Wolfsherz von HalcyTheWolf (In den Augen des Tigers) ================================================================================ Kapitel 7: Der Wolf und das Geheimnis des Tigers ------------------------------------------------ Für mich schien es, als wäre er schon auf diese Frage vorbereitet gewesen, schließlich spielte er in BL-Produktionen mit, da wäre es nicht abwegig, wenn diese Frage auftauchen würde. »Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, Cai. Ich glaube, für mich spielt das Geschlecht weniger eine Rolle, es kommt einfach auf die Person an. Aber da ich noch keine richtige Beziehung hatte, kann ich das nicht sagen.« Was? Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Tiger noch nie eine Beziehung gehabt haben soll. Er sah meine großen Augen: »Hm? Ist das komisch?« »Schon, oder? Du bist ein Star und scheinst gerne zu flirten, für mich passt das nicht zusammen.« Wieder kam dieser schleichende Gedanke in mir hoch, dass doch alles nur gespielt war. »Wenn du das sagst. Aber wenn man ein Star ist, stehen zwar viele auf einen, aber das heißt nicht, dass die passende Person dabei ist. Außerdem hat man auch nicht wahnsinnig viel Zeit, da bräuchte man jemanden der mit den Medien gut zurechtkommt.« »Klar, aber deine bisherigen Drehpartner? Die hätten damit kein Problem«, ich ließ nicht locker. »Wir haben vielleicht während des Drehs und für die Serie für alle einen auf Pärchen gemacht, aber verliebt habe ich mich nie. Mit den meisten meiner ehemaligen Drehpartner bin ich aber noch befreundet.« Da war es wieder. Alles nur gespielt für die Leute. Aber warum tat er es dann auch, wenn es niemand sehen konnte? Für das Feeling? »Was ist mit dir, Cai? Stehst du auf Typen?« Er war ehrlich zu mir, also musste ich das auch sein. »Mittlerweile…bin ich mir auch nicht sicher, auf was ich stehe«, murmelte ich, hob langsam den Blick, doch sein Ausdruck blieb komplett ernst. »Hattest du schon eine Beziehung?« Ich wollte die kurzen Sachen, die ich laufen hatte, nicht wirklich zählen. Für alle anderen war ich scheinbar in L.A noch nicht cool genug. »Nichts Ernstes.« Zumindest beruhigte es mich, dass selbst jemand Berühmtes wie Seua es da nicht so leicht hatte. Dann konnte es bei mir auch nicht schlimm sein. Seua hatte in den letzten paar Wochen und Tagen einiges über mich erfahren, daher war ich froh, auch einmal die Gelegenheit zu haben, etwas aus seinem Leben zu hören. Wie das öfter der Fall war, waren manche Stars eben doch bodenständiger, als man dachte. »Cai?« »Mhm?« »Darf ich deine Hand halten?« »Ja.« Ich weiß nicht, was mich in diesem Moment dazu bewogen hat, ihm nachzugeben. Vielleicht war es das vertraute Gefühl, die ruhige Atmosphäre oder sein freundlicher Blick. Aber ich wollte es einfach. Als seine Fingerspitzen meine berührten, fühlte es sich an wie ein elektrischer Schock. Wir verschränkten die Finger ineinander und lächelten uns an. Ich wusste, diesmal, nur dieses eine Mal, war es ganz sicher echt. Ich wusste aber auch, dass ich dieses Spiel nur noch verlieren konnte. Am nächsten Morgen als ich aufwachte, war Seua schon weg. Verschlafen ging ich die Treppe runter, in Shirt und Jogginghose. Am Tisch erwartete mich seine Oma mit dem Frühstück. Sie strahlte mich an und sagte auf Englisch: »Guten Morgen, N’Cai.« Das war richtig süß. Gut gelaunt grüßte ich zurück und setzte mich. Heute gab es Suppe und Reis zum Frühstück. »Seua?