Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Amy – Akt 1, Szene 7 -------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Das Arbeitszimmer ihres Vaters unterschied sich von dem ihrer Mutter in allen wesentlichen Dingen. Ihr Vater hatte den Schreibtisch direkt an die Wand gerückt, wo er als Ablage für Farbtuben, Pinsel und lose Skizzen diente. Der zusammengerollte Teppich lehnte an der Wand neben dem Bücherschrank und eine Staffelei stand schräg vor dem Fenster. All dies nahm Amy nur am Rande war. Sie war zwar nicht häufig hier, aber heute schwirrten ihre Gedanken wie ein Schwarm Dusselgur durch ihren Kopf. Ihr Vater saß auf der Couch und blätterte in einem großen Ordner. Als sie die Tür hinter sich schloss, sah er überrascht auf. „Amy? Das ist ja eine Überraschung. Ich dachte, ihr seid noch am Lernen.“ Amy presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Sie wollte sich umdrehen. Wegrennen. Aber sie zwang sich, stehenzubleiben. Du ziehst das jetzt durch! Ihr Vater setzte sich gerade hin und legte den Ordner bei Seite. Es war ein Fotoalbum. „Amy? Was ist denn los? Du bist käseweiß. Komm, setz dich hierhin.“ Er bugsierte sie aufs Sofa. „Ich bringe dir etwas zu trinken.“ Amy packte sein Handgelenk und schüttelte stumm den Kopf. Ihr Vater zog die Augenbrauen hoch, blieb aber gehorsam stehen und als sie keine Anstalten machte, etwas zu sagen, seufzte er und setzt sich wieder neben sie. „Ist es wegen deiner Freundin? Ist ihr etwas passiert?“ Amy schüttelte wieder den Kopf. Ihre Zunge war ein trockener Klumpen in ihrem Mund. Wo soll ich nur anfangen? „Nein, darum geht es nicht.“ Amy starrte konzentriert auf ihre Finger, die sich in ihre Hose krallten. Sie holte tief Luft. „Papa, wenn es etwas gäbe, was Mama dir verschweigt, würdest du es wissen wollen? Auch, wenn dann etwas Schlimmes passiert?“ „Was für eine Frage, natürlich würde ich davon erfahren wollen.“ Ihr Papa nahm ihre Hand und lächelte sie beruhigend an. „Du kannst mit mir über alles reden. Okay?“ Amy schniefte. Sie drückte seine Hand so fest sie konnte. „Okay.“     Im Nachhinein konnte Amy nicht mehr sagen, wie das Gespräch verlief. Als sie erstmal mit dem Reden angefangen hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. Das Gesicht ihres Vaters wurde blass und später rot vor unterdrücktem Zorn, aber er unterbrach sie kein einziges Mal. Draußen ging langsam die Sonne unter, bis sie zusammen im Dunkeln saßen, das einzige Licht im Zimmer der bleiche Schein des Mondes, der alles in Schattierungen aus Schwarz und Weiß erscheinen ließ. Amy erzählte ihm alles. Von dem Tag vor ihrem siebten Geburtstag, an dem Catherine all ihre Spielsachen wegwarf und sie dazu zwang, so zu tun, als hätte sie beschlossen, diese zu spenden, weil sie jetzt zu alt dafür war. Wie ihre Mutter nachts stundenlang hinter ihr gestanden hatte, weil sie mit ihren Hausaufgaben nicht fertig geworden war und sie bis früh morgens wachhielt, um den Stoff aufzuholen. Sie erzählte, wie ihre Mutter gedroht hatte, Harold zu verlassen und dass er sich mit seiner Kunst niemals über Wasser halten würde. Dass sie versucht hatte, Tim zu beschützen und heute herausgefunden hatte, dass er längst auf der Seite ihrer Mutter war. Sie berichtete von Quappy, von dem geplanten Pokémontausch, von dem tagelangen Schweigen, wenn Amy sich nicht benahm. Von ihrer Isolation von Gleichaltrigen, ihrer Angst, niemals gut genug zu sein. „Sengo und Lin-Fu zu tauschen … das ergibt keinen Sinn“, platzte es zwischen Heulschüben aus ihr heraus. „S-sie will nur nicht, dass ich Tim überlegen bin. Ich werde nie genug für sie sein!“ Ihr Vater hielt sie fest, während sie sich ausweinte. Er strich durch ihr Haar. „Du warst so, so mutig, mit mir zu sprechen.“, flüsterte er gegen ihr Haar. „Schlaf heute Nacht hier. Ich bringe dir Decken und einen Kakao und dann ruhst du dich aus. Versuch zu schlafen. Papa kümmert sich um den Rest.