Memento defuncti - Ein Requiem zu früh von Dollface-Quinn ================================================================================ Kapitel 7: Die Gang ------------------- „Gib‘s doch zu. Der Rock macht dich scharf. Ist doch keine Schande.“, grinste der Dämon. „Wenn du nicht augenblicklich dein freches Mundwerk schließt, du perverse Heimsuchung...“, drohte der Erzbischof zähneknirschend. Das ging schon den ganzen letzten Abend so und setzte sich am Morgen nahtlos fort. „Auf Ente Isla hast du mir gegenüber nie den Retter markiert und hier trägst du mich plötzlich auf Händen. Mann könnte fast glauben, du magst mich.“, provozierte der Teuflische. „Lucifer, ich warne dich. Halt ein oder ich vergesse mich.“, Olba unterdrückte den Zorn nicht allzu gut. Man sah ihn regelrecht in seiner Haut kochen. Der Gefallene aber grinste weiter und schwieg. Olba hatte nicht die nötige Menge Magie einsetzen wollen, um seinen Patienten sofort zu regenerieren, und stattdessen nur seine Selbstheilung gestärkt. Der Engel musste also alle Stadien des menschlichen Heilungsverlaufs durchstehen. Er fühlte sich gerädert und das Heftpflaster auf seiner Wange juckte. In dieser Verfassung wollte er nicht unter Leute gehen. Also blieb er, nachdem Olba zur Arbeit gegangen war, lesend in der Basis zurück. Allerdings wurde ihm das bald zu langweilig. Stöhnend wälzte er sich von einer Seite auf die andere, kratzte sich am Rücken, ächzte und setzte sich schließlich auf. „Schöne Scheiße!“, murrte er vor sich hin. Dann krabbelte er hinüber zu Olbas Lager und durchwühlte dessen Sachen. Erstaunt stellte Lucifer fest, dass der Erzbischof inzwischen über eine Brieftasche, eine Bankkarte, einen Ausweis und Bargeld verfügte! Außerdem hatte er seine Robe zurückgelassen, weil er zur Arbeit ja den Blaumann trug. Lucifer sortierte ein paar Fressalien beiseite und stieß auf etwas, das wie ein elektronisches Gerät aussah. Interessiert nahm er es in die Finger und untersuchte die Knöpfe, den Bildschirm und die Schiebeklappe, unter der sich ein Paar Batterien versteckten. Nachdem er einige der Knöpfe versuchshalber gedrückt hatte, kam plötzlich Leben in den kleinen Bildschirm und eine 8-Bit-Melodie vertonte den Namen des Herstellers. Lucifers Augen begannen zu leuchten. „Komm schon, Mann! Ich tu alles! Aber du musst mir JETZT SOFORT Batterien für meine PASTA besorgen, Olba, sonst dreh ich noch durch!“, bettelte Lucifer herzzerreißend. Olba blickte streng auf ihn herunter und runzelte die hohe Stirn. „Du hast dieses Gerät seit acht Stunden und bist schon süchtig! Diese Welt tut dir nicht gut, Lucifer. Wir sollten schnellstmöglich unseren Auftrag erledigen und hier verschwinden.“, meinte er ernst. „Boar, ey, scheiß auf dein Attentat! Solange ich hier erst gesund werden muss, will ich was spielen!“, drängte der Engel. „Dieses Gerät gehört dir nicht! Ich habe es in einem Umkleideraum gefunden und wollte es zu den Fundsachen tun. Es war nur ein unseliger Zufall, dass ich es hier vergaß. Du kannst es nicht behalten!“, tadelte der Glatzköpfige streng. Lucifer verzog aufgebracht das Gesicht. „Versuch‘, mir die PASTA wegzunehmen und du wirst es bitter bereuen, du Wischlappen!“ Olba beugte sich zu Lucifer hinunter, hielt den wütenden Jüngling mit einem Arm in Schach und nahm die Handheld-Konsole an sich. Lucifer schrie Zeter und Mordio. Er verfolgte den Geistlichen bis zur Tür ihrer Basis, zerrte an ihm und schnappte nach der PASTA, aber es half nichts. Olba verließ das Zimmer und brachte dieses kleine, elektronische Stück himmlischer Lebensfreude an einen unbekannten, für Lucifer unerreichbaren Ort. Der ehemalige Dämonengeneral presste die Hände gegen das Papier der Tür und schwor Olba finstere Rache. Es verging ein weiterer Tag voller Langeweile, an dem Lucifer das Zeichnen wieder aufnahm. In erster Linie schändete er Olbas Ausweis, indem er dem Passfoto Zahnlücken, eine Augenklappe, fiese Narbe und Würmer malte, die aus seinen Ohren herauslugten. Anschließend beschmierte er die Wände mit kunstvoll verschnörkelten Sprüchen und Bildern, die Olba als „Meister der Hauses“ mit Pömpel und Wischmop im Kampf gegen eine Armee angreifender, verstopfter und Fäkalien spuckender Toiletten zeigte. Danach zwang ihn allerdings sein schmerzender Körper auf das Lager zurück und er schlief bis zum Abend. Als Olba wieder in die Basis zurückkam, tat er so, als sähe er im Dunkeln das Graffiti nicht. Am nächsten Morgen fühlte sich Lucifer der Menschenwelt dort draußen wieder gewachsen. Der Schnitt auf seiner Wange war nur noch eine blasse Erinnerung und die Schmerzen in seinen Gliedern hatten sich verflüchtigt. Shinsuke Nakamura, weinte fast vor Freude darüber, „Satori“ wiederzusehen. Er hatte sich nämlich tatsächlich hoffnungslos in seine Amatsuotome verliebt und Tage lang befürchtet, sie könnte ihn womöglich meiden. Das hätte ihm das Herz gebrochen. Er hatte Satori sogar einen Notizblock besorgt, sodass die Schönheit fortan aufschreiben konnte, was sie ihm sagen wollte. Der Notizblock hatte einen lila Einband mit weiß gestrichelten Herzen darauf. Auf seine Fragen hin schrieb Lucifer auf einen Zettel, er wäre krank gewesen. Shinsuke gab sich Mühe, besorgt zu wirken, aber die Erleichterung, dass Satori ihn nicht absichtlich gemieden hatte, war ihm deutlich anzumerken. Lucifer sah darin seine Chance den Jungwrestler zu benutzen. Der Engel schenkte ihm einen bezaubernden Augenaufschlag, der Shinsuke die Knie weich werden ließ und schrieb dann eifrig auf seinen Block. In kurzen, knappen Sätzen bat Satori um einen Gefallen. Shinsuke sollte zum Hausmeister gehen und nach einer Handheld-Konsole von PASTA fragen, die er im Umkleideraum verloren haben musste. Satori beschrieb das Aussehen des Geräts in Stichworten. Shinsuke fragte erst gar nicht, wieso Satori nicht selbst hinging. Sie konnte ja nicht sprechen. Nur wieso sie eine Hendheld-Konsole haben wollte, die in einem Umkleideraum für Jungen gelegen hatte, interessierte ihn dann doch. Lucifer schrieb als Erklärung auf seinen Zettelblock, die Konsole gehöre ihm, sei ihm aber vor zwei Tagen von einem Rüpel gestohlen worden. Inzwischen seien die Batterien leer und der Rüpel habe die Konsole absichtlich dort liegen lassen, wo Satori nicht hin könne, um sie zu holen. Das hätte ihr der Typ selbst gesagt. Shinsuke ließ die Knöchel knacken meinte drohend: „Zeig mir den Kerl. Den mach ich fertig.