«, fragte ich und hoffte einfach, dass sie es verstand. Mit dem Kopf deutete sie nach draußen. Ich nickte und begann zu essen. Was auch immer er draußen machte, er würde schon seine Gründe haben. Das Frühstück mit seiner Oma war sehr angenehm, als wäre ich bei mir zuhause. Seua kam ein wenig später dazu, setzte sich mir gegenüber. »Was hast du gemacht?«, wollte ich sofort wissen. »Du bist ganz schön neugierig, N’Cai. Ich war nur ein bisschen spazieren, die Luft ist hier morgens besonders angenehm.« »Bei der Landschaft, kein Wunder. Schade, dass wir hier nicht drehen.« Es gab ein paar Sets von »Wolfsherz«, die in der Natur spielten, aber falls wir hier drehen würden, hätte Seua mir das gesagt. »Ja, finde ich auch. Vielleicht könnte meine Oma dann auch berühmt werden«, er übersetzte es für sie und wir lachten. So gerne ich zum Set zurück wollte, ich hätte auch kein Problem damit länger hierzubleiben. Wir halfen ihr mit dem Abwasch und ich zog mich an. Den Tag über verbrachten wir draußen, bei einem ausgedehnten Spaziergang, auf dem Seua mir noch ein paar Orte zeigte, an denen er oft als Kind war. Für mich machte es den Eindruck, als wollte er es unbedingt jemandem zeigen, hatte bisher aber nicht die Möglichkeit dazu. Ich hörte gerne zu, vor allem wenn er mit diesem Leuchten in den Augen darüber sprach. »Das hier ist eine Höhle, in der habe ich mich manchmal versteckt, wenn ich meine Hausaufgaben nicht machen wollte. Aber meine Oma wusste natürlich, wo ich war, und brachte netterweise die Hausaufgaben direkt mit.« Es war eine kleine Versenkung, die wie ein Tunnel mit Gras überdeckt war. Ich versuchte mir den kleinen Seua, vorzustellen, der sich dort versteckte und grinste. Diesen Star sich schmollend in einer Höhle war einfach zu witzig. »Ich will gar nicht wissen, was du dir vorstellst, Cai«, vermutete er richtig. »Nur dich als Kind und notorischer Hausaufgabenverweigerer.« »Vielleicht sollte ich dir nicht so viel erzählen.« Ich hob die Augenbrauen: »Ist alles sehr gutes Erpressermaterial, falls ich das jemals brauchen sollte.« »Ich hoffe nicht.« Eine Weile genossen wir die Stille, dann legte ich ihm eine Hand auf die Schulter: »Danke nochmal, P‘. Dass du mich hierhergebracht hast. Ich werde das in Erinnerung behalten.« »Bitte? Ich habe das gerne gemacht, aber warum klingst du so, als würdest du dein Testament schreiben?« »Weil ich vermutlich anfangen sollte. Ray wird mich umbringen, wenn wir zurück sind«, besorgt legte ich die Stirn in Falten, sah in die Ferne. »Niemand wird dich umbringen, Cai. Dafür werde ich schon sorgen. Noch haben wir ein bisschen Zeit, versuch‘ das für diesen Moment auszublenden«, Seua war schon im Begriff den Rückweg anzutreten. Ich lief schnell hinterher, um ihn einzuholen. »Und das Testament?« »Darum kümmern wir uns später.« Doch selbst Seuas Worte konnten mich nicht ansatzweise beruhigen. Vorher war ich vielleicht auch ein paar Mal abgehauen, aber das war harmlos. Schneller als mir lieb war, mussten wir auch schon unsere Sachen packen. Als wir die Taschen ins Auto luden, stand seine Oma an der Tür und sah traurig aus. Zum Abschied umarmte sie uns beide. Selbst ich war ein bisschen traurig, sagte Seua, dass er ihr ausrichten sollte, dass wir wiederkamen. Diesmal saß zum Glück Seua am Steuer, als wir losfuhren sagte er: »Du weißt schon, dass ich sowas eigentlich nicht versprechen kann?« Ich sah aus dem Fenster, winkte noch: »Im Prinzip schon. Aber es ist wahrscheinlicher, dass du es machst, wenn du es versprochen hast, oder?« »Keine Ahnung. Ich hoffe es. Jedenfalls hat sie gesagt, dass sie sich schon darauf freut, wenn unsere Serie im TV läuft.« »Deine Oma schaut BL?