Mein Weg zu Dir von Khaleesi26 ================================================================================ Kapitel 45: Mimi ---------------- »Bist du sicher, dass du klar kommst?«, frage ich zum gefühlt zehnten Mal. »Ja doch!« »Wirklich?« Dad rollt mit den Augen. »Bin ich das Kind oder du?« Ich seufze. »Ich hab schon verstanden. Ich hab dich lieb.« »Ich dich auch, Kleines.« Dann umarmen wir uns zum Abschied, nachdem ich ihn in der Klinik abgesetzt habe. Dad hat nicht übertrieben, wir waren tatsächlich sechs Stunden lang unterwegs. Mit den Kaffeepausen sogar ein bisschen länger. Eine Mitarbeiterin der Klinik hat uns das ganze Gelände gezeigt und uns überall rumgeführt. Sogar sein Zimmer durfte er schon beziehen. Es ist ein Einzelzimmer, mit einem fantastischen Ausblick auf ein riesengroßes Blumenbeet. Es ist so idyllisch hier, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sich hier so viele Menschen mit Problemen befinden. Aber wahrscheinlich sind sie genau deshalb hier. Dieser Ort hat etwas märchenhaftes und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass hier nicht nur der Körper, sondern auch die Seele heilt. Der Besuch hat allerdings auch länger gedauert als geplant, weshalb ich bereits unruhig auf meine Uhr sehe. Es ist schon spät und ich muss noch den ganzen Weg zurück nach Tokyo fahren. »Du solltest jetzt wirklich fahren. Schreib mir, wenn du angekommen bist«, meint Dad und schiebt mich sachte zu seinem Wagen, den ich die nächsten Wochen benutzen darf, solange er nicht da ist. »Das mache ich. Ruf mich bitte an, sobald du Zeit hast. Dann kannst du mir alles erzählen«, sage ich, während ich ins Auto steige. Dad lächelt, aber hinter diesem Lächeln sehe ich genau, was er denkt: ich verhalte mich wie eine Glucke. »Keine Sorge, das mache ich.« Ich nicke und schließe die Tür, ehe ich den Motor starte und langsam vom Gelände rolle. Als ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich, wie Dad mir zuwinkt und in der Ferne immer kleiner wird. Mir wird ganz schwer ums Herz, wenn ich daran denke, welchen steinigen Weg er nun vor sich hat. Aber immerhin ist er bereit, ihn zu gehen und das macht mich unfassbar stolz auf ihn. Ich drehe das Radio laut auf und fixiere mich auf das Navi. Ankunftszeit: 00.43 Uhr. Na, klasse. Wahrscheinlich werde ich unterwegs doch noch irgendwo anhalten und mir literweise Kaffee reinziehen, nur, um danach ständig zur Toilette zu müssen. Nach 2 1/2 Stunden Fahrt lege ich einen Boxenstopp ein, um zu tanken. Ich nutze die kurze Pause, um Kari eine SMS zu schreiben, dass sie sich keine Sorgen machen soll und ich später nach Hause komme. Als das erledigt ist und ich mit einem Coffee to go wieder ins Auto steige, geht bereits die Sonne unter. Noch eine halbe Stunde, dann ist es sicher dunkel. Die Fahrtzeit verkürze ich mir mit singen - laut - und schrill. Ich singe jedes Lied mit, das im Radio läuft und wünschte, ich hätte einige meiner Lieblings CD's dabei. Wenn ich an Musik denke, muss ich automatisch an Matt denken. Er hat sich seit unserem Streit nicht mehr bei mir gemeldet, aber das habe ich auch gar nicht von ihm erwartet, dafür kenne ich ihn bereits zu gut. Und mir ist es ganz recht so. Leider habe ich überhaupt viel zu viel Zeit, um im Auto über alles nachzudenken. An Matt, an Tai, an Sora, an Kari, an meine Mom, an Dad … Nach 4 Stunden Autofahrt qualmt mein Kopf so sehr, dass ich eine Ausfahrt verpasse. Ich fluche laut und nehme die Nächste, woraufhin sich meine Ankunftszeit noch mal nach hinten verschiebt. So ein Mist! Ich gähne und spüre, wie meine Augen langsam schwer werden. Es ist bereits so dunkel, dass ich mich wirklich sehr konzentrieren muss, um nicht ja irgendein Schild zu übersehen. Wieso sind wir nur so spät losgefahren? Mein Handy klingelt. Ich zucke zusammen, weil ich gerade in ein Duett mit meiner Königin Halsey versunken bin - das Einzige, das mich noch wach hält. Kari ruft an. Ich drehe das Radio leiser und hebe ab. »Hallo?