Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Ronya − Akt 1, Szene 3 ---------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Ronya betrachtete ihr Spiegelbild. Thea schaute zurück. Sie kniff die Augen zusammen. Sie war nicht ihre Schwester. Sie war ihre eigene Person. Warum konnte sie sich dann nicht einmal mehr mit ihrem eigenen Spiegelbild identifizieren? „Ronya, wie lange brauchst du noch?“, rief ihre Mutter aus dem Flur. Ronya riss die Augen auf. „Einen Moment“, rief sie zurück. Ihr Blick huschte durch das kleine Bad. Sie musste etwas finden, irgendetwas dass … Da. Ronya ging zu der Badewanne und griff die Haarschere aus dem Flechtkorb, die ihre Mutter dort aufbewahrte. Weder sie noch Thea hatten ihr Haar in den letzten Jahren geschnitten, nur die Spitzen wurden alle paar Monate von ihrer Mutter gestutzt. Ronya schluckte, als sie sich wieder vor dem Spiegel aufstellte und sich durch ihr Haar fuhr. Es war dicht, tiefbraun und glänzte. Obwohl es ihr manchmal im Weg war, hatte sie sich nie daran gestört. Im Gegenteil. Ihre Hand zitterte, als sie die Schere an ihrem Kinn ansetzte. Die Klingen rührten sich nicht. Ronya zwang sich, ihre Atmung ruhigzuhalten. Sie wollte ihr Haar nicht abschneiden. Aber noch viel weniger wollte sie sich in Theas Aussehen verlieren. Mit zusammengepressten Lippen ließ sie die Schere etwas tiefer wandern, bis die Klingen auf Schulterlänge zum Stillstand kamen. Sie schnitt. Eine merkwürdige Ruhe erfüllte Ronya, als die dunkeln Haarsträhnen federleicht ins Waschbecken fielen. Ihr Blick wanderte empor, zurück zu dem Spiegelbild. Thea war noch da, aber sie sah anders aus. Ihr langes Haar fiel ihr in seidenen Wellen den Rücken herab. Nur eine einzige Strähne stoppte dicht über ihrem Schlüsselbein. Ronya holte tief Luft und fuhr fort. Als sie dieses Mal in den Spiegel sah, war Thea verschwunden. „Ronya, was treibst du da drin?“ Die Tür schwang auf und Ronya fand sich ihrer Mutter gegenüber, die verdutzt von der Schere zu den Haaren im Waschbecken und schließlich zu ihrem neuen Haarschnitt wanderte. Sie sagte nichts, umrundete ihre Tochter nur und fuhr mit den Fingern durch die Strähnen. „Sieht schön aus“, sagte sie und lächelte Ronya durch den Spiegel an. „Warum der plötzliche Sinneswandel? Ihr habt mich doch sonst kaum an eure Haare gelassen.“ „Ich hatte Lust auf etwas neues“, sagte Ronya leise und berührte ebenfalls die Schnittstelle. Es fühlte sich ungewohnt an, aber nicht schlecht. „Gehst du heute wieder in die Bibliothek?“, fragte ihre Mutter und umarmte Ronya von hinten, während sie das Kinn auf ihren Kopf bettete. „Möchtest du nicht mit Thea und ihren Freunden in den Park? Es würde sie glücklich machen, das weißt du. Die letzten Tage hast du dich nur in deinem neuen Lieblingsbuch vergraben.“ Ronya zögerte. „Ein andermal“, sagte sie schließlich. Sie war fast mit dem Buch durch, das sie vor einigen Tagen angefangen hatte und wollte ungern ihre Zeit mit Theas Freunden verschwenden. Ihre Mutter seufzte, gab ihr einen Klaps auf den Hinterkopf und machte sich an ihrer eigenen Morgentoilette zu schaffen. Ronya verließ das Bad und lief die Treppenstufen hinunter. Kaum war sie zur Haustür hinaus, entdeckte sie Thea, die an den Gartenzaun gelehnt auf sie wartete. Als der Blick ihrer Zwillingsschwester auf ihre Frisur fiel, erstarb das Lächeln auf ihren Zügen. Sie sprang auf und lief davon.     