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Wolfsherz

In den Augen des Tigers
von

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Der Wolf und diese komischen Gefühle

Ray lehnte an der Säule, Noah stand vor ihm.

»Du hast doch gesehen, wie sehr Cai das alles mitgenommen hat. Du solltest ihm verzeihen, damit alle vernünftig arbeiten können, Ray«, erklärte Noah in einem ungewohnt sanften Ton. Auch sein Blick sprach für mich Bände. Vor ein paar Tagen hatte Ray am Set noch die Augen verdreht, als Noah dort war. Irgendetwas musste in der Zwischenzeit passiert sein, dass die so vertraut miteinander waren.

»Ich weiß, Noah. Ich werde ihm auch verzeihen, aber Cai muss eben lernen, dass er solche Aktionen nicht bringen kann. Natürlich war er unter Stress, aber statt mit Seua durchzubrennen, hätte er auch mit mir reden können. Wir sind doch befreundet«, ich hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. Ich musste mich unbedingt bei ihm entschuldigen.

»Das hätte er. Aber Seua hat ihm eben die Möglichkeit geboten, den Kopf wieder freizukriegen und ich glaube, dass das gut war. Außerdem ist es doch gut, dass die beiden sich schon angefreundet haben. Vor allem für den Erfolg der Serie. Außerdem ist nichts passiert und der Sender hat nichts mitbekommen.«

Tatsächlich schaffte Noah es, ihn nachgiebig werden zu lassen. Scheinbar reichte es bei ihm, Ray einmal mit großen Augen anzusehen. Verdammt, das musste er mir unbedingt beibringen.

»Überredet. Ich spreche mit Cai, wenn wir hier fertig sind.«

Wieso wusste ich, dass es bei mir nicht funktioniert hätte? Was zum Henker geht hier ab? Die beiden lächelten sich an, dann verschwand Noah. Seua und ich wagten uns aus der Deckung, grüßten und gingen in den Konferenzraum. Dort wartete P’Star bereits, zusammen mit einem Polizisten und die Chefin des Hotels. Wir setzten uns zu ihnen an den Tisch, Seua und Ray neben mir. Fast als hätte man einen Engel und einen Teufel auf der Schulter. Oder eher zwei Teufel.

»Cai, bei dir ist alles in Ordnung, oder?«, erkundigte sich P’Star.

Ich nickte: »Ja, danke, P’Star. Ich bin einfach froh, dass wir den Dreh fortsetzen konnten.«

Er nahm es zur Kenntnis, gab das Wort dann an unsere Gäste ab. Der Polizist zeigte mir ein Bild einer Frau, die eine Hoteluniform trug.

»Wir haben herausgefunden, dass eine Mitarbeiterin des Hotels für den Angriff verantwortlich war. Ihr Motiv war etwas zu finden, was man gewinnbringend an die Presse verkaufen konnte. Laut ihrer eigenen Aussage hat sie Khun Ray dabei beobachtet, wie er mit einem Umschlag in Khun Cais Zimmer ging und hat in diesem richtigerweise Fotos vermutet. Es wurde nichts weiter aus dem Zimmer entwendet. Die Mitarbeiterin wurde sofort entlassen, befindet sich zurzeit in Untersuchungshaft, ein Prozess steht noch aus. Es muss keinesfalls mit einem weiteren Angriff gerechnet werden«, schloss der Polizist seine Erklärung. Für mich war es gut zu wissen was passiert war, damit ich endlich mit dieser Sache abschließen konnte. P’Star ergänzte: »Auch wenn weiterhin nicht mit einem Angriff gerechnet werden muss, kannst du jederzeit unser Security-Team in Anspruch nehmen. Sie sind 24/7 abrufbar.«

Er gab mir mehrere Handynummern von Bodyguards, die für TMM TV arbeiteten. Als nächstes forderte P’Star die Hotelchefin auf, ihre Aussage zu tätigen.

»Im Namen des gesamten Teams möchten wir uns aufrichtig entschuldigen. In Zukunft werden wir alles daransetzen, die Mitarbeiter gründlicher zu kontrollieren. Im Zuge dessen haben wir uns mit dem Sender darauf geeinigt, dass Ihre Hotelkosten von uns übernommen werden, Khun Cai. Sie können gerne unseren kompletten Service kostenfrei nutzen, bis zu Ihrer Abreise.«

Es war sehr nett und ein gutes Angebot, aber ich wandte mich hilfesuchend an Seua, weil ich trotz allem nicht ins Hotel zurückwollte. Hoffentlich konnte Seua Gedanken lesen. Aber nur dieses eine Mal.

»Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen, aber Cai wird nicht ins Hotel zurückgehen. Ich verstehe den Gedanken, P’Star, dass alle vom Team an einem Ort sind. Aber Cai wird vermutlich nicht gerne dort sein, wo dieser Angriff passiert ist. Ich bleibe in meiner Wohnung und wenn er will, kann er das auch«, sprach er meine Gedanken für mich aus. Das war eine ganz andere Gefahr, in die ich mich brachte. Allerdings war es die Möglichkeit für mich, so viel wie möglich über ihn herauszufinden. Danke fürs Gedankenlesen, Seua. P’Star hob skeptisch eine Augenbraue: »Und du bist dir sicher, dass das eine gute Idee ist, Seua? Ich meine, wenn er will, werde ich Cai nicht aufhalten, aber..«

»Ihr wollt doch immer, dass wir jede Sekunde miteinander verbringen, also sollte das wohl klar gehen.«

Jetzt richtete sich er an uns beide: »Klar, aber ich habe eine Bedingung. Ich will keine Skandale, verstanden?«

Meine Augen wurden groß. Was dachte er denn bitte, was wir machen würden?

»Klar.«
 

Als alle gegangen waren, war ich mit Ray alleine. Seua würde unten auf mich warten, er wusste ja, dass wir reden wollten. Wir saßen nebeneinander in dem halb beleuchteten Raum. Zunächst wusste keiner von uns beiden, was er sagen sollte, als übernahm ich:

»Es tut mir leid, Ray. Ich kann absolut verstehen, dass du sauer bist. Das war unverantwortlich von mir und ich habe es eingesehen. Beim nächsten…«

Ich konnte nicht einmal zu Ende sprechen, da umarmte er mich.

»Cai! Ich wollte dich nicht anschreien! Und ich will auch nicht, dass Seua dein Manager wird.«

Grinsend erwiderte ich die Umarmung. Danke, Noah.

»Das ist dein gutes Recht, Ray. Solange wir noch befreundet sind, kannst du mich ruhig anschreien.«

Er löste sich von mir, legte mir beide Hände auf die Schultern.

»Ich habe überhaupt keine Rücksicht darauf genommen, dass du gestresst warst, Cai. Du wurdest bedroht und ich hätte dich mehr unterstützen müssen.«

Versöhnlich schüttelte ich den Kopf: »Einigen wir uns doch einfach darauf, dass wir beide Fehler gemacht haben, okay?«

»Okay. Wieder Freunde?«

»Sind wir je was anderes gewesen?«

Wir schlugen ein und damit war das Thema für uns vergessen. Doch er war scheinbar noch nicht fertig.

»Du willst wirklich bei Seua bleiben? Bist du dir sicher? Du kannst immer noch ins Ersatzhotel«, ich sah die Sorge in seinem Blick, doch ich blieb dabei. Es war Teil meines Plans mein eigenes Spiel mit dem Tiger zu spielen.

»Ja, will ich. Wir verstehen uns mittlerweile ganz gut und ich hoffe, dass man das auch in der Serie sieht.«

»Mhmm«, das hatte ihn offenbar noch nicht überzeugt. Forschend sah er mich an: »Du hast einen Plan, oder? Wenn nicht, sollte ich wohl besser fragen, ob du nicht irgendwelche komischen Hintergedanken hast.«

Ich wusste selbst nicht einmal, ob da nicht doch irgendwelche anderen Gedanken waren. Fürs erste ließ ich es dabei: »Nein, ich habe keine Hintergedanken, aber einen Plan. Sieh‘ es einfach als Möglichkeit für mich, Seua, außerhalb des Sets, besser kennenlernen zu können, okay?«

»Gut, wie du meinst«, er gab mir eine Zimmerkarte vom Hotel. »Aber, wenn es doch mal brenzlig werden sollte, nimm‘ die hier.«

Widerwillig nahm ich die Karte an mich, es war wie ein Eingeständnis, dass Seua mich überfallen würde und das mochte ich nicht. Aber wenn es ihn beruhigte, dann nahm ich sie eben. Ray nickte zufrieden und wollte gerade gehen, da hielt ich ihn zurück: »Warte. Ich habe auch noch eine Frage.« Er setzte sich wieder hin, sah mich neugierig an: »Was denn?«