« »Hey, ich wollte nur mal fragen, ob alles okay ist?« »Jaah«, gähne ich und schüttle schnell den Kopf. »Alles bestens. Habe mich ein mal verfahren, wird also doch etwas später.« »Du klingst müde. Wieso übernachtest du nicht im nächsten Hotel und kommst morgen früh frisch ausgeschlafen nach Hause?« Ich stutze einige Sekunden. »Willst du mich loswerden? Hey«, rufe ich und beuge mich näher ans Telefon, damit sie mich auch ja richtig versteht. »Meine Wohnung ist keine Partyhöhle! Besucher sind nicht gestattet. Vor allem keine männlichen!« Kari kichert, aber danach höre ich auch ein leises Stöhnen. »So war das doch gar nicht gemeint. Auch, wenn du's mir nicht glaubst: ich liege schon lange mit einem Buch im Bett. Oder eher, auf dem Sofa.« »Gut«, meine ich, aber meine Augen verengen sich trotzdem zu zwei schmalen Schlitzen. Zum einen, weil ich doch etwas misstrauisch bin und zum anderen, weil ich langsam wirklich müde werde. »Vielleicht hast du doch recht. Ich schaue gleich mal im Navi, wo sich das nächste Hotel befindet.« Dann fällt mir etwas ein. »Aber ich werde deinem Bruder eine Nachricht schreiben, damit er kommt und nach dir sieht.« »Oh, Mimi«, stöhnt Kari nun deutlich genervt auf. »Muss das sein? Ich bin doch kein Pflegefall.« »Ja, es muss sein, leider«, entgegne ich, obwohl ich genauso wenig von der Idee begeistert bin wie sie. »Ich habe Tai versprochen ein Auge auf dich zu haben. Wenn ich einfach so über Nacht weg bleibe, erfülle ich damit nicht so ganz unsere Abmachung.« Außerdem könnte ich es mir nie verzeihen, wenn ich Tai nicht informiere und Kari doch wieder auf irgendwelche komischen Ideen kommt. »Na, schön«, gibt Kari sich geschlagen. »Okay«, sage ich zufrieden. »Ich schicke dir nachher meinen Standort, sobald ich ein Hotel gefunden habe. Wir sehen uns morgen früh.« »Gut, Mimi. Bis dann.« »Bis dann.« Ich lege auf und ändere die Route in meinem Navi. Das nächste Hostel ist nur eine viertel Stunde entfernt. Es scheint eine billige Absteige zu sein, aber um dort ein paar Stunden Schlaf zu finden, ist es perfekt. Im Hostel angekommen, bin ich überrascht, wie viele Autos auf dem Parkplatz stehen. Das habe ich bei so einer günstigen Unterkunft, die so abgelegen ist, nicht erwartet. Auf dem Weg zur Rezeption kommen mir gleich mehrere Menschen entgegen. »Ist Ihr Hostel immer so gut besucht?«, frage ich den Mann hinter der Rezeption, nachdem ich ein Zimmer für eine Nacht bestellt habe. Der ältere Mann schenkt mir ein mattes, aber warmes Lächeln. »Eigentlich nicht, so viele Gäste hatten wir hier lange nicht mehr. Nicht, dass ich mich beschweren würde.« »Nun, dann muss heute wohl Ihr Glückstag sein.« Und meiner auch. Mir war ein bisschen mulmig zumute, weil ich befürchtet hatte, ganz allein hier übernachten zu müssen. Mit vielen vollen Zimmern um mich drum rum, fühle ich mich irgendwie sicherer. »Ja, ich mache heute ein gutes Geschäft. Möchten Sie sonst noch etwas?« »Nein danke, nur die Schlüssel bitte.