How to save a life von Funkenherz (Midnight x Mt. Lady) ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Ein Auto, welches mit lauter Musik unter dem Fenster vorbeifuhr, riss die Blondine aus dem Schlaf. //Wer dreht denn um diese Uhrzeit schon so laut die Musik auf? Was für ein Idiot.// Sie gähnte, streckte sich und genoss es so gemütlich im Bett liegen zu können, doch als nur wenige Sekunden später die Erinnerungen an den vergangenen Abend den Weg zurück in ihr Gedächtnis fanden, war Yu schlagartig hellwach. Dieses peinliche Missverständnis, welches sie gerade hatte klären wollen, als Nemuri doch tatsächlich ohne Vorwarnung Gebrauch von ihrer Quirk gemacht hatte... Erneut krampfte ihr Magen sich zusammen. Wieder stieg ihr Adrenalinpegel und ihre Kehle schnürte sich vor Entsetzen zu. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass die Ältere sie mit ihrer Quirk ausgeschaltet hatte, nachdem sie sie nur Sekunden zuvor hatte abblitzen lassen. Die Profiheldin schlug alarmiert die Augen auf, fand sich auf der Seite zusammengerollt in einem Bett liegend wieder und spannte sich nur noch ein wenig mehr an. Ihr Blick scannte hektisch ihre Umgebung, ehe er an der Wohnungsbesitzerin hängen blieb, welche sich einen Sessel herangezogen hatte und darin, neben dem Bett sitzend, eingeschlafen war. Eh? Nemuri hatte in dem Sessel übernachtet und ihr das Bett überlassen? Die Erkenntnis war nach den Ereignissen des vergangenen Abends überraschend, aber auch ein wenig beruhigend. Bloß wozu um Himmels Willen hatte sie sie dann gestern noch so kurzentschlossen einschlafen lassen? Yu wusste nicht ganz, was sie davon halten sollte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, was passiert war, nachdem sie wohl oder übel in der Diele eingeschlafen sein musste, doch so sehr sie sich auch bemühte, ab diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei Erinnerungen mehr. Sie hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass Nemuri sie durch den Raum getragen und ins Bett verfrachtet haben musste. Ihre Hände zitterten leicht, als sie nach der Bettdecke griff und diese nach kurzem Zögern zurückschlug, ehe sie an sich hinabblickte. Sie brauchte Gewissheit, auch wenn ihr das Herz gerade bis zum Hals schlug. Bereits nach einem kurzen, prüfenden Blick sank ihr Adrenalinpegel bereits wieder. Sie trug nach wie vor ihr Heldenkostüm, lediglich die Dominomaske fand sich auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett wieder. Die Blondine atmete langsam auf und schalt sich in Gedanken selbst. Was hatte sie der Lehrerin da eigentlich unterstellt? Sie kannte sie gut genug um ganz genau zu wissen, dass sie eine von den Guten war und es niemals ausnutzen würde, dass sie Personen in Schlaf versetzen konnte. Trotzdem, was hätte sie gestern in dem Zusammenhang bitte denken sollen? Die Ältere hatte sie nicht unbedingt aus Nächstenliebe mit zu sich nach Hause genommen und kaum, dass sie klargestellt hatte, dass da ein gewaltiges Missverständnis vorlag und sie die Finger bei sich zu lassen hatte, hatte die Dunkelhaarige ihre Quirk aktiviert und sie damit ausgeschaltet. War es da verwunderlich, dass Nemuri ihr mit der Aktion einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte? Auch lief an dem Ort, an dem sie sich befanden, alles ein wenig anders als sonst. Selbst die Lebensgeschichte der Lehrerin, von welcher diese vollkommen überzeugt war, unterschied sich von ihrem eigentlichen Leben. Kam vielleicht daher ihr Misstrauen? Konnte es wirklich sein, dass es sich bei diesem Ort um eine Art Parallelwelt handelte, so verrückt es auch klang? Und konnte das auch bedeuten, dass es jede Person so gesehen zwei Mal gab? Das würde erklären, warum es der Dunkelhaarigen gut ging, sie sich aber nicht an Yu erinnern konnte und warum sie davon überzeugt war, schon fast sieben Jahre an einer ganz normalen Schule als Lehrerin zu arbeiten. Die junge Frau schüttelte den Kopf. So ein Schwachsinn. Eine Parallelwelt... da ging eindeutig die Phantasie mit ihr durch. Es musste eine andere, logische Erklärung für all das hier geben. Und eine Erklärung dafür, was Nemuri sich um Himmelswillen gestern dabei gedacht hatte, sie einfach einschlafen zu lassen. Immerhin schien wirklich nichts passiert zu sein, während sie geschlafen hatte, da war sie sich inzwischen relativ sicher und diesbezüglich fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen. Dennoch würde sie ganz gerne in Erfahrung bringen, was das bitte gestern für eine Aktion gewesen war. Yu schob die Bettdecke bei Seite und setzte sich auf. Die Bewegung musste auch Nemuri geweckt haben, blinzelte diese ihr doch schon wenige Sekunden später verschlafen entgegen. "Oh, du bist aufgewacht.", sprach sie Yu an und war erleichtert, dass die Blondine ganz von allein wieder zu sich gekommen war. Die UA Lehrerin streckte sich. "Verdammt, mein Rücken... Im Sessel zu schlafen war nicht gerade die beste Idee.", murrte sie. Dann wurde ihr Blick ernst und sie musterte ihren derzeitigen Gast prüfend. "Wie fühlst du dich? Du bist gestern Abend einfach zusammengeklappt." Yu funkelte die Ältere vorwurfsvoll an. "Einfach zusammengeklappt?! So würde ich das jetzt nicht nennen. Tu bloß nicht so unschuldig!", hielt sie wenig freundlich dagegen. "Aber deine Quirk hinterlässt keinen bleibenden Effekt. Ich bin jetzt bloß ausgeschlafen." Der Blick der Dunkelhaarigen wirkte auf die wenig freundlichen Worte erst tadelnd und warnend, wurde dann aber fragender, als Nemuri sich entschied den Vorwurf vorerst großzügig zu überhören und sich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Was bitte ist eine Quirk?", hakte sie nach. Die Blondine stand von der Bettkante auf, lief zwei Schritte