“ Harold wickelte sie in so viele Decken, dass sie sich wie ein Folikon fühlte, dann verließ er das Arbeitszimmer. Amy versuchte zu schlafen. Wirklich. Aber nach einigen Minuten hörte sie gedämpfte Stimmen. Was hast du erwartet? Dass er sie nicht darauf anspricht? Amy konnte keine Worte ausmachen, aber die Stimmen wurden lauter und lauter, bis die Schreie durch die Wände hallten. Aber so heftig der Streit war, er konnte nicht ewig anhalten. Erschöpft von dem Tag dachte Amy an Tim. Sie fragte sich, ob sie es schaffen würde, ihn wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Ob ihr Vater von jetzt an zuhause arbeiten und ein Auge auf die Situation haben würde. Sie wünschte, sie könnte bei Tim sein und ihm sagen, dass alles gut würde. Aber ein kleiner Teil von ihr konnte nicht vergessen, dass er sie hintergangen hatte. Amy war davon überzeugt gewesen, dass sie beide unter der Fuchtel ihrer Mutter litten, wenn auch jeder auf seine Weise. Aber jetzt … Sie war die einzige gewesen, der die Methoden ihrer Mutter etwas ausgemacht hatten. Sie war die ganze Zeit allein gewesen. Papa ist auf deiner Seite. Er wird immer für dich da sein. So drifteten ihre Gedanken, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.     Als Amy erwachte, war es immer noch dunkel. Sie rieb sich die Augen und sah sich um. Warum war sie im Arbeitszimmer ihres Papas? Die Geschehnisse des letzten Tages brachen über ihr zusammen. Sie kämpfte sich aus dem Deckenhaufen und stolperte fast über ihren Papa, der auf dem Teppich vor dem Sofa eingerollt lag und leise schnarchte. Sein Haar war durchwuschelt und eine angebrochene Weinflasche stand auf dem Schreibtisch. Amy legte eine ihrer Decken über ihn, dann schlich sie hinaus auf den Flur. Alles war still. Die einzigen Geräusche kamen von dem Ticken einer Uhr im Erdgeschoss und dem Flüstern des Windes an einem geöffneten Fenster. Amy stand reglos in der Dunkelheit. Sie traute sich nicht, das Licht anzumachen. Was, wenn ihre Mutter noch wach war? Oder Lady Morb plötzlich hinter ihr auftauchte? Ihre Hand wanderte unwillkürlich zu den Pokébällen an ihrem Gürtel. Sie musste noch dringend mit Sengo sprechen, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Die Dunkelheit presste von allen Seiten auf sie ein. Das große Haus, das sich nie wirklich wie ihr Zuhause angefühlt hatte, schien sie zu ersticken. Bevor sie darüber nachdenken konnte, drückte sie mit zitternden Fingern den Knopf ihres Pokéballs. Mebrana materialisierte sich vor ihr und sah sie mit großen, überraschten Augen an. „Hi“, flüsterte Amy. Sie wurde rot. „Ich … ehm … ich hatte Angst.“ Sie starrten einander an. Amy streckte ihre Hand aus. Mebrana nickte entschlossen und ergriff sie. Gemeinsam tapsten sie durch den Flur. Amy lotste sie zu Tims Schlafzimmer. Sie wusste nicht, ob er noch wach war. Wahrscheinlich nicht. Aber sie musste mit ihm reden. Jetzt, wo ihr Vater Bescheid wusste, würde sich ihr Leben dramatisch verändern. Sie musste ihn warnen, bevor er die Nachricht in verzerrter Version von Catherine bekam. Wahrscheinlich hat er ihren Streit sogar mitbekommen. Sie wurde langsamer. Mebrana drückte mitfühlend ihre Hand. Amy seufzte und ließ sich mitziehen. An Tims Tür angekommen, klopfte sie zweimal leise und legte ihr Ohr ans Holz. Nichts. Sie klopfte nochmal. Wieder kein Geräusch. „Komisch“, murmelte sie. „Tim schläft sonst nicht so tief.“ Mebrana deutete auf die Türklinke. Amy nickte. Die Tür öffnete sich ohne einen Laut. Gemeinsam traten sie in das dunkle Zimmer. Amy brauchte einen Moment, um zu verstehen, was sie sah. Die Schranktüren hingen offen, die Regalbretter waren leer. Jemand hatte die gesamte Kleidung entfernt. Wo die Bücher auf dem Schreibtisch und im Regal gestanden hatten, lagen nun nur noch ein paar lose Papiere. Das Bett war leer. Tim war weg. Amy machte einen Schritt rückwärts, dann drehte sie um und rannte zum Schlafzimmer ihrer Mutter. Ohne Rücksicht auf die Lautstärke riss sie die Tür auf. Ihr bot sich dasselbe Bild. Ausgeräumte Schränke, ein unbenutztes Bett. Amy blinzelte die Tränen weg. Sie rannte ins Bad, ins Arbeitszimmer, die Treppe runter ins Lehrzimmer. Einige Räume sahen aus wie immer, aber aus den meisten fehlten Gegenstände. Im Flur fehlten Jacken, Schuhe und Regenschirme. Im Lehrzimmer fehlten einige Bücher und Pokale. Lady Morb war nirgendwo zu finden. Als die Realität langsam über sie hereinbrach, lief Amy nach draußen auf die Straße. Die Straßenlaternen schienen ein gelbes Licht auf den Asphalt. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte. Dass Catherine und Tim draußen standen und auf sie warteten? Dass ein erklärender Brief auf der Fußmatte lag, oder eine Postkarte mit der neuen Adresse der beiden? Zwei glitschige Hände nahmen sie bei den Schultern und drückten sie sanft auf den Boden, wo Amy völlig taub sitzen blieb. „Sie sind abgehauen“, sagte sie zu Mebrana, das sich ihr gegenüber hinsetzte und ihre Hände hielt. „Sie haben mich einfach … zurückgelassen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)