«, ich musste zugeben, dieser Gedanke erschien mir doch ein bisschen absurd. Seua fuhr in Richtung der Hauptstraße und ich wurde schmerzlich an meinen Fauxpas mit dem Navi erinnert. »Ja, aber nicht deswegen. Meine Oma schaut alle meine Serien, vermutlich ist sie mein größter Fan. Zugegebenermaßen war sie am Anfang überrascht, als sie gesehen hat, um was für Serien es geht. Ich glaube aber, dass sie es mittlerweile sogar mag.« »Irgendwie kann ich mir das vorstellen. Ich mag sie. Sie hat sich total lieb um uns gekümmert, dabei kennt sie mich überhaupt nicht«, schwärmte ich. »Ja, so ist sie. Es spielt für sie keine Rolle, ob sie dich kennt oder nicht. Ich hoffe nur, dass du genauso faul bleibst, Thai zu lernen. Sonst verstehst du irgendwann noch die peinlichen Geschichten über mich«, erklärte er schmunzelnd. »Och komm, P’Seua. Ich strenge mich schon genug an, eine gute Rolle zu spielen. Wenn alle mit einem Englisch sprechen, wird man vielleicht ein bisschen faul«, es gefiel mir nicht, dass er ausgerechnet meine größte Schwachstelle kritisierte. Denn leider stimmte es. Ich hätte durchaus Zeit, um zwischendurch zu lernen. Aber es war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, vor allem wenn der Tiger mich ständig ablenkte. »Also soll ich ab jetzt nur noch Thai mit dir reden?« »Bitte nicht!«, fast schon panisch sah ich ihn an. Seua ließ sich jedoch nichts anmerken, sah geradeaus auf die Straße. »Gut, aber wenn du weiterhin nicht lernst, werde ich mein Englisch auch verlernen«, drohte er. Und mir soll einer sagen, er und Nok hätten nichts gemeinsam! »Ist ja gut.« Den Rest der Fahrt hingen wir unseren Gedanken nach. Ich hatte Ray schon informiert, dass wir auf dem Rückweg waren und bereitete innerlich meine Beerdigung vor. Vor Seuas Wohnung nahm er uns dann auch in Empfang. Ich versteckte mich halb hinter Seua, konnte schon in Rays Blick die Wut sehen. »Seid ihr eigentlich völlig wahnsinnig? Seua, für dich bin ich nicht verantwortlich, aber für den Idioten, der sich gerade hinter dir versteckt. Ich würde unheimlich gerne mit dem reden. Jetzt. Alleine!« Seua trat zur Seite und gab somit den Blick auf mich frei. Bevor Ray jedoch loslegen konnte, sagte er noch: »Sei nicht so hart zu Cai, okay? Es war meine Idee.« In dem einzigen Moment, in dem ich mir wünschte, dass er blieb, verschwand er in der Wohnung, um uns allein zu lassen. Wie gerne wäre ich einfach hinterhergegangen! Aber ich musste mich meinem Schicksal stellen, ließ mich von Ray bis an das Ende des Flurs ziehen. Das war also unsere Arena. Ein Fenster, zwei Wände, Ray und ich. Seine braunen Augen musterten mich funkelnd: »Cai, ich meine mich dunkel zu erinnern, dass ich dir gesagt habe, dass du nicht verschwinden sollst! Was um alles in der Welt hätte ich dem Sender, mit dem du übrigens einen legal bindenden Vertrag hast, sagen sollen, wenn sie dich hätten sprechen wollen? Hast du mal eine Sekunde nachgedacht, dass mir das verdammte Schwierigkeiten hätte bereiten können?«, sagte er leise mit einem bedrohlichen Unterton in der Stimme. Ich gab mich reumütig, schließlich war es schon passiert und ich hatte mit einer Ansage gerechnet. Zurecht. »Es tut mir leid, Ray. Aber nach dem Vorfall im Hotel und der Sache mit den Bildern, habe ich gedacht, dass es eine gute Möglichkeit ist, eine kleine Pause zu machen«, sagte ich kaum hörbar. Rays Augen wurden schmal: »Ach ja? Und wenn euch Paparazzi verfolgt hätten? Wie hättest du P’Star den nächsten Skandal erklärt?