How to save a life von Funkenherz (Midnight x Mt. Lady) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Langsam wachte die Blondine auf. Ihr Bett war gemütlich und die Bettwäsche angenehm weich und flauschig. Sie ließ sich die Zeit, noch einen Moment die Augen geschlossen zu lassen, den entspannten Start in den Tag zu genießen und ganz langsam wacher zu werden. Schließlich blinzelte Yu, gähnte leise und streckte sich. Sie fühlte sich wunderbar erholt und ausgeschlafen. Herrlich. Langsam realisierte sie, dass sie sich in dem Hotelzimmer befand, welches Nemuri und sie gestern noch angemietet hatten, um vorerst unterzutauchen. Und so wie es schien, musste es schon später Morgen sein, denn draußen war es bereits hell. Wobei das Licht irgendwie falsch wirkte. Anstatt dem gewohnten Sonnenschein, wirkte das Tageslicht heute ungewöhnlich violett, fast so, als hätte jemand das Fenster mit einer entsprechenden Folie überklebt. Yu runzelte die Stirn, wandte den Kopf in Richtung Fenster und blickte hinaus, da die Vorhänge bereits bei Seite gezogen waren. In der Tat wirkte der Himmel heute mehr violett als blau. Nicht so intensiv und unheilvoll wie gestern noch, aber normal waren diese Lichtverhältnisse ganz eindeutig nicht. Als die Badezimmertür sich öffnete, wandte Yu den Blick vom Fenster ab, rollte sich auf die Seite und schenkte ihre Aufmerksamkeit nun der Lehrerin, welche gerade den Wohnbereich des Hotelzimmers betreten hatte. "Na, endlich aufgewacht?", begrüßte Nemuri sie schmunzelnd. Ihre Augen funkelten amüsiert. "Du hast so tief geschlafen, die Einbrecher hätten dich aus dem Raum tragen können und du hättest es nicht gemerkt." "Morgen...", kam es noch etwas träge von Yu. Erneut gähnte sie. "Ich war eben müde." Sie setzte sich im Bett auf und streckte sich erneut, wobei sie inzwischen bereits wacher wirkte. "Wie spät ist es denn?" "Inzwischen fast 10:30 Uhr.", erklärte Nemuri ihr. Die Lehrerin hatte sich bereits umgezogen, hatte sich jedoch noch ein Handtuch über die Schultern gelegt, da ihre Haare nach dem Duschen noch nass waren. Schon fast 10:30 Uhr? Oh, na dann hatte sie heute wirklich lange geschlafen, befand die Blondine. Allerdings war es auch nicht so, dass sie in dieser Welt zu spät zur Arbeit kommen könnte, oder ähnliches. Sie konnte es sich folglich leisten. Dann jedoch stutzte sie, als sie sich daran erinnerte, worüber sie gestern Nachmittag gesprochen hatten. Sie erinnerte sich wieder daran, wie die Ältere aufgeschrien und sich vollkommen verstört zusammengerollt hatte, als es ihnen scheinbar tatsächlich gelungen war, noch einige weitere Bilder aus der Parallelwelt - ihrer Welt - in Nemuris Gedächtnis zu brennen. Dann, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte, hatte Yu von ihr wissen wollen, was genau passiert war, doch anstelle einer Antwort, hatte Nemuri ihre Quirk genutzt und sie in einen tiefen Schlaf versetzt. Sie hatte ihre Quirk genutzt. Über diese Tatsache stolperte die Profiheldin nun. Nemuri hatte ihre Quirk gestern nicht unbewusst, sondern ganz gezielt genutzt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sie hatte nutzen wollen und in einer Dosierung, die sie sofort ausgeschaltet hatte. Yu schlug die Decke zurück und stand auf. Einerseits war sie empört darüber, dass die Lehrerin sie gestern einfach so hatte einschlafen lassen, andererseits bedeutete dies doch auch... "Du hast mich gestern einschlafen lassen. Absichtlich!", stellte sie halb vorwurfsvoll, halb fassungslos darüber, das Nemuri dazu plötzlich in der Lage war, fest. So irritiert und überfordert, wie die Dunkelhaarige neulich noch in Bezug auf ihre Quirk gewesen war, glaubte Yu ausschließen zu können, dass Nemuri neulich gelogen hatte, als sie ihr gesagt hatte, dass sie keine Ahnung habe, was eine Quirk überhaupt sei. Angesprochene nickte. Die Lehrerin wirkte amüsiert darüber, aber gleichzeitig lag auch etwas anderes in ihrem Blick. Die Art und Weise, wie sie sie musterte, war anders. So liebevoll und irgendwie so, als betrachtete sie gerade eine ihr wichtige Person, die für eine lange Zeit verschwunden und nun wieder aufgetaucht war. "Das ist korrekt.", neckte Nemuri die Profiheldin, ohne sich dafür zu rechtfertigen. "Hey! Sag mal, was fällt dir eigentlich ein?!", regte Yu sich auf, fügte dann jedoch ruhiger und ernster hinzu: "Wie ist das überhaupt möglich? Du hast deine Quirk gestern ganz gezielt eingesetzt." Für einen langen Moment musterte Nemuri die Jüngere nur mit ihren intensiv blauen Augen. "Es ist möglich, weil ich mich wieder erinnere. An alles." Yus Augen weiteten sich. Nemuri erinnerte sich an alles? Was genau meinte sie damit? Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Fast schon hatte die Profiheldin das Gefühl, es würde ihr jeden Moment aus der Brust springen. Nemuri konnte doch unmöglich nur damit gemeint haben, dass sie sich ganz einfach genau daran erinnerte, wie sie ihre Quirk ganz gezielt nutzte. Und wenn sie von Erinnerungen sprach, meinte sie dann etwa...konnte es? Der Blondine schwirrte der Kopf. Ein Fünkchen Hoffnung war entflammt und breitete sich rasant in ihr aus, auch wenn Nemuri noch nichts bestätigt oder erklärt hatte... und der Gedanke, der ihr da eben gekommen war, eigentlich absolut unmöglich war. //Sei keine Idiotin. Das ist unmöglich.