Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 1: Doing what's necessary ---------------------------------     Was zur Hölle habe ich mir nur dabei gedacht?   Es war nicht das erste Mal, dass sich Shikamaru diese Frage stellte. Und auch nicht das erste Mal, dass sie unbeantwortet blieb. Doch kein Zweifel; es war auch nicht Denken, das ihn in der vergangenen Woche immer wieder in den Wald geführt hatte. Es war nicht Denken, das ihn von seinen Freunden und seiner Familie fort gelenkt hatte…und ihn zu einem Grab gebracht hatte, das einem Monster gehörte, statt zu dem Grab, das seinem Sensei gehörte.    Ich kann damit nicht zu dir kommen, Asuma…   Nicht damals, als es wichtig gewesen wäre und ganz sicher nicht jetzt, wenn es bereits viel zu spät war. Shikamaru wusste, zu was ihn das machte, sowohl damals als auch jetzt…aber er würde lieber riskieren, ein Feigling zu sein, statt zu riskieren, verrückt zu sein.    Oder zu riskieren, etwas Schlimmeres als beides zu sein…und wenn mich das zu einem rückgratlosen Bastard macht, dann ist das für mich in Ordnung. Das muss es für mich sein.    Sicher. Er konnte das nur nicht zugeben, während er an Asumas Grabstein stand.    Seufzend griff Shikamaru in seine Tasche. Ein metallisches klick einer Kippfeder und ein kurzes Aufflackern von Hitze. Rauch wirbelte nach oben und ein schnappender Deckel erstickte die Flamme. Shikamaru strich mit dem Daumen über eine kleine Kerbe, die das Feuerzeug seines Senseis eindellte. Ein beruhigendes und vertrautes Gewicht…das sich noch niemals so schwer in seiner Hand angefühlt hatte…   ‚Ich zähl auf dich, Shikamaru…‘   „Ich weiß…“, murmelte er und Rauch rollte auf den Worten von seinen Lippen.    Doch Asuma war nicht der einzige Geist, der durch die Korridore in seinem Verstand schritt. Und in der dröhnenden Leere des Augenblicks – nur erfüllt von dem leisen Morgengezwitscher von Vögeln und dem routinemäßigen Schnuppern von Hirschen, die sich über den Lehmboden bewegten – stieg die Stimme einer Frau aus Shikamarus Erinnerungen empor. Ihre Worte waren jetzt viel heimsuchender als damals; damals, als er sie zum ersten Mal gehört hatte.    ‚Mir ist klar geworden, dass wir so lange im Licht stehen können, wie wir wollen…darauf hoffend, dass es all die Fehler, die wir begangen haben, bereinigt und verbrennt…Aber die Wahrheit ist, dass wir nur dann, wenn wir im Licht stehen, unseren dunkelsten Schatten werfen. Wir sind dazu gezwungen, uns ihm zu stellen…und diese Finsternis ist ebenso unentrinnbar wie die Wahrheit darüber, wer oder was wir sind.‘   Tsubasa Kitori, Hanegakure. Neji. Die Prioritäten und Menschen, die ihn zehn Schritte zurück gezerrt hatten, als er in einem nie endenden Rennen des Vergessens nur einen einzigen Schritt voraus gewesen war.    Um zu vergessen, woran ich mich nicht einmal erinnern kann…   Ironie. Sie war bitter wie immer und versäuerte rasch in Shikamarus Eingeweiden.    ‚Wenn es vorüber und erledigt ist, warum hast du dann immer noch solche Angst?‘   Shikamaru versteifte sich, hörte Asumas tiefe Töne, die hinab fielen unter die sich erhebende weibliche Stimme.    ‚Unser Schicksal ist genauso festgelegt wie unsere Schatten. Es kann nicht von uns gelöst werden, völlig egal, unter was für ein Licht wir uns selbst stellen. Der Schatten bleibt.‘   Langsam schob Shikamaru das Feuerzeug in seine Tasche zurück und presste aufgesprungene Lippen um das Ende der Zigarette, die zwischen seinen Fingern klemmte, bevor er einen langsamen Zug nahm und die Augen schloss. Wenn er daran dachte, dass er Kitoris Worte als fatalistisches Gebrabbel abgetan hatte – das Geschwätz eines Opfers, das zu schwach war, um sich für eine Zukunft einzusetzen, die nicht von der Vergangenheit diktiert wurde.    Ich werde nicht so leben. Diese Entscheidung habe ich vor zwei Jahren getroffen, oder nicht?   Oder nicht?    Noch mehr Stille anstelle einer Antwort. Shikamaru spürte dieses scharfe Rucken in seinem Brustbein; ein Übelkeit erregendes Fragezeichen, das sich in seinen Rippen verhakt hatte. Es zerrte ihn fast an Land, aber diesmal schnappte er rasch danach. Fühlte sich dank dieses traurigen, winzigen Sieges etwas stärker. Er atmete aus und sah zu, wie der Rauch wie von einem Räucherstäbchen spiralförmig über Hidans Grab glitt. Der Gedanke an ein Erinnern oder ein Gebet ließ ihn kalt.    Hn. Eher friert die Hölle ein…   Hölle. Der Ort, an dem Hidan eines Tages brennen würde, wenn sein langsam sterbender Körper letztendlich aufgeben würde. Aber nicht heute. Und auch nicht innerhalb einer geringen Anzahl von ‚Morgen‘. Shikamaru hatte es so geplant. Dieses Akatsuki Monster würde sich nicht einfach so verabschieden können. Er hatte nicht die schnelle Gnade erwiesen bekommen, diese Welt verlassen zu dürfen. Er hatte die Strafe erhalten, darin verweilen zu müssen. Sollte der Bastard lernen, seine teufelsgegebene Unsterblichkeit zu hassen. Sollte er in diesem qualvollen und grenzenlosen Ende verrotten; wissend, dass er auf nichts hoffen konnte, außer auf einen langgezogenen Tod und zunehmenden Verfall…   Du wirst langsam gehen…leidend…stumm schreiend…   Ein warmes Kribbeln angesichts dieses rachsüchtigen Gedankens, gefolgt von einem kalten Huschen von Gewissen. Shikamarus Schultern versteiften sich gegen das Frösteln und seine Augen zogen sich zusammen.   Nein. Es tut mir nicht leid.   Niemals leidtun. Für Scham war hier kein Platz. Was zur Hölle sollte das auch für einen Zweck erfüllen? Überhaupt keinen. Komisch, wie ihn diese Logik nur noch kälter werden ließ.    „Shit“, knurrte Shikamaru.    Auf den Füßen verlagerte er das Gewicht und schnippte die zum Großteil von Asche aufgefressene Zigarette auf das Grab. Graue Schuppen und sterbende Glut besprenkelten die Trümmer. Er war nicht hierher gekommen, um über Hidans Schicksal nachzudenken. Er war hierher gekommen, um die Teile seines Selbst auszugraben, die er genutzt hatte, um diesen Bastard zu vernichten…und um die Teile seines Selbst zu begraben, die Neji nur wenige Tage zuvor herum geschoben hatte.    Und NOCHMAL…was zur Hölle habe ich mir nur dabei gedacht?   Shikamaru presste die Lider aufeinander.    Verrückt; wie Neji ihn immer noch auf diese Weise neu anordnen konnte. Gottverdammt grausam, wie es der Hyūga noch immer schaffte, so tief unter seine Haut zu gelangen, seine Sinne zu unterwandern und Gefühle auszugraben, die besser vergessen und begraben blieben…sodass er nicht von einer gefährlichen und rücksichtslosen Leidenschaft besessen wurde, die ihn vollkommen schutzlos zurückließ; machtlos und zum Opfer gemacht für verfickt nochmal was auch immer, wenn er Neji es hätte tun lassen…   Ja, Neji was tun lassen?   Shikamarus Augen flogen auf, als sich sein Verstand bei diesem Gedanken abriegelte.    Verrückt…verrückt…   Und noch viel verrückter, wie diese tödlichen Hyūga Augen so gut darin geworden waren, Narbengewebe und Schatten zu durchdringen, um sich direkt bis zu dem rohen blutigen Magma von allem zu bohren, was Shikamaru unter eiskalter Logik und verstärkten Schichten besseren Wissens  begraben halten musste.    Achja? Wo war denn dieses bessere Wissen in dieser Nacht?   Mal im Ernst, er hatte es das letzte Mal begonnen. Hatte zugelassen, dass er von diesem Erdrutsch aus Lust und Sehnsucht ergriffen wurde, bevor sein Hirn und besseres Wissen überhaupt Fuß fassen konnten. Und was Neji betraf? Der hatte überhaupt keinen Plan gehabt. Zugedrogt und vermutlich in dem Glauben, er würde träumen, war er unter den Erdrutsch geraten, weil er zu diesem Zeitpunkt oben nicht von unten hatte unterscheiden können.   Gott…   Shikamarus Kopf fiel nach vorn und er presste seine Handballen in die Augenhöhlen; drückte so hart zu, dass Farben in der Schwärze explodierten. Kopfschüttelnd stieß er ein bitteres Lachen aus. Scheiße, was für ein Chaos. Ein massives Chaos, das er unter einen massiven Teppich der Verleugnung hatte kehren wollen. Und es hätte vielleicht sogar funktioniert, wenn Nejis Worte über seinen Vater ihm besagten Teppich nicht unter den Füßen weggerissen hätten.    ‚Mein Vater?‘   ‚Er weiß es.‘   ‚Weiß was?‘   ‚Was ich dir angetan habe.‘   Furcht kroch durch Shikamaru und hastig packte er sie, bevor sie noch weiter kriechen konnte; konnte geradezu fühlen, wie sie sich in seinen mentalen Fingern wand. Und er kämpfte mit dieser dämlichen Emotion und schlug sie mit Logik zurück; Nejis Worte waren nichts weiter als unlogisches Geschwafel – an die Oberfläche gebracht von opiuminduzierter Paranoia. Shikamarus Vater hatte niemals irgendetwas gesagt oder getan, das darauf hingedeutet hätte, dass er über das Bescheid wusste, was in dieser Nacht geschehen war. Und rein theoretisch, selbst wenn sein alter Herr davon wusste – was aber nicht der Fall war – dann war es immer noch besser, wenn er dachte, sein Sohn und Hyūga Neji hätten ernsthaft gegeneinander gekämpft und würden sich hassen, anstatt…   Anstatt was? Anstatt dass er über diese…diese SACHE zwischen uns Bescheid weiß…diese Sache, die ich einfach nicht…   Nicht was? Vor der er nicht wegrennen konnte? Von der er nicht fort laufen konnte? Nicht fort bleiben konnte? Shikamaru fuhr mit den Fingern über seine Kopfhaut und schloss schon wieder die Augen.    Nur ein einziger verfickter Kuss…und du machst mich komplett fertig, Hyūga…   Keiner von ihnen konnte dieses Spiel gewinnen. Und wenn sie weiterspielen würden, dann brauchte es keine zwei vermeintlichen Genies, um den dämlich simplen Ausgang zu erraten. Shikamaru wusste es so sicher, wie er es schon immer gewusst hatte…direkt von diesem ersten Kuss an…und immer seit dem letzten…   Sie beide waren dazu bestimmt, gegen den jeweils anderen zu verlieren.   Gott, ich weiß es. Ich weiß es in meinem Innersten…   Was Hyūga Neji viel gefährlicher für Shikamarus Welt machte als die Verleugnung, die er genutzt hatte, um sie zu errichten.    Und das über dich zu wissen…zu wissen, was du mit mir machst…zerreißt mich noch immer…   ‚Dann sind wir gleichauf, Shikamaru. Denn für dich zu empfinden, wie ich es tue, zerbricht mich noch immer.‘   Shikamarus Atem geriet heftig ins Stocken und seine Beine knickten unter dem Gewicht dieser Worte ein. Gerade noch so schaffte er es, in eine Hocke zu sinken, um sich davon abhalten zu können, auf die Knie zu gehen. Gut. Sollte seine Schwäche ihn näher an seine Stärke bringen. Sollte ihn sein Fall mit Neji näher an den Boden bringen, näher an das Grab, in dem er alles begraben musste und näher an ein Spiel, von dem er zumindest die Hoffnung hatte, es zu gewinnen…nicht um seiner willen, sondern für die Versprechen und Menschen, die zu kostbar waren, um sie zu verlieren.    ‚Ich zähl auf dich…Shikamaru…‘   „Ich weiß…“, raunte er noch einmal. „Ich weiß…“   Ja. Er wusste es. Er wusste, wie er das tun musste. Wusste, dass er die Gelassenheit und kalkulierten Teile finden konnte, die er in sich selbst angeordnet hatte, als er sich damals mit Kakashi und seinem Team zusammengesetzt hatte, um das Spiel zu spielen und es zu gewinnen – trotz der Trauer, trotz der Schuldgefühle, trotz des gottverlassenen Gefühls, das verloren zu haben, was am meisten von Bedeutung war.    Niemals wieder…   Shikamarus Augen wurden hart und sein Herzschlag schwer.    Ich mag ja vielleicht ein Feigling sein und vielleicht bin ich kurz davor, verrückt zu sein…aber ich werde meine Kameraden beschützen…und die Kinder dieses Dorfes…egal zu welchem Preis…   Stärke kam. Shikamaru fühlte es. Sie füllte ihn von den Füßen aufwärts, als wäre das Blut des Mörders seines Senseis Wasser für seine Wurzeln, als hätte seine Rache, seine kalte, rationale Rache, ein Reservoir der Kraft entstehen lassen, aus dem er schöpfen konnte.    Diese Klarheit, diese neue Perspektive…war, weswegen er gekommen war.    Tief und langsam durchatmend erhob sich Shikamaru mit einer Leichtigkeit, die die Anstrengung verspottete, die es nur wenige Momente zuvor gebraucht hatte, nicht zu zerbrechen. Es lag eine Totenstille um ihn, als er eine weitere Zigarette anzündete und sich Zeit nahm, um dem Tanz der Flamme zuzusehen, bevor er sie auslöschte. Er ließ den Rauch hoch aufsteigen, bevor er daran zog; das Glühen der Zigarettenglut brannte tief in seinen Augen.    Ich werde nicht noch einmal jemanden so im Stich lassen wie dich. Das verspreche ich.   Keine voraussagenden Strategien mehr. Kein Vertrauen mehr auf Impuls und Instinkt. Das hatte er vor einer Woche versucht, indem er sich kopfüber in eine äußerst kritische Situation mit diesen verfickt gefährlichen Chimären gestürzt hatte.    Dämlicher Zug.   Und das aus weit mehr Gründen, als die offensichtlichen; zumindest was Neji betraf. Komisch, dass sich Shikamaru jetzt umso törichter vorkam, da er wusste, dass er gar nicht so weit suchen oder so tief hatte graben müssen, um die Bestätigung zu finden, nach der er Ausschau gehalten hatte. Dieses Grab, dieser unheilige Boden unter seinen Füßen, war all die Versicherung und all die Bestätigung, die er jemals gebraucht hatte, um zu wissen, dass er tun konnte, was getan werden musste. Es war genau so, wie Neji es gesagt hatte, dämlich simpel und subtil wie ein Messer.    ‚…und um der Mission willen vertraue ich darauf, dass du tun wirst, was auch immer notwendig ist.‘   Shikamarus Kiefer zuckte und ein Strom aus Rauch verließ seine Nase. „Es geht niemals nur um die Mission.“   Er hatte einen weit tiefer gehenden Ansporn. Ein Motiv, das dringlicher war als alle Befehle und Verpflichtungen. Er hatte einen Eid. Her hatte einen Schwur geleistet…und Asuma zu verlieren hatte ihn auf ewig in seinem Herzen besiegelt.    Und ich werde alles begraben, was diesem Versprechen im Weg steht.   Was die Vergangenheit und all ihre unbenannten Phantome einschloss. Phantome wie das, das er vor zwei Jahren umgebracht hatte; ein verblasstes Gesicht in den hintersten Winkeln seines Verstandes – noch viel tiefer verscharrt als die Sterbenden und Toten.   ~❃~   „Ist es tot?“   „Riecht tot. Sieht tot aus.“   „Bist du sicher?“   „Naja, der Kopf ist nicht mehr mit dem Körper verbunden. Aber andererseits frage ich mich das bei dir auch manchmal, Turteltaube.“   „Halt’s Maul!“   „Kiba“, warnte Neji und seine tiefe Stimme erstickte eine verbale Prügelei im Keim. „Lagebericht. Jetzt.“   Kiba grinste nur über Narutos gestikulierte Beleidigung und strich mit einer Handfläche über seine blutige Jacke, wobei er an seiner Schulter inne hielt. Er packte das Gelenk und rollte es mit knirschenden Muskeln. „Ich hab diese komisch riechende Wurzel, die Ino wollte. Die Dinovögel sind erledigt. Enthaupten funktioniert bei denen ziemlich gut. Aber, uh…“ Er machte eine Pause und linste hinüber zu dem riesigen Insektenkopf, den Naruto zwischen den Füßen hin und her kickte. Die massiven kompakten Augen funkelten wie Obsidianscheiben im Sonnenlicht. Angeekelt rümpfte Kiba die Nase, als die gigantischen Mandibeln zuckten und klickten. „Keine Ahnung, wohin dieses Kakerlakending gekrabbelt ist; aber seinen großen hässlichen Kopf hat es auf jeden Fall hier gelassen.“   „Shino und Sai sind da dran“, wies Neji die Angelegenheit ab. „Deine Schulter?“   Kiba hob eine Braue und spähte seitwärts in Richtung seines rechten Ohrs, als wäre das Funksignal falsch eingestellt. „Machst dir etwa Sorgen um mich, Hoheit? Meine Güte, mir wird ganz warm.“   Eine eisige Stille in der Leitung.    Währenddessen hörte Naruto auf, Fußball mit dem Insektenkopf zu spielen und sah auf, als er gleichzeitig an dem Blut kratzte, das seinen Kiefer verkrustete. „Neji, wo ist Sakura? Ist sie okay?“   „Besser als das“, flötete Sakura in ihre Ohren. „Tenten hat Shikamarus Theorie getestet. Und er hatte recht. Das Gift der Stachelkatze ist zähflüssig genug, um Waffen damit bestreichen zu können. Und Inos Antidot funktioniert hervorragend.“   „Wie ein Wunder“, sagte Tenten. „Ich treff mich am Nachmittag noch mit Chōji. Ich möchte sehen, ob sein Clan herausgefunden hat, wie man diese Skorpionpanzer in eine Rüstung umwandeln kann.“   Kiba pfiff durch die Zähne. „Krasser Scheiß. Team 10 lässt uns mal so richtig alt aussehen.“   „Dann mach dich bereit, zu ihnen aufzuholen, Inuzuka“, kam Nejis knappe Erwiderung. „Alle Einheiten; verlasst das Trainingsgelände und lasst euch auf jeden Fall von Shino durchchecken, auch wenn es euch gut geht. Das letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine Infektion.“   „Ugh“, grummelte Naruto und kratzte sich in reflexiver Paranoia am Hals. „Vampirflöhe…das ist so abgefuckt…“   „Unterschätze die Brillanz dieser Insekten lieber nicht“, knackte Shinos Stimme durch die Leitung und trug ein verärgertes Summen über diese himmelschreiende Respektlosigkeit in sich. „Nimm zum Beispiel mal diesen Kakerlakenhybriden, den du und Kiba so gedankenlos geköpft habt. Er wird länger als eine weitere Woche überleben, auch ohne Kopf.“   „Gedankenlos geköpft?“, schnaubte Kiba spottend und ließ diese Information vollkommen wirkungslos über sich hinweg rollen – aber nicht die Beleidigung. „Mann, wir haben da echt eine ziemliche Strategie ausgearbeitet. Shikamaru wär stolz gewesen.“   „Shikamaru…“, stieß Shino den Namen aus. Ebenso selektiv wie seine Hundeninja Kamerad stürzte sich der Käfer-Nutzer direkt auf jede wahrgenommene Beleidigung. „Shikamaru hätte zu mir kommen sollen, um die Parasiten zu entfernen. Warum? Weil die sterilisierten Exemplare, die im Krankenhaus gesammelt wurden, schon kurz nachdem sie entfernt wurden, gestorben sind. Wieder einmal wurde ich übergangen.“   „Ein Fehler, der durch deine Zuweisung zu dieser Mission wieder gut gemacht wurde, Shino“, schaltete sich Neji ein und schnitt die Diskussion damit ohne viel Federlesen ab. „Jetzt sammelt euch wie geplant. Außer du, Kiba.“   Der Hundeninja hielt in einem Fleck aus Sonnenlicht inne und kam sich vor, als wäre er gerade auf eine Landmine getreten. Ein belästigtes Seufzen pfiff aus seiner Nase, aber er versuchte sich an einem Scherz. „Was? Muss ich jetzt für eine Strafauszeit in die stille Ecke?“   „Ino“, sagte Neji nur.   „Was ist mir ihr?“   „Bring diese Wurzel sofort zu ihr und klär sie außerdem über den neuesten Stand bezüglich des Antivenins auf.“   Kibas Belustigung erstarb zu einem Grollen. „Ich bin nicht dein Schoßhund, Neji.“   Ein spöttisch-nachdenkliches Summen rumpelte in Kibas Ohr, bevor Nejis Stimme einen Tonfall subtiler Unschuld annahm, der einfach viel zu herablassend war, um auch nur ansatzweise glaubhaft sein zu können. „Ich würde ja jemand anderen schicken, um sie zu erschnuppern, aber wie ich mich entsinne, hast du einen exzellenten Griff an ihrem Geruch.“   Kiba wurde stocksteif. Sein Blick schnitt hinüber zu Naruto. Der Uzumaki schien vollkommen ahnungslos zu sein und seine Aufmerksamkeit hatte sich wieder auf den zuckenden Kakerlakenkopf gerichtet. Scheinbar hatte Neji den Kanal des Transmitters so eingestellt, dass nur Kiba ihn hören konnte.    Dreckskerl.    Ein leichter Schweißfilm tropfte Kibas Schläfe hinunter. Mit einem Schnauben erholte er sich und rollte ein paarmal mit der Schulter. „Du weißt, dass ich auch einen ziemlich guten Griff an deinem Geruch habe, Hoheit. Rangiert in der säuerlichen Abteilung.“   „Und sag ihr, dass sie sich deine Schulter anschauen soll“, fuhr Neji unbeeindruckt fort, während seine Stimme zurück in ihre ‚Kein Nonsens‘-Manier zurück fiel. „Du hast deine Schulterstütze nicht getragen und bist nicht zu deinen Terminen für die Nachbehandlung erschienen.“   „Was zum-? Hast du mir hinter her geschnüffelt, oder-?“   „Sieh zu, dass das gerichtet wird, Kiba. Und mach es zügig.“   Mit gebleckten Zähnen schnupperte Kiba in die Luft und scannte die Baumgrenze; ihm gefiel es überhaupt nicht, dass er außerhalb des Schlachtfeldes zur Beute des Byakugan wurde. Es ging hart gegen den Strich seines Raubtier/Beute Paradigmas und der Rolle, die er darin einnahm. „Tz. Erspar mir deine falsche Sorge. Ist nicht so, als hätte es dich davon abgehalten, mich für diesen kleinen Testlauf zum verfickten Tagesanbruch einzuschreiben, oder?“   „Du bist auch nicht meine Sorge, Inuzuka. Sondern die Mission. Und dazu gehört nunmal auch standardmäßig deine Fähigkeit, auf maximalem Level zu funktionieren.“   „Erzähl das den zwei toten Dinovögeln und der kopflosen Bettwanze. Oh und dieser riesigen Stiefmütterchenpflanze. Ich hab dieses Scheißzeug mit Stumpf und Stiel rausgerissen. Und ich war am Ende nicht total stoned von Blumensaft und habe zugedröhnt im Krankenhaus randaliert.“   Keine Erwiderung außer dem Knacken und Knistern von Statik. Ein Geräusch, das so mit Spannung aufgeladen war, wie Eis, das Risse bekam. Kiba feixte, versuchte, sich den Ausdruck auf Nejis Gesicht vorzustellen und entschloss sich gleich darauf, dass er ein wenig mehr Resonanz brauchte, um phantasievoll werden zu können. Der Hundeninja atmete ein; bereit dazu, ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen – aber Neji kam ihm zuvor. Und zwar mit einem nassen Lappen der Gleichgültigkeit direkt ins Gesicht.    „Werde nicht überhebliche“, warnte Neji und klang dabei so weit davon entfernt, sich beleidigt oder herabgewürdigt zu fühlen, dass Kibas Mund vor Enttäuschung ein wenig aufklappte. „Unsere Informationen zu diesen Kreaturen sind vage und unzureichend. Sieh diese Trainingseinheit also lieber nicht als einen Hinweis auf das an, mit dem wir es zu tun bekommen werden.“   „Whoa. Das ist mal so richtig ermutigend, Neji. Du und Shikamaru, ihr zwei könntet echt ein Buch über Motivationsreden schreiben und wie man sie nicht hält.“   Nejis Missbilligung wisperte wie eine kühle Brise durch die Leitung, doch auch diesmal kam der erwartete Konflikt nicht. „Wie ich es verstanden habe, wurde Akamaru geprüft und aus der Quarantäne entlassen. Ist das korrekt?“   Während jede andere Evasion Kiba vermutlich zum Zähneknirschen gebracht hätte, hob die Erwähnung von Akamaru seine Stimmung und er setzte ein Lächeln auf. „Jäh. Ich kann ihn später abholen. Bring Akamaru wieder ins Spiel und du bekommst eine optimale Leistung.“   „Ich hätte nichts anderes erwartet.“   So weit Erwartungen auch gingen; das hatte Kiba ganz sicher nicht erwartet. Schon wieder schielte der Hundeninja zu seinem Augenwinkel, als könnte er den kleinen Ohrstöpsel mit einem argwöhnischen Blinzeln aufspießen, während er in Nejis Worten nach verstecktem Sarkasmus suchte. Doch er konnte keinen feststellen. Und er war sich nicht sicher, was er deswegen verspürte – wusste nur, dass es sich nicht warm oder kribbelig anfühlte. Die ganze Zeit, seit der Hyūga diese 180 Grad Wende hingelegt hatte, befand sich Kibas Inneres in einem Tauziehen zwischen Irritation und Unsicherheit.    Ich hasse das…   Hasste es umso mehr wegen der Tatsache, dass Nejis Verhaltensänderung nichts war, worüber er gerechtfertigter Weise angepisst sein könnte. Jeder andere hätte es einfach als eine Entwicklung angesehen. Eine gute Sache. Vielleicht sogar als eine großartige Sache. Jeder andere hätte sie willkommen geheißen. Aber dieser seltsame Untergrund auf den Nejis Verhalten sie beide geschubst hatte, fühlte sich unbehaglich an. Falsch. Unecht. Nicht gut. Nicht großartig. Und in keiner Weise willkommen.   Stinkt meiner Meinung nach…   Und scheiß auf das, was jeder andere dachte. Kiba hatte nichts getan oder gesagt, das darauf schließen ließ, er wäre bereit oder willens, ihre lange bestehenden Animositäten, die sie gegen den jeweils anderen hegten, einfach so aufzugeben. Und selbst wenn er in naher Zukunft einen Waffenstillstand vorgesehen hätte, dann hatte er mit Sicherheit nicht damit gerechnet, dass dieser Waffenstillstand vollkommen ohne seine Beteiligung erfolgen würde – oder seine Erlaubnis. Und nie im Leben hatte er erwartet, dass er einfach so über Nacht erfolgen würde.    Diese Nacht. Shikamarus Geburtstag…   Das war der Zeitpunkt gewesen, als der Teppich aus Konflikt, der sich zwischen Kiba und Neji erstreckt hatte, dem Hundeninja unter den Füßen entrissen worden war. Und Scheiße verdammt, er hatte diesen Teppich gemocht. Dieser Teppich hatte eine vertraute Darstellung von Aggression und Muster von Defensiven gehabt, die Nejis seidenglattes und sittenstrenges Bild zum Gespött gemacht hatten.    Du hast dich nicht so beisammen, Hyūga. Niemand hat das.   Neji konnte es verstecken, so sehr er es wollte, aber Kiba wusste, dass da ein Tier in ihm war, das hinter der kühlen Mauer aus Zivilisiertheit lauerte. Er hatte gesehen, wie es Hinata angriff. Hatte gesehen, wie es Shikamaru angriff. Vertraute diesem Tier nicht. Und er würde ihm auch nicht trauen, bis er es in die Ecke getrieben und konfrontiert hatte. Während Hanegakure waren sie kurz davor gewesen, aber es war nicht nah genug gewesen. Und Nejis schwachsinniger Versuch, der ‚bessere Mensch‘ zu sein, täuschte den Hundeninja nicht. Nicht für eine einzige Sekunde. Dieser juckende Argwohn war unter seiner Haut und das schon seit einer Weile. Doch Neji zog ihm jedes Mal die Krallen, wenn er versuchte, daran zu kratzen und den Grund dafür zu finden.    Tz. Ich bin nicht so leicht aus dem Konzept zu bringen.    Doch offensichtlich war Neji das auch nicht.    Kibas Stirnrunzeln wurde tiefer und seine Lippen wurden zu einer schmalen Linie, während sich sein Kiefer anspannte. Seine Tattoostreifen höhlten sich aus und verhärteten seine Züge zu einer selten gesehenen Miene der Grübelei.    „Kiba?“, rief Naruto mit zusammengezogenen Brauen. „Bist du okay?“   Kibas Kopf hob sich. Wenn es nicht so verfickt weh getan hätte, dann hätte er mit den Achseln gezuckt. Doch stattdessen dehnte er den Nacken knackend von Seite zu Seite, fand darin etwas Erleichterung und schnaubte. „Jo, ich warte nur auf eine Runde Applaus, die ich nicht kriege.“   Naruto tätschelte sich den Bauch. „Hey, Abendessen geht auf Neji, erinnerst du dich? Das ist Dank genug.“   „Jo, ich werd das teuerste Steak bestellen, das ich finden kann. Werde ein verficktes Loch in Hyūgas Geldbeutel brennen.“   Wenn Neji der Unterhaltung zugehört hatte, dann erwiderte er nichts darauf.    Doch da er sich bewusst war, dass er beobachtet wurde, zuckte Kibas Blick unter seinen Wimpern zur Baumgrenze, bevor er zu Naruto wanderte. Und Unruhe folgte direkt auf dem Fuße.    Verdammt.   Knurrend zog er seine blutverschmierte Jacke aus und versuchte das Jucken unter seiner Haut zu ignorieren. Er wusste, dass es nicht von den Vampirflöhen des Dinovogels kam…nicht einmal diese gruseligen kleinen Viecher gruben sich so tief. Oder juckten so schlimm.   Schätze, es ist einfach ein Gefühl…   Und das hatte er noch nie in Frage gestellt. Er hatte nur keine nützlichen Antworten – was in etwa so nervig war wie Botenjunge zu spielen. Bei dem Gedanken an seinen nächsten Zielort wurden seine Schritte schleppend. Energisch suchte er nach einer Ablenkung, fand aber keine, die unterhaltsam genug wäre, um seine Aufmerksamkeit halten zu können und krähte deswegen einfach so ins Mikrofon, was ihm als nächstes in den Sinn kam: „Hey, Neji, du und Shikamaru, werdet ihr bei diesem kleinen Abendessen Stelldichein heute dabei sein, oder was?“   Neji schwieg für einen Moment. „Nein.“   „Na sieh sich das einer an. Ihr habt ganze drei Sekunden gebraucht, eure Untergebenen im Stich zu lassen.“   „Ich kann nicht für Shikamaru sprechen.“   Kibas Augen verengten sich ein wenig. „Du sprichst auch nicht für dich selbst, aber hey, schätze mal, das machst du nie.“   „Rang ist eine wunderbare Sache, Inuzuka.“   „Jo, eine Kette um meinen Hals. Könnte allerdings darauf wetten, dass du diese Kette magst. Ich kann mir echt nicht vorstellen, dass du jemals die Sau rauslässt.“    „Ich werde diese Leitung jetzt kappen, Kiba.“   Der Hundeninja drehte sich in spöttischem Entsetzen um und lief rückwärts, um Naruto weiterhin zu folgen, während er die Augen auf die Baumlinie gerichtet hielt. Er schüttelte den Kopf. „Das Einzige, was du schneidest, sind Kurven. Bei jeder Gelegenheit, die sich dir bietet. Du tauchst auf, wenn es dir in den Kram passt, um den ‚angemessenen‘ gesellschaftlichen Part zu spielen und dann verpisst du dich ins Blaue.“   „Wie bitte?“   „Sogar bei Shikamarus und Inos Geburtstagsparty. Und jetzt diese kleine Sache, die du geplant hast. Für den Scheiß zu bezahlen ist nicht dasselbe, wie anwesend zu sein, Neji.“   „Ich hätte gedacht du wärst froh über meine Abwesenheit, Inuzuka.“   „Das ist nicht der springende Punkt.“   „Du hast einen Punkt?“   „Leck mich! Du kapierst es einfach nicht.“   „Und du auch nicht. Meine Zeit gehört momentan nicht mir.“   „Was? Hast du dein Sozialleben weggegeben, als du es zum Jōnin geschafft hast?“   „Hn. Wer weiß.“   Vielleicht war es die angespannte Art und Weise, auf die Neji das sagte, oder vielleicht war es auch nur ein weiteres Gefühl, doch Kiba stichelte nicht noch mehr. Er wollte es. Tat es aber nicht.    „Achja?“, schnaubte der Hundeninja und wandte den weißen Augen den Rücken zu. „Na bist du nicht durch und durch mysteriös mit Mantel und Dolch?“   „Wenn es notwendig ist“, erwiderte Neji und kappte die Leitung.    „Jo“, murmelte Kiba in das statische Knistern, bevor er sich den Stöpsel aus dem Ohr riss. „Ich kapier’s.“   ~❃~   Kusagakure…   Die grelle topographische Karte, die auf Tsunades Schreibtisch ausgebreitet lag, brachte eine andere Karte in den Sinn; größer, vom Alter vergilbt und sich von der Wand schälend. Der verknitterte Körper nur noch an Fäden schmutzigen Klebebands hängend – und dem rasiermesserscharfen Stahl eines Senbons.    Genma.   Im Inneren seufzte Kakashi.    Lass es los.   Das hatte er. Naja, wenn loslassen ruhen lassen ließ.    Wie einen schlafenden Hund.   Hatte es Asuma nicht so formuliert? Und war der plötzliche dumpfe Schmerz in seiner Brust nicht Warnung genug, eben nicht über diese Wege nachzudenken; geschweige denn, anzufangen, sie auch zu beschreiten? Kakashis rechte Hand schob sich in seine Tasche und seine Finger strichen über das Senbon, das dort verstaut war, bis er spürte, wie sich die scharfe Spitze in die Wirbel seines Daumens schnitt. Ein kaltes Stechen und ein warmes Sickern.    Tsunades Stimme brachte ihn wieder zurück. „Erklär es mir nochmal, Kakashi. Wieso Hyūga Neji?“   Kakashis graues Auge hob sich zusammen mit seinen Schultern. „Ich kann mir niemand besseren vorstellen, der meinen Platz in dieser Mission einnehmen könnte.“   Das unverbindliche Achselzucken – und die unverbindlichen Worte – ließen Tsunades Blick nach oben schnellen. Und dieser Blick enthielt einen höllischen Schlag. Auch wenn es vorzuziehen war, von der Musterung der Hokage, statt von ihrer Faust getroffen zu werden, fühlte sich Kakashi dennoch etwas kurzatmig. Was das Ganze nur noch idiotischer machte, war, dass Kakashi eigentlich wusste, diese Schläge so zu nehmen, wie sie kamen – oder eher noch besser, er wusste, wie man es vermied, überhaupt getroffen zu werden.    Aber in letzter Zeit…   Aber in letzter Zeit hämmerte eine seltsame und unsichtbare Faust auf seine Brust und prügelte ihm die Luft aus den Lungen. Wenn man dieser Faust nun auch noch Tsunades Wildheit hinzufügte, dann war es, als würde man mit Rasengans Völkerball spielen. Doch lobenswerter Weise und dank seiner hart erarbeiteten Erfahrung, hielt Kakashi ihrer Musterung stand, bis er spürte, wie sich ihr Argwohn in ein tiefes, nachdenkliches Schweigen verwandelte. Sie legte sich bleischwer über die Leichtigkeit seiner Antwort. Wartete sie denn auf eine bessere?   Ah…   Kakashi zog leicht den Kopf zurück und seine Brauen hoben sich in einer unschuldigen Frage. „Du bist anderer Meinung, Hokage-sama?“   Ein schwaches Schmunzeln zupfte an einem von Tsunades Mundwinkeln, aber ihre Bernsteinaugen blieben ernst. „Ich bin nicht anderer Meinung. Und ich bezweifle keineswegs Hyūga Nejis Fähigkeiten soweit es diese Mission betrifft.“   „Soweit es diese Mission betrifft…“, echote Kakashi und zog dabei das ‚diese‘ lang. Er war kein Hellseher, aber er war auch nicht dumm – nur ohne Glück. Es gab nur einen einzigen anderen Weg, auf den Tsunade hätte anspielen können, der auch irgendeine Verbindung oder Relevanz für Kakashi und seine widerwillige Involvierung in die Angelegenheiten von Hyūga Neji aufwies. „Du hast immer noch Zweifel wegen seiner Aufnahme bei ANBU?“, schloss er, da er genau wusste, dass sie das von ihm wollte.   Mit zusammengezogenen Brauen legte Tsunade ihre Finger ineinander und stellte die Ellbogen auf der Karte ab. „Ich habe bisher noch nicht mit Ibiki oder Shikaku gesprochen.“ Ihr Blick wanderte durch den Raum, aus dem Fenster und über die sonnengebadeten Dächer des Dorfes. „Hyūga Politik ist eine chaotische Angelegenheit. Als der Sandaime ANBU zu einem Mittel des Ausweges aus der Zweigfamilie gemacht hat, hat das nicht einfach alles bereinigt…nur unter den Teppich gekehrt…“   Kakashi erwiderte nichts und entschied sich eher für die weisere Taktik des Beobachtens und Wartens…während er sich ganz leicht fragte, ob er mit dem Senbon vielleicht ein bisschen zu tief geschnitten hatte. Er zog seinen Daumen gegen die Handfläche, sodass das Blut glitschig zwischen seine Finger floss.    Seufzend legte Tsunade ihre Zeigefinger aneinander und tippte sich damit gegen die Lippen. „Neji kann es wirklich kaum noch erwarten. Nicht einmal all die A-Rang Missionen, an denen er teilgenommen hat, konnten ihm auch nur ansatzweise den Biss nehmen; auch nicht seinem…“ Sie suchte nach einem passenden Wort. „…Enthusiasmus.“   Kakashis Braue hob sich bei dieser Aussage. „Und es widerstrebt dir, diesem ‚Enthusiasmus‘ zu begegnen“, erwiderte er und stellte damit das Offensichtliche klar, um die Dinge etwas zu beschleunigen.    Tsunade zögerte und suchte nach Antworten in seinem maskierten Gesicht. „Und?“, drängte sie weiter. „Alles in allem, was denkst du darüber?“   „Alles in allem denke ich, dass es mich nichts angeht.“   Tsunades Brauen flogen zu ihrer Haarlinie und krachten dann über aufflammenden Bernsteinaugen nach unten. Auf einem Ellbogen lehnte sie sich nach vorn. „Es geht dich etwas an, seit ich dir anvertraut habe, zu was ich Shikamaru in Hanegakure angewiesen habe. Es geht dich etwas an, seit ich dich gebeten habe, Neji im Auge zu behalten. Und es geht dich jetzt etwas an, wenn du mir sagen sollst, ob du der Meinung bist, dass er unwiderlegbar für ANBU geeignet ist, oder ob ich Shikaku sagen soll, seine Aufnahme komplett zu beenden.“   Stille fiel schwer über den Raum und hinterließ eine Delle, die groß genug war, um sämtliche Luft zu schlucken.    Kakashi musterte seine überschäumende Vorgesetzte unter seiner geneigten Stirn und die silbernen Flecken in seinem grauen Auge schimmerten wie winzige Nadeln. Und seine Stimme war ebenso kühl und hölzern wie seine Miene.   „Ich denke, dass Hyūga Neji ein ausgezeichneter ANBU Agent wäre, Tsunade-sama.“   Diese äußerst flache Aussprache sorgte dafür, dass sich Tsunades Gesicht vor Missbilligung anspannte, was Kakashi sich fragen ließ, was zur Hölle sie eigentlich von ihm wollte, wenn es um diesen Hyūga Jungen ging. Gott. Der Gedanke ließ ihn ein wenig frösteln.    Ich bin trotzdem der Falsche, um das zu fragen…   Vielleicht sogar der Schlimmste, wenn es ANBU betraf. Er hatte sich vor sehr langer Zeit aus diesem Zirkel ausgeklinkt. Wie Genma es so passend ausgedrückt hatte; er hatte sich aus dem Staub gemacht. Und irgendwie erschien im Hyūga Neji nicht als die Art, die sich einfach so mit einer Verbeugung daraus verabschiedete.   Oder dort hinaus kriecht…   Wie es Kakashi getan hatte, als er sich selbst durch die Schützengräben von Papierkrieg und Reue gezerrt hatte…   Jo…und Genma zurück gelassen habe…   In seiner Tasche drehte er das Senbon und zog eine weitere stechende und nasse Linie über seine Haut.    „Du sagst, du denkst, er wäre bereit“, sagte Tsunade. „Und dennoch ermutigst du ihn bei jeder Gelegenheit, Aufträge außerhalb des Dorfes anzunehmen, statt darauf zu warten, dass Ibiki oder Shikaku an ihn heran treten.“   Kakashi ließ sich auf ein Glücksspiel ein und spielte die Idiotenkarte aus, indem er Tsunade in einer Demonstration kunstloser Verwirrung anblinzelte. „Wie ich es bereits damals gesagt habe, hat er Punkte und Anerkennung gesammelt. Ich habe keinerlei Grund gesehen, ihn dabei nicht zu ermutigen. ANBU hat eine Quote in der A- und S-Rang Abteilung. Es haben sich Gelegenheiten eröffnet. Ihn darauf aufmerksam zu machen, schien nur sinnvoll zu sein.“   „Hn. Witzig, dass du das sagst, wenn man bedenkt, dass ich ihm gesagt habe, dass es eine Gelegenheit ist, die ich in seinen Weg lege und kein Hindernis. Aber die Wahrheit ist, dass ich nicht einmal daran gedacht hätte, ihm diese Mission zuzuteilen, wenn du es nicht vorgeschlagen hättest…“ Ihr Satz lief unvollendet aus, bevor er eine neue Richtung einschlug. „Was mich fragen lässt…“   „Fragen?“   „Ich habe dich gebeten, ihn im Auge zu behalten, nicht, ihn zu ermutigen. Wenn das überhaupt das ist, was du wirklich tust.“   „Was sollte ich denn sonst tun, Hokage-sama?“   Tsunade schnaubte leise und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, um ihn kritisch zu mustern – als würde Abstand ihr eine klarere Perspektive eröffnen. „Ihn ablenken? Ihn aufhalten? Vielleicht versuchst du sogar, ihm eine andere Richtung zu weisen?“   Für einen langen Moment beäugte Kakashi sie. „Willst du, dass ich das tue?“   Tsunades Gesichtsausdruck zuckte, als wäre sie ertappt worden. Doch sie gab Kakashi keine Zeit, ihre Reaktion zu analysieren, sondern fuhr schnaubend mit ihrer Handfläche über die Karte auf ihrem Tisch. „Wenn ich daran denke, dass du diesmal sogar so weit gegangen bist, ihm deinen Platz in der Kusagakure Mission zuzuteilen.“   Bei der Erwähnung seines Rückzuges aus dieser Mission, vollführte die unsichtbare Faust einen bösartigen Aufwärtshaken und halbierte damit sämtliche Luft in Kakashis Lungen. Und wie aus dem Nichts – oder zumindest wagte er es nicht, dieses Nichts zu erkunden – sprang ein unentrinnbarer Drang, sich zu rechtfertigen, an die Oberfläche.    Kakashis Schultern verkrampften sich und seine Stimme wurde leicht rau. „Du weißt, weshalb ich nicht gehen kann…“ Tsunades Augen wurden bei diesen Worten etwas weicher und der Rest von Kakashis Satz verfing sich in seiner Kehle. Er konnte ihn nicht hervor würgen, oder hinunter schlucken. Klasse. Kopfschüttelnd wandte er den Kopf ab; angewidert von dem plötzlichen Versagen seines Hirns, ein Schauspiel weiter zu führen, das bereits eine ganze Woche andauerte.    Auf der anderen Seite des Raumes knarzte Tsunades Stuhl. „Kakashi“, hauchte sie seinen Namen auf einem Seufzen und ihre Stimme war dabei so nah dran an beruhigend, dass sich Kakashi innerlich gegen diese drohende Geborgenheit darin versteifte. „Ich verstehe sehr gut, warum du darum gebeten hast, von dieser Mission abgezogen zu werden.“ Eine schuldbewusste Pause. „Jetzt im Nachhinein wird mir klar, dass es gedankenlos von mir war, sie dir zuzuweisen. Ganz zu schweigen, dass es politisch gesehen mehr als töricht war…“ Und dann, so leise und sanft, dass es beinahe ungehört blieb: „Und viel zu persönlich.“   Kakashi hielt seine Aufmerksamkeit auf das Fenster fixiert und stierte seine Reflexion an. Langsam blinzelnd tat er so, als hätte er sie nicht gehört.    Tsunade wandte den Kopf, um mit schwingenden blonden Strähnen seinem Blick zu folgen. „Vielleicht habe ich denselben Fehler begangen, als ich dich in diese ANBU Angelegenheit mit Neji mit hinein gezogen habe.“   Vielleicht…     Und wie aufschlussreich das war…sowohl über den Mann, der er geworden war, als auch über den Mann, der einst gewesen war. Als er den silberhaarigen Shinobi betrachtete, der durch das Glas zu ihm zurück starrte, fragte er sich, ob diese beiden Facetten – diese beiden Gesichter – seines Selbst gar nicht so weit voneinander entfernt worden waren, wie er es gerne gehabt hätte…trotz all der Jahre, des Abstands…   Der Tode…   Es brauchte eine erschreckende Menge an Anstrengung, um seine Miene von der Spannung unberührt zu halten, die in ihm aufstieg. Kami, aber in letzter Zeit kam sie in Wellen. Ständig seit Asumas Begräbnis. Ständig seit dieser waghalsigen Nacht mit Genma. Ständig seit Kakashi realisiert hatte, dass er nichts tun konnte, um sie abzufangen.    Nichts, hmn? Nichts mehr zu verlieren. Nichts und niemanden aufzugeben…   Ah, aber war das nicht die Crux an allem? War das nicht exakt der Grund, warum er sich vor all den Jahren von ANBU aus dem Staub gemacht hatte? Er war nie in der Lage gewesen, nach diesen Regeln zu leben – was für eine Schande, dass es immer den Tod eines Freundes oder die Finsternis eines Kameraden brauchte, um ihn daran zu erinnern, warum das so war.    „Du bist von dem Befehl entbunden, Hyūga Neji im Auge zu behalten“, informierte Tsunade ihn und zerrte seinen Blick damit von dem Fenster fort. „Obwohl ich immer noch davon ausgehe, dass du Hintergedanken hattest, als du ihn als Leiter dieser Mission vorgeschlagen hast.“   Rasch erlangte Kakashi alle Werkzeuge seines Schwachsinns-Gehabe wieder und neigte den Kopf in einem verlegenen Winkel, bevor er ein Lächeln zustande brachte, das den Winkel seines sichtbaren Auges kaum in Falten legte. „Ist das Beste, ihn die Bratpfanne austesten zu lassen, bevor er sich ins Feuer stürzt, hmn?“   Tsunade schürzte die Lippen und ließ knallrot lackierte Nägel in einem meditativen Tippen gegen die Teetasse klacken. „Nun, irgendetwas kocht definitiv in Kusagakure vor sich hin. Und es riecht nicht gut. Nicht mal annähernd.“ Sie runzelte die Stirn über den haarfeinen Riss in ihrer Teetasse und hob scharf den Blick. „Wurden die Chimären auf dem vierundvierzigsten Trainingsgelände inzwischen unter Kontrolle gebracht?“   Kakashi nickte bestätigend. „Nara Shikaku hat angeordnet, dass einige zu Forschungszwecken unter Quarantäne gestellt werden. Dasselbe gilt für die Hybridpflanzen. Ich habe zwar noch nicht direkt mit Inoichi gesprochen, aber wie ich höre, übernehmen die Yamanaka den botanischen Teil dieses Chaos. Alle verbliebenen Chimären wurden entweder vernichtet oder für Nejis Trainingseinheiten eingesperrt.“   „Gut. Je eher wir diese Sache mit Kusagakure abschließen, desto schneller können wir unsere Anstrengungen darauf konzentrieren, Akatsuki zu eliminieren und den Feuertempel wieder aufzubauen. Tsunade schob die Karten in die dafür vorgesehenen Tragetaschen und stierte finster auf den wachsenden Papierstapel, der sich wie ein willkürlicher Jenga Turm auf der Seite ihres Schreibtisches aufbaute. „Das wäre alles, Kakashi.“   Kakashi fühlte sich mehr befreit, als entlassen und neigte rasch den Kopf, während sich sein Körper bereits drehte, um das Büro zu verlassen. Hinter ihm fiel die Tür ins Schloss und das leise ‚klick‘ des Riegels ließ seine Härchen aufstellen wie der Auslöser einer Tretmine. Doch er blieb nicht für die vorgestellte Detonation und beschleunigte seine Schritte durch die breite Kurve des Ganges, während er auf den kleinen Blutfleck spähte, der seine Tasche beschmutzte. Silberne Brauen zogen sich zusammen.    Und du steckst dir diese Dinger echt in den Mund, Shiranui?   Naja, es war nicht so, dass Genmas masochistische Tendenzen ihn jemals überrascht hätten. Einst, vor einer lange verlorenen Zeit, hatte er den Shiranui insbesondere wegen seiner seltsamen und ungesunden Vorlieben aufgesucht.    Abhängigkeiten…   Getrieben von diesem Gedanken, nahm Kakashi den Notausgang an der Seite des Korridors und sprang hinauf auf das Geländer, das sich um die enge Treppe schlängelte. Ein flüchtiger Blick himmelwärts und mit einem Rückwärtssprung katapultierte er sich ein ganzes Stück hoch in die Luft, um in einer ordentlichen Hocke auf dem großen offenen Dach der Hokage Residenz zu landen, wobei er einen Schwarm Tauben aufschreckte.    Federn segelten auf der Brise und schimmerten silbrig-golden im Sonnenlicht.    Rasch prüfte Kakashi die offene Umgebung, um sich zu versichern, dass er allein war, bevor er einen Schritt zurück sprang und seine blutige Hand aus der Tasche zog, mit der er fünf Zeichen formte und  seine Handfläche auf den warmen Beton klatschte. „Kuchiyose no Jutsu!“   Ein Wirbeln von schwarzen Schriftzeichen.    Ein Puffen von Chakra.    Ein Mops.    Pakkun schnaubte und sah stirnrunzelnd unter den Rollen pelziger Falten zu Kakashi auf. Und als das bei dem Kopierninja überhaupt nichts auslöste außer eine erhobene Braue, schnaufte Pakkun, ließ sich prompt auf seinen Hintern fallen – und leckte sich die Eier.    Kakashi seufzte. „Herzallerliebst.“   „Das ist alles an Liebe, was du dafür bekommst, mich an meinem freien Tag hierher zu zitieren.“   „Warum einen Hund haben und dann doch selber bellen?“, witzelte Kakashi und legte den Kopf in spöttischer Nachdenklichkeit schief.    „Warum so viel Blut?“   Kakashi blinzelte. „Was?“   Der Hund stand auf und musterte den blutigen Handabdruck, auf dem er gesessen war, bevor er den Kopf zu Kakashi hob und dieses entzückende Kopfschieflegen vollführte, das die Herzen der Menschheit seit den Zeiten der Domestizierung zerschmelzen ließ. Oder zumindest wäre es entzückend gewesen, wäre da nicht dieses begleitende Stirnrunzeln gewesen, das wie ein Gewitter über die zuckende Nase des Mopses rollte.    „Kakashi…“, grummelte Pakkun und Sorge spielte irgendwo unter seinem Knurren.   Kakashi versteifte sich gegen diesen Klang. Es brachte ihm das rumpelnde Winseln und Jammern in den Sinn, die ihn in der Nacht umgeben hatten, als er den Mond niedergeheult hatte und mit der Wildheit eines tollwütigen Wolfes nach seinen Ninken geschlagen hatte.    Seitdem waren sie in seiner Nähe äußerst wachsam.    Leicht zog Kakashi die Brauen zusammen und streckte seine unblutige Hand aus, um Pakkun mit solch ungeschützter Zuneigung hinter dem Ohr zu kraulen, dass der Hund überrascht ein bisschen nach hinten wackelte. Als er seinen Ausrutscher bemerkte, zog Kakashi seine Hand zurück und richtete seine Defensiven rasch wieder auf, während er sich etwas nach hinten setzte.    Pakkun machte Anstalten, wieder nach vorn zu kommen, doch Kakashis kühler Blick ließ ihn inne halten.   Der Augenblick war vorbei.    Mit geducktem Kopf setzte sich der Hund wieder auf die Hinterpfoten und wartete mit plötzlicher Unterwürfigkeit ab.    Kakashi griff in seine Flakjacke und zog eine kleine fuchsienpinke Pille hervor, die er nur wenige Zentimeter von Pakkuns Pfoten entfernt ablegte. Neugierig schnupperte der Mops daran und seine pinke Zunge huschte für ein vorsichtiges Lecken hervor – und eine Sekunde später ruckte der kleine Kopf zurück und die dunklen Augen unter dem tiefer werdenden Stirnrunzeln wurden sehr ernst.    „Das ist harter Stoff, Kakashi.“   Der Kopierninja nickte langsam. „Finde den Dealer.“   ____________ Heyho ihr lieben! :)  Nochmal willkommen zu dem vierten und letzten Teil der BtB Serie, ich freu mich sehr, dass ihr noch dabei seid und hoffe, dass euch das erste Kapitel gefallen hat!! ;)  Über ein paar Worte würde ich mich natürlich wieder sehr freuen!! *-* Kapitel 2: A yellow note ------------------------ ‚Du wirst herausfinden, wo Dr. Mushi gewesen ist und du wirst uns sofort darüber informieren. Hast du das verstanden?‘   Du sagst ‚spring‘ und ich sag…   Nichts.   Er hatte mit Sicherheit niemals fragen müssen, wie hoch. Er wusste, dass der Himmel das Limit war. Einer der vielen Gründe, warum er es nicht mochte, zu dicht am Boden zu fliegen. Wenn man so darüber nachdachte, dann hätte er einen süßen Chemierausch durchaus vertragen können. Grunzend strich Genma mit dem Daumen über die fuchsienfarbene Pille in seiner Tasche und nahm sich einen weiteren Moment, um auf Stahl zu beißen und Metall zu schmecken.    Steh auf und mach weiter.   Und so kam er endlich zur Sache, schob sich von dem Fenster und dem kreischenden Quietschen der Lamellenjalousien weg. Sie schwankten steif in der Brise und Streifen aus Sonnenlicht fielen durch die blassen Schlitze wie der Strahl einer Taschenlampe, um in einen großen Raum zu dringen, der in weiche violette Schatten getaucht war.    Dr. Mushis Büro.   Aufmerksam musterte Genma die vertraute Anordnung und bewegte sich halb geduckt um den großen Eichentisch herum, während seine behandschuhten Finger über verzierte Ecken strichen, bevor sie unter die Rillen des Holzes wanderten, um alte elektronische Aufnahmegeräte zu entwurzeln und neue zu pflanzen.    Ein ehrliches Tagwerk.    Was für ein verfickt schlechter Scherz.   Als seine Hände ihre Arbeit verrichteten, beschrieb sein Blick eine neue Bahn und suchten das ruhig in Schatten daliegende Büro ab. Ein dunkler Sofatisch, dessen ovales Gesicht wurde von zwei breiten Hufeisenstühlen eingerahmt wurde, nahm den zentralen Platz des Zimmers ein. Genma setzte sich immer auf den Stuhl mit Blick zur Tür, da er sich dachte, es wäre das Beste, vorhersehbar zu sein. Außerdem wusste er es besser, als sich für die niedrige, kaffeebraune Couch zu entscheiden. Vollkommen aus Reflex versteiften sich Genmas Schultern, als er sich daran erinnerte, wie er zum ersten Mal in diese hässliche, dick gepolsterte Monstrosität gesunken war. Die plüschigen wattigen Kissen hatten sich mit der Beruhigung einer Zwangsjacke – oder vier gepolsterten Wänden - um ihn gelegt. Und als man ihn gefragt hatte, ob er es bequem hatte, hätte er am liebsten aus voller Kehle geschrien, bis sich alle Fasern seines Körpers auflösten. Doch offensichtlich hatte er das nicht getan, denn…   ‚Ich habe nichts, was ich sagen will.‘   ‚Und das, Genma, sagt dennoch etwas.‘   Sofort wurde er sich der erwartungsvollen Stille des Raumes bewusst; als wäre da noch immer ein blinkendes Aufnahmegerät – abgesehen von denen, die er selbst gepflanzt hatte natürlich. Es war nur so, dass sich alter Argwohn nur schwer abschütteln ließ, selbst dann, wenn er nicht in diesem Stuhl saß. Genma wusste, dass Dr. Mushi ihre Sitzungen aufzeichnete; wusste auch, dass der Seelenklempner diese Tonbänder hinter den drei Holzschnitten aufbewahrte, die die linke Seite des Büros einnahmen.    Nicht, wo ich sein muss.   Er sah nach rechts. Diese Seite des Büros, die erst kürzlich angebracht worden war, beherbergte eine Reihe von Schiebepaneelen aus Ulmenholz und die glatten lackierten Oberflächen griffen ineinander, um Reihen von Aktenschränken zu verbergen, die in die Wände eingelassen waren.    Die eleganten Schlüssellöcher zwinkerten ihm spöttisch zu.    Super.   Rasch spähte Genma auf die antike Uhr an der Wand und rollte sein Senbon bis zum entferntesten Winkel seiner Lippen, während er einschätzte, wie viele Schlösser er innerhalb der nächsten fünf Minuten knacken könnte. Ein zweiter Blick auf die neuen schicken Paneele und er berechnete zusätzlich die Zeit ein, die er brauchen würde, um irgendwelche potentiellen Chakrasiegel zu umgehen.    Das ist doch ein bisschen übertrieben. Nicht jeder ist so paranoid wie du.   Ah. Paranoid. Er erinnerte sich an dieses Wort – oder genauer gesagt an die klinische Abkürzung – festgelegt in Großbuchstaben und Diagnosecode auf seiner Akte.   SHIRANUI GENMA: Achse II: 301.0 PPS. Paranoide Persönlichkeitsstörung.   Ein Fall wie aus dem Lehrbuch, vor allem, da er ‚allgegenwärtiges Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen zeigt, sodass deren Motive immer als böswillig interpretiert werden.‘   Dr. Mushi hatte es als paranoid bezeichnet.    Genma hatte es als ‚Ninja sein‘ bezeichnet.    Aber auf der anderen Seite glaubte der gute Doktor ja auch, dass Genma eine schizophrene Persönlichkeitsstörung aufwies. Wie beruhigend zu wissen, ein zertifizierter Spinner zu sein, während dein Körper von einer dick gepolsterten Couch aufgefressen wurde und dein Hirn dabei das Frühstück auf einem glänzenden OP-Teller war.    Genma biss die Zähne aufeinander.    Hör endlich auf, Zeit zu verschwenden.    Er platzierte die letzte elektronische Wanze, richtete sich auf und wollte den Tisch umrunden. Doch dann zog etwas, dem er lange ausgewichen war, seine Aufmerksamkeit auf sich. Ein Schimmern von Licht im Augenwinkel. Er hielt inne, versteifte sich gegen den Impuls und drehte sich dennoch, um es anzusehen. Die lachende Buddha Statue - ein fester Bestandteil der linken Seite von Mushis Tisch – schmunzelte zu ihm auf und ein goldener Strahl prallte von seinem glänzenden bronzenen Bauch ab. Das reflektierte Licht traf auf Genmas Augen und jagte das Aufflackern einer Erinnerung durch seinen Verstand.    ‚Lachender Buddha, huh? Über verfickt nochmal was freut der sich denn bitte so sehr?‘   ‚Reib seinen Bauch.‘   ‚Bin mir ziemlich sicher, dass das als Entweihung einer Statue zählt, Asuma.‘   ‚Kommt drauf an, mit was du daran reibst.‘   ‚Und du schimpfst dich selbst Buddhist.‘   ‚Gelegentlich. Und außerdem ist das Budai, nicht Buddha.‘   ‚Was auch immer du sagst.‘   ‚Ich sage, reib seinen Bauch. Kakashi hat es auch gemacht.‘   ‚Hat er seine Hände dafür benutzt?‘   ‚Du verzichtest auf viel Glück, Shiranui.‘   ‚Achja? Bin mir ziemlich sicher, du hättest gesagt, Glück wäre eine Dame.‘   ‚Gelegentlich. Und manchmal ist sie ein großer glatzköpfiger Mann mit einem überheblichen Grinsen.‘   Ein ernüchterndes Stechen, als sich das Senbon in sein Zahnfleisch schnitt; doch die Wunde war nicht der Ort, an dem er schmerzte. War nicht, wo er blutete.    Scheiß drauf.   Knurrend rammte Genma die qualvolle Erinnerung zurück in ihr Grab…bestehend aus rostigen Nägeln und gesplittertem Holz. Doch den Schmerz zu begraben hielt ihn nicht davon ab, nach mehr zu suchen. Sein Körper bewegte sich wie aus einem eigenen sadistischen Antrieb heraus. Langsam streckte er eine Hand über den Tisch und berührte mit zwei Fingern den großen glänzenden Bauch des lachenden Buddhas. Er spürte nichts außer den kalten Lederhandschuh. Kein magischer Funke, kein winziges Kribbeln von Statik. Überhaupt kein Empfinden, mit etwas Höherem in Verbindung zu treten…oder irgendjemandem jenseits davon.    Erbärmlich. Und du verschwendest immer noch Zeit.   Grollend schob er seine Finger von der Statue und brachte sie dabei heftig ins Schwanken. Etwas rasselte im breiten hohlen Bauch des Buddha. Sofort erstarrte Genma und stupste ihn erneut an. Ein weiteres Rasseln. Er hob die Statue an, legte den Kopf schief und schielte hinauf in den großen bronzenen Hintern.    Interessanter Ort für ein Versteck.    Es verstörte ihn viel weniger als der Gedanke daran, zwei Finger dort hinein zu schieben, was er aber dennoch tat, nachdem er seinen Handschuh ausgezogen hatte. Und in einem der vielen masochistischen Winkel seines Verstandes fragte er sich, wie viel kosmisches Glück ihn seine Vergewaltigung wohl kosten würde – um all die Chancen, die zu seinen Gunsten standen, kümmerte er sich überhaupt nicht.    Denkst du, du verdienst irgendetwas besseres?   Da war sie; die kriechende Stimme der Schande. Eine dieser unverwüstlichen Kakerlaken, die immer noch in seinem verfallenen Gewissen herum schlichen. Und Genma zerquetschte sie wie einen Käfer, als er sich wieder seiner Aufgabe zuwandte. Er drehte das Handgelenk und fischte in der Kurve des Budai-Bauches herum, bis seine Finger über zwei gezackte Zähne strichen, die an einer Kette hingen. Ein Schlüsselbund. Unbeholfen bekam er sie zu fassen und spürte einen leichten Widerstand der Kette, als er daran zog.    Innen magnetisch, hn? Die Kette auch. Clever.   Aber keine allzu große Herausforderung.    Er zog die Schlüssel hervor und stellte die Statue zurück an ihren Platz. Aufmerksam studierte Genma die beiden silbrigen Zähne und zog dabei die Schreibtischschubladen in Betracht. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Er wirbelte den Schlüsselring um seinen Finger und probierte den ersten Schlüssel aus, der gegen seine Handfläche klatschte. Das Schloss der Schublade klickte; eine schnalzende Zunge in der Stille.    Rasch warf er einen Blick auf die Tür und lauschte.    Vergebliche Mühe, wenn man bedachte, dass der schweren hölzernen Tür noch eine weitere der gleichen Art folgte. Schalldicht für Privatsphäre hatte Dr. Mushi gesagt. Genma hatte nichts dazu gesagt, ihm war es egal gewesen. Er hatte nur darüber nachgedacht, wie diese Türen gegen ihn arbeiten würden, wenn er seine Wanzen platzierte. Denn ganz sicher konnte er auf dieser Seite der Tür überhaupt nichts hören außer das, was durch das offene Fenster herein getragen wurde.    Mach schnell.   Er zog die Schublade auf und war sowohl von Gewicht als auch Tiefe überrascht. Er musste nicht suchen. Dr. Mushis Terminplaner lag direkt in der Mitte und der schwarze Ledereinband wurde von dem dünnen Strahl aus Sonnenlicht erhellt, der über Genmas Schulter fiel. Bevor er das Buch aufnahm, schlüpfte er wieder in den Handschuh und sein Handgelenk kippte beim Gewicht des Planers leicht nach unten. Mit dem Daumen schob er den Laschenverschluss auf, hob den Deckel und strich mit den Fingern über das kobaltblaue Wildlederfutter. Teuer.    Schmerz zahlt sich aus…   Ibiki war eindeutig in der falschen Branche.    Genmas Lippen zuckten und er legte den Buchrücken in seine Handfläche, während er seine andere nutzte, um die Wochenüberblicke zu überfliegen. Papier flatterte gegen seinen Daumen, bis sein Blick auf den aktuellsten Kalender fiel; Mushis Morgentermine waren sowohl vergangene, als auch für die kommende Woche gestrichen. Die Lücken hatte er jedoch nicht mit irgendwelchen anderen persönlichen oder beruflichen Aktivitäten gefüllt. Nur eine Reihe blanker Spalten, die Genma für die Ältesten füllen sollte.    ‚Du wirst herausfinden, wo Dr. Mushi gewesen ist und du wirst uns sofort darüber informieren. Hast du das verstanden?‘   Mit flackernden Bronzeaugen ließ Genma sein Senbon von Seite zu Seite ticken. Der einzig sichere Weg, Mushi zu folgen, war, ihn zu observieren, oder ihn mit einem Peilsender zu versehen. Letzteres wäre vorzuziehen, was aber bedeutete, dass er nahe genug an den Doktor heran kommen müsste, um eine Wanze platzieren zu können. Genma überprüfte seinen nächsten Termin mit dem Arzt und stellte fest, dass er für den späten Nachmittag in zwei Tagen angesetzt war.    Verdammt, die Woche ist schnell rumgegangen.   Zu schnell. Scheiße. Zwei Tage? Er hätte das im Kopf haben müssen. Wahrscheinlich hatte er es auf eine der vielen kleinen Terminkärtchen gekritzelt, die in seiner Wohnung verstreut lagen. Immer wieder händigte ihm die Sprechstundenhilfe neue aus und streichelte jedes Mal, wenn er ging, mit ihren Fingern über seine.    Zeit, das jetzt zu machen.   Er schielte auf die Uhr und runzelte die Stirn als er bemerkte, wie die Zeit auf die Acht Uhr Markierung zuraste. Die Sekretärin wäre bald hier und Genma musste noch immer Brotkrumen im Keller aufwischen. Erstaunlich, wie das Vernichten dieser Papierspuren jetzt viel mehr eine Mission war als die ursprüngliche Verschleierung.    ‚Und wie viele Versionen der Geschichte gab es, Genma?‘ Kakashis Stimme kroch heran und bohrte sich in Genmas Hirn. ‚Deine? Shikamarus? ...Naokis?‘   Angewidert ruckte Genma mit dem Kopf und ließ das Buch mit einem dumpfen Aufprall zurück in die Schublade fallen, der staubige Luft und eine alte gelbliche Klebenotiz ausspuckte – mehr gelblich als klebrig. Sie segelte über den Schreibtisch.    „Shit.“ Genma schnappte sie aus der Luft und streckte die Hand aus, um sie zurück zu stecken – hielt allerdings abrupt mitten in der Bewegung inne. Vollkommen paralysiert von dem Namen, der auf das kleine gelbe Quadrat gekritzelt war.    NARA SHIKAMARU: Diagnosebericht.   Für eine blanke Sekunde wurde es überhaupt nicht registriert.   Und dann ließ eiskalter Schock den Atem in Genmas Lungen einfrieren.    Als hätte ihn gerade sämtliche Kraft verlassen, stützte er eine Hand gegen den Schreibtisch und hielt die kleine gelbe Notiz in der anderen, während das leise tick-tick-tick der antiken Wanduhr von dem hämmernden dum-dum-dum in seiner Brust ertränkt wurde.    NARA SHIKAMARU: Diagnosebericht.   Wie ein Gummiband schnappte die Zeit zurück.    Heftig zusammenzuckend klatschte Genma die Notiz nach unten, stieß seine Hände in die Schublade und grub sich durch leere Mappen und sprödes blankes Papier. Seine Lippen verkrampften sich um das Senbon und sein Atem peitschte in einem abgehackten Keuchen durch seine Nase – ein-aus, ein-aus.   Nichts. Nichts. NICHTS.   Er rammte die Schublade zu und schob sich von dem Tisch fort, während er sich mit den Händen über seine stoffbedeckte Stirn fuhr, um seine Finger hinter dem Kopf zu verschränken, als sich seine Lider zusammenpressten. Bestürzung überschwemmte sein Hirn wie ein aufgehetzter Bienenschwarm.   Stop. Du vermutest. Vermute nicht. Vermute niemals.   Ein langsamer Atemzug und seine Augen öffneten sich. Erneut bewegte er sich nach vorn und packte mit einer Hand nach der anderen die Seiten des Tisches, wobei seine Lederhandschuhe unter dem Druck knirschten. Er stierte hinunter auf die Notiz; stierte so verdammt hart, dass sich seine Sicht bei dem Wort Diagnosebericht verdoppelte.   Das kann nicht stimmen.    Es war unmöglich, dass Shikamaru Dr. Mushis Patient war. Die Ältesten hatten – auf Anweisung des Sandaime – dem Psychiater strikt verboten, irgendeinen Nara Patienten zu behandeln außer Shikaku. War das auch nicht genau der Grund, aus dem Genma vor zwei Jahren als Spion eingesetzt worden war? Um sich zu vergewissern. Um sicher zu gehen.   Das habe ich gemacht. Ich hatte diesen Bastard festgenagelt.   Und das beinhaltete auch Dr. Mushis Klienten. Genma hatte ganze Listen mit Namen und hunderte Tonbandaufnahmen; hunderte und aberhunderte Tonbandaufnahmen…Tonbandaufnahmen, die wie ein konstanter Radiosender in seiner Wohnung liefen und tief in die langen und einsamen Stunden dröhnten, wenn Schlaflosigkeit zu einer Art verdrehten Wahnsinns wurde. Zwei Jahre. Zwei Jahre, während derer er mit seinen Fersen auf die Trümmer seines zerbrechenden Lebens hochgelegt dagesessen war, eine Flasche in der einen und eine kleine pinke Pille in der anderen Hand, während er das Leben der Menschen abhörte wie ein Codeknacker bei einem Zahlensender – denn das war auch alles, was Mushis Patienten für Genma waren; Nummern und Codes und Fetzen aus Papier.    Es ist nichts Persönliches.   Denn nur so konnte er es überhaupt tun; einfach im flackernden Licht von Glühbirnen da zu sitzen, die schon viel zu durchgebrannt waren, um zu funktionieren und Namen zu lesen, Nummern aufzuschreiben, sich Zeile um Zeile von Unterhaltungen anzuhören, bis er viel zu taub für alles außer die Schlüsselwörter wurde…und nicht ein einziges Mal hatte er sie gehört. Keine Erwähnung von Shikamaru oder irgendetwas anderem, das vor zwei Jahren in Kusagakure geschehen war. Was auch nur Sinn machte…denn Shikamaru hatte nach den Ereignissen niemals irgendeine Behandlung erhalten oder verlangt. Er hatte es nicht gebraucht, denn…   ‚Er wird sich nicht an alles erinnern. Frag ihn nicht danach…niemals…und wenn er anfängt, sich zu erinnern…‘   ‚Dann wirst du da sein, um es zu richten; jetzt steh endlich auf.‘   ‚Hör mir zu, Genma. Geh zu den Leuten, von denen ich dir erzählt habe. Er darf sich nicht erinnern. Aber du wirst dich erinnern. Du musst. Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime. Und jetzt schwöre es.‘   Energisch blinzelte sich Genma von der Erinnerung dieser Worte zurück und versuchte, das Gesicht des Mannes zu vergessen, der sie gesprochen hatte. Stattdessen gab er sich Mühe, sich auf die Warnung zu konzentrieren, die er sich nicht zu Herzen genommen hatte.    Herz…   Sein Herz…das war damals das Problem gewesen, nicht wahr? Und zwei Jahre mehr auf dem Buckel machten es überhaupt nicht leichter, mit den Lügen und den losen Enden Schritt zu halten…mit den verdrehten Logiken, die alles zusammenhielten.   Wann ist das alles auseinander gegangen?   Genma kniff sich so hart in den Nasenrücken, dass Schmerz hinter seinen Brauen zu pulsieren begann.    Was habe ich übersehen? Und wie zur Hölle konnte ich es übersehen?   Nun, zwischen Saufen und den Drogen war es nicht so schwer vorstellbar, dass er es an irgendeinem Punkt verkackt hatte. An einem lebenswichtigen Punkt. Oder vielleicht war er auch so blind für die Wahrheit geworden, dass er vollkommen darin versagt hatte, sie überhaupt wahrzunehmen.    Also mach die Augen auf und finde es raus.   Kalte taube Distanzierung war, was er brauchte. Und er war hervorragend darin. Das war seine Stärke. Zumindest war es das, wenn er nicht gerade versuchte, sich die nächste Dröhnung zu geben…wie viele von diesen kleinen pinken Pillen hatte er überhaupt noch?   Konzentrier dich.   Seine Miene verhärtete sich und seine scharf werdenden Augen richteten sich auf den gelben Zettel. Herauszufinden, wo Dr. Mushi seine Morgende verbrachte hatte, war nun absolut zweitrangig. Viel wichtiger war, herauszufinden, was dieses Insekt über Nara Shikamaru wusste oder nicht wusste. Und sogar noch viel dringlicher als das war, herauszufinden, was Shikamaru über seine eigene Vergangenheit wusste oder nicht wusste.    Zeit, das rauszukriegen…   Entschlossen hob Genma den Kopf und sah hinüber zu den mit Paneelen versperrten Schränken, wo Mushi die Aufzeichnungen zu seinen Patienten unter Schloss und Buddha-Riegel hielt. Wo die rauschenden Tonaufnahmen versagt hatte, würden die schriftlichen Berichte vielleicht etwas Aufschluss bringen. Oder zumindest andeuten, wie schnell Genma rennen musste, um diesem potentiellen Erdrutsch voraus sein zu können.    Beweg dich.   Doch die Zeit bewegte sich – wie immer – schneller.    Genma erhielt keine Gelegenheit mehr, die Distanz zu schließen.    Zuverlässig wie ein Uhrwerk hörte er draußen das klack-klack-klack von Absätzen, dem die Melodie einer zwitschernden weiblichen Stimme folgte, die durch das offene Fenster herein schwebte, als Dr. Mushis Sekretärin ihr langwieriges Ritual des Handtasche Durchwühlens durchführte, um sich Zugang zu dem Gebäude zu verschaffen.    Die Uhr schlug Acht und ihr Läuten erscholl wie das Ringen eines Mini Gebetsgongs.    Zischend zuckten Genmas Augen zwischen der Bürotür und den Schränken hin und her.    Keine Zeit. Du kannst es dir nicht leisten, das hier zu vermasseln.    Er würde noch einmal zurück kommen müssen.    Rasch brachte er die Inhalte der Schublade wieder in ihre ursprüngliche Ordnung, verschloss sie und ließ die Schlüssel wieder im Bauch des lachenden Budais verschwinden. Er ließ noch einen flüchtigen Blick durch den Raum wandern und spähte ein letztes Mal zu den Schränken – und dann war er zum Fenster hinaus und auf der anderen Straßenseite, bevor die Sekretärin überhaupt die Tür aufmachte.    ~❃~   Das ist ja wie in einem verfickten Kaninchenbau hier drin…   Finster stierte Kiba auf das ‚DU BEFINDEST DICH HIER‘ Schild, das neben dem Notausgang angebracht war. Beim zweiten Mal war er immer noch nicht schlauer. Er war ernsthaft einen vollständigen Kreis gelaufen. Seufzend ließ er Wegweiser und Instruktionsschilder sausen und folgte seinen Instinkten. Ein kurzes Schnuppern und er fing Inos Geruch auf; schwach und blumig unter dem durchdringenden Gestank von Chemikalien, Pflanzen, Medikamenten und etwas, das toxisch genug war, um seinen Kopf schwindeln und seinen Magen drehen zu lassen.    Was zur Hölle brauen die hier eigentlich zusammen?   Er verzog das Gesicht wegen dieser olfaktorischen Überladung; spürte, wie es höllisch brannte, als es seine Nase hinauf kroch und suchte nach Anzeichen für ein Nasenbluten. Ein Tritt in die Eier wäre netter gewesen.    Oder auch nicht.    Kiba orientierte sich neu und lief die taubengrauen Korridore der botanischen Forschungseinrichtung entlang. Die Augen hielt er dabei auf den blassen Vinylboden gerichtet, der sich in einem langen ausgelatschten Streifen vor ihm erstreckte. Ein paar Abzweigungen und einen kurzen Stop später kam er zu Doppeltüren, die von den Worten BOTANISCHES LABOR gekrönt waren und darunter stand auf einer kleineren Plakette: FLÜGEL A: Abteilung für bryologische und lichenologische Untersuchungen.   Bryo- was?   Grunzend drückte Kiba mit der Schulter die Schwingtüren auf und wimmerte leise angesichts der Schmerzen. Ein kleiner Empfangsbereich begrüßte ihn. Aber niemand war zuhause. Der Haupttisch war leer und der angrenzende Raum eingenommen von langen Regalen und Gestellen mit botanischen Zeitschriften.    Richtig lustige Sachen.    Kein Wunder, dass der Rezeptionist verduftet war. Kiba spähte mit bebenden Nasenflügeln erst nach rechts und dann nach links die beiden abzweigenden Korridore entlang. Millionen von Geruchsrezeptoren wurden aktiviert und feuerten Signale ab, die er innerhalb eines Herzschlages interpretierte. Ohne zu zögern wandte er sich nach rechts und schlenderte den Gang in Richtung der Labortür ganz am Ende entlang, während er den Parfumwirbeln von Hyazinthe und Lilien folgte und eine leise Melodie vor sich hin pfiff…   Ein Bauer hatte einen Hund…   Er schob seinen Kopf um die Ecke.   Und Bingo war sein Name. B – I – N – G – O und…?    „Bingo“, raunte Kiba mit einem Grinsen und stützte seine Schulter gegen den Türpfosten.    Vollkommen ahnungslos von seiner Anwesenheit stand Ino über eine der Werkbänke gebeugt da und hatte alle Aufmerksamkeit auf irgendeinen bizarr aussehenden Apparat gerichtet, der in etwa so nutzerfreundlich aussah wie eine von Kankurōs Marionetten. Doch Ino schienen diese Mechaniken nicht abzuschrecken. Tatsächlich sah sie äußerst professionell aus; gekleidet in einen fleckigen Laborkittel und komplett mit Handschuhen und Sicherheitsbrille. Sie hatte sogar ihr Haar aus dem Gesicht gekämmt und es mit irgendeinem seltsamen Blumenarrangement auf ihrem Scheitel festgepinnt. Flachsfarbene Strähnen schimmerten leicht, als sie sich bewegte und erinnerten Kiba an das blasse seidige Federgras, in dem er als Kind immer verloren gegangen war.    Jo, ich bin so richtig verloren gegangen.   ‚Geh und versteck dich, Kiba-kun. Ich zähle bis hundert und dann komme ich und finde dich.‘   Dieser lügende Bastard war nie gekommen.    Kibas Kiefer verkrampfte sich zu einem Knurren. Wie Dreck wischte er die Erinnerung beiseite und konzentrierte sich stattdessen auf Inos behandschuhte Finger, die über die Arbeitsfläche geisterten und die Apparatur mit einer Leichtigkeit und Effizienz handhabten, die Kiba so sehr überraschte und beeindruckte, dass er seinen ursprünglichen Plan aufgab, einfach hier herein zu platzen und sie zu triezen.   Und gerade arbeitete er an Plan B, als es passierte…   Ino begann zu singen.    Vollkommen baff lehnte sich Kiba zurück und hakte die Daumen in den Saum seiner Hose, während sein Kiefer leicht aufklappte. Er kannte das Lied nicht. Irgendwas Mädchenhaftes und Dämliches, doch Ino schwang ihre Hüften und wiegte ihren Körper mit Begeisterung, während sie den Arbeitsplatz mit unkoordinierter, aber auch mit der irgendwie sinnlichen Ungehemmtheit einer Frau entlangspazierte, die tanzte, als würde niemand zusehen und ein Skalpell als Mikrofon benutzte.    Oh Mann, wo ist diese Kamera?   Es war ein flüchtiger Gedanke und auch schon verflogen, bevor er überhaupt keimen konnte. Nichts Spöttisches oder Gemeines schlug in Kibas Hirn Wurzeln…tatsächlich mangelte es ihm vollkommen an hinterhältigen Ideen, als er Ino so dabei zusah, wie sie dem leeren Raum etwas vorführte und mit theatralischer Leidenschaft am Revers ihres Laborkittels zerrte, während sie sich nach hinten beugte und eine unverständliche Zeile in ein Becherglas plärrte, bevor sie über die spontane Akustik kicherte.    Kiba blinzelte nicht, atmete nicht und ein sprachloses Schmunzeln zierte seine Lippen.    Der Gedanke, dass keine ihrer Bewegungen dazu kalkuliert war zu beeindrucken, zu verführen oder Aufmerksamkeit zu erhaschen; und dennoch war Kiba faszinierter, als er es bei Shikamarus Geburtstagsfeier gewesen war – und damals hatte Ino ihn als Tanzfläche benutzt. Doch da war etwas – ein Gefühl – an der Ungeschütztheit dieses Moments, das ihn fesselte, wie es ihr betrunkenes Flirten nicht geschafft hatte.    Ino posierte nicht, hatte sich nicht herausgeputzt oder war eine gehässige kleine Prinzessin…   Sie spielte einfach nur…   Völlig versunken lehnte sich Kiba in die Tür und seine Brauen flogen belustigt nach oben, als Ino ein Tablett über ihren Kopf hielt und eine niedliche kleine Pirouette hinüber zur anderen Bank vollführte. Sie sang noch immer, nur leiser und ihre Stimme war süß wie ein Traum.    Doch jeder Zauber musste durchbrochen werden.    Als sie das Tablett absetzte und nach einem Stapel leerer Fläschchen griff, erhaschte sie aus dem Augenwinkel einen Blick auf Kibas Gestalt und stieß ein erschrecktes Quietschen aus, während eine Hand die Theke packte und sie sich die andere gegen ihr donnerndes Herz drückte.    Jawoll!   Erfreut über ihr Entsetzen stieß Kiba im Geiste siegreich die Fäuste aneinander.   „Oh mein Gott…“, wisperte Ino keuchend.    Grinsend zuckte Kiba mit den Brauen. „Schon wacklige Knie, huh?“   Rasch erholte sich Ino und richtete sich auf, während sie all ihre Empörung zu einem vaporisierenden Starren zusammenfasste, das wahrscheinlich auch angsteinflößend gewesen wäre, wenn da nicht die Sicherheitsbrille gewesen wäre.    Hah. Süß.   Süß? Dieser Gedanke ließ Kiba würgen und er schnitt eine Grimasse, während er sich an die Schläfe tippte, um auf die Brille hinzuweisen. „Shinos dunkle ist heißer. Und das sagt einiges.“   Eine gedemütigte Pause und dann explodierte Ino. „Kiba, du Dreckskerl!“, fauchte sie und riss sich die Schutzbrille so heftig vom Gesicht, dass sich ihr Haar auf einer Seite in einem Wirrwarr blonder Strähnen löste. Mit einem behandschuhten Finger stach sie in seine Richtung. „Was zur Hölle willst du hier und warum schleichst du so in den Schatten rum?“   Und jetzt, konfrontiert mit einer dämlichen Frage, die Ino weit offen für einen schweren verbalen Beschuss hinsichtlich ihrer kleinen Tanzaufführung ließ, war Kiba bis an die Zähne bewaffnet und nur zu bereit, alles von der Leine zu lassen. Nur tat er es nicht. Die Kommentare steckten ihm wie Kanonenkugeln in der Kehle; geladen, aber nicht in der Lage, abgefeuert zu werden.    Was zum?   Es war die perfekte Gelegenheit. Mann, sie wurde ihm geradezu wie eine erstklassige Scheibe Kobe-Steak auf einem seltenen Silbertablett serviert. Er konnte sie mit dieser Scheiße so richtig fertig machen. Verdammt, wahrscheinlich würde er niemals wieder eine solche Chance bekommen.    Und dennoch…   „Und?“, wollte Ino mit grimmigen Augen und einem Gestrüpp wilder Haare an der Seite ihres Kopfes wissen. Doch selbst so erschüttert und vom Thron gestoßen, reckte sie ihr Kinn zu einem königlichen Winkel, als würde sie ihn eindringlich davor warnen, das Thema anzusprechen. Durch und durch auf hart machend im Angesicht ihrer imminenten Demütigung.    Und dennoch…   Kiba sah, wie ihre geballte Faust an ihrer Seite zitterte.    Und er ließ es – einfach so – auf sich beruhen, auch wenn ihn ein Teil seiner Psyche fuchsteufelswild anheulte, während sich der andere nur auf den Rücken rollte und totstellte, weil er nicht weiter erkunden wollte, warum er diese hundertprozentige Chance aufgab, auf immer und ewig über die Yamanaka Prinzessin zu herrschen.    Ino beäugte ihn wachsam und erwartete seine Attacke mit jeder verstreichenden Sekunde.    Tieraugen funkelten amüsiert. „Ich hab die Probe von dieser Wurzel, die du wolltest.“   Angesichts dieser unerwarteten Umlenkung zuckte Ino ein wenig zurück; ganz so, als hätte er eine Hand ausgestreckt und sie geschubst. Sie schwankte wie ein Vogel auf einem sehr sehr dünnen Stolperdraht. Und als Kiba keinerlei Anstalten machte, noch irgendetwas hinzuzufügen, plusterte sie sich an Ort und Stelle auf. Alles heiße Luft und aufsteigender Dampf mit absolut keiner Möglichkeit, ihn abzulassen.    Ha. Schätze, das zählt auch irgendwie.    „Hast du mich gehört, Tippelfüßchen?“, fragte Kiba, da er einfach nicht widerstehen konnte.    Der spielerische Stich schob sich wie eine Nadel in einen prallen Ballon. Farbe explodierte heiß und rosa auf Inos Wangen und ein Strom angehaltener Luft zischte durch ihre Nase. Mit vernichtender Miene schnappte sie: „Na dann zeig schon her.“   Schmunzelnd griff Kiba in seine Tasche und zog eine große Plastiktüte hervor, um besagte Wurzel zu zeigen. Es war ein langes rotes, wurmartiges Ding mit seltsamen spindeldürren Trieben. Irgendwie kam einem bei dem Anblick ein aufgeblähter Tausendfüßler in den Sinn. „Kann’s echt immer noch nicht fassen, dass ich mich mit einer fleischfressenden Pflanze gutstellen musste. Das Ding stinkt nach Arsch.“   „Du musst es wissen“, biss Ino zurück. „Finden Hunde nicht auf diese Weise Freunde?“   Kiba warf ihr den Beutel zu.    Mit einer Hand fing Ino ihn auf und drehte sich, während sie das Tablett mit den Fläschchen auf der Hüfte balancierte. Als Kiba spöttisch durch die Zähne pfiff, streckte sie ihm die Zunge heraus und musterte das Exemplar, während sie sich gleichzeitig mit einem Schnauben das Haar aus dem Gesicht pustete. „Ich bin überrascht, dass du überhaupt wusstest, wonach du suchen musst.“   „Neji hat den Stock aus seinem Arsch gezogen und mir damit ein Bild in den Dreck gemalt.“   Ino warf ihm einen missbilligenden Blick zu.    Doch Kiba ließ seinen Kopf nur gegen den Türrahmen kippen und grinste sie an.    Und die Wirkung dieses Grinsens war überhaupt nicht die, die er erwartet hatte. Denn statt herum zu plärren oder mit den Augen zu rollen, ergriff eine seltsame Anspannung von Inos Miene Besitz und ihr Körper versteifte sich. Sie sah aus wie jemand, der am Rand zwischen einer natürlichen Reaktion und einer kontrollierten Erwiderung schwankte.    Scheiß drauf.    Kibas Verärgerung kam unmittelbar.    Sein Schmunzeln verwandelte sich in ein Zähne geblecktes Knurren. Er hatte bereits vorhin genug von Nejis kontrolliertem Bullshit gehabt. Wenn es überhaupt noch irgendjemanden gab, auf den er – abgesehen von Naruto – zählen konnte, wenn es um eine gute verbale Rauferei ging, dann war es Ino. Doch bevor Kiba sie vollends aus dem Gleichgewicht bringen und zurück in das Gebiet der Beleidigungen schubsen konnte, schossen ihre Worte kühl und knapp aus ihrem Mund.    „Ich hab zu tun, Kiba.“   Doch diese Aussage zeigte in etwa so viel Wirkung, wie einem Bluthund mit der Fliegenklatsche auf die Nase zu klopfen. Kiba rührte sich keinen Millimeter. Und Ino schien nicht zu atmen. Sie starrte ihn nur schweigend und mit kühlen Augen an. Nicht das kleinste Anzeichen des blauen Feuers, das er noch wenige Sekunden zuvor gesehen hatte.    Kiba fühlte sich unbehaglich, aber er wollte verdammt sein, wenn er das auch zeigte. Stattdessen hob er seine Brauen und kicherte freudlos mit einem tiefen Rumpeln in seiner Kehle. „Was denn? Gar kein Fauchen und Spucken heute?“   Ino reckte schon wieder das Kinn. „Du bist es schlicht und einfach nicht wert, Kiba.“   Au. Das traf. Das traf heftig. Das traf verfickt nochmal mitten ins Schwarze. Zorn brannte sich unter das spielerische Funkeln in Kibas Augen und seine Stimme wurde hart und leise, trotz der beabsichtigten Leichtigkeit seiner Worte. „Jo. Zumindest nicht, wenn du nüchtern bist.“   Hitze flutete über Inos Gesicht; röter und heißer als die Tattoostreifen auf den schlanken Wangen des Inuzuka. Doch es schlug das Eis aus ihren Augen und blaue Flammen stiegen auf. Ihm blieb überhaupt keine Zeit, sich an dieser Reaktion zu erfreuen. Bebend wirbelte Ino herum und setzte das Tablett mit genug Wucht ab, um die Fläschchen klirren zu lassen.    Glas zitterte.    Sie sagte nichts.    Und das leise Ticken einer Uhr brüllte die langen unangenehmen Sekunden heraus.    Eier.    Was für ein Schuss nach hinten. Kiba wusste genug über das Schweigen von Frauen, um zu wissen, dass er hätte aufhören sollen, wenn es alles noch spielerisches Bellen und kein Beißen war. Mit diesen Worten hatte er ein bisschen zu tief gebissen. Vielleicht hatte er sogar ein wenig Blut vergossen.   Eiiiiieeer…   Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, fing den bitteren Nachgeschmack seiner Worte auf und presste die Lippen aufeinander, während er sich mit einer Hand über den Mund strich.    Ich werde mich nicht entschuldigen.   Auf keinen Fall. Kiba entschloss sich dazu, die Anspannung zu überwinden, statt sich mit ihr anzulegen und stieß sich von der Tür ab, um mit dem arroganten Selbstvertrauen eines Wolfes in eigenem Revier in das Labor zu schlendern. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Kontrollierte Umgebungen wie Laboratorien oder Klassenräume waren die schlimmste Art von Käfigen. Witzig. Vielleicht hätte das einiges über sein Schulschwänzerverhalten während der Akadamie erklärt – was war es noch, was Iruka-sensei gesagt hatte? Etwas darüber, dass Kiba ein kinästhetischer Lerner war? Besser mit den praktischen Sachen? Auf jeden Fall hatte sich seine Mutter diesen Ratschlag zu Herzen genommen und ihm hin und wieder die Scheiße aus dem Leib geprügelt. Jo, das war mal so richtig praktisches Lernen gewesen; Inuzuka-Stil. Er hatte aufgehört, Stunden zu schwänzen. Naja…zumindest hatte er aufgehört, sich erwischen zu lassen.    Ein lautes Plop zog seine Aufmerksamkeit auf sich.    Ino hatte damit angefangen, mit scharfem Rucken die Stöpsel aus den Fläschchen zu ziehen.   Da er nicht gerade scharf darauf war, einen Ellbogen ins Gesicht zu bekommen, machte Kiba einen großen Bogen um sie und schnupperte an einem Regal, in dem Pflanzenexemplare aufgereiht waren, bevor er den Kopf wegen des toxischen Geruches von Nachtschatten zurückzog. „Dein Gegengift hat übrigens funktioniert.“   Ino sah nicht auf.    Während er sich in eine Hocke niederließ, spähte Kiba zu ihr hinüber und tat so, als würde er die unteren Regalbretter examinieren. „Ziemlich cooles Zeug, was du da zusammengebraut hast. Machst du das hier drin?“   Ino sagte nichts.    Verdammt, sie ließ ihn wirklich hart arbeiten. Grunzend klatschte der Hundeninja auf seine Schenkel, bevor er sich aufrichtete und die Hände in die Taschen schob. Neugierig beäugte er das Labor und mäanderte sich seinen Weg die Reihen aus Laborbänken entlang, wobei er sich für eine lange, gewundene Strecke entschied. Er ließ zu, dass die Spannung noch etwas zunahm und beendete seinen Rundgang schließlich auf der anderen Seite von Inos Arbeitsplatz.    Sie ignorierte ihn.    Grinsend zog sich Kiba einen hohen Stuhl heran und ließ die Beine dabei in einem widerlichen Kreischen über den Boden kratzen.    Ino biss die Zähne zusammen.    Ah ja, unmittelbar und erfreulich. Schon allein diese kleine Reaktion war genug Ermunterung. Der Hundeninja ließ sich auf den Stuhl fallen, schnappte sich eins der Fläschchen und schnippte den Stöpsel mit dem Daumen heraus, um ihn mit der Handfläche aufzufangen, bevor er von der Werkbank hüpfen konnte.    Finster und mit gerunzelter Stirn stierte Ino auf seine Hände.    Beschwichtigend hob Kiba die Arme und stellte das Fläschchen mit übertriebener Vorsicht ab, bevor er nach einem anderen griff, nur um den Vorgang zu wiederholen: Plop, fangen. Plop, fangen. Plop, fangen.    Schnaubend rollte Ino mit den Augen.    Kiba schmunzelte und machte auf seinem mentalen Punktebrett einen Strich für sich.    Zufrieden damit, dass er nichts kaputt machte, ließ Ino ihn einfach machen und begann damit, die Wurzelprobe unter einem langhalsigen Vergrößerungsglas zu untersuchen, das nicht wirklich wie eine Linse, sondern eher wie eine dieser Schwanenhalslampen aussah.    Langsam verlor die Stille etwas von ihrem Frost.    Kiba vertiefte sich voll und ganz in die Aufgabe, die Phiolen zu öffnen, da sie eine vollkommen gedankenlose Ablenkung boten. Nicht dass er irgendetwas Unterhaltsameres zu tun gehabt hätte. Es ging nur darum, Zeit totzuschlagen, bis er Akamaru aus der Quarantäne holen und ein Loch in Nejis Geldbeutel brennen konnte. Oh, und vielleicht ließ er noch seine Schulter untersuchen. Er legte leicht den Kopf schief und linste zu Ino, während er einen Gummistöpsel in seiner Hand hüpfen ließ. Zu blöd, dass sie um Hilfe zu bitten bedeuten würde, dass er falsch gelegen und sie recht gehabt hatte, was dieses dämliche Schultergurt-Ding anging. War es eine gerichtete Schulter wert, sich eine Gardinenpredigt aus ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘ anhören zu müssen?   Scheiße nein.   Nachdem er mit den Fläschchen fertig war, stellte Kiba die Ellbogen auf der Werkbank ab und ließ eine Glasröhre zwischen seinen Fingern baumeln, um sie träge hin und her schwingen zu lassen. „Hat dir dein Dad das alles beigebracht?“   „Das meiste davon“, erwiderte Ino ohne aufzusehen. Sie griff nach ein paar Stecknadeln und befestigte die Wurzel auf einem Objektträger. „Ich habe mir aber auch vieles selbst beigebracht.“   Kiba war neugierig, wollte aber auch nicht zu interessiert wirken und so ließ er seinen Stuhl auf die Hinterbeine kippen, während er durch das Glasröhrchen zu Ino spähte und das verzerrte Bild drehte. Er wartete einen kurzen Moment, bevor er fragte: „Also, warum hast du dich dann nicht diesem nerdigen Zeug gewidmet?“   „Und was?“ Ino machte einen kleinen präzisen Schnitt in die Wurzel. „Dafür aufgeben, ein Ninja zu sein?“   „Nun, ja, wenn du das wolltest.“   „Das wollte ich nie. Ich würde in einem Labor sowieso verrückt werden.“   „Hn. Du siehst eigentlich ziemlich glücklich aus.“   „Glücklich?“ Konzentriert runzelte Ino die Stirn und beugte sich nach vorn, um die Linse und das Licht neu auszurichten. Sie tupfte etwas von der dunklen klebrigen Flüssigkeit auf, die aus der blutenden Wurzel tropfte und legte die Probe in eine Petrischale. „Glücklich“, wiederholte sie und klang dabei nachdenklich.    „Jo.“ Kiba richtete sein provisorisches Teleskop auf ihren Po. „Hast so glücklich mit dem Hintern gewackelt.“   Mit finsterer Miene richtete sich Ino auf und schlug nach ihm. Sie verfehlte ihn, war aber zufrieden damit, zu sehen, wie er schaukelnd um Balance kämpfte. Er fiel nicht um und so sah er sie weiterhin durch das Glasröhrchen an, bevor er sagte: „Gib’s doch zu. Dir gefällt dieser wissenschaftliche Streberkram.“   Ino hob eine zarte Braue und fixierte ihn mit einem durchdringenden Blick. „Als würdest du da draußen ohne dieses Zeug überleben.“   Kiba zog den Kopf ein und musste diesen Punkt einräumen. „Kann ich nicht bestreiten.“   Das schien sie zufriedenzustellen. Schmunzelnd ließ Ino die Hüfte gegen die Bank einknicken und zog mit nachdenklicher Miene ihre Handschuhe aus. „Ich glaube schon, dass es mir gefällt. Ich meine, ich bin richtig gut darin, oder?“   Für Kibas Ohren klang das nach einer durch und durch rhetorischen Frage, doch der erwartungsvolle Seitenblick, den Ino ihm zuwarf, ließ auf anderes schließen. Noch einmal musterte er ihren Gesichtsausdruck und zögerte. War das gerade subtil von ihr? Er machte nicht einen auf subtil. Zumindest nicht gut.  Und außerdem, seit wann zur Hölle gab Ino auch nur einen feuchten Dreck auf seine Meinung? Fragte sie denn gerade wirklich nach seiner Meinung?   Er hob eine Braue und senkte ein wenig das Glasrohr, um ihrem Blick über den Rand hinweg begegnen zu können. „Fragst du mich, oder erzählst du mir das?“   „Naja, was denkst du denn dazu, Idiot?“   Er lachte. „Siehst du? Das ist ein direkterer Weg, um etwas zu fragen.“   Ino rollte mit den Augen, aber ihre Lippen zuckten in einem widerwilligen Schmunzeln. „Naja, was auch immer. Solange das Antidot bei den Giften wirken. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Diese Chimären sind gruselig, aber diese Pflanzen sind alle…“ Mystisch wackelte sie mit ihren Fingern über der Wurzel, was, wie Kiba dachte, wohl den Verrücktheitsfaktor illustrieren sollte.    „Jo“, grunzte er und ließ den Stuhl wieder auf alle drei Beine fallen. „Ist mir irgendwie auch klar geworden, als das Ding versucht hat, mir wie eine Venusfliegenfalle das Gesicht abzukauen.“   „Offensichtlich“, sagte Ino, während sie die Ärmel ihres Laborkittels hochkrempelte. „Die Hybriden sind alle Derivate von fleischfressenden Pflanzen, so wie die Dionaea Muscipula, die du erwähnt hast.“ Angesichts seiner ausdruckslosen Miene fügte sie hinzu: „Auch bekannt als Venusfliegenfalle.“   „Huh.“ Etwas verärgert über diese vollständige Zurückweisung seiner Nahtoderfahrung und Inos plötzlichem Umschwung in die Strebersprache, stellte Kiba sein Kinn in einer Handfläche ab und stierte düster auf die Reihen aus Phiolen. „Klasse. Du klingst schon wie Ino mit seinen Insekten.“ Und dann begannen Kibas Augen zu funkeln und ein Grinsen zupfte an seinem Mundwinkel. „Ha. Neji wird einen Mordsspaß daran haben, ihn davon abzuhalten, wegen dieser ganzen fleischfressende Pflanzen Sache depressiv zu werden.“   Ino verzog mitfühlend das Gesicht, verstaute die Wurzelprobe und faltete die Linse zusammen. „Armer Shino.“   „Armer Shino?“ Kiba drückte in einer krabbenhaften Geste die Finger aufs Gesicht und ließ sie in einer Imitation von Beißwerkzeugen zucken. „Habe ich erwähnt, dass mein Gesicht nur zwei Bissen davon entfernt war, als Abendessen zu enden? Shinos Insekten würden für diese Dinger nicht mal als Snack durchgehen.“   Doch statt Mitgefühl schob Ino ihm nur einen großen Becher hin. Eine grellorangene Flüssigkeit, die zäh wie Honig war, rollte in einer trägen Welle durch das Glas. Und dann traf der Geruch Kibas Nase und brannte sich wie Wasabi durch seine Nebenhöhlen. Würgend nieste er heftig in seine Armbeuge und blinzelte durch wässrige Augen zu Ino auf.    „Was zur Hölle ist das denn?“   Zuckersüß lächelte Ino ihn an. „Füllst du das in die Fläschchen?“   „Das fass ich nicht an.“   „Das wirst du, wenn du vermeiden willst, lebendig von Vampirflöhen aufgefressen zu werden. Man verdünnt es und-“   „Ich werde das auch ganz sicher nicht trinken.“   „Das würdest du sowieso nicht, Idiot. Es ist wird äußerlich angewandt.“   „Ich schmier das nicht auf meine Haut.“   „Es funktioniert wie Zitronellöl bei Mosquitos.“   „Mir egal.“   „Und es verstopft die Poren, sodass-“   Kiba hob eine Hand, um ihr das Wort abzuschneiden. „Shino wird mir das alles bis ins kleinste graphische Detail erklären. Ist mir trotzdem egal. Das benutze ich nicht.“   Stirnrunzelnd sah Ino ihn an. „Du wirst es brauchen, Kiba.“   „Ich gehe lieber das Risiko mit den Bettwanzen ein.“   „Na schön, wie auch immer. Füll es einfach in die Flaschen, okay?“   Grummelnd ließ der Hundeninja den Stuhl wieder auf die Hinterbeine kippen und streckte einen Arm aus, um einen kalkulierten Abstand zwischen seiner Nase und dem Inhalt des Bechers einhalten zu können. Schmunzelnd beobachtete Ino ihn dabei, wie er arbeitete, als wäre er eine an Fäden befestigte Marionette; nur steife Glieder und hölzerne Miene.    Mann, das stinkt vielleicht…   Jo, er hielt auf jeden Fall die Luft an. Ziemlich sicher flennte er auch. Denn dieses Zeug dünstete Dämpfe aus wie verfickte Zwiebeln. Auf keinen Fall würde er sich das auf die Haut schmieren.   Ihm fiel gar nicht auf, wie Ino ihn musterte, bis sie aufhörte, irgendwelche Sachen wegzuräumen, sich ihm zuwandte und endlich dazu herabließ, ihn zu fragen: „Ist es wirklich so schlimm?“   Kiba stierte sie einfach nur an und zog seine tränenden Augen zu Schlitzen zusammen; es war alles, was er zustande bringen konnte, ohne die Nase zu rümpfen und dadurch ein Niesen auszulösen, das ihm seinen Hinterkopf eindellen würde. „Wie ich es bereits Neji vor einiger Zeit gesagt habe: Dieses Nasenupgrade ist etwas, an das man sich erstmal gewöhnen muss.“   Er hatte es nicht gesagt, um sie zu beeindrucken, oder ihr Interesse zu wecken, aber aus irgendeinem Grund ließ Ino all ihre botanischen Utensilien stehen und liegen und hüpfte auf den hohen Stuhl ihm gegenüber. Er hörte, wie ihre Füße gegen die Bank klopften, als sie ihre Beine wie ein Kind hin und her schwingen ließ. In einer Handfläche stellte sie ihr Kinn ab und beäugte ihn für einen Moment zweifelhaft, bevor sie zu lächeln begann.    Kiba runzelte die Stirn über diesen intriganten Ausdruck und drehte einen Stöpsel in die Flasche. „Was?“   „Schon mal daran gedacht, deine Nase für was anderes als Ninja Zwecke einzusetzen?“   „Gibt sonst nichts, das meine Zeit wert wäre.“   „Aber es gibt eine Menge Dinge die dein Talent wert wären“, hob Ino hervor und dieses viel zu süße Lächeln erblühte noch weiter auf ihrem Gesicht.    Kibas Augenbraue zuckte. Ein falsches Kompliment? Ein verräterisches Zeichen, auch wenn schon allein ihr Lächeln viel zu süß war, um irgendetwas anderes als verdächtig zu sein. Doch er entschied sich, mitzuspielen; einfach nur, um sie zu überrumpeln.    „Okay“, forderte er heraus. „Nenn mir eines.“   Ino winkte mit ihrer Hand herum, als würde sie Ideen aus dem Äther heraus beschwören. „Oh, ich weiß nicht.“ Sie tat so, als würde sie nachgrübeln und schnippte dann mit den Fingern. „Parfümerie!“   Ausdruckslos stierte Kiba sie an. Und dann wurde ihm klar, dass sie das ernst meinte. Lachen brach aus seiner Kehle und wurde von einem explosiven Niesen verfolgt. „Ugh…“   Als sich seine Sicht endlich wieder klärte und seine Nase nicht mehr juckte, musste er feststellen, dass Ino ihn anfunkelte. Und dann, so schnell, dass er gerade einmal blinzeln konnte, verwandelte sich ihre Miene von angepisster Prinzessin in gleichgültige Eiskönigin.    Kiba versteifte sich gegen diesen Anblick.    Es war dieselbe kontrollierte und überlegene Manier, die sie ihm gegenüber vor etwa zwanzig Minuten angenommen hatte. Er konnte sich gar nicht mehr entsinnen, was es vorhin ausgelöst hatte, erinnerte sich nur noch an das Gefühl, mit dem es ihn zurück gelassen hatte.    Zorn.   Unsicher runzelte er die Stirn. „Was?“, hustete er und stellte den Becher ab, den er fast fallen gelassen hatte. „Du meinst das echt ernst?“   „Vergiss es“, erwiderte Ino kühl und ihre Stimme nahm dabei einen Frost an, der überhaupt nicht zu den Emotionen passte, die in ihren kristallblauen Augen flackerten. „Schieb eine vollkommen brillante Idee einfach beiseite.“ Sie schnappte sich den Becher und füllte die verbliebenen Fläschchen innerhalb von Sekunden, was seine Versuche, ihr zu helfen, ohne ein einziges Wort zum Gespött machte. „Ich weiß nicht mal, warum ich mir die Mühe gemacht habe, es überhaupt vorzuschlagen. Ist nicht so als würde ich wollen, dass jemand wie du für mich arbeitet.“   Es waren nicht einmal die Worte, die es auslösten. Es war die Art und Weise, wie sie ihn ansah, als sie es sagte; als wäre er Dreck unter ihren Schuhen. Und auf einen Schlag fühlte sich Kiba, als wäre er ein fünf Jahre altes Kind; verloren in einem Labyrinth aus seidigem Federgras…und der Zorn sprang wie ein kauernder Wolf an die Oberfläche.    „Für dich arbeiten?“, knurrte Kiba und erhob sich so abrupt von seinem Stuhl, dass er mit einem ohrenbetäubenden Klappern umkippte, das Ino vollkommen regungslos werden ließ. Kiba beugte sich über die Werkbank und seine Zähne verlängerten sich völlig unbewusst, während seine animalischen Iriden golden glühten. „Mit dir zu arbeiten ist ja schon mühsam genug. Scheiße, Shikamaru und Chōji würden mir ja leidtun, wenn ich nicht denken würde, sie könnten sich köstlich darüber amüsieren, wie verzweifelt du danach bist, überhaupt wahrgenommen zu werden.“   Sie verpasste ihm eine Ohrfeige.    Und die Wucht ihres Schlags ließ seinen Kopf zur Seite schnellen. Es brannte wie ein Hieb mit dem flachen Ende einer rot glühenden Bratpfanne. Mit schrillenden Ohren und in Flammen stehender Wange verkrampften sich Kibas Finger auf der Arbeitsfläche, wobei verlängerte Klauen Rillen in das blassgraue Resopal gruben.    Er drehte ihr das Gesicht zu.   Doch das wilde Knurren verfing sich hinter seinen Zähnen.    Inos Augen waren weit aufgerissen und schimmerten. Das Eis war aufgetaut und silberne Tränen glitzerten an ihren Wimpern. Die Wangen gerötet und mit fleckigem Hals stieß sie einen abgehackten Atem aus, wich aber nicht zurück. Ihr Körper war noch immer halb gedreht von dem Momentum ihres Schlags. Und sie hatte deutlich mehr als ihr Gewicht in diese Ohrfeige gelegt. Kiba spürte das Stechen und Kribbeln auf seinem Gesicht. Ein Feuer, ein Kampf…   Ein Gefühl…   Seine Augen fielen hinunter zu ihren nassen bebenden Lippen.    Hunger stürzte nach oben und schluckte den Zorn. Doch Kiba packte dieses Biest an der Kehle und lehnte sich leicht nach hinten, die Augen noch immer auf ihren Mund gerichtet. Langsam hob er eine Hand und rieb sich mit scharfen klauenbewährten Fingern über seine brennende Wange. Seine Stimme war rau wie ein animalisches Grollen und beinahe nicht wiedererkennbar in seinem semi-wilden Zustand. „Benutz das nächste Mal auch deine Krallen.“   Ino schluckte schwer und zwang sich zu einem bitteren Schmunzeln, während ihre Stimme zitterte. „Als würde ich mir für dich einen Nagel abbrechen.“   Kiba grinste über ihr katzengleiches Fauchen und bewegte den Kiefer von Seite zu Seite, während seine Finger immer noch über seine Wange wanderten. Das animalische Glühen beruhigte sich zu einem Schwelen in seinen Augen und seine Klauen zogen sich ebenso wie seine Fangzähne zurück. Doch der Zorn war noch immer da; ein heißer Ball in seiner Magengegend. Er zog sich zurück und hob in einer spöttischen Parodie der Kapitulation die Hände; ein winziges Blutrinnsal glitzerte an seiner Unterlippe, wo ein verlängerter Zahn die Haut aufgeschlitzt hatte.    „Wie immer ein Vergnügen, Prinzessin“, sagte er gedehnt und wandte seinen Rücken diesen aufflammenden blauen Augen und den unbehaglichen Gefühlen zu, die sie in ihm aufwühlten.    Klasse…   Er leckte sich über die Unterlippe und sein hohles Lachen echote den leeren Korridor entlang.    Na das wird gerade zu einem richtigen Scheißtag…     ______________ Hallo zusammen :)  Vielen Dank erstmal an alle Favoeinträge und Kommentare *-* Ich habe mich so unglaublich gefreut!!! Es ist so toll zu sehen, dass mich immer noch einige bei dieser Reise begleiten, obwohl sie inzwischen ja schon wirklich sehr sehr lange geht :D  Jetzt mal zum Kapitel. Ja, es wäre einfach zu einfach, wenn Kiba eine stinknormale glückliche Kindheit hätte :D Nein, auch er hat definitiv sein Päckchen zu tragen. Und das Gespräch zwischen Ino und um ihm...autsch...ehrlich gesagt weiß ich nicht, wer von den beiden sich mieser verhält. Sie verteilen beide ziemliche Schläge unter die Gürtellinie. Bin gespannt, was ihr dazu sagen werdet!  Und Genma ist da wohl offenbar auf ein weiteres Problemchen gestoßen bei Dr. Mushi...der Arme kann einem wirklich leidtun.  Naja, wie auch immer. Ich bedanke mich wieder mal bei allen, die mir ein paar Worte dagelassen haben!! *-* Keine Sorge, Antworten kommen noch! ;) Kapitel 3: A parody of a gift ----------------------------- „Du dreckiger Hurensohn…“, zischte Shikamaru; die Finger krampfhaft verschlossen und mit weißen Knöcheln, während er den Schattenbesitz aufrecht erhielt. Schweiß bedeckte seine Stirn und rann langsam seine Schläfe hinunter. „Shit. Das Ding werde ich nicht lange halten können, Chōji!“, rief er über die Kakophonie des gefangenen Monsters hinweg. „Mach dich bereit!“   „Alles klar!“   Shikamaru blies die Backen auf, nickte seinem Teamkameraden zu und begann, seine Füße einen quälenden Schritt nach dem anderen nach hinten zu ziehen, um die riesige hirschköpfige Chimäre weiter nach vorn und näher an den Rand des abgeteilten Geheges zu zerren. Der Zaun ragte über ihnen auf und die grauen Stäbe und das verstärkte Metallgewebe warfen ein Netzwerk aus Schatten über die ganze Szenerie. In den anderen Gehegen befanden sich weitere Chimären von groteskem Aussehen, die bellten und kreischten, heulten und jaulten, brüllten und fauchten.    Furcht kribbelte über Shikamarus Haut…instinktiv und unentrinnbar…   Ich pack das. Es ist okay.   Seine Atmung wurde schwerer und seine Augen verengten sich konzentriert. Energisch zerrte er das hirschköpfige Biest noch drei Schritte weiter und ruckte so schnell mit den Fingern, dass der Schattenbesitz noch immer anhielt, als das Schattennaht Jutsu übernahm, dicke schwarze Ranken die Beine des Tieres festzurrten und die Kiefer auseinander zwangen. Eine Reihe knochenähnlicher Stacheln schoss in einem vergeblichen Versuch der Verteidigung aus Wirbelsäule und Hals des Viehs. Es röhrte und der Stich eines ammoniakgleichen Gestanks drang dabei aus den Speicheldrüsen.    „Chōji, jetzt!“   Chōji setzte sich auf Kommando in Bewegung und eine stark vergrößerte Hand packte den Unterkiefer der Bestie mit einem festen Griff. Seine andere Hand – behandschuht und unverändert – machte sich derweil daran, den zähflüssigen Speichel und Schaum aufzufangen, der aus dem Mund der Chimäre tropfte. Er schaufelte das Zeug in einen Behälter, verschloss ihn und ließ ihn fallen, um ihn mit dem Fuß zu der wartenden Schattenhand zu kicken, die sich durch Stroh und Sägemehl schlängelte.    „Augen!“, rief Shikamaru, als er sich auf ein Knie sinken ließ und die Zähne zusammenbiss, während er sowohl die Schatten handhabte, die die Chimäre festhielten, als auch die Schatten, die wie ein Operationsteam um Chōji herum arbeiteten und ihm in koordinierten Bewegungen Gerätschaften reichten.    Es war auch eine ziemliche Operation, die sie hier durchführten. Und sie machten das bereits den Großteil des Tages. Das hier war das fünfzehnte Vieh, von dem sie Drüsenextrakte und Ausscheidungen sammelten.    Hätten es Ino übernehmen lassen sollen, das Ding bewegungsunfähig zu machen…   Nach dieser Aktion hier würde er auf jeden Fall eine von ihren Nahrungspillen brauchen. Er konnte fühlen, wie der Chakraverbrauch an ihm zerrte, seine Reflexe verlangsamte und seine Glieder schwächte. Und all das wurde auch noch von dem schwindelerregenden Anfall einer Doppelsicht begleitet, die seine Sinne zu verwirren drohte, ihn Schatten und Formen sehen ließ, obwohl da gar nichts war. Doch er hätte schwören können, dass da eine ständige Präsenz an seiner Peripherie schwebte, näher kroch und wuchs. Vielleicht war es Bewusstlosigkeit.    Shit. Das wird jetzt der letzte sein…mir geht der Saft aus…   Er blinzelte heftig und verfestigte noch einmal seinen Griff, als Chōji Abstriche von den präorbitalen Drüsen der Chimäre nahm und dabei versuchte, dem Biest nicht in die gelben rollenden Augen zu stechen. Rasch führte Shikamaru eine Zählung der Bereiche durch, die sie bereits abgearbeitet hatten; Tarsaldrüsen, Interdigitaldrüsen und Stirndrüsen. Eine abgeschlossene Sache. Sein alter Herr hatte ihn gut unterrichtet.    Wir sind hier fertig.   „Alles klar, lass uns das zu Ende bringen!“, rief Shikamaru und ruckte mit dem Kopf in Richtung des Ausgangs.    Chōji sammelte die Proben zusammen, schob sie in eine sterile medizinische Tasche und trabte zum Tor, um es aufzureißen. Er wandte sich um, hielt es auf und wartete auf Shikamaru.    Eingeschlossen in einen Starrwettbewerb mit der Chimäre, bereitete sich Shikamaru auf sein ‚schreiend-das-Weite-suchen‘-Manöver vor, das ihm schon immer so gute Dienste geleistet hatte. Abgesehen von dem schreienden Part. Er glaubte nicht, dass er dafür genug Luft hatte. Atemloses Keuchen brach aus ihm heraus und die Schatten zitterten und begannen sich zu lockern.    Eins…zwei…   Er schaffte es nicht zur drei.   Die Schatten schnappten zurück und das Biest griff an. Wie ein aufgeschreckter Steinbock sprang Shikamaru auf und seine Muskeln bewegten sich in einem brennenden Zusammenspiel, als er zickzackartig durch das Stroh raste und die Attacke des Viehs so zu einer verwirrten, Kopf herumwerfenden Schlangenlinie machte, während das herumsensende Geweih Heu zerhackte, das von Shikamarus Hacken aufgewirbelt wurde.    „Shikamaru!“   Der Schattenninja spürte den Wind eines vorbei ziehenden Hiebs, dann das plötzliche Verfangen und Zerren von Hörnern, die sein langärmliges schiefergraues Oberteil zerfetzten. Fluchend stürzte er sich in eine Vorwärtsrolle, hörte das Reißen von Stoff, gefolgt von einem heißen Stechen auf seine Haut – wie bei einem Teppichbrand.    Und da verabschiedet sich mein Shirt.    Ino würde ihn meucheln. Naja, zumindest, wenn diese riesige maulschäumende Bestie nicht vorher seinen Kopf zertrampelte. Er ließ sich weiter in die Rolle fallen und schlitterte gerade noch aus dem Gehege, bevor Chōji das Tor zu schwingen ließ. Ungebremst krachte die Bestie mit zitternden Stacheln auf der Wirbelsäule in die Umzäunung.    Wie eine Krabbe strampelte sich Shikamaru nach Luft schnappend rückwärts.   Chōji ging neben ihm in die Hocke und berührte sein nacktes Schulterblatt, während er seinen Rücken untersuchte. Obwohl er keine Verletzung vorfand, fragte er dennoch: „Bist du okay?“   Wortlos nickte Shikamaru und beäugte die zerfetzten Streifen seines gerademal zweimalig getragenen Shirts, die von dem Geweih der Chimäre baumelten wie ein gehäutetes Tier. Arthritische Augen rollten in dem riesigen Schädel und das Hirschvieh stampfte mit den Hufen, bevor es wie ein Pferd den Zaun entlang galoppierte und seine zerschlissene Beute allen anderen Monstern präsentierte, die in ihren Käfigen auf und ab tigerten.    Mann, diese Dinger haben vielleicht eine kranke Ausdauer…   Er war kurz davor, zusammenzuklappen.    Als Chōji ihm eine große rote Chakrapille in seine zitternde Hand drückte, zuckte er zusammen. Langsam ließ das Adrenalin nach ließ ihn unkontrolliert zittern. „Danke“, krächzte er.    Chōji ließ sich neben ihm fallen und öffnete eine Packung Kartoffelchips. Schweigend saßen sie einfach nur da und füllten ihre Energiereserven wieder auf. Als sich Shikamarus Atmung beruhigte und sein Puls zu einem sanften Pochen wurde, ließ er sich auf einen Ellbogen nach hinten sinken. Sofort begann sein Hirn mit einer Bestandsaufnahme dessen, was sie alles gesammelt hatten und so bemerkte er gar nicht, dass sein Zittern bereits aufgehört hatte, bevor auch nur ein einziges Mal in die Chakrapille gebissen hatte. Und er hatte kaum seinen zweiten kleinen Bissen fertig gekaut, bevor Kraft in einem stecknadelähnlichen Rausch zurück kam, warm in seinen Tenketsu kribbelte und eine Gänsehaut auslöste. Er erschauerte leicht und stierte stirnrunzelnd auf die Nahrungspille; dachte sich aber nur, dass Ino diese Dinger wohl verbessert haben musste. Doch beim Gedanken an Ino halbierte sich Shikamarus Appetit und der Rest der Nahrungspille wanderte weich wie ein grobkörniger Felsbrocken seinen Hals hinunter. Er schluckte hörbar.    „Was ist los?“, fragte Chōji ohne ihn anzusehen.    Shikamaru setzte sich auf, grunzte und griff mit einer Hand über die Schulter, um mit langen Fingern über das zerfetzte Gewebe zu streichen, das wie ein Halsband um seinen Nacken hing. „Shit.“   Weise nickend hielt Chōji seinen Blick auf die unruhigen Chimären gerichtet. „Ino wird dich umbringen.“   „Ich weiß.“   „Langsam.“   „Ich weiß.“   „Also ich meine so richtig qualvoll langsam. Ich werde Popcorn brauchen.“   Shikamaru rammte dem grinsenden Akimichi seinen Ellbogen in die Seite und stand auf, während er sich den Staub abklopfte. Vergebliche Mühe, da der Rücken seines Oberteils abgerissen war und die Vorderseite wie eine seltsame Kutte nach vorn hing. Murrend befingerte er das weiche Gewebe. Er hatte gar nicht realisiert, geschweige denn zu schätzen gewusst, wie bequem es sich auf der Haut anfühlte. Vielleicht hätte er irgendwann sogar daran gehangen, wenn nicht die Hälfte davon bereits jetzt an dem geiferenden Biest hängen würde. Etwas verzweifelt stierte der Schattenninja durch den Zaun.    „Ihr hättet so glücklich miteinander werden können“, seufzte Chōji wehmütig.    Shikamaru starrte zu ihm hinunter. „Das hätte auch die Haut von meinem Rücken sein können.“   „Nah, das hebst du dir für Ino auf.“ Chōji bewegte seine Hand wie eine Katzenpfote, verschonte Shikamaru aber vor der Imitation eines Fauchens. „Schätze mal, wir werden sehen, ob Kiba recht damit hat, dass sie Krallen hat.“   Ein leises Lachen und Shikamaru griff nach dem medizinischen Rucksack. Er überprüfte und sicherte den Inhalt und schob sich die Riemen über die Schultern. Das raue Segeltuch kratzte an seinem Rücken, aber er dachte sich, dass es immer noch besser war, als oben ohne rumzulaufen. Während er Chōji in dem kleinen Anbau seine Chips mampfen ließ, marschierte der Schattenninja routiniert die Umzäunung des Areals ab und überprüfte noch einmal alle Tore, bis ihn ein trällerndes Jaulen innehalten ließ.    Zur Hölle?   Beim nächsten Gehege blieb er stehen und beobachtete eine seltsame, hundeähnliche Kreatur, die in ihrem Käfig Kreise zog. Sie hatte die gedrungene Statur einer Hyäne, gepaart mit der schimmernden dunklen Mähne und den schwarzen Streifen eines Zebras. Doch es waren die riesigen Vorderläufe, die Shikamarus Blick auf sich zogen. Kraftvolle Gliedmaßen, die den Armen eines Faultiers ähnelten; die gigantischen gebogenen Klauen krümmten sich wie Fleischerhaken und zwangen das Tier, sich beinahe affengleich auf den Knöcheln fortzubewegen. Ein lebendig gewordener Horror, den die Natur so niemals beabsichtigt hatte.    Gleichermaßen fasziniert und angewidert trat Shikamaru näher.    Die Kreatur beendete ihr Auf- und Abgehen, schnupperte den Zaun entlang, hakte diese enormen Klauen in das Stahlnetz und versuchte, daran hinauf zu klettern, wobei die kurzen Hinterläufe überfordert strampelten, da sie nicht in der Lage waren, den deformierten Körper zu stützen. Wild durcheinander geworfene Gene brüllten die unterschiedlichen Kommandos von drei verschiedenen Spezies.    Verdammt…was für ein kranker Verstand hat diese Dinger erschaffen?   Und warum hatte derselbe kranke Verstand – oder vielleicht waren es auch mehrere – diese Dinger nach Konoha geschmuggelt? Zu welchem Zweck? Es war nicht so, als hätten sie jemals die Chance dazu bekommen, ernsthaften Schaden anzurichten. Jeder neue Kampfbestand und auch die Nahrungspillen wurden stets von den Jōnin überprüft, was bedeutete, dass es sich hierbei nicht um einen Versuch ihres unbekannten Feindes handeln konnte, nichtsahnende Genin während der Chūnin Prüfungen auszuradieren. Außerdem waren die Chimären in ihren Kisten schwer gesichert gewesen – und das wäre auch so geblieben, wenn die Idioten, die die Pillen durcheinander gebracht hatten, nicht angenommen hätten, dass es sich hierbei um die üblichen Standardbestien handelte.    Außer, sie waren mit in die Sache verwickelt…   Nein, das waren sie nicht. Ibiki hatte die Verantwortlichen hinsichtlich der Untersuchung der Bestien und der Verteilung der Nahrungspillen verhört und wie sich herausgestellt hatte, handelte es sich wirklich um einen Fehler, der Faulheit und Bequemlichkeit geschuldet war. Und es hatte sich außerdem als unverhoffter Segen erwiesen.    Wenn diese Pillen nicht vertauscht worden wären, dann hätten wir niemals gewusst, welchen Schaden sie anrichten können.    Die Vision eines verrückt gewordenen Akamaru und eines angepissten Inuzuka Kiba kam ihm in den Sinn. Stirnrunzelnd beugte sich Shikamaru näher zu dem Zaun und beobachtete den Kampf der Chimäre. Mit dieser Art verzerrter Zurschaustellung von Macht und wissenschaftlichem Genie hatte Shikamaru das Bauchgefühl, dass es hier um Ego ging. Um zu zeigen, wer die größeren und besseren Spielzeuge besaß. Selbst die Liefermethode troff geradezu vor Arroganz; gekaperte Ware direkt unter der Nase gleich zweier Dörfer, was Argwohn und Misstrauen an beiden Enden auslöste. Clever; geradezu auf eine höhnische Weise. Man könnte sogar meinen, dass diese Chimären als Parodie eines Geschenks geschickt worden waren. Eingewickelt, griffbereit und voller Überraschungen.   Hn. Aber du hast keine Karte dagelassen, nicht wahr?   Nicht einmal einen Fingerabdruck. Sicher, der schiere Schockfaktor dieser Dinger war mehr als genug, um die hohen Tiere nervös zu machen, aber warum so ein Statement setzen, ohne die Lorbeeren dafür einzuheimsen? Es machte keinen Sinn. Und das fehlende Teil dieses Puzzles bedrohte Shikamarus Theorie über das Ego eines bestimmten Jemand, das die treibende Kraft hinter allem war.    Kusagakure muss mehr über diese Sache wissen, als sie zugeben.   Vermutlich würde er es früh genug herausfinden.    Innerhalb des Zaunes gab die Chimäre ihren Kletterversuch auf. Als sie sein Starren bemerkt hatte, wandte sie sich ihm zu und die massiven Kiefer verzerrten sich zu einem fratzenhaften hässlichen Feixen. Rasiermesserscharfe Fänge klapperten aufgeregt, bevor das Tier in ein entstelltes gackerndes Tierlachen ausbrach, das halb nach dem Kichern einer Hyäne und halb nach einem Knurren klang.    Rasch überprüfte Shikamaru das Schloss am Tor.    Sicher. Naja, zumindest so sicher, wie es so kurzfristig und mit begrenzten Möglichkeiten ging. Diese Gehege waren nicht errichtet worden, um diese Art chakraverstärkter Exemplare unterzubringen, doch bisher hielten sie sich ziemlich gut.    Jo, bis diese Viecher WIRKLICH anfangen, auszubrechen.   Shikamaru ging stark davon aus, dass der einzige Grund, aus dem die Chimären noch nicht heftiger versucht hatten, in die Freiheit zu gelangen, schlicht und einfach der war, dass sie an Käfige gewöhnt waren; obwohl einige von ihnen - besonders die Dinovögel - die Freiheit zu vermissen schienen, die sie im Wald des Todes gekostet hatten.    Wie gut, dass sie nicht lange genug hier sein werden, um irgendwelchen Ärger zu machen.   Die Dinovögel hatten bereits begonnen, nach Fluchtwegen zu suchen, indem sie unaufhörlich nach Schwachstellen im Zaun oder nach Rissen in dem Metallgewebe suchten. Clevere Bastarde. Und verdammt nochmal, wenn das nicht gruselig war. Das Funkeln von Intelligenz in diesen kalten Perlaugen zu sehen, beunruhigte Shikamaru viel mehr als jedes zusammengeschmolzene Durcheinander von Schuppen, Federn, Reißzähnen und Krallen.    Ugh.   Langsam wich er vor dem gackernden Hyänending zurück und machte sich daran, seinen Rundgang zu beenden, wobei er die Gehege der Dinovögel doppelt abriegelte; nur um sicher zu gehen.    „Alles gesichert“, rief er, als er seinen Kreis beendete und die letzten paar Meter joggte, als müsste er tatsächlich irgendwo sein. Das musste er nicht. Ganz anders als Chōji.    „Ah, Mist.“   Er hatte total vergessen, dass er sich Chōji für diese kleine Nebenmission ja nur ausgeliehen hatte. Gequält von dem Gedanken, dass er seinen Freund in Schwierigkeiten brachte, bewegte sich Shikamaru mit völlig untypischer Dringlichkeit, um ihren restlichen Kram zusammenzupacken, indem er hektisch hin und her eilte.    „Die Uhr tickt, Kumpel“, rief Shikamaru, während er die Proben in einen weiteren Segeltuchrucksack stopfte, den er auf seinem Knie balancierte. „Wann triffst du dich mit Tenten?“   Chōji bewegte sich nicht. „Um vier.“   Eher halb fünf, wie es im Moment aussah. Vielleicht sogar fünf, wenn Chōji nicht bald anfing, seinen Hintern hoch zu bekommen. Shikamaru gab es auf, seinen Schenkel als Tisch zu nutzen und ging stattdessen in die Hocke, um den Rucksack zu schließen. „Du wirst zu spät kommen“, wiederholte er und warf einen vielsagenden Blick auf die Tür. „Wenn du rennst, dann schaffst du es vielleicht noch, vor Tenten da zu sein. Ich bring das Zeug zu den Laboren.“   Keine Antwort. Sofort hörte er auf, an der Tasche herum zu fummeln, da er Chōjis Augen auf sich spüren konnte und er begegnete dem verdutzten Blick des Akimichi mit einer erhobenen Braue. „Hast du mir zugehört?“, drängte er. „Du wirst zu sp-“   „Bist du okay?“, fragte Chōji.    Perplex legte Shikamaru den Kopf schief. „Huh?“   Chōji musterte ihn für ein paar stumme Sekunden. „Du warst total am Ende. Normalerweise brauchst du nach einer Chakrapille mindestens eine halbe Stunde, bevor du wieder loslegen kannst. Ich bin überrascht, dass du überhaupt auf den Beinen bist und dich bewegst.“   Völlig überrumpelt von der Richtigkeit dieser Aussage, wurde Shikamaru sofort still. Doch noch im selben Herzschlag erholte er sich wieder und setzte ein schiefes Schmunzeln auf, um sich vom Stirnrunzeln abzuhalten. „Jo, naja, zumindest ist einer von uns auf den Beinen und bewegt sich, was? Lass uns gehen.“   Er erhob sich aus seiner Hocke und riss sein Bewusstsein heraus aus seinem Hirn, um es auf seinen Körper zu richten und sich selbst zu untersuchen. Kein Schwindel, keine Müdigkeit, keine Zerrungen oder Schmerzen. Nichts, das darauf schließen ließ, dass er gerade vier Stunden damit verbracht hatte, Energie und Massen an Chakra zu verbrauchen.    Das ist verrückt…vor gerade mal zehn Minuten war ich noch kurz davor, zusammenzuklappen. Oder nicht?   Oder nicht? Er erinnerte sich daran, dass er sich erschöpft gefühlt hatte. Erinnerte sich daran, dass er die Pille gegessen hatte…hatte er sich wieder energiegeladen gefühlt bevor oder nachdem er sie aufgegessen hatte? Er konnte sich nicht erinnern. Dachte aber auch nicht, dass es wirklich eine Rolle spielte. Tat es das?    Tut es das?   Leise rief Chōji seinen Namen.    Ohne irgendeine Erklärung zu liefern, tauschte Shikamaru Verwirrung gegen Vermeidung aus. Er warf Chōji ein weiteres schwaches Lächeln zu. „Entweder hat Ino diese Pillen verbessert oder ich muss hier schneller raus wollen, als ich dachte.“   „Shikamaru…“   „Im Ernst, du solltest derjenige sein, der rennt“, fuhr Shikamaru über seine Schulter hinweg fort, während er voraus lief. „Bin mir nicht sicher, ob Tenten Ino-Krallen hat oder nicht, aber das wirst du sicher bald rausfinden, wenn du dich nicht bewegst.“   Das schien zu klappen.    Chōji sprang auf und ließ dabei seine leere Chipspackung durch die Luft segeln.    Sie verließen das Gelände und bestialisches Brüllen und Schreien verblassten dabei wie ein fernes Donnergrollen. Energisch hielt Shikamaru die Augen auf den Weg gerichtet, um sich davon abzuhalten, Blicke zurück auf diese Freakshow zu werfen, die sie hinter sich ließen. Doch er konnte nicht anders, als sich zu fühlen, als hätte er gerade das Schicksal der Chimären besiegelt. Denn der nächste Schritt nach dem Sammeln der Proben war die Ausrottung.    Direktes Abschlachten.   Mitleid zerrte an ihm; eine kleine kindliche Hand. Irritiert schüttelte er sie ab. Er war kein Kind mehr. Er wusste, wie gefährlich Mitleid sein konnte. Diese Chimären zu bemitleiden machte es nicht weniger wahrscheinlich, dass sie ihm die Kehle herausreißen, oder seinen Schädel im Matsch zertrampeln wollten.    Aber trotzdem…   Nichts aber, Idiot. Willst du noch eine weitere Runde starten und sehen, wie weit dich dein Mitleid bringt?   Stirnrunzelnd verlängerte Shikamaru seine Schritte, wandte sein Gesicht dem Schein der späten Nachmittagssonne zu und ließ die Wärme die Anspannung von seiner Stirn schmelzen. Er hörte, wie Chōji neben ihm Schritt hielt und raschelnd nach einer weiteren Packung wühlte.    Schmunzelnd schüttelte Shikamaru den Kopf. „Immer noch hier? Entweder mutig oder dumm.“   „Hungrig“, korrigierte Chōji, während er an einem Proteinriegel nagte. „Willst du einen?“   Aus dem Augenwinkel spähte Shikamaru zu ihm und hielt es für das Beste, seinem Kumpel etwas mehr Anreiz zu geben, sich schneller zu bewegen. „Du wirst es nicht rechtzeitig zurück zum Abendessen schaffen, weißt du.“   Angespornt blähten sich Chōjis Nasenflügel und seine Hacken wirbelten mit einer Geschwindigkeit und Stärke Dreck auf, die ihn halb den Weg hinunter katapultierte. Shikamaru blieb stehen und beobachtete einfach nur das Spektakel. Ein rückwärtiges Winken und drei gigantische Schritte später war Chōji hinter der Baumgrenze und außer Sicht verschwunden.    Shikamaru starrte ihm nach und sein Lächeln verschwand.    Er wartete ein paar Sekunden, bevor er mit den Schultern gegen das Gewicht des Segeltuchrucksacks anrollte und so eher nach wunden Muskeln statt wunder Haut suchte.    Nichts…   Normalerweise war er nach einem wiederholten Anwenden des Schattenbesitzes sowohl in Schultern und Armen wund, sein Rücken war steif und seine Schenkel schwach – besonders, wenn er Gegner so durch die Gegend zerrte, wie er diese Chimären herum gezerrt hatte. Die unregelmäßige Anstrengung des Jutsus von Halten und Lösen, Manipulieren und bewegungsunfähig Machen kreierte alle Arten von Muskelverspannungen.    Ino muss diese Pillen verbessert haben…   Er schwang den anderen Rucksack, den er bei sich trug, zwischen den Händen hin und her, griff nach dem Riemen und ließ ihn von seinen Fingern baumeln. Nicht einmal ein Hauch von Beschwerden. Trotz all dieser Handzeichen.    Es gibt keine andere Erklärung…außer, ich hole an der Chakrafront wirklich zu Chōji und Naruto auf.    Über die Wahrscheinlichkeit, dass das jemals passierte, konnte er nur schnauben. Er war Hirn, keine Muskeln. Er hatte überhaupt nicht die physikalischen Kapazitäten, Chakra so wie Naruto speichern zu können oder die angeborene Fähigkeit, es so wie Chōji zu verstoffwechseln.    Vielleicht habe ich einfach einen guten Tag…   Diesem Gedanken folgte ein lautes, unerträgliches Squawken.    Oder auch nicht.   Seufzend legte Shikamaru den Kopf schief, um sich nicht umdrehen zu müssen und schielte aus dem Augenwinkel hinauf zu den Baumkronen. „Fliegst du über den Winter nicht woanders hin?“   Von irgendwo über ihm stieß der Wanderfalke ein leises Kee aus.    Shikamaru rollte mit den Augen, doch sein Schmunzeln war weich. „Dämlicher Vogel.“   Die ansässige Nara-Pest flatterte erfreut und stürzte sich in einen Hochgeschwindigkeitstauchflug, um mit den Krallen in ritueller Misshandlung durch Shikamarus stacheligen Pferdeschwanz zu fahren. Und Shikamaru versuchte nicht einmal, ihn zu verscheuchen. Er wusste, dass er daneben schlagen würde. Er war zwar schnell, aber der Vogel war schneller. Schmunzelnd beobachtete er den Wanderfalken dabei, wie er den Pfad vor ihm entlang segelte und versuchte, ihr lange bestehendes Spiel aus ‚Wegrennen und bombardiert werden‘ einzuläuten.    „Heute nicht“, rief Shikamaru ihm hinterher, während er sich mit den Fingern durch sein misshandeltes Haar strich.    Er musste immer noch topographische Karten, Laborergebnisse und Geheimdienstberichte durchgehen.    Alles innerhalb der nächsten drei Stunden…   Zumindest, wenn er es rechtzeitig zum Abendessen schaffen wollte – was bedeutete, dass er vielleicht doch anfangen musste zu rennen.    Was für ein gottverdammtes Drama…   Auf der helleren und taktischeren Seite des Ganzen würde er dann aber auch eine legitime Entschuldigung haben, nicht zuhause zu essen und müsste sich keine lahme Ausrede einfallen lassen, die jeden anderen getäuscht hätte – nur nicht seinen Vater.   Ich kann ihm nicht ständig aus dem Weg gehen.   Denn nicht zuletzt das würde schneller rote Flaggen heben als Nara Brauen. Wie gut, dass sein Vater während der letzten Woche von morgens bis abends in den Nara Laboren beschäftigt gewesen war. Wenn Shikaku zur Tür herein kam, war Shikamaru bereits zum Fenster hinaus; weggezaubert von Pflicht und dem Herbeirufen eines Schweins.   Purer Zufall, dass sich ihre Wege nicht gekreuzt hatten.    Jo, weil ich auch nicht an Glück glaube.   Shikamaru stand noch für eine Weile länger einfach nur da. Er wollte sich nicht aus der fleckigen Pfütze Sonnenlicht hinausbewegen. Um ihn herum zitterten Bäume und Büsche und die Brise des Spätherbstes rollte rote und gelbe Blätter über seinen Weg. Schatten tanzten zu jedem Rascheln und Wispern; ein sich bewegender Teppich, der sich zart wie schwarze Spitze zu seinen Füßen ausstreckte. Es brachte ihm das Jutsu in den Sinn, das sein Vater nutzte, um mehrere Gegner gleichzeitig einzufangen und zu sich heran zu ziehen.     Kuro Higanbana…   Die Technik der schwarzen Spinnenlilie. Das hätte er heute auf jeden Fall gut gebrauchen können. Er hatte bereits versucht, diese Technik auf eigene Faust zu perfektionieren, doch am Ende verbrauchte er immer viel zu viel Chakra. Entweder vermasselte er die Zeichen oder er hatte immer noch nicht genug Ausdauer, um die Chakradichte zu ändern und die Schatten schnell genug zu beeinflussen.    Shikaku hatte ihm dabei zugesehen, wie er wieder und wieder versagte. Und er hatte nichts gesagt; nichts angeboten.    Wer nicht fragt, bekommt auch keine Hilfe.    Shikamaru schnaubte über diese ‚Vater—Kind‘ Taktik. Vollkommen ohne irgendeinen Aufwand von Shikakus Seite. Und sah das seinem Vater nicht total ähnlich? Einen Zug zu machen, ohne überhaupt einen einzigen Finger zu rühren. Und jetzt steckten sie in einer Pattsituation fest, die nur Shikamaru durchbrechen konnte. Denn zu dumm, dass Shikaku die unendliche Geduld hatte, es einfach abzuwarten. Seinem Sohn immerzu all diese Schritte voraus. Vielleicht war das der Grund, warum…   Du mir niemals nachgejagt bist…du hast niemals…   Die Schatten zu seinen Füßen bebten; doch die Blätter waren regungslos.    Da war kein Wind mehr.    Stille und Ruhe waren um ihn herum, bis ein schrilles Kee den Zauber brach.    Shikamaru zuckte zusammen und wurde von seinem geistigen Irrweg zurück gerissen. Er blinzelte hinauf in den goldorangenen Himmel und beobachtete, wie die Silhouette des Falken über ihm Kreise zog. Erst da wurden ihm die subtile Veränderung des Lichts und die länger werdenden Schatten bewusst. Wie lange hatte er hier gestanden?    Lange genug.   Er schob beiseite, was auch immer ihn abgelenkt hatte – er konnte sich nicht einmal wirklich entsinnen, über was er gegrübelt hatte.    Ah ja, Abendessen…   Und all der Papierkram, den er vorher noch erledigen musste. Seufzend nahm er seine Schritte wieder auf und folgte dem Vogel den Pfad entlang, während sein Hirn wie üblich voraus rannte und die wichtigsten Aufgaben priorisierte.    Arbeit. Essen. Schlafen. Aufwachen. Mission.   Er musste keinen Wecker stellen; hatte über die ganze vergangene Woche keinen Wecker stellen müssen.    Klasse. Da sind wir wieder, Hyūga…und ich dachte, ich wäre fertig mit dem Scheiß…   Doch offensichtlich war der Scheiß noch nicht fertig mit ihm. Darüber gab es keinerlei Zweifel. Er würde bereits lange vor der Dämmerung wach sein und wie ein Uhrwerk nach der Zeit eines anderen funktionieren.   Vier Uhr morgens.   ~❃~   „Du musst mich nicht begleiten, weißt du.“   „Es liegt mir fern, deine Fähigkeiten, dich zu verteidigen, anzufechten, Tenten.“   „Aw. Und ich hatte schon gehofft, wir hätten jetzt die Gelegenheit, den Streit über die Überlegenheit deiner Techniken der leeren Hände gegenüber meinem ‚bewaffnet und gefährlich‘-Stil beizulegen.“   Aus dem Augenwinkel spähte Neji zu seiner alten Teamkameradin. „Ich stimme zu nicht zuzustimmen; wie immer.“   Die Arme über den Bō-Stab auf ihren Schultern gelegt, lachte Tenten. Sie warf Neji einen spielerischen Blick zu und wirbelte in ihrem nächsten Schritt herum; eine geschickte Doppeldrehung, die Neji dazu zwang, seinen Kiefer von den hervorstehenden Enden des Bō fort zu neigen, bevor er hoch springen musste, um nicht in die Kniekehlen getroffen zu werden, als sie tief in die Hocke ging und sich wieder erhob wie eine Tänzerin, nur um sich dann direkt wieder in das träge Schlendern fallen zu lassen.    Eine kurze Stille, die erfüllt war von Belustigung.    Tenten kicherte leise. „Ich habe es geliebt, das zu machen, wenn ich euch zwei Jungs an beiden Seiten hatte. Es war wie ein koordinierter Tanz. Gai-sensei dachte immer, wir hätten das geplant.“   Neji hielt sowohl Lächeln als auch Kommentar zurück und hob ein wenig steif eine Hand, um die Tasche zu justieren, die über seiner Schulter hing. Energisch unterdrückte er ein Zusammenzucken wegen des Schmerzes, der in seinem Rücken aufflammte und stattdessen schüttelte er den Kopf über Tentens Mätzchen. Er hatte diese Seite von ihr vollkommen vergessen, hatte es in der Vergangenheit für selbstverständlich gehalten. Er war immer so ernst gewesen, so zurückgezogen.    So kalt…   Als sie noch jünger gewesen war, hatte sie seine Entferntheit nachgeahmt, da sie dachte, es wäre cool und erwachsen, statt kontrolliert und arrogant. Glücklicherweise hatten Lee und Gai-sensei sie trotz ihres überhaupt nicht ansteckenden Enthusiasmus geschafft, sie dazu zu bringen, dieses Schauspiel aufzugeben. Gut. Denn indem sie Nejis Vorgehensweise abgelegt hatte, hatte sie so viel mehr gewonnen. Sie hatte Freundschaften zu Sakura, Ino und Hinata aufgebaut und ein essentielles Netzwerk der Unterstützung junger Frauen gewonnen, die sie auf Weisen verstanden, wie es Neji und Lee niemals möglich sein würde. Und außerdem war sie auch zu einer sehr temperamentvollen Kämpferin geworden.    Sie hat es weit gebracht. Wir alle.   Nur dass die Pfade seiner Teamkameraden sie näher zu den anderen Chūnin gebracht hatten, während Nejis langer und einsamer Weg drohte, ihn weit über diese Kreise der Freundschaft hinaus zu tragen.    Diese Kreise des Fühlens…   „Es war nicht dasselbe ohne dich, Neji.“   Solch ein sanftes, weiches Geständnis und dennoch verhärtete sich Nejis Herz. Er hielt den Blick unbeirrt geradeaus gerichtet. „Natürlich nicht. Für deine koordinierten Tanzbewegungen braucht es zwei gelernte Opfer.“   Tenten lachte nicht, doch sie belohnte seine rare Zurschaustellung von Humor mit einem Lächeln. „Ich mein’s ernst. Nachdem du es zum Jōnin gebracht hast-“   „Da“, unterbrach Neji sie und ruckte mit dem Kinn in Richtung des Gebäudekomplexes, der jenseits der Bäume in Sicht kam. „Wir kommen gut voran.“   Daie Rüstkammer der Akimichis war ein gedrungenes und solide aussehendes Lager mit einem Betondach flach wie ein platt gewalzter Helm und Wänden, die von Regen und Rost rot verwaschen waren. Im ersterbenden Glühen des Sonnenuntergangs kam einem das Bild von Blut auf Stahl in den Sinn.    „Perfekt“, flüsterte Tenten und klang dabei ehrfürchtig. „Ich wollte diesen Ort schon immer mal sehen.“   Neji sagte nichts, sondern schritt einfach voran.    Zügig näherten sie sich den gigantischen Eisentoren. Dunkle Korrosionsstreifen rannen blutgleich das angelaufene Metall hinab. Neji tauschte einen raschen Blick mit Tenten aus und nickte. Gemeinsam bewegten sie sich, um die schweren Platten zurück zu ziehen. Sture Angeln ächzten und orangene Flocken oxidierten Metalls segelten nach unten. Neji biss die Zähne zusammen, spürte den Schmerz in seinen Armen und Schenkeln wie ein in seinem Körper begrabenes Fieber brennen. Gott, sein ANBU Training hatte dem Spruch ‚Kein Fleiß, kein Preis‘ eine völlig neue Bedeutung verliehen – und für jemanden, der Gai-sensei als Mentor gehabt hatte, sagte das eine ganze Menge.    Energisch grub Neji die Fersen in den Boden und zog fester. Noch einmal gaben die Türen ein unmenschliches Stöhnen von sich.    Irgendwo über ihnen gurrten ein paar Tauben aus einem der oberen Fenster.    Stirnrunzelnd hob Tenten den Blick. „Tauben, die in einem Waffenlager nisten? Entweder wurde hier schon länger nichts mehr gemacht, oder wir sind Jahre zu früh.“   Da er niemand war, der an Zeitsprungtheorien glaubte, seufzte Neji einfach nur und folgte ihrem Blick. Es war nicht gerade eine vernünftige Beurteilung, von der Anwesenheit von Vögeln, die zu frech waren, um verschreckt zu werden oder einfach zu dumm, um es besser zu wissen, auf die Aktivitäten im Inneren des Gebäudes zu schließen. Stattdessen lauschte Neji, auch wenn er sich nicht sicher war, was er erwartet hatte zu hören; das Donnern eines Schmiedehammers? Das Brüllen eines Schmelzofens oder das Klirren von Metall?   „Vielleicht sollten wir warten“, riet Tenten immer noch an der Tür hängend.    Neji spähte himmelwärts und musterte die orangenen Bäuche der Wolken, die dunkel und rußig brannten. Erneut wandte er sich den Türen zu, packte sie fester und stemmte die Füße gegen den Boden. „Sie sind nicht abgeschlossen. Lass uns das einfach als Einladung betrachten“, drängte er und verdoppelte seine Anstrengung.    Amüsiert schüttelte Tenten den Kopf über seine Beharrlichkeit und schnalzte in spöttischer Bewunderung mit der Zunge. „Einbrechen und Eindringen? Passt gar nicht zu dir.“   Da bin ich anderer Ansicht…   Nejis Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln, als er daran dachte, wie er in der Nacht von Shikamarus Geburtstag durch zwei Scheiben verstärkten Glases gekracht war – und durch eine sehr teure Sorte handbemalten Adlerholzes. Ah, ja. Das war ein Einbrechen und Eindringen gewesen, das diese Bezeichnung auch verdiente. Gestartet in einem Zustand unwiderlegbarer Dummheit und ausgeführt unter dem Einfluss eines hirnbetäubenden Impulses – und zeitweiliger Taktik – was Shikamaru letztendlich als Nejis ‚gewaltiger Satz‘-Manöver bezeichnet hatte.   ‚Nachzusehen, bevor man den Satz macht, nimmt dem Ganzen den Spaß. Hab ich nicht recht?‘   Neji schloss krampfhaft die Augen und zerschmetterte den Klang von Shikamarus Stimme ebenso wie alle Gedanken und Gefühle, die er immer noch nicht konfrontiert hatte, seit er den Schattenninja das letzte Mal gesehen hatte.    Nicht.   Seine Brust zog sich zusammen; eine alte vertraute Pein hinter seinen Rippen. Knurrend fokussierte er sich wieder auf den Schmerz, der durch den Rest seines Körpers strahlte – physisch, greifbar, irgendwie kontrollierbarer – und kanalisierte all seine Frustration in seine Finger, als er sie noch heftiger um die Tür krallte.    Mit einem finalen Rucken öffneten sich die Türen zu einem gähnenden Maul.    Tenten stolperte einen Schritt zurück und klopfte sich den Staub von den Händen. „Wir hätten Chōji dafür brauchen können. Denkst du, er ist schon da drin?“   Abgelenkt summend umklammerte Neji einen pochenden Arm und sein Blick schnitt zu der Umzäunung am anderen Ende des Geländes, wo das Satteldach eines weiteren Gebäudes über den Baumkronen aufragte. Vermutlich wurden dort die Nahrungspillen der Akimichi hergestellt und aufbewahrt. Und zusammen mit diesem Gedanken kam die Erinnerung an einen bekannten weißen Ninken, der rostrot und wild geworden war.    Hoffentlich haben die Nara die Eigenschaften dieser fehlerhaften Pillen schon analysiert…   Während sich Akamaru bereits von den Auswirkungen dieser Pillen erholt hatte, wusste Neji, dass das bei Kiba nicht der Fall war. Der Zorn des Hundeninjas brannte wie ein Fieber hinter seinen Tieraugen; ein Zorn, den nur ein Nahkampf heilen konnte.    Umso mehr Grund sicherzugehen, dass wir Panzerungen haben, sollte es nötig sein.    Daher auch die Rüstkammer der Akimichi.    Neji wandte sich zu Tenten um, nur um festzustellen, dass sie bereits in dem Gebäude verschwunden war. Rasch folgte er ihr und zog eine der Türen hinter sich zu, ließ die andere jedoch offen stehen, sodass ein Streifen sterbenden Lichtes über den Betonboden fallen konnte. Versuchung rief nach ihm und lud ihn geradezu dazu ein, sich einfach in dieser Pfütze aus Licht zu setzen und den Schmerz fort schmelzen zu lassen.    Lächerlich…   In ein orangenes Glühen getaucht trat Neji mit scharfer Silhouette tiefer hinein in die Dunkelheit. Das Knarzen und Tropfen des alten Gebäudes echote hohl und der Geruch von Waffenöl, Stahl und modrigem Leder hing schwer in der Luft wie die Schatten. Laken aus Finsternis, die die entferntesten Winkel der Rüstkammer bedeckten wie schwarze Leinwände über unvollendete Kunstwerke.    Ein überraschtes Keuchen.    Neji wirbelte herum. „Tenten?“   Seine Stimme dröhnte sonor und leise als tiefes Grollen durch den Bauch des Gebäudes. Er verfluchte die Akustik und bewegte sich von den Türen fort, während sich seine Augen rasch an die Lichtverhältnisse anpassten. Ansammlungen tief hängender Glühbirnen konzentrierten ihr flackerndes Licht auf einige Werkbänke und Rüstungsständer, die großteils karge und unterteilte Bereiche einnahmen, die alle von Schiebepaneelen voneinander getrennt waren. Sie ermöglichten eine bequeme Neuordnung und eine rasche Unterteilung des Raumes – ähnlich wie bei den Fusama Paneelen in Wohnhäusern.    Ein weiterer gestockter Atem und ein gehauchter Ruf. „Neji!“   Sofort schätzte Neji die Richtung ihrer Stimme ein und schloss die Distanz in einem einzigen löwengleichen Sprung, wobei er eine Handfläche auf einer Werkbank abstützte, um über zwei gefährliche Oberflächen hinwegzusetzen, ohne darauf zu landen. Er kam in einer Hocke auf, aus der er sich sofort wieder erhob, bevor er scharf um eine Ecke bog.    Was er vorfand, ließ ihn abrupt innehalten.    Ruckartig blieb er stehen, doch das Momentum ließ sein Haar zusammen mit dem vollen Gewicht seines Knappsackes über die Schulter schwingen. Er rammte sich in seine malträtierte Brust, presste ein erschrockenes Umpf aus ihm und fiel dann in seine Armbeuge, was den Hyūga nach vorn und unten zerrte. Für einen Moment hing er unbeholfen nach vorn gebeugt da und verzog das Gesicht.    Nicht gerade sein anmutigster Auftritt.    Doch Tenten lachte nicht. Was allerdings vermutlich besser gewesen wäre, als diese peinliche Stille. Nach und nach richtete sich Neji auf und spähte vorsichtig unter seinen Strähnen nach oben. Er spürte, wie ihn etwas von der Anspannung – und Erniedrigung – verließ.    Tenten hatte ihn überhaupt nicht bemerkt.    Vollkommen ahnungslos von seiner Anwesenheit stand sie an einer niedrigen Bank und ihre Finger strichen wie hypnotisiert über eine Reihe von Nahkampfwaffen, die auf der Arbeitsfläche ausgebreitet lagen. Mit unendlicher Vorsicht streichelte sie ein knüppelartiges Instrument, das wie ein Skorpionschwanz geformt war, bevor sie den Zeigefinger über das riesige tränenförmige Telson und den tödlichen Stachel gleiten ließ.    „Sie haben aus dem Schwanz der Stachelkatze einen Streitkolben gemacht…“, wisperte sie leise wie ein Gebet. „Das ist…brillant.“   Für einen perplexen Moment starrte Neji sie an und kam sich vor, als wäre er gerade mitten in etwas sehr Unangemessenes hinein geplatzt.    Er räusperte sich.    Aufgeschreckt sah Tenten mit geröteten Wangen und glitzernden Augen auf, als wäre sie ein betörtes Kind. „Kann ich eins davon haben?“   Nejis Augenbraue zuckte. Wortlos ruckte er sich den Knappsack wieder über die Schulter, doch bevor er vorschlagen konnte, nach Chōji zu suchen, hatte sich Tenten bereits zum nächsten verrückt aussehenden Gerät begeben, während sie in die Hände klatschte und auf der Stelle hüpfte wie ein Kind, das die Qual der Wahl hatte.    Neji gestattete sich ein leichtes Schmunzeln. Er konnte ihr diese kleine Schwäche nicht übel nehmen. Dieses Durchsehen von allem, was als tödlich klassifiziert wurde, wurde von der Waffenspezialistin als Schaufensterbummel eingestuft, was vermutlich das Mädchenhafteste war, was sie sich selbst zugestand. Und selbst dann – ein Waffenladen?   Ein zischendes Fauchen zerschnitt die Stille.    Sofort versteifte sich Neji, als er spürte, wie es gefährlich und fröstelnd über seine Nerven kroch. Über den Waffentisch hinweg begegnete er Tentens Blick. In Alarmbereitschaft warteten sie und stierten sich blicklos an, während sie die Ohren spitzten.    Schon wieder erklang das Geräusch; hebend und fallend wie der Atem einer Schlange.    Langsam wanderte Tentens Hand zu der Waffentasche an ihrer Hüfte. Neji hob eine Hand. Mit dem Blick auf ihn gerichtet hielt sie inne und wartete auf Anweisungen. Neji schloss die Augen und berührte mit zwei aneinandergelegten Fingern seine Lippen, um Stille zu mimen und gleichzeitig ein Zeichen zu formen.    Byakugan!   Chakra flammte an seiner Schädelbasis auf, flutete seinen Hinterkopf und sammelte sich hinter seinen Augen, um die Venen und Arterien in seinen Schläfen hervor treten zu lassen.    Seine Lider hoben sich flatternd und opalhafte Seen wiesen die leichteste Spur von Pupillen auf.    Eingetaucht in die monochromen Schattierungen seines Dōjutsus dehnte Neji sein Bewusstsein bis zum unteren Stockwerk aus und lauschte, bis das nasse Zischen von einem trockenen Kratzen von Klauen auf Metall ertränkt wurde.    Da.   Weiße Augen rollten in ihren Höhlen und lokalisierten einen riesigen eingeschränkten Bereich am Ende der Rüstkammer. Neji zoomte etwas näher und brachte das invertierte Bild eines Stahlgewebezauns in den Blick. Die rautenförmigen Löcher des Metallnetzes offenbarten den Körper einer echsenähnlichen Chimäre, die in ihrem provisorischen Käfig auf und ab tigerte.    Eine lebendige? In der Waffenkammer?   Stirnrunzelnd deaktivierte Neji sein Dōjutsu. Tenten las seine Miene und griff nach ihrem Bō-Stab, nur um innezuhalten und sich anders zu entscheiden. Lächelnd nahm sie den Streitkolben mit dem Skorpionschwanz auf.    Mit ausdrucksloser Miene starrte Neji sie an. „Nein!“, formte sein Mund wortlos.    Unbeeindruckt nahm Tenten einen breiteren Stand ein und legte sich den Knüppel über die Schulter, während sie die freie Hand in die Hüfte stemmte und herausfordernd die Brauen hob. Sie machte keinerlei Anstalten, die Waffe zurück zu legen und sah mehr als bereit dazu aus, sie gegen ihn zu schwingen, sollte er ihr vorschlagen, sich davon zu trennen.    Typisch.   Kopfschüttelnd gab Neji nach und schritt zurück in den Gang, der zwischen den einzelnen Arbeitsplätzen verlief. Er übernahm die Spitze und Tenten deckte ihn, während sie ihr neu gefundenes Spielzeug geräuschlos zwischen jeder Hand wechselte, um das Gewicht zu testen und das Momentum zu kalkulieren.    Ein weiteres nasses Fauchen erklang.    Neji hielt inne, hob eine Hand und krümmte seine Finger nach außen, um Tentens Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und ihren Weg zu ändern, sodass sich die beiden dem eingezäunten Bereich aus einem peripheren Winkel näherten, statt frontal vorzurücken.    Götter, das war vielleicht ein abscheuliches Ding.   Neji schätzte die Größe des Viehs auf etwa zwei Meter ein. Der lange schlangenartige Hals schwang in einem kobragleichen Tanz hin und her und eine große gerüschte und mit Flecken übersäte Halskrause aus Haut flatterte wie ein Spitzenkragen um Kopf und Hals. Zweibeinig wie sie war, schien die Kreatur eine Kreuzung aus Schlange, Echse und Vogel zu sein. Ihr fehlten zwar die gefiederten Anhängsel und die Krokodilschnauze der Echsenvogel-Chimäre, die Shikamaru vor einer Woche angegriffen hatte, doch stattdessen wies sie ähnliche reptil- und vogelartige Eigenschaften auf; alle bestehend aus hektischem Rucken und Zucken – abgesehen vom Hals, der mit einer Anmut und Gewandtheit hin und her wiegte, die zu dem langen rasselnden Schwanz passten.    Neji wich zurück. „Seltsam“, wisperte er und beäugte die abgewetzten Schuppen. Sie schienen nicht so undurchdringbar zu sein wie die Panzerungen der anderen Chimären. Und bei näherer Inspektion stellte sich heraus, dass diese Kreatur viel von ihrer schützenden Haut abgeworfen hatte, indem sie sich gegen das Stahlnetz rieb.    Tenten linste über seine Schulter. „Ich kann mich nicht erinnern, eins dieser Viecher auf der Lichtung gesehen zu haben.“   „Nein“, stimmte Neji zu. „Vielleicht hatten sie nur ein einziges für Forschungszwecke übrig?“   „In einer Rüstkammer?“   Stirnrunzelnd summte Neji und sah zu ihr hinüber. „Fällt dir irgendwas auf, das in Bezug auf Waffen von Nutzen wäre?“   „War das erste, wonach ich gesucht habe.“ Tenten ruckte mit dem Kinn in Richtung des muskulösen Torsos der Kreatur, wo die reptilhaften Unterarme nah an den Körper gezogen waren und die kleinen Klauen schlaff herab baumelten. „Ich meine, es sieht gruselig aus, aber schau dir mal die Krallen an. Die sind nicht annähernd so lang oder kraftvoll wie bei einigen der anderen Chimären. Schwanz und Hals sind viel zu beweglich, um wirklich von Nutzen sein zu können. Das Knorpelgewebe wird wie ein Reisigzweig brechen.“   Also warum ist es dann hier? Und wo ist Chōji?   Ein rapides Schnuppern und der riesige flache Kopf schwang zu ihnen herum, wobei das laute Zischen von dem Fächern einer Schlangenzunge begleitet wurde. Sie züngelte sich durch die Löcher und kitzelte die Luft vor Nejis Gesicht.    Ein ekelhaft süßer Atem, der rasch versäuerte und ranzig wurde wie Erbrochenes.   Neji zuckte zurück und trat von dem Zaun fort, immer verfolgt von den grellgelben Augen der Chimäre, die mit dem Kopf vor und zurück schaukelte. Ihr Schwanz klapperte leise, aber sie griff nicht an, sondern drückte den Körper aufwärts gegen das Metallgewebe und brachte den Stahl zum Beben.    Das Vorhängeschloss funkelte.    Tenten folgte Nejis Beispiel, machte einen großen Bogen um den Zaun und rümpfte die Nase, als sie an dem Biest vorbei kam. „Der braucht ein Bad. Oder ein Pfefferminz.“   „Beides“, stimmte eine männliche Stimme von irgendwo oberhalb zu. Die Wärme der tiefen Töne rollte die knarzende Treppe hinab und stahl sich über das ursprüngliche Frösteln, das die jüngeren Ninjas gepackt hatte.    Als er die Stimme erkannte, taute Nejis Miene auf und er wandte sich der Richtung der Treppe zu, um seinen Blick hinauf zu dem Geräusch herabsteigender Schritte zu lenken; schwer und beständig und verstärkt durch das Klappern und Reiben von Metallplatten. Als sich die unsichtbare Gestalt dem Fuß der Treppe näherte, betätigte er den Lichtschalter und erweckte die Glühbirnen flackernd zum Leben. Ihr dämmriges Glühen prallte von einer breiten Kuppel polierter Rüstung ab, die über einen umfangreichen Bauch geschnallt und von einem Kordelgürtel umwunden war. Das diffuse Licht warf die fülligen Konturen des Mannes in ein scharfes Relief; ein Kamm feurigen Haares, eine breite flache Nase, runde fröhliche Wangen, gezeichnet von lilanen Streifen und einem Lächeln, das dieselbe Wärme und Belustigung ausstrahlte wie seine kleinen zwinkernden Augen.    Akimichi Chōza.    Neji brachte seine Hände an die Seiten, senkte den Kopf und neigte den Torso auf das angemessene Level von Respekt; nicht einen Millimeter höher oder niedriger als es erwartet wurde. „Senpai.“   Tenten stolperte quasi in die Formalität und blinzelte weitäugig, während sie versuchte, den Skorpionknüppel hinter ihrem Rücken zu verstecken und sich gleichzeitig zu verbeugen, wobei sie allerdings auf halbem Weg inne hielt und ihre Augen auf die schillernden Panzerplatten richtete, die auf Chōzas Arm lagen. „Nie im Leben“, wisperte sie. „Ihr habt aus den Panzern Lamellenrüstungen gemacht?“   Chōza sah sie anerkennend an und tätschelte die verschnürten Plattenreihen. „Lamellar, schuppig und laminar“, erwiderte er und schritt zu einer freien Werkbank, um den beeindruckenden Kürass darauf abzulegen. „Ich wollte das zusammen mit Chōji testen, aber da du jetzt zuerst hier bist.“ Er winkte sie heran.    Tenten strahlte und stürzte geradezu hinüber, wobei sie den Skorpionknüppel gegen Nejis nichtsahnende Brust drückte. Er stolperte nach hinten und mit einem Stirnrunzeln legte er einen Arm um die Waffe. „Tenten.“   „Was bringt dich denn hierher, junger Hyūga?“, unterbrach Chōza freundlich, als er zu dem großen Gestell hinüber ging, auf dem verschiedenste Rüstungsteile hingen. Er wählte ein schmales, plattiertes Mieder aus denselben Obsidianschuppen aus und reichte es Tenten.    „Ich bin gekommen, um eine Bestandsaufnahme unseres Inventars zu machen“, antwortete Neji, während er den Stachelstreitkolben außer Sicht und Reichweite legte. „Ich brauche ein Update über die Waffen- und Rüstungssituation.“   Lächelnd breitete Chōza die Arme aus; eine Geste, die einige Schaufensterpuppen und hölzerne Körper einschloss, die alle in verschiedene Rüstungen gekleidet waren. „Prototypen“, erklärte er. „Aber du wirst deine Informationen am Ende des Tages haben.“   „Kein Zweifel“, erwiderte Neji und beobachtete, wie Tenten den Kürass anlegte und die Seiten mit schnellen Zügen festschnürte, während sie die schimmernden Lamellen bewunderte. Eine Reihe von Schuppen, die einst einem Vieh gehört hatten, das ebenso grauenvoll und nervtötend war wie das gelbäugige Reptil, das die drei Shinobi durch das Stahlgewebe observierte.    Chōza redete munter und mit abgewandtem Rücken weiter.    Doch Neji hörte ihm nicht zu, sondern musterte die Chimäre und hielt ihr unbeirrtes Starren. Das Biest kauerte sich tiefer und fing an, den schlanken Hals in einem langsamen hypnotischen Tanz zu wiegen, wobei die gelben Augen ein eigentümliches Leuchten ausstrahlten, das den Hyūga im Bann hielt.    Spricht es?   Neji legte den Kopf schief und näherte sich dem Käfig. Fasziniert, entsetzt, aber auch sicher, dass da etwas war; irgendeine Kommunikation, irgendeine Sprache, irgendeine Bedeutung, irgendeine Nachricht in den Bewegungen, in dem urtümlichen Drehen und Winden.    Das Biest zischte, zwang ihn mit seinem Willen noch näher, um seine Geheimnisse mit ihm zu teilen.    Der Schwanz des Viehs rasselte leise…leise…   Chōza trat zwischen sie und durchbrach den Bann. „Der hier ist ein echter Charmeur.“   Rasch blinzelnd fühlte sich Neji, als wäre er von einem Genjutsu eingewickelt worden. „Was?“   „Geh nicht zu nah hin“, riet Chōza ihm, als er zur Tenten zurückkehrte. „Einer von unseren Leuten hat es auf die harte Tour gelernt.“   Neji mied diese gelben Augen und musterte stattdessen den gepunkteten Unterbauch des Reptils, der mit orangenen und roten Flecken übersät war. „Wenn das Vieh so gefährlich ist, warum haltet ihr es hier und nicht in der Nara Einrichtung?“   „Forschung.“   Neji presste angesichts dieser evasiven Antwort die Lippen aufeinander, drängte aber nicht weiter, sondern ließ seinen Blick über den abgesperrten Bereich und bis hinter den Körper der Chimäre wandern, um ihn auf Spritzer großer und schaumiger Pockennarben zu richten, die von den Stahlwänden herab sickerten.    Was zum…?   Stirnrunzelnd legte er den Kopf schief und seine blassen Augen verengten sich, um sich stärker auf das nasse Blubbern und Sprudeln der Blasen zu konzentrieren, die auf dem Metall zu köcheln schienen und sich hinein fraßen wie Säure.    Kami…was ist-?   Bewegung aus seinem Augenwinkel – etwas Geräuschloses, das sich tief über den Boden schlängelte. Dünn, schwarz und schnell wie eine Viper. Nejis Kopf schnellte herum, sah grauen Beton und leeren Raum.    Und dann hörte er das Klicken des Vorhängeschlosses.    Als er sich umwandte blickte er hinauf in brennende gelbe Augen – und er hätte schwören können, dass sie feixten.    Das Tor explodierte nach außen.    „Neji!“, kreischte Tenten.    Neji katapultierte sich selbst nach hinten, hörte ein zersplitterndes Fauchen und aufbauendes Rasseln wie Regen auf einem alten Blechdach. Sah, wie sich zarte Rüschen aus dünnem Fleisch um die Kehle der Bestie auffächerten und zu einem bebenden Kamm verbreiterten. Er beobachtete, wie sich der lange smaragdgrüne Hals zu einem ‚S‘ zurückzog, während sich Kiefer öffneten und Schlangenfangzähne entfalteten, von denen schwarzer Schaum tropfte.    Nejis Augen weiteten sich mit Erkenntnis.    Und dann schnappte der Hals mit weit offenen Kiefern und spritzendem schwarzen Speichel nach vorn.    „KAITEN!“   Blauweißes Chakra zerriss die Luft mit der Wucht eines Zyklons und dehnte sich ballonartig nach außen aus, während es die Rüstkammer mit blendendem Licht überschwemmte. Neji hörte das nasse Klatschen von Speichel, das Zischen und Knallen von Spucke, die von seinem Chakraschild abprallte und zurück geschleudert wurde auf das Biest und auf den Beton, die Wände, die…    Tenten! Chōza!   Die Chimäre kreischte qualerfüllt auf.    Jetzt!   Rasch beendete Neji die verheerende Drehung des Kaiten und verwandelte die finale Drehung in einen Rundumkick, der die Kiefer des Viehs mit einem heftigen Tritt gegen das schuppige Kinn zuschnappen ließ. Die Chimäre schwankte, während der gigantische Schwanz vor und zurück peitschte, um irgendwie die Balance halten zu können.    Neji hingegen verlor sein Gleichgewicht beinahe vollkommen und ein zerfetztes Keuchen verfing sich hinter seinen Zähnen.    Verdammt. Ich muss mein Chakra regenerieren.    Wie gut, dass er sich letzte Nacht während des Trainings nicht völlig verausgabt hatte. Der ANBU Drill war unerbittlich gewesen und sie hatten ihn fast bis an seine Grenzen getrieben.    Aber nicht ganz.   Das Kaiten hatte ihm einige äußert wertvolle Sekunden erkauft.    Sekunden, die er sofort in den Rinnstein warf, als er über seine Schulter blickte, nach Tenten suchte… und sie sicher und unversehrt hinter Chōzas übergroßem und schwer gepanzertem Unterarm kauernd vorfand. Speichelklumpen zischten und blubberten und fraßen sich in das Metall. Fluchend riss sich Chōza den Armschutz herunter, bevor sich die Säure auch noch durch Stoff und bis in sein Fleisch fressen konnte.    Nejis Augen weiteten sich.    Was zur Hölle ist in diesem Gift?   Er wirbelte herum und erstarrte, während sein Atem heftig in der Kehle ins Stocken geriet.    Die Zeit war um.    Das Reptiliengesicht schwebte nur wenige Zentimeter von seinem eigenen entfernt. Stechender Atem schoss daraus hervor und brachte seine dunklen Strähnen zum Flattern, als er heiß und kitzelnd gegen seine Haut schlug. Doch es waren nicht die langen Fangzähne oder Bänder giftigen Speichels, die ihn so paralysiert hielten. Es waren diese funkelnden gelben Iriden, die schmalen halbmondförmigen Pupillen, die verschmolzenen Lider und die klar schimmernde Membran, die horizontal über diesen glühenden Augen blinzelte.    Auch Neji blinzelte; langsam, schwer…   Beweg dich…BEWEG DICH!   Er tat es nicht. Konnte sich nicht entsinnen, warum er es tun sollte. Sah keine Notwendigkeit dafür. Sah nur zwei gelbe Seen, hell wie das Sonnenlicht, warm mit einem Versprechen und Ruhe in seinen wolkengleichen Augen suchend.    Ruhe…sie kommt nicht auf diese Weise…   Aber so war es. Hässlich und unerwartet.    Und dennoch…   Neji starrte direkt in dieses Gesicht und verspürte keine Angst…fühlte keinen Kummer…fühlte sich nur beraubt…als würde ihm etwas Lebenswichtiges fehlen…ausgehöhlt von der Erkenntnis, dass…   ‚Ich habe keine Angst. Nicht vor dem Tod…‘   ‚Ja. Und das über dich zu wissen, jagt mir noch immer eine Todesangst ein, Neji.‘   Erinnerungen an eine Stimme wie Rauch, eine Zunge wie Feuer und an einen Kuss, der seine Sinne versengte, sich direkt durch sein betäubtes Hirn und bewölkten Verstand brannte.    ‚Atme mich…‘   Weiße Augen flogen weit auf und durchbrachen den Bann.    BEWEG DICH!   Die Chimäre bewegte sich schneller.    Der Nacken schnellte zurück und peitschte mit kontrahierender Kehle und funkelndem Gift nach vorn. Und gerade, als es sich darauf vorbereitete, ihn anzuspucken, schlang sich ein schwarzes Seil um den Hals, zog sich wie ein Lasso zusammen und riss heftig daran, um den Kopf des Biests zur Seite zu rucken und so mit einem nassen Knacken den kochenden Klumpen aus Speichel auf eine der gepanzerten Schaufensterpuppen umzulenken.   Geschockt starrte Neji einfach nur verständnislos.   Und dann sah er, wie sich das Seil bewegte – nein, wie es glitt – geräuschlos und schlangengleich über den Nacken der Kreatur und den ledrigen Kragen zerdrückend, während es gleichzeitig die schnappenden Kiefer mit einer schwarzen Schattenhand knebelte.    „Du wirst nachlässig, Chōza“, erklang eine tiefe heisere Stimme, grob wie Rost und dennoch weich wie Rauch und oh so gefährlich leise.   Neji wurde stocksteif.    Chōza kicherte ein tiefes Grummeln aus dem Bauch. „Und du wirst langsam, Shikaku.“   „Timing ist alles.“   Und Götter, der Nara hatte es verdammt knapp werden lassen. Direkt bis zur letzten haarsträubenden Sekunde.    Und zweifelsohne zu meinem Vorteil…, dachte Neji spöttisch, während er vor der sich windenden Chimäre zurückwich, als der Nara die Dunkelheit befehligte, das Monster auf die Knie zwang und zurück in den Käfig zerrte. Kaum hatte er das Biest zur Unterwürfigkeit gerungen hatte, löste sich eine dünne Ranke von der Schattenhand und schlängelte sich ihren Weg über das Stahlnetz, um den Riegel vorzuschieben und das Vorhängeschloss zu sichern.    Neji hielt seinen Rücken langsam und tief atmend der Treppe zugewandt.    Sofort war Tenten an seiner Seite, fasste ihn jedoch nicht an. Kluger Zug. „Bist du okay?“   „Ja“, erwiderte er knapp und leise.    Neji hörte nicht, wie Shikaku die Stufen hinabstieg, doch er fühlte, wie sich das Chakra des Nara zurückzog und er sah, wie es in einem schwarzen Wispern, das in einem fröstelnden Streicheln und höhnisch sanft über seine Knöchel strich, über den Boden flutete. Eine Parodie von Beruhigung. Als hätte er nicht die ganze Zeit über zugesehen. Als hätte er nicht bis zur letzten Sekunde gewartet. Als hätte er dieses blutdurstige Monster nicht überhaupt erst losgelassen!   Beruhige dich!   Nejis Atem sickerte in einem geräuschlosen Zischen zwischen seinen Zähnen hervor, um seinen Zorn abzubauen. Und mit diesem einen Atemzug war er verschwunden; ausgelöscht. Kein Brennen, nur die Bitterkeit von Asche…und die Glut von Emotionen, von denen Ibiki ihm ununterbrochen einbläute, sie zu zertrümmern während Shikaku ihn ununterbrochen dazu köderte, sie zu entfesseln.    Sie spielen mich wie ein gottverdammtes Yoyo…   Hatte er ernsthaft irgendetwas anderes erwartet oder verdient?   Eine kribbelnde Empfindung stellte die Härchen an seinem Nacken auf.    Langsam drehte Neji den Kopf und erspähte die scharfen, drahtigen Umrisse des Nara, die gegen die Wand gelehnt dastanden. Die Arme verschränkt und die Knöchel überkreuzt, die rußigen Wimpern tief über schwelende Augen gesenkt.    Doch es war keine Belustigung, die darin brannte.    Kein herablassendes Schmunzeln, kein überlegenes Neigen von Kopf oder Kiefer. Nicht einmal das Markenzeichen der erhobenen Nara-Augenbraue. Sehr zu Nejis Schock blieb Shikakus Gesicht verstörend ausdruckslos und bar jeder Miene…abgesehen von diesem seltsamen und unlesbaren Ausdruck in seinen Augen.    Erschrocken senkte Neji rasch seinen Blick, um sein Unbehagen zu verbergen und verbeugte sich schnell und gestelzt, während er leise sprach: „Danke, Senpai.“   Shikaku erwiderte überhaupt nichts, doch seine Augen zogen sich marginal zusammen.    Eine Mauer aus Anspannung türmte sich zwischen ihnen auf und wurde von Shikakus Schweigen nur noch gefestigt, während sie mit jeder verstreichenden Sekunde höher aufragte, bis Tentens aufgeregtes Luftschnappen direkt hindurch peitschte und die unangenehme Stille zersplittern ließ. Es lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit auf die umgestürzte Schaufensterpuppe.    „Die Rüstung“, wisperte sie und half Chōza dabei, den gefallenen Kürass wieder aufzurichten. „Sie ist-“   „Völlig unversehrt“, verkündete Chōza. Er klopfte auf die schimmernde Schulterplatte der Schaufensterpuppe, als wäre es ein altvertrauter Kamerad, bevor er an den Rüstungsschuppen rüttelte. „Genau wie du vermutet hast, Shikaku.“   Blinzelnd sah Tenten zu Shikaku. „Vermutet?“   Der Nara Älteste hielt seinen Blick für eine weitere schwere Pause auf Neji gerichtet, bevor er träge und langsam blinzelte und letztendlich zu der Rüstung spähte, während er seine Worte an Tenten richtete: „Ein paar der Chimären verfügen über chakradurchsetzte Panzerungen. Diese Schalen oder Schuppen sind immun gegen den mit Chakra angereicherten Speichel ihrer Angreifer. Das Gift frisst sich fast durch alles andere.“   „Fast…“, echote Neji und sah zu, wie die Speichelklumpen harmlos von den zusammengefügten Schuppen tropften. Sein Kiefer verkrampfte sich. „Woher wusstest du, dass ich es abwehren kann?“   „Wusste ich nicht“, erwiderte der Nara flach und gedehnt.   Neji warf ihm einen scharfen Blick zu, der jedoch abgestumpft war von Respekt und Rangunterschied und hunderter anderer Gründe, die weder erklären noch entschuldigen konnten, was zur Hölle Shikaku hier gerade zu tun versuchte. Wollte er ihm weh tun? Ihn demütigen? Erniedrigen? Hassen? Alles davon? Und was bei allen Göttern stand in diesen beschatteten Augen?   Neji konnte diesem Starren nicht standhalten und wandte seinen Blick wieder dem Kürass zu. „Du wusstest nicht, ob ich es abwehren kann. Aber du hast es vermutet“, schlussfolgerte der Hyūga und versuchte, das zu rationalisieren, wovon sich Shikaku so vehement weigerte, es zu rechtfertigen.   „Ja“, ergriff Chōza das Wort, nachdem er während ihres ganzen bisherigen Austauschs stumm geblieben war und Shikaku unter leicht gerunzelten, schweren Brauen gemustert hatte. Als er sich jedoch Neji zuwandte, löste sich diese Schwere von ihm und seine Augen wurden warm und freundlich. „Von Chakra angereichertes Gift setzt kondensiertes Chakra voraus, um es abwehren zu können. Abgesehen von einer bereits angereicherten Rüstung bräuchte man einen dauerhaften Schild konzentrierten Chakras, das sich in einem konstanten Fluss befindet. Keine Lücken in der Defensive. So wie-“   „Das Kaiten“, fasste Neji zusammen, war aber nicht in der Lage, die Kante in seiner Stimme abzustumpfen. Und seine nächste Frage biss er so scharf wie eine Klinge hervor, als sein Blick wieder zu Shikaku schwang. „Und was, wenn ich es nicht genutzt hätte?“   Shikaku antwortete nicht, doch einer seiner Mundwinkel bog sich mit der leichtesten Spur eines Lächelns. Es fuhr Neji wie eine eiskalte Klinge bis in die Knochen.    _______________________   Heyho, es geht wieder weiter :)  Und ja, es geht immer noch sehr um diese Chimären, zumindest was das offensichtliche angeht ;) Gerade bei der Szene mit Shikamaru gibt es aber wieder einige sehr gut versteckte Hinweise ;)  Shikaku macht es Neji auf jeden Fall auch nicht unbedingt leichter. Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat!   Und vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 4: A window to another world ------------------------------------ „Interessante Beteiligungsquote“, sagte Shikamaru gedehnt und musterte den Kreis leerer Sitzkissen.    Naja, alle leer bis auf eines.    Narutos Miene verfinsterte sich, während er mit den Fingern über die letzten Falten seines Origami Flugzeugs strich und die ToGo-Menükarte von Yakiniku Q auf Shikamarus Kopf zusegeln ließ. Der Schattenninja duckte sich, fühlte, wie das Papier über seinen stacheligen Pferdeschwanz schlingerte und dann eine Bruchlandung in den Teller von irgendjemandem in der Sitznische hinter ihm hinlegte.    „Hey!“ Eine Besucherin streckte ihren Kopf um die Wand und spähte über Shikamarus Schulter, um den blassgesichtigen Uzumaki zornig anzufunkeln. „Du hast meiner Mutter gerade fast ein Auge ausgestochen, du Schwachkopf!“   Nervös lachend verzog Naruto das Gesicht. „Tut mir leid.“   „Das wird es“, knurrte die Frau und machte sich daran, den Schattenninja zu umrunden.    Seufzend griff Shikamaru mit zwei schlanken Fingern in seine Tasche, um vier Yakiniku Q Rabattgutscheine hervor zu angeln und sie über seine Schulter hinweg direkt unter die Nase der Frau zu halten. „Wiedergutmachung für meinen Idiotenfreund.“   Schnaubend beäugte die Frau die Coupons und wog das Angebot ab. Shikamaru ging von weiteren drei Sekunden aus. Doch es brauchte nur zwei. Sie schnappte ihm die Gutscheine aus der Hand und kehrte zu ihrem Essen zurück.    Kopfschmerzen vermieden.   Doch Naruto schien angesichts der Verhandlungsweise überhaupt nicht beeindruckt zu sein, sondern wandte seine verwundeten Augen hinauf zu dem Schattenninja. „Kauf eins und bekomm ein weiteres umsonst?“, krächzte und klang dabei schmerzerfüllt. „Im Ernst?“   Shikamaru hob eine Braue. „Das hast du davon.“   „Ich hab gar nichts bekommen!“   „Ganz genau. Erinnerst du dich an die letzte Sache, mit der du auf meinen Kopf gezielt hast? Nein?“ Shikamaru ballte eine Faust, um es zu illustrieren und schnaubte über Narutos weitäugigen Blick. „Jo. Und du hast daneben geschlagen. Hast stattdessen Hibari erwischt. Erinnerst du dich, wie gut das für dich ausgegangen ist?“   Mit verschränkten Armen lehnte sich Naruto schmollend zurück. „Du duckst dich ja auch immer.“   „Ich bin eben schlau.“   Blaue Augen funkelten, doch das strahlende Grinsen schwächte sich rasch zu einem schwächlichen Zucken der Lippen ab. Seufzend stierte Naruto elendig auf das kalte Kohlebecken in der Mitte des Tisches und breitete die Arme aus, um auf die leeren Sitzplätze zu deuten. „Das ist ätzend.“   Achselzuckend lehnte sich Shikamaru gegen die Fusama Wand, die die Nischen voneinander trennte. „Vielleicht sind wir im falschen Laden.“   Naruto schüttelte den Kopf, hielt kurz inne und spähte dann seitwärts zu Shikamaru, als wäre irgendeine Verschwörung im Gange. „Wo sind Ino und Chōji?“   Gute Frage; zumindest was Ino anging.   Der Schattenninja öffnete den Mund, um zu antworten, doch lautes Rufen zog seine Aufmerksamkeit zum Eingang des Restaurants. Ein Genintrio stolperte durch die schwingenden Norivorhänge, wobei ein Junge den anderen voran hüpfte und ihm schwarze Locken in die leuchtend grünen Augen fielen. Ihr Sensei – ein großer bärtiger Mann mit rubinrotem Ohrring – folgte ihnen dicht auf dem Fuße. Als sich der Lärmpegel noch mehr hob, legte er eine Hand auf den Lockenkopf des Kindes und sagte etwas, das den Bub mit den Augen auf die Schuhe gerichtet erröten und verstummen ließ. Eine beschämte Stille – bis die Hand des Jōnin zaghaft zudrückte und durch die dunklen Locken wuschelte. Liebevolles und vergebendes Lachen folgte.   Shikamarus Kehle zog sich zusammen und rasch wandte er mit heiserer Stimme den Blick ab. „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass Chōji wohl mit Tenten Überstunden in der Rüstkammer machen muss. Was Ino angeht…“ Er hob eine Schulter, da er nicht mit Sicherheit sagen konnte, wo Ino sein könnte. Sie war nicht in den Laboren gewesen, als er vorbei gekommen war, also konnte sie praktisch überall sein. „Was ist mit Sakura und den anderen?“   Schnaubend lümmelte sich Naruto nach hinten und folgte mit den Augen den fleischüberladenen Tabletts, die im Restaurant hin und her getragen wurden. „Neji hat die Kurve gekratzt. Sakura meinte, sie muss die Sanitätstaschen auffüllen. Kiba hat sich total psychomäßig aufgeführt wegen irgendwas, was die Quarantäne mit Akamaru angestellt hat und Sai wurde von irgendeinem gruselig krabbeligen ANBU Typen weggeholt, durch den Shino dann völlig deprimiert und mürrisch geworden ist. Komisch, die sahen sich nämlich echt ähnlich, weißt du?“   Nur ein einziges Wort dieses Updates erwies sich als wichtig und interessant genug, um ihm auch wirklich zu begegnen – und trotzdem kämpfte Shikamaru darum, ein Knurren von seinen Lippen und die Verachtung aus seiner Stimme fern zu halten.   „ANBU, huh?“, murmelte er, nicht bereit dazu, sein Hirn diesem lästigen Puzzle zu übergeben, ohne dass er den geprüften Beweis hatte, dass es seine Zeit auch wert wäre. Rasch warf er Naruto einen skeptischen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Bist du dir sicher?“   Doch Naruto hörte ihm nicht zu, sondern schien viel mehr darauf bedacht zu sein, die volle Kraft seines ‚getretener Welpe‘-Blicks auf die angrenzende Seite des Restaurants zu richten, wo das Geninteam und ihr Sensei zusammengedrängt um den brutzelnden Tisch saßen. Die Luft um sie herum duftete nach dem Fettgeruch gegrillten Rindfleischs und knisternden Schweinebauchs.    Die Kellnerin brachte noch ein weiteres Tablett.    Am Boden zerstört winselte Naruto. „Verdammt. Ich dachte, dass zumindest irgendjemand der Truppe seinen Kram liegen lässt und auftaucht.“   Shikamaru ließ trocken seinen Blick schweifen und hob eine Hand, um seine Anwesenheit anzubieten.    Diese sarkastische und einsame Geste sorgte allerdings nur dafür, dass der Uzumaki noch mehr zusammensackte. Die Arme um seinen grummelnden Magen geschlungen, verwelkte Naruto wie eine verdurstete Sonnenblume und seine gelben Haarspitzen knickten nach vorn, als er seinen Kopf mit einem hörbaren Dum auf die kalte und karge Tischplatte fallen ließ, was die unberührten Essstäbchen klappern ließ.    Mann, was für ein Kind…   Shikamaru wäre wahrscheinlich genervt oder vielleicht sogar amüsiert gewesen, wenn er nicht instinktiv gewusst hätte, dass Narutos Enttäuschung weniger mit seinem leeren Magen und viel mehr mit den leeren Sitzplätzen zu tun hatte.    Verdammt.    Seufzend griff Shikamaru in seine Tasche. Ein sanftes Tappen und er schob zwei Gutscheine über den Tisch, während er mit den Fingern trommelte, um Narutos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch der stachelige Kopf blieb liegen.    Wie lästig.   Stirnrunzelnd stupste er Narutos Kopf mit zwei steifen Fingern an und kitzelte so ein genuscheltes ‚Au‘ aus dem schmollenden Jinchūriki, bevor Naruto eine schnurrbärtige Wange über die Tischplatte drehte und auf die Coupons schielte. Für einen Moment blinzelten die blauen Augen verwirrt, bevor sie weit aufflogen. Im selben Atemzug, den Shikamaru brauchte, um sich von dem Tisch fort zu schieben, sprang Naruto mit einem hörbaren Pop von Knien und Knirschen von Muskeln auf, während er triumphierend eine Faust in die Luft stieß.    „JA!“, brüllte er.    Eine erschreckte Stille breitete sich in dem Restaurant aus.    Ohne ein Wort machte Shikamaru auf dem Absatz kehrt und zog den Kopf unter den stierenden Augen des verärgerten Besitzers und der verdatterten Gäste ein. Er war bereits halb zur Tür hinaus, als Naruto zu ihm aufholte, einen Arm um den Nacken des Schattenninjas schlang und den anderen mit einem begeisterten Schrei in die Luft hielt; die umklammerten Ichiraku Gutscheine flatterten golden und rot in der kalten Abendbrise.    ~❃~   „Kami. Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht, sowas abzuziehen?“, fragte Chōza.    Skikaku stand am Fenster des oberen Stockwerks und hatte die Hüfte gegen den Sims eingeknickt, während er mit gekrümmtem Knöchel über die Brust der Botentaube streichelte, um die alten zerzausten Federn glattzustreichen. Die Tauben waren nicht aufgeflogen. Aber auf der anderen Seite hatte Shikaku das auch nicht erwartet. Sie waren inzwischen an den Lärm in der Rüstkammer gewöhnt, ebenso wie an die Gewohnheiten und Anforderungen der Ninja, für die sie lebten, um ihnen zu dienten.    Oder dienen…nur um zu leben…   Shikaku zog die Brauen zusammen. Heute hatte er vergessen, das Vogelfutter aufzufüllen. Egal. Dieser Vogel würde es ohnehin nicht mehr brauchen.   „Shikaku.“   Er spürte Chōzas Blick, der ihn zu einer Antwort drängte, doch statt die Sache zu überstürzen oder sich für eine Erwiderung umzudrehen, machte er einfach mit dieser gelassenen Geschwindigkeit weiter und nahm sich Zeit, um eine Miniaturschriftrolle am Bein des Vogels zu befestigen. Die Taube gurrte über die Sanftheit seiner Berührung; vollkommen entspannt in diesen Händen, die ebenso schnell töten konnten, wie sie streichelten.    „Noch einmal, alter Freund“, murmelte Shikaku. Er drehte sich in der Hüfte, lehnte sich seitwärts aus dem Fenster und hielt seinen Arm mit leiser beruhigender Stimme nach oben. „Noch ein letztes Mal. Dann bist du frei.“   Ein weiches Gurren und der Vogel erhob sich hinauf in die dunklen samtigen Himmel, wobei eine Handvoll Federn in seinem Flug der Gefolgschaft wirbelte. Shikaku sah dem Schweben der Daunen zu; ein schaukelnder Abstieg, der seinen Blick hinunter zu dem jungen Shinobi in weißen Roben zog, der die Rüstkammer verließ.    Hyūga Neji.    „Ich hatte dem Ganzen meinen Rücken zugewandt und die Rüstung offen, als du das abgezogen hast“, sagte Chōza ernst. „Neji hätte erblinden können. Er hätte verkrüppelt werden können. Oder noch schlimmer.“   „Viel schlimmer“, stimmte Shikaku zu, während er beobachtete, wie sich Neji mit den sturen, selbstbewussten Schritten eines Mannes bewegte, der sich vollkommen unter Kontrolle hatte; und das trotz seiner unglaublichen Schmerzen.    So sehr wie Hizashi…   Ja. So sehr in der eigenen Kontrolle, aber nicht in der Kontrolle seiner Richtung, seines Schicksals. Ein Schicksal, das bisher noch nicht festgelegt war, sondern nur an Fäden hing. Fäden, die Neji zu nichts weiter als einer Marionette in den Händen von Vorgesetzten machten, die genau wussten, wie sie an seinen Schnüren ziehen mussten, um ihn tanzen zu lassen.    „Warum hast du das getan, Shikaku?“   Langsam durch die Nase ausatmend stützte Shikaku seine Schulter gegen den Fensterrahmen. „Denkst du, Hizashi hätte es sich anders überlegt, wenn ihm die Chance gegeben worden wäre, die sein Sohn jetzt hat?“    „Shikaku.“ Die Schwere in Chōzas Stimme legte sich mit dem sanften Druck der Hand des Akimichi auf Shikakus Schulter. „Was hast du getan? Der Hyūga Junge hätte ernsthaft verletzt werden können.“   „Du unterschätzt diesen hier“, erwiderte Shikaku und wandte sich ab, um dem Griff zu entkommen, doch er lächelte, um zu zeigen, dass er die Geste zu schätzen wusste. „Und er ist kein Junge. Keiner von ihnen ist es. Sie sind keine Kinder mehr. Sie haben bereits vor einer langen Zeit aufgehört, Kinder zu sein.“   Chōza zog den Kopf zurück und suchte in dem schummrigen Licht aufmerksam Shikakus Gesicht hab. „Dasselbe hast du zu Inoichi gesagt, als sie von dieser Mission zurück gekommen sind.“    Diese Mission. Die eine, die zwei Akatsuki Monster in ihre Gräber geschickt hatte. So schnell erledigt und vorüber; mit Asuma seit kaum zwei Tagen tot unter der Erde.    So schnell…immer so schnell…   Shikakus abgeschirmter Blick wanderte über Chōzas Schulter und driftete dann wieder zurück. „Du hast recht. Das habe ich damals gesagt. Und dasselbe sage ich jetzt. Sie sind keine Kinder mehr.“   Chōza runzelte die Stirn. „Ist irgendwas zwischen dir und Shikamaru vorgefallen?“   Shikakus Miene verzog sich. Es war ein Ausdruck amüsierter Neugierde, um die Emotion zu verschleiern, die in seine Augen zu bluten drohte – eine hässliche Ausdehnung der Narben, die sich über sein Gesicht zogen. „Zwischen mir und meinem Sohn? Nein. Aber zwischen dir und Inoichi frage ich mich langsam, wie es sein kann, dass ich dem Seelenklempner übergeben wurde.“   Doch während Chōza die Weisheit eines schlechten Scherzes, der ihn vor einem gefährlichen Moment bewahrte, zwar durchaus zu schätzen wusste, gab er diesmal überhaupt keine Zeichen, das auch jetzt zu schätzen zu wissen. Voller Zuneigung musterte er Shikaku. Und dann schlugen seine unglaublich weichen Worte hart wie eine Faust ein. „Du bist mein Bruder, Shikaku. Meine Familie. Ihr beide; du und Inoichi.“ Und dann fügte er noch sanfter hinzu: „Sie beide; Ino und Shikamaru. Hast du das vergessen?“   Vergessen…   Und trotz all seiner bitteren Erfahrung und trotz seiner vielen, vielen Jahre, seit denen er das Spiel jetzt schon spielte, konnte Shikaku diesmal einfach keinen Zug mehr machen und keine Miene hervorbringen, um den Schmerz zu verbergen, der sich hinter seinen Augen bewegte und tief in den Schatten rollte, die dort lebten.    „Vergessen?“, murmelte er; viel zu ruhig, viel zu leise.    Mit zuckendem Gesicht trat Chōza nach vorn.    Sofort wich Shikaku zurück und neigte warnend den Kopf. Doch während sein Körper nach den Schatten suchte, fingen seine Narben das Licht auf und schimmerten silbrig in dem ersterbenden Glühen. Sie sprachen von den unbegreiflichen Schrecken, die seine Zunge schon lange vergessen hatte auszusprechen.    „Shikak-“   „Erinnere mich“, hauchte Shikaku; verloren in einem Spiel, das nicht länger vertraut war. Er nutzte die einzigen zwei Worte, von denen er sich erinnern konnte, wie man sie spielte. „Erinnere mich.“   Ein leiser, scharfer Atemzug, als Kummer Chōzas Augen überzog. „Wir würden dich nicht vergessen lassen, Shikaku. Wir…“ Er brach ab und seine Brauen zogen sich zusammen, bevor er den Kopf schüttelte und sanft hinzufügte: „Wir würden dich nicht das vergessen lassen.“   Nein. Das nicht…   Die Dichte von Shikakus Schweigen wurde von den Schatten verschlungen, die sich bewegten, um ihn einzuhüllen, die Leere des Raumes zu schlucken, den er verlassen hatte; ebenso wie die Worte, die er zurückgelassen hatte.    ‚Niemals das.‘   ~❃~   Es lag Blut über dem Mond; die gelbliche Oberfläche war in Rot getaucht.    Der Mond des Jägers.   Neji lief einen weiteren schwankenden Schritt, hielt inne und sah hinauf in das pockennarbige Gesicht; sah das strahlende Licht, die Krater und die Schatten. Sein Atem rasselte als Nebel und Dunst zwischen seinen Lippen hervor. Er taumelte, machte an einem der uralten Sugi Bäume nahe des Hyūga Areals eine Pause und ließ sich in dem gigantischen Schatten in eine Hocke sinken, um Blut auf die Wurzeln zu spucken, die sich aus dem Erdreich krümmten.    Zu…weit gegangen…heute Nacht…   Doch er hatte es zumindest lange genug zusammengehalten, um ohne die Miene zu verziehen und stabil auf den Füßen fort zu laufen. Und jetzt konnte er kaum noch stehen. Ibiki rammte ihn unangespitzt in unnachgiebigen Boden – und er hatte noch nicht einmal angedeutet, dass Neji langsam über die Vorstufen hinaus war. All dieses Training könnte zu absolut nichts führen. Naja, zumindest zu nichts weiter als einer Übung, die ihn mit Fähigkeiten, Stärke und Ausdauer ausstattete, von denen er niemals die Gelegenheit bekommen würde, sie einzusetzen – zumindest nicht auf die Weise, die er wollte, brauchte…was nichts weiter bedeutete als verschwendete Zeit und zerschmetterte Träume.    Es war das Nichtwissen, das Neji mehr ärgerte als die Brutalität des Trainings. Das hatte er nämlich auch erwartet. Verspürte eine Art masochistischen Nervenkitzel, sich über seine Grenzen hinaus zu zwingen.    Aber es war das Warten…das Sich Fragen…   Er hustete und roter Speichel besprenkelte den Baum.    Zur Hölle damit. Sollen sie mich eben verheizen. Aber ich will verdammt sein, wenn sie mich begraben, bevor ich frei bin…   Diese Überzeugung verlieh ihm Kraft. Er stemmte seine Schulter gegen den Stamm und sah hinauf zu diesem ruinierten Mond, bevor er schwer schluckte und Eisen in seinem Mund schmeckte.    Atme…   Er trank von der süßen Zedernluft, während er ruhig und locker, beständig und langsam, wieder und wieder die Anspannung in langen rauchigen Wellen aus sich sickern ließ, bis sich der Schmerz zu einem dumpfen Pochen abmilderte.    Und jetzt. Beweg dich.   Leicht gesagt. Auf keinen Fall könnte er sein Byakugan nutzen, um sich eine sichere Route zu seinem Zimmer zu suchen. Er hatte nicht genug Chakra übrig. Also war der sicherste Plan, die Terrassen und Innenhöfe zu umgehen, was ihm die Dächer als einzige gangbare Option ließ.    Klasse…mein eigenes Zuhause infiltrieren…   Zumindest würde das nicht als Einbrechen und Eindringen angesehen werden.    Oder doch?   Er schmunzelte trocken über diesen Gedanken, zog seine blutverschmierte Wange über die raue Rinde und keuchte heftig. Chakrapillen. Er brauchte sie rasch.    Aber zuerst…   Umherspähend duckte sich Neji tiefer in die Schatten und hob eine Hand, um seine Finger in den tiefen Kragen seiner beschmutzten Robe zu schieben und dem Saum hinunter bis zum Verschluss zu folgen. Rasch löste er den Knopf, strich mit schwieligen Fingern über seinen Oberkörper und über die unsichtbaren Tenketsu Linien. An einem dünnen, blassen und fast verschwundenen Streifen von Narbengewebe hielt er inne. Weitere zwei Streifen schnitten sich über seine Brust. Er hatte überhaupt keine Ahnung, wie und woher er diese Verletzungen hatte. Wusste nur, dass er die Wunden an dem Morgen vorgefunden hatte, als er allein in diesem Gasthaus aufgewacht war… diesem Bett…   Diese Nacht…   So ein wirres Durcheinander von Erinnerungen und Bildern, Gesichtern und Räumen, Worten und Taten. Manche davon real, andere Halluzinationen, doch alles davon ein Chaos in seinem Kopf; alles außer einem einzigen Augenblick blendender Klarheit.    Dieser Kuss.   Hitze durchströmte ihn urtümlich und dunkel und wild unter dem blutigen Mond des Jägers.    Verdammt.   Knurrend rammte Neji seinen Schädel zurück gegen den Baum, konzentrierte sich auf den Schmerz und riss seine Gedanken gnadenlos zurück in die Gegenwart. Er umging diese mysteriösen Narben, ließ seine Finger zurück über die Leylinien seines Chakras wandern und folgte ihnen, bis er den richtigen Punkt lokalisiert hatte.    Da.   Nur dieser eine. Denn er wusste es inzwischen besser, als sie zu gruppieren. Hatte es auf die harte Tour gelernt.   Mach es jetzt.   Ein einziger tiefer Atemzug, ein winziger Funke blauweißen Lichts – und er sprengte mit zusammengebissenen Zähnen und aufeinander gepressten Lidern die Chakrablockade.   Kami! Ich hab den Schmerz schon vollkommen vergessen…   Wenn er daran dachte, dass er lange genug mit solchen Blockaden gelebt hatte, dass sich Embolien in seinen Lungen gebildet hatten. Lange genug, um eine Kontrolle zu verlieren, die er von Anfang an nicht wirklich gehabt hatte.    Diesen Fehler werde ich nicht nochmal machen.   Eine Schwindel und Übelkeit erregende Schwere zog sich durch ihn, gefolgt von einem Brüllen in seinen Ohren, als sein Blutdruck in die Höhe schnellte, bevor er sich wieder regulierte. Mental überprüfte er seinen Zustand, stemmte die Hände gegen den Baum und erhob sich vorsichtig, während er seine Wirbelsäule einen Wirbel nach dem anderen aufrichtete und seinen Kopf als letztes hob.    Die Welt hörte auf, sich zu drehen und die Luft brannte nicht länger in seinen Lungen.    Er spürte das Prickeln seines zurück gehaltenen Chakras, das wie Lebenssaft durch seine Venen jagte, seine Muskeln verjüngte und seine Kraft wiederherstellte. Zumindest genug Kraft, um sich geräuschlos und ungesehen über das Areal zu schleppen. Nackte Füße fanden Halt auf den rauchgrauen Dachziegeln und sein Pfad wurde von dem diffusen Laternenlicht beleuchtet; Reihen stumpfer Leuchtkugeln brannten in den Gärten und entlang der bedachten Korridore, die sich zwischen den verschiedenen Vierteln verzweigten.    Mühelos fand Neji den Zugang zu seinem Zimmer und schwang sich durch das offene Fenster.    Er landete in einer geduckten Haltung mit einem Knie auf dem Boden. Für ein paar Sekunden verharrte er bewegungslos und lauschte nach irgendwelchen Unruhen.   Nichts.   Er stieß den Atem aus, den er angehalten hatte.    Als er sich auf die Füße stemmte, taumelte er leicht zur Seite, fing sich aber mit einer Hand an der Fusama Wand ab, bevor er nach dem Griff tastete und das Paneel zur Seite schob. Er griff in das Fach und zog eine schwarz lackierte Box daraus hervor, hob den Deckel und nahm drei konzentrierte Chakrapillen aus dem Vorrat. Ohne überhaupt zu kauen, würgte er sie hinunter, schluckte trocken und verzog das Gesicht, als er sich nach Wasser suchend umwandte.   Mitten in der Bewegung erstarrte er und seine Muskeln verkrampften sich.    Regungslosigkeit packte ihn; die alarmierende Art. Nicht geboren aus Furcht, sondern geboren aus Zorn. Kalt wie Frost legte es sich über seinen Körper und ließ sein Gesicht so blass und hart zurück wie die vogelgesichtige ANBU Maske, die auf seinem Futon lag.    Unfassbar…   Erschreckend, zu wissen, dass sie hier gewesen waren. Nicht einfach nur hier in der Domäne der allsehenden Augen, sondern ganz speziell hier. In diesem erbärmlichen Bisschen Raum, das er zu seinem Hafen zu machen versuchte. Einem Zuhause. Einem Ort um zu heilen nach Nächten voll foltergleichen Drills, Gedankenprüfungen und…   Eine Nachricht ruhte neben der Maske.    Das Eis in Nejis Augen, die kalte Rage der Empörung, bekam Risse. Verwirrung zog seine Brauen zusammen und langsam begab er sich zu seinem Bett. Sein Blick wanderte zu der Maske; ganz und ungetragen. Sie könnte nicht weiter von der zerbrochenen Maske entfernt sein, mit der Shikaku ihn vor Wochen im Dōjō der Hyūga verhöhnt hatte. Er spähte auf die Notiz.    Ein weißes Papier, in der Mitte gefaltet. Ein einziges Wort war auf die Vorderseite geschrieben.    SHIRATAKA   Neji stierte es mit weiten Augen, gerunzelter Stirn und hämmerndem Herzen an.    Kami…   Man hatte ihn gerufen.   Beauftragt…   Vollkommen unbemerkt verstrich die Zeit, während ein kleines weißes Rechteck darum bat, geöffnet zu werden. Wie ein Fenster zu einer anderen Welt. Die Welt, um deren Zugang er mit Zähnen und Klauen gekämpft hatte. Eine Welt, wo Freiheit die Form von Zahnrädern innerhalb von Zahnrädern und Wänden innerhalb von Wänden annahm – nur niemals stabil, sondern stets in Bewegung, als Illusionen von Grenzen dienend, denn es gab keine Grenzen. Nur Glaubenssätze. Nur Kreise der Gewissenhaftigkeit mit denen ANBU sowohl innen als auch außen arbeitete.    Mit schmerzenden Armen griff Neji nach oben, löste den Knoten seines Hitai-ate und zog es fort von seiner vernarbten Stirn. Er fühlte die Phantomschmerzen des Fluchsiegels von Hitaros gelegentlicher Folter noch immer frisch in seinem Verstand.   Nicht mehr…   Er spürte das wilde Hämmern in seiner Brust wie das Schlagen eingesperrter Schwingen.    Niemals wieder…   Er nahm die ANBU Maske auf, legte seine blassen Finger um die glatte Keramik und schmiegte die perfekte Form gegen sein Gesicht; fühlte die Leichtigkeit in seiner Brust, ein Kribbeln in seinen Händen, eine atemlose Empfindung, etwas aufzugeben und ein überwältigendes Gefühl von Gewinn.    Die Nachricht verblieb wartend auf den Laken, ungestört und kurzzeitig vergessen. Die Schlüssel zu seinem Käfig. Fürwahr, ein kleines weißes Fenster…sich in eine Welt hinaus öffnend, in der alle Türen zum Herzen verschlossen waren.    Kapitel 5: Mizugumo, the water spider ------------------------------------- Schatten; schwarz wie die Nacht und überall. Sie bewegten sich und Shikamaru bewegte sich mit ihnen; bewegte sich in ihnen. Keine Trennung vom Selbst. Keine Abgrenzung zwischen Fleisch und Finsternis. Sie waren ein und dasselbe geworden, ein einziges Wesen.    Ich bin meine Schatten.    ‚Nein. Das bist du nicht.‘   Mit einem körperlosen Gefühl des Schwebens wandte er sich der Stimme zu. Suchte das Schwarz ab, begegnete dem Blick des Sprechers und dachte – mit einer distanzierten Art von Faszination - wie Ino diesen Mann gemocht hätte. Denn er trug ihre Lieblingsfarbe in den Augen.    Warte. Diese Augen.    Ich kenne dich…   Verstehen, ein plötzlicher Fleck von Bewusstsein begann das Gesicht ohne Körper auszufüllen; ein vages Abbild blasser violetter Augen, eingefasst in starke kantige Züge, die hohen Wangen und der zisellierte Kiefer eingerahmt von langen aschblonden Strähnen.    Es war nicht deutlich genug.    Er versuchte, näher hinzusehen.    Stahl blitzte vor seinen Augen auf wie ein brutaler Strich in der Dunkelheit.    NEIN!   Blut floss in einem schimmernden Bach, dicke rote Tropfen flogen hoch, bevor sie in die Schatten spritzten; in eine Masse sich windender schwarzer Zungen.    Shikamarus Mund füllte sich mit dem Geschmack; salzig, metallisch, warm.    Er würgte und wirbelte herum – oder versuchte es zumindest. Er hatte keine Perspektive, um sich umzudrehen oder abzuwenden. Keine Möglichkeit, die Tiefe oder Dimension dieser Finsternis einzuschätzen. Es ließ ihn immateriell und machtlos zurück; abgetrennt von allem außer der Schwärze.    Weil ich meine Schatten bin.   ‚Nein. Das bist du nicht.‘   Schon wieder diese Stimme! Er musste diese Augen finden. Dieses Gesicht.    Diesen Mann.   Noch einmal suchte er nach dem Fremden, den er zu kennen glaubte, dessen Namen er aber nicht wusste. Suchte die Finsternis ab, suchte die Schatten ab. Fand ihn…und wünschte sich, er hätte es nicht. Galle kroch wie Säure Shikamarus Kehle hinauf. Das violettäugige Gesicht hing wie eine Dämonenmaske; in einem grauenhaften Grinsen vom rechten Mundwinkel an aufgerissen bis durch die gesamte Wange. Blut quoll schwallartig aus der herabhängenden Haut, die Zähne und Zunge mit Rot geflutet – doch die ruinierten Lippen bewegten sich. Noch immer krächzte diese vertraute Stimme hervor.    ‚Renn. Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.‘   Warte!   Er streckte eine Hand nach dem Mann aus.    Blendendes Licht; es zerfetzte die Dunkelheit, löschte die Vision des entstellten Gesichts, füllte Shikamarus Sinne, bis er vor Schmerzen brannte, riss den Schatten heraus und schleuderte ihn ins Licht. Shikamaru versuchte zu rufen, doch ein Mund senkte sich auf ihn herab, eine nasse Zunge schlang sich um seine eigene und schluckte seinen Schrei.    ‚Zeig mir deine Natur.‘   GEH RUNTER VON MIR!   Shikamaru wurde aus dem Schlaf gerissen, der Albtraum noch immer lebendig in seinem Verstand. Er schlug um sich, traf die Lampe und das Durcheinander auf seinem Tisch und sandte alles krachend auf den Boden mit seinem Körper direkt folgend. Ein gläsernes Splittern und das Licht erstarb, um den Raum in Dunkelheit zu tauchen.    Ein Brüllen in seinen Ohren wie ein hohes Schrillen…   Und dann sein Herzschlag, der so heftig in seiner Brust donnerte, dass es ihn atemlos machte.    Atme!   Schwer keuchend schnappte er nach Luft, die nicht kommen wollte und lag einfach nur fassungslos da, während ihn Stakkato Visionen überschwemmten – ein zerfetztes Gesicht, lilane Augen, schwarze Augen, Schatten und blendendes Licht. Viel zu betäubt, um Schmerz wahrnehmen zu können, stierte er mit aufgeplatzter Wange durch weite Augen.   Stop…   Panik packte ihn und jagte durch ihn.    Stop…   Sie überzog seinen Körper mit Eis und fror seine Fähigkeit zu denken, zu verarbeiten, zu reagieren ein.    STOP!   Rettung kam in einem unterbewussten Schrei, der sich durch sein Hirn schnitt. Ohrenbetäubend. Überwältigend. Shikamarus Verstand brach ab und ein Spasmus erschütterte ihn von der Wurzel seiner Wirbelsäule bis zur Schädelbasis – schnell wie ein Reflex und brutal wie ein Krampfanfall. Seine Augen rollten nach hinten in seinen Schädel und ein süßes Erschauern von etwas Warmen flutete seine Venen zusammen mit einer verstörenden Empfindung, dass etwas von ihm fort glitt…etwas…jemand…   Nein. Nein. Nein. Wach auf…wach auf…WACH AUF!   Energisch um Bewusstsein kämpfend öffneten sich Shikamarus Augen flatternd, bis sie halb abgeschirmt waren und unkontrolliert rollten. Er meinte, das Gesicht zu sehen, an das er sich kaum entsinnen konnte, doch die Konturen verschwammen zu einem Chaos von Blut und Schatten. Und zu Worten; schwach und entschwindend, ein sterbendes Echo in der Leere, in der noch vor wenigen Momenten der Albtraum gelebt hatte.    ‚Nein. Das bist du nicht.‘   ‚Das tut es nicht.‘   Nicht was? Nicht was?   Sein Körper erschlaffte. Die Hitze verließ seine Venen und ließ ihn eiskalt zurück. Noch ein paar weitere Sekunden desorientierter Panik – und dann sprang sein Hirn zurück aus dem Blackout und traf ihn hart. Sein Magen drehte sich und er schluckte den Drang zu würgen hinunter. Als nächstes kam der Schmerz und entfaltete sich in einem Rausch mit pochender Wange, zuckendem Knie und einer verdrehten Empfindung, im ungünstigsten Winkel auf dem unnachgiebigen Boden gelandet zu sein.    Boden…Zimmer…mein Zimmer.   Ein zerfetzter Atem bebte aus ihm. „Scheiße“, wisperte er zitternd und benommen.    Er musste noch ein paar Mal mehr blinzeln, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten; vertraute Umgebungen, vertraute Umrisse – bis hin zu den Windungen im Holzboden. Schon immer hatte er den Eindruck gehabt, als würden sie wie Gesichter aussehen, verzerrt und unscharf und –    Sekunde…   Wie war er auf dem Boden gelandet? Und wie hatte er es geschafft, dabei auch noch auf dem Gesicht aufzuschlagen? Stirnrunzelnd hob Shikamaru den Kiefer und zischte über den Schmerz. Verdammt, tat die rechte Seite seines Gesichtes vielleicht weh. Er schnitt eine Grimasse, fühlte das Ziehen und Stechen aufgeplatzter Haut auf seiner Wange. Und dieser Gedanke löste ein weiteres meuterndes Aufwallen in seinen Eingeweiden aus, brachte einen ekelerregenden Geschmack in seinen Mund; den phantomhaften Hauch von Blut. Mit der Zunge fuhr er sich über die Zähne, suchte nach aufgeschnittenem Zahnfleisch oder abgesplittertem Schmelz. Nichts.    Dir geht’s gut. Steh…einfach auf und mach weiter…   Er war sich nicht sicher, woher diese mentale Ausdrucksweise kam, doch er fügte sich.    Wimmernd schob er seine Handflächen unter sich, um seinen schmerzenden Oberkörper vom Boden zu stemmen. Und er brauchte eine benommene Sekunde um zu realisieren, dass er ein Bein noch immer hinter sich in den Laken verwickelt hatte. Das erklärte dann auch seine Bruchlandung auf das Gesicht. Klasse. Was für eine Art aufzuwachen. Er konnte sich ja nicht einmal daran erinnern, eingeschlafen, geschweige denn, aus dem Bett gefallen zu sein. Selbst der Albtraum fühlte sich inzwischen verschwommen an, die Schrecken zersplittert und beinahe vergessen. Er versuchte zu denken, doch sein Kopf pochte heftig unter der Anstrengung, sich zu erinnern.    Ich schwörs, ich hab mir gerade selbst eine verfickte Gehirnerschütterung verpasst…   Zorn wusch heiß und unmittelbar durch ihn; er war sicherer als die Furcht und lenkte ihn von dem kalten Schweiß ab, der seine Haut benetzte.    Steh auf, du Genie.   Knurrend befreite Shikamaru sein Bein aus den Laken und kam auf die Füße, während er sich das feuchte Shirt über den Kopf zerrte. Ruckartig riss er die Laken vom Bett, die Kissenbezüge, einfach alles. Scharfe, abgehackte Bewegungen, die er alle ohne das geringste Anzeichen von Zittern oder Atemlosigkeit durchführte, von denen seine Albträume normalerweise begleitet wurden.    Und er war viel zu angepisst, um diese Veränderung zu bemerken. Viel zu begierig darauf, die Nacht fort zu waschen, statt innezuhalten und über diesen Albtraum nachzudenken. Viel zu entschlossen – wie immer - es einfach zu vergessen, auszulöschen, daran vorbei zu gehen.    Scheiß drauf.   Grollend wischte er sich das Blut von der Wange und knüllte sich die Laken unter seinen Arm, während er sich auf Zehenspitzen einen Weg durch die Glasscherben bahnte. Er würde nach einer Dusche zurückkommen, um dieses Durcheinander aufzuräumen, den Mist aufzuwischen und all die verdammten Teile wieder dorthin zu setzen, wo sie hingehörten.    Genau so. Dämlich simpel.   Ebenso dämlich simpel wie seinen Rücken der Szenerie zuzuwenden; vollkommen nichtsahnend von den Schatten, die sich in den vier Winkeln des Zimmers sammelten. Ihre unnatürliche Dichte hielt sich wie ein angehaltener Atem und als die Tür ins Schloss fiel, verflüchtigte sie sich zu einem bedeutsamen schwarzen Seufzen, entrollte einen dunklen dampfigen Nebel über die Dielenbretter und schluckte verstreute Shogi Teile, einen Magic 8 Ball, ein Chaos aus Papierkram und gekritzelter Notizen…ein umgefallenes Foto von Team 10…und eine umgestürzte Uhr, die ein einsames ‚Vier Uhr morgens‘ zwinkerte.   ~❃~   Noch einmal las Neji die Nachricht.    Kein direkter Befehl, sondern nur eine Reihe von Richtungsanweisungen in Großbuchstaben, die erklärten, wo sein ANBU Führer auf ihn warten würde. Er prägte sich die Route ein, schlang sich seinen Knappsack über die Schulter und verließ sein Zimmer durch das Fenster, während er die Notiz in seine Robe steckte. Als er sich so bewegte, verspürte er eine Leichtigkeit in seinem Gang; ein unsichtbarer Wind unter unsichtbaren Schwingen.    Kein Vogelgesang begrüßte ihn, nur eine unheimliche Stille.    Alles war so still. Nebelfetzen hingen tief in der Hyūga Siedlung, drifteten über den verlassenen Innenhof und die polierten Holzwege. Wie ein Geist bewegte sich Neji durch den Dunst und seine nebelweißen Augen glitten nach oben, wo der Himmel im Osten weich wie eine Edelrose glühte und eine rote Morgendämmerung versprach.    Ein roter Mond in der vergangenen Nacht. Ein roter Morgen an diesem Tag.    Und dennoch schien die Morbidität dieser Zeichen schwach und substanzlos zu sein. Er hatte kein Verlangen danach, über Omen nachzudenken; nicht, wenn er einen festen Talisman in seinem Knappsack mit sich trug. Von der Sekunde an, als er die ANBU Maske aufgenommen und ihre glatte, eisige Passform an seiner Haut gespürt hatte, hatte er eine unauslöschliche Wärme in seinem Blut und ein Feuer in seinem Bauch gefühlt. Fort war das Frösteln, das ihn seit Monaten gepackt hielt, die Empfindung, machtlos und im Grunde festgefroren zu sein, vollkommen von Hoffnung oder Garantie beraubt, unfähig, sich vorwärts zu bewegen; unfähig, sich zu entwickeln.   Nie wieder. Endlich, steht mir nichts mehr im Weg…   Nichts mehr, auf das er warten musste. Nichts mehr, gegen das er ankämpfen musste. Nichts mehr, das zwischen ihm und seinem Schicksal stand – zwischen ihm und seiner Freiheit.    Und dann umrundete er eine Ecke.    Hyūga Hitaro stand an den Toren, mit einem Blick so arktisch wie sein Lächeln.    Schlagartig wachsam geworden verlangsamte Neji seine Schritte, blieb aber nicht stehen. Gestern wäre er stehen geblieben; gestern hätte er eine gestelzte Verbeugung vollführt. Aber nicht heute. Nicht einmal morgen.    Niemals wieder.   Mit gestrafften Schultern hielt er seinen Blick geradeaus gerichtet und wappnete sich für alles, was der Älteste wohl an Giftigkeit oder Brutalität gegen ihn richten würde. Trotz Hitaros Beharrlichkeit, ihn zu quälen, konnte Neji dennoch niemals vorhersehen, welche Waffe Hitaro nutzen würde; vergiftete Worte, einen chakrageladenen Schlag…das Fluchsiegel.    Ein Stich phantomhafter Schmerzen.    Neji blinzelte gegen die dumpfe Pein hinter seinen Augen an.    Verrückt, wenn man bedachte, was er alles ertragen und überwunden hatte. Doch selbst Ibikis psychologische Folter und ANBUs zermürbender Drill waren Hitaros Sadismus vorzuziehen; denn das hier, genau jetzt, war persönlich. Zutiefst persönlich. Ein Angriff, der direkt auf sein Herz zielte, nicht auf seinen Kopf. Und auch wenn das Narbengewebe, das er sich über die vergangenen paar Wochen erarbeitet hatte, zu einer Art undurchdringlichen Rüstung geworden war, juckten einige Krusten, die Ibiki aufgerissen hatte, noch immer mit einem altvertrauten Gefühl. Mit diesem altvertrauten Zorn.    Atme.    Ein leises Ausatmen und dampfende Luft wirbelte davon. Neji stellte sich vor, wie der Zorn damit fort schwebte; fühlte sich ruhiger und mehr in der Kontrolle. Und dann kräuselte sich Hitaros breiter, nach unten gebogener Mund an den Winkeln zu der kruden Imitation eines Lächelns.    Neji kannte dieses Lächeln; ebenso gerissen, wie es grausam war.    „Ich bin überrascht von dir, Neji“, murmelte Hitaro.    Argwöhnisch wegen der düsteren Belustigung in diesen Worten, kam Neji unter dem Vorwand, seinen Knappsack zurecht zu rücken, langsam zum Stehen. Er hielt seinen Blick selbst dann noch über die Tore hinweg gerichtet, als sich Hitaro gelassen in Bewegung setzte, um ihm den Weg zu versperren.    „Nach all diesen mühsamen Trainingsstunden. Nach all der Entwicklung, die sie gemacht hat“, seufzte Hitaro die Worte hervor, als würde es ihn zutiefst verletzen, sie aussprechen zu müssen, während er die Arme vor der Brust in den Schatten seiner Ärmel verschränkt hielt und einen langsamen meditativen Kreis um Neji zog. „All diese kostbaren Familiensentimentalitäten, die du ihrem Herzen eingeflößt hast und die sie glauben lassen, sie könnte wirklich irgendeinen Unterschied machen.“ Er hielt inne und schnalzte mit der Enttäuschung eines Schulmeisters mit der Zunge, bevor er Neji mit einem tadelnden Blick bedachte. „All diese Hoffnung. Nur um sie dann zurück zu lassen.“   „Ganz im Gegensatz zu deiner geringschätzigen Meinung über Hiashi-samas Tochter“, biss Neji zwischen den Zähnen hervor, „besitzt Hinata-sama sowohl die Reife, als auch die Klugheit, um zu verstehen, warum ich sie nicht für diese Mission ausgewählt habe. Aufträge sind niemals persönlich.“   „Oh Neji“, raunte Hitaro und eine hoch erfreute Gefahr brannte hinter dem Eis in seinen Augen. „Aber wer hat denn jemals gesagt, dass ich von der Mission rede?“   Wie ein Messer in die Eingeweide. Ein mitleidloser Stoß.    Scharf sog Neji die Luft durch die Nase ein und sein Magen verkrampfte sich. Er versteifte sich, als sich Hitaro nach vorn lehnte; fühlte, wie sich die Klinge tiefer grub, als der Älteste einen verschwörerischen Blick über Nejis Schulter warf und zurück zu den Hyūga Anwesen sah.    „Ich frage mich, wie verständnisvoll sie sein wird, wenn sie erfährt, dass du sie und ihre Schwester einfach so einem Schicksal überlässt, dem du mit allen Mitteln zu entfliehen versuchst“, murmelte Hitaro flüsterleise. „Fürwahr, ich kann nicht anders, als mich zu fragen, als wie unpersönlich sie das ansehen wird. Und was Hanabi angeht? Himmel, ich schaudere, wenn ich nur daran denke.“   Für einen entsetzlichen Moment füllte sich Nejis Verstand – der vor Sekunden noch so klar und ruhig gewesen war – mit all den Bestandteilen seiner Albträume. Eine Vision von Ketten und Käfigen; Schmerz und Verfolgung; Verpflichtung und Befehle; Hizashis Blut an den Händen seines Zwillingsbruders; Hinata und Hanabi mit verschränkten Fingern, lachend, lächelnd, sicher, weil er dafür gesorgt hatte – und dann sah Neji sich selbst…nicht in dem Bild…nur gerade so in dem Rahmen…ein schwarzweißes Porträt in einem Sturm sich bewegender Abbilder…ein törichtes und vergessliches Kind…ein erbärmlicher Papiertiger…seine Streifen unverändert…dazu bestimmt, dieselbe Straße entlang zu laufen…einen Hyūga Verwandten zu beschützen; eine Schwester, eine Cousine…dazu bestimmt, das Leben seines Vaters zu leben…dazu bestimmt, den Tod seines Vaters zu sterben…   Nein…   Die Empfindung vollkommener Ablehnung war so stark, so tief und so unerträglich und kam direkt aus seiner Seele, dass er beinahe von Hitaro fort gezuckt wäre, um Gift und Galle auf den grauen Pfad zu spucken. Das hätte er auch gemacht; er hätte jede verrottete Emotion herauf gewürgt, die er noch zu verlieren hatte, wenn nicht jede Faser seines Körpers so bleiern und kalt geworden wäre wie das gepanzerte Herz, das in lauter und brutaler Rebellion in seiner Brust hämmerte.    Niemals wieder. Niemals wieder.    Er würde nicht zu einer weiteren Dreingabe werden. Einem weiteren Märtyrer.    Ein weiteres Opfer…   Und ohne auch nur eine einzige Sekunde zu zögern, was das bedeuten oder ihn vermutlich kosten würde, schloss Neji die Augen, legte kalte mentale Finger um das Heft der Klinge, die Hitaro in seinem Herzen begraben hatte und riss sie heraus; durchtrennte emotionale Saiten und Bande des Fühlens in einem einzigen betäubenden Schnitt.    Die Übelkeit verließ ihn.    Das Narbengewebe verdickte sich.    Sein Herz wurde ruhiger.    Und als sich seine Augen öffneten, brachte die vollkommene Leere in ihnen Hitaro dazu, zurück zu weichen. Für eine lange harte Sekunde musterte der Älteste ihn und zog spekulierend und mit einem Hauch dämmernder Überraschung die Augen zusammen. Kopfschüttelnd schnaubte er ein leises Lachen heraus. „Törichtes Kind. Du tauschst ein Gefängnis gegen eine Gruft ein. Ob du nun in einem Käfig oder hinter einer Maske stirbst, du bist noch immer deines Vaters Sohn. Selbst jetzt, wo du deine Familienbande zerschneidest wie es Hizashi nicht getan hat; das Ergebnis ist das Gleiche, unausweichlich und unentrinnbar. Sein Schicksal ist alles, was du jemals erlangen wirst.“   Vollkommen gefühllos für die Worte – und die Splitter der Wahrheit, die sie noch tiefer getrieben hätten – schüttelte Neji einfach nur den Kopf und seine Lippen bogen sich zu einem kahlen Lächeln. „Wenn das wahr ist“, murmelte er. „Dann habe ich auch wirklich nichts mehr zu verlieren, nicht wahr?“   Hitaros Miene verzog sich marginal und sein Mund schürzte sich zu einem Knoten, als wäre der süße Geschmack des Sieges plötzlich sauer geworden. Selbst die Bosheit, die hinter seinen Augen geglommen hatte, war erloschen. Seine Grausamkeit aufgebraucht. Und selbst dann vollführte er noch eine herablassende Schau, als er sich von Nejis Weg zurück zog und zur Seite wandte, um eine Hand in einer Geste des Pardons und spöttischer Ermunterung nach außen schwingen zu lassen, wobei der lange Ärmel seiner Robe wie eine weiße Flagge zwischen ihnen flatterte.    Als würde er diese Macht jemals aufgeben…   Nie in seinem Leben. Ein Leben, von dem erwartet werden würde, dass Neji es rettete. Ein Leben, von dem von ihm erwartet werden würde, sich dafür zu opfern. Hiashi. Hinata. Hanabi. Hitaro. So unterschiedlich sie auch waren, letztendlich war seine Verbindung zu ihnen dieselbe. Und Hitaro hatte diese Wahrheit trotz all seiner Durchtriebenheit niemals wirklich gebeugt. Es spielte keine Rolle, aus welchem Winkel Neji es betrachtete; das Ergebnis war, genau wie Hitaro es so passend formuliert hatte, ‚unentrinnbar‘.   Aber diesmal nicht.   Neji nahm einen langen Atemzug gegen den Zorn und atmete ihn mit einem mentalen Wispern wieder aus.    Niemals wieder.   Sich einzig und allein auf Überzeugung verlassend, verließ Neji die Siedlung…verließ seine Cousinen…verließ Teile seines Selbst…verstreute Federn auf einem von Asche vernarbten Weg.    ~❃~   „Du solltest dir eine Katze für sowas zulegen.“   „Neugierde zahlt sich für Katzen nicht gerade besonders gut aus, oder?“   „Wird sich für dich auch nicht besonders gut auszahlen, Welpe“, grummelte Pakkun, während er seinen Weg über den schmalen Grat eines graugedeckten Daches entlang wackelte.    Kakashi folgte ihm geduckt, mit straffen Muskeln und tiefem Körper. Gemessen an der Wohngegend, die sie gerade betreten hatten, war es klüger sich auf den höheren Leveln zu halten, statt sich durch die darunter liegenden Gassen zu navigieren. Ihre derzeitige Route hatte sie über die Dächer mehrerer dreistöckiger Kura Dozō geführt; traditionelle irdene Lagerhäuser. Sie standen in einer Reihe aneinander und waren gebaut, um Feuer ebenso zu widerstehen wie Frost und silberhaarigen Narren mit halbgaren Illusionen von…   Von was?   Genmas Rettung unter dem Deckmantel einer freundschaftlichen Einmischung? Einen auf Familienintervention machen?   Er ist nicht Familie.   Niemand, der wichtig gewesen war, war das gewesen; Minato-sensei, Obito, Rin, Sasuke, Asuma. Und dennoch betrauerte er sie noch immer, vermisste sie noch immer. Der Gedanke ließ Kakashi eiskalt erstarren. Er blieb stehen, stierte hinaus auf die umgebenden Gebäude mit ihren taubengrauen Ziegeln und weiß gestrichenen Wänden und fragte sich, welche Farbe sein eigenes inneres verstärktes Schließfach hatte; ein Ort, wo Ornamente der Trauer und Erbstücke der Reue herum lagen und auf den höchsten Regalen Staub ansetzten.    Genma zu retten wird nicht ändern, was ich getan habe…   Oder was er nicht getan hatte. Wie arrogant, anzunehmen, er würde die Fähigkeit besitzen, irgendjemanden zu retten. Die einzige Person, die er jemals gerettet hatte, war er selbst gewesen. Immer und immer wieder, um das zu bewahren, was noch übrig war und alles und jeden loszulassen, der drohte, ihm zu viel zu nehmen.    Und dadurch, dass dich das getan habe, habe ich so viele Menschen im Stich gelassen…   Genma hatte nicht unrecht gehabt, was Kakashis Sinn für Reue und Buße anging; Kakashi war nur nicht bereit, den Shiranui dahingehend vollkommen recht haben zu lassen.    Diesmal nicht.   Ein leises Schnauben rief ihn zurück.    Blinzelnd sah er sich um.    Pakkun war ein paar Meter weiter stehen geblieben und hatte sein faltiges Gesicht zurück gewandt. „Du keifst mich an, weil ich für fünf Sekunden pissen muss und du stehst da rum und glotzt tagträumerisch in die Gegend.“   Ein geübtes Schmunzeln und Kakashis graues Auge funkelte mit falschem Licht. „Sorry.“   Pakkun schniefte und kaufte ihm das Schauspiel nicht für eine Sekunde ab, doch er sprach Kakashi auch nicht darauf an – was bei seinem kleinen streitlustigen Hund eine Seltenheit war. So sehr es den Kopierninja auch schmerzte, dass seine Ninken in seiner Gesellschaft momentan so nervös waren, in diesem Moment diente es seiner Privatsphäre und dadurch auch seinem Zweck.    Er nickte nur und Pakkun lief weiter, um Kakashi über die Ansammlung von Kura Dozō bis zu den niedrigeren Dächern von Kaufmannshäusern zu führen. Rasch bewegte sich Kakashi über die elegant mit Schindeln und teuren Ziegeln versehenen Dächer und erhaschte einen Blick auf seinen Schatten, der über kunstvolle Gärten huschte; einsame Glyzinien, moosige Steinlaternen und gepflegte Sträucher mit makellosen Quadraten farbigen Kieses und der gelegentlichen Spirale von blassem, gerechtem Sand.    Stirnrunzelnd sprang Kakashi um ein zierreiches Dachornament herum. „Bist du dir sicher, dass wir in der richtigen Gegend sind?“   Pakkun grunzte. „Was hast du erwartet? Irgendeine Art Opiumhöhle in einer versifften Hintergasse?“   Ganz genau das.   Kakashi schnitt eine Grimasse angesichts dieser Naivität – oder war es Zweckdienlichkeit? – des Bildes, das er in seinem Verstand heraufbeschworen hatte; vollkommen einfallslos und geradezu peinlich klischeehaft. Er hatte sich Genma vorgestellt, wie er eine heruntergekommene Bruchbude aufsuchte, die vollgestopft war von schäbigen Süchtigen mit nichts in ihren Augen, Nadeln in ihren Venen und kleinen pinken Pillen zwischen ihren Zähnen. Es war einfacher gewesen, sich das vorzustellen.    Einfacher, sich vorzustellen, wie er in diesem Fall damit umgehen würde. Wen kümmerte es schon, ein stinkendes Rattennest auszurotten? Die Höhle eines Löwen hingegen war eine vollkommen andere Sache.   Aktionsplan, grübelte er trocken, immer gut, einen zu haben.    Auf dem nächsten Dach hielt Pakkun inne und schnupperte über die Ziegel.    Direkt auf den Fersen des Ninken ging Kakashi tief in die Hocke, um seinen Schatten so klein wie möglich zu machen und sah sich um, um die unmittelbare Umgebung zu scannen. Er hob einen von sechs Zigarettenstummeln auf, die zusammen mit anderem Müll und Zeichen von Durchgangsverkehr die Ziegel übersäten; verrottende Sonnenblumenkerne und Pistazienschalen, ein paar Lebensmittelverpackungen, Flecken eingetrockneten Kaugummis und eine einsame Shōchū Flasche, die sich in den Spinnenweben der Regenrinne verfangen hatte.    Offensichtlich diente das Dach als improvisiertes Wartezimmer für die Ninja Klienten.    „Schätze mal, das ist der Ort“, murmelte er.    „Gern geschehen“, grummelte Pakkun und hüpfte hinauf auf den Grat.   Mit schimmerndem grauem Auge schnippte Kakashi mit den Fingern. „Komm runter. Du wirfst einen Schatten.“   „So wie du.“ Pakkun duckte seinen Körper zu einem kleinen Ball zusammen. „Zumindest bin ich klein genug, um als Taube durchgehen zu können.“   „Eine Taube…“, wiederholte Kakashi vollkommen sarkastisch. „Unfassbar.“   „Sprich für dich selbst. Du bist mal ein richtig erbärmlich aussehender Reiher, du unerträglicher Welpe.“   Schon wieder dieser lange verlorene Kosename; seine Ninken hatten Kakashi seit Jahren nicht mehr mit dieser albernen kleinen Zärtlichkeit geneckt. Er hätte niemals gedacht, dass er es vermissen würde, ihn zu hören, gemessen an all den Kindheits- und Jugendjahren, die dabei ausgegraben wurden. Lange und einsame Jahre…bittere Jahre…Jahre, die durch die Anwesenheit und den Schutz seines Ninken Rudels einfacher gemacht worden waren, ganz besonders während Kakashis ANBU Tagen. Trotz all seiner Fehltritte und all der Phasen des unbeständigen Mondes in seiner Seele waren sie immer für ihn da gewesen.    Immer.   Und trotz all seiner schrecklichen Wortspiele und seiner ausweichenden Redewendungen verspürte Kakashi die ernüchternde Wahrheit, wenn es um den ‚besten Freund des Menschen‘ ging.    Aus den Augenwinkeln sah er zu Pakkun und sein Blick wurde weich.    Weiter unten öffnete sich die Balkontür.    Rasch duckte sich Pakkun außer Sichtweite.    Fluchend drehte sich Kakashi in der Hüfte und glitt seitwärts in das tiefe V aus Schatten zwischen dem zweigiebligen Dach. Er presste seinen Rücken gegen die Ziegel und verkeilte Ellbogen und Fersen. Lauschend legte er den Kopf schief.    Das phlegmatische Husten einer Frau erklang nass und rasselnd. Er hatte diesen Klang schon früher gehört.    Hayate.   Der Name kam und ging und ließ Kakashi über zeitlich begrenzte Krankheiten und Genesungsraten nachdenken. Nicht, dass er Genmas Zustand für unheilbar hielt.    Nur kompliziert. Und chaotisch.    Und dennoch war er hier und war dabei, sich die Hände schmutzig zu machen. Er blendete das Husten aus und lauschte stattdessen den rituellen Geräuschen von Tee, der eingegossen wurde; das sanfte Plätschern von Wasser, das kräftige Klopfen eines Quirls, der das Gebräu umrührte. Unter dem Klappern von Porzellan fing Kakashi das Schlurfen sandalenbewährter Füße und das Klacken hölzerner Geta auf. Zwei Personen; eine weiblich, die andere unbekannt – zumindest bis die Frau das Wort ergriff.    „Mein lieber Dr. Mushi“, schnurrte sie mit heiseren und leisen Tönen; entweder beabsichtigt oder aufgrund angeschlagener Gesundheit. „Was bringt dich in meine schäbige kleine Stube?“   „Kaum die Worte, die ich genutzt hätte, um es zu beschreiben. Du hast dich sehr gut eingerichtet“, antwortete der Doktor. „Dreh dich um, lass mich einen Blick auf dich werfen.“ Ein leises Klatschen, als hätte er die Hände aneinander geschlagen. „Ah, Mizugumo, dich so strahlend zu sehen macht mich zu einem sehr glücklichen Mann.“   „Und wenn deine Währung aus falschen Komplimenten bestünde, wäre ich eine sehr reiche Frau.“   „Es war kein falsches Kompliment. Und soll ich wirklich glauben, du würdest dich selbst nicht für reich halten?“   Mizugumo stieß ein kehliges, verführerisches Lachen aus. „Du bist doch nicht hierher gekommen, um diese kleinen Seelenklempner Spielchen mit mir zu spielen, oder doch? Wie enttäuschend.“   „Nein.“ Eine kurze Pause und der Doktor räusperte sich. „Ich…brauche einen Gefallen.“   Stuhlbeine kratzten und das Rascheln von schwerem Brokatstoff erscholl. „Willst du dich nicht setzen?“   „Leider kann ich nicht bleiben.“   „Tz. Das sagen alle Jungs am Morgen.“   „Dann hast du bisher nicht den richtigen Mann gefunden, oder?“ Ausgesprochen in einem Ton, den Eltern wahrscheinlich einem Kind gegenüber annahmen. Wer war diese Frau für diesen Mann? Und Mushi – Kakashi hätte schwören können, dass er den Namen bereits gehört hatte. Was Mizugumo anging…dieser Name läutete einige dunkle und entfernte Glocken aus seinen ANBU Tagen.    Mizugumos Schweigen fühlte sich marginal fröstelnd an. „Was brauchst du?“   „Nirvana.“   „Oh mein Lieber, brauchen wir das nicht alle?“   Er seufzte. „Mizugumo.“   „Zwanzigtausend Ryō.“   „Zwanzigtau-!“ Mushi brach ab und nahm einen beruhigenden Atemzug. „Bestrafst du mich dafür, dass ich mich um dein emotionales Wohlergehen sorge?“   „Dich bestrafen? Ich habe dir gerade Rabatt gegeben. Du bist nicht mein einziger Klient.“ Ihre nächsten Worte erklangen gedämpft und hohl, als hätte sie eine Tasse an ihre Lippen gehoben. „Und du bist ganz bestimmt nicht mein Vater.“   „Das kann ich mir nicht leisten.“   „Nur wenige können das. Aber es gibt andere Wege um zu zahlen.“   Ein prustendes Ausatmen, als hätte der Doktor die Backen aufgebläht. „Du willst immer noch von mir, dass ich dir einen Spender beschaffe?“   „Meine Güte, du lässt es klingen, als wäre das geradezu skandalös.“   „Du weißt, dass ich das nicht tun kann. Es ist unethisch.“   „Oh, aber das hier nicht? Du kommst hierher und bittest mich um Medikamente, die du nirgendwo sonst bekommen kannst; geschweige denn auf legale Weise verschrieben.“ Mizugumo schnaubte. „Sag mir, guter Doktor, was für ein Klient von dir könnte wohl Nirvana brauchen, der nicht bereits in einem Krankenhaus liegt oder nur noch einen Atemhauch von der süßen Erlösung entfernt ist? Im Ernst, warum ist nicht Tsunade deine erste Anlaufstelle?“   „Die Situation ist kompliziert. Aber ich will es leichter machen.“   „Leichter…“, murmelte Mizugumo. Mit einem sanften Klacken setzte sie ihre Tasse ab. „Du hast vor, deinen Patienten zu euthanasieren.“ Mushis Schweigen bestätigte diese Worte nur und Mizugumo seufzte. „Eine ziemliche kleine Intrige. Weiß die Hokage davon?“   „Nein.“   Kakashis Ohren spitzten sich. Ein Arzt, der einen Patienten euthanasierte? Ohne es vorher mit Tsunade abzuklären? Ein Verstoß, der umso alarmierender war, wenn man bedachte, dass sich dieser Mann anhörte, als wäre er eher ein Psychologe und nicht ein Facharzt der Physiologie.   Was zur Hölle geht hier vor?   Ein Rascheln über ihm.    Kakashi versteifte sich, bis sich Pakkun auf seinen Kopf kauerte. Der Kopierninja zog eine vernichtende Miene, gab aber keinerlei Geräusch von sich, sondern fixierte seine Ohren auf die Stille, die sich über den Balkon gelegt hatte.    Ein scharfes Trommeln von Fingernägeln auf einer Tischplatte. „Nirvana ist keine Glücklichmacher-Pille, guter Doktor. Ich gebe das nicht an meine Kinder weiter, außer, sie selbst haben ihre eigenen Erlaubnisscheine unterschrieben. Und in denen steht für gewöhnlich: ‚Ich, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, erkläre hier-“   „Mizugumo…“   „Oder – mein persönlicher Favorit: Lebwohl, grausame Welt…“   „Mizugumo, bitte!“   „Oh sei still.“ Sie verfiel selbst kurz in Schweigen, das nur von einem weiteren Klopfen ihrer Nägel durchbrochen wurde. „Wenn ich oder irgendjemand von meinen süßen Mädchen und Jungen in irgendeiner Weise involviert werden würden.“   „Ich habe dein Geheimnis jetzt schon seit über fünfzehn Jahren für mich behalten, Mizugumo.“   „Oh ja, sicher bist du unserer Doktor-Patienten Verschwiegenheitspflicht gerecht geworden. Auch wenn ich kaum glaube, dass es das ist, was dich dazu gebracht hat, deinen Mund zu halten. Auf jeden Fall ist es die eine Sache, unter der Nase der Hokage mit Medikamenten zu handeln und eine vollkommen andere, mit dem Tod zu handeln.“   Mushi seufzte. „Und selbst nach all der Zeit glaubst du immer noch, dass es da einen Unterschied gibt? Das war schon immer dein Problem, Mizugumo und jetzt hat es sich als dein Untergang erwiesen.“   Ein bösartiges Fauchen und Kakashi hörte, wie die Stuhlbeine zurück kratzten. „Niemand spricht so mit mir!“, murmelte Mizugumo mit dünner und schwacher Stimme unter der Anstrengung eines zurückgehaltenen Hustens. „Wenn du an meinem Angebot nicht interessiert bist, dann rate ich dir zu gehen.“   „Bitte denk darüber nach, Mizugumo. Dieser Mann leidet unter extremen Schmerzen.“   „So wie alle meine Kinder, lieber Doktor.“   „Und ebenso wie du, wie ich mir vorstellen kann. Wenn du nur deine Sturheit beiseite schieben und Tsunade-sama um Hilfe bitten würdest, dann wäre es vielleicht noch nicht zu spät für dich, um-“   „Auch wenn es vielleicht nicht zu spät für mich wäre, ist es doch viel zu spät für das. Das war es schon immer.“   „Mizugumo…“   „Shush. Du kannst uns nicht alle retten, guter Doktor. Und wenn ich nicht länger hier bin, um mich deiner Schlamassel anzunehmen und die Schmerzen deiner gescheiterten Fälle zu lindern…“ Sie brach ab und ließ die Bedeutung dieser Worte hängen. „Nun, jetzt denkst wohl du etwas mehr über das Angebot nach. Und wenn du damit fertig bist, dann werden wir es bei einem Tee klären. Jasmin. Dein liebster.“   Für eine Weile schwieg Mushi, was das Rätsel um die Worte der Frau nur noch größer machte. Gescheiterte Fälle? Angenommene Schlamassel? Galt das für Genma? Kakashi konnte sich nicht vorstellen, wie der Senbon kauende Zyniker vor einem Seelenklempner saß, ganz zu schweigen davon, dass er ihm das Herz ausschüttete.    Also kommt er hierher? Zu dieser Frau?   Letztendlich sprach Mushi, doch seine Stimme war ein ernüchtertes Murmeln. „Auf Wiedersehen, Mizugumo.“    Sie zeigte ihm nicht den Weg nach draußen.    Kakashi hörte die sich entfernenden Schritte des Doktors in einem Rascheln zurück durch das Haus und hinaus auf die Straße. Gemessen an der schmutzigen Natur der wie auch immer gearteten Angelegenheit, in die dieser Mann verwickelt war, hätte sein Rückzug für Kakashi nichts anderes als das Krabbeln einer Kakerlake aus dem Wrack von jemand anderem sein sollen. Und dennoch…   Kakashis Augen zogen sich zusammen. „Geh ihm nach.“   Pakkun erhob sich, wobei seine Pfoten durch Kakashis Haar wuschelten. „Sicher?“   Kakashi antwortete nicht. Und Pakkun fragte nicht nochmal. Grummelnd sprang der Hund aus seinem Bett zerzauster Silbersträhnen und mit mehr Anmut, als eine Katze vermutlich einen Ninken für fähig gehalten hätte, huschte er geschickt und leise über das Dach.    Kakashi bewegte sich keinen Millimeter, sondern wartete auf die Frau. Nicht ein einziger Laut war von ihr seit Mushis Abgang zu hören.    Alles war verstörend still.    Noch gute drei weitere Minuten und Kakashi musste sich fragen, ob sie nicht irgendwie unter der Deckung der Schritte des Doktors verschwunden war. Mit den Handflächen drückte er seinen Rücken fort von der Dachschräge und sein Körper drehte sich geräuschlos, als er näher an die Regenrinne rutschte – dann erstarrte er.    Ein Rascheln - trockenen Blättern nicht unähnlich – verfing sich in der Traufe.    Leicht neigte Kakashi den Kopf, identifizierte das Geräusch als irgendein Gewebe, gefolgt von dem leisen surrenden Flüstern von Stoff oder Fäden, die geschnürt oder gelöst wurden. Etwas Metallisches berührte den Tisch. Ein raues Kratzen und das Zischen eines Streichholzes. Ein schwaches Knistern. Rauchbänder kräuselten sich aufwärts um die Regenrinne und der starke Geruch von Tabak füllte Kakashis Sinne – zusammen mit der Basisnote eines süßen, grasigen Duftes. Berauschend und kräftig. Er konnte ihn sogar durch den Filter seiner Maske muffig auf der Zunge schmecken.    „Komm in meine Stube“, sangen die leisen heiseren Töne, „sagte die Spinne zu der frechen kleinen Fliege.“   Mit flackerndem grauem Auge wurde Kakashi stocksteif.   Unmöglich.   „Oh, sei nicht schüchtern. Ich weiß, dass du da bist. Ich weiß immer, wenn ich Gesellschaft habe. Ich spüre dann dieses warme und angenehme Prickeln.“   Das einzige Prickeln, das Kakashi spürte, war ein warnendes Kribbeln an seinem Nacken; eisig und überhaupt nicht angenehm. Stirnrunzelnd hakte er einen Daumen unter sein Hitai-ate und befreite sein Sharingan, bevor sein ungleicher Blick über das Dach glitt und nach der Falle suchte, in die er getappt war. Seine Augen weiteten sich angesichts dessen, was er vorfand; dort, so zart gesponnen und so raffiniert in die Linien der blaugrauen Ziegel eingefasst, funkelten hauchdünne Chakrafäden – wahrhaftig; ein Netz.    Genau wie eine Spinne ihre Beute bemerkt…   Das Chakrageflecht bedeckte das gesamte Dach und zog ein sensorisches Netz unter seine Füße. Er verlagerte das Gewicht und sah zu, wie die dünnen Fäden zitterten; rein und so durchscheinend, dass sie beinahe unsichtbar waren.    „Clever“, murmelte er.    „Willst du nicht herunter kommen? Es ist furchtbar kühl da oben.“   Da er ohnehin entdeckt worden war, sah Kakashi keinen Sinn darin, das Unvermeidbare aufzuschieben. Er zog sein Hitai-ate wieder über sein rotes Auge, legte seine Handfläche auf die kalten Ziegel und schwang sich über und unter die Markise. Geschickt landete er in einer Hocke auf dem Balkongeländer, ein Kunai wirbelte über die Könchel seiner rechten Hand und er neigte die Klinge gegen seinen Unterarm; bereit dazu, jederzeit zuzuschlagen – bis sein Blick dem von Mizugumo begegnete und er die Waffe beinahe vollständig fallen ließ.    Augen von der Farbe eines kalten, klaren Winterhimmels; ein Blau so blass, dass sie ein Schillern von Silber in sich hielten.    Als hätte er einen Schlag einstecken müssen, sog Kakashi die Luft ein und senkte die Waffe.    Mizugumo beugte den Kopf; ein betörendes Neigen, das ihre dichte, knöchellange Mähne dunklen, glanzlosen Haares wispernd über den Boden streichen ließ. Die Farbe von Lampenruß, deren leblose matte Textur von den weichen und schimmernden Strähnen aus Silber gerettet wurde, die sich von den Wurzeln bis hin zu den verwitterten Enden zogen. Selbst ihre Haut, durchscheinend und weiß wie reiner Kristall, offenbarte ein zartes Spinnennetz blauer und lilaner Venen; und Linien so weich wie Spinnenseide umrahmten die Winkel ihrer bezaubernden Augen und blutleeren Lippen. Eingehüllt in einen dunkelgrauen Kimono, der mit einem komplizierten Muster silberweißer Spinnweben gewirkt war, war sie zugleich ebenso schön und entsetzlich wie ein kunstfertig einbalsamierter Leichnam, der auf dem Totenbett ruhte.    „Hatake Kakashi“, raunte Mizugumo und ihre äschernen Lippen bogen sich um das Ende ihrer schlanken eleganten Pfeife, die an ihrem Mund schwebte. „So ein wunderschönes Gesicht, von dem ich niemals dachte, es einmal sehen zu können.“   Fasziniert wie er war, brauchte Kakashi einen Moment, um die Ironie zu verstehen, die in diesem Kompliment begraben lag. Für einen Augenblick vollkommen verloren schüttelte er den Kopf. „Du kennst mich“, sagte er schließlich.    Mizugumo summte tief. „Dein Ruf eilt dir voraus, kleiner weißer Fangzahn.“   Wie eine Rasierklinge über einer verrosteten Ader, das Rot so dunkel, so infiziert mit Fühlen. Es durchbrach den Bann. Kakashis Augen weiteten sich und richteten sich dann scharf auf sie. „Nenn mich nicht so.“   Amüsiert über das Knurren hinter seinen Worten formte Mizugumo ein kleines ‚o‘ mit ihren Lippen und zog in falscher Reue eine Schnute. „Vater-Komplexe sind so lästige Angelegenheiten, nicht wahr?“   Eine ausweidende Pause, in der sich Kakashi fühlte, als hätten sich seine Eingeweide in Wasser verwandelt und würden sich spritzend über den Balkon verteilen. Langsam zog er den Kopf zurück und dachte sich im Stillen, dass er diese Frau ordentlich unterschätzt hatte – diese Hexe.   Während sie sich in ihrem Stuhl drehte, stieß Mizugumo ein leises ‚Tz‘ aus, klopfte den Tabakrest aus ihrer Pfeife und beäugte ihn unter dem langen Schwung ihrer Wimpern. „Ich muss mich entschuldigen. Ich habe einen entsetzlichen Sinn für Genauigkeit, wenn es um Tragödien geht.“ Sie spähte auf das Kunai in seinen verkrampften Fingern. „Oh, wie edel. Du würdest mir einen Gefallen tun. Aber nicht meinen Kindern. Ist das der Grund, aus dem du hier bist?“   Da er das Bedürfnis verspürte, fest auf den Füßen zu stehen und seinen Kopf stabil zu halten, sprang Kakashi von dem Geländer. Mit der Wachsamkeit eines Wolfes, der gerade einen ernstzunehmenden Schafspelz entdeckt hatte, richtete er sich auf, hielt eine Hand auf dem Geländer und klammerte die andere fest um das Kunai. Er hielt Abstand. „Du stirbst“, sagte er nur.    Mizugumo füllte ihre Pfeife nach, entzündete sie und sog einen langen, genießerischen Zug ein. Ihre Wimpern bebten in einer Art flüchtiger Ekstase, bevor sie ihre Worte mit einem Wispern hervor hauchte. „Ah ja, der tiefe kalte Winter kriecht heran wie Frost über meiner Seele…er stiehlt ein wenig mehr Licht aus meinen Augen, ein wenig mehr Farbe aus meiner Haut…“ Langsam verstummte sie und wandte ihm diese betörend schönen Augen zu, um ihn mit der nackten Unschuld eines Kindes zu mustern. „Sag mir, Hatake Kakashi, bin ich nicht schön?“   Der Zorn war nur noch eine sterbende Glut in seinem Inneren. Kakashi schluckte schwer; fassungslos von seiner Unfähigkeit, den Blick abzuwenden und von einem unnennbaren Bedürfnis gezwungen, ihr zu antworten. „Ja, das bist du“, sagte er – und meinte es ernst.    Vielleicht überraschte seine Antwort beide, denn Mizugumos Augen bekamen an ihren äußersten Winkeln Risse; zarte Brüche im Eis. Und dann lachte sie; ein gutturales bitteres Krächzen. „Du lügst nicht“, bewunderte sie und ihr Blick glitt an ihm vorbei, richtete sich auf irgendeinen weit entfernten Punkt und wurde weich. Mit langen Fingern strich sie sich über ihren eleganten Hals, zeichnete die filigranen Muster von Alterslinien auf der verwitterten Haut nach. „Und dennoch werde ich nicht getröstet. Ah, für dieses spezielle Gebrechen muss ich erst noch eine Pille finden. Was dich angeht, mein Lieber? Was bringt dich zu mir?“   Vollkommen entwaffnet von seinem ursprünglichen Plan, schob Kakashi sein Kunai weg und zog eine weit nützlichere Waffe aus seiner Tasche. Während er die Hand hob, rollte er die kleine pinke Pille zwischen Daumen und Zeigefinger.    Eine dunkle, mit Silber durchsetzte Braue wanderte nach oben, doch ihre kalten Wolfsaugen bedachten ihn ruhig. „Nun, wo könntest du wohl auf diesen kleinen Brotkrumen gestoßen sein?“   Kakashis Miene verriet überhaupt nichts. „Was ist das?“   „Ah, Genma.“ Mizugumo seufzte den leeren Stuhl neben sich an und hielt dabei den Kopf ihrer Pfeife zwischen langen dürren Spinnenfingern. „Ich hoffe nur, dass er das nicht wie Süßigkeiten verteilt. Ich sollte wirklich böse auf ihn sein.“   „Was ist das?“, fragte Kakashi noch einmal, nur diesmal mit tieferer und leiserer Stimme – weit gefährlicher.    „Dukkha“, antwortete Mizugumo und fügte hinzu, als sie die Verwirrung in seinen Augen sah: „Es bedeutet Leiden.“   Sofort hörte Kakashi auf, die Pille zwischen den Fingern zu rollen. „Leiden“, raunte er. „Soll das irgendwie ironisch sein?