« Ich hatte Ray schon sauer erlebt, aber das war sehr selten. Ray war jemand, der sich nicht so einfach in die Karten schauen ließ und war schwer aus der Fassung zu bringen. Eben genau jemand, den man für einen Managerposten brauchte. Ich stecke also ziemlich tief in der Scheiße, wenn er so reagierte. »Wir haben dafür gesorgt, dass uns niemand gesehen hat. Ich..« »Ich bin so verdammt enttäuscht von dir, Cai. Vor allem, seit wann kennst du Seua gut genug, um mit ihm durchzubrennen?« Das tat weh. Schließlich war er nicht nur mein Manager, sondern auch einer meiner besten Freunde. »Naja, wir haben uns eben in letzter Zeit angefreundet«, begann ich, doch ich hörte auf, als ich sah, dass es ihn überhaupt nicht interessierte. Ich merkte, dass sich ein Kloß in meinem Hals bildete, doch ich versuchte mich zurückzuhalten. »Du bist morgen um 9 am Set. Ansonsten kann gerne Seua dein Manager werden!«, rief er und stürmte davon. Ich blieb alleine in diesem trostlosen Flur zurück, mir liefen die Tränen über die Wangen. Wie um alles in der Welt sollte ich das wieder geradebiegen? Mit hängenden Schultern stand ich einfach nur da, fragte mich, ob es das alles wert war. Der Stress, der Ärger und vor allem der Streit. Ich ließ mich gegen die Wand fallen, starrte die graue Decke an, ließ die Tränen einfach laufen. Die waren längst überfällig. Im nächsten Moment spürte ich, wie mich jemand in den Arm nahm. Ich wollte nicht, dass Seua mich in diesem miserablen Zustand sah, trotzdem nahm ich die tröstende Umarmung gerne an, schlang die Arme um ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Dann brach es aus mir heraus, aus den Tränen wurde ein Schluchzen. Ich war einfach überfordert mit dem Ganzen, Seua war für mich die einzige Konstante in diesem Chaos. Seine Hände fuhren mir über den Rücken, langsam konnte ich mich beruhigen. »Wir schaffen das schon, Cai«, flüsterte er und für einen Moment glaubte ich sogar daran. Am nächsten Tag war ich pünktlich am Set, umgezogen und bereit, wenn auch sehr müde, weil ich schlecht geschlafen hatte. Wie es der Zufall so wollte, drehten wir heute bei Nok zuhause und plötzlich fielen mir die Parallelen zur Serie auf. Ray stand zwar neben mir, aber er starrte nur auf sein Tablet. Mehrmals hatte ich versucht, ein Gespräch mit ihm anzufangen, doch hatte nur einsilbige Antworten bekommen. Sogar Noah bekam auf einmal ein Lächeln von ihm, obwohl er vor ein paar Tagen noch die Augen bei seiner Anwesenheit verdreht hatte. Der Einzige, der es schaffte, diese eisige Stimmung etwas aufzuwärmen, war Seua. Doch auch mit ihm sprach Ray kaum. Er musste seine Wut als Anstifter von mir auf sich nehmen. Ich kannte Ray seit fünf Jahren, so abweisend war er nie zu mir gewesen. Glücklicherweise musste ich mir nicht weiter darüber Gedanken machen, da ich endlich ans Set gebeten wurde. Wolfsherz – Szene 3 Ich trat mit dem Koffer durch den Eingang des Hauses, in dem Noks Familie wohnte. Wie bei vielen Häusern in Thailand waren wir durch ein Tor auf das Grundstück gekommen, der Eingang bestand aus verschiebbaren Fenstern. Seine Familie waren seine Mutter, sein Vater und seine kleine Schwester. Das Mentor-Programm sah vor, dass wir zwei Wochen in der Familie des Mentors verbrachten, um den thailändischen Alltag richtig kennenzulernen. Während ich mich total darauf freute, knetete Nok seine Hände, schien nicht allzu begeistert von dieser Idee. Seine Familie begrüßte mich freundlich, auch sie sprachen sehr gutes Englisch. »Herzlich willkommen, du bist Wolf richtig?«, seine Mutter faltete die Hände vor der Brust zum traditionellen Gruß. »Genau. Freut mich.