« »Daran, dass P’Star uns umbringen würde, wenn er von dem Plan wüsste«, sagte ich vor mich hin. »Dann wird er es eben nie erfahren. Wir sind vielleicht bei TMM TV unter Vertrag, aber das heißt nicht, dass wir unser Leben verkaufen. Es gibt Dinge, an die wir uns halten sollten, klar, aber wir sind immer noch wir. Keine Sklaven.« Es war gut, genau das von ihm zu hören. Ich kannte Länder, in denen das anders war. Wo man im Showbiz sein Leben abgab und nur noch nach deren Pfeife tanzte. So gerne ich Teil davon war, das wäre auch mir zu viel. »Außerdem scheint es ziemlich gut für »Wolfsherz« zu laufen. P’Star würde niemals ein erfolgreiches Projekt aufgeben, nur weil ihm die Schauspieler auf der Nase herumtanzen. Es ist für uns sowieso mehr oder weniger unmöglich aufzufliegen, wenn wir am Set flirten. Das ist der Vorteil, wenn man BL-Schauspieler ist«, erklärte er grinsend. Auch wenn ich kurz vor dem Einschlafen war, genoss ich die kühle Brise und Seuas Stimme. Ich glaube ich habe ihn noch nie so viel reden gehört. »Ja, stimmt.« Auch wenn es gerade angenehm war, ich musste dringend den Elefanten ansprechen, der vor uns herlief. »Selbst wenn P’Star davon nichts mitbekommt, Dice wird das bestimmt nicht gefallen.« Seua war zwar auf meiner Seite, aber solange ich die Geschichte dahinter nicht kannte, würde ich nie zur Ruhe kommen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sein Blick düster wurde. »Ich werde mich um den schon kümmern. Ist ja nicht so, als würde ich das schon seit Jahren machen.« Der genervte Tonfall entging mir nicht, doch ich ließ nicht locker: »Du kennst ihn schon länger, richtig?« »Ja, Dice und ich haben mal als Hauptcharaktere in einer BL-Produktion mitgewirkt«, sagte er ohne Umschweife. Ich hatte mir so etwas in die Richtung gedacht, doch es gefiel mir überhaupt nicht. Also hatte er ihn auch…? »Das ist schon einige Jahre her und seitdem zieht er diese Nummer mit jedem Typen durch, mit dem ich drehe. Du hast ihn gefragt, warum er eine Nebenrolle angenommen hat. Wegen mir.« Das erklärte zumindest, warum Dice auf alles aggressiv reagierte. Noch ein letztes Mal würde ich mich damit quälen, um dieses Thema endlich abschließen zu können. »Er steht auf dich?« »Leider. Ich aber nicht auf ihn, deswegen habe ich ihm auch gesagt, dass sich nichts ändern wird. Aber er ist zu stur, das einzusehen«, Seua winkte ab: »Deswegen mach‘ dir am besten nichts draus, was er sagt.« »Ich werde es versuchen.« Doch nachdem, wie ich ihn bisher erlebt hatte, würde Dice nicht einfach aufgeben. Hoffentlich würde ich nicht genauso enden. Auch seine Rolle als Kraisee passte perfekt, denn es war die gleiche Situation. Was solls. Wenn man die ganzen Fans mitzählte, gab es ohnehin genug Konkurrenz. Ich seufzte erleichtert auf, als wir den Eingang vom Haus schon sehen konnten. Seua nahm seinen Arm von meiner Schulter, bevor er reinging, hielt ich ihn am Ärmel fest. Er drehte sich um: »Mhm?« »Warum hast du mich im Wohnwagen nicht geküsst?«, heute war der Tag, an dem ich meinen ganzen Mut verbrauchen würde. Irgendwas überkam mich das zu fragen, vor allem in diesem grellen Licht. Überrascht zog er beide Augenbrauen hoch, ließ die Türklinke los, die er schon in der Hand hatte. »Ganz schön mutig, Cai. Hätte ich denn?