//, schalt sie sich in Gedanken selbst, um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und die bittere Enttäuschung, die gleich zweifelsohne eintreten würde, schon einmal etwas abzumildern. Wie kam sie überhaupt auf diesen Gedanken? Das war doch verrückt! Andererseits sagte ihr Bauchgefühl ihr... "An alles? Das musst du mir erklären, fürchte ich.", hörte sie ihre eigene Stimme krächzen. Nemuri ging auf sie zu, blieb vor ihr stehen und strich ihr mit einer Hand über die Wange. Der Blick der blauen Augen war so liebevoll und so vertraut. "Gestern war es so, als wäre ein Knoten geplatzt. Die Bilder in meinem Kopf, ergeben plötzlich Sinn, weil ich mich daran erinnere.", begann Nemuri zu erklären. Yu hatte das Gefühl, als hätte ein Lkw sie erwischt. Ihr logisches Denken hatte ausgesetzt. Sie hörte Nemuris Worte und war sich gleichzeitig doch nicht sicher, ob sie sie richtig verstanden hatte. Die Ältere sprach weiter und das alles fühlte sich so unwirklich an. Wie ein Traum, den sie so sehnlichst träumen wollte und aus welchem sie unter keinen Umständen aufwachen wollte... mit dem Wissen, dass jeden Moment der Wecker klingeln und es vorbei mit der Magie sein könnte. "Diese Bilder, nein viel mehr meine Erinnerungen, sind wieder da. Ich erinnere mich wieder an meine Vergangenheit in deiner Welt, die UA, die Zeit als Sidekick und meine Arbeit als Lehrerin." Während Nemuri sprach, füllten die Augen der Blondine sich mit Tränen. Sie konnte kaum glauben, konnte nicht fassen, was sie da hörte. Yu kniff sich in den Arm, doch der Schmerz war real, was bedeutete, dass dieses Gespräch hier ebenfalls die Realität sein musste. "Ich hatte die Erinnerungen an meine Schüler und an Freunde und Kollegen wie Eraser und Mic fast vergessen, aber nun ist der Nebel aus meinem Kopf verschwunden. Ich erinnere mich wieder. Klar und deutlich." Mit offenem Mund starrte Yu die Ältere an. Nemuri hatte die anderen Lehrer der Heldenschule namentlich erwähnt, aber in dieser Welt schien es sie nicht zu geben, was zwangläufig bedeuten musste... "...und an uns kann ich mich auch wieder erinnern.", hörte sie Nemuri gerade erklären. Der Blick der Größeren ruhte liebevoll auf ihr. Zwar kam Yu all das hier immer noch vor wie ein Traum und sie konnte kaum fassen, was Nemuri da gesagt hatte, doch sie wusste, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Auch wenn ihr Kopf nach wie vor, vor Fassungslosigkeit rauschte, der Strudel der maßlosen Verwirrung wurde von purer Freude zur Seite gedrängt. Im nächsten Moment fiel die Blondine ihrem Gegenüber auch schon um den Hals, so schwungvoll, dass Nemuri tatsächlich zwei Schritte zurückstolperte, ehe sie sich wieder fing. Yu umarmte die Ältere und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. "S-soll das etwa heißen, du bist die Nemuri aus meiner Welt? ...Meine Nemuri?", hakte die Blondine noch einmal nach. Ihre Stimme zitterte, während Yus Mimik Unglaube und pure Freude zugleich spiegelte. Sie schmiegte sich enger an die Lehrerin, verstärkte ihre Umarmung, fast so, als befürchtete sie, dass die Ältere sich im nächsten Moment in Luft auflösen könnte. Schließlich hob sie den Blick wieder. So dicht, wie Yu sich an Nemuri geschmiegt hatte, musste sie aus ihrer aktuellen Position ein wenig zu ihr aufsehen, um ihr richtig ins Gesicht zu blicken. "Wie ist das möglich?" Fassungslos wie sie war, klang ihre Stimme eher wie ein fremdgesteuertes Flüstern. Es dauerte einen Augenblick, bis Yu realisierte, dass sie es war, die die Frage gestellt hatte. Nemuri blickte in die ungläubigen, aber vor Freude strahlenden, rötlichen Augen. Die Augen der Kleineren spiegelten ihre Gefühle fast ungefiltert wieder, sodass die Mimik der Profiheldin in diesem Moment zu lesen war, wie ein offenes Buch. Umso schwerer fiel es der Lehrerin, zu einer Antwort anzusetzen. Sie strich der Blondine eine Strähne aus dem Gesicht, woraufhin diese die Wange an ihre Hand schmiegte. Zu niedlich, zumal sie Yu so anhänglich und anschmiegsam gar nicht kannte. "Es soll heißen das-", Nemuri brach ab und suchte nach den richtigen Worten für ihre Erklärung. "Es kann gut sein, dass du Recht hast und ich es wirklich bin. Aber sicher bin ich mir nicht. Die Erinnerungen an das Leben in deiner Welt sind vollständig wieder zurück, allerdings habe ich gleichzeitig auch Erinnerungen an das Leben in dieser Welt." Eine Tatsache, die sie selbst zutiefst verwirrte, zumal Nemuri nicht glaubte, dass es möglich war, dass zwei Existenzen mit einem Mal miteinander verschmolzen. "Bis gestern war ich mir sicher zu wissen wer ich bin. Das ist etwas, worüber man im Normalfall gar nicht nachdenkt. Nun allerdings... ich weiß nicht was es zu bedeuten hat, das ich Erinnerungen aus beiden Welten habe." Das Weltbild der Lehrerin stand Kopf, was man ihr kaum verübeln konnte. Normalerweise musste sich immerhin