durch den Raum und verschränkte die Arme vor der Brust. Einerseits war da diese Theorie bezüglich der Parallelwelt, oder aber die sehr viel größere Wahrscheinlichkeit, dass die Lehrerin ihr Gedächtnis verloren hatte, andererseits hatte sie ihre Quirk viel zu spontan und zu selbstverständlich eingesetzt, als dass sie ihr einfach so abkaufen konnte, dass sie nicht wusste, was hier gespielt wurde. "Willst du mich eigentlich verarschen?! Du hast mich gestern doch mit Absicht damit ausgeschaltet." "Hey, pass auf wie du mit mir sprichst, Kleine!", blaffte Nemuri auf die erneute Anschuldigung zurück. Schließlich riss sie sich zusammen und hakte nach: "Meinst du dieses Gas? Das war ich nicht. Ich kann mir auch nicht erklären, was genau da gestern Abend eigentlich passiert ist, aber meine Schuld war das ganz sicher nicht.", widersprach sie überzeugt. "Es war also nicht deine Schuld, dass deine Quirk aus deinem Körper ausgetreten ist und du mich, kaum dass ich dich gestern auf Abstand geschoben habe, damit hast einschlafen lassen?", hakte Yu sarkastisch nach. "Ich will wissen, was du dir eigentlich dabei gedacht hast! Und hilf meinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge: Was ist passiert, nachdem ich eingeschlafen bin?" Abwartend blickte sie ihr Gegenüber an. Selbst, falls Nemuri ihre Quirk wirklich unbewusst aktiviert haben sollte, hatte Yu inzwischen Mühe damit ruhig zu bleiben. Doch das es sich um eine Amnesie in Kombination mit einem Zufall handelte, wagte sie arg zu bezweifeln. Einerseits war da ein letztes Fünkchen Unsicherheit, aufgrund der vergangenen Stunden, an die sie sich nicht erinnern konnte, andererseits war da gleichzeitig auch der Ärger darüber, das Nemuri gerade allen Ernstes die Unschuldige spielte. Die Dunkelhaarige hingegen blinzelte ihr lediglich entgegen. "Als du das Zeug gestern eingeatmet hast und umgekippt bist, habe ich gerade noch verhindert, dass du den Boden geküsst hast. Ich habe versucht dich aufzuwecken, aber du warst nicht ansprechbar, also habe ich dich rüber zum Bett getragen. Ein Glück übrigens, dass du so ein Zwerg bist." Kurz zuckten Nemuris Mundwinkel amüsiert, während Yu sie gereizt anfunkelte. Schließlich fuhr die Lehrerin mit ihrer Erklärung fort. "Ich habe sämtliche Fenster der Wohnung aufgerissen, damit das Gas abziehen konnte. Und ich habe wirklich mit dem Gedanken gespielt dir einen Krankenwagen zu rufen, aber du hast lediglich geschlafen und sonst schien dir nichts zu fehlen, also dachte ich mir, es reicht, wenn ich dich ganz einfach im Auge behalte." Mit einem Nicken deutete sie auf einen ganzen Stapel Hefte, welcher ebenfalls auf dem Tischchen neben dem Bett lagen. "Ich habe mir also die Nacht damit um die Ohren gehauen, deinen Gesundheitszustand im Auge zu behalten und nebenbei habe ich Klausuren korrigiert, aber darüber muss ich irgendwann auch eingeschlafen sein." Einerseits klang das, was Nemuri ihr da erzählte, durchaus logisch und die Ältere wirkte zudem so, als würde sie die Wahrheit sagen, dennoch wollte die Blondine auf nur mal sicher gehen. Ihre Skepsis einfach so zur Seite zu schieben, war leichter gesagt als getan. "Und du kannst mir versichern, dass du die Finger bei dir gelassen hast, während ich geschlafen habe?" Ungläubig starrte die Ältere ihren derzeitigen Gast an. Ihre intensiv blauen Augen fixierten Yu, während Nemuris Mimik bei der Anschuldigung schlagartig ärgerlicher wurde. "Bitte was?!", blaffte sie. "Ich habe dir ganz sicher nichts getan!", stellte sie entschieden klar. Als die Lehrerin sich an Yus Panik, kurz bevor sie gestern zusammengeklappt war, erinnerte, beruhigte sie sich wieder und fügte im gemäßigteren Tonfall hinzu: "Ich habe nichts anderes getan, als dich im Auge zu behalten, um zu bemerken, falls dein Zustand sich irgendwie verschlechtert hätte, damit ich dir in diesem Fall einen Krankenwagen hätte rufen können. Was denkst du bitte von mir?!" "Nach der Aktion gestern Abend war die Frage durchaus berechtigt, wenn du meine Meinung dazu hören willst.", seufzte Yu. Obwohl sie die Nacht über wie ein Murmeltier geschlafen hatte, sah die Blondine müde aus. Nemuri seufzte und blickte Yu inzwischen wieder deutlich ruhiger und ausgeglichener an. Das sie die Jüngere gestern so erschreckt und bedrängt hatte, tat ihr immerhin leid. "Das war nichts als ein Missverständnis. Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass wir uns einig wären, warum ich dich mit zu mir genommen habe. Das ich dich so überfallen habe, tut mir leid. Ich hab dich wirklich erschreckt, Kleine, oder?" "Dass das ein Missverständnis war, ist mir schon klar.", räumte Yu, welche sich langsam ebenfalls wieder entspannte, ein. "Nichts, was sich nicht hätte aus der Welt räumen lassen. Nur, dass du in dem Zusammenhang plötzlich deine Quirk gegen mich eingesetzt hast, hat mich schockiert, um ehrlich zu sein." "Meinst du mit Quirk diese rosa Wolke, die plötzlich überall in der Diele war? Du scheinst davon überzeugt zu sein, dass ich das absichtlich getan hätte, aber ich weiß noch nicht einmal, wo das Zeug plötzlich hergekommen ist.", beteuerte Nemuri. "Du sagst mir also, dass du deine eigenen Fähigkeiten auch vergessen hast? Dafür konntest du sie gestern aber noch ziemlich gezielt einsetzen.", kam es wenig überzeug von Yu. "Meine Fähigkeiten? Fängst du jetzt schon wieder mit dieser Superheldengeschichte an?" "80% der Bevölkerung haben eine Quirk und mit deiner kannst du die Leute einschlafen lassen, wobei du Männer damit normalerweise schneller ausschalten kannst.", erklärte die Profiheldin, auch wenn sie der Überzeugung war, dass Nemuri sich dessen ganz genau bewusst war. "Hör mal, ich möchte wirklich wissen, was genau da gestern eigentlich passiert ist und wenn du etwas darüber weißt, dann raus damit, aber hör auf mit diesem Superheldenmist!" Yu schüttelte den Kopf. "Das denke ich mir doch nicht aus! Du hast gestern immerhin selbst gesehen, wie du deine Quirk aktiviert hast. Durch meine Einbildungskraft wird das bestimmt nicht passiert sein!", schnappte sie verärgert. »Dein Bus kommt in sieben Minuten. Zeit das Haus zu verlassen.