« Ich trat einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände: »Nein! Ich mein ja nur, wenn du es ohnehin vorhattest«, erklärte ich. Natürlich brachte ihn auch das nicht aus dem Konzept. »Drüber nachgedacht habe ich. Aber es waren zu viele Augen, Ohren und Kameras vor Ort. Das Wichtigste ist, dass es heute war«, sagte er und ging ins Gebäude. Nachdenklich folgte ich ihm, versuchte rauszufinden, was er damit meinte. Bis mir siedend heiß einfiel, was wir morgen drehen würden. Als wir oben im Flur ankamen, wartete Ray vor der Tür auf uns: »Lass‘ mich raten, Cai ist mal wieder abgehauen und du musstest ihn einfangen, Seua.« »So siehts aus.« Ich erinnerte mich daran, dass ich an einer Person vorbeigelaufen war, das war dann wohl Ray. »Ich sollte dich echt überwachen lassen, Cai. Was hast du diesmal angestellt?« Bevor ich rot werden konnte, sagte ich schnell: »Gar nichts, Ray.« Zumindest nichts, was ich im Flur vor Seuas Wohnung mit dir besprechen würde. Er sah Seua an, in der Hoffnung, dass er ihm weiterhalf. Doch der schüttelte den Kopf: »Es ist alles okay. Lassen wir das am besten so stehen.« Gerettet. Vorerst zumindest. »Meinetwegen«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Wie lange wolltest du denn hier warten, Ray?«, versuchte ich schnell abzulenken. Schließlich wusste er nicht, ob wir überhaupt wiederkommen würden. »Solange bis ihr zurückkommt. Ich weiß, dass ich nicht dein Aufpasser bin, Cai, aber bei dir weiß man ja nie. Die ganze Nacht hätte ich hier bestimmt nicht gestanden, ich wollte schließlich gleich zu N…ins Hotel«, korrigierte er sich hastig. Seua sah mich an: »N?« »Noah«, erklärte ich, um Ray ein bisschen zu ärgern. »Cai! Das ist jetzt nicht wichtig. Ihr solltet schlafen, schließlich müsst ihr morgen drehen«, sagte er schnell und ging. Ich freute mich schon darauf, irgendwann die ganze Geschichte zu hören. Am nächsten Morgen saß ich gerade bei P’Sawa in der Maske, trug schon die Uniform. Ich hatte von ihm erfahren, dass er Japaner war und eigentlich Takuma hieß. Da er aber unbedingt einen thailändischen Spitznamen haben wollte, hatte sich das Team einen für ihn ausgedacht. »Das was du gestern gemacht hast, muss anstrengend gewesen sein, Cai. Ich brauche extrem viel Make-Up um deine Augenringe abzudecken«, erklärte er schmunzelnd. »Sorry, aber du kriegst das hin, das weiß ich.« »Natürlich. Seua wird vermutlich das gleiche Problem haben«, im Spiegel sah ich ihn grinsen. »Wieso?« Ich meinte die Antwort zu kennen, doch er holte sein Handy raus, gab etwas ein und zeigte es mir. Es war ein Online-Artikel, das Bild zeigte mich und Seua Arm in Arm. »Was steht da?«, fragte ich und hielt ihm das Handy hin. »Mehr als nur Freunde? Ist doch nicht alles gespielt?«, las er vor. Zählt das schon als Skandal? Wir sahen zwar glücklich aus auf dem Bild, aber eher wie Freunde. Ich gab P’Sawa sein Handy zurück. Er steckte es ein und beschäftigte sich weiter damit, mich wieder wie einen Menschen aussehen zu lassen. »Findest du das verwerflich?«, wollte ich wissen. »Während andere Stars heimlich in Bordellen rumhängen und in dunklen Gassen Drogendeals machen? Eher nicht, Cai.« Ray kam dazu und wollte mir auch den Artikel zeigen, doch ich lehnte ab: »Ich hab das schon gesehen. Ist das ein Problem?« Über den Spiegel versuchte ich zu beurteilen, in welchem Gemütszustand Ray sich befand, doch er schien ruhig. Als ich dann sein Kopfschütteln sah, ließ ich erleichtert die Schultern sinken. Auch wenn ich den Journalisten lassen musste, dass sie unwissend mit ihrer Schlagzeile ins Schwarze getroffen hatten. »Ich habe vorhin mit P’Star gesprochen und er war erstaunlich entspannt. Er meinte das Bild sei harmlos und vermutlich sogar gute PR für euer Couple und die Serie. Über die wilden Theorien, die sich die Journalisten ausgedacht haben, konnte er nur lachen«, berichtete er. »Hat er gesagt, was die geschrieben haben?