How to save a life von Funkenherz (Midnight x Mt. Lady) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Die Blondine blinzelte. Sie glaubte sich verhört zu haben. Das hatte ihr Gegenüber sie jetzt gerade nicht wirklich gefragt, oder? "Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er eindeutig nicht lustig." Langsam lockerte Yu die Umarmung und ließ ihr Gegenüber schließlich wieder los, um die andere Frau besser ansehen zu können. Immer noch rechnete sie damit, dass Nemuri sie vielleicht noch ein oder zwei Sekunden lang schmoren lassen würde, ehe sie grinsen und die ganze Situation auflösen würde, doch genau das geschah nicht. Weiterhin wirkte die Dunkelhaarige viel mehr verwirrt bis ratlos und schien ernsthaft zu überlegen, wo sie sich vielleicht schon einmal über den Weg gelaufen sein konnten. "Jetzt sag schon was.", verlangte die Profiheldin. "Du wirst ja wohl kaum auf den Kopf gefallen sein und mich vergessen haben." Einen Moment lang blickte ihr Gegenüber ihr noch entgegen und schien zu überlegen, dann schüttelte Nemuri schließlich den Kopf. "Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dich nicht kenne. Vielleicht liegt es auch an deinem Cosplay, aber an dein Gesicht würde ich mich definitiv erinnern, würden wir uns kennen.", stellte sie schließlich fest. Das... das war jetzt wirklich ein schlechter Scherz, oder? Erst die Tatsache, dass Kamui verschwunden war, genauso wie ihre Agentur und jetzt war sie zwar auf die UA Lehrerin getroffen, doch schien diese eine Art Amnesie erlitten zu haben und konnte sich nicht mehr an sie erinnern. Oder aber sie tat nur so? So ganz glauben konnte Yu das allerdings nicht. Sicher, Nemuri hatte sie schon immer gern geärgert, genauso wie sie in der Vergangenheit ständig gestritten hatten, doch dass die Dunkelhaarige in einer Situation wie dieser so tun würde, als wären sie sich noch nie begegnet, passte einfach nicht zu ihr. "Cosplay? Was redest du da bitte? Ich bin doch keine Cosplayerin!", widersprach die Blondine erst einmal entschieden, trug sie doch ihr bekanntes Heldenkostüm. "Du wirst mir ja wohl kaum erzählen wollen, dass das deine Alltagskleidung ist, Kleine. Erst recht nicht bei den aktuellen Temperaturen.", amüsierte die Ältere sich. Yu fand die Situation hingegen gar nicht zum Lachen. "Meine Berufskleidung, wenn du es so willst, aber wem erzähle ich das? Gerade du solltest das immerhin wissen!" "Berufskleidung?", wiederholte Nemuri ein wenig ungläubig und zog eine Augenbraue hoch. "Und wo arbeitet man mit einem so hautengen Kostüm?" Sie ließ der Blondine keine Zeit zu antworten, denn plötzlich hellten ihre Gesichtszüge auf. "Warte, sag nichts. Vermutlich in irgendeinem Club, habe ich recht? Sind wir uns dort vielleicht begegnet?" Sie schien noch einmal kurz nachzudenken, aber weiterhin zu keinem Ergebnis zu kommen. Schließlich setzte die Dunkelhaarige ein etwas entschuldigendes Gesicht auf. "Vielleicht waren es an dem Abend ein paar Drinks zu viel. Es tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Ahnung wer du bist." Yu starrte ihr Gegenüber ungläubig an. Was um Himmelswillen redete sie da? Diese Frau vor ihr sah haargenau aus wie Nemuri und hatte auch ihre Stimme, doch sie schien sich wirklich nicht erinnern zu können. War sie in der Schlacht vor drei Wochen also nicht gestorben, sondern nur am Kopf verletzt worden und hatte daraufhin ihr Gedächtnis verloren? Das wäre die naheliegendste Erklärung, denn sonst würde die Andere diese Show jetzt nicht abziehen. Nicht, nachdem ihre Rivalität in den letzten Monaten mehr und mehr zu schmelzen begonnen und sich langsam in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hatte. "Ich arbeite ganz sicher nicht in irgendeinem Club.", widersprach Yu, ehe sie hinzufügte:" Ich bin Profiheldin, ganz genauso wie du eine bist. Ich weiß nicht, was mit dir passiert ist, aber versuch dich zu erinnern." Vielleicht gelang es ihr, das Gedächtnis der Älteren irgendwie wieder wachzurütteln? Hoffentlich! "Profiheldin? Genauso wie ich?" Nemuris Mundwinkel begannen zu zucken, dann musste sie lachen. "Der war wirklich gut!", amüsierte sie sich, ehe sie langsam wieder ernster wurde und ihr Gegenüber aus intensivblauen Augen anblickte. "Aber ganz ehrlich, ich fürchte eher, dass du den Charakter, den du cosplayst, ein wenig zu sehr verinnerlicht hast. Auf welcher Convention du heute auch immer warst, du bist ganz offensichtlich auf dem Heimweg, also solltest du vielleicht langsam mal wieder umschalten, Süße." "So ein Quatsch! Ich war auf keiner Convention und ich bin auch keine Cosplayerin. Das gerade war mein voller Ernst!" Langsam hatte Yu Mühe damit nicht die Geduld zu verlieren. Ob sie wollte oder nicht, sie wurde langsam ärgerlich, auch wenn sie eine Amnesie für Nemuris Vergesslichkeit verantwortlich machte. So sehr sie sich das Verhalten der Anderen auch zu erklären versuchte und so sehr sie sich freute, dass die andere Frau wohlauf war, dass diese sich an rein gar nichts zu erinnern schien und sie offenkundig für eine verrückte Cosplayerin hielt, kratzte dann doch gehörig an ihren Nerven. "Es ist äußerst faszinierend mit welcher Überzeugung du schauspielerst, aber langsam ist es wirklich genug." Auch der Dunkelhaarigen reichte es langsam. "Ich weiß nicht wer du bist und ich habe auch keine Zeit, diese wirre Unterhaltung hier weiterzuführen.", stellte sie klar. "Bitte was? Aber ich sagte doch -", begann Yu, doch Nemuri ließ sie nicht ausreden und tätschelte kurz den blonden Schopf - ganz eindeutig mitleidig. "Hör zu Kleine: geh jetzt nachhause, zieh dich um und schalte von 'Convention' wieder auf 'normales Leben' um. Es reicht jetzt wirklich." Aufgrund der Geste war die Jüngere kurz zusammengezuckt. Sie war doch kein Hund, dem man den Kopf tätscheln konnte! Und überhaupt, wie redete die Andere da bitte mit ihr? Fast so, als würde sie sie für eine verrückte Schülerin halten, die den Bezug zur Realität verloren hatte. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte die Dunkelhaarige sich zum Gehen gewandt. Yu wirbelte herum. "Nemuri! Jetzt bleib gefälligst stehen!", blaffte sie, halb verzweifelt, inzwischen allerdings auch halb verärgert. Für einen Moment hielt die Ältere wirklich inne, dann fuhr ein Fahrradfahrer mit Anhänger und einem sperrigen Pappschild darauf, zwischen ihnen her. Als der Fahrradfahrer vorbeigefahren war, musste die Blondine feststellen, dass von der UA Lehrerin jede Spur fehlte. Rasch suchte sie mit dem Blick die Umgebung ab, doch die Ältere musste in eine der angrenzenden Straßen abgebogen sein. Noch verwirrter und verlassener als zuvor, blieb die junge Frau zurück und blickte ungläubig zu der Stelle, wo die andere Heldin eben noch gestanden hatte. Das konnte doch alles wirklich nicht sein. Midnight lebte - sie hatte zwar immer noch keine Ahnung, wie das möglich war, doch allem Anschein nach ging es ihr gut. Bis auf die Tatsache, dass ihr Gedächtnis einen Schlag abbekommen haben musste. Generell war die Art, wie sie sich gab, ein wenig anders als sonst. Das sie lebte, freute die junge Frau wirklich, bloß dass die Ältere ihr entwischt war, ehe sich alles hatte aufklären lassen, war weniger gut. Genauso wie die Tatsache, dass von ihrem Teamkameraden jede Spur fehlte, ziemlich unpraktisch war. Sie wollte unbedingt mit Kamui