“ Satori nickte und tippte dann aber energisch mit dem Finger auf ihren Block. Shinsuke verstand und ging zum Hausmeister, um die Konsole zu holen. Während Lucifer wartete, hoffte er inständig, der Yandere nicht wieder zu begegnen. Aufmerksam beobachtete er die Flure. Schüler kamen vorbei und unterhielten sich miteinander. Viele warfen der Schönheit mit dem langen, lila Pferdeschwanz Blicke zu. Faszinierte Blicke. Neidische Blicke. Begehrliche Blicke. Ein Mädchen sprach ihn an, wurde aber sofort von ihren Freundinnen weitergezogen. Schon im Gehen rief sie ihm noch winkend ein hoffnungsvolles „Wir sehen uns!“ zum Abschied zu. Lucifer hatte nicht ein Wort zu ihr gesagt. Er schien eine seltsame Wirkung auf die Menschen zu haben. Ob da wohl noch Reste seiner himmlisch-dämonischen Präsenz in ihm glühten? Als er die Augen anschließend erneut von einem Ende des Flurs zum anderen schweifen ließ, fuhr ihm auf einmal der Schreck in die Glieder. Die Yandere kam auf ihn zu! Sie war noch weit entfernt und hatte ihn noch nicht entdeckt, aber sie kam genau in seine Richtung. Lucifer suchte nach einem Versteck in der Nähe, aber es gab keines. In der Menge untertauchen und verschwinden? Welche Menge? Die Schülergruppen tröpfelten eher vereinzelt an ihm vorbei! Wütend registrierte der ehemalige Dämonengeneral, dass er gerade seine Flucht vor einem wertlosen Menschenmädchen plante und ihm dabei das Herz bis zum Hals schlug. Seine Hände waren feucht und seine Beine kribbelten, als wollten sie gleich ohne ihn losrennen. Aber es half alles nichts. Er musste dieser Verrückten unbedingt ausweichen! Verstohlen wandte er sich in die Richtung, in die Shinsuke verschwunden war und sah erleichtert, dass der Wrestler bereits zurückkam. Glücklich überreichte er Satori die PASTA. Mit einem Schlag war die Yandere vergessen. Lucifers Augen leuchteten teuflisch auf vor Freude und ein diebisches Grinsen legte sich auf seine Lippen. Äußerst zufrieden sah der Engel von seiner Errungenschaft auf und wollte Shinsuke zu verstehen geben, dass er jetzt noch neue Batterien für das Ding besorgen solle. Doch als Satori ihr schönes, lächelndes Gesicht dem Jungen neben sich entgegen hob, da neigte sich jener plötzlich herunter, legte dem vermeintlichen Mädchen zärtlich die Hand an die Wange und küsste es auf den Mund. Lucifer erstarrte zu Eis. Ein Schauder des Entsetzens überlief ihn. Ein Mensch, noch dazu ein wertloser Jugendlicher wagte es, IHN anzufassen! Seine Rücken- und Brustmuskulatur spannte sich an, als könnte er mit einem einzigen, kräftigen Flügelstoß das Leben des Frevlers auslöschen! Aber er besaß keine Flügel mehr. Und dann entdeckte er die Yandere. Sie stand stocksteif mit weit aufgerissenen Augen unweit von ihnen und starrte sie an. Ihr Blick war ebenso mörderisch, wie verletzt. Lucifer lächelte sanft. Er hob die Arme, griff nach Shinsukes breiten Schultern und schmiegte sich an den Größeren, während der Kuss nun sichtbar einvernehmlicher wurde. Shinsuke, der schon hatte aufhören wollen, weil von Satori so lange keine Reaktion gekommen war, schlang nun glücklich den muskulösen Arm um ihre zierliche Gestalt und seine Hand rutschte streichelnd in den schmalen Nacken. Dergestalt in der Umarmung des anderen gefangen, fühlte sich der Engel nicht besonders wohl. Er ließ es sich aber nicht anmerken und duldete Shinsukes Lippen auf den seinen, bis er aus dem Augenwinkel sah, wie die Yandere mit Tränen überströmten Wangen heulend den Flur hinab rannte. Nun löste Satori zufrieden grinsend den Kuss mit Shinsuke, der ihr Lächeln natürlich gründlich missinterpretierte. Die folgenden Tage verliefen äußerst günstig für Lucifer. Der Engel stellte zunehmend fest, dass nicht nur Jungen seinem Charme erlagen. Auch Mädchen näherten sich ihm immer häufiger. Die meisten wollten einfach nur in Satoris Nähe stehen, um den Jungen, welche die lilahaarige Schönheit anstarrten, ebenfalls aufzufallen. Und tatsächlich baten dann viele dieser Jungen, die sich nicht trauten, Satori anzusprechen, ihre weniger hübschen Freundinnen um ein Date. So mangelte es Lucifer nie an Begleiterinnen, die ihn für das Trio der Yandere unerreichbar machten. Doch nicht alle Mädchen in seinem Umfeld waren oberflächliche Trittbrettfahrerinnen. Irgendetwas an ihm zog auch Schülerinnen mit einer verborgenen bösen Ader an, als hätten sie nur auf jemanden wie ihn gewartet. Jene formte er zu einer eingeschworenen Gemeinschaft von Rebellinnen. Wenn Satori nicht mit ihren Mädels zusammen war, dann sah man sie an der Seite des Wrestling-Klub-Leiters. Jeden Abend, den der Wrestler nicht im Training war, gingen sie miteinander aus, wodurch der Yandere zunehmend die Haare ausfielen vor Kummer. Dabei ließ sich Lucifer von Shinsuke bloß in jedes Schnellrestaurant der Gegend einladen. Als vollendeter Gentleman zahlte natürlich der Mann. Shinsuke hielt sich in diesen Tagen für den glücklichsten Jungen der Welt, weil das schönste Mädchen der Schule jeden möglichen Abend mit ihm verbringen wollte. Die Stunden während des Unterrichts, die Lucifer allein war, verbrachte er in der Bibliothek mit der Suche nach möglicherweise hilfreichen