niemand Gedanken darüber machen, aus welcher Welt er nun stammte. Doch der Schmerz, der kurzzeitig in Yus Blick aufflammte, überschattete ihre eigene Verwirrtheit für den Moment. Es tat ihr leid, der Profiheldin nicht die Antwort geben zu können, die sie zweifelsohne hören wollte. Fast schon war Nemuri geneigt gewesen, einfach zu behaupten, ebenfalls aus dem Paralleluniversum zu stammen, einfach um die Kleinere glücklich zu sehen. Aber sie anzulügen, erschien ihr ebenfalls mehr als falsch. Sie wusste nicht, wer sie war und sie hielt es für das Beste, Yu gegenüber diesbezüglich mit offenen Karten zu spielen. "Du bist dir nicht sicher, wer du bist?" Die Blondine blickte zu der Lehrerin hoch. "Das muss schrecklich sein." Nemuri sah der Jüngeren an, dass diese versuchte ihren eigenen Schmerz zu überspielen. Sie tat ihr leid, denn wenn sie ihre Erinnerungen richtig deutete, dann glaubte sie zu wissen, wie Yu und sie in der Parallelwelt getrennt worden waren. "Es ist wahnsinnig verwirrend, nicht zu wissen wer ich bin.", gab sie zu. Die Lehrerin zog ihre Gesprächspartnerin mit sich und setzte sich schließlich auf die Bettkante, um nicht die ganze Zeit über im Zimmer herumzustehen. Yu tat es ihr gleich. "Es tut mir leid, dir keine andere Antwort geben zu können." Und dies meinte Nemuri tatsächlich genauso wie sie es sagte. Sie suchte direkten Blickkontakt und wirkte ernst und nachdenklich zugleich. "Aber von diesem Problem mal ganz abgesehen, gibt es etwas, das ich unbedingt wissen muss." Yu blinzelte. Ganz offensichtlich versuchte sie sich auf das Gespräch zu konzentrieren, blickte die Ältere aufmerksam an und legte leicht fragend den Kopf schief. "Es geht um mein Ich aus deiner Welt.", begann Nemuri und wählte diesen Begriff der Einfachheit halber. "Ich kann mich an alles erinnern. Die Bilder sind ganz klar und deutlich. Auch die, an die große Schlacht." "Du kannst dich an die Schlacht von vor ein paar Wochen erinnern?", japste die Profiheldin sichtlich erschrocken. Nemuri nickte und fuhr fort. "Ja, kann ich. Es haben wahnsinnig viele Helden und Schurken gegeneinander gekämpft. Ein heilloses Chaos und dann auch noch dieses riesige Monster." Allein schon, wenn sie sich diese Bilder wieder ins Gedächtnis rief, bekam sie beinahe eine Gänsehaut. Yu schien es ähnlich zu gehen. Das ihr das Gesprächsthema ganz und gar nicht gefiel, war der Profiheldin zudem deutlich anzusehen. Sie rückte unbehaglich auf der Bettkante herum. Was für ein wunder Punkt die Schlacht für die Blondine war, hatte Nemuri neulich ja schon mitbekommen. Seit gestern glaubte sie allerdings auch zu wissen, was genau es war, was die Jüngere ganz besonders traumatisiert hatte. Gerne hätte sie es Yu erspart weiter nachzubohren und Salz in die Wunde zu streuen, doch es war zu wichtig, als das Nemuri das Thema hätte aussparen können. Da gab es etwas, was sie unbedingt in Erfahrung bringen musste und diese Frage konnte nur die Profiheldin ihr beantworten. "Ich weiß, dass ich während des Kampfes von den anderen getrennt worden bin. Ich sehe Bilder von mir, wie ich verletzt auf dem Boden liege, unfähig aus eigener Kraft aufzustehen. Da war dieser Schurke, der auf mich zukam und letztlich zum Schlag ausgeholt hat." Kurz hielt sie inne. Yu konnte sich allem Anschein nach schon denken, welche Frage Nemuri ihr stellen wollte. Die Augen der Blondine schimmerten feucht, doch sie blinzelte die aufsteigenden Tränen tapfer fort. "Bin ich...?", begann Nemuri, brach jedoch ab. "Nein, viel mehr: ich bin in dieser Schlacht gestorben, oder? Dieser Schurke hat mich getötet." Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, da sie sich bereits ziemlich sicher war, wie die Antwort ausfallen würde. Dennoch wollte sie diesen Fakt, ihren eigenen Tod, noch einmal bestätigt haben. Yu blickte sie entsetzt an. Sämtliche Farbe war aus dem Gesicht der Profiheldin gewichen, ehe sie kaum merklich nickte. Schließlich ballte sie die Hände zu Fäusten und wandte den Blick ab. "Ja, bist du.", antwortete sie ihr. "Es war niemand bei dir, der dich hätte beschützen können. Ich habe es erst nach der Schlacht im Krankenhaus erfahren." Ihre Stimme zitterte. "Es tut mir so leid, dass ich nicht da war um dich zu beschützen, als du mich gebraucht hast!" Nemuri griff nach einer Hand der Profiheldin und drückte diese leicht. "Aber das ist doch nicht deine Schuld!", widersprach sie heftig. "Jeder von uns wusste, worauf er sich bei dieser Schlacht einlässt.", hielt sie ihr vor Augen. "Zumal du damit beschäftigt warst, gegen dieses Monster zu kämpfen." Yu schüttelte den Kopf. "Gegen das ich letztlich auch nicht wirklich etwas ausrichten konnte.", kam es zerknirscht von ihr. "Aber letztlich müsst ihr diesen Gegner doch bezwungen haben, sonst ständest du heute wohl kaum hier, oder?" Die Blondine zog eine Grimasse. "Zum Glück.", bestätigte sie. "Das Schlafmittel hat irgendwann gewirkt." "Na immerhin." Nemuri seufzte, schloss die Augen und massierte sich kurz die Schläfen. Auch wenn sie dieses Gespräch gefasster führen konnte als Yu, die so