über das ganze Chaos sprechen. Die veränderte Stadt, die Tatsache, dass die Zerstörung die die Schlacht mit sich gebracht hatte, scheinbar gänzlich verschwunden war und dann natürlich noch der Punkt, dass Nemuri wohlauf war... Auf dem Nachhauseweg dachte die Dunkelhaarige über die seltsame Begegnung nach, die sie da eben erlebt hatte. Diese merkwürdige junge Frau... entweder war die Kleine eine extrem gute Schauspielerin, oder aber sie war wirklich überzeugt von dem, was sie da redete. Aber wenn sie wirklich aus voller Überzeugung behauptete, eine Superheldin zu sein, dann war das ein wenig besorgniserregend, richtig? Das Mädchen musste eindeutig zu viel Marvel gesehen haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Und über das Cosplayen musste sie den Bezug zur Realität verloren haben. ... Oder aber sie hatte von Anfang an recht gehabt und die Kleine arbeitete wirklich in irgendeinem Club. Das hautenge Kostüm, welches kaum Freiraum für die eigene Vorstellungskraft ließ, war zwar in gewisser Weise recht exotisch, aber warum nicht? In irgendeinem Nachtclub wäre das Mädchen ein echter Hingucker, so viel stand fest. Erst recht mit der Figur und dem bildhübschen Gesicht. Unweigerlich musste die Lehrerin bei ihren Überlegungen schmunzeln. Aber eine Sache, hatte sie wirklich aus der Bahn geworfen: Nemuri hatte keine Ahnung, wer die Blondine war, doch dass sie sich schon einmal begegnet sein mussten, stand außer Frage, denn die Jüngere hatte sie mit Namen angesprochen. Vielleicht wirklich eine flüchtige Bekanntschaft von irgendeiner Party? Anders konnte sie es sich nicht erklären. Ein paar Drinks zu viel würden vielleicht auch die Tatsache erklären, dass sie sich nicht mehr an diese, scheinbar reichlich verrückte, Schönheit erinnern konnte. "Vielleicht sollte ich es etwas ruhiger angehen lassen, wenn ich mich jetzt scheinbar nicht mal mehr an die Gesichter von Partybekanntschaften erinnern kann.", stellte sie schulterzuckend an sich selbst gewandt fest und schloss die Wohnungstür auf. Aber mal ehrlich, was hatte die Kleine da eben bitte voller Überzeugung geredet? Superhelden... sie hatte wirklich zu viel ferngesehen. "Hast du die Kleine da drüben gesehen?" "Heiß, aber auch ein ziemlich schräger Vogel, was?" Einer der Typen besaß sogar noch die Frechheit mit dem Finger auf sie zu zeigen, ehe die Gruppe, welche sich in einiger Entfernung auf der anderen Straßenseite aufhielt, lauthals anfing zu lachen und schließlich weiterzog. Die Blondine warf den Typen einen bösen Blick zu, doch inzwischen war die eigentlich temperamentvolle junge Frau es ganz eindeutig leid, sich mit jedem Zivilisten herumzuärgern, der sich über sie lustig machte. Was war das hier nur für eine Welt? Wie um Himmelswillen war sie hier gelandet und wie kam sie wieder zurück? Die junge Frau ließ sich auf eine Bank in der Innenstadt sinken und schlang die Arme enger um ihren Oberkörper. Sie fror erbärmlich und doch hatte sie keinerlei Ersatzklamotten dabei, um sich umzuziehen und so vielleicht ein klein bisschen weniger aufzufallen. Normalerweise genoss Yu die Aufmerksamkeit anderer regelrecht, aber das war natürlich nicht der Fall, wenn ihre Mitmenschen sie lediglich belächelten, ihr schiefe Blicke zuwarfen, oder sich über sie lustig machten. Ihr Magen knurrte, doch auch dieses Problem würde warten müssen. Hunger war zwar unangenehm, gerade allerdings ihre geringste Sorge. Inzwischen war die junge Frau der festen Überzeugung, dass diese Stadt nicht ihre Heimatstadt sein konnte. Wie auch immer es passiert war, sie musste an einem weit entfernten Ort gelandet sein, denn obwohl hier alle japanisch sprachen, schien niemand je etwas von Profihelden gehört zu haben. Lediglich irgendwelche Comichelden schienen den Menschen bekannt zu sein. Mit ihrem Heldenkostüm hielt man sie entweder für eine Cosplayerin (im günstigsten Fall), oder aber für einen ziemlichen Freak. So unwohl hatte sie sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt! Aktuell wünschte sie sich nur wieder zurück nach Hause! Und wärmere Kleidung wäre auch nicht übel. Obwohl sie mit ihrem Team an einem Frühlingstag auf Patrouille durch die Stadt hatte gehen wollen, hatte sie sich nach dem Lichtblitz ganz eindeutig in einer Herbstlandschaft wiedergefunden. Die Blätter der Bäume waren bereits bunt verfärbt und rieselten zu Boden, während die Temperaturen bereits ziemlich frisch waren und die Windböen scheinbar pausenlos durch die Stadt fegten. Nachdem sie sich ein Weilchen ausgeruht hatte, erhob die Blondine sich wieder von ihrem Sitzplatz und setzte ihren Weg durch die Stadt fort, auch wenn sie nicht wusste, wohin ihre Beine sie eigentlich tragen würden. Am Anfang hatte ihr Körper vor Kälte noch geschmerzt, inzwischen fühlten ihre Arme und Beine sich viel mehr taub an. Ihr dünnes, hautenges Heldenkostüm schützte sie kein bisschen vor den niedrigen Temperaturen. Seit sie höchst unfreiwillig in dieser seltsamen Stadt gelandet war, waren inzwischen gut 24 Stunden vergangen. Yu fühlte sich verlassener und ratloser als je zuvor. Gestern schon hatte sie versucht ihr Team zu erreichen, doch ihr Smartphone vermeldete ihr lediglich, dass besagte Nummern nicht vergeben wären. Sie hatte sämtliche abgespeicherte Kontakte abtelefoniert, allerdings mit dem selben Erfolg. Gestern hatte sie versucht mit einem bekannten Gesicht via Telefon in Kontakt zu treten, heute hatte sie es erneut mehrfach probiert - erfolglos. Wo auch immer sie hier war, sie war allein, so viel stand fest. Niemand würde sie abholen kommen und nachhause bringen. Was es noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass sie weder Ersatzkleidung, noch Geld dabei hatte, war sie gestern immerhin davon ausgegangen, lediglich einige Stunden mit ihren Teamkameraden in der Stadt unterwegs zu sein. Aktuell fiel es ihr schwer klar zu denken. Sie war ganz eindeutig vollkommen überfordert mit der Gesamtsituation. Sie musste hier wieder weg, aber wie? Sie brauchte ein Dach über dem Kopf, aber auch das war nicht so leicht ohne Geld. Gestern Abend noch hatte sie den Hauptbahnhof gefunden, welcher ironischerweise den gleichen Namen trug, wie der Bahnhof in ihrer eigentlichen Stadt. Die Fahrtziele waren ebenfalls identisch, bloß dass sie in all der Zeit keinem einzigen anderen Helden begegnet war und die Menschen sie für verrückt hielten. Die Bahnhofshalle war gut, um sich kurz ein wenig aufzuwärmen, doch allzu lange war sie nicht geblieben, da sie nicht am Ende noch mit den Obdachlosen auf eine Stufe gestellt werden wollte. Es reichte gerade schon, dass ein Großteil der Bevölkerung sie belächelte. Die Nacht auf irgendeiner Bank zu verbringen, war aus eben genannten Gründen auch nicht möglich gewesen, ließ ihr Stolz dies doch nicht zu. Aus diesem Grund war sie stundenlang umhergewandert, in der Hoffnung, endlich einem Bekannten zu begegnen, oder einen Weg zurück zu finden. Am Morgen hatte sich eine gewisse Portion Dreistigkeit bezahlt gemacht, als sie ihren Charme hatte spielen lassen, um in einer Bäckerei ein kostenloses Frühstück abzustauben, doch inzwischen war es bereits wieder Abend und sie war immer noch hier, in dieser seltsamen, fremden Stadt. Yu konnte sich unmöglich noch eine Nacht um die Ohren schlagen, zumal sie entsetzlich fror und Hunger hatte. Zu allem Übel hatte auch noch ein leichter Nieselregen eingesetzt, welcher die frostigen Temperaturen nur noch schwerer erträglich machte. Inzwischen fühlte sie sich halb erfroren, ausgehungert, müde und erschöpft. Unmöglich konnte sie so planlos weitermachen wie bisher. Wenn sie diesen Ort wieder verlassen wollte, dann musste sie sich eindeutig etwas einfallen lassen, doch gleichzeitig musste sie auch darauf achten bei Kräften zu bleiben. //So geht das nicht weiter. Ich muss mich aufwärmen und ein Dach über dem Kopf wäre für den Anfang auch nicht das Schlechteste. Dann kann ich mir immer noch weiter den Kopf zerbrechen.