Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Chris – Akt 3, Szene 1 ---------------------- 8 Jahre vor Team Shadows Gründung   Vor ihrer Abreise hatte Chris Blue über Johto und die Städte auf ihrem Weg ausgefragt und sogar eine Karte von ihm erhalten. Aber nichts und niemand hätte sie auf den Trubel und die schieren Menschenmassen vorbereiten können, die Dukatia City bot. Am Bahnhof war es am schlimmsten. Im Zug hatte Jayden im Gang gesessen und sie abgeschirmt, aber danach hatte er sie an der Hand nehmen und aus der überfüllten Halle mit dem Surren des Magnetzugs als unterschwelligem Geräusch im Hintergrund ziehen müssen. Chris konnte erst wieder richtig atmen und sich fokussieren, als sie bereits fast die Pension erreicht hatten. „Ist sie das?“, fragte Chris und deutete zu dem pink gestrichenen Haus mit der weitläufigen Gartenanlage, umringt von Wald und grünen Wiesen. Jayden zuckte bei ihrer unvermittelten Frage zusammen. „Hast du mich erschreckt!“, stöhnte er und ließ hastig ihre schwitzige Hand los. „Was war eben los mit dir?“ Chris versuchte sich an ihren Weg hierher zu erinnern, aber sie hatte scheinbar alles nach ihren ersten Eindrücken vom Bahnhof völlig ausgeblendet. „Ich kann mich nicht erinnern.“ Jayden runzelte die Stirn. „Du bist erstarrt und hast panisch um dich geguckt ... aber ist auch egal, jetzt sind wir ja gleich da.“ Ihr Aussetzer war ihr unangenehm, aber Jayden ließ das Thema zum Glück auf sich beruhen. Gemeinsam näherten sie sich der Pension. Chris brauchte länger, denn sie blieb immer wieder stehen, weil sie farbiges Fell in den Wildwiesen erspähte oder das Kreischen und Gurren ihr unbekannter Vogelpokémon sie ablenkte. So viele Pokémon, deren Namen sie nicht mal kannte. In Alabastia hatte sie sich viel Wissen angelesen, aber sie merkte mit einem grummeligen Gefühl im Bauch, dass ihr all das hier nur wenig nützen würde. Bevor sie nicht einen Überblick über die Artenvielfalt in Johto hatte, musste sie wachsam bleiben. „Du machst es schon wieder!“, beschuldigte Jayden sie, der plötzlich direkt vor ihr stand. „Träumst du? Ich hab dich gefragt, ob wir in Dukatia City übernachten sollen oder direkt nach Teak City weiterreisen. Die Pokécenter können wir jetzt schließlich benutzen, und das noch für wenig Geld.“ Er grinste und wedelte mit seiner Trainer ID, die ihm nach vielen Versprechen, nie wieder ein Pokémon zu stehlen und alle entstandenen Schäden abzuzahlen unwirsch von Schwester Joy überreicht worden war. Chris selbst hatte ihre mit einem wohlwollenden Lächeln erhalten, welches sie versucht hatte zu erwidern. „Teak City“, entschied Chris, ohne darüber nachdenken zu müssen. Der Gedanke, auch nur einen Tag länger als nötig in der Metropole zu verbringen, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. „Ich hatte es mir schon gedacht ...“, grummelte Jayden. „Dein Hass auf weiche Betten macht mir allmählich Sorgen.“ „Ich hasse keine Betten“, entrüstete Chris sich. „Ich hasse nur all diese Menschen hier. Außerdem ist es deine Schuld, dass wir bisher im Dreck—" „Kann ich euch helfen?“ Erschrocken sahen sie auf und entdeckten ein Mädchen, zwei oder drei Jahre älter als sie, die mit Gartenschaufel und Eimer hinter einem großen Rosenbusch auftauchte und zu ihnen an den Zaun kam. Jayden fing sich als erstes. „Ich soll hier mein Glutexo abgeben. Für Professor Eichs Labor.