« »Mein Name ist Suwa, du kannst mich aber auch »Ma« nennen. Das ist mein Mann Insi und meine Tochter Khau«, stellte sie sich und die anderen vor. Nach der Begrüßung ließ ich mir von Nok das Haus zeigen. Es war ein kleines, schickes Einfamilienhaus, bei dem Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer im Erdgeschoss waren, die Zimmer von Nok und Khau in der ersten Etage. Kurz bevor wir sein Zimmer betreten konnten, nahm P’Suwa mich zur Seite. Leise sagte sie: »Nok erzählt nie irgendetwas von der Uni. Ist denn alles in Ordnung?« Ich kannte ihn seit ein paar Wochen und fand, dass er schon Fortschritte gemacht hatte. Wir hingen zwar meistens nur mit Ying, Yang und Kraisee rum, aber zumindest mit ihnen sprach er. Ich wusste nicht, wie viel seine Eltern wussten, aber wenn sie wirklich gar nichts wussten, blieb ich lieber bei der harmlosen Variante. »Ja, es ist alles in Ordnung. Nok kümmert sich gut um mich und kommt auch an der Uni klar.« Ich hätte mich auch noch gerne mit ihr unterhalten, doch Nok zog mich in sein Zimmer. »Was hast du?«, fragte ich verwirrt. Bevor er antwortete, setzte er sich an den kleinen Tisch, der in der Mitte des Zimmers stand, wo er schon die Bücher hingelegt hatte. »Ich möchte einfach nicht, dass du mit meiner Mutter über mich oder die Uni redest.« Ich setzte mich dazu, doch sobald ich versuchte, ihn anzusehen, wandte er sich ab. »Wieso nicht?« »Du weiß doch wieso. Meine Eltern müssen nichts weiter wissen, solange meine Noten gut sind«, murmelte er vor sich hin. Ich wuschelte ihm durch die Haare, woraufhin er mich dann auch ansah. »Nok, du glaubst auch deine Eltern sind blöd, oder? Gerade die sollten dich am besten kennen. Ab jetzt kannst du ihnen auch genug erzählen.« »Na gut«, er nahm meine Hand von seinem Kopf. »Dann können wir uns jetzt an deine Hausaufgaben setzen.« Ich hatte keine Wahl, als tatsächlich meine Aufgaben zu machen, immer wenn irgendetwas drohte, mich abzulenken, reichte ein Blick von ihm. Du wirst schon noch sehen, Nok. Ich bin nicht hier, um zu lernen. Am nächsten Tag hatte P’Suwa uns angeboten, mit der ganzen Familie in den Zoo zu fahren. Bevor wir losgefahren waren, hatte ich es noch geschafft, sie heimlich zur Seite zu nehmen, um sie in meinen Plan einzuweihen. Ich konnte es kaum abwarten, Noks Reaktion zu sehen. Wir liefen gemeinsam durch den Zoo und ich hatte das Gefühl, dass Khau mich beobachtete. Schließlich fragte sie: »Wieso ausgerechnet Thailand, P’Wolf?« »Ich finde euer Land einfach spannend und man kann ein Land eben erst richtig verstehen, wenn man länger dort gelebt hat. Außerdem finde ich eure Sprache total cool. Mit meinem Mentor hier«, ich legte Nok eine Hand auf die Schulter: »..lerne ich die bestimmt auch ganz schnell.« Nok sah mich von der Seite an: »Wenn du deine Aufgaben machst, bestimmt. Dann sollte ich wohl ab jetzt nur noch Thai mit dir sprechen.« Spielerisch stieß ich ihn in die Seite: »Wenn du willst, dass ich gar nichts verstehe, dann gerne.« Khau lachte: »Ich sehe schon, dass du ein guter Einfluss für meinen Bruder bist, P’Wolf. Wenn ich die Möglichkeit hätte, in einem anderen Land zu leben, würde ich das bestimmt auch machen. Aber falls Nok mal wieder zu feige für irgendetwas ist, kannst du mich auch jederzeit fragen, P’Wolf.« »Khau!