Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya – Akt 2, Szene 3 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Die Trainerschule wäre ihre erste Wahl gewesen, aber glücklicherweise gab es in Jubelstadt auch öffentliche Bibliotheken. Nach einigem Nachfragen bei Passanten und einer kleinen Hetzjagd hinter Max her, der einem fremdem Evoli nachstelle, erreichten sie endlich die Stadtbücherei. Eine freundliche Bibliothekarin, die Ronya sehr an die Dame in Fleetburg erinnerte, erklärte ihr die Hausregeln und zeigte ihr den Weg zu den Pokémon-Sachbüchern. Nach dem sehr emotionalen Morgen brauchte Ronya dringend eine Pause, und Bibliotheken waren für sie der sicherste Ort auf Erden. Sie verkroch sich in der hintersten Ecke des Lesebereichs auf einem der quietschgelben Plüschsofas und verlor sich in Die Psychologie des Kampfes, von Abbott McLawry. Als sie das nächste Mal auf die Uhr sah, war es bereits Mittag. Seufzend markierte sie ihre Stelle im Buch mit dem Lesebändchen und stellte es ins Regal zurück. Sie wollte so viel wissen, so viel lernen, aber sie wollte auch endlich praktische Erfahrungen sammeln. Kaum dass sie wieder draußen stand, rief sie Max. Sie grinste ihr Pokémon an. „Bereit, dir einen Freund zu fangen?“     Sie wollte es nicht zugeben, aber sie hatte sich verlaufen. „Wir sind ganz sicher hier lang gekommen“, murmelte Ronya. Sie hatte mit Max einen Abstecher zum Pokémarkt gemacht, um sich mit Pokébällen und anderen nützlichen Items auszustatten, musste aber eine falsche Abzweigung genommen haben, denn nun fand sie sich in einer zwielichtig aussehenden Gasse wieder, in der sich Müllsäcke neben Containern türmten und es nach verdorbenem Essen stank. Max tapste unglücklich über den Asphalt und rümpfte demonstrativ die Nase, wenn Ronya zu ihm sah. „Ja, ich weiß, wir hätten nicht die Abkürzung nehmen sollen“, murmelte Ronya. Plötzlich hörte sie ein Poltern. Erschrocken fuhr sie in Richtung des Geräuschs herum, und staunte nicht schlecht, als das pink gekleidete Mädchen mit den blonden Locken auf sie zustürmte. Ronya konnte gerade noch zur Seite springen, da war sie schon an ihr vorbeigerannt, die nächstbeste Mülltonne emporgeklettert und darin verschwunden. „Ich war nie hier“, ertönte ihre gedämpfte Stimme aus dem Container, kurz bevor ihre Mutter mit dem Jungen um die Ecke gelaufen kam. „Amy Heartoline, wenn ich dich in die Finger bekomme …“, rief sie drohend, doch dann entdeckte sie Ronya, verstummte und kam in gemäßigterem Tempo direkt auf sie zu. Ronya stand wie vom Blitz getroffen. Diese Frau hatte einen Blick, der sie regelrecht festnagelte. Sie war noch nie jemand so angsteinflößendem begegnet. „Hast du zufällig ein junges Mädchen gesehen?“, fragte Frau Heartoline. „Blondes Haar, gepflegte Kleider. Sie müsste hier vor kurzem durchgekommen sein.“ Max knurrte leise, versteckte sich aber sofort hinter Ronyas Beinen, als Amys Mutter ihren stechenden Blick auf ihn richtete. „Sie, eh, ist hier langgerannt“, stotterte Ronya und deutete hinter sich. „Sie kann noch nicht weit sein, bestimmt holen Sie sie gleich ein.“ „Herzlichen Dank“, sagte die Frau und stolzierte davon. Ronya blieb regungslos stehen, bis sie verschwunden war, dann kletterte sie auf den Container und öffnete den Deckel. Das blonde Mädchen sah frech grinsend zu ihr auf.  „Ist sie weg?“, fragte sie. Ronya nickte. „Danke! Das wäre fast schiefgegangen. Puh, stinkt es hier drin. Hilfst du mir raus?