«, plärrte plötzlich ein elektronischer Sprachassistent durch die Wohnung und unterbrach das Gespräch der beiden Frauen für einen Moment. Nemuri riskierte einen Blick auf die Uhr und erschrak sichtlich. "Schon so spät? Ich muss zur Arbeit!" Zwar hätte sie gerne noch geduscht, sich umgezogen und gefrühstückt, doch das dem Direktor der Schule zu erklären, an der sie unterrichtete, wäre wohl ein wenig schwierig. Ein Glück, dass sie heute lediglich vier Unterrichtsstunden geben musste, da die letzten drei Schulstunden ausfielen, war die 10a, welche sie zu dieser Uhrzeit normalerweise in Geschichte unterrichtet hätte, doch aktuell auf Klassenfahrt. Yu, die gerade ihre Dominomaske aufgeklaubt und wieder aufgesetzt hatte, blinzelte ungläubig, als Nemuri damit begann in aller Eile einige Sachen zusammenzupacken, sich ihre Lehrertasche krallte und die Blondine schließlich in Richtung der Wohnungstür vor sich her schob. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?!" "Tut mir leid, aber ich kann schlecht zu spät zur Arbeit kommen." Die Dunkelhaarige blickte die Jüngere entschuldigend an. "Da gibt es noch so einiges, das wir klären sollten und das ich dich fragen will. Hast du später Zeit?" "Zu klären haben wir in der Tat noch so einiges. Aber das sollten wir jetzt besprechen und nicht später!", beharrte Yu. "Das geht nicht! Mein Chef hat wohl kaum Verständnis dafür, wenn ich die Schüler heute sich selbst überlasse, nur weil ich etwas zu besprechen habe." Die Lehrerin schloss die Wohnungstür hinter sich ab und eilte die Treppenstufen nach unten. Die Blondine folgte ihr wohl oder übel, obwohl es ihrer Meinung nach absolut falsch war, ein so wichtiges Gespräch jetzt einfach zu unterbrechen und auf später zu verschieben. "Was wir zu bereden haben ist wirklich wichtig! Jetzt lauf nicht weg!", maulte die Jüngere. Inzwischen hatten sie die Straße vor dem Haus erreicht. "Das weiß ich. Sagen wir heute um 16 Uhr vor dem Steakhaus in der Innenstadt? Und dann fang nicht wieder von diesem Superheldenkram an." "Deine Liste an Dingen, die du bei mir gut zu machen hast, wächst und wächst, ist dir das schon mal aufgefallen?!", grummelte die Blondine. "Du lädst mich ein, dass das klar ist." Nemuri blinzelte. "Du bist ganz schön schamlos, weißt du das eigentlich?" "Pah! Ich lasse mich nur nicht gern bei Seite schieben, wenn es dir gerade passt!" "Dreistes Gör!" "Alte Schachtel!" Auf ihrem Weg zur Arbeit dachte Nemuri über ihren Übernachtungsgast nach. Sie wusste selbst, dass es nicht ganz nett gewesen war, die Unterhaltung so plötzlich zu beenden und auf später zu verschieben, doch sie musste nun einmal arbeiten. Die Lehrerin war dankbar darüber mit dem Bus bis kurz vor die Schule fahren zu können, denn so konnte sie noch ein wenig ihren Gedanken nachhängen. Dieses Mädchen...,Yu, irgendwie kam sie ihr seltsam vertraut vor, doch konnte sie sich nach wie vor nicht erklären, wie das sein konnte. Und dann war da noch der Vorfall von gestern. Dieses seltsame Zeug, welches wie rosafarbenes Gas von ihren eigenen Armen aufgestiegen war und die Jüngere in Schlaf versetzt hatte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. So etwas sollte noch nicht einmal möglich sein! Was war das also für ein Zeug?! Yu schien diesbezüglich seltsamerweise mehr zu wissen, doch ihre Erklärungen waren schon wieder in die Helden- und Cosplayschiene abgerutscht. Eine solche Spinnerei brachte sie nicht weiter. Die Lehrerin wollte eine wirkliche Erklärung - eine mit Hand und Fuß - keine Fiktion. Einerseits war das exzentrische Verhalten der Kleinen niedlich, aber eben nicht in einer solchen Situation. Es frustrierte Nemuri viel mehr, dass Yu etwas über den Vorfall zu wissen schien und lieber schauspielerte, als wirklich mit der Sprache herauszurücken. Nemuri blickte nachdenklich aus dem Fenster und schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, mit diesem Superheldenkram konnte der Vorfall nichts zu tun haben, so etwas gab es schließlich nicht, es musste einfach eine logische Erklärung hierzu geben. Sie hoffte, dass die Blondine heute zum verabredeten Zeitpunkt wirklich auftauchte und diesmal ernsthaft ihre Fragen beantworten würde. Die Rolle der exzentrischen Cosplayerin war niedlich, aber dauerhaft nicht haltbar. Sie würde sie schon irgendwie dazu kriegen, diese seltsame Rolle abzulegen und Klartext mit ihr zu sprechen. Als sie die Schule, an welcher sie unterrichtete, erreicht hatte, schob sie ihre Grübeleien vorerst bei Seite, um sich auf den Unterricht zu konzentrieren, auch wenn ihr dies heute schwer fiel. Immer wieder drifteten ihre Gedanken zu dem seltsamen Vorfall gestern und dem merkwürdigen Gas ab. In der ersten Doppelstunde unterrichtete Nemuri eine Klasse in Kunst. Das aktuelle Thema waren Gipsmasken, welche später individuell gestaltet werden sollten. Die Schüler hatten ihre Freude daran, den Gips Streifen für Streifen in den Gesichtern ihrer Mitschüler zu platzieren, auf das langsam die Masken entstanden. Unter einigem Gelächter wurden Fotos von den Gipsopfern geschossen, was die Lehrerin ausnahmsweise zuließ. Sie achtete lediglich darauf, dass ihre Klasse zielstrebig weiter an den Masken arbeitete und die Scherze der Schüler nicht zu sehr ausarteten. Während erste Schüler bereits mit dem Gestalten der Masken begannen, musste Nemuri dabei