« »Nein.« Ich lieh mir Rays Tablet aus, kopierte den Inhalt in den Übersetzer. Kurz überflog ich es, auch wenn vom Übersetzer vermutlich einiges verdreht wurde, verstand ich grundsätzlich, worum es ging. Seua unterwegs mit seinem Drehpartner in der Nacht. Sie sahen sehr glücklich aus, was haben sie gemacht? Ist das noch Freundschaft oder schon mehr? Kopfschüttelnd gab ich Ray das Tablet zurück. Was für Anfänger! Ich war froh, dass sie die Szene in der Gasse nicht mitbekommen hatten. P’Sawa machte die letzten Handgriffe, dann war ich fertig. Das Endergebnis konnte sich wirklich sehen lassen. Man konnte nicht mehr sehen, dass ich gestern geweint hatte und gefühlt zwanzig Kilometer gelaufen war. P’Sawa und ich schlugen ein. »Danke, P‘. Dank‘ dir können sie Kosten einsparen, sonst bräuchten wir CGI.« »Du kommst auf Ideen, Cai.« Wolfsherz – Szene 5 – Da stand Nok vor mir mit geschlossenen Augen und ich konnte nicht wirklich was damit anfangen. »Was hast du vor?«, fragte ich, da öffnete er die Augen wieder und sah mich enttäuscht an. »Aber sie haben gesagt, dass man jemanden küssen sollte, wenn man ihn mag.« Und das kam ausgerechnet von ihm? Wer diese mysteriösen Personen sind, die ihm das gesagt haben sollen, konnte ich mir denken. Die grinsenden Gesichter von Ying und Yang hatte ich klar vor Augen. Lachend legte ich ihm eine Hand auf die Schulter: »Ja, aber vielleicht solltest du die Reihenfolge ändern. Solltest du die Person nicht zuerst fragen, ob sie dich auch mag?«, erklärte ich und mein Herzklopfen war so laut, dass ich Angst hatte, er könnte es hören. Neugierig sah ich ihn an, konnte kaum abwarten, wie er darauf reagieren würde. Nok schluckte, rieb sich die Hände und sah auf den Boden. »Und was mache ich, wenn die Person mich nicht mag?« »Das wird sie schon. Wenn du nicht fragst, wirst du es auch nie wissen«, auch ich wollte mich absichern, dass es nicht alles nur meine Fantasie war. »Also gut. Aber nur, wenn ich dich nicht angucken muss«, flüsterte er. »Musst du nicht.« Nok machte eine sehr lange Pause, aber ich wusste, dass er jemand war der Zeit für so etwas brauchte, also wartete ich geduldig. Zwischendurch sah er kurz auf, vermutlich um sich abzusichern, dass ich noch da war. »Ich mag dich, P’Wolf. Magst du mich auch?«, seine Stimme war so leise, dass ich mich anstrengen musste, es zu verstehen. »Ja«, gab ich zurück und war froh, dass er mich in diesem Moment nicht ansah. Doch dann hob er den Blick, sah mich erstaunt an: »Wirklich?« Diese Augen machten mich sprachlos, daher nickte ich nur. Selten war ich mir so sicher wie in diesem Moment. Über die Zeit waren wir eine Gruppe geworden, Nok und ich ein Duo. Ich hatte viel Spaß mit Nok und es tat gut, ihn glücklich zu sehen. Offensichtlich reichte uns das beiden nicht, wir wollten mehr als Freunde sein. Ich nahm seine Schultern, drückte ihn sanft gegen die Tafel. Wieder schloss er die Augen und machte ein verkrampftes Gesicht. Ich strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht, versuchte mein Zittern zu verbergen. Ich hatte mit den meisten Situationen kein Problem, aber das war auch nichts, was ich einfach abhandeln konnte. »Entspann‘ dich«, flüsterte ich und sein Ausdruck wurde sanfter. Das war mein Zeichen, meine