Büchern. Allerdings hielt er sich dabei immer schön in Reichweite irgendeiner Aufsicht, für den Fall, dass die Yandere schwänzte, um ihn umzubringen. Eines Tages entdeckte er dort einen Computer, der allein und vergessen in einer Ecke stand. Neugierig untersuchte er das Gerät. Da es Ähnlichkeit mit dem Exemplar im Sekretariat hatte, brachte er es schnell zum Laufen, klickte sich durch die langweiligen Programme und traf dann auf etwas, das sein Leben um einiges lebendiger machen sollte: Das Browser Icon! Eine unerschöpfliche Quelle des Wissens, der Gerüchte, der Anrüchig- und Möglichkeiten tatsich vor ihm auf! Über Lucifers engelsgleiche Gesichtszüge zog sich ein schmales Grinsen, das immer dann auftauchte, wenn er etwas teuflisches plante. Kotone, Nagori, Makoto, Toshiko und Rin. Es war, als hätten diese Mädchen nur auf eine Anführerin gewartet, die ihnen zeigte, wie sie es anstellen mussten. Und so waren sie äußerst empfänglich für Satoris Idee, in der Stadt Brieftaschen zu stehlen, um sich von dem Geld interessante Nachmittage zu machen. Allerdings war es auch immer wieder eine Herausforderung, bei den Mädels nicht als Junge aufzufliegen. So bemerkte Makoto schon in den ersten Stunden ihrer unheiligen Allianz, dass Satori weder Ohrringe noch Stecker trug, ja überhaupt keine Ohrlöcher hatte! Tatsächlich war Lucifer dieses Manko seiner Tarnung schon länger bewusst. Er fand Ohrstecker auch eigentlich ganz geil, hatte aber keine große Lust gehabt, seinem schwachen Menschenkörper mit einer Nadel zuzusetzen. Wer wusste schon, ob er am Ende deswegen vielleicht an einer Blutvergiftung sterben würde? Menschen starben ja erfahrungsgemäß wegen jedem Scheiß! Nachdem Makoto es ausgesprochen hatte, blieb ihm allerdings kaum mehr eine Wahl. Er schrieb den Freundinnen also eine gut durchdachte Geschichte auf seinem Notizblock, dass seine Eltern immer dagegen gewesen wären, dass er sich Ohrlöcher stechen lasse. Nun lebe er aber bei seinem verranzten Großvater und dem sei so ziemlich alles egal, was Satori mache. Eine Chance zur Rebellion witternd, verabredete man sich gleich für den Nachmittag in der Stadt. Die Mädchen führten Lucifer zu einem billigen Schmuckgeschäft, das auch Ohrlöcher stach und erklärten ihm, wie es ablief. Lucifer suchte sich ein Paar lilafarbene Stecker aus und setzte sich relativ furchtlos auf den Stuhl. Als die Verkäuferin mit dem Gerät auf ihn zu kam, das ihm das Fleisch durchstoßen sollte, fiel es ihm schwer vor der Hand dieses Menschen nicht zurückzuzucken. Da die Clique ihm aber versichert hatte, es würde schnell gehen, ließ er die Berührung tapfer zu. Das Geräusch des nach vorne schnellenden Mechanismus war schlimmer als das bisschen Schmerz, das folgte. Er ließ sich beide Seiten stechen und verzog nur wegen des lauten Knalls so nah an seinem Ohr das Gesicht. Die Mädchen gratulierten ihm. Sie nannten es scherzhaft einen Initiationsritus. Lucifer betrachtete das Ergebnis im Spiegel und fand, dass sie da gar nicht so falsch lagen. Er hatte sich nun vollkommen in diese Welt und seine Rolle eingefunden. Er hatte eine Bleibe, Gefolgsleute, einen Lakaien und Bodyguard, einen Haus- und Hofmeister und bald würde ihm sicher auch ein Plan einfallen, wieder Macht zu erlangen. Zufrieden grinsend ging er mit den Mädels Sushi essen und auf seine neuen Stecker anstoßen. Trotz dieser erfreulichen Entwicklungen war Olbas neue Stellung immer noch das Beste an Lucifers Schulleben. Er hatte Olba nicht verziehen, dass er ihm in Zeiten der Not die Pasta weggenommen hatte. Umso schadenfroher beobachtete er, wie der Erzbischof diese Welt immer stärker zu hassen schien, je mehr sich Lucifer an sie gewöhnte. Der Geistliche hatte am Tag nach ihrer Ankunft in seiner neuen Stelle zu arbeiten begonnen und es dauerte nicht lange bis zum ersten Nervenzusammenbruch. „Pömpeln!“, schrie er am Ende seines ersten Tages, „Ich bin der Erzbischof der heiligen Kirche! Ich bin ein Oberhaupt! Ein Würdenträger! Ich habe Armeen in die Schlacht geführt! Unter meiner Leitung wurde Emilia zur legendären Heldin und Satan besiegt! Doch diese… diese … verlangen von mir … Toiletten zu reinigen!“, seine Worte kamen, wie sein Atem, immer abgehackter und gepresster hervor. Er bekam kaum noch Luft, weil er sich so aufregte. Mit der Reinigung verstopfter Toiletten fing Olbas Martyrium aber gerade erst an. Er musste Glühbirnen auswechseln, Türen ölen, den Schulhof in Ordnung halten, die Flure bohnern, Graffiti und Kaugummi entfernen ... Schon bald drohte der gruselige, alte Glatzkopf jedem Kind und jedem Mitglied des Schulpersonals, dem etwas kaputt ging, mit der Exkommunikation! Sein Leben als Hausmeister forderte fast mehr von ihm, als der gesamte Krieg gegen die Dämonen. Immer häufiger verschütteten Schüler klebrige Getränke oder Milch auf den Fluren. Die Wände wurden mit Kreide, Kulli, Filzstift und Sprühfarbe beschmiert. Einmal verbrachte Olba einen gesamten Nachmittag damit Schmierseife von einer Tafel zu wischen. Lucifer lachte sich halb krank darüber. Er machte sich einen Spaß daraus, nach der Schule, wenn er Olba sicher an einem anderen Ort wusste und kein Schüler mehr im Gebäude war, durch die Flure zu huschen und Arbeit für den alten Mann vorzubereiten. Dann hatte der Engel nämlich alle Zeit der Welt, um ganz in Ruhe leere Klassenzimmer, Toilettenräume und Umkleidekabinen zu präparieren. Er war es überwiegend, der die Klos verstopfte, die Wände anmalte, Schüler mit offenen Getränkeflaschen anrempelte oder Shinsuke dazu brachte, Schüler in Vitrinen zu werfen, sodass es Scherben regnete. Als Shinsuke von Satori wissen wollte, welcher Rüpel ihr denn nun die PASTA gestohlen hatte, die er vom Hausmeister für sie zurückholen sollte, da zeigte Lucifer auf einen zufällig vorbeikommenden