»Seua und ich haben vorhin beobachtet, wie du dich vor dem Raum mit Noah unterhalten hast. Wie hat sich denn bitte deine Einstellung zu ihm so schnell verändert?«

Sein geschockter Ausdruck zeigte mir, dass ich ihn eiskalt erwischt hatte. Es war auch eine kleine Genugtuung für mich. Er wich meinem Blick aus. Er kennt mich zwar gut, aber ich ihn auch. Ray zeigte selten Gefühle, wenn es doch einmal unangenehm wurde, konnte er keinen Blickkontakt halten. Sein Motto war vermutlich, dass niemand seine Gefühle erraten konnte, wenn er niemanden ansah. Leise begann er: »Als du weg warst, eigentlich davor schon, hat er mir ein bisschen geholfen. Mit der Situation klarzukommen, eben. Dadurch, dass er hier lebt, kennt er sich aus, macht für das Team eben auch mal einen auf Mädchen für alles. Er hat gesehen, dass ich in Schwierigkeiten war und hat geholfen. Ich gebe zu, am Anfang hat mich seine aufdringliche Art genervt, aber dann lernt man sich besser kennen und merkt, dass er nur helfen will. Außerdem hat er sich gefreut, mal jemanden aus der Heimat zu treffen.«

Ray hatte so leise gesprochen, dass ich mich richtig anstrengen musste, um alles zu verstehen. Was kommt wohl dabei raus, wenn ich das Wort »Helfen«, durch ein anderes ersetzen würde? Wie dem auch sei, ich wollte Ray damit in Ruhe lassen. Es war schließlich sein Leben und wenn mein Manager den Tonmann mochte, dann war es so. Auch wenn er es ein bisschen verdient hätte, dass ich ihn auch mal ärgern konnte. Doch ich war sicher, dass ich diese Gelegenheit noch bekommen würde.

»Okay. Falls du sonst reden willst, ich bin da.«

»Danke.«
 

Ein paar Tage später kam ich gerade am Set an, da sah ich Dice und Seua. Dice hatte seine Arme um Seuas Nacken gelegt, strahlte ihn an. Seua erwiderte das Lächeln. Sie waren doch nur Freunde, oder? Ich versuchte mich unauffällig im Zelt zu platzieren, sodass ich das Gespräch mithören konnte, ohne gesehen zu werden.

»Endlich drehen wir zusammen, Seua.«

»Jup, es ist schön, dass wir wieder mal zusammenarbeiten, Dice. Aber übertreibs nicht, okay?«

Dice, der fast genauso groß war wie Seua, näherte sich seinem Gesicht, bis sie nur noch Zentimeter trennten. Was er dann sagte, konnte ich nicht hören, weil er flüsterte. Daraufhin trat Seua grinsend einen Schritt zurück.

»Ich glaube nicht«, sagte er und sein Blick wurde böse.

»Das werden wir sehen. Oder muss ich mir etwa um die Konkurrenz Gedanken machen?«

Obwohl die Beiden die ganze Zeit Englisch redeten, hörte es sich für mich an wie Thai, weil ich absolut nichts verstand.

»Diesmal kann ich für nichts garantieren.«

Dice entfuhr ein Knurren, aber er hatte seine Augen nicht eine Sekunde von Seua abgewandt.

»Kinderspiel. Du weißt, dass ich nicht aufgeben werde. Gegen den werde ich bestimmt nicht verlieren.«

Kopfschüttelnd wandte Seua sich ab: »Ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann und ich habe auch nicht das Recht dazu. Aber tu‘ mir den Gefallen und sei nett zur Konkurrenz, okay?«

Seua wollte gehen, doch Dice umarmte ihn von hinten und flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr. Ich wollte nicht hinsehen, konnte aber auch nicht wegsehen. Jedes Mal, wenn sie sich ansahen oder berührten, zog es sich in meiner Brust zusammen. Ich kannte dieses Gefühl nicht, aber es war verdammt unangenehm. Seua löste sich von ihm, dann ging er. Ich wollte mich gerade darüber freuen, dass er sich nicht alles gefallen ließ, da hörte ich: »Du kannst rauskommen, Cai.«

Verdammt! Dice sah zu, wie ich langsam aus meiner Ecke hervorkam. Ich konnte nichts sagen, denn alles außer, dass ich ihnen absichtlich zugehört hatte, wäre gelogen. Dice musterte mich, er trug auch die Uniform. Böse funkelten seine Augen mich an, ich trat einen Schritt zurück.