Chance, die ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen konnte. Ich legte ihm eine Hand in den Nacken und zog ihn näher zu mir bis sich unsere Lippen berührten… Plötzlich flackerte die Erinnerung von gestern in mir auf. Diese Berührungen, der Kuss und dieses unglaubliche Gefühl. Es fühlte sich genauso an und er war für mich in diesem Moment nicht Nok, sondern Seua. Diesmal hatte ich mich gegen Wolf durchgesetzt. Diese Szene gehörte mir. Wolfsherz – …? – Ich konnte spüren, wie er den Atem anhielt. Ganz vorsichtig küsste ich ihn, wusste nicht, wie weit ich gehen konnte, ohne dass er in Ohnmacht fiel. »Cut!« Er erwiderte den Kuss, ließ sich ganz auf mich ein. »Cut!« Seine weichen Lippen und seine Nähe zu spüren, ließ mich alles andere um mich herum vergessen. »Cu-, ach, ich gebs auf.« Wir lösten uns voneinander und grinsten uns an. »Das war schön, P’Wolf. Machen wir das jetzt öfter?« Seine leuchtenden Augen und sein Lächeln strahlten mir entgegen und wenn das so weiter ging, brachte dieser Junge mich noch um den Verstand. »Du bist süß, Nok. Natürlich, wenn du das willst«, ich nahm seine Hand in meine und sah ihn an. Es gab schließlich noch eine Sache, die wir klären mussten. »Willst du mit mir zusammen sein?«, ängstlich sah ich ihn an. Wir hatten uns zwar geküsst, aber ich war nicht sicher, ob er bereit war diesen Schritt zu gehen. »Ja.« Ich konnte es kaum glauben. Nicht nur, dass Nok sich getraut hatte, sondern dass wir hier standen und wirklich diesen Schritt gegangen waren. Vor ein paar Monaten hatte er nicht einmal geschafft mich anzusehen. Ich wusste, dass das mit uns, allein schon wegen der Tatsache, dass zwischen Amerika und Thailand über zehntausend Kilometer Luftlinie Entfernung lagen, schwierig sein würde. Doch in diesem Moment war es mir egal. Noch würde ich es ihm nicht sagen, doch seine Prüfung hatte er längst bestanden. »Okay, jetzt aber«, ließ der Regisseur über das Megafon verlauten. »Mein Herz hält das sonst nicht aus. Das war fantastisch, Jungs! Ich werde P’Star auch nicht verraten, dass ihr euch an meine Anweisungen nicht gehalten habt, das war es wert.« Das Team lachte und alle applaudierten. Wir gingen zurück zum Zelt, Seua musste noch woanders hin. Ich setzte mich auf einen Stuhl, um ein bisschen herunterzukommen. Mir war unglaublich warm, aber ich war stolz auf mich. Solche Szenen waren nicht einfach, trotzdem waren wir gelobt worden. Ich sah wie P’Amy auf mich zukam, sie hielt das Drehbuch in der Hand, ihre langen, schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Sie nahm sich einen der Plastikstühle, die herumstanden, stellte ihn vor mich und setzte sich. Mit den Gedanken war ich immer noch in dieser Szene. Ich hatte ihn geküsst. Zum zweiten Mal. Vor allen Leuten. Mein Gesicht fühlte sich an, als würde es brennen. Ich hoffte, dass das Make-Up von P’Sawa es einigermaßen verdeckte. P’Amy lächelte mich an: »Cai, ich weiß der Regisseur hat es schon gesagt, aber das war eine unglaubliche Leistung von euch beiden! Dafür, dass es eure erste Kussszene war, hatte ich richtiges Herzklopfen! Diese Vorsicht und dieser letzte Rest Unsicherheit von Wolf konnte ich einfach spüren. Man könnte meinen, es geht dir genauso«, schwärmte sie vor sich hin. Dazu sagte ich lieber nichts. P’Amy war wirklich gut darin, die eigentlich Wahrheit hinter dem Ganzen zu erkennen. »Danke, P’Amy. Ich bin total glücklich, dass es euch gefällt, obwohl ich ein Anfänger bin.