« Der Mann nickt und reicht mir den Zimmerschlüssel. Ich überquere erneut den Parkplatz und trotz der vielen Autos ist es hier erstaunlich ruhig. Nur eine kleine Gruppe Männer und Frauen tummeln sich um ein Fahrzeug und scheinen sich zu betrinken. Aus dem Fahrzeug dröhnt laut Musik und ihr Lachen ist kaum zu überhören. »Hey, Süße«, ruft einer der Männer in meine Richtung. War ja klar, dass ich nicht ungesehen an denen vorbei komme. Demonstrativ verdrehe ich die Augen und gehe weiter, ohne ihn zu beachten. »Warum kommst du nicht rüber und trinkst was mit uns?« Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? »Wir haben auch Bier hier«, will er mich weiter locken und wedelt mit der Dose in meine Richtung. Kurz vor meiner Tür halte ich inne und lege den Kopf schief. Dann drehe ich mich um und gehe auf den Kerl zu. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass er damit nicht gerechnet hat. Lächelnd bleibe ich direkt vor ihm stehen und greife nach der Bierdose, die er immer noch in der Hand hat. »Das kann ich heute wirklich gut gebrauchen. Danke!«, sage ich freundlich und lasse ihn stehen. Hinter mir höre ich immer noch, wie seine Freunde ihn auslachen, ehe ich die Tür schließe und mich in meinem winzigen Zimmer umsehe. Ein Bett, ein Bad, ein Fernseher. Nicht mal ein Kleiderschrank, aber den brauche ich auch nicht. Ich lasse mich aufs Bett fallen und öffne mit einem Klicken die Bierdose. Was für ein langer Tag. Überhaupt waren die letzten Tage so anstrengend, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich fühle mich wie gerädert. Ich hole mein Handy aus der Hosentasche und schreibe schnell eine Nachricht an Dad, dass ich in einem Hostel übernachte und morgen früh weiter fahre. Dann schicke ich Kari meinen Standort, damit auch sie beruhigt ist. Und jetzt kommt das Schlimmste: ich muss Tai schreiben. »Hey, ich bin heute Nacht leider nicht zu Hause. Könntest du nachher kurz bei mir vorbei schauen und nach Kari sehen? Danke.« Nachdem ich die Nachricht abgeschickt habe, runzle ich die Stirn. Das klingt ja, als hätten wir ein Kind und müssten uns das Sorgerecht teilen. Gruslige Vorstellung. Schnell schüttle ich den Kopf und trinke gleich die Hälfte meines Biers mit ein mal aus, als auch schon mein Handy vibriert. Das ging schnell … Tai: »Was soll das heißen, du bist heute Nacht nicht zu Hause? Wo bist du?« Wie bitte? Spinnt er? Was soll dieser vorlaute Tonfall? »Schau einfach nach Kari, danke«, ist alles, was ich zurück schreibe. Dann trinke ich mein Bier aus, doch es dauert keine zehn Sekunden, da trudelt schon die nächste Antwort ein. Tai: »Wo bist du???« Also, jetzt reicht's aber! Ich rümpfe die Nase, während meine Finger so schnell über die Tastatur fliegen, dass ich die Nachricht in Sekundenschnelle abgeschickt habe. »Geht dich nichts an.« Ich glaube, es hackt! Was bildet er sich ein? Natürlich kommt prompt die Antwort. Tai: »Mimi!« Ich stöhne genervt auf. »Tai!« Was, zur Hölle, will er von mir? Ich erschrecke, als mein Handy klingelt. Jetzt ruft er auch noch an. Was soll das? Kurzerhand drücke ich ihn weg. Doch er probiert es noch mal. Mein erster Impuls ist abzuheben und ihm die Meinung zu geigen. Doch ich entscheide mich für den Weg des geringsten Widerstandes und drücke ihn erneut weg. »Man, jetzt lass mich doch endlich in Ruhe!