Die Sonne scheint für alle von MariLuna ================================================================================ Kapitel 1: I. ------------- I.   Lucifer weiß, dass er großen Mist gebaut hat. Und er schämt sich deswegen, vor allem, weil andere für ihn den Dreck wegräumen mussten. Alle um ihn herum denken, so etwas sei ihm egal, aber da irren sie sich. Nur, weil er vor ihnen nicht auf Knien um Entschuldigung bittet, heißt das nicht, dass er sich seiner Fehler nicht bewusst wäre. Auch wenn er diese Fehler aus guten Absichten heraus beging. Auch wenn sie dadurch Chiho und Emi retten konnten. Das zählt nicht. Das einzige, was zählte, war, dass der GPS-Tracker, der ihnen half, die beiden zu finden (und daher zu retten), ein riesiges Loch in Maos Geldbeutel riß. Und dass er – unabsichtlich – im Bemühen, dieses Loch zu stopfen, ein noch größeres Loch hineinriß. Das konnte Dank Emis Hilfe zwar wieder rückgängig gemacht werden (und dadurch haben sie etwas wichtiges über Japans Vertragsrecht gelernt), aber die ursprüngliche Schuld bleibt immer noch bestehen. Und er hat immer noch vor, seinen Anteil zu leisten. Er muss seine Fehler wieder ausbügeln, das gebietet ihm sein Gewis.... seine Ehre. Und genau aus diesem Grund hat er sich klammheimlich aus der Wohnung geschlichen und steht jetzt hier, in diesem Park. Laut Internetrecherchen ist dies hier ein beliebter Treffpunkt für Männer jeden Alters, die auf ein stundenweises Abenteuer (oder – für die besonders romantischen Träumer - den Beginn einer langfristigen Beziehung) aus sind. Lucifer weiß, was ihn erwartet, denn das Internet ist wirklich eine wahre Schatzgrube an Wissen. Und er ist nicht unerfahren, auch wenn diese Erfahrungen aus der verstaubten Mottenkiste seiner ersten Jahrtausende stammen. Aber auch er hatte seine Sturm und Drang Zeit, was dieses Vergnügen betrifft. Sex war eine der ersten Aktivitäten, mit denen er versuchte, die Langeweile im Himmel zu bekämpfen. Erst danach kamen die gewalttätigen Auseinandersetzungen. Aber jetzt ist er eher ein Mensch als ein Engel (oder Dämon), dementsprechend unsicher fühlt er sich auch. Betont lässig vergräbt er seine Hände in seinen Hosentaschen, lehnt sich an einen Laternenpfahl und mustert die anderen verstohlen. Er ist eindeutig der einzige Jugendliche hier, alle anderen sind e in ihren Zwanzigern und älter. Viele tragen Alltagskleidung wie er, aber es gibt auch mindestens genauso viele, die direkt aus dem Büro zu kommen scheinen. Sie sehen normal aus, keine Junkies oder Penner, auch keine Professionellen, obwohl er bestimmt nicht der einzige ist, der wegen des Geldes hier steht. Aber sie haben alle eines gemeinsam: sie strahlen alle ausnahmslos eine gewisse Einsamkeit und Verzweiflung aus. Es ist nicht viel, aber er kann spüren, wie all diese negativen Gefühle in ihn hineintröpfeln und seinen Magiekern aufladen. Also nicht nur Geld, sondern auch das, huh? Egal wie diese Nacht endet, schon dafür hat es sich gelohnt. Er muß nicht lange warten, bis er Aufmerksamkeit erregt. Ein Mann in den Dreißigern in feinem Anzug und Aktentasche, der auf einer Bank sitzt und mit seinem Smartphone beschäftigt ist, sieht immer wieder zu ihm hinüber. Lucifer tut, als sähe er es nicht, behält ihn aber im Auge. Es ist eindeutig, dass der Mann mit jemanden chattet und dass dieses „Gespräch“ nicht sehr erfreulich verläuft. Wahrscheinlich war er hier verabredet und sein Date hat abgesagt. Lucifer wittert sofort eine günstige Gelegenheit und das nächste Mal, als der Mann zu ihm hinübersieht, schenkt er ihm ein winziges Lächeln. Und es dauert tatsächlich nicht lange, bis der arme Kerl sich erhebt und zu ihm hinüberkommt. „Bist du nicht etwas zu jung, um hier zu stehen?“ Er versucht besorgt zu klingen, doch das gierige Funkeln in seinen Augen und die Art, wie er Lucifers Körper taxiert, verrät ihn. Wie er es in einem Film gesehen hat, legt Lucifer den Kopf schief und blinzelt den Mann vor sich von unten her mit einem verführerischen Lächeln an. „Ich bin älter, als ich aussehe, O-Kyaku-sama.