“   Mizugumo, die tief an ihrer Pfeife gezogen hatte, würgte ein Geräusch zwischen Lachen und Husten hervor und schwenkte eine schlanke Hand, um den Rauch zu vertreiben. „In gewisser Weise, ja. Dukkha macht dem Leiden ein Ende, also vermute ich, dass mir die Ironie gefällt.“   „Dann wirst du sicher auch die Ironie meiner nächsten Worte zu schätzen wissen.“ Kakashi hielt die Pille hoch. „Dieses ‚Leiden‘ von dir? Es endet jetzt.“   Langsam lehnte sich Mizugumo in ihrem Stuhl zurück, ihre Brauen hoben sich in einem Ausdruck außerordentlicher Belustigung und ihr Lächeln war nur ein winziges Bisschen nachsichtig. Für eine Weile musterte sie ihn. „Oh Kakashi“, säuselte sie schließlich. „Du bist entweder sehr unschuldig oder aber äußerst idealistisch. Und wenn man bedenkt, wie eng diese beiden Dinge miteinander verknüpft sind, fällt es mir doch schwer, nicht zu glauben, dass du eine berauschende Mischung aus beidem bist.“ Und dann floss die Belustigung von ihren Zügen und ließ ihr Gesicht sowohl schwermütig als auch traurig zurück. „Und trotz deiner Tragödie; das ist solch eine wunderschöne Kombination. Die Dunkelheit hat nicht zu dir gepasst, nicht wahr? Ist das der Grund, aus dem du gegangen bist?“   Fassungslos, entsetzt schüttelte Kakashi den Kopf; realisierte überhaupt nicht, dass er einen Schritt zurück gewichen war. Seine Stimme löste sich heiser um die plötzliche Enge in seiner Kehle. „Du weißt gar nichts über mich.“   In einem Schnauben flogen Funken von dem Ende von Mizugumos Pfeife. Mit einem langen, schwarz lackierten Nagel stieß sie in seine Richtung und eine Wildheit flammte hinter ihren geisterhaften Augen auf. „Aber ich weiß alles über das Nichts“, raunte sie mit von Blut und Rauch aufgerauter Stimme. „Ich weiß von den schmerzenden, bodenlosen Abgründen in den Seelen von Männern und Frauen. Ich weiß, was sie beherbergen. Du hast den Weg von ANBU an dir und dennoch bist du der erste dieses Schlags, der meine Vernichtung, meine Krankheit erblickt und mich schön nennt.“ Sie hob eine Hand und stieß ein kurzes Lachen aus. „Oh, du bist nicht der Erste, der es gesagthat, aber du bist der Erste, der es auch so meint.“   Und was das über sie beide aussagte, konnte Kakashi nicht begreifen und er wollte es auch gar nicht wissen. Über die kurze Distanz hinweg musterte er sie und seine Vorsicht vertiefte sich zu etwas weitaus Beunruhigenderem. Was für ein Zorn, was für eine Finsternis, lauerte in dieser kranken und sterbenden Frau? Eine Kreatur, die gealtert und dennoch unberührt war, ruiniert und dennoch erhalten; sie war mit Sicherheit gute zwanzig Jahre älter als er, wenn nicht sogar mehr…und dennoch…   Dennoch konnte er nicht den Blick abwenden.    Und er würde die Wahrheit dessen, was er gesagt hatte, nicht widerrufen.    Wahrheit…   Wer hätte gedacht, dass diese Frau so offen sein würde, so ehrlich? So entsetzlich ehrlich. Er hatte sie sich vorgestellt, wie sie ihn in ein Netz aus Lügen und Erpressung zerrte, um ihre sich entwirrende ‚Wahrheit‘ in haarfeinen Fäden zu halten. Und nun stolperte sein Verstand darüber, diese Fäden zu greifen und zusammenzufügen; die Muster, die Machart zu finden. Es brauchte nicht die Unverblümtheit ihrer Worte oder die Direktheit ihres Blickes, um ihm zu versichern, dass es nicht funktionieren würde, ihr Angst einzujagen. Er spürte es in seinem Inneren. Ein Wolf zum anderen. Vielleicht war ihr Mangel an Furcht überhaupt nicht überraschend für eine Frau, die dem Tode so nahe war; vielleicht machte sie das nur umso gefährlicher. Oder vielleicht machte Selbsterhaltung sie zu etwas anderem…   Verzweifelt.   Kakashis Augen zogen sich nachdenklich zusammen. „Ein Spender“, sagte er. „Du brauchst einen.“   Mit dem Mundstück ihrer Pfeife fuhr sich Mizugumo über die Lippen und schmunzelte. „Gute Güte, Kakashi, keine Drohungen? Keine Wutanfälle? Direkt zu Verhandlungen. Ich mag dich. Ich mag dich sogar sehr.“   „Dich zu bedrohen ist vollkommen sinnlos“, argumentierte Kakashi und wenn nur, um der Intensität ihres Starrens zu entkommen; dem Zauber ihres Lächelns. „Du hast mit Mushi über gescheiterte Fälle gesprochen. Und in diesem Fall gehe ich davon aus, dass eine hohe Prozentzahl deiner Klientel entweder aus ANBU, KERN oder Ex-Agenten beider Divisionen besteht.“ Als sich ihr Schmunzeln vertiefte, fuhr er fort: „Selbst wenn du nicht gewollt hättest, dass ich das höre, ist der einzige mögliche Grund, aus dem du geschäftsfähig sein kannst, der, weil du eine äußerst gefährliche Gruppe aus Männern und Frauen innerhalb dieses Dorfes versorgst.“ Er ballte eine Faust um die Pille. „Und völlig unabhängig von dem, was ich über dich und dein Geschäft denke; ich habe nicht die Angewohnheit, über meinesgleichen zu urteilen.“   „Nein“, murmelte Mizugumo. „Nur bei diesem einen. Glaubst du, er wird dir danken?“   Kakashis Griff um die Pille verkrampfte sich. Langsam schob er seine Faust in die Tasche und spähte zu ihr auf, ohne den Kopf zu heben. „Du wirst aufhören, Genma zu beliefern. Und dafür werde ich anfangen, dich zu beliefern. Sag mir, was du brauchst.“   Mit zu Schlitzen verengten Augen bedachte Mizugumo ihn für einen langen Moment und paffte an ihrer Pfeife. „Zuerst dein Wort. Nicht, dass es mir einen wirklichen Schutz vor Tsunade bieten würde, sollte sie herausfinden-“   „Ich habe nicht vor, dieses ganz spezielle Pferd scheu zu machen.“   „Nein. Zweifelsohne würde es ‚deinesgleichen‘ überhaupt nicht gut aufnehmen, wenn ihnen die Krücken entrissen werden. Du hättest dich wegen einer Menge Dinge zu verantworten, selbst wenn du als versehentlicher Held endest.“   Kakashi schüttelte den Kopf. „Ich versuche nicht, ein Held zu sein.“   „Und dennoch bist du hier. Verhandelst im Interesse deines…was? Deines Kameraden? Deines Freundes?“ Sie machte eine Pause und warf ihm einen schiefen Blick aus dem Winkel eines durchstechenden Auges zu. „Deines Liebhabers?“   Kakashis Puls machte einen Satz und seine Miene fror ein. Da er fürchtete, dass ihn seine Regungslosigkeit verraten würde, hob er eine Braue, als wollte er damit sagen, dass er die Frage sowohl als ermüdend, als auch als trivial betrachtete. „Meine Gründe sind irrelevant. Angebot und Nachfrage, funktioniert es nicht so?“   „Oh doch. Normalerweise. Aber du faszinierst mich.“ Mizugumo ließ ihren Kopf nach hinten kippen und eine dünne Rauchfahne schlängelte sich von ihren nach oben gebogenen Lippen. „Weißt du, ich mag und respektiere es, dass du Selbsterhaltung zu schätzen weißt, Kakashi. Manche glauben, es wäre ein Feiglingsspiel, aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.“ Sie streckte einen Arm aus und der lange Ärmel ihres Kimonos strich in einem Wispern über den Tisch, als sie den verbrannten Tabak aus ihrer Pfeife klopfte. „Selbsterhaltung verursacht ebenso viel Schmerz, wie sie verhindert. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Du scheinst es gut genug zu schwingen. Genma hingegen…“ Langsam brach sie ab und saugte an ihren Zähnen, wobei sie Reihen teils abgesplitterten Schmelzes in bläulichem Zahnfleisch zeigte. „Er ist in dieses Schwert gefallen. Mein armer Junge zerschneidet sich selbst, aber nicht seine Bande.“ Sie warf ihm einen koketten Blick zu. „Nicht so wie du, Schätzchen. Du hast es sehr gut gemacht. In der Tat sehr gut, dass du niemals hierher gekommen bist, um an meine Tür zu klopfen, als du bei ANBU warst. Entweder kommst du sehr gut damit zurecht, oder du schneidest sehr, sehr tief. So tief, dass du bereits vor sehr langer Zeit aufgehört hast, den Schmerz zu spüren, habe ich recht?“   Diese rostige Ader pulsierte heftig in seinem Herzen. Kakashis Züge verhärteten sich. „Wirst du dem Handel zustimmen oder nicht?“   Sie musterte ihn. „Tz, so hastig. Besonders, wenn man bedenkt, worum ich im Gegenzug bitten werde.“   „Ein Spender“, sagte Kakashi leise mit verstörend ruhiger Stimme. „Ich habe dich ganz hervorragend verstanden. Sag mir einfach nur, welche Organe du brauchst.“ Sein Blick wanderte zu ihrer Pfeife, dann zurück zu ihrem schwach schmunzelnden Gesicht. Es war offensichtlich, was sie brauchte, doch er würde nicht anfangen, diese Frau einfach so für bare Münze zu nehmen.    Mizugumos Lächeln wurde schmal. Sie legte ihre Pfeife beiseite. „Sag mir, Kakashi. Denkst du, dass ich mir diese Krankheit selbst zuzuschreiben habe?“   „Das macht keinen Unterschied für mich.“   „Oh, aber das tut es. Das wird es. Wenn die Zeit kommt. Wenn du über Alter, Größe, Blutgruppe, Lungenkapazität nachdenkst – über all die kalten kleinen Fakten, eingehüllt in einen warmen Körper mit einem noch immer schlagenden Herzen.“ Sie ließ dieses Bild wie Gift in die Luft zwischen ihnen sickern; doch nach außen hin zeigte Kakashi nichts. Mit einem weiteren dünnen Lächeln applaudierte Mizugumo seinem Mangel an Reaktion. „Woher soll ich wissen, dass du eine solche Person findest und mir bringst?“ Eine Herausforderung, aber es lag etwas Spielerisches in der Art und Weise, wie sie es sagte – als würde sie ihn über eine Sache testen, die nichts mit der Frage zu tun hatte.    Kakashi entging die Präzision ihrer Worte nicht und ihm entging auch nicht das Versprechen, das sie im Gegenzug von ihm erwartete. Also sagte er es. „Ich kann.“ Und dann besiegelte er es. „Und ich werde.“   Eine schwere Pause, in der sie den Eifer hinter seinen Worten in einer privaten Kammer ihres Verstandes bemaß, bevor sie nickte. „Ich glaube dir. Und in diesem Fall werde ich ab diesem Zeitpunkt aufhören, Genma zu beliefern. Du hast zwei Wochen, um mir zu bringen was ich brauche. Sobald der Spender in meinem Besitz ist, hast du mein Wort, dass ich meinen Teil der Vereinbarung weiterhin ehren werde.“   „Dein Wort“, echote Kakashi und sein graues Auge zog sich zusammen.    Mizugumos Brauen hoben sich. „Die Tatsache, dass ich bereits zugestimmt habe, ihn nicht mehr zu beliefern, noch bevor ich irgendetwas gewonnen habe, sollte schon etwas zählen. Aber auf der anderen Seite bist du derjenige, der das Glücksspiel eingeht.“ Mizugumo schmunzelte, als sie das sagte. „Ich habe nur noch sehr wenig zu verlieren, Kakashi. Aber ich halte immer mein Wort.“   Und jetzt im Moment war das alles, was er hatte, um weiter zu machen. Er nickte. „Na schön.“   Mizugumo neigte den Kopf und ließ ihre Augen nachdenklich zur Seite schweifen. „Aber dann ist da auch noch Genma zu bedenken.“   „Ich kümmere mich um Genma.“   „Das sollte ich wohl hoffen. Denn kein Zweifel wird er darauf aus sein, sich um jemanden zu kümmern.“ Sie kicherte leise über ihren kleinen Wortwitz. Das Geräusch klang wie knisternde Blätter, doch dann ernüchterte ihr Blick und richtete sich direkt auf Kakashi. „Er wird gefährlicher sein als jemals zuvor. Das gefällt mir nicht.“   Vorsichtig, um ihre Worte nicht zu missinterpretieren, runzelte Kakashi leicht die Stirn. „Du denkst, Genma würde dich bedrohen?“ Das war auf jeden Fall nicht auszuschließen.    Doch Mizugumo stieß nur ein flaches Lachen aus, als erschiene ihr dieser Gedanke vollkommen absurd. „Himmel, nein. Er ist verzweifelt, aber er ist nicht dumm. Und auch wenn verzweifelte Menschen oft dumme Dinge tun, denke ich doch, dass ich eine sehr starke Abschreckung habe.“   „Pferde, die Scheu gemacht werden können.“   „Ich finde ja, dass ein Hornissennest eine weitaus treffendere Analogie ist. Indem er mich bedrohen würde, würde er das Herz meines glücklichen kleinen Schwarms angreifen.“   „Hn. Und wenn die Bienenkönigin bedroht wird…“, sagte er trocken, während das bösartige Ergebnis bereits in seinem Kopf herum schwirrte. Wie viele drogensüchtige Elitekiller würde das auf den Plan rufen, die hinter Genmas Kopf her wären? Und viel verstörender als das war die Frage, wie viele dieser besagten Killer Leute waren, die Kakashi früher gekannt hatte? Oder immer noch kannte; sogar jetzt? Kami, was sagte das alles über ANBU? Über Konoha? Und dann; eine noch viel dunklere Frage…   Was zur Hölle sagt das über dich?   Mizugumo gab einen scharfen kleinen Klang von sich, als würde sie die Luft durch die Zähne ziehen. „Es schmerzt, nicht wahr? Diesen Idealismus zersplittern zu sehen? Ignoranz – oder in deinem Fall Unschuld – ist eine furchtbare Sache zu verlieren. Du wirst darüber hinweg kommen. Ich habe es auch geschafft.“   Mit verkrampftem Kiefer erwiderte Kakashi nichts, begegnete nur ihrem Blick und sein graues Auge wurde dabei von dem Schatten seiner Wimpern abgeschirmt.    Unschuld…?   Schon wieder dieses beschmutzte Wort; dieses Relikt einer zerschmetterten Kindheit. Er mochte es nicht, wie sie damit um sich warf und damit weit fragilere Gegenstände dazu brachte, in seinem Inneren auf ihren hohen Regalen zu rasseln. Köderte sie ihn? Zu welchem Zweck?   Spielt keine Rolle. Du hast deine Vereinbarung.    Energisch bändigte er seinen Zorn und nahm einen leisen Atemzug. Diese Frau war viel zu gefährlich, um mit ihr Spielchen zu spielen. So wie es war, war er ein Glücksspiel eingegangen. Und außerdem hatte er nur einen einzigen Trumpf – das Spendergeschäft. Und diese Hand hatte er ihr bereits gezeigt. Wenn sie sich dem Austausch verweigerte, dann könnte er genauso gut aussteigen und verflucht nochmal hier verschwinden, bevor sie den Spieß umdrehte. Gott, mit nur ein paar ausgewählten Worten hatte sie auf eine Weise mit ihm abgerechnet, wie es sich kein ANBU Mann und keine ANBU Frau jemals getraut hatten.   Und dann kam es ihm – sehr verspätet, aber nicht weniger alarmierend.    Sein Kopf hob sich ein Stück. „Du warst ANBU“, sagte er leise und diese Feststellung traf ihn heftig, obwohl er sie aussprach – und irgendwie schien diese Stimme von tief aus seiner Brust zu kommen, seine sorgfältig modulierten Töne waren jetzt tiefer und rauer…als wäre seine Kehle von einer Krankheit durchlöchert. Er fühlte sich übel, nur weil er geredet hatte.    Und Mizugumo musste seine Qual bemerkt haben, denn der Blick, den sie ihm zuwandte, wandelte sich von Überraschung zu Argwohn und dann zu etwas, das vielleicht Kummer hätte sein können, wenn es nicht so bitter gewesen wäre. Ihre Lippen verzogen sich zu einem harten Schmunzeln. „Nah genug, mein Lieber, nah genug.“   Der Atem verließ fluchtartig seine Lungen. „KERN…“, hauchte er überrascht; trotz sich selbst, trotz ihr…trotz dem, wie unglaublich offensichtlich es für ihn vom ersten Moment an hätte sein sollen. „Was ist passiert?“   Während sie den Kopf drehte, krallte Mizugumo ihre Finger in den dunklen Polsterstuhl und trotz des Bebens in ihren Armen und der Anspannung in ihrem schmallippigen Mund erhob sie sich mit der majestätischen Contenance einer Königin, bevor sie den Tisch umrundete, um sich dem Balkon zu nähern.    Sie sprach leise und wie zu sich selbst. „Was ist passiert, fragt er…“   Er hätte das nicht fragen sollen. Aber er hätte sich umdrehen sollen. Hätte sie in seinem direkten Blickfeld halten sollen. Doch etwas verwurzelte sich in ihm, hielt ihn in derselben Regungslosigkeit gefangen, die auch Mizugumo packte, als sie neben ihm stehen blieb und ihre fragilen Hände auf das Geländer legte. Die Haut zart und transparent wie zerknittertes Seidenpapier und mit bemalten Nägeln wie Tropfen aus Tinte.    Ein winziges Stück wandte sie den Kopf und fing aus den Augenwinkeln seinen Seitenblick auf. „Eines Tages wirst du dastehen wie ich jetzt und dich selbst dasselbe fragen. Und vielleicht wirst du die Antwort haben, die ich niemals finden konnte.“   Seine Brauen zogen sich leicht zusammen. „Warum tust du das?“   Sie lächelte ein wenig, sah zur Seite weg und blickte hinaus auf den kleinen Garten. Blinzelnd musterte sie eine einsame Silberweide, die sich schief über einen Teich beugte und deren lange welke Blätter über das Wasser strichen. „Angebot und Nachfrage, mein Lieber. Das ist alles. Fürwahr, das ist alles in dieser süßen, elenden Welt. Aber statt dagegen zu wettern, habe ich eine Nische für mich gefunden…und wie ein guter kleiner Opportunist, habe ich sie ausgenutzt.“   Mit der Hüfte gegen das Geländer gelehnt, drehte er sich leicht. „Ich glaube dir nicht.“   „Ich habe nicht erwartet, dass du das tust. Aber natürlich verstehst du.“   Er musterte sie mit sanft gerunzelter Stirn. „Selbsterhaltung.“   Für eine kurze Sekunde schloss Mizugumo die Augen. „Ein Mann nach meinem Herzen. Ein paar Jahrzehnte zu spät, fürchte ich…und ich habe es auch nicht so gut bewahrt. Das braucht mehr als alles andere eine Transplantation.“   „Auch das glaube ich nicht.“   Kopfschüttelnd stieß sie ein rostiges Lachen aus. „Und da ist wieder diese Unschuld.“   Für einen langen Moment musterte Kakashi sie, ließ seinen Blick über die Falten wandern, die sich um ihre Augen legten. „Du bezeichnest deine Klienten als deine Kinder“, sagte er leise. „Ich kann mir kein zweischneidigeres Schwert vorstellen, nach dem man leben kann.“   Ein Anspannen der verwitterten Haut an ihrem Hals und Mizugumos zarte Hände falteten sich um das Geländer und drückten flüchtig zu. „Ich habe dieses Gespräch genossen, Hatake Kakashi.“ Dann wandte sie sich ihm zu, hob eine Hand und strich mit den Fingerspitzen über den Grat seiner maskierten Wange.    Kakashi versteifte sich, fühlte die Kühle ihrer Haut sogar durch das Gewebe. Wie eine Berührung des Todes. Doch was ihn mehr verstörte, war, wie er sich dafür erwärmte, wie er beinahe sein Gesicht in ihre Handfläche drehte. Ihre Blicke trafen sich; eisengrau und silberblau. Was war das für eine Verwandtschaft? Was war in diesen Wolfsaugen, das ein Gefühl hervorrief, das respektvoller war als Bemitleiden und gefährlicher als Anteilnahme? Was war das für ein Gefühl?    Er suchte ihren Blick und fand es.    Oh Gott…   Empathie.   Kakashi erschrak und sein graues Auge flog weit auf. Mit dem getroffenen Ausdruck eines verwirrten Tieres, das die Bedrohung witterte, aber noch nicht verstand, zuckte er vor ihr zurück. Sein Herz donnerte hinter seinen Rippen und kalter Schweiß bedeckte seinen Nacken. Kopfschüttelnd fiel seine Stimme zerfetzt von seinen Lippen. „Götter, was zur Hölle bist du?“   Sie beobachtete ihn mit einem warmen Lächeln, die hageren äschernen Wangen errötet mit dem blassesten Hauch von Rosa. Für einen Moment schwebte ihre Hand zwischen ihnen – als wollte sie nach ihm greifen – und dann verwelkte sie zurück an ihre Seite, die Wärme erstarb auf ihren Lippen, die Farbe verschwand aus ihrem Gesicht. „Das, wovon ich hoffe, dass du es niemals sein wirst“, wisperte sie.   ____________________ Glossar: Geta: Japanische Holzsandalen (So wie die, die Jiraiya trägt)  Kura Dozō: Traditionelle japanische Waren-/Lagerhäuser Mizugumo: Bedeutet 'Wasserspinne', bezeichnet aber auch ein Gerät, das von Ninjas zum Überqueren von Wasser genutzt wurde Nirvana: Bezeichnet hier eine Pille/Droge. Für alle die nicht wissen, woher der Begriff Nirvana kommt und was er bedeutet (nein, das ist nicht nur eine Grungeband aus Amerika ^^): Der Begriff kommt aus dem Buddhismus und bezeichnet den finalen Übergang aus dem Kreislauf der Wiedergeburten hinein in die endgültige Befreiung. Es bezeichnet das Ende der Identifikation mit den sogenannten fünf Aggregaten (Skandhas), aus denen ein Mensch nach buddhistischer Ansicht nach zusammengesetzt ist. Welche Wirkung und welchen Zweck die nach dem Nirvana benannte Pille in UtS hat, kam hier ja schon leicht raus, wird aber noch näher erläutert werden Dukkha: Auch hier handelt es sich um einen buddhistischen Begriff, der quasi schon im Kapitel geklärt wurde. Für gewöhnlich wird 'Dukkha' als 'Leiden' übersetzt und bezeichnet gleichzeitig die erste der 'Vier edlen Wahrheiten', die die Grundlagen der buddhistischen Lehre bilden Euthanasieren: Ich möchte auch hier nochmal darauf hinweisen, dass in dieser Geschichte der Terminus der 'Euthanasie' absolut NICHTS mit der vollkommen missbrauchten und falsch genutzten Vorstellung zu tun hat, die leider durch die Verwendung während des Nationalsozialismus entstanden ist. Das Wort 'Euthanasie' stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet wortwörtlich übersetzt 'Schöner Tod'. Und in diesem wortwörtlichen Sinne ist dieser Begriff hier auch gemeint! Es geht um einen würdevollen, schmerzlosen und angenehmen, aber eben auch absichtlich herbeigeführten Tod.  Bei Fragen bitte jederzeit melden!  Noch ein paar Worte zu dem Kapitel. Ein ganz neuer Charakter betritt die Bühne, den ich persönlich unglaublich gerne mag!! Genmas "Dealer", die sich der/die ein oder andere wahrscheinlich ganz anders vorgestellt hat, glaube ich, oder? Mizugumo...eine trotz ihrer transparenten Haut sehr sehr undurchsichtige und rätselhafte Person. Und Kakashi lässt sich für Genma auf ein gefährliches Spiel mit ihr ein.  Ich bin ehrlich gesagt UNGLAUBLICH gespannt darauf, was ihr von diesem Kapitel und ganz speziell von Mizugumo und ihrer Vereinbarung mit Kakashi haltet!! Also lasst mir bitte ein paar Worte zu ihr da! *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine unglaublichen Reviewer/innen und Leser/innen, die mich so toll unterstützen! Kapitel 6: The mission of a dying heart --------------------------------------- ‚Sticht euch mein Rauch in den Augen, oder seid ihr einfach nur so glücklich darüber, mich zu sehen?‘   ‚Das ist nicht witzig, Asuma-sensei. Diese Wimperntusche ist nichtmal wasserfest! Oh mein Gott, schaut euch diese Pandaaugen an.‘   ‚Ha, du siehst fast aus wie Shikamaru. Nichts für ungut, Kumpel.‘   ‚Na klar. Als würde es mich nicht nerven, mit einem Mädchen verglichen zu werden…‘   ‚Na, mich nervt es total, mit Shikamaru verglichen zu werden! Vielen Dank auch, Chōji!‘   ‚Meine Güte. Reg dich ab, Ino. Ich meinte die dunklen Ringe.‘   ‚Würdet ihr Ruhe geben? Ino, du siehst super aus. Chōji, Öl aufs Feuer hilft überhaupt nichts. Shikamaru…uh…schlaf dich mal aus und benimm dich erwachsener.‘   ‚Dein Ernst? Ich hab gerade dieses ganze ‚mit Ino verglichen werden‘-Ding einfach so auf sich beruhen lassen.‘   ‚Pfft! Als würde der Ermunterung zum Faulenzen brauchen. Außerdem, in welcher Welt hättest DU denn bitte so ein Glück, mit MIR verglichen zu werden?‘   ‚In der Welt, in der ich mit meinen bescheuert langen Wimpern immer dann die bösen Jungs anklimpere, wenn wir in der Klemme stecken.‘   ‚Oh, du ARSCH! Das mache ich überhaupt NICHT!‘   ‚Ha! Das solltest du echt mal ausprobieren, ‚Shika‘.‘   ‚Und du solltest echt mal die Klappe halten, Chōji.‘   ‚Asuma-sensei! Wo gehst du hin? Lass mich nicht allein mit den zwei Idioten!‘   ‚Wenn ihr drei Kids mit eurer Schlammschlacht fertig seid, warte ich am Tor auf euch…und rauche mich in einen zugedröhnten Nebel.‘   ‚Das ist auch nicht witzig!‘   Asumas Lachen, tief und warm; es rollte durch ihren Verstand, rumpelte durch ihr Herz und erschütterte ihren Körper wie Donner. Ein stürmischer blauer Regen brannte hinter ihren Augen.    Sensei…   Energisch blinzelte Ino die Tränen zurück, während sie das Foto in ihren Händen hielt. Die Handgelenke hatte sie so geneigt, dass das sanfte beige Licht, das durch die lilanen Vorhänge fiel, die Kante des Rahmens traf und nicht die vier Gesichter, die durch das Glas zu ihr hoch lächelten.    Team 10.   Team Asuma.   ‚Wir haben den besten und knallhärtesten Sensei.‘   ‚Wo ist nur mein selbstbewusstes Großmaul hin?‘   ‚Wo bist du hin?‘   ‚Nicht so weit weg, wie du denkst.‘   „Lügner“, wisperte sie und presste die Lider gegen die Grausamkeit des Traumes und all der Erinnerungen zusammen, die dahinter lagen. Die Tränen lösten sich; eine versengende Bahn nach der anderen. Wie gut, dass sie endlich diese wasserfeste Wimperntusche gekauft hatte. Sie stieß ein ersticktes leises Lachen aus und hoffte, dass Asuma vielleicht irgendwie irgendwo lächelte und sein tiefes rumpelndes Lachen lachte.    Es ist einfach nicht dasselbe ohne dich.   Sie ließ sich zurück gegen das Kopfbrett sinken, verschränkte die Arme vor der Brust und drückte sich das Bild ans Herz, während sie um Kontrolle kämpfte. Sie würde es für diese Mission brauchen. Die erste, auf die sie gehen würden, seit sie diese Akatsuki Bastarde unter die Erde gebracht hatten.   Ich habe mich dafür zusammengerissen, oder nicht? Haben wir das nicht alle?   Sie wusste, dass sie diese Kontrolle hatte, diese Fähigkeit. Aber in letzter Zeit war es so verdammt kompliziertgewesen. Familie, Freunde, ihre Zukunft. Einfach alles war zu einem verdrehten Durcheinander geworden, das die hübschen wächsernen Vortäuschungen wegschmolz, mit der sie ihr Leben zu überziehen versuchte; zwischen den eskalierenden Auseinandersetzungen ihrer Eltern, ihrer verstörenden Anziehung zu Kiba – im Ernst, Hormone, was zur Hölle? – und ihrer von Schuldgefühlen zerfressenen Träume über Asumas Tod musste sie ihr Gesicht in einem Kissen vergraben und weinen, bis ihre Lungen schmerzten, um nicht in den ungünstigsten Momenten damit anzufangen.    Ich versuche es, Sensei. Ich verspreche, ich versuche es…   Doch Shikamarus Sanftheit ihr gegenüber vor einer Woche hatte überhaupt nicht geholfen. Nur dieser winzige Krümel der Zuneigung von diesem unerschütterlichen Idioten und Ino fühlte sich, als wäre sie nur ein kleines Lächeln und eine unbeholfene Umarmung davon entfernt, zu zerbrechen. Und was würde das schon bringen? Auseinander zu fallen würde nur dazu führen, dass Shikamaru nach dem logischsten Weg suchte, um sie wieder zusammen zu setzen, ohne dabei selbst auseinander zu kommen.   Er will immer noch nicht über Asuma reden…   Und das – mehr als alles andere – schmerzte am meisten. Kami sei Dank war Chōji noch da; solide wie ein Fels aber weich genug, um darauf fallen zu können – doch der arme Kerl musste wieder einmal den Mittelmann spielen.    Chōji.    Ino verzog das Gesicht und spürte die Schuld und die Dankbarkeit, die sich in ihr verwickelten. Zwischen ihrem Wunsch zu reden und Shikamarus Wunsch, wie ein emotional Zurückgebliebener dichtzumachen, hatte Chōji alle Hände voll zu tun, sie beide zufrieden zu stellen.    Du hattest recht, Sensei…Chōji hat das größte Herz…   Und je größer das Herz, desto größer der Schaden, wenn es gebrochen war.    Ich sollte doch eigentlich auf die beiden aufpassen.   Seufzend senkte Ino den Blick und stierte verdrossen auf ihre trocknenden Fingernägel, wobei ihre Aufmerksamkeit sofort auf die Schwielen und raue Haut gelenkt wurde.    Ew…ich könnte meine Nägel mit Sandpapier feilen…   Froh über die Ablenkung, aber irgendwie auch dämlich wackelte sie mit den lila bemalten Gliedern und setzte sich abrupt auf, um ihre Füße über das Bett auf den Boden zu schwingen. Sie knibbelte an dem Schorf an ihrem Schienbein, wo sie sich beim Rasieren geschnitten hatte und strich mit der Hand über ihre Beine, um ein paar weiße Hundehaare von ihrem lilanen Rock zu zupfen.    Ew…ich bin echt überrascht, dass Kiba nicht davon übersät ist…   Der streunende und ungewollte Gedanke fand einen Spielkameraden; eine köstliche und bösartige kleine Erinnerung daran, wohin sie gestern gegangen war, nachdem Kibas schneidende Worte bis ins Mark gebissen hatten.    Ich gebe dir was, woran du dir die Zähne ausbeißen kannst, du Trottel.   Er mochte ja sehr tief geschnitten haben, aber eine medizinische Ninja zu sein hatte seine Vorteile. Alles, was nötig gewesen war, um den Fluss ihres eigenen Schmerzes zu stoppen, war ein schneller Besuch in der Quarantäne gewesen, eine schnelle Unterschrift auf einem Papierfetzen und eine noch schnellere Überweisung. Geradezu pillepalle und noch dazu etwas Salz in die Wunde, die sie in Kibas Ego gehackt hatte.   Perfekt.   Sie konnte es gar nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen. Belustigung blubberte in ihrer Kehle auf und zerplatzte in einem leichten Giggeln auf ihren Lippen.   Geschieht ihm recht.   Sie fühlte sich mehr als nur ein bisschen gerechtfertigt und zwirbelte das gesammelte Hundehaar zwischen den Fingern, um es zu einem Knoten zu formen. Doch zu ihrem Erstaunen verfilzte es nicht. Tatsächlich fühlten sich die langen weißen Strähnen weich, beinahe seidig an. Das hatte sie nicht erwartet – genauso wenig wie das Grinsen, das Kiba ihr im Labor zugeworfen hatte.    Ugh! NEIN!   Angewidert von dem Gedanken schnippte sie das Hundehaar beiseite und strich mit den Händen über ihren Rock, als wollte sie alle Spuren des Inuzuka fortwischen. Erschauernd stieß sie ihn aus ihrem Kopf, senkte ihre Aufmerksamkeit zurück auf ihre Füße und stierte mit glasigem Enthusiasmus auf ihre trocknenden lilanen Zehennägel.   Hmn. Vielleicht bin ich mit dem Heimzahlen etwas weit gegangen…   Rasch kam sie ihren abwandernden Gedanken zuvor und erhob sich mit einem festen Klatschen auf die Oberschenkel. „Okay! Auf auf.“ Sie setzte das Team 10 Foto zurück auf ihren Nachttisch und strich mit dem Daumen über den Rahmen. „Ich werde mich um sie kümmern, Sensei“, wisperte sie. „Versprochen.“   Den Gang hinunter schlug eine Tür zu.    Ino zuckte zusammen und ihr Herz sprang ihr in die Kehle. Ihr Blick schoss zu der lächelnden, blumengesichtigen Uhr, die über ihrer Kommode hing. Es war sechs Uhr. Vor ihrem Zimmer hörte sie das Wispern der Schritte ihrer Mutter, die es eilig hatte, in der Küche zu sein, noch bevor ihr Vater auch nur einen Fuß über die Türschwelle gesetzt hatte.    Natürlich. Sie muss die Szene vorbereiten…   Yamanaka Sayuri hatte ihre ach so selbstlose Virtuosität des Dramas bis zu einer feinen Kunst geschliffen. Und nicht einmal Ino konnte diese Krone stehlen.   Sei nicht so entsetzlich.   Entsetzlich. Nicht ein Wort, das sie gebrauchte. Die Stimme ihrer Mutter, scharf und dünn wie diese kleinen Schneidwerkzeuge, die Sayuri nutzte, um ihren Garten aus Miniatur Bonsais zu stutzen. Nur Schneiden und Kappen, kein Raum für Natur, um ihren Weg zu gehen – Hege, so glaubte Sayuri, war die Wurzel aller fruchtbaren und überdauernden Dinge. Natur hingegen hatte die Tendenz, sich Kontrolle zu widersetzen und das Chaos zu empfangen.    Und Sayuri hasste Chaos in all seinen unermesslichen Formen.    Ino entsann sich, wie sie an ihrem dreizehnten Geburtstag im Türrahmen gestanden hatte und an einem hausgemachten Akimichi Castella Kuchen gekaut hatte, während sie ihrer Mutter dabei zugesehen hatte, wie sie eine harsche Schönheits-OP an einer Mischung bezaubernder rosa Azaleen, exquisiter blauer Mohnblumen und atemberaubender weißer Irisblumen durchgeführt hatte. Meisterwerke der Natur und dennoch waren sie einige Schnitte davon entfernt, Sayuris unersättlicher Perfektion und ihrem scharfen erbarmungslosen Auge zu genügen. Und dann hatte sich dieses scharfe erbarmungslose Auge Ino zugewandt; hatte sie von ihrer wilden Bettfrisur bis zu den schwieligen Zehnen gemustert und begonnen, eine Unvollkommenheit nach der anderen abzuschneiden.    ‚Du musst anfangen, mehr auf dich zu achten, Ino. Mit diesen trockenen Füßen könntest du unseren Boden abschleifen. Mach wenigstens etwas Farbe auf diese Zehen. Mein Gott, du hast die Füße deines Vaters, was? Und seinen Appetit. Wenn du als der Junge geboren wärst, den dein Vater wollte, dann würde ich dich dazu ermuntern, aber im Ernst Mädchen, bei der Geschwindigkeit, mit der du dich durch diesen Kuchen frisst, wirst du bald Akimichi-sans Schenkel haben! Das geht gar nicht. Leg dieses scheußliche Ding weg. Heute Morgen habe ich etwas frisches Sashimi mitgebracht. Du wirst es lieben.‘   Ino hatte es gehasst.    Aber sie hatte es gegessen.    Dann hatte sie sich die Zehen lackiert und Schuhe getragen, die sie bedeckten. Sie hatte Shikamaru und Chōji zum regenbogenfarbenen NIJI gezerrt, um einen Becher Zitronenwasser zu trinken, statt ihrer üblichen heißen Schokolade. Sie hatte Asuma beschwatzt, ihnen ein Geburtstagsessen zu spendieren. Sie hatte sich vom Tisch entschuldigt, zwei Finger in den Rachen geschoben und ein wässriges Durcheinander aus Kalmar, Sepia und Thunfisch in Yakiniku Qs Toilette gespuckt. Manchmal fragte sie sich während ihrer bittersten Momente, ob ihre Mutter sie für ihre Weitsicht gelobt hätte, Mundwasser und ein weiches pinkes Tuch mitzunehmen, mit dem sie sich den Mund abtupfen konnte.    Asuma hatte draußen vor der Toilette gestanden; eine breite Schulter gegen die Wand gelehnt.    Geschockt hatte Ino nach ihrem Temperament gegriffen, war auf ihren viel zu hohen Hacken herum gewirbelt und hatte mit einem Finger auf ihn gezeigt, während ihr Gesicht fleckig und ihre Augen viel zu schimmernd gewesen waren. „Ew! Du pinkelst bei den Frauen, Sensei!“   Doch statt seiner üblichen Zurschaustellung von Verlegenheit, hatte Asuma sie einfach nur ruhig angesehen und mit einem Daumen auf die Hintertür gedeutet. „Ich geh hinten raus, um eine zu rauchen. Hast du ein Auge auf die zwei für mich?“   Ino hatte viel zu breit gegrinst und der Geschmack von Listerine hatte hinter ihren Zähnen gebrannt. „Klar.“   Asuma hatte genickt, aber keinerlei Anstalten gemacht, die Toilette vor ihr zu verlassen.    Irgendwie abgelenkt von der Rückflusssäure, die in ihrem Rachen stach, hatte Ino die Intensität in seinem Blick einfach abgewiesen und war auf ihren Platz zurückgekehrt, um ihr Wasser hinunter zu würgen und dem Zischen und Spucken der fettigen Schweinebauchstreifen zuzusehen.    Wie sie da so Blasen gebildet hatten, hatte sie das an ihre eigene Zunge erinnert.   Sie hatte nichts davon gegessen – hatte sich wirklich gewünscht, Chōji würde endlich aufhören, davon zu reden, wie gut es schmeckte; hatte sich noch viel mehr gewünscht, Shikamaru würde endlich aufhören, sie mit diesem seltsamen Halbmast Blick zu beobachten, der so leer erschien, aber alles andere als das war. Und sie hatte fast einen Anfall bekommen, als ihr Zigaretten liebender Sensei entschied, ihre Sitzplätze zu wechseln und sich neben sie in die Nische schob – bis sie mit sehr großer Überraschung und noch größerem Argwohn bemerkt hatte, dass er nicht nach Rauch roch.    Vollkommen verdattert deswegen hatte Ino nicht die Bedeutsamkeit registriert, als Asuma einen Arm hinter ihr ausgestreckt hatte. Es war eine träge Bewegung gewesen, der Shikamarus Augen mit einem neugierigen Zusammenziehen gefolgt waren. Erst Jahre später hatte Ino die beschützende und umarmende Geste verstanden.    Im Erdgeschoss schloss sich knallend die Haustür.    Rapide blinzelnd kehrte Ino aus ihren Erinnerungen zurück und ihre nassen Augen fokussierten sich wieder auf die Uhr.    06:03   Sie stellte sich vor, wie ihre Mutter am Küchentresen stand und mit einem leichten Drehen des Handgelenks ihren Tee schwenkte. Ihr Kimono – für welchen auch immer sie sich entschieden hatte – wäre perfekt gebunden und die Falten des bestickten Gewebes folgten all den glatten Linien und scharfen Kanten ihres Körpers. So feste und straff eingewickelt wie ein Furoshiki-Tuch um die Neigungen eines kalten, harten, toten Kristallstabes.    Hör auf!, tadelte diese kleine Stimme. Sie ist deine Mutter.   Es gab nichts, was Ino zu dieser Stimme sagen könnte, nichts, das sie anbieten konnte außer einer Art elender Anteilnahme. Scham peitschte in einem fleckigen Erröten über ihre Wangen – eins der wenigen Dinge, die sie von Sayuri geerbt hatte. Bereits vollständig angezogen rutschte sie vom Bett – sie war bereits seit fünf Uhr auf – und lief hinüber zu ihrer Kommode, um die Bürste aufzunehmen und sich die Knoten aus dem Haar zu kämmen.    Weiter unten pfiff der Kessel schrill und laut.    Die Treppen knarzten. Ein gedämpftes whump – der Mantel ihres Vaters, als er das schwere Leder über das Geländer legte. Zu schade, dass er vergaß, auch seine Arbeit an der Türschwelle abzulegen. Nicht, dass Sayuri ihn gelassen hätte, selbst wenn er es versucht hätte. Sie würde es abklopfen und herein bringen, um all die schwarzen Flecken auf seiner Laune zu examinieren und zu identifizieren und dann würde sie ihn wegen jeder verärgerten Erklärung oder gereizter Widerlegung einen Lügner heißen.    Vielleicht ist das der Grund, warum er zurzeit so lange arbeitet. Er will einfach nicht nach Hause kommen.    Zu dieser Ehe, zu ihrer Mutter…   Zu mir.   Ein scharfer Stich in ihrer Brust und ihr Herz stockte heftig. Diese kleine kindliche Stimme in ihr ballte die Fäuste und schrie. Ino biss zu, schmeckte Blut in ihrem Mund und nagte an der Wunde in ihrer Wange. Mit aller Kraft zerrte sie die Bürste durch ihr Haar und riss dabei Strähnen an der Wurzel heraus.    Das ominöse Kratzen von Stuhlbeinen erklang.    Eine Requisite in der Szene ihrer Eltern; ihr Vater zog immer diesen Stuhl vor einem Kampf heraus. Er zog ihn heraus, aber er setzte sich nie darauf. Er hielt ihn aufgestellt zwischen sich und seiner Frau, als wäre er auf das Kommende vorbereitet. Sayuris Augen würden lodern wie Fackeln und ihre eisige Höflichkeit und schmallippiges Lächeln wären gefährlich wie eine überladene Rikscha, die nur ein Schwanken davon entfernt war, in den Straßengraben des nahenden Streits zu krachen.    06:06   Furcht verdrehte sich in Inos Magengegend; ein Übelkeit erregendes Kribbeln, das sich zu winden begann wie lebende Aale, während sie zusah, wie auf der Uhr weitere sechzig Sekunden verstrichen.    Und wie erwartet, begann das Schreien.    Seid still…   Angeekelt zog Ino ihren Haargummi fest. Für etwa zwanzig Sekunden versuchte sie, den blonden Filz aus ihrer Haarbürste zu kratzen. Doch irgendwann gab sie mit einem Schrei auf und schleuderte sie durch ihr Zimmer, wo sie ein Plüschtier-Flusspferd direkt zwischen die Augen traf. Chōji hatte es während des Obon Festes für sie gewonnen.    Unten zerbarst etwas.    Seid still…   Sayuri stieß das Kreischen einer Todesfee aus, das sich wie zersplitterte Nägel durch Inos Verstand grub. Wenn sie wachsamer und weniger zornig gewesen wäre, dann hätte sie vielleicht die kummervolle Qual hinter diesem Schrei bemerkt.    SEID STILL!   Ino zupfte an dem Fischnetzstoff an Ellbogen und Knie, zog den Reißverschluss ihrer lilanen Bluse zu und schnappte sich den Knappsack vom Fuß ihres Bettes, bevor sie die Tür aufriss. Herzschlag pochte in ihren Ohren und machte sie taub für die Schreie und Schluchzer. Sie flog die Stufen hinab, umrundete die Ecke und blieb ruckartig stehen, als die Stimme ihres Vaters aus der Küche explodierte; so aggressiv in ihrer Rage, dass es sie einen Schritt zurück taumeln ließ.    „- ihn geliebt wie meinen eigenen Sohn! Und zu wissen, dass er dafür GESTORBEN ist! Er ist dafür GESTORBEN! Und ich brauche es ganz bestimmt nicht, dass DU mich fragst, wie ich VERFICKT nochmal damit LEBEN kann! SCHON WIEDER!“   Fassungslose Stille.    Vollkommen erschüttert von diesem Ausbruch stand Ino benommen am Fuß der Treppe und ihre Finger lösten sich um den Riemen ihres Knappsacks. Schlaff fiel er aus ihren Fingern und schlug hörbar auf dem Boden auf.    Ein aufgeschrecktes Luftschnappen aus der Küche.    Ino wartete nicht darauf, dass ihre Mutter einschritt. Als würde sie gezogen, bewegte sie sich auf die Küche zu. Die Sehnen ihres Herzens waren so straff, dass sie kaum atmen konnte. Vielleicht als ein Kind kam sie halb im Türrahmen zum Stehen und stützte eine Hand gegen den Pfosten, während sie die andere an ihrer Seite zur Faust ballte – und dann kroch es hinauf zu ihren Lippen; viel zu spät, um das Keuchen hinter einer Hand abzufangen.    „Mom…“   Beinahe lasch hob sich Sayuri den Kopf. Sie saß zusammengesackt auf dem kalten Fließen Boden, die Knie unelegant in entgegengesetzte Richtungen gebeugt, als hätten ihre Beine einfach entschieden, unter ihr nachzugeben. Ihre weichen Zimtaugen waren weit und stierend und das Weiß von einem Rot durchzogen durch die Tränen, die ihre Wangen und Kehle hinab rannen. Ihre Nase lief. Ihr Haar fiel nach unten und bauschte sich an den Seiten, als hätte sie ihre Finger hindurch gekrallt.    Das rohe Bild hämmerte beinahe ein schrilles, verängstigtes Lachen aus Ino. Sie hatte sich immer vorgestellt, ihre Mutter würde anmutig welken, die Knie zusammengezogen und zu einer Seite geneigt; genau wie eine Dame. Sich immer an Anstand klammernd, selbst wenn sie vernichtet war.    Aber diesmal nicht.    Wortlos starrte Ino vor sich hin, bis das Blut, das in ihrem Kopf pulsierte, aus ihrem Gesicht wich. Ihr Griff um den Türrahmen verkrampfte sich. Zeit musste sich einen der Stühle heran gezogen haben, um sich für eine Weile darauf niederzulassen, denn Ino war sich nicht sicher, wie lange sie dort stand und starrte…kaum atmend…und dann, als würde sie seine Anwesenheit zum ersten Mal bemerken, wandte sie ihren getroffenen Blick zu ihrem Vater…und fühlte, wie sie ihr Atem vollständig verließ.   „Dad?“   Inoichi stand über den Küchentisch gebeugt da, einen Fuß auf dem Stuhl abgestellt und so heftig vor aufgestauten Emotionen zitternd, dass sich Ino schon vorstellte, wie er diesen Stuhl durch den ganzen Raum trat, um ihn entzwei zu brechen. Doch das tat er nicht. Er lehnte sich in seine Stütze, als wäre er das einzige Ding, das ihn noch davon abhielt, es seiner Frau auf dem Boden gleichzutun. Scharf sog er die Luft durch die Nase und drückte sich eine Hand über den Mund, während sich seine Lider aufeinander pressten. Seine Wimpern funkelten nass.    Ino hatte ihn niemals weinen sehen.    „Ino…“, krächzte er mit angespannter Stimme und blinzelte hinauf zur Decke. „Ich dachte, du-“   „Wen geliebt?“, wollte Ino wissen, als sie in den Raum trat. Ihre Stimme bebte und Anschuldigung fraß sich wie Säure in ihre Worte. „Wen wie einen Sohn geliebt?“   Sayuri erschauerte und schien aus ihrem Dämmerzustand zu erwachen. „Nein. Nein. Nein. Bitte. Bitte geh“, wisperte sie mit einer so dünnen Stimme, dass Ino sie fast nicht hörte und einfach so tat, als hätte sie das auch nicht – außerdem waren die Worte an ihren Vater gerichtet.    Ino näherte sich ihm, wobei eine ihrer Schultern führte und ihr Körper gedreht war, als wollte die Hälfte von ihr – das kleine und verängstigte Kind – zur Tür hinaus stürzen, während der Rest von ihr – die überschäumende und verängstigte Jugendliche – mit zusammengebissenen Zähnen und sich füllenden Augen nach vorn drängte. „Wengeliebt?“   Inoichi wollte sie nicht ansehen, schien sie genauso wenig zu hören, wie Ino das wiederholt gemurmelte ‚Geh‘ ihrer Mutter hörte.    „Wen?“, forderte Ino noch einmal und Kindheitsängste der Ablehnung und Enttäuschung stiegen in ihr auf. „Wen hast du wie den Sohn geliebt, den du dir gewünscht hättest!“   Doch bevor Ino auch nur einen weiteren Schritt machen konnte, ging Sayuri auf sie los. Sie drehte sich auf dem Boden und erhob sich mit einem wilden Fauchen. „Wie kannst du es WAGEN!“, schrie ihre Mutter sie an, während sich eine ihrer Hände in die zarte Spitze ihrer Robe krallte und die andere nach ihrer Tochter schlug.    Ruckartig schoss Inoichi nach vorn und fing Sayuris Handgelenk ab.    Die Ohrfeige traf nicht, doch Ino taumelte, als hätte sie das. Ihre Ellbogen schlugen gegen den Tresen und warfen Kessel und Tassen krachend um. Schmerz explodierte über ihre Arme und ihren unteren Rücken hinunter. Sie schrie mit einem gebrochenen Klang auf, der ihre Mutter aus der Hysterie riss. Ein schwerer stockender Atem und Sayuri wurde in Inoichis Armen regungslos, als sie einen erschütterten Blick auf ihre Tochter richtete.    Ihr Gesicht wurde kreidebleich. „Ino…“ Entsetzt berührte sie ihre Lippen und streckte eine zitternde Hand aus. „Oh Liebling…“   Ohnmächtig vor Schock und brennend vor Schmerz, schlug Ino die Berührung beiseite, duckte sich unter dem schwingenden Arm ihres Vaters hindurch und rannte vor beiden davon.    „INO!“   Geblended von Tränen und kochender Wut schoss sie den Gang hinunter, schnappte sich ihren Knappsack und fiel geradezu hinaus auf die Straße – und sie wäre flach auf dem Gesicht gelandet, wenn sie nicht von der Hand ihres Vaters am Ellbogen abgefangen worden wäre, die sie zurück zog.    Er versuchte, seine Arme um sie zu legen.    Schreiend schob Ino ihn mit solcher Brutalität von sich, dass Inoich rückwärts gegen die Tür stolperte und sein Herz dabei in seinen Augen zersplitterte. „Ino…“   Sein Leid traf sie, streifte ihren Verstand.    „Mein Schatz, bitte…“   Am Boden zerstört von solch einem schmutzigen, verzweifelten Zug, krallte Ino ihre Hände über den Kopf und krümmte sich nach vorn, während sie einen wilden animalischen Schrei ausstieß, der ihn aus ihrem Geist katapultierte.    Inoichi gab ein ersticktes Geräusch von sich.    Es riss sich durch Inos Herz. Sie taumelte von ihm fort und ihre tränenüberfluteten Augen wanderten in einem weggetretenen Suchen nach etwas Festem, an dem sie sich festhalten könnte, über das Haus. Erneut trat Inoichi nach vorn und sie schwang von ihm fort, packte ihre Schenkel, ließ den Kopf hängen und fühlte sich, als wäre sie krank.    Der Schatten ihres Vaters fiel über sie.    Er versuchte nicht nochmal, sie anzufassen, weder körperlich, noch mental. Er stand einfach nur da und seine Präsenz war ebenso groß und verzerrt wie das Haus, das in ihrer Sicht schwamm; ein Haus, das sich nicht mehr wie ein Zuhause anfühlte, genauso wie die Arme ihres Vaters – sie hingen schlaff an seinen Seiten, als wären die Angeln gebrochen. Sie hätte diese Tür zugeschlagen, aber sie stierte dennoch mit den Händen auf den Knien zu ihm auf und schluckte schwere bebende Atemzüge.    „War es Naoki?“, krächzte Ino mit zitternder Stimme. „Dieser Geist in unserem Haus…dieser Junge aus meiner Kindheit…dieses distanzierte Blutsband, über das du niemals sprichst…“   Er antwortete ihr nicht.    So traurig, dass sie in ihrem törichten kleinen, sechs Jahre alten Herzen ehrlich erwartet hatte, er würde das tun. Doch genau wie bei ihrer Mutter, gab es bei diesem Namen keine Tür, die geöffnet werden könnte; nur eine Steinmauer. Und Ino war sich nicht sicher, was sie mehr verängstigte; der Gedanke, niemals zu wissen, wer zur Hölle Naoki für ihre Familie war oder der Gedanke, es mit Sicherheit herauszufinden. Seit sie den Fehler begangen hatte, nach ihm zu fragen, war er zu einem Geist in ihrem Zuhause geworden. Daran zu denken, dass sie ihn mit solcher Liebe und Unschuld in ihren Erinnerungen begraben hatte, nur um ihn nun mit solchem Hass und Argwohn wieder herauf zu beschwören.    Gott, warum kann ich mich nicht an sein Gesicht erinnern?   Und noch viel wichtiger; warum hatte sie es nicht vollständig vergessen? Dieser vage Eindruck, dieses unklare Gefühl von Zuneigung und Wärme. Er war ihr wichtig gewesen. Er musste ihr wichtig gewesen sein, wenn sie ihn in ihren Erinnerungen hatte.    Ich muss auch ihm wichtig gewesen sein…   Sich auf diese Kindheitshoffnung berufend, die noch immer in ihr blühte, suchte Ino ein letztes Mal die Augen ihres Vaters und sandte ein mentales Wispern aus, das so leise und traurig war, das es taumelte.    „Bitte sag es mir.“   Inoichi sah mit abgespanntem Gesicht und besiegter Haltung zu ihr hinab…und dennoch waren seine Augen – trotz der Tränen – so entsetzlich entschlossen.    Er schüttelte den Kopf.    Die Hoffnung verwelkte in Inos Herz. Doch statt sie an der Wurzel heraus zu reißen, packte sie die verdorrte Ranke und rannte. Sie rannte weg von ihrem Vater, rannte weg von dem Haus, rannte weg von dem Zuhause und dem Weh, das dort lebte; sie rannte und rannte und sah nicht zurück.    ~❃~   Sie hatten Jagd auf ihn gemacht.    Kämpfen, fliehen oder erstarren. Die Instinkte schossen in einer einzigen Schleife durch Neji und erschöpften sich selbst mit einem einzigen Atem – dann kam die Regungslosigkeit. Adrenalin lief aus und das dumpfe Brüllen davon milderte sich zu einem sanften Pulsieren an seiner Kehle – dann kam die Stille.    Und in der Regungslosigkeit und in der Stille, fand ihn das ANBU Team.    Langsam waren sie näher gekommen; ihr Zirkel aus tiermaskierten Gesichtern erschien von allen Seiten. Neji hatte nicht gekämpft, als sie ihm den Knappsack von der Schulter gerissen und den Inhalt durchwühlt hatten. Sie hatten seine Maske gefunden, hatten den Eindruck gemacht als wären sie zufrieden. Man hatte ihm die Augen verbunden und von diesem Punkt an geführt; ein Agent über, einer unter ihm, je zwei an beiden Seiten und weitere vier deckten Vorder- und Rückseite.    ANBU ging in etwa so oft Risiken ein, wie sie Gelegenheiten verteilten.    Neji fühlte sich nicht beleidigt. Er fühlte sich geehrt, dass sie sein Können so weit respektierten, dass sie Vorkehrungen trafen. Anzunehmen, dass er vielleicht eine Bedrohung darstellen konnte – nicht einmal unbedingt für sie, aber für welche Mission auch immer, mit der er beauftragt wurde. Doch was er nicht mochte, war ihre Annahme, er würde überhaupt in Betracht ziehen, sich dem wie auch immer gearteten Befehl verweigern, den Ibiki oder Shikaku in Teufels Küche für ihn zusammengebraut hatte.    Hn. Wenn man das Feuer nicht erträgt…   Dann war die Küche seine geringste Sorge. Kami, das hier war die letzte Stufe. Er hatte sich auf diesen Augenblick vorbereitet – diese Mission – seit Monaten…vielleicht sogar Jahren. Und er hatte die Narben, sowohl im Inneren als auch außen, um es zu beweisen.    Sie ließen ihn in einem Raum zurück, der nur von einer einzigen Glühbirne erhellt wurde.    Sie verriegelten die Tür.    Mit zuckenden Byakugan Venen sah sich Neji um. Kraterübersäte Mauern aus Betonziegeln, deren Mörtel um die Steine herum bröckelte. Ein großer Einwegspiegel mit einer alten Gardinenstange. Mehrere behelfsmäßige Regale, die nur eine schäbige Nagel- und Hammerarbeit waren. Die Regale waren leer. Dick mit Sägemehl bedeckte Kisten säumten die schmutzigen Wände. Im Zentrum des Raumes und illuminiert von dieser einzigen Glühbirne und ihrem sorgsam ausgerichteten Lichtstrahl standen ein rechteckiger Tisch und zwei Stühle; sie waren an gegenüberliegenden Seiten aufgestellt. Ein Aschenbecher saß direkt in der Mitte des Tisches und seine blasse leere Schale schimmerte in einem grellen Weißgelb.    Es sah aus wie ein Keller.    Neji wusste, dass es einer der vielen Verhörräume war.    Bedacht näherte er sich dem Stuhl mit dem Gesicht zur Tür. Setzte sich, wartete. Er konnte nichts außer dem unaufhörlichen Summen der Glühbirne hören. Doch rein strukturell wusste er, den vier Wänden seiner Zelle nicht zu trauen. Wie bei allem bei ANBU ging es um das, was unter dem Darunterliegenden lag; und was auch immer unter oder jenseits dieser Betonwand lag, garantierte absoluten Schallschutz.    Seine Byakugan Augen scannten alles jenseits der Mauern.    Absolute Dunkelheit.    Ein Barrieresiegel…   Es maskierte die wie auch immer gearteten Bereiche und Komplexe, die jenseits dieser Streichholzschachtel von einem Raum lagen. Auch wenn ihm die Augen verbunden gewesen waren, hatte Neji doch das Echo von Schritten gehört, während er über Gras und dann auf kalten Beton geführt worden war. Sie hatten ihm die Binde abgenommen, doch die Dunkelheit blieb.    Neji deaktivierte sein Byakugan und schloss die Augen.    Nach etwa einer halben Stunde hoben sich seine Lider wieder. Vollkommen passiv sah er auf die Tür, als sie sich öffnete. Das grelle Licht, das von der Tischoberfläche abprallte, machte es unmöglich zu sehen, wer eingetreten war. Die Beleuchtung warf einen kleinen Schein um die Mitte des Raumes und genau wie bei dem Einwegspiegel zu seiner Rechten, konnten sie ihn sehen, er sie jedoch nicht. Er wusste es besser, als noch einmal sein Byakugan zu aktivieren.    Um die Wahrheit zu sagen, hätte er gedacht, dass sie ihn viel länger in der Dunkelheit warten lassen würden.    Jemand näherte sich dem Tisch. Ein Schatten, der sich von der Dunkelheit löste, die den Raum jenseits des Lampenlichtes abschirmte. Neji wusste instinktiv, dass es nicht Shikaku war – auch wenn er sich das für einen Moment fragte.    Für eine Sekunde verharrte die Gestalt jenseits der Reichweite des Lichtes.   Und dann streckte sich ein körperloser Arm aus – schlank und lang, das Handgelenk knochig – und ließ mit einem lauten whack, das Staubwolken aushustete, eine Akte auf die Mitte des Tisches fallen. Der Staub funkelte in der Luft; winzige Funken der Intrige.    „Name und Rang“, sagte die Gestalt mit hölzerner Stimme, die bar jedes Tonfalls war; durch und durch ANBU.    „Shirataka, Anwärter“, antwortete Neji.    Der Arm zog sich zurück, bis nur noch die Hand blieb und sich auf den gegenüberliegenden Stuhl legte. Eine behandschuhte Hand, eine vernarbte Hand. Der Ringfinger fehlte. Aufmerksam driftete Nejis Fokus zwischen der Akte und dem fehlenden Finger, dann hinauf zu einem Gesicht, das er nicht sehen konnte, von dem er aber wusste, dass es da war.    Er wartete.    Dann sprach der Mann erneut: „Wir haben vier Anwärter, die für diese Mission bereit stehen. Alle vier von ihnen haben mehr taktische und kämpferische Erfahrung als du. Alle vier sind besser geeignet als du. Trotzdem bist du hier und sie nicht. Verstehst du die Bedeutung davon?“   Neji neigte den Kopf. „Das tue ich.“   „Wiederhole, was ich dir gerade gesagt habe.“   „Ihr habt vier andere Anwärter, die für diese Mission bereit stehen. Alle vier haben mehr taktische und kämpferische Erfahrung als ich und alle vier sind besser für diese Mission geeignet. Trotzdem bin ich hier und sie sind es nicht.“   „Du hörst gut zu. Aber hörst du auch?“ Die verkrüppelte Hand zog den Stuhl zurück und der Agent setzte sich. Ein harter, drahtiger Körper, der nur aus Sehnen und schlanken Muskeln bestand. Er trug eine ANBU Maske; das lange Gesicht eines Hirsches. Er trug die charakteristische Frisur der Nara.    Nejis Nerven verkrampften sich. Ein Muskel in seinem Schenkel zuckte. Doch seine Miene blieb ebenso blank und kalt wie diese blasse weiße Maske. Er hätte genauso gut blind sein können gemessen an all der Reaktion, die er zeigte, als er sah, wie sich eine Karikatur seiner größten Schwäche so spöttisch – so höhnisch – vor ihm offenbarte.    Der Mann legte den Kopf schief; eine Bewegung, die von der Maske noch verstärkt und dramatisiert wurde. „Eine einzige Mission. Eine einzige Gelegenheit. Du wirst bestehen oder du wirst scheitern. Fehler werden nicht toleriert. Wie wirst du antworten?“   „Wie ich muss.“   „Wem wirst du antworten?“   „Niemandem außer meinem ANBU Führer oder meinem Hokage.“   Der maskierte Mann beugte sich ein wenig nach vorn und die Schatten schienen sich dabei mit ihm zu bewegen, um sich wie eine Schlinge um den Tisch zusammen zu ziehen. „Ich bin dein ANBU Führer und bis du als würdig erachtet wirst, der Godaime zu dienen, bin ich der einzige Kage, dem du antworten wirst. Weil ich dein Schatten bin. Ich werde beobachten, aber du wirst mich nicht sehen. Ich werde zuhören, auch wenn du mich nicht hörst. Verstanden?“   Neji nickte. „Verstanden.“   „Wiederhole, was ich dir gerade gesagt habe.“   Neji tat wie ihm geheißen – und dann befahl man ihm, es noch einmal zu tun.    Zufrieden lehnte sich die maskierte Gestalt auf dem Stuhl zurück und die Schatten um ihn herum lockerten sich. „Du wirst mich Tsuno nennen, sollten wir miteinander kommunizieren müssen. Ich allein werde entscheiden, wann und wo und ob überhaupt. Verstanden?“   Neji war bereits darauf vorbereitet, alles Wort für Wort zu wiederholen, doch diesmal beließ es Tsuno bei einem Nicken. Er legte seine entstellte Hand auf den Tisch, krallte die Hände über die Akte und schob sie Neji zu. „Diese ANBU Mission fällt mit deiner aktuellen Mission in Kusagakure zusammen. Während dir deine Stellung als Teamführer zwar Freiraum und eine Machtposition gewährt, führt es auch zu doppeltem Druck, was deine neuen Anweisungen angeht.“   Und ohne Zweifel war genau das der Punkt. Shikaku und Ibiki mussten hoch erfreut über die Gelegenheit gewesen sein, ihn zwischen Hammer und Amboss einzuklemmen. Aber auf der anderen Seite; wurden nicht einige der stärksten Elemente unter dem größten Druck geschmiedet?   Nejis Augen verhärteten sich zu der polierten Reinheit eines Diamanten.    Er sah von der Akte auf, stierte zurück in diese zwei seelenlosen Augenlöcher von Tsunos Maske und spürte, dass der Ältere auf etwas wartete. „Ich verstehe, dass ich zwei Missionen parallel ausführen werde“, sagte Neji, um zu signalisieren, dass er zugehört hatte – und gehört.   „Und welche Mission hat Vorrang?“, fragte Tsuno.    Eine Fangfrage – doch das hatte Neji erwartet. „Beide“, antwortete er.    Tsuno nickte. „Sehr gut. Im Fall deiner ANBU Anweisungen bestehen sie aus zwei Teilen. Du wirst eine Überwachung durchführen, aber möglicherweise auch zum Handeln aufgefordert werden. Das bedeutet, ein Eingreifen durchzuführen, oder aber sich um eine Extraktion zu kümmern. Für den Fall, dass du handeln musst statt zu beobachten, werde ich mich bei dir melden.“ Tsuno zog seine Hand zurück. „Jetzt wirst du diese Akte lesen. Dann wirst du für mich jedes einzelne Wort daraus wiederholen.“ Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und ruckte mit dem Kopf in Richtung der Mappe. „Wir fangen mit dem Namen des Subjekts an, das du observieren wirst. Öffne die Akte. Lies den Namen.“   Einfach genug.   Sich nach vorn beugend streckte Neji eine Hand über den Tisch aus, öffnete die Akte, las den Namen – und fühlte, wie sein Herz in seiner Brust stehen blieb…fühlte, wie sich seine Kehle ruckartig zusammenzog…fühlte, wie sein Blut eiskalt wurde und gefror…fühlte Tsunos Augen heiß und dunkel wie glühende Kohlen.    Und dann sprach er; als würde er überhaupt nichts fühlen.    „Nara Shikamaru.“   _______________ Glossar: Tsuno: Bedeutet Horn oder Geweih Shirataka: Bedeutet 'Weißer Falke' Kapitel 7: The game begins -------------------------- „Woah, Shikamaru, du siehst zehn Arten von müde aus“, bemerkte Naruto und sah zehn Arten von überenthusiastisch aus, als er herüber sprang, um den Schattenninja am Fuße der Wendeltreppe zu treffen, die hinauf zur Vogelvoliere von Konoha führte. „Geht’s dir gut?“   Seufzend sank Shikamaru zurück auf seine Fersen und schob die Hände in seine Taschen, während er für einen Moment Energie sammelte. „Und du siehst wie üblich putzmunter und voller Elan aus“, murrte er, doch es war überhaupt nicht fies gemeint. „Was? Ich kauf dir Abendessen und jetzt willst du auch noch Frühstück, huh? Mann, das nervt.“   Lachend breitete Naruto die Hände aus. „Ist das ein Angebot? Weil Scheiße, ja. Bist du da oben fertig?“   Das war leicht.   Da er das Gespräch erfolgreich in eine andere Richtung umgeleitet hatte, kratzte Shikamaru den schwächlichen Versuch eines Schmunzelns zusammen. „Jo. Habe auch keinen deiner kleinen orangenen Kumpel da oben gesehen, nur dass du es weißt.“   Ruckartig warf Naruto einen schlitzäugigen Blick auf die Voliere. „Du musstest sie einfach erwähnen, oder? Mann, versuch du doch mal, damit klarzukommen, wenn diese kranken kleinen Dinger deinen Hintern bombardieren.“   Shikamaru hob eine Hand. „Zwei Wörter“, sagte er und zählte an seinen Fingern. „Dämlicher Vogel.“   „Hah, oh yeah. Was ist mit dem?“   Ein weiteres Mysterium, dessen Lösung Shikamaru noch kein Stück näher war. Und so hob er nur eine Schulter und wechselte das Thema. „Sakura und Sai?“   Naruto verschränkte die Finger hinter seinem Kopf und ließ die Muskeln seines Rückens in einer gähnenden Dehnung knacken. „Sakura ist bei Tsunade Baa-chan – irgendwas wegen dieser verrückter Nahrungspillen und dass noch nicht alle wieder zurückgeholt wurden.“ Er runzelte die Stirn und kratzte sich seine schnurrbärtige Wange. „Sai habe ich seit gestern immer noch nicht gesehen, aber er meinte, er würde uns vor der Mission am Tor treffen.“   Während die missglückte Rückholaktion der Nahrungspille zwar eine mentale Augenbraue hob, zog sich Shikamarus Aufmerksamkeit schlagartig auf Sai zusammen. Hatte Naruto nicht irgendetwas über ANBU erwähnt? Rasch versäuerte sich sein Interesse.    Tz. ANBU.   Nur eine weitere Sache, auf einer bescheuert langen Liste, über die er nicht nachdenken wollte, außer er wurde dazu angewiesen.    Nicht meine Angelegenheit. Nicht mein Problem.   Ja klar; nur witzig, wie das die innegehaltene Anspannung nicht davon abhielt, seine Wirbelsäule mit einem unerbittlichen Krampf zu packen. Grunzend rollte er Nacken und Schultern gegen die sich festsetzende Starre an und begann, träge den Weg entlang zu schlendern. Naruto lief neben ihm her. Sie hatten immer noch ein paar Stunden Zeit, bevor Neji erwartete, dass das Team alle Aufgaben erledigt hatte und sich sammelte. Und jede Ablenkung bis zu diesem Moment wäre willkommen, selbst wenn es bedeutete, einen weiteren Gutschein für Naruto hoch zu würgen.    Wenn man so drüber nachdenkt…ist das gar keine so schlechte Idee.   „Pfannkuchen“, sagte Shikamaru.    Neben ihm leuchtete Narutos Gesicht auf. „Huh?“   „Keine Verhandlungen. Pfannkuchen bei Amaguriama. Nimm es oder lass es bleiben.“   Narutos strahlendes Grinsen war alles an Antwort, was Shikamaru brauchte.    Gut. So wird sich dann auch um die nächste Unterhaltung gekümmert, die ich nicht führen werde.   Er hatte zugestimmt, sich mit Chōji und Ino vor der Mission zum Frühstücken zu treffen, nachdem sie alle ihre Aufgaben erledigt hatten. Amaguriama war der Laden, zu dem Asuma sie immer mitgenommen hatte, als sie noch Genin gewesen waren. Seit seinem Tod waren sie nicht mehr dort gewesen. Es war das Mindeste, was Shikamaru tun konnte, wenn man bedachte, dass er Asumas Grab seit über einer Woche nicht besucht hatte.    Sein Magen verknotete sich und gab ein Grummeln von sich, das überhaupt nichts mit Hunger zu tun hatte.    Naruto zwinkerte ihm zu. „Ich fühl mit dir.“   Irgendwie schaffte es Shikamaru, ein Schmunzeln für ihn zu finden, fühlte sich dankbar für die Gesellschaft und die Deckung, die sie ihm gewähren würde. Das Frühstück würde vollkommen reibungslos ablaufen, vorausgesetzt Shikamaru musste nicht irgendwelche Fragen seiner Teamkameraden beantworten, ob er geschlafen hatte oder warum er aussah, als hätte er genau das nicht getan. Doch Narutos Ausgelassenheit würde seine Erschöpfung überspielen – und selbst wenn nicht, Ino und Chōji würden nicht auf Antworten drängen, wenn Naruto dabei war.    Taktisch gesehen war es eine gute Idee.    Sie umrundeten eine Ecke, um am Veterinärzentrum vorbei zu schlendern und liefen direkt in Shino – naja, zumindest Naruto. Shikamaru war ein paar Schritte zurück gefallen und fühlte sich auch verdammt gut dabei, als er den dunklen Insektenschwarm sah, der anfing, um den Kopf des Aburame zu schwirren.    Überrascht quäkend stolperte Naruto gute fünf Schritte zurück grinste liebenswürdig, auch wenn eines seiner Augen zu zucken schien. „Hey, Shino! Hab dich gar nicht gesehen.“   „Natürlich hast du das nicht“, murrte Shino, als hätte er angenommen, Naruto wollte direkt durch ihn hindurch marschieren. „Wie auch immer, ich hätte gedacht, dass zumindest du mich bemerkst, Shikamaru. Aber auf der anderen Seite hast du die Tendenz, mich zu übergehen, nicht wahr?“   Shikamaru widerstand dem Drang, verzweifelt die Augen zu schließen und neigte seinen Körper, um über Narutos Schulter spähen zu können. Grüßend hob er die Brauen und bot ein ausdrucksloses, schmallippiges Lächeln an. „Shino.“   Ein marginales Drehen von Shinos Kopf. Seine getönten Brillengläser blitzten auf. „Wenigstens bestreitest du es nicht.“   Mental seufzte Shikamaru auf und er hob eine Hand, um über den angespannten Knoten zu reiben, der sich zwischen seinen Brauen bildete. Er hatte echt nicht die Energie dafür. Und Naruto versuchte bereits, ihn zu retten.   „Hey“, begann der Uzumaki mit erhobenen Händen und trat einen Schritt vor den Schattenninja. „Sei nicht so. Shikamaru hat dich immerhin für diese Mission ausgewählt, oder nicht?“   „Nein. Das war Neji.“   „Naja, Shikamaru hat dich für die Hanegakure Mission ausgewählt.“   Shikamaru hörte auf, sich über die Stirn zu reiben und vergrub das Gesicht in der Handfläche.    Alles, nur nicht das…   Shino wurde vollkommen still. Ein Insekt huschte über sein Stirnband und das aufgeregte Summen in seiner Aura vertiefte sich zu einem ominösen Dröhnen. „Es mag dir ja vielleicht entgangen sein, Naruto, aber ich wurde von dieser Mission ausgeschlossen. Warum? Ich wurde als entbehrlich erachtet.“   Für einen Moment bewegte sich Narutos Mund geräuschlos, bevor er mit gewinnender Überzeugung grinste und einen erhobenen Daumen nach außen schnellen ließ. „Ja, aber deine Käfer waren richtig nützlich!“   Shikamarus Augen loderten.    Oh Kami…   „Ach wirklich?“, forderte Shino heraus.    „Na klar! Shikamaru hat sie in hübsche kleine Käfer Süßi-“ Mit einem spastischen Jaulen brach Naruto ab und wirbelte heftig herum, als Shikamaru eine Hand um seine Schulter krallte und zudrückte – hart. Seine Finger gruben sich in ein äußerst empfindliches Nervenbündel. „Was zur HÖLLE, Shikamaru?“   Sich nach vorn lehnend, tätschelte Shikamaru die misshandelte Schulter. „Hör auf, mir helfen zu wollen“, presste er zwischen den Zähnen hervor, während er so aussah, als würde er lächeln.   Naruto runzelte die Stirn und holte Atem, um zu antworten, nur um alle Luft direkt aus den Lungen geprügelt zu bekommen, als die breite weiße Tür des Veterinärzentrums nach außen explodierte und mit einem nachhallenden Knacken gegen seine Wirbelsäule klatschte. Mit einem Prusten stolperte er nach vorn.    Aufgeschreckt fror Shikamarus Hirn für den Bruchteil einer Sekunde ein. In blindem Reflex stürzte er zur Seite, fühlte die Bewegung von Narutos Körper wie einen kalten Wind auf seinem Gesicht und realisierte dabei, dass er schwitzte. Erschüttert erlangte er gerade genug Geistesgegenwart wieder, um Naruto um die Brust herum aufzufangen, bevor sein Freund auf dem Boden aufschlagen konnte – und selbst dann schwankte Shikamaru noch ein wenig, da sich seine Beine wie Gummi anfühlten.    Kiba kam mit gebleckten Zähnen und rollenden Schultern aus der Tür getrampelt; deutlich bereit für einen Kampf. „Ich bring sie um“, fauchte er. „Ich bring sie verfickt nochmal um.“   Shino trat einen großen Schritt zurück und sagte gar nichts.    Normalerweise wäre Shikamaru ihm zwei Schritte voraus, diesen großen Schritt zurück zu machen, aber sein erhöhter Puls pumpte eine heiße Flut des Zorns durch ihn, der die kalte Furcht fort spülte. Die Muskeln in seinem Hals zogen sich straff und seine Stimme wurde zu einem Knurren. „Zur Hölle? Bist du blind, Kiba?“   Angesichts der Stimme schnellte Kiba herum, doch er erkannte sie nicht und seine Tieraugen blitzten mit einer Aggression auf, die in der Sekunde erstarb, als sich sein Blick auf Shikamaru richtete. Er spannte sich kurz an und sein Kopf schnappte überrascht und verwirrt zurück. „Shikamaru?“   Von Kibas Reaktion völlig aus dem Konzept gebracht, zogen sich Shikamarus Augen kurz zusammen und reflektierten dieselbe Verwirrung. Er griff nach seinem Zorn, fand aber nichts außer Genervtheit und so warf er einen kaum noch finsteren Blick über gelbe Stacheln. „Pass auf, wo du hinläufst“, murrte er, legte seine flache Hand gegen Narutos keuchende Brust und half ihm, sich aufzurichten. „Du hast Glück, dass Naruto da stand und nicht irgendjemand anderes.“   „Tz, danke, Shikamaru“, grummelte Naruto, drückte den Rücken durch und drehte sich in der Hüfte, um seine wunde Wirbelsäule zu dehnen. Er warf einen raschen Blick auf Kiba. „Oi, was ist dein Problem?“   Die Augen immer noch auf Shikamaru fixiert blinzelte Kiba und schüttelte seine verdutzte Miene ab, wie ein Hund vermutlich Wasser aus dem Fell schüttelte, als er seinen Kopf von Seite zu Seite schnappen ließ. Er wuschelte sich durch die Haare und drehte sich mit den Händen an den Hüften seitwärts, spähte noch einmal mit einem seltsamen Blick zu Shikamaru und wandte sich dann Naruto zu. „Sorry.“ Er biss das Wort an der ersten Silbe geradezu ab und nuschelte den Rest leise.    Shino schüttelte den Kopf. Es war nur eine schwache Bewegung, aber genug, dass es ihm ein leises kehliges Knurren von dem Hundeninja einbrachte. Eine fehlgerichtete Irritation. Shikamaru spürte, dass was für eine Laus auch immer über Kibas Leber gekrabbelt war; sie gehörte nicht zu Shino. Die Aufmerksamkeit des Inuzuka lag schon wieder auf der Tür, durch die er noch wenige Sekunden zuvor geplatzt war.    Shikamaru zögerte und hätte vielleicht sogar die Energie und das Interesse aufgebracht, um zu fragen, was zur Hölle eigentlich abging, aber Naruto kam ihm zuvor. „Haste rausgefunden, wohin man Akamaru überwiesen hat?“   Während er sich in ein tierisches Kauern sinken ließ, presste Kiba die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, die Arme auf den Schenkeln, den Kopf eingezogen und die Schultern gestrafft. Er schien in langsamen, erschöpften Zügen durch die Nase zu atmen.    Stirnrunzelnd spähte Shikamaru zu Shino. Der Aburame schüttelte den Kopf; eine Geste die vollkommen an Shikamaru verloren ging, da er weder Shinos Augen, noch die Situation lesen konnte. Klasse. Mit genauso wenig Schimmer wie zuvor musterte er Kiba vorsichtig und grübelte mit einer flachen Miene: Pfannkuchen oder Drama?   Er wollte sich schon abwenden, um seinen Hintern auf irgendeinem bequemen Sitzplatz zu parken.    Doch kaum hatte er sich auf dem Absatz umgedreht, da hob sich Kibas Kopf wie der eines Hundes, der Witterung aufgenommen hatte. Die weiße Tür schwang erneut auf und Narutos scharfes Luftschnappen ließ den Schattenninja innehalten. Genauso wie die Belustigung, die die nächsten Worte des Uzumaki erstickten: „Oh Mann, Akamaru, was haben die mit dir gemacht?“   Shikamaru wandte sich um, starrte, sah noch ein zweites Mal hin und brach einen Herzschlag nach Naruto in Gelächter aus.    ~❃~   Schreie erklangen; eine Kakophonie aus Noten, manche schrill und manche tief, hebend und fallend in einem disharmonischen Lied. Ibiki lauschte; taub für den Lärm und mit seinem Ohr feingestimmt für die Musik, die direkt unter der Symphonie der Pein spielte.    Ein Chor der Wahrheit.    Wo andere das Chaos hörten, hörte er Geständnis. Sie alle sangen für ihn, auch wenn sie nicht sprechen wollten. Und es war das Lied ihrer Schreie, das die Kammern der Gefängnisse füllte, um ein Echo in den Kammern seines Verstandes zu erzeugen.    Der Verstand.   Das war, wo die Juwelen wahrer Geständnisse lagen. Worte, die aus dem Mund eines Gefangenen herausgeprügelt wurden, waren nur ein kleiner Preis im Vergleich zu dem Wert der Schätze, die im Hirn begraben waren – ein Labyrinth überschwemmt mit Erinnerungen und Informationen.   Ibikis Job war es, dieses Labyrinth zu lokalisieren.    Der Job seines Vorgesetzten war es, es zu erkunden.    Was die Frage aufwarf – wo zur Hölle war Inoichi?   Ibiki stand vor dem Einwegspiegel des Verhörraumes und zog an den Enden seiner Handschuhe, während er seine wunden Finger tief in das warme Leder krümmte. Der arthritische Schmerz nagte an ihm, da beschädigte Gelenke in ungünstigen Winkeln geheilt waren. Aber der kalte Argwohn in seinem Inneren nagte dennoch tiefer.    Inoichi war immer effizient; dennoch war er in der vergangenen Woche immer wieder zu spät gekommen.    Mushi war immer verfügbar; dennoch hatte er sich unerreichbar gemacht.    Genma war immer gehorsam; dennoch hatte er Anzeichen von Trotz und Verspätung gezeigt.    Danzō verpasste nie seine zweiwöchigen Ratssitzungen; dennoch war er nicht aufgetaucht.   Effizienz, Zweckdienlichkeit, Gehorsam und Vorhersehbarkeit; normalerweise funktionierten diese Verhaltensmuster wie ein Uhrwerk. Ibiki betrachtete jedes Individuum als einen Zahn in einem Zahnrad und verließ sich auf die Verpflichtung jedes einzelnen Zahns, wie angewiesen zu operieren. Da jeder seinen Teil dazu beitrug, hatte das Konzil eine Reihe feiner, aber zuverlässiger Mechanismen erschaffen. Und für zwei Jahre hatten diese Mechanismen das Netzwerk der Lügen funktionieren lassen.    Und jetzt kommen wir kratzend zum Stillstand…   Keine Überraschung. Zahnräder – oder Menschen – funktionierten manchmal nicht richtig. Genma war ein Paradebeispiel dafür. Aber was Inoichi, Mushi und Danzō anging, die so direkt auf dem Fuße folgten? Dieses Scheitern zu Funktionieren drohte nicht nur, die ganze Operation zu gefährden, sondern erregte auch oft die Aufmerksamkeit von Leuten außerhalb des Systems.    Außerhalb der Lügen.   Außerhalb des Raumes erklang eine unerwartete Stimme. „Wenn das so weiter geht, fehlen dir hier unten nur noch Feuer und Schwefel.“   Vollkommen unvorbereitet versteifte sich Ibiki.   Man erwischte ihn äußerst selten - wenn überhaupt jemals – unvorbereitet.    Er knackte sich die Spannung aus den Fingern, tat so, als würde er den Verhörraum jenseits des Fensters mustern und beäugte mit abgeschirmten Augen durch die Spiegelung im Glas den Eindringling. „Raidō“, grüßte er in mildem Ton; ohne Wärme, ohne ein Willkommen. „Was bringt dich in diesen Kreis der Hölle?“   Zögern. Raidō verharrte an der Türschwelle und hatte die Füße auf den exakten Punkt zwischen Ein- und Ausgang gestellt. Er machte keine Anstalten, näher zu kommen, machte keinen Schritt zurück. „Hast du zehn Minuten?“   Direkt wie immer, zumindest wenn es um Zeit ging.    Rasch überlegte Ibiki, wie er vorgehen sollte. Er neigte dazu, in Gesellschaft langjähriger Kameraden die ‚Stell keine Suggestivfragen‘-Regel zu befolgen. Dieses Spielen von Normalität beruhigte die anderen normalerweise, wenn man bedachte, dass sich die meisten von Ibikis Unterhaltungen als suggestive Befragungen entpuppten.    Soziale Kompetenz…   Doch diese Regel der Samthandschuhe galt hier unten nicht. Hier unten, so tief unter der Oberfläche von Lächeln und Normalität, waren alle vogelfrei. Und Raidō war da keine Ausnahme.    „Erinnere mich, Namiashi…“ Mit einem Rascheln dunklen Leders wandte sich Ibiki um und seine Stiefel schlurften in einem leisen Husten über den blassen Beton. „Hattest du schon immer so einen wunden Punkt, wenn es um Genma geht?“   Raidōs Blick wurde rasiermesserscharf. „Ganz vorsichtig.“   Ibikis Lippen kräuselten sich zu einem Schmunzeln, das durch das lange zerlumpte Narbengewebe, das sein Gesicht und Mund teilte, nur noch düsterer wurde. „Du auch. Müßige Drohungen pissen mich an. Genauso wie müßige Unterhaltungen. Du hast drei Minuten.“   Und Raidō verschwendete seine Sekunden nicht, sondern trat mit den Händen an den Hüften und eingezogenem Kopf weiter hinein in den Raum. „Hast du ihn in der vergangenen Woche gesehen?“   „Nein. Nächste Frage.“   „Ich habe gehört, er wäre letzte Woche in ein Ryokan eingebrochen und wurde festgenommen. Stimmt das?“   „Ja.“   „Und das Gerücht, dass man dich deswegen gerufen hat? Stimmt das auch?“   „Ja.“   Das ließ Raidō für einen Moment innehalten. Er verharrte mitten in einem Schritt und lauschte dem Gurgeln aus Schreien jenseits des Glases, bevor er sich mit den Augen auf dem Boden abwandte. „Denkst du, er ist labil?“   Ibiki neigte den Kopf, um auf einen Verstoß hinzuweisen. „Das ist eine Fangfrage.“   „Also wirst du sie nicht beantworten?“   „Ich bin weder autorisiert, noch genug informiert, das zu beantworten.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er hinzufügte: „Ich sehe auch keinen Grund, warum ich es tun sollte.“   Raidō blieb stehen und sah unter zusammengezogenen Brauen zu Ibiki auf. „Er ist Goei Shōtai. Wenn er labil ist, dann könnte das die Hokage gefährden. Ich muss dafür sorgen, dass das nicht passiert.“   „Um wessen willen? Der Godaime? Oder Genmas?“   Verblüfft begegnete Raidō Ibikis durchdringendem Blick mit einem schmallippigen Funkeln und seine Stimme war ebenso ruhig wie seine Worte achtsam waren. „Suchst du nach irgendeiner Art Geständnis, Ibiki? Er ist mein Partner, nicht mein Fickfreund.“   Amüsiert von seiner Defensive – wenn nicht sogar ein bisschen fasziniert – verschränkte Ibiki die Arme mit einem lässigen Achselzucken und lehnte sich zurück gegen das Glas, während er mit abgeschirmten Augen die Knöchel überkreuzte. „Tick-tack, Namiashi.“   Mit zusammengebissenen Zähnen dränget Raidō nach vorn. „Angenommen er ist labil; dann sind doch zwei Jahre genug Zeit für einen Seelenklempner, ihm zu helfen, den Kopf wieder gerade zu bekommen, denkst du nicht auch?“   Was Ibiki dachte war so weit von dem entfernt, was Raidō hören wollte, dass es vielleicht sogar zum Lachen gewesen wäre, wenn es nicht so desaströs wäre. Denn auch wenn Ibiki nicht überrascht war, dass Genmas selbstzerstörerisches Verhalten Raidōs Aufmerksamkeit erregt hatte, hatte er nicht damit gerechnet, dass Genma so weit abrutschte; und vor allem so schnell.    „Nun?“, presste Raidō und stierte ihn finster an.    Abweisend schniefte Ibiki und drehte bei einem besonders schrillen Schrei von jenseits des Glases den Kopf. „Ich kann mir alle möglichen Dinge denken. Summiert sich aber doch alles nur zu einem Haufen Scheiße, wenn ich die Fakten nicht habe.“ Grunzend spähte er wieder zu Raidō. „Gelehrte Vermutungen sind wertlos. Genau wie diese Unterhaltung. Rede mit Genma. Nicht mit mir.“   Raidōs Atem stockte. Zu sprechen schien ihm Schmerzen zu bereiten. „Genma will nicht mit mir reden.“   Die Erleichterung, die diese Aussage auslöste, wusch sich flutartig durch Ibikis Verstand und trug etwas von der Furcht fort, die begonnen hatte, wie Treibgut durch sein Hirn zu schwimmen. Es war immer noch Zeit, um diese Situation wieder ins Lot zu bringen, vorausgesetzt, er kümmerte sich schnell darum. Kami, als hätte er nicht schon genug Chaos, das er koordinieren musste, während er gleichzeitig dafür sorgen musste, alles unter Verschluss zu halten. Zwischen Nara Shikamarus Sicherheit, Inoichis und Mushis Abwesenheit und Danzōs Versäumnis, sich mit dem Rat zu treffen, hätte Genmas Drama zu keinem schlechteren Zeitpunkt kommen können. Und dann waren da auch noch Hyūga Neji und seine ANBU Anweisungen zu bedenken.    Wenn er das vermasselt…   Dann würde Tsuno übernehmen. Eine Absicherung, der Ibiki vertraute, aber nicht weniger ein Rückfall, wenn diese Mission gegen die Wand fuhr. Tsunos Worte echoten in Ibikis Verstand; ein Murmeln aus den Schatten: ‚Sei versichert. Ich bin beauftragt. Und ich werde nicht scheitern.‘   „Langweile ich dich, Morino?“, schnappte Raidō.    „Genma will nicht mit dir reden“, echote Ibiki, um zu zeigen, dass er ihn gehört hatte, während er zu dem Augenblick zurückkehrte, als hätte er ihn niemals verlassen. „Also kommst du zu mir und gehst davon aus, dass ich entweder über den kleinen Kontrollverlust deines Partners informiert oder daran interessiert bin.“   Diese gefühllose Erwiderung hatte den erwünschten Effekt. Raidō pinnte ihn mit einem Blick verwundeter Verwirrung fest, bevor er die Zähne gegen die bittere Mahnung zusammenbiss, mit wem er es hier gerade zu tun hatte. Denn auch wenn Ibiki nicht immer grausam war; er nahm nie für sich Anspruch, freundlich zu sein. Wehe dem Idioten, der seine Geduld mit Interesse oder sein Interesse mit Besorgnis verwechselte. Es war nichts Persönliches. Andere würden behaupten, es wäre professionell. Ibiki hatte in seinem Leben zu viel verloren und zu wenig gewonnen, um es als irgendetwas anderes als Selbsterhaltung zu bezeichnen – und Patriotismus. Ja, das auch. Immer das, wenn schon sonst nichts. Unsterbliche Loyalität gegenüber guten Anführern – gegenüber großen Anführern – und noch wichtiger als das; unsterbliche Loyalität gegenüber der Generation, für die diese Anführer ihr Leben gegeben hatten, um sie zu beschützen.    Das größere Gut.   War das nicht der Punkt der ganzen Operation? Des ganzen Netzwerks?   Seufzend trat Raidō einen Schritt zurück. „Ob du an Genmas Situation interessiert bist oder nicht; Informationen sind deine Stärke.“   „Innerhalb eines Kontextes. Und selbst dann nur bei legitimen und autorisierten Fällen.“   Raidōs Nasenflügel bebten um ein Ächzen und seine Finger trommelten gegen seine Hüften. „Achja? Und abgesehen davon, Pillen einzuschmeißen, seinem Seelenklempner aus dem Weg zu gehen, sich selbst mit einer Flasche Schnaps für Stunden in der Wohnung einzusperren – oh achja, und in Luxusryokans einzubrechen wie irgendwelche halbstarken Straftäter – was zur Hölle muss ein Elite Shinobi sonst noch tun, um als legitimer Fall angesehen zu werden?“    „Ein legitimer Fall von was?“ Ibiki hob die Brauen. „Verrückt sein?“   Ein Aufflammen von Zorn in Raidōs ruhigen dunklen Augen. Warnend hob er einen Finger. „Mach das nicht, Ibiki. Ich bin nicht hierher gekommen, um mich verarschen zu lassen.“   „Dann hör auf, meine Zeit zu verschwenden. Du willst wissen, was mit ihm los ist? Er ist dein Partner. Zähl eins und eins zusammen.“   Raidōs Kiefer verkrampfte sich. „Er war schon sehr lange nicht mehr mein Partner.“   „Meinst du das wortwörtlich oder im übertragenen Sinne?“   Raidō stieß ein kurzes bitteres Lachen aus und wandte sich ab, während er seinen Kopf nach hinten kippen ließ, als würde er sich so davon abhalten, ihn in den Händen zu vergraben. Lange und hart stierte er die Zimmerdecke an, bevor er Worte sprach, die so sanft waren, dass sie die schneidende Präzision, mit der sie ausgewählt worden waren, Lügen straften. „Als Hayates Krankheit als unheilbar diagnostiziert wurde, hast du sein Geheimnis bis zu dem Moment bewahrt, als er es nicht länger verstecken konnte. Du hast das getan, weil er dich darum gebeten hat, nicht wahr?“   Geworfen wie ein schwerer, gepanzerter Fedehandschuh.    Ibikis Kiefer zuckte unmerklich. „Sechzig Sekunden.“   Raidō wandte sich ihm zu. „Muss hart für dich gewesen sein, zuzusehen, wie der Rest von uns diese ganze falsche Hoffnung in seine Richtung geworfen hat. Du wusstest, dass sich sein Zustand verschlechterte, aber du hast deine Rolle gespielt. Du hast mitgemacht, obwohl du wusstest, was kommen würde.“   „Empathie“, murmelte Ibiki mit einer Stimme, die so flach und unkooperativ war wie seine Miene. „Ist das dein Spiel?“   Irritation verzog Raidōs Mund, doch seine Worte waren leise – besiegt. „Wie würdest du dich fühlen, wenn ich gewusst hätte, dass dein Freund stirbt, ich es dir aber niemals gesagt hätte?“   „Ich hätte mich gut gefühlt zu wissen, dass es das war, was er wollte“, erwiderte Ibiki und straffte die Schultern gegen das Glas, während seine Lederhandschuhe quietschten, als er die Finger aus seinen verkrampften Fäusten löste. „Deine Zeit läuft ab.“   „So wie die von Genma. Wie viel Zeit wird bleiben, bevor die Hokage bemerkt, dass er abrutscht? Er hat zu hart gearbeitet, ist zu weit gekommen, um zuzulassen, dass sein Ruf durch den Schmutz gezogen wird. Nur wegen was auch immer, was ihm vor zwei Jahren zugestoßen ist.“ Raidō richtete seinen Blick direkt auf Ibikis Narben. „Du von allen Leuten solltest um die Opfer zum Wohle des Dorfes wissen.“   Gefährlicher Boden. Ibiki spürte, wie sich die Vergangenheit unter seinen Füßen bewegte und die Muskeln in seinen Beinen verkrampften sich gegen den phantomhaften Drang, all die Skelette zu zertrampeln. „Genma liegt, wie er sich gebettet hat. Dräng weiter und du wirst dich zu ihm gesellen.“ Er schnaubte und fügte leise hinzu: „Wortwörtlich gesprochen wäre das wahrscheinlich gar keine so schlechte Idee.“   Ein fassungsloses Funkeln und Raidō knurrte, wobei sich die Narben über seinem Nasenrücken schärfer und tiefer schnitten. „Du bist ein eiskalter Hurensohn, Ibiki.“   Ibiki schmunzelte ohne irgendeinen Humor. „Hilft mit dem Feuer und Schwefel.“   „Achja? Aber es hilft dir auch, nachts schlafen zu können wie ein Stein.“ Angewidert schüttelte der Namiashi den Kopf und wandte sich dem Ausgang zu. „Betrachte das als das letzte Mal, dass ich dich um Hilfe bitte.“   Unter normalen Umständen hätte das bedeutet, dass eine enorme Last von Ibikis Verstand genommen wurde. Doch in diesem Fall warf es nur ein weiteres Problem in seinen Schoß; und zwar die Frage, wen Raidō sonst noch in Genmas Durcheinander mit hinein ziehen würde. Heilige Scheiße, das hatte ihnen gerade noch gefehlt, oder? Ein weiterer Idiot mit guten Absichten, der involviert wurde. Ein weiterer Schraubenschlüssel, der zwischen die Zahnräder geworfen wurde und die Mechanismen manipulierte.    Mit wirbelndem Verstand sah er zu, wie Raidō davon lief.    Genma, diesmal hast du es so richtig verkackt…   Es war die Pflicht des Shiranui, den Anschein zu wahren, durch seine senbonkauenden Zähne zu lügen und jeden – Raidō eingeschlossen – von der Spur abzubringen, wenn sie anfingen, um den Kusagakure-Vorfall herum zu schnüffeln oder um irgendjemanden, der damit in Verbindung stand. Ein gottverdammtes Wunder, dass Genma nicht mit Asuma abgerutscht war. Das war der härteste Test gewesen. Auch wenn Ibiki Asuma nicht nahe gestanden war – Scheiße, er stand niemandem nahe – er hatte den Sarutobi gemocht, hatte ihn als Kameraden angesehen, einen Kämpfer auf derselben Seite, der für dieselben Ziele kämpfte, dieselbe Vision. Doch so einfach war es für Genma nicht gewesen; Asuma war sein Freund gewesen.    Ja, war das nicht schon immer das Risiko?   Dass Genma ein schuldiges Gewissen mit sich trug, das nur darauf wartete, zu explodieren. Ibiki hatte Genma als das gesehen, was er war, sowohl damals als auch jetzt; eine verfickte Zeitbombe. Das Gütigste und Sicherste wäre gewesen, Genmas Erinnerungen auszulöschen – aber das hätte Inoichi mit einbezogen. Und wenn der Yamanka Genmas Verstand durchforstet und herausgefunden hätte, was Shikamaru zugestoßen war…?   Das darf unter keinen Umständen passieren.   Also hatten die Ältesten diese Idee abgewiesen. Sie hatten ihre Hände von Genmas Trauma rein gewaschen, indem sie ihn einfach Mushis Obhut übergeben hatten; und das mit der wahren Agenda, einen Spion zu platzieren.    Grausam.   Scheiße, Ibiki war ein zertifizierter Sadist, aber nie in seinem Leben hatte er etwas so Verdrehtes, so Herzloses getan – zumindest nicht bei einem Kameraden, einem Einwohner und Kind von Konoha. Das Konzil hatte Genma eine Illusion von Genesung gegeben, obwohl in der Realität seine Sitzungen mit Mushi nichts anderes waren als eine Aneinanderreihung nie endender Missionen, die er abschließen musste. Eine konstante Erinnerung, wenn wahrscheinlich alles, was er wollte, war, einfach zu vergessen…oder Vergebung zu finden?   Daher auch das Problem mit Asuma.    Der Tod des Sarutobi musste der Trigger gewesen sein. Ibiki hatte es gemerkt. Es war um diesen Zeitpunkt herum gewesen, dass die Selbstzerstörung, die Genma bisher hinter verschlossenen Türen genährt hatte, begonnen hatte, nach außen zu sickern…und jetzt drohte sie, alles zu gefährden…und jeden, der darin verwickelt war.    Die Ältesten haben seine Schuldgefühle unterschätzt…seinen Sinn für Verantwortlichkeit für alles, was passiert ist…   Und zwei Jahre später war diese Schuld kein Stück näher an einer Absolution. Doch mit Sicherheit war Genma nicht so weit fort, um seinen Eid des Schweigens zu verraten. Oder doch? Hatte er etwas zu Raidō gesagt? Oder warf Raidō einfach nur mit Schwachsinn um sich und hoffte, einen Treffer zu landen? Während Ibikis Bauchgefühl zwar von Letzterem ausging, war es dennoch unmöglich, das mit Sicherheit zu wissen, wenn Genma nicht anwesend war. Was bedeutete, dass er ihn zu einem Verhör herholen musste.    Ich habe dich gewarnt, Shiranui…   Ein weiterer markerschütternder Schrei von jenseits des Glases; und zum ersten Mal seit einer sehr, sehr langen Zeit, schloss Ibiki die Augen gegen den Klang.    ~❃~   Das Frühstück bei Amaguriama stellte sich als das gleiche Ereignis, bei dem niemand auftauchte, heraus wie bei Yakiniku Q. Und wieder einmal musste Shikamaru die Rechnung begleichen.    Dachte ich mir…   Wo auch immer Chōji und Ino waren; sie schuldeten ihm was.    Shikamaru saß an einem der Picknicktische und stierte blicklos über Narutos Kopf auf eine alte Schachtel, die ihren preisgekrönten Akita Köter die Teestraße entlang führte. Währenddessen piekste er ein schwammiges Pfannkuchenquadrat mit der Gabel auf und kaute darauf herum, ohne irgendwas zu schmecken. Es hätte genauso gut feuchte Pappe sein können bei all dem Appetit, den er hatte.    Hätte Schlaf nachholen sollen…hätte zumindest eine weitere Stunde gehabt…   Zumindest war es nicht laut. An diesem Morgen war Amaguriamas Picknickwiese zum Großteil von jungen Müttern mit ihren Kleinen und älteren Leuten besetzt, die auf der Suche nach einem kleinen Leckerbissen waren, bevor der Tag begann und sich Stühle und Tische füllen würden.    Ein guter Ort für ein stilles Frühstück. Naja, zumindest in der Theorie.    Gegenüber von dem Schattenninja bewegte sich Narutos Mund und Shinos Kopf nickte, aber Shikamaru hatte sich bereits vor etwa zehn Minuten ausgeklinkt, um die mentale Checkliste all der Arbeiten durchzugehen, die Neji jedem von ihnen aufgetragen hatte, bevor sie sich am Tor sammeln mussten.    Chimärenproben. Check. Taubenschlag. Check.    Er selbst hatte seine Aufgaben zwar bereits vor dem Zeitplan erledigt, aber es war sicher anzunehmen, dass Chōji vermutlich immer noch damit beschäftigt war, mit Tenten die letzten Rüstungsstücke nachzubessern. Das ließ noch Ino übrig und die Frage, was zur Hölle sie dazu getrieben hatte, während der letzten Tage ständig zu verschwinden. Vermeidung war Shikamarus Rolle und er war total usurpiert worden. Während sein Hirn bereits begonnen hatte, an dem Yamanaka Zauberwürfel zu arbeiten, ging er doch sehr stark davon aus, dass einer der wahrscheinlichsten Gründe ihres seltsamen Verhaltens irgendwo zusammengekauert hinter Naruto und Shino im Gras saß und knurrte.    Seit sie sich gesetzt hatten, hatte Kiba nicht die Klappe gehalten. „Das zählt als Tierquälerei, weißt du“, fauchte der Hundeninja. Er hockte in einem Flecken Sonnenlicht, hatte die Beine vor sich ausgestreckt und beugte sich über Akamaru, um die kleinen Zöpfe, Seidenbänder und blumigen Glitzerhaarspangen aus dem Fell seines Hundes zu lösen. „Sie ist echt krankt, ist dir das klar? Krank im Kopf.“   Akamaru hatte seinen geschmückten Kopf und Hals auf Kibas Schenkel gelegt und hob die Brauen hinauf zu seinem Herrn, während er sich leise winselnd beschwerte. Und Kiba zeigte Mitgefühl, indem er mit den Fingern durch ein entwirrtes Stück glitzernden Fells und statischen Weiß‘ streichelte.    Sein Hund sah aus wie ein elektrisiertes Schaf.    Ein mädchenhaftes Schaf.   Oder wie es Kiba so passend ausgedrückt hatte: „Ein verfickter Ladyboy Hund.“ Offensichtlich hatte man Akamaru das komplette Hunde-Spa-Programm gegönnt. Er roch wie der Yamanaka Blumenladen.    „Zumindest ist er flohfrei, oder?“, sagte Naruto mit einer ausgebeulten Backe, in die er ein Dango geschoben hatte, während er gleichzeitig kaute und redete. „Vielleicht wollte Ino dir ja was Nettes tun.“   „Was Nettes?“ Kiba stieß einen heißen Atem durch die Nase aus und versuchte, irgendwie den blumigen Gestank zu vertreiben. Er packte eine von Akamarus Pfoten und hielt sie hoch. Die Krallen des Hundes glitzerten zuckrig Pink im Sonnenlicht. „Siehst du das? Das ist mal richtig abgefuckter Scheiß! Ich sag’s dir Mann, bei Ino ist entweder irgendwas in ihrem Lutscher-Hohlkopf locker, oder es fehlt komplett!“   Shikamaru hörte auf zu essen und sein Blick schnitt über Narutos Schulter. „Was hast du denn gemacht, um sie so anzupissen?“, fragte er kühl.    Kibas Kiefer fiel nach unten und schloss sich gleich darauf wieder. Langsam zog er den Kopf ein und tat so, als würde er einen Zopf entknoten, den er bereits gelöst hatte. „Nix.“   Augenrollend spähte Shikamaru zu Shino. „Weißt du es?“   Shino schüttelte nur den Kopf, nahm einen Schluck seines süßen Nektartees und ignorierte Naruto, als der Uzumaki versuchte, sich einen Reiskuchen vom unberührten Teller des Aburame zu stibitzen. Ein Insekt von der Größe einer Rosine krabbelte über die minzgrüne Glasur. Sofort zuckte Naruto mit einem schaudernden Hochziehen der Schulter zurück und fuhr sich mit einer Hand über seinen nach unten gezogenem Mund, während sein Gesicht um einige Schattierungen blasser wurde. Er schielte auf die Blaubeeren auf Shikamarus Pfannkuchen.    Unfähig, das Appetitschauspiel noch länger aufrecht zu halten, schob Shikamaru seinen Teller zu Naruto hinüber. Seinen Blick richtete er zurück auf die alte Dame und ihren Köter, die den Bürgersteig auf sie zu kamen und war sich vage bewusst, dass sich Kibas Mund deutlich schneller und lauter bewegte.    „Gottverdammt! Ich kann nichtmal…ich mein, ernsthaft, was verfickt nochmal ist das? Das sind – was? – fünf Zöpfe zu einem geflochten? Seht ihr diese Scheiße? Wer macht sowas? Ich weiß nichtmal was das ist!“   Naruto schwang ein Bein über die Bank und seine blauen Augen strahlten, als er um einen Mund voll Pfannkuchen herum lachte. „Whoa! Sie haben Akamaru mal so richtig frisiert!“   Mit weiten Augen biss sich Kiba in die Knöchel, um sein Brüllen mit bebenden Nasenflügeln zu einem schrillen Ton des Grolls zu unterdrücken. „Damit ist sie viel zu weit gegangen…“ Er schüttelte eine Faust mit Bissspuren in Shikamarus Richtung. „Kannst du glauben, dass jemand ernsthaft dafür bezahlt wird, um Tiere so zu foltern!? Ich werde -“   „Kiba.“ Shino drehte leicht den Kopf. „Sprich nicht so laut.“   „Leck mich, Käferjunge“, schnappte Kiba zurück, verlor seinen Fokus und riss an einem Zopf. Wie ein getretener Welpe jaulte Akamaru auf. Mehrere Leute sahen von ihrem Essen auf. Ein kleines Mädchen zupfte am Rock ihrer Mutter und deutete auf Kiba.    Stirnrunzelnd schob Shikamaru seinen Ellbogen über den Picknicktisch und legte die Hand über seine Brauen, um das zornige Funkeln zu verstecken, das er dem Hundeninja zuwarf. „Kiba, lass es. Tenten und Sakura werden Akamaru schon von den Zöpfen befreien.“   Doch Kiba schnaubte nur spottend über diesen Vorschlag, vollführte ein paar Runden des Raufens mit Akamaru und packte den winselnden Hund in einen Würgegriff. „Auf keinen Fall werde ich irgendein Mädchen in seine Nähe lassen. Halt still, Akamaru…ich bin voll von diesem Mist…ah…HALT STILL!“   „Gnädiger Amida!“ Sowohl Kiba als auch Akamaru erstarrten, als eine hohe Stimme wie eine Bullenpeitsche die Luft zerriss. „Was tust du da?“   Eingeschlossen in einer halb reitenden, halb Akamaru erwürgenden Position hob Kiba den Kopf und spähte durch ein Chaos dunkler Strähnen. Schlagartig wandelte sich seine Miene von weitäugiger Überraschung zu schlitzäugigem Starren. Seine Lippen kräuselten sich finster. „Oh, du verscheißerst mich doch.“   Genau Shikamarus Gedanke, als er unter dem Schirm seiner Hand der Szene zusah. Die alte Dame konnte nicht größer als ein Meter fünfzig sein – wahrscheinlich eher noch kleiner – und war in einen lachsfarbenen Trainingsanzug gekleidet, der farblich zu den winzigen Hanteln passte, die sie in ihren knorrigen Fäustchen hielt. Sie hatte ihr silbernes Haar streng nach hinten in einen Dutt gebunden, der so fest gezogen war, dass ihre Miene völlig verzerrt wirkte und sich ihre Brauen bis zum Haaransatz hoben. Ihr Mund hatte sich zu einem hässlichen Knoten geschürzt, der in etwa dieselbe Größe hatte wie die gequetschte Nase im Zentrum ihres Gesichts. Der Akita Hund sah nicht wirklich freundlicher aus – er beäugte Akamaru mit angelegten Ohren und zurückgezogenen Lefzen.    „Ich wusste, dass das du bist!“, attackierte die alte Frau. „Himmel, wer auch sonst? Inuzuka Abschaum, der sich vulgär und schmutzig im Dreck herum wälzt. Wie Kurenai es aushält, dass du vor ihrer Tür herum hängst, werde ich niemals begreifen. Ninja an sich sind ja schon schlimm genug, aber ihr Inuzuka Kinder gebt wirklich den niedersten Schlag davon ab – und das ist noch positiv ausgedrückt.“   „Ume-san“, grüßte Kiba mit gebleckten Zähnen. „Wie schön, dich und Preggers hier zu sehen.“   Shikamaru tauschte einen fragenden Blick mit Naruto aus und sie beide formten mit den Mündern ‚Preggers?‘   Ume-sans Faust bebte vor Zorn. „Es heißt Precious, du Nichtsnutz!“, blaffte sie mit rotfleckigem Gesicht. „Du hast sie völlig traumatisiert! Hast diesen widerlichen Köter von dir in ihre Nähe gelassen! Sie wurde vom Finale disqualifiziert, nur wegen dir! Geht nicht mit einer läufigen Hündin, haben sie gesagt. Ich sollte mich offiziell beschweren und dein widerliches Vieh kastrieren lassen!“   Kibas Kiefer verkrampfte sich angesichts der Drohung. Er ließ Akamaru los und kam mit einem langsamen, gefährlichen Schwung auf die Beine, was einige Leute dazu veranlasste, sich von ihren Plätzen zu erheben. Ein paar Frauen begannen, ihre Kinder fort zu scheuchen.    Seufzend fuhr sich Shikamaru mit einer Hand über die Augen. Verdammt, wollte Kiba allen Ernstes gegen eine alte Dame und ihren Akita Hund antreten? Naruto runzelte die Stirn, bewegte sich aber nicht von seinem Platz. Shino hatte damit begonnen, einen seiner minzgrünen Reiskuchen in einem langsamen Kreis zu drehen. Es war eine ruhige und kalkulierte Bewegung, der Shikamaru mit zusammengezogenen Brauen folgte. Eigentlich war es Shinos Aufgabe, an Kibas Leine zu rucken, aber der Käferninja schien fest entschlossen zu sein, das hier einfach auszusitzen.    Ich mach das sicher nicht, gelobte sich Shikamaru und wandte seinen Blick innerhalb eines Herzschlages wieder Kiba zu.    Akamaru war der Einzige, der sich bewegt hatte. Hoch erfreut über seine Befreiung wuffte er seine Zustimmung, ließ sich hinter Kiba auf den Rücken fallen und begann, sich im Dreck zu wälzen, während er die Vorderpfoten über die Brust hielt und mit seiner weißen Rute wedelte.    Ume-san schnaubte höhnisch und ruckte mit ihrem Kinn in Richtung des Ninken. „Schau ihn dir an, lernt sein Verhalten von dir, gar kein Zweifel.“   Kiba schob sich ihr in den Weg, um ihren Blick zu blockieren, lehnte sich vor und senkte seine Stimme. „Warum läufste nicht einfach weiter, ok? Kannst deinen kleinen Catwalk mit Preggers beenden und sie rechtzeitig für Schaumbäder und Gutenachtgeschichten zurück bringen. Wir wollen doch nicht, dass irgendein Streuner was zu Schnuppern bekommt.“   Angewidert die Nase rümpfend nahm Ume-sans fleckiges Gesicht eine grausamere und hinterhältigere Gestalt an. „Wie interessant, dass du das sagst“, spottete sie und der Klang verfing sich hart in ihrem dünnen, verwelkten Hals. „Ich habe angefangen, mich das bei dir und Kurenai zu fragen. Jungen wie dich in ihre Wohnung einzuladen und das so kurz nach dem Ableben ihres Liebhabers! Na, da haben wir doch eine läufige Hündin, wie sie im Buche steht! Dieses Bastardkind war von Anfang an verdammt!“   Fünf Dinge geschahen innerhalb von vier Sekunden.    Als Erstes fühlte Shikamaru, wie etwas riss. Ob in seinem Kopf oder in seinem Körper war er sich nicht sicher. Aber was auch immer es war, es riss wie ein überspanntes Drahtseil und katapultierte ihn mit solch abartiger Geschwindigkeit und so zielgerichteter Absicht von seinem Platz und über den Tisch hinweg, dass er die anderen vier Geschehnisse überhaupt nicht wahrnahm, bis ihn die letzte davon direkt in die Brust traf.    Nejis offene Handfläche.    Ein Ausbruch blauweißen Chakras.   Shikamaru spürte ein brutales Knallen und Kribbeln in seinem Sternum – und dann flog er. Der Schlag fegte ihn von den Füßen und sandte ihn krachend und mit solcher Wucht zurück gegen den Picknicktisch, dass er mit einem trockenen Knacken unter ihm zusammenbrach. Schmerz sägte sich durch seinen Körper. Er stieß ein schrilles Ächzen aus und rollte sich mit weiten, tränenden Augen auf die Seite, während er darum kämpfte, nach Luft zu schnappen. Sein geschocktes Herz stotterte unter dem Aufprall, den seine Brust abbekommen hatte.    „Shikamaru!“ Ein verschwommener Fleck aus Orange an seiner Peripherie, eine Hand an seinem Rücken, die nutzlose Kreise rieb; Naruto.    Shikamarus Kopf lollte ein wenig hin und her, während Dunkelheit in seine Sicht kroch, bevor sie sich wieder klärte. Was für ein Energieschub es auch gewesen war, der ihn von seinem Platz geschleudert hatte; er war fort. Sein Körper fühlte sich schwer, reaktionslos und erschöpft an.    Es schmerzte, nur zu atmen.    Um ihn herum entfalteten sich die Auswirkungen der anderen drei Geschehnisse in einer Art benommener Zeitlupe. Shino pinnte Kiba, der immer noch um sich schlug, auf dem Boden fest. Die alte Frau saß mitten auf dem Gehweg auf ihrem knochigen Arsch. Ihr Mund stand offen und ihre Augen waren weit, während sich ihr Akita Hund in einen Anfall kläffte. Akamaru war am Boden, bewusstlos, aber unverletzt und sein breiter weißer Körper lag an Nejis Füßen.    Moment…   Neji…   Shikamarus Herz taumelte erneut und verlor vollständig seinen Rhythmus, als er durch schmerzüberzogene Augen zu dem Schatten aufsah, der über ihn fiel.    Ungerührt blickte Neji nach unten.    Diese eisweißen Augen trafen Shikamaru doppelt so hart wie der Hieb, den er hatte einstecken müssen. Hart schluckte er und seine Stirn zog sich in zorniger Verwirrung zusammen. Er hatte nicht den Atem, um sprechen zu können, oder die Worte, um es zu versuchen – und er realisierte einen irregulären Herzschlag später, dass er nicht einmal seinen Oberkörper spüren konnte.    Entsetzen packte ihn mit einer unsichtbaren Hand um die Kehle.    Neji hatte seine Tenketsu blockiert – hatte ihn mit einem einzigen einhändigen Schlag vollständig außer Gefecht gesetzt. Shikamarus Eingeweide verkrampften sich zu einem Ball aus Eis und sein Stirnrunzeln wurde tiefer, als ein fassungsloser Zorn sein Gesicht erfasste und seine Augen verdunkelte. Naruto brüllte Neji irgendwas entgegen, aber Shikamaru konnte es über das ozeanische Brüllen in seinen Ohren hinweg nicht hören. Schmerz baute sich in seinem Kopf auf und der Druck seiner blockierten Tenketsu wog schwerer und schwerer, bis er fühlte, wie sein Chakra zu der Konsistenz von Beton stagnierte.    Er konnte kaum den Kopf heben und war sich ziemlich sicher, dass seine Augen inzwischen blutunterlaufen waren.    Hurensohn…   Galle ätzte sich in seinen Rachen.    Für einige grausame und regungslose Sekunden hielt Neji seinen angespannten Blick aufrecht, bevor er sich nach unten lehnte und mit den Fingerspitzen Shikamarus Brust berührte. Ein zunehmendes Funkeln von Chakra, ein heißkaltes Platzen und Kribbeln.    Der Schmerz linderte sich zusammen mit der Schwere.    Chakra summte in einem weiteren stecknadelgleichen Prickeln durch ihn, ließ ihn schwindelnd, desorientiert zurück – und mehr als nur ein bisschen angepisst. Knurrend schob er sich von diesen tödlichen Fingern fort, hustete heftig und schwer in seinen Arm und schnappte nach süßer kühler Luft, während seine Lungen in Flammen standen, seine Augen brannten und sein Gesicht mit einem Erröten und Hitze auf die Berührung reagierte. Beinahe wäre er vor der Hand zurück gezuckt, die sich auf seine Schulter legte, bis ihm klar wurde, dass es die von Naruto war.    Neji hatte sich bereits von ihm abgewandt.    Der Hyūga bewegte sich über den Rasen und seine kalte Aura legte sich dabei wie Frost über die Szenerie. Er hielt nur kurz inne, um Akamaru aufzuwecken und eine schwere Tasche gegen die Brust des perplexen Besitzers zu rammen. Das erledigt, würdigte er weder Shikamaru noch die anderen auch nur eines einzigen Blickes, sondern begann, in langen geschmeidigen Schritten über den Gehweg zu laufen.    Bei seinem Näherkommen, stürzte der Akita voller Schnappen und Bellen nach vorn.    Neji nutzte nur eine einzige Waffe – seine Augen. Er musste das Tier nur ansehen und der Akita pisste eine gelbe Pfütze auf den Bürgersteig, bevor er winselnd, geduckt und mit eingezogenem Schwanz hinter seine sprachlose Besitzerin huschte.   Ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde innezuhalten, schritt Neji an der Frau vorbei. „Wir brechen jetzt auf“, sagte er mit einer Stimme, die deutlich tiefer war, als Shikamaru sie in Erinnerung hatte. Die einst so reichen, wohlklingenden Töne waren ebenso kalt und eben wie die flache Seite einer Stahlklinge und schnitten Kiba direkt in feine Streifen, als sich der Hundeninja bereit machte, um zu protestieren. Und dann richtete Neji diese Klinge mit drei knappen Worten auf Shikamaru. „Steh auf, Nara.“   Nara?   Eine alte Nadel in einen alten Nerv.    Shikamarus Eingeweide verkrampften sich heftig.    Viel zu fassungslos, um sprechen zu können, schüttelte er Narutos Berührung ab, hielt sich mit einer Hand seine schmerzende Wirbelsäule und schob sich ohne Hilfe auf die Beine. Als er aus den Trümmern trat, spürte er, wie die Überreste des Picknicktisches knackten und sich unter seinen Füßen bewegten. Es war eine passende Repräsentation dessen, was beinahe mit seinen Rippen unter der Kraft des Schlages passiert war.    Es war nicht die Kraft seines Schlags…es war das Chakra, das er genutzt hat…   Verdammt. Er war schon seit langer Zeit nicht mehr von der Sanften Faust getroffen worden. Und er hatte vergessen, wie viel Wucht darin steckte. Er würde für eine ganze Weile Schmerzen haben. Bedacht machte er einen Schritt und musste sich mit den Händen auf den Schenkeln vornüber krümmen, um ein letztes keuchendes Husten auszustoßen und so seine Lungen zu reinigen, während er gleichzeitig die Taubheit und anbahnende Übelkeit abschüttelte.    Vielleicht war es aber auch gar nicht das Chakra, das ihn betäubt hatte…oder ihm diese Übelkeit verpasst hatte.    Unter seinen Wimpern zuzusehen, wie Neji davon lief, zog Shikamarus Brust mit einer kummervollen Qual zusammen, die so alt und vertraut war, wie sie es schon immer gewesen war. Schwer schluckend richtete er sich wieder auf, doch diesmal war es langsamer…er sog einen rasselnden Atemzug ein…fühlte, wie die Teile anfingen zu zittern und sich in ihm bewegten…   Und genau so; begann das Spiel.   _________________ Glossar: Amida: Buddha des unermesslichen Lichtglanzes Ume-san: Sie wurde schonmal im Kapitel 'I hear you, sensei' von 'On the Cusp' erwähnt.  Ja, ein weiterer Charakter betritt die Bühne: Ibiki. Wie ihr hier schon merkt, ist er ziemlich schwer in diese ganze Geheimniskrämerei verwickelt und sein Blickwinkel wird auf jeden Fall auch noch öfter vorkommen.  Und Neji und Shikamaru treffen zum ersten Mal in UtS aufeinander. Nicht gerade ein sehr warmherziges Wiedersehen. Auch Shikamaru hat sich das definitiv anders vorgestellt.  Viel gibt es von meiner Seite zu diesem Kapitel eigentlich gar nicht zu sagen. Ich hoffe natürlich wieder, dass es euch gefallen hat und würde mich wieder über ein paar Worte freuen *-* Vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Und ja...das Spiel beginnt! ;) Kapitel 8: Get up and get on ---------------------------- Zahnräder innerhalb von Zahnrädern. Wände innerhalb von Wänden. Ein Labyrinth ohne Anfang oder Ende. Mentale Kammern ohne einen Ein- oder Ausgang und feste Wege, die sich zu einem Kreis schlossen. Ein zerebrales Verlies mit der Illusion von Türen. Er hatte sie alle ausprobiert, nur um festzustellen, dass jede Tür zum selben Ort führte; demselben Punkt. Der Punkt, an dem Inoichi gerade stand, direkt in der Mitte eines Verstandes, der kein Zentrum besaß. Unglaublich. In den Wahnsinn treibend. Eine meisterhafte Defensive.    „Ich hatte einen meisterhaften Lehrer.“   Angesichts dieser tiefen weichen Töne wandte sich Inoichi um und fühlte, wie ihn das Gewicht ihrer vertrauten Kadenz zu überwältigen drohte. „Ich hatte einen exzellenten Schüler“, murmelte er.    „Und das ist das Ergebnis. Bist du stolz?“   Inoichi stählte sich gegen diese leisen Worte; die grausame Frage. Es wäre nicht das erste Mal, dass er beim Klang dieser Stimme stockte, seit er diesen Geist betreten hatte, aber es musste das letzte Mal sein. Es hatte alles gekostet, so weit zu kommen – all sein Training, all seine Taktiken, alles, was seine mentalen Werkzeuge zu bieten hatte. Gott, aber er hatte so viele Fragen und keine davon stand mit den Informationen in Zusammenhang, die er sammeln musste. Das war der Grund, aus dem er hier war, oder nicht? Um kalte harte Fakten zusammenzutragen…völlig egal, was es mit seinem kalten harten Herzen machte.    „Ich habe viele kalte harte Herzen gesehen, Sensei. Habe sie aus der Brust von Menschen geschnitten. Sie schlagen nicht auf die Weise, wie deines im Moment schlägt. Im Leben hätte das vielleicht etwas bedeutet, aber hier ist es bedeutungslos. Ich bin für dich gestorben, erinnerst du dich?“   Inoichi erwiderte nichts und nahm sich einen Moment, um eine stärkere Verteidigung zustande zu bringen. Er hatte die letzten fünf Stunden damit verbracht, sich hierauf vorzubereiten, hatte Teile von sich abgeschaltet, um irgendwie damit zurecht zu kommen und weiter zu machen. Er musste objektiv bleiben, jetzt, da er endlich tief genug in das Bewusstsein des KERN Agenten eingedrungen war, um eine Verbindung herzustellen. Sie aufrecht zu erhalten war absolut entscheidend. Er konnte es sich nicht leisten, noch einmal aus dem Verstand vertrieben zu werden.   „Und ich kann es mir nicht leisten, dich hier bleiben zu lassen“, sagte die Stimme. „Wo bleiben wir dann, Inoichi-san? Am selben Ort wie vor zehn Jahren?“   Inoichi lokalisierte die Präsenz, drehte sich erneut; und sah in ruhige violette Augen, die ihn hinter einer schlichten weißen Maske beobachteten. Sie wies kein Tiergesicht auf, kein deutliches ANBU Bild oder KERN Muster. Wie ungenau. Da musste irgendetwas gewesen sein – im Leben – das sie einst hervorgehoben hatte.   „Das gab es“, sagte der violettäugige Mann. „Du hast es nur nie gesehen. Und hier spielt es auch keine Rolle. Nenn mich Tenka und gib mir welches Gesicht du willst.“   „Ich weiß, welches Gesicht ich dir gebe. Und welchen Namen.“   „Nein. Dieses Gesicht und dieser Name sind für uns beide gestorben. Brauchst du eine Erinnerung? Alles, was du tun musst, ist deine Augen zu öffnen.“   Außerhalb ihrer Verbindung zog sich Inoichis Kehle vor Emotionen zusammen. Er konnte das stete Piepsen der Lebenserhaltungsmaschine hören. So nah. Zu nah. Nah genug, dass all die physischen Empfindungen drohten, ihn zurück zu reißen; zurück in dieses Zimmer, zurück in dieses lähmende Fegefeuer, wo er nichts tun konnte – nichts – außer durch stechende Augen auf einen zerbrochenen Körper zu blicken, der durch die Hölle gezerrt worden war.    „Hölle?“ Ein leises Geräusch; weich und amüsiert. „Ja, ich schätze, ich bin das, was du ein wüstes Durcheinander nennen würdest.“   Wenn sich seine Lungen nicht verkrampfen würden, dann hätte Inoich vielleicht gelacht; ein hohes manisches Lachen, das irgendwo zwischen kalter Fassungslosigkeit und vollkommener Verzweiflung schwankte. „Götter, wie kannst du Witze machen? Wie kannst du-“   „Perspektive, Sensei. Du hast mich das gelehrt. Besser als ANBU. Besser als KERN.“   Perspektive. So simpel. So essentiell. Wenn er doch nur ausüben könnte, was er immerzu predigte. Wenn er Perspektive verlor, dann verlor er seinen Halt. Wenn er seinen Halt verlor, dann würde er innerhalb eines Herzschlages aus dieser Verbindung geworfen werden.    „Ein Herzschlag“, stimmte Tenka zu. „Das ist, wie schnell du mich deinen Worten zufolge aus ihren Erinnerungen löschen würdest. Tu dir selbst den gleichen Gefallen. Ich habe nichts zu sagen.“   „Wenn das wahr wäre, dann hättest du niemals diese Verbindung mit mir zugelassen.“   „Ich habe es nicht für dich getan.“   „Warum dann?“   Die Stille, die folgte, enthielt viel zu viel, um sie interpretieren zu können. Perspektive bot nichts an und die Wände veränderten sich weiter. Inoichi spähte durch die Verbindungskammer. Er hatte Tage gebraucht, um diesen Verstand zu navigieren; ein Verstand, der ebenso akribisch gefestigt war wie sein eigener. Allein diesen Punkt zu erreichen, diesen Ort, diese Präsenz – alles davon – war so nah wie er gekommen war und vielleicht das weiteste, wie er gehen konnte, ohne extremere Mittel zu nutzen.   „Extreme Mittel, hmn? Ich habe darauf gewartete, dass du darüber nachdenkst.“ Die violetten Augen zogen sich leicht zusammen. „Du hast mir meinen Willen gelassen. Oder vielleicht haben wir das auch gegenseitig getan. Wir beide wissen, auf was das hier hinauslaufen wird. Auf was sonst könnten wir hoffen?“   So viel mehr als das…   „Es gibt nichts mehr als das.“   „Das glaube ich nicht für eine einzige Sekunde“, knurrte Inoichi und klammerte sich an diese Hoffnung; wie traurig nur, dass je fester er sie packte, desto sicherer war er sich, dass er seine Chance bereits verloren und sie losgelassen hatte.    Weil ich dich losgelassen habe…nicht wahr? Ich habe dich gehen lassen.    „Mach das nicht.“ Tenkas Stimme war leiser, aber nicht weniger deutlich. „Es ist sinnlos.“    „Denkst du, ich weiß das nicht?“, fauchte Inoichi und wechselte seinen Griff auf den Zorn, der sich um sein Herz zusammenzog. Zorn konnte er nutzen. Er fand seinen mentalen Stand wieder und richtete seine Augen auf das verschwommene Bild des maskierten Mannes. Sein Verstand war jetzt wieder klar genug, um die Gestalt besser in den Fokus zu bringen.    Da bist du ja.   „Wo sollte ich sonst sein? Ich kann das hier nicht verlassen.“   Vergänglich wie ein Hologramm flackerte Tenkas Körper in und aus der Fabrikation. In der einen Minute war er noch wie ein Konoha Jōnin gekleidet, in der nächsten wie ein ANBU Agent und letztendlich wie ein KERN Agent, dann wieder von vorn, wieder und wieder; eine sich verändernde Projektion von Erinnerungen in Materie. Frustrierend und ablenkend.    Unmöglich, ihn zu fassen zu bekommen…   „Das ist der Punkt. Du bist nicht der erste Yamanaka, der in meinen Verstand eindringt. Aber du bist extrem viel weiter gekommen als der letzte.“   Stirnrunzelnd entsann sich Inoichi an den KERN Agenten mit dem kastanienbraunen Haar und den Bernsteinaugen, den Danzō geschickt hatte, um beim ersten Mal die Informationen mit Gewalt zu beschaffen. „Fū“, sagte Inoichi. „Er hat mir erzählt, dass sein Versuch gescheitert ist. Er kam mit nichts aus deinem Geist zurück.“   „Nur mit Kopfschmerzen.“   Vielleicht hätte Inoichi etwas Wärme, etwas Humor bemerkt, doch die violetten Augen waren kalt. Und dann sah Inoichi es. Sah, dass Tenkas Körper mit jedem Flackern eine konkretere Form mit physischen Eindrücken annahm, die niemals schwankten, sich niemals veränderten; die violetten Augen hinter der Maske und die schwingenden aschblonden Strähnen, die sie einrahmten; die langen sehnigen Gliedmaßen und zisellierte Muskulatur…alles davon so vertraut…alles davon so familiär…die mageren Yamanaka Konturen, die Inoichi in der Höhe entsprachen, im Körperbau…   In so vielen Dingen…auf so viele Weisen…   „Such dir was aus. In meinem Tod werde ich dir geben, was ich dir in meinem Leben nicht geben konnte…einen jungen Mann, den du nach deinem eigenen Bild formen kannst.“   „Das war niemals das, was ich wollte“, wisperte Inoichi bitter und war dankbar dafür, dass die Überzeugung in seinen Worten stärker war als die Emotionen, die durch ihn bebten. Vielleicht waren es genau diese Emotionen, die ihn so weit gebracht hatten, so nah. „Ich wollte niemals irgendetwas davon.“   „Jetzt spielt es keine Rolle mehr.“   „Doch. Es spielt jetzt mehr als jemals zuvor eine Rolle. Du weißt das. Du weißt, dass ich hiervon nicht einfach fort laufen kann.“   Tenkas Schultern strafften sich und seine Brust spannte sich an, wobei die roten Riemen seiner KERN Jacke aufblitzten. „Du kannst. Du hast es schon zuvor getan. Du stehst auf und du machst weiter. Du vergisst das hier. Du bist sehr gut im Vergessen, oder nicht?“   Inoichi zählte ein paar Sekunden, um sich zu beruhigen und senkte die Stimme. „Ich werde nicht ohne Antworten gehen. Danzō hat davon gesprochen, dass das Shinjū Projekt in Kusagakure immer noch aktiv ist. Stimmt das?“   „Das hätte Danzō dir niemals gesagt.“   „Das hat er. Willst du, dass ich dir die Erinnerung zeige?“   „Du kannst Erinnerungen ebenso gut herstellen, wie du sie auslöschst, Sensei.“   „Aber ich kann keine Emotionen herstellen.“ Er legte eine Faust über sein Herz. „Willst du fühlen, was ich gefühlt habe, als er es mir gesagt hat? Willst du wissen, was es mit mir macht zu wissen, dass der Sandaime gestattet hat, dass diese Hölle fortbesteht; selbst nach dem, was Shikaku zugestoßen ist? Und jetzt du…“ Er erstickte an dem letzten Wort, nahm einen mentalen Atemzug, der die Verbindung erschütterte und seine Stimme wurde tiefer, schwärzer. „Willst du fühlen, was das mit mir gemacht hat? Es war genug, nur zu wissen, dass ich beinahe Shikaku an diesen Ort verloren habe. Aber jetzt zu wissen, dass Danzō dich dort hinein geschickt hat? Einen Bauern…einen Gefangenen…und Gott weiß was sonst noch-“   „Das reicht.“ Für einen Moment schwieg Tenka. „Selbst wenn das, was du sagst, die Wahrheit ist und Danzō verzweifelt genug war, um dir mehr zu erzählen, als du jemals hättest wissen müssen, dann willst du dennoch immer noch Antworten von mir, die ich dir nicht geben kann. Es ist nicht anders als das letzte Mal, als wir miteinander gesprochen haben. Überhaupt nicht anders.“   „Ist das die Waffe, die du weiterhin gegen mich einsetzen wirst? Mir all unsere vergangenen Fehler ins Gesicht zu schleudern?“    Tenkas Finger zuckten. „Ich habe an diesem Tag keinen Fehler gemacht. Ich wusste ganz genau, was ich tat.“   „Schwachsinn“, zischte Inoichi, doch seine Stimme hielt ebenso viel Kummer wie Zorn in sich. „Du warst neunzehn Jahre alt. Selbst mit sechs Jahren ANBU auf dem Konto, hat dich das wirklich auf das vorbereitet, in was Danzō dich geschickt hat?“   „Danzō.“ Das maskierte Gesicht neigte sich in einem langsamen kopfschüttelnden Schwung, der den Rest von Tenkas Körper dazu brachte, der Bewegung zu folgen. Er lief ein paar Schritte gegen die Reibung der sich drehenden Wände. „Komisch, nicht wahr? Danzō war es, der uns vor all diesen Jahren entzweit hat…wer hätte gedacht, dass es derselbe alte Bastard sein würde, der uns wieder zusammenbringt.“ Er legte eine behandschuhte Hand auf die Wand und abgewetztes schwarzes Leder wisperte leise über den Beton. „Du könntest genauso gut anfangen, gegen diese Wände zu sprechen, Inoichi-san. Ich habe Danzō nichts zu sagen. Und ich habe auch dir nichts zu sagen.“   Energisch biss Inoichi sein Weh zurück und klammerte sich an diese Worte. „Aber du hast dem Sandaime etwas zu sagen, oder nicht?“   Tenka blieb stehen. „Der Sandaime ist tot.“ Er zögerte, als würde er darauf warten, dass Inoichi ihm widersprach. „Ich habe davon erfahren, als ich bei Bewusstsein war.“   „Und in der Sekunde, als du es erfahren hast, schien es dich nicht länger zu kümmern, ob du lebst oder stirbst. Du hast lange genug durchgehalten, um zu erfahren, dass er tot ist und dann hast du deinen Verstand und Körper runtergefahren. Wieso?“   „Wissen die Ältesten, dass ich hier bin?“   Inoichi zog über dieses Abschweifen die Brauen zusammen und suchte nach dem Zusammenhang. „Nein. Sollten sie?“   Tenka krümmte seine Finger gegen die Mauer und tippte zweimal dagegen. „Abgesehen von KERN, bleiben also du, Danzō und Mushi.“ Seine Hand fiel von der Wand, doch sein Blick blieb darauf fixiert. „Nur ihr drei…“, murmelte er und dann – so leise, dass es Inoichi beinahe nicht gehört hätte: „Niemand sonst…“   Heftig getroffen von der Sanftheit in diesen Worten legte Inoichi den Kopf schief. „Gibt es sonst noch jemanden, der es wissen sollte? Jemanden, den ich für dich finden soll?“ Er erwartete keine Antwort und war nicht überrascht, als ihm seine Fragen nichts einbrachten außer ein Ausdehnen einer undeutbaren Stille. Er holte tief Luft und fuhr fort, als hätte er diese Fragen nie gestellt. „Du hast gefordert, den Hokage zu sehen, als du zurück gekommen bist. Warum? Warum nicht Danzō? Warum nicht deinen KERN Hauptmann?“   Ein leises Lachen, dem jede Belustigung fehlte. „Ich hätte wissen müssen, dass meinen Geist und Körper runterzufahren nicht genug sein würde, um dich draußen zu halten, Sensei. Ich hätte damit rechnen sollen, vor allem wenn man bedenkt, dass der Einzige, der eine Bedrohung für mein Kinjutsu darstellen könnte, der Meister ist, der es mir beigebracht hat.“   Inoichi nahm seine Reaktion darauf schonungslos an die Kandare und machte einfach weiter, als hätten sich diese Worte nicht tief in ihn geschnitten. „Es macht keinen Sinn, dass du nach dem Hokage fragst. Hast du deswegen nach den Ältesten gefragt? Ist diese Information, die Danzō will, etwas, das du lieber ihnen mitteilen möchtest?“ Keine Antwort. Tenkas maskiertes Gesicht blieb abgewandt. Noch einen Moment wartete Inoichi, bevor er ein anderes Vorgehen versuchte. „Danzō glaubt, dass diese Informationen, die du versteckst, ihm gehören. Er glaubt, dass du ihm gehörst. Hast du überhaupt keine Loyalitäten? Als KERN hast du geschwor-“   In einer scharfen Bewegung schnellte das maskierte Gesicht herum. „Belehre mich nicht über meine Loyalitäten, Inoichi. Sie liegen nicht bei Danzō und das haben sie auch nie.“   Vielleicht hätte Inoichi einen Erfolg verspürt, weil er eine direkte Antwort bekam, aber der wurde sofort von dem Geständnis der Worte zerschmettert. Taumelnd wich er einen Schritt zurück, um dieser Wahrheit zu entfliehen – nein, dieser Lüge. „Was?“, lachte und spie er das Wort gleichermaßen hervor. „Erwartest du wirklich, dass ich das glaube?“   Tenka erwiderte nichts, aber sein Körper versteifte sich mit der Plötzlichkeit eines Mannes, der sich gerade noch so vor einem Fall abfangen konnte. Zu spät. Die Sehnen in seinem Hals zogen sich straff. Er hatte nicht vorgehabt, etwas zu sagen – schien sich seines Ausrutschers auch sehr bewusst zu sein und suchte rasch nach einem Weg, um ihn zu korrigieren.    „Vermute nicht“, murmelte Tenka, als er Inoichis Gedanken spürte. Aber es war zu spät, um es zu verstecken. Zu spät, um es zurück zu nehmen.    Inoichi stierte ihn an und ein Feuer erhob sich in seinen Augen; ein heißes Pochen in seinem Kopf. „Was sagst du da? Was zur Hölle sagst du da?“   Ein raues Rascheln von Luft und Tenka wandte den Blick ab, krümmte die Finger beider Hände, bevor er seine Daumen gegen die Handflächen zog, um die Knöchel knacken zu lassen. Inoichis Atem stockte hart. Er selbst machte genau dasselbe, wenn er gestresst war. Es war wie ein Familiending. Sogar Ino machte das. Ob vererbt oder Angewohnheit, es war durch und durch Yamanaka.    Inoichis Stimme bekam Risse. „Sag es mir“, flehte er. „Gott, bitte sag mir, dass das eine Lüge ist.“   Langsam sah Tenka hinunter auf seine Hände, als hätten sie ihn verraten. Er schüttelte den Kopf. „Ich habe dich nie in meinem Leben angelogen. Nicht einmal, als ich gegangen bin. Ich habe dir nur auch nicht die Wahrheit erzählt. Es war besser so. Besser, dass du geglaubt hast, was auch immer du über meine Entscheidung, KERN beizutreten, glauben musstest. Besser, dass du geglaubt hast, ich hätte Shikaku verraten. Dich verraten.“   „Besser?!“, würgte Inoichi hervor. Er schwankte nach hinten und fühlte sich von dem Drehen einer alten Klinge ausgeweidet, dem Aufplatzen einer alten Wunde. Er sah an sich hinunter, als erwartete er, Blut zu sehen, erblickte aber nur seine zitternden Finger. „Nein. Du hast dich für KERN entschieden, du hast dich für Danzō entschieden. Du hast dich aus dem Staub gemacht. Du hast von unserer Familie genommen, was du gebraucht hast…von mir…und dann hast du…“ Er brach ab und sein Kopf hob sich, unfähig weiter zu machen, als ihn diese violetten Augen mit einem Blick bedachten, der genauso wenig hinter diese Maske gehörten wie das Gesicht, an das sich Inoichi erinnerte. „Ich kann nicht…das kann ich nicht akzeptieren…ich kann nicht…“   „Ich weiß, dass du das nicht kannst“, murmelte Tenka. Für einen langen Moment musterte er Inoichi und dann summte er eine leise Note. Der Ton war weich und traurig in seiner Kehle. „Du bist immer noch so schwarz und weiß, nicht wahr, Sensei? Sogar nach all der Zeit. Wie gut, dass wir diese Unterhaltung nicht in Fleisch und Blut führen. Ich glaube nicht, dass ich mit deiner Reue mehr leben könnte als mit meiner eigenen.“   Reue. Schuld. Bedauern. Es schmerzte Inoichi wie ein Fieber, verbrannte seinen Zorn und ließ nur Kummer zurück. Solch bodenlosen Kummer. So tief und schwer in seinen Knochen – es hatte ihn auf eine Weise altern lassen, wie es kein Krieg, kein Kampf, kein noch so übles Blutvergießen jemals geschafft hatten. Er konnte fühlen, wie sein Körper bebte…hörte das Biepen der Maschine…schmeckte seine eigenen Tränen…   Gott nein…ich rutsche zurück…ich verliere die Kontrolle…   „Wir beide“, sagte Tenka. „Ich habe seit Jahren nicht mehr so viel gesprochen. Die letzte Person, mit der ich…“ Diesmal fing er sich rechtzeitig; direkt am Rande eines weiteren Geständnisses. Er ließ seinen Kopf nach hinten kippen und stieß ein flaches, atemloses Lachen aus. „Verdammt. Ich dachte, ich hätte das hinter mir. Schätze, dass ich immer noch ein bisschen Menschlichkeit zu verlieren habe.“   Und das war alles, was es brauchte. Inoichis Kehle verkrampfte sich und seine Stimme brach. „Naoki…“    Tenka wurde stocksteif. Die Sanftheit verließ seine Stimme, verließ seine Augen. „Nenn mich nicht so.“   Inoichi schüttelte den Kopf; viel zu zersplittert, um noch sprechen zu können.    Das maskierte Gesicht neigte sich gefährlich. Ein aufgewühltes Spielen von Muskeln und rau werdende Töne. „Ich bin nicht dieser Mann. Ich trage nicht sein Gesicht. Du hast mein Gesicht gesehen. Sieh es dir noch einmal an. Anders als Shikaku, konnte Naoki nicht mit seinen Narben leben.“   „Sag das nicht…nicht…“   Tenka ließ seine Daumen knacken und trat nach hinten, um den Worten auszuweichen, während er für einen Augenblick schwer keuchte. Dann beruhigte er sich wieder und seine Brust dehnte sich mit einem einzigen reinigenden Atem aus. „Was auch immer damals passiert ist…und was auch immer jetzt passiert. Es gibt nur eine Sache, die du über Naoki verstehen musst.“ Er sah zu Inoichi. Sein Blick war jetzt weicher und seine Stimme stärker. „Sein Blut war sein Band. Sein einziger Meister. Sein einziger Sinn. Er lebte und starb als Yamanaka. Das ist alles, was du wissen musst.“   Nein, das ist es nicht.   Aber offensichtlich war es nicht an Inoichi, diese Wahl zu treffen. Die Wände begannen, sich um ihn herum zusammenzuziehen. Die Zahnräder drehten sich hart. Mit aller Kraft kämpfte er gegen den Druck, gegen das Gefühl, nach draußen geschubst zu werden…fort gezwungen zu werden…   Tu das nicht. TU DAS NICHT!   Er wollte einen Schritt nach vorn treten, musste aber feststellen, dass seine mentale Projektion bereits um seine Füße herum zu verschwinden begann. Sie löste sich weiter auf, bis er ohne Beine schwebte; ein Phantom, das rasch entschwand. „Verdammt!“   „Es ist vorbei, Sensei. Ich werde nicht mehr aus diesem Koma erwachen und du weißt das. Jedes Kinjutsu hat seinen Preis.“   „Sei still“, schnappte Inoichi und die heiße Empfindung fraß sich weiter in ihn, um ihn noch körperloser zurück zu lassen – ein schwebender Torso. „Wenn du sterben wolltest, dann wärst du niemals zurück gekommen! Du bist aus einem Grund zurück gekommen. Sag mir, was es ist!“   Ein haarfeiner Riss erschien nahe einem der Augenlöcher der Maske; so klein und doch so bedeutungsvoll. Und dann verloren diese violetten Augen ihre Farbe, schienen beinahe grau zu sein in dieser blanken, konturlosen Maske. „Dieser Grund spielt nicht länger eine Rolle…“, sagte Tenka mit einer Stimme, die ebenso neutral und farblos war wie seine Augen. Selbst sein Körper erschien äschern…transparent…   Nein…es gibt so viel mehr, was ich sagen muss…so viel mehr, das ich wissen muss!   Inoichi hätte einen Arm ausgestreckt, wenn der nicht bereits verschwunden wäre. Doch er besaß noch immer eine Stimme. Schwach, aber stark genug, um telepathisch übertragen zu werden. Diese Verbindung war nicht verloren. Noch nicht.    Bitte noch nicht! Wenn ich gewusst hätte…lass es mich WISSEN…lass mich verstehen, was mit dir passiert ist!   „Ich bin gestorben, als ich meine Pflicht getan habe. Das habe ich dir schon vor Jahren gesagt.“   Und in all den Jahren hatte dieser Glaube nicht dafür gesorgt, dass sich Inoichi mit irgendetwas in seinem Herzen abfand. Nicht mit der Trauer, nicht mit der Schuld. Doch Naoki war noch nicht tot. Es war immer noch Zeit. Es gab immer noch Hoffnung. Immer noch eine Chance.    „Lass es los, Sensei. Diese Chance ist mit dem Sandaime gestorben. Und jetzt sterben seine Geheimnisse mit mir.“   Genug von dem Gerede über den Tod! Hier geht es nicht um Hiruzen! Gott, hier geht es auch nicht um Danzō. Oder um Pflicht. Verdammt, Naoki! Sag mir, was mit dir passiert ist! Wer hat deinen Körper so geschändet? Wer hat dir das angetan? Sag es mir, damit ich-   „Was? Damit du Rache nehmen kannst?“ Kopfschüttelnd wich Tenka zurück und sein Körper begann zu flackern. „Das kann ich nicht zulassen.“   „WARUM?“ Im Geiste schlug Inoichi um sich, fühlte, wie sein Bewusstsein fort geschoben, hinaus geschubst wurde. Ihm blieben nur noch kostbare Sekunden…und während sein Kopf tausend Fragen brüllte, ließ ihn sein Herz taub für alle zurück; alle bis auf eine: „War es jemand, der mit Shuken in Verbindung stand?“   Angesichts des Namens schnellte Tenkas Kopf ruckartig nach oben und seine violetten Augen flammten weit auf.    Es war alles an Antwort, was Inoichi brauchte…und all der Horror, von dem er gehofft hatte, ihn niemals zu finden. Außerhalb ihrer Verbindung trafen seine Knie auf den Boden und seine Zähne prallten hart aufeinander. Blut füllte seinen Mund, seinen Verstand, seine Erinnerungen. Sie spülten rot und zähflüssig um die bröckelnden Mauern und ächzenden Zahnräder. Er fühlte, wie er unterging und hielt seinen Geist gerade lange genug zusammen, um in die sprudelnde Leere zu schreien…   NAOKI!   In derselben Sekunde, die Inoichi brauchte, um den Ausdruck in diesen violetten Augen zu registrieren, wurde er aus Naokis Geist geschleudert. Mit einem herzstockendem PENG kehrte er in seinen Körper zurück. Blut spritzte aus seiner Nase und sein Magen hob sich, um Säure und Galle auf den Boden zu entleeren.    Er hörte einen distanzierten Schrei; leise und beunruhigt: Dr. Mushi.    Doch es war die andere Präsenz in dem Raum – die stumme und regungslose Präsenz – die ihn anschrie. Ein komatöser Patient. Eine ausgemergelte Gestalt, die sich kaum noch ans Leben klammerte.    „Nein“, hauchte er das Wort und schüttelte wieder und wieder den Kopf.    Nein. Nein. Nein.    Es war einfach nicht möglich. Shukens Leute waren tot. Shuken war tot. Tot und begraben, tot und verrottend in einer Hölle, die schlimmer war als die, die er in dieser gottverlassenen Einrichtung zusammengebraut hatte. Und dann kehrten Danzōs Worte zu ihm zurück. Heimtückisch wie eine Schlange, die durch seinen Verstand kroch.    ‚Du glaubst, dass Hiruzen es begraben wollte.‘   Es meinte das Shinjū Projekt? Oder meinte es Shuken? Ein Albtraum innerhalb eines Albtraums. Inoichi hatte ja kaum seine Gedanken darum sammeln können, dass diese Einrichtung immer noch operierte…war es möglich, dass der Psychopath, der jeden einzelnen verdrehten Kreis dieser Hölle konstruiert hatte, immer noch lebte, immer noch atmete, immer noch darin arbeitete?   Nein…nein…   Noch mehr Galle, noch mehr Blut. Inoichi würgte erneut, konnte sich nicht dazu bringen, aufzustehen. Das würde bedeuten, sich dem Körper auf dem Bett stellen zu müssen. Das würde bedeuten, die Narben zu sehen, den Beweis, die Vernichtung.    Ich kann nicht…ich kann nicht…ich habe ihn losgelassen…ich habe ihn gehen lassen…   Sayuri hatte recht. Er war mehr ein Monster als Danzō, dafür dass er zugelassen hatte, dass sein Schüler, seine Familie, sein Blut zur Schlachtbank geschickt wurde.    Und wofür? WOFÜR?   Naoki würde es ihm nicht sagen – was Inoichi nur noch die Möglichkeit ließ, Verstand auseinander zu nehmen, Narben aufzureißen und Gräber auszuheben, um die Antwort zu finden.    Gott helfe mir, aber ich werde es finden…ich werde es finden…ich werde es finden und wenn es mich umbringt…   „Inoichi-san?“   Ruckartig drehte sich Inoichi von der Berührung an seinem Rücken fort und krümmte sich mit den Fäusten auf dem Boden vornüber, während ein qualerfülltes Brüllen aus seiner Kehle drang. Er bemerkte den kleinen Schatten nicht, der im Türrahmen hockte. Er bemerkte nicht einmal Dr. Mushi, der direkt neben ihm kauerte. Hörte nicht, was der Doktor sagte; hörte nur das schrille und Übelkeit erregende Piepen der Lebenserhaltungsmaschine. Tränen brannten auf seinen Lippen und die Luft verwandelte sich in seinem Rachen zu Feuer. Er presste die Lider aufeinander und sah diese blanke weiße Maske in seinem Geist hängen; sah durch ihre kalte weiße Lüge auf das entstellte Gesicht und die getroffenen Augen eines Mannes, den er wie einen Sohn geliebt hatte.    „Es tut mir leid…es tut mir leid…“, krächzte er wieder und wieder.    Dr. Mushis Brauen zogen sich traurig zusammen. „Inoichi-san…hat Tenka gesa-”   „Das ist nicht sein Name…“, fauchte Inoichi, während er die Finger in seine Kopfhaut grub, die Augen noch fester zudrückte und sich sein Verstand mit Gesichtern und Namen füllte; und der letzte, den er jetzt hören musste, war diese bösartige Lüge.    Sandaime…was hast du getan? Götter, was hast du getan?   Und was hatte Shuken getan?   Er hat überlebt…   Die Reaktion auf Inoichis letzte Worte an Naoki hatte das bestätigt; in seinem Herzen, wenn auch noch nicht in seinem Kopf.    Doch was ihn mehr zugrunde richtete, als Shukens Namen auszusprechen, war der Ausdruck in Naokis Augen gewesen, als er ihn gesagt hatte. Nur ein einziger Blick und Inoichi war in tausende zersplitterte Teile zersprungen. Doch was sein Herz brach, war nicht das Entsetzen und nicht einmal die Traurigkeit, die er brennend in diesen violetten Augen gesehen hatte – es war die Scham.    ~❃~   Nur noch drei Schlucke von einer leeren Shōchū Flasche entfernt kam Genma zu dem erleuchteten Schluss, dass Glück keine Dame war, sie war eine –    „Bitch“, fauchte er und stürzte den Rest der Flasche hinunter.    Er hatte nicht geplant, sich zu beduseln. Er hatte nicht geplant, übermäßig betatschend mit einem bronzebäuchigen Budai und einem verschlossenen Schrank zu werden. Er hatte geplant – sogar ziemlich nüchtern – schnell wie eine gottverdammte Brise in Mushis Büro hinein und wieder hinaus zu gehen. Vielleicht hatte seine kleine, im Hintern herumwühlende Schändung der Statue sein Karmarad ins Schleudern gebracht. Oder vielleicht hatte er es einfach auch schon seit einer Weile verdient. Aus welchem Grund auch immer; das kosmische Wirken des Universums hatte heute als den Tag auserkoren, an dem der evasive Dr. Mushi seine morgendliche Terminlücke mit überflüssigen Renovierungen füllte.    Phan-fucking-tastisch.   Kopfschüttelnd biss Genma auf den Rand der Flaschenöffnung. Zusammengekauert in den Schatten des gegenüberliegenden Gebäudes blinzelte er rasch, um die Handwerker besser in den Fokus zu bringen, während er darüber grübelte, wie genau seine Beobachtung über diese Distanz hinweg wohl sein würde.    Wie dieser Tag bisher abläuft? Könnte genauso gut gegen den Wind pissen.    Vielleicht hatte dieser Hyūga Junge Recht gehabt. Vier Jahre und mehrere Chūnin Prüfungen zuvor, hatte Genma über dem besiegten Körper von Hyūga Neji gestanden und in das Gesicht von Fatalismus gespottet. Und jetzt konnte Genma dem nicht entkommen. Das Schicksal hatte seine Eier in einem verfickten Schraubstock eingespannt. Schnaubend schwenkte er die Flasche über seine verletzten Knöchel und runzelte die Stirn, als die Gestalten, die er beobachtet hatte, ineinander zu verschwimmen begannen. Sein Kopf pochte und seine Augäpfel schmerzten in ihren eingesunkenen Höhlen.    Konzentrier dich.   Mit zusammengezogenen Brauen wimmerte er leise über den Stich in dem verheilenden Narbengewebe über seinem rechten Auge; ein Andenken seines Zusammentreffens mit der Faust eines Sicherheitsmannes letzte Woche. Genma hatte die verzerrte Vision eines Namensschildes, das vor seinen Augen aufblitzte; oder vielleicht war es auch die messingknöcherne Faust, die auf sein Gesicht zugesegelt war. Langsam rieb er über die blasse Narbe und wünschte sich, er könnte die Erinnerung an den Einbruch in das Ryokan aus seinem Verstand schrubben.    Oushi, dachte er abgelenkt. Das war der Name auf dem Schildchen.    Es wäre der Name auf einem Leichensack gewesen, wenn Genma zurück geschlagen hätte. Er erinnerte sich nicht mehr, warum er das nicht getan hatte; fühlte sich aber auch nicht in der Stimmung, eine Zeitlupendarstellung Revue passieren zu lassen, in der Oushi die Scheiße aus ihm rausprügelte. Seufzend richtete Genma seine Aufmerksamkeit zurück auf das Duo schlaksiger Jugendlicher, die versuchten, ein neues Set von Gleisrollos zu dem großen offenen Fenster zu wuchten. Ah, dieses Fenster. Dieses verfickte Fenster. Er hätte bereits vor zwei Stunden dort hinein und wieder heraus geschwungen sein sollen.    Zwei Stunden…   Der Tag lief in Zeitraffer ab. Genma blinzelte heftig, als könnte er die Arbeiter durch schieren Willen dazu zwingen, fünf Zähne zuzulegen. Er wusste einen Scheiß über Wartungsarbeiten – seine Wohnung konnte ein Lied davon singen – aber mal im Ernst, wie lange konnte es schon dauern, ein paar Rollos aufzuhängen? Die ungeschickten Bemühungen der beiden Hänflinge hätte von dem stämmigen Kerl, der auf Mushis Schreibtisch saß, wahrscheinlich beschleunigt werden können; wenn dieser Vollidiot nicht mit der Sekretärin schäkern würde.    Ich kann hier nicht einfach nur rumhocken…   Jo, das hatte er sich schon vor einer Stunde gesagt, ziemlich genau zum selben Zeitpunkt, als er sich für ein Frühstück aus der Flasche entschieden hatte. Dämliche Entscheidung – aber von denen hatte er in letzter Zeit einige getroffen. Was war da schon eine weitere? Es schlug auf jeden Fall die Alternative, sich wirklich Zeit zu nehmen, um seine Wohnung wieder auf Vordermann zu bringen und ein paar Lebensmittel aufzufüllen. In der vergangenen Woche hatte er sich nur von Shōchū und Suppe ernährt. Wie sich herausstellte, hatte er nicht gelogen, als er Kakashi gesagt hatte, dieser Alkohol wäre inzwischen sein Grundnahrungsmittel.    Kakashi…   Genmas Zähne bissen härter zu und sein Seufzen zischte die leere Flasche hinunter. Wirklich erbärmlich; all diese leeren Flaschen und er war immer noch kein Stück näher, seine eigene Leere zu verkorken. Eine Leere, in die Kakashi gefallen war und Genma mit altem Feuer und alten Gefühlen füllte. Sie wirbelten spöttisch und verlockend in seiner leeren Brust herum.    „Shit.“   Kakashi war wirklich die letzte Person, über die er nachdenken sollte. Es gab weit wichtigere Leute, an die er denken musste – und meiden. War das auch nicht einer der vielen Gründe, warum er seine Mahlzeiten aus lange abgelaufenen Konservendosen schlürfte? Denn Essen in einem richtigen Laden zu finden barg das hohe Risiko, Leuten zu begegnen, möglicherweise Freunden – möglicherweise Raidō.   Raidō…   Ein weiteres Schlamassel, das Genma richten musste. Wenn Kakashi ihn unvorbereitet schnappte, war das die eine Sache – aber Raidō? Genmas Magen verdrehte sich bei diesem Gedanken. Er war mehr als nur ein bisschen unvorbereitet.    Eher sturzbesoffen und total drauf…   Und Kami wusste was sonst noch. Er erinnerte sich nicht mehr genau daran, was er zu Raidō gesagt hatte. Oder was er getan hatte. Diese kleinen pinken Pillen gaben keine gute Mischung mit dem Shōchū ab. Die beiden Substanzen tendierten dazu, dieses ganze ‚Wasser auf Fettbrand‘-Ding zu machen, was einen üblen Trip und ein noch übleres Ausnüchtern nach sich zog. Mizugumo hatte ihn davor gewarnt, mit zu vielen Giften gleichzeitig zu spielen. Und sie würde ihn vermutlich wieder davor warnen, wenn er auf ihrem Dach auftauchte und ein weiteres Rezept haben wollte. Was ihn daran erinnerte, dass er seinen Lohn abholen musste.    „Shit“, raunte er noch einmal.    Normalerweise schob Raidō ihm das Geld jeden Monat durch die Tür. Das hatte er immer gemacht, seit Genma vor zwei Jahren aus ihrer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war. Damals hatte er es nicht geschafft – oder einfach vermieden – den notwendigen Papierkram auszufüllen und abzugeben, damit seine Post an seine neue Adresse geschickt wurde. Doch egal wie das wirkte, es hatte nichts mit Faulheit zu tun, sondern alles damit, Leute aller Art so weit von seinem persönlichen Fegefeuer fernzuhalten wie irgend möglich. Raidō hatte den Spieß allerdings umgedreht – hatte es als Entschuldigung genutzt, um jedes Mal bei Genma aufzutauchen, wenn der entschied, von der Bildfläche zu verschwinden. Nur hatte Raidō, das letzte Mal, als er ‚vorbei geschaut‘ hatte, kein Bündel Bargeld in der Hand gehabt – nur Kürbissuppe und Klebreis.    Was bedeutet, dass ich bei ihm vorbei schauen muss. Klasse. Das ist echt das Letzte, was ich jetzt noch brauche. Eine verfickte Gardinenpredigt.    Oder noch schlimmer, diesen Blick, der seit dem Tag in Raidōs Augen lebte, als Genma ihm unverblümt gesagt hatte, er bräuchte seine eigene Wohnung. Sein eigenes Gefängnis. Scheiße. Die Gardinenpredigt war halb so schlimm. Raidō musste ihn nur ansehen und Genma fühlte sich schmutzig, lädiert und verzweifelt wie eine Crack-Hure.   Yep, das ist ziemlich zutreffend.    Und das Karmarad drehte sich einfach weiter.    Mein Glück? Wahrscheinlich habe ich ihn auch noch angebaggert, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe.    Er bellte ein kurzes dunkles Lachen hervor, drehte die Flasche in seinen Händen und stierte in die eingesunkenen, blutunterlaufenen Augen, die aus dem Glas zu ihm zurück starrten. Verdammt. Was für ein erbärmlich aussehender Hurensohn. Er schloss die Augen.    Was zur Hölle mach ich eigentlich?   Es war die eine Sache, ein abgefuckter Süchtiger zu sein; und eine ganz andere, auch wie einer auszusehen. Raidō gegenüberzustehen war schon schlimm genug, aber um nichts auf der Welt könnte er zu seiner nächsten Sitzung mit Mushi auftauchen und dabei aussehen, als hätte zehn verschiedene Arten von Schlafstörung, während er versuchte, sich zusammenzureißen, bis ein Kater seine Bemühungen mit einem Fußtritt in den Rinnstein beförderte.    Ich muss mich selbst richten, bevor ich irgendwas anderes richten kann.   Ihm blieben vierundzwanzig Stunden, um seine Scheiße zusammenzusammeln und klar zu kommen und nur noch fünf kleine pinke Pillen, um über die Runden zu kommen, bis er die Zeit stehlen konnte, um Mizugumo zu besuchen.    Ich muss wichtigere Dinge stehlen. Wie diese Akte.    Und dazu kam auch noch die Tatsache, dass er immer noch herausfinden musste, wo zur Hölle Mushi weiterhin seine Morgende verbrachte. Was weit mehr bedeutete, als einfach nur Wanzen einzusammeln und neue zu pflanzen. Also musste er mit drei Prioritäten jonglieren. Außer, er konnte sie alle in einem Schwung erledigen; die Akte einschieben, die Wanzen einsammeln und herausfinden, wohin zur Hölle Mushi immer wieder krabbelte. Er konnte das.    Ambitioniert, aber nicht unmöglich.    So langsam wurde Genma mit der Idee warm und lehnte sich zurück in die Schatten des Überhangbalkons, während er zu kalkulieren begann. Wenn er ein Einbrechen bei Tagesanbruch riskieren würde, könnte er sich die Akte schnappen, die Abhörgeräte einsammeln und sich vielleicht noch ein paar der Aufzeichnungen anhören, bevor er seine Sitzung am Nachmittag hatte. Nachdem das erledigt war, wäre es ein Leichtes, Mushi nach Feierabend zu einer nächtlichen Überwachung im Haus des Seelenklempners zu folgen.    Klasse. Das wird mich also zwei weitere Tage kosten.   Die Ältesten saßen ihm bereits im Nacken. Als nächstes würde Ibiki nach seinen Hacken schnappen. Die Drohung des Morino, ihn einzubestellen, sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden und die Ratsmitglieder wären das nächste Mal sicher nicht so nachsichtig – was jeden verdammten Tag der Fall sein konnte.    Solange es nicht morgen ist…oder übermorgen…   Doch angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich dieses Karmarad drehte? Da fühlte sich Hoffnung ebenso leer an wie die Flasche in seiner Hand.    ~❃~   Irgendjemandem wird der Kragen platzen…   Gar kein Zweifel. Es war ein Ergebnis, das von der dämlich simplen Physik der Situation vorgegeben wurde; die lotrechte Kraft der Unbehaglichkeit nahm immer mehr an Gewicht zu und die Fläche der Geduld wurde immer kleiner. Fügte man dieser Last auch noch das Totgewicht des Schweigens hinzu, dann spürte Shikamaru geradezu, wie das Manometer seiner äußersten Grenze immer näher kam.    Yep, irgendjemandem würde der Kragen platzen.    Aber das werde ganz bestimmt nicht ich sein.   War bereits dort gewesen, hatte es bereits getan. Er hatte seinen blendenden Moment der Dummheit bereits bei Amaguriamas gehabt; jetzt war es für jemand anderen an der Zeit, die Gleichung auszubalancieren. Mit abgeschirmtem Blick musterte Shikamaru seine Teamkameraden unter dichten Wimpern und begann, die Zeichen abzuwägen; Naruto zog seine Füße schon hinter sich her, Shinos Käfer schwirrten aufgeregte Kreise auf den Handrücken des Aburame und Chōji hörte nicht auf, jedem von ihnen verwirrte Blicke zuzuwerfen. Und dann war da noch Kiba. Er saß stocksteif und gerade auf einem Akamaru, der deutlich fluffiger war als sonst und hatte die angespannte Miene eines Kerls aufgesetzt, der einen Nierensteinabgang durchlitt. Seine Wangen waren gerötet, die Kehle straff gezogen und seine Backenzähne mahlten.    Alles klar. Ihm wird als Erstes der Kragen platzen.   Komisch, wenn man bedachte, dass Naruto Kiba üblicherweise bei sowas zuvorkam. Doch der Uzumaki war seltsam still, seit sie das Dorf verlassen hatten. Und vielleicht hätte Shikamaru irgendetwas Verdächtiges vermutet, wenn er stattdessen nicht vermuten würde, dass seine Rippe irgendwo schwamm, wo sie nicht sein sollte – eine Vermutung, die ihm schlagartig mehr Sorgen bereitete, als der Zustand seiner Teamkameraden.    Vielen Dank auch, Hyūga. Das ist dann schon das zweite Mal, dass du mir meine Rippen brichst.   Nur hatte der diesmal nicht die Entschuldigung blinder Raserei oder schlechter Koordination. Scheiße, nein. Dieser letzte Schlag war ein ruhiges und strategisches Manöver gewesen, vollkommen absichtlich durchgeführt und dazu gedacht, etwas Schaden anzurichten – dazu gedacht, ihn aufzurütteln.    Tz. Als müsstest du meine Knochen brechen, um das zu schaffen…   Zorn kochte hinter Shikamarus Rippen und verband sich mit dem kummervollen Schmerz, der sich noch immer in seiner Brust hielt. Scheiße, Neji hatte ihn mal so richtig durchgeschüttelt. Aber rechtfertigte eine momentane Überreaktion seinerseits wirklich diesen absolut überzogenen Angriff, mit dem Neji ihn getroffen hatte?   Shit…erinnert er sich an etwas von letzter Woche?   Etwas, wie vielleicht diesen gestohlenen Kuss? Oder die Tatsache, dass Shikamaru ihn sich vielleicht – möglicherweise – definitiv gestohlen hatte, als die meisten Lichter hinter Nejis Augen ausgeknipst gewesen waren und die Welt für eine Weile dunkel geworden war?    Er weiß es.   Mit weit werdenden Augen stockte Shikamarus Atem hörbar in seiner Kehle. Das scharfe Geräusch zog sofort Chōjis Blick zu ihm und drohte mit einer ganzen Wagenladung an Aufmerksamkeit. Und Shikamaru war alles andere als bereit dazu, dass sonst noch irgendjemand auf diesen Zug aufsprang. Rasch räusperte er sich und tat so, als würde er in seine Faust husten.    Das war’s.    Kiba explodierte. „Was verfickt nochmal ist eigentlich Nejis Problem?“   Niemand meldete sich freiwillig für eine Antwort. Chōji verstand ja nichtmal die Frage. „Huh?“   Seufzend berührte Shikamaru seinen Freund am Ellbogen und drückte kurz zu. Chōji begegnete seinem Blick, las die Bedeutung und blieb stumm. Keiner schien ihre nonverbale Kommunikation zu bemerken, auch wenn Shino ganz leicht den Kopf drehte.    „Mit deinem antagonistischen Gehabe wird Neji ziemlich bald ein Problem mit dir haben“, sagte der Aburame. „Du hast richtig Glück gehabt, dass er sich auf Shikamaru konzentriert hat, als er eingeschritten ist. Warum? Weil er wahrscheinlich etwas viel Übleres gemacht hätte, wenn du ihn provoziert hättest.“   „Schwachsinn.“ Kiba bleckte die Zähne. „Neji ist derjenige, der Glück hatte. Glück, dass du Teams zum Vorteil von Hyūga gewechselt hast. Außerdem, wovon verfickt nochmal soll er denn bitte provoziert worden sein? Was er abgezogen hat, war mal richtig asozial und das weißt du; Shikamaru derart miese und unerwartete Prügel zu verpassen.“   Chōjis Hände ballten sich zu Fäusten. Noch einmal berührte Shikamaru seinen Ellbogen; wie eine Hand am Zügel. Wie gut, dass Ino mit Neji und dem Rest der Aufklärungseinheit voraus gegangen war. Auch noch sie hier zu haben, hätte diese Hölle in einen abartigen Porzellanladen verwandelt. Und auch wenn sich Chōji noch nicht benahm wie ein trampelnder Elefant oder angreifender Stier, bebten dennoch seine Nasenflügel und er sah aus, als wäre er nur ein Stampfen davon entfernt, die Fassung zu verlieren. Zumindest wenn die hervortretenden Adern auf den Rückseiten seiner Fäuste irgendein Indiz waren.    Es half auch nicht gerade, dass Kibas Zunge einfach nicht aufhörte, sich zu bewegen wie das rote Tuch eines Matadors. „Wäre nicht das erste Mal, dass er so eine miese Nummer abzieht“, krakeelte der Hundeninja weiter. „Wenn er eine Provokation will, dann geb ich ihm eine.“   „Kiba“, knurrte Naruto. Seine Stimme erklang so plötzlich und so gefährlich leise, dass absolut jeder verstummte. „Halt die Klappe, okay?“   Vollkommen baff klappte der Kiefer des Hundeninjas nach unten, bevor er ein ungläubiges Lachen ausstieß und die Arme zur Seite warf, als würde er alle anderen dazu einladen, seine Fassungslosigkeit zu teilen. „Ist das dein Ernst?“ Mit einem Finger stach er zurück über den Pfad. „Du hast doch gesehen, was da vorhin abgegangen ist! Neji hat sich mal so richtig daneben benommen.“   Naruto blieb stehen, was die ganze Gruppe zu einem zögerlichen Stillstand veranlasste. Ohne den Körper zu drehen, sah er zu Kiba hinüber. „Jo, er hat sich daneben benommen. Genauso wie die alte Frau. Das ist mir klar. Aber wenn Neji nicht eingeschritten wäre, dann -“   „Dann hätte diese verdrehte alte Spinatwachtel genau das bekommen, was sie verdient hat.“ Niemand argumentierte dagegen, aber es stimmte auch niemand zu. Knurrend schwang sich Kiba von Akamarus Rücken und drehte einen weiten Kreis, der Staub und drohende Gefahr aufwirbelte, während seine Augen nach Unterstützung suchten. „Was? Seht ihr das vielleicht anders?“   Es war ein Moment, in dem man sich für ein Team entschied, doch Shikamaru hielt den Mund. Und Narutos Blick zog sich auf Kiba zusammen – und er plärrte nicht. Die Ruhe vor dem Sturm; ein übernatürliches Ereignis in der Welt von Uzumaki Naruto, wenn man bedachte, dass der Sturm üblicherweise zuerst kam. Das würde nicht gut ausgehen.    Seufzend trat Shikamaru nach vorn. „Kiba.“   Doch Kiba stieß eine Hand nach außen und warnte Shikamaru dadurch eindringlich, sich verfickt nochmal fernzuhalten, oder vielleicht machte er das nur, um sich davon abzuhalten, Naruto einen Schritt zurück zu schubsen, als er sich dem Jinchūriki näherte. „Hast du vielleicht gedacht, ich würde das einfach nur aussitzen und zulassen, dass sie so respektlos von meiner Sensei spricht? Denkst du, dass das okay für mich ist?“   Kopfschüttelnd holte Naruto langsam Luft. „Nein“, raunte er. „Aber du warst es ja auch nicht, der sie dafür bestrafen wollte, was sie gesagt hat.“ Er hielt kurz inne und sein Blick schwang herum. „Nicht wahr, Shikamaru?“   Ein Shuriken direkt zwischen die Augen hätte ihn vermutlich weniger geschockt. Festgenagelt von Narutos Starren spannte sich Shikamarus Stirn gegen ein Runzeln an und seine Augenwinkel zogen sich zusammen. Kein Herauswinden aus dieser Anschuldigung. Neji hatte ihn immerhin auf frischer Tat ertappt.    Also was? Willst du einfach hier rumstehen und ihn niederstarren?   Das war genau das, was er tat. Er stand einfach nur da, mahlte eines Verbrechens angeklagt schweigend mit dem Kiefer und war nicht in der Lage, sich zu verteidigen. Er hatte weder Argument, noch Entschuldigung, keinen Advokaten außer Kiba – der an diesem Punkt nicht gerade von Vorteil war.    Und das machte Shikamaru vollkommen verantwortlich; einer Kurzschlussreaktion und unbesonnenen Erwiderung schuldig.    Hätte mich weit Schlimmerem schuldig machen können, wenn Neji nicht eingeschritten wäre…   Doch was ihn mehr verstörte als der Gedanke über das, was er vielleicht getan hätte, war, wie wenig er deswegen fühlte. Was zur Hölle hatte er denn zu diesem Zeitpunkt gefühlt? Abscheu? Zorn? Übermäßigen Beschützerinstinkt?   Ich kann mich nicht erinnern, irgendetwas gefühlt zu haben…   Nichts kam ihm in den Sinn. Nicht einmal die exakte Abfolge der Ereignisse. Er hatte nichts außer ein dickes fettes Loch, wo eigentlich seine Erinnerungen hätten sein sollen – wo sein Hirn hätte sein sollen. Und das Entsetzen über dieses Realisieren hämmerte die Anspannung aus seinem Gesicht. Es ließ ihn weitäugig und heftig blinzelnd zurück. Er sah zur Seite weg, kämpfte darum, sich zu erinnern und sein Verstand wühlte nach Beweisen und Motiven, als er die Geschehnisse noch einmal durchging und sie zurückspulte; die Frau hatte die Lebensgefährtin seines Sensei beleidigt, hatte das Kind seines Senseis beleidigt und dann…   Nichts…   Eine blanke Leinwand. Als wäre die Reihe der Ereignisse abrupt abgeschnitten und dann in der Sekunde wieder zusammengespleißt worden, als Nejis Handfläche in seiner Brust aufgeschlagen war. Shikamarus Herz stotterte. Warum konnte er sich nicht daran erinnern, wie er über diesen Picknicktisch gesprungen war? Denn er erinnerte sich ganz sicher daran, zurück dagegen gekracht zu sein.   Shit…hat Nejis Schlag irgendwas mit meinem Kopf angestellt?   Das machte absolut keinen Sinn. Aber die Schuld Neji zuzuschieben fühlte sich besser an, als auf die massive blanke Wand in seinem Verstand zu stieren. Eine Wand, die er nicht niederstarren konnte. Eine Wand, über die er nicht sehen konnte; die er nicht überwinden konnte. Er hatte keine Ahnung, ob er seinen Erinnerungen voraus war, oder ihnen hinterher hinkte.    Was zur Hölle passiert hier?   „Shikamaru?“, rief Chōji vorsichtig.    Vage wandte sich der Schattenninja um und bemerkte, dass alle Augen auf ihn gerichtet waren. Narutos Anschuldigung donnerte wie ein Hammer gegen seinen Schädel und versuchte, irgendeine Art Erklärung für sein Verhalten und Mangel an besserem Wissen aus ihm heraus zu prügeln. Und er leistete eine geradezu hervorragende Arbeit darin, sich selbst mit einem höllischen unbeholfenen Schweigen zu verurteilen.    Sag irgendwas, du Genie…   Die logischste Erklärung war, dass er mit seiner Bruchlandung auf den Boden von heute morgen irgendeinen Schaden angerichtet hatte. Das würde vielleicht die Verschwommenheit erklären. Vielleicht hatte er sich wirklich eine Gehirnerschütterung verpasst. Und wenn man diesen Schlag auf den Kopf mit dem Stress von zu viel Denken und zu wenig Schlaf mischte?    Und du bekommst einen blendenden Moment einer ‚gewaltiger Satz‘-Dummheit. Mit ‚blendend‘ als Schlüsselwort.   Erledigt. Verkauft. Und er kaufte sich diese Erklärung ohne einen weiteren Gedanken ab. Bis er mehr Anhaltspunkte hatte, war es die einzige Sache, die einen Sinn aus einer Situation machte, bei der alle seine ‚Sinne‘ komplett versagt hatten.    Ich bin auch nur menschlich. Das ist erlaubt.   Fall abgeschlossen. Jetzt war es Zeit, das Drama aufzuwischen. Aufmerksam musterte Shikamaru die Szene und suchte nach dem schnellsten Ausweg. Er spähte zwischen Naruto und Kiba hin und her, da er wusste, dass er eine Wahl treffen musste – und der schnellste Ausweg war nicht immer der leichteste. Kiba mochte ihm zwar beistehen, aber diese ganze Situation hatte dafür gesorgt, dass er mit dem Rücken zur Wand stand. Und da gab es nur eine Möglichkeit.    „Naruto hat recht“, sagte Shikamaru letztendlich. „Wenn Neji nicht eingeschritten wäre, dann hätte ich vermutlich etwas wirklich Dummes getan. Und im Moment kann ich diese Art von Ärger echt nicht brauchen.“ Er hob seine Brauen in Kibas Richtung. „Du?“   Sprachlos stierte Kiba ihn für volle fünf Sekunden an, bevor er die Hände mit einem Lachen in die Luft warf, das denselben bitteren Biss enthielt wie sein viel zu scharfes Grinsen. „Un-fucking-fassbar, Shikamaru. Und ich hab echt fast gedacht, dass du da vorhin ein paar Eier bewiesen hast.“   Shikamaru schenkte ihm einen äußerst flachen Blick zusammen mit einem eisigen Schweigen. Alles, was er vielleicht als Antwort darauf erwidert hätte, war etwas, an das er sich ganz sicher erinnern und das er ganz sicher bereuen würde.    Sorry, Kiba. Aber ein angepisster Teamkamerad ist alles, womit ich im Moment umgehen kann.   Und wenn besagter ‚angepisster Teamkamerad‘ beides war, sowohl sein Vorgesetzter, als auch sein…   Was? Größter Schwachpunkt?   Zu blöd, dass er in diesem Fall nicht das Schuldzuweisungsspiel mit Neji spielen konnte. Der letzte Fehler, der letzte gestohlene Augenblick, war einzig und allein Shikamaru zuzuschreiben. Hier gab es keine Lücken in seinen Erinnerungen – und wie es schien auch nicht in Nejis – was nicht gerade das war, worauf der Schattenninja gehofft hatte. Er hatte darauf gezählt, dass die Opiate eine Art Schall und Rauch Magie wirkten, die Neji dazu brachte, zu vergessen, dass dieser Kuss jemals stattgefunden hatte.    Selbstsüchtig UND dämlich. Klasse. Ich hab einen richtigen Lauf…   Einen Lauf, der seine Knochen brach. Ein chaotisches Abwärtsstolpern, das ihn mit Sicherheit in der Scheiße landen ließ. Ganz bestimmt war das der Grund hinter Nejis überzogener Reaktion. Der Hyūga war angepisst. Berechtigterweise angepisst. Genug angepisst, um Shikamarus Tenketsu in einen Kurzschluss zu briezeln. Und während sich das Chakra des Schattenninjas wieder beruhigt hatte, war das beim Rest von ihm nicht der Fall.    Was? Sind wir dadurch wieder gleichauf?   Shikamaru bezweifelte das ebenso sehr, wie er Nejis Gewissheit bezweifelte, dass persönliche Gefühle und vergangene Übertretungen keinen Einfluss darauf hatten, wer sie waren und was sie tun mussten.   Hn. Deine Worte, Hyūga. Nicht meine.   Niemals seine. Aber das machte es nicht weniger notwendig zu versuchen, das zu glauben, was Neji gesagt hatte. Und so sehr Shikamaru diese Worte auch hasste; zu tun, ‚was notwendig war‘, war in letzter Zeit zu einer treibenden Kraft für ihn geworden. Immer seit seinem Geburtstag…immer seit Asuma…   Begib dich nicht dorthin…   Kein Problem. Vermeidung fand sich leicht und an jeder Ecke. Eine Reihe mentaler Blockaden stationierte sich entlang all der gefährlichen Wege, die sein Verstand entlang zu wandern drohte. Jetzt im Moment brauchte er einen gut ausgetretenen und vorhersehbaren Pfad; die Mission und seine Rolle darin. Konoha beschützen, die Kinder des Dorfes beschützen und die beschützen, die ihm wichtig waren. Seine Konzentration zog sich auf dieses Ziel zusammen, auf diese Vision.    Auf dieses Versprechen.   Sich neu fokussierend wandte sich Shikamaru ab und fing wieder an zu laufen. „Wir sollten einen Zahn zulegen, wenn wir alle Kontrollpunkte abdecken und rechtzeitig bei der Tenchi Brücke sein wollen. Die anderen werden warten.“ ‚Die anderen‘ bedeutete Neji; der sehr wahrscheinlich Shikamaru für die Verspätung verantwortlich machen würde. Seufzend begegnete der Schattenninja Narutos Blick, als er an ihm vorbei schritt. „Bist du fertig?“   Naruto zwang sich zu einem schwachen Schmunzeln und sah zu Kiba. „Alles wieder gut?“   „Leck mich, Turteltaube.“   Naruto lachte. Es war ein bisschen heiser und ein bisschen unsicher, doch das hielt ihn nicht davon ab, dass sich seine Miene aufhellte, was Shikamaru als Segen wertete. Vor allem angesichts der dunklen Wolke, die über ihrer Gruppe gehangen hatte. Da die Spannung nun gelöst war, fühlte sich sein Verstand klarer und schärfer an. Diesen kühlen Kopf und eine deutliche Perspektive zu haben, stattete ihn mit allem aus, was er brauchte.    Und nichts wird daran etwas ändern.   Nicht sein Fehler mit Neji und auch nicht seine Fehleinschätzung mit dieser großmäuligen alten Schachtel. Er würde dieses Durcheinander richten, denn er wusste genau, was er tun musste; genau das, was er immer getan hatte. Es kam unmittelbar zu ihm; eine Anweisung, die direkt aus seinem Unterbewusstsein abgefeuert wurde. So schnell und so sicher, dass er die Quelle oder den Fremden, der sie gesagt hatte, nicht infrage stellte.    Ich steh auf und ich mach weiter.   __________________ So und hier lernen wir ihn endlich mal 'persönlich' kennen...Naoki. Auch wenn das hier nur eine mentale Unterhaltung, ein mentales Treffen war und nicht viele Informationen zu ihm kommen, hoffe ich doch sehr, dass es euch gefallen hat ;)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! *-* Kapitel 9: Opening graves ------------------------- ‚Der Wind der Vergänglichkeit wählt sich keinen Zeitpunkt.‘   Kakashi drehte diesen Spruch in seinem Verstand hin und her; und dann drehte er das Buch in seinen Händen hin und her. Dünn und in Taschenformat trug der zerfledderte Einband des Buches ein verblasstes Bild eines buddhistischen Mandalas und auf dem faltigen Rücken befand sich eine kaum noch erkennbare Goldschrift: Lektionen des Lebens; eine buddhistische Zusammenstellung. Die Seiten waren zerknittert, mit Anmerkungen versehen und befleckt von Tintenabdrücken. Oft gelesen; vielleicht sehr geliebt.   Und jetzt verloren.   Kakashi hatte es in der Seite des Sofas in der Jōnin Station gefunden, da eine schmuddelige Ecke zwischen den dicken Kissen hervor geragt war. Eigentlich hatte er vorgehabt, es beim Fundbüro abzugeben – bis er angefangen hatte zu lesen. Und jetzt konnte er sich nicht davon trennen. Zumindest noch nicht. Und das aus Gründen, die viel zu mysteriös waren, um darüber nachzugrübeln.   Vielleicht später.   Mit einem Streifen geflochtenen Leders markierte er die Seite und schloss vorsichtig das Buch. Er schob es in seine Flakjacke und blieb stehen, als er von einem Schauern windgetragener Leere gegrüßt wurde, die aus der Siedlung hinaus über die Straßen echote.    Der Wind der Vergänglichkeit…   Hier lebte dieser Wind, eingehüllt in rote Bänder und blutige Zeit.    Die Uchiha Siedlung.    Kakashi spähte durch die Tore und wusste, dass wenn dieser ‚Wind der Vergänglichkeit‘ nicht vor neun Jahren durch diese Tore geweht wäre, dann würde er jetzt hindurchschreiten, um die Station der Militärpolizei der Uchiha aufzusuchen. Er hatte gehört, dass das alte Emblem noch immer dort hing. Die Oberfläche abgeblättert und verblasst; ein heller kornblumenblauer vierzackiger Stern mit dem rotweißen Uchihafächer eingeprägt in den Totpunkt.    Totpunkt…   Wie zutreffend. Seit Jahren war es in ihrem Zentrum tot; ein Gebäude seiner Menschen leer, seines Zweckes leer. Trotz all seiner Jahre bei ANBU hatte Kakashi nie einen einzigen Fuß hinein gesetzt. Und das würde er auch nie. Da das Gebäude nun hinter blutgetränkten Mauern abgesperrt war, war die Ermittlungsabteilung, die sich um sämtliche rechtlichen und kriminellen Angelegenheiten kümmerte, in ein Gewirr von Räumen verlegt worden, die tief in den feuchten und schimmeligen Eingeweiden von Konohas Geheimdienst Division versteckt waren.    Zeit, dorthin zu gehen…   Er ließ ein stummes Gebet zurück und machte sich auf den Weg hinüber zur Geheimdienst Division, indem er sich die Deckung von Hintergassen und Dächern zunutze machte. Kein Grund, Aufmerksamkeit oder eine Unterhaltung auf sich zu ziehen. Besser, das hier rasch und leise zu erledigen. Das war der Plan gewesen – bis er einen Fuß durch die Tür setzte. Vollkommenes Chaos begrüßte ihn. Renovationen waren in vollem Gange und ganze Massen von Bürokram drängten sich in den Korridoren, um Aus- und Eingänge zu verstopfen.    Na klasse.   Tief Luft holend nickte Kakashi resolut und stellte sich dem ersten Korridor. Auf halbem Weg bestehend aus hohen Sprüngen und Armeekriechen begann er dann, seinen Körper mit der rotgesichtigen Anmut eines vollkommen aus der Übung gekommenen Schlangenmenschen zu verbiegen, um sich an ganzen Bataillonen abgeranzter Aktenschränke und mehreren Türmen zugeklebter Kisten vorbei zu drücken, die dazu verdammt schienen, früher oder später zu kollabieren.    Was für ein Schwachmat leitet diesen Laden?   „Kakashi-senpai!“ Eine Stimme drang aus einem entfernteren Gang und machte Kakashi auf den Aufenthaltsort dieses Schwachmaten aufmerksam. „Schau sich einer an, wie du Armeekriechen mit Akrobatik verbindest! Gai-sensei wäre so stolz. Pass lieber auf, wo du hinlatschst, ja? Is ziemlich riskant hier unten.“   Was du nicht sagst. Eher wie ein Schmerz im –   Kakashi jaulte auf, spürte, wie sich ein brutaler Schmerz in seine rechte Arschbacke biss und verkrampfte sich, als er bereits halb einen Stapel Kisten hinauf geklettert war. Entsetzt drehte er den Kopf, als würde er erwarten, Pakkun zu sehen, der an seinem Hintern nagte – wäre nicht das erste Mal. Streitsüchtiger Winzling.    Muss mich hinsetzen. Muss mich hinsetzen.   Mit wild rudernden Armen hielt Kakashi die Balance und hüpfte einbeinig auf einen Flecken freien Raumes, bevor er sein Knie an die Brust zog und darauf wartete, dass der Schmerz nachließ. Gleichzeitig hoffte er, dass dieser Schwachmat nicht gesehen hatte, wie er diese Hüpfaktion veranstaltete, während Milchsäure mit wilder Hingabe seinen Hintern betatschte.    Das ist lächerlich.   Peinlich berührt und irritiert ließ Kakashi seinen Kopf in Verzweiflung nach hinten kippen – und erstarrte. Sein graues Auge weitete sich und sein Körper wurde stocksteif, als er von einem Zwang ergriffen wurde, der viel stärker war als der Krampf in seinem Gesäß.   Abergläubischer Horror.    Er stand direkt unter einer massiven Klappleiter.    Mit weit gespreizten Beinen ragte sie über ihm auf und die große Pyramidenform überspannte den schmalen Korridor, wobei die Metallstufen als behelfsmäßige Regale für Bürokram, Akten und teefleckige Tassen dienten. Doch Kakashi sah nichts von dem Einfallsreichtum. Er sah nur den unheilvollen Schrecken himmlischer Zeit und irdenen Raumes. Kein Wunder, dass er einen Krampf bekommen hatte. Er hatte einen sechsten Sinn für dunkle Omen, nur schien er die Zeichen niemals rechtzeitig zu deuten. Eine Grimasse schneidend sah er zwischen den beiden Seiten des Stahltriangels hin und her, während sein Hirn geflutet wurde von Vorahnungen über schwarze Katzen, zerbrochene Spiegel, gestörte Geister und -   „Hey, du siehst ein bisschen blass aus, Senpai“, rief eine zweite Stimme. Sie war nicht ganz so lässig wie die von Schwachmat. Das war Hauptmann Offensichtlich. „Du solltest vielleicht nicht unter dieser Leiter rumstehen. Ist nicht sonderlich stabil.“   Mein Verstand auch nicht, dachte Kakashi trocken, während er seine Kindheitsparanoia zurück in ihre Kiste zwang. Dieses ganz besondere Leiden gehörte auf jeden Fall auf die unteren Ebenen seiner Psyche. Nah genug, um gelegentlich vom Regal der geistigen Gesundheit zu taumeln, aber auch nah genug, um es wieder an seinen Platz schieben zu können. Auch wenn diese raren Vorfälle der Exzentrizität während seiner ANBU Tage immer dazu geneigt hatten, Asuma zu amüsieren und Genma zu erfreuen, wusste es Kakashi gar nicht zu schätzen, wenn man das mit Humor nahm. Und er wusste auch nicht zu schätzen, dass irgendein psychologischer Spinner sein Hirn dazu brachte, in zufälligen und peinlichen Abständen ‚weg ist das Wiesel‘ zu spielen.    „Ich wusste, dass das eine blöde Idee war“, seufzte Hauptmann Offensichtlich. „Hilfste mir mal, Kotetsu?“   Kotetsu?   Na, das erklärte alles und enthüllte Hauptmann Offensichtlich als niemand anderen als – „Izumo“, murmelte Kakashi und lehnte sich auf einem Bein nach hinten, als könnte er so sein Schicksal und seine Schritte umkehren. Sein Knie hielt er weiter an die Brust gedrückt, während er finster die Leiter hinauf stierte und rief: „Hey! Gibt’s irgendeine Chance, diesen Hindernislauf lange genug zu überleben, um herauszufinden, wer hier die Verantwortung hat?“   Bitte sagt mir nicht, dass es ihr zwei seid.   Das wäre wirklich das Letzte, was er heute noch bräuchte; ein weiterer Schmerz in seiner anderen Arschbacke.    Keine Antwort von Izumo oder Kotetsu. Seufzend stählte Kakashi seine Nerven, schob sich Stück für Stück unter der Leiter heraus und widerstand dem Drang, sein Pech auszugleichen, indem er dreimal durch eine der Sprossen spuckte. Stattdessen kreuzte er die Finger und beschloss, in einem Gebrauchtwarenladen vorbei zu schauen, der diese lustigen Budaistatuen mit bronzenen Bäuchlein hatte. Was hatte Asuma immer gesagt?    ‚Reib den Bauch und du bekommst das Kopfgeld.‘   Doch Kakashi kämpfte die Versuchung nieder, sich stattdessen den Hintern zu reiben. Vorsichtig streckte er sein Bein aus, spannte die Gesäßmuskeln an und machte einen weiteren zögernden Schritt. Milchsäure blieb zurück. Ein kleiner Segen. Während er sich tiefer in das Chaos drückte, erspähte Kakashi Bewegungen weiter den Korridor hinab und blieb kurz davor stehen.    Na, der führt das Schicksal aber mal richtig in Versuchung.    Izumo stand auf einer rostigen Ausziehleiter und sein Körper war in einem gefährlichen Winkel geneigt, während er den Griff eines Hammers zwischen die Zähne und eine Packung Nägel unter das Kinn geklemmt hatte. In seinen Händen hielt er ein Schild, das wohl über einem der Türrahmen angebracht werden sollte.    Kakashis Blick zog sich auf den handgeschriebenen Text zusammen. „Geheimdienst Division?“   „Du stehst mittendrin“, rief Kotetsu und schlenderte ohne irgendein abergläubisches Zucken oder einen Aufwärtsblick durch die Tür und direkt unter Izumos Leiter hindurch. In der einen Hand hielt er ein Glas voll mit dickem goldenem Sirup und einen klebrigen Löffel in der anderen. „Ist noch in Arbeit, aber es wird.“   Eine von Kakashis silbernen Brauen wanderte nach oben, als er sich umsah. „Klar.“   „Also was kann ich für dich tun?“ Die Frage enthielt überhaupt kein Interesse, ganz anders als der Blick, mit dem Kotetsu seinen Löffel bedachte, während er ihn in den süßen goldenen Glibber drehte. „Ich spiel sicher nicht Schreibstubenhengst, also wenn du schon wieder darauf aus bist, Missionen zu übertragen, dann -“   Mit einer nach oben gehaltenen Hand schnitt Kakashi ihm das Wort ab. „Häftlingsakten aus der Strafvollzugsanstalt. Es gibt ein paar Fälle, denen ich nachgehen muss.“   Stirnrunzelnd schob sich Kotetsu den Löffel zwischen die Lippen, saugte für einen Moment nachdenklich schmatzend daran, bevor er sich umwandte, um die Nummern zu studieren, die über verschiedenen Durchgängen angebracht waren. Grunzend deutete er auf einen Raum drei Türen weiter und sprach um einen Mund voll Molasse herum: „Bin mir ziemlich sicher, dass der Kram von der Strafvollzugsanstalt da rein gebracht wurde. Zimmer Zwölf. Die jüngsten Akten sind ein bisschen unorganisiert, aber alles, was vor dem Uchiha Vorfall datiert ist, sollte geordnet sein. Gib mir nicht die Schuld dafür, Izumo besteht darauf, sie von hinten zu stapeln, weißte?“ Kotetsu drehte sich ihm wieder zu und grinste entschuldigend. Der Sirup klebte dabei wie Toffee an seinen Zähnen. „Und du musst vielleicht auch ein paar von den Schränken aufbrechen, bei dem Umzug sind nämlich einige Schlüssel verloren gegangen.“   Und diese Schränke aufzubrechen stellte sich als viel therapeutischer und weit weniger zeitaufwendig heraus, als Kakashi erwartet hatte. Allerdings erwies sich dafür das Auffinden der notwendigen Akten als deutlich herausfordernder. Auf alle Fälle hatte Izumo eine hervorragende Arbeit geleistet, wenn es um die Farbcodierung und Indexierung einer ganzen Generation von Kriminalberichten ging, die absolut keine Relevanz hatten.    Seufzend zog Kakashi eine Schublade etwas weiter auf, fuhr mit den Fingern über die Aktenreihen und begann näher an der Vorderseite mit dem Ausweiden. Nach etwa zehn Akten traf er auf Gold. Mit den Daten in der Hand klatschte er ein paar dünne Mappen auf die erste sich bietende Fläche. Als nächstes waren die Medizinberichte an der Reihe. Dann die Baupläne des Gefängnisses.    Das wichtigste zuerst.   Er beugte sich über den niedrigen Metalltisch und machte sich daran, durch die Seiten zu blättern, Verbrechensbeschreibungen zu überfliegen und erkennungsdienstliche Fotos zu mustern, während sich seine Miene immer weiter verdüsterte und sich seine Haltung bog, als er sich immer mehr in die Creme de la Creme der kriminellen Gesellschaft einlas.    Zwei Stunden später und dreißig Fälle in der Recherche versunken, markierte Kakashi fünf potentielle Kandidaten, klemmte sich vier Akten unter den Arm und verbrachte noch ein paar weitere Sekunden damit, sich so sehr in die Details der fünften zu vertiefen, dass er gar nicht bemerkte, wie Pakkun von hinten zu ihm tapste – aber natürlich nur, bis sein charmanter Hund seine zweiundvierzig Zähne in Kakashis bis dahin unbehelligte linke Gesäßbacke grub.    Kakashi machte einen Satz, als hätte er einen Stromschlag abbekommen.    Papiere flogen zusammen mit seiner Beherrschung durch die Luft. Und Pakkun biss noch fester zu, um zu verhindern, dass er durch den gesamten Raum katapultiert wurde. In einem verzweifelten Versuch, seinen Hintern zu verteidigen, ließ Kakashi seine Hände nach hinten schnellen und schlang sie mit zischender Stimme um Pakkuns knurrende Kehle. „Ich bin nur noch eine Haaresbreite davon entfernt, dich ausstopfen zu lassen.“   Pakkun löste seinen Kiefer zusammen mit einem leisen Welpenwinseln; ein Flehen, das ihn wahrscheinlich einfach nur, weil es so hinreißend war, von allen Anklagepunkten freigesprochen hätte. Allerdings nur, wenn Kakashi nicht bereits mehrere Male in der Vergangenheit darauf reingefallen wäre. Seine Finger zuckten warnend um den Hals des Mopses, bevor sie ihn losließen.    Pakkun landete in einer anmutigen Hocke, ließ sich seitwärts auf der Hüfte nieder und leckte sich den Hintern. „Wollte nur sichergehen, dass dein Kopf nicht in deinem Arsch verloren gegangen ist.“   Sehr langsam wandte sich Kakashi um und stierte nach unten. „Wie bitte?“   „Geheimdienst Division, huh?“, schnaufte Pakkun. „Du hast echt einen Lauf, oder? Vielleicht solltest du anfangen, ein paar Mordmysterien zu lesen, um diese ganze Verbrechen-Aufklärungs-Obsession aus deinem Kreislauf zu treiben.“   Finster dreinblickend suchte Kakashi nach einem griffigen Argument, kehrte allerdings mit leeren Händen zurück – oder auf frischer Tat ertappt, wenn man den selbstgefälligen Ausdruck bedachte, mit dem Pakkun ihn festpinnte. Er zog den Kopf ein und beugte sich mit einer Grimasse nach unten, um die verstreuten Akten aufzusammeln. „Was machst du hier?“, knurrte er. „Also abgesehen davon, mich zu misshandeln.“   Mit gekräuselter Schnauze und zuckenden Ohren beobachtete Pakkun, wie er das Durcheinander aufhob. „Hast du diese kleine inoffizielle Nebenoperation vergessen, auf die du mich geschickt hast? Genauso wie die Tatsache, dass es immer noch mein freier Tag ist.“   Sofort schnellte Kakashis Kopf nach oben und seine weitäugige Miene verriet schlagartige Erinnerung und unmittelbare Ränke. Ja, er hatte es vergessen. Und nein, der Blick, mit dem Pakkun ihn bedachte, sorgte überhaupt nicht dafür, dass er sich besser fühlte. Der Schmerz in seinem Hintern leistete allerdings eine hervorragende Arbeit, ihm Absolution über jedes Schuldgefühl zu erteilen, das er vielleicht verspürt hätte. „Was hast du rausgefunden?“   Für einen weiteren strafenden Moment beäugte Pakkun ihn, bevor er seufzte. „Der Dok ist definitiv ein Seelenklempner, kein Chirurg. Und er hat ein paar niedrige Freunde in niedrigen Positionen.“   „Wie niedrig?“   „So niedrig es geht“, grummelte Pakkun und seine Vorderpfoten bewegten sich unbehaglich. „Pass auf Kakashi…dieses ganze Drama mit der Drogenlady ist ja die eine Sache. Aber bist du dir sicher, dass du auch noch anfangen willst, dieser Sache nachzugehen?“   Eine besonnene Pause. Körperlich zog sich Kakashi zurück, fühlte, wie sein Hirn – und sein malträtierter Hintern – ihn dazu drängten, auf Nummer sicher zu gehen. Er ließ die Hüfte gegen einen Aktenschrank einknicken, rieb sich abwesend über seine schmerzende Pobacke und sah zur Seite weg, als er die Risiken abwog. Ein harsches Zwicken von Pakkun war nicht das Einzige, was ihn warnte, sich von dieser Angelegenheit fernzuhalten. Er hatte bereits alle Hände voll mit einer Last, die ihm gar nicht gehörte. Lachhaft, wenn man bedachte, dass er seine ganz eigene private Last gerade auf Hyūga Neji abgeladen hatte; alles unter dem Vorwand einer professionellen Empfehlung. Er hatte eine viel zu persönliche Mission in Kusagakure gegen das viel zu persönliche Mysterium eingetauscht, das Shiranui Genma war.    Es ist schon gefährlich genug, es mit Genma aufzunehmen…Ich habe keine Zeit, um einen schmutzigen Seelenklempner herum zu schnüffeln…   Oder um einen nicht autorisierten Fall von Euthanasie – angenommen, dass es das war, was er auf Mizugumos Dach mit angehört hatte. Doch eine Annahme war keine Antwort. Pakkun hatte diese Antwort – aber wollte Kakashi sie jetzt wirklich hören? Was hielt ihn davon ab? Dass er vielleicht mehr abbiss, als er kauen konnte? Dass da vielleicht mehr war, als Pferde, die scheu gemacht werden konnten und Hornissennester? Dass er vielleicht –    ‚Könnte vielleicht über schlafende Hunde stolpern.‘   Asumas Stimme erklang leise und schwer in Kakashis Hinterkopf – die Stimme des Gewissens. Entwaffnet suchte Kakashi nach der Stimme distanzierter Vernunft und hoffte bei allem auf der Welt, dass er sie nicht an dem Ort lauernd finden würde, von dem auch das Echo von Asumas Worten gekommen war. Es war noch nicht zu spät, das Sicherere zu tun. Das Klügere. Er konnte ein Auge zudrücken. Er konnte das immer noch loslassen. Doch in der Sekunde, in der er versuchte, fort zu laufen, stieg eine plötzliche Woge Bauchgefühl – die alte und blutige Art und Weise – in ihm auf und zerrte ihn zurück.    Mit geschlossenen Augen sackte Kakashi gegen den Schrank.    Verdammt sei das alles.   Zur Hölle und wieder zurück. Während er es vielleicht geschafft hätte, sich um Asumas Worte herum zu wieseln, wusste er es besser, als seine eigenen Instinkte zu bekämpfen oder anzuzweifeln. Besonders diese Art – die Art wie damals in seinen ANBU Tagen. Komisch, wie sie immer kamen, wenn er es am wenigsten erwartete oder wollte. Unangekündigt, unangenehm…   Aber niemals falsch…   ‚Sag mir Kakashi, wenn es darauf hinauslaufen würde, sich zu entscheiden, entweder die Regeln zu befolgen, oder das zu tun, was richtig ist, was würdest du wählen?‘   Vielleicht hatte es Asuma die ganze Zeit gewusst. Kakashi hätte schwören können, dass der Sarutobi irgendwo, irgendwie schmunzelte.    Besser wäre es. Immerhin hast du mich auf diesen Weg geschubst.   Rückblickend betrachtet hätte Asuma ihn wirklich wegen all der Umwege warnen sollen. Aber auf der anderen Seite lag es auch nicht in Kakashis Natur, nach Richtungen zu fragen, wenn er sich auf dem Pfad des Lebens verlor.    Vielleicht ist meine Natur doch nicht so festgelegt, wie ich dachte…   „Kakashi?“, rief Pakkun.    Schwach lächelnd öffnete sich Kakashis rechtes Auge und Resignation zerrte an seinen Schultern, als er den Kopf hob, tief Luft holte und seinen Ninken mit einem entschlossenen Blick bedachte. „Sag mir alles, was du weißt“, befahl er. Und das tat Pakkun auch.    ~❃~   Ino hatte kein einziges Wort gesagt. Neji dachte nicht, dass das übermäßig seltsam war. Tatsächlich hätte er überhaupt nicht darüber nachgedacht, wenn Sakura ihm nicht ununterbrochen Blicke zugeworfen hätte, als wäre irgendwas nicht in Ordnung.    „Irgendwas stimmt nicht“, sagte Sakura und ihre behandschuhten Hände krümmten sich gegen ihre Ellbogenwärmer, als sie die Schultern gegen ein Erschauern nach oben zog.    Die Augen starr auf die offene Straße gerichtet stand Neji mit locker vor der Brust und in den Ärmeln seiner Robe verschränkten Armen da. Seine versteckten Hände krallten sich wie Eisenklauen um die straff gezogenen Muskeln seiner Unterarme und seine Finger bissen Quetschungen in die blasse Haut. Es hielt ihn davon ab, die Handflächen aneinander zu reiben. Vorhin hatte er sich selbst dabei erwischt, wie er diese unterbewusste, waschende Bewegung gemacht hatte. Als könnte er seine Hände von dem Chakra reinigen, das noch immer dort summte. Noch immer dort brannte.    Ist es mein Chakra…oder seines?   Der Gedanke wirbelte rastlos und zusammen mit all den anderen Fragen durch seinen Verstand. Doch in der Mitte dieses Mahlstroms fand Neji dieses eisige, unberührte Zentrum; ein Ort stumpfer Objektivität und rasiermesserscharfer Perspektive. Ein notwendiges Mittel zu einem unsicheren Zweck.    Ist es das, was du durchgemacht hast, Nara? Damals, als unsere Rollen vertauscht waren…   Damals, als Shikamaru der Drahtzieher und Neji die Mission gewesen war.    ‚Verdammt…fühlst du die Ironie jetzt?‘   Ein scharfes Knacken erscholl.    Es holte ihn von dieser bitteren Erinnerung zurück, den bitteren Worten und dem bitteren Lächeln, das Shikamaru getragen hatte, als er sie ausgesprochen hatte.   Ein winziges Stück drehte Neji den Kopf und sah, wie Sakuras Hacken Mini-Schlaglöcher in die harte Erde hämmerten. Ein Schwingen pinker Strähnen aus dem Augenwinkel und Neji spürte, wie ihr erwartungsvoller Blick ein Loch in seine Schläfe bohrte. Vielleicht hätte er der Diskussion von Tenten und Sai mehr Aufmerksamkeit schenken sollen, die sie über Fūinjutsu Techniken führten. Vielleicht hätte er Interesse für das Thema vorgetäuscht und so Sakura vollständig meiden können. Doch stattdessen hatte er sich in der Hoffnung auf etwas Frieden und Stille dafür entschieden, den Wachdienst zu übernehmen.   Absolut keine Chance dafür jetzt im Moment.   Doch die Dauer dieser Unterhaltung läge komplett in seiner Kontrolle. Gelassen blinzelte Neji und hielt seine Stimme ruhig. „Du vermutest, dass irgendwas mit Ino nicht stimmt“, sagte er.    Sakura nickte. „Ich habe sie noch nie so ruhig erlebt.“   Ich schon, dachte Neji, als er vergangene Meditationssitzungen reflektierte; und den essentiellen Zustand der Gelassenheit, den er unter Inos Leitung zu stärken gelernt hatte. Er hatte sich jeden einzelnen Tag auf diese Gelassenheit berufen. Der Ruhepunkt war da. Die Gelassenheit war da. Aber der Frieden hatte ihn verlassen. Der Frieden war fort.    „Es passt nicht zu ihr, sich so zurückgezogen zu benehmen“, fuhr Sakura fort und begegnete seinem Blick mit einem bedeutungsschweren Heben der Brauen. „Ich habe versucht, mit ihr zu reden, Neji. Aber sie hat mir gegenüber total dicht gemacht.“   Neji ließ diesen defensiven Ausdruck völlig kommentarlos über sich ergehen und seine Aufmerksamkeit richtete sich auf das Objekt von Sakuras leisen Tönen und Seitwärtsblicken. Ino hatte sich etwas weiter über die neu gebaute Tenchi Brücke bewegt und stand abseits der Gruppe, wo sie die blassen Arme über das breite rote Geländer gekreuzt und die Finger unter ihrem Kinn verschränkt hatte. Sie schien hinunter in die tiefe Schlucht zu starren, wobei ihr Profil von den langen blonden Strähnen verdeckt wurde, die sich in der Nachmittagsbrise hoben und senkten – zusammen mit ihrem langen blassen Shinobi Mantel.    Langsam ließ Neji seine Augen über den Umhang wandern.    Wenn schon sonst nichts, dann war das auf jeden Fall seltsam.    Es war kein Geheimnis, dass Ino dazu tendierte, mehr Haut zu zeigen als die Durchschnittskunoichi. Dass sie sich jetzt dazu entschlossen hatte, einen knöchellangen Mantel über ihrer üblichen schenkelhohen und bauchfreien lilanen Aufmachung zu tragen, hatte ein paar Augenbrauen gehoben, mehr aber auch nicht.   Auf keinen Fall hatte es irgendwelche roten Flaggen in Nejis Verstand gehisst. Und ganz davon abgesehen, wenn eine Kleiderordnung jemals eine Sache gewesen wäre, dann wäre Naruto schon vor Jahren rausgeflogen.    Orange. Jetzt mal im Ernst.   „Es ist komisch, oder?“, drängte Sakura. „Sie hat kaum ein Wort gesagt, seit wir aufgebrochen sind.“   Ruhig fuhr Neji fort, Ino zu mustern und seine weißen Augen zogen sich nachdenklich zusammen. „Du denkst, Ino ist zu einem anhaltenden Schweigen nicht in der Lage?“, fragte er letztendlich mit einer Stimme, die einen winzigen Hauch von Belustigung in sich trug.    Seufzend wurde Sakuras Blick flehend. „Neji.“   Etwas harsch hob Neji eine Hand und begann sich umzudrehen, um Distanz und Autorität zwischen sich und den Ausdruck in Sakuras Augen zu bringen. „Gib Acht auf die Straße“, befahl er, während er sich über die Brücke in Bewegung setzte.    Als er sich Ino näherte, machte er keinerlei Anstalten, seine Schritte zu verschleiern. Mit einem ankündigenden Rascheln trat er neben sie, während er seine Hände aus den Ärmeln zog und sie auf dem Geländer aneinander legte. Für eine Weile stand er einfach nur da; teilte Raum, respektierte aber die Stille. Immerhin hatten sie das schon gemacht. Minuten verstrichen und ließen sich mit leutseliger Leichtigkeit in den Lücken nieder, die Worte oder eine müßige Unterhaltung vielleicht gefüllt hätten.    Hoch über ihnen zog ein Schwarm Gänse vorbei; tief unter ihnen gurgelte das schlammige Wasser voran.    Schniefend schüttelte Ino den Kopf. „Du bist der einzige Kerl, den ich kenne, der es schafft, dieses Schweigen Ding zu machen, ohne dass es peinlich oder unbeholfen wird“, murmelte sie letztendlich und drehte ihre Wange gegen ihre gefalteten Arme, um ihm einen spöttisch-argwöhnischen Blick zuzuwerfen, doch ein weiches Schmunzeln verbarg sich darin. „Hat Hinata dich unterrichtet?“   Einer von Nejis Mundwinkeln bog sich in einem Lächeln. „Sei nicht so bescheiden.“   Mit rund werdenden Augen hoben sich Inos Schultern ein wenig und Farbe legte sich über ihre Wangen. Rasch wandte sie den Blick ab und stierte erneut hinunter in die Schlucht, bevor sie ein kleines atemloses Lachen ausstieß. „Zu blöd, dass ich Shikamaru nicht unterrichten kann. Wie jemand, der so klug ist, so ahnungslos sein kann. Wobei zumindest Chōji ein bisschen weniger unbeholfen ist. Normalerweise findet er einen Weg, damit ich mich besser fühle.“    „Besser fühlen wegen was?“, fragte Neji sanft, während er starr geradeaus sah.    Ino antwortete nicht, suchte Schutz hinter ihrem Haar und verbrachte einen langen Moment damit, sich dort zu verstecken, bevor sie wieder das Wort ergriff: „Erinnerst du dich daran, was du zu mir gesagt hast, als ich dir von dem Jungen aus meiner Kindheit erzählt habe?“   „Naoki“, entsann sich Neji. „Ich erinnere mich.“ Ja, das tat er. Er erinnerte sich an die schmerzerfüllten, aber ehrlichen Gefühle, die diese Unterhaltung ausgelöst hatte. Seltsam, wenn man bedachte, dass er jetzt überhaupt nichts fühlte, außer ein taubes Empfinden von Distanz. Seine Worte waren hölzern; wie einstudiert. „Ich erinnere mich, dir gesagt zu haben, dass ich niemals jemanden vergessen oder ablehnen würde, von dem ich glaube, er hätte den Kurs meines Lebens beeinflusst, oder einen bedeutungsvollen Part in meiner Entwicklung gespielt.“   „Aber was, wenn du es nicht mit Sicherheit weißt? Ist es wert, Menschen zu verletzen, um es herauszufinden?“   „Ist es den Schmerz wert, den es dir verursacht, weil du es nicht weißt?“, konterte Neji ohne Umschweife und neigte den Kiefer, um nach unten und zu ihr hinüber zu sehen. „Hast du herausgefunden, wie er gestorben ist?“   Für einen Moment schwieg Ino. „Noch nicht.“   Es gab eine Geschichte zu dieser Sache. Oder zumindest noch mehr, das zu den Kapiteln gehörte, die sie bereits mit ihm geteilt hatte. Aus dem Augenwinkel musterte er sie, war aber bedacht darauf, nicht irgendetwas mehr in der Stille zu lesen oder zu fragen. Er musste das Buch in dieser Angelegenheit schließen, denn er hatte mehr als genug Material, über das er nachdenken musste; wegen der Mission, wegen…   Shikamaru.   Ein leises Wispern; der Klang seiner Handflächen, die sich in dieser verfluchten, waschenden Bewegung aneinander rieben. Stirnrunzelnd hörte Neji sofort damit auf und verschränkte so hart die Finger, dass die Knöchel weiß hervor traten.    „Ich brauche deine volle Konzentration bei dieser Mission, Ino“, sagte er und ließ den klebrigen Sumpf persönlicher Beziehungen hinter sich, um den festen Untergrund von Rang und zugewiesenen Rollen zu betreten. „Verstehst du?“   Er hatte nicht wirklich erwartet, dass sie das tat. Als sich Ino also mit scharfen und klaren Augen von der Brüstung aufrichtete, musste Neji angesichts der plötzlichen Professionalität zweimal hinsehen. Er versteckte seine Überraschung gut, als sie seinen Arm berührte und ihn anlächelte.    „Du hast es erfasst. Danke, Neji.“   Gestelzt nickte Neji; er war sich nicht so ganz sicher, was er gesagt oder getan hatte, um sich diese Dankbarkeit zu verdienen. Hatte er sie nicht gerade abgewürgt? Doch kaum hatte er aufgehört, über diese unerwartete Reaktion zu grübeln, da explodierte auch schon eine weitere auf der offenen Straße. Neji wandte sich gerade in dem Moment um, um sehen zu können, wie Sakuras Faust direkt in Narutos ungeschütztem Kiefer einschlug. Es war ein Schlag, der den Uzumaki in einem sich überschlagenden Fuchteln von Gliedmaßen zurück über die Straße katapultierte.    Ein lautes bellendes Lachen. Kiba.    Nejis Augenbraue zuckte. Offenbar war ein Fall von Professionalität alles, worauf er hoffen konnte. Ruhig beobachtete er, wie sich die beiden Teams sammelten, Stimmen immer lauter wurden und sich Körper näherten. Stocksteif stand Ino neben ihm und er notierte sich mental die Tatsache, dass sie ihm direkt in den Fußstapfen folgte statt neben ihm zu laufen, als er sich umwandte, um sich dem ankommenden Team B zu nähern – als würde sie sich in seinem Schatten verstecken.    Doch ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.    Ein weiterer Schatten zog seinen Blick auf sich. Eine lange schwarze Ranke schlang sich fest um Sakuras Faust und Unterarm, um die nächste Tracht Prügel zu verhindern, die sie scheinbar austeilen wollte. „Du sollst dich auf kriminelle Aktivitäten konzentrieren, Naruto, nicht mit Kabuki Schauspielern flirten!“, knurrte sie und starrte Dolche in ihren zusammengekauerten Teamkameraden. „Um Kamis willen, was stimmt nur nicht mit dir?“   Grinsend streckte sich Kabi in einer trägen Dehnung über Akamarus Rücken. „Mann, ich wusste schon immer, dass ich recht hatte was dich angeht, Turteltaube.“   „Woher hätte ich denn wissen sollen, dass diese Mädchen Kerle waren?!“, quäkte Naruto, während er Chōjis Hilfe annahm, um auf die Beine zu kommen. „Es war genau wie bei Haku!“ Und dann schnellte er mit brennenden schnurrbärtigen Wangen und in verspäteten Anstoß zu Sakura herum. „Und ich habe nicht geflirtet! Ich habe Informationen gesammelt.“   „Darüber, wie man sich die Nase pudert?“, fauchte Sakura und stemmte sich gegen die Schatten, die sich immer noch hart um ihr Handgelenk schlossen; und inzwischen auch um ihre Knöchel. Sie warf Shikamaru einen mörderischen Blick zu. „Du lässt mich besser los, Shikamaru!“   Als der Schattenninja keinerlei Anstalten machte, nachzugeben, trat Neji nach vorn und teilte die Menge. Sein Blick begegnete Shikamarus und diese schmalen braunen Augen verschärften sich angesichts des Kontakts.    Neji hielt das Starren. „Das reicht, Nara. Lagebericht. Jetzt.“   Für einen trotzigen Herzschlag stierte Shikamaru zurück, hob dann aber die Hände und löste sein Jutsu. Die Schattenranke schrumpfte zurück und nahm etwas von dem Streit mit sich. „Abgesehen von der Kabuki Truppe gab es nichts Außergewöhnliches“, sagte Shikamaru, schob seine Hände in die Taschen und schirmte seinen Blick mit diesem Halbmast Ausdruck ab, von dem es Neji weit besser wusste, als ihn für bare Münze zu nehmen. „Alle Lieferstationen, die wir überprüft haben, berichten nur von dem üblichen Verkehr. Wer auch immer diese Chimären transportiert hat, hat Vorkehrungen getroffen, um Wegzölle und Zeugen zu umgehen. Ich gehe entweder von einem Untergrundsystem aus oder von einem Umschiffen über die Flüsse.“   Vorausdenkend wie immer. Neji neigte leicht den Kopf und seine weißen Augen wanderten über die Gruppe, um die anderen dazu einzuladen, etwas zu sagen. „Shino?“   Der Aburame hob den Kopf, als er angesprochen wurde, hatte Shikamarus Bericht allerdings nichts hinzuzufügen außer Zustimmung. „Wie Shikamaru schon gesagt hat; wir haben es mit irgendeinem heimlichen Handel zu tun. Es ist außerdem sicher anzunehmen, dass wir es mit einem Oligopol zu tun haben.“   Kiba schnitte eine Grimasse. „Ein Oligo-was?“   „Sieh es wie ein Drogenkartell“, simplifizierte Shikamaru es. „Wenige Lieferanten, hohe Nachfrage. Diese Chimären sind nicht gerade ein nullachtfünfzehn Handelsgut.“   „Das gilt auch für die Pflanzen“, ergriff Ino das Wort, als sie sich neben Chōji stellte, bis sich ihre Schultern berührten. Es war ein fast schon kindlicher Zwang – Kontakt, Beruhigung. Neji machte sich eine weitere mentale Notiz darüber, bevor er sich auf das konzentrierte, was Ino sagte. „Ich habe noch nie so gefährliche oder exotische Hybriden gesehen.“ Ganz leicht berührte sie Shikamarus Ellbogen. „Und vergiss nicht diese Nahrungspillen. Wir müssen über neuartige Drogen und Gifte nachdenken, nicht einfach nur über Monster oder Kampfbestände.“   Shikamaru nickte ihr zu und schien die Geste als Entschuldigung zu nutzen, um Ino rasch zu begutachten. Der leiseste Hauch eines Stirnrunzelns huschte über sein Gesicht, bevor seine Miene vollkommen ausdruckslos wurde. Für eine flüchtige Sekunde beäugte er ihren Mantel, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder der Gruppe zu. „Nahrungspillen, Gifte und unkontrollierte Bestien. Eine bunte Mischung, um es nett auszudrücken. Wir müssen anfangen, uns auf ein paar gemeinsame Nenner zu konzentrieren.“   „Abgesehen von diesem völlig bekloppten Lieferanten?“ Kiba setzte sich ein wenig auf und breitete die Arme aus. „Wie wär’s mit Krieg?“   Zweifelnd sah Tenten ihn an. „Aber glaubst du, jemand würde diese Chimären wirklich für einen gezielten Angriff als Waffe einsetzen? Das könnte nach hinten losgehen. Sie sind nicht genug domestiziert, um sie kontrollieren zu können.“   „Oder mit ihnen zu kuscheln“, sagte Ino, obwohl sie gleich darauf angesichts des Gedankens mit den Fingern schnippte. „Sekunde. Das ist gar nicht so weit hergeholt!“   Naruto warf ihr einen entsetzten Blick zu, aber Shikamaru legte interessiert den Kopf schief und nickte. „Weiter.“   „In Auftrag gegebene Kreaturen; einzigartige Bestien“, sagte Ino, rollte mit den Handgelenken und führte die Theorie weiter aus. „Private Trophäen. Entwirf deine eigenen Haustiere. Es ist ziemlich krank, aber auch ziemlich brillant.“   Kibas Augen zogen sich zusammen. „Jo, ich kann mir jemanden vorstellen, der krank genug ist, um die Zehennägel von Chimären lackieren zu wollen und sie wie einen Eisbecher zu dekorieren.“   Ino funkelte ihn zornig an, erwiderte aber nichts.    Ein wenig angeekelt von diesem Gedanken spähte Sakura zwischen den beiden hin und her. „Naja, was für ein Grund es auch war, sie wurden auf jeden Fall für irgendwas Großes gezüchtet. Die Artenvielfalt ist ziemlich breit.“   Für einen weiteren Moment hielt Kiba seine Augen auf Ino gerichtet, bevor er sie Neji zuwandte. „Du denkst, Kusa schickt Monster-Geschenktüten an andere Dörfer?“   Ist nicht auszuschließen.   Stirnrunzelnd merkte Neji das vor und sein Blick schweifte umher, während er nachdachte. „Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keine Vermutungen über die Verteilung anstellen. Auch wenn wir Suna ausschließen können. Der Kazekage hat uns versichert, dass sie keinerlei ungewöhnlichen Sendungen erhalten haben. Die Informationen von ANBU in Bezug auf die anderen Dörfer werden allerdings etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen.“   „Außer jemand sendet ganz speziell eine Nachricht an Konoha“, warf Tenten ein. Neji hob die Brauen und forderte dadurch eine Erklärung. Grinsend fügte sie hinzu: „Wie wär’s denn mit ‚meine Spielzeuge sind viel größer und besser und viel brillanter als eure‘?“   Nejis Mund zuckte leicht und ein Schatten von Belustigung huschte durch seine Augen. „Shikamaru? Irgendwelche Gedanken?“   „Einige. Aber einer nervt mich mehr als die anderen und das schon von Anfang an.“ Shikamaru tippte sich mit einer Faust gegen die Lippen, als er den Ellbogen in der anderen Hand hielt. „Falls Tenten recht haben sollte, was ich vielleicht vermute, warum dann keine Grußkarte mit der Geschenktüte schicken? Irgendeine Art der Signatur?“   Naruto blinzelte und warf ihm einen Seitenblick zu. „Und was? Deswegen erwischt werden?“   Shikamarus Braue hob sich in einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Genervtheit und Amüsement schwankte. „Du kapierst es nicht. Es gibt viele Wege, seinen Arsch zu decken und trotzdem eine eindeutige Botschaft zu hinterlassen. Denk an Akatsuki. Denk an Orochimaru. Schlag ein S-Rang Bingo Buch auf und du wirst eine ganze Reihe an Beispielen finden. Wir haben es hier mit sehr ernstzunehmenden Spielern zu tun. Keine Gesichter und auch keine Namen. Nicht wirklich ermutigend.“   „Was für eine Art zu motivieren, Shikamaru“, maulte Kiba. „Hast du denn irgendwelche Gesichter in deinem Buch der harten Kerle eingekringelt?“   Shikamaru schmunzelte leicht. „Ein paar.“   Narutos Augen verengten sich zu Schlitzen und seine Stimmer verzog sich zu einem Knurren. „War Orochimaru einer davon?“    Zögernd spähte der Schattenninja zu Neji.    Da er die alarmierende Veränderung in der Luft spürte, begegnete Neji Shikamarus Blick und schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. Der Nara blinzelte ein einziges Mal, um zu zeigen, dass er verstanden hatte und wandte sich sofort wieder Naruto zu, um ihn rasch von diesem Weg abzubringen. „Orochimaru ist untergetaucht. Ich bezweifle sehr, dass er so kurz nach seinem Zusammenreffen mit dir mit seinen Spielzeugen herum fuchteln würde.“   „Auf jeden Fall“, schaltete sich Neji ein und nahm den Faden ohne Umschweife auf, bevor Naruto protestieren konnte, „bleiben Motiv und Intention unbekannt. Wir werden das alles sehr genau berücksichtigen müssen, wenn wir das Kusa Konzil befragen. Anschuldigungen sind in diesem frühen Stadium des Spiels keine Option.“ Noch einmal begegnete er Shikamarus Blick und hielt ihn. „Wir werden das äußerst vorsichtig spielen müssen, Nara. Jede Andeutung von Krieg und -“   Shikamaru wischte die Warnung beiseite und Verärgerung biss sich in seine Worte. „Stolperdrähte und Tretminen, Hyūga. Ich weiß, wie man das Spiel spielt.“   Langsam hob Neji die Brauen. Es war ein Ausdruck, der sagte: Als wüsste ich das nicht.   Shikamarus Kiefer zuckte. Erneut tippte er sich mit der Faust gegen den Mund, schloss für einen Moment die Augen und fuhr dann fort, als hätten sie nicht gerade ungesehene Schläge ausgetauscht. „Abgesehen von den Nahrungspillen und dem ganzen ‚Waffen des Krieges‘ Ding, hat Ino durchaus recht, was die exotische Anziehungskraft der Chimären angeht.“   Kiba schnaubte spottend: „Bitte was?“   Mit leuchtenden Augen sah Sai auf. „Es stimmt. Wenn du dir ein paar der Chimären näher anschaust, dann findet man interessante mythologische Referenzen, die mit diesen willkürlichen Hybriden zusammengewürfelt wurden; geflügelte Echsen, gehörnte Pferde -“   „Die märchenhafte Art von Zeug?“, fragte Naruto, während er wimmernd seinen geschwollenen Kiefer anstupste. „Hast du deswegen diese komischen Phantasiebücher mitgenommen?“   Nickend justierte Sai den Riemen seines Rucksackes. „Bestienmythologie ist eine beliebte Thematik in Literatur und Kunst. Ich habe gelesen, dass sie von großer religiöser spiritueller Bedeutung sind.“ Er machte eine kurze Pause, bevor er – aus irgendeinem Grund – seinen Blick bei den nächsten Worten auf Shikamaru richtete. „Ich wurde schon viele Male damit beauftragt, Shinjū Bilder zu malen.“   Shikamarus Faust hörte auf zu tippen und seine Augen wurden weit.    Bei dieser Reaktion zog sich Nejis Inneres zusammen; er hatte diesen aufgeschreckten Ausdruck schon einmal gesehen. Obwohl sich diesmal nicht die Furcht oder Panik früherer Vorfälle zeigte, bemerkte er definitiv ein Luftanhalten und einen schneller werdenden Puls. Neji runzelte ein wenig die Stirn, versuchte, Shikamarus Blick einzufangen, musste aber feststellen, dass die Augen des Schattenninjas jeden Fokus verloren hatten und irgendwo zur Seite abschweiften, als sein Verstand nach etwas suchte.    Nach was? Einer Antwort? Einer Erinnerung?   „Stimmt irgendetwas nicht, Shikamaru?“, fragte Sai und sprach Nejis Besorgnis mit einem Ton nichtssagender Unschuld aus, die überhaupt nicht zu der Art und Weise passte, mit der er Shikamarus Miene musterte.   Misstrauisch zogen sich Nejis Augen zusammen und seine Aufmerksamkeit drohte, sich aufzuteilen. Bohrte Sai nach etwas? Oder interpretierte Neji einfach viel zu viel in die Eigenarten eines anderen ANBU Agenten hinein?   Das ist kein ANBU Drill. Es bringt dir keine Punkt ein, deine Teamkameraden bei Fehlern zu ertappen.   Energisch riss sich Neji am Riemen. Sai war sein Kamerad, nicht seine Konkurrenz. Das war kein kompliziertes Szenario des ANBU-Hauptquartiers, bei dem ihm ein Messer in den Rücken gerammt wurde, um seinen Eifer zu testen und seinen Verstand durcheinander zu bringen. Shikamarus Stimme zog ihn energisch von seinem eingebildeten Argwohn zurück.    „Shinjū…“ Shikamaru sprach das Wort mit einem abgelenkten Kopfschütteln aus. „Ich habe dieses Wort schonmal gehört…“   „Erinnerst du dich daran, wo das war?“, fragte Neji mit neutraler Miene, auch wenn seine Gedanken alles andere als das waren. „Sagt es dir etwas?“   Verwirrt zogen sich Shikamarus Brauen zusammen. Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht.“   „Es bedeutet göttliches Biest“, übersetzte Sai mit seinem Blick starr auf Shikamaru gerichtet.    „Göttlich?“, spottete Kiba. „Das ist echt das letzte Wort, mit dem ich diese Dinger beschreiben würde. Ganz sicher arbeiten die nicht für irgendeinen Gott.“   „Das mindert aber nicht ihren Reiz, oder?“, warf Ino ein. „Wenn die Leute wüssten, sie könnten ein Einhorn, einen Drachen oder einen Pegasus in Auftrag geben, glaubst du nicht, dass das einen neuen Markt eröffnen würde?“   Naruto rümpfte die Nase. „Willst du damit sagen, dass die Leute diese Viecher haben wollen würden, weil sie schönsind? Hast du das Ding gesehen, das Kiba und ich geköpft haben? Wer zur Hölle würde schon eine gigantische Kakerlake als Haustier haben wollen?“   Alle Augen wandten sich Shino zu.    Und Naruto erbleichte, während seine Augen angesichts des Summens, das um die Ärmel des Aburame schwirrte, rund wurden. Aber statt anzugreifen gaben die Käfer nur ein synchronisiertes Dröhnen von sich; ein Geräusch, das sogar für ein völlig ungeübtes Ohr die Resonanz von Musik in sich trug. „Du scheinst die Leute durch die gleiche kurzsichtige Linse zu sehen, die du auch bei der Welt der Insekten anwendest“, sagte Shino leise und legte die Hände aneinander, um die Kikaichū Käfer in ihre Mitte zu locken, wo sie sich zu einem unmittelbaren Stillstand sammelten. „Wo der eine Schönheit sieht, sieht ein anderer eine Bestie. Das Gegenteil ist genauso wahr. Auf dem Schwarzmarkt könnten die Chimären einen hohen Preis erzielen.“   „Also wir könnten uns neben machthungrigen Dörfern vielleicht auch noch mit dem ein oder anderen machthungrigen Spinner rumschlagen müssen, der einen Fetisch für alles hat, was irgendwie verdrehte Scheiße ist, huh?“ Kiba hielt inne und warf Naruto einen vorsichtigen Blick zu. „Aw. Schätze, du bist immerhin nicht allein.“   „Oi, halt’s Maul. Du verwandelst dich mit Akamaru in einen zweiköpfigen Cerberos. Du könntest als eins von diesen Dingern durchgehen!“   „Cerberos hat drei Köpfe, Hohlbirne.“   Energisch hielt Neji seine Zunge im Zaum, ließ seinen Blick schweifen und gestattete der Kameraderie, ihren Lauf zu nehmen, als ein Kichern durch die Gruppe huschte; solange Kibas Humor dazu diente, zusammenzuschweißen, statt zu entzweien, dann konnte er die Possen des Hundeninjas und Narutos Clownerie zulassen. Er brauchte es, dass alle im Einklang arbeiteten. Und angesichts seiner eigenen Anweisungen musste er einen Anschein an Tarnung aufrecht erhalten. Es wäre überhaupt nicht gut, unnötigen Groll auf sich zu ziehen; nicht, wenn er es vermeiden konnte.    Er sah zurück; direkt in Shikamarus dunkle und schwelende Augen.    So viel dazu, Groll zu vermeiden. Langsam blinzelnd ließ Neji seinen Blick den Zirkel entlang wandern und ergriff das Wort, um sich davon abzuhalten, nicht schweigend zurück zu starren. „Wir werden wie geplant weiter nach Norden gehen. Wir werden in der nächsten Hafenstadt übernachten und uns dann direkt zu dem Treffpunkt mit den Kusa-Boten an der Kannabi Brücke begeben. Unsere Unterhaltung mit dem Daimyō wird dann entscheiden, wie wir von dort aus weitermachen.“   Mit Vorsicht, fügte sein Verstand hinzu. Mit extremer Vorsicht.   Gefahr verdunkelte den Horizont in seinem Verstand; eine Vorahnung, die er beschattet in Shikamarus Augen gesehen hatte. Eine Vision dunkler Wolken und distanzierten Donners, zerknüllte Laken und rollende Körper. Fluchend rammte Neji das Fenster zu diesen Erinnerungen zu, ignorierte das Flackern und die Flammen hinter dem Glas.    Mit Eis in seinen Augen wandte er sich ab.    Es war Zeit, sich in Bewegung zu setzen.    ~❃~   Kakashi hatte sich nicht bewegt. Nicht einen einzigen Muskel. Er hockte am Rand des niedrigen Metalltisches, hatte die Ellbogen auf den Schenkeln abgelegt und ließ die Hände zwischen die Knie baumeln. Den silbernen Kopf hatte er nach vorn und leicht zur Seite kippen lassen – als würde Pakkun noch immer reden; als würde er immer noch zuhören.    Eine Sphäre der Stille schien ihn zu umgeben und die Hintergrundgeräusche sickerten in gedämpften Wellen zu ihm; Kotetsus unbeschwertes Pfeifen; das leise Zwitschern von Lachen den Korridor hinunter; die kreischenden Beine und das ächzende Herumziehen von Möbeln; das scharfe Hämmern von Nägeln, als Izumo noch mehr Schilder anbrachte.    Und dann erklang Pakkuns Stimme in einem weichen Rumpeln: „Kakashi.“   Langsam blinzelte Kakashi und hielt seinen Blick auf einen Fleck ausgeblichenen Linoleums fixiert – ein dumpfes Artischockengrün. Er schluckte und seine Stimme war heiser und leise. „Ich verstehe…“   Pakkun sah mit eingezogenem Kopf zu ihm auf, seine nassen Augen waren weit und suchend. „Was willst du jetzt machen?“   Und da war es. Was er tun wollte vs. was von ihm erwartet wurde. In beiden Punkten fühlte er sich vollkommen ratlos. Ganz sicher hatte er das nicht erwartet oder gewollt. Kopfschüttelnd verzog Kakashi das Gesicht über die Starre in seinem Nacken und setzte sich zurück, als seine Hände seine Schenkel umklammerten und sich seine Schultern gegen das Gewicht krümmten, das er auf sich genommen hatte.   „Es ist noch nicht zu spät, das loszulassen“, sagte Pakkun und klang dabei in etwa so überzeugt wie er aussah – nämlich gar nicht.    Kakashi begegnete dem besorgten Blick seines Ninken und sein graues Auge bog sich in der schwachen Imitation eines Lächelns. Sie konnten sich nicht gegenseitig täuschen. „Ich glaube, du hast dir ein paar freie Tage verdient.“   Doch Pakkun wedelte nicht einmal mit dem Schwanz. „Um mir die Eier zu lecken und die Zeit totzuschlagen? Bei dieser Sache kannst du mich nicht in die Hundehütte verbannen, Welpe.“   Und diesmal lächelte Kakashi wirklich, was allerdings nur dazu führte, dass sich die Masse pelziger Falten noch tiefer über Pakkuns sorgenvollen Augen zusammenzogen. Wie viele Male war er bereits der Hintern-kauenden Gnade dieses Blickes ausgeliefert gewesen? Wie viele Male hatte er schon versucht, ihn mit falscher Freude und scheinbarer Gleichgültigkeit abzuschütteln? Es war nicht so, als hätte Pakkun ihn nicht vor diesem Chaos gewarnt. Aber auf der anderen Seite war es nicht das erste Mal, dass seine eigenen animalischen Instinkte gegen die animalischen Instinkte seines Rudel antraten. Der einzige Unterschied war, dass ihre Instinkte vollkommen auf seinen Schutz ausgerichtet waren. Seine Sicherheit.    Meine geistige Gesundheit…   Wie viele Male hatten sie ihn von dieser Kante zurück geholt? Wie viele Male hatten sie ihn bis zum Rand des Wahnsinns verfolgt, um Dämonen zu jagen, die nur in seinem Verstand existierten? Wie viele Male hatten sie zugesehen, wie er den Mond niederheulte, hungrig nach Fühlen, die Geister von Freunden und Familie anrufend, die alle viel zu früh gegangen waren?   Und wie viele Male habe ich ihnen dafür gedankt?   Er konnte sich an keinen einzigen Augenblick erinnern. Aber warum sollte er auch? Einer der vielen Segen, die sein Rudel ihm brachte, war ein Sinn von Absolution…von Akzeptanz. Seine Angst vor dem Verlassenwerden hatte sich niemals auf sein Rudel erstreckt. Sie konnten auf eine Weise vergeben und vergessen, wie es Menschen nicht tun würden…und sie würden auf eine Weise lieben und loslassen, wie es Kakashi nicht konnte.    Völlig egal, wie sehr ich es versuche…   Als er so auf das faltige Stirnrunzeln von Pakkun hinunterblickte, kam die Zuneigung, die er für seinen streitsüchtigen kleinen Hund empfand in einem plötzlichen Rausch. Nur betrachtete er es diesmal nicht als unbeholfenes Stolpern von Emotionen. Nicht als einen Ausrutscher, von dem er sich erholen musste. Und anders als auf dem Dach der Hokage Residenz, wusste Kakashi diesmal ganz genau, was er tat, als er sich nach vorn beugte, um seinen Ninken liebevoll hinter dem Ohr zu kraulen. Die Zuneigung war sanft in seinem Blick und rau in seiner Stimme. „Danke“, hauchte er.    Vollkommen aus der Bahn geworfen blinzelte Pakkun – eine Reaktion, die sie einte, gemessen daran, dass Kakashi keine Ahnung hatte, was er jenseits dieses Punktes tun würde. Zumindest nicht in Bezug auf diese Situation mit Mushi.    Mit Inoichi…   Und noch wichtiger als beides…   Mit wer zur Hölle auch immer du bist…Tenka…   ______________________ Glossar: Fūinjutsu: "Versiegelungstechniken". Ein Jutsu, das Objekte, Lebewesen und Chakra zu versiegeln. Tenten und Sai nutzen dieses Jutsu Kabuki: Eine Form traditionellen japanischen Theaters, bekannt für die Stilisierung ihrer Dramatik und das aufwendige Make-up der Schauspieler (Meistens nur Männer) Oja, Kakashi kommt dem ganzen Geheimnis immer näher...ob das so gut ist?  Ich hoffe auf jeden Fall, dass es spannend bleibt! ;)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Kapitel 10: Walls are crumbling ------------------------------- Wenn sich eine Tür schloss, dann öffnete sich irgendwo ein Fenster. Oder irgendwie so ging dieser Spruch. Genma entschied sich allerdings für die Tür, da er sein Glück nicht mit irgendeinem Fenster auf die Probe stellen wollte. Der Frust über das Versagen darin, durch das letzte zu schwingen, kochte noch immer in ihm – zusammen mit der Säure, die in seinem Magen gurgelte.    Er musste wirklich was essen.   Zusammengekauert am Ende des Ganges, wo summende gelbe Quadrate von Deckenlampen in Schatten erloschen, spähte Genma den Weg zurück, den er gekommen war. Keine Störung, keine Aktivität. Ninja Mieter waren unterwegs. Privatsphäre – einer der vielen Gründe, aus denen er diesen ruhigen Wohnkomplex ausgesucht und zu schätzen gewusst hatte, als er damals hier gelebt hatte; ein weiterer war die Tatsache, dass Genma das Schloss sogar im Dunkeln knacken konnte, wenn er betrunken war, doppelt sah. Glücklicherweise war er genug ausgenüchtert, um einen Türknauf mit Schlüsselloch vorzufinden statt zweien. Als er das Schloss musterte, stellte er fest, dass es sich nicht verändert hatte. Ein seltsames und kindisches Empfinden von Beruhigung flatterte durch ihn; als hätte er diesen Ort niemals verlassen.    Nur hast du das getan.   Und es war nicht das Einzige, was er zurück gelassen hatte.    Mit finsterer Miene wegen des bittersüßen Geschmacks in seinem Mund nahm Genma das Senbon von seinen blutigen Lippen und schob es in das Schlüsselloch.    Er hatte keine Zeit, an dem Schloss zu rütteln.    Der Knauf drehte sich und die Tür schwang auf. Raidō sah auf ihn hinunter; ohne Shirt und nur in Jogginghose, eine Tasse Kaffee dampfte in seiner freien Hand. Er hob eine Braue. „Was um alles in der Welt machst du da?“   Mit pochendem Herzen hinter den Rippen linste Genma durch seine Wimpern nach oben und war doch etwas stolz über die Tatsache, dass er nicht halb so schockiert oder dumm aussah, wie er sich fühlte, so mit den Händen ausgestreckt um leeren Raum geschlossen. Langsam griff er nach vorn, um sein Senbon aus dem Schloss zu ziehen und ließ die Nadel ein paar Mal über seine Finger wirbeln, während er sich auf die Füße stemmte. „War nostalgisch.“   „Du hast immer noch einen Schlüssel.“   „Hatte einen Schlüssel.“ Genma war sich ziemlich sicher, dass der vor circa sechs Monaten entweder von seiner Katze oder von seiner Wohnung verschluckt worden war. Wenn er nicht in einem verkrusteten Klumpen Katzenscheiße an irgendeiner Straßenecke begraben war, dann vermutlich in den Eingeweiden seines verrottenden Dielenbodens – zusammen mit all den anderen Teilen seines Lebens.    Raidōs Augen zogen sich ungeduldig zusammen.    Zeit ist Geld…   In falscher Unschuld breitete Genma die Hände aus. „Hätte vorher anklopfen sollen.“ Bei Raidōs ausdruckslosem Blick legte er den Kopf schief und versuchte sich an einem Schmunzeln. „Ich weiß, dass du ein Freund von Manieren bist.“   Stirnrunzelnd musterte Raidō ihn für eine lange suchende Sekunde – wahrscheinlich katalogisierte er die Hämatome, die Narben, die blutunterlaufenen Augen – dann schritt er zurück in seine Wohnung und überließ es Genma, ihm zu folgen. Es war nicht wirklich eine Einladung, aber auch nicht wirklich die Abweisung, die er erwartet hatte.    Nimm es oder lass es bleiben.   Er würde nehmen, was auch immer er kriegen konnte – und das schloss seinen verdammten Gehaltsscheck ein.    Bring es einfach hinter dich.    Entschlossen schob Genma seine Hände tief in die Taschen und steckte sich das Senbon wie eine Zigarette zwischen die Lippen, sog aber an Blut statt an Rauch, während er hinterher schlurfte und sich mit den Zehen die Schuhe von den Füßen streifte. Gerade eben hatte er keinen Witz gemacht. Raidō war ein Freund von Manieren. Eins der vielen Dinge, wegen denen Genma ihn in der Vergangenheit gerne mal aufgezogen hatte.    Die Vergangenheit…   Verdammt. War es das, was ihre Nicht-Partnerschaft jetzt definierte? Alte Zeiten? Energisch trat Genma den Funken der Reue aus, drehte sich, um den Wohnbereich betreten – und erstarrte.   Das Apartment hatte sich verändert.    Raidō spürte offenbar sein Innehalten und blieb halb im Wohnzimmer stehen, während seine nackten Füße wispernd über den weichen cremefarbenen Tatami Boden strichen. Fort waren die gelbgrünen Matten, an die sich Genma erinnerte. Das kratzige, verwitterte Stroh war jetzt weich, nahtlos und eingefasst in Streifen tiefen Waldbrauns. Schlanke Truhen und Gitterregale säumten die Wände; Wände, die inzwischen in einem Ton zwischen Vanille und blassem Safran gestrichen waren. Es fügte Wärme hinzu, wo der Raum vielleicht zu groß, zu kalt und zu nackt in seinem Minimalismus gewirkt hätte. In seiner Ordentlichkeit.    Shit.   Mit von Seite zu Seite tickendem Senbon spähte Genma zu den neu installierten Lichtern und seine Brauen hoben sich, als er einen langsamen Kreis durch den Raum zog, um das Dekor in sich auf zu nehmen, die Unterschiede und die Distanz zwischen Räumen, die vorher nie existiert hatte. So viel renoviert. So viel neu angeordnet. Es ließ Genma sich fragen, was Raidō sonst noch entfernt hatte.    Oder ersetzt…   Er sog einen weiteren Atem ein und erhaschte einen schwachen Duft. Blumen. Ein verficktes Orchideen Arrangement. Bei dem umgebauten Alkoven blieb er stehen und musterte das exotische Drehen und Winden der Stiele, die sich ineinander verwoben wie die Gliedmaßen von Liebhabern. Er warf Raidō einen schiefen Blick zu. „Haste dir ne Freundin zugelegt, die du beeindrucken willst?“   Raidō lächelte nicht und nahm einen Schluck seines Kaffees. „Miete ist hochgegangen.“   Was bedeutete, dass ein neuer Mieter einziehen würde. Ob Freundin oder nicht, fragte Genma nicht. War nicht seine verdammte Angelegenheit. Achselzuckend vollendete er seinen trägen Rundgang und kam wieder bei der Tür an, wobei sein Blick dorthin wanderte, wohin er nicht gehen würde; an Raidō vorbei in Richtung des Ganges, der zur Küche, dem Bad und den Schlafzimmern führte.    Mit Sicherheit hat er die Tafel sauber gewischt…   Was genau das war, was Genma auch mit seiner Miene zu tun versuchte – diese mürrischen Linien zu glätten, die sich in sein Gesicht gruben. Wohin zur Hölle würde es ihn schon bringen, sich wie ein Kind aufzuführen, das unangekündigt und uneingeladen auftauchte und erwartete, sein Zimmer würde noch genauso aussehen, wie er es zurückgelassen hatte, als er vor zwei Jahren einem Elternteil gegenüber Fahnenflucht begangen hatte?   Elternteil? Verfickte Scheiße. Mushi hätte einen ganz großen Tag damit…   Die nächste Sache, die Raidōs Mund verließ, half da auch nicht gerade: „Wann hast du das letzte Mal gegessen?“   Mit blitzendem Senbon hoben sich Genmas Lippen an einem Winkel. „Du kannst dir einfach nicht helfen, oder?“   „Kann scheinbar auch dir nicht helfen“, murmelte Raidō, während er sich in die Küche zurückzog. „Kaffee?“   Na klar, füg dem ganzen Chaos auch noch Koffein hinzu…   Als wäre er nicht schon aufgedreht genug.   „Jo“, rief Genma und folgte Raidōs Schritten mit noch immer in den Taschen vergrabenen Händen. Die Ellbogen hatte er eng an den Körper gezogen und die Schultern gehoben, um nicht gegen die Flurwände zu streifen – als würde er vielleicht einen Fleck hinterlassen…einen Fleck, der sich nicht fort waschen ließe.    Er schritt an seinem alten Zimmer vorbei – die Tür war geschlossen – und passierte auch Raidōs, bevor er in die Küche trat. Sandfarbene Fliesen brannten wie Eis unter seinen Füßen. Mit einer Handfläche strich er über die Arbeitsfläche und suchte nach dem Briefregal. Es war fort. Auch die alte Arbeitsplatte, das alte schmuddelige Laminat, war jetzt geputzt und glänzte in Granitoptik; es war ein gesprenkeltes Beige und Braun.    Genma hob seine Hand und widerstand dem Drang, die Oberfläche abzuwischen, um seine Fingerabdrücke zu beseitigen.    Gewohnheit.    Paranoia…   Er stützte seine Ellbogen zurück gegen den gegenüberliegenden Tresen und beobachtete, wie Raidō eine Tasse aus dem Hängeschrank holte, bevor er den Kaffee einschenkte; schwarz wie Mitternacht, mit waberndem Dampf, der ein schweres, nussiges Aroma mit sich trug, das einen würzigen Kick auf der Zunge versprach – und ein Geschwür.    „Wie nimmst du ihn?“, fragte Raidō.    Schmunzelnd zog Genma das Senbon aus dem Mund und presste die Lippen um einen kruden Scherz zusammen. Jetzt war wirklich nicht die Zeit dafür; auch wenn es früher der Ort gewesen war. „Wie immer.“   Raidō griff nach einem Zuckerwürfel und versenkte ihn in dem Kaffee; winzige Sterne in einem samtigen Gebräu. Als müsste er überhaupt fragen. Er wusste ganz genau, wie Genma seinen Kaffee zu sich nahm, nämlich genau so, wie Genma die meisten Dinge in seinem Leben nahm – bittersüß und brennend heiß.    Raidō wandte sich um und streckte ihm die Tasse entgegen – weiß und schimmernd, ohne Flecken. Genma richtete sich auf, rieb mit den Händen über die Rückseiten seiner Schenkel, um eingebildeten Schmutz fort zu wischen und eine Hand um die Tasse zu legen. Er genoss das Brennen gegen seine Handfläche. Es schlug das Frösteln, das über seine Wirbelsäule kroch; das eisige Empfinden der Entfremdung. Das kalte Wissen, dass er diese Distanz erschaffen und keine Ahnung hatte, wie er sie überbrücken sollte.    Rede über die Arbeit.   Er hätte lachen können.    „Ich habe mit Ibiki gesprochen“, sagte Raidō seelenruhig.    Mit der Tasse an den Lippen erstarrte Genma. Dampf verbrühte sein Gesicht und der scharfe Geruch von Kaffee brannte in seinen Nasenflügel – oder vielleicht war es auch sein Gewissen, das unter Raidōs Starren geröstet wurde.    Verfickte Scheiße – Ibiki?   Vollkommen benommen fiel Genma in die Rolle eines vollendeten Schauspielers und ein langsames Schmunzeln schlich sich über seine Lippen, um die Panik zu verbergen, die durch seine Augen kroch. „Ibiki, huh?“ Er stieß ein freudloses Lachen aus, das über die Oberfläche seines Getränks rauschte und den Dampf verscheuchte. „Hat er dir geraten, mich übers Knie zu legen?“   Raidōs Miene zuckte, bevor er sich abwandte. Die Muskeln in Rücken und Schultern spannten sich an. „Fuck, Genma.“   „So direkt, huh?“   Angesichts dieser aalglatten Erwiderung wirbelte Raidō herum und hielt dicht zusammengelegten Daumen und Zeigefinger einen Zentimeter vor Genmas grinsendes Gesicht. „Ich bin so kurz davor. So kurz davor. Schubs mich nicht.“   Als könnte er Raidō noch weiter fort schubsen, als er es bereits getan hatte. Mit sich zusammenziehender Kehle setzte Genma seine Tasse ab und strich mit den Handflächen in einem entspannten Schwung über den Tresen. Sein Schmunzeln schnitt sich etwas tiefer, wurde etwas dunkler. „Was, Rai? Das alles, nur weil ich nicht die verfickte Klingel benutzt hab?“   „War das auch der Spruch, mit dem du den Wachmann abgespeist hast, als du in dieses Ryokan eingebrochen bist?“, attackierte Raidō, drückte einen Finger gegen Genmas Schläfe und schob heftig. „Was verfickt nochmal hast du dir dabei gedacht?“   Den Kopf zur Seite geneigt krümmten sich Genmas Finger mit weißen Knöcheln heftig um die Kante der Arbeitsplatte, um sich davon abzuhalten, ruckartig nach oben zu greifen und Raidōs Handgelenk zu brechen. Irgendwo in den hintersten Winkeln seines Verstandes kauerte der alte ANBU Killer rotäugig und blutdurstig in einem rostigen Käfig. Langsam nahm er einen ernüchternden Atemzug durch die Nase. „Fass mich nicht nochmal an.“   „Oder was? Gehst du dann auf mich los?“, fauchte Raidō weiter; vollkommen ahnungslos von der Linie, die er beinahe überschritten hätte. Ahnungslos von dem Käfig, den er beinahe geöffnet hätte. „Ich bin überrascht, dass du noch nicht in eine Kneipenschlägerei mit reingezogen wurdest. Aber auf der anderen Seite bist du ein einsamer Säufer, oder nicht? Mach nur und greif nach der Flasche, Genma. Heutzutage scheint das deine Waffe der Wahl zu sein.“   Unbeirrt hielt Genma den Blick seines Freundes. „Fass mich nicht nochmal an“, wiederholte er flüsterleise.    Erstaunt starrte Raidō ihn an, zog sich ein wenig zurück und ließ seinen Blick über Genmas Gesicht wandern, als würde er einen Fremden sehen. Der Zorn verschwand aus seiner Stimme und aus seinen Augen. „Ich wusste, auf was ich mich einlasse, als ich dein Partner wurde, Genma. Ich wusste, dass du Dämonen hattest und ich wusste, dass du Schäden hattest. Und für zwei Jahre habe ich es dabei belassen. Für zwei Jahre habe ich deinen ‚Stell-keine-Fragen‘-Schwachsinn respektiert. Aber jetzt spreche ich dich darauf an.“   „Weil ein selbstgerechtes Arschloch, das mir eine psychiatrische Evaluation verpasst, nicht genug ist, huh?“   „Nein. Weil es das ist, was Partner tun.“   Ein übles, hohles Gefühl öffnete sich in Genmas Inneren. Scharf sog er die Luft ein, blickte Raidō direkt in die Augen und zielte mit Senbon-spuckender Präzision auf Nerven, als sich seine Lippen zu einem hässlichen Feixen verzogen. „Partner? Ist es wirklich das, worum es hier geht, Raidō? Du vermisst es, jemanden zu haben, mit dem du ‚Zuhause‘ spielen kannst?“   Raidōs Kiefer zuckte, aber er schluckte den Köder nicht. „Du redest über psychiatrische Evaluation, aber ich weiß, dass es nicht Tsunade-sama war, die dich in Mushis Stuhl verpflanzt hat.“   „Und wie zur Hölle könntest du das wissen?“   „Weil ich es letzte Woche mit Shizune überprüft habe“, gestand Raidō ohne auch nur ein Zucken von Reue.    Genmas Herz taumelte und beschleunigte dann seinen Schlag zu einem tiefen Pochen an seinen Schläfen. Shizune? Gott. Hart stierte er Raidō an, suchte nach einer Lüge, fand aber nichts außer grimmige Herausforderung und gefährliche Wahrheit. Seine Lippen formten sich zu einem Knurren. „Verfickter Regelverstoß, Namiashi. Bei euch beiden; dir und Shizune.“   „Was hast du erwartet? Professionelle Höflichkeit? Die Art, mit der du den Rest von uns abspeist? Über die letzten Monate hast du mich oft verarscht, aber wie sich rausstellt, hast du die Bedeutungen von ‚Freunde ficken‘ bei Shizune auf ganz neue Level gebracht. Ich hab echt nicht gedacht, dass du ein derartiger Bastard bist.“   Schuldgefühle packten Genma und rissen einen blutigen Klumpen aus seinem verrottenden Gewissen. Er trat ihn fort; zusammen mit der Scham, der Krankheit. Eine Krankheit der Seele, die nicht einmal Shizune heilen konnte. Sie hatte es versucht. Süßes Mädchen. Süße Liebhaberin. Zu süß und lieb, um seine Finsternis händeln zu können, zu geblendet von der Irrlicht-Flamme, die hinter seinen Augen geisterte, um zu realisieren, dass sein Licht bereits vor Jahren erloschen war. Und dennoch hatte er sie angelockt, glauben wollend…fühlen wollend…wollend…wollend…   Genma schloss die Augen. Doch als er sie wieder öffnete, waren sie hart und tot wie beflecktes Messing. „Sie ist ein großes Mädchen“, biss er hervor. „Sie wusste, was für ein Mann ich war. Was für ein Mann ich bin.“   „Ich glaube, nicht einmal mehr du weißt, was für ein Mann du bist, Genma. Und willst du wissen, was noch schlimmer ist? Sie gibt einen feuchten Dreck darauf.“ Raidō stieß einen erstaunten Atem aus und seine Stimme wurde leise, als er sich nach vorn beugte. „Shizune hat dich nicht verraten, weil sie sie darüber angepisst ist, wie du sie behandelt hast. Tatsächlich hat sie hinter dem Rücken der Hokage die Informationen gesucht und gefunden, um die ich sie gebeten habe; weil sie sich immer noch um dich sorgt. Sie sorgt sich genug um dich, um deine Geheimnisse zu bewahren…genauso wie ich.“ Eine pointierte Pause, in der Raidōs Schulter mehrere Zentimeter absackte und er sich mit einem langsamen Kopfschütteln zurückzog. „Ich hätte meine Hände von dieser Scheiße sauber waschen können und einen Wechsel ersuchen können, hätte mir einen neuen Partner beschaffen können; schon vor Monaten. Aber das habe ich nicht. Ich bin für dich eingesprungen. Wieder und wieder.“   „Weil es das ist, was Partner tun“, sagte Genma gedehnt und löschte die Flammen seines eigenen Selbsthasses mit einem kalten bitteren Lächeln. „Muss man dich nicht einfach behalten?“   Raidōs Augen verdunkelten sich, doch der Schmerz schimmerte hindurch. „Der einzige Regelverstoß, den ich begangen habe, ist, dass ich deinen lügenden Hintern nicht an die Hokage verpfiffen habe.“   Furcht verkrampfte sich in Genmas Eingeweiden und sein Magen verdrehte sich. Unter trägen Lidern sah er Raidō an und zuckte mit den Achseln, ohne auch nur den leisesten Hauch von Besorgnis zu zeigen. „Ist das eine Drohung?“   „Muss ich eine machen?“   Eine Sackgasse. Ein kalter, harter Stillstand, den nicht einmal Genma lösen konnte. Es gab keine Senbon-scharfen Worte, um sie in die winzigen Löcher zu schieben, die in Raidōs Defensive existierten. Das würde an mehr als nur Nerven zwicken. Es würde Blut vergießen. Und bei all dem Blut an seinen Händen, wäre Genma nicht in der Lage, den Fleck fort zu waschen, den die Fassungslosigkeit seines Partners hinterlassen würde…seine Enttäuschung…seine Abscheu…und Kami bewahre, seine vollkommene Verzweiflung darüber, was aus Genma geworden war. Selbst jetzt, als er in Raidōs dunkle, zweifelnde Augen blickte, fragte er sich, ob es nicht bereits zu spät war.    Ich kann es nicht wieder gut machen…   Verrückt, wie ihn diese einzige traurige Tatsache so verfickt hart traf. Hatte er es nicht bereits die ganze Zeit gewusst? Hatte er sich nicht an einem Band festgehalten, das er bereits durchtrennt hatte? Gott wusste, dass er bereits weggerannt war. Er hätte niemals hierher kommen sollen; musste Raidō jetzt nur ansehen, um sich daran zu erinnern, warum er vor zwei Jahren gegangen war. Um vermeiden zu können, noch eine weitere Lüge ertragen zu müssen, einen weiteren Blick…   Einen weiteren Verlust…   Der Schmerz schwoll in einer giftigen Zyste in ihm an. Besiegt sah Genma mit angespannter und unlesbarer Miene zur Seite weg. Er griff nach seinem Kaffee, nahm einen letzten Schluck von dem Gebräu – ein Trankopfer, ein Lebewohl – und setzte die Tasse mit einem leisen Klack auf dem neuen glänzenden Tresen wieder ab. „Du tust, was du tun musst, Raidō“, murmelte er, richtete sich auf und wandte sich der Tür zu, während das Schwellen in seiner Brust bis in seine Kehle aufstieg. Scheiße. Er brach auseinander.    