»Falls du dich gefragt hast, von welcher Konkurrenz wir gesprochen haben, sie steht vor mir und sieht mich an wie ein Feigling.«

»Konkurrenz? Ich?«, fragte ich ungläubig.

»Glaubst du ich kriege nichts mit? Wer tut denn einen auf beste Freunde und will unbedingt bei Seua in der Wohnung bleiben, hm? Ich sag dir eins, Kleiner. Wenn du dich an Seua ranmachen willst, musst du erst an mir vorbei.«

Warte mal. Was? An ihn ranmachen? Vielleicht hatte ich zugelassen, dass er mir näherkommt, ja, aber das war doch auch sein Job, oder? Die Fragen in meinem Kopf überschlugen sich, es war schwierig einen klaren Gedanken zu fassen.

»Ich will mich nicht an ihn ranmachen..«, sagte ich leise mit deutlich weniger Überzeugung als geplant.

»Weil ihr wahrscheinlich nur Freunde seid, richtig?«

»Ja«, gab ich kleinlaut zurück.

Ich hoffte inständig, dass Dice gerade an mir nur seine Schauspielkünste ausprobierte. Sollte das echt sein, mochte ich diese Seite an ihm überhaupt nicht. Dieses bedrohliche Gehabe.

»Red‘ dir das ruhig selbst weiter ein. Aber wenn du irgendwann doch realisierst, dass es anders ist, wird es zu spät sein. Der Tiger spielt nicht mit Kätzchen, da musst du schon ein bisschen aggressiver sein. Ich hoffe, du bist nicht naiv genug zu glauben, dass er das macht, weil er dich mag. Weißt du eigentlich mit wie vielen Typen er diese Pärchennummer schon abgezogen hat? Bilde dir bloß nicht ein, bei dir wäre es anders.«

Ich ließ seine Worte auf mich einprasseln, jedes einzelne fühlte sich an wie ein Messerstich. Habe ich mir das alles wirklich nur eingebildet? Als ich zum Set ging, sah ich noch einmal zurück, wo Dice mit seinem fiesen Grinsen stand. Warts nur ab. So feige, wie du denkst, bin ich nicht.
 


 

- Wolfsherz – Szene 4 -
 

»Nok!«, hörte ich Kraisees Stimme schon von weitem. Nok und ich waren gerade auf dem Weg in die Mensa, drehten uns beide um. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass sich die beiden anfreunden. Nok würde das nicht verstehen, aber Kraisee machte keinen Hehl aus seiner Agenda. Und aus unerfindlichen Gründen passte mir das überhaupt nicht. Kraisee legte Nok locker einen Arm um die Schulter, was dieser auch zuließ.

»Ja?«

Krai wedelte mit einem Papier vor seinem Gesicht herum: »Ich habe meinen Englisch-Aufsatz wiederbekommen und es ist eine glatte Eins!«

Ich ballte die Hand zur Faust. Nok einen perfekten Aufsatz zu zeigen, glich im Prinzip einem Liebesgeständnis. Fasziniert nahm er das Papier entgegen und die beiden ließen sich auf die nächste Bank nieder. Ich blieb mir verschränkten Armen davorstehen.

»Nok, wir wollten doch in die Mensa!«, merkte ich an, doch er war schon damit beschäftigt den Aufsatz zu lesen. Krai hatte immer noch seinen Arm um Noks Schulter. Genervt nahm ich seinen Arm, um Nok zu befreien.
 

»Cai! Das steht nicht im Drehbuch!«, hörte ich den Regisseur sagen und es verschlechterte meine Stimmung nur noch mehr. Dice nutzte aus, dass er mit Seua drehen konnte und es nervte mich total. P’Amy kam mit dem Drehbuch zu mir.

»Wolf soll genervt die Szene verlassen und alleine in der Mensa essen. Er fühlt sich von Nok ignoriert und ist sauer«, erklärte sie.