Missmutig kehrte Ronya an diesem Abend nach Hause zurück. Ihr hatten nur noch wenige Seiten gefehlt, aber die Bibliothek machte sonntags früher zu und trotz ihrer Bitten hatte man sie kurzerhand vor die Tür gesetzt. Wie schon den gesamten Tag fuhr sie mit den Fingern über ihren neuen Haarschnitt. Sie war vor jedem Fenster und jeder Spiegelfront stehen geblieben, um sich von allen Seiten zu begutachten. Noch fiel es ihr schwer, sich selbst mit dem Mädchen zu identifizieren, das ihre Bewegungen imitierte, aber sie spürte, dass sie Thea hinter sich gelassen hatte. Schon von weitem konnte sie einen Schatten hinter dem Küchenfenster erkennen, der verschwand, sobald sie sich ihrem Haus näherte. Sie hatte kaum Gelegenheit zu klingeln, da flog die Tür auf. Thea strahlte sie an. Ihr Haar reichte ihr gerade bis zu den Schultern. „Komm rein“, sagte sie und trat grinsend zur Seite. Ronya stolperte durch die Tür, versuchte, sich zu fangen. Hatte sie es mit Absicht gemacht? Wusste sie, dass Ronya ihr Haar geschnitten hatte, um sich von ihrer Schwester abzuheben, oder war es eine weitere von Theas selbstgerechten Annahmen? Thea lief voraus in die Küche, wo ihre Eltern bereits in der Küche standen und kochten. Der Geruch von Schmorpilzen, der Ronya an jedem anderen Tag augenblicklich in Euphorie versetzt hätte, brannte ihr nun in der Nase. „Ich mag diese neue Frisur“, sagte Thea unbekümmert und kletterte auf die Sitzbank, wo sie ihre Füße hochzog. „Zuerst dachte ich, du willst mir eins auswischen, aber das war eine gute Idee. Viel luftiger.“ Sie warf Ronya einen abschätzenden Blick zu. „Ja“, stimme Ronya zu. „Luftiger.“ „Ich bin froh, dass ihr beiden euch wieder vertragen habt“, sagte ihre Mutter, die eine dampfende Auflaufpfanne, gefüllt mit den faustgroßen Pilzen, auf den Tisch stellte. Ihr Vater folgte mit einem Krug Limonade und einer Schüssel Wildreis. „Thea hat mich gebeten, ihre Spitzen nachzuschneiden, damit es sauberer ist. Soll ich dir auch gleich damit helfen? Du warst heute Morgen so schnell weg.“ Ronya nickte nur. Das gesamte Abendessen über sagte sie kein Wort, aß nur stumm ihre Pilze und stocherte in dem Reis herum. Sie hatte keinen Hunger. Ihr Lieblingsessen stand auf dem Tisch und sie aß kaum die Hälfte von dem, was auf ihrem Teller lag. Alles schmeckte nach Gummi. Thea ignorierte das Verhalten ihrer Zwillingsschwester und nahm sich mehrmals nach, während sie lautstark von ihrem Tag im Park berichtete. Schmorpilze waren auch ihr Lieblingsessen. Früher hatte Ronya es als Zufall abgetan, dass sie beide sogar dieselben Geschmäcker hatten, aber jetzt fragte sie sich, ob nicht auch das Teil von Theas Scharade war. Plötzlich war allein der Gedanke an die Pilze zu viel. Angewidert schob sie den Teller von sich. „Ronya, geht es dir gut?“, fragte ihr Vater und unterbrach mit seinen Worten Theas Schwärmerei über Tommy und Erikas neue Schuhe. „Du siehst blass aus.“ „Mir ist schlecht“, sagte Ronya und versuchte sich an einem Lächeln. Es endete als Grimasse, die ihre Mutter beunruhigt zu ihr schauen ließ. „Hast du dir etwas eingefangen?“ Ronya zuckte mit den Schultern und entzog sich Thea, die sie in eine dramatische Umarmung ziehen wollte. „Ich glaube, ich gehe schlafen“, sagte sie und erhob sich. Ihre Hände zitterten. Sie versteckte die verräterischen Gliedmaßen hastig in ihrer Bauchtasche. Darleen nickte, aber etwas an ihrem Blick verriet Ronya, dass ihre Hände nicht unbemerkt geblieben waren. „Warum schläfst du heute nicht oben im Bett, Thea?“, fragte sie. „Deine Schwester will dich nicht anstecken und wenn sie nachts … auf Klo muss, wird sie dich nur wecken.