«, wurde sie direkt von ihrem Bruder ermahnt. Ich konnte mich nicht beklagen, Nok war zwar sehr zögerlich mit allem und brauchte seine Zeit, aber solange es eine Aufgabe war, würde er sie auf jeden Fall erfüllen. Später gab P’Insi uns ein Eis aus und es fühlte sich für mich an, als wäre ich mit meiner eigenen Familie unterwegs. Als wir am Gehege der Tiger standen, fragte P’Insi mich, was meine Eltern zu meinem Vorhaben gesagt hatten. »Anfangs waren sie nicht begeistert, aber sie haben mich in meinen Träumen immer unterstützt und finden es auch gut, dass ich es durchziehe. Außerdem ist es auch nicht für immer. Ich glaube, ein Jahr ist oft kürzer als man denkt.« »Das stimmt. Ich bin froh, dass sie dich unterstützen. Solange du hier bist, kannst du uns gerne als deine Eltern ansehen.« »Vielen Dank, Pa.« »Hast du denn auch Heimweh?« Nachdenklich beobachtete ich den Tiger, der mit einem Ast spielte. Immer wieder warf er den Ast hoch, so als würde er einen Zirkustrick machen. »Am Anfang ziemlich krass, muss ich sagen. Meistens wenn man nachts allein im Bett liegt. Aber sobald man Leute kennenlernt und die ganze Zeit was um die Ohren hat, geht’s finde ich.« »Das ist normal. Falls du irgendetwas brauchst, wende dich ruhig an uns«, freundlich lächelte er mich an. »Ich weiß das zu schätzen, wirklich.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nok auffällig in Hörweite stand, daher streckte ich mich, legte ihm einen Arm um die Schultern und zog ihn an mich, sodass er nach vorne stolperte. »Keine Sorge, ich erzähle Pa schon nichts Komisches über dich.« Er schüttelte sich, befreite sich aus meinem Griff und verschränkte die Arme. Khau kam dazu: »Wahrscheinlich ist er eifersüchtig.« Nok versuchte ihr die Hand auf den Mund zu legen, doch sie wich geschickt aus. »Eifersüchtig?«, hakte ich nach. Während Khau vor ihrem Bruder floh, sagte sie: »Weil du mehr mit unseren Eltern redest, als Nok in einem ganzen Jahr.« Auch wenn Khau ihn nur ein bisschen ärgern wollte, ging ihm das doch näher als gedacht. Ehe ich es realisieren konnte, stapfte er beleidigt davon, gab seine Versuche, seine Schwester ruhigzustellen, auf. Ich gab P’Suwa das vereinbarte Zeichen, dass ich meinen Plan umsetzen würde und lief ihm hinterher. Nok näherte sich schnellen Schrittes des Ausgangs. Als ich nach seinem Arm griff, schüttelte er mich ab. »Nok! Warte!« E war unglaublich schnell, ich hatte Schwierigkeiten, mitzuhalten. Ganz unvermittelt drehte er sich um und ich kam erst zum Stehen, als sich unsere Gesichter fast berührten. Die Wut, die in seinen Augen funkelte, machte mich atemlos. Als er mir in die Augen sah, wurde sein Blick sanfter. Was war das? Warum machte dieser Typ mich so verrückt? Ich hielt diese Spannung nicht länger aus und nahm ihn in den Arm. Hätte er mich eine Sekunde länger angesehen, wäre ich entweder ohnmächtig geworden oder hätte etwas sehr Dummes getan. Nok blieb einfach regungslos stehen. »Lass uns für eine Weile verschwinden«, flüsterte ich an seinen Nacken und sah, wie er Gänsehaut bekam. Hastig sprang er zurück: »Was?« Ich nahm einfach seine Hand und lief los. Erst in Richtung Ausgang, dann die Straße runter. Irgendwohin, es spielte keine Rolle. Nok sollte endlich mal was anderes sehen als seine Aufgaben, was anderes erleben als den Unterricht. Nok sollte endlich mal leben. Er hatte keine Wahl als mir zu folgen, erst wir einige Zeit gelaufen waren, blieben wir schweratmend stehen. Wir stützten die Arme auf die Beine, um erst einmal wieder zu Atem zu kommen. »Was hast du vor? Was ist mit meiner Familie?«, fragte er zwischen den Atemzügen. »Darüber machst du dir jetzt mal keine Gedanken, Nok. Wir machen nämlich unseren eigenen Ausflug.« »Und wohin?