Ich winkte ab: »Danke, P’Amy. Ich kenne die Szene, tut mir Leid.«

Besorgt beobachtete sie mich, kaufte mir wohl nicht ab, dass das okay war. Ich war sauer, dass ich wegen Dice nicht mal mehr richtig arbeiten konnte.

»Brauchst du eine Pause?«, fragte sie vorsichtshalber, doch ich verneinte. Wir hatten gerade erst mit dem Dreh angefangen und ich wollte mir die Blöße nicht geben, schon direkt eine Pause zu brauchen.
 

- Wolfsherz – Szene 4 -
 

Genervt ließ ich die Beiden alleine und ging in der Mensa essen. Ich hatte nur etwa eine Stunde Zeit bis zum nächsten Unterricht, daher konnte ich nicht mehr auf Nok warten. Mein eigener Plan fiel also auf mich zurück. Wenn ich Nok nicht aus seiner Isolierung herausgeholt hätte, wäre er nur mit mir unterwegs. Ich fuhr mir mit den Händen durchs Gesicht. Warum machte mich das so wütend? Es war doch immer von mir gewollt gewesen, dass möglichst viele Leute kennenlernt. Komm’ zur Vernunft, Wolf, ermahnte ich mich selbst und versuchte meinen Gesichtsausdruck zu entspannen. Ich entdeckte Ying und Yang und beschloss, mich zu ihnen zu setzen.

»Hi, P’Wolf. Wo ist Nok? Du bist doch nie ohne ihn unterwegs«, merkte Yang erstaunt an, als ich saß.

»Ist doch egal. Lasst uns essen, ich muss gleich zum Unterricht«, gab ich abweisend zurück. Doch statt zu essen, starrte ich nur den Teller an. Weder hörten meine komischen Gedanken auf, noch besserte sich meine Laune. Immer wieder drängte sich die Frage auf, warum ich so genervt war. Ying legte mir ihre Hand auf den Arm, sodass ich sie ansah.

»Alles okay? Ich habe das Gefühl, dass du irgendwie komisch bist heute. Du kannst ruhig mit uns reden, wenn du willst«, ihre sanfte Stimme beruhigte mich zwar etwas, aber ich wollte über nichts reden, was ich nicht verstand.
 

Eine halbe Stunde später, als wir schon mit Essen fertig waren, kam Nok zu uns an den Tisch. Begeistert erzählte er uns von Kraisees Aufsatz und, dass er sich gut mit ihm unterhalten hatte. Ich saß mit verschränkten Armen daneben, hörte kaum zu und hasste mich gleichzeitig für mein kindisches Benehmen. Trotzdem stand ich auf, nahm mein Tablett und brachte es weg, ohne ihn weiter zu beachten.
 

Nach einem anstrengenden Tag zog ich mich auf mein Zimmer zurück, wollte heute ausnahmsweise mit Niemandem sprechen. Ich konnte verstehen, wenn Nok sauer war, weil ich ihn ignoriert hatte. Schließlich war das absolut dämlich, er hatte nichts falsch gemacht. Seufzend ließ ich mich auf das Bett fallen, wollte diesen Tag einfach nur noch vergessen. Das Einzige, was feststand war, dass ich mich entschuldigen musste. Eine Weile lag ich einfach da, meine Hausaufgaben im Rucksack auf dem Boden. Ich war in diesem Moment überhaupt nicht in der Stimmung irgendetwas zu machen, geschweige denn Hausaufgaben. Ich hörte ein leises Klopfen, stieg aus dem Bett und öffnete die Tür. Es war Nok. Sein trauriges Gesicht brach mir fast das Herz.

»Bist du sauer?«, fragte er leise. Ich zog ihn am Arm ins Zimmer und schloss die Tür. Entschlossen sah ich ihn an: »Nein, bin ich nicht. Ich wollte mich sowieso entschuldigen. Bitte vergiss einfach, was du heute gesehen hast.«

Ich drehte mich weg und ging ein paar Schritte zurück, weil ich es nicht aushielt, ihn eine Sekunde länger anzusehen. Aus dem Augenwinkel sah ich ihn auf mich zukommen.

»Aber was war denn, P’Wolf? Du wolltest doch, dass ich mit Anderen treffe und ich war stolz auf mich, dass ich das geschafft habe. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass du dich darüber gefreut hast«, er sprach in seinem üblichen Tonfall, aber es klang in meinen Ohren so traurig, dass ich schon wieder anfing, mich für diesen Tag zu hassen. Er hatte das Problem auf den Punkt gebracht. Ich war derjenige, der stolz auf ihn sein sollte und sich freuen sollte, stattdessen zog ich so eine Show ab. Kein Wunder, dass er enttäuscht war.