ganz automatisch an die recht ausgefallene Maske ihrer neuen Bekannten denken. Das Cosplayaccessoire war wirklich ungewöhnlich, da dessen Enden fast schon wie Hörner anmuteten... und doch, so fehl am Platz hatte die Dominomaske an der Blondine gar nicht gewirkt. Viel mehr vertraut. Sie blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt. Das waren Dinge, über die sie derzeit eindeutig nicht nachdenken sollte. Nicht während der Arbeit. Nach einer Pause, welche sie genutzt hatte um sich mit ihren Kollegen zu unterhalten und rasch ein Brötchen in der Cafeteria zu kaufen, folgte schließlich noch eine Doppelstunde Geschichte, in welcher die Edo-Zeit thematisiert wurde. Zwar hatte sie das Thema mit der Klasse ganz neu angeschnitten, doch war es wirklich zum Haare raufen, wie wenig die Schüler über die Geschichte des Landes wussten! Der Tag verging. Als die letzte Schulstunde schließlich beendet war, war Nemuri heilfroh, dass nicht nur die Schüler nun den Heimweg antreten durften. Den Tag über war sie bereits ständig in Gedanken gewesen und hatte sich beim Unterrichten mehrfach gedanklich selbst ermahnen müssen, nicht den Faden zu verlieren. Aber das war doch verrückt! Sie hatte dieses Blondchen vorgestern das erste Mal getroffen und doch kreisten ihre Gedanken in einer Tour um die jüngere Frau, welche ihr auf merkwürdige Art und Weise so vertraut vorkam, obwohl sie eigentlich fast noch Fremde waren. Das war doch nicht normal. Eigentlich war es ganz und gar nicht ihre Art, sich binnen so kurzer Zeit von einer Person so sehr in den Bann ziehen zu lassen, als dass es ihr schwerfiel, besagte Person aus ihren Gedanken zu verbannen. Aber diesmal? Das es ihr so schwer fiel, nicht über ihre Begegnung und den Abend gestern nachzudenken, mochte allerdings auch zum Großteil an dem Vorfall mit dem seltsamen Gas liegen, für welchen sie nach wie vor noch keine Erklärung gefunden hatte, egal wie lange sie darüber nachdachte und welche logischen Ansätze sie in ihre Überlegungen mit einbezog. Yu schien diesbezüglich mehr zu wissen als sie selbst, weshalb Nemuri hoffte, von ihr einige Antworten zu erhalten. Ernst gemeinte Antworten, kein seltsamer Superheldenkram. Nun, was die Blondine ihr erzählen würde, würde sich schon bald zeigen. Nachdem ihre Klasse den Klassenraum verlassen hatte, begann auch Nemuri damit ihre Sachen zusammenzupacken und stellte bei der Gelegenheit fest, dass sie vollkommen vergessen hatte den Schülern die Hausaufgaben zu geben, welche sie eigentlich geplant hatte. Sie schmunzelte schief. Das war dann wohl Glück für die Schüler. Zumindest für heute. Und es zeigte, wie zerstreut sie aktuell war, was normalerweise so gar nicht zu ihr passen wollte. Nachdem sie noch kurz im Lehrerzimmer vorbeigesehen und den Unterricht für Morgen vorbereitet hatte, verließ die Lehrerin das Schulgelände wieder, musste sie doch für heute keinen Unterricht mehr geben. Hinzu kam, dass sie noch verabredet war. Auch wenn es bis 16 Uhr noch Zeit war, so wollte sie diese Zeit dazu nutzen, ein wenig durch die Stadt zu schlendern. In letzter Zeit war sie kaum dazu gekommen, sich die Schaufenster und die neusten Herbstkollektionen einmal in Ruhe anzusehen, warum also nicht jetzt? Außerdem würde ein Ausflug durch die Stadt sie vielleicht kurzzeitig auf andere und halbwegs normale Gedanken bringen. Zumindest hoffte Nemuri das. Ohne sich zu beeilen, passierte sie das Schultor und lief geradewegs an der angrenzenden Bushaltestelle vorbei. Da es nicht weit bis zur Innenstadt war, verzichtete die Dunkelhaarige darauf in den Bus zu steigen und lief stattdessen zu Fuß. Um diese Uhrzeit mussten die meisten Personen noch arbeiten, weshalb größtenteils Schüler und Studenten auf den Straßen unterwegs waren. Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen. Im Normalfall müsste sie jetzt auch noch arbeiten. Dass die Klasse, welche sie sonst in den letzten beiden Stunden unterrichtet hätte, auf Klassenfahrt war und sie keinen Kollegen vertreten musste, war wirklich eine glückliche Fügung des Schicksals. Langsam näherte sie sich der City. Sie würde nur noch ein kleines Stück eines Wohngebiets durchqueren müssen, dann hätte sie ihren Zielort erreicht und hätte noch genug Zeit, sich etwas in den Läden umzusehen, ehe sie in Richtung Steakhaus aufbrechen müsste. Nemuri lief gemütlich die Straße entlang und beobachtete dabei zwei Schüler, welche auf ihrem Heimweg kurz innegehalten hatten, um mit einer streunenden Katze zu spielen. Das Tier strich den Schülern schnurrend um die Beine und genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. Wie niedlich. Die beiden Teenager hatten langsam ein Alter erreicht, in dem sie normalerweise eher darauf bedacht waren, möglichst cool oder erwachsen zu tun, doch das Tier hatte die Herzen der beiden scheinbar im Sturm erobert, scherten die Schüler sich aktuell sichtbar wenig um ihr Image, während sie mit der Katze spielten. Doch so entspannt die schwarz-weiß gefleckte Katze auch war, als ohne jede Vorwarnung ein grellvioletter Lichtblitz am Himmel entlangzuckte und die Straßen in ein unwirkliches Licht tauchte, machte das Tier einen erschrockenen Satz und rannte um sein Leben. Armes Ding. Aufgrund des gleißenden Lichts hatte Nemuri reflexartig ihre Augen mit einer Hand abgeschirmt. Dennoch sah sie nun Pünktchen und Lichtblitze, als hätte sie direkt in den Blitz einer Kamera geschaut. Sie verzog leicht das Gesicht und zog dann skeptisch die Stirn kraus. Der Blitz hatte die ganze Straße in ein unwirkliches Licht getaucht und hielt sich etwas länger, als ein Blitz es eigentlich sollte. Als die unangenehme Helligkeit schließlich wieder nachzulassen begann, riskierte Nemuri einen Blick in den Himmel. War