«, stoße ich fluchend aus und schmeiße das Handy hinter mir aufs Bett. Was soll dieses Getue? Er tut so, als wäre auch ich plötzlich seine kleine Schwester, die er bevormunden müsste. Und vor allem tut er so, als wäre er immer noch mein bester Freund und als würde es ihn irgendwas angehen, was ich nachts mache. Voller Wut zerknülle ich die leere Bierdose in meiner Hand und ziele damit auf den Mülleimer in der Ecke, den ich natürlich verfehle. Wieder klingelt mein Handy, doch diesmal mache ich mir nicht mal mehr die Mühe, ihn wegzudrücken. Ich ignoriere es einfach. Dann gibt er anscheinend auf. Völlig entnervt von diesem kleinen, kurzen Schlagabtausch, schnappe ich mir das Handy, stelle es auf stumm und schiebe es zurück in meine Hosentasche. Tai regt mich so auf! Er kann nicht ernsthaft gerade mit Sora zusammen sein und mich gleichzeitig die ganze Zeit anrufen und mir freche Nachrichten schicken. Er ist so was von … argh! Er bringt mich so zur Weißglut. Ich muss hier raus. Ich brauche dringend noch etwas zu trinken und zu essen, sonst kann ich nicht schlafen. Dad und ich hatten zwar unterwegs ein ausgiebiges Mittagessen, aber das ist Stunden her. Also stiefle ich erneut wie ein rastloser Tiger über den Parkplatz. Leider sagt der Mann hinter der Rezeption zu mir, dass sie lediglich einen Snackautomaten führen, der Getränkeautomat aber leider kaputt ist und als ich frage, wo die Leute auf dem Parkplatz ihre Getränke herhaben, zuckt er nur mit den Schultern. Er meint, wahrscheinlich von der Tankstelle, die eine Stunde von hier entfernt ist. Ich lasse den Kopf hängen. Na, klasse. Ich hole mir ein paar Schokoriegel und Chips und will gerade alles auf mein Zimmer schleppen, als mein Blick erneut auf die kleine Menschentraube auf dem Parkplatz fällt. Der Kerl, dem ich vorhin das Bier weggenommen habe, zieht verwirrt eine Augenbraue in die Höhe, während ich geradewegs auf sie zugehe. »Hey«, sage ich. Fragende Blicke. »Hey?«, meint der Kerl von vorhin. Gott, dass ich das wirklich mache … Ich zucke mit den Schultern. »Habt ihr vielleicht noch was zu trinken für mich?« Sein Interesse ist geweckt. Seine Mundwinkel verziehen sich zu einem schiefen Grinsen. »Klar, aber nur, wenn du es mit uns zusammen trinkst.« Auch das noch. »Von mir aus«, sage ich, da reicht er mir auch schon die nächste Dose Bier. Ich schüttle den Kopf. »Habt ihr auch Cola? Ich muss morgen früh gleich weiter fahren.« Der Kerl zuckt mit den Schultern. »Klar doch.« Ich öffne die Dose Cola, die er mir statt des Biers gibt, öffne sie und freue mich darüber, dass sie eisgekühlt ist. »Wie heißt du?«, fragt er nun. Die Mädchen in der Runde sehen mich interessiert an. Alle scheinen ungefähr so alt zu sein wie ich. »Mimi«, erwidere ich und gönne mir einen großen Schluck Cola. Das tut gut. »Warum seid ihr so gut drauf? Gibts was zu feiern?« »Allerdings!«, sagt der Kerl vor mir, der mir die Cola gegeben hat und grinst breit. »Wir kommen gerade von einem Junggesellenabschied und übernachten spontan hier.« »Aah, so ist das. Und du bist also die Braut, nehme ich an?«, frage ich den Typen und alle beginnen loszuprusten. »Sie ist witzig, sie darf bleiben«, meint eine Blondine lachend und zeigt dann mit dem Finger auf sich. »Nein, ich bin die Braut.« »Nun, dann herzlichen Glückwunsch.« Doch dann lege ich nachdenklich den Kopf schief. »Oder auch nicht. Heiraten führt doch nur zu noch weiteren, endlosen Versprechen, die sowieso früher oder später gebrochen werden.« »Uuuh«, kommt es von gleich mehreren Leuten im Chor. »Da ist wohl jemand sitzen gelassen worden.« »So würde ich das nicht sagen«, entgegne ich und ziehe die Schultern hoch, als wäre es keine große Sache. Ha, wenn sie wüssten! Dann werfe ich der Braut, deren Name ich noch nicht weiß, einen entschuldigenden Blick zu. »Tut mir leid.« Sie winkt pfeifend ab. »Ach, kein Problem. Ich nehm's dir nicht übel. Früher habe ich genauso gedacht wie du. Glaub mir, irgendwann kommt dein Prinz auf seinem weißen Pferd schon noch zu dir.