“ Bevor Ronya wusste, wie ihr geschah, ergriff Amy ihre Hände und zog sich an ihr aus dem Container. Gemeinsam sprangen sie zurück auf die Straße. Amy strich ihr Kleid glatt, das von einem halboffenen Müllsack mit roten und braunen Striemen verdreckt war, und streckte dann ihre Hand zum Gruß aus. „Ich bin Amy Heartoline, freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Und du bist?“ „R-ronya. Ronya Olith.“ „Ronya! Sehr schöner Name. Ich finde deine Haare übrigens toll. Ist mir eben sofort aufgefallen.“ Sie betastete ihre eigenen Locken. „Aber ich glaube, mir steht das nicht. Sollen wir etwas zusammen unternehmen? Jetzt, wo ich Mama abgehängt habe, kann ich ein paar Stunden rausschlagen, bevor sie wirklich böse wird und die Polizei einschaltet.“ „Die Polizei?!“ Amy zuckte mit den Achseln und sah unglücklich in die Richtung, in die Ronya ihre Mutter geschickt hatte. „Wäre nicht das erste Mal, dass sie übertreibt. Aber genug davon. Was sagst du? Ich werde nicht lange in Jubelstadt bleiben können, deswegen will ich so viel erleben wie möglich.“ Ronya wusste, dass es komisch wirken musste, wie sie stumm vor Amy stand und sie einfach nur anstarrte. Aber dieses Mädchen, das sie nach ihrem ersten Aufeinandertreffen als verhätschelt, eitel und gänzlich uninteressant abgestempelt hatte, stand hier vor ihr, nachdem sie sich—genau wie Ronya damals—in einer Mülltonne versteckt hatte, und wollte etwas mit ihr unternehmen. Mit ihr. Ronya. Theas Anhängsel, das nie eigene Freunde und Kontakte gehabt hatte. Sie schluckte die Gefühle hinunter, die bei diesem Gedanken in ihrer Brust aufkeimten, und sprang über ihren Schatten. „Ich wollte gerade ein Pokémon fangen gehen“, sagte sie schließlich zögerlich. „Willst du mitkommen?“ „Oh, das ist so spannend! Ich wette, wir finden ein Cooles für dich. Und ein Evoli hast du auch schon. Ich bin richtig gespannt, was es hier für Pokémon gibt. Los geht’s!“ Sie ergriff Ronyas Hand und zog sie in die entgegengesetzte Richtung, in die ihre Mutter verschwunden war. Ronya ließ sich von ihr mitziehen. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals.     Dafür, dass Amy behauptete, noch nicht lange in Jubelstadt zu sein, kannte sie sich zehnmal besser aus als Ronya. Sie blieben den Hauptstraßen mit ihrem Trubel fern und durchquerten stattdessen jede Menge zwielichtige Gassen. Ronya war unendlich fasziniert von Amy, die mit Schwung im Schritt durch schmutzige Pfützen lief und ohne mit der Wimper zu zucken Gruppen von älteren Männern durchquerte. Es dauerte nicht lange, bevor sie am nördlichen Ende der Stadt herauskamen und sich Richtung Route 204 aufmachten. Inzwischen schien die Sonne schön stark und es war wärmer geworden. Ein Duft nach Honig lag in der Luft, und eine seichte Brise kam ihnen von den von Wald umsäumten Seen entgegen. Ronya konnte sich an dem Anblick nicht sattsehen. Sie ließ Max vorlaufen, der durch das hohe Gras tobte und den nächstbesten Baum erklomm. Amy stemmte die Hände in die Hüften und sah sich um. „Wirklich idyllisch hier“, kommentierte sie zufrieden. Sie ließ sich ins Gras plumpsen und sah Ronya grinsend an. „Kommst du aus Jubelstadt?“ Ronya warf einen kurzen Blick zu Max, der am Seeufer mit dem Wasser spielte und sich scheinbar gut zu beschäftigen wusste. Sie ließ sich Amy gegenüber im Schneidersitz auf dem weichen Boden nieder. „Aus Fleetburg. Das ist westlich von hier.“ „Oh, dort sind wir mit Mama auf dem Schiff angereist“, sagte Amy und lehnte sich aufgeregt vor. „Bestimmt haben wir uns irgendwo mal ganz knapp verpasst.“ Ronya grinste zurück. „Ja, vielleicht. Mein Papa arbeitet am Hafen, er könnte euch sogar gesehen haben.