zum? Was hatte sie da eben gesehen? Es gab Blitze, es gab Kugelblitze, aber doch keine grell-violetten Blitze! Und schon gar keine, die sich so lange hielten und die Umgebung in eine Atmosphäre tauchten, die einem schlagartig Gänsehaut auf den Armen bescherte! Dieser Lichtblitz...das war wirklich seltsam. Ein normales Naturphänomen konnte das doch unmöglich sein, denn sonst hätte sie zumindest schon einmal davon gehört. Gesehen hatte Nemuri einen so seltsamen Blitz in ihrem ganzen Leben noch nicht... und dann plötzlich gleich zwei Mal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Gestern Abend waren schon einmal solche Blitze am Nachthimmel entlanggezuckt, erinnerte sie sich. Ob der seltsame Blitz der Vorbote eines nahenden Gewitters war? Aber eigentlich war das Wetter viel zu freundlich dafür. Was das betraf...vielleicht sollte sie diesen Gedanken am besten gleich wieder zurücknehmen. Bis eben noch war es zwar frisch aber sonnig gewesen, doch plötzlich begann der Himmel sich zu verdunkeln und das elektrische Knistern in der Luft war fast schon greifbar. "W-was ist das?", hörte sie einen der beiden Schüler erschrocken murmeln. Er deutete nach links, in Richtung eines Balkons. Sein Klassenkamerad folgte der Geste und riss nun ebenfalls entsetzt die Augen auf. "Was soll das denn sein?!" "Ich weiß nicht! Machen wir, dass wir von hier wegkommen!" "Gute Idee!" Schon nahmen die Schüler die Beine in die Hand und rannten, so schnell sie konnten. Die Lehrerin blickte ihnen stirnrunzelnd und leicht alarmiert nach, ehe sie den Blick hob und zu dem Balkon sah, um festzustellen, was die beiden Kinder bitte so erschreckt hatte. Im ersten Moment konnte sie nicht ganz glauben, was sie da sah. Besser gesagt, wusste sie das Wesen nicht einzuordnen. Ein Mensch war das nicht, ein solches Tier hatte sie jedoch auch noch nie gesehen. Auf dem Balkon des Wohnhauses stand ein seltsames Geschöpf, welches gut und gerne 2,50 Meter maß. Die kalkweiße Haut bot einen starken Kontrast zu den pupillenlosen, blutroten Augen. Dort, wo eigentlich der Mund des Wesens sein sollte, saß ein Vogelschnabel in seinem Gesicht, jedoch blitzten aus dem Schnabel spitze Zähne hervor. Die Gestalt war nicht nur riesig, sondern auch wirklich muskulös. Die Krallen an den Händen rundeten das Bild des Schreckens nur noch ab. Im ersten Moment glaubte Nemuri, dass sie sich dieses Monster nur einbilden konnte. Ihre Vernunft sagte ihr, das solche Wesen nicht existierten. Ihre Augen und ihr Überlebenswille sagten ihr jedoch, dass diese Gestalt dort sehr wohl Wirklichkeit war. Auch wenn die Lehrerin das Wesen nicht zuordnen konnte, so war ihr trotzdem auf Anhieb klar, dass das Vieh nichts Gutes bedeuten konnte. Ihr Herz begann merklich schneller zu schlagen, während die aufsteigende Angst Kälte durch ihren Körper jagte. //Kein Wunder das die Schüler so schnell abgehauen sind! Was...was ist das bitte für ein Wesen?!// Vielleicht sollte sie es den Kindern gleich tun und ebenfalls laufen, so lange sie noch konnte? Außer dem Monster und ihr war niemand mehr hier. Einen Grund abzuwarten, oder sich in irgendeiner Form mit dem Vieh anzulegen, gab es also nicht. Sich mit dem Vieh anzulegen? Was dachte sie da eigentlich? Wieso spielte sie allen Ernstes zuerst mit diesem Gedanken, als wäre dies das Normalste der Welt?! Färbten Yus Superheldengeschichten jetzt schon auf sie ab? Einem normalen Menschen würde es wohl kaum gut bekommen, sich mit so einer Kreatur anzulegen! Es gab nur eine Sache, die sie jetzt tun sollte: abhauen, solange sie noch nicht bemerkt worden war. Gerade als Nemuri sich umgedreht hatte und sich ebenfalls aus dem Staub machen wollte, sprang das Wesen mit einem gewaltigen Satz vom Balkon. Trotz des Sprungs aus der zweiten Etage, landete die Gestalt sicher auf den Füßen und schnitt der Dunkelhaarigen den Weg ab. Staub wirbelte auf. Bei der Landung hatte das Monster die Pflastersteine unter sich zerstört, als wäre es lediglich auf Eierschalen getreten. Nemuri hielt abrupt inne, um zu verhindern gegen die Kreatur zu laufen. Sie konnte...nein, sie wollte nicht glauben, was sie da sah und das das hier gerade wirklich passierte! Und doch war das Ungetüm zu real, als das sie es sich einbildete. Panik stieg in der eigentlich sehr selbstbewussten Frau auf. Aber konnte man es ihr verübeln? Was war das bloß für ein Monster?! Während die violetten Blitze nur noch wilder am Himmel entlangzuckten, holte das Wesen mit einer Pranke zum Schlag aus. "Bleib bloß weg!" Nemuri duckte sich gerade noch rechtzeitig, um dem Schlag um Haaresbreite zu entgehen. Die Klauen des Monsters trafen stattdessen die Hauswand, aus welcher ein Backstein und Putz bröckelten. Die Lehrerin wurde von eiskaltem Entsetzen gepackt. Ihr Herz hämmerte wie wild von innen gegen ihren Brustkorb. Das...das hätte auch schief gehen können! Wenn das Vieh mit einer solchen Leichtigkeit ein Haus beschädigen konnte, wollte sie lieber nicht wissen, was passiert wäre, wenn der Angriff sie getroffen hätte! Die Gestalt stieß ein monströses Brüllen aus und setzte gleich noch einen zweiten Schlag nach. Erneut gelang es ihr gerade so zur Seite zu hechten, ehe sie sich umdrehte und rannte, so schnell ihre Füße sie trugen. Die schweren, stampfenden Schritte hinter ihr, verrieten, dass das Ungetüm ihr folgte. Das war alles andere als gut! Sie rannte um ihr Leben, hoffte nicht auszurutschen oder zu stürzen. War es überhaupt möglich dieses Untier zu Fuß abzuhängen? Egal, darüber sollte sie jetzt lieber gar nicht erst nachdenken. Nemuri musste es einfach versuchen und rennen, so schnell wie sie noch nie zuvor gerannt war. Während ihrer Flucht bemerkte die Lehrerin, dass ihr die Straße mehr als nur vertraut