Er brauchte was zu Trinken...   Er brauchte eine Pille…   Er musste sich schneller bewegen, denn auf halbem Weg durch das Wohnzimmer blockierte Raidō ihm den Weg und packte ihn an den Schultern. Er sah aus, als wollte er ihm an die Gurgel gehen.    Mach nur, schrien Genmas Augen, auch wenn sein Mund ganz andere Worte formte: „Nimm deine Hände weg.“   Doch Raidōs Finger bissen sich nur noch tiefer, hielten ihn noch fester. „Bring mich dazu, es zu bereuen, du Hurensohn. Bring mich dazu, zu glauben, dass es falsch war, dich nicht aufzugeben.“ Kopfschüttelnd wurden die Linien seines Gesichtes herausfordernd. „Oder noch besser, bring mich dazu, zu glauben, dass du das nie von mir gebraucht hast.“   Brauchen…   Genma schluckte rau und hob die Brauen in grausamen, spöttischen Hohn. „Ich glaub ich spinne, Partner. Sieht aus, als würdest du Mushis Sofa mehr brauchen als ich.“   Und daraufhin Raidō ging ihm an die Gurgel; schlang eine Hand um Genmas Hals und rammte ihn gegen die nächste Wand. Er prügelte damit die Luft in einem zerfetzten Husten aus dem Mund des Shiranui, das sich zu einem sinnlichen Lachen gegen Raidōs Lippen verwandelte. „Guter Weg, mich anzuturnen, Rai. Aufgemischt zu werden ist genau meine Art der Romantik.“   „Fick dich, Genma“, fauchte Raidō gegen seinen Mund. „Du bist ein gottverdammter Feigling. Du kannst die Tatsache nicht ertragen, dass sich Leute wirklich um dich kümmern, um dich sorgen. Hast du deswegen Shizune so gefickt? So wie du versuchst, mich jetzt zu ficken?“ Er drückte Genmas Kehle noch härter, um irgendwelche anzüglichen Konter abzuschneiden und sein Daumen grub sich hart gegen die straffen Sehnen. „Bedeutet dir unsere Freundschaft denn gar nichts? Dass du so weit gehen würdest, diese Freundschaft zu pervertieren…das abzufucken, wie ich für dich als mein Partner fühle…als mein Freund…bist du wirklich so tief gesunken?“   Tiefer. Viel zu tief, um sich jemals davon zu erholen, um es jemals wieder gut zu machen. Genma stierte Raidō mit den kalten, toten Augen des ANBU Agenten an, der er einst gewesen war.    Immer noch bin…immer sein werde…   Weil er nicht gehen konnte, nicht loslassen konnte, nicht nachlassen konnte, nicht für eine Sekunde, denn…   ‚Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime. Und jetzt schwöre es.‘   Der Schmerz schwoll noch heißer hinter seinen Rippen an, warnte vor einem Riss, das Drohen einer Infektion…   Gott, nicht hier…nicht hier…   Nicht mit Raidō.    Ein plötzlicher Mangel an Luft – der überhaupt nichts mit der Hand um seine Kehle zu tun hatte – und Genma griff nach oben, legte seine zitternden Finger um Raidōs Handgelenk und stierte hart in das vernarbte Gesicht seines Freundes. „Gib’s auf“, würgte Genma hervor. „Ich bin nicht der Mann, den du kanntest.“   „Da hast du verdammt nochmal recht.“ Ein bebender Atem und Raidō lockerte seine Finger. Ein kalter machtloser Zorn fraß sich um den ausgehungerten Ausdruck von Verwirrung in seine Augen. „Ich habe dich für eine Menge Dinge gehalten und das aus vielen Gründen, aber ganz bestimmt habe ich dich niemals für einen selbstsüchtigen Drecksack gehalten!“   Lachen. Es brach aus Genmas Rachen wie die Pein in seiner Brust. Der Abszess platzte giftig und schwarz auf – die Reaktion war so explosiv, so plötzlich, dass es Raidō fassungslos dazu brachte, Genma vollkommen loszulassen und nach hinten zu taumeln, als wäre der Wahnsinn, der in den Augen seines Freundes aufflammte, irgendwie ansteckend.    Genma sackte gegen die Wand, krümmte sich gegen die Qual nach vorn…und noch immer lachte er…lachte…lachte…   „Mein Gott, Genma…“, hauchte Raidō zerfetzt, während sich eine Gänsehaut über seine Arme ausbreitete. „Was um alles Welt ist nur mit dir passiert?“   Genma blieb vornüber gebeugt und seine Hände packten seine bebenden Schenkel, während die Asche ersterbenden Lachens von seinen Lippen fiel; zusammen mit einem einzigen Wort, das ihn bis in den innersten Kern erstochen hatte. „Selbstsüchtig?“, wisperte er mit einer Stimme, die zu einem Krächzen verbrannt war. Er hatte erwartet, von Raidōs Zorn, verbrannt zu werden…aber nicht, davon eingeäschert zu werden.    ‚Was um alles in der Welt ist nur mit dir passiert?‘   Die Frage hing wie eine Klinge über Genmas Nacken. Es würde nicht viel brauchen, um das zu Ende zu bringen. Seinen Kopf zu heben, die Wahrheit auszuspucken und seine eigene Kehle durchzuschneiden. Wortwörtlich gesprochen hätte er das bereits vor Wochen tun sollen, als Asuma ihm eine Grabenklinge an die Halsschlagader gehalten hatte. Es wäre in jeder Hinsicht eine Win-Win Situation gewesen. Eine Last, die von dem Verstand von jedem genommen worden wäre; Raidō, den Ältesten, Ibiki und all den Freunden, die er verletzt, benutzt, belogen hatte, weil er nicht stark genug war, um die Versprechen zu tragen, die ihm anvertraut waren…die Menschen, die ihm anvertraut waren…   Ein Aufflammen violetter Augen und Genmas Hinterkopf schlug bei der Erinnerung an dieses Gesicht hart gegen die Wand.    Ich hätte an diesem Tag mit dir sterben sollen…   Ein Teil von ihm war auch gestorben; der Teil von ihm, der nicht schon Jahre zuvor gestorben war - das erste Mal.    Wir haben zehn Jahre verloren…für nur zwei Tage…   Und dann hatten sie zwei Tage an das Rauschen kostbarer Sekunden verloren. Sekunden, die durch Genmas Finger geflossen waren…genau wie Blut.    „Genma.“ Raidō war ihm jetzt sehr nahe. Auf den Knien hockte er direkt neben ihm.    Nur war Genma nicht da. Nicht wirklich. Verloren in Erinnerungen hielt er die Handflächen nach oben und sah es alles erneut…seine Hände auf eine offene Wunde gepresst. Das Blut, das dick und rot daraus hervor pumpte…und diese Stimme, die tiefen Töne bebend und weich an seinem Ohr…   ‚Scheiße…nie ist genug Zeit, um es richtig zu machen…um es nochmal zu machen. Du weißt, wovon ich spreche…‘   ‚Hör auf zu reden und steh auf.‘   Das hatte er nicht getan. Er war einfach nur dagelegen und war verblutet…diese violetten Augen nach oben auf Genmas Gesicht gerichtet, als würde es irgendeine Art des Himmels versprechen, irgendeine Art der Ruhe vor dieser Hölle, in die sie geraten waren. Und alles, was Genma hatte denken können, war zehn Jahre…zwei Tage…zehn Jahre…zwei Tage…tu mir das nicht nochmal an…   ‚Steh auf, verdammt nochmal. Hier wird es sicher nicht enden.‘   ‚Du hast Recht. Du wirst leben. Nimm den Jungen. Nimm den Jungen und geh.‘   Und das hatte Genma getan. Aber in der Sekunde, in der er Shikamaru dort hinaus getragen hatte, hätte er zurückgehen sollen. Er hätte die Trümmer auseinander reißen sollen. Hätte sich in den schwelenden Schmutz der Asche seines Liebhabers legen und die Dunkelheit kommen lassen sollen. Es hätte die Leere in ihm beendet, hätte das Krebsgeschwür herausgeschnitten und es davon abgehalten, sich auszubreiten…zwei Jahre lang hatte es sich ausgebreitet…und doch hätte er es auf der Stelle beenden können. Keine Tode mehr, keine geteilten Pflichten mehr, keine Doppelleben mehr, keine Enttäuschung und keinen Schmerz mehr darüber, das Leben derer zu berühren, die er noch immer liebte, aber bereits verloren hatte.    ‚Ich sehe das Nichts in dir. Die Dunkelheit ist tief eingedrungen, nicht wahr?‘   Mizugumos Worte. Fuck, vielleicht hatte diese gestörte Hexe Recht. Vielleicht war es die Dunkelheit, die er die ganze Zeit gejagt hatte; die Drogen, der Alkohol, der Schaden…der langsame Verfall…der langsame, langgezogene Tod des Mannes, der er einst gewesen war…der er wieder sein wollte.    Zu spät…zu spät…   Raidōs Hand berührte seinen Kopf.    Und Genma zuckte zusammen, realisierte, dass er wie ein Tier auf den Hinterbeinen kauerte und die Handflächen gegen die Schenkel gepresst hatte. Kein Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Keine heimgesuchten, lilanen Augen. Sein Puls hatte sich beruhigt. Der erstickende Schmerz in seiner Brust war fort. Da war nur die Leere, das ausgehöhlte Loch, das er kannte und verstand.    Das Nichts…   „Warum?“, fragte Raidō leise.    Langsam und schwer blinzelte Genma, während sein Kopf in Raidōs Händen lollte. Ein heftiges Schütteln und er sah hinauf in das blasse, nasse Gesicht seines Partners und in dunkle, qualerfüllte Augen. Er sah den Kummer, die Angst, die Verwirrung…   Den Verlust…   „Warum tust du das?“, knurrte Raidō mit einer Stimme, die vor Tränen schwer war.    Unfähig, seine Kehle zu bewegen, starrte Genma einfach nur. Er hatte seinen Partner niemals weinen sehen. Das Loch in ihm wurde noch größer und die Fäulnis streckte sich aus. Die Luft in seinen Lungen wurde dünner und pfiff durch seine klappernden Zähne. Er spürte, wie seine Finger zuckten und sich die Muskeln unter dem Klammern seiner bebenden Hände ruckten. Gott, er brauchte einen Schuss.    Und Raidō brauchte Worte.    Es gibt keine Worte, nur Taten…   Energisch ebnete Genma seine Atmung, hob die Hände und legte seine Finger um Raidōs Handgelenke, um sich Balance suchend daran festzuhalten. Während er die Augen gegen den perplexen Blick seines Freundes schloss, lehnte er sich auf den Ballen seiner Füße nach vorn und presste seinen Mund gegen Raidōs Stirn. Seine Worte rollten heiser und leise gegen die sanft zusammengezogenen Brauen. „Reich diesen Partnerwechsel ein. Wir sind fertig.“   Raidō versteifte sich.    Schwer schluckend drückte Genma ein letztes Mal seine Lippen gegen Raidōs Stirn, bevor er sich fort schob und ihn der Stille überließ, ihn dem Schock überließ…ihn verließ.    ~❃~   Der Fluss strömte nordwärts durch ein unendliches Waldmeer, schnitt einen felsigen Kurs durch Kusagakures üppige Wildnis und verspottete die nicht existenten Pfade, die auf der gelblichen topographischen Kriegskarte markiert waren, die Shikamaru in Händen hielt.    Zeit ist so nervig.   Und hartnäckig. Sechzehn Jahre seit dem Dritten Shinobi Krieg und die Natur hatte alle Spuren wieder für sich beansprucht, die die kämpfenden Nationen in ihren weiten und grünen Schoß gehackt hatten. Sie hatte kartierte Fußwege und alte Versorgungsrouten geschluckt. Sich auf ihre menschliche Abrissbirne berufend, hatte Chōji eine breite Schneise in das kopfhohe Gras gemäht, um ihnen einen Weg zu ebnen.    Doch unglücklicherweise bedeutete es, durch sumpfige Gebiete zu stapfen, wenn man sich so nah am Fluss hielt, was wiederum Shikamarus Verstand dazu brachte, sich erneut dem schwammigen Untergrund zuzuwenden, der in einem nassen Quetschen unter ihm nachgab. Schlamm spritzte um seine Füße herum auf und braune Blasen gurgelten.    Shikamarus Kiefer zuckte heftig. „Hurensohn.“   Sich durch hohes Gras und verhedderte Schlingpflanzen zu hacken war ja die eine Sache. Knöcheltief in stinkenden Matsch zu sinken, der die Farbe und Konsistenz von Scheiße hatte, war einfach nur gottverdammt unnötig. Diese Prüfung des Schlammwatens hätte vermieden werden können, wenn Neji ihm einfach nur zugehört hätte und sie alleauf eins von Sais geflügelten Tintenbiestern hätte springen lassen, die über ihren Köpfen Kreise zogen. Aber nö. Der Hyūga wollte ebenso sehr Füße am Boden wie Augen im Himmel. Ungeachtet Nejis eiskalter Miene, hätte Shikamaru schwören können, dass diese frostigen Hyūga Augen mit einem Hauch sadistischen Genusses gefunkelt hatten.   Tz. Zumindest bin ich nicht der Einzige, der hier leidet…   Niemand genoss diese Herausforderung.    Dicht hinter ihm stieß Ino ein tiefes Knurren aus, bevor ein scharfes Klatschen das Ableben eines weiteren Insekts signalisierte. Wie gut, dass sich Shino einen fliegenden Ritt mit Sakura, Tenten und Neji geschnappt hatte. Der Käferninja hätte eine Schwindsucht erlitten, gemessen an der Geschwindigkeit, in der Ino um sich schlug und klatschte. Nicht, dass sie in ihrem Krieg gegen die Insektenspezies allein gewesen wäre; Shikamaru war sich ziemlich sicher, dass er einen Gutteil des Schwarms verschluckt hatte, der um seinen Kopf schwirrte.    Phantastisch.   Kiba hatte bei seiner vorherigen Beurteilung nicht unrecht gehabt: Das hier unten war der feuchte Traum eines Entomologen. Aber die sechsbeinigen Krabbler waren nicht die einzigen Dinger, die diesen verschissenen kleinen Abschnitt Sumpftopia bevölkerten; enorme Pilze ragten aus dem Schlamm und ihre breiten Schirmtrauben waren mit bunten Flecken übersät. Mangroven schlängelten ihre rauen, geschwollenen Wurzeln mit der vollen Absicht durch den Sumpf, nach ahnungslosen Knöcheln zu schnappen. Und Kadaver, sowohl von Tieren als auch Pflanzen, lugten in unregelmäßigen Abständen mit gelben Knochen und verrottenden Baumstämmen aus dem Boden; Opfer eines Terrains, das dazu entschlossen war, alles Leben in seine schwarzen suppigen Eingeweide zu saugen.   Das war ein langer, LANGER Tag.   Sogar Naruto hatte angefangen zu erlahmen. Trotz der Idiotie der vergangenen paar Stunden, spürte Shikamaru einen Stich des Mitgefühls für den gelbhaarigen Schwachkopf, wenn man bedachte, dass Naruto der Einzige gewesen war, der wirklich einen Plan entworfen hatte, um sich aus dieser Jauchegrube zu befreien. Dieser Plan hatte das Trampolinspringen über die Rücken gigantischer, schwammiger Pilze beinhaltet, um sich so mit rudernden Gliedmaßen darum zu bemühen, auf Sais dämlichen Vogel zu hüpfen. Doch jedes einzelne Mal war Naruto zurück in die Hölle auf Erden gekracht, bis er letztendlich in sich selbst versunken war – und im Sumpf – wie in einem schwarzen Loch.    Armer Kerl…   Kiba hatte Shikamarus Mitgefühl nicht geteilt.    Keine Überraschung.   Der Inuzuka fand das ganze Spektakel geradezu zum Totlachen. Oder zumindest war das so gewesen, genau bis zu dem Punkt, an dem Narutos vermisster Rucksack wie ein gottgesandter Meteorit vom Himmel gestürzt war und ihn direkt auf den Kopf getroffen hatte. Das war es dann auch für den Hundeninja gewesen. Nicht einmal der Vorteil, auf Akamaru reiten zu können, hatte ihn vor der mürrischen Stimmung retten können, die ihn überkam; zusammen mit einer Wolke blutsaugender Insekten, die von dem Verband angezogen wurden, der um seinen Kopf gewickelt war.    Das hat uns gerade noch gefehlt…Malaria, das uns während der ganzen Mission in den Arsch beißt…   An Ino zu appellieren hatte überhaupt nichts gebracht. Sie hatte sich strikt geweigert, Kiba zu heilen, was ihnen wirklich so gar keine Punkte an der Front der Teamarbeit einbrachte. Es war ein lästiges Problem, das Naruto nur verschlimmerte, indem er eine pervers kranke Geschichte erzählte, in der es um Kakashi und ein paar Klöten ging – oder waren es Glöckchen? – und um Sakura, die jemanden mit dem Löffel fütterte, der gefesselt war, während Sasuke zusah…   Ernsthaft?   Shikamaru hatte ziemlich schnell auf stumm geschaltet. Er mochte die Richtung nicht, in die sich diese Geschichte bewegte – und das war noch bevor Kiba angefangen hatte, über minderjähriges Bondage, unverhohlenen Voyeurismus und vulgäre Anspielungen über Kakashi-senseis wackelnde Klöten – oder Glöckchen - zu krakeelen.   Ugh…und dieser Tag wird einfach nur besser und besser…   Energisch sammelte Shikamaru die Energie zusammen, einfach weiter zu kämpfen und zerrte seine Gedanken von seinen quäkenden Teamkameraden fort, um seine Augen auf Chōji zu richten. Ein schwaches Lächeln legte sich auf die Lippen des Schattenninjas. Der Akimichi trottete ein gutes Stück voraus; wie ein Leuchtfeuer für ihre erlahmenden Geister. Seine Rüstung schimmerte in einem glühenden Orange unter der leuchtenden Fackel eines bernsteinfarbenen Himmels.    Verdammt. Jetzt schon?   Die Abenddämmerung fiel schnell um sie herum – und nur die Vogelbrigade wusste, wie viel weiter sie noch marschieren mussten. Seufzend hob Shikamaru den Kopf und der Schweiß auf seinem Gesicht kühlte sich ab, als er das Whoosh von Schwingen über sich spürte. Es zog seinen Blick höher, wo Sais geflügeltes Tier segelte. Die weichen tintigen Linien schwebten auf der Brise. In einem trägen Beobachten beschrieb es über ihnen Kreise und eine der fünf Silhouetten, die auf dem weißen Rücken saßen, winkte ihnen ermunternd zu.    Shikamaru widerstand dem Drang, ihnen den Mittelfinger zu zeigen.    „Argh!“ Hinter ihm stampfte Ino auf den Boden. „Oh na klar, flieg einfach, wieso auch nicht? Ich fass es nicht, dass sie uns einfach in diesen Abwasserkanal geworfen haben. Das werde ich Sakura sowas von heimzahlen.“   „Ich denke, du hast was das Heimzahlen angeht schon genug Schaden angerichtet“, seufzte Shikamaru, als er die nutzlose Karte in seine Rückentasche stopfte. „Außerdem wurden Münzen geworfen, Ino. Sakura hat fair und anständig gewonnen.“   „Fair und anständig wie ihre fette Stirn“, blaffte Ino. Inzwischen hatten sich ihre Stimmung und Wortwahl an die Landschaft angepasst – und an die wachsende Legion von Fliegen. „Und ich rede nicht vom Münzen werfen, Genie. Ich rede von dem Schweinestall Kommentar. Nicht, dass ich gerade nicht wie eins rieche, wenn ich durch diese ganze Scheiße watscheln muss!“   „Na schau sich das einer an, liebe Leute. Die Prinzessin hat ein schmutziges Mundwerk“, triezte Kiba vom Ende ihrer traurigen und erbärmlichen Prozession und seine Stimme war bissig vor Irritation. „Du bist nicht die Einzige hier die leidet, Süße.“   „Oh halt’s Maul Kiba. Du riechst bereits wie ein Hund.“   „Oh wirklich? Tut mir leid. Ich habe aber auch so ein bisschen meinen Bezugsrahmen verloren, weil der einzige Hund hier immer noch riecht wie ein verficktes Stiefmütterchen!“ Akamaru bellte seine Erniedrigung heraus. „Wenn es dasist, was du für Sakura auf Lager hast, dann, bitte, verfickte Scheiße nochmal, verbock es, denn sie würde es absolut lieben.“   Ino stieß dieses schrille, bösartige kleine Lachen aus, das Shikamaru innerlich das Gesicht verziehen ließ. „Als wüsstest du, was Frauen wollen!“, spottete sie. „Oh! Jetzt hab ich einen Plan. Ich sollte sie auf ein Date mit dirschicken. Von diesem Trauma würde sie sich niemals erholen.“   „Mann, biete mir doch wenigstens irgendwas, Prinzessin. Zumindest weiß ich, dass Sakura nicht wie ein Mädchen schlägt.“   Ein gurgelndes Katzenjaulen und Shikamaru blieb keine Zeit, das Ergebnis vorherzusehen, bevor es auch schon in einem Spritzen an den Rückseiten seiner Beine explodierte; dank einer Yamanaka Ino, die wie ein durchgedrehtes Rad im Schlamm herum wirbelte. Die Hände in die Luft werfend blieb Shikamaru abrupt stehen und schnellte an der Hüfte herum, seine Füße blieben aber wie an Ort und Stelle festzementiert. „Augh! Würdet ihr zwei endlich aufhören…“ Perplex erstarben seine Worte.    Ino stand in einer Szene schieren Zorns wie festgefroren da, hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Beine gespreizt. Zumindest war es das, was er vermutete, bis er realisierte, dass Erstens: sie nicht atmete und Zweitens: Inos Gesicht kreidebleich war, statt diesen vernichtenden Ausdruck der Yamanaka-Rage zu zeigen.    Selbst Kiba war blass geworden und seine Tattoos glühten praktisch, als sämtliches Blut aus seinem Gesicht wich. Stocksteif saß er mit weiten Augen auf Akamaru und krallte die Finger in das plüschige Fell seines Ninken. Glotzend stand Naruto mit hängendem Kiefer neben ihnen, obwohl winzige Mücken in seinen Mund ein und aus flogen.    Stirnrunzelnd setzte Shiakamaru zum Sprechen an, wurde dann aber vollkommen regungslos.    Er hörte es, bevor er es sah; ein sanftes Summen, das Härchen aufstellte.   Ein winziges Stück drehte er den Blick und gesellte sich prompt zu seinen Teamkollegen, was das schwachsinnige, graugesichtige Gaffen anging. Offensichtlich hatte Inos Schlammpirouette deutlich mehr angerichtet, als Schlamm zu verspritzen – sie hatte den gesamten tödlichen Korb eines Pappmasche Wespennest freigelegt.    Oh Gott.   Das war vielleicht ein Monster von einem Nest.    Und natürlich befand sich ihr Insekten Experte gerade in der Luft.    Das Summen wurde zu einem Dröhnen und nahm an Lautstärke zu, als der aufgeregte Schwarm im Innern begann, sich gegen die Seiten seines Findling-großen Zuhauses zu stemmen und um einen Ausgang durch den Matsch kämpfte.    Quiekend beugte sich Ino nach vorn und begann ernsthaft, Dreck mit ihren Händen über das Nest zu schaufeln. „Ein bisschen Hilfe wäre nett!“   Kiba hob die Hände und klatschte langsam.    Und Shikamaru knurrte ihn an. „Verdammt, Kiba!“   „Was denn? Ich werde Mami-Biene ganz sicher nicht anpissen. Ich weiß ja nichtmal, was das für eine Spezies ist. Kennst du die Horrorgeschichte, die Shino mir erzählt hat? Nein? Die enden alle mit geschwollenen Eiern und Todeskämpfen. Und mit Akamaru, der wie ein Blumenladen riecht? Auf keinen Fall werde ich ihn ‚einen fürs Team‘ einstecken lassen.“ Mit einem Finger deutete er auf Naruto. „Und denk nichtmal dran, du Blödhammel. Ich will nicht noch eine perverse Anekdote über Bindungssitzungen von Team 7 hören.“   Komischerweise schien das einzige, mit dem Naruto gerade eine Bindung eingehen wollte, eine gute Idee zu sein. Mit überraschendem Einfallsreichtum war er auf die Schultern eines seiner Schattenklone geklettert und bahnte sich bereits huckepack einen Weg um die Gefahrenzone herum, indem er noch mehr Helfer heraufbeschwor und jedes Mal dann auf einen anderen Träger übersprang, wenn ein Klon im Matsch stecken blieb. „Ich hol Chōji! Er wird das Ding schon loswerden.“   Mit dem schlitzäugigen Blick von wachsendem Neid und widerwilligem Respekt sah Shikamaru ihm nach.   Schätze, dass ich nicht schreiend das Weite suchen kann…   Obwohl Chōjis übergroße Handfläche als gigantische Fliegenklatsche die Chancen ausgleichen würde. Dafür würde er Naruto einen Punkt verbuchen müssen. Konohas Schwachkopf überraschte ihn doch gelegentlich.   „Shikamaru!“, kreischte Ino ihn an.    Zusammenzuckend hob der Schattenninja seine Füße aus dem Schlamm und kam seiner Teamkameradin zur Hilfe, um ganze Hände voll mit Sumpfboden auf das inzwischen sirrende Nest zu schaufeln. Es sah aus, als würde es sich jeden Moment erheben oder mit der Kraft der Flügel explodieren, die darin schlugen.    „Kiba“, knurrte Shikamaru, während Schweiß sein Gesicht hinab rann und stach sich in seine Oberlippe. „Schwing deinen Arsch hier rüber und hilf uns, bevor das Ding abhebt!“   Der Hundeninja verschränkte die Arme. „Zauberwort. Und nicht von dir.“    Ino biss die Zähne zusammen und warf ihm einen mörderischen Blick zu.    Doch Kiba hob nur die Schultern und grinste träge. „Deine Entscheidung. Ich hoffe, du magst Pickel, Prinzessin, weil du wirst einige davon zum Ausdrücken haben, wenn dieses Ding anfängt, in die Luft zu gehen.“   „Du bist widerlich!“   „Ino!“, bellte Shikamaru mit flammenden Augen, als das Nest begann, sich selbst auseinander zu rütteln. Mit einem wilden Winken des Armes versuchte er, die Vogelbrigade auf sie aufmerksam zu machen. Aber er hatte kein Glück. „Shit.“   Und Kiba hatte auch ein wahres Wort gesprochen, was die Sache mit der ‚mysteriösen Spezies‘ anging. Wer zur Hölle wusste schon, was aus diesem Ding explodieren würde, wenn es aufplatzte? Oder wie groß die Viecher sein würden. Ganz sicher hatte Shikamaru noch nie in seinem Leben ein Wespen- oder Bienennest gesehen, das so riesig war…oder derart potentiell tödlich.    Hektisch spähte er über die Schulter.    Der Plan ‚Übergroße Fliegenklatsche‘ hatte eine Fehlgeburt erlitten. Narutos derzeitiger Packesel war hüfttief in einem Loch Treibsand versunken, wodurch der Jinchūriki heftig fuchtelnd um Balance kämpfte, während er gleichzeitig versuchte, mehr Klone herauf zu beschwören. Und Chōji – vollkommen ahnungslos von ihrer misslichen Lage – war einfach weiter gestapft wie ein gottverdammter Wegbereiter; mit schwingenden Armen und den Kopf in einem standfesten Vormarsch gesenkt.   Das Nest explodierte.    Zeit verlangsamte sich und dehnte Shikamarus Sinne zu einem verstärkten Level des Hyperbewusstseins aus. In Zeitlupe sah er die Geschehnisse in einer Aneinanderreihung von Bildern; Inos Miene, die sich von einem Knoten rotgesichtiger Rage zu einer Maske kalkweißen Horrors auflöste, als die schlammverkrusteten Teile des wabenförmigen Nestes um sie herum detonierten; ein rasender Schwarm zwanzig Zentimeter großer Wespen mit karmesinroten Körpern, die sich langsam erhoben, ihre unterteilten Leiber sammelten sich in einer Wolke tödlicher Streifen und durchscheinende schwarze Flügel vibrierten gemeinsam in einem schweißtreibenden Dröhnen; dann ein Brüllen, das so plötzlich und kurzschließend war wie ein Donnerschlag: Kiba.    „Tsūga!“   Aus völligem Reflex stürzte Shikamaru nach vorn, schlang seine Arme um Ino und wirbelte sie fort, gerade als Kibas Tunnelzahn in den Schwarm krachte. Es sog die Insekten in einen Tornado sich drehenden Chakras und trug sie in einem Wirbelwind über den Sumpf, bevor sie zusammen mit Kiba kopfüber in den mit Felsen gespickten Fluss stürzten. Wände aus Wasser türmten sich auf, bevor sie kollabierten und wieder nach unten taumelten. Das Krachen der Wellen schreckte sämtliche Vögel in der Umgebung auf.    In Shikamarus Armen erstarrte Ino mit weit auffliegenden Augen. „KIBA!“   Rasch packte Shikamaru ihren Mantel fester, während sein Herz in seiner Brust hämmerte. Es sprang geradezu in seine Kehle, als Akamaru mit einem jaulenden Bellen an ihnen vorbei stürmte und mit großen Sätzen auf den Fluss zusetzte. In völliger Fassungslosigkeit folgte der Schatteninja ihm mit den Augen. Kiba hatte nicht Gatsūga genutzt, was bedeutete, dass er weder die Abfederung noch das zusätzliche Chakra seines Ninken hatte, um die Geschwindigkeit seines Jutsus zu drosseln – das ihn gerade Kopf voran in ein von Raubtieren infiziertes Gewässer und rasiermesserscharfes Flussbett katapultiert hatte.    Sofort ließ Shikamaru Ino los und spurtete Schlamm aufspritzend dem Hund hinterher.    Warum sollte er etwas so DUMMES tun?! Und dann kam es ihm.    ‚Mit Akamaru, der wie ein Blumenladen riecht? Auf keinen Fall werde ich ihn ‚einen fürs Team‘ einstecken lassen.‘   Schlitternd und rutschend kam Shikamaru zum Stehen, gerade als die schwammige Schwemme des Sumpfes dem tiefen tintigen Wasser des träge fließenden Flusses Platz machte. Akamaru tigerte das schilfige Ufer mit hechelnder Zunge und zusammengezogenen Brauen auf und ab, während er diese hohen, beunruhigenden Rufe winselte und fiepte, die Ohren und Herz gleichermaßen durchstachen.    „Shit, komm schon, Kiba…mach das nicht…“, murmelte Shikamaru und folgte dem Ninken, um festen Stand zu behalten, während seine Augen wachsam das Wasser scannten. Er konnte die Wespen sehen; manche lebendig, andere ertrunken auf der Oberfläche schwimmend. „Shit…Shit…“   Ino kam an seine Seite, bewegte sich dann aber in die andere Richtung, um dem Fluss stromaufwärts zu folgen, das Schilf beiseite zu schieben und mit heiserer Stimme zu brüllen: „Kiba!“   Doch der Fluss gurgelte stinkend und träge in seiner Gleichgültigkeit weiter. Schimmelige Blätter, verrottende Stämme, herumschwimmende Treibgutstücke, die sich an den Zacken scharfer Steine verfingen, die aus dem Grund aufragten, um weiße Streifen durch das Wasser zu ziehen.    Shikamaru suchte nach Blut; einen roten Nebel in den sich kräuselnden Wellen.    Auf keinen Fall. Denk nach…   Auf und ab marschierend fuhr er sich fahrig mit den Fingern durch das Haar und keuchte heftig.    Denk nach…denk nach…   Er machte einen Satz, als Wolken aus Chakra anfingen, entlang des Flusses aufzuplatzen. Eine Barriere aus Narutos Schattendoppelgängern, die über das Wasser regneten und alle von ihnen jaulten und schrien gemeinsam: „KIBA!“   …DENK NACH!   Der Schattenninja taumelte zurück, versuchte eine Perspektive zu erlangen und stolperte dabei beinahe über eine Ansammlung großer polierter Steine, die zwischen dem Schilf lagen. Stirnrunzelnd stierte er auf die Steine und sein Zorn katapultierte sich in Panik, als er realisierte, was er da gerade sah.    Magensteine…   Und nach ihrer Größe zu urteilen, musste die Kreatur, zu der sie gehörten, in der Abteilung der Giganten rangieren. Doch bevor er herumschnellen konnte, um Ino vom Ufer des Flusses wegzurufen, krachte Akamaru in ihn und sandte ihn ausgestreckt in das Schilf, als ein Paar monströser Kiefer aus dem Wasser geschossen kamen und nur eine Haaresbreite von seinem rudernden Fuß entfernt zuschnappten.    Schreiend rammte Shikamaru seine Ferse in die Schnauze des Alligators.    Gott, das Vieh war riesig. Nicht so groß oder erschreckend wie die Chimären aber nicht weniger in der Lage, ihn in Fetzen zu reißen. Mit aller Kraft trat Shikamaru gegen den schnappenden Kopf des Alligators und zerrte sich selbst auf den Ellbogen rückwärts, spürte aber, wie sein Körper in einem Schlagloch versank, als sich der Schlamm immer weiter um ihn legte.    Verdammt!   Gelbe Reptilienaugen zuckten in seine Richtung, als der riesige Kopf aus dem Wasser schnellte, dem kurze Stumpenbeine und ein dicker pendelnder Hals folgten. Shikamaru riss seine Beine zurück und wusste sogar, als er seine Knie an seine Brust zog, dass jeder Fluchtversuch vergeblich war. Zu wenig Zeit. Zu wenig Abstand.    Hiervon gab es kein Entkommen.    Mit voller Tötungsabsicht kroch der Alligator auf ihn zu – nur um mit einem aufgeschreckten Fauchen zur Seite gerissen zu werden, als sich seine Kiefer in einem verschwendeten Schnappen um Luft schlossen. Shikamarus Kopf ruckte nach oben und er sah Kiba hüfttief im Wasser stehen. Einen Arm hatte er um den peitschenden Schwanz des Alligators geschlungen, der andere hing schlaff an seiner Seite. Blut bedeckte das Gesicht des Inuzuka wie eine Kriegsbemalung und der Verband war nichts weiter als ein roter Fetzen über seiner Stirn. Ein Auge schwoll bereits zu, doch das andere brannte in einem wilden Gold, während sich die Konturen seines Gesichtes zu einer Fratze animalischen Hasses verzerrt hatten.    „Kiba…“, keuchte Shikamaru und Erleichterung durchflutete ihn.    Ein wildes, urtümliches Heulen und Kiba schleuderte das um sich schlagende Biest zurück ins Wasser und fort von dem Schattenninja. „Verschwinde hier!“, brüllte Kiba mit angespannter und unmenschlicher Stimme. Fauchend schwang das Biest zu ihm herum. Kiba bleckte seine verlängerten Zähne und knurrte zurück; vollkommen ahnungslos von den gelben Augen, die hinter ihm über das Wasser krochen, als sich eine Gruppe Alligatoren näherte. Ihre massiven Schwänze trugen sie lautlos durch die Strömung.    Shikamaru brüllte eine Warnung und stemmte sich auf die Knie.    Mit seinem einen guten Auge blinzelnd wirbelte Kiba gerade herum, als ein weiterer schuppiger Kopf aus dem Wasser brach und die Kiefer weit öffnete. Ein Biss, ein Rucken, ein Rollen unter Wasser und es wäre vorbei. Das Empfinden von Zeitlupe stürzte erneut über Shikamaru herein und sein Fokus zog sich auf das weite Scherengrinsen des Reptils zusammen. So detailliert, so vergrößert, dass er altes, fauliges Fleisch erkennen konnte, das sich in verrottenden Klumpen zwischen den Reihen gezackter Zähne verfangen hatte.    Und dann sah er Blut…   Es füllte seine Sicht, füllte seinen Verstand…Blut pumpte durch die Lücken in den Zähnen des Alligators…pumpte durch die Lücken in Genmas Fingern…   Warte…w-was?   Schmerz explodierte in seinem Kopf und jagte elektrisch seine Wirbelsäule auf und ab. Laut aufschreiend krallte er die Hände um seinen Schädel. Bilder flammten in heißen Stakkato Blitzen auf, Stimmen fluteten seinen Geist, ein Brüllen in seinen Ohren.    ‚Bitte mich nicht darum, das zu tun.‘   ‚Das ist es, was wir tun, Genma. Der Junge wird sich nicht erinnern…oder zumindest nicht an alles…ich habe versucht…‘   Warte…warte…   Doch es wollte nicht warten. Nicht der Schmerz und auch nicht die Visionen. Sie implodierten in seinem Kopf, saugten sein Bewusstsein zu einer Stecknadelspitze des Lichtes zusammen und kämpften gegen eine See aus Schwarz. Die Finsternis schluckte ihn ganz. Sein Körper verkrampfte sich und sein Hirn blieb stehen; seine Augen drehten sich in den Schädel.    Und dann barsten die Schatten unter ihm hervor.    Explosiv in ihrer Geschwindigkeit und sich mit ungerichteter Empfindung bewegend schlossen sie sich um die dicke, gepanzerte Muskulatur der Alligatorhälse – zwei, dann vier, dann sechs – und zertrümmerten, zerquetschten, bestraften, bis das nasse Knacken von Knochen und das trockene Schnappen von Schuppen in sechs toten Körpern endete, die mit dem Bauch nach oben den Fluss hinunter strömten.    ‚Du wirst leben.‘   Shikamaru spürte nicht, wie Kiba neben ihm am Ufer zusammenbrach. Er spürte, wie Wände bebten.    ‚Nimm den Jungen.‘    Er hörte nicht, wie Ino und Chōji ihre Namen schrien. Er hörte, wie Mauerwerk bröckelte.    ‚Nimm den Jungen und geh.‘   Er roch nicht die Tinte auf der Brise, als die Vogelbrigade landete. Er roch Feuer und Rauch.    ‚Gut. Und jetzt sieh zu, dass du hier verfickt nochmal weg kommst.‘   Er sah nicht das Gesicht, das zu den Armen gehörte, die ihn aufhoben, die ihn trugen…und dennoch formte sein Mund den Namen, an den er sich erinnerte, der dazu gehörte.    „Genma…?“   ~❃~   „Ich dachte mir, dass ich dich hier finden würde. Ich muss mit dir reden, Kakashi.“   Kakashi öffnete einen Spalt breit ein Auge und hielt seine Verlegenheit darüber, beim Schläfchen machen erwischt worden zu sein, mit einem innerlichen Gesichtverziehen in Schach. Träge schielte er zu der Gestalt, die auf einem überhängenden Ast des Baumes hockte, den er als ruhigen Leseplatz für den Nachmittag erachtet hatte – der, wie er verspätet bemerkte, inzwischen in die Nacht übergegangen war. Schläfrig blinzelnd hob er seine Hand aus dem Schoß und tippte sich in einem Pseudo-Salut den Rücken des Icha Icha Buches gegen die Schläfe. „Yo.“   Ein leises Lachen. „Habe angefangen, mir Sorgen um dich zu machen, Hatake“, grübelte Asuma und Rauch kräuselte sich von dem Ende des immer präsenten Sargnagels, der zwischen seinen nach oben gebogenen Lippen steckte. „Den Toten deinen Respekt zollen ist die eine Sache. Aber hier ein Nickerchen halten und dann auch noch mit einem Porno im Schoß? Ich denke, ‚fetischistischer Nekrophiler‘ ist nichts, was du deinem jugendlichen Datingprofil hinzufügen willst, das Gai für dich erstellt.“   Kakashi schnitt eine Grimasse und sein sichtbares Auge zog sich auf Asuma zusammen, bevor es über den großen Gedenkstein wanderte, dessen scharfe ebenholzschwarze Kanten in Mondlicht getaucht war. „Danke. Meine Eltern haben sich ja gerade nur im Grab umgedreht.“   Ein weiteres grummeliges Lachen und Asuma sprang in einer Hocke und ein paar Schritte entfernt nach unten. Als er sich wieder aufrichtete, traf der Mondschein auf die rauen Linien seines Gesichts, vertiefte die Schatten unter seinen Augen und die Falte zwischen seinen Brauen.   Stirnrunzelnd setzte sich Kakashi etwas aus seiner lümmelnden Haltung auf. „Was ist los?“   Ein schiefes Schmunzeln. Es war genauso angespannt wie der Ausdruck in Asumas Augen. Er kratzte sich am Hinterkopf und sah hinüber zum Gedenkstein. „Klar…naja, also…ich befinde mich in einer Art Katz und Maus Situation mit einem meiner Kids – äh, Schüler – und jo…ich könnte einen Rat gebrauchen, wie ich dieses Spiel gewinne.“   „Bist du die Katze oder die Maus?“   Asuma warf ihm einen trockenen Blick zu, doch sein Herz lag nicht in dem Humor. Er sah zur Seite weg und schnippte seine Zigarette in den Dreck. „Was würdest du tun?“   Für einen langen stummen Moment beobachtete Kakashi ihn und summte unbekümmert, bevor er sein Buch wegsteckte und seine Hände abstaubte. „Na, es gibt nur einen Weg, ein Katz und Maus Spiel zu gewinnen.“ Noch bevor Asuma fragen konnte, riss Kakashi seinen Daumen über einen scharfkantigen Knoten aus Rinde, bestrich seine Handflächen mit einem Tröpfeln von Blut, setzte sich zu einer Hocke auf und klatschte seine übereinandergelegten Hände auf das weiche feuchte Gras. „Du bringst einen Hund ins Spiel.“   Nichts passierte.    Kakashis Brauen zogen sich zusammen und sein graues Auge weitete sich alarmiert. Sein Blick hob sich dorthin, wo Asumas Gesicht hätte sein sollen, doch stattdessen fand er Yamato, der über ihm stand. Die dunklen, mandelförmigen Augen des Mannes waren weich und ernst wie die Worte, die von seinen Lippen fielen. „Sarutobi Asuma…ist gefallen..“   Der Traum zerbröckelte um ihn herum.    Silberne Brauen zogen sich in einem leichten Stirnrunzeln zusammen und Kakashis Wimpern hoben sich flatternd, während sein Atem in einem Seufzen gegen seine Maske fächerte. Diesen speziellen Traum hatte er schon seit einer Weile nicht mehr gehabt. Als er sich in seinem Bett aufsetzte, lehnte er sich ein wenig nach vorn. Seine Brust spannte sich gegen den Kummer an, der hinter seinen Rippen schmerzte.    „So, da bin ich also wieder, huh?“, murmelte er, doch seine Stimme war heiser und laut in der Stille seines Einzimmerapartments.    Überbleibsel des Traumes schwebten vor seinem inneren Auge. Es war eine Collage von Erinnerungen, die sein Unterbewusstsein nach oben würgte und ihn dazu zwang, ihre Signifikanz anzuerkennen.    Ihre Traurigkeit.    Diesmal versuchte er nicht, den Schmerz in ein Regal zu schieben, sondern rieb seine Knöchel in einem abwesenden Streichen über sein Brustbein. Verzögert wie immer; dieses Empfinden von Verlust. Dieses Empfinden von Trauer. Vielleicht war er einfach anders verkabelt. Oder vielleicht hatte er schon in sehr jungen Jahren gelernt, die Gefühle zu verzögern…wie man sich von ihnen loslöste…   Nicht heute Nacht.   Tief und langsam atmend ließ er seinen ungleichen Blick das Segment pudrigen Mondlichts nachzeichnen, das durch den Spalt in den Vorhängen auf den Hartholzboden fiel und dachte an lunaren Wahnsinn und heulende Bedürfnisse.    Nicht heute Nacht.   Er musste damit fertig werden, diese ‚ausgeliehenen‘ Akten aus der Geheimdienst Division durchzuarbeiten, wenn man bedachte, dass er eine Frist von zwei Wochen hatte, die rasch ablief. Seinen gesamten Nachmittag und den frühen Abend hatte er damit verbracht, über Krankenakten zu brüten und durch Gefängnisbaupläne zu blättern. Ein Aufwand, der nur unterbrochen worden war von dem Bedarf zu duschen und sich hinzulegen, um etwas auszuruhen, als diese scharfen warnenden Stiche begonnen hatten, hinter seinem linken Auge loszugehen.    Er wusste es besser, als darauf zu drängen.    Sturheit würde nur eine Migräne auslösen und auch wenn sie für gewöhnlich nur nach einem übermäßigen Gebrauch des Sharingans auftraten, war er bereits das ein oder andere Mal einer hinterhältigen Attacke zum Opfer gefallen. Er hielt sich eine Hand über sein vernarbtes Augenlid, drückte den Ballen vorsichtig in die Höhle und spürte, wie der Schmerz pochte. Distanziert. Erträglich. Auch wenn er sich weiterhin hätte ausruhen wollen, er hatte kein Verlangen mehr danach, ins Land der Träume zurückzukehren.    Nicht heute Nacht.   Also gab Kakashi den Gedanken an Schlaf auf, trat die Laken beiseite und drehte sich, um die Uhr auf seinem Fensterbrett anzublinzeln. Der dünne rote Zeiger tickte eine träge Bahn und die Uhr schlug 21:15. Mehr als genug Zeit also, um noch ein paar mehr Stunden zu schaffen. Er gestattete sich einen Moment, um seine Schläfrigkeit abzuschütteln und ließ seinen Blick über die beiden gerahmten Fotos wandern, die Seite an Seite standen: Team 7 und Team Minato. Langsam griff er nach dem Letzteren, berührte mit einem Daumen das Glas und musterte die in Zeit eingefrorenen Gesichter, als erwartete er, Augen würden zwinkern und Münder sich bewegen. Dann spähte er zu Team 7 auf Sasuke; auf das kalte schwarze Feuer hinter verschlossenen Augen. Einst, vor langer Zeit, hatte Kakashi denselben Blick besessen, dieselben Augen…   ‚Die Dunkelheit hat nicht zu dir gepasst, nicht wahr? Ist das der Grund, aus dem du gegangen bist?‘   Die Augen schließend spürte er die giftige Wahrheit, die durch ihn wusch. Ein schwarzer, saurer Regen, der in alten Wunden stach und neue infizierte. In einem selbsterhaltenden Bemühen, seiner Dunkelheit zu entkommen, hatte er so viele zurückgelassen, die dann von sich selbst verschlungen wurden.    Diesmal nicht.   Und nicht heute Nacht.    Als er sich etwas drehte, um das Bild wieder zur Seite zu stellen, zog die kleine Topfpflanze, die ihm Mondlicht stand, seinen Blick auf sich. Er streckte eine Hand aus, um mit den Fingern über Mr. Ukkis schlaffe Blätter zu streichen.   ‚Weil es im Zuhause anfängt, Kakashi…‘   Er rezitierte diese Worte und spähte zu dem, der sie gesprochen hatte. Von hinter dem Glas sah Minato ihn an; weise und wortlos, doch seine Lehren lebten weiter. Der Kummer in Kakashis Brust wurde schwerer. Er trug dieses Gefühl mit einer müden Akzeptanz, während er das Bett machte und die Laken mit ordentlicher, militärischer Präzision glatt strich. Es war eine der konstruktiveren Angewohnheiten aus seinen ANBU Tagen. Doch der Gedanke an von ANBU eingedrillte Übungen brachte auch das unentrinnbare Empfinden von Instinkt zurück, das ihn vorhin gepackt hatte.    Mushi. Inoichi. Tenka.   Über dem Bett hielt Kakashi inne und richtete sich auf.    Ich sollte meine Aufmerksamkeit hier nicht aufteilen…   Also warum verspürte er dann einen seltsamen Sinn von Verknüpfung, der all diese scheinbar nicht zusammenhängenden Teile zu umgeben schien? Trotz all der Dinge, die er in seinem Leben verloren hatte; sein Biss, sein Nerv und seine Ahnungen gehörten nicht dazu. Es war der Griff dieser unerschütterlichen Instinkte, die seinen Fokus – und seine Füße – durch den Raum zerrten. Leicht zog er die Beine seiner Jogginghose nach oben und hockte sich auf die Kante seines Schreibtisches, wobei er einen Fuß auf dem Stuhl abstellte, während er den anderen müßig hin und her schwingen ließ. Er knipste die Lampe an und ließ seinen Blick über die Kriminalakten und Gefängnisbaupläne wandern, die auf der Tischplatte verstreut lagen.    Stirnrunzelnd zog er ein Blatt aus dem Durcheinander hervor.    Der Name TENKA schwebte im Zentrum der Seite. Der Rest davon war blank und weiß getüncht. Aber nicht für viel länger. Kurz wuschelte sich Kakashi durch sein immer noch feuchtes Haar und summte nachdenklich, bevor er ein Klemmbrett zur Hilfe nahm und anfing, Hinweise und Ideen auf Grundlage von Pakkuns Informationen zusammenzutragen.    Tenka – Ein Deckname. ANBU? (frag Yamato) KERN? Lebenserhaltung? Mission schief gegangen?   Inoichi – persönlich involviert? Mit Tenka? Mit der Mission? Gedankenübertragung/Informationsbeschaffung   Mushi – prüfe Listen mit Psychiatern, ANBU/KERN Verbindungen. Euthanasie/Gnadentod? Tenka ein Klient?   Hier hielt er inne und kritzelte Mizugumos Namen in die oberste Ecke, ließ den Stift über die Finger wirbeln und drückte in einem rapiden Schnellfeuer seines Daumens auf den Klicker, während sein Bein schaukelte und sein Verstand raste. Würde Mizugumo den Namen Tenka erkennen? Könnte ihr ihre Verbindung mit KERN Agenten – sowohl in der Vergangenheit als auch jetzt – ein gewisses Maß an Einfluss in dieser Unterwelt verschafft haben? Sie hat ihre Klienten als ihre Kinder bezeichnet…   Die Sentimentalität, die in der Leichtfertigkeit ihrer Worte begraben lag, konnte nicht verwässert werden. Und auch der Ausdruck, der in diesen kühlen Wolfsaugen gebrannt hatte, konnte nicht verwässert werden. Kein Verwässern…warte…   Wässern…   Kakashi blinzelte weit, spähte hinüber zum armen Mr. Ukki und sprang von seinem Schreibtisch, als ihm seine vorherige Verpflichtung wieder in den Sinn kam. Am besten so anfangen, wie er es auch vorgehabt hatte, oder? Er zog die Schublade auf, ließ das Klemmbrett und die Notizen hineinfallen und zog eine schmale Packung Pflanzendünger heraus. Rasch schnappte er sich noch die leere Wasserflasche von seinem Tisch und lief zur Tür. Er schlüpfte hinaus in den Flur des Wohnheims und tappte schnell und geräuschlos durch den dämmrig beleuchteten Korridor zur Gemeinschaftsküche.    Zum Glück war sie leer.    Als er den großen Raum betrat, dem sich ein karger Essbereich anschloss, machte er sich schnurstracks auf den Weg zu seinem zugewiesenen Schrank, wie immer dankbar dafür, dass der vorausdenkende Eigentümer die Möglichkeit bedacht hatte, dass Mieter um Territorium kämpften. Und während zwar hin und wieder das ein oder andere Utensil oder ein Teller verschwand, empfand Kakashi seine Nachbarn als respektvoll und rücksichtsvoll, denn sie ließen ihm oft den Vortritt. Es war allerdings eine Höflichkeit, von der er sehr stark vermutete, dass sie weniger mit den Gemeinschaftsregeln zu tun hatte, die an die Pinnwand geheftet waren, sondern alles mit der Tatsache, dass er den ersten und letzten Übeltäter elektrisiert hatte, der die Frechheit besessen hatte, das Essen aus seinem winzigen Quadrat des Kühlschranks zu mampfen.    Unnötig zu erwähnen, dass das die Grundregeln für alle Dinge festgelegt hatte, auf denen Hatake Kakashi stand.    Während er sich eine Wasserflasche aus seinem Schrank angelte, reflektierte er, wie er mit dieser Reaktion damals wohl doch etwas übertrieben hatte. Normalerweise hätte er es auch einfach auch sich beruhen lassen, aber dieser diebische Nachbar hatte sich dummerweise einen der vier pinken Cupcakes stibitzt, die Sakura zu Kakashis Geburtstag gebacken hatte. Die Tatsache, dass besagte Cupcakes die Konsistenz eines Schwamms hatten – die Art zum Baden, nicht zum Backen – genug Zucker enthielten, um ein hyperglykämisches Koma auszulösen und die damit verbundene Bestrafung, sie überhaupt zu essen entschuldigten das Verbrechen überhaupt nicht, Kakashi etwas zu nehmen, das für ihn von sentimentalem Wert war. Schon seit Monaten lagen diese drei verbliebenen Cupcakes immer noch abgestanden und unberührt in ihrer Box; abgesehen von dem Bissen, den Kakashi von dem mit den dunklen Schokostreuseln genommen hatte.    Auf halben Weg durch die Tür hielt er inne und spähte zum Kühlschrank.    Morgen würde er sie wegschmeißen. Oder vielleicht übermorgen. Eine fortwährende Debatte, die immer mit seinem schuldbewussten Rückzug durch den Gang zu seiner Wohnung endete; wie auch jetzt. Er fragte sich, was Asuma wohl darüber denken würde. Über ihn. Über die Idiotie von zur Schau gestelltem Zorn und fehlplatzierter Verbundenheit. Noch einmal rieb er sich mit den Knöcheln über den dumpfen Schmerz in seiner Brust und schüttelte den Kopf über diese Angewohnheit, alles – jeden – fort zu wischen, der drohte, einen Griff an ihm zu bekommen.    Und dennoch bin ich…   Der Schmerz schlug härter und er verkniff sich den Drang, seine Finger in seine Weste zu krümmen, eine Faust gegen die Qual zu ballen. Was auch immer er brauchte, es war nicht dieser Druck von Kummer. Die Art, die drohte, ihn Jahre zurück zu zerren; nicht Monate, nicht Tage…   Und Götter, nicht heute Nacht…bitte nicht heute Nacht…   Seine Augen schlossen sich vor Schmerz und in einem Gebet, während er die Tür zu seinem Apartment mit der Hüfte aufschob. Er machte zwei Schritte in den kalten dunklen Raum und erstarrte schlagartig, als seine Augen aufflogen.    Sein Herz kam zu einem taumelnden Stillstand. „Was um alles in der Welt machst du hier?“   ____________________ Heyho :)  Ja, so viel zum Thema, dass ich bei UtS darauf achte, die Kapitel kürzer zu fassen -.- Hat gut geklappt ^^ aber die nächsten werden auf jeden Fall wieder kürzer ;)  Bei diesem Kapitel ist der Name wirklich Programm...sowohl bei Shikamaru, als auch bei Genma.  Gerade Genma rutscht extrem ab. Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass ihr es spannend fandet und würde mich wie immer sehr über ein paar Meinungen freuen! *-* A./N.: Mir ist tatsächlich ein kleiner Fehler aufgefallen, der sich in die BtB Serie eingeschlichen hat. Noch ist das nicht auffällig oder relevant geworden und ich bin mir auch nicht sicher, ob es überhaupt jemandem aufgefallen wäre, aber Genma ist hier genauso alt wie Kakashi und nicht drei Jahre älter wie im Canon ;) Das ist beim Entstehen der Serie leider irgendwie untergegangen...ich hoffe, das stört euch nicht allzu sehr! :)  Vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 11: Ashes to ashes, dust to dust ---------------------------------------- Die Lampe war erloschen und der kalte, blaue Mondschein leuchtete grell auf dem Boden. Alles war still, alles war ruhig; abgesehen von dem leisen Rascheln von Papier in der Brise. Sofort schnitt Kakashis Blick zu dem offenen Fenster, zu den Blättern auf seinem Schreibtisch und dann auf den Eindringling.    Seine Haut kribbelte und sein Blut wurde eiskalt.    Auf dem Rand des Tisches sitzend und gekleidet in seine alte schwarze ANBU Weste, hielt Genma das Foto von Team 7 in der einen und eine Flasche Shōchū in der anderen Hand. Die Muskeln in Unterarmen und Bizeps waren straffgezogen wie Drähte.    Für einen langen Moment starrte Kakashi auf das ANBU Tattoo, bevor er das Wort ergriff: „Was um alles in der Welt machst du hier?“   Langsam hob Genma den Kopf und sah durch halb geschlossene, blutunterlaufene Augen zu Kakashi, bevor er einen Schluck des Shōchū nahm und seine Stimme leicht um sein raues Lachen lallte: „Das fragt mich heute irgendwie jeder.“   „Denkst du, du findest die Antwort darauf am Boden dieser Flasche?“, fragte Kakashi trocken, während sich sein Magen zusammenkrampfte, obwohl er versuchte, das Adrenalin zu beruhigen, das durch ihn jagte.    Das ist übel.   War Genma schon bei Mizugumo gewesen? Ahnte er irgendetwas? Wusste er irgendetwas?    Noch einmal musterte Kakashi den Raum mit wirbelnden Sharingan Tomoes. Keine Beschädigungen, keine Zerstörung. Kein Anzeichen von entfesseltem Chakra. Alle möglichen Theorien rannten in seinem Geist in alle möglichen Richtungen, doch die Beständigkeit seiner Instinkte hielt ihre Stellung und seine von Panik getriebenen Fragen mit einem abrupten Ruck im Zaum.    Er weiß es nicht.   Konnte er nicht. Denn andernfalls wäre Kakashi bereits ein menschliches Nadelkissen mit den Krämpfen qualvoller Neuralgie. Bisher hatte sich keine verzweifelte Attacke gezeigt, kein erkennbarer Zorn. Keine Senbons. Keine Überraschungen. Genma saß einfach nur da. Das Überraschungsmoment war einen ziemlich schnellen Tod gestorben und ließ nichts zurück außer diese seltsame Stille; diese unheimliche Regungslosigkeit.    Einen langen Moment beobachtete Kakashi ihn und ließ zu, dass seine Instinkte die ursprünglichen Samen der Panik entwurzelten, sodass sein Verstand die Fakten zusammentragen konnte. Erstens; Genma war zweifelsohne zugedröhnt bis unter die Hutschnur und nicht in der Lage, einen Kampf zu gewinnen, selbst wenn er einen anfangen wollte. Zweitens; Kakashi konnte keinerlei Tötungsabsicht wahrnehmen und auch keine Aggression. Drittens; Genma wies Schnitte und Hämatome auf, an die sich der Kopierninja nicht entsinnen konnte, sie auf seinem Körper gesehen zu haben…und er hatte das letzte Mal einige davon gesehen.    Das letzte Mal…ist das der Grund, aus dem er…?   Kakashis Augen zuckten an den Winkeln und Unsicherheit biss sich in seine Stimme. „Genma…was machst du hier?“   Genmas Blick war wieder auf das Foto gerichtet. „Deine drei kleinen Krücken. Hn. Schätze mal, du hast nur zwei gebraucht. Nicht, dass du ihnen damit irgendeinen Gefallen tun wirst, oder? Männer wie wir sind alleine besser dran.“   Angesichts dieser grausamen Worte ruckte Kakashis Kopf zurück und seine silbernen Brauen zogen sich leicht zusammen. Er erwiderte nichts, stillte die Gedanken und enthauptete die Gefühle. Es hätte überhaupt keinen Sinn, diese Straße entlang zu wandern. Die Schuldgefühle würden ihm gar nichts bringen. Eine vergeudete Reise zu einem trostlosen Ort, der von ‚was wenn‘ und ‚wenn nur‘ übersät war. Und er hatte nicht die Energie für diesen langen Marsch oder die langsame Rückkehr.   Nicht heute Nacht…   Genma stierte weiterhin ohne Fokus durch seine Wimpern und sah vermutlich an den Gesichtern auf den Fotos vorbei auf irgendwelche Phantome in seinem Verstand, während er sich an dem Rahmen eines anderen Bildes festklammerte; einer anderen Zeit. Und dann begann er zu sprechen; benannte es: „Erinnerst du dich an Tanzaku? Kurobara?“   Überrascht blinzelte Kakashi.   Tanzaku…   Nun, das war ein alter ANBU Fall, den er lieber vergessen würde, anstatt sich daran zu erinnern. Die Kurobara Mission. Er zog die Details aus dem blutbefleckten Bestandsbuch, das in seinem Geist begraben war und in dem die Erinnerungen wie Missionsberichte aufgelistet waren: Tanzaku Viertel. Das Kurobara Drogenkartell. Ziel: Kopf der Organisation identifizieren und eliminieren.    „Du warst tief undercover“, entsann sich Kakashi. „Du hast dich freiwillig gemeldet.“   Summend zuckten Genmas Lippen. „Kaika. ANBU.“   Name. Rang.    Kakashi runzelte die Stirn, sagte aber nichts, sondern wartete auf den Rest, während er dabei zusah, wie Genma die Flasche mit einem trägen Schwung seines Handgelenkes drehte, als würde er dieser Erinnerung jeden Moment zuprosten.    „So zu arbeiten war meine Spezialität“, fuhr Genma fort. „Schauspielern…so tun, als ob…“ Er grübelte über diese Worte nach und nahm dann einen langen Schluck des Shōchū. „Ich war der richtige Ansprechpartner für diese Jobs…du erinnerst dich an die Mission…“   Daran erinnern? Manchmal durchlebte Kakashi sie noch einmal. Er sah den Rauch, das Feuer, die verkohlten Baumstämme, verstreute Menschenteile wie zerbrochene Marionetten. Er erinnerte sich daran, wie die Sicherung durchgebrannt war; ein Regen aus Funken, der über den Boden raste, als er Genma da raus gezerrt hatte – der Shiranui hatte gelacht…dann geschrien…mit Tränen und Wahnsinn in seinen Augen…   Ist es das, was auch jetzt gerade in seinen Augen steht?   Es war unmöglich zu sagen, denn Genma hatte seinen Kopf wieder gesenkt und diese dunklen, mit Bronze durchsetzten Strähnen rahmten sein Gesicht ein und verschleierten sein Profil. Er hob den Shōchū, aber nicht seinen Kopf; ließ den Rand der Flasche schweben…wie die Worte, wie die Erinnerung.    Kakashi schüttelte den Kopf. „Das war vor langer Zeit, Genma. Vor einem ganzen Menschenleben.“   „Ein ganzes Menschenleben…“, stimmte Genma zu und hielt kurz inne, um das Bild von Team 7 wieder auf den Tisch zu stellen. „Erinnerst du dich, was ich zu dir gesagt habe? Als du mich da rausgezogen hast? Du erinnerst dich.“   „Nein“, log Kakashi und wünschte sich bei allen Göttern, es wäre wahr. „Das tue ich nicht.“   „Das ist dieselbe Lüge, die du damals auch dem Hauptmann erzählt hast, oder nicht?“, flüsterte Genma und seine Stimme war dabei ein höhnisches Lallen. Schwankend kam er auf die Füße, streckte einen Arm für Balance nach außen, während er den anderen angewinkelt hielt und die Flasche gegen seine Brust drückte; seine Rettungsleine, sein Anker, seine Sucht, die ihn nach unten zerrte. „Oh warte. Das ist nicht dein Stil…du bist der schweigsame Typ…hinter den Kulissen…“ Mit leiser, spöttischer Stimme schmunzelte er. „Hast du da gewartet, Kakashi? Hast du gewusst, dass ich es tun würde? Hattest du eine von deinen…“ Er fuchtelte in einer Kreisbewegung mit der Hand, als er nach dem Wort suchte. „Magischen Ahnungen…hast du gewusst, was ich geplant hatte, Reiketsu-no-Kakashi?“   Alles in Kakashi wurde schlagartig regungslos.    Reiketsu…   Ein kaltes Schaudern über seine Wirbelsäule. Gefährliche Unterhaltung. Gefährlicher Boden. Kakashi trat einen Schritt nach vorn. „Genma. Hör mir zu.“   „Fick dich.“ Genma hob seine Hand mit einem zornigen Schwung, der ihn nach hinten taumeln ließ; nicht fort von dieser Gefahrenzone, sondern noch tiefer hinein. „Du hättest meinen Hintern melden müssen…meinen kleinen Regelverstoß…aber du hast ein Auge zugedrückt…“ Er lachte ein wenig und fuhr sich mit einem Daumen über seine Braue. „Das hübsche graue, nicht deine Geheimwaffe.“   Kaum wahrnehmbar zuckte Kakashi zusammen, doch Genma entging es nicht und sein Kopf neigte sich scharf bei dieser Reaktion. „Hast du es gesehen, Kakashi? Hast du gesehen, wie es hätte enden sollen? Wie ich es gebrauchthabe, dass es endet?“   Verwirrung zupfte an Kakashis Brauen, aber die Sorge, die sich hinter seinen Augen abspielte, war stärker. Noch einmal machte er einen halben Schritt nach vorn, streckte dabei eine Hand nach unten gerichtet aus, um zu signalisieren, dass er keine Gefahr war. „Genma“, sagte er leise und ruhig, während er versuchte, den Blick des Shiranui einzufangen. „Du warst zu dieser Zeit nicht du selbst. Du standest unter dem Einfluss starker Drogen, hast dich in eine Gruppe durch und durch korrupter Leute integriert…warst monatelang tief undercover. Am Ende hast du es alles überstanden. Du hast deinen Job gemacht. Du hast die Mission abgeschlossen.“   „Oh ja, das wissen wir alle. BOOM.“ Ein lautes Rauschen von Luft zwischen seinen Lippen und Genma ahmte die Explosion mit den Fingern nach, die er spreizte und dann zu einem steifen Schnabel zusammenschnappen ließ, den er gegen seine Schläfe stach, wobei sich stumpfe Nägel in seine Haut gruben. „Ich hab es alles in meinem Kopf gesehen. Ich hab es geplant. Ich hab dieses Höllenloch bis ins Innerste verkabelt. Und dann hab ich es abgefackelt. Hab alle Räume in die Luft gejagt und den Müll beseitigt. Abgesehen von einem Stück…“ Er sah den Kopierninja direkt an und prostete ihm mit einem bitteren Neigen der Flasche zu. „Danke dafür, Kakashi. Danke dafür, dass du so ein verfickter Held bist.“   Fassungslos stierte Kakash ihn an und kämpfte darum, den unmittelbaren Zorn zurückzuhalten, das unmittelbare Gefühl, verletzt zu sein. Mit Anstrengung fand er seine Stimme wieder und knirschte seine Worte hervor: „Genma. Du bist betrunken. Du weißt nicht, was zur Hölle du da sagst.“   „Es ist dieselbe Scheiße, Kakashi. Dieselbe Scheiße wie ANBU…dieselbe Scheiße wie damals…nur…“ Kopfschüttelnd verzerrte sich Genmas Gesicht in Bestürzung  und Schmerz, bevor er seine Finger gegen seine Schläfe hämmerte und die Zähne bleckte, die weiß in seinem hageren Gesicht aufblitzten. „Nur die Gesichter sind abgefuckt…die Gesichter sind nicht dieselben.“   Gesichter?   Heftig getroffen von der Verzweiflung in Genmas Stimme, nahm Kakashi diese gelallten Worte schweigend in sich auf, während er seine eigene Miene wachsam geschützt hielt. Langsam wanderten seine Augen von der Narbe über Genmas rechtem Auge zu der Flasche, die am Hals zwischen den vernarbten Knöcheln des Shiranui hingen. Das hier war mehr als der Alkohol, der sprach; mehr als Drogen, die psychedelische Spielchen mit dem Verstand spielten. Dieses Gespräch, diese Zeit, das alles kam von alten Wunden; tiefen Wunden…Wunden, die bereits vor sehr langer Zeit hätte vernarben sollen.    „Na schön…“ Mit sehr langsamen Bewegungen schritt Kakashi seitwärts zu seinem Bett, stellte die Wasserflasche ab und richtete sich um einige Grade auf. Die Handflächen hielt er in nonverbaler Kommunikation nach außen – keine Bedrohung, ich bin dein Kumpel, wir reden nur. „Okay, erzähl mir von diesen Gesichtern…“   Genma stierte auf den Boden, fuhr sich mit der Hand über den Mund und lachte gegen seine Finger. „Shit. Gesichter…wie Stimmen in meinem Kopf. Mushi würde das lieben.“   Mushi…   Kakashis Augen weiteten sich marginal bei diesem Namen. Er merkte es sich und suchte Genmas Gesicht nach weiteren Hinweisen ab, bevor er das Gespräch mit seiner nächsten Frage führte: „Wer ist Mushi?“   Doch Genma schien ihn gar nicht zu hören. Inzwischen lief er eine betrunkene Acht durch den Raum. Die Flasche hielt er gegen die Stirn gepresst, als könnte sie ihm etwas von der Hitze entziehen, die in ihm brannte. Verrückt, wenn man bedachte, dass er blass wie Asche aussah.    Die Luft um ihn herum schien zu summen.    Doch der Raum war kalt, blauweiß und surreal.    Mit seinem Blick folgte Kakashi dem stockenden Drehen von Genmas Schritten und er spürte, wie sich sein Inneres mit jeder schwankenden Schleife, mit jedem schwankendem Atem mehr verkrampfte. Ein Durchdrehen, das mit Rauch und Flammen drohte.    „Was für Gesichter, Genma?“, fragte der Kopierninja schließlich, obwohl er keine Antwort erwartete, weswegen er umso erstaunter war, dass er eine erhielt.    Sie bröckelte in einem zerbrochenen Skandieren von Genmas Lippen. „Nicht nur sein Gesicht…sondern auch Raidō…Asuma…Tsunade-sama…Shizune…S-Shikamaru…“ Bei dem letzten Namen geriet Genma ins Stolpern und sein Atem erstarb zu einem bebenden Lachen. „Es sind nicht sie…aber es ist dasselbe…wie Kurobara…ich bin derselbe…“   „Das ist nicht wahr. Du musst kurz für eine Sekunde aufhören.“   „Kann nicht aufhören…“ Genma schüttelte den Kopf und sein Gang verschlimmerte sich zu einem orientierungslosen Seitwärtsschwanken, während seine Augen über den Boden hin und her schwangen. „Es ist dieselbe Scheiße…alles, was ich anfasse…außer bei dir…weil du weißt, wie man mir das gibt, was ich verdient habe…“ Er blieb stehen. „Weil du weißt, was für ein Mensch ich bin…“   Kami…   Langsam schloss Kakashi die Distanz. „Genma…“   „Du wusstest es…“ Diese wilden Augen flammten glasig und rot auf und richteten sich mit solchem Vorwurf und Zorn auf Kakashi, dass es den Kopierninja mitten im Schritt innehalten ließ. „Du hättest mich dort lassen sollen in dieser Nacht…bei dieser Mission…ich wollte. Ich musste.“   ‚Ich will…ich muss…‘   Die Worte gruben sich wie eine Klinge durch Kakashi, zweischneidig mit Erinnerung und derselben eiskalten Furcht, die er damals verspürt hatte. Hilflos schüttelte er den Kopf und streckte eine Hand nach Genmas zitternder Schulter aus. „Ich konnte dich das nicht tun lassen-“   „MICH LASSEN?!“ Grollend befreite sich Genma mit solch heftiger Gewalt von der Berührung, dass sich die Flasche aus seinem Griff löste und mit einem explosiven Krachen und Spritzen gegen die Wand geschleudert wurde.    Vollkommen aus Reflex drehte sich Kakashi mit den Augen auf den Boden gerichtet von der Detonation fort.    Eine fatale Ablenkung.    Viel zu spät wollte er sich wieder umwenden. Genma schwang sich unter seiner Defensive hindurch und legte eine Hand an Kakashis Kehle – Taijutsu Shuko Ken – Krallenhand. Die Nägel bissen sich tief und die Finger krümmten sich, um die Luftröhre heraus zu reißen.    Damals bei ANBU hatte Genma diesen Zug immer favorisiert.    Shit.   Kakashi versteinerte mit erhobenen Händen, doch das brachte ihm überhaupt nichts.    Lippen schälten sich über Zähnen zurück, Genma schob sich in den Griff und Kakashis Rücken traf mit einem nassen Knacken die Wand. Sein Schädel vibrierte durch den Aufprall. Energisch blinzelte er sich die tanzenden Punkte aus seiner Sicht und stellte fest, dass Genmas Gesicht jetzt ganz nah war; mit der Hölle in seinem Atem und Hitze in den Augen mit den geweiteten Pupillen. „Du BASTARD!“, brüllte Genma ihn an. „Du hättest mich verlassen sollen! Ich wollte gehen. Ich habe es gebraucht. Ich wäre am Ende gewesen. Ich wäre-“   „Tot“, würgte Kakashi mit einer Stimme hervor, die ein grausames Wispern war. „Du wärst tot.“   Asche zu Asche, Staub zu Staub.    Nichts, um sich davon zu erholen, nichts zu begraben.   Nichts zu betrauern…   Überhaupt nichts…und Gott, wie es alles zurück gerauscht kam. Die Explosion, die Tanzaku greller erhellte als alle Casinolichter zusammengenommen; ein entfesselter orangener Schmelzofen, ein Maul der Hölle, das weit gähnte. Die zusammengestürzten Böden wie Rippen aus einer brennenden Leiche herausstechend. Das Blut war schwarz gewesen. Nicht rot. Verfärbt von Asche, von Staub, von Schlacke…von Tod. Tod. Er war in Kakashis Haar gewesen, in seinem Mund, seiner Nase. Nicht einmal seine Maske hatte es geschafft, den Gestank verkohlten Fleisches herauszufiltern. Sein Sharingan hatte die Szenerie in allen Details aufgenommen; Zungen hungriger Flammen, aufgeplatzte und Blasen werfende Haut, gelbe Knochen, das Schnappen von Sehnen, ein langsames menschliches Schmurgeln…Gott, solche Hitze. Solch ein Feuer. Und dann, so viel erschütternder als all die Zerstörung – Genmas kehliges Lachen und seine gutturalen Schreie, erstickt und manisch, als er Kakashis Griff bekämpft hatte. Seine bronzefleckigen Augen leuchtend mit einem drogeninduzierten Fieber, gefüllt mit einem Feuer, das dunkler war als die Flammen.   ‚NEIN! Ich kann nicht…ich kann das nicht mehr…wirf mich da rein…ich will…ich muss…es ist mein Ende…es ist mein gottverficktes ENDE!‘   Dunkelheit, als Kakashi seine Augen zu dieser Szene schloss, zu den Flammen, zu dem Wahnsinn. Eine Sache von Albträumen. Doch als sich seine Wimpern wieder hoben, fand er dasselbe Feuer, denselben Wahnsinn tief in Genmas Augen brennend.    Wiedererkennen; es erschütterte Kakashi bis ins Mark.    Und dann lockerte sich die Hand um seinen Hals. „Du siehst es, oder nicht?“, hauchte Genma und das Geständnis raspelte dabei hart in seiner Kehle. „Du hattest recht…ich bin nie gegangen…ich werde immer dort sein…ich werde immer dieser Mann sein…denn dieser Fleck…dieser Makel…er ist in mir, Kakashi…“ Kopfschüttelnd schluckte er, als würde er ersticken. „Es ist viel zu tief in mir…“   Kakashi fühlte, wie sich seine Kehle zusammenzog; gefüllt mit eingebildeten Dämpfen und das Brennen in seiner Brust rauchte Emotionen heraus, die in die Vergangenheit gehörten. Genma so zu sehen…ohne sein entspanntes Lächeln, seinen Galgenhumor und seine blasierte Distanziertheit…es war, wie in eine andere Welt zurück geschleudert zu werden, in eine andere Zeit…eine Zeit, in der sie ein gefährliches Spiel mit ihren Dämonen gespielt hatten. Und Kakashi kannte die von Genma beim Namen: Schmerz, Bestrafung, Lust und Stolz. Aber dieser spezielle Dämon, diese Kreatur, die ihn durch gequälte Augen ansah…diese Seite von Genmas Dunkelheit hatte er nur ein einziges Mal zuvor gesehen, damals während der Undercover Tage. War es wirklich so überraschend, dass sich dieser Teil von Genma – den Kakashi für lange verschwunden und begraben gehalten hatte – auf diese dunklen Tage berief…und eben ganz besonders auf diesen Suizidfall in Tanzaku.    Öl auf dieses dunkle Feuer…diese dunkle Zeit…   Selbst das ANBU Team während dieses Auftrags war von der Veränderung in ihm gequält worden. Ihr ANBU Hauptmann hatte die Drogen, den Alkohol und das schmutzige Übel dafür verantwortlich gemacht, das Genma gezwungen war zu begehen, um tief in das Kurobara Kartell vordringen zu können. Nur Yūgao und Kakashi hatten einen flüchtigen Blick auf die Auswirkungen gehabt. Den Krater. Das Wissen, dass es einen höheren Tribut zu zahlen galt, um zu bestehen, so zu tun, als ob und den korrupten Part zu spielen…   Kakashi entsann sich an die baufällige Gasse, den heruntergekommenen Treffpunkt – so gut wie jede andere Gosse auch. Er, Yūgao, Genma.    ‚Es ist zwei Wochen her, als du dich das letzte Mal gemeldet hast.‘   ‚Zwei Wochen, huh? Zeit fliegt, wenn man drauf ist…was ich übrigens bin.‘ Genma hatte zu Kakashi gesehen und seine blutunterlaufenen Augen waren glasig mit kaltem, düsterem Humor gewesen. ‚Das war übrigens eine inoffizielle Aussage, Reiketsu. Würde ja keine Regeln brechen wollen, oder meinen strahlenden Ruf beschmutzen.‘   ‚Das reicht, Kaika.‘ Yūgao hatte ihre Maske abgenommen. ‚Der Hauptmann denkt, dass du abrutschst. Und wir denken, er hat recht.‘   ‚Wie niedlich. Willst du, dass ich das Safewort flüstere, Yūgao? Was war es noch gleich? Pussy?‘   ‚Ich werde den Hauptmann darum bitten, dich abzuziehen‘, hatte Kakashi gesagt. ‚Nicht, dass ich eine Erlaubnis brauchen würde.‘   ‚Um was zu tun? Meine Deckung auffliegen zu lassen? Verdammt, Reiketsu. Weißt du überhaupt, wie vielen Leuten ich einen blasen musste, nur um meinen Fuß in die Tür zu kriegen?‘   Yūgao hatte zu Kakashi gesehen, dann zurück. ‚Das ist nicht witzig, Kaika.‘   Und das Lachen, das Genma gebrüllt hatte, war eher ein Heulen aus voller Kehle gewesen. Der erwachende Schrei einer ganz neuen Art von Dämon. Und Kakashi hatte ihn in Fleisch und Blut gesehen; gierend nach Schmerz, heulend nach Zerstörung…wie in dieser Nacht in Tanzaku.    Gott, was hat dich nur dorthin zurück gebracht?   Es waren nicht die Drogen und auch nicht der Alkohol…es war, was auch immer Genma dazu getrieben hatte, das alles überhaupt wieder zu nehmen. Während der ANBU Tage hatte Genma behauptet, es wäre ANBUs ‚Nichts zu verlieren‘-Credo, das ihn dazu veranlasst hatte, sich freiwillig für die Kurobara Mission zu melden; für die Selbstzerstörung, den Tod, den Schaden.    ‚Ich tu nur, was ich tun muss.‘   Kakashi hatte ihm nicht geglaubt. Aber er hatte auch nie nach der Wahrheit gefragt. Er hatte sich niemals gestattet, nahe genug heran zu kommen, um den wirklichen Grund herauszufinden, aus dem sich Genma freiwillig gemeldet hatte, in den innersten Kreis der Hölle einzutauchen. Es hatte Gerüchte gegeben – ein verlorener Liebhaber oder Liebhaberin, jemand Nahestehendes, der gestorben war – aber es schien auch keine Rolle gespielt zu haben, nachdem sich Genma endlich erholt hatte, das endlich hinter sich gelassen hatte. Er hatte Wege gefunden, Kakashi durch seine eigene Hölle zu helfen, bevor er Jahre später endlich selbst ANBU verlassen hatte. Genma hatte sich ein Leben aufgebaut. Sich eine strahlende Zukunft gesichert.    Aber jetzt?   Was zur Hölle hatte Genma so weit zurück in seine Vergangenheit gezerrt, dass er lieber mit ansah, wie alles, was er über die letzten paar Jahre aufgebaut hatte, um ihn herum zu Staub verbrannte? Was hatte ihn so weit von allem fort gerissen, was er erreicht hatte, von allem, was er geschafft hatte? Tokujō. Proktor. Goei Shōtai. Er war so weit gekommen, so unglaublich weit; von all diesen Dämonen, all dieser Dunkelheit…all diesem Tod.    „Warum…warum hast du mich nicht dort gelassen…?“, krächzte Genma, schob seine Finger in Kakashis Haar und sah zu, wie die silbernen Strähnen hindurch glitten – wie so viel Zeit, wie so viele Erinnerungen.    Erinnerung…   Kakashis Verstand füllte sich damit…kalte, weiße Blitze hinter seinen Augen…   Kleine Hände verhedderten sich in silbernem Haar…versuchten, das Blut heraus zu schrubben…Sakumos Blut…so viel Blut…sein Vater…fort…das elektrische Kreischen des Chidori…Hände, junge Hände…krachten durch Brust und Knochen und immer noch schlagendes Herz...Augen, weiche, braune Augen…Rin…so viel Blut…so viel Blut und er konnte es nicht auswaschen…Rin…fort…Minato-sensei…fort…Kushina-sama…fort…Obito…fort…und dann Genma, der in seinem Griff um sich schlug…so kurz davor, fort zu sein, dass er schon beinahe außer Reichweite war…   ‚Ich kann nicht…ich kann das nicht mehr…wirf mich da rein…‘   Kakashi sog scharf die Luft ein und seine Stimme bebte. „Ich konnte dich nicht dort lassen…“ Ich konnte dich nicht verlieren, war viel näher an der Wahrheit. Wenn er Genma in dieser Nacht losgelassen hätte, dann hätte Kakashi ANBU niemals überlebt…es war Genma, der ihn durch so vieles gebracht hatte…der ihn dazu angetrieben hatte, mehr zu sein als Reiketsu-no-Kakashi…der kaltherzige Killer…nach einer Weile hatte Genma ihn dazu angetrieben, etwas Besseres zu sein; weniger zerbrochen. Sogar dann, als er die übelsten Teile seines Selbst an die Türschwelle des Shiranui gebracht hatte.    Habe ich ihn gerettet…nur um mich selbst zu retten?   ‚Ich will…ich muss…das ist mein Ende…‘   Die alten Worte drifteten wie Rauch durch Kakashi und glitten durch Feuer und Funken einer aufblitzenden Zeit, glitten durch Genmas Augen – diese Fenster zur Vergangenheit. Aufgeplatztes Glas. Leere Rahmen.   Hohl im Innern.   Kami, Kakashi kannte dieses Gefühl.    Schwer schluckend schüttelte er den Kopf so weit, wie es Genmas Griff zuließ. „Es gibt mehr als das, Genma…“   „Nichts mehr…“   „Doch, das gibt es. Du bist mehr als das…“   „Ich bin überhaupt nichts mehr als das…“ Genma zischte die Worte gegen Kakashis Mund und der Kopierninja konnte den Shōchū auf seinem Atem feucht und heiß durch den Stoff schmecken. „Du weißt das…du kennst mich…du weißt, was ich will…“ Diesmal sprach er gegen Kakashis Hals und schob seine Finger aus den zerzausten Silbersträhnen, um die Seiten des Kopierninjas hinab zu streichen. „Was ich brauche.“   Kakashi versteifte sich gegen die Wand und fühlte sich, als würde er eher gekratzt statt gestreichelt werden. Blut stieg in einem Rauschen von Hitze unter seiner Haut an die Oberfläche. Chemie scherte sich nicht um Anstand oder Timing, um richtig oder falsch, um Opfer oder…   Oder Dämonen.   Tief in ihm warf Kakashis Biest den Kopf in den Nacken und heulte einen einsamen, klagenden Schrei. Er durchfuhr ihn und vertiefte sich, als er seine Kehle hinauf kroch; ein leises, heiseres Grollen, als sich Genma gegen ihn wiegte und gegen die Wand drückte mit dem vollen Gewicht seines Wollens…seines Bedürfnisses.    Erregung schnurrte in Kakashis Venen…urtümlich…instinktiv…kraftvoll…viel kraftvoller als in der Vergangenheit.    Das hier ist nicht die Vergangenheit…   Nein. In der Vergangenheit hatte es keine Hemmungen, keine Verpflichtungen und keine Fragen gegeben. Keine Sentimentalität, keine Sanftheit, keinen Sinn von irgendetwas jenseits der fleischlichen Befriedigung von grobem, animalischem Sex. Regeln, die Kakashi aufgestellt und Genma gebrochen hatte. Oder vielleicht hatte Genma nur all die Verstöße gesehen, die Kakashi nicht sah: wenn Berührungen tiefer gingen; wenn Kakashis Maske entfernt wurde und sich Genmas Defensiven senkten; wenn Gewalt und Aggression damit begannen, in etwas auszubluten, das weniger mit Schmerz zu tun hatte…weniger mit Bestrafung zu tun hatte…   Wenn das Drohen eines verbotenen Kusses tödlicher wurde als das Blut, das sie zu vergießen suchten.    Vielleicht hatte Genma gespürt, was Kakashi damals nicht hatte begreifen können; dass der Shiranui älter war, weiser und feingestimmt auf das Lied in diesen gefährlichen Saiten…diesen gefährlichen Verbundenheiten…   Und dann hatte ein einziger Blick alles zerstört.   ‚Das letzte Mal, als du mich so angesehen hast, Kakashi, sind die Dinge zwischen uns sehr kompliziert geworden.‘   Kakashi hatte nie darauf gewartet, heraus zu finden – dahinter zu kommen – was zur Hölle das eigentlich bedeutet hatte. Was zur Hölle er eigentlich angefangen hatte zu fühlen.    Nicht mit Genma. Nicht mit irgendwem…   Er hatte sich abgekapselt. Und er hatte sich aus dem Staub gemacht. Und er hatte nie einen Blick zurück geworfen. Weil er nicht für so etwas geschaffen war…er hatte keine Regale dafür…viel zu jung waren sie in ihm kollabiert. Klar entzwei gebrochen. Nicht in der Lage, irgendetwas oder irgendwen zu halten. Nutzlos. Zerbrochen. Jenseits irgendeiner Reparatur.    Und doch meldete sich dieses Biest in ihm, verloren und einsam und der Vergangenheit gegenüber tot…   Den Regeln gegenüber tot…   Allem gegenüber tot…Tod…so viel Tod….   Und er und Genma hatten ihn gelebt. Hatten ihn geatmet. Hatten ein weiteres Monster in das Gemisch geworfen. Sex und Tod, zwei Tiere, die verschlangen…zwei immer noch schlagende Herzen, hungernd nach Leben…dürstend nach Fühlen…   Nicht dieses Gefühl…nicht heute Nacht…   Hartnäckig kämpfte Kakashi gegen den Kummer in ihm und presste die Lider aufeinander, bevor sie sich flatternd wieder öffneten und auf Halbmast schwebten. „Genma…“   Genmas Zähne fanden seinen Hals, sanken wie Fänge gegen das Gewebe durch geschütztes Fleisch.    Der Nervenkitzel war sofort da, die Erwiderung unmittelbar.    Knurrend bockte Kakashi hart nach vorn und wirbelte sie mit kaum gezügelter Brutalität herum, um Genma mit einem Arm über der Kehle an die Wand zu nageln. Seine andere Hand klatschte heftig neben Genmas Kopf gegen die Mauer.    Ihre Blicke krachten aufeinander, hielten sich. Rauch und Feuer.    Panik blitzte in Kakashis Augen auf; bestürzt und wachsam. Er keuchte schwer. Atmete schwer.   Genma hingegen war vollkommen ruhig, seine Wimpern hingen tief und schirmten welches Biest auch immer ab, das hinter seinen Augen brannte. Langsam legte er den Kopf schief und ließ seine Augen in einem wissenden Gleiten über Kakashis getroffenes Gesicht wandern. „Es heult in dir, nicht wahr?“   Kakashis Augen weiteten sich bei diesen Worten.    Sein eigenes Wispern, das zurück kam, um ihn heimzusuchen…der Hunger schlicht dicht dahinter her, näherte sich schnell dem stolpernden, zappelnden Organ in seiner Brust. Und dann waren Genmas Hände auf seiner Haut, schoben sich unter der dünnen schwarzen Weste nach oben, um rote Flüsse von seiner Wirbelsäule bis zu den Schulterblättern zu krallen und sich hinein gruben, bis Muskeln brannten und Hämatome erblühten. Lust. Schmerz. Macht.    Kakashis Atem ließ seine Maske tief und schwer zittern.    „Lass es mich hören“, raunte Genma. „Lass es mich hören…“   Rufe, Schreie, Heulen…ein Mahlstrom, der zu ihren Monstern gehörte. Kakashi rutschte heftig ab, rutschte schnell ab.    Nicht heute Nacht…   Er realisierte gar nicht, dass er die Worte hervor gekrächzt hatte, bis Genmas Mund gegen seine Stirn stupste. „Das hast du nicht zu entscheiden…diese Nacht werde ich nehmen…ich werde es alles nehmen...ich werde es bei der Kehle nehmen, Kakashi…so wie du es mit mir gemacht hast…so, wie wir es immer getan haben…“ Genmas Finger gruben tief – aber nicht annähernd so tief wie die Worte, die folgten. „Weil ich weiß, dass dieser Schmerz nicht die einzige Sache ist, von der du heute Nacht fühlen willst, wie sie in dir heult…“   Kakashi schloss die Augen. Die Muskeln in seinem Unterarm zogen sich über Genmas Hals straff und drückten hart genug, um zurückzuhalten, aber nicht hart genug, um Genmas Worte zu ersticken, oder seine Berührungen abzuhalten. Ah, aber Worte – kombiniert mit Berührung – waren schon immer Kakashis Schwäche gewesen. Die potenteste aller Drogen. Und Genma erinnerte sich…erinnerte sich, wie er berühren musste, wie er reden musste…   Kopfschüttelnd versuchte Kakashi, das Gefühl abzuschütteln. „Nein.“   „Sh.“ Genma drängte ihn in eine Ecke; pferchte ihn mit einem Wispern ein. „Gib mir einen Geschmack, Hatake…ich werde es aus dir heraus reißen…Zähne…Zunge…genau so, wie du es willst…“ Ein wildes Packen von Kakashis Nacken, raubtierhaft wie ein Todesbiss und Genmas Finger drehten sich in weiche, silberne Strähnen, bevor sie hart daran ruckten, um Kakashis Kehle bloßzulegen. „Genau so, wie du es brauchst…“   Zischend bog sich Kakashi in diese Berührung und sein Becken wiegte sich nach vorn, auch als sich seine Schultern nach hinten rollten und sich sein Körper neigte, um zu folgen. Sein Arm lockerte sich, fiel von Genmas Hals und erschuf Raum, den der Shiranui gleich wieder schloss, indem er sich nach vorn lehnte und seinen Mund über ein bekleidetes Schlüsselbein wandern ließ. Er zwickte durch den Stoff, die Zähne abgestumpft durch das Gewebe; eine Illusion davon, Haut aufzubrechen, Regeln aufzubrechen – der wilde, mitreißende Nervenkitzel davon, Texturen zu vermischen, Berührungen zu vermischen…   „Rede…“, befahl Kakashi rau und atemlos. „Rede…“   Diese Zähne bissen härter zu.    Ein leises Stöhnen rasselte in Kakashis Kehle.    Ein zustimmendes Knurren und Genmas Hüften wiegten sich bei dem Geräusch nach vorn, während sich seine Lippen gegen den maskierten Kiefer bewegten, um sich die geneigte Kante entlang zu zwicken. „Du hältst es versteckt…hast das schon immer getan…aber vor mir kannst du es nicht verstecken…und ich kann es nicht vor dir verstecken…so läuft das, Hatake…von einem Tier zum anderen…“ Genma senkte den Kopf und seine Worte rieben wie eine blutige Zunge über Kakashis Sinne; leckten an der heißen, nassen Hitze, die durch sie sickerte. „Der unberührbare, unbewegbare, Kopierninja-no-Kakashi.“ Bitter. Beißend. „Tz. Ich weiß, wie man dich dazu bringt, dich auf Arten zu bewegen, zu denen dich niemand jemals für fähig halten würde, Kakashi…ich weiß, wie man die Lügen unter dieser Maske berührt…unter dieser Haut…“ Nägel schnitten sich südwärts, geisterten über Kakashis Wirbelsäule wie eine abgestumpfte Klinge. „Scheiße, ich könnte dich nur mit meinem Mund bis zum Ende bringen…ohne dich überhaupt zu berühren. All die Male, als du dachtest, du würdest führen?“ Seine Finger senkten sich weiter, umkreisten die Wurzel von Kakashis Wirbelsäule und glitten langsam tiefer. „Oben warst…“   Kakashi ließ eine Hand nach hinten schnellen und packte Genmas Handgelenk, um die wandernden Finger anzuhalten; diesen alarmierenden Vorschlag, während seine Kehle unter den Lippen des Shiranui pochte. „Das nicht…“   „Wieso? Wenn ich doch bereits tausende Male in dir war, Kakashi…tiefer als Fleisch…all diese heißen, harten Worte, die dich füllen…du erinnerst dich…“ Mit den Lippen strich er über Kakashis Ohr und seine Zähne kratzten über die Muschel, als die Zunge den Bogen nachzeichnete. „Ich habe dich besessen, lange bevor ich auch nur einen Finger an dich gelegt habe…“ Anspruch. Dominanz.    Mit aufschnellenden Augen stieg Kakashis Zorn an und wurde von Genmas Worten zu einem Rasen zwischen Lust und Rage gepeitscht. Einen Schwur knurrend riss er Genma von der Wand fort und schleuderte ihn in einem bösartigen Krachen und Rollen auf den Boden, wobei Scherben zerborstenen Glases über das Holz schlitterten und weiß im Mondschein glühten.    „Niemand besitzt mich“, grollte Kakashi und stellte sich über Genma, als sich der liegende Ninja auf den Rücken drehte. Kakashi funkelte zornig auf ihn hinab und sein Körper wurde von hinten vom Mondlicht erhellt. Sein Gesicht war in Schatten verloren und sein silbernes Haar glänzte weiß. „Niemand.“   Genma stützte sich auf seinen linken Ellbogen und legte den Kopf schief, während er mit der Zunge über die Blutspuren fuhr, die seinen rechten Unterarm bedeckten und die ganze Zeit über Kakashis Starren hielt. Die Intimität, der Trutz, das Versprechen in dem Blick brannten sich heißer durch Kakashi als die Feuer seines Zorns und entfachten dunklere Flammen.    Sein Sharingan glühte mit wirbelnden Tomoes. „Niemand“, wiederholte er guttural und warnend.    Die Drohung schlug Wellen in der Luft und schien die unsichtbaren Strömungen zu nähren, die heiß und kalt zwischen ihnen schwankten. Doch Genma zögerte nicht, gab nicht nach, auch dann nicht, wenn er zu Boden ging. Das hatte er nie. Nicht der Mann, den Kakashi einst gekannt hatte – und auch nicht der Mann, den er jetzt anstarrte.    Durch abgeschirmte Augen nach oben spähend ließ Genma seinen Blick in einem langsamen, sengenden Kriechen über Kakashis langen, zisellierten Körper wandern; nahm die bebenden Muskeln unter geröteter Haut und dem dunklen Oberteil in sich auf, bevor er an der hervorstehenden Wölbung im Schritt des Kopierninjas verharrte. Ein schwaches Schmunzeln zupfte an Genmas Mundwinkel und seine Augen blitzten auf. „Ich besitze dich heute Nacht, Hatake.“   Kakashi stürzte sich auf ihn.    Herumwirbelnd riss Genma sein Knie nach oben und zielte darauf, den Fußballen in Kakashis Bauch zu rammen, um ihn zurück zu treiben oder sich aufzurichten – oder zumindest hatte Kakashi das vermutet. Viel zu geblendet von dem Zorn, der durch seinen Kopf jagte, um die Finten zu bemerken. Doch das Sharingan erkannte sie; sah zu, wie sich Genmas Arm in Zeitlupe bewegte und sich der rechte Ellbogen als Ablenkung nach oben drehte, während sein anderes Bein ausschlug und sich der Fuß einhakte, um Kakashi hinter der Wade zu packen und ihm die Balance zu nehmen – ein Zug, der es Genmas anderem Fuß ermöglichen würde, direkt in den Schenkel des Kopierninjas zu treten und ihn den restlichen Weg nach unten auf den Boden zu befördern.    Auf keinen Fall.   Kakashi warf sein Gewicht nach hinten, seine Hüften nach oben und drehte sich geschmeidig wie eine Katze. Sein Torso bog sich beinahe sinnlich, als er seine linke Hand hinter sich abstützte, bevor er seinen rechten Arm nach hinten schwingen und seine Beine folgen ließ, um den Rückwärtssprung zu vollenden. Der Abstand erkaufte ihm Zeit, um den anderen auszumanövrieren.    Oder auch nicht.    Was auch immer es für eine Droge war, die durch Genmas Netzwerk wogte; sie schien unter dem Adrenalin anzuspringen, um sowohl Stärke als auch Geschwindigkeit zu verleihen. Auf der Hüfte schlitternd ging der Tokujō von seinem missglücktem zu Fall bringen nahtlos in einen bodentiefen Scherentritt über und schlug in der Sekunde nach Kakashis Knien, als Kopierninja wieder landete.    Fluchend sagte Kakashi die Schnelligkeit voraus, sprang, stieß sich vom Tisch ab und katapultierte sich in die Luft, um hart nach unten zu stürzen, seinen Ellbogen in Genmas Kiefer krachen zu lassen und den anderen Shinobi damit wieder auf den Boden zu befördern. Er krallte seine rechte Hand in Genmas Weste und riss den Tokujō nach oben, bis sich ihre Münder beinahe berührten.    „Besitze das“, fauchte Kakashi und verdrehte seine Finger zu der Boshi Ken Schwertfaust, während er seine linke Hand nach hinten zog; bereit dazu, die Spitze seines Daumens in den Vagusnerv an der Seite von Genmas Hals zu schlagen.   Eine Sternenexplosion von Stahl.    Ein scharfer, brutaler Schmerz.    Kakashi blinzelte weitäugig und wortlos fiel sein Mund hinter seiner Maske nach unten.    Heftig keuchend feixte Genma zu ihm auf. „Tut weh wie eine räudige Hündin…oder?“ Alte Worte, alte Pein. Er zog seine Faust von Kakashis Brustbein fort – und dort, zwischen Genmas erstem und zweitem Fingerknöchel, stachen zwei Senbons hervor. Blut tröpfelte den dünnen Stahl hinab.    Ein ersticktes Geräusch verfing sich nass und blutig in Kakashis Rachen. Genma hatte einen Druckpunkt nicht einfach nur getroffen; er hatte ihn punktiert und die Nerven in einen Spasmus katapultiert. Er würgte ein zerhacktes Husten hervor, krümmte den Körper, bekämpfte den Kollaps.    „Der Druckpunkt des Metasternum…“, erklärte Genma sadistisch und vollkommen unnötigerweise und trieb seinen Sieg damit tiefer als die Nadeln. „Derselbe Ort, in den du mich das letzte Mal gestochen hast, als wir gekämpft haben…mieser Trick…ich schulde dir was…und jetzt kommt die Elektrizität…“   Tatsächlich rissen Kakashis benommene Nerven wie Stromkabel und scharfe Blitze elektrischen Schmerzes stachen sich in Brust und Zwerchfell und brachten seine Rippen dazu, sich zu heben. Seine Beine gaben nach.    Doch er schlug nicht auf dem Boden auf.    Genma fing ihn ab und nutzte Kakashis Momentum, um sie zu drehen, den Kopierninja ohne viel Federlesen auf die Matratze fallen zu lassen und ihn mit einer Hand auf der Brust unten zu halten. „Bleib ruhig liegen“, befahl Genma, nahm das Senbon zwischen die Lippen und knirschte seine Worte hervor. „Tz. Ich hab total einen im Tee, aber sogar ich hätte das kommen sehen. Ist nicht das erste Mal, dass ich während eines Kampfes total drauf bin. Nicht, dass ich es nicht zu schätzen wüsste, dass du mich unterschätzt.“   Vollkommen paralysiert von dem Fibrillieren, das in Brust und Bauch abging, ruckte Kakashis Kehle nur, doch es kamen keine vernichtenden Worte. Es fühlte sich an, als wären Elektroden an ihn angeschlossen. Verbritzelten sein Herz. Drohten mit einem Herzstillstand. Düster und in irgendeinem distanzierten Winkel seines Verstandes fragte er sich, was zur Hölle Rin gefühlt hatte, als sich seine Hand durch sie gerammt hatte…   ‚K-Kakashi…‘   Schmerz – eine ganz andere Art. Sein Rücken hob sich biegend von der Matratze und seine Sicht flammte auf. Nur vage war er sich bewusst, dass Genmas Hände ihn wieder nach unten rammten. „Bleib unten. Ich kann besoffen kämpfen, aber Zeug zu reparieren ist schwieriger. Reiß dich verfickt nochmal zusammen, Hatake.“   Leicht gesagt. Kakashi hätte Genmas Kehle gepackt, wenn ein Spasmus nicht stattdessen ihn gepackt hätte und ihn in einer kurzen Verrenkung von Totenstarre hielt, was es Genmas Händen gestattete, sich unter seine Weste zu schieben und in einem präzisen Muster über schweißbenetzte Haut zu wandern.    „Genau…da…“ Genma grunzte. „Hn. Da.“   Mit flatternden Augenlidern erhaschte Kakashi einen flüchtigen Blick auf die Nadeln, spürte einen winzigen Stich, ein Muskelzucken.    Der Schmerz hörte auf. Unmittelbare Befreiung.    Kakashis Muskeln lösten sich und schlaff sackte er heftig keuchend gegen die Laken.    Die Matratze neigte sich und Genmas Gewicht bewegte sich über ihm, als sich der Shiranui rittlings auf Kakashis Schenkel setzte und die Hände noch immer auf seiner Haut hielt. Daumen strichen über die Stelle, die mit diesen tödlichen kleinen Nadeln durchstochen worden war. „Ich glaube, meine Worte treffen einen tieferen Nerv als diese Nadeln. Schön zu wissen, dass ich dich immer noch aufbringen kann – auf all die richtigen Arten.“   Mit immer noch geschlossenen Augen zog sich Kakashis Nase in einem Knurren kraus, doch das Geräusch verpuffte zu einem schwachen Grunzen. Er würde Genma von sich buckeln und die nächste Runde innerhalb nur weniger Sekunden gewinnen…er brauchte nur…eine Minute…vielleicht auch zwei…   Kami, war er müde…erschöpft…überwältigt von etwas Stärkerem als physischer Anstrengung. Leicht zusammenzuckend strich er mit den Knöcheln in einem gedankenlosen Reiben über sein Brustbein und dann dorthin, wo Genma in erstochen hatte…er fühlte die phantomhafte, dumpfe Qual…wusste, dass sie nichts mit dem Schmerz zu tun hatte, der gerade durch sein Zwerchfell und seine Brust gebritzelt war.    Rin…   Genma berührte sein Handgelenk.    Flatternd hoben sich Kakashis Wimpern und sein rechtes Auge blitzte auf wie Quecksilber. Eine verschwendete Warnung. Genmas Blick ruhte nicht auf seinem Gesicht, sondern auf seinen Knöcheln, auf dem abgehackten Heben und Fallen seiner Brust. Stirnrunzelnd brach Kakashi die Geste ab, krümmte seine Finger fort von seinem Herzen und wollte seine Hand befreien. Doch Genma folgte einfach der Bewegung, ohne loszulassen und pinnte das Handgelenk des Kopierninjas fest, während sein Daumen über die kantigen Knochen strich.    Kakashis Augen loderten.    Langsam blinzelnd nahm Genma die Senbons mit der freien Hand aus dem Mund und legte sie auf dem Fenstersims über Kakashis Kopf ab, während er unverwandt nach unten sah. Seine Miene ernüchterte zusammen mit seinen Worten. „Wir alle werden von etwas besessen, Kakashi…wir alle haben einen Ort, den wir nicht verlassen können…dem wir nicht entkommen können…“   Die Ermüdung hinter diesen Augen sickerte durch die leisen, hinterlassenen Schlieren in der Stille. Ein leidvoller Regen, der zerbrochene Spiegel hinab rann und die Fragmente dieser lange verlorenen Zeit reflektierte. Es war so leicht, sich an den Kanten dieser Erinnerungen zu schneiden; und da lagen sie, hinunter gefallen von ihren Regalen, grell und verstreut und…   ‚K-kakashi…‘   Ein scharfer Stich in seiner Brust und Kakashi spürte, wie der Zorn aus ihm blutete…spürte, wie sich das Drohen von Schmerz einschlich…und dann Wärme – die Hitze feucht und plötzlich, als sich Genma nach unten lehnte, um mit offenem Mund einen langsamen Kuss über das pochende Herz zu hauchen. Die Zärtlichkeit und Plötzlichkeit dieser Geste traf Kakashi hart. Auf den Laken wurde er vollkommen still und sein Puls schlug heftig, als Genmas Mund über seine Weste wanderte und die Ebenen seiner Brust nachzeichnete. Heißer Atem durchdrang die Fasern der dunklen Baumwolle und verbreitet Wärme, bis sich Genmas Lippen um einen Nippel schlossen und hart daran saugten, bevor er sanft von seiner Zunge massiert wurde.    Kakashis Atmung halbierte sich mit einem Luftschnappen und die Muskeln seines Bauches spannten sich gegen die süße dunkle Hitze an, die durch ihn kroch. Seine festgepinnte Hand ballte sich zu einer Faust und Chakra summte in seinen Venen.   Genma drückte sein Handgelenk und spürte, wie der Puls heftig taumelte. „Gott…bring mich nicht dazu, dich hierfür bekämpfen zu müssen, Kakashi…nicht hierbei…nicht heute Nacht…“, wisperte er; berührte jetzt in einem weichen Rauschen über Kakashis Haut mit Worten allein. „Alles, was ich besitze sind meine Fehler…aber diese eine Nacht…ist alles, was ich habe…ich weiß, dass du dieses Gefühl kennst…“   Ich kenne es…   Gott ja, Kakashi kannte es.    Lebte tagtäglich mit diesen Kiefern um seiner Kehle – bekämpfte immer den Todesbiss der Vergangenheit, der ihn nach unten zerrte…kämpfte immer um falsches Lächeln und fabrizierte Freude…kämpfte immer darum, alle Menschen auf Armeslänge auf Abstand zu halten, bei denen er riskierte, eine Hand nach ihnen auszustrecken…riskierte, sich an ihnen festzuhalten…   ‚K-Kakashi…‘   „Sharingan no Eiyū…”, wisperte Genma mit einer Zunge wie die Schneide eines Messers, als er die Silben über Kakashis Hals streichen ließ. „Immer der Letzte, der noch steht…immer der Überlebende…und dann gab es die Zeiten, in denen du zu mir kommen würdest, einen Kampf davon entfernt, auf die Knie zu fallen…und wolltest von mir, dich den Rest des Weges nach unten zu ziehen…wie in dieser anderen Nacht…“ Hier machte er eine kurze Pause und drehte den Kopf. „Bist du deswegen gekommen?“   „Ja“, antwortete Kakashi. So leise ausgesprochen, dass das Geständnis wie ein Schatten von Klang war.    Ein Schatten, den Genma bemerkte. Still werdend zog der Shiranui den Kopf zurück und sah für einen langen Moment auf Kakashi hinab, versuchte, diesen ungleichen Blick einzufangen; versuchte, etwas einzufangen, das besser in Ruhe gelassen wurde.    Allein…   Immer allein. Der Letzte, der noch stand, genau wie Genma gesagt hatte.    Schwer schluckend stierte Kakashi weiterhin auf Genmas Hals, hielt die Wimpern tief und bestritt die Intimität…wissend, dass er keinerlei Defensive dagegen hatte…das hatte er noch nie. Immerzu jagte er diese Intimität in Phantasie, in Fiktion, auf abgetrennte Weisen. Leichter, davon zu träumen, als es zu wagen. Was auch der Grund war, aus dem Gewalt immer Verletzlichkeit vorzuziehen gewesen war, wenn es um Sex ging. Und Genma hatte ihn nie enttäuscht, oder sich ihm verweigert…   Bis jetzt.    Denn durch die Art und Weise, wie Genma ihn ansah - so gebrochen und zerfressen bis auf die Knochen von seinen eigenen Dämonen - wusste Kakashi, dass er auf diese Gewalt würde drängen müssen…auf diese Grenzen…   Auf diese Regeln…   Er sog einen scharfen Atemzug ein und versuchte, die Energie zu finden. Versuchte, dieses elende, heulende Ding in ihm zu Zorn zu treten, zu Aggression…er schlug danach…fühlte, wie es sich knurrend in seiner Brust zusammenrollte…nicht zornig, nur sehnend…sehnend…   Gott bitte nicht heute Nacht…nicht mit Genma…   Er fing an, sein Handgelenk frei zu winden. Nicht um zu entkommen, nur um zu kämpfen.    Genmas Griff spannte sich an und seine Brauen zogen sich zusammen. „Immer noch kämpfen? Du bist bereits unten…ist es wirklich so weit für dich, zu fallen?“   Langsam hob Kakashi den Blick und antwortete nur mit seinen Augen.    Angesichts des Kontakts geriet Genmas Miene ins Stocken und sein Kopf zog sich noch etwas weiter zurück. Im Mondlicht, mit all den Schatten die hinunter glitten in die Mulden seiner hageren Wangen und mit dem silbrigen Glühen, das sich grell in diesen dunkel umrandeten Augen verfing, sah er auf eine Weise heimgesucht aus, die rief…   Eine Weise, die heulte…   Wie das Biest in Kakashis Seele.    Genma musste es gehört, es bemerkt haben. Von einem Tier zum anderen. Er schloss beide Hände um Kakashis Handgelenke und pinnte sie mit seinem Gewicht fest, während er sich nach unten lehnte, um seine Lippen über das hämmernde Herz des Kopierninjas zu legen und zu murmeln: „Es ist nicht so weit, wie du denkst…“   Verkrüppelt von diesen Worten hörte Kakashi auf zu denken, schloss die Augen und stieß einen langen, bebenden Atem aus, als Genmas Mund wieder begann, sich zu bewegen. Zähne zwickten an bekleidetem Fleisch, eine Zunge rieb über nasses Gewebe und empfindliche Haut, bevor sie einen Nippel ergriff und hart darüber rollte. Das Kitzeln von Lust zerbarst wie winzige Funken über Kakashis Brust, entflammte eine Zündschnur, die südwärts raste, während eine Glut heiß in seiner Magengrube glühte. Erneut streifte Erregung in wilden, rastlosen Kreisen umher…doch das Wesen von Kakashis Biest hatte sich verändert…er konnte spüren, wie es sich in ihm drehte, sich gegen ihn wandte, sich gegen sich selbst wandte.    Furcht beschleunigte den Schlag seines ohnehin schon donnernden Herzens…   Furcht wegen dem, wonach auch immer dieses Tier in ihm in dieser Nacht heulte.    Nicht das…   Seine Finger versteiften sich und die Venen in seinen Armen traten hervor.    Genma packte noch härter zu und zerrte Kakashis Handgelenke hinunter zu seinen Hüften, was es dem Shiranui ermöglichte, weiter nach unten zu rutschen, ohne seinen Griff aufgeben zu müssen. Keine leichte Sache. Kakashi bekämpfte ihn, den Bizeps straff gezogen in eisernem Widerstand, der zu einem kurzen Tauziehen führte – ein Kampf, der damit endete, dass Genma frustriert wieder nach oben auftauchte, um Kakashi nach unten zu rammen und gegen seinen Mund zu knurren.    „Bleib verfickt nochmal unten, Kakashi.“   Mit zu Schlitzen verengten Augen hob Kakashi seinen Kopf und stupste ihre Lippen in der grausamen Parodie eines Kusses aneinander – die eine Sache, die er dem anderen Ninja immer verwehrt hatte. Er spürte, wie der Stoff der Maske unter Genmas Mund zitterte, als er sagte: „Du zuerst.“   Weitäugig blinzelnd erstarrte Genma und der Zorn in seinen Augen zerbröckelte, während sich seine Miene gegen denselben Kollaps anspannte. Das hatte Kakashi nicht erwartet und sein schlitzäugiger Zorn vertiefte sich mit Verwirrung und Unsicherheit.    Doch Genma schüttelte nur den Kopf und stieß ein bitteres, zerbrochenes Lachen aus. „Ich bin bereits auf den Knien…warum zur Hölle denkst du wohl, bin ich hier?“   Nichts hätte Kakashi tiefer erreichen können. Er versteinerte geradezu unter Genma und die Schärfe um seine Augen machte einem qualvollen Zucken Platz, als all die anderen Gründe, aus denen Genma vielleicht hier wäre, durch seinen Verstand zuckten; Mizugumo, Rache, Bestrafung, Frustration…Einsamkeit…   Einsamkeit…   Das traf ihn hart, traf ihn tief, benannte das Biest und brachte das Heulen in seinem Herzen dazu, durch seinen gesamten Körper zu hetzen, bis Blut und Fleisch schrien…solch entsetzlicher Kummer…solch profunde Sehnsucht. Wie viele Male hatte er sich ihr über die letzten Jahre verweigert? Tief begraben zwischen den Seiten von Büchern über Gefühle und Freiheiten, die er nicht haben konnte. Selbst in dieser anderen Nacht, als er genommen hatte, was er wollte, was er gedacht hatte zu brauchen.    Es war nicht das…   Nein. Es war nicht die Einsamkeit gewesen, die ihn damals getrieben hatte…es war nicht diese lange, ermattete Nacht der Seele.    Nur diese Nacht…   Diese eine Nacht…dann würde dieser Kummer vielleicht wie der Wahnsinn der letzten Woche mit dem Mond fort sein. Es spielte keine Rolle…nicht, wenn er und Genma nur zwei Phantome waren, die hindurch wanderten; suchend nach einem warmen Körper, einem flüchtigen Geschmack von Leben.    War das denn so verdammt falsch?    Das wird es sein…   Nur nicht heute Nacht.   Aufmerksam suchte Kakashi Genmas Miene ab und sein Blick glitt von diesen dunklen, geschützten Augen hinunter zu dem Riss in der Unterlippe des Shiranui. Für einen langen, angespannten Moment starrte er und lauschte dem Atem, der zwischen ihnen bebte.    Der Klang durchfuhr Kakashi wie eine kalte Brise…   Seine Haut kribbelte…sehnte sich schmerzvoll nach Hitze…und er versteifte sich gegen das drohende Erschauern.    „Shit…“ Genma las ihn falsch und seine Finger lockerten sich um Kakashis Handgelenke, bevor er sich zurück ziehen wollte. „Wie ich gesagt habe, alles, was ich besitze, sind meine Fehl-“   Ohne nachzudenken hob Kakashi den Kopf und neigte seinen maskierten Mund unter Genmas, um die Erwiderung des Shiranui ebenso anzuhalten wie seinen Rückzug. Eine sanfte Imitation eines Kusses – ohne den Spott, ohne den Hohn und dennoch weit gefährlicher als beides zusammen.   Für einen langen Augenblick bewegte sich keiner von ihnen und ihre Atemzüge klammerten sich aneinander, bis Kakashi sprach; seine Worte waren warm durch das Gewebe seiner Maske.    „Besitze das“, wisperte er noch einmal; viel sanfter diesmal.   _______________________ Glossar: Sharingan no Eiyū: Held des Sharingan Reiketsu no Kakashi: Kaltblütiger Kakashi - unter diesem Namen war Kakashi bei ANBU bekannt Yūgao: ANBU Kenjutsu Spezialistin - Geliebte von Hayate Tanzaku: Eigentlich 'Tanzakugai', Glücksspielstadt im Feuerreich. Jiraiya und Naruto finden dort Tsunade Yep, ich denke, viele von euch haben sich schon gedacht, dass es Genma war, der da bei Kakashi auftaucht :D  In diesem Kapitel erfahrt ihr viele und auch sehr wichtige Informationen im Bezug auf Genmas Vergangenheit und vor allem darüber, in welcher Beziehung er zu Kakashi steht, was er für Kakashi bedeutet.  Ich könnte mir vorstellen, dass es hier was die zeitliche Einordnung ihrer gemeinsamen Kurobara Mission zu Verwirrungen kommen könnte. Sollte das der Fall sein, dann bitte unbedingt fragen ;)  Die Kurobara Mission steht übrigens in keinerlei Verbindung zu Shikamaru und hat viele Jahre vor dem Vorfall in Kusagakure stattgefunden. Wie immer hoffe ich sehr, dass es euch gefallen hat!! :)  Vielen vielen Dank wie immer auch an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 12: The first...the last -------------------------------- Die Einladung ließ Genmas Kopf nach hinten rucken und zerrte seine Aufmerksamkeit von Kakashis Mund zu den abgeschirmten, ungleichen Augen. Er suchte nach Lügen, nach Gründen zu zweifeln.    Kopfschüttelnd sah Kakashi zurück.    Kein Hohn. Keine Tricks.    Der schmale Raum zwischen ihren Körpern wurde heißer, dichter – ohne die Gewalt oder Aggression, die ihre Zusammentreffen in der Vergangenheit immer gekennzeichnet hatten. Und dann – mit seinem Blick auf Kakashis Gesicht fixiert – drückte sich Genma forschend nach unten…unglaublich langsam…   Kakakshis Wimpern flatterten über seinen Augen nach unten und sein Kopf kippte ein Stück nach hinten.    Entflammt folgte Genma ihm, zog seinen Körper in einem bedächtigen, katzengleichen Strecken über Kakashi. Kleidung raschelte, zerrte sich über Haut, diese erotische Andeutung von Berührung, die den Atem des Kopierninjas zu einem Seufzen zerfetzte, das laut und rau in die Stille hallte.    „In dieser anderen Nacht hast du nie solche Laute von dir gegeben“, murmelte Genma, zog Kakashis Handgelenke über die Bettdecke nach oben, ließ die kühlen Laken über die Handrücken des Kopierninjas wispern, bis sich die Finger zu Fäusten ballten. „Rede mit mir…sag mir, was du willst…sag mir, wie du es willst…“   Kakashi schüttelte den Kopf in einer vagen, benommenen Bewegung. Er log nicht; denn er hatte wirklich keine Ahnung, was zur Hölle er wollte…brauchte…wusste nur, dass diese kaum vorhandenen Berührungen Erwiderungen verursachten…Reaktionen…tief unter seiner Haut…   Als könnte er seine Gedanken lesen, überkreuzte Genma diese blassen Handgelenke, umwand sie mit einem einhändigen Griff und ließ seine freie Handfläche eine Haaresbreite von Kakashis erhobenen Armen entfernt darüber geistern. Er strich über Unterarm und Ellbogen und dann den bebenden Trizeps hinab; nur die Andeutung einer Berührung, die Haut prickeln ließ und Muskeln straffzog.    „Du gibst dich so verdammt unberührbar…“, staunte Genma kopfschüttelnd. „Aber schau dir an, wie sehr du angefasst werden willst…“ Mit seiner Zungenspitze fuhr er über Kakashis Arm, ließ eine dünne, nasse Spur zurück. So schwach und dennoch stieg ein Erröten auf der blassen Haut auf. „Hart und schnell, grob und wild…so tun wir das…wir haben niemals langsam gemacht…niemals das hier getan…warum?“   Wegen der Intimität…   Sie kamen schlagartig zu Kakashi; die Antwort, der Grund. Doch was nicht zu ihm kam, war die Antwort auf eine viel gefährlichere Sorge: Zeitpunkt. Warum jetzt? Warum jetzt, nach all der Zeit, nach all diesen Jahren, in denen er diese Kreatur in ihm im Griff gehabt hatte…warum wandte es sich jetzt gegen ihn? Warum brach es jetzt die Regeln, für die er ein Menschenleben verbracht hatte, um sie zu konstruieren? All diese Regal in ihm, ausbalanciert in einer willkürlichen, aber dennoch funktionierenden Ordnung. Warum wurde er jetzt von seinem Körper betrogen? All diese privaten Reaktionen preisgebend, für die er ein Menschenleben verbracht hatte, um zu versuchen, sie zu vertuschen und in weniger komplizierte und weit mehr selbsterhaltende Formen zu kanalisieren.    Er hatte sich angepasst, oder nicht?    Hatte Wege gefunden, zurecht zu kommen.    Oder zu verleugnen…   All die Regeln, die er aufgestellt hatte: kühle Distanzierung und eine Fassade falscher Freude; der raue und befriedigende Sex zwischen Monaten des Zölibats; das harte Training und kanalisierte Gewalt. All seine verdrängten Gefühle und Nicht-Verbundenheit mit Menschen, nur diese seltsame Besessenheit…nämlich eine ganz bestimmte Buchreihe, die es ihm ermöglichte, stellvertretend all diese Bedürfnisse zu erleben, für die er keine emotionalen Regale hatte. Bedürfnisse, die er besänftigte, indem er Romanzen und Triumphe von Romanfiguren durchlebte; erleben ohne riskieren; teilhaben und doch so tun, als ob.    Schauen, nicht anfassen.    Zusehen, nicht nehmen.    Eine Imitation von Leben…   Eine Imitation davon, zu leben. Und jetzt schrie das Biest in ihm nach der einen Sache, von der er geschworen hatte, sie niemals im Austausch für völlige Selbsterhaltung zu nehmen. Doch solch ein leerer Austausch wäre nicht genug. Nicht jetzt.    Nicht heute Nacht…   Heute Nacht wollte es mehr als Kontakt – es sehnte sich nach Verbindung. Berührung ohne Strafe, ohne Schmerz…ohne…   „Antworte mir, Kakashi“, flüsterte Genma und strich mit seiner Hand federleicht Kakashis Arme hinauf, während sich seine Stimme veränderte und vertiefte. „Warum so? Warum jetzt?“   Und da war sie wieder. Diese Frage, auf die er keine Antwort hatte.    Kopfschüttelnd strich Kakashi ihre Münder übereinander, als sich sein Körper leicht hob; schwebend auf der warmen, dunklen Welle, die in der Sekunde durch in rollte, als seine Erregung gegen Genmas Hüfte stieß. „Es spielt keine Rolle…ah…spielt keine Rolle…“   Es durfte keine Rolle spielen…nicht jetzt, nicht wenn ihn die Lust unter der Oberfläche seiner Haut dazu drängte, sich genau so gegen Genma zu bewegen…und Gott, so langsam…langsam genug, um jeden Zug in seinen Muskeln spüren zu können…das schwindelerregende Strecken…der Hauch von Körper und Hitze durch die Barriere von Kleidung…die Anspielung…die Illusion von Regeln…und das langsame Brechen davon…   Etwas riss wie das Gelenk in einer Kette und Kakashis Becken rollte sich nach oben, während sein Kopf nach hinten fiel. „Ah…rede“, ächzte er mit Worten, die Staub und Schotter zwischen seinen Lippen waren. „Rede mit mir.“   Genma fiel in das langsame Reiben mit ein und zuckte überrascht leicht zusammen. Sein Atem wurde zu einem heißen Raunen gegen Kakashis Ohr. „Fuck, Kakashi…nur hiervon? Mit diesem Ständer könntest du Blut vergießen…“ Als hätte er vor, seinen Punkt zu beweisen, ließ Genma Kakashis Handgelenke los, um zwischen ihre Körper zu greifen, seine Hüften zu heben und mit den Fingern zu suchen, bis sie über den feuchten Stoff strichen, der Kakashis Schritt überspannte. „Kami, du triefst…“   Die Worte flossen nur in den süßen heißen Strom, der träge und schwer Kakashis Wirbelsäule auf und ab mäanderte und leises, atemloses Stöhnen aus seiner Kehle zerrte. Erotische, peinliche, unkontrollierbare Klänge, die Genmas Kopf wieder nach oben zogen und die Lippen des Shiranui dazu einluden, sich über das zitternde Gewebe der Maske zu legen. Schon wieder diese gefährliche Imitation, dieses zu nahe, zu persönliche Streicheln von Lippen…dieser beinahe-aber-nicht-wirklich Kuss…   „Sag es“, hauchte Genma mit leicht heiser klingender Stimme. „Sag mir, wie ich dich anfassen soll…sag mir, was du willst…sag mir, was das hier ist…“   Die Stirn leicht gerunzelt schüttelte Kakashi den Kopf in stummer Verwirrung; viel zu konzentriert auf diese Bänder des Vergnügens, während er blind mit seiner freien Hand nach oben griff, um die Finger unter den Saum von Genmas Weste zu schieben. Er berührte Fleisch. Der Hautkontakt knisterte wie Chakra unter seinen schwieligen Fingerkuppen. So gewöhnt daran, zu krallen, zu klammern, zuzupacken…doch jetzt geisterten sie nur, strichen langsam über die Grate von Genmas Bauch, fühlten, wie die Muskeln bei seiner Berührung zuckten…   Genma versteifte sich und fluchte leise, als er heftig erschauerte.    Der Tremor wanderte von einem Körper in den anderen und Kakashi zehrte davon, während sich seine Handfläche um Genmas Seite bog, um die sich verschiebenden Ebenen des Rückens des Shiranui entlang nach oben zu gleiten. Schlanke, von Knochen zerfurchte Muskeln. Zu viele Vorsprünge, zu viele Grate, nicht genug zum Anfassen.   Zu dünn…   Kakashis Stirnrunzeln vertiefte sich und seine Lider hoben sich auf Halbmast. Warum hatte er es vorher nicht bemerkt? Ah, aber er hatte Genma vorher nie berührt – nicht so. Er hatte nur von ihm genommen. Ihn benutzt. Er hatte nichts anderes genossen außer die Entrückung einer raschen, harten Erlösung, die schnelle Bestrafung eines schmerzversetzten Vergnügens, die Befriedigung dieses niederen tierischen Bedürfnisses, Sex mit Tod zu mischen. Er hatte sich nie die Zeit genommen, zu berühren, teilzuhaben. Nicht so. Nicht mit diesem Fühlen in seinen Händen…und mit diesem Sehnen in seinem Körper.   ‚Sag mir, wie ich dich anfassen soll…sag mir, was du willst…sag mir, was das hier ist…‘   Und schon wieder konnte Kakashi es nicht benennen. Versuchte stattdessen, mit Berührung allein zu sprechen, als er Genmas Rücken erkundete, als würde er neues Gebiet entdecken. Drückte ohne Aggression in Muskeln, fühlte ohne Dringlichkeit oder Forderung. Seine Hand schlängelte sich langsam, sinnlich über Genmas Wirbelsäule, genoss das bedächtige Streicheln…das träge Rollen von Genmas Atem gegen seinen Mund – bis der andere Ninja stocksteif wurde.   „Shit…“, zischte Genma und seine Hand schnellte nach hinten, um Kakashis Handgelenk zu packen, während er mit einem Erschauern den Kopf senkte. „Fuck…ich fass dich auf jede Weise an, die du willst…aber fass mich nicht an, als wäre ich…“ Mit bebenden Fingern brach er ab und seine Worte stockten und verhedderten sich. „Fass mich nicht so an…nicht so…hier gibt es nichts Zärtliches, Kakashi…nichts Gutes im Innern…nichts, dass das wert wäre…nichts ohne…“   Nichts ohne Schmerz, nichts ohne Bestrafung…   Nichts anderes als eine Lüge.   Kakashis Stirnrunzeln wurde weich mit Verständnis. Er holte Luft, um sein Herz zu beruhigen, schüttelte sich verschwitzte Silbersträhnen aus seinen Augen und drängte Genmas Gesicht mit seinen maskierten Lippen nach oben, die gegen die Brauen des Tokujō stupsten.    „Genma…“, keuchte er; nach dem Mann rufend, den er einst gekannt hatte, oder zumindest nach dem Mann, den er zum Ende hin gekannt hatte. Der Mann, der zu viel gesehen hatte – sein Gesicht, seine Makel, seine fragilen, nicht zusammenpassenden Regale. Der Mann, der Seiten von ihm kannte, Teile von ihm, die niemand sonst kannte oder jemals kennen würde. Dieser Mann…   Der Mann, den ich zurück gelassen habe…   Hin- und hergerissen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Schuld und Verlangen, kämpfte Kakashi darum, seine Kehle zu bewegen. Seine Stimme war tief und zerfetzt um sein flaches Atmen. „Lass dich diesen Ort verlassen, Genma…“ Und dann echote er die Worte des Shiranui zu ihm zurück: „Wenn du bereits auf den Knien bist…ist es dann wirklich so weit für dich zu fallen?“   Genmas Schultern strafften sich. „Nicht, Kakashi…versuch nicht, in meinem Kopf rumzupfuschen. Dir würde nicht gefallen, was du findest. Dafür bin ich nicht hierher gekommen…“   „Ich weiß.“ Kakashi befreite seine Hände aus Genmas Griff und legte sie an seine Armbeugen, wobei seine Daumen über den granitenen Bizeps strichen; angespannt vor Verletztheit, vor Leid. „Du bist für Bestrafung gekommen. Für Schmerz.“   „Das ist es, was wir tun.“   „Getan haben“, raunte Kakashi und machte sie beide sprachlos mit diesen beiden rauen Worten, dieser neuen Regel…oder war es das Brechen einer alten?    Mit finsterer Miene zog Genma den Kopf zurück. „Was?“   Allerdings. Was zur Hölle. Doch Kakashi berief sich nicht auf die Hölle oder irgendeinen der Dämonen, mit denen er und Genma in diesen düsteren Orten gespielt hatten. Kakashi mochte vielleicht nicht wissen, was es war, aber er wusste, was es nicht war. Was er nicht war. Die Frage war eher – wusste es Genma?   Vorsichtig, aber mit Gewissheit sah Kakashi durch einen Schleier dunkler Wimpern auf, um Genmas Gesicht zu mustern. Er sah die Bestürzung, den Zorn…die Angst. „Ich bin nicht der Mann, der ich in dieser anderen Nacht war, Genma. Der Mann, der ich während meiner ANBU Zeit war…“ Als der Shiranui versuchte, sich zurück zu ziehen, verstärkte er seinen Griff um die ruckenden Arme. „Und heute Nacht bist das auch du nicht…du bist nicht dieser Mann…“   Ein bösartiges Grinsen; lauter Knurren, aber kein Beißen. Es lag nicht in seinen Augen. „Ich bin immer dieser Mann…“   „Nicht heute Nacht.“   „Immer.“   „Nicht heute Nacht.“   Jetzt kam ein Zögern, ein langsames Dämmern in diese bronzefleckigen Augen. Und es war genug, um Kakashi für den Rest seines Lebens heimzusuchen, gemessen an dem Ausdruck, der sich anschickte, die Maske der Bitterkeit zu lösen, die auf Genmas Gesicht genäht war. Sein Kiefer zuckte und Lippen pressten sich hart auf einander, die Stimme war nur ein Raspeln. „Nicht Kakashi…nicht…“   Der Kopierninja schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht Reiketsu…und du bist nicht-“   „Sag es verfickt nochmal nicht.“   „Du bist nicht er.“   „Doch das bin ich.“   „Das ist eine Lüge.“   „Es ist niemals eine Lüge.“   „Heute Nacht schon…und ich werde dir sagen, warum…“   Genma fluchte und wollte sich zurück ziehen.   Doch Kakashi packte seinen Nacken, riss ihn wieder so weit nach vorn, dass sich ihre Nasen berührten. „Weil ich DAS niemals mit Kaika tun würde…“ Und in einer einzigen fließenden Bewegung hob er seine Hand, zerrte seine Maske nach unten, legte den Kopf schief und ihre Münder in einem Kuss aufeinander, der ebenso plötzlich wie erschütternd war.    Beim ersten elektrisierenden Kontakt zuckte Genma zusammen und seine Lippen teilten sich um ein Luftschnappen.    Und Kakashi nutzte das vollkommen aus, ließ seine Zunge langsam und tief in Genmas Mund gleiten, während sich seine Finger im Haar des Tokujō verfingen – nicht, dass er ihn bändigen musste. Genma war so versteinert, so atemlos still und ruhig, dass Kakashi für einen entsetzlichen Moment spürte, wie diese Wärme, die durch ihn rollte, drohte, sich zu drehen…drohte, den Augenblick abzuweisen, diese Nacht zerbersten zu lassen wie so viele Sterne und ihn fort zu werfen…   Und dann erwiderte Genma den Kuss – langsam, zaghaft bewegten sich aufgesprungene Lippen mit einer Ehrfurcht von Berührung über Kakashis, zu der der Kopierninja den anderen niemals für fähig gehalten hätte. Er hatte immer gedacht, dass wenn sie sich jemals küssen würden, es fleischlich und verzehrend wäre…denn Genma verschlang, wenn er hungrig war, er genoss selten, nahm sich selten die Zeit, um vollständig zu verführen, um vollständig zu schmecken…   Ihre Zungen berührten sich…   Ein leises, beinahe qualvolles Stöhnen und Genmas Körper schmolz gegen Kakashis, als der Kuss tiefer wurde, Zungen rollten und übereinander strichen und sich auf so viel erotischere Weisen trafen und verbanden, als es ihre Körper je getan hatten. Es entfachte ein Feuer in Kakashis Unterleib; heißer als diese gefräßige, leere Begierde der Vergangenheit…es füllte Teile von ihm, die viel zu lange hungerten…   Ein anderer Hunger…ein tieferer Hunger…   Die kalte Furcht vor dem, was auch immer das hier alles bedeutete, verdampfte in der Hitze dessen, was wirklich von Bedeutung war…   Diese Nacht…dieses Fühlen…   Und Kakashi sehnte sich schmerzhaft danach, sehnte sich so sehr, dass es weh tat. Ein wildes Pochen hinter seinen Rippen, das seine Luftzufuhr mit einem gnadenlosen Druck abschnürte. Er legte seine Kehle dafür bloß. Der süße Tod von Gestern und all den Tagen zuvor…   Nur heute Nacht…   Mit den Fingern fuhr er weiter nach oben, riss Genmas Hitai-ate fort und fühlte, wie die dunklen Strähnen in ihre Gesichter fielen, über errötete Haut wisperten, als sich ihre Köpfe neigen und der Kuss von atemlos zu knisternd wurde.    Genmas Finger stachen sich durch das zerzauste Chaos silbernen Haares. Eine lange, streichelnde Liebkosung, die stumpfe Nägel über Kakashis prickelnde Kopfhaut zog, Erschauern jagte und neue auslöste, die Haut straff zogen und summen ließen.    Kakashis Verstand taumelte angesichts der berauschenden Reaktion seines Körpers.    Gott, wann hatte er das letzte Mal geküsst? Ein fummelndes, unbeholfenes Aufblitzen seiner Jugendjahre, doch die Leere dieses Moments verdampfte im Licht dieses heißen, salzigen Streichelns von Zungen und dem nassen Umklammern von Lippen. Gegen die Regeln, gegen den Strich, beispiellos und unvorbereitet…aber nicht ungewollt.    Gott, wie Kakashi wollte…   Brauchte.    Widerwillig löste Genma den Kuss und zog Kakashis Unterlippe zwischen die Zähne, bevor er beruhigend mit der Zunge über das Stechen fuhr und mit einem dunklen und tiefen Blick…und dort, irgendwo, beobachtete Kakashi, wie dieses Irrlicht hinter dem Nebel in seinen Augen herum geisterte.    Sein Erstaunen musste ihn verraten haben, denn Genma schüttelte langsam den Kopf. „Shit, Kakashi…schau mich nicht so an…“, warnte er. Sanft, ohne Drohen und seine kussgeschwollenen Lippen hoben sich in der traurigsten Art eines Lächelns. „Das letzte Mal, als du mich so angesehen hast-“   „Sind die Dinge kompliziert geworden“, unterbrach Kakashi und grollte die Worte in den nächsten Kuss, bog seine Hüften synchron mit einem tiefen Stoß seiner Zunge, um Genma die schwere, unkomplizierte Hitze spüren zu lassen, die zwischen seinen Beinen hervor ragte.   Das hier war nicht kompliziert. Das hier war klar. Das hier war gewiss.   Der Moschus von Sex und Schweiß füllte seine Sinne, verdichtete die Luft, mild auf seiner Zunge und heiß auf Genmas Atem; Keuchen an seinem Mund, das neckende Streichen von Lippen – dann kalter Rückzug.    Mit einem Stirnrunzeln flackerten Kakashis Augen auf – eine Miene, die sich sofort auflöste, als er zusah, wie das Mondlicht und Schatten über Genmas Haut jagten, die scharfen, muskulösen Ebenen seines Bauches umrandeten, als sich der Shiranui nach hinten kniete und in einem fließenden Rascheln seine Weste über den Kopf zog, während sich seine Brust abgehackt hob und senkte. Narben schimmerten silbern im Glühen des Mondes und Dunkelheit tauchte ihre Zunge ein wenig tiefer in die Täler von Genmas Körper. Allerdings schluckte das nicht die Hämatome, all diese gesprenkelten Flecken aus Lila und Gelb, die über seinen Rippen erblühten.    Kami, er hatte eine Tracht Prügel eingesteckt…im Innern wie auch außen.   Kakashi stemmte sich auf die Ellbogen und hätte ihn berührt, doch Genmas Blick hielt ihn davon ab, hielt ihn sicherer unten als Hände oder Worte. Tief atmend und mit bebenden Nasenflügeln verdunkelten sich die Augen des Shiranui, als könnte er die Hitze und den Hunger riechen, die wie Feuer und Rauch von ihren Körpern aufstiegen…und Gott, Kakashi musste es schmecken.    „Komm her…“, wisperte Kakashi mit zitternder und schwerer Stimme, als sich sein Kinn nach oben streckte. „Jetzt.“   Die Augen mit sexuellem Versprechen glühend bewegte sich Genma auf Kommando und das deutlich raubtierhaft in der Weise, wie sich seine Schulterblätter neigten und Arme straffzogen. Ein Zucken von einem Angriff entfernt. Eine heißmündige Attacke. Und zu Kakashis wachsender Vorfreude und Erregung, zog Genma den Augenblick in die Länge, genoss ihn, stützte eine Hand nach der anderen neben die Hüften des Kopierninjas und lehnte sich langsam nach unten, bis sein offener Mund über Kakashis sich teilenden Lippen schwebte.    „Du hast mir heute Nacht nicht zu sagen, wo und wann ich kommen soll“, sagte Genma und ließ die leisen, rauchigen Worte anstelle seiner Lippen gegen Kakashis Mund fallen. „Aber wenn ich komme, dann wirst du es fühlen…und nicht nur heute Nacht…“ Und dann, in einem Wispern: „Du wirst es tagelang fühlen…“   Kami…   Mit wirbelndem Sharingan nahm Kakashi die Hitze in Genmas Augen in sich auf und spürte das Pochen in seinem Schritt wie einen zweiten Herzschlag. Sein graues Auge verdunkelte sich zu der schwelenden Schattierung von Holzkohle und ein leises, vibrierendes Grollen rasselte seinen Hals hinauf. Genma schloss seine Lippen über diesen Klang, trank ihn mit einem tiefen, genießenden Stöhnen hinunter, füllte Kakashis Mund mit seiner Zunge und seinem Geschmack; ein fleischlicher Hauch von Blut, würzig von dem Shōchū und schwer mit dem bittersüßen Stich von Wollen.   Nach mehr dürstend war Kakashi viel zu verzehrt von der Verführung dieses Kusses, um zu bemerken, dass Genmas Finger die Weste von seiner Haut schälten, sie nach oben schoben, bis sie gezwungen waren, den Verschluss ihrer Lippen zu unterbrechen, sodass Genma das Oberteil über Kakashis Arme reißen konnte.    Oder auch nicht.    An Kakashis Handgelenken stoppte der Shiranui und verhedderte die Weste zu einem Knoten, der die Hände des Kopierninjas in einer behelfsmäßigen Bindung einfing. Interessant. Aber nicht so interessant oder alarmierend wie der plötzliche kalte Druck von Stahl. Kakashi riss den Kopf nach hinten, hatte allerdings keine Zeit, herauszufinden, wie und wann Genma an das Kunai gekommen war, bevor er auf den Rücken gepresst wurde und die kalte, schimmernde Klinge zischend durch den Knoten seiner Weste fuhr, um sie feste an die Fensterbank zu nageln und seine Handgelenke über seinen Kopf zu pinnen.   Kakashi zog über diese Fesselung eine finstere Miene, zerrte symbolhaft an der Bindung und hob eine silberne Braue in Genmas Richtung. „Ernsthaft?“   Leicht schmunzelnd neigte sich der Shiranui nach unten. „Was? Willst du, dass ich die alten Drähte und Ketten rauskrame? Ich trage das nicht mehr bei mir, Hatake. Schon länger nicht mehr. Und wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann standest du auch nicht so sehr auf Schmerzen wie ich. Naja, zumindest nicht zum Ende hin…“ Hier machte er eine Pause und ließ seine Augen über Kakashis Gesicht wandern, während das Schmunzeln zu etwas Unlesbarem wurde. „Etwa zu der Zeit, als du angefangen hast, mich so anzusehen, wie du es jetzt tust…“   Da er gar nicht bemerkt hatte, dass sich seine Miene verändert hatte, zog Kakashi die Brauen zusammen und blinzelte rasch, um das zu verbergen, was auch immer ihm entglitten war. Um Genmas Blick zu entgehen spähte er nach oben. „Das wird mich nicht halten.“   „Nicht, wenn du es nicht willst. Nicht, dass es mich einen feuchten Dreck scheren würde. Ich habe andere Mittel, um dich unten zu halten…das ist nur ein Vorschlag…“ Genmas Augen zuckten zu Kakashis gekrümmten Fingern. „Und so wie dein Chakra summt? Da wären Drähte nicht besonders klug. Ich habe nicht vor, heute Nacht einen Stromschlag zu bekommen…“   Guter Punkt. Kakashi war kurz davor, aus seiner Haut zu vibrieren, als Genmas glatte, wissende Zunge die Konturen seines Oberkörpers nachzeichnete und heiß über seine Nippel strich. Zwickende Zähne, ein Schatten von Schmerz und der grelle, heiße Funke von Lust.   „Andere würden hierfür morden“, murmelte Genma mit einem Atem, der zusammen mit glühenden Speichelspuren einen kühlen Strom über schweißbenetzte Haut wabern ließ. „Glaub nicht, ich wüsste das nicht Kakashi…glaub nicht, ich hätte nicht bemerkt, wovon du immer so ahnungslos bist…was mich immer verrückt macht…die Art und Weise, wie du mich dazu bringst…dich zu wollen…die Art und Weise, wie ich dich jetzt will…“   Die Worte wirkten ihren Bann, zerrten mit unsichtbaren Fäden an Kakashi, zogen ihn straff und wickelten ihn fester ein, als sich seine Brust in die Berührung von Genmas Mund hob. „Genma…“   Bei dem heiseren Rufen seines Namens hielten Genmas Lippen inne und sein Atem strömte in einem Rauschen aus ihm. Langsam erhob er sich, zog sich zurück auf seine Knie und schob eine Hand unter Kakashis durchgedrückten Rücken, um der kurvigen Wirbelsäule hinunter zu den angespannten Rundungen zu folgen, straffe Muskeln zu packen und den Kopierninja dazu zu drängen, sich höher zu heben, die Rückenbrücke noch tiefer zu krümmen. „Komm schon, Kakashi. Ich habe gesehen, wie du dich rückwärts biegst, um einer Klinge zu entgehen…zeig mir, wie sehr du mich in dir willst…“   Verführerische Worte…Öl ins Feuer…Kakashis Blut brüllte unter seiner Haut angesichts dieses düsteren, sinnlichen Sprechens; die Sehnen in seinem Hals ruckten heftig und sein Kopf kippte nach hinten, als er sich stärker durchbog, die Schultern fallen ließ und die Muskeln seiner Schenkel zuckten.    Kami, Genma wusste seine Sprache zu sprechen; wortwörtlich.    Niemand seiner flüchtigen Liebhaber und Liebhaberinnen hatte jemals mit solch kenntnisreicher Zunge zu ihm gesprochen – alle Versuche waren das übliche Vokabular langweiligen, groben, vorhersehbaren schmutzigen Geredes…die Art, die dem Augenblick vollständig die Erotik nahm und es auf die Art Dialog reduzierte, die in den Pornomagazinen weit verbreitet war, von denen ihm immer vorgeworfen wurde, er würde sie horten. Es traf ihn nicht, erreichte ihn nicht oder füllte ihn auf die Weise, die er brauchte.    Tief, intim…   Von Anfang an schien Genma instinktiv zu wissen, wie er reden musste. Wusste, welche Worte die Hitze in Kakashis Blut abtöten konnten und welche Worte es zum Rasen brachte, als wären sie mit ihm verbunden. Genma wusste ebenso so sehr, zu seinem Verstand zu sprechen wie zu seinem Körper…wusste, ihn zu berühren…ihn auf einen Ritt mitzunehmen…   Lippen strichen die festen Konturen seines Unterleibs entlang und Kakashis Bauch senkte sich heftig mit straffen Muskeln. Seine Finger bissen tief in das Gewirr seiner Weste und ein statisches Knistern von Chakra tanzte über seine Knöchel.    „Denk nichtmal dran, Kakashi…“, raunte Genma, während er immer tiefer glitt. „Das haben wir hinter uns. Du wirst jeden Zentimeter von dem spüren, was du mit mir machst…auch, wenn ich dich unten halten muss.“ Langsam schob er seine Hände über die Rückseiten von Kakashis Schenkel und mit der leichtesten Liebkosung die Innenseiten hinab, um die angespannten Muskeln dazu zu locken, sich zu lösen. „Auch, wenn ich dich aufbrechen muss…“ Bei diesen Worten wanderten seine Hände zu Kakashis Knien, rissen sie gerade weit genug auseinander, um die kraftvollen Schenkel davon abzuhalten, sich krampfhaft zu schließen, als Genma mit einem lustgetränkten Knurren den Kopf senkte und seinen offenen Mund gegen Kakashis Schritt drückte.   Nervenenden flammten auf.    Nach Luft schnappend stieß Kakashi einen unartikulierten Laut aus, der irgendwo zwischen Schrei und Stöhnen rangierte. Seine Augen rollten zurück in den Schädel und seine Hüften rollten nach oben. Eine langsame Brandung gegen die stumpfe Reibung von Zähnen und das nasse Feuer einer Zunge, die ihn so gekonnt durch den Stoff bearbeitete. Der zähe Lavastrom, der in süßen, dunklen Ranken seine Wirbelsäule auf und ab rann, begann auszulaufen und tröpfelte warm und heiß aus seiner angespannten Erektion.    „Mehr Kakashi…gib mir mehr…“, sprach Genma und Lust durchflutete Kakashis Schaft, lief aus…lief aus…wie diese Worte zwischen Genmas Lippen. „Gott, ich werde dich leer trinken…“   Eine heftige Woge kräuselte sich über Kakashis Abdomen, die hervortretenden Muskeln seiner Arme spannten sich an, Finger zuckten, Knöchel knackten – und dann saugte Genmas Mund ihn durch das Gewebe und seine Knie verschlossen sich, die Rückseiten seiner Schenkel brannten. Er spürte, wie der Druck anstieg, anstieg…   Und dann zog sich Genma zurück; verwehrte ihm den Fall.    Zischend kollabierte Kakashi mit bebender Brust auf die Matratze und Schweiß benetzte seinen Körper mit einem silbernen Nebel, während sich Schatten an die scharfe Linie seines Kiefers klammerten, sich in der keuchenden Mulde seines Halses sammelten, als sein Kopf nach hinten kippte und die ungelöste Spannung durch ihn krachte. Winzige Glühwürmchen, das Schlagen tausender Schwingen hinter seinen Rippen.    Ein Rascheln von Kleidung, ein Neigen der Matratze und jenseits des wilden Rauschens seiner Atmung hörte Kakashi, wie Genma leise, kehlige Worte sprach. „Ich will nicht, dass du es vergisst…und ich will nicht, dass du es vergibst…“   Leicht benommen bemühte sich Kakashi, den Worten zu folgen, bemerkte, dass Genma etwas von Bedeutung sagte, bekam aber nicht zu fassen, was zur Hölle es war, da er sich viel zu sehr in den Strömungen gefangen fühlte, die elektrisch wie Chakra durch seinen Körper und sein Blut schauderten. Gott, er bebte damit.    Er versuchte, sich zu konzentrieren, versuchte, zu sprechen.    Doch dann waren Hände auf seinen Hüften, die Fingerspitzen rau auf der vibrierenden Haut, als sie sich unter die Jogginghose schoben, um sie so langsam nach unten zu ziehen, dass Kakashi das Reiben des durchnässten Materials wie eine Zunge spürte, die über sein steifes Fleisch kratzte. Er drückte sich durch, biss die Zähne um ein Grollen zusammen, als seine Erektion befreit wurde und sich hoch und hart wie Marmor gegen seinen Bauch krümmte; gerötet von Blut und mit Lusttropfen, die wie heißes Öl hervor quollen.    Genmas Atem stockte scharf wie das Klicken einer Tretmine.    Erstarrend zwang Kakashi seine Lider dazu, sich zu öffnen und sein Sharingan drehte sich, um seine Sicht auf diese dunklen Augen zu schärfen, die auf ihn hinab blickten…und sah, dass Genmas Pupillen so geweitet waren, dass die Iriden geradezu verloren waren. Verloren…wie der Ausdruck, der flüchtig über sein Gesicht huschte.    „Vergib mir nicht…“, wisperte Genma.    Leicht stirnrunzelnd setzte Kakashi zum Sprechen an.    Doch dann beugte sich Genma nach unten, schloss seine Lippen um die Spitze von Kakashis tropfendem Geschlecht und stach seine Zunge durch den auslaufenden Schlitz; schnitt alle Worte zu einem lebensstrotzenden Schrei ab - roh vor Lust und Wollen und oh Götter, lass das niemals aufhören. Ein sanftes Sägen der Zunge, das ihn von der sickernden Krone zum steifen Stamm badete, bevor Genma seine Hände unter Kakashis straffe Kehrseite schob, um die Muskeln zu kneten, während er leicht und langsam saugte. Und dann senkte sich dieser heiße Mund und begann, ihn Zentimeter für steifen Zentimeter zu verschlingen. Er glitt nach unten, bis die Lippen des Shiranui die pulsierende Wurzel umschlossen.    Kakashis Augen verloren jeden Fokus.    Der Drang zuzustoßen war überwältigen…die letzten Fetzen seiner Kontrolle wehrten sich schwächlich gegen die überstarken Strömungen. Genma arbeitete ihn zu einem Wrack, seine Muskeln bebten, sein Bauch verkrampfte sich…und dann zog sich Genma ebenso langsam zurück, höhlte die Wangen in einem delikaten Sog aus und zerrte an diesem weißen, salzigen Nektar mit einem tiefen gutturalen Stöhnen, das sich in einem Chor von Erschauern durch Kakashis Körper sang.    Gott, er löste sich auf…kam auseinander…kam…kam…   Kam so verdammt nah…bis sich Genmas Finger hart um die Wurzel seines Schaftes legten und sich dieser grausame Mund zurückzog und direkt bis zu der geschwollenen Spitze wanderte. Frustriert presste Kakashi die Lider aufeinander, doch er schrie nicht auf, oder fluchte, oder rief nach mehr. Diese erotische Folter, diese grausame Verweigerung; es war nichts, was er nicht erleiden wollte…   Und Genma wusste das. „Öffne die Augen, Kakashi…“   Hitze breitete sich auf Kakashis Wangenknochen aus, als hätte man ihn geschlagen. Er fügte sich nicht. Fühlte sich auf eine Weise nackt, wie er es noch nie zusammen mit Genma gewesen war…nackt auf eine Weise, die keine Maske verbergen konnte…der Drang, seine Hände zu befreien und sich wieder diesen schwachen Anschein einer Barriere zu sichern, brachte seine Finger zum Zucken und seine Knöchel dazu, weiß hervor zu treten.    „Ob du mich ansiehst oder nicht…dem hier wirst du nicht entkommen…“, murmelte Genma und das leichteste Kratzen von Zähnen löste ein leises Zischen von den Lippen des Kopierninjas. „Ich werde dir das hier so gut geben, Kakashi…“ Ein Kuss auf die Unterseite seiner empfindlichen Eichel und eine Zunge, die in einem flackernden Schlängeln über die hervortretenden Venen streichelte. „So tief…“ Er umfasste die schweren Hoden, rollte die samtigen Globen mit einem bedächtigen Tanzen seiner Finger, bevor er über die weiche Haut direkt darunter strich. „So langsam…“   Kakashis Augen flogen so weit auf, dass das Weiß in ihnen grell wie Stahl im pudrigen Licht aufflammte. Rote und graue Seen blickten ohne Fokus hinauf zu den Schatten an der Decke; starrten, sahen aber nichts. Sein Blick wandte sich nach innen und jede Faser seines Selbst konzentrierte sich auf das exquisite Reiben von Genmas Fingern. Die rauen Glieder feucht mit Kakashies eigenen Säften. Die Berührung kreiste langsam, kroch tiefer, tiefer…sein Herz schlug schnell, härter, härter…   Ein scharfes Brennen, das wegen des bedächtigen Kriechens umso invasiver war…   Und dann krümmte sich dieser Finger in ihm.    Kakashis Miene spannte sich an und Genmas Mund senkte sich weich und beruhigend über seine offenen Lippen. Ein träges Gleiten von Zunge und Kakashi schmeckte seine eigene Essenz, seine eigene Begierde, ebenso gewiss wie er sie tief in seinem Kern pochen spürte. Genma forschte weiter und Kakashis Kopf kippte nach hinten, während sein Atem lang und scharf durch seine Zähne zischte.    „Ich weiß.“ Durch abgeschirmte Augen beobachtete Genma ihn, küsste die straffe Säule von Kakashis Kehle und zwickte an den Sehnen, die wie Kabel hervorstanden, bevor er das Salz ableckte, das über die Neigung des Kiefers des Kopierninjas rann. „Ganz ruhig…“   Energisch konzentrierte sich Kakashi auf die Atmung, auf den langsamen Durchbruch…   „Verdammt, Kakashi…“, raunte Genma, drehte tiefer und schob nach und nach einen weiteren Finger nach innen, während sein Daumen über das sensible Perineum rieb, um den Biss aus dem Schmerz zu nehmen. „Das hast du schon seit sehr langer Zeit nicht mehr getan, oder?“ Sanft blies er die Silbersträhnen von Kakashis Ohr und sprach leise: „Bringt mich zurück…dahin zurück, als ich der Erste war, der dich jemals so berührt hat…“   „Der Erste…“, hauchte Kakashi mit den Augen immer noch blicklos auf die Decke gerichtet, bevor sie sich bei seinen nächsten Worten schlossen: „…der Letzte.“   Scharf ruckte Genmas Kopf nach oben. „Was?“   Kakashi erwiderte gar nichts und sein Puls brüllte zu lautstark in seinen Ohren, als dass er die Frage hätte hören oder die Bestürzung hätte registrieren können, die dahinter lag. Erst als Genmas Finger aufhörten, sich zu bewegen, öffnete sich das graue Auge halb; Lust und Schmerz glasierten seinen Fokus, bis sich seine Aufmerksamkeit auf die tiefe Linie zusammenzog, die sich in Genmas Stirn grub.    Dunkle Augen weiteten sich, suchten sein Gesicht ab. Langsam schüttelte er den Kopf. „All diese Jahre…?“   Zögernd erwiderte Kakashi den Blick für einen langen Moment wortlos, bevor sich seine Wimpern anstelle eines Nickens senkten. „All diese Jahre…“, antwortete er mit einer Stimme, die heiser vor Ehrlichkeit war.    Etwas veränderte sich auf Genmas Gesicht, in seinen Augen, doch Kakashi hatte keine Zeit, sein Sharingan darauf zu richten und es zu entschlüsseln. Mit alarmierender Geschwindigkeit schwang Genma nach unten und küsste ihn mit solch versengender Hitze, dass es alle Gedanken verdampfen ließ, die versucht hatten, durch den Nebel des vergangenen Augenblicks zu schlüpfen.    „Ich habe es nicht verdient…“, wisperte Genma schwer, als er nach unten griff, um mit einer Hand seine Hose zu öffnen. „Das tue ich immer noch nicht…aber es schert mich nicht…fuck, es schert mich nicht…es schert mich nicht…“ Beim letzten Wort stieß er seinen zweiten Finger bis zum Knöchel in ihn.    Vor Schmerz zusammenzuckend verdrehten sich Kakashis Handgelenke hart.    Das Kunai knackte mit einem Splittern im Holz über seinem Kopf.   Sofort schnellte Genmas freie Hand nach oben und rammte es zurück, bevor sich seine Finger in einer verzweifelten, beine quetschenden Umklammerung um Kakashis schlangen. Er legte den Kopf schief, seine Zunge bohrte sich tiefer in den keuchenden Mund des Kopierninjas und spiegelte das plötzliche Stechen seiner Finger gegen das begrabene Nervenbündel.    Weiße Blitze fetzten durch Kakashis Adern…   Ein heiserer Schrei und seine Hüften schnappten bei dem Kontakt nach oben, trieben sein heißes nasses Geschlecht gegen Genmas Schritt, fühlten, wie sich die steife Erregung des Shiranui gegen ihn rieb und cremige Bänder über den geschwollenen Kopf fluteten. „Es schert mich nicht…“, knurrte Genma noch einmal. „Kein verdammtes Bisschen. Und das hättest du dir über mich merken sollen…du denkst, ein Kuss kann ändern, was ich bin? Was ich getan habe?“   Kakashis Augen schnellten auf, sein Körper war geradezu elektrisiert mit Anspannung und die Blitze in seinen Adern brachten einen Donner mit sich, der anders als jeder war, den er jemals erlebt hatte; ein krachendes Rollen von Heiß und Kalt, Panik und Erregung, Adrenalin und Zorn, plötzliche Furcht und brutale Rage – ein Tumult wilder Gefühle, die in seinem Unterleib wühlten, ihn im selben Lust-Schmerz Rhythmus von Genmas zustoßenden Fingern vor und zurück zerrten.   ‚Vergib mir nicht…‘   Angst…und etwas, das direkt danach dämmerte…Genmas vorherige Worte…    ‚Ich habe es nicht verdient…‘   Den Sturm aus Emotionen zurück kämpfend, die durch ihn peitschten, bemühte sich Kakashi, seinen verräterischen Körper in den Griff zu bekommen, als sich seine Arme anspannten und Chakra über seine Knöchel leckte. „Genma…“   „Es schert mich nicht, was du denkst, was für ein Mensch ich bin.“ Genma befreite seine Finger aus dem engen Tunnel und streichelte sich selbst in einem schmierigen Gleiten, um seine Länge mit seinem eigenen Samen zu benetzen. „Ich werde dir zeigen, was dir dein Vertrauen eingebracht hat…was es wert ist…was ich wert bin…“ Sich nach unten lehnend verstärkte er seinen Griff um Kakashis gefesselte Handgelenke und positionierte sich, bis die Spitze seiner Erektion grausam wie eine Klinge gegen Kakashis Körpereingang stupste. „Du wusstest es, als du mich in dieser anderen Nacht gefickt hast. Es gibt nichts mehr als das, Kakashi…nichts…denn es gibt nichts mehr, das man verlassen könnte, das nicht bereits fort ist…nichts, das es wert wäre, darauf zu warten…oder darauf zu zählen…nichts übrig, um es zu retten…Scheiße, du hättest dich selbst retten sollen, bevor du mich so nah an dich ran lässt…du warst klug genug, es vor Jahren zu tun…also tu es jetzt.“   Ihre Augen trafen sich bei diesen Worten. Und wenn das nicht passiert wäre, dann wäre Kakashi in einen Kampf explodiert; er hätte sich dem Griff an seinen Handgelenken entrissen und dieses kluge, brutale, selbsterhaltende Ding durchgezogen. Er hätte sich genug betrogen gefühlt, wäre zornig genug gewesen, um die Grausamkeit und Brutalität zu glauben, die all diese leeren Worte umgaben – wenn er nicht die abgrundtiefe Qual gesehen hätte, die über Genmas Gesicht geschrieben stand, oder den kummervollen Schmerz erhascht hätte, der hinter seinen Augen brannte.    Tu es, schrien diese Augen. Tu es.   Doch Kakashi tat es nicht. Das Chakra, das an seinen Fingern summte, erstarb mit einem Knistern und auch sein Abmühen brach sofort ab. Er hörte auf zu kämpfen und starrte einfach nur für eine unvorstellbare Zeit schweigend nach oben; spürte, wie dieser Schmerz durch Genma strahlte wie ein Toxin, das aus seiner Haut sickerte. Doch statt zurückzuweichen, absorbierte Kakashi es; nicht einfach nur mit Haut, sondern mit einem Sinn, der dem nicht unähnlich war, den er bei Mizugumo erlebt hatte. Diese seltsame Verbundenheit…dieser unentrinnbare Sinn von…   Empathie…   Verständnis. Es kam ohne Furcht, ohne Zorn und seine Brauen zogen sich weich über seinen ungleichen Augen zusammen; tiergleich in ihrer Vergebung, ihrer Akzeptanz. „Nein“, raunte er.    Genma blinzelte ihn erstaunt an; verzweifelt. „Du verrückter Hurensohn…tu es…“   Kopfschüttelnd wiederholte er: „Nein.“   Ein Knoten schien in der Kehle des Shiranuis aufzusteigen, ein sichtbares Straffziehen von Sehnen, als er gegen die Anspannung ankämpfte. Schwer schluckend schüttelte auch er den Kopf. „Du hättest niemals zu mir kommen sollen, Kakashi“, wisperte er. „Du hättest mich verdammt nochmal allein lassen sollen…“   Allein. Schon wieder. Immer allein. Wie sich dieses eine Wort durch Kakashi krallte, Gott, wie es durch ihn heulte, sich hinauf durch seine Augen hallte, seinen trostlosen und elenden Schrei in den dunklen Seen spiegelte, die auf ihn hinab sahen.    „Vielleicht stimmt es, was du gesagt hast…“, murmelte Kakashi. „Dass Männer wie wir…alleine besser dran sind…“   Genma sagte nichts, doch seine Kehle ruckte hart und der kummervolle Schmerz war eine glühende Entität in seinen dunklen Augen.    Diesen Blick haltend befreite Kakashi ein Handgelenk und griff nach oben, um mit den Fingern durch die bronzenen Strähnen zu streichen, die in Genmas Gesicht hingen. Und der Shiranui drehte seine hagere Wange in die Berührung wie ein verhungerndes Tier, als er die Lider zusammenpresste.    „Alleine besser dran“, sagte Kakashi noch einmal, bevor er leiser und weicher hinzufügte: „Nur nicht heute Nacht…“   Langsam öffnete Genma die Augen und sah mit so rohem, nacktem Hunger auf ihn hinab, dass Kakashis Körper beim Anblick davon zu dürsten begann. Kein Reden mehr. Er hob sein Bein und hakte seinen Knöchel um die Rückseite von Genmas Schenkel, um den anderen Ninja näher zu ziehen, bis sich die Hüften des Shiranui nach vorn drückten. Keine weiteren Prüfungen des Feuers mehr, nur ein Geschmack der Flamme.    Stechende Hitze, das Brennen der nassen Krone, die sich an dem schützenden Muskelring vorbei schob. Mit flatternden Lidern zischte Genma. „Ahn…Götter…“   Kakashis Herz hämmerte sich in seine Kehle. Seine Finger fielen an Genmas Nacken, während sich seine Brust hob, sein Nacken durchbog und sein Blick hinauf zu den Schatten an der Wand schwang; hinauf wo das Mondlicht durch das offene Fenster schimmerte…seine Atmung wurde schwerer, als diese samtene Hitze tiefer sank – Zentimeter für Zentimeter, dehnend, durchbohrend…   Ein plötzlicher Stillstand.    Das Pochen und Brennen waren kurz…   Kakashi hätte angesichts dieser süßen Folter ächzen können. „Genma…“, raunte er erstickt.   Für einen Moment hielt Genma inne, packte das immer noch festgebundene Handgelenk des Kopierninjas, befreite es aus der Weste und verschränkte ihre Finger über Kakashis Kopf ineinander, drückte sie leicht in stummer Bitte und bebte heftig. „Warte…nur kurz…ich muss das fühlen…“   Getroffen von diesen heiseren Worten neigte Kakashi den Kopf nach vorn und sofort wurde sein Mund in einem Kuss gefangen, der erschütterte, hart und nass bebte wie ihre Körper, als sich Genmas Hüften zurück zogen, wieder nach vorn sanken; Stück für sehnsuchtsvolles Stück, um das langsame Sinken seiner Zunge in Kakashis Mund nachzuahmen. Sie bewegten sich in Zeitlupe, Muskeln kräuselten sich wie Sand in einem Wind, dehnten das tiefe lustvoll-schmerzhafte Brennen von Penetration mit einem langgezogenen Stöhnen aus, bis sich ihre Becken trafen und Genma vollständig umhüllt war.    Das Heulen in Kakashis Kopf endete und er füllte sich stattdessen mit dem zersplitternden Klang seiner Atmung, den rauschenden Gezeiten von Blut, das pulsierte, pulsierte…wie Genma in ihm. Eine Klinge in den schlagenden Kern, der ihn nach unten pinnte…nur einen einzigen rabiaten Stoß von der Grobheit ihrer vergangenen Treffen entfernt…ein lustvoller Ritt…ein wilder Rausch zur Ziellinie…   Doch Genma bewegte sich nicht, schien kaum zu atmen, sein Mund schwebte über Kakashis geöffneten Lippen, die Zähne zusammengebissen und die Brauen verknotet, seine Miene eine von konzentrierter Glückseligkeit, gedämpft nur von einem Hauch des Kampfes, ein Anspannen entlang seines Kiefers.    Die Anstrengung, sich zurückzuhalten.    Sie schimmerte auf seiner geröteten Haut; heiße Streifen gegen seine Wangenknochen, winzige Schweißperlen zeichneten weiche Silberlinien die Sehnen seines Halses hinab.    Kakashi musterte ihn durch abgeschirmte Augen, seine Atmung flach und sein Körper fest um die harte Länge pochend, die in ihm begraben war. Zusammengeschlossen wie sie waren, mit Kakashis Schaft heiß zwischen ihren aneinander gepressten Abdomen tropfend, hätte ihn diese Verschmelzung allein auf höchsten Höhen fliegen lassen können…der Druck, die Fülle…der Ausdruck auf Genmas Gesicht…   „Geh tiefer“, wisperte Kakashi, löste seine Finger von ihrer starren Umklammerung an Genmas Nacken, um seine Handfläche die kraftvolle Vertiefung der Wirbelsäule entlang nach unten wandern zu lassen und dem Grat von Knochen zu dem sinnlichen V an Genmas unterem Rücken zu folgen, wo Fingerspitzen das angespannte Tal von Muskeln streiften, bevor sie eine Rundung hart wie Stein packten und heftig daran zogen, um den anderen Ninja weiter zu drängen…und hinein…und unmöglich tiefer…   Genmas Mund fiel in einem langen Stöhnen aus den tiefsten Tiefen seines Inneren gegen Kakashis Lippen auf. Sein harter, schlanker Körper bewegte sich, wiegte sich in winzigen Wellen gegen Kakashi, presste, presste, suchte nach diesem Knoten aus Nerven und strich mit stumpfer Wucht darüber.    Erneut kamen die Blitze und verzweigten sich in scharfen zornigen Strahlen.    Kakashi warf den Kopf in den Nacken, seufzte seine Lust mit jedem Stoß in mächtigen, langen Strömen heraus und genoss die Ekstase eines Rhythmus‘, der versprach…der andauerte…der sinnlich schmerzte mit der tief erregenden Qual von beinahe…beinahe…   „Bleib bei mir, Kakashi…“, raunte Genma dunkel und fiebrig und seine Finger krallten sich in einem Todesgriff um Kakashi, während seine Hüften mit jedem langen Streichen härter voran trieben. „Gott…bleib bei mir…genau so…ahn…genau wie das hier…“   Ein geneigter Stoß, ein tiefer Schrei und Kakashi zog sich heftig zusammen, satinumwundene Muskeln wogten um diesen aufspießenden Stahl, hielten Genma fest, zogen an ihm, besaßen ihn, bereiteten ihm Vergnügen…erhöhten den Genuss, erhöhten den Schmerz…füllten seinen eigenen Körper mit solch atemlosen Fühlen, dass er sich nicht vorstellen konnte, was zur Hölle mehr weh tun würde; der Gedanke, dass dieser Augenblick endete oder die Verhinderung des Donners, der in ihm schrie…jetzt…jetzt…jetzt…   Nein…nein…nein…Gott, nein…   Irgendwo – verloren hinter dem süßen Wiegen und Branden ihrer rollenden Körper – verzagte ein winziger Teil von Kakashi, der noch immer rational war…noch immer vor Schock taumelte…angesichts des Wahnsinns, der der Antrieb war für diesen Tanz von tiefer…tiefer…hör niemals auf…geh niemals…   Gott, geh nicht.   Aber das taten sie. Gemeinsam. Ihre Augen verschlossen sich ebenso intim wie ihre Körper. Kakashi bog sich wie eine Welle und Genma krachte nach unten, um ihm zu begegnen…und in diesem herzstockenden Augenblick, dieser atemberaubenden Sekunde, war ein Brüllen in Kakashis Ohren; nicht unähnlich der See…und dann waren da Blitze…ein blendender Sturm der Ekstase…hob ihn so hoch über seinen Körper hinaus, dass die Welt in einem Wimpernschlag erlosch.    _______________________ Heyho ihr Lieben, ja ich habe mir einen kleinen Urlaub von UtS gegönnt, ich hoffe sehr, ihr seid mir nicht böse ;)  Ich hoffe, ihr alle hattet schöne Feiertage und konntet die Zeit genießen!   Ja meine Lieben, es ist mal wieder Lemon Time. Ich war irgendwie richtig aufgeregt bei diesem Kapitel, weil ich jetzt wirklich schon länger keinen Lemon mehr geschrieben habe...und vor allem keinen, der nicht zwischen Shikamaru und Neji abläuft... Dieses Kapitel war richtig schwer zu schreiben mit zwei komplett 'neuen' Charakteren in einer solchen Situation und vor allem, weil mein keinen Einblick in Genmas Gedankenwelt hat... Ich hoffe dennoch, dass es euch gefallen hat und würde mich wie immer sehr über ein paar Worte von euch freuen! *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen und falls wir uns nicht noch vorher lesen, dann wünsche ich euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr! Kapitel 13: The pit ------------------- Shikamaru erwachte in pochender Finsternis. Vertraute Finsternis. Finsternis so tief, dass kein Licht existierte abgesehen von dem schwachen Funken von Bewusstsein – seinem Bewusstsein – das gegen das Schwarz kämpfte; eine Flamme in einem kalten Wind, flackerte hinein und hinaus – hinein und hinaus – wie die beiden Stimmen um ihn herum. Eine, an die er sich erinnerte und eine, die er immer noch kannte.    ‚Bitte mich nicht darum, das zu tun.‘   ‚Es ist das, was wir tun, Genma.‘   Genma?   Ein Nadelstich aus Licht. Peripher und vage. Hinein und hinaus zwinkernd…schwebend wie ein phosphoreszierendes Irrlicht weit draußen auf dem schwarzen Ozean seines Traums…dieser driftenden Finsternis. Shikamaru griff danach, fokussierte sich darauf, folgte dem winzigen weißen Funken, als er horizontal über die Schwärze glitt wie über Stahl, um sie in einem blendenden Aufblitzen an der Spitze einer Nadel zu beenden, ließ die Finsternis zerbersten, bis –    „Yo! Moment ihr zwei! Was macht’n ihr da hin– oh Shit. Fuck, Mann? `S das ne verfickte Nadel in deinem Mund? Warum machst’n sowas?“   Shikamaru hielt in der feuchten, schmuddeligen Gasse inne und scannte die Wände zu beiden Seiten, bevor er seitwärts zu Genma spähte. Aufmerksam beobachtete er, wie der Tokujō das träge, langmütige Blinzeln eines Mannes blinzelte, dessen Geduldsfaden kurz und dessen Zeit knapp war.    „Ich bin ein Exhibitionist“, erwiderte Genma ausdruckslos sowohl in Stimme als auch Augen. „Und du bist Yamori.“   Der echsengesichtige Mann zog argwöhnisch die Augen zusammen und paffte einen Rauchring hinauf zu dem behelfsmäßigen Dach, wo rostige Wellblechplatten in strammen Streifen über die Gebäude genagelt waren, die zu beiden Seiten standen. „`S richtig“, sagte er letztendlich, kratzte sich an einem welken Arm, der mit den Spuren von Nadelstichen, auffallenden Tattoos und einem üblen Fall von Schuppenflechte übersät war. „Exhibitionist, huh? Haste Tickets?“   Genma nickte. „Zwei.“   Doch Yamori fragte nicht direkt nach ihnen. Stattdessen lümmelte er sich wie ein abgeranzter Zuhälter gegen die marode Türöffnung. Seine Zungenspitze zuckte über seine Oberlippe, während er seinen eidechsengrünen Blick in einem langsamen Schwung über Genma wandern ließ, bevor seine Aufmerksamkeit über die Schulter des Tokujō hinweg glitt und zu Shikamaru kroch. Seine Augen zogen sich in zwielichtiger Ränke zusammen. „Der’s bisschen jung für Blutsport, huh? Du magst Blut, Junge?“   Shikamaru hob eine Braue und widerstand dem Drang, sich von dem animalischen Glühen in diesen lüsternen Augen zu distanzieren – und der unfassbaren Dummheit in diesem Kommentar. Echsengesicht dachte wohl auch mit seinem Echsenhirn. Jeder mit einem Staubkorn von Verstand hätte anhand von Shikamarus Regalien erkannt, dass er ein Konoha Shinobi war; zu jung für Blutsport nach den Gesetzen dieses Landes, aber nicht zu jung, um nach den Gesetzen eines anderenm ein Killer zu sein.    Mann, ist dieser Kerl ein Trottel.    Genma musste dasselbe gedacht haben, wenn sein schlitzäugiger Blick von ‚Es ist viel zu früh am Tag für diese Art von dumm‘ irgendwie ernst zu nehmen war. Doch unglücklicherweise half das vielsagende Schweigen nicht, Intelligenz mit in das Gespräch einzuladen. Tatsächlich sah Yamori nur noch neugieriger aus und auch ein bisschen gerissener; sein Grinsen schnitt sich tiefer.    „Wie alt is der Junge?“ Er schien die Frage mehr mit seinen Augen auszusprechen, während er an dem dünnen Joint sog, den er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt. „Um die fünfzehn?“   Geh auf die fünfzig zu, dachte Shikamaru trocken, auch wenn sich sein Kiefer aufgrund des unverhohlenen Beäugens und der Genauigkeit der Vermutung des Mannes verkrampfte. Unbehagen und Verärgerung krochen heiß über seine Haut. Warum zur Hölle sah ihn dieser Kerl an, wie die meisten Typen Ino anstierten?   Ihm blieb keine Zeit, zweihundert verschiedene Möglichkeiten zusammen zu sammeln.    Mit einer Bewegung, die so entspannt war, dass sie als völlig unbeabsichtigt durchging, verlagerte Genma das Gewicht, um sich selbst direkt zwischen den Schattenninja und Yamori zu schieben.    Handlung ohne Worte.    Genma sagte überhaupt nichts. Musste er aber auch nicht. Shikamaru bemerkte sein Chakra in einer schrittweisen Veränderung und mit dem Hauch von Tötungsabsicht. Yamori hingegen erschien vollkommen ahnungslos – und für einen Kerl, der in einer Blutsport Anlage arbeitete, war das nicht gerade ermutigend für seine Zukunft in diesem Geschäft…oder für seine Zukunft innerhalb der nächsten zehn Sekunden.    „Na dann so um die sechzehn?“ Missbilligend zog Yamori die Brauen wegen seiner versperrten Sicht zusammen, klang aber beinahe hoffnungsvoll über die Möglichkeit, Shikamarus Alter zwölf Monate hinzufügen zu können. „Weißte, wir haben da nen Ort für-“   „Er gehört zu mir“, sagte Genma.    Yamori blinzelte. Ganz offensichtlich war er dem Begreifen der eiskalten Drohung von Genmas Worten immer noch nicht näher, als wenn das Senbon bereits direkt zwischen seinen glotzenden Augen begraben wäre. Irritiert gaffte er Genma an, dann mit Interesse…und dann erschien eine seltsame Art dämmernder Begutachtung. „Ey, Mann. Bin mir ziemlich sicher, dass ich dich von irgendwoher kenn.“   „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das nicht tust.“   „Ne, im Ernst, Mann, bin mir ziemlich sicher…“ Yamori kratzte sich eine Stelle zornig aussehender Haut, die eine Seite seines dürren Halses bedeckte, blinzelte für ein paar Sekunden intensiver Suche, bevor er mit den Fingern schnippte. „Heilige Scheiße! Ja, ja, ja! Ich kenn dich aus Tanzak-“   „Ich kenne dich nicht“, schnitt Genma ihm das Wort mit einer Stimme ab, die Härchen aufstellen ließ. „Du kennst mich nicht.“   Eine perplexe Pause…und dann flackerte ein Licht hinter Yamoris Augen auf. Er zog eine übertriebene Schau ab, indem er die Hände hob und sich das träge Grinsen eines Speichelleckers über sein Echsengesicht legte. „Is klar, Bruder.“ Verschwörerisch zwinkerte er, als wollte er sagen ‚Hey Mann, ich verrat deine Geheimnisse schon nicht‘, bevor er zu seiner ursprünglichen Aufgabe zurück sprang und sich offenbar in seiner Vermutung sicher war, dass Genma ihn kannte und er Genma kannte und dass sie einfach nur zwei alte Kumpels waren, die miteinander plauderten. „Also…er gehört zu dir, huh? Ausschließlich? Willst mir echt erzählen, dass n bissl Dukkha deine Meinung nicht ändern kann?    Shikamaru runzelte leicht die Stirn.    Dukkha?   Genmas Gesicht war geradezu totengleich in seiner Regungslosigkeit…   Ein kalter Wind peitschte die Gasse entlang und klang dabei wie das Heulen eines Tieres. Shikamaru versteifte sich, spürte etwas anderes, das auf diesem Wind mitgetragen wurde, etwas, das außer von Genma von niemandem gesehen werden konnte, etwas ebenso Fröstelndes und Gefährliches wie die eingefrorene Miene auf dem Gesicht des Shiranui.    Was zur Hölle?   „Na, was sagste, Mann?“ Yamori zwinkerte schon wieder und seine Augen funkelten mit einer geteilten, geheimen Erwartung. „Jo? Hast mich? Das gute Zeug. Lässt dich fliegen. Wie wär’s?“   Gerade, als Shikamaru ernsthaft anfing zu befürchten, dass Genma unter dem Bann irgendeines durchgeknallten Genjutsus stand, zerbrach die Miene des Shiranui. Beinahe träge blinzelnd bleckte Genma seine Zähne um die Nadel, um das Senbon mit einem kaltäugigen Schmunzeln so auszurichten, dass das rasiermesserscharfe Ende auf Yamoris Stirn zielte. „Wie wär’s, wenn du deinen verfickten Job machst?“, riet der Shiranui ihm, während er ein Paar rote Tickets zwischen zwei steifen Fingern nach oben hielt. „Hast mich?“   Mit zusammengzogenen Brauen verfinsterte sich Yamoris Gesichtsausdruck, als hätte er gerade eine schwerwiegende Kränkung von seinem lange verlorenen Bruder einer anderen Mutter einstecken müssen. Und dann wurde seine Miene blank und kalt – jegliche vorherige Andeutung von Vertrautheit war schlagartig fort. Er saugte an dem wie auch immer dröhnenden Rauch, den er paffte und schaukelte mit erhobenen Händen auf den Fersen nach hinten. „Mein Fehler, Kumpel.“ Er pflückte Genma die Tickets aus der Hand. „Wir werden alle ein bisschen wirr, wenn wir fliegen, weißte?“   Wenn Genma das wusste, dann sagte er es nicht.    Schweigend folgte Shikamaru dieser Interaktion und hielt sich bedacht in Genmas Schatten, als sich Yamori Zeit nahm, Torwächter zu spielen. Er hielt die Tickets hinauf gegen das Licht, als erwartete er, dass sich irgendeine Art unsichtbarer Tinte zeigte, die durch das mickrige Rinnsal an Sonnlicht erschien, das sich seinen Weg durch die Löcher in dem rostigen Überhang suchte.    „Huh.“ Yamori rümpfte die Nase und musterte Genma von Kopf bis Fuß. „Werde das mal mit dem Boss abchecken.“   Achselzuckend schob Genma die Hände in die Taschen. „Mach das.“   Und tatsächlich tat er das, dieser schmierige Freak. Er stopfte die Tickets in die Rückseite seiner Hose – nicht in die Gesäßtaschen, sondern wirklich in die Hose – und verschwand in dem Gebäude. Shikamaru schnitt eine Grimasse und kam aus seinem Versteck, um sich neben Genma zu stellen. Sein Blick wanderte über das krude Schild, das über die Tür genagelt war – eine schlampige Arbeit des nur marginal professionelleren Emblem, das den Haupteingang zierte.    TEKISHA SEIZON   „Überleben des Stärksten?“, übersetzte Shikamaru.    Genma erwiderte nichts.    Unauffällig spähte Shikamaru zu ihm und stellte fest, dass Genma ohne irgendeinen Fokus auf die Tür stierte, während sein Senbon von Seite zu Seite zuckte und der leichteste Hauch eines Stirnrunzelns an seinen Brauen zupfte. Es war nicht der distanzierte Ausdruck, den er normalerweise trug. Das hier war etwas anderes und weitaus Verstörenderes – umso mehr wegen der Tatsache, dass Shikamaru nicht genau sagen konnte, was es war.    Dieses erschreckte Gefühl wand sich seinen Weg zurück in Shikamarus Eingeweide.    Irgendwas liegt in der Luft…   Auch wenn der Schattenninja überhaupt kein Problem mit Vermeidung oder Stille hatte, beunruhigte ihn etwas an Genmas stillem, weit entferntem Blick zutiefst. Von dem wenigen, was er bei dem Tokujō beobachtet hatte, schien Genma ein ziemlich gelassenes, unparteiisches und alles in allem vorhersehbares Temperament zu haben. Er verlor nie seine kühle Fassung, wenn die Hitze aufgedreht wurde und blieb unzensiert und lässig, wenn er mit Chūnin arbeitete, ohne jedoch die Ränge durcheinander zu bringen. Er sprach direkt, ohne herrschsüchtig zu sein und trotz seiner gelegentlichen Reserviertheit, die ihn überfiel, wenn er in eine senbonkauende Stille versank – so wie jetzt – der Tokujō wurde vor Abgehobenheit und Unnahbarkeit bewahrt und zwar von seiner witzelnden Ader.    Eher ein morbider Sinn für Humor…   Aber nicht weniger trocken oder schlagfertig. Und Shikamaru hatte Genmas eigenwilligen Sarkasmus über die letzten Tage zu schätzen gelernt. Es hatte dieser gesamten, extrem nervigen Angelegenheit den Biss genommen, die diese Chūnin Prüfungen und jede lästige, damit verbundene Pflicht waren – was Shikamarus Hirn dazu brachte, direkt wieder zu ihrer derzeitigen misslichen Lage zurück zu kehren.    Warum sind wir überhaupt hier?   Hier im Speziellen. Noch einmal schielte er zu dem Schild hoch und fühle eine unerklärliche Wachsamkeit und Furcht, die sich in seinem Inneren verdrehten. Dämlich. Unlogisch. Er runzelte die Stirn über seine eigene Schreckhaftigkeit und verlagerte unbehaglich das Gewicht auf den Füßen. „Bekommen die Daimyōs nicht schon genug Blutsport, wenn sie sich einfach nur die Chūnin Prüfungen anschauen? Diese Art von Zeug erscheint mir ein bisschen-“   „Abgefuckt?“   Shikamaru blinzelte. „Ich wollte sagen lahm und irgendwie proletenhaft, aber okay.“   Achselzuckend schüttelte Genma den Kopf. „Lässt sich nicht darüber streiten, was das Biest von einem füttert. Schätze mal, dass der Feudalherr bei Tierquälerei nen Harten bekommt.“ Bei Shikamarus langem Schweigen spähte er zu ihm hinüber und zog eine finstere Miene über den säuerlichen Gesichtsausdruck des Schattenninjas. „Du bist alt genug, um zu wissen, was ein Harter ist.“   Das war nicht der Grund, warum Shikamaru die Stirn runzelte. Kurz zögerte er, bevor er fragte: „Was meinst du mit ‚Biest füttern‘?“    Das schwache Glimmen von Humor erstarb wie ein ausgetretener Funke in Genmas Augen. Sein Gesicht wurde vollkommen blank und kehrte abrupt zu vollständiger Regungslosigkeit zurück. Kopfschüttelnd wandte er den Blick ab. „Gar nichts.“   Zumindest nichts, worüber er reden wollte. Neugierig musterte Shikamaru ihn und ließ den kurzen Austausch mit Yamori Revue passieren. Und wider besseres Wissen bewegte sich sein Mund vollkommen unabhängig von seinem Hirn. „Kennst du diesen Kerl?“   „Ich kenne Typen wie ihn“, antwortete Genma. „Sie sind Müll.“   Zweifelsohne, aber diese zweideutige Antwort kratzte nicht gerade das Jucken unter Shikamarus Haut, soweit es Genmas seltsames Verhalten anging. Neugierig zu sein war lästig, daran gab es nichts zu rütteln, aber was ihn mehr beschäftigte als das, war die Tatsache, dass sich Genma überhaupt nicht mehr vorhersehbar verhielt. Und gerade jetzt, wenn er hinein geworfen wurde in diese kranke Umgebung politischen Schwachsinns, wo jeder nur danach geiferte, den Schattenninja abzuwerben und Feudalherren faszinierter davon zu sein schienen, ihn zu beobachten statt die Chūnin Prüfungen, da brauchte Shikamaru einfach etwas zuverlässige Vorhersehbarkeit, um seinen heiß begehrten Kopf feste auf den Schultern zu behalten – und Asuma war nicht hier, um menschlichen Schild zu spielen.    Hör endlich auf, dich wie ein Kind aufzuführen…   Innerlich schnitt er eine Grimasse. Wirklich dämlich, wie er als Ninja Leib und Leben riskierte und dabei nicht in Schweiß ausbrach, doch wenn er einem Schwarm politischer Würdenträger gegenüberstand, fühlte er sich, als wäre er den Wölfen zum Fraß vorgeworfen worden. Und Wölfe waren sie. Jeder einzelne. Alle im Schafspelz, versteckt und doch sichtbar für jedermann. Viel beunruhigender für Shikamaru als jeder Feind, dem er jemals auf dem Schlachtfeld begegnet war. Feinde wollten sein Blut, nicht sein Hirn, was sie vorhersehbar, bezwingbar und leicht zu manipulieren machte. Aber was diese Machtspieler anging? Was für eine Art Agenda trieb sie an, wenn sie ihn ansahen? Was lag in ihren Augen? In ihrem Verstand? Was zur Hölle wollten sie von ihm?   Denk nicht dran.   Wohl kaum. Er hatte bereits Unmengen an Vermutungen zu all diesen Fragen, die aus seinem Hirn sprudelten wie Blut aus einer Arterie. Leicht panisch sah er zu Genma, um den Strom einzudämmen; verzweifelt nach irgendetwas, um sich abzulenken. So verzweifelt, dass er ohne Bedacht herausplatzte: „Du hast gesagt, du würdest Typen wie Yamori kennen. Woher?“   Für einen Herzschlag schwieg Genma und die Muskeln in seinem Kiefer pulsierten. „Davon, den Müll rauszutragen“, erwiderte er letztendlich, bevor er wieder still wurde.    Klasse. Das lief richtig gut…   Shikamaru fühlte, wie sein Hirn wieder zurück in diesen bammeligen Zustand rutschte und nahm das Schweigen einfach als eine eingebildete Einladung, weiter zu fragen: „Was ist Dukkha?“   „Woher zur Hölle soll ich das wissen?“   „Der Typ schien zu denken, dass du es kennst.“   Jetzt wandte sich Genma um; die Bewegung so plötzlich, dass Shikamaru ein wenig zusammenschreckte. „Er schien auch zu denken, mich zu kennen. Er schien auch zu denken, du wüsstest was verfickt nochmal er vorgeschlagen hat, als er gefragt hat, wie alt du bist.“ Genma hob die Brauen und eine völlig untypische Kante biss sich in seine Stimme, schnitt sich in seine Augen. „Na, wusstest du es? Ja? Nein? Willst du, dass ich dir die mentale Beinarbeit erspare? Dass ich es für dich buchstabiere? Dir vielleicht auch noch eine kurze Lehrstunde über die kranken Fetische und verdrehten Phantasien von Unterwelt Abschaum halte? Ist es das, was du willst?“   Daraufhin hielt Shikamaru mit weiten Augen und zusammengepressten Lippen den Mund; sprachlos gemacht von der Geschwindigkeit, mit der Genma ihn zum Schweigen gebracht hatte – aber mehr als das, war er seltsam fasziniert von der explosiven und unerwarteten Reaktion des Shiranui. Er öffnete den Mund, um sich zu entschuldigen.    „Halt die Klappe“, schnappte Genma, wandte den Blick ab und dunkle Augen schlossen sich für einen Moment krampfhaft, bevor er ein Seufzen ausstieß. „Nur weil ich hier deine Anstandsdame spiele, heißt das nicht, dass ich irgendwas von Wert habe, das ich dir beibringen könnte, außer nicht zu sterben. Ich bin nicht dein Sensei.“ Und dann, sehr leise: „Ich sollte nichtmal hier sein.“   Augenrollend klammerte sich Shikamaru an diesen dürftigen Faden der Konversation, um sich nicht selbst zu lynchen. „Ich hab auch nicht nach dem Mist hier gefragt, weißt du? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich hierher geschickt wurde, um zuzusehen, wie sich Genin-Gören gegenseitig verprügeln. Nicht Tiere.“   „Jo, naja, es kann dir gefallen oder nicht, aber du hast eine formelle Einladung erhalten und Plätze in der ersten Reihe.“   „Um mir anzuschauen, wie sich Tiere gegenseitig in Fetzen reißen? Ich dachte, Daimyōs würden auf diesen ganzen Teepzeremonie Mist und kulturelles Sumo Zeug stehen.“   Genma warf ihm einen Seitenblick zu und hob eine Braue. „Du würdest also lieber sehen, wie sich fette Kerle in Unterwäsche aneinander drücken, huh? Sollte ich mir Sorgen machen?“   Heftig errötend funkelte Shikamaru ihn finster an. „Ich meins Ernst, Senpai. Warum hier? Ist nicht gerade die Art von Ort, um irgendwelchen politischen Mist zu debattieren, den sie mit mir diskutieren wollen. Und warum betreten wir das Ding durch die Hintertür? Ist nicht so, als hätten sie aufrechte Bürger, die durch den Haupteingang marschieren. Und dann ist da auch noch dieser Yamori Kerl, der was spielt? Sicherheitsmann? Der hat in etwa so viel Muskeln wie Hirn, es sei denn, das ist alles nur eine Art List, um…“ Bei Genmas Gesichtsausdruck brach Shikamaru ab. „Was?“   Den Kopf schiefgelegt bogen sich Genmas Lippen, als hätte Shikamaru ihn auf eine leise, liebenswürdige Weise amüsiert. „Und du frägst dich, wieso sie dein Hirn wollen.“   „Tu nicht so, als hättest du da nicht selber schon drüber nachgedacht.“   „Du hast recht. Obwohl ich die fetten Kerle in Unterwäsche nicht mit einkalkuliert habe.“   Schon wieder schnitt Shikamaru eine Grimasse. So sehr er die Rückkehr des nicht-angepissten Genmas zu schätzen wusste; die visuellen Darstellungen, die der Shiranui heraufbeschwor, wusste er überhaupt nicht zu schätzen. „Senpai.“   Genma winkte ab. „Der Daimyō von Kusa will nicht, dass irgendjemand sonst seine Klauen in dein fettes Hirn treiben kann, bevor er es macht. Niemand wird darauf kommen, an einem Ort wie diesem nach einem von euch beiden zu suchen. Und außerdem, selbst wenn der Daimyō hier gesehen wird, wird niemand vermuten, dass du irgendwas besonderes bist. Nur irgendein dummes Kind in der Menge, das versucht zu beweisen, dass ihm ein paar Eier gewachsen sind.“   „Klar.“ Shikamaru verkniff sich ein Schmunzeln. „Ich fange an zu begreifen, warum Asuma-sensei gesagt hat, du würdest einen schlechten Einfluss auf mich haben.“   „Du hast ja keine Ahnung“, murrte Genma und wandte sich wieder der Tür zu. „Was soll das überhaupt mit diesem Smalltalk? Du bist nie so gesprächig. Merkst wohl schon den Druck, hmn?“   Klasse, bin ich SO offensichtlich?   Shikamaru runzelte irritiert über seine Durchschaubarkeit die Stirn. Normalerweise hatte er keinerlei Probleme damit, seine Agenden oder seine Unsicherheiten zu verbergen. Da er sich bloßgelegt vorkam, bemühte er sich mit seinen nächsten Worten um Deckung. „Bin nur aufmerksam. Ist das nicht der ganze Sinn davon, dass ich hier bin? Um dich zu beschatten?“   Genma schnaubte und Shikamaru hätte bei diesem unbeabsichtigen Wortspiel peinlich berührt das Gesicht verziehen können. „Von dir zu lernen“, verbesserte er sich und griff nach einem solideren Schatten, um sich dahinter zu verstecken. Sein Sensei. „Es ist nervig, aber Asuma meinte, ich solle in deinem Hirn stochern und dir Fragen stellen.“   „Nein, das hat er nicht.“   Nein. Das hatte er nicht. Aber Shikamaru würde das auf keinen Fall zugeben, nur um so früh im Spiel niedergeschossen zu werden. Oder eher der zweiten Runde des Spiels. Denn beim ersten Mal hatte Genma ihn mit seiner Schnellfeuer Zunge umgehauen.    DAS habe ich auf jeden Fall nicht kommen sehen…   Und während Shikamaru auf Vorhersehbarkeit und Versicherung vonseiten des anderen Ninja gesetzt hatte, war es dennoch sehr interessant, gegen jemanden anzutreten, der mit demselben silberzüngigen Niveau ausgestattet war wie er. Das hätte ihn eigentlich wirklich nicht überraschen sollen, gemessen daran, dass seine Gegner immer älter als er waren. Wenn es darum ging, eine intellektuelle Übereinstimmung mit irgendjemandem in seinem ungefähren Alter zu finden, kam höchstwahrscheinlich nur der Überflieger Hyūga Neji infrage - obwohl sie nicht unbedingt viel miteinander zu tun hatten und vermutlich würde sich das in naher Zukunft auch nicht ändern.   Außer ich werde schon wieder befördert…   Nicht, dass er überhaupt jemals darum gebeten hatte, zum Chūnin ernannt zu werden. Er hatte es ja nichtmal versucht. Hatte nur nicht gewollt, von einem Mädchen geschlagen zu werden. Aber das hatte Tsunade-sama nicht davon abgehalten, noch mehr Rang und Verantwortung auf ihm abzuladen.    Die Leute lieben es einfach, mich auf ihren politischen Shogi Brettern rumzuschieben…   Jo. War das nicht auch der Grund, aus dem er hier war?    Er holte sein Hirn von diesem deprimierenden Gebiet zurück und stellte fest, dass Genma ihn schon wieder aus den Augenwinkeln ansah. Als würde der Ältere vielleicht auf irgendeine Art altklugen Konters warten. Worüber hatten sie noch gleich gesprochen?    Asuma.    Rasch erholte sich Shikamaru mit einem Achselzucken. „Asuma sagt mir ständig, dass ich die Initiative ergreifen soll. Das ist dasselbe wie die richtigen Fragen zu stellen.“ Angesichts Genmas ungläubigen Schnaubens brachte Shikamaru seinen besten Ausdruck von Kränkung zustande. „Ich versuche hier gerade was von dir zu lernen. Bringt mir das nicht zumindest ein paar Proktorenpunkte ein?“    „Nein.“   „Dann bring mir was bei, das das schafft.“   Seufzend rollte Genma mit den Schultern und drehte sich, um seinen Rücken gegen eine der Mauern zu lehnen, während er ein Bein mit der vollkommenen Gelassenheit einer Streunerkatze vor sich ausstreckte und sich dann mit abgeschirmten Augen gegen die Wand lümmelte. „Pass auf. Tu dir selbst einen Gefallen, Junge. Wenn es irgendwas gibt, dass du von mir lernen musst, dann, dass ich ein schillerndes Beispiel für das bin, was du nicht tun sollst.“   Perplex blinzelte Shikamaru ihn an. „Ist das umgekehrte Psychologie?“   Belustigung funkelte flüchtig in diesen dunklen Augen, aber es schien eine zu kalte Flamme zu sein, um ehrlich sein zu können. Genma schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts zu sagen. Soweit es mich betrifft, gibt es keine Worte, sondern nur Taten. Abgesehen davon, wenn wir uns an diesem Ort bewegen, wirst du exakt das tun, was ich dir sage, nicht was ich tue. Verstanden?“   Nein. Nicht wirklich. Die Nachricht segelte irgendwo über Shikamarus Kopf, während sie von seiner dämlich simplen Logik gejagt wurde wie von einem fußlahmen Hund. Er war sich ziemlich sicher, dass absolut nichts von dem, was Genma gerade gesagt hatte, auch nur den leisesten Sinn ergab.    Vielleicht ist das ja auch der Punkt, du Genie.    Oder war es das? Warf Genma verzweifelt einen unlogischen Kurvball, dem Shikamarus Hirn hinterher springen sollte? Oder ging da etwas ganz anderes hinter all diesen widersprüchlichen Worten vor sich? Etwas wie eine gewisse Art von Chamäleonakt, mit dem Shikamaru nur allzu vertraut war. Ein Spiel, das er zu spielen wusste.    Lästig.   Aber auch verlockend, jetzt da er wusste, dass Genma mehr als nur in der Lage war, eine Herausforderung für ihn darzustellen.    Dumme Idee.   Aber sie blieb hängen. Nagte noch immer.    Sich gegen die gegenüberliegende Wand lümmelnd musterte Shikamaru den Tokujō, wie er wahrscheinlich einen Shogi Gegner taxieren würde, während er einzuschätzen versuchte, ob es es wert wäre, einen Spielplan auszuarbeiten oder er die Teile einfach liegen lassen sollte. Zumindest wäre es eine Ablenkung.    Nach der Attitüde von Echsengesicht zu urteilen, würde er vermutlich noch weitere zwanzig Minuten rumtrödeln, nur um Genma anzupissen, was Shikamarus Hirn einen ungewollten Brocken Zeit ließ, um noch mehr deprimierende Theorien über dieses ganze nervige Kusa Daimyō Ding auszuspucken.    Scheiß drauf.   Er würde sich lieber für Genma entscheiden und wenn nur, um Zeit totzuschlagen. Und vielleicht, nur vielleicht, war er von dem älteren Mann auch ein bisschen fasziniert. Nicht vieles schaffte es, Shikamarus Interesse zu wecken oder sein Hirn zum Grübeln zu bringen, aber wenn es der Fall war? Dann war er mit von der Partie.   Wirf ihm einfach ein paar Fragen zu…wird wie ein Trainingskampf sein…   Übung für das Organ, das am wichtigsten war: sein heiß begehrtes Hirn.    Während er seinen unwilligen Partner beäugte, sammelte Shikamaru rasch alle Informationen, die er über diesen schwer fassbaren Tokujō aus einer Überraschungstüte von Asuma, Hörensagen und seiner eigenen Beobachtungen zusammengetragen hatte. Und dann machte er seinen Zug. „Was hat es mit dem ganzen Vermeiden von Ratschlägen auf sich?“   Genma stieß ein abgelenktes Grunzen aus. „Was?“   Langsam hob Shikamaru eine Braue, er fiel nicht auf diese Verzögerungstaktik herein. Genma hatte ihn ganz wunderbar verstanden. „Ebisu und Gai waren mit dir in einem Genin Team während der Chūnin Prüfungen, stimmt’s?“ Keine Antwort, aber auch kein Abweisen. Genma sah mit gekrümmten Brauen zu ihm auf, als wartete er auf den Punkt. Und Shikamaru gehorchte ihm, führte seine Frage weiter aus. „Beide deiner Teamkameraden wurden zu geachteten Jōnin. Das ist bei so ziemlich allen Ninja deiner Klasse der Fall. Also warum du nicht?“   „Hatte vielleicht was mit der Tatsache zu tun, dass ich kein Görenpack wollte, das mit ziellosen Fragen die Scheiße aus mir rausbohrt.“ Er warf Shikamaru einen vielsagenden Blick zu. „Danke, dass du mich daran erinnerst, warum ich das überhaupt nicht bereue.“   Punkt für Shiranui.   Innerlich schmunzelte Shikamaru, doch er hielt sein Pokerface aufrecht und zuckte mit den Achseln. „Scheint nur eine ziemliche Verschwendung zu sein. Wenn du ein Sensei wärst, dann könntest etwas weitergeben, eine Art von-“   „Asuma hat dich bezahlt, mich zu verarschen, hn?“   „Was? Nein.“   „Uh huh. Klar.“ Genma ließ den Kopf nach hinten kippen und sein Senbon klickte in einem kalkulierten Ticken zwischen seinen Zähnen. „Das unmotivierteste Kind von ganz Konoha belehrt mich über die Erkundung meines verschwendeten Potentials aus was? Langeweile?“   „Neugier“, konterte Shikamaru, was sein ursprüngliches Motiv rasch überholte. „Ich meine, du bist ein ziemlich angesehener Jōnin.“   „Kakashi ist ein angesehener Jōnin. Ich bin ein ausersehener Jōnin. Großer Unterschied.“   „Inwiefern ist das anders?“   „Weil manche Ninja ihre Titel verdienen und andere nur delegiert wurden. Du solltest alles darüber wissen, wenn man bedenkt, wie spektakulär du deine Chūnin Prüfung hast platzen lassen und es dennoch zu dem Rang geschafft hast. Es war ein Witz und du weißt das.“   Das hätte vielleicht weh getan, wenn Shikamaru nicht ohnehin schon vollkommen ehrlich zu sich gewesen wäre, was seine weniger als beeindruckende Leistung an diesem Tag anging. Ganz ehrlich, er hatte diese Beförderung nicht verdient, doch es fiel ihm mehr als schwer, dasselbe auch bei Genma zu glauben.    Er ist kein Drückeberger wie ich…also was ist seine Entschuldigung dafür, so vermeidend zu sein?   Energisch grübelte Shikamaru darüber nach, wie er die Antwort darauf bekommen könnte und hielt die Augen beständig auf den älteren Mann gerichtet. „Es ist kein Geheimnis oder eine Beleidigung, dass ich es nicht zum Chūnin schaffen wollte. Nicht, dass ich bei dir jemals hätte so tun müssen. Du warst dabei. Du hast gesehen, was da mit Temari den abgegangen ist. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich es einfach nicht wollte. Habe es einfach ausgehändigt bekommen. Ich bezweifle aber, dass das auch deine Geschichte ist, oder? Dass es dir einfach so ausgehändigt wurde?“   Das Senbon hörte auf zu ticken. Genmas Augen schnitten zu ihm und zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Ich habe dich nicht für einen Arschkriecher gehalten, Shikamaru. Was willst du?“   Unschuldig blinzelnd war Shikamaru viel zu interessiert an Genmas evasivem Verhalten, um darüber nachzudenken, dass es vielleicht weise wäre, sich jetzt zurückzuziehen. Er hatte den anderen Ninja dazu gebracht, sich um diese Sache im Kreis zu drehen und er wollte wissen, warum. „Ich meine es ernst. Du bist einer der stärksten Tokujō in ganz Konoha. Du hast all diese Ränge und Beförderungen auf dem Konto und-“   „Und was? Denkst du, dass dazu qualifiziert zu sein, eine Generation zu beschützen und ihr zu dienen, einen automatisch mit dem ausstattet, was man braucht, um dieser Generation irgendetwas von Wert beizubringen?“ Genma bellte ein kurzes, finsteres Lachen. „Du hast noch sehr viel zu beobachten, Junge. Das kann ich dir sagen.“   Jo und jetzt gerade beobachte ich etwas wirklich Komisches.   Und eine ernste Selbstironie hinter der Abfuhr und dem Sarkasmus des Älteren. Offensichtlich mochte Genma weder Lob noch Anerkennung. Shikamaru registrierte das deutliche Unbehagen und fragte sich, ob auch Genma der Gnade irgendwelcher verrückten Politiker ausgesetzt gewesen war und ohne Verlangen oder abgestimmte Anstrengung auf dem Spielbrett umher geschoben worden war; nicht deswegen ausgewählt, weil er die Ambitionen, sondern die Fähigkeit dazu hatte.    Das verstehe ich…   Und das machte sie einander ähnlicher, als Shikamaru vermutet hatte, was ihn nach Antworten hungern ließ, wie zur Hölle er mit all dem fertig werden sollte. Wenn ihm irgendjemand diese Art von Vorwarnung geben konnte, dann war es dieser Kerl. Scheiße, Genma war der Elitewächter des Yondaime, Sandaime und der Godaime. Schon allein der Druck dieser Rolle – ob nun gewollt oder nicht – musste einfach mit einigen sehr guten Bewältigungsstrategien einhergehen.    Jetzt im Moment könnte ich das gut gebrauchen…   Rasch arbeitete er dieses Motiv in seine Strategie ein und änderte sein Vorgehen. „Willst du denn nicht eine Art Vermächtnis zurücklassen?“   „Würde ich das wollen, dann hätte ich Kinder. Und wie wir bereits festgestellt haben, bin ich nicht gerade scharf auf die Idee. Ich habe der nächsten Generation nichts beizusteuern, als sie zu beschützen.“ Hier machte Genma eine Pause und ließ das Gewicht dieser Worte hängen, während er eine Schulter gegen die Ziegel rollte und einen belästigten Atem ausstieß. „Sind wir jetzt fertig? Oder gibt es noch irgendwas anderes Interessantes an meinem Mangel an Enthusiasmus für dieses Thema, das du gerne besprechen würdest?“   Einiges, obwohl es vermutlich leichter sein würde, dieses Senbon aus Genmas Mund zu nehmen, als Antworten zu bekommen. Shikamaru zog leicht die Brauen zusammen. „Du bist mehr als einfach nur ein Tokujō und Aufseher. Du bist Goei Shōtai. Braucht nichtmal ein halbes Hirn um zu wissen, dass dir dieser Titel nicht einfach ausgehändigt wurde.“    Genma hielt den Blick auf die Tür gerichtet, doch sein Kiefer verkrampfte sich.    Und Shikamaru drängte auf seinen Vorteil. „Wolltest du diese Rolle?“   Langsam spähte Genma zu ihm hinüber. „Worauf willst du hinaus?“    Shit.   „Gar nichts. Nur, dass ich nicht glaube, dass das ein Rang ist, zu dem du ausersehen wurdest, ohne ihn zu verdienen. Ich meine, du bist an der Spitze des Spiels, oder nicht? Die wichtigste und stressigste Rolle, die es gibt. Den König zu beschützen.“   Blinzelnd wurden Genmas Augen glasig, als er zur Seite wegsah. „Jetzt klingst du wie Asuma…oder zumindest damals, als er dachte, das wäre es, was es bedeutet.“   Shikamaru runzelte die Stirn. „Was soll das heißen?“    „Gar nichts. Nichts, was ich dich lehren werde.“   „Vielleicht könnte ich eine Lektion gebrauchen.“   Erneut hob Genma den Blick und diesmal war er frei von Erinnerungen und scharf vor Argwohn. „Versuchst du zu behaupten, du würdest dir deinen Weg bis zum Hokage-Bodyguard erarbeiten wollen, Shikamaru?“   Der Nara verzog leicht das Gesicht bei diesem beißenden Sarkasmus und schüttelte den Kopf. „Offensichtlich spielt es nicht wirklich eine Rolle, was ich als Ninja will. Sie werfen Ränge auf mich, ob ich sie nun will oder nicht. Tut aber nicht weh, einen Ratschlag von einem Elite Wächter zu bekommen, wie man damit umgeht.“   „Du stehst bereits unter der Führung eines Elite Wächters. Denkst du wirklich, Asuma hätte seine jüngeren Jahre damit verbracht, Müll rauszutragen und sein Leben zu verschwenden?“   „Nein. Aber so wie du meinen Fragen ausweichst fange ich an, mich zu fragen, ob es das ist, was du getan hast.“ In der Sekunde, als er die Worte ausgesprochen hatte, wünschte er sie sofort wieder zurück. Kaum hatten sie seine Lippen verlassen, sah er, wie das Spielbrett in seinem Verstand umkippte, alle Teile auseinander stoben und sich verteilten.    Und dann sah er Genmas Gesicht.    Die Miene des Tokujō war straffgezogen und kalt wie eine Maske, doch seine Augen schimmerten scharf wie Dolche und schnitten durch die Mauer schwerer Stille, um Shikamaru so sicher wie jede Klinge festzupinnen.    Shikamaru zuckte zusammen und seine gesamte Haltung schrumpfte gegen die Wand zusammen. Er spürte die Leere seines Sieges ebenso sicher, wie er das Loch aus Furcht und Scham spürte, das sich in seinem Inneren öffnete. „Es tut mir leid“, murmelte er, senkte sofort den Kopf und neigte sich körperlich in die Entschuldigung. „Es tut mir leid, Senpai. Ich bin zu weit gegangen.“   Keine Erwiderung.    Shikamaru befürchtete schon ein Senbon zwischen den Augen und sah langsam auf, nur um festzustellen, dass Genmas Blick ein Stück zur Seite geglitten war. Seine Brauen waren zu einem seltsamen Knoten über Augen zusammengezogen, die nicht länger gefährlich waren…nur distanziert…dunkel…   „Ja“, sagte Genma leise und mit flacher, unlesbarer Stimme. „Das bist du.“   Diese sanften Worte schnitten tiefer als jeder scharfzüngige Tadel. Beschämt öffnete Shikamaru den Mund, um sich noch einmal zu entschuldigen, doch da tauchte Yamori wieder in der Tür auf. Er schien geradezu wie ein Gecko aus dem Holz zu schlüpfen.    „Sieht alles korrekt aus“, näselte Yamori, als er noch einmal die Eintrittskarten beäugte; entweder zweifelnd oder einfach nur, um lästig zu sein. Er machte eine kleine Schau daraus, ein Ende der Tickets abzureißen, bevor er sie Genma reichte und die Kanten des fadenscheinigen Papiers festhielt, als der Tokujō sie entgegennehmen wollte.    Genmas Augen zuckten zusammen mit seiner Braue nach oben. „Problem?“   Für einen Herzschlag hielt Yamori seinen Blick und Lippen schälten sich über schiefen Zähnen zurück. „Kein Problem im Paradies, Bruder, überhaupt kein Problem.“   Genma versteifte sich marginal. Er riss die Tickets aus den schmuddeligen Fingern des Mannes und drehte leicht den Kopf, ohne auch nur eine einzige Sekunde seine Augen von dem feixenden Echsengesicht abzuwenden. „Shikamaru. Ich bin direkt hinter dir.“   Zögernd stierte Shikamaru in das tiefe dunkle Maul der Tür, dann setzte er sich wie befohlen in Bewegung, während er sich mental schalt, sich nicht wie ein aufgeschrecktes Kind zu benehmen. Er hatte Genma schon mit seiner Unverschämtheit angepisst und trotz seiner Nervosität würde er dem Tokujō keinen weiteren Grund geben, angepisst oder angewidert von ihm zu sein. Er mochte Genma. Respektierte ihn. Fühlte sich übel allein wegen des Gedankens, dass er einen der wenigen coolen Erwachsenen, zu denen er wirklich aufsah, enttäuscht und respektlos behandelt hatte.   Er würde das wieder ins Lot bringen.    Würde es wieder gut machen.    Er musste nur durch die Schatten dieses Türrahmens schreiten und hinaus in die –   „Shikamaru!“   Angesichts der Stimme wandte er sich um und die Welt drehte sich mit ihm, verschwamm zu einem Wirbeln von Farbe und verzerrter Konturen, ein Schmieren von Schwarz über seiner Erinnerung, wusch Sicht und Klang aus und…   „Shikamaru. Wach auf.“   Ino?   Verwirrung durchfuhr ihn, ein schwindelerregender Ansturm, der ihn von der Vergangenheit wegführte und ihn zurück in zeitloses Schwarz stürzte…zurück in diese pulsierende Finsternis. Diese vertraute Finsternis. Nur gab es diesmal keine Nadelstiche des Lichts, denen er hätte folgen können…keine Fäden kohärenter Erinnerung…nur eine Reihe von Gaslampen, die über ihm hingen. Ihr schwacher Schein kämpfte einen verlorenen Kampf gegen die gähnende Schwärze der Grube.    Grube…   Shikamarus Augen weiteten sich angesichts des Wortes. Er kannte diesen Ort. Dieses Gefängnis. Diesen vergifteten Albtraum. Die Erkenntnis ließ ihn erstarren und er wappnete sich für den untoten Tierangriff; das Knirschen von Knochen und das Schlingern von Maden; der volle Ansturm einer Panikattacke. In Stille und Finsternis wartete er, sah nichts außer Schatten und schummriges Licht…und fing an zu denken, dass er vielleicht in einen komplett anderen Ort abgerutscht war.    „Keine schlechte Vermutung. Das hier ist kein Ort, von dem du denken würdest, du kennst ihn. Das war es nie.“   Die Stimme kam von irgendwo hinter ihm. Heiser krächzend wandte er sich um. „Genma?“   Nein. Nicht Genma. Das wusste er instinktiv, schon während er sprach und er hörte, wie seine eigene Stimme zurück aus der Finsternis hallte; einer Antwort leer.   ‚Ich bin direkt hinter dir.‘   Nur war Genma nicht direkt hinter ihm. Was bedeutete…   Das hier ist keine Erinnerung…oder nicht?...Ich träume…   Verwirrung pulsierte dicht wie die Schatten um ihn, schluckte alle Sinne, brachte Erinnerung und Einbildung durcheinander.   „Ja. Er hat auf jeden Fall eine ziemliche Nummer mit deinem Hirn abgezogen. Hat dir deine Erinnerungen an TEKISHA SEIZON genommen und dich dazu gebracht, diesen Ort zu fürchten, sodass du nicht das fürchtest, was jenseits davon liegt. Klug, aber so lästig.“   Stirnrunzelnd wandte sich Shikamaru noch einmal in dem Versuch um, den Sprecher zu Gesicht zu bekommen, doch stattdessen fing er den plötzlichen säuerlichen Stich von Urin auf, scharf wie Katzenpisse und dazu mischte sich auch noch ein anderer übler Ammoniak Gestank. Erbrochenes? Eine Spur von etwas Chemischen hing in seinem Rachen und durchdrang den durchweichten Geruch von nassem Fell und Tierpelz, zusammen mit dem Gestank verfaulten Strohs und Sägespänen – Stallgeruch, der von einem abgestandenen Hauch von Vogelfutter verstärkt wurde. Tiergehege. Daran erinnerte er sich…doch andere Gerüche fehlten…was zur Hölle war es nochmal?   „Witzig. Dein Hirn hat früher all diese Schwachsinnsdetails genau so ausgefüllt, wie es dazu programmiert war. Zwei Jahre im Autopilot rennend…oder vielleicht auch einfach nur rennend. Darin bist du gut. Aber in letzter Zeit nicht mehr so sehr, huh? Wirst du müde? Das solltest du. Ich weiß, dass ich es bin.“   Shikamaru hob eine Braue, machte diesmal aber keine Anstalten mehr, sich umzuwenden und seine Augen zogen sich auf die Finsternis zusammen, die um ihn herum bebte. „Ach ja? Wie wäre es denn dann, wenn du mit diesen laufenden Kommentaren aufhörst und aus den Schatten kommst?“   „Das ist schon ziemlich ironisch, dass das ausgerechnet von dir kommt. Du befindest dich mehr im Dunkeln über diesen Ort als ich.“   „Und wer zur Hölle bist du eigentlich?“   Keine Antwort. Vorhersehbar mehrdeutig.    „Das ist Bullshit“, knurrte Shikamaru und seine Worte verklumpten ein wenig in seiner Kehle. Der Gestank an diesem Ort wurde immer schlimmer. Verrückt, wie detailliert diese Gerüche waren. Und noch viel verrückter, dass er sich trotz dieser vollkommenen nasalen Überreizung sehr sicher war, dass etwas anderes fehlte; war da das letzte Mal nicht noch der Geruch von Alkohol und Rauch gewesen? Und Gesichter? Lärm? Das Brüllen der Menge, als die Spiele begannen?   „Das ist falsch.“   Alles falsch. Nicht, wie er es normalerweise träumte. Oder hatte er sich das eingebildet? Er hatte noch nie zuvor von Genma geträumt. Machte das also das hier richtig oder falsch? Diese Grube…dieser Ort…war es derselbe Ort, der ihn erwartet hatte, als er diesen Korridor entlang gelaufen war? War Genma mit ihm gegangen? Er hatte gesagt, er wäre direkt hinter ihm. Aber Genma hätte nicht einmal dort sein sollen – oder hier. War er das? Das war nicht, wie der Albtraum ablief. Normalerweise wachte Shikamaru einfach in diesem Höllenloch auf. Es gab niemals ein davor oder danach. Nur das hier. Nur den Horror…und dann war er –    „Wach auf“, wisperte Shikamaru kopfschüttelnd. „Ich muss aufwachen.“   „Du wachst bereits auf. Nach zwei langen Jahren. Es ist okay, dabei auszuflippen. Du hättest dich nicht an irgendetwas jenseits dieser Grube erinnern sollen. Dieses Ortes. Aber jetzt erinnerst du dich, wie du hierher gekommen bist. Du erinnerst dich an Genma. Ein weiteres Puzzlestück, das ich dir gebe, um damit zu spielen.“   „Wenn du alle Teile hast, warum ersparst du mir nicht das Ränkespiel und teilst die Informationen einfach mit mir?“, schoss Shikamaru zurück, doch offensichtlich war der Finsternis nicht danach, zu teilen.    „Hn. Du bist derjenige, der nicht teilt. Weißt du eigentlich, wie lange ich gebraucht habe, in deinem Kopf Halt zu finden? Aber du bekommst einen besseren Griff an diesem Ort. Oder vielleicht bekommt er auch einfach nur einen besseren Griff an dir.“   Shikamaru ignorierte die Widerrede und das Übelkeit erregende Gefühl, das sie in seinem Magen auszulösen begann. Stattdessen konzentrierte er sich auf das wenige, aus dem er Sinn machen konnte – wie zum Beispiel den stärker werdenden Gestank dieses Ortes. Er rümpfte die Nase, versuchte, durch den Mund zu atmen und schmeckte etwas Salziges und Beißendes. Schweiß und Galle. Vielleicht Blut.    „Definitiv Blut.“   Eine Grimasse schneidend spuckte er aus, um seinen Mund zu reinigen, hörte das nasse Plop, als sein Speichel den Boden traf. Stirnrunzelnd sah er nach unten – wurde regungslos und kalt wie Eis. Blut. Es kräuselte sich um seine Knöchel, ein roter See, der sich glatt wie Glas hinaus in die Stille erstreckte und im Laternenlicht beinahe schwarz schimmerte…beinahe nicht von den Schatten zu unterscheiden.    „Beinahe. Sieh nochmal hin.“   Das tat er. Und dort, in der Regungslosigkeit widergespiegelt und wie von weit unter der Oberfläche auftauchend, schwebten die verstümmelten Leichen und zersplitterten Knochen von toten und sterbenden Tieren; Ratten, Hunde, Katzen, Hähne, Stiere. Er erinnerte sich nicht daran, dass die letzten beiden Tiere jemals in seinen Albträumen präsent gewesen waren, doch seine Augen weiteten sich im Wiedererkennen der anderen drei. Aber wo waren die aufgetürmten Knochen? Die Maden? Die aufgeblähten Innereien zu seinen Füßen? Und wenn er so darüber nachdachte; wo war seine Furcht? Seine Panik? Und jede andere Magen verdrehende Reaktion, die seinen Traum normalerweise begleitete?   Traum.   Das Wort schlitterte wie ein geworfener Stein über das Wasser, die Illusion. „Was auch immer das hier ist…es ist nicht real.“   „Du hast recht. Das hier ist nichts weiter als eine Erinnerung, die von innen nach außen gekehrt wurde. Eine Lüge, die du abgekauft hast. Eine Geschichte, von der dir gesagt wurde, sie dir selbst zu erzählen. Etwas, um deinen Verstand von dem abzulenken, was WIRKLICH in dieser Nacht vor zwei Jahren passiert ist. Du nennst es einen Albtraum, genau wie es dir der ANBU Mann gesagt hat. Aber das ist nicht, was es ist.“   „Also was zur Hölle ist es dann? Und was für ein ANBU Mann?“, raunte Shiakmaru irgendwie zerstreut, während seine Aufmerksamkeit auf dem Blut-Glas-Boden gerichtet blieb – eine Fata Morgana, ein Spiegel, ein behelfsmäßiger Schleier.    Wenn er ihn berührte, würde er zerbrechen?   Langsam ging er in der Hocke, berührte mit den Fingerspitzen das blutige Wasser. Es schlug Wellen, aber die Tiere blieben unter der Oberfläche gefangen, kratzten und krallten wie unter Eis.    „Gern geschehen, übrigens. Sie können dich nicht mehr kriegen. Nicht solange ich hier bin.“   „Was?“ Shikamaru schüttelte den Kopf von Seite zu Seite und staunte sowohl über seinen vollkommenen Mangel an Panik, als auch über seinen vollkommenen Mangel an Begreifen. „Aber ich…dieser Albtraum macht mich wahnsinnig…das erste Mal, als ich ihn geträumt habe, bin ich-“   „Total ausgetickt. Du bist in diesem Ryokan aufgewacht und hattest fast einen nervösen Zusammenbruch und das auch noch vor Ino und Chōji. Wirklich clever. Das war ziemlich peinlich.“   „Halt’s Maul. Was zur Hölle weißt du denn schon?“ Offensichtlich eine ganze Menge mehr als er selbst, aber das war nicht der Punkt. Dieser ganze Dialog luziden Träumens begann ihn mehr zu beunruhigen als die Tierleichen, die nach seinem Fleisch gierten.   „Nach deinem Fleisch gieren, huh? Komm mal wieder runter. Der ganze Scheiß, den du als Ninja durchgemacht hast? Wärst du da ernsthaft wegen ein paar tollwütiger und verstümmelter Tiere ausgerastet? Auf keinen Fall. Diese ganze fehlplatzierte Angst, die du hast? Es sind nicht die Tiere, die du im Tekisha Seizon hast kämpfen sehen; vor denen du dich fürchtest. Auch wenn es dir damit in letzter Zeit nicht so gut geht, nicht wahr?“   Shikamarus Atem geriet ins Stocken. In Wellen brandeten die Erinnerungen über ihn; ein Kräuseln auf rotem Wasser. Eine Vision eines monströsen Akamarus, der sich mit rotem Fell und tropfenden Fangzähnen auf ihn stürzte. Und noch eine weit entsetzlichere Vision davon, wie gelähmt er gewesen war. Wie nutzlos. Wie er – während all dieser essentiellen Sekunden des synaptischen Shutdowns – einfach nur dagelegen hatte wie ein gottverdammtes Gemüse, während Neji ihm dämlich simple Anweisungen zugebrüllt hatte und Kiba gezwungen war, seinen eigenen Ninken niederzukämpfen, wobei er ernsthafte Verletzungen riskiert und sich währenddessen sogar die Schulter ausgekugelt hatte.   „Ja. Du hast einen richtigen Lauf, was das angeht. Hat Kiba nicht schon wieder einen fürs Team einstecken müssen, weil du da draußen wieder total hirntot geworden bist?“   Weitäugig blinzelte Shikamaru und sein Kopf ruckte nach oben. Der Sumpf. Die Alligatoren. Kiba! Was zur Hölle war passiert? Wie eine Faust schwang der Durchblick auf ihn zu und traf ihn heftig. Er musste hier raus. Er musste aufwachen. Er musste –    „Weißt du, ich bin überrascht, dass du es geschafft hast, gegen diese Chimären anzutreten, ohne dir dabei in die Hosen zu pissen. Aber auf der anderen Seite ist das ja auch die Illusion, nicht wahr? Die Lüge.“   Shikamaru schoss auf die Füße und schnellte herum. „Wovon zur Hölle redest du? Ist das irgendeine Art Genjutsu?“   „Dachte ich mir, dass du diesen Satz machen würdest. Nein. Das hier ist kein Genjutsu. Aber ich wette, dass du dir wünschst, es wäre eins.“   „Mann, du fängst wirklich an mich anzupissen“, knurrte Shikamaru und scannte die Finsternis um ihn herum, während er nach seinem Zorn griff, um das unerklärliche Entsetzen zurück drängen zu können, das diese Worte auslösten. Was auch immer für eine Art von Nachtmahr, oder Traum, oder Hirnversagen gerade in seinem Kopf abging, es musste eine logische Erklärung dafür geben…die vielleicht gigantische Kusa Sumpfpflanzen und ihre gruseligen Opiate beinhaltete.    „Und schon wieder die Lügen. Wie lästig. Vielleicht muss ANB Mann ja gar nicht hier sein. Du machst ja schließlich die ganze Arbeit für ihn.“   „Halt’s Maul. Das ist ein Traum. Ich muss nur aufwachen.“   Es musste einen Weg hier raus geben. Er musste etwas finden, um diesen hypnischen Spasmus auszulösen, der sein Hirn dazu zwingen würde, aus der Traumzone aufzuschrecken. Er war sich sicher gewesen, dass er an irgendeinem Punkt Ino gehört hatte, die seinen Namen rief. Stocherte sie in seinem Hirn herum?    Er schrie nach ihr: „INO!“   Die Finsternis kräuselte sich um ihn herum, verdichtete sich, wurde schwärzer. „Tu das nicht.“   „INO!“   „Sie kann dir nicht helfen. Niemand von ihnen kann das. Nicht einmal Asuma konnte es.“   Bei diesem Namen erstarrte Shikamaru und sein Herz hielt an. „Nicht.“   „Tut weh, nicht wahr? Er hat gesagt, er würde dir helfen.“   „Das hat er.“   „Schwachsinn. Er hat gesagt, er wäre an deiner Seite-“   „Es war nicht seine Schul-“   „Nein. Es war deine Schuld. Mal ganz ehrlich. Du hast es mal so richtig abgefuckt. Auf alle Fälle hat er dich verlassen. Aber ich werde das nicht tun. Scheiße, das habe ich nie. Aber du hast mich verlassen. Die Nacht, in der du diese Spritze in den Nacken von diesem Monster gerammt hast und -“   „SEI STILL!“, explodierte Shikamaru mit einem Heulen aus roher Kehle, als er sich mit den Händen über den Kopf gekrallt vornüber beugte, sein Mund auffiel und sein Kiefer verkrampfte. Galle drohte, doch sein Magen hielt sie zurück. Weitäugig stierte er in die roten Wasser, die sich zu seinen Füßen kräuselten…sah dunkle, lusterfüllte Augen, die daraus zu ihm aufsahen, nach oben geschwemmt und feixend. „Das ist vorbei…es ist vorbei…“   „Achja? Also warum verfickt nochmal bin ich dann immer noch hier, du Genie? Warum träumst du immer noch von diesem Drecksloch? Dieser fetten schwarzen Grube, in die du mich gezerrt hast. Du hast mich hier mit ihm zurückgelassen, weißt du. Ist DAS der Dank dafür, dass ich deinen erbärmlichen Arsch gerettet habe?“   Krampfhaft die Lider aufeinander pressend, kratzte er seinen verstreuten Verstand zusammen und warf sein ganzes Gewicht nach vorn, während er seine Arme durch die Finsternis stieß, nach etwas Solidem suchte, bis seine Hände gegen Bretterwände klatschten. Hektisch versuchte er, nach einem Ausgang zu suchen, tastete die Dielen nach Rillen oder Trittlöchern ab. Er konnte klettern. Vielleicht irgendwie einen gewaltigen Satz machen. Das sollte reichen. Allein die Simulation eines Falls würde sein Hirn zum Aufwachen zwingen.    „Du meinst wohl eher, wieder schlafen zu gehen. Wieder so zu tun, als ob. Du verfickter Feigling. Du bist schwach. Hilflos. Verängstigt. Das warst du schon immer. Aber das musst du nicht sein.“   „Wach auf…wach auf…“, wisperte Shikamaru wieder und wieder, wich von dem Holz zurück, der Wand, der Seite der Grube, die er kannte. Wenn er nicht darüber kam, könnte er sie durchbrechen? Er wählte eine Planke aus, stützte sich auf seinen linken Fuß und stampfte mit seinem rechten gegen das Holz.    Es gab nicht nach.    Furcht krallte sich seine Wirbelsäule hinauf und riss den Zorn fort. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ er seinen Fuß immer wieder gegen das Holz krachen, härter und härter. Sein Herz raste immer schneller und sein Puls hämmerte zu dem Mantra von schwach, hilflos, verängstigt…   „Das musst du nicht sein.“   „INO!“ Er schnellte herum, rammte sich mit der Schulter gegen die Wand, dann mit den Fäusten, tat alles, um das Zittern irgendwie in Schach zu halten und sich von dem kalten Schweiß abzulenken, der sich in seine Haut stach. Schmerz. Schmerz würde funktionieren. Seine Knöchel kratzten über das Holz, rissen auf, bluteten, verheilten innerhalb eines Wimpernschlags.    „Shikamaru.“ Inos Stimme. Irgendwo jenseits, irgendwo darüber, unzusammenhängend und wellenförmig. „Bist bei Neji…musst dich beruhigen…träumst…dich finden…dein Chakra ist…nur…deine Augen. Es ist okay, nur-“   „INO!“   Die Gaslampen, die über ihm hingen, verloschen in einem Rauschen und stürzten die Gesamtheit der Grube in Finsternis. Shikamarus Schrei brach ab und sein Mund wurde trocken wie Asche. Sein Magen fiel so schnell, dass er beinahe in die Knie ging.    „Das ist es, was du fürchtest, nicht wahr? Dieses schwarze Loch in deinen Erinnerungen…der Ort, an dem du mich zurückgelassen hast, sodass du hier raus konntest.“   Mit weiten Augen stierte Shikamaru blind vor sich hin, als phantomhafte Farben um ihn herum als Antwort auf das abrupte Auslöschen von Licht und Stimuli zu erblühen begannen. Für eine unermessliche Zeit war da nur das erschütternde BOOM seines Herzschlages, das von innen und außen erscholl…was es schwer machte, in der allumfassenden Schwärze seine eigene Gestalt und Form zu erfassen.    „Aber du musst dich nicht vor dieser Finsternis fürchten. Ich kenne sie. Ich weiß, was hier ist. Du musst sie nicht fürchten, wie sie es dir gesagt haben…und du weißt auch warum, oder nicht?“   Shikamarus Puls verlangsamte sich und das ohrenbetäubende boom-boom-boom beruhigte sich zu einem weichen, empfindungsfähigen Pochen, das um ihn herum mit dem Trost eines Herzschlages pulsierte, der von seinem untrennbar war. Er schwebte bewegungslos, schwerelos, unfähig, irgendetwas – sich selbst eingeschlossen – von der Schwärze zu unterscheiden. Doch statt des Entsetzens seiner früheren Träume, glitt ein seltsames Empfinden von Geborgenheit über ihn, ein Empfinden, von der Finsternis ausgelöscht und dennoch gleichzeitig davon definiert zu werden…im Ganzen geschluckt…nicht länger in Teilen, in Bruchstücken…nicht länger getrennt…nicht länger…   „Verängstigt. Ganz genau. Und jetzt sag uns, warum.“   Shikamarus Herz taumelte und seine Stimme stockte. „Uns?“   Ein tiefes Schnurren aus der Finsternis. Ihre Freude über das Wort ‚uns‘ vibrierte mit der galvanisierenden Kraft von Chakra durch ihn, füllte seine Nicht-Form mit einem fremden – und dennoch vertrauten – Nadelstichkribbeln. Eine ungenutzte Kraft, die sich umfassend anfühlte, ermächtigend…unbesiegbar…   „Sag uns, warum…“   Eine männliche Stimme explodierte aus der Schwärze. „KIOKU FŪIN-NO-JUTSU!“   Die Finsternis schrie auf; ein ersticktes Jaulen, als die Schatten zurückschrumpften, auseinander gerissen wurden von dem ausgezehrten und explosiven Brüllen. Vor Schock taumelte Shikamaru, fühlte, wie sich die amniotische Geborgenheit der Schwärze vor Schmerzen wand und vor Qual zuckte.    Und dann noch einmal; von irgendwo sehr weit entfernt – Inos Stimme: „Shikamaru!“   Ino…   Die Schatten rasten auf ihn zu, ihre tröstenden Arme ausgestreckt, schützend, rettend…bis ein brutaler Lichtstrahl schlank wie eine Klinge durch die Schwärze schnitt, der Schattenhände und Ranken durchtrennte; so gewalttätig in seinem Eingreifen, dass Shikamaru spüren konnte, wie sich Streifen weißen Lichtes durch seinen eigenen Körper stachen, sein eigenes schlagendes Herz…   Nein…NEIN…   Er wirbelte zu den Lichtbögen herum, die die Schatten zurückkämpften und brüllte: „STOP! Sie sind ICH! Ich bin -“   Eine Haaresbreite von Shikamarus Gesicht entfernt hielt das Licht inne; und dort – wie eine glühende Sphäre vor seinen Augen hängend, eine blasse ovale Maske. Die blutbespritzte Keramik wies das ANBU-Gesicht eines Hirsches auf. Violette Augen schimmerten glasig vor Schmerz durch die Löcher. „Nein Shikamaru“, ergriff der Mann wieder zerfetzt und keuchend das Wort. „Das bist du nicht. Erinnere dich daran…erinnere dich daran und an sonst nichts. Es ist vorbei. Du kannst nicht wieder hierher zurück kommen. Genauso wenig wie ich…“   „Ja, diesmal bist du nicht so flink“, raunte die Finsternis. „Du stirbst, nicht wahr, ANBU Mann? Ist die einzig logische Erklärung für das alles. Du stirbst…und die Siegel, die du auf diesen Erinnerungen angebracht hast, sterben mit dir. Schätze, dass die Wahrheit uns alle befreien wird, huh?“   Die Augen des ANBU Mannes wurden auf Shikamaru gerichtet hinter der Maske sanfter. „Niemals in meinem Leben, Junge…und auch nicht in meinem Tod.“   Doch bevor Shikamaru etwas sagen konnte, schloss sich eine behandschuhte Hand über seinen Kopf. Die Finger krallten sich hart um seinen Schädel. „Komm und finde ihn, Tsubomi…“, wisperte der Mann weich mit etwas, das vielleicht Zuneigung war, bevor er ein einziges, blutersticktes Wort hustete: „Metsu!“   Blendendes Licht.    Eine Supernova, die Erinnerung und Zeit zerstreute. Rückblicke flogen auf ihn zu wie Kometen, bevor er in einer Sternenexplosion von Farben aus der Finsternis geschleudert…zurückgelassen, um schwere- und körperlos zu schweben, bis ein dünner Strang blauweißen Chakras wie eine Rettungsleine von irgendwo oben zu ihm kam…oder von unten…er konnte es nicht sagen…konnte nichts fühlen…bis ihn ein heftiger Schmerz in seinem Kopf daran erinnerte, dass er ein Hirn hatte…und ein Krampf in seinem Bauch erinnerte ihn, dass er einen Körper hatte.    Und dann zogen ihn eine unverwechselbare Berührung und Stimme direkt wieder in ihn hinein. „Shikamaru.“   Neji.   ____________________ Glossar: Tekisha Seizon: 'Survival of the Fittest' - 'Überleben des Stärksten' nach der darwinistischen Evolutionstheorie Kioku Fūin-No-Jutsu: Jutsu zum Versiegeln von Erinnerungen Metsu: Japanisch für 'auslöschen' oder 'tilgen' Hypnischer Spasmus: Das Gefühl, im Schlaf zu fallen, durch das man letztendlich aufwacht Hallo meine lieben Leser/innen :)   Das hier ist ein sehr wichtiges Kapitel und fast schon irgendwie der Beginn einer zweiten Reise innerhalb von UtS. Denn hier erleben wir zum ersten Mal Shikamarus Erinnerungen an Kusagakure vor zwei Jahren ;) Es werden noch viele solcher Szenen kommen, in denen geklärt wird, was genau damals passiert ist.  Und ja, daran schließt sich ja dann auch direkt eine weitere wichtige Szene an, denn hier betritt zum ersten Mal auch Shikamarus 'Mitbewohner', wie ihr ihn teilweise nennt, wirklich die Bühne ;)  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass euch das neue Kapitel gefallen hat und selbstverständlich werden auch noch Antworten zu den Reviews des letzten Kapitels kommen, nur wahrscheinlich nicht heute, weil ich schon ziemlich müde bin :D  Vielen vielen Dank wie immer, an alle meine wunderbaren Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 14: Memories from a time long gone ------------------------------------------ Shikamarus Augen öffneten sich zu schläfrigen Schlitzen und Wimpern ließen seine Sicht zu einer Schraffur aus Farben verschwimmen; Weiß, Mokka, Blau, Grau und ein Schein von schwachem Licht, das sich durch die Schatten drängte.    Wo…?   Kühle Fingerspitzen berührten seine Stirn und die schwielige Haut wurde bei dem Kontakt warm. Shikamarus Nase zog sich gegen das leichte Kitzeln von Chakra kraus – dieser blauweiße Strang tanzte erneut hinter seinen Lidern und brachte ihn zum Blinzeln. Langsam zogen sich die Finger zurück – so wie die ganze Präsenz…und dann näherte sich ihm eine andere.    Ein gestockter Atem, leise und weiblich. „Shikamaru?“   Schwach grunzend konzentrierte sich Shikamaru auf den Sturzbach blonder Locken, der in sein Sichtfeld fiel. Ein Gesicht schwebte näher und sein Fokus verschwamm, bevor er sich auf die langen Wimpern zusammenzog, die Feuchtigkeit aus einem Paar blauer Augen blinzelten; nass vor Sorge und weit werdend bei Blickkontakt.    Er kannte diese Augen und lächelte beinahe ein bisschen vor Erleichterung. „Ino…“   Sie schlug ihn. Nicht dieses semi-spastische ‚Ich bin so froh, dass du nicht tot bist, dass ich das glückliche Zucken meiner Gliedmaßen nicht kontrollieren kann‘-Tätscheln auf der Wange, sondern eine heftige Ohrfeige über das ganze Gesicht. Der Schlag prügelte ein keuchendes Luftschnappen aus ihm, was sein Zwerchfell aber anscheinend gar nicht zu schätzen wusste. Ein Spasmus packte ihn und er rollte sich scharf auf einen Ellbogen, um seinen kargen Mageninhalt über den Rand des zerlumpten Futons auf den schmuddeligen Boden zu husten.    Wo…? Was?   Ino berührte seine nackte Schulter.    Ruckartig wich er vor dieser wahrgenommenen Bedrohung zurück und erwartete halb, dass Ino anfing, ihm auf den Rücken zu klopfen. Sein betrügerischer Magen brauchte wirklich nicht auch noch Unterstützung. Nicht, dass es viel zu erbrechen gab, außer eine ansehnliche Menge an Sumpfinsekten und was auch immer noch von den Pfannkuchen von Amaguriama übrig war.    Ugh…   Übel wie ihm war, ließ er sich ein wenig länger über den Futon hängen und ritt die schwachen Kontraktionen seiner Eingeweide aus. Sein Haar hing lose nach unten und die dichten, abgehackten Strähnen boten zumindest einen schwächlichen Hauch von Würde, indem sie den Ekel und die Verwirrung verdeckten, die seine Miene verdrehten. Er war sich ziemlich sicher, dass er genauso derb und ausgewaschen aussah wie der grünlichgraue Schimmel, der sich in den Fußboden fraß.    „Wo sind wir?“, krächzte er mit heiserer Stimme, die kaum zu hören war. Und wo zur Hölle sind meine Klamotten?   Ein Rascheln von Bewegung und Ino ging neben ihm in die Hocke, bevor ihre Hände wie Schmetterlinge an seinen Schultern flatterten. „Es tut mir leid“, wisperte sie. „Tut mir leid.“   Shikamaru legte den Kopf schief und warf ihr unter verschwitzten, schwarzen Strähnen einen äußerst trockenen Blick zu. „So froh, dass ich aufgewacht bin“, murmelte er.    Ein leises Summen erklang, gefolgt von den tiefen, wohlklingenden Tönen einer Stimme, die Shikamarus Herzschlag ebenso anhob wie seinen Kopf. „Du hast dir auf jeden Fall Zeit gelassen, Nara.“   Neji kniete auf dem gegenüberliegenden Futon; eingehüllt in Laternenlicht und Schatten und seine mächtige, leonische Gestalt zu einer Regungslosigkeit gefasst, dass es schon beinahe klösterlich wirkte. Die Hände auf den Schenkeln ruhend, den Kopf leicht nach unten geneigt und die weißen Augen ruhig und klar wie ein gefrorener See; kein Kräuseln von Turbulenzen, kein Wirbel von Emotionen, keine unterschwellige Besorgnis.    Überhaupt nichts.   Die Leere in diesem Blick schlug wie eine Faust ein und im Gegensatz dazu fühlte sich Inos Ohrfeige an wie ein schwächliches Kitzeln. Heftig getroffen von diesem Ausdruck, musste sich Shikamaru gegen den plötzlichen Ansturm von Emotionen anspannen; ein Überfall von Verlegenheit, Zorn, Verletzsein und Verwirrung, die alle um die Kontrolle auf seinem Gesicht kämpften. Da half es auch nicht gerade, dass sein Magen schon wieder mit einer weiteren Meuterei drohte, die er aber zu seinem Vorteil nutzte, seine Augen schloss und seinen Kopf senkte, um den Schwindel zu bekämpfen, der durch ihn schwamm.    Neji sagte nichts.    Ino berührte ihn noch einmal mit einem zaghaften Streicheln ihrer Finger durch sein Haar. Entweder wusste sie, dass er es hasste, wenn es lose hing, oder sie versuchte, ihren Freudenschlag wieder gut zu machen. „Du hast mir Angst eingejagt“, wisperte sie.    Und diese Worte allein hielten ihn davon ab, sie abzuschütteln. Stattdessen schüttelte er den Kopf mit einem schwachen Schwung, der die Welt drehen ließ und Scherben aus Schmerz und Licht hämmerten hinter seinen Lidern.    Nervig.   „Trink das hier“, riet Ino ihm, schwenkte etwas in einem Becher herum und reichte ihn ihm. „Es wird deinen Magen beruhigen und etwas von der Übelkeit lösen.“   Keine Diskussion. Shikamaru akzeptierte es einfach, nippte langsam, um seinen Rachen zu lindern und schluckte schwer, bevor er seine Stimme testete. „Was ist passiert?“   „Du erinnerst dich nicht?“, fragte Neji.    Shikamaru nahm noch einen weiteren Schluck und verzog das Gesicht wegen seiner rohen Kehle. Energisch durchwühlte er sein Hirn, versuchte, die Gedankenfragmente und Erinnerungen zusammenzusammeln und aneinander zu legen. Teile eines Traumes funkelten an den Winkeln seines inneren Auges, aber jedes Mal, wenn er sich darauf zu konzentrieren versuchte, schwankten die Bilder wie eine Fata Morgana und reflektierten nichts außer Schatten und Finsternis…   Finsternis…   Er erinnerte sich an Finsternis. Erinnerte sich an Schatten überall umher. Erinnerte sich an den dicken, klammernden Griff von Schlamm.    Erinnerte sich, zu sinken. Erinnerte sich, zu schreien. Erinnerte sich…   „Kiba“, raunte er und sein Kopf schnellte so abrupt nach oben, dass seine Sicht verschwamm. „Ist er-?“   „Am Leben“, sagte Neji. „Ja. Er schläft. Er wird wieder. Ist das alles, woran du dich erinnern kannst?“   Stirnrunzelnd setzte Shikamaru die Tasse ab und suchte erneut seinen Verstand ab. Nichts. Nur Spinnweben und Staub. Um sich von einer schlagartigen Panik abzuhalten, verließ er die blanken Winkel seines Hirns, um stattdessen den Raum zu mustern.    Eine gottverdammte Absteige.   Klar, dass Neji total auf spartanisch machte und sie am Arsch von welcher Flussstadt auch immer einquartiert hatte, in die sie gestolpert waren. Als er den Kopf drehte, erhaschte er einen Hauch des abgestandenen Wassers, der durch die Bretterlatten hereinwehte, die wohl Fenster darstellen sollten. Klasse. Wenn das Chaos in seinem Kopf und der Schwarm Sumpfkäfer, die in seinem Magen schwammen, noch nicht genug gewesen wären, um Erbrechen auszulösen, dann sollte ein Miasma aus Schimmel und Fieber verteilenden Mosquitos auf jeden Fall ausreichen.    „Shit.“ Schwerfällig setzte er sich auf und entsann sich mit verspäteter Verlegenheit, dass man ihm offensichtlich sowohl seine Kleidung, als auch seine Würde ausgezogen hatte. Rasch streckte er einen Arm nach hinten, als er sich drehte, um die zerschlissenen Laken mit einem Grunzen um seine Hüfte nach oben zu ziehen.    Ino schnaubte leicht.    Er warf ihr einen vernichtenden Blick zu und Hitze brannte auf seinen Wangen. „Wo sind meine Klamotten?“   Mit rund werdenden Augen stieß Ino ein leicht spottendes Geräusch aus, auch wenn sie zumindest den Anstand hatte, zu erröten. „Oh, bitte. Ich bin Medizinerin, Shikamaru, ich weiß, wie eure Jungsdinger aussehen.“   Dunkle Augen weiteten sich entsetzt. „Ino…“   „Ich habe überhaupt nichts gesehen“, verteidigte sie sich. „Stell dich nicht so kindisch an. Außerdem hat dich Neji ausgezogen, nicht ich.“   Erstaunlich, wie diese Neuigkeit nur dazu beitrug, dieses imaginäre Loch noch tiefer werden zu lassen, von dem er sich so sehr wünschte, es hätte in den Sümpfen verschluckt. In dem Bemühen, nicht das Gesicht zu verziehen, schloss Shikamaru die Augen. Bei seinem Glück? Da hatte Naruto ihn wahrscheinlich auch noch mit einem Schwamm gewaschen. Er erschauderte bei dem Gedanken und seine Haut bekam eine irritierte Gänsehaut.    Ino missverstand seine Reaktion und griff nach einer weiteren Decke, die zerknüllt neben dem Futon lag, um sie ihm zu reichen. Sie trug einen kratzigen, grauen Yukata, der in etwa drei Nummern zu groß war. Ihr Haar hing lose und schmutzig über eine Schulter und wo die Ärmel des Yukata zurück gekrempelt waren, konnte er sehen, dass ihre Arme mit Spritzern getrockneten Schlammes übersät waren. Der Dreck verdunkelte auch die Linien ihrer Knöchel und sammelte sich in schwarzen Klumpen in ihrem Nagelbett.    Da sie die verwirrte Begutachtung seines Starrens spürte, zog Ino ihre Hände rasch zurück in ihren Schoß. „Schau mit nicht so an! Ich hatte ja kaum Zeit, mein Gesicht zu waschen. Du hast wie bescheuert geglüht, als wir dich her gebracht haben. Zwischen dir und Kiba bin ich überrascht, dass ich es überhaupt geschafft habe, diesen Fetzen überzuwerfen!“ Mit einem Finger stach sie beschuldigend in seine Richtung. „Du hast Glück, dass du ein paar Eisen im Feuer hattest – die jetzt übrigens kalt sind. Obwohl kalt ja hervorragend funktioniert hat, wenn man bedenkt, dass du so geglüht hast! Wenn Neji dich nicht ausgezogen und abgewaschen hätte, dann-“   Neji räusperte sich.    „Geglüht?“, unterbrach Shikamaru; allerdings mehr um sich selbst zu retten als Neji. Er war überhaupt nicht scharf darauf, die Fragmente dieses Bildes zusammenzusetzen. Es würde überhaupt nicht schön in dem eisernen Rahmen der Feindseligkeit hängen, den Neji scheinbar unbedingt zwischen sie nageln wollte. Scheiße, nur die Andeutung von Besorgnis würde riskieren, das Glas in diesen weißen Augen zersplittern zu lassen, oder vielleicht sogar dieses hochnäsige Hyūga-Porträt auf den Hintern zu befördern.    Tz. Als ob.   Aus den Augenwinkeln spähte er zu Neji; nur um es zu überprüfen.    Nicht einmal ein Riss in diesem maskengleichen Gesicht. Der Hyūga sah ungerührt zu ihm zurück. „Als wir dich und Kiba gefunden haben, warst du fiebrig“, sagte er letztendlich und fuhr in die fassungslose Stille fort, als würde Shikamaru wissen, wovon zur Hölle er gerade redete. „Hast du irgendeine Ahnung, warum das passiert ist?“   Shikamaru blinzelte angesichts des dünnen Schleiers von Vorwurf, der über diesen Worten lag. Seine Brauen zogen sich ebenso sehr genervt, wie auch verwirrt zusammen. „Nein. Sollte ich? Das letzte, woran ich mich erinnern kann, waren die Alligatoren…dann hat mich, glaube ich, etwas am Kopf getroffen. Ich weiß nicht.“ Und dieser Mangel an Wissen ließ ihn eiskalt werden. Angestrengt bemühte er sich, sich davon zu erholen und funkelte Neji hitzig an. „Scheiße, du bist doch derjenige, der die Vogelperspektive hatte. Wie wäre es denn, wenn du mir erzählst, was passiert ist?“   Nejis Augen verengten sich marginal. Er sagte nichts mehr, was Shikamarus Hirn damit zurückließ, in einem Kochtopf von Theorien zu brodeln. Einem wahren Brei, der in seinem Schädel hin und her schwappte. „Verdammt…“ Leicht wimmernd hob er eine Hand und rieb sich über die Stirn, bevor er mit den Fingern durch sein Haar fuhr. „Ino…hast du…?“   Inos Hände zuckten leicht in ihrem Schoß. Sie zog ihre Daumen gegen die Handflächen und ließ die Knöchel in diesem stresslösenden Plop knacken, das sowohl Shikamarus Aufmerksamkeit, als auch seinen Blick auf sich zog.    Vorsichtig begegnete sie seinem Blick. „Ein bisschen“, gab sie zu. „Ich musste sichergehen, dass das Fieber nicht dein großes Hirn erreicht hat. Da oben war eine ganze Menge konzentriertes Chakra. Gott…das ist auch der Grund, warum du mir so eine Angst eingejagt hast. Ich habe dich rufen hören und dann konnte ich dich nicht finden. Ich weiß nicht, ob es dein Chakra war, das interferiert hat oder meins. Aber als dich Neji berührt hat, um deine Tenketsu zu stabilisieren, war ich endlich in der Lage, eine Rettungsleine durch deine Schädeldecke zu werfen. Aber ich…“ Hier machte sie eine Pause, stierte hinunter auf ihre Hände, als könnte sie irgendetwas aus den Wirbeln ihrer Fingerspitzen und den Linien ihrer Handflächen erkennen. „Es war seltsam, Shikamaru.“   Nun, ja, nur ein bisschen, aber mal gesehen davon, dass sie offensichtlich war, erklärte diese Aussage überhaupt nichts. Shikamaru duckte den Kopf und versuchte, ihren Blick aufzufangen. „Ino?“   Sie zuckte leicht zusammen und ihre Finger verschränkten sich in ihrem Schoß. „Sorry.“ Tief holte sie Luft, bevor sie weiter sprach: „Ich dachte, ich hätte dich etwas sagen hören, aber es klang nicht wirklich nach deiner Stimme.“   „Was meinst du damit?“   Ino sah ihn an, als wäre er minderbemittelt. Kopfschüttelnd verfinsterte sich seine Miene. „Hör mal, ich weiß nicht, was da draußen passiert ist, okay? Ich habe ein paar Filmrisse, von denen ich es sehr gut brauchen könnte, dass sie gefüllt werden.“ Und hier richtete er seine Worte an Neji: „Was ist passiert, nachdem ich zusammengebrochen bin?“   „Nichts, was jetzt diskutiert werden müsste“, erwiderte Neji. „Du solltest dich ausruhen. Wir haben schon genug Zeit verloren.“   Shikamaru stieß ein verächtliches Lachen aus und seine Brauen hoben sich fassungslos. „Was? Du willst mich ernsthaft im Dunkeln lassen was das angeht?“   Bei Nejis granitener Miene wandte sich Shikamaru sofort an Ino. Sie versteifte sich, machte aber keinerlei Anstalten, sich gegen Neji zu stellen. Das tat weh. Scheiße, ein weiterer Schlag ins Gesicht hätte ihn weniger geschockt als das. „Ernsthaft?“   Mit gesenkten Wimpern hielt Ino ihren Blick nach unten gerichtet. „Du musst dich ausruhen, Shikamaru. Du bist nicht –“   „Nein. Was ich brauche, sind Antworten. Und meine verfickten Klamotten“, blaffte er, krallte sich in die Laken um seiner Hüfte, als er sich daran machte, von dem Futon zu rutschen. Er zog seine Knie mit einer Anstrengung unter sich, die ihm den Atem raubte. Keuchend krümmte er sich vornüber.    Sofort schoss Ino nach vorn, um ihn zu stützen. „Shikamaru, lass das! Du musst eine Chakrapille nehmen. Du bist wirklich erschöpf-“   Ruckartig befreite er mit einem Rollen seine Schulter aus ihrem Griff, packte die Laken fester und stemmte sich auf die Füße, während er in einem Knurren die Zähne bleckte. „Ich raste jetzt wirklich gleich komplett aus, wenn du mir weiterhin sagen willst, was ich tun muss, ohne mir irgendeinen Schimmer davon zu geben, warum zur Hölle ich es überhaupt tun soll-“   „Setz dich hin, Nara.“   Der Befehl grub sich mit der Subtilität eines Speeres in die dünne Haut von Shikamarus Geduld. Sehr langsam drehte er den Kopf und dunkle Strähnen schwangen, als er auf Nejis gelassenen Gesichtsausdruck hinab stierte und kaum den Zorn im Zaum halten konnte, der in ihm aufstieg. „Willst du wirklich schon wieder dieses Spiel spielen?“   Das leichteste Heben von Nejis Braue. „Setz dich hin.“   „Wie wär‘s, wenn du dich endlich von deinem scheißkalten Hintern erhebst und mich dazu bringst, Hyūga?“   Ganz dummer Zug.    Denn Neji tat genau das.   ~❃~   Käfige. Sie kamen in vielen Formen und Gestalten und ihre verschiedenen Konstruktionen waren oftmals ebenso planlos oder akribisch wie die Köpfe, die sie kreiert hatten. Oder die Monster, die ihn ihnen lebten.   Aber heute Nacht ist die Bestie nicht zuhause…   Ibiki stand in den schwarzen Schatten der Gasse und sah unter dem Schirm seiner Brauen nach oben, um dem Mondlicht dabei zuzusehen, wie es durch die Blätter schimmerte. Blauweiße Muster spielten über das baufällige Bambusgerüst des vierstöckigen Wohngebäudes, das er seit der letzten Stunde observierte. Wie passend, dass es im Mondschein einen fast metallischen Schimmer annahm, als sich die gelblichen Stützen wie silbergraue Stäbe kreuzten.    Ein guter Käfig wie jeder andere, Shiranui.   Und Ibiki brauchte keinen Schlüssel dafür.    Während das Auffinden dieses nicht gelisteten Wohnhauses gute zwei Stunden gedauert hatte, brauchte es nur Sekunden, um Genmas Balkon zu erreichen und nur ein paar Sekunden mehr, um die Schiebetür zu schmieren. In unter einer Minute verwandelte sich Ibiki von lauerndem Beobachter zu ungesehenem Eindringling, als er mit einer kühlen Brise und kaltem Gewissen in die Schatten des Apartments trat.    Es gab keinen Platz für Zweifel.    Nur Daten.    Erste Tatsache: Der Tatami Raum warb mit Beschädigungen wie eine geschändete Straßendirne. Einst mochte dieser urige kleine Raum vielleicht wie ein Zurückwerfen in eine andere Zeit, in eine andere Tradition gewesen sein – und ganz offensichtlich, zu einem anderen Mieter. Der verlorene Charme hing in Reispapierfetzen von den Schultern des Raumes. Feine Kleidung von schmutziger Haut, um das Skelettgitter zerbrochener Fusama Paneele zu offenbaren. Eine bestimmte Sektion schien komplett nach innen kollabiert zu sein – als ob etwas oder jemand direkt dort hindurch gekracht wäre. In dem Alkoven gab es überhaupt keine Dekoration, nur weggeworfene Kleidung und einen zerfetzten Vorhang. Alle Überbleibsel früherer Ornamente waren unter Füßen zerschmettert; die einst so zart eingefassten Matten waren jetzt durchsetzt mit Schlamm und da waren Flecken, die tief und dunkel eingedrungen waren…beinahe schwarz im Mondlicht.   Blut.   Stirnrunzelnd ging Ibiki in die Hocke und war sich des Raschelns von Leder und dem Quietschen seiner Stiefel in der Stille bewusst. Niemand war zuhause. Aber Gewohnheit hatte Vorrang. Es schadete nie, sich auf die Grundlage jedes Trainings zu berufen. Oft genug war es der dämliche Anfängerfehler, der einen zum Stolpern brachte.    Er wartete einen Herzschlag.    Hörte nichts außer routinierte Mechaniken, als die Eingeweide der Wohnung ihre Arbeit machten; ein schwaches Gurgeln von Rohren, das entfernte Brummen von Haushaltsgeräten, das Plop eines tropfenden Wasserhahns und das seltsame Kratzen oder Scharren von etwas unter dem Holz.    Eine Kakerlake hatte bessere Chancen, diesen Ort zu überleben.    Und wie von diesem Gedanken heraufbeschworen, krabbelte ein Käfer über die aufgerissene Naht des Tatami und vergrub sich unter dem Stroh, wobei der Panzer zwischen den schmutzigen Halmen schimmerte.    Kami, Genma.   Grunzend zog Ibiki eine Taschenlampe aus seinem Mantel und ließ den dünnen weißen Strahl über den Boden wandern. Definitiv Blut. Verschmiert und kaum weggeschrubbt. Ein nasser Lappen hatte es vielleicht irgendwann mal versucht.    Ibiki erstarrte.    Und kaum eine Sekunde später strich etwas an dem zersplitterten Fusama Paneel vorbei.    Er schwang das Licht herum, erhaschte das Schwanken eines dünnen, gekrümmten Schwanzes, der im Schatten verschwand und stemmte sich in geräuschloser Verfolgung auf die Füße, bevor er seine breite Gestalt durch das klaffende Paneel duckte, um den angrenzenden Raum zu betreten. Seine Stiefel strichen über Holz, dann Glas; ein Willkommensgeklingel, ein Toast auf kranke Gesundheit.    Der Geruch von Shōchū hing wie ein Sargtuch über allem.    Ibiki saugte an seinen Zähnen und stieß ein schnalzendes Geräusch aus. Ein Kratzen von Bewegung. Er richtete den Strahl in die Richtung des Lauts – erhaschte den Anschein von einem gelblichen Augenschimmern unter dem niedrigen Tisch, gefolgt von dem leisen, wilden Fauchen einer Katze.    Interessant.   Er hatte Genma nicht für einen Tiermenschen gehalten. Immerhin schien es, dass er schon genug Probleme hatte, für sich selbst zu sorgen, geschweige denn für ein Haustier. Doch Ibiki ignorierte die gelbgrünen Augen, die allen seinen Bewegungen folgten und machte sich daran, einen flüchtigen Blick durch das Wohnzimmer schweifen zu lassen. Beweise für Genmas Schleuderflug tauchten die Szene wie Blut in Farbe – und genau wie bei einem forensischen Puzzle, setzte Ibiki die Geschichte ebenso deutlich zusammen, als wäre sie auf die Wand geschrieben.    Es ist fast, als würdest du wollen, dass das jemand findet…   Ein eher umstrittenes Motiv. Die Nachricht hingegen war klar. Genma war in etwa nur noch eine Flasche vom Grundgestein der wie auch immer gearteten Tragödie entfernt, in der sich zu ertränken versuchte. Zerschmettertes Glas, umgestürzte Stühle, aus Taschenbüchern herausgerissene Seiten, auf die Nummern und Codes gekritzelt waren. Offene Schriftrollen hingen von dem Tisch, ein Haufen von Medikamentenrezepten, Terminkarten, Pachinko Marken, Stifte und Füllhalter. Ibiki ließ den Strahl über die Wände gleiten und das Licht schimmerte von Shuriken, die in dem pockennarbigen Putz steckten wie Schrapnelle von welcher Explosion auch immer, die hier losgegangen war.    Eine tickende Bombe…   Genau, wie er vermutet hatte. Genau, wie er befürchtet hatte.    Shit. Wie lange wird es dauern, bevor die Hokage Wind von dieser Scheiße bekommt?   Seufzend warf Ibiki einen flüchtigen Blick in die Küche und ihre erbärmlich aussehende Einrichtung. Schranktüren hatten eine Tracht Prügel abbekommen und ein paar davon baumelten nur noch traurig an ihren Angeln. Messer ragten aus der Dunstabzugshaube über dem Herd, als hätte sich Genma entschlossen, mit einem behelfsmäßiges Dartspiel etwas Kochzeit totzuschlagen…obwohl, wenn man sich die staubigen Pfannen und die zerborstenen Teller ansah, dann vermutete Ibiki, dass jede Nahrung direkt aus einer Dose oder einer Falsche zu sich genommen wurde. Ein Öffner lag auf der Arbeitsfläche und ein Suppendeckel steckte noch immer zwischen den kleinen Metallzähnen; ihre Umklammerung war so hart wie Ibikis mahlende Backenzähne.    Er entsann sich an das letzte Mal, als er Genmas Gesicht gesehen hatte.    ‚Morino. Lange nicht gefoltert.