« »Jaah … und reitet dann mit einer anderen in den Sonnenuntergang«, nuschle ich in meine Coladose, bevor ich noch einen großen Schluck davon nehme. Zum Glück haben die anderen meinen Kommentar nicht gehört und setzen fröhlich ihre Unterhaltung fort. Ich bleibe noch eine Weile bei ihnen stehen, weil ich es ganz unterhaltsam finde und nahezu den ganzen Tag im Auto verbracht habe und etwas Abwechslung brauche. Der Typ, der mir das Getränk gegeben hat, flirtet heftig mit mir und ich finde es ganz amüsant, wie sehr er sich ins Zeug legt. Auch wenn natürlich jeder seiner Versuche, mir näher zu kommen, nirgendwohin führen. Aber er ist witzig und nett und macht blöde Witze, über die eigentlich niemand lachen sollte, aber irgendwie lache ich doch jedes mal. Ich glaube, ich bin einfach nur müde. »Okay, warte. Einen hab ich noch«, lacht er und ich muss schon jetzt kichern. Wir sitzen auf der Motorhaube seines Autos, während sich um uns herum nun einige kleinere Grüppchen gebildet haben. »Ich bin bereit«, sage ich, straffe die Schultern und presse die Lippen aufeinander. Diesmal werde ich nicht lachen. Der Kerl räuspert sich. »Warum sollte man nie Cola und Bier gleichzeitig trinken?« Ich denke nach, aber zucke schnell mit den Schultern. »Oh nein, das habe ich heute schon gemacht. Warum nicht?« »Weil man sonst colabiert.« Ich sehe ihn an, dann pruste ich los. Mein Lachen ist so laut, dass ich mir vorkomme, wie eine Geisteskranke. Der Typ neben mir steigt mit ein und es dauert mehrere Minuten, bis wir uns auch nur ansatzweise wieder beruhigen. Ich fasse mir an den Bauch und krümme mich vor Lachen, doch als ich mich wieder aufrichte, erstarre ich. »Oh scheiße!«, entfährt es mir und ich schüttle die Haare, die mir ins Gesicht gefallen sind, zurück. Der Kerl neben mir folgt meinem Blick. Dann runzelt er dir Stirn, während wir beide den jungen Mann fixieren, der schnellen Schrittes auf uns zukommt. »Ist das dein Freund?« Ich schaffe es gerade noch so, den Kopf zu schütteln, denn im nächsten Moment kommt Tai abrupt vor mir zum Stehen. So dicht, dass ich sogar ein paar Zentimeter vor ihm zurückweichen muss. Sein Blick trifft mich ziemlich hart. Und unvorbereitet. »Was, zum Teufel, machst du hier?«, poltert Tai los, woraufhin ich verwirrt blinzle. Ich? Was mache ICH hier? Was macht ER hier? Irritiert schaue ich ihn an und lege den Kopf schief. Ich überlege sogar kurz, ob ich mir nur einbilde, dass er da ist. »Wer bist du denn?«, fragt der Typ neben mir, genauso verwirrt wie ich. Okay, ich bilde es mir nicht ein. Tai ist keine Fata Morgana, sondern wirklich hier. Ach. Du. Scheiße. »Und wer bist du?«, entgegnet Tai sichtlich gereizt und schenkt dem Unbekannten einen abschätzigen Blick. »Das ist …«, will ich erklären und zeige auf den Kerl. »Äh, das ist …« Mein Kopf wandert in seine Richtung. »Wie heißt du noch mal?« Der Typ schmunzelt belustigt über meine Antwort, ehe Tai mich auch schon am Arm packt. »Okay, das reicht.« Er zieht mich von der Motorhaube, woraufhin ich meine noch halb volle Dose fallen lasse. Dann schleift er mich gegen meinen Willen hinter sich her. »Hey, lass das gefälligst«, protestiere ich, doch das scheint Tai gar nicht zu hören. Oder er will es nicht hören. »Wo ist dein Zimmer?« »Das geht dich nichts an.« »Wo ist dein Zimmer?«, fragt er mit mehr Nachdruck und ich schlucke. Dann zeige ich kurz auf die dritte Tür von links. Kurz vor meinem Zimmer reiße ich mich von ihm los. Wütend wirbelt er zu mir herum. »Was soll das, Mimi?« »Was soll was?« Wir sehen uns beide verständnislos an. »Was machst du überhaupt hier? Wie zum Teufel hast du mich gefunden?