“ Lucifer spürt, wie die Enttäuschung, die der Mann eben noch verströmte, bei dieser Anrede in Hoffnung umschlägt und sein Lächeln wird noch ein klein wenig herzlicher. Die japanische Sprache ist wirklich ein Segen. Mit einem einzigen unschuldigen Satz konnte er ihm alles sagen, was nötig war, ohne vulgär zu werden, einfach, indem er ihn mit „verehrter Kunde“ ansprach.     Es beginnt mit einem Kribbeln und gipfelt in einer elektrischen Entladung, die in seinen Lenden beginnt und dann seine Wirbelsäule hinauffährt, um in seinen Schulterblättern zu explodieren. Lucifer wirft den Kopf in den Nacken und aus seiner Kehle löst sich ein heiserer Schrei. Verdammt.Verdammtverdammtverdammt! Das ist anders, als er es in Erinnerung hatte. Heftig keuchend stützt er sich mit den flachen Händen auf der Brust des Mannes unter ihm ab und versucht, sich wieder zu sammeln. Aber erst, als er aus dem rechten Augenwinkel eine schwarze Feder zu Boden trudeln sieht, wird er sich bewusst, was da in seinen Schulterblättern explodiert ist. Panisch zieht er seine Flügel wieder zurück in seinen Körper. Keinen Augenblick zu früh, denn der Mann unter ihm kehrt langsam aus seinem eigenen Nirwana zurück. Er lächelt und Lucifer lächelt unwillkürlich zurück. „Wow. Du bist wirklich jeden Yen wert.“ Und plötzlich fühlt er sich gar nicht mehr so großartig. Lucifers Lächeln gefriert. Sein Magiekern summt, begeistert über den unerwarteten Energieschub, aber etwas ganz tief in ihm, fühlt sich nur noch angewidert.     Ein Fehler. Es war ein riesiger Fehler. Nervös tastet Lucifer nach dem Geld in seiner Tasche. Es fühlt sich an wie ein unheimlich schwerer Stein, der ihn unweigerlich zu Boden zieht. Es zu besitzen ist nicht halb so tröstlich, wie er dachte. Eine Hand in der Hosentasche, die ängstlich das Geld umklammert, hat er die andere zu seinem Mund gehoben und knabbert nervös an seinem Daumennagel herum. Er starrt aus dem Fenster der Bahn, ohne den ungewöhnlich schönen Sonnenaufgang wirklich zu sehen. Es war ein riesiger Fehler, das weiß er jetzt. Die Nacht war noch jung und sein erster Kunde war romantischer Stimmung und er war so naiv, anzunehmen, dass es bei allen anderen auch so sein könnte. Sein erster Kunde hatte ihn Tempo und Art bestimmen lassen, aber die anderen hatten ihre eigenen Vorstellungen und diese beinhalteten entwürdigende Stellungen und Aktionen. Menschen. Einer schlimmer als der andere. Lucifer unterdrückt ein Schaudern. Sein gesamter Körper schmerzt vor unerwünschten Berührungen und er ekelt sich vor sich selbst. Je rücksichtsloser sie sich seines Körpers bedienten, je rigoroser sie ihre eigene Lust befriedigten, desto stärker wurde sein Magiekern aufgeladen, aber die Hälfte davon verbrauchte er sofort wieder, um seine Wunden zu heilen. Der Schmerz war unerträglich, aber wenigstens blieben seine Flügel aus genau diesem Grunde unsichtbar. Vielleicht hatte er auch einfach nur Pech mit den letzten drei Männern. Er muss sich seine Kunden wohl zukünftig sorgfältiger auswählen. Und … urgh, nope, er lässt sich bestimmt nie wieder gegen einen Baum vögeln. Durch das Fenster kann er die Häuser seines Viertels sehen und plötzlich, er weiß nicht warum, treten ihm die Tränen in die Augen. Er fühlt sich unsicher, verloren und vor allem … schmutzig. So, so schmutzig. Der Zug fährt im Bahnhof ein und die Türen haben sich kaum geöffnet, da springt er schon heraus und rennt los. Er würde fliegen, wenn er das schon könnte. So aber bleiben ihn nur seine menschlichen Füße. Er rennt und rennt und rennt, während das Geld in seiner Tasche immer schwerer wird und er vor Tränen kaum noch etwas sehen kann. Als das, was er aus Ermangelung besserer Alternativen sein „Zuhause“ nennt, in seine verschwommene Sicht kommt, hält er dem Druck kaum noch stand. Irgendwie schafft er es aber trotzdem, sich zusammen zu reißen, bis er die Treppe zur Wohnung hinaufstürmt. Erst hier, außerhalb der Sichtweite zufälliger Passanten, gibt er dem Druck nach. Seine Flügel entfalten sich mit einem wohltuenden „swosh“ und sie bilden sofort einen schützenden Halbkreis um seine viel zu kleine, empfindliche Gestalt.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)