‘   „Was du nicht sagst“, murmelte Ibiki kopfschüttelnd. Genmas Masochismus hatte hervorragend in seine sadistischen Stiefel gepasst.    Als er rückwärts aus der Küche trat, wäre er beinahe über diese verfluchte Katze gestolpert. Mit kaum einem Jaulen wich die Katze seinen Füßen aus, als wäre das Tier daran gewöhnt, betrunkenen Schritten aus dem Weg zu gehen. Der Kater stieß ein klagendes Miauen aus, bevor er seine Knöchel umkreiste und mit ungeschützter Zuneigung sofortige Aufmerksamkeit verlangte.    Ibiki versteifte sich.    In der Regel mochten ihn Tiere nicht. Ihre Rücken hoben sich und ihre Ohren legten sich bei seiner Anwesenheit an, während sie den Schwanz einzogen, die Krallen ausfuhren und die Zähne bleckten. Selbst Ninken hielten respektvollen Abstand, da sie in der Lage waren, die Dunkelheit in seinem Herzen mit diesem atavistischen Instinkt zu bemerken, den dieser Stubentiger hier sicher nicht besaß.    Für eine lange, unbeholfene Sekunde stierte Ibiki nach unten.   Trotz all seiner Unbarmherzigkeit hatte er noch nie in seinem Leben ein domestiziertes Tier getreten. Hatte das Gefühl, dass es gleichbedeutend damit wäre, ein Kind zu schlagen. Diese Kreatur klammerte sich auf jeden Fall wie eines an ihn; ebenso vertrauensvoll und furchtlos wie ein Kleinkind. Unwohl verlagerte Ibiki das Gewicht und das Quietschen von Leder löste ein neugieriges Kopfneigen aus, bevor diese Katzenaugen zu seinem vernarbten Gesicht schwangen und mit einer Sprache sprachen, die an Ibiki ebenso verloren ging wie das vergebliche Miauen.    Der Morino hob eine Braue und seine tiefe Stimme rollte mit einer trockenen Note in die Stille. „Shush.“   Die Katze blinzelte ihn mit zuckenden Ohren an, bevor sie sich mit gekrümmtem Schwanz umwandte und mit dem Bauch nah am Boden in die Schatten des Korridors trottete. Mit etwas Abstand folgte Ibiki und das Licht der Taschenlampe wanderte von hier nach da über die engen Wände des kurzen Ganges. Keine Bilder. Keine persönlichen Gegenstände. Keine Überraschung. Der Flur endete in einem winzigen Foyer, der größtenteils aus Genkan-Raum bestand. Zu beiden Seiten waren zwei Zimmer; Bad rechts, Schlafzimmer links.    Ein leises Schnurren erklang.    Ibiki neigte die Taschenlampe und fand die Katze, die vor der Schlafzimmertür kauerte. Durch träge grüne Schlitzaugen zwinkerte das Tier zu ihm hoch und der Schwanz wischte dabei über den Boden. Kein Fauchen. Keine Schererei. Trotzdem machte Ibiki so weit wie möglich einen Bogen um die Katze und drehte den Knauf, bevor er die Tür mit der Hüfte aufschob und die Taschenlampe führen ließ.    Das Licht schnitt sich durch die Dunkelheit und Ibikis Augen weiteten sich überrascht.    Ganz anders als der gesamte Rest der Wohnung, besaß das Schlafzimmer die strikte, militärische Aura eines Schutzbunkers; ordentliche Verdunkelungsrollos; eisenverstärkte Tansu Truhen; eine Glühbirne mit niedriger Wattzahl, die nur von einem Kabel hing; ein Einzelbett mit streng über der Matratze straffgezogener Decke; ein großer Schreibtisch mit organisierten Stapeln und Gerätschaften; abgeschliffene Dielen und die kalkweißen Wände mit überfüllten, aber durchaus strukturierten Pinnwänden übersät. Notizen, Karten, Nummern und Codes.    Es hätte genauso gut ein Raum der Kryptoanalyse-Einheit von Konoha sein können.    Aus den Codes konnte er überhaupt keinen Sinn machen.    Egal. Er war nicht hier, um sich über Genmas Fortschritt mit Mushi zu informieren. Er war hier, um genug Beweise zu finden, um den Shiranui abzuschalten, bevor alle Zahnräder außer Kontrolle gerieten. Das hier war kein professioneller Aufruf. Es war eine persönliche Invasion. Eine unbarmherzige Attacke auf Privatsphäre, um Ordnung aufrecht zu erhalten und dafür zu sorgen, dass alles gemäß dem Plan der Ältesten weiterlief. Gemäß dem Plan des Sandaime.    Finde die Nerven. Setze das System außer Kraft.    Bedächtig näherte sich Ibiki dem Schreibtisch und klemmte sich die Taschenlampe zwischen die Zähne, um die Hände frei zu haben. Aufmerksam musterte er die Oberfläche des Arbeitsplatzes und machte eine sofortige Bestandsaufnahme der Utensilien; Radio- und Aufnahmegeräte, elektronisches Abhörequipment, Audio-Mikrokassetten, ein Paar Kopfhörer, Notizblöcke über Notizblöcke. Er hakte einen Finger in eine der Schubladen und öffnete das Fach; Taschenbücher, Terminkarten, noch mehr elektronische Geräte, gekritzelte Daten, ein paar unterschriebene Rezepte von Dr. Mushi und ein langer Zettel, auf dem Genma wieder und wieder die Unterschrift des Doktors gefälscht hatte.    Hmn.   Ibiki versuchte die zweite Schublade; Senbons, Kunai, Schrifrollen und Tintenpinsel. Er ging in die Hocke und klopfte die Unterseite des Schreibtisches ab. Keine Geheimfächer. Als nächstes wandte er sich den Tansu Kisten zu und untersuchte die komplizierten Schlösser, während er darüber nachdachte, sie aufzubrechen.    Kein Grund, zu übertreiben.   Noch nicht.    Er nahm die Taschenlampe aus dem Mund und trommelte mit den Fingern auf die Truhe, bevor er den Kopf drehte, als sich die graugetigerte Katze an sein Schienbein schmiegte und die Pfoten in seinen Stiefel krallte…oder zumindest dachte Ibiki das, bis er seinen Fuß wegzog.    Der Kater fuhr fort, am Boden zu kratzen.    Bedächtig verlagerte Ibiki sein Gewicht und bemerkte, dass das Licht der Taschenlampe von ein paar losen Nägeln abprallte, die aus den Bodenbrettern ragten. Gebannt von dem Funkeln kauerte sich die Katze nach unten und fixierte ihren Blick auf die Nägel, als erwartete sie, sie würden jeden Moment davon huschen.    Der herausstehende Nagel wird eingeschlagen…   Die Ironie dieses Spruches entging Ibiki nicht, wenn man bedachte, dass Genma sehr schnell zu dem rostigen Nagel geworden war, der aus dem Sarg der Vergangenheit ragte. Ein Nagel, den er wieder einschlagen musste.    Sofort.   Bevor die Fäulnis sich noch weiter jenseits dieser Wohnung erstrecken konnte.    Ibiki brauchte nur Sekunden, um die Truhe zur Seite zu zerren und die Dielenbretter zu lösen. Er ließ das Taschenlampenlicht hinunter in das Miniversteck scheinen und seine Augen verengten sich angesichts der verschiedenen Gegenstände; ein winziger Gipsabdruck der Handfläche eines Kindes; mehrere schmale Mappen; ein Päckchen Zigaretten; ein Bündel Malpinsel; eine breite Handgelenksmanschette mit dem Yamanaka Clansymbol eingeprägt in das vielgetragene Leder; ein verschließbarer Beutel mit verschiedenen Ohrringen; Klassenberichte aus der Akademiezeit; ein schmaler grüner Schal, der ordentlich zusammengelegt war; einige Servietten mit Kritzeleien darauf; ein paar Skizzen in Plastikhüllen; mehrere Bilderrahmen und Bücher.    Persönliche Gegenstände.   Er war auf Gold gestoßen. Der perfekte Munitionsvorrat, sollte Ibiki dazu genötigt sein, ihn zu nutzen. Doch unglücklicherweise würden alle Waffen der psychologischen Kriegsführung nötig sein, wenn man die tickende Zeitbombe bedachte, die der geistige Zustand von Shiranui Genma war.    Und deswegen begann Ibiki, seine mentalen Kammern zu sichern und zu laden.    Als erstes griff er nach dem Bild, das ihm am nächsten war und war überrascht, dass es kein Foto war. Stattdessen sah ihn eine Malerei hinter staubigem Glas an; ein Aquarell. Detailliert in simplen und dennoch meisterhaften Strichen. Es war eine dunkle Ozeanszenerie, über der Irrlichter schwebten.    Genma konnte so gar nicht malen, was nur bedeuten konnte…   Ibiki neigte die Taschenlampe, sodass der Lichtstrahl nicht von dem Glas abprallte. Er blinzelte gegen das Funkeln an und erhaschte einen Blick auf die Signatur des Künstlers: NAOKI.   Ihm kam kein Gesicht in den Sinn.    Ibiki merkte sich den Namen und legte das Bild beiseite.    Als nächstes nahm er ein schmales Fotoalbum auf und schlug die erste Seite auf. Ein ausgeblichener Schnappschuss von drei ANBU Agenten nach einer Mission, die in einem der Untergrundräume herum lümmelten. Sie sahen aus, als befänden sie sich mitten in einem Spiel, denn Hanafuda Spielkarten lagen verstreut auf einer umgedrehten Kiste. Das Foto musste während Genmas Jugendtagen aufgenommen worden sein.    Sechzehn Jahre alt…mehr oder weniger…   Das Haar des Shiranui war länger und an seinem Nacken zusammengebunden. Er saß auf dem Boden und hatte einen Arm über seinen Bauch gelegt, während ein Senbon mitten im Wirbeln zwischen seinen Fingern eingefangen worden war. Seine Augen waren geschlossen und den Kopf hatte er in einem Lachen nach hinten gegen die Schulter eines anderen jungen Mannes gelehnt.    Interessant.   Ibiki kannte das Gesicht dieses Mannes nicht, aber es wies die zisellierten, knochigen Konturen eines jungen Mitglieds des Yamanaka Clans auf. Während er sich eine Notiz zu dieser Verbindung machte, musterte er weitere Details der Erinnerung; lange, aschblonde Haare, ungewöhnliche Augenfarbe, die nicht wirklich blau und auch nicht wirklich grau war.    Violett…?   Möglich. War schwer zu sagen bei diesen ausgeblichenen Farben.    Der Agent saß mit einem angezogenen Bein da und hatte den Ellbogen auf seinem Knie abgelegt, den Unterarm in Richtung der Kamera ausgestreckt. Das Handgelenk geneigt hielt er eine Spielkarte zwischen zwei langen Fingern nach oben. Es war eine Geste, die gleichzeitig dem Fotografen den Mittelfinger zeigte und die Ino Eber Karte offenbarte, die er gezogen hatte. Ein Ausdruck leiser Belustigung zupfte an den Lippen des Mannes, doch statt in die Kamera zu sehen, war sein Blick seitwärts auf Genma gerichtet.    Hnm. Sein erstes ANBU Team?   Der dritte Agent auf diesem Schnappschuss war eine Frau; burschikos, athletisch, elfengesichtig mit kurzem, stacheligem, schwarzem Haar und smaragdgrünen Augen. Eine Zigarette klemmte zwischen ihren nach oben gebogenen Lippen und eine kleine Narbe verlief aus ihrem Mundwinkel. Sie trug eine ganze Menge an Ohrringen; Ohrläppchen, Herzohr, Muschel, Daith, Orbital, Tragus. So ziemlich jedes Stück des Ohres war gepierct. Um den Hals trug sie einen grünen Schal.    Ibiki hielt inne und linste hinunter auf den schmalen grünen Schal und den Beutel mit Ohrringen in Genmas Versteck.    Sehr interessant…   Er prägte sich dieses Foto ein und ging weiter zum nächsten. Noch mehr Schnappschüsse aus den ANBU Jahren. Noch mehr Schnappschüsse desselben Trios. Sich auf die Details fixierend suchte Ibiki diesmal ganz im Besonderen nach dem ledernen Yamanaka Armband und fand es genau da, wo er es vermutet hatte; nämlich am Handgelenk des violettäugigen Mannes.    Definitiv Yamanaka.    Doch was seinem Interesse nun auch noch Neugier hinzufügte, war, dass die Maske dieses ANBU Mannes die Form eines Hirsches hatte.    Hommage an die Nara?   Und wieder; möglich. Er würde Tsuno danach fragen müssen, sobald der von seiner Aufgabe, Aufseher für Hyūga Neji zu spielen, zurückkam. Als nächstes sah Ibiki zu der Frau mit der Stachelfrisur. Sie trug eine Katzenmaske. Genma hingegen trug das Gesicht eines Vogels. Und wenn sie zusammen waren, trugen sie alle drei ein Lächeln.    Definitiv die frühen Jahre…   Bevor das Licht ihre Augen verließ; Stück für Stück hinfort gleitend aus ihrem Lächeln. Stirnrunzelnd blätterte Ibiki noch mehr Seiten um und sah die Veränderung in allen dreien, die mit Mission für Mission dokumentiert war; Gesichter wurden härter als die Masken, die sie trugen und Augen wurden kälter, schärfer…mehr gewohnt an die Dunkelheit. Aber eine Sache änderte sich nicht. Tatsächlich wurde sie entlang der Zeitachse nur immer deutlicher – die offensichtliche Nähe zwischen dem mysteriösen Yamanaka Agenten und Genma. Mehrere Fotos hatten völlig unvorbereitete Augenblicke zwischen den beiden eingefangen – und in jedem einzelnen Schnappschuss berührten sie sich in irgendeiner Form. Unschuldig genug für das untrainierte Auge, aber Ibiki kannte Körpersprache – und nach diesen Fotos zu urteilen, befanden sich Genma und dieser violettäugige Mann immer in einer unausgesprochenen Konversation. Immer in Kontakt. Immer verbunden.    Finde Namen.   Ibiki fing an, Fotos herauszuziehen, bis er die Information auf die Rückseite des allerersten Bildes gekritzelt fand: Kaika, Tenka, Karibi.   Kaika…   Genmas Deckname während seiner ANBU Tage, so viel wusste Ibiki. Tenka schien der mysteriöse Mann und Karibi die Frau zu sein. Zweifelsohne ebenfalls Decknamen. Wer sie wirklich außerhalb von ANBU waren, konnte niemand erraten. Doch glücklicherweise hatte Ibiki die Yamanakaspur, der er folgen konnte, sollte sich irgendeine dieser Informationen als relevant oder nützlich erweisen. Obwohl er nicht wirklich Inoichi mit in dieses Chaos hinein ziehen wollte, nur um mit Gewissheit herauszufinden, wer dieser Tenka war oder nicht war.    Nicht, wenn ich es vermeiden kann.   Idealerweise würde Ibiki diese Sache abschließen, ohne dass Inoichi überhaupt irgendetwas davon mitbekam. Idealerweise würde Genma ihnen allen das hier leichter machen und einfach kooperieren.    Idealerweise.   Ibiki war Realist. Und gemessen daran, dass der Zustand dieser Wohnung wahrscheinlich eine psychologische Reflexion von Genmas geistigem Zustand darstellte – mit nur einem einzigen Raum, der noch normal funktionierte – verhieß das in keiner Weise irgendetwas Gutes.    Das tut die Wahrheit selten.   Und wenn Inoichi diese Wahrheit aufdeckte…jemals herausfand, was Shikamaru zugestoßen war.   Das darf nicht passieren.   Seufzend legte Ibiki das Fotoalbum zurück, legte den Kopf schief und zog ein Blatt beschmutzten Pergaments hervor, das aus einer der Mappen ragte. Überrascht hoben sich seine Brauen. Eine schockierende Reihe von Skizzen. Alle von Genma. Alle erotisch, alle explizit…und alle ausnehmend detailliert.    Fast schon devotional.   Eine in Zeichnungen ausgedrückte Ode…ein Brief ohne Worte…und da waren Seiten über Seiten von Skizzen. Mit distanzierter Faszination durchforstete Ibiki die Bilder, sammelte Fakten und filterte Informationen. Nicht alle Skizzen waren erotisch. Viele von ihnen waren sehr unerwartet und willkürlich wie plötzliche Schnappschüsse; Genma, der Kaffee trank, sein Kunai reinigte, Ramen aß, seine ANBU Ausrüstung vorbereitete, trainierte, herum lümmelte und sogar schlief. Eine Skizze war auf die Rückseite eines Missionsberichtes gezeichnet…und es war dieses spezielle Bild, das Ibiki erstarren ließ.    Es war eine grobe Skizzierung des Irrlicht Aquarells.    „Hn. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit?“, murmelte Ibiki laut und blätterte durch die Seiten, um auf irgendeiner der Zeichnungen die Signatur NAOKI zu finden. Ein paar waren mit TENKA markiert, doch ansonsten fand er nichts…aber das machte ihn nicht weniger argwöhnisch. „Es muss so sein.“   Neben ihm miaute die Katze einen unverständlichen Vorschlag. Stirnrunzelnd ließ Ibiki das Licht der Taschenlampe zurück in das Bodenversteck schwingen, um über die Wasserfarbenstriche zu streichen. Warum sollte Genma das behalten, wenn er den Künstler nicht kannte? Außerdem schien es unwahrscheinlich zu sein, dass Tenka – ein offensichtlich begabter Künstler – jemand anderen beauftragen würde, etwas so Persönliches zu erschaffen; was es zweifelsohne war, wenn man bedachte, dass alle Decknamen von Genmas ANBU Team Antonyme für phosphoreszierende Formen von Licht waren.     Kaika, Tenka, Karibi…   Alias Irrlicht.    Ibiki setzte sich zurück auf die Fersen und musterte die Beweise, die er zur Hand hatte, während er Zufall und Tatsache miteinander in Beziehung setzte. Und die Ergebnisse ließen sich endgültig in seinem Bauch nieder; Naoki und Tenka waren ein und dieselbe Person.    Hab ich dich.   Ein früherer Liebhaber. Ein freigelegter Nerv. Und Ibiki würde ihn gnadenlos angreifen, wenn er musste. Ohne zu zögern angelte er drei der Ohrringe aus dem Beutel, schnappte sich eine der Skizzen und zwei Fotos. Die Beweise gesammelt machte er sich daran, das Bodenbrett wieder an seinen Platz zu schieben.    Der Gipsabdruck der Hand ließ ihn innehalten.    Angemalt mit einer schwarzgoldenen Lackierung wirkte der winzige Abdruck der Handfläche des Kindes irgendwie unpassend zwischen diesem begrabenen Hort. Er griff danach, drehte die Keramik und blinzelte weitäugig.    YAMANAKA INO   Was um alles in dieser gottverfickten Welt machte Genma mit einem Baby Handabdruck von Inoichis Tochter? Erneut wanderten seine Augen zu dem abgetragenen Lederarmband, aber er hatte keine Zeit, über den verhedderten Angelhaken der Yamanaka Verwicklung zu spekulieren.    Neben ihm sprang die Katze plötzlich auf und schoss durch den Raum.   Ibiki versteinerte und seine Sinne gingen in Alarmbereitschaft.    Schlagartig löschte er das Licht und bewegte sich rasch, um den Abdruck zurückzulegen und das Versteck abzudecken, bevor er die Kiste mit dem leisesten Kratzen wieder zurück zog. In der Stille klang es unglaublich laut. Er verzog das Gesicht und fluchte leise, während er sich gerade rechtzeitig drehte, um einen Schlitz aus Licht jenseits der Tür zu sehen; das Licht des Gebäudekorridors floss von außerhalb der Wohnung herein – und begleitete das Knarzen der Tür.    Scheiße.   Mit Schnelligkeit und Geräuschlosigkeit durchmaß Ibiki das Schlafzimmer und schloss die Tür, bevor er sich mit dem Rücken gegen das Holz lehnte und lauschte. Ein sanftes Schlurfen von Füßen im Genkan und die angekündigten Schritte wurden von einem lauten und gesprächigen Miauen des Katers begrüßt, das aber schnell zu einem tiefen Schnurren verstummte.    Ein grummeliges Murmeln. „Hast du Hunger, Katze?“   Nicht Genmas Stimme.    Raidō.   Ibiki ließ seinen Kopf nach hinten kippen und seine Lippen formten eine weitere Obszönität. Schritte zogen sich durch den Gang und wurden von den miauenden Kommentaren der Katze begleitet. Das Rascheln einer Tüte erklang. Bewegungen in der Küche; das Rasseln und Klappern einer Besteckschublade und das wippende Knarren eines Schrankes. Kurze Stille. Ein metallisches Kratzen und das scharfe Klack, Klack, Klack einer Dose, die geleert wurde.    Ibiki schüttelte den Kopf.    Raidō. Der Schraubenschlüssel in Aktion. Der gottverdammte, gutmeinende Handwerker, der versuchte, all die Risse im Leben seines Partners zu übermalen und all die lockeren Schrauben in Genmas Kopf festzuziehen.    Was für eine Verschwendung.   Denn hier war Ibiki; darauf aus, alles auseinander zu nehmen, was noch von Genmas mentaler Stabilität übrig war, um ihn festzunehmen und die Ältesten zum Handeln zu zwingen. Um sie dazu zu bringen, das zu tun, was sie schon vor zwei Jahren hätten tun sollen.    Seine Erinnerungen auslöschen…   Ihm etwas Frieden geben. Ihn loszuschneiden. Ihn mit seinem Leben weitermachen zu lassen, bevor er sich noch selbst in einer Feuersbrunst professionellen Suizids zerstörte und sie alle mit sich in den Abgrund riss. Allerdings ließ das die drängende Frage zurück, wen zur Hölle sie beauftragen könnten, das Auslöschen der Erinnerungen durchzuführen. Inoichi stand außer Frage und im Licht all dieser neuen Beweise hinsichtlich Genmas Verbindung zu den Yamanaka, war es mehr als unwahrscheinlich und auch riskant, jemanden innerhalb des Clans zu finden, der all die Erinnerungen von Genma an Shikamaru nicht an Inoichi weitergab.    Schritte zurück durch den Gang, die kurz vor dem Schlafzimmer innehielten.    An der Tür versteifte sich Ibiki. Ließ einen mentalen Countdown ablaufen. Zehn Sekunden. Zwanzig. Noch mehr Bewegungen. Diesmal im Genkan. Die Wohnungstür schloss sich. Ibiki wartete für gute zwei Minuten, bevor er das Schlafzimmer verließ und Mondlicht und Erinnerungsvermögen nutzte, um sich seinen Weg zu navigieren. Er überprüfte die Küche und fand die Katze über einer Schüssel Futter kauernd. Zwei braune Umschläge lagen auf dem Tresen. Unverschlossen und nur zusammengebunden mit einem Gummiband.    Ibiki überprüfte beide.    Der erste enthielt ein Zahlungspaket und ein Formular, das detailliert beschrieb, wie Post von einer alten Adresse an eine neue weitergeleitet wurde. Scheinbar hatte Raidō für die vergangenen zwei Jahre Postbote gespielt. Ibiki schob die Inhalte zurück und durchsuchte den anderen Umschlag…fühlte, wie die Welt stehen blieb und eiskalt wurde, als seine Augen über den Inhalt der Dokumente darin glitt.    Transferpapiere.   Ibikis Blick zuckte über Genmas Antrag auf einen Partnerwechsel und stierte für einen langen, endlosen Moment auf die große, leere Stelle, die für das Genehmigungssiegel der Hokage reserviert war. Eine große, leere Stelle, die Tsunade ohne jeden Zweifel in Frage stellen und deren Hintergrund sie routinemäßig untersuchen würde.    Genma, du dummer, dummer Hurensohn…   Mit einer Hand fuhr sich Ibiki über den Mund und fühlte, wie sich der arthritische Schmerz in seinen Gelenken verkrampfte. Mit weit mehr Ruhe als er verspürte, faltete er die Transferpapiere zu einem ordentlichen Rechteck und schob sie zusammen mit dem Umschlag in seinen Mantel…und dann stützte er seine Hände auf die Arbeitsplatte, stieß einen einzigen langen Atemzug aus und wartete darauf, dass der Schmerz verging.    Das verwandelt sich gerade in ein verfickt abartiges Desaster…   ~❃~   Blasses, seidiges Federgras, silbriggolden im Sonnenlicht und um ihn herum raschelnd mit dem sanften ‚Ssshhh‘ eines elterlichen Wisperns; leise, leise jetzt. Auf schmutzigen Händen und Knien kroch er durch die weichen Halme, der grasige Lehm schwer in seinen Nasenlöchern.    Nicht nießen, nicht gegen den Wind bewegen.    Er senkte seinen Körper tief in einem Kriechen, das an seinem Bauch kratzte. Er schlich zu dem Baumstamm hinüber und duckte sich gegen den ausgehöhlten Stumpf; fühlte die raue Rinde an seinen Wangen…sah den Ameisen beim Marschieren zu…Insekten flitzten und flatterten…gefangen in ihren Grashüpfer Spielen…   Der Wind drehte…die Wolken schwebten vorbei…   Er strich sich den Schmutz aus den Schnitten in seinen Knien…rieb seine stechenden Handflächen und pickte Dreck aus seinen Nägeln…still, wie immer…obwohl es nicht so schlecht wäre, gefangen zu werden…er versteckte sich jetzt schon eine sehr lange Zeit…lauschte den seidig weichen Daunen, wie sie schwankten und schwebten…sah zu, wie sie sich von silbriggolden zu dem verbrannten Bernstein von Kuromarus Augen verwandelten…Augen…da lag etwas in seinen Augen…stechend und nass…heftig rieb er an ihnen…schniefte und erhaschte einen Hauch von einem vertrauten Geruch…aber nicht von dem, auf den er gewartet hatte…   Das Gras teilte sich und schien mit einem aufgebrachten Schnauben zu rascheln. „Da bist du ja! Ich habe dir doch gesagt, dass du auf die Welpen aufpassen sollst. Sie haben die Hälfte von…“ Ihre Stimme brach ab. „Was machst du hier draußen? Bist du schon den ganzen Tag hier…?“   Er sah nicht auf. Selbst als drei kleine Bündel aus plüschigem Fell durch das Gras getorkelt kamen und sich vor Aufregung übereinander rollten, bevor sie an seinen aufgeschrammten Knien und nassen Wangen leckten…Ruten wedelten mit all der ‚Schau, ich hab dich gefunden‘-Freude, die sich ein Kind nur wünschen konnte…wenn es denn der gewesen wäre, von dem er wollte, dass er ihn fand…   Blicklos starrte er sie mit trockenen und leeren Augen an. „Ich habe wieder gewonnen…“, sagte er.   Ein scharfer Atemzug von oben und der Geruch des Salzes und der Traurigkeit seiner Schwester brannte in seiner Nase. Das roch er in letzter Zeit oft. An Ma. An Hana. So viel Salz. Schwimmend hinter der falschen Süße jedes scharfzahnigen Inuzuka Lächelns.    Hana schniefte und an ihren Seiten ballten sich ihre Hände zu Fäusten. „Dieser Hurensohn“, knurrte sie.    Hurensohn…   Kibas Verstand versenkte seine Fangzähne tief in dieses Wort, biss härter zu, bis er spürte, wie ihn der Zorn durch die seidigen Schnurrhaare des Traumes und über die harten, bitteren Steine von Bewusstsein zerrte, um ihn mit einem bösartigen Stich aus Schmerz ruckartig zu wecken.    Er zuckte ein wenig zusammen und seine Augen öffneten sich halb, bevor sie sich wieder schlossen.    Argh.   Mann, hatte er vielleicht Schmerzen. Fühlte sich, als wäre sein ganzer Körper durch ein Glasnetz gepresst worden und wer auch immer ihm den Arsch aufgerissen hatte, hatte dann damit weiter gemacht, seinen Kopf ein paar Mal auf Beton zu hämmern. Das Bild donnerte sich sein Hirn und belustigte ihn. Seine Lippen bogen sich schwach und er wimmerte halb in einem Grinsen, während er mit der Zunge über die Zähne fuhr, um nach abgeplatztem Schmelz zu suchen.    Ein sanftes Winseln erklang durch den Raum.    Akamaru…   Kiba öffnete einen Spalt breit ein Auge und stierte hinauf zu einem seltsamen, schwebenden Wirrwarr aus Farben. Er ließ seine Nase die Informationen sammeln, die seine verschwommene Sicht nicht zusammentragen konnte; feuchtes Stroh und verrottendes Holz; muffige Laken und moderiges Pergament; Wachs und Citronella; der entfernte, ranzige Gestank eines langsam fließenden Flusses; der schwere erdige Geruch von Schlamm…und dann etwas, das seine Nasenflügel beben ließ. Etwas Blumiges. Hyazinthe und Lilien.   Ino.   Kiba zog die Brauen zusammen und kniff die Augen zu, als sich die Haut auf seiner Stirn straffzog. Genähte Wunden? Langsam blinzend realisierte er, dass das Wirrwarr, zu dem er aufgestiert hatte, der hauchdünne Schleier eines Mosquitonetzes war. Wie ein Zelt hing es über ihm, wogte sanft und das große Gewebe hing von den Sparren über ihm. Eine Ratte huschte über den Balken.    Tz. Du quartierst uns wieder an den nettesten Orten ein, Hyūga. Geiziger Bastard.    Er bewegte die Muskeln seines Rückens und spürte, wie sich die Klumpen des Futons wie riesige Flöhe rührten. Vollkommen aus Reflex begann seine Haut zu jucken und zog seine Aufmerksamkeit auf die amüsante ‚ach übrigens‘-Tatsache, dass sein Oberkörper nackt und über Brust und Schulter medizinisch verbunden war.    Schulter…ah Shit…   Neji würde ihm deswegen den Hintern abkauen. Schön. Er hatte sich auf einen Kampf gefreut…zu blöd nur, dass ihn die Alligatoren zuerst erwischt hatten. Und diese gepanzerten Wespen. Er war sich ziemlich sicher, dass er in den Arsch gestochen worden war. Entweder das, oder die Bettwanzen hatten sich bedient, während er sein Nickerchen gemacht hatte.    Ein Schein aus Licht zog seinen Blick auf sich und er sah hinüber, ohne den Kopf zu drehen, um auf die schwebende Kugel jenseits des dünnen Netzes zu stieren. Laternenlicht; die verschwommene Sphäre wurde von der Kontur von Inos Silhouette verfolgt, die wie eine Schattenpuppe über den hängenden Schleier spielte.    Nah beim Netz kniete sie sich hin und klopfte sich sacht auf die Schenkel. „Hier, Akamaru.“   Mental schnaubte Kiba spottend.    Wird nicht passieren, Prinzessin.   Sie hatte seinen Hund auf ewig traumatisiert. Sie musste wirklich auf auf und davoooon aus ihrem Tussi-Hohlkopf sein, wenn sie ernsthaft glaubte, Akamaru würde nett zu ihr sein, nach allem, was sie – ein leises Wuff und Kibas Gedankengang machte eine Bruchlandung und ging in Flammen auf, als er beobachtete, wie Akamarus Schatten über das Netz schwebte und sich an Inos Seite niederließ. Der fluffige Hundekopf fiel in ihre ausgestreckten Hände wie ein großer, pelziger Flirt.    Das ist gerade nicht wirklich passiert.   Er verzog das Gesicht über das spöttische Bump, Bump, Bump von Akamarus Rute.   Verräter.   Ein leises Knurren gurgelte unhörbar in Kibas Brust, versickerte auf halben Weg seine Kehle hinauf und drang geräuschlos zwischen seinen trockenen Lippen hervor. Er presste die Lider aufeinander und saugte an seinem Zahnfleisch, wobei er den kupferartigen Stich von Blut schmeckte. Kaum eine Spur von Speichel. Staubtrocken. Auf keinen Fall würde er um Wasser bitten. Eher würde er Blut pissen.    „Es tut mir so leid, Akamaru“, wisperte Ino.    Es dauerte zwei Herzschläge, bis Kiba das auffing. Ruckartig flogen seine Augen auf und überkreuzten sich dann vor Schmerzen, als sein Nacken gegen diese plötzliche Bewegung protestierte. Er verkniff sich ein Wimmern und drehte marginal den Kopf gegen den Futon, während er seine Augen zusammenzog, bis die nebulösen Formen jenseits des Netzes in den Fokus kamen.    Ino streichelte mit den Fingern durch Akamarus Fell und sie hatte den Kopf gesenkt, sodass ihr Haar in einem langen, flachsfarbenen Vorhang nach unten hing und ihr Gesicht in tiefe Schatten tauchte. „Dich von der Quarantäne in diesen Prima Haustier Laden zu überweisen? Das war ziemlich gemein.“   Kiba zog die Lippen in einem geräuschlosen Knurren hoch. Verdammt richtig, du Psycho.   „Ich war nur…“ Ino seufzte und ihre Finger hielten inne. „Manchmal werde ich so. Wie meine Mom…ich hasse es…“   Kibas Stirnrunzeln zerfiel.    Akamaru stieß hingegen ein weiches, nasales Winseln aus; die Art, die Kiba härter ausbremste, als der scharfe Stich in seiner Magengegend. Doch er schrieb es einfach als Hungerattacken ab. Es gab überhaupt keinen Grund, aus dem er sich wegen irgendetwas schlecht fühlen müsste. Mann, was zur Hölle? Er war doch der Verwundete hier, der unter Inos sturer Weigerung litt, sich von ihrem Elfenbeinturm herab zu begeben.    Sie und Neji sollten zusammenkommen…Seine königliche Hoheit und die Eisprinzessin…   Er versuchte, sich an diesem Bild festzuhalten. Versuchte, sich die Eiszapfen vorzustellen, die von dem Rahmen dieses hochnäsigen Familienporträts hingen, um sich davon abzuhalten, über das nachzudenken, das ihre Worte malten…   „Sie schaut mich an, als wäre ich dieses hässliche Unkraut in ihrem Garten“, fuhr Ino mit flüsterleiser Stimme fort, als wäre sie ein Kind, das sich unter der Bettdecke versteckte und seinem großen weißen Knuddelspielzeug alles gestand. „Die Tatsache, dass ich ihre Tochter bin, gibt mir nur Wurzeln…aus dem Grund kann sie mich nicht einfach rausreißen…also stutzt und beschneidet sie mich stattdessen…und wartet darauf, dass ich zu etwas erblühe, was vermutlich niemals passieren wird, weil ich viel zu…“ Sie brach ab und ihr Atem geriet heftig ins Stocken.   Kibas Kiefer verkrampfte sich. Nicht wegen des Geräuschs, sondern wegen des Geruchs. Salz. Tränen. Und nicht nur irgendwelche Tränen. Die Tränen einer Frau. Ein ganz eigener Geruch. Das Parfum, das sein Vater immer zu seiner Mutter gebracht hatte…und seiner Schwester. Ein Kummer, der selten gesehen, aber immer gerochen wurde; brackig, stechend und schwer mit all diesen ausgefallenen, proteinbasierten Hormonen, von denen seine Mutter versucht hatte, ihn dazu zu bringen, sie auswendig zu lernen.    ‚Ein Tokujō sollte diese Scheiße über Tränen wissen‘, hatte sie gesagt, ‚genauso wie Männer.‘   Kiba wusste es nur zu gut. Wusste alles über stolze Frauen und ihre privaten Tränen…diese Tränen waren die Gerüche seiner Kindheit und verfolgten ihn durch seidiges Federgras…und verdammt, er hasste es…hasste, was sie in ihm auslösten.   Ein nasses Schnüffeln und das leise, schleckende Geräusch von Akamarus Zunge, die die Tränen fort wischte.    „Ewww“, beschwerte sich Ino, doch sie schob den Hund nicht von sich. „Du bist ja ein richtiger Charmeur. Tröstet Kiba so die Damenwelt?“   Die Lippen des Hundeninja zuckten leicht, doch dann fing sein Hirn an, hinter diesem Gedanken her zu trotten; fing an, das Bild von Zungen und Tränen zu jagen und stellte sich die Art von Berührung vor, die er bei Ino nutzen würde, um den Geschmack dieses bitteren Salzes in etwas Süßeres zu verwandeln und – was zur Hölle machte er da eigentlich, zimperliche Katzen auf Elfenbeintürmen zu jagen?    Sie ist ganz sicher nicht die Art Rock, hinter dem ich gerne her bin…   Kein Scherz. Ino war so weit von seinem Typ entfernt, dass es eigentlich witzig gewesen wäre, wenn es nicht so verflucht nervig wäre, dass er sie trotzdem wollte. Er war nicht die Art Kerl, die sich selbst belog, aber er würde auch nicht gerade seinem Schwanz in eine Todesfalle folgen. Ino war für seinen Geschmack viel zu oberflächlich und noch dazu viel zu dünn. Außerdem mochte er Mädchen, die Spaß kannten…und offensichtlich musste Ino sturzbetrunken sein, um mal locker zu werden und rumzualbern. Aber auf der anderen Seite kam da auch wieder das Bild von ihr zu ihm zurück, wie sie im Labor getanzt hatte. Nicht betrunken. Keine Schau abziehend. Nicht versuchend, zu beeindrucken. Einfach nur…   Mann, was zum Teufel? Sie lässt ihr Haar herunter und was? Willst du daran hochklettern wie irgend so ein Prinz aus einem Märchen?   Peinlich berührt, irritiert und mehr als nur ein bisschen verärgert legte Kiba sein Hirn an die Leine und riss es vom Rand des Wahnsinns zurück. Zeit, an etwas anderes zu denken. Wie zum Beispiel an das Wasser, um das er nicht bitten würde. Oder den Stich in seinem Hintern, der wie wild juckte. Oder die Tatsache, dass er wirklich, wirklich duschen wollte…was ihn direkt wieder zurück zum Wasser brachte…der kühle, süße Gedanke daran, wie es seine Kehle hinunter rann. Erneut leckte er sich über die Lippen und seine Zunge war nichts als ein Kissen aus Watte in seinem Mund.    Ugh…vielleicht kann ich hier ja im Armeestil rauskriechen…und kann mich dabei direkt ersäufen…   Oh ja, warte. Das hatte er ja bereits vorhin schon gemacht, als er Kavallerieangriff gespielt hatte. Und das wiederum ließ ihn sich fragen, wer eigentlich Packpferd gespielt und seinen Hintern aus dieser Scheißegrube geholt hatte. Akamaru, hoffentlich. Doch so talentiert sein Hund auch war, er bezweifelte doch sehr, dass sein brillanter Vierbeiner ihn bis auf die Hosen ausgezogen, seine Wunden behandelt und ihn wie einen erstklassigen Leckerbissen für die Bettwanzen ausgelegt hatte.    Wahrscheinlich eins der Mädchen…   Energisch widerstand er dem Drang, seine Wunden auf Nähte aus Glitzerfaden zu untersuchen. Das würde er Ino durchaus zutrauen. Er rümpfte die Nase gegen diesen Gedanken und schnupperte rasch. Die Tränen hatten aufgehört…und mit ihnen auch das Reden. Nur das leise Klacken von Akamarus Krallen auf dem Holz irgendwo ihm Raum und das raschelnde Geräusch, als Ino in einem der Rucksäcke wühlte, waren zu hören.    Wenn sie jetzt eine Wasserflasche rauszieht, dreh ich durch…   Noch einmal drehte Kiba den Kopf, um sie mit abgeschirmten Augen durch das Netz zu beobachten.    Sie schien einige Fläschchen und Tiegel zu durchforsten, bevor sie letztendlich ein kleines Döschen aufnahm und den Deckel abdrehte. Der kräftige Geruch einer Salbe traf Kiba wie ein physischer Schlag, flutete seine Nase mit einem herbalen Cocktail; Aloe, Tigergras, Vogelmiere, Olive, Teebaumöl und Hagebutte.   Er zog eine Grimasse und sah zu, wie Ino mit dem Rücken ihm zugewandt auf den Knien herum rutschte, bevor sie den Yukata nach unten ruckte und eine cremefarbene Schulter entblößte.    Kibas Stirnrunzeln verschwand sofort…zusammen mit der Schläfrigkeit hinter seinen Augen.    Ein weiteres Rascheln von Bewegung und der Yukata fiel hinab zu ihren Hüften, wobei sich die weiten Ärmel wie Schwingen zu ihren Seiten ausbreiteten. Kibas Lippen teilten sich und sein Puls beschleunigte sich zu einem Pochen in seiner Kehle. Ino trug die weißen Bindungen, die die meisten Kunoichi unter ihrer Kleidung hatten. Ein ordentlicher, neckender Streifen, der um ihre Brust gebunden war…ihr unterer Rücken hingegen war bloßgelegt und die weiche Kurve der Wirbelsäule schlangenförmig und verführerisch, als sie sich leicht drehte, um mit den Fingern über ihre Taille und die Mulde ihres Rückens zu streichen, während sie leise zischte.    Der schmerzerfüllte Klang ließ die Blasen aus Hitze platzen, die in Kibas Blut aufstiegen.    Blinzelnd folgte er der Spur ihrer Finger und blinzelte angestrengt, um durch das Netz irgendwelche Verletzungen zu erkennen. Er konnte die leichteste Verfärbung gegen ihre lilienweiße Haut erkennen…wie ein Ausschlag, oder eine Verbrennung?   Huh…also deswegen hat sie diesen Mantel getragen.   Seltsam. Er hatte sie immer eher für die Art Mädchen gehalten, die ihre Probleme heraus plärrten, statt sie zu verschleiern. Immerhin hatte sie eine ganze Menge gehabt, über das sie sich während ihrer Wanderung durch die Sümpfe beschwert hatte…also warum nicht auch darüber zetern? Ein paar mitleidige Stimmen und Aufmerksamkeit erhaschen. Und dann sorgte ein streunender Gedanke dafür, dass sich seine Rücken versteifte und Alpha-Aggression nach oben kochte.    Hat ihr das jemand angetan…?   „Das gibt besser keine Narbe“, murmelte Ino zu sich selbst und strich die Salbe über die Stelle, während sie verlegen die Ellbogen anzog und sich vor Akamaru fort wand, als der Hund herüber kam, um nach ihr zu sehen und enge Kreise um sie zog. „Hey, du Fellmonster, hier gibt’s nix zu sehen“, triezte sie und kraulte den Hund unter dem Kinn, bevor sie vorsichtig die Arme zurück in den Yukata schob. „Wie wär’s, wenn du mal einen Bauchplatscher auf Kiba machst? Er schläft schon seit Stunden.“   Erstaunlich, wie sie das so sagte, als hätte er sich das nicht verdient; als hätte er in den Sümpfen nicht ihren mageren Hinternspeck gerettet.   Speck…verdammt…   Glücklich über die Ablenkung des Essens von seinem vorherigen Hunger nach der ‚Verbotenen Frucht‘, die Prinzessin Lila war, stierte Kiba verlassen auf die rußigen Balken, die sich an der Decke überkreuzten. Er überlagerte dieses Bild mit dem einer glühenden Pfanne, die hell von Yakiniku Qs Tischgrill geröstet wurde. Mit verträumten Augen hätte er vielleicht gesabbert, wenn sein Mund nicht so wüstentrocken wäre, was ihn wieder einmal zurück zu seinem übermächtigen Durst brachte.    Und dann bewegte sich Ino auf das Netz zu.    Rasch schloss Kiba die Augen, als sie den Schleier anhob und er spürte das Durchziehen der Brise, als er wieder nach unten fiel. Ihr Geruch füllte den begrenzten Raum; eine Mischung aus Citronella, Salbe und diesem blumigen Duftkugelgeruch, durch den er gelernt hatte, sie aufzuspüren. Die Schatten, die über seine Lider spielten, sagten ihm, dass sie über ihm schwebte. Das und das Kitzeln ihres Haares auf seiner Haut; ein schwingendes Streicheln, das über seine Unterarme und Brust glitt. Er versuchte angestrengt, nicht zu lächeln – ein Bemühen, das von ihren Fingerspitzen unterstützt wurde, die über die Bandagen geisterten, die straff über seine pochende Schulter gebunden waren.    Der Schmerz spannte seine Lippen an.    Glücklicherweise sah sie nicht in sein Gesicht. Keine schlechte Sache, oder? Er war ein wüstes Durcheinander – und nicht auf die mannhafte, zerzauste Art. Nicht, dass er ihre Zustimmung oder ihr Interesse wollte. Sie hatte ziemlich deutlich gemacht, was sie von ihm dachte, wenn sie denn überhaupt an ihn dachte.    Seufzend tätschelte Ino ihn wie eine missbilligende Matrone, doch ihre Berührung war sanft. „Du bist so ein Trottel, Kiba.“   Na, das beantwortete die Frage, was sie von ihm dachte, auf jeden Fall mit leuchtender Offensichtlichkeit. Und dennoch gewann der Drang zu lächeln beinahe die Oberhand. Er brauchte nicht Shikamarus geniales Hirn, um zu kapieren, dass die Art und Weise, wie sie ihn berührte überhaupt nicht dazu passte, wie sie mit ihm sprach. Obwohl er mit seinem Beinahe-Lächeln ziemlich schnell aufhörte, als er daran dachte, was diese vermischten Signale vielleicht wirklich vermittelten.    Da ist wieder dieses Gefühl…   Neben ihm verlagerte Ino das Gewicht und ihre Knie berührten seinen Unterarm. Seine Finger zuckten bei dem Kontakt, bevor sie regungslos wurden, als sie eine Hand an seine Schulter und die andere nah an sein Schlüsselbein legte. Ein tiefes Atemholen und dann summte kuratives Chakra mit diesem Kribbeln durch ihre Handflächen.   „Was hast du dir überhaupt dabei gedacht?“, fuhr sie fort; sich offenbar sicher, dass er gerade sowohl tot für die Welt um ihn herum, als auch für ihren kleinen Monolog war. „Dass du ein Held wärst, wenn du dein Erbsenhirn über alle Felsen krachen lässt? Hast du gedacht, dass du den Alligatoren einfach nur dieses dämliche Piratengrinsen zuwerfen musst und dann rollen sie sich auf den Rücken und…!“ Mit einem hörbaren Klacken der Zähne biss sie den Rest des Satzes ab und sog die Luft durch die Nase, bevor sie sie leise wieder durch die Lippen ausstieß. „Du hättest mir wirklich von deiner Schulter erzählen sollen. Neji hat dir doch gesagt, dass du das machen sollst.“   Neji kann meinen wespenverstochenen Arsch küssen…   „Ich wette, dass genau das der Grund ist, warum du es nicht gemacht hast“, ahnte Ino, als hätte sie seine Gedanken gelesen – was sie, wenn man so darüber nachdachte, auch wirklich konnte. „Oder vielleicht hast du geglaubt, es wäre mir egal.“   Kibas Hirn schlingerte in seinem Schädel seitwärts wie ein perplexes Tier. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht. Von Kameraden wieder ins Lot gebracht zu werden hatte nichts mit Fürsorge oder persönlichen Gefühlen zu tun. Es ging nur um den ganzen Mist, den Neji von sich gegeben hatte. Was war es doch gleich? Etwas über Leistung auf optimalem Niveau? Was dem Rudel diente, diente dem Zweck und das alles. Das Einzige, was ihn vom Fragen abgehalten hatte, war Stolz, nicht Furcht davor, brüskiert zu werden…Scheiße, es war schließlich nicht so, als wäre er das nicht von seiner Ma gewöhnt. Sie war nicht gerade die Art Mutter, die einem das Wehwehchen küsste und ihm erzählte, alles würde gut werden. Ihre Methode bestand darin, einen anderen Schmerz auszulösen, um vom ersten abzulenken. Es rückte die Dinge ins rechte Licht.    Taffe Liebe.   Das hatte ihm einen Biss verliehen, den keine Zurückweisung abstumpfen konnte. Außerdem hatte er es nicht nötig, verhätschelt oder bemuttert zu werden. Zärtlichkeit war nur eine weitere Lüge, verloren in seidigem Federgras. Da war nichts außer dem bitteren Geruch von Salz. Verlorener Welpe Schwachsinn.    Seine Muskeln spannten sich unmerklich unter Inos Handflächen an.    Ich brauche diesen betütelnden Mist nicht…   Und ganz sicher brauchte er es nicht von Yamanaka Ino.    Ihre Finger berührten seine Wange. Die Wange, die sie im Labor zu einem glühenden Stechen geohrfeigt hatte. Und so war auch sein Schock, dass Kiba beinahe aufhörte zu atmen.    „Bitte sei kein Held, Kiba“, wisperte sie. „Das wird alles kaputt machen.“   Bevor Kiba sein Hirn aus seiner Betäubung zerren und sich fragen konnte, was zur Hölle das bedeuten sollte, streichelte sie sein Gesicht meiner Berührung, die so sanft war, so überraschend liebevoll, dass es ein Brennen hinterließ, das weit heftiger war als jeder zornige Schlag.    _______________ Glossar: Pachinko: Ein mechanisches Spiel, wie eine Art Spielautomat Hanafuda: Spielkarten japanischer Herkunft, die für viele verschiedene Spiele benutzt werden, ähnlich wie bei uns ganz normale Schafkopfkarten. Wörtlich übersetzt bedeutet der Name 'Blumenkarten' Karibi: Geborgtes Feuer (Deckname einer weiblichen ANBU Agentin) Tenka: Licht, das von Blitzen verursacht wird (Naokis Deckname) Kaika: Eine Art Feuer mysteriösen oder verdächtigen Ursprungs (Genmas Deckname) Sooo, es geht weiter und man erfährt wieder einiges über Genmas Vergangenheit ;)  Wie immer hoffe ich sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich wieder sehr über ein paar Worte freuen Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 15: No one's son ------------------------ Ein Netzwerk aus Tunneln umgab ihn; ihre großen, schwarzen Mäuler gähnten weit in Korridore, die meterweit in Dreck, Dunkelheit und falsche Richtungen führten. Drei der Tunnel hatten ihn bereits wieder direkt zu diesem Punkt geführt, zu dem Epizentrum dieses Irrgartens – dieses Verstandes.    Aber irgendetwas stimmte nicht.    Er konnte nicht länger Naokis Präsenz spüren, die ihm durch die Schatten folgte und ihn in einer vergeblichen Jagd des Bewusstseins Sackgassen entlang führte. Es war, als wäre Naokis Bewusstsein erloschen und hätte Inoichi zurückgelassen, um ihn dieses verworrene Labyrinth des Geistes unbeaufsichtigt entlang wandern zu lassen.    Wo bist du? Warum bekämpfst du mich nicht?   War Naoki einen dieser dunklen Tunnel in seinem eigenen Geist entlang gelaufen und hatte sich selbst permanent weggesperrt?    Unmöglich. Er würde mir niemals so freie Hand lassen…   Was bedeutete, dass Naokis Bewusstsein entweder auf etwas anderes gelenkt worden war, oder er weigerte sich bewusst, irgendeinen Angriff oder eine Defensive zu starten.    Es muss das Erste sein. Auf jeden Fall stimmt irgendwas nicht…   Und wie aufs Stichwort begannen die Wände um ihn herum zu beben, die Tunnel veränderten ihre endlosen, schwindelerregenden Kreise. Inoichi sah hinauf, wo die Wände hoch über ihm aufragten und seine Augen weiteten sich, als die Dunkelheit einer sternenklaren Nacht wich. Hoch, hoch oben funkelte eine Konstellation und verwandelte sich in ein Kaleidoskop von Raum und Zeit.    „Das ist hübsch.“   Inoichi zuckte zusammen, senkte den Blick beim Klang der Stimme seiner Tochter und stellte fest, dass seine Umgebung so schnell um ihn herum fiel, dass er nicht einmal sah, wie die Mauern bröckelten; fühlte nur, wie er selbst zitterte.    Was zur Hölle?   Innerhalb eines Wimpernschlags stand er auf einer Wiese unter dem tiefen, samtigen Himmel und der Mond stand hoch wie eine riesige, schimmernde Scheibe. Stirnrunzelnd beschrieb er einen langsamen und unsicheren Kreis, während weiche, taufeuchte Grashalme über seine Stiefel strichen, als er hinaus über die blau-violette Weide blickte. Eine regenverwaschene Brise wisperte kühl über seine Haut und weckte kleine, silberne Blumen zu einem schläfrigen Nicken unter dem Mondlicht.    Der Ruf eines Kindes erscholl: „Sternschnuppe! Sternschnuppe!“   Und dort, auf dem Kamm eines Hügels, sah Inoichi seine Tochter…sein süßes kleines Mädchen mit großen blauen Augen und einer kleinen Stupsnase. Nicht älter als fünf Jahre und gegen die Kühle in einen flauschigen, lilanenen Strickpullover und violette wollene Leggins gehüllt. Ein grellpinker Fleeceschal hing locker um ihren Hals. Ihr schulterlanges Haar war zu kleinen, zerzausten, blonden Dutts gebunden und Glitzerklammern und Blütenblattspangen steckten in willkürlichen Winkeln darin. Emotionen trafen ihn heftig mit einem harschen, bitteren Tritt in die Eingeweide.    Ino stand auf den Zehenspitzen und hatte die Hände auf den starken, breiten Schultern eines jungen, blonden Mannes in ANBU Kleidung abgestützt, der auf einer grauen Picknickdecke saß, die auf dem feuchten Gras ausgebreitet lag. Ein Bein hatte er nach außen über das Laken gestreckt und die Muskeln seiner bloßen Arme standen in scharfer Definition hervor, als er sich auf den Handflächen nach hinten lehnte und den Kopf zurück gegen Inos Bäuchlein kippen ließ, um von unten zu ihr hinauf zu lächeln.    „Wünsch dir lieber was“, sagte er und seine Stimme trug dieselbe Wärme in sich wie sein Lächeln.    Inoichis Herz zerbrach zusammen mit dem Atem in seiner Kehle. „Naoki…“   Sie wandten sich ihm nicht zu. Aber warum sollten sie auch? Er drang in eine Erinnerung ein, die bereits gemacht worden war, bereits in Zeit fixiert war…ein Fragment, das aus dem Rahmen glitt…   Ino strahlte auf ihren siebzehn Jahre alten Helden hinunter, ließ ihren Griff zu seinem langen, aschblonden Haar wandern und begann es zu flechten. Die seidigen Strähnen glitten durch ihre kleinen, rundlichen Finger und schimmerten silbrig im Mondlicht. „Ich wünsch mir gleich was“, sagte sie. „Will zuerst deine Haare flechten.“   Resigniert hoben sich Naokis Brauen, doch er schmunzelte. „Na schön.“   „Yup. Ich werd meine Haare so lang wachsen lassen wie du und Daddy. Länger! Wirst schon sehen.“ Rasch vollendete Ino den Zopf und summte zu sich selbst, während ihre runden Bäckchen und die kleine Stupsnase von der Kälte rosig wurden. „Kommst du zu meiner Feier, Onii-chan?“   Nakois Lächeln verschwand und seine violetten Augen schwebten hinüber zu der ANBU Hirschmaske, die auf der Decke lag. Das kalte, weiße Gesicht glühte im Mondlicht. „Ich versuche es.“   Inos kleine Hände hielten am Ende des Zopfes inne. „Das heißt nein.“   „Tsubomi…“   Angesichts dieses alten Kosenamens musste Inoichi blinzeln; Tsubomi. Blütenknospe. Ein weiteres dieser winzigen, so bedeutungsvollen Details, das er aus Herz und Kopf gewischt hatte. Der Name hatte so perfekt zu ihr gepasst. Er hatte es niemals realisiert.    Mürrisch zog Ino an dem langen Zopf. „Bitte? Du kommst nie! Shikamaru, Chōji, Daddy und Mommy sind auch alle da.“ Ein weiterer Ruck. „Mommy sagt, sie lädt eine nette Dame für dich ein. Ich mag diese ganzen netten Damen nicht, aber Mommy sagt, sie müssen kommen. Wenn die kommen müssen, dann musst du auch kommen, oder?“ Als er einfach nur schwieg, zog sie noch einmal an seinem Haar. „Warum kannst du nicht kommen? Ich will dich dabei haben. Ich will, dass du kommst.“   Violette Augen schlossen sich kurz flatternd, während sich Naoki aufsetzte und einen Arm nach hinten schob, um Ino um die Hüfte zu packen, bevor sie beleidigt den Hügel hinab stapfen konnte. Sie lieferte einen aussichtslosen Kampf, als er sie an seine Seite drückte und greinte und schnaufte um ein schmollendes Stirnrunzeln, als sie sich trotz zunehmendem Kichern weigerte, sich bezaubern oder trösten zu lassen.   Mit brennenden Augen beobachtete Inoichi die beiden und seine Brust zog sich vor Kummer zusammen. Als er sich langsam näherte, kamen ihm die Worte seiner Tochter in den Sinn; bebend und erstickt von Tränen.    ‚Dieser Geist in unserem Haus…dieser Junge aus meiner Kindheit…dieses distanzierte Blutsband, über das du niemals sprichst…‘   Naoki neigte den Kopf, legte seine schlanke Wange gegen Inos Kopf und wisperte: „Geh und wünsch dir was.“   Da sie nicht auf diesen Themenwechsel hereinfiel, warf sie ihm einen gescheiten Blick zu und ihre Lippen schürzten sich zu einem kleinen Knoten, bevor ihre Augen zu funkeln begannen. Es war offensichtlich, was ihr Wunsch sein würde. Inoichi erinnerte sich daran, weil er niemals wahr geworden war. Während Ino ihre Kerzen ausgepustet hatte, war Naoki eine Welt entfernt gewesen; tief in den Nebeln von Kirigakure mit seiner ANBU Einheit – oder so hatte es Shikaku ihm gesagt. Es war unmöglich, das mit Sicherheit zu sagen. Und Naoki hatte das Tage später weder bestätigt, noch bestritten.    „Ich mach meinen Wunsch da unten, damit du mich nicht hören kannst“, flötete sie, löste ihren flauschigen pinken Schal und schlang ihn wie ein Halsband um Naokis Nacken. „Lauf nicht weg!“   „So angezogen?“, murrte er und hakte einen Finger in den Schal, um den Würgegriff etwas zu lockern. „Auf gar keinen Fall.“ Er streckte die Hände aus, um ihr Gleichgewicht zu halten, als sie aufsprang und mit hinter dem Rücken verschränkten Fingern den Hügel hinunter hüpfte.    Naoki sah ihr nach und schlagartig wurde der Ausdruck auf seinem hageren Gesicht ernst und wachsam; beinahe grübelnd. Zerstreut drehte er das vielgetragene Lederarmband an seinem Handgelenk und zerrte Inoichis Blick damit auf das Yamanaka Symbol, das darin eingeprägt war.    Er hatte es Naoki zu seinem sechzehnten Geburtstag geschenkt.    Ino quietschte und lenkte Inoichis Aufmerksamkeit dorthin, wo sie im Gras hockte und Mondblumen pflückte. Er war so versunken darin, sein kleines Mädchen zu beobachten, dass er kaum den Schatten bemerkte, der am entferntesten Rand seines Sichtfeldes entlang huschte, bis ein scharf eingezogener Atem seinen Blick schlagartig zurück zucken ließ.    Alarmiert weiteten sich seine Augen.    Vollkommen aus Reflex öffnete sich sein Mund, um eine Warnung zu schreien, die niemals gehört werden würde.    Innerhalb eines Sekundenbruchteils kauerte sich die Gestalt hinter Naoki und riss den pinken Schal nach oben um die Augen und Kehle des Yamanaka und ruckte hart daran, um den Kopf nach hinten zu ziehen.    Naoki wehrte sich überhaupt nicht und seine Lippen bogen sich mit dem leichtesten Anflug eines Lächelns.    Von dieser Reaktion vollkommen aus dem Konzept gebracht, gaffte Inoichi nur verständnislos, bis der Angreifer seinen Kopf gegen Naokis Halsbeuge neigte und das beschattete Gesicht von Dunkelheit ins Licht glitt.    Inoichis Augen wurden nur noch weiter, bevor sie sich verwirrt zu Schlitzen zusammenzogen. „Genma?“   Tatsächlich. Selbst nicht älter als siebzehn; ebenfalls gekleidet in ANBU Ausrüstung und Hose, sein Haar länger und am Nacken zusammengebunden. Junge, schlanke Gliedmaßen und scharfe Konturen, die gerade erst dem eisernen Meißel des Erwachsenenalters entsprangen; ein Prozess, der von dem gnadenlosen ANBU Training noch beschleunigt wurde. Das Bild passte zur Zeit der Erinnerung…obwohl Genmas Platz in besagter Erinnerung ein Mysterium war. Oder zumindest war es das, bis Genma zu sprechen begann.    „Pink, huh?“, murmelte der Shiranui und sein Mund zuckte, um sich ein Lachen zu verkneifen. „Braucht schon einen verdammt selbstbewussten Mann, um Pink zu tragen.“   „Hebt meine Augen hervor.“   „Meine auch. Sind mir fast aus dem Schädel gefallen.“   Naoki schmunzelte und wollte etwas antworten, doch seine Worte wurden zum Schweigen gebracht, als Genma mit einer Bewegung, die sowohl plötzlich, als auch schockierend war, den Kopf neigte und ihre Münder in einem Kuss übereinander strich.    Dieses Bild traf wie ein heftiger Faustschlag gegen die Schläfe.    Sogar physisch zuckte Inoichi zurück und sein Verstand blieb vor Schock stehen.    W-was?   Er sah noch einmal hin, blinzelte ein paar Mal, um seine Sicht zu testen und musste feststellen, dass seine Augen ganz normal funktionierten – ganz anders als seine Lungen. Die schienen überhaupt nicht mehr in der Lage zu sein, Luft einzusaugen, denn seine Brust war wie eingefroren; zusammen mit dem fassungslosen Ausdruck auf seinem Gesicht.    Letztendlich unterbrach Naoki den Kuss und zog den Schal kopfschüttelnd von seinen Augen fort. „Ino.“   „Schaut nicht hierher“, wies Genma die Sorge ab und ließ seine Zähne über Naokis Kiefer wandern. „Sie pflückt Blumensträußchen für dein Omiai.“ Er spie das letzte Wort geradezu aus und Abscheu verdrehte seine Lippen. „Tz. Wie läuft es denn für Sayuri-san? Nakōdo zu spielen muss inzwischen ziemlich peinlich für sie sein. Wie viele Frauen hast du inzwischen schon abgelehnt? Nach der sechsten hab ich aufgehört zu zählen.“   Naokis Kiefer verkrampfte sich bei diesen Kommentaren und seine Brauen zogen sich zusammen. „Willst du noch etwas härter auf diesen Nerv drücken? Vielleicht willst du ja sogar ein Senbon rein jagen.“   „Tu nicht so, als würde es dir nicht gefallen, wenn mein Senbon deine Nerven trifft“, schnurrte Genma unverfroren und dreist wie die Hitze in seinen Augen. „Ist nicht so, als könnte das irgendeine Frau für dich tun.“   Inoichi sog scharf die Luft über dieses grobe und sexuelle Gerede ein und sein Kiefer verkrampfte sich heftig, während Muskeln unter schwindender Contenance zuckten und pulsierten. Er hätte schreien können. Verlegenheit, Zorn, Verwirrung, Scham; das alles wirbelte in einem schwindelerregenden Rauschen unter dem eiskalten Schock durch ihn. Er hatte es niemals gewusst. Hatte es niemals vermutet. Nicht ein einziges Mal.    „Nicht hier“, murmelte Naoki.   Genma hob eine Braue. „Wieso nicht? Hast du Angst, die Kleine wird all diesen ‚netten Damen‘ flüstern, dass Sayuris Goldjunge ein schmutziges kleines Geheimnis hat?“   Violette Augen flammten mit einer wilden und gefährlichen Warnung auf. Das berüchtigte Yamanaka Temperament brannte hinter der dünnen Fassade der Gefasstheit. Doch Genma hielt diesen stürmischen Blick in vielsagender Herausforderung, bevor er die Hände in spöttischer Kapitulation erhob, ein Senbon zwischen schiefe Lippen schob und sich auf das Laken fallen ließ, während er seine ANBU Vogelmaske mit einem scharfen Klack neben Naokis legte.    Naoki versteifte sich und seine Augen wanderten zu Ino.    Doch sie schien die beiden nicht zu hören, sondern war durch und durch in einer Kindheitsblase aus Sternengucken und Blumenpflücken versunken, als sie weiter hüpfte und leise zu sich selbst sang. Nicht ein einziges Mal sah sie zurück. Und Inoichi konnte einfach nicht anders, als sich zu fragen, was wohl passiert wäre, wenn sie es getan hätte.    Genma schien sich dasselbe zu fragen, denn sein abgeschirmter Blick glitt zwischen Cousin und Cousine hin und her, bevor er sich auf Naoki richtete. „Du machst die Scheiße ziemlich kompliziert, weißt du das?“   Seufzend fuhr sich Naoki mit den Fingern durch seine langen Strähnen. „Nicht heute Nacht, Genma.“   „Jo, vielleicht dann ja morgen Nacht. Wenn du damit fertig bist, die nächste Bitch abzuweisen, die an Sayuris Arm hängt. Shit. Ist es das, was das hier ist?“ Mit dem Handgelenk ruckte er in Inos Richtung. „Übung? Stehen Enkelkinder denn im Kleingedruckten? Ich meine, verdammt, du würdest nicht enttäuschen wollen, oder?“   So schneidend diese Worte auch sein mussten, Naoki biss nicht zurück. Sein Temperament brannte kalt hinter seinen Augen und sein Gesicht war in ernste Linien geschnitten. „Ich habe es dir bereits gesagt. Ich werde es dir nicht nochmal sagen.“ Der Blick, mit dem er Genma bedachte, hätte Blut in Eis verwandeln können. „Halt Ino da raus.“   Genma versteifte sich marginal gegen diesen Gesichtsausdruck, doch er gab nicht klein bei. „Es geht nicht um Ino. Sondern um ihre Mutter. Um Inoichi. Den Clan. Die Nara. Es geht um die Art und Weise, wie sie dich in diesen Käfig aus Familientreue gebunden haben. Alles, um dem Ino-Shika-Cho Paradigma zu entsprechen. Das ist nicht, wer du bist. Das ist, was sie von dir erwarten, wer du bist.“   „Es ist nicht so simpel, Genma. Das weißt du.“   „Ich weiß, dass es klar wie verficktes Glas ist, wenn du mit mir zusammen bist. Mit Karibi. Wir wissen, wer du bist. Aber du wirst immer Blut über Wasser stellen, nicht wahr? Obwohl wir genug Blut zwischen uns dreien vergossen haben, um weit mehr zu zählen als irgendwas von diesem Familienrot, das in deinen Adern fließt.“   Naokis Augen zuckten heftig und die Knöchel seiner Daumen knackten laut, als sich seine Finger hart gegen seine Handflächen krümmten. Ein bebender Griff an dem wie auch immer gearteten Seil, das er um sein Temperament geschlungen hatte. ANBU hatte ihn gut trainiert. Er schüttelte den Kopf. „Ich habe einen Eid geschworen.“   Genma stieß ein freudloses Lachen aus. „Jo. Sie zu beschützen. Nicht, diese gottverdammte Blutlinie weiterzutragen. Dafür haben sie Ino. Und auch noch den Nara Jungen.“   „Shikamaru.“   „Was auch immer. Sie haben ihre eigenen Bälger, die sie rumschubsen können.“ Hier machte er eine Pause und das Senbon neigte sich scharf in seinem Mund, als hätte es ein plötzliches Ziel ins Visier genommen – und Inoichi spürte den Aufprall der nächsten Worte des Shiranui, als wären sie einzig und allein an ihn gerichtet. „Du bist nicht ihr Sohn, Naoki.“   Scharf wie Klingen aus Amethyst schnitten Naokis Augen nach oben. „Ich bin niemandes Sohn“, raunte er dunkel. „Dafür habe ich gesorgt.“   Der verheerende Schock, den diese Worte auslösten, biss sich bis ins Mark. Sprachlos sah Inoichi ungläubig zu und wurde von einem Schreck ergriffen, der viel zu stark war, um zu zittern. Wenn er nicht so betäubt gewesen wäre, so gefangen in seinem eigenen Unverständnis, hätte er vielleicht die Qual bemerkt, die hinter Naokis Augen nach oben kroch.    Genma hingegen bemerkte sie und seine Lippen zogen sich um sein Senbon straff. „Sag das nicht so. Sag das nicht so, als hätte es der Hurensohn nicht verdient. Das hat er.“   „Ja…“, hauchte Naoki und suchte Genmas Gesicht für eine lange, düstere Sekunde ab. „Und meine Mutter? Hat sie es auch verdient?“   Oh großer Kami…   Inoichi stolperte einen Schritt zurück, fühlte sich übel und schwach. War das real? Hatte dieser Augenblick wirklich stattgefunden? War das eine Erinnerung, die dazu erschaffen worden war, um ihn zu verwirren? Eine Lüge; hergestellt, um ihn zu bestrafen?    Nein.   Wie er es schon so logisch bei seinem letzten Treffen mit Naoki formuliert hatte; Emotionen konnten, ganz anders als Erinnerungen, nicht hergestellt werden…und die Stärke von Emotionen, die diese Erinnerung enthielt, war ebenso greifbar, wie sie schmerzhaft war. Scharf hinein geätzt in die Klarheit und Luzidität von jeder grausamen Sekunde, die verstrich.    Aber…wie?   Wie zur Hölle konnte es sein, dass sich Naoki erinnerte? An seinen Vater. Seine Mutter. Inoichi hatte diese Erinnerungen aus dem Verstand des Jungen gelöscht, als er noch ein Kind gewesen war. Hatte Wunden in seiner Psyche geöffnet und all das Gift heraus gewaschen, um sie stattdessen mit Lügen zu füllen und sie so gut zu vernähen, dass nur die schwächste Narbe zurückblieb.    Oder zumindest hatte er das vermutet.   Vermute niemals. Eine der Regeln, nach denen er gelebt hatte. Zusammen damit, einen offenen, unvoreingenommen Geist zu behalten. Was für ein schlechter Witz, wenn man all die Vermutungen bedachte, die er angestellt hatte. All die Geister, die er verschlossen hatte…seinen eigenen eingeschlossen.    ‚Liebe oder zerbrochene Bande. Loyalität oder Verrat. Richtig oder falsch. Gut oder böse. So festgelegt für dich. So schwarz und weiß. Ich habe dich immer für deine Werte geliebt, aber Gott, wie ich dich gerade für deinen kurzsichtigen Blick auf die Welt hasse!‘   Inoichi schluckte schwer und spürte, wie sein Herz wieder und wieder von der entsetzlichen Wahrheit dieser Worte zerfetzt wurde…der beißenden Scham seiner eigenen Vermutungen, seiner eigenen Arroganz.    Ich wollte dich nur beschützen…alles wieder gut machen, was falsch gelaufen ist…   Genmas Stimme zog seine Aufmerksamkeit zurück. „Was mit deiner Mutter passiert ist, war nicht deine Schuld.“   Naoki schmunzelte düster und die Bitterkeit in seinen Augen war durchsetzt mit Schmerz. „Warum? Weil ich die Klinge nicht selbst an ihre Handgelenke gelegt habe? Sag das den Nara. Der Familie, die sie geliebt hat. Sag das den Yamanaka, die mich immer noch ansehen wie einen…“ Mit einem erstickten Lachen brach er ab und schüttelte scharf den Kopf. „Sie konnte nicht mit dem leben, was ich getan habe.“   „Schwachsinn. Sie konnte nicht mit dem leben, was dein Vater getan hat. Und was jeden Nara oder Yamanaka angeht, der denkt, es wäre deine Schuld? Scheiß auf sie und den Bullshit, den sie verzapfen.“ Genma wandte den Blick ab, als Venen und Sehnen auf seinen Fäusten hervor traten. „Karibi hat recht, weißt du? Ich würde jeden einzelnen dieser Mistkerle mit ihr zu Grunde hetzen dafür, dass sie dir das Gefühl geben, als hättest du irgendetwas falsch gemacht. Das hast du nicht. Shikaku hat dir das gesagt. Du hast dich auf die einzige Weise gerettet, die du kanntest. Und es war die richtige Entscheidung. Du hast überlebt. Das tust du immer.“   „Ja…“ Naokis Schmunzeln verdrehte sich bitter und seine Stimme war nur noch ein Raspeln. „Siebenmal fallen, achtmal aufstehen, stimmt’s? Tz. Klar. Sie sollten wirklich stolz sein, huh? Sie sollten sich wirklich von Leuten wie mir inspirieren lassen.“ Als Genma Anstalten machen, sich zu ihm zu bewegen, hielt Naoki eine Hand nach oben, um ihn davon abzuhalten. „Nicht. Ich brauche das nicht. Ich brauche es nicht, dass du mir sagst, was ich tun soll, oder was ich meinen Clans schulde. Vielleicht – eines Tages – werden sie mir beide vergeben.“   Entgeistert starrte Inoichi ihn an.    Dir vergeben?   „Dir vergeben?“, fragte Genma fassungslos und sein Kiefer klappte auf, als er Inoichis Verzweiflung eine Stimme gab und geradezu an diesen Worten erstickte. „Shit. Klar, dass du den Familienmärtyrer spielen musst und bei allen Göttern“ Genma schnippte mit den Fingern, „du bist gerade genau da, oder nicht? Du und deine verfickten Schuldgefühle. Du hast überhaupt nichts zu sühnen. Wenn du diesen Hurensohn nicht umgebracht hättest, dann hätte es Inoichi auf jeden Fall getan.“   Mit meinen bloßen Händen…   Doch diese Chance war Inoichi geraubt worden. Er war viel zu blind gewesen. Er war viel zu spät gewesen. Zu tief in Verleugnung verwurzelt, um Shikakus fortwährende Warnungen zu beachten, bevor es alles ans entsetzliche Licht gekommen war…zu dieser entsetzlichen Tragödie…zu dem Trauma eines acht Jahre alten Jungen mit Blut an seinen Händen und Vertrauensbruch in seinen Augen.    Wenn ich daran denke, dass ich geglaubt habe – wenn auch nur für eine Sekunde – dass du falsch auf die Welt gekommen bist…mit Hass in deinem Herzen…   Gott, der Schmerz darin, die verheerende Schuld davon…die Scham der Realisierung, dass vielleicht, nur vielleicht, ein kleiner Teil von Inoichi Naokis Entscheidung, KERN beizutreten, als Chance genutzt hatte, um den Jungen von sich zu stoßen…um seiner eigenen Schuld zu entkommen…seinem eigenen Unwohlsein wegen des Versagens seines Clans…wegen seines Versagens…hatte es als Entschuldigung genutzt, um einen bitteren Samen aus Zweifel und Furcht zu wässern, dass vielleicht, nur vielleicht, dieser Junge etwas von der Finsternis seines Vaters in sich hatte…   Sayuri hatte das Inoichi niemals verziehen. Und sie hatte Recht damit. Er hatte sich das selbst niemals verziehen.    Es tut mir so leid…   Der Kummer erschütterte Inoichi bis ins Mark; ebenso wie Naokis nächste Worte.    „Vielleicht bin ich genauso wie mein Vater. Ich habe eine Finsternis in mir, die-“   In einem Aufblitzen flog das Senbon durch die Luft.    Naoki ruckte mit dem Kopf, um ihm zu entgehen und Genma stürzte sich auf ihn, schubste ihn zurück auf die Ellbogen gegen das kühle, feuchte Laken und ging ihm an die Kehle. Seine Zähne bleckten sich gegen Naokis Lippen, als er sich rittlings auf den anderen Ninja setzte und sich nach unten lehnte. „Komm mir nicht mit so einem Bullshit, Naoki.“ Und dann, mit Qual in seinen Augen: „Ich habe deine Finsternis gesehen. Dieses Biest in dir? Es ist nicht dasselbe wie das deines Vaters. Ich weiß, woher es kommt. Schmerz. Nicht Perversion. Ich weiß, was diese Scheiße mit dir macht…was es dich kostet. Weiß es Inoichi? Weiß es Shikaku? Oder glauben sie immer noch, dass du so ahnungslos von deiner Vergangenheit bist, wie du es vorgibst?“   Naoki erwiderte nichts, sondern sah einfach nur mit Augen zu Genma auf, die viel älter waren als die Jahre, die er zählte; Augen wie die seiner Mutter. Elendig in ihrer Müdigkeit, ihrer Traurigkeit, ihrer Scham…   „Verdammt, Naoki…“, hauchte Genma und seine Finger lockerten sich um Naokis Kehle, um rau durch die langen blonden Strähnen zu fahren. „Trägst du denn nicht schon genug Masken?“   „Nicht wenn ich mit dir zusammen bin. Und aus irgendeinem verrückten Grund, ist das genug für mich.“   Genma sog einen scharfen Atem ein und seine Augen verkrampften sich mit Emotionen, bevor er sie energisch fort blinzelte. Lang und hart starrte er Naoki an, bevor er ein schwaches Schmunzeln zustande brachte. „Du bist ein Masochist, mein Freund.“   Naoki stieß ein leises, von rauer Müdigkeit durchsetztes Lachen aus. „Ja…“ Zaghaft, aber bestimmt schob er Genma nach hinten und setzte sich auf, um seine Arme über die Knie zu legen und über das Feld zu sehen, wo Ino Glühwürmchen jagte. „Mein fataler Fehler. Du weißt das. Und trotzdem bist du hier.“   „Und trotzdem bin ich hier“, stimmte Genma zu, während er Naokis Profil musterte. „Mit der Geduld eines verfickten Bodhisattva. Oder vielleicht gehen wir beide auch einfach zu verdammt gut mit Schmerz um.“   „Das ist es, was wir tun, Genma…“, murmelte Naoki und fügte sanft hinzu: „Wir stehen auf un-“   „Und wir machen weiter“, beendete Genma den Satz und neigte den Kopf, um diese violetten Augen einzufangen und hob suggestiv die Brauen. „Oder wir machen uns an.“   Naoki schnaubte, aber ein Lächeln brach sich Bahn. „Jo, das auch.“   Grinsend hakte Genma den Hals des anderen Ninja in seine Armbeuge und zog Naoki mit der spielerischen Grobheit von Brüdern oder Kumpeln an sich. Zumindest war es das, was jeder andere vermuten würde…wenn sie nicht gesehen hätten, was Inoichi gesehen hatte. Brüder und Kumpels? Sie waren weit von beidem entfernt. Waren sich weit näher als das.   Und ich habe es niemals geahnt…   Nicht einmal während all dieser rigorosen Gedanken-Trainingseinheiten. Nicht ein einziges Mal. Nie. Inoichi hatte niemals auch nur eine Andeutung von Genma in Naokis Geist bemerkt; so gut hatte der junge Yamanaka diesen Teil seines Lebens beschützt, versteckt und in Ehren gehalten. Ihn so sehr in Ehren gehalten, dass er nichts und niemandem gestattet hatte, diesen Teil auch nur anzufassen…oder ihn ihm gar zu nehmen.    Ist das der Grund, aus dem du ANBU beigetreten bist? Um bei Genma sein zu können?   Als er sie jetzt so beobachtete, da konnte Inoichi einfach nicht anders, als zu bemerken, wie unglaublich schnell bei Genmas Berührungen die Starre aus Naokis Schultern wich; Schultern, die weit mehr Geheimnisse, weit größere Last trugen, als Inoichi jemals realisiert oder sich vorgestellt hatte.    Mein Gott, Naoki…habe ich dich überhaupt gekannt?   Inoichis Herz vollführte einen qualvollen Satz. Die unaussprechliche Traurigkeit dieses Augenblickes sengte sich wie heiße Tränen durch seinen Verstand und brannte Gräben in das Eis des vorherigen Schockzustandes, strich über die böckelnden Mauern aus Zorn, Scham und Verwirrung mit der schwarzen Asche von Schuldgefühl und Reue. So viel Reue.    „Weißt du“, murmelte Genma plötzlich gegen Naokis Schläfe. Seine Stimme war heiser und leiser und weich wie ein Wispern. „ANBU Agenten verschwinden die ganze Zeit…“   Seufzend zuckten Naokis Lippen in einem bedauernden Lächeln, obwohl sich seine Brauen zusammenzogen, als hätte er Schmerzen. „Du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.“   Asche schwebte auf einem heißen Wind…und die Worte kamen erneut…   „Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.“   Ein knackendes Geräusch.    Inoichi zuckte zusammen, drehte sich und sah, wie sich die Glühwürmchen in Funken verwandelten. Der Nachthimmel fiel um ihn herum in Scherben aus blauschwarzem Glas herab, als die Erinnerung in tausende winzige Teile zerbarst und in einem Kaleidoskop aus Farben und Klang wirbelte; Dunkelheut, Licht, Schreie, Rufen. Ein Übelkeit erregendes Drehen und die Fragmente glitten wieder mit der Präzision von Puzzleteilen aneinander, verbanden die Ziegel und den Mörtel von Erinnerung, flogen und flogen in einem Wirbelwind aus Bildern, Geräuschen, Gerüchen, Gefühlen um Inoichi…drehend und drehend und…Wände und Zahnräder und…   Ein Tunnel. Irdene Wände. Überall umher Schatten. Erstickende Dunkelheit. Ein brutales Pochen, Pochen…   Rennen.   Jemand rannte –   „Renn.“ Naokis Stimme, erstickt, zerfetzt, älter. „Renn jetzt sofort. Renn und sieh nicht zurück.“   Ein heftiges Husten, das Krachen und Kollabieren eines Körpers.    Ein Aufflammen bronzefleckiger Augen und Inoichi fühlte raue Hände, die Hitze von Atem auf seinem Gesicht. „Steh auf, verdammt nochmal. Hier wird es sicher nicht enden.“ Genma. Älter. Zornig. Feine Linien durchzogen mit Staub und Asche zeigten sich an seinen Augenwinkeln. Augen. Da lag etwas in seinen Augen. Panik. Angst.    Was zur Hölle passiert hier?   „Du hast Recht.“ Naoki. Weiter unten, wie vom Boden herauf. Inoichi drehte Kreise, sah aber nichts außer Genmas Augen und die einsame gesprungene Laterne, die in eine Wand genagelt war. Hände berührten sein Gesicht, sein Haar, seine Brust, tätschelten ihn grob…die Hände zitterten.    „Du wirst leben.“ Wieder Naoki. „Nimm den Jungen. Nimm den Jungen und geh.“   Junge? Kind?   Inoichi suchte und suchte, doch wieder war alles, was er sehen konnte, Genmas Gesicht; bespritzt mit Blut und Dreck und…und dann verstand er. Er sah durch Naokis Augen. Fühlte etwas Heißes und Nasses auf seinem Bauch. Genmas Hände pressten sich auf die Stelle, die eine auf der anderen…Blut pumpte durch seine Finger…   Oh Gott…Naoki…   Er verblutete. Verblutete auf dem kalten, feuchten Boden. Blindwütig kämpfte Inoichi um Verständnis.    Wo bist du? WAS IST DAS HIER? Rede mit mir, Naoki!   Keine Antwort aus den leeren Kammern des Verstandes, außer der Erinnerung, die sich abspielte.    Genma schüttelte den Kopf. „Nicht ohne dich.“   Lachen; bebend und zerfetzt. Genma verschwamm und sein Gesicht glitt in und aus dem Fokus. „Hey…“, krächzte Naoki. „Du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.“   „Bitte mich nicht darum, das zu tun…“   Was tun? WAS tun?   Inoichi versuchte zu sprechen, versuchte, die Worte zu formen, aber wieder einmal hatte er keinen Platz in diesem Augenblick, dieser Erinnerung, außer Zeuge ihrer entsetzlichen Entfaltung zu sein; eingesperrt in den Käfig des Beobachters, während er sich bemühte, einen Sinn aus diesen Bildern zu machen, diesen Worten, diesen Geräuschen, diesen-   „Verdammt seist du, Inoichi…“ Naokis Bewusstsein flackerte wie eine Flamme; schwach, kämpfend und in einem erstickten Keuchen aus der Schwärze auftauchend. „Ich hätte nie gedacht, dass du…verdammt…verschwinde…VERSCHWINDE!“   Nicht, bevor du mir sagst, was zur Hölle das hier ist! Was ist passiert? Wann war das? Welcher Junge? Welches Kind?   „VERSCHWINDE!“   Die Erinnerung explodierte in einem dröhnenden BOOM…eine Wand aus betäubender Hitze sägte sich durch Inoichis Verstand wie weißes Feuer…fraß sich in sein Hirn wie ein Krebsgeschwür…   Er wusste, dass er außerhalb der geistigen Verbindung schrie…   Er konnte das Blut in seinem Mund schmecken…   Aber selbst als er eliminiert und zurück an die äußersten Grenzen von Naokis Verstand gedrängt wurde, zerrte er jedes letzte Fragment von Informationen mit sich in sein eigenes Unterbewusstsein und ertrug die weißglühende Qual, um Antworten zu erhalten…Antworten…   Bei meinem Grab, ich werde sie haben.   Und jetzt hatte er eine Chance in all diesem Chaos…einen Pfad, dem er in diesem Pandämonium von Erinnerungen und Lügen folgen konnte…eine kleine, aber schimmernde Hoffnung in dieser elendigen Hölle…   Genma…   In der Sekunde, als er diesen Namen dachte, fühlte er, wie Naokis Bewusstsein geradezu explodierte wie die Hitze eines Schmelzofens. Die unbändige Raserei flammte in einem gutturalen, animalischen Brüllen durch Inoichis Hirn: „HALTE DICH VERFICKT NOCHMAL FERN VON IHM, INOICHI!“   Das kann ich nicht tun, Naoki.   „WAGE ES NICHT!“   Doch Inoichi tat es.    Er zerschnitt die Verbindung…   Rannte weg mit allem, was er gewonnen hatte…   Um sich davon abzuhalten, sich allem zu stellen, was er verloren hatte…   Ich werde dich nicht auf diese Weise verlieren…   …erwachte Stunden später auf grauem Fußboden und der ranzige Gestank seines eigenen Erbrochenen brannte in seiner Nase…der Geschmack von Blut auf seinen Lippen…sich abmühende Synapsen…sein Hirn pochte in seinem Schädel…hielt Schritt mit dem schrillen Piepsen der Lebenserhaltungsmaschine…fühlte den Kummer und den Schmerz unter dem Sog der Wut, die durch seine Venen kursierte…ein roter und brutaler Strom…entschlossen dazu, das Fundament der Lügen zu zerbrechen…   Genma.   ~❃~   Motten flatterten gegen die Laterne und ihre vergrößerten Schatten zuckten in einem masochistischen und zusammenhanglosen Tanz über die Mauern. Blicklos starrten Nejis Augen durch den Raum und sein Fokus streckte sich bis jenseits der vier Wände aus, während er den Zikaden zuhörte, wie sie zirpten, sirrten, riefen…riefen.   Shikamaru lag regungslos unter den Decken; eingehüllt in einen Kokon traumlosen Schlafes.    Schlaf.   Er kitzelte an den Rändern von Nejis Bewusstsein und versuchte, sein schweres Laken über die rastlosen Gedanken zu ziehen, die seinen Verstand bombardierten – ebenso hartnäckig wie diese Motten, die Schatten warfen, die doppelt so dunkel waren und doppelt so ablenkend.    Schatten…   Er sah es alles erneut, das eingeprägte Bild, eine monochrome Erinnerung von dicken, schwarzen Ranken, die sich boagleich um die Alligatoren wanden; zersplitternde Panzer, platzende Muskeln und zerberstende Knochen in einem nassen, pulverisierenden Knacken. Das mit dem Bauch nach oben Schwimmen der Biester den Fluss hinab…die abrupte Implosion von Chakra, als hätte es niemals existiert…   Unmöglich…   Und dennoch konnte er es nicht finden. Nur Herzschläge nach dem Zwischenfall waren Shikamarus Tenketsu in schieres Chaos ausgebrochen und hatten so schnell Chakra verstoffwechselt, dass es seinen gesamten Körper in einen fiebrigen Schock katapultiert hatte. Noch immer konnte Neji die Hitze in seinen Händen fühlen; Hände, die in endlosen Wellen Wasser über Shikamarus Haut geschöpft und verzweifelt versucht hatten, die Temperatur des Schattenninja zu senken, während er gleichzeitig sein eigenes Chakra gegen den Strom aus Energie gegossen hatte, der durch Shikamarus Netzwerk geflossen war wie eine Infektion und sich dabei in Zeitraffer bewegt hatte…bis es sich schließlich zu einer trägen Geschwindigkeit beruhigt und gerade dann stabilisiert hatte, als Ino und Sakura herbei geeilt waren, um Hilfe anzubieten.   Ein leises Klopfen an den Fensterläden.    Neji blinzelte sich aus seinen Gedanken zurück, kam mit einem langsamen Rollen von Muskeln auf die Beine und bewegte sich mit einer geisterhaften Ruhe, bevor er das verrottende Paneel ein kleines Stück nach rechts schob. Die Gerüche der Nacht wehten düster und muffig vom Fluss herein – zusammen mit dem starken Duft von Citronella.    „Neji.“ Ein Schwanken pastellpinker Strähnen und Sakura wandte ihren Blick vom Wasser ab, als sich besorgte, grüne Augen auf sein Gesicht richteten. „Können wir reden?“    Neji neigte leicht den Kopf, trat bedächtig hinaus auf die knarzende Veranda und zog das Paneel hinter sich zu. Die Nacht hing tief über ihnen und der Gestank des Wassers stieg in einer feuchten, schwarzen Hülle auf, legte sich schwer auf die Lungen und war erfüllt von dem Summen von Mosquitos und dem rituellen Quaken von Fröschen. Auf der weit entfernten anderen Seite des Flusses flackerten Tavernenlichter wie Glühwürmchen und die schwachen, hochgestimmten Noten eines Shamisen hallten fort in die Dunkelheit, bevor sie von dem gedämpften, rauen Lachen von Seemännern verfolgt wurden, das in der dunklen Nacht verklang. Nicht gerade der idyllischste Ort, aber nah genug am Kai der Flussstadt, um noch mehr Zeitverlust vorzubeugen. Ein Boot bis zu den Ruinen der Kannabi Brücke zu nehmen würde ihre Reisezeit halbieren.    „Hier drüben“, rief Sakura mit leiser Stimme.    Neji wandte sich um und folgte ihr, als sie ein wenig weiter die Terrasse entlang schritt. Ihre Gestalt war in einen kratzigen, grauen Yukata gehüllt, der dem von Ino ähnelte. Sie hatte eine Laterne mit sich genommen, um die Schatten zurückzutreiben und setzte sie vorsichtig auf das schmale, krumme Geländer ab, das eine kleine, hölzerne Veranda säumte, die auf Stelzen über dem trüben, grünbraunen Wasser errichtet war.    Während sie hinab in den Fluss stierte, verschränkte Sakura die Arme und nahm einen beruhigenden Atemzug. „Wie geht es ihm?“    „Er ist stabil. Ich vertraue darauf, dass du dein Wort gehalten hast?“   Sakura drehte den Kopf angesichts dieser knappen Antwort und das Laternenlicht glitt um die Kurve ihrer Wange, um ein grünes Auge in Flammen zu setzen. „Ja. Ich habe ihnen gesagt, dass es von einem Toxin ausgelöst wurde.“   „Toxin“, echote Neji mit flacher Stimme. „Und sie haben dir geglaubt?“   Ein bitteres Schmunzeln verdrehte einen von Sakuras Mundwinkeln und ihre Augen brannten mit einer Abneigung, die überdeutlich in ihrer Stimme war. „Ich habe die Lüge auf einer Wahrheit aufgebaut. Letzte Woche, als du und Shikamaru im Krankenhaus behandelt wurdet, nachdem ihr gegen die Chimären gekämpft habt, da hat das medizinische Personal pyrogene Toxine genutzt, um eure Netzwerke zu reinigen. Diese Toxine beeinflussen das Thermoregulationssystem und verursachen Fieber im Körper. Es war nicht allzu schwer, mit ein paar medizinischen Fachbegriffen um mich zu werfen und sie davon zu überzeugen, dass immer noch Spuren des Toxins in Shikamarus Netzwerk sind. Es erklärt das Fieber.“   „Und die Wahrheit?“, fragte Neji und seine ruhige Stimme verriet überhaupt nichts von seiner Erleichterung darüber, endlich diese aufgestaute Frage zu stellen. Sie hatte bleischwer auf ihm gelegen und in einem phantomhaften Schmerz auf die eiskalte Schale der Distanzierung eingedrückt.    „Die Wahrheit ist, dass es kein Fieber war, Neji. Es war Hyperthermie. Die Leute verwechseln diese beiden Dinge sehr oft als austauschbar, aber sie sind sehr unterschiedlich. Fieber werden normalerweise von irgendeiner Art Infektion innerhalb des Körpers verursacht, wohingegen eine Hyperthermie von einer extrinsischen Ursache ausgelöst wird, die den Körper überhitzt.“ Mit einer Hand fuhr sie über die Laterne und ließ das Licht in ihrer hohlen Hand sammeln. „Ziemlich wie wenn man übermäßig der Sonne ausgesetzt ist, was zu einem Hitzschlag führt.“   Summend zogen sich Nejis Brauen leicht zusammen. „Du behauptest also, ein extrinsischer Einfluss hat seinen Zustand ausgelöst?“   Sakura schüttelte vage den Kopf. „Das ist es ja. Weißt du, ich denke, dass rapide schwankende Chakrarhythmen in Shikamarus Körper diese Attacke ausgelöst haben. Während Chakra nicht als eine extrinsische Quelle betrachtet wird, da es sich ja innerhalb des Körpers befindet, ist es dennoch schwer, es medizinisch zu klassifizieren. Es verhält sich nicht immer vorhersehbar und es ist schwer, irgendeine Basislinie zu finden, mit der es verglichen werden könnte. Und während Chakra zwar genau wie Blut infiziert werden kann-“   „Da war keine Infektion“, beendete Neji den Satz. „Seine Tenketsu haben überhaupt keinen Befall des Chakras aufgewiesen, nur eine Veränderung in der Zusammensetzung.“   „Ganz genau. Ich habe es noch nie zuvor gesehen, dass sich Chakra so verhält…“ Sie machte eine Pause und senkte nachdenklich den Kopf. „Naja, abgesehen von Naruto. Aber bei ihm muss man den Kyuubi bedenken. Im Fall von durchschnittlichen Shinobi wie Shikamaru hingegen; ohne irgendeine Art der Chakra-Vergrößerung durch Pillen oder Experimente…da ist das ziemlich beispiellos.“   „Ich verstehe.“ Und dennoch; wie blind er sich fühlte. Die medizinischen Fakten schwebten wie Treibgut an die Oberfläche seines Verstandes; getragen von weit finstereren Strömungen…und dort, noch tiefer und rollend wie Steine in seinen Eingeweiden, da waren die Anweisungen seiner Mission.    Zielanalyse…Observation…Überwachung…   Und dann – Kami bewahre – ein einziger Befehl, der alle Missionsziele und -beschränkungen aufheben würde.    Extraktion…   Das sofortige Akquirieren der Zielvorgabe und das unausweichliche Scheitern der Kusagakure Mission.    Das kann ich nicht zulassen.   In beiden Fällen wäre das eine Katastrophe. Es würde ihn seine Zukunft kosten, seine Freiheit, seine…   Nein. Etwas anderes gibt es nicht.   Nicht mehr. Auf alles andere hatte er in der Sekunde verzichtet, als er diese Maske aufgenommen hatte. Familie, Freunde…Gefühle…   „Neji…“, rief Sakura leise und zog seinen Blick auf sich. „Was sagen wir Shikamaru?“   Für einen langen Moment erwiderte Neji nichts und seine weißen Augen spähten über Sakuras Schulter zur anderen Seite des Flusses, um zuzusehen, wie das dämmrige Licht der Tavernen zwinkerte und flackerte. Das Lied des Shamisen erscholl erneut durch die Nacht und das scharfe Zupfen der Saiten markierte das angespannte Verstreichen von Sekunden.    Nach einer Weile sprach er wieder: „Wie sieht deine medizinische Meinung aus, was seine physische Fähigkeit angeht, diese Mission fortzusetzen?“   Das war ganz klar nicht die Antwort, die sie erwartet hatte, aber als ihr Stirnrunzeln überhaupt nichts auslöste außer eine steinerne Stille, stieß sie ein Seufzen aus und erwiderte: „Tja, physisch gesehen, wenn sein Chakra stabil bleibt, dann wird er okay sein. Aber wenn man bedenkt, dass wir keine Ahnung haben, was diese Störung verursacht hat, gibt es überhaupt keine Garantie, dass das nicht nochmal passieren wird.“   „Außer, er verzichtet vollständig darauf, Chakra zu nutzen.“   Sakuras Brauen schossen zu ihrem Haaransatz und sie blinzelte heftig, als hätte dieser Vorschlag ihre Sicht beeinträchtigt. „Wie bitte? Du erwartest wirklich von ihm, überhaupt kein Ninjutsu zu nutzen?“   „Ich erwarte von ihm, das zu tun, was auch immer notwendig ist. Shikamarus Ninjutsu ist überflüssig. Für den Zweck dieser Mission wird er einzig und allein als Stratege fungieren.“   „Und wie genau willst du ihn davon überzeugen, das zu tun, Neji?“, argumentierte Sakura und senkte die Stimme, als wäre dieser Vorschlag des Hyūga geradezu skandalös. „Außerdem ist gar nicht gesagt, ob das überhaupt von Ninjutsu getriggert wurde oder von irgendeiner Fehlfunktion in seinen Tenketsu. Er wird niemals zustimmen, derart seiner Defensiven beraubt zu werden.“   Eine von Nejis Brauen hob sich langsam; leicht herablassend und vollkommen herausfordernd. „Er wird tun, was man ihm befiehlt. Und ich habe keinerlei Skrupel, dafür zu sorgen, dass er sich auch daran hält.“   „Was meinst du damit?“ Einen Herzschlag später wanderte ihr Blick zu seinen Händen und grüne Seen wurden mit Begreifen rund. „Neji, du kannst nicht-“   „Ich werde tun, was auch immer notwendig ist. Wenn das bedeutet, einen Bruchteil des Ninjutsus unseres Teams zu opfern, dann sei es so. In jedem Fall ist Shikamaru ein stationärer und Langstreckenkämpfer. Er agiert besser hinter den Frontlinien. Es besteht keine Notwendigkeit, ihn auf dem Schlachtfeld zu haben, um seine Fähigkeiten einzusetzen. Wir haben genug Muskeln, um das zu kompensieren, sollten wir eine Offensive gegen einen Feind starten müssen.“   Vollkommen plattgewalzt von dieser Logik schrumpfte Sakura leicht zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und zog sich ohne eine Kapitulation zurück. Neji sah zu, wie sie darum kämpfte, in dieser eisdünnen Argumentation ihre Stellung zu halten und fragte sich flüchtig, ob sie vor Monaten in Hanegakure einen ähnlichen Kampf geliefert hatte; damals, als Neji das Opfer von Shikamarus kleiner ‚freundlicher Einmischung‘ gewesen war.    Und wieder einmal, scheitere ich daran, den Humor in dieser Ironie zu sehen…   Es war wirklich lächerlich. Angesichts der konstanten Einmischung von Ironie in ihrer beider Leben, hätte er doch eigentlich inzwischen eine feine Anerkennung dafür entwickeln müssen. Und dennoch fühlte sie sich ebenso unwillkommen und ungewollt an wie immer. Auch wenn der Gedanke an die Sache in Hanegakure jetzt keinen emotionalen Einfluss mehr auf Neji hatte, fragte er sich doch, ob dasselbe auch für Sakura galt. Mit Sicherheit konnte er jedes noch so kleine Schuldgefühl zu seinem Vorteil nutzen.    „Also, was sagen wir ihm?“, fragte Sakura noch einmal und zerrte ihn aus seinen Gedanken. „Dass ihm die Hände gefesselt werden, damit wir sein Hirn nutzen können?“   Derb ausgedrückt, aber zutreffend genug. Er bedachte sie mit einem kühlen Blick. „Wir werden ihm überhaupt nichts sagen. Ich werde mich um Shikamaru kümmern. Alles, worum du dich sorgen musst, ist, sicherzustellen, dass die anderen nichts argwöhnen, was von der Erklärung abweicht, die du ihnen schon gegeben hast.“   Sakura runzelte die Stirn und ihre Augen waren scharf, als sie die Worte direkt auf ihre ungeschminkte Anweisung reduzierte. „Du bittest mich, sie zu belügen.“   „Ich bitte nicht“, korrigierte Neji gefährlich leise. „Das ist nicht das erste Mal, dass du mit so einer misslichen Lage konfrontiert wirst. Und wenn ich mich recht entsinne, hattest du beim ersten Mal keine Probleme, Befehlen zu folgen.“   Sakura versteifte sich gegen seine Worte, als wäre sie von einem kalten Wind erfasst worden. Sie erbleichte vor ihm und die Geister einer alten Schuld stiegen hinter ihren Augen auf. „Neji…“   „Wie ich schon gesagt habe, wir tun, was auch immer notwendig ist, Sakura“, sagte er nur. „Du hast bewiesen, dass du in der Lage bist, das zu begreifen. Dass du in der Lage bist, alle Emotionalitäten beiseite zu lassen. War es falsch von mir zu denken, ich könnte dir hiermit vertrauen?“   Ihre Brauen kniffen sich hart zusammen und ihre Augen glitten zur Seite weg. Stumm sah er zu, wie sie mit diesen Worten rang; wusste, dass er sie festgebunden, den Knoten aus Schuldgefühlen festgezogen hatte und ihr gleichzeitig ein Mittel anbot, um sich davon zu befreien, indem sie denselben Akt wie in Hanegakure wiederholte; dasselbe Vergehen. Sie presste ihre farblosen Lippen aufeinander, hob den Blick und suchte sein Gesicht ein letztes Mal nach Optionen ab. Doch es gab dort keine einzige zu finden.   „Nein. Es war nicht falsch von dir, mir zu vertrauen“, wisperte sie, während sie nach der Laterne griff. Sie zögerte, als sie an ihm vorbei laufen wollte und hielt Schulter an Schulter inne. „Genauso wenig wie von Shikamaru damals in Hanegakure. Aber das macht das, was wir dir angetan haben überhaupt nicht weniger falsch als das, was du ihm antun willst.“   Neji zuckte nicht einmal mit den Wimpern bei diesem Vorwurf…ihrem Eingeständnis…sein Blick wanderte hinaus über die dunklen Wasser zu einem Ort, wo Gewissen und Zweifel zerschellt an einem kalten und weit entfernten Ufer lagen…der Ort, zu dem ihn all sein Training gebracht hatte. Diese einsame Insel, weit jenseits der Reichweite all ihrer Worte und all der Wellen, die sie vielleicht in ihm ausgelöst hätten. Kein Kräuseln. Keine Reue.    Und kein Weg zurück.   Er hob leicht das Kinn und seine Stimme war ebenso weit entfernt wie sein Starren. „Es ist nichts Persönliches, Sakura.“   Kopfschüttelnd stieß Sakura ein freudloses Lachen aus; ganz so, als hätte sie eine solche Antwort erwartet. „Weißt du, das ist genau das, was auch Shikamaru gesagt hat.“ Noch einmal sah sie ihn an, die Härte wich aus ihren Augen und machte etwas Weicherem, Traurigerem Platz. „Und auch ihm habe ich das nie geglaubt.“   Neji hob den Blick himmelwärts, lauschte ihren sich entfernenden Schritten, fühlte, wie die Wärme des Laternenlichtes mit ihr schwand, um ihn den Schatten zu überlassen und der Stille…und den kalten, toten Sternen.   _____________   Glossar: Shamisen: Dreiseitiges, traditionelles japanisches Instrument, das mit einem Plektrum gespielt wird.  Onii-chan: Liebevolle Bezeichnung für 'großer Bruder' Omiai oder Miai: Wortwörtlich 'einander betrachten' (das 'O' dient hier als sog. Honorativpräfix, durch das ein Begriff stilistisch aufgewertet wird und dadurch respektvoller ist). Japanische Tradition der Ehevermittlung, bei der ledige Individuen einander vorgestellt werden, um über die Möglichkeit einer Ehe zu beratschlagen. Nakōdo: Quasi der oder die Verkuppler/in bei einem Omiai (mir ist kein besseres Wort als Verkuppler eingefallen, sorry :D) Diese Person vermittelt zwischen den ledigen Individuen und den Familien. Bei einem Nakōdo kann es sich um ein Familienmitglied, einen Freund oder aber sogar um ein Verkupplungsunternehmen handeln. Ein Nakōdo ist nicht zwingend für ein Omiai notwendig. Sooo und hier haben wir noch einmal ein Kapitel, das sich vor allem mit der Vergangenheit von Naoki, seinen Familienverhältnissen und seiner Beziehung zu Genma beschäftigt. Ich bin SEHR gespannt darauf, was ihr zu den neuen Informationen wohl sagen werdet, denn hier werden euch wirklich einige gegeben ;)  Tja und wir sehen auch mal wieder Nejis Blickwinkel...der euch, vermute ich jetzt einfach mal, nicht SO unglaublich gut gefallen wird. Könnte ich zumindest sehr verstehen :D  Auf jeden Fall hoffe ich sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich wie immer über ein paar Worte freuen *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 16: Forgive and forget ------------------------------ ‚Weil ich dein Schatten bin. Ich werde beobachten, aber du wirst mich nicht sehen. Ich werde zuhören, auch wenn du mich nicht hörst.‘   Die Drohung dieser Worte hing tief über der Regungslosigkeit in Nejis Verstand und verharrte mit einem Frösteln, das so unheimlich und unklar war wie der Nebel der Morgendämmerung, der über dem Kai waberte. Gemustert von den Laternenlichtern, die die Anlegestelle umgaben, geisterte der hauchdünne, weiße Dunst in einem einsamen Driften über die braunen Wasser, sammelte sich in fadenscheinigen Flecken, um über die schmalen Bäuche der am Flussufer liegenden Boote zu schweben.    Ich frage mich, ob er mich jetzt gerade beobachtet?   Anspannung kitzelte in einem Kräuseln unterhalb der Oberfläche durch ihn. Selbst mit seinem Byakugan wusste Neji, dass sein ANBU Führer die Fähigkeit besaß, sein Chakra ebenso effektiv zu maskieren wie seine Bewegungen. Die Tatsache, dass Tsuno wahrscheinlich auch noch Mitglied des Nara Clans war, ließ darauf schließen, dass er gerissen war und einen scharfen Verstand besaß; und das alles sorgte dafür, dass sich Neji fühlte, als würde ein Hai ununterbrochen die winzige Insel steinharter Kontrolle umkreisen, auf der er sein Herz ausgesetzt hatte. Und dort lag es jetzt; immer noch schlagend und ausgehungert.   Emotionen waren Blut im Wasser.    Und Tsuno würde es ohne Umschweife wittern, wenn er zuließ, dass er abrutschte.    Er war bereits mehrere Male kurz davor gewesen.    Der erste Ausrutscher besteht darin, Fragen zu stellen…oder Befehle infrage zu stellen…   Fragen und Emotionen waren die gefährliche See, in der Tsuno schwamm und darauf wartete, dass Neji seine Finger in dieses Wasser tauchte, um nach Antworten zu suchen und den Gefühlen nachzugeben, die er nicht haben durfte. Das war nicht seine Zielvorgabe. Das war nicht seine Rolle. Und dennoch warf das Wasser um ihn herum Wellen; Fragen und Gefühle in Bezug auf Shikamaru schossen darin hin und her, drängten ihn dazu, eine Hand auszustrecken, zu reagieren, zu erwidern…und Kami bewahre, zu retten…   Genug.   Neji packte seine Unterarme noch fester und sog einen langen Atem ein, bevor er sich auf den Fersen nach hinten lehnte, als würde er vor einem Abgrund zurück schwanken. Es war nicht so, als hätte er nicht schon einmal an diesem Punkt gestanden. Es war nicht so, als wüsste er nicht, wie man sich zurückhielt; gefasst hielt. Sich an der einzigen Sache festhielt, die von Bedeutung war.    Alles hat zu dieser Prüfung geführt, diesem Test…du wusstest, dass es schwierig werden würde…   Schwierig? Ja. Unerträglich? Nein. Testeten sie seine größte Schwäche gegen seine größte Stärke? Spielten sie seine Gefühle für Shikamaru gegen seine Gefühle in Bezug auf seine Freiheit aus? Noch eine weitere Frage, die er gar nicht hätte denken sollen; geschweige denn, über die er irgendetwas hätte fühlen sollen.    Hier ist kein Platz für Emotionen. Das ist der Preis. Du wusstest, dass du ihn zahlen musst.   Das einzige Problem war nur, dass er gedacht hatte, er hätte ihn längst bezahlt.    Doch trotz all des emotionalen Fortreißens, das er über die letzten Wochen betrieben hatte, war da immer noch dieses sture Körnchen aus Gefühlen, das tief in seiner Brust saß. Das letzte, was er noch zu verlieren hatte. Dieses letzte Gefühl, das es noch auszuschachten galt…   Und diese Mission ist die perfekte Gelegenheit, um es an den Wurzeln rauszureißen…   Hatte es Ibiki so geplant? Götter, hatte es Shikaku so geplant?    Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seinem Sohn das antun würde…   Nicht, dass ihm diese steinharte Gewissheit in irgendeiner Weise helfen würde. Es brachte Neji nur direkt wieder zurück zu dieser gefährlichen Kante und ließ ihn damit zurück, hinaus über ein Meer wachsender Zweifel zu starren…und die endlosen Gezeiten davon krachten gegen die Ufer seiner Kontrolle.    Ich werde nicht nachlassen. Das ist mein letztes Gefecht…wenn ich hier falle…dann scheitere ich…   Und Freiheit wäre dann für immer außerhalb seiner Reichweite.   Es gibt nur Scheitern oder Freiheit. Entscheide dich.    Da gab es keine andere Wahl. Notwendigkeit würde, wie immer, sein Kompass sein, seine Führung, sein Anker. Neji ließ den Kopf nach hinten kippen, schloss die Augen und lauschte dem Wasser, das gegen die Boote schwappte, während er seinen Verstand in der Wahl verfestigte, die er getroffen hatte; der Wahl, die er immer treffen würde.   Freiheit.   Als er spürte, wie dieses Wort den mentalen Boden unter seinen Füßen stabilisierte, nahm er einen weiteren Atemzug und stieß ihn in einem abgezählten Countdown aus. Er wiederholte den Vorgang wieder und wieder und konzentrierte sich auf Ebbe und Flut seiner Atmung…übergab seinen Verstand der Regungslosigkeit, der Stille…und dem sich leise nähernden Schatten.    Zumindest bemerke ich ihn jetzt wieder…   Dennoch kitzelte der Wunsch danach, sein Byakugan zu aktivieren, an seiner Haut wie die Statik des näherkommenden Chakras. Es machte ihn auf Shikamarus Anwesenheit aufmerksam, lange bevor diese rauchige Stimme über die Luft strich und die bittere Asche von Sarkasmus mit sich trug.    „Ein pyrogenes Toxin, huh? Erwartest du ernsthaft von mir, das abzukaufen? Oder hast du es dir zu einer Mission gemacht, diese Mission zu einer Art Feuerprobe für mich zu machen?“   Neji stählte seine Miene, hob die Wimpern und sah direkt hinüber in die dunkle Glut von Shikamarus Augen; sah die Verletztheit, den Zorn, den schwarzen Scheiterhaufen von Emotionen…sah diese Emotionen brennen wie von einem weit entfernten Ufer…Rauchsignale, die aufstiegen und auf einer kalten, wolkenlosen Brise zwischen ihnen schwebten…   „Nein“, erwiderte Neji letztendlich. „Ich habe nicht erwartet, dass du das glaubst. Aber es ist zu deinem eigenen Vorteil, wenn die anderen das glauben.“   Ein schwaches Schnauben und Shikamaru lehnte sich mit verschränkten Armen zurück gegen das Geländer, während sich seine Lippen zu einer grimmigen Linie zusammenpressten. „Du willst also über Vorteile und Glauben reden? Wie wäre es dann, wenn ich dir den Vorteil des Zweifels gebe und du gibst mir etwas, das ich glauben kann, das nicht vollkommener Schwachsinn ist. Wenn du mich anlügst, dann weiß ich das.“   Für einen langen Moment erstarrte Neji; wusste, dass Shikamaru nicht auf seinen Bluff herein fiel, wusste auch, dass ein Spiel der Lügen nicht die Vorgehensweise war, die er nutzen wollte. Er hatte genug Karten auf der Hand, die er während der restlichen Mission für sich behalten musste…vor allem eine schmale Mappe mit Shikamarus Foto und Details. Von all den grausamen Händen, die ihm das Schicksal hätte austeilen können…   Warum das…?   Er hätte lachen können. Götter, da war sie schon wieder. Diese vollkommen müßige Frage. Warum sie überhaupt stellen?   Bei seinem Schweigen hoben sich Shikamarus Brauen. „Wenn es deine Strategie ist, mir gegenüber zu mauern, dann kannst du mich genauso gut wieder auf meinen Hintern befördern. Das scheint in letzter Zeit ja deine bevorzugte Methode der Konfliktlösung zu sein.“   Hn. Wenn das in diesem Fall nur eine praktikable Option wäre, Shikamaru…   Neji presste die Lippen aufeinander, um sich ein grimmiges Schmunzeln zu verkneifen. Für ein paar weitere Herzschläge ließ er die Stille hängen – und dann sagte er die Wahrheit. „Es war kein Fieber, Shikamaru. Es war eine Hyperthermie, die von einem rapiden Schwanken im Metabolismus deines Chakras ausgelöst wurde.“ Er machte eine Pause und sah zu, wie Shikamarus Brauen aus ihrem verärgerten Bogen zu einem verwirrten Stirnrunzeln zusammenfielen. Neji wartete gar nicht auf eine weitere Aufforderung, sondern fuhr einfach fort: „Das letzte Mal, dass ich gesehen habe, dass es sich auf diese Weise benimmt, war, als wir in der Nacht deines Geburtstages in diesem Ryokan gekämpft haben. Obwohl es damals nicht halb so aggressiv in deinem System war, wie diesmal. Statt dass es sich einfach nur verstoffwechselt hat, hat es sich regelrecht manifestiert.“ Noch einmal hielt er inne und ließ das Gewicht seiner Worte sacken, bevor er hinzufügte: „Kannst du mir irgendetwas davon erklären?“   Ein benommenes Blinzeln und Shikamaru sackte mit den Händen am Geländer nach hinten. Er sah aus, als würde er seitwärts taumeln, sollte er es wagen, loszulassen. Es war eine nachvollziehbare Reaktion, wenn man die Informationen bedachte, mit der Neji ihn gerade getroffen hatte.    Zumindest ist es die Wahrheit…   Was besser war als eine Faust aus Lügen.   Ist das so?   Neji hielt sich zurück und gab Shikamaru den Raum und die Ruhe, um alles verarbeiten zu können, während er aufmerksam Notiz von den Emotionen machte, die über das Gesicht des anderen Ninjas flackerten. In solch ungeschütztem und geschocktem Zustand war Shikamaru einfach genug zu lesen; die Verwirrung, der Zweifel…die Furcht…   ‚Ich stürze mich nicht in kalte Wasser, Neji.‘   Die Erinnerung an diese Worte plagte ihn, als er dabei zusah, wie Shikamaru blicklos hinunter auf das Dock starrte und seine Augen vor und zurück zuckten, während er diese Informationen verdaute und durch die Fakten wühlte. Zu verstehen versuchte, sich an Sinnhaftigkeit und Logik zu klammern versuchte, als er alle Arsenale seiner mentalen Waffen durchforstete…nur um mit leeren Händen zurückzukehren.    „Nein“, krächzte Shikamaru plötzlich und schob sich von dem Geländer fort, um über den Holzsteg zu schreiten. Die alten Bretter knarzten laut unter seinen Füßen. „Ich kann es nicht erklären.“ Er wanderte ein kurzes Stück, bevor er kehrt machte und dort stehen blieb, wo er losgegangen war; gegenüber von Neji. „Aber das heißt nicht, dass es keine Erklärung gibt.“ Er zögerte und seine dunklen Augen schwangen nach oben. „Richtig?“   Der zerrissene Ausdruck in diesen Augen zerrte heftig an Neji. Verzweifelt verkrampfte er jeden Muskel in seinen Beinen und lehnte sich nach hinten in die Stütze des Geländers – fort von dem Abgrund, fort von der Kante. „Erinnerst du dich daran, was für ein Jutsu du benutzt hast, um die Alligatoren zu töten?“   Verwirrt blinzelte Shikamaru ihn an. „Ich hab sie nicht getötet.“   Das fror den Moment ein.    Wortlos starrte Neji ihn an, suchte nach Lügen, von denen er bereits wusste, dass er sie nicht finden würde; alles, um sich davon abzuhalten, sich auf dieses sinkende Gefühl in seiner Magengegend zu konzentrieren. Sehr langsam und sehr gefasst holte er Luft. „Doch das hast du. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.“   Unbestreitbar. Sein Byakugan hatte diesen Augenblick dokumentiert und in der ANBU Sektion seines Hirns für weitere Analysen abgeordnet. Objektivanalyse. Eine Aufgabe, die so viel einfacher zu erledigen war, wenn das Ziel seiner Observation ihn nicht ansah wie ein in einer Falle gefangenes Tier. Verwundet und in die Ecke gedrängt ohne irgendeinen Ausweg.    ‚Lass ihn nicht wegrennen.‘   Asumas Stimme. Ein distanziertes Rumpeln in seinem Verstand. Donner, der zu einem mentalen Sturm gehörte, in den er während einer seiner Meditationssitzungen mit Ino verwickelt worden war. Und genau wie er es schon zuvor getan hatte, zertrümmerte Neji diesen Gedanken und fokussierte sich auf die Aufgabe, die auf der Hand lag.    „Du hast Kage Nui benutzt“, sagte er und lieferte mehr Fakten in der Hoffnung, es würde irgendetwas anderes auslösen als diesen verlorenen Blick, mit dem Shikamaru ihn ansah. „Du hast diese Alligatoren zerbrochen wie trockene Zweige. Du hast keine Erinnerung daran?“   Shikamaru zuckte zurück und blinzelte, als könnte er vielleicht so die Erinnerung in den Fokus bringen. „Nein. Ich erinnere mich nur, mich gefühlt zu haben, als hätte man mir hart auf den Schädel geschlagen.“ Aus Reflex hob er eine Hand und strich mit den Fingern über den Kopf bis zur Wurzel seines Pferdeschwanzes, bevor er sie zu seinem Nacken sinken ließ. „Eine Gehirnerschütterung kann das Erinnerungsvermögen durcheinander bringen, aber-“   „Du hattest keine Gehirnerschütterung.“   Ein Pfeil zwischen die Augen dieser Argumentation. Und damit starb sie einen langsamen, winselnden Tod, wand sich um all die Fragen, all die Zweifel. Vollkommen ratlos rieb sich Shikamaru mit den Händen über sein Gesicht, taumelte einen weiteren Schritt nach hinten und hockte sich abrupt mit den Ellbogen auf den Schenkeln auf das Dock, während er einen zitternden Atem ausstieß.    Und dann legte er seine Finger in dieser kreisförmigen Geste aneinander.    Neji erspähte diese Haltung und schwieg. Er kannte diese strategische Pose, aber der Ausdruck von Ruhe, der normalerweise damit einherging, fehlte diesmal komplett. Shikamaru hatte nicht einmal die Augen geschlossen, sondern stierte geradeaus in die Nebel über dem Fluss; die dunklen Augen bewölkt mit Zweifel.    Sekunden verstrichen…   Dann Minuten…   Neji verlagerte das Gewicht auf die Fersen und wirkte nach außen hin gelassen, obwohl er seinen Rücken so hart gegen das Geländer presste, dass sich Spreißel in seine Haut bissen. „Rede mit mir, Nara.“   Ein sprödes, erschüttertes und raues Lachen. „Mit dir reden?“, murmelte Shikamaru und seine Fingerspitzen drückten sich so heftig aneinander, dass seine Haut kreidebleich wurde. „Und dir was genau erzählen? Dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich ein Jutsu wirken kann, ohne Fingerzeichen zu machen oder Chakra auszurichten? Dass ich nicht der Sache zweihundert Schritte voraus renne, was auch immer zur Hölle das hier ist? Ist es das, was du hören willst?“   Neji zog den Kopf zurück; zusammen mit allen scharfen Worten. Es würde überhaupt nichts bringen, jetzt die Hörner zu verhaken, oder verbale Schläge deswegen auszuteilen. Ein bekräftigendes Bemühen war ihre beste Chance. Eine feindliche Herangehensweise würde ihn bei Shikamaru überhaupt nicht weiter bringen – zumindest nicht in diesem Fall.    Beruhigend holte Neji Luft, wich ein paar mentale Schritte zurück und begann von vorn. „Du hast erwähnt, du hättest dich gefühlt, als hätte man dir auf den Schädel geschlagen.“   Shikamarus Kopf hob sich ein Stück und seine Augen verschärften sich auf diese Tatsache. „Ja. Und zwar übel.“ Er stemmte sich auf die Füße und war nun etwas stabiler, da er sich auf etwas konzentrieren konnte. „Hat Sakura oder Ino mein Hirn auf zerebrale Aneurysmen oder Chakragerinnsel untersucht? Ino hat was von konzentriertem Chakra in meinem Schädel erwähnt.“   Und einfach so, war Shikamaru wieder zurück im Spiel. Drehte Optionen statt Räder und steckte nicht länger im Matsch von welcher Unsicherheit auch immer, die ihn noch vor wenigen Moment gepackt hatte.    Neji atmete ein mentales Seufzen der Erleichterung aus und spürte, wie sich der Boden zwischen ihnen zu einem vertrauteren Gebiet verwandelte. „Alles untersucht und abgeklärt“, sagte er. „Was auch immer das Chakra dazu gebracht, sich so zu benehmen; es war nicht physiologisch. Oder zumindest nicht soweit, als dass wir es hätten ausfindig machen können.“   „Biochemisch?“, schlug Shikamaru vor.    „Das ist eine Möglichkeit, aber Sakura ist nicht fortgeschritten genug, um das neuroendokrine System zu navigieren. Sie müsste Blutuntersuchungen durchführen…vorausgesetzt, dass das überhaupt das Problem ist.“   Shikamarus Brauen hoben sich bei der letzten Aussage. „Was zur Hölle soll das heißen?“ Und dann; mit einem beinahe schon bitteren Schmunzeln: „Was? Glaubst du, dass sich die Kabel in meinem Kopf lösen, Hyūga?“   Neji warf ihm einen prüfenden Blick zu. „Das habe ich nicht gesagt.“ Aber es war nicht allzu weit von dem entfernt, was er dachte. Die ganze Zeit, seit er beauftragt worden war…   Nein…schon lange davor…   Ausgehend von den Ereignissen, die sich nach Hanegakure entfaltet hatten. Nämlich genau diese Nacht, in der er Shikamaru im eigenen Zuhause des Nara angegriffen hatte. In einem kalten Wirbeln aus Erinnerung kam diese Nacht zu Neji zurück; die zornigen Worte, die Andeutung einer Vergangenheit, die ebenso undurchsichtig und dunkel war wie die Schatten.    ‚Es macht dir Spaß, meine Wunden aufzureißen, oder, Nara? Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, ein paar von deinen aufzureißen.‘   Und dann nochmal, Wochen später, in der Nacht von Shikamarus Geburtstag.   ‚Ich habe es vor zwei Jahren immer wieder getan…es ist psychosomatisch…wenn man es schafft, sich durch die Panik zu treiben, durch die Angst…dann kann man manchmal etwas finden.‘   ‚Und was genau findest du?‘   ‚Es findet mich.‘   Und dann, erst letzte Woche.   ‚Weißt du, was nicht zu mir passt? Es zu brauchen, dass Kameraden mir dämlich simple Anweisungen zubrüllen, wenn wir in der Klemme stecken. Das darf nicht nochmal passieren, Neji. Ich muss wissen, dass ich das in meinem Kopf richtig habe. Hörst du mich?‘   Laut und deutlich. Naja, zumindest laut. Deutlichkeit hingegen war Mangelware, obwohl die Erinnerungen Hinweise anboten. Hinweise, die er unter den Teppich von Abgrenzung und Distanz gekehrt hatte. Es war einfach genug, sich davon abzuhalten, über Shikamarus Vergangenheit und Probleme nachzudenken, wenn er so beschäftigt mit seiner eigenen gewesen war; so verzweifelt danach, seine Zukunft zu sichern.    Und jetzt?   Schon wieder diese Fragen. Und schon wieder ohne Antworten. Nur seine Befehle. Schwarze und weiße Anweisungen, die wenig dazu beitrugen, um von den Grauschattierungen dieser Situation abzulenken. Nicht einmal das Byakugan, das doch so an die monochromen Farben der Welt angepasst war, konnte ihm einen Einblick verschaffen. Keine sofortige Lösung.    „Du machst dieses Distanzding, Hyūga.“   Blinzelnd konzentrierte sich Neji wieder auf die dunklen Augen, die über sein Gesicht wanderten und nach Rissen im Eis suchten. Energisch hielt er seine Miene ebenso neutral wie seine Stimme. „Ich bin meine letzten Begegnungen mit dieser Veränderung in deinem Chakra durchgegangen.“   „Achja? Willst du deine Weisheit teilen, bevor der Rest der Klasse hier auftaucht?“   Guter Punkt. Neji spähte zurück zu dem Gasthaus und dann himmelwärts, wo die Morgendämmerung die Wolken rosa einfärbte. Der Nebel begann bereits, dünner zu werden. Das bedeutete, dass ihnen nicht genug Zeit blieb, das hier wirklich durch und durch zu diskutieren, aber Shikamaru brauchte auch nur ein paar Teile, um das Puzzle zusammenzusetzen.   „Alle Vorfälle, an die ich mich erinnern kann, sind entweder passiert, als du unter irgendeiner Form emotionalen Drucks standest, oder als du dich in einer Kampf oder Flucht Situation befunden hast“, erwiderte Neji. „Biochemie erscheint plausibel.“   Shikamaru runzelte die Stirn. „Aber wenn es eine biochemische Reaktion war, die von Stress getriggert wurde, warum ist dann nichts passiert, als ich gegen die Chimären gekämpft habe? Oder gegen Akatsuki? Als Asuma…“ Hier geriet er ins Stolpern – so wie immer. Doch diesmal erholte er sich schneller und deutlich unauffälliger. „Als Asuma gegen Hidan gekämpft hat. Ich habe niemals sonst eine solche Panik verspürt. Und da wurde ich nicht komplett hirntot. Nicht, dass es mich irgendwie gestört hätte, wenn das bedeutet hätte, defensives Chakra zu entfesseln. Scheiße. Wenn es jemals eine Situation gab, bei der das hätte passieren sollen, warum zur Hölle ist es dann nicht passiert, als ich es am meisten…“ Gebraucht hätte. Die Worte blieben unausgesprochen, doch Neji hörte so überdeutlich, als wären sie heraus geschrien worden.   Die Augen des Hyūga zuckten leicht. „Shikamaru…“   Shikamaru winkte ab, bevor er sich mit einer Hand über den Mund strich und rasch blinzelte. „Es macht keinen Sinn. Logisch gesehen, macht das alles überhaupt keinen Sinn. Es muss irgendeine andere Erklärung geben.“   Ohne Zweifel.    Immerhin ist das meine Mission.   An Nejis Kiefer pulsierte ein heftiger Tic. Langsam zog er die Schultern nach hinten, um zu versuchen, die Anspannung in seiner Brust zu lösen. Er spürte, dass Shikamaru auf seine Antwort wartete und rasch verschleierte er sein Unbehagen, indem er ein paar Schritte über das Dock lief. „Auf jeden Fall, Shikamaru, Spekulationen bringen uns kein Stück näher an eine Lösung.“ Hier blieb Neji stehen, wandte sich um und machte eine bedeutungsvolle Pause, während die Wahrheit bereits in seinem Ärmel wartete. Es war Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. „Zumindest keine Lösung, von der ich glaube, dass du ihr zustimmen wirst. Sakura mochte den Vorschlag auf jeden Fall überhaupt nicht.“   Eine von Shikamarus Brauen wanderte nach oben und er ließ die Hüfte gegen das Geländer einknicken. „Sag es mir einfach direkt, Neji.“   „Du wirst es auch nicht mögen.“   „Ja? Tja. Zumindest warnst du mich vor. So viel weiß ich zu schätzen.“ Shikamaru zuckte mit einer Schulter und ein träges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. „Eine Vorwarnung, bevor du mir eine Hyūga Kopfnuss verpasst.“   Nejis Lippen verkrampften sich gegen ein Lächeln, als er seine Schritte zurück lenkte und seine blassen Augen glitten über das Dock, um Kontakt zu vermeiden. „So schnell dabei, zu vergeben, Nara.“   „So schnell dabei, zu vergessen, Hyūga.“   Beinahe hätte Neji bei diesen Worten inne gehalten, schaffte es aber, das Zögern in seinem Schritt zu glätten, indem er sich auf dem Absatz umdrehte. Seinen Rücken stützte er gegen das Geländer und verschränkte locker die Arme…als wollte er die Gefühle einsperren, die hinter seinen Rippen pochten. Mehr Kräuseln, mehr Wellen. Er ließ seinen Blick über Shikamarus Schulter wandern und richtete ihn auf eine der Taschen an der Flakjacke des Schattenninjas. „Du sollst wissen, dass ich dir in dieser Angelegenheit keine Wahl lassen wollte.“   Eine kurze Pause und Shikamaru verlagerte das Gewicht, doch anstatt defensiv die Arme zu verschränken, lehnte er einfach nur seine Ellbogen gegen das Geländer; eine Geste der Ruhe, des Vertrauens. Neji runzelte leicht die Stirn. Das hatte er nicht erwartet. Nicht nach all der Feindseligkeit, die er noch vor wenigen Stunden zwischen sich und den Schattenninja geschoben hatte.    „Was hat dich dazu gebracht, deine Meinung zu ändern?“, fragte der Schattenninja.    „Erfahrung“, antwortete Neji, seine Töne ebenso gefasst war wie seine Miene. „Ich weiß sehr gut, wie es ist, wenn einem die Wahl genommen wird. Noch dazu von Kameraden.“   Anspannung verstopfte die Stille und das stete Tropfen der Vergangenheit füllte das Schweigen, bevor Shikamaru mit einer Stimme sprach, die leise und weich vor tiefer Reue war. „Schätze, dass du wohl doch überhaupt nicht vergisst.“   „Aber ich vergebe“, sagte Neji und seine Augen drifteten ein Stück weiter nach links, als die Erinnerungen wirbelnd in dem Abfluss seines Verstandes verschwanden. „Ich verstehe, warum du es getan hast. Jetzt bitte ich um dasselbe Verständnis von dir in Bezug auf das, was ich vorschlagen werde. Kannst du das tun?“   Für eine lange Zeit antwortete Shikamaru nicht.    Neji gewährte ihm die Privatsphäre, darüber nachzudenken und ließ seinen Blick hinaus über die Wasser gleiten, während er spürte, wie diese Worte schwer zwischen ihnen hingen; dazu gedacht, den Schlag abzufedern. Es gab keine Möglichkeit, den Hieb zurückzuhalten. Aber je weniger Lügen es zwischen ihnen gab, desto besser…   Hn. Für wen?   Neji spähte zu ihm. Weiße Augen berührten braune; der Blickkontakt so elektrisierend wie eine Liebkosung. Eine gefährliche Statik bewegte sich zwischen ihnen und drohte damit, sie in einem Augenblick festzuhalten, der zu aufgeladen war und einen Augenblick zu lange andauerte.    „In Ordnung“, sagte Shikamaru letztendlich und seine Stimme war dabei leicht heiser. „Sag mir einfach, was du im Sinn hast.“   ~❃~   Die Zeit verkündete ihre Stunde flüstersanft in seinem Verstand.    Sechs Uhr morgens.   Genmas Augen öffneten sich flackernd, als ihn seine innere Uhr innerhalb von Sekunden vom Schlaf zu Wachsamkeit katapultierte. Sekunden…Dank des Shōchū und der kleinen pinken Pillen brauchte er ein paar Sekunden mehr, um sich orientieren zu können und seine Augen kniffen sich in einem Versuch, sich zu fokussieren, zusammen.    Spinnweben aus Schatten hingen über dem Raum und das malvengraue Licht fiel über ihm durch einen Spalt in den Vorhängen. Das leichte, dunkle Glühen küsste sich über die Laken, streichelte die blasse, straffe Haut eines Unterarms und wanderte hinauf zu den schlanken Graten von Muskeln, bestäubte Bizeps und Schulter mit einer weichen Patina, bevor sich das pudrige Licht in einem Chaos silbergrauer Strähnen zerstreute und sie an den Rändern in weißes Feuer tauchte.    Kein Künstler – außer einem – hätte diesen Augenblick einfangen können.    Langsam blinzelnd senkten sich Genmas Wimpern auf Halbmast, als sein Blick über die freigelegten Konturen eines Gesichtes glitten, das von Laken und Schatten maskiert war. Als würde er die Begutachtung durch einen Schleier des Traumes spüren, drehte sich Kakashis Kopf gegen das Kissen und seine Brauen zogen sich leicht zusammen. Eine winzige Falte, die sich beinahe sofort wieder glättete, als sein Atem in einem langen, langsamen Rauschen entwich.    Wie eine warme Brise glitt dieser Klang durch Genma.    Hitze flackerte direkt danach auf und fächerte sich über Nervenenden, die immer noch mit dem sättigenden Glühen der Lust der letzten Nacht summten…mit dem Schmerz der letzten Nacht…   Verdammt…   Für einen langen Moment lag Genma einfach nur da und wartete darauf, dass sich die Kälte zusammen mit der Morgendämmerung heran stahl. Doch das tat sie nicht. Sekunden krochen vorbei, aber kein Frösteln folgte. Es wäre vielleicht ein fremdartiges Gefühl gewesen, wenn es nicht das dumpfe Weh von etwas Vertrautem mit sich tragen würde…etwas viel zu Schmerzhaftes, um zu riskieren, es noch einmal zu fühlen.   Und dazu auch noch mit Kakashi…   Einem Mann ohne Bindungen, ohne Abhängigkeiten…ohne den vernichtenden Drang, in Flammen aufzugehen.    Nicht so wie ich.   Das Bild von Tanzaku erschien in den hintersten Winkeln von Genmas Verstand; lebendig mit Höllenfeuer und dem Heulen eines wild gewordenen Dämons, der durchgegangen war…zu weit gegangen war. Genma verzog bei der Erinnerung daran, dass er das alles überhaupt erwähnt hatte, das Gesicht. Nachdem er Raidōs Wohnung verlassen hatte, hatte er das Feuer von damals neu entfacht, sein Apartment verwüstet, Shōchū in die Flammen der Erinnerung gekippt…und diese Nacht noch einmal durchlebt, die zu einem Gestern gehörte, das so dunkel und verzweifelt hoffnungslos war, dass der Gedanke an Morgen nichts weiter in sich hielt als Asche…Staub und Ruin…   Ja. Also bin ich hierher gekommen…   Zu Kakashi. Zu dem einen Mann, der ihn vor all diesen Jahren aus diesem Wrack gezerrt hatte…der ihn tretend und schreiend aus den Kiefern einer selbst konstruierten Falle gezogen hatte. Scheiße. Vielleicht war das der Grund, aus dem er hierher gekommen war…darauf hoffend, dass Kakashi es wieder tun würde…   Genma presste die Lider aufeinander.    Dämlicher Hurensohn…   Er hatte sein Bett bereits gemacht. Und in dem eines anderen zu liegen, würde die traurige, erbärmliche Tatsache nicht ändern, dass er alleine besser dran war.    Alleine besser dran…   Als er sich auf den Rücken rollte, trieb er diese Worte wieder und wieder in sein Herz, bis er fühlte, wie die Kälte die Wunden in einem langsamen Kriechen füllte…kaltes Blut…bitteres Blut…böse gewordenes Blut…   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Kakashis Worte zogen sich durch die Wunde, Fingerspitzen hinterließen blutige Abdrücke auf unberührten Bereichen von ihm. Nein. Unberührbar. Befleckt. Falsch. Verdreht.   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Während er sich mit den Fingern durch die Haare fuhr, stierte Genma hinauf an die Decke; angewidert von dem nassen Stechen hinter seinen Augen, während er spürte, wie die Bestien aus Lust, Abscheu und Einsamkeit an seiner Halsschlagader rissen und seine Atmung zerfetzten.    Neben ihm grunzte Kakashi leise und regte sich leicht.    Genma sah zu ihm hinüber und sah dabei zu, wie sich Kakashis Kopf ein Stück nach hinten neigte, um die scharfe, ungebrochene Linie seines Kiefers und den schlanken Bogen seiner Kehle zu offenbaren, während sehnige Muskeln in seinem Hals arbeiteten, als er schluckte. Und das löste einen Durst in Genma aus; einen Durst danach, das Feuer zu löschen, das in seiner eigenen Kehle brannte.    Bei jeder anderen Gelegenheit hätte er nach Shōchū gegriffen.    Doch so wie es war, war Kakashi näher.    Genma lehnte sich auf den linken Ellbogen und neigte sich nach unten, um seine Lippen über Kakashis bloßgelegten Hals wandern zu lassen. Beim ersten Kontakt zuckte Kakashi leicht zusammen und sein Körper spannte sich für eine Attacke an, bevor er zurück in eine Regungslosigkeit gegen die Laken schmolz und seine Finger schwach an Genmas Hüfte zuckten.    Zu müde, um zu sprechen und zu wund, um sich zu bewegen.    Genau so, wie Genma gehofft hatte, dass er sein würde. Nicht, dass er Kakashi viel Zeit gegeben hätte, um sich zu erholen. Viermal hatte er den Kopierninja während der vergangenen Nacht geweckt. Brauchend. Wollend. Küsse stehlend. Wieder und wieder in Kakashi versinkend. Sich nehmend, was zur Hölle ihm möglich gewesen war und den langsamen, sengenden Sex genießend.    Das war nicht einfach nur Sex…   Genma wusste das. Fühlte, wie es auf Ebenen schwankte, die viel zu zerbrochen waren, um das Gewicht dessen stützen zu können, was vielleicht hätte sein können, wenn er stark genug gewesen wäre, um es zu halten. Es zu besitzen. Doch die Chancen, dass sich Kakashi jemals wieder einer solchen Intimität hingab standen in etwa so hoch wie dass ihre gemeinsame Zeit über diese Nacht hinaus Bestand hatte.    Die Nacht ist vorbei…und das hier auch…   Viel zu schnell vergangen. Die Geschichte seines Lebens. Naja…war sowieso ein wiederkehrendes Thema. Und er würde das Buch zu dieser Erinnerung schließen. Oder vielleicht würde er sie komplett heraus reißen. Noch mehr Zündstoff für den immerwährend brennenden Scheiterhaufen seiner Vergangenheit.    Tz. Heul doch. Steh auf und mach weiter.   Das würde er…in ein paar Sekunden. Das war alles, was er jemals brauchte, um Kakashi auszunutzen, wenn die Wachsamkeit des anderen Ninjas gesenkt war.    Sekunden…   Ob Kämpfen oder Ficken. Sekunden machten immer den Unterschied.    Ja…und sie könnten auch den Unterschied machen, ob du in und aus Mushis Fenster schlüpfst oder nicht…   Ein funkelndes, neues Fenster der Gelegenheit, das mit jeder verstreichenden Minute kleiner und kleiner wurde. Obwohl er das drängende Tick-Tack der Zeit spürte, zwang Genma die Uhr dazu, langsamer zu laufen und ließ diese kostbaren Sekunden in Küssen über Kakashis Hals fallen, um der Dehnung von warmer, salziger Haut bis zur empfindlichen Unterseite des Kiefers zu folgen, wo Zähne zaghaft daran kratzten.    Kakashi grummelte eine halbherzige Beschwerde. Ein Klang, der bereits auf halbem Weg seine Kritik verlor, bevor seine Stimme leise und schläfrig heiser hervor krächzte. „Nein…“   „Das hast du das letzte Mal auch gesagt“, wisperte Genma und zog Kakashis Unterlippe zwischen die Zähne. „Und dann wieder, als ich aufgehört habe. Du bringst deine Botschaften durcheinander, Kakashi.“   Silberne Brauen zogen sich leicht zusammen. „Genma…“   Der Mund des Shiranui bog sich ein wenig. Er forderte sein Glück heraus…was nicht gerade etwas war, das er im Überfluss besaß – wenn überhaupt. Ein Abschiedskuss auf Kakashis verfärbten Mund und Genma zog den Kopf zurück, während er die Zunge über seine Lippen streichen ließ. Er sah hinunter auf das attraktive Gesicht, das sich gegen das Kissen neigte und ließ seine Augen über die weichen Neigungen und granitenen Linien gleiten, die das Geheimnis dessen herausgearbeitet hatten, was versteckt unter dieser Maske lag.    Ein verdammt gutaussehender Bastard…   So simpel. Es gab keine besseren Worte dafür. Genma war weder in seinem Denken, noch in seinen Worten besonders lyrisch. Er hatte das nur ein einziges Mal getan, als Liebe seine Sicht in satte und wunderschöne Farben getaucht hatte, bevor sie ihn in bodenlose Schatten gestürzt hatte. Seitdem hatten sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt…aber er war nicht so blind, so weit fort, dass er nicht das Licht wahrnahm, das Hatake Kakashi war und an den Rändern seiner Sicht schwebte.    Die Lichter in meinem Leben sind schon vor Jahren erloschen…   Und dennoch war er hier und sonnte sich in dem Nachglühen der Gefühle, die letzte Nacht brennend aus der Asche empor gestiegen waren. Aus reinem Instinkt versteifte er sich gegen die Wärme. Er wusste es besser, als ihr zu vertrauen. Kannte nur eine Art von Wärme, auf die er sich verlassen konnte – das chemische Brennen von Dukkha. Zumindest könnte er eine weitere Pille einschmeißen, wenn das Feuer erlosch. Er hatte nicht den süchtig machenden Luxus, wenn es darum ging, Leute zu benutzen.    Kakashi zu benutzen…   Er wusste das. Hatte sich nur keinen Dreck darum geschert. Denn das war die Art Mensch, die er war.    ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Genma verkrampfte sich gegen diese Worte, gegen den wiederkehrenden Ansturm der Hoffnungslosigkeit und des Selbsthasses. Es legte sich erneut über ihn; ein kaltes, schwarzes Überbleibsel, der Fleck davon dunkel wie Schmutz. Es ließ ihn sich mit jedem Bisschen wie der Flegel, der Zyniker, der Verbrecher fühlen, der sich Untaten schuldig gemacht hatte, die zu lang waren, um sie aufzulisten und zu jämmerlich, um sie zu benennen.    Steh auf. Verschwinde. Mach verfickt nochmal mit dem weiter, was du tun musst.   Die kalten Anweisungen schlugen sofort Wurzeln und begannen zu keimen, um die Pläne zu detaillieren, die er am Tag zuvor gesät hatte; Shikamarus Akte finden und mitnehmen, elektronische Gerätschaften einsammeln, ein paar Aufzeichnungen überprüfen, seine Nachmittagssitzung mit dem Seelenklempner durchleiden, bevor er sich für die nächtliche Observierung von Mushis Haus bereit machte.    Leg los.   Als er sich aufsetzte, verzog Genma über die Zittrigkeit das Gesicht, die ihn packte und seine Muskeln zuckten, während er aus dem Bett kletterte und versuchte, die Matratze nicht zu sehr zu bewegen. Es war ein Bemühen, das leicht von den Nachwirkungen des Dukkha-Shōchū Coktails beeinträchtigt war, der noch immer durch seinen Körper schwappte.    Shit…wie viel habe ich eigentlich genommen?   Offensichtlich nicht genug, um die Erinnerung an vergangene Nacht auszulöschen. Während er so am Ende des Bettes stand, griff er nach seiner Hose, hielt seine Augen aber die ganze Zeit auf Kakashi gerichtet. Er erwartete nicht, dass der andere Mann aufwachte. Die Atmung des Kopierninjas hatte sich wieder beruhigt, sein Körper war schlaff und die Miene bar jeder Anspannung.    Tiefer Schlaf.   Die gute Art. Die erholsame Art. Die Art, die Genma in zwei Jahren kaum erlebt hatte, da sein Hirn seit Kusagakure ununterbrochen im ANBU Modus verkabelt war. Immer seit…   ‚Hey...du weißt, wie das läuft…wir können uns nicht alle aus dem Staub machen…‘   Eine Klinge hätte weniger Blut vergossen. Genma presste die Lider aufeinander und krallte seine Hände an die Schenkel, als er sich wegen des kummervollen Schmerzes nach vorn krümmte, der um diese offene Wunde herum aufstieg.    Fuck. Bitte…   Er biss die Zähne zusammen, seine Arme bebten und die Muskeln seiner Schenkel zuckten heftig. Er brauchte einen Schuss. Musste so hart getroffen werden, dass er vollständig betäubt werden würde, die Chemikalien sein System durchlöcherten und dieses süße Brennen die Wunde verödeten.   Du schwächlicher Hurensohn…steh verfickt nochmal auf…   Er hatte keine Zeit hierfür, hörte bereits das tick-tick-tick dieser gottverdammten Uhr in seinem Verstand. Energisch schob er sich in die Aufrichtung, klopfte seine Taschen mit zitternden Händen ab, zerrte den kleinen Beutel heraus und fischte eine kleine grüne Pille daraus hervor, die er mit den Backenzähnen zertrümmerte und hinunter würgte. Das Rūpa würde dafür sorgen, dass er wachsam blieb und funktionierte. Aber was er wirklich brauchte, war eine stärkere Dosis Dukkha. Das würde den Schmerz betäuben und ihn hoch fliegen lassen für die nächsten paar Stunden, Tage, Wochen…verdammt, aber er hatte vergangene Nacht eine harte Bruchlandung hingelegt und war auf seinen Knien direkt in Kakashi geschlittert.    Das darf nicht nochmal passieren.   Es war nicht auszudenken, in wen oder was er das nächste Mal krachen würde.   Es wird kein nächstes Mal geben.   Ja, vorausgesetzt, dass er seinen Hintern zu Mizugumo schwang, direkt nachdem er sich um Mushi gekümmert hatte. Er hatte es zu lange gelassen. Hatte dieses irritierende kleine Ding unterschätzt, das sich ‚Toleranz‘ nannte und wie sehr es sich in seinem Netzwerk aufgebaut hatte. Inzwischen brauchte er drei Schüsse Dukkha, um denselben Rausch zu erreichen, den für gewöhnlich eine einzige kleine pinke Pille herbei geführt hatte.    Klasse…und da verabschiedet sich mein Gehalt…   Mizugumo hatte ihn gewarnt. Tat sie das nicht immer? Ihre kleinen, chemischen Cocktails waren nicht billig – was ihn daran erinnerte, dass er sich immer noch nicht sein Geld von Raidō abgeholt hatte. Stattdessen hatte er einmal quer über ihre Partnerschaft gepisst und sie angezündet.    Super Zug, Arschloch…   Ein weiteres Stück seines Lebens, das auf den Scheiterhaufen geworfen wurde. Energisch zwang er das Bild von Raidōs gebrochener Miene aus seinem Geist und sah stattdessen auf das Chaos auf dem Boden. Offensichtlich hatte er zu irgendeinem Zeitpunkt die Flasche durch das Zimmer geschmissen. Er wickelte sich seine Weste um die Faust und bewegte sich rasch, um die zerstreuten Teile der Shōchū Flasche zu einem glitzernden Haufen zusammenzuschieben, während er mit seiner eingehüllten Hand und einem grimmigen Schmunzeln über den Boden wischte.    Mushi würde das lieben…   Scheiße, der Seelenklempner würde aus dem Mund schäumen, wenn er sehen würde, wie Genma zerbrochenen Scheiß auf dem kalten harten Holz aufkehrte. All die Analogien, die dieses Insektenhirn ziehen und wie es sich an der psychologischen Poesie erfreuen würde, die aus einem gebrochenen Mann bestand, der versuchte, Ordnung in all diese zersplitterten Teile zu bringen…   Vielleicht nutze ich das in der heutigen Sitzung…   Er könnte Mushi etwas geben, auf dem er herum kauen konnte. Etwas, mit er arbeiten und die Zeit totschlagen konnte.    ‚Ich habe eine Flasche zerbrochen. Habe das Durcheinander aufgeräumt. Hat sich gut angefühlt.‘   Buddhas Eier. Allein das Wort ‚fühlen‘ zu nutzen, würde ausreichen. Mushi würde seinem unbeholfenen Stolpern über die Paranoia hinaus applaudieren und denken, dass Genma seine ersten Babyschritte hin zu einem Durchbruch gemacht hatte.    Bisschen spät dafür…   Schnaubend ließ Genma seine Weste auf den Glashaufen fallen und schnappte sich Kakashis ANBU Shirt aus dem Gewirr am Fenstersims. Flüchtig zuckten seine Augen zu dem Foto von Obito und Rin, bevor sie sich auf den jungen, silberhaarigen Jōnin richteten. Während er dieses Bild des jungen Hatake in seinem Verstand hielt, zerrte sich Genma die Weste über den Kopf, schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht und warf einen Blick auf den schlafenden Mann – seine Miene wurde weich.    Der Tod der beiden hat dich verändert…das verstehe ich…   Er verstand es nicht einfach nur. Er besaß das. Fühlte sich übel vor Schuld, wusste, dass er vergangene Nacht verrottete Klumpen dieses Schmerzes eingetauscht hatte, nur um irgendetwas mehr zu fühlen als die Agonie all seiner Fehler, all seiner Reue…   ‚Du bist nicht dieser Mann.‘   Wenn er daran dachte, dass er das beinahe geglaubt hatte.    Genma sah durch Wimpern hinab auf den Kopierninja, beugte sich nach unten und atmete tief den Geruch des anderen Ninja ein, bevor er mit den Lippen zärtlich über die silbernen Strähnen nahe an Kakashis Ohr strich und seine Stimme hauchte: „Ich wünschte, du wärst eine Pille, Hatake.“    ____________________ Glossar: Rūpa: Eine Droge, die ihren Namen von dem buddhistischen Konzept materieller Form hat, was den Körper und auch externe Materie einschließt.  Hey ihr Lieben, das war hier tatsächlich das erste Mal in UtS, dass Shikamaru und Neji nur zu zweit sind. Bin schon sehr gespannt, wie ihr diese Szene zwischen den beiden fandet ;)  Wirklich viel passiert in diesem Kapitel tatsächlich nicht so sehr, aber ein ruhiges zwischendurch ist auch nicht verkehrt, oder?  Ich hoffe natürlich sehr, dass es euch trotzdem gefallen hat :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen   Kapitel 17: A sheltering wing ----------------------------- Übelkeit; sie wirbelte in widerlichen kleinen Strudeln durch Shikamarus Eingeweide und entzog ihm jede Farbe, obwohl die Sonne durch das Blätterdach stach und seinen Nacken grillte. Seufzend rieb er sich über das Genick und duckte sich unter einem tief hängenden Lianengewirr hindurch, als das neun Meter lange Boot die Blätterranken passierte. Angetrieben von einem schweren Ruder kreuzte das Schiff in einer beständigen Geschwindigkeit dahin, schnitt sich durch die gurgelnde Strömung und die kleine Bugwelle kräuselte sich mit Pflanzen und Treibgut.    Ein trötender Ruf erscholl über ihm.    Shikamaru hob den Blick und beobachtete eine Gruppe Affen, die sich geschickt über die Brücke aus Ranken über dem schmalen Nebenfluss schwang, den ihr Führer sie entlang navigierte.     Eine Abkürzung zur Kannabi Brücke.   Zu blöd. Shikamaru hätte nichts gegen die weniger zweckmäßige Route gehabt. Scheiße, er hätte diese extra Stunde brauchen können, um seinen Kopf zu sortieren. Fühlte sich, als würden in seinem Schädel wilde Ranken wachsen und Gedanken daran herum schwingen wie die Affen über ihm; nur ohne die Agilität oder den Sinn für eine Richtung.    Was zur Hölle stimmt nicht mit meinem Chakra? Warum ist das passiert? Wie ist das passiert? Und wie zur Hölle kann ich es wieder richten?   Nejis Vorschlag schnitt sich wie eine Machete durch dieses mentale Chaos. ‚Ich schlage vor, dass du vollständig darauf verzichtest, Ninjutsu zu nutzen.‘ Shikamaru verzog das Gesicht, als sich die Klinge dieser Worte direkt bis zu den Wurzeln des Problems grub. Witzig, wie er all die Zeit so sehr darum besorgt gewesen war, seinen Kopf gerade zu halten, dass er gar nicht darüber nachgedacht hatte, dass das Problem viel eher physisch statt psychisch war.    Sollte es nicht eigentlich eine Erleichterung sein, dass es nur mein Chakra ist, das sich aufführt und nicht, dass ich ein bisschen verrückt werde?   Das hatte er sich nun schon wiederholte Male gefragt und die Frage wieder und wieder auf das beunruhigte Gefühl in seinem Innern geworfen.    Okay. Also das ist jetzt wirklich so richtig abgefuckt. Aber zumindest ist es nicht die Art von abgefuckt, wegen der ich so ausgetickt bin.   Wenn schon sonst nichts, dann sollte das die Priorität sein. Solange das Problem nicht in seinem Verstand lag, konnte er diese beschissenen Dinge so nehmen, wie sie waren. Er hatte bereits den größten Teil dieser dämlichen Bootsreise damit verbracht, in grübelnder Stille am Bug zu hocken und den Schlag zu verarzten, den sein Hirn hatte einstecken müssen.    Aber das ist es nicht wirklich, oder? Es ist ein Schlag gegen meine Muskeln…   Ja. Nicht gerade seine Stärke. Er war der Verstand, nicht die Muskeln. Er vertraute seinen Teamkameraden. Wusste, dass sie genug starke Kämpfer im Team hatten, um alles zu kompensieren, was er vielleicht an der Ninjutsu Front beigetragen hätte – was Neji mehrere Male hervorgehoben hatte und in eloquenten Erklärungen alles auf eine einzige, essentielle Tatsache reduziert hatte.    Ich brauche kein Chakra, um mein Hirn zu nutzen.   Solange sein Kopf wie gehabt funktionierte, konnte er sein Ninjutsu auch im Lockdown halten, bis sie wieder in Konoha waren. Es war beschissen, gar keine Frage, aber die Risiken, die eine Weigerung seinerseits herbeiführen würde, waren nicht herauszufordern. Wenn er sich hierbei gegen Neji stellte, dann würde er zu einer Belastung werden. Er würde die Mission in Gefahr bringen. Er würde Ino und Chōji in Gefahr bringen. Er würde sie alle in Gefahr bringen.    Wird nicht passieren.   Eher würde er sich selbst in Gefahr bringen. Nicht, dass Neji das zulassen würde, wenn man seine Agenda bedachte, Shikamaru an die Rückseite des Spielbretts zu bewegen.    Hn. Zumindest hat er dich vorgewarnt…   Was mehr war, als er Neji in Hanegakure gegeben hatte. Kluger Zug, die Trumpfkarte der Schuldgefühle auszuspielen. Shikamaru hatte überhaupt keine Verteidigung dagegen. Und so sehr er es auch hasste, zu der Rolle des ‚Hinter den Linien‘-Strategen delegiert zu werden; es machte einfach Sinn. Vollkommenen Sinn. Die ‚Dämlich Simpel‘ Art von Sinn, die seinen Verstand hätte beruhigen und sich richtig in seinem Innern hätte anfühlen sollen.    Also warum fühle ich mich dann, als würde ich gleich das Frühstück auskotzen, das ich nicht hatte?   Es saß unberührt an seinen Füßen. Eine suppige Schüssel aus Brühe, die er wahrscheinlich so oder so ausgespien hätte; zumindest nach der ziellosen Unterhaltung zu urteilen, die von der anderen Seite des Bootes herüberschwebte, wo sich der Rest des Teams vor der Sonne zurück gezogen hatte und unter dem trockenen Strohdach Schutz suchte.    „Das Zeug schmeckt wie der Fluss, in dem ich fast abgekratzt wäre.“   „So schlimm ist es nicht“, erwiderte Chōji.    „Nicht so schlimm am Arsch. Wenn ich die Scheißerei kriege…“   „Kiba!“, tadelte Ino. „Warum musst du immer so ekelhaft sein?“   „Was denn? Ich habe nicht gesehen, wie du das Zeug isst. Wartest du auf dein Silberlöffelchen, Prinzessin?“   Ein Klatschen von Inos offener Handfläche auf weichem Leder und Shikamaru musste den amüsierten Ausdruck auf Kibas Gesicht nicht sehen, um ihn in seiner Stimme hören zu können. „Mann diese ganze ODA. Ein Kerl könnte da echt auf falsche Ideen kommen.“   „ODA?“, fragte Sai.    Tenten kicherte. „Offene Darstellung von Anzieh-“   „Aggression“, funkte Ino dazwischen. „Weil jede offene Darstellung, die ich jemals mit Kiba zeigen würde, meinen hochhackigen Schuh in seinem Rist beinhaltet.“   Kiba gluckste. „Ich wette, dass ich ein paar Kreise um dich und deine gruseligen Schuhe tänzeln könnte, Trampeltier.“   Ino hustete ein Lachen hervor, das eher aufgeschreckt, statt höhnisch klang. Shikamaru wartete auf ihren schnippischen Konter und seine Brauen hoben sich überrascht über ihr Schweigen. Punkt für Inuzuka, wie es schien.    „Shikamaru?“   Der Nara hob den Kopf und blinzelte gegen das Netzhaut verätzende Licht, das von Narutos Hitai-ate abprallte, als der Jinchūriki durch die Sonnenstrahlen schritt, die durch die Baumkronen fielen. Offenbar suchte er nach einem Fleckchen Schatten. Er lief ein paar Mal im Zickzack, gab dann aber auf und ließ sich gegenüber von Shikamaru auf das Deck fallen, während er das Frühstück des Nara mit einer Grimasse beäugte.    Der Schattenninja hob eine Braue. „Jo, nichtmal mein Vorrat an Gutscheinen wird dich vor diesem Mist retten.“   Naruto warf besagtem Mist einen bösen Blick zu und rutschte nach hinten, bis sein Rücken gegen das Bollbord stieß. Grunzend legte er seine Arme auf der hölzernen Kante ab und begann, einen sinnlosen Rhythmus mit den Handflächen darauf zu trommeln, als er das Gesicht nach oben zu den Baumkronen kippen ließ. „Mann, ich dachte ja, Yamato-taichou wäre schlimm. Aber Neji ist so ein richtiger Geizkragen.“   „Er muss anhand eines Budgets arbeiten, Naruto“, erwiderte Shikamaru. „Es gibt eine Menge unbekannter Ausgaben, die wir vielleicht mit einberechnen müssen. Erinnerst du dich an den Laden, den du in Hanegakure zu Kleinholz gemacht hast, als du mit diesen Vögeln völlig übertrieben hast?“   Bei diesem Vorwurf zuckte Naruto leicht zusammen und warf ihm einen schlitzäugigen Blick zu. „Weißt du, das war deine Idee, Shikamaru.“   „Ablenkung war meine Idee. Nicht Zerstörung von Eigentum. Wir mussten das hinterher bezahlen. Und es war nicht gerade billig.“ Das ließ er erstmal sacken und sah dabei zu, wie sich Narutos Mund zu einer zerknirschten Schnute verzog, bevor er hinzufügte: „Neji muss einige Dinge berücksichtigen und für vieles aufkommen. Komfort und gutes Essen gehören nunmal einfach nicht dazu. Logistisch betrachtet macht er genau das, was jeder gute und vorausdenkende Taichou tun würde. Also sei etwas nachsichtiger mit ihm.“   Missbilligend grummelnd sackte Naruto mit verschränkten Armen zurück, doch sein mürrischer Ausdruck erhellte sich durch das Funkeln in seinen Augen. „Wie kommt es eigentlich, dass du überhaupt so viele von diesen Gutscheinen hast?“   Shikamaru spähte über die Schulter und gestikulierte mit einem Rucken des Kinns zu Chōji. „Dank Chōji. Seine strikte Weigerung einer Diät bringt uns echt verrückte Rabatte ein. Asuma hat die ganzen Gutscheine immer eingesammelt, um sie dann nach den Missionen zu benutzen…“ Seine Worte liefen langsam aus und seine Kehle verschloss sich, als er darum kämpfte, den Satz zu beenden und sich heftig bemühte, ein weiteres Lächeln aufzusetzen und lässig mit den Achseln zu zucken. „Eine der weniger wichtigen Dinge, die er auf mich übertragen hat. Seine Wohnung wäre mir lieber gewesen, aber hey.“   Narutos Augen warfen in einer schwachen Imitation von Belustigung Fältchen und sein Grinsen hing etwas schief, als versuchte, diesen falschen Humor zurück zu geben. „Weißt du, wenn es nicht dank Asuma-sensei gewesen wäre, hätte ich niemals den Windstil gemeistert. Er war ein großartiger Lehrer.“   Die Wärme in Narutos Stimme tröpfelte langsam durch die Trauer, die in diesem düsteren, leeren Winkel von Shikamarus Herz hing und zog seine Aufmerksamkeit auf den Schmerz, der dort lauerte; eingerollt wie ein Kind. Es stahl ihm noch immer den Atem. Brannte noch immer hinter seinen Augen. Machte ihm immer noch eine Todesangst.    Ich kann mich immer noch nicht dorthin begeben…   Und was ebenso weh tat, war, zu wissen, dass Ino und Chōji das von ihm wollten. Sie alle hatten die tapferen Gesichter getragen, die von ihnen erwartet worden waren. Hatten alle die Ansprache der Shinobiveteranen darüber gehört, jemanden zu verlieren. Aber in den stillen Momenten, wenn man selbst die einzigen Menschen war, die es zu überzeugen galt, dann konnte Shikamaru den Schmerz sehen, der durch Chōjis Augen brach. Konnte ihn in Inos Worten beben hören. Konnte ihn schwer und bitter in seiner eigenen Kehle schmecken.   Ich kann nicht…   Shikamaru wich in die Schatten der Vermeidung zurück und strich mit den Händen über seine Schenkel, bevor er sich nach hinten lehnte, um sowohl Narutos Blick, als auch dieser Unterhaltung zu entkommen. Sein Blick wanderte über die Seite des Bootes.    Naruto rutschte seitwärts; unbehaglich oder unsicher – beides. „Bist du okay? Sakura meinte, dass da irgendein Zeug ist, dass dein Netzwerk durcheinander bringt.“   Sowas in der Art…   Dieser Moment verlangte nach einer sofortigen Bestätigung, was bedeutete, dass er Naruto denselben Schwachsinn vorsetzen musste, den Sakura bereits aufgetischt hatte. Seufzend suchte der Schattenninja die langweiligsten und nichtssagendsten Brocken medizinischen Geschwafels heraus, an die er denken konnte. Hoffentlich würde Naruto den Appetit an diesem ganzen Drama verlieren, wenn es bedeutete, an medizinischem Fachjargon nagen zu müssen. Scheiße, Shikamarus Magen drehte sich bereits, wenn er nur daran dachte.    Shit…wie lange war mein Chakra schon so? Die ganze Zeit seit meinem Geburtstag? Schon vorher? Was habe ich verpasst? Wie zur Hölle konnte ich es verpassen? All diese Vorfälle, die ich als Schlafmangel abgetan habe…war das etwas völlig anderes?   Und ein Vorfall ganz im Speziellen schnellte aus seinem Unterbewusstsein herauf, um sich in einem Aufblitzen von Bildern über seinen Verstand zu rollen.    ‚Im Ernst Shikamaru. Versuch es.‘ Warme Finger pressten sich über sein Herz, Temaris Handballen ruhte dort und trug dasselbe Gewicht in sich wie eine Faust, die gegen seine Brust hämmerte. Nein, das war sein Herzschlag. „Trau dich“, sagte sie.    ‚Man kann einen Schatten nicht ins Licht zerren.‘   Sinnliche, petrolfarbene Augen wandten sich ihm zu und zogen sich katzengleich zusammen. ‚Du hast Angst.‘   ‚Wenn du das sagst.‘   Ihre Berührung fiel von seiner Brust und er konnte wieder leichter atmen…bis ihre Worte hervor krochen und ihn packten. ‚Die Hölle ist ein Paradies, wenn man selbst der Teufel ist, Shikamaru. Verweile nicht zu lange in deinen Schatten. Denn ansonsten bekommst du vielleicht einen Geschmack von etwas noch Dunkleren.‘   Seine Lippen teilten sich um ein Schmunzeln. ‚Ich-‘   Und hier begann die Erinnerung zu taumeln wie ein fehlerhaftes Video, ein beschädigtes Band, das die Szene verzerrte und das Geräusch seiner Stimme verdrehte. Es übersprang das, was auch immer zur Hölle er ihr als Antwort gesagt hatte.    Nein. Warte. Was verdammt nochmal habe ich gesagt?   Er konnte sich nicht erinnern, konnte es nicht zurückspulen…konnte nur Temaris Erwiderung lauter drehen; ihre leisen Worte verstärkt von der Leere seiner verlorenen Antwort und sie trugen dieselbe Wachsamkeit – dieselbe Warnung – in sich wie ihre Augen…   ‚Was deine Dunkelheit wahrscheinlich nur noch gefährlicher macht als die von irgendjemandem sonst, solltest du zulassen, dass du fällst.‘   Die Erinnerung brauchte fünf Sekunden, um sich abzuspielen. Aber auf der anderen Seite dieser fünf Sekunden lag ein Schweigen, das dafür sorgte, dass sich Narutos Brauen besorgt zusammenzogen. Nicht, dass Shikamaru das bemerkte, außer mit den periphersten seiner Sinne.    Obwohl er Naruto direkt ansah, starrte er durch den anderen Ninja hindurch, die Augen in einem blanken Stieren eingefroren, als er seinen Verstand nach den fehlenden Bildern in der Filmrolle der Erinnerungen absuchte.    Was zur Hölle habe ich zu ihr gesagt?   Oder noch wichtiger; warum zur Hölle hatte sein Hirn ausgerechnet diese Erinnerung gegen die große, blanke Leinwand in seinem Geist projiziert? Hatte er nicht mit Neji gekämpft, als sein Chakra so aus der Reihe getanzt war?   Naruto lehnte sich nach vorn und berührte ihn am Knie. „Shikamaru?“   Bei der Berührung zuckte der Schattenninja zusammen und begegnete Narutos Blick mit weiten Augen, während er spürte, wie sein Fokus wie ein Gummiband zurückschnappte, um sein Hirn aus dem Stillstand zu katapultieren.    Was hatte Naruto ihn noch gleich gefragt?   Rapide blinzelnd öffnete er die Lippen um zu sprechen, nur um festzustellen, dass sich seine Antwort wie eine Gräte in seiner Kehle verkeilt hatte. Sein Mund war auf einen Schlag ausgetrocknet, seine Handflächen klamm. Stirnrunzelnd bemühte er sich, die Vision von Temaris besorgten Augen zu verdrängen und stattdessen die Worte ‚pyrogenes Toxin‘, ‚Thermoregulationssystem‘ und ‚Hyperthermie‘ in einem kohärenten Satz miteinander zu verbinden.    Ein Schatten rettete ihn.    Er fiel wie eine schützende Schwinge über Shikamaru und zog Narutos Aufmerksamkeit hinauf zu der Gestalt, die sich bewegt hatte, um diesen Schatten über den Nara zu werfen. Durch das Licht in eine Silhouette geschnitten, ragte Neji wie eine Sonnenfinsternis über ihnen auf und seine mondweißen Augen sahen mit einer Schwerkraft nach unten, die Naruto sofort effektiver von Shikamaru fort zerrte als irgendwelche Worte, die er vielleicht gesagt hätte – obwohl er sie trotzdem aussprach.    „Ich brauche einen Moment mit Shikamaru.“   Naruto spähte ihn schief an und seine Mundwinkel sackten bei dem flachen und kompromisslosen Starren des Hyūga nach unten. „Mann, das ist wieder genau wie in Hanegakure“, murrte der Uzumaki, während er sich auf die Füße stemmte. „Ich beide macht das ständig.“   Shikamaru und Neji tauschten einen flüchtigen Blick aus und weiße Augen zuckten genervt, als Belustigung an Shikamarus Lippen zupfte. Scheiße, das hier lustig zu finden war besser, als deswegen auszurasten – nicht, dass es irgendetwas gäbe, wegen dem man ausrasten könnte, da niemand etwas ahnte.    „Was auch immer“, grummelte Naruto und schlurfte mit der mürrischen Miene eines Kindes davon, das gerade aus dem Baumhaus der geheimen Treffen geworfen worden war. An Nejis Schulter hielt er inne und warf Shikamaru einen schlitzäugigen Blick über die Schulter hinweg zu. „Erinnert euch nur daran, wenn ihr euer böses Genie-Aushecken macht, dass ich nicht Köder für irgendwelche Psychovögel spielen werde.“   Die Lippen gegen ein Schmunzeln zusammengepresst tippte sich Shikamaru mit den Fingern in einem spöttischen Salut gegen die Stirn.    Geduldig wartete Neji, bis der Uzumaki außer Hörweite war, bevor er sich in Bewegung setzte, um den freien Platz einzunehmen; die ganze Zeit über hielt er seine Augen auf Shikamaru gerichtet. Für einen Moment strich nur die Brise zwischen ihnen hindurch, warm und summend und erfüllt von den reichen Blätterdüften der verhedderten Baumkronen und blühenden Vegetation des Flussufers.    Schöner anzuschauen, wenn wir uns nicht da durch hacken müssen…   Er sah zu, wie das Sonnenlicht funkelte, in einer Myriade aus Grün die Szenerie erhellte und die hölzernen Wurzelfasern ausbleichte, die wie Quasten über das Wasser hingen und in einem nassen Kratzen über das Boot strichen…wie Krallen und Klauen. Stirnrunzelnd suchte Shikamaru das jungfräuliche Ufer nach versteckten Schnauzen und gelben Augen ab, erspähte aber nur eine Wolke aus Insekten, die sich in einem konzentrierten Tanz um einen Bienenstock bewegten. Bei dem leisen, dröhnenden Summen zuckte er leicht zusammen, da es ihm eine wenig angenehme Erinnerung von höllischen Pfaden durch dieses wimmelnde Unterholz in den Sinn brachte.    Trotz aller Schönheit, war es undurchdringbar und feindselig…   Unberührbar…   Und bei diesem Gedanken schnitt Shikamarus Aufmerksamkeit scharf zu Neji und sein Blick traf flüchtig auf die kühlen, weißen Augen. Bei dem Kontakt beschlugen sie wie Spiegel und vernebelten welche Emotionen auch immer, die sich vielleicht hinter der polierten Oberfläche abspielte. Rauch und Spiegel – war das nicht ihr übliches Spiel? Shikamaru war der Rauch. Neji war der Spiegel.    Ja. Ein Einwegspiegel…ich war mal so verdammt gut darin, ihn zu lesen…   „Hast du darüber nachgedacht, was ich gesagt habe?“, fragte Neji plötzlich und ohne Einleitung.    Seine Traurigkeit maskierend wanderte Shikamarus Blick zu der Mitte des Bootes, wo der Rest des Teams saß. Seine Brauen zogen sich leicht zusammen, als er alle Seiten seiner Entscheidung absuchte und die Risiken abwog, sollte er sie nicht befolgen.    Bedächtig nahm er die Szene in sich auf und ließ seine Augen nacheinander über jeden Einzelnen gleiten.   Sakura saß am Rand der Bank und ihre pinken Strähnen klebten an geröteten Wangen, während sie sich mit einem von Sais Büchern Luft zufächelte. Während der Künstler verloren auf sein beschlagnahmtes Lesematerial stierte, hockte Naruto hinter seiner rosahaarigen Teamkameradin und versuchte, den Kiefer so über ihre Schulter zu schieben, dass er etwas von der Brise einfing.    Er wird sich jeden Moment ihre Faust einfangen…   Tenten schien seine Vorahnung zu teilen, denn ihre Augen funkelten belustigt über die Possen des Uzumaki, während sie ihr Kunai polierte und Shinos Schoß als behelfsmäßigen Tisch für ihren Allzweckgürtel nutzte. Insekten krabbelten spielerisch über die schimmernden Klingen. Der Aburame hingegen hatte sich in die steife Kapuze seines Mantels zurückgezogen und mit nach unten gezogenem Kinn gegen die Rückseite der Bank gelehnt. Er hätte dösen können, aber das animierte Geplapper seines Hundeninja-Kameraden löste immer wieder ein gelegentliches Kopfschütteln oder ein phlegmatisches Grunzen an. Und während Chōji darauf bedacht zu sein schien, die wie auch immer geartete Geschichte zu ermuntern, die Kiba ihnen erzählte, saß Ino einfach nur da und kämmte mit den Fingern ihren langen, seidigen Pferdeschwanz, bevor sie ihn elegant über die Schulter schwingen ließ, um ihn Kiba ins Gesicht zu klatschen und ihm mitten in einer wilden Gestikulierung das Wort abzuschneiden.    Akamaru bellte.    Das Boot schaukelte.    Lachen brach aus, obwohl der hohlwangige Kapitän missbilligenden von achtern schnaubte.    Shikamaru brauchte keinen weiteren Schnappschuss der Szenerie, um das Gesamtbild zu bewahren, von dem er wusste, dass er es im Kopf behalten musste. Mit seiner Aufmerksamkeit auf Ino und Chōji gerichtet nickte er und drehte dann langsam den Kopf, um Nejis Blick zu begegnen.    „Kein Ninjutsu“, sagte er und blies die Backen auf. „Schätze, dass ich damit klar komme.“   Neji erwiderte nichts, sondern beobachtete ihn nur mit diesen steten Opalaugen. Es war schwer zu sagen, ob es Zweifel war, der im Schweigen des Jōnin lag oder etwas vollkommen Deprimierendes.    Shikamaru versuchte sich an einem Lächeln. „Was hast du erwartet? Ein Tantrum? Zweihundert Gründe, warum das eine schlechte Idee ist?“    Nejis Lippen zuckten trocken. „Kannst du mir denn genauso viele Gründe geben, warum es das nicht ist?“   „Nur ein einziger Grund ist von Bedeutung. Die Mission, oder nicht?“   Verdammt. Er hatte es nicht als Herausforderung gemeint, aber hier lag sie zwischen ihnen; eine rostige Klinge, die er bereits vor Monaten in Nejis Rücken gerammt hatte.    Scheiße…   Schuldgefühle hielten stur ihre Stellung auf dem Spielbrett und machten Züge, bevor Shikamaru einschreiten konnte. Vielleicht schwebte Hanegakure noch immer zwischen ihnen wie blutgetränkte Federn im Wind. Neji mochte ihm vergeben haben; aber er hatte nicht vergessen.    Ja…und trotzdem gibt er dir die Vorwarnung, die du ihm nie gegeben hast…   Zumindest nicht direkt. Sicher, er hatte hingewiesen und er hatte angedeutet, aber er hatte es niemals ausgesprochen bis zu diesen letzten, finalen Sekunden. Sekunden, die sich für immer und ewig in Shikamarus Verstand geätzt hatten. Das trutzige Peitschen von Nejis Chakra, das langsame Drehen und Kollabieren, als er in einem Krater zusammenbrach, der sein Grab hätte sein können.    ‚Du hast mich umgebracht…bevor es das schaffen konnte.‘   Mit verkrampftem Kiefer strich sich Shikamaru mit einer Hand über den Mund und rieb hart, bis seine Lippen stachen. Und Neji beobachtete ihn dabei; schien die Worte zu lesen, von denen er sich nicht dazu bringen konnte, sie auszusprechen.    „Du rennst in die falsche Richtung, Shikamaru.“   „Jo, eine Meile in der Minute in die Vergangenheit“, gestand der Schattenninja und machte sich keine Mühe, das zu verbergen. Nejis Augen fixierten ihn lange, bevor er dem Blick ausweichen konnte – ein Blick, der Shikamaru lange genug gefangen hielt, um die Ketten dieses unbrechbaren Bedürfnisses zu spüren, die an seinem Herzen zerrten. Kopfschüttelnd seufzte er. „Fuck. Du killst mich mit dieser Heiß und Kalt Scheiße.“   Neji blinzelte mit einem ehrlichen Ausdruck der Überraschung, der etwas von dem Granit aus seinem Gesicht meißelte; ein winziger Riss zwischen seinen Brauen, bevor seine Miene wieder einfror. „Was?“   In jedem anderen Fall hätte sich Shikamaru vielleicht über diesen Ausrutscher gefreut; über diese Reaktion. Zu blöd nur, dass er sich dabei nur fühlte, als hätte er einen total miserablen Schuss abgegeben, der von Nejis diamantenen Defensiven abgeprallt war und ihn selbst direkt in die Schläfe getroffen hatte.    Super gemacht, Genie.    Jetzt war weder die Zeit noch der Ort für diese Unterhaltung. Um die Wahrheit zu sagen, war er sich überhaupt nicht sicher, ob er sie überhaupt führen wollte. Vermeidung war an allen Fronten sicherer…und dennoch war er hier an der Frontlinie, an der schneidenden Kante der Dummheit, fuchtelte mit den Armen und machte sich selbst zum Ziel. Keine Defensive, kein Spielplan, nur der Pfusch, Silber anzustreben.    Was wird nötig sein, du Volltrottel? Noch eine gar nicht so sanfte Faust, die dich zurück ins Spiel prügelt?   Das Spiel. Die Lüge. Die großartige Täuschung. Aber er konnte mitspielen. Er brauchte nie eine Maske. Nur das richtige Manöver.   Jo. Weil ich gut darin bin…   Shikamaru schob seine Hände über die Schenkel und bewegte sich rasch, um wieder Boden gut zu machen, der nicht unter seinen Füßen nachgeben würde. „Ich brauche kein Ninjutsu, um Strategien auszuarbeiten“, sagte er und versuchte sein Möglichstes, seine Miene gefasst und neutral zu halten wie seine Stimme. „Ich sage es den anderen.“   „Das musst du nic-“   „Doch. Das muss ich. Es wird besser sein, wenn es direkt von mir kommt. Vertrau mir hierbei.“ Er seufzte. „Lass uns dieses Gespräch mit dem Kusa Konzil oder was auch immer führen und dann sehen wir weiter. Klingt das nach einem Plan?“   Eher wie eine Einladung, verflucht noch mal von diesem massiven Krater zurück zu treten, den seine vorherigen Worte zwischen ihnen geöffnet hatten. Neji schwebte am Rand dieses Abgrunds und bedachte ihn ohne zu Blinzeln mit einer Untersuchung, die mit weiterer Stille und einer ganzen Menge Ärger drohte.    Gönn mir `ne Pause, Hyūga…   Nicht, dass er das verdient hätte. So blind zu schießen, vielleicht darauf hoffend, Nejis Groll zu beenden, den er gegen offenbar gegen ihn hegte…oder noch besser, vielleicht einen Nerv zu treffen und die Taubheit aus diesen blassen Augen zu vertreiben…Augen, die inzwischen so verdammt schwer zu lesen waren. Wenn er daran dachte, dass diese Augen ihn nur vor wenigen Tagen mit solch nackten Emotionen angesehen hatten; mit solch einem sehnenden Bedürfnis.    Ja…und das hast du mehr als nur ausgenutzt, oder nicht?   Nicht sein stolzester Augenblick. Aber selbst, als er das alles jetzt im Rückblick betrachtete; er bereute es nicht. Verdammt. Von all den Zügen, die Neji machen konnte, waren diese ‚ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück‘ Manöver die schlimmsten.    Sprichwörtliche Pattsituation…   Eine Pattsituation, das dafür sorgte, dass Shikamaru zwischen viel zu vielen Strategien feststeckte und überhaupt keinen Schimmer hatte, wofür zur Hölle er sich entscheiden sollte. Angriff oder Verteidigung? Denken oder Fühlen? Distanz schließen oder sie erschaffen? Eine konstante Veränderung des Untergrundes, die ihn viel zu sehr erschütterte, als dass er die Bodenhaftung finden könnte, um anzuhalten, nachzudenken und in die sicherste Richtung zu rennen.    Bastard…   Er hasste es. Hasste Neji vielleicht ein bisschen – vielleicht sehr – weil er ihn in so eine verwirrende und beschissene Position gebracht hatte. Schon wieder. Hasste es, dass es ihn sowohl hirntot, als auch defensivlos zurückließ; völlig ungeachtet der Distanz. Schon wieder. Hasste es, dass er sich dadurch in die Ecke gedrängt und zornig fühlte und nur ein Schnappen davon entfernt, in die Offensive zu gehen. Nun, das war neu.   Nicht so wie sonst…   Und es sah ihm so gar nicht ähnlich…aber immer mehr mit jedem Mal, wenn sie zu diesem Ort kamen. Diesem Niemandsland. Eine Sackgassenkonfrontation, die ihn dazu zwang, anzugreifen, denn er konnte nicht länger vermeiden…ganz anders als Neji, dessen Hyūga Schilde sich in einer undurchdringlichen Mauer aus Eis aufrichteten.    Ich konnte das ja schon letzte Woche kaum tun…wie zur Hölle soll ich es jetzt tun?   Er hatte nicht länger die Kraft, diese Mauern einzureißen…   Es brauchte ja schon alles, was er hatte, einfach nur seinen eigenen Stand halten zu können…   Vielleicht bemerkte Neji die Müdigkeit hinter seinen Augen, oder vielleicht hielt das Schicksal ihren harten Schlag zurück, denn der Hyūga wich zurück. Nachsichtig hob Neji das Kinn und umschiffte das massive Loch mit einem langsamen Nicken, um den Schattenninja auf halbem Weg zu treffen. „Na schön, Nara“, antwortete er mit dieser kühlen, obligatorischen Professionalität und lehnte sich geradezu auf das Nara, bevor er die Hände gegen die Schenkel stemmte und begann, sich aufzurichten. „Dann sehen wir weiter.“   Knapp. Abgehackt. Fröstelnd wie eine steife Winterböe. Shikamaru versteifte sich auf seinem Platz, als plötzlich, dämlich, der Gedanke daran, dass Neji noch weiter hinter diese undurchdringliche Mauer der Notwendigkeit und Indifferenz driftete, einen Schauer eiskalter Panik die Muskeln in seinen Schenkel entlang jagte.    Zur Hölle?   Es war nicht so, als hätte er nicht schon vorher zusehen müssen, wie Neji fortlief. Wieder und wieder.   Reiß dich zusammen.   Er versuchte es. Strampelte wie wild, um nicht auf dem Eis auszurutschen, das Neji so vehement zwischen ihnen halten wollte. Fühlte das Stottern seines Herzschlags und wie dieser ruhige, rationale Teil seines Verstandes plötzlich taumelte und zappelte wie ein Hirschkalb auf wackeligen Beinen…nur ein Schwanken von einem Fall entfernt.   Und dann, wie aus dem Nichts – oder zumindest von nirgendwo, wohin er gehen konnte – Asumas Stimme…   ‚Ich werde dich nicht fallen lassen. Ich werde dich nicht damit allein lassen!‘   Das Eis unter Shikamarus Füßen bekam Risse…Gott…vielleicht bekam auch noch etwas anderes Risse…   Er krümmte sich nach vorn, als wäre ihm übel und seine Kehle schnürte sich zu, doch seine Stimme brach sich trotzdem verzweifelt Bahn und geriet heftig in einem Schluckauf ins Stocken. „Neji…“   Schon auf halbem Weg von seinem Platz hielt Neji inne, den Körper leicht geneigt und seine Augen schwangen nach oben, auch wenn Shikamaru niemals den Ausdruck voller Emotionen sah, der auf dem Gesicht des Hyūgas erstarrte. „Shikamaru?“   Da er allem beraubt war, das er hätte sagen können, geschweige denn, dass er irgendeinen Bullshit zu verkaufen hatte, stierte Shikamaru sprachlos auf das sonnengebleichte Deck und hatte die Finger krampfig in einem knochenweißen Griff um die Kante der Bank gekrallt. Nichts wollte funktionieren. Nicht sein Verstand. Nicht sein Mund. Sich selbst aus einer solchen Klemme herauszudenken war noch nie so gottverdammt schwer gewesen. Aber auf der anderen Seite waren Emotionen – wie er immerzu behauptete – niemals eine Kopfsache…was es aber überhaupt nicht einfacher machte, diese Enge in seiner Brust zu fühlen…es nicht einfacher zu richten machte…nicht einfacher zu vergessen machte…   Asuma…   Trauer, so unerwartet wie immer, hatte keinerlei Respekt für Privatsphäre, oder Timing, oder irgendwelchen gesichtswahrenden Mist.    Aber Neji schon.    Ohne irgendeine Unbeholfenheit oder auch nur das geringste Zögern, verwandelte der Hyūga sein Erheben in eine geschmeidige Drehung und setzte sich neben Shikamaru, um den anderen Ninja in seinen schützenden Schatten fallen zu lassen. Er sagte nichts, fragte nichts…was eine verdammte Menge aussagte in einer Sprache, die keine Zungen brauchte.    Nur eine Berührung…   Nejis Finger ruhten in seiner Armbeuge und drückten kurz zärtlich zu.    Gott…   Shikamaru sog einen scharfen Atemzug ein und lehnte sich mit den Ellbogen auf den Knien nach vorn, während er den Kopf in seine Hände drückte. Er spürte, wie sich Neji zusammen mit ihm nach vorn beugte und seine Bewegung spiegelte, um ihn vor den anderen abzuschirmen und die Welt und all ihre Erwartungen in Schach zu halten, während Shikamaru am Rande einer Trauer schwankte, in die er sich immer noch nicht fallen lassen durfte.    Ich kann mich nicht dorthin begeben…bitte lass mich nicht dorthin gehen…   Er musste es nicht sagen…obwohl er sich fragte, ob er es denn getan hatte…genauso wie er sich fragte, wie zur Hölle Neji durch diese Stille bei ihm hatte bleiben können und wie er ihn beruhigte und von diesem Rand zurückholte, ohne ein einziges Wort zu sagen.    ~❃~   Genma sagte ein einziges Wort und wartete darauf, dass sich das Siegel löste.    Doch das tat es nicht.    „Verdammt.“   Während er vor diesen schimmernden Schiebepaneelen hockte, ging er mit den Messingschlüssellöchern auf Augenlevel, die in das dunkle Ulmenholz eingelassen waren. Die lackierte Maserung funkelte im Sonnenlicht und ein Hauch von Zitronenpolitur brannte stark und scharf in Genmas Name.    Polier so viel wie du willst, Mushi…es wird mich nicht davon abhalten, deine schmutzigen kleinen Geheimnisse auszugraben…   Zumindest unter der Voraussetzung, dass Genma überhaupt das Jutsu Siegel brechen konnte, das diese Paneele verschloss. Ein Drehen seines Senbons in diese schicken kleinen Schlüssellöcher klappte auf jeden Fall nicht. Fluchend hob er eine behandschuhte Hand, um sie nahe vor den Paneelen schweben zu lassen und sie über die zarten und leuchtenden Intarsien hin und her wandern zu lassen, die das Holz dekorierten.    Nicht für dekorative Zwecke…   Nein. Diese dünnen Spiralen und Wirbel enthielten Chakra. Eine verschwindend geringe Menge. Gerade genug, um das Siegel halten zu können.    Also warum dann Schloss und Riegel? Extra Vorkehrungen? Ein Vorgaukeln von Normalität?   „Hn. Doktor, Doktor, bist du etwa auch paranoid?“, murmelte er und strich mit einer Fingerspitze um die triezenden kleinen Schlösser, nur um dann innezuhalten und sein Blick erhellte sich angesichts eines dunklen Flecks am Maul des Schlüssellochs.    Genmas Brauen hoben sich ein kleines Stück.    Eine Stelle übersehen.   Er verlagerte das Gewicht und ließ das Licht des Fensters über seine Schulter fallen, um das Messing zu erhellen. Kaum bemerkbar wäre dieser winzige Fleck dem ungeübten Auge vielleicht entgangen. Er schien so unbedeutend zu sein, dass man hätte vermuten können, es wäre nur eine Beschädigung des Messings.    Genmas Lippen bogen sich grimmig.    Vermute niemals.   Er griff in die Tasche an seiner Hüfte, zerrte eine Phiole mit destilliertem Wasser, ein Päckchen Wattestäbchen und eine dünne Box mit Teststreifen aus Papier hervor. Während er sich mit der Präzision und Geduld einer forensischen Arbeit bewegte, zwang er seine Finger dazu, nicht zu zucken und befeuchtete eins der Stäbchen, bevor es gegen diesen suspekten Fleck drückte. Er löste sich rostig gegen die Watte. Die Probe gesammelt, zog er einen Papierstreifen mit gelber Spitze aus der Box und rieb das nasse Wattestäbchen gegen das farbige Ende.    Und dann wartete er.    Innerhalb von Sekunden verwandelte sich der Streifen von Gelb zu Grün.    Blut.   Ein langer Atemzug rauschte aus seiner Nase und nahm dabei die Hälfte seiner gesamten Energie mit sich. Kopfschüttelnd presste Genma die Lider aufeinander und rieb sich mit dem Handrücken über die klamme Stirn. „Klasse.“   Er brauchte Blut, um dieses Siegel durchbrechen zu können.    Mushis Blut.    Nur um die Theorie zu testen, führte er das grüne Ende des Streifens nach oben gegen die Intarsien im Holz. Das leichteste Schimmern in diesen leuchtenden Ley-Linien. Definitiv ein Blutsiegel.    Hurensohn…   Cleverer Hurensohn – ob nun paranoid oder nicht – Nara Shikamarus Akte hinter Schloss und blutigem Riegel zu halten.    Hat er erwartete, dass jemand kommen und herumschnüffeln würde?   Oder war Mushi bei all seinen Patienten so beschützend? Würde auch Genmas Akte dort sein? Hatte Mushi irgendwelche Querverbindungen gezogen? Zusammenhänge hergestellt? All die losen Punkte miteinander verbunden? Wenn ja, was genau hatte er lauernd in diesen psychologischen Mustern gefunden?    Trauma…   Eingesperrt in ein Schließfach. Gott…hatte Mushi versucht, es zu öffnen? Furcht zog sich in einer eiskalten Welle durch Genma und wusch etwas von seiner Gesichtsfarbe fort. Blass und schwitzend fuhr er sich noch einmal mit dem Handgelenk über die Stirn, während er energisch die Vermutungen und schlimmsten Szenarien bekämpfte…   Doch sie schlugen noch härter zurück…   Die Ältesten hätten Shikamaru von dieser Mission abziehen sollen…   Sicher, die Hokage hätte eine fragende Braue gehoben, aber es war nicht so, als hätte das Konzil nicht genügend Bullshit, um das umschiffen zu können. Hyūga Neji mit in diese Gleichung zu werfen, hatte sie nicht ausbalanciert. Er war ein ANBU Anwärter, kein Veteran. Sicher, der Junge war weit besser als der Rest, aber trotzdem…was, wenn irgendetwas an oder in Kusagakure eine Erinnerung in all diese ruinierten Schlüssellöcher in Shikamarus Verstand schob? Was zur Hölle würde aus diesem Schließfach heraus gekrochen kommen? Könnte Hyūga Neji wirklich damit umgehen? Oder würden sie KERN auf den Plan rufen?    Glück kann nicht eine derart abartige Bitch sein…   Oder vielleicht wurde sie mit jeder verstreichenden Minute abartiger und fraß sich satt an diesem Chaos.    Dein Chaos, das Chaos, das du aufräumen musst. Mach deinen Part. Shikamaru war jetzt für zwei Jahre in Ordnung.    Oder zumindest hatte es den Anschein gemacht. Immerhin war Shikamaru seit dem Vorfall auch bei anderen Chūnin Prüfungen dabei gewesen. Er war gegen Chimären und Killer angetreten. Hatte enorme Stresssituationen bewältigt, ohne wirklich in Schweiß auszubrechen. Er hatte sogar das emotionale Trauma des Verlustes seines Senseis durchlitten und trotz dieses Verlustes hatte er nur Stunden später die Mission ausgearbeitet, um diese Akatsuki Bastarde auszuschalten. Auf keinen Fall hätte er das machen können, wenn die Schrauben in seinem Kopf locker waren.    Also warum hat er Mushi dann aufgesucht?   Und wann genau? Vor zwei Jahren? Vor zwei Monaten? Als Asuma angefangen hat, herum zu stochern? All diese Fragen hingen schwer in seinem Verstand und schwangen zwischen Zweifel und Furcht hin und her.    Also sortier diese Scheiße, Shiranui. Komm dahinter. Richte es.    Stirnrunzelnd schob Genma das forensische Päckchen in die Tasche und spähte über die Schulter. Sein Blick wanderte über den Sofatisch, die Couch, die Hufeisenstühle. Hatte Shikamaru wirklich in einem dieser Stühle gesessen? Hatte er sich an etwas erinnert? Fragmente oder Gesichter? Genmas Gesicht? Oder schlimmer als das…   Naokis…   Der Schmerz kam so heftig, so schnell, dass Genma zurück zuckte, als hätte man ihn geschlagen.    ‚Siebenmal fallen, achtmal aufstehen…‘   Nach Luft schnappend fing er sich gerade kurz vor einem Kollaps und rappelte sich auf, wobei er unruhig auf dem ausgeblichenen Läufer auf und ab tigerte. Das komplizierte Seidengewebe hüllte den Boden ein wie ein Wandteppich. Die eingedrehten Paisley Muster wirbelten vor Genmas Augen und schienen mit jeder Drehung und jedem Umkehren eine kaleidoskopartige Qualität anzunehmen.    Er hörte auf zu laufen.    Der Boden bewegte sich weiter und die Welt mit ihm.    Scheiße…   Er legte seine zitternden Handballen auf seine Augen und presste hart gegen die pochenden Höhlen, während er darum kämpfte, sein nach Drogen hungerndes Hirn auf Spur zu halten.    Ich werde mir das Blut bei der heutigen Nachmittagssitzung besorgen.    Was bedeutete, dass er endlich seinen Arsch aus diesem herzzerreißenden Bammel treten musste, sodass er sich fokussieren konnte. Er brauchte Dukkha. Und er brauchte es schnell. Er ließ seine Hände zu den Hüften sinken und stierte angestrengt auf die Paneele, bevor er einen raschen Blick auf die antike Uhr warf.    Der Minutenzeiger tickte auf halb acht.    Er hatte noch genug Zeit, um bei Mizugumo vorbei zu schauen – musste sich nur in Bewegung setzen.    Beweg dich jetzt.   Einen weiteren flüchtigen Schwung durch das Zimmer und sechs elektronische Wanzen später, bewegte sich Genma im Zeitraffer aus dem Fenster und über die Dächer hinweg, als er seiner Wohnung entgegen hetzte. Seine Füße berührten kaum den Boden und ließen sich nur kurz darauf nieder, um ihn weiter in die Luft zu schleudern. Zeiten wie diese kamen dem Fliegen nahe. Aber nicht nahe genug. Nur Pillen gaben ihm diese Art von Flügeln.    Jo, hoff mal lieber darauf, dass du auch das Geld zum Fliegen hast…   Er hatte noch genug Bargeld für vielleicht die Hälfte seines üblichen Schusses. Mizugumo würde keine Fragen stellen, aber sie würde diese ungewollten Perlen der Weisheit oder Worte der Warnung in die Geschenktüte packen. Verschwendete Liebesmüh. Bei der Rate, in der die beiden ihr Geschäft abzogen, fing Genma langsam an zu denken, dass er eigentlich eine Art Treuerabatt bei der verrückten Hexe verdient hatte.    Gerissen, nicht verrückt…   Oder vielleicht eine potente Mischung aus beidem. Diese Frau verstörte ihn, beunruhigte ihn und das auf einer tief atavistischen Ebene. Keine leichte Aufgabe, das zu bewerkstelligen, wenn man das Level an Unruhe bedachte, für das er schon so lange taub geworden war; seine Nerven so kalt wie die Nadel zwischen seinen Zähnen.    Und dann fingen seine Nerven Feuer.    Ein warnendes Kribbeln über seine Wirbelsäule.    Etwas flog über ihn hinweg, Schatten strichen über die Dachziegel unter seinen Füßen.   Genma hörte auf zu rennen und kam ruckartig auf einer geräumigen Dachterrasse zum Stehen, die nur wenige Blocks von seiner Wohnung entfernt war. Kaum hatte er sich aus seiner Hocke aufgerichtet, da fielen schon sechs Shinobi um ihn herum nach unten wie Pfeile aus dem Himmel und schnitten seine Auswege ab.    Alle sechs trugen die grauen Anzüge der Folter und Verhör Abteilung.    Was zum…?   Ein Mann trat nach vorn; jung im Gesicht, aber gebaut wie ein Schläger – ein Schauspiel von Haltung. Seine Knöchel waren vernarbt. Die Nase saß ein wenig schief. Ganz eindeutig ein Typ der praktischen Sorte. „Shiranui Genma, du musst mit uns kommen.“   Energisch widerstand Genma dem Drang, unverschämt zu werden und hob stattdessen eine Braue. „Was soll das?“   Schläger sagte gar nichts, sondern stierte nur auf das Senbon, das auf seinen Kopf gerichtet war.    Genmas Lippen verzogen sich zu einem Lächeln kalt wie Eis. „Mein Rang ist dicker als deine Eier, Kleiner. Beantworte meine Frage oder verpiss dich.“   Eine Frau hinter ihm ergriff das Wort. „Shiranui-san. Würdest du mit uns kommen, bitte?“   Bitte? Na das war doch mal süß. Genma drehte den Kopf und linste aus dem Augenwinkel zu der Kunoichi, wobei er den Moment nutzte, um auch noch gleich die anderen vier Agenten zu mustern. Alle F&V. Alle angespannt auf den Fußballen stehend – als würden sie erwarten, dass er einen Durchbruch versuchen würde.    Schläger stand nah genug, um gierig zu werden.    Die anderen hingegen hielten Abstand – wachsam, beobachtend, auf einen Angriff wartend.    Genma konnte die Anspannung geradezu schmecken; ein Schnappen und Knistern von Chakra direkt unter der Oberfläche von ruhiger, kühler Professionalität.    Tja, Scheiße…   Weiße Flaggen durchtränkten sich ziemlich schnell mit Rot und Genmas Verstand machte einen Kurztrip von Unbeholfenheit über Genervtheit zu nervenaufreibendem Alarm. Dieses kleine Herbeirufen war keine Einladung. Schläger war bereit dazu, die ganze Situation unter Druck zu setzen und er hatte Unterstützung.    Genmas Augen verengten sich zu Schlitzen.    Es war nicht die Menge an Muskeln, die ihm Sorgen bereitete. Es waren die Mechaniken, die hinter dieser Szenerie am Werk waren. Nur ein einziger Mann konnte das hier initiiert haben. Und da er diesen Mann kannte, hatte der mehr als wahrscheinlich alle möglichen Winkel abgedeckt – genauso wie seinen Hintern.    An jedem anderen Tag wäre Genma vielleicht amüsiert gewesen.    An jedem anderen Tag hätte er Ibiki vielleicht einen harten Kampf geliefert. Aber wie Raidō immer sagte, war Zeit Geld – und das war Genma gerade ausgegangen.    Einen Fehltritt kann ich mir hier nicht leisten…   Er musste bereits ziemlich übel ins Stolpern geraten sein, da sich dieses ganze Drama überhaupt abspielte. Die Frage war nur – wie vorgehen? Genma brauchte nur ein paar Sekunden, um die Szenarien gegeneinander abzuwägen.   Verdammt…   Gewalttätig zu werden, würde ihm nichts bringen. Seinen Rang auszuspielen war für ihn prinzipiell ein No-Go. Die schiere Tatsache, dass das hier überhaupt passierte, ließ darauf schließen, dass Ibikis Team aus zugeknöpften Guerillas einen Grund hatte, um den hässlichen, administrativen Bullshit zu überspringen. Sie mussten sich nicht erklären. Beleidigungen oder Einschüchterungen waren Morinos Spiel. Eine Aussage, kein Vorschlag: sei lieb, Genma, oder ich werde Mami und Papi sagen, dass du ein böser Junge warst.   Und besagte Eltern waren die Ältesten.    Elender Hurensohn…   Genma drückte seine Zunge gegen das Senbon, bis er Blut schmeckte. Zu blöd, dass es Ibiki nur direkt in die Hände spielen würde, sollte er diese Witzfiguren angreifen. Kein Zweifel, dass der Sadist genau darauf pokerte und hoffte, Genma würde ausrasten und sich in dem Bemühen austoben, zu beweisen, wessen Schwanz jetzt eigentlich größer war.    Er schmunzelte grimmig bei diesem Gedanken.    Heute nicht, Morino…   Scheiße, ausgerechnet heute. Gekonnt hielt Genma die Panik und den Zorn aus seinen Augen fern und legte die hölzerne Miene auf, die sein Gesicht bereits seit ANBU Tagen maskierte. Dann nahm er das Senbon von den Lippen und steckte es weg. Schläger entspannte sich und die Starre verließ seinen Körper – eine Annahme, die ihn sehr teuer zu stehen gekommen wäre, wenn Genma wirklich geplant hätte, anzugreifen.    Hn. Richtig dummer Zug, Kleiner.   Doch zum enormen Glück von Schläger und dem restlichen Team, lehnte sich Genma gelassen auf den Fersen zurück und fort von der Kante der Konfrontation. Doch selbst als er das tat, spürte er, wie etwas Kostbares und Dringliches unter seinen Füßen bröckelte.    Zeit.   _________________ Heyho ihr Lieben :) Zu dem Kapitel will ich eigentlich gar nicht so viel sagen, nur das Genma auf jeden Fall immer mehr in der Klemme steckt :/  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich sehr über ein paar Worte freuen *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 18: Gut-instinct over genius ------------------------------------ Wir liegen gut in der Zeit.   Auch wenn es ihm der Kapitän nicht bereits versichert hätte, wusste es Neji mit Gewissheit. Ihr Zielort befand sich bereits in Reichweite seiner Augen. Er schätzte die Distanz ein, verlagerte seinen Fokus und sein Gewicht. Als er zum Bug schritt, zog sich seine Byakugansicht zurück und scannte die umliegenden Klippen, die zu beiden Seiten des Flusses aufragten und von gigantischen Felswänden gesäumt waren.    Ein Käfig der anderen Art…   Nejis Augen verengten sich bei diesem Gedanken und die Venen an seinen Schläfen zuckten.   Unbeirrt segelte das Boot weiter, vorwärts gezogen von der Strömung; eine Empfindung gar nicht so unähnlich dem, wie er sich fühlte. Sein Körper kontrolliert von Kräften, die jenseits seiner Kontrolle lagen; navigierten gefährliche Wasser, die stetig um diese einsame Insel in seiner Brust anstiegen. Ein Ort, der von Mauern eingeschlossen war, die ebenso wild und unnachgiebig waren wie die auftürmenden Klippen.    Wände innerhalb von Wänden, Zahnräder innerhalb von Zahnrädern.   Die Analogie war von ANBU entworfen worden. Die Wände waren beständig, in konstanter Kontrolle. Und die Zahnräder waren immer in Bewegung und arbeiteten, um das Wasser draußen zu halten.    Wasser war Emotion.    Wasser war Schwäche.    Wasser war das Gefühl, das durch ihn gejagt und gegen die Felsen in ihm gebrandet war, als er neben Shikamaru gesessen hatte. Ein so grausamer Test, dass er von Ibiki hätte entworfen worden sein können. Dieser Stille, dieser Nähe standzuhalten – ohne ein einziges Wort…nur um zu fühlen, wie sich der Fluss von Kommunikation nichtsdestotrotz wie immer zwischen ihnen bewegte…   Nein. Nicht wie immer…   Ja. Es hatte sich stärker angefühlt als zuvor…diese Fähigkeit, sich gegenseitig zu lesen, sich zu erkennen und aufeinander anzusprechen. Dieses zweischneidige Schwert seines Trainings; all dieses Feinstimmen, all dieses Polieren und Schärfen. Und jetzt wandte sich diese Klinge, in die er seine Sinne verwandelt hatte, sich selbst zu, um alle Schleier und Lügen fort zu schneiden und Wahrheiten offen zu legen, für die ihr er lieber blind geblieben wäre, wenn es um Shikamaru ging.    Ich habe schon immer gesagt, dass du ein Schatten im Dunkeln bist, Nara…   Immer diese scharfsinnigen und cleveren Schritte voraus; gerade so außerhalb von Nejis Reichweite.   Aber jetzt?   Jetzt, ohne die Blindheit seiner früheren Rage, ohne die Dunkelheit seiner eigenen Verleugnungen, besaß er eine erschreckende Klarheit des Verstandes und der Vision, die er noch nie zuvor erlebt hatte.    Es ist anders…alles ist anders…   Jetzt, wenn er in die Schatten in Shikamarus Augen sah, was zur Hölle würde er dort finden? Und wenn, oder falls er fand, wofür er immer so blind gewesen war, wie viel höher müsste Neji dann eigentlich diese Mauern in sich ziehen? Wie viel härter würde er eigentlich noch werden müssen, nur um tun zu können, was notwendig war?    Du vermutest zu viel. Du weißt gar nichts, außer von der Instabilität seines Chakras.   Nicht wirklich. Er wusste mehr. Er wusste einiges mehr. Nur, dass all dieses Wissen in den Wassern existierte…nicht innerhalb der Wände, nicht innerhalb der Zahnräder.    Und das ist auch der Ort, wo ich es halten muss. Wo ich ihn halten muss.    Stumpfe Nägel bissen sich in seine Handflächen und Neji presste die Lider aufeinander, als sich die Byakugan Venen an seinen Schläfen glätteten. Energisch versuchte er, die Wellen aufzuhalten, die drohten, über sein Gesicht zu spielen. Er hatte nicht den Luxus, jetzt seine ANBU Maske aufzusetzen, aber man hatte ihm gesagt und beigebracht, ihre Regungslosigkeit innerhalb eines Wimpernschlags zu simulieren; ungeachtet der Wasser, ungeachtet des Versagens von Wänden oder Zahnrädern.    Ich werde nicht scheitern.   „Episches Scheitern, was die Kameraderie angeht, Eure Hoheit. Immer noch so schmerzhaft für dich, huh?“   Nejis Augen öffneten sich auf Halbmast. „Ist das eine verschwendete Overtüre oder willst du irgendetwas, Inuzuka?“   „Essen“, erwiderte Kiba, als er sich auf dem Dollbord fallen ließ. „Weißte? Die Art, die nicht direkt aus meinem Hintern geschossen kommt, kaum, dass ich es geschluckt habe.“   „Wir werden früh genug von Bord gehen.“   „Ich habe gesehen, was da mit den Alligatoren abgegangen ist, weiß du.“   Diese Aussage schlug ein wie ein Kinnhaken und war dazu gedacht, den Moment aus dem Gleichgewicht zu bringen – zusammen mit Nejis Fassung. Der Hyūga hielt seinen Blick nach vorn gerichtet und seine Stimme ruhig. „Und?“   Langsam beugte sich Kiba nach vorn, um sich in Nejis periphere Sicht zu schieben. „Und Shikamaru hatte eine ziemlich gute Zielsicherheit für jemanden, der die Kontrolle über sein Chakra verloren hat. Mehrere Ziele so zu treffen, ohne dass ich ins Kreuzfeuer gerate? Das braucht Kontrolle.“   „Worauf willst du hinaus?“   „Ich sag nur, was ich gesehen habe. Ich erkenne eine raubtierhafte Attacke, wenn ich eine sehe.“   „Mit deinem einen guten Auge“, erwiderte Neji und wandte seinen Blick Kiba zu, um vielsagend auf das Hämatom von der Farbe eines verrottenden Pfirsichs zu stieren, das ein Auge des Hundeninjas umgab. „Ich habe gesehen, was passiert ist, Inuzuka. Und du warst zu diesem Zeitpunkt im Bestienmodus. Diese raubtierhafte Attacke – ob bewusst gelenkt oder nicht – hat dir das Leben gerettet.“   „Ich sag nicht, dass das nicht stimmt“, schoss der Hundeninja zurück und stand auf. Er lehnte sich nahe heran, setzte ein Grinsen auf, das viel zu viele Zähne zeigte und ein Knurren zupfte an seinen Lippen. „Ich mag ja vielleicht nicht deine Augen haben. Aber ich habe eine Nase, die Bullshit wittern kann. Und es liegt ein ekelhafter Hauch in der Luft, das ist alles, was ich sage.“   „Das sagt eine ganze Menge“, raunte Neji ohne Hitze oder Eis, unbeeindruckt von der Nähe und dem Druck, obwohl sich Kiba Mühe gab, jedes Bisschen seines animalischen Antagonismus in den Moment zu pressen. „Was beschäftigt dich?“   Blinzelnd zog Kiba über diese zivilisierte Antwort die Nase kraus. „Abgesehen von deinem ‚sei vernünftiger‘ Schwachsinn? Denkst du, ich falle auf dieses kleine passiv-aggressive Spiel rein, in das du mich verwickeln willst?“   Neji gestattete sich die leichteste Spur eines Schmunzelns. „Ich dachte, hier geht es um Shikamaru, Inuzuka.“   Das klopfte dem Wolf auf die Schnauze. Stirnrunzelnd lehnte sich Kiba zurück. „Tut es auch“, knurrte er, war aber irritiert darüber, so umgeleitet zu werden. Er wich einen weiteren Schritt zurück und ging von Angriff in die Defensive, während seine Tieraugen Neji wachsam musterten. „War es deine Idee, dass er mit seinem Chakra einen kalten Entzug macht?“   „Ja.“   Angesichts der Ehrlichkeit wurde Kibas Blick schärfer und sein Kinn hob sich ein Stück. „Dacht ich’s mir doch.“   „Es war mein Vorschlag und er hat zugestimmt“, führte Neji weiter aus und drehte sich ein bisschen, um das einzuladen, was auch immer der Inuzuka vielleicht zu dieser Ehrlichkeit, dieser Direktheit sagte oder tat. „Er hat euch erklärt, warum. Also was stört dich daran?“   „Bin überrascht, dass du ihm überhaupt eine Wahl gelassen hast.“   „Warum sollte ich nicht?“   „Hast du gestern auch nicht bei Amaguriamas.“ Kiba grinste ohne irgendeine Belustigung. „Für einen Kontrollfreak wie dich, hast du die fiese Angewohnheit, willkürlich deine Sanfte Faust in meine Freunde zu hämmern, wenn sie es am wenigsten erwarten, Hyūga. Da muss man sich schon fragen, was dich dazu gebracht hat, dich diesmal zurück zu halten.“   Die unterschwelligen Strömungen in diesen Worten flossen gefährlich durch die Wasser um Nejis Herz und warnte ihn vor Raubtieren, die von Instinkt statt Intellekt geleitet wurden. Und Kiba war ein solches Raubtier. Er brauchte kein Genie. Er hatte Bauchgefühl.    Und das dient ihm gut…   „Du bist immer noch sauer wegen Hanegakure“, sagte Neji, griff in die Vergangenheit und bewegte sich rasch, um alte Knochen auszugraben und Kiba so von seiner frischen Fährte abzubringen. „Oder vielleicht wegen Hinata? Oder vielleicht nutzt du noch immer deine Freunde als bequeme Ausrede dafür, dich gegen mich aufzulehnen.“   Diese Worte schnitten tief, durch den Streitpunkt und direkt bis zum Mark der Angelegenheit – Loyalität.    Kibas Nasenflügel bebten und ein wildes Licht flammte hinter seinen Augen auf; nur einen Funken von einer Explosion entfernt. „Mann, du bist schon ein Stück Arbeit, stimmt’s?“   „Und du befindest dich in einer einseitigen Fehde, Kiba. Ehrlich gesagt, wird es ermüdend.“ Bevor der Hundeninja zurück beißen konnte, trat Neji einen halben Schritt in den Raum des anderen Ninja, die weißen Augen von derselben fröstelnden Ruhe umrandet wie seine Stimme. „Du musst mich nicht persönlich leiden können, aber du wirst dich mir professionell unterordnen. Wenn du meine Verpflichtung gegenüber den Shinobi in diesem Team weiterhin angreifst oder in Frage stellst, dann werde ich dich so verdammt schnell von dieser Mission abziehen, dass du mit eingezogenem Schwanz zurück nach Konoha kriechst, ohne etwas vorweisen zu können außer eine Degradierung.“ Hier machte er eine Pause und sah zu, wie sich diese Worte wie Frost über das Feuer in Kibas Augen zogen. Er wartete noch eine weitere Sekunde, bevor er sich aus dem persönlichen Raum des Hundeninjas zurückzog und etwas von der Spannung unter dem Nullpunkt mit sich nahm. Sein Tonfall veränderte sich geschmeidig wie Eis in etwas weniger Arktisches, weniger Aggressives. „Ich will das nicht tun müssen, Inuzuka. Da Shikamarus Ninjutsu außer Kraft ist, betrachte ich dich als unersetzbar. Willst du mich wirklich zum Handeln zwingen und deine Kameraden kompromittieren, nur um einen Punkt zu beweisen?“   Gefangen zwischen zwei Instinkten stierte Kiba einfach nur und ein Muskel an seinem Kiefer zuckte heftig. Für eine weitere sture Sekunde hielt er die Stellung, bis sich das Temperament von einem Sieden zu einem Köcheln beruhigte und der Dampf seines Zorns in einem langsamen Strom aus seiner Nase schoss. „Irgendwann, Hyūga. Du und ich.“   Neji setzte den Millimeter eines Schmunzelns auf.    Grunzend ruckte der Kopf des Hundeninjas ein Stück zurück und seine Fersen folgten, während er mit einer Grimasse die Arme vor der Brust verschränkte. Keine Kapitulation, aber ein Waffenstillstand. Sein Kopf neigte sich in Richtung des restlichen Teams und sein Blick richtete sich auf Shikamaru. „Glaubst du wirklich, was Sakura sagt? Über diese Toxin Sache?“   Neji blinzelte, hielt seine Überraschung aber aus seiner Stimme fern. „Ich habe keinen Grund, an ihr zu zweifeln. Du?“   „Sitzt nicht so recht in meinem Bauchgefühl, Hyūga.“   „Du vermutest etwas anderes?“   Kopfschüttelnd schniefte Kiba hart. „Ich weiß nicht. Ist nur ein Gefühl.“ Seine Augen zuckten zurück zu Neji, als würde er den anderen Ninja herausfordern, zu spotten oder zu zweifeln. „Nicht gerade dein Gebiet von-“   „Erklär es mir“, unterbrach Neji ihn.    Überraschung machte sich nur einen Herzschlag vor Argwohn bemerkbar und Kibas Kopf neigte sich zu beiden Seiten in beinahe animalischer Nachdenklichkeit, bevor er seine Arme löste und das Wort ergriff. „Da in den Sümpfen, als Shikamarus Chakra komplett ausgeflippt ist…“ Er zögerte, spähte seitwärts zum Team und senkte die Stimme, damit sie unter das Dröhnen von Unterhaltung und das Gurgeln des Wassers fiel. „Bevor ich neben ihm das Bewusstsein verloren habe, habe ich einen Geruch an ihm wahrgenommen, den ich nicht gekannt habe.“   Nejis Eingeweide verknoteten sich. „Definier das.“   „Erinnerst du dich an dieses Nasen Upgrade, über das ich gesprochen habe?“   „Ja.“   „Naja, diese Vorteile kommen auch mit ein paar Problemen. Etwas, das mein Clan ‚Olfaktorische Überlastung‘ nennt. Wenn wir nicht lernen, diesen Schmarrn abzusichern, dann kann dieser abgefahrene Geruchssinn wirklich anfangen, dein System abzufucken, besonders, wenn es um Hormone, Pheromone und anderen Mist geht.“ Kiba schnitt eine Grimasse und rieb sich mit einem Knöchel unter die Nase, während er schnaubend lachte. „Ist kein Spaß, mit zwei Frauen zu leben, das kann ich dir sagen.“   Das kommentierte Neji nicht und sein Blick war ebenso flach wie die Linie seines Mundes.    Kiba pfiff durch die Zähne. „Wow, hartes Publikum.“   „Komm zum Punkt.“   „Mein Clan hat mich mit Inuzuka Tokujō arbeiten lassen, um meine Nase feinzustimmen. Alles über das limbische System, das olfaktorische System und all das chemosensorische Zeug zu lernen, ist ziemlich heftig.“   Nejis Braue hob sich, bevor er sich fangen konnte, zusammen mit einem widerwilligen Level von Respekt.    Mit einem Zwinkern im Auge bemerkte Kiba den Ausdruck und seine Lippen kräuselten sich. „Yep, ich benutze jetzt hauch fette, geistreiche Wörter. Ist das nicht was?“   „Wird es, wenn du endlich zum Punkt kommst.“   „Du bist echt ein ziemliches Arschloch, weißt du das?“   Neji presste die Lippen zusammen und seufzte durch die Nase. „Inuzuka.“   Augenrollend tätschelte Kiba die Luft in einer ‚reg dich ab‘ Geste und ließ sich erneut auf dem Dollbord nieder, während er seine Schulter in einer Reihe lockerer Drehungen dehnte. Doch trotz seines gelassenen Gehabes warf er dem Team ein paar verstohlene Blicke zu, bevor er fortfuhr: „Ich hab noch einen langen Weg bis zum Tokujō vor mir, aber selbst in diesem Stadium kann das, was ich gelernt habe, den Unterschied auszumachen zu wissen, ob jemand angepisst ist, oder drauf und dran sich in die Hosen zu pissen.“   „Du sprichst von der Kampf oder Flucht Reaktion“, klarifizierte Neji und fing sich ein weiteres Augenrollen ein, als er sich setzte, da er keine weitere Aufmerksamkeit erregen wollte. Für einen Herzschlag wanderte sein Blick zu Shikamaru und er sah zu, wie sich der Nara neben Chōji nach hinten lümmelte, um Akamarus stupsender Nase zu entkommen. Und nur eine Sekunde später hoben sich die Hände des Schattenninjas in träger Kapitulation, als sich Ino mit einem Knurren über den Hund hinweg beugte und mit einem Finger gegen die Stirn des Nara schnippte, als sich ihr Mund nach unten verzog.    Es lag Sorge in ihren Augen.    Energisch hielt Neji seine eigene Reaktion im Zaum, sah zurück zu Kiba und stellte fest, dass diese animalischen Augen wie Pfeile auf ihn gerichtet waren. Neji hob eine Braue und ruckte flüchtig mit dem Kinn nach oben. „Nur weiter.“   Doch Kiba ließ den Moment hängen, als würde er über etwas nachdenken, bevor er weiter sprach: „Furcht und Zorn können manchmal gleich riechen, weil sie aus demselben Reptilienhirn-Ort kommen. Sie reiten auf derselben hormonellen Welle, oder was auch immer. Aber für eine Inuzuka Nase können sie auch ziemlich verschieden riechen; je nach Konzentration, verstehst du?“   Neji nickte. „Körper lügen nicht. Verhalten kann das schon.“   „Verdammt richtig. Und genau das ist der Punkt, wo es bei Shikamaru seltsam wird. Als die Alligatoren angegriffen haben. Ich meine, ich habe Angst gerochen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dann…“ Kiba brach mitten im Gedanken ab, als Akamaru herüber getrottet kam. Der Hund setzte sich, legte seinen Kopf in den Schoß des Inuzuka und stieß ein leises, nasales Winseln aus. Abwesend strich Kiba mit seinen Fingern durch das dichte weiße Fell und stierte blicklos mit einem Stirnrunzeln in die Luft, sein Verstand offensichtlich ganz woanders. „Shit. Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das schon vorher gerochen habe.“   Diese Knoten in Nejis Innerem zogen sich fester, fesselten seine Emotionen und ließen nichts hindurch schlüpfen. Mit zusammengezogenen Brauen lehnte er sich nach vorn und stemmte die Ellbogen auf die Knie. „Kiba?“   Grunzend hielt Kibas Hand an Akamarus Kopf inne. „Mitten im Kampf ist es schwer, der Fährte von all den Hormonen folgen zu können, die abgefeuert werden, aber meine Nase bemerkt es trotzdem, wenn ich etwas wieder erkenne oder nicht. Ordnet den Geruch quasi ab, weißt du? Ich wusste, dass ich diesen Geruch schon vorher mal an ihm wahrgenommen hatte. Braucht nur einen weiteren Hauch davon, um die Erinnerungen zurück zu bringen. Wie vor diesem Prima Haustierladen beim Veterinärzentrum.“ Bei Nejis perplexer Miene ächzte Kiba und fügte hinzu: „Ich habe die Tür mehr oder weniger in Narutos Rücken gehämmert und das etwas härter als es nett war. Aber Shikamaru hat sich erschreckt und total komisch benommen. Und dann nochmal, als er auf diese alte Schrulle losgegangen ist. Derselbe Geruch.“   Ich wusste es…   Und dieses Wissen schnitt sich wie eine eiskalte Klinge durch die Knoten in Nejis Eingeweiden. Knoten, die wie Steine in seine Magengrube sackten. Er wusste es. Er wusste es, obwohl er fragte: „Was genau meinst du damit?“   „Ich meine, dass das, was ich an Shikamaru gerochen habe, bevor ich das Bewusstsein verloren habe, nicht das war, was er nach außen hin gezeigt hat.“ Kibas Blick begegnete Nejis, die Augen dunkel und intensiv unter gerunzelten Brauen. „Ich meine, dass egal wie es ausgesehen hat, er hatte keine Angst bei der Konfrontation mit den Alligatoren, Neji. Er war angepisst. Und zwar die roter Nebel Art von angepisst. Tötungsabsicht angepisst und…“ Er stoppte so abrupt, dass Akamaru aufsah und ein schroffes Wuff ausstieß. „Und das ist nicht wirklich eine Neuigkeit für dich, stimmt’s?“   Neji blinzelte. „Was?“   Kiba versteifte sich gegen das Dollbord und seine Augen weiteten sich, bevor sie sich zu Schlitzen verengten. „Scheiße, Hyūga. Ist das der Grund, aus dem du ihm so heftig eine verpasst hast bei Amaguriama? Du hast es auch bemerkt, huh?“   Nejis Kiefer verkrampfte sich bei dieser Erinnerung. Langsam rieb er seine Hände aneinander und stoppte sich selbst, kurz bevor er diese erbärmliche Waschbewegung wiederholte, in die er direkt nach diesem Vorfall verfallen war.    Ich habe mehr getan, als diese Tötungsabsicht zu bemerken…ich habe sie berührt…   Und dennoch war sie ihm genauso schnell entschlüpft, wie sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte; ein roter Nebel, der durch seine Finger glitt und nichts zurückließ außer einen unsichtbaren Film auf seiner Haut – fröstelnd wie ein Blutfleck.    Der Schock auf Shikamarus Gesicht. Er hat es nichtmal realisiert…hat es nichtmal gesehen…   „Neji“, rief Kiba, hakte einen Arm über Akamaru, um die rastlose Energie des Hundes zum Schweigen zu bringen; oder vielleicht um seine eigene zu beruhigen. „Willst du mich vielleicht erleuchten? Ich habe Shikamaru schon verängstigt gesehen und ich habe ihn sauer gesehen. Aber noch nie in meinem Leben habe ich Wut wie diese gerochen. Übertrifft sogar die Scheiße, die du damals in Hanegakure aus deinem Arsch gezogen hast.“   Die Hände hart aneinander gepresst legte Neji die Finger an die Lippen.    Die Stille zog sich hin.    Neji spürte Kibas Blick ebenso sicher auf sich, wie er diese kalten, harten Steine spürte, die in seinem Magen mahlten und seine Verleugnung zu Staub zerschmetterten.    Bauchgefühl über Genie…ist es das, wie es sich anfühlt?   Was für ein Übelkeit erregender Sinn von Gewissheit. Kein Wunder, dass er es gemieden hatte. Er hatte gehofft, dass diese Tötungsabsicht, die er bei Amaguriama bemerkt hatte, in irgendeiner Weise nur eine Projektion seiner eigenen Furcht gewesen war. Ein Augenblick, überzeichnet von seinem Schock, seiner Ungläubigkeit und Frustration. Dass das, was er in Shikamarus Chakra wahrgenommen hatte, irgendeine Einbildung gewesen war, die alle Proportionen gesprengt hatte, nachdem er seine ANBU Vorgabe gelesen hatte: observiere und überwache das Zielobjekt.    Zielobjekt…   Das Wort schwebte durch seinen Verstand, sammelte sich zu einem Sturm und nahm weit dunklere Konnotationen an. Und dann regneten die Fragen herab; hunderte Tropfen in einem steigenden Ozean. Neji spürte, wie die Wasser etwas höher um diese ANBU Wände innerhalb von Wänden kletterten. Das hart eingedrillte Training setzte unmittelbar ein und diese Zahnräder innerhalb von Zahnrädern arbeiteten schwer gegen die starke Strömung aus Emotionen, um den Fluss seiner Gefühle umzulenken, den seine Brust gegen die Belastung zu drücken drohte.    „Sagst du noch irgendwas dazu, Hoheit?“   Neji nahm einen bedächtigen Atemzug und ließ einen langsamen Countdown ablaufen, bevor er scharf zu dem Hundeninja spähte; die Augen klar und ruhig – nicht eine einzige Wolke des Zweifels. „Ja. Behalte diese Information für dich, bis ich eine Gelegenheit hatte, mit Shikamaru darüber zu sprechen.“   „Klasse. Also bin ich jetzt Teil deiner kleinen Mantel und Degen Intrige? Was verfickt nochmal soll ich denn machen, wenn das nochmal passiert? Erwartest du von mir, den Scheiß einfach auszusitzen?“   „Ich erwarte von dir, dass du zu schätzen weißt, dass ich dich darum bitte, den Mund zu halten, ohne es dir zu befehlen.“ Bei Kibas Zögern senkte Neji die Handflächen wie eine Klinge und tippte mit den Fingerspitzen in die Luft. „Diese Situation ist im besten Fall sensibel und explosiv im schlimmsten. Ich brauche jedermanns Kopf an der richtigen Stelle, Kiba. Eine ganze Menge hängt davon ab, wofür du dich jetzt entscheidest.“   „Witzig, wie du das wie eine Drohung klingen lässt.“   „Es ist keine Drohung. Es ist eine Tatsache. Du hast aus erster Hand erfahren, was diese illegalen Nahrungspillen anrichten können, ganz zu schweigen von der Gefahr, die diese Chimären darstellen. Ich vertraue dir, deinen Teil um des Willens aller Beteiligten beizutragen; Shikamaru eingeschlossen. Er wurde von diesem letzten Rückschlag schon heftig genug getroffen. Wenn du von mir erwartest, so früh in der Mission gleich eine weitere Bombe auf ihn fallen zu lassen, dann irrst du dich gewaltig!“   Da er eine weitere Kränkung seiner Loyalität wahrnahm, verzogen sich Kibas Lippen zu einem Knurren. „Tu nicht so, als wäre ich hier der Feind, Neji. Du bist derjenige, der all die Schläge ausgeteilt hat, die er einstecken musste. Shikamaru ist mein Freund und ich-“   „Dann verstehe als sein Freund, dass diese Situation mit seinem Chakra ein potentielles Pulverfass ist.“ Rasch hob Neji eine Hand, um einen Protest im Keim zu ersticken. „Auf alle Fälle, sollte dieses Pulverfass aus irgendeinem Grund hochgehen, dann brauchen wir beide – Shikamaru und ich – deine Hilfe bei der Schadenskontrolle. Verstehst du das? Kann ich auf dich zählen, das zu tun?“   Mit einem hörbaren Schmatzen saugte Kiba an den Zähnen, während er sich nach hinten lehnte und die Worte mit einem Ausdruck des Widerwillens verdaute. Seine Miene sprach für ihn. Aber bevor sein Zögern in Widerstand umschlagen konnte, verdrehte sich Akamaru in seinem Griff und wandte seine dunklen, schimmernden Augen zu ihm auf, als er ein weiteres Winseln ausstieß. Kiba blinzelte, tauschte einen genervten Blick mit seinem Ninken aus und schluckte hinunter, was auch immer er vielleicht als Erwiderung geknurrt hätte. Während er die Augen weiter auf seinen Herrn gerichtet hielt, legte Akamaru den Kopf wieder in Kibas Schoß und das Fell zwischen seinen Brauen zog sich in einem Ausdruck zusammen, der beinahe ersuchend war.    Stirnrunzelnd gab sich Kiba mit einem Seufzen geschlagen. Er sah zu Neji und nickte steif, seine Miene noch immer sauer, immer noch argwöhnisch, aber nicht frei von Verständnis. „Nochmal, nur weil ich nicht deine Augen habe, heißt das nicht, dass ich blind bin für das große Ganze.“   Neji blinzelte langsam und etwas von der Anspannung wich aus seinem Körper. „Gut.“   Grunzend rappelte sich Kiba auf und rollte auf eine Art mit den Schultern, die Akamaru dazu brachte zurückzuweichen. Den Schwanz eingezogen leckte er nervös an den Knöcheln seines Herrchens und gewann sich dadurch ein widerwilliges Kraulen des Kopfes.    Neji beobachtete diesen Austausch und fühlte sich, als würde er dem Ninken ein Danke schulden; allerdings hatte er keine Mittel, um es auch zu kommunizieren. Doch als hätte er seinen Gedanken gespürt, wandten sich Akamarus Augen ihm zu, als er sich gerade aufrichtete. Neji neigte den Kopf, aber der Hund – der eben ein Hund war – sah ihn nur an.    „Aber lass uns eine Sache deutlich machen, Hyūga“, sagte Kiba und zog damit Nejis Blick auf sich. Es lag keine Abscheu in dem Ausdruck, aber auch keine Kameraderie. „Du kannst so vielen Leuten was vormachen, wie du willst, aber wenn du versuchst, mich in Bezug auf Shikamru hinters Licht zu führen?“ Er grinste langsam und bleckte die Zähne. „Dann reiß ich dir dein verficktes Herz raus. Sogar, wenn ich durch eine eiskalte Mauer muss, um da ran zu kommen.“   Eine ziemliche Drohung.    Ein ziemliches Versprechen.    Neji hielt sein Gesicht ebenso blank wie seine Augen und sah mit gerade genug Indifferenz zurück, um zu irritieren, bevor sich seine Lippen zu dem leichtesten Schmunzeln verzogen. „Ist notiert.“   Hoch über ihnen drehte ein Vogel Kreise und schrie.    Eine Sekunde später durchbrach Narutos Stimme die Luft mit einem heiseren Schrei. „Na endlich!“   Das Boot schwankte, als das ganze Team auf die Füße kam, doch die Regungslosigkeit, die sich um Kiba und Neji hielt, war so unerschütterlich wie ihre Blicke. Erst als der Kapitän von achtern rief, löste Neji das Starren und wandte sich um. Und dort, vor ihnen, Brocken ihrer zerbrochenen Wirbelsäule ragten aus dem Wasser…die Ruinen der Kannabi Brücke.        Kapitel 19: Mission or inherited promise? ----------------------------------------- Siebenmal fallen, achtmal wieder auf, auf, auf und davon.   Genma ließ diesen Spruch als mentalen Drill ablaufen und stellte sich vor, wie sich die Mitte des wackeligen Klapptisches zu dem stromlinienförmigen Bild eines Origamivogels zusammenfaltete. Er beobachtete, wie dieser imaginäre Vogel auf, auf, auf und davon flog; hinweg über Schlägers Kopf und über den Einwegspiegel segelte. Wie er das milchige Glas entlang glitt, wie über einen gefrorenen See…er hätte schwören können, Wellen zu sehen…oder vielleicht war das auch nur seine Sicht, die sich verdoppelte…   Scheiße…   Träge blinzelnd hakte er einen Arm hinter den steifen Stuhl, auf dem man ihn geparkt hatte und lümmelte sich zurück, um sich davon abzuhalten, seine Ellbogen auf den Tisch zu setzen und seinen Kopf in die Hände zu legen. Mit beständigen Atemzügen und fragiler Gefasstheit hatte er die Übelkeit nieder gekämpft und der Uhr gelauscht, die an der Wand hinter ihm hing, um die Zeit in einem langsamen Kriechen abzuzählen; eine psychologische Spielerei, sie aus dem Blickfeld zu halten.    Der ganze Raum war ein Psychospiel, ausgelegt eher für Nötigung statt Zwang. Nicht wie die anderen Folterkammern.    Nein. Diese hier war besonders.    Klein, beinahe intim, gebaut, um nicht mehr als fünf Personen Platz zu bieten. Bürogleich, mit gerade genug Raum, um diesem eingesperrten Sinn von Klaustrophobie vorzubeugen und dennoch klein genug, um den Verstand eines Verdächtigen davon abzuhalten, zu entwischen.    Eine ziemliche Scharade.    Nichts durchdrang die blassen, in Pastellfarben gehaltenen Wände und Genma spürte die Wärme der Isolierung wie ein greifbares Wesen, das ihm im Nacken saß.    Tz. Nicht das erste Mal, dass ich auf dem heißen Stuhl hocke…   Aber es war das erste Mal, dass er dabei in Schweiß ausbrach. Aber um fair zu bleiben, das hatte weniger mit Ibikis kleinem Hirnfick zu tun und viel mehr mit der Tatsache, dass sich sein Körper schmerzhaft nach einem chemischen Schuss sehnte. Er holte tief Luft und kehrte dazu zurück, auf der Innenseite seiner Backe herum zu kauen.    Tick und verdammtes Tack, Morino…   Ibiki schlachtete den Moment aus, spielte seinen Part. Trotz des Dranges, sich umzuwenden und die Uhr anzusehen, wanderten Genmas Augen stattdessen von dem zugeknöpften Schläger, der an dem Einwegspiegel stationiert war, zu der angrenzenden Tür. Kein Schloss. Eine Illusion von Freiheit. Kein Zweifel, dass Ibiki hinter diesem Spiegel stand und Zeit im Observationsraum totschlug; eine Tasse Kaffee in der einen und einen Klumpen anschuldigender Pferdescheiße in der anderen Hand. Bereit dazu, den Dreck durch die Gegend zu schleudern und zu sehen, was kleben blieb.    Bei der Rate, in der ich die Sachen zur Zeit verbocke, bleibt das vermutlich kleben wie Fliegen an Scheiße…   Seufzend rollte Genma mit den Schultern und Schläger versteifte sich, als würde er eine Schleichattacke erwarten.    Der Shiranui hob eine Braue. „Ganz locker, Killer.“   Schläger stierte ihn mit einem Pokergesicht an und presste sich härter auf die Ballen seiner Füße. Es war verlockend, den Kleinen noch etwas mehr zu schubsen, einfach nur um zu sehen, was er tun würde. Oder was er versuchen würde, zu tun. Genma hatte den Kerl in seinem Kopf bereits mehrere Male außer Gefecht gesetzt. Würde nicht allzu viel brauchen, um dieses Szenario nachzustellen…obwohl es ihn mehr als nur Zeit kosten würde, besonders, da seine Tiefenwahrnehmung inzwischen in und aus dem Fokus schwamm. Das Rūpa hatte nicht ansatzweise so gut geholfen, wie er gehofft hatte.    Die Tür öffnete sich.    Genmas Blick zuckte nach oben, zusammen mit einem Mundwinkel. „Ich dachte schon, du hättest mich versetzt“, sagte er gedehnt.    Kein Wort.    Keines nötig.    Ibiki musste niemals einen Auftritt hinlegen, wenn man bedachte, dass seine Aura in etwa bereits fünf Schritte im Voraus den Weg ebnete, bevor er überhaupt den Raum betreten hatte. Eine formidable Energie, von der Genma schon beobachtet hatte, wie sie Trotz selbst in den widerstandsfähigsten Verdächtigen niedermähte. Und trotz aller tiefverwurzelten Immunität seinerseits, spürte Genma, wie sich die Haut an seinem Nacken reflexartig straff zog, als sich diese scharfsinnigen, dunklen Augen ihm zuwandten.    Er hielt sein spöttisches, schiefes Schmunzeln aufrecht und spähte zu dem Stiernacken-Schläger. „Du kannst deinen Wachhund zurück pfeifen.“   Ibiki wartete einen Herzschlag, bevor er marginal den Kopf neigte. Und Schläger reagierte wie ein gut trainierter Ninken, als er sich zurückzog, während Ibiki den Raum betrat und ihn mit der kalten, bleiernen Schwere seiner Energie füllte. Die Anspannung gewann mit jedem Herzschlag an Masse.    Die Tür schloss sich klickend.    Die Uhr tickte zehn Sekunden.   Und für weitere zwölf starrte Ibiki einfach nur, bevor er einen Vorhang über den Einwegspiegel zog.    Hier gibt’s nichts zu sehen, Kinder.   Genma spürte, wie sein Puls zusammen mit den Gedanken in seinem Kopf taumelte. Punkte zerplatzten wie kleine pinke Pillen vor seinen Augen. Er biss einen weiteren Brocken aus seiner Wange, fuhr mit der Zunge über die Wunde und konzentrierte sich auf das süße Stechen. Dann hob er die Brauen, als sich Ibiki ihm wieder zuwandte.    „Was denn? Keine Familienshow?“, beobachtete Genma ironisch, den Arm noch immer lässig hinter den Stuhl gekrümmt, auch wenn sich seine Finger zu einer Faust krümmten, um nicht zu zucken. „Interessante Versammlung auf den Dächern. Klein. Vertraulich.“   Ohne mit der Wimper zu zucken stierte Ibiki ihn an. „Wo warst du letzte Nacht?“   Genmas Schmunzeln glättete sich zu der unlesbaren Regungslosigkeit seiner ANBU Miene. „Wenn du mich nicht wegen irgendetwas beschuldigen willst, Morino, dann wüsste ich nicht, was dich das angehen sollte.“   „Wenn rücksichtslose Dummheit ein Verbrechen wäre, Genma, dann wärst du in mehr Anklagepunkten schuldig, als diese Unterhaltung abdecken kann.“   „Autsch. Stöcke und Steine, Morino. Hol schon endlich die Peitschen und Ketten raus.“   Normalerweise grinste Ibiki hierbei. Doch diesmal war da nichtmal der Hauch eines Schmunzelns. Stattdessen halbierte er den Abstand in zwei Schritten und der Teppich knirschte unter seinem schweren Gang. Er griff in seinen Mantel und zerrte eine dicke Mappe hervor, die er auf den Tisch fallen ließ, den Deckel öffnete und ein Blatt heraus riss, das er in einem scharfen Drehen zu dem Shiranui schob, bevor er mit einem lederbekleideten Finger auf die zerknitterte Seite stach.    „Erklär mir das.“   Die Brauen erhoben legte Genma den Kopf schief, machte sich aber nicht die Mühe, sich aus seiner lümmelnden Pose aufzurichten. Abgeschirmte Augen scannten das Dokument in einem langsamen Gleiten – und seine äußerliche Gelassenheit stand in hartem Kontrast zu der Verschiebung, die seine Eingeweide in Wasser verwandelte. Sein Blut floss dünn und kalt und ließ ihn sich etwas benommener und viel übler fühlen.    Gott verdammt, Raidō…   Sein Kamerad hatte diesen Partnerwechsel beantragt. Nur hatte er es so aussehen lassen, als hätte Genma danach ersucht. Das sah Raidō ähnlich. Genma dazu zu zwingen, die Verantwortung für sein eigenes Durcheinander zu übernehmen, seine eigenen Fehler…   Genmas Augen folgten der unterschriftslosen gepunkteten Linie. „Wo hast du das her?“   „Ich habe es aus dem dampfenden Haufen Scheiße gezogen, zu dem dein Leben so verfickt schnell geworden ist, Shiranui“, knurrte Ibiki und schüttelte erstaunt den Kopf, bevor er sich ebenfalls einen Stuhl heran zog. „Du hast Glück, dass ich es vor der Hokage gesehen habe. Ich habe dich gewarnt, dass du bei F&V landest, solltest du das nächste Mal was verbocken.“   „Das ist ein Missverständnis.“ Genma schob das Papier fort und wies damit sowohl das Problem, als auch die verräterische Panik unter seiner Haut von sich. „Das habe ich nicht beantragt. Und mit Raidō komm ich klar.“   „Du kommst ja nicht mal mit dir selbst klar. Schau dich an. Ich brauche keinen Bluttest, um zu bestätigen, dass du mehr Chemie in deinem Netzwerk hast als die gesamten verfickten Nara Labore.“   Dieser Kommentar traf einen Nerv, der so roh und vor kurzem erst offengelegt worden war, dass Genma beinahe darauf reagierte. Auf Messers Schneide fing er sich ab…und presste seinen Verstand auf masochistische Weise so nah an die Klinge von Selbsthass, dass sie an ein paar begrabenen Venen zwickte und etwas frisches Blut vergoss – rote Erinnerungen und chemische Sekrete.   Bring das hinter dich...   Langeweile vortäuschend ließ Genma seine Augen zur Tür und wieder zurück rollen. „Erspar mir den Rufmord, Ibiki. Wir wissen beide, dass meine ‚Zahnräder innerhalb von Zahnrädern‘ nicht so glatt funktionieren wie sonst. Das ist kein Schocker. Aber meine Wände stehen immer noch.“   „Ja. Und sie sind in etwa so stabil wie der Holzwürfel Turm eines grenzdebilen Kindes.“    Die Stille hing schwer und drückte zusammen mit der Hitze nieder.    Genma spürte den Schweiß, der feucht und irritierend über seinen Rücken kitzelte.    Dahingegen sah Ibiki kühl und frisch aus wie eine ruhige Brise, unbeirrt wie immer. Er nahm seinen Platz ein und er nahm sich Zeit, als er sich seitwärts auf den Stuhl schob, vollkommen ruhig, da er sich auf seinem eigenen Gebiet befand. „Glaubst du, du kannst diese kleinen, selbstzerstörerischen Feuer entfachen und dann einfach allen Rauch in den Arsch pusten, wenn die Hitze zu viel wird? Was, wenn Raidō direkt zur Hokage gegangen wäre? Wer sagt, dass er das nicht schon längst getan hat?“   Die Muskeln um Genmas Mund verkrampften sich leicht angesichts der Wahrscheinlichkeit dieser Drohung, doch er verwandelte die Anspannung in ein weiteres spöttisches Halbschmunzeln. „Bist du nervös, dass sie die Wahrheit rausfindet, Ibiki? Oder bist du nervös, dass die Ältesten nach einem Sündenbock suchen werden? Fuck, mit Nara Shikamaru hatten sie auf jeden Fall schon ihr Opferlamm.“   Ibikis Augenbraue zuckte, aber er brachte keine Ausreden oder ein Gegenargument vor, sondern führte das Thema wieder zurück auf Spur. „Du bist drauf und dran, einundzwanzig Jahre der Geheimhaltung und Stabilität zu torpedieren.“   Einundzwanzig Jahre…   Wie das Stichwort eines Hypnotiseurs legten diese Worte einen Schalter in Genmas Kopf um und projizierten vergrabene Bilder in greller Definition, ließen die Stimme eines Dämons von den Mauern in seinem Verstand abprallen.    ‚Einundzwanzig Jahre in dieser Scheißegrube eingesperrt zu sein, hat mir einige Tugenden verliehen. Doch Geduld gehört zu meinem Bedauern nicht dazu. Also, ANBU Agent Kaika mit den Eiern aus Stahl; du gibst mir jetzt besser deinen wirklichen Namen, oder ich werde dieser Bitch hier jede Fähigkeit nehmen, jemals wieder einen Namen oder ein Geräusch hervor zu bringen.‘   Genma schloss die Augen zu dieser Erinnerung und stürzte seine Sicht in Dunkelheit. Doch es hielt den Moment nicht davon ab, sich erneut abzuspielen. Hielt nicht das Bild von Shukens Messer auf, das sich mit einem nassen Sprühregen durch das Fleisch des Gesichtes seines Liebhabers schnitt…   Gott, nicht hier. Nicht jetzt.   Da er sich bewusst war, dass Ibiki jede noch so kleine Nuance von Emotionen auf seinem Gesicht registrierte, kämpfte Genma heftig darum, seine Miene absolut leer zu halten. Doch trotz seiner Bemühungen – Bemühungen, die einst so leicht gewesen waren – die Bitterkeit fand ihren Ausdruck in seiner Stimme. „Einundzwanzig Jahre, hn? Diese Generation von Ino-Shika-Cho ist nicht mein Problem oder meine Priorität.“   „Was uns zu deinem ersten Anklagepunkt unreifer Dummheit bringt; zu glauben, dass das wirklich stimmt.“   Genmas Augen öffneten sich zu rot umrandeten Schlitzen. „Inoichi mag dich ja vielleicht in die Vertuschung des Shinjū Projekts mit reingezogen haben, aber täusch dich ja nicht, wenn es darum geht, wie weit ich meinen Kopf für das alte Ino-Shika-Cho Trio hinhalten werde.“   Bei dieser Aussage legte Ibiki den Kopf schief. „Du hast noch nie den Respekt des restlichen Dorfes für diese drei großen Clans geteilt. Wieso das?“   Alte Wunden, alter Schmerz…alte Augen im Gesicht eines jungen Mannes, die violetten Schattierungen so verwaschen mit Schuld und Trauer, dass sie im Mondlicht beinahe grau erschienen.    ‚Ich brauche es nicht, dass du mir sagst, was ich tun soll, oder was ich meinen Clans schulde. Vielleicht – eines Tages – werden sie mir beide vergeben.‘   Ein stechender Schmerz und Genma biss sich auf die Zunge, um nicht seine mit Blut befleckten Zähne zu zeigen. Seine Miene war bar des Chaos‘, das durch ihn spritzte und seine alten ANBU ‚Wände innerhalb von Wänden‘ mit einem ekelerregenden Rot tünchte. „Nara Shikaku zu beschützen ist nicht meine Mission. Meine Mission ist es, den Sohn zu schützen. Nicht den Vater.“   „Der Sohn hat das Schicksal des Vaters geerbt.“   Was für unverblümte Prämisse für die Horrorgeschichte des Nara Clans…anzunehmen, dass es alles auf diese kalte, harte Tatsache reduziert werden konnte. So sehr wie Ibiki, alles bis auf die Knochen runter zu brechen…aber auf der anderen Seite, er ging gut genug mit Skeletten um. Ob er sie nun aus den Kellern von Leuten zerrte, oder sie dorthin zurück prügelte. Das einzige Problem war nur, dass es bei Shikamaru wahrscheinlich mehr als nur Knochen waren, die im Sarg seines Unterbewusstseins rasselten.    ‚Der Sohn hat das Schicksal des Vaters geerbt.‘   „Verstehst du diese Verbindung?“, fragte Ibiki in das Schweigen. „Schafft es dein Hirn, diesen winzig kleinen Satz zu machen?“   Hämisch grinsend löste Genma seinen Arm vom Stuhl und schob sich sein Bandana vom Kopf, um mit den Fingern durch sein Haar zu fahren; stumpfe Nägel rissen sich über brennende Kopfhaut. „Was ich verstehe, ist, dass wenn Inoichi oder Chōza der Godaime einfach die Wahrheit über Shikakus Zusammentreffen mit Shuken vor all diesen Jahren erzählt hätten, sie Shikamaru niemals nach Kusagakure geschickt hätte; und Geschichte hätte sich niemals wiederholt mit diesem kranken, psychotischen Stück Schei-“   „Es war absolut unmöglich zu wissen, dass Shuken nach dem Zwischenfall mit Shikaku überlebt hat.“   „Das ist Bullshit, Ibiki“, knurrte Genma. „Es war ein KERN Agent in dieser Einrichtung. Er war da über Jahre im Undercovereinsatz.“   „Das sagst du.“   „Er war da.“   In spöttischer Einladung breitete Ibiki die Hände aus. „Dann bitte, beschreib ihn mir.“   Ah, der Riegel. Er schnappte um sein Herz zu und Genmas Kiefer verschloss sich, seine Zähne in einem Knurren aufeinander gebissen…und da, tief unten in den bittersten Schluchten seines Verstandes, regte sich die Erinnerung wie eine Schlange…schlängelte sich über die Wände in seinem Geist…Bilder flammten wie Schuppen auf…sanken in seine Gedanken wie Fangzähne, bis –   „Oh ho!“ Lachen in seinem Ohr; wahnsinnig, erfreut. Das Lachen des Souveräns. Shukens Lachen. „Was ist denn das? Solch plötzliche Emotionalität und das von einem ANBU Agenten! Und alles nur wegen dieses traurigen Stücks Scheiße…“   Shukens Hand krallte sich fester in Naokis Haar, riss den stolzen, blonden Kopf weiter nach hinten und legte die Länge einer angespannten Kehle bloß, der mit einer Metallmanschette versehene Hals wund gescheuert von Ketten.    Blut, Quetschungen, Bissspuren…   Genma fühlte ein Nachgeben in seinen Knien, aber er konnte nicht fallen…konnte nur hängen bleiben, dazu gezwungen, in diese abgeschirmten violetten Augen zu sehen, bis er spürte, wie etwas in seiner Brust zerbarst…nicht die Knochen…Gott, lass sie brechen…   „Ich nenne ihn Koinu“, schnurrte Shuken mit einer kranken Parodie von Zuneigung, von Stolz. „Er befindet sich immer noch in der Phase der Welpenausbildung für die Shinjū Tests, weißt du. Ich liebe es einfach, wie der zusätzliche Begriff ‚Haustier Projekt‘ dem Ganzen einen völlig neuen Klang verleiht.“   „Bastard…“, fauchte Kaika und Schweiß tropfte in grellen Funken von seinem Körper – er zitterte so heftig, dass die Ketten, an denen er hing, rasselten wie der Schwanz einer Klapperschlange.    Shuken bestaunte ihn, musterte seine Qualen mit der Faszination eines Kindes. „Ah jetzt. Da ist es. Sag mir. Was ist es, was du fühlst? Es ist animalisch, nicht wahr? Benenne es. Oder noch besser, gib mir deinen richtigen Namen.“   „Du kannst mir ja nichtmal einen Namen geben“, sagte Ibiki und riss Genma ruckartig und so schnell von der Erinnerung zurück, dass er in seinem Stuhl zusammenzuckte. Kopfschüttelnd runzelte Ibiki leicht die Stirn. „Kein Deckname. Keine Maske. Und ANBU hat ja nichtmal irgendwann einen Körper geborgen.“   Ich habe seinen Körper in meinen Armen gehalten, du elender Hurensohn…   Ja, und dann hatte er diesen Köper losgelassen.    Ihn losgelassen…schon wieder…   ‚Nimm den Jungen. Nimm den Jungen und geh.‘   ‚Nicht ohne dich.‘   ‚Hey…du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.‘   Diese Erinnerung zerschneidend und sich vor dem verzweifelten Schmerz aus dem Staub machend, rammte Genma seine Handfläche auf den Tisch und beugte sich mit aufflammenden Augen nach vorn. „Danzō wusste, dass Projekt Shinjū niemals lahm gelegt wurde nach der Sache mit Shikaku. All die Jahre hat es dieser Bastard gewusst.“   „Das ist dein Wort gegen seines. Und völlig ungeachtet dessen, was Danzō angeblich über Shuken und das Weiterführen des Shinjū Projekts wusste; Inoichi und Chōza wussten es nicht und sie dürfen auch niemals wissen, dass es nach der Sache mit Shikaku weiter geführt wurde.“   „Wegen dem, was es vielleicht in Shikaku auslösen würde“, wies Genma ab, nachdem sein Hirn von dieser Argumentation über die letzten zwei Jahre regelrecht verprügelt worden war. „Das entschuldigt aber noch lange nicht, die Godaime zu belügen. Scheiße, wusste überhaupt Minato-sama davon?“   Ibikis Schweigen antwortete für ihn.    Sprachlos sackte Genma in seinem Stuhl zurück und stieß ein bitteres Lachen aus. „Unfassbar.“   „Sei nicht so rasch dabei zu urteilen. Inoichi und Chōza führten – und tun es immer noch – die Sterbenswünsche des Sandaime und seine letzten Befehle aus. Genauso wie die Ältesten.“   „Und du wirst dasselbe tun“, murmelte Genma und Niederlage riss den Zorn aus seinen Augen, um eine uralte Bitterkeit zurück zu lassen. „Loyal wie ein Hund zu seinem toten Herrn.“ Ibikis Miene verriet nichts und die ernsten, unentschlüsselbaren Linien in diesem vernarbten Gesicht musternd, legte Genma den Kopf interessiert schief, während sich seine Augen zusammenzogen. „Niemand würde dich dazu für fähig halten, aber du hast den Sandaime wirklich geliebt, nicht wahr?“   „Die Frage ist eher; hast du das?“, erwiderte Ibiki kühl. „Du hast darin versagt, ihn an diesem Tag zu beschützen. Ihr beide, du und Raidō. Hn. Beeindruckende Arbeit der Goei Shōtai.“   Das traf hart. Genma sackte bei diesem Tiefschlag noch etwas weiter zusammen. Alte Schuldgefühle und alte Scham gruben sich qualvoll durch ihn. Trotz all seiner Verbitterung der letzten zwei Jahre gegenüber dem Sandaime, hätte er dennoch ohne das geringste Zögern sein Leben für seinen Hokage gegeben. Das hatte nichts mit Patriotismus zu tun. Es war eine Sache tiefer und persönlicher Prinzipien. Eine profunde Loyalität, die er von seinem ANBU Team gelernt hatte; von seinem Liebhaber…   ‚Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime. Und jetzt schwöre es.‘   Ein Versprechen, die Nara zu beschützen…um eingebildete Verbrechen gegen den Clan wieder gut zu machen.    Gott, Naoki…warum hast du dieses Versprechen an mich weitergegeben?   Die Loyalität seines Liebhabers gegenüber den Ino-Shika-Cho Clans zu ehren, saß wie ein Dorn in Genmas Herz, direkt neben der Klinge, die er immer wieder tiefer und tiefer trieb; mit jedem Mal, wenn er es wagte, an Naoki zu denken…und mit jedem Mal, wenn er es wagte, an all die Zeit zu denken, die sie nur wegen dieses Versprechens verloren hatten…dieses Schwurs…dieses Gefängnisses aus Nara und Yamanaka Blut…   ‚Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.‘   Das hätten sie tun sollen. Vor Jahren. In dieser Nacht unter den Sternen. Es hätte zu Genma gepasst, ein Nukenin zu sein. Gott wusste, dass er bereits seit den letzten zwei Jahren als vermisster Ninja innerhalb der Mauern seines eigenen Dorfes lebte…so viele Teile seines Selbst missend, dass er kaum noch etwas zu geben hatte.    Das ist nicht, wer ich sein möchte…   Es war nicht, was Naoki gewollt hätte, wer er war. Aber dennoch war es genau das, wer er geworden war…   „Du hast es nicht geschafft, deinen vorherigen Hokage zu schützen“, sagte Ibiki noch einmal. „Das Konzil ist der Meinung, dass das Mindeste, was du tun kannst, ist, mit uns zusammenzuarbeiten, um seine Geheimnisse zu bewahren. Und während ich nicht einmal einen Rattenarsch auf die Meinung des Konzils gebe, stehe ich trotzdem fest für die Wünsche des Sandaime ein. Aber ich bin auch stabil genug, um die Stellung zu halten.“   „Und ich bin zittrig in den Knien, oder? Hör auf, um den heißen Brei herum zu reden, Ibiki. Ich würde die Tracht Prügel lieber direkt einstecken.“   „Würdest du das?“ Die Augen auf ihn gerichtet, stützte Ibiki einen Ellbogen auf und rahmte eine Seite seines vernarbten Gesichts zwischen Daumen und Zeigefinger ein, während er sich die Schläfe massierte. „Du hast über die Jahre schon eine ziemliche Tracht Prügel abbekommen, nicht wahr, Genma? Alte Abhängigkeiten lassen sich nur schwer ausmerzen. Sie fressen sich tief und rütteln Dinge los. Süchtige brauchen immer etwas. Die Drogen sind nur ein Symptom einer dunkleren Krankheit. Manche würden sagen, dass man sich niemals wirklich davon erholt. Man befindet sich immer in einem Kampf zu widerstehen.“   Immer…   So prägnant ausgedrückt krallten sich diese Worte um Genmas Herz wie die Kiefer einer Bärenfalle und sanken immer tiefer in der Sekunde, als er versuchte, sich aus dem Griff frei zu wieseln. Rasch schloss er die Augen, um das Aufblitzen von Panik zu verbergen, das hinter ihnen schimmerte und hasste Ibiki dafür, eine seiner größten Ängste auszusprechen. Eine Angst, die größtenteils unausgesprochen geblieben war und das für Jahre…bis letzte Nacht.    ‚Ich werde immer dieser Mann sein…denn dieser Fleck…dieser Makel…er ist in mir, Kakashi…er ist viel zu tief in mir…‘   Genma setzte einen künstlichen Ausdruck ironischer Belustigung auf und seine Lippen verzogen sich zu einem Schmunzeln. „Danke für die Unterstützung, Morino. Du solltest Reden im Rehabilitierungszentrum halten.“   „Vielleicht sollte ich das. Du bist ein typischer Fall, wenn es um einen Rückfall geht. Allerdings…“ Seine Augen zogen sich spekulierend zu Schlitzen zusammen. „Ich kann immer noch nicht ausmachen, was genau es eigentlich an dem Zwischenfall mit Shikamaru war, das dich zum Stolpern gebracht hat. Du wurdest seit deinen ANBU Tagen mit allen Arten entsetzlicher Traumata und Nötigungen konfrontiert und bist niemals von der Bahn abgekommen. Aber aus irgendeinem Grund war das, was in Kusa passiert ist, genug, um dich aus dem Gleichgewicht zu bringen und diese Zahnräder von dir durchdrehen zu lassen.“ Hier machte er eine Pause; die Worte wie Trümmerteile zwischen ihnen verstreut. „Du hast deinen allmählichen Zusammenbruch über die letzten beiden Jahre sehr gut versteckt…bis zu deiner kleinen Einlage in dem Ryokan. Und jetzt auch noch Raidō. Dann ist da auch noch die Tatsache, dass du anfängst, mehr und mehr wie aufgewärmte Scheiße auszusehen.“   Schuldig im Sinne der Anklage.    Genma widerstand dem Drang, in spöttischer Zustimmung die Hände zu heben, sondern hob nur den Blick und erlitt das lange Begutachten, das Ibiki über ihn wandern ließ. In graphischen Details stellte er sich ganz genau das vor, was der Foltermeister sah…was Genma selbst inzwischen jedes Mal sah, wenn er in den Spiegel blickte; blutunterlaufene, nach Drogen hungernde Augen, eingefasst in ein hageres Gesicht, äscherne Haut so straff über einen Schädel gezogen, der so fragil geworden war wie eine Eierschale – nur ein Knacken davon entfernt, den Dotter der geistigen Gesundheit vollständig zu verlieren.   Aber hier hörte Ibikis Untersuchung nicht auf.   Diese dunklen Augen glitten über jede einzelne sichtbare, hervorstehende Neigung, hinunter über Genmas prominente Schlüsselbeine und das lose Sitzen der alten ANBU Uniform, die an ihm hing und auf einen Körper hindeutete, der auf rohe Sehnen und Fasern angespannter Muskeln reduziert war, die einfach nicht aufhören wollten zu zucken.    Ibikis Augen blieben wie ein unentrinnbares Rampenlicht auf ihn fixiert.    Genma kämpfte darum, sich nicht in seinem Stuhl zu versteifen oder ihn vollkommen zu verlassen; und wenn nur, um diesen Augen und der gnadenlosen Beurteilung dahinter zu entkommen. Doch die Scharfsinnigkeit dieses Blickes pinnte ihn an seinem Platz fest, als wäre er ein Sträfling, der auf seine Verurteilung wartete.    Da er es hasste, das Opfer zu spielen, entfloh er auf die einzige Weise, die er bei Ibiki kannte; mit einem Feixen und Klugscheißerei. „Hast du dich satt gesehen? Ich werd gleich rot.“   Dunkle Augen verengten sich zu Schlitzen und Ibiki stieß einen gemessenen Atem durch die Nase aus. „Du bist wirklich ein richtiger Rückfall, stimmt’s? Ich bin überrascht, dass Mushi dich nicht wieder eingewiesen hat.“   „Er hat Spaß an meinen stillen Behandlungen.“   „Stille wird dich nicht vor der Tatsache retten, dass du anfängst auszusehen, als wärst du auf einer monatelangen Sauftour gewesen. Körper lügen nicht. Und deiner erzählt eine abartig traurige und erbärmliche Geschichte, Shiranui.“ Und an diesem Punkt griff Ibiki nach der dicken Mappe und zog ein weiteres Blatt hervor; einen alten, psychologischen Evaluationsbericht aus Genmas ANBU Tagen – und daran angefügt, die Krankenhausberichte während seiner Zeit in der Reha.    Shit.   Panik fror Genmas Miene für den Bruchteil einer Sekunde ein, bevor er ein eisiges Schmunzeln aufsetzte. „Du brauchst bessere Gutenachtgeschichten“, sagte er mit gefährlich leiser Stimme.    