« »Keine Ahnung. Wir werden einfach hier die Straße entlanglaufen und wenn es was gibt, was wir machen wollen, dann machen wir das einfach«, erklärte ich ihm, nachdem ich wieder zu Atem gekommen war. Die Panik in seinen Augen war nicht zu übersehen. Hektisch kramte er sein Handy aus der Tasche. »Was ist mit Geld? Was ist, wenn wir nicht zurückfinden? Ich kenne mich hier nicht besonders gut aus..«, sagte er, ohne vom Display aufzusehen. Ich nahm ihm das Handy weg. »Das spielt alles keine Rolle. Und das Handy ist konfisziert.« Da Nok ein bisschen größer war als ich, wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, es mir wieder wegzunehmen, also steckte ich es in meine Hosentasche. Schmollend ließ er die Schultern sinken. Ich streckte ihm meine Hand hin: »Wenn du mir vertraust, gehen wir. Ansonsten kannst du jederzeit gehen.« Ich wollte ihn auch nicht zwingen, daher musste ich ihn wählen lassen. Zögernd nahm er meine Hand: »Also gut. Gehen wir.« Nok und ich liefen die Straße entlang, irgendwann ließ er jedoch meine Hand los und ich versuchte, darüber nicht enttäuscht zu sein. Zuerst gingen wir etwas essen, dann in die Spielhalle. Auch in Amerika hing ich öfter mit Freunden in solchen Hallen herum, an Noks großen Augen war jedoch leicht abzulesen, dass es für ihn das erste Mal war. Wir probierten ein paar Spiele aus, Nok schaffte es sogar, einen Plüschwolf aus einem Automaten zu bekommen. Danach setzten wir uns am Fluss auf eine Bank, um uns kurz auszuruhen. Nok betrachtete den Plüschwolf nachdenklich und seufzte. »Was ist los?« »Ach, ich habe einfach das Gefühl, dass ich kein guter Mentor bin, P’Wolf. Du kommst in ein fremdes Land, dessen Sprache du nicht verstehst und wo du niemanden kennst, trotzdem hast du sofort Freunde, verstehst dich mit allen und bewegst dich hier, als wärst du nie woanders gewesen. Eigentlich brauchst du mich nicht.« Ich hatte befürchtet, dass Nok irgendwann darüber nachdenken würde. Das durfte ich nicht zulassen. »Nok, ich mag mich schnell an neue Umstände gewöhnen, aber ich brauche dich trotzdem als Mentor und Freund. Wer hilft mir sonst mit den Thai-Hausaufgaben? Wer übersetzt mir sonst die Briefe der Uni, die in komischem Englisch verfasst sind? Wer erinnert mich sonst, meine Rechnungen zu bezahlen? Und wer ist mit mir befreundet und lässt sich auf meine komischen Pläne ein? Du! Nok, ich brauche dich mehr als du glaubst«, vorsichtig nahm ich seine Hände in meine, er sah mich an, hatte Tränen in den Augen. »Wirklich?«, hauchte er. »Ja.« Nok umarmte mich und ich erwiderte es. Jedes Mal überkam mich dabei dieses komische Gefühl. Ihn in den Armen zu halten, fühlte sich so verdammt gut an. »Danke, P’Wolf. Ich bin froh, dass es so ist«, flüsterte er und ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper. Ich sprang auf, um mich aus dieser Situation zu befreien. Dafür, dass er der Schüchterne sein soll, hat er mich ganz schön in Verlegenheit gebracht. So wie er da saß mit seinem Plüschwolf, sah er süß aus. Ich schüttelte mich. Was dachte ich denn? Nok durfte das niemals erfahren, wahrscheinlich würde er dann schreiend das Weite suchen. Verwirrt sah er mich an: »Alles okay, P‘?« Unsicher wedelte ich mit den Armen. Ach, wenn du wüsstest. »Ja, klar! Lass‘ uns weiter gehen.« Wir flanierte noch ein bisschen an der Straße entlang, bis ich heimlich den Rest der Gang, nämlich Ying und Yang per Textnachricht anwies, vor einem Gebäude zu warten. Auch sie hatte ich in den Plan eingeweiht, ich glaube zu spontan hätte ich mich das auch nicht getraut. Ich hoffte, dass meine nicht vorhandenen Schauspielkünste ausreichen würden, um Nok zu täuschen. Ying und Yang gaben sich überrascht. »Nok! P’Wolf! Schön euch hier zu treffen! Wollt ihr nicht mit zum Karaoke?