“ „Aaaah, ja, da war was.“ Sie kratzte sich und hinterließ eine Spur Erde neben ihrer Nase. Ihr dunkelbraunes Haar hing in zwei geschwungenen Zöpfen auf ihre Schultern herab. „Meine Großeltern und meine Mutter sind heute nicht da, aber ich kann dein Pokémon gerne annehmen. Es werden noch einige Glumandaweibchen schlüpfen, du bekommst dein Pokémon also hoffentlich bald wieder.“ Sie folgten der jungen Frau in die Pension. Während Jayden Papiere ausfüllte, sah Chris sich um. Die Pension war in zwei Bereiche aufgeteilt, eine Theke mit Computer und Telefon auf der einen Seite des Raums, und einer kleinen Sitzecke mit Sofas und Tischen, die einladend eingesunken am anderen Ende des Raums standen. Eine Topfpflanze brachte etwas Grün in den sonst in hellen Tönen gehaltenen Raum. „Schick oder?“, fragte das Mädchen, als sie hinter der Theke verschwand. „Wir haben hier vor kurzem renoviert müsst ihr wissen. Jetzt, wo ich meinen Opa beim Züchten ablöse, konnte ich mich endlich mit dem neuen Design durchsetzen. Ich bin übrigens Lyra.“ Sie sah grinsend von ihrer Arbeit am PC auf. „Gib mir schon mal den Pokéball, ich muss die Seriennummer hier registrieren. Und deine Trainer-ID brauche ich. Oh, tut mir leid, brauchst du einen Moment?“ Chris legte eine Hand auf Jaydens Schulter, der plötzlich sein Gesicht ganz komisch verzog. Er hielt Glutexos Pokéball in beiden Händen, die leicht zitterten. „W-wie lange wird das hier dauern?“, fragte er. Lyra stützte ihre Wange auf einer Hand ab. „Das ist schwer zu sagen. Wenn es nur um ein Ei ginge, wäre die Sache in ein paar Stunden erledigt, die Weibchen haben wir ja hier. Aber da wir das Schlüpfen abwarten müssen und ein Shiny dabei herauskommen muss … es kann ein paar Wochen oder sogar Monate dauern. Wenn du mir sagst, wohin ihr danach reist, kann ich dich über das Pokécenter informieren, sobald Glutexo abholbereit ist.“ Jayden schluckte und aktivierte den Pokéball, aus dem sich Glutexo materialisierte. Während er sich von seinem Starter verabschiedete, ging Chris hinüber zum Fenster und sah nach draußen.  Die Sonne stand hoch am Himmel. Sie waren früh in Saffronia City losgefahren, aber die Fahrt hatte mehrere Stunden gedauert. Plötzlich erspähte sie eine Gestalt, die sich mit hektischen Schritten der Pension näherte. „Da kommt jemand“, verkündete sie. „Bestimmt ein Kunde“, meinte Lyra. „Seid ihr soweit?“ Chris drehte sich wieder um. Jayden lag Glutexo in den Armen, das Rauchringe schnaubend seinen Rücken mit den goldgelben Pranken tätschelte. „Ich weiß ja, wir sehen uns bald wieder. G-genieß den Urlaub, okay?“, nuschelte Jayden. Glutexo grummelte zufrieden und löste sich. Jayden wischte sich über die Augen, tätschelte sein Feuerpokémon ein letztes Mal und rief es in den Ball zurück. „Hier“, sagte er und reichte ihn Lyra, die den Pokéball ehrfürchtig entgegennahm. „Es ist mir eine Ehre, ein Shiny zu züchten“, sagte sie lächelnd. „Ich werde mich gut um ihn kümmern, Jayden.“ „Danke.“ Er schniefte. Es klopfte laut an der Tür. Chris sah wieder hinaus. Sie konnte nur die Schulter eines schwarzen T-Shirts und den gelben Streifen auf einer Cappi erkennen. „Das ist der Kunde.“ „Können sich diese Trainer nicht einmal an die offiziellen Öffnungszeiten halten?“, fluchte Lyra, legte Glutexos Pokéball in eine benummerte Schublade an der Rückwand und kam um die Theke zur Tür. Sie öffnete diese schwungvoll. „Wir haben nicht geöff—“ Sie verstummte bei dem Anblick der Person draußen augenblicklich. Chris sah an ihr vorbei. Der Junge sah für sie wie jeder andere Trainer aus, mit dem Unterschied, dass sechs statt den typischen zwei oder drei Pokébällen an seinem Gürtel befestigt waren und er sehr traurig aussah. „Lyra? Hast du kurz Zeit?“ „Gold! Ich— ja, natürlich habe ich Zeit, wir haben in einer halben Stunde ein Date, schon vergessen?“ „Ehh …“ „Du hast es wirklich vergessen?!“ „Lyra, können wir das bitte privat besprechen?“ Lyra atmete mehrmals tief durch, dann lächelte sie Jayden und Chris an. „Würdet ihr kurz hier warten? Macht es euch bequem, da hinten steht ein Kaffeeautomat.“ Das ließ Chris sich nicht zweimal sagen. Als sie eine Minute später mit einem Pappbecher Kaffee zu Jayden zurückkehrte, der sich aus irgendeinem Grund unter das gekippte Fenster gehockt hatte, statt es sich auf dem Sofa gemütlich zu machen, drangen die Stimmen von Lyra und dem Jungen namens Gold von draußen an ihre Ohren. „—soll das heißen, du musst gehen? Was willst du denn in Hoenn?!“ „Ich habe keine Wahl, Lyra. Red ist verschwunden. Ich habe ganz Kanto und jetzt Johto nach ihm abgesucht. Falls er die Regionen verlassen hat, wäre Hoenn die nächstbeste Region. Er ist mein einziger richtiger Rivale Lyra, versteh das bitte.“ Lyras Stimme klang erstickt, als sie antwortete. „Oh, ich verstehe sehr gut. Erst bereist du Kanto und bist fast ein Jahr weg, dann kommst du für ein paar Wochen zurück, nur um wieder abzuhauen und dieses Laugia zu fangen—“ „Es heißt Lugia …“ „—Lass mich ausreden! Und dieses verdammte Legendäre zu fangen, nur weil es dir seine Feder dagelassen hat und jetzt willst du schon wieder weg!“ Chris sippte an ihrem Kaffee. Red? Ein Legendäres? Hoenn? Diese Unterhaltung war weit aufschlussreicher, als sie erwartet hatte. „Hörst du das?“, flüsterte Jayden überflüssiger Weise neben ihr. „Das ist Gold! Er hat Johto vor Team Rocket gerettet und Red herausgefordert. Man sagt, er wäre der einzige Trainer, der eine echte Chance gegen ihn hatte, und trotzdem hat er verloren.“ So, so. Chris trank noch einen Schluck Kaffee. Ein weiterer Trainer, den sie übertrumpfen musste, um Red zu besiegen. Blue hatte Recht damit gehabt, sie nach Johto zu schicken. „Du könntest mitkommen“, sagte Gold nach einer extrem langen Pause. Er klang hoffnungsvoll. „Wir könnten zusammen reisen. Die Regionen erkunden, Abenteuer erleben.“ „Und was soll ich deiner Meinung nach machen, während du von einer Stadt zur nächsten fliegst und den lieben langen Tag trainierst?“, erwiderte Lyra hitzig. „Ich bin nicht dein Accessoire. Was ist denn mit meinen Wünschen und Träumen? Wie soll ich die beste Züchterin Johtos werden, wenn ich mein Leben lang hinter dir herrenne? Außerdem kann ich Mama hier nicht alleine lassen. Meine Großeltern sind schon alt, sie wollen ihren Ruhestand genießen. Ich kann nicht einfach für wer weiß wie lange verschwinden. Den Luxus habe ich nicht.“ Ihren Worten folgte Stille. „Ich verstehe.“ Gold klang erschöpft. „Ich wollte dich nicht verärgern. Es tut mir leid, Lyra. Ehrlich.“ „Unser Date verschieben wir auf deine Rückkehr“, sagte Lyra. „Und dann bleibst du hoffentlich etwas länger.“ „Klaro. Lyra, ich wollte dir eigentlich noch etwas sagen …“ Chris und Jayden setzten sich gleichzeitig auf und lugten aus dem Fenster. Gold stand leicht abgewandt und kratzte sich verlegen im Nacken, während Lyra mit verschränkten Armen vor ihm stand. Bei seinem Anblick schien sie Mitleid zu haben, denn sie huschte vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich dir auch. Aber unser Date ist früh genug dafür, meinst du nicht?“ Gold wurde rot. „Ich, eh, ja, du hast natürlich, ehm, Recht. Ich, ehm, geh dann mal.“ Und wie jemand, der verlernt hatte gerade zu gehen, drehte er sich um und stolperte davon. Lyra seufzte und rieb sich die Augen, dann kam sie zurück in die Pension. Jayden und Chris waren nicht schnell genug und fanden sich Auge in Auge mit ihr wieder, während sie noch zusammengepfercht unter dem Fenster hockten. Lyra stieß die Luft aus. „Ihr habt wohl alles mitgehört. Ist auch egal. Nur das Übliche Bla Bla von Trainern. Datet nie einen Trainer, wenn er ihr selbst keiner seid, sage ich euch, das bringt nur Ärger.“ Sie ließ sich auf das Sofa fallen und umarmte ein flauschiges Kissen. Chris setzte sich dazu, Jayden ebenfalls. „Wollte er gerade …“, begann Jayden und wurde rot, also unterbrach Chris in Kurzerhand. „Was ist Lugia? Weißt du, wo Red ist? Wie lange wird Gold in Hoenn sein?“ „Oh je, bist du auch so eine Fanatikerin?“, stöhnte Lyra. „Wo Red ist, weiß keiner, und ich will es auch gar nicht wissen, dann würde Gold nämlich nie mehr aufhören gegen ihn zu kämpfen und ich würde ihn höchstens alle zehn Jahre zu Gesicht kriegen. Wer weiß, wie lange er jetzt wieder wegbleiben wird. Ich halte jedenfalls nicht den Atem an. Soll er sich austoben, er weiß ja, wo er mich findet. Ich werde mein Leben auch ohne ihn genießen, jawohl!“ „Und Lugia?“, hakte Chris sofort nach. „Es ist ein Legendäres?“ „Ja, aber ich weiß auch nicht viel darüber“, erwiderte Lyra. „Legendäre kann man nicht züchten, wisst ihr. Sie sind quasi unsterblich, dafür aber unfruchtbar. Für mich also komplett uninteressant. Aber Lugia bildet ein Duo mit Ho-Oh. Lugia ist ein Wassertyp und gebietet über die Meere, während Ho-Oh ein Feuerpokémon ist und über die Lüfte wacht. Irgendetwas in der Art. Jedenfalls hat Gold Lugia ein paar Mal gesichtet und schließlich hat er die Silberfeder von ihm bekommen, was im Grunde bedeutet, dass Lugia von ihm herausgefordert werden wollte. Aber ich bin wirklich kein Experte für diese Mythen, da müsst ihr schon nach Teak City gehen. Da ist auch der Glockenturm, die Mönche wissen alles über die beiden.“ „Er hat Lugia also gefangen?“ „Ja, und wahrscheinlich sitzt er in diesem Moment auf dem vermaledeiten Vieh und freut sich darüber, endlich wieder unterwegs zu sein. Nerven hat dieser Junge, mich vor unserem Date abzuservieren … Urgh!“ Sie warf das Kissen von sich und sprang auf. „So, braucht ihr noch was? Ich muss mich abreagieren und das geht am besten, wenn ich shoppen gehe.“ Chris nickte. „Wir sind hier fertig.“ „Sind wir?“, fragte Jayden panisch, während sie ihn schon auf die Füße zog und aus der Tür bugsierte. „Wartet!“, rief Lyra ihnen hinterher. „Wo geht eure Reise hin? Ich muss euch doch kontaktieren können!“ „Teak City“, rief Chris und stapfte mit Schwung im Schritt los. Jayden schielte sie von der Seite an, während er versuchte, Schritt zu halten. „Was heckst du nun schon wieder aus?“, fragte er. Chris lächelte ihn breit an. „Ist das nicht offensichtlich? Ich werde Ho-Oh fangen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)