1000 Ways to Die in the West von Hotepneith (Die Memoiren eines Flohgeistes) ================================================================================ Kapitel 15: ------------ Der Lord lässt sich entschuldigen. Er ist zu Schiff nach Frankreich. Schiller, Maria Stuart   Die Vorhalle, oder was auch immer, dieser Drachenfestung war riesig, zumal, wenn man selbst ein hektischer, schweißgebadeter, unseliger Flohgeist war, der sich gerade nicht erinnern konnte, wo es denn nun in das Badehaus ging. Immerhin war kein Drache zu sehen, kein Yōki zu spüren. Die Treppe da empor war es ganz sicher nicht, denn die führte in den Thronsaal. Unnötig zu sagen, dass ich da sicher kein zweites Mal hineingehen würde. Von irgendwo draußen tönte Fauchen, manchmal wie Hämmern, aber ich dankte allen erreichbaren Göttern, dass niemand hier war. Da, das musste es sein, eine leicht offenstehende Tür. In meine Nase drang Wasserdunst. Ja, bitte. Und hoffentlich niemand drin! Behutsam schlich ich mich durch den Spalt. Bitte kein Drache, der noch ein spätes Bad nehmen wollte. Aber, dann wäre die Tür doch wohl geschlossen gewesen. Drachen mochten ja raue Sitten haben, aber sie würden doch die Tür schließen… Ja, niemand da. Immerhin. Ich hüpfte zum Rand des Badebeckens. Tja. Meine Erinnerung hatte mich nicht betrogen. Wo ich bequem durchkam, wäre es für einen Mann wie meinen Daiyōkai schon sehr eng. Die Rüstung konnte er vergessen. Zumindest sie anzuziehen, aber ich sah auch keine Möglichkeit, wie er sie durch diesen Engpass zerren wollte. Sicher, mit den Füßen zuerst und die Hände nach oben gestreckt, um den Panzer und den Rest mitzuziehen, das mochte gehen, aber… Es war sicher verflixt eng. Und daran, wenn ihn die Kraft verließ, er sich in seine wahre Form verwandeln müsste, wollte ich nicht einmal denken. Ach, er war doch der Heerführer, dann sollte er doch einen Plan haben, beschloss ich. Ich armer Floh sah jedenfalls hier und darin die einzige Möglichkeit aus dieser Burg zu entkommen. Ob mir der Taishō das je verzeihen würde stand auf einem anderen Blatt. So hastete ich, immer vorsichtig umschauend, zu der Tür Richtung Kerker, die er vernünftigerweise einen kleinen Spalt offengelassen hatte. Er selbst stand, wie ich schon vermutet hatte, hinter der sich öffnenden Tür. So landete ich auf seiner Schulter. „Alles leer, oyakata-sama,“ meldete ich. „Ich denke, es sind nur noch wenige Drachen hier, da die meisten Euer Heer abfangen sollen. Und die, die hier sind, sind draußen und machen irgendetwas.“ „Das Gerüst für meine Hinrichtung,“ erwiderte er kalt, allerdings wohlweislich leise. „Geh, Myōga, voran.“ Ich sprang also gehorsam wieder Richtung Badezimmer. Als ich auf dem Beckenrand landete und mich umsah, spürte ich ein Frösteln. Oh je. Das war eindeutig das doch schon angewachsene Yōki des Daiyōkai hinter mir. Der sichtlich kaum erfreut den Abfluss betrachtete. So flüsterte ich hastig: „Der einzige Weg!“ „Wie führt dieses Rohr?“ Zum Glück begriff ich sofort, was er meinte. In dieser Laune wollte ich nicht zwischen seinen Klauen landen. Sicher, noch sollte er mich nicht umbringen, aber das wäre mit Sicherheit ein sehr schmerzhaftes Erlebnis. „Es geht steil hinab, ungefähr soweit, vom Boden bis zu Eurer Hüfte, dann schräg nach unten. Der Durchmesser bleibt die ganze Zeit gleich. Wo das Rohr endet, dort befindet sich ein Gitter, das auf Yōki schmerzhaft reagiert. Ich kann hindurch springen, aber Ihr werdet es beseitigen müssen. Dann endet das Rohr mehrere Meter über einem Wassergraben, der offenkundig das Badewasser aufnimmt.