Schüler, einfach weil er in etwa Shinsukes Größe hatte. Der Wrestler hielt den Ahnungslosen mitten im Flur auf und verprügelte ihn so gründlich, dass jener sich noch im Schulflur über die Heizung erbrach. Olba schrubbte die ganze Nacht die Kotze aus den Lamellen. An dem Tag, an dem Lucifer den Sicherungskasten fand, drehte er eine ganze 90-minütige Schulstunde lang die Sicherungen von acht Klassenzimmern immer abwechselnd raus und wieder rein, sodass Olba hinzu gerufen wurde, um das zu reparieren. Der Erzbischof rannte hin und her ohne zu wissen, was er tun sollte, denn er kannte sich mit Elektrik ja nicht aus. Doch sobald er bei einem Klassenzimmer ankam, funktionierten die Lichter plötzlich wieder, woraufhin in einem anderen Klassenzimmer die Lichter plötzlich erloschen. Das war der Tag, an dem Olba am Abend zu Lucifer sagte, er habe sich entschieden zu kündigen und sie würden sich ein anderes Versteck suchen müssen. Lucifer verwandte seine ganze silberzüngige Kompetenz darauf, Olba zu beschwichtigen. Der gestresste Erzbischof äußerte den Verdacht, dass es da jemand ganz heimtückisch auf ihn abgesehen habe! Lucifer konnte sich an diesem Punkt ein kleines, teuflisches Grinsen nicht verkneifen, aber er versicherte, er werde die Augen nach dem Übeltäter offen halten. Als Lucifer an einem Abend mit den Steckern in den Ohren zurück in die Basis kam, war das für Olba offenbar der Gipfel eines wieder mal sehr langen und schmachvollen Tages. „Woher hast du das Geld dir Edelsteine in die Ohren zu hängen!“, fuhr er ihn ohne ein Wort der Begrüßung an. „Straßenstrich.“, antwortete der Engel prompt und in so selbstverständlichem Tonfall, dass Olba im ersten Moment die Sprache versagte. Er rang nach Worten, offenbar überfordert mit der Situation, bis Lucifer ihn erlöste. „Dein Gesicht müsstest du sehen.“, feixte er, „Krieg dich ein. Ich geh dir schon nicht fremd.“ Nun begriff der Priester, dass man ihn veräppelt hatte und seine Wut kehrte zurück. „Ich warne dich, Lucifer! Wenn wir wegen deiner Vergnügungssucht vorzeitig entdeckt werden, bist du der Erste, den ich vernichte!“, drohte er dem Gefallenen, der sich unbeeindruckt aus seiner Schuluniform schälte und seine Tunika wieder anzog, in der er schlief, weil er immer noch keine andere Wäsche besaß. „Komm mal runter, Opa, sonst kriegste noch n Herzinfarkt. Was regst du dich denn so auf?“, fragte er achselzuckend. Olbas Gesicht wurde sichtbar heißer. „Arroganter Taugenichts! Auf Ente Isla warst du schon unerträglich, aber jetzt fange ich an zu bereuen, dir damals nur ein Schlafmittel eingeflößt zu haben und kein Gift!“ Fertig umgezogen wandte sich der Langhaarige in einer geschmeidig fließenden Bewegung nun doch zu dem Erzbischof um und zog sich gleichzeitig das Halstuch aus dem Haar, sodass seine langen, dunklen Strähnen schwungvoll über seine Schultern, den Rücken und die Brust fielen, als wäre er ein Model aus der Shampoo Werbung. „Du machst jetzt echt n Aufriss, wegen der zwei winzigen Stecker? Geht‘s dir noch luftig?! Das ist stinknormales, farbiges Glas und woher ich die Mücken dazu habe, kann dir doch egal sein, also schalt mal n Gang runter!“, zickte er Olba an. Dann warf er das Halstuch auf den Haufen, den seine Uniform am Boden bildete und griff nach oben, um sich auch noch die Spange aus dem Pony zu ziehen. „Zügle deine vorlaute Zunge, Dämon! Solange wir zusammen auf dieser Mission sind, geht mich alles, was du tust, etwas an! Woher hast du das Geld, du sündiger Lump?“, wurde Olba laut. „Von deiner Mutter!“, gab Lucifer zurück. Vier Schritte und der Erzbischof stand so dicht vor dem Engel, dass jenem vor Schreck die Haarspange aus den Fingern fiel. Er wich zurück, hatte aber sofort einen Tisch im Rücken. „Hey, mach mal langsam. Darfst du überhaupt so nah an die Schüler ran?“, versuchte Lucifer den aufdringlichen Kirchendiener mit erhobenen Händen von sich abzuhalten. Jener aber hob nur drohend den Finger in das halb von Haaren verdeckte Gesicht des Jungen. „Ich hege schon länger den Verdacht, dass du die unschuldigen jungen Menschen dieser Welt mit deiner Unreinheit befleckst. Soll der Tand dich für deine widerwärtige Prostitution hübscher machen? Ich sehe doch, wie sie dir in Scharen folgen. Ich werde nicht zulassen das-“, aber er kam nicht weiter mit seinem Satz, denn Lucifer hatte angefangen schallend zu lachen. „Prostitution!“, rief er lachend. Dann wich zur Seite weg aus, um wieder Abstand zwischen sich und Olba zu bringen. Provozierend lasziv legte er den Kopf schief, sodass ihm die langen Haare seitlich über die Schulter rutschten, und stemmte die Hand in die Taille, als wolle er seine schlanke Figur hervorheben. „Bist du etwa immer noch böse, weil ich dich auf Ente Isla nicht ranlassen wollte? Bist du eifersüchtig, weil ich jetzt derjenige mit dem Gefolge bin und du derjenige, der meinen Leuten hinterherputzt?“ Olba brodelte. „Treib es nicht zu weit, oder ich lege dich wieder in Ketten!“ „Du kannst genauso wenig himmlisches Silber beschwören, wie ich. Es gibt unseren Himmel hier nicht. Also spar‘ dir deine lahmen Drohungen.“, entgegnete Lucifer gelangweilt und betrachtete seine Fingernägel. „Wenn du mit dieser sinnlosen Rumbrüllerei jetzt fertig wärst, ich bin müde und du stehst quasi in meinem Bett.“, meinte er gelassen. Olba schnaubte, entfernte sich aber wieder auf seine Seite des Zimmers. „Ich verstehe wirklich nicht, wieso du dich mit diesem Tand verstümmeln lässt. Was für ein Sinn steckt sonst dahinter, wenn nicht der, einer Hure ähnlicher zu sein?“, schmollte der Priester. Lucifer ließ sich auf dem Boden nieder und stöhnte genervt auf. Als er sprach, imitierte die Ausdrucksweise seiner Mädels perfekt. „Boar, Alter, du checkst es echt nicht? Jede Frau auf dieser Scheißwelt hat Löcher in den Ohren. Ich hab jetzt halt diese Drecksuniform und muss mich anpassen. Keine Stecker zu haben ist mega auffällig! Raffst du‘s mal? Ich will nämlich schlafen. Ich hab morgen noch was vor!