aussah, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, wirbelten die eben gewonnenen Informationen auch die Lehrerin ziemlich auf. Es stimmte also wirklich. Sie war in der Parallelwelt gestorben. Was für ein seltsames Gefühl. Selbst, wenn sich herausstellen sollte, dass die Nemuri aus Yus Welt nur eine Art Spiegelbild von ihr war, war es seltsam zu wissen, dass sie tot war. Sich an den eigenen Tod auch noch erinnern zu können, obwohl sie nun lebendig hier saß, fühlte sich erst recht surreal an. "Das ist ganz schön heftig.", räumte die Dunkelhaarige ein. "Irgendwie fühlt es sich komisch an, mich an den eigenen Tod erinnern zu können, zumal ich nicht weiß, ob es wirklich mein Tod war, oder der meines Spiegelbildes aus deiner Welt." Yu rückte ein wenig näher zu Nemuri heran, sodass ihre Oberarme sich berührten, während sie weiterhin auf der Bettkante saßen und Löcher in die Luft starrten. Die Stimmung war gedrückt und absolut surreal zugleich. Die Tatsache, dass der Himmel im Hintergrund noch violetter und dunkler geworden war, passte da nur zu gut ins Bild, fast so, als würde das seltsame Wetter die eigene Stimmung wiederspiegeln. "Als ich vor ein paar Tagen hier in dieser Welt gelandet bin, war ich erst einmal verwirrt, was genau passiert war. Aber als ich dir an diesem Abend begegnet bin, habe ich es fast nicht glauben können.", ergriff Yu das Wort. "Es hat sich angefühlt wie in einem wirren Fiebertraum. Einerseits war ich überglücklich, dich gesund und munter wiederzusehen, andererseits wusste ich, dass das eigentlich gar nicht möglich sein konnte, sodass ich angefangen habe an meinem eigenen Verstand zu zweifeln." Sie spielte mit einer der gewellten, hellblonden Haarsträhnen. "Ich weiß, dass es nicht fair und wahnsinnig egoistisch ist, mir zu wünschen, dass du die Nemuri aus meiner Welt bist. Für den Fall, dass du es nicht bist, meine ich...", begann sie das auszusprechen, was sie gerade dachte und was sie die ganze Zeit über schon beschäftigte. Plötzlich blinzelte Yu, sah auf und sah so aus, als habe sie eine neue Erkenntnis erlangt. Nemuri zog fragend eine Augenbraue hoch. "Für den Fall, dass du wirklich die Nemuri aus meiner Welt sein solltest, könnte es nicht sein, dass das hier das Jenseits ist? Ich meine, als ich in meiner Welt das Haus verlassen habe, habe ich mich noch äußerst lebendig gefühlt, aber passieren kann schnell etwas. Vielleicht hatte ich einen Unfall und habe gar nicht gemerkt, dass ich auch-" "Das ist zwar einen Gedanken wert, aber es ist ziemlicher Quatsch.", unterbrach Nemuri die Jüngere. Diese blinzelte sie fragend an. "Ich habe es dir noch gar nicht erzählt, aber als diese Nomu mich gestern in der Schule verfolgt haben, hat eins von ihnen gesprochen." "Die Viecher können sprechen?", hakte Yu nach und schaute ungläubig drein. "Das ist ja jetzt wohl nebensächlich! Hör mir gefälligst zu!", blaffte die Lehrerin. "Hey, jetzt zick mich nicht so an!", empörte die Blondine sich sofort. Nemuri musterte sie für einen Moment, fuhr ihr Temperament dann jedoch wieder herunter und schüttelte nur leicht den Kopf. Sie sparte es sich, weiter darauf einzugehen, immerhin hatten sie im Moment wirklich wichtigeres zu klären, als das Gespräch in einen belanglosen Streit abdriften zu lassen. "Dieses Monster hat zumindest zu mir gesagt :Tod derer, die nicht hier her gehören." "Tod derer, die nicht hier her gehören...", wiederholte Yu noch einmal, nun deutlich verwirrt. Zwar hatte der Nomu auch noch verlauten lassen, dass ein Blutopfer das Gleichgewicht wieder herstellen würde, doch dies erwähnte Nemuri nun lieber nicht. "Ich wusste mit diesen Worten gestern nichts anzufangen, aber aus heutiger Sicht könnte es einerseits bedeuten, dass ich tatsächlich aus deiner Welt stamme und Lebende, also du, an diesem Ort hier nichts zu suchen haben, oder aber ich stamme aus eben dieser Welt und du bist aus der Parallelwelt hier gelandet, was diesen Monstern nicht gefallen hat." Yu ließ diese Überlegungen erst einmal einen Moment sacken und dachte darüber nach, ehe sie wieder das Wort ergriff. "Also glaubst du, dass entweder Lebende an diesem Ort hier nichts zu suchen haben, oder aber Zeitreisende aus der Parallelwelt." Sie zog eine Grimasse. "Gott, das klingt alles so falsch!" Schließlich verschränkte die Blondine die Arme vor der Brust. Immerhin davon, kurz zuvor noch einmal über die Schlacht sprechen zu müssen, schien sie sich soweit wieder erholt zu haben. "So oder so haben diese Viecher ein Problem mit mir, wie es klingt." Sie zuckte mit den Schultern. "Aber das dürfte sich erledigt haben. Ich erinnere daran, dass ich die Nomu gestern besiegt habe." Nun klang ihre Stimme schon fast ein wenig hochmütig. Nemuri schmunzelte schief. "Das hast du wohl.", bestätigte sie, wurde dann jedoch wieder ernster. "Aber diese Kreaturen sind so plötzlich und wie aus dem Nichts aufgetaucht. Es ist nicht auszuschließen, dass es noch mehr von denen gibt." "Wenn das der Fall ist, dann besiege ich diese Nomu eben auch noch.", kam es selbstsicher von Yu. "Wie gesagt, ich bleibe in deiner Nähe um auf dich