“ Sein nächster Satz verriet mir, warum er sicherlich ein erfolgreicher Feldherr war. „Lebewesen im Wasser?“ „Höchstens kleinere noch als ich. Keine Schlangen oder Drachen, oyakata-sama.“ Er nahm es hin, dass das Folgende zu einer Prüfung seines Stolzes werden würde. Und, da machte ich mir wenig Illusionen, als einziger Zeuge würde ich das nicht lange überleben. Ich war praktisch ein lebender Toter. „Geh voran.“ Ich sprang also in das dunkle Loch. Nun ja, immerhin hatte er so verhindert, dass ich sehen konnte, wie er sich durch das Rohr winden musste. Als ich das Gitter erreichte, blickte ich mich um. In der Tat, dieser Hund konnte denken. Er war mit den Füßen voran hinabgeglitten, in seinen über den Kopf ausgestreckten Armen zog er möglichst leise seine Rüstung mit. Seine beiden Fellteile befanden sich unter ihm und ermöglichten es ihm so, sich mit den Füßen voran zu ziehen. „Ich bin am Gitter,“ sagte ich leise. „Draußen ist es noch dunkel.“ „Drachen?“ Er klang keuchend, aber das war kaum ein Wunder nach allem, was er durchgemacht hatte. „Ich spüre kein Yōki, keinen Herzschlag außer dem Euren.“ „Weiter!“ Ich griff nach dem Gitter, diesmal schon in Erwartung des Schmerzes, und schwang mich hindurch, ehe ich einen weiten Satz über den Wassergraben auf das feste Land machte. Zitternd vor Aufregung und auch bereits deutlichem Blutmangel, sah ich mich um. Das Gitter kam mir hinterher geflogen, wenngleich nicht so weit und endete mit einem lauten Platsch im Wassergraben. Zu luaut? Aber noch war keine sich nähernde Energie zu spüren.   Dann tauchten die Füße, die Hose, des Daiyōkai auf, und ich erkannte, dass er mir nicht nur gut zugehört hatte, sicher besser, als mancher in gesünderem Zustand, sondern das auch umgesetzt hatte. Kaum, dass er mit der Hüfte draußen war, fast das Gleichgewicht verlor und in den Graben stürzen würde, bewegten sich seine Fellteile als seien es bewusst gesteuerte Körperteile. Waren sie ja auch, aber woher hätte ich das damals wissen sollen. Sie fassten um das Rohr, hielten ihn so, als er sich ganz hinaus bewegte, seine Rüstung aus dem Kanal nachzog. Irgendwie gelang es ihm die Beine anzuziehen und sich an der Wand abzustoßen, vermutlich mehr als mühsam den Satz über den Graben zu machen und keuchend auf dem Boden zu landen.   Ich eilte zu ihm. „Oyakata-sama,“ flüsterte ich glücklich. Immerhin. Er war aus der Drachenfestung, wenngleich bei weitem noch nicht in Sicherheit. Aber, das sah ich auch, er war bereits erschöpft. So würden wir nie in den Westen gelangen. „Gelingt es Euch Eure Rüstung anzuziehen? Sie werden spätestens bei Morgengrauen Eure Flucht bemerken. Dann sollten wir durch den Bannkreis sein.“ „Sag mir nichts, was ich selbst weiß.“ Es war ein kaum hörbares Knurren, unterbrochen von schwerem Atemholen. Aber er ließ die Rüstung langsam zu Boden und löste die Schnallen. „Dann nach Südwesten.“ „Nein, oyakata-sama.