war. Sie war diesen Weg eben noch von ihrem Arbeitsplatz aus in Richtung Stadt spaziert - ganz in Ruhe und entspannt, denn bis vor einigen Minuten noch, war die Welt vollkommen in Ordnung gewesen. Schließlich traf sie eine Erkenntnis wie ein Schlag: wenn sie weiter in diese Richtung lief, würde sie das Monster auf direktem Weg in Richtung Schule führen! Und je näher sie der Schule kam, desto wahrscheinlicher war es, dass ihr Schüler begegnen würden. Die Gesichter ihrer Klasse blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Vielleicht würde es ihr gelingen, sich innerhalb des Gebäudes zu verstecken, doch mit dem Ungetüm, welches ihr dicht auf den Fersen war, würde sie dem Fuchs wortwörtlich das Tor zum Hühnerstall öffnen, wenn sie jetzt weiter in Richtung ihres Arbeitsplatzes flüchtete. Sie wollte zwar möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sich und das Ungetüm bringen, doch DAS konnte sie einfach nicht tun. Unmöglich konnte sie weiter in Richtung der Schule fliehen und die Schüler in Gefahr bringen! Nemuri schlug einen Haken und bog in eine schmale Seitengasse. Die Gestalt hinter ihr stieß ein kehliges Brüllen aus, welches irgendwie ungehalten klang und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die Absätze ihrer Stiefel klackerten laut über das Kopfsteinpflaster, wobei die schmale Gasse den Klang der Absätze nur noch verstärkte. Aktuell verfluchte die Dunkelhaarige ihre heutige Schuhwahl. Nun gut, um ehrlich zu sein, hatte sie fast nur Schuhe und Stiefel mit unübersehbaren Absätzen, aktuell wäre sie mit einem Paar Sportschuhen jedoch eindeutig besser bedient gewesen. Nemuri betete nicht umzuknicken, oder mit einem der mörderischen Absätze im Zwischenraum des Kopfsteinpflasters hängen zu bleiben. Ein Sturz oder ein verstauchter Fuß hätten fatale Folgen für sie, saß ihr Verfolger ihr doch weiterhin dicht im Nacken. Sie rannte, so schnell sie konnte, dankbar dafür, dass in der Gasse gerade wenigstens keine anderen Menschen unterwegs waren, welche in die Angelegenheit mit hineingezogen werden konnten. Trotz allem, konnte es so nicht ewig weitergehen. Die seltsame Gestalt folgte ihr ohne besonders große Mühe, hatte bislang jedoch noch nicht aufgeholt. Langsam aber sicher begannen die Seiten der Lehrerin zu schmerzen und ihre Lungen zu brennen. Bildete sie es sich ein, oder wurde sie tatsächlich langsamer? Ihre Beine protestierten bereits heftig, auch wenn sie eigentlich alles andere als unsportlich war. Sie wusste ewig konnte sie so nicht mehr weiterflüchten. Aber was sollte sie sonst tun?! Wenn sie jetzt zurückfiel, anhielt oder stürzte, wäre es aus und vorbei mit ihr! Was war das nur für eine monströse Gestalt, die sie da verfolgte? Wo kam das Wesen überhaupt her?! Sie hatte so etwas noch nie gesehen! Das Vieh sah aus, als wäre es gerade aus irgendeinem Horrorfilm entkommen und genauso verhielt es sich auch. Nur das Adrenalin, welches durch ihren Körper rauschte, sorgte dafür, dass sie weiter rannte und das sie den Klauen des Ungetüms bisher entgangen war. Gerade noch so gelang es ihr abzubremsen, als die Fassade des Hauses vor ihr auftauchte. Nemuri stieß einen erschrockenen Laut aus, der so gar nicht zu ihr passen wollte. Der Blick der Dunkelhaarigen schnellte hektisch von links nach rechts. In welche Richtung sollte sie weiterfliehen? Entsetzt stellte sie fest, dass sie geradewegs in eine Sackgasse gelaufen war. Verdammt! Die Erkenntnis drohte ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Sie war ernsthaft in eine Sackgasse geflüchtet? Ihr wurde übel und gleichzeitig war sie ärgerlich auf sich selbst. Sie kannte diese Stadt wie ihre Westentasche. Wie hatte ihr also ein so dummer Fehler unterlaufen können? Ein höchst wahrscheinlich fataler Fehler, denn in eine Sackgasse zu rennen, kam mit einem solchen Verfolger einem Todesurteil gleich. Nemuri wirbelte herum. Die seltsame Gestalt, von welcher sie immer noch nicht ganz genau sagen konnte, um was es sich eigentlich handelte, stand in etwa drei Meter Entfernung hinter ihr, mittig in der schmalen Gasse, und blockierte folglich ihren Fluchtweg. Sie saß in der Falle. Das war übel! Mit wild pochendem Herzen wich sie noch zwei weitere Schritte zurück, als die Gestalt sich ihr langsam näherte. Sie wusste, dass sie jeden Moment die Hauswand im Rücken spüren würde. War es das jetzt also? Wenn das Vieh sie erwischte sicherlich. Aber wollte sie es dem Verfolger so leicht machen? Bestimmt nicht! Nemuri hing an ihrem Leben und auch wenn die Lage denkbar schlecht war, so hatte sie trotz allem nicht vor, jetzt einfach aufzugeben. Sie versuchte sich zusammenzureißen und einen Ausweg zu finden, der ihr bislang verborgen geblieben war. Wenn sie es irgendwie hinter das Monster schaffen würde... Irgendwie musste sie an diesem Wesen vorbei, doch wie? Mit einem weiteren Fluchtversuch ihrerseits würde die Gestalt doch bereits rechnen! Trotzdem, einen Versuch wäre es wert. Einen Versuch, von dem sie nur einen einzigen hatte. Das Timing musste stimmen. Sie musste springen, wenn das Ungeheuer zum Schlag ausholte. So grausam die Situation auch war und so viel Angst, wie dieses Wesen ihr einjagte, trotz allem schaffte Nemuri es noch Herrin ihrer Gedanken zu bleiben. Die Panik lähmte sie nicht. Sie spannte sich an, bereit jede noch so kleine Chance zu überleben zu nutzen. Um ehrlich zu sein überraschte es sie selbst, wie gefasst sie blieb, fast so, als hätte ihr Körper von ganz allein in den Krisenmodus geschaltet. Fast so, als wäre es nicht das erste Mal, dass sie einem gefährlichen Gegner gegenüberstand... Die violetten Blitze am Himmel zuckten inzwischen so oft und grell, dass das Wetter schon fast an eine Lasershow erinnerte. Nemuri schlug