Memento defuncti - Ein Requiem zu früh von Dollface-Quinn ================================================================================ Kapitel 1: Der General ist tot! ------------------------------- Nachdem Lucifers Niederlage bekannt wurde, entschied sich der Kampf sehr schnell für die Kirche. Die Truppen des teuflischen Generals wurden rasant zurückgeschlagen. Das Blut des schwarzen Engels allein, das die Klinge der legendären Heldin benetzte, reichte fast aus, um die Feinde zurückweichen zu lassen. Es dauerte keinen halben Tag, da feierte man den Sieg über die dämonische Übermacht. Lucifers Streitkräfte zogen sich weit in Richtung des Meeres und der Hauptinsel zurück. Ohne ihren Anführer war ihnen das westliche Reich sichtlich nicht geheuer. Gegen Abend schickte die Kirche schließlich Suchtrupps aus, um die Körper der Feinde abzuschreiten, die auf den Schlachtfeldern zurückgeblieben waren, um sie falls nötig vom Sterben zum Tod zu befördern. Emilia erzählte Olba von ihrem Kampf gegen Lucifer und wo der General in etwa niedergegangen war. Olba nahm sich daraufhin eine Gruppe Soldaten und drang mit ihnen in das Waldstück ein, um den gefallenen General zu suchen. Sie mussten ganz sicher gehen, dass er wirklich tot war! Nach Stunden hatte sich die Gruppe im ganzen Wald zerstreut, um den Suchradius so weit wie möglich auszudehnen. Bis auf die Schritte der Menschen und das Klappern ihrer Rüstungen war nichts, außer dem Rascheln des Windes in den Blättern zu hören. Die Tiere schienen alle fort zu sein. Endlich tönte ein Ruf durch die unheimliche Stille. „Erzbischof Olba!“ Sofort trat Olba an die Seite des jungen Mannes, der gerufen hatte. Der Recke war fast noch ein Kind. Sie hatten gegen Lucifers Armee viel zu viele Männer verloren und mussten schließlich auch jene rekrutieren, die eigentlich noch zu jung waren. Der Junge deutete einen Hang hinauf, auf eine Felsspalte, aus der ein merkwürdiger, zerzauster, schwarzer Puschel ragte. Olba legte den Zeigefinger an die Lippen und winkte dem Burschen, ihm zu folgen. Zusammen erklommen sie mühsam den steilen Hang, aber der Soldat musste nach zwei Metern aufgeben. Wenn Lucifer wirklich in dieser Felsspalte saß, dann war das ein ausgesprochen intelligenter Schachzug von ihm. Von oben war die Senkung nicht zu erreichten und von unten war er nicht zu ersteigen. Olba musste mit Magie nachhelfen, damit er überhaupt hinauf kam und dann war der Rand der Spalte so abschüssig, dass er in der Luft schweben bleiben musste. Doch nun sah er genau, was es mit dieser vermeintlichen Felsspalte auf sich hatte. Es war keine natürliche Einbuchtung im Fels, sondern ein Krater, wie von einem Axthieb! Lucifers schlanker, schmaler Körper musste hier eingeschlagen sein. Seine Flügel und auch einige seiner anderen Gliedmaßen standen verdreht in unnatürlichen Winkeln ab und er blutete aus unzähligen offenen Wunden. Besonders stachen allerdings zwei davon hervor: Eine lange Schnittwunde, die sich von der Schulter über Brust und Bauch entlang zog und auch einen Flügel in Mitleidenschaft gezogen hatte, sowie ein tiefer, blutender Stich zwischen den Rippen. Olba erkannte darin die unverwechselbare Handschrift von Better-Half. Der Geflügelte lag vollkommen reglos und schien nicht zu atmen. Lediglich das noch feuchte Blut ließ den