“ Damit legte er sich hin und drehte Olba den Rücken zu. Für einen kleinen Augenblick herrschte Stille im Raum. Dann räusperte sich Olba. „Du… du verfolgst einen Plan… oder, Lucifer?“ „Verdammt richtig! Infiltration, Schwächung, Usurpation! Ich bin Satans General gewesen, schon verdrängt? Ich hab deinen dämlichen westlichen Kontinent platt gemacht und genau das mache ich jetzt auch mit dieser Welt. Dann wird sich die Heldin von ganz alleine zeigen und die weiß garantiert wo der Dämonenkönig ist, den sie verfolgt hat. Da kannst du deinen notgeilen Priesterarsch drauf verwetten.“, tönte der Engel selbstbewusst, während er sich bereits zum Schlafen unter den Tisch rollte. Auf Olbas faltigem Gesicht breitete sich erst Erleichterung und dann Zufriedenheit aus. „Sehr gut. Wird auch Zeit, dass du dich nützlich machst! Und lass dir die Haare schneiden, bevor du Emilia gegenüber trittst! Du siehst mit den langen Fransen einfach lächerlich aus.“ Lucifer zeigte Olba den Mittelfinger, ohne sich dafür extra noch einmal zu ihm umzudrehen. Am nächsten Vormittag ging er in die Stadt, wartete auf eine günstige Gelegenheit, einem Herrn die Geldbörse aus der Gesäßtasche zu ziehen und kaufte von dem darin enthaltenen Geld eine Stange richtig potenter Böller und ein Feuerzeug. Die steckte er in der Schule in eine Toilettenschüssel im Mädchenklo, verlängerte die Zündschnur bis vor die Tür und wartete auf das Ende der letzten Stunde. Dann brannte er sie an. Die Bombe platzte, als im Strom der Schüler die ersten noch einmal die Waschräume aufsuchen wollten, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Das Geschrei und die Panik breitete sich über mehrere Stockwerke aus. Am einen Ende eines Ganges hörte man Warnrufe vor einem Amoklauf, aus der anderen Richtung hieß es, man habe Schüsse gehört und drei Flure weiter schwor jemand, es habe schon am Morgen eine Bombendrohung gegeben, die aber vertuscht worden sei. Die Schüler trampelten sich gegenseitig über den Haufen, in ihrer panischen Flucht zu den Ausgängen. Lucifer stand geschützt hinter einer Tür und spürte überrascht, wie sich sein Magiekern aufzufüllen begann. Er lehnte mit geschlossenen Augen an der Wand und genoss die Gewissheit, dass es in dieser Welt offenbar doch Möglichkeiten gab, seine Kräfte zu regenerieren. Diese alles verändernde Entdeckung behielt er für sich. Er sagte Olba kein Wort davon. Allerdings hörte er nach diesem Erfolg erst einmal auf mit seinen Streichen. Ihm wurde klar, dass er größer denken musste, als bloß einen Hausmeister zu terrorisieren. Er musste sein Treiben auf die ganze Stadt ausweiten! Olba nahm die plötzliche Ruhe als Indiz und blätterte heimlich die Klassenbücher durch auf der Suche nach Schülern, die nach dem Böllerstreich plötzlich der Schule fern geblieben waren. Denn wer nicht da war, konnte kein Unheil mehr anrichten, so seine Überlegung. Auf diese Weise kam er tatsächlich auf ein fünf Verdächtige, die er dann mit Argusaugen beschattete, sobald sie wieder zur Schule kamen. Lucifer war es ganz recht. Er hatte jetzt nämlich andere Dinge im Kopf. Ab jetzt verließ er vormittags während des Unterrichts die Schule, streifte durch die Stadt und kundschaftete mögliche Einsatzorte für seine Mädchen Gang aus. Auf dem Rückweg stahl er dann, wo er nur konnte. Kurz vor ihrem ersten großen Coup verabredete er sich mit Kotone, Nagori, Makoto Toshiko und Rin für Sonntagnacht in der Schule. Den schlafenden Olba schloss er vorsichtshalber in der Basis ein, als er ging. Zur großen Freude der Mädels, zog Satori in dieser Nacht mit ihnen allesn ein gruseliges Verbrüderungsritual durch, von dem er in der Bibliothek gelesen hatte. Natürlich war das alles menschengemachter Unfug mit viel Show und Gänsehaut, aber ohne Wirkung. Dennoch machte es Lucifer Spaß die Sache zu inszenieren. Er ließ Makoto seine vorbereiteten Zettel vorlesen, auf denen er das Ritual erklärte. So setzte er alle davon in Kenntnis, dass dieser Zauber, den sie ausführen würden, ihre Gemeinschaft beschützen würde, solange es keine Verräter in ihren Reihen gäbe. Eidbrüchigen hingegen stünde ein grausamer Tod bevor. Da er ja die Stumme spielte, brachte er Rin und Kotone dazu, die Formeln abwechselnd aufzusagen. Damit wurden sie zu den Priesterinnen des Rituals und zu Wächterinnen über die Einhaltung des Treueschwurs erklärt. Das Ritual prophezeite den Wächterinnen in ihrer eigenen Haut gekocht zu werden, sollten sie ihre Aufgabe je vernachlässigen. Rin und Kotone machten todernste Gesichter, während sie die Sprüche rezitierten. Am Ende stachen sie sich der Reihe nach in den Daumen und hinterließen je einen blutigen Daumenabdruck in je einer weißen Fläche innerhalb eines auf Papier aufgezeichneten Pentagramms. Das Papier vergruben sie anschließend auf einem Friedhof. Lucifer konnte die damit geschaffene Zusammengehörigkeit unter den Mädchen fast körperlich spüren, auch wenn das alles romantischer Unsinn gewesen war. Eine Stunde später kehrte Lucifer auf den Friedhof zurück, grub das Papier wieder aus und versteckte es in der Basis hinter einer losen Latte in der Wandvertäfelung, denn so viel hatte er über Menschen bereits gelernt: Sie waren neugierig. Sicher würde im Laufe der nächsten Woche jede von ihnen zum Friedhof gehen und nachsehen, ob irgendetwas mit ihrem Schwurpapier geschehen war. Sein Verschwinden würde den Glauben an das Ritual noch vertiefen. Als eingeschworene, sechsköpfige Bande wurden ihre Raubzüge nun bald größer und erfolgreicher. Nun hatten sie genug Vertrauen in einander, um wertvollere Dinge abzugreifen, als nur vereinzelte