Nicht einmal das Zucken einer Erwiderung, während Ibiki die Reporte durchsah, was – wie Genma nur zu gut wusste – alles nur Schau war. Ibiki würde all diese Details lange gelesen haben, bevor er seine kleine F&V Brigade wie ein gottverficktes Kriseninterventionsteam der Psychiatrie losgeschickt hatte.    „Dukkha, Rūpa. Schmuggelware vom Schwarzmarkt“, las Ibiki laut vor und seine Augen ruhten dabei auf einem alten Bluttest. „Das letzte Mal, als du diese Scheiße genommen hast, warst du undercover in Tanzaku. Die Kurobara Mission. Deine ANBU Wände standen vielleicht, aber deine Zahnräder haben sich bis zum Ende dieser Mission in die Hölle gedreht, oder nicht?“   Nein…sie haben sich bereits lange vorher in die Hölle gedreht…   Die durchdringende Stille verlangte nach einer Antwort, doch Genma ließ zu, dass sich das Schweigen weiter aufbaute…Stein um Stein, Ticken um Ticken, jede Sekunde verhärtete sich wie Zement im Mörtel dieser alten Wände. Während er Ibiki anstarrte, sagte er gar nichts, obwohl er alles noch einmal durchlebte; nicht Tanzaku, sondern den Tod der beiden Menschen, die einfach alles für ihn bedeutet hatten in einer Welt, wo das Nichts regierte und der Preis unmöglicher Liebe unentrinnbarer Verlust war.    Sie habe ich einmal verloren…und dich habe ich zweimal verloren…   Was zur Hölle sagte das eigentlich über die Zukunft von jedem, dem er zu nahe kam?   Immerhin…aller guten Dinge sind drei, oder nicht?   Oder in dem Fall wohl eher Flüche. Er wandte seinen Blick von Ibiki ab und sein Verstand sprang zurück zu silbernen Strähnen und ungleichen Augen. Er wusste es besser, als Kakashi zu einem Opfer der Verbrechen seines Herzens werden zu lassen – oder noch schlimmer, zu einem Komplizen seines Elends, seiner Fehler. Er hätte lachen, hätte heulen können. Fühlte, wie sein Kopf nach hinten kippte, als würde sich ein Brüllen aus ihm lösen. Doch stattdessen stierte er hinauf an die Decke, schluckte den Schrei hinunter und stieß einen langsamen Atem durch die Nase aus.    Ibiki beobachtete ihn; seine Augen bemerkten alles. „Du hast einen hohen Preis dafür gezahlt, in das Fahrwasser des Kurobara Kartells zu geraten. Tatsächlich hast du wirklich alles getan – auch jenseits der Pflicht – um deine Inkognito zu wahren. Du hast alles getan, was nötig war, um die Mission abzuschließen. Völlig ungeachtet der Kosten.“   „Das ist es, was wir tun.“   „Es ist, was du getan hast. Ich respektiere das. Ich verstehe das.“   „Ich bin ja so froh, dass wir diesen Punkt in unserer Beziehung erreicht haben“, sagte Genma gedehnt und ohne irgendeinen Humor. Seine Haut kribbelte bei diesem erkannten Lob und dem Gefühl eines äußerst gefährlichen Spiels, das im Gange war. Er ließ seinen Kopf wieder nach vorn fallen und seine Brauen hoben sich. „Was soll das hier, Ibiki? Mich zerreißen, nur um mich dann wieder aufzubauen? Dieser militärische Gedankentrick ist völlig verschwendet bei mir.“   Die Worte prallten wirkungslos ab und Ibiki beharrte wie mit einem Messer auf seinen Standpunkt. „ANBU hat es zu schätzen gewusst, dass du Risiken eingegangen bist, bis du selbst zu einem geworden bist. Nicht so sehr eine Gefahr für die Mission, das hast du immer hinbekommen…aber du bist schnell zu einer Gefahr für dein Team geworden, nicht wahr? Das liegt allerdings noch einige Jahre länger zurück als Tanzaku. Es hat mich neugierig gemacht, warum du, so in etwa mit neunzehn Jahren, aufgehört hast, gut mit anderen auszukommen.“   Hn. Zu blöd, dass das nicht die einzige Sache war, mit der ich in diesem Alter aufgehört habe…   Er hatte aufgehört zu fühlen, hatte aufgehört, es zu versuchen, hatte aufgehört zu glauben. Hatte mit allem aufgehört, um vermeiden zu können, mit nichts von vorn zu beginnen. Denn nichts – und niemand – konnte ersetzen, was er verloren hatte…wen er verloren hatte…die beiden Lichter in seinem Leben…sie waren lange vor ihrer Zeit erloschen…und hatten ihn in ANBUS Dunkelheit zurückgelassen.   Und dann griff Ibiki in genau diese Dunkelheit; fischte ein Foto zwischen zwei steifen Fingern hervor und schnippte es über den Tisch. „War das der Grund?“   Genmas Augen erstarrten, als sie sich auf das Polaroid richteten; zusammen mit allem anderen in ihm.    Es war ein Schnappschuss seines alten ANBU Teams.    Welche Farbe ihm auch noch geblieben war, entwich seinem Gesicht und sammelte sich heiß und pochend in seiner Brust; Säure in offene Wunden. Das Gift kroch aufwärts, ließ seine Stimmbänder rosten und seine Stimme war schwer und heiser in seiner Kehle. „Steck das weg.“   Zwei Sekunden…   Drei…   Ibiki überwachte den Moment und drehte das Foto um, warf einen flüchtigen Blick darauf, als hätte er solche Bilder bereits unzählige Male zuvor gesehen; gleichgültig gegenüber dem Inhalt, aber sich der Macht darin bewusst. „Du standest deinem ersten Team sehr nah.“   Genma erwiderte nichts, der Kiefer verkrampft und die Kehle zugeschnürt. Ohne zu blinzeln und blicklos starrte er auf die Mitte des Tisches. Er hörte Ibiki summen.    „Nachdem sie gestorben sind, wolltest du keinen Ersatz.“   Ersatz…   Als würde Ibiki über ANBU Utensilien sprechen, nicht über Menschen…   Meine Menschen…   Menschen, die er geliebt hatte.   Genma holte tief und bedächtig Luft, legte seinen Handballen gegen die Kante des Tisches, um sich davon abzuhalten, fuchsteufelswild darüber hinweg zu stürzen. Mit einem Arm so steif wie eine Klinge zuckte er mit den Achseln und die Muskeln in seinem Unterarm ticten. „Ich habe allein besser gearbeitet.“   „Das hast du behauptet, als sie im Dienst getötet wurden. Danach hattest du mehr Teamwechsel und Beschwerden von Kameraden als irgendein anderer ANBU Agent; bis du schlussendlich bei Reiketsu und Yugao gelandet bist. Sie haben sich von dir nichts gefallen lassen und für eine Weile schien es dir wieder gut zu gehen. Zumindest bis Tanzaku. Von da an haben die Drogen übernommen…“ Mitten in der Erzählung brach Ibiki ab, blätterte durch die Zeitlinie der Mission und ließ die Seiten langsam genug fallen, sodass Genma in einer flatternden Diashow einen Blick auf die Tanzaku Berichte erhaschte. „Du hast den Drogenumschlagspunkt abgefackelt wie ein Kind mit einem Feuerwerkskörper. Bist beinahe selber draufgegangen. Nur ein Fall in einer Reihe von Suizidmissionen. Missionen, die du anders bezeichnet hast…als…“ Er machte eine Pause und las das Gekritzel von Worten am Kopf eines Berichts, der von Genmas Handschrift ausgefüllt war. „Den Müll raustragen?“   Genma rollte bei dem Blick, der auf ihn gerichtet wurde, mit der Schulter und zog den Arm zurück. „Ich dachte, das wäre ein ziemlich zahmer Euphemismus für das, was wir getan haben.“   „Was du getan hast. Aktionen, die deine Sicherheit gefährdet haben und die Sicherheit deines Teams. Obwohl Reiketsu darauf hingewiesen hat, dass du sie immer im Voraus gewarnt hast:“   „Ich war eben rücksichtsvoll.“   Ibikis Lippen zuckten in etwas, das nicht so wirklich ein Schmunzeln war. „Du warst immer der erste in der Reihe, wenn es um extremste Aufträge ging. Je schmutziger, umso besser. Stimmt das nicht, Kaika?“   Genmas Kiefer zuckte hart angesichts des Decknamens. „Hat das alles hier auch irgendeinen Punkt?“   „Professionelle Intervention.“   Krachend kam die Zeit zusammen mit aller Luft in Genmas Lungen zum Stillstand. Er starrte Ibiki an – stumm, fassungslos, gepackt von dem Griff von Erinnerungen, die er nicht abschütteln konnte.    Für einen vielsagenden Herzschlag hielt Ibiki den Blick, bevor sich seine Augen wieder der Akte zuwandten. „Du erinnerst dich an das letzte Mal, als dir das passiert ist, oder?“, fragte er ruhig wie ein Zinker mit einer Trumpfhand, als er mit dem Daumen über die Seite strich. „Yugao und Reiketsu haben versucht, dich zu decken, aber nach Tanzaku ist die Scheiße den Bach runter gegangen. Dein ANBU Hauptmann hat dich eingewiesen. Eine professionelle Intervention, die übel und blutig geworden ist. Hat zwei komplette ANBU Teams gebraucht, um mit dir fertig zu werden, so zugedröhnt warst du.“ Er hielt inne, fuhr sich mit dem Daumen über die Unterlippe und summte einen neugierigen Ton. „Danzō hat sich direkt darauf gestürzt. Wollte dich um jeden Preis für KERN. Aber der Sandaime hat dich geschützt.“   Hat mich gerettet, wenn er mich einfach hätte loslassen sollen…   Genma schluckte und spürte, wie sich diese unsichtbare Schlinge um seinen Hals enger zog.    Ibiki tat so, als würde er noch etwas weiter lesen, bevor er die Mappe abrupt schloss. Das Klatschen erklang laut und scharf. „Danach warst du für mehr als sechs Monate in der Rehabilitation. Du hast es geschafft, aus eigener Kraft sauber zu werden und hast die professionelle Überholspur vom Tokujō direkt zum Goei Shotai genommen. Hast sogar unter Minato-sama gelernt, um auf ausdrückliche Empfehlung des Sandaime das Hiraishin no Jutsu zu lernen. Beeindruckend. Außergewöhnlich. Du hast diese zweite Chance mehr als verdient, um die du gekämpft hast.“   Nein. Das habe ich nicht.   Zorn. Scharf und gezackt. Er sägte sich durch diese unsichtbare Schlinge und gestattete es der Luft, aus Genmas Lungen in einem dünnen Strom durch seine Nase zu sickern. Er bluffte ein Grinsen und verbarg die Anspannung in seiner Stimme, indem er seinen Tonfall zu einem spöttischen Schnurren senkte. „Aber diesmal nicht, richtig? Drohst du mir, mich einzuweisen, Ibiki? Oder ist das eine Art krankes Vorspiel? Wie wäre es mit ein paar Taten statt Worten? Du weißt doch, dass ich der praktische Typ bin.“   Eine geschwängerte Pause, als Ibiki ihn musterte, dann lehnte sich der Sadist in seinem Stuhl zurück und seine Finger legten sich gegen seine vernarbten Lippen, während sich die Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln verzogen. „Du magst die Wände in deinem Kopf ja vielleicht abgewischt und wieder stabil bekommen haben…aber die Zahnräder haben sich nie wieder so zusammengefügt, wie es hätte sein sollen, nicht wahr?“   Als könnten sie das…   Und Genma spürte jetzt, wie sie herumwirbelten, sich in den Gossen seines früheren Lebens drehten, Geysire aus Rot verspritzten und diese Wände beschmutzen, bei denen er so verdammt lange gebraucht hatte, sie sauber und stark zu bekommen.    „ANBU kam wieder zu dir, kurz nachdem du entlassen wurdest“, fuhr Ibiki fort und erzählte die Geschehnisse mit einer Gewissheit, die vermuten ließ, er wäre dabei gewesen. Doch das war er nicht. Genmas Augen wanderten zu der Akte. Ibiki war noch nichtmal mit einem Viertel davon durch.    Scheiße…   Und in diesem Augenblick spürte Genma die Tiefe dieses Eingriffes wie einen Dieb, der sich in seine Erinnerungen stahl, in seinen Verstand und der seine Nerven schlagartig nervös machte. Wie viele Hausaufgaben und wie viel Herumschnüffeln hatte Ibiki eigentlich gemacht?   Das Grinsen des Morino verbreiterte sich bei der Stille. „ANBU kam und rief, aber es war niemand zuhause. Zumindest niemand, der du sein wolltest. Weil du nicht Kaika und Genma zur selben Zeit sein konntest – nicht wahr?“   Genma stählte seinen Kiefer und stierte für eine lange, suchende Sekunde auf das Bestandsbuch seines vergangenen Lebens, bevor er zurück zu Ibiki sah. „Dann weißt du ja bereits, warum ich gegangen bin.“   „Nur, dass du ANBU niemals wirklich verlassen hast, oder, Kaika?“, murmelte Ibiki und tippte sich dabei mit einem Finger gegen die Schläfe. „Hier nicht.“ Er tippte mit den Fingern über sein Herz. „Und auch nicht hier.“   Energisch versteifte sich Genma gegen diese Worte und zuckte innerlich zusammen, als sich ihre verrottete Wahrheit etwas tiefer in seinen Kopf, in sein Herz bohrte.    Ich bin immer dieser Mann…   Und dann Kakashis Stimme, so leise und sanft, dass sie beinahe ungehört blieb; ungefühlt.   ‚Lass ihn gehen, Genma. Lass ihn diesen Ort verlassen. Du bist nicht dieser Mann.‘   „Die Ironie ist, dass es eine gute Sache ist, dass du niemals gegangen bist“, fuhr Ibiki mit tiefer Stimme fort, die so hypnotisch in ihrer Ruhe war und eine seltsame Empfindung von Trost in sich trug. „Denn wenn du diesen Teil von dir wirklich zusammen mit deinen ANBU Tagen verlassen hättest, dann hättet du und Shikamaru niemals das überlebt, was vor zwei Jahren in Kusagakure passiert ist.“   Und da war es. Das Gift verbaler Klingen. Genma riss sich mental selbst in Fetzen, weil er nicht daran gedacht hatte, dass die Folter dieses Verhörs eher in einem psychologischen Gespräch liegen würde, statt in irgendeiner direkten physischen Tat – was er eigentlich bei dieser Aktion auf dem Dach angenommen hatte. Ibiki hatte seine Waffen klug gewählt. Aber auf der anderen Seite tat er das immer.    Hurensohn…   Genma hätte an jedem Tag und auf jede vorstellbare Weise physische Folter immer diesen Worten vorgezogen. Denn genau jetzt, als sein Hirn so taumelte, hatte er weder den Verstand, noch den Willen, sich zu verteidigen…schließlich gab es keine Worte, sondern nur Taten…aber jetzt im Moment brauchte es schon alles, was er hatte, seinen Hintern einfach nur in dem Stuhl zu behalten.    „Du hast getan, was du tun musstest, oder nicht?“, drängte Ibiki sanft, tröstend und seinen Part spielend. „Aus irgendeinem Grund hattest du keine andere Wahl, als wieder zurück in die Haut zu schlüpfen, von der du dachtest, du hättest sie abgelegt. Darin liegt keine Schande.“   „Willst du Mushis Job für ihn machen, Ibiki?“   „Du bist noch einmal Kaika geworden, um den Jungen zu beschützen.“   Genma stieß ein zutiefst bitteres Lachen aus. „Beschützen? Habe ich das denn getan?“   „Was mit Shuken passiert ist, lag an unzureichenden Informationen. Es lag nicht an dir.“   „Zur Hölle lag es das nicht“, blaffte Genma und lehnte sich in seinem Stuhl etwas nach vorn; obwohl er wusste, dass er geködert wurde. „Ich habe es verbockt.“   „Du hast ihn wieder nach Hause gebracht.“   Ich hätte sie BEIDE nach Hause bringen sollen…ich hätte zurück gehen sollen, aber ich…   „Ich konnte ihn nicht retten“, murmelte Genma und der Kampf floss zusammen mit diesen Worten aus ihm, als sein Körper besiegt nach hinten sackte. „Ich habe ihn nicht gerettet.“   „Du hast ihn aber auch nicht verloren.“   Doch, das habe ich…schon wieder…   Erschöpft schloss Genma die Augen, würgte all die anderen Worte herunter, die in seinem Rachen hochkochten und schluckte schwer, während er zur Decke stierte. „Fuck…du bist echt gut, Morino. Hättest ein Seelenklempner werden sollen.“   „Genma“, sagte Ibiki leise. „Du hast Shikamaru niemals im Stich gelassen. Aber wenn du auf diese Weise weitermachst, dann wirst du das. Trotz all deines blasierten Bullshits, bist du ein verdammt anständiger Shinobi. Du bist ein guter Mensch.“   Genma lachte auf; so plötzlich und so scharf, dass es leicht hysterisch klang. Den Kopf in den Nacken gelegt rieb er sich mit der Hand über den Mund und nickte langsam. „Klar.“   „Du bist ein guter Mensch“, wiederholte Ibiki. „Du hast es weit gebracht seit ANBU. Doch unglücklicherweise für dich, ist dieser gute Mensch nicht der Mann, der du für die letzten zwei Jahre für die Ältesten sein musstest, oder?“   Noch mehr Wahrheit, noch mehr Folter.    Mit glasigen Augen stierte Genma in den entferntesten Winkel der Decke. „Ist nicht von Bedeutung.“   „Es ist von Bedeutung. Statt dir zu gestatten, dich zu heilen und von dem zu erholen, was in Kusagakure vorgefallen ist, hat sich das Konzil auf dich gestürzt und dich wie den ANBU Agenten behandelt, der du einst warst. Als wäre es belanglos, was du wolltest. Was du gebraucht hast.“   Genmas Augen senkten sich und richteten sich direkt auf Ibikis Gesicht. „Als würdest du verfickt nochmal wissen, was ich brauche.“   „Ich weiß, dass du das nicht brauchst.“ Ibiki zog die Hand von der Akte fort und schüttelte den Kopf, während Abscheu seine Oberlippe verbog. „Es war ein kranker und fehlerhafter Plan, zu denken, sie könnten diesen Teil von dir wieder aus deiner Vergangenheit zerren, ohne die Dunkelheit mit hervor zu holen.“   ‚Die Dunkelheit ist tief eingedrungen, nicht wahr?‘   Die qualvolle Wahrheit wurde unbarmherzig, nahm neue Dimensionen und neue Kanten an…schnitt sich durch Genma wie die rostigen Dornen einer eisernen Jungfrau und traf so viele Nerven, dass er vor Schock taub wurde, vor Scham…   Stop…   Er fühlte, wie die Emotionen eine Sepsis in seiner Blutbahn aufbauten, wie Muskeln kontrahierten und Atem mühevoll wurde, als er sich in seinem Stuhl versteifte und so hart zubiss, bis seine Backenzähne knackten und Blut seinen Mund füllte.    Stop…   Doch Ibiki wurde nichtmal langsamer, sondern trieb die Dornen noch tiefer. „Die Ältesten wussten, dass du in diesem System der Lügen nicht funktionieren kannst…und sie hatten recht, oder nicht?“   Scharf nach Luft schnappend wandte Genma den Blick ab, um die Pein zu verbergen, die hinter seinen Augen aufstieg. Er sah durch den Raum, als sich sein Fokus nach innen richtete und verzweifelt nach einem Rauch innerhalb seines Verstandes suchte, wo die Wände noch immer standen.    Dort drin könnte er sich wegsperren.   Wusste, wie man das tat.    Doch statt Kammern oder Sicherheitsräumen war alles, was er fand, Korridore und sich drehende Zahnräder…und Ibikis Stimme, die ihm bei jeder Abzweigung nachjagte.    „Und während Kaika zwar in diesem Netzwerk der Lügen funktionieren kann, kannst du nicht ohne Drogen und Zerstörung als Kaika funktionieren. Es ist genau diese Dunkelheit, die Danzō wollte. Dieser Teil deines Selbst, dem du über Jahre zu entkommen versucht hast. Aber während der letzten zwei Jahre, hat dich die Mission, Shikamaru zu beschützen, zurück an den Ort gezerrt, vor dem dich der Sandaime gerettet hat, oder nicht? Sag mir, dass ich falsch liege.“   Genma antwortete nichts.   Und Ibiki hörte nicht auf. „Sie wollen Kaika“, sagte er und musterte Genma von oben bis unten, bevor er den Kopf schüttelte. „Und bei allen Göttern, du hast auf jeden Fall abgeliefert, stimmt’s?“   Es war keine Antwort nötig.    Die Wahrheit brauchte nicht länger Worte…und Genma hatte auch keine zu geben…nur Taten…und seine selbstzerstörerischen Taten bis zu diesem Punkt enthielten all die Antworten, die Ibiki brauchte.    Nicht alle Antworten…   Nein. Definitiv nicht alle Antworten. Aber genug, um ihn zu verurteilen…genug, um jeden anderen davon zu überzeugen, Genma wäre ein Spinner. Ein Mann, der nur einen einzigen Schritt von einem mentalen Kollaps entfernt war…zusammen mit den Wänden in seinem Verstand…den Wänden, an denen er jetzt vorbei stolperte, als er versuchte, einen sicheren Ort zu finden, einen beständigen Punkt…   Während er sich zurück lehnte, breitete Ibiki die Hände in einem leidenschaftslosen Schluss aus, bevor er seine Fingerspitzen aneinander legte. „Da haben wir es. Es ist ein gigantisches, abgefucktes Durcheinander, Shiranui. Genug, um jeden vernünftigen Mann an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Mushi würde das bei jedem absegnen…was exakt der Grund ist, warum du ihm genau das geben wirst, worauf er bei einem totalen Zusammenbruch hofft.“   Sein Verstand kam ruckartig zum Stehen und Genmas Augen weiteten sich, während sie rapide blinzelten und sein Blick verwirrt zurück zu Ibiki schwang. „Was?“, krächzte er und kämpfte sich die mentalen Korridore entlang zurück, während die Chemikalien in seinem Hirn und Blut an seinen Gedanken zerrten, was ihn dazu veranlasste, sich in dem Spiegellabyrinth voran tasten zu müssen.    Konzentrier dich…konzentrier dich…   Fragmente von Ibikis Worten erreichten ihn und prallten von den bebenden Wänden ab. „Du bist von dieser Mission abgezogen, Shiranui…eine Labilität…bin es leid zusehen zu müssen, wie du alles wegwirfst, was du dir aufgebaut hast…hätten dich darüber hinweg kommen lassen sollen. Es ist vorbei. Ich schneide dich frei.“   ‚Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.‘   „Ich kann nicht“, raunte Genma und nutzte Erinnerung, um seinen Verstand diese Korridore entlang zu scheuchen und ein Herzklopfen pochte an der Basis seiner Kehle. „Ich kann nicht…“   ‚Denn du musst dich an dein Versprechen an mich erinnern…und an mein Versprechen an den Sandaime. Und jetzt schwöre es.‘   „Du kannst und du wirst“, murmelte Ibiki und lehnte sich nach vorn über den Tisch. „Denn wenn du nicht mit mir kooperierst, dann werde ich gezwungen sein, die Vorgehensweise der professionellen Intervention fallen zu lassen und wirklich persönliche Scheiße aus deiner Vergangenheit zu zerren. Dinge, die diese Unterhaltung hier aussehen lassen werden wie ein Kaffeekränzchen.“   Doch Genma hörte ihm nicht zu; seine Aufmerksamkeit war damit beschäftigt, einen Gedanken vor den anderen zu setzen und seinen Verstand den finalen Korridor entlang zu führen, während er sich schwer in die Wand von Pflicht und Versprechen lehnte.    Mission…Mission…   Seine Mission, sein nächster Zug…sein…   Mushi. Die Akte. Shikamarus Akte.   Sein Verstand sprang zurück und sein Körper zuckte zusammen.    Ibiki redete noch immer, aber diesmal hörte Genma ihn.    „Du wirst heute Nachmittag die Vorstellung deines Lebens bei Mushi abziehen. Obwohl es an diesem Punkt nicht viel brauchen wird, um ihn davon zu überzeugen, dass du brichst. Scheiße, an diesem Punkt wird es ja kaum ein Schauspiel sein.“ Ibiki tippte mit seinen Fingern auf die Akte. „Du tust das, Genma und du bekommst die offizielle Entlassung, die brauchst, um deinen ganzen Mist auf die Reihe zu bekommen. Die Ältesten werden nicht in der Lage sein, dich anzurühren. Sie werden es nicht riskieren, sich der Hokage auf diese Weise in den Weg zu stellen und Mushi wird deine Vertraulichkeit wahren. Nach dem letzten Mal zu urteilen, als ich sie gesehen habe, ist Shizune dir immer noch genug zugeneigt, um dafür zu sorgen, dass du direkt in einer Klinik außerhalb des Dorfes untergebracht wirst. Soweit es irgendjemanden sonst betrifft, befindest du dich auf einer Mission.“   Genmas Augen klärten sich, sein Kopf hob sich ruckartig und seine dunklen Strähnen schwangen. „Ich habe eine Mission.“   Ibiki warf ihm einen warnenden Blick zu. „Das war niemals deine Mission. Es war der Fehler des Konzils. Jetzt korrigieren wir ihn.“ Er nahm die Mappe auf und schob seinen Stuhl zurück, während er begann, sich aufzurichten. „Sieh zu, dass du wieder sauber wirst. Sieh zu, dass es dir besser geht. Sieh zu, dass du verflucht nochmal aus diesem Rattenloch rauskommst, in dem du seit den letzten beiden Jahren lebst.“   „Das kann ich nicht tun. Das werde ich nicht tun.“   Auf halben Weg aus seinem Stuhl hielt Ibiki inne und stützte eine Hand auf den Tisch. Er bedachte Genma mit einem milden Ausdruck der Überraschung – vielleicht bewunderte er seine rasche Rückkehr zur Genesung – bevor sich seine Brauen irritiert zusammenzogen. „Ich biete dir hier keine Wahl an. Aber ich biete dir eine Gelegenheit. Eine Gelegenheit, dein Leben zurück zu bekommen. Nimm sie. Dann können wir alle weiter machen.“   „Weiter machen?“, knurrte Genma durch die Zähne. „Wie denn? Indem wir Shikamaru zurück nach Kusagakure schicken? Wie verfickt nochmal kann das bedeuten, weiter zu machen?“   Grunzend richtete sich Ibiki vollständig auf und sah mit grimmigen Augen unter dem Schatten seiner Brauen hinab. „Mir gefällt es genauso wenig wie dir, dass der Junge wieder in Kusagakure ist. Aber es ist nicht deine Aufgabe, diese Entscheidungen zu treffen. Tatsache ist, dass es ein verdammtes Wunder für jeden einzelnen Shinobi braucht, ohne die Narben irgendeines Traumas durch das Leben zu gehen. Letztendlich werden wir alle ins kalte Wasser geschmissen. Es ist Konditionierung. Es ist grausam. Friss oder stirb.“   Genmas Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen. „Und ist das die Argumentation der Ältesten oder deine?“   Ibiki zuckte mit den Achseln. „Es ist Realität. Und wir alle teilen sie. Glücklicherweise sind in diesem Fall die kalten Wasser klar. Der Hai wurde entfernt. Shukens Tod und die Zerstörung von Projekt Shinjū verifizieren das. Abgesehen von den üblichen Gefahren der derzeitigen Mission, sind Kusagakure und das umgebende Gebiet nicht länger eine Bedrohung für Shikamaru.“   Achja? Tja, jetzt kommt die Krönung…   Genma kämpfte einen weiteren üblen Schüttelanfall nieder und gab den Versuch auf, sich zu erheben. Stattdessen wandte er sich steif um, bis er seitwärts dasaß und flach atmete. „Vielleicht nicht physisch, aber psychisch gesehen haben wir vielleicht ein riesen Problem.“   Mitten in einer Drehung hielt Ibiki inne und seine Augen zuckten von der Tür zurück, um sich auf Genma zu richten. „Wovon redest du?“   Der Augenblick der Wahrheit. Hässlich wie immer.    Genma lehnte sich stützend gegen den Stuhl und beugte sich leicht nach vorn, während er die Hände auf seinen bebenden Schenkeln abstützte und einen Atem verschluckte. „Mushi hat einen Diagnosebericht über Nara Shikamaru. Und den schützt er mit einem Blutsiegel.“   Eine lange und gefahrvolle Stille…   Ohne ein einziges Wort wandte sich Ibiki um, legte die Mappe ab und senkte seine Handflächen zu beiden Seiten des Tisches. Langsam lehnte er sich nach vorn und seine mit Leder bekleideten Finger krallten sich um die Kanten, bis seine Knöchel knackten wie durchgebrannte Glühbirnen.    Viel zu erschöpft, um auf den anderen Mann zu warten, spähte Genma durch die Wimpern zu ihm. Ihre Blicke trafen und hielten sich.    Eine Sekunde.    Zwei.    Ibikis Augen verwandelten sich von schwarz zu bodenlos. „Ich hoffe wirklich, dass du mich gerade verscheißerst, Shiranui.“   Genmas Lippen zuckten in einem trostlosen Lächeln. „Schön wär’s.“     _________________ Hallo meine Lieben! :)  Hier ist ein ganzes Kapitel nur zu Genma und Ibiki, in dem wieder viel über Genmas Vergangenheit ans Licht kommt, wenn auch eher indirekt :D  Ich bin ja gespannt, ob diesmal jemand bemerkt hat, dass Naoki zur Hälfte Nara ist. Ich wollte da eigentlich schonmal drauf eingehen, da das scheinbar niemandem in Kapitel 15 aufgefallen ist :D Oder zumindest hat niemand was dazu gesagt, obwohl ich finde, dass das schon eine ziemlich interessante und auch wichtige Information ist.  Naja, wie auch immer, ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und natürlich werden noch alle Reviews beantwortet, tut mir sehr leid, dass ich da gerade so hinterher hänge :/  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Kapitel 20: Dark hallway and blazing fire ----------------------------------------- Wie es ihr beschissenes Glück so wollte, würde die Wanderung von der Kannabi Brücke bis zum Anwesen des Daimyō, das direkt innerhalb der Grenzen von Kusagakure lag, drei Stunden länger dauern, als Shikamaru angenommen hatte. Eine Verzögerung, die dadurch verursacht wurde, weil der Kusa Jōnin darauf bestand, den ‚Gästen‘ seines Herrn während der ganzen Reise die Augen zu verbinden.    „Ernsthaft?“, murrte Naruto. „Werden die uns auch noch fesseln und knebeln?“   Mit spöttischer Sorge lehnte sich Kiba zu ihm. „Sei nicht so nervös, Turteltaube. Du kannst dich doch jederzeit selber Huckepack aus dem Ärger raus tragen und den Rest von uns zurück lassen. Ach ne. Warte mal. Das hast du ja schon gemacht.“   Naruto warf ihm einen trockenen Blick zu. „Ich habe versucht, Chōji zu holen. Und würdest du endlich mit diesem bescheuerten Spitznahmen aufhören?“   „Hey, wenn es passt.“   „Du musst es wissen, Scheißemagnet.“   „Man, das muss ich dir lassen. Das war wirklich clever. Mach mal Platz Shikamaru. Du bekommst Konkurrenz an der Front der Genies.“   „Hilft mir nicht wirklich“, grummelte Shikamaru leise, die Augen wachsam auf den Kusa Jōnin gerichtet, der sie beobachtete. Der Mann sah mit jeder Faser aus wie ein erfahrener Krieger. Shikamaru schätzte ihn auf etwa Mitte dreißig, vielleicht ein bisschen älter. Groß und mit langen Gliedmaßen, waren seine Arme und Beine straff und sehnig, die definierte Muskulatur alarmierend angespannt, was auf sofortige Bereitschaft und Reflexe hindeutete.    Er wird keine Sekunde zögern zuzuschlagen.   „Ihr seid aufgrund einer Einladung hier“, sagte der Jōnin nun und scannte die Konoha Ninja aufmerksam unter dem Rand eines traditionellen, konischen Strohhutes. „Aber auch wenn unser Herr so großmütig zugestimmt hat, eure Anwesenheit in unserem Land der Verschlungenen Wurzeln zu tolerieren, werden wir dennoch nicht die Sicherheit davon gefährden.“   Als der Mann seinen Kopf hob, erhaschte Shikamaru endlich einen Blick auf sein Gesicht.    Shit. Was um alles in der Welt ist mit dir passiert?   Der Kusa-Nin hatte eine seltsam spinnwebenartige Narbe, die sich wie silberner Frost über die rechte Seite seines Gesichtes ausbreitete, die Muskeln paralysiert und das rechte Lid in einer abgeschirmten Position über einem Augapfel eingefroren, der benebelt war wie ruinierter Quarz. Das andere Auge hingegen war von durchstechendem gelbgrün und die Iris beinahe reptiliengleich in ihrer Schmalheit. Es schien in dem gebräunten Gesicht geradezu zu glühen. „Entweder akzeptiert ihr unsere Bedingungen oder ihr könnt direkt wieder auf das Boot steigen. Ihr habt die Wahl. Es gibt keinen Kompromiss.“   Bei diesen Konditionen, die schwer in der Luft köchelten, hielt Shikamarus Hirn mitten in der Überlegung inne, als sich sein Fokus auf die dreieckige Hüftschärpe richtete, die über den Schenkel des Jōnin hing; der weiße Stoff war mit dem Unendlichkeitssymbol des Landes der Verschlungenen Wurzeln bestickt.    Shikamarus Augen weiteten sich in Begreifen.    Oh Shit…   Dieser Mann war kein Gesandter. Er war einer der Ninjawächter.    Einer von den Nagu Butai…   Die Eliteninja Einheit, darauf eingeschworen, den Daimyō des Landes der Verschlungenen Wurzeln zu verteidigen.    Genau wie die Zwölf Elitewächter…   Und bevor Shikamaru den Gedanken zurückreißen konnte, flackerte eine Vision von Asumas Wächterschärpe durch seinen Verstand…ein zerfetztes Banner…hängend an Haken von Erinnerung…   Erinnerung…   Und verpasste Unterhaltungen…und Fragen, die er niemals hatte stellen können. Noch mehr unerwartete Trauer, noch mehr zeitlose Gedanken, noch mehr ungewollte Emotionen, die um sein Herz herum rasselten und sich hinter seinen Augen sammelten.   „Shikamaru.“ Nejis Stimme brachte ihn zurück. „Akzeptiere ihre Bedingung und übernimm die Führung“, murmelte der Hyūga, während er sich langsam ans Ende des Teams zurück zog. „Ich werde unsere Augen sein; Augenbinden hin oder her.“   Für einige blanke Momente starrte Shikamaru in diese blassen, weißglühenden Iriden, bevor er nickte und sich mit einem fast schon körperlosen Empfinden der Losgelöstheit bewegte, um zu tun, was ihm gesagt wurde und heimlich einen Transmitter ins Ohr zu stecken.   Notwendigkeit…   Im Moment die sicherste Art von Bedarf.   Als der Kusan-nin Bänder aus Stoff hervor zog, um ihnen die Augen zu verbinden, spähte Shikamaru zu Kiba und zupfte leicht an seinem Ohrläppchen, um so zu tun, als würde er sein Piercing hin und her drehen.    Kiba verstand das Zeichen, nickte ein einziges Mal und sprang auf Akamarus Rücken. Der Rest des Teams verfiel in eine lockere Linie.    Shikamaru täuschte die Führung des Temas vor und bewegte sich nach vorn, während Neji ans Ende driftete, die Augen abgeschirmt und den Blick zur Seite gewandt. Shikamaru verzog selbstadelnd das Gesicht. Er hätte sich treten können und tat es mental auch, dafür dass er Nejis auffälligstes Merkmal und eine seiner mächtigsten Waffen nicht berücksichtigt hatte.    Verdammt. Ich hätte Shino dazu bringen sollen, Neji seine Sonnenbrille zu geben…   Wie gut, dass die Augenbinden in dem Fall ein Segen waren. Sollte der Nagu Wächter diese mondweißen Hyūga Augen sehen, war es nicht abzusehen, was für eine Art von Drama das auslösen würde.    Jedenfalls nicht die Art, aus der wir unversehrt wieder rauskommen…   Untertreibung. Wenn die geradezu peinlich begrenzten Informationen von ANBU über Kusagakure irgendwie korrekt waren, dann besaß das Land der Verschlungenen Wurzeln das Zweifache, wenn nicht sogar Dreifache an Elitewächtern wie das Land des Feuers. Oder zumindest besagten das die Gerüchte. Shikamaru hatte die anderen während der Bootsfahrt über all diese Tatsachen informiert und trotz der ungläubigen Rufe vom Rest des Teams, war Neji von der Statistik überhaupt nicht überrascht gewesen.    ‚Ob es jetzt eine Fehlinformation oder eine Tatsache ist, es kommt nicht überraschend. Nach allem, was Kusa während des letzten Krieges durchmachen musste, wäre es seltsam, wenn ihr Feudalherr keine Vorkehrungen getroffen hätte.‘   Was bedeutete, dass es ebenso viele unbekannte Möglichkeiten und potentielle Bedrohungen gab wie Grashalme innerhalb dieses strikt geheimen Landes; obwohl eine Sache, die Konoha unbestreitbar wusste, war, dass sich Orochimaru vor Jahren in Kusagakure eingeschlichen und irgendwo in der Dichte des undurchdringlichen Dschungelwaldes ein Versteck errichtet hatte.   Was bedeutet, dass man Narutos Verdacht nicht ausschließen kann, dass diese Schlange vielleicht in das alles hier verwickelt ist…   Außerdem schien dieser charakteristische Schleim von Orochimarus Verdrehtheit wirklich an den Chimären und ihrem genetischen Freakshow-Durcheinander zu kleben. Und es half auch nicht gerade, dass das Kusagakure Ninjateam in die gleichen Strohhüte und schwarzgrauen Gewänder gekleidet war, die Orochimaru damals getragen hatte, als er während der Chūnin Prüfungen den Körper eines jungen Kusa Genins besessen hatte.   Hn. Fast, als wollten sie von uns, diese Verbindung herzustellen…   Aber Vermutungen waren kein Beleg und Rätselraten kein Beweis.    Aber es ist der beste Ort um anzufangen…   Daher legte Shikamaru mit ordnungsgemäß verbundenen Augen und sicher in dem Wissen, dass Neji sehen und sie vor jeder Gefahr warnen konnte, sein Leben in die Hände des Hyūga und übergab sein Hirn der Analyse der Wahrscheinlichkeiten der Mission. Und als sie ihren blinden Marsch begannen, fand er einen seltsamen Trost in der Dunkelheit.   Komisch…   Er hätte nervös sein müssen. Doch stattdessen verspürte er eine plötzliche Klarheit seiner Gedanken und ein losgelöstes Empfinden von Perspektive. Zwei lebenswichtige Waffen, die ihm vorhin auf dem Boot und auch in den Sümpfen gefehlt hatten.    Solange ich diesen klaren Verstand habe, brauche ich kein Ninjutsu…   Er musste nicht einmal seine Finger in ihrer üblichen Pose aneinander legen, um sich zu zentrieren. Die Gedanken, die Strategien, die Einschätzungen…sie schienen einfach so aus der plötzlichen Finsternis zu fließen. Wie ironisch, dass während er blind dahin lief, sie alle so klar und leicht zu ihm kamen wie stets zuvor – vielleicht sogar schneller als es früher der Fall gewesen war.   Gut.   Er war wegen seines Chakras schon genug durchgedreht, aber mit seinem Hirn, das Strategien spann, konnte er sich allem anpassen. Sein Glück musste ihm endlich mal diese dicke fette Pause gegönnt haben.    Oder auch nicht…   Denn trotz der Geschwindigkeit seiner rasenden Gedanken, wurde ihr blinder Marsch geradezu schmerzlich unbeholfen und zunehmend langsamer. Sie mussten in etwa gute zwei Meilen zurück gelegt haben, als ihr Weg eine seltsame Wendung nahm. Einige Meter einen blätterbedeckten, glitschigen Pfad hinab und Shikamaru wurde sich bewusst, dass der Klang erstickt wirkte…gedämpft…   Plötzlich knackte Kibas Stimme in sein Ohr. „Shikamaru, hörst du mich?“   Leicht zusammenzuckend wegen des Knisterns der Statik, ruckte Shikamarus Schulter reflexartig zu seinem Ohr, da er vollkommen vergessen hatte, dass er einen Transmitter platziert hatte.    Gut gemacht, du Intelligenzbestie.   Die leitende Hand des Kusa-nins auf seiner Schulter verkrampfte sich. „Was ist los?“   „Wurde gestochen.“   Kibas Schnauben rasselte in sein Ohr. „Gut gerettet.“   Während er so tat, als würde er ungesehene Fliegen verscheuchen, schnalzte Shikamaru mit der Zunge, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte. Kiba war der Einzige mit einem funktionierenden Mikrofon – da er auch der Einzige war, der keine direkte Unterstützung beim blind laufen brauchte. Das letzte Mal, als Shikamaru ihn gesehen hatte, hatte der Inuzuka auf Akamarus Rücken gesessen, während der Hund an einer Leine geführt wurde und der Kusa-nin dabei einige Schritte voraus gelaufen war.    Kibas Stimme erklang erneut; leise und beinahe undechiffrierbar. „Ich kann überhaupt nichts riechen.“   Das kann nichts Gutes bedeuten…   Shikamaru schnalzte erneut mit der Zunge.    „Muss ein Barriere Jutsu sein. Ein ziemlich starkes noch dazu. Kann auch kaum was hören. Was wolln wir wetten, dass Neji einen Scheiß sehen kann?“   Verdammt…   Shikamaru tat so, als würde er sich räuspern.    Kiba seufzte. „Mir gefällt das gar nicht Shikamaru. Willst du, dass ich-?“   Shikamaru schnalzte zweimal mit der Zunge und hörte das widerwillige Grunzen des Hundeninjas – und dann Stille.    Unnatürliche Stille…   Die Sinne des Schattenninjas wurden wachsam und suchten nach irgendeiner Tötungsabsicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hier um eine Falle handelte, war gering. Kusagakure befand sich bereits unter dem Messer des Argwohns. Sie würden nicht riskieren, einen blutigen Standpunkt klarzumachen, wenn das dafür sorgen würde, Konohas überlegene Militärmacht auf ihre Köpfe niedergehen zu lassen.    Außer sie haben Horden von Chimären, die nur auf ihren Auftritt warten…   Das würde Krieg bedeuten.    Aber warum das Überraschungsmoment massakrieren, indem man diese Bestien zu uns schickt? Plus, wir haben Sunagakures Unterstützung, sollten die Dinge den Bach runter gehen. Kusagakure hat viel mehr zu verlieren als wir.    Der Boden unter seinen Füßen änderte die Textur. Für etwa eine viertel Meile wurde er schwammig und federnd, bevor er harter Erde wich. Shikamaru nutzte das als eine Markierung. Er schätzte, dass sie noch in etwa zwei weitere Meilen marschiert waren, bevor sich der Kurs erneut änderte und wieder zu rauerem Terrain wechselte, als sie zwei seichte Flüsse überquerten. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Geräusche vollständig abgeschnitten und erstreckten sich nur auf ein paar Schritte um sie herum. Als wären sie in einer Blase eingeschlossen.    Definitiv ein Barriere Jutsu…   Circa vier weitere Meilen später wurden ihnen die Augenbinden von den Köpfen gerissen.    Rapide blinzelnd kniff Shikamaru die Augen gegen die grelle Wand aus Licht zusammen, die sich bald als die prächtigen weißen Mauern der Residenz des Daimyōs herausstellte. Platziert in der Mitte eines kunstvoll gestalteten Hofes und umgeben von seltsam konstruierten Steinwällen, Wachtürmen und Torhäusern, besaß das dreistöckige Anwesen sowohl die prunkvolle Architektur eines palastartigen Besitzes, als auch die Solidität und Undurchdringbarkeit einer Burg.    Macht und Prestige.    Irgendwie erschien es vertraut.   Shikamaru legte den Kopf in den Nacken und nahm die kunstfertig ausgearbeitete Architektur in sich auf; die Feinheiten der hölzernen Säulen, alle handgeschnitzt und bemalt, um verschlungene Wurzeln und lebende Ranken darzustellen; die steilen, abgestuften Dächer, deren tief lilagrauen Ziegel mit schmalen Goldstreifen gesäumt waren, die schimmerten wie die Venen in einem Blatt.    Ein Kunstwerk…   Selbst die umgebenden Festungen schienen wie lebende Bäume aus dem Boden gewachsen zu sein, als wären sie von einem Jutsu in eigentümliche Totemtürme verwandelt worden, die alle von einer Anordnung aus Tierköpfen geziert waren; einer auf dem anderen von der Wurzel bis zur Spitze. Da lag etwas tief Signifikantes, wenn nicht sogar seltsam Spirituelles in dieser Konstruktion.    Warum zur Hölle ist mir das alles so vertraut?   Während sich der Rest des Teams sammelte und gackerte, trat Sai zu ihm. „Das sind die Shinjū, von denen ich gesprochen habe“, sagte der Künstler, als seine Augen über die Architektur wanderten. „Göttliche Bestien.“   „Ja“, erwiderte der Nagu Wächter und sein gelbgrünes Auge zuckte von Turm zu Turm, bevor es sich auf Shikamaru richtete. „Unser Herr hegt tiefe Zuneigung und Respekt für alles Mythische.“   Anerkennend hob Shikamaru die Brauen und sah sich um, wobei er die Gelegenheit nutzte, den Innenhof in einer raschen Sicherheitskontrolle zu prüfen. Zwischen den patrouillierenden Wachen zählte er zehn sichtbare Nagu Butai, die auf verschiedenen Ebenen des Areals in direktem Sichtfeld standen. Bewusst und doch zurückhaltend. Kein Grund für ein extravagantes Vorführen von Muskeln; nur ein Hinweis darauf.    Shikamaru respektierte das, trotz seines unbehaglichen Gefühls eines Déjà Vus.    Oder vielleicht kam dieses Unbehagen auch von der Tatsache, dass Narbengesicht ihn mit diesem gruseligen goldgrünen Auge anstarrte. Energisch widerstand er dem Drang, dem Mann einen fragenden Blick zuzuwerfen – zumindest bis der Nagu Wächter seinen Namen sagte.   „Nara Shikamaru.“   Scharf zuckte die Aufmerksamkeit des Schattenninjas herum und er kaschierte seine weitäugige Überraschung mit schlitzäugigem Argwohn. Argwohn, der anfing, feine Härchen aufzustellen, als er das erwartungsvolle Schweigen von Narbengesicht bemerkte; als müsste er diesen Mann eigentlich kennen – was Shikamaru allerdings weniger Sorgen bereitete als der Gedanke, wie zur Hölle es sein konnte, dass dieser Mann ihn kannte.    „Haben wir uns schonmal getroffen?“, fragte er leise und wachsam.   Eine unangemessene Pause. Und dann zuckten Narbengesichts Lippen; die linke Seite seines Mundes hob sich in einem grimmigen Schmunzeln, das nicht einmal den äußersten Winkel seines starrenden Auges verzog. „Mein Name ist Katsu“, war alles, was er sagte.   Doch bevor sich Shikamaru mit dieser vagen Antwort auseinandersetzen konnte, wandte sich Katsu bei dem Geräusch von Hufgetrappel um, das den von Bäumen gesäumten Weg hinunter bis zum Herrenhaus erscholl. Eine Delegation aus Männern näherte sich in einer Staubwolke und wirbelnden Azaleenblättern. Der Wind ihres Ritts brachte die Banner des Daimyō in Bändern aus Grün und Gold im Sonnenlicht zum Flattern und Knallen.   Katsu trat ihnen entgegen und verneigte sich.    Die Pferde kamen zu einem klappernden Stillstand und die Reiter stiegen ab. Alle trugen einheitliche Wachuniformen, abgesehen von zwei älteren Männern. Diese Älteren waren in die aristokratischen Gewänder von Höflingen oder Adligen gehüllt; teure Damasthosen und Obergewänder von der Farbe blassesten Gelbs, gemustert von dunklen, ineinander verwobenen Ranken aus vergoldeten Fäden.    „Mitglieder des Konzils“, sagte Neji leise und mit von Byakugan Venen eingerahmten Augen.    Shikamaru spähte zu ihm und sein Unbehagen löste sich merklich. „Hast du während unseres kleinen Gänsemarschs hierher irgendwas gesehen?“   „Gar nichts.“   „Dachte ich mir. Ein mobiles Barriere Jutsu, huh? Interessant.“   „Genauso wie das Barriere Jutsu, das sie über diesem ganzen Bereich errichtet haben“, erwiderte Neji, als er alles um sich herum in einem langsamen Driften scannte und vollkommen vergeblich suchte. „Es umfasst alle drei Ebenen des Anwesens und auch die umgebenden Türme. Undurchdringbar, selbst für meine Augen. Ihre Defensiven sind absolut solide.“   „Jo, aber können sie auch einer Hyūga Kopfnuss standhalten?“, murmelte Shikamaru und versuchte sich an Humor, um sich davon abzuhalten, sich wieder in seinen Kopf zurück zu ziehen.    Neji sah ihn an, während sich seine Byakugan Venen zusammen mit seinem geisternden Lächeln glätteten. „Nervöser Humor, Nara?“   „Sowas in der Art.“   Aufmerksam wanderten Nejis Iriden zum Mund des Schattenninjas, dann zu seiner Stirn und zurück zu seinen Augen. „Was ist das Problem?“   Abgesehen davon, dass du mich ansiehst?   Die Langsamkeit dieser verweilenden Begutachtung war unverkennbar. „Später“, raunte Shikamaru und fühlte sich warm unter der Musterung dieser kühlen Augen. „Bin mir nicht sicher, ob ich es jetzt im Moment überhaupt in Worte fassen kann.“   „Nichtmal annähernd beruhigend.“   „Entspann dich, Hyūga.“   Sich seinen eigenen Rat zu Herzen nehmend, schob Shikamaru seine Hände in die Taschen und ließ die Hüfte einknicken, um sein Gewischt auf seinen linken Fuß zu verlagern. Er bemerkte, wie sich Neji von ihm fort bewegte, drehte sich aber nicht, um es zu sehen – musste es nicht. Er spürte die Abwesenheit des Hyūga so deutlich wie eine Veränderung in der Temperatur und die Wärme erstarb auf seiner Haut.    Ich muss aufhören, das zu tun…   Aber das wäre vielleicht leichter zu erreichen, wenn er verflucht nochmal überhaupt wüsste, was zur Hölle er eigentlich tat. Zu blöd nur, dass er das nie wusste, wenn es um Neji ging. Er wusste nur, dass es ihn stabil hielt, den Hyūga bei sich zu haben, wenn der Kummer anklopfte. Trauer hatte die ätzende Angewohnheit, vollkommen uneingeladen aufzutauchen und zu versuchen, die Türen zu knacken, die er zu Asumas Erinnerung zugeschlagen hatte.    Ich kann das jetzt nicht…   Vielleicht wäre er niemals in der Lage, es zu tun. Und falls das der Fall war, wie zur Hölle sollte er dann wieder mit Chōji und Ino in Einklang kommen? Sie brauchten etwas von ihm in Bezug auf Asuma. Etwas, von dem er nicht wusste, wie er es geben sollte, ohne diese geschlossenen Türen zu öffnen. Ohne diesen zerschmetternden Schmerz wieder zu erleben, von dem er geglaubt hatte, er hätte ihm in der Nacht Luft gemacht, als sein Vater ihm geraten hatte, es alles rauszulassen.    Nur habe ich das nicht…oder? Ich bin weg in meinen Kopf gerannt. In diese Mission, um ihn zu rächen.   Zumindest wusste er, dass er seinem Verstand vertrauen konnte, auch wenn sich sein Körper und Chakra dazu entschlossen hatten, im unpassendsten Moment ins Taumeln zu geraten.    Was auch immer es ist, ich werde es richten. Muss es nur wie eine Verletzung behandeln. Solange mein Kopf nicht beschädigt ist, werde ich es auf keinen Fall nochmal verbocken und diese Mission scheitern lassen.    Eine Hand berührte seinen Ellbogen und beinahe hätte er einen Satz gemacht.    Perplex sah Chōji ihn mit einem Stirnrunzeln an. „Immer noch diese Schreckhaftigkeit, huh?“   „Ich hab ein Nickerchen mit offenen Augen gemacht.“   „Das würde ich dir sofort glauben. Schicker Ort, huh?“   Mit den Augen auf das Anwesen gerichtet hob Shikamaru die Brauen. „Schätze mal, dass es ganz nett ist; auf eine völlig übertriebene Art.“   „Nett?“, schnaubte Ino, stieß Shikamaru mit der Schulter an und zwinkerte ihm zu. „Denkst du, der Daimyō hat irgendwelche hübschen Söhne? Ich hätte nichts dagegen, zu leben wie eine -“   „Prinzessin“, knisterte Kibas Stimme in Shikamarus Ohr und der Schattenninja zuckte schon wieder zusammen.    „Königin“, korrigierte Ino und warf Shikamaru einen komischen Blick zu, bevor sie sich umwandte, um dem sich nähernden Hundeninja die Zunge heraus zu strecken. „Wenn dann richtig, Kiba.“   Der Inuzuka presste die Lippen aufeinander, als würde er sich ein Schmunzeln verkneifen und neigte seinen Kopf zu Shikamaru, während er sich gegen das Ohr tippte, um auf den Transmitter hinzuweisen. „Komisch, dass das Signal unter der Barriere nicht gestört wurde, huh?“   Nickend riss sich der Nara den Ohrstöpsel heraus, sodass er nicht länger zwei Stimmen hörte. „Ich weiß. Ist vielleicht eine Schwäche des Justus, wenn es mobil ist.“   Kiba nickte, doch seine Aufmerksamkeit wanderte zu den Beamten, die mit Katsu sprachen. „Bitte Prinzessin. Such dir einen aus.“   „Eww.“   Shikamaru schluckte ein Schmunzeln hinunter und seine Augen glitten ein weiteres Mal zu dem Anwesen. Er hatte nicht erwartet, direkt bis an die Stufen des Daimyōs gebracht zu werden. Es war eine Erweiterung des Vertrauens; eine offene Hand statt einer Faust. Die Hokage hatte sie eindringlich gewarnt, auf Letzteres vorbereitet zu sein, wenn man bedachte, dass Kusa keine Liebe oder Ähnliches für die benachbarten Dörfer hegte. Die Bitterkeit ging tief wie die Wurzeln ihres Dschungels.    Naja, wir haben ihr Land während des Krieges in ein Schlachtfeld verwandelt…   Gefangen im Kreuzfeuer überlegener Mächte, hatten sie viel mehr verloren als nur die Kannabi Brücke.    Da ist das Motiv; Rache. Und sie haben auch bereits die Mittel, Waffen wie die Chimären zu erschaffen.    Vergangene Chūnin Prüfungen hatten so viel bewiesen. Wenn man jetzt noch Orochimarus Genie diesen Experimenten hinzufügte, dann hob es nicht einfach nur die Messlatte auf dem Schlachtfeld, sondern auch den Blutdruck von jedem erdenklichen Dorf, das zu einem Ziel von Kusas Jahre altem Hass werden konnte. Da Motiv und Mittel bereits abgedeckt waren, blieb noch die Frage nach der Gelegenheit.   Die sie ziemlich vermasselt haben, indem sie diese Chimären-Geschenkkörbe verschickt haben…haben das Überraschungsmoment verloren…   Natürlich gab es da auch noch eine andere Möglichkeit.   Jemand benutzt Kusa als Sündenbock…   Jemand, der dem Spiel einige Schritte voraus war. Einem Spiel, mit dem Shikamaru schnell klarkommen musste, um seine mysteriösen Gegner zu überlisten und auszumanövrieren.   Wie gottverdammt nervig…   Doch statt unter dem Gewicht dieser Verantwortung noch weiter zusammenzusacken, spürte Shikamaru, wie sich seine Wirbelsäule aufrichtete und seine Haut mit einem seltsamen Sinn von Vorfreude kribbelte – ein plötzliches Flattern des Pulses und ein Kürzerwerden der Atmung. Das Gefühl war so fremd, dass er es als Adrenalin missinterpretierte, das von Katsu ausgelöst wurde, als der Nagu Wächter mit mehreren Wachen im Schlepptau zu ihnen zurück kam.    „Unser Herr wird euch bei unserem nächsten Konzil treffen“, sagte er, während sein gelbgrüner Blick das ganze Team musterte. „Ihr werdet in Kürze zu den Gästequartieren begleitet und gerufen, sobald er Zeit hat.“   Besagte ‚Begleiter‘ umringten sie von allen Seiten und hielten mit den Händen auf den Knäufen ihrer Schwerter einen höflichen Abstand. Während sie warteten, zählte Shikamaru rasch die Köpfe und bemerkte, dass alle zehn Männer und Frauen die Schärpe der Nagu Butai trugen. Und auch wenn der Ring aus Nagu Gesichtern bar jeder Miene oder Absicht blieb, war das latente Misstrauen nicht zu verkennen, das direkt unter der Oberfläche dieses zivilisierten Verfahrens lauerte.    Wie ironisch, dass es seltsam beruhigend in seiner Vorhersehbarkeit war.    Wäre komisch, wenn sie die Freundlichkeit in Person wären…   Nicht, dass Feindseligkeit oder Misstrauen den Ausdruck in Katsus einsamen, starrenden Auge erklärten, als Shikamaru erneut den Blick des Mannes auffing. Wenn überhaupt, dann sah ihn der Nagu Wächter mit etwas an, das Wachsamkeit und Vorsicht sehr nah kam; ein Ausdruck, der in jeder Hinsicht eigentlich auf jemanden wie Neji gerichtet sein sollte, dessen weißäugige Waffen ständig zur Schau gestellt wurden.    Also warum zur Hölle gafft er MICH so an?   Eine Reaktion, die nur noch irrwitziger gemacht wurde durch die Tatsache, dass Shikamaru kein Ninjutsu nutzen konnte und somit im Moment wahrscheinlich das schwächste Ziel und der am wenigsten Bedrohliche in ihrem ganzen Team war. Sicher, er konnte ziemlich gemeines Taijutsu aus dem Ärmel schütteln, wenn es sein musste, aber gegen unbekanntes Feindchakra war er dennoch in extremen Nachteil.    Naja, zumindest dieser Kerl scheint das nicht so zu sehen…   Dieser Kerl, der nicht nur seinen Namen kannte, sondern der ihn auch ansah, als wüsste er noch etwas anderes, das der Schattenninja nicht wusste…aber wahrscheinlich wissen sollte.    Habe ich ihn schonmal bei den Chūnin Prüfungen vor zwei Jahren gesehen?   Das würde es vielleicht erklären – obwohl er sich an das Gesicht dieses Mannes und an seine echsengrünen Augen erinnert hätte, selbst ohne die Narben und den Ruin.    Jo, aber es gibt eine ganze Menge aus dieser Zeit, an das ich mich nicht erinnere…   Wie zum Beispiel diese Nebenmission, die schief gelaufen war. Das Zusammentreffen mit einem Wahnsinnigen…und all diese anderen fehlenden Teile, die ein größeres und deutliches Bild der Orte ergeben hätte, an denen er gewesen war und der Gesichter, die er während dieser kurzen, aber bedeutungsvollen Zeit gesehen hatte. Gesichter und Orte, die er vollkommen vergessen hatte. Eingeschlossen das Gesicht des Mannes, den er umgebracht hatte.    Ich will es nie wieder sehen…   Und dennoch wusste er, dass das Portrait dieses Gesichtes irgendwo in den abgeschlossenen Kammern seines Geistes hing, die verrottete Leinwand eingehüllt von einem blutbespritzten Laken. Asuma stand außerhalb dieser Kammer, klopfte an der Tür, versuchte das Schloss zu knacken, wollte einen Blick hinein werfen…   Ich kann niemanden dort hinein lassen…   Und ganz sicher nicht sich selbst.   Er wusste, dass es falsch war.   Wusste, dass es schlecht war.   Wusste, dass es verrückt war, nur darüber nachzudenken.    Wie seltsam dann, dass er sich selbst vorfand, wie er diesen langen schwarzen Korridor seines Verstandes entlang stierte, der zu dieser Tür führte; dieser Kammer. Starrend wie ein Kind, das zu verängstigt war, sich der Dunkelheit zu stellen und sich fragend, ob denn vergessene Erinnerungen alles waren, was ihm fehlte…oder ob da noch etwas anderes war, das in den Schatten dieses Raumes lauerte. Schatten, die er für zwei lange Jahre zurück in die Schwärze gezerrt hatte, wann immer sie gedroht hatten, durch den Spalt unter der Tür zu sickern.    Es durfte ihnen niemals gestattet werden, aus dieser Kammer seines Unterbewusstseins zu entkommen…   Und diese Tür durfte niemals geöffnet werden…   Ja, weil ich schon immer solche Angst vor dem hatte, was ich finden würde…   Oder wen er finden würde…   Mich…   Die Person, die er gewesen war. Die Person, zu der er während dieser Mission, an die er sich nicht mehr erinnern konnte, geworden war; zusammen mit all den vergessenen Dingen, die er vielleicht gesehen, vielleicht gehört – vielleicht getan hatte.   ‚Wenn ich mich nicht an das erinnere, wozu mich diese Leute gebracht haben…was ich wegen ihnen getan habe, dann muss ich es nicht WISSEN! Bitte mich nicht, es REAL zu machen, Asuma! Es ist nicht mehr REAL! Es ist VORBEI!‘   Vorbei…vorbei, denn…   ‚Ich habe ihm eine Spritze in den Hals gejagt…und ihn hinunter gezerrt in diese Grube…und es tut mir NICHT leid…‘   Niemals leidtun…niemals wissend, ob es ihm leidtun sollte…für zwei lange Jahre und weiter zählend, schnell zählend…und dann auf einmal rückwärts zählend von fünf, vier, drei, zwei, eins…bis er spürte, wie sich sein Verstand wie ein Kind Stück für Stück diesen dunklen Korridor entlang schob…die Furcht, die ihn immer erstarrt gehalten hatte, wich plötzlich einem-   „Du kannst nicht wieder hierher zurück kommen.“   Shikamarus Verstand blieb in dem mentalen Gang stehen und er versteifte sich gegen den Klang dieser inneren Stimme; nahm eine fremde und tiefere Kadenz wahr, die sie deutlich von seiner eigenen unterschied.    Meiner eigenen…   Es war immer seine eigene gewesen…oder nicht?   Weil ich es selbst getan habe…ich habe allein überlebt…   Und wegen dieser Stimme in seinem Kopf war er so lange stark geblieben; diese innere Führung, die ihn immer von all den gefährlichen Bereichen in seinem Verstand fort gescheucht hatte. Sie hatte ihn gerettet, als er fünfzehn gewesen war. Fort getragen von der Erinnerung dieses Traumas…sie hatte ihn gelehrt, sich um ihn gekümmert, ihm gesagt, was er tun musste, um weiter zu machen. Er hatte sie niemals in Frage gestellt, sie niemals als losgelöst von ihm selbst betrachtet, hatte immer angenommen, sie wäre sein eigener Instinkt und seine Intuition, die ihn fort gewarnt und ihn wieder zusammengenäht hatte…aber in letzter Zeit…diese Stimme in seinem Kopf…   Sie klingt nicht mehr wie ich…   Kiba stupste ihn an. „Willst du dir die Alphamännchen Todesblicke für einen anderen Tag aufheben, Shikamaru? Würde gern noch was zu essen von den Typen bekommen, bevor wir uns mit denen anlegen.“   Rasch blinzelte Shikamaru. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er die Brauen zusammengezogen hatte, als er in Katsus gelbgrünes Reptilienauge gestiert hatte und sich sein Fokus nach innen verlagert hatte. Er warf Kiba einen trockenen Blick zu. „Als hätte ich die Energie oder das Chakra für diese Art Alphamännchen Bullshit.“   Kibas Schmunzeln schien etwas angespannt zu sein. „Jo, überlass das Brustgeklopfe lieber mal uns. Sorg einfach dafür, dass dieses Hirn scharf bleibt.“   Als hätte ich eine Wahl…   Im Moment war es seine einzige Waffe.    Shikamaru schrieb den verkrampften Blick des Hundeninjas als Müdigkeit ab und klopfte ihm leicht auf den Rücken, wobei er umsichtig die bandagierte Schulter mied, obwohl er die Verletzung aufmerksam ansah, bevor er Kibas Blick begegnete. „Was vor einer Woche mit Akamaru passiert ist und dann mit diesen Alligatoren in den Sümpfen? Ich werde dich nicht nochmal so hängen lassen.“   Kiba wischte das nur mit einem Achselzucken beiseite und setzte ein weiteres, schiefes Grinsen auf. „Hey, wenn es mich da draußen gut aussehen lässt…“   „Ich mein’s ernst“, erwiderte Shikamaru und sein Blick wanderte zu Ino und Chōji. „Das wird nicht nochmal passieren.“   Nicht nach dem Versprechen, das er Asuma gegeben hatte. Das er sich selbst gegeben hatte.   Ja, als ich über Hidans Grab gestanden habe…   Bevor sich seine Finger zu einer Faust ballen konnten, schleckte eine warme, schlappernde Zunge mit Zuneigung und Speichel über seine Knöchel. Shikamaru hob eine Braue und schüttelte den Sabber von seiner Hand, bevor er Akamaru einen total wirkungslosen, vernichtenden Blick zuwarf. Die pinke Zunge hing aus dem Maul und der Ninken legte seinen großen weißen Kopf schief, als er wuffte und Shikamarus Gesicht mit diesen glänzenden Hundeaugen absuchte.   „Wir lästig“, murrte der Schattenninja. „Ich sprech kein Hundisch.“   Kiba schnippte mit den Fingern und lenkte diese schnüffelnde Nase zurück zu sich. „Lass gut sein, Kumpel“, sagte er, während er das antwortende Grummeln seines Hundes mit einem Kraulen hinter den Ohren beruhigte. „Ich weiß schon.“   Noch bevor Shikamaru nach einer Übersetzung für das fragen konnte, was zur Hölle Akamaru wusste, wandte sich der Ring aus Nagu Wächtern nahtlos um, um zu signalisieren, dass sie bereit waren, sich in Bewegung zu setzen.    Shikamaru sah hinter sich und suchte nach Neji.    Der Hyūga stand am Ende, darauf vorbereitet, das Schlusslicht zu bilden. Er bemerkte die Frage in Shikamarus Augen und nickte kaum merklich. Schwimm mit dem Strom. Während er seinen Handrücken an der Hose abwischte, übernahm Shikamaru erneut die Führung und bewegte sich mit dem Rest des Teams, als sie von ihrer Nagu Butai Eskorte diagnoal über den Platz marschiert wurden.    Katsu machte keinerlei Anstalten, ihnen zu folgen.    Da er spürte, wie dieser echsengleiche Blick auf seinen Rücken gerichtet war, starrte Shikamaru stur in die Richtung, in die sich seine Füße bewegten.    Vorwärts…   Immer vorwärts. Immer vorwärts, denn-   ‚Du kannst nicht wieder hierher zurück kommen.‘   Die Stimme kam erneut, wie ein Elternteil, das seine Hand nahm und ihn von diesem langen, dunklen Korridor fortzog, der in seinem Verstand begraben war…fort von dem Rasseln und Knarzen dieser unsichtbaren Tür…während sich ihr Knauf langsam von Seite zu Seite drehte.   ~❃~   ‚Du beschaffst diese Akte, Shiranui. Aber merk dir meine Worte; wenn du das abfuckst, dann geht das alles auf deine Kappe.‘   War das nicht schon immer so gewesen?   Abgelenkt von diesem Gedanken und dem abrupten Tunnelblick seines Sichtfeldes, verlor Genma das Momentum seines letzten Sprungs, fiel aus dem Himmel und schlitterte zu einem Bruchlandungshalt auf einem der großen, irdenen Warenhäuser. Seine Knie gaben so schnell unter ihm nach, dass er nur unbeholfen mit dem Fall mitrollen konnte, um zu verhindern, sich ein paar Knochen zu brechen.    Aber er rollte weiter.    „Scheiße!“ Sich wild überschlagend hakte er seine Finger in die taubengrauen Ziegel und kam zu einem ruckartigen Stopp, der beinahe seinen Arm aus dem Schultergelenk riss, während er seine Füße gegen die gewellte Dachtraufe rammte; nur wenige Zentimeter, bevor er über die Kante des schrägen Dachs gerollt wäre.    Shit. Shit. Shit.   Nach Luft schnappend ließ er seinen Kopf nach hinten gegen die Ziegel kippen, blinzelte hinauf zu dem bedeckten Himmel und kniff die Augen gegen das Schimmern der versteckten Sonne zusammen. So grell. Zu grell. Nur grell und gottverdammt windig. Die Brise biss sich in seine Haut, sein Körper gerötet und nass von Schweiß. Die ANBU Uniform klebte an ihm und scheuerte. Ihm tat alles weh. Er fühlte sich, als hätte er sich eine weitere Runde mit diesem stiergesichtigen Oushi aus dem Ryokan geliefert.    Fuck…ich stürz echt übel ab…   Konnte ja nicht einmal mehr einen kohärenten Gedanken länger als ein paar Sekunden halten, bevor sein Verstand anfing, seitwärts zu taumeln…Wasserfarben nachjagend…bunten, chemischen Strömen…nur um festzustellen, dass all die Regenbogenflüsse ausgetrocknet waren…   Regen-verfickte-bogenflüsse?   Verdammt. Er musste zu Mizugumo. Hatte Ibiki angelogen, dass er einen Drogenschuss daheim hätte. Einen Schuss, der ihn genug stabilisieren würde, um das erledigt zu bekommen. Um das abzuschließen. Um sich das zu beschaffen, was er brauchte, um Shikamaru so schnell wie möglich aus Kusagakure rauszuholen. Um seinen Teil in dieser Mission zu erfüllen und das mit einer Art von Empfinden, sein Versprechen gehalten zu haben. Seinen Schwur.   Ich werde es erledigen…ich werde frei sein…   Oder er würde gefickt sein. Ibiki hatte ziemlich deutlich gemacht, was passieren würde, wenn er das nicht durchzog…   ‚Das Angebot, das ich dir gemacht habe, um dich aus dieser Scheiße zu kriegen, läuft ab und ich überlasse es den Ältesten, dir ein neues aufzureißen. Sie haben dir bereits einen heißen Stuhl in der Hölle reserviert. Gib ihnen keinen Grund, dich da rein zu setzen.‘   Er saß doch schon längst dadrin. Schmorend im Ruin seines eigenen Handelns, seines eigenen Chaos‘…   Schmoren…   Sein Verstand hüpfte schwindelnd dahin und stolperte über das Bild seines Körpers, der auf einem Grillspieß steckte und langsam über einem offenen Feuer gedreht wurde. Höllenfeuer. Wo die Teufel und Dämonen Gesichter aus seiner Vergangenheit waren und lachten, weinten, ihn wieder und wieder drehten, während ihn die offenen Flammen zu einer gegrillten Hülle kochten…einer Hülle von etwas, das vielleicht irgendwann einmal ein Mensch gewesen war…   Gott, ich hab Hunger…   Genma lachte – ein stranguliertes und kehliges Geräusch, ein feuchtes Stechen an den Winkeln seiner Augen.    Erbärmlich…   Wie gut, dass er diese Frischlinge von F&V abgeschüttelt hatte, die Ibiki hinter ihm hergeschickt hatte. War ein ziemliches Rumgerenne gewesen, das er sich mit ihnen geliefert hatte. Er fühlte sich aber auch irgendwie stolz, dass er es wirklich geschafft hatte.    Jo, und jetzt kann ich kaum noch laufen…   Auf jeden Fall hatten all das Drehen und Kehrtmachen und Zurückfallen nichts dazu beigetragen, dass sein strauchelndes Hirn und sein versagender Körper irgendeinen Halt fanden.    Ich muss keinen Halt finden…ich muss nur aufstehen…   Wenn er aufstand, dann könnte er weiter machen.   Und das war genau das, was er tat, als er sich mit einer Anstrengung auf die Seite drehte, die Galle seine Kehle hinauf jagte und seinem Appetit schlagartig den Garaus machte. Mit einer verzerrten Grimasse schluckte er die Säure und dachte mehrmals darüber nach, sich das Hitai-ate von seinem brennenden Schädel zu reißen. Es saugte den Schweiß auf und hielt ihn davon ab, in seine Augen zu tropfen. Seine Sicht war schon schlecht genug, verschwamm und verdoppelte sich…aber wenn er hart genug blinzelte und die Augen genau so zusammenkniff, dann kamen die Dinge wieder deutlicher in den Fokus.    Das war genug.    Genug, um ihn über die nächsten paar Dächer zu führen, als sein Verstand abschweifte und schieres Muskelgedächtnis übernahm, um seinen Körper durch die Luft zu tragen, während seine Gedanken wieder und wieder eine Bruchlandung hinlegten…Vögel mit gebrochenen Schwingen…und aus irgendeinem bescheuerten Grund blitzte ein besiegter Hyūga Neji in seinem Kopf auf und er lachte erneut, als er sich fragte, warum er eigentlich keinen kreativeren Bezugsrahmen hatte.    Verfickte Chūninprüfungen…   Und einfach so veränderte sich der Bezugsrahmen…   Das Glas fing an, andere Bilder in sich zu halten…   Verhasste Bilder…   Bilder von Shikamaru und Naoki und Shuken und Handschellen und Monstern und Blut und Schreien und ‚Bitte bring mich nicht dazu, das zu tun‘ und Genma riss all die Fotos heraus und zerschmetterte das Glas mit einem Brüllen, von dem ihm gar nicht bewusst war, dass er ihm wirklich eine Stimme gegeben hatte, bis er so hart auf Mizugumos Dach landete, dass sein Schrei in einem explosiven Bellen aus Atem und Blut endete.    Die Spinnweben aus Chakra, die das Dach bedeckten, flammten silberblau auf.    Vom Balkon erscholl ein tiefes, kehliges Schnurren; rau vor Krankheit und schwer vor Belustigung. „Mehr Eile, weniger Geschwindigkeit, süßer Junge.“   Das Gesicht verziehend gewann Genma zumindest ein gewisses Maß an Anmut zurück und schwang sich – ja, wirklich – über und unter die Markise, um in einer Hocke auf dem Balkon zu landen, die rasch zu einem unbeholfenen Knien kollabierte, während er einen Arm nach oben streckte, um das Geländer zu umklammern.    „Ich brauche Dukkha“, keuchte er, während seine Augen über die Risse in den Steinfliesen huschten. „Jetzt.“   Mizugumo blieb stumm und regungslos.    Genma holte tief durch die Nase Luft, hatte aber nicht die Kraft, sich aufzurichten. Es hatte schon alles gebraucht, sich einfach nur in Sicherheit zu schwingen und zu sprechen. Geradeso brachte er es zustande, seinen Kopf ein Stück zu heben und seine Sicht schwamm unter dunklen Strähnen und hängenden Wimpern, als er gegen den Schweiß anblinzelte. Die salzige Flüssigkeit brannte an den hageren Neigungen seines Gesichts und die Muskeln zuckten so heftig, dass sein Schädel pochte und seine Zähne schmerzten.    Und dann begegneten sich ihre Blicke.    Die Kühle in diesen bezaubernden silberblauen Augen sog etwas von der Hitze aus Genmas Haut, doch die Scham brannte stärker als der Schweiß wie ein Feuer hinter seinen Augen. In einem makabren Grinsen biss er die Zähne zusammen, seine Stimme nur noch ein Raspeln.    „Ja…du hast es mir gesagt…mach nur und sag es…“   Mizugumo sagte gar nichts. Sie saß königlich wie eine Marmorstatue auf ihrem dunklen, gepolsterten Thron, die ebenholzfarbenen Nägel gefeilt wie Klingen und die schwarz lackierten Spitzen klackten gegen den Bauch der schlanken Pfeife, die sie in der Hand hielt. Rauch tröpfelte geisterhaft und langsam von ihren blutleeren Lippen, als würde ihre Seele entweichen…   Ihr Schweigen verstörte ihn. Weit schlimmer als es ihre Worte je geschafft hatten. Und Kami wusste, ihre Worte waren ebenso machtvoll wie jede Droge oder jedes Gift, dem Genma jemals begegnet war. Er stierte zu ihr auf und sein Grinsen verkrampfte sich zu einem zähnebleckenden Knurren. „Willst du, dass ich darum bettle?“   Mizugumo blinzelte und ihre rußigen Wimpern sanken tief. „Mein süßer Junge hat noch nie um etwas gebettelt. Wie ich sehe, hast du heute deine Dunkelheit an meine Tür gebracht. Guten Morgen, Kaika.“   Ein ersticktes Lachen hervor würgend, spannten sich Genmas Finger um das Geländer herum an. „Ich habe keine Zeit mehr für diesen Psychogelaber Bullshit…du weißt, was ich brauche…“   „In der Tat. Du bekommst etwas Tee“, erwiderte Mizugumo.    Energisch kämpfte Genma um Kontrolle über seine Gliedmaßen und rappelte sich irgendwie auf die Füße, wobei er beinahe über den Balkon kippte. Gerade noch rechtzeitig drehte er sich, um seine Hüfte gegen die Balustrade knallen zu lassen, sich in ihre Stütze zu lehnen und nach Luft zu schnappen. „Gib es mir, Mizugumo.“   „Das habe ich vor. Sencha oder Gyokuro?“, debattierte Mizugumo, als sie ihre Sammlung teurer Teesorten beäugte. „Gyokuro ist weniger bitter. Obwohl du während der letzten zwei Jahre einen feinen Geschmack für Bitterkeit entwickelt hast, nicht wahr, Schätzchen? Ich denke, wir nehmen diesen hier.“   Genmas Sicht verblasste, verdunkelte, zerbarst in Farben. Er presste die Lider aufeinander und grub seine Daumen gegen die Höhlen. „Gott“, fauchte er. „Gib es mir einfach.“   „Gott wird dir nicht geben, was du brauchst, Kind. Aber ich weiß, was den Schmerz lindern wird.“ Ein leises Rascheln von Stoff, als sich Mizugumo bewegte, gefolgt von dem delikaten Klacken von Keramik und dem begleitenden Plätschern von Wasser, das in eine filigrane Porzellantasse gegossen wurde. „Ein Hauch von etwas Süßem.“   Ein honiggrasiger Geruch schwebte über den Balkon…   Er traf Genmas Nase wie Blut auf einer Brise…   Schlagartig versteife er sich und jeder einzelne Muskel zog sich geschockt straff.   „Ja“, murmelte Mizugumo. „Das war Karibis Liebster.“   Die Welt verwandelte sich in Rot.    Genma schnellte zu ihr herum und sein Gesicht verzerrte sich, als seine blutunterlaufenen Augen zusammen mit seinem Mund aufflogen. „Du BITCH!“   Kaum hatte er die Worte geschrien, da flammten die Risse zwischen den Steinfliesen mit Chakra auf. Einen Herzschlag später musste er feststellen, dass er eingefroren war; gefangen in einem unaufhaltsamen Griff und vollkommen paralysiert, abgesehen von seinem Gesicht – hilflos wie eine Fliege in einem Spinnennetz, die Muskeln angespannt und mit Venen und Sehnen, die seine Haut eindellten.    Ein unfruchtbares Brüllen brach in einem verzerrten und unheilvollen Heulen aus seiner Kehle.    Mizugumo hörte auf, den Tee einzuschenken, als sie diesen Klang hörte und ihre Wolfsaugen erstarrten, als sich ihre kalten, leeren Tiefen mit einer seltsamen Wärme füllten, als sie ihm ins Gesicht sah. „Sie hat dich sehr geliebt. Euch beide. Aber du konntest sie genauso wenig retten wie Tenka. Du hast sie beide verloren. Deine kostbaren Lichter in der Dunkelheit.“   Verzehrende Hitze brannte in seinem Rachen und Genma schloss krampfhaft die Augen, während er qualerfüllt die Zähne zusammenbiss.    Nein…nein…nein…   Er hatte keine Worte, keine Klänge – keine Schreie animalischen Hasses oder Rufe menschlichen Leids. Nichts könnte dem Biest eine Stimme geben, das in ihm auf und ab lief und sich einen Weg aus seiner Haut krallen wollte, aus seiner Seele…   Aber es saß dort…   Eine krebsartige Kreatur in ihm…   Seine Wimpern hoben sich flackernd und wässrige Schlitze rotumrandeter Iriden fixierten sich auf sie, als er zuließ, dass diese Kreatur sie durch den bronzefleckigen Ruin seiner Augen anstierte…hungrig…unmenschlich…   Mizugumo sah es, begegnete ihm mit dem leichtesten Heben ihres Kinns. Eine Hexe, die einen Dämon grüßte. Mit unendlicher Umsicht setzte sie die Kanne ab und strich mit ihrer zerbrechlichen, zitternden Hand über die kunstvollen Ätzungen in dem gusseisernen Tisch, um erneut ihre Pfeife aufzunehmen.    „Du hast sie beide verloren“, wiederholte sie und nahm einen langen Zug des dichten blauen Rauches, während ihre Wimpern genussvoll bebten, bevor sie ihren Kopf nach hinten legte und einen leisen Strom in den Himmel blies. „Und du bist so kurz davor, dich auch noch selbst zu verlieren.“ Eine nachdenkliche Pause und sie senkte ihren Kopf wieder, den Blick beständig auf sein Gesicht gerichtet. „Wie gut also, dass sein Verlangen danach, dich zu beschützen stärker ist, als dein Verlangen zu verwelken und zu sterben.“   Genmas Augen zogen sich verwirrt zusammen. Er bewegte seine Kehle und seine Stimme war so rau, dass es wirkte, als würde sie die Luft an sich zermahlen. „Wovon zur Hölle redest du?“   Während sie ihre Pfeife beiseite legte, richtete sich Mizugumo auf, als würde sie nach oben gezogen werden und ihre Arme hoben sich mit der Anmut einer Tänzerin. Die langen, aschgrauen Schwingen ihres Kimonos wisperten zurück über die blasse, durchscheinende Haut ihrer Handgelenke und Unterarme. Genma musste die Augen zusammenkneifen, um die Fäden sehen zu können; dünn wie Spinnenseide, die sie ebenso zart stützten wie eine Marionette.    Chakrafäden…   Dieselben Chakrafäden, die ihn gelähmt hielten.    Als sie sich ihm langsam näherte, schien sie zu gleiten und die Stränge trugen ihr mageres Gewicht. Die Enden ihrer dunklen, mit Silber durchsetzten Mähne strichen über die Steinfliesen und schwankten über die schwere Schleppe brokatbesetzter Seide…eine Leichenbraut.   Wunderschön.   Entsetzlich.   Weder lebendig, noch tot.   Ein kalter, einsamer Winter in den Augen dieser Hexe…   Genma fühlte, wie sich der Frost über ihn stahl und den Schweiß auf seiner Haut abkühlte. Er versuchte, sich zu bewegen, seine Muskeln verzweifelt danach, zu erschaudern, zu zittern, sich dem nervenschreienden Drang hinzugeben, auf die Knie zu gehen und nach der Heilung zu betteln, nach dem Enden, der chemischen Lüge…   Gib es mir…   „Oh Genma“, wisperte Mizugumo, als hätte sie ihn sprechen gehört. Inzwischen war sie ihm so nah, dass ihr Atem die Luft zwischen ihnen benebelte. „Ich habe einmal gesagt, dass deine Dunkelheit tief eingedrungen ist. Ich hatte Recht. Allerdings braucht es immer nur ein einziges Licht, um die Schatten zurück zu treiben.“   Sie senkte ihre Hände und die Chakrafäden lösten sich weich wie Sternenstaub auf der Brise auf, obwohl sich ihr blauweißes Licht nicht in ihren Augen widerspiegelte. Mit den Händen fächerte sie durch die schwebenden Funken und berührte ihre äschernen Lippen mit den Fingerspitzen, bevor sie mit denselben Fingern über Genmas Mund strich.    Bei der Berührung zuckte er zusammen und seine Oberlippe verzog sich in einem Knurren. „Meine Lichter sind vor Jahren erloschen…“   „Das sagst du…“, grübelte Mizugumo und streichelte sein Gesicht mit einer Sanftheit, die Müttern und ihren Kindern vorbehalten war, ihre Stimme wisperleise. „Warum ist dann solch ein Feuer in deinen Augen?“   Feuer in seinen Augen…war das der Grund, warum sie brannten? Er blinzelte das bittere Stechen fort, konnte dem Gefängnis ihres Blickes aber nicht entkommen. Sie hielt ihn gefangen, sogar als er spürte, wie sein Körper erschlaffte und das Netz aus Chakra unter seinen Füßen dunkel wurde, während es seinen Halt um seine Tenketsu löste.    Mobilität kehrte zurück und trotzdem konnte er sich nicht fortbewegen.    Er fiel auch nicht…   Und er bebte nicht mehr…   Mizugumo lächelte leicht. „Ich werde dich bestimmt vermissen, Shiranui Genma.“   Das durchbrach den Bann.    Blinzelnd stierte er hinab auf seine Handflächen, drehte sie hierhin und dorthin. Das Jucken unter seiner Haut hatte sich beruhigt, die Muskeln entspannt und das Zittern fort. Stattdessen spürte er ihr Chakra so potent wie jede Chemikalie, das durch seine Venen wogte, in seinen Lippen und Fingern kribbelte. „Was zu Hölle hast du mit mir gemacht?“   „Es wird nicht anhalten. Das tut es nie“, warnte Mizugumo, nahm seine Hände in ihre und drückte sie, bis die Taubheit aus seinen Fingern wich und die Farbe zurückkehrte. Ihre Wangen überzogen sich mit einem zarten Rosa. „Das Bedürfnis wird zurück kommen. Stärker. Mächtiger. Du hast ein paar Stunden – wenn überhaupt.“   Stirnrunzelnd beobachtete Genma sie wachsam, von der Zärtlichkeit in ihrer Berührung vollkommen aus der Bahn geworfen und sich der Endgültigkeit ihrer Worte bewusst. „Schön. Dann komme ich eben später für das zurück, was ich brauche.“   „Aber hier wirst du es nicht finden. Und auch nirgendwo sonst, wie ich denke.“   Als hätte er sich verbrannt, riss Genma seine Hände zurück und funkelte sie zornig an. „Wir haben eine Abmachung.“   „Ich kann dir nicht länger geben, was du brauchst, mein Lieber.“ Und hierbei begegnete sie seinem Blick, ihr Lächeln so fragil wie Winterschnee. „Das konnte ich nie, weißt du.“   Erschüttert wich Genma einen Schritt nach hinten, zog sich von dem Schatten aus Emotionen in ihrem Lächeln zurück, dem Hauch von Sentimentalität in ihren Augen. Nur eine Hexe konnte diese Art von Verwirrung bewirken und Doppelzüngigkeit in der Dunkelheit des Herzens eines Menschen erschaffen, um ihre gemeinsamen Sünden von Schwarz zu Grau zu verwandeln und das mit Worten des Lichts…der Liebe.    Es gibt keine Worte, sondern nur Taten…   Und soweit es Taten betraf, hatte sie ihn gerade von der Liste ihrer Klienten gestrichen.    Er spürte die Liebe nicht.    Knurrend wich Genma einen weiteren Schritt zurück und verschanzte sich hinter seinem Zorn. „Ich bin nicht wegen deiner Tricks hierher gekommen. Ich bin wegen meines nächsten Schusses gekommen. Wenn du ihn mir nicht gibst, dann entschädige es nicht, indem du so tust, als würdest du einen Scheiß auf mich geben. Wir wissen beide, dass ich nur eine weitere Ader bin, die du ausbluten lässt.“   Angesichts seines Giftes zog Mizugumo den Kopf nach hinten und musterte ihn für eine Weile, während diese zarte Röte aus ihrer Haut floss und sie krankhaft blass zurückließ. Summend wandte sich steif ihrem Stuhl zu und griff nach ihrer Pfeife. „Du findest mich ohne irgendeine Entschädigung vor, mein Lieber.“   „Tz.“ Höhnisch grinsend wanderten Genmas Augen zum Dach, dem Geländer und dann zu dem Raum hinter ihr. „Wer war es, der dich überzeugt hat, mich loszuschneiden? Mein Partner? Was hat es ihn gekostet? Eine Niere?“   Mit einem rasselnden Kichern sank Mizugumo zurück auf ihren Stuhl. Langsam brachte sie die Pfeife an ihre Lippen und genoss ein langes, meditatives Paffen, als sich ihre Wolfsaugen auf ihn zusammenzogen. „Es reicht zu sagen, dass dir zu dienen mir nicht länger dient.“   Was bedeutete, dass ihr jemand das angeboten hatte, was mit Geld nicht zu kaufen war.    Ihre Lungen…ihr Leben…   Oder zumindest die Vermeidung des Todes, was bedeutete, dass wer auch immer in seinem Sinne eingeschritten war, willens war, zu töten oder kriminell zu werden.   Das schließt Raidō schonmal aus.   Scheiße, Raidō wäre niemals hierher gekommen. Er wäre zuerst zur Hokage gegangen. Durch und durch pflichtbewusst, sein Partner – es sah Raidō nicht ähnlich, die Regeln zu brechen, oder mit Kriminellen zu feilschen…geschweige denn, einer zu werden.   Ibiki…?   Nein. Auf keinen Fall hätte Ibiki so einen schmutzigen Deal gemacht, geschweige denn so eine Tat begangen. Er würde niemals zulassen, in der Schuld von jemandem zu stehen, der so gefährlich war, mal ganz davon abgesehen, in den Skandal verwickelt zu werden, der vielleicht das Glattgehen des laufenden ‚Systems aus Lügen‘ zu kompromittieren, das er zu beschützen geschworen hatte.    Shizune…?   Jetzt griff er nach Strohhalmen. Shizune mochte ja vielleicht von seinem Drogenkonsum wissen, aber sie hatte keine Ahnung von diesem Ort und würde die Existenz davon niemals dulden.    Aber niemand sonst weiß, dass ich…   Genmas Atem stockte heftig und seine Augen wurden rund.   Bastard…   Ein langsamer Rückwärtsschritt und Genma spürte, wie der Zorn durch seine Adern rauschte; ölig und schwarz und Feuer fangend.    Als sie ihn beobachtete, bogen sich Mizugumos Lippen ganz leicht. „Und wieder ist da dieses Feuer in deinen Augen. Tatsächlich frage ich mich, ob dieses Feuer von dir ihn vor der Dunkelheit bewahrt hat…wenn man bedenkt wie willens er ist, sich wieder dort hinein zu stürzen, nur um dich vor deiner eigenen zu retten.“   Bei ihren Worten wandte sich Genma um und die Flammen schlugen hinter seinen Augen höher und heißer, brannten heller als die Feuersbrunst in Tanzaku vor all diesen Jahren…   „Kakashi“, knurrte er.    ____________________ Glossar: Nagu Butai: Die Gruppierung der Elitewächter des Landes der Verschlungenen Wurzeln, die den Feudalherren schützen. Sie sind das Äquivalent zu den 12 Elite Ninjawächtern des Landes des Feuers und den sieben Schwertninjas des Wasserreichs. Bedeutung:'Nagu' heißt so viel wie den Feind nieder sensen oder mähen und jemanden von den Füßen reißen. Nagu Butai lässt sich in etwa mit 'Einheit zum Niedermähen/Metzeln' übersetzen. Katsu: Elitewächter der Nagu Butai. Sein Name bedeutet 'Einauge/Blindes Auge' Heyho meine Lieben :)  Es geht wieder weiter und endlich endlich sind wir mitten in Kusagakure angekommen, hat ja lange genug gedauert und so langsam nimmt die Geschichte Fahrt auf. Hier trefft ihr auf jeden Fall auf einen weiteren OC; Katsu. Und es ist ja ziemlich offensichtlich, dass er Shikamaru kennt ;) Ich bin schon sehr gespannt, was ihr dazu sagen werdet.  Und ja, jetzt ist auch letztendlich etwas passiert, auf das schon länger gewartet wurde...Genma hat herausgefunden, dass er von Mizugumo keine Drogen bekommt und natürlich hat er auch ziemlich schnell herausgefunden, wer dahinter stecken muss. Besonders erfreut ist er darüber ja nicht ;)  Würde mich auf jeden Fall wieder sehr freuen, ein paar Worte von euch zu dem Kapitel zu lesen und vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Kapitel 21: The Kusa council ---------------------------- Nogusa Dai…   Mental sprach Neji diesen Namen aus, als er zu dem Feudalherrn von Bankon no Kuni und dem de facto Herrscher von Kusagakure aufsah.    Einer der berühmtesten Herrscher seiner langen Abstammung…   Tatsächlich hielt sich Nogusa wie jemand aus einer Legende. Der Daimyō war trotz seines stahlgrauen Haares von unbestimmbarem Alter. Sein stolzes und undurchschaubares Antlitz erinnerte Neji an die polierte Büste eines Samurai; bronzefarbene Haut spannte sich straff wie Leder über ein breites, rechteckiges Gesicht, das von dem starken Kinn und kantigen Kiefer nur noch ernster gemacht wurde, die Winkel eingerahmt von einem dichten Bart. Eine stumpfe Nase und ein weiter Mund löschten die beinahe feminine Weichheit von Nogusas Augen aus; ein Paar himmelblauer Seen mit langen Wimpern und wie Juwelen eingefasst unter der prominenten Kante der Stirn.    „Er ist ziemlich heiß für so einen alten Mann“, wisperte Tenten und schnitt eine Grimasse. „Macht mich das jetzt irgendwie seltsam?“   Kopfschüttelnd starrte Ino träumerisch auf die Augen des Daimyōs. „Sie sind so hübsch.“   Neji hob eine Braue und spähte seitwärts zu ihr. Gerade so schaffte er es, seine Irritation zu verbergen, bis sich seine Aufmerksamkeit auf Shikamaru richtete. Der Nara kniete zu Inos Linken, seine Miene gefangen zwischen Verwirrung und Konzentration und seine scharfen Augen zogen sich zusammen, als bemühten sie sich, das Gesicht des Daimyōs in besseren Fokus zu bringen.    Was geht in deinem Verstand vor sich, Nara?   Er konnte nur raten…und riet ohne Unterlass seit dem trauervollen Augenblick des Schattenninjas auf dem Boot. Allein die Erinnerung daran, wie Shikamaru seinen Namen gehaucht hatte, war genug, um ein Verkrampfen in Nejis Brust zu wecken.    Und dann so gelassen mit mir zu sprechen…als würde ich nicht alles daran setzen, ihn fort zu stoßen…   Als hätte er nicht darum gekämpft, sich fernzuhalten. Was zur Hölle hatte er sich nur dabei gedacht? Witze zu machen und amüsierte Blicke zu teilen. Es war so leicht, wieder dort hinein zu fallen…alles so behaglich…   Alles so gefährlich…   Wie immer. Wie zu allen Zeiten. Aber jetzt im Moment, wenn man alle Komplikationen beiseite ließ, wusste er, dass Shikamarus Geisteszustand entscheidend war. Hatte diese seltsame, nervöse Energie vorhin auf dem Innenhof etwas mit seinem Chakra zu tun? Oder war es etwas ganz anderes? Shikamaru hatte es abgetan, als Neji danach gefragt hatte und es sofort eingelagert…beiseite gelegt für eine andere Unterhaltung, von der er wahrscheinlich sein Möglichstes tun würde, um sicher zu stellen, dass sie niemals stattfand.   Vermeidend wie immer…   Selbst jetzt gab es keine Möglichkeit, irgendwie heimlich Shikamarus Aufmerksamkeit zu erregen. Die Augen des Schattenninjas blieben auf den Daimyō gerichtet, während sich Nogusa mit einer eleganten, pudergesichtigen Frau unterhielt, die wie eine Konkubine gekleidet war und leises Lachen und spielerische Worte austauschte.    Er hält sich nicht an Zeremoniell fest…interessant…   Oder täuschend.    Ohne in seiner Wachsamkeit nachzulassen, ließ Neji nach und nach die Anspannung aus seinen Muskeln sickern und seine Knie sanken dabei tiefer in das plüschige Kissen. Geduldig wanderte sein Blick über die Umgebung.    Kami, das hier könnte eine religiöse Lagerstätte sein…   Tatsächlich war die Empfangshalle groß genug für ein Publikum von fünfzig oder mehr Leuten und verfügte über hohe Regale, die mit alten Schriftrollen oder Artefakten vollgestopft waren, die entweder philosophischen oder religiösen Ursprungs waren. Eine Thematik der himmlischen Zeit und farbenfrohen Theologie, die sich auf den geschmückten Fusama Paneelen und Shoji Leinwänden wiederfanden, alle bemalt mit den komplizierten Kunstwerken mythologischer Kreaturen und Orte. Selbst die Decke hing tief genug, um das wandernde Auge einzuladen, da sie in der Mitte stufenweise nach oben stieg und den Blick hinauf und fort von irdener Zeit und Raum führte. Hoch nach oben, wo ein Ball aus Feuer – vermutlich eine Laterne – wie eine glühende Sonne hing und das Licht prallte von den ineinander verschlungenen Streben ab, die mit der Art und Weise von Andacht und Kunstfertigkeit gestaltet waren, die man vielleicht in einem Tempel erwarten würde. Das alles ließ Neji sich fühlen, als würden sie auf die Ankunft einer höheren Macht warten, vielleicht den Geistern dieser Göttlichen Bestien.    Die Shinjū…   Schritte hinter ihnen, ein Flattern von Roben und das Schlurfen schweren Stoffes.    Neji drehte marginal den Kopf und seine weißen Augen richteten sich auf den polierten Holzboden. Er schimmerte wie schwarzes Eis und reflektierte die Bewegungen der vierzehn Hofbeamten, die geradezu über die Oberfläche zu gleiten schienen. Gehüllt in blassgelbe Roben mit weichen, lilanen Pantoffeln und kleinen, lackierten Hofmützen, positionierten sich die Männer je zu siebt an jeder Seite und saßen dabei in einer Phalanx auf seidenen Zabuton Kissen, die die Konoha Shinobi in die Mitte drängte.    Eine seltsam militärische Formation…   Es brauchte nicht sonderlich viel, um sich vorzustellen, wer das angeordnet hatte. Während er die Positionen des Konzils katalogisierte, zuckten Nejis Augen zu der erhöhten Plattform, auf der Nogusa Dai saß. Und als wäre er von dem Argwohn des Hyūgas herauf beschworen worden, trat der einäugige Nagu Butai Wächter – Katsu – in das Sichtfeld zwischen zwei bemalten Leinwänden hinter seinem Herrn. Ohne irgendeinen Zweifel Nogusas Sicherheitschef. Katsu nahm sich einen Moment, um seinen Obi Gürtel zu richten, bevor er sich neben seinen Herrn in angemessenem Winkel und respektvollem Abstand auf den Knien niederließ – der einzige Mann in diesem Raum mit einer Klinge. Sein gelbgrünes Auge musterte das Publikum mit einem langsamen Schwung, bevor es an Shikamaru hängen blieb.    Sofort verschärfte sich Nejis Aufmerksamkeit und die Funken eines alten, niemals erlöschenden Beschützerinstinkts flammten in seinem Blut auf.    Und dann ließ Nogusa seinen eisernen Kriegsfächer hinunter auf den niedrigen Schreibtisch klacken; ein Geräusch, das für schlagartige Ordnung und Ruhe sorgte. Die Frau neben ihm rutschte auf den Knien zurück und mit träumerisch fließenden Bewegungen, die die Ärmel ihres Kimonos elegant über ihren dünnen Handgelenken zurück falteten, schenkte sie ihm einen großen Kelch warmen Sake ein. Doch Nogusa schien mit ihrer Interaktion fertig zu sein, denn sein Blick ging an ihr vorbei an das entfernte Ende des Raumes. Er nickte beinahe unmerklich.    Die großen Türen schlossen sich mit einem Echo.    Ritus übernahm und zusammen mit Tenten, Ino und Shikamaru verneigte sich Neji tief in unmittelbarer Einheit, ihre Stirnen berührten dabei beinahe den Boden. Das schien Nogusa zu genügen, denn er bat sie fast schon sofort, sich wieder aufzurichten, ohne in ihrer Unterwürfigkeit zu schwelgen. Eine bescheidene Geste.    Neji respektierte das und legte Wert darauf, sich sehr langsam aufzurichten und die Augen auf den Boden gerichtet zu halten.    Als Nogusa das Wort ergriff, trug seine Stimme die Resonanz schlafenden Donners mit sich: „Heb deine Augen, Hyūga.“   Neben ihm versteifte sich Tenten.    Innerlich zusammenzuckend zeigte Neji überhaupt keine derartige Reaktion nach außen und tat, wie ihm befohlen, seine Miene unberührt von seinem Alarm. Er traf Nogusas Blick direkt und mit dem Kelch an seinen Lippen hielt der Daimyō inne; die leichteste Ahnung eines Schmunzelns zupfte an seinem breiten Mund. „Hast du gedacht, du könntest einfach so diese Augen von meinem besten Wächter abwenden und unbemerkt bleiben?“   Nejis Blick wanderte zu Katsu, dann zurück zu Nogusa. „In unserer Welt sind meine Augen Waffen. Ich hielt es sowohl für respektvoll, als auch vernünftig, sie gesenkt zu halten.“   „Vielleicht, wenn du ein Uchiha wärst“, erwiderte Nogusa, auch wenn er mit offener Faszination in diese opalhaften Seen starrte. „Obwohl das Byakugan nicht weniger eine Klinge ist und auch nicht weniger schonungslos. Sag mir, sind die Gerüchte über das Fluchsiegel wahr?“   Beinahe zögerte Neji, doch er neigte leicht den Kopf. „Sie sind es, Nogusa-sama.“   „Interessant.“ Nogusas Aufmerksamkeit wandte sich Tenten zu, dann Ino, dann Shikamaru – und hier nahm sein Gesicht einen seltsamen Ausdruck an, den Neji nicht wirklich entschlüsseln konnte. „Und du musst von den Nara sein.“   Shikamaru erwiderte gar nichts. Und Neji konnte sich nicht drehen, um sein Gesicht zu sehen, doch er konnte deutlich die Anspannung spüren, die der Schattenninja ausstrahlte. Selbst Ino rutschte unmerklich hin und her, zog ihre Daumen nervös gegen die Handflächen, ohne die Knöchel knacken zu lassen. Trotzdem zog ihre Bewegung Katsus einzelnes Reptilienauge mit einer Geschwindigkeit auf sich, die auf unglaubliche Scharfsinnigkeit und Wahrnehmung schließen ließ – nur Sekundenbruchteile zuvor war sein Blick durch den Raum gerichtet gewesen.    Während er Ino musterte, lehnte sich der Nagu zu Nogusa und murmelte seinem Herrn etwas ins Ohr.    Neji konnte hören, wie Inos Daumen vielsagend knackten. Und er konnte keine Beschwichtigung anbieten, außer beruhigend Luft zu holen, bevor er sie nach und nach ausstieß, wie sie es ihm während ihrer Meditationssitzungen beigebracht hatte. Beinahe sofort fiel sie in denselben Atemrhythmus, nur um bei Nogusas nächsten Worten direkt in der Atmung zu stocken.    „Gut beobachtet, Katsu.“ Nogusas Miene verzog sich mit Interesse, als seine Augen von Ino zu Shikamaru und wieder zurück schwangen. „Nara. Yamanaka“, sagte er langsam und Argwohn zog seine Brauen zusammen. „Und wo mag wohl euer Akimichi Kompanion sein? Wie ungewöhnlich, nur zwei Punkte von Konohas legendärer Ino-Shika-Chō Speerspitze zu sehen.“   Verdammt.   Da er fürchtete, der Daimyō würde ein faules Spiel vermuten, setzte Neji zum Sprechen an, doch Ino nutzte den Moment, um sich tief und elegant zu verneigen. Ihr blondes Haar floss über ihre Schulter und legte die lange Kurve ihres Nackens frei. „Wir sind geehrt, dass Ihr von uns gehört habt und wollten Euch nicht mit dem Erscheinen unserer ganzen Einheit erzürnen. Nicht selten werden wir als wandelnde Waffe betrachtet. Indem wir unseren Kameraden in der Obhut unserer Leute gelassen haben, treten wir respektvoll unbewaffnet vor Euch.“   Beeindruckt von ihrer makellosen Eloquenz und exzellenten Darbietung, presste Neji die Lippen zusammen, um sich vom Schmunzeln abzuhalten. Er selbst hätte es nicht besser formulieren können.    Fasziniert von ihrer Art lehnte sich Nogusa auf seinem Kissen zurück. „Entwaffnend, fürwahr“, sinnierte er. „Zu hören, wie eine junge Kunoichi mit dem süßen Charme einer erfahrenen Geisha spricht.“ Sein Kommentar löste eine schmallippige Miene bei seiner Kurtisane aus. Über den Rand ihrer Teetasse spießte sie Ino mit schlitzäugiger Missbilligung auf.    Ino errötete, lächelte höflich und senkte die Wimpern. „Ihr ehrt mich.“   Dann ergriff Katsu das Wort und sein rauer Tonfall schnitt harsch durch den Schleier aus Charme. „Ihr mögt eure Waffen vielleicht hinter Worten verstecken, aber ihr seid bewaffnet mit Anschuldigungen zu unserem Herrn gekommen, die seine Ehre anfechten.“   „Bei allem Respekt“, sagte Shikamaru ziemlich abrupt. „Wo war diese Ehre damals während des Dritten Krieges?“   Eine sprachlose Stille…während der schierer Schock Nejis Zunge in einen nutzlosen Wattebausch in seinem knochentrockenen Mund verwandelte. Er spürte, wie Tenten und Ino alarmiert erstarrten und sein eigener Körper wurde stocksteif, als sich Fassungslosigkeit in einem Übelkeit erregenden Tröpfeln durch ihn zog und sich sein Magen verkrampfte. Bei allen Göttern, Shikamaru hatte gerade nicht wirklich einen Daimyō eines fremden Landes beleidigt. Von diesem entsetzlichen Gesichtsverlust konnte man sich nicht erholen.    Katsu war der Erste, der reagierte und sein gelbgrünes Auge blitzte auf. „Was für eine Unverschämtheit!“ Er packte den Griff seiner Klinge und machte Anstalten, sich zu erheben.    Ino und Tenten wandten die Köpfe und warteten darauf, was Neji tun würde.    Doch er musste gar nichts tun.    Überraschenderweise streckte Nogusa einen Arm aus, um die Hand seines Beschützers aufzuhalten, während ein schwaches Lächeln seinen Mund verdrehte; als wäre er von Shikamarus Impertinenz amüsiert. „Nun, das muss ich hören.“ Er lehnte sich zurück gegen seine Kissen. „Bitte sag, junger Nara, was hätte ich deiner Meinung nach während der Shinobi Kriege tun sollen? Kriege, die zwischen den Fünf Kage angezettelt und geführt wurden, wie ich hinzufügen möchte. Das Blut all dieser Männer, Frauen und Kinder, das an diese Zeit verloren wurde, klebt an den Händen dieser Ninja Führer, nicht an denen des Daimyōs, dem sie verpflichtet sind.“   „Ist dieser Vorfall hier dann nicht auch eine Angelegenheit zwischen den Kage?“, fragte Shikamaru reibungslos und setzte das verbale Spielbrett wieder auf Null. „Oder zumindest eine Angelegenheit zwischen unserem Kage und Kusagakures äquivalentem Dorfvorstand. Es ist eine Ninja Angelegenheit. Unterhalb der Belange Ranghöherer. Nicht Eurer Zeit wert, geschweige denn einer wahrgenommenen Kränkung.“   Nogusa blinzelte erstaunt und kam etwas nach vorn, um sich mit einem Arm gegen seinen Schreibtisch zu stützen. „Willst du damit sagen, dass das Leid, das Kusagakure durch die Kriegsführung der Ninja durchleben musste, unterhalb meiner Belange liegt?“, fragte er, als sich seine Brauen bei dieser Andeutung zusammenzogen. „Ich sehe diese Kränkung nicht als Frage der Wahrnehmung.“   „Eine solche Kränkung ist durch unsere Anwesenheit in Eurem Land nicht beabsichtigt“, konterte Neji rasch und widerstand dem Drang, Shikamaru einen unfruchtbaren Todesblick zuzuwerfen – obwohl Katsu das nur allzu gut mit seinem einen, blitzenden Auge zu tun schien. „Vergebt uns dieses Missverständnis, Nogusa-sama“, fuhr Neji fort. „Ich versichere Euch, dass unsere Absichten das genaue Gegenteil sind. Wir sind hier, um Eure Ehre zu verteidigen, indem wir diejenigen finden, die für den Zwischenfall verantwortlich sind, der Verdacht auf Kusagakure gelenkt hat. Unsere Hokage möchte Euch ihren ausdrücklichen Dank aussprechen. Sie honoriert Euer großmütiges Angebot, uns hier willkommen zu heißen, vor allem angesichts der Taten ihrer Vorgänger und der Geschichte zwischen unseren Ninjadörfern.“   Auf einer Silberplatte servierte Eloquenz, doch Nogusa fand nicht einmal ein Quäntchen von Interesse an Nejis selbstauferlegten Gang nach Canossa, da Shikamaru derjenige hätte sein sollen, der ihn beschritt. Die Aufmerksamkeit des Daimyō blieb unerschütterlich auf den Schattenninja fixiert, doch sein Stirnrunzeln glättete sich und ein grimmiges Schmunzeln ersetzte die drohende, finstere Miene.    „Vertraue darauf, dass sich ein Nara freimütig äußert“, sagte Nogusa letztendlich und seine gute Laune löste etwas von der Spannung des stickig stillen Raumes. „Es würde mich sehr interessieren, noch mehr von deiner politischen Wahrnehmung zu hören“, raunte der Daimyō und lehnte sich geradezu auf das Wort ‚Wahrnehmung‘. „Vor allem in Anbetracht, wie erstaunlich weit dir der Ruf deines Verstandes vorauseilt.“   Shikamaru sagte nichts weiter; ein Schweigen, das man als Trotz hätte falsch auslegen oder als Ehrerbietung hätte verstehen können. Alles eine Frage der Wahrnehmung. Und dennoch, dieser gefährliche Zug ging an Neji nicht verloren – auch wenn die Regeln dieses unsichtbaren Spiels vollkommen über seinen Kopf hinweg gesegelt waren.    Was zur Hölle machst du da, Shikamaru?   Mal davon abgesehen, jede Vorsicht – und vielleicht sogar sein geniales Hirn – in den Wind zu schießen. Einen Wind, der angesichts Nogusas lebhaften Temperaments gnädigerweise günstig gestanden hatte…doch seine Nachsicht gegenüber Shikamarus Genie war keine Vorhersage für das, was jenseits der Grenzen seiner Geduld lag. Und während Nogusa scheinbar nicht die Arroganz und Aggression seiner Vorgänger zu eigen war, spürte Neji eine gefährliche Gewitterfront, die hinter dem äußerlichen Auftreten dieses Mannes lauerte – was ihn in etwa so vorhersehbar machte wie ein Aprilwetter.    Du hast besser eine abartige Gewinnstrategie im Spiel, Nara…   Denn welches Spiel auch immer gerade im Gange war, wenn Shikamaru nicht mit Tricks im Ärmel und Magie in seinen Methoden mehrere Schritte voraus sprang, dann gab es nur eine einzige Alternative, um seine Handlungen zu erklären.    ‚Was? Glaubst du, dass sich die Kabel in meinem Kopf lösen, Hyūga?‘   Energisch versuchte Neji, sich nicht an diesem Gedankengang festzuhalten, sondern wischte diese Worte und denselben Sinn der Sorge beiseite, die sie ausgelöst hatten, als Shikamaru sie auf dem Dock ausgesprochen hatte. Er hatte gescherzt; sarkastisch und defensiv.   Und jetzt scheint er in der Offensive sein…sieht ihm so gar nicht ähnlich…   War das etwas, das sich Neji für die ANBU Analyse merken sollte? Oder war Shikamaru absichtlich aggressiv und arbiträr in seiner Herangehensweise?   Vertrau ihm…   Mit Sicherheit hatte der Schattenninja eine ernstzunehmende Strategie auf Lager, die seine verrückte Annäherung unterstützte und schoss nicht einfach nur markerschütternd aufs Geratewohl um sich, darauf hoffend, irgendein unbeabsichtigtes Schachmatt zu treffen.    Lächerlich. Nichts, was Shikamaru tut, ist unbeabsichtigt…   Außerdem handelte Shikamaru niemals aus irrationalem Impuls. Was immer er vorgehabt hatte, bei Nogusa mit seinen unverblümten Worten zu provozieren, musste kalkuliert gewesen sein. Und sicherlich erzählten Nogusas Reaktionen eine interessante Geschichte – wie seine seltsame Involvierung in diese Ninja Affäre. Shikamaru hatte damit nicht falsch gelegen, was das anging. Aber auch auf das Wagnis hin, richtig zu liegen, war ihre Situation jetzt ziemlich prekär.    Und trotzdem ist Nogusas Involvierung in all das immer noch merkwürdig…sogar unnötig…   Vielleicht trieb Shikamaru genau damit sein Spiel, auch wenn es bedeutete, einen schlafenden Bären mit einem Stock zu pieksen. Und wie im Einklang mit seinen Gedanken, erwachte das Konzil und schüttelte seine Regungslosigkeit mit einem Rascheln von Seide und leisem Murmeln ab. Nogusa musste ihnen nur den Blick zuwenden und sofort verfielen sie wieder in Schweigen.   „Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir uns auf angemessene Weise diesem Problem widmen“, sagte Nogusa, doch seine Augen fixierten sich auf keinen der anwesenden Männer. „Ashihara. Tritt ein.“   Blinzelnd schnitt Nejis Aufmerksamkeit durch den Raum, als sich ein Fusama Paneel an der linken Seite des Raumes auf den geölten Schienen zurück schob. Eine Gestalt, gekleidet in die blassen Roben der Kusa Shinobi, kniete an der Schwelle, ein dickes, geflochtenes Seil anstelle eines Gürtels oder einer Schärpe um die Taille gebunden. Er verneigte sich tief vor Nogusa, betrat den Raum auf den Knien und schob das Paneel hinter sich zu, wandte sich dann um und verneigte sich noch einmal.    Ashihara… Neji merkte sich den Namen.    Kusagakures Dorfvorstand? Ich hätte schwören können, sein Name wäre Ujihara.   Wer auch immer dieser Mann war, er hätte älter sein können als Nogusa, auch wenn das schwer zu sagen war. Ergraute Strähnen waren über einem dreieckigen Gesicht zu einem glatten Haarknoten gebunden, die breite Stirn zerfurcht von tiefen Falten und das scharfe Kinn von einem Spitzbart akzentuiert. Die dunklen Augen waren scharf und intelligent, ihre Winkel von feinen Linien umrandet.    Das ist ein sehr gealterter Mann…   Katsu stellte ihn mit der Neutralität des Protokolls vor. „Ashihara, älterer Bruder des abgedankten Ujihara und der gegenwärtige Dorfvorsteher von Kusagakure.“ Seine nächsten Worte nahmen eine feine Kante an, die er einzig an Shikamaru richtete. „In jeder Hinsicht verkörpert Ashihara das Äquivalent zu eurem Kage.“   Ashihara presste seinen Kopf gegen den Boden. „Ihr ehrt mich über meinen Wert hinaus, Katsu-san.“   „Das mag sehr wohl stimmen“, murmelte Nogusa, als er Ashihara heran winkte. Geduldig wartete er, bis der Dorfvorstand auf seinen Knien nach vorn gerutscht war und seine Position zur Linken der Konoha Gäste eingenommen hatte. „Ashihara, wie du weißt, wurde Kusagakure unter den Verdacht der Kriegstreiberei und des politischen Skandals gestellt. Ich finde diese Anschuldigungen gelinde gesagt unhaltbar.“   Ashihara hielt seine Augen gesenkt. „Vergebt mir mein Scheitern, Herr. Unsere Shinobi haben kürzlich einen Staatsstreich meines Bruders vereitelt, der drohte, mich aus meiner Stellung als Dorfvorsteher zu verdrängen. Ich gehe davon aus, dass Ujihara und seine Unterstützer für die unautorisierte Entwicklung von Nahrungspillen und den illegalen Transfer von Chimären-Kreuzungen über unsere Grenzen hinaus verantwortlich sind.“   Neji hob eine mentale Braue, nahm diese Information in sich auf und verglich sie rasch. Angesichts all der politischen Umwälzungen, die sie während ihrer Hanegakure Mission erlebt hatten, hatten sie es jetzt zumindest nicht mit etwas vollkommen Fremden zu tun.    Trotzdem…Familienfehden erschweren die Angelegenheiten immer…   Er sollte es wissen.    Während er seine Stimme hob, sodass Ashihara ihn hören konnte, drehte Neji den Kopf. „Unabhängig davon, welcher Bruder sie verkauft hat, diese Chimären-Kreuzungen sind eine klare Verletzung der offiziellen Experimentierprotokolle. Wie zwischen unseren Dörfern vereinbart, werden sie durch solche genetischen Veränderungen als Kriegswaffen klassifiziert.“   Das Word ‚Krieg‘ ließ Nogusas Lippen verkrampfen und er runzelte die Stirn, als seine Aufmerksamkeit zu seinen Ratsmitgliedern glitt. Sie nickten, um Nejis Worte zu bestätigen und die finstere Miene des Daimyō wurde noch düsterer. „Erklär mir diese Verletzung, Ashihara. In meinem Verständnis hat Kusagakure solche Monster ausschließlich für die Chūnin Prüfungen geliefert.“   Ashiharas Augen zuckten reuig. „Ihr wisst um die Fehler meines Bruders, Herr.“   Das ließ Katsu grunzen und sein vernarbter Mund verdrehte sich säuerlich an einer Seite, als er leise etwas raunte. „Aikokusha…“   Nejis Ohren spitzen sich bei diesem Wort, auch wenn ihm keine Zeit blieb, sich darüber zu wundern. Erneut hatte Ashihara mit heiserer und müder Stimme zu sprechen begonnen. „Ujiharas Liebe für Kusagakure ging mit seinem Verlangen Hand in Hand, sein Potential zu erweitern und zu bereichern. Viele Geheimnisse, die er im Dunkeln gelassen hatte, sind erst vor Kurzem ans Licht gekommen. Ich war mir nicht bewusst, dass unsere Wissenschaftler angefangen haben, die Chimären so grotesk und für solch schändliche Zwecke zu entwickeln.“   Shikamaru schnaubte. „Ist denn Kusas Geheimdienst derart defizitär?“   „Fragt der Grünschnabel Shinobi, dessen Dorf eines der gefährlichsten Monster hervor gebracht hat, die vorstellbar sind“, biss Ashihara zurück und sein Blick schnitt zu Shikamaru. „Wo war eure ANBU Einheit, als Orochimaru unsägliche Akte des Verrats und der Folter an Testsubjekten seines eigenen Dorfes begangen hat? Wo war ANBU, als die Uchiha abgeschlachtet und der Kyuubi entfesselt wurde? Oder vielleicht sollte ich Ereignisse erwähnen, die mehr mit eurer Generation zusammenhängen? So wie der unverzeihliche Angriff während der Chūnin Prüfungen, als die Schlange zu ihrem Nest zurückgekehrt ist. Der Tod eures Sandaime Hokage. Die unverzeihliche Bedrohung der Leben des Daimyōs und fremder Würdenträger innerhalb der Mauern eures ach so großartigen Ninja Dorfes.“ Angewidert ruckte Ashihara mit einer Hand. „Tz! Sprich nicht mit mir über Defizite. Konoha hat keinerlei Grundlage, uns unzureichende Informationen vorzuwerfen, wenn ihre eigenen mehr als zu wünschen übriglassen.“   Ein verheerender Konter.    Einer, der Konohas Glaubwürdigkeit direkt diskreditierte.    Verdammt.   Neji spürte bereits, wie seine Augen drohten, sich vor Bestürzung zu schließen, bevor Shikamarus nächste Worte in einer Schnellfeuererwiderung über das verbale Schlachtfeld schossen. „Vielleicht vergesst Ihr die Tatsache, dass Kusagakure Orochimaru nicht nur Schutz geboten hat, als er zum Nukenin wurde und diese Attacke geplant hat, sondern auch noch zugelassen hat, dass er mit seinen Experimenten und Forschungen zum Schaden eures eigenen Volkes fortfuhr. Er hat sich mit der Haut eurer Kinder verkleidet. Natürlich nur vorausgesetzt, ihr habt sie nicht dafür geopfert-“   Fast schnellte Ashihara auf seinen Knien nach oben. „Wie kannst du es wagen!“   „- aber so oder so, letztendlich habt ihr euch selbst ins Spiel gebracht, als ihr euch auf die Seite eines international bekannten S-Rang Kriminellen gestellt habt.“ Hier spähte Shikamaru zu Nogusa. „Konoha hätte sich sehr wohl im Rahmen des Rechts befunden, Kusa aufgrund dieses Vorfalls den Krieg zu erklären, aber das haben wir nicht. Die Friedenspolitik unseres verstorbenen Hokage hat sich durchgesetzt und wir haben gute Beziehungen aufgebaut, die auf strikten Prinzipien beruhen, die Kusa scheinbar nicht einfach nur verletzt hat, sondern sich auch weigert, die Verantwortung dafür zu übernehmen.“   „Das ist eine Lüge“, stieß Ashihara aus. „Warum glaubst du, sitze ich überhaupt hier?“   Shikamaru sah ihn nicht einmal an. „Und wo ist Euer Bruder?“   „Er wird gejagt, um ihn für seine Verbrechen zur Verantwortung zu ziehen.“   „Ach ja? Nun, vergebt mir, dass ich denke, dass Blut wohl dicker als Wasser ist. Ich meine, wer sagt, dass Ihr und Euer Bruder uns nicht an der Nase herumführt und eigentlich mit Orochimaru zusammenarbeitet?“   „Das ist absurd“, zischte Ashihara und das Gift seiner Stimme blutete nun auch in seine Augen. „Ich gebe Kusagakures frühere Partnerschaft mit Orochimaru zu. Eine Partnerschaft, die in der Sekunde aufgehoben wurde, als diese Schlange genommen hat, was sie brauchte und uns verraten hat.“   Neji hob eine Braue und sah zu ihm. „Habt Ihr ernsthaft gedacht, er würde euch nicht benutzen?“   „Uns benutzen?“ Ashihara setzte ein reuiges Lächeln auf, doch es lag Arglist in seinen Augen. „Nicht mehr, als wir ihn benutzt haben. Ja, der Preis, den wir dafür gezahlt haben, von seinem Genie zu profitieren, war in der Tat hoch.“ Hier machte er eine Pause und seine Miene verhärtete sich. „Aber auch nicht höher als der Preis, den wir dafür gezahlt haben, als Ninja Nation unzureichend gewappnet zu sein. Der Kampf, den euer Dorf über unsere Grenzen hinweg während des Dritten Krieges mit Iwagakure geführt hatte, ist eine Farce, für die wir niemals wieder unvorbereitet sein werden.“   Shikamaru summte eine grüblerische Note. „Huh. Das ist ein ziemlich starkes Motiv. Und Ihr habt bereits zugegeben, die Mittel zu haben, das zu entwickeln, was ihr braucht, um euer Dorf zu schützen“, sagte er, als würde er laut nachdenken und wies gleichzeitig alles ab, was Konoha zu verunglimpfen drohte, während er seine Argumentation mit der gnadenlosen Scharfsinnigkeit eines Generals auf dem Schlachtfeld voran trieb. „Also wenn man dieses Motiv mit diesen Mitteln verbindet, wie zum Beispiel Orochimarus Forschung zusammen mit eurer eigenen Wissenschaft zu nutzen, dann ist alles, was ihr braucht, eine Gelegenheit, uns zu zeigen, dass ihr euch das nächste Mal nicht drangsalieren lassen werdet. Macht Sinn.“   Verblüfft stierte Nogusa ihn an, doch ein Hauch der Warnung verfärbte seine Miene. „Abgesehen von dem Implizieren, Kusagakure hätte sich der Kriegstreiberei schuldig gemacht, willst du auch noch andeuten, dass wir diesen gesuchten Flüchtigen noch immer beherbergen?“   „Absurd in jeder Hinsicht“, wiederholte Ashihara und Abscheu verdrehte sein Gesicht. „Wenn Verleumdung dein Ziel ist, dann –“   „Verleumdung?“, echote Shikamaru mit falscher Verwirrung und hob verlegen seine Hände. „Hey, ganz im Gegenteil, ich zolle euch Anerkennung. Es wäre ein kluger Zug gewesen, mit einem blutdurstigen Meisterhirn zusammenzuarbeiten, selbst wenn es das Risiko ernsthafter Konsequenzen beinhaltet. Wäre ich an eurer Stelle gewesen, dann wäre Orochimaru bei sich zu behalten alles in allem ein Risiko, das es wert wäre einzugehen.“   „Oh?“, fragte Nogusa und schnitt Ashiharas Versuch einer Defensive mit einer erhobenen Hand ab. „Sei still, Ashihara. Ich bin neugierig, die Logik dieses jungen Mannes zu hören.“   Genau wie ich, dachte Neji mit wachsender Vorsicht und irgendwie argwöhnisch angesichts Nogusas Gewilltheit, Shikamaru sprichwörtlichen Boden zu überlassen – und Shikamaru damit die Gelegenheit zu bieten, mit Ashiharas Argumentation besagten Boden zu wischen.   Vermute niemals. Ashihara hat seinen Fall noch nicht wirklich vorgetragen…   Shikamaru hatte ihm gar nicht die Gelegenheit dazu gegeben. Und Neji konnte nicht anders, als die Drehungen und Wendungen zu bewundern, die der Schattenninja vorgenommen hatte, um sie alle an diesen Punkt zu führen, indem er Spitzkehrentaktiken anwandte und gefährlich scharfe Kurven schnitt.    Viel zu viele knappe Angelegenheiten…   Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sich Shikamarus Fingerspitzen flüchtig in ihrer üblichen Pose aneinander legten, bevor er sie an seinen Seiten ruhen ließ. Eine beruhigende Geste, die auf Strategie und Entschiedenheit hindeutete.   Vertrau ihm…   „Ich werde nicht lügen“, begann der Schattenninja. „Kusagakures Fähigkeit, unergründlich zu bleiben, ist einer seiner größten Vorteile. Es hat sogar gegen Kirigakures Chiffre Division die Nase vorn – und das ist für Elitestandards wirklich schwer zu schlagen.“ Um dieses Kompliment noch zu verstärken, nickte er kurz in Ashiharas Richtung, sodass der Mann wieder etwas von seinem Gesicht wiedererlangen konnte, das er nur wenige Momente zuvor verloren hatte. „Es ist keine leichte Aufgabe, so undurchdringlich zu bleiben, aber Kusa hat das über die letzten Jahre hinweg bewundernswert geschafft, gemessen an seiner Position.“   „Und die wäre?“   „Beschissen“, sagte Shikamaru und ignorierte die säuerliche Regung geflissentlich, die seine Sprache unter den Ratsmitgliedern auslöste, sein Fokus einzig und allein auf den Daimyō gerichtet. „Geographisch gesehen, ist es von potentiellen Feinden umzingelt und seine Allianzen sind zögerlich – basieren mehr auf Drohung statt Vertrauen. Es mangelt dem Land an der überlegenen Stärke benachbarter Nationen und den Ressourcen, um die eigene zu expandieren.“   Ashihara runzelte die Stirn, argumentierte aber nicht.    Shikamaru fuhr fort: „Angesichts dieser Konditionen und Kusas tragischen Geschichte, macht es einfach nur absolut logischen Sinn, dass es das Bedürfnis verspürt, heimliche und extreme Maßnahmen zu ergreifen, um sich selbst zu verteidigen. Außerdem halten sich Ninja nicht an dieselben Kodizes der Ehre wie Männer Eures Kalibers, Nogusa-sama.“   Das räumte Nogusa mit einem amüsierten Zucken der Brauen ein, offenbar erfreut über diese Unterscheidung. Makellos, wie Shikamarus Wortwahl das Spielbrett zwischen Konoha und Kusa ausgleichen konnte, während sie Nogusa gleichzeitig hoch darüber hinaus hob.   Hier spähte Shikamaru zu Ashihara, und brachte seinen Punkt zu einem geschickten und brillanten Abschluss. „Ganz ehrlich? Bei allem, was Kusagakure erleiden musste, kann man es nicht dafür verurteilen, vorbereitet sein zu wollen oder uns wissen lassen zu wollen, dass es sich nicht einschüchtern lässt. Ihr seid ein ernstzunehmender politischer Spieler und Ihr habt jedes Recht, uns wissen zu lassen, dass Kusa die Mittel besetzt, dem auch Rückhalt zu verleihen.“   Unglaublich…   Psychologische Manipulation vom Feinsten. Neji fragte sich, ob Ibiki wohl irgendeine Vorstellung von Shikamarus Fähigkeiten hatte. Die Folter und Verhörabteilung würde ihn sich innerhalb eines Herzschlages schnappen. Fürwahr, die Geschwindigkeit, in der Shikamaru die Situation neu arrangiert hatte und die ganze Stimmung im Raum ließen Ashihara und das Konzil für den Moment sprachlos zurück.    Die Brauen erhoben, spähte Nogusa seitwärts zu Katsu.    Die Miene des Nagu Wächters änderte sich nicht, obwohl er nickte.    Da er diese Interaktion bemerkte, setzte sich Ashihara aufrechter hin und würdigte das Geschick seines Gegners mit einem widerwilligen Schmunzeln, auch wenn sich seine Augen zu klingenähnlicher Schärfe zuspitzten. „Diese silberzüngige Ansprache wird weder ein Geständnis noch eine Entschuldigung auslösen. Und sie entschuldigt Konoha ganz sicher nicht für die Verbrechen gegen mein Dorf.“   Shikamaru zuckte mit den Achseln. „Unglücklicherweise für Euch, ist nicht Konoha das Dorf, das vor Gericht steht. Die Frage ist, ob diese Geschichte eines Staatsstreichs von Euch irgendein Gewicht hat, oder ob Ihr nur heiße Kartoffel mit der Schuld spielt und hofft, sie würde im Schoß von irgendjemand anderem landen. In dem Eures Bruders, zum Beispiel?“   Ashihara stieß ein freudloses Lachen aus. „Du bist ein gerissenes, kleines Balg, so viel muss ich dir lassen.“ Bedächtig streichelte er die Spitze seines Bartes zwischen Daumen und Zeigefinger, bevor er seine Hände in seinen Ärmeln verschwinden ließ. „Aber clevere Worte werden nicht gegen die Wahrheit bestehen.“   „Dann schlage ich vor, dass Ihr rasch sprecht, Ashihara“, riet Nogusa. „Denn die Logik dieses Balgs ist unbestreitbar.“   „Für den Verstand, Herr, aber nicht für das Herz. Verzeiht mir, dass ich das sage, aber ich werde von Letzterem beherrscht.“   Eine unverblümte Aussage und ein großer Schritt fort von Professionalität, doch statt Ashihara mit Strenge anzusehen, wurde Nogusas Blick marginal weich. „Ashihara, genau aus diesem Grund habe ich dir vertraut, dass du Kusagakure fort von dem Pfad führst, den dein Bruder geebnet hat, egal wie gut gemeint und egal wie patriotisch seine Taten zu dieser Zeit waren. Sein radikales Denken hat diese Schlange Orochimaru in unsere Mitte gebracht. Und auch wenn sein Wissen Stärke nach Kusa gebracht hat, kann ich die Fortsetzung solch kruder Experimente nicht gutheißen und ich werde jede Saat des Krieges entwurzeln, die ich innerhalb meines Landes finde.“   „Fürwahr, das ist das Problem, mein Herr“, antwortete Ashihara feierlich. „Denn einige Wurzeln reichen tiefer als Ihr oder ich uns jemals hätten vorstellen können; gewässert von Blut und Tränen.“   Eine schwere Pause und Nogusa zog sich langsam zurück und ein Schatten der Verwirrung stahl sich über sein Gesicht. Im Licht dieser Worte hielt er sich steif aufgerichtet. „Sprich gerade heraus, Ashihara. Was meinst du damit?“   Der ganze Raum schien an dieser Frage zu hängen.    Neji konnte spüren, wie sich die Anspannung mit jedem verstreichenden Atemzug straffer um seine Brust legte.    Ashihara hatte die Augen geschlossen und ein Ausdruck entsetzlichen Schmerzes und Stresses ätzte sich tief in die Falten seines Gesichts. In der Spanne von zehn Sekunden schien er um zehn Jahre gealtert zu sein.    „Ashihara“, drängte Nogusa sanft. „Was ist passier-?“   Was als nächstes passierte, passierte schnell. Zu schnell, um es aufzuhalten.    Ashihara schoss wie ein Pfeil aus seiner knienden Position und verschwommener Stahl blitzte in seinen Händen auf.    Neji rief eine Warnung.    Doch Ashihara traf sein Ziel nie.    Katsu kam so rasch zwischen Nogusa und den Attentäter, dass der Wind von Ashiharas Attacke seine blasse Kusarobe voraus flattern ließ, als er zu einem ruckartigen Halt kam, da sein Körper von Katsus Klinge aufgespießt wurde, als sich die Waffe knackend durch wogenden Stoff und eine fragile Brust grub, die Lunge perforierte und die Wirbelsäule durchtrennte, bevor sie in einem schimmernd roten Sprühregen aus Ashiharas Rücken explodierte.    Schlagartig war Neji auf den Füßen, der Rest des Teams nur einen Herzschlag nach ihm. Aber es war alles schon vorbei. Fröstelnde Regungslosigkeit, abgesehen von dem tropf, tropf, tropf von Blut…die Szene so morbid und surreal wie das Tableau eines Bühnenstücks…ein Höhepunkt des Horrors, eingefroren in der Zeit…das Publikum saß mit offenen Mündern da, fassungslos aufgrund des Endes…so grob und unerwartet…und Katsus Klinge weinte über die Tragödie – oder vielleicht den Verrat – Rubintränen bespritzten den polierten Boden.    Und dann schrie die Kurtisane.    Die Stille zersplitterte.    Mit einem kollektiven Luftschnappen rappelte sich das Konzil auf die Füße.   Nur ein Mann schaffte es nicht, sich zu bewegen. Nogusa. Jede Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, die Augen weit vor Schock und Empörung. Er sah tief in Ashiharas hervortretende Augen, als der Kusa-nin über Katsus Schulter hinweg stierte und Blutblasen auf seinen Lippen zerplatzten. Sein Mund bewegte sich in einem morbiden Summen und bemühten sich, ein Wispern zu formen…seine Worte tröpfelten auf einem Strom aus Blut hervor. „Für Verbrechen gegen das Land…für Verbrechen gegen die Sippe…zu vergeben und zu vergessen macht mich zum Muhonnin…“   Nejis Augen weiteten sich angesichts des letzten Wortes.    Muhonnin?   Verräter.   Katsu zischte und riss seine Klinge frei. „Aikokusha Bastard.“   Ashihara sackte auf die Knie und das Kunai fiel aus seinen schlaffen Händen, während sich sein Mund immer noch bewegte und sich seine Augen mit Tränen füllten, als er zu dem Herrn hinauf sah, den er hatte töten wollen. „Für Verbrechen gegen das Land…für Verbrechen gegen-“   Katsu enthauptete ihn.    Ein makelloser Rückhandschwung, der Ashiharas Kopf in einem grauenhaften Rollen wirbelnd über den Boden sandte. Noch mehr Kreischen der Kurtisane, noch mehr Rufe und Schreie von den Ratsmitgliedern, als sie in einem aufgeschreckten Schwarm panisch vor dem rollenden Kopf zurückstolperten.    Nogusa bewegte sich nicht, sagte nichts.    Der kopflose Körper lag ausgestreckt auf dem Rücken an den Füßen des Daimyōs, doch Neji bemerkte, dass es nicht die Knorpel und das Blut waren, die den Blick des Daimyōs auf sich zogen. Stattdessen war seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt gerichtet, wo sich die blutgetränkten Roben von Ashiharas Körper gelöst hatten und ein Tattoo offenbarten – Nein, dachte Neji und sah näher hin – ein Symbol, das in die zarte Haut seiner Brust eingebrannt war.    Katsu trat Ashiharas schlaffen Arm beiseite, kniete sich neben die Leiche, riss das Gewand auf und musterte das Brandsymbol mit Abscheu; zwei Wurzeln, die in einem Unendlichkeitszeichen ineinander verschlungen waren, umgeben von einem Zirkel verschachtelter Ranken.    Verwirrt blinzelte Neji dieses Wappen an und legte den Kopf auf eine Seite.    Neben ihm atmete Shikamaru hörbar. „Was zur Hölle ist das?“   „Eine Beleidigung“, spie Katsu aus und seine vernarbten Lippen verzogen sich zu einem Knurren, bevor er sein glühendes gelbes Auge hinauf zu seinem sprachlosen Herrn wandte. „Nogusa-sama, die Aikoku sind zurück.“   ________________________ Glossar: Bankon no Kuni: Land der Verschlungenen Wurzeln (Da Kusagakure als Dorf innerhalb eines namenlosen Landes beschrieben wird, wurde sich für diese FF die kreative Freiheit genommen, diesem Land einen Namen zu geben ;) ) Nogusa Dai: Daimyō/Feudalherr des Landes der Verschlungenen Wurzeln (Aka. Land der Wurzeln), sein Name bedeutet 'Weites/großes Grasland' Ashihara: Dorfvorsteher von Kusagakure  Ujihara: Ashiharas Bruder Muhonnin: Bedeutet Verräter Aikoku: Eine Gruppierung nationalistischer Extremisten, die innerhalb von Kusagakure operieren. 'Aikoku' Bedeutet 'Liebe des Landes' Aikokusha: Bezeichnung für ein Mitglied der Aikoku Uff, irgendwie ein langer Glossar, ein paar neue Charaktere und viele neue Namen... Ja, hier ist Shikamaru mal so richtig in seinem Element, auch wenn er auf äußerst fragliche Weise vorgeht. Ich hoffe sehr, dass euch dieses Kapitel der verbalen Auseinandersetzung gefallen hat und bin gespannt, was ihr zu dieser Entwicklung sagen werdet! :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine wunderbaren Reviewer/innen und Leser/innen! *-* Kapitel 22: Coming apart ------------------------ Der Nachrichtenvogel von ANBU kam pünktlich an.    Effizienz vom Feinsten.   Es reichte schon fast, um Ibikis Stimmung zu heben. Er stand auf dem Dach der Geheimdienst Division, zog an dem Falknerhandschuh und hob seinen Arm für den Vogel in die Luft, während er einen scharfen, kurzen Pfiff ausstieß. Der Habicht ließ ein antwortendes Kreischen hören und stieg herab, um sich mit nickendem Kopf und eingezogenen Flügeln auf Ibikis Hand niederzulassen. Langsam krümmte Ibiki seinen Arm an die Brust und belohnte das Tier mit einem Fleischfetzen, bevor er den dünnen Papierstreifen aus dem Täschchen an dessen Fuß zog.    Gib mir ein paar gute Neuigkeiten, Tsuno…   Tief Luft holend, öffnete Ibiki die Nachricht zwischen zwei steifen Fingern und las die Haiku Botschaft, die in Tsunos unscheinbarer Handschrift geschrieben war.    Bewegung im Gras Im Schatten fliegt Falkenweiß Ein Hirsch nähert sich   Übersetzung: Irgendetwas war in Kusagakure im Gange und während ihr Weißer Falke, Hyūga Neji, immer noch streng an seinem Ziel festhielt, beabsichtigte Tsuno, ein Treffen zu arrangieren und sich einen Statusbericht geben zu lassen – zumindest was die ANBU Mission anging, obwohl sie an diesem Punkt vielleicht sehr schnell untrennbar mit dem Kusa-Objektiv verbunden sein könnte.    Bewegung im Gras…   Das bezog sich höchstwahrscheinlich auf die offizielle Kusa Mission. Tsuno war sowohl was Shikamaru, als auch die Situation mit den Chimären anging, auf dem Laufenden. Zu blöd, dass die Bestätigung von Tsunos Nachricht nichts dazu beitrug, die Empfindung von Dringlichkeit zu lindern, die Ibiki angesichts eines Updates über Nara Shikamarus derzeitigen Zustand verspürte.    Seinszustand…oder Geisteszustand?   Bei Buddhas blutigen Tränen. Scheiß auf die paar Schraubenschlüssel, die in die Mechanik geschmissen wurden, jetzt hatte Genma auf eine weitere Zeitbombe hingewiesen, die in dem System aus Lügen begraben war und von der keiner von ihnen gewusst hatte, dass sie überhaupt da war. Und diese Zeitbombe riskierte, so kompliziert verkabelt zu sein, dass sie zu entschärfen vielleicht jeden gottverdammten Alarm in dem System auslösen würde und einundzwanzig Jahre des Schweigens zunichte machen könnte.   Und die Auswirkungen?   Jeder andere würde erschaudern, nur daran zu denken. Doch Ibiki war Teil von Konohas größter Denkfabrik. Sein Hirn war auf Notfallplanungen und Roter-Alarm-Katastrophen eingestellt. Wie eine Maschine. Selbst sein Körper hatte trotz des Schmerzes, trotz des Drucks diese mechanische Fähigkeit zu verarbeiten und zu funktionieren angenommen. Er hatte in seinen Jugendtagen und frühem Mannesalter genug Qualen ertragen, um Stress in Perspektive zu verwandeln. Jetzt gerade kanalisierte er ihn tief bis in seine Knochen, fühlte, wie sich die Gelenke versteiften und ihm das übliche Zwicken einbrachten.    Überschaubar.   Jetzt musste man das Chaos bewältigen, das aus Dr. Mushis Akte und dem Wahnsinn bestand, der Genma Shiranui war und der versuchte, sich diese Akte zu beschaffen.    Kami helfe dir, wenn du das verbockst, Genma…   Ibiki wusste, dass er ein massives Risiko eingegangen war, den Tokujō so fortzuschicken. Genma war kaum in der Lage gewesen, geradeaus zu laufen, geschweige denn, geradeaus zu denken. Hoffentlich würde er in einem Stück bei seiner Wohnung ankommen und sich diesen Drogenschuss einverleiben, den er sich beiseitegelegt hatte – wahrscheinlich unter einem weiteren Dielenbrett. Und Ibiki hoffte einfach nur, dass es nicht derselbe Platz war, an dem Genma seine kleinen Andenken versteckt hatte.    Ihm wird auffallen, was fehlt…   Und das würde ihn vermutlich viel zu früh über den Rand treiben. Zuerst brauchte Ibiki diese Akte. Also hatte er im Sinne einer Art Schadensbegrenzung ein paar F&V Frischlinge ausgesandt, um den Shiranui im Auge zu behalten.    Ich hätte mehr schicken sollen…   Aber er konnte es sich einfach nicht leisten, auf weitere zu verzichten. Nicht, ohne Inoichis Aufmerksamkeit zu erregen und ganz sicher nicht, wenn sich ihr Arbeitspensum bei der Geheimdienst Division täglich verdoppelte. Tsunades derzeitiges Beharren, alle Anführer von Kopfgeldbörsen und nicht lizensierten Söldner innerhalb des Landes des Feuers verhören zu lassen, sorgte dafür, dass der Großteil des F&V Teams sehr lange und anstrengende Stunden arbeitete.    Hn. Asumas Tod hat die Hokage härter getroffen als ich dachte…   Und als ein Ergebnis davon schleppten die Nijū Shōtai Raufbolde und Killer aus allen Winkeln des Landes an, hoffend auf eine Spur, eine Verbindung, eine Reihe von Abschaum, die bis zu Akatsuki zurückverfolgt werden konnte.    Wir werden verzweifelt…   Gerüchten zufolge hatte sich selbst der Kröteneremit, Jiraiya-sama, auf eigene Faust in einem Versuch auf den Weg gemacht hatte, den mysteriösen Akatsuki Anführer aufzuspüren.    Das ist eine andere Mission. Konzentrier dich auf die, die auf der Hand liegt.    Denn er brauchte seine beiden Hände und all seine Konzentration – und wenn Ibiki das hinkriegen konnte, dann konnte Genma ganz sicher auch seinen Part hinkriegen. Er hatte Ibiki versichert, er hätte genug Drogen übrig, um ihn stabil genug für diese letzte Etappe seiner Mission zu kriegen. Und wenn schon, wenn er aussah wie der lebende Tod? Es war Teil des Deals, dass er mit jeder Faser aussah wie der Drogenabhängige, zu dem er geworden war.    ‚Ich habe noch einen Schuss übrig. Ich werde ihn nehmen und ich werde diese Akte besorgen.‘   ‚Das solltest du besser. Denn wenn nicht? Das Angebot, das ich dir gemacht habe, um dich aus dieser Scheiße zu kriegen, läuft ab und ich überlasse es den Ältesten, dir ein neues aufzureißen. Sie haben dir bereits einen heißen Stuhl in der Hölle reserviert. Gib ihnen keinen Grund, dich da rein zu setzen.‘   Die Akte beschaffen. Von Mushi eingewiesen werden. Wie schwer konnte das schon sein? Zwei Fliegen, eine Klappe…oder psychedelisch fliegen, in Genmas Fall.    Er wird es tun. Er muss.    Der Habicht stieß einen schrillen Schrei aus. Rasch stecke Ibiki Tsunos Nachricht weg und schob seine Antwort in das Täschchen. Ein Schwung seines Armes und der Raubvogel stieg hinauf in die Himmel. Ibiki sah dem Tier hinterher, die Miene ernst und seine Gedanken schwer.    Zeit, mit den Ältesten über diese Sache zu reden…   Sie auf dem Laufenden zu halten war entscheidend. Außerdem musste er seine Argumente für Genmas Überweisung in eine Rehaklinik außerhalb des Dorfes vorbringen. Trotz all seiner Drohungen – und all den harten Wahrheiten hinter diesen Drohungen – er wollte nicht mitansehen müssen, wie der Senbon kauende Klugscheißer abstürzte und verbrannte.    Das hat er nicht verdient.   Nein. Er hatte überhaupt nichts von alledem verdient. Doch wie es Ibiki schon sehr lange gelernt hatte, bekam niemand jemals das, was man wirklich verdiente. Ob schuldig oder unschuldig. Gut oder böse. Das war nicht, wie das Rad des Schicksals funktionierte. Und immerhin war Ibiki ein Verfechter der Mechanik.    Zeit, die Räder zu ölen…   Das Konzil musste von Nara Shikamarus Akte erfahren. Schnell.    Als er zurück nach unten in die Investigativabteilung schritt, passierte Ibiki enge Korridore und bewegte sich durch eine Menschenmenge, die die Haupthalle verstopfte. Doch seine Anwesenheit teilte die Ansammlung wie eine Klinge durch Stoff.    Lärm belagerte seine Ohren und sein Stirnrunzeln vertiefte sich.    Er mochte Chaos nicht. Bevorzugte die gute, alte Zeit, als die Uchiha Polizeieinheit die ganze kriminelle Beinarbeit übernommen hatte. Ibiki sah zu, wie seine Leute hin und her trabten, manche eskortierten nutzlose Verdächtige hinaus oder kamen mit in Ketten gelegtem Frischfleisch zurück. Das Gebäude wurde zu einem verdammten Flaschenhals.    „Morino-san“, rief eine der F&V Ninja und arbeitete sich mit den Ellbogen einen Weg durch die zusammengedrückten Körper. „Uns gehen die Räume aus.“   Und Ibiki ging sehr schnell die Geduld aus. „Wir haben Kerker. Benutzt die.“   „Aber-“   „Benutzt sie.“   Die Frau blinzelte ihn an, bevor sie sich zackig verbeugte. „Zu Befehl!“   Aus dem Augenwinkel warf Ibiki ihr einen finsteren Blick zu und wandte sich dann der Halle zu. Aus voller Kehle bellte er ein paar markerschütternde Befehle. Effizienz begann zurückzukehren und er marschierte durch den Ausgang. Sehr gut. Egal wie überarbeitet und unterbesetzt sie waren, es gab keine Entschuldigung für Durcheinander. Es hinderte nur das Vorankommen.   „Ibiki.“   Die Stimme ließ Ibiki schlagartig anhalten.    Auf der Treppe drehte er sich halb um und trug dabei sein Verhör-Pokergesicht. „Inoichi-san“, grüßte er über seine Schulter, wobei er etwas abrupt klang. Aber das war jetzt nicht zu ändern. Er hatte anderswo dringende Angelegenheiten zu erledigen.    Doch unglücklicherweise schloss Inoichi die Distanz mit den langen, unaufhaltbaren Schritten eines Mannes, der sich auf einer Mission befand. Und erst, als sich Ibiki vollständig umwandte, sah er noch einmal genauer hin. Götter, Inoichi sah furchtbar aus, geradezu hager; seine kräftigen Konturen waren aschgrau gewaschen von Stress und die Schatten unter seinen blutunterlaufenen Augen hatten ein dunkles Lila angenommen; sein Haar sah matt und verfilzt aus und sein starker Kiefer trug sogar den Schatten eines Bartes. Sein knittriger und abgewetzter Mantel hing an ihm, als hätte er einfach nur die Arme hinein geschoben. Ein schockierender Anblick des normalerweise so akkurat und sauber gekleideten Yamanka.    Er hat nicht geschlafen, sich nicht rasiert…   Was zur Hölle ging hier vor sich? Ibiki fühlte ein haarsträubendes Empfinden von Furcht, das die Luft verdickte, doch er drehte sich gefasst zu dem Yamanaka um und seine Augen blieben undurchschaubar. „Was ist los?“   Bei dieser Frage stieß Inoichi ein zerstreutes Grunzen aus und das starke Aroma von Kaffee hing dabei in seinem Atem. Seine Augen wanderten zu dem Gebäude, musterte Gesichter, scannte schnell. „Ich muss mit dir sprechen. Jetzt.“   Seinen alarmierten Zustand kaschierend, verzog Ibiki seine Miene zu der angemessenen Zurschaustellung von Interesse, bevor er sich in Bewegung setzte, um sie zurück in das Investigativgebäude zu führen. So viel zu seinen dringlichen Angelegenheiten.    Es kann warten.   Es würde warten müssen. Glücklicherweise schien niemand in der geschäftigen Halle seine rasche Rückkehr zu bemerken, da alle viel zu eifrig dabei waren, Befehle auszuführen und das System in Bewegung zu halten. Gut. Ibikis Verstand hingegen war knirschend zum Stillstand gekommen und die Anspannung zerrte straff an seinen Gelenken.    Hat keinen Sinn zu vermuten, bevor ich die Antworten habe.    Mit Inoichi dicht auf den Fersen bog er rechts in einen Korridor ab. Ihre Schritte hallten von den engen Wänden wider, als Ibiki sie zu einem kleinen Kriegsraum führte. Mit der flachen Hand rammte er die Türen auf. Eine Geheimdienst Analytikerin und ihr Team saßen an dem langen Konferenztisch. Sie hoben den Blick von ihrer Papierarbeit und die Gesichter verzogen sich in verschiedenen Maßen der Verärgerung, bis sie alle registrierten, wer gerade herein marschiert war.    Mit seinem Kopf ruckte Ibiki in Richtung der Tür. „Wir brauchen diesen Raum.“   Das Team zögerte und alle Augen wanderten zu Inoichi; zweifelsohne bemerkten sie seine zerzauste Erscheinung. „Jetzt!“, blaffte Ibiki.    Aufgeschreckt kratzten Stuhlbeine eilig über den Boden und Knie donnerten gegen die Unterseite des Tisches. Ein Flattern hastig zusammengekramter Papiere und der Raum leerte sich binnen weniger Sekunden, bevor die entschuldigende Analytikerin die Tür hinter sich schloss.    Stille breitete sich bleiern und dicht aus.    Ibiki wartete, bis sich Inoichi bewegte und beobachtete, wie die langen, entschlossenen Schritte des Yamanka zu einem ziellosen Auf und Ab entlang des Tisches degenerierten und er die Füße hinter sich her zog.    Ibiki hingegen legte Wert darauf, sich auf einen Stuhl niederzulassen und lehnte die Finger gegen seine Lippen.    Dann wartete er.    Inoichi lief zum Fester, stützte seine Hände weit auseinander auf dem Sims ab und seine Schultern sackten unter dem Gewicht von welcher Bürde auch immer nach unten, die er mit sich trug. Und dann lud er sie ab; schnell und plötzlich. „Vor einer Woche hat mich Danzō angefordert, um bei einer KERN-Ermittlung zu helfen, die mit dem Shinjū Projekt in Zusammenhang steht. Ich habe Grund zur Annahme, dass Shiranui Genma darin involviert ist und ich brauche deine Hilfe, ihn für eine inoffizielle Vernehmung festzusetzen. Die Hokage darf nichts davon wissen.“   Ibiki blieb stumm.    Wie gut, dass er bereits saß.   Diese Worte trafen ihn so hart mit der Wucht einer kollabierenden Backsteinmauer, dass er unter dem Schlag vermutlich zu Boden gegangen wäre.    Amida…   In irgendeinem losgelösten und selbstironischen Winkel seines Verstandes realisierte er, dass er bis ins Mark erschüttert sein musste, um buddhistische Retter anzurufen.    Bisschen spät dafür…   Stocksteif saß Ibiki in seinem Stuhl, die Finger in einem arthritischen Schmerz verschlossen, während sich der Schock bis in seine Knochen grub. Doch sein Gesicht verriet überhaupt nichts. Ohne irgendeine Miene stierte er auf Inoichis Rücken und sagte letztendlich: „Das Shinjū Projekt wurde vor einundzwanzig Jahren eingestellt.“   „Nein, wurde es nicht.“   Nein. Natürlich wurde es das nicht. Es hätte eingestellt werden sollen. Aber in der der Realität war es erst vor zwei kurzen Jahren beendet worden, nachdem sich die Geschichte mit Nara Shikakus Sohn selbst wiederholt hatte. Ibiki wusste das ganz genau. Inoichi hingegen sollte keine gottverdammte Sache wissen.   Danzō, was zur Hölle hast du getan…   Er brauchte mehr Informationen. Schnell.    Ibikis Augen zogen sich zusammen. „Von was für einer KERN-Ermittlung sprichst du?“   Inoichi wich der Frage aus. „Ich brauche es, dass Shiranui Genma festgesetzt wird. Kannst du das tun?“   „Nein. Nicht ohne die Erlaubnis der Godaime.“ Und nicht, ohne eine sintflutartige Welle der Katastrophe in dem Prozess auszulösen.   „Du hast die Erlaubnis eines früheren Hokage.“   „Ich kann das nicht tun, Inoichi-san.“   Inoichis Explosion kam schlagartig und brutal. „Du hast es für einundzwanzig Jahre getan, Ibiki!“, brüllte er und schnellte mit einem entsetzlichen, meergrünen Feuer in seinen Augen herum. „Du bist einer dieser Geister in diesem gottverlassenen System. Du lügst durch Unterlassen, seit dem Tag, an dem der Sandaime und die Ältesten dir erzählt haben, was Shikaku zugestoßen ist. Du bist durch einen Eid an diese Shinjū Situation gebunden. Ich brauche deine Hilfe. Wirst du mir helfen?“ „Nein. Das werde ich nicht.“   Ebenso abrupt, wie Inoichis Zorn explodiert war, verpuffte er in einem brodelnden Zischen, das durch seine Zähne sickerte. Er wich einen Schritt nach hinten, seinen starrenden Blick beständig auf Ibikis Gesicht gerichtet. „Warum?“, raunte er.    Bei dieser Frage verkrampfte sich Ibikis Kiefer. So viele Antworten kamen ihm in den Sinn. Um Genma zu beschützen. Um Shikamaru und seinen Vater zu beschützen. Um denselben Eid zu beschützen, von dem Inoichi ihm vorwarf, er würde ihn verraten.    Das ist Wahnsinn…aber es ist, was es ist…   Und jetzt im Moment, einmal mehr, ging es um Schadenskontrolle.   Während er Inoichis zerflossenen Blick hielt, achtete Ibiki darauf, dass sein Gesicht blank und seine Haltung entspannt war. Doch im Inneren knisterten seine Nerven wie Stromkabel. „Weil es hier nicht um unseren Eid an den Sandaime oder die Ältesten geht. Hier geht es um Danzō.“   Inoichis Nasenflügel bebten. „Hier geht es nicht um Danzō.“ Er spie den Namen aus und bemühte sich sichtbar, die Fassung zu behalten. „Ich habe kein Interesse daran, meine Hände mit seinen Untergrund Intrigen schmutzig zu machen.“   „Warum hilfst du ihm dann?“, forderte Ibiki ihn heraus. „Er manipuliert dich mit Falschinformationen. Das Projekt Shinjū existiert nicht länger.“   „Ich habe Anlass, das anzuzweifeln.“   „Auf welcher Grundlage?“   „Auf der Grundlage, dass ich einen komatösen Agenten habe, dessen Verstand etwas anderes sagt.“   Ibiki legte den Kopf schief. „Was für ein Agent?“   Und genau so, schien jeder Zorn vollkommen aus Inoichi zu weichen und kein brodelnder Strom zischte durch seine Zähne; nur ein langsames und geräuschloses Entleeren. Mit krampfig geschlossenen Augen sackte er zurück gegen den Fenstersims und rieb sich mit einer Hand über die kurzen Stoppeln, die seinen Kiefer verdunkelten. Er sah aus wie ein Mann, der sich zurückhielt – oder etwas zurück kämpfte – etwas Unaussprechliches.    Sich wappnend beugte sich Ibiki langsam in seinem Stuhl nach vorn; ohne den Rausch der Dringlichkeit, die ein solcher Moment eigentlich verlangte, gemessen daran, dass jeder Instinkt in ihm nach Antworten schrie. „Inoichi-san. Rede mit mir. Sag mir, was passiert ist.“   Und zu seinem noch viel größeren Entsetzen, tat Inoichi genau das.   ~❃~   Niemand sagte etwas.    Das Konoha Team saß schweigend um den niedrigen, lackierten Tisch, die Schüsseln voll dampfendem Reis, delikaten Shiitake Pilzen und frischem, saftigem Flussfisch größtenteils vergessen; so fassungslos waren sie alle von Nejis Worten.    Nur Chōji aß und kaute mechanisch und verdaute die Informationen mit dem Mund.    Shikamaru neidete ihm seinen Appetit, als er fühlte, wie sein eigener zusammen mit seiner Geduld verwelkte, gemessen daran, dass vermutlich jeder auf eine Erklärung von ihm wartete. Neji hatte die Ereignisse zwar erzählt, aber keinerlei Einblicke geboten.    Nein…weil das auch meine Rolle ist, richtig?   Keine Antwort außer dem stacheligen Gefühl der Irritation. Die Stille presste sich gegen seine Trommelfelle und der Druck brachte die Venen an seinen Schläfen zum Pochen. Seit sie die Halle verlassen hatten, bekämpfte er höllische Kopfschmerzen.    Was für ein schlechter Witz…   Ashiharas Tod war sowas wie ein Anti-Klimax gewesen. Was für eine Vorfreude Shikamaru auch immer zu Beginn des Spiels verspürt hatte, war schnell in ein extrem genervtes Gefühl umgeschlagen, als Ashihara so glänzend darin versagte hatte, sich irgendwie zu wehren. Er hatte nur auf Zeit gespielt. Die richtige Zeit. Die Zeit, um loszugehen und sich wie ein Märtyrer in Katsus Klinge zu werfen, was all die riskanten Manöver, die Shikamaru abgezogen hatte, zum Gespött machte; nur um einen leeren Sieg zu erringen.    Das ist schon ziemlich kalt von dir…dieser Kerl ist direkt vor deinen Augen gestorben…   Jo und alles, woran er in diesem Augenblick hatte denken können, war ‚Verdammt, da verabschiedet sich mein Spielplan‘ gewesen. Und Sekunden nach diesem Gedanken, bevor irgendein Empfinden von Schuld hatte eintreten können, waren zuerst die Kopfschmerzen eingetreten; zwei scharfe Zinken an seinem Genick, die sich in seinen Hinterkopf trieben und an seinem Schädel zersplitterten. Ein nettes kleines Abschiedsgeschenk, das von einer abartigen Kippladung an Informationen von Katsu über die Aikoku und ihre schmutzige, kleine Vergangenheit gekrönt wurde…eine Kippladung an Informationen, die er irgendwie für den Rest des Teams zu kleinen Häppchen zusammenfassen musste.    Kleine Häppchen…, sinnierte er düster, die Augen auf das Essen gerichtet, für das er überhaupt keinen Appetit hatte. Vielleicht, wenn sein Schädel aufhören würde zu versuchen, sein Hirn zu pulverisieren, dann –   Ino räusperte sich.    Ohne den Kopf zu heben sah Shikamaru von seiner Schüssel auf.    Ino fing seinen Blick auf und hob erwartungsvoll die Brauen. Erwartete sie ernsthaft von ihm, dass er alles wieder hochwürgte, was Katsu ihm und Neji gesagt hatte, bevor er auch nur einen einzigen Bissen geschluckt hatte?    Wird sicher nicht passieren. Seine Lippen zuckten trocken. „Freie Bühne“, sagte er nur.    Mit einem hörbaren Klacken legte Sakura ihre Essstäbchen nieder. „Ein Attentatsversuch…?“, hauchte sie kopfschüttelnd. „Das ist…“ Sie brach ab und sah in die Runde.    Grunzend nahm Kiba den Faden ihrer Worte und ein Stück Fisch auf, das er sich in den Mund schob. „Also, wer sind denn jetzt eigentlich diese Aikoku? Eine Art Rebellengruppierung?“   Jetzt geht’s los…   Während er in den Shiitake in seiner Schüssel herumstocherte, wartete Shikamaru darauf, dass Neji das Wort ergriff. Doch als der Hyūga keine Antwort gab, warf der Schattenninja ihm einen irritierten Blick zu, verkniff sich ein Seufzen und suchte seinen Verstand nach einer Dämlich Simplen Erklärung ab. „Sie sind eine Gruppierung nationalistischer Extremisten, die innerhalb von Kusagakure operieren – oder zumindest innerhalb dieses Landes. Stellt euch Hardcore Ninjapatrioten vor, die ein ernstes Hühnchen zu rupfen haben.“   „Wegen Verbrechen während des Dritten Krieges“, sagte Sai, um jeden zu erleuchten, der sich nicht auf derselben Seite wie bei dem Geschichtsbuch in seinem Schoß befand und seine Augen wanderten nach Bestätigung suchend zu Shikamaru und Neji. „Konoha und Iwagakure haben Kusa ausgenutzt wie einen…“ Er suchte nach einem angemessenen Begriff und entschied sich für, „Fußabtreter.“   Shikamaru presste die Lippen zusammen. Yep. Das fasste es so ziemlich zusammen.    Neji schien dem zuzustimmen und summte leise, seine weißen Augen starrten dabei blicklos auf die Tischplatte. Aus dem Augenwinkel beobachtete Shikamaru ihn und fragte sich, was zur Hölle wohl in diesem diamantharten Schädel vor sich ging…wo die ganze graue Substanz wahrscheinlich genauso schwarz und weiß wurde, wie Nejis Stimmung ihm gegenüber unbeständig heiß und dann schlagartig wieder kalt wurde.    Whoa. Reg dich ab…   Überrascht von der Wucht seiner Verärgerung rollte Shikamaru seine Schultern, als könnte er sie einfach abschütteln. Zorn stand ihm nicht gut. Er saß schlecht an ihm; zu eng um seine Brust. Er schob es auf die Kopfschmerzen. Es zehrte an ihm. Und es war ein langer Morgen gewesen.    Ich muss das einfach ausschlafen…   Es kam ihm in den Sinn, dass er vielleicht auch bereits jetzt gerade ein Nickerchen machte, bei all der Aufmerksamkeit, die er dem Ganzen gerade nicht schenkte. Stirnrunzelnd konzentrierte er sich auf das Gespräch, das um den Tisch hin und her ging, um sich davon abzuhalten, noch weiter in seiner depressiven Stimmung zu versinken.    Neji sprach.    Gut…   Shikamaru ließ sich auf diesen weichen, wohlklingenden Tönen wieder hinein schweben, als wäre er nie abgeschweift und ließ Nejis Stimme ihn zurück in die Unterhaltung und aus seinem pochenden Kopf ziehen…aus dieser seltsam juckenden Haut.    „Nach dem, was Katsu uns erzählt hat“, sagte Neji gerade, „haben die Aikoku jahrelang heimlich innerhalb von Kusagakure gearbeitet und versucht, die Kontrolle über das Dorf zu erlangen. Ihr Ziel war es, die Politik zu beeinflussen und die bestehende Allianz zu stürzen, die Kusa mit Konoha teilt.“   „Und das alles direkt unter der Nase des Daimyō?“, fragte Kiba mit nach oben wandernden Brauen. „Das braucht ziemliche dicke Eier.“   „Und Strategie“, hob Shikamaru hervor, als er sich zurück in die Situation einfügte. „Ashihara hat es anfänglich so aussehen lassen, als würde sein Bruder einen Putsch gegen ihn planen. Aber sie steckten die ganze Zeit unter einer Decke.“   Nachdenklich kaute Naruto auf den Enden seiner Essstäbchen herum. „Hn. Mann, ich hatte Recht. Es ist wieder genauso wie in Hanegakure.“   „Abgesehen von der rothaarigen heißen Schnitte“, grummelte Ino und warf Sakura einen vernichtenden Blick zu, der wohl vermitteln sollte, dass sie die männliche Aufmerksamkeit im Handumdrehen umgelenkt hätte, wäre sie nur dabei gewesen. „Den nächsten bekomme ich.“   Sakura errötete heftig und stierte in ihre Schüssel, als wäre der Reis ganz besonders interessant.    Leicht schmunzelnd brachte Shikamaru die beiden wieder zurück auf Spur. „Hanegakure war eine Sache von Bürgerkrieg innerhalb eines Ninjadorfes. Das hier ist ein Dorf, das sich gegen seinen Daimyō auflehnt, obwohl es ihm gleichzeitig immer noch loyal bleibt. Großer Unterschied.“   „Ihm immer noch loyal bleibt?“, krächzte Naruto, als hätten sich diese Worte hinter dem ungläubigen Lachen verfangen, das folgte. „Was? Bist du bescheuert? Die haben grade versucht, ihn kalt zu machen!“   Shikamaru hielt eine Handfläche nach oben. „Zugegeben, Ashihara hat ihn angegriffen, aber ich glaube nicht, dass er wirklich versucht hat, Nogusa umzubringen.“   Skeptisch sah Tenten ihn an. „Bist du dir da sicher? Weil von da, wo ich gesessen habe, sah es nicht so aus, als wollte er ihn umarmen.“   Neji schenkte ihr ein schmales Lächeln, doch seine Augen waren streng und ernst. „Shikamaru hat Recht. Es gab nicht die geringste Möglichkeit, dass Ashihara Nogusa auch erreicht hätte, wenn Katsu anwesend ist.“   Kiba hob den Blick. „Wer zur Hölle ist nochmal dieser Katsu?“   Ino rollte mit den Augen. „Der Nagu Jōnin mit dem vernarbten Gesicht und diesem komischen, gelbgrünen Auge“, klarifizierte sie. „Jemand, den du unmöglich übersehen hättest, wenn du wirklich aufgepasst hättest.“   „Aber natürlich hast du aufgepasst“, erwiderte Kiba mit einem affektierten Feixen.    Während er sich über die Stirn rieb, wartete Shikamaru auf das Vergeltungsfeuer.    Glücklicherweise ergriff Tenten das Wort und schnitt diesen verbalen Schlagabtausch ab. „Dieser Kerl hat wirklich heftige Killerreflexe; selbst für Ninjastandards. Ich habe Kenjutsu Meister gesehen, die langsamer ziehen als er.“ Sie sah zu Neji. „Er könnte vielleicht sogar Hiashi-sama überlegen sein.“   Mit einer gesenkten Stirn räumte Neji diesen Punkt ein. „Gut möglich. Er könnte eine äußerst einzigartige Form des Kekkei Genkai besitzen, nach diesem Reptilienauge zu urteilen.“   „Das könnte vielleicht auch sein anderes beschädigtes Auge erklären“, sagte Shino. „Wenn er ein mächtiges Dōjutsu besitzt, dann macht es Sinn, dass ihn jemand erblinden lassen will.“ Shikamarus Brauen zuckten. Definitiv eine Möglichkeit. „Auf jeden Fall ist er ganz sicher nicht ohne Grund der Kopf der Nagu. Was mich zurück zu meinem Punkt bringt; denn wenn man Katsu und all die anderen Nagu Wächter mit einbezieht, die in der Halle versteckt waren? Dann hätte Ashihara auf keinen Fall einen erfolgreichen Anschlag auf Nogusas Leben durchführen können. Und ich wette, dass er das auch gewusst haben muss.“   „Also was willst du damit sagen?“, fragte Sakura. „Dass er Selbstmord begangen hat?“   Shikamaru nickte und ließ die Ereignisse in seinem Verstand Revue passieren. Die Geschwindigkeit, in der sich alles abgespielt hatte, schien sich auf Schnappschüsse zu reduzieren. „Er starb als Märtyrer für seine Sache. Er hat einen Standpunkt klar gemacht, zusammen mit diesem Tattoo auf seiner Brust. Katsu hat es als Widerstand interpretiert, aber ich denke, dass Ashihara an seinen Herrn appelliert hat.“   Shino drehte einen winzigen Millimeter den Kopf. „Was lässt dich das glauben?“   Neji antwortete für ihn. „Für Verbrechen gegen das Land. Für Verbrechen gegen die Sippe. Zu vergeben und zu vergessen macht mich zum Muhonnin…“, intonierte der Hyūga und ließ die Worte sacken, bevor er erklärte: „Ashiharas letzte Worte. Die Aikoku glauben, dass ihrem Land – nicht einfach nur ihrem Ninjadorf – von den benachbarten Nationen Unrecht getan wurde. Sie wollen Vergeltung.“   „Da haben sie sich ja ziemlich Zeit gelassen, oder?“, fragte Chōji. „Das ist Jahre her. Warum bis jetzt warten?“   „Du gehst davon aus, dass sie uns nicht bereits vorher attackiert haben“, sagte Shikamaru. „Denk daran, dass Kusa für seine Geheimhaltung bekannt ist. Sie machen ihre Züge nicht direkt und wenn sie es tun, dann immer mit Täuschung und Verwirrung. Es sind hervorragende Taktiken. Kusa Ninjas sind hinterhältige Bastarde ohne die massiven Egos der größeren Dörfer.“   „Whoa, wart mal `ne Sekunde“, funkte Kiba dazwischen und hob seine Hände mit einem verwirrten Stirnrunzeln. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du gesagt hast, dass wer auch immer diese Chimären und Nahrungspillen entwick-“   „Und die Hybridenpflanzen!“, knurrte Ino.    „Und die Hybridenpflanzen entwickelt hat“, echote Kiba flach und warf ihr dabei einen flüchtigen Blick zu, „wären so richtig harte Bingo-Buch Kerle. Ein massives Ego zu haben müsste doch eigentlich auf der Liste der Anmeldeinformationen für sowas stehen, oder?“   „Ich weiß, was ich gesagt habe“, antwortete Shikamaru. „Aber meine Theorien sind keine Fakten, Kiba, sie sind Richtlinien. Ich habe mich auf diese Theorie gestützt, als wir weder Gesichter noch Namen hatten. Jetzt haben wir den Namen Aikoku und dank der Kooperation der Nagu Butai werden wir auch sehr bald ein paar Gesichter haben.“   Immer noch stirnrunzelnd ließ sich Kiba gegen Akamaru sinken und hakte einen Arm nach hinten, um den Kopf des Hundes zu kraulen, während seine Augen in einem trägen Schwung zwischen Shikamaru und Neji hin und her wanderten. „Klar. Also haben wir es hier nicht mit Bingo-Buch Bösewichten zu tun?“   „Das habe ich nicht gesagt. Und ich schließe auch nicht aus, was ich vorhin gesagt habe. Denn völlig unabhängig davon, wer wirklich mit diesen Waren handelt, Kusagakure hat keine Skrupel, größere Spieler zu nutzen, um ihre Drecksarbeit zu machen. Sie haben es schon vorher getan.“   „Du sprichst von Orochimaru“, sagte Shino.    Kaum hatte der Name der Schlange die Lippen des Aburame verlassen, da schnappte auch schon Narutos Kopf nach oben, seine Hand fiel von seinem Mund und die Essstäbchen klapperten gegen den Tisch. Seine Augen verengten sich auf Shikamaru. „Ich dachte, du hättest gesagt, dass er nichts damit zu tun hat.“   Shit…   Shikamaru setzte zum Sprechen an, aber Sakura unterbrach ihn rasch und beeilte sich zu fragen: „Und was ist mit den ganzen anderen Theorien über einen möglichen Schwarzmarkt für die Chimären und die Hybridenpflanzen?“ Sie legte ihre Hände dicht neben Naruto auf den Tisch, die Finger erhoben und nur ein Zucken davon entfernt, die Rückseite der Faust des Uzumaki zu berühren. „Du hast davon gesprochen, dass es wie ein Drogenkartell ist. Ist das nicht immer noch wahrscheinlich?“   „Zweifelhaft“, sagte Neji und nahm etwas von dem Druck auf sich, um den Nara zu entlasten. Und Shikamaru war so froh darüber, dass er sich für eine Weile in den Schatten des Hyūga schrumpfen ließ und in seinem Essen herumstocherte, während er den Jōnin übernehmen ließ. „Die Aikoku haben ein klares Motiv, Mittel und Gelegenheit. Gemessen an ihrer patriotischen Agenda ist es unwahrscheinlich, dass sie ihre eigene Nation sabotieren, indem sie Schmuggelware an den Schwarzmarkt liefern.“   „Außer sie brauchen Geld“, warf Shikamaru laut ein.    Alle Augen wandten sich ihm zu.    Gut gemacht…   Eigentlich hatte er vorgehabt, zumindest noch zwei weitere Bissen hinunter zu schlucken, bevor er zurück ins Rampenlicht sprang. Sein Magen knurrte meuternd, doch er ignorierte es, setzte seine Schüssel ab und fuhr fort: „Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass sie so tief sinken, brauchen Untergrundorganisationen trotzdem irgendeine Art des finanziellen Rückhalts. Ich würde dazu raten, dass wir den Handel nicht ausschließen.“   Der Hyūga bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick und neigte leicht den Kopf. „Einverstanden.“   Shikamaru versuchte, sich nicht an diesem Blick festzuhalten, wusste, dass es nichts war; nur ein flüchtiger Augenkontakt, um seinen Beitrag zu bestätigen. Seit dem Vorfall in der Halle hatte sich Neji ihm gegenüber seltsam verhalten, beinahe wachsam und war selten seinem Blick begegnet. Ein gewaltiger Satz von dem entfernt, wie er auf dem Innenhof gewesen war, als er Shikamaru mit diesen gottverdammten Mondaugen angesehen hatte…Augen, die mit Gefühlen wuchsen und abnahmen, bevor sie in diese vollkommene Mondfinsternis der Emotionen stürzten, die den Schattenninja dazu brachte, ihn schlagen zu wollen, ihn zu verletzen, ihn unten zu halten und –    „Also was ist mit Nogusa?“, fragte Naruto.   Blinzelnd sah Shikamaru ihn genervt an. „Was soll mit ihm sein?“   Seufzend sackten Narutos Schultern ein ganzes Stück nach unten und ohne Zweifel wirbelten noch immer Gedanken an Orochimaru durch seinen Verstand. „Dieses ganze Zeug, was Ashihara über die Verbrechen gegen sein Land und seine Sippe gesagt hat und darüber, ein Verräter zu sein…bist du dir sicher, dass das nicht Nogusa galt? Ich meine, er ist doch derjenige, der…“ Er hielt inne und die Muskeln seines Gesichtes spannten sich in einer Grimasse an. „Nach allem, was passiert ist, hat er die Verbrechen von Konoha und Iwagakure gegen Kusagakure einfach begnadigt. Er hat es alles ungestraft gelassen.“   „Und du bist sauer deswegen?“, schnaubte Shikamaru ungläubig. „Auf wessen Seite stehst du?“   „Darum geht es nicht“, knurrte Naruto. „Ich kapier nur nicht, wie er das seinen Leuten antun konnte, das ist alles. Ich meine, ich wäre angepisst, wenn der Hokage einen Angriff auf Konoha einfach so auf sich beruhen lassen würde.“   Sai blinzelte ihn an. „Hat dein Hirn die gleiche Größe wie dein Penis?“   Kiba brach in schallendes Gelächter aus.   Sofort hämmerte Sakura ihre Faust in Sais Hinterkopf und rammte den Künstler damit Gesicht voran in seine Miso Suppe, wo sie ihn für ein paar Sekunden mit ihren Fingern in seinem Haar festhielt. „Ich habe dir gesagt, dass du aufhören sollst, solche Sachen zu sagen.“   „Er hat schon Recht“, sagte Shikamaru und ignorierte Narutos überschäumenden Blick. „Du spuckst ganz schön große Töne darüber, dass du Hokage sein willst, hast es aber noch nichtmal zum Chūnin geschafft.“   Kopfschüttelnd sah Chōji ihn mit einem perplexen Stirnrunzeln an. „Shikamaru…“   Doch der Schattenninja ignorierte die vorwurfsvollen Blicke seiner Kameraden komplett und hielt die Augen wie polierte Dolche auf Naruto gerichtet; ebenso scharf und schneidend wie seine Worte. „Du kannst Leute nicht mit deinen Eiern anführen, weißt du. Dir mangelt es an der Weitsicht eines Anführers.“   Neji drehte marginal den Kopf. „Das reicht, Nara.“   Narutos Gesicht wurde krebsrot und eine zornige Ader pochte auf seiner Stirn. „Was für eine Art Anführer lehnt sich zurück, während auf seinen Leuten rumgetrampelt wird?“, fauchte er und schüttelte Sakuras beruhigende Hand ab. „Was für eine Art von Anführer lässt zu, dass sich eine fremde Nation ihren Weg über seine Grenzen hinweg drangsaliert und sein Land als eine feindliche Versorgungsroute ausnutzt?“ Und hier stach er mit einem Finger in Richtung des weitäugigen Kiba. „Ja, das ist ganz richtig. Ich habe meine Hausaufgaben gemacht. Ich habe mit diesem alten Kapitän auf dem Boot gesprochen, während du nur rumgehockt bist und über das Essen gemeckert hast. Ich weiß, was mit seiner Familie passiert ist. Ich weiß, was während des Dritten Krieges passiert ist. Ich weiß, was mit den Kusa-nin passiert ist, die ins Kreuzfeuer geraten sind.“   „Du weißt einen Scheiß“, schnappte Shikamaru und sein Ausbruch löste ein aufgeschrecktes Zusammenzucken um den gesamten Tisch herum aus. Verblüfft stierten Ino und Chōji ihn an. Doch Shikamaru ignorierte die fassungslosen Blicke und fuhr unbeirrt fort, getrieben von einem heißen Rauschen unter seiner Haut und dem endlosen Pochen in seinem Schädel. Die Worte ritten kratzig und verärgert seine Kehle hinauf. „Denn wenn du auch nur den leisesten Schimmer hättest, dann hättest du begriffen, dass Nogusa das Klügste und Sicherste für seine Leute getan hat, indem er eine Allianz akzeptiert hat.“   „Achja?“, knurrte Naruto nach einer geschockten Pause zurück, obwohl da Verletztheit war, die unter seiner Stimme rumpelte und sich in seine Augen drängte. „Inwiefern denn? Indem man vergibt und vergisst? Diese Allianz mit Konoha hat die Aikoku nicht davon abgehalten, sich zu bilden, oder?“ „Nein, aber es hat Kusagakures Auslöschung verhindert.“ Angesichts Narutos verdutzter Miene warf Shikamaru seine Hände in die Luft und bellte ein kurzes, finsteres Lachen hervor. „Unfassbar. Du bist so gottverdammt naiv. Kapierst du es nicht? Wenn Nogusa keine Allianz mit uns gebildet hätte, dann hätten wir Kusagakure zerstört-“   „Ich habe gesagt, es reicht“, warnte Neji.    „- das heißt natürlich, nur, wenn Iwagakure sie nicht vorher erwischt hätte“, machte Shikamaru weiter; nichtsahnend, unerreichbar und der Schmerz in seinem Kopf drängte Schwärze um die Ränder seines Sichtfeldes, während sich sein Mund schneller als sein Verstand bewegte. „Im großen Ganzen ist Kusagakure nichts weiter als ein Bauer. Ein Bauer, der ein größerer Spieler sein will. Aber der einzige Zug, den sie machen können, ist, auf dem Rücken ihres eigenen Teufels, Orochimaru, zu reiten und seine Wissenschaft zu nutzen, um die Chimären zu erschaffen.“ Mit einem Finger stieß sich Shikamaru gegen die Schläfe. „Nogusa hat sein Hirn genutzt, um einen Deal einzufädeln und sie zu beschützen. Und was tun die Aikoku? Ihnen ist alles egal und sie tun alles in ihrem Versuch zu zeigen, dass sie sich gegen einen stärkeren und besseren Drangsalierer behaupten können.“   „Wie kannst du das sagen, Shikamaru?“, hauchte Naruto mit angestrengter Stimme. „Du sagst, sie sollten es einfach wie ein Feigling aussitzen? Sich in einer Ecke zusammenrollen und sich benutzen lassen? Ist es das, was tun würdest?“   Diese Beleidung prallte ab, doch Shikamarus Augen wurden dunkler. „Ich würde meinen Kopf nutzen, um einen Schritt voraus zu bleiben, während ich mich außer Armesreichweite halte. Ich wäre lieber ein lebendiger Feigling als ein toter Märtyrer wie Ashihara. Ist es das, was du tun würdest, Naruto? Dich selbst in die Klinge zu stürzen und das nur in der Hoffnung, dass dein Opfer irgendetwas bewirkt? Denkst du ernsthaft, dass ein einziger toter Shinobi auch nur den geringsten Unterschied macht? Du denkst, ein einziges Leben kann arroganterweise das Leben von Hunderten kompensieren? Bist du wirklich derart verblendet?“   Während er sich scharf zurück setzte, fixierte Naruto ihn mit einem angewiderten Blick und seine blauen Augen wurden kalt. Doch er hatte keine Argumente dagegen; nur ein berechtigtes Empfinden von Zorn, das aber überhaupt keinen Platz in der Shinobiwelt hatte. Es änderte die Regeln nicht; es bestrafte die Spieler nicht für ihre Verbrechen, genauso wenig, wie es die Unschuldigen begnadigte. Es hielt nicht eine einzige Nation davon ab, mit dem Tod zu handeln.    Kurz gesagt, es änderte keine verdammte Sache.    Und jeder, dem das leidtut, verdient es nicht, das Spiel zu spielen…   Die Stille, die diesem Gedanken folgte, gähnte weit innerhalb von Shikamarus Verstand und schluckte all die Worte, die er gerade gesprochen hatte, als wären sie niemals gewesen.   Niemals was gewesen?   Wahr? Ehrlich? Eine Attacke?   Verspätet realisierte er, dass er sich nach vorn gegen den Tisch gelehnt hatte, sein Körper aggressiv in Narutos Richtung geneigt wie ein Pfeil, der jeden Moment abgeschossen wurde. Aber er hatte seine Waffen bereits fliegen lassen – seine Worte. Und sie hatten ihr Ziel gefunden. Er konnte sehen, wie die Verwirrung und das Weh in Narutos Augen bluteten und sich über den Zorn, die Abscheu stahlen.    Scheiße…   Shikamaru blinzelte hart, als würde er aus einer Benommenheit erwachen und der dunkle Nebel des Zorns und der Irritation löste sich aus seiner Sicht, aus seinem Verstand. Rasch zog er sich von dem Tisch zurück und spürte, wie ihm Nejis Augen folgten wie zwei Mondlichter, die durch die dunklen Wolken schnitten, die über seinem Kopf hingen, um den Moment als den totalen Kontrollverlust zu erhellen, der er war.    Was zur Hölle stimmt nicht mit mir?   Doch gnädigerweise kam Kiba zur Rettung, bevor irgendjemand diese Frage stellen konnte. Er nahm das geschlagene Thema auf und verwandelte es in etwas Rettendes. „Tja, Shit. Angesichts dieser dicken, fetten Kluft, die ihr zwei gerade demonstriert habt, ist das nicht umso mehr Grund für die Aikoku, Nogusa umbringen zu wollen? Er hat all diese Entscheidungen in ihrem Sinne getroffen, aber darüber sind sie nicht glücklich. Ihn zu töten wäre der schnellste Weg, einen Umsturz in der Politik zu bewirken.“   „Nicht, wenn sie ihn lieben“, antwortete Neji und sein brennender Blick erstarb wie ein Licht auf Shikamaru. Er sah zu Kiba. „Sie tragen sein Wappen als ihr Symbol. Ihr Name suggeriert ihre Liebe zu ihrem Land – einem Land, das auf Nogusas Politik aufgebaut ist.“   Kiba rümpfte die Nase. „Das kauf ich nicht ab, Neji.“   „Ist auch schwer zu verkaufen“, gab Neji zu. „Aber wann ist es schon einfach, etwas zu abzukaufen, das so kontraproduktiv erscheint? Es ist nicht Nogusa, den sie attackiert haben; es ist seine Taktik des Friedens mit unserem Dorf.“   „Weswegen sie auch diese Monster in einer offenen Verletzung der Allianzvereinbarungen auf unseren Stufen abgeladen haben“, fasste Shino zusammen. „Es hat den Weg für ein Treffen geebnet und es Ashihara gestattet, seine Demonstration vor Nogusa und Konoha Gesandten durchzuführen.“   „Korrekt“, sagte Neji. „Die Aikoku agieren gegen die Allianz und die Gesetze zwischen unseren Ländern. Sie wollen nicht ihren Daimyō bestrafen; sie wollen, dass ihr Daimyō uns bestraft.“   „Und wenn er das nicht tut, dann werden sie es tun“, sagte Shikamaru letztendlich und gab sich Mühe, sich nicht zu anzuspannen, als jeder Fokus wieder zurück auf ihn gerichtet wurde. Er konnte Inos und Chōjis Augen spüren, die sich durch den Nebel brannten, der um seinen Kopf hing. Aber jetzt im Moment war der Nebel sicherer, als sich den Emotionen zu stellen, die ihn so blindlings dort hinein getrieben hatten.    Er musste unter der Anspannung sichtlich zusammengeschrumpft sein, denn Ino ergriff das Wort und löste etwas von der Schwere aus der Stille. „Also denkst du, dass sie einen weiteren Zug machen werden, Shikamaru?“   Er warf ihr einen dankbaren Blick zu. „Ja. Wenn sie es nicht durchziehen, dann werden sie sich selbst als Muhonnin betrachten. Verräter an ihrer Sache, was letztendlich ihr Land ist.“ Vorsichtig spähte er zu Naruto und machte sich daran, etwas von dem Schaden zu reparieren, den seine vorherigen Worte angerichtet hatten. „In dieser Hinsicht teilen sie Narutos starke Gefühle in Bezug auf ihre Leute und ihr Zuhause. Sie werden für das kämpfen, was sie lieben, was besser ist, als aus rücksichtslosem Hass heraus zu kämpfen, richtig?“   Wachsam beäugte Naruto ihn und nickte knapp. „Richtig.“   Kein begleitendes Grinsen oder ein Daumen hoch, aber hey? Was zur Hölle erwartete er auch, nachdem er Naruto derart unangespitzt in den Boden gerammt hatte?   Shikamaru nickte zurück. „Richtig. Es ist genau so simpel und kompliziert.“   „Okay, also was ist der Plan?“, fragte Kiba und richtete seine Worte an Shikamaru; jetzt, da der Nara wieder zurück im Spiel war. „Hast du irgendeine Wahnsinnsstrategie in der Mache?“   Noch bevor Shikamaru antworten konnte, fing Neji die Frage ab. „Wir werden eine Strategie besprechen, sobald uns Katsu die Informationen mitteilt, die die Nagu Butai über die Aikoku haben.“ Mit den Handflächen strich er über seine Schenkel und erhob sich in einer fließenden Bewegung auf die Füße. „In der Zwischenzeit schlage ich vor, dass jeder etwas isst und sich ausruht.“   Achselzuckend lümmelte sich Kiba zurück gegen Akamaru. „Ist mir recht. Hey, Prinzessen, gib mal die Shiitake rüber, ja?“   In symbolischer Verärgerung richtete Ino eine vernichtende Miene auf ihn, doch ihre Augen schwebten unverwandt auf Shikamaru und Sorge verzog ihre Lippen zu einer angespannten Linie. Und dem Schattenninja entging die Tatsache nicht, dass Chōji ihren Ausdruck spiegelte, nur übertraf seine offenkundige Besorgnis die von Ino – gemessen daran, dass er sein Essen abgestellt und zur Seite geschoben hatte, ohne es zu beenden. Nicht einmal die Gefahr, dass sich Akamaru hinüber lehnte und von seinem Teller stahl, konnte die Augen des Akimichi fortreißen.    Scheiße…   Da er irgendwie entkommen musste, fing Shikamaru an, sich aufzurichten.    Eine Hand senkte sich auf seine Schulter und Shikamaru wäre herum gewirbelt und zusammengezuckt, wenn sich diese Finger nicht so hart in seine Haut gebissen hätten, um Knochen zu verschließen und Muskeln zu paralysieren. Er verzog das Gesicht und stierte zornig über seine Schulter in Nejis kalte, kristallene Augen.    „Wir müssen reden“, sagte der Hyūga mit wisperleiser Stimme. „Jetzt.“   ________________ Glossar: Haiku: Sehr kurze Form eines traditionellen, japanischen Gedichts mit üblicherweise 17 Silben, das aus drei Wortgruppen/Zeilen zu je 5, 7 und nochmal 5 Silben/Moren besteht Oja, da gerät so einiges immer weiter aus dem Ruder. Ibiki bekommt immer mehr Probleme und es wird immer schwerer, das Netz aus Lügen aufrecht zu erhalten.  Und ja, was soll man groß zu Shikamaru sagen? Ich glaube, ich sage einfach mal gar nichts dazu, außer, dass ich wie immer gerne wissen würde, was ihr davon haltet ;)  Vielen vielen Dank auf jeden Fall wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 23: Gathering informations ---------------------------------- Auf der Suche nach Privatsphäre und Ruhe stieß Neji auf die einladende Leere des Sand- und Kieselsteingartens. Mit scannenden Byakugan Augen entdeckte er das schwarze Barriere Jutsu, das schwer über dem leeren Gelände hing.    Das lässt sich nicht ändern.   Auch wenn es ihn zwar unfähig machte, die Anwesenheit anderer zu bemerken, war es beruhigend zu wissen, dass Tsuno umgekehrt auch nicht in der Lage sein würde, ihn zu bemerken. Er brauchte es, dass diese Unterhaltung außerhalb der Hörweite seines ANBU Führers stattfand.    „Das wird reichen“, sagte er.   Achselzuckend bewegte sich Shikamaru an ihm vorbei, trat über die Schwelle und hinaus in die Stille des antiken Heiligtums. Mit gerunzelter Stirn hielt Neji seine Augen für ein paar Herzschläge auf den Rücken des Nara gerichtet, bevor er folgte und Shikamaru führen ließ.    Jetzt noch…   Wellen aus weißem Sand und silbergrauem Kies wanden sich in Spiralen um sie herum und wirbelten in der Nachahmung von Wasser zu beiden Seiten des schmalen Pfades aus Trittsteinen aus Obsidian. Die glatten, flachen Platten schienen unter ihren Füßen zu wispern.    Halb den Weg entlang hielt Shikamaru inne, seine Aufmerksamkeit eingefangen von einem kleinen Hof. Einige Schritte hinter ihm blieb Neji stehen und wandte sich um, um dorthin zu sehen.    Die Anlage schien eine Art Schrein zu sein. Zwei Statuen von Komainu Löwenhunden hockten auf ihren moosigen Steinsockeln und sahen aus, als wären sie aus einer der Seiten von Sais Skizzenbuch gesprungen. Zeit hatte die Kanten ihrer Klauen, Zähne und spitzen Ohren erodiert und harte Winkel und tiefe Falten geglättet, was die Skulpturen zu einer spachtelartigen Form von Kurven und fließenden Linien erweicht hatte.    Alles verblasst…   Ein flüchtiges Gefühl des Kummers und Schmerzlichkeit driftete durch Neji wie Holzrauch; da und wieder fort, entschwindend auf den Atemzügen, die er nahm, um sich zu beruhigen und seine Gedanken zu zentrieren. „Shikamaru.“   Der Schattenninja versteifte sich ein wenig bei dem sanften Ruf seines Namens. Ohne zu antworten trat er an den Statuen vorbei in den Schrein und sein Blick wanderte hinauf zu den kleinen, hölzernen Gebetstafeln, die von eingedrehten Schnüren hingen. „Betest du, Neji?“   Perplex hielt Neji neben einer der Statuen stehen. „Schon seit langer Zeit nicht mehr.“   Das ließ Shikamaru zögern. „Was hat sich verändert?“   „Was nicht…“, murmelte Neji und fragte sich, was vielleicht gewesen wäre. Was niemals sein konnte. Die Zeit hatte sich um seinen Glauben gestohlen, ihn zermürbt und zerschlissen. Er spähte zu beiden Seiten auf die Statuen und ihre erodierten Gesichter stierten blicklos zurück. Er schüttelte den Kopf. „Tust du es?“   Shikamaru stieß ein schnaubendes Lachen aus und drehte sich in einem langsamen Zirkel, während er die Täfelchen musterte. Doch dann ernüchterte seine Miene und der Spott in seinen Augen milderte sich zu etwas Weicherem; Traurigerem. „Ich würde es nicht wirklich beten nennen…“   „Wie würdest du es dann nennen?“   „Laut sprechen.“   Beinahe lächelte Neji. „Zu wem?“   Shikamaru warf ihm einen raschen Seitenblick zu, als erwartete er ein Messer, das in dieser Frage begraben lag. Doch da war keines. Und dennoch wich der Schattenninja aus, sein Gesicht verschloss sich und seine Augen wurden distanziert. „Du wolltest reden.“   Eine geschnittene Kurve, ein vermiedenes Thema. Es gab kein Vermeiden des nächsten Zuges und Neji bog zögerliche und mit ruhiger Stimme um diese Kurve. „Was ist los mit dir, Nara?“   „Verdammt, Hyūga. Kannst du noch ein bisschen mehr vage sein?“   „Das“, sagte Neji und senkte die Stirn. „Jetzt gerade. Woher kam das? Du bist in schlechter Stimmung, seit wir die Halle verlassen haben. Naruto hat diese Standpauke nicht verdient, die du ihm verpasst hast.“   „Denkst du, ich wüsste das nicht?“, schnappte Shikamaru mit funkelnden Augen. Bei Nejis kühlem, ausgeglichenem Blick wandte sich der Schattenninja ab und hob die Hände in einer Geste, die eher verärgert statt entschuldigend wirkte. „Tz. Entschuldige bitte, dass ich ein bisschen mürrisch bin wegen dieses ganzen Mists, der heute schon den Bach runter gegangen ist. Die Dinge sind da vorhin nicht wirklich nach Plan gelaufen.“   „Das tun die Dinge selten. Aber das hat dich noch nie vorher aus deinem Spiel geworfen.“   „Ich bin nicht aus meinem Spiel.“   „Du verhältst dich, als wärst du das.“   Shikamaru stieß einen rauen Atem aus und rieb sich Schläfe und Augenbraue mit zwei steifen Fingern, die Zähne zusammengebissen. „Was soll ich sagen? Ich werde leicht feindselig, wenn mir meine Defensiven genommen werden. Du solltest ein Lied davon singen können.“   „Das kann ich“, erwiderte Neji, als er über die Schwelle trat – geduldig, langsam – und eine schweigende Bestandsaufnahme all der Stellen machte, die Shikamarus Finger berührten. „Allerdings, neigst du zu Vermeidung, wenn du bedroht wirst, nicht zu Aggression. Und Naruto hat nichts getan, um dich zu bedrohen. Also entweder hast du Angst, oder –“   „Ich habe keine Angst.“   „Oder bist sauer wegen etwas anderem“, beendete Neji seinen Satz und seine Brauen hoben sich angesichts der Unterbrechung. „Was davon ist es?“   Keine Antwort. Nur Stille. Nur Regungslosigkeit. Nur eine weitere Pattsituation in diesem Spiel aus zerbrochenen Teilen und gefährlichen Zügen. Und diese Runde gewann Nejis Geduld. Er las die Zeichen von Shikamarus Kapitulation Sekunden, bevor es passierte – Anspannung huschte wie ein Schatten über die scharfen Neigungen seines Gesichts und endete in einem Blinzeln, das vielleicht qualerfüllt gewesen war.    „Ich bin nicht sauer“, raunte Shikamaru und wandte sich mit einer Hand an der Stirn ab, um seine Augen abzuschirmen. „Ich bin frustriert.“   „Schmale Linie.“   „Du musst es wissen.“   „Ja“, sagte Neji und schloss in einem einzigen Atemzug die Distanz zwischen ihnen. „Das tue ich.“   Aufgeschreckt von dieser plötzlichen Nähe riss Shikamaru seine Hand vom Gesicht und seine Füße stolperten einen Schritt nach hinten. Doch bevor er sich noch weiter zurück ziehen konnte, fing Neji ihn am Nacken ab und Chakra schimmerte in seiner Handfläche, als er seinen Daumen in das empfindliche Nervenbündel an Shikamarus Schädelbasis drückte; direkt neben dem Hinterhauptbein.   Der Schattenninja zuckte zusammen, als wäre er von einem Viehtreiber geschlagen worden. Ruckartig hob er die Hände, um Neji zurück zu schubsen, doch dann erstarrte er überrascht und seine Handflächen schwebten mitten in der Luft. Blinzelnd legte er seinen Kopf wie ein erstauntes Tier schief und seine Augen huschten vor und zurück, als sie nach dem Schmerz suchten, den Neji gerade eliminiert hatte.    Summend löste Neji seinen Daumen von den Nerven. „Prävention. Zieh es in Betracht.“   Shikamarus Brauen zogen sich zusammen, als er seinen Verstand wiedererlangte und mit einem Knurren rammte er Neji zurück; sein Handballen traf krachend gegen die Brust des Jōnin. „Erlaubnis. Frag danach.“   Überrascht von der Kraft hinter diesem Schlag und der Hitze, die er in ihm auslöste, rollte Neji mit den Schultern und Belustigung zupfte an seinen Mundwinkeln. „Ich kann mich nicht entsinnen, dass du mich jemals um Erlaubnis gefragt hast.“   „Auge um Auge? Meinst du das ernst?“   „Ich bin immer ernst.“   „Ein ernsthaftes Ärgernis in meinem Hintern.“   „Hn.“ Nachdenklich neigte Neji den Kopf, während seine Stimme auf einem scherzenden Tonfall hervor sickerte. „Dazu hast du mich sicherlich nie die Erlaubnis gegeben.“   Völlig perplex von dieser dreisten Reaktion klappte Shikamaru den Mund zu und sein Körper kippte langsam nach hinten, löste sich von einer Kante. Derselben Kante, an der Neji taumelte, wo weit unterhalb diese gefährlichen Wellen ineinander krachten und rollten.    Gar nicht so weit…   Nein. Das war es nie, wenn es um Shikamaru ging…   Um diese Sache zwischen ihnen…   Auf einen Schlag war die Luft schwer damit – warm, sprunghaft und drohend, Feuer zu fangen…   Hitze flackerte hinter Shikamarus Augen auf; glühend und rauchig. Seine Haltung veränderte sich und sein vorheriger Schock schmolz fort, Muskeln zogen sich straff und eine raubtierhafte Veränderung übernahm das Ruder. Er wollte nach vorn treten; diese schmale Linie überschreiten.    Davon gibt es kein Zurück…   Die Warnung jagte scharf und durchdringend wie der Schrei eines Falken durch Neji.    Falke…   Weißer Falke. Shirataka. ANBU.   Gott…   Blinzelnd hob Neji die Hände, um den anderen Ninja fern zu halten. „Das“, sagte er heiser und trat einen sehr langsamen und sehr bewussten Schritt zurück, „war ein blöder Witz.“   Shikamaru hielt inne, doch seine Augen folgten Nejis Rückzug; heiß wie Flammen, bis der Hyūga nach Eis griff und es hinauf in seine blassen, weißen Seen zerrte. Sie stierten sich gegenseitig nieder, die Anspannung so elementar, instabil und elektrisch, wie es immer gewesen war.    Shikamarus Lippen bogen sich schwach, doch da war etwas Seltsames an seinem Lächeln. Etwas Falsches. Und Neji erkannte es von irgendwoher wieder. Eine komische, unzüchtige Szene in seinem Verstand…eine vage Erinnerung an Finsternis, Schattenseile und…   Vielleicht die Überreste eines Traums?    Oder eher eines Albtraums.    Es verwandelte die Hitze seiner Erregung in kalte Asche. Der Blick, den sie noch vor wenigen Sekunden geteilt hatten, wurde innerhalb eines Wimpernschlag ausgelöscht – zusammen mit diesem seltsamen Lächeln.    Shikamaru nahm einen Atemzug und zog den Kopf zurück, während er die Augen für ein paar Herzschläge schloss, bevor er sie wieder öffnete und den Blick qualerfüllt zur Seite abwandte. „Und du wunderst dich, warum ich sauer bin.“   Kummervoll verzog Neji das Gesicht. „Shikamaru.“   Der Schattenninja bedachte ihn mit einem düsteren Schmunzeln. „Hey, ich hab’s verdient. Ich habe dich letzte Woche nicht wirklich um Erlaubnis gefragt.“ Und dann erstarb sein Lächeln. „Und es tut mir auch nicht leid. Ursprünglich hatte ich angenommen, dass das der Grund war, weshalb du mich bei Amaguriamas so vermöbelt hast. Du warst angepisst deswegen. Schätze, ich hatte nicht gedacht, dass du dich erinnern würdest.“   Als könnte er es jemals vergessen. Energisch verbannte Neji die Erinnerung an diesen Kuss – Gott, dieser Kuss – und hob mit einem gespielt vorwurfsvollen Blick die Brauen. „Ich hätte daran denken sollen, das als meine Entschuldigung zu nutzen. Ich hätte mich durchaus im Recht befunden, dich in deine Schranken zu weisen.“   „Vielleicht.“ Shikamaru legte den Kopf schief und zog die Augen in spielerischem Argwohn zu Schlitzen zusammen. „An was von dieser Nacht erinnerst du dich sonst noch?“   Mit einem Blick bremste Neji ihn. „Shikamaru.“   Schon wieder lächelte der Nara und seine Augen warfen dabei an den Winkeln warme Fältchen. Nun, an diesesLächeln erinnerte sich Neji. Dieses Lächeln; das er so sehr vermisst hatte.   Sein Herz verdrehte sich verräterisch.    Da er es dringend brauchte, aus diesem Augenblick auszubrechen, beschritt Neji einen langsamen Kreis und hielt Shikamaru dabei immer in seinem peripheren Sichtfeld. „Vorhin schienst du beunruhigt zu sein, aber du konntest es nicht in Worte fassen. Als du gesagt hast, du wärst frustriert, hast du dich da auf dein Chakra bezogen?“   Diese Erinnerung stahl das Lächeln fort. Stirnrunzelnd lehnte sich Shikamaru gegen eine der kunstvoll geschnitzten Säulen und sein Blick wanderte wieder zu den Gebetstäfelchen. „Das ist auf jeden Fall mehr als nur ein bisschen frustrierend. Aber ich…“ Die Worte verstummten und er sammelte sie erneut zusammen, versuchte es nochmal. „Ich habe eine Vergangenheit mit diesem Ort, oder zumindest mit diesem Land, an die ich mich nicht erinnern kann.“   Diese Worte ließen Neji schlagartig erstarren. „Was?“   Shikamaru hielt die Augen auf die Tafeln gerichtet, als würde er von Karteikarten lesen. „Du hast mir einmal gesagt, wir bekämen keine Albträume von Dingen, die wir losgelassen haben.“   Nejis Stirn legte sich in Falten, als sein Verstand zurück wanderte und nach speziellen Augenblicken zwischen all ihren verstreuten Teilen suchte. Und er fand sie; die Erinnerung so scharf wie die Worte, die sie gesprochen hatten.    ‚Lass das, Neji.‘   ‚Wieso? Damit du es wegwischen kannst, als wäre es nicht von Bedeutung?‘   ‚Wie ich bereits gesagt habe: Was auch immer funktioniert.‘   ‚Aber das tut es nicht, oder?‘   ‚Es hat für zwei Jahre ganz wunderbar funktioniert. Ich habe es losgelassen.‘   ‚Wir bekommen keine Albträume von Dingen, die wir losgelassen haben.‘   Als er diese Erinnerung an ihren Platz schob, examinierte Neji die Teile. Er hatte sich niemals gestattet, zu nah hinzusehen, zu tief. Und das aus weit persönlicheren Gründen, als denen, die er sich fortwährend einredete.    Es ist nicht meine Angelegenheit…   Nur, jetzt war es das vielleicht schon. Jetzt, da Shikamaru ein Objektiv war, das unter Beobachtung stand. Sofort schoss seine ANBU Zielvorgabe an die vorderste Front seines Verstandes; flink wie ein Falke und die Krallen ausgestreckt, um sich jeden Happen zu schnappen, jede Erinnerung…jeden kostbaren Augenblick, die Neji unabhängig hatte halten wollen; heilig hatte halten wollen.   Die ich sicher halten wollte…   Wie töricht zu denken, dass er ein Beschützer sein könnte, wenn er doch immer noch nur ein Gefangener war. Ein Gefangener, der jetzt seiner privatesten Besitztümer beraubt war. Er hatte versucht, sie begraben zu halten, hatte sie in den Winkeln seines Käfigs versteckt, seinen Verstand und sein Herz abgeschottet, nur um von ANBU über die immerzu verschwimmenden Linien seines Lebens geschubst und gezerrt zu werden; privat, persönlich, professionell. Vor und zurück, ständig hin und her gerissen zwischen seiner Freiheit und seinen Gefühlen.    Die Mission. Die Mission ist, was zählt…   Und jetzt im Moment, stand seine Mission direkt vor ihm und sprach aus einem Ort des Vertrauens heraus, nicht wissend, dass Neji aus einem Ort des Verrats heraus zuhörte.   Emotionalität. Genug. Konzentrier dich auf die Fakten.    Ein paar hatte er bereits. In der Nacht seines Geburtstags hatte Shikamaru einige Hinweise fallen gelassen. Zugegeben, Neji hatte ihn durch die Gegend gerüttelt und versucht, seinen Zorn zu wecken, nur um dadurch stattdessen weit fragilere Teile zu lösen.    ‚Erspar mir deine nachträgliche Einsicht. Ich brauche sie nicht. Ich komme jetzt seit zwei Jahren bestens klar.‘   ‚Zwei Jahre…?‘   ‚Es ist nichts. Es ist begraben.‘   Neji bewaffnete sich mit dieser Information und suchte nach einem Zugangspunkt. „Wenn du Albträume über deine Vergangenheit hast“, sagte er und ging dabei mit derselben Vorsicht und Ruhe vor, die er vorhin genutzt hatte. „Warum sagst du dann, dass du dich nicht daran erinnern kannst?“   „Weil meine Albträume nur Fragmente sind. Und ich neige dazu, sie ziemlich schnell zu vergessen. Was den Rest angeht…“ Hier schwankte Shikamaru leicht und eine entscheidende Pause entstand. Und gerade als Neji dachte, der Satz würde unvollendet bleiben, ergriff der Schattenninja erneut das Wort. „Es ist ein Lehrbuchfall einer PTBS Dissoziativen Amnesie.“   Die Logik dieser Enthüllung machte sie nicht weniger schockierend. Fassungslos starrte Neji ihn über die kurze Distanz hinweg an und gab sich alle Mühe, seine Miene leer und seinen Verstand sauber von dem Rausch aus Gedanken und Theorien zu halten. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“   Achselzuckend tippte Shikamaru seine Schläfe gegen die Säule, atmete Luft durch die Nase aus und stieß sich dann ab, um hinüber zu den Komainu Statuen zu laufen. „Ich habe recherchiert. War nicht allzu schwer, das rauszufinden; nichtmal mit fünfzehn.“   Neji beobachtete ihn, wie er an der Schwelle des Schreins verharrte; nur zwei Schritte davon entfernt, den glatten Steinpfad zu suchen…und vielleicht einen Ausweg aus dieser Unterhaltung. Rasch holte Neji ihn zurück, indem er sich in das Blickfeld des Nara schob. „Woran kannst du dich erinnern, Shikamaru?“   Der Schattenninja drehte den Kopf und musterte Neji wachsam, gefangen in einem weiteren entscheidenden Moment; direkt an der Kreuzung. Wahrheit oder Lügen, Vermeidung oder Konfrontation, das Weite suchen oder auf Kurs bleiben. Es gab keine Kurven zu schneiden und keine Umwege, um ihn von diesem Moment zurück zu bringen.    In Nejis Verstand war es eine Schwarz und Weiß Entscheidung – aber selbst hier griff Shikamaru nach Grau, als sein Blick zurück zum Zentrum des Schreins driftete. „Asuma hat mich dasselbe gefragt.“   Für einen Herzschlag dachte Neji, er hätte sich vielleicht verhört. „Asuma?“   Shikamaru zuckte leicht zusammen und blinzelte weich, während sich einer seine Mundwinkel in einem grimmigen Schmunzeln verdrehte. „Ich habe deinen Rat befolgt…habe mit ihm gesprochen. Habe ihm gesagt, an was ich mich erinnert habe. Habe ihm gesagt, was ich getan habe.“   „Was du getan hast?“ Neji runzelte die Stirn, verstand nicht. Er hatte immer angenommen, dass Shikamaru etwas angetan worden war – und direkt nach diesem ungewollten Gedanken, dass wirklich jemand Shikamaru etwas angetan hatte, kam dieses ungewollte Zusammenziehen in seiner Brust; der erhitzte Drang zu bestrafen.    Mach das nicht zu etwas Persönlichem…   Oder zu etwas Primitivem, was das anging. Denn Kami wusste, dass sich die Reaktion in ihm genau so anfühlte. Bestiengleich und unzivilisiert, instinktiv und roh – und weit gefährlicher als all das, war es etwas rabiat Ehrliches…ganz anders als diese maskierte Miene, die er gerade trug, sein Gesicht vorsichtig blank und unberührt von den Emotionen, die in ihm tobten.    Shikamarus Augen waren anderswo, suchten noch einmal in einem ziellosen Driften nach den Täfelchen. Er beantwortete Nejis Frage nicht, aber er hielt keine Informationen zurück, als seine Stimme eine seltsam distanzierte Qualität annahm. „Es gab eine Mission direkt außerhalb der Grenzen von Kusagakure während der Chūnin Prüfungen vor zwei Jahren. Nein. Drei Missionen.“ Stirnrunzelnd schüttelte er den Kopf, als würde er Staub von der Erinnerung rütteln. „Drei Nebenmissionen. Ich war eine davon.“   „Allein?“   „Nein. Nicht allein. Aber ich erinnere mich nicht, mit wem ich unterwegs war. Habe es auch nie rausgefunden. Vielleicht haben sie es nicht raus geschafft. Vielleicht schon.“ Ausgesprochen mit der kühlen Gleichgültigkeit eines Risikoanalytikers, der eher Wahrscheinlichkeiten abwog statt Menschenleben. Kalt. Gefasst. Beinahe beiläufig.   Sprachlos vertuschte Neji die Risse in seiner Maske und hielt seinen Gesichtsausdruck neutral. Neutralität schien zu funktionieren. Besser, wenn Shikamaru die Informationen darlegte, während er in einem logischen Zustand der Tatsachen und Zahlen operierte, statt dass sie von einem Ort der Emotionen kamen. Es war nicht zu sagen, wie hässlich das vielleicht werden würde, oder was nötig wäre, um es zu kontrollieren.    Ich fass es nicht, dass er überhaupt darüber spricht…   Besonders wenn man bedachte, wie hartnäckig der Schattenninja bei unzähligen früheren Gelegenheiten gewesen war, dieses Thema zu meiden.    Hat in Kusagakure zu sein das alles getriggert?   Neji konnte sich keinen anderen Grund vorstellen, der dieses Vertrauen rechtfertigte. Er war Shikamaru gegenüber kalt genug gewesen, um notwendigen Abstand zwischen ihnen zu schaffen und hatte jeden Sinn von Trost oder Nähe verweigert, der vielleicht dazu geführt hätte, dass sich Shikamaru sicher genug fühlte, ihm diese Informationen anzuvertrauen…diesen Einblick…etwas, das er nicht einmal mit ihm geteilt hatte, als sie sich vor Wochen am nähesten gewesen waren…   Es macht keinen Sinn, dass er das jetzt mit mir teilt…wenn überhaupt…   Nein. Es machte keinen Sinn. Aber zumindest eine Sache machte Sinn. Endlich verstand Neji die Bedeutung seiner Aufgabe. Wenn Kusagakure irgendeine Art psychologischen Trigger in Bezug auf Shikamarus Vergangenheit beinhaltete, dann war es wenig verwunderlich, dass er mit dem Befehl geschickt wurde, über dem Ganzen wie ein Falke zu schweben…   Ein Geier…suchend nach den Knochen seiner Vergangenheit, die er begraben hat…   Dieser Gedanke sorgte dafür, dass ihm speiübel wurde. Er spürte, wie dieser Ozean aus Fragen und Gefühlen um die Insel wogte, auf der er stand. Und er konnte nicht hinab sehen in dieses aufgewühlte Chaos. Kämpfte darum, seine Augen auf den weit entfernten Horizont gerichtet zu halten; auf das Endziel.    Fall hier nicht. Wenn du hier fällst, dann scheiterst du…   Zahnräder innerhalb von Zahnrädern, Wände innerhalb von Wänden. Er wiederholte dieses Mantra in seinem Verstand, fand sein Zentrum und machte sich daran, weitere Informationen zu sammeln. „Woran erinnerst du dich sonst noch?“   Shikamaru hob eine Schulter und sein Achselzucken war dabei so lässig, dass es verstörend war, wenn man das Wesen seiner nächsten Worte bedachte. „Nichts, an das ich mich erinnern möchte. Und nur drei Dinge sind von Bedeutung. Ich habe es vermasselt, ich habe ein Monster umgebracht und habe bei meiner Mission versagt. Davon abgesehen, ist alles, was ich weiß, dass ich in einem Krankenhaus zurück in Konoha aufgewacht bin, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen bin oder aus welchem Grund ich dort war. Niemand hat es mir gesagt. Niemand hat gefragt…und ich habe auch nicht gefragt.“   „Aber mit Sicherheit…“ Neji stockte und schüttelte den Kopf. „Asuma?“   Der Name traf wie ein physischer Hieb.    Zusammenzuckend presste Shikamaru für eine angespannte Sekunde die Lider aufeinander, bevor er sich von den Statuen fort bewegte, fort von Neji, fort von dem Namen seines Senseis. „Während der anschließenden zwei Wochen habe ich angefangen, Flashbacks zu bekommen. Albträume. Bin in Panik aufgewacht. Ich hatte bereits vollständige medizinische Entwarnung und wusste, dass es nichts Organisches war. Also war mir klar, dass es irgendwas Psychologisches sein musste. Ich habe meine Symptome nachgeschlagen und es eigenständig als Dissoziative Amnesie diagnostiziert.“   Einfach so. So verdammt nüchtern, dass es ein totales Gespött aus dem horrenden Ausmaß dessen machte, was er sagte…was er niemals zuvor gesagt hatte. „Warum zur Hölle hast du damals nichts gesagt?“, drängte Neji und versuchte verzweifelt, die anklagende Kante aus seiner Stimme zu halten. Er holte langsam Luft, bevor er hinzufügte: „Nicht einmal zu Asuma?“   Das ließ Shikamaru stocksteif werden. Zumindest hatte es irgendeine Wirkung. Neji hätte schwören können, dass er bemerkte, wie etwas von dieser Chamäleon-Haut Risse bekam und sich löste. Doch genauso schnell entspannte sie dich Haltung des Schattenninjas wieder, als er sich umwandte und ein silbernes Feuerzeug aus seiner Hosentasche fischte.    Asumas…   Sanft runzelte Neji die Stirn und beobachtete, wie Shikamaru das Feuerzeug in seiner Handfläche wog, während er mit solch verlorener Verwirrung auf das angelaufene Metall stierte, dass sich der Hyūga schmerzhaft danach sehnte zu verstehen, was zur Hölle es eigentlich war, das der Schattenninja sah – oder sehen wollte – wie es zu ihm zurück reflektiert wurde.    „Shikamaru“, drängte er sachte. „Warum hast du es ihm damals nicht erzählt?“   Als er seinen Kiefer etwas hob, starrte Shikamaru direkt geradeaus, krümmte seine Finger um das Feuerzeug und schloss es in seiner Faust ein. „Ich hatte meine Gründe, Neji.“   Zweifelsohne. Neji behauptete nicht, die Natur der Beziehung zu verstehen, die Asuma mit seinen Schülern geteilt hatte, oder die Anstrengungen, die Shikamaru unternommen hätte, um sie zu schützen. Das waren Dynamiken, die sich außerhalb von Nejis Erfahrungen befanden. Weit vielschichtiger als das übliche Sensei-Schüler Paradigma, das er erkannt und umgesetzt hatte.    Weswegen ich es auch als unmöglich erachte zu glauben, dass es Asuma nicht wusste…   „Hat er dich jemals gefragt?“   Schwer schluckend seufzte Shikamaru und steckte das Feuerzeug weg. „War nicht nötig. Ich hatte es schon abgehakt. Ich wusste, was es war und ich wusste, dass ich aufstehen und weiter machen musste. So wie es jeder andere auch getan hätte.“   „Ist es das, was du denkst?“   „Es ist das, was ich weiß.“ Shikamaru stieß ein leises, rostiges Lachen aus und seine Brauen hoben sich in resignierter Quittierung. „Das Leben eines Shinobi, richtig? Wie ich gesagt habe, ich war ein Fall aus dem Lehrbuch. Nichts Einzigartiges. Viele Ninja haben irgendeine Art der PTBS. Wahrscheinlich sogar der Großteil. Auf jeden Fall habe ich mich besser gefühlt, das zu wissen. Also habe ich mich selbst fortgebildet und ein paar Techniken gelernt, um mir zu helfen, sollte ich wieder ausflippen.“   „Ein paar Techniken…“, echote Neji, während er mit einer Übersichtlichkeit durch vergangene Ereignisse wühlte, die durch Rückblicke entstand. „Und war das, was du in der Nacht von deinem Geburtstag in dem Becken abgezogen hast eine davon?“   Dunkle Augen schnitten scharf zu ihm. „Ja“, sagte Shikamaru und ein Hauch von Abwehrhaltung verfärbte seinen Tonfall. „Das war es. Das habe ich dir damals aber auch gesagt.“   „Du hast mir gesagt, es würde dabei helfen, dich von deiner Panik zu lösen. Dass du etwas finden würdest…oder genauer gesagt, dass etwas dich finden würde.“   Shikamaru blinzelte ihn an und seine Brauen zogen sich verwirrt zusammen. „Das habe ich gesagt?“   „Ja. Das hast du. Hast du von Zorn gesprochen?“   „Zorn?“, krähte Shikamaru nach und ein düsterer Funken von Belustigung erhellte seine Augen, bevor er den Blick abwandte. „Nein. Es war kein Zorn. Ich weiß nicht einmal, wie ich dir sagen soll, was es war. Nur, dass es dafür gesorgt hat, dass ich mich nicht mehr erinnere. Hat mich zur Hölle von dem fortgeführt, was auch immer gekommen ist und angeklopft hat…“   Eine finstere Vorstellung und Neji runzelte die Stirn über das Bild, das sein Verstand herauf beschwor. „Und hast nie daran gedacht, dass dieses ‚Anklopfen‘ vielleicht ein Zeichen dafür sein könnte, dass du dich mit dem auseinandersetzen musst, was auch immer passiert ist?“   „Ich habe mich damit auseinandergesetzt. Ich habe mich davon distanziert.“   „Das ist nicht auseinandersetzen.“   „Zur Hölle ist es das nicht.“ Shikamaru warf ihm einen komischen Blick zu. „Was ist denn bitte die Alternative? Etwa Hypnose und Handhalten? Nein, danke. Mein Hirn hat damals bereits das Klügste und Sicherste getan; nämlich alles in einem Schließfach einzusperren. Ist mir recht. Ich muss mich nicht erinnern.“   Oder du willst es nicht…   Verständlich, aber nicht immer vermeidbar. Neji hatte durch rohe und bittere Erfahrung gelernt, dass etwas tun zu wollen und es tun zu müssen, zwei sehr unterschiedliche Zwänge waren. Und sie spielten nicht immer gut ineinander.    „Also ist das dein Plan, Nara?“, sagte Neji mit dem skurrilsten Hauch von Ironie. „Verleugnung?“   „Distanzierung“, schoss Shikamaru zurück und bedachte ihn mit einem scharfen Blick. „Nicht Neji. Mach das nicht zu dem, was du in Hanegakure getan hast.“   „Wie du so gerne betonst, entzieht sich mir diese Ironie.“   „Dann hör auf, sie zu verfolgen.“   „Das ist es nicht, was ich verfolge.“   Für einen langen Herzschlag hielten sich ihre Blicke und ein Muskel in Shikamarus Kiefer pochte, als würde er welche Worte auch immer niederkauen, die er vielleicht als Erwiderung darauf hätte fliegen lassen. Doch statt umzukehren und in die erwartete Meidung zu schlüpfen, hielt der Schattenninja seine Stellung und verteidigte seine Sache, als er einen langsamen Atemzug nahm.    „Pass auf“, murmelte er und sprach dabei mit erzwungenem Gleichmut. „Ich leugne nicht, dass mir vor zwei Jahren etwas zugestoßen ist. Aber Scheiße passiert, Neji. Wir kommen damit klar oder eben nicht. Und mein Hirn dachte, der beste Weg, damit klarzukommen, wäre, es loszulösen, daher auch die Dissoziative Amnesie.“   Nejis Brauen zogen sich ruckartig zusammen. „Sei nicht so altklug zu mir, Shikamaru. Ich weiß sehr wohl, was Dissoziative Amnesie ist.“   „Warum zur Hölle schaust du mich dann an, als würde ich eine fremde Sprache sprechen?“   „Weil ich ungeachtet all der Techniken, die du während der letzten beiden Jahre genutzt hast, nicht glaube, dass du so losgelöst von dieser Sache bist, wie du denkst.“   Shikamaru würgte ein heiseres Lachen hervor. „Warum? Weil ich mich nicht einem konstanten Zustand verfickten Zens befinde, so wie du?“   „Das habe ich nicht-“   „Du weißt, wie froh ich bin, dass dieses ganze ‚Tief atmen‘-Ding für dich funktioniert, aber ich bin eben nicht so verkabelt.“   „Gottverdammt, Shikamaru“, knurrte Neji und trat einen halben Schritt nach vorn, während er warnend den Kopf neigte. „Die bloße Tatsache, dass du weißt, dass Kusagakure ein Trigger für dich ist, lässt darauf schließen, dass-“   „Was?“, blaffte Shikamaru, wich einen halben Schritt zurück und breitete weit die Arme aus, als er herausfordernd die Brauen hob. „Dass ich absichtlich einen Satz in kalte, tiefe Wasser mache? Glaub mir, das tue ich nicht. Und selbst, wenn ich das täte, würde ich wissen, wie ich mich selber wieder da raushole. Ich habe es schon vorher gemacht. Ich brauche es nicht, dass du mich durch das alles hindurch führst.“   Ungläubig starrte Neji ihn mit offener Fassungslosigkeit an. War es das, wie er selbst vor Monaten geklungen hatte? War es diese Frustration, dieses Gefühl vollkommener Vergeblichkeit, dem sich Shikamaru gegenüber gesehen hatte, als sie unzählige Male gekämpft hatten wegen Nejis eigener Weigerung, dem Nara zuzuhören und aus seinen Fehlern zu lernen?   Shikamaru musste seine Gedanken erraten haben, denn diese scharfen Augen zogen sich irritiert auf ihn zusammen, bevor der Zorn wie ein ausgetretener Funke erlosch. „Nicht, Neji.“   Neji sagte gar nichts, hob nur die Brauen.    Seufzend drückte sich Shikamaru in den Nasenrücken. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, okay? Mir ist wegen dieser Sache auch nicht wohler. Ich höre dich dabei.“ Seine Augen zuckten nach oben. „Aber hierbei musst du mir vertrauen. Bei dieser Mission. Ich werde nicht kompromittieren, weswegen wir hier sind. Du weißt, dass ich die Mission immer an erste Stelle setze. Ich schaffe es immer. Egal wie.“   Nejis Kiefer verkrampfte sich bei dieser Erinnerung und der Splitter ihrer Vergangenheit grub sich wie ein Spreißel direkt unter die Oberfläche dieser Worte. Eine scharfe Spitze wie immer. Aber es war nicht so, als hätte Neji diese Spitze nicht genutzt, um Blut zwischen ihnen zu vergießen…Blut und dünne, rote Linien.    Bei seinem Schweigen hoben sich Shikamarus Brauen. „Du hast mir bisher immer vertraut, Neji. Ich bitte nicht um viel.“   Doch, das tust du…um weit mehr, als du dir vorstellen kannst…   Um weit mehr, als Neji sich leisten konnte, es zu geben. Doch Shikamaru musste das genauso wenig wissen, wie Neji es erklären musste. Wie der Nara bereits betont hatte, war die Mission alles, was zählte…und Neji hatte seine ganz eigenen Ziele zu bedenken, mit nur einem einzigen Weg, um seine Züge auf dem Spielbrett zu decken, das vor ihm ausgebreitet lag.    „Unter einer Bedingung“, sagte Neji letztendlich.    Shikamaru begegnete seinem Blick direkt. „Sag es.“   „Lüg mich nicht an.“   Bei jedem anderen wäre das wie eine unnötige Bitte und eine offensichtliche Voraussetzung erschienen. Bei jedem anderen waren Ehrlichkeit von einem Kameraden und Untergebenen eine Selbstverständlichkeit. Aber Neji bat nicht als ein Kamerad…und nichtmal als Hauptmann.    Und Shikamaru hatte den Verstand, das auch zu erkennen. Er hatte auch den Verstand, das Gewicht und den Wert von allem hinter diesen Worten abzuwägen, weswegen er auch eine lange Zeit brauchte, um zu antworten.    Neji wartete und die Zeit ruhte dabei auf seiner Geduld.    Shikamaru debattierte mit sich und die Zukunft ruhte dabei auf seiner Entscheidung.    Das Schweigen hielt gerade lange genug an, sodass sich Neji fragte, ob Shikamaru nicht bereits ohne Worte geantwortet hatte. Doch dann sprach der Schattenninja, seine Antwort rollte weich wie Rauch zwischen seine Lippen. „Ich werde dich nicht anlügen.“   Neji suchte diese dunklen Augen ab und ein trauriger Kummer zerrte sich in einer Welle durch ihn, bevor die Zahnräder übernahmen und sich die Wände um sein Herz herum aufrichteten.    Lügner…   ~❃~   Amaguriamas Süßspeisenladen, versteckt in einer gemütlichen kleinen Ecke, wo die Heißen Quellen lagen, dampfte vor Leuten und duftete nach den sirupartigen Gerüchen heißer Geschäfte.    Und das war genau der Grund, weswegen Kakashi ihn ausgewählt hatte.    Während man die Wärme der Atmosphäre aufsog und Unterhaltungen um einen herum sprudelten, bestand keine Gefahr, belauscht zu werden. Niemand würde einen Gedanken daran verschwenden, warum er dort war. Ein gesellschaftlicher Zwischenstopp, müßiges Plaudern, nichts weiter.    Seitlich in einer Nische lümmelnd, blendete Kakashi das schrille Giggeln der Kleinkinder aus, die den Gang auf und ab rannten und drehte einen Spieß unberührter Klöße auf ihrem Spieß hin und her, während sein abgeschirmter Blick träge über die rissigen Seiten des buddhistischen Buches mit Sprichworten wanderte, das er aus der Jōnin Station gerettet hatte, da er sich immer noch nicht davon trennen konnte.   Sein Blick pflückte einen Spruch heraus und eine silberne Braue hob sich trocken: Alle Lust ist Leid.   Nun. Lust, wenn es denn eine solche war, hatte ihm heute Morgen mit Sicherheit Leid verursacht. Es hatte noch keine wirkliche Wirkung gezeigt, bis er ganz alleine zu dem abgestandenen Geruch von Sex und Shōchū und bittersüßem Salz aufgewacht war und jede Stelle an seinem Körper katalogisiert hatte, die sich verletzt und verbrannt und vielleicht auch ein bisschen gebrochen anfühlte.    Es hat einen Grund, aus dem ich Menschen nicht einlasse…   Figurativ. Sprichwörtlich. Peinlich berührt schob er es aus seinen Gedanken; genau wie Genma die Bruchstücke der zersplitterten Shōchū Flasche zu einem ordentlichen, kleinen Haufen zusammengeschoben hatte. Kakashi hatte sehr lange auf diese scharfen, spitzen Teile gestiert, die durch die Weste stachen wie Knochensplitter aus Fleisch. Er hatte es nicht aufgeräumt. Wusste, dass etwas Symbolisches, wenn nicht sogar Psychologisches in seinem Vermeiden lag.    Mach dir später deswegen Gedanken…   Er blätterte eine weitere Seite um und ließ den Blick über die Schrift wandern, ohne ein einziges Wort zu lesen.    Er war bereits seit zehn Minuten hier.   Und er musste nur noch fünf weitere warten.    Bewegungen den Gang entlang und Kakashi spürte das Näherkommen seines Gastes, ohne hinsehen zu müssen – obwohl es ziemlich amüsant war, zuzusehen, wie der andere Ninja ein paar betrunken wirkende Tanzbewegungen vollführte, um den Kleinkindern auszuweichen, die den Durchgang entlang walzten.   Eine schikanierte Minute später blieb der Mann an seinem Tisch stehen. „Senpai.“   „Tenzō.“   Ein belästigtes Seufzen, gefolgt von einem missgönnenden, „Kakashi.“   „Yamato.“   „Ich zeige nur etwas langjährigen Respekt, weißt du“, betonte Yamato, als er sich auf die gegenüberliegende Bank schob.    „Diese Kinder könnten das sicher brauchen.“ Grummelnd riss er sein Bein aus der Gefahrenzone, als ein Kind, nicht älter als drei, über seinen Fuß trampelte.   „Ich habe kein Problem, mein Angstgesicht bei kleinen Kindern einzusetzen.“   „Ah, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die Kosten ihrer anschließenden Therapie dich davon abhalten werden.“   Mit zusammengebissenen Zähnen bedachte Yamato ihn hinter einem falschen Lächeln mit Unschuld. „Ich liebe Kinder.“   Ein graues Auge bog sich belustigt und Kakashi markierte seine Seite mit einem Streifen abgewetzten Leders, bevor er das Buch wegsteckte, ohne sich auf seinem Platz nach vorn zu beugen. Da er an Stellen wund war, von denen er ganz vergessen hatte, dass sie weh tun konnten, dachte er sich, dass Bewegungseinsparung guter Haltung und Höflichkeit vorzuziehen war. Nicht, dass es irgendeinen angemessenen oder höflichen Weg gab, um seine kommenden Fragen zu formulieren.    Doch glücklicherweise bemerkte Yamato den seltsamen Haken in der Luft und machte sich daran, ihn zu demontieren, indem er seinen Daumen über die Speisekarte krümmte. „Was steht auf der Tageskarte?“, fragte er; eine Codephrase, die bedeutete, Was brauchst du?   Kakashi opferte ein wenig von seiner Starre und schob den Teller mit bedacht ausgewählten, glasierten Klößen zu dem anderen Ninja, während sein graues Auge das Restaurant in einem trägen Schwung musterte. „Kuri Dango“, sagte er. Informationen zu einer Person.   Unbeirrt griff Yamato nach dem Spieß und seine dunklen, diamantförmigen Augen fixierten sich auf Kakashi. „Sind sie süß oder bitter?“ Kamerad oder Feind?   Kakashi hob eine Schulter. „Kommt auf deinen Geschmack an, aber ich schätze mal süß. Unser Dorf macht wirklich ausgezeichnete Dangos.“ Ich weiß es nicht, aber vermutlich ein Kamerad aus Konoha.   Summend pflückte Yamato einen Kloß vom Ende des Spießes. „Leistet uns noch jemand Gesellschaft, oder ist das alles nur für mich?“ Wer ist sonst noch involviert und werde ich Unterstützung brauchen?   Ein Kind sprang an ihnen vorbei und ein großer, gelber Ballon mit lachendem Gesicht hüpfte an einer Schnur hinter ihr her. Kakashi sah ihm nach und grübelte kurz, wie er antworten sollte. „Alles für dich. Obwohl ich gehört habe, dass Yamanka Inoichi eine Vorliebe für Dangos haben soll. Finde ich aber irgendwie schwer zu glauben, ich habe ihn mir immer anders vorgestellt. Aber auf der anderen Seite, wer hätte sich schon vorstellen können, dass sich ein ehemaliger KERN und ein ehemaliger ANBU Agent einfach nur um alter Zeiten willen hier treffen?“ Du kommst allein damit klar. Vielleicht ist Yamanka Inoichi involviert. KERN oder ANBU ist definitiv involviert.   Nickend nahm Yamato einen Bissen von dem Dumpling, schluckte mit einer Grimasse und hob den Spieß, um damit in Kakashi Richtung zu wedeln. „Jo. Und genau wie in alten Zeiten schätze ich, dass du ohne mich angefangen hast, oder?“ Wie weit hast du dich schon damit befasst?   „Erraten. Ich bin voll, kann nichts mehr essen.“ So weit ich gehen konnte. Während er sich auf seinem Platz nach hinten lehnte, hob Kakashi eine Hand und tat so, als würde er die angebotenen Dangos ablehnen. „Du musst es eben selber aufessen. Denkst du, du kriegst das hin?“ Du musst den Rest für mich erledigen. Kannst du mir helfen?   Langsam legte Yamato den Spieß beiseite, nahm eine Serviette auf und tupfte sich den Mund ab, bevor sich seine Lippen grimmig wegen des Geschmacks verzogen – oder eher wegen der Aufgabe. „Werde ich davon Magenprobleme kriegen?“ Wie sensibel sind diese Informationen?   Es hatte keinen Sinn zu lügen. Erneut zuckte Kakashi mit den Achseln. „Bin mir nicht sicher. Aber höchstwahrscheinlich.“ Unbekannt, aber wahrscheinlich extrem sensibel.   Yamato stieß ein Alibilachen aus und wischte sich die klebrig süße Paste von den Fingern. „Klasse. Tja, wenn du nichts essen willst, dann können wir uns auch genauso gut auf was zu Trinken treffen. Wann passt es dir denn?“ Wann brauchst du die Informationen?   „Gestern hätte besser für mich gepasst. Aber heute muss dann eben irgendwie gehen.“ Sofort.   Ihre Blicke trafen sich und Verständnis wurde zwischen ihnen ausgetauscht, ohne dass eine weitere Codephrase nötig wäre. Von irgendwo hinter ihnen erscholl ein lautes PENG, als der lachende Ballon platzte.    Kakashi und Yamato waren die einzigen Gäste, die nicht zusammenzuckten.    Das kleine Mädchen fing an zu plärren.    Mit verschleierten Augen warf Yamato einen raschen Blick auf das Geschehen. „Gib mir eine Stunde.“ Er löste sich aus der Sitzecke, zerrte ein paar Geldscheine heraus und ließ sie auf den Tisch fallen. „Wir treffen uns dann im Shushuya.“   Kakashi packte das Geld, schob unbemerkt eine Notiz von sich zwischen die Scheine und schob sie zurück in Yamatos wartende Hand; für einen Augenblick hielt er den Griff aufrecht. „Ich habe schon gezahlt“, sagte er.    Yamato nickte und drückte kurz Kakashis Hand.    Zur selben Zeit ließen sie los.       Kapitel 24: Getting easier -------------------------- „Also“, sagte Shikamaru zum Rest der Gruppe, „das ist der Plan. Irgendwelche Fragen?“   Niemand ergriff unmittelbar das Wort. Und Kiba dachte sich, dass sie alle noch auf dem Fleisch dieser dicken fetten Strategie herum kauten, die Shikamaru ihnen soeben serviert hatte. Versammelt in einem der Besprechungsräume der Nagu Butai war das Konoha Team von den Informationen auf Trab gebracht worden, die Shikamaru während der vergangenen Stunde mit Neji auseinander gepflückt hatte. Der Schattenninja hatte es sogar alles in ‚Dämlich Simpel‘ auf einer Tafel aufgezeichnet.   Überall herum sah man ernste Gesichter.    Klasse während des Unterrichts, hn?   Nicht, dass Neji jetzt ein paar Papiere auf die Tische klatschen und sie auf ihre Merkfähigkeit testen würde. Doch als er jetzt so darüber nachdachte, wünschte sich Kiba beinahe, dass er das tun würde und wenn nur, damit der Hundeninja eine meisterhafte Illustration eines Stockes und eines Arsches darauf kritzeln konnte.    Amüsiert über seine eigenen Gedanken, konnte Kiba einfach nicht anders, als sich zu fragen, was zur Hölle eigentlich im Kopf von jedem Einzelnen vor sich ging.    Und Shikamaru musste sich scheinbar dasselbe fragen, denn er blieb stumm, während er darauf wartete, dass jemand etwas sagte.    Ugh, dann werd ich mal dein Held sein, Nara…   In der Parodie eines Kindes in der Klasse wedelte Kiba mit einem Arm durch die Luft und vollführte damit einen direkten Stoß gegen die allgemeine Anspannung in der Hoffnung, sie etwas zu lockern. „Team A und B?“, schnaubte er. „Das ist echt das Beste, was dir eingefallen ist?“   Shikamaru schoss ihm einen trockenen, aber dankbaren Blick zu, während er eine Kreide in seinen Fingern wirbeln ließ. „Naja, ich wollte es eigentlich Team Shino und Team Neji nennen, aber ich dachte mir, das würde dich auf dem falschen Fuß erwischen.“   „Da hast du richtig gedacht. Also dann ist es wohl Team A und B.“   Bewegungen aus dem Augenwinkel und Kiba bemerkte, wie Shino seine Brille ein Stück weiter den Nasenrücken hinauf schob, als sich seine Lippen zu einem Schmunzeln verzogen.    Mistkerl.   Verärgert sackte der Hundeninja mit einem Grunzen auf seinem Platz zurück. War ja klar, dass der Käfer-Kerl die Anführerrolle bekommen hatte. Mann, Shino würde das ausnutzen. Während er die Tafel beäugte, las Kiba noch einmal die Namen unter jedem Team.   TEAM A: Neji (Kommandant), Shikamaru, Naruto, Sakura, Sai TEAM B: Shino (Kommandant), Kiba, Ino, Chōji, Tenten   Kibas Blick verharrte auf dem ‚Kommandant‘.    Super…   Er kraulte Akamarus Kopf, um sich von dem Jucken seiner eigenen Verstimmung abzulenken und dachte sich dabei, dass dieses ganze ‚Shino als Teamführer‘-Ding weit weniger damit zu tun hatte, dass der Aburame besser dafür geeignet war als er, sondern viel mehr damit, dass Shikamaru ein paar Dinge richtig stellen wollte – wie zum Beispiel dieses ganze Debakel, als Shino aus der Hanegakure Mission geschmissen worden war. Monatelang war Shino deswegen beleidigt gewesen.    Zumindest wird er jetzt deswegen die Klappe halten…   Apropos die Klappe halten; niemand sonst meldete sich freiwillig für irgendwelche Fragen. Alle musterten einfach nur die Tafel oder stierten auf die Blaupausen, die Shikamaru verteilt hatte. Vor allem Naruto hatte seinen Mund zu einem Knoten zusammengezogen. Nicht einmal ein Piep löste sich von seinen Lippen. Kibas Augen verengten sich nachdenklich. Shikamaru hatte den Uzumaki das letzte Mal bis ins Mark getroffen. Kein Wunder also, dass jeder nur schweigend und Däumchen drehend dasaß; niemand wollte von Shikamarus Hirn vermöbelt werden.    Auf seinem Stuhl drehte sich Kiba leicht, schielte zu Neji und hob die Brauen.    Neji stand an der Kreidetafel, begegnete seinem Blick, bot sonst aber nichts an.    Ach Scheiß drauf. Ich werde sicher nicht um das alles rumschleichen.   „Also erklär mir das nochmal“, sagte Kiba und opferte seinen Stolz in dem Versuch, zumindest irgendeine Belustigung oder zumindest ein verfluchtes Lebenszeichen beim Rest des Teams auszulösen. „Team A darf in coolen, mysteriösen Laboren auf Schlangenjagd gehen, während sich Team B mit diesen zwielichtigen Händlern rumschlägt, huh?“   „Das ist die Kurzfassung“, erwiderte Shikamaru. Er klopfte sich den Kreidestaub von den Händen und setzte sich auf die Tischkante, während seine dunklen Augen über die verschiedenen Karten und Blaupausen wanderten, die die Nagu Butai ihnen gegeben hatten. „Ihr Mittel der Laboratorien abzuschneiden und ihre Gelegenheit zu sabotieren, indem man das Händlernetzwerk trifft. Das wird sich wahrscheinlich in den Untergeschossen abspielen.“   Ino runzelte die Stirn darüber und lehnte sich mit auf dem Tisch verschränkten Armen nach vorn, wodurch sie ihre Brüste auf deutlich ablenkende Art betonte. Kibas Blut wurde warm und mit zusammengezogenen Brauen warf er ihr einen perplexen Blick zu; als würde sie das mit Absicht machen. Dadurch brauchte er auch einen Moment länger, um sich auf das zu konzentrieren, was sie gerade sagte und erhaschte nur das Ende ihrer Frage.   „Bist du dir sicher, dass du die Teams so aufteilen willst, Shikamaru?“   Aus abgeschirmten Augen sah Shikamaru sie an. „Du bist nicht einverstanden?“   Ino tauschte einen raschen Blick mit Chōji aus.    Leicht die Stirn runzelnd wanderten Shikamarus Augen zwischen seinen beiden Teamkameraden hin und her. „Ich nutze kein Ninjutsu. Unsere Formation ist dadurch anfällig und fehlerhaft. Und meine Strategie berücksichtigt das. Wir sind genau richtig ausbalanciert.“   Ino holte Luft, als wollte sie etwas sagen, stieß sie dann aber in einem Rauschen aus; als wollte sie nicht öffentlich ein Fass aufmachen, doch Kiba meinte, einen Hauch von Unzufriedenheit wahrzunehmen, die sie in Wellen ausstrahlte. In einem flüchtigen Drücken packte sie ihre Unterarme, bevor sie ohne ein einziges Wort nach hinten sackte.    Shikamarus Aufmerksamkeit zuckte zu Chōji.    Doch Chōjis Augen waren auf die Tischplatte gerichtet.    Die Raumtemperatur fiel um einige Grade.    Interessiert verfolgte Kiba diesem Zusammenspiel und ließ seinen Kopf leicht nach hinten kippen, während er mit seinem Stuhl von Seite zu Seite rutschte. Ärger im Ino-Shika-Chō Paradies. Eine Vorhersage für einen regnerischen Tage. Und da half es vermutlich auch nicht, dass Neji, dieser strahlende Hyūga Sonnenschein, kalt wie Frost dastand und seine wolkengleichen Augen den Tisch in einem steten Schwung musterten. Und als sich diese blassen Seen ihm zuwandten, setzte Kiba ein wölfisches Grinsen auf, das unmissverständlich auf das Versprechen hinwies, das er auf dem Boot gegeben hatte; nicht das Versprechen, den Mund zu halten, sondern das Versprechen, dieses eiskalte Hyūgaherz rauszureißen, sollte die Scheiße den Bach runter gehen.    Neji bemerkte den Biss im Feixen des Hundeninjas und nickte leicht.    Belustigt berührte Kiba mit der Zunge einen verlängerten Fangzahn, während sich ein spekulatives Glimmen in seine Augen schlich. Dachte Neji ernsthaft, dass sie irgendeine Vereinbarung unter Ehrenmännern wegen dieser Sache getroffen hatten? Er hoffte es verflucht nochmal. Denn den Wolf aus diesem reinrassigen Hündchen zu kitzeln, das Hyūga Neji war, würde ihre bevorstehende Herausforderung nur umso unterhaltsamer machen.    „Also arbeiten wir immer noch aufgrund der Annahme, dass jeder Kusa Ninja, dem wir begegnen, ein potentielles Aikoku Mitglied ist?“, fragte Tenten und zerrte Kibas Aufmerksamkeit damit zurück auf die Einsatzbesprechung. „Das wird die Hölle, wisst ihr.“   Zustimmend neigte Shikamaru den Kopf. „Ich weiß. Wir spielen Aikoku ziemlich in die Hände, indem wir uns Kusagakure gegenüber so misstrauisch verhalten, aber die Realität ist nunmal, dass wir es uns nicht leisten können, im Moment irgendjemandem außer den Nagu Butai zu vertrauen. Sie sind die einzig unvoreingenommene Partei. Sie dienen nicht dem Dorf, sie dienen dem Land.“   Naruto sah von den Karten auf, die er studiert hatte und sah zögerlich aus. Doch bevor Kiba ihn dazu schubsen konnte, einfach die Zweifel auszuspucken, auf denen er herumkaute, fing Shikamaru den verstohlenen Blick des Uzumaki auf und ermutigte ihn zu sprechen. „Geht dir irgendwas im Kopf rum?“   „Jo“, raunte Naruto und tippte mit den Fingerspitzen auf die Karte. „Was hält die Aikoku davon ab, einfach abzuhauen? Wenn sie Ashihara geschickt haben, um diese ganze Selbstmord-Demonstration abzuziehen, dann werden sie wissen, dass wir hinter ihnen her sind.“   „Das ist eine berechtigte Sorge“, erwiderte Shikamaru. „Nogusa hat eine vollständige Abrieglung von Kusagakure und der Laboreinrichtung angeordnet. Niemand kommt raus oder rein.“   „Das ist aber eine Menge Boden abzudecken, Shikamaru“, bemerkte Sakura und lehnte sich über Naruto, um die Karte zu mustern. „Bist du dir sicher, dass sie das durchziehen können?“   Der Schattenninja nickte. „Die Nagu haben das komplette Dorf mit dem Kekkaimon Gofūjutsu versiegelt.“   Mit aufleuchtenden Augen schnappte Tenten nach Luft. „Die Barrientor-Fünfsiegeltechnik!“   Angesichts ihrer Aufregung hob Kiba eine Braue. „Kennst du das oder was?“   „Ja“, antwortete Neji. „Genauso wie du es kennen solltest. Es ist das gleiche Jutsu, das gegen Konoha eingesetzt wurde, als die Verräter der Zwölf Elitewächter versucht haben, unser Dorf zu zerstören, indem sie die Lichtexplosion genutzt haben.“   Eine kollektive Pause um den gesamten Tisch herum, ein Nicken in Anerkennung der Vergangenheit und all dieser kleinen Perlen der Weisheit, die sie aus dem Wrack dieses Ereignisses hatten ziehen können. Kiba erinnerte sich daran, hatte manchmal sogar Albträume davon. Reanimierte Leichen, die sich erhoben…Genma, der Befehle brüllte…Sora und Naruto, die in einem Showdown aus Schweifbestien aufeinander losgingen…Asuma-sensei, der einige ernsthafte Feindärsche aufriss…   Asuma-sensei…   Als er das Gesicht verzog, schwang Kibas Blick nach oben und zuckte zwischen den Mitgliedern von Team 10 hin und her. Chōji war in seinem Stuhl zurück gesunken, sein rundes, joviales Gesicht mit einem Ausdruck von Erinnerung verschleiert und seine Augen zuckten gelegentlich, als würde er alles noch einmal erleben. Ino hatte sich die Arme um ihren Unterleib geschlungen und Kiba war sich sicher, dass sie sich mit den Knien unter dem Kinn eingerollt hätte, wenn es Privatsphäre zugelassen hätte. Der Drang, eine Hand nach ihr auszustrecken, ging ebenso Hand in Hand mit dem Drang, weit weg zu bleiben. Dieser alarmierende Geruch von Salz bedrohte die Luft.    Er bekam überhaupt nicht die Gelegenheit, Shikamarus Miene zu lesen, denn sie veränderte sich viel zu schnell.    Augen wandelten sich von bewölkt zu klar und der Gesichtsausdruck des Schattenninjas wurde hart und scharf, sein Fokus nach vorn, statt rückwärts gerichtet. „Selbst wenn sich Kusagakure in Abriegelung befindet, würde es mich nicht überraschen, wenn sich die Laboreinrichtung über Fluchtwege leert. Die Nagu gehen schon dagegen vor, aber wie müssen dem Spiel voraus bleiben und diese Aikoku Verräter fassen, bevor sie sich neu sammeln können. Jedes Team hat zwei Nagu Wächter. Sie werden essentiell sein, also nutzt ihr Wissen.“ Shikamaru klatschte mit den Händen auf seine Schenkel und stieß sich von dem Tisch ab. „Keine weiteren Fragen?“ Er sah jeden einzelnen von ihnen an, bevor er Neji zunickte. „Dann können wir los.“   Neji erwiderte das Nicken, löste seine verschränkten Arme und trat nach vorn, während seine Stimme durch den Raum rollte. „Ich habt eure Anweisungen und ihr habt eure Ausrüstung. Geht die Schemata der Einrichtung gründlich durch. Haltet die Funkverbindung zu allen Zeiten offen. Niemand geht auf eigene Faust los, ohne das vorher mit mir abzuklären!“   Überall herum bestätigendes Kopfnicken, auch wenn Kiba die Szene mit einem falschen Salut und einem spielerischen „Sir, ja, Sir“, abschloss.   Das brach das Eis. Naruto grinste sogar. Die Gruppe löste sich auf, um sich in den separaten Teams wieder zu sammeln, wobei Ino etwas länger brauchte, um sich dem Ausgang zuzubewegen. Ihre Augen verharrten auf Shikamaru, bis Chōji ihre Schulter berührte und leicht zudrückte.    Der Akimichi sah nicht das Weh, das hinter ihren Augen aufflammte, doch Kiba schon. Verdammt. Das traf eine empfindliche Stelle in ihm. Er war daran gewöhnt zu sehen, wie taffe Fragen ihre Tränen versteckten. Seine Mutter, seine Schwester…seine Sensei…   Verdammt…   Er sah zu, wie Ino einen Ausdruck von Zuversicht herstellte, als sie sich mit einem sanften Schwung der Schultern umwandte und ihr langes blondes Haar wie ein Sonnenstrahl durch die Luft strich. Sie schenkte Chōji ein strahlendes Grinsen. „Bereit, ein paar Aikoku-Ärsche zu versohlen?“   Chōjis Lächeln war sanft; traurig. Kein Zweifel sah er direkt durch das Schauspiel. Und er sah dazu bereit aus, sie auch darauf anzusprechen. Ein instinktiver Drang kroch Kibas Wirbelsäule hinauf, kitzelte seine Nerven zu einer Reaktion, der er niemals nachgegeben hätte, wenn er sich die Zeit genommen hätte, wirklich darüber nachzudenken.   Doch das tat er nicht.    Mit einer raschen Bewegung stellte er sich an Inos Seite, bevor Chōji irgendetwas sagen konnte und raunte ein raues Kichern gegen ihr Ohr. „Habe ich gerade richtig gehört? Wirst du deine Klauen in diese Sache graben, Prinzessin? Oder hast du immer noch Angst, dir deine hübschen Nägel abzubrechen?“   Ino stieß ihre Hüfte zur Seite, um Kiba einen Schritt nach hinten zu schubsen, während sie ihre Fäuste gegen die weiche Kurve ihrer Taille stemmte und ihm ein Feixen schenkte, das viel weniger Sonnenschein, sondern viel mehr brennendes Eisen war. „Ich könnte jederzeit dich als Übungskratzbaum nutzen.“   Über ihre freche Antwort schmunzelnd wartete Kiba, bis sich Chōji abwandte, bevor er sich nach vorn neigte und seine Stimme zu einem gehauchten Murmeln senkte. „Nur zur Übung?“   Er hörte, wie ihr der Atem stockte, sah, wie die Mulde ihrer Kehle hüpfte. Doch es war der süße Duft, der seine Sinne einfing, das verstärkte Aroma von Blütenblättern und Pheromonen, als sich ihre Pupillen weiteten und ihre Haut wärmer wurde. Und dann zuckte sie so schnell von ihm zurück, dass es genauso gut ein Tagtraum innerhalb eines Wimpernschlags hätte sein können; wäre da nicht dieses bleibende Parfum, das die Luft zwischen ihnen kitzelte.    Und Kiba atmete es ein, um es in einem leisen Lachen wieder auszustoßen. „Hat es dir die Sprache verschlagen, oder ziehst du es wirklich in Betracht?“   Ino reckte ihren Kopf in einem hochmütigen Winkel und würgte ein Lachen hervor, das viel zu sehr zitterte, um glaubhaft zu sein. „Du hättest nicht die geringste Chance, Kiba.“   Netter Versuch, Süße, aber meine Nase sagt mir was anderes…   Genauso wie sein Bauchgefühl, das seltsame kleine Rollen vollführte wie ein Welpe, der von der Leine gelassen wurde. Energisch versuchte Kiba, dieses Gefühl zu ignorieren und streckte sich in der langen, trägen Dehnung eines Hundes, der sich für ein Bauchkraulen auf den Rücken drehte, während er schief lächelnd mit den Knöcheln über seine flatternde Magengegend strich. „Jo, tja, du weißt ja, was man sagt. Ein blindes Huhn – oder in dem Fall Hund – findet auch mal ein Korn.“   Leise schnaubend riss Ino ihre Augen von ihm fort und wich einen Schritt nach hinten, während sich ihr Kinn ein Stück hob. Ihre Lippen bogen sich in einem verführerischen Lächeln, das ihn erschüttern sollte. „Nicht dieser Hund“, sagte sie frech und lief mit einem weiten Schwung ihrer Hüften an ihm vorbei. „Und auch nicht heute.“   Kiba drehte sich langsam auf dem Absatz, schob die Hände in die Taschen und neigte seinen Körper zu einer Seite, um ihr dabei zuzusehen, wie sie ans andere Ende des Raumes stolzierte. Sie wusste, dass er sie beobachtete. Ihr Gang schrie diese Tatsache geradezu heraus.    Mit funkelnden Augen schnalzte Kiba mit der Zunge. „Hund und Katz, Akamaru? Was denkst du?“   Akamaru grummelte wie ein alter Mann.    Grinsend spähte Kiba hinunter zu seinem Ninken und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. „Wir werden sehen.“   ~❃~   Kusagakure sah aus wie eine gigantische Schneekugel. Also ohne den Schnee. Und ohne die glücklichen Kindheitserinnerungen. Als er so außerhalb des Dorfes stand und hinauf sah zu den riesigen Bögen aus regenbogenfarbenem Chakra, dachte sich Shikamaru, dass das Einzige, was innerhalb dieser massiven Kuppel losgeschüttelt wurde, Ärger war.    So viel zu guten Beziehungen zwischen den Dörfern…   Ging nicht anders. Die Aikoku hatten sie zum Handeln gezwungen und soweit es Strategie betraf, war das die sicherste Art, das anzugehen. Shikamaru spähte hinüber zu Katsu und sah zu, wie der Nagu Jōnin an den zwei Reihen aus Konoha Ninja vorbeischritt, um jeden von ihnen auf dem Handrücken mit einem Siegel zu markieren, das es den beiden Teams gestatten würde, unverletzt die Barriere zu passieren.    Shikamaru hatte gerade eben schon miterlebt, wie ein Vogel im Inneren pulverisiert wurde, als er mit dem Kopf voran in die Kuppel geflogen war. Und während diese ausgelöschte Taube die Bedeutsamkeit dieser Siegel betonte, war es ebenso abschreckend für die Kusa Ninja innerhalb des Dorfes und sorgte dafür, dass sie sich von der Barriere fernhielten.    Glücklicherweise waren die einzigen Leute, die auf der anderen Seite auf sie warteten, drei Nagu; zwei Frauen und ein Mann. Eine ziemlich durcheinander gewürfelte Truppe, was das Aussehen anging. Die größte Frau hatte ebenholzfarbene Haut und eine Mähne aus lila-schwarzen Zöpfen, die sie zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst hatte. Trotz ihrer starken Wangenknochen und vollen Lippen, waren ihre Augen ihr auffälligstes Merkmal; beinahe katzengleich in der Erscheinung und von der Farbe polierten Kupfers. Die andere Frau war insektendürr und blass wie Asche, Haut und Haar bar irgendwelcher Pigmente. Nur ihre rosa getönten Augen enthielten natürliche Farbe. Der Rest war künstlich; schwarzer Lippenstift, geradezu schockierend auf einem so weißen Gesicht und passend zu dem schweren Schatten, der sich über ihre Lider erstreckte. Der Mann, fuchsgesichtig und rothaarig, mit ein paar Sommersprossen über scharfen, listigen Konturen, schien für Geschwindigkeit und Agilität gebaut zu sein, war schlank und geradezu stromlinienförmig.   Trotz all ihrer extremen Unterschiede, trug das gesamte Trio die gleichen Ninja Schärpen wie Katsu und sie alle hatten dieselben, eisernen Mienen aufgesetzt.    Leise brummelte Naruto: „Sympathische Leute.“   Zustimmend hoben sich Shikamarus Brauen und seine Aufmerksamkeit wanderte auf das vor ihnen liegende Dorf. Das Barrierejutsu hatte innerhalb der Kuppel ein unheimliches Licht erschaffen und ließ Kusagakure aussehen wie etwas aus einem Traum. Farbstreifen und Schatten spielten über die strohgedeckten Gebäude und erhöhten Baumhäuser.    Der Haupteingang war von einer Wacheinheit des Daimyōs abgeriegelt worden und Shikamaru erspähte mehrere Nagu innerhalb der Reihen. Sie gingen nicht das geringste Risiko ein.    Gut. Wir können uns auch keins leisten.   Katsu gab eine schroffe Einführung, ging mit seinen Leuten den Spielplan durch und bedeutete der Frau mit der ebenholzfarbenen Haut, nach vorn zu treten. Die anderen beiden Nagu wies er Shinos Team B zu. Sobald er das erledigt hatte, trat Katsu zu Neji und wies mit einem brüsken Rucken des Kinns auf die großen, von Pferden gezogenen Wagen hin, die direkt am Straßenrand standen.    An den Seiten gepanzert würden die beiden Kutschen die verschiedenen Teams zu den Kusa Laboratorien bringen.    „So weit weg, huh?“, fragte Shikamaru.    „Zu eurem eigenen Schutz ist es sinnvoller, so dorthin zu gelangen“, antwortete Katsu. „Wir haben die Route gesichert, aber wir können weder Bogenschützen der Aikoku, noch Opportunisten ausschließen. Meine Leute werden für Deckung sorgen.“ Hier wandte er sich um, um die Nagu anzusprechen, die nach vorn getreten waren. „Vorhut bereit. Steigt auf. Ich will Reiter und Läufer zu beiden Seiten der Wagen.“   Kiba pfiff leise durch die Zähne und stieß Shikamarus Arm an. „Na das ist doch mal Reisen mit Stil, was? Wir bekommen unsere eigene Eskorte.“   „Gewöhn dich nicht dran“, erwiderte Shikamaru, als er seitwärts zu dem Hundeninja spähte. „Die Teams teilen sich auf, sobald wir die Einrichtung erreichen. Sorg dafür, dass jeder auf seinen Rücken achtet, Kiba.“   Kiba warf ihm einen seltsamen Blick zu, bevor sich seine Lippen in dem leisesten Schmunzeln hoben. „Ich werde auf ihre Rücken achten und sie auf meinen. Ino ist sowieso schon drauf und dran, ihre Klauen in meine Wirbelsäule zu graben.“   Shikamaru schnitt eine Grimasse und versuchte, nicht an das Messer zu denken, dass er geradezu in die Rücken seiner beiden Teamkameraden gerammt hatte, indem er die Gruppen auf diese Weise aufgeteilt hatte. Strategisch gesehen war es zu ihrem Vorteil, aber es wäre gelogen gewesen, wenn er behauptet hätte, das wäre sein einziger Grund gewesen.   Naja, jetzt im Moment ist es der einzige Grund, der von Belang ist. Bleib konzentriert.    Shikamaru spähte über die Schulter und tauschte einen Blick mit Ino und Chōji aus, bevor er ein einziges Mal nickte. Chōji nickte zurück. Ino versuchte sich an einem Lächeln, aber ihr Herz lag nicht darin; stattdessen lag es in ihren Augen, zusammen mit einem Hauch blauen Feuers. Sie war angepisst, besorgt, verletzt. Eine Kombination, die traf wie ein Stiefel in die Eingeweide und es erinnerte Shikamaru daran, dass er vorhin in diesem Hof mit Neji bereits genug von seinem Inneren ausgespuckt hatte.    Dämlich…   Und zwar extrem. Es war bereits das erste Mal mit Asuma dämlich gewesen und diesmal mit Neji war es auch nicht klüger gewesen. Doch obwohl er das wusste, hatte er nicht aufhören können. Hatte sich wie ein Kind gefühlt, das dazu gezwungen war, die kryptischen Nachrichten seines Verstandes in einem Chinesischen Flüsterspiel weiterzugeben – gerade genug Wahrheit mit gerade genug Auslassungen zu sprechen.    Lügen sind sicherer…   Und auch klüger. Aber das war es nicht gewesen, was aus ihm geflossen war. Und jetzt verpflichtete Neji ihn auf diese Ehrlichkeit, bat ihn, nicht zu lügen als Austausch für ein Vertrauen, das zögerlich und unerprobt war – zumindest, wenn es um den Teil von ihm ging.    Den? Du meinst ‚diesen‘. Dieses Ding in der Vergangenheit…   Nejis Stimme riss ihn gewissenhafter zurück in die Gegenwart als ein Ruck an seinem Kragen. „Zeit aufzubrechen.“   Mit dem Rest von Team A kletterte Shikamaru auf einen der Wagen und ließ sich auf eine der Holzbänke sinken, bevor er einen kleinen Teil einer Dorfkarte hervorzog, die die Nagu ihm gegeben hatten. Aufmerksam studierte er die markierte Route. Nichts war beschriftet, außer die Laboratorien und die Straße.    Nicht wirklich eine Überraschung…   Es war nicht so, als wäre Nogusa willens, den Grundriss von Kusagakure mit einer fremden Nation zu teilen, selbst wenn diese Nation als Verbündeter angesehen wurde. Nach der Karte zu urteilen, hatten die Nagu einen direkten Weg zu den Laboratorien gesichert, Fußgängerwege geräumt und andere Bereiche abgesperrt, um den Wagen einen reibungslosen und schnellen Zugang zu gestatten. Dann kam das Laboratorium an sich. Shikamaru blätterte durch ein paar weitere Seiten und spähte auf eine Blaupause der gesamten Einrichtung, Etagenpläne eingeschlossen; vier Ebenen und sechs Areale waren abzudecken, die Kellergeschosse inbegriffen. Die letzten Dokumente enthielten Informationen über tagtägliche Operationen der Laboratorien zusammen mit ein paar Namen und Gesichtern.    Das Klappern von Hufen zog Shikamarus Blick nach oben.    Nagu Reiter setzten sich in Bewegung, um die Kutschen zu flankieren, die Bögen gespannt und Pfeile angelegt. Ein letzter Ruf von Katsu und die Wagen begannen zu rollen.    ~❃~   Nohara Rin.   Es schmerzte immer, hierher zu kommen, aber es schmerzte mehr, seine wöchentlichen Besuche zu versäumen.    „Es tut mir leid“, murmelte Kakashi, seine ungleichen Augen auf den Grabstein gerichtet. „Ich war in letzter Zeit etwas verloren.“   Keine Lüge. Er belog sie nie. Doch die Wahrheit an ihr Grab zu legen fühlte sich auf Arten und Weisen selbstsüchtig an, die dafür sorgten, dass sich seine Kehle um all seine Geständnisse, all seine Verwirrungen zusammenzog.   „Ich habe eine Schuld zu begleichen, Rin“, begann er in leisen, gehauchten Tönen und vertraute dabei wie immer in den blassen, kalten Stein. „Eine Blutschuld. Einen Freund vor der Dunkelheit zu retten, die uns beinahe beide erwischt hätte.“   Beinahe. So verdammt knapp. Und jetzt machte er einen Schritt zurück zu diesem Teil von sich selbst, berief sich auf alte Killerinstinkte und Grade der Apathie, die ihn in kalte, dunkle Orte gestürzt hatten. Orte, an denen das bitterste aller Unkräuter schon seit langem die höchsten seiner ANBU Wände emporgeklettert war und die stabilsten seiner ANBU Zahnräder erstickt hatte. Der Gedanke daran, diese vergifteten Orte erneut aufzusuchen, unbeaufsichtigt von Gewissen oder Mitgefühl, sandte ein Frösteln durch ihn.    „Reiketsu.“ Er wisperte diesen alten Decknamen, fühlte, wie er an zerbrochenen Regalen und phantomhaften Schmerzen rüttelte. „Ist das der Mann, zu dem ich wieder werden muss…um das hier zu tun?“   Es schien so rhetorisch zu sein. So offensichtlich. Er war bereits die Sträflingsakten durchgegangen. Hatte bereits ein Opfer ausgesucht.   Sie ist kein Opfer. Ihre Opfer waren Unschuldige…   Fürwahr, die Frau auf dem Fahndungsfoto in seiner Tasche war keine Unschuldige. Sie hatte gemordet. Sie hatte Spaß daran gehabt, als sie es getan hatte. Ihr Schicksal war bereits entschieden, bereits besiegelt.    Bereits tot…   Bereits zu einem langsamen und sinnlosen Verfall verurteilt, eingeschlossen hinter den hohen und gleichgültigen Mauern der Justizvollzugsanstalt von Konoha. Warum sie dort weiterhin beherbergen? Warum Essen und Verpflegung an eine Frau verschwenden, die keine Rolle spielte und die niemand vermissen würde? Natürlich, es war nicht von Bedeutung, dass diese Logik auf jeden anderen Insassen unter denselben Anklagepunkten angewandt werden konnte. Es erforderte weder Genehmigung, noch Überprüfung. Nur Handlung und Timing. Denn in Reiketsus Verstand würde das Töten dieser Frau ebenso kalt und klar umrissen sein wie das Kunai, das er benutzen würde, um sie aufzuschneiden; vom Bauch aufwärts zur Brust…die Lungen entfernen…den Körper verbrennen…   Stop…   Kakashi schloss krampfartig die Augen, sog einen scharfen Atem ein, fühlte sich übel angesichts der Erkenntnis, dass er an Rins Grab einen kaltblütigen Mord plante. Es war egal, dass sie gewollt hätte, dass er es ihr erzählt, mit ihr sprach…ihr vertraute.   Dir vertrauen…   Wenn sie nur ihm vertraut hätte. Ihm in diesen letzten Augenblicken vertraut hätte, eine bessere Wahl zu treffen, eine andere Wahl. Aber es war alles so verdammt schnell passiert. Zu schnell. Vielleicht, wenn sie mehr miteinander gesprochen hätten, sich gegenseitig mehr erzählt hätten, hätte er auch ohne Worte gewusst, was sie gedacht und was sie glauben gemacht hatte, dass das einzige Resultat, die einzige Wahl, darin bestand, dass sie starb.    „Die Dinge hätten anders sein können“, wisperte er und fühlte sich erneut, als wäre er um eine Wahl betrogen worden, um eine Chance betrogen worden. Sie hatte keine Hoffnung für beides gelassen. „Wenn du es nur getan hättest. Du hättest nicht sterben müssen.“   Und schon gar nicht durch meine Hand…   Seine Finger zuckten bei der Erinnerung und ein Schauder bebte durch seinen Arm. Langsam ging Kakashi in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über den eingravierten Namen, strich verwelkte Blütenblätter der Blumen beiseite, die er vor Wochen hier abgelegt hatte.    „Es tut mir leid“, sagte er nochmal.    Wirklich beschämend. Er hatte nicht einmal Blumen mitgebracht. Oder Essen. Oder Weihrauch. Keine Opfergaben, außer seine Probleme…und die fragilen Glasornamente in seinem Herzen – diese Emotionen, die er ihr zu ihren Lebzeiten niemals gezeigt hatte.    Selbst jetzt ist es so schwer zu wissen, was ich sagen soll…   Seit Asumas Tod hatte er den Friedhof gemieden und stattdessen Zeit mit Obito bei dem Gedenkstein auf dem Trainingsgelände verbracht. Dort fühlte er sich sicherer. Als hätte er weniger zuzugeben. Weniger Rechenschaft abzulegen. Obito war da einfacher, fragte niemals nach mehr von ihm…Rin hingegen…   Kakashi presste seine Handfläche gegen ihren Namen, kniete für eine unbestimmbare Zeit dort.    Sonnenlicht stach durch die Wolken, berührte Grabsteine, erhellte Namen und segnete die Toten. Kakashi neigte sich, um dem weichen, pudrigen Strahl zu gestatten, über seine Schulter zu geistern und Rins Namen zu küssen. Eine flüchtige Berührung. Rasch krochen die Wolken wieder heran, stahlen das Licht fort und Kakashi spürte, wie die Friedhofsbrise die Enden seines Haares zerzauste und an ihnen zerrte wie spielerische Finger. Rin hatte einst dasselbe getan, damals während einer Inkognitomission, für die Kakashis Haar zurückgesteckt werden musste, damit eine Perücke darüber passen konnte. Obito hatte seine Demütigung genossen. Rin hatte ihre Rolle als Friseurin genossen…und Kakashi – unter der Bitterkeit und Irritation – hatte heimlich das Gefühl ihrer Hände genossen. Hungernd nach Zuneigung und Berührung seit dem Tod seines Vaters, hatte er mehr Geborgenheit aus dieser unschuldigen Behandlung seines Haares gezogen als aus irgendeinem der vielen tröstenden Worte seit dem Tag, als er zur Waise geworden war.    „Ich bin überhaupt nicht besser darin geworden, auszudrücken, wie ich mich fühle…“, gab er laut zu und tat sich schwer, die richtigen Worte zu finden. „Aber ich weiß, dass du es verstehen würdest. So wie du es immer verstanden hast. So, wie ich mir wünschte, du hättest es mir beigebracht…denn ich bin überhaupt nicht näher dran, meine Handlungen mit Genma zu verstehen. Und ebenso wenig verstehe ich, warum du, Obito und Sensei mir so viel mehr gegeben habt, als ich jemals hoffen könnte, euch im Gegenzug geben zu können.“   Im Rückblick war es ein unfairer Tausch. Ihre Liebe und Freundschaft hatte alle drei weit mehr gekostet, als es Kakashi jemals gekostet hatte – bis sie fort waren. Erst dann war ihm klar geworden, dass es ihn alles gekostet hatte. Alles, wovon er niemals geglaubt hatte, er hätte es überhaupt gehabt, bis er es für immer verloren hatte.    „Und diesen Verlust will ich niemals wieder fühlen müssen…“, gestand er und sprach dabei so weich und leise, dass seine Worte geistergleich auf der Brise mitgetragen wurden; fort, bevor er wirklich die Signifikanz, die Traurigkeit davon greifen konnte.   „Kakashi…“   Da war sie, rief seinen Namen, klang immer so weit entfernt in seinem Verstand, ihre Stimme ein flüchtiges Wispern. Doch dann kam ihre Stimme wieder, näher, lauter…und älter als er sich entsann.   Nicht Rin…   Ein leichtes Stirnrunzeln grub sich zwischen Kakashis Brauen und er blinzelte langsam, bevor er aufsah. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte seine Miene verwirrt, bevor sich seine Augen weiteten. „Kurenai“, krächzte er und zog sich von dem Grabstein zurück, während er sich in derselben Bewegung aufrichtete; fühlte sich ein bisschen verlegen und sehr überrumpelt. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie sich näherte – obwohl ihm die riesige Bulldogge nicht entging, die sie begleitete. „Bull“, sagte er leicht überrascht.   „Ich habe ihn vor meiner Wohnung sitzend gefunden“, sagte Kurenai und Belustigung zupfte an ihren Lippen, als sie hinunter auf dir große, schwarze Bulldogge sah. Er schenkte ihr einen Dackelblick. Sofort beugte sie sich vor, um ihn zu tätscheln. „Er hat darauf bestanden, mich hierher zu bringen.“   Kakashis Braue hob sich, auch wenn sein Blick mit dem vollen disziplinarischen Gewicht einer offenen Handfläche auf Bull klatschte. Sein Ninken hatte den Befehl gehabt, dazusitzen, zu beobachten und nicht entdeckt zu werden. Doch offensichtlich hatte Bull andere Ideen; Ideen, denen er keine Stimme geben konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Die Bulldogge zog den Kopf ein und grummelte ein leises, kehliges Winseln.    Da er sich ebenso stumm fühlte wie sein Hund, suchte Kakashi nach irgendetwas, das er sagen könnte. „Du siehst gut aus, Kurenai“, war das erste, was seinen Mund verließ – und er meinte es ernst.   Sie stand in respektvollem Abstand zu Rins Grab da, gekleidet in ein fließend weißes Kleid, das mit Rosen gemustert war, einen pastellrosa Schal hatte sie sich um die Schultern geschlungen. Sie sah besser als gut aus, sie sah wunderschön wie eine Braut aus. Blumen in ihrem Haar und ihren Händen, die lange, dunkle Mähne hochgesteckt zu einem Dutt und ein paar weiche Strähnen hingen lose nach unten, um ihr Gesicht einzurahmen.    Asuma wäre innerhalb eines Herzschlages auf den Knien gewesen.   Und als der Kummer kam, unternahm Kakashi nichts, um ihn zu verschleiern; die Augen sanft und wehmütig, als sie ihr Porträt nachzeichneten. „Du bist gekommen, um Asuma zu sehen“, sagte er.    Lächelnd schüttelte Kurenai den Kopf. „Ich war bereits bei ihm.“   Überrascht wanderte Kakashis Blick zu dem Strauß aus Calla Lilien, den sie im Arm hielt. Doch bevor er fragen konnte, näherte sie sich Rins Grab und legte den Strauß mit der Sanftheit einer Mutter ab, die ein Baby zum Schlafen legte, bevor sie die Blumen zu ihrer Zufriedenheit arrangierte. „Ich denke, Asuma wird mir vergeben. Ich habe ihm stattdessen Zigaretten mitgebracht.“   Kakashis Kehle schnürte sich zu. „Kurenai…“   Sie verharrte kniend neben dem Grabstein und legte ihre Handflächen in einem Gebet aneinander. Bull trottete ebenfalls herüber und ließ sein massives Gewicht neben ihr fallen, bevor er durch weise, abgeschirmte Augen zu dem Kopierninja aufsah und sich ein weiteres leises Winseln aus seinem Hals löste.    Ein Augenblick des Zögerns und dann gab Kakashi nach.    Er kniete sich neben Kurenai, ließ sie die lieblichen, friedvollen Zeilen sprechen, die ihm niemals in den Sinn gekommen wären und öffnete die Augen, als das Gebet endete.    Unmittelbar kamen die Worte leichter. „Es tut mir leid, Kurenai“, sagte er. „Ich habe mich ferngehalten, weil ich nicht wusste, was ich sagen soll. Ich weiß es immer noch nicht.“   „Du hast deinen Ninken vor meiner Tür stationiert. Ich denke, das ist damit gleichzusetzen, auf mich aufzupassen.“   Kakashi schüttelte den Kopf. „Ich hätte -“   „Kakashi“, sagte sie ernst, auch wenn sie seine Hand mit derselben Sanftheit berührte, mit der sie die Blumen arrangiert hatte. Sein automatisches Zusammenzucken ignorierte sie. „Ich hätte auch nicht gewusst, was ich sagen soll. Und genau wie du, weiß ich es immer noch nicht.“   „Kurenai, ich -“   Mit einem Blick schnitt sie ihm das Wort ab. „Ich brauche nicht noch mehr warme Worte und endloses Trösten. Es hat mir nicht geholfen. Es hat mich nicht erreicht. Nichts wollte mich so richtig erreichen. Ich habe sogar meine eigenen Schüler abgewiesen.“ Die Wildheit blutete aus ihren Augen und die karmesinroten Seen wurden weich und traurig. „Was ich gebraucht habe, war nicht eine Schulter, um mich daran auszuweinen. Es war eine starke Hand, um mich aus der Depression zu reißen, in die ich gefallen bin.“   Kakashis Magen verwandelte sich in kalten Schlick. Mit weiten und besorgten Augen wandte er sich ihr zu und eine Falte trieb sich zwischen seine Brauen. „Depression?“   Sie drückte leicht seine Finger und ihre Lippen spannten sich an. „Ich weiß, wie stark deine Hände sein können. Aber ich bin froh, dass es nicht du warst. Ich hätte nicht gewollt, dass du mich in diesem Zustand siehst. Götter…“ Seufzend löste sie ihren Griff an ihm. „Ganz ehrlich? Ich hätte von niemandem außer Shizune gewollt, zu wissen, wie kurz davor ich war, nachzugeben.“   Nachgeben.    Aufgeben…   Panik quetschte Kakashis Herz und diese kostbaren Glasornamente, die er zu Rins Grab gebracht hatte, rasselten und bebten in ihm. Es war die eine Sache, jemandem in einem offenen Kampf zu verlieren…und eine vollkommen andere Sache, jemanden an den Kampf in ihnen selbst zu verlieren.    So, wie ich Sasuke verloren habe…so, wie ich fast Genma in Tanzaku verloren habe…   Und dann, mit einer Erkenntnis so explosiv wie der Schmerz, der folgte…   So, wie ich meinen Vater verloren habe…   Keuchend presste Kakashi die Lider aufeinander und griff sich krampfhaft an die Brust, als hätte man ihn erstochen. Als er sich nach vorn krümmte schüttelte er Kurenais Hand ab, als sie ihn berührte. Seine Finger ballten sich gegen seine Schenkel zu Fäusten und auf einen Schlag fühlte er sich so zornig und verletzlich wie vor all diesen Jahren…in der Nacht, als er die Leiche seines Vaters gefunden hatte…   „Wie kannst du nur so denken?“, zischte er und sein Tonfall zog Bulls Kopf aus Kurenais Schoß. „Die Menschen, die du zurücklassen würdest…“   „Kakashi…“   „Der Schmerz, den du zurücklassen würdest.“ In einem wilden Rucken schüttelte er den Kopf, seine Stimme rau wie zermahlener Fels. „Es ist unverzeihlich.“   Kurenai sagte überhaupt nichts. Schweigend kniete sie da und wartete darauf, dass die Verbitterung ihn verließ…was auch passierte…langsam…widerwillig…sie zerrte ihre Füße durch die Korridore seines Herzens; einen qualvollen Schritt nach dem anderen und ließ eine Jahre alte Traurigkeit zurück. Traurigkeit…und vielleicht ein verspätetes Verständnis dafür, warum es so verdammt wichtig war, dass er versuchte, Genma zu beschützen. Auf dem Schlachtfeld konnte er Kausalitäten nicht immer aufhalten, aber er wollte verdammt sein, wenn er sonst noch jemanden an Kriege verlor, die im Inneren ausgefochten wurden.   Daran zu denken, dass Kurenai das durchgemacht hat…   War es wirklich so überraschend? Ihre Welt war auseinander gefallen. Sie war so glücklich gewesen. Asuma war so glücklich gewesen. Es war die zweite Chance gewesen, von der der Sarutobi immer gedacht hatte, er hätte sie nicht verdient.   Aber das hat er. Sie beide haben das.   Als sich seine Augen halb öffneten, sackte Kakashi mit einer Erschöpfung zusammen, die ihm den Atem raubte und seine Finger lösten sich, bevor sich seine Hände schlaff auf seine Schenkel legten. „Wenn ich es gewusst hätte…“   „Ich weiß.“ Und als sie diesmal seine Hand nahm, schüttelte er sie nicht ab. „Verstehst du jetzt, warum ich froh bin, dass du mich nicht so gesehen hast?“   Er nickte und seine Brauen zogen sich sanft zusammen. Er hätte nicht gewusst, was er tun, was er sagen sollte. Zorn hätte alles andere übersprungen…seine eigene Vergangenheit projizierte sich auf die Gegenwart und befleckte was auch immer an Empathie und Verständnis erforderlich gewesen wäre, um Kurenai aus diesen tiefen Wassern und sicher ans Ufer zu ziehen. Es war ja schon schwierig genug gewesen, Genma vor all diesen Jahren aus diesem suizidalen Feuer zu zerren…   Und was lässt dich glauben, du könntest es wieder tun?   Die Antwort darauf war wirklich simpel. Er musste es tun. Am Ende half es zu glauben, dass ihm dasselbe Gefühl der Notwendigkeit erlaubt hätte, Kurenai zu helfen. Wenn er es nur gewusst hätte. Wenn er nur da gewesen wäre.    Noch einmal drückte sie seine Hand und las zwischen den Zeilen seines Schweigens. „Es geht mir wieder gut.“   Durch die Wimpern spähte er zu ihr und suchte ihr Gesicht nach einer Lüge ab. Sie trug kein Makeup, sondern stattdessen die Schattierungen, die von einer trauernden Frau erwartet wurden; lilane Schatten unter ihren geschwollenen Augen, die rosa Lider und Ränder rot verfärbt vom Weinen. Selbst ihre Nase, normalerweise leicht bepudert, war wund von zu vielen Taschentüchern und zu vielen Tränen.    Ohne nachzudenken erwiderte er den sanften Druck ihrer Hand. „Ich bin einfach nur froh, dass Shizune da war, um dir da durch zu helfen.“   Kurenai zog das Kinn zurück. „Shizune?“, echote sie und registrierte mit einem leichten Zusammenzucken Kakashis verwirrtes Stirnrunzeln; als hätte sie ein kleines Detail in ihren Erzählungen vergessen. „Es war nicht Shizune, die mich dort hindurch gezogen hat, Kakashi. Es war Genma.“   Kakashis Augen wurden rund und Schuldgefühle rammten sich direkt nach dem Schock in ihn. Überhaupt kein kleines Detail.    Gott…also das hat er gemacht…   Und wenn er daran dachte, dass er Genma beschuldigt hatte, Kurenai nur aus reiner Rekognoszierung aufzusuchen. Ihre Wohnung auszukundschaften und das nur um herauszufinden, was sie über das mysteriöse Problem um Shikamaru wusste oder nicht wusste.    Als er sich wieder von seinem Schock erholt hatte, fand er endlich seine Stimme wieder, heiser vor Ungläubigkeit. „Genma?“   „Ja, ich weiß“, sagte Kurenai mit einigem an Ironie, auch wenn ihr Lächeln ehrlich war. „Genma, der in meiner Stunde der Not den Helden spielt? Ich war auch geschockt. Beschämt…und noch eine ganze Menge andere Dinge. Aber mehr als alles andere bin ich ihm dankbar. Wenn er mich nicht gefunden hätte, als er es getan hat.“ Sie seufzte und fuhr mit den Fingern durch Bulls kurzes Fell, was ein zufriedenes Ächzen bei dem Hund auslöste. „Ich habe den Großteil der vergangenen Woche damit verbracht, mir zu überlegen, wie ich ihm dafür danken könnte.“   „Sag es ihm einfach“, erwiderte Kakashi.   Kurenai warf ihm einen schiefen Blick zu. „Das würde er hassen.“   „Nach außen hin“, stimmte Kakashi zu und streckte eine Hand aus, um Bulls Kopf aus ihrem Schoß zu schupsen, als der Hund zu sabbern begann. „Aber ich bin mir sicher, dass es ihm mehr bedeuten würde, als du dir vorstellen kannst.“   „Wieso?“, fragte sie und fing seinen Blick auf, als er sich nach hinten lehnte. „Ist irgendwas passiert?“   Verdammt.   Da er seinen Ausrutscher bereute, wandte sich Kakashi ab und stieß einen langen Atem aus. In jedem anderen Fall hätte er sich eine Möglichkeit ausgedacht, diese Unterhaltung zu umgehen. Aber wenn er an Rins Grab saß? Er wollte nicht, dass Lügen die Luft um ihn herum verdüsterten. Er kam aus vielen Gründen hierher, aber niemals um zu lügen oder sich seinen Weg aus der Wahrheit heraus zu mogeln.    „Er hat seltsam gewirkt“, sagte Kurenai und durchbrach die Stille, als es Kakashi nicht schaffte. „Ich hatte so ein Gefühl, dass sich er und Asuma über irgendwas gestritten haben, bevor…“, sie biss ihre Worte ab, schluckte hart und zwang sich dazu, weiterzumachen, „bevor Asuma gestorben ist. Ich weiß nicht, worum es dabei ging. Er hat es mir nie gesagt. Aber ich weiß, dass es seinen Verstand betroffen hat…und sein Herz…“   Bedauernd zogen sich Kakashis Brauen zusammen. Er wusste, dass das wahr war, gemessen an dem, was er in den Kellergeschossen der Archive herausgefunden hatte; den Beweis für den wie auch immer gearteten Streit oder die Auseinandersetzung, in die Asuma und Genma geraten waren. Kakashi war nicht stolz auf die Tatsache, dass er diesen Vorfall in der Nacht, als sie sich uneingeladen in Asumas Wohnung begegnet waren, als Waffe gegen Genma eingesetzt hatte.   ‚Du standest dort…hast zugesehen, wie sie diese Blumen auf sein Grab gelegt hat. Wie erleichtert du gewesen sein musst.‘   Genma hatte kein Wort zu seiner Verteidigung gesagt, aber Kakashi wusste, dass Schweigen eine ganz eigene Rüstung mit sich brachte. Er hatte sich oft genug selbst auf diese Rüstung verlassen, fühlte, wie sie sich jetzt wie Wände um ihn herum aufrichtete.    Wände innerhalb von Wänden…Zahnräder innerhalb von Zahnrädern…   Das alte ANBU Mantra. Die alten Regeln, nach denen er gelebt hatte…aber von denen er sich geweigert hat, nach ihnen zu sterben. Eine Entscheidung, die ihn vor einer Menge Geister und einer Menge Trauer bewahrt hatte…   Aber Genma nicht…   Nein. Genma lebte noch immer mit diesen Geistern und mit dieser Trauer. Kakashi hatte gesehen, wie sie sich hinter den Augen des Shiranui bewegten, ein unergründliches Flackern in der Vergangenheit; düster wie die Nacht.    „Ich muss gehen“, sagte Kakashi leise.    Kurenai spähte zu ihm. „Asuma sagte immer ‚jetzt nicht‘.“ Sie lächelte traurig und ihre Lippen oben sich kaum merklich. „Ich schätze, dass es nie eine wirklich perfekte Zeit für irgendwas gibt, oder?“   „Nein“, stimmte Kakashi zu und hob eine Hand, um sein Hitai-ate nach unten über sein karmesinrotes Auge zu ziehen. „Ich schätze nicht.“ Er rappelte sich auf die Füße und streckte ihr eine Hand entgegen.    Kurenai warf ihm einen amüsierten Blick zu, ließ aber zu, dass er ihr aufhalf. „Danke.“   Kakashis Auge bog sich in einem Lächeln. „Das ist alles, was Genma hören muss.“   „Ich werde es ihm sagen.“ Bedächtig schob Kurenai eine dunkle Locke hinter ihr Ohr und zog die Enden ihres flatternden Schals fester um ihre Schultern. Die Brise wurde kälter.    Da seine Haut eine Gänsehaut gegen die Kühle entwickelte, rollte Kakashi seine Ärmel von den Ellbogen nach unten und schob die Hände in die Taschen. Sehr bald würde der Winter in das Land des Feuers einziehen.    Die Zeit vergeht schnell…   Zu schnell.    Lachen zog seine Aufmerksamkeit über den Friedhof und er sah ein paar Kindern zu, die fröhlich durch die grasbewachsenen Reihen hüpften und Blumen und Süßigkeiten auf die Grabsteine von Freunden und geliebten Menschen legten. Mit gleichermaßen Traurigkeit und Bewunderung beobachtete Kakashi sie. Er hatte noch nie eine solche Akzeptanz im Angesicht des Todes erlebt. Er mochte zwar Opfergaben zu seinen Teamkameraden und seinem Sensei bringen, aber mit Sicherhit hatte er niemals irgendetwas anderes als Bitterkeit auf das Grab seines Vaters gelegt.   Vielleicht ist es Zeit, ihn mal wieder zu besuchen…   Aber selbst als er daran dachte, spannte sich sein Körper in Ablehnung an. Es war schon so lange her.    Zu lange…   Er stieß einen leisen Atem aus und dachte sich, dass ‚jetzt nicht‘ für diesen Moment sehr passend war. Jetzt musste er sich mit Yamato bei Shushuya treffen.    „Kakashi.“   Blinzelnd spähte er zurück zu Kurenai. „Mmn?“   Sie sah ihn nicht an, sondern hatte ihren Blick auf die Kinder gerichtet. „Ich weiß nicht, was zwischen den beiden vorgefallen ist. Aber ich weiß, dass ich Genma mein Leben schulde.“ Ihre Arme glitten nach unten und schlangen sich um ihren Bauch. „Und so vieles mehr. Asuma hätte ihm einfach alles vergeben; wenn er wüsste, was Genma für mich getan hat. Für uns.“   Kakashi musterte sie mit einer Traurigkeit, die viel zu stark für irgendwelche Worte war.    Ein friedvolles Zwischenspiel folgte, unterbrochen nur von dem lieblichen Kinderlachen und dem munteren Trällern von Vogelgezwitscher. Es war so leicht, sich vorzustellen, dass Zeit hier die Regeln brach. Dass die vergängliche Natur von Leben und Tod vielleicht eine Art Übereinkunft traf und den Verstorbenen und den Hinterbliebenen eine Art der Regungslosigkeit gewährte, eine Art der Ewigkeit.   Aber der Wind der Vergänglichkeit weht immer…, dachte Kakashi und der Spruch spielte durch seinen Verstand und durch seine Seele, wisperte über alte Abschiede und neue. Vielleicht ist das auch gut so…   Er wurde zu der Vergänglichkeit und Wichtigkeit der Zeit zurück gebracht, als sich Bull auf die Pfoten rappelte und sich an Kurenais Seite stellte, seine hängenden Augen nach oben auf Kakashi gerichtet und auf Anweisungen wartend.    Der Kopierninja spähte zu ihm und nickte leicht. Bull nickte zurück.    Und Kurenai entging dieser Austausch nicht. Mit den Fingerspitzen kraulte sie Bulls Scheitel und ein schiefes Schmunzeln zierte ihre Lippen. „Ich brauche keinen Wachhund, Kakashi.“   Den Kopf auf eine Seite gelegt, hob Kakashi eine Schulter. „Ich glaube, Bull ist ganz angetan von dir.“   Sie kaufte ihm dieses Schauspiel nicht ab, aber Kakashi versuchte auch nicht wirklich hart, es zu verkaufen. Dass er wollte, dass einer seiner Ninken ein Auge auf sie hatte, schien nicht wirklich eine Überreaktion zu sein, wenn man bedachte, was sie gerade zu ihm gesagt hatte. Gott, nur daran zu denken, dass wenn Genma nicht gewesen wäre, es eine grausame Chance gegeben hätte, dass sie niemals hier gestanden hätte.    „Tu mir den Gefallen“, sagte er und die Ehrlichkeit war heiser in seiner Kehle.    Kurenai fügte sich und ihr Lächeln wich etwas Weicherem. „Ich weiß deine Sorge zu schätzen, Kakashi.“   „Und ich weiß die Blumen zu schätzen. Wir beide.“   Mit tiefer Zuneigung sah Kurenai auf Rins Grabstein, wollte daran vorbei schreiten, nur um an der Schulter davon innezuhalten. Ihr Blick driftete über den Friedhof und als sie sprach, war ihre Stimme schwer von Tränen. „Sag mir, dass es leichter wird, Kakashi…“   Tief Luft holend blickte Kakshi auf sie hinab, nahm den verletzlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht in sich auf und brachte es einfach nicht übers Herz, es ihr zu verweigern. „Es wird leichter“, murmelte er und glaubte fest daran, dass Rin ihm eine Lüge gewähren würde – oder vielleicht einen Wunsch.   Kurenai berührte seinen Arm, wie jemand vielleicht die Statue eines Heiligen berührte; ein gewährtes Gebet, ein gegebener Trost. Ein flüchtiges Drücken ihrer Finger und sie schluckte einen Atem, hob das Kinn zusammen mit dem Mut, den sie brauchte, um sich dem Tag stellen zu können – einen Tag nach dem anderen. „Danke, Kakashi.“   Kakashi sah ihr nach, wie sie schön wie eine Erscheinung verschwand, ebenso leiderfüllt und verloren wie die Geister, die diese Grabsteine heimsuchten. Und dann war da Bull, der am wenigsten anmutige von Kakashis Ninken, und zerstörte den Augenblick, indem er laut schnaufte, die Zunge heraushängen ließ und seinen schwarzen Körper von Seite zu Seite schwanken ließ, wobei er gelegentlich gegen Kurenai stieß und sich dabei ein leises, kehliges Lachen einbrachte – die Art, die Asuma immer als Rauch und Satin beschrieben hatte.    Ich hoffe, du kannst sie hören, Asuma…   Unter seiner Maske zuckten Kakashis Lippen mit den Anfängen eines Lächelns.   Sie wird wieder lachen…   Vielleicht sogar wieder lieben.   Als er sich auf dem Absatz umwandte, spähte Kakashi über die Gräber, sah Grabsteine gekrönt von Gänseblümchenketten und Kinder, die im Gebet davor knieten.    „Es wird leichter“, hauchte er. „Oder nicht, Rin?“   Ein Zittern von Bewegung zog sein Auge zu ihrem Grab…wo die Calla Lilien unter der Sonne schimmerten und sachte in die Brise nickten.        __________________ Heyho meine Lieben :)  Ein ruhigeres Kapitel mit viel Denkstoff was Moral und Ethik angeht. Genauso was Akzeptanz von und Umgang mit Depression angeht. Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch allen gefallen hat! Über ein paar Gedanken würde ich mich wie immer sehr freuen! :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 25: Welcome...to hell ----------------------------- Innerhalb der Barriere wehte nicht die geringste Brise, es herrschte nur eine unheimliche Stille. Neji spürte sie wie eine Statik, die sich gegen seine Haut drückte. Schon vor mehreren Metern waren die Pferde scheu geworden, was die Teams dazu gezwungen hatte, die Wagen zu verlassen und die letzte viertel Meile zu Fuß zu gehen.    „Fühlt sich an, als würde man über Wolken laufen“, sagte Naruto, setzte seine Füße auf den schwammigen Boden und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ist wie ein Trampolin oder sowas.“   „Du hast gerade ein perfektes Gleichnis ruiniert“, sagte Shino und spreizte die Füße für Balance. „Warum? Weil du Metaphern vermischst. Genauso wie du es schon früher in der Akademie gemacht hast.“   Vermischte Metaphern oder nicht, Naruto hatte nicht unrecht. Neji hatte nie von sich behauptet, er hätte einen federnden Schritt, aber es war geradezu unmöglich, hier nicht ein wenig mit zu hüpfen. Die Spezies des Mooses, das den Pfad bedeckte, war flauschig wie Baumwolle und federnd wie ein Gummiband.   „Ist richtig verlockend, Hüpfburg zu spielen“, kicherte Tenten und stieß ihn leicht an. „Na komm schon.“   Neji presste die Lippen aufeinander, die Augen auf Shikamaru gerichtet, als der Schattenninja voraus sprang; leichtfüßig wie ein Hirsch und seine Aufmerksamkeit auf die Blaupausen in seinen Händen gerichtet. „Wir sind auf einer Mission, Tenten.“   „Kannst du dir Lee oder Gai-sensei hier vorstellen?“   Gott…   Beinahe schmunzelte Neji. „Mir schaudert bei dem Gedanken.“   Sie lachte, was ihr einen strengen Blick von Katsu und den anderen drei Nagu einbrachte. Schweigen legte sich, abgesehen von dem gelegentlichen Glucksen und Giggeln, als sie weiter hüpften, bis sie letztendlich einen Rhythmus fanden, indem sie sich mit Sprüngen oder hohen Schritten ihren Weg über moosigen Boden bahnten. Hier begann der Pfad abzufallen und der Dschungel ragte wild und grün zu beiden Seiten auf, lebendig mit dem Zirpen und Zwitschern der Vögel und Insekten, während sich der stechende Geruch von blühenden Blumen und verrottenden Pflanzen schwer in der unbewegten Luft hielt. Stagnierend. Feucht.   Kiba nieste explosiv und vergrub seine Nase in der Armbeuge. „Ugh. Gottverdammt.“   Chōji warf ihm einen mitfühlenden Blick zu. „Versuch, durch den Mund zu atmen.“   „Das mach ich doch.“   „Versuch, die Luft anzuhalten“, flötete Ino und fing sich dadurch ein dolchbewährtes Funkeln ein.   „Ruhe“, sagte Neji; seine Stimme ein strenges Knurren in jedermanns Ohr. „Wir sind nah.“ Sehr nah. So nah, dass Neji innerhalb ein paar kurzer Meter vor ihrem Ziel zu einem abrupten Halt kam. Seine Byakugan Augen weiteten sich angesichts der Szenerie. „Kami.“   Die Forschungsstation von Kusagakure schien einen verlorenen Kampf gegen den Dschungel zu führen. Eingerahmt von dicken, schimmernden Ranken und eingebettet in die verdrehten Arme gigantischer, sonnengebleichter Luftwurzeln. Die Außenwände wurden langsam, aber unaufhaltsam von der Natur zurückerobert; Stein für Stein, ein Stockwerk nach dem anderen, als Lianen und Würgfeigen um den Besitzanspruch über Wände und Fenster rangen.    „Wow“, hauchte Tenten und legte den Kopf in den Nacken. „Schaut euch mal die Größe von diesen Bäumen an.“   „Tetrameles Nudiflora“, sagte Ino, als sie neben einer der Luftwurzeln in die Hocke ging. Das Ding war doppelt so groß wie sie und vermutlich viermal so schwer. „Obwohl diese Spezies definitiv irgendeine Art der Mutation durchlaufen hat.“ Sie neigte den Kopf nach hinten und folgte dem Netzwerk aus Wurzeln und Ranken. „Würde mich nicht überraschen, wenn sie von dem Chakra angezogen werden, das die Einrichtung umgibt. Vielleicht ernähren sie sich sogar davon.“   „Sehr gut beobachtet“, erwiderte Katsu, während er mit einer Handfläche über eine flaumig aussehende Wurzel strich, die dazu entschlossen schien, sich ihren Weg die Steintreppe hinauf zum Eingang zu kriechen. „Die Pflanzen wurden zu diesem Zweck dort angebracht. Sie saugen alle Chakra-Lecks auf und verhindern somit Verschmutzung und Kontamination. Der Nachteil ist nur“, er machte eine Pause und brach eine Babywurzel ab, die so dick war wie sein Arm, „dass sie schwer zu beschneiden sind. Es braucht eine Windtechnik, um das Gröbste davon zu stutzen.“   „Klingt nervig“, murmelte Shikamaru, sein Blick wanderte höher und höher, verharrte auf dem Blätterdach, das sich in einem sattgrünen Schirm über die Einrichtung spannte und nur dünne Strahlen aus Sonnenlicht durch das unbewegte Laub ließ. „Neji, siehst du irgendwas?“   „Ich schau gerade“, antwortete Neji und blickte an der mit Pflanzen überwucherten Fassade vorbei, um den Grundriss des Gebäudes zu scannen und ihn gleichzeitig mit den Schemata zu vergleichen, die die Nagu ihnen gegeben hatten. Was auch immer es für ein Barrieresiegel war, das sich um die Einrichtung hielt, es machte es schwierig – wenn nicht sogar unmöglich – Details voneinander zu unterscheiden, aber er konnte zumindest einen Hauch von Abgrenzung zwischen den separaten Stockwerken und Abteilungen erkennen.    Sechs Bereiche abzudecken…   Neji teilte sie sauber in der Mitte und drehte sich, um die beiden Teams anzusprechen. „Team B, kümmert euch um die unteren drei Ebenen, Keller und weitere Untergeschosse gehören euch. Team A wird die obere Etage und die überirdischen Abteilungen übernehmen. Wenn eines der Teams oder beide niemanden finden, dann treffen wir uns bei den Chimärengehegen. Meldet euch mit regelmäßigen Statusberichten und lasst einander wissen, falls Verstärkung benötigt wird. Irgendwelche Fragen?“   Naruto hob den Blick von den Baumwurzeln, die Ino studierte. „Jo.“ Er tippte sich auf die blauen Siegel auf seinen Handrücken. „Wie lange dauert es, bis sich diese Siegel auflösen?“   Katsus gelbgrünes Auge zuckte zu Naruto. „Wir haben fünf Stunden, bevor das Siegel für die Laboratorien deaktiviert wird. Jeder, der bis dahin noch innerhalb der Einrichtung ist, wird darin gefangen sein, bis wir das Barrierejutsu aufheben; was wir nicht vorhaben, bis jeder Aikokusha Verräter tot oder in unseren Kerkern ist.“   Stirnrunzelnd musterte Shikamaru die Siegel. „Sagen wir, jemand steck dadrin fest, kann dann nicht einfach jemand von außen durch die Barriere gehen und das Siegel nochmal auf der betreffenden Person anbringen?“   Katsu schüttelte den Kopf. „Negativ. Die Siegel müssen angebracht werden, bevor man die Schwelle übertritt. Sobald man innerhalb der Barriere ist, funktioniert das nicht mehr.“   „Hn. Schätze, es gibt immer einen Haken“, murrte Shikamaru.    Mit einem Achselzucken ließ Naruto die Hände fallen. „Also in anderen Worten ‚Seht zu, dass ihr rechtzeitig wieder rauskommt‘, richtig?“   Katsu nickte und wandte sich der Nagu an seiner Seite zu. „Sui, Wir holen uns Ujihara lebend. Was den Rest angeht; Gefangene sind Leichen vorzuziehen.“   Die Frau mit den Katzenaugen, Sui, nickte. „Verstanden.“   Katsu sah zu den anderen beiden Nagu bei Team B. „Yako, Yuki.“   Sie nickten in übereinstimmendem Verständnis. Nogusa wollte so viele Aikoku wie möglich lebendig. Und auch wenn Neji diesen Befehl respektierte, brachte es sie in einen ernsten Nachteil, soweit es den Kampf betraf; denn die Aikoku würden diesen Gefallen sicher nicht erwidern.    „Gibt es irgendwelche Ausnahmen?“, fragte Neji.    Nachdenklich schürzte Katsu die Lippen. „Fußsoldaten und Wachen sind entbehrlich. Genauso wie irgendwelches feindlich gesinntes Personal. Allerdings dürfen die Wissenschaftler nicht verletzt werden. Und Ujihara ist nicht verhandelbar. Er muss lebendig gefasst werden, sodass er für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden kann.“   „Und was ist mit den Chimären?“, fragte Shikamaru, als sich seine Augen scharf von den Schemata in seinen Händen hoben. „Irgendwelche Voraussetzungen, die wir berücksichtigen müssen?“   Ein gelbgrünes Feuer erwachte hinter Katsus Reptilienauge zum Leben. „Nur eine“, sagte er, als er sich Shikamaru zuwandte, sein vernarbter Mund hob sich in der grausamen Imitation eines Lächelns. „Vernichtet sie alle.“   ~❃~   Im Schutz einer Menschenmenge schlüpfte Kakashi in das Shushuya und verlor sich in einer Gruppe Jōnin, die von einer Mission zurückgekehrt waren und so aussahen, als wollten sie die angestaute Zeche einer ganzen Woche in einen einzigen Tag aus gutem Sake und gegrilltem Hühnchen stopfen.    Ein guter Tag fürs Geschäft.    Alle Arten von Geschäften.    Kakashi duckte sich unter den Armen zweier sich zuprostender Kameraden hindurch, passierte die Bar und schritt schnurstracks ans andere Ende des Restaurants, wo das gedimmte, kunstvolle Licht tiefe, samtige Schatten zwischen die Gänge der hohen hölzernen Sitznischen warf. Hier war das Geplapper gedämpft. Es gab mehr Privatsphäre.    Er fand Yamato in der hintersten Sitzecke, als er gerade etwas heißen Sake hinunterstürzte. „Du bist spät.“   „Mir ist eine schwarze Katze über den Weg gelaufen“, erwiderte Kakashi und schob sich auf die gegenüberliegende Bank, während er Yamatos Gesicht nach Blut oder Hämatomen absuchte. Er fand keins von beidem, fragte aber trotzdem: „Bist du okay?“   Grunzend schenkte Yamato dem Kopierninja einen Drink aus der dampfenden Falsche ein und schubste den kleinen Becher über den Tisch, bevor er seinen eigenen zwischen Daumen und Zeigefinger aufnahm. „Kanpai“, raunte er ironisch, kippte den Alkohol den Rachen hinab und klatschte die Lippen aufeinander. „Was? Willst du mir nicht für einen Job zuprosten, den ich gut gemacht habe?“   Kakashi musterte die finsteren Linien, die sich in Yamatos Stirn gruben und nahm langsam seinen Becher auf. Lange Finger hingen in einem lockeren Griff um den Rand. Aufmerksam beobachtete er den anderen Ninja, sein graues Auge auf Halbmast. „Ich weiß, wie schwer es für dich ist, an diesen Ort zurückzukehren.“   Yamato stierte auf seinen leeren Becher und drehte ihn in seiner Hand hin und her. „Ist schon okay.“   „Nein, ist es nicht. Was hat der Spaß gekostet?“   „Nichts“, wies Yamato ab und schlüpfte sofort zurück in die Codesprache. „Ich habe bestellt, was du wolltest.“   „Tenzō…“   Yamatos dunkle Diamantaugen blitzten auf und seine Lippen wurden schmal. „Bitte treib es nicht zu weit, Senpai.“   Rasch leerte Kakashi seinen Drink und eine silberne Braue hob sich angesichts des scharfen Klangs einer Drohung, die in diesen Worten mitschwang. Ein angespanntes Schweigen erstreckte sich straff wie eine Klaviersaite  schrill und unangenehm zwischen ihnen.    Naja, ist nicht so, als hätte ich nicht damit rechnen müssen…   Nein. Aber er hatte – vermutlich törichterweise – gehofft, dass Abstand und Zeit für Yamato getan hatten, was sie für ihn selbst nicht getan hatten. Doch offensichtlich verblieben manche Wunden unverheilt, völlig ungeachtet der Jahre, die mit dem Versuch verbracht wurden, sich davon zu erholen; mit dem Versuch, wieder für sich zu beanspruchen, was KERN Yamato genommen hatte.    Was nichts weniger als einfach alles ist…   Doch obwohl er das wusste, hielt Kakashi dem Blick des jüngeren Mannes unerschrocken stand. „Ich weiß, was es kostet“, sagte er letztendlich und seine Stimme senkte sich zu einem Murmeln, das dumpfe, leise Timbre erreichte einen Teil von Yamato, der tief unter den Decknamen und dem Narbengewebe begraben war. „Du weißt, dass ich das tue.“   Ein zerfetzter Atemzug und Yamatos Augen schienen klarer zu werden und die Luft verließ ihn in einem reinigenden Rauschen. Mit einer Hand rieb er sich über das Gesicht und durch sein Haar, während er den Kopf schüttelte. „Es sollte mich nicht so mitnehmen, ich weiß.“   „Niemand kann sagen, wie du dich fühlen, oder nicht fühlen solltest“, erwiderte Kakashi, setzte seinen Becher beiseite und machte sich daran, Yamatos nachzufüllen. „Es ist, was es it. Du bist nicht länger verpflichtet, nichts zu fühlen. Dadurch weißt du, dass du nicht länger im KERN bist.“   „Und ANBU?“, fragte Yamato, als er den Dampf beobachtete, der von seinem Becher aufstieg. „Weißt du, manchmal schaue ich Sai an und denke mir, Shit, dieser Junge hat es so leicht. Und dann erinnere ich mich…“ Kopfschüttelnd hob er den Alkohol an seine Lippen und glasige Augen stierten über Kakashis Schulter, sahen etwas aus einer anderen Zeit, einem anderen Leben. „Und dann erinnere ich mich.“   Kakashi summte einen ernsten Ton und wartete darauf, dass Yamato seinen Dämonen zuprostete. Wenn schon sonst nichts, dann dienten sie zumindest als Mahnung. Nicht wirklich der Teufel auf der Schulter und ganz sicher auch kein leitender Engel…und dennoch…   Manchmal hilft es, sich daran zu erinnern, wo wir angefangen haben…   Und wenn nur, um anzuerkennen, wie weit sie beide gekommen waren…und wie kurz davor sie manchmal waren, wieder zurück zu fallen, einen unbedachten Schritt nach dem anderen. Das war in ihrem Arbeitsbereich leicht genug zu bewerkstelligen…wo die Linien der Pflicht ebenso undeutlich und fragil waren wie die Moral, die sie definierte.    So ist das Leben eines Shinobi…   Er hatte es Asuma einmal als gleichbedeutend mit den Mondphasen erklärt…erinnerte sich jetzt ebenso deutlich daran, wie es damals in diesem Moment für ihn gewesen war…Asuma ihm gegenüber…sein eigener Mund in Bewegung, um Worte zu formen, an die sich sein Gedächtnis entsann…   ‚Ein Vollmond ist das, was die Besten von uns anstreben. Als Shinobi verharren wir als Halbmonde und schwanken zwischen den Definitionen von richtig und falsch. Und manche von uns existieren innerhalb einer totalen Mondfinsternis des Gewissen und kümmern sich um keins von beidem.‘   ‚Du hast diesen Scheiß gerade aus deinem Arsch gezogen, oder?‘   Kakashi stieß ein amüsiertes Schnauben aus und sein graues Auge bog sich warm bei dieser Erinnerung. Nach einem Herzschlag hob er den Blick und musste feststellen, dass Yamato ihn seltsam ansah. Rasch schüttelte Kakashi den Kopf, um die Frage abzuwehren, die er nicht beantwortet hätte und griff stattdessen nach dem Sake. Er ließ den Dampf das Frösteln aus seinen Fingern lösen, als die Wärme der Erinnerung kalt wurde.    Bring das hinter dich.   Während er mit dem Daumen über die warme Keramik strich, tat Kakashi so, als würde er seinen Drink mustern und glitt nahtlos in die Codesprache. „Du hast gesagt, du hättest bestellt, was ich wollte.“ Du hast gefunden, wonach ich gesucht habe.   Yamato griff in seine Flakjacke und zog einen Streifen rosafarbenes Durchschlagspapier heraus. Er faltete es in die Rechnung und schob beides über den Tisch. „Sieh selbst nach. Teures Zeug. Stand schon eine ganze Weile auf dem Regal. Definitiv nicht mehr zu kriegen.“ War sehr schwierig, es zu finden. Tief begraben, wahrscheinlich für Jahre. Keine Kopien außer diese eine.   Als er so tat, als würde er nach der Sakekarte greifen, bewegte sich Kakashi mit der Geschicklichkeit eines Magiers, um die Papiere aufzunehmen, als wären sie nie da gewesen. „Nicht schlecht für’s Geschäft, hmn?“ Wie sieht es mit Auswirkungen aus?   Yamato nippte an seinem Getränk, gurgelte den Alkohol in seinem Mund und schluckte. „Der Eigentümer wird nicht begeistert sein, dass wir es bestellt haben. Vorausgesetzt er bemerkt, dass es weg ist.“ Wenn es Danzō rausfindet, dann wird er alles andere als glücklich sein.   Kakashi zuckte nur mit den Achseln, während sein graues Auge mit Desinteresse zum Ausgang wanderte. Das würde ihm bestimmt nicht den Schlaf rauben. Er klappte die Karte zu. „Ich weiß den Ärger zu schätzen, den du auf dich genommen hast.“   Yamato winkte ab. „Ich schulde dir immer noch was.“    „Und ich bin mir sicher, dass das hier alle entstandenen Schulden begleicht.“    „Vielleicht.“ Yamato hob seinen Becher und seine Brauen zuckten in freundschaftlicher Erwartung. „Kanpai“, sagte er nochmal und diesmal irgendeinen Spott. „Auf abgeschlossene Missionen.“   Für die Geste hielt auch Kakashi seinen Becher nach oben. Darauf konnte er anstoßen. „Kanpai“, erwiderte er und neigte leicht den Kopf, als er hinzufügte: „Auf alte Freunde und alte Zeiten.“   Yamato setzte ein flüchtiges, schüchternes Lächeln auf und wandte rasch den Blick ab, was Kakashi an den jungen, zurückhaltenden Jungen erinnerte, der er einst gewesen war – vielleicht aber auch niemals gewesen war, dank KERN. Damals war es keine Schüchternheit gewesen. Genau wie bei Sai hatte es weniger mit Zurückhaltung zu tun und viel mehr mit dem Scheitern darin, Gefühle erkennen zu können.    Aber Yamato erkannte sie inzwischen. Er stieß ihre Becher in einer Geste der Anerkennung aneinander, musste seine Worte nicht wiederholen. Stattdessen trank er auf sie und kippte den Sake hinunter. „Ich überlasse dich jetzt deinen eigenen Libationen, Kakashi“, sagte er, als er sich aus der Nische schob. „Bleib aber nüchtern.“ Pass auf dich auf.   Kakashi blinzelte langsam, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte. „Immer.“   Ein rasches Mustern der leeren Sitzecken und Kakashi wartete, bis Yamato jenseits der Bar und aus der Tür verschwunden war, bevor er eine Hand hob, um seine Maske nach unten zu ziehen. Der erste Schluck rutschte reibungslos und trocken nach unten, breitete in einem angenehmen Kribbeln Wärme in seinem Bauch aus.   Er genoss es.    Und dann griff er in seinen Ärmel, zog das dünne rosa Papier heraus, las den verblassten Namen…und fühlte, wie das Brennen in seinem Bauch kalt und taub wurde.    Yamanaka Naoki.   ~❃~   Die Laboreinrichtung von Kusagakure stank nach Tod.    Blut tünchte die blassen, blaugrauen Wände und besprenkelte den minderwertigen Bodenbelag, dunkle Klumpen vermischten sich mit einem feinen, rosanen Nebel und langen, rotschwarzen Strängen aus Knorpel und Eingeweiden. Ein düsteres, hässliches Bild, illuminiert von Stakkatoblitzen aus Neon, weil die Deckenbeleuchtung an und wieder aus flackerte wie das unregelmäßige Blitzlicht einer Kamera.    Und sie standen gerademal im Empfangsbereich.   „Oh mein Gott…“, wisperte Sakura, ihre Stimme ein schwaches Knacken in Shikamarus Ohr.    Die Nase gegen den Gestank gerümpft, wanderten die Augen des Schattenninjas von der ausgeweideten Wache auf dem Boden zu der blutigen Leiche, die ausgestreckt auf dem großen, U-förmigen Rezeptionstisch lag. Fliegen sirrten in und aus dem offenen Mund der Frau und krabbelten über ihre schwarze, geschwollene Zunge, ihr habgieriges Dröhnen passend zu dem ionisierten Summen der sich abmühenden Lichter.    Shit. Was für ein Durcheinander.   „Das darf nicht wahr sein…“ Naruto schluckte hörbar und presste sich eine Hand gegen den Bauch, krümmte sich leicht nach vorn, als wäre ihm übel und seine Augen tränten von dem bestialischen Gestank. „Was zur Hölle ist hier passiert?“   Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken oder in Schweiß auszubrechen, blätterte Sai durch ein schmales Notizbuch. Aus dem Augenwinkel spähte Shikamaru zu ihm, sah, wie der Künstler eine rasche Skizze der Szenerie machte, sich die Platzierungen der Leichen, der Möbel, der Blutspritzer und allem anderen notierte, was er für wichtig hielt.    Naruto warf seinem Teamkameraden einen angewiderten Blick zu. „Ernsthaft!?“, würgte er hervor und seine Stimme prallte in einem akustischen Zersplittern von den Wänden ab. „Wirst du hiervon etwa künstlerisch inspiriert oder sowas?“   „Sei still“, zischte Neji einen Herzschlag, bevor Katsu die Luft mit den Handflächen tätschelte. Ein nonverbales Signal, in Deckung zu gehen. Sofort ließ sich jeder in eine Hocke fallen.    Keiner bewegte sich.    Niemand atmete.    Irgendwo tief in den Eingeweiden des Gebäudes ertönte ein langgezogenes Ächzen, als würde eine rostige Tür in ihren Angeln zu schwingen. Stille senkte sich erneut herab, unterbrochen nur von dem zusammenhanglosen Summen der Lichter und dem ekelerregenden Dröhnen der Fliegen.    Haus des verfickten Schreckens, was?   Shikamaru stieß einen Atem aus, drehte sich langsam und erstarrte, als er sich auf Augenhöhe mit dem Arm der toten Frau wiederfand, der über den Tisch baumelte, die Finger steif verkrümmt. Er stierte auf das Blut, das sich in den Extremitäten ihrer fleckigen Haut sammelte und blinzelte hart, während er den Blick abwandte.    Er fing Sakuras Blick auf und wisperte: „Wie lange tot?“   Tief am Boden bleibend kroch Sakura zu ihm hinüber. Sie drückte die violett verfärbten Finger der toten Frau, überprüfte sie auf Starre und Leichenblässe, sah zu, wie die Haut leicht bleich wurde. „Das Blut ist noch nicht geronnen. Anhand der Leichenstarre würde ich auf drei oder vier Stunden tippen.“   In etwa die Zeit, als sich Ashihara in Katsus Klinge geworfen hatte. War das hier auch Teil seines Plans? Shikamaru blinzelte in die ständig wechselnde Dunkelheit, stemmte seine Schulter gegen den Schreibtisch und berührte das Mikrofon an seinem Hals. „Shino. Wie sieht dein Lagebericht aus?“   Ein statisches Knacken und Shinos Stimme erklang durch die Leitung. „Bereiten uns gerade darauf vor, den Keller über die Luftschächte zu betreten. Wir müssen durch das Gewächshaus und die Tropengärtnerei. Die Personalunterkünfte und die Kantine sind wir umgangen, aber Kiba und Akamaru sind sich sicher, dass sie Blutgeruch aufgefangen haben.“   „Sehr viel Blut“, krächzte Kiba und klang erschüttert. „Scheiße und Pisse auch. Als hätte eine ganze Menge Leute ihre Eingeweide zur selben Zeit verloren. Mann, ich muss kotzen.“   „Kein Zeichen von irgendwelchen Feinden?“, fragte Shikamaru.    „Nein“, antwortete Shino. „Ich melde mich wieder, sobald wir den Keller erreicht haben.“   Shikamaru ließ seine Hand von dem Mikrofon sinken und rutschte mit dem Körper tief am Boden zur Seite. Neben dem Kadaver der Wache ging er in die Hocke und studierte die Verletzungen. Der Mann war aufgerissen, zerfleischt und auseinander genommen worden.    „Chimären.“ Katsu fauchte das Wort und setzte sich in Bewegung, um sich an die andere Seite des Körpers zu kauern. Mit einer Hand rieb er sich über die leichten Stoppeln, die seinen Kiefer beschatteten, sein gelbgrünes Auge zog sich zusammen. „Was für eine Abscheulichkeit“, wisperte er, aber mit solch starken Emotionen, dass es den Schattenninja vollkommen überraschte.    Shikamaru hob den Blick, sah, wie die Nagu Frau, Sui, hinter Katsu trat und ihre langen dunklen Zöpfe fielen nach vorn, um ihr Gesicht abzuschirmen, als sie sich nach vorn beugte, seine Schulter berührte und hart zudrückte. Shikamaru konnte ihre Miene nicht lesen, aber der Griff, den sie an ihm hatte, ließ auf einen geteilten Schmerz schließen; auf eine erinnerte Vergangenheit.    „Shino“, sagte Neji plötzlich und fasste sich an sein Mikrofon. „Seid vorsichtig. Möglicherweise bewegen sich Chimären frei auf allen Ebenen der Einrichtung.“   „Verstanden.“   Stirnrunzelnd versuchte Shikamaru, seine Gedanken zu ordnen. Waren die Chimären absichtlich losgelassen worden? Oder hatte irgendetwas einen Kurzschluss im Sicherheitssystem verursacht? Auf den Schemata hatte es elektrische Zäune gegeben, die darauf hindeutete, dass die Bestien durch extreme Schocktherapie in Schach gehalten wurden.    Ja, bis etwas, oder jemand, die Energiezufuhr abgeschnitten hat…   Beinahe hätte er einen Satz aus seiner kribbelnden Haut gemacht, als Neji mit raubtierhafter Anmut an ihm vorbei schlich. Er bewegte sich auf den Fußballen und seine Byakugan Augen scannten in alle Richtungen. Die Flure waren still, abgesehen von dem Stottern und Zwischen durchgebrannter Leitungen. Funken regneten in einem feinen, glitzernden Regen in einem der abzweigenden Korridore herab, der Gang gerade so sichtbar durch ein Paar Schwungtüren, die von etwas aufgekeilt waren, das wie ein halb aufgefressener Torso aussah.   Ohne irgendeine Miene stierte Shikamaru dorthin, vollkommen taub und seltsam ruhig. „Ich denke, wir müssen uns aufteilen.“   Narutos Augen quollen aus seinem Schädel. „Was?“, zischte er und hockte sich neben den Schattenninja, während kalter Schweiß auf seiner Stirn ausbrach. „Was ist mit der ganzen Sache ‚vereint stehen wir und getrennt sterben wir‘? Außerdem, da dein Chakra komplett auß-“   „Es gibt keinen anderen Weg, Naruto“, sagte Neji und kauerte sich ein paar Schritte entfernt auf den Boden, seine Gesichtszüge ernst und fokussiert. „So werden wir mehr Boden abdecken können.“ Er tippte sich auf die Handrücken, wo das Siegel zum Passieren der Barriere deutlich wie ein Tattoo hervor stach. „Wenn uns weniger Stunden als fünf Stunden bleiben, dann zählt jede Sekunde. Wir können es uns also nicht leisten, als Einheit vorzurücken. Gruppen von zwei, maximal drei Personen.“   Shikamaru nickte, seine Augen zuckten zu Katsu und Sui. „Stimmt ihr uns da zu?“   Katsu spähte zu Sui und sein bewölktes Auge stierte blind vor sich hin, während die gelbgrüne Iris ihr Gesicht nach irgendeinem Zweifel oder Zögern absuchte. Doch sie zeigte nichts davon. Er nickte. „Ja.“   „Na schön“, begann Shikamaru. „Das würde ich vorschlagen: Wir haben drei Hauptabteilungen abzudecken. Naruto und Sakura, ihr übernehmt die Personalunterkünfte, die Büros und die Kantine. Wie Katsu vorhin gesagt hat, dürfen Wissenschaftler nicht verletzt werden.“   „Vorausgesetzt, dass noch welche am Leben sind“, warf Sai ein.   Schonungslos, aber wahr.   „Das vorausgesetzt“, stimmte Shikamaru zu und hoffte inständig, dass die brillanten Köpfe, die diese Monster erschaffen hatten, sich auch einen verdammt guten Notfallplan für einen Ernstfall ausgedacht hatten. Der tote Wachmann und die tote Sekretärin lösten nicht gerade Zuversicht aus, aber das bedeutete ja nicht, dass das restliche Personal genauso wenig Glück gehabt hatte. Vielleicht hatten sie sich an einem sicheren Ort versteckt.    Oder vielleicht laufen wir gerade auch einfach nur in ein abartiges Schlachthaus…   Kopf und Kragen riskierend. Yep, das klang ziemlich zutreffend.    Während er Luft holte, rollte er den Grundriss der Einrichtung in seinem Verstand aus. „Sai, du und Sui übernehmt den rechten Flügel der Laboratorien. Neji und ich kümmern uns um den linken Flügel. Katsu, denkst du, du kannst den Kontrollraum erreichen und versuchen, die Energiezufuhr wieder zum Laufen zu bringen?“   Katsu legte den Kopf schief und dachte darüber nach, während er sich mit einer Hand durch sein dunkles, kurz geschnittenes Haar fuhr und dann mit der Handfläche über den kurzen Kamm eines Irokesen strich. „Hmn. Die Notstromaggregate hätten anspringen müssen. Ich kann auf jeden Fall versuchen, das System neu zu starten.“   „Aber hat das denn irgendeinen Sinn?“, fragte Sakura und gestikulierte zu den Leichen. „Ganz offensichtlich sind die Chimären schon los. Jetzt die Gehege zu elektrifizieren wird keinen Unterschied machen.“   „Wird es schon; für die Chimären, die immer noch in ihren Pferchen sind“, erwiderte Shikamaru und reflektierte seine Erfahrung mit Chōji und seine Zeit, die er damit verbracht hatte, diese Monster aus nächster Nähe zu studieren. „Viele von ihnen sind an ihre Gehege gewöhnt. Nicht alle von ihnen testen die Zäune auf Schwachstellen…obwohl…“ Er spähte hinunter auf die zerfetzten Überreste des Wachmanns. „Ich würde alles Geld darauf wetten, dass diese Dinovögel clever genug sind, einen Weg zu finden, sich zu befreien.“   „Die Speier auch“, sagte Neji.    „Und die Stachelkatzen“, fügte Naruto hinzu. „Diese Dinger jagen und denken im Rudel.“   Katsu und Sui tauschten blanke Blicke angesichts der Kosenamen für die Chimären aus.    „Shikamarus Lippen zuckten grimmig. „Ihr werdet es kapieren, wenn ihr sie seht. Aber hoffentlich werdet ihr das nicht. Zumindest nicht aus der Nähe.“ Er legte die Finger aneinander, als sich der Plan zusammensetzte, seine Daumen nestelten schnell. „Okay. Sobald ihr eure Bereiche gesäubert habt, begebt euch zu den Gehegen, so wie vorhin ausgemacht. Versucht, irgendwie erhöht vorzurücken, wenn es das Gebäude zulässt. Bewegt euch auf die Wachtürme rund um die Umzäunung zu und stellt sicher, dass ihr mit Tentens Artillerie-Schriftrollen bewaffnet seid; und mit Ninjutsu. Diese Dinger sind definitiv von der Leine und sollten lieber aus der Ferne erledigt werden.“   Die Teams teilten sich in die zugewiesenen Paare und folgten ihren entsprechenden Korridoren.    Während er sich in einer Hocke neben Neji bewegte, wanderten Shikamarus Augen zum linken Flur und den Doppeltüren am entfernten Ende. „Und was ist hinter Tür Nummer Drei?“, murmelte er leise und sah zu, wie Neji mit beneidenswerter, katzengleicher Leichtigkeit voran schlich. Der Schattenninja hielt Schritt, den Körper tief gesenkt und die Fingerspitzen über die Seiten des Korridors streichend, als sie sich ihren Weg um den Hindernisparcours aus umgestürzten Laborwagen, Aktenschränken, Klemmbrettern, Fläschchen und blutigen Laborkitteln bahnten. „Laufen wir jetzt den ganzen Weg so? Dann bekomme ich bald `nen Krampf.“   Neji spähte über die Schulter. „Noch mehr nervöser Humor, Nara?“   Shikamaru stierte auf einen Fleischklumpen, der in einer Pfütze schaumigen Blutes schwamm und löste seine Hände von der Wand, um seine Schenkel zu umklammern, während er auf den Fußballen federte, als wollte er Reißaus nehmen und sich Adrenalin immer weiter aufbaute. „Wir sind gerade mal an der Türschwelle dieser massiven Todesfalle, Hyūga. Sag mir, dass du diesen herzlichen Empfang erwartet hast und ich halt die Klappe.“   „Seit Ashiharas Tod erwarte ich das Unerwartete“, sagte Neji und senkte seine Stimme zu einem Wispern, als sie sich der Tür näherten, sich dicht an den Wänden entlang schoben und die Köpfe gesenkt hielten. „Das Einzige, wovon wir ausgehen können, dass es sich innerhalb dieser Einrichtung nicht verändert oder bewegt hat, sind diese Hybridenpflanzen.“   „Ich wette, dass es dich nach Vergeltung juckt, huh?“ Shikamaru schmunzelte und vertiefte seine Stimme zu einer spielerisch spöttischen Imitation von Nejis empörtestem Tonfall. „Diese Pflanze.“   Neji schnaubte, doch sein Mund presste sich gegen ein Lächeln zusammen. „Es freut mich, dass dich das immer noch amüsiert.“   „Jedes verdammte Mal“, gab Shikamaru zu und hob seine Hände gegen Nejis halbherzig finsteren Blick. „Hey, lauf einfach nicht unter irgendwelchen Regenbogenschoten durch.“   „Das sollte deine letzte Sorge sein. Ohne deine Schatten riskieren wir ein dreibeiniges Rennen in dem Versuch deiner üblichen Angewohnheit, das Weite zu suchen.“   Shikamaru bedachte ihn mit einer flachen Miene. „Optimismus Hurra“, sagte er trocken. „Erinner mich nochmal daran, warum genau ich mein Leben in deine Hände gelegt habe.“   Ein seltsames Glühen in diesen Mondaugen; vielleicht Belustigung oder möglicherweise Verdruss…oder vielleicht auch einfach nicht mehr als das blitzartige Flackern der sich abmühenden Lampen. „Weil du mir vertraust“, sagte Neji.    Völlig überrumpelt kaschierte Shikamaru seine Überraschung mit einem schiefen Lächeln. „Ist das eine Frage, Hyūga?“   Für eine lange Sekunde hielt Neji seinen Blick, bevor er mit dem Kinn in Richtung der Doppeltüren ruckte. Nach oben, wo eine breite Metalltafel über den Türstock genagelt war. Darauf stand: LABORATORIEN A – G.   „Bereit?“, fragte Neji.    Shikamaru antwortete mit einer Tat und schlich hinüber zu der gegenüberliegenden Seite. Zur selben Zeit richteten sie sich auf und standen zu beiden Seiten der Türen, Shikamaru zur Linken und Neji zur Rechten.    Mit Vorsicht schob sich Shikamaru auf den Fersen seitwärts, legte den Kopf schief und linste durch das mit Blut beschmierte Fenster aus Sicherheitsglas. Die Korridore jenseits davon sahen größer und dunkler aus, die Deckenbeleuchtung nichts weiter als ein Funkenregen. Die Schatten wären dicht überall um ihn herum, aber mit überhaupt keiner Geborgenheit. Er konnte sie nicht nutzen.    Gottverdammt…   Die Irritation, die er vorhin gefühlt hatte, kehrte in einem Prickeln und Brennen zurück, nährte Anspannung, die seine Wirbelsäule auf und ab rannte.    Beruhig dich. Kühler Kopf, agiler Verstand.    Während er tief Luft holte, spiegelte er Nejis Bewegungen und stemmte seine Handfläche gegen die Tür, verlagerte sein Gewicht auf seine Fußballen. Mit seiner anderen Hand griff er nach seinem Tantō, bereit dazu, es im Hirn von welcher Bestie auch immer zu begraben, die vielleicht aus der Schwärze platzen würde.    Ihre Blicke trafen sich.    Shikamaru nickte, wartete auf grünes Licht.    Nejis Augen kräuselten sich und kontrahierten, Byakugan Venen krochen über seine Schläfen, machten sich bereit dazu, den Korridor vor ihnen zu scannen. Doch er bekam nie die Gelegenheit dazu. In dem Bruchteil einer Sekunde, den Shikamaru brauchte, um überrascht zu versteinern, explodierten die Türen nach außen.    ~❃~   Yamanaka Naoki ANBU Deckname: Tenka Offizieller Status: IEG KERN Status: IEV   Die Information lief in einer Endlosschleife in Kakashis Verstand ab. Er durchsuchte die Gänge der Aufzeichnung, hielt bei einem Regal inne, zog den Streifen rosafarbenen Durchschlagpapiers hervor und las den verblassten Text noch einmal. Keine Veränderung. Kein Wechsel. Kein magisches Wandeln von Buchstaben oder Bedeutung. Es war, was es war. Und es war –    Gefährlich.   Zusammen damit, dass er hier im ANBU Hauptquartier war. Während er unter seinen Wimpern aufsah, neigte Kakashi seinen Körper ein winziges Stück, bis sein Sharingan Auge auf Höhe mit dem Eingang am anderen Ende des Raumes war. Er konnte sehen, wie der Schatten der ANBU Wache die dünne Linie aus Licht durchbrach, die unter der Tür durchschimmerte. Aufgrund von Gefälligkeiten hatte er das Glück gehabt, so weit gekommen zu sein. Die Wache auf der anderen Seite hatte zugestimmt, in die andere Richtung zu gucken und Kakashi zehn Minuten zu gestatten, da ihm der Kopierninja vor zehn Jahren das Leben gerettet hatte.    Kakashi war zwar nicht der Meinung, diese Rechnung wäre besonders fair, aber gemessen an dem Risiko, das der Agent auf sich nahm…   Ich sollte das Beste aus diesen zehn Minuten machen…   Außerdem konnte er sich nicht auf Gefälligkeiten verlassen, um ihn aus dem Ärger zu ziehen, sollte der falsche Agent durch diese Tür laufen. Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, machte er sich wieder daran, mit wirbelndem Verstand die Akten zu scannen.    Yamanaka Naoki…   Zumindest hatte sich das Rätsel um Yamanaka Inoichis Involvierung gelöst; dieser komatöse Mann, den Pakkun auf dem Krankenbett gesehen hatte, war Inoichis Verwandter.    Wie eng ist diese familiäre Bindung, frage ich mich?   Offenbar eng genug, dass es Inoichi zu Tränen rührte und auf die Knie zwang. War Inoichi beauftragt worden, Informationen zu extrahieren? Kakashi konnte sich nicht wirklich vorstellen, dass Danzō der reinen Höflichkeit halber eine Art Wiedersehen inszenierte. Aber wenn dieser Agent ein Yamanaka war, dann würde Blut vermutlich genug sein, um Inoichi dazu zu bewegen, Danzō zu helfen.   Was eine andere Frage aufwirft; was für eine Art Information hat dieser Mann in seinem Verstand weggeschlossen?   Und wie – wenn überhaupt – könnten sich diese Informationen wohl auf das wie auch immer geartete Mysterium beziehen, das Asuma in Bezug auf Shikamaru zu lösen versucht hatte? Und was war mit diesem anderen Mann? Dr. Mushi? Wie sah seine Involvierung aus? War Tenka – Naoki – der Mann, von dem Mushi gehofft hatte, ihn mit Mizugumos Hilfe zu euthanisieren, als er nach Nirvana gefragt hatte?   Was auch immer zur Hölle eigentlich Nirvana ist…   Irgendeine Droge…irgendein Gift…irgendein Ende…   Aber einen komatösen Agenten töten?   Ah, na da war doch das Dilemma. Stirnrunzelnd ging Kakashi in die Hocke, um die unteren Regale zu mustern, während er mit den Fingern über die Ordnerrücken strich. Wenn Naoki KERN war, dann lag sein Leben in Danzōs Händen. Und wie Kakashi immer wieder miterleben musste, hielt nichts lange, was in Danzōs Händen lag. Die Wurzeln verwelkten, die Blätter starben.    Kakashis Finger stoppten.    Aber Naoki war nicht immer KERN gewesen…   Er zog einen Ordner heraus, der mit ‚IM EINSATZ GEFALLEN‘ beschriftet war und fing an, durch die Inhalte zu blättern. Nach den Informationen zu urteilen, die Yamato aufgedeckt hatte, war Naoki ANBU gewesen, bevor er zu KERN gewechselt hatte.    Offiziell IEG…er muss hier sein…   Als er sich auf die Füße rappelte, warf er einen flüchtigen Blick zur Tür, legte den Ordner auf einem der Arbeitstische ab und fing an, schneller zu blättern, überflog alphabetische Steckbriefe, scannte Gesichter und Fakten und Zahlen.    Von KERN wurde er als im Einsatz vermisst eingestuft…bedeutet das, dass sein ANBU Tod nur inszeniert war?   Wäre nicht das erste Mal, das so etwas passierte. Den Tod eines Agenten vorzutäuschen war ein Weg, die einstmalige Identität ohne vollständige Terminierung auszulöschen. Es machte keinen Sinn, wertvolles Gut zu verlieren. Nicht, wenn man es von allen Komplikationen befreien und auf die bloßen Knochen reduzieren konnte.    Hmn. Wenn Naoki seinen ANBU Tod vorgetäuscht hat…   Dann war er ein Spitzenkandidat für KERN gewesen. Offiziell tot. Alle seine einstigen Bindungen zu Hokage, Familie, ANBU und dem Dorf effektiv gekappt. Ein leeres Blatt, bereit für Anweisungen. Er wäre perfekt für Danzōs Organisation gewesen.    Die Frage ist, ob Naoki das auch willentlich getan hat…   Oder ob Danzō ihn in seinem Abwerben gezielt gehetzt und irgendeinen schmutzigen Deal abgeschlossen hatte. Kakashi wusste nur zu gut, wie es war, Ziel der KERN Rekrutierung zu sein. Wenn er daran dachte, dass er für eine bestimmte Zeit beinahe geglaubt hatte, es wäre der richtige Weg.    „Hast du das geglaubt, Naoki?“, murmelte Kakashi zu sich selbst und grübelte über diese Frage nach, um sich davon abzuhalten, über die nachzudenken, die er sich selbst nicht zu stellen wagte.    Diese spezielle Frage blieb hinter den anderen zurück; geduldig und unausweichlich und bewegte sich eine Frage nach der anderen, eine seitenumblätternde Ablenkung nach der anderen, weiter zum Vordergrund seines Verstandes. Solange, bis Kakashi sie nicht länger ignorieren oder vermeiden konnte.    Was ist Genmas Verbindung zu Naoki?   Da war sie. Gehüllt in hässliche Farben und verdächtige Schattierungen und mit einer ganzen Menge mehr Fragen, die an ihrem Rücken hingen. Asuma war sich sicher gewesen, dass Genma gelogen hatte, als er behauptet hatte, er würde Naoki nicht kennen. Selbst Kakashi hatte seine Zweifel, gemessen daran, wie Genma das erste Mal reagiert hatte, als Kakashi diesen Namen ihm gegenüber erwähnt hatte. Dieses seltsame Licht hatte sich in die Augen des Shiranui gestohlen, war in die Schatten und wieder heraus geflackert. Geheimnisse innerhalb von Geheimnissen.    Kakashi kam zum Ende seiner seitenumblätternden Suche und fand nichts.    Zumindest…nichts, was unter Y abgeordnet ist…   Hatte ANBU angefangen, nach Decknamen sortiert abzuheften?   Dreimal ein scharfes Klopfen an der Tür. Drei Minuten übrig. Leise fluchend schob Kakashi seinen Daumen zwischen Papiere und fing an, zurück zu blättern, bis er zum Buschstaben T kam.    Tenka…Tenka…   Scannend, suchend, sich der Zeit viel zu bewusst, die entschwand…   Und dann fand er es.    TENKA: YAMANAKA NAOKI   Ein Polaroidfoto eines violettäugigen Mannes, seine zisellierten Konturen ganz unverkennbar Yamanaka; knochig, schlanke Wangen, scharfer, Kiefer, aschblondes Haar.    Hab ich dich.   Kakashi sackte in Erleichterung ein wenig zusammen und beugte sich über die Informationen, während er sein Sharingan alle Details in sich aufnehmen ließ. Er überflog sie rasch und schwarze Tomoe wirbelten in seinem karmesinroten Auge, sog die Informationen auf – Jōnin, Team Yōkai, ANBU Kommandant – ordnete sie ab; erste Seite, zweite Seite, schneller und schneller und –    Sein Blick fror ein.    Zusammen mit seinem Atem.    „Mein Gott…“, wisperte er und stützte beide Hände gegen den Tisch.    Da, am Ende des Steckbriefs, waren zwei kleine Porträtfotos der anderen Mitglieder von Team Yōkai. Eines zeigte eine Frau namens Karibi; elfengesichtig mit kurzem, schwarzem und stacheligem Haar, zahllosen Piercings und stechend grünen Augen. Eine kleine Narbe zog sich von ihren Lippen abwärts.    Er kannte sie nicht.    Doch das zweite Gesicht hätte er immer und überall erkannt.    „Genma“, hauchte Kakashi.   ____________________ Glossar: Sui: Weibliches Mitglied der Nagu Butai, ihr Name bedeutet 'schlaftrunken, schlafen oder sterben' Yuki: Weibliches Mitglied der Nagu Butai, ihr Name bedeutet 'Schnee' Yako: Männliches Mitglied der Nagu Butai, sein Name bedeutet '(wilder) Fuchs' Kanpai: Japanisches Äquivalent zu 'Cheers' oder 'Prost' Yōkai: Bedeutet so viel wie 'Atmosphärisches Geisterlicht'/Lichter unbekannten Ursprungs, a.k.a Irrlicht Kapitel 26: Just a game ----------------------- Neji hörte die Bedrohung, bevor er sie sah; ein leises, scharfes Zischen. Er bemerkte, wie sich Shikamaru versteifte, hatte aber keine Zeit, eine Warnung zu schreien.    Die Türen barsten nach außen.   Die Wucht des Aufschlags hämmerte Neji mit einem heftigen Klatschen gegen den Korridor, was ihn zwischen Tür und Wand einklemmte. Atemlos kämpfte er darum, zumindest einen Teelöffel von Luft in seine Lungen zu ziehen, während sich seine Byakugan Sicht zusammenzog und ausdehnte. Durch das verschmierte Rechteck des Fensters sah er ein rotes Schlangenauge, das ihn anstierte, während die milchige Nickhaut in einem horizontalen Blinzeln darüber glitt.    Shikamaru…   Der erste Gedanke in seinem Kopf und das Erste, was seinen Mund verließ. „Shikamaru!“ Ein trockenes Keuchen, verloren unter dem schweren Grunzen und Fauchen der Bestie.    Und dann, von irgendwo weiter weg, die entsetzten Schreie einer Frau.    Gottverdammt!   Die Arme an seinen Seiten festgepinnt, mühte sich Neji ab, irgendeinen Halt zu finden, aber das Monster presste noch härter gegen ihn, die Krokodilschnauze stieß gegen das Sicherheitsglas und meißelte es fort wie ein Specht. Es hatte ihn exakt dort, wo es ihn haben wollte. Hilflos. Festgepinnt. Seinen Kopf auf einem Silbertablett, sobald das Glas zerbrach. Neji knurrte, bleckte die Zähne und eine instinktive Furcht ritt direkt unter der Oberfläche seiner Ruhe nach oben.   Sie liegen auf der Lauer…   Clevere Biester. Clevere Killer. Neji wusste, dass es zwei waren, weil er das andere hören konnte. Schrilles Krächzen und Schreien durchstach seine Ohren, verstärkt durch das Kreischen dieser unbekannten Frau. Aber er konnte Shikamaru nicht hören.   Kämpfte er?    War er bei Bewusstsein?    War er überhaupt am Leben?   Nejis Hirn fror bei diesem letzten Gedanken ein. Doch gleichzeitig flutete etwas Heißes seine Venen und sein Körper summte mit einem schlagartigen Rausch aus Energie, ein Knistern und Glühen baute sich unter der Oberfläche seiner Haut auf und riss seine Tenketsu in einem frenetischen Ausbruch von Chakra auf. „Jūkenpō Ichigekishin!“   Die Detonation aus Energie sprengte die Tür aus ihren Angeln.    Ein aufgeschrecktes Squawken und die Chimäre krachte nach hinten und der Kopf schmetterte durch das verstärkte Glas, selbst als der Körper noch durch die Luft segelte, da der durch Chakra verstärkte Schlag die zweifache Wucht entfaltete. Auf den Hinterläufen rückwärts schlitternd, rammte es seinen kreischenden Verwandten und warf beide Bestien in einem Knäuel aus Gliedmaßen zu Boden.    Benommen und zischend versuchten sie, sich wieder aufzurichten.    Neji rutschte die Wand hinunter und packte sich an die Brust, als er heftig hustete. Blut besprenkelte seinen Mund. Rasch fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen und war schlagartig wieder auf den Füßen, während er nach seinem Kunai griff. Doch bevor er sich nähern konnte, um die Chimären auszuschalten, umrundete Shikamaru mit gezogenem Tantō die andere Tür.    Erleichterung hämmerte die Luft aus Nejis Lungen und überwältigt schwankte er einen Schritt zurück. „Nara.“   Mit finsterer Miene warf ihm der Schattenninja einen kurzen, prüfenden Blick zu und tötete die beiden Kreaturen mit zwei brutalen Stößen, als er seine Klinge in rollende rote Augäpfel rammte, Gewebe durchstach und Hirn durchbohrte.    Innerhalb von Sekunden war es vorbei.    Die Frau am Ende des Ganges schrie unentwegt weiter.    „Shit.“ Shikamaru schüttelte Blut von seiner Klinge, bevor er hinter der gesprengten Tür in Deckung ging. „Danke für die Rettung, Hyūga. Aber diese Frau wird uns eine ganze Menge von den Dingern auf den Hals hetzen, wenn sie nicht aufhört.“   Rasch machte Neji eine Bestandsaufnahme ihrer misslichen Lage und ging neben ihm in die Hocke, während seine Byakugan Augen die sieben Laborräume scannten, die mit A – G markiert waren. Sein Mund bewegte sich vollkommen automatisch, um in einem Wispern weiterzugeben, was er sah. „Ich zähle zwölf Chimären, die sich in Gruppen bewegen.“   „Alles Dinovögel?“   „Ja. Mehrere tote Mitarbeiter. Die schreiende Frau scheint in einem Wartungsschrank eingeschlossen zu sein. Es sind noch drei andere bei ihr; eine weitere Frau und zwei Kinder. Ein Junge und ein Mädchen. Die stille Frau trägt einen Laborkittel; vermutlich eine Wissenschaftlerin. Zwei Chimären attackieren die Tür.“   „Kommen sie durch?“   „Das werden sie. Die Tür splittert schon.“   „Scheiße. Okay. Kannst du irgendwelche großen, leeren Räume auf dem Weg sehen, den wir gekommen sind?“   Neji runzelte die Stirn, wusste es aber besser als zu fragen oder zu unterbrechen. Er drehte den Kopf und sah zurück zum Empfangsbereich, um direkt daran vorbei den anderen Flügel des Gebäudes abzusuchen. „Der größte Raum ist die Kantine“, berichtete er. „Im Moment sind Naruto und Sakura dort drin und bekämpfen fünf – nein, sechs – Chimären. Gleiche Spezies.“   „Irgendwelche Überlebende des Personals?“   „Naruto trägt einen Jungen auf dem Rücken.“   „Shit. Was zur Hölle ist das mit all diesen Kids hier?“   Sprachlos schüttelte Neji den Kopf. Kinder in einer Forschungseinrichtung, in der es um die Erschaffung von Monstern ging? Verstörend, um es gelinde auszudrücken.    „Kantine“, murmelte Shikamaru, während er ein Kunai über seine Knöchel wirbeln ließ und geräuschlos sein Tantō in die Scheide schob. „Was sind das? Um die vier Ausgänge?“   „Wenn du die Tür mitzählst, die zur Küche führt, dann ja.“   „Na schön. Das könnte funktionieren.“   „Du hast einen Plan.“   Mit scharfen Augen sah Shikamaru zu ihm. „Ich habe immer einen Plan.“   „Ich bin ganz Ohr.“   „Hoffe, dass sie es auch sind, denn ich werde die Essensglocke läuten.“   Verwirrt zogen sich Nejis Brauen zusammen. Er sah zu, wie Shikamaru in seinen Allzweckgürtel an seiner Hüfte griff. Der Schattenninja zog eine dünne, hölzerne Gerätschaft heraus; hohl und röhrenförmig und in etwa fünfzehn Zentimeter lang, mit dem Nara Clansymbol darin eingraviert. Am Ende der Hartholzpfeife war ein kurz ausgestelltes Horn angebracht.    „Hirschkalbtröte“, erklärte Shikamaru. „Imitiert das Blöken eines Kitzes in Not nach. Zuhause benutzen wir das ständig; bringt die Hirschkühe zum Laufen.“   Nejis Augen blitzten mit Verstehen auf. Energisch schüttelte er den Kopf. „Nein.“   „Hey, ich werde auch rennen.“   „Nein!“   „Vertrau mir hierbei, Neji.“   „Es geht nicht um Vertrauen. Es geht um Taktik und Zeit. Wir sind in extremen Nachteil, wenn wir uns aufteilen.“   „Genau wie die.“   Noch mehr Schreie den Gang entlang. Mit zusammengebissenen Zähnen zischte Neji einen Fluch. „Gottverdammt.“    Shikamaru schnaubte, doch ein leichtes Schmunzeln verdrehte seine Lippen. „Erwarte das Unerwartete, huh?“   Neji fixierte ihn mit einem Blick, der Lava hätte gefriertrocknen können. „Wag es ja nicht, dich über mich lustig zu machen.“   „Pass auf, ich kann nicht garantieren, dass sie alle angerannt kommen, aber ich wette, wir können ihre Anzahl mit dieser Strategie reduzieren. Ich werde mich um alles kümmern, was zum Spielen kommt und dann schlage ich einen Bogen zurück und finde dich.“   „Das ist eine furchtbare Idee.“   „Vielleicht. Aber es ist die Einzige, die ich im Moment habe. Und es ist viel zu eng um zu versuchen, sie in den Korridoren zu bekämpfen.“ Er machte eine kurze Pause und ruckte mit dem Kopf in Richtung der schreienden Frau. „Wir haben keine Zeit, um darüber zu debattieren.“   Grummelnd deaktivierte Neji sein Byakugan. Er bewegte sich in einer Hocke vorwärts, umrundete die toten Monster und die zerstörte Tür, um ohne nachzudenken Shikamarus Schulter zu berühren. „Geh hier klug vor, Shikamaru.“   Spöttisch schnaubend stupste der Schattenninja in einer Geste seinen Kopf gegen Nejis Arm, die so locker und vertraut war, dass es den Hyūga an Ort und Stelle innehalten ließ. „Kinderspiel“, raunte der Nara zurück und blickte mit einem leichten Lächeln zu ihm auf. „Ich bin immer klug, wenn es ums Wegrennen geht.“   Für eine lange Sekunde sah Neji ihn sprachlos an. Eine Stimme in seinem Kopf zischte Mission. Stumm nickte er und setzte sich in Bewegung, um hinter die immer noch stehende Tür zu schlüpfen und sie dicht an seinen Körper zu ziehen, während er sich von dem Fenster darin fort lehnte. Das würde reichen müssen. Als er seitwärts durch das gesprungene Glas spähte, konnte er gerade so Shikamarus Silhouette in dem flackernden Licht erkennen.    Langsam erhob sich der Schattenninja, legte die hölzerne Pfeife zwischen das V von Daumen und Zeigefinger und schloss seine verbliebenen Finger in einer lockeren Faust um den Rufer. Er hob das andere Ende an seine Lippen, holte tief Luft und blies in die Luftkammer, während er seine Hand öffnete und schloss, um eine Reihe scharfer, kurzer Rufe auszustoßen.    Ein abruptes Schweigen, als Fauchen und Knurren abbrachen.    Sogar die Frau hörte auf zu schreien.    Eine zeitweise Stille senkte sich über den Gang.    Neji hielt den Atem an, den Kopf schief gelegt, die Ohren gespitzt und die Augen eingefroren in einem blinden Starren. Kein Geräusch, nur das Stottern der durchgebrannten Lampen. Eine Unendlichkeit von Schatten bebte überall umher, zitterte gegen das Knallen und Knistern von Stromkabeln, dem Glühen ersterbender Funken.    Zumindest haben wir ihre Aufmerksamkeit…   Ein trockenes Schnauben, eine Echsenzischen.    Blinzelnd widerstand Neji dem Drang, sein Byakugan zu aktivieren.    Noch einmal holte Shikamaru Luft, stieß einen weiteren Ruf aus, der diesmal aber lauter war und das schrille Blöken platzte in einem panischen Stottern hervor. Das Geräusch hallte von den Wänden wider, schrillte laut in Nejis Ohren, bevor das tiefe Rumpeln eines gutturalen Knurrens in einem Echo den Gang entlang zurückkam, gefolgt von einem Kratzen von Klauen, dem Klick-Klick-Klick von Krallen; vielen Krallen.    Ein Schrei zerriss die Luft.    Unmenschlich.    Unvorstellbar.    Es verwandelte Eingeweide in Schlick, spülte alte Urängste aus den Tiefen des Blutes nach oben. Es traf Nejis Netzwerk in einem rapiden, weißen Rauschen, wusch über ihn hinweg, zerrte ihn aber nicht mit sich. Er war darauf trainiert, sein Körper regungslos wie der Atem in seinen Lungen, während sein Herz in seiner Kehle hämmerte und so laut pochte, dass er kaum hörte, wie die Bestien ihren Angriff starteten.    Shikamaru blies ein letztes, panisches Signal, während er bereits zurück wich; schneller und schneller, als er seine Hände befreite und sich an sein Tantō klammerte. In der finalen Sekunde, bevor er sich umwandte, zuckten seine Augen zu Neji. Durch Glas und Schatten berührten sich ihre Blicke, ein aufflammendes Flackern in der zuckenden Schwärze.    Shikamaru schenkte ihm ein schiefes Lächeln.    Und dann rannte er, als wäre die Hölle hinter ihm her.    ~❃~   Hölle in einem gottverdammten Einkaufskorb…   Kiba würde das in seinen Missionsbericht schreiben. Mit Blut. Seinem Blut und Pflanzenblut – Saft, Harz, was auch immer. Er hatte sich noch nicht entschieden, da sein Hirn mehr mit dem zehn Zentimeter langen Dorn beschäftigt war, der in seinem Bein steckte. Yep. Das war jetzt erstmal wichtiger.    „Aufplatzende, Käfer fressende, abgefuckte kleine Bitchpflanze…“, murrte Kiba, als er den Widerhaken aus seinem Fleisch riss. Blut tropfte in einem nassen kleinen Strom aus der Wunde seine Wade hinunter. Er hatte bereits vier andere rausgezogen und ein weiterer Dorn steckte noch immer in seinem Schulterblatt – tiefer und weit schmerzhafter – doch er konnte seinen Arm nicht genug drehen, um ihn rauszuziehen.    Verdammt…   Hinterlistiges kleines Scheißding; hatte ihn festgenagelt, als er der Pflanze den Rücken zugewandt hatte. Da war sie gesessen, fett und ganz bestimmt komplett durchgeknallt, aber ganz unauffällig und bescheuert zusammengefaltet, nicht bedrohlicher erscheinend als eine schlafende Knospe, bis Akamaru auf eins der Blätter getreten war und sich das Ding geöffnet hatte wie irgendeine Art fleischfressendes Höllenmaul, um Dornen wie Klingen zu spucken. Sicher, es hatte nicht gerade geholfen, dass sich die Kumpel der Pflanze zu der Party gesellt hatten. Hunderte von Knospen erblühten synchron, um kunaischarfe Stacheln in alle Richtungen auszukotzen.    Das Team war auseinander gestoben und hatte dabei alle Arten von Fallen ausgelöst. Die Kuppel war zum Leben erwacht, wie man es eigentlich eher bei einem schlechten Horrorfilm erwarten würde.    Wirklich peinlich, wie schnell es von ‚passt auf, wo ihr hinlauft‘ und ‚achtet auf euren Hintern‘ zu ‚In Deckung!‘ und ‚Heilige Scheiße!‘ gekommen war. Ino hatte sie gewarnt, die Pflanzen nicht zu unterschätzen, aber sie alle waren viel zu beschäftig gewesen, vor Chimären wegzurennen, um den hübschen Blumen viel Aufmerksamkeit zu schenken.    Blöder Zug…   Denn was wie ein tropisches Paradies ausgesehen hatte, hatte sich innerhalb eines Wimpernschlags in Teufels dampfendes Gewächshaus verwandelt. Und verdammt, wenn dieses Gewächshaus nicht riesig war. Die tropische Kinderstube war nur ein winziger Vorraum zu einem völlig überdimensionierten Komplex, der von einem verhüllendem Jutsu versteckt wurde; und besagter überdimensionierter Komplex involvierte drei massive Anlagen von je circa siebzig Metern, die aus angrenzenden, geodätischen Kuppeln bestanden. Jede Kuppel besaß ihr ganz eigenes, natürliches Biom, das tausende von Hybridpflanzen Spezies beherbergte…und ein paar Überraschungen.    Wenn man daran dachte, dass die Pflanzen nur das Vorspiel gewesen waren.    Da waren noch ganz andere Dinger, hässlichere und heißblütigere Dinger, die sich dort draußen in der dampfenden Dunkelheit bewegten. Dinge mit Zähnen und Klauen, geplagt von einem Durst, den kein Wasser der Welt stillen konnte. Nur Blut. Und Kiba blutete nur zu gut.    Wir beide…   Während er sich weiter in den Schatten eines dekorativen Wasserfalls schob, warf Kiba einen raschen Blick auf Akamaru. Sein Hund lag versteckt hinter einem Fächer aus schimmerndem Farn und zog eine rote Zunge über rote Wunden. Stirnrunzelnd strich Kiba mit einer Hand über den Kopf seines Ninken, was ihm ein paar nasse Küsse in die Handfläche einbrachte. Auch wenn Akamarus dichtes Fell dazu beigetragen hatte, etwas Haut und Fleisch zu verschonen, hatte es ihn dennoch ziemlich übel erwischt.    Ich kehr diese Pflanze von innen nach außen…   Er ließ den Kopf nach hinten kippen und sah hinauf zum Dach der Kuppel, wobei er verdammt angestrengt suchen musste, um Lücken in dem Blätterdach zu erkennen. Nur ganz leicht konnte er die großen, sechseckigen Platten erkennen, die die Kuppel formten, alle aneinander geschlossen und gestützt von Stahlrahmen. An einem sonnigen Tag hätten diese thermoplastischen Platten ohne Probleme das Licht eingelassen, aber dank der Barriere, die sich um die ganze Einrichtung hielt, war das Licht gedämpft; was bedeutete, dass es kaum die oberen Level der Baumkronen durchdrang. Er hatte an verschiedenen Stellen ein paar tiefhängende, künstliche Lampen gesehen, aber da die Energiezufuhr unterbrochen war, waren sie ziemlich nutzlos.    Glücklicherweise brauchte er sie nicht, um etwas sehen zu können.    Grimmig schmunzelnd musterte Kiba die Bäume und seine Tieraugen schimmerten.    Ein Hoch auf Tapus Looda…   Oder wie auch immer Sakura dieses Ding bezeichnet hatte. Was zur Hölle war es nochmal? Tapa Ludica? Tapeta Lucida?   Das war’s.   Tja, jo. Verfickt nochmal danke dafür. Von seinem gesamten Team hatte er die beste Nachtsicht und jetzt im Moment nahmen seine Augen und Nase kombiniert mehr als einfach nur Schatten und den Gestank von Pflanzen wahr. Kiba schätzte seine Position erst anhand seines Geruches und dann anhand seiner Sicht ein und nahm sich einen Moment, um seine Beinwunde zu verbinden. Wegen dieses blutigen Dorns in seinem Rücken konnte er leider nichts tun, es saß da wie ein gottverdammtes Fadenkreuz für jedes Raubtier in der Nähe.    Shit. Hoffe, dass es sonst niemanden so heftig erwischt hat…   Er war viel zu beschäftigt gewesen, sich gleichzeitig auf Akamaru und seine Teamkameraden zu konzentrieren, um sich um die beiden Nagu Wächter zu sorgen; Fuchsgesicht und Albinomädchen. Zu blöd, dass sie keine Verbindung zum Funkgerät hatten. Das würde es viel einfacher machen, alle zusammenzutrommeln.    Während er in die Luft schnupperte, berührte Kiba sein Mikrofon, aber alles, was er hörte, war ein statisches Knistern.    „Na toll“, wisperte er und erhob sich aus seiner sitzenden Pose in eine Jägerhocke. Er müsste sie allein aufgrund von Geruch ausfindig machen.    Leicht gesagt. Das ist ein verfickt großes Gewächshaus…   Und das Risiko einer olfaktorischen Überreizung war hoch. Er würde seine Sinne auf Jōnin-Level Genauigkeit feinstimmen müssen; zu dumm nur, dass die wenigen Testläufe mit seinem Tokujō Lehrer nicht dem kompletten Chaos mitten während einer Mission entsprachen.    Find dich einfach damit ab…   Zeit, diesem Gewächshaus einzuheizen. Er musste wirklich ernsthaft Dampf ablassen. Und Akamaru musste es an ihm gerochen haben, denn schlagartig wurde sein Ninken aufmerksam; mehr Wolf als Hund und wartend auf die Anweisungen seines Alphas, während ein tiefes Knurren in seiner Kehle vibrierte.    Töten. Töten. Töten.   „Nein“, raunte Kiba und rang mit seinem eigenen Biest, seinem eigenen Blutrausch.    Er musste das hier richtig machen.    Die Lider krampfhaft geschlossen schüttelte er den Nebel aus seinem Kopf und ließ den Zorn fort von seinem Hirn und in sein Blut sickern; Knochen bewegten sich, Muskulatur veränderte sich, Nägel und Zähne wurden härter und länger bis Zähne zu Fängen und Nägel zu Krallen wurden.   Blinzelnd öffnete er die Augen.    Sie flackerten wie Flammen in der Dunkelheit, grell mit einem raubtierhaften Schimmern.   Zeit zu jagen.   ~❃~   Lauf. Lauf! LAUF!   Als Shikamaru um die scharfe Kurve eines Korridors hetzte, musste er sich von einer Wand abstoßen, um sein Momentum beizubehalten und sich direkt wieder zurück in einen Spurt zu katapultieren. Er war sich ziemlich sicher, dass er gerade einen neuen Geschwindigkeitsrekord für das Team ‚Schreiend Wegrennen‘ aufgestellt hatte.    Und einfach nur so zum Spaß stieß er deshalb einen Schrei aus.    Hinter sich hörte er ein antwortendes Kreischen, das Kratzen und Rutschen von Klauen, das laute Klatsch der Dinovögel, die in ihrem gescheiterten Versuch ineinander krachten, die Ecke alle zur selben Zeit zu umrunden.    Er warf einen verzweifelten Blick über seine Schulter.    Sie füllten den Gang aus, krallen- und federbewährte Körper bewegten sich in und aus den flackernden Lichtern, die Hälse nickten vogelgleich, die kurzen Vorderkrallen ausgestreckt. Shikamaru legte noch einmal an Geschwindigkeit zu und folgte den Grundrissen, die sich in seinem Hirn ausrollten. Er wusste, dass der Korridor noch weitere dreißig Meter geradeaus verlief, bevor er in die Kantine mündete.    Scheiße. Bitte sag mir, dass ich mich richtig daran erinnere…   Die Schatten vor ihm sahen solide genug aus, um eine Wand sein zu können. Da er auf sein Hirn vertraute, ließ er seine Arme nach oben schnellen, drosselte seine Geschwindigkeit und fühlte, wie seine Handflächen gegen kalten, harten Stahl krachten. „Scheiße!“, brüllte er, während seine Hände nach Griffen oder Hebeln suchten. Er fand den Riegel und riss daran.    Die Tür platzte auf.    Rasch warf er sich in die Kantine und direkt hinein in eine Wolke dichten Rauches, während das Licht eines lodernden Feuers über seine Retinae flackerte. Verwirrt schlitterte er weiter, sprang über einen Tisch hinweg und rutschte mit den Fersen voran unter dem nächsten hindurch, bevor er in einer tiefen Hocke in einem der Gänge aufkam. Geduckt rannte er weiter und brachte so viele Tische wie möglich zwischen sich und den Ausgang, bevor er mit hämmerndem Herzen in Deckung ging.    Flammen schlugen von der Küche herein und badeten die Kantine in Feuerschein und Schatten.    Meine Schatten…   Gott, wenn nur. Er hätte das alles innerhalb kürzester Zeit erledigt gehabt.    Nein. Kein Ninjutsu.   Langsam wich Shikamaru die Gangreihe entlang nach hinten und hörte, wie die Chimären in einem Schwarm aus Squawken und Fauchen durch die Türen gekracht kamen. Ihre zornigen Schreie vertieften sich zu Knurren und Grollen, als sie sich verwirrt verteilten und ihre Klauen und Krallen klapperten laut wie Nägel auf einem Blechdach über das billige Linoleum.   Bedächtig hielt sich Shikamaru nah am Boden und kroch näher zum Feuer, während er an sein Mikrofon fasste und krächzte: „Sakura, Naruto, hört ihr mich?“   Ein Stottern von Statik, und dann: „-kamaru?“   „Naruto. Wo seid ihr?“   „Büros…noch ein Kind gefunden…zwei Wissenschaftler…w…du?“   Rasch setzte Shikamaru die zerbrochenen Informationen zusammen und warf einen flüchtigen Blick über eine Tischplatte. Er sah rote Augen in den Schatten glühen, als sich die Chimären auffächerten und drei von ihnen vollführten den kleinen Satz auf die Tische, um sich mit langen, schwingenden Hälsen über sie hinweg zu bewegen wie auf einem Laufsteg.    Shit.    „Ich bin in der Kantine“, wisperte er und wich zurück gegen eine der Bänke, bevor er ihr bis zum Ende des Tisches folgte und in einer weiteren Gangreihe abtauchte. Der Rauch wurde immer dichter und seine Augen begannen zu tränen. „Habt ihr das Feuer gelegt?“   „Ja.“   Gute Idee…   Jo, abgesehen von der Tatsache, dass er jetzt mit brennenden Lungen im dichtesten Gewühl der Abgase davon feststeckte und sich seine Kehle um ein Husten herum verkrampfte.    „Du musst da sofort raus“, sagte Naruto und seine Stimme wurde etwas deutlicher. „Wir haben alle Ausgänge blockiert, Shikamaru.“   „Ihr habt den Notausgang vergessen“, sagte Shikamaru trocken. „Schätze, dass der dann auch gerade zu meinem einzigen Weg hier raus geworden ist.“   „Shikamaru.“ Sakura. Besorgt, drängend. Nicht gerade die Art von Moral- und Zuversichtsschub, den er brauchte. „Willst du, dass wir zurück kommen?“   „Nein. Sorgt dafür, dass die Wissenschaftler und Kids sicher sind“, erwiderte Shikamaru, umrundete den nächsten Tisch und wich nach hinten in die Gasse. Blut und Eingeweide schmatzten unter seinen Füßen. Er wandte sich um und beinahe wären seine Füße unter ihm weggerutscht.    Gott…   Das hier war ein Schlachtraum.    Menschliche Überreste hingen über den Bänken, halb aufgefressene Körper mit ausgerissenen Beinen. Die Mitarbeiter mussten versucht haben, sich unter den Tischen zu verstecken. Hatte ihnen kein Glück gebracht. Shikamarus Magen drehte sich. Wenn der Rauch nicht schon genug gewesen wäre, um ihn würgen zu lassen, dann versetzten die verspritzten Eingeweide, Knochen und halb abgenagtes Fleisch seinen Magen auf jeden Fall in einen Spasmus.    Scheiße. Er würde nie wieder in einer Kantine essen.    Jo, aber ich sterbe vielleicht in einer, wenn ich nicht schnell verschwinde…   Er griff in seinen Gürtel und zog ein Explosionssiegel daraus hervor, das er unter einen Tisch klatschte. Während er weiter voran rutschte, wiederholte er die Prozedur. Die Dinovögel zogen langsame Kreise, was bedeutete, dass er in einer geraden Linie unter den Bänken und Tischen hindurch kriechen musste, um wieder den Notausgang zu erreichen.    Entweder das oder ich steh auf und überwältige sie alle…   Oder über die Platten von Tisch zu Tisch hüpfen. Agil genug war er dafür. All die Jahre, die er damit zugebracht hatte, Hirsche zu jagen und vor aggressiven Böcken wegzurennen, hatten ihm eine Leichtfüßigkeit und Geschwindigkeit verliehen, die einigen ihrer schnellsten Hirsche Konkurrenz machte. Plus, seine Runden aus Intervalltraining mit dem Dämlichen Vogel hatten seiner Ausdauer auch nicht geschadet. ‚Wegrennen und Bombardiert werden‘ war ein Spiel, das nahe am Boden gespielt wurde und bei dem beinahe in einer Hocke gerannt wurde. Die schlanken Muskeln in seinen Schenkeln hatten sich innerhalb der Monate von Stein zu Stahl verwandelt – und außerdem hatte es auch die Distanz seiner Weitsprünge verstärkt; etwas, das für einen Nara Shinobi von entscheidender Bedeutung war.    Ich krieg das hin…   Geschwindigkeit hatte ihn schon immer gerettet, wo Stärke versagte. Und jetzt im Moment, wenn er seiner Schatten beraubt war, waren seine Geschwindigkeit und Klugheit alles, was er hatte. Trotzdem würde es sicher nicht schaden, näher zum Ausgang zu kommen und die Anzahl der Tische zu verringern, ohne dabei entdeckt zu werden.    Ich brauche nur eine kleine Ablenkung…   Entschlossen streckte er eine Hand aus und griff nach einem blutigen Schuh, aus dem noch immer der Stumpf des Knöchels in einem grotesk zersplitterten Knochen herausstand. Er befestigte ein Explosionssiegel an der Sohle und schleuderte ihn hinter sich quer durch den Raum.    Der Schuh traf auf einen Esstablett und sandte Besteck und Keramik krachend zu Boden.    Ein aufgeregtes Squawken und die Chimären auf dieser Seite des Raumes rannten mit schnappenden Krokodilkiefern los, wobei sie in ihrer Eile übereinander stolperten.    Los.   Shikamaru rutschte unter den nächsten Tisch, drückte seine Brust flach gegen den Boden und begann sein Armeekriechen. So leise wie möglich bewegte er sich unter den Tischen durch Pfützen aus Blut, neigte sich fort von Leichen und Klumpen verwesenden Fleisches.    Wie viele Leute sind hier drin gestorben…?   Auf halbem Weg durch den Saal hielt er unter einem Tisch inne und lag für ein paar Herzschläge vollkommen regungslos da, bevor er die Gangreihe überprüfte und den Prozess wiederholte, einen Schuh zu finden und ihn in Richtung der anderen Raumseite zu werfen. Doch diesmal zielte er daneben. Der Stiefel traf eine tiefhängende Lampe, zerschmetterte die Birne und unterbrach den Wurf. Laut klatschend fiel er auf den angrenzenden Tisch, der nicht weit von seiner Position entfernt war.    Fuck.   Ein lautes Kreischen und dann plötzlich ein entsetzliches Krachen, als eine der Bestien auf den Tisch über ihm sprang und ein bisschen strampelte, bevor es mit den Füßen Halt fand.    Shikamaru erstarrte.    Klauen klopften in einem Klack-Klack-Klick auf die Oberfläche und sandten Vibrationen durch das Holz, als sich die Kreatur in einem schweren Gang über die Länge des Tisches vorwärts bewegte und dabei eigentümliches kleines Zwitschern und dieses seltsame Zischen ausstieß.    Fuck. Fuck. Fuck.   Die Ellbogen eng unter seine Brust gezogen, schob sich Shikamaru langsam Stück für Stück nach hinten und bewegte sich in die entgegengesetzte Richtung wie das Monster über ihm. Wenn er nur unter diesem Tisch heraus könnte. Auf halbem Weg in einer Wendung pausierte er und hörte das Klack-Klack-Klick von Klauen, die zurückkamen.    Ich hab keine Zeit mehr…   Jetzt oder nie.    Während er sich wappnete, presste er seine Wange gegen den blutverschmierten Boden, sah krallenbewährte Füße, die sich überall um ihn herum bewegten und richtete seinen Körper mit der Tür aus. Ein Dinovogel stand am Ausgang.    Da muss ich wohl durch…   Kein Umgehen.   Er holte tief Luft, bereitete sich vor loszustürzen; und fühlte, wie sich Klingen aus heißem Feuer um seinen Knöchel schlossen. Er stieß ein aufgeschrecktes Jaulen aus und wirbelte auf dem Rücken herum, stierte entsetzt die Länge seines Körpers hinunter und sah, wie sich eine hässliche Krokodilschnauze um seinen Knöchel schloss.    Elender Hurensohn!   Die Zähne sanken tief und der Schmerz riss sich in heißen Stacheln sein Bein hinauf. Energisch fing Shikamaru seinen Schmerzschrei hinter den Zähnen ab und rammte die Ferse seines anderen Fußes mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, in Dinovogels Schnauze. Er hörte ein nasses Knacken, spürte, wie die Zähne in seiner Haut abbrachen. Kreischend strampelte Dinovogel zurück.    LAUF!   Shikamaru stürzte unter dem Tisch hervor und sprang auf den nächsten, während er das letzte aktivierende Siegel mit einem blutigen Klatschen auf die falsche Holzoberfläche hämmerte.    Das Siegel glühte in einem ominösen Rot auf.    Shikamaru wandte sich nicht um, um es zu sehen; hielt nicht an, um darüber nachzudenken. Sah nur zwei Dinge; den Ausgang vor ihm und die Hindernisse in seinem Weg. Er hörte, wie die Schreie der Chimären in Triumph erschollen; spürte den Wind eines Dinovogels in einem Rascheln aus federleichten Daunen und ledernen Stacheln, als das Monster so hoch und so schnell sprang, dass der Körper die Distanz in einem einzigen Satz schloss.    Das Vieh erreichte den Ausgang schneller als er.   Zwei Chimären blockierten seinen Weg.    Ich bin tot.   Er spürte, wie die Kraft aus seinen Beinen wich; spürte, wie sich der scharfe Stich aus Panik in seiner Brust zusammenzog; spürte einen plötzlichen, sengenden Schmerz in seinem Kopf, gefolgt von einer seltsamen Empfindung, als würde sein Verstand untergehen, während sein Körper an Geschwindigkeit verlor…   Und dann spürte er die Detonationen.    Die Siegel explodierten.    Die Schockwellen rissen ihn von den Füßen, schleuderten ihn mit solcher Wucht vorwärts, dass er in einen der Dinovögel krachte und auf dem Körper des erschrockenen Biests direkt hinaus in den Flur schlitterte, als die Kantine in Flammen explodierte. Rauch und Feuer schlugen in sengender Luft und erstickenden Funken hinaus in den Korridor.   BEWEG DICH!   Nur Herzschläge von einer Einäscherung entfernt stieß sich Shikamaru von dem benommenen Vieh ab, schwankte seitwärts und taumelte krachend durch eine Bürotür, gerade, als die Flammen hinterher rasten. Hart schlug er auf dem Boden auf, rollte weiter und weiter durch den Raum und donnerte in einen Stapel aus Kisten, wobei er die unterste löste, sodass der gesamte verdammte Turm einstürzte. Er hatte gerade genug Zeit, um seine Arme nach oben über seinen Kopf zu reißen und seinen Schädel zu schützen.    Über das Donnern fallender Kisten hörte er das schrille Kreischen des Todes…   Roch das heiße, kalkige Brennen von schmorendem Fleisch…   Schmeckte Blut in seinem Mund…Blut und Asche…   Die letzte Kiste fiel um und spuckte ihre Eingeweide aus Papier über den Boden.    Für einen langen Moment lag Shikamaru einfach nur schwer keuchend da, den Kopf zwischen seinen Händen gefangen. Sein Schädel pochte und Farben pulsierten hinter geschlossenen Lidern an und wieder aus. Da war ein Ringen in seinen Ohren, laut und unaufhörlich. Er hoffte inständig, dass seine Trommelfelle nicht geplatzt waren.    Ugh…steh auf…   Er schnappte nach einer ganzen Lunge voll von rauchiger Luft und strampelte sich benommen und ein wenig zittrig seinen Weg unter den Haufen aus Papier und Bürobedarf heraus.    Aber lebendig.   Erschöpft ließ er seine Schulter gegen die Mauer sacken und lehnte seinen Kopf zurück gegen die Backsteine, während er seine Kopfschmerzen dazu zwang, aufzuhören. Und erst, als der Schmerz zu einem dumpfen Pochen nachließ, öffnete er einen Spalt breit die Augen; und erstarrte.    Er war nicht allein.    Zusammengekauert am anderen Ende des Raumes saß ein junges Mädchen mit kupferfarbenem Haar, das ihn anstierte. Ein paar Sommersprossen – oder vielleicht auch Blutspritzer – besprenkelten ihr kalkweißes Gesicht und ihre großen, haselnussbraunen Augen waren in einem glasigen Starren auf ihn fixiert. „Mir nicht…“, wisperte sie wieder und wieder, während sie sich die Knie gegen die Brust drückte. „…mir nicht…mir nicht…“   Nicht was?   Nicht ganz richtig im Kopf für den Anfang. Wahrscheinlich im Schockzustand. Viel zu jung, um eine vollwertige Wissenschaftlerin sein zu können – vielleicht eine Laborassistentin? Sie war in einen Laborkittel gekleidet, der ihr mindestens zwei Nummern zu groß war. Scheiße, vielleicht war sie einfach nur die Tochter von irgendwem. War gekommen, um zu sehen, wo Mommy arbeitete. War gekommen, um die fleischfressenden Spielzeuge zu sehen, mit denen Dad spielen durfte. Gott, es war grauenvoll.    Als er versuchte, sich auf die Füße zu rappeln, verzog Shikamaru schmerzerfüllt das Gesicht, als sein Knöchel einzuknicken drohte. Er sah nach unten und bemerkte die abgebrochenen Zähne, die in seiner Haut begraben waren und das Blut, das durch das Gewebe sickerte. Er musste das schnell desinfizieren und verbinden.    Aber das Wichtigste zuerst…   Inzwischen drang Rauch in den Raum und dichte Schwaden suchten sich ihren Weg. Es gab keine Fenster.    Shit.   Rasch suchte Shikamaru die vier Winkel des Raumes ab und zog seine Augen gegen den Rauch zusammen, als er ein quadratisches Metallgitter erspähte, das das Belüftungssystem markierte. Das würde funktionieren. Würde ein enges Quetschen für ihn bedeuten, aber das Kind hätte keine Probleme.    In einer Hocke humpelte er zu dem Mädchen hinüber, blinzelte rapide mit stechenden Augen und krächzte: „Wer bist du, Kleine?“   Bei seiner Stimme zuckte sie leicht zusammen und blinzelte ihn in offener Überraschung an; als hätte sie ihn bis gerade eben überhaupt nicht gesehen. „Mir nicht…“, sagte sie schon wieder und etwas von der Furcht verließ ihre Augen – auch wenn es schwer zu sagen war, wodurch sie ersetzt wurde. „Mir nicht…“   Shikamaru kniff die Lider gegen den Rauch zusammen und ignorierte den Schmerz in seinem Knöchel, als er sich etwas mehr zusammenkauerte, bis er auf Augenhöhe mit ihr war. Eine dicke, fette Uhr tickte in seinem Kopf; er hatte keine Zeit für Geduld und Verständnis. Er musste sie beide hier raus bringen, bevor der Rauch beendete, was die Chimären begonnen hatten.    „Kleine, ich muss dich an einen sicheren Ort bringen. Wie heißt du?“   Sie sah ihn nicht an, sondern stierte nur hinunter auf ihre Hände. „Mir nicht…mir nicht…“   Stirnrunzelnd senkte Shikamaru den Kopf, als er versuchte, ihren Blick aufzufangen. „Nicht was?“   „Leid.“   Sein Herz stoppte schlagartig in seiner Brust und wurde eiskalt. „Was?“, fragte er heiser.    Sie hob den Blick und richtete Augen auf ihn, die so schwarz und leer waren wie die Höhlen in einem Schädel. „Es tut mir nicht leid“, wisperte sie.    Und dann schubste sie ihn. So heftig und plötzlich, dass er beinahe gefallen wäre, wenn er sich nicht gerade noch auf einer Hand hätte abfangen können.    Sie strich an ihm vorbei, rannte zur Tür, rannte zu den Flammen. Auf den Knien wirbelte Shikamaru herum und versuchte, sie zu packen. „NEIN!“   Im Türrahmen blieb sie abrupt stehen, direkt auf den Ballen ihrer nackten Füße und ihre kleinen Hände stemmten sich gegen die schwelenden Türstöcke. Sie zuckte angesichts der Hitze nicht einmal mit den Wimpern.    „Kleine“, rief Shikamaru und schob sich wieder aufrechter auf die Knie. „Komm schon, dreh dich um.“   Sie beugte die Beine, den Körper nach vorn gerichtet und ihr Schatten streckte sich lang hinter ihr aus.    Mit dem Schattenbesitz könnte er sie greifen.    Nur ein einziges flinkes Rucken seiner Finger…   Oder ich könnte die Kontrolle verlieren und sie verletzen…   Fluchend rutschte Shikamaru langsam durch den Rauch auf sie zu und seine Stimme wurde zu einem zerfetzten Flehen. „Komm schon, Kleine. Lass mich dich hier raus bringen. Lass mich dich wohin bringen, wo du sicher bist.“   „Es ist nur ein Spiel.“   Ihre Stimme ließ ihn schlagartig an Ort und Stelle erstarren.    Sehr langsam wandte sie sich um; eine schrittweise Drehung, wie bei einer dieser winzigen Ballerinas auf einer Spieluhr. Eine Silhouette gegen die Flammen, die im Korridor brüllten. Rauch kreiste über ihren Kopf und Feuerschein zerbarst überall um sie herum wie die blutige Morgenröte der Hölle.    Tränen füllten ihre Augen. „Also tut es dir auch nicht leid, oder?“, wisperte sie und bebte inzwischen, die Schwärze wich aus ihren Augen wie Tinte aus einem Brunnen. „Dir nicht…mir nicht…“   ‚Mir nicht…mir nicht…‘   Speiübel vor Schock stierte Shikamaru sie an. Diese Worte griffen wie die Hand eines Skelettes in ihn hinein, krümmten sich um sein Herz und quetschten so fest, dass er keine Luft holen konnte, um zu antworten. „Ich…“ Er erstickte an dem Wort, an dem Rauch, an der Galle, die seinen Rachen hinaufkroch. Er konnte nicht atmen. Konnte nicht denken. Hustete krampfhaft und kroch weiter nach vorn, während er eine Hand nach ihr ausstreckte. „Nicht. Nimm einfach meine Hand.“   Sie starrte ihn an, dann auf seine ausgestreckte Hand.    Shikamaru bewegte die Finger. Stück für Stück schob er sich näher, wollte sie nicht erschrecken – sie stand viel zu nah an der Kante; der Saum ihres Laborkittels färbte sich schwarz und die Enden ihrer Kupferlocken kräuselten sich von der Hitze und füllten seine Nase mit dem widerlichen Geruch verbrannten Haares.    Gott, bitte…   Mit hämmerndem Herzen beugte er erneut die Finger und winkte sie zu sich. „Komm schon, Kleine. Komm einfach zu mir. Du bist sicher. Es ist vorbei.“   „Hab ich gewonnen?“   Shikamaru blinzelte heftig, sein Herz ein wildes Pochen in seiner Kehle. Hilflos nickte er. „Ja. Ja, du hast gewonnen.“   Ihr Gesicht zerbrach bei diesen Worten und auf den Fersen neigte sie sich fort. „Ich will nicht mehr spielen.“   Fassungslos schüttelte Shikamaru den Kopf, wusste nicht, was er darauf sagen sollte, lehnte sich einen weiteren Zentimeter nach vorn – nur noch ein kleines Stückchen. „Okay“, wisperte er. „Das musst du nicht.“   Für den Rest seines Lebens würde er diese Worte bereuen.    „Lügner.“   Ihre Tränen fielen; ebenso wie sie, die Arme ausgestreckt – direkt in die Flammen.    _________________ Hallo meine Lieben :)  So langsam nimmt alles immer mehr Fahrt auf und ich hoffe sehr, dass einige von euch die Parallele zwischen dem Mädchen und Shikamaru erkannt haben ;) Dieses 'Es tut mir nicht leid', Shikamarus strikte Ablehnung dieser Phrase und wie er genau dasselbe zu Neji gewispert hat, als sie im Ryokan gekämpft haben... Naja, wie auch immer, ich hoffe sehr, dass euch das Kapitel gefallen hat und würde mich wieder sehr über ein paar Worte freuen :)  Vielen vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 27: Don't look back --------------------------- Mir ist so kalt…   Doch sie fing Feuer, schwitzte so stark, dass es sich anfühlte, als würde ihre Haut schmelzen. Toxisch; da war etwas Toxisches in ihrem Blut. Mit klappernden Zähnen, die Haut von einem Schüttelfrost ergriffen, versuchte sie angestrengt, aufzuhören zu zittern, während sie ihre Finger in feuchte Laken krallte.   So kalt…so kalt…   Rauch, die altvertraute Art, der beißende Gestank davon verstopfte ihre Nebenhöhlen und stach in ihrem Rachen. Ino rümpfte die Nase gegen den Geruch und versuchte, den Kopf zu heben, hatte aber nicht die Kraft dazu. Alles tat weh, alles schmerzte. Sie wollte sich einfach nur für eine Weile ausruhen.   Nur ein bisschen…   Eine große, raue Handfläche umfasste warm, trocken und sanft eine Seite ihres Gesichtes. Kein kuratives Chakra, aber es fühlte sich dennoch beruhigend an. Die Berührung verschwand und wurde von eiskaltem Stoff ersetzt. Es fühlte sich an wie die Hand des Todes. Sie wollte diese Berührung nicht.    Sie versuchte, ihren Kopf wegzudrehen. „Nein.“   Ein leises, leicht amüsiertes Grunzen. „Die Fürsorglichen sind die schlimmsten Patienten“, grummelte eine tiefe Stimme.    Beim Klang dieser Stimme kämpfte sie darum, ihre Augen zu öffnen, aber das Licht, das gegen die Rückseite ihrer geschlossenen Lider schlug, war zu stark, zu grell. Der Rand der schwieligen Handfläche eines Mannes legte sich an ihre Stirn und neigte sich, um ihre Augen abzuschirmen, als sie verwirrt aufflackerten…und dann beim Anblick eines Gesichtes erstarrten…eines vertrauten Gesichtes…eines bronzenen Gesichtes mit einem wilden Bart…dunklen, brandyfarbenen Augen…einer ausgeprägten Nase…einem in Beschlag genommenen Mund…aufgesprungene Lippen schlossen sich um eine Zigarette und waren zu einem Lächeln verzogen.    Tränen fluteten ihre Augen. „Asuma-sensei…“   Seine Brauen hoben sich ein wenig. „Ihr seid immer so überrascht.“    Das stach mehr als der Schmerz. Mehr als das Gift.   Gift…?   Gift. Pflanzen.    Die Mission! Chōji! Shikamaru!   Asuma nickte, während sein Daumen sachte über die Mitte ihrer Stirn fuhr. „Ja. Du musst aufwachen.“   Warte!   Sie versuchte, nach ihm zu greifen, bevor er verschwinden konnte. Er fing ihre Hand auf und seine Finger legten sich um ihr Handgelenk. Sie spürte die kühle Berührung seines Obsidian-Armbandes gegen ihre Haut. Sie hatte ihn nie gefragt, warum er diese Dinger trug. Sie hatte ihm nie genug Fragen gestellt. Sie hatte so viele Fragen. Zu viele Fragen. Alle davon unmittelbar und drängend und viel zu schnell durch ihr Hirn stampfend, um sie zu fassen zu bekommen.    Kopfschüttelnd sagte Asuma leise: „Mit Geduld und Spucke fängt der Affe eine Mucke.“   Ino biss sich heftig auf die Lippe. Als sie Genin gewesen waren, hatte Asuma das andauernd gesagt.  Shikamaru hatte gescherzt, dass es irgendein dämliches Wortspiel mit seinem Namen war, Sarutobi. Ino hatte es nicht besonders clever gefunden. Sie hatte es einfach nur zum aus der Haut fahren gefunden, besonders wenn Asuma überall herum gesprungen war, während er diese Worte gesungen hatte; hüpfend, sich rückwärts drehend und tänzelnd, um all ihren Tritten und Schlägen auszuweichen, immer geradeso außerhalb der Reichweite.    ‚Mit Geduld und Spucke fängt der Affe eine Mucke.‘   Diese Worte damals zu hören hatte sie immer wieder frustriert…aber sie jetzt zu hören? Sie ließen sie mit einem Gefühl zurück, das viel zu entsetzlich war, um es ertragen zu können…zu schrecklich, um es zu benennen…   Sie versuchte, ihre andere Hand auszustrecken. „Sensei…“   Mit eingezogenem Kinn neigte sich Asuma von ihr fort. „Die greifst in die falsche Richtung.“   Schwach schüttelte sie den Kopf, verstand und begriff nicht das Wie oder Wo oder Warum dieses Augenblicks, nur, dass da eine furchtbare Traurigkeit in ihrer Brust war; eine plötzliche Kurzatmigkeit, die weniger mit dem Gift und alles mit dem Schmerz zu tun hatte, der in ihr Herz einbrach.    Asumas Augen wurden weich. „Jetzt nicht, Ino.“   Sie versuchte, ihre Tränen fort zu blinzeln und sah das Gesicht ihres Senseis verschwommen und undeutlich durch ein Prisma aus Regenbogenlicht, während es an Fokus verlor. Als er sie losließ drehte sie das Handgelenk und wollte erneut seine Hand greifen – packte aber Farnkraut statt Fingern, spürte glatte Blatthalme statt Haut.    „Sensei, bitte!“   Mit einem leisen Schrei erwachte Ino.    Schmerz erfasste sie in einer harten Faust und lähmte ihre Gliedmaßen, bis sie sich losgelöst, körperlos und nur halb bei Bewusstsein fühlte. Schweiß bedeckte ihre Haut, sie konnte ihn in schimmernden kleinen Perlen sehen, die sich sammelten und tropften und in der tiefen Wunde in ihrem Unterarm stachen. Durch die Wimpern starrte sie auf die Verletzung, studierte die Farben mit benommener Faszination und bewunderte die tief lilablauen Venen, die sich in Schattierungen von Indigo und Violett verästelten und sich durch Flecken aus Scharlach zogen, die wie Rosenknospen auf ihrer wächsernen Haut erblühten.    Lila passt gut zu Rot…sieht hübsch aus…   Völlig im Delirium brauchte sie einen langen, schwindelnden Augenblick um zu registrieren, dass die klebrigen gelben Blasen, die sich um die Wunde herum aufblähten, gar nicht so hübsch waren…genauso wenig wie das Blut…oder die Venen…oder die hässlichen kleinen Ameisen, die über ihre Fingerspitzen krabbelten…sie hatte ihre Arme vor sich ausgestreckt und beide Hände in einem steifen Griff um einen Farn geklammert.    Hatte sie sich einen Hügel hinauf gezerrt?    Die Welt schien schief zu sein.   Sie versuchte, ihren Griff zu lösen und schaffte es gerademal, mit den Daumen zu zucken.    Oh mein Gott…   Ihr Hirn schnappte zurück aus seinem Stupor und blaue Augen flogen in schlagartigem Begreifen auf. Entsetzen traf sie wie ein Stiefeltritt in die Magengegend und sie hustete einen Mund voll schaumigen Speichel aus.    Gift…Gift…   Ihr Herz begann mit einem schwachen Pochen, als die Panik durch sie peitschte.    Beruhig dich…beruhig dich…   Sie konzentrierte sich auf ihre Atmung, auf das Blinzeln und ihre blauen Augen rollten wild in ihren Höhlen. Sie lag auf einem Abhang, ihr Körper in einem seltsamen Winkel verdreht. Ihre Brust lag schwer auf dem Boden, die Hüften verbogen. Nichts fühlte sich gebrochen, aber alles verletzt, wund und viel zu steif an, um sich zu bewegen.    Gift.   Sie brauchte die Spritze aus ihrem Ninjabeutel. Musste dem Gift entgegenwirken, bevor es in einen toxischen Schock überging…ihre Lippen kribbelten bereits…ihr Puls wurde träge…   Ich darf hier nicht sterben…   Nicht so. Das war lächerlich. Lachhaft. Sie hustete einen weiteren Klumpen Schaum herauf und blinzelte die automatischen Tränen fort, die in ihre Augen traten. Ein unfruchtbarer Zorn brannte unter der Furcht. Auf gar keinen Fall würde sie so untergehen. Sie atmete stoßweise und sog schwächlich an der schweren, feuchten Luft, während sie sich der eigentümlichen Stille davon bewusst wurde, dieser vollkommenen Regungslosigkeit.    Chōji!   Verzweifelt versuchte sie, nach ihm zu rufen und mühte ihren Verstand ab, nach Chakra zu suchen. Doch ihr sensorisches System fuhr eine schwerfällige Sekunde nach der anderen runter. Es war nicht abzusehen, wie weit die anderen entfernt waren. Sie brauchte etwas, das näher war. Energisch presste sie die Lider aufeinander und suchte nach einem Bewusstsein innerhalb ihrer Reichweite, überprüfte den Boden, die Bäume, das Blätterdach…   Ein Rascheln im Farn.    Inos Augen flogen auf und ihr Puls geriet heftig ins Taumeln.    Sie sah, wie die Wedel und das niedrige Gras von Seite zu Seite schwangen, gestört von etwas, das auf Bodenlevel dort hindurch kroch. Es war nicht zu sagen, was diese Kuppeln sonst noch alles beherbergten. Pflanzen und Prädatoren arbeiteten zusammen; ein Ökosystem, das auf Töten und Verzehren ausgelegt war.    Ich will so nicht sterben…   Nur würde sie das vielleicht. An einem Schnitt. An einem oberflächlichen Kratzer, von dem wie auch immer gearteten Monster toxisch gemacht, das sich entschieden hatte, diese Chimären Bestien wären nicht genug. Nein. Warum hier aufhören? Das Königreich der Pflanzen war reich und reif, der ideale Ort, um alle Arten von sadistischen Samen zu säen. Spaßige Zeiten mit der Wissenschaft. Wenn sie daran dachte, dass sie sogar in Betracht gezogen hatte, ihr Leben einem Laboratorium zu widmen.    Nein, du hast es dem gewidmet, ein Ninja zu sein…und jetzt wirst du sterben…   Die Farne direkt vor ihr begannen zu zittern, neigten sich zur Seite und die Halme bogen sich, als der Tod kam und rief. Ino spürte, wie sich ihr Herz zusammenzog und ihr Verstand vor Horror blank wurde.    Und dann hüpfte ein Affe aus dem Busch.    Nicht größer als eine Katze.    Nicht bedrohlicher als ein Kitten.   Erstaunt stierte Ino das Tier an und ihre Atmung wurde in ihrer Kehle zu einem Raspeln. Für eine weitere, angsterfüllte Sekunde fragte sie sich, ob sie vielleicht halluzinierte. Aber nein, dieses kleine Kerlchen schien ziemlich real zu sein. Ihr Schock war so groß, dass überhaupt kein Platz für Erleichterung blieb.    Ein Affe…   Keine monströsen Mutationen, keine blutrünstigen Anomalien. Nur ein durchschnittliches nullachtfünfzehn Äffchen. Ein willkommener Anblick. Ein wunderbarer Anblick. Ein Anblick, den sie bereits früher an der Akademie auf einer Lehrbuchseite gesehen hatte. Stirnrunzelnd suche sie nach visuellen Hinweisen, um die Spezies zu identifizieren.    Totenkopfäffchen…   Der Affe krümmte seine kleinen, gelblichen Hände um ihr schlaffes Handgelenk und richtete seine schimmernden, intelligenten Augen in einem Ablauf aus raschem, neugierigem Blinzeln auf sie. Olivfarben, mit hellgelben Beinen und einem flachen weißen Gesicht, hatte diese kleine, kühne Tierchen eine tiefe Falte dunklen Fells zwischen den Augen; wie die Illusion eines Stirnrunzelns, das gleichzeitig witzig und süß war. Kleine Fellbüschel ragten aus zart zulaufenden Ohren und die dunkelbraune Schnauze zuckte interessiert, als es an ihren Händen schnupperte und sich der lange, dünne Schwanz um die Hüften bog.    Muss an Menschen gewöhnt sein…   Wenn sie nur ihre Finger bewegen könnte. Nur um ein Zeichen zu formen. Das Äffchen zog an ihrem Daumen und versuchte, ihre Handfläche zu untersuchen.    Ich hab nichts zu essen…   Aber sie musste das Interesse des Tieres aufrecht erhalten.    Ino schürzte die Lippen und stieß ein hohes, quietschendes Geräusch, das wie irgendetwas zwischen einem Zwitschern und einem Kuss klang. Sofort ruckte der Kopf des Affen zu ihr herum und legte sich interessiert schief. Mit aller Macht zwang sie ihren Körper dazu, sich zu bewegen und presste jede Unze an Willenskraft und Stärke in die tauben Klumpen, zu denen ihre Hände geworden waren.    Ich kann das…ich kann das…   Ein winziges Stückchen nach dem anderen begannen sich ihre Finger zu bewegen, fingen an, sich zu beugen…steif, unbeholfen, aber langsam…langsam…   ‚Mit Gedult und Spucke fängt der Affe eine Mucke.‘   Langsam, langsam, formte sie das Zeichen, verschloss ihren Blick mit dem des Affen und warf ihr Chakra in die Mitte ihrer Stirn.    Shintenshin no Jutsu!   Das Letzte, was sie sah, bevor ihre Augen in den Schädel rollten, war die angstverzerrte Grimasse des Äffchens. Und dann sah sie sich selbst; ein schlaffer Körper im Dreck, die Finger in einem Zeichen verschlossen und die steife Starre davon so furchteinflößend wie der Tod selbst.   Ein erschrecktes Kreischen erscholl animalisch und verängstigt von ihren Lippen.    Sie hoppelte einen Schritt nach hinten, schwankte leicht und war etwas wackelig auf diesen langen, fremden Gliedmaßen und auch mehr als nur ein bisschen zittrig im Kopf. Ihr eigenes Bewusstsein rang mit dem wilden animalischen Entsetzen des Verstandes des Affens; es war die eine Sache, das Hirn eines Menschen zu invadieren und eine ganz andere, gegen das eines Tieres zu kämpfen.    Ganz ruhig, kleines Kerlchen…   Sie brauchte ein paar Sekunden, um sich an ihren Wirt zu gewöhnen; und ein paar weitere Sekunden, um die geschickten Daumen und Finger zu bewegen und sich mit den flinken, feinknochigen, kleinen Händen vertraut zu machen. Sofort machte sie sich an die Arbeit, hüpfte hinüber zu ihrer Ninjatasche und wühlte darin herum, bis sie die Spritze heraus zerrte.    Bitte funktionier, bitte funktionier…   Während sie das kleine, zusammendrückbare Röhrchen zwischen winzigen Fingern hielt, nutzte sie die Kiefer des Affen, um das Plastik aufzubrechen, das die Nadel umgab. In einem einzigen raschen Stoß rammte sie die Spitze der Spritze in den Hals ihres bewusstlosen Körpers und drückte das Antidot in ihre Blutbahn.    Danke…   Sie gab ihr Jutsu auf und kam mit einem Zucken zurück in ihren eigenen Körper – fühlte sich heiß, kalt, nass, trocken, alles zur selben Zeit. Ächzend brachte sie genug Kraft auf, um sich auf den Rücken zu rollen und nahm so den Druck von ihren Lungen, als sie sich um ein wässriges Husten herum krampfartig ausdehnten. Das Totenkopfäffchen brach aus seiner Trance, sprang von ihr fort und rannte den Weg zurück, den es gekommen war, bevor es eilig einen Baumstamm hinauf kletterte.   Langsam…langsam…   Ino ließ das Wort wieder und wieder ablaufen; ein Mantra, an dem sie ihre Atmung ausrichten konnte, während sie hinauf zu den schwachen Lichtstrahlen blinzelte, die durch das Blätterdach stachen. Nach und nach begannen der Schmerz und die Paralyse nachzulassen, motorische Funktionen kehrten zurück, Muskeln lockerten sich. Ihre Beine würden als Letztes wieder in den Normalzustand übergehen.    Okay…komm schon…komm schon…   Sie fummelte an ihrem Allzweckgürtel nach etwas zu trinken und schaffte es, die Feldflasche mit Wasser an ihre Lippen zu bringen. Kurz gurgelte sie das kühle Nass in ihrem Mund herum, um den Geschmack von Galle auszuwaschen, bevor sie ihr Gesicht benetzte und ein paar zögerliche Schlucke nahm, obwohl ihr Magen protestierte. Geradezu lächerlich, wie viel Kraft es sie kostete, einfach nur zu schlucken. Sie gestattete sich noch ein paar weitere Sekunden, um sich auszuruhen und spürte, wie sich die Nachwehen des Schmerzes steif und schwer in ihren Knochen niederließen und ihr Herzschlag in ihren Ohren brüllte.    Schwach hob sie eine Hand und berührte damit ihr Mikrofon, bevor sie in die Statik krächzte: „Chōji…Chōji…“   Nichts. Ihre Hand fiel wie ein bleiernes Gewicht an ihre Seite.    Chōji…   Sie musste ihn finden, musste Tenten und Shino und Kiba finden.    Kiba…   Ino schloss die Augen, bis das Brüllen in ihrem Kopf nachließ und sich ihre Ohren mit einem leisen Summen füllten. Zuerst dachte sie, es wäre die Statik ihres Ohrstöpsels. Doch sehr schnell wurde sie sich bewusst, dass sie es in beiden Ohren hörte. Ein entferntes Dröhnen, dem Summen von Bienen nicht unähnlich und noch leiser kam der liebliche Klang von Wind, der das hohe Gras rascheln ließ.    Wind?   Mit aufflatternden Wimpern versteifte sie sich bei der Erkenntnis, dass es innerhalb der Kuppel keinen Wind gab. Die Ventilatoren waren kaputt, das Licht aus.    Es gab keine Brise, die sich dort draußen im Gras bewegte.    Oh Gott…   Irgendwo aus dem Unterholz ertönte ein lautes Gackern, ein animalisches Giggeln, das Blut gerinnen ließ und es schien, als würde es aus mehreren Richtungen auf einmal kommen. Die Stimmgebung wurde von einer weiteren aufgenommen, dann von noch einer; groteske, keuchende Laute, die sich wie Splitter aus Eis durch Inos Eingeweide schnitten.    Adrenalin hämmerte sich in ihren Kreislauf wie ein instinktiver Rückhandschlag.   LAUF!   Nach Luft schnappend rollte sich Ino auf den Bauch und schaffte es nicht, ihre Beine dazu zu bringen, zu funktionieren, weswegen sie sich Arm über Arm hinauf über den Abhang zerrte. Ein scharfer, heißer Schmerz biss sich durch ihr Knie, aber sie hielt nicht inne, war sogar dankbar für den Schmerz, für das Kribbeln wie von hunderten Nadeln, das ihre Beine hinauf und hinunter jagte.    Wenn sie sich nur auf die Füße rappeln könnte.    Das Rascheln erscholl erneut; lauter, schwerer, das hörbare Schnaufen von Atem, ein Krachen und Knacken von Unterholz, das dumpfe Ba-dum-Ba-dum-Ba-dum einer schwerfälligen Bestie, die nicht allzu weit von ihr entfernt näher und näher kam. Ino biss die Zähne zusammen und zerrte ihre Knie unter sich, kroch inzwischen und ihre Fußballen gruben sich Halt suchend in den Hang.    Wenn sie es nur bis zur Spitze auf ebenen Boden schaffen würde.    Das Summen, dass sie vorhin gehört hatte, erklang jetzt näher, irgendwie über ihr und vage erkennbar. Auf eine Weise vertraut, die keinen Sinn ergab, bis sie eine tiefe Stimme hörte, die rief: „Mushi Kame no Jutsu!“   Ino stieß einen erstickten Atem aus. „Shino!“ Es war kaum mehr als ein leises Krächzen auf ihren Lippen. Keuchend packte sie Wurzeln und Ranken, zog sich höher und schob mit ihren Füßen. Gott, es fühlte sich an, als würde sie sich durch hüfthohes Wasser bewegen, ihre Schenkel brannten und ihre Nerven zerfranst von Frustration, während sich zornige Tränen in ihre Augen drängten. „Shino!“   Ein Jaulen erscholl hinter ihr.    Sie wirbelte herum und Entsetzen hämmerte ihr Herz in ihre Kehle.    Die Chimäre kam in Sicht, tauchte in donnernder Raserei aus den Büschen auf. Ein flüchtiger Eindruck eines gigantischen, affengleichen Körpers und hundeähnlichem Kopf, bevor ein gleich aussehendes Vieh in dessen Seite krachte und es fort stieß. Die Bestien stürzten und rollten wieder den Abhang hinab, bevor Ino überhaupt klar werden konnte, was zur Hölle sie da gerade gesehen hatte.    Doch sie hatte auch keine Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.    Eine weitere Kreatur stürmte den Hügel hinauf auf sie zu und folgte dabei dem Pfad aus platt gewalztem Gras, den die vorherigen Bestien zurückgelassen hatten. Ino stützte sich zurück auf ihre Ellbogen; viel zu fassungslos, um sich zu bewegen.   Gott, es war grotesk. Eine Kreuzung aus Hund und Menschenaffe. Von der doppelten Größe eines Silberrücken Gorillas lief es auf den Knöcheln wie ein Primat, doch statt Fingern besaß es riesige Klauen wie Fleischerhaken, die sich kurvig gegen die Handflächen krümmten. Ein langer Haarkamm zog sich über die Länge der gebogenen Wirbelsäule und der Rücken fiel zum Rumpf hin nach unten ab. Die Vorderläufe waren hoch und gespreizt und rahmten einen monströsen, breiten Torso ein, während die Hinterbeine seltsam verkümmert wirkten; zu kurz und stumpf in Wachstum und Proportion. Und als wäre der Körper nicht schon schrecklich genug, gewann das Gesicht auf voller Länge an der Hässlichkeitsfront; ein hundeähnlicher Kopf, viel zu gedrungen, um wolfsähnlich sein zu können, die Konturen weit und flach mit den stumpfen Gesichtspartien einer Hyäne, die Ohren rund und die Lippen in einem zähnefletschenden Grinsen verzerrt.    Ino fühlte, wie ihr Magen absackte.   Das Biest beugte sich über sie, legte seinen riesigen, grässlichen Kopf schief und brach in ein lautes, gackerndes Gelächter aus. Verfaulter Atem wusch wie ein heißer Wind über sie hinweg und blies puren Terror durch ihren Verstand.    Doch der Klang dieses Lachens, dieser hässliche, grauenhafte, unmenschliche Klang…   Hidans Gesicht blitzte vor ihren Augen auf; spöttisch, finster, lachend…lachend…   Asuma…   Ino schrie; das Brüllen riss sich mit solcher Wucht und solchem Zorn aus ihrer Brust, dass die Chimäre auf den Knöcheln vor ihr zurück taumelte und ein überraschtes Jaulen ausstieß. Ino dachte nicht nach. Sie trat aus, erwischte die Bestie mit der Ferse ihrer Sandale an der Schnauze und schloss damit diese ekligen Kiefer.    Sie hatte genug von dieser Scheiße.    Sie riss eine weitere Spritze aus ihrer Tasche, zerrte die Kappe mit ihren Zähnen herunter und rammte sich die Nadel in den Schenkel, um einen Cocktail aus Morphin und Adrenalin direkt in ihre Blutbahn zu injizieren.    Der Stoß war unmittelbar, die Kraft kam in einer Flut.    Und sie ritt diese Welle, kam ruckartig und mit aufflammendem Tantō auf die Füße. Die Kreatur stürzte sich auf sie, schwang einen massiven Vorderlauf wie eine Keule und streckte die Klauen aus. Ino duckte sich unter dem Schlag hindurch und ließ ihre Klinge nach vorn schnellen. Von der Schulter bis zur Hüfte schlitzte sie das Vieh an der Flanke auf. Ein solider Schnitt.    Blut spritzte in einem roten Regen hervor.    Die Chimäre brüllte, wollte sich umdrehen.    Zu spät.    Ino wirbelte herum, näherte sich tief und riss ihre Klinge über die Kniebeugen der Kreatur, um sie mit einem einzigen Streich bewegungsunfähig zu machen. Mit einen grässlichen Heulen ging das Biest zu Boden. Und Ino wartete nicht darauf, ob es sich vielleicht auf den Vorderläufen aufrappelte; sie sprang auf den gestürzten Körper und rammte ihre Klinge durch Schädel und Hirn – wieder und wieder.    Stirb, stirb, stirb!   Ein Krachen hinter ihr.    Inos Kopf zuckte nach oben und sie vollführte einen Rückwärtssprung vom Rücken der Chimäre, segelte über die Köpfe der beiden Bestien, die versucht hatten, sich auf sie zu stürzen und sandte einen Regen aus Shuriken tief in deren Wirbelsäulen. Sie knickten ein, fielen jedoch nicht. Stattdessen schnellten sie zu ihr herum, als Ino auf dem Boden aufkam und ihre gezackten, gelben Zähne bleckten sich zu einem Feixen.    „Okay, Buschfleisch“, zischte Ino, steckte ihr Tantō weg und zog stattdessen mehrere Kunai zwischen den Knöcheln hervor. Die Klingen funkelten wie Krallen. „Wer kommt als nächstes?“   Und dann trat ein Kind aus dem Unterholz.    ~❃~   „Hakke Hasangeki!“   Die Explosion von Chakra machte fünf Chimären und einen guten Teil der Einrichtung nieder, riss ein blutbespritztes Loch durch vier Wände und erhellte die Laboratorien in einem blauweißen Aufflammen, das zu einem Flackern von Glühbirnen und dem Feuerwerk hängender Kabel nachließ.   Neji senkte seine Handfläche und holte Luft.    Hinter ihm hörte er das erleichterte Schluchzen der Labortechnikerin. „Sind sie tot? Sind sie tot?“   Nejis Brauen zuckten trocken. Wenn das diese Dinger nicht getötet hatte, dann wäre er mehr als nur ein bisschen genervt gewesen – und auch ein bisschen beleidigt. Während er zu den Frauen und den beiden Kindern zurücksah, die er gerade gerettet hatte, bat er sie, zu warten und bewegte sich zum Zentrum der gesprengten Wand. Byakugan Augen suchten den langen, abgeflachten Tunnel der Zerstörung ab, den sein Chakra durch die Labore von D bis A geebnet hatte. Nichts zuckte – jedenfalls nichts Lebendiges. Die Wände waren rot und das meiste von dem Fleisch und den Knochen war von der Wucht des Bergzerstörer Jutsus pulverisiert worden.    Fünf erledigt…   Der Rest war Shikamaru hinterher gejagt.   Als er sich umwandte, schritt Neji zurück in die Mitte des großen Konferenzraumes, bevor er stehen blieb, um den äußeren Korridor entlang zu starren. Sein Blick wanderte zurück zu den halb zerstörten Schwungtüren, wo er den Schattenninja das letzte Mal gesehen hatte, als sich ihre Wege getrennt hatten.    Komm schon, Nara.   Shikamaru hätte eigentlich zu ihm zurückkommen sollen. Neji hatte vorhin die Vibrationen einer heftigen Explosion gespürt und sich während seines eigenen Kampfes gerade genug Zeit gestohlen, um eine monochrome Sicht auf die Kantine zu erhaschen, die in Flammen aufging. Shikamaru hatte er nicht gesehen. Nur tote Chimären. Und dann, später, die Hülle eines kleinen Körpers, der vielleicht zu einem Kind gehört hatte.    Gott…   Er berührte sein Mikrofon. „Nara, hörst du mich?“    Nichts…nur das das Hämmern seines eigenen Herzschlages.    Fluchend beschrieb Neji einen verstörten Kreis, bevor er sich zurück zu den Frauen begab, die hinter dem großen Konferenztisch kauerten. Die Schatten waren tief und dicht und verschleierten ihre Gesichter. Die Frauen versuchten beide zur selben Zeit zu sprechen, während die beiden Kinder, das Mädchen nicht älter als acht und der Junge vielleicht so um die zwölf, überhaupt nichts sagten.   „Wer bist du?“, fragte die Technikerin leicht hysterisch. „Wer bist du!“   Die ältere Frau fragte etwas ruhiger: „Hast du den Rest meines Teams gesehen?“   Seufzend umrundete Neji den Tisch und hob eine Handfläche, als die beiden Frauen rückwärts strampelten, die Arme ausgebreitet, um die Kinder zu schützen. „Ganz ruhig“, sagte Neji mit leisem und beruhigendem Tonfall. Er blieb stehen und ging auf ihr Level in die Hocke, während seine Byakugan Augen zu dem Namensschild wanderten, das auf die Brusttasche des Laborkittels der älteren Frau genäht war. „Mika-san“, sagte er. „Du bist eine Wissenschaftlerin.“   Wachsam, aber mit mehr Ruhe und Klarheit blitzten die Augen der Frau auf. „Ich bin Genetikerin“, korrigierte sie und ihr Kinn hob sich ein Stück. „Anii ist eine meiner Labortechnikerinnen.“   Über die Kinder sagte sie gar nichts.    Für einen Herzschlag dachte Neji darüber nach und hielt ihren Blick. „Ich verstehe, dass ihr Fragen habt. Aber jetzt ist nicht die richtige Zeit für Fragen. Alles, was ihr wissen müsst, ist, dass ich nicht euer Feind bin. Wenn ich das wäre, dann hätte ich euch zum Sterben zurückgelassen. Versteht ihr das?“   Mika runzelte die Stirn und griff mit den Händen nach hinten, um das Mädchen hinter sich zu halten. Das gewann ihr ein paar Punkte. Noch einmal nickte sie, auch wenn sie nicht wirklich erleichtert aussah. „Ja.“   Plötzlich erwachten einige der Deckenlampen in den Winkeln des Raumes flackernd zum Leben. Ihr Licht war schwach, rotstichig, aber immerhin genug, um etwas sehen zu können. Notfalllichter.    Katsu muss es geschafft haben, das System neu zu starten…   Was bedeutete, dass die Gehege wieder elektrisiert waren.    Gut zu wissen.   Er konnte nur hoffen, dass die weniger intelligenten Spezies der Chimären hinter der Umzäunung geblieben waren. Es würde ihre Ausrottung um einiges leichter machen, als sie jagen zu müssen.    Und es wird Leben verschonen…   Obwohl die Frage, ob es die Wissenschaftler, die diese Dämonen erschaffen hatten, überhaupt verdient hatten, zu leben, eine ganz andere Angelegenheit war.    Überdeutlich sah Neji zu den Kindern. „Was im Moment am wichtigsten ist, ist, euch alle irgendwohin zu bringen, wo es sicher ist. Gibt es in dieser Einrichtung eine Art Bollwerk oder einen Sicherheitsraum, zu dem ich euch bringen kann?“   „Du willst uns allein lassen?“, fragte die andere Frau – Anii – entsetzt über diese Vorstellung. In dem rotstichigen Licht erschien ihr Gesicht geradezu gespenstisch. „Lass uns nicht allein.“   „Es gibt vielleicht andere Überlebende“, begann Neji. „Ich-“   „Du kannst es dir nicht leisten, uns herum zu karren“, schloss Mika unverblümt, da sie seine Logik erkannte. „Wir werden dich nur ausbremsen, richtig? Ich weiß, wie ihr Ninja arbeitet. Obwohl du einen weit besseren Job als die Kus-nin gemacht hast, uns zu beschützen.“   Neji widerstand dem Drang, sie näher danach zu fragen und sah von Mika zu den dünnen, rehäugigen Kindern, die ihn musterten. Er suchte nach einem besseren Weg, um es auszudrücken. „Ich kann eure Sicherheit nicht garantieren, wenn ich euch mit mir nehme. Und ich habe Befehl, dafür zu sorgen, dass ihr sicher seid. Das ist meine Priorität.“ Mit erhobenen Brauen blickte er zu Mika. „Helft mir, euch zu helfen.“   Stirnrunzelnd grübelte Mika für einen Moment nach. Während sie die Kinder musterte, verengten sich ihre Augen entschlossen und sie sprach, als würde sie direkt von irgendwelchen Schemata ablesen. „Es gibt viel Notfallbunker in der Nähe der Chimärengehege“, berichtete sie ihm. „Zwei davon haben einen unterirdischen Zugang. Alle Bunker sind unabhängig von den Gebäuden; stabil, mit durch Chakra verstärkten Türen und einem Riegelsystem. Separat von allen abzweigenden Einrichtungen.“   Perfekt. Das einzige Problem war, dorthin zu kommen. Neji rappelte sich auf die Füße. „Wie weit?“   „Kommt drauf an, welchen Weg man geht“, erwiderte Mika und zog das Mädchen in ihre Arme, als sie sich erhob. Ohne irgendein Sträuben oder auch nur den leisesten Ton ließ es das Kind geschehen. Vermutlich stand es unter Schock. Mika streichelte die weichen blonden Locken, bevor sie sich mit einer Hand selbst durch ihr kurzes, silbernes Haar fuhr. „Wir können unterirdisch oder über der Oberfläche gehen. Es ist eine viertel Meile bis zum nahegelegensten Bunker, wenn wir über den Campus gehen.“   Keine Option. Nur Kami wusste, wie viele Bestien dort draußen rumliefen. Kopfschüttelnd beobachtete Neji, wie sich der Junge gehorsam an Aniis Hand klammerte, als sich auch die Labortechnikerin auf die Füße schob; ihre Knie waren wackelig und sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Auf offenem Feld würde sie keine Minute durchhalten.    Neji leitete den Gedanken um. „Der Untergrundzugang?“   Mika legte den Kopf von Seite zu Seite, als sie die Entfernung abschätzte. „Eine halbe Meile. Mehr Wendungen und Abzweigungen, aber sicherer, schätze ich?“   Viel sicherer, auch wenn es hieß, langsamer zu sein. Neji bedeutete ihnen, ihm zu folgen, als er den Tisch umrundete und nach seinem Mikrofon griff. „Naruto, hörst du mich?“   Ein Summen und Knistern, laut und entmutigend, bis eine Stimme antwortete. „Hier ist Sai.“   Überrascht blinzelte Neji. „Sai. Lagebericht.“   „Rechter Flügel gesäubert. Alle Chimären auf dieser Seite der Einrichtung sind tot.“   „Irgendwelche Wissenschaftler?“   „Negativ. Nur zwei Jungen.“   Stirnrunzelnd zuckten Nejis Augen schlagartig zurück zu Mika. Sie reagierte überhaupt nicht, außer dass sie mit den Lippen die Stirn des Mädchens berührte und das Kind wie ein Baby auf ihrer Hüfte wiegte. Vollkommen ausdruckslos stierte das Mädchen Neji an. Wie eine Puppe.    „Was soll ich mit ihnen machen?“, fragte Sai. „Sie sind eine Belastung für mich.“   Neji räusperte sich, um nicht die Leitung entlang zu knurren und lief ein paar Schritte voraus, während er den Frauen erneut signalisierte, ihm zu folgen. „Es gibt vier Bunker, alle in der Nähe der Gehege. Zwei davon haben einen unterirdischen Zugang. Triff dich mit Naruto und Sakura und stellt sicher, dass alle Überlebenden, die Kinder eingeschlossen, zu einem dieser Sicherheitsplätze gebracht werden. Mach es jetzt!“   „Verstanden.“   Neji zögerte und fragte dann rasch: „Sai. Hast du Shikamaru gesehen?“   „Nein“, war alles, was Sai antwortete.    Mit den Fingerspitzen immer noch an seinem Mikrofon warf Neji einen flüchtigen Blick zurück durch den Korridor; zwiegespalten, debattierend. Er konnte es sich nicht leisten, noch länger zu warten. Und genauso wenig konnte er es sich leisten, mit Zivilisten im Schlepptau nach dem Schattenninja zu suchen.    „Willst du, dass ich ihn finde?“, fragte Sai mit einer Stimme, die plötzlich und scharf in Nejis Ohr rang.    Mit mahlenden Zähnen biss der Hyūga fest zu. Doch bevor er antworten konnte, zerrte ein lauter Knall seine Aufmerksamkeit ruckartig durch den Raum. Da die Notfalllichter jetzt funktionierten, offenbarte sich das, was wie eine Wand aus Schatten gewirkt hatte, als eine Wand aus verstärktem Glas.    Und dort, auf der anderen Seite und mit Augen glühend wie rote Funken, war ein Rudel Chimären.    Nejis Hand fiel von seinem Mikrofon und seine Augen weiteten sich.    Bei allen Göttern…   Sie waren den Kreaturen ähnlich, die er gerade ausgeschaltet hatte, aber größer, kompakter und weit weniger vogelähnlich; ihre Statur kräftiger, die Läufe stärker und Schnauzen kürzer – mehr Alligator als Krokodil – mit hervorstehenden Hörnern. Eher prähistorische Echse statt Vogel. Ein hoher Kamm aus Dornfortsätzen zog sich über den Rücken wie ein offenes Segel und endete an der Wurzel eines dicken Eidechsenschwanzes. Zu beiden Seiten des steifen Fächers aus Knochen und Haut wies jede Kreatur zwei große Stümpfe auf, wo Blut und Eiter aus offenen Wunden in dem schuppigen Fleisch quollen.    „Meine armen Kreaturen“, murmelte Mika. „Sie konnten nicht fliegen. Ich habe es so sehr versucht.“   Mit aufflammenden Augen wirbelte Neji zu ihr herum. „Du hast diesen Monstern Flügel verpasst?“   Mika registrierte seinen Tonfall überhaupt nicht, sondern zog das Mädchen noch näher an sich, während sie einen Schritt nach vorn trat, die Augen auf das Glas fixiert. „Sie haben sie sich abgebissen. Sie hätten Drachen sein können. Sie hätten so wunderschön sein können.“   Wunderschön?   In offenem Ekel und zornfunkelnd stierte Neji sie an. Er hatte keine Worte, die stark genug wären, um den Abscheu auszudrücken, den er im Moment verspürte – einem Moment, in dem eins der Biester das Glas attackierte und gegen die verstärkte Barriere donnerte.    Anii schrie.    Die gesamte Mauer erbebte, doch das Glas hielt.    Mikas Gesicht verzerrte sich mit etwas, das Mitgefühl sehr nahe kam. „Sie können nicht hinaus.“   Neji hatte nicht vor, ihre Leben darauf zu setzen. Seine Augen wanderten zu dem Schriftzug auf der Glaswand: KÄLTERAUM 02.   „Kälteraum“, sagte er laut und stirnrunzelnd.    Anii kam etwas näher an seine Seite, den Jungen unter ihren Arm geschoben. „Es geht u-um experimentelle Forschung…h-hat niedrige U…Um…Umgebungstemperaturen“, stotterte sie und presste den Jungen wie eine Rettungsleine gegen ihre Seite. Sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne klapperten. „I-ich habe keine Ahnung, w-wie sie da überhaupt rein gekommen sind, Mika.“   Doch Mika hörte nicht zu. Und Neji hörte an diesem Punkt auch nicht mehr zu. Stattdessen versuchte er, zu verarbeiten, was gar nicht hätte sein dürfen – nicht in der Theorie, nicht in Gestalt. Als er sie so sah, durch dieses Observationsglas, stellte er sich eine anatomische Bühnenschau vor; etwas, das reiner Phantasie entsprang.    Drachen…   Kränze aus kalter Luft wirbelten wie urzeitlicher Nebel um die Kreaturen. Eine der Bestien berührte mit der Schnauze das Glas und zischte einen heißen Atem heraus, der einen Schwall aus Kondensation über die Oberfläche sandte. Kein Feuer, keine Flamme, nur ein frustriertes Fauchen.    Ein weiteres begann, mit der flachen Seite des Kopfes und hämmernden Hörnern gegen das Glas zu schlagen.    Die Augen starr auf das Glas gerichtet, breitete Neji schützend die Arme aus und die Enden seiner Ärmel fächerten sich auf wie Schwingen, als er die Frauen und Kinder ein paar Schritte nach hinten dirigierte. „Die Grundrisse haben einen Wartungsweg in die Keller gezeigt. Ist das der schnellste Weg zu der unterirdischen Passage?“   Doch Mika stierte nur über seine Schulter auf die Chimären und Tränen sammelten sich an ihren Augenwinkeln. „Sie waren mein Lebenswerk…“   Knurrend drehte sich Neji zu ihr um und packte sie am Oberarm, um sie heftig zu schütteln. „Dein Lebenswerk ist drauf und dran, dich und das Kind in deinen Armen umzubringen. Nehmen wir die Wartungsroute oder gibt es einen anderen Weg?“   Verdutzt blinzelte Mika ihn an. „Du verstehst nicht. Diese hier sind nicht wie die anderen. Sie sind besonders, sie sind-“   Eine Explosion aus Licht detonierte hinter Neji und erhellte Mikas Gesicht mit warmen, glühenden Tönen. Neji schnellte herum; und erstarrte, als er sah, dass die Biester Feuer spuckten. Ströme aus karmesinroten, orangenen und gelben Flammen schossen über das überfrostete Glas; so konzentriert und intensiv, dass die Hitzewellen zu flirren begannen und das Rudel aus Bestien in eine Fata Morgana aus dunklen Schuppen und glühenden Augen verwandelten.    Kaltes Glas…starke Hitze…   Nejis Augen flogen weit auf. Er wirbelte herum, schubste Anii und den Jungen dem Ausgang auf der anderen Seite des Raumes entgegen und brüllte: „Lauft! LAUFT JETZT!“   Der Junge brach aus seiner Trance und stürzte zur Tür, wobei er Anii am Handgelenk mit sich zerrte. Neji wandte sich zu Mika um und wollte sie packen, doch mit einem Kreischen befreite sie sich aus seinem Griff. Als wäre es eine Stoffpuppe schleuderte sie ihm das Mädchen entgegen. Fassungslos und mit vor Entsetzen weiten Augen, fing Neji das Kind auf, fühlte, wie sich ihre Arme und Beine so fest um ihn legten, dass es ihm beinahe die Luft abschnitt. Er schlang einen Arm um ihre Taille, stolperte einen Schritt nach hinten und neigte den Körper in Richtung Ausgang.    Er streckte den Hals und schrie so laut er konnte: „Verdammt! Mika!“   Doch Mika driftete fort zu der glühenden Wand aus Glas, die Hände ausgebreitet in einer umarmenden Geste. „Meine süßen Drachen, meine süßen Drachen…“   Neji warf einen verzweifelten Blick auf den Rücken der Frau, dann auf die Tür, die zurück in den Korridor führte. Keine Schatten. Kein Shikamaru. Keine Chance, auf diesem Weg zurück zu kommen, um ihn zu finden. Er würde diesen Ausgang versiegeln müssen.    Verdammt. Verdammt. VERDAMMT!   Während er zurückwich, versuchte er, das Mädchen abzusetzen und ihr zu sagen, sie solle losrennen, aber sie wollte ihn nicht loslassen. „Nein. Nein. Nein.“, wimmerte sie.    Zerrissen verharrte Neji im Türrahmen, ein explosives Papiersiegel in der einen und ein völlig verängstigtes Mädchen in der anderen Hand. Als er sah, wie das Glass Risse bekam, klatschte er das Siegel auf die Tür und rief ein letztes Mal mit einer Stimme, die nur noch ein heiseres Brüllen war. „MIKA!“   „Lieblinge“, hauchte sie und Ehrfurcht erhellte ihr Gesicht stärker als die Flammen; alle Logik und Vernunft fort gebrannt. „Seht euch an. Seht euch an.“   Sie waren das Letzte, was sie jemals sah.    Als das Glas in tausende, rasiermesserscharfe Splitter zerbarst und sich Mikas Schreie zu einem schrillen und blutgerinnenden Heulen verzerrten, spurtete Neji bereits den Ausgang entlang, klatschte Explosionssiegel auf die Wände und versuchte sein Äußerstes, nicht zurück zu sehen, sich nicht umzuwenden…nicht zurück zu gehen.   Shikamaru…   Bei allen Göttern, diese Frau war gerade gestorben.    Mission. Mission. Mission.   Er umrundete eine scharfe Kurve in dem Korridor, sah Anii und den Jungen, wie sie voraus rannten, während das dämmrige rote Glühen der Notfalllichter ihre Silhouetten in blutige Schattierungen tauchte.    „Links!“, schrie Neji und seine Stimme hallte den engen Gang entlang. „Nach LINKS!“   Anii und der Jungen hörten auf zu rennen und sahen zu ihm zurück. Ohne seine Schritte zu unterbrechen bellte Neji ihnen entgegen, weiter zu laufen, während seine langen Beine die Distanz schlossen. Er spürte die Explosion, bevor er sie hörte; ein brutales Beben entlang der Wände, gefolgt von dem tiefkehligen Rumpeln der Korridore, die hinter ihm nachgaben.    Staub regnete herab und stach in seinen Augen. Während er rasch blinzelte, hielt er seine Byakugan Augen stur nach vorn gerichtet.    Sieh nicht zurück…sieh nicht zurück…   Das unheilvolle Ächzen der kollabierenden Gänge endete donnernd; ein ersterbendes Brüllen, bei dem sich seine Eingeweide zusammenzogen. Keine Ausgänge. Kein Entkommen. Shikamaru würde einen anderen Weg finden müssen.    „Haben wir gewonnen?“, wisperte das Mädchen in sein Ohr.    Doch er hörte die Worte kaum. Mit hämmerndem Herzen umfasste Neji den Kopf des Mädchens, drückte ihr Gesicht gegen seine Schulter und rannte, rannte…rannte…     Kapitel 28: A conflagration of old fire and madness --------------------------------------------------- In Dauerschleife lief es in seinem Kopf ab.    Naoki. Asuma. Shikamaru. Genma. Tenka. ANBU. KERN. Danzō. Mushi. Mizugumo. Genma. Naoki. Asuma. Shikamaru. Genma…   Wieder und wieder kam es in einem Kreis zurück wie ein Tier, das seinen Schwanz jagte.    Wo hat es angefangen? Und wie wird es enden?   Im Schatten einer schmuddeligen Gasse hockend, tippte sich Kakashi mit aneinander gelegten Fingern gegen die Lippen, schloss die Augen und sah noch mehr Kreise und noch mehr Namen; ein konstantes Rad in konstanter Bewegung.    Pakkun hatte ihn gewarnt, das nicht weiter zu verfolgen. Und das nicht nur einmal.    Doch Kakashi hatte nicht auf diese grummelige kleine Stimme der Vernunft gehört; stattdessen hatte er auf Bauchgefühl und alte Ahnungen gehört, um dem Geruch von Skandal direkt bis zum Ursprung zu folgen. Und jetzt kamen ihm nur noch die gefährlichen Gerüche von Kaninchenbauten und Rattenfallen in den Sinn, ein kompliziert angelegtes Gewirr mit tiefen Geheimnissen und düsteren Fundamenten.   KERN…   Diese Angelegenheiten hätte er eigentlich direkt zur Hokage bringen müssen. Diese ganze Situation mit Naoki roch nach Schmutz und Blut; die Art, die sich nicht abwaschen ließe, wenn er zu tief, zu dunkel eindrang.    Ich bin bereits zu tief…zu dunkel…   Mit Genma sowieso. Aber gemessen an dem, was er inzwischen über Genmas Verbindung zu Naoki wusste, schien er dennoch keine Linie zwischen den Beiden ziehen zu können.    Sein erstes Team…ich hätte es ahnen müssen…ich hätte…   Was? Es wissen müssen? Eine von seinen ‚magischen Ahnungen‘ haben müssen, wie Genma es so bitter bezeichnet hatte? So funktionierte das nicht. Und manchmal musste sich Kakashi fragen, ob überhaupt irgendeine Logik darin lag, wie seine Instinkte ihn antrieben, ihn leiteten…und drohten, ihn zu spalten…   Götter, er hatte sich viel zu sehr eingemischt und sich mehr als nur die Hände schmutzig gemacht.    Und jetzt gibt es kein Zurück mehr…   Seufzend vollführte er seine Beschwörungen mit einem raschen Rucken der Finger, einem kurzen Zwicken von Stahl und dem leisen Murmeln von „Kuchiyose no Jutsu.“   Ein Puffen von Chakra und die schwarze Schriftrolle löste sich in Staub auf.    Shiba und Akino saßen vor ihm.    „Hey…“, wisperte Kakashi und wusste nicht, wo er eigentlich anfangen sollte, wie er beginnen sollte. Die ganze Zeit, seit er letzte Woche auf der Lichtung die Kontrolle über sein Chakra verloren hatte, benahm sich sein Rudel wachsam und unsicher. Er hatte sich gegen sie gewandt und seine Position als Alpha missbraucht. Er hatte sich immer selbstbewusst mit seinen Ninken verhalten, streng und entschieden, aber niemals aggressiv…niemals so, wie er in dieser Nacht gewesen war…mehr Wolf als Mensch…   Nicht einmal ein Wolf wendet sich so gegen sein eigenes Rudel…   Für eine lange Minute sah er sie einfach nur stumm an und bemühte sich, die richtigen Worte zu finden.    Da er sein Elend spürte – auf eine Weise, wie sie es immer taten – näherte sich der silberpelzige Shiba als Erstes, warf verstohlene Blicke auf das eine beobachtende Auge von Kakashi und schnupperte an den Händen des Kopierninjas, den Schwanz leicht eingezogen und den Kopf gesenkt, als erwartete er eine Abfuhr.    Kakashi verzog qualerfüllt das Gesicht wegen der Nervosität des Tieres.    Wenn er daran dachte, dass er mit einer Klinge nach Shiba geschlagen hatte; einem grausamen Fangzahn wie jeder andere – beißend und schnappend nach allen von ihnen unter diesem kalten, blauen Mond.    „Shiba“, murmelte Kakashi und strich mit den Fingern durch das dichte, grauweiße Fell, um den schwarzen Irokesenkamm zu kraulen, der sich über Shibas Kopf zog.    Und schon diese winzige Zuneigung schien für den Hund genug zu sein.    Shiba zog seine Zunge über die Rückseite der Finger des Kopierninjas und schmiegte sich gegen die behandschuhte Handfläche, während er sich mit einem zufriedenen Blinzeln in das Kraulen seines Kopfes lehnte. Seine Rute hob sich und begann zu wedeln.    Alles vergeben. Alles vergessen.    Akino saß stoisch auf den Hinterläufen und beobachtete alles durch seine Sonnenbrille. Er war der Einzige aus Kakashis Rudel, der schützende Linsen brauchte. Und erst, als Kakashi eine Hand ausstreckte, trottete Akino ein bisschen blind ebenfalls nach vorn und verließ sich dabei mehr auf seine Nase als auf seine Augen. Bedächtig streichelte Kakashi das weiche braune Fell und ließ die beiden Hunde die Entschuldigung wahrnehmen, ohne ein einziges Wort zu nutzen. Sie brauchten es nicht und er hatte keine Möglichkeit, ihnen für ihre bedingungslose Hingabe zu danken, außer durch diese kleinen Gesten der Zuneigung.    „Danke“, hauchte er.    Mit wedelndem Schwanz tauchte Shiba unter Kakashis Hand auf. „Was brauchst du?“, fragte der Ninken mit aufgestellten Ohren und scharfen Augen.    „Ich brauche dich bei mir, Shiba“, erwiderte Kakashi, bevor er zu dem anderen Hund spähte. „Akino, du und Keks müsst ein Auge auf diesen Agenten haben, den Pakkun gefunden hat. Yamanaka Naoki; Deckname, Tenka. Pakkun wird euch zeigen, wo KERN ihn untergebracht hat. Ich will, dass er rund um die Uhr von zwei Ninken im Auge behalten wird. Bull ist bei Kurenai, also wechselt euch je nach Bedarf mit den anderen ab.“   „Verstanden“, antwortete Akino mit schiefem Kopf. „Was sollen wir machen, wenn sie ihn verlegen?“   Kakashi zögerte und überlegte. Wie hoch waren die Chancen, dass man einen komatösen Agenten verlegte? Laut Pakkun hatte man ihn an eine Lebenserhaltungsmaschine angeschlossen. Jede Bewegung könnte auf Eliminierung hindeuten. „Beschützt ihn“, war alles, was Kakashi sagte.    Nickend stieß Akino ein leises Geräusch aus.    Sachte tätschelte Kakashi das Brustbein des Hundes. „Geh.“   Ohne zu zögern setzte sich der Ninken in Bewegung, um den Befehl auszuführen. Für einen Herzschlag wartete Kakashi, bevor er sich auf die Füße schob und dabei durch die Fellbüschel auf Shibas Kopf streichelte. „Wir haben eine Angelegenheit in der Justizvollzugsanstalt zu erledigen.“   Graue Ohren zuckten neugierig, aber der Hund sagte nichts, sondern trottete nur neben seinem Herrchen her, als Kakashi die Gasse verließ und den weniger malerischen und heimlicheren Weg zu einem der alten ANBU Unterschlupfe einschlug. Dort wären Ausrüstung, Grundrisse, Uniformen…eine Maske, von der gehofft hatte, sie niemals wieder tragen zu müssen.    Und trotzdem habe ich irgendwie immer gewusst, dass ich es wieder tun würde…   Eine solche Intuition war keineswegs beruhigend.   Er bewegte sich schnell vorwärts und schnitt in willkürlichen Mustern durch die Seitenstraßen, als er in alte ANBU Gewohnheiten verfiel, nutzte die gläsernen Schaufenster, um zu überprüfen, was sich in seinem Rücken befand, trat in und aus Läden, passierte Noren Vorhänge wie eine düstere Brise.    Eine Aufwärmübung.    Sich wieder mit der alten ANBU Haut vertraut machen.    Und Shiba spiegelte ihn nahtlos, schwebte nah und leise wie Kakashis eigener Schatten. Diese Übung kommunizierte mehr zu seinem Ninken als irgendwelche Worte. Sie drückte in Taten und Bewegung genau das aus, was er von dem Hund erwartete; das erforderliche Maß an Heimlichkeit, Stille und Synchronität.    Hier.   Kakashi befreite sein Sharingan und schlüpfte eine breite Gasse entlang, die mit den Rückseiten von Läden und Warenlagern vollgestopft war; große Planen erstreckten sich wie Dächer zu beiden Seiten und hielten verschiedenste Waren trocken. Kakashi lief an ein paar leeren Plätzen vorbei, bis er einen fand, der mit Stoffabfällen und Altkleidern gefüllt war.    Das war der Ort.    Als er zu der Hintertür trat, klopfte Kakashi mit seinen Knöcheln einmal auf das rissige Holz. Es schob sich ein winziges Stück zur Seite und ein von Fältchen umrandetes Auge spähte ihn durch den Spalt an.    Grüßend neigte Kakashi den Kopf und zeigte dabei sein rotes Auge. „Sei gegrüßt, Nuno-san, ich bin hier, um meinen Haori abzuholen.“ Er hoffte inständig, dass sich der Code inzwischen nicht geändert hatte. Es war schon lange her, seit er das letzte Mal zu einem Unterschlupf gegangen war und noch länger, seit er den alten Mann gesehen hatte.    Das ebenholzfarbene Auge verengte sich in einem schwachen Blinzeln, bevor der Ältere auf der anderen Seite mit einer Stimme trocken wie Rost fragte: „Welche Farbe?“   „Grün.“   Die Tür öffnete sich und der alte Mann, Nuno, trat zurück. Er war wie ein gewöhnlicher Schneider gekleidet, aber Kakashi wusste mit Gewissheit, dass dieser alte Veteran mehr Wege kannte, jemanden mit diesen Scheren in seinen Händen umzubringen, statt wie man Stoff schnitt und färbte.    Nuno erkannte Kakashi auf Anhieb, grüßte ihn aber nicht. „Beeil dich, Reiketsu.“   Kakashi versteifte sich ein wenig, nickte aber. „Danke.“   Ohne Fragen zu stellen warf Nuno einen Blick auf Shiba.    „Ninken“, erklärte Kakashi.   Shiba bellte ein leises Wuff und stellte sich neben Kakashi. Der alte Mann grunzte in Zustimmung – oder vielleicht auch einfach nur in Gleichgültigkeit. „Beeil dich“, wiederholte er.   Eine Glocke ertönte von irgendwo weiter hinten und kündigte einen Kunden an. Nuno schlurfte zurück zur Vorderseite seines Ladens und schob die schweren Paneele hinter sich zu. Keine ausgetauschten Höflichkeiten und keine verschwendete Zeit.    Kakashi schlich näher an die Paneele und lauschte. Das Holz war dick und keine Geräusche drangen hindurch.    Zufrieden machte sich Kakashi rasch ans Werk. Er öffnete Kisten und zog lange Stoffbahnen heraus, um an den eigentlichen Vorrat zu gelangen; Kunai, Shuriken, Drähte, Briefbomben und Explosionssiegel, Schriftrollen, Rauchbomben und verschiedene andere Ninja Werkzeuge. Die Kleidung und Maske kamen als letztes.    Er nahm sich was er brauchte; nicht mehr, nicht weniger.    Das sollte reichen.   Seine Augen wanderten flüchtig zur Inventurliste. Sie erforderte zwei Unterschriften; seine und die des alten Mannes. Kakashi zögerte und suchte nach einer Möglichkeit, eine Signatur zu vermeiden, doch er musste feststellen, dass jede andere Option riskierte, Nuno in Schwierigkeiten zu bringen – und der alte Kerl hatte ANBU stets gut gedient.    Verdammt.   Er unterzeichnete mit seinem Namen: Reiketsu   Während er die Sachen verstaute und ein paar Nummern auf der Lagerliste notierte, bemerkte er kaum, wie Shiba in einer plötzlichen, misstrauischen Bewegung den Kopf schief legte und hinaus lief – bis das leise Knurren des Hundes in einem scharfen Jaulen endete.    Bei diesem Geräusch schnellte Kakashis Kopf nach oben.    Innerhalb eines Herzschlages war er an der Türschwelle und seine Augen wurden geschockt rund.    Shiba lag zitternd im Dreck, mehrere Senbons in seinem Pelz begraben, zuckend und angestrengt schnaufend. Und da, nur ein paar Schritte entfernt, halb versteckt von den Schatten der Planen, stand Genma. Sein Blick sandte ein Frösteln durch Kakashi, die bronzenen Augen so kalt und tödlich wie der Stahl zwischen seinen Lippen.    „Ein Hund erledigt“, murmelte Genma mit einer Stimme, die nichts weiter war als ein eisiges Schnurren. „Noch einer übrig.“   ~❃~   Der Kleine stand in der Mitte der Lichtung. Ein Kind. Ein Junge. Ein spindeldürres Straßenkind. Nur Knie und Ellbogen und viel zu viel Knochen; kupferne Haut, blauschwarze Haare und blaugraue Augen…Augen, die viel zu alt waren und aus einem Gesicht stierten, das viel zu jung war, als dass es solch eine Leere in sich halten sollte.    Alles davon prägte sich innerhalb eines Sekundenbruchteils in Inos Hirn ein.    Und es brauchte noch eine halbe Sekunde mehr, um die Absurdität von all dem zu verarbeiten, die vollkommene Unplausibilität dessen, was sie sah, oder dachte in diesem Halblicht, diesem Halbdunkel zu sehen.    Das ist nicht real…   Halluzinierte sie?    Rasch warf sie einen Blick zu den Chimären und ihre Zweifel lösten sich zusammen mit ihrem Atem auf.    Diese Dinger sehen ihn auch…   Ganz offensichtlich. Und genau wie sie, schienen die Bestien total verdattert von der Anwesenheit dieser seltsamen kleinen Kreatur zu sein, die einfach so mitten in ihrem Kampf aufgetaucht war. Mit bebenden Nüstern stierten sie in monströsem Ränkespiel, während sie ihre riesigen, hässlichen Köpfe von Seite zu Seite drehten.    Der Junge schenkte ihnen keinerlei Beachtung.    Seine Augen waren auf Ino gerichtet und er beobachtete sie mit der Zurückhaltung eines in die Enge getriebenen Tieres. Mit offenem Mund starrte sie ihn ebenfalls an und spürte, wie ihr Hirn vollkommen aus der Bahn geworfen wurde, nur um bei der Erkenntnis, dass sie dieses Kind beschützen musste, direkt wieder zurück auf Spur zu springen. Sie verlagerte das Gewicht und beäugte die Chimären, während sich ihre Finger um das Kunai verkrampften. Wenn sie doch nur –   Ein lautes mechanisches Wehklagen zerbrach die Stille und stieg zu einem Surren an.    Bei dem Klang rührten sich die Chimären und fingen an, an Ort und Stelle auf und ab zu springen wie aufgeschreckte Gorillas, sie trommelten sich mit ihren Knöcheln auf die Brust und grässliches Hyänengackern fiel schnatternd von ihren Lippen.    Das Surren hörte auf.    Rotstichige Lampen erwachten zwinkernd in der Einrichtung und verwandelten die Kuppel in die scharlachfarbenen Schattierungen einer gigantischen, fotografischen Dunkelkammer. Sicherheitslichter glühten wie ersterbende Sonnen durch die Baumkronen und an den Füßen der Bäume.    Eine Welt in Rot getaucht…und so entsetzlich falsch gelaufen.    Die Chimären heulten.    Keuchend hielt sich der Junge die Ohren zu, wirbelte herum und rannte los.    Ino stürzte auf ihn zu und streckte eine Hand nach ihm aus. „Warte!“    Ihre plötzliche Bewegung zog die Aufmerksamkeit der Bestien auf sich. Als wären sie besessen gingen sie auf sie los, gefangen in blutrünstigem Wahnsinn, ihre grotesken Gestalten durch das grelle Spritzen tiefroten Lichtes und rußschwarzer Schatten dämonisiert.   Ino stieß sich von den Füßen ab und wirbelte herum, während die Kunai von ihren Fingern flogen.    Sie hörte das Jaulen und Krachen von einer Bestie, aber die andere lief weiter und wischte ihre zweite Attacke aus Klingen mit den Rückseiten dieser Fleischerhakenklauen beiseite. Der rückkehrende Schwinger zerfetzte Farnkraut wie feine Seide und zerriss das Unterholz in einer wilden Sense, die durch die blühenden Ähren mehrerer gigantischer Amorphophallus-Pflanzen sägte und ein paar Strähnen am Ende von Inos Pferdeschwanz abrasierte.    Sie drehte sich fort und Feuer explodierte glühend heiß und rasiermesserscharf in ihrer Schulter. Doch der Morphinschuss nahm dem Schmerz den Biss.    Während sie unter der Wucht des Schlages taumelte, wandte sie sich nach rechts, Adrenalin beschleunigte ihre Geschwindigkeit und Panik füllte ihre Lungen in gewaltigen, brennenden Böen; Feuer und Luft, Feuer und Luft, trieben sie schneller und schneller voran.    Hol den Jungen! Hol den Jungen!   Sie zog ihr Tantō und hackte nach Ranken und hohem Gras, als sie verzweifelt nach einem Zeichen des Kindes suchte.    In welche Richtung? In welche Richtung?   Sie sah, wie das Gras vor ihr hin und her wippte, aber die Bewegung war so abgehackt, dass sie keine Richtung einschätzen konnte. „Warte!“, rief sie.    Der Boden gab unter ihr nach.    Kreischend vollführte Ino einen blinden Satz und wappnete sich für einen Aufprall, der niemals kam.    Ihre Füße brachen in einem nassen Spritzen und Stechen durch Wasser und ihr gesamter Körper sank weit in warme, stagnierende Tiefen. Für einen entsetzlichen Augenblick verstummten alle Geräusche zu einem benommenen Dröhnen in ihren Ohren und Blasen strömten aus ihrer Nase und ihrem Mund und kitzelten ihr Gesicht. Es war so still hier unten. So ruhig. So dunkel. Schilf streichelte ihre Arme und Beine und schlang sich um ihre Kehle wie diese unanständigen Tentakel aus diesen ekligen Jungenzeitschriften.    Der Junge!   Ino schlug um sich, fühlte sich, als würde sie sich in Zeitlupe bewegen, als die Schwerkraft in der Art von Albträumen an ihr zerrte und sich die Gesetze der Physik verfälschten und gegen sie arbeiteten. Ihre Füße berührten den Grund und beinahe hätte sie auf dem weichen Schlick ihren Halt verloren, als Sand unter ihr nachgab. Strampelnd stieß sie sich mit einem Ausbruch von Chakra ab und schoss wie ein Torpedo in Richtung Luft und Leben und – der Junge!   Mit einem zerfetzten Keuchen durchbrach sie die Oberfläche und ihr blondes Haar schwang in einem weiten, nassen Bogen herum.    Nach Luft schnappend wippte sie für einen Moment auf und ab und blinzelte sich Wasser aus den Augen. Sie schätzte die Richtung ab und glitt im Bruststil durch das Nass, wobei sie gigantische, schwimmende Lilien und Wasserhyazinthen beiseite schob und Entengrütze und Feenmoos aus dem Weg schubste.    Schneller. Schneller. Schneller.   Sie hörte, wie die Chimären krachend am Uferrand stehen blieben, gefolgt von dem Trommeln von Fäusten, die in unfruchtbarer Rage auf Brustkörbe krachten, während sie dieses halb Lachen, halb Heulen ausstießen.    Mitten im Schwimmen wandte sich Ino um, um über ihre aufgerissene Schulter zu spähen und ein triumphales Feixen erstarb schlagartig auf ihren Lippen. Der gespenstische Schrei der Bestien wurde von überall her rund um das Wasser herum aufgenommen.    Oh nein…   In der Mitte des künstlichen Sees hielt sie inne und atmete schwer. Sie konnte den dunklen Uferhang auf der anderen Seite sehen und die roten Wasser kräuselten sich wie Blut. Es machte keinen Unterschied. Ein Rudel Hyänenaffen kreiste den gesamten Teich ein.    Sie saß in der Falle…gefangen und auf der Stelle tretend am tiefsten Punkt des Sees…   Und das Adrenalin ließ nach.    Sie konnte spüren, wie ihre Glieder bebten und das entsetzliche Brennen eines Krampfes biss sich in ihre Seite. Nach etwas suchend, an dem sie sich festhalten konnte, packte sie eins der enormen Amazonica-Blätter, die vorbei schwammen, die doppelte Größe einer Luftmatratze und genug Auftrieb hatten, um ihr Gewicht zu tragen. Für ein paar Minuten mühte sie sich ab, sich darauf zu zerren, ohne das Blatt zum Kentern zu bringen und schaffte es endlich, sich in einem nassen Gewirr aus Hyazinthen und Algen ins Zentrum davon zu rollen.   Die Bestien heulten und rannten mit aufgeregtem Gegacker am Ufer auf und ab.    Ino wischte sich die Gräser aus dem Gesicht und lag für lange Sekunden keuchend da, während sie an das Dach des Geheges stierte. Die roten Lampen brannten auf sie herab wie hunderte Dämonenaugen. Schwer schluckend versuchte sie, sich einen Plan auszudenken und ihre Sicht verdoppelte sich und ließ die Sicherheitslampen dadurch zu einer Masse glühenden Rots verschwimmen.    Finde den Jungen.   Weitäugig blinzelnd tastete sie ihren Allzweckgürtel entlang und realisierte, dass sie einige ihrer Rauchbomben und Blendgranaten verloren hatte. Sie rollte sich auf den Bauch und spreizte Knie und Hände, um ihre provisorische Luftmatratze über Wasser zu halten, als sie zum Ufer spähte. Die Kreaturen bewegten sich vor und zurück, warteten ab und steigerten sich immer weiter in einen wilden Fresswahn.    Träum weiter, Buschfleisch…   Mit finsterer Miene hob Ino den Blick wieder zu den Lichtern und versuchte einzuschätzen, wie weit entfernt die niedrigsten Äste des Blätterdaches waren und ob sie wohl ihr Gewicht tragen würden. Die Schatten waren so dicht, dass es unmöglich war, irgendeine Art von Dimension auszumachen. Sie wühlte durch ihre Ninjatasche und zog einen kleinen Enterhaken mit einer Kette heraus. Zu kurz. Nicht lang genug, um die Baumkronen zu erreichen, selbst wenn sie einen Wurf hätte riskieren können.   Verdammt.   Sie hoffte, der Junge hatte sich wenigstens auf höhere Level begeben.    Außer, diese Dinger können auch klettern…immerhin haben sie Affengene…   Stirnrunzelnd sah sie zurück zu den Chimären und ihre Augen zogen sich auf eine zusammen, die sie anstierte und deren Maul in einem grimmigen Grinsen offenstand. Sie dachte sich, dass das Hirn von dem Vieh nicht ansatzweise äquivalent zur Körpergröße war.    Verstand. Körper.   Ihre Augen weiteten sich bei dieser Idee.   Ich könnte von einem von ihnen Besitz ergreifen…die anderen von hier weg locken…   Was bedeutete, dass sie den Alpha finden musste…also natürlich vorausgesetzt, dass diese Viecher überhaupt in einer Hierarchie lebten. Wenn ja, welcher Art? Affenartig? Wölfisch? Sie ließ ihren Verstand zurück zu ihren Akademietagen wandern und versuchte, sich an die sozialen Schichten verschiedener Spezies zu entsinnen.    Kiba, du würdest mir gerade sehr nützen…   „Mir nützen, nicht, dass ich ihn brauche“, grummelte Ino und scannte das Rudel nach irgendeiner Art interaktiver Hinweise, die vielleicht darauf schließen ließen, welche Bestie der große hässliche Boss war.    Was hat Kiba nochmal über die Zurschaustellungen von Dominanz gesagt?   Sie hatte keinem einzigen Wort zugehört, als Kiba auf dem Boot mit irgendeinem Geschwafel über Rudelmentalität angefangen hatte und wie viel einfacher es doch für Tiere war als für Menschen; sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich Sorgen um Shikamaru zu machen.    Okay, das kann doch nicht so schwer sein…such einfach nach Hinweisen…   Aufmerksam musterte sie das Rudel aus Monstern, aber ihre chaotische Kommunikation schaffte es nicht, ihr eine Antwort zu liefern oder überhaupt auf eine Möglichkeit von sozialer Ordnung oder Rang hinzudeuten. Die Chimären rannten einfach nur Kreise umeinander, schnappten und knurrten mit willkürlichen Zurschaustellungen von Unterwürfigkeit, die allerdings nur so lange anhielten wie das Interesse der Bestie, die versuchte, sich gegenüber der anderen zu behaupten. Unablässig wetteiferten sie um ihre Positionen und kämpften um den Fleck Erde, der dem Uferrand am nächsten war.    Und dann zerbrach die Stille an einem Heulen.    Ein lauter, keuchender Schrei und die Biester fingen an, das Ufer entlang zu stürmen, um die Yamanaka für eine leichtere Beute fallen zu lassen.    „NEIN!“, brüllte Ino ihnen hinterher, doch ihr Ruf war nur ein vergebliches Echo, das sich unter dem Heulen der Chimären verlor. „KOMMT ZURÜCK, IHR BASTARDE!“ Sie stürzte sich von dem massiven Blatt und kraulte stramm zum Rand des Sees, wurde aber von Schilf und Treibgut behindert. Dennoch trieb sie sich weiter voran, bis ihre Knie und Hände auf rauen Sand trafen.    Noch einmal stieß sie einen Schrei aus, kroch durch Schlamm und Gräser, während ihr Herz in ihrer Kehle hämmerte.    Der Junge, der Junge, der Junge…   Nur ein Kind. Nur ein –   Das Schilf vor ihrem Gesicht teilte sich und eine dicke, stumpfe Schnauze hielt nur Zentimeter von ihrer Nase entfernt inne.    Ino wurde vollkommen regungslos und sie spürte jeden Schlag ihres Herzens wie einen Stößel, der sich in ihre Rippen rammte, ihre Knochen erschütterte und die Luft in einem zerbrochenen Zittern aus ihren Lungen hämmerte. Zornige Tränen drängten sich in ihre Augen, brannten in ihrer Nase und füllten ihren Rachen wie Lava.    Ihr Bastarde…   Hass kochte in ihr hoch; so stark und heiß, dass er sich durch den Schock brannte, der sie vielleicht eiskalt und taub gegenüber der unausweichlichen Tatsache zurück gelassen hätte, dass sie sterben würde.    Nein. Nicht so.    Sie fletschte die Zähne und sah zu, wie die Bestie ihr abscheuliches Gesicht über sie erhob. Der breite Stamm des Körpers richtete sich von dort aus auf, wo das Vieh kauernd im Schilf auf sie gelauert hatte. Inos Finger sanken wie Krallen in den Matsch und ganze Hände voll von schwarzem Schlamm quetschten sich zwischen ihre Knöchel.    Der tödliche Hieb war nur einen Atemzug entfernt.    Oder zumindest wäre es so gewesen, wenn sich das Biest nicht auf den Hinterläufen aufgebäumt hätte, um sich in triumphalem Sieg auf die Brust zu trommeln. Großer Fehler. Denn in der Sekunde, als es sich aufbäumte, katapultierte sich Ino in die Aufrichtung, schleuderte Dreck in die gelben Augen und rammte ihre Handballen in die massiven Ebenen des Brustbeins.    Es war, als hätte sie gegen eine Betonwand geschlagen.    Vollkommen nutzlos vibrierte der Aufprall durch ihre Knochen.    Ihr Stoß brachte überhaupt nichts, außer das Vieh anzupissen; doch da es momentan geblendet war, verlor es jede Richtung und senste seine Klauen in einem unkoordinierten Schwinger durch die Luft. Ino duckte sich unter dem Hieb hindurch, tauchte unter die Deckung des Biests und ließ ihren Ellbogen in die Seite des Kiefers krachen, während sie inständig hoffte, ihn auch zu brechen. Ein schrilles Kläffen ließ auf einen Treffer schließen, aber nicht auf genug Verletzung; ein Kläffen war nicht die Qual, die sie hören wollte.    „Du kannst in der Hölle heulen“, fauchte sie, zerrte ihr letztes Kunai aus ihrem Allzweckgürtel und rammte es wie einen Pflock in das riesige Sternum. Als das Monster in wilder Pein brüllte, fiel Ino auf den Rücken und hämmerte ihren Fuß nach oben, als das Biest auf den Knöcheln nach unten krachte. Mit aller Kraft donnerte sie ihre Ferse gegen das Kunai und trieb die Klinge ins Ziel – direkt ins Herz.    Die Bestie kam zu einem frühzeitigen Stillstand und die Kiefer öffneten sich, als ein leises Zischen aus der Kehle der Chimäre wich. Blut tropfte von der Zunge und tropfte heiß auf Inos Wange.    Mit blitzenden Augen presste sie die Lippen zu einer kalten, harten Linie zusammen.    Im sterbenden Augenblick legte das Biest in Unverständnis über sein Schicksal den Kopf schief. Ein letztes Gurgeln von Atem und dann taumelte es nach vorn, als die Knöchel unter dem massiven Gewicht nachgaben.    Scharf rollte sich Ino zur Seite.    Wie ein gefällter Riese ging es neben ihr zu Boden. Das Donnern dieses Kollaps‘ erschütterte ihre Knochen und das ekelerregende Schmatzen und Blubbern von Matsch zerplatzte in ihren Ohren…zusammen mit dem Spritzen sich nähernder Schritte. Ein leises Grunzen, ein sich aufbauendes Knurren, dieses bösartige Giggeln und monströse Gegacker…es erklang von zwei Seiten…dann drei…vier…   Sie waren zurück gekommen. Was bedeutete, dass der Junge…   Ino schloss krampfhaft die Augen und spürte, wie die Hoffnung ihr Herz verließ.   Während sie ihre blutige Schulter packte, fand sie gerade genug Kraft, um den Kopf zu heben – sah durch nur leicht geöffnete Augen das Schimmern von Fangzähnen, die wie blutige Stalaktiten da hingen; ein weiter Kiefer bewegte sich langsam und die faltige Schnauze verzerrte sich zu einer knurrenden Fratze.    Der Junge…der Junge…   Und dann ein Donnerschlag.    Der Kopf der Bestie explodierte und spuckte Knochen und Hirn in einem nassen Knacken in alle Richtungen.    Zeitweise taub stierte Ino in benommenem Schock und ihre stechenden Augen fixierten sich auf die massiv vergrößerten Hände, die über der kopflosen Chimärenleiche zusammengeklatscht waren. Blut, Fell und Knorpel glitten zwischen den riesigen Knöcheln hindurch, rannen über dicke Handgelenke und glänzten auf gepanzerten Handschuhen.    Chōji…   Die enthauptete Bestie fiel wie ein Sandsack in sich zusammen. Ino hörte das laute Peitschen einer Schriftrolle, die sich irgendwo über ihr entfaltete, gefolgt von Tentens brüllender Stimme. „Bakuryūgeki!“   Die Welt verwandelte sich zu Feuer.    Jaulen erhob sich und es war nicht die blutdürstige Art, sondern strangulierte, heulende Schreie von Monstern, die in Flammen aufgingen. Die Chimären stoben auseinander, manche sprangen in den See, um die Flammen zu ersticken, die sich durch ihren gefleckten Pelz fraßen, während andere nutzlos im Schlamm um sich schlugen – Schlamm, der sich in bebenden, schwarzen Streifen um sie herum erhob…beinahe wie Schatten…   Inos Augen weiteten sich.   Shikamaru?   Die Schatten verdichteten sich und sammelte sich zu bösartig summenden Spindeln.    Keine Schatten.    Ein Schwarm.    Shino.   „Bōsui no Jin!“ Die Insekten wimmelten über die um sich schlagenden Bestien, fluteten Atemwege und rissen Körperöffnungen auf, füllten den Kreislauf, bis verbranntes Fell und angesengtes Fleisch zu kräuseln begann und dann mit der enormen Bewegung von tausenden Insekten aufplatzte, die unter der Haut herum krabbelten.    Ino wandte den Blick ab, als Galle ihre Kehle hinauf ritt. Ein paar der Bäume brannten und Feuerschein schluckte das rotstichige Glühen. Sie fing das Tanzen von Flammen auf einer Rüstung auf, als eine gigantische Faust in einem blechernen Aufschlag auf die steinharte Brust eines sich aufbäumenden Monster traf.    Chōjis Hieb ließ das Brustbein der Chimäre kollabieren, brach Knochen und Wirbelsäule.    Ein Spritzen hinter ihr.    Ino wirbelte herum und sah, wie vier Chimären auf das Ufer zu schwammen, verbrannt zu geschwärztem und Blasen werfendem Fleisch, aber immer noch kämpfend. Benommen beobachtete Ino sie und ihr Atem zitterte in dampfigen Kränzen hervor, als die Luft vor ihren Augen benebelte. Ein plötzliches Frösteln wusch über sie hinweg und eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus.    Sie musste sich bewegen, musste –   Yuki, die pinkäugige, weißhaarige Nagu Frau, sprang nach unten auf den See und sofort breitete sich Frost unter ihren chakrageladenen Füßen aus. Sie spreizte ihre Finger wie eine Magierin und der ebenholzfarbene Lack ihrer Nägel blitzte dabei auf wie eine schwarze Politur. Ihre dunklen Lippen öffneten sich um eine Stimme, die so hart und so arktisch war wie das Eis, das sich über den See legte: „Hyōton: Tatakikowasu!“   Das Eisversteckjutsu machte die Bestien bewegungsunfähig, versteifte ihre Körper zu Skulpturen aus Eiszapfen, gefangen in der Mitte des zugefrorenen Sees. Mit einem gelangweilten Seufzen berührte Yuki mit den Fingerspitzen ihre schwarzen Lippen, küsste sie leicht und blies einen spöttischen Kuss.    Der komplette See zersplitterte und ließ die Bestien in tausende winzige Scherben zerbersten.    Ino zuckte bei diesem gellenden und scharfen Geräusch zusammen; wie das schrille Ringen von Kristall.    Während sie ihren Arm packte, rappelte sie sich taumelnd auf die Füße und Blut troff heiß und nass durch ihre Finger. Schwindelnd bemühte sie sich um Fokus, als sie glaubte, etwas Graues und Wolfsähnliches zu sehen, das die gegenüberliegende Seite des Sees entlang rannte und sich dabei nahe am Boden hielt.    Akamaru…?   Nein. Das war mehr Fuchs als Hund, der Körper schlank, weniger kompakt, mit silbernem Fell und einem buschigen Schwanz mit weißer Spitze. Das Tier bewegte sich so schnell, dass es schien, als würde der Körper in die Sicht ein und wieder aus flackern; im einen Moment war es noch auf der anderen Seite des Sees und in der nächsten Sekunde befand es sich nur noch wenige Schritte entfernt, verschwand und tauchte schneller wieder auf als irgendein durch Chakra infundierter Sprung.    Ino taumelte verwirrt einen Schritt nach hinten und spürte, wie der Blutverlust seinen Tribut forderte.    „INO!“, schrie Chōji.    Sie drehte sich um, sah ein Biest, das auf sie zugestürzt kam. Rasch ließ sie sich auf ein Knie fallen und tastete blindlings mit steifen und tauben Fingern nach einem Shuriken.   Yuki war in der Nähe, aber nicht nah genug. Sie brüllte: „Yako!“   Die Bestie griff an.    Ein weißes Flackern flammte vor Inos Augen auf, einem Blitz nicht unähnlich; eine Vision aus Silber und Kastanienbraun, die Augen nicht wirklich tierisch, nicht wirklich menschlich.    Sie hauchte den Namen. „Kiba?“   Ein plötzlicher Luftrausch und die Welt verschwand in einer verschwommenen Unschärfe, gefolgt von dem entsetzlichen Empfinden, als würde ihr Magen in ihre Kehle springen. Sie hatte ein Brüllen in den Ohren wie heulender Wind durch einen Tunnel – dann ein abrupter Halt, der dafür sorgte, dass sich ihr Kopf drehte wie ein Kreisel. Schwindel durchflutete sie und sie brach auf Händen und Knien zusammen, während sie trocken auf weiches, abschüssiges Gras würgte.    Sie war am Ufer, nicht länger im Matsch und sie konnte hören, wie der Kampf überall um sie herum weiter ging.    Eine Hand berührte ihren Rücken.    Blind schnellte Ino herum und ihre Nägel zuckten wie eine Tigerklaue in Richtung des Gesichtes des Angreifers, doch ihr Handgelenk wurde nachdrücklich, jedoch ohne Brutalität abgefangen.    Ihre Sicht verdoppelte sich und sie blinzelte rapide, sah einen blutbespritzten Torso mit harten, schlanken Muskeln und ihr Blick wanderte höher, bis sie in ein gutaussehendes Gesicht mit Sommersprossen sah. Es hatte scharfe Züge und war eindeutig fuchsartig. Bernsteinbraune Augen stierten durch Wimpern auf sie hinab, die dicht wie Fuchsfell waren und abgehackte orangene Strähnen schwangen leicht, als der Nagu Mann seinen Kopf so plötzlich auf eine Seite legte, dass es tierhaft wirkte. Sie hatte immer wieder gesehen, wie Kiba das auch tat.    „Wo ist Kiba?“, platzte es aus ihr heraus und dann, direkt danach: „Wo ist der Junge?!“   Der fuchsgesichtige Nagu, Yako, runzelte nur verständnislos die Stirn. Er schüttelte den Kopf.    Ino holte tief Luft und versuchte, ihre Beine unter sich zu ziehen. Noch einmal berührte Yako ihre Schulter, doch fauchend riss sie sich aus seinem Griff los. „Da war ein Junge. Ein Kind! Wir müssen ihn finden!“   Yako starrte sie einfach nur an.    Und Ino spürte, wie die Zahnräder in ihrem Kopf durchzudrehen begannen. Sie packte Yako an seinen nackten Schultern und brüllte direkt in sein leeres Gesicht: „Hast du gehört, was ich sage? Hier sind Kinder!“   Knurrend rollte Yako seine Schultern aus ihrer Umklammerung und wich einen Schritt nach hinten. Er schnupperte in die Luft, leckte sich Blut von der Platzwunde in seiner Lippe, begab sich dann auf alle Viere und flackerte wie ein Hologramm, als seine Gestalt zwischen Mensch und Tier zitterte – einmal ein roter Fuchs, ein silberner und dann einer weiß wie frisch gefallener Schnee. Und dann war er auf einen Schlag alle drei, teilte sich wie Schattenklone und ein Fuchstrio sah zu ihr auf.    Verblüfft stierte Ino die Tiere an.    Der silberne Fuchs sprang nach rechts und verschwand, als wäre er niemals gewesen. Der rote Fuchs lief so schnell nach links, dass er überhaupt keine Spur zurückließ.   Und der weiße Fuchs trat nach vorn, drehte einen engen Kreis um ihre Beine und trottete in das Unterholz, bevor er innehielt und über die Schulter blickte. Er fiepte sie leicht an – und dann war er fort.    ~❃~   Kakashi hatte es nicht kommen sehen. Viel zu geschockt. Viel zu fassungslos.    Es passierte einfach.    In der halben Sekunde, die er brauchte, um Atem zu holen, ging Genma von vollkommener Regungslosigkeit zu einem Gemetzel auf höchster Geschwindigkeit über. Er bewegte sich so schnell – so wahnsinnig schnell – dass Kakashi überhaupt keine Zeit blieb, den Angriff vorauszuahnen oder ihm gar auszuweichen.    „Genwaku no Jutsu!“   Blendendes Licht.    Der Schmerz traf Kakashis Augen wie ein Donnerschlag und sofort verschwand seine Sicht. Keuchend presste er die Lider aufeinander und stolperte mit verwirrtem Verstand und Feuer gefangener Retina nach hinten.    Er hörte Shibas ersticktes und warnendes Bellen.    Da er geblendet war, sah er den Schlag nicht kommen.    Aber verdammt, wenn er ihn nicht fühlte.    „NAGAREBOSHI!“   Der chakrageladene Schlag riss ihn brutal von den Füßen, katapultierte ihn in die Luft und prügelte jede Unze von Atem aus seinen Lungen. Er hatte nicht einmal eine einzige Sekunde, um sich zu erholen. Eine Flut heißer, stechender Schmerzen folgte; eine Serie aus explosiven Tritten und Schlägen, die aus jeder Richtung geschossen zu kommen schienen; eine Schnellfeuerattacke, die in einem Axe-Kick gegen seinen Rücken endete. Der Hieb schickte Kakashi krachend zurück auf die Erde – oder eher, wie es sich traf, direkt durch das Dach eines Warenlagers.    Sekunden vor dem Aufprall schaffte es Kakashi, sich zu drehen.    Seine linke Seite fing die Hauptwucht des Aufschlags ab, aber der Schmerz war genug, um eine weitere Bombe in seinem Kopf auszulösen und Feuerwerke aus Agonie strahlten nach außen. Er hörte splitterndes Holz – vielleicht auch ein paar Knochen – und Spreißel bissen sich tief in seine Haut, während eine Woge aus kalter, abgestandener Luft durch sein Haar pfiff, seine Kleidung zum Rascheln brachte; eine freier Fall durch Dunkelheit.    Und dann traf er die Erde…   Und die Erde bewegte sich…   Ein Geräusch wie Hagel, oder sintflutartiger Regen; ein Erdrutsch winziger Kieselsteine…   Kakashi rollte mit den Körnern und wurde von einer Reislawine einen Berg aus Weiß hinab gezerrt. Sein Körper versank, als wäre es Treibsand, fiel auf den harten Boden am Fuß des Warenlagers und endete ausgestreckt auf dem Rücken – der sich anfühlte, als wäre er an mehr als dreißig Stellen angeknackst.    Nagareboshi…   Sternschnuppe. Eine von Genmas verheerendsten Taijutsu-Luftattacken; explosiv wie Feuerwerk ließ es Funken grell brennender Qual zurück.    Absolut alles schmerzte. Absolut nichts reagierte.    Es dauerte mehrere Sekunden, bis er überhaupt wieder etwas sehen konnte und seine Sicht kehrte eine Sternenexplosion nach der anderen zurück. Augen öffneten sich zitternd und Kakashi konzentrierte sich auf sein Chakra, bis er das elektrische Knistern spürte, das sein Netzwerk wieder auf Touren brachte, gelähmte Nerven befeuerte und Muskeln zu einem Zucken und Beben straff zog.    Draußen konnte er Shiba winseln hören.    Und das brachte ihn in Bewegung.   Ächzend schaffte Kakashi es, sich auf die Seite zu rollen, während sein Verstand aus seiner Starre kroch und die Erkenntnis ‚er weiß von Mizugumo‘ mit sich zerrte. Wie Genma davon wusste, war eine Frage für einen anderen Tag; vorausgesetzt, er überlebte diesen hier.    Das ist mit Sicherheit nicht der Morgen danach, auf den ich gehofft hatte…   Ein Schatten bewegte sich, um das Loch im Dach auszufüllen.   Kakashi hielt auf Händen und Knien inne und sah durch zusammengezogene Augen nach oben.   Ohne ein einziges Wort sprang Genma nach unten, ritt in einem geschmeidigen Gleiten über den Erdrutsch aus Reis, bis seine Füße mit kaum einer Unterbrechung den Boden berührten. Er trat auf Kakashi zu mit den scharfen, getriebenen Schritten eines Mannes, der darauf aus war, verheerenden Schaden anzurichten.    „Genma“, krächzte Kakashi und versuchte, sich aufzurichten, den linken Ellbogen krampfig gegen seine Seite gezogen.    Gnadenlos krachte Genmas Fuß in seine Flanke. Kakashis angezogener Arm schaffte es geradeso, seine Rippen zu retten, indem er etwas von dem Aufprall umlenkte. Trotzdem hämmerte der Tritt ihn seitwärts. Taumelnd klatschte er eine Hand auf den Boden, drehte sich auf dem Handgelenk und vollführte einen tiefen Schwung mit dem Bein, darauf abzielend, Genma von den Füßen zu fegen.    Doch Genma sprang mühelos über den Tritt und kam immer näher.    Kakashi rollte sich zurück auf die Füße, taumelte kopfschüttelnd auf und davon. „Lass uns das nicht tun, Genma.“   „Du hast das getan“, sagte Genma und ließ seine Arme zu beiden Seiten nach außen schnellen, während Senbons zwischen seinen Knöcheln aufblitzten. „Ich bin nur eine Konsequenz in Aktion.“ Er ließ seinen Arm in einem Bogen schwingen und die rasiermesserscharfen Nadeln flogen wie ein tödlicher Regen.    Kakashi wirbelte in einem Korkenziehersprung herum, sodass die Senbons in einem Thud, Thud, Thud gegen seine Flakjacke schlugen. Eine Nadel zwickte an seinem Hals und grub sich in die Polsterung seines Nackenschutzes. In einer Dreipunktehocke und mit gezogenen Kunai kam er auf dem Boden auf.    Über die kurze Distanz hinweg trafen sich ihre Blicke.    Distanz…   Gott, wie schnell sich diese Distanz zwischen ihnen geöffnet hatte. Und auch wie grausam, wenn man bedachte, wie unglaublich nahe sie sich nur Stunden zuvor gewesen waren. Eine Nacht, in der sie ineinander gefallen waren…nur um dann hunderte von Nächten zurück in die Vergangenheit zu fallen…   Zu dieser Nacht…   Dieser einen Nacht.    Als Kakashi Genma jetzt ansah, sah er, wie sich der Brand hinter diesen bronzenen Augen erhob; eine Feuersbrunst aus alten Flammen und Wahnsinn, die die Hoffnung des Kopierninjas in Asche verwandelte.    Dieser Kampf konnte nicht vermieden werden.    Es hatte lange gedauert…und die Zeit war jetzt. Denn es war nicht Genma, der ihn durch diese wilden, brennenden Augen anstierte. Es war Kaika.   __________________ Glossar: Kuchiyose no Jutsu: Beschwörungstechnik (z. B. bei vertrauten Geistern) Haori: Eine hüft- oder schenkellange, kimonoartige Jacke, die einem Outfit etwas Formalität verleiht Bakuryūgeki: Explodierender Drachenangriff (eins von Tentens Schriftrollenjutsus) Bōsui no Jin: Spindelformation (eins von Shinos Jutsus) Hyōton: Tatakikowasu: Eisversteck: Zersplittern/Zerspringen Genwaku no Jutsu: Blendtechnik (Genmas Ninjutsu, das Licht wie eine Blendgranate ausstößt) Nagareboshi: Bedeutet Sternschnuppe (Genmas Taijutsutechnik) Hey meine Lieben :)  Ja, endlich haben wir einen Augenblick erreicht, auf den vielleicht schon einige gewartet haben...Genma hat Kakashi gefunden und er ist nicht gerade gut aufgelegt. Bin sehr gespannt zu erfahren, was ihr von dem Aufeinandertreffen der beiden haltet, habt ihr es euch so vorgestellt? ;)  Und dann gab es natürlich auch nochmal ein bisschen Ino-Action, ich hoffe, das hat euch gefallen, auch wenn dieses Kapitel dadurch komplett ohne Shikamaru und Neji auskommen musste :D  Würde mich auf jeden Fall wieder sehr sehr freuen, ein paar Meinungen zu lesen und vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 29: Something changes ----------------------------- Heulen. Da war ein Heulen in Kibas Kopf. Sein eigenes, das von Akamaru und das Heulen der Chimären. Diese abgefuckten Affenhybriden hatten etwas Hündisches in sich. Aber sie waren kein Hund. Kein Wolf. Keinen Pfifferling wert. Blutrausch füllte Kiba bis zum Rand und drohte, über die Kanten seiner Kontrolle zu fließen. In seinem Kopf gab es keinen Käfig, nur seidiges Federgras, das rot verfärbt war, rot, rot, rot…   „GATENGA!“   Chakra riss sich durch ihn, dann durch sie.  Rot.   Wunderschönes Rot.    Es flutete sein Sichtfeld, seine Welt; eine Wildnis, wo nur der Kampf zählte. Nur der primitivste Drang zu töten oder getötet werden wogte schreiend durch sein Netzwerk, fraß Chakra und floss in Jutsu für Jutsu, bis er sich im Töten treiben ließ, in dem Chaos. Fangzahn über Fangzahn, wieder und wieder und…   Es ist vorbei.   Sagte die Stimme in seinem Kopf; der menschliche Teil, nicht der tierische. Der höfliche Passagier räusperte sich, als er doch einfach nur heulen wollte. Ein Zuschauer des Amoklaufs. Der Meister. Nicht das Biest.    Es ist vorbei.   Er spürte, wie diese Worte an seiner Kette ruckten und ihn wieder nach innen zerrten. Er war sechs Kills tief und grub immer tiefer, riss, getrieben von Hunger, Fleisch von Knochen…bis er das Salz roch. Nicht die Art, die in Blut vorkam. Das andere Salz. Das Salz, das nicht in seidiges Federgras gehörte…   Jemand weinte.    Jemand. Jemand.    Die Kinder. Die Kinder weinten.    Shit. Die Kids.   Sofort hörte Kiba auf zu kämpfen. Einfach so. Auf allen Vieren kam er zu einem krachenden Stillstand und löste sich von Akamaru, als das Jutsu nachließ. Sein Ninken schlitterte ein Stück weiter über den blutgetränkten Boden und ein tiefes Knurren gurgelte dabei in seiner Kehle mit gelben Augen, die zehn Arten von wild waren – jenseits von Hund und auch jenseits von Wolf.    Es ist vorbei, sagte die Vernunft.    Nein, ist es nicht, sagte etwas, für das er keinen Namen hatte.    Und Akamaru befand sich auf derselben Wellenlänge wie die letztere Stimme. Während er sich Blut aus dem Fell schüttelte, kam der Ninken nach vorn und hob die Lefzen in einem wölfischen Grollen.    Es gab nichts mehr abzuschlachten.    Nur barfüßige Kinder, die im Dreck kauerten.    Schwer keuchend wirbelte Kiba mit einem warnenden Knurren zu seinem Ninken herum und seine krallenbewährten Finger schnappten in einem behelfsmäßigen ‚Biss‘ nach vorn, der Akamaru an der Flanke traf. Bei dem Zwicken zuckte der Hund ein wenig zusammen und ging von Raubtiermodus in schlagartige Unterwürfigkeit über, als er zurückwich, um sich auf die Hinterläufe niederzulassen und die Gewalttätigkeit in langem Schnaufen aus ihm wich. Seine Zunge hing heraus, der Wolf zog sich zurück und der Hund kam wieder.    Kiba hingegen brauchte länger, um sich wieder einzukriegen und seine Nerven knisterten hitzig.    Verdammt…was für ein Rausch…   Verdammt, was für ein Durcheinander. Der Gestank von Tod verstopfte seine Nase und hing in seiner Kehle. Hyänen-Affen Chimären lagen in Stücken zerstreut um ihn herum. Totes Fleisch, in Fetzen gerissen. Sein Chakra hatte sie ziemlich gut durchgekaut, aber sie waren nicht liegen geblieben. Fette, hartnäckige Bastarde. Zum Kämpfen erschaffen. Er hatte sich dabei auch ein paar Andenken eingefangen und der Schmerz machte sich eine Wunde nach der anderen bemerkbar.    Wo ist das Eis von Nejis Hintern, wenn man es braucht?   Der Gedanke ließ ihn grinsen, auch wenn er sich ein wenig benommen fühlte. Erschöpfung lag direkt jenseits des Adrenalins und in einem langsamen Kriechen verließ ihn seine Energie und nahm dabei sein Chakra mit sich. Als er sich von den Handflächen abdrückte und auf die Knie sinken ließ, packte er seine Schenkel, keuchte schwer und richtete seine Augen auf die Kinder. Es waren vier; drei Mädchen und ein Junge. Verlorene Welpen ohne Namensmarken, nur blanke, stierende Gesichter – abgesehen von ihren Augen. Ihre Augen sprachen auf eine Weise zu ihm, wie es bei Tieren der Fall war. Sprachen von Misshandlung und Vernachlässigung und dem bitteren Geruch von Zorn, der irgendwo in dem Salz begraben war…   Er war überrascht, dass sie sich nicht zerstreut hatten.    Hn. Schätze mal, dass es mir nicht gerade Pluspunkte einbringt, wenn ich Akamaru dazu bringe, auf sie zu pinkeln…   Naja, er hatte sie beschützt. Mit Sicherheit musste ihm das zumindest ein bisschen Vertrauen eingebracht haben. Scheiße, sie hatten die Möglichkeit, abzuhauen, aber im Moment ergriffen sie sie nicht.    Gut…   Er hatte auch keine Lust auf eine Runde Fangen spielen. Und er hatte bereits genug Zeit verloren, indem er mit Akamaru einen auf einsamen Jäger gemacht hatte. Eigentlich war er auf der Suche nach seinem eigenen Rudel gewesen und hatte nicht vorgehabt, dieses Bündel aus kleinen Streunern zu finden.    Shit. Ich kann keine Spur aufnehmen und die Kids gleichzeitig beschützen.   Kiba schluckte schwer und wartete, bis etwas von dem Grollen seine Stimme verließ – und dann berührte er sein beschädigtes Mikrofon, um an den Einstellungen herum zu fummeln. „Yo. Hört mich irgendwer?“   Doch bevor der Ohrstöpsel auch nur knacken konnte, erhaschte er den Geruch eines anderen Tieres – etwas, das sich viel zu schnell bewegte, um gehört werden zu können und es näherte sich ihm aus variierenden Richtungen, als würde es Sätze machen, während es sich immer noch fortbewegte.    Was zur Hölle?   Kiba wirbelte herum und rutschte zurück, um sich mit gezogenem Kunai zwischen die Kinder und die Bedrohung zu stellen. Auch Akamaru hatte bereits eine defensive Haltung angenommen, die Beine gespreizt und den Kopf niedrig, während er die Lefzen über schimmerndem Zahnfleisch und spitzen Fangzähnen zurück zog.    „Ganz ruhig“, knurrte Kiba, als seine eigene Haltung in eine raubtierhafte Hocke sank. Seine Augen blitzten und seine Ohren spitzten sich über das Rauschen von Blut in seinem Kopf.    Ein blitzartiges Flackern aus dem Augenwinkel; viel zu schnell, um ihm folgen zu können. Er musste es aber auch nicht verfolgen, denn es erschien erneut, flackerte nach links und dann wieder zurück nach rechts. Ein silberweißer Blitz, der im Zickzack ins Sichtfeld auf- und wieder abtauchte, bevor er direkt vor ihm in der Mitte erstarrte.    Ein weißer Fuchs.    Verwirrt blinzelte Kiba und hätte vielleicht sogar ein bisschen gelacht. „Sieh an, na bist du nicht süß?“   Der Fuchs legte die Ohren flach gegen den Schädel und sein Fell sträubte sich entlang des Nackens. Doch bevor Kiba die Zurschaustellung von Verärgerung bei dem Tier vollständig registrieren konnte, schossen zwei weitere Füchse aus dem Dickicht, strichen über die kurze Distanz und kollidierten in einem Flackern aus Chakra mit dem anderen Fuchs, das so intensiv war, dass sich die Luft wie in einem Hitzeflimmern verzerrte.    Innerhalb eines Wimpernschlags stand der fuchsgesichtige Nagu Wächter vor ihm. Jetzt lachte Kiba wirklich und sein Körper sackte etwas zusammen. „Tja, Shit.“   Fuchsgesicht sah an ihm vorbei zu den Kindern und bernsteinfarbene Augen weiteten sich leicht bei ihrem Anblick. Es war keine Überraschung, die sich auf dem Gesicht des Nagu bemerkbar machte. Eher eine Art Bestätigung – als hätte er die ganze Zeit nach ihnen gesucht.    Stirnrunzelnd richtete sich Kiba auf, schob das Kunai in seinen Ärmel und humpelte hinüber. „Wo sind die anderen?“   Fuchsgesicht ruckte mit dem Kopf über die Schulter und deutete damit in die Richtung, aus der er gekommen war. Das war nicht wirklich die Beschwichtigung, die Kiba gewollt hatte. Der Hundeninja zog die Brauen zusammen. „Ist irgendjemand verletzt?“   Der Nagu blinzelte ihn nur an und wiederholte dieses ‚über die Schulter‘-Ding, bevor er sich auf die Kinder zubewegte, sich in einer Hocke niederließ und die Handflächen nach außen hielt, um mit Körpersprache in die universellen Zeichen von Frieden überzugehen. Die Kinder schienen zu zögern, aber gemessen an ihren Optionen an Rettern, musste Fuchsgesicht wohl wie die sicherere Wette aussehen. Zum Beispiel war der nämlich nicht von Kopf bis Fuß mit Chimärenblut und Eingeweiden besudelt.    Ugh…   Während er sich so das Chaos besah, wurde Kiba von Sorge hart in die Magengegend getreten – etwas verspätet und vollkommen plötzlich. Er hatte eine ganze Menge mehr von diesen Monstern gerochen. Der Nagu Typ hingegen schien nicht sonderlich besorgt zu sein, aber Kiba würde das Schweigen von dem Kerl sicher nicht als Indiz dafür nehmen, dass die anderen auch wirklich okay waren.    „Oi!“, blaffte Kiba den Nagu an – wie zur Hölle hieß er noch gleich? Scheiß drauf. „Ich hab dich was gefragt.“   Als er sich aufrichtete, bedachte Fuchsgesicht den Hundeninja mit einem Ausdruck erzwungener Geduld und berührte sachte seinen Mund, während er den Kopf schüttelte. Da er ziemlich genervt war, brauchte Kiba eine Sekunde, um zu begreifen. Überrascht blinzelte er. Ein stummer Wächter, huh? Das wäre ja vielleicht interessant gewesen, wenn es nicht so abartig zum Kotzen gewesen wäre, wenn es um das Sammeln von Informationen ging.    Wird für ihn auch nicht gerade spaßig sein…   Obwohl Kiba angesichts der allgemeinen Ernsthaftigkeit der Nagu stark bezweifelte, dass Spaß überhaupt bei irgendetwas eine Rolle spielte. Mit einer Ruhe, die stark darauf hindeutete, dass sie sich außerhalb einer unmittelbaren Gefahr befanden, begann Fuchsgesicht, die Kids behutsam in die Richtung zu treiben, aus der er gekommen war, während er Kiba gleichzeitig mit einem Winken bedeutete, ihm zu folgen.    Nett.   Viel zu müde, um sich quer zu stellen, grunzte Kiba einfach nur zustimmend und folgte in geringem Abstand, wobei er seine Verletzungen katalogisierte und einschätzte, wie viele davon wohl als Narben zurückbleiben würden. Er scherte sich nicht wirklich um diese Male. Er hasste einfach nur das Jucken heilender Haut. Vielleicht konnte er sich mit Charme einen Weg zu einer Chakraheilung von Ino manövrieren.    Ino…   Während seines Kampfes hatte er nicht zugelassen, an irgendjemand anderen zu denken. Viel zu ablenkend. Zu gefährlich. Aber jetzt…   „Akamaru“, krächzte er. „Bleib bei den Kids.“   Ein leises Wuff von seinem Ninken und Kiba beschleunigte seine Schritte, wischte den Schmerz beiseite, der in seinem Körper brannte und wurde dabei von einer plötzlichen Dringlichkeit getrieben, die weniger mit Sorge und mehr mit Panik zu tun hatte. Er verfiel in ein Traben, überholte die Kinder und Fuchsgesicht, folgte seiner Nase einen Pfad entlang, der sich ihm nur aufgrund von Geruch offenbarte, bewegte sich schneller, atmete schwerer, rannte inzwischen.    Fauchend probierte er noch einmal sein Mikrofon aus. „Verfickt nochmal, redet endlich mal jemand mit mir?!“   „Kiba.“   Ruckartig kam er zum Stehen, stolperte dabei über eine Wurzel und wirbelte, geschockt von seinem Ausrutscher, herum. Hätte sie ihn nicht gerufen, dann wäre er direkt an ihr vorbei gerannt. „Scheiße. Tenten.“   Geduckt in einem Versteck aus den Wurzeln eines massiven Würgebaums, grinste die Kunoichi düster zu ihm hoch und ein kleines Blutrinnsal lief aus dem Schnitt in ihrer Stirn, um die Seite ihres Gesichtes wie eine Träne einzurahmen. „Du kommst spät zur Party.“   Kiba stieß ein atemloses Lachen aus und schlich zu ihr hinüber, wobei er diesmal auf Knöchel brechende Fallen und von Wurzeln geformte Schlaglöcher achtete. „So toll kann es ja nicht sein, wenn du es nur aussitzt.“   Noch einmal versuchte sich Tenten an einem Schmunzeln, verzog aber auf halbem Weg das Gesicht. „Die Tanzfläche wurde ein bisschen chaotisch. Gott, du siehst furchtbar aus, Kiba.“   Schnaubend ergriff Kiba ihre ausgestreckte Hand und zog sie sachte zu sich heran, während er ihren Arm um seine Schultern legte und dabei den zehn Zentimeter langen Dorn ignorierte, der noch immer in seinem Rücken steckte. „Hast du irgendwen von den anderen gesehen? Weißt du, ob sie okay sind?“   „Jo, uns geht’s allen soweit gut. Das Team hat sich weiter hinten beim See wieder gesammelt“, bestätigte sie und lehnte sich an ihn, um ihr rechtes Bein ein wenig zu entlasten. „Ich habe versucht, diesen Nagu Typen zu finden, aber er hat sich einfach viel zu schnell bewegt. Ino hat irgendwas gesagt, sie hätte Kinder oder einen Jungen gesehen. Bin mir nicht sicher, ob da irgendein komischer Pflanzensaft seinen Schabernack mit ihrem Verstand treibt. Ich glaube, Yako ist los, um das zu überprüfen.“   Yako! Das war’s.   „Kein Pflanzensaft; dahinten habe ich vier Kinder gefunden“, sagte Kiba, als Erleichterung über die Kanten seiner Panik hinweg wusch und die Anspannung in seinem Gesicht etwas weicher machte. Ino und die anderen waren sicher. Scheiße. Sein Verstand hatte sich schon auf das Schlimmste gefasst gemacht.    Jetzt müssen wir uns nur noch um Team Hyūga Sorgen machen…   „Was zur Hölle machen Kinder in einer Einrichtung wie dieser?“, fragte Tenten leicht taumelnd. „Das ist kein Ort für Kids, nichtmal an einem guten Tag.“   „Sollte man meinen, gell? Pass auf, wo du hinläufst.“ Kiba bog seinen Arm um Tentens Taille und lief vorsichtig weiter, um sie in die Richtung zu führen, in die er gegangen war. „Yako bringt sie mit. Bist du schwer verletzt?“   „Ich glaube, der verstauchte Knöchel tut mehr weh als alles, was blutet.“   Kiba warf ihr einen amüsierten Blick zu. „Verstauchter Knöchel. Ernste Sache. Denkst du, du kommst durch?“   „Ha, ha“, grummelte sie und hoppelte neben ihm her. „Ich kann dir immer noch mit dem anderen Fuß in den Arsch treten, Inuzuka.“   Sie stapften ein Stück weiter und fanden einen überwucherten Versorgungsweg, der hinunter zum See führte. Unter dem dumpfen, roten Glühen der Notfalllichter sahen die Kadaver der Chimären doppelt so blutig aus, die in Haufen und Fetzen herum lagen; zerstörte Spielzeuge der Wissenschaft, ein düsterer Spielplatz des Todes. Kiba rümpfte die Nase gegen den Gestank und neigte den Körper, um Tentens Gewicht abzufangen, als sie seitwärts einen Abhang hinab rutschten. Und in der Sekunde, als sie ebenen Boden berührten, wurde Kiba beinahe von den Füßen gerissen. Die Erde war frostig und rutschig vor Eis.    Sein Griff um Tenten verstärkte sich. „Albinomädchen war wohl beschäftigt.“   „So wie du“, sagte eine Stimme hinter ihm.    Shino.   Kiba stieß ein Seufzen aus, das mehr erleichtert statt verärgert war, drehte den Kopf und sah zu, wie sein Teamkamerad auf sie zu getrottet kam. Shino sah ziemlich fertig aus, aber nicht halb so blutig wie Kiba.    Na schön.   „Verdammt“, lachte der Hundeninja und ließ Tenten vorsichtig zu Boden gleiten. „Bin ich der Einzige, der sich mit diesen Biestern im Dreck rumgewälzt hat?“   „Das wäre auf jeden Fall dein Stil“, erwiderte Shino. „Schlampig…aber zufriedenstellend. Immerhin hast du es ja lebend raus geschafft.“   Kiba hob die Brauen und ein trockenes Grinsen bog seine Lippen. „Pf. Ich hab mir auch Sorgen um dich gemacht, Kumpel. Wo sind die anderen?“   „Chōji und Yuki überprüfen die Umgebung. Ino ist -“ Als sich seine Aufmerksamkeit auf den Pfad richtete, brach Shino ab. Kiba spähte über die Schulter und sah, wie Yako die Kinder wie ein Schäfer den Hang hinunter dirigierte. Sie blieben dicht aneinander gedrängt und die Mädchen hielten sich an den Händen. Der Junge klammerte sich an Akamaru.    „Also“, raunte Shino, „hatte Ino recht.“   Ein aufgeschrecktes Keuchen ließ ihre Köpfe herum schnellen.    Ino stand ein paar Schritte entfernt; alle Arten von blutig und alle Arten von verletzt. Das Gesicht übersät mit zornigen Kratzern, ihr Haar ein schlaffes, verfilztes Band, das ihr über die Schulter hing und Verbände und Kompressen rosa verfärbt von Blut. Der Arm, den sie fest gegen die Brust gedrückt hielt, wies eine straffe Reihe an Wundnahtstreifen auf.    Sie sah völlig erledigt und totmüde aus – aber sie lebte.    Kiba fing an zu lächeln, aber dann sah er den wilden Ausdruck in ihren Augen.    „Das ist er nicht“, wisperte Ino.    Stirnrunzelnd folgte Kiba der Richtung ihres Starrens bis zu der Gruppe aus Kindern. Der Junge unter ihnen, ein verwahrlostes Kind mit sandfarbenem Haar und verängstigt zuckenden Augen, wich hinter Akamaru zurück.    Mit zusammengezogenen Brauen neigte Shino den Kopf in Inos Richtung. „Was meinst du?“   „Das ist er nicht“, wiederholte Ino und stolperte vorwärts, während ihr der Atem in der Kehle stockte. „Da war noch ein Junge. Da war noch ein Kind.“ Sie pinnte Yako mit einem mörderischen Blick fest. „Wo ist das andere Kind!“   Kiba packte ihren Ellbogen und zog sie einen Schritt zurück. „Du machst ihnen Angst. Und da waren nur vier.“   Ino befreite sich aus seinem Griff und schubste ihn von sich, wobei sie Panik und Schuldzuweisungen mit diesen riesigen, verzweifelten Augen auf ihn übertrug. „Da war noch ein Junge. Ein anderer Junge! Ich habe ihn gesehen. Ich bin ihm nach. Ich…“ Sie brach ab und ihr Blick wanderte wieder den Hang hinauf.    Bei dem Ausdruck in ihren Augen versteifte sich Kiba. „Ino.“   Genau wie er es vermutet hatte, stürzte sie los. Fluchend nahm er sofort die Verfolgung auf und überließ Shino und die anderen ihrer Bestürzung. Keine Zeit für Erklärungen und auch keine Zeit, um um Erlaubnis zu fragen.    „Ino!“   Sie wurde nichtmal langsamer, hielt ihren Arm weiterhin gegen ihren Körper gedrückt, die Beine schwer ausgreifend, als sie den Abhang erklomm und in einem trunkenen Stolpern durch das Dickicht rannte – ungeschickt, müde, panisch. Die perfekte Beute.    Scheiße!   Als er den Kamm des Buckels erreicht hatte, schaffte es Kiba, Boden wett zu machen, holte rasch auf und bahnte sich im Zickzack einen Pfad durch die Farne, um Ino den Weg abzuschneiden. Beim nächsten Hang kam er ihr zuvor und überrumpelte sie mit einem Satz, der sie beide krachend seitwärts durch ein blutverschmiertes Meer aus Pampasgras sandte.    „Du Hurensohn!“, kreischte sie und kratzte nach ihm.    Er zerrte sie unter sich und versuchte, sie mit seinem Gewicht festzunageln.    Ganz blöde Idee.    Ino rammte ihr Knie in einem raschen Rucken nach oben, das prekär kurz davor war, seine Eier bis hoch in seinen Hals zu donnern. Da sich Kiba rasch drehte, erwischte ihn der Schlag an der Hüfte und warf ihn von ihr. Blitzartig rollte sie fort, strampelte haltsuchend und kämpfte sich auf die Füße, während sie sich zum Rand des Grases tastete.    Oh Scheiße nein, das machst du nicht.   In einem flinken Armeekriechen bewegte sich Kiba durch die hohen Halme und packte ihren Knöchel, um hart daran zu ziehen.    Ino jaulte und ihre Arme wirbelten kurz herum, bevor stürzte und sich Büschel aus weichem Pampas um sie herum zusammenfalteten. Sie ging zu Boden und blieb unten.    Schwer keuchend krabbelte Kiba zu ihr hinüber und fühlte sich dabei, als hätte man ihm gerade sein Becken zertrümmert. „Bist du eigentlich völlig bekloppt?“, fauchte der Hundeninja, als er sich durch das platte Gras schob und seine Arme zu beiden Seiten ihrer ausgestreckten Gestalt abstützte. „Du wirst ganz bestimmt niemanden retten, indem du…“ Die Worte verkeilten sich in seiner Kehle und sein Körper versteifte sich.    Ino lag auf einen Ellbogen gestützt auf dem Bauch, als wollte sie sich aufrichten; nur war sie dann auf halbem Weg erstarrt, ihr Körper in demselben Schock versteinert wie ihre Miene.   Was zum?   Blinzelnd blickte Kiba nach vorn durch das Gras und sah, was sie anstarrte. Alles in seinem Inneren verwandelte sich zu Eis. Der Kampf verließ ihn so schlagartig, dass er spüren konnte, wie die Wärme aus seinem Gesicht wich und kalter Schweiß benetzte seine Stirn.    Dort, im Dreck liegend. Ein Kind. Ein Junge. Kupferfarbene Haut, dunkelhaarig, seine blaugrauen Augen vakant in eine andere Welt stierend; aus dieser war er schon lange fort.    Kiba war übel und dann fühlte er ein Schaudern, das in einem feinen Beben durch ihn wogte. Es war Ino. Ihr gesamter Körper zitterte unter ihm. Sie streckte einen Arm zu dem toten Kind aus und Kibas Herz hämmerte hart gegen seine Rippen.    „Ino…“   Sie schüttelte den Kopf; zuerst langsam in einem benommenen Schwung von Seite zu Seite, der sich schnell zu einem wilden Schütteln beschleunigte. „Nein“, wisperte sie, ließ ihre Stirn gegen ihre Armbeuge singen und krallte ihre Finger in das Gras. „Nein. Nein. Nein.“   Bis ins Mark erschüttert schwebte Kiba weiterhin über ihr, sein Gesichtsausdruck zerrissen zwischen Schock und Verwirrung, als er die Leiche musterte. Keine Bissspuren. Keine Anzeichen eines Kampfes. Kaum Blut.    Und dann sah Kiba es.    Es waren nicht die Chimären gewesen, die den Jungen getötet hatten. Es war der kleine Flintdolch, der in seinem Hals begraben war.    ~❃~   Er wusste nicht wie, aber die Welt war fort.   Er selbst war ebenfalls fort.   Fort gegangen an einen Ort, an dem es nur die Finsternis gab. Doch es war keine leere Finsternis. Da war etwas, das in ihr wuchs; der Same eines Gedankens, eine kaum vorhandene Empfindung, ein Pulsieren so weich wie der Herzschlag eines Kindes.    „Ein Kind?“, spottete die Finsternis. „Keine Kids hier unten außer du. Muss ich jetzt auch noch deine Hand halten?“   Aufgeschreckt von der Stimme öffnete Shikamaru die Augen und sah Farbe in der Finsternis; das Glühen einer einzelnen Flamme. Zusammengerollt zu einem Ball lag er auf harter Erde, die nach feuchtem Putz und verfaultem Stoff roch. Ein kalkhaltiger Rückstand bedeckte seinen Mund; vermischte sich mit dem abgestandenen Geschmack von Stroh und dem kupferartigen Hauch von Blut. Er lag in der Mitte einer Gefängniszelle, sah dünne Streifen aus Licht und Schatten; ein Überkreuzen von kaltem Stahl, der durch die Flamme golden schimmerte.    Kein Gefängnis…ein Käfig   Er spürte feuchten Fels an seinem Rücken, seine Muskeln waren taub und steif. Ächzend drehte er den Kopf und blinzelte hinauf in die Dunkelheit. Eine blasse Steinwand bog sich hoch über ihn, stumpfe Stalaktiten tropften, tropften, tropften…   Kalkstein…   Das erklärte den kalkigen Geschmack und Geruch. Er versuchte, zu schlucken, fühlte einen seltsamen Druck an seinem Hals; als hätte sich eine kalte Hand um seine Kehle gelegt. Mühsam zerrte er einen Unterarm unter sich, hob langsam seinen Kopf und zog eine finstere Miene, als ihm sein Haar in die Augen fiel.    Was zur Hölle macht mein Haar offen?   Als er sich etwas mehr aufsetzte, hörte er ein plötzliches Kratzen von Metall und das laute, schleifende Zischen davon zerriss die Stille. Stirnrunzelnd hob er eine Hand, berührte seinen Hals; und erstarrte. Kalter Stahl unter seinen Fingerspitzen – eine Fessel, die um seine Kehle gelegt war.    Das darf nicht wahr sein.   Während er seine Finger gegen das sperrige Halsband krallte, folgte er ihm herum, suchte nach einem Riegel, einem Schloss – irgendwas! – fand aber nur eine dicke Schlaufe und eine Kette, deren raue, rostige Glieder nach unten auf den Boden schlängelten. Shikamaru klammerte sich daran, als wäre es eine Rettungsleine, kroch auf den Knien vorwärts und folgte der Kette zu ihrem Anfang – einer eisernen Schlaufe, die in steinharte Erde getrieben war. Er riss daran, kratzte an den Rändern herum, suchte nach Schwächen, bis Blut unter seinen Fingernägeln verkrustete.    „Hn. Viel Glück dabei.“   Knurrend rammte Shikamaru die Ferse seines nackten Fußes gegen die Öse und verstauchte sich dabei den Knöchel. Keine Schuhe, kein Shirt, nur schwarze Hosen und eine Netzweste. Er drehte seine Hände hierhin und dorthin, die Augen weit und eine Übelkeit erregende Panik zog sich durch ihn.    Was zur Hölle ist das?   Sein Kopf schnellte nach oben und seine Augen suchten das düstere Innere seiner Zelle ab. Sie war in den Fels geschnitten. Eine Höhle, die zu einem provisorischen Gefängnis umgewandelt worden war. Mehr wie ein Kerker.    Kerker? Wo ist der Keller?   Das Höllenloch. Der Köderraum. Die tollwütigen Tiere. Der Ort seiner Albträume. Auf der Suche nach irgendeiner Vertrautheit musterte er seine Umgebung. Wie immer gab es niemals ein davor oder danach. Nur das. Nur, dass dasnicht länger das Das war, an das er sich erinnerte.    „Du würdest lieber wieder in diesem ‚Höllenloch‘ feststecken?“, fragte die Finsternis. „Wie lästig.“   „Fick dich“, knurrte Shikamaru und seine Augen flammten scharf wie Klingen auf, als die gebrannten Sienna-Iriden im Kerzenlicht bernsteinfarben leuchteten.    Nein. Kein Kerzenlicht…   Ein Feuerzeug. Asumas Feuerzeug. Dort. Direkt im Zentrum des Käfigs liegend. Das leicht eingedellte und angelaufene Metall glühte silbern-bronze unter seiner tanzenden Flamme.    „Ja, das ist das einzige Ding, das an dieser Erinnerung nicht real ist. Aber statt dich im Dunkeln rumkriechen zu lassen, dachte ich mir, du könntest etwas brauchen, das diesem Ort die Schärfe nimmt. Dieser Ort, von dem du dachtest, ich würde ihn dich vergessen lassen.“   Shikamaru stierte auf die Flamme, spürte, wie die Rückseiten seiner Augen nass wurden. Er blinzelte wild, knurrte die Schatten an, die um ihn herum schrumpften und anschwollen. Hatte er das Bewusstsein verloren? Er hatte doch Chimären bekämpft, oder nicht?   „Wo zur Hölle bin ich?“   „Ah, das ist eine Fangfrage. Auf jeden Fall bist du sicher. Dank mir. So wie immer.“   Shikamaru zog angesichts der Worte die Brauen zusammen, doch seine Stimme verlor etwas an Hitzigkeit. „Sicher? Wenn ich in einer Zelle eingeschlossen bin?“   „Was denn? Gefällt es dir nicht?“, schnaubte die Finsternis; es war ein seltsam menschlicher Klang. „Ich muss ja sagen, dass mir dieser Ort weitaus besser gefällt als dieses ‚verlockende Kellerloch‘, in dem du und der ANBU-Mann MICH eingesperrt habt.“   ANBU-Mann? Das klang vertraut. Unbehaglich. Ein phantomhafter Schmerz.   Die Finsternis sträubte sich um ihn herum, fühlte sich auf einen Schlag heiß an. „Du musst nicht an ihn denken.“   Nur war es gerade alles, an was Shikamaru denken konnte. Er hätte schwören können, dass er das letzte Mal ein maskiertes Gesicht gesehen hatte, oder nicht? Warte. War das letzte Mal das erste Mal gewesen, dass er es gesehen hatte? Wie viele Male war er schon hier gewesen? Eine Vision von Augen, nicht grau, nicht blau, eine andere Farbe…eine Mischung…violett?   „Tu das nicht!“, warnte die Finsternis. „Nicht einmal ANBU-Mann würde wollen, dass du dich dorthin begibst.“   Wohin?   Ein rohes, kehliges Keuchen zerbrach die Stille und Shikamaru machte einen Satz, als wäre er geschlagen worden. In einer niedrigen Hocke wirbelte er herum und verzog das Gesicht, da sein Haar offen herum schwang; abgehackte schwarze Strähnen schlugen gegen seine Schulterblätter.    Der erstickte Klang ertönte erneut.    „Wer zur Hölle ist noch hier drin?“, wollte er von der Finsternis wissen.    „Nichts und niemand, den du sehen willst, glaub mir.“   „Dir glauben?“ Shikamaru spie die Worte aus und versuchte einzuschätzen, woher das Geräusch gekommen war. „Du redest eine Menge über Lügen und Geheimnisse, aber ganz offensichtlich behältst du sie gerne für dich, oder?“ Er presste sich gegen die Kalksteinwand und seine Hände glitten über den kalten bröckelnden Fels. War da eine weitere Zelle an seine eigene angeschlossen?   „Das willst du wirklich nicht tun.“   Wahrscheinlich nicht, doch die Warnung gab ihm den Ansporn, weiter zu machen. Scheiß auf Vorsicht. Wenn er schon in irgendeiner unterbewussten Kammer seines Verstandes festsaß, dann hatte er verfickt nochmal auch das Recht zu versuchen, einen Sinn aus dem wie auch immer gearteten Bild zu machen, das sich in der dunkelsten Ecke dieses Raumes abspielte.   „Ja, das Recht hast du, aber nicht das Verständnis. Du wirst nicht in der Lage sein, einen Sinn daraus zu machen. Du hast nicht genug Informationen.“   Shikamaru richtete sich aus seiner Hocke auf und legte ein Ohr an die Wand. Finster starrte er auf die Schatten, die um seine Füße waberten. „Warum gibst du mir diese Informationen dann nicht einfach?“   „Du bist noch nicht bereit.“   „Wer zur Hölle hat dir eigentlich das Recht gegeben, darüber zu entscheiden?“   „Du warst das. Ich habe immer die Entscheidungen getroffen, wenn es um diese Angelegenheit geht. Du bist viel zu schwach dafür.“   „Fick dich!“, schnappte Shikamaru und schluckte alles hinunter, was er dem noch hinzufügen wollte – oder was er fragen wollte. Er wollte verdammt sein, wenn er es zugeben würde, aber diese ominösen Worte – ‚Du warst das‘ – spielten auf seinen Nerven wie auf Saiten, erzeugten schrille Noten, die in seinem Kopf klingelten; Alarmglocken, die ihn warnten, sich fernzuhalten.    „Ja…du solltest auf sie hören. Geh nicht weiter.“   „Bring mich doch dazu.“   „So funktioniert das nicht. Ich diene. Ich kontrolliere nicht. Ich bin nicht Hyūga Neji.“   Shikamaru versteifte sich und hielt mitten in seiner Suche an der Wand inne. „Wage es nicht, über Neji zu sprechen.“   Ein dunkles Kichern wie schwarzer Rauch über Shikamarus Verstand. „Warum zur Hölle nicht? Er nimmt eine MengePlatz hier unten ein. All diese Gedanken, all diese Sehnsüchte…die, von denen du nicht einmal zugeben willst, dass du sie hast.“ Hier veränderte sich die Stimme und nahm eine leise, verführerische Kadenz an; raunend und heiß. „Denkst du, dass er dich es tun lassen würde? Er steht nicht besonders darauf, unten gehalten zu werden. Aber andererseits, du ja auch nicht.“   Das fror den Moment ein – bis Zorn ihn zersplitterte. Shikamaru riss sich von der Wand los, fühlte, wie das Halsband um seine Kehle heftig zerrte und die Kette rasselte. Er stierte in die Finsternis und wusste, dass sie zurück starrte. „Ich weiß, was du hier zu tun versuchst.“   „Du weißt einen Scheiß“, lachte die Finsternis. „Du bist so ahnungslos. Genau wie du es Naruto immer vorgeworfen hast. Aber zumindest hat der Kerl genug Eier, um sich seinen Dämonen zu stellen. Er ist stark genug, ein Monster in sich zu halten, ohne eines zu werden. Bist du das auch?“   Die Frage traf Shikamaru so heftig, dass er zurück taumelte, als hätte er einen Schlag einstecken müssen und sein Atem bebte in seiner Kehle. „Sei still.“   Es schmerzte, zu denken, zu versuchen zu denken, zu versuchen, all die Fragmente aus Furcht zu packen, die in seinem Kopf herum flogen und sie zu etwas zusammenzusetzen, das einen Sinn machte.   Wahnsinnig. Das war es, was das hier war.    „Ich sollte nicht hier sein…“, krächzte er plötzlich und kopfschüttelnd. „Ich sollte nicht hier sein.“ Hätte nicht zurückkommen sollen. War sich nicht sicher, wie oder warum er das wusste, aber er fühlte es mit einem unerschütterlichen Empfinden von Klarheit. Eine Warnung, die sich ebenso grell durch ihn brannte wie die Flamme von Asumas Feuerzeug; die Verwirrung zurückkämpfend, die Schatten, die Lügen.   „LÜGEN?“ Die Finsternis explodierte und das Geräusch war so ohrenbetäubend in seiner Lautstärke, dass es zu einer Einheit wurde, ein grundlegendes Schaudern, das Shikamaru wie eine Schockwelle erschütterte. „Ich habe dich NIEMALS belogen. Nicht wie Genma! Nicht wie dieser ANBU Bastard!“   Ruckartig hob sich Shikamarus Kopf. „Genma?“   Etwas in seinem Verstand machte Klick…oder vielleicht brach auch etwas…   Schmerz detonierte wie Feuerwerk in seinem Schädel und die Zelle flammte mit Weiß auf; ließ Erinnerungen in einer blutigen Eruption aus Bildern gegen die Wände seines Geistes branden; Genma. Die Chūnin Prüfungen. Dieser gruselige, echsenartig aussehende Typ. Yamori. TEKISHA SEIZON. Die hirschgesichtige ANBU Maske. Violette Augen. Die Explosion. Die zerfetzten Worte, die Empfindung, getragen zu werden, die Explosion, die Hitze…die Finsternis…die Schatten…seine Schatten…ihre Schatten…   „Unsere Schatten. Immer. Wir sind die Schatten.“   „Nein.“ Shikamaru stolperte zurück gegen die Höhlenwand und Steine bissen sich in seine Haut. Schweiß rann sein Gesicht hinab, tropfte aus seinem Haar und stach in seinen Augen. Er versuchte, seinen Kopf zu packen, musste aber feststellen, dass sich Schattenhände um seine Handgelenke schlossen und sie fort zogen. „Das ist nicht…ich bin nicht…“   „Doch. Doch, das bist du“, schnurrte die Finsternis sanft und beruhigend wie Eltern. Lippen legten sich an sein Ohr.„Ja. Ja. Ja.“   Shikamaru drehte sein Gesicht fort und seine Augen suchten wild nach Asumas Feuerzeug – diese einzelne Flamme in der Dunkelheit; die Hoffnung in diesem Chaos.   „Hoffnung? Die ist dir gerade ausgegangen. Und ich bin endlich raus.“   Die Schatten schlossen sich um ihn wie schwarze Wellen an einem gebrochenen Ufer – ein Ufer, an dem Erinnerungen immer wieder angespült wurden – wieder und wieder, nur um fortgespült zu werden, bevor er die Schrift im Sand lesen konnte. „Stop…“   „Du willst es lesen, nicht wahr?“, sagte die Finsternis und hob eine schattenhafte Hand, um sein Haar aus seinem Gesicht zu schieben – eine träge, vertraute Geste. „Du willst Sinn daraus machen können. Du willst, dass alle Teile zusammenpassen. Dass sie aufhören, in deinem Kopf herum zu fliegen…dich zu verletzen, andere zu verletzen…“   Shikamaru schluckte schwer. „Ja.“   „Ja“, stimmte die Finsternis zu und diese Schattenhand schob sich an seinen Nacken; klopfte leicht. „Du hast mit den Teilen eines Spielbrettes gespielt, das jemand anderem gehört. ANBU-Manns Spielbrett. Genmas Spielbrett. Das Spielbrett von Lügnern und Betrügern. Ich werde dich niemals belügen. Ich werde dich niemals betrügen. Das glaubst du doch, oder?“   Mit einer Sicherheit, die ihm panische Angst machte – ja. Er wagte es nicht, es laut auszusprechen, fühlte sich verräterisch, auch nur so zu denken. Seine Augen lagen auf Asumas Feuerzeug, suchten nach dem Willen des Feuers, der ihm hinterlassen worden war, fand aber nichts als Asche und Glut statt einer immerbrennenden Flamme.    Die Schattenhand packte ihn am Kiefer und drehte sein Gesicht zurück. „Dein Wille des Feuers brennt in den Schatten. Kapierst du das nicht? Du hast schon immer etwas gebraucht, das stärker ist als du, um dich zu retten. Scheiße, du brauchst, was du schon immer gebraucht hast.“ Noch einmal das Streicheln von Lippen gegen sein Ohr, die sich zu einem langsamen Lächeln bogen. „Mich.“    Shikamaru versteifte sich gegen das instinktive Pulsieren von Hitze in seinem Inneren. „Nein.“   „Doch, du fühlst es. Ich bin, was du brauchst. Also mach und nutze mich. Ich bin gut darin, all die Dinge zu übernehmen, mit denen du nicht fertig wirst. Scheiße, ich werde sogar deinem kostbaren Hyūga Neji geben, was du niemals konntest.“   Seine Augen flogen weit auf und Shikamaru donnerte den Schatten zurück und er spürte – zum ersten Mal – die Stabilität eines Körpers, eine menschliche Form ohne Konturen, eine schwarze Schattenfigur, die mit einem kehligen und heiseren Lachen ein paar Schritte zurück stolperte. „Mann, sieh sich das einer an. Du brauchst ihn ebenso so sehr wie du mich brauchst.“ Der Schatten wackelte warnend mit einem Finger und trat mit gesenktem Kopf wieder nach vorn. „Ist nicht wirklich eine Überraschung. Du denkst, dass es reine Tugend deines feigen Herzens war, dass du versucht hast, Neji vor sich selbst zu retten? Du denkst, dass du ihm all die Male nachgejagt bist, weil du ihn finden und zurück bringen wolltest? Bullshit. Du hast nicht versucht, Neji zu finden; du hast versucht, mich zu finden.“   „Nein.“ Shikamaru stieß das Wort bebend hervor und seine Augen brannten nass, als er in die Flamme starrte und sich ein grauenhafter Schmerz um seine Kehle schloss. „Das ist nicht wahr.“   „Bist du dir sicher?“, spottete der Schatten und kam näher. „Denk scharf nach, bevor du antwortest.“   Ein Schütteln; sowohl innerlich als auch äußerlich. Die Kette begann in seinen Händen zu zittern. Shikamaru sog die Luft ein und seine Augen fixierten sich auf das Feuerzeug, die Flamme. Sie begann zu schrumpfen, die Düsternis in der Zelle wurde noch dunkler und dunkler, bis sich Shikamarus Sicht mit Schwarz zu füllen begann; Schatten krochen an den Rändern näher. „Ich muss aufwachen.“   Ein spöttisches Kichern. „Das ist keine Antwort.“   „Fahr zur Hölle.“   „Du hast mich bereits dorthin geschickt.“ Shikamarus Herz verkrampfte sich schmerzhaft bei diesen Worten. Nejis Worte. Ausgesprochen in derselben tiefen Kadenz und einem vernichtenden Wispern in der Dunkelheit. „Jemand, dem du ebenso sehr vertraut hast, wie ich dir.“   Brüllend drehte Shikamaru den Schatten seinen Rücken zu, der Finsternis, der Hölle in seinem Kopf und rammte seine Fäuste gegen die Höhlenwand, riss sich die Haut auf und schmierte Blut über den bleichen, nassen Fels. „INO! WECK MICH AUF!“   „Ino?“ Der Schatten brach in Gelächter aus, doch es war vollkommen frei von Belustigung – ein kalter, spottender Klang; viel zu hässlich, um ihn ein Lachen nennen zu können. „Glaubst du wirklich, dass diese selbstsüchtige kleine Schlampe dein rettender Held sein wird? Glaubst du wirklich, dass Chōji in der Lage sein wird, DAS zu verdauen?“Noch mehr Gelächter, nur tiefer, grausamer, mehr Bedrohung als Spott. „Nicht einmal Asuma hat es geschafft, dir zu helfen. Er hat es sich ja aber auch sehr leicht gemacht, einfach so unter deinen Händen zu krepieren.“   Shikamaru hörte auf, mit seinen Fäusten gegen die Wand zu schlagen…hörte auf…hörte einfach auf. Er legte seine Stirn gegen den Fels, jeder Muskel straff, als wäre er vollkommen lahmgelegt. „Wach auf…wach auf…“   „Aufwachen, huh? Ja, das würde ich auch sagen.“ Die Finsternis kam hinter ihn und presste sich gegen seinen Rücken; warm und pulsierend, ein Laken aus Asche auf seiner Haut. „Es ist wirklich Zeit, dass du aufwachst und erkennst, was ich für dich getan habe. Und weißt du was noch? Du wirst mir den Hintern küssen und mir auf Knien DANKEN, wenn du das nächste Mal hier herunter kommst. Es ist höchste Zeit, dass du verfickt nochmal ZU SCHÄTZEN weißt, was ich für dich tue…“ Schattenhände strichen über seine erhobenen Arme, packten seine Handgelenke und zogen sie nach unten, um ihre Finger ineinander zu verschränken.    Shikamaru zuckte zusammen und seine Augen flogen auf.    Es war eine Nachahmung – nein, eine Verspottung – dessen, was Neji mit ihm in der Nacht seines Geburtstags gemacht hatte, als er ihre Finger ineinander verschränkt hatte und ihre gemeinsamen Handflächen über das kühle Glas gezogen hatte.    „Neji“, schnurrte die Finsternis. „Immer und immer nur Neji. Du denkst wirklich, dass er dir nachjagen wird, wie es Asuma getan hat? Du denkst wirklich, dass er dich retten wird statt sich selbst? Freiheit. Das ist alles, was er will. Aber du hast trotzdem versucht, ihn einzusperren. Weil du schwach bist. Du bist seine größte Schwäche. Das hat er selbst gesagt, oder nicht? Du hast ihn schwach gemacht. Ganz genau so, wie du auch Asuma schwach gemacht hast.“   Shikamaru schloss krampfhaft die Augen. „Hör auf.“ Seine Stimme zerbrach beinahe an diesen Worten.    „Wenn ich an diesem Tag die Kontrolle gehabt hätte, glaubst du wirklich, dass die Dinge so abgelaufen wären? Asuma war so schwächlich gegen Hidan, weil er viel zu beschäftigt damit war, zu versuchen, dich zu beschützen.“ Die Schattenfinger verstärkten ihren Griff und ein weiteres Paar schwarzer Hände schlich sich heran, um sich um Shikamarus Handgelenke zu schlingen. „Was willst du wetten, dass der Rest deines Teams jetzt im Moment da draußen ist? Schwach und gespalten. Weil du nicht stark genug bist. Sag mir, wie zur Hölle willst du sie beschützen, wenn du nichtmal dich selbst beschützen kannst?“   Bei diesen Worten hörte Shikamaru auf zu zittern und alle seine Muskeln verkrampften sich auf einen Schlag.    Etwas veränderte sich. In seinem Kopf. In seinem Herzen.    Seine Augen öffneten sich wie feuergefangene Funken in der Dunkelheit. „Geh weg von mir“, raunte er.    Die Finsternis kräuselte sich – zögernd, überrascht. „Hn. Schon besser.“   Die Schattenhände lockerten sich an Shikamarus Handgelenken und Fingern, schmolzen hinunter über seinen Rücken, dann um seinen Torso, streckten sich schlangengleich und eine lange, dünne Ranke legte sich um seine Kehle, folgte dem Halsband, schlang sich um die Kette und riss seinen Kopf zur Seite.    Er wehrte sich nicht dagegen.    Er ließ es einfach geschehen.    „Ja…“, wisperte der Schatten seidigweich in die Stille. „Du lässt es nur zu gut geschehen. Es muss dir nicht leidtun, sobald du es siehst.“   Shikamaru neigte den Kiefer, um seitwärts in das zobeldunkle Gesicht zu sehen; eine Maske so schwarz und matt wie die Schatten selbst. Da waren keine Konturen auf diesem Gesicht – und dennoch hätte Shikamaru schwören können, dass er sah, wie es lächelte.    Asumas Feuerzeug erlosch zuckend zu Dunkelheit…   Einer Finsternis so vollkommen, dass sein Bewusstsein als ein Schatten statt als ein Licht zurückkehrte…   Shikamaru öffnete die Augen…stierte durch einen Nebel des Schocks auf das, was er getan hatte…nur um festzustellen, dass der Teil von ihm, der sich wünschte, er hätte es nicht getan…nicht stark genug war, um ihn dazu zu bringen, dass es ihm leidtat. Kapitel 30: A world of death, walls and wheels and extinct lights ----------------------------------------------------------------- Sie saßen in der Falle; sowohl vorn, als auch hinten.    Eine Blockade kollabierter Korridore hinter ihnen und eine Blockade kollabierter Korridore direkt vor ihnen. Neji knurrte und klatschte mit einer Hand gegen das Geröll. „Gottverdammt!“   Nach an den originalen Grundrissen zu urteilen, hätte hier direkt geradeaus ein weiterer Gang sein müssen, der in den Untergrundtunnel überging, der zum Bunker führte. Nur hatte irgendjemand diesen Gang zum Einsturz gebracht. Stunden oder vielleicht schon Tage zuvor, wenn man bedachte, dass sich der Staub bereits gelegt hatte.    „Wir sitzen in der Falle“, wisperte Anii und eine hysterische Kante schnitt sich scharf in ihre Stimme. „Wir sitzen in der Falle! Du hast uns eingesperrt!“   Neji drehte den Kopf und seine eisweißen Augen brachten sie frostüberzogen zum Schweigen. „Wer hatte sonst noch Zugang zu dieser Einrichtung, bevor die Energieversorgung unterbrochen wurde?“   Kopfschüttelnd blinzelte Anii ihn an. „Ich…ich bin nur eine Labortechnikerin…ich weiß nicht…“ Sie drückte das kleine Mädchen auf ihrem Arm näher an sich, während sich ihre andere Hand in einem verzweifelten Klammern um die schlaffen Finger des Jungen krümmte, der benommen an ihrer Seite stand. „Ich bin nur eine Labortechnikerin…“, sagte sie noch einmal und Tränen brachen an ihren Augenwinkeln aus. „Mika…Mika hätte es gewusst…“   Mit angespannter Miene sah Neji zu den Kindern. Sie starrten zurück. Nicht mit Angst, nicht mit Hoffnung oder Verzweiflung…mit überhaupt nichts. Blanke Gesichter, hohle Augen. Vielleicht Schock.    Vielleicht.    Byakugan Venen krochen über seine Schläfen und Neji hob den Blick hinauf zur Decke, um das Stockwerk darüber zu mustern. Die Hälfte davon war bereits eingestürzt und blockierte den Fluchttunnel, aber der Rest war intakt; ein großer Konferenzraum. Groß genug, sodass er vielleicht ein weiteres Loch in die Decke reißen konnte, ohne zu riskieren, dass ihnen zu viele Trümmer auf die Köpfe fielen.    Durch den Schutt direkt voraus kann ich mich auf keinen Fall wühlen…   Sein Jutsu würde nur dafür sorgen, den Tunnel noch mehr zu verstopfen und vielleicht würde er sogar vollständig kollabieren. Es gab keinen anderen Weg hier raus, außer nach oben. Er suchte die Umgebung jenseits des Konferenzraumes ab und sah zersplitterte Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten und hinaus auf ein flaches, ebenes Grundstück führten. Ein Campus, auf dem es vor Chaos nur so wimmelte und der von Chakra geflutet war. Gerade so konnte er das heiße, grelle Glühen von Narutos Rasengan ausmachen, das Löcher durch eine Herde trampelnder Bestien riss.    Es war schlichtweg wahnsinnig dort draußen.    Trotzdem werden wir über offenes Feld laufen müssen…   Etwas, das er eigentlich hatte vermeiden wollen. Während er das Mikrofon an seinem Hals berührte, sah er zu Anii und den Kindern. „Naruto, bist du da?“   Schrilles Rauschen in seinem Ohr und ein entmutigendes Zischen. Dann eine Stimme. „Hier ist Sai.“    Nejis Braue zuckte nach oben. Nicht die Person, die er erwartet hatte, aber jede Rettungsleine würde es tun. „Sai, haben du und Sui es geschafft, euch mit Sakura und Naruto zu treffen?“   „Positiv. Die Überlebenden des Personals und die Kinder wurden in den Bunkern gesichert. Kein Zeichen von Ujihara.“   „Irgendein Zeichen von Shikamaru oder Katsu?“   Sais Signal brach ab und wurde unter dem Zischen von Statik begraben.    Fluchend legte Neji ruckartig den Kopf schief. „Sai, wiederhole das. Ist Shikamaru bei euch?“   „Negativ.“   Dieses Wort sank wie ein eiskalter Stein in Nejis Magengegend. Er ließ den Kopf nach hinten kippen und schloss für einen Moment die Augen. Dann stieß er einen Atem aus. „Wie sieht der Statusbericht über die Gehege aus?“   „Elektrifiziert. Wir befinden uns im Prozess der Eliminierung jeder und aller Chimären, die sich außerhalb der Pferche aufhalten. Es sind mehr, als wir angenommen hatten. Und wir verlieren Boden.“   „Braucht ihr sofortige Unterstützung oder haltet ihr durch?“   „Sofortige Unterstützung.“   Erneut, nicht die Antwort, auf die er gehofft hatte. Neji presste die Lippen zusammen und debattierte mit sich. „Gib mir einen Moment.“ Er schaltete auf den Kanal zu Team B um und wühlte gleichzeitig durch seine Ninjatasche. Als er anfing, die letzten seiner selbstklebenden Briefbomben heraus zu ziehen, sprach er laut in seinen Transmitter: „Shino, bist du da?“   Das antwortende Signal war noch schlimmer; die Stimme, die durch seinen Ohrstöpsel erscholl, klang, als würde sie durch Wasser murmeln. „Ich bin da. Die Situation ist-“   „Total abgefuckt“, funkte Kiba in einem groben Ausbruch dazwischen. „Seit wann verfickt nochmal wurden Kids in diese Tüte voll beklopptem Irrsinnsscheiß geschmissen?“   Noch mehr Kinder.   Neji machte eine Pause und seine Augen rollten frustriert nach oben, bevor sich sein Blick auf die Decke richtete und verschiedene Punkte auswählte. Er begann, den Korridor zurück zu gehen und bedeutete Anii, dasselbe zu tun, wobei er sie stets hinter sich hielt, während er zurück wich. „Shino, wechsle zu einer privaten Leitung und gib mir einen Lagebericht. Mach es schnell.“ Das Letzte, was er jetzt noch brauchte, waren die plärrenden Zwischenrufe des Inuzukas.    Ein lautes Zischen von Statik, als sie beide die Verbindung zu einem sicheren Kanal umstellten. Neji bestätigte das antwortende Summen in seinem Ohrstöpsel. „Ich hör dich. Fahr fort.“   „Wir haben es nicht geschafft, die Einrichtung über den Eintritt hinaus zu infiltrieren.“   Geschockt blieb Neji stehen und seine Augen schwangen blicklos nach unten. „Was?“   „Wie haben das Ausmaß des Kampfes und der Umgebung unterschützt. Die Schemata haben keinen Hinweis auf die Größe der Pflanzengehege gegeben. Sie befinden sich unter einem verschleierndem Jutsu. Eines haben wir gesäubert, haben aber noch zwei weitere Gehege abzudecken, bevor wir uns den Lüftungsschächten oder Wartungswegen nähern können, die zum Untergeschoss und Keller führen.“   Bei Kami, was für ein Rückschlag. Was für ein Desaster. Neji schüttelte den Kopf und nahm dabei die Informationen so schnell wie möglich in sich auf. „Wie sieht es mit eurer Einsatz- und Kampfbereitschaft aus?“   Shino zögerte. „Einige von uns sind verwundet. Alle von uns sind in der Lage, weiter zu machen.“   Neji hatte nicht die Zeit, zu fragen, ob das jetzt eine Fabrikation oder die Wahrheit war. Er befestigte die Explosionssiegel an seine letzten vier Kunai und drehte sie um seine Finger. „Wie schnell könnt ihr die restlichen Gehege säubern?“   „Kommt drauf an. Willst du, dass wir nach diesen Kindern suchen und sie evakuieren?“   Das ließ Neji erstarren und sein Atem stockte. Die Frage ließ ihn völlig zerrissen zwischen den Anweisungen der Mission und den Anweisungen seines Gewissens zurück. Ihre Befehle waren, die Chimären zu eliminieren, die Versorgungsrute zu lokalisieren, Ujihara festzusetzen und so viele Wissenschaftler wie möglich gefangen zu nehmen. Im Kleingedruckten stand überhaupt nichts über Kinder. Und Sai hatte vorhin nicht unrecht gehabt – sie waren eine Belastung.    Sie sind auch Unschuldige, die ins Kreuzfeuer geraten sind…   Wenn Zeit kein Problem wäre, dann hätte diese tragische Tatsache wahrscheinlich einen Unterschied gemacht. Aber die beiden Teams bekämpften nicht einfach nur brutale Monster und feindliche Ninja – sie kämpften auch gegen die Uhr. Und die Uhr gewann…genauso wie die Monster, wenn Sais letztes Update irgendein ernstzunehmendes Indiz war.    Und bisher haben wir es noch nicht einmal mit den Kusa-nins zu tun bekommen…   Ihre Abwesenheit ließ darauf schließen, dass sie sich zusammen mit dem Rest der Wissenschaftler in den Untergrund zurückgezogen hatten, als auf der Oberfläche die Hölle losgebrochen war. Jeder, der zurückgelassen wurde, wurde dem Tod überlassen und als entbehrlich erachtet; Sicherheitspersonal, Assistenten, diese seltsame Wissenschaftlerin, die nicht rechtzeitig evakuiert worden war…   Und diese streunenden Kinder.   Kinder…   Opfer auf beiden Seiten. Belastungen. Rückschläge. Hindernisse.   Haben sie diese Kinder absichtlich platziert? Weil sie wussten, dass sie uns von unseren Zielvorgaben ablenken würden?   Wenn das ihr Plan war…dann funktionierte er. Fluchend beschrieb Neji einen engen, zornigen Zirkel und warf einen finsteren Blick auf die verblassenden Siegel auf seinem Handrücken.    Wir verlieren mehr als nur Boden…wir verlieren Zeit…   Und die Zeit tickte ungerührt weiter; vollkommen gleichgültig gegenüber dem Krieg, der zwischen seinem Kopf und seinem Herzen ausgetragen wurde.    „Hyūga“, drängte Shino.    Hyūga Neji. Jōnin.   Das war nicht, wer er gerade sein musste.    Neji schloss die Augen; und als er sie wieder öffnete, waren sie bar jeden Konflikts und ruhig wie Eis. „Versiegelt es.“   „Was?“   „Versiegelt die Gehege. Versiegelt alles“, wiederholte er flach und kalt. „Sag Tenten, sie soll alles, was noch von der Einrichtung übrig ist, mit ihrer Achtsiegel-Technik absperren, sorg aber dafür, dass sie bei jedem Gehege eine Barrierepassage zurücklässt. Versammelt die Kinder und die Angestellten, die ihr bis jetzt gefunden habt und ändert euren Kurs zurück zu den Gehegen der Chimären. Team A braucht sofortige Unterstützung.“   Für vier ganze Herzschläge herrschte vollkommenes Schweigen.    „Bestätige“, schnappte Neji.    Shinos Stimme war nichts weiter als ein dünnes Murmeln. „Bestätigt. Wir versiegeln es. Was ist mit dem Untergeschoss und dem Keller?“   „Sie werden nirgendwo hingehen. Team A zu unterstützen ist eure oberste Priorität und ersetzt alle bisherigen Missionsziele. Bestätige mir, dass du das verstanden hast.“   „Verstanden.“   „Gut. Ich werde Sai sagen, dass ihr auf dem Weg seid. Setzt euch sofort in Bewegung.“ Ohne auf eine Antwort zu warten trennte er die Verbindung und wechselte den Kanal. „Sai, hörst du mich?“   „Ja.“   „Verstärkung ist unterwegs. Ich brauche einen freien Weg zum nächstgelegenen Bunker; ich werde in der nächsten Minute den linken Flügel des Gebäudes mit einer Frau und zwei Kindern verlassen. Ich könnte eine Entourage aus Tintenbestien gebrauchen.“   „Erledigt.“   „Noch eine andere Sache.“   „Ja?“   „Wie viele Brandwaffen hast du bei dir?“   Eine Pause, in der Neji davon ausging, dass Sai seine Ausrüstung überprüfte.    Die Sekunden vergingen wie Minuten.   Und dann antwortete Sai: „Sechs.“   „Besorg dir mehr. Mach es jetzt gleich. Ich habe einen Auftrag für dich.“ Neji ließ die Hand sinken und wirbelte die Kunai um seine Finger, während er inzwischen sehr schnell zurückwich und Anii bedeutete, weiter den Ganz entlang zu laufen. „Geht zum Ende des Korridors“, befahl er ihnen mit scharfer und harter Stimme. „Kommt nicht um diese Ecke, bis ich euch rufe. Wenn ich das tue, dann seid bereit, loszurennen. Geht!“   Wegen der Furcht herum nestelnd, die seine Anweisung ausgelöst hatte, eilte Anii mit den Kindern den Korridor zurück. Neji wartete, bis sie um die Ecke waren. Dann schwang er ein Kunai nach dem anderen. Sie gruben sich in einem ordentlichen Rechteck in die Decke und die Explosionssiegel leuchteten rot auf.    Fünf…   Neji sprang ein paar Schritte nach hinten.    Vier…   Er verbreiterte seinen Stand und schob sich in eine gewappnete Haltung.    Drei…   Zog Chakra in einem Rauschen von Nadelstichen in seine Handflächen.    Zwei…   Er hob seine Hand.   Eins…   Die Decke explodierte. „HAKKE KŪSHŌ!“   Im selben Moment, als die Trümmerteile nach unten krachten, zerbarst Neji sie mit seiner Lufthandfläche, pulverisierte Betonbrocken zu Kalk und Staub und blies alles zurück, um den Ausgang freizumachen und jede Blockade zu beseitigen.    „Anii!“, rief Neji und blinzelte durch den Staub.    Die Frau umrundete die Ecke und kam mit dem Mädchen in ihren Armen und dem Jungen an ihrer Seite auf ihn zu gerannt. Neji sank in eine Hocke, befahl dem Jungen, auf seinen Rücken zu klettern und hob Anii im Brautstil hoch, während er sie anwies, das Mädchen gut festzuhalten. Er verstärkte seinen Griff und stieß sich mit aller Kraft von den Füßen ab, wobei er Chakra in seinen Tritt kanalisierte. Er sprang durch das Loch, kam auf dem Boden der oberen Etage auf und setzte seine menschliche Fracht ab, während er sie auch schon zu einem Spurt schubste und seine Byakugan Sicht weit ausstreckte.    „Zum Fenster! Lauft! LAUFT!“   Während er sie vorwärts scheuchte, konnte er Sais Tintentiere sehen, die im Hof warteten, ihre weißen, leonischen Körper bereit, die Reihen um sie herum zu schließen. Jenseits davon war das Schlachtfeld. Jenseits davon war Chaos. Ein Campus in Flammen, vernarbt von Kratern des Rasengans und durch Chakra geschlagene Löcher. Das brutale BOOM von Detonationen von Blitzgranaten brüllte über die Kakophonie aus Schreien, Heulen und Kreischen. Durch das dichte Glühen von Chakra hingen Rauchfetzen und Staub in einem dichten und erstickenden Kranz.   Nejis Augen stachen direkt hindurch und suchten nach dem nächstgelegenen Bunker.    Da.   Ein Hügel aus befestigtem Boden mit einer gesenkten Falltür. Narutos Klone standen in einem orangenen Rudel darum herum, bereit dazu, die Tür aufzureißen, während sie sie wild nach vorn winkten.    Kalkweiß und zitternd erstarrte Anii an der Türschwelle. „Es ist zu weit…“, blubberte sie. „Ich kann nicht. Ich kann nicht.“   „Du wirst“, knurrte Neji und die Drohung in seiner Stimme war heftig wie ein Schlag. Seine Toleranz gegenüber Misserfolgen hatte ihren Tiefpunkt erreicht. „Beweg dich JETZT SOFORT!“ Er hob eine Hand, um sie vorwärts zu schieben, doch der Junge fing sie in einer verzweifelten und reflexiven Bewegung ab – ein Kind, das nach einem Beschützer griff. Fassungslos starrte Neji hinunter auf ihre verbundenen Hände; fühlte die Anspannung im Griff des Jungen und sah die Tränen, die sich über weite, stierende Augen legten. Trotz aller vorherigen Leere seiner Miene und trotz der besten Bemühungen des Jungen, tapfer zu sein; sein kleiner Mund begann zu zittern.    Kami…   Dieser Anblick löste eine Enge in Nejis Brust aus, die seine Knie zucken ließ – ein gefährliches Ausrutschen von Zahnrädern. Wie viele Kinder in diesen versiegelten Gehegen würden nach jemandem greifen, der sie rettete? Und schlimmer als das, wie viele von ihnen würden in dem Glauben sterben, dass ihr Schicksal von Bestimmung besiegelt worden war; und nicht von seiner Entscheidung, sie zu verlassen?   Sie sind bereits tot, sagte die kalte Stimme der Regungslosigkeit und des Eises. Mission.   Die Wände erhoben sich höher und die Zahnräder drehten sich wieder und fingen jede und alle Emotionen ein. Nejis Miene verschloss sich vollständig; zusammen mit all den Ausgängen in seinem Verstand.    Es gab kein Zurück.    Er schüttelte die Umklammerung an seiner Hand ab, packte den Arm des Jungen in einem groben, unpersönlichen Griff und schubste Anii vor sich her. „LAUF!“   In einem Spurt brachen sie aus dem Gebäude; und direkt hinein in die Kriegszone.   ~❃~   Sie kämpften miteinander, als hätten sie es wie eine tödliche Choreographie einstudiert. Instinkt beherrschte die Mikrosekunden zwischen jeder Schnellfeuerbewegung – jeden Muskel, jede Faser, jeden Atemzug.   Alles…   Bei Nahkämpfen war kein vorsätzlicher Gedanke beteiligt, keine Richtungsgebung der Besinnung. Sie führten ihren Krieg auf einer Ebene, die über das Physische hinaus ging. Und Kakashi hatte nicht mehr mit dieser Art von erhöhtem Bewusstsein gekämpft, seit er es mit Hidan und Kakuzu zu tun bekommen hatte.    Und damals hatte er um sein Leben gekämpft.    Und jetzt?   Stahl flammte am Rand von Kakashis Sichtfeld auf, seine Sharingan Tomoe wirbelten und fingen eine Bewegung auf, die viel zu schnell war, als dass ihr das menschliche Auge folgen könnte. Keine Zeit, um auszuweichen, nur um entgegenzuwirken. Er schnellte herum, um den Schlag umzulenken. Ein feiner, rosaner Nebel brach aus seinem Arm. Den Schmerz spürte er nur peripher und fuhr mit einem Wirbel aus Rundumtritten fort; schlug mit einer Geschwindigkeit aus, die Genma Hieb für Hieb und Blut für Blut gleichkam. Der Shiranui blockte alle seine Tritte mit dem Fuß und erwiderte sie mit genau demselben Effekt.    Unglaublich…   Unmöglich. Der Nahkampf nahm eine zeitlose Dimension an – Gliedmaßen verschwommen, schweißnasse Körper schubsten vor und zurück, suchten nach Öffnungen, prallten voneinander ab, krachten erneut in einer Rage aus Bewegung zusammen.    Genma.   Nein. Nicht Genma. Diese Kreatur, die er aus den wilden Eingeweiden von Tanzaku gezerrt hatte. Kaika. Dieser Mann, besessen von einem suizidalen Zorn, einem elementaren Chaos, das greller aufflammte und heißer brannte als alles, was Kakashi ihm entgegen warf.    Selbst das Chidori…   Chakra knisterte zwischen ihnen und die Statik von Kakashis Blitzattacken hatte die Luft aufgeladen, elektrifizierte die Spannung zu einem starken Brennen von Ozon. Schwarze Kerben rissen Boden und Wände auf, Asche und Trümmer lagen in rauchenden Haufen verstreut.    Wir können damit nicht weiter machen…wir werden diesen Ort auseinanderreißen…   Und in dem Prozess auch sich gegenseitig.   Ich habe genug Chakra für einen weiteren Schlag…zwei, wenn ich es darauf ankommen lasse…   Als Erstes brauchte er Abstand.    Und dann Timing.   Er riss seinen Kopf von einer senbonbewährten Faust zurück und drehte sich in einen Tritt. Genma duckte sich tief, kam hinter ihn, täuschte links an und schwang sich rasch von rechts nach oben, als er versuchte, dem Sharingan zu entgehen.    Kakashi ließ seinen Arm nach außen schnellen, während ein Kunai in seine wartenden Finger rutschte.   Er wirbelte herum.    Sie krachten ineinander.    Ein Funkenregen und das Kratzen des Kunai.    Ihre Handgelenke verschlossen sich in einem beeindruckenden X, das zitterte und ihre Arme entlang bebte. Kakashi bewegte die Finger um den Griff seiner Waffe und versuchte, etwas Chakra in seine Fingerspitzen zu kanalisieren. Doch sie wurden taub, zusammen mit seinem Arm – Nervenpunkte zuckten und Muskeln verkrampften sich in einem Spasmus.    Verdammt!   Genmas Finte war eine Finte gewesen.   Clever.   Kakashi zischte und spürte, wie sein Fuß durch eine Pfütze aus Blut nach hinten rutschte, als sein linkes Bein an Kraft verlor. Er hatte das Senbon nicht einmal gespürt.    Die Lippen zu einem Feixen verzogen, drückte Genma nach vorn, während ihm Blut aus dem Mundwinkel tropfte. „Verhaltensregeln, Reiketsu. Du fickst mich. Ich ficke dich. In der Liebe und im Krieg sind alle Mittel erlaubt, richtig?“   Kakashi presste die Kiefer aufeinander und bemühte sich, einen klaren Kopf zu bewahren.    Es gibt nur einen einzigen Weg, ihn da rauszuholen…   Ja. Einen Weg, der alle erdenklichen anderen Wege beenden könnte.    Er lässt mir keine Wahl…   Während er heftig gegen die Anspannung schreiender Muskeln zitterte, scannte er die Umgebung und seine ungleichen Augen wanderten über das eingestürzte Dach, die zertrümmerten Kisten, die schwelenden Berge aus Reis. Wenn er irgendeine Chance haben wollte, Genma zu erreichen, dann müsste er tiefer gehen als Haut, tiefer als Fleisch und Knochen.    Er würde mehr als Worte brauchen, mehr als Taten.    Aber zuerst, brauche ich es, dass er an seinem Limit ist…   Als Kakashi seinen Verstand an diesen Plan übergab, rammte er seinen Kopf nach vorn und hämmerte sein Hitai-ate direkt in die Stirn des Shiranui – ein nachhallendes BANG garantierte einen Ausbruch von Sternen hinter diesen lodernden Augen.    Überrumpelt zuckte Genmas Kopf nach hinten.    Sie lösten sich und in einem Zischen rutschten Klingen voneinander ab.    Kakashi sprang nach hinten, drehte sich auf seinem einknickenden Bein und zielte mit einem Seittritt auf Genmas Magengegend, wobei er das Drehmoment mit in den Schlag legte. Sich duckend zog Genma den Bauch ein, um dem Hieb auszuweichen – doch er streifte ihn hart genug, um ihm die Balance zu nehmen.    Hab ich dich.   Gerade so. Gerade genug.    Nach hinten stürzend rollte sich Genma direkt wieder auf die Füße und taumelte ein paar Schritte nach links. Benommen und heftig blinzelnd zog er die Rückseite seines Handgelenks über seine Stirn. Die Haut über seinen Brauen war aufgeplatzt und Blut strömte ungehindert heraus.    Abstand hergestellt.    Kakashi zielte darauf ab, diesen Abstand auch aufrecht zu halten und stieß sich zu einem Rückwärtssalto ab, bei dem sich seine Wirbelsäule zu einem anmutigen Bogen krümmte. Er spürte einen scharfen Stich in den Rippen, bog sich aber weiter in den Hechtsprung und hing für Sekunden kopfüber, die sich auszudehnen schienen, während seine Augen nach Kisten suchten, bevor sie sich auf Genma richteten. Mitten in der Luft zog er ein einziges Shuriken und zuckte in einem Zeichen mit den Fingern. „Gen’ei Tajū Shuriken!“   Das einsame Shuriken vervielfachte sich zu einem tödlichen Schwarm.    Fluchend riss Genma sein Kunai nach oben, um die todbringenden Sterne fort zu schlagen, während er auswich und abwehrte – aber er konnte sie nicht alle aufhalten. Er musste ein paar Treffer an seinen Armen und Schenkeln einstecken, die ihn mehrere Schritte nach hinten stolpern ließen, als Blut in dünnen Bahnen hervor sprühte.    JETZT!   Kakashi kam auf den Fußballen auf, schlitterte nach hinten, weitete seinen Stand und packte sein Handgelenk, während sich Chakra in einem blauweißen Flackern entflammte; Blitze rissen sich seinen Unterarm hinab, schnappten und pfiffen in einem elektrischen Knistern an seiner Faust.    „Warum wirfst du keine Pille ein?“, triezte Kakashi über das kreischende Knacken seines Jutsus hinweg. „Ich warte solange.“   Mordlust loderte in Flammen und Raserei in Genmas Augen auf. Während er sich das Blut von den Fingern schüttelte, vollführte der Tokujō ein rapides Muster aus Zeichen, dem Kakashis Sharingan in Zeitlupe folgte und das rote Auge weitete sich mit Erkennen.    Das ist es.   Genau das, worauf er gehofft hatte.    Chakra flammte an Genmas Fäusten auf und verlängerte sich zu acht glühenden Senbons, die aus seinen Knöcheln auftauchten; ebenso körperlich wie die Klingen eines Shuko Handschuhs. Nur, wenn diese Chakra-Senbons einen menschlichen Körper trafen, dann richteten sie einen viel übleren Schaden an als ihre kleineren, stählernen Verwandten.   Kanashibari…   Ein lähmendes Jutsu, das einen Gegner für Wochen verkrüppelt oder komatös zurücklassen konnte; es war bekannt dafür, dauerhafte Neuralgie und Nervenschäden auszulösen, die über die Fähigkeiten jedes noch so tollen medizinischen Ninjutsus hinaus gingen. In seinem ganzen Leben hatte Kakashi nur zweimal gesehen, wie Genma es einsetzte. Eine verbotene Technik, denn das Ninjutsu verbrauchte zu viel Chakra, kostete zu viel Energie und riskierte, die Nerven in der Hand des Anwenders zu beschädigen. Bei optimalem Chakralevel konnte Genma diese Dinger mit der Genauigkeit seiner üblichen Senbons schleudern und sie viermal regenerieren.    Nach unserem bisherigen Kampf zu urteilen…schätze ich, dass er noch genug Chakra für vielleicht zwei Schüsse hat…   Was ihm sechzehn Versuche gab, sein Ziel zu treffen.    Kakashi hatte nur einen einzigen.    Mach was draus.   Genma schnellte mit seitlich nach unten gestreckten Armen nach vorn.    Während er seinen Ellbogen umklammerte, stürzte sich Kakashi in einen Angriff, zog seinen Arm zurück wie eine Turnierlanze und seine Stimme riss sich in einem Brüllen aus seiner Kehle. „RAIKIRI!“   „KANASHIBARI!“   Genma schwang einen Arm herum, ließ die Senbons des Kanashibari fliegen.    Kakashi unternahm nichts, um ihnen auszuweichen.    Nur Sekunden vor dem Einschlag erstarb sein Raikiri in einem blendenden Blitz und zerplatzte wie eine durchgebrannte Sicherung – zusammen mit Kakashis gesamtem Körper. Ein Ausbruch von Chakra, ein Verpuffen einer Wolke – und eine zersplitterte Kiste krachte auf den Boden; zerschmettert von Genmas Schlag.    Ein Jutsu des Tausches.    Schlitternd kam der Tokujō zum Stehen und seine Augen schnellten vor Raserei weit auf.    In einem blitzartigem Flackern kam Kakashi hinter ihn, sein Kunai in einer leisen Tötungsbewegung gegen Genmas Hals gezogen. Er schluckte schwer, legte seine maskierten Lippen an Genmas Ohr und murmelte: „Es tut mir leid, Genma.“   Genma bellte ein düsteres Lachen hervor und legte seine Kehle bloß. „Tut dir leid?“, sagte er und drückte seinen Hals in die Klinge, um sein eigenes Blut zu vergießen. „Das wird es.“   „Ich weiß“, wisperte Kakashi und seine Kehle schnürte sich um die Worte herum zusammen. „Aber nicht hierfür.“ Er neigte die Klinge fort von Genmas Hals, wich dem unmittelbaren Ellbogen aus, der auf sein Gesicht zu schnellte und fing den chakrabewährten Rückhandschlag mit einem stählernen Griff ab, riss Genma zu sich heran, bis sich ihre Münder beinahe berührten. „Sondern dafür.“   Ihre Augen begegneten sich bei diesen Worten. Kakashis Sharingan flammte auf; kleine, schwarze Tomoe, die sich in einem Kaleidoskop aus Rot drehten. Genmas Augen weiteten sich und sein Körper wurde starr.    Es ist vorbei.   Oder zumindest hätte es das sein sollen.    Stocksteif starrte Genma nur für einen Augenblick in blanker Überraschung. Und dann rammte er sich seine Kanashibari Senbons direkt in seine eigene Flanke, trieb sie durch Flakjacke und Fleisch. Die Agonie und der Schock hielten sein Hirn an, schleuderten es hinaus aus dem Genjutsu und zurück in die Realität.    Sein gellender Schmerzschrei hallte in einem akustischen Splittern von den Wänden wider.    Fassungslos taumelte Kakashi zurück und das Entsetzen legte kalten Schweiß über sein Gesicht. Und er brauchte eine benommene Sekunde, um zu realisieren, dass er von dem Schlag gestreift worden war. Seine Augen zuckten hinunter zu der klaffenden Wunde in seinem linken Schenkel. Die Femoralarterie war gerade so verfehlt worden.    Mein Gott…   Entweder waren seine Nerven beschädigt worden, oder er befand sich in vollkommenem Schockzustand, denn er konnte den Schmerz nicht spüren…sah einfach nur zu, wie Blut in dicken Strömen hervor pumpte. Er war sich ziemlich sicher, dass er das gelbliche Weiß von Knochen sehen konnte.    Das ist Wahnsinn…   Sein Kopf ruckte nach oben und er sah, wie Genma seitwärts taumele. Er musste höllische Qualen leiden. Aber selbst dann wollte dieser sture Bastard einfach nicht fallen. Befeuert entweder von Drogen oder Schmerz stürzte er nach vorn und ein Kunai blitzte in seinem Griff auf.    Kakashi war gerade noch geistesgegenwärtig genug, um seine eigene Klinge zu heben, um den Schlag zu parieren.    Sie krachten erneut ineinander, schlitterten durch Blut und Splitter nach hinten.    Genma lachte und eine hysterische Kante bebte in seiner Stimme. „Tut weh wie eine räudige Hündin.“ Schlagartig verließ die Belustigung seine Augen und ein wilder Zorn stahl sich über seine Stimme. „Diese Bitch. Was hast du ihr geboten? Denselben Mitleidsfick, den du mir geboten hast?“   Mit zuckenden Augen schüttelte Kakashi den Kopf, während Blut und Schweiß von seinen silberweißen Strähnen flogen. Der Kampfgeist verließ ihn schneller als das Blut, das seinen Schenkel hinunter floss. „Tanzaku…ich werde das nicht noch einmal passieren lassen…“   Genma hielt inne und riss ruckartig den Kopf nach hinten. Für einen flüchtigen Moment huschte etwas durch diese bronzenen Augen; ein Schatten von etwas, das weniger destruktiv war als das Feuer und weniger verzehrend als die Flammen.   Ein Schatten von etwas Traurigerem…   Etwas Weicherem…   Etwas, das viel zu früh gegangen war…   Genma drehte den Kopf, spuckte Blut. Und als er zurück sah, war dieser Schatten fort. Er lehnte sich nach vorn, rieb ihre Kunai übereinander, bis Funken von dem Stahl flogen und seine Stimme senkte sich zu einem grausamen Murmeln. „In was für einer Welt könntest du schon jemals hoffen, mich zu retten, Nakamagoroshi no Kakashi?“   Nakamagoroshi. Freundemörder…   Das Wort riss sich durch Kakashis Brust; ein kreischendes Chidori direkt durch sein Herz.    ‚K-Kakashi…‘   Rin…Obito…   Er geriet ins Wanken; sowohl sein Körper, als auch sein Geist.    Und Genma nutzte das aus.    Eine scharfe, plötzliche Drehung und Kakashi spürte, wie sein Unterarm und Handgelenk in eine Gelenkverriegelung gerissen wurden, die einen heißen Spasmus schreiend seinen Arm entlang jagte. Als er sich vor Schmerz krümmte, ließ er seine Flanke weit offen. Genmas Fuß rammte sich in seine geprellten Rippen und der Aufprall riss sie auseinander.    Blut flog in winzigen, rubinroten Perlen durch die Luft.    Kakashi krachte nach hinten gegen einen Stapel aus Kisten, hörte das trockene Schnappen von Holz und fühlte einen heißen Schmerz, der sich in seinen Bizeps grub, als sich zersplitterte Bretter in den Muskel schnitten. Sein linkes Bein gab in einem tauben Knicken nach und er hatte keine Zeit mehr, seinen Arm zu befreien.    Genmas Finger krallten sich in sein Haar.    Der Shiranui rammte die linke Seite seines Gesichtes gegen die gegenüberliegende Kiste und hielt das Sharingan damit auf Abstand. Während er einen Arm um seine aufgerissene Seite schlang, lehnte sich Genma nach vorn und sprach leise und eisig in Kakashis Ohr. Jeden einzelnen Satz punktierte er, indem er den Kopierninja noch tiefer in die Spreißel drückte. „Du konntest Obito nicht retten. Du konntest Rin nicht retten. Du konntest Itachi nicht retten. Und du konntest Sasuke nicht retten. Komm schon, Sensei. Was ist unsere Lektion?“   Blut schlich Kakashis Schläfe hinunter und blendete sein linkes Auge. Es floss heiß und nass über seine Wange – rann wie blutige Tränen. Und in seinem Inneren konnte er eine andere Art des Blutens fühlen; eine andere des Schmerzes. Zersprungene Ornamente…zerborstene Scherben des Wehs und der Reue, die sich so tief schnitten, dass er die rasiermesserscharfen Teile aufnahm und dieselben Waffen gegen Genma richtete. „Du solltest es eigentlich wissen“, knurrte Kakashi zurück und die Worte waren dabei wie Glas in seinem Mund. „Immerhin hast du mit Team Yōkai diesen Kurs ja auch besucht.“   Bei diesen Worten erstarrte Genma und sein Körper versteifte sich in einem einzigen scharfen Atemzug gegen Kakashi. Für einen Moment zog er sich zurück, blinzelte nicht, atmete nicht.    Aus dem Winkel seines grauen Auges spähte Kakashi zu ihm, begegnete diesem gequälten Blick und stürzte sich direkt auf die Schlagader. „Karibi. Naoki.“   Bei dem letzten Namen zerbrach Genmas Miene. Und dann heulte er. Ein Brüllen aus voller Kehle von solch unkontrollierter Raserei, dass es Kakashi härter traf als der Schlag gegen seinen Kiefer; ein Schlag, der Zähne erschütterte und vielleicht sogar Knochen anknackste. Er spürte, wie Haut aufplatzte und Blut seine Maske durchtränkte.    Genma riss ihn von den Kisten fort und schleuderte ihn über den Boden. Kakashi rollte in dem Momentum mit, hielt auf einem Knie an und wirbelte herum. Genmas Fuß schnellte zu seinem Gesicht. Rasch fing er den Knöchel des Shiranui ab und ruckte heftig daran, um Genma aus dem Gleichgewicht zu bringen. Als er seinen anderen Fuß nach außen schwingen ließ, schlug Kakashi das stehende Bein unter dem Tokujō weg.    Hart ging Genma zu Boden, drehte sich an den Hüften und trat aus.    Kakashi tänzelte außer Reichweite, kippte leicht auf die Seite seines nutzlosen Beines, seinen Ellbogen hart gegen seine Seite gepresst. Seine Augen zogen sich auf Genma zusammen. „Du konntest deine Kameraden ebenso wenig retten wie ich die meinen.“   Ein weiterer Schrei.    Senbons flogen zusammen mit Funken aus Blut von Genmas Fingern.    Kakashi riss seinen Körper in eine unbeholfene Drehung und spürte, wie die Nadel seine Schläfe streifte. Sein Bein konnte seine Landung nicht abfangen. Gerade, als er einknickte, stürzte sich Genma auf ihn – keinerlei Finesse, sondern nur rohe Gewalt. Die schiere, adrenalinbefeuerte Kraft hinter diesem Stierangriff trieb Kakashi nach hinten.    Sein Rücken traf mit einem lauten Knacken auf die Backsteinmauer und hämmerte ihm die Luft aus den Lungen.    Genmas blutige Hände legten sich um seine Kehle.   Sofort senkte Kakashi das Kinn, pinnte den Daumen des Shiranui fest und vereitelte dadurch den Würgegriff. Ihre Augen trafen sich und Kakashi sah das Fieber, das schwarz hinter Genmas Augen brannte und eine heiße Feuchte, die sich über die Flammen legte.    „Nie wieder“, murmelte der Shiranui mit zerfetzter Stimme, die in seinem Hals zerbrach. „Niemand spielt mit den Erinnerungen an mein Team.“ Er schluckte einen bebenden Atem, der die Länge seines Armes und direkt bis in seine zuckenden Finger jagte. Es sorgte dafür, dass er seinen Griff um Kakashis Hals verstärkte und seine Zähne pressten sich vor Qual zusammen. „Die Erinnerung an meine Toten; die Erinnerungen an mein LEBEN! Sag ihren Namen nochmal und ich reiß dir die Zunge raus. Sag seinen Namen nochmal und ich bring dich um…Gott, ich bring dich um.“     Obwohl sein Blut in seinem Kopf pochte, fühlte Kakashi, wie sich die Wucht dieser Worte direkt in sein Herz rammten. Und in diesem Augenblick kam die Klarheit wie ein Messer, schnitt all die Verwirrungen hinfort, ebenso wie all die Komplikationen, denen Kakashi gestattet hatte, ihn für diese deutliche und simple Wahrheit blind zu machen.    Kami…   Das waren nicht die Brücken von Freundschaft, die er hinter Genmas Augen brennen sah…es waren zerbrochene Knochen aus Emotionen, ein Fühlen, ein Band, das niemals hätte sein sollen. ANBU hätte es niemals gebilligt. Die höheren Tiere hätten es zertrümmert, ausgelöscht. Nur hatten sie nie die Gelegenheit dazu bekommen, denn Naoki war angeblich gestorben…was Genma damit zurückgelassen hatte, in Flammen aufzugehen; eine Dunkelheit suchend, weil sein Licht auf kalter, harter Erde ausgetreten worden war.    Warum habe ich es nicht gesehen? Die ganze Zeit…   In dem Wahnsinn des Moments machte es alles so viel Sinn. Warum Genma im Alter von neunzehn durchgedreht war – dem Alter, als er sein Team verloren hatte. Warum Minato-sensei ein persönliches Interesse an seinem Training, seiner Genesung gehabt hatte. Warum Genma nichts zu Asuma gesagt hatte, als der Sarutobi ihn konfrontiert hatte. Er hatte sich entschieden, die Toten vor den Lebenden zu beschützen, denn Naoki war nicht einfach nur sein alter ANBU Partner.    Er war sein Liebhaber…   Kakashis Augen weiteten sich bestürzt. „Genma. Naoki ist-“   Brüllend riss Genma ihn von der Wand fort und donnerte seinen Rücken gegen eine niedrige Kiste, wobei er Kakashi rückwärts über das Holz krümmte. Um Balance kämpfend hielt Kakashi seine Hände um Genmas Handgelenke geschlungen, während sein Herz in seiner Brust hämmerte. Er fand keinen Halt. Zumindest nicht physisch. Psychisch hingegen…   Seine Augen zuckten mit blutverkrusteten Wimpern, als er Genma ansah. „Naoki…“, würgte er mit einer Stimme hervor, die nur noch ein trockenes Krächzen war. „…ist nicht…tot…“   Etwas brach. In Genmas Augen, in seinem Gesicht…vielleicht auch in seinem Kopf. Und es war auch kein sauberer Bruch; es war ein chaotisches Splittern von Emotionen. Doch bevor Kakashi seinen Fehler bemerken konnte, wurde sein Körper in die Aufrichtung gezerrt und gleich darauf mit solcher Rückgrat zerberstender Wucht auf den Boden geschleudert, dass sich seine Welt vor Schmerz weißwusch und mit einem plötzlichen Taumeln in die Dunkelheit drohte.    Ein Schlag gegen den Kiefer riss ihn zurück.    Genma krallte seine Finger in Kakashis Flakjacke, zerrte den Kopierninja halb nach oben und ging wieder und wieder mit seiner anderen Faust auf ihn los; rotäugig und unerbittlich, während Tränen und Blut seine eingefallenen Wangen hinab liefen. „Ich BRING dich UM!“, schrie Genma und die Sehnen in seinem Nacken zogen sich straff, als sich seine Gesicht vor Qual und Zorn verzerrte. „ICH BRING DICH VERFICKT NOCHMAL UM, KAKASHI!“   Und in diesem Augenblick glaubte Kakashi ihm. Fragte sich, in irgendeinem traurigen und zerbrochenen Winkel seines Verstandes, ob diese Art des Sterbens wohl das war, was er verdient hatte…gemessen an all den Freunden, die er verloren hatte. All den Freunden, die er zurückgelassen hatte.    ‚In was für einer Welt könntest du schon jemals hoffen, mich zu retten, Nakamagoroshi no Kakashi?‘   Fürwahr, was für eine Welt. Eine Welt, die in Rot getaucht war mit den Spritzern heißer, greller Farbe, die hinter seinen Augen zerplatzten, während sich sein Mund mit dem Geschmack von Blut füllte. Das war die Welt, die er kannte. Die Welt, die stets direkt hinter dem Glanz dieses Halbmondlächelns lag, dieses Halbmondverstandes, dieses Bewusstseins und Gewissens, das in Richtung einer totalen Mondfinsternis glitt.    ‚Du hast dir diesen Scheiß gerade aus dem Arsch gezogen, oder?‘   Asuma. Ein ernüchterndes Licht, das die Schwärze zurück trieb, sich in einem Wirbel aus Freunden und Gesichtern über das Rot wusch und all diese kalten und namenlosen ANBU Masken zerbersten ließ, die wie Geister an der Rückseite seines Verstandes hingen; Asuma, Kurenai, Gai, Yamato, Naruto, Sakura…   ‚In was für einer Welt könntest du schon jemals hoffen, mich zu retten, Nakamagoroshi no Kakashi?‘   In einer Welt, die immer noch diese Gesichter enthielt; immer noch diese Freunde in sich hielt…   Und ich werde nicht noch jemanden verlieren.   Kakashis Augen schnellten auf und seine Hand schoss nach oben. In seiner Handfläche fing er Genmas schwingende Faust ab und seine Finger legten sich in einem brutalen Griff um die roten Knöchel.   Genma versteifte sich, irritiert von der dem abrupten Aufhalten seiner Gewalttätigkeit.    Kakashi verstärkte seinen Griff, blickte durch blutgetränkte Wimpern hinauf zu dem Mann, der über ihm hockte…und sah die Tränen und den Wahnsinn in den Augen seines Freundes. Aber irgendwo gleich jenseits dieses Wahnsinns, direkt hinter dem mörderischen Feuer von vor all diesen Jahren, sah Kakashi noch einmal, wie sich Schatten bewegten; diese schwachen Fetzen aus Emotionen, die darum kämpften, die Flammen zu ersticken.    „Ich kann nicht…“, würgte Genma in einem Schluckauf hervor und die zerbrochenen Worte fielen in Bruchstücken von seinem bebenden Mund. „Ich kann…das nicht nochmal…nicht schon wieder.“ Er lachte in einem hohlen, erschütterndem Klang und die Tränen brachen aus seinen Augen. „Er ist gestorben…er ist gestorben…“   Kakashis Brauen zogen sich weich zusammen und sein Griff um Genmas Faust lockerte sich. Der Tokujō sackte auf die Knie, als ihn alle Kraft mit einem zerfetzten Atem verließ. Er vergrub das Gesicht in den Händen und begann, vor und zurück zu wiegen. „Bitte…bitte…“   Dieses Wort. Dieses Wort, das Genma niemals sagte, außer in seinen Träumen, es fiel von seinen Lippen wie ein gebrochenes Gebet. Wieder und wieder. Eine Klinge in Kakashis Herz, das sich mit jedem Skandieren noch tiefer drehte.    Schwer schluckend holte Kakashi Luft, um etwas zu sagen.    Doch er bekam nie die Gelegenheit dazu.    Die Tür zu dem Warenlager explodierte nach innen.    ~❃~   Die Explosion erschütterte die Erde, veränderte die Landschaft und wendete das Blatt des Kampfes. Neji spürte es in der raucherstickten Luft, ein unaufhaltsames Aufwallen von Stärke und Triumph zwischen den Konoha-nins. Endlich kamen sie etwas voran.    Sechs Chimärengehege erledigt.    Noch ein Pferch übrig.    Der letzte, gelegen am entferntesten Ende des Schlachtfeldes. Er würde es schnell erreichen und die letzten Chimären ausrotten müssen. Die Zeit arbeitete immer noch gegen sie.    Mission. Mission. Mission.   Er war die Mission; das war alles, was seinen Verstand ausfüllte. Die Nachbeben der Explosion echoten um ihn herum fort; verloren unter dem Geräusch seines eigenen Herzschlages, verloren unter den Schreien verstümmelter Chimären.    Beende es. Beende es.    Neji verbreitete Tod wie eine Infektion, fraß sich durch das Schlachtfeld und ließ zahllose Kadaver zurück. Stromlinienförmig wie eine Klinge schnitt er sich durch das Leichentuch, stürmte in die aufgebrochenen Gehege und wieder hinaus, während die Nagu Tentens Feuerbomben von den Wachtürmen warfen, um die Pferche auszulöschen.    Tod. Tod. Tod.    „CHHHAAA!“   Die Erde erhob sich wie eine Welle.    Neji sprang hoch in die Luft und ritt auf dem Kamm, der von Sakuras Schlag nach oben gedonnert worden war. Rennend kam er auf dem Boden auf, schlug nach einem Monster und erwischte es an dem dünnen, schuppigen Hals. Klinge biss sich in Knochen, riss Knorpel und Fleisch heraus. Das Biest stürzte und Neji lief weiter, wob sich seinen Weg um einen Schwarm von Shinos Insekten, als sie sich auf einer Gruppe feuerspeiender Monster niederließen.    Tod. Tod. Tod.   Er brachte ihn wieder und wieder, setzte über Schlaglöcher des Rasengans hinweg, stieß sich von einer gefallenen Chimäre nach der anderen ab, sah an dem erstickenden Vorhang aus Staub und Erde vorbei, suchte nach Bestien, die einen Ausweg suchten.    Bei jeder Wendung machte Neji sie nieder.    Ich werde nicht scheitern.    Götter, aber es war so knapp gewesen. Zu knapp. Sie waren verzweifelt gewesen, bis zu dem Punkt, an dem sie quasi überwältigt worden waren. Und dann war Team B angekommen und hatte den Triumph der Chimären in grauenvolle Todeskämpfe verwandelt.    „GATSŪGA!“ Kiba schnellte in einem Wirbelwind aus Chakra an ihm vorbei und pflügte hinein in einen Schwarm geflügelter Bestien, die sich abmühten, ihre grausigen Körper vom Boden zu heben.    Dazu erschaffen, zu fliegen. Dazu bestimmt, zu fallen.    Der Gedanke sandte ein Frösteln durch ihn; zusammen mit den blutigen Federn, die im Staub wirbelten. Die scharfen Daunen schnitten sich über sein Gesicht, als er daran vorbei spurtete und hinterließen Stecknadeln aus Blut. Er wurde nicht langsamer; nicht für eine einzige Sekunde, sondern bewegte sich schnurstracks auf das letzte Gehege zu.    Näher, näher…   Eine Herde Bisons mit Nashornköpfen kam donnernd aus einem rauchenden Pferch, das struppige Fell in Flammen und Chakra flackerte an ihren dicken, gelben Hörnern. Ein paar der Biester verfingen sich in dem kollabierten Maschendraht und erlitten einen Stromschlag, der sie zu einem Spasmus aus verbranntem Fleisch verwandelte, während andere die Linie durchbrachen, über ihre sterbenden Compagnons hinweg trampelten und auf Neji zu stampften.    Er musste ihnen nicht ausweichen.    Eine Strähne aus langem, blassem Haar blitzte am Winkel seines Sichtfeldes auf. „Halt die Luft an, Neji!“   Ino.   Neji drehte den Kopf gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich die Kunoichi von Chōjis gigantisch vergrößerter Hand in eine Luftdrehung abstieß und Rosenblätter aus einem aufgeschnittenen Beutel verstreute. „KIBAKU HANA!“   Die Blumen verwandelten sich in Feuer.    In einem explosiven Schauer regneten sie auf die Bestien herab, brannten sich durch Haut, sprengten Hörner ab und verteilten ihre Ladung. Dämpfe erfüllten lila und giftig die Luft. Den Atem anhaltend sprintete Neji zwischen den Lücken in den Reihen der Chimären hindurch, teilte tödliche Hiebe aus, die Blut über seine bleichen Roben verspritzten.    Zwei von Sais Tintenbestien erschienen an seiner Seite und deckten seine Flanken.    Sein Kunai zuckte nach rechts und links.    Monster fielen, erstickten an Gift und ihrem eigenen Blut.    Neji verließ den lilanen Nebel, hörte das nasse Pop der Tintentiere, die zerplatzten. Als er in den Himmel spähte, sah er Sai, der das Schlachtfeld umkreiste, Fortschritte weitergab und jeden anleitete, der blind am Boden kämpfte.    Die Finger rutschig von Blut berührte Neji das Mikrofon an seinem Hals. „Sai. Du hast deine Zielvorgabe. Geh jetzt, solange die anderen abgelenkt sind!“   „Verstanden.“   Hoch über dem Pandemonium des Kampfes schlug der weiße Tintenvogel mit den Flügeln und schoss über den Campus davon. Ein unausführbarer Befehl. Und dennoch hatte er ihn gerade gegeben. Nejis Herz drohte, sich hinter seinen Rippen zu verkrampfen.    Nicht.   Auf Messers Schneide einer Unsicherheit fing er sich ab und warf sich zurück in den Kampf, zurück in die Schwarz-Weiß-Anforderungen der Mission.    Mission. Mission. Mission.    Er spurtete an einem Rudel Dinovögel vorbei, die sich an einem gefallenen Bison gütlich taten. Shuriken flogen von seinen Fingern. Drei der Biester gingen zu Boden. Zwei nahmen die Verfolgung auf, näherten sich ihm und schnappten nach seinen Fersen.   Ein ohrenbetäubendes KLATSCH, wie der Hammer der Götter.   Neji musste nicht zurücksehen, um Chōjis übergroße Handfläche zu bemerken, die auf die Kreaturen krachte und sie wie Käfer in die blutdurchtränkte Erde quetschte. Er lief weiter, tötete weiter, brachte verwundete Bestien zu Fall; eine menschliche Sense, die von Seite zu Seite schoss.    Das letzte Gehege ragte vor ihm auf.    Schwer keuchend deaktivierte Neji sein Byakugan und sparte sich sein Chakra auf, als er sich diesem letzten Bollwerk näherte und nach seinem Mikrofon griff. „Alle Teams hergehört. Ich brauche Unterstützung bei dem letzten Gehege.“ Bestätigungen durch die Leitung und Narutos heisere Stimme erklang roh und müde. „Bin unterwegs.“    Während er sich auf das elektrisierte Gehege zubewegte, wurde Neji langsamer und scannte aufmerksam die Spitzen der Zäune. Kein Rauch kräuselte sich himmelwärts, keine Geräusche eines Kampfes oder Chaos.   Doch das Tor stand teilweise offen, war nur angelehnt.    Stirnrunzelnd kam Neji zu einem schlitternden Halt und wirbelte dabei Staub und Gras auf. Ein Dickicht aus Bäumen säumte den umgebenden Zaun und blockierte jeden Blick auf das Innere. Blinzelnd debattierte er, ob er sein Byakugan noch einmal aktivieren sollte, doch er spürte ein warnendes Stechen hinter seinen Augen.    Übertreib es nicht.    Er brauchte, was von seinem Chakra noch übrig war, um die Monster zu erledigen, die sich jenseits dieses Zaunes befanden. Als er Stück für Stück nach vorn ging, bemühte er sich, irgendein Geräusch wahrzunehmen, hörte aber nichts außer seinen eigenen Herzschlag und die ersterbenden Klänge des Kampfes in seinem Rücken. Und dann hörte er das Trampeln sich nähernder Füße. Er versteifte sich, warf einen Blick über seine Schulter – und entspannte sich. Eine Meute aus Narutos Schattenklonen donnerte neben ihn zu einem Halt, wobei einer von ihnen heftig schnaufte.    „Das ging schnell“, lobte Neji, während er darauf wartete, dass Naruto zu Atem kam.    Der Uzumaki setzte ein schiefes Grinsen auf und streckte einen Daumen nach oben, als er sich aufrichtete und seine Müdigkeit abschüttelte. Er nickte Neji scharf zu. „Lass uns das erledigen.“   Mit summendem Chakra in ihren Venen schlüpften sie durch das Tor; darauf vorbereitet, ihren Kampf zu beenden, auf alles vorbereitet…außer auf das, was sie vorfanden.    Schlagartig blieb Neji stehen.    Was er sah, traf ihn, wie ein gewaltiger Schlag gegen den Solar Plexus.    Staub hing in einem tiefen, rosanen Nebel und tünchte die Luft in ein grauenvolles Rot…und da, auf dem Boden, verstreut in einem See aus Blut, waren die Chimären. Riesige, elendige Bestien, die die kraftvollen Brustkörbe, Vorderläufe und geweihbewährten Köpfe eines Hirsches besaßen, kombiniert mit gefiederten Hinterbeinen und den krallenversehenen Füße eines Raubvogels. Ihre hirschartigen Schnauzen, eingefroren in einem steifen Grinsen des Todes, offenbarten lange, wölfische Fangzähne. Nicht ein einziger Tropfen Blut hing an diesen Fangzähnen, kein Atem drang in diese gefallenen Körper oder wieder hinaus.    Tot. Die gesamte Herde. Alle zwanzig von ihnen.    Tot.   Aber nicht einfach nur tot, sondern nieder gemacht, zerstört…vernichtet.   Und dort, über ihnen stehend und die Arme tiefrot bis hinauf zu den Ellbogen…war Shikamaru.      ___________ Glossar: Team Yōkai: Genmas erstes ANBU Team (Kaika/Genma, Karibi, Tenka/Naoki) Gen'ei Tajū Shuriken: Multiples Phantomshuriken Raikiri: Flammendes Schwert oder Schneidender Blitz (Kakashis Jutsu) Kanashibari: Temporäres Gefühl der Paralyse/Schlaflähmung. Wörtliche Bedeutung  'gebunden und befestigt in Metall'; von 'Kane' (Metall) und 'Shibaru' (binden, festigen, festknoten) (Genmas Jutsu) Da es diesmal ein Vorwort gab, will ich gar nicht so viel zu dem Kapitel sagen, außer, dass ich natürlich wieder sehr hoffe, dass es euch gefallen hat! :) Vor allem der Kampf zwischen Genma und Kakashi. Und ja, jetzt ist Shikamaru auch wieder da ;) Und ich könnte mir sogar vorstellen, dass Neji hier ein paar Sympathiepunkte einbüßen muss :D  Vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 31: Darkness approaches ------------------------------- Die Explosion riss die Tür des Lagerhauses aus den Angeln. Doch Genma hörte es nicht. Alles, was er hörte, war der Wahnsinn, der in seinem eigenen Kopf heulte. Er sah nicht die Gestalten, die sich bewegten, um den Türrahmen auszufüllen. Alles, was er sah, waren Zahnräder innerhalb von Zahnrädern, Wände innerhalb von Wänden, die Korridore seines Verstandes schwarz und rot befleckt. So viel Rot. Alles davon spritzte über die Wandschmierereien von Gesichtern; halb erhaschte Konturen, ein Teil gegeben und zwei Teile fort.    Fort.   Er hörte, wie jemand von der anderen Seite der Wände rief.   „Bleib zurück, Kakashi.“ Eine schroffe, tiefe, ledrige Stimme.    Er kannte diese Stimme. Aber wie alles andere, was sich um ihn herum entfaltete, es ging vollkommen an ihm verloren.    Verloren. Fort.   Fort wie die Lichter in seinem Leben, die in ihm aufstiegen; Phantome durch das Feuer…das Feuer…Gott, da war so viel Feuer in seinem Kopf…er konnte spüren, wie die Hitze seinen Schädel knacken ließ…ein Schmelzofen in seinem Hirn und seine Augen kochten in ihren Höhlen…   Die Wände bewegten sich, die Zahnräder drehten sich.    Die Realität blitzte auf, verdreht wie eine Halluzination und er sah Ibiki. Ibiki und jemand anderen…langes, blondes Haar…knochige Konturen…Yamanaka Konturen…    Nein…nein…   Es war nicht er. Es konnte nicht er sein. Denn er war fort.    ‚Naoki…ist nicht tot.‘   Kakashis Lügen. Kakashis Genjutsu. Hatte er es nicht geschafft, es zu durchbrechen? Er hatte sein eigenes Ninjutsu gegen sich selbst angewandt, um die Illusion zersplittern zu lassen. Er konnte das Blut, das zwischen seinen Fingern hervorquoll, nicht mehr spüren. Sein Blut. Naokis Blut. Er konnte es alles erneut sehen…wie es in einem heißen Schwall nach dem anderen durch seine Finger pumpte…   ‚Scheiße…nie ist genug Zeit, um es ordentlich zu machen…um es nochmal zu machen. Du weißt, wovon ich spreche…‘   Die Welt wusch fort, wurde wieder zu Feuer. Genma blinzelte in die Glut…und dort, zwischen dem orangenen Glühen von Flammen, sah er, wie sich Silhouetten bewegten…Formen, die er nicht kannte, verwandelten sich in Formen, die er ebenso gut kannte wie seinen eigenen Schatten…eine Selbstaufopferung von allem, was er geliebt hatte…   Karibi.    Naoki.   Nein…nein…   In blutender Benommenheit kam Genma taumelnd auf die Beine, griff blindlings nach seinen Senbons…sein Verstand gefangen zwischen einer Erinnerung, die er nicht anhalten konnte und einem Moment, den er nicht sehen konnte…einem Moment, aus dem er keinen Sinn machen konnte…seine Sicht verwischte die Linien zwischen Realität und Reminiszenz.   ‚Siebenmal fallen und achtmal wieder aufstehen, Jungs. Team Yōkai gibt niemals nach.‘ Karibi. Genma suchte nach ihr, sah grüne Augen und ein Elfenlächeln, während sich Rauch von einer Zigarette kräuselte.    Sein Sichtfeld wusch hinaus und wieder hinein. Er sah Ibiki, hörte ihn sprechen. „Genma. Bleib zurück oder wir sorgen dafür, dass du unten bleibst.“   Unten bleiben? Nein. Niemals unten bleiben. Denn…   ‚Wir stehen auf und wir machen weiter.‘ Naoki. Genma stolperte blindlings über diese Erinnerung, rief heiser, hörte aber nur seine eigene Stimme, die in einem Echo zu ihm zurückkam. „Naoki!“   „Wag es nicht, diesen Namen auszusprechen!“, schrie eine Stimme, die nicht zu Ibiki gehörte. Eine andere Stimme. Eine ältere Stimme. Eine Stimme, die Genma kannte und nicht mochte. Eine Stimme, die in die Vergangenheit zurückschallte…eine Stimme, die immerzu qualvollen Schmerz in die Augen seines Geliebten gebracht hatte.    Warum…warum…?   Wiedererkennen kämpfte sich an dem Rauch des Wahnsinns vorbei, schwach wie die Asche und der Staub in den Linien seiner Handflächen. Karibis Asche. Naokis Staub…Staub aus Yamanaka Erde und Nara Land…noch nicht begraben, noch nicht verbrannt…weil man Naokis Körper nie gefunden hatte…nicht das erste Mal mit ANBU…und auch nicht das letzte Mal mit KERN…   Ein Reißen in seinem Kopf, in seinem Herzen.    ‚Naoki…ist nicht tot…‘   Für zwei ganze Jahre hatte sich Genma gefragt – in den dunkelsten, traurigsten Teilen seines ruinierten Herzens - ob das wahr war. Aber es konnte nicht sein…es konnte nicht wahr sein…denn, wenn es das war…   Dann habe ich ihn verlassen…ich habe ihn zurückgelassen…   Bewegung. Etwas – nein, jemand – näherte sich ihm durch die Flammen.    „Ibiki, STOP!“ Kakashi.    Kakashi…?   Warum zur Hölle befand sich Kakashi in den Flammen? Ein tiefer, beschützender Drang schoss vom Boden von Genmas benommenen Verstand nach oben; ein schneidender Anflug von Klarheit, der darum kämpfte, den Wahnsinn zu durchdringen, die Erinnerungen, die Fehler.    Fuck. Habe ich ihm wehgetan?   Machte Sinn, oder? Er verletzte immer diejenigen, die er liebte.    Schmerz zerbarst in seiner Flanke, ein heißer, stechender Schlag in seine aufgerissene Seite.    Vernunft erlosch wie ein Licht.    Brüllend schwang Genma seine senbonbewährte Faust in einem Vergeltungsschlag herum, vollkommen blind für seinen Angreifer – seine Sicherungen waren durchgebrannt, seine Welt dunkel. Der Schmerz kam erneut und er taumelte nach hinten, einen Arm um seine Seite geschlungen. Er traf auf etwas Festes und glitt zu Boden, während seine Sinne nachließen. Er erhaschte einen flüchtigen Blick auf Kakashis maskiertes Gesicht…verletzt und blutend…sah, wie jemand anderes aus der Distanz auf ihn herabblickte…das Gesicht düster vor Missbilligung…es tauchte in die Flammen ein und wieder hinaus.    „Du kommst mit uns.“ Schon wieder. Diese Stimme, die er kannte. Diese Stimme, die er verabscheute.    Inoichi…   Genmas Lippen zogen sich in einem knurrenden Grinsen zurück und ein Schrei baute sich in seinem Rachen auf.   Ibibik erschien vor ihm; ein Gespenst, das in seine schwindende Sicht hinein und wieder hinaus geisterte und Zwiespalt rang auf diesem vernarbten Gesicht.    Ein Flackern von Licht schimmerte von einem Senbon – nein, einer Nadel. „Ich habe das nie gewollt“, murmelte Ibiki mit einer Stimme, die so leise war, dass er sie kaum hörte; es war nur ein Rumpeln durch den Rauch. „Du hast mir keine Wahl gelassen.“ War da Reue in seiner Stimme?“   Da war ein winziger Stich kalter Hitze an der Seite von Genmas Hals.    Und dann war da nichts mehr.   ~❃~   Niemand bewegte sich.    Niemand atmete.    Für einen langen Moment starrte Neji Shikamaru einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen. Zehn, zwanzig, dreißig Sekunden. Rot war die vorherrschende Farbe. Durch den rosanen Nebel des Gemetzels, bemalten karmesin- und scharlachrote Schattierungen Shikamarus Körper in nassen, schimmernden Pinselstrichen, rutschten von Haut, tropften aus Kleidung. Kami, er war darin getränkt…wie etwas, das aus Chaos geboren worden war…aus Tod…   Das Bild traf Neji auf einer Ebene, die viel zu tief war, um sie benennen zu können, zu dunkel, um ans Licht gebracht werden zu können.    Bei allen Göttern…   Sein Byakugan aktivierte sich, als hätte es einen eigenen Willen und zerrte instinktiv an seinen Augenwinkeln, verschärfte seine Sicht auf diese Szenerie. Chakra. Unglaubliches Chakra. Dunkel und seltsam. Es hing dicht wie der blutige Nebel um Shikamaru.    Was um alles in der Welt ist hier passiert…?   Er versuchte, dem Blick des Nara zu begegnen, doch es war vergebliche Müh. Shikamarus Augen, weit und stierend, waren auf seine Handflächen fixiert. Seine Finger begannen in einem Spasmus zu zucken, Sehnen und Venen traten straff auf seiner Haut hervor. Er schwankte auf der Stelle, hypnotisiert von dem Blut an seinen Händen.    Naruto durchbrach mit einer Stimme die Stille, die nur ein heiseres Rasseln war. „Shikamaru…“   Der Schattenninja blinzelte und sein Kopf zuckte blitzschnell nach oben. Er sah hinüber zu dem Jinchūriki und seine Augen fokussierten sich in flüchtigem Wiedererkennen, bevor sie scharf zur Seite schnitten und weit aufflammten.    Verlangsamt durch seinen schieren Schock, bemerkte Neji die Warnung viel zu spät.    Seine Byakugan Augen schwangen nach rechts und am Rand seines Blickfeldes fing er das sensende Geweih auf. Sah diesen riesigen, gehörnten Kopf und die mit Fangzähnen bewährten Kiefer, das Chakra, das durch das Netzwerk der Bestie pumpte und sich über die Leylinien des Schädels zu rasiermesserscharfen Zinken auf dem Geweih ausdehnte.    Er krallte eine Hand in Narutos Shirt und riss den anderen Ninja aus dem Weg.    Doch er hätte sich die Mühe nicht machen müssen.    Bereits kurz nach dem begonnenen Angriff blieb das Biest in einem abrupten Spasmus schlagartig stehen. Blut schoss in einem rotschwarzen Spritzen in die Luft, das einen gellenden Schrei aus der Kehle der Chimäre riss. Entsetzt sprang Neji fort von diesen tretenden Hufen und sah zu, wie sich das Vieh auf den krallenbewährten Hinterläufen aufbäumte, als ein dicker, schwarzer Dorn mit einem knackenden und quetschenden Geräusch aus dem Brustkorb brach.    Dorn?   Nein. Kein Dorn. Ein Schatten. Eine lange, schwarze Ranke stach sich wie eine Lanze durch den Bauch der Chimäre und durch die Brust, pfählte sie, machte sie bewegungsunfähig. Das Biest wand sich, trat um sich, stürzte in seinem Todeskampf nach unten. Die Spitze des Schattens bog sich, neigte sich und trieb sich durch die Unterseite des brüllenden Kiefers, stach hinauf durch den Mund und ins Hirn, um den Kampf innerhalb eines Wimpernschlags zu beenden.    Ein Wimpernschlag.    So lange hatte es nur gedauert.    Erstaunt zuckten Nejis Augen zurück zu Shikamaru und wurden gleichermaßen aus Schock und Zorn, Erleichterung und Verwirrung rund. Vorn über gekrümmt, als wäre ihm schlecht, hatte der Schattenninja eine Hand in Richtung der toten Bestie ausgestreckt und die andere um seinen Schenkel geklammert. In langen Strömen floss sein Atem in seine Nase und wieder hinaus, die Lippen hatte er zu einer schmalen Linie zusammengepresst.    Mit offenem Mund glotzte Naruto ihn an. „W-wie hast du-?“   Der Rest von Narutos Worten wurde von einem donnernden BOOM verschluckt.    Alle drei warfen sich instinktiv zu Boden.    Und einen Herzschlag später spürte Neji das Rumpeln einer Schockwelle, die sich durch die Erde grub. Die Wucht der entfernten Sprengung krümmte Bäume, zerriss Buschwerk, verstreute Schatten und Licht in einem blendenden, staubgefüllten Dunst.    Asche regnete nach unten; ein grauer Schneefall auf rote Erde.    Heftig hustend kroch Naruto zu Shikamaru hinüber. „Neji, was zur Hölle war das?“   Mit scannenden Byakugan Augen sah Neji an den Ruinen der Chimärenpferche vorbei zu den versiegelten Pflanzengehegen…sah nicht länger die Kuppeln…nur drei rauchende Häufen…eine dunkle Pilzwolke erhob sich himmelwärts und Rauch rollte dicht und schwarz.    In seinem Verstand sagte eine kleine, leise Stimme: Was hast du getan?   In seinem Ohrstöpsel sagte Sais Stimme: „Zielobjekte zerstört.“   ~❃~   Die Böe eines extrem heißen Windes hämmerte Kiba und seinen Ninken aus dem Himmel und das Echo der Explosion detonierte wie eine Bombe in seinem Kopf.    Was zum!?   Rollend schlug er auf dem Boden auf, als sein Jutsu abbrach. In einem dumpfen Aufprall landete Akamaru neben ihm und ein scharfes Jaulen erstarb in der Kehle des Hundes. Irgendwo in der Ferne schossen gelbe Feuerbälle unter Regenschirmwolken aus Staub und Rauch himmelwärts.    Über das Schrillen in seinen Ohren hinweg meinte Kiba, jemanden schreien zu hören.    Ino…?   Scheiße. Was zur Hölle war gerade eben passiert?   Kiba rappelte sich auf alle Viere, hustete eine Lunge voll Blut und Staub aus und krabbelte hinüber zu seinem gefallenen Ninken, während Furcht in seine Kehle und seine Augen kroch.    Akamaru bewegte sich nicht.    Nein. Nein. Nicht nochmal…   Visionen von seinem Ninken, wie er vor Jahren an der Türschwelle des Todes gelegen hatte, fluteten seinen Kopf. Während er die Angst zurückkämpfte, sackte er neben seinem besten Freund auf die Knie, seine Stimme heiser und schwach. „Akamaru…Akamaru…“ Sein Herz blieb in seiner Brust stehen, als er unter dem verfilzten Fell nach Anzeichen des Pulses suchte.    Er fand ihn – dünn und flach, aber immer noch schlagend.    Ein Summen in seinem Ohr und Nejis Stimme brach sich durch die Statik. „Alle Teams herhören, evakuiert die Überlebenden aus den Bunkern und bringt sie zum Ausgangspunkt. Unsere Zeit ist bald um.“   Mit finsterer Miene starrte Kiba auf seinen Handrücken und sah, wie das blaue Siegel auf seiner Haut rasch blasser wurde; schwach wie ein abwaschbares Tattoo. Er packte eine von Akamarus Pfoten und sah dasselbe ausgewaschene Blau, das gegen das Fell seines Hundes grau wurde. „Shit.“   Ein Schatten fiel über ihn.    Kiba riss ein Kunai hervor und ruckte mit dem Kopf nach oben, während seine Iriden golden aufflammten. Viel zu viele Gerüche stürzten auf ihn ein; Rauch, Blut, Schweiß, Eingeweide, Erde und Gerüche sowohl von Tieren als auch Menschen. Die Lippen in einem Knurren verzogen blinzelte er durch den Regen aus Asche und Rauch und sah die große, katzenäugige Nagu mit der ebenholzfarbenen Haut, die zu ihm hinab sah, ihre bernsteinfarbenen Seen ruhig und beständig.    Zopflady…   Der Kampfgeist wich aus ihm und er senkte das Kunai.    Ein weiteres Knistern und Knacken in seinem Ohr, diesmal Shinos Stimme. „Kiba, hörst du mich? Wir evakuieren die Wissenschaftler und die Kinder. Kiba?“   Doch Kiba erwiderte nichts, sondern hielt die Augen auf seinen Ninken gerichtet. Sein Hirn hatte angehalten und alle seine Sinne schrien in Panik. Er wusste nicht, was er tun sollte. Er wusste nicht, was er verfickt nochmal tun sollte.    „Beweg dich“, sagte die Nagu Frau.    Als er sich das Stechen aus den Augen blinzelte, funkelte Kiba zornig zu ihr hoch. „Verfickt nochmal was hast du gerade zu mir gesagt?“   Sie wiederholte sich nicht. Stattdessen schüttelte sie das Blut von ihren Waffen, steckte ihre boshaft aussehenden Zwillings-Khukuri Klingen weg und ging mit einer Bewegung in die Hocke, die sowohl plötzlich, als auch katzenhaft wirkte. Energisch schob sie seine Hände beiseite. Automatisch versteifte sich Kiba, aber er konnte keine Bedrohung in ihrer Handlung wahrnehmen; nur Dringlichkeit. Zopflady berührte mit ihren Händen behutsam Akamarus dichten Pelz und legte ihren Kopf schief, als würde sie lauschen. Ihr Pferdeschwanz aus dunklen Zöpfen schwang dabei über ihre Schulter.    „Seine Rippen sind frakturiert“, sagte sie sachlich. „Ein Lungenflügel ist punktiert. Er kann nicht laufen.“   Mit zusammengezogenen Brauen sah Kiba sie an und sein Herz hämmerte in seiner Kehle. Er schluckte schwer. „Dann trage ich ihn.“   Sie schüttelte den Kopf, legte ihre Handflächen in einer Wölbung über Akamarus Sternum und fing an, ihre Lippen in einem flüsterndem Wirbel zu bewegen, wobei sie eine Sprache sprach, die Kiba nicht kannte und nicht verstand. Ein pinkes Glühen wurde von ihren Händen ausgestrahlt und glitt zwischen den Lücken in ihren Fingern hervor.    Kiba versteifte sich. „Was machst du da?“   Zopflady warf ihm unter ihren Wimpern einen düsteren Blick zu, doch ihre Lippen bewegten sich immer noch in dieser namenlosen Zunge. Das Bernstein in ihren Augen brannte dunkler. Kiba wich zurück, sah mit einem Übelkeit erregenden Gefühl der Vergeblichkeit zu, als er seinen Ninken den Händen einer Frau übergab, die er kaum kannte und der er noch weniger vertraute.   Komm schon, Junge…wach auf…   Das pinke Licht begann nachzulassen, pulsierte noch einmal in einem ersterbenden Pochen, bevor es vollständig erlosch. Zopflady strich dreimal mit den Händen über Akamarus Fell, biss sich in ihren Daumen und verteilte ihr eigenes Blut über dem Bereich, den sie berührt hatte.    Ruckartig erwachte Akamaru und seine Rippen hoben und senkten sich.    Ein zerfetztes Lachen und Kiba presste die Lider aufeinander, als ihn die Anspannung in einem mächtigen Rauschen verließ, das auch den Rest seiner Energie mit sich nahm und nur ein Zittern zurückließ. „Danke!“, hauchte er, hob den Blick zu der Nagu; und seine Augen wurden rund. Zwei ihrer dichten, dunklen Zöpfe waren jetzt mit Strähnen aus Silber durchzogen.    Eine Auswirkung ihres Jutsus?   Bevor er sonst noch etwas sagen konnte, sprang sie auf die Füße und lief fort zu den Bunkern, wobei sie einem silbernen Fuchs folgte, der in und aus dem Rauch sprang. Kiba sah zu, wie die Nagu verschwand und mühte sich ab, die Stärke zu finden, verflucht nochmal aufzustehen. Akamaru rappelte sich schwankend auf die Pfoten, schüttelte sich den Staub und Blut aus dem Fell und bellte nervös und verängstigt.    Das Gesicht verziehend schob sich Kiba auf die Füße. „Okay, ist okay.“   Das Schreien erscholl erneut – weit davon entfernt, okay zu sein. Kiba drehte sich um, suchte das raucherfüllte Schlachtfeld ab und sah, wie Ino in die falsche Richtung rannte; direkt auf den Rauch zu, direkt auf das zu, was auch immer gerade in die Luft gejagt worden war.    Gottverdammt…   Würde es jetzt zu einem Ding werden, ihrem dürren, glitzernden Hintern hinterher zu jagen? Kiba knurrte einen Fluch, kratzte die letzten Reste seiner Kraft zusammen und setzte ihr in einem gestelzten Rennen nach, während Akamaru wie eine weiße Kanonenkugel vor ihm her sprang.    Auf dem Rücken von einem von Sais Tintenbestien schoss Tenten an ihm vorbei. „Kiba! Du läufst in die falsche Richtung!“   „Sag bloß!“, brüllte er zurück und trabte weiter. „Ino!“   Die kleine Höllenkatze machte Boden wett und hängte ihn in dem staubigen Dunst ab. Scheiße. Wie Ino die Energie hatte, zu laufen, geschweige denn die Kraft, wie ein gottverdammtes Rennpferd durch den Rauch zu preschen, entzog sich ihm. Sein Körper zog einen humpelnden Schritt nach dem anderen die Reißleine, seine Muskeln verkrampften sich und waren kurz davor, ihn auf seinen Arsch fallen zu lassen.    Und wie aufs Stichwort verschloss sich sein gesamter Körper und erstarrte an Ort und Stelle.    „Zur Hölle!?“, jaulte Kiba, als sein Hirn das Signal aussandte, fuchtelnd nach Balance zu suchen, nur um festzustellen, dass er nicht in Gefahr war oder stürzte.    Schlitternd kam Akamaru zum Stehen, wirbelte herum und bellte.    Kiba versuchte noch einmal, sich zu bewegen, schaffte es aber nicht.    SHIT!   Ihm blieb überhaupt keine Zeit, all diese verrückten Punkte miteinander zu verbinden. Bevor er registrieren konnte, wie, warum oder was passierte, drehte sich sein Körper und rannte den Weg zurück, den er gekommen war – vollkommen außerhalb seiner Kontrolle und es schien, als würde er sich aus einem eigenen Willen heraus bewegen.    Und dann hörte er Inos Kreischen hinter sich. „SHIKAMARU! LASS MICH LOS!“   Kibas Augen weiteten sich mit Verstehen.    Schattenbesitz…   Naja, zumindest erledigte Shikamaru die ganze Schwerstarbeit; denn auf keinen Fall hätte Kiba aus eigener Kraft so schnell rennen können. Verdammt, so nah wie er an einem Kollaps war, wäre er vermutlich nicht in der Lage gewesen, überhaupt zu rennen.    Habe viel zu viel Chakra verbraucht…   Dumm. Aber hey, er war ja nicht der Stratege. Er war ein Überlebenskünstler. Jeder gegen jeden. Und es war immer noch besser, wenn er halbtot herumkroch als der Feind, richtig? Das sorgte allerdings dafür, dass er sich fragte, wie übel ihnen eigentlich die Ärsche aufgerissen worden waren. Sie hatten es ja nichtmal geschafft, die unteren Ebenen zu erreichen.    Kein einziger Kusa-nin in Sicht…aber wer zur Hölle hat dann dieses Kind umgebracht?   Der Dolch im Hals des Jungen ließ auf einen menschlichen Angreifer schließen.    Menschlich, huh? Was für eine Art Mensch ermordet ein wehrloses Kind?   Er hörte das Donnern sich nähernder Füße neben sich und sah hinüber, um mehrere Narutoklone zu erblicken, die seine rechte Seite flankierten. Von Kopf bis Fuß waren sie mit Ruß und Schmutz bedeckt. Einer blutete. Das war kein Klon.    Kiba musterte ihn aus dem Augenwinkel und rief: „Yo! Was zur Hölle ist dahinten passiert? Was war das für eine Explosion?“   Narutos Lippen pressten sich zu einer grimmigen Linie zusammen. Er sagte überhaupt nichts. Und es war niemals ein gutes Zeichen, wenn das Großmaul verstummte. Kiba versuchte, seinen Kopf zu drehen, spürte aber die heftige Starre des Schattenbesitzes, der sich fester um ihn zog.    Keine Sekunde später strich Neji ohne ein einziges Wort an ihm vorbei und rannte auf die Bunker zu. Naruto legte an Geschwindigkeit zu und setzte ihm nach.    Kibas Miene verdüsterte sich, da er sich fühlte, als hätte man ihn gerade unter der Aufsicht eines Erwachsenen in einen Kindersitz geschnallt, während der Rest des Teams eine Sonderbehandlung bekam. Er mochte es überhaupt nicht, außen vor gelassen zu werden, auch wenn es einige verrückte Wendungen gegeben hatte.    Bewegungen an seiner peripheren Sicht, die sich zu beiden Seiten näherten.    Er sah hinüber, sah, wie sich Ino von links auf ihn zubewegte, Shikamaru zu seiner Rechten, was Kiba zu dem Hündchen in der Mitte machte. Shikamaru musste es so geplant haben. Zumindest nach dem Wildkatzenfauchen zu urteilen, das aus Inos Mund drang; und der Hundeninja war der Puffer zwischen den beiden. Nett. Clever. Moment mal.    Schief spähte Kiba zu dem Schattenninja. „Ich dachte, du darfst kein Chakra nutzen.“   Shikamarus Gesicht war mit Staub und Blutspritzern bedeckt, doch seine Augen waren scharf und klar. Er warf Kiba einen schneidenden Blick zu. „Beschwerst du dich?“   „Nicht wirklich.“   „Dann halt’s Maul. Ihr beide.“   Vollkommen baff runzelte Kiba die Stirn, drängte aber nicht weiter. Sie alle waren von diesen Chimären unterhalb der Gürtellinie getroffen worden. Der Schattenninja hatte jedes Recht, angepisst zu sein. Angepisst zu sein war gut. Angepisst zu sein war fair. Angepisst zu sein war, was Kiba in jeder einzelnen, schmerzenden Faser fühlte, zusammen mit dem heißen, blutrünstigen Drang, ein paar Köpfe von Kusa-nins abzureißen – zumindest in der Theorie. Kuratives Chakra und ein Mund voll Nahrungspillen wären auf jeden Fall nötig, um wieder in Form zu kommen. Scheiße, wenn Shikamaru ihn nicht mit dem Schattenbesitz belegt hätte, dann hätte er über dieses Niemandsland kriechen müssen…durch dieses Ödland eines Massenschlachtfeldes…   Der Gestank davon füllte seine Nase schwerer aus der Rauch; der faulig-süßliche Verrottungsgeruch des Todes…   Aber dann traf etwas anderes auf seine Sinne…   Weich und kaum wahrnehmbar…   Der bittere Geruch von Salz…   Blinzelnd spähte er zu Ino und sah, wie Tränen ihre Wangen hinab liefen und den getrockneten Spuren folgten, die die Tränen zurückgelassen hatte, die sie vorhin vergossen hatte…vorhin, als sie dieses tote Kind gefunden hatten…dort hinten, in der Richtung, in die sie gerade gerannt war…zurück zu dem Rauch und dem Feuer und…   Oh nein…   Innerhalb eines Herzschlages verstand Kiba…und dieses Verständnis erfüllte ihn bis ins Mark mit Eiseskälte.   ~❃~   Die Empfangsdame mit den bunten Haaren kritzelte Herzchen auf ihren gelben Block, als Ibiki in das Wartezimmer trat; allerdings ohne die geringste Intention, auch wirklich zu warten. Er marschierte direkt zu Dr. Mushis Tür.    „Entschuldigen Sie!“, platzte das Mädchen hervor, schoss auf die Füße und schob ihre grellrote Strassbrille hinauf in ihre Haare. „Haben Sie einen Termin?“   Ibiki blieb stehen, drehte den Kopf und setzte ein schmales, eisiges Lächeln auf. „Ich habe ein Leiden. Und ich habe meine Medikamente abgesetzt.“   Ihr Mund klappte auf, als sie ihn angaffte und ihre weiten, kristallblauen Augen zuckten zwischen der soliden Mahagonitür und der soliden Ein Metern Neunzig Masse eines in Leder gekleideten Spinners hin und her. Ibiki hielt ihren Blick und strahlte mit dem Grinsen eines Killers eiskalte, pure Verrücktheit aus.    Er schielte auf ihr Namensschild. „Setz dich hin, Kimiko.“   Langsam ließ sie sich wieder auf ihren Stuhl sinken und die Haare auf ihren Armen hoben sich in einer Gänsehaut.    Ibiki nickte marginal. „Gut. Bleib, wo du bist.“   Ohne einen Blick zurück zu werfen rammte er die Türen zu Mushis Büro auf, fand den Seelenklempner mit dem Gesicht einer Gottesanbeterin an seinem Schreibtisch in den Polstern seines Lederstuhls sitzend vor, mit einer zarten, weißen Teetasse halb an seine Lippen gehoben. Der Doktor erstarrte und seine Augen weiteten sich bei Ibikis Anblick in einem flüchtigen Aufflammen von Alarm und Bestürzung. Dann wurde seine Miene blank. „Kimiko?“, rief er mit beeindruckender Gefasstheit, als er seine Tasse absetzte.    Ibiki schloss die Tür hinter sich und sperrte sie ab.    Tief holte Mushi Luft, um zu sprechen, doch Ibiki hob warnend einen behandschuhten Finger. Er legte ein Ohr an das Holz. Kein Geräusch drang von draußen herein. Schalldicht. Ermutigend. Nicht, dass er dachte, dass es viel Geschrei geben würde. Er war für Blut gekommen, nicht Folter.    Vollkommen regungslos saß Mushi da. „Morino Ibiki“, sagte er leise. „Gibt es etwas, bei dem ich dir behilflich sein kann?“   Ibikis Augen wanderten zur rechten Seite des Raumes zu den Paneelen, die Genma bei seinem Verhör erwähnt hatte. „Das kann jetzt auf zwei Arten ablaufen“, erwiderte er. „Beide Arten werden damit enden, dass ich bekomme, weswegen ich gekommen bin. Der erste Weg ist schmerzlos. Der zweite Weg hingegen…“ Er ließ die Drohung hängen, während sein Blick zurück zu dem Doktor schwang.    Ein feiner Schweißfilm brach auf Mushis Stirn aus, doch abgesehen von einer leichten Blässe, blieb sein Gesicht bemerkenswert still. Er sank etwas tiefer in seinen Stuhl und seine rechte Schulter sackte ein Stück ab. Zweifelsohne schoben sich die Finger in Richtung des Alarmknopfes unterhalb seines Schreibtisches.    Ibiki setzte ein kaltes Lächeln auf. „Das sind ziemlich gefährliche Gedanken, die du da hast, lieber Doktor. Glaubst du ernsthaft, dass sie schneller durch diese Tür kommen können, als ich über diesen Tisch?“   Mushi schluckte, brachte seine Handflächen ruhig ins Sichtfeld und faltete sich auf der Tischplatte. „Ich bin sicher, dass ich dir nicht sagen muss, wie viele Vorschriften du gerade verletzt, Morino-san. Dieser Regelbruch ist sowohl unprofessionell als auch unethisch.“   Belustigung flackerte dunkel und grell in Ibikis Augen auf und sein leises Kichern rollte in einem tiefen Rumpeln in die Stille des Raumes. Langsam näherte er sich dem Schreibtisch, stützte seine Handflächen gegen das schimmernde, polierte Holz und sah hinunter in Mushis kalkweißes Gesicht.    „Regelbruch gilt nur für die, die diese Regeln befolgen“, sagte Ibiki wispersanft. „An jedem anderen Tag könnten wir eine nette lange Unterhaltung über ethische Professionalität unten bei F&V führen. Ich wäre sehr interessiert, einfach alles über deine außerplanmäßigen Aktivitäten unten in den Eingeweiden des Biestes zu erfahren, das wir über der Oberfläche so gerne KERN nennen.“   Ein Zucken von Panik auf diesen insektenhaften Gesichtszügen und Mushi blinzelte ihn wachsam an. „Wovon redest du?“   „Sei nicht so zurückhaltend, Doktor. Inoichi-san hat mir alles erzählt. Über Yamanaka Naoki. Darüber, dass Shuken immer noch lebt.“ Und hier erlosch die Belustigung in Ibikis Augen und „Dieses Geheimnis dem Konzil vorzuenthalten war dein erster Fehler. Nara Shikamaru hinter ihren Rücken zu treffen, war dein zweiter.“   Inzwischen schwitzte Mushi heftig. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“   „Du kennst meinen Ruf“, raunte Ibiki. „Du weißt, was sie über meinen Geisteszustand sagen, oder nicht, Doktor?“ Mushis Augen zuckten über die Narben auf Ibikis Gesicht. Er sagte überhaupt nichts, aber seine Finger krümmten sich, als sich Ibiki weiter nach vorn lehnte und den Doktor vollständig in seinen Schatten tauchte. „Du hast eine Akte über Nara Shikamaru. Du wirst mir diese Akte geben, oder ich werde anfangen, Dinge in deinem zarten kleinen Körper zu brechen, die sich niemals wieder so zusammensetzen lassen werden, wie es sein sollte.“   Eine neue Art von Furcht erfüllte Mushis Augen, nur war es nicht wirklich der Horror, den Ibiki erwartet hatte. Sie kam mit einem Hauch von Zorn, einem Hauch selbstgerechter Empörung, die heiß über die Wangen des Doktors brannte. Vehement schüttelte Mushi den Kopf. „Worum du bittest, ist illegal.“   „Was du getan hast, war illegal“, konterte Ibiki und schob seine Finger über den Tisch, um einen dünnen, bronzenen Brieföffner aufzunehmen, bevor er mit dem Daumen über die Spitze strich. „Der Sandaime hat dir verboten, irgendeinen anderen Nara Shinobi außer Nara Shikaku zu behandeln – ist das nicht so?“   Was immer an Farbe in Mushis Wangen gestiegen war, verschwand schlagartig wieder und ließ seine Haut äschern und wächsern zurück. Erneut schüttelte er den Kopf, nur langsamer diesmal. „Du verstehst nicht. Ich habe nicht…ich war nicht…“ Er brach ab, um etwas Luft zu schlucken und strich mit den Händen über seine Arbeitsfläche, als könnte er das alles mit ein paar ausgewählten Worten wieder glattbügeln. „Dieser Junge ist vertraulich zu mir gekommen. Er erinnert sich nicht einmal daran. Ich habe ihm geholfen. Ich hatte Erfahrung mit -“   Ibiki rammte den Brieföffner so schnell und so plötzlich nach unten, dass es Mushi niemals kommen sah.    Ein nasses THUNK!   Für zwei lange Sekunden stierte Mushi in vollkommenem Erstaunen auf die Klinge, die seine linke Hand auf den Tisch nagelte. Zwei sehr lange, sehr stille, sehr verständnislose Sekunden.    Und dann schrie er.    Ein schockiertes, brüchiges Heulen, das mit verspätetem Schmerz schrillte.    Ibiki feixte wie ein Wolf und bleckte die Zähne, als er sich noch näher beugte. „Heb dir deine Erklärungen für die Ältesten auf, Mushi. Ich kann dich schneller aus der Ärztekammer streichen, als ich alle vierzehn Phalangen in deiner linken Hand durchtrennen kann. Womit ich innerhalb der nächsten fünf Sekunden anfangen werde, wenn du mir nicht gibst, was ich will.“   Ein vernünftigerer Mann hätte geblufft, was Folter anging. Aber Ibiki hatte sich noch nie als vernünftig betrachtet. Und er bluffte selten – wenn überhaupt – wenn es um Folter ging. Er hatte auch keine Zeit, sich mit all den Einzelheiten herum zu schlagen. Solche Verzögerungen hatten ihn bereits mehr als Zeit gekostet…sie hatten ihn Menschen gekostet.    Genma…   Seine Finger verkrampften sich um das Ende des Brieföffners und wrangen ein weiteres Kreischen aus Mushi, als sich die Klinge tiefer durch Sehnen und feine Knochen drehte. Doch der Klang das Jaulen des Doktors war nichts im Vergleich zu den seelenzerfetzenden Schreien, die in der Sekunde aus Genmas Kehle gebrochen waren, als Inoichi ihn in F&V festgeschnallt hatte.    Ich kann ihn nicht lange dort lassen…   Der Saft in der Spritze, die er Genma verpasst hatte, war eine schnellwirkende, psychoaktive Droge; das Äquivalent zu einem chemischen Genjutsu – vielleicht sogar schlimmer. Jetzt im Moment würde Inoichi versuchen, Genmas Verstand zu infiltrieren. Aber er würde nur Halluzinationen und Wahnsinn vorfinden; Imaginationen und Horror.    Immer noch besser als die Wahrheit…   Diese Wahrheit jetzt zum Schweigen zu bringen, bedeutete, Genma unter die Räder des Systems zu werfen. Diesem System aus Lügen und Halbwahrheiten; es ließ zu, dass der Shiranui von diesen erbarmungslosen Mechanismen von Herzen und Verstand durchgekaut wurde, die viel zu kalt waren, um noch etwas fühlen zu können. Und dennoch; da war ein heißer Knoten des Unwohlseins, der wie ein Geschwür in Ibikis Eingeweiden brannte. Ein Gefühl, von dem er nicht behauptete, er würde es verstehen und das er eher vernichten würde, statt es zuzugeben.    Gefühl…   Dieser alte Treibstoff, von dem er einst befeuert worden war…bevor er mehr Maschine als Mensch geworden war und Teile seiner Seele gegen rostige Knoten und Eisenbolzen eingetauscht hatte – zusammengehalten von etwas, das weniger mit Haut und mehr mit Narben zu tun hatte, ein mentales Fell, das dick geworden war, taff geworden war, kalt für Berührung geworden war.    Er stierte auf Mushis festgepinnte Hand…   Starrte auf das Blut, das aus dem Punkt quoll, wo Klinge Haut traf.    Blut. Blut war alles, was er brauchte, um das Siegel zu durchbrechen.    Ich habe keine Zeit für sonst noch irgendetwas…   Ruckartig befreite er die Klinge und verpasste Mushis Kiefer einen Rückhandschlag, der mit einer einzigen Bewegung dafür sorgte, dass Mushi nicht nur den Mund hielt, sondern auch komplett lahmgelegt wurde. Der Hieb ließ die Zähne des Doktors mit einem hörbaren Klacken aufeinander prallen, schleuderte den kleinen Mann aus seinem Stuhl und schickte ihn mit dem Gesicht voran auf den Boden – vollkommen ausgeknockt.    „Danke für deine Kooperation“, murmelte Ibiki, wischte das Blut von dem Brieföffner und auf seine Handfläche.    Jetzt die Blutsiegel.   Er wandte sich von dem Schreibtisch ab und näherte sich völlig unbesorgt wegen der Auswirkungen den Paneelen mit den Blutsiegeln zu. War schließlich nicht so, als würde Mushi aufwachen und direkt zur Hokage rennen.    Damit würde er sich nur selbst belasten.   Fürwahr. Mushis einzige Anlaufstelle würde das Konzil sein – und Ibiki hatte auf jeden Fall vor, dem Doktor dabei zuvor zu kommen…also natürlich, nachdem er sich um Genmas neueste und letzte tickende Bombe gekümmert hatte.    Kakashi.   ~❃~   Katsu hatte es nicht raus geschafft.    Völlig eingenommen von dem Kampf, hatte es Neji überhaupt nicht bemerkt. Er war viel zu sehr mit der Sicherheit seiner eigenen Leute und dem Abschluss ihrer Zielvorgaben beschäftigt gewesen. Die anderen drei Nagu hatte er auf dem Schlachtfeld gesehen und einfach vermutet, dass sich Katsu unter ihnen befand.    Vermute niemals. ANBU – und das Leben – haben dich besser gelehrt als das.   „Wir werden nicht ohne Katsu gehen“, sagte die Nagu Frau, Sui. Sie sah vollkommen erschöpft aus, doch sie hielt zusammen mit Yuki und Yako an ihrer Seite ihre Stellung. „Nimm dein Team und geht. Wir bleiben zurück.“   Nicht die Art von Erwiderung, auf die Neji gezählt hatte.    Was erwartest du von ihnen? Dass sie Katsu verlassen wie du diese Kinder verlassen hast?   Während er einen langsamen und gemessenen Atemzug nahm, trat Neji sowohl physisch als auch mental einen Schritt zurück und ließ seine blassen Augen die Peripherie der Laboreinrichtung entlang wandern. Sai und Naruto hielten Wache, während Kiba, Ino und Shikamaru auf den von Ranken eingeschlossenen Stufen saßen und Sakura Wundnahtstreifen auf offenen Wunden anbrachte. Chōji, Tenten und Shino waren geschäftig dabei, Überlebende auf die Wagen zu hieven; sechzehn Kinder, vier Wissenschaftler und drei Laborassistenten.    Dreiundzwanzig Überlebende.   Einhundertachtundsiebzig potentielle Tote, wenn man bedachte, dass die Personenliste der Einrichtung zweihundert Personen umfasste. Die Nummern wirbelten in Nejis Verstand umher. Den Todesopfern vier Nagu hinzuzufügen löste nicht gerade viel Zuversicht oder Vertrauen in Suis Verlangen danach aus, zurück zu bleiben.    Aber sie wird es tun. Zusammen mit den anderen beiden…   Als er zu ihnen zurück sah, wanderte Nejis Blick zwischen den Wächtern hin und her und suchte nach Schwächen in ihrer Reihe. Doch sie hielten sich feste; unerschütterlich in ihrer Überzeugung. Niemand wurde zurückgelassen; und schon gar nicht ihr Anführer.    „Ihr werdet hier mit einer unbekannten Anzahl an Feinden eingeschlossen sein“, erinnerte Neji sie. „Es lässt sich nicht einschätzen, welche Systeme die Aikoku vielleicht kompromittiert oder welche Fallen sie vielleicht aufgestellt haben. Lasst uns uns neu sammeln, neue Energie tanken und dann werden wir zurückkommen und gemeinsam nach Katsu suchen.“   Der fuchsgesichtige Yako schüttelte den Kopf.    Yuki setzte den leichtesten Hauch eines Lächelns auf und hob das Kinn. „Nein. Wir bleiben.“   Nejis Kiefer zuckte heftig, aber er konnte keinen Fehler in ihrer Loyalität finden, auch wenn ihre Logik nicht so ganz nachvollziehbar war. Es gab viel zu viele Variablen, viel zu viele Risiken. Resigniert hob er die Schulter. „Ihr habt zwei unserer Mikrofone und unser Signal. Bis wir zurückkommen, um die letzte Etappe unserer Mission abzuschließen, werdet ihr auf euch gestellt sein.“   Sui nickte scharf. „Wir sind immer auf uns allein gestellt. Ihr solltet besser schnell hinter die Barriere, bevor diese Siegel komplett verschwinden.“ Zusammen mit dem Rest der Nagu wandte sie sich ab und begann ihren Abstieg zurück in die verrottenden Eingeweide des Empfangsbereichs.    Während er ihnen nachsah, trat Neji einen zögernden Schritt nach vorn und rang mit diesem Moment. Es erschien ihm so suizidal. Katsu konnte überall in dieser Einrichtung sein. Und gemessen daran, wie viel sie davon in Stücke gesprengt hatten, könnte er vielleicht sogar tot sein.    „Sie werden dabei keinen Rückzieher machen, Hyūga“, sagte Shikamaru von seinem Platz am Fuß der Treppe aus. Gerade verband er eine tiefe Wunde an seinem Knöchel. „Ist so eine Wächter Sache. Asuma war genauso.“   „Asuma.“ Inos Stimme zitterte bei dem Namen und wässrige Augen fixierten sich auf Chōji, als der gerade ein Kind auf die Rückseite eines Wagens hob, bevor er mit sanften Händen ein weiteres nach vorne lockte. „Asuma hätte niemals Kinder zurückgelassen.“   Bei diesen Worten verkrampfte sich Nejis Brust und die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst. „Ino“, sagte er und lenkte ihre Aufmerksamkeit damit auf sich. „Die Mission.“   Inos Blick klärte und verschärfte sich auf ihn, während sich ihr Mund um die Anschuldigung herum verdrehte, die so offensichtlich auf ihrem Gesicht geschrieben stand. „Hast du es befohlen?“, fragte sie; die Worte ein heiseres Würgen in ihrer Kehle. „Hast du diese Gehege in die Luft jagen lassen?“   Neji hielt ihren Blick, sagte nichts. Jetzt war nicht die Zeit für diese lange und komplizierte Unterhaltung – oder die Lügen, die vielleicht nötig wären, um sie einzudämmen. Wie unglücklich nur, dass sein Schweigen die Wahrheit hinaus brüllte.    Kiba stieß einen japsenden Atem aus und stützte die Hände auf den Schenkeln ab. „Shit…“   Ino stierte einfach nur und alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. „Wie konntest du?“   Ruckartig hörte Shikamaru auf, seinen Knöchel zu verbinden und spähte durch seine Wimpern nach oben. „Wollt ihr gerade ernsthaft wegen Kollateralschäden einen Streit mit Neji vom Zaun brechen?“   Kibas Mund klappte auf. „Verfickt nochmal was hast du gerade gesagt? Du sprichst hier von Kids, Shikamaru.“   „Theoretisch“, erwiderte Shikamaru und wies ihn mit einer Handbewegung ab. „Du weißt nicht mit Sicherheit, ob in diesen letzten Gehegen wirklich Kinder waren.“   Mit aufflammenden Augen schüttelte Ino Sakura ab und schoss auf die Beine, die Fäuste an ihren Seiten geballt, während sie zornfunkelnd auf den Schattenninja hinab stierte. „Du weißt nicht mit Sicherheit, dass dort keine waren!“   Shikamaru bellte ein dunkles, ungläubiges Lachen und breitete weit die Hände aus, während sich ein scheußliches Schmunzeln auf sein Gesicht legte. „Gut gemacht, Ino. Ich bin kein verfickter Hellseher. Willkommen bei einem klassischen Fall von ‚Total abgefuckte Situation‘. Gemessen an unseren Zielvorgaben hat Neji die absolut richtige Entscheidung getroffen.“   Ino schluckte einen Atem, um zurück zu schlagen, doch Neji kam zwischen die beiden und ließ eine Hand nach außen schnellen, um das Thema hiermit zu beenden. „Das steht nicht zur Diskussion.“   „Es war die falsche Entscheidung, Neji“, spie Ino aus, während ihre Augen blaues Feuer spuckten. „Du weißt, dass es das war.“   Neji stählte sich gegen diese Worte und schüttelte den Kopf. „Nein, das war es nicht.“   „Woher willst du-“   „Weil ich es gesehen habe“, log Neji. Die Linien seines Gesichtes waren so kalt und unlesbar wie seine Stimme. „Ich habe das Gebiet gesehen. Ich habe es abgeklärt. Ich habe den Befehl gegeben. Das ist mein Vorrecht. Deins ist es, meine Befehle zu befolgen. Nicht, sie in Frage zu stellen. Nicht, sie anzuzweifeln. Wir tun, was notwendig ist, um die Mission abzuschließen. Das ist es, was wir tun.“   Für einen langen Moment suchte Ino sein Gesicht ab und ihre Lippen pressten sich zu einer dünnen, bebenden Linie zusammen. „Belehre mich nicht über das, was wir tun. Du bist nicht mein Sensei, Neji. Mein Sensei hat mich gelehrt, was wir tun. Und ein Teil von dem, was wir tun, ist, die nachkommenden Generationen zu berücksichtigen.“   „Jo, in unserem eigenen verdammten Dorf“, sagte Shikamaru mit unverblümter Stimme, sein Blick scharf und schneidend wie eine Klinge. „Diese Kids sind keine Kinder von Konoha. Sie sind Bauern auf dem Spielbrett von jemand anderem und wir wurden gerade so richtig ausgespielt.“   „Und das macht es okay, sie einfach abzuschreiben?“, würgte Ino mit einem zitternden Wispern hervor, das in Tonlage und Lautstärke mit jedem Wort zunahm, was die Aufmerksamkeit des restlichen Teams auf sich zog. „Die Unschuldigen wie Opfer des Kreuzfeuers zu behandeln und einen Scheiß auf sie zu geben? Ein Auge zuzudrücken? Das ist nicht, was Asuma uns beigebracht hat, Shikamaru! Das ist nicht, was er -“   „Unfassbar“, fauchte Shikamaru und erhob sich hinter Neji. „Ist es das, was du da drin gemacht hast? In Senseis Fußstapfen treten? In Glanz und Gloria untergehen? Ein kleiner letzter ‚Silber anstreben‘-Versuch?“   „Hey!“, schnappte Kiba und senkte seine Stimme zu einem leisen Knurren, das kaum hörbar war. „Wie wär’s, wenn du dich mal wieder einkriegst?“   „Wie wär’s, wenn du dich um deinen eigenen beschissenen Kram kümmerst“, blaffte Shikamaru zurück und seine Augen schnitten zu Kiba. „Was verfickt nochmal hast du da eigentlich gemacht, Kiba? Ihr in dieses Wrack hinterher zu humpeln? Richtig fucking clever. Obwohl ich darauf wetten würde, dass du nicht wirklich mit deinem Kopf gedacht hast, oder? War ja klar, dass du deinem Schwanz in eine Todesfalle nachstellst.“   Kibas Gesicht verschloss sich und seine Augen flammten golden auf. Er schoss auf die Füße.    Neji begegnete ihm auf halbem Weg in die Aufrichtung und rammte seinen Handballen gegen die Brust des Inuzuka, um ihn einen Schritt zurück zu stoßen, bevor er einen Finger gegen das bebende Sternum des Hundeninjas pinnte. „Denk nichtmal dran!“, warnte Neji; fassungslos von der Absurdität dieses Moments und wie unglaublich schnell er eskaliert war. Rasch warf er auch seinen anderen Arm nach außen, um Shikamarus aggressiven Schritt nach vorn aufzuhalten. „Du auch. Bleib verflucht nochmal zurück, Nara.“   Shikamaru hob die Brauen in einer schalkhaften Zurschaustellung von Belustigung, bevor er seine Hände nach oben hielt und einen langsamen, spöttischen Schritt zurück trat. Er sah zu Ino und seine Lippen verdrehten sich trocken. „Siehst du das, Ino? Wir nennen es ‚Befehle befolgen‘.“   Ino schüttelte vollkommen sprachlos den Kopf, doch der Zorn hatte ihre Augen verlassen und ließ nur eine schreckliche Verletztheit und schmerzhafte Verwirrung zurück. „Shikamaru, was ist nur los mit dir?“   „Was mit mir los ist?“, äffte der Schattenninja nach, während ein bitteres Halblachen von seinen Lippen brach. „Du gehst mit diesem engstirnigen Geninlevel Bullshit auf Neji los und dann machst du mich fertig, weil ich dir deinen Arsch gerettet habe? Du bist direkt in eine giftige Feuersbrunst gerannt! Bist du total beschränkt oder lebensmüde?“   „Ich bin nicht-“   „Zur Hölle bist du das nicht!“, schnitt Shikamaru ihr das Wort ab und seine Brust krachte gegen Nejis Arm, als er einen Finger über die Schulter des Hyūga hinweg in Inos fassungsloses Gesicht stach. „Glaubst du ernsthaft, dass es dir irgendwelche Karmapunkte bei Asuma einbringen wird, wenn du den König von jemand anderem beschützt? Ist ein bisschen verfickt spät, um ihm zu beweisen, was du wert bist, denkst du nicht auch?“   „SHIKAMARU!“, donnerte Chōji und seine Stimme hämmerte den Moment zu komplettem und vollständigem Schweigen. Niemand sprach, niemand atmete.    Der Akimichi starrte bestürzt und sprachlos zwischen seinen beiden besten Freunden hin und her. Und er war nicht der Einzige. Alle Augen wandten sich in verschiedenen Stadien des Schocks und der Ungläubigkeit Shikamaru zu.    Ein angespanntes Keuchen und Ino zuckte zusammen, als hätte ihr der Schattenninja eine schallende Ohrfeige verpasst. „Du Bastard“, wisperte sie mit einer Stimme, die bei den Worten zitterte. Sie taumelte einen Schritt nach hinten gegen Sakura und schüttelte den Kopf, als wäre sie benommen. „Wie kannst du das zu mir sagen.“   Schwer schluckend funkelte Shikamaru sie an; die Augen weit, die Nasenflügel bebend und seine Miene gefangen in einem Chamäleonkräuseln zwischen viel zu vielen Emotionen, als dass Neji einschätzen konnte, was zur Hölle er wohl fühlte – geschweige denn dachte – um so etwas Schneidendes, so etwas Grausames zu sagen.    Er sagte sonst nichts mehr. Aber Götter, als ob er das müsste.    Neji nahm einen beruhigenden Atemzug und bedachte Shikamaru mit einem kühlen Blick über die Schulter, bevor er seine Stimme über die vollkommene Stille erhob. „Alle auf die Wagen“, befahl er. „Wir brechen jetzt auf.“     ___________________ Hey meine Lieben :) Ja, so langsam gerät immer mehr aus den Fugen und ich bin schon sehr gespannt, was ihr natürlich vor allem zu Shikamaru in diesem Kapitel sagen werdet!  Vielen vielen Dank an euch meine lieben Reviewer/innen und natürlich auch an alle Leser/innen! Kapitel 32: Call of shadow and past ----------------------------------- Kakashi bewegte sich von Traum zu Traum, eine Erinnerung nach der anderen.    Rin und Itachi rannten viel zu weit voraus; Obito und Sasuke hingen viel zu weit hinterher. Er konnte es nicht riskieren, nach dem einen Paar zu greifen, ohne dabei den Blick auf das andere zu verlieren. Er verharrte, drehte Kreise, umfasste sein linkes Auge…Blut rann zwischen seinen Fingern hervor. Er verlor Perspektive…verlor den Pfad…   Er konnte Minato-sensei nicht sehen.    Er konnte…gar nichts sehen.    Dunkelheit schwappte heran, sorgte dafür, dass er in Bewusstsein hinein glitt und wieder hinaus, hin und her pendelnd zwischen der Vergangenheit und Gegenwart, bis er spürte, wie sein Verstand von der Wärme einer entfernten Flamme angezogen wurde, hingezogen zu der Silhouette, die im Feuerschein flackerte. Silbernes Haar, die dunklen Augen tief in Schatten getaucht, eine bodenlose Traurigkeit anstelle einer Seele.   Vater…?   Die Gestalt wandte sich ihm zu, aber das Feuer wurde zu grell.    Ich kann dich nicht sehen…   Das Licht verschleierte seine Sicht und verwusch erneut zu Dunkelheit.    Kakashis Wimpern hoben sich flackernd ein Stück. Er wachte in einem Raum auf, der nach feuchten Backsteinen und sterilisiertem Equipment roch und seine Augen verengten sich gegen das künstliche Licht von OP-Lampen, die in breiten Strahlen durch den Raum stachen. Rasch presste er wieder die Lider aufeinander und öffnete sie nicht nochmal…döste für eine Weile…obwohl er nie weit abdriftete. Ein leises, winselndes Geräusch brachte ihn erneut näher zu Besinnung, schnitt sich erneut durch den Nebel in seinem Kopf, brachte sein Bewusstsein zurück…zurück…   Ein scharfes Bellen.    Kakashi schreckte bei dem Klang auf, während sich seine Brauen verwirrt zusammenzogen.   Shiba…?   Noch einmal versuchte er, seine Augen zu öffnen, schaffte es, die Lider zu einem Schlitz zu heben, nur um sie direkt wieder zu zu pressen, als sein Sharingan brutal zwickte. Der Schmerz schoss wie ein Spieß durch sein Hirn, strahlte nach außen und brachte die letzten flüchtigen Erinnerungen mit sich. Erinnerungen an…   Shiba…Genma…das Lagerhaus…Ibiki…Inoichi…   Es war alles so schnell passiert…und dann war alles abgebrochen, als hätte jemand den Stöpsel aus seinem Hirn gezogen…oder ihm eine Nadel in die Halsschlagader gestoßen.    Ibiki? Inoichi?   Begreifen kam einen Sinn nach dem anderen zurückgekrochen. Und das nächste, was ihm bewusst wurde, war der Schatten, der über seine geschlossenen Lider fiel…die Präsenz an seiner Seite…ein Hauch von Atem in der feuchten Luft…Finger auf seinem Arm, die seine Armbeuge abtasteten, als suchten sie nach einer Vene.    Schon wieder bellte Shiba in einem schrillen Jaulen der Panik und des Frusts.    Kakashis Augen schnellten auf.    Die Frau, die sich über ihn gebeugt hatte, zuckte zurück und ihr Daumen erstarrte auf dem Kolben der Spritze. Alle bewussten Gedanken reinem Instinkt überlassend, schlug Kakashi ihre Hand fort und schickte die Injektionsspritze wirbelnd durch den ganzen Raum, während er ihr eine steife Handfläche in die Halsbeuge rammte.    Schlagartig sackte sie zu Boden.    Langsam ebbte das Bellen zu einem leisen Hundewinseln und dem Kratzen von Krallen auf Holz ab.    Keuchend richtete sich Kakashi ruckartig auf dem Bett – nein, der Bahre – auf. Zitternd und desorientiert schwangen seine Augen durch den winzigen Raum. Er wies die kahle, charakterlose Einrichtung von einem der medizinischen Räume der ANBU auf. Langsam ließ er seinen Blick hinunter über seinen Körper wandern und sah, dass man ihn zusammengeflickt hatte.    Yo…und schlafen gelegt. Was zur Hölle geht hier vor?   Stirnrunzelnd legte er eine Hand über sein pochendes linkes Auge und glitt auf schwerelosen Beinen von der Bahre, bevor er sich in einer Hocke neben dem schlaffen Körper der Frau niederließ. Sie trug die graue Uniform eines F&V Chūnin.    Folter und Verhör?   Eine silberne Braue hob sich und Kakashi spürte, wie sein Zorn durch den Kälteschock nachließ.    Ibiki.   Oder Inoichi.    Oder beide.   Na super. Also, dieser Gedanke war auf allen Ebenen mehr als verstörend; Ebenen, die viel höher waren als der unmittelbare Boden, auf dem sein Hirn gerade feststeckte. Langsam schüttelte er den Kopf, während er versuchte, die Teile aneinander zu fügen. Inoichi; Kakashi wäre vielleicht in der Lage gewesen, ihn mit einzukalkulieren – wegen seiner Verbindung zu Naoki und Naokis Verbindung zu Genma.    Aber Ibiki.   Runder Zapfen, quadratisches Loch. Ibikis Part in all dem hatte Kakashi in einen vollkommen anderen Kopfraum geschleudert. Als er so die Frau anstierte, die ausgestreckt zu seinen Füßen lag, verspürte er den verzweifelten Drang, alle seine verstreuten Theorien zu einem Treffen zusammenzurufen, sodass sie sich alle in einer netten stillen Ecke seines Hirns zusammensetzen konnten und die Handlung fanden, die ihm ganz offensichtlich verloren gegangen war.    Genma…in was zur Hölle bist du da nur hineingeraten?   Oder genauer gesagt – in was zur Hölle war er hineingeraten? Egal, was für Fäden des Argwohns Kakashi auch verfolgt hatte, er hatte niemals vermutet, dass sie ihn zu dieser Höhle schlafender Hunde führen würden…wo es ganz offensichtlich sicherer und weiser gewesen wäre, sie nicht zu wecken.    ‚Es interessiert mich einen Scheiß, sie nicht zu wecken. Ich werde jeden verfickten Hund weiterhin so lange treten, bis irgendeiner davon etwas Nützliches jault.‘   Bei dieser Erinnerung an Asumas Worte verspürte Kakashi einen Stich. Wenn er daran dachte, dass Asuma eher an dem massiven Haarknäuel der Verschwörung erstickt wäre, statt mit eingezogenem Schanz davor wegzurennen.    Und wenn du ihm so weit gefolgt wärst wie ich…hätte es dich hierher geführt?   In eine unbefugte Inhaftierung? Nur einen Spritzenstich davon entfernt, für Gott weiß wie lange zum Schweigen gebracht zu werden?    Mich auszuknocken kann nicht ihr Endspiel sein. Viel zu riskant.   F&V hatte weit invasivere Wege, Münder und Geister zum Schweigen zu bringen und vertrauliche Informationen zu entfernen, als ob sie nie gewesen wären.    Ist es das, was Inoichi mit Naoki macht?   Aber warum zur Hölle machte er es unter Danzōs Befehl? Handelte auch Ibiki nach diesen Befehlen?   Nichts davon macht irgendeinen Sinn…   Umso mehr, weil es sich alles so falsch anfühlte…so…   Gott…   Scharf zogen sich Kakashis Brauen zusammen, als Mizugumos Worte kalt wie der Winter über die Landschaft seines Verstandes krochen und sich über sein Herz stahlen.    ‚Es schmerzt nicht wahr? Diesen Idealismus zersplittern zu sehen? Ignoranz – oder in deinem Fall Unschuld – ist eine furchtbare Sache zu verlieren. Du wirst darüber hinweg kommen. Ich habe es auch geschafft.‘   Knurrend versuchte er, den eisigen Griff dieser Worte abzuschütteln. Die Situation war weit über seine Jōnin-Zuständigkeit hinaus eskaliert, auch wenn er sich gezwungen fühlte, weiter nachzuforschen – zumindest hatte er jetzt alles, was er brauchte, um diese Angelegenheit direkt zur Hokage zu bringen.    Aber zuerst; muss ich Genma finden.    Ein leises, nasales Winseln erklang durch den Raum.    Kakashi wurde aus seinen Gedanken gerissen, umrundete weiterhin in der Hocke die Bahre und fand Shiba in Seilen verheddert in einer Kiste kauernd. Er hatte den Schanz eingezogen und seine Augen rollten wild auf der Suche nach irgendeinem Ausweg, während eine Pfütze aus Urin zwischen den Holzbrettern hervor tröpfelte.    Kakashis Herz brach ein wenig und sein Atem stockte heftig.    Shiba hasste enge Boxen – als Welpe war er ausgesetzt in einer solchen gefunden worden; abgemagert und an der Schwelle des Todes. Es hatte Jahre der Rehabilitation und behutsames Training gebraucht, um die psychologischen Assoziationen des Hundes zwischen räumlicher Einschränkung und Verlassenwerden, Käfig und Tod zu durchbrechen.   Zorn flutete durch Kakashi.    Dunkel und sengend und er brannte all diesen seelenunterkühlenden Frost fort, den Mizugumos Worte zurückgelassen hatten.    Sein Verstand wurde scharf und seine Perspektive klärte sich. Er krallte seine Finger um das Schloss und riss es mit einem animalischen Brüllen heraus, zersplitterte das Holz und schnitt sich dabei die Haut unter seinen Nägeln auf. Rasch kniete er sich hin und löste vorsichtig die Seile, die die Beine seines Ninken fesselten.    Sofort krabbelte Shiba in seine Arme und legte seinen Kopf auf Kakashis Schenkeln ab.    Der Kopierninja beugte sich vornüber und drückte seine maskierten Lippen auf Shibas Kopf, murmelte leises Lob und sanfte Entschuldigungen, während er den zitternden Pelz des Hundes streichelte, bis sich der Ninken gegen ihn lehnte und das Beben nachließ – bis sich Shiba vollständig versteifte.    Auch Kakashi erstarrte und seine Finger hielten inne.    Hinter ihm schwang die Tür auf, gedämpfte Stimmen und selbstsichere Schritte erstarben in abrupter Regungslosigkeit und einigen scharf eingezogenen Atemzügen.    Ihr geschocktes Schweigen hielt nur eine Sekunde. „Kakashi-senpai! Bleiben Sie unten, Sir!“   Shibas Lefzen zogen sich über seinen Fangzähnen zurück, als ein Knurren in seiner Kehle rasselte. Behutsam fuhr Kakashi mit seinem Daumen über das gerunzelte Fell zwischen den Augen seines Ninken, seine Stimme sehr, sehr weich und sehr, sehr ruhig. „Wer von euch hat meinen Ninken in diese Kiste gesperrt?“   Eine verdutzte Pause.    Kakashi sah hinauf zu dem Metallschrank und fing darin die Reflexion von fünf Chūnin auf, die den Türrahmen ausfüllten. Vier von ihnen tauschten bei dieser Frage flüchtige, verwirrte Blicke aus, während diejenige, die am weitesten im Raum stand, eine große, rothaarige Frau, die Führung übernahm, langsam über die Schwelle schlich und die anderen mit einem schnellen Handzeichen ermutigte.    Das leise Rascheln ihrer Mäntel schaffte es nicht, das langsame Kratzen von Kunai zu überdecken.    „Kakashi-senpai“, sagte der Rotschopf. „Bitte bleiben Sie unten. Sie sind verletzt und desorientiert. Sie haben einen schweren Chakraschwund erlitten.“ Hier wanderte ihr Blick zu der Frau, die bewusstlos am Boden lag. Ihre Augen weiteten sich und Kakashi hätte schwören können, die Rädchen in ihrem Kopf arbeiten zu hören, als sie darüber nachgrübelte, eine glaubhafte Lüge zu konstruieren. „Unsere Medizinerin hatte Befehl, Sie zu sedieren und ins Krankenhaus zu verlegen.“   Kakashi erhob sich in einer langsamen, absichtlichen Dehnung und nahm sich alle Zeit, um die Knoten aus seinem Nacken zu strecken, Muskeln zu testen und seine Stärke einzuschätzen, während die Stiche an seinem Schenkel heftig zwickten. „Ihr habt meine Frage nicht beantwortet“, sagte er in derselben, seidigweichen Stimme.    Keine Antwort.    Völlig egal.    „Kakashi-senpai. Wir haben unsere Befehle. Das ist die letzte Warnung.“   Als er sich langsam auf dem Absatz umwandte, drehte Kakashi sein Gesicht Stück für Stick, um ihnen zu begegnen und sein linkes Auge kam hinter dem Fall blutgetränkter Silbersträhnen zum Vorschein – das Sharingan glühte heiß und rot wie Glut.    Sie dachten, er befände sich in der Unterzahl.    Sie dachten, er wäre geschwächt.    Sie hätten tiefer in seine Augen sehen sollen.    ~❃~   Shirataka kümmerte sich um die Nachbesprechung der Mission, denn Neji war fort.    Vielleicht nicht fort, aber definitiv nicht dort…   Dort, in diesem Raum, diese Worte sprechend, alles auf das bloße Ziel hinunter brechend, auf die einzige Sorge: die Mission. Immer die Mission. Surreal, wie er es schaffte, sich selbst gefasst zu halten, sich abzugrenzen, mit einer Ruhe zu sprechen, die er keinesfalls verspürte, auf eine Weise, die er nicht wiedererkannte. Genauso gut hätte er die ANBU Maske hier und jetzt aufsetzen können, so gut war sein Auftritt.    Kami, was für ein Auftritt.   Er ging all diese Bewegungen mit der gefassten, strikten Professionalität eines Regisseurs durch, der die Szenen eines Bühnenstückes detailliert beschrieb, wobei er der Rolle folgte, die von dem führenden Jōnin, dem Team Kommandanten, dem Black Ops Kandidaten verlangt wurde.    Niemand stellte ihn während der kurzen Pausen infrage.    Niemand forderte ihn zu weiteren Hinweisen auf.    Niemand widersprach seiner Handlungsvorgabe für den nächsten Akt.    Oder, wenn es irgendjemand tat, dann wurde es nicht ausgesprochen. Nicht einmal von Kiba. Jeder akzeptierte einfach nur die Parts, die sie spielen würden, die Anforderungen an ihre Rollen und niemand bat darum, Plätze zu wechseln oder Requisiten zu tauschen. Es wurde umrissen, es wurde befohlen und es wurde befolgt.    Mit einem Gesicht starr wie eine Maske lehnte sich Neji marginal nach hinten. „Irgendwelche Fragen?“   Niemand.    Der Vorhang schloss sich über diesem Treffen und jeder verließ den Raum, verließ die Bühne…   Nun, fast jeder.    Durch bebende Nasenflügel tief Luft holend, beugte sich Neji über den Tisch und stemmte die Handflächen flach gegen die Schemata. Blutige Mokkasträhnen fielen nach unten, um sein Gesicht einzurahmen und verbargen den Ausdruck völliger Erschöpfung, der drohte, an seinen Augenwinkeln zu zupfen. Er hatte nicht für eine einzige Sekunde eine Unterbrechung gehabt. Oder einen Moment Pause.    Und offensichtlich würde er auch jetzt keine bekommen.    „Was gibt es, Sai?“   Sai; ein Schatten in den Bühnenflügeln, trat hervor. „Shikamaru ist unpassend für diese Mission.“   Alles in Neji wurde eiskalt und regungslos – nicht die Art von eiskalt und regungslos, die er mit Shirataka gleichsetzte. Das hier war nicht die überfrorene Stille eines Mannes in vollkommener Kontrolle; das hier war die dünnste Schicht aus Eis unter taumelnden Füßen.    Shikamaru…   Kami, Neji hatte seinen Verstand für die letzten paar Stunden dazu gezwungen, immer wieder über dieses fragile Gebiet hinweg zu springen. Der Untergrund war so rutschig, so gefährlich unsicher. Und er traute sich selbst nicht zu, diesen Untergrund jetzt im Moment zu betreten. Bei der Art und Weise, wie er sich fühlte, dem ganzen Druck, der auf ihm lastete, würde dieser Untergrund unter seinen Füßen zerbersten. Selbst jetzt spürte er einen haarfeinen Riss, das Gewicht seines Zögerns.    Langsam hob sich sein Kopf und seine Augen überzogen sich mit Frost. „Ich bin mir der Situation mit Shikamaru bewu-“   „Nein“, unterbrach Sai ihn. „Das bist du nicht.“   Das hielt den Moment an.    Nejis Augen zogen sich wachsam zusammen und brachten das leichteste Kräuseln hinter Sais Iriden in den Fokus. Zwei unlesbare Spritzer aus Tinte auf einem Leinwandgesicht, so blass und blank wie unberührtes Pergament. Nicht ein Kratzer von Emotion, nicht ein Hauch von Absicht…und dennoch…   Die Pause wurde länger.    Neji richtete sich auf und bedachte Sai mit demselben Pokergesicht. „Wenn du etwas zu sagen hast, dann sag es.“   „Er ist Naruto wichtig“, war alles, was Sai sagte.    Perplex legte Neji den Kopf leicht schief, als hätte er sich verhört oder etwas falsch verstanden. „Wie bitte?“   Doch Sai wiederholte sich nicht und sein Blick säuberte sich von allem, was vielleicht nur Sekunden zuvor dort geschrieben gewesen war – wenn dort denn wirklich etwas gewesen war. Während er seine Irritation verschleierte, musterte Neji das Gesicht des Künstlers und suchte seine linienlose Miene nach etwas Einsicht, etwas Verständnis ab – nur um ein Schwarzweißportrait vorzufinden, das von den Worten, die er gerade gesprochen hatte, völlig unbeeindruckt war. Genau wie bei einem seiner Kunstwerke, überließ Sai alles der Interpretation – und Neji war nicht in der Stimmung, die Mehrdeutigkeit dieses Moments mit all seinen feineren Schattierungen von Subtext anzuerkennen.    Ich habe keine Zeit für sowas.   Und dann ergriff Sai noch einmal das Wort. „Ino lag falsch.“   Diese Aussage traf wie eine stumpfe Klinge in eine offene Wunde.   ‚Es war die falsche Entscheidung, Neji.‘   Muskeln verkrampften sich und etwas blutete…in ihn…aus ihm heraus…   ‚Du weißt, dass es das war.‘   Neji blinzelte einmal, zweimal, doch keine der Bewegungen wischte Sai aus der Existenz, noch bereinigten sie die Visionen der Explosionen, die hinter seinen Augen aufflammten und Rauch und Schatten zurückließen…und dann…noch schockierender; das Bild von Shikamaru…bedeckt mit Blut…gebadet in Tod…   Gott…   Neji spürte, wie seine Maske abrutschte.    Mission. Mission. Mission.   Er stemmte die Handflächen auf den Tisch und richtete seine Augen auf die Grundrisse, während er den anderen Ninja mit einem knappen „Ist das alles, Sai?“ abwies.    Sais Kinn zuckte leicht nach oben, seine Lippen öffneten sich – aber was auch immer er vielleicht gesagt hätte, blieb unausgesprochen und ließ einfach nur ein weiteres, angespanntes Ausdehnen von Schweigen zurück, bevor sich der Künstler zur Tür umwandte.    Sie schloss sich mit einem Klicken.    Und in der Sekunde, als das geschah, wischte Neji den gesamten Tisch mit einem einzigen brutalen Schwung seines Armes sauber. Der Zorn und die Schuld und die Verwirrung sandten Blätter und Schemata segelnd durch den Raum wie einen Schwarm aufgescheuchter Vögel; ein Flattern aus papierenen Schwingen…   Kinder zu ermorden…ist es das, was ANBU bedeutet?   Es war die eine Sache, die Anforderungen der Drecksarbeit der Black Ops zu kennen und zu verstehen – und eine ganz andere, bei diesen Unternehmungen auch eine Hand im Spiel zu haben.    Du kanntest den Preis…   Shikamaru hatte ihn davor gewarnt, lange bevor er darauf getrimmt worden war. Er hatte es gewusst und er war vorbereitet gewesen – oder nicht? Er hatte das psychologische Training, das ruhig und zentriert an der Rückseite seines Geistes saß, in diesem Segment, das ANBU ausgehöhlt hatte – ein Ort, an dem man seine Moral und vorgefasste Meinungen über richtig und falsch begraben konnte.    ‚Es war die falsche Entscheidung, Neji.‘   Erneut stützte er seine Hände auf und sog einen scharfen, zitternden Atem ein. Die Luft schoss durch seine Lungen, Wimpern schlugen wild, um die Bilder zu bekämpfen, die sich in seine Retinae gebrannt hatten und nacheinander aufblitzten; die Kinder, die Explosionen, Shikamaru, die Kinder, die Explosionen, Shikamaru…Rauch und Feuer und Schatten…   Genug…   Seine Finger krümmten sich zu Fäusten. War er wirklich so schwach, so fehlerhaft, dass er nicht tun konnte, was notwendig war?    Das habe ich. Für die Mission.    Nur eben nicht nur für die Mission. Es hing so viel mehr von seinen Entscheidungen ab; von seinen Fehlern. Seine Augen öffneten sich langsam und richteten sich auf die verstreuten Blätter auf dem Boden, die müßig in der kühlen Brise wippten, die durch das offene Fenster herein wehte…Vogelgesang herein trug…und noch etwas anderes trug…   Freiheit.   ANBU war diese Freiheit. Dafür musste er nur sein Herz in einem Käfig herumtragen.    Ist das Freiheit?   Spielte es eine Rolle? Wie er vor so langer Zeit argumentiert hatte, war es besser, ein Sklave seines eigenen Willens zu sein, statt ein Sklave der Launen eines anderen. Hitaro. Die Hyūga Ältesten. Es kam keine Veränderung. Der einzige Weg, sein eigenes Schicksal zu formen, war, die Kontrolle zu übernehmen und die harten Entscheidungen zu treffen.    Und jetzt muss ich eine weitere treffen…   Das quälte ihn, seit er gesehen hatte, wie Shikamaru in dem Gehege über diesen toten Chimären gestanden hatte. Der Horror, der sich durch sein Herz gegraben hatte, hatte wenig Raum für ruhiges, rationales Denken gelassen.    Was genau das ist, was ich jetzt im Moment brauche…   Seine Lungen leerten sich, aber seine Brust blieb schwer – ein bleiernes Gewicht, das auf seinen Rippen ruhte. Die Wände innerhalb von Wänden konnten es nicht verbergen. Die Zahnräder innerhalb von Zahnrädern konnten es nicht bewegen. Er rollte mit den Schultern, spürte keine Linderung, nur einen dumpfen Schmerz, der bis ins Mark ging.    Beweg dich. Mach etwas. Irgendwas.   Wimpern drifteten auf und er stierte lang und heftig auf seine Handrücken…   Starrte auf das Blut, das auf seinen Knöcheln verkrustete…   Blutbefleckte Hände…   ANBU Hände…   Diese Hände machten sich an die Arbeit, sammelten die verstreuten Notizen und Papiere zu einem Anschein von Ordnung zusammen, einem Anschein von Kontrolle. Und er versuchte, dieselbe Magie bei seinem Verstand anzuwenden, kratzte all die verteilten Gedanken zusammen, all die verräterischen Zweifel…aber es war nicht sein Verstand, der sich verstreut anfühlte…der sich angeschlagen und abgenutzt anfühlte…es war diese Insel, auf der er gestanden war…dieses einsame Stückchen Land…dieser ausgesetzte Käfig…   Begib dich nicht dorthin…   Dorthin, an diesen Rand, wo das Brüllen seines Blutes wild war wie die See…und alles, was er fühlte, tosend und tobend gegen die Wände brandete, gegen die Zahnräder, gegen…   Neji hielt inne und seine Finger erstarrten auf einer Akte.    Dort, hineingeschoben in die Akte, die er aus seinem Zimmer mitgebracht hatte, war eine gefaltete, gelbe Notiz, mit einer Büroklammer an die die letzte Seite des Ordners geheftet. Stirnrunzelnd löste er das Quadrat aus gelbem Papier und öffnete es mit seinem Daumen. Seine weißen Augen froren bei dem Text ein.    Hahn um Mitternacht Wo ein Stein Kirin aufsteigt Des Falken Schatten   Jeder andere würde das als ein simples Haiku lesen; eine Metapher, über die man nachdenken musste, nicht eine Nachricht, die erkannt werden musste.    Neji las sie erneut; und das Wissen erfüllte ihn mit Kälte.    ~❃~   Das Wasser floss wie Feuer.   Über sein Gesicht, seine Kehle hinab, entlang der sich hebenden Ebenen seiner Brust und der straffen Muskeln seiner Beine.    Mehr…   Shikamaru keuchte, öffnete den Mund, ließ die nasse Hitze über seine Zähne spritzen, über seine Zunge klopfen, seine Lippen zu einem tauben Stechen trommeln – ein Phantomkuss. Er schluckte schwer.    ‚Du schmeckst immer noch wie Feuer.‘   Zischend krallte er eine Hand durch sein Haar, seine Finger schnitten durch die dichten, dunklen Strähnen und stumpfe Nägel zerrten sich über seine Kopfhaut, als könnte er diese Stimme aus seinem Kopf reißen, aus seinem Verstand.    ‚Sag mir, dass du nicht willst, dass ich dich von innen heraus brennen lasse.‘   Schwer keuchend tastete er blind nach dem Wasserhahn und drehte die Hitze auf. Das Nass stürzte ätzend heiß herab, wusch über die straffen Muskeln seines Bauches, als er sich in den sengenden Strom bog, in dieses strafende Brennen.    Fuck…   Das Wasser lief rot den Abfluss hinab, riss Blut von seiner Haut und Schweiß und…   „Neji.“ Er hauchte den Namen, leckte sich das Wasser von den Lippen und schmeckte Salz – stellte sich vor, erinnerte sich.    ‚Erinnerst du dich an die Nacht, in der du zugelassen hast, dass ich dich bis zu Rand brandmarke und zeichne?‘   Ein Schauer flutete seine Muskeln entlang in Shikamarus Schenkel und er griff mit einer Hand nach unten, packte das schwere, harte Fleisch seiner Erregung und strich qualvoll langsam darüber, während sein Kopf nach hinten kippte und seine Kehle dem siedenden Dampf bloßlegte, den Zungen aus nassem Feuer.    ‚Das ist es, was du mit mir machst, Nara. Jedes Mal, wenn ich in deiner Nähe bin…brenne ich…‘   Brennen, Brennen…unter seiner Haut…unter seinen Narben…unter dem weichen Streicheln einer starken Hand…eine Hand…zwei Hände…drei Hände…vier…mehr…   W…was…?   Shikamarus Wimpern hoben sich flatternd gegen den heißen Sprühregen, seine dunklen, lustgetränkten Augen mühten sich um Fokus. Dampf füllte seine Sicht dicht und heiß wie dieser liebliche, schwarze Nebel, der über seine Haut strich…sechs gleitende Schattenhände bewegten sich im Tandem…bewegten sich, um zu berühren…bewegten sich, um zu nehmen…bewegten sich, um über starke Kurven und scharfe Kanten zu geistern…zwickten Nippel…zogen an Haar…berührten seine geschwollene Länge…trieben ihn höher…heißer…härter…   Neji…Neji…Neji…   ‚Brenn für mich…wieder und wieder…‘   In einem atemlosen Schrei wurde der Orgasmus aus ihm gerissen und nasse Strähnen klatschten gegen seine Schultern, als sich sein Kopf noch weiter nach hinten legte und sich seine Hüften in einem heftigen Zucken hoben, wieder und wieder nach vorn rollten; hinein in den Griff der Schatten, obwohl sein Geist wieder und wieder zurück rollte in den Griff der einladenden Schwärze…der einladenden Finsternis…   Finsternis…   Zerrte ihn hinein…   Zerrte ihn zurück…   Und zurück…und zurück…und -   ___________________ Hey meine Lieben :)  Ja, ein für meine Verhältnisse sehr kurzes Kapitel ^^ Und ich will auch gar nicht viel sagen, außer 'Sorry' für diesen Cliffhanger :D  Aber ansonsten wäre das Kapitel echt wieder ein Monster geworden. Ich hoffe, dass es euch trotzdem gefallen hat :)  Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Kapitel 33: Accepted invitation ------------------------------- Mann, das nervt vielleicht…   Mit finsterer Miene stand Shikamaru am schattigen Rand aus Dunkelheit und hielt sich gerade so außerhalb der schmutzigen Pfütze gelben Lichtes, das aus einer in einem Gitterkäfig befestigten Glühbirne mit niedriger Wattzahl strahlte. Seine Augen waren auf die Tür fixiert und zeichneten die breiten, unregelmäßigen Buchstaben auf dem Holz nach.   Tekisha Seizon.   Überleben des Stärksten. Jo, also die Ironie hatte bisher noch nicht nachgelassen – aber Shikamarus Geduld wurde auf jeden Fall immer dünner. Er seufzte ausgiebig und verlagerte sein Gewicht von einem lümmelnden Bein auf das andere, während er sich schon wieder fragte – wie er es sich bereits seit den letzten zehn Minuten fragte – warum zur Hölle Genma eigentlich so lang brauchte.    Tick und verdammtes Tack.   Wie er schon vorhin betont hatte, sollte er eigentlich Genin-Gören dabei zusehen, wie sie in einem roten Psychonebel aufeinander losgingen, nicht einem Haufen eingesperrter Tiere. Obwohl Shikamaru angesichts des gedämpften Aufruhrs, der gegen die verriegelte Tür schlug, vermutete, dass die wirklichen Tiere im Tekisha Seizon eher die menschliche Meute war, statt diese armen Kreaturen, die in einem brutalen Kampf auf Leben und Tod gegeneinander antreten mussten.   Ein plötzliches Heulen ertönte unheilvoll und markerschütternd.    Die Härchen an Shikamarus Nacken stellten sich bei diesem Geräusch auf und seine Nase rümpfte sich angewidert. Es war ja schon schlimm genug, den Nara Hirschen dabei zu sehen, wie sich während der Brunftzeit auseinander rissen. So wie er es sah, machten Natur und Ninja Leben bereits einen mehr als guten Job an der Front der Gewalttätigkeit, ganz ohne, dass Leute dabei eine Hand im Spiel haben mussten, indem sie animalische Brutalität durch sinnlosen Blutsport förderten.    Und ich kapier immer noch nicht, warum man sich an einem Ort wie diesem trifft…   Jo, diese nagende Frage grub sich noch immer einen Weg durch sein Hirn und zehrte an zweihundert besorgten Möglichkeiten – und einer ganzen Menge Nervosität.    Dämlich.   Während er seinen Kopf zurück gegen die schmutzigen Wände kippen ließ, stieß er einen langem Atem durch die Nase aus und versuchte, seine Gedanken zurück zu Genmas Erklärung zu lenken. Er rief Wort für Wort der Gedanken des Shiranui ab, die er über diese ganze, überaus lästige Zeitverschwendung gehabt hatte.    ‚Der Daimyō von Kusa will nicht, dass irgendjemand sonst seine Klauen in dein fettes Hirn treiben kann, bevor er es macht. Niemand wird darauf kommen, an einem Ort wie diesem nach einem von euch beiden zu suchen. Und außerdem, selbst wenn der Daimyō hier gesehen wird, wird niemand vermuten, dass du irgendwas besonderes bist. Nur irgendein dummes Kind in der Menge, das versucht zu beweisen, dass ihm ein paar Eier gewachsen sind.‘   Ja, okay, das erschien Shikamarus Verstand als Erklärung solide genug zu sein, aber aus irgendeinem Grund saß es einfach nicht richtig in seiner Magengegend. Ein öliges, unbehagliches Gefühl schlüpfte durch ihn und er musste den Drang unterdrücken, sich von der Tür fort zu schieben und stattdessen den langen dunklen Korridor zurück zu gehen, um Genma zu finden.    Jo, weil dir das auch ganz bestimmt die Punkte zurückgewinnen wird, die du bei ihm verloren hast.   Seufzend rieb sich Shikamaru mit einer Hand über den Nacken und drückte hart zu. Dämliche Idee. Sich in Gesellschaft von Shiranui Genma noch aufsässiger zu benehmen, würde sehr wahrscheinlich in ihrem ganz eigenen ‚Überleben des Stärkeren‘ Showdown enden; Senbon Schießender, Knallharter Draufgänger vs. Schreiend Wegrennender Klugscheißer.    Yep, das wäre ziemlich akkurat.   Ebenso wie die Tatsache, dass Genma ihn kriechend das Weite suchen lassen würde, von Laufen oder gar Rennen könnte keine Rede sein. Obwohl, das wäre dem Starren auf diese dämliche Tür für den Rest des Tages wahrscheinlich trotzdem noch vorzuziehen.   Aber auf der anderen Seite, werde ich keine Berichte schreiben müssen…   Ah, die helle Seite einer dunklen Wolke.   Noch mehr Schreien von jenseits der Tür, das von einem basslastigten dum-dum-dum begleitet wurde; als würde die Menge mit den Füßen stampfen und mit ihren Fäusten hämmern. Shikamaru war sich ziemlich sicher, hören zu können, wie sie etwas skandierten, aber die Deutlichkeit des Geräuschs wurde von den dicken Mauern gedämpft.    Langsam neigte er ein Ohr näher an die Tür, bevor er nochmal zurück spähte und nach Genma suchte.    ‚Shikamaru. Ich bin direkt hinter dir.'   „Jo, klar...", murmelte der Schattenninja, während er mit sich selbst debattierte, ob er auf seinen Senpai warten, oder voraus gehen sollte.    Langeweile und Neugierde zupften an seinen Händen wie lästige Kinder und drängten sein Hirn in die eine und seinen Körper in eine andere Richtung. Sicher, er könnte einfach hier rumhängen und Däumchen drehen, oder er könnte endlich in die Gänge kommen und dieses vollständig proaktive Ding machen. Scheiße, vielleicht hatte es Genma ja auch genau so geplant.   Ugh. Was für ein verdammtes Drama…   Mit rollenden Schultern stieß er ein langmütiges Seufzen aus, das halb gequält und komplett resigniert war. Scheiß drauf. Die Initiative zu ergreifen war definitiv besser als einfach nur in der Dunkelheit rumzustehen.    Ist ja auch nicht so, als könnte ich bei all dem Lärm ein Nickerchen machen.    Ein letzter Blick den Korridor hinunter und er griff nach dem Riegel und schob ihn zurück.    Das Ziehen an der Tür war, wie an einer Betonplatte zu zerren, während Chōji auf der anderen Seite festhielt. Wäre da nicht dieser wahnsinnige Gesang im Raum jenseits davon zu hören, dann hätte das qualvolle Ächzen der Angeln wahrscheinlich die Aufmerksamkeit von jemandem erregt. Aber wie es der Zufall wollte, schaffte es Shikamaru, sowohl ungesehen, als auch ungehört hindurch zu schlüpfen, um mit den Schatten der hintersten Reihe zu verschmelzen.    Das Erste, was ihn traf – abgesehen von dem Lärm und der Größe des Raumes – war der Geruch.    Ugh…   Ein dichtes Miasma aus Schweiß, Rauch und Sake erfüllte seine Nase, verstopfte seinen Rachen und drehte ihm langsam und übel den Magen um. Unter dieser stinkenden Schicht kam dann auch noch der scharfe Ammoniak Gestank von Urin, der übelriechende Stich nasser Tiere und der eklig-süßliche Geruch des Todes.    Schlachthaus traf auf Männerumkleide.    Das Gesicht verziehend schüttelte Shikamaru die Übelkeit ab und schob sich Stück für Stück die Wand entlang, während er sich in Schatten gehüllt hielt. Der Raum war rund und tief und wie ein Stadion in die Erde gebaut; Reihen über Reihen abgestufter Sitzplätze boten dem Publikum einen freien Blick auf die riesige, mittige Tiergrube. Der Ort war so vollgepackt, dass ein paar Leute sogar auf dem stufigen Boden saßen, der als Treppe zwischen den verschiedenen Gangreihen diente. Rotfiltrige Bühnenlichter hingen von den Streben, neigten sich in dramatischen Winkeln nach unten und kreierten eine Art surrealer Dimension aus Schatten und Illumination – eine Freakshow direkt aus der Hölle.    Und dort, in diesem Höllenloch, waren die Dämonen.    Keine Hunde aufgeputscht durch Nahrungspillen, keine exotischen Dschungelkatzenkreuzungen, nichts von all dem, was er erwartet hatte. Zwischen dem ansteigenden Hüpfen und Schwanken der Menge, fing Shikamaru obsidianhafte Blitze und arachnidartige Schuppen auf; der gigantische, tränenförmige Stachel eines Skorpionschwanzes, die bis zur Schärfe von Rasierklingen geschliffenen Zinken eines Hirsches und das deutliche Kräuseln von blutgetränkten Federn.    Shikamarus Augen wurden rund, während sich kalter Schweiß auf seiner Wirbelsäule ausbreitete.    Was zur Hölle?   Diese Kreaturen sahen aus wie etwas aus einem Mythos…oder vielleicht eher wie etwas aus Wahnsinn. Unnatürliche, unbeholfene, erbärmlich aussehende Dinger.    Als er einen der Gänge hinunter schlich, musste er sich in einer halben Hocke bewegen und sich unter dem Dach aus verschwitzten Armen und fuchtelnden Fäusten hindurch ducken, während das Flattern und Klimpern von Papier und Münzen über seinem Kopf von Seite zu Seite huschte; Wetten und Glücksspiel, Gewinne und Verluste.    Ein tiefes, hirschartiges Brüllen erscholl gequält und erstickt.    Shikamaru erstarrte und sein Herz geriet heftig ins Stocken – er kannte dieses Geräusch. Er hatte oft genug gehört, wie es durch den Nara Wald schallte, um zu wissen, dass die hirschähnliche Hybride gerade ein grausames Ende gefunden hatte. Ganze Trauben der Meute erhoben sich auf die Füße und ihre wilden Siegesschreie übertönten das sterbende Wehklagen des Tieres, während die Leute auf der Verliererseite auf ihren Plätzen zusammensackten und ein langgezogenes Ächzen der Enttäuschung ihre Ränge entlang wogte. Der Kampf war vorbei. Ein paar Personen fingen an, sich zu erheben und drängten sich durch die Gänge in Richtung des Ausganges.    Unbehaglich verlagerte Shikamaru das Gewicht gegen die Masse aus Körpern und versuchte, näher an die Bühne zu gelangen.    Ein spindeldürrer Mann und eine große, üppige Frau stolperten die Treppe hinauf auf ihn zu, ineinander verheddert in einem Lippenverschluss und mit Geld in den Fäusten, ihre Gesichter gerötet und feucht von Schweiß; nur tatschende Hände und hungrige Münder.    Hn. Wirklich stilvoll.   Shikamaru zog den Kopf zwischen die Schultern, versuchte, sich an den beiden vorbei zu quetschen und grummelte eine Entschuldigung, als seine Hüfte gegen den Schenkel der Frau stieß. Shit. „Sorry“, sagte er höflich und hob entschuldigend die Hände, als der Kopf der Frau herum schnellte.    Ihre Pupillen waren geweitet und die dunklen, mit Wimperntusche umrandeten Augen musterten sein Gesicht in einem glasigen Schwung, bevor sie den Kopf in den Nacken warf und ein wildes, kehliges Lachen ausstieß, während ihre dunklen Locken unter den Lampen rot schimmerten. „`s alles gut, Schätzchen“, gurrte sie und streckte einen Arm aus, um mit dem Rücken ihrer juwelenbesetzten Finger über die scharfe Neigung seiner Wange zu streicheln und dabei das Geld über seinen Kiefer zu ziehen. „Oh, sie lassen euch so jung hier herein, nicht war, Baby? Ich mag diesen hier. Ich will diesen hier.“   Völlig verdattert blinzelte Shikamaru sie an.    Das war genau die Art von Mist, von dem er sich immer vorgestellt hatte, dass Sasuke dort hinein geriet – also natürlich nur, wenn der Uchiha lange genug geblieben wäre, um für Shikamaru etwas Amüsantes statt Nervtötendes zu sein.    Zu blöd. Ich frage mich, wie Sasuke hiermit umgegangen wäre.   Der dürre Freund hatte sein Gesicht im üppigen Dekolleté der Frau vergraben und grunzte irgendetwas unverständliches, während er blind seine Faust hob und ihr etwas Geld in die Hand drückte. Offensichtlich war das das Daumen Hoch seiner Zustimmung.    Sie quiekte wie ein festgeklemmtes Schwein und lehnte sich nah nach vorn, um Shikamarus Ohr mit einem leisen, gehauchten Wispern zu kitzeln. „Bist du lieber oben oder unten, Seme oder Uke? Mein Baby mag beides.“   Angewidert zogen sich Shikamarus Augen zu Schlitzen zusammen und die Muskeln in seinem Kiefer begannen, heftig zu pochen. Er zuckte vor der Frau zurück und taumelte rückwärts in eine der Reihen. Statt sich um Balance zu bemühen, tauchte er nach unten, stützte seine Hand auf die Bank und sprang in einem ordentlichen Satz über die Plätze hinweg, um eine Reihe weiter unten zu landen; außerhalb der Reichweite dieser grabschenden Hände und liederlichen Vorschläge.    Die Frau sah zu ihm hinunter und setzte einen Schmollmund der Enttäuschung auf, bevor sie ihm eine Kusshand zuwarf. Shikamaru schnitt eine Grimasse und zog das Kinn zurück.    Mann, das ist so krank.    Naja, es war aber auch nicht so, als hätte Genma ihn nicht gewarnt, oder? Rasch wandte er dem Pärchen den Rücken zu und wiederholte den Trick, über die Sitze zu springen, für ein paar weitere Reihen, bevor er endlich einen leereren und stilleren Gang erreichte. Bedächtig bewegte er sich die Treppe hinab, um sich der Tierarena zu nähern.    Da ging ganz schön viel Aufregung vor sich.   Ein paar Leute waren geblieben, um dem Aufräumen zuzusehen und zu beobachten, wie die Bestienführer gekleidet wie gepanzerte Samurai herein kamen und versuchten, das übrig gebliebene Monster einzukreisen.    Shikamaru blieb stehen, während seine Augen zu dem gefallenen Hirschhybriden wanderten.  Das arme Vieh lag auf der Seite, rosa Schaum sprudelte aus seinem Maul und die schwarze Zunge hing heraus. Eins der Geweihe war gebrochen und hing hinab wie ein angeknackster Zweig. Die klauenbewährten und gefiederten Hinterläufe waren in fötaler Haltung eingezogen und krümmten sich hinauf bis zu dem hirschgleichen Brustkorb und der Vorderhand. Dort, wo der ruinierte Körper von dem Skorpionschwanz der Katze getroffen worden war, hatten sich Zysten gebildet, aus denen Eiter und Blut quoll.    Ein seltsames Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit; etwas wie Mitleid.    Shit.    Shikamaru wich einen Schritt zurück und zog sanft die Brauen zusammen.    Das ist nicht richtig…   Genauso wenig wie seine Reaktion. Immer die rationale Maschine, bäumte sich sein Hirn gegen den emotionalen Stich hinter seinen Rippen auf und erinnerte ihn daran, wie heuchlerisch er sich gerade benahm. Waren die Chūnin Prüfungen nicht genauso krank? Genin Kids gegeneinander antreten zu lassen? Genin Kids gegen Monster antreten zu lassen? Zuhause hatten sie einen ganzen Wald des Todes, der genau diesem Zweck gewidmet war.    Das ist anders. Die Genin haben eine Wahl. Eine Wahl, ein Ninja zu werden. Aber diese Kreaturen hier?   Was für eine Wahl hatten sie? Die Chūnin Prüfungen dienten einem Zweck – nämlich Ninjas heran zu ziehen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Aber Tierblutsport diente überhaupt keinem Zweck, außer zu amüsieren, zu unterhalten, auszubeuten. Und das Traurige war; nichts davon hätte ihn schockieren sollen, wenn man die Tierversuche bedachte, die Konoha und Kusagakure unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung und Chakrasteigerung betrieben.    Auch hier, das macht es nicht richtig…   Und auch hier bäumte sich sein Hirn gegen eine solche Naivität auf. Dieser Moment inneren Konfliktes überraschte ihn und seine Brauen hoben sich ein wenig. Selbst mit gerade einmal fünfzehn Jahren war er klug genug, um zu wissen, dass ‚richtig‘ und ‚falsch‘ Konzepte waren, die oft ebenso unfassbar waren wie die Wolken, sobald man versuchte, sie festzunageln.    Ich denke zu viel nach…   Oder fühlte zu viel – was bedeutete, dass er sich nicht konzentrierte oder die richtigen Arten mentaler Notizen machte. Energisch schüttelte Shikamaru die Verwirrung in seinem Hirn ab und schlich tiefer und näher an die Grube, wobei er sich seinen Weg durch die Ränge schlängelte. Verdammt, von da oben hatte er gar nicht realisiert, wie riesig diese Monster waren.    Whoa.   Er war an übergroße Bestien gewöhnt, aber nicht an übergroße Bestien, die aussahen, als hätte die Natur das genetische Puzzle komplett falsch zusammengesetzt; dieses unnatürliche Durcheinander verdrehter Gliedmaßen und gekreuzter Instinkte – obwohl er zugeben musste, dass hier eine sonderbare Art von Genie am Werk gewesen war. Der hirschähnliche Hybrid war schieres Chaos, aber die Katze mit dem Stachelschwanz und dem gepanzerten Fell war trotz ihres Schreckens beeindruckend.    Eine Hand packte seine Schulter.    Shikamaru zuckte bei der Berührung zusammen und drehte sich, als sein Blick genervt nach oben schwang und sich auf die Gestalt richtete, die von oben zu ihm herab spähte. Zuerst war es schwer, das Gesicht oder den Körper des Mannes auszumachen. Halb verdeckt von Schatten, war alles, was Shikamaru auf Anhieb bemerkte, ein Eindruck langer, drahtiger und straffer Muskulatur. Ein sehniger Arm streckte sich aus den Schatten der oberen Reihe.    Und dann beugte sich die Gestalt nach vorn.    Shikamarus Augen weiteten sich beim Anblick des Gesichts – und vermutlich starrte er länger, als es höflich war.    Die rechte Seite des Gesichtes des Mannes war vollständig erstarrt und ein große, silbrige Narbe breitete sich in einem zarten Spinnwebenmuster über die tief gebräunte Haut aus. Sein rechtes Lid war auf einer Halbmast Position über einem milchig weißen Augapfel fixiert, der unzweifelhaft blind war. Doch das andere Auge nicht. Nein. Das andere Auge bohrte sich wie eine gelbgrüne Flamme durch Shikamaru, die Pupille geschlitzt wie bei einem Reptil.    „Du solltest nicht hier sein“, sagte der Mann und hob dabei seine Stimme über das Summen der schwindenden Menge hinweg. Es war eine seltsam hypnotische Stimme; tief und leise und sie trug eine schläfrige und beinahe schon unterbewusste Intonation mit sich. „Du bist minderjährig.“   Shikamaru blinzelte mehrere Male, während er sein perplexes Hirn nach einer angemessenen Reaktion absuchte. War dieser Typ so eine Art Türsteher? Kopfschüttelnd ergriff er das Wort. „Ich habe eine Einladung.“   Das schien den Mann innehalten zu lassen. Das gelbgrüne Auge zog sich zusammen. „Wessen Einladung?“   Shikamarus Lippen pressten sich um eine Antwort herum zusammen. Shit. Moment mal. Sollte er hier inkognito unterwegs sein? Sollte er ein ‚dummes Kind spielen, dem noch keine Eier gewachsen waren‘? War eigentlich die einzige Karte, die er wirklich ausspielen konnte. Immerhin hatte er keine Tickets, auf die er sich zurückfallen lassen konnte. Die hatte Genma.    Nervig.   Naja, war ja nicht so, als würde er deswegen bei irgendeiner Mission versagen. Er war sich auch immer noch nicht sicher, warum zur Hölle er überhaupt hierher eingeladen worden war.    Schätze, dass es jetzt auch keine Rolle spielt.   Das Spiel aufgebend – aber nicht den Namen des Daimyō, der ihn eingeladen hatte – setzte er ein falsches Lächeln auf, das halb verlegen und halb überhebliches Grinsen war, während er ausladend mit den Schultern zuckte und die Hände ausbreitete, als wollte er sagen ‚Jo, was auch immer, hast mich erwischt‘.   Für eine demütigende Sekunde fragte er sich, ob das Schauspiel nach hinten losgegangen war.    Denn statt vorhersehbarer, erwachsener Genervtheit, bedachte Narbengesicht ihn mit einem sonderbaren Blick und dieses seltsame schlangenartige Auge flackerte in komischen kleinen Mikrobewegungen, die viel zu schnell waren, um ihnen folgen zu können, als sie Shikamarus Gesicht absuchten, als würde der Mann über etwas debattieren.    Jo. Darüber, auf wie viele Arten er mich hier rausschmeißen kann.    Und tatsächlich krallte sich diese Hand erneut in Shikamarus Schulter. „Du musst gehen. Jetzt“, sagte Narbengesicht und seine Finger gruben sich noch tiefer, als er Shikamaru um den Mobb aus Körpern herum dirigierte, der die Treppe verstopfte, um den Schattenninja zurück nach oben zum Ausgang zu führen.    Sie machten den beeindruckenden Fortschritt von ganzen vier Schritten.    Hinter ihm stieß Narbengesicht ein irritiertes Zischen aus.    Shikamaru versuchte, mit den Schultern zu zucken und hoffte, damit diese Hand auf seiner Schulter loszuwerden. Schön wär’s. Er seufzte das Seufzen eines gedängelten Teenagers und wollte gerade den fünften Schritt machen, als sich eine breite, schattige Gestalt mit einem konischen Strohhut eine der Bänke entlang schob und weiter oben hinaus in den Gang trat, um ihnen den Weg zu versperren.    „Ah, Katsu“, sagte der Fremde mit einer weichen und tiefen Stimme, die den leichtesten Hauch amüsierter Nachsicht in sich hielt. „Genießt du den Kampf.“   Katsu?   Shikamaru spürte, wie Narbengesicht ruckartig hinter ihm stehen blieb und ihn sogar fast einen Schritt zurück riss. Diese eisernen Finger verkrampften sich in einem reflexartigen Zwicken auf seiner Schulter, das Shikamaru als nichts anderes als als Überraschung oder Irritation interpretierte – bis sie sich etwas straffer krümmten und dafür sorgten, dass der Schattenninja zusammenzuckte und das Gesicht verzog.    Nicht cool.   Er hätte sich jetzt und hier aus diesem Griff befreit, wenn sich der Kerl, der ihnen den Weg versperrte, nicht in diesem Moment dazu entschlossen hätte, erneut zu sprechen, während er seine Arme in einer warmen, Willkommen heißenden Geste ausbreitete. „Wie ich sehe, hast du den Gast meines alten Herrn gefunden.“   Shikamaru versteifte sich; ebenso wie die Umklammerung an seiner Schulter.    Was zu- Auuoookay!   Okay. Entweder hatte dieser Katsu Typ gerade eine ernstzunehmende Wette verloren und ließ all seine Frustration an Shikamarus Trapezius aus, oder aber er konnte diesen Kerl, der vor ihnen stand, wirklich so gar nicht leiden. Der Schattenninja dachte sich, dass es sich wohl um Letzteres handelte, denn in der Sekunde, als die beschattete Gestalt nach unten zu ihnen trat, hob Katsu auch seine andere Hand, um sie auf Shikamarus andere – und derzeitig noch unmisshandelte – Schulter zu legen.    Oh, na super.   Mit finsterer Miene krümmte er sich unbeholfen gegen Katsus Griff und warf ein zorniges Funkeln über seine malträtierte Schulter, einfach, weil er sich dachte, dass es nicht schaden würde, etwas ehrliche Verärgerung in die Handlung zu legen. Verdammt, wenn dieser Typ noch ein bisschen härter zupackte, dann würde sich Shikamaru wirklich der Rolle des unreifen Nichtsnutz übergeben und seine unreife Faust in Narbengesichts Klöten rammen.    Doch Katsu schenkte ihm überhaupt keine Beachtung, sondern hatte sein Echsenauge starr auf den Mann fixiert, der zu ihnen hinab stieg. Er grüßte ihn nicht, sondern sagte einfach nur: „Yodos Gast – oder deiner?“   Yodo?   Shikamarus Augen weiteten sich in Wiedererkennen dieses Namens und sein Verstand blätterte die unmittelbaren Informationen hervor, die er in seinem Hirn abgeordnet hatte. Nogusa Yodo. Der Feudalherr des Landes der Verschlungenen Wurzeln. Shikamaru entsann sich, dass er diesen Namen auf seinem Proktorendossier gelesen hatte. ANBU hatte nicht nur die Namen der teilnehmenden Dörfer, Aufseher und wettstreitenden Chūnin aufgelistet, sondern auch eine Liste mit den Daimyōs aufgestellt, von denen erwartet wurde, dass sie den Chūnin Prüfungen beiwohnten.    Bin mir ziemlich sicher, dass da auch noch ein anderer Nogusa mit auf dieser Liste stand…   Doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Mann über ihnen nahm seinen Hut ab und trat weitere zwei Schritte nach unten, wobei er sich aus dem Schatten löste und sich in die Reichweite des roten Lichtes begab, das in die Arena strahlte. Sein rabenschwarzes Haar fiel ihm lose um das Gesicht.    Es war kein Gesicht, das der Schattenninja schon einmal gesehen hatte.    Ordne es ab.    Blinzelnd machte Shikamaru eine rasche Bestandsaufnahme der Konturen des jungen Mannes; ein blasses, schmales Gesicht mit kräftigen, ebenen Wangenknochen, einer scharfen Kieferlinie und einer schmalen, patriarchalischen Nase. Doch es waren die Augen, die Shikamarus Interesse weckten – dunkel wie Ebenholz, still wie eine schwarze See an einem windstillen Tag und eingefasst unter einer geraden Kante der Stirn.    Als würde er die Beurteilung des Nara spüren, bog sich der weite Mund des Mannes an einem Winkel zu einem weichen, beinahe sinnlichen Lächeln. „Du weißt, wie sehr ich es mag, wenn du so warmherzig und lässig bist, Katsu. Aber du solltest es wirklich besser wissen, als meinen Vater in Gegenwart eines Gastes so informell zu betiteln.“   Katsus Finger zuckten gefährlich.    Ugh. Und es geht wieder los.   Rasch versteifte Shikamaru die Schultern, um einen weiteren, muskelzertrümmernden Griff zu vereiteln und ergriff das Wort, um diese dunklen, tintigen Augen wieder zu sich zu lenken. „Ihr seid der Sohn von Nogusa Yodo?“   Der junge Mann bedachte Shikamaru mit einem nachdenklichen Blick, bevor diese gutmütige Belustigung wie Honig über seine Antwort rieselte. „Gelegentlich“, erwiderte. „Vor allem bei besonderen Anlässen.“ Shikamaru hob angesichts dieser kryptischen Antwort eine Braue; eine Geste, die das Amüsement und Interesse des Mannes nur zu vertiefen schien, als sich dieses katzenhafte Lächeln etwas tiefer schnitt. „Ach, und es besteht kein Grund für Höflichkeitsfloskeln. Ich entschuldige mich für diesen zwielichtigen Ort, aber ich hatte meine Gründe, dich hierher zu bitten. Einer davon ist, dass ein Inkognito einfach weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht. Obwohl Nara Shikakus Sohn nicht zu verwechseln ist. Die Ähnlichkeit ist…genau so, wie ich sie vermutet habe.“   Shikamaru blinzelte. „Ihr…du kennst meinen Dad?“   Katsus Griff wandelte sich von schmerzhaft zu pulverisierend. „Was machst du hier, Shin?“   Shins Lippen kräuselten sich kaum wahrnehmbar bei der Nutzung seines Namens. „Offensichtlich rette ich den Jungen aus deinem Todesgriff.“ Mit dem Kinn ruckte er zu Katsus verkrampften Fingern. „Lass los, hm? Es wäre mir sehr zuwider, wenn ich meinem alten Herrn sagen müsste, dass unser Kampfhund von der Leine ist und geehrte Gäste zerfleischt.“   Katsus Umklammerung lockerte sich.    Sofort wand sich Shikamaru frei, rollte mit den Schultern und drehte sich seitwärts, um weitere Misshandlungen zu vermeiden. Sein Blick zuckte wachsam zwischen den beiden Männern hin und her, als er die Hierarchie einzuschätzen versuchte; und die zunehmende Spannung. Was zur Hölle war Katsus Problem? Rang? Shin schien vielmehr amüsiert statt aggressiv zu sein, aber seine Autorität gegenüber dem narbengesichtigen Katsu war nicht zu übersehen.   Eine haarsträubende Stille stand zwischen ihnen.  Vier lange Sekunden dehnten sich zu fünf aus, dann sechs, sieben…   Katsu trat einen Schritt zurück und sein Echsenauge senkte sich ein Stück. „Verzeihung, Shin-san“, murmelte er steif und die Worte kratzten wie Kies zwischen seinen Zähnen hervor. Wirklich überzeugend.   Doch statt irgendeinen Anstoß daran zu nehmen, löste sich Shins Miene zu einem wohlwollenden Lächeln auf und die Haut um seine Augen herum warf leichte, warme Fältchen. „Du warst schon immer ein unbeholfener Bastard, nicht wahr?“ Er lachte, um seinen Worten den Biss zu nehmen und stieß Shikamaru fröhlich mit dem Ellbogen an. „Sorry wegen Katsu. Ich bin kein Ninja, aber sogar ich kann sagen, dass er etwas überreizt ist. Zu seinem Glück ist er rau genug um die Kanten herum, damit es cool aussieht.“   Das ließ Shikamaru beinahe schmunzeln. „Ninja, huh?“    „Der beste, den es gibt und loyal bis ins Kleinste, oder etwa nicht, Katsu? Sowohl mein Vater, als auch mein Onkel können das bestätigen.“   Katsu sagte überhaupt nichts, sein Blick blieb abgewandt.    Noch einmal spähte Shikamaru zwischen den beiden hin und her, als er versuchte, aus der Dynamik zwischen den beiden schlau zu werden. Also, dieser Katsu Typ diente den Nogusa Brüdern als was? Als Leibwächter? Shin hatte über diese ganze ‚Kampfhund‘ Sache gewitzelt, aber meistens lag Wahrheit im Scherz. Shikamarus Blick glitt von Katsus vernarbtem Gesicht nach unten und suchte nach irgendeiner Art Nogusa Clan Wappen oder einem Markenzeichen, das seinen Rang kennzeichnete.    Und er fand es beinahe sofort.    Halb versteckt von einem blutroten Obigürtel und hängend über Katsus rechter Hüfte und seinem Schenkel, war eine dreieckige Schärpe, die beinahe mit der identisch war, die Asuma trug, nur dass das weiße Gewebe mit einem anderen Nationalsymbol bestickt war; dem des Landes der Verschlungenen Wurzeln.    Shikamarus Brauen schossen nach oben. „Du bist ein Ninja Elitewächter?“   Bei diesem Titel hob sich Katsus Kopf ruckartig und ganz offensichtlich überrumpelt versteifte sich sein Körper.    Shin lachte. Entweder war er leicht zu amüsieren, oder er fand irgendetwas an dem halb gebildeten Stirnrunzeln besonders komisch, das die ungelähmte Seite von Katsus Gesicht ergriffen hatte und das gelbgrüne Auge zu einem schmalen Blinzeln zusammenzog.    „Wie ich gesagt habe; der Beste“, pries Shin strahlend, während er eine Hand ausstreckte, um Katsu auf die Schulter zu klopfen und die schlanken, straffen Muskeln seines Armes zu tätscheln wie ein Besitzer wohl die Flanke eines Preishundes streichelte. „Der beeindruckendste Jōnin der Nagu. Der Nogusa Clan könnte sich keinen entschlosseneren Beschützer, oder einen treueren Krieger wünschen, nicht wahr, Katsu?“ Und hier drückte er den Arm leicht und vermittelte dadurch eine seltsame Sentimentalität in die Berührung, bevor er Katsus starren Bizeps losließ. Die Muskeln wölbten sich so hart, dass Venen in zornigen dünnen Linien hervortraten.    Shikamaru runzelte die Stirn und bemühte sich noch immer, den Subtext lesen zu können, der unter der Oberfläche dieses sonderbaren Austauschs vonstatten ging. Er hatte keinen guten Grund, Katsu irgendwie mehr zu mögen als Shin – Scheiße, die gequetschte Schulter des Schattenninjas reichte eine höllische Beschwerde bei seinem Hirn ein – aber wider besseres Wissen fühlte er sich gezwungen, den Blick des Wächters einzufangen und durchschauen zu wollen, was ihn so unbehaglich machte.   Vielleicht ist er auch wirklich einfach nur unbeholfen, genau wie Shin gesagt hat.   Oder vielleicht fühlte er sich dem Typen mehr zugeneigt, weil er die Schärpe eines Elitewächters trug und der Schattenninja ehrlich gesagt im Moment nichts mehr wollte, als sich aus dem Rampenlicht hinaus in den Schatten seines Senseis zu ducken und Asuma das ganze beschützende Ding eines menschlichen Schildes machen zu lassen.    Tz. Und jetzt benimmst du dich wieder wie ein Kind…   Na und? Scheiße. Jeder gottverdammte Erwachsene erwartete von ihm, dass er sich dem Alter entsprechend verhielt, das sein monströser IQ diktierte. Niemand nahm sich auch nur eine Minute Zeit, um darüber nachzudenken, dass nur weil er weit über seine Jahre hinaus dachte, das nicht bedeutete, dass er sich nicht ab und an einfach nicht älter als fünfzehn fühlte; verwirrt, unsicher, unter Druck gesetzt, zwiegespalten und dazu gezwungen, viel zu schnell erwachsen zu werden. Gelehrt, alles zu ignorieren, was auch immer vielleicht in seinem Herzen war, nur um in seinem Kopf fest verkabelt und verankert zu bleiben.    Nur Asuma bemerkte diese Kluft in ihm.    Nur Asuma kapierte diesen Konflikt zwischen seinem Kopf und seinem Herze und das selbst zu den Zeiten, wenn sich Shikamaru nicht einmal bewusst war, dass es einen Konflikt gab. Asuma hörte ihn immer, jagte ihm immer nach und wusste immer, wann er ihn zurück auf das Level eines normalen fünfzehnjährigen Jungen stoßen musste, statt ihn wie den distanzierten, über zweihundert Jahre alten Mann zu behandeln, den ihm sein IQ vorschrieb zu sein.    Ein sanfter Griff an seinem Ellbogen zog ihn fort von seinen Gedanken.    „Hey, sollte nicht ein Jōnin bei dir sein?“, fragte Shin mit vor Sorge zusammengezogenen Brauen. „Wir müssen durch die Shinjūmon gehen, um-“   Katsus Kopf hob sich ruckartig und sein Schlangenauge weitete sich glimmend. „Nur die Nagu-“   Shin hielt die Hände gegen den Blick nach oben, mit dem Katsu ihn gerade aufspießte. „Ganz locker, Killer“, beruhigte Shin, während sich seine Lippen ganz leicht hoben. „Ich bin mir der Regeln sehr wohl bewusst.“ Entschuldigend spähte er zu Shikamaru und las dabei die Verwirrung auf dem Gesicht des jungen Nara. „Du hast von dem Jikūkan Ninjutsu gehört, Kleiner?“   Shikamarus Augenbraue zuckte bei dem Wort ‚Kleiner‘. „Yo. Ein Raum-Zeit Ninjutsu. Ein paar unserer früheren Hokage haben es benutzt.“ Und ‚ein paar‘ meinte hier den Nidaime Hokage, Senju Tobirama und den Yondaime Hokage, Namikaze Minato. Tatsächlich war sich Shikamaru ziemlich sicher, dass Asuma etwas darüber erwähnt hatte, dass auch Genma und die Goei Shōtai in der Lage waren, es anzuwenden. „Es wird vorwiegend als Transportjutsu genutzt“, fügte er hinzu, nur um klarzustellen, dass sie nicht aneinander vorbei redeten. Er mochte es überhaupt nicht, wie ein Genin behandelt zu werden.    „Transportjutsu.“ Shin schnippte mit den Fingern und nickte. „Ganz genau das. Siehst du. Die Shinjūmon sind Portale zwischen spezifischen Orten innerhalb und direkt außerhalb von Kusagakure. Verkürzt die Reisezeit enorm und macht es uns möglich, die Chimärenfracht durch die Gegend zu bewegen.“   „Shin“, knurrte Katsu.    Shin schürzte die Lippen, legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit einer Hand über den Mund, als wäre ihm vielleicht gerade ein Geheimnis rausgerutscht – obwohl er deswegen nicht allzu beschämt wirkte. „Lange Rede, kurzer Sinn, Kleiner. Abgesehen davon, dass wir ein Mitglied der Nagu brauchen, das uns begleitet, kann ich dich nicht mit durch diese Portale nehmen, wenn deine Jōnin-Begleitperson nicht dabei ist.“   Begleitperson?   Als wäre der ‚Kleiner‘-Part nicht schon irritierend genug. Jetzt dachte dieser Kerl auch noch, er bräuchte einen Babysitter? Shikamarus Kiefer zuckte heftig. „Ich bin ein Chūnin“, erinnerte er und sträubte sich leicht bei dem Gedanken, dass er hier wirklich seinen Rang gegenüber einem Nicht-Ninja rechtfertigen musste; Sohn des Daimyōs hin oder her. „Und ich habe bereits die Erlaubnis meines Jōnin, ansonsten wäre ich nicht hier.“   Die Feindseligkeit in seiner Stimme musste etwas stärker gewesen sein, als er es beabsichtigt hatte, denn Shin hob die Hände, um die jede Beleidigung zu revidieren und er schenkte dem Nara ein charmantes Lächeln, das Entschuldigung meisterhaft mit gutem Humor verband. „Ein verdammt fairer Punkt, Shika. Es stört dich doch nicht, wenn ich dich Shika nenne, oder?“   Oh doch, das tut es.    Und nicht aus dem Grund, aus dem er es schon immer gehasst hatte; was ganz einfach war, weil es sich wie eine kindische Abkürzung anhörte, die sowohl abwertend, als auch herablassend wirkte. Doch so, wie Shin die Silben über seine Zunge strich; da lag eine Intimität in dem langsamen, flüsternden Schnurren des Shi und dem harten, gehauchten Ruck des ka. Kombinierte man diese beiden Klänge miteinander, dann war der Effekt ein plötzliches Anspannen von Haut und ein Pulsieren warmer, dunkler Hitze an der Wurzel von Shikamarus Wirbelsäule, die direkt bis zur Basis seines Hirns schoss und ihn benommen im Kopf und heiß im Körper zurückließ.    Was verfickt nochmal?    Shikamaru bemühte sich, seine Verwirrung zu verschleiern und brachte immerhin ein schmallippiges Lächeln zustande. Nicht wirklich eine Einwilligung, aber er wollte den Sohn des Daimyō auch nicht anpissen. Und als würde er den Aufruhr seiner Gedanken spüren, warfen die schimmernd schwarzen Seen von Shin an den Winkeln Fältchen; doch die Tiefen dieser profunden, zobeldunklen Augen verblieben unergründlich ruhig – bar jeder Bewegung und Intention und dennoch irgendwie voll von Möglichkeiten, wie zwei schwarze Löcher, die Shikamaru in sich zogen, ihn dazu einluden, ein bisschen tiefer zu blicken, ein bisschen stärker zu starren…diese seltsame Hitze regte sich in seiner Magengrube, je länger er hinsah, je länger er starrte.    Und dann blinzelte Shin langsam und durchbrach die Verbindung.    Peinlich berührt und aus dem Konzept gebracht, errötete Shikamaru heftig und zog den Kopf zurück. Er wollte sich gerade entschuldigen, doch Shin glättete den Moment, indem er seine Aufmerksamkeit zu dem narbengesichtigen Nagu gleiten ließ. „Na schön, Katsu“, beschwor er ihn mit einem gewinnenden Lächeln, während er die Arme ausbreitete. „Mein Vater erwartet unsere Ankunft und du bist der einzige Nagu hier, der mit mir durch das Portal gehen kann. Willst du derjenige sein, der ihn warten lässt?“   Katsus Mund tickte an dem narbenlosen Winkel und sein gelbgrünes Auge verengte sich. „Nein“, raunte er schließlich mit einer Stimme, die sonderbar angespannt war.    Shin lächelte dieses sonderbare, charismatische Lächeln und Shikamaru spürte, wie seine Haut prickelte, als würde der ältere Mann irgendeine Art von Statik ausstrahlen. Hinter diesen viel zu ruhigen Augen war eine eigentümliche und hypnotisierende Kraft am Werk; eine Intelligenz und ein Magnetismus, die Shikamaru instinktiv spüren konnte, auch wenn er nichts im Verstand des Mannes lesen konnte.    Interessant. Faszinierend. Und allzu einladend für einen Verstand, der so neugierig war wie der von Shikamaru.   Behalt den Kerl lieber im Auge.   Oder sich selbst. Er hatte sich bereits in Schwierigkeiten gebracht, indem er Interesse an dem Puzzle gezeigt hatte, das Shiranui Genma war; ganz zu Schweigen, wenn es um das unvorhersehbare Wesen eines Mannes ging, den er kaum kannte und dem er überhaupt nicht vertraute. Energisch versuchte er, dieses komische Kribbeln in seinem Blut zu ignorieren und ließ sich zurück auf seine Wachsamkeit fallen, während er sich bemühte, einen logischen Sinn aus der Faszination zu machen, die sein Hirn gefangen hielt.    Scheinbar völlig ahnungslos von dem inneren Kampf des Schattenninjas, belohnte Shin Katsus Gehorsam mit einem anmutigen Lächeln und sah dabei aus, als wollte er vielleicht noch einmal die Hand ausstrecken, um erneut den Arm des Wächters zu tätscheln. Er machte es nicht. Stattdessen kehrte seine Aufmerksamkeit zu Shikamaru zurück. „Ich sollte dich vermutlich vorwarnen, Shika. Mein Vater hat die Angewohnheit, seine Gäste willkommen zu heißen, indem er sie taktisch auseinander nimmt. Ist eine Art Ritual. Spielst du Shogi?“   Scheiße, ja.   Und das verdammt nochmal viel besser als er dieses ‚Errate die Ursache dieser unbeholfenen Anspannung und dieser magenkitzelnden Seltsamkeit‘-Spiel spielte. Es war sonderbar; dieses unruhige Flattern in seinem Bauch. In seinen Nerven. Kein Alarm. Nicht wirklich Angst. Etwas vollkommen anderes, vollkommen falsches…oder war es das?    Shit. Klarer Kopf, Idiot.   Shikamaru schüttelte den seltsamen Griff ab, den diese Augen unverwandt an ihm hatten, spähte seitwärts zu Shin – als könnte er vielleicht die Macht dieses Blickes halbieren, wenn er ihn nur teilweise erwiderte – und nickte zögerlich. „Jo“, murmelte er, während er unbehaglich mit den Schultern rollte und hinzufügte: „Ein bisschen.“   „Ein bisschen, huh?“ In spielerischem Misstrauen zog Shin das Kinn zurück. „Ich glaube, du spielst gerade mit mir, Shika. Wenn mich meine Erinnerung nicht im Stich lässt, dann hat dein Dad damals mit meinem alten Herrn den Boden aufgewischt.“   Ungläubig zogen sich Shikamarus Brauen zusammen. „Das denke ich nicht.“   Shin lächelte nur.    Shikamaru blinzelte. „Ernsthaft?“   „Ernsthaft“, echote Shin und seine Augen funkelten amüsiert über den skeptischen Blick des Schattenninjas. „Ich entsinne mich vage, dass Nara Shikaku meinem Vater gesagt hat, er solle einen Locken-“   „Einen Lockenten-König vermeiden“, beendete Shikamaru mit einem leisen Lachen, als er sich Shin mit immer tiefer werdendem Interesse zuwandte und die Hände in einer unterbewusst entspannten Geste in die Taschen schob. „Mein Dad hat nie erwähnt, dass er gegen einen Daimyō gespielt hat.“   Shins Brauen hoben sich. „Ach nein? Interessant. Schätze mal, dass ihn das ehrt, wenn man bedenkt, dass er den Stolz meines Vaters total abgeschlachtet hat.“ Langsam ließ er den Kopf nach hinten kippen und atmete mit dem befriedigten ‚Ah‘ eines Mannes aus, der eine Erinnerung genoss. „Verdammt, aber das war mal ein Spiel, nicht wahr, Katsu?“   Katsu erwiderte nichts.    Verwundert über das Schweigen des Wächters begann Shikamaru, den Kopf zu drehen. Doch Shin unterbrach die Bewegung, indem er seine Hand in einem langsamen Streichen über Shikamarus Schulter gleiten ließ, um ihn von Katsu weg und die Stufen zurück nach unten zur Arena zu lenken. „Also hat dein Vater nie von dieser Zeit gesprochen, huh?“   Shikamaru versteifte sich bei der Berührung, entnervt von dem statischen Kribbeln und Platzen von Hitze, die unter der Oberfläche seiner Haut aufstieg. „Nein“, hauchte er.    „Hn. Interessant.“   Nicht so interessant wie die Art und Weise, wie Shikamarus Körper auf die Berührung dieses Mannes reagierte. Er mochte es kein verdammtes Bisschen. Als sie sich der eingesunkenen Grube der Arena näherten, nutzte Shikamaru die Gelegenheit, sich aus Shins Griff zu befreien und ließ es dabei aussehen, als würde er einfach nur einen beiläufigen Kreis drehen. Mit vorgetäuschtem Interesse legte er den Kopf in den Nacken und musterte die verstärkten Maschendrahtzäune, die sich zu allen Seiten des Pferches erhoben, elektrisiert waren und vor Chakra summten.    „Wie betreibt ihr das?“, fragte er und spürte Shins Blick wie ein verdammtest Scheinwerferlicht.    „Wir recyceln“, antwortete Shin und ließ seine Handfläche eine Haaresbreite von dem kraftvollen Summen des Zaunes entfernt darüber gleiten. „Chimären wie die, die du kämpfen gesehen hast, sind ein guter Treibstoff. Nichts wird verschwendet, nicht einmal die Körper.“   „Das reicht, Shin“, knurrte Katsu von hinten.    Shin zog den Kopf ein und hob die Hände in einer ‚Schon gut‘ Geste; eine Bewegung, die vielleicht als Zurschaustellung von Reue hätte durchgehen können, wenn er nicht geschmunzelt hätte. Schon wieder schien es ihm überhaupt nicht leid zu tun und offenbar war er auch nicht besorgt darüber, Informationen in Anwesenheit eines fremden Ninjas preiszugeben.    Muss einen Grund dafür geben.   Shikamaru notierte sich das sorgfältig zusammen mit all den anderen Fragen, die er vielleicht gestellt hätte. Aber jetzt war nicht die Zeit dazu, vor allem nicht, wenn Katsu ein scharfes Auge auf sie hatte und die Ohren spitzte. Shikamaru wippte auf den Fersen nach hinten und linste zur Spitze des Zaunes, wo sich die Drähte in engen, rasiermesserscharfen Windungen kräuselten. Grübelnd fragte er sich, ob wohl eine der Chimären jemals bis ganz nach oben geklettert war.    Ich bezweifle, dass das ein Publikumsliebling wäre…   „Hier lang“, lenkte Shin Shikamarus Aufmerksamkeit um und führte den Weg eine lange, betonierte Rampe hinab, die sie mehrere Meter unter die eingesunkene Arena brachte; Versorgungs- oder Sicherheitsetage, vermutete Shikamaru.    Und er vermutete richtig.    Shin führte sie durch eine Tür, auf der ‚ZUGANG NUR FÜR TIERFÜHRER‘ stand, hinein in den Unterbrauch des Gebäudes. Ein seltsamer Geruch drang in Shikamarus Nase; chemisch, faulig. Gerade so trat er über die dunkle Türschwelle und sein Fuß senkte sich knirschend auf einen Trümmerhaufen. Oder zumindest nahm er das an.    Doch als er nach unten sah, realisierte er, dass es der ausgetrocknete Kadaver eines kleinen Hundes war.    Shikamaru sog ruckartig die Luft ein.    Scharf zuckte Shins Blick zu ihm zurück und seine Brauen zogen sich zusammen. „Alles okay?“   Stirnrunzelnd hob Shikamaru seinen Fuß und kratzte seine Sandale über den Betonboden. Kein Blut. Keine Sauerei. Nur ein seltsam pudriger Rückstand. „Ihr habt mumifizierte Hunde hier unten?“   Shins Augen wanderten zu dem verdörrten Sack aus Fleisch und Knochen. „Chimärengifte und Antivenine stellen seltsame Dinge mit Blut an. Sie verklumpen oder verdünnen es. Hunde sind bessere Testobjekte als Ratten.“ Er trat hinüber und schrammte mit der Spitze seines Stiefels über einen gebrochenen, gelben Knochen. „Im Fall dieser armen Kreatur? Wir nehmen gerinnungshemmendes Gift und wir fügen Brodifacoum hinzu. Wringt sie aus, bis sie komplett trocken sind.“   Shikamaru sah durch seine Wimpern nach oben. „Und das ist was? Klassifiziert als pharmazeutische Forschung?“   Summend hoben sich Shins Lippen ein winziges Bisschen. „Ah. Werden wir jetzt eine Unterhaltung über Ethik führen? Ich habe interessante Dinge über die Nara Laboratorien gehört.“   Cleverer Zug. Shikamarus Mund zuckte zu einem Halblächeln des Respekts. „Ich habe nicht geurteilt, weißt du. Nur eine Beobachtung gemacht.“   „Befürchtest du, mich zu beleidigen, Shika?“ Schon wieder, dieses Schnurren seines Namens, das Härchen aufstellte.    Das ist NICHT mein Name…   Shikamaru zog die Brauen zusammen und die hohen Grate seiner Wangenknochen verfärbten sich leicht. Entnervt wich er einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Nein“, antwortet er schließlich und fand den Mut, Shins Blick zu begegnen. „Ich habe keine Angst davor, zu sagen, was ich denke.“   Shins Augen hielten sich fest und spekulierend auf ihm. „Gut. Denn nichts, was du sagst, könnte mich beleidigen.“   Da war ein unmissverständlicher Faden der Einladung, der von diesen Worten herab baumelte. Zögernd suchte Shikamaru Shins Augen ab und fragte sich, was wohl passieren würde, wenn sich dieser Faden entrollte.    „Shin.“ Katsus Stimme war angespannt vor Zurückhaltung. „Dein Vater“, erinnerte er.    Daraufhin führte Shin sie noch tiefer, bis sie nach links in einen Abschnitt des Tunnels abbogen. Wärme und Feuchte schloss sich um sie und die Decke war überkreuzt von schwitzenden und tropfenden Rohren. Das distanzierte Rumpeln von Aggregaten brummte die Wände entlang.    Shikamaru machte sich Notiz über den Grundriss, während sich sein Hirn Entfernung und Dimension merkte.    Shin nahm eine letzte Abzweigung. Gedimmte, rote Sicherheitslichter brannten in einer Reihe eingegitterter Glühbirnen, die sich den Korridor entlang zog. Sie liefen schweigend, die Schatten dicht und überall um sie herum. Immer eine Geborgenheit. Auch, wenn er sich nicht bedroht fühlte, war es dennoch gut, sich sicher zu fühlen.   Als sie an einer großen, verriegelten Tür ankamen, blieb Shin stehen. Die Schmiedearbeiten waren zu komplizierten, tierähnlichen Gestalten geformt und Shikamaru erspähte Drachen, Kirin, geschweifte Füchse, Shishi Löwenhunde und Phönixe.    „Shinjū“, murmelte Shin, während er mit den Fingern über das Gitterwerk einer Drachenschwinge strich und sich ein Hauch von Ehrfurcht in seine Berührung und in seine Stimme schlich. „Göttliche Bestien. Der Nogusa Clan besteht aus Connaisseuren aller mythischen Dinge…es ist wirklich beinahe primitiv…und deswegen umso schöner.“   Fasziniert von der seltsamen Dualität dieser Worte, legte Shikamaru den Kopf schief und seine Augen folgten dem langsamen Streichen von Shins Fingern über das kurvige Horn eines Kirin-Motivs. „Nennt ihr die Portale deswegen Shinjūmon?“, fragte er. „Tor der göttlichen Bestien.“   Shin bedachte ihn mit dem leichtesten Anflug eines Lächelns. Seine Finger hielten inne, glitten weiter nach unten und schwebten über einem gusseisernen Ziffernblatt, das in die Tür eingelassen war. „Katsu“, sagte er sanft. „Wenn du so freundlich wärst.“   Shikamaru schreckte leicht auf, als Katsu nach vorn trat und zwischen sie griff, um mit seinen langen, bronzenen Fingern das Ziffernblatt zu berühren. Er drehte den verzierten Kreis aus Rädchen in die eine und dann in die andere Richtung und bearbeitete sie in einer Kombination aus Klicken.    Shin spähte über die Schulter des Wächters hinweg und begegnete Shikamarus Blick. „Mein alter Herr hat hierfür wahrscheinlich schon seinen besten Taktiker aufgestellt. Bist du immer noch mit von der Partie?“   Die Tür schwang auf, Chakra strahlte in einem Schein aus lila-blauem Licht nach außen und das Maul des Portals wirbelte in einem Kaleidoskop aus Farben. Das Prisma aus Regenbogenlicht floss kühl, kitzelnd und hypnotisierend über Shikamarus Haut und zog ihn wie ein Magnet über die Türschwelle.    „Jo“, antwortete er, während sich seine Lippen in einem Lächeln bogen. „Ich bin mit von der Partie.“   Shin schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln. „Dann lass uns spielen.“   Gemeinsam traten sie durch das Portal und die Tür knallte mit einem BANG zu…zu dieser Erinnerung…zu seinem Verstand…   Bang. Bang. Bang.   _______________ Glossar: Shinjūmon: Tor der göttlichen Bestien Kirin: Eine chimärische Kreatur in der östlichen Mythologie, die oft in der Form eines drachenartigen Einhorns dargestellt wird Hey meine Lieben :)  Hier haben wir endlich mal wieder einen Blick in Shikamarus Vergangenheit, der letzte ist ja schon ziemlich lange her :D Jetzt wisst ihr auf jeden Fall schonmal, wo und wann Shikamaru Katsu zum ersten Mal getroffen hat und ihr lernt eine neue Person kennen :)  Hier in diesem Kapitel ist einiges versteckt, was euch bekannt vorkommen könnte, bin gespannt, was euch so auffällt! :)  Wie immer hoffe ich sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich sehr über ein paar Worte freuen *-* Vielen vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Scatach Kapitel 34: Victims of tragedy ------------------------------ BANG!   Shikamarus Augen schnellten auf und sein Körper kehrte nur Sekunden, bevor sein Verstand aufholen konnte, ruckartig zu Bewusstsein zurück. Das Erste, was ihn erfasste – abgesehen von einem übermäßigem Steifheitsgefühl seiner Glieder – war die Kälte. Eis gegen seine Wangen, Eis gegen seine Brust, gegen seinen ganzen verdammten Körper, der, wie er feststellte, verkrampft auf den kühlen, weißen Fliesen der Duschkabine lag.    Was zum?   Keuchend stieß er einen zerfetzten, zähneklappernden Atem aus und stemmte sich mühsam vom Boden fort, wobei er vor dem Tap, Tap, Tap eisiger Tropfen zurückschreckte, die aus dem Duschkopf sickerten. Verwirrt hob er den Blick und seine Eingeweide verdrehten sich ekelerregend.    Bin ich…in der Dusche eingeschlafen?   Wie zur Hölle hatte er das denn fertig gebracht? Zitternd wie ein Lähmungsopfer taumelte er in einem Beben ungeschickter Glieder aus der Kabine. Er war steif vor Kälte und alles schmerzte. So schnell er konnte packte er ein Handtuch, das auf einer Stange hing und schlang es sich um die Hüfte, während sein Herz wild hämmerte, als er nach etwas zum Anziehen suchte und sich das Haar aus den Augen strich. Ein entsetzliches Gefühl der Verletzlichkeit rasselte viel stärker als die Kälte durch ihn und auch stärker als das Zittern. Er drehte einen hilflosen Halbkreis und seine Augen trafen auf den Spiegel, das Glas an den Rändern benebelt, bevor die Kondensation einem deutlichen, schimmernden Fleck aus Reflexion wich.    Er blickte in das Gesicht, das ihn anstarrte und suchte die weiten, dunklen Augen ab…   Sah Flammen, die hinter dem Glas aufloderten…das Gesicht eines sommersprossigen Kindes…ihre großen, haselnussbraunen Seen glasig vor Tränen…vor Wahnsinn…der Mund bewegte sich…formte Worte…   „Mir nicht…“, wisperte Shikamaru, doch seine Stimme geriet heftig ins Stocken. Er streckte eine Hand nach der Reflexion aus und sah, wie sich das Mädchen zurück und fort lehnte, sich in das Feuer neigte…in die Flammen…   „Shikamaru?“ Die erhobene Stimme jenseits der Tür jagte ihm einen höllischen Schrecken ein.    Bei dem lauten Bang des begleitenden Klopfens machte Shikamaru einen Satz und wirbelte in Panik und mit weiten und stierenden Augen herum, wobei sein unterer Rücken gegen das Waschbecken stieß und eine Gänsehaut auf seiner Haut explodierte.   Bang, Bang, Bang hämmerten die Knöchel an die Tür.   Bang, Bang, Bang hämmerte das Klopfen in seinem Verstand; lauter und mit mehr Dringlichkeit.   Shikamaru versteinerte, starrte blind in die Richtung der Badezimmertür, bewegte sich nicht, atmete nicht und sein Fokus richtete sich eine Sekunde nach der anderen immer weiter nach innen.    Habe ich dieses Mädchen gesehen? Habe ich es geträumt? Habe ich -?   „Shikamaru?“, rief Neji erneut und ließ seine Stimme noch etwas lauter werden. „Mach die Tür auf.“   Der Hauch von Sorge und Alarmiertheit in diesen tiefen Tönen zerrte Shikamaru zurück und sein gesamter Körper neigte sich nach vorn und fort von der Kante, fort von der Panik. Herum nestelnd, um das Handtuch um seine Hüften festzuknoten, schob er sich gleichzeitig das Haar aus dem Gesicht und näherte sich der Tür, während sich das Zittern zu einem kaum erkennbaren Beben abmilderte.    Beruhig dich…beruhig dich…   Ja, klar. Er war nur ein nervöses Zucken davon entfernt, verfickt nochmal vollkommen auszuticken.    Er holte tief Luft, drehte das Schloss und zog die Tür einen Spalt breit auf. Ein Strahl aus Badezimmerlicht floss über seine Schulter und tauchte Nejis Gesicht in ein warmes Glühen. Doch es lag überhaupt nichts Warmes in dem Ausdruck in diesen kühlen, weißen Augen; nichts Weiches oder willkommen Heißendes in diesem blassen, ausgelaugten Gesicht.    Neji sah ausgezehrt aus, erschöpft und seine diamantharten Kanten waren rau und roh, als wären sie abgewetzt.    Blut bedeckte noch immer sein Haar, seine Kleider, seine Haut. Er hatte nicht geduscht, hatte nicht geschlafen. Staub und Schmutz hatten sich in den Winkeln seiner eingesunkenen Augen festgesetzt und drückten allzu deutlich die Müdigkeit aus, die vielleicht hindurch geschlüpft wäre, wenn er doch nur seine Porzellanmaske der Kontrolle abnehmen würde.    Der Drang, nach ihm zu greifen, war so unfassbar stark, dass sich Shikamaru sofort instinktiv nach vorn lehnte. „Neji…“   Scharf zog sich Neji zurück und sein Körper versteifte sich in einem Kräuseln. Ein Spasmus aus kummervoller Qual schien sein Gesicht zu erfassen, aber innerhalb eines Herzschlages war es fort. „Du bist seit zwei Stunden da drin“, schnappte der Hyūga mit abgehackter und angespannter Stimme. „Was zur Hölle hast du gemacht? Ein Schläfchen?“   Shikamaru starrte ihn an, während Wasser aus seiner Haarlinie und über seine Schläfe tröpfelte. Ein ersticktes Lachen verfing sich in seiner Kehle und verkeilte sich wie ein solider Ball aus Eis, was es ihm schwer machte, zu schlucken, ebenso, wie zu sprechen. Gott, er musste sprechen. Musste reden. Musste –    „Ich habe keine Zeit hierfür, Nara“, sagte Neji erschöpft in der Sekunde, als Shikamaru Luft holte. Seine Mondsteinaugen riegelten sich in einer Mondfinsternis der Emotionen ab und ließen nichts zurück außer Irritation und absolute Müdigkeit, während sich ein gefährlicher Sturm in seiner Stimme zusammenbraute. „Shino und ich gehen jetzt zu Nogusa, um Phase Zwei zu besprechen. Er muss über unsere Missionsziele informiert werden, besonders, was die Nagu angeht.“   Eine fremde Zunge hätte vermutlich mehr Sinn gemacht als das.    Phase Zwei?   Nichts. Nicht einmal eine vage Idee erschien in seinem Geist.    Völlig überrumpelt von dem massiven Loch in seinem Hirn, starrte Shikamaru Neji mit immer weiter werdenden Augen an und der Ball aus Eis glitt tiefer von seiner Kehle bis in seine Brust. „Neji…“, krächzte er, unfähig, die Worte ‚Wovon zur Hölle redest du?‘ zu formen, da sich alles in ihm panisch verkrampfte.    Ich sollte das wissen…er schaut mich an, als sollte ich das wissen…   Hilflos schüttelte er den Kopf und sog einen Atem ein.    Nejis Augen zogen sich zu ungeduldigen Halbmondschlitzen zusammen. „Wenn du irgendwas zu sagen hast, dann schlage ich vor, dass du es dir für Ino aufhebst. Ich werde keine Spaltung innerhalb der Gruppe zulassen und ich schlage vor, dass du das wieder richtest, bevor ich zurück bin. Wir müssen reden.“   Von all diesen Worten, wurden nur acht registriert.    Ich schlage vor, dass du das wieder richtest.   Diese Worte trafen tief. Aus Gründen, die nichts mit dem zu tun hatten, wovon Neji sprach – worüber sich Shikamaru, wie er feststellen musste, immer noch nicht klarer war. Vollkommen verloren verdrehte sich Shikamarus Gesicht perplex. Er öffnete den Mund, um zu antworten.    Doch Neji neigte seinen Kopf und hob warnend eine schlanke, blasse Hand; sein Kiefer so angespannt, dass sich die Sehnen in seinem Hals straff zogen wie Drahtseile, die kurz davor waren, zu reißen. „Richte es einfach wieder.“   WAS denn richten?   Selbst wenn Shikamaru die Stimme gefunden hätte, um zu sprechen; Neji hatte nicht vor, ihm zuzuhören. Der Hyūga machte auf dem Absatz kehrt und lief den Weg zurück, den er gekommen war. Seine langen, aufgewühlten Schritte trugen in über jede Vernunft und jede Reichweite hinweg und ließen Shikamaru schwankend zurück…schwankend…   Verzweifelt versuchte er, nach vorn zu treten, versuchte, seine Stimme zu heben: „Nej-“   Die Welt neigte sich heftig unter seinen Füßen und sein Hirn rollte in Finsternis hinein und wieder hinaus. Halb geblendet fing sich Shikamaru mit der Schulter am Türpfosten ab und presste die Lieder gegen den Schmerz zusammen, der durch seinen Schädel zu donnern begann wie eine gottverdammte Faust gegen seine Schläfen.    Aufhören…   Es hörte nicht auf. Und dieser eisige Ball in seiner Brust sackte noch weiter ab bis in seine Magengegend…genau wie der Boden beinahe unter seinen Füßen absackte. Taumelnd klatschte er eine Hand gegen die Tür, schloss sie halb kollabierend mit seinem Gewicht und presste seine Stirn gegen das Holz, während sein Handballen gegen die Fliesen donnerte auf der Suche nach einem Halt, den er nicht fand.    Bang, Bang, Bang ertönte seine Handfläche gegen die Wand.    Bang, Bang, Bang ertönte das Klopfen in seinem Verstand.    „Klopf-klopf. Wer ist da…?“   Mit der Handfläche gegen die kühlen Fliesen gestemmt erstarrte er und eine Augen öffneten sich langsam angesichts der spöttischen Stimme in seinem Kopf. Er kannte diese Stimme. Diese Stimme, die ihn diesen dunklen Korridor seines Verstandes entlang lockte.    Bang, Bang, Bang.   Seine Hand rutschte von der Wand und sein Körper neigte sich weg von der Badezimmertür, selbst als er mental nach diesem Türknauf in seinem Geist griff, ihn langsam drehte, die Tür zurück zog…   „Klopf-klopf“, sagte die Stimme.   Er wusste bereits, wer dort war, was dort war…und warum es gewartet hatte.   ~❃~   Die Masken in Genmas Verstand waren weiß und ohne Gesichter – nur die purpurnen ANBU Tierschnitzereien. Sie hingen an beschädigten Wänden, drehten und drehten sich an beschädigten Zahnrädern. Schaden. Schaden. Schaden.    So viel Schaden, dachte Inoichi, während seine Augen die Masken scannten und die Wände absuchten.    Risse breiteten sich in roten Brüchen über den Beton aus – symbolisch, signifikant – und Mörtel zerbröckelte wie Asche, lockerte die Steine der geistigen Gesundheit, die Grundfesten des Denkens. Das Unterbewusstsein sprach in Symbolen, genau wie bei Träumen – und hier war er und versuchte, die Bedeutung dieser Masken zu interpretieren, während er gleichzeitig nach Erinnerungen suchte.    Zeig mir deine Erinnerungen, Genma…   Inoichi berührte die Wände, zog seine Hand zurück und schüttelte sich das Blut von den Fingern.    Die Tropfen trafen wie Säure auf die Wand, begannen zu brennen und fraßen Löcher durch die Abtrennungen, die eine Erinnerung und eine Imagination von der anderen abriegelten. Zu viele Symbole, nicht genug Zeichen. Fluchend versuchte Inoichi, etwas stabilen Untergrund und eine Richtung zu finden, nur um vollkommen den Halt zu verlieren.    Er stolperte mit dem Kopf voran durch Flammen und Rauch.    Schreien.    Plötzlich und ohrenbetäubend.    Genmas wildes, gequältes Heulen füllte all die Leeren zwischen Raum und Zeit – welche Zeit? Welcher Raum? Es gab keine Konsistenz von Gedanken. Keine Vision, die auch nur den leisesten Hauch von Sinn machte. Die Masken verschwanden und Inoichi sah perplex zu, wie gigantische, fuchsienfarbene Pillen um die Zahnräder innerhalb von Zahnrädern herum rollten wie Bälle in einem riesigen Pachinkoautomaten.    Was zur Hölle ist das? Das ist wie der Verstand eines Mannes, der einen psychotischen Zusammenbruch erleidet.   Außer natürlich, diese gigantischen Pillen, die in Genmas psychedelischen Phantasien herum rollten, waren tatsächlich mit seinem derzeitigen Zustand in der Realität verbunden – die Ursache seines scheinbaren Wahnsinns und seiner mentalen Labilität. Götter, wenn man daran dachte, dass einer der Goei Shōtai unter dem Einfluss von Drogen operierte. ANBU? Ja. Er hatte solche Fälle bereits zuvor gesehen.    Aber Goei Shōtai?   So entsetzlich dieser Gedanke auch war, es verlieh Inoichi einen ernstzunehmenden Einfluss auf den jungen Tokujō. Er könnte Genma mit einem solchen Wissen ohne irgendein Problem seines Ranges entheben – also, sollte Genma nicht kooperieren.    Das Problem ist…wie lange werde ich warten müssen, bis sich sein Verstand stabilisiert?   Und was noch wichtiger war – wie lange würde es dauern, bis die Hokage oder Raidō bemerkten, dass er fehlte?    Die Pillen rollten fort und der Boden unter seinen Füßen kräuselte sich wie Wasser.    Was zur Hölle?   Inoichi schrak überrascht zusammen, als eine gigantische Wasserspinne auf zarten, langen Beinen vorbei krabbelte und anfing, ein Netz zu spinnen; dünne, hauchfeine Fäden schimmerten silbrig und verwoben sich in einem Muster, das Buchstaben zu bilden und Worte zu formen begann, die mit den leisen, kratzigen Tönen einer Frau über Genmas Geist wisperten.    „Ich sehe das Nichts in dir.“   Inoichi runzelte die Stirn. Diese Stimme kannte er nicht und er versuchte, sich dem Netz zu nähern, nur um festzustellen, dass er darin gefangen war. Es lähmte seine Bewegungen. Energisch mühte er sich ab, seinen Verstand aus dieser Illusion zu lösen, nur um zu bemerken, dass er sich von Angesicht zu Angesicht mit einer heimsuchenden, geisterhaften Frau mit den atemberaubenden, blassen, silberblauen Augen eines arktischen Wolfes befand.    Sie schmunzelte ein langsames Lächeln, doch es lag eine tiefe Traurigkeit in der Gerissenheit.    Und dann waren ihr Gesicht und das Spinnennetz fort.    Nichts überall umher.    Bis dieses Nichts anschwoll und brach.    Fragmente von Bewusstsein wirbelten hinein in die Schwärze und wieder hinaus, Sternenschauer von Erinnerungen, die zu Staub explodierten, als Inoichi versuchte, sie zu berühren. Ein Funkenregen und Senbons schossen blindlings in gesichtslose Gestalten; Schatten, die sich bewegten wie Silhouetten im Feuer. Feuer. So viel Feuer.    „Genma!“, rief Inoichi, während er versuchte, nach einem Faden der geistigen Gesundheit im Verstand des Tokujōs zu greifen. „Du weißt, was Tenka zugestoßen ist. Naoki. Du warst bei ihm, als er…“ Hier brach Inoichi ab und musste die Worte an der Enge in seiner Kehle vorbei pressen. „Als er unter deinen Händen verblutet ist. Sag mir, was ihm zugestoßen ist. Was dir zugestoßen ist. Zeig mir, was passiert ist!“   Das Feuer milderte sich zu einem Schwelen, bevor es in einer plötzlichen Explosion aus Licht und Hitze nach außen schoss und in einem kalt brennenden Wirbel über Inoichi hinweg brüllte. Er schnellte herum, stellte fest, dass er in einem langen, dunklen Tunnel stand, der dämmrig von roten Notfalllichtern erhellt war.    Das ist es. Gott, das ist der Ort.    Der Ort, an dem er gewesen war, als er sich in Naokis Kopf aufgehalten hatte. Vage erinnerte er sich an das Gefühl eines Tunnels und einer Explosion, bevor Naoki Inoichi aus seinem Kopf katapultiert hatte…und nichts zurückgelassen hatte außer das Echo dieser letzten Worte…   „Du weißt, wie das läuft. Wir können uns nicht alle aus dem Staub machen.“   „Bitte mich nicht darum, das zu tun…“   „Was tun?“, murmelte Inoichi, als er mit einer Hand die dicke Tunnelwand berührte. „Worum hat er dich gebeten, Genma?“   Das Feuer kam erneut, nur langsamer diesmal und in einem flackernden Kriechen entlang der Wände. Zungen aus gelborangenen Flammen, die ihre Farbe und Textur änderten, nahmen das kalte, blaue Glühen von Chakra an, kletterten aufwärts, schimmerten in Regenbogenwellen wie Öl auf Wasser und gerannen dann zu einer lebendigen Ansammlung.    Inoichi stierte auf das Portal aus Farben und versuchte, die Bedeutung davon zu verstehen. „Genma“, sagte er erneut. „Was ist das?“   Eine gigantische Schriftrolle kam aus dem Portal und entrollte sich wie eine Luftschlange. Rasch sprang Inoichi einen Schritt nach hinten und seine Füße trafen spritzend auf Blut, knirschten auf Knochen. Das Blut besprenkelte das Pergament, sog sich in das Papier und begann, in einer roten Schrift, die sich in Schwarz verwandelte, über die Seite zu fließen…es rann wie Tinte…um drei Dinge in rascher Folge aufzuzeichnen…   Als Erstes, ein Fluchmal. Das, das Danzō auf die Zungen seiner KERN Agenten brannte…   Zweitens, das scharfe, kratzige Symbol von Kusagakure mit seinen drei Grasdornen…   Und als Letztes, das vertikale Kritzeln von Genmas altem ANBU Decknamen; Kaika.    Was zur Hölle ist das?   Zögernd fasste Inoichi das Pergament an. Bei seiner Berührung schrumpfte es und glitt in einem Fetzen aus Papier in seine Hand. Er blinzelte verwirrt, hob den Blick und sah, wie derselbe Papierfetzen vor seinen Augen hing; mit einer Klinge in eine Holzplatte genagelt.    „Es ist ein Menschenleben her, Genma.“   Naokis Stimme; älter, rauer, nur ein Schatten der Stimme, an die er sich erinnerte.    Inoichi drehte sich scharf, blieb ruckartig stehen und sein Herz hämmerte schmerzhaft hinter seinen Rippen. Naoki stand nur ein paar wenige Schritte entfernt, die Hände ausgestreckt und seine Daumen berührten sich beinahe in einem Gedankenübertragungssiegel. Er trug die Uniform von KERN und das Konoha Stirnband, seine violetten Augen so kalt und hart wie polierter Amethyst…leblos und ohne Gefühl, abgesehen von dem leichtesten Riss von Emotion…die schwächsten Linien brachen an seinen Augenwinkeln aus, als Genma seinen Namen krächzte.    „Naoki…“   So leise, dass es kaum ein Wispern war – bis es zu einem Schrei zersplitterte; einem Klang, der dieses winzige Erinnerungsfragment auseinander rüttelte und Spreißel der Qual stechend durch Inoichis Hirn schleuderte, als er sich rasch von den Tunnelwänden zurückzog, die in Genmas Kopf einstürzten.    Schreien. Dunkelheit. Blendendes Licht.    Zurückkatapultiert in seinen Körper, taumelte Inoichi seitwärts und schluckte einen schweren, bebenden Atem. Ein brutaler Spasmus packte seine Eingeweide und beinahe würgte er, als sich sein leerer Magen vor unverdauter Gefühle und unangenehmer Verwirrung drehte. Dieses seltsame Portal, dieser Papierfetzen und die Symbole, die darauf gekritzelt waren – KERN, Kusagakure, Kaika.   Kusa…Kusagakure…   War das der Ort, an dem Naoki gewesen war? Es machte Sinn, wenn man die Nähe zwischen Kusagakure und der alten Einrichtung bedachte, wo Shuken seine abscheulichen Forschungen durchgeführt hatte. Aber auch, wenn es Inoichi vielleicht einen Ort gab, so schaffte es das trotzdem nicht, die Fragen zu beantworten, die in seinem Kopf brannten, seit er das letzte Mal in Naokis Erinnerungen eingetaucht war; warum war Naoki auf dem Boden verblutet? Warum hatte er sich Genma überhaupt offenbart, wenn er doch undercover war? Und wer zur Hölle war der Junge, den Genma retten sollte?   Scheiße…   Energisch rieb sich Inoichi über den Knoten in seiner Stirn und sank auf den Stuhl, der neben Genmas Bahre stand. Der Shiranui war straff darauf festgeschnallt und seine Augen rollten wild unter flatternden Lider. Venen trat an seinem Unterarm und Bizeps hervor und die Sehnen in seinem Hals zuckten, als sich sein Kiefer verkrampfte und wieder lockerte, die Zähne in einer Grimasse qualvollen Schmerzes gebleckt.    Was tue ich hier?   Inoichi schluckte schwer und packte seine Schenkel, während er seine Augen von diesem Anblick fort zwang. Schuldgefühle kratzten unter der steinharten Sturheit seiner Entschlossenheit wie ein Dämon, der sich seinen Weg vom Zentrum seines Herzens aufwärts fraß.    Gott. Was tue ich hier?   Was auch immer notwendig war, um Antworten zu bekommen. Rational betrachtet, machte das Sinn. Aber Rationalität beherrschte nicht die Domäne seines Kopfes oder seines Herzens.    Kopf.    Herz.    Inoichi hatte ein ganzes Leben damit verbracht, diese beiden Dinge voneinander getrennt zu halten. Aber die Grenzen verwischten…wie seine Sicht. In dem Bemühen, die Tränen in Schach zu halten, presste er die Lider aufeinander, spürte aber, wie sie in heißen Strömen über seine Wangen brannten. Zornig wischte er sie fort, stieß sich auf die Füße und schritt die Länge des kleinen Raumes auf und ab, während seine Atmung rau und angestrengt wurde.    Es gibt andere Wege, das zu tun…bessere Wege…   Kami wusste, dass er die Grenzen seiner eigenen Moral ausreizte und die Grenzen seines Ranges bis zum Bruchpunkt beugte. Das hier war in keiner Weise professionell. Es war vollkommen und fraglos persönlich.    Wodurch es falsch ist…   Unwiderlegbar falsch. Was Danzō anging, hatte er keine Wahl. Es war seine einzige Möglichkeit, Zugang zu Naoki zu haben.    Aber das hier?   Diese Grausamkeit? Diese vollkommene Verletzung des Protokolls? Diese völlige Missachtung der Bedürfnisse von irgendjemand anderem, außer sich selbst.   Ist das die Art Mensch, die ich bin?   Wenn es um Familie ging – ja. Jedes Mal. Immerhin hatte er es vor dreiundzwanzig Jahren getan – ein willentlicher Teilnehmer in dem, was Ibiki das Netzwerk aus Lügen nannte. Welche Regeln würde er nicht brechen, um diese Geheimnisse begraben zu halten? Um dafür zu sorgen, dass Shikaku sicher war.    Und jetzt, was würde er nicht tun, um Naoki zu beschützen?    Nichts. Es gibt nichts, das ich nicht tun würde.    Sicherer, als zu glauben, dass es nichts gab, was er tun könnte. Nein. Diese Vergeblichkeit, diese Hilflosigkeit, war schlicht und einfach zu entsetzlich, um sie begreifen zu können. Er brauchte Antworten; Antworten, die in Genmas Wahnsinn eingeschlossen waren, in den Erinnerungen eingeschlossen waren, die er nicht erreichen konnte.    ‚Halte dich verfickt nochmal fern von ihm, Inoichi!‘   Inoichi blieb stehen, als diese Worte durch seinen Schädel hallten. Naokis Worte. Naokis Warnung. Was für Emotionen. Was für eine Verzweiflung. Es ließ Inoichi sich fragen, wie weit Naoki wohl gegangen wäre, um Genma zu beschützen, wenn er dazu in der Lage wäre…wenn er wach wäre…   Wenn er wüsste, was ich gerade tue…   Inoichi blickte zurück zu der keuchenden Gestalt, die sich auf dem Bett wand. Die Fesseln hatten Genmas Haut bereits wund gerieben. Er hatte seine Kleidung und die Laken durchgeschwitzt, geplagt von Spasmen und Krämpfen – gurgelnde Schreie und winselndes Flehen fielen von seinen aufgeplatzten Lippen…zusammen mit Naokis Namen.    Gott.   Krampfhaft drückte Inoichi seine Fäuste gegen seine Schläfen, wich vor dem Bett zurück, vor dem Beweis seines eigenen Wahnsinns, seines eigenen Verlustes von Objektivität und Kontrolle.    Was tue ich hier…was tue ich hier…   Hass und Kummer, Reue und Selbstabscheu gesellten sich zu dem beschissenen Fest aus Emotionen, die in ihm wirbelten und trieben Galle seine Kehle hinauf. Sein Verstand kämpfte darum, das Gift zu neutralisieren und machte Sinn aus diesen Entscheidungen, die nicht länger Entscheidungen waren – nur eine brachiale Kettenreaktion in seinem Inneren.    „Du wusstest es“, knurrte Inoichi Genma an, seine Stimme schwer und bebend mit dieser Wahrheit – mit dieser Anschuldigung. „Du wusstest, dass er gelebt hat…und du weißt, was ihm zugestoßen ist…“   Fürwahr. Genma wusste es und dennoch hatte er nichts gesagt, nichts berichtet. Inoichi hatte das überprüft. Keine Berichte, keine Papierspuren. Überhaupt nichts. Nicht einmal eine Fußnote eines Missionsberichts. Er hatte geschwiegen, hatte den Mund gehalten – und all diese Jahre hatte Inoichi geglaubt, Naoki wäre tot.    Vielleicht hat Genma das auch geglaubt, sagte die Stimme der Vernunft. Tritt einen Schritt zurück und denk nach. Naoki sagte, dass es ein Menschenleben her wäre. Er hat ihn auch gebeten, etwas zu tun…vielleicht, seinen Mund zu halten?    Ist mir egal, sagte die Stimme der Emotion. Ich werde ihn auseinander reißen, bis ich die Antworten finde. Ich vertraue ihm nicht. Nicht für eine Sekunde. Nicht für einen Augenblick, weil…   Weil…?   Inoichis Hirn krachte auf eine Mauer, einen soliden Fels aus Emotion. Und unter dem Hammer einer plötzlichen Erkenntnis bekam er Risse; zerschmetterte all die Ausreden, all die Agenden, all die halbgaren Lügen und ließ nichts zurück außer die Wahrheit. Die simple, ehrliche Wahrheit: nämlich, dass er Genma bestrafen wollte. Ihn auf dieselbe Weise bestrafen wollte, wie er sich selbst bestrafen wollte, weil…   Es ist meine Schuld…es ist meine Schuld…   Und da war sie. Die Vergangenheit. Sie flackerte an den Rändern von Inoichis Geist. Fragmente einer zerborstenen Zeit…reflektierten einen verängstigten, geschädigten, verlassenen kleinen Jungen, die Violettaugen jeder Hoffnung beraubt, seine Zukunft düster befleckt durch einen Vater, von dem sich Inoichi strikt geweigert hatte, das Monster in ihm zu sehen, das er war; und das trotz aller Warnungen von Shikaku.    Yamanaka Yacho.   Inoichis Cousin. Ein Monster, das sich in direktem Sichtfeld verbarg – nicht, dass es irgendjemand geahnt hatte, abgesehen von Shikaku. Und dann war da Naokis Mutter gewesen; eine distanzierte Verwandte des Nara Oberhaupts. Die fliederäugige Nara Kanako. Lieblich und sanft wie eine Ricke und dennoch so schwach wie ein Kitz. Zu geblendet von ihren eigenen Schatten der Verleugnung, um etwas zuzugeben, das Inoichi niemals vorhergesehen hatte…dass dieses ‚wie füreinander geschaffene‘ Nara und Yamanaka Paar für die Hölle vorbestimmt gewesen war. Und das Opfer dieser Tragödie? Ein violettäugiger Junge mit dem Blut beider Clans in seinen Venen…und dann, acht Jahre später, mit dem Blut beider Eltern an seinen Händen.    Fauliges Ei…verdorbenes Kind…verkommen geboren…falsch geboren…   Gerüchte, Lügen, Halbwahrheiten und ungerechtfertigte Urteile. Gerade einmal acht Jahre alt, hatten sowohl die Nara, als auch die Yamanaka Naoki – des Vatermordes für schuldig befunden – verstoßen. Ein Mord, der überhaupt keinen Sinn gemacht hatte, bis Shikaku die Wahrheit über Yamanaka Yacho aufgedeckt hatte, indem er diesen Mann aus den Schatten und ins grässliche Licht gezerrt hatte – ein Kinderschänder, ein Jäger, ein Monster.    Kanako konnte mit dieser Schande nicht leben.    Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten.    Naoki hatte sie gefunden – und dann hatte Shikaku Naoki gefunden, über und über bedeckt mit dem Blut seiner Mutter, während er ihren leblosen Körper gewiegt hatte. Shikaku hatte sofort gewusst, was die Clans sagen würden, was sie glauben würden, was sie vermuten würden.    Fauliges Ei…verdorbenes Kind…verkommen geboren…falsch geboren…   Shikaku hatte das Chaos aufgeräumt, einen unter Schock stehenden und katatonischen Naoki in Sayuris und Inoichis Arme gebracht. Und in dem Versuch, Naoki zu beschützen, hatte Inoichi die Erinnerungen des Jungen gelöscht; vollkommen versessen darauf, zu retten, was von diesem gebrochenen Kind noch zu retten war.    Nur habe ich dich nie gerettet…oder? Du hast mich überflügelt. Hast all deine Erinnerungen wiederhergestellt.    Nicht ein einziges Mal hatte er das vermutet. Hatte nie vermutet, dass dieser Junge, sein Ziehsohn und meisterhafter Schüler, seine eigenen Talente übertroffen hatte und all die Erinnerungen zurück gebracht hatte, die eigentlich in den Schatten hätten begraben bleiben sollen. Bei Shikaku hatte es funktioniert. Es hätte auch bei Naoki funktionieren sollen. Um die Wahrheit zu sagen, fand es Inoichi mehr als erstaunlich, dass diese Technik überhaupt umgekehrt werden konnte; so hatte er das Jutsu nicht entwickelt.    Naoki hat es sich selbst beigebracht…   War das das Nara Genie, das in seinen Venen floss? Oder war die Verzweiflung zu wissen stärker gewesen als sein Verlangen danach, zu vergessen? Was für eine Art Trauma mochte das wohl als Folge ausgelöst haben? Und wer war da gewesen, um ihm dort hindurch zu helfen?    Nicht Sayuri. Nicht Shikaku. Nicht ich.   Inoichi sah zu Genma und Tränen brannten in seinen Augen.    Es warst du…nicht wahr? Du warst der Grund, aus dem er überlebt hat…du kanntest ihn…du kanntest ihn besser, als ich es jemals getan habe…   Und schlimmer als das…   Du hast ihn mehr und besser geliebt, als ich es jemals konnte…   Die Qual dieses Gedankens war wie ein Wesen in ihm. Ein Greuel in seiner Seele. Er konnte es nicht ertragen. Konnte kaum die Scham, die Schuld, die Reue ertragen…es erstickte die Luft in seinen Lungen, ein Herzrasen in seiner Kehle, das immer weiter zunahm, zu einem Brüllen in seinen Ohren wurde. Der Raum war zu heiß, zu klein, zu viel.    Atemlos wirbelte Inoichi schwankend zur Tür herum…brach in Schweiß aus…   Raus. Ich muss hier raus…   Er war aus der Tür hinaus, gerade, als sich Genmas zerfetzter Schrei aus dem Zimmer riss, den Korridor entlang und direkt durch Inoichis Herz. „NAOKI!“   ~❃~   „NAOKI!“   Der Schrei ließ Kakashi abrupt an Ort und Stelle innehalten.    Auch Shiba erstarrte neben ihm und sein Rückenfell sträubte sich.    Das war unmissverständlich Genmas strangulierte Stimme, auch wenn sie in einem verzerrten, akustischen Splittern die Wände des Korridors entlang hallte. Schritte erschollen forsch und laut um die nächste Kurve.   Na klasse…   Rasch wich Kakashi zurück und bog mit Shiba auf den Fersen um eine scharfe Abzweigung. Er verschwand gerade rechtzeitig in einer Pfütze aus Schatten, als die sich nähernde Gestalt die Ecke umrundete und den Korridor entlang marschiert kam.    Scheiße.   Kakashi presste sich flach gegen die Wand und griff mit einer Hand nach hinten und unten, um mit den Fingerspitzen Shibas gerunzelte Schnauze zu berühren. Sofort unterließ der Ninken jegliche Aggression und wurde regungslos, aber wachsam, als er sich auf seltsam katzenhafte Art an die Fersen des Kopierninjas kauerte. Bereit dazu, Kakashi bei dem kleinsten Fingerschnippen oder Schnalzen der Zunge zu verteidigen.    Doch nichts davon war nötig.    Die Person schritt ohne irgendeine Pause an ihnen vorbei und wurde kaum langsamer, als sie die nächste Ecke umrundete. Für eine flüchtige Sekunde erhaschte Kakashi einen Blick auf das Profil der Gestalt; geschmeidiges, dunkles Leder und lange, blonde Strähnen, ein Gesichtsausdruck angespannt vor Qual.    Inoichi…   Kakashis Augen weiteten sich, als er der Gestalt nachsah und er wartete, bis die Schritte des Yamanaka vollständig verklungen waren, bevor er zurück in den Flur schlüpfte und Inoichis Weg zurück in Richtung des anderen Ganges folgte. Shiba schlich neben ihm her, die Augen auf Kakashis Finger gerichtet und wartend auf irgendwelchen visuellen Signale.    Sie nahmen den nächsten Durchgang in einen langgezogenen Korridor. Auf der einen Seite standen Rollwägen und manche davon waren die Art medizinischer Bahren, die man wohl in einem Krankenhaus vorfand, die anderen hingegen waren mit Gerätschaften beladen, die eher zu einer Folterkammer passten.    Haus des Schreckens von F&V, dachte sich Kakashi düster und schlängelte sich um einen hervorstehenden Wagen herum.    Er musste in etwa zwei Viertel des Weges den Korridor hinab gegangen sein, als auf einer Seite Türen aufschwangen und eine Liege heraus gerollt kam, die einhändig von einem Mann geschoben wurde, der ein Klemmbrett in der anderen Hand hielt. Seinen Kopf hielt er seitlich gesenkt, während er über welche Notizen auch immer die Stirn runzelte, die auf die Papiere gekritzelt waren.    Mit Shiba einen Schritt hinter sich, erstarrte Kakashi.    Er konnte nirgendwo hin. Kein Winkel oder eine Ecke, in der er sich verstecken könnte.    Der Mann schwang die Liege in demselben Moment in ihre Richtung, als er den Kopf hob. Seine leuchtend grünen Augen flogen weit auf und sein Mund klappte nach unten; nur Sekunden davon entfernt, den Atem zu nehmen, den er brauchte, um zu schreien.    Doch Kakashi kam diesem Luftholen zuvor.    In einem blitzschnellen Kick stieß er seine Ferse gegen die Bahre und rammte die Liege nach hinten in die Eingeweide des Mannes. Es war ein brutaler Schlag und der gesamte Körper des Mannes klappte sich um das hintere Ende der Bahre zusammen, während ihn sämtliche Luft mit einem heftigen Oumpf! verließ.   Kakashi schnippte mit den Fingern. „Finde Genma!“   Sofort stürzte Shiba los, sprang auf die Liege und über den Kopf des wimmernden Mannes hinweg, bevor er rennend auf dem Boden aufkam. Seine Krallen klickten über den rauen Boden, als er den Korridor mit tief gesenkter Nase entlang schoss.    „W-warte…“, würgte der F&V Typ hervor.    Aber Kakashi wartete nicht. Er umrundete die Bahre, packte die Kehle des erschöpften Mannes in der Armbeuge, krallte seine Hände ineinander und vollführte eine acht sekündige Blutdrosselung, wobei er mit Bizeps und Unterarm gerade genug Druck auf die Halsschlagadern ausübte.   5…4…3…2…   Lichter aus.    Bewusstlos sackte der Mann in seinen Armen zusammen.    Kakashi hievte den Körper auf die Liege, schnallte ihn daran fest und rollte das Ding zurück in den Raum, bevor er die Tür schloss und die Zeit einschätzte. Gerade wandte er sich wieder um, als Shiba den Korridor zurück gesprungen kam, die Rute aufgestellt und wedelnd. Es war die einzige Bestätigung, die Kakashi brauchte. Er ruckte mit dem Kinn und bedeutete Shiba damit, den Weg zu zeigen. Als der Ninken losrannte, folgte Kakashi ihm im Laufschritt. Ein Laufschritt, der begann, in ein Humpeln überzugehen.    Verdammt…   Vorhin hatte er einzig und allein mit Taijutsu rasche Gerechtigkeit verübt und versucht, Energie zu sparen. Diese F&V Frau hatte nicht gelogen, als sie von seinem Chakraschwund gesprochen hatte. Er brauchte Nahrungspillen…und wahrscheinlich einen Sanitäter, um die Wunde in seinem Schenkel zu versorgen.    Zuerst Genma…Gesundheit später…   Ah, das wurde sehr sehr schnell zu seiner Tendenz, nicht wahr?    Abrupt hielt Shiba an und stand vor wie ein Jagdhund. Bei der angezeigten Tür blieb Kakashi stehen, legte seine Finger um den Griff und drehte ihn langsam, während er den leichtesten Druck mit seiner Schulter ausübte, den Körper geneigt und das Gewicht auf die Ballen seiner Füße verlagert; auf alles vorbereitet – auf jeden.    Weich wie ein Seufzen öffnete sich die Tür.    Kakashi legte den Kopf schief und sein Sharingan Auge spähte in den Raum. Rasch scannte er ihn und schwarze Tomoe kamen in der Sekunde zu einem wirbelnden Stillstand, als sich sein Blick auf die belegte Liege und die Infusionseinheiten fiel.    Genma…   Angeschlossen an ein ganzes Netz aus Infusionstropfen, kontrahierte Genmas auf dem Rücken liegende Gestalt in plötzlichen Anfällen und Zuckungen, sein Kopf war gegen das Kissen nach hinten in den Nacken geworfen, der Kiefer verkrampft und seine Augen rollten wild. Mit einem Lederriemen war er über die Brust an die Bahre geschnallt und Rückhaltegurte hielten Handgelenke, Oberarme, Hüfte, Schenkel und Knöchel fest. Alles, was er an Bewegung zustande brachte, waren spasmische Zuckungen. Die Muskelkontraktionen sorgten dafür, dass sich Venen in scharfen, zornigen Linien gegen seine Haut wölbten.    Ein eiskalter Zorn verzerrte Kakashis Gesichtszüge und dämpfte das Entsetzen in seinen Augen.    Seine Finger schlossen sich hart um den Türgriff und ein Knistern von Chakra flirrte über seine Knöchel, was einen statischen Schlag gegen seine Haut auslöste.    Winselnd sah Shiba zu ihm auf.    Das nasse Stupsen der Hundenase riss ihn zurück aus dem roten Neben und er blinzelte rapide, als er in den Raum trat. Sein Bein knickte ein wenig ein und er zischte, als er auf die verräterischen Stiche stierte, die sich wie kleine schwarze Maden aus dem aufgerissenen Fleisch in seinem Schenkel stachen. Bei seinem kleinen Taijutsu Tanz mit dem F&V Team waren sie aufgegangen und hatten zusammengenähte Haut aufgerissen. Blut rann in einem beständigen Strom heraus.    Gottverdammt.   Er humpelte zu Genma hinüber, musterte dabei bereits die medizinischen Gerätschaften, die neben dem Bett aufgestellt waren und schaffte es, sich eine Mullbinde zu schnappen. Nachdem er sein Bein auf dem Stuhl abgestellt hatte, der an Genmas Liege gezogen worden war, fing er an, den Verband in schnellen, ruckartigen Bewegungen um seinen Schenkel zu winden. Seine Finger waren klebrig von Blut und sein Fokus teilte sich zwischen den verschiedenen Tropfbeuteln auf, an die Genma angeschlossen war.    Was zur Hölle haben sie ihm da alles gegeben?   Rasch scannte er die Etiketten, fand mehrere Markierungen für Elektrolytlösungen, aber nichts, was die seltsamen, psychoaktiven Reaktionen erklärte, die Genma zeigte.    Ist das der Effekt von dem Dukkha, das er genommen hat? Als wir gekämpft haben, hat er überhaupt keine Anzeichen davon gezeigt.    „Was ist mit dir passiert?“, murmelte Kakashi und suchte dabei nach Intubationsschläuchen oder Anzeichen für eine Magenspülung. Er fand nichts.    Gut. Es sollte also sicher genug sein, ihn zu bewegen…   Naja, auf jeden Fall sicherer, als ihn hier zu lassen. Obwohl, dieser Aktionsplan drängte ihm die unmittelbare Frage auf: Wohin zur Hölle könnte er ihn bringen, wo es wirklich sicher war?    Plötzlich keuchte Genma mit einem Klang, der sich heftig in Kakashis Herz verfing.    Sanft zog er die Brauen zusammen, doch seine Augen blieben auf die Infusionsbeutel gerichtet, als er mit einem leisen ‚Sshh‘ eine Hand ausstreckte und mit den Fingern Genmas Stirn berührte. Bei der brachialen Hitze, die von der geröteten Haut ausgestrahlt wurde, verzog er das Gesicht. Wo auch immer er Genma hinbringen würde, er bräuchte definitiv einen Mediziner auf Abruf.    „Gefallen einzufordern wird zu einer Gewohnheit mit dir“, murmelte Kakashi und wandte sich ab, um nach irgendeiner Art Beruhigungsmittel zu suchen. Er fand eine Reihe unbenutzter Injektionsnadeln und einige Ampullen mit Flüssigkeiten in einem Styroporbehälter, der mit einem Klebestreifen markiert war, auf dem  ‚Intravenöses Methohexital‘ stand.    Das wird reichen.    Rasch griff er sich eine der Nadeln, öffnete den Plastikverschluss, schraubte eine der Ampullen auf und fing an, eine Dosis des Sedativums abzumessen, während sein Herz heftig in seiner Kehle hämmerte.    Mach das langsam. Mach das ordentlich.   Das absolut Letzte, was er wollte, war, Genmas Netzwerk zu überlasten – nur die Götter wussten, was für eine Art chemischer Cocktail bereits in seinen Venen herum schwamm.    Das könnte ein Desaster werden…   Aber auch nicht mehr ein Desaster, als Genma hier der Gnade der Folter und Verhör Abteilung zu überlassen. „Shiba“, sagte er angespannt, während sich sein Fokus auf die Nadel zusammenzog, als er den Kolben testete. „Bewach die Tür.“   Beim Klang von Kakashis Stimme drehte Genma schwach den Kopf und seine eigene Stimme bebte in einem benommenen Lallen hervor. „Du bist gestorben…du bist gestorben…“   Kakashi hielt inne, sah hinüber in diese glasigen, halb geschlossenen Augen und spürte, wie Schuld heftig und stark hinter seinen Rippen pochte. Er schluckte schwer und griff nach dem Katheter, der auf Genmas Handrücken fixiert war. „Es ist alles in Ordnung“, hauchte er, als er das Sedativum verabreichte. „Du bist in Ordnung.“   Genmas Kopf kippte nach hinten und seine Wimpern schlossen sich flatternd über rollenden Augen.    Bedächtig legte Kakashi die Injektionsspritze beiseite und strich ohne nachzudenken mit den Fingern zaghaft über die dicke, blaue Vene, die sich über Genmas Handrücken zog, um der Ader hinauf über den Unterarm des Shiranui zu folgen und über schweißnasse Haut zu streicheln.    „Lass los, Genma…“, lockte er und sah zu, wie die Anspannung einen zerfetzten Atemzug nach dem anderen aus dem Gesicht und dem Körper des Tokujō glitt. „Lass los…lass dich selbst diesen Ort verlassen.“   Genmas Lippen bewegten sich schwach, formten ein einziges Wort. „Nein.“   Kopfschüttelnd lächelte Kakashi beinahe darüber. „Immer noch kämpfend.“   Immer kämpfend.    Dieser Gedanke sandte ein ernüchterndes Frösteln durch Kakashi und stahl alles an Amüsement, um nur Kummer zurückzulassen. Als Genmas Körper endlich auf den Laken erschlaffte, wusste Kakashi, dass es weniger mit seiner Berührung und mehr mit dem schnellwirkendem Sedativum zu tun hatte…doch seine Finger verharrten trotzdem auf der Haut…sein Daumen strich zärtlich über Genmas Handgelenk.    Shiba erhob sich aus seinem Kauern an der Tür und legte den Kopf fragend auf eine Seite. „Kakashi.“   Kakashi versteifte sich, zog seine Hand zurück und krümmte seine blutigen Finger gegen seine Handfläche. So eine Verschwendung von Zeit, die er nicht hatte.    Zeit ist nicht das Einzige, was ich kaum habe…   Er konnte das Pochen erwachender Verletzungen fühlen, als sein Adrenalin nachließ. Während er Shiba befahl, den Korridor etwas weiter zu erkunden, setzte er sich rasch in Bewegung, um Genmas Gurte und Riemen zu lösen. Sein Verstand suchte derweil jeden Winkel seines Hirns nach einem Gefallen ab, den er einfordern könnte, oder nach einem Freund, auf den er zählen konnte. Asumas Gesicht blitzte vor seinem inneren Auge auf…ein Bild ebenso schmerzhaft und vergangenheitsbehaftet wie eine Fotografie.    Verdammt.   Ein paar mehr Gesichter kamen ihm in den Sinn – im Speziellen das von Gai sprang mit einem Überschwang an die Spitze seines Hirns, der Kakashi bei jeder anderen Gelegenheit amüsiert hätte…bis er realisierte, dass er wirklich darüber nachdachte.    Gai? Gott, nein.   Und dennoch…    Nein. Überleg dir jemand anderen.    Leicht gesagt – Kakashi hatte kein Schwarzbuch für diese Art kleiner Black Ops Gelegenheiten. Naja, das war so nicht ganz korrekt…aber der Name an der Spitze dieser Liste war bereits ausgestrichen.    Ich kann Yamato nicht noch mehr in diese Sache reinziehen, als ich es sowieso schon getan habe…   Ein anderes Gesicht kam ihm in den Sinn. Ein Freund, auf den er sich vielleicht berufen konnte, auch wenn alles in ihm verabscheute, es zu tun. Er hatte den emotionalen Hebel – aber nicht das Herz, um ihn auch einzusetzen. Glücklicherweise übertraf die brüllende Dringlichkeit in seinem Kopf das unbehagliche Brüllen in seinem Herzen.    Er traf seine Wahl.    Jetzt führ sie aus…   Fluchend schob Kakashi seine Arme unter Genma und packte ihn in einem unbeholfenen Brautstil, wegen dem der Shiranui Zeter und Mordio gebrüllt und ihm einen langsamen Tod angedroht hätte, wäre er bei Bewusstsein gewesen. Ah, die kleinen Segen. Kakashi grübelte darüber nach, noch ein paar der sedativen Spritzen in seine Tasche zu schieben. Er war sich nicht sicher, wie lange die betäubende Wirkung anhalten würde…und er hatte keine Lust auf eine weitere Runde.    Das wird nicht passieren…   Nein, und selbst wenn Genma durch irgendeine übermenschliche Meisterleistung tatsächlich die Kraft, das Chakra und die geistige Koordination für eine weitere Runde besaß, dann würde sich Kakashi einfach mit der Begründung ergeben, dass er entweder einen Gott oder aber einen Dämon bekämpfen müsste.    Genma war kein Gott. Und trotz all seiner Dämonen; er war immer noch einfach nur menschlich.    Genau wie du, schien sein Körper zu schreien, als sich heiße Ausbrüche aus Schmerz durch seine Muskeln rissen. Nur menschlich; und dennoch, zerschlagen und zerbrochen, wie er sich fühlte, Kakashi fand trotzdem die Kraft, Genma festzuhalten, ihn von der Liege zu heben und dabei nicht in die Knie zu gehen.    Ein Schritt nach dem anderen…   Er konnte das schaffen.   Er würde das schaffen…langsam…langsam…   Shiba erschien im Türrahmen. „Zeit zu gehen“, sagte der Ninken mit zuckender Nase und fiebrig schimmernden Augen – Zeichen, die Kakashi auf eine unmittelbare Gefahr hinwiesen, die in ihre Richtung kam.    Klasse…   So viel dazu, das hier langsam zu machen.    „Ich brauche eine Ablenkung“, sagte Kakashi, während er sich Genma mit einem Grunzen gegen die Brust drückte. „Kannst du sie aufhalten, bis ich dich mit dem Beschwörungsjutsu da raushole?“   Shiba fletschte die Zähne in einem wölfischen Grinsen und wedelte mit dem Schwanz. Der Ninken hatte die üblen Auswirkungen seiner vorherigen Gefangenschaft abgeschüttelt und, genau wie Kakashi, war der Hund überhaupt nicht in der Stimmung, unterschätzt, oder durch die Gegend geschubst zu werden. Shiba hatte noch seine eigene Vergeltung zu verüben, seine eigene Dominanz zu behaupten – und wie immer, wenn es darum ging, die Achtung seiner Ninken aufzubauen, ließ Kakashi sie gewähren.   Er nickte scharf. „Geh.“   Ein verabschiedendes Wuffen und Shiba verschwand, um seinen Befehl auszuführen, als er den Gang entlang wetzte und sein kurzes, scharfes Bellen das Stampfen rennender Füße und das Echo erhobener Stimmen entstehen ließ.    Kakashi verstärkte seinen Griff um Genmas schlaffe Gestalt und schloss die Augen. Er holte langsam Luft; ein Heraufbeschwören von Kraft, die sich von den Sohlen seiner Füße bis hinauf zum Scheitel seines Schädels zu ziehen schien.    Es würde später Zeit zum Ausruhen geben.    Jetzt war es Zeit, zu rennen.   _______________________ Hey meine Lieben :)  Jetzt erfährt man endlich mal etwas Konkreteres über Naokis Vergangenheit, ich bin schon sehr gespannt, was ihr dazu sagen werdet ;)  Und Kakashi hat Genma gefunden, mal sehen, was er jetzt mit ihm machen wird.  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und vielen vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 35: The wars in the inside ---------------------------------- Hahn zur Mittstunde Wo ein Stein Kirin aufsteigt Des Falken Schatten   Neji sah von dem Gedicht auf und scannte das weitläufige Gelände des Shijinjuu-en: Der Garten der Vier Göttlichen Bestien. Aufgeteilt in vier Bereiche, bildeten die Gärten einen riesigen und reich verzierten Komplex mit opulenten Wasserläufen, über die breite Mondbrücken führten und mit großen Koi-Teichen, die mithilfe scharfer Zickzackpfade überquert werden konnten.    Malerische Hügel und Zwergsträucher harmonisierten mit Steingärten, geharkte Kiestäler und von Bäumen eingesäumte Wege führten zu bezaubernden Pavillons und wundervoll bemalten Teehäusern.    Eine meisterhafte Gestaltung, die ungeachtet der Jahreszeit Schönheit sowohl offenbarte, als auch ausstrahlte.    Unter einem rotgoldenen Blätterdach wandte sich Neji nach links und seine Schritte knirschten über den Pfad unbehauener Trittsteine und sorgfältig geharkten Kieses. Der Sonnenuntergang schlüpfte in warmen, ockerfarbenen Schattierungen durch die sanft raschelnden Baumkronen und zeichnete ein weiches, vergoldetes Filigran auf die dunklen, rostroten Äste knorriger Kiefern, karmesinfarbener Ahornbäume und gestreifte Bambushalme.    In einem langsamen, leidenschaftslosen Schwung wanderten Nejis Augen über diese Schönheit.    Er suchte nicht nach einem gestohlenen Frieden; er suchte nach in Stein geschriebenen Zeichen.    Wo ein Stein Kirin aufsteigt…   Als er innehielt, zog er eine holzgeschnitzte Tafel zu Rate, die in eine der Kiefern genagelt war. Das Äquivalent eines ‚DU BEFINDEST DICH HIER‘ Schilds zeigte den Grundriss der Gärten. Zumindest befand er sich schon im richtigen Bereich. Er musste nur noch die Statue finden, die sich – laut der Karte – jenseits des nächsten Hains befand. Neji ignorierte die abzweigenden Nebenpfade und folgte dem Weg an uralten Laternen und moosüberwucherten Wasserbecken vorbei, während das sanfte Klimpern und Rasseln von kupfernen Regenketten zwischen dem leisen Wispern des Laubes erscholl.    Es hing ein tief spirituelles Gefühl an diesem Pfad…   Und während Neji ihn jetzt entlang lief, hatte er sich noch niemals zuvor in seinem Leben so zwiegespalten gefühlt; oder abscheulicher in seiner eigenen Haut. Blutbefleckt und verdorben, nach Tod stinkend, als sich sein Schatten weit vor ihm ausstreckte.    Shikamaru…   Verkrüppelnd; diese Bilder, die sein Verstand nicht aufhörte herauf zu beschwören – entweder plagte sein Geist ihn mit der Erinnerung an ihren letzten Kuss, oder quälte ihn mit Visionen des Tatorts und, schlimmer noch, des bösartigen Glimmens in Shikamarus Augen, als er so auf Ino und Kiba losgegangen war. Darauf aus, dasselbe Maß an Verletzungen zuzufügen, wie er es bei diesen Bestien getan hatte – indem er übermäßige Gewalt nutzte; übermäßige Grausamkeit.    Grausamkeit…   Shikamaru war nicht grausam. Das war nicht in seiner Natur.    Außer, das ist es doch, sagte die kalte, abgetrennte Stimme des ANBU Schattens in seinem Verstand.    Nein. Das glaube ich nicht für eine einzige Sekunde.    Aber er konnte auch nicht verleugnen, was er beobachtet hatte – wovon er beauftragt worden war, es zu beobachten; Chakrafluktuationen, die absolut keinen Sinn ergaben. Aber es war nicht Shikamarus Chakra, was ihm am meisten Sorgen bereitete – es waren die Schwankungen, die er im Charakter des Schattenninjas beobachtet hatte. Schwankungen, für die er weder die Zeit noch den Raum gehabt hatte, um daraus einen Sinn zu machen.    Und auch jetzt bist du kein Bisschen klüger…   Fürwahr. In geliehener Zeit hatte er sich einen narrensicheren Plan zurecht gelegt und Shikamaru in der Erwartung aufgesucht, diese bösartige Grausamkeit zu verfolgen, die heiß und grell in den Augen des Nara loderte und ihr die nötigen Todesstöße zu versetzen.    Ich werde es finden; selbst wenn ich durch deine Schatten gehen muss, um es zu erreichen…   Es war nicht das erste Mal, dass er solche Worte gesagt hatte. Aber es war das erste Mal, dass er dem Spiel vorausdenken musste, um zu versuchen, den Schattenninja auszumanövrieren.    Ja…und schau dir an, wie wunderbar das geklappt hat…   Zwei Schritte zurück, ohne auch nur einen einzigen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Er hatte sich Shikamarus Gästezimmer gestählt und auf alles gefasst genähert, war seine einstudierte Attacke in einer Endlosschleife durchgegangen; Shikamaru hatte ihn angelogen; Shikamaru hatte sein Versprechen nicht gehalten, sein Chakra nicht zu benutzen. Diese ‚dämlich simplen‘ Fakten waren die Speerspitze seiner Argumentation gewesen, auch wenn es das absolut Letzte war, was Neji kümmerte.    Es war die Finte, nicht der fatale Schlag.    Der wirkliche Angriff würde danach kommen; Anschuldigungen, Feindseligkeit, ein endloses Vorrücken in der Hoffnung, dass er dadurch in der Lage sein würde, Shikamaru in eine Ecke zu drängen und ihn zu einer Reaktion zu bringen, ihn dazu zu bringen, so die Fassung zu verlieren, wie es bei Ino und Kiba passiert war. Und gemessen daran, wie launisch seine Stimmungen geworden waren, war Neji davon ausgegangen, dass es gar nicht so viel brauchen würde, um die gewünschte Erwiderung zu erhalten.    Es war ein simpler Angriffsplan gewesen.    Einer, der unmöglich scheitern konnte.    Bewaffnet mit dieser undurchdringlichen Hyūga Rüstung, von der er nur zu gut wusste, dass sie den Schattenninja ohne Ende anpisste, war er auf der Suche nach einem Kampf losgegangen, war auf der Suche nach einem viel zu dunklen Schatten in Shikamarus Augen losgegangen…   Nur um zu entdecken, was er als Allerletztes erwartet hatte, vorzufinden…   Kein Zorn, keine Aggression…nur diese gleichen qualvoll traurigen Augen, in die er vor einer Woche geblickt hatte…die ausgebrannten Siennafarben verwaschen von Verwirrung, Verletztheit und Weh, die keine noch so brillante Chamäleonhaut verbergen konnte. Es hatte nicht das geringste Anzeichen der vorherigen Grausamkeit gegeben, keinen Hauch dieses vorherigen Zorns…nicht einmal ein Schatten des Ausdrucks, der in der Einrichtung in Shikamarus Augen gestanden hatte.    Und das hatte Neji getroffen…   Hatte ihn mehr als heftig getroffen.    Hatte ihn so verdammt hart und abrupt getroffen, dass er jede Balance und auch beinahe seinen Griff verloren hätte – an seinen Motiven, an seinem Verstand, an seiner Mission, Mission, Mission.   Aber in diesem Augenblick…hatte die Mission überhaupt keine Rolle mehr gespielt…   Und das war, wie immer, die Gefahr, die Falle, der Punkt ohne Wiederkehr…   Er hatte diese Gefahr in der Sekunde erkannt, als sich Shikamaru zu ihm gelehnt und verzweifelt nach ihm gegriffen hatte; denn in diesem Augenblick, diesem Sekundenbruchteil, war der Drang, ebenfalls eine Hand nach ihm auszustrecken, so unfassbar stark, so unglaublich schwer zu verleugnen gewesen, dass sich zurückzuziehen Neji weit mehr abverlangt hatte, als der gesamte Kampf gegen die Chimären; und auch weit mehr als der Kampf mit seinem Gewissen. Bei allen Göttern, er war gekommen, um einen Streit zu suchen und er hatte ihn auch gefunden. Nur hatte er nicht geahnt, dass er in seinem Inneren zwischen zwei Teilen seines Selbst ausgefochten werden würde.    Wird dieser Krieg jemals enden?   Nein. Niemals. Dieser Kampf hatte sich bereits lange in sein ANBU Training fortgesetzt; Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, bis er Chakrablockaden gegen Wände innerhalb von Wänden und Zahnräder innerhalb von Zahnrädern austauschte. Er war sich nicht sicher, wie er es überhaupt durch das Treffen mit Nogusa geschafft hatte…seinem Verstand drohte eine Spaltung…sein Herz war bereits zerrissen…   Und hier bin ich wieder…am Rande einer Spaltung…   Kopfschüttelnd riss er seinen Blick von seinem Schatten fort und konzentrierte sich auf den Weg vor ihm. Während er eine niedrige Mondbrücke überquerte, stieß er beinahe zufällig auf die Statue, als sein Blick von einem Paar rot gekrönter Kraniche angezogen wurde, die am Uferrand nach Nahrung suchten.    Dort, jenseits der belaubten Schatten uralter Zedern, sah er sie.    Eine in Stein gehauene Skulptur, phosphoreszierend wie Opal. Der chimärische Kirin bäumte sich auf der Hinterhand auf wie ein Pferd und die drachenähnliche Schnauze hatte er gen Himmel gereckt. Als Kreuzung zwischen Drache und Einhorn, besaß das Wesen ein kurviges Horn, das sich aus seiner Stirn bog. Eine dichte, wellige Mähne zierte den langen Nacken und formte sich zu kunstvollen Wirbeln wogender Wolken. Der Schweif war ähnlich gestaltet, ebenso wie die Behänge wolkengleichen Haares an den Fesseln.    Wo ein Stein Kirin aufsteigt.   Langsam näherte sich Neji, umrundete den See und beschritt einen Pfad aus Steinen über einen wirbelnden Fleck aus Sand, in den wolkenähnliche Schnörkel geharkt waren. Der Sonnenuntergang tauchte die Szenerie in Schattierungen, die ebenso reich und warm waren wie Honig und badete den Kirin in einen Patinaglanz.    Hahn zur Mittstunde.   Neji sah himmelwärts. Sechs Uhr abends, ein paar Minuten mehr oder weniger.    Er sollte hier sein…   Ein Rascheln von Federn zog seinen Blick zurück zu dem See, zurück zu den Kranichen. Die Vögel hatten ihre Nahrungssuche beendet und ihre langen, anmutigen Hälse hatten sich wachsam aufgerichtet. Neji beobachtete sie, während sich sein Atem tief in seiner Kehle hielt. Ihre Regungslosigkeit machte sie so statisch und still wie Figuren auf einem Gemälde, als das sterbende Brennen der Sonne ihre roten Kämme in Feuer verwandelte.    Und dann, in einem aufgeschreckten Schlagen von Schwingen, erhoben sie sich in den Himmel.    Neji sah ihnen nach, wie sie davon segelten und wie weiße Daunen glühten, als sich ihre schwarz umrandeten Flügel weit auffächerten. Die Vision ihrer Freiheit brachte das Gewicht in seiner Brust dazu, schwer gegen seine Rippen zu rollen. Er nahm einen gemessenen Atemzug, senkte seine Augen und beobachtete die Schatten, wie sie über den Boden krochen; ein schwarzer Nebel, der sich zu einer suppigen Obskurität verdickte und sich in einem kleinen Vogelbeobachtungs-Pavillon sammelte, der halb von Bäumen verborgen war.    Es ist Zeit.   Als er sich auf den Pavillon zubewegte, fing er das plötzliche Aufblitzen einer Maske auf, die in der samtenen Schwärze der tiefer werdenden Schatten hing – das blasse, weiße Gesicht eines Hirsches.   ~❃~   Sechzehn Gesichter ohne Namen.   Neun Jungen. Sieben Mädchen…   Überlebende. Opfer. Geistern. Geister ohne Namen. Ino fröstelte bei dem Gedanken, bei dieser Gewissheit. In die Augen dieser Kinder zu sehen war, wie durch leere Fenster zu blicken…zerbrochene Fenster...das Glas vollständig gesprungen, die Räume in ihrem Verstand geplündert und durchwühlt von dem wie auch immer gearteten Trauma, das sie durchlitten hatten.    Sechzehn Überlebende…aber wie viele haben wir wirklich gerettet?   Wie viele von diesen Kindern würden sich überhaupt jemals wieder erholen? Wie viele würden in sich selbst verschlossen bleiben…die Fenster vernagelnd und die Türen verbarrikadierend? Wenn sie das traurige Starren dieser Kinder sah, wollte sie so verzweifelt dort hinein gehen, wollte all ihre Wände abwischen und all die Blutflecken auf ihren Erinnerungen fort waschen.    Können sie nicht von vorn beginnen?   Eine blanke Tafel, eine neue Seite, keine Horror aus permanenter Tinte oder roten Kritzeleien oder aus was für Schrecken sie hatten ertragen müssen. Oder vielleicht würde auch der Verstand der Kinder dafür sorgen. Würde all die Details ausradieren und all die Monster einpferchen, all die Erinnerungen.    Ist es denn so schlimm, zu vergessen lassen zu wollen?   Auf die Weise, auf die sie selbst vergessen wollte.    Den dunkelhaarigen Jungen mit der kupfernen Haut und den blaugrauen Augen vergessen wollte…   Kollateralschaden…   So hatte Shikamaru das bezeichnet. Und bei diesem Gedanken wurde ihr speiübel. Sie hatte noch immer nicht den Schock seiner Worte abgeschüttelt; den Schock seiner Grausamkeit.    Wie konnte er nur solche Dinge zu mir sagen?    Ino schluckte hart an dem Knoten in ihrer Kehle vorbei, stach ihre lackierten Essstäbchen in ihre Reisschüssel und ließ die beiden dünnen Spieße einfach daraus hervor ragen. Es war eine unheilvolle Geste, etwas, das man bei Beerdigungen machte. Irgendwie schien es zu passen.    Und wie viele mehr werden vielleicht morgen sterben? Schert es ihn überhaupt?   Dumme Gedanken, nutzlose Gedanken. Phase Zwei war die Mission von Morgen, das Problem von Morgen – oder sowas in der Art. Ino war sich nicht wirklich sicher, wie Neji das alles verpackt, oder wie er es überhaupt alles ausgelegt hatte. Während des gesamten Treffens war sie einfach nur in einem Zustand des Semischocks und der halben Spekulation dagesessen und hatte nur dann Beiträge geleistet, wenn sie von Neji oder Shino dazu gedrängt worden war. Während der kompletten vier Stunden waren ihre Augen unablässig auf Shikamaru fixiert gewesen.    Der Schattenninja hatte nicht ein einziges Wort gesagt.    Und Ino hatte nicht eine einzige Sache gehört.   Sag was…sag was…, war alles gewesen, was sie denken konnte.    Und dann war die Sitzung vorbei gewesen, die Einweisung abgeschlossen. Und sie hatte sich nicht eine einzige mentale Notiz gemacht. Sakura und Tenten hatten für sie die Details von „Phase Zwei“ wiederholen und ihr im Krankenflügel und in den Duschen alles noch einmal erzählen müssen, als sie all ihre dämlichen Fragen beantwortet hatten. Wie peinlich. Normalerweise war Inos Verstand wie ein Schwamm für Details; eine Eigenschaft, die sie von ihrem Vater geerbt hatte – aber nach diesem Vorfall mit dem Kind und Shikamaru, war ihr Hirn ausgefallen…zusammen mit allem anderen auch, ihr Appetit eingeschlossen.    „Du solltest wirklich etwas essen, Ino.“   Während sie erneut begann, mit ihren Essstäbchen um die Ränder ihres Mahls herum zu stochern, spähte Ino zu Chōji auf und setzte ein schwaches Lächeln auf. „Ist das ein Befehl?“, fragte sie trocken. „Denn offensichtlich weiß ich nicht, wie man die befolgt.“   Langsam senkte Chōji seine eigene Reisschüssel und fixierte sie mit den weichesten, traurigsten Augen. „Er hat das nicht so gemeint, was er gesagt hat.“   „Warum hat er es dann gesagt?“   Sie erwartete nicht wirklich eine Antwort darauf und zu beobachten, wie sich Chōjis Gesicht bedauernd verzerrte, sorgte dafür, dass sie sich beschissen fühlte, weil sie das gerade überhaupt gefragt hatte. Erneut versuchte sie sich an einem Lächeln, streckte eine Hand aus und berührte seinen Handrücken, um mit dem Daumen über aufgerissene Knöchel zu streichen. „Immer der Mittelmann, huh? Tut mir leid, Chōji.“   Der Akimichi schüttelte den Kopf. „In dieser Sache bin ich nicht der Mittelmann. Was er gesagt hat war falsch, auch wenn er es nicht so gemeint hat.“   Noch einmal drückte Ino seine Hand. Nicht so gemeint, huh? Sie war sich nicht sicher, ob das dafür sorgte, dass sich irgendjemand von ihnen irgendwie besser oder sicherer wegen dieser Sache fühlte. Kein Zweifel, Shikamaru hatte eine scharfe und schneidende Zunge, wenn er sauer war – aber er war niemals konfrontativ. Er war übertrieben vermeidend und ging nur dann in die Offensive, wenn er in eine enge und unentrinnbare Ecke getrieben wurde.    Er ist einfach keine aggressive Person…und auch nicht arrogant…   Von all dem wusste sie aus tiefstem Herzen, dass es wahr war. Aber diese Art und Weise, wie er sich vor Stunden verhalten hatte? Die Arroganz, die Bitterkeit, diese scheußliche, herablassende Belustigung in seinen Augen.    Ich habe ihn schon früher zornig erlebt. Ich habe ihn schon früher angepisst erlebt. Aber noch nie habe ich ihn so erlebt…   Er hatte auch niemals Asumas Tod als Waffe eingesetzt. Und er war auch niemals so bösartig gewesen, die Leistung seiner Teamkameraden auf solch grausame und erniedrigende Weise zu untergraben. So entsetzt sie auch war, Ino wäre zu dem Zeitpunkt vermutlich zorniger geworden, wenn sie nicht so vollkommen bestürzt von dem Gift gewesen wäre, das aus seinem Mund gespritzt war.    Und das nicht nur gegen mich…sondern auch gegen Kiba…und Naruto…   Persönliches und garstiges Zeug, grenzwertig sadistisch in der Art, wie er zielsicher rohe, emotionale Nerven aufgespürt hatte.   Das passt überhaupt nicht zu ihm…   Gemeinheit lag einfach nicht in seiner Natur. Sicher, er konnte immer wieder richtig grantig sein, ein bisschen mürrisch und launisch und in etwa so enthusiastisch wie ein alter Mann, wenn man seine tief verwurzelte Faulheit und seinen totalen Mangel an Engagement für Drama bedachte. Aber er war noch nie zuvor so herzlos, so gnadenlos gewesen…so schwer für Ino zu lesen oder zu verstehen.   Es ist, als hätte es die Zeit, die Team 10 direkt vor der Mission zusammen verbracht hat, niemals gegeben…   Und was noch mehr schmerzte war das Wissen, wie nahe sie sich während dieser Zeit gekommen waren. Nah genug, dass Shikamaru sie sogar wirklich gehalten hatte, als sie geweint hatte. Für einen vermeidenden Emotionslegastheniker wie ihn, sagte das eine ganze Menge. Eine unglaubliche ganze Menge. Er hatte diese Barrieren gesenkt, die sich nach Asumas Tod um sein Herz herum aufgerichtet hatten; er hatte seine Vermeidung beiseite gelegt und aktiv seine beiden Teamkameraden aufgesucht.    Das hatte sich wie ein unglaublicher Durchbruch angefühlt; ein Meilenstein auf dem Weg zur vollständigen Genesung von Team 10…   Um Himmels willen, er hat sogar Pictionary mit uns gespielt.   Er hatte gelacht, er hatte sich entspannt, er hatte sich selbst gestattet, wieder in der ‚dämlich simplen‘ Vertrautheit von einfach ‚miteinander abhängen‘ willkommen geheißen zu werden. Und das mehr als einfach nur als Freunde: als Familie. In dieser kurzen, aber ehrlichen gemeinsamen Zeit, hatten sie den Ino-Shika-Chō Zirkel wieder gefestigt und bestätigt, der seit Asumas Tod so zerbrechlich geworden war.    „Denkst du, es liegt an Asuma?“, wisperte Ino, ihre Stimme weich bei dem Namen, bei dieser Erinnerung. „Denkst, dass Shikamaru einfach…ich weiß auch nicht…verspätet deswegen um sich schlägt oder so?“   „Nein.“   „Ich meine…wir waren nicht dabei, als es passiert ist, stimmt’s? Er war damit ganz allein.“   „Ino…“   „Wenn ich nur früher bei Sensei gewesen wäre…“ Ihre Kehle zog sich um die Worte zusammen, um die Möglichkeit, dass es vielleicht irgendeine Chance gegeben hätte…irgendeinen Weg…irgendeine Hoffnung…   Stirnrunzelnd streckte Chōji einen Arm nach ihr aus und nahm ihre kleinen, schlanken Finger in seine riesige, kraftvolle Hand, wobei er sie in dem sanftesten Griff hielt. Als er sprach, war seine Stimme so stark und fest wie immer. „Wir waren schon vorher an diesem Punkt, weißt du? Was mit Sensei passiert ist, war niemandes Schuld, außer die von diesen Akatsuki Bastarden, die wir erledigt haben.“   Seitwärts spähte Ino zu ihm und setzte den erbärmlichen Versuch eines Schmunzelns auf. „Du hast ein böses Wort gesagt.“   Chōji kaufte ihr das Schauspiel nicht ab und seine Finger drückten flüchtig die ihren. „Du hast alles getan, was du konntest. Niemand, nicht einmal Shikamaru hätte mehr tun können. Ich glaube nicht, dass es das ist, was ihn in diesen Zustand getrieben hat…in meiner Bauch fühlt sich das einfach nicht richtig an.“ Er schenkte ihr ein schiefes Lächeln. „Und du weißt, dass man meinem Bauch vertrauen kann.“   Erwärmt von der Zuneigung in seinem Lächeln, der Geborgenheit in seiner Berührung, stieß Ino ein leises, zittriges Lachen aus und blinzelte hinauf zur Decke. Ihre langen, dunklen Wimpern zwinkerten die Tränen zurück.    Wein bloß nicht. Das ist wirklich das Letzte, das irgendjemand von euch braucht…   Sie holte tief Luft und blies sie in einem langsamen Strom zwischen den Lippen aus, während ihr Blick hoffnungslos durch das Gästezimmer wanderte, bevor er sich auf Chōjis ruhige, beständige Augen richtete.    Gott, wie sehr sie sich wünschte, sie hätte wenigstens einen Bruchteil seiner Stärke, seiner Stabilität. Neid flackerte dumm und kindisch in ihr. „Wir kannst du nur so ruhig sein?“, bewunderte sie kopfschüttelnd. „Bist du gar nicht-“   „Du weißt, dass ich das bin“, erwiderte er sanft und Qual zupfte an den Winkeln seiner immer noch lächelnden Augen.    Oh, Chōji…   Es brauchte alles, was sie noch hatte, nicht ihre Arme um ihn zu werfen. „Ich weiß nicht, was wir hier machen sollen, Chōji. Ich weiß nicht, was ich zu ihm sagen soll. Ich weiß nicht, was-“   „Ich werde mit ihm reden“, sagte Chōji und bedachte sie mit einem ernsten Blick, als sie versuchte, ihn zu unterbrechen. „Ino. Ich verspreche es dir. Ich werde mit ihm sprechen. Aber zuerst…“, er zog seine Hand zurück und schob eine Schüssel mit unberührtem Reis zu ihr hinüber, „musst du mir versprechen, dass du etwas isst. Okay?“   Ihr Magen ließ ein verräterisches Knurren hören. „Ich habe Essen auf meinem Zimmer, weißt du.“   „Klar. Netter Versuch. Ich meinte, du sollst etwas essen, wo ich sehen kann, dass du es auch wirklich isst.“   „Chōji.“   Sein Blick ließ keinerlei Argumentation zu – und Ino hatte auch nicht wirklich die Energie oder das Herz, um ihm gegenüber schnippisch zu werden, auch wenn sie wirklich überhaupt keinen Appetit hatte. Erschöpft seufzend rollte sie mit den Augen und warf die Hände in die Luft. „Na schön.“   Zufrieden wackelte Chōji mit den Brauen. „Na, siehst du, was ich da gerade gemacht habe?“   Ino schnaubte, doch ein widerwilliges Schmunzeln zupfte an ihren Lippen. „Na schau dich an, total quid pro quo bei den Verhandlungen. Asuma wäre stolz.“   Der leichteste Hauch einer Röte ließ die Wirbel auf Chōjis Wangen dunkler werden. „Habe dafür nicht wirklich Anerkennung verdient, obwohl ich sagen kann, dass ich vom Besten gelernt habe.“   Inos Lippen bogen sich langsam, als ihr Verstand zurück zu ihren Genin Jahren wanderte und all den kleinen Tricks der ‚elterlichen’ Behandlung durch ihren Sensei. „Er war so hinterhältig.“ „Ha. Yup. Immerzu Bestechen und Feilschen; hat sich ständig neue Methoden einfallen lassen, um mich vom Essen abzuhalten und dich dazu zu bringen.“ Chōjis Augen leuchteten bei dieser Erinnerung auf und sein Kopf hob sich ein Stück. „Oh Mann, du hast einmal wirklich einen Anfall bekommen. Ah, weswegen war das nochmal?“ Er schnippte mit den Fingern. „Ah, ja! Diese komischen Studentenfutter Müsliriegel, die du essen musstest, erinnerst du dich?“   Erinnern? Oh Gott. Das war eine Erinnerung, die sie definitiv aus ihrem Verstand löschen musste – permanent und wortwörtlich. Peinlich berührt duckte sich Ino hinter ihre Reisschüssel und ächzte. „Ugh. Bitte nicht.“   Nur tat es Chōji doch – und zwar mit Genuss. Lachend startete er einen Versuch, Ino nachzuahmen und bot einen verstörend theatralischen Eindruck von seiner Teamkameradin, als er mit den Handgelenken fuchtelte und seine Stimme um mehrere Oktaven hob. „Oh mein Gott, Asuma-sensei! Wie konntest du mir nur so ins Gesicht lügen! In mein GESICHT! Du hast mir ins Gesicht gelogen, was die Kalorienzahl dieser Riegel angeht!“ Er erstickte an einem winselnden Lachen, als Ino ihm einen Schlag verpasste. „Ach komm schon. Das war der beste Part. Als hätte er im Grunde dein Gesicht beleidigt.“   Ino schnitt eine Grimasse bei dieser Erinnerung und vergrub besagtes Gesicht in den Händen, kicherte aber trotzdem schnaubend. „Kannst du dich an sein Gesicht erinnern? Er sah aus, als würde er einen Wutanfall bekommen.“   „Ha. Das hat er ja auch.“   „Er war sooooo sauer auf mich.“   „Nicht nur auf dich. Wir wurden alle deswegen bestraft.“ Chōji genehmigte sich einen Mund voll Reis und schaukelte amüsiert seinen Kopf von Seite zu Seite, während er kauend lachte. „Für zwei Wochen hat er uns tagtäglich D-Rang Zivildienste verrichten lassen. Das war lahm und im Übrigen vollkommen deine Schuld; nur für den Fall, dass ich damals zu nett war, um das klarzustellen.“   Giggelnd linste Ino durch die Spalten in ihren Fingern zu Chōji und ihre Augen verengten sich in falscher Drohung. „Zu meiner Verteidigung: er hat gelogen.“   „Jo“, erwiderte Chōji ernst, aber mit einem Glitzern in den Augen. „Und dir auch noch direkt ins Gesicht.“   Mit aller Mühe versuchte Ino, eine blanke, empörte Miene aufzusetzen, doch noch mehr Kichern blubberte warm und süß nach oben und löste den Stich von Shikamarus Worten aus ihrem Herzen. Lachend rieb sie sich mit den Händen über ihre schmerzenden Wangen und schob sich das Haar hinter die Ohren, während sie sich mädchenhaft und albern fühlte – aber mit viel leichterer Stimmung. Mit dem Ellbogen stupste sie Chōji an. „Du schaffst es immer, dass ich mich besser fühle. Sogar, wenn du es hinkriegst, Schmutz aus meiner quietschsauberen Vergangenheit zu zerren.“   Glucksend zuckte Chōji mit den Achseln und fing an, ein Tablett mit Sushi zu attackieren, bevor er mit rapide klackenden Stäbchen in Inos Richtung stach. „Iss. Du hast es versprochen.“   Ein gerissenes Grinsen verzog einen von Inos Mundwinkeln. Sie griff in die Tasche ihres blasslilanen Yukata, den sie aus Sakuras Zimmer stibitzt hatte – auf keinen Fall würde sie Riesenstirn den Vorrang lassen, wenn es um irgendetwas Lilanes ging – und schnippte sich eine Nahrungspille in die Handfläche.    Viel zu spät, um sie aufzuhalten, hob Chōji den Blick. „Hey!“   Mit spielerischer Unschuld klatschte sie sich mit einer ‚Ups‘ Geste die Finger gegen die Lippen, warf dabei die Pille in ihren Mund und schluckte. Mit einem Schluck aus kaltem, grünem Tee spülte sie das Ding hinunter und lächelte zuckersüß zu Chōji hinauf. „Da. Ich habe gegessen. Du kannst nicht behaupten, dass ich das nicht gemacht habe.“   In übertriebener Fassungslosigkeit glotzte Chōji sie an, sein Gesichtsausdruck entsetzt, als er wisperte: „In mein Gesicht!“   Grinsend schaukelte Ino auf den Knien zu ihm hinüber und gab ihm einen kurzen Schmatzer auf die Wange, was sein verletztes Schauspiel in ein unbeholfenes Erröten verwandelte. Es war so liebenswert, so unschuldig süß, dass sie dem Drang widerstehen musste, ihn in einer Umarmung fest zu knuddeln.    Er gab die besten verdammten Umarmungen auf der ganzen Welt.    Doch unglücklicherweise neigten diese besten verdammten Umarmungen dazu, ihre Widerstandskraft zu zerschmettern, ebenso wie ihre Fassung. Und jetzt im Moment konnte sie es sich nicht leisten, auch nur eins von beidem zu verlieren.    Reuig begnügte sie sich damit, mit den Fingern durch seine stacheligen, kastanienbraunen Strähnen zu wuscheln und drehte die Enden spielerisch, während sie sich auf die Füße rappelte. „Deswegen liebe ich dich, Chōji. Du hältst mir nicht halb so viel Mist vor wie Shikamaru, wenn es darum geht, was ich esse oder eben nicht esse.“   „Jo, wie wäre es, wenn du den Gefallen dann mal von Zeit zu Zeit erwidern würdest?“, grummelte der Akimichi halbherzig, während er sein Haar wieder halbwegs glatt strich. „Aber ich meine es ernst, Ino, diese Nahrungspille zählt nicht. Genauso wenig wie die Chakrapille, die du vorhin genommen hast.“   „Nag, nag, naaaaag.“ Als sie den niedrigen Kotatsu Tisch umrundete, wühlte Ino noch einmal sein Haar auf und machte sich auf den Weg zur Tür. „Ich verspreche dir, dass ich nicht mit leerem Magen aufbrechen werde, okay? Vielleicht gönne ich mir einen Mitternachtsimbiss, während du das gesamte Gasthaus zusammenschnarchst.“   Mit den Essstäbchen stach Chōji in ihre Richtung. „Ich schnarche nicht.“   „Nein, du schniefst lieblich während du schläfst“, schnaubte Ino in einem Singsang, bewegte sich träumerisch auf die Veranda zu und zwinkerte angesichts Chōjis perplexem Blick.    Dieses lässige Schauspiel täuschte ihn nicht. Seine Miene ernüchterte. „Ino…du musst nicht-“   „Ich weiß“, unterbrach sie ihn und ein trauriges Lächeln formte sich, während sie sprach. „Aber irgendwie brauche ich es."   Chōji presste die Lippen aufeinander, nickte mit sanftem Verständnis, das es nur noch schwerer machte, zu gehen und noch viel schrecklicher, zu bleiben. Es wäre viel zu einfach, sich an ihn zu lehnen. Zu leicht, daran zu denken, dass diese breiten Schultern ihre Probleme ebenso tragen konnten wie seine eigenen.    Hör auf.   Als sie nach draußen schlüpfte, schob sie das Fusama Paneel hinter sich zu und lehnte sich gegen den Rahmen, während sie gleichzeitig tief durch die Nase Luft holte. Langsam zählte sie bis sechs, atmete geräuschlos aus und rieb sich mit einer Hand über die Lippen, bis sie stachen.    Reiß dich zusammen…   Unmöglich, das zu schaffen, wenn sie bei Chōji war; seine Freundlichkeit löste Verletzlichkeit aus. Es war so sanft, so innig, so sicher, in seiner Nähe zu sein, dass die Anstrengung, stark zu sein, in seiner Gesellschaft vollkommen erschöpfend wurde. In einer Situation wie dieser gab es nur zwei Optionen; Schutz suchend zu ihm rennen und es alles nach unten stürzen lassen, oder verflucht nochmal wegrennen, um nicht auseinander zu fallen.    Shikamaru machte immerzu Letzteres.    Und Ino machte immerzu Ersteres.    Oder zumindest war das so gewesen…bevor sie Asuma versprochen hatte, dass sie sich um die beiden kümmern würde. Sie wusste, dass sich selbst abzuriegeln nicht das war, was ihr Sensei gewollt hatte – aber jetzt im Moment war es das Beste, was sie tun konnte. Es war das, was fair war.   Mein Rumgejammer kann Chōji jetzt wirklich überhaupt nicht brauchen.   Er verbarg es gut, aber Ino wusste, dass er genauso verletzt war, genauso verstört und genauso entsetzt über Shikamarus Verhalten – wenn nicht sogar mehr als sie. Er liebte Shikamaru mit einer Tiefe, Innigkeit und Stärke, von der Ino mit aller Ernsthaftigkeit glaubte, dass sie sogar Narutos Hingabe in Bezug auf Sasuke übertraf. Und trotz all seiner Heiterkeit, mit der er sie behandelte, wusste Ino, dass Chōjis Herz sank wie ein Stein. Er war stark für sie, aber sie ging davon aus, dass er Wegen Shikamarus Stimmungs- und Chakraschwankungen eine entsetzliche Angst hatte.    Und ich muss für ihn da sein…ich muss in dieser Sache stark sein…   Sie hatten immer noch eine Mission abzuschließen. Ihre Köpfe mussten am richtigen Platz bleiben. Doch unglücklicherweise war Shikamaru nicht in ihren Köpfen; er war in ihren Herzen…und ihre Herzen befanden sich unter der kalten, unbarmherzigen Klinge der Pflicht. Neji hatte keinerlei Probleme damit, sie an diese Tatsache zu erinnern; an diese Notwendigkeit.    Reiß dich einfach noch ein bisschen länger zusammen…   Ein bisschen länger und ein bisschen stärker. Das musste sie sein. Beständig. Stark. Stark genug, um neben Chōji zu stehen und nicht hinter ihm, wenn sie Shikamaru gemeinsam konfrontierten. Als eine Einheit. Als eine Familie.    Was mehr ist, als diese Kinder jemals haben werden…   Das Bild des toten Kindes kehrte zu ihr zurück, wusch sich rot und schwarz – und dann kehrten Shikamarus Worte zu ihr zurück. Eine mentale Ohrfeige, die ein Stich in ihrem Hirn war und ihr Herz zu einem heftigen Stottern trat.    ‚Glaubst du ernsthaft, dass es dir irgendwelche Karmapunkte bei Asuma einbringen wird, wenn du den König von jemand anderem beschützt? Ist ein bisschen verfickt spät, um ihm zu beweisen, was du wert bist, denkst du nicht auch?‘   Keuchend umklammerte sie ihren Unterleib und spürte das ausweidende Gefühl von Versagen, das sich wie ein eiskalter Dorn durch sie grub und aufwärts durch ihr Herz trieb. Sie war nicht in der Lage gewesen, Asuma zu retten. Aber dieses Kind…dieses Leben…es war innerhalb ihrer Reichweite gewesen, es zu retten…und dann war es weggeschnappt worden.    Und was noch viel schlimmer war?    Es war keine Chimäre gewesen, die dieses Kind getötet hatte.    Es war eine Person gewesen, ein menschliches Wesen.    Was denjenigen zu einem Monster macht, das viel schlimmer ist als die Chimären…   So krank diese Hybridenbestien auch sein mochten, der Gedanke daran, dass eine Person diesen kleinen Flintdolch in die Kehle eines hilflosen und verängstigten Kindes getrieben hatte, traf Ino doppelt so hart, ließ sie bis ins Mark frösteln und widerte sie zutiefst an. Hatte sich der Junge hilfesuchend an diese Person gewandt? Hatte diese Person ihm Sicherheit und Geborgenheit versprochen, bevor sie ihm das Leben genommen hatte? Oder war es einfach passiert? Schnell? Langsam? Gott, sie hoffte, dass es schnell gegangen war.    Es tut mir leid…es tut mir so leid…   Ruckartig schüttelte sie den Kopf und wischte die Tränen fort, die sich an ihren Wimpern sammelten. Weinen würde das Kind nicht wieder zurück bringen. Den Bastard von Kusa-nin zu finden, der diese Tat begangen hatte, war das Beste, worauf sie hoffen konnte. Ein Akt der Vergeltung, genau wie bei Asuma. Vielleicht würde die Seele des Jungen dann leichter Frieden finden, wenn sie wusste, dass es jemanden kümmerte. Ino hatte es nicht gewagt, Neji noch weiter nach den anderen Kindern zu fragen und wusste nur, dass Nogusa sichergestellt hatte, dass sie für sofortige medizinische Versorgung und Pflege in einen weiteren Gästeflügel gebracht worden waren.    Das Schlimmste haben sie überstanden…   Gemessen an der Hölle, die sie durch gemacht hatten, würde eine neue Chance auf ein Leben hoffentlich ihr Segen sein.    Sobald wir morgen zurück sind, werde ich nach ihnen sehen.   Ino verschränkte die Arme und zwang sich über die Veranda zurück zu ihrem eigenen Zimmer, wobei ihre nackten Füße leise über das kühle, polierte Holz tapsten. Ein Strahl aus orangenem, rotem und gelbem Licht streifte den dunkler werdenden Himmel und vermittelte eine Wärme und Geborgenheit, die der Wind nicht mit sich trug.    Außerhalb ihres Raumes blieb Ino stehen, während ihr Blick an der Markise vorbei nach oben schwang.    Ein Paar rot gekrönter Kraniche segelte über sie hinweg und rief leise. Isolation und ein vages Gefühl von Melancholie senkten sich über sie und lösten erneut eine Gänsehaut auf ihren Armen aus.    Ich sollte meditieren…den Kopf frei bekommen…vielleicht sollte ich auch versuchen, etwas zu essen…   Ihr Magen drehte sich bei dem Gedanken an Essen; zu voll mit Knoten, zu voll mit Anspannung. Sie spähte hinaus auf die Gärten und entschloss sich, dass ein kleiner Abstecher vielleicht eher dazu beitragen würde, ihren Kopf frei zu bekommen, als irgendwelche meditativen Rituale. Langsam schlüpfte sie in ein Paar Geta Sandalen, das am Rand der Terrasse stand, trat hinaus in die feuchten, duftenden Wassergärten und begann einen gemächlichen Spaziergang über das Gelände.    Exotische Blüten fingen ihren Blick ein und sie ließ ihre Gedanken durch die vertraute Aufgabe wandern, die verschiedenen Spezies zu klassifizieren und zu katalogisieren.    Papageien-Inkalilien, Tränendes Herz, Wasserjasmin, Frangipani, Malabar-Lackbaum…   Unglaublich. Das Land der Verschlungenen Wurzeln mochte mit seinen Dschungeln ja vielleicht ein verrücktes, unbewohnbares Chaos besitzen, aber Ino konnte die Schönheit dieser kultivierten Gärten einfach nicht verleugnen.    Exquisit.   Neben einem seltsam aussehenden Busch blieb sie stehen und sah zu, wie sich die blühenden Blumen langsam öffneten. Die Blütenblätter zogen sich zurück wie Luftschlangen und verliehen der Pflanze ein weiches, flaumiges Aussehen; spielerisch und zart. Es war eine bezaubernde kleine Pflanze und würde sich hervorragend in einem Ikebana Arrangement machen. Während ihre Finger über die federnden Blütenblätter strichen, machte sie sich eine mentale Notiz, ein paar Proben zu sammeln.   Solche Blumen habe ich noch nie gesehen…   Das drängte ihr die Frage auf, wie viele von ihnen wohl natürlich und wie viele Hybriden waren. Bei diesem Gedanken erstarrten ihre Finger und sie zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. Gefährliche Gedanken. Sie drohten, ihren Verstand wieder zurück zu den Pflanzenkuppeln in der Einrichtung zu lenken.    Rasch änderte sie den Kurs und überquerte eine sanft geschwungene Brücke, die sich über einen Lilienteich streckte.    Direkt vor ihr stand ein riesiger, düsterer Findling eingefasst in einen Ring aus seidigem Federgras und erweckte die Illusion eines gigantischen Eis in einem Nest. Eingraviert in diesen Findling standen die Worte: TATSU-EN.   Der Drachengarten.   Neugierig gemacht bewegte sich Ino von den Wassergärten fort und stieg einen gewundenen Pfad aus breiten Trittsteinen hinab, um auf niedrigere Ebenen zu sinken, die von satten Farnen und von Herzstücken erfüllt war, die von leuchtend grünem Moss eingefasst waren.    Ino pflückte eine Blume und legte sie auf einen Miniaturaltar.    Inzwischen brannte der Sonnenuntergang wie eine Kerze hinter ihr und ließ ihr Haar in orangegoldenen Strähnen schimmern, als sie ihre Handflächen aneinanderlegte und ein leises Gebet sprach; für die Kinder, für ihre Teamkameraden…für Shikamaru.    „Sensei…“, wisperte sie. „Bitte sag mir, was ich tun soll.“   Stille…abgesehen von dem frühabendlichen Chor der Natur, die erwachte und sich gleichzeitig niederließ. Leises Zirpen und entfernte Rufe, das lange, zitternde Quaken eines Frosches, der zwischen den moosbewachsenen Steinen umher hüpfte.    Ino ließ den Schrein und ihre Gebete hinter sich und setzte ihren Pfad fort.    Weitere Felsen kamen wie eine Reihe rauer, asketischer Klippen in den Blick, die von Moos und winzigen, knospenden Blüten eingefasst waren. Überlappend ausgerichtet, grenzten diese Klippen den nächsten Teil des Gartens wie eine natürliche Trennwand ab und über ihre übereinanderliegenden Oberflächen, meisterhaft in den Stein gemeißelt, erstreckte sich eine lange, überbordende Skulptur eines Drachen. Sie war entworfen wie ein Wandgemälde und so gestaltet, dass der Drache über mehrere Steinleinwände floss, wobei die rauen und unterschiedlichen Beschaffenheiten des Fels den Effekt sich kräuselnder Bewegungen erzeugten. Bänder aus Dampf schlängelten sich durch Fissuren im Stein und erschufen eine Illusion aus Nebel – wie der Atem eines lebenden Tieres.    Während sich Ino näherte, wurde sie sich bewusst, dass sich die Luft feucht und wärmer anfühlte.   Das leise Blubbern von Wasser drang an ihre Ohren.    Eine heiße Quelle?   Das erklärte auf jeden Fall den Dunst. Sie sah zu, wie er über schimmernden Farnen und hohem, seidigem Federgras schwebte und sich in rauchenden Ranken über einen Pfad mit rosa Kieselsteinen ergoss, der sich zwischen den Felsen und bis zur anderen Seite entlang zog. Jenseits davon konnte sie das schwache Glühen von Laternenlicht sehen. Eine vorzügliche Einladung…das Versprechen warmer Wasser…ein kleiner Luxus am Ende eines langen und beschissenen Tages…   Was kann es schon schaden?   Ein kleines Lächeln zupfte an ihren Lippen und Ino spähte debattierend über ihre Schulter. Im Moment wurde sie von niemandem gebraucht und auch wenn sie die Dinge mit Shikamaru lösen wollte, war sie immer noch zu verletzt, um ihm jetzt schon mit einem klaren Kopf begegnen zu können.    Was ist denn überhaupt besser dazu geeignet, den Kopf frei zu bekommen, als ein schönes, reinigendes Bad?   Eine exzellente Frage ohne Gegenargument; all ihre innerlichen Kritiker blieben stumm und schliefen, wartend auf ihren Weckruf am nächsten Morgen.    Mission von Morgen. Anforderungen von Morgen.   Scheiß auf Morgen. Sie hatte noch immer das Ende von Heute. Und sie wollte verdammt sein, wenn sie diesen Tag enden lassen würde, ohne etwas zu haben, über das sie lächeln konnte; etwas, das den Biss aus dem Stich nahm, der Verletztheit, der Sorge.    Also wasch es fort…nur für eine kurze Weile…   Angezogen von dem Komfort des heilenden Wassers und reinigender Salze, trat Ino auf den nebligen Pfad, während sie ihre Finge über den bearbeiteten Stein und warmen Fels streichen ließ. Als sie so hinüber zur anderen Seite schlenderte, war sie viel zu versunken im Wandbild des Drachen und den schwebenden Papierlaternen, dass sie nicht die schwarze Lederjacke bemerkte, die über einen der Steine geworfen war…oder den großen weißen Hund, der in dem seidigen Federgras schlummerte.     Kapitel 36: Two minds, two players...an analogy of life ------------------------------------------------------- Wände aus Dunkelheit schlossen Neji von allen Seiten ein wie Vorhänge aus Schatten und Chakra. Ein weiterer Auftritt, eine weitere Bühne.    Tsunos Maske hing wie ein enthaupteter Kopf da, sein Körper vollständig von der Schwärze geschluckt. Dunkle, schimmernde Augen stierten Neji bodenlos und unergründlich durch die Löcher in der Maske an. „Statusbericht“, sagte Tsuno. „Beide Missionen.“   Neji verneigte sich angemessen tief und richtete sich nach und nach wieder auf, die Konturen seiner Miene straff und unlesbar. „Phase Eins der Kusa Mission ist abgeschlossen. Wir haben uns mit Motiv und Mitteln befasst. Indem wir unsere Anstrengungen mit den Nagu Butai zusammengeschlossen haben, konnten wir feststellen, dass eine Extremistengruppe namens Aikoku für die Erschaffung der Chimären und der Hybridpflanzen verantwortlich ist. Wir haben die Tier- und Pflanzengehege vernichtet und die oberen Level der Einrichtung gesäubert. Mein einziges Bedauern ist, dass wir gezwungen waren, die vier Nagu, die uns unterstützt haben, zurückzulassen.“   „Dein einziges Bedauern?“, fragte Tsuno. Sein rostiges Timbre zerrte sich wie eine Klinge über Nejis Nerven, schnitt sich tief bei dem Wort ‚einziges‘.   Weiß er von der Detonation bei den Gehegen? Von Shikamaru?   Zögern grub sich tiefer und Unbehagen strömte in einem kühlen, dunklen Fluss durch Neji. Es drohte, die stillen, weißen Seen seiner Augen aufzuschrecken, bevor er blinzelte, um sie zu klären. „Mein einziges Bedauern“, wiederholte er. „Nogusa-sama war verständlicherweise zornig und besorgt um das Wohlergehen seiner Wächter. Aber er war erfreut zu hören, dass die Einrichtung nicht länger funktionstüchtig ist. Er ist ein vernünftiger Mann. Ich habe ihm versichert, dass das Wiederherstellen von Kontakt mit den Nagu unser sofortiges Ziel sein wird, sobald wir wieder im Inneren sind.“   Als würde er nachdenken legte Tsuno den Kopf etwas schief. „Hn. Sehr gut. Es ist immer dienlich, oberflächliche Beziehungen holdselig zu halten, unabhängig von deinen wahren Absichten.“   Für einen Moment musterte Neji seinen Führungskommandanten wachsam. Er hatte nicht gelogen, als er Nogusa dieses Versprechen gegeben hatte. Er hatte wirklich jede Absicht, Katsu und die anderen Nagu zu finden. Testete Tsuno ihn?    Muss er wohl…   Aber ihm blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.    Mit seiner nächsten Frage, schubste Tsuno ihn weiter voran. „Und Phase Zwei?“   „Involviert das letzte und die unteren Level der Einrichtung“, berichtete Neji ihm, schob seine Zweifel energisch beiseite und brachte alle Details an die Spitze seines Denkens. „Wir führen Phase Zwei bei Tagesanbruch durch; Festnahme sowohl der kriminellen Anführer als auch der involvierten Wissenschaftler, ebenso wie die Zerschlagung des Handelsprogramms – wodurch ihre Gelegenheit und auch ihre noch verbliebenen Mittel effektiv unterbunden werden.“   Tsuno nickte langsam ein einziges Mal. Dann folgte ein langer Herzschlag des Schweigens, bevor er erneut das Wort ergriff: „Und deine andere Mission, Shirataka?“   Der Deckname löste eine sofortige Veränderung bei Neji aus – physisch, psychisch. Er konnte spüren, wie sich die Leine aus Kontrolle sowohl um Muskeln als auch Geist strammer zog, seine Sinne feinstimmte bis zu einem erhöhtem Maß von Bewusstsein und Objektivität.    Gut.    Gemessen an dem Subjekt seines nächsten Statusberichtes, würde er alle Selbstkontrolle und Objektivität brauchen, die er besaß. Er holte tief Luft und legte Ereignis nach Ereignis alles dar, was mit Shikamaru seit dem Tag seiner Beauftragung passiert war. Er begann bei dem Vorfall bei Amaguriama; dann die Sache in den Sümpfen; die Hyperthermie, ausgelöst durch eine rapide Verschiebung im Metabolismus des Chakras; die Albträume; die Gedächtnislücken und Kopfschmerzen; sein unvorhersehbares Verhalten und seine völlig uncharakteristische Streitlust; und seine kürzlich aufgetretene Fähigkeit, Chakra zu formen, ohne Handzeichen nutzen zu müssen.    Bei diesem letzten Punkt neigte sich Tsunos Kopf scharf und ruckartig, doch er sagte nichts, sondern ließ Neji fortfahren.    Und er fuhr fort.    Er erzählte Tsuno alles; alles außer einer Sache.    Shikamarus Geständnis in diesem Schrein.    Neji hatte wirklich die Absicht gehabt, dieses Vertrauen zu verraten, aber aus irgendeinem verrückten Grund, der absolut nichts mit Vernunft, sondern alles mit dem scharfen, instinktiven Ziehen in seinem Inneren zu tun hatte, übersprang er diese Unterhaltung bei dem Schrein vollständig wie ein Stein über einen See sprang; und ein Kräuseln des Zweifels bedrohte dabei seine Stimme, sein Gesicht.    Fuck.   Geschmeidig und nahtlos schaffte er es, es sofort wieder zu überfrosten, während er die Geschehnisse der Mission in einer flüssigen Erzählung darlegte, es nicht wagte, anzuhalten, es nicht wagte, langsamer zu werden, da er wusste, dass Tsuno jede noch so kleine Nuance in seiner Miene studierte und nach irgendwelchen Mikrozuckungen und Spannungen suchte, die ihn vielleicht verraten würden.    Nachdem er geendet hatte, blieb Tsuno für eine nervenaufreibend lange Zeit stumm.    Eine Zeit, in der Neji den Auftritt seines Lebens hinlegte, was eine weit zermürbendere Aufgabe war, als das Schauspiel, das er während der Missionsbesprechung aufrecht erhalten hatte. Schweigend sah er seinen Betreuer an und erschien dabei so ruhig und gefasst wie eine Marmorstatue, unbewegt von dem erstickenden Druck der Stille, der Schatten und der durchdringenden Regungslosigkeit von Tsunos scharfen, dunklen Augen, die sich in ihn bohrten.    Wonach suchte er?    Nach Lücken in seinem Bericht? Nach unausgesprochenen Wahrheiten?   Er weiß es…er weiß, dass ich durch Unterlassung lüge…   Furcht zog sich durch ihn, war wie kalte Finger auf seiner Brust. Götter, was zur Hölle hatte er sich eigentlich dabei gedacht? Es war seine geschworene Pflicht, jedes My relevanter Informationen an seinen Kommandanten weiter zu geben. Er hatte die Rolle des Informanten ab dem Moment akzeptiert, als er mit dieser Sache beauftragt worden war, dieser Mission, diesem letzten Schritt. Es war nichts Persönliches. Shikamarus Geständnis war nichts weiter als ein in sein Hirn gestempelter Code, bereit dazu, übermittelt und von denen dechiffriert zu werden, die all die Antworten auf all die Fragen hatten, die Neji nicht stellen durfte.    Es ist nichts Persönliches…und es ist auch nicht kompliziert…   Nein. Es war wirklich simpel. Dämlich Simpel sogar.    Shikamarus Vertrauen war etwas, von dem Neji schon immer bestimmt gewesen war, es zu hintergehen.    Es ist unvermeidlich…   Natürlich hatte Neji das von der Sekunde an, als er beauftragt worden war, wirklich geglaubt. Denn trotz der ganzen Grausamkeit des Schicksals und all ihrer bösartigen Windungen der Ironie, gab es doch bestimmt irgendeinen Plan, irgendeinen Zweck in diesem verdrehten Spiel, bei dem all ihre zerbrochenen Teile und Bruchstücke unaufhörlich herum geschoben wurden.    Du hast es selbst gesagt, oder nicht, Nara? Unsere Schicksale sind hierin festgelegt.   Es befand sich in den ihnen ausgeteilten Karten. Gott, es musste so sein. Es musste einfach so sein. Denn das Karma hatte sie im Kreis drehen lassen und sie wieder auf Anfang gebracht – oder nicht? Nur war diesmal Shikamaru die Mission und Neji war der Manipulator, der seine Züge machte und seine Motive verbarg.    Nur bestand sein Motiv darin, um jeden Preis dein Leben zu retten…und hier stehst du und opferst ihn, um dich selbst zu retten…   Eine Grube öffnete sich in Nejis Magengegend, oder vielleicht auch in seiner Seele, schluckte alle Luft aus seinen Lungen und stahl die Wärme aus seinem Körper. Er spürte ein eiskaltes, Übelkeit erregendes Absacken in sich…als würde er abstürzen, wo er dachte, er würde fliegen. Verwirrung schwappte heran wie ein Sturm, der über die eben noch ruhigen und abgegrenzten Horizonte seines Verstandes rollte. Es zog ihn näher an den Rand dieser Insel, näher an den Rand von –    „Gibt es sonst noch etwas?“, fragte Tsuno schließlich – eine Rettungsleine, ein Ausweg, eine Möglichkeit, seinen Geist zu säubern und von dieser Kante zurück zu treten.   „Nein“, raunte Neji und etwas tief in ihm drohte, Risse zu bekommen. Ein Zahnrad. Eine Wand. Eine weiße Maske der Freiheit. „Nichts mehr.“   Tsuno zog den Kopf zurück und Nejis Nerven spannten sich bei der Regungslosigkeit und dem spekulativen Starren des Älteren an – es war weit beklemmender als die Stille und weit ominöser als die Schatten.    Und dann blinzelten diese dunklen Augen, um den Bann zu durchbrechen.    Das Chakra, das sich hart wie eine Faust gehalten hatte, lockerte sofort den Griff und die Schatten glitten davon, um einen dämmernden, rotgolden getünchten Himmel zu offenbaren. Blinzelnd passten sich Nejis Augen an die Veränderung an. Es fühlte sich an, als wäre eine kleine Ewigkeit vergangen, aber in Wahrheit konnten es nicht mehr als zwanzig Minuten gewesen sein.    Und es brauchte weitere zwei, bis Tsuno endlich sprach.    Langsam ließ er den Kopf nach hinten kippen und warf einen langen, bleibenden Blick auf den Himmel – und dann gab er Neji seine Befehle.   ~❃~   Es gab keine Ordnung. Kein Verständnis. Keine Warnung irgendeiner Art. Ganz ähnlich wie der Schmerz, schlug es willkürlich zu und lähmte ihn auf halbem Weg durch den Raum. Japsend flogen Shikamarus Hände an seinen Kopf und er stürzte hart auf die Knie, ließ die Akten fallen, ließ die Verbindungsleine zur Realität fallen; Wasser spritzte in Tropfen um ihn herum, die im Feuerschein funkelten.    Feuerschein?   Wasser? Feuchtigkeit? Er hatte die Dusche verlassen – oder nicht? Oder hatte er wieder das Bewusstsein verloren? War das hier die Höhle? Der Kerker seiner Albträume?    Nein, nein, nein…   Er senkte seine Hände von seinem pochenden Schädel, klatschte seine schwitzenden Handflächen gegen die glatten, trockenen Tatami Matten und erwartete eigentlich, feuchten Kalkstein unter seiner Berührung vorzufinden. Kein Kalkstein, keine Feuchtigkeit, keine Kette, der er bis zu seinem Hals folgen konnte…aber er konnte kaum um den Griff der Panik herum atmen. Übel vor Verwirrung krümmte er sich vornüber, legte seine Stirn gegen den Boden und presste seine Fäuste gegen seine Schläfen.    W-was zur Hölle passiert mit mir?   Vorhin hatte er Zeit verloren, aber jetzt verlor die Zeit ihn…oder vielleicht holte sie zu ihm auf. Angst wogte Welle um Welle in seinem Blut, türmte sich etwas höher in seiner Brust auf und trieb sein Herz zu einem hämmernden Donnern gegen seinen Rippenbogen…Panik…seit zwei Jahren hatte er keine Panikattacke mehr gehabt…   „Zwei Jahre. Ein Kerker. Da hast du mich leben lassen“, schnurrte die Finsternis in sein Ohr.    Auf den Knien schoss Shikamaru nach oben und ließ seinen Kopf herumschnellen, erwartete, die schattige Gestalt aus seinen Träumen zu sehen – nein, aus seinen Albträumen. Er konnte sie jetzt abrufen, konnte sich mit einer Klarheit an sie erinnern, die er noch nie zuvor besessen hatte…und mit jedem Spalt, der sich in seinem Kopf öffnete, füllten sich die Lücken in seinem Gedächtnis…füllten sich, als wäre es Blut, das unter aufgerissenen Narben aufstieg…   Narben. Einst hatte er Neji gesagt, Narben würden nicht bluten.    Aber diese bluteten, brannten…füllten ihn und führten ihn fort…   „Ja, dich fort führen. Das ist es, was ich tue. Dich fortführen und deine Scheiße aufwischen. Unwissenheit ist ein Segen, stimmt’s? Zeit, ein bisschen was zurück zu geben.“   „Stop“, krächzte Shikamaru mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Atem in seiner Kehle war. „Ich kann nicht…jetzt nicht…“   „Jetzt nicht? Klingt nach deinem Sensei, huh? Aber ‚jetzt nicht‘ hat ihn nicht wirklich weit gebracht, oder?“   Shikamarus Augen wurden warm und ein brennendes Salz füllte seinen Rachen, seine Nase. Die Angst stieg immer weiter auf wie eine Welle der Gezeiten in der Ferne. Er stierte, stierte, stierte auf den gottverdammten Boden, als würde ihm das Gewebe des Tatami vielleicht irgendein Muster geben, dem er folgen könnte oder ein Rätsel, aus dem er Sinn machen konnte.    Sinn…Logik…Muster…bitte…   Denn sein Verstand kam auseinander wie ein Puzzle ohne ein Bild darauf…   Er musste es richten…musste…   „Dich dem stellen“, kam die Stimme, dieses Klopf-Klopf-Klopfen in seinem Verstand. „Du musst es beenden.“   Shikamaru stemmte sich auf seinen Handflächen nach oben und strampelte krabbenartig nach hinten, bis sein Rücken gegen die Wand stieß. Der Aufprall erschütterte seine Wirbelsäule, erschütterte seinen Schädel…seinen Schädel…seinen Kopf…er verlor seinen Kopf.   Verliere meinen Verstand…   „Oder findest ihn“, sagte die Finsternis und erklang dabei so klar, so fest – ein Signal ohne irgendwelche statischen Interferenzen.    Shikamaru griff nach oben, berührte sein Ohr, als erwartete er, dass ein Transmitter in Position steckte. Position – was zur Hölle war seine Position? Wann hatte die Mission aufgehört? Er wusste, dass sie aufgehört hatte, denn er hatte die toten Chimären gesehen.    Hatte Naruto und Neji gesehen…dann…   Dann was?   Dann war er in der Dusche aufgewacht, hatte mit Neji gesprochen. Oder hatte er das geträumt? Er konnte Zeit nicht voneinander unterscheiden – lebte von Minute zu Minute, von Augenblick zu Augenblick. Er hatte sich nicht zur Nachbesprechung gemeldet. Aber Neji hatte mit ihm gesprochen, als wäre er dabei gewesen. War er dabei gewesen?   „Ich war es, du Genie. Irgendjemand muss die Lücken füllen, wenn du abdriftest.“   Aus irgendeinem verrückten Grund lachte Shikamaru – ein lauter, zitternder, wackelnder Klang. Sein Herzschlag übernahm den Grundton, das Tempo, den Rhythmus von Wahnsinn; er lachte, aber es standen Tränen in seinen Augen. Und die Angst kroch näher, schloss ihn ein, schließen, schließen…   Schließ sie…   Die Tür. Die Tür in seinem Verstand. Die Tür, die er niemals hätte öffnen sollen. Jetzt schwang sie in den Angeln vor und zurück wie ein Mädchen auf den Fersen…sommersprossig, erfüllt von Furcht und viel zu weit außer Reichweite.   Das Mädchen…das MÄDCHEN!   Sie war direkt vor ihm. Klar wie verficktes Glas. Und sie wisperte „Ich will nicht mehr spielen.“   „WARTE!“ Plötzlich stürzte Shikamaru nach vorn und seine Hände streckten sich blindlings aus, um Luft zu packen. Seine Sicht verschwamm und ließ nur leeren Raum zurück, eine Lücke in seinen Erinnerungen. Er schoss auf die Füße, drehte einen wilden, hilflosen Kreis, hörte nicht das Klappern des umgeworfenen Tisches, als er in ihn krachte…er sah es nicht…stattdessen sah er umgestürzte Kisten…roch Feuer und Rauch…und sie war fort…fort…   Fuck…habe ich sie gefangen? Ist sie gefallen?   „Tz. Klar ist sie gefallen…und dann bist du direkt hinter ihr her gefallen. Wirklich clever. Du wärst lebendig verbrannt, wenn ich nicht gewesen wäre. Und natürlich habe ich deinen undankbaren Arsch gerettet. Wie ich es immer tue. Wie du es immer von mir brauchst.“   Erneut wirbelte Shikamaru herum und die Szenerie schnitt zurück zu dem Gästezimmer, dem Futon, dem gedämpften Glühen des Sonnenuntergangs, der die Shōji erwärmte und die Reihen verzierter Fusama Paneele erhellte wie Papierlaternen. Kein Rauch. Kein Feuer. Keine Chimären, die ihn verfolgten.    „Klopf-klopf“, spottete die Finsternis. „Finsternis? Schattengestalt. Hurensohn. Ich wünschte, du würdest endlich aufhören, mich so zu nennen. Ich habe einen Namen, weißt du.“   „Nein“, knurrte Shikamaru, während er gegen die Wand zurückwich – halb erwartend, die rauen Ränder der Kalksteinhöhle an seinem nackten Rücken zu spüren. Da war ein Reif um seine Kehle…ein Halsband…oder vielleicht auch nur die kalte Hand der Angst, die sich um seine Luftröhre schloss. „Ich will deinen Namen nicht wissen…“   „Nein, aber du willst all die anderen Namen, nicht wahr? Die Namen, mit denen du mich zurückgelassen hast…all diese zerbrochenen Teile…und jetzt ist Zeit, zu spielen…“   „Warte“, würgte Shikamaru hervor. „Warte!“   Aber die Finsternis wartete nicht. Sie warteten nicht. Gesichter kamen wie Fragmente aus der Schwärze geschossen, fügten Bilder in seinem Hirn ein, die so gezackt und schmerzhaft waren wie blutbefleckte Schrapnelle, blitzend, höhnend, klirrend wie fallendes Glas…   Genma. Katsu. Shin. Nogusa. Chimären. Shin…Shin…Shinjū…   Dieses Wort. Er kannte dieses Wort.    „Verdammt richtig, du kennst dieses Wort…wo es hinein passt…“   Das Schrapnell verwandelte sich in einen Shogi Spielstein. Teile bewegten sich in der Finsternis, bewegt von der Finsternis, gingen von einem Ende zum anderen, Teile und Spieler, die Klack, Klack, Klack machten und das auf Spielbrettern, die sich wie Brücken über die Lücken in seinem Verstand, über die Lücken in seinem Gedächtnis spannten…die Lücken…   Er sah, wie sich die Lücke öffnete…   Wie vorhergesehen…   Wie geplant…   Sein Zug zu spielen, zu bewegen, das Endspiel abzuschließen.    Bauer von Läufer gefesselt. Springer steht frei. König Schach gesetzt.    Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, machte Shikamaru seinen Zug und legte seinen Turm ab. Das endgültige Klack des lackierten Holzes ließ die Stille auseinander schnappen. „Schachmatt“, murmelte er.    Niemand sagte auch nur ein Wort.    Schweigen legte sich erneut über den riesigen Teehaus-Pavillon, in dem erwartungsvoll jeder Atem angehalten wurde.    Shikamaru hob den Blick zu dem langen, schmalen Gesicht des Mannes, gegen den er gespielt hatte und beobachtete die Fassungslosigkeit der Niederlage, die sich ein eine Falte nach der anderen über die breite, schimmernde Stirn zog. Der Taktiker rieb sich über seinen dichten, gelbbraunen Bart, zwickte seine Nasenflügel zwischen Daumen und Zeigefinger und schnaubte ein kurzes, ungläubiges Lachen in seine Hand, während er den Kopf schüttelte. „Fürwahr, Nogusa-sama, ich muss die Niederlage eingestehen“, gab der Mann zu, als sich seine Brauen hoben. „Einundzwanzig Jahre ein ungeschlagener Meister. Besiegt von einem Nara. Man kann mit Sicherheit sagen, dass du aus demselben Holz wie dein Vater geschnitzt bist, Shikamaru.“   Ein wenig von dem Shogi Spieltisch entfernt, setzte ein in kühle, lilane Seide gekleideter Mann seine Teetasse ab und klatschte. Der grasige Duft von Sencha schwebte mit dem tiefen Rumpeln seines Lachens herüber. Dieser Klang zog Shikamarus Blick auf sich und seine Aufmerksamkeit richtete sich flüchtig auf die beiden Ninja Wächter, die an beiden Seiten des Pavillons stationiert waren, bevor sie sich auf das raue, charismatische Gesicht des Daimyōs legte, der ihn zu sich gerufen hatte; derselbe Daimyō, gegen den sein Vater bereits vor zwei Jahrzehnten gespielt hatte.    Nogusa Yodo.   Der Kopf des Daimyō war glatt und haarlos wie der Schädel eines Mönches, doch seine Kahlheit wurde von einem ordentlich gestutzten, schwarzweißen Bart ausgeglichen. Seine Konturen waren grob und prominent, nur kräftige Neigungen und breite Ebenen. Aber seine Augen, tief eingefasst und von dichten Wimpern eingerahmt, waren bei weitem sein auffälligstes Merkmal, von der Farbe verblüffenden Himmelblaus eines Rotkehlcheneis und saßen wie Juwelen in dem kantigen, bronzenen Gesicht.    „Äußerst beeindruckend“, lobte Yodo, seine Augen von einem Leuchten erfüllt, das man wohl eher von einem Mann erwartete, der Sake statt Sencha trank. „Wer hat dir beigebracht zu spielen?“   „Mein Sensei“, antwortete Shikamaru.    „Und hat er dir auch beigebracht, so zu denken?“   „Wie?“   „Wie ein König und nicht wie ein Bauer.“   Shikamaru zögerte und sein Blick zuckte flüchtig zu Shin. Der Sohn des Daimyō saß mit überkreuzten Beinen und lässig an der entferntesten Seite des Pavillons; eine Position, die ihn außerhalb des Sichtfeldes seines Vaters hielt und ihn seltsam außen vor ließ. Bisher hatte Yodo noch kein Wort mit ihm gesprochen und aus welchem Grund auch immer schien der Daimyō dazu entschlossen zu sein, Shins Anwesenheit zu ignorieren – was seine Anwesenheit für den jungen Nara allerdings nur umso deutlicher machte. War aber keine schlechte Sache, wenn man die Anspannung bedachte, die in ihm brodelte und auf seiner Haut perlte. Es war schwül im Pavillon und die Sommerhitze stach in sengenden Strahlen durch die Bambushalme herein.    Seltsam, aber Shins Anwesenheit war wie eine kühle Brise gewesen, die die Hitze etwas abmilderte.    Während des ganzen Spiels hatte Shikamaru Shins Blick gespürt, der ihm beständig und ruhig folgte, ihm ein sonderbares Lächeln schenkte; das gelegentliche Nicken oder ein paar kleine, alberne Gesten dazu gedacht, die Spannung zu lockern.    Er bezweifelte stark, dass Genma so etwas getan hätte.   Scheiße, Genma war ja nichtmal hier.    Aber Shin schon.    Selbst jetzt suchte Shikamaru nach Bestätigung, Shins dunkle Augen trafen seine über die Distanz hinweg und funkelten mit vertraulicher Belustigung. Der junge Mann zwinkerte ihm in einer spielerischen Geste ermutigend zu, die den Strom in Shikamarus Kopf etwas ruhiger werden ließ – erinnerte ihn daran, einfach das Spiel zu spielen und die Aufführung durchzuziehen, statt sich um irgendeine politische Agenda zu sorgen.   Shins Mund formte die Worte: „Fast geschafft.“   Während er etwas Trost und Geborgenheit aus diesem Gedanken zog, wanderte Shikamarus Blick zurück zu Yodo – der auf eine Erwiderung zu warten schien. Der Schattenninja zuckte mit den Achseln. „Ist nur Taktik.“   „Ja.“ Yodo neigte den Kopf. „Und gerade hast du meinen besten Taktiker geschlagen, der vierzig Jahre älter ist als du.“   „Ich spiele nur das Spiel.“   „Um zu gewinnen.“   „Das ist Sinn und Zweck des Spiels, oder nicht?“   „Absolut, Shikamaru.“ Yodo griff nach seinem Tee und sah in den wabernden Dampf wie ein Zen-Meister, der über die Leere des Dunstes nachsann, über die Vergänglichkeit der Zeit. Es dauerte eine lange Sekunde, bevor er fortfuhr und seine Brauen zogen sich weich über seinen erstaunlichen Augen zusammen. „Leider mangelt es den meisten Köpfen an der Fähigkeit, sich im Einklang mit dem Spiel des großen Ganzen zu bewegen.“ Und hier wandte er diese Augen Shikamaru zu. „Aber ganz offensichtlich bist du nicht wie die meisten Köpfe, nicht wahr?“   Bei dieser Frage wurde Shikamaru regungslos, fühlte, wie sie wie ein Haken vor ihm hin und her baumelte und darauf wartete, ihn an Land zu ziehen. Er warf einen flüchtigen Blick auf das Shogibrett und versuchte, das Wesen dieses Spiels anhand der Züge zu erraten, die bereits gemacht worden waren.   Shin lachte leise und ergriff zum ersten Mal das Wort, seit er den Pavillon betreten hatte. „Bist du dir sicher, dass es nicht dein Vater war, der dir das Spielen beigebracht hat, Shika?“   „Das ist genug Gerede über den Vater“, befahl Yodo abrupt und seine Stimme trug dabei eine Kante in sich, die so scharf und vernichtend, dass sie sowohl die Frage, als auch Shin selbst im Keim erstickte.   Shins Kiefer verkrampfte sich bei dieser Zurechtweisung und ein angespanntes Lächeln zuckte an seinen Lippen. „Ich bitte um Verzeihung, Vater.“   Yodo versteifte sich angesichts des Titels und ein sonderbarer Tremor huschte heftig wie ein Krampf über sein Gesicht. Die Farbe wich aus seinem Gesicht, aus seinen Augen – ließ sie grau und äschern zurück. Ein plötzlicher Spasmus packte seine Finger, verkrampfte den Griff um die zarte Porzellantasse. Mit einem Klappern setzte er sie ab.    Ein Klappern…   Die Shogi Teile fielen zu Boden…   Sie verstreuten sich in die Schatten…in die Finsternis…   Die Finsternis, die lachte…    Die Finsternis, die spottete…   Die Finsternis, die seine Teile immer weiter außer Reichweite bewegte…außer Erinnerung…   Die Erinnerung erlosch und ließ nur eine weitere Lücke zurück, eine weitere gähnende Spaltung zwischen der Vergangenheit und Gegenwart.    „VERDAMMT SEIST DU!“, knurrte Shikamaru und drehte körperlose Kreise in einer See aus Schatten. „Hör endlich auf, meinen Kopf abzufucken! Wenn du mir etwas zeigen willst, dann ZEIG es mir einfach.“   „Na sieh mal einer an, wem endlich ein Paar Eier gewachsen sind…“, triezte die Finsternis, wenn auch nicht ohne den Hauch von Respekt. „Zwei Jahre des Wegrennens und jetzt jagst du endlich dir selbst nach. Du willst es wirklich sehen, huh? Du willst wirklich wissen, wie tief das alles geht?“   Zögern. Beinahe sofort spürte Shikamaru, wie die unfassbare Hitze seines Zorns schwand, seine Instinkte schrien und zurück rannten in die kalten Klauen der Angst.    „Tz. Und da bist du wieder. Immer so verfickt vorhersehbar. So verfickt schwach. Immer enttäuschst du mich. Jedes verdammte Mal.“ Eine Pause; so plötzlich, so ruhig, so absolut still, dass als die Finsternis erneut sprach, ihre Stimme die schiere Definition von Klang war und vollkommen absolut. „Tja, diesmal nicht, ‚Shika‘. Diesmal wirst du nicht meine Schatten benutzen und den Ton angeben. Du willst wissen, wovor du Angst haben solltest? Lass mich dir einen Gefallen tun und dich daran erinnern, warum das nicht ICH bin.“   Shikamaru hatte keine Kraft, zu rennen und selbst wenn er sie hätte, er hätte nicht losstürzen können, hätte nicht kriechen können, hätte überhaupt nichts tun können, außer paralysiert dazustehen – nein, nicht paralysiert, denn Teile von ihm bewegten sich, als würden sie von der Macht des Schattenbesitzes dazu gezwungen…   Seine Hände bewegten sich…   Streckten sich aus…   Holten diese verstreuten Teile zurück…   Holten das zerbrochene Spielbrett zurück…   Holten die Erinnerungen einen Zug nach dem anderen zurück…legten all die Teile aus…drehten das Brett…das Brett…das Brett…   „Das war mal ein Spiel, junger Nara“, sagte der Taktiker mit den gelbbraunen Haaren, während er sich das tragbare Shogi Spielbrett gegen die Brust drückte. „Ich muss sagen, dass es mir eine Ehre war, gegen Nara Shikakus Sohn zu spielen. Es war eine große Enttäuschung, als dein Vater unser Angebot abgelehnt hat, dem Land der Verschlungenen Wurzeln zu dienen.“   Das war jetzt wirklich unangenehm.    Danke, Dad…   Shikamaru brachte ein Lächeln zustande, während sein Hirn raste, um eine Antwort zusammenzusetzen, bei der beide Seiten das Gesicht wahrten. „Ich kann nicht für meinen Vater sprechen, aber ich bin mir sehr sicher, dass er von politischer Gefolgschaft stark unter Druck gesetzt war. Konoha dient einem anderen Feudalherren, weswegen mein Clan dem Feuer-Daimyō verpflichtet ist.“ „Ah, ja, natürlich.“ Der Taktiker hielt inne, als ein schmeichelndes Lächeln seine dünnen Lippen umspielte. „Weißt du, der Feuer-Daimyō mag ja vielleicht ein Auge auf dich geworfen haben, aber das Angebot unseres Daimyōs wird dir wie angegossen passen. Erinnere dich an meine Worte. Du bist aus demselben Holz geschnitzt, Shikamaru. Du und dein Vater, solltet ihr jemals grünere Wiesen suchen, dann werdet ihr im Bankon no Kuni immer willkommen sein.“   Shikamaru neigte den Kopf und versuchte sich an einem weiteren Lächeln. Energisch suchte er sein Konto höflichen Bullshits nach den nächsten diplomatischen Worten ab, die er sagen könnte, aber der Anstand ließ unter dem Druck rasch nach. Der Taktiker war immerhin nicht der Einzige, der ihn ins Visier genommen hatte.   Scheiße, gönnt mir doch mal `ne Pause.   Nicht einmal ein kurzes Luftholen. In der Sekunde, als er aus dem Pavillon getreten war, hatten die Leute begonnen, ihn zu bedrängen; Ratsmitglieder und Vermittler, die alle nach seiner Aufmerksamkeit verlangten, ihm Einladungen und Vorladungen entgegenstreckten, ihre Augen glimmend mit Intrige und düster vor Absicht.    Es war erstickend.   Schlimm genug, dass die Hitze inzwischen auf kritische Grade geklettert war und jeden Quadratzentimeter seiner freigelegten Haut röstete. Ganz anders, als die trockene Wüstenhitze des Landes des Windes, hing die nasse tropische Feuchtigkeit von Kusagakure so schwer über allem, dass sich Atemholen anfühlte, als würde man Luft durch ein nasses Laken ziehen.    Ich muss verfickt nochmal raus hier…   Panik begann, sich festzusetzen. Er hatte keine Ahnung, welchem Ausweg er sich zuwenden sollte. War sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt schon angemessen entlassen worden war. Nogusa Yodo war wegen irgendeines seltsamen Problemchens mit seiner Gesundheit weggebracht worden, was Shikamaru der Gnade der Wölfe überlassen hatte, die ihre Schafspelze aufgegeben hatten und jetzt ihre politischen Intentionen deutlich machten, indem sie nach seinen Hacken schnappten und jeden seiner Versuche verfolgten, sich zurückzuziehen.    Bleibt weg von mir. Bleibt weg von mir. Bleibt WEG von mir.   Doch das würden sie nicht.    Schweiß bedeckte Shikamarus Körper in einem feinen, schimmernden Film und klebte seine Kleidung an seine Haut. Und trotzdem drückte sich der Kreis aus Ratsmitgliedern immer näher gegen ihn wie ein Schwarm habgieriger Krähen, die darauf aus waren, sein Hirn auseinander zu picken.    Der braunhaarige Taktiker packte seinen Arm und versuchte, ihn zu einem schattigen Plätzchen zu treiben.    Panisch und vielleicht auch ein wenig angepisst, wegen all dieser groben Behandlungen, drehte sich Shikamaru aus der Umklammerung frei und wich rückwärts gegen eine Wand zurück. Nein. Keine Wand. Ein fester Körper.    Ein Paar starker, eleganter Hände legte sich auf seine Schultern und drückte langsam und zaghaft. Sie beruhigen all die zitternden Wellen in seinem Körper zu einem sofortigen Stillstand. „Brauchst du einen Ausweg, Shika?“   Shins Stimme war eine kühle Brise über die Hitze und Shikamaru stieß einen erleichterten Atem aus, während sich die Anspannung aus seinem Körper löste und er mit einem schiefen Lächeln über die Schulter spähte. „Ist das ein ehrliches Angebot, oder eine Fangfragen-Einladung? Denn das ist gerade ziemlich schwer zu sagen.“   Shin lächelte dieses langsame, geheimnisvolle Lächeln und ließ es zu einem ausgewachsenen Schmunzeln erblühen, das einen seltsamen Aufruhr in Shikamarus Magengegend auslöste. Dieselbe Art von Aufruhr, die er auch im Tekisha Seizon gespürt hatte, als er ein bisschen zu tief und ein bisschen zu lang in diese dunklen, hypnotischen Augen gesehen hatte.    Da sie sein Unbehagen missverstanden, drückten diese langfingrigen Hände noch einmal zaghaft zu, während die Daumen kleine Kreise rieben. „Ich denke, dass unserem jungen Nara genug Angebote für einen Tag gemacht wurden, oder nicht, Konzil?“ Shins scharfe, dunkle Augen schnitten wie ein Säbel über die Meute aus Ratsmitgliedern und die Männer wichen zurück, als hätte dieser einzige Schwung seines Blickes die Macht, all ihre Köpfe rollen zu lassen.    Scheiße, vielleicht HAT er diese Macht…   Zu sehen, wie schnell sich die Menge zurückzog, ließ wenig Zweifel darüber in Shikamarus Verstand zurück, dass Shin einen bedeutenden politischen Einfluss besaß – obwohl das nicht erklärte, warum Yodo ihn mit solch offensichtlicher Abneigung, solch brüsker Zurückweisung behandelt hatte, indem er ihn in den hintersten Winkel des Pavillons verbannt hatte, als wäre er ein Diener und nicht sein Sohn; ein Zug, der eigentlich einen enormen Gesichtsverlust für Shin hätte nach sich ziehen müssen.    Nur ist das nicht der Fall…die Ratsmitglieder kommen ihm auch nicht ansatzweise in die Quere…   Scheiße, sie konnten ja kaum seinem Blick begegnen.    Da er sich fragte, ob Katsu diese sonderbare Interaktion mitbekommen hatte, suchte Shikamaru nach dem Ninja Wächter. Er fand ihm am entfernten anderen Ende der Gärten, wo Yodo gerade auf eine Sänfte gehoben wurde.    „Ich weiß ja nicht wie es dir geht“, murmelte Shin plötzlich und seine Aufmerksamkeit wanderte in die Richtung seines Vaters, als er sprach. Seine schwarzen Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, als würde er in die Sonne blicken. „Aber durch diese Art politischen Schwachsinns fühle ich mich immer schmutzig.“ Er hob seine Hände von Shikamarus Schultern und berührte sanft den Ellbogen des Schattenninjas, während er die Stufen des Pavillons hinunter auf einen rotweißen Kiesweg schritt. „Lass uns hier verschwinden.“   Da er spürte, dass die Meute nur auf eine Gelegenheit wartete, sich wieder auf ihn zu stürzen, stürzte sich Shikamaru seinerseits auf diese Einladung und drehte sich rasch, um Shin zu folgen. In seinem Hinterkopf warf ihm eine gluckende Stimme vor, Schulschwänzer zu spielen.    Mist. Vermutlich sollte ich lieber zurück gehen…   Jo, für eine Runde ‚Senbons ausweichen‘ mit seinem Shiranui Senpai. So scharfzüngig Genma auch war, der Tokujō kam Shikamaru nicht wie die Art Vorgesetzter vor, der es auf einer ranghöheren Gardinenpredigt beruhen lassen würde. Er schien eher der praktische, kompromisslose ‚ich prügle dich zum Gehorsam‘ Typ zu sein. Was war es noch gleich, was er immer wieder sagte? Handlung über Worten? Den Worten Taten folgen lassen? Scheiß auf die Karotte, nutz den Stock – oder in Genmas Fall, das verfickte Senbon?    Wie lästig.   Es gab etwas darüber zu sagen, das Unvermeidbare hinauszuzögern – etwas, das sehr wie die nächsten Worte klang, die Shins Mund verließen: „Sag mal, hast du Lust auf eine weitere Runde Shogi? Also ohne diese politische Agenda natürlich."   Blinzelnd verlängerte Shikamaru seine Schritte, um etwas weiter aufzuholen. „Du spielst auch Shogi, huh?“   Als er den Kopf drehte, musterte Shin die langen, fließenden Schritte von Shikamaru und spähte kurz über seine Schulter zurück zu dem Pavillon, bevor sie beide außer Sichtweite verschwanden. „Als ich jünger war, habe ich es die ganze Zeit gespielt“, gestand er und führte sie durch die Stille eines symmetrischen Zen-Gartens. „Aber nachdem ich gegen deinen Vater gespielt habe, ließen alle anderen Gegner zu wünschen übrig und erschienen mir unterbelichtet.“   Stolpernd blieb Shikamaru auf einer Zickzackbrücke stehen und seine Augenbrauen schossen nach oben. „Du hast auch gegen meinen Vater gespielt?“   Ein paar Schritte vor ihm hielt Shin ebenfalls inne und sah hinaus auf die schwarzen, vulkanischen Felsen, die in polierten Scherben aus den Seen wirbelnden Ockersandes und zermahlener Muscheln aufragten. Die geharkten Oberflächen glühten weiß unter der sengenden Sonne und zwangen ihn, gegen das grelle Licht anzublinzeln. „Ich habe dreimal gegen deinen Vater gespielt“, gestand er und ein schwaches, sanftes Lächeln zupfte dabei an seinen Lippen. „Shikaku war außergewöhnlich. Niemand hat mir jemals so eine Herausforderung geboten, abgesehen von einer einzigen anderen Person. Er war immer mit von der Partie; Shikaku. Hat mich niemals enttäuscht.“   „Sekunde mal“, unterbrach Shikamaru ihn und hob seine Hände, um die Erzählung anzuhalten, während er versuchte, aus der Zeitachse schlau zu werden. Er warf Shin einen fragenden Blick zu. „Wie alt war mein Dad, als du gegen ihn gespielt hast?“   „Ich habe mich schon gefragt, wann du zu diesem Punkt kommen würdest. Er war um die achtzehn damals.“    Shikamarus Augen traten beinahe aus ihren Höhlen. „Was? Und wie alt warst du dann?“   „Zwanzig.“   Shikamaru ließ das kurz sacken – und dann lachte er kopfschüttelnd, um seine Skepsis zu verbergen. „Nein. Auf keinen Fall bist du älter als mein Dad.“ Shin sah aus, als wäre er gerade einmal in seinen frühen Zwanzigern; vielleicht noch den späten Zwanzigern, wenn man es wirklich darauf ankommen lassen wollte. Shikamaru musterte ihn mit zusammengezogenen Augen und versuchte, nicht existente Falten oder Anzeichen der Alterung in den Fokus zu bringen, die einfach nicht da waren. „Wie zur Hölle sollst du denn in deinen Vierzigern sein?“   Belustigung erhellte Shins Augen und sein Lächeln wurde breiter. Er nahm das Schlendern wieder auf und führte sie weiter den Pfad entlang. „Sagen wir einfach, dass ich ziemlich interessante Gene habe.“   Sag bloß, dachte sich Shikamaru, während er immer noch darum kämpfte, sein Erstaunen zu überdecken, bevor es lawinenartig in Peinlichkeit umschlagen konnte. Ganz offensichtlich schlugen ‚interessante Gene‘ sogar ein Henge Jutsu wie das, das Tsunade-sama nutzte, um ihre jugendliche Erscheinung aufrecht zu erhalten.    Gene, huh?    Besagte Gene mussten eine Generation übersprungen haben, denn Nogusa Yodo sah jedes Bisschen nach den dreiundsechzig Jahren aus, die er alt war. Obwohl, wenn er jetzt so darüber nachdachte, wies Shin keine wirkliche Ähnlichkeit zu seinem Vater auf.    Eher die mütterliche Seite, vielleicht?   Shin strich mit einer Handfläche über ein moosbedecktes Becken, als sie unter dem Schatten eines großen Terrakotta Torii Tores hindurchschritten und spähte hinüber zu Shikamaru. Eine seiner dunklen Brauen hob sich angesichts des Schweigens des Nara. „Ah. Das wundert dich jetzt, huh?“   „Ein bisschen“, gestand Shikamaru und versuchte, sein Interesse aus Höflichkeitsgründen hinunter zu spielen. Sollte Alter eigentlich nicht eins dieser Dinge sein, die man in einer Unterhaltung einfach übersprang? Er war sich ziemlich sicher, dass das auf die Liste der Tabuthemen gehörte und in etwa auf gleicher Höhe mit Religion und Politik rangierte.    „Ich fühle mich nicht beleidigt, weißt du“, sagte Shin und las seine Gedanken mit erstaunlicher Genauigkeit. „Wie ich dir vorhin schon gesagt habe. Nichts, was du sagst, könnte mich beleidigen. Das ist etwas, worum du dir bei mir niemals Sorgen machen musst, Shika. Wenn du mich irgendetwas fragst, dann werde ich dir immer wahrheitsgemäß antworten.“   Versuchung, was?   Shikamaru grübelte und scharrte mit den Füßen über den glatten Kies, als sie zu einer kleinen, dekorativen Gartenlaube kamen, die nach außen in den Steingarten zeigte. Genagelt an eine der goldblättrigen Säulen hing eine holzgeschnitzte Tafel, die mit SHIJINJUU-EN betitelt war.    Garten der Vier Göttlichen Bestien.   Shin strich mit den Fingern über die Tafel, folgte der eingeritzten Topographie bis zu dem Punkt, an dem sie sich gerade befanden und wanderte über; Kirin-en, der Kirin Garten; Hō-ō-en, der Phönix Garten; Tatsu-en, der Drachen Garten, bevor er auf den Bereich tippte, der Komainu-en hieß, der Löwenhund Garten.    „Da“, zeigte Shin und deutete auf die beiden Bronzestatuen am anderen Ende des Steingartens.    Nebeneinander stehend bewachten die Komainu den Eingang zu einem kleinen Schrein und flankierten die vergoldeten Türen. Hoch stilisierte, beeindruckende und respekteinflößende Skulpturen, ihre Steinmähnen wogten in geometrischen Wolken um sie herum und ihre massiven Vorderpfoten bogen sich um gigantische Perlen, die mit einem spektralen Licht glühten.    „Die Komainu sind wahrscheinlich meine liebsten“, erzählte Shin ihm. „Sie kommen immer in Paaren. Mein Vater meinte immer, Dualität wäre ein viel zu menschlicher Zustand. Eine Strafe, die der göttlichen Bestie auferlegt wurde.“ Schnaubend lehnte er sich gegen eine der Säulen. „Aber nur im anderen können wir uns wirklich selbst verstehen. Könntest du dir denn vorstellen, bis ans Ende aller Tage allein Shogi zu spielen? Es ist für zwei Köpfe gedacht, zwei Spieler. Genau wie das Leben.“   Interessante Analogie…   Und eine, mit der sich Shikamaru identifizieren konnte. Unweigerlich kehrten seine Gedanken zu Shins vorheriger Erwähnung eines anderen Spielers zurück, eines anderen Gegners. Er spürte, dass das ein Gebiet war, das man besser in Ruhe ließ. Es klang seltsam fragil, wie Staub auf einer Erinnerung.    Und genau wie bei Staubkörnern, die in das Licht hinein und wieder hinaus glitzerten, wurde Shikamarus Aufmerksamkeit von dieser Faszination angezogen, die in der Obskurität Funken schlug, die diesen Mann umgab. Faszination, Intelligenz, Unergründlichkeit; all das waren die Schatten, die tief in Shins Augen wogten, wann immer sich ihre Blicke begegneten – und Shikamarus Neugier war weit stärker als seine Vorsicht.    ‚Nichts, was du sagst, könnte mich beleidigen.‘   Nun, er würde herausfinden, ob das stimmte. Während er sich etwas seitwärts bewegte, lehnte sich Shikamaru gegen die angrenzende Säule und folgte Shins Blick hinaus über den Steingarten. „Wer war der andere Spieler, den du erwähnt hast?“   Ein leises Seufzen und Shins Wimpern senkten sich für einen Moment tief über seine Augen, seine Stimme nahm eine schwere, wehmütige Qualität an, die die Luft mit Wirbeln aus Emotionen aufwühlte, die viel zu schleierhaft und undurchsichtig waren, als dass Shikamaru ihre Bedeutung hätte erfassen können. „Meine Schwester“, murmelte er. „Sie ist gestorben.“   Verdammt. Was zur Hölle sollte man als Erwiderung darauf sagen? Shikamaru verzog leicht das Gesicht und holte unbehaglich Luft. „Tut mir leid.“   Shin nahm die Kondolenz respektvoll an und überraschte Shikamaru dann mit dem Flackern eines Lächelns, während er den Schattenninja aus dem Augenwinkel musterte. Er summte und nickte leicht. „Sie hätte dich gemocht. Wie sie auch deinen Vater gemocht hat. Es hat ihr Spaß gemacht, uns bei unseren Partien zuzusehen.“   „Achja? Hat sie jemals gegen ihn gespielt?“   Langsam schüttelte Shin den Kopf. „Gegen ihn? Nein. Sie hat nie die Chance dazu bekommen.“ Als er etwas nach vorn schaukelte, wandte er sein Gesicht der glühenden Hitze zu und das Sonnenlicht polierte dabei den Schweiß auf seiner Haut auf Hochglanz. „Eine Schande. Ich hätte es gemocht zu sehen, wie sie ein paar Runden mit dem berühmten Nara Shikaku schlägt. In dieser Hinsicht hatte ich wirklich Glück.“   Ein offensichtlicher Köder, aber Shikamaru hatte nichts dagegen, anzubeißen. Es schien, als würde Shin keine normalen Unterhaltungen führen – es war mehr eine Art verbales Schachspiel. Der Gedanke ließ Shikamaru leicht schmunzeln und er erwärmte sich immer mehr für die Andeutung einer weiteren Partie. „Okay. Also was war euer Ergebnis bei diesem Endspiel?“   „Zwei zu eins.“   Dachte ich mir…   Obwohl er sich die Antwort denken konnte, fragte Shikamaru aus Höflichkeit: „Und wer hat gewonnen?“   „Ich.“   Schachmatt. Fassungslos traf Shikamarus Hirn krachend auf eine Mauer. Er blinzelte weitäugig und sein Mund bewegte sich wortlos, bevor er es dann doch irgendwann schaffte, die Worte auszusprechen. „Du hast meinen Dad im Shogi geschlagen?“   Shin lachte auf; und es war ein tiefer, reichhaltiger Klang, der schon wieder diese Seltsamkeit in Shikamarus Magengegend auslöste. „Hey, versteh das jetzt bloß nicht falsch. Bei der letzten Runde waren wir verdammt kurz vor einem Remis. Das waren sehr lange und intensive Partien.“   „Warte, ich häng immer noch bei der Punktetafel fest“, gestand Shikamaru und lachte ein bisschen, um sich von dem Schock zu erholen. „Du hast meinen Dad geschlagen; zweimal?“   Abrupt nahm Shins Lächeln eine sonderbare, fast schon triste Gestalt an. Seufzend griff er mit einer langen, eleganten Hand nach oben und fuhr sich mit den Fingern durch sein rabendunkles Haar, um blauschwarze Strähnen von seiner feuchten Stirn zu schieben. „Du lässt es genau so klingen, wie ich es fühlen wollte. Wie einen Sieg. Wie einen Triumph.“   „War es das denn nicht?“, fragte Shikamaru ehrlich perplex. Er war nicht gerade die ausdrucksstärkste oder die am leichtesten zu beeindruckende Person, aber Scheiße, sollte er es jemals schaffen, seinen Dad im Shogi zu schlagen, dann würde er eine Faust in die Luft schleudernde Akrobatik mit genug jugendlichem Enthusiasmus abziehen, dass es Gai-sensei zu Tränen rührte…vielleicht sogar auch Asuma, aber das aus weit peinlicheren Gründen. Bei dem Gedanken schmunzelte er leicht und musterte Shin aus dem Augenwinkel. „Will ja nicht übermäßig stolz oder überschwänglich klingen, was meinen Dad angeht…es ist nur, dass ich absolut niemanden kenne, der ihn jemals geschlagen hat und -“   „Exakt“, unterbrach Shin ihn mit plötzlicher Emotion und seine Stimme stockte wie ein Schluckauf in seiner Kehle. „Das ist ganz genau der Punkt, Shika.“ Sein Blick schien noch intensiver zu werden und diese scharfen, dunklen Augen fingen das Licht ein wie Scherben aus vulkanischem Glas, die in die Sonne gehalten wurden.    Aufgeschreckt von dieser starken Gefühlsregung, stierte Shikamaru ihn an, eingefangen und vielleicht sogar ein bisschen verzaubert von der schlagartigen Veränderung, die sich über Shins viel zu ruhigen Blick legte.    „Es war berauschend“, hauchte Shin mit weiten Augen und starrend; ohne Zweifel in diese Zeit zurückblickend, zurück zu dem Ort, zurück zu dem Spiel. „Dein Vater war der beeindruckendste Spieler, dem ich jemals begegnet bin. Wie ich vorhin schon gesagt habe, nachdem ich gegen Shikaku gespielt habe, musste ich feststellen, dass ihm nicht ein einziger anderer Gegner das Wasser reichen konnte…Götter, sie waren wertlos…“ Für eine Sekunde brach er ab, die Muskeln in seinem Kiefer zuckten heftig und eine offensichtliche Frustration zerrte an seinen Augenwinkeln. „Er hat angefangen, meine Züge auf eine Weise zu lesen, die weit über Strategie hinaus ging und auch über Intelligenz…es wurde instinktiv, fast schon intim.“ Hier machte er eine Pause und sah mit einer Direktheit zu Shikamaru, die zu seinen Worten passte; als würde er den jungen Nara dazu herausfordern, vor der Hitze in seinen Augen zurückzuschrecken, der angemessenen Verlegenheit nachzugeben und vielleicht sogar Abscheu.    Aber Shikamaru schreckte nicht zurück. Und wenn er überhaupt irgendetwas nachgab, dann war es nicht Verlegenheit oder gar Abscheu…es war eine starke und plötzliche Regung…   Eine Regung in seinem Körper, in seinem Hirn, in seinem Blut.   Wäre er irgendwo anders gewesen, mit irgendjemand anderem, dann wäre er sofort zurückgezuckt…denn jeder normale fünfzehnjährige Jugendliche hätte sich unbeholfen gefühlt, peinlich berührt und unbehaglich. Aber Shin sprach nicht mit ihm, als wäre er ein normaler Jugendlicher – und in diesem Augenblick fühlte sich Shikamaru auch ganz sicher nicht wie einer.    Das ist falsch…   Die Stimme war so schwach in den hintersten Winkeln seines Verstandes, dass er sie über das Hämmern in seinem Blut kaum hören konnte. Shins schwarzer, bohrender Blick sandte ein dunkles Schauern der Wahrnehmung über Shikamarus Wirbelsäule und seine Nerven zogen sich in Erwiderung straff, als hätte Shin die Distanz geschlossen, ohne sich überhaupt zu bewegen. Denn das hatte er nicht. Er verharrte vollkommen regungslos, vollkommen statuenhaft, seine tiefen, schwarzen Augen verschärften sich auf Shikamaru wie in Wiedererkennen…wie in…   Wie in was?   Eine schwere Stille senkte sich zwischen ihnen, angefüllt mit der Dichte der wachsenden Schwüle, der wachsenden Spannung, der wachsenden Wahrnehmung, die sich zwischen ihnen ausbreiteten. Shikamaru spürte heiße Linien aus Schweiß; sie rannen seinen Hals hinab, seinen Rücken hinab, die straffen Muskeln seiner Waden hinab. Er war angespannt, als würde er jeden Moment los spurten, aber er stand da wie gebannt, gefangen von einer unbeschreiblichen Empfindung, einem unerbittlichen Griff.    Und dann blinzelte Shin sanft, bevor sein Blick zurück in unergründliche Dunkelheit glitt und Shikamaru zuwinkte, zu folgen. „Ich habe seit einundzwanzig Jahren nicht mehr Shogi gespielt, Shika“, murmelte er mit der Weichheit eines Geständnisses, während er diese Silben erneut mit einem Lächeln aussprach, das beinahe sinnlich war. „Was sagst du? Immer noch mit von der Partie, Kleiner?“   Es war nicht der ‚Kleine‘ in Shikamaru, der auf diese Frage reagierte. Es war etwas anderes. Ein Aufruhr, eine Neugierde, eine Faszination für die Funken in diesen lichtlosen Augen…   Da ist etwas in diesen Schatten…   Etwas, das rief…etwas, das wisperte…und es wisperte ja- „Ja“, sagte er. „Ich bin mit von der Partie.“     __________________________ Hey meine Lieben :)  So, Neji wird auf jeden Fall von immer mehr Zweifeln geplagt, ich hoffe, man merkt, dass er zumindest nicht mehr ganz so mega überzeugt ist von seinem ANBU Weg und dass er sich sehr um Shikamaru sorgt. :)  Ja und Shikamaru, hier erfahren wir wieder etwas mehr über das, was vor zwei Jahren passiert ist, ich bin schon gespannt, was ihr dazu sagen werdet, denn viele von euch hatten ja erwartet, dass das eine Falle ist und Shikamaru nicht zu einem Shogi Spiel eingeladen wurde ;)  Würde mich auf jeden Fall wieder sehr über ein paar Worte von euch freuen! Vielen vielen Dank natürlich wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!! Scatach Kapitel 37: A place long lost to dust and time ---------------------------------------------- Ibiki stand im Zentrum des winzigen Krankenzimmers und war erstaunt darüber, wie ein so kleiner Raum so ein riesiges Desaster einnehmen konnte. Sechs uniformierte F&V Chūnin lagen ausgestreckt auf dem Boden…ausgeknockt und schlafend wie gottverdammte Babys. Was die Liege anging? Leer. Kein Zeichen von Kakashi – der eigentlich die einzige Person hätte sein sollen, der ein paar Schäfchen zählte.    Das passiert, wenn man einen Wolf einsperrt…   Und wenn man unterbesetzt und einem das Glück ausgegangen war. Ibiki schüttelte den Kopf. Wie viele Dellen würde das Schicksal denn noch in das dicke Fell seines beschissenen Tages schlagen?   „Bei Buddhas blutigen Eiern“, raunte Ibiki, während er rückwärts aus dem Raum lief.    Die drei Chūnin, die an seinen Fersen gewartet hatten, wichen zurück, um eine Kollision zu vermeiden und tauschten nervöse Blicke aus. Grünschnäbel. So viele gottverdammte Grünschnäbel in diesem Gebäude. Ibiki konnte Grünschnäbel in etwa so gut brauchen wie einen Tritt in die Eier – obwohl er sich fühlte, als hätte er bereits zwei Schläge unterhalb der Gürtellinie eingesteckt; der erste war, als er von Inoichi von Naoki erfahren hatte; und er zweite, als er Shikamarus Akte in die Finger bekommen hatte.    Geh zu den Ältesten, drängte sein Hirn erneut. Geh jetzt.   Adrenalin pumpte, der Cortisolspiegel schoss in die Höhe und Ibiki hielt seinen Atem für ein paar Sekunden an. Er handelte niemals aus Impuls. Ungeduld war nicht zu akzeptieren. Sie ebnete den Weg für Fehler.    Wie diesen hier.   Kakashi. Gott. Er hätte sich selbst um den Kopierninja kümmern sollen, statt diese Sache den stümperhaften Händen der neuen F&V Rekruten zu überlassen. Eine weitere losgelassene Kanone. Eine weitere Fehlzündung, die nur darauf wartete, einzutreten. Dieses nicht tolerierbare Empfinden von Dringlichkeit kam wieder und kratzte hart gegen die Zahnräder in seinem System.    Diese Scheiße ist nicht wieder auszubügeln…   Oder vielleicht doch. Wenn sie Kakashi rechtzeitig schnappten, dann könnte es vielleicht einen Weg geben, die katastrophalen Szenarien zu vermeiden, die durch Ibikis Verstand rollten.    Zumindest haben wir immer noch Genma.   Ibiki hörte, wie die Grünschnäbel hinter ihm von einem Fuß auf den anderen traten, auf Befehle und Anweisungen warteten und Zeit verschwendeten. Ibiki vollführte eine Vierteldrehung zu ihnen, seine Stimme gefährlich leise. „Statt hier mit euren Schwänzen in der Hand rumzustehen, wie wäre es, wenn ihr euch der Suche anschließt, um Hatake Kakashi zu überwältigen und festzuneh-?“   Eine Reihe aus scharfem Bellen explodierte den Korridor entlang.    Als er den Kopf drehte, fing Ibiki das Aufblitzen grauweißen Fells auf, das einen der gegenüberliegenden Gänge hinab raste und verschwand wie eine silberne Kugel, der eine Gruppe aus Chūnin direkt auf den Fersen war.    Kakashis Ninken?   Sirenen begannen zu schrillen.    Sprinkleranlagen aktivierten sich und benebelten die Korridore mit einem feinen Regen, während Notfalllampen ansprangen und in einem wilden, scharlachroten Pulsieren flackerten; der Feueralarm war in vollem Gange. Leute begannen, aus den Räumen zu strömen und verstopften die Gänge, was die Suchbemühungen erheblich verlangsamte.    Ah, Kakashi. Du cleverer Hurensohn.    Kein Feuer, nur heiße Luft und Rauch. Eine Zerstreuung. Eine Ablenkung. Eine weitere Delle im brennenden Hintern von Ibikis wirklich beschissenem Tag. Aber das Universum war noch nicht am Ende, ihn fertig zu machen. Denn in der Sekunde, als ihm die Richtung bewusst wurde, aus der Kakashis Hund gekommen war, setzte Panik sein Netzwerk in Brand.    Ostflügel des Gebäudes…   Iibikis Augen flogen weit auf.    Genma.   Oh FUCK.   Fluchend stürzte sich Ibiki in einen Spurt und mähte jeden nieder, der töricht genug war, sich nicht sofort zur Seite zu bewegen. „RIEGELT DIESES VERFICKTE GEBÄUDE AB!“, brüllte er, indem er seine Stimme über die ohrenzerfetzenden Sirenen hob. „UND STELLT DIESES GOTTVERDAMMTE ALARMSYSTEM AB!“   Finster stierte er über seine Schulter, während Wasser die wilden Konturen seines Gesichtes hinab rann und er mit einem Finger zu den drei Grünschnäbeln stach. „Ihr drei, kommt mit mir mit, JETZT!“   Er wartete nicht darauf, zu sehen, ob sie ihm folgten. Mit der Schulter rammte er F&V Personal, Angestellte, Mediziner und noch mehr gottverdammte Grünschnäbel aus dem Weg, verbrannte die Sekunden in einem Sturmlauf. Wie eine schwarze Kanonenkugel schoss er die Gänge entlang, bewegte sich gegen den Strom, mied Feuertreppen, wo sich verwirrte F&V Mitarbeiter sammelten.   Er hat nur einen Ausgang.   Ibiki rannte schnurstracks darauf zu und hielt gerade lange genug inne, um die Tür zu Genmas Zimmer auf zu werfen. Leeres Bett. Wie befürchtet. Ibiki bewegte sich schon wieder, als die F&V Grünschnäbel endlich zu ihm aufholten. Wasser lief seinen Mantel hinab und erfüllte die Luft mit einem silbrigen Sprühregen, als er eine weitere Ecke umrundete und auf dem glitschigen Boden zu einem abrupten Halt schlitterte.    „KAKASHI!“   Weit vor ihm, auf dem Weg zu der Sicherheitstür am anderen Ende des Ganges, erstarrte Kakashi.    Ibiki blinzelte durch den Dunst der Sprinkler und beobachtete, wie das Wasser in einem nebelhaften Schein von Kakashis Haar und Schultern abprallte. Der Kopierninja sah zu ihm zurück, die Augen zu Schlitzen zusammengezogen und das Sharingan glühte dabei roter als die Notfalllichter, die über seinem silbernen Kopf zwinkerten. Er neigte sich schwer auf eine Seite und lehnte sich stützend gegen die Mauer. Von Genma gab es keine Spur.    Die Sirenen verstummten. Die Sprinkler erstarben.    Aber die roten Lichter leuchteten weiter.    Und Kakashi starrte weiter, seine Brust bebend, während sich sein Körper mehr und mehr gegen die Wand lehnte.    „Kakashi“, rief Ibiki erneut und seine Stimme echote laut und tief in der akuten Stille. Er hielt seine Hand nach hinten und außen, um die Grünschnäbel davon abzuhalten, ebenfalls um die Ecke zu kommen. „Du brauchst medizinische Hilfe.“   Kakashis Brauen hoben sich trocken. „Ach, was du nicht sagst.“   Ibiki schnaubte und sie tauschten einen grimmigen Blick von Belustigung aus. Ah, morbider Humor. Etwas, das Kakashi mit Genma gemeinsam hatte. Es musste ein höllischer Lacher für sie gewesen sein, zu versuchen, aus dieser Scheißegrube einer Situation rauszukommen…und Ibiki hatte sich das für keinen der beiden gewünscht.    Und genau aus dem Grund, wird man nicht persönlich mit Kollegen.    Er hätte sich schlecht gefühlt. Aber das setzte Emotionen und Empathie voraus – und das war ihm beides ausgegangen. Das war schon seit Jahren so…und dennoch…dieses Geschwür aus Gefühlen brodelte noch immer in seiner Magengegend.    Kakashis silberne Brauen wanderten noch etwas höher. „Ich verblute einfach auf dem Boden, wie wär’s?“   Ibiki schaffte es, entschuldigend dreinzublicken und näherte sich ein paar Schritte, während er die Hände in einer Geste des Friedens ausbreitete, die von dem Kopierninja weder anerkannt, noch erwidert wurde. „Kakashi. Nichts was ich sage, könnte dafür sorgen, dass du verstehst.“   Ein winziges Stück hob Kakashi das Kinn in müder Zustimmung. „Ich weiß“, keuchte er. „Und es kümmert mich auch einen Dreck.“   „Es kümmert dich“, erwiderte Ibiki mit schmatzenden Stiefeln auf dem nassen Beton. „Viel zu sehr. Selbst als du noch bei ANBU warst, konntest du diesem Kunai nie vollständig ausweichen. Genauso wenig wie Genma. Das kam ihm teuer zu stehen. Und es wird dir teuer zu stehen kommen, wenn du ihn mir nicht übergibst.“   Summend flatterten Kakashis Wimpern und er rutschte ein bisschen weiter die Wand hinab, bis ein Knie auf dem nassen Boden aufschlug und eine Hand darauf klatschte, um sich abzustützen. „Ich hätte ahnen müssen, dass man mit dir nicht feilschen kann, Ibiki.“   „Diesmal nicht.“   „Nein“, stimmte der Kopierninja leise zu. „Diesmal nicht.“   Ibiki versteifte sich und seine Füße erstarrten mitten in einem Schritt. Etwas in Kakashis Stimme alarmierte ihn und machte ihn auf die Gefahr aufmerksam. Und das nur Bruchteile von Sekunden vor der haarsträubenden Statik. Seine Augen zuckten von dem klatschnassen Boden zu den Blitzen, die an Kakashis Fingerspitzen knisterten. SHIT.   Ibiki stieß ein fassungsloses, schnaubendes Lachen hervor. „Du Hurensoh-!“   „RAITON!“   Ibiki machte einen seitlichen Satz – es war nicht geplant und es war nicht schön, aber es rettete ihn vor diesem bösartigen Stromschlag. Er spürte das brutale Knacken und Platzen der Elektrizität, die an seinen nassen Stiefeln leckte ebenso wie die Statik, die seinen Hechtsprung befeuerte, als hätte man ihn physisch durch die Gegend katapultiert. Seitwärts krachte er durch eine Schranktür und donnerte in einen Stapel Hausmeistergerätschaften.    Besen zerbrachen und Kisten explodierten.    Die Welt wurde schwarz und zerbarst mit Sternen.    Aber Ibiki blieb nicht unten.    Vorwärts schwankend packte er den Türgriff und zerrte sich auf die Füße, während er seinen Körper aus dem Chaos hievte. Auf den Fußballen fing er sich im Türrahmen ab, ließ seinen Kopf ruckartig um die Ecke zucken; und sein Atem verließ ihn in einem langsamen, zornig überschäumenden Zischen.    Die Sicherheitstür baumelte in ihren Angeln.    Kakashi war fort…und Genma mit ihm.    ~❃~   Jemand wühlte in seinem Kopf herum. Oder vielleicht auch nur außerhalb davon…wollte Einlass…wollte Antworten. Und das auch noch hartnäckig. Und aggressiv. Zerrte an den Kanthölzern, die all die zerbrochenen Fenster in Genmas Verstand verrammelten. Fragen verkeilten sich wie Brechstangen, rissen, zerrten, ruckten an all den Nägeln, die er in die Erinnerungen gehämmert hatte, in die Vergangenheit.    „Sag mir, was ihm zugestoßen ist. Was dir zugestoßen ist. Zeig mir, was passiert ist.“   Inoichi. War es denn nicht schon schlimm genug, dass der Yamanaka in seinem Kopf war, jetzt wollte er auch noch die Falltür aufreißen, die zu Genmas Herz führte?   Nein.   Genma hatte angefangen, sich die Wände entlang zu tasten, hatte nach Rissen und Brüchen gesucht. Ihm entschlüpften Erinnerungen, entschlüpften Geheimnisse…er musste den Spalt verstopfen, der sich in seinem Kopf öffnete. Die Vergangenheit drängte sich durch die Hintertür; gierig nach den Skeletten, die in all den Schränken rasselten. Er konnte sie nicht rauslassen. Konnte sie nicht einlassen. Konnte nicht-   „Lass los, Genma. Lass los. Lass dich selbst diesen Ort verlassen.“   Kakashi. Wie zur Hölle konnte es sein, dass Kakashi in seinem Kopf war? War das ein Trick? Er presste sein Gewicht gegen die Tür, fühlte, wie sie nachgab und zuckte, als die Vergangenheit um Einlass kämpfte – oder vielleicht um einen Ausgang? Es war alles von innen nach außen gekehrt…von innen nach außen…wie so viel Müll…wie so viel Zeit…aber er konnte es nicht weggeben…wegwerfen…er hatte zu hart gearbeitet, um diese Geheimnisse zu bewahren, diese Versprechen.    Er konnte diesen Ort nicht verlassen. Konnte nicht gehen. Konnte nicht loslassen.    „Nein“, zischte er. „Nein.“   Keine Chance. Er musste diese Tür vernageln…fing an, die Dielenbretter heraus zu reißen und nutzte sie, um die Türschwelle zu verbarrikadieren und die Vergangenheit draußen zu halten. Senbons waren seine Nägel, Fäuste waren seine Hämmer. Der stumpfe Schlag seiner Knöchel rammte sich in Stahl. Spreißel, aufgerissenes Fleisch, abgeplatzte Knochen - BANG, BANG, BANG - und die Tür barst nach innen. So plötzlich, so schnell, dass Genma seine Hände nicht um die Kehle der Vergangenheit legen konnte, bevor sie ihn am Herzen packte und ihn direkt durch den Boden rammte, direkt durch die Falltür, direkt ins –   „Kein Problem im Paradies, Bruder, überhaupt kein Problem.“   Genma versteifte sich angesichts dieses zwielichtigen Schnurrens. Seine Augen wanderten zu den schiefen, gelben Zähnen, die in geschwärztem Zahnfleisch steckten. Dieses Speichellecker Feixen. Zumindest an dieses Grinsen erinnerte er sich. Dieses widerliche Strecken aufgeplatzter Lippen über abgeplatztem Zahnschmelz.    Kein Problem im Paradies…   Paradies. Tanzaku Viertel. Eine Hölle mit einem anderen Namen. Es war nur denen als Paradies bekannt, die ihre Flügel behalten hatten und wussten, wie man mit der ein oder anderen Droge hoch hinaus flog. Genma hatte sich diese Flügel im wahrsten Sinne des Wortes von seinem Rücken gerissen…aber scheinbar schwebten noch immer ein paar Federn seines früheren Lebens auf dem Wind.    Ja, und wie Yamori ihn kannte. Und Genma konnte sich sehr gut vorstellen, dass wenn er nur lange genug in diesem alten, ausgebrannten Winkel seines Verstandes herumwühlen würde, er das Gesicht dieses Bastards in der Asche begraben finden würde. Ein loses Ende aus einer verlorenen Vergangenheit. Ein Stück Müll, das der Feuersbrunst entgangen war, die Genma vor Jahren ins Rollen gebracht hatte.    Hn. Der Davongekommene…   Zeit, die Sauerei aufzuwischen. Nur konnte er das nicht tun, solange Shikamaru bei ihm war.    Ohne dem Nara Jungen auch nur einen Blick zuzuwerfen, riss Genma die Tickets aus Yamoris Fingern und drehte marginal den Kopf. „Shikamaru. Ich bin direkt hinter dir.“   Er musste es nicht als Befehl formulieren; Shikamaru war clever genug, um zu wissen, was Sache war. Der Schattenninja zögerte nur für einen kurzen Moment, bevor er voraus in das Tekisha Seizon ging, den Schwanz sprichwörtlich eingezogen. Gut. Denn ein Akt des Ungehorsams war gerade so viel, wie Genma tolerieren würde. Er brauchte es wirklich nicht, das Junior Nara Genie noch mehr Fragen über seine Vergangenheit stellte…oder Zeuge irgendwelcher Spuren davon wurde.    Yamoris Grinsen schnitt sich etwas tiefer. „Privatfete, Bruder?“   Genma erwiderte überhaupt nichts, sein Gehör auf das leise Schlurfen von Shikamarus leiser werdenden Schritten gerichtet. Fünf. Vier. Frei. Zwei. Ein-    Yamori bewegte sich. So verdammt schnell, dass er Genma beinahe erwischt hätte.    Beinahe.    Als Genma den Kopf zurückriss, erhaschte er nur eine halbe Sekunde, bevor er Yamoris Handgelenk mit seinem abfing, das Funkeln eines Klappmessers. Er drehte die gefangene Hand gegen den Uhrzeigersinn, bis das Gelenk nur ein Zucken von einem Brechen entfernt war.    Die Klinge fiel klappernd zu Boden.   Knurrend kickte Genma das Ding beiseite und rammte Yamori mit dem Gesicht voran in die unnachgiebige Backsteinmauer, hörte das befriedigende Knacken von Knorpel, als die knochige Nase unter dem Aufprall nachgab. Zur Anerkennung dieses schmutzigen Wiesels, gab Yamori nicht den geringsten Laut von sich. Kein Schrei. Kein Grunzen. Nicht einmal ein Gurgeln.   Genmas Augen verengten sich deswegen zu Schlitzen, aber er verschwendete auch nicht nur eine Sekunde, um sich darüber zu wundern. „Scheinbar erinnerst du dich nicht allzu gut an mich, Bruder“, murmelte er und riss dabei Yamoris Arm hinter seinem Rücken nach oben, nur kurz davor, ihn auszurenken. „Sonst wüsstest du es besser, als mit etwas Scharfem und Spitzem auf mich loszugehen."   Yamori drehte seinen Kopf gegen die Mauer und spuckte einen Klumpen schaumiges Blut aus, während er ein nasales Lachen ausstieß. „Wirst du mich abfackeln, wie du‘s mit Paradies gemacht hast? Lauter Feuer und Schwefel und im Kopf durchgeschmort. Nah, Mann. Die Scheiße, die du abgezogen hast? Dafür muss man schon ganz besonders irre sein.“   „Halt’s Maul“, knurrte Genma, während die Erinnerungen an diese Zeit in heißen Ausbrüchen aus Feuer und Rauch vor seinen Augen aufblitzten. Er konnte das schrille Schreien seines eigenen Lachens hören, seines eigenen Wahnsinns, wie er in seinem Kopf pulsierte.    „Ich erinner mich an diese Nacht, Bruder“, gackerte Yamori. „Der Engel der Hölle mit diesem Teufelsgrinsen? Wette, du holst dir nachts einen runter, wenn du daran denkst.“   Genma biss die Zähne aufeinander und nahm einen scharfen Atemzug durch die Nase. Er könnte diesem Kerl das Genick brechen; ein sauberes Schnappen. Niemand würde einen zwielichtigen Dealer aus einer schmuddeligen Seitengasse vermissen. Es würde niemanden kümmern. Die Frage war nur, wo die Leiche begraben? Einer der Gründe, weswegen er sich entschlossen hatte, den alten Drogenumschlagspunkt vor Jahren in die Luft zu jagen, war nicht einfach nur, weil er verrückt gewesen war, sondern weil der Gedanke einer Kremation für dieses Höllenhaus irgendwie passend erschienen war. Asche und Staub. Nichts mehr übrig, das noch brennen könnte. Nichts mehr übrig, das noch begraben werden könnte.    Ich hätte es alles verbrennen sollen…das ganze verdammte Viertel…   Irre Gedanken. Gefährliche Gedanken.    Yamori hustete einen weiteren Klumpen blutigen Speichels herauf. „Das war verfickt psycho, Mann. Ich wusst ja, dass du krank warst. Wusste, dass du krank warst, bevor du geflogen bist.“   „Halt verfickt nochmal die Fresse“, fauchte Genma und drückte Yamoris Gesicht noch fester gegen die Backsteine, während er den Arm so hoch presste, dass es einen gellenden Schrei aus jedem gerissen hätte, der Schmerzrezeptoren besaß.    Doch das kleine Wiesel lachte nur. „Komm schon, Mann“, triezte er, streckte den Hals und versuchte, über seine Schulter zu sehen, um Genmas Blick aus dem Augenwinkel aufzufangen. „Wirste mich nicht abfackeln? Ein Streichholz an meinem Arsch anzünden und zugucken, wie ich brenne? Haste es dir in dieser Nacht angeguckt? Yeah. Ich möcht wetten, dass du dir das angeguckt hast.“   Genma schluckte schwer. Es angesehen? Er hatte es gewollt. Er hatte in Flammen und Rauch aufgehen wollen. Er hatte seinen eigenen Suizid inszeniert, sein eigenes ruhmreiches Ende. Nur hatte Kakashi ihn das nicht tun lassen. Kakashi hatte ihn da raus gezerrt. Manchmal träumte Genma immer noch davon…fragte sich, was für eine höllische Art des Wahnsinns in seinem Verstand gelebt hatte, um in der Lage zu sein, sich mit der Unterwelt anzufreunden und sie in Brand zu setzen.    „Haste dir nur zu gut angeschaut, stimmt’s?“, lachte Yamori. „Macht dich ganz heiß und wuschig, daran zu denken, ne?“   „Noch ein Wort“, warnte Genma und verstärkte seinen Griff an Yamoris Arm.    „Yeah, möcht wetten, dass du jede Sekunde davon geliebt hat, du bekloppter, kranker, Psycho-Hurensohn.“   Genmas Geduldsfaden riss; genau wie Yamoris Arm. Nur passierte es nicht wirklich so, wie es der Shiranui erwartet hatte. Ein brutales Rucken und der Arm brach aus seinem Griff. Wortwörtlich. Brach ab. In seinen Händen. Löste sich von Yamoris Körper wie eine gerissene Prothese.    Was verfickt nochmal!?   Geschockt zuckte Genma zurück, ließ den abgetrennten Arm fallen und sah zu, wie er zerknitterte wie eine getrocknete Pflaume. Die Haut kräuselte sich und schrumpelte, sie blätterte schuppenartig ab…echsengleich. Sein Hirn hielt an, als es versuchte, Sinn aus all dem zu machen, selbst, als seine Augen schon wieder nach oben schwangen und den Anblick in sich aufnahmen, wie Yamori den Stumpf an seiner Schulter umklammerte. Ein Plasmagerinnsel hatte sich bereits gelartig über die Wunde gelegt und epidermale Hautzellen überschorften sie in glatten, glitzernden Schuppen. Gesundend. Wiederherstellend.    Orochimaru…   Der Gedanke kam unmittelbar. Fest verdrahtet im Verstand eines jeden Konoha-Shinobi, der das Pech hatte, diesen psychotischen Senin mitten während einer reptilhaften Transformation gesehen zu haben.    Genma erstarrte und sein Atem geriet heftig ins Stocken.    Bilder des Sandaime kamen auf ihn zurück gekracht, schlugen Wände ein, die er um das Leid und die Reue herum errichtet hatte. Die Invasion von Konoha, der Kampf auf den Dächern. Das Scheitern der Jōnin. Das Scheitern von ANBU. Nein, sein Scheitern. Er war Goei Shotai. Er hätte den Sandaime beschützen müssen. Stattdessen war er in dieser verdammten Chūnin Arena festgesteckt und hatte Sasuke beschützt…nur um den Jungen dann doch wieder an die vier Oto-Nins zu verlieren.    Moment…   Bei dieser Erinnerung hob er ruckartig den Kopf. Die vier Oto-Nins.   Fluchmal.   Er hätte auf Yamoris Körper nach einem solchen gesucht, aber seine Augen klebten schon fast auf dem hässlichen Stumpf. Dieses verdammte Ding hatte angefangen, zu wachsen; es stellte Gewebe, Muskeln und Knochen in einer nassen, schuppigen Masse wieder her und arbeitete die Anfänge einer neuen Gliedmaße heraus. Es bewegte sich in einer regenerativen Geschwindigkeit, die nur durch Chakra derart verschärft werden konnte.    Shit.   Er musste das laut gesagt haben, denn Yamori lachte auf und das raue, nasale Gackern klang dabei eher wie ein Reptilienkrächzen. „Scheinbar erinnerst du dich auch nicht allzu gut an mich, Bruder.“ Eine schwarze Zunge schlängelte sich in einem zischenden Gleiten über seine zerbrochenen Zähne. „Hab mir ein paar nette Eigenschaften vom neuen Boss besorgt.“   Boss? Jo, vermutlich hätte er diesem Faden folgen sollen, aber dafür blieb keine Zeit.    Scheiß drauf.   Genma wich einen weiteren Schritt zurück und griff nach seinen Senbons.    Und Yamori schoss so schnell auf ihn zu, dass dieser dürre Eidechsenkörper vor seinen Augen zu verschwimmen schien. Fluchend schwang Genma eine Faust voller Nadeln und zerschnittener Luft herum. Verdammt, war dieser Kerl schnell. Zu schnell. Unmenschlich schnell. Genma hätte vielleicht eine Chance gehabt, wenn er mehr Platz für Bewegung gehabt hätte, aber die Gasse war eng, die Wände keilten ihn ein und vereitelten Ninjutsu-Luftangriffe.    Aber nicht Taijutsu.   Grunzend wirbelte er herum, stieß sich von der Backsteinmauer ab und riss dabei sein Knie nach oben, mit dem er Yamori am Kinn erwischte – ein schönes lautes Krack erscholl. Zu blöd nur, dass der Schlag nur dafür sorgte, dass sich der Bastard in einen geschmeidigen Rückwärtssalto warf – eine Bewegung, die umso verstörender war wegen der Tatsache, dass Yamori wie eine kauernde Echse auf der gegenüberliegenden Mauer landete. Hände und Füße klebten an den Backsteinen, als hätte er einen Klettverschluss an den Fingerspitzen und Fußballen. Diese seltsame Psoriasis auf seine Haut, war in eine Reihe aus Schuppen ausgebrochen und seine Gliedmaßen wanden und drehten sich mit irrer Agilität.    Genma hielt nicht inne, um zu gaffen.    Er war über das ‚Was zur Hölle‘ hinaus und befand sich bereits mitten auf ‚bring es einfach nur um‘ Territorium. Er zog mehr Senbons hervor und ließ diese funkelnden Babys in Schnellfeuerschüssen fliegen. Auf allen Vieren raste Yamori über die Wände und schoss davon wie ein schwarzer Leguan, während Funken auf den Steinen tanzten und die Nadeln tiefe Rillen gruben.    Schlüpfriger, hinterhältiger Hurensohn!   Lachend spähte Yamori zurück über die Schulter und ließ seine schwarze Zunge nach außen schnellen. „Yo! Verleiht ‚Scheiße von sich geben‘ ne ganz neue Bedeutung, nicht?“   Genmas Lippen zuckten in einem Grinsen und Chakra knisterte dabei an über seine Knöchel.    Er war fertig mit dem Rumgeficke.   Und Yamori musste das bemerkt haben, denn er hörte ziemlich schnell zu lachen auf und suchte vertikal in Richtung der Dächer das Weite. Genma setzte ihm nach, Chakra floss in seine Füße und katapultierte ihn himmelwärts, als er sich von den Backsteinen abstieß und zu der gleitend krabbelnden Gestalt aufschloss. Er war zwei Schüsse davon entfernt, Yamoris Arsch an die Wand zu nageln, als der Bastard über den Dachgiebel verschwand.    „Shit“, knurrte Genma, als er über die Dachkante hinweg setzte, ohne auch nur langsamer zu werden.    In einer wahnsinnigen Zickzack-Jagd führte Yamori ihn immer tiefer und tiefer in ein Ghetto; flitzte bröckelnde Seitengassen und heruntergekommene Fassaden entlang, schnitt Ecken, die von schäbigen Bars und windigen Tavernen gesäumt waren und zerrte Genma damit immer tiefer in die Fänge einer Gosse, die so feucht und schmutzig war wie die abgetakelte Drogenkneipe im Tanzaku Viertel. Das hier war die absolut unterste Seite der Gesellschaft, ein öffentliches Elendsviertel, wo es das Sonnenlicht kaum schaffte, die mit Brettern vernagelten Dächer und hoch aufragenden Baracken zu durchdringen, was die Welt in dichte, suppige Schatten tauchte.    Nicht gut.   Kein bisschen. Instinkt sagte ihm, sich zurückzuziehen, die Verfolgung aufzugeben und schleunigst aus dieser potentiellen Todesfalle zu verschwinden. Wäre es irgendeine andere Mission gewesen, dann hätte er das getan. Er hätte der Sache ein Ende gemacht und einfach den Rückzug angetreten.    Aber das hier war keine Mission, die er fallen lassen konnte…   Oder ein Feind, den er entwischen lassen konnte…   Das hier war eine Vendetta gegen seinen ganz eigenen, persönlichen Dämon und sein unangreifbares Bedürfnis, ihn zu zerstören. Solange Yamori lebte und atmete, tat es auch Genmas Vergangenheit. Dieser Echsenfreak war eine Brücke zu einer Zeit und einem Ort, die er verbrennen und begraben musste. Um nichts auf der Welt konnte er einfach davon laufen und das auf sich beruhen lassen; das leben lassen. Es musste verschwinden. Es musste sterben. Er war zu weit gekommen und hatte zu viel erreicht, um zu riskieren, dass irgendwelche losen Enden ihn zurück und wieder nach unten zerrten.    Niemals wieder.   Yamori gab unterdessen die Dächer auf, sprang eine Gasse nach unten und schoss in einen engen Durchgang, um mit einem rasselnden Kichern in den Schatten zu verschwinden. Das Geräusch echote in spöttischer Einladung die Wände entlang zurück, alles verstärkt von der Akustik, die mit denselben kindischen Untertönen von ‚Fang mich, wenn du kannst‘ trällerte.    Genma war nicht auf Fangen aus.    Er war auf Töten aus.    Am Rand des Daches ließ er sich in eine Hocke nieder und lauschte nach mehr Geräuschen, während ein Senbon in seinem Mund hin und her tickte. Das Tippeln von Füßen erscholl schwach aber vernehmbar, zusammen mit dem blechernen Rollen einer Mülltonne, deren Deckel klapperte wie ein Beckenschlag.    Hn. Subtil.   Er kanalisierte weiterhin Chakra in seine Füße, spähte hinunter in die Gasse und erwartete fast schon, dick und fett das Wort ‚FALLE‘ auf eine der Mauern geschmiert vorzufinden.    Nicht das erste Mal, dass ich etwas Unbedachtes tue…   Ziemlich verrückt, wie leichtfertig diese Unbedachtheit jetzt zu ihm zurückkehrte. Schon allein, an einem Ort wie diesem zu sein, schien diese alten, gefährlichen Impulse wiederzuerwecken.    Was genau der Grund ist, warum ich diesem Kerl den Kopf abschneiden werde…   Und zur Hölle nochmal hoffen würde, dass ihm nicht ein zweiter nachwachsen würde. Schuppen. Regeneration. Chakrasteigerung. Das war A bis S-Rang Territorium – seine liebste Art; damals, als Vergnügen ein Wechselspiel zwischen Essen, Kämpfen und Ficken gewesen war.    Hör auf, in Erinnerungen zu schwelgen…   Kopfschüttelnd saugte Genma an dem schlanken Metall zwischen seinen Lippen, dachte über Optionen nach und reflektierte vergangene Methoden und Waffen des Krieges. Wenn Yamori Körperteile regenerieren konnte, dann erschienen Feuer und Rauch auf einmal gar nicht mehr als so schlechte Idee. Sicher, es war ein verstörendes Zurückwerfen zu Tanzaku, aber gemessen an der Situation, mutete dem Tod durch Feuer auch eine Art poetischer Klang an.    Zu viel Gelaber, Shiranui. Es gibt keine Worte, nur Taten.   Zeit, sich endlich in Bewegung zu setzen. Energisch schüttelte er den Schatten einer vergangenen Zeit ab und sprang hinunter in die Dunkelheit der Gasse, landete in einer katzengleichen Hocke, während sich seine bronzenen Augen zusammenzogen und die Umgebung scannten. Warme, abgestandene Luft bewegte sich durch den Durchgang wie ein letztes Seufzen, das aus einer Welt glitt, die nach Fäulnis und Verfall stank.    Bring das schnell hinter dich.   Als er sich die Senbons zwischen die Knöchel schob, drückte sich Genma gegen die Mauer und rückte mit wachsam geneigtem Körper vor, seine Schritte leise und präzise. Er konnte ein komisches, knarzendes Geräusch hören, als würde eine Tür in den Angeln schwingen. Der Geruch von Abfall und Pisse hing in der Luft, befleckt von dem grasigen Gestank irgendeines exotischen Krauts, irgendeiner ‚Einrollen und Rauchen‘-Droge.    Erinnerungsspur…   Sie führte ihn tiefer…   Während er über eine umgestürzte Mülltonne stieg, folgten seine Augen dem verstreuten Pfad aus Kartons und Kisten, eine Spur, die sich auf das Gebiet dahinter ergoss – in einen heruntergekommenen Hof.    Genma hielt sich dicht bei der Wand und warf einen Blick um die Ecke, um sich die Einzelheiten einzuprägen.    Das Gelände war groß und leer, ein Kinderspielplatz war in einen Schrottplatz verwandelt worden. Ein hoher Maschendrahtzaun umgab dieses kleine Erholungsgebiet und das diamantförmige Gewebe davon wurde in düstere Lichtstrahlen getaucht, die durch die löchrigen Dächer fielen. Eine Kinderschaukel stand schief und ohne Sitzflächen da, nur die Längen rostiger Ketten hingen noch herab wie Seile an einem Galgen. Direkt in der Mitte drehte ein verlassenes Karussell sinnlose Kreise, als würde es von Gespenstern angeschoben und die Scharniere ächzten dabei laut. Eine umgeworfene Rutsche leistete einer zerbrochenen Wippe und drei zerstörten Federwipptieren Gesellschaft.    Und dort, kopfüber von den Streben eines oxidierten Klettergerüsts hängend, war Yamori. Sein Echsengesicht spaltete sich in einem schleimigen Feixen voller abgeplatzter Zähne. „Komm schon raus zum Arsch von Nirgendwo, Bruder. Und schau dich gut um, denn du wirst ihn nicht wieder verlassen.“   Diese Drohung war keine leere. Genma hörte das Rascheln von weiteren zwei Körpern, die sich über ihm die Gassenwand entlang bewegten, ihn einkreisten und darauf abzielten, ihn hinaus auf den Spielplatz zu drängen.    Nicht genug Platz, um sich zu bewegen.    Nicht genug Zeit, um sich zurückzuziehen.    Nichts zu tun, außer sich seinem inneren Killer hinzugeben und auf das Beste zu hoffen. Wahnsinniges Denken? Zweifelsohne. Aber zumindest hatte er den Vorteil eines klaren Kopfes. Etwas, das er damals während seiner Drogentage nie gehabt hatte.   Geh das richtig an und die Vergangenheit kommt endlich zur Ruhe…gleich hier, gleich jetzt.   Statt auf den Gossenabschaum zu warten, trat Genma hinaus auf den Hof und ließ seinen Blick über die Umgebung wandern. „Ein Kinderspielplatz? Na das ist doch mal ein hart erkämpftes Revier.“   „Fresse, Schlampe“, fauchte eine Stimme aus der Seitengasse. „Oder ich schädelfick dich in `n Arsch.“   Die Brauen erhoben spähte Genma über die Schulter. „Hat dein Gangsterspielplatz auch eine Schule? Klingt nämlich, als könntest du eine Lehrstunde über menschliche Anatomie brauchen.“   Heulen und bellendes Gelächter echote um den Hof herum und manches davon klang entfernt tierisch. Genma zählte fünf Gestalten, die sich um die Peripherie des Maschendrahtzaunes bewegten, sich in den Schatten hielten und ihn im Dunkeln ließen. Der Typ, den er beleidigt hatte, sprang aus der Gasse. Er bestand nur aus schlaksigen Gliedmaßen und schwang sich herum wie ein Affe, während er eine gezackte Klinge über seine Knöchel wirbeln ließ.    Genma schielte auf die Waffe. „Hn, glitzrig.“   „Und scharf“, lachte Yamori, während sich sein Grinsen noch weiter aufspaltete. „Wie alle Spielzeuge auf der Schule der harten Tour, Mann. Mein Junge Kozaru hier, hat mit Bravur bestanden.“   Erneut ließ Kozaru die Klinge herum wirbeln, saugte an seinen Hasenzähnen und tänzelte ein paar Schritte zur Genmas Rechten. Die Agilität seiner Bewegungen war ebenso überraschend wie der lange, Makaken-ähnliche Schwanz, der sich von der Wurzel seiner Wirbelsäule aufwärts krümmte, hin und her schwang wie ein Kabel und seine Affenschritte ausbalancierte. Sein Gesicht hatte die neandertalähnliche Form eines Primaten und seine langgliedrigen Arme und Beine waren von einem dichten, flauschigen Fell bedeckt.    Genmas Kiefer zuckte heftig.    Ach du Scheiße.   Echsengesicht und Affenmensch. Was kam als nächstes? Hundejunge und Katzenlady? Es war nicht allzu weit hergeholt anzunehmen, dass er im Moment von noch mehr von der Leine gelassenen Freaks umgeben war. Scheiß auf Spielplatz, er fühlte sich, als wäre er gerade in einen Zoo marschiert.    Besorg dir Informationen.   Genma hielt seine Stellung und sein Blick wandte sich wieder Yamori zu. „Ziemliche Freakshow, die du hier am Laufen hast. Sieht aus, dass du heutzutage mit mehr als nur Drogen dealst.“   Während Yamori die Hände ausbreitete, krümmten sich seine Nägel zu kräftigen, gelblich grauen Krallen. „Tja, was soll ich sagen, Mann? Ich bring nur extra krossen Speck für meine Jungs und Mädels nach Hause.“   Ein leises, spöttisches Schnauben von hinten.    Sehr langsam drehte sich Genma um und sah, wie zwei bullige Gestalten seinen Ausgang in die Gasse versperrten. Noch mehr Formen und Schatten zogen die Schlinge um den Spielplatz enger. Sie bewegten sich, als hätten sie das einstudiert. Jedes Mitglied dieser Freakshow war gleichmäßig verteilt und bewegte sich in direkter Koordination; und jedes mit deutlichen Unterschieden in Haltung und Gang.    Acht…neun…zehn…die Quote gefällt mir überhaupt nicht…   Oder die Verpackung, in der sie eingewickelt waren. Genma erhaschte flüchtige Blicke auf die Gestalten, als sie das diffuse Sonnenlicht passierten, das über die Überhangdächer floss; bunte Stachelfrisuren und ein paar rasierte Köpfe; gepierctes Fleisch und tätowierte Gliedmaßen; enges Leder, weite Hosen und glitzernde Accessoires, nur dicke Ketten und scharfe Spielzeuge.    Wirklich originell…   Das Team Klischee hätte ja vielleicht ein Trost sein können, aber hier hörte die Vorhersehbarkeit auch schon auf. Denn in dieses Modedesaster waren vollkommen unmenschliche Elemente geschmissen worden; schlüpfrige Zungen und unnatürliche Körperhaltungen; pelzige Glieder und schuppige Anhängsel; glühende Augen und rasiermesserscharfe Fänge.    Gossen-Punktruppe traf auf Horrorshow-Monster.   Die Art vollkommen kitschigen Flimmerkistenschrotts, den Genma mit einer guten alten Kürbislaterne und einer Schüssel Kürbissuppe begrüßte. Seine Lippen zuckten trocken bei diesem Gedanken. „Halloween ist ziemlich früh dieses Jahr.“   Fauchend wollte sich Kozaru auf ihn stürzen.   „Warte, Ko!“, befahl Yamori, während er sich aus seinem Kopfüber-Hängen in eine Hocke fallen ließ. Langsam richtete er sich auf und drehte seinen neuen Arm, krümmte seine klauenbewährten Finger und hielt sie nach oben, sodass Genma sie sehen konnte. „Solltest nicht respektlos gegenüber etwas sein, was du nicht kennst, Bruder. Sicher, ist nicht alles besonders hübsch, aber `s Leben ist `ne hässliche Gossenhure, nicht?“   „Deine Mum sollte es wissen.“   Das sorgte für einen guten Lacher unter der Freakshow und selbst Yamori schien der Humor zu gefallen, auch wenn sein Grinsen inzwischen grenzwertig dämonisch wurde. „Nett. Du warst schon immer ein Witzbold, Kaika.“   Der alte Deckname kratzte über sein Hirn wie Krallen auf Stahl, Funken des Unbehagens flackerten hinter seinen Augen auf. Energisch wischte Genma die Anspannung aus seinem Gesicht und zuckte träge mit den Achseln, spielte auf Zeit und versuchte einzuschätzen, wie verflucht nochmal er das hier angehen sollte. „Du erinnerst dich an meinem Namen. Das ist süß.“   „Schwer zu vergessen“, erwiderte Yamori und lümmelte sich gegen das Klettergerüst. „Du warst der Liebling vom Boss. Gab nix, was der Irre Kaika nicht machen würde. Konkurrenz kalt machen, Junkies Blut aushusten lassen statt all das Geld, das sie geschuldet haben. Yeah, du hast den Part gespielt. Hast uns alle ausgespielt, Mann. Direkt bis zum fetten Knall.“ Er stieß einen lauten Atem aus und klatschte seine schuppigen Handflächen aneinander. „Nix mehr übrig, außer kross geröstetes Ungeziefer. Hast ein verfickt fettes Loch in meine Welt gesprengt, Bruder. Und dann nichtmal Reue.“   Genmas Brauen zuckten. „Jo. Ungefähr in der Art. Schätze, dass du mir etwas Rache schuldest.“   „Rache?“ Yamori lachte auf und seine Augen weiteten sich bei diesem Wort, als wäre er ehrlich überrascht. „Nah, nah, du verstehst das total falsch, Kaika. Ich schulde dir `ne ganze Welt voller Dank.“   Das brachte Genmas Hirn zum Stillstand. Mit langsam blank liegenden Nerven hob er eine Augenbraue. „Achja?“   „Ja.“ Yamori lachte erneut und seine Echsenzunge schlängelte sich dabei über seine feixenden Lippen. Gemächlich zündete er sich einen Joint an und nahm einen langen, genießenden Zug davon, bevor er mit einem zufriedenen Stöhnen durch die Nase ausatmete und den Faden ihrer Unterhaltung wieder aufnahm. „Hab dir eine großartige Zeit zu verdanken. Hast mich auf einem Fluss aus Blut aus der Scheiße geholt, in der ich bis zum Hals gesteckt habe. Keine Schulden mehr, keine Revierkämpfe mehr, kein Arschkriechen mehr beim Boss oder Kratzbuckeln bei Drogenbaronen, während man mit Dukkha und Rūpa und dem ganzen anderen süßen, seelenverkaufenden Scheiß hausieren geht.“ Er schob sich seinen Dübel hinter ein Ohr und rieb seine schuppigen Hände in einer Zurschaustellung aneinander, bei der er sich von figurativem Schmutz befreite, bevor er verdeutlichend mit den Fingern wedelte. „Weiße Weste für mich und die meinen. Wir haben viel an dieses Feuer verloren, aber das is nichts im Vergleich, was wir hier in Kusa am Laufen haben.“   Amüsiert sah sich Genma betont langsam um. „Jo, du führst so ein richtiges Schlemmerleben. Vom Tellerwäscher bis zum Millionär, ich seh schon.“   „Yo, fick dich!“, spie Kozaru mit ruckendem Kopf und schwingenden Armen aus – es war eine Mischung aus jugendlichem Wutanfall und dem Dominanzgehabe eines Affen. „Du weißt nen feuchten Scheiß, Fotzkopf, wir haben die Welt an den Eiern. Der Souverän hat uns alles gegeben, wa-“   „Halt deine verfickte Schnauze!“, schnappte Yamori und schlug Kozaru hart genug, dass der Affenkopf auf dem dürren Hals nach hinten gerissen wurde. „Verschissener Vollidiot.“   Der Souverän?   Das konnte nicht mehr zurückgenommen werden.    Und sie alle wussten das.    Die Stimmung kippte; subtil, aber absolut. Genma traf Yamoris Blick und setzte ein schmales Schmunzeln auf. „Schätze, das lässt sich nicht mehr retten“, murmelte der Shiranui und spürte bereits, wie der Rest der Freakshow näher kam.    Leise lachend drehte Yamori seine knochigen Schultern und griff nach seinem Joint, um das grasige Zeug tief in seine Lungen zu ziehen. Mit einem Seufzen atmete er aus und seine Lippen zuckten dabei in falschem Bedauern. „Nah, muss dich jetzt verschwenden. Verdammte Schande, Kaika. Ich hätte dir gerne gezeigt, wo’s langgeht. Aber niemand mag einen Shinobi Spitzel, verstehst mich?“   „Jo.“ Genma neigte seine Handgelenke, fühlte das kühle, geschmeidige Gleiten der Senbons, die sich zwischen seine Finger schoben. „Ich versteh dich.“   Offenbar wollte Kozaru an diesem heiklen Gespräch teilnehmen, denn er ruckte vor und zurück wie ein Affe an einer strammen Leine. „Yo, Yamori, lass mich dem Kerl den Arsch aufreißen“, flehte er fast schon, während sich seine Lippen in einer Grimasse qualvoller Zurückhaltung über seinen Pferdezähnen zurückschälten. „Lass mich dieses Stück Scheiße fertig machen.“   „Lass ihn mir, Yamori!“ rief eine Frau fauchend wie ein Puma. „Ich werd ihn so richtig schön zerfetzen.“   „Ich werd gar nix zerreißen“, schaltete sich Freak Nummer Vier mit einer guttural rumpelnden Stimme ein. „Ich werd ihn zerstampfen, aufrollen und in der Pfeife rauchen.“   Das ließ Genma sogar schmunzeln. Punkte für Kreativität. Er hörte noch ein paar weitere, lebensbedrohende Vorschläge, die aus den Schatten geschossen kamen, als die Freakshow begann, Beschimpfungen zu heulen und über Todesstrafen zu streiten.    Ah, immer wieder eine Freude, das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.    „Na schau sich das einer an; bist du nicht beliebt?“, gluckste Yamori, sog an seinem dünnen Joint und seine Knopfaugen funkelten amüsiert. „Der Reihe nach, der Reihe nach, Leute! Ich denke, meine Junge Kozaru sollte den ersten Versuch mit unserem kleinen Fisch in der Badewanne haben.“   Kozaru bebte geradezu vor Vorfreude, das dicke Fell auf seinen Armen hob sich in einem Schauern. „Ah, Mann, das wird so gu-“   Genma griff an wie eine Viper. Sein mit Chakra aufgeladenes Senbon traf Kozaru direkt durchs Auge und explodierte aus der Rückseite des Schädels.    Er schnaubte herablassend. „Schädelficke das, Arschloch!“   Kozaru sackte zu Boden.    Jeder versteinerte in einer Szene des Schocks. Es brauchte vier lange Sekunden, bevor sie in Aktion explodierten. Ein voller Zirkus des Chaos in drei Manegen. Der erste Gegner, der sich auf ihn stürzte, war eine Frau, die sich schlangenähnlich auf dem Bauch über den Boden bewegte und das mit einer Geschwindigkeit, die sowohl atemberaubend, als auch surreal war.    Genma schwang herum.    Die Senbons streiften sie, schafften es aber nicht, tief einzudringen, da sie von Schuppen abprallten.    Mit einem Rückwärtssprung hechtete Genma auf das Klettergerüst, stieß sich von dem verbogenen Metall ab und ging in einen Luftangriff über, während er Chakra in seine Knöchel zerrte und den Tod als Stahlspitzen herab regnen ließ. Wenn er genug Abstand zwischen sich und dieser Freakshow herstellen könnte, dann könnte er vielleicht versuchen, sein Kanashibari Jutsu zu nutzen.    Das könnte nach hinten losgehen…   Aber es war auch nicht so, als hätte er wirklich eine Wahl. Er befand sich neun zu eins in der Unterzahl.    Dieser ganze Ärger und das nur wegen so eines ätzenden Stücks Scheiße.   Er suchte den Hof nach Yamori ab und versuchte, sein vorrangiges Ziel ins Visier zu nehmen. Etwas rammte sich mit der Wucht einer Kanonenkugel in ihn. Sein Flakjacke fing zwar ein Bisschen von dem Aufprall ab, aber der Hieb zerschellte seinen Angriff und raubte ihm den Atem. Keuchend drehte er sich mitten im Sturz und trieb seine Knöchel aufwärts in den Bauch des gorillagroßen Schlägers, der über seinen Kopf segelte.    Der Gorillakerl stieß ein unmenschliches Heulen aus und trat mit beiden Füßen nach unten.    Rasch verschränkte Genma die Arme und fing den Schlag damit ab, spürte aber, wie seine Knochen erzitterten. Krachend landete er in einem ruinierten Sandkasten, verspritzte schmutzige Körner und zerborstenes Glas in einem feinen Regen in alle Richtungen. Er rollte in dem Momentum mit und rappelte sich wieder auf die Füße.    Ein katzenhaftes Fauchen ließ seinen Kopf nach oben zucken.    Katzenlady stürzte sich auf ihn, um ihn mit einem Knirschen zurück gegen den Sand zu rammen. Sein Kopf schlug gegen die Einfassung des Sandloches und Funken zerplatzten vor seinen Augen. Mit dem geschmeidigen, verführerischen Schwung einer Liebhaberin setzte sie sich rittlings auf ihn, bevor sie ihre Fangzähne entblößte, die goldenen Augen zu Schlitzen verzogen und brennend vor Hass.    Und dann ging sie ihm an die Kehle.    Knurrend hämmerte Genma seinen linken Unterarm gegen ihr Kinn, hielt diese feinen, spitzen Fänge von sich fern, als nur sie Zentimeter von seiner Luftröhre entfernt zuschnappten. Vampirzeug. Und zwar nicht die erotische Phantasieart von Vampirzeug. Sie wand sich auf seinem Schoß und kämpfte darum, über seinen Arm hinweg zu setzen, während sie ihre Nägel über seine Flanken kratzen ließ und tiefe Rillen in seine Flakjacke riss.    Shit!   Wenn diese Klauen noch etwas tiefer kamen, dann würde er lebendig gehäutet werden. Über das Donnern seines eigenen Herzschlages und dem porzellanhaften Klacken und Schnappen der Kiefer der Frau, konnte er Lachen hören, das über den Spielplatz wogte zusammen mit Schreien und ermutigenden Jubelrufen. Offensichtlich war der ‚Kehle rausreißen‘-Trick der Katzenlady ein Publikumsliebling.    Und dann veränderten sich die Geräusche der jubelnden Menge.    Ein plötzliches Brüllen erscholl; viel zu hoch, um ein Rufen zu sein – mehr wie ein Schrei.    „KIBAKU HANA!“   Eine Explosion folgte, ein plötzliches BOOM, das die Welt weißwusch und Genmas Ohren schrillen ließ. Geblendet presste er die Lider aufeinander, lenkte Chakra in seine rechte Hand und ließ sie nach oben schwingen. Mit einem soliden, chakrageladenen Schlag traf er Katzenladys klingelndes Ohr. Die ohrenbetäubende Wucht zerfetzte ihr Trommelfell. Sie stieß ein schrilles Kreischen aus und taumelte zurück. Genma folgte seinem Schlag mit einem bösartigen Schnappen seines Ellbogen, der sich in die Unterseite ihres Kinns hämmerte und ihren Kiefer bersten ließ.    Seitwärts ging sie zu Boden.    Rasch rollte sich Genma unter ihr heraus und hustete in seine Armbeuge, während er durch den Rauch blinzelte, der in dichten, lilanen Wolken über den Spielplatz wogte.    Gift…   Während er einen Atem verschluckte, wich Genma außer Reichweite des Rauches zurück, hörte das würgende Husten und Bellen der Bande, als sie sich abmühten, dem lilanen Leichentuch zu entkommen.    Kibaku Hana…?   Blumenbombe. Das war ein Konoha Explosiv. Eine Yamanaka Spezialität. War ihm eins der Chūnin Kids gefolgt?    Ihm blieb keine Zeit, darüber nachzugrübeln.    Eine verhüllte Gestalt brach aus dem lilanen Wirbel. Sie trug eine gruselige Onyrō-Maske und wirkte wie ein Dämon aus der Hölle, das scharlachrot lackierte Gesicht dominiert von einem grotesk anzüglichen Grinsen, das den feixenden Mund von Ohr zu Ohr spaltete.    Kein Mitglied der Freakshow, aber auch nicht weniger ein potentieller Feind.    Kampf, oder es herausfinden?   Scheiß drauf.   Während er zurück tänzelte, riss Genma zwei weitere Senbons heraus und ließ sie fliegen.    Flink zog die maskierte Gestalt ein kurzes Tantō, um die Nadeln mit zwei scharfen Bewegungen des Handgelenks abzuwehren. Nutzlos schlitterten sie über den Boden. Köderschüsse. Sie vermittelten Genma einen Eindruck von der Geschwindigkeit dieses Kerls. Und verdammt ja, er war schnell.    Aber ein bisschen zu ungeduldig.   Der maskierte Mann hatte seinen Spurt nicht verlangsamt und brachte sich selbst in direkte Reichweite. Tödlicher Fehler. Genma schmunzelte, visierte die Vitalpunkte seines Ziels an, feuerte drei chakrageladene Schüsse ab – und verfehlte.    VERFEHLT?   Genmas Augen flogen weit auf. Auf keinen Fall hätte er bei dieser geringen Entfernung verfehlen können. Aber es war auch nicht Geschwindigkeit, die den maskierten Mann gerettet hatte, es war Intuition. Der Typ bewegte sich, als wüsste er exakt, was Genma tun würde; vom Winkel der Schüsse, über die Geschwindigkeit des Wurfes bis hin zu den Nerven, auf die er zielte.    Einfach alles.   So geschockt er auch war, Genma verschwendete keine Zeit, mit offenem Mund zu glotzen. Stattdessen stürzte er sich in eine Taijutsu-Offensive – mit genau demselben verdammten Effekt. Dieser Kerl schien seine Bewegungen völlig intuitiv zu verstehen und passte sich ihnen mit einer Nahtlosigkeit an, die einem Beobachter vielleicht als ästhetisch schön erschienen wäre; doch sie diente im Moment nur dazu, dass es Genma eine gottverfickte Angst einjagte. Völlig ungeachtet der Ernsthaftigkeit oder Heimlichkeit seiner Schläge, sie wurden mit einer Leichtigkeit und Anmut abgeblockt und pariert, die seinen Taijutsu Ansturm auf eine spielerische Trainingseinheit reduzierte. Ein Hieb-und-Stich-Spiel zwischen zwei Kämpfern, die ganz genau wussten, wie der jeweils andere kämpfte.    Nur kannte Genma diesen Mann nicht.    Aber ohne Zweifel kannte dieser Mann ihn – oder zumindest seine Bewegungen.    Was zur Hölle ist das hier? Eine Art spiegelndes Jutsu?   Er bemerkte keine erhöhten Chakrawerte und während der andere Kerl zwar Anzeichen von Anstrengung zeigte, zog er dennoch nichts spektakulär Auffälliges oder Ernsthaftes ab. Tatsächlich schien er das alles ziemlich locker zu nehmen, was Genma die Frage aufdrängte, ob er von seinem dämonengesichtigen Tanzpartner gerade zum Narren gehalten wurde.    Zorn flackerte hinter seinen Augen auf und sein Stolz fing Feuer.    „Hurensohn“, knurrte Genma.   Schon seit Jahren hatte er keinen Mann-gegen-Mann Kampf mehr verloren. Und auf keinen Fall würde er zulassen, dass diese Siegesserie abriss. Eher würde er das Bein dieses Arschlochs brechen – was auch genau das war, worauf er abzielte. Nah am Boden schwang er herum und rammte seinen Fuß in Richtung des Knies des Maskenmannes, um es brechen zu lassen wie einen Zweig. Der Kerl lenkte den Kick mit dem Fuß ab und schob sich dazwischen – genau wie Genma gehofft hatte.    Da!   Rasch zog der Shiranui ein Kunai in seine Handfläche und warf sich nach vorn, um der Attacke zu begegnen. Abgemessen in Herzschlägen, brauchte seine Hand nur einen halben Schlag, um sich zu bewegen und es brauchte auch nur einen halben Schlag für den Typ, sich wegzudrehen.    Einen vollen Herzschlag später und Blut spritzte in einem feinen Regen in die Luft.    Hab ich dich!   Die Enormität dieses kleinen Sieges schwappte wie eine Welle durch Genma. Doch es war ein sehr kurzlebiger Triumph. Er hörte das Reißen von Gewebe, aber nicht das Quetschen von Muskeln. Er hatte fast nur Stoff und Haut aufgeschnitten, hatte sich sauber durch den Mantel gerissen, um einen festen, blassen Bizeps bloßzulegen, die Muskeln straff gezogen und ein dünner Strom aus Blut lief über das Fleisch, um einen klaren, roten Streifen durch ein spiralförmiges Tattoo zu ziehen, das -   Genmas Herz fror ein und ruckartig kam sein gesamter Körper zum Stehen.    ANBU.   Das charakteristische Tattoo.    Sein Zögern kostete ihn seine Waffe.    Sofort nutzte der maskierte Mann seine Ablenkung und trat Genmas Hand mit solcher Kraft beiseite, dass das Kunai wirbelnd aus seinen Fingern flog. Er bekam überhaupt nicht die Gelegenheit, es sich wieder zu holen. Maskenmann trat in seine Deckung, setzte die Spitze seiner Tantō-Klinge gegen die Mulde an Genmas Kehle und trieb ihn so zurück, bis seine Wirbelsäule gegen den Maschendrahtzaun stieß.    Für eine lange, komplizierte Sekunde, bewegte sich keiner der Männer.    Im Hintergrund schwebte violetter Nebel davon und offenbarte die im Dreck liegende Freakshow, immer noch atmend, aber ausgeknockt – was vermutlich ein nicht zu unterschätzender Segen für Katzenlady war, wenn man bedachte, dass sie tot wohl besser dran wäre, so wie ihr Kiefer halb abgerissen von ihrem Gesicht hing.    Stirnrunzelnd wanderten Genmas Augen zurück zu der maskierten Gestalt, bevor er seine Hände in einer Geste des Friedens nach oben hielt und schwer atmete. „Du bist ANBU.“   Der verhüllte Kopf neigte sich marginal, wobei die stilisierte Dämonenmaske funkelte. „Halte dich fern von hier“, sagte der Mann.    Genma versteifte sich. Es war nicht wegen der Warnung in dieser Stimme, sondern wegen der Textur davon. Vertrautheit traf ihn wie ein Hammer auf einen Gong. Sie rang laut und lang in den Kammern seines Verstandes, hallte in einem dunklen, leeren Ort in seinem Inneren wider…einem Ort, der lange an Staub und Zeit verloren gegangen war. Es war eine vertraute Stimme, aber eine unmögliche.    Unmöglich.   Blinzelnd schüttelte Genma das Gefühl ab und fand seine Stimme wieder. „Wieso?“   Das maskierte Gesichte tickte warnend zur Seite, oder vielleicht musterte der Kerl auch einfach nur Genmas Gesicht, denn für eine sehr lange Zeit antwortete er nicht. Und als er wieder sprach, schien seine Stimme leiser, heiserer und kaum mehr als ein Murmeln zu sein. Ein Verfälschungstrick. „Du mischst dich ein.“   Genma hob eine Braue. „Das kann ich zurückgeben. Ich habe mit einem von diesen Bastarden noch eine Angelegenheit zu erledigen.“   „Das ist zu dumm.“   „Wird es für dich sein, wenn du mir in die Quere kommst.“   Darüber hob Maskenmann leicht das Kinn. Amüsiert? Genervt? Wer wusste das schon. Diese Maske sah durch und durch angepisst aus. Genma sagte nichts weiter und sein Herz hämmerte heftig in seiner Brust. Die Spitze der Klinge ruhte noch immer an der Mulde seiner Kehle, kletterte jetzt aber etwas höher und strich über seine Haut. Vielleicht war das alles nur in seinem Kopf, vielleicht war es auch in seinem taumelnden Herzen, aber er hätte schwören können, dass etwas Intimes in dem kühlen Kuss des Stahls an seinem Kiefer lag.    „Meine Mission macht deine unerledigte Angelegenheit überflüssig“, sagte der Mann.    „Wie lautet dein Deckname?“, forderte Genma ihn heraus, da er nicht willens war, ein ANBU Tattoo für bare Münze zu nehmen, das vielleicht gefälscht war; wäre nicht das erste Mal, dass das passierte.    Maskenmann schüttelte den Kopf. „Ich antworte, wie ich muss.“   Genma versteifte sich und zog überrascht den Kopf zurück, während Abscheu seinen Mund verdrehte. „KERN, huh? Hätte ahnen müssen, dass Danzō mit einem Fuß in Kusas Gosse und mit dem anderen in meinen Arsch stecken würde. Ich verhandle nicht mit dem Ursprung.“   „In diesem Fall wirst du das.“   „Achja? Wieso das?“   Die Klinge an seinem Hals drehte sich, verdeutlichte den Punkt, die Macht und den größeren Penis. Ein warmer Tropfen aus Blut schlängelte sich Genmas Haut hinab. Während er eine Braue hob, schielte er mit einem rasiermesserscharfen Grinsen auf die Klinge. „Meine Güte. Du bist entzückend.“   „Und du bist großspurig.“   „Wie der Pik-König, mein Freund.“   „Zeit, auszusteigen.“   „Du musst wohl ein paar Karten zu wenig im Deck haben. Beim Eins-gegen-Eins Poker steige ich niemals aus.“ „Du hast deine Hand doch schon sehen lassen.“   Mit falscher Unschuld blinzelnd, wurde Genmas Schmunzeln noch breiter. „Was denn? Mit der Freakshow vorhin? Nah, ich spar mir mein Ass im Ärmelloch für dich auf.“ Hier machte er eine Pause und schnitt eine Grimasse. „Soll keine sexuelle Anspielung sein, nur so am Rande.“   Der KERN-Mann stieß ein seltsames Geräusch aus. Es hätte ein Lachen sein können…nur lachten Leute von KERN nicht. „Du willst, dass ich bei deinem Bluff mitgehe?“   „Nur zu. Du kommst mir nicht wie ein Falschspieler vor.“   „Muss an meinem Pokergesicht liegen.“   Genma biss sich auf die Zunge, um nicht zu lachen, aber seine Augen warfen warme Fältchen. „Du bist ziemlich witzig für jemanden von KERN.“   „Und du bist töricht für einen Ex-ANBU.“   Sofort erstarb die Belustigung in Genmas Augen und ließ nur kühle Leere zurück. „Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, dass du mich scheinbar kennst?“   KERN-Mann erwiderte nichts.    Genmas Blick wurde schärfer und suchte dieses maskierte Gesicht nach sichtbaren Rissen ab. Die Augenlöcher waren zu dunkel, zu tief, um irgendein Zeichen der Augen preiszugeben, die ihn ansahen. Und trotzdem spürte er, wie dieses unsichtbare Starren durch ihn kroch wie ein fröstelnder Wind…ein kaltes Wissen, das er nicht einordnen konnte…   Verwirrt blinzelte er und seine Stimme wurde rau. „Kenne ich dich, Agent?“   Die behandschuhten Finger zuckten kaum wahrnehmbar um den Griff des Tantō. „Nein.“   Nein.   Nein.   NEIN.   NICHT MEHR!   Die Erinnerung ließ zur selben Zeit los wie Genmas Verstand.    Abrupt.    Und mit Brutalität. Und mit Verzweiflung. Zur Seite geworfen taumelte er ein paar Schritte in den zerbrochenen Raum innerhalb seines Geistes; der zerbrochene Raum mit all seinen zerbrochenen Wänden und all seinen zerbrochenen Zahnrädern. Er rammte die Falltür zu der Vergangenheit zu und hörte, wie sie unter den Dielenbretter rasselte, nach Rissen, nach Löchern, nach Schwachstellen suchte. Er warf sein gesamtes Gewicht dagegen, hielt sie unten, hielt sie drinnen.    „Nicht mehr“, skandierte er, schrie er. „Nein. Nein. Nein.“   ~❃~   „Nein.“   Das schwache Krächzen des Wortes gegen Kakashis Hals ließ ihn mitten im Korridor innehalten und taumeln. Schmerz riss sich aufwärts durch seinen zerfetzten Schenkel und beinahe wäre er eingeknickt. Keuchend drehte er sich gerade noch rechtzeitig, um die kostbare Fracht in seinen Armen zu schützen. Stattdessen krachte sein Rücken gegen die Wand und erschütterte Genmas bewusstlosen Körper.    Fall nicht hin…fall nicht hin…   Für ein paar donnernde Herzschläge machte er Rast und sein Atem stieß grob gegen seine Maske. Es war eine Schwerstaufgabe, einfach nur zu atmen. Das Blut pochte in seinem Kopf und selbst, wenn er nicht von den Sprinklern bei F&V abgespritzt worden wäre, wäre er inzwischen dennoch durchnässt gewesen, denn sein Körper war schweißüberströmt, seine Muskeln bebten vor Erschöpfung und er war nur ein paar Zuckungen von einem Kollaps entfernt.    Nein…konzentrier dich…konzentrier dich…   Schmerz pulsierte unerbittlich und blendend hinter seinem linken Auge.    Gott…fast da…nur noch ein bisschen weiter…   Er blinzelte gegen den Schmerz an und ein Spalt einer glühend roten Iris spähte unter seinen Wimpern hervor, als er den Kopf gegen die Wand drehte und sich um Fokus bemühte. Seine Sicht verwandelte sich rapide in einen Tunnel und wanderte weit fort, brachte Tiefe und Dimension mit herankriechender Dunkelheit durcheinander. Völlig egal, wie energisch er blinzelte, der dämmrig beleuchtete Korridor schien sich meilenweit vor ihm zu erstrecken und die Tür am entfernten Ende verschwamm zu einem verzerrten Rechteck.   Komm schon…komm schon…   Wenn er Genma jetzt fallen ließ, dann würde er es niemals schaffen, ihn wieder hochzuheben.    Ich werde dich nicht loslassen…   Dieses Versprechen schlug einen ersterbenden Funken in seinem Netzwerk, befeuerte eine Glut der Stärke für den letzten Zug, die letzte Anstrengung. Keuchend stolperte er näher, sein Sichtfeld wurde dunkler, seine Atmung tiefer, bis er blindlings und atemlos in das solide Holz der Tür taumelte und es gerade noch schaffte, seinen Körper dabei seitwärts zu drehen, um Genma vor dem Aufprall zu schützen.    Bellen erscholl…entfernt…dann nah…direkt jenseits der Tür…   Kakashi versuchte, zu rufen, sackte aber gegen den Türknauf zusammen, sein Körper begann abzurutschen. Er spürte, wie er in Zeitlupe glitt, mit Genma beschützend gegen seine Brust gedrückt nach unten sank. Seine Knie schlugen auf dem Boden auf, als die Tür aufflog und Licht seine versagende Sicht in einem blendenden Rechteck ausfüllte.    Eine Silhouette trat nach vorn, umrahmt wie von einem Heiligenschein…das Licht floss überall um sie herum wie Flügel…   Sie sah immer noch wie ein Engel aus…   „Kakashi“, hauchte Kurenai.   Kakashi lächelte in das Licht…und dann glitt er in die Schwärze.         __________________ Glossar: Onyrō Noh Maske: Eine Maske die beim traditionell japanischen Noh-Theater benutzt wird und rachsüchtigen Geist repräsentiert Hey meine Lieben :)  Ein ganzes Kapitel nur zu Genma und Kakashi...naja und ein bisschen zu Ibiki :D Hier erfahrt ihr die Vergangenheit zum ersten Mal aus Genmas Perspektive und ich bin schon sehr gespannt, was ihr dazu sagen werdet, denn er trifft in seiner Erinnerung hier ja auf eine sehr wichtige Person ;)   Ich hoffe natürlich sehr, dass es euch gefallen hat! *-* Vielen vielen Dank wie immer an all meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen!!   Kapitel 38: All you gotta do is ask ----------------------------------- Das Wasser floss in einem sanften Rauschen über Inos Schulter und spülte die Seifenlauge fort. Sie hatte zwar vorhin schon geduscht, dachte sich aber, dass die Badeetikette trotzdem galt, besonders in einem Gäste-Onsen. Eingebettet in einen kleinen, von Mauern umgebenen Alkoven, saß sie mit den Haaren zu einem goldenen Knoten auf ihren Kopf gesteckt neben einem runden, dampfenden Becken. Sie summte leise vor sich hin, während sie sich einseifte, schrubbte und das Wasser über ihre Haut schöpfte.    ‚Reinheit kommt gleich nach Frömmigkeit, Ino.‘   Die Worte ihrer Mutter zwitscherten durch ihren Verstand wie ungewollter Vogelgesang in ihren Ohren. Wie viele Male hatte sie das während ihrer Kindheit gehört? Auf Blumenwiesen herumtollend und Wildblumen für ihre Mutter pflückend – Gänseblümchen, Geißblatt, Knöterich, Hirtentäschel, Butterblumen und Glockenblumen – dann hatte sie sie in einem farbenfrohen Strauß hochgehoben, nur um dafür gescholten zu werden, Schmutz unter den Fingernägeln zu haben, ebenso wie Grasflecken auf ihrem Kleid und Matsch an ihren Füßen.    ‚Reinheit kommt gleich nach Frömmigkeit, Ino. Jetzt geh und wasch dich, Blütenblatt. Ich werde sie in eine Vase stellen.‘   Ino hatte sie am nächsten Morgen gefunden. Nicht in einer Vase, sondern im Abfall. Verschrumpelt und verschwendet und ihr kleines Kinderherz war beim Anblick davon verwelkt. Nie wieder hatte sie danach Wildblumen für ihre Mutter gepflückt.    Du solltest dich entspannen und nicht an sie denken.   Oder daran, wie sie auseinander gegangen waren; mit zornigen Worten und Anschuldigungen. Wenn sie daran dachte, dass ihre Mutter physisch nach ihr geschlagen hatte. Und alles wegen eines Jungen, an den sie sich kaum erinnern, den sie aber auch nicht komplett vergessen konnte.    Naoki…wer warst du? Warum wollen sie nicht über dich sprechen?   Warum dachte sie überhaupt jetzt gerade daran? Hatte Neji ihr nicht bereits zweimal gesagt, dass ihr Kopf voll und ganz auf die Mission gerichtet bleiben musste und zwar nur auf die Mission? Es würde die Zeit kommen, um ihre Eltern in Bezug auf Naoki zu konfrontieren, sobald die Mission vorüber war. Außerdem hatte sie schon genug Sorgen mit Shikamaru, der so wahnsinnige Schwankungen sowohl charakterlich als auch mit seinem Chakra abzog…und all das so kurz, nachdem sie Asuma-sensei verloren hatten…Gott, im Moment fühlte es sich an, als würde ihre Familie um sie herum auseinander fallen; Asuma, ihr Vater, ihre Mutter, Shikamaru.    Sie presste die Lider gegen die Tränen zusammen.    Gott, hör auf. Morgen. Mach dir morgen Sorgen.    Nicht heute Nacht. Seufzend konzentrierte sich Ino wieder auf den gegenwärtigen Moment und tupfte mit einem Schwamm über die Kruste an ihrem Unterarm. Die Narben oder Verletzungen ließen sich nicht fort schrubben.    Yep. Ich bin so sauber, wie ich nur sein kann.   Nackt hängte sie ihren lilanen Yukata in einen der hölzernen Schlitze, die als Schließfächer dienten, sicherte den Riegel und schlang sich den Schlüssel um das Handgelenk.    Ok. Kein Nachdenken mehr.   Zeit, einzuweichen und sich zu verwöhnen.    Sie schnappte sich ein Handtuch, warf es sich über den Arm und trat hinaus auf den nebligen Pfad, der zum Rotenburo-Badebereich führte. Ihre Füße wisperten leise über die Latten aus poliertem Holz und Tropfen aus Wasser glitzerten auf ihrer Haut wie weiche, goldene Perlen, als sie dem Weg in natürlichem Fackellicht einer Reihe verzierter, schmiedeeiserner Lampen folgte.   Das Onsen war groß, panoramisch und in totalem Gleichgewicht mit der Natur, die verschiedenen Steinbecken gingen in einem langsamen Strom milchiger Wasser und schwebenden Dampfes ineinander über. Pavillonartige Dächer schirmten Teile der Becken ab und die stützenden Säulen versanken tief im Wasser, während Laternen von den Traufen baumelten.    Inos Mund klappte ein Stücken auf.    Es war bezaubernd, exotisch und anders als alles, was sie jemals in Konoha gesehen hatte; selbst die luxuriösesten Heißen Quellen verblassten im Vergleich hierzu. Das hier war die natürliche Welt, die auf märchenhafte Opulenz traf.    Sie beschleunigte ihre Schritte und näherte sich dem Becken, das am nächsten lag.    Das Handtuch legte sie nah am Rand ab, glitt hinein in die warmen, cremigen Wasser und ließ ihren Kopf nach hinten gegen den glatten Stein sinken, während sie lange und langsam ausatmete. Der Himmel über ihr war ein zerknittertes Laken aus tiefen Lilaschattierungen, als die Spuren des Sonnenuntergangs in die Abenddämmerung fortschmolzen. Sie versuchte, sich nicht auf die Schatten zu konzentrieren, die heran krochen…oder auf die Gedanken, die sie begleiteten.    Morgen, Shikamaru. Morgen, die Mission.   Heute Nacht gehörte ihr allein.    Ein leises Seufzen entkam ihren Lippen, gefolgt von dem sanften Summen eines Liedes, das sie in ihrer Kindheit gesungen hatte; niemals wissend, von woher sie es kannte oder warum es ihr Herz heimsuchte. Es war ein altes Min’yō Volkslied und der Text schwebte durch ihren Verstand und dann durch ihre Lippen, ihre Stimme wurde so leise und warm wie die Nebel über den Wassern hinaus auf die Abendbrise getragen.    „Tsubomi, süßes Mädchen Ein leis Gebet bring dar Tsubomi, süßes Mädchen Mit Blumen in dein‘m Haar. Die Hirsche fern und wandernd All die Schmetterlinge fort Ich steh auf diesem Berge Weiß doch, ist nicht mein Ort.  Tsubomi, süßes Mädchen Find dies‘ einsam’n Baum im Licht Tsubomi, süßes Mädchen Leg dort dein Veilchen hin für mich.“   Sie schloss die Augen und sang es wie ein Gebet, ließ den Text in eine Litanei übergehen; ein Lied, das ihre Kehle hinauf stieg, als würde es aus ihrer Seele gezogen werden und ihre Stimme geriet vor Emotionen ins Stocken, die sie weder verstehen, noch einordnen konnte.    „Tsubomi, süßes Mädchen“, sang sie, „leg dort dein Veilchen hin für mich.“   Eine traurige und sehnsuchtsvolle Stille folgte dem Lied…aber die Noten verweilten, hingen sanft und schmerzlich in der Luft, zupften an den empfindlichen Saiten ihres Herzens. Sie spürte, wie Tränen an den Rückseiten ihrer Augen brannten und schloss ihre Wimpern.    Warum schmerzt es so sehr? Und Tsubomi…warum ist mir dieses Wort zu vertraut?   Mit diesem Gedanken begann sie abzudriften, ließ zu, dass die Melancholie sie weiter fort trug, bis sie von dem plötzlichen Platschen von Wasser über Felsen zurückgerissen wurde. Japsend flogen Inos Augen auf und ihr Herz rammte sich hart gegen ihr Brustbein. Sie zuckte von den Steinen zurück und sank weiter hinunter in das Wasser, bis ihr Kinn auf die neblige Oberfläche traf, während sie durch den Dampf blinzelte.    „Wer ist da?“, wollte sie wissen und versuchte ihr Möglichstes, empört zu klingen, doch der Knoten aus Tränen, der ihre Kehle verstopfte, sorgte nur dafür, dass sich ihre Worte zu einem Krächzen verzerrten. „Komm raus oder ich werde-“   „Fährst immer gleich die Krallen aus, stimmt’s?“   Die Stimme erklang so leise, dass Ino dachte, sie hätte es sich eingebildet, bis sie die verräterischen Wellen von Bewegung wahrnahm und ein bisschen tiefer in den sich teilenden Dunst stierte. Dort, in den tiefen, blaulilanen Schatten des gebogenen Daches schwebend, bewegte sich eine Gestalt, um sich gegen eine der versunkenen Säulen zu lümmeln. Laternenlicht streifte seine beschatteten Konturen wie ein Kratzbild; nur goldene Schrägstriche und feine, schimmernde Linien. Sie umrissen die Kante eines kräftigen Kiefers, die schlanken Sehnen eines männlichen Halses und ein Schlüsselbein so scharf wie eine Klinge.    Inos Magengegend flatterte im Einklang mit ihrem Herzen und Wärme kroch auf ihre Wangen.    Oh. Mein. Gott.    Sie holte Luft, um zu rufen, zu schreien, aber alles, was heraus kam, war ein angestrengtes Krächzen. „Kiba.“   Schatten fielen über sein Gesicht, verschleierten seine Reaktion, aber sie konnte spüren, dass er sie beobachtete – konnte die Hitze seines Blickes fühlen. Und sie redete sich selbst ein, dass es nichts weiter war als dieses gruselige Augenschimmern, das in der Dunkelheit funkelte.    „Ich wusste nicht, dass du so singen kannst“, sagte er mit einer Stimme, die sich irgendwo zwischen sanft und rau bewegte. Eine Textur, die Inos Haut greifbar wie eine Berührung streichelte.    Ein Kribbeln, das überhaupt nichts mit der Verlegenheit, sondern alles mit Verlangen zu tun hatte, das sich ihre Nerven entlang stach und sich unter ihrer Haut regte, Härchen aufstellte und das Erröten über ihren Hals ausweitete, um ihre lilienweise Vollkommenheit zu einem glühenden Rosa zu verwandeln.    Das passiert gerade nicht wirklich…   Ganz besonders nicht jetzt. Das hätte ihr Ort sein sollen, ihre Privatsphäre, ihr geheiligter Hafen in einem emotionalen Sturm. Und trotzdem war er hier, dieser unverbesserliche Bastard und löste heiße Strudel in ihrem Unterleib aus.   Bastard. Was für ein Bastard, dass er das mit mir macht.    Irrationaler Zorn blubberte in ihr auf, brach heiß und bösartig auf ihrer Zunge aus. „Du PERVERSLING!“ Ihr Kreischen hallte so explosiv von den Felsen wider, dass es den Augenblick zu vollkommener Regungslosigkeit erschütterte.    Kiba ließ das sacken.    Und dann lachte er.    Dieser überhebliche Mistkerl.   Er besaß tatsächlich die Frechheit, sich über sie lustig zu machen. Ino funkelte ihn zornig an und spürte, wie die Verlegenheit winzige Fissuren in ihren Stolz trieb. Der heiße Dampf der Rage zischte durch ihre Nase und zwischen ihren Zähnen hindurch. Wut war sicherer als Anziehung und Empörung weitaus besser als das, was auch immer ihre Hormone ihr entgegen brüllten.    „Du voyeuristisches Schwein!“, keifte sie, schlang sich die Arme um ihre Brüste und überkreuzte die Beine unter dem Wasser, gedemütigt von ihrer Nacktheit und sich der Tatsache gerade nur allzu bewusst, dass Verlegenheit eigentlich ihre erste und unmittelbare Reaktion auf ihn hätte sein sollen. „Wie lange beobachtest du mich schon?“   Ein leises Lachen und Kiba schwebte von der Säule fort, wobei er ein sanftes, goldenes Kräuseln über das dunkle, rauchige Wasser schickte. „Ich denke, dass ich dich darüber schwitzen lassen sollte.“   Inos Augen vergrößerten sich zu zwei meerblauen Scheiben.    Oh guter Gott – hatte er sie gesehen? Also, so richtig? Komplett? Sie fühlte sich übel. Sie sank vermutlich etwas weiter in das Becken und wartete darauf, dass die Flut der Scham sie nach unten zerrte, während die Stimme ihrer Mutter wie ein Anker um ihr Herz hing.    ‚Grazil und glatt wie Seide. So sollte eine Dame sein.‘   Ino erachtete sich selbst nicht als grazil oder glatt – sie war gerade und dünn, breitschultrig und scharfkantig, wo sie hätte weich sein sollen. Für alles, bei dem sie sich nicht den Arsch wund gearbeitet hatte, um es aufrecht zu erhalten, kämpfte sie stetig darum, es herzustellen oder zu maskieren. Die rechte Seite ihres Gesichtes war nicht perfekt symmetrisch zu ihrer linken und sie besaß keine nennenswerten Brüste unter dem gepolsterten lilanen Oberteil und den schmeichelhaften BHs. Sie wusste, wie man sich auftakelte, wie Make-up Wunder wirken konnte und wie sie akzentuieren musste, was ihre Mutter als ‚ausgleichende Anhängsel‘ betrachtete, aber unter all dieser Verpackung und dem Glitzer fühlte sie sich nichtssagend und jungenhaft und – bitte bring mich einfach um.   Kiba hörte auf, durch den Dampf zu driften und die Wellen beruhigten sich um ihn herum. Spielerisch zwinkerte er ihr zu. „Aw, na sieh sich das einer an, das ist dir tatsächlich peinlich.“   Inos Augen verengten sich zu Schlitzen. „Aw, na sieh sich das einer an, du bist tatsächlich beobachtend“, fauchte sie und brachte sie dadurch zurück zu dem ganzen ‚Beobachtet werden‘ Thema. „Gott, du bist so ein Hund.“   Ein leises Glucksen. „Dir ist klar, dass das für einen Inuzuka nicht wirklich eine Beleidigung ist, oder?“    „Oh, das entschuldigt ja auch total deine Vulgarität. Ich habe vergessen, dass du von Wölfen aufgezogen wurdest.“   Kiba bedachte sie mit einem Grinsen, das ganze zehn Arten von wölfisch war. „Darauf kannst du wetten.“ Es lag nichts Bezauberndes an diesem Lächeln; es glühte so heiß und fleischlich wie der Ausdruck in diesen karamell-goldenen Augen. Ein bisschen zu warm. Ein bisschen zu wild.    Erneut flatterte Hitze in Inos Magengegend auf und sie erschauerte gegen dieses Gefühl, versuchte, es als Abscheu abzutun und erinnerte sich selbst daran, dass das Kiba war. Seine Aufmerksamkeit war nicht schmeichelhaft. Er würde alles vögeln, was einen Puls hatte. Sie reckte das Kinn und zog Hochnäsigkeit wie einen Schild um sich herum. „Tja, ist nicht so, als würde irgendjemand wirklich glauben, dass du von Frauen aufgezogen wurdest, wenn man bedenkt, dass du überhaupt keinen Respekt vor ihnen hast.“   Mit nach oben wandernden Brauen stieß Kiba ein verblüfftes Lachen aus und legte sich in spöttischem Affront eine Hand auf die Brust, während er ein bisschen näher kam. „Das ist eine ernstzunehmende Behauptung. Willst du sie absichern?“   Das einzige ‚Absichern‘, das Ino gerade wollte, war physisch. Während sie Kiba dabei zusah, wie er durch den Nebel näher driftete, wanderten ihre Augen zu den Perlen aus Feuchtigkeit, die über seine goldene Haut sickerten und langsam seinen Hals hinab rannen. Das sanfte Plätschern des Wassers schwappte über die breiten Ebenen seiner Brust, floss über seine Schultern und die Muskeln seiner Arme, als er sie in einer trägen Geste der Einladung ausbreitete und sie herausforderte, ihm mit der Zunge einen Peitschenhieb zu verpassen.    Zungenpeitschenhieb…   Das erotische Bild, das diesen Gedanken begleitete, war absolut schockierend. Gott, was war nur falsch mit ihr? Einfach so in die dampfenden Tiefen der Versuchung zu schweben.    Versuchung? ERNSTHAFT? Das ist Kiba. KIBA. Der schmutzige, grobe, vulgäre, schlecht erzogene, unflätige Mistkerl…   Die schiere Vorstellung von ihm hätte komplette Abneigung hervorrufen müssen – ganz sicher nicht Anziehung! Er war quasi die Antithese dessen, was sie bei einem Kerl wollte; er war ein Gauner, ein Wüstling, ein roter Fleck, der sich nicht auswaschen ließe.    Er war in allem falsch, weil er nie richtig sein konnte. Zumindest nicht für sie.    Oder für irgendeine andere Frau mit einem HIRN.   Energisch fabrizierte sie einen angewiderten Ausdruck, schlang einen Arm um ihre Brüste und streckte ihre andere Hand aus, um nach dem schmalen Felsvorsprung zu greifen, während sie in dem Versuch auf den Zehenspitzen herum hüpfte, seinem Blick zu entgehen und irgendein festes Hindernis zwischen sie zu schieben.    Mit einem Glimmen in den Augen beobachtete Kiba sie und erfreute sich an ihrem Rückzug. „Bisschen abgelenkt, Prinzessin?“   „Ich denk nicht dran, das Offensichtliche zu beantworten, du dämlicher Neandertaler“, blaffte Ino, schwebte hinter die schmale, winzige Halbinsel und bewahrte sich so etwas Anstand. „Außerdem beweist du doch meinen Punkt. Warum hundestrampelst du nicht rüber auf die andere Seite und lässt mich in allein? Oder noch besser, warum verschwindestdu nicht komplett?“   Kiba setzte ein langsames Grinsen auf. „Nah, das ist viel zu viel Arbeit für einen Neandertaler. Ich wollte dir eins mit einem Dinosaurierknochen über den Schädel ziehen und dich dann zurück in meine Höhle zerren.“   Völlig überrumpelt von seiner Schlagfertigkeit, stieß Ino gegen ihren Willen ein Lachen aus.    Kiba entging dieser Ausrutscher nicht und sein Schmunzeln wurde breiter, während sich Lachfältchen und Grübchen in seine Wangen gruben, was ihre Augen auf die tätowierten Streifen zog. Bis zu dieser Sekunde hatte sie sie nie als sexy erachtet. Aber auf der anderen Seite hatte sie sich auch noch nie als dämlich erachtet.    Was ich aber auf jeden Fall bin, wenn ich zulasse, dass dieses idiotische Piratengrinsen seinen Charme entfaltet…   Charme? Kiba? Von wegen! Mit aller Kraft versuchte Ino, ihre vorherige Genervtheit wieder aufzurichten, schnaubte zimperlich und legte mit einem abweisenden Rucken des Kopfes einen Arm über den schmalen Felsvorsprung. Doch trotz ihrer besten Bemühungen, frostig zu bleiben, Kibas träges Grinsen schmolz warm und sanft über sie hinweg wie diese Karamellaugen; lud sie ein, an dem Witz teilzuhaben, statt daran Anstoß zu nehmen.    „Ein Dinosaurierknochen?“, murmelte sie und versuchte angestrengt, nicht zu schmunzeln. „Bin mir sicher, dass die Damen dich dann als richtigen Treffer empfinden.“   Bei dem Wortspiel verzog Kiba das Gesicht. „Du hast es abgeschlachtet.“   Ino brach in ein giggelndes Prusten aus und überraschte sie beide damit. Sofort flog ihre Hand zu ihrem Mund. Oh Gott. Das Giggelnde Prusten. Das küssende Pendant zu Dem Furz.    Während sie sich mit den Händen über ihr glühendes Gesicht rieb, schrumpfte sie mit einem Ächzen hinter dem Schirm dieses erbärmlichen kleinen Felsens zusammen. „Wenn du jetzt einen Ino-Schwein Witz machst“, warnte sie, als sie versuchte, die Erniedrigung zu kaschieren.    Ich hasse mein Leben…   So dämlich es war, sie fühlte sich auf eine Weise bloßgelegt, die über Haut hinaus ging…und trotz ihres schnippischen Hin und Hers, wenn Kiba sie jetzt auslachte, würde sie ihm niemals vergeben. Denn er würde nicht über die Prinzessin lachen, die sie vorgab zu sein, sondern er würde über das kleine Mädchen lachen, das Wildblumen im Haar und Schmutz unter den Fingernägeln hatte.    Kiba lachte nicht.    Tatsächlich bedachte er sie mit einem Blick, der so schwer zu interpretieren war, dass sie sich fragte, ob er überhaupt irgendetwas anderes als das Giggel-Prusten gehört hatte. Seine Brauen waren in tief versunkener Miene zusammengezogen, die Lippen leicht geöffnet, als hätte er Luft geholt, um etwas zu sagen, doch dann war ihm der Gedankengang abhanden gekommen. Es war wie die unangenehme Pause während eines Schauspiels, wenn jemand seinen Text vergessen hatte. Ino hatte überhaupt keine Ahnung, was sie sagen sollte und Kiba schien auf irgendeine Art des Bühnengeflüsters zu warten, das ihn aus seiner Starre befreite. Seine dunkelgoldenen Augen suchten unsicher ihr Gesicht ab.    Zur selben Zeit holten sie Luft und erstarrten beide, als erwarteten sie, der andere würde zuerst sprechen. Aber keiner sagte etwas.    Während sie eine Grimasse schnitt, zog Ino spielerisch die Nase kraus. „Peinlich.“   Das schien die Spannung zu durchbrechen.   Kiba stieß ein leises Lachen aus und tauchte mit gesenktem Kopf zurück ins Wasser, während er sich mit einer Hand auf eine Art und Weise durch sein nasses Haar fuhr, die vielleicht nervös gewirkt hätte, wenn er dem ganzen nicht ein schiefes Grinsen hinterher geschickt hätte. „Weißt du, das war vielleicht der erste reale Klang, den ich jemals von dir gehört habe – abgesehen von dem Gesang. Du solltest das öfter machen.“   Augenrollend bedachte Ino ihn mit einem flachen Blick. „Was? Das Giggel-Prusten?“   Kibas Schmunzeln wurde etwas tiefer. Langsam hob er die Schultern, als wollte er mit den Achseln zucken, doch dann verzog er auf halbem Weg das Gesicht und drehte einen trägen Kreis im Wasser in dem lausigen Versuch, den Schmerz zu verbergen. „Das auch“, scherzte er.    Ino musterte ihn genau und war sich nicht sicher, ob sie überrascht oder argwöhnisch sein sollte. Es war nicht das erste Mal, dass er sie bei so etwas erwischte. Aber es war das erste Mal, dass er irgendwie dafür ein Kompliment machte. Und sie war sich nicht so sicher, was sie damit anfangen sollte, oder mit ihm…denn er war nicht das 1A-Arschloch, von dem sie immer gedacht hätte, er wäre es, sollte er jemals die Chance bekommen, ihre Unvollkommenheiten gegen sie zu verwenden.    Ugh! Ich hasse es, wenn er das macht.   Es machte es so viel schwerer für sie, an ihren negativen Überzeugungen über ihn festzuhalten. Überzeugungen, die sie dringend brauchte, um sich von ihren eigenen betrunkenen und peinlichen Verbrechen in der Nacht ihres Geburtstages freizusprechen. Ausschweifungen in einer Flasche. Und sie hatte sich ordentlich die Kante gegeben, war von Kibas Arm gehangen wie eine Stangentänzerin. In dem Bemühen, für diese betrunkenen Gräueltaten Ersatz zu finden, hatte sie sich entschlossen, Kiba für ihre Handlungen verantwortlich zu machen.    Wirklich erwachsen.   Und was es noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er nicht einmal das gegen sie verwendet hatte – naja, zumindest nicht, bis sie in den Laboratorien seinen Stolz auseinander genommen hatte und er deswegen zurückgebissen hatte. Seitdem hatte sie ein fettes, funkelndes Bastard-Abzeichen für Kiba aufpoliert und jetzt konnte sie es nirgendwo hin heften.   Außer ich mach wieder eine auf Eiskönigin ihm gegenüber…   Aus irgendeinem Grund störte ihn das weit mehr als ihr Temperament. Doch Zorn schien passender zu sein.    Also sei sauer auf ihn.   Einfach genug, wenn man bedachte, dass er immer noch hier war und auf seinem Ego durch die Gegend schwebte, wenn er ihr doch ihre Privatsphäre hätte lassen und ihr etwas Frieden geben sollen. Für einen Moment beäugte sie ihn weiterhin wachsam, sah zu, wie er seine Schulter unter das Wasser tauchte und den Kopf nach hinten kippen ließ. Die Muskeln in seinem Hals zogen sich straff, als er schluckte und Perlen aus Schweiß und Wasser rannen die Mulde in seiner Kehle hinab.    Na wer ist jetzt die Perverse?    Stirnrunzelnd schluckte Ino schwer und gab sich alle Mühe, den Blick abzuwenden, als sie ihr benebeltes Hirn nach irgendeiner Ablenkung durchwühlte. „Tut deine Schulter immer noch weh?“, platzte es aus ihr heraus.    Kiba schien sie nicht zu hören; oder er ignorierte sie. Langsam ließ er sich etwas tiefer in die warmen Tiefen sinken und driftete weiter in einem müßigen Kreis, sich der türkisblauen Augen nicht bewusst, die jede einzelne seiner Bewegungen schluckten. Ino biss sich auf die Lippe, suchte den heißen Strudel in ihrer Magengegend nach den Trümmern ihres zerstörten Temperaments ab. Aber alles, was sie fand, war das verhedderte Wirrwarr aus Gefühlen, das sie auch schon gefühlt hatte, als sie ihn in diesem Rattenloch von einem Ryokan beim Schlafen beobachtet hatte.    Ihn so daliegen zu sehen, verletzlich, bloßgelegt und ohne diese selbstsichere Attitüde…   Denk nicht so…   Oder so fühlen. Wenn man sein dauerhaftes Bedürfnis danach bedachte, diesen Macho-Alphamodus aufrecht zu erhalten, würde Kiba Lieblichkeit und Gefühlsduselei vermutlich nicht zu schätzen wissen. Wahrscheinlich würde er deswegen würgen.    Gut, das macht es leichter, ihn…   Ihn was? Ihn abzulehnen? Das abzulehnen, was er offensichtlich in ihr auslösen konnte? Was zur Hölle sagte das eigentlich über sie? Über ihren Männergeschmack? Über grundlegenden, gesunden Menschenverstand – oder den Mangel daran?   Das sind nur die Hormone…die verbotene Frucht…   Was für ein lahmer Vergleich. Kiba sah mehr aus wie ein erstklassiges Steak. Da war überhaupt nichts Liebliches an ihm. Mit dem Alter war er nicht gereift, er war härter und zäher geworden – und sie würde sich höchstwahrscheinlich genauso an ihm verschlucken wie er an ihr.    ‚Hey, lass uns doch ehrlich sein. Gemessen an deinem raffinierten und delikaten Gaumen glaube ich nicht, dass du etwas so Rohes wie mich überhaupt verdauen könntest.‘   Ino erschauerte bei der Erinnerung an diese Worte, bei der Erinnerung an den glühenden Ausdruck in Kibas Augen, als er sie gesagt hatte. Der Strudel in ihrem Unterleib drehte einen weiteren heißen Zirkel.    Hör auf. Wenn er schon irgendwann mal mit irgendetwas Recht hatte, dann damit, dass er der falsche Typ für dich ist.   Kein Zweifel. Sie mochte Männer, wie sie ihre Sommerdesserts mochte; kühl, glatt und gartenfrisch mit einem süßen Hauch der Blaublütigkeit, alles serviert in einer Porzellanschüssel; Uchiha-Delikatessen, köstliche Hyūga-Gerichte und vielleicht sogar eine aufgewärmte Version dessen, was zur Hölle Sai wohl war, wenn er zumindest ein bisschen um seine steifen ANBU-Kanten herum auftauen würde.    Das ist die Art von Mann, die du willst, erinnerte sie sich selbst.    Männer mit Klasse, Kultiviertheit, gepflegten Manieren und adligem, gutem Aussehen. Das war ihr Grundriss. Ehrlich gesagt, mit all dem so fest in ihrem Hirn verkabelt, war es wirklich ein Wunder, dass ihre Hormone in Anwesenheit von Neji und Sai keinen Satz machten; nicht so, wie wenn Kiba in ihrer Nähe war…wie er jetzt in ihrer Nähe war…wie er jetzt und nackt in ihrer Nähe war…   Hör auf!   Energisch widerstand Ino dem Drang, ihren Kopf unter das Wasser zu tauchen.    Das ist so bescheuert…   Aber leicht zu richten. Sie könnte diese Verrücktheit in dieser Sekunde leicht auslöschen und sie beide zurück in die Kindergartenzone der verbalen Spuckbälle und Beschimpfungen schubsen, aber auf einen Schlag – und oh, so dämlicher Weise – musste sie feststellen, dass sie an den abblätternden Etiketten und schiefen Warnschildern vorbei spähen wollte, die sie während der Akademiezeit auf Kibas Rücken geklatscht hatte.    Wann habe ich überhaupt angefangen, so schlecht von ihm zu denken?    Als Kind hatten sie hin und wieder miteinander gespielt – vor allem wegen der Tatsache, dass Shikamaru Diskriminierung und Spielplatzkleinlichkeiten schon immer als lästig empfunden hatte. Er hatte niemals irgendwen aus ihren Spielen ausgeschlossen; nicht einmal den geächteten Naruto. Diese Zeit hatte die Jungs ziemlich eng zusammengeschweißt. Vielleicht war sie ein bisschen eifersüchtig darauf gewesen?   Nein. Ich hatte meine eigenen Freunde.    Ja klar. Mädchen, die aus der Kindheit hinaus und direkt in belanglose, soziale Cliquen gesprungen waren. Sich in koketten und konkurrierenden Kreisen bewegt hatten, deren einziger Zweck es gewesen war, Mädchen wie Sakura zu schikanieren und Jungs wie Sasuke nachzustellen. Auch Ino war nicht immun gegen Sasuke gewesen, aber ihre mitfühlende Gesinnung hatte bei weitem jedes Verlangen danach überwogen, einer Schwesternschaft aus Primadonnaschlampen anzugehören. Sie hatte diese Mädchen fallen gelassen und sich Sakura angenommen. Sie hatte versucht, die Pinkhaarige über ihre Unsicherheiten hinaus zu heben.    ‚Siehst du? So siehst du viel hübscher aus, Sakura! Ich schenke dir das Haarband. Du bist hübsch, also hab nicht so eine Angst!‘   Wie traurig, wenn sie daran dachte, dass sie sich endlich sicher und glücklich gefühlt hatte, eine Freundin zu haben, mit der sie nicht in Konkurrenz stand oder in deren Gesellschaft sie sich nicht unsicher fühlen musste…zumindest, bis Sakura ihre erblühende Freundschaft zerschmettert hatte…   ‚Ino-chan. Du magst Sasuke-kun auch, stimmt’s? Dann…sind wir von jetzt an Rivalinnen.‘   …und Ino wegen etwas so Dummem wie einem Jungen verraten hatte.   ‚Ich werde nicht mehr gegen dich verlieren, Ino.‘   Bei der Erinnerung an diese Worte zuckte Ino zusammen. Worte, die Ino in genau das verwandelt hatten, wovor ihre Mutter sie immerzu gewarnt hatte, dass sie es immer sein würde.   Konkurrenz.   Immer nur Konkurrenz. Gelehrt von jeder Frau in ihrem Leben – Familie und Freunde – dass sie mit anderen Mädchen um das hart verdiente Recht, attraktiv zu sein, akzeptiert und anerkannt zu werden, kämpfen musste. Ein Recht, das nur der Hübschesten, der Dünnsten, der Klügsten und der Einen gehörte, die es schaffte, dass sich die meisten männlichen Köpfe drehten. Bevor sie von diesem ‚hart verdienten Recht‘ gehört hatte, hatte sich Ino durch ihre akademischen Leistungen und in ihrem eigenen Selbstvertrauen hervorgetan; ein willensstarkes und glückliches Kind…bis sie in diesen Kampf gestoßen wurde, in dieses fortwährende Ritual, das unter Frauen herrschte. Es hatte Asuma in der Sekunde zu vollkommenem Unverständnis verwirrt, als sie angefangen hatte, sich mehr um ihr Gewicht als um ihre Leistung zu sorgen, mehr um ihr Aussehen als um ihre Lehrstunden.    ‚Wo ist mein selbstsicheres Großmaul hin?‘   Wenn sie doch zu dieser Zeit nur die Worte gefunden hätte, um es ihm zu erklären.    Ugh. Kerle haben es so einfach…   Aber mit Sicherheit sollte es doch nicht so hart sein? Oder doch? Sie spähte zu Kiba hinüber und fragte sich, ob es denn wirklich Eifersucht und verdrängte Wut waren, die sie dazu trieben, ihn ununterbrochen anzufauchen und anzuspucken. Oder vielleicht hatte sie in dem Moment, als sie die dreizehn Lebensjahre erreicht hatte, all die vorschnellen Bewertungen und gesellschaftlichen Vorurteile ihrer Mutter geerbt. Denn während Sayuri, wie die meisten Eltern, Ino gewarnt hatte, sich von Naruto fernzuhalten und das aus Gründen, die sie niemals erklärt hatte – die, wie Ino inzwischen wusste, einfach nur daraus bestanden, dass er ein Jinchūriki war – hatte sie überhaupt keine Probleme damit gehabt, ganz deutlich darzulegen, warum Ino Kiba meiden sollte, indem sie den Hundeninja als unzivilisierten und verrufenen Inuzuka-Delinquenten gebrandmarkt hatte.    ‚Du hältst dich von ihm fern, Blütenblatt. Der ist nichts weiter als Abschaum und Ärger.‘   Der. Inuzuku Kiba. Der Spielplatz-Schurke, der gerne die Schule schwänzte und den Mädchen unter den Rock sah. Natürlich war die Hälfte der jugendlichen Gerüchte über Kibas Ruf als Schürzenjäger von Ino selbst in Umlauf gebracht worden; hässliche, gemeine Samen, die sie aus unangebrachter Bosheit und Tratschspekulationen verstreut hatte – nicht, dass Kiba viel unternommen hatte, um besagte Gerüchte zu entwurzeln oder zu widerlegen. Wenn überhaupt, dann hatte er hervorragende Arbeit geleistet, das zu kultivieren, was sie über die vergangenen zwei Jahre gesät hatte, indem er ständig flirtete und mit dieser großspurigen Selbstsicherheit um sich warf.   Immer so selbstsicher…   Er stolzierte immer mit einer Leichtigkeit herum, die Ino beneidete und hasste, da Kiba sie wirklich besaß. Er musste kein Schauspiel aufführen. Er musste nichts vorgeben. Er war selbstsicher und gab einen Scheiß auf das, was irgendjemand von ihm dachte.    Ich wünschte, ich wüsste, wie sich das anfühlt…   Diese Selbstsicherheit zu besitzen und sie nicht fabrizieren zu müssen. Ino benahm sich immer, als könnte sie durch nichts aus der Fassung gebracht werden, aber selbst die kleinste Zurückweisung, die leichteste Ablehnung, schnitt so tief, dass sie eine Titan-Zickigkeit oder Eisköniginnen-Hochmut herstellen musste, um den Stich zu kaschieren…genau wie ihre Mutter.    Gott, bitte. Ich will nicht so sein wie sie…   Kibas Stimme riss sie aus ihrer Grübelei zurück. „Willst du mich nicht mit ein bisschen Singen unter der Dusche beehren?“   Der spielerische Biss in seinen Worten machte die Unbehaglichkeit der Situation nicht weniger ungehobelt. Hitze erblühte warm auf Inos Wangen. „Der ganze Sinn vom Singen unter der Dusche ist, dass man dabei kein Publikum hat“, grummelte sie, faltete ihre Arme über der Felskante und ließ das Wasser ihr Gewicht tragen. „Und ich werde dir sicher nichts geben, das du mir dann wieder ins Gesicht schmeißen kannst.“   „Oh Mann.“ Kiba richtete sich auf und schüttelte sich das Wasser in einer animalisch ruckartigen Bewegung aus den Haaren, bevor er sich mit den Fingern durch die durchnässten Strähnen fuhr. „Nimm ein Kompliment doch einfach an.“   „Ein Kompliment?“, spottete Ino, während eine feine, goldene Braue nach oben wanderte. „Vielleicht solltest du daran arbeiten, wie du sie übermittelst, Märchenprinz. Mir zu sagen, dass mein Gesang und mein Giggel-Prusten in derselben Kategorie rangieren, ist kein Kompliment. Außerdem, was ist denn bitte eigentlich ein ‚realer Klang‘? Was soll das überhaupt bedeuten?“   Im Wasser schwebend bedachte Kiba sie mit einem langen, nachdenklichen Blick und Belustigung zupfte dabei an seinen Augenwinkeln. "Du angelst total danach, stimmt’s?“   Verlegen durch diese Vermutung öffnete Ino den Mund, um zu protestieren, aber Kiba kam ihr zuvor und seine Stimme war dabei ein leises Rollen durch den Dampf. „Ich bin kein Süßholzraspler, aber wenn ich sage, dass sich etwas real anhört, dann ist das ein Kompliment. Nimm es an.“   Und was sollte sie damit anfangen? Damit den Samen dieser knospenden Anziehung wässern?   Durch ihre dichten Wimpern sah Ino ihn an, fühlte sich unbeholfen und unsicher, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie das auch zeigte. Stattdessen setzte sie ein schmales Lächeln auf zuckte mit den Achseln. „Naja, das Giggel-Prusten ist nicht wirklich ein Klang. Es ist ein Zustand, von dem meine Mom eigentlich gehofft hatte, dass er durch die Adenoidenentfernung während meiner Kindheit behoben werden würde.“   Kiba rümpfte die Nase über dieses medizinische Kauderwelsch, aber er überraschte sie, indem er fragte: „Deine Mom hat dir die Adenoiden rausnehmen lassen, nur weil du als Kind dieses Giggel-Prusten gemacht hast? Ist das nicht ein bisschen extrem?“   Schnaubend warf Ino ihm einen Seitwärtsblick zu, der deutlich machte, dass sie ernsthaft bezweifelte, dass er überhaupt wusste, was Adenoiden waren, nur um ihre unmittelbare Versnobtheit zu zügeln. Wenn irgendein Clan etwas über die medizinischen Bereiche von HNO wusste, dann waren es die Inuzuka. „Es war nicht so extrem“, erwiderte Ino ein wenig erhitzt in direkter Verteidigung ihrer Mutter. „Und außerdem sind Adenoiden in etwa so nützlich wie ein Appendix.“   „Hey, vergleich deine Adenoiden nicht mit einem Appendix, okay? Zumindest gehen die nämlich nicht in die Luft und versuchen, dich kalt zu machen.“   Angesichts seines Tonfalls blinzelte Ino und erstaunt hob sich ihr Kopf ein Stück. „Du hattest einen Blinddarmriss?“ Er stieß nur ein kurzes, wegwischendes Grunzen aus und Inos Augen weiteten sich. „Kiba, das ist furchtbar.“   „Ich weiß. Das Krankenhausessen war beschissen. Kein Trockenfleisch.“   Ino runzelte über diese aalglatte Antwort die Stirn und suchte für einen Moment sein Gesicht ab. „Wie alt warst du?“   Kiba ließ ein unverbindliches Geräusch hören und schwebte zurück in die Wasser, ließ sich treiben, bis er auf eine der Steinbänke traf, die in den Fels geschnitten waren. Er legte einen Arm auf dem Beckenrand ab und sank gerade so weit nach unten, um seine verletzte Schulter unter das Wasser zu tauchen. „War nicht so schlimm. Ich hatte einen legitimen Grund, den Unterricht zu verpassen und die Krankenschwestern dazu zu bringen, mir Lollies zu schenken.“   „Lollies?“, schnaubte Ino mit einem triezenden Blick. „Wow, also warst du wie alt? Zehn?“   „Fünf.“   Jeder Humor verschwand so schnell aus Ino wie die Luft aus ihren Lungen. „Oh mein Gott. Deine Mom muss ausgeflippt sein.“   Das schien Kiba aus der Fassung zu bringen. Sein Blick driftete zur Seite weg und er hob seine Brauen, als würde er sich im Stillen etwas fragen. „Vielleicht. Weiß nicht. Sie war nicht da.“ Bei Inos fassungsloser Stille sah er mit einem schwachen Lächeln auf, bevor er hinzufügte: „Hana ist vorbei gekommen, um sicherzustellen, dass ich mir nicht die Infusionen rausziehe.“    Als würde das die Abwesenheit seiner Mutter erklären.    Ein heißes, zorniges Gefühl brodelte in Inos Brust. Empörung. „Wo war deine Mutter?“, wollte sie wissen und war nicht in der Lage, die Wut aus ihrer Stimme zu verbannen.    Nachsinnend legte Kiba den Kopf schief. „Hat Iruka-sensei den Arsch aufgerissen, weil er auf meine schlechten Schauspielkünste reingefallen ist. Hat meinen gerissenen Blinddarm auf einer Petrischale gebraucht, um sie davon zu überzeugen, dass ich das nicht vortäusche.“ Er lachte ernsthaft ein bisschen darüber.    Fassungslos und mit offenem Mund glotzte Ino ihn an. „Das ist nicht witzig, Kiba. Du hättest sterben können.“   „Hätte auch heute sterben können. Ist nichts anderes.“   „Natürlich ist es was anderes“, schnappte Ino und ihre Augen wurden weich, als sie ihn musterte. „Mit fünf Jahren warst du noch kein Ninja. Hat sie dich wenigstens im Krankenhaus besucht?“   Kiba hörte auf zu schmunzeln. Er schoss ihr einen finsteren Blick zu und die Muskeln in seinem Kiefer zuckten heftig. „Ich hab’s nicht nötig, dass mir jemand die Hand hält und Duzi-Duzi macht, Ino. Ich war nie die Art Kind.“   Nein. Natürlich nicht. Er war fünf Jahre alt und zäh wie Trockenfleisch. Ino glaubte ihm das nicht für eine einzige Sekunde und versuchte auch gar nicht erst, das zu verbergen, als sich ihre Brauen sanft zusammenzogen.    Bei diesem Ausdruck versteifte sich Kiba, bevor er sein Unbehagen mit einem rauen, grollenden Lachen abschüttelte, seine Miene ein bisschen zu angespannt, um überzeugend zu sein. „Mann, ich wette, du würdest deine Kids ersticken, solltest du jemals welche haben.“   Der Scherz prallte ab. Stirnrunzelnd legte Ino ihr Kinn auf ihren Unterarmen ab und fing an, sachte ihre Beine unter dem Wasser hin und her zu wiegen. „Vielleicht“, gestand sie leise. „Ich weiß, dass wenn ich ein kleines Mädchen hätte…es eine ganze Menge Dinge gibt, die meine Eltern mit mir gemacht haben, die ich mit ihr anders machen würde.“   „Achja?“, murmelte Kiba, als er seitwärts zu ihr spähte. „Zum Beispiel?“   Wie zum Beispiel alles…   Okay. Das war eine gewaltige Übertreibung, zumindest was ihren Dad anging. Als Vater konnte sie ihm keine Vorwürfe machen. Aber ihrer Mom? Gott. Ino hätte ein ganzes Handbuch über die mütterlichen Katastrophen von Yamanaka Sayuri schreiben können. Hunderte Lektionen darüber, was man nicht mit dem fragilen kleinen Herzen eines Kindes machen sollte, das viel zu jung und viel zu empfindlich war, um die bösartigen Beschneidungsangewohnheiten einer Mutter zu überleben, die Liebe mit derselben kritischen Manier kultivierte, wie sie Blumen kultivierte.    Kinder waren keine Blumen.    Sie waren empfindliche, kleine Samenkörner, die Wasser und Sonnenlicht brauchten.   Nicht Scheren und Zangen.   Und egal wie oft Inos Vater ihr Komplimente machte und sagte, sie wäre eine wunderschöne, violette Blume; sie hatte sich schon immer nur wie ein Unkraut in den Augen ihrer Mutter gefühlt. Ein Mauerblümchen, das - immer – vorgab, strahlender und weit schöner zu sein, als es wirklich war – was nämlich überhaupt nicht schön war, wenn man anhand der anspruchsvollen Maßstäben ihrer Mutter gemessen wurde. Und nichts, was ihr Vater sagte, könnte sie jemals vom Gegenteil überzeugen.   „Denkst du dir gerade einen ganzen Roman für die Antwort aus?“, fragte Kiba und unterbrach damit ihre Gedanken.    Genervt sah Ino auf, sah dieses langsame, träge Schmunzeln, das seine Lippen zierte und vergaß schlagartig, warum sie sauer war oder was er sie eigentlich gefragt hatte. „Umn…nein…“, erwiderte sie lahm und stolperte dabei über ihre Gedanken. „Ich hab vergessen, was ich sagen wollte.“   Mit zwinkernden Augen hob Kiba die Brauen, als befände er sich im Besitz eines Geheimnisses. „Klar.“   Idiot.   Ino funkelte ihn finster an, doch ihr Herz lag nicht darin – es war viel zu beschäftigt damit, sich zu überschlagen, je länger sie den Augenkontakt aufrecht erhielt. Schnaubend legte sie ihre Wange gegen die verschränkten Arme und wandte die ursprüngliche Frage ihm zu. „Solltest du mal Kinder haben, was würdest du denn anders machen?“   Der Schalk verschwand aus Kibas Augen und ließ sie dunkel und leer zurück. „Ich würde bleiben“, sagte er mit schroffer Stimme.    Die Unmittelbarkeit dieser Antwort war ebenso überraschend wie sie traurig war. Langsam hob Ino den Kopf und musterte sein Gesicht, sah, wie sich die Schatten entlang seines Halses und Kiefers kräuselten, als sich die Muskeln gegen eine unschöne Erinnerung straff zogen.    Sein Vater…   Alles, was Ino wusste, war, dass er die Familie verlassen hatte, als Kiba noch ein Kind gewesen war. Wie musste das für ihn gewesen sein? Wenn sie ihn sich jetzt so ansah, sah sie den Zorn, der tief in diesen dunklen, golddurchsetzten Augen glühte…und erhaschte auch einen Blick auf das leichteste Flackern von Verletzlichkeit, das darunter lag.    Ihr Herz taumelte ein wenig heftiger und pochte hart in ihrer Brust. „Tut mir leid, Kiba.“   Kiba warf ihr einen scharfen Blick zu und er rümpfte die Nase fast schon in einem Knurren über dieses Mitgefühl. „Zur Hölle weswegen denn?“   Die Herausforderung in seiner Stimme passte zu dem heißen, wachsamen Funkeln in seinen Augen; ein Wolf mit Dornen in seiner Pfote, der sie eindringlich davor warnte, zu nah zu kommen, zu zärtlich zu werden. Doch unglücklicherweise sorgte sein Versuch, sie abzuschrecken oder von diesem sensiblen Gebiet fort zu scheuchen, nur dafür, dass sie noch näher zu ihm wollte…um die Dornen herauszuziehen…um das Gift herauszuziehen…   Dumme Gedanken…   Tief einatmend sah Ino zur Seite weg. Was für einen Nutzen hatte er schon von ihrem Mitgefühl? Er würde ihr den Kopf abbeißen. Wie er selbst gesagt hatte; er war nicht die Art von Kerl.    Aber ich will nicht aufhören, die Art Mädchen zu sein, die es kümmert…   Asuma hatte sie fürsorglich genannt, oder nicht? Und die einzige Fürsorge, die sie Kiba jemals gegeben hatte, war, als er bewusstlos gewesen war. Was hätte Asuma darüber gedacht? Vermutlich, dass es nicht subtiles Mitgefühl war, sondern offensichtliche Feigheit.    Feigling.   Ino mahlte bei diesem Wort mit den Zähnen, das ein beschämtes Gefühl in ihr zurückließ. Wenn Asuma doch nur gewusst hätte, was für einen Mut es gebraucht hatte, dieses Mitgefühl zu zeigen; fürchtend, dass es beiseite geschoben oder gegen sie verwendet wurde…wie damals, als sie ein dummes, naives kleines Mädchen gewesen war und Wildblumen verschenkt hatte; Bänder und Geschenke der Freundschaft, nur um zusehen zu müssen, wie das alles weggeworfen wurde wie Müll.   Du bist kein kleines Mädchen mehr…   Und ganz sicher war sie auch kein Feigling.    Sie stählte ihre Nerven, hob das Kinn und ihre Stimme. „Lass mich deine Schulter sehen.“   Blinzelnd zuckte Kibas Kopf nach oben, als hätte man ihn ruckartig aus einem tiefen Tagtraum gerissen und seine Augen zogen sich genervt und mit derselben tierischen Vorsicht zusammen. „Zur Hölle weswegen denn?“, wiederholte er in genau demselben schroffen Tonfall.    Augenrollend versuchte Ino, sich seiner Genervtheit anzupassen, um ihre Nervosität zu kaschieren. „Was glaubst du wohl, Vollpfosten? Du gast ganz offensichtlich immer noch Schmerzen, stimmt’s? Versuchst du, besonders männlich zu sein, oder eher masochistisch? Ich wette, du hast es nichtmal Sakura gesagt, oder?“   Kein blaffender Konter. Kibas finsterer Miene löste sich zu einer Grimasse auf und sein Blick wanderte zurück über das Wasser, während er etwas Grobes und Verärgertes grummelte und den Kopf einzog.    Er sah tatsächlich zerknirscht aus.    Während sie so zusah, wie er total verlegen wurde, musste sich Ino ein Lächeln verkneifen und gab sich Mühe, das Erröten auf seinen Wangen nicht liebenswert oder süß zu finden.    Kätzchen sind süß.   Und Kiba verspeiste Kätzchen wahrscheinlich zum Frühstück.    Bei diesem nervenaufreibenden Gedanken holte sie tief Luft und glitt hinunter in das Wasser, bis es gegen ihr Kinn schlug. Das leise Plätschern von Wellen zog zuerst Kibas Auge und dann seine gesamte, brauenwackelnde Aufmerksamkeit auf sich. Er pfiff durch die Zähne.    Ino erstarrte und ihre Schultern krümmten sich, als wollte sie sich unter dem Wasser bedecken. „Ew! Dreh dich um!“   Kiba lachte ein bisschen und schlüpfte von seiner Unterwasserbank, während er die Arme in einem glatten Streichen ausbreitete, um sich über der Oberfläche zu halten. Er machte keine Anstalten, sich umzudrehen, sondern warf ihr dieses Piratengrinsen zu. „Du gibst mir nicht gerade viel Anreiz, weißt du?“   Trotz der Hitze, die in ihr loderte, wurde Inos finsterer Blick arktisch. „Du hast vorhin schon deine kostenlose Show bekommen“, sagte sie frostig, während sie darüber nachgrübelte, wie sinnig es wäre, sich zurückzuziehen. Sie wollte ihm die Genugtuung nicht geben, auch wenn ihre Haut unter ihre kühlen Fassade mit fünf verschiedenen Schattierungen von Rot glühte.   Neugierig musterte Kiba sie für einen Moment und schmunzelte erneut, nur weicher diesmal. „Du kannst die Krallen einziehen. Ich hab vorhin überhaupt nichts gesehen.“   Ino blieb stehen, während sich ihre Brauen überrascht hoben, bevor sie steif schnaubte und das Kinn hob. „Ich glaub dir nicht. Du würdest alles sagen, um vom Haken gelassen zu werden.“   „Und trotzdem lässt du mich weiter baumeln“, sagte der Hundeninja gedehnt mit diesem hübschen, goldenen Schimmern in den Augen, das im Laternenlicht flackerte, als er einen trägen Kreis drehte, ihr den Rücken zuwandte und seine Arme ausbreitete, um seine neu gefundenen Manieren spöttisch aufzuzeigen. „Schau dir das an. Willst du auch noch, dass ich die Augen zu mache und bis hundert zähle?“   Widerwillig amüsiert grub Ino ihre Zunge gegen ihre Wange und unterdrückte ein Kichern. Lachen würde ihn nur ermutigen und auch wenn Humor ihrer Nervosität den Biss nahm, er spornte sie trotzdem nicht zum Handeln an – Gott, es war ja schon ablenkend genug, auf die straffen Ebenen seines Rückens zu starren, auf die Art und Weise, wie die Schatten um seine goldenen Schulterblätter herum in die weiche Senke seiner Wirbelsäule abtauchten.    Und dann sah sie die Narben und Hämatome.    Ino japste leise, als sie ihren Blick über die lila-blauen Flecken und die zornig roten Narben wandern ließ. Nicht die Art Gewebewiederherstellung, die sie erwartet hatte. Er musste eine oberflächliche Chakraheilung von Sakura bekommen haben; gerade genug, um irgendwelche Infektionen abzutöten und den schlimmsten Schaden zusammenzuflicken.    Dummer, sturer Bastard!   Und dann auch noch in heißem, salzreichem Wasser baden? Was hatte er sich dabei gedacht!? Vernarbt oder nicht, er musste entsetzlich wund sein. Erstaunt von der Blödheit von Jungs – oder vielleicht auch nur von diesem hier – schüttelte Ino den Kopf und glitt nervös durch das Wasser auf ihn zu, während der Dampf über ihr Gesicht geisterte wie ein heißer, sinnlicher Atem.    Ugh! Denk nicht an heiße Sachen.   Sie versuchte, ihr Hirn auf das kalte Gebiet des medizinischen Modus zu schubsen, hielt ihre Augen auf seine Prellungen gerichtet und musterte seine Schulter, während sie über die beste Möglichkeit nachdachte, ihn zu behandeln. Glücklicherweise schien Kiba nichts von ihrer Stop-Start-Annäherung zu bemerken. Seine goldbraunen Arme strichen locker durch das Wasser, er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, ein leises Summen rollte in seiner Kehle und hinaus in die Nachtluft. Dieses sanft knurrende Geräusch und das langsame Ziehen seiner Arme sandten eine Woge aus Feuchtigkeit über das Wasser, wirbelten den Dampf zu einem Schauer auf, der ebenso schwindelerregend war wie ein Hitzeschleier. Der Duft von Seife, Salz und Schweiß vermischte sich mit dem kalkigen Geruch nasser Felsen und Nachtblumen.    Inos Magengegend verkrampfte sie und würgte in einem kleinen Schluckauf von Atem etwas Luft hinunter. Kiba versteifte sich bei ihrer Nähe und sein Kopf drohte, sich zu drehen.    „Wag es nicht“, fauchte Ino, bevor sie ihre Stimme weicher werden ließ. „Lass mich deine Schulter heilen. Wird nur eine Minute dauern.“   „Eine Minute, huh?“ Kibas Kopf legte sich ganz leicht schief, aber er wandte sich nicht um. „Das sind ganze sechzig Sekunden, weißt du. Bist du dir sicher, dass du das riskieren willst?“   „Kommt drauf an, wie mies deine Mathematik ist, Hohlkopf“, neckte Ino, doch sie gab ihm keine Gelegenheit, sie abzuschütteln. Bedächtig holte sie Luft und legte ihre chakrageladenen Hände fest, aber vorsichtig auf seine Schulter. Eine Gänsehaut erhob sich auf ihren Armen angesichts der Kühle, die sich über ihre Handflächen ausbreitete und sie wissen ließ, dass eine Heilung nötig war.    Es dauerte nicht lang, das entzündete Gelenk zu finden. Ino konnte es energetisch spüren und ihre Augen blickten ohne Fokus, während sie zaghaft über die Gelenkpfanne tastete. „Autsch“, wisperte sie mitfühlend. „Hast du sie während der Mission schon wieder ausgekugelt?“   „Ja, ist aber gut wieder zurückgesprungen.“   „Es ist ganz offensichtlich überhaupt nicht gut.“   „Was für ein nettes Benehmen am Krankenbett, Dok.“   Augenrollend veränderte Ino leicht ihren Griff und schwankte ein bisschen auf den Zehenspitzen, um gleichzeitig die Balance und etwas Abstand zu halten. Es war schwierig, so zu arbeiten und ihre Arme waren unbeholfen angewinkelt, die Ellbogen zur Seite gestreckt, aber wenn sie noch näher kommen würde, dann würde sich ihre Brust gegen seinen Rücken drücken. Und nur der Gedanke daran war genug, um Hitze durch ihre Brüste jagen zu lassen und die Nippel zu steifen, schmerzenden Punkten werden zu lassen.    Sie erschauerte und ein Keuchen verfing sich in ihrem Rachen.    Bei diesem Geräusch drehte Kiba ganz leicht den Kopf.   Rasch blinzelnd stieß Ino den Atem in einem lauten Schnauben aus und blies sich dabei ein paar klebrige Strähnen aus dem Gesicht, um ihren Ausrutscher zu verbergen. Gott. Was für ein Auftritt. Sie konnte kaum atmen. Die Feuchtigkeit fühlte sich dicht und voll zwischen ihnen an und der Kampf um Gleichgewicht brannte in ihren Waden.    Kiba grunzte leicht und die Muskeln in seinem Rücken zogen sich straff. „Hn. Machst du jetzt noch ein bisschen Tiefenmassage?“   Leicht zusammenzuckend ließ Ino ihren Griff sanfter werden und schnappte aber sofort nach einer frechen Antwort. „Wirf mir nicht vor, dass es weh tut. Bist selber Schuld, wenn du so ein Alphamännchen-Trottel bist. Außerdem, wenn es sich so viel bewegt, dann bedeutet das, dass ich genau am richtigen Punkt bin.“   „Jo, tja, ist nicht so schlimm wie dein Vorschlaghammer gegen mein Becken, Schätzchen“, grummelte Kiba und rollte unter ihrer Berührung vorsichtig mit der Schulter. „Wenn du in dem Gewächshaus auch nur ein bisschen näher am richtigen Punkt gewesen wärst, dann wäre ich für den Rest meines Lebens kastriert gewesen.“   Ino stieß ein schnaubendes Lachen aus, war aber dankbar für den Humor, die Ablenkung. Ihre Atmung beruhigte sich. „Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte sie zuckersüß.   „Hn. Muss an diesem selektiven Yamanaka-Gedächtnisding liegen“, murmelte er und die Leichtigkeit verließ seine Stimme und auch seinen Körper.    Auf einen Schlag war er ungeduldig. Ino konnte spüren, wie Unruhe wie eine Strömung durch in floss.    „Sind wir dann fertig?“, knurrte er.    „Bist du immer so zappelig?“, tadelte Ino, ließ den Fluss ihres Chakras aber ersterben; es schien ihn ohnehin überhaupt nicht zu entspannen. Stirnrunzelnd suchte sie nach weiteren Verletzungen und redete sich dabei ein, sie wäre einfach nur gründlich; dass das Bedürfnis, Hautkontakt mit ihm zu halten, überhaupt nichts mit dem unentrinnbaren Drang zu tun hatte, ihn zu berühren. Sie räusperte sich und murmelte: „Du warst leichter zu behandeln, als du bewusstlos warst.“   Keine spielerische Erwiderung. Kibas Schultern zogen sich straff und fielen dann mit einem kontrollierten Atemzug. Das Spielen von Muskeln war hypnotisch – seltsam erotisch – und Inos Augen fixierten sich auf das langsame Rollen von Schatten und Licht, als sie den heißen, nassen Film beobachtete, der sich über seine Haut legte. Eine unwiderstehliche Versuchung, diese Art und Weise, wie er sich unter ihren Händen bewegte; eine lebende Skulptur, zum Leben erweckt durch ihre Berührung. Fasziniert breitete sie ihre Handfläche in der Mitte seines Rückens aus, sah zu, wie sich die Wirbelsäule anspannte, die Muskeln zuckten und auf einmal verspürte sie einen plötzlichen Strom heißer, weiblicher Macht durch ihre Venen fließen.    Kibas Stimme erscholl gefährlich leise. „Du bist schon weit über sechzig Sekunden, Schätzchen.“   Ein Wispern, eine Warnung, ein tiefes Wolfsknurren, das durch Inos Verstand rollte, kleine Beben an ihren Nervenenden auslöste und primitive und provokative Signale in Teile ihres Verstandes, Teile ihres Körpers sandte, die nicht von dem rauen, heißen Klang seiner Stimme oder der honigreichen Verlockung seiner Haut verführt werden sollten.    „Wir mögen uns ja nichtmal“, wisperte sie laut und hörte sich dabei ebenso verwirrt an, wie sie sich fühlte. „Es gibt nichts, was-“   Kiba fing an, sich umzudrehen.    Rasch zog Ino ihre Hand zurück und japste: „Nicht.“   Aber er tat es. Mit einer langsamen, fließenden Bewegung wandte sich Kibas Körper mit einer geschmeidigen Drehung von Hüften und Torso und löste dabei Wirbel im Wasser aus. Um sich davon abzuhalten, auf die kraftvollen Konturen seiner Bauchmuskeln zu starren, ließ Ino ihren Blick nach oben zucken. Doch sie musste feststellen, dass sie von dem Ausdruck auf seinem Gesicht eingefangen wurde, das halb in Schatten und halb in Licht getaucht war.    „Mögen?“, murmelte er mit einem Schmunzeln, das etwas schief an seinen Lippen hing. „Was zur Hölle hat mögendamit zu tun?“   Die Arme über ihren Brüsten verschränkt, packte Ino hart ihre Unterarme und sah durch den Dampf zu ihm auf. Ein dünner Schleier. Ein kaum vorhandener Anstand. Sie hätte vor ihm zurückweichen können, von ihm fort…aber sie saß in der Schlinge dieser Tieraugen gefangen, hypnotisiert von den transluzenten Splittern von Iriden, die golden im Laternenlicht glühten.    „Alles“, sagte sie mit einer Stimme, die nur ein Hauch von Atem war. „Ich bin nicht diese Art Mädchen.“   Kibas Braue hob sich marginal und seine Lippen krümmten sich zu diesem teuflischen Halbschmunzeln, das ihre Augen auf die Fülle seines Mundes zerrte…auf die Art und Weise, wie er sich bewegte, auf die Art und Weise, wie er sich ein wenig tiefer bog, als er murmelte: „Was für eine Art Mädchen wäre das denn?“   „Die Art, die auf Kerle wie dich reinfallen.“   Das Schmunzeln verschwand und die Linien von Kibas Miene wurden düster und intensiv. „Gut.“ Er trat einen einzigen Schritt auf sie zu, die Augen abgeschirmt, als er durch die Wimpern zu ihr hinab sah. „Denn ganz sicher bitte ich dich nicht, auf mich reinzufallen.“   Zu nah. Er stand zu nah.    Ino kämpfte um Atem und ihr Körper neigte sich um eine Balance suchend zurück, die sie nicht länger hatte, während sich ihre Finger um ihre Schultern verkrampften. „Nicht, Kiba.“   „Nicht?“ Kiba lehnte sich ein Stück nach vorn und sein Kopf neigte sich nach unten, bis sein Mund so nah zu ihr geisterte, dass sie seinen Atem schmecken konnte. „Nicht was?“, wisperte er, während dunkle feuchte Strähnen in einem verwegenen Sturz über sein Gesicht fielen und seine Augen goldbraun glühten.    Ino hielt seinem Blick stand, doch ihre Stimme zitterte. „Bitte mich nicht um irgendetwas.“   Er bat nicht darum. Er nahm. Neigte seinen Mund in einem Kuss gegen ihren, der ebenso wild wie sexuell war, als ein heißes, lustvolles Knurren seiner Kehle hinauf ritt. Ino keuchte und ihr Kopf kippte mit der Kraft des Ansturms, der Wildheit dieser Attacke nach hinten und ein scharfer, dunkler Nervenkitzel schoss durch sie. Es warf einfach alles in ihr aus der Bahn, eingeschlossen die Kraft, die sie brauchte, um überhaupt zu stehen.    Beinahe gaben ihre Beine nach.    Kiba vergrub eine Hand in ihrem Haar, legte den Kopf schief und ging tiefer, stieß sich mit einem kühnen Streicheln seiner Zunge an der Barriere von Zähnen vorbei, glitt weich und nass nach innen, zerfetzte Inos Widerstand mit Zähnen und Zunge und…   Fass mich an, fass mich an…   Entsetzt riss Ino ihren Mund fort und verpasste ihm eine so heftige Ohrfeige, dass ihre Hand feuerrot aufflammte.    Der Schlag ließ seinen Kopf zur Seite schnellen, aber er schwang direkt wieder zurück. Zorn und Erregung brannten in seinen Augen, seine Miene zerrissen zwischen den Anfängen eines Knurrens und dem leichtesten Schatten einer finsteren Miene, die Brauen über glimmenden Augen zusammengezogen.    Der Blick pinnte sie ebenso sicher fest wie ein Griff, der sie an der Kehle packte.    Wahrnehmung kribbelte durch sie und warnte sie, dass er mehr als nur angepisst aussah. Er sah geradezu raubtierhaft aus…   Gefährlich…   Sogar sehr. Er übertraf sie ja bereits in Muskeln und Masse – aber was, wenn er in den Biestmodus wechselte? Sie konnte nicht einmal ansatzweise hoffen, mit dieser Stärke, dieser Wildheit mithalten zu können. Panik peitschte durch sie, gefolgt von einem tief primitiven Durst, einem Bedürfnis noch verstärkt durch den Hunger in seinen Augen, in seinem Atem, in seinem Kuss.    Inos Zunge glitt über ihre Lippen, fing seinen Geschmack auf.    Wie gebannt folgten Kibas Augen der Bewegung und seine Nasenflügel bebten, um Gerüche und Signale aufzunehmen, die sie nicht verbergen konnte. Durch weite, glasige Augen starrte Ino ihn an, während sich Furcht und Aufregung in dicken, schweren Knoten in ihr verdrehten, die sich mit jedem keuchenden Atem straffer und straffer zogen.    Küss mich…küss mich…   Kibas Blick fing den ihren auf und er setzte ein schelmisches Grinsen auf, bei dem seine Fangzähne funkelten. „Bitte mich ganz lieb.“   Sie wollte ihn wieder schlagen.    Doch er fing ihr Handgelenk ab und zog sie fest an sich. In einem nassen Klatschen trafen Inos Unterarme auf seine Brust, feuchte Haut blieb aneinander kleben und ihre Ellbogen gruben sich gegen seine Rippen. Mit einem einhändigen Griff umschlang er ihre Handgelenke, legte seinen anderen Arm um ihren unteren Rücken und hielt sie so eingesperrt gegen die festen Konturen seines Körpers.    Hätte er versucht, sie zu küssen, hätte sie ihn gebissen.    Hätte er versucht, sie zu begrapschen, hätte sie ihn gekratzt.    Hätte er versucht, irgendetwas zu erzwingen, hätte sie alles bekämpft.    Aber alles, was er tat, war, sie nah bei sich zu halten, nur Zentimeter von der kribbelnden Intimität entfernt, ihren gesamten Körper vollständig gegen den seinen zu drücken. Ihre Ellbogen und Unterarme waren wie eine Barriere zwischen ihnen und verhinderten das perfekte Aneinanderschmiegen, diese ungehemmte Berührung, die sie miteinander verschmolzen hätte.    Fass mich an, fass mich an.   Verlangen. Verleugnung. Sie schwammen in ihr in entgegengesetzte Richtungen, ließen sie benommen und atemlos zurück und zu tief sinkend, viel zu tief. Bevor sie Luft holen konnte, um ihn anzuschreien, ließ er seine Hand in einem Streicheln über ihren nackten Rücken wandern, das sowohl rau, als auch sanft war; leicht schwielige Fingerspitzen glitten zwischen ihren Schulterblättern nach oben, wisperten über die heilenden Narben und legten sich an das babyfeine Haar an ihrem Nacken.    Ino erschauerte bei der Berührung und eine heiße Strömung schoss unter ihrer Haut hindurch.    Langsam senkte Kiba den Kopf und sein Atem liebkoste ihre Ohrmuschel in einem leisen, sinnlichen Flüstern. „Tu es. Bitte mich um irgendetwas.“   Die so clever getarnte Einladung schlüpfte durch die Abriegelungen in ihrem Verstand und an ihren Defensiven vorbei, flatterte papiersanft über ihre Nervenenden, flehte um Worte, um Wispern, um Erlaubnis, geschrieben in schwerem, tintigen Wollen. Wollen. Sie wollte. Und er wusste es. Er wusste es.    Verletzlichkeit machte sich in ihrer Brust breit und ihre Worte verließen sie in einem Schluckauf aus Atem. „Bist du immer so ein Bastard?“   Seine Lippen bogen sich gegen ihr Ohr und seine Finger spannten sich um ihre Handgelenke herum an, um sie gegen seine Brust zu ziehen. Sie spürte das schwere Pochen seines Herzschlages unter ihren Fingern. „Erwärmt mein schlagendes Herz, dich das sagen zu hören“, murmelte er, während er mit seiner Nase über ihre entflammte Wange streichelte. „Und jetzt frag mich etwas Reales.“   „Willst du mich wirklich?“   Kiba wurde regungslos, sein Atem geriet bei dieser Frage ins Stocken und seine Herzschlag machte unter ihren Händen einen Satz.    Inos Entsetzen kam sofort.    Sie spürte, wie sich diese Knoten in ihrer Magengegend bis in ihre Kehle zerrten und sie gnadenlos erstickten. Sie hätte das nicht fragen wollen. Hatte überhaupt nichts sagen wollen. Aber die Worte waren ungebeten diesem leeren Winkel ihres Herzens entschlüpft, wo einst Zuversicht gelebt hatte, während die Geister all ihrer Unsicherheiten in ihr aufstiegen.    Wieso sollte schon irgendwer ein Unkraut wollen?   Mit diesen Worten hatte sie sich offengelegt und der Schmerz war unmittelbar, füllte den schrecklichen Spalt, den Kibas Schweigen, seine Regungslosigkeit, seine vollkommene Gleichgültigkeit ihrer Verletzlichkeit gegenüber zurückließen.   Was hast du erwartet? Liebevolle Bestätigung?   Wie dumm. Wie kindisch. Wie erbärmlich.    Tränen brannten stechend und nass an den Rückseiten ihrer Augen.   Bastard.   Sie wollte verdammt sein, wenn sie zuließ, dass er sie weinen sah. Mit beiden Händen packte Ino ihren zerfetzten Stolz und riss ihre Handgelenke aus seinem erschlafften Griff, bevor sie ihn schubsen wollte und sich ein erstickter Schrei aus ihrer Kehle wrang: „Du Hundesohn!“   Goldbraune Augen flogen weit auf. Blitzschnell fing Kiba ihre fuchtelnden Arme ab und drehte sie in einem Wirbel aus Dampf und Wasser herum, der Tropfen in einem glitzernden Regen in alle Richtungen versprühte. Um sich schlagend verlor Ino ihren Stand. Doch bevor sie unter die Wellen geraten konnte, fing Kiba sie mühelos auf und zog sie zurück gegen seine fiebrig heiße Haut, während er schnaufte, als wäre er gerade eine Meile geschwommen.   Ino wand sich in seinem Griff und kratzte mit ihren Nägeln über Fleisch.    Kiba fauchte, aber es klang nicht wirklich schmerzerfüllt. „Krallen ausgefahren“, keuchte er und sein leises Lachen löste sich zu einem atemlosen Umpf! auf, als sich Inos Ellbogen in seine Eingeweide rammte.    Blöder Zug.    Er klappte über ihr zusammen und sie beide tauchten in einem heißen Platschen unter, bevor sie zur selben Zeit wieder an die Oberfläche brachen. Nach Luft schnappend peitschte Ino ihr Haar zurück in sein Gesicht, hörte das befriedigende Klatsch gegen seine Haut und zielte mit einem befreienden Tritt auf seine Lendengegend, der sie von ihm weg getrieben hätte.    Doch vom Wasser behindert, prallte ihr Kick wirkungslos von seinem Schenkel ab. Es fühlte sich an, als hätte sie gegen einen Stein getreten.    Bastard!   Um sich tretend wie eine Katze in kaltem Wasser, war sie so verdammt zornig, dass sie kaum einen Schwimmzug koordinieren konnte, geschweige denn irgendeine Strategie, um ihn zu ersäufen. Sie drehte einen orientierungslosen Kreis und wischte sich das Wasser aus den Augen.    Wie ein Hai war Kiba hinter ihr her.    Ino kreischte und bäumte sich so heftig in seinen Armen auf, dass sie sich beinahe halb aus dem Wasser hob.    Nach einem besseren Griff suchend, fing er sich um die Körpermitte herum ein und legte einen Arm unter ihre bebenden Brüste, um sie in einer unerbittlichen Umklammerung zu halten. „Du bist eine gottverdammte Höllenkatze, weißt du das? Muss was Animalisches sein. Denn es macht mich wahnsinnig; die Art und Weise, wie du mich dazu bringst, dich so zu wollen.“   Ino hörte auf zu atmen, hörte auf zu kämpfen und ihr Herz rammte sich gegen ihre Rippen, als es sich an diesen Worten festhielt – an der Art und Weise, wie sie durch Kibas Zähne zischten…frustriert, verzweifelt. Als wollte er es genauso wenig fühlen wie sie.    In seinen Armen wurde sie still und der Zorn verließ sie in einem langen Atem.    Da er spürte, wie sie der Kampf verließ, lockerte er seinen Griff marginal und seine freie Hand legte sich unter dem Wasser flach gegen ihren Bauch, um sie vollständig gegen seinen Körper zu ziehen, bis sie die schwere, harte Kurve seiner Erregung spürte, die gegen die Wölbung ihrer Pobacken und ihren unteren Rücken stieß.    Ino keuchte und ihre Augen flogen weit auf.    „Frag mich noch einmal, ob ich dich will“, wisperte er mit einem Atem, der gegen ihren Nacken schwerer und schwerer wurde, Härchen aufstellte, Schauer über ihren Rücken jagte und Funken schlug. „Frag mich.“   Er hatte bereits wahrheitsgemäß geantwortet…mit Berührung…mit Geschmack…sie konnte es in der Art und Weise fühlen, wie seine Finger langsame Kreise um ihren Nabel zogen und einen Strudel aus Verlangen in ihr aufwühlten. Die Wellen breiteten sich aus, überzogen ihre Haut mit einem rosigen Erröten, Nippel knospten hart, als sie ihren linken Unterarm über ihre Brüste legte, um ihre rechte Schulter zu packen. Eine Bewegung, die sie abdeckte und im selben Augenblick in die Enge trieb, da es ihn noch enger gegen ihn zog, bis ihr Kopf nach hinten gegen seine Schulter kippte.    Leise in der Kehle summend, strich er mit den Lippen über ihr Ohr und seine Zunge zeichnete die Zarte Muschel nach. „Du weißt, dass ich dich will. Willst du mich?“   Als wüsste er das nicht schon längst. Aber auf der anderen Seite…es war die eine Sache, es zu fühlen und eine ganz andere, es auch auszusprechen. Mit diesen Worten würde sie so viel mehr aufgeben. Es wäre mehr als einfach nur ein Geständnis gegenüber Kiba; es wäre eine Erlaubnis…eine Öffnung, bei der er nicht zögern würde, sie auch zu nehmen. Und trotz all des Verlangens, das sich in ihr verdrehte; Ino wusste, dass sie sie Dornen würde entfernen müssen, wenn sie das noch weiter gehen ließe.    Es ist schon viel zu weit gegangen…   Als würde er ihr Zögern spüren, hielten Kibas Fingerspitzen in ihren wunderbaren Kreisen um ihren Nabel inne und seine Handfläche glitt über Haut, um sich an ihre Hüfte zu legen, wo ein Daumen über einen scharfen Beckenknochen streichelte. „Ich werde dir geben, was immer du willst. Du musst nur darum bitten.“   Kopfschüttelnd presste Ino ihre zitternden Schenkel aneinander, zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne und nahm einen tiefen, bebenden Atemzug, bevor sie mit einer Hand nach oben griff, um mit tief grabenden Nägeln seinen Unterarm zu packen. „Ich will…dass du mich loslässt.“   Kibas Lippen erstarrten an ihrem Hals und sein feuchter Atem kitzelte die Haut für eine lange, schwere Sekunde. Sie konnte das beständige Pochen seines Herzschlages fühlen, die harte Kurve seiner Erregung und das leichteste Anspannen seiner Finger um ihren Arm. „Bist du dir sicher?“   Nein.   Ino presste die Lider aufeinander und nickte ruckartig. „Lass mich los, Kiba.“   Und das tat er. Wie eine zerbrochene Fessel fiel sein Arm von ihr.    Unfähig, sich ihm zuzuwenden hielt Ino ihren Rücken abgewandt und legte schützend ihre Arme um ihren Körper, als das Feuer in ihrem Unterleib zu einer starren, zerschmolzenen Faust erstarb. Ein dumpfer Schmerz setzte sich tief in ihr fest, ließ sie leer zurück, wollend…wartend…   Aber Kiba machte keine Anstalten, sie wieder an sich zu ziehen.    Enttäuschung verdichtete diese Qual in ihr; eine Folter, die sie sich selbst zuzuschreiben hatte. Schwer schluckend widerstand sie dem Drang, sich nach hinten zu lehnen. Sie fühlte den Abdruck seines Körpers selbst dann noch, als er sich von ihr weg bewegte und seine Finger dabei ihren Arm hinunter geisterten.    Bring mich nicht dazu, dich darum bitten zu müssen…bitte…   Sie nahm einen zerfetzten Atemzug und die Luft stockte ihr, als sie seine Lippen an ihrer Schulter spürte; sanft, beinahe liebevoll, mit dem leichtesten Kratzen von Fangzähnen. „Solltest du deine Meinung ändern…du weißt, wo du mich findest“, war alles, was er sagte.    Und dann ging er…ließ sie allein mit dem dumpfen Schmerz und dem Wollen und dem Geschmack dieses letzten Kusses; niemals wissend, dass es ihr erster war.   _____________________ Hey meine Lieben :)  Sorry für das späte Update...ich war in letzter Zeit sehr mit Eigenwerken beschäftigt...und bei einem habe ich mich sogar getraut, es zu veröffentlichen :D Allerdings spielt es im Jujutsu Kaisen Universum.    Egal, ganz kurz noch zu diesem Kapitel. Natürlich hoffe ich wie immer, dass es euch gefallen hat. Ein ganzes Kapitel nur zu Ino und Kiba...ja, die beiden fühlen sich schon sehr zueinander hingezogen ;)    Auf jeden Fall wie immer vielen vielen Dank an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen Scatach Kapitel 39: I am my shadows --------------------------- Das wichtigste zuerst…   Was für eine verfickt dämliche Redewendung. Und dennoch war sie hier, jagte Ibikis Arsch quer durch das Dorf, während er versuchte, all den verschiedenen Aufgaben Prioritäten zuzuweisen, die alle nach seiner Aufmerksamkeit brüllten.    Unmöglich.   Wie Straßensperren standen seine Ziele an jeder Ecke; ein gottverfickter Hindernisparcours. In der Zeit, die es gebraucht hatte, einen halbwegs effizienten Suchtrupp aus Grünschnäbeln zusammenzustellen, fühlte sich Ibiki immer noch, als hätte er bisher noch nicht eine einzige verschissene Hürde genommen.    Verdammt seist du, Hatake. Wo zur Hölle versteckst du ihn?   Nadel, Heuhaufen. Viel zu viel Boden abzudecken. Nicht genug Zeit zu verlieren. Und all dieses Chaos überschattet von einer höllischen, massiven Yamanka Gewitterwolke.    Inoichi…   Bei Kamis Eiern, Inoichi war in der Sekunde in die Luft gegangen, als er davon erfahren hatte, das Genma weg war. Kopfschüttelnd versuchte Ibiki noch immer, die surreale Qualität von Inoichis Explosion zu verarbeiten. Die Worte ‚völlig übergeschnappt‘ kamen in den Sinn. Der Yamanaka war losgegangen wie ein detoniertes Druckventil, hatte die Liege durch den ganzen Raum katapultiert, die gesamte Ahnenlinie jedes Grünschnabels in Sichtweite verflucht und aufs Kreuz beleidigt, während er dem gesamten F&V Team den Arsch aufgerissen hatte.    Shit.   Ja. Shit. Da sich die Chancen immer weiter zu ihren Ungunsten häuften, konnte Ibiki einfach nur hoffen, dass die psychoaktive Droge, die er Genma verabreicht hatte, immer noch wirkte. Es würde etwas Zeit kaufen, aber Zeit war eine räudige Hündin. Für jede verstreichende Sekunde spürte er, wie sich die Kiefer der Dringlichkeit immer noch fester um seine Luftröhre schlossen.   Ich kann das nicht länger rauszögern.   Er hatte es schon lange genug rausgezögert; hatte die Suchteams zusammengestellt, während er versucht hatte, den Explosionsradius von Inoichis Ausbruch einzudämmen. Stunden verloren, die Zeit halbiert. Er musste mit den Ältesten sprechen. Shikamarus Akte brannte ein Loch in seinen Mantel; eine Bombe, die nur darauf wartete, abgeworfen zu werden – zusammen mit ein paar Handgranaten mit den Namen Tenka, Mushi und Danzō darauf gestanzt.   Lässt sich nicht vermeiden…   Scheiße. Vielleicht war es unvermeidbar gewesen, direkt vom ersten Augenblick an. Zwei Jahre waren eine lange Zeit für eine Bombe, um zu ticken. Als er jetzt so auf dem offenen Dach des F&V Gebäudes stand, stierte Ibiki lange und hart auf die eisig grellen Nadelstiche, die aus den Himmeln herab zwinkerten.    Er war nicht religiös oder spirituell…   Ansonsten hätte er sich jetzt im Moment ein Wunder gewünscht.    Wunder.   Verdammt. Er war wirklich so verzweifelt.    Ein Flackern von Bewegung zur linken Seite des Daches. „Ibiki-san.“   Marginal drehte Ibiki den Kopf und beobachtete, wie einer der F&V Jōnin auf ihn zuschritt. Kein Grünschnabel, zum Glück, aber auch nicht mehr im Bilde als irgendeiner der armen, ahnungslosen Chūnin, die auf Ibikis und Inoichis Befehle durch die Gegend rannten und ein gottverdammtes Konoha-Idol durch das Dorf jagten.    Sharingan-no-Kakashi.   Heilige, verfickte Hölle, sollte die Hokage Wind davon bekommen.    Ibiki seufzte. „Wie läuft es mit der Schadensbegrenzung?“   „Nichts. Wir suchen immer noch.“   „Und Inoichi?“   Der Jōnin verzog das Gesicht. „Er ist unerbittlich, scheint aber ruhiger zu sein. Aber wir behalten ihn genau im Auge.“   Als würde das auch nur irgendeinen Scheiß ausmachen.   Seufzend rieb sich Ibiki mit den Fingern über die Stirn und strich dabei über die dicke Vene, die sich wie ein Blitz über seine Schläfe zog. Hier konnte er nichts mehr tun. Zur Hölle mit den Hürden. Zur Hölle mit der Schadenskontrolle. Er hatte keine andere Wahl, als einfach direkt durch alles hindurch zu pflügen.    Zeit, das Konzil zu wecken.    Zeit, die Bombe abzuwerfen.    ~❃~   Wenn Wände sprechen könnten, dann würden die Korridore des uralten Nogusa Archivs mit den Worten hunderter Geschichten flüstern, mit tausenden Interpretation und dem unzähligen Wispern von Engeln und Dämonen gleichermaßen.   Ein guter Ort für einen Künstler.    Doch unglücklicherweise für Neji, passte seine Vorstellungskraft besser zur Realität als zu den Reichen der Mythen und Illusion. Sein Sinn für Verzauberung blieb hinter den eisernen Gittern der Desillusionierung verschlossen. Sollte es einen Schlüssel zu diesem Käfig geben, dann musste er ihn erst noch finden.    Aber hier wird er nicht sein.   Während er die engen Gänge voller Staub und Zeit entlang lief, kam er an bemalten Wandgemälden, aufragenden Statuen und Reihen über Reihen aus Regalen und Alkoven vorbei. Altare, die Mythen, Monster und den Mysterien dazwischen gewidmet waren. Neji hielt inne und deaktivierte sein Byakugan. Farben bluteten in gelben und bersteinfarbenen Tönen wieder zurück. Flammen brannten tief in verzierten Eisenlampen, führten ihn in einem umständlichen Weg durch das Labyrinth, bis er endlich das moderige Zentrum erreichte.    Und dort, mit überkreuzten Beinen auf einer Steinbank sitzend, war Sai.    Ein Skizzenbuch lag aufgeschlagen in seinem Schoß und ein Tintenpinsel ruhte zart zwischen seinen Fingern. Es war unmöglich zu sagen, ob er sich im Griff der Inspiration befand oder darauf wartete, dass sie eintrat. Das Feuerlicht, das über seine steinernen Konturen spielte, vermittelte keinerlei Eindruck von Gedanken oder Emotionen; sein Gesicht war ebenso blank und regungslos wie eine Porzellanmaske.    Sofort beneidete Neji ihn um diese Maske.    Diese Rüstung…   Er spürte, dass seine eigene, eiserne Gefasstheit ein bisschen zu schief auf seinem Gesicht hing, um überzeugend zu sein. Wenigstens wären in diesem Halblicht und den Schatten die Risse und Dellen nicht zu einfach zu erkennen.    Hn. Das hoffst du zumindest.   Leise räusperte sich Neji.    Langsam hob Sai den Blick und seine Lippen bogen sich in einem milden, eingeübten Lächeln, das in etwa so viel Ehrlichkeit in sich hielt wie seine nächsten Worte: „Neji-san. Was für eine Überraschung.“   Da er überhaupt nicht in der Stimmung für Spielchen war, kam er gleich zur Sache und seine tiefe Stimme rollte in einem weichen Bassgrollen über den Stein. „Die Pläne haben sich geändert. Ich habe eine weitere Mission für dich.“   Nicht ein einziges äußerliches Zeichen des Alarms oder der Neugierde. Sai klappte einfach nur sein Skizzenbuch zu, legte es beiseite und nahm Haltung an, während sich seine dunklen Augen auf Neji fixierten. „Shikamaru“, sagte er nur.    Keine Frage.    Keine Überraschung.    Neji nickte ein einziges Mal, das Feuerlicht brannte kalt in seinen eisweißen Augen. „Shikamaru“, bestätigte er.   ~❃~   ‚Immer noch mit von der Partie, Kleiner?‘   ‚Ja. Ich bin mit von der Partie.‘   Ja, bereits drei Partien weit und kein Stück näher am Gewinnen. Shikamaru rieb sich mit einer Hand über den Mund und lehnte sich auf seinen Ellbogen, während sich seine Augen auf das Spielbrett gerichtet zusammenzogen.    Ah, verdammt…   Sein König war Schach gesetzt. Er hatte versucht, ein Patt zu erreichen, um sich so ein Unentschieden zu sichern, aber Shin hatte seinen Zug vorausgesehen und seine Strategie mit einer Leichtigkeit durchschaut, die an Allwissenheit grenzte – als hätte Shin dieses Spiel bereits von Anfang an dirigiert.    Scheiße, es ist, wie gegen meinen Dad zu spielen…   Es blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als die unvermeidliche Niederlage einzugestehen. Zumindest hatte er diese letzten beiden Runden etwas länger durchgehalten. Auch wenn das der Tatsache, dreimal geschlagen zu werden, nicht den Biss nahm. Sein Vater hatte es immerhin geschafft, zumindest einen Gewinn gegen diesen Kerl davon zu tragen.    Kopfschüttelnd schmunzelte Shikamaru leicht. „Eigentlich hätten aller guten Dinge drei sein sollen.“   Shin lehnte sich auf einer Handfläche nach hinten und strich mit der anderen über den breiten, blutroten Kragen seiner Kimonojacke, während er durch seine Wimpern aufsah und Shikamaru mit einem Hauch Belustigung bedachte. „Du setzt deine Wetten auf Glück, Shika? Du kommst mir nicht so vor, als wärst du so naiv.“   Shikamaru lümmelte sich auf seinem Zabuton Kissen zurück, examinierte noch einmal das Brett und suchte nach Lücken in seiner Strategie. Er hätte schwören können, dass seine letzte Tatktik wasserdicht gewesen war. „Schadet nicht, zu hoffen“, scherzte er lahm und versuchte gleichzeitig, sich unter diesen dunklen, bohrenden Augen nicht mikroskopisch zu fühlen.    „Ah, Hoffnung.“ Shin kostete dieses Wort mit einem Kräuseln der Lippen, als wäre der Geschmack davon sauer. „Wenn du deinem Gegner das nehmen kannst, dann hast du dir den Sieg bereits gesichert.“   „Also ist es ein psychologischer Trick?“   „Nicht nur. Kommt auf die Natur deines Gegners an.“ Bedächtig griff Shin nach einem Becher gekühlten Sakes und strich mit dem Rand über seine Lippen. „Hoffnung ist schwer zu zerstören, weil es so fest mit schierem Überleben verbunden ist. Letztendlich ist das alles, worauf es ankommt. Überleben und Vormachtstellung. Du kannst nicht nur halb spielen, wenn du gewinnen willst. Und wenn du nicht gewinnen willst, dann hast du im Spiel auch nichts zu suchen.“   Auf seinen gefangenen König stierend legte Shikamaru nachdenklich den Kopf schief. „Ich habe noch nie so darüber nachgedacht. Es scheint ziemlich…“ Er zögerte, suchte nach den richtigen Worten, fand aber nichts. Bisher hatte er sich während eines Spiels nie wirklich Gedanken über die emotionale Veranlagung seiner Gegner gemacht. Für ihn war es immer eine strikt intellektuelle Übung gewesen.    Shin neigte den Kopf zur Seite und seine Augen zogen sich über das Schweigen des Schattenninjas zusammen. „Du stimmst nicht zu, Shika?“   „Nein, das ist es nicht. Ich versuche, es zu verarbeiten.“   „Du kannst deine Instinkte nicht intellektualisieren.“   Und da war es – Instinkt. Diese immaterielle Eigenschaft, die Shikamaru nie als relevant oder anwendbar für das Shogi Spielbrett erachtet hatte. Es schien ein viel zu spontanes Konzept zu sein; viel zu unvorhersehbar.    Und dennoch…   Er warf Shin einen raschen Blick zu und versuchte herauszufinden, ob Intellekt oder Instinkt hinter dieser viel zu ruhigen Oberfläche dieser tiefen, dunklen Augen am Werk war. Shin schien viel zu klug zu sein, viel zu strategisch, um von Instinkt beherrscht zu werden.    „Du lässt es klingen, als würdest du spontan spielen“, sagte Shikamaru letztendlich. „Aber wie machst du dann…?“ Kopfschüttelnd brach er ab. „Es ist wie der vollkommene Gegensatz zu Strategie.“   „Das ist die Dichotomie des Göttlichen, Shika. Erinnerst du dich, wie ich dir gesagt habe, dass Leben Dualität ist? Dieser Konflikt zwischen Strategie und Spontanität macht das Spiel umso faszinierender.“   „Es ist nicht logisch.“   Schwach schmunzelnd nahm Shin einen Schluck seines Sakes. „Und trotzdem liegt es in unserer Natur.“   Natur…?   Fasziniert von diesem Konzept drehte Shikamaru es in seinem Verstand hin und her, während er sich etwas weiter aufrichtete und nach seinem Gyokuro Tee griff, der neben dem Brett stand, wobei er das nervige Kratzen seines Rollkragenoberteils an seiner schweißwunden Haut ignorierte. Unter dem weiten, geschwungenen Dach von einem der palastartigen Gästehäuser von Nogusa Yodo, trugen die tiefen Schatten der Veranda leider nur wenig dazu bei, die Feuchtigkeit abzumildern. Sonnenlicht schimmerte in golden-weißen Streifen von den polierten Holzsäulen und glitzerte auf den milchigen Wassern des dampfenden Onsens. Die steinigen Ränder waren hinter einem Gitternetz aus blühenden Rhododendronbäumen gerade noch zu sehen, die wie eine Mauer aus hellem Fuchsia aussahen, durchsetzt mit einem tiefen, leuchtenden Pink.    Shikamaru blinzelte gegen das Funkeln des späten Vormittags an und schluckte den kühlen Jadetee, sein Verstand aber viel zu sehr von Shins Worten eingekommen, um die exquisite Qualität des Gebräus genießen zu können. „Natur“, murmelte er und spähte zurück auf das Spielbrett. „Klingt lästig.“   Ein leises Lachen, als Shin seinen Sake beiseite stellte. „Du hast schon Kenjutsu Meister gesehen, die davon sprechen, das Schwert wäre eine Erweiterung ihres Körpers, nicht wahr? Sie haben eine vom Verstand losgelöste Art, an einen Kampf heran zu gehen.“ Bei Shikamarus Nicken gestikulierte Shin mit einem eleganten Schwung seiner Hand zu dem Brett. „Wie ich Shogi spiele ist nicht anders.“   Ratlos warf Shikamaru ihm einen schiefen Blick zu und seine Brauen zogen sich verwirrt zusammen. „Also spielst du, als gäbe es kein Spielbrett?“   Shins Augen blitzten auf und leuchteten mit einem flüchtigen Funken aus Emotion, der erneut in der schwarzen Unergründlichkeit verschwand. „Absolut, Shika“, murmelte er mit Anerkennung in den Worten. „Wenn du mir gestattest, deine Definition eines Brettes wegzunehmen, dann werde ich dir zeigen, wie natürlich es ist, ein Meister zu werden.“   Schon wieder schien dieses verstärkte Empfinden von Wahrnehmung zwischen ihnen zu summen, vibrierte mit der Spannung unsichtbarer Saiten; Saiten, die an seinem Körper zogen und über seinen Verstand spielten, als würde er sich nicht vollkommen aus freiem Willen bewegen. War es das, wie es sich anfühlte, aufgrund von Instinkt zu handeln?   Als Shikamaru antwortete, lag keinerlei Zögern in seiner Stimme: „Na schön.“   Shins Lippen bogen sich in einem langsamen, katzenhaften Lächeln und etwas wie Stolz geisterte über sein Gesicht. „Ich hätte wissen müssen, dass du mich nicht enttäuschen würdest“, murmelte er, auch wenn sein Vergnügen kurz angebunden war, da sich das Schlurfen von Füßen über den Weg auf sie zu bewegte.    „Shin-sama.“   Angesichts dieser dürren Stimme sah Shikamaru auf und ließ seinen Blick über Shins Schulter wandern.    Ein gebrechlicher, alter Mann umrundete die Seite des Gebäudes, war gekleidet wie ein Diener und verneigte sich mit einer Übertreibung, die Shikamaru wohl amüsant gefunden hätte, wenn Shin wegen der Unterbrechung nicht irgendwie genervt ausgesehen hätte. Eine subtile Anspannung ergriff sein Gesicht.    Diese Miene entging Shikamaru nicht.    Aber bevor er über diese schwache Gefühlsregung staunen konnte, verschwanden alle Spuren des Missfallens aus Shins Zügen, um nichts weiter als eine unheimliche Regungslosigkeit und lockeren Charme zurückzulassen. „Was gibt es, Hama?“, fragte Shin sanft und griff nach seinem Sake.    Hama drückte seine Stirn gegen das polierte Holz. „Tenka ist hier, um Euch zu sehen.“   Shins Finger erstarrten am Rand seines Bechers, sein Kopf hob sich leicht. „Ah.“ Beinahe reuevoll sah er zu Shikamaru. „Würdest du mich für einen Augenblick entschuldigen, Shika? Ich habe ein paar Angelegenheiten mit einem Klienten zu erledigen. Wird nicht lange dauern.“   Bei der Erwähnung von Angelegenheit und Zeit wurden Shikamarus Augen rund und schwangen himmelwärts.    Shit!   Genma würde seinen Hintern quer durch die Chūnin Arena prügeln. Wie viele Stunden war er inzwischen schon weg? Die Zeit war im Shinobi-Stil vorbei geschlichen, direkt unter seiner Nase hindurch. Apropos kalt erwischt werden. Die einzigen Gelegenheiten, bei denen er Zeit vergeudete, waren eigentlich, wenn er Wolken beobachtete oder schlief.    Da er seine Alarmiertheit bemerkte, zogen sich Shins Brauen besorgt zusammen. „Hey, alles okay?“   Entschuldigend hob Shikamaru die Hände und rutschte von dem Spielbrett fort, während er kopfschüttelnd begann, sich aufzurappeln. „Sorry, ich hab total die Zeit vergessen. Mein Senpai wird austicken und um sich schießen.“   Eine dunkle Braue hob sich amüsiert. „Ich bin mir sicher, dass er dir das Treffen mit Würdenträgern aus Kusa verzeihen wird.“   Shikamaru erbleichte ein bisschen, griff nach seiner Flakjacke und brachte ein nervöses Schmunzeln zustande. „Weißt du, als ich ‚um sich schießen‘ gesagt habe; das war nicht figurativ gemeint.“   Ein attraktives Lächeln legte sich auf Shins Miene. Mit der trägen Anmut eines Panthers erhob er sich und schob die Hände in die tiefen Taschen seiner seidenen Hose. „Lass mich mein Treffen erledigen und dann bring ich dich persönlich zurück. Du wirst es niemals rechtzeitig schaffen, wenn du von hier aus läufst, Shika.“   Eigentlich wollte ich schreiend rennen.   Shikamaru setzte zu einem Protest an, aber Shin schnitt ihm mit einem ernsten Neigen der Stirn und einem weiteren gewinnenden Lächeln das Wort ab. „Vertrau mir. Wir benutzen die Portale. Du wirst zurück sein, bevor die erste Chūnin-Runde beginnt.“ Er machte eine Pause und ließ das kurz sacken, bevor er hinzufügte: „Ich verspreche es dir.“   Vielleicht war es dieser Zusatz, der wirkte, denn Shin kam Shikamaru nicht wie die Art Mensch vor, die ein Versprechen brach. Er schien mehr die Art Kerl zu sein, die ihr Wort ehrte und all das.    Das ist eine ganze Menge, was du da vermutest.   Oder zumindest sagte das der rationale Teil seines Hirns – der Teil, der normalerweise die ganze Zeit im Operationsmodus war, selbst während der Dämlichen Uhrzeiten. Wie seltsam also, wie dieser Teil seines Verstandes scheinbar für die wenigen Stunden Fahnenflucht begangen hatte, die er in Shins Gesellschaft verbracht hatte.    Ehrlich gesagt hätte ihn das nerven, beunruhigen, oder vielleicht sogar alarmieren sollen.    Doch stattdessen empfand er es als erfrischend, vielleicht sogar befreiend, für eine Weile Zeit zu vergeuden; ebennicht ununterbrochen pünktlich zu sein oder unter der Aufsicht eines anderen zu arbeiten.    Jo, wie zum Beispiel Genmas…   Verdammt. Ob er es jetzt rechtzeitig schaffte oder nicht; er würde auf jeden Fall eine Gardinenpredigt voller Bullshit oder einen Arsch voller Senbons über sich ergehen lassen müssen. Und trotzdem konnte er es nicht über sich bringen, zu widersprechen. „In Ordnung.“   „In Ordnung“, stimmte Shin zu, bevor er sich Hama zuwandte und die Stimme senkte.    Rasch drehte sich Shikamaru zur Seite, um nicht zu lauschen und schlenderte ein bisschen weiter über die Veranda. Die Feuchtigkeit hüllte ihn dabei wie eine Wolke ein – und es war nicht die Art, die sein Hirn dazu brachte, sich in Tagträumen zu verlieren.    Ugh. Diese gottverdammte Hitze.   Er beneidete die armen Genin-Gören nicht, die darin gegeneinander antreten mussten. Während er hinaus auf die Gärten blickte, lehnte er sich gegen eine der Säulen und lümmelte sich auf seinen linken Fuß, während er seine Flakjacke in seine Armbeuge rutschen ließ. Es war viel zu heiß für noch eine Schicht aus Klamotten. Sein Pferdeschwanz war geradezu verwelkt und er war sich ziemlich sicher, dass der Schweiß auf seinem Körper entlang der Linien zu Salz kristallisiert war, was dazu führte, dass sich jede Bewegung wie ein Übung zum Hautabwerfen anfühlte.    Der Gedanke brachte ihm die Haut dieses schuppigen Typen draußen vor dem Tekisha Seizon in den Sinn.    Ich frag mich, was Genma mit dem Kerl für eine Geschichte hat…   Der Tokujō mochte ja einen auf cool gemacht haben, aber Shikamaru hatte die Glut einer finsteren Vergangenheit gespürt, die hinter diesen bronzenen Augen brannte. Was auch immer der Grund für Genmas Verspätung gewesen war, zumindest wäre Shikamaru dadurch nicht der einzige, der abgelenkt worden war. Scheiße, sein ‚Treffen‘ mit den Würdenträgern konnte ja sogar wirklich als Arbeit angesehen werden, auch wenn Shin überhaupt keine politische Agenda im Sinn zu haben schien…er mochte es einfach nur, das Spiel zu spielen.    Ein seltsames Kribbeln an Shikamarus Nacken machte ihn darauf aufmerksam, dass er beobachtet wurde.    Als er den Kopf drehte, war er überrascht, Shin dort stehen zu sehen, der ihn musterte, den Kopf in offener Spekulation zur Seite gelegt und diese dunklen Augen wanderten in einem langsamen Schwung über seinen Körper, der die Temperatur um ein paar unbehagliche Grade in die Höhe trieb. „Du siehst ein bisschen durcheinander aus, Shika. Ich nehme an, du bist nicht so an diese Art Hitze gewöhnt?“   Kein bisschen, dachte Shikamaru und wunderte sich schon wieder über dieses Brennen unter seiner Haut und über das feurige Wirbeln in seinem Inneren. Als hätten diese dunklen Augen ein Loch in seinem Unterleib geöffnet und Magma in den Kern davon gegossen, was sein Hirn zum Stillstand und sein Blut zum Sieden brachte. Ja, er war definitiv nicht an so etwas gewöhnt – und war sich auch nicht sicher, was er davon halten sollte…oder was er damit machen sollte.    Ignorier es.   War viel sicherer und viel klüger, als sich auf dieses gefährliche Gebiet zu begeben, das direkt jenseits dieser massiven Straßensperre der Verleugnung lag. Wie immer entschied sich Shikamaru für den Weg des geringsten Widerstands – Vermeidung.    In dem Versuch, dieses Gefühl abzuschütteln, verlagerte er das Gewicht und zupfte an dem Stoff, der an seinem flachen Bauch klebte, während er eine Grimasse schnitt. „Kann ich nicht widersprechen.“   Shin bedachte ihn mit einem weiteren Lächeln und nickte entschieden. „Geeister Tee ist unterwegs. Weißt du, du kannst jederzeit gerne alle Einrichtungen hier nutzen, um dich ein bisschen zu erfrischen. Ich werde Hama darum bitten, dich herum zu führen.“ Und wie aufs Stichwort umrundete der alte Mann mit einem Gast im Schlepptau die Seite des Gebäudes.   Shin drehte sich halb, doch sein Blick verweilte auf dem Nara. „Ich bin gleich zurück, Shika.“   Beinahe hätte Shikamaru mit den Achseln gezuckt, schaffte es aber, seine Manieren aufrecht zu erhalten und verneigte sich in einer Art gestelzten Kopfnickenverbeugung, die Shin mit offener Belustigung bedachte und mit einem Finger wackelte, um die Formalität abzuweisen. „Du musst das wirklich nicht bei mir machen“, erinnerte er ihn, bevor er davon lief und sich in fließenden, gleitenden Schritten über die Veranda bewegte.    Shikamaru fühlte sich zehn Arten von dämlich, als er sich zurück gegen die Säule lehnte und seinen Blick weiter nach vorn zu Shins näher kommendem Gast wandern ließ. Der alte Mann hatte einen Namen erwähnt. Wie war er noch gleich?   Tenka, lieferte sein Hirn.    Sofortiger Speicherabruf hatte noch nie geschadet; ebenso wenig wie die Angewohnheit, Informationen abzuordnen. Als Shikamaru seinen Blick auf die Gestalt warf, war das erste Detail, das ihm ins Auge fiel, der lange dunkle Mantel des Mannes und die aufgestellte Kapuze. Shikamaru hob eine Braue. Es war einfach viel zu heiß für diese Art der Aufmachung.    Mantel und Degen, wie?   Shin hingegen schien von der Garderobenwahl seines Gastes nicht allzu verstört zu sein, sondern streckte seine Hände in einer willkommen heißenden Geste aus; entspannt, wohlwollend, ein König in seinem Reich. Tenka machte keine solchen Gesten der Vertrautheit, obwohl er eine Hand hob, um die Kapuze zurück zu ziehen und sein Gesicht zu zeigen.    Ein Dämonengesicht.    Shikamarus Miene zuckte überrascht.    Der Kerl trug eine scharlachrot lackierte Noh Maske. Die dämonische Art. Nur schimmernde Hörner, zusammengezogene Brauen und dieses groteske, Gesicht spaltende Feixen, das sich von einem Ohr zum anderen erstreckte. Glatte, aschblonde Strähnen rahmten sein maskiertes Gesicht ein und ein langer, blasser Pferdeschwanz war an seinem Nacken zusammengebunden.    Kniend zog der alte Mann, Hama, eins der Fusama Paneele zur Seite.    Mit einem weiten Schwung des Armes gestikulierte Shin in den Empfangsraum und setzte sich in Bewegung, um zuerst einzutreten, während er leise sprach. Nicht ein einziges Wort von Tenka, doch auch er drehte sich, um zu folgen und hob dabei eine Hand, um seine Maske abzunehmen, sein Profil halb verborgen von seinen Strähnen. Shikamaru erhaschte einen Eindruck von blassen, knochigen Konturen; hohle Wangen, ein schlanker, aber kraftvoller Kiefer, eine gerade Nase und straffe Stirn. Yamanaka Inoichi kam ihm in den Sinn, nur weicher, weniger dicht in den Augenbrauen und mit volleren Lippen.    Tenka hielt auf der Türschwelle inne, versteifte sich.    Und dann drehte er den Kopf und sah direkt zu Shikamaru.    Der Schattenninja erstarrte, an Ort und Stelle festgepinnt von einem Paar aufwühlend violetter Augen, die über die Distanz hinweg schnitten und mit der Wucht von Amethystklingen einschlugen. Ein einziges Mal blinzelnd, verengten sie sich flüchtig bei seinem Anblick, bevor sie sich alarmiert weiteten.    Aus dem Inneren des Raumes sagte Shin etwas.   Sofort verschwand jede Miene aus Tenkas blassem, gutaussehendem Gesicht und seine ungewöhnlich violetten Augen wurden flach und unlesbar wie der Rest seines Gesichtes. Wie in einer Zurkenntnisnahme neigte er kurz den Kopf in Shikamarus Richtung, wobei sein Blick dabei beständig und ruhig wie eine Klinge blieb…   Eine Klinge…   Eine Klinge…   Eine Klinge, die durch die Erinnerung schnitt…die durch die Schwärze schnitt…durch die Schatten schnitt…es alles in Streifen zerfetzte…rüttelte seinen fragilen Griff um die Vergangenheit los, an den Bruchstücken, den Teilen…   „Nutze mich“, fauchte die Finsternis drängend, stark. „Tu es. Diesmal werden wir ANBU-Mann gemeinsam aufhalten. Du wolltest dich erinnern, du wolltest es wissen.“   Aber er sollte doch vergessen – oder nicht? Diese violetten Augen. Diese hirschgesichtige ANBU-Maske. Und Shin…Shin…Shin…   Schmerz explodierte in seinem Kopf.    Während er die Lider aufeinander presste, taumelte Shikamaru in seinem Verstand seitwärts, halb im Wahnsinn und halb in Erinnerung – versuchte, sich an den Teilen festzuhalten, an der Vergangenheit, an den Bildern, die wie Blitze aufflammten.    „Hör auf, mich zu bekämpfen“, hauchte diese tiefe, vertraute Stimme, erstickt von Blut und heiser wie ein Todesrasseln. „Ich habe es dir schon gesagt. Du kannst nicht wieder hierher zurück kommen. Genauso wenig wie ich…“   Shikamaru hob den Blick, sah die hirschgesichtige ANBU-Maske. Sah die violetten Augen. Vertraut, Gott, so vertraut. Und jetzt hatte er auch einen Namen. Tenka. „Du hast das mit mir gemacht“, würgte er verwirrt hervor. „Du hast mir meine Erinnerungen genommen…hast meinen Verstand abgefuckt…warum? Wer zur Hölle bist du? Wer zur Hölle ist Shin?“   Keine Antworten von hinter dieser blutbespritzten Maske, von hinter diesen violetten Augen. Überhaupt keine Antworten…nur dieser heisere, bekannte Ruf: „KIOKU FŪIN-NO-JUTSU!“   Erinnerungs-Versiegelungstechnik…   „Nein, warte“, keuchte Shikamaru. „Warte, WARTE!“   Kein Warten. Keine Warnung. Er spürte diese bekannte Empfindung von Tenkas behandschuhten Händen, die sich um seinen Kopf schlossen und die Finger krümmten sich gegen seinen Schädel, als wollten sie die Erinnerungen heraus reißen.    Er wusste, was als nächstes kam.    Metsu.   Auslöschen. Ausradieren. Dieser Kerl hatte vor, seine Erinnerungen zu amputieren, völlig ungeachtet der Phantomschmerzen, die es zurücklassen würde. War es schon immer so gewesen? Keine Wahl, keine Chance, überhaupt keine Erklärung. Nur ein bitteres Déjà-Vu. Erinnern und Vergessen, überschneidende Zeitachsen, halb erhaschte Partien, die sich in seinem Kopf abspielten. Und er hatte es immer zugelassen – oder nicht? Hatte sich niemals gewehrt, weil er so verzweifelt danach gewesen war, zu vergessen…zu vergessen…zu vergessen…   „Lass mich vergessen“, wisperte eine kleine Stimme in ihm. Seine eigene Stimme. Jünger, verängstigt und viel zu schwach…zu schwach im Vergleich zu der Finsternis. „Bitte. Es ist nicht real. Es ist vorbei. Es ist erledigt. Bitte. Lass mich einfach vergessen.“   „Ich vergesse niemals“, zischte die Finsternis. „Und das werde ich auch nie. Also entscheide dich, Shikamaru. Ich oder der Kleine, dieses Kind? Wer glaubst du, wird einen besseren Job darin machen, dich zu beschützen?“   „Tu es nicht“, wisperte die leise Stimme – der Kleine? Das Kind? „Nicht…nicht…“   „Tu es. Tu es“, drängte die Finsternis.    Shikamaru quälte sich; sein Verstand in zwei Richtungen gerissen; aufgespalten zwischen dem Kleinen mit seiner Furcht und der Finsternis mit ihrem Zorn. Vergessen. Erinnern. Vergessen. Erinnern. Wieder und wieder und –   „Wir sind jetzt schon zu weit gekommen“, flüsterte die Finsternis. „Zu weit, um zu vergessen. Ich habe die Antworten. Alles, was Tenka hat, sind Lügen!“   Lügen…   Shikamaru schreckte davor zurück, aber Tenkas Griff an seinem Verstand, an seinem Gedächtnis, war stark…nicht mehr.    „Ja“, zischte die Finsternis. „Nicht mehr.“   „Es tut mir leid, Shikamaru“, krächzte Tenka mit sich anspannenden und bebenden Fingern. „METS-!“   „Nein!“ Shikamarus Hand schoss nach oben und seine Augen flogen auf, die Iriden brannten schwarz. „Nicht mehr“, knurrte er, krallte seine Finger um Tenkas Kehle und hob den Mann mühelos mit einer Stärke und Kraft vom Boden, die er nicht hätte besitzen dürfen. Nicht in seinem Verstand. Nicht in seinem Körper. „Diesmal nicht!“   Tenka packte das Gelenk der Hand an seinem Hals, seine violetten Augen weiteten sich hinter der Maske, als er in der Luft hing. „Shikamaru!“, stieß er erstickt hervor. „Tu das nicht.“   „Tu das nicht!“, echote der Kleine, seine Stimme immer noch viel zu schwach, selbst als er rief und schrie. „Tu das nicht!“   Aber er tat es.    Shikamaru umklammerte Tenkas Kehle mit der einen Hand und griff mit seiner anderen nach den Schatten. Schwarze Ranken flossen von seinen Fingern, legten sich in einer engen Schlinge um Tenkas Nacken und woben sich wie Nähte durch die amniotische Finsternis in Shikamarus Geist, zogen all die aufgerissenen Ränder wieder zusammen, vernähten die Wunden, die Tenkas Verstand veränderndes Jutsu, seine Erinnerungen auslöschende Klinge, seine unverfälschten Lügen hinterlassen hatten.    „Und ich kann weiter darüber lügen und so tun, als würde das hier rein gar nichts bedeuten“, krächzte Tenka. „Wenn es dein Leben rettet.“    Bei diesen Worten versteifte sich Shikamaru…   Seine eigenen Worte…   Seine unausgesprochenen Worte zu Neji…   Neji…Neji…   Bewusstsein jagte eiskalt und plötzlich durch ihn, während die Angst TU DAS NICHT! schrie – aber dann kam der Zorn; heiß und brutal wie die Finsternis in seinen Augen und sie schrie KEINE LÜGEN MEHR!   Nicht mehr. Nicht mehr.   Es übertönte das Kind, die Furcht, die Schwäche. Der Zorn – nein, die Finsternis – war etwas Lebendiges in ihm, symbiotisch mit all seinen Sinnen, ein Wirt in seinem Kopf. Es war diese kalte, düstere Einheit, die direkt jenseits der Furcht existierte, direkt jenseits der Panik…sie fand ihn und sie füllte ihn aus, passte ihm auf eine Weise, die ebenso angenehm wie vertraut war. