Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 14: ------------ XIV.   „Langsam.“ Lucifer schwankt kurz und sofort schlingt Mao ihm einen Arm um die Taille. Lucifer versteift sich bei dieser Berührung, läßt sich von ihm aber dann doch die letzten Stufen der Treppe hinunterhelfen. „Warum?“ jammert er, während er mit einer Hand seine Augen vor dem hellen Sonnenlicht abschirmt. Mao findet das übertrieben, so hell ist es nicht, die Sonne steht über ihnen und die Mauern der Nachbarhäuser und das Laub der vielen Bäume spenden genug Schatten. „Damit Ashiya in Ruhe staubsaugen kann“, erwidert er geduldig. Nicht, dass das offensichtlich war und nicht, dass Lucifer das in den letzten zwei Minuten schon zweimal gefragt hat. Aber vielleicht ist das jetzt auch nur Lucifers Art, seinen Unmut kundzutun. Eine große Wahl hat ihm Mao zugegebenermaßen ja nicht gelassen. Aber Mao findet auch, dass Lucifer genug Zeit vor dem Laptop vertrödelt hat. Zwei Stunden sind seiner Meinung nach mehr als genug, zumal er sowieso nicht weiß, womit genau Lucifer da beschäftigt war, aber diesmal wollte er auch weder fragen noch den Eindruck erwecken, dass er ihn bevormunden will, also ließ er ihn gewähren. Andererseits befürchtet er, der Engel könne seine Augen schon viel zu früh wieder überanstrengen – weder ihm noch Ashiya ist entgangen, wie Lucifer immer häufiger die Augen zusammenkniff. Und trotzdem scheut er es sich, ihm einfach nur zu gestehen, dass er sich um ihn sorgt und bemüht Ausflüchte. „Du kennst doch Ashiya“, erklärt er seine offiziellen Beweggründe deshalb ausführlich. „Lassen wir ihn in Ruhe im Castle herumwirbeln. Wenn er sich jetzt nicht mit irgend etwas beschäftigen kann, dreht er noch durch. Alle denken immer, er sei so ruhig und gelassen, der reinste Fels in der Brandung, aber sie kennen ihn nicht so gut wie wir.“ Lucifer neben ihm kichert zustimmend und lehnt sich etwas schwerer gegen ihn. Er scheint Maos stützenden Arm endlich anzunehmen. Vielleicht ist er aber auch unsicherer auf den Beinen, als er zugeben will. „Und dir wird ein bißchen frische Luft gut tun“, ergänzt Mao, während er ihn auf die hintere Seite des Hauses führt. Vorbei an den letzten blühenden Sträuchern und Pflanzen des zur Neige gehenden Sommers. „Hier, siehst du – hier ist ein schönes, schattiges Plätzchen.“ Gelangweilt hebt Lucifer den Kopf, doch plötzlich weiten sich seine Augen und Mao kann sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. „Ein Pavillon? Seit wann haben wir einen Pavillon im Garten?“ „Schon immer?“ gibt Mao verschmitzt zurück. Er wusste, dass es Lucifer überraschen würde – er verläßt die Wohnung schließlich selten und wenn, dann geht er ohne Umwege Richtung Straße, also in die entgegengesetzte Richtung. Der Pavillon ist klein, vielleicht drei Meter im Durchmesser und dreieinhalb hoch, wirkt durch seine filigrane Bauweise und das geschwungene Dach aber viel größer. Das Holz schimmert im Sonnenlicht wie frischer Bernstein und am Eingang hängt ein Windspiel aus Kristallen, die bei jedem Windstoß mit einem sanften, melodischen Klingen aneinanderstoßen. Behutsam führt er Lucifer die wenigen Stufen hinauf, während dieser sich staunend umsieht. Mao gefällt es, dass das Funkeln in diesen violetten Augen zurückgekehrt ist. „Manchmal sehe ich Suzuno hier sitzen und lesen. Ich glaube, die Kissen sind auch von ihr. Gemütlich, oder?“ Mit diesen Worten setzt er sich auf die hölzerne Sitzfläche, die einmal rundherum geht und mit roten, dicken Kissen ausgepolstert wurde und zieht Lucifer neben sich. „Vielleicht sollte ich doch öfter rausgehen?“ murmelt dieser nachdenklich, während er sich weiter kritisch umsieht. Sekundenlang bleibt sein Blick auf dem funkelnden Windspiel hängen, dann neigt er den Kopf zur Seite und schließt lauschend die Augen. „Es ist ruhig hier“, bemerkt er nach ein paar Sekunden beinahe andächtig und schlägt die Augen wieder auf. „ Sehr still.“ Mao nickt zustimmend. Sie sind umgeben von Bäumen und Sträuchern und das meiste, was sie hier hören können, sind das Zwitschern der Vögel, das Summen der Insekten und das Rascheln der Blätter. Und das Klavierspiel eines Nachbarn – aber da es ein sehr ruhiges Stück ist und fast fehlerfrei gespielt wird, stört es sie nicht wirklich. Und nur ganz selten weht das Geräusch eines vorbeifahrenden Autos zu ihnen hinüber. Dann sieht Mao, wie Lucifer kurz das Gesicht verzieht. Seine gesunde Hand fährt hoch zu seiner Stirn. „Ist dir schwindlig? Komm, leg dich hin.“ „Mao?“ Lucifer gibt ein erschrockenes Aufquieken von sich, aber es ist schon zu spät. Innerhalb eines Herzschlages findet er sich erst in Maos Armen und dann mit dem Kopf auf dessen Oberschenkeln wieder. Sein völlig überforderter Gleichgewichtssinn flüchtet sich gar nicht erst in Schwindel und geht gleich zur Übelkeit über. Aufstöhnend verkrallt er sich mit der gesunden Hand in Maos Sweater und versucht, sich nicht zu übergeben. „Urgh“, ächzt er, als er sich wieder einigermaßen erholt hat. „Willst du, dass ich dir in den Schoß kotze? Baka Mao-sama.“ „Tut mir leid, tut mir leid“, entschuldigt sich Mao hastig, streicht ihm mit einer Hand beruhigend durchs Haar und reibt mit der anderen seine Schulter. Lucifer seufzt nur, nimmt die Beine hoch und streckt sich der Länge nach auf der Sitzfläche aus. Dann rückt er sich so zurecht, dass er bequem weiterhin Maos Schoß als Kopfkissen benutzen kann. Er muss zugeben – für ihn ist das sehr gemütlich und wenn er Mao jetzt zu schwer wird, ist der selbst dran schuld. Mao zögert einen Moment, doch dann landet seine Hand wieder in diesem violetten Haar und streichelt sanft hindurch. Es ist weich und seidig und riecht nach Honig und Flieder. Sachte streicht er ihm die Strähne zurück, die immer seine rechte Gesichtshälfte bedeckt und lässt seine Finger dann über Augenbrauen, Nasenwurzel und Stirn wandern, wobei er die verschorften Wunden dort schuldbewusst ausspart. „Huh... hm ...“, beginnt er, aus irgend einem Grund plötzlich sehr verlegen, „wie... wie geht es dir? Hast du immer noch Kopfschmerzen?“ Lucifer blinzelt aus halbgeschlossenen Augen zu ihm auf. Die Frage irritiert ihn, aber er spielt das Spiel gerne mit. „Ich sehe nicht mehr verschwommen.“ „Das ist gut. Das freut mich. Ehrlich. Und dein...“ Sanft und beinahe schüchtern berührt er die Plastikschiene. „...hm, Arm?“ „Ist noch dran.“ „Es tut mir leid. Ich mache es wieder gut. Ich verspreche dir, ich finde einen Weg. Du wirst wieder der mächtige, dunkle Engel mit den größten Flügeln und den schönen Rabenfedern sein, den alle fürchten.“ Lucifers linke Augenbraue zuckt kurz in die Höhe. Schöne Rabenfedern? Wie soll er das jetzt verstehen? Er begeht den Fehler, hoch in Maos Gesicht zu blicken und ihn diesmal richtig anzusehen. Die Wärme, die ihn aus diesen rötlichen Augen entgegenschimmert, überrascht und erschreckt ihn gleichermaßen. Hastig wendet er den Blick wieder ab. Das Funkeln und Glitzern des Windspiels ist auch viel interessanter. Leider haben Maos Worte die Erinnerung an seine Flügel in ihm aufgewühlt, und um nicht daran denken zu müssen, lenkt er das Gespräch ganz bewußt in eine völlig andere Richtung. In eine, von der er weiß, dass sie Mao aus seiner sonderbar sentimentalen Stimmung reißen wird, denn damit kann er fast noch schlechter umgehen als mit dem Verlust seiner Flügel. „Das Castle ist wirklich zu klein für uns drei.“ Mao blinzelt einmal hart aufgrund dieses abrupten Themenwechsels. Und bei Lucifers nächsten Worten zieht er erst die Augenbrauen hoch, dann runzelt er die Stirn, doch er unterbricht ihn nicht. „Wir sollten umziehen. Wenn ich das noch eine Woche durchziehe, reicht es schon für eine kleine Eigentumswohnung und nach drei Wochen für die Anzahlung eines kleinen Hauses. Wir müssen vielleicht Abstriche machen, aber auch eine Bruchbude gehört dann wenigstens uns und schlimmer als das Loch, in dem wir jetzt wohnen, geht ja fast gar nicht. Und mit eurer Magie wäre eine Sanierung kein Problem.“ Maos Miene hat sich regelrecht verfinstert, doch Lucifer bemerkt es nicht, weil er immer noch das Windspiel anstarrt. Aber er hört den erwachenden Zorn in der Stimme seines Königs. „Du willst damit wirklich weitermachen?“ Lucifer zuckt nur mit den Schultern. „Wer weiß, wie lange ihr hierbleibt, warum macht ihr es euch dann nicht gemütlich? Du kannst ja immer noch bei MgRonald's arbeiten, wenn es dir gefällt. Und Alciel freut sich bestimmt auch, wenn er sich auf ein paar Quadratmetern mehr austoben kann.“ Aus Maos Kehle kommt ein leises Grollen. „Das klingt, als würdest du annehmen, wir würden ohne dich zurück gehen.“ Abermals dieses betont gleichmütige Schulterzucken. „Wenn ich meine Magie nicht zurückbekomme, kann ich genauso gut auch hierbleiben.“ Mao atmet einmal tief ein und wieder aus. „Wir lassen dich nicht im Stich“, erklärt er dann mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Seine Hand, die während der letzten dreißig Sekunden damit aufgehört hatte, durch Lucifers Haar zu streicheln, fängt wieder damit an. Lucifer würde es nie zugeben, aber er hat sie vermisst. Normalerweise würde er sich mit Händen und Füßen gegen eine solche Behandlung wehren, und er schiebt es auf seine derzeitige Verfassung, dass er es jetzt sogar genießt. „Erinnerst du dich noch an unseren Pakt?“ meint Mao plötzlich. „Als ich dich überredete, mit mir zu kommen? Ich habe dir erlaubt, mich zu töten, wenn es dir bei mir langweilig wird.“ „Ich habe versucht, dich zu töten. Dich und Alciel. Erinnerst du dich?“ „Ja, aber das war nicht, weil dir langweilig war. Wir haben dich enttäuscht und hatten es verdient. So wie du deine Abreibung danach verdient hattest.“ Da hat er recht und es tut gut zu wissen, dass er ihm nicht nur zugehört, sondern ihn auch verstanden hat. Aber worauf will er hinaus? „Mein Kopf fühlt sich immer noch matschig an. Ich komme irgendwie nicht mehr mit...?“ „Ich will dir einen neuen Pakt vorschlagen: Ashiya und ich suchen nach einer Lösung und du wirst dich währenddessen nicht verkaufen, in Ordnung? So lange, bis dein Arm verheilt ist. Und sollten wir bis dahin keinen Weg gefunden haben, verhandeln wir neu.“ Lucifer denkt kurz darüber nach. Das klingt fair. Außerdem kann er Mao immer genau das vorwerfen, sollte Alciel wieder über die zusätzlichen Kosten jammern, die Lucifer ihnen beschert. „Einverstanden.“ Mao strahlt. „Abgemacht.“ Lucifer rollt nur mit den Augen, bevor er sie schließt. Lächelnd streichelt ihm Mao weiter mit der Rechten durchs Haar. Seine Linke ruht leicht auf Lucifers Brust, wo er dem gleichmäßigen Heben und Senken seines Oberkörpers bei jedem Atemzug nachspürt. Merkwürdig. Zum ersten Mal in seinem über dreihundert Jahre langen Leben ist er sich wirklich bewußt, ein atmendes, lebendiges Wesen zu berühren. Das warme Gefühl, das dieser Gedanke in seiner Brust auslöst, überwältigt ihn beinahe. Ist das etwas, was mit seinem menschlichen Körper zusammenhängt? Oder haben Dämonen durch ihren täglichen Überlebenskampf nur einfach keine Zeit, um so zu empfinden? Wie mag es mit Engeln sein? Sie haben mehr als genug Zeit, spüren sie es? Hat Lucifer so schon mal empfunden? Spürt er es jetzt? Nachdenklich betrachtet Mao den Engel. Lucifers linke Hand spielt mit der Kordel von Maos Sweater, er hat ein Bein angezogen, das andere baumelt genauso herunter wie sein rechter Arm, die Finger schleifen lässig auf dem Boden und ganz allgemein wirkt er sehr, sehr entspannt. Tatsächlich ist Lucifer entspannt, und niemanden wundert das mehr als ihn selbst. Außerdem ist er normalerweise nicht so anhänglich. Aber es fühlt sich richtig an, wenn Mao ihn berührt. Warm. Und er könnte noch den ganzen restlichen Tag hier so liegen. Für einen unbedarften Zuschauer müssen sie wirklich ein seltsames Bild abgeben, fast wie ein... Liebespaar. Der Gedanke amüsiert ihn. Unwillkürlich kräuseln sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln. „Wenn uns deine Chiho jetzt so sehen könnte...“ „Hm...“ macht Mao nur und starrt weiter gedankenverloren auf ihn hinab, während seine Finger sachte durch Lucifers Haar kämmen. „Sie steht auf dich.“ Mao rollt mit den Augen. „Sie ist noch ein Kind.“ Lucifer gibt ein nachdenkliches Brummen von sich. „Du bist zu nett zu ihr. Kein Wunder, dass sie sich Hoffnungen macht.“ Mao verkneift sich ein Seufzen. Waren sie eben nicht noch bei einem völlig anderem Thema? Ach, Lucifer, du redest über alles, nur nicht über dich. „Ich kann sie nicht daran hindern. Ich arbeite mit ihr zusammen. Den Ärger, den meine Chefin mir macht, wenn ich Chiho zum Heulen bringe, will ich mir gar nicht erst ausmalen.“ Lucifers Augen öffnen sich einen Spaltbreit und Mao glaubt ein schelmisches Glitzern in diesem schönen Violett zu erkennen. „Du bist ihr Held. Und das gefällt dir.“ „Quatsch.“ Lucifer kichert leise. „So etwas nennen sie hier Heldenkomplex. Du bist ein Dämon mit Heldenkomplex.“ „Ach“, Mao klingt nicht halb so verärgert, wie er es gerne hätte. „Halt einfach die Klappe.“     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)