« »Das ist doch jetzt völlig egal«, brummt Tai. »Warum gehst du nicht an dein Handy, wenn ich versuche, dich zu erreichen?« »Warum hast du versucht, mich zu erreichen? Ist irgendwas mit Kari?« Ich schlage mir die Hand vor den Mund, aber Tai zischt nur und mustert mich auffallend. »Nein, ich habe mir Sorgen um dich gemacht.« Ich kann ein sarkastisches Auflachen nicht unterdrücken. »Ach so. Natürlich. Da ist er ja, mein Ritter, in glänzender Rüstung, um mich vor all den Gefahren da draußen zu beschützen und um meine Tugend zu bewahren.« Ich mache eine ausfallende Handbewegung. »Ich verrate dir was: da kommst du etwas zu spät.« »Oh Gott.« Genervt drückt Tai sich mit zwei Fingern den Nasenrücken. »Jetzt werd nicht albern, Mimi.« Ein abschätziges Zischen ist alles, was ich dazu zu sagen habe. Dann gehe ich an ihm vorbei und lasse ihn stehen. Natürlich folgt Tai mir in mein Zimmer, obwohl ich ihn nicht eingeladen habe. »Du spielst dich auf wie meine Mutter«, sage ich und fange an, das Bett aufzuschlagen. Ich bin todmüde. »Du kannst froh sein, dass sie nicht hier ist und dich so sieht.« Ich halte in meiner Bewegung inne und presse stattdessen die Lippen aufeinander. »Tut mir leid, dass ich für euch beide so eine Enttäuschung bin.« Tai geht schnellen Schrittes um das Bett herum, nur, um im nächsten Moment dicht vor mir stehen zu bleiben. Ein tiefes Seufzen dringt aus seiner Kehle. »Was redest du denn da?« Seine Stimme klingt nun viel entspannter. Einfühlsamer. Mehr nach ihm. »Du könntest mich nie enttäuschen.« Er hebt die Hand, um mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Eine Gänsehaut erfasst mich und das altbekannte Prickeln macht sich in meiner Magengegend breit. Zu nah. Viel zu nah. Ich schließe die Augen, um den Emotionen zu entkommen, die seine Berührung mit sich bringt. Aber mein Herz schlägt trotzdem lautstark gegen meine Brust. Langsam wende ich mich ihm zu und hebe den Kopf. Ich zwinge mich, ihn anzusehen, was es nicht besser macht. »Was tust du hier, Tai?«, flüstere ich. »Du darfst überhaupt nicht hier sein.« Ein müdes Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht. »Ich weiß. Ich lehne mich gerade weit aus dem Fenster, aber … ich musste wissen, ob es dir gut geht.« Ich zucke leicht mit den Schultern. Typisch Tai. »Wenn es mir nicht gut gehen würde, wärst du der Erste, der es erfährt.« Wieder ein Lächeln. So warm, dass es mir direkt unter die Haut geht. Gott, wenn er noch einen Schritt näher kommt, auch nur einen Zentimeter, dann … »Du solltest dich jetzt schlafen legen«, unterbricht Tai diese aufkommende Hitze zwischen uns, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich reiße meinen Blick von ihm los und schlüpfe ins Bett. Er setzt sich neben mich auf die Bettkante und deckt mich sogar zu. »Ich muss jetzt wieder zurück fahren. Jetzt, wo ich weiß, dass es dir gut geht, bin ich beruhigt.« Ich nicke stumm. »Ich hoffe, du schläfst dich aus. Sei auf der Heimfahrt morgen Früh vorsichtig.« Wieder nicke ich. Tai möchte aufstehen, aber ich greife nach seinem Handgelenk. Fragend sieht er mich an. Ich weiß, ich sollte das jetzt nicht tun, um es uns beiden nicht noch schwerer zu machen, aber … ich kann nicht anders. »Würdest du … würdest du bleiben, bis ich eingeschlafen bin?« Hoffnung liegt in meiner Stimme. Hoffnung, dass er diesmal nicht einfach so geht und mich allein lässt. Tai überlegt kurz. Er sieht aus, als wäre er hin und hergerissen und schon tut es mir leid, dass ich überhaupt gefragt habe. Doch dann nickt er schließlich und der Anflug eines Grinsens legt sich auf seine Lippen. »Aber nur, bis du eingeschlafen bist.