“ Au weia, dieser mordlustige Blick! So erklärte ich hastig: „Euch fehlen noch einige wesentliche Informationen, ehe Ihr die Lage vollständig beurteilen könnt. Der Drachenkönig hat praktisch sein ganzes Heer zwischen dem Ort, an dem Ihr entführt wurdet, und hier aufgestellt. Im Nordwesten befinden sich weitaus weniger Patrouillen, die man hoffentlich umgehen kann. Es ist ein Umweg, ja, und Ihr seid, ebenso wie ich erschöpft, aber es ist die beste Chance.“ Er legte sich die schwere Panzerung um. „Was genau hast du an dem Satz, dass ich vorlautes Ungeziefer auf den Tod nicht leiden kann, nicht verstanden?“ erkundigte er sich ohne mich anzusehen. „Bringt mich um, sobald Ihr sicher im Westen seid,“ schlug ich vor, mich hektisch umsehend. „Aber ich werde Euch aus dem Drachengebiet holen, ob es Euch gefällt oder nicht!“ Darauf ging er nicht ein, was wohl gesünder für mich war. „Der Bannkreis?“ „Ich komme so hindurch, für Euch habe ich eine Magie geschenkt bekommen.“ „Es ist wohl allgemein bekannt, dass ich mich von Drachen entführen ließ.“ „Ihr wurdet vermisst im Schloss, und die besten Spürer fanden noch die Fährte von Drachen, wo die Eure endete. So ist der gesamte Westen in Alarmbereitschaft. Die Regentin hat das Schloss noch einmal gesondert gesichert.“ Ein seltsames Lächeln zuckte um seinen Mund. „Merke dir, Myōga, manchmal sind Geschenke auch sehr nützlich. Der Drachenkönig würde seinen Wunsch nach Magie des Jenseits sehr schnell und gründlich erfüllt bekommen, griffe er das Schwebende Schloss an. Ist die Magie, mit der du mich durch den Bannkreis bringen willst, von ihr?“ „Oh nein, von Meister Nekohiko.“ Sah ich so lebensmüde aus, dass ich mich in ein Schloss voller Hunde wagte? Nun ja, ich musste zugeben, ich hatte mich in ein Schloss voller Drachen gewagt. Der Taishō hielt mich vermutlich für den todessehnsüchtigsten Flohgeist aller Zeiten, zumal ich ihn schon einige Male in den letzten Stunden herumkommandiert hatte. Und ich würde bald sterben. Sei es durch den Blutmangel, sei es durch seine Hand. „Dein Meister.“ Der zweite Unterarmschoner war angelegt und er richtete sich auf. „Setz dich auf meine Schulter. Nordwest, sagtest du. Wie viele Wachen?“ „Ich traf auf dem Herweg nur eine Doppelwache vor dem Bannkreis, aber sie gehen hin und her und erwähnten auch andere.“ „Wie weit bis zum Bannkreis?“ „Das kann ich nicht sagen, oyakata-sama. Ich sprang gleichmäßig voran, aber ich spürte ihn ja nicht.“ Er atmete deutlich hörbar. „Sobald wir durch sind, zum Hoyama. Da gibt es eine Grotte, die ich…. versiegeln kann. Ich muss mich ausruhen. Du auch, kleiner Floh.“ „Ja,“ gab ich zu und klammerte mich an seinem Schulterfell fest.   Es begann hell zu werden am östlichen Horizont, als der Taishō innehielt und vor sich deutete. Er war matt, erschöpft, aber ich verstand, dass dort der Bannkreis sein würde und zog die Münze hervor, die mir Meister Nekohiko gegeben hatte. Sie wurde augenblicklich fast heiß in meiner Hand und ich warf sie mit aller Kraft nach vorne. Ein Flimmern in der Luft, kaum sichtbar, dann rot werdend, dann schwarz. Der Daiyōkai machte samt mir den Sprung durch die Lücke und als ich mich umsah, war sie bereits wieder verschwunden, ebenso wie die so wertvolle Münze. Aber der Meister hatte ja erwähnt, dass man sie nur einmal verwenden könne. „Der Hoyama!“ Ich deutete nach vorne, wo etwas links der Rauch aufstieg. „Spring ab.“ Ich gehorchte sofort, da ich spüren konnte, wie seine Energie anstieg, anscheinend auf das größtmögliche, was er noch hervorbringen konnte. Und dann stand ich sprachlos im Schatten des riesigen weißen Hundes, ehe ich einfach wieder auf seine Schulter sprang, nun, eher in sein Nackenfell, und mich eilig festhielt, als er los trabte. Schneller konnte er wohl nicht mehr, aber es stand zu erwarten, dass Krieger hierher kommen würden, um nachzusehen was oder wer den Bann gestört hatte. Da die Dämmerung hinter uns schon deutlich wurde, wäre es nur eine kurze Frist, bis sie einen derart großen Hund in der Ebene entdecken würden. Kampffähig war der Daiyōkai allerdings kaum. Es war eher ein Wunder, dass er das hier noch durchhielt. Und ich hatte solchen Durst. Aber, das brauchte ich kaum erwähnen. Zum einen, weil der Taishō ja selbst jedes bisschen Kraft benötigte und zweitens kaum bereit war mich ein zweites Mal durchzufüttern. Ich würde mich erholen, vielleicht mit ihm in dieser Grotte, die er gemeint hatte, und dann zusehen, dass ich ihm noch bis in den Westen half. Und dann? Nun, egal. Er war aus der Drachenfestung entkommen, das zählte, er lebte. Was zählte schon Ungeziefer.   Ich weiß nicht, wie lange es so ging, ehe der Hund langsamer wurde und stehenblieb. Vor uns lagen bereits die Ausläufer des Hoyama, aus dessen Hauptkrater weit oben die Fahne an Rauch und Asche stieg, wie wohl immer. Ich sprang ab und er verwandelte sich in den nur scheinbar menschlichen Heerführer. „Die Grotte….“ Er sah sich um. Ich wollte die Frage nicht stellen wie groß die war – für seine Hunde- oder seine Menschenform. Ich war schon zwei Mal getadelt worden, ein drittes Mal würde er meinen Vorlaut sicher schmerzhaft beantworten. Obwohl er sowieso bemerkenswert geduldig mit mir Ungeziefer war. Er ging mühsam, ja, fast schwankend, in eine Richtung. Ja, da war ein Spalt und auf den steuerte er zu. Das war nicht sonderlich groß, selbst in seiner Menschenform würde er kaum hineinpassen. Nun, womöglich genau deswegen ein gutes Versteck, falls die Drachen nach einem Hundeyōkai Ausschau hielten. Sie war auch recht niedrig und er krabbelte mehr hinein. Ich zögerte und so wandte er den Kopf. „Myōga!“ So sprang ich unter seinen Bauch, bis er sich niederlegte, umdrehte und irgendetwas machte. Magie, vermutlich. Damit hatte ich es nicht. „Versiegelt?“ fragte ich nur. Er nickte etwas und streckte sich halb sitzend aus, wie es seine Rüstung erlaubte, ehe er seine Fellteile um sich schlang. „Hierher.“ Ich verstand zuerst nicht, dann sprang ich in das weiche Fell und schmiegte mich an. Ich durfte in seinem Fell schlafen! Damit hatte ich wahrlich nicht gerechnet.   Dann grollte es irgendwo wie Donner. Selbst hier in dieser durch Magie verschlossenen Höhle war eine ungeheure Welle von Yōki zu spüren, die den Vulkan um und über uns zittern und grummeln ließ. Ich sah zu dem Gesicht des Daiyōkai auf und erkannte überrascht eine gewisse Heiterkeit in den goldenen Augen, ehe er zu mir blickte. „Ryuichi. Er hat wohl bemerkt, dass sein Gefangener nicht zur Hinrichtung erscheint. Nun, der Inu no Taishō lässt sich entschuldigen. Er ist auf dem Weg in den Westen.“   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)