Schluss zu, dass in ihm noch Leben sein könnte. Vorsichtig, aber bestimmt, beugte sich der Erzbischof vor und legte seine knochigen Finger an den Hals des Feindes, um nach einem Puls zu suchen. Er berührte die kalte und mit einer sandigen Schmutzschicht bedeckte Haut, spürte aber keinerlei Bewegung darunter. Dennoch, er musste sicher sein! Seine gealterte Hand fasste höher, erreichte das von ihm abgewandte Gesicht, das unter dem schmutzigen, windzerzausten Haar verborgen lag und legte es mit ein paar groben Gesten frei. So nah war Olba Lucifer noch nie gekommen und viel mehr, als der zerschlagene Zustand des Körpers, erschreckte den Erzbischof nun die zierliche Gestalt des gefürchteten Generals und Heerführers. Was er da aufgedeckt hatte, war nicht die Fratze eines uralten, mörderischen Dämons oder Teufels, sondern das schöne, zarte Antlitz eines engelsgleichen Jünglings. Andere als Olba hätten bei diesem Anblick zu weinen angefangen. Lucifer bot das Sinnbild der gestorbenen jugendlichen Hoffnung; ein gefallener Engel wie ihn kein Künstler dramatischer hätte erfinden können. Aber Olba erinnerte sich zu gut an den Schrecken, das Chaos und den Tod, den dieses verdorbene Geschöpf auf einen Klauenzeig des Dämonenkönigs hin über sie alle gebracht hatte. Dieser Teufel in Engelsgestalt hatte nicht weniger menschliche Leben vernichtet als Alciel, Adramelech oder Malakoda! Mit bitterschmalen Lippen packte der Erzbischof das blasse Gesicht am Kinn und drehte es zu sich. In diesem Moment öffnete Lucifer die Augen und blickte ihn an. Olba fuhr erschrocken zurück. „Was ist, Erzbischof? Ist er es? Lebt er noch?“, fragte der junge Soldat vom Fuße des Hanges herauf. Der 60-jährige mit der Glatze und dem dünnen grauen Schnauzbart unter der gekrümmten Nase überlegte blitzschnell. Dann huschte ein unheilverkündendes Lächeln über seine strengen Züge. „Er ist es tatsächlich! Sag den anderen, sie können aufhören zu suchen. Emilia hat ihn getötet!“, rief er zu dem Burschen hinunter. Der Soldat stieß jubelnd die Faust in die Luft und rannte sofort los, um die freudige Kunde zu verbreiten. Olba indessen beugte sich wieder über den im Felsen eingebetteten Haufen zerbrochener Gliedmaßen und blutiger Federn. Sein Lächeln war brechreizerregend, als er ganz nah an Lucifers Gesicht zu flüstern begann. „Glaub nicht, ich hätte Mitleid mit dir, du Bastard Satans! Ein Handstreich von mir kann meine Worte noch wahr werden lassen. Aber dies ist eine einmalige Chance für uns beide. Emilia erzählte mir von eurem Kampf. Sie gab zu, dass sie deine Angriffe kaum vorhersehen konnte und du teilweise viel zu schnell für sie warst. Deine Taktiken sind äußerst gerissen und nun hält man dich für tot. Das kann uns beiden nutzen, wenn wir uns zusammentun.“ Lucifers Augen verengten sich zu Schlitzen und seine schmalen, schön geschwungenen Augenbrauen zuckten. Olba fuhr fort. „Es ist über einen halben Tag her, dass die Kunde von deiner Niederlage ausging, aber niemand außer uns sucht nach dir. Wo sind deine Freunde? Wo dein König? Keinen Dämon schert es auch nur einen Dreck, ob du hier liegst und Hilfe brauchst, oder ob dein Leichnam schon die Fliegen anzieht. Sie haben dich im Stich gelassen. Dich! Ihren klügsten und gewitztesten General überlassen sie den Aasgeiern, wie einen verkrüppelten Hund, der zu nichts mehr nütze ist.“ Olba sah, dass seine Worte wirkten, denn an Lucifers Kehle begann der Adamsapfel leicht zu hüpfen, als säße dem Gefallenen ein bitterer Kloß im Hals, den er zu schlucken versuchte. Außerdem röteten sich die Augen des Engels und wurden glasig. Olba hatte offenbar einen Nerv getroffen. Er nickte verständnisvoll. „Es ist an der Zeit, Lucifer. Reich mir die Hand, vertraue mir und ich sorge für dein Überleben. Im Gegenzug will ich, dass du die legendäre Heldin für mich tötest.“ Jetzt zogen sich Lucifers schmale Augenbrauen tatsächlich zusammen, auch wenn dem Engel vor schmerzhafter Anstrengung der Schweiß auf die glatte Stirn trat. Eine winzige Träne fiel aus den langen, dichten Wimpern, als der Verletzte überrascht blinzelte. „Ich kann es dir jetzt nicht erklären. Sie kommen bald und wollen wissen, was nun mit deinem Leichnam geschehen soll. Ich finde zur Not auch einen anderen verzweifelten Dämon, der es für mich tut, also willige in den Handel ein oder lass es bleiben und stirb hier!“, drängte der Glatzköpfige. Ob Lucifer mit dem Plan einverstanden war oder nicht, konnte er nicht kommunizieren, aber er hatte zu diesem Zeitpunkt kaum eine andere Wahl, als sich auf Olba einzulassen, wenn er leben wollte. Die violetten Augen schlossen sich fest und öffneten sich dann wieder, was unter diesen Umständen einem Nicken gleich kam. Olba verstand ihn. Er lächelte. „Gut. Dann entspann dich jetzt und vertrau mir.“ Luzifers Lider flatterten, als er versuchte ironisch mit den Augen zu rollen. Der Versuch brachte ihn fast um. Sein Magiefluss war unterbrochen und die Schmerzen machten ihn fast wahnsinnig. Er war vollkommen hilflos. Olba ignorierte die Geste. Er hatte, was er wollte. Seine mit Altersflecken betupfte Hand begann weiß zu glühen, dann legte er sie auf Lucifers Brust genau über dem Herzen und stieß sie energisch nach unten. Lucifers Torso wurde so überraschend zusammengedrückt, dass seine Schultern und seine Hüfte kurzzeitig nach oben kamen. Der Schreck und der Schmerz standen dem Geflügelten in die weit aufgerissenen Augen geschrieben. Dann weiteten sich die Pupillen und das Herz stand still. „Aber wollen wir ihn denn nicht erst obduzieren, Erzbischof? Wie oft bekommt man schon einen leibhaftigen Engel in die Hände? Ich bitte euch.“, redete der Vikar auf ihn ein, als Olba mit der Leiche Lucifers in der nächstgelegenen Diözese einkehrte. Der Leichnam war in einen noch auf dem Schlachtfeld grob zusammengezimmerten Sarg eingeschlossen worden, den vier Soldaten den ganzen Weg hier her getragen hatten. Olba blieb unnachgiebig. „Dein Wissensdrang in Ehren, mein Freund, aber es ist zu gefährlich, den Körper weiter existieren zu lassen. Wer weiß was Himmel und Hölle auszuspucken imstande sind, wenn sie ihn wiederhaben wollen. Am Ende verfügt der Feind womöglich über irgendein Teufelswerk, das ihn wieder lebendig macht! Denk doch nur. Willst du dein Kloster, deine Kirche, deine Dörfer und Felder brennen sehen, nur weil dich die Neugier trieb? Das kann ich nicht verantworten, mein Bester! Nein, nein. Lucifer, dieser Teufel, wird noch heute in die Hauptstadt der westlichen Insel gebracht und dort so schnell wie möglich verbrannt. Dann sind wir endlich in Sicherheit vor ihm. Daran werde ich alles setzen! Lass uns hier nur den Rest der Nacht abwarten und uns erholen. Im Morgengrauen ziehen wir weiter.“ Die Leiche des gefürchteten Dämonengenerals Lucifer wurde in Schimpf und Schande durch die Straßen der kleinen, immer noch stark zerstörten Hauptstadt gefahren. Man hatte den zerbrochenen Leib zwischen einem Paar Pfähle aufgespannt und die Konstruktion stehend auf einem Holzkarren befestigt, sodass ihn alle sehen konnten. Die schwarzen Flügelspitzen schleiften hinter dem Karren über den dreckigen Boden. Die Menge johlte oder keuchte entsetzt auf bei dem Anblick und nicht selten wurden verschiedenartige Schreie laut. Vielfach wurde der Leichnam beschimpft und zum Teufel gewünscht, aber es waren auch überraschte Ausrufe darunter, die nur zu deutlich ausdrückten, dass viele nicht mit einer so zierlichen und hübschen Leiche gerechnet hatten. Die Prozession endete schon bald nachdem sie begonnen hatte, denn niemand wollte riskieren, dass der Dämonenkönig eventuell doch noch die Stadt angriff, um die Leiche seines Generals zu bergen, auch wenn Emilia ihm derweil in Alciels Kriegsgebiet im Osten genug andere Probleme bereitete. Die legendäre Heldin hatte Lucifers Leichnam, nachdem er ins Lager gebracht worden war, eingehend gemustert, ganz als müsse sie sich von seinem Tod restlos überzeugen. Irgendetwas schien sie dabei zu belasten, aber sie beherrschte ihre Gefühle und ging schließlich, ohne sich noch einmal umzudrehen. Bei der symbolischen Hinrichtung des Gefallenen, die heute auf dem Marktplatz der Hauptstadt stattfinden sollte, war sie wegen der anhaltenden Kriegssituation nicht zugegen. Olba aber hatte sich unter dem Vorwand, die Leiche bis zum Ende bewachen und anschließend im Westen die Wiederherstellungsmaßnahmen koordinieren zu wollen, vom Kampf gegen Alciels Truppen ausgenommen. Er stand bei der Ankunft von Lucifers Leiche auf dem Marktplatz direkt neben dem Scheiterhaufen. Als Erzbischof hatte er sich das Recht herausgenommen, das Feuer zu entzünden. Die Leiche wurde direkt auf dem Marktplatz gefahren und kam vor Olba zum Stehen. Die Pfähle wurden vom Karren gelöst und umsichtig gegen den Scheiterhaufen gelehnt. Nach den vielen Kriegsverlusten war nur eine sehr karge Menschenmenge anwesend. Sie bestand hauptsächlich aus Alten, Frauen und Kindern. Nichtsdestotrotz verliehen sie ihren Gefühlen lautstark Ausdruck. Unter den Rufen und Schreien der Anwesenden hob Olba seine Fackel und segnete die Flamme, indem er sie mit magisch glühender Hand verstärkte und ein paar Worte, wie ein Gebet, darüber rezitierte. Dann hielt er die Fackel an das Stroh. Der trockene Haufen aus Holz und Reisig fing sofort Feuer. Die Flammen schlugen rasch zur Spitze empor und leckten an den herabhängenden Flügeln. Die Federn glommen und brachen dann knisternd in heftigen Qualm aus. Der Gestank nach verbranntem Haar, verbrannter Haut und den stark rauchenden Federn, ließ die Menge mehrere Meter weit zurückweichen. Schon bald nahmen die grauen Schwaden jedem auf dem Marktplatz die Sicht. Doch als der Scheiterhaufen schließlich in sich zusammenfiel, war von dem flügelrauschenden Mördergeneral, der die westliche Insel so lange mit seinem ausgelassen Lachen und seinen hinterhältigen Angriffen in Furcht und Verzweiflung gestürzt hatte, nichts mehr übrig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)