« Schnaubend verdrehe ich die Augen. »Klar, was denkst du denn?« Tai steigt über mich hinweg und legt sich dicht hinter mich. Er legt einen Arm um mich und zieht mich fest an sich, so dass mein Hinterkopf auf seiner Brust ruht und er für einen Moment sein Gesicht in meinen Haaren vergraben kann. Er atmet tief ein, als müsste er meinen Geruch erst wieder in sich aufnehmen. Ich umfasse seine Hand mit meiner und verschränke unsere Finger miteinander. Würden wir auch nur für einen Moment alles ausblenden können, würde es sich fast wie früher anfühlen. Ich stoße ein zufriedenes Seufzen aus. »Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich brauche.« »Nein, du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich brauche.« Ich spüre sein Grinsen an meinem Nacken und muss ebenfalls lächeln. »So sehr, dass du mich überall auf der Welt finden kannst?« Tai lacht leise auf. »Du hast Kari deinen Standort geschickt, schon vergessen? Außerdem ist das hier nicht gerade die große weite Welt.« Oh, natürlich. Das hätte mir gleich einfallen sollen. Ich schließe die Augen und versuche krampfhaft einzuschlafen, aber mein pochendes Herz hindert mich daran. Nach mehreren Minuten der Stille, öffne ich sie dann doch wieder. Lediglich die Lichter der Straße scheinen durchs Fenster und werfen dunkle Schatten an die Wände, während ich Tais gleichmäßigen Atem hinter mir spüren kann. »Tai?«, frage ich, weil ich Sorge habe, dass er eingeschlafen sein könnte. »Ja?«, antwortet er jedoch so klar und deutlich, dass ich weiß, dass er unmöglich schlafen kann. »Weißt du noch, wie du mir einen Heiratsantrag gemacht hast, als wir Kinder waren?« Kurz ist es still. Dann … »Wie kommst du jetzt darauf?« Ich zucke mit den Schultern. Unsere Finger sind immer noch eng miteinander verschlungen, genau wie unsere Körper. Es fühlt sich so warm, so richtig an, dass ich jetzt schon die Kälte hasse, die seine Abwesenheit nachher mit sich bringen wird. »Nur so. Ich habe davon geträumt. Obwohl es schon so lange her ist«, flüstere ich und schließe die Augen wieder. »So?« Tai rutscht noch enger an mich ran, auch wenn ich nicht wusste, dass das überhaupt noch geht. »Du hast mir nie eine Antwort auf den Antrag gegeben.« Mit geschlossenen Augen grinse ich. »Die bekommst du auch nicht.« »Wie gemein.« Ich kichere leise, als könnte uns sonst jemand hören. »Für eine Antwort müsstest du dich schon etwas mehr ins Zeug legen und selbst dann weiß ich nicht, ob es ein ja oder nein sein würde.« Tai lacht. »Okay, ich merk's mir für's nächste Mal.« Dann vergräbt er sein Gesicht wieder in meinem Haar und haucht mir einen Kuss in den Nacken. »Versuch jetzt zu schlafen.« Ich lächle zufrieden, während ich versuche, jede einzelne Berührung in mir aufzusaugen. Mir zu merken, wie sein Körper sich an meinem anfühlt oder wie seine Hand in meiner liegt oder wie sein Atem meine Haut streift. Ich versuche, es mir einzuprägen, weil ich ganz genau weiß, dass diese kleinen, intimen Momente in Zukunft nicht mehr stattfinden dürfen. Dass es das letzte Mal sein muss, dass er mich so festhält. Auf diese Art und Weise dürfen wir uns nicht mehr nahe sein und das wissen wir beide. Schlimm genug, dass wir miteinander geschlafen haben und dass ich ihn schon wieder in so eine Situation bringe. Es wird allmählich Zeit aus diesem Traum aufzuwachen. Aber für den Moment … nur in diesen einen Moment … will ich es festhalten. Will ich ihn festhalten - solange es geht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)