“ Thea runzelte unwillig die Stirn, nickte aber. So anhänglich sie war, die Angst vor einem eventuellen Magen-Darm-Virus hielt ihre Einwände zurück. Ronya warf ihrer Mutter einen dankbaren Blick zu und verschwand hinauf in ihr Zimmer. Sie hatte nicht gelogen. Ihr war schlecht, auch wenn sie bezweifelte, dass es tatsächlich eine Infektion war. Als sie umgezogen war, kuschelte sie sich in die Decken und schloss die Augen. Lange Zeit blieb sie still und lauschte auf die Gespräche von unten. Einige Male kam es ihr so vor, als schliefe sie ein, aber immer riss ein plötzliches Lachen oder Stuhlschrammen sie aus ihrem Halbschlaf. Stunden später, so schien es ihr, wälzte sie sich noch immer auf der Matratze umher und starrte an die Wand oder den Lattenrost des Hochbetts über sich. Es war schon lange dunkel, als sie das Knarzen der Tür hörte. Hastig schloss sie die Augen, während Thea ins Zimmer huschte, sich blind umzog und zum Bett ging. Vor der Leiter blieb sie stehen. Ronya zwang sich, gleichmäßig und tief zu atmen und der Versuchung zu widerstehen, ihre Augen zu öffnen. Es war stockduster und außer einer mondbeschienenen Silhouette würde sie nichts ausmachen können. Thea stand lange still da. Dann wandte sie sich ab und ging neben Ronya in die Hocke. Mit einer Hand strich sie sanft über Ronyas Stirn und durch ihr Haar, das in einem Fächer um ihren Kopf ausgebreitet sein musste. Ein Moment der Rührung erfüllte sie. Ihre Schwester mochte manchmal nervtötend sein, aber sie liebte Ronya, auf ihre Weise. Vielleicht musste sie sich keine Sorgen machen. Sie würde mit Thea reden, ehrlich sein und gemeinsam eine Lösung finden. Sie waren immer noch Zwillinge. Sicher war noch nicht alles verloren. „Ich weiß, was du vorhast“, flüsterte Thea leise, während ihre Finger über Ronyas Haar strichen. „Du willst mich loswerden. Du willst uns trennen. Aber das wirst du nicht schaffen.“ Ronyas Herz setzte einen Schlag aus. „Ich weiß, dass du wach bist, Ronny“, sagte Thea und als Ronya vorsichtig ein Auge öffnete, gerade weit genug, um Theas zu erkennen, entdeckte sie ein Lächeln in ihrem Gesicht. Ihre Zwillingsschwester legte den Kopf schief. „Du kannst nichts tun“, sagte sie leise und ließ ihre Hand sinken. „Egal, welches Pokémon du aussuchst, ich werde mir dasselbe fangen. Egal, wohin du gehst, ich werde auch dort sein. Wir sind Zwillinge. Du wirst mich niemals verlassen.“ Sie erhob sich und kletterte die Leiter hinauf ins Hochbett. Ronya blieb mit pochendem Herzen liegen und zwang sich, nicht die Kontrolle zu verlieren. Ihre Schwester würde ihr alles nehmen. Zum ersten Mal in ihrem gesamten Leben hatte Ronya das Gefühl, Thea zu hassen.     Schlaf entzog sich ihr. Theas gehässige Worte kreisten unermüdlich durch Ronyas Kopf, ein Strudel aus Angst, der sie mit jedem neuen Gedanken tiefer zog. Kalter Schweiß hatte sich auf ihrer Stirn und ihrem Nacken gebildet. Über ihr schnarchte Thea leise, unterbrochen von gelegentlichen Seufzern. Vorsichtig schob Ronya die Decke weg und stand auf. Tief in ihrem Inneren hatte sie gewusst, was zu tun war, es aber vor sich hergeschoben. Selbst jetzt, da sie über den Laminatboden tapste, die Tür sanft aufstieß und hinaus in den finsteren Flur trat, wollte sie am liebsten umdrehen. Sie ging weiter. Der Weg zum Bad erschien ihr länger als gewöhnlich und trotzdem viel zu kurz, als sie die kalte Klinke unter ihren Fingern spürte. Sie trat ein, schloss lautlos die Tür hinter sich und suchte nach dem Schalter. Grelles Licht blendete sie, als die Lampe zum Leben erwachte, aber Ronya suchte bereits unbeirrt nach der Schere. Alles fühlte sich unwirklich an. Plötzlich stand sie vor dem Spiegel, Schere erhoben. Sie starrte in ihr kreidebleiches Gesicht. Es war wie mit dem Baum. Sie musste Wege gehen, die Thea verwehrt blieben, Entscheidungen treffen, die Thea niemals treffen würde. Sie konnte keine Kompromisse mehr machen. Ronya setzte die Haarschere direkt über ihrer Kopfhaut an und schnitt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)