das Herz bis zum Hals. Was auch immer ihr Verfolger eigentlich war und woher auch immer er kam, wenn das Vieh sie zu fassen bekäme, oder sie mit den grässlichen Klauen erwischte, wäre es aus! Sie durfte hier nicht stehenbleiben wie eine Maus in der Falle. Nemuri konzentrierte sich, blickte nach rechts und täuschte einen Schritt in besagte Richtung an, was auch das Wesen dazu brachte ruckartig nach rechts zu sehen. Das Monster holte zum Schlag aus. Immerhin, so tödlich die Gestalt auch sein mochte, sie war in gewisser Weise doch berechenbar. Im nächsten Moment wirbelte Nemuri herum, sprang nach links und versuchte an der riesigen Kreatur vorbeizuschlüpfen, doch das Wesen reagierte so schnell, dass es sie beinahe erwischt hätte. Die Hand des Monsters krachte nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt gegen die Fassade des Hauses. Von den Fenstern aus war das besorgte und schockierte Gemurmel der Bewohner zu hören, doch hoch zu sehen, dazu fehlte der Lehrerin im Moment die Zeit. Sie taumelte zurück, versuchte den Abstand zwischen sich und dem Wesen zu vergrößern, doch dieses setzte ihr nach und holte zum Schlag aus. Als Nemuri die Faust erneut auf sich zu rauschen sah und sie sich voller Entsetzen bewusst wurde, dass sie unmöglich schnell genug ausweichen könnte, streckte die Dunkelhaarige beide Arme reflexartig nach vorne. Nicht, weil sie wirklich glaubte den Schlag gänzlich abblocken zu können, doch vielleicht konnte sie wenigstens verhindern, dass der Gegner ihr Gesicht traf. "Bleib weg!" Ein besonders heller Lichtblitz zuckte am Himmel genau über ihnen entlang. In der Erwartung, jeden Moment den fatalen Treffer zu spüren zu bekommen, hatte die Lehrerin für einen Herzschlag lang die Augen geschlossen, doch... der Schmerz blieb aus. Zögerlich öffnete sie die Augen wieder und wagte sich, den Kopf langsam in Richtung des Ungetüms zu drehen. Dieses stieß einen seltsamen Knurrlaut aus, wischte sich mit einer Klaue über die vogelartige Schnauze, schüttelte unwillig den Kopf und wich zwei Schritte zurück, breitete sich in der schmalen Gasse doch bereits eine stetig größer werdende, rosa Wolke aus. Nemuri stutzte. Eh? Das war doch...schon wieder dieses seltsame Gas. Als sie den Angriff hatte abwehren wollen, waren die Ärmel ihres Oberteils ein gutes Stück hochgerutscht. Von der nackten Haut ihrer Arme stieg die gasartige Substanz unaufhaltsam empor und verteilte sich großflächig in der Gasse. Das Wesen schüttelte erneut den Kopf, fuchtelte mit den Armen vor sich herum, um die Wolke zu vertreiben, doch als das nichts half, sprang es mit spielender Leichtigkeit hinauf auf ein Hausdach. Täuschte sie sich, oder taumelte die Kreatur leicht benommen? Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. Jetzt erst recht. Weiterhin pochte ihr Herz vor Angst wie wild, hätte das Monster sie doch beinahe erwischt. Aber jetzt? Es wich zurück, auch wenn sie nicht sagen konnte, ob der Rückzug dauerhaft oder nur temporär war. Lag der abgebrochene Angriff an der blassrosanen Wolke, die ihr Körper nun schon zum zweiten Mal unerklärlicherweise freigesetzt hatte? Hinter dem Ungetüm schien die Luft zu verschwimmen und bildete eine Art Tor, in welches das Geschöpf sprang und darin verschwand. Die Lehrerin glaubte nicht recht zu sehen. Das war ja noch schräger als in irgendeinem Sci-Fi Film, bloß das die Geschehnisse hier erschreckend real gewesen waren und sie beinahe das Leben gekostet hätten! Ihre Beine gaben unter Nemuri nach. Vollkommen fassungslos und zitternd saß sie auf dem kalten Kopfsteinpflaster und starrte zu der Stelle in der Luft, an welcher das Monster gerade noch in einer Art unsichtbarem Tor verschwunden war. Langsam sonderte ihr Körper weniger von der rosa Wolke ab, ehe diese schließlich ganz verflog. Es brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass die Gefahr scheinbar vorbei war. Sie hatte diese unheimliche Begegnung überlebt, wenn auch überraschend und nur gerade so. Immer noch war sie verständlicherweise aufgewühlt, doch nun, wo ihr kein Verfolger mehr im Nacken saß, begann Nemuris Adrenalinpegel langsam wieder zu sinken. Das schwindende Adrenalin bedeutete gleichzeitig auch, dass sie ihre Erschöpfung nun stärker wahrnahm. Sie zitterte und rang nach Luft. Von der Flucht war sie vollkommen außer Atem. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und jeder Atemzug brannte wie Feuer. Nemuri war vollkommen erschöpft und auch nervlich am Ende...doch sie hatte überlebt. Was... was war da gerade geschehen? Das hatte sie sich eingebildet, richtig? Anders konnte es gar nicht sein! Es gab keine Monster, die wie aus dem Nichts auftauchten, einen durch die Straßen jagten und dann genau so plötzlich verschwanden, wie sie gekommen waren. Und doch wusste sie, was sie da gerade eben gesehen hatte. Sie war bestimmt nicht vor ihrer eigenen Einbildung weggelaufen. Außerdem sprach der Schaden an der Hauswand für sich. Und dann wieder diese rosa Wolke... erneut hatte sie dieses seltsame Zeug irgendwie freigesetzt. Auch das sollte doch gar nicht möglich sein. Was ging hier nur vor sich? Noch vollkommen verstört von dieser Konfrontation, blieb sie für den Moment sitzen wo sie war, versuchte sich zu beruhigen und halbwegs zu verarbeiten, was sie da gerade gesehen hatte. Ein wenig kam sie sich so vor, als hätte man ihr irgendetwas in den Kaffee geschüttet. Irgendetwas, das Wahnvorstellungen auslöste. Und doch war das, was da eben passiert war, die Realität, so unwirklich und erschreckend sie auch war. Von den Anwohnern hatte sich noch niemand wieder aus den Häusern getraut. Die Gasse war wie leergefegt, zumindest, bis leise Schritte eine einzelne Person ankündigten und ein Schatten über sie fiel, als