« Natürlich sagte ich für uns zu und wir gingen rein, auch wenn ich bei Nok ein bisschen nachhelfen musste. Ursprünglich hatte ich geplant, für diesen Teil des Abends einfach jemanden anzuquatschen, um dazuzukommen, doch ich wollte Nok nicht auch noch mit Fremden überfordern. Im Karaokeraum waren die Mädels schon fleißig dabei Songs auszusuchen, während Nok sich in die Ecke setzte. Zunächst sangen nur wir drei, größtenteils waren es zum Glück englische Lieder, damit ich mitsingen konnte. Irgendwann zog Yang Nok nach vorne, ich gab ihm ein Mikrofon in die Hand. Dadurch, dass wir alle zusammen sangen und ihm offenbar nicht das Gefühl gaben, sich blamieren zu müssen, sang er schließlich auch mit. Dabei hatte ich ihn immer im Blick, wollte sichergehen, dass er nicht überfordert war. Nok schien ein bisschen aufzutauen, ich hatte den Eindruck, es machte ihm sogar Spaß. Später als nur noch Ying und Yang sangen, setzte ich mich zu ihm. »Und wie findest du es?« Das Leuchten in seinen Augen reichte mir fast schon als Antwort. »Es macht wirklich Spaß, P‘!« »Das ist schön.« Tatsächlich wurde es ziemlich spät, da wir alle sehr viel Ausdauer beim Singen hatten. Vor der Tür verabschiedeten wir uns, es war schon stockdunkel. Nok und ich gingen in Richtung Bushaltestelle. Mir ging es richtig gut, mein Plan war ein voller Erfolg gewesen, wir hatten die Zeit unseres Lebens gehabt. Da wir ohnehin auf dem Weg nach Hause waren, wollte ich ihm sein Handy wiedergeben, doch er lehnte ab. Statt zur Bushaltestelle lotste er mich zurück zum Fluss. »Du willst noch nicht zurück, Nok?« Sein Blick war schwärmerisch gen Himmel gerichtet, den Plüschwolf immer noch fest in der Hand. »Nein, wenn es ein Abenteuer sein soll, müssen wir auch fast den letzten Bus verpassen.« Ich war stolz darauf, dass sich meine Spontanität auch auf ihn übertrug. »Außerdem möchte ich dich was fragen, P’Wolf.« Ich wurde sofort hellwach, vor allem weil es sich um etwas handelte, wobei er mich nicht ansehen konnte. Stattdessen starrte er den Plüschwolf an. »Ja?« »Glaubst du es wäre schlimm, wenn man als Mann einen anderen Mann mag?« Ich musste erst einmal aus der Szene aufwachen. Tatsächlich stellte Nok hier die richtigen Fragen. Seua gab mir den Plüschwolf in die Hand, den ich an mich nahm. Als in Richtung Zelt ging, sah ich mich um, doch Ray war nirgends zu sehen. P’Amy ging gerade an mir vorbei, daher fragte ich sie. »Hast du Ray gesehen?« Sie stoppte mitten in ihrem Lauf: »Ray? Ja, ich glaube der ist schon zum Sender gefahren. Seua und du ihr solltet auch fahren. P’Star wollte mit euch reden. Achso und N’Cai?« »Ja?« Sie zeigte mir einen Daumen nach oben: »Heute hast du mir richtig gut gefallen. Man konnte nicht nur extrem gut die Verwirrung bei Wolf sehen, sondern auch wie er sich langsam verliebt. Das war sehr glaubwürdig.« Ich verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. Ich freute mich über das Kompliment, andererseits bildete sich in mir die Angst aus, dass es doch irgendwie etwas mit der Realität zu tun hatte. Während die anderen das Set abbauten, fuhr P’Joe mich und Seua zum Sender. Ich hoffte, dass ich mich endlich mit Ray aussprechen konnte. Dort angekommen lief ich mit Seua durch die Gänge, als ich plötzlich Rays Stimme hörte. Ich blieb plötzlich stehen, sodass er fast in mich reinlief. Gemeinsam sahen Seua und ich um die Ecke, dort an einer Säule vor dem Konferenzraum, in dem wir mit P’Star sprechen sollten, standen Ray und Noah? 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