aufzupassen und die Nomu, die hier in dieser Welt aufgetaucht sind, können von der Stärke her den Nomu aus meiner Welt wahrlich nicht das Wasser reichen." Skeptisch musterte Nemuri sie. "Hochmut kommt vor dem Fall, das weißt du?" "Was willst du damit sagen?!", kam es wenig erfreut von der Profiheldin. Die Lehrerin verdrehte die Augen. "Egomanin.", murrte sie nur vor sich hin. "Aber das führt gerade zu nichts. Das, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass es sich bei diesem Ort hier eher nicht um das Jenseits handeln kann. Und selbst wenn, die Worte der Nomu schließen zumindest aus, dass du tot bist." Einen Moment lang dachte Yu darüber nach, dann nickte sie. "Mag sein. Dann stellt sich mir allerdings trotzdem die Frage, wie wir herausfinden, wer genau du nun bist." Die Profiheldin konnte sich vorstellen, dass Nemuri diese Frage ebenso quälte, wie sie selbst. Zu Yus Überraschung wirkte die Ältere jedoch gar nicht so ratlos, wie sie es in Anbetracht der Situation vermutet hätte. "Vielleicht habe ich eine Idee, wie sich das klären lässt." Die Blondine legte den Kopf schief. "Wie meinst du das?" "Während du geschlafen hast, habe ich mir die ganze Zeit über den Kopf darüber zerbrochen, wer ich bin und wie ich die Wahrheit herausfinden könnte. Das mich so etwas nicht loslässt, ist immerhin kaum verwunderlich, oder?" Schließlich angelte die Lehrerin ihr Handy vom Nachtschränkchen neben dem Bett. "Ich will meinen Kollegen aus dieser Welt ein paar Fragen stellen. Vielleicht bringt das ja den ersehnten Durchbruch." "Also willst du bei der Schule vorbeisehen, um mit ihnen zu reden?", wollte Yu wissen. "Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, nach dem, was gestern passiert ist." Nemuri verdrehte die Augen. "Du bist wirklich naturblond, Süße.", spöttelte sie. "Hey! Was soll das denn heißen?!", maulte die Profiheldin gleich los. "Das ich meine Kollegen natürlich nicht in der Schule aufsuche, sondern anrufe, was denn sonst?" Wenig später, in der Schule sollte es gerade zur zweiten Pause geläutet haben, wählte Nemuri in der Tat die Handynummer eines Kollegen, mit dem sie auch privat befreundet war. Sie hatte das Handy auf lauthören gestellt, sodass Yu das Gespräch ebenfalls direkt mitbekommen würde, immerhin ging sie dies beide etwas an. Die Jüngere hatte sich seitlich aufs Bett fallen lassen, blickte sie gespannt an und wartete. Auch Nemuri selbst konnte nicht leugnen, dass dieses Gespräch äußerst spannend werden würde. Im Normalfall zerbrach sie sich nicht den Kopf darüber, spontan Personen anzurufen, mit denen sie befreundet war, doch diesmal ging es hier um etwas. Ihre Hände waren schweißnass. "Kayama? Bist du das?", meldete sich nach kurzer Zeit die vertraute Stimme Ootoris zu Wort. "Wer sonst? Ist in der Schule alles in Ordnung?" "Schon...bis auf die Tatsache, dass gestern Teile des Gebäudes und des Schulhofs zerstört wurden.", antwortete ihr Kollege verblüfft, ehe er mit deutlich besorgterer Stimme hinzufügte: "Ist denn bei dir alles in Ordnung? Ich meine, du bist gestern zusammen mit dieser Riesin abgehauen." "Natürlich ist hier alles in Ordnung. Yu und mir geht es gut.", antwortete die Lehrerin ihrem Kollegen. "Yu und dir? Heißt das, ihr seid noch gemeinsam unterwegs?", hakte Ootori nach. "Kayama, die Frau ist gefährlich! Sieh dir nur mal an, was sie gestern mit dem Schulhof angestellt hat!" Nemuri konnte beobachten, wie Yus Gesichtszüge schlagartig etwas Empörtes bekamen. Die Profiheldin öffnete bereits den Mund, um zu protestieren, doch die Ältere gab ihr mit einer Geste zu verstehen, jetzt ruhig zu sein. Auch wenn sie die Blondine nur zu gut verstehen konnte. "Sie ist ganz sicher nicht gefährlich!", stellte Nemuri daher entschieden klar. "Sie hat mich gestern vor diesen Monstern gerettet und die restlichen Anwesenden auch, wenn ich mal daran erinnern darf." "Mag schon sein, aber welcher normale Mensch kann sich urplötzlich und einfach so in einen Riesen verwandeln?!" Yamamuras Stimme klang fassungslos. Nemuri stutzte. "Yamamura? Du bist auch da?", wollte sie wissen. "Ja, er ist hier bei mir. Als ich gesehen habe, dass du anrufst, habe ich das Handy auf lauthören gestellt.", erklärte Ootori rasch. Nun, nicht das es die Dunkelhaarige störte. So könnte sie gleich ihre beiden Kollegen fragen, was ihr unter den Nägeln brannte. "Zu erklären, wie das möglich ist, würde jetzt entschieden zu lange dauern.", befand Nemuri. "Aber hört mal ihr beiden, ich rufe eigentlich wegen etwas ganz anderem an." "Ach ja?" Yamamuras Stimme klang recht nah, weshalb die Lehrerin vermutete, dass ihre Kollegen aktuell beide unmittelbar vor Ootoris Handy klebten. "Du bist heute Morgen nicht zur Arbeit gekommen. Vielleicht solltest du herkommen, damit wir in Ruhe reden können. Unter 6 Augen.", schlug Ootori vor. Nemuri verdrehte die Augen, auch wenn ihre Kollegen am anderen Ende der Leitung diese Geste nicht sehen konnten. Yu wirkte inzwischen deutlich angesäuert, weshalb sie ihr beschwörend eine Hand auf den Oberarm legte und leicht zudrückte, um sie dazu zu bringen ruhig zu sein. "Das geht derzeit nicht. Aber beantwortet mit lieber eine ganz andere Frage. Seit wann genau kennen wir uns?" Einen Moment lang herrschte Schweigen. Nemuri meinte die Verwirrung ihrer Kollegen beinahe spüren zu können. "Eh? Was ist das denn für eine Frage? Sicher, dass bei dir alles in Ordnung ist, Kayama?", wollte Ootori schließlich wissen. "Ja, bei mir ist alles in Ordnung.", stellte die Dunkelhaarige nachdrücklich fest. "Also Jungs, seit wann kennen wir uns?" "Seit äh...", meldete Yamamura sich zu Wort, dachte kurz nach und antwortete schließlich: "Seit knapp vier Wochen, glaube ich. Noch nicht ganz, aber bald sollten es vier Wochen sein." Nemuri glaubte sich verhört zu haben. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte das Gefühl, die anderen Lehrer schon ewig zu kennen und nun behauptete Yamamura, dass sie sich gerade einmal seit vier Wochen kannten? "Was? So kurz erst? Bist du dir da ganz sicher?", hakte sie nach. "Ja, ziemlich sicher sogar...." "Und...seit wann unterrichte ich in dieser Schule?" Ihre Zunge fühlte sich wie taub an, als sie diese Frage stellte. Das alles war so unwirklich, auch wenn sie den Anruf in erster Linie getätigt hatte um herauszufinden, wer genau sie war. "Na seit knapp vier Wochen. Seitdem kennen wir uns auch.", mischte Ootori sich ein. "Zugegeben, es fühlt sich wirklich schon länger an. Als du bei uns angefangen hast, hast du kein bisschen gefremdelt. Du hattest von Anfang an keinerlei Probleme mit den Schülern und hast uns behandelt, als würden wir uns schon ewig kennen und als wären wir alte Freunde." "Ja, mir kommt es auch so vor, als würden wir uns schon viel länger kennen. Eine neue Kollegin, die einfach da ist und sich von Tag eins so problemlos ins Schulleben und in den Kollegenkreis integriert, sieht man schließlich nicht oft." "Vor knappen vier Wochen also...", murmelte Nemuri vor sich hin und ließ die Hand, mit der sie das Handy hielt, ein Stück weit sinken. Yus und ihr Blick trafen sich. Auch die Blondine blickte sie mit ungläubigen, geweiteten Augen an. "Was ist denn los mit dir, Kayama? Da stimmt doch irgendetwas nicht?", hakte Ootori erneut nach. "Doch...doch, alles in bester Ordnung. Danke euch beiden, Jungs. Hört zu, ich muss jetzt auflegen. Ich rufe nachher nochmal an." Ihre Kollegen schienen am anderen Ende der Leitung noch etwas sagen zu wollen, doch da hatte Nemuri den Anruf auch schon beendet und ließ das Handy neben sich aufs Bett fallen. "Vor fast vier Wochen...", begann sie. "Vor fast vier Wochen bist du in meiner...unserer Welt gestorben.", ergänzte Yu den angefangenen Satz mit krächzender Stimme. Nemuri brachte lediglich ein schwaches Nicken hervor. Das war...wow.. Nun hatte sie zwar die Gewissheit, dass sie sich selbst erst seit etwa einem Monat hier in dieser Welt befand, dennoch schwirrte ihr erneut der Kopf. Es kam nicht jeden Tag vor, erst daran zu zweifeln wer man wirklich war und dann zu erfahren, dass die meisten Erinnerungen aus dieser Welt Einbildung sein mussten, um sich selbst besser in den hier herrschenden Alltag einzugliedern. Yu rückte näher an die Lehrerin heran. Sie hob das Handy auf und legte es zurück auf das Nachtschränkchen, dann griff sie nach der Hand der Älteren und hielt diese sanft in ihrer. "Dem, was die beiden sagen nach zu urteilen, musst du unmittelbar nach dem, was in unserer Welt geschehen ist, hier gelandet sein.", durchbrach die Blondine die Stille. Weiterhin fiel es ihr schwer den Tod ihrer Freundin in irgendeiner Form anzusprechen, auch wenn sie sie nun wieder hatte. Beiden Frauen schwirrte der Kopf. Während Nemuri versuchte, das eben in Erfahrung gebrachte zu verstehen und wirklich zu realisieren, konnte Yu es kaum fassen, dass diese Nemuri von Anfang an ihre Nemuri war, kein Spiegelbild oder ähnliches. "Es sieht ganz so aus.", stellte die Lehrerin noch etwas stockend fest. "Das heißt dann auch, dass es von Anfang an kein Spiegelbild von mir gab. Ich bin nur irgendwie hier gelandet. Nach meinem Tod. Das klingt...vollkommen verrückt." Natürlicherweise konnte sie es noch immer kaum fassen. Die blonde Profiheldin nickte leicht. "Das erklärt auch, warum du mir auch charakterlich von Anfang an nicht fremd vorgekommen bist." "Stellt sich nur die Frage, was das hier für ein Ort ist. Was nun mit mir ist. Ich meine...bin ich wirklich gestorben, oder bin ich irgendwie hier her gelangt und lebe noch?" Eine weitere Frage, die mehr als unwirklich klang und über die im Normalfall niemand nachdenken musste. Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. "Ich meine, ich fühle mich eigentlich ziemlich lebendig. Mein Körper ist warm, ich fühle mich unverändert und wenn ich mich hier in dieser Welt verletze, tut es weh. Heißt es nicht eigentlich, dass Tote keine Schmerzen empfinden würden?" Die letzte Frage murmelte die Lehrerin eher vor sich hin und erwartete keine Antwort darauf. Bisher war immerhin noch niemand aus dem Jenseits zurückgekehrt, der eine Antwort auf diese Frage gehabt hätte. Und Yu konnte es erst recht nicht wissen. Die Profiheldin schmiegte sich dicht an sie und zog sie in eine Umarmung. "Ich weiß es nicht, aber wenn du dich lebendig fühlst... und diese Welt hier ist auch so real." Sie schniefte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Ich will einfach daran glauben, dass du lebst. Es muss so sein.", befand sie schließlich entschieden. Die Blondine reckte sich zu der Älteren hoch und küsste sie direkt auf die Lippen. Innig und, nicht wie sonst, ohne jede Scheu. Kurz stutzte Nemuri. Ihr schwirrte noch so der Kopf, dass sie eigentlich ein wenig Zeit für sich benötigt hätte. Die Nähe zu der Kleineren war ihr in diesem Moment fast schon zu viel, andererseits konnte sie nur zu gut verstehen, wie Yu sich aktuell fühlen musste. Wäre sie in Yus Lage, sie würde ihrer Freundin nun mit Sicherheit auch nah sein wollen. Zumal die Blondine sich angenehm warm anfühlte und ihre Umarmung sich irgendwie richtig anfühlte. Sie war zu niedlich. Nemuri schloss die Augen und erwiderte den Kuss schließlich, wobei sie Yu noch etwas näher zu sich zog. "Seit diesem schrecklichen Tag, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dich wiederzusehen und wieder bei dir sein zu können.", nuschelte Yu gegen Nemuris Hals. Die beiden Frauen lagen jeweils seitlich auf dem Bett, hielten sich in den Armen und genossen die Nähe zu der jeweils anderen. Einige Minuten lang hatte ganz einfach Schweigen geherrscht. Die Anwesenheit der jeweils anderen war genug. Während Nemuri langsam zu realisieren begann, was es bedeutete, dass sie ebenfalls aus der Parallelwelt stammte und irgendwie hier gelandet sein musste, hatte Yu das Gefühl, vor Freude fast zu platzen. Nemuris Tod hatte sich daheim, in ihrer Welt, unerträglich angefühlt. Ihre Freundin hatte eine riesige Lücke in ihrem Leben hinterlassen und das Schlimmste war, dass sie mit niemandem wirklich frei darüber hatte reden können. Edge Shot und Kamui Woods hatten zwar durchaus mitbekommen, wie angeschlagen ihre Kameradin nach der großen Schlacht war und eventuell hatten sie sogar eine ungefähre Vorstellung davon, was genau es war, dass für Yu schier unerträglich gewesen war, doch wirklich offen hatten sie nie darüber geredet. Sie hatte ihren beiden Teamkameraden nie wirklich erzählt, dass sie begonnen hatte mit der Lehrerin auszugehen und was sie für sie empfand. Natürlicherweise hatte die Profiheldin nicht damit gerechnet, die Ältere je wiederzusehen, doch nun... das hier fühlte sich alles so unwirklich an. Wie ein Traum, der zu schön war um wahr zu sein. Auch wenn dieser Traum ebenfalls beinhaltete, dass sie von jetzt auf gleich sowohl aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen, als auch von Familie und Freunden getrennt worden war und ihren Beruf nicht länger ausüben konnte, da es in dieser Welt keine Superhelden gab. Dennoch war die einzige Tatsache, die gerade für Yu zählte, dass sie Nemuri zurück hatte. Das Heimweh würde sich noch früh genug wieder einstellen, doch für den Moment war sie einfach überglücklich. Wäre es nach der Profiheldin gegangen, sie hätten den ganzen Tag über so liegen bleiben und die Umarmung der Dunkelhaarigen genießen können. Nemuri streichelte ihr sanft über den Rücken. Yu hatte die Augen geschlossen und genoss die derzeitige Situation ganz einfach nur. Ab und an musste sie dennoch blinzeln, um sich davon zu überzeugen, dass Nemuri auch wirklich hier bei ihr war und sie sich das alles nicht einbildete. Ein leises Grollen störte die Idylle. Kurz nach dem Grollen begann die Erde geringfügig zu beben. Kein so starkes Erdbeben wie neulich, lediglich ganz schwach. Es reichte gerade einmal, um es überhaupt wahrzunehmen und die Flaschen in der Minibar leise klirren zu lassen. Nemuri öffnete die Augen und sah auf. "Ein Erdbeben? Schon wieder?" Auch die Blondine blinzelte. "Scheint ganz so. Aber es ist schwächer als das Beben neulich." "Keine Frage." Dennoch drehte die Lehrerin sich in Richtung Fenster, was ihr ein unwilliges Murren von Yu einbrachte. "Es hat schon wieder aufgehört.", stellte die Jüngere fest, blickte schließlich ebenfalls in Richtung Fenster und zog die Stirn kraus. "Dafür ist der Himmel noch violetter als in den letzten Tagen." Fast wie um ihre Worte zu verdeutlichen, zuckte ein einzelner Blitz am Himmel entlang. "Diese Naturphänomene häufen sich scheinbar von Tag zu Tag mehr.", stellte Nemuri fest. Weder Yu noch sie selbst hatten gerade wirklich große Lust, sich über das seltsame Wetter den Kopf zu zerbrechen und somit die Stimmung zu ruinieren, doch als Nemuri wieder in den Sinn kam, was der Nomu zu ihr gesagt hatte, konnte sie dies nicht länger ausblenden. Ob gerade passend oder nicht, sie musste das Thema einfach ansprechen. "Ich habe dir doch erzählt, was dieser Nomu gestern gesagt hat. Tod derer, die nicht hier her gehören.", begann sie. "Was ist, wenn eine von uns, oder aber wir beide, wirklich nicht hier her gehören und diese Phänomene in Zukunft nur noch stärker werden?" Kurz dachte Yu darüber nach, auch wenn man ihr ansah, dass sie auf dieses Gedankenspiel keine besondere Lust hatte. "Wenn das Wetter damit