Brieftaschen. Sie standen füreinander Wache und inszenierten Ablenkungsmanöver, sodass die anderen in den Läden stehlen konnten. Lucifer besorgte sich auf diese Weise endlich Alltagskleidung, die er bei ihren Ausflügen und bei seinen Dates mit Shinsuke tragen konnte. Als nächstes klauten sie sich Prepaid-Handys, damit sie miteinander schreiben stehen konnten, ohne dass die Eltern davon etwas mitbekamen. Lucifer liebte es vor allem, auf diese Weise nun einen eigenen, mobilen Internetzugang zu haben, ohne sich dafür immer in die Bibliothek schleichen zu müssen. Das erste, das er tat, war, auf Rechnung und in Olbas Namen online 10 000 Großpackungen Klopapier und 666 Pömpel für die Schule zu bestellen. Und mit den Mobile-Games wurde ihm nun nie wieder langweilig. Kurz danach kam Toshiko mit einer nigelnagelneuen Handheld Konsole von PASTA in die Schule. An diesem Tag verhielten sich die Mädchen in der Clique seltsam. Jede von ihnen steckte Toshiko ein kleines Päckchen zu. Im ersten Moment dachte Lucifer, sie würden sich gegen Satori verschwören und Toshiko zu ihrer neuen Anführerin machen wollen und bei den Päckchen müsse es sich um Depeschen handeln, die Ort und Zeit einer geheimen Ratsversammlung enthielt, zu der Satori nicht eingeladen war. Doch die Gespräche, die sich unter den Mädchen anschlossen, passten nicht dazu. Aus den Unterhaltungen wurde Lucifer nur in so weit schlau, als dass es sich wohl um kleine Geschenke anlässlich der Tatsache handelte, dass Toshiko ein weiteres Lebensjahr bewältigt hatte. Das ergab für den Engel durchaus Sinn. Wenn man ein zerbrechlicher Mensch war, dann bot die Tatsache, ein Jahr lang überlebt zu haben, wohl schon einen Grund jemandem zu gratulieren. Da er in dieser Gesellschaft nicht auffallen wollte, setzte er sich während der nächsten Stunde hin und zeichnete auf seinem Block ein Bleistiftporträt von Toshiko auf seinen Zettelblock. Obwohl er ohne Vorlage aus dem Gedächtnis malte, konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Verstohlen wartete er auf das Ende der Stunde und drückte Toshiko dann das Blatt in die Hand. Toshikos Reaktion war so merkwürdig, dass Lucifer glaubte, sie würde ihn gleich schlagen. Erst bedankte sie sich. Dann betrachtete sie das Bild. Ihre Wangen röteten sich bedenklich. Die Augen wurden ihr feucht. Dann richteten sich ihre dunklen Iriden starr auf Lucifer. Der Engel wich einen Schritt zurück, so intensiv war der Blick ihrer schwarzen Augen. Seine Hände griffen schon in die Rocktasche nach Block und Stift, um sich zu erklären, da griff ihn das Mädchen unvermittelt an! Es stürzte nach vorn auf ihn zu, schlang die Arme um seinen Hals und heiße Tränen rannen in seinen Kragen hinunter. Lucifer schauderte und wurde ganz starr vor Entsetzen. Das war ihm viel zu viel Körperkontakt und er verstand die Situation nicht. Seines Wissens nach gab es keine Kampfsportart in Japan, die das Festhalten und Vollheulen des Gegners beinhaltete. Die Taktik führte jedoch dazu, dass sich Lucifer genötigt fühlte, Toshiko leicht zu tätscheln. „Danke, Satori! Das Bild ist wundervoll! Ich habe noch nie so etwas Persönliches von jemandem bekommen. Du musst da ja Stunden reingesteckt haben!“, jammerte sie an Lucifers Hals. Er war nur zwei Zentimeter größer als sie. Der Engel wusste nicht ob er sich entschuldigen oder „gern geschehen“ schreiben sollte und berief sich daher einfach auf seine Rolle als Stimmlose. Er durchdrang die Sache nicht in Gänze und er bezweifelte auch irgendwie, dass Olba ihm da verlässliche Antworten geben würde, wenn er fragte. Also beließ er es dabei und war froh, als Toshiko ihn endlich wieder losließ. Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und klebte das Bild in ihr Tagebuch. Den Rest der Pause standen sie alle hinter Toshikos Stuhl und sahen ihr beim Spielen auf der PASTA zu. Lucifer war fasziniert. Toshiko hatte viel bessere Spiele als jenes, das er selbst auf seiner PASTA hatte. Es gab also mehr als nur ein Spiel zu dieser Konsole und er musste sie sich besorgen, unbedingt! Aber sie Toshiko zu stehlen, hätte nur zu Unruhen in der Clique geführt, darum fragte er über Zettel, wo man die Spiele her bekam und setzte dann eben jenen Laden als Zielort für den nächsten Überfall fest. Den Zettel, der sein Gespräch mit den anderen darüber enthielt, konnte er allerdings gerade noch rechtzeitig verschwinden lassen, als sich unerwartet ein weiteres Mädchen an Toshikos Tisch stellte, um dem Geburtstagskind ein kleines Paket zu überreichen. Wie sich herausstellte war ihr Name Dai (Gänseblümchen), was Lucifer unerträglich kitschig fand. Er wurde dem Mädchen durch die stets vorlaute Makoto als Mamono Satori vorgestellt und natürlich schob Makoto auch gleich die Information hinterher, dass Satori stumm sei, noch bevor Lucifer auch nur die Hand zum Gruß heben konnte. Daraufhin erntete er natürlich einen nervtötend teilnahmsvollen Blick von Dai, die natürlich gleich höflich fragen musste, in welche Klasse Satori denn gehöre. Das war eine Frage, der Lucifer bisher immer geschickt ausweichen konnte. Bis auf Nagori und Toshiko, die beide in die 3D gingen, kamen sie alle aus unterschiedlichen Klassen und Jahrgängen. Makoto als die Jüngste gehörte zur 1C, Rin zur 1A und Kotone zur 3B. Sie liefen sich eigentlich nur über den Weg, weil sie sich gezielt in den Pausen aufsuchten. Sie alle waren in ihren Klassen eher Einzelgänger. Nun fiel den anderen allerdings auf, das Satori ihre Klassenzugehörigkeit noch nie preisgegeben hatte. Alle Augen ruhten plötzlich auf dem Mädchen mit dem langen lilafarbenen Pferdeschwanz. Lucifer lächelte ertappt, zuckte mit den Schultern und winkte ab, eine Geste, mit der er anzeigen wollte, dass er so viel Aufmerksamkeit gar nicht verdiene und dass das nun wirklich