« Sie legte mir ihre Hände auf die Beine: »Es ist zwar gut, bescheiden zu sein, aber lass uns einen Deal machen.« Neugierig sah ich sie an. P’Amy war eins meiner Vorbilder, nicht nur war sie ein Vollprofi, man merkte auch in jeder Sekunde, dass sie ihren Job liebte. »Einen Deal?« »Ja, ab heute nennst du dich nie wieder Anfänger, okay? Nach allem was ich bisher gesehen habe, kannst du das getrost ablegen.« Wir schlugen ein: »Okay, Deal«, sagte ich. Nach ein paar kleineren Szenen war der Drehtag vorbei und ich war gerade dabei, meine Sachen zusammenzupacken. Der Tag war sehr erfolgreich, unsere Szene war gut angekommen und ich war vom Anfänger aufgestiegen. Fast hätte ich gesagt, dass ich gar nicht zurückfahren, sondern einfach weiterdrehen will. Hinter mir räusperte sich jemand. Ich drehte mich um und da das Zelt gut beleuchtet war, sah ich, dass es Dice war. Er war heute nur wegen einer kleinen Szene mit Kraisee hier. Natürlich musste er mich abpassen, wenn ich alleine war. Mit dem Wissen, dass Seua hinter mir stand, fühlte es sich jedoch nicht mehr bedrohlich an. »Na, hat es Spaß gemacht, Seua zu küssen?«, fragte er und verschränkte die Arme. »Ja. Tut mir leid, dass dies nur ein Privileg der Hauptrolle ist, Dice«, erwiderte ich. Er sollte merken, dass ich nicht der Feigling war, für den er mich hielt. Dice trat vor, packte mich am Kragen, was ich einfach über mich ergehen ließ. »Jetzt auch noch frech werden, hm? Führ‘ dich hier bloß nicht auf wie ein Star, Cai«, zischte er. Ich befreite mich aus seinem Griff und stieß ihn von mich: »Doch, genau das werde ich tun. Ganz ehrlich, Dice, alle hier im Team sind supernett. Warum musst du das kaputt machen?« Ich meinte es ernst, da ich mich mit allen aus dem Team bisher gut verstanden hatte, doch immer, wenn Dice daherkam, gab es Ärger. Seine Augen verengten sich: »Ich bin das Problem, ja? Du bist gerade mal ein paar Monate hier und meinst alles zu wissen. Solange du nicht aufhörst, dich an Seua ranzumachen, werde ich auch nicht aufhören.« »Das heißt also, ich muss dich die ganze Zeit ertragen?« Was er konnte, konnte ich schon lange. Er sollte sich langsam damit abfinden, dass er weder als Dice, noch als Kraisee eine Chance hatte. »Du!«, Dice holte aus und ich hob schützend die Arme vor das Gesicht, doch der befürchtete Schlag blieb aus. Langsam nahm ich sie wieder runter, sah wie Seua Dice Arm festhielt. Kurz darauf ließ er ihn wieder los, strafte ihn mit einem Blick ab und deutete mir, mitzukommen. Ich nahm meine Tasche und folgte ihm, ohne mich nochmal umzusehen. Ich würde mir diesen Tag nicht von Dice ruinieren lassen. Es reichte, wenn er wusste, dass Seua von ihm enttäuscht war. Zurück in der Wohnung verschwand Seua sofort unter der Dusche, während ich es mir auf der Couch gemütlich machte. Es klingelte an der Tür und weil ich dachte, dass es Ray war, machte ich auf. Stattdessen war es jedoch der Postbote, der mir einen Brief in die Hand drückte. Ich verstand nicht, was er sagte, oder warum er so schnell wieder verschwand. Ich nahm den Brief, wollte gerade die Tür schließen, da fiel ein Blatt Papier auf den Boden. Als ich es aufhob, erschrak ich, denn dort stand, auf Englisch, in Großbuchstaben: »Wenn du dich weiter mit diesem Cai abgibst, bringe ich dich um, Seua.« A/N: Dieses Kapitel möchte ich der lieben Luiako widmen, die mich mit ihrem netten Kommentar sehr motiviert hat Ich hoffe, das Kapitel hat dir gefallen ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)