besagte Person das Ende der Sackgasse erreicht hatte. "Nemuri", sprach die inzwischen vertraute Stimme sie an. Die Blondine klang besorgt, während ihre ungewöhnlichen, rötlichen Augen fragend zu der Lehrerin blickten. Von allen Personen dieser Großstadt, war es ausgerechnet Yu, die sich ihr so kurz nach der Monsterattacke näherte? War das...wirklich nur ein Zufall? Nemuri wusste nicht mit Sicherheit, was sie denken sollte. "Ist alles in Ordnung mit dir?", wollte die Profiheldin wissen und legte fragend den Kopf schief. Wie verstört und gehetzt ihr eigentlich mehr als selbstbewusstes Gegenüber dreinblickte, war immerhin nicht zu übersehen. "H-hast du dieses Monster noch gesehen?", fragte die Dunkelhaarige, welche noch etwas heiser klang. Gehetzt blickte sie zu der jungen Frau hoch. "Monster?" Die Jüngere zog irritiert eine Augenbraue hoch. "Nein, habe ich nicht. Was meinst du überhaupt mit Monster? Ich war nur gerade in der Nähe unterwegs und habe zwischen den Häusern plötzlich eine Wolke deiner Quirk aufsteigen sehen." In einer Hand hielt die Kleinere einen Becher Bubble Tea, welchen sie mit etwas Charme umsonst hatte abstauben können. Die freie Hand hielt sie Nemuri entgegen, um diese wieder auf die Füße zu ziehen. Kurz zögerte die Lehrerin noch und blickte auf die behandschuhte Hand, dann griff sie danach und ließ sich hochziehen. Weiterhin war sie noch etwas zittrig auf den Beinen, doch langsam normalisierte ihre Atmung sich wieder. "Bist du verletzt? Du bist ja vollkommen durch den Wind." Besorgt blickte Yu zu ihr hoch. Einen Moment zögerte Nemuri. Sie blickte erst einmal prüfend an sich selbst herab, um mit Sicherheit sagen zu können, ob sie auf der Flucht nun Federn gelassen hatte oder nicht. Doch so wie es aussah, schien sie sich nicht verletzt zu haben, auch wenn sie nach der Begegnung eben nicht unbedingt behaupten konnte, das alles in Ordnung war. "Nein, mir ist nichts passiert.", gab sie schließlich Entwarnung. "Aber ist es verwunderlich, dass ich noch neben mir stehe, nachdem ein seltsames Wesen versucht hat mich umzubringen?" Das auszusprechen fühlte sich irgendwie falsch an. Nicht nur, dass Nemuri befürchtete, dass es diesmal Yu sein könnte, die sie für verrückt erklären würde, das Monster von eben zu erwähnen, machte es auf erschreckende Art und Weise gleich noch einmal realer, auch wenn die Gefahr nun vorüber zu sein schien. Doch anstatt sie auszulachen und als Spinnerin darzustellen, wirkte Yu viel mehr betroffen und alarmiert zugleich. Als Nemuri erwähnt hatte, das eine seltsame Kreatur versucht hatte sie umzubringen, war die Jüngere kaum merklich zusammengezuckt und hatte sich angespannt. "Nein, das ist es nicht." Ungewöhnlich ernst und mitfühlend blickte die sonst eher freche Blondine ihr entgegen. Irgendetwas anderes, fast schon Trauriges lag da auch noch in ihrem Blick, doch Nemuri konnte es nicht genau benennen. "Die Nemuri..., nein, viel mehr die Midnight, die ich kenne, hätte jedem Angreifer gehörig in den Hintern getreten und hätte sich von so einem Vorfall nicht sonderlich lange aus dem Takt bringen lassen. Aber ich bin froh, dass dir nichts passiert ist. Ist dieses 'Monster' hier noch irgendwo in der Nähe?" Yu hielt den Blickkontakt. Die Lehrerin fragte sich, was die Blondine mit der Aussage eben gemeint hatte, doch fehlten ihr aktuell die Nerven, um diesbezüglich nachzuhaken, gab es doch so vieles, was sich aufklären musste. Aktuell schwirrten ihr so viele Fragen und Ungereimtheiten im Kopf herum, dass es sie einfach nur noch vollkommen verwirrte. Und wieder wurde sie das Gefühl nicht los, das Yu mehr über all das hier zu wissen schien. "Nein, es ist weg. Ist sozusagen im Nichts verschwunden, wenn du es so willst, so verrückt das auch klingt." Nemuri war sich bewusst, dass es heute viel eher so klang als wäre sie es, die wirres Zeug redete, doch was gerade passiert war, war nun einmal wirklich geschehen. Weiterhin erklärte Yu sie jedoch in keinster Weise für verrückt. Die zierliche Blondine wirkte nur plötzlich so viel ernster und betroffener als zuvor. Erst einmal bot die Jüngere Nemuri das Getränk an, welches sie noch immer in einer Hand hielt. Ausgetrocknet, wie ihre Kehle von der Flucht eben war, nahm die Lehrerin den Becher dankend entgegen und nickte ihrem Gegenüber kurz zu. Etwas zu trinken tat wirklich gut. Vielleicht handelte es sich bei dem Bubble Tea nicht unbedingt um das gesündeste Getränk, doch nach der Flucht und dem damit verbundenen Stress war die zuckerhaltige Flüssigkeit nicht unbedingt das schlechteste, was ihr hätte passieren können. "Danke. Das brauchte ich jetzt." Nemuri seufzte leise und ließ den Becher langsam wieder sinken. Nach und nach hatte sie sich wieder einigermaßen beruhigt, auch wenn sie immer noch das Gefühl hatte einen Marathon gelaufen zu sein, ohne sich vorher aufgewärmt zu haben. Schließlich wandte sie sich Yu ganz direkt zu. Nach den Geschehnissen eben, wollte sie nicht mehr abwarten, dass das Thema eventuell wechseln könnte. Ihre intensiv blauen Augen ruhten auf Yu. "Hör zu Kleine, ich weiß, dass du scheinbar irgendetwas weißt und ich will endlich Antworten von dir. Das, was hier eben passiert ist, ist zu absurd, um länger um den heißen Brei herumzureden." Yu zögerte kurz, dann nickte sie, trat einen Schritt näher an Nemuri heran und blickte sich in der Gasse um. Inzwischen spähten einige Personen skeptisch aus ihren Fenstern. "Was es mit dem Monster, dass du da erwähnst, auf sich hat, kann ich dir auch nicht sagen, aber zumindest ein paar Dinge kann ich dir vielleicht beantworten." Sie sah in Richtung der Fenster. "Aber am besten nicht hier. Lass uns irgendwo anders reden." Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)