»Nok, hör zu. Ich habe selbst nicht verstanden, was ich heute gemacht habe, ich weiß nur, dass es falsch war. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen«, bat ich ihn. Während ich ängstlich auf seine Reaktion wartete, sah ich ihn auf einmal wieder vor mir. Ohne zu zögern, umarmte er mich. Es dauerte eine Sekunde, bis ich reagieren und die Umarmung erwidern konnte.

»Natürlich verzeihe ich dir, P’Wolf. Ich bin froh, dass du nicht sauer bist. Ich hatte Angst, dass du nicht mehr mit mir befreundet sein willst.«

Von diesem Moment an nahm ich mir vor, mich nie wieder so zu benehmen. Dass Nok das nicht gefallen hatte war mir klar, aber nicht, dass es ihn in den Grundfesten erschüttern würde.

»Ich werde immer mit dir befreundet sein, Nok«, flüsterte ich und er nickte. Dann löste er sich von mir, deutete auf den Rucksack, der auf dem Boden lag.

»Deine Hausaufgaben hast du aber noch nicht gemacht, oder?«

Lächelnd seufzte ich: »Nein, lass’ uns das zusammen machen.«
 

Ein paar Tage später war wieder alles beim Alten. Ich ließ zu, dass sich Nok mit Anderen abgab, weil ich schließlich diesen Plan angeleiert hatte und es ihm scheinbar Spaß machte. Heute traf ich mich mit Ying und Yang in der Bibliothek, weil wir dort für unsere Aufsätze recherchieren mussten. Nok war nicht dabei, er hatte Unterricht. Wir saßen an einem Tisch in einer ruhigen Ecke, jeder hatte seinen eigenen Bücherstapel neben sich. Geräuschvoll klappte ich eins meiner Bücher zu, um die Aufmerksamkeit der Mädels zu bekommen.

»P’Wolf?«

Bevor ich anfing zu sprechen, sah ich mich um, ob auch niemand zuhörte und beugte mich nach vorne, um leiser sprechen zu können: »Ihr habt gesagt, ich kann mit euch über alles reden, oder?«

Eifrig nickten sie. Ich hatte eine Weile darüber nachgedacht, doch mittlerweile zweifelte ich nicht mehr an meinen Gefühlen. Was ihn betraf, war ich mir aber unsicher. Nok war zu jedem lieb und nett, ich war da keine Ausnahme. Den Rat der Mädels wollte ich nur, weil mir noch die letzte Entschlossenheit fehlte.

»Glaubt ihr, Nok mag mich? Also, so richtig?«

Sofort begannen sie zu kichern, was mir sauer aufstieß. Mit verschränkten Armen sagte ich:

»Ist das denn so abwegig?«

Ich kannte die Beiden mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie mit solchen Beziehungen kein Problem hatten. Auch die Thais hatten mir, zumindest mit ihren Serien, das Gefühl gegeben, dass das kein Problem war. Warum also dieses Kichern?

Ying schüttelte den Kopf: »Nein, das ist überhaupt nicht abwegig, Ich glaube auch, dass du gute Chancen hast. Es ist nur..vielleicht solltest du nicht uns nach den Gefühlen von jemand anderem fragen.«

Ich gab ihr in dieser Hinsicht vollkommen recht, doch das macht ihre Reaktion nicht weniger verdächtig. Ich war mir sicher, die Beiden wussten mehr, als sie sagten.

»Klar könnte ich ihn fragen, aber ich muss zugeben, dass ich diesen Gedanken gruselig finde. Was ist, wenn er das völlig absurd findet? Wenn er damit überfordert ist?«

Nachdem wir uns etwas aufgebaut hatten, hatte ich einfach nicht den Mut dazu, in Phase zwei überzugehen. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Yang lenkte ein:

»Da du offenbar weißt, wie empfindlich er ist, musst du es eben dementsprechend angehen. Bisher hast du das mit Nok doch auch gut hinbekommen. Ich bin mir sicher, dass du keine Angst haben musst. Falls er überfordert ist, wirst du das schon merken. Viel wichtiger ist doch, ob er deine Gefühle erwidert.«

Stimmt, daran hatte ich bisher gar nicht gedacht. Wolf, du bist viel zu selbstverliebt. Nur weil du ihn magst, heißt das nicht, dass er das auch tut. Ich freute mich über die Worte der Beiden, auch wenn es weiterhin merkwürdig war, dass sie sich andauernd ansahen und grinsten.