egal sei. Auf diese Weise war er schon oft unangenehmen Fragen ausgewichen. Man nahm einfach an, es sei für die stumme Satori zu anstrengend, den Sachverhalt darzulegen und ließ sie in Ruhe. Diesmal kam die stumme Satori damit allerdings nicht durch, denn man verlangte ja bloß eine Zahl und einen Buchstaben von ihr. Lucifers Blick durchbohrte Dai aus den Augenwinkeln mit solcher Mordlust, dass das Mädchen sichtlich schauderte. Es durfte nicht dazu kommen, dass seine Girls ihn in einer bestimmten Klasse vermuteten, ihn dort aufsuchten oder nach ihm fragten. Dann käme nämlich heraus, dass er nirgendwo auf der Klassenliste stand. Oh, das würde er dieser Dai noch heimzahlen! Glücklicherweise schaffte er es, lange genug herumzudrucksen, bis Mokoto die gespannte Stille nicht mehr aushielt und Dai aus heiterem Himmel nach Katō Kainyū aus der 2B fragte. Lucifer – heilfroh über diesen willkommenen Themenwechsel – war so, als hätte er diesen Namen schon einmal gehört. Makoto versuchte so nebensächlich wie möglich zu fragen, aber es war offensichtlich, dass sie sich in den Knaben dieses Namens verguckt hatte. Zumindest für die Gang war es offensichtlich. Dai hingegen schien die sprichwörtliche Unschuld vom Lande zu sein. „Mein Bruder? Dem geht‘s gut. Wieso willst du das denn wissen?“, fragte Dai irritiert. „Och, nur so. Ähm, weil… na ja, also, ich … meine ja nur, vielleicht … hätte ich ja Lust mich mit dem mal zu treffen, oder so.“, stammelte Makoto verlegen. Dais Gesicht hellte sich auf. „Komm doch in unseren Judo Klub, da triffst du ihn dann immer. Wir können Zuwachs gebrauchen.“ Da fiel Lucifer wieder ein, in welchem Zusammenhang er den Namen schon einmal gehört hatte. Dieser Katō hatte ihn am Tag des Feueralarms in der Mensa angebaggert und war dafür von Nakamura Shinsuke über den Tisch geworfen worden. Lucifer grinste unwillkürlich bei der Erinnerung, wie Shinsuke Katō damit gedemütigt hatte, dass der gesamte Judo Klub nur aus den beiden Katō Geschwistern bestand. „Magst du vielleicht auch kommen Satori?“, fragte Dais Stimme aus heiterem Himmel. Lucifer wischte sich das Grinsen aus dem Gesicht. Dieses Gör fing wirklich an, ihm auf die Nüsse zu gehen. Er schüttelte den Kopf. „Sie ist mit Nakamura Shinsuke, dem Leiter des Wrestling Klubs zusammen.“, feixte Makoto hinter vorgehaltener Hand, aber laut genug, damit jeder am Tisch mithören konnte, „Und du weißt ja, dass Shinsuke und Kainyū sich immer prügeln, wegen dieser bescheuerten Fehde, wessen Sport besser ist. Nichts für ungut, Satori.“ Lucifer zuckte die Achseln und winkte ab. Ihm war nun wirklich egal, was man über Shinsuke so tratschte und was Makoto sagte stimmte. Dai lächelte verlegen, strich sich die Haare hinters Ohr, gratulierte dann Toshiko noch mal zum Geburtstag und verabschiedete sich höflich. Am selben Nachmittag starteten sie den Überfall auf das Elektronikgeschäft. Der Plan stammte, wie immer, von Satori und wurde haargenau befolgt. Zunächst setzten sich fünf von ihnen in ein Café in der Nähe und warteten, bis Rin die Standorte der Konsolen, Spiele und Kameras ausgekundschaftet hatte. Ein junges Mädchen, das alleine in einem Elektroladen etwas überfordert durch die Gegend guckt, war einfach das Unauffälligste von der Welt. Rin hatte außerdem das beste Gedächtnis und konnte kurz danach im Café genau auf eine Serviette zeichnen, wo sich was befand. Lucifer zeichnete die Blickwinkel der Kameras als gestrichelte Linien dazu und vervollständigte den Schlachtplan. Als alle verstanden hatten, was jeweils ihre Aufgabe war, blieben Toshiko und Rin im Café sitzen, während die anderen vier nacheinander im Abstand von ein paar Minuten den Laden betraten und sich dann so postierten, dass sie sich abwechselnd gegenseitig vor den Kameras deckten. Lucifer hatte jede angewiesen ein bestimmtes Spiel für die PASTA zu holen, während er selbst die Konsolen mitgehen ließ. Eines der Spiele war für Toshiko zum Geburtstag gedacht. Die Konsolen würden in den Besitz der Gangmembers gehen, die noch keine PASTA besaßen. Die Spiele wollten sie so lange untereinander tauschen, bis sie langweilig wurden, und sie dann online wieder verkaufen, um das Geld untereinander aufzuteilen. Es war alles bis ins kleinste Detail geplant. Wer gerade an der Reihe war, eine andere vor der Kamera abzuschirmen, war gleichzeitig dafür zuständig, das Personal im Auge zu behalten. Keine tanzte aus der Reihe. Der Diebstahl lief absolut glatt. Hinterher feierten sie ihren Erfolg mit Milchshakes und Lucifer dachte höchst zufrieden mit sich, dieses Cliquenleben könnte er eine Weile aushalten. Olba war natürlich anderer Meinung, als er Lucifer an diesem Abend mit der altbekannten PASTA und neuen Spielen in der Basis antraf. Missgünstig verzog er das Gesicht. „Wo hast du denn das jetzt wieder her?“, brauste er auf. „Der Junge, der sie bei dir abgeholt hat, hat sie mir geschenkt. Problem damit?“, Lucifer sah nicht einmal auf. Er hatte Olbas ständiges Gemotze so satt und versuchte daher, die Stimme des Erzbischofs einfach auszublenden. „Erst der Schmuck, jetzt das Spielzeug? Zu welcher Art von Plan soll das gehören?!“, meckerte Olba weiter. Sein Vergnügen lag höchstens zwischen Aufwischen und Reparieren, während Lucifer die Dinge einfach in den Schoß zu fallen schienen. Seiner Meinung nach, genoss der Engel das Leben als Mensch inzwischen etwas zu sehr. Als Olba merkte, dass Lucifer ihm nicht zuhörte, trat er an den Knaben heran und entriss ihm die Konsole. „EY!“, schimpfte der Engel und sprang auf, „Tickst du noch richtig? Das ist meine! Ich hab sie geschenkt bekommen! Besorg‘ dir deine eigene!“ „Wieso sollte der Junge dir sein Spielzeug schenken? Du hast die wieder gestohlen!