zusammenhängt, das wieder neue Nomu hier auftauchen, trete ich ihnen wieder gehörig in den Hintern, das habe ich dir doch schon gesagt.", stellte sie fest. Nemuri seufzte. "Mag ja sein, dass du das tust und ich werde dir dabei helfen, aber nur diese Nomu zu besiegen, dämmt die Blitze und Erdbeben nicht ein." "Das stimmt schon." Yu setzte sich im Bett auf. "Aber was sollen wir dagegen tun? Gegen das Wetter sind wir machtlos, egal ob Helden oder nicht." "Soweit war ich auch schon." Die Lehrerin verdrehte die Augen. Das sie so einfach nichts gegen das Wetter ausrichten konnten, war ihr klar. "Aber denken wir jetzt mal weiter. Was ist, wenn diese Naturphänomene gehäuft auftreten, weil wir wie Fremdkörper in dieser Welt sind und sie versucht uns abzustoßen?" Yu zog ein Gesicht, während sie darüber nachdachte. "Das wäre zugegebenermaßen ein echtes Problem, aber gleichzeitig auch nichts, gegen das wir etwas unternehmen könnten. Ich meine, gegen das Wetter sind wir machtlos und eine Tür, durch die wir bequem zurück in unsere Welt spazieren können, habe ich hier noch nicht entdeckt, um dich daran zu erinnern." "Hey, nimm das Thema gefälligst nicht auf die leichte Schulter!", ermahnte Nemuri sie streng, ehe sie fortfuhr: "Das ist eine reine Spekulation, aber mal angenommen es gäbe einen Weg zurück, was würdest du tun?" Die Blondine blinzelte und schüttelte dann den Kopf, als hätte die Ältere sie gerade eine extrem dumme Frage gefragt. "Naja, ich würde trotzdem hierbleiben, was denn sonst?" Nun war es an Nemuri ihre Freundin überrascht anzuschauen. "Eh? Warum denn das?" "Na denk doch mal nach.", begann Yu. "Es kann schon sein, dass ich durch eine Art Tor unbeschadet zurück in unsere Zeit käme, aber was ist mit dir? Wenn wir zusammen durch dieses Portal gehen würden, das so vermutlich eh nicht existiert, ist vollkommen unklar, was dann aus dir werden würde. Du existierst hier in dieser Welt, aber in unserer Welt bist du gestorben. Was, wenn nur ich auf der anderen Seite ankäme?!" Nemuri starrte die Blondine einige Augenblicke lang an. Einerseits war Yus Überlegung durchaus logisch und sie verstand sie, andererseits... sollte eine Profiheldin so denken? "Du meinst, du würdest es nicht riskieren und gemeinsam mit mir hierbleiben, auch wenn es diese Welt gegebenenfalls in Gefahr bringt?" Yu griff nach den Handgelenken der Älteren. Ihre rötlichen Augen blickten sie eindringlich und gequält zugleich an. "Wir haben uns gerade erst wiedergefunden. Wie könnte ich dann allein zurückreisen, oder aber dich in Gefahr bringen? Mal ganz davon abgesehen, dass es so ein Tor vermutlich eh nicht gibt." "Du bist Profiheldin, Yu.", erinnerte Nemuri sie. "Ja, das weiß ich.", kam es entschieden von der Jüngeren. "Und ich habe geschworen, dich diesmal zu beschützen." "Bei deinem Heldenexamen hast du unter Eid geschworen, die Bevölkerung unter Einsatz deines Lebens zu beschützen und persönliche Belange nicht über das Wohl der Allgemeinheit zu stellen." Die Lehrerin konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bei diesen Worten ärgerlich klang. Sie wusste selbst, wie unfair und schwer so eine Entscheidung war. Ihr selbst würde so etwas auch nicht leicht fallen und doch... in ihrer eigentlichen Welt hatte sie gewusst, nach welchen Prinzipien sie zu handeln hatte und hatte dies sogar den Heldenschülern Jahr für Jahr beigebracht. Eine selbständige Profiheldin nun so reden zu hören, fühlte sich nicht richtig an, auch wenn sie bis zu einem gewissen Grad natürlich auch Verständnis für ihre Freundin hatte. "Wie kannst du von mir verlangen, mich zwischen dir und der Bevölkerung zu entscheiden? Du weißt genau, wie schwer so etwas ist!", brauste nun Yu auf. "Weil ich dir hier und jetzt sage, was ich wollen würde, wenn es tatsächlich die Möglichkeit gäbe zurückzureisen und diese Welt damit zu retten! Ich bin fest davon überzeugt, dass es das Richtige ist, zurückzugehen, auch wenn ich nicht weiß, wie meine Zukunft danach vielleicht aussieht. Aber wir sind Helden und es ist unsere Verpflichtung." "In der Theorie ist das alles so leicht.", schnappte die Blondine. "Zumal wir nicht vergessen sollten, dass das hier wirklich nur Theorie ist. Nichts weiter als ein Gedankenspiel. Lass uns nicht wegen etwas streiten, was sowieso nicht zur Debatte steht, weil es kein Zeittor gibt." "Yu! Du-", begann Nemuri, brach jedoch ab, als ein erneutes Beben die Stadt erschütterte. Ganz plötzlich und viel stärker als zuvor. Die Blumenvase auf der Fensterbank fiel um, ehe plötzlich Putz auf sie herab regnete und gemeinsam mit einem Stück Decke und der Lampe auf das Bett stürzte. Yu und Nemuri konnten sich gerade noch zur Seite rollen. Aufgrund des schwankenden Bodens, kamen sie nur strauchelnd auf die Füße und konnten sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Weiterer Putz rieselte von der Decke, während sich knacksend einige Risse an den Wänden bildeten. Draußen zuckten Blitze wie wild am Himmel entlang. "Raus hier! Beeil dich!", rief die Lehrerin ihrer Freundin zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)