“ Amy klatschte in die Hände. Sie hatte so viel … Enthusiasmus. Ein klein bisschen erinnerte sie Ronya an Thea, bevor ihre Schwester so kontrollierend und gehässig geworden war. Die Schwester, die Ronya geliebt hatte. Ihr Lächeln erstarb langsam. Amy legte den Kopf schief. „Ist alles okay?“, fragte sie vorsichtig. „Du siehst sehr traurig aus.“ Ronya zwang sich zu einem Lächeln. „Ist schon in Ordnung. Stress in der Familie.“ Amy nahm ihre Hand. „Das tut mir sehr leid.“ Ihr Blick glitt zur Seite, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Ich weiß, wie sich das anfühlt.“ Ronya drückte ihre Hand, um ihr ebenfalls Mut zu machen. Hinter der aufgeweckten Persönlichkeit verbarg sich also auch Schmerz. Nachdem sie Amy bei der Flucht vor ihrer Mutter geholfen hatte, hätte sie sich das eigentlich auch denken können. Sie stand auf und pfiff Max zu sich, der sofort angesprungen kam. Ihr Training mit Kommandos hatte wirklich gut funktioniert. „Bereit?“, fragte sie. Amys düstere Miene verschwand genauso abrupt, wie sie gekommen war. Sie rappelte sich auf. „Darauf kannst du wetten! Hast du schonmal ein Pokémon gefangen? Soll ich dir helfen oder dich erst machen lassen?“ „Ich habe Bücher darüber gelesen“, gestand Ronya und kramte einen leeren Pokéball aus ihrem Rucksack. Zusammen mit Amy und Max stiefelten sie Richtung See, wo das Gras höher wuchs und mit Sicherheit einige wilde Pokémon beherbergte. Das erste Pokémon, das Ronya entdeckte, war ein Goldini, das elegant aus dem See sprang und mit einem lauten Platschen zurück ins Wasser tauchte. Ein Wasserpokémon wäre nützlich, aber sie traute sich noch nicht zu, mit Max einen Wasserkampf auszufechten. Die Pokémon hier waren auf einem ähnlichen Level wie ihr Starter, aber das bedeutete nicht, dass sie ihnen den Heimvorteil geben wollte. Je mehr sie sich umsah, desto mehr wilde Pokémon entdeckte sie. In den Ästen einer Buche saßen zwei Staralili und zwitscherten um die Wette, ein Waumpel kroch gelassen unter einem Busch entlang und zwischen einigen Glockenblumen sonnte sich ein Knospi. Unentschlossen sah Ronya zwischen all ihren Optionen hin und her und befingerte den leeren Pokéball, den sie bereits in der Hand hielt. Sie hätte nie geglaubt, dass ihr die Auswahl so schwerfallen würde, sobald sie einmal die Möglichkeit hatte, ein Pokémon zu fangen. Plötzlich zupfte Amy an ihrem Arm. „Schau mal da hinten“, flüsterte sie tonlos und lenkte Ronyas Aufmerksamkeit auf einen schattigen Bereich zwischen einigen hochgewachsenen Bäumen mit neuen Trieben. Ein Sheinux—weiblich, wie sie sofort an der schwächer ausgeprägten Mähne des blau-schwarzen Elektropokémon erkannte—schlich durch das hohe Gras, genau auf sie zu. Der Schweif wogte langsam hin und her, während sie immer näherkam. Ihr Blick war auf Max fixiert, der unbescholten im Gras saß und geflissentlich seine Pfote leckte. Ronya musste nicht lange nachdenken. All die anderen Pokémon waren zufrieden und glücklich, wo sie waren. Sie genossen ihr friedlichen Leben. Aber hier war ein Pokémon mit Kampfeswillen. Sie wusste noch nicht, wo ihre Reise hinführen sollte, das war eine zu große Frage für ihre erst kürzlich erlangte Freiheit, aber sie wusste eins: Sie würde nicht mittelmäßig sein. Sie würde sich hochkämpfen und so viel Distanz wie möglich zwischen sich und Thea bringen. Sie drehte sich zu dem Sheinuxweibchen um und sah es herausfordernd an. Das Flacker-Pokémon erstarrte kurz in der Bewegung, dann knurrte es und rannte auf sie zu. Ronya atmete tief durch. Ihr erster Kampf. Jetzt würde sich zeigen, ob ihr Studium gereicht hatte, sie auf diesen Moment vorzubereiten. Sheinux sprang. „Max, Tackle!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)