// Sie blickte sich um. Aber wie ließ sich dies ohne Geld am besten realisieren? Sich um einen Job bemühen? Nein, das wäre nur eine Lösung auf längere Sicht und würde ihr aktuell kaum weiterhelfen, zumal sie nicht gedachte, einfach aufzugeben und ewig hier festzusitzen. Es musste also auch anders gehen. Während die Blondine noch grübelte, was für sie die bequemste Lösung sein mochte, blieb ihr Blick eher zufällig an dem Schild einer Bar hängen. Kurz hielt sie inne. Das wäre eindeutig eine Idee... Vielleicht hielten viele Leute sie aktuell für eine verrückte Cosplayerin, doch mit Sicherheit fände sich trotzdem noch die ein oder andere Person, die ihr etwas ausgeben würde. Sich dafür in ein Gespräch verwickeln zu lassen, würde sie ganz eindeutig nicht umbringen. Außerdem sollte die Bar beheizt sein. Dem schlechten Wetter zu entkommen, sprach ebenfalls dafür, den Laden ganz einfach erst einmal zu betreten. ///Was solls? Ich hatte schon immer ein Händchen dafür, mir in Bars die Getränke spendieren zu lassen. Versuche ich also mein Glück.// Mit diesem Gedanken und der Hoffnung, Regen und Kälte vorerst zu entkommen, betrat die Blondine die Bar 'The Rainbow' schließlich kurzentschlossen. Kaum hatte sie die Bar betreten, schlug ihr angenehme Wärme entgegen. Das Lokal war ganz eindeutig beheizt. Was für eine Wohltat! Während sie die fünf Treppen hinunterschritt, welche ins Innere der Bar führten, sah die Blondine sich schon einmal um, um einen ersten Überblick zu gewinnen. Die Bar selbst war eher schmal, dafür war das Gebäude recht lang geschnitten, sodass im hinteren Teil des Lokals noch ausreichend Platz für einige Tische und Sitzgruppen war. Um diese Uhrzeit war der Laden bereits gut besucht. An den Tischen saßen Gäste, welche scheinbar einen Feierabenddrink genossen und sich dabei mit Bekannten oder Kollegen unterhielten. Glaubte sie zumindest, übersah Yu doch gekonnt die Tatsache, dass an den Tischen meist nur Paare des gleichen Geschlechts zusammensaßen. Gemischte Gruppen waren eher die Ausnahme. Die Beleuchtung war eher sparsam, was den Laden zwar einerseits dunkel, andererseits aber auch wieder gemütlich machte. In der Luft lag, zu Yus Leidwesen, ein nicht zu ignorierender Geruch nach Zigarettenrauch. Die junge Frau hatte den Tresen erreicht und nahm auf einem der Barhocker Platz. Der Barkeeper war gerade dabei einige Bestellungen fertigzumachen, nickte ihr jedoch bereits zu. "Herzlich willkommen. Einen kleinen Moment noch, bitte." So freundlich der Angestellte auch war, auch ihn schien das ungewöhnliche Outfit der Profiheldin ein wenig aus der Bahn zu werfen. Solange der Mann noch mit der Herstellung einiger Cocktails beschäftigt war, schnappte Yu sich die Getränkekarte und begann diese zu studieren. Erst einmal würde sie sich einen Überblick darüber verschaffen, was es hier gab, dann würde sie ausloten, bei wem es am lohnenswertesten wäre ihren Charme spielen zu lassen, um sich etwas ausgeben zu lassen. Die Blondine war sich bewusst, dass beispielsweise ihre Teamkameraden über solche Aktionen lediglich den Kopf schüttelten, doch Yu fand, dass nichts dabei war, einer anderen Person kurzzeitig schöne Augen zu machen, um Getränke oder etwas zu Essen nicht selbst zahlen zu müssen. Leute, die über so etwas die Augen verdrehten, waren vermutlich ganz einfach nur eifersüchtig, weil sie sich selbst nicht geschickt genug anstellten, um sich etwas ausgeben zu lassen. Während sie noch die Karte studierte, legte sich plötzlich ein Arm um ihre Schultern. Sie spürte den warmen Atem einer Person in ihrem Nacken. Der oder die Unbekannte hinter ihr, hatte sich leicht gegen ihren Rücken gelehnt, was die Blondine erst einmal dazu brachte erschrocken herumzuwirbeln. "So schreckhaft? Wie niedlich." Ihr Gegenüber lachte leise. "Aber davon ganz abgesehen, hätte ich nicht gedacht, dass wir uns ausgerechnet hier wieder über den Weg laufen würden." Überrascht blickte die Blondine in die blauen Augen der Lehrerin, welche sie gestern noch als verrückte Cosplayerin abgestempelt hatte. Dadurch, dass Nemuri sich leicht gegen sie gelehnt und Yu sich zu ihr umgedreht hatte, berührten ihre Nasenspitzen sich fast. Perplex starrte Yu die Ältere an. Die Nähe der anderen Heldin sorgte dafür, dass ihre Wangen sich fast sofort etwas wärmer anfühlten als eben noch. "Nemuri?! Was machst du denn hier?", erkundigte Yu sich überrascht, hatte sie mit dieser Begegnung doch wahrlich nicht gerechnet. Sie stellte fest, dass es nach wie vor ein seltsames Gefühl war, die Dunkelhaarige gesund und munter vor sich zu sehen. "Und warum bist du so überrascht, dass ich mich ausgerechnet hier her verirrt habe?", hakte sie nach, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. "Naja, weil...", setzte die UA Lehrerin zu einer Erklärung bezüglich der Bar an, stoppte dann jedoch, da ihr Gegenüber den Laden wohl bewusst gewählt hatte. Das Türschild war immerhin kaum zu übersehen. "Ach, vergiss es einfach." Das Schmunzeln auf den Lippen der Dunkelhaarigen wurde eine Spur breiter, während sie ihr Gegenüber auf seltsam eindringliche Art und Weise musterte und schließlich auf dem Barhocker neben ihr Platz nahm. Ein wenig erinnerte Yu Nemuris Blick an den eines Greifvogels, der ein Beutestück fixierte und sichtlich zufrieden mit seiner Entdeckung war, doch das bildete sie sich sicherlich nur ein. Die blauen Augen der anderen hatten ihr schon immer einen sehr intensiven Blick verliehen. "Ich bin eigentlich mit zwei meiner Kollegen hier.", erklärte sie weiter und nickte in Richtung eines Tisches unweit der Bar, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Yu zuwandte. "Aber die beiden haben mich nur so begleitet und kommen auch ein Weilchen ohne mich klar. Trink was mit mir." Die Blondine blickte zu dem Tisch, zu dem Nemuri gedeutet hatte. Wenn sie mit ihren Kollegen hier war, bedeutete dies dann auch, dass andere Lehrer der UA anwesend waren? Lehrer, die vielleicht keinen Gedächtnisverlust erlitten hatten und ihr sagen konnten, wie sie aus dieser seltsamen Stadt gelangte? Doch die beiden Männer, welche Midnight eben als ihre Kollegen bezeichnet hatte, hatte Yu noch nie gesehen. Das waren ganz eindeutig keine Lehrer der UA. Merkwürdig, wirklich. Und dann war da noch die Tatsache, dass die Ältere sie gestern noch als realitätsferne Cosplayerin dargestellt hatte und einfach verschwunden war, heute aber scheinbar sehr wohl Zeit für sie zu haben schien. Waren ihre Erinnerungen dabei wiederzukehren? So erbittert die beiden Frauen sich damals auch immer gestritten hatten, in den letzten Monaten war ihre Rivalität zunehmend dahingeschmolzen und hatte begonnen sich zu etwas gänzlich anderem zu entwickeln. Auch wenn die Amnesie der Älteren natürlich unschön war, so änderte das doch nichts daran, wie Yu für sie empfand, weshalb sie natürlich nichts dagegen hatte, Zeit mit Nemuri zu verbringen. Außerdem konnte sie dem Gedächtnis der Anderen so am besten auf die Sprünge helfen und zudem war die Dunkelhaarige die einzige Person in dieser Stadt, die sie kannte. "Ich soll was mit dir trinken?", wiederholte sie. "Sicher, aber nur wenn du zahlst." Die Lehrerin zog eine Augenbraue hoch. "Du bist ganz schön direkt, Kleine." "Du hast mich gestern als verrückte Cosplayerin hingestellt und mich einfach stehen lassen, wenn ich dich daran erinnern darf. Du hast also durchaus noch was gutzumachen.", murrte Yu. Nemuri musterte ihr Gegenüber von Kopf bis Fuß, weiterhin schmunzelnd. "Und wie ich sehe, bist du schon wieder im Cosplay unterwegs. Als Superheldin hast du wohl gut zu tun, was?", amüsierte sie sich. Naja, in dieser Stadt nicht unbedingt, musste Yu in Gedanken zugeben. Hier war ihr noch kein einziger Schurke über den Weg gelaufen und der Grund, warum sie ihr Heldenkostüm aktuell trug, war die Tatsache, dass sie nichts zum Umziehen dabei hatte. "Machst du dich gerade lustig über mich?" Die Blondine warf der Lehrerin einen warnenden Blick zu. "Ich? Ach Quatsch.", kam es amüsiert und gespielt unschuldig von der Älteren, ehe sie den Barkeeper heranwinkte, der inzwischen sämtliche Bestellungen abgearbeitet hatte. "Zwei Gin Tonic für uns, bitte!", rief sie dem Mann zu. Im ersten Moment wollte Yu protestieren, dass sie für sich selbst bestellen konnte, doch wenn Nemuri die Getränke in Auftrag gab, bedeutete dies wohl auch, dass sie die Rechnung übernehmen würde, daher wollte sie mal nicht so sein. "Du darfst doch schon Alkohol trinken, oder?" Der Profiheldin entgleisten die Gesichtszüge. Sie war zwar jung, aber nicht SO jung. "Bitte was?! Natürlich. Ich bin doch keine Schülerin mehr!", empörte sie sich. Der Barkeeper, der den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen hatte, hielt nun doch kurz inne. "Dürfte ich kurz Ihren Ausweis sehen, junge Dame? Nur zur Sicherheit.", erkundigte er sich höflich aber bestimmt. Während die Heldin sich wünschte einfach nur im Erdboden versinken zu können, wirkte Nemuri reichlich amüsiert über die aktuelle Situation. "Das glaube ich jetzt nicht.", murrte Yu. "Ich bin noch nie nach meinem Ausweis gefragt worden." Doch es half wohl nichts und wenn der Barkeeper zur Sicherheit unbedingt einen Blick auf ihren Ausweis riskieren wollte... immerhin den hatte sie dabei. Etwas umständlich begann sie damit an ihrem Heldenkostüm herumzunesteln, wobei sie sowohl vom Barkeeper, als auch von Nemuri, äußerst interessiert beobachtet wurde. Während Yu den Blick der Lehrerin fehlinterpretierte und davon ausging, dass diese sich einfach nur köstlich auf ihre Kosten amüsierte, funkelte sie den Barkeeper gereizt an. "Was denn?! Sehe ich so aus, als hätte ich eine Tasche dabei?!" Peinlich berührt wandte der Mann den Blick ab. Schließlich hielt die Blondine ein kleines, flaches Etui in der Hand, welches sie aufklappte. Ihren Ausweis und ihre Heldenlizenz musste sie nun einmal immer dabei haben. Während sie dem Barkeeper kurz den Ausweis zeigte und ein "Zufrieden?!", maulte, schnappte Nemuri sich kurzentschlossen die Heldenlizenz der Jüngeren und musterte das Kärtchen. "Das Kärtchen sieht ziemlich hochwertig aus. Cosplayer heutzutage legen eindeutig Wert auf Qualität." "Nur das ich keine Cosplayerin bin.", murrte die Profiheldin. Die Dunkelhaarige überflog den Text auf dem Kärtchen rasch. "Mt. Lady? Origineller Name für eine 'Heldin', wirklich.", stellte sie fest. "Aber Yu ist dein richtiger Name, oder?" Angesprochene nickte zur Bestätigung und hielt ihrem Gegenüber auffordernd die Hand entgegen, um ihre Heldenlizenz zurückzubekommen. "Richtig, aber das alles wusstest du auch schon mal.", seufzte sie. Inzwischen hatte der Barkeeper die Getränke der beiden Frauen fertiggestellt und stellte die Gläser vor ihnen auf dem Tresen ab. "Spielst du auf das an, was du gestern gesagt hast? Das wir beide Superheldinnen sind?", hakte die Lehrerin mit hochgezogener Augenbraue nach. "Du musst dir wirklich ordentlich den Kopf angehauen haben, dass du dich an rein gar nichts mehr erinnern kannst." Die Blondine verdrehte die Augen. Nemuri musterte ihr Gegenüber aufmerksam. Die Kleine war wirklich ziemlich exzentrisch. Oder aber sie spielte einfach nur gerne Rollenspiele, was die Tatsache, dass sie in diesem Kostüm unterwegs war, erklären würde. Ungewöhnlich, aber nicht uninteressant, wie sie zugeben musste. Hinzu kam, dass Yu über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügte und wahrlich nett anzusehen war. Trotz der Tatsache, dass die Jüngere sich derweil als Superheldin ausgab, schien sie ansonsten jedoch klar und zurechnungsfähig zu sein. Alles in allem war ihr Gegenüber eine wirklich ungewöhnliche, aber durchaus nicht uninteressante Person. Ursprünglich hatte die Lehrerin sich zwar mit zwei ihrer Kollegen in diese Bar gesetzt, doch die beiden konnten sich auch allein unterhalten und würden es sicherlich verstehen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit gerade lieber der hübschen Blondine schenkte. "Wenn ich mich angeblich an nichts mehr erinnern kann, dann hilf mir doch ein wenig auf die Sprünge.", stieg Nemuri schließlich in das Spielchen mit ein. "Wenn du einen Heldennamen hast, habe ich dann auch einen?" Als erwachsene Person und in aller Öffentlichkeit so zu tun, als wären sie Superhelden, war zwar schon etwas merkwürdig, trotzdem interessierte es sie, wie dieser Abend sich entwickeln würde, wenn sie ganz einfach mitspielte. Die Blondine hatte sich bestimmt nicht ganz grundlos in diese Art von Bar verirrt und wenn sie Rollenspiele so zu lieben schien, wer wusste schon, welche Facetten sie noch hatte? Nur schwer unterdrückte die Lehrerin ein breiter werdendes Schmunzeln. "Natürlich hast du auch einen Heldenamen. Alles andere wäre auch merkwürdig als Profi. Midnight. Erinnerst du dich wirklich nicht?" Irgendetwas an diesem Namen fühlte sich in der Tat vertraut an, aber das konnte auch ganz einfach nur daran liegen, dass ihr der Spitzname gefiel. Die Idee hätte glatt von ihr stammen können, wirklich. "Klingt gar nicht schlecht.", sagte sie also und trank einen Schluck Gin Tonic. "Deine beiden Kollegen da drüben sind auch Lehrer?", erkundigte Yu sich und wechselte damit das Thema. So merkwürdig es auch war, dass ihr Gegenüber sich an nichts erinnern konnte, es war noch viel seltsamer, sich mit jemandem über Helden zu unterhalten, wenn besagte Person davon auszugehen schien, dass sie ganz einfach nur in eine Rolle geschlüpft war. So sehr sie sich auch wünschte, dass die Erinnerungen der Älteren endlich zurückkehrten, sie wollte nicht am Ende noch für vollkommen verrückt gehalten werden. Derweil stutzte Nemuri aufgrund der Frage. Kurz blickte sie zu dem Tisch, an welchem ihre Kollegen saßen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Yu zuwandte. "Das ist richtig. Wir unterrichten an der gleichen Schule, aber woher weißt du eigentlich, welchen Beruf ich ausübe?" Erneut betrachtete sie das Gesicht ihres Gegenübers ganz genau. Wer war diese junge Frau? Am Ende noch eine ehemalige Schülerin? Wobei nein, Yu war zwar einige Jahre jünger als sie, aber so groß war der Altersunterschied dann auch wieder nicht. "Vielleicht, weil es kein Geheimnis ist, dass du Lehrerin bist? Die Schule ist bekannt und das Personal auch, also ist es keine Kunst das zu wissen." Die Blondine verdrehte die Augen. Weitere Erklärungen wären wohl fehl am Platz, würden diese doch vermutlich nur weitere Fragen aufwerfen. "Na so bekannt ist die Schule nun auch wieder nicht, auch wenn sie zu den besseren Schulen der Stadt gehört." Es war wirklich zum Haare raufen. Einerseits konnte sie es kaum glauben, dass die Ältere lebte und gesund und munter neben ihr saß, andererseits war es zum Verzweifeln, dass Nemuri sich an rein gar nichts erinnern konnte. All das passte nur allzu gut zu dieser verrückten Stadt. Nun, vielleicht musste Yu ganz einfach die Strategie ändern. Wenn es ihr so einfach nicht gelang, die Erinnerungen der UA Lehrerin zurückzuholen, dann brachte es vielleicht etwas, die Andere ein wenig über sich erzählen zu lassen, auf dass sie hoffentlich erfuhr, wie es ihr ergangen war, seit sie nach der großen Schlacht in gewisser Weise verschwunden war und alle sie für tot gehalten hatten. "Wenn du auch so vieles vergessen hast, aber die Tatsache, dass du dich von dir aus zu mir gesetzt hast, heißt doch, dass du dich mit mir unterhalten willst. Wie wäre es also, wenn du mir etwas von dir erzählst?" Erwartungsvoll blickte Yu ihr Gegenüber an. Vielleicht erfuhr sie auf diese Art und Weise ja irgendetwas Nützliches, das sie weiterbrachte? "Warum eigentlich nicht. Was interessiert dich denn beispielsweise?" In der Tat hatte Nemuri sich zu der Blondine gesetzt, um sich mit ihr zu unterhalten, auch wenn sie gewisse Hintergedanken nicht abstreiten konnte. Aber da ging es ja wohl nicht nur ihr so, warum sonst hätte Yu sich ausgerechnet in diese Bar verirren sollen? Die Art und Weise, wie die angebliche Profiheldin sich allein an die Bar gesetzt hatte, sprach außerdem dafür, dass sie angesprochen werden wollte. Während sie sich unterhielten, tranken sie ihre Gin Tonics, wobei die Dunkelhaarige den Barkeeper noch zwei weitere Male heranwinkte. Da diese Bar dummerweise nur eine Getränkekarte, aber keine Speisekarte hatte, hielt Yu sich lieber nur an den ersten Drink, würde es ihr doch nicht allzu gut bekommen, auf nüchternen Magen zu viel Alkohol zu konsumieren. Von der Lehrerin erfuhr sie, dass diese bereits seit fast sieben Jahren, direkt nachdem sie ihr Referendariat abgeschlossen hatte, in dieser Stadt arbeitete. Sie ging gerne aus, interessierte sich, genau wie Yu selbst, für Mode und mochte es, nach einem anstrengenden Arbeitstag den Feierabend aber ab und an auch ganz einfach mal bei einem guten Film vor dem Fernseher ausklingen zu lassen. Außerdem mochte sie Katzen und hatte bis vor kurzem noch selbst eine gehabt. Viele Dinge, die Nemuri ihr erzählte, klangen wirklich ganz nach der Frau die sie kannte, doch besonders der Punkt mit der Arbeit warf Yu aus der Bahn. Die Ältere war vollkommen überzeugt davon, dass sie bereits seit sieben Jahren an der Schule, in welcher sie aktuell arbeitete, unterrichtete. Aber das konnte nicht sein, denn der Name der Schule sagte ihr rein gar nichts. Und bis vor drei Wochen ungefähr, hatte Midnight ganz eindeutig die Helden von Morgen an der UA unterrichtet. Wie also konnte sie so überzeugt davon sein, eine gänzlich andere Vergangenheit zu haben? Die Frau, mit der sie sich unterhielt, war eindeutig Nemuri. Eine Verwechslung konnte unmöglich vorliegen, da war Yu sich ganz sicher. Aber wie zur Hölle...? Erst diese Stadt, die nur zum Teil aussah, wie sie aussehen sollte... man schien hier noch nie etwas von realen Helden gehört zu haben und sämtliche Kontakte, welche sie in ihrem Smartphone abgespeichert hatte, waren unerreichbar. Das alles klang schon viel mehr nach einer Parallelwelt als einfach nur danach, dass sie durch irgendeinen faulen Zauber an einen weiter entfernten Ort gelangt war. Aber das war lachhaft. Parallelwelten gab es nicht! Bloß eine einleuchtende, alternative Erklärung leider auch nicht... Yu wusste wirklich nicht mehr, was sie noch glauben sollte. Als die Kollegen der Dunkelhaarigen bei ihnen an der Bar auftauchten, war sie dankbar, zumindest für einen kleinen Moment eine Denkpause einlegen zu können. "Es ist schon ziemlich spät. Wir wollen uns langsam mal auf den Weg machen.", wandte einer der beiden Kollegen sich an Nemuri. "Kommst du mit, oder willst du noch bleiben, Kayama?", erkundigte der Zweite sich. "Ich? Ich bleibe noch, immerhin bin ich hier gerade in wirklich guter Gesellschaft.", antwortete die Lehrerin, ohne lange darüber nachzudenken. "Ein wirklich süßes neues Gesicht in dieser Bar, oder?", fügte sie mit einem schwer zu deutenden Schmunzeln hinzu. Yu fand, das man ihrer Gesprächspartnerin den Alkohol langsam anhörte. Zwar schien die Dunkelhaarige nur etwas beschwipst zu sein, aber vielleicht sollte sie es langsam gut sein lassen. "Und hoffentlich volljährig?", hakte einer der beiden anderen Lehrer nach und warf seiner Kollegin einen halb mahnenden, halb schiefen Blick zu. "Na was denkst du denn?!", amüsierte Nemuri sich. "Was stimmt eigentlich mit den Leuten hier nicht?! Freut mich, dass wir uns alle einig sind, dass ich jung aussehe, aber eine verdammte Schülerin bin ich nicht mehr!", regte die Blondine sich auf. Als die beiden Lehrer sich verabschiedet hatten und in Richtung Ausgang verschwunden waren, blickte Yu die Ältere kopfschüttelnd an. "Deine Kollegen sind merkwürdig, wirklich. Wieso interessieren die sich überhaupt dafür, wie alt ich bin?" "Vielleicht einfach nur mit Blick auf die Uhr? Die beiden sind eben Lehrer durch und durch.", schlug Nemuri vor. Sie musterte ihr Gegenüber und irgendwie fand die Blondine, dass der Blickkontakt ein wenig seltsam, fast schon zu intensiv, war. Und ihre Stimme hatte diesen merkwürdigen Unterton - unschuldig, aber eher gespielt unschuldig. Vermutlich lag das daran, dass Nemuri einfach nur ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte, richtig? Auch wenn der Alkoholpegel sich wohl noch im unbedenklichen Rahmen hielt. "Jetzt, wo ich dir von mir erzählt habe, ist es nur fair, wenn du mir auch etwas über dich verrätst, Süße.", verlangte die Dunkelhaarige schließlich. Nun, das war im Prinzip kein Problem... bloß was erzählte sie ihr am besten, ohne das Nemuri sie wieder als verrückte Cosplayerin abstempelte? Yu entschied sich dafür, mit vollkommen unverfänglichen Informationen zu beginnen, so zum Beispiel, dass sie Pfirsiche liebte, auf Noriblätter dafür aber umso besser verzichten konnte. Außerdem brauchte sie es nicht, wenn Leute in ihrer Nähe rauchten. Sie erzählte ihr, welche Filme sie mochte und wie sie ihre Freizeit am liebsten verbrachte, doch irgendwann stellte ihre Gesprächspartnerin eine Frage, die sich nicht mehr so leicht beantworten ließ. "Ich habe dich heute das erste Mal hier in dieser Bar gesehen. Bist du neu in der Stadt?" Weiterhin hatte Nemuri den Blick ihrer intensiv blauen Augen auf sie gerichtet. Die Finger der Älteren streiften leicht Yus rechte Hand. Yu schob die seltsamer werdende Situation auf Nemuris Alkoholpegel, zog ihre Hand aber nicht extra weg und dachte lieber einen Moment lang über die Frage nach. Einerseits trug diese Stadt genau den gleichen Namen wie ihre Heimatstadt, in der sie schon seit Jahren lebte, andererseits war diese Stadt eben NICHT ihre Heimatstadt, sondern ein reichlich verzerrtes, ungenaues Abbild davon, was sie sich selbst nicht erklären konnte. Doch wie sollte sie Nemuri dieses Problem begreiflich machen, wenn sie selbst noch nicht einmal wusste, was genau hier eigentlich gespielt wurde? "Neu in der Stadt trifft es nicht wirklich, aber im Normalfall habe ich die Abende nicht in irgendwelchen Bars, sondern Zuhause verbracht." Unbehaglich rutschte sie auf dem Barhocker hin und her, während sie sich nur allzu gut der Tatsache bewusst war, dass die intensivblauen Augen ihres Gegenübers weiterhin auf ihr ruhten. "Und wie kommt der plötzliche Sinneswandel?" "Naja... ich kann im Moment unmöglich nachhause zurück.", kam es etwas zögerlich von Yu, die ihrem Gegenüber schlecht erklären konnte dass sie gestern noch ganz normal aus dem Haus gegangen war, ihr Haus sich jedoch hinter ihr in die Mauer irgendeiner Fabrik verwandelt hatte. Sie wusste ja selbst, dass das eigentlich nicht möglich sein konnte und doch war genau das passiert. "Du kannst nicht zurück? Warum denn das? Stress mit der Freundin?", riet Nemuri. Perplex blinzelte die Blondine ihr entgegen. Das die Ältere sich an nichts mehr erinnern konnte, hatte sie ja inzwischen verstanden, doch würde man sich im Normalfall nicht erst einmal nach Stress mit dem Freund und nicht mit der FreundIN erkundigen? "Ich habe keine.", winkte sie ab. Wenn man bedachte, dass die dunkelhaarige Lehrerin, vor der Schlacht, die Person gewesen war, welche auf dem besten Weg gewesen war, eben jenen Platz in ihrem Leben einzunehmen, machte es diese Unterhaltung nur noch bizarrer. "Ich kann derzeit aus anderen Gründen nicht zurück, aber die würde ich jetzt ungern anschneiden.", wich Yu schließlich aus. Mit einem Blick auf die Wanduhr, wurde sie sich bei diesem Thema nur wieder der Tatsache bewusst, dass sie sich die Nacht erneut in der Stadt um die Ohren schlagen dürfte, wenn es dumm lief. Etwas, worauf sie nun wirklich keine Lust hatte. "Keine Freundin, keinen Platz für die Nacht, das nenne ich mal bitter. Ich könnte dich mit zu mir nehmen.", schlug die Ältere schließlich vor. Warum erinnerte der Blick der blauen Augen Yu dabei so sehr an einen Wolf der ein Kaninchen anstarrte, welches in der Falle saß? Mitleid bezüglich ihrer aktuellen Situation war das jedenfalls nicht, so viel stand fest. Aber was dann? Der Alkohol? Wahrscheinlich, entschied die Blondine. "Da sage ich bestimmt nicht nein!", rief sie aus und ihre Mimik hellte sich deutlich auf, denn die Aussicht darauf, auf dem Sofa der Lehrerin zu übernachten, anstatt in der derzeitigen Kälte allein durch die Stadt zu wandern, war wirklich verlockend. Etwas überrascht über diese sehr direkte Antwort, blinzelte ihr Gegenüber, grinste dann aber amüsiert. "Na du weißt jedenfalls was du willst, Kleine." "Nenn mich nicht so, aber natürlich weiß ich was ich will. Das Angebot klingt viel zu verlockend, als dass ich es ablehnen könnte." Ein Dach über dem Kopf und ein Schlafplatz, das klang wirklich gut, nachdem sie die letzte Nacht ziellos umhergewandert und fast erfroren war. Außerdem sollte morgen früh durchaus noch ein Frühstück drin sein, was einen weiteren Vorteil darstellen würde. Nun und vielleicht würde es den Erinnerungen der UA Lehrerin auch ganz gut tun, wenn sie noch ein Weilchen miteinander redeten. Irgendwann musste sie sich doch einfach wieder an die Zeit vor der Schlacht erinnern können... und an sie. Nachdem sie ihre Getränke ausgetrunken und die Ältere die Bezahlung übernommen hatte, stand sie schließlich von ihrem Platz auf. "Na komm, gehen wir." Yu stutzte kurz, als ihr Gegenüber ihr die Hand hinhielt, doch in der Annahme, dass Nemuri bloß scherzte, griff sie zu und rutschte ebenfalls vom Barhocker. Als sie sozusagen wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wollte die Blondine ihre Hand zurückziehen, stellte jedoch überrascht fest, dass die Lehrerin ihren Griff nur noch verstärkte. "Hast du doch etwas zu viel getrunken?", erkundigte sie sich daher also, als sie sich daran machten die Bar 'The Rainbow' wieder zu verlassen. "Ich? Ach Quatsch, mir geht's gut." Vielleicht hätte die Jüngere schon bei den Blicken, mit denen die Dunkelhaarige sie den Abend über bereits ständig von Kopf bis Fuß gemustert hatte, misstrauisch werden sollen, spätestens bei deren Angebot sie mit nach Hause zu nehmen, hätte sie aufhorchen sollen, doch leider hatten die beiden Frauen den ganzen Abend schon mehr als nur aneinander vorbeigeredet. Das die gänzlich unterschiedlichen Motive, aus denen sie den Abend über zusammen an der Bar gesessen und geredet hatten, noch zu einem wesentlich größeren Missverständnis führen sollten, ahnte die Profiheldin noch nicht, als sie sich mit ihrer eigentlichen Kollegin auf den Heimweg machte... "Wohnst du weit von hier?", fragend blickte die Profiheldin ihre Begleiterin an, während sie die Straße entlangliefen. Inzwischen war es dunkel und entsprechend wenige Menschen liefen um diese Uhrzeit noch durch die Stadt. "Vielleicht zehn Minuten von hier. Meine Wohnung liegt recht zentral." "Wie praktisch. Hier mitten in der Stadt hast du quasi alles direkt vor der Tür." Und doch stimmte auch die Lage der Wohnung nicht. Yu wusste, dass Nemuri, vor dem Kampf gegen die Schurken, im Lehrerwohnheim gelebt hatte und dieses befand sich auf dem Gelände der UA. Doch auch von der berühmten Heldenschule schien in dieser Stadt jede Spur zu fehlen, obwohl der Name der Stadt identisch mit dem Namen ihrer Heimatstadt war. Irgendetwas stimmte hier wirklich nicht. Überhaupt nicht. Eine heftige Windböe fegte die Straße entlang. Die Blondine fröstelte und rieb sich über die Oberarme. "Es ist jetzt schon fast so kalt wie im Winter.", murrte sie. Die Tatsache, dass es in dieser seltsamen Stadt bereits Herbst war, obwohl sie gestern noch an einem Frühlingstag ihr Haus verlassen hatte, war eine recht harte Umstellung. "Gleich sind wir ja da. Dann sorg ich dafür, dass dir wieder warm wird.", stellte die Dunkelhaarige fest und zog ihre Begleiterin, welche sich seitlich an sie geschmiegt hatte, noch etwas näher, den Arm weiterhin um ihre Schultern. "Klingt wie Musik in meinen Ohren.", stimmte die Blondine zu und dachte dabei an eine Tasse Tee und eine Decke, die sie in der Wohnung der Lehrerin hoffentlich bekommen würde. Ein wenig merkwürdig fand Yu es zwar durchaus, so vertraut mit Nemuri durch die Stadt zu laufen, erst recht, wenn man bedachte, dass die Ältere ihr Gedächtnis verloren hatte, doch gleichzeitig war ihre Seite angenehm warm, was man von den derzeit in der Stadt herrschenden Temperaturen nicht gerade behaupten konnte. Die Tatsache, dass die Lehrerin sie allem Anschein nach auf dem Nachhauseweg so gut es ging warmhalten wollte, war immerhin eine sehr freundliche Geste. Natürlich schob sie die Hand der Älteren, welche sich für ihren Geschmack ein wenig zu oft und zu nahe in Richtung ihrer Brust verirrte, entschieden wieder zurück an ihren ursprünglichen Platz auf ihrer Schulter. "Du bist betrunken, Nemuri." Schließlich stoppten die beiden Frauen vor einem Gebäude. Ein unscheinbares, aber gepflegtes, Mehrfamilienhaus, mitten in der Stadt. Nemuri ließ sie los und kramte kurz in ihrer Handtasche, bis sie den Haustürschlüssel gefunden hatte. Yu war bereits heilfroh den Hausflur zu betreten. Zwar war dieser nicht beheizt, aber trotz allem war es hier schon etwas wärmer als vor der Tür und auch der Wind war ausgesperrt. "Du wohnst hoffentlich nicht unter dem Dach?", erkundigte die Blondine sich, nachdem sie im Hausflur keinen Aufzug entdeckt hatte. Die Dunkelhaarige lachte leise. "Nein, nur auf der zweiten Etage. Wirst du es denn schaffen?" "Hey! Nur weil ich keine Lust auf die ganzen Treppen habe, heißt das nicht, dass ich hoffnungslos unsportlich bin!", empörte Yu sich. Während sie der Älteren die Treppen hoch folgte, musste sie erneut daran denken, wie merkwürdig die aktuelle Situation hier doch war. Das war eindeutig nicht das Haus, in welchem Nemuri eigentlich lebte. Zwar war sie noch nie bei ihr Zuhause gewesen, doch wusste sie zumindest WO sie wohnte. //Wirklich fast wie in einer Parallelwelt, in der vieles ähnlich, aber auch vieles grundverschieden ist.//, musste Yu in Gedanken erneut feststellen. Während sie die Treppen hochliefen, betrachtete Yu die Lehrerin, welche vor ihr her lief. Zwar hatte sie inzwischen durchaus verstanden, dass diese ihr Gedächtnis verloren haben musste, doch damit abgefunden hatte sie sich noch nicht. Die Tatsache, dass Nemuri sich nicht mehr an sie erinnerte war hart, wirklich. In den Monaten vor der Schlacht gegen die Schurken, war ihre Rivalität so gut wie dahingeschmolzen. Zwar waren sie vor der Schlacht erst ein paar Mal wirklich miteinander ausgegangen, eine Tatsache die die Jüngere vor ihrem Umfeld verborgen hatte so gut es ging, doch es war dennoch deutlich geworden, in welche Richtung die nun wesentlich freundlichere Beziehung der beiden Heldinnen sich entwickeln würde. Zumindest bis zum Zeitpunkt der Schlacht. Oder aber bis zum Zeitpunkt nach dem Kampf, als Yu erfahren hatte, dass auch die UA Lehrerin unter den Gefallenen war. Diese Erkenntnis hatte ihr vor drei Wochen gefühlt den Boden unter den Füßen weggerissen. Nemuri jetzt gesund und munter wiederzusehen, bedeutete ihr daher umso mehr. Sie war wirklich glücklich, dass die Ältere lebte und es ihr gut ging. Die Tatsache, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte, war zwar ein bitterer Beigeschmack, doch Hauptsache sie lebte! Und obwohl die UA Lehrerin sich wohl nicht an sie erinnern konnte, konnte sie ihr gleichzeitig auch nicht unsympathisch sein, denn sonst hätte sie ihr nicht netterweise angeboten, diese Nacht in ihrer Wohnung zu verbringen und damit der Kälte zu entkommen. Sie hatten die zweite Etage erreicht, auf welcher sich insgesamt drei Wohnungstüren befanden. Nemuri schloss die Tür der linken Wohnung auf und betrat den Flur. Yu folgte ihr und stellte erfreut fest, dass bereits der schmale Flur der Wohnung angenehm warm war. Zwar waren sie gerade nur kurz durch die Kälte gelaufen, doch in ihrem Heldenkostüm, welches praktisch gar nicht vor den aktuellen Temperaturen schützte, hatte ihr das bereits mehr als gereicht. Eine Tasse Tee und eine Decke wären jetzt nicht schlecht um wieder aufzutauen. Oder aber eine heiße Dusche und dann eine Tasse Tee. Damit könnte sie auch durchaus leben. "Ich bin halb erfroren! Jetzt heißt es erstmal wieder auftauen.", seufzte sie und schloss die Wohnungstür hinter sich, damit sie nicht den Hausflur mitheizten. Als sie sich wieder umdrehte, um der Wohnungsbesitzerin ins Wohnzimmer zu folgen, wäre sie beinahe gegen die Ältere gelaufen, stand diese doch plötzlich überraschend genau vor ihr. "Oh, auftauen wirst du, das habe ich dir immerhin versprochen." Das wölfische Schmunzeln auf dem Gesicht der Dunkelhaarigen und der leichte Schatten, der sich über ihre Mimik legte, beunruhige die Blondine dann doch ein wenig. Die Tatsache, dass ihr Gegenüber sie in der nächsten Sekunde sanft aber bestimmt mit dem Rücken gegen die Innenseite der Wohnungstür drückte, machte es nicht unbedingt besser. "Das du Rollenspiele scheinbar magst, habe ich ja schon festgestellt, aber wie sieht es mit deinen anderen Vorlieben aus? Verrätst du sie mir, oder willst du, dass ich sie herausfinde?" Die Profiheldin glaubte sich verhört zu haben. Reichlich fassungslos starrte sie die Frau an, die ihr eigentlich so vertraut und plötzlich doch so fremd war. "B-bitte WAS?!", begann sie, wurde jedoch unterbrochen, als ihr Gegenüber sich zu ihr herunter beugte, sie nur noch etwas mehr zwischen sich und der Wohnungstür fixierte und ihr einen Kuss auf die Lippen drückte. Nicht gerade sanft, sondern viel mehr fordernd, wie Yu feststellte. Im ersten Moment war sie wie erstarrt, hatte sie bis eben doch mit allem nur nicht damit gerechnet. Ihr Herz begann wie wild von innen gegen ihren Brustkorb zu hämmern, jedoch war es nicht die angenehme Sorte von Herzklopfen. So sympathisch die Lehrerin ihr eigentlich war, so hatte sie sich den ersten Kuss zwischen ihnen nicht vorgestellt, vor allen Dingen nicht vor diesem, nun plötzlich sehr offensichtlichen, Hintergrund. "Mpf!", protestierte sie und wollte den Kopf zur Seite drehen, doch die Ältere legte eine Hand an ihr Kinn und hielt sie mit sanfter Gewalt fest. "So schüchtern?", kam es amüsiert von Nemuri. "Das spielst du doch nur." Nachdem die Blondine den Abend über ein sehr gesundes Selbstbewusstsein an den Tag gelegt hatte, ging sie zumindest stark davon aus. Die Wohnungsbesitzerin schloss die winzige Distanz zwischen ihnen wieder und zwickte der Jüngeren leicht in die Lippe. Die Blondine war nicht nur vollkommen überrumpelt, langsam aber sicher begann sie sich wirklich unwohl in der derzeitigen Situation zu fühlen, nachdem sie ihre aktuelle Lage erst wirklich realisiert hatte. Die eigentlich beheizte Wohnung fühlte sich schlagartig kalt an, als die Angst langsam in ihr aufzusteigen drohte und sie wortwörtlich lähmte. Nicht, dass sie davon ausging, dass ihr Gegenüber wirklich etwas tun würde, was sie absolut nicht wollte... Zumindest die Nemuri, die sie kannte, würde das niemals tun. Aber war die Nemuri, die sie da gerade mit dem Rücken gegen die Tür drückte und ihr inzwischen den zweiten Kuss aufzwang, wirklich ihre Nemuri? Die aufkommenden Zweifel verstärkten Yus Unwohlsein nur noch. Das war nicht die Situation, in der sie sich wünschte von der Anderen geküsst zu werden, erst recht nicht so intensiv! Und dass die Lehrerin auf viel mehr als nur einen Kuss aus war, war kaum zu übersehen. Yu konnte den Alkohol im Atem der Älteren riechen und spürte deren Hände über ihren Körper wandern, während sie gegen das Holz der Tür gedrückt wurde. Erst ganz sanft legte die Lehrerin eine Hand auf die rechte Brust der Profiheldin, dann wurde ihr Griff etwas stärker, als sie sie zu massieren begann. Übelkeit und eiskaltes Entsetzen stiegen in der Blondine auf. Nemuri war ganz eindeutig betrunken, denn sonst hätte sie schon längst verstanden, dass Yu all das hier gar nicht komisch fand! Die Blondine riss sich endlich aus ihrer Schockstarre, packte die Ältere entschieden bei den Schultern und schob sie von sich. "Stopp! Bist du wahnsinnig?!", blaffte sie sie schockiert an. Ihre Wangen brannten heiß vor Verlegenheit, während Yus Stimme die aufsteigende Panik anzuhören war. Nun war die Dunkelhaarige es, welche ihren derzeitigen Gast im ersten Moment irritiert anblickte. "Was denn? Deshalb bist du doch erst mit mir mitgekommen.", stellte sie etwas überrascht fest. "Bitte? Ich glaube-", begann Yu, die einerseits gerade im Erdboden versinken, die Situation andererseits klären wollte, brach jedoch ab und konnte nicht anders, als ihr Gegenüber ungläubig anzustarren. War sie gerade eigentlich gewillt das Missverständnis aufzuklären, so peinlich es auch sein mochte, so weiteten sich ihre rötlichen Augen in der nächsten Sekunde vor Schock und Fassungslosigkeit. Draußen vor dem Wohnzimmerfenster zuckte ein grellvioletter Blitz am Nachthimmel entlang. Doch das ungewöhnliche Wetterphänomen war nicht das, was die Heldin so schockierte. Viel mehr war es die Tatsache, dass von den Armen ihres Gegenübers eine blassrosane Wolke aufstieg und sich hartnäckig in dem kleinen Flur der Wohnung verteilte. "Du benutzt deine Quirk?! Was zum?! Nemuri...!" Zwar wirkte Nemuris Quirk bei Frauen nicht so gut wie bei Männern, doch aktuell befanden sie sich in einem mehr als überschaubaren Flur, in welchem die blassrosane Wolke nicht abziehen konnte. Yu bekam sozusagen die volle Dosis ab und obwohl sie dagegen ankämpfte, merkte sie dennoch, wie sie sich nach und nach immer benommener fühlte, als die Müdigkeit von ihr Besitz zu ergreifen versuchte. Nicht nur ihre Müdigkeit wuchs stetig an, zeitgleich stieg auch Entsetzen in ihr auf. Das...das war doch nicht die Nemuri, die sie kannte! Niemals würde sie so etwas tun! Der 'Überfall' an der Tür eben mochte noch als Missverständnis durchgehen, doch nachdem die Blondine sie von sich geschoben und ganz eindeutig abgewiesen hatte, nutzte Nemuri ihre Quirk um sie in Schlaf zu versetzen?! Bei dieser Erkenntnis zog sich ihr Magen zusammen. Yu wurde speiübel vor Angst. Sie wandte sich in Richtung Wohnungstür um diese zu öffnen, spürte jedoch, wie die Müdigkeit sie mehr und mehr übermannte. "Das... das ist nicht dein Ernst... Das kannst du mir unmöglich antun wollen...", nuschelte sie noch, während ihre Beine unter ihr nachgaben und ihre Augen immer wieder zufielen. Eine einzelne Träne lief über Yus Wange. Hätte sie Nemuri ins Gesicht gesehen, so hätte sie bemerkt, dass auch diese vollkommen entsetzt dreinblickte, doch noch ehe sie den Kopf heben konnte, siegte die Müdigkeit. Derweil glaubte Nemuri im falschen Film zu sein. Was um Himmels Willen passierte hier?! Was war das für eine seltsame rosa Wolke? Gas?! Aber das war unmöglich, immerhin trat das Zeug aus ihren Armen aus und nicht aus irgendeiner undichten Leitung. Nun stiegen auch in der Lehrerin Stress und beginnende Panik auf. Yu schien eine Ahnung zu haben, was genau hier passierte, sah sie doch ebenfalls reichlich schockiert aus, doch noch ehe sie die Situation hätte aufklären können, fielen der Blondine die Augen zu, ehe ihre Beine unter ihr nachgaben. Auf sie selbst hatte das Gas seltsamerweise keinen Effekt, wie Nemuri feststellte. Oder nur NOCH nicht? Rasch griff sie nach ihrem derzeitigen Gast und bekam die junge Frau gerade noch zu fassen, ehe diese den Boden küsste. "Yu! Hey, Kleine, ist alles in Ordnung bei dir?" Schlagartig wieder nüchtern, war es nun die Besorgnis, die in ihrer Stimme mitschwang. Zwar hatte das seltsame, rosa Gas aufgehört aus ihren Armen auszutreten, doch das Zeug war bereits im ganzen Flur und Wohnzimmer und die Blondine, die die Substanz eingeatmet hatte, war bewusstlos zusammengeklappt. Mit der Jüngeren in den Armen kniete die Lehrerin im Flur der Wohnung, schüttelte die Blondine leicht und versuchte sie wieder aufzuwecken, jedoch ohne Erfolg. Verdammt! Das war eindeutig gar nicht gut. Dankbar darüber, dass ihr derzeitiger Gast so klein und zierlich war, hob sie die Blondine auf die Arme, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf dem Bett des Appartements ab, ehe sie sämtliche Fenster aufriss, damit das Gas aus der Wohnung ziehen konnte. Und jetzt? Sollte sie die Feuerwehr rufen? Das würde kaum Sinn machen, immerhin gab es hier keinerlei undichte Leitungen, oder ähnliches. Und einen Krankenwagen? Vielleicht wäre das nicht das Schlechteste. Sie hatte keine Ahnung, was genau für eine Substanz Yu da gerade eingeatmet hatte. Aber... wie sollte sie den Sanitätern das erklären? Besorgt und verunsichert über diese bizarre Situation zugleich, musterte die Lehrerin die zierliche junge Frau, welche bewusstlos auf ihrem Bett lag und so zerbrechlich wirkte. Nemuri ging zurück zu ihrem Gast, setzte sich auf die Bettkante und fühlte nach dem Puls der Blondine. Ruhig und regelmäßig. Auch atmete sie ganz normal. Es brauchte einen Moment, bis sie sich ganz sicher war, doch schließlich verstand sie, dass die Jüngere nur schlief, wenn auch tief und fest. Erst spielte sie weiterhin mit dem Gedanken einen Krankenwagen zu rufen. Was, wenn dieses seltsame Gas doch gefährlich gewesen war? Aber wie sollte sie den Sanitätern bitte erklären, was genau passiert war? Sollte sie ihnen sagen, dass da ernsthaft gerade eine Art Gas aus ihren eigenen Armen ausgetreten war, sich in der Wohnung verteilt hatte und Yu in Folge dessen schlafend zusammengeklappt war? Der Rettungsdienst würden sie doch für verrückt halten! Und Yu...schien wirklich nur zu schlafen. Besorgt betrachtete Nemuri ihren Gast eine Weile lang und prüfte regelmäßig Puls und Atmung der Jüngeren, doch die Blondine schlief lediglich. Nemuri konnte sich nicht erklären, was genau da gerade eigentlich passiert war, aber als sie verstand, dass Yus Zustand sich nicht verschlechterte und die Kleine allem Anschein nach nicht in Gefahr war, beruhigte sie sich langsam wieder, auch wenn die Verwirrung über die Gesamtsituation natürlich blieb. "Um Gottes Willen, du machst Sachen...", murmelte sie, versuchte noch einmal Yu aufzuwecken, scheiterte aber auch diesmal kläglich daran. Nun, ein medizinisches Problem schien nicht vorzuliegen und langsam aber sicher zog das seltsame Gas auch wieder aus der kleinen Wohnung. Sollte sie der Jüngeren ganz einfach erstmal Zeit geben und abwarten, bis sie von allein wieder aufwachte? In Anbetracht der Tatsache, dass sie herbeigerufenen Sanitätern kaum vernünftig erklären könnte, was eigentlich passiert war und Yu im Prinzip nur zu schlafen schien, war das wohl die beste Idee. Noch reichlich neben der Spur, zog die Dunkelhaarige die Bettdecke über ihren derzeitigen Gast, nahm Yu nach kurzem Zögern die Dominomaske ab und betrachtete die schlafende jung Frau eine Weile lang. Irgendwie kam ihr dieses Gesicht so vertraut vor. Wenn sie bloß wüsste woher. Und die Andere hatte zudem noch die ganze Zeit über behauptet sie zu kennen und sogar ihren Namen und ihren Beruf gekannt, obwohl Nemuri weder das eine, noch das andere zuvor erwähnt hatte. Sanft strich die Lehrerin über die kleine Narbe über der Augenbraue der Jüngeren. Wo sie die wohl her hatte? Egal. Nun, zumindest würde sie sich ganz eindeutig bei Yu für das Missverständnis von eben entschuldigen müssen. Die Blondine war in Panik gewesen, bevor das Gas sie in Schlaf versetzt hatte. Es war nie Nemuris Absicht gewesen, ihr solche Angst einzujagen. Wieder zuckte ein Blitz in einem unnatürlichen Violett am Himmel entlang. Vielleicht hatte Yu nicht auf all das hier Antworten, doch glaubte Nemuri, dass die Jüngere zumindest etwas mehr zu wissen schien als sie selbst. Sie würde sie danach fragen, sobald sie wieder aufwachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)