“, unterstellte ihm der Erzbischof mit einer Miene, als wolle er ihn zur Strafe gleich sechs Ave Maria beten lassen. „Im Gegensatz zu dir habe ich Freunde!“, stellte Lucifer aufgebracht klar. „Freunde? Du? Meinst du etwa diese Gruppe armer Mädchen, die du beschwindelst und betrügst?“ „Ja genau! Und die sind tausendmal nützlicher, als du zweitklassiger Meister Proper Verschnitt!“ „Meister… Wen nennst du hier…!“, stammelte Olba fassungslos vor Empörung. „Jetzt spiel dich nicht immer so auf, du alter Sack!“, warf ihm Lucifer an den Kopf und pflückte geschickt die PASTA aus Olbas erstarrten Fingern. „Während du versuchst, 10 000 Großpackungen Klopapier aus den Toiletten zu pömpeln, stehe ich kurz davor Emilia ausfindig zu machen. Ich habe mir meinen Feierabend verdient, also halt die Fresse und lass die Griffel von meinen Sachen!“, mürrisch wandte er sich von Olba ab und hockte sich wieder zu seinen Sachen, um weiterzuspielen. Über Olbas Gesicht huschte ein spastisches Zucken. „10 000 Großpackungen Klopapier?“, fragte er bedrohlich ruhig. Lucifer beschlich plötzlich die leise Ahnung, dass er sich gerade irgendwo verplappert hatte. „Ja, oder so ähnlich, was weiß ich denn, was du den ganzen Tag machst?“, versuchte der Engel ein wenig stockend doch noch den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. „Woher weißt du denn, dass mir heute 10 000 Großpackungen Klopapier geliefert worden sind. Auf meinen Namen bestellt. Online. Dabei kann ich diese Computer nicht einmal einschalten!“ „Wie? Deh-das weiß ich doch nicht. Woher soll ich so was auch wissen? Yo, Mann, gib mir mal ne Pause.“ „Lucifer?!“, Olba trat erschreckend langsam näher und beugte sich über den Langhaarigen. „Du warst das, nicht wahr? Du hast mir in der letzten Woche all diese Streiche gespielt, du kleines Wiesel!“ Lucifer zog erst den Kopf zwischen die Schultern und sah dann vorsichtig zu Olba auf. „Äh, ich? Nee, Mann, hab ich nicht. Für so was hab ich gar keine Zeit. Wie kommst du darauf?“, konterte der Kleinere wenig überzeugend. „Ich bring dich um!“, fuhr Olba plötzlich wahnsinnig vor Wut auf. Lucifer ließ die PASTA fallen und flitzte los. Olba folgte ihm auf dem Fuß. Das er mit dem Laufen fast 60 Jahre länger Erfahrung hatte als Lucifer, bei dem immer noch Gleichgewichtsschwierigkeiten auftraten, wenn er sich zu schnell bewegte, zeigte sich bei dieser Verfolgung sofort. Der Engel stolperte bereits in der ersten Kurve und legte sich der Länge nach hin, weil er versucht hatte, mit den Flügeln auszubalancieren, statt mit den Armen. Olba holte ihn ein, warf sich erstaunlich agil für sein Alter auf Lucifers Rücken und pinnte ihm mit der Hand den Kopf an den Boden. „Das war also dein Plan, ja? Mich eine Woche lang mit sinnlosen Streichen zu quälen?!“, zischte er ihm spuckend ins Ohr, sodass Lucifer die Tröpfchen im Nacken spürte. „Kein Plan wovon du redest, Mann! Geh runter von mir! Das ist mir viel zu nah!“, presste Lucifer mühsam unter dem Gewicht des Geistlichen hervor. „Dir werde ich zeigen, dass man sich mit mir nicht anlegt, du Teufel!“ „Was willst du denn machen? Mich weg schrubben?“, entgegnete der Gefangene frech. Dann sah er mit Entsetzen, wie Olba ausholte, um ihn zu schlagen. „Okay! Okay! Schon gut! Ich verrate dir den Plan! Krieg dich ein, Mann!“, beeilte er sich zu sagen und schob die Hände vor zum Zeichen seiner Kapitulation. „Ich habe Shinsuke rekrutiert, damit er mir die notgeilen Teenager vom Hals hält und mit den Mädchen mache ich die Stadt unsicher, kleinere Diebstähle und so, um Emilia anzulocken. Eine legendäre Heldin wird eine kriminelle Jungendbande in ihrer Stadt nicht einfach dulden. Jetzt zufrieden? Mann, du nervst, Alter!“, erklärte er hastig. Olba hielt tatsächlich inne. „Woher soll ich wissen, dass du mich nicht anlügst?“, fragte er misstrauisch. „Schau dir Morgen die Nachrichten an! Wir sorgen schon seit Tagen dafür, dass sich die Diebstähle häufen. Bald müssten sie darüber in den Medien berichten.“, meinte der Engel gepresst unter Olbas Gewicht, „Jetzt geh endlich runter. Uff, du bist 100 kg schwer!“ Olba ließ ihn los und stand auf. „Und warum hast du mir das nicht vor einer Woche schon erzählt? Ich frage mich die ganze Zeit, was du eigentlich treibst!“ „Weil ich erst sicher sein wollte, dass der Plan auch funktioniert. Sonst darf ich mir hinterher ewig dein zynisches Gelaber anhören. Da hab ich echt kein Bock drauf.“, murrte Lucifer, indem er ebenfalls aufstand, allerdings deutlich mühsamer als Olba. Was er dem Geistlichen da erzählte, war allerdings nur die halbe Wahrheit. Er hoffte nämlich vor allem, dass sich durch einen Bericht in den Nachrichten, über die rapide steigende Kriminalität in der Gegend, eine kollektive und anhaltende Angst unter den Menschen ausbreiten würde, von der er seine magischen Kräfte würde regenerieren können. „Gut.“, meinte Olba bedächtig, „Das ändert aber nichts daran, dass du für mein Leid in diesem Job verantwortlich bist, seit wir hier ankamen!“, erinnerte der Erzbischof. „Das habe ich nicht zugegeben.“, stellte Lucifer kühl fest und trottete faul die paar Schritte zu ihrer Basis zurück. „Deine Ausflüchte helfen dir jetzt nicht mehr, Dämon. Du hast dich verraten! Zur Strafe, mache ich dich zu meinem Hilfshausmeister. Ab Morgen wird es deine Aufgabe sein, alles zu entfernen, was die Schüler verschütten, von sich geben oder irgendwo hinterlassen. Verstanden?!“ Lucifer zeigte ihm den Vogel. „Zwing mich.“, patzte er provokant. „Oh, das werde ich. Verlass dich drauf! Das wird wie auf Ente Isla. Wie du weißt, habe ich auch die Vernehmungsbeamten der Reformation unter meinen Fittichen gehabt. Ich verfüge über ausreichend Methoden, um dich gefügig zu machen, jetzt da du ein Mensch bist.“ Olbas freudig-sadistischer Tonfall wollte Lucifer gar nicht behagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)