»Danke für den Rat und vor allem dafür, dass ihr der ganzen Sache gegenüber so offen seid. Erfahre ich euer Geheimnis noch?«, versuchte ich es. Fast synchron schüttelten sie den Kopf:

»Das wirst du schon früh genug.«
 

Es sollte tatsächlich noch zwei Wochen dauern, bis ich Nok allein erwischte. Mein Plan hatte auch über Kraisee hinaus voll eingeschlagen. Viele mochten die ruhige Art und seine verständlichen Erklärungen, sodass er einigen sogar Nachhilfe gab. Wie gehabt, machte mich das zwar stolz, aber auch ein bisschen einsam. Unter dem Vorwand, dass er mir was erklären sollte, hatte ich ihn in einen leeren Vorlesungssaal geführt. Wir standen vor der Leinwand und er sah mich freundlich an. Es war kein Vergleich zu dem Tag, an dem ich ihn kennengelernt hatte.

»Schaffst du es, mir zehn Sekunden in die Augen zu sehen, Nok?«

Er schaffte es sogar sehr viel länger, was in mir den Entschluss endgültig machte. Ich würde es klären, jetzt und hier. Bevor ich meinen Plan umsetzen konnte, stand er plötzlich mit geschlossenen Augen vor mir.

»Nok?«
 

»Alles klar, das für heute. Dankeschön«, hörte ich den Regisseur sagen. Zusammen mit den anderen ging ich zurück zum Zelt, um mich umzuziehen. Als ich damit fertig war, warteten Ray, Dice und Seua davor auf mich. Provokant hatte Dice Seua die Hände um die Hüften gelegt, flüsterte ihm irgendetwas ins Ohr, sodass er lachen musste. Ähnlich wie in der Szene heute, brauchte ich dringend jemanden, mit dem ich meinen Plan besprechen konnte. Ich überließ Seua also seinem Schicksal und fragte Ray, ob ich kurz mit ihm zum Hotel kommen könnte.
 

In seinem Zimmer angekommen, sah ich mich um. Es war ähnlich luxuriös wie das davor, mit einer weißen Ledercouch, einem Marmortisch und wenigen Dingen, die nicht vergoldet waren. Nachdem ich mich auf der Couch niedergelassen hatte, begann Ray direkt:

»Also, was ist los, Cai?«

Er legte seine Unterlagen auf dem Tisch vor mir ab und zog sein Sakko aus. Er setzte sich mir gegenüber in den Sessel, signalisierte mir volle Aufmerksamkeit.

»Die Szene, die wir heute gedreht haben, war unnormal ähnlich wie das, was gerade abgeht. Ich habe einen Plan, den ich umsetzen muss, um herauszufinden, ob das was Seua macht, nur gespielt ist oder nicht.«

Ray lehnte sich nach vorne, sah mich skeptisch an: »Was erzählst du da? Ich verstehe nichts.«

Ich nahm die gleiche Haltung ein: »Ich habe gesagt, dass ich rausfinden muss, ob es echt ist, was Seua mit mir macht.« Vermutlich war das alles ein bisschen wirsch von mir formuliert gewesen, Ray war schließlich nicht jedes Mal dabei, daher konnte es das vielleicht auch nicht nachvollziehen. Er grinste: »Was macht Seua denn mit dir?«

Zwang er mich ernsthaft, dass auszusprechen? Ich tat ihm den Gefallen, damit ich sicher sein konnte, dass wir von der gleichen Sache sprachen.

»Er flirtet halt mit mir.«

»Auch, wenn keine Kameras dabei sind?«

»Ja.«

Ray machte eine kurze Pause, dann sah es so aus, als hätte er etwas verstanden:

»Und der Grund, warum du das herausfinden willst, heißt zufällig Dice, oder?«

»Jein. Im Prinzip möchte ich das schon die ganze Zeit wissen, aber Dice trägt eben dazu bei, dass ich handeln muss.«

Ich hielt es kaum aus, Ray in die Augen zu sehen, hatte das Gefühl, dass er dadurch meine Gedanken lesen könnte.

»Und warum? Hast du Gefühle für Seua?«, diese Frage traf mich mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte. Vor allem, weil ich sie nicht mehr mit »Nein« beantworten konnte.

»Es kann sein, Ray. Ich bin mir nicht sicher.«

Ich erhoffte mir, durch meinen Plan auch das herauszufinden.

»Verstehe. Nehmen wir einfach mal an, dass es so wäre. Ich glaube, du solltest das Ganze etwas vorsichtiger angehen, Cai. Ich weiß zwar nicht, was genau du machen willst, aber es gibt theoretisch nur zwei Arten, wie das enden kann. 1. Seua spielt das alles nur wegen seinem Job. Das würde dich ziemlich verletzen. 2. Seua meint es ernst. Was dann? Ihr seid Figuren der Öffentlichkeit, du wirst irgendwann zurück nach Amerika müssen, also seid ihr am Ende beide verletzt. Ganz sicher, dass du das wirklich rausfinden willst? Wäre es nicht besser, wenn ihr einfach so weitermacht, wie bisher?«

Das waren verdammt gute Argumente, beide Ergebnisse würden schwierig sein für mich. Aber ich hielt es auch nicht mehr aus, es nicht zu wissen.

»Nein, Ray. Ich werde Seuas Spiel mitspielen, mit dem Ergebnis muss ich leben«, sagte ich fest entschlossen. Er ließ sich seufzend in den Sessel zurückfallen.

»Warum fragst du mich überhaupt, wenn es dir am Ende egal ist? Oder willst du, dass ich dich aufhalte?«

Energisch schüttelte ich den Kopf: »Du kannst mich nicht aufhalten. Ich wollte nur deine Meinung dazu hören, Ray.«

»Die du sowieso kennst?«

»Jup.«

Er schüttelte den Kopf: »Ich weiß, dass man dich Sturkopf nicht aufhalten kann und du ohnehin das machst, was du dir vorgenommen hast. Die Frage ist aber, traust du dir das zu? Seua ist eben Seua und auch wenn du schon mit ihm gedreht hast, glaube ich nicht, dass das leicht wird.«

Konnte nicht wenigstens Ray an mich glauben? Ich werde denen schon zeigen, dass man mir mehr zutrauen konnte.

»Wird es auch nicht. Aber ich kriege das hin.«

Ray schüttelte lächelnd den Kopf: »Na dann. Du musst selber wissen, worauf du dich einlässt, Cai. Pass’ nur auf, dass du dich nicht verbrennst.«

Allein, dass er nicht versucht hatte, mir diesen Plan auszureden, gab mir genug Entschlossenheit, um das durchzuziehen.
 

Zurück in Seuas Wohnung, von der ich bereits den Pin-Code kannte, war es ziemlich dunkel. Anders als sonst waren die Vorhänge zugezogen und nirgendwo brannte Licht. Zur Orientierung schaltete ich die Taschenlampe meines Handys ein und ging Richtung Schlafzimmer. Seua schlief. Vermutlich war das der einzige Tag an dem er das wirklich konnte. Ich schlich mich um das Bett herum, schaltete die Taschenlampe aus, als ich auf meiner Seite war. Ich legte mich ins Bett, starrte in die Dunkelheit. Sie würde heute nicht der einzige Grund sein, weswegen ich nicht schlafen konnte. Vor Ray konnte ich noch großkotzig behaupten, alles hinzubekommen, aber das auch wirklich umzusetzen, war ein ganz andere Geschichte. Der großartige Cai mit seinem perfektem Plan, lächerlich. Es war soweit und ich musste ins Tigergehege steigen. Ich sah einfach keine andere Möglichkeit, sonst irgendetwas herauszufinden.Nur wenn ich schon daran dachte, dass der Wolf mit dem Tiger flirten wollte, klopfte mir das Herz bis zum Hals. Was würde er denken? Würde er mich komisch finden? Ich wusste zumindest, dass er nicht leicht zu wecken war und rückte näher zu ihm. Mit der Hand ertastete ich seinen Rücken, legte einen Arm um ihn und kuschelte mich an ihn. Auch in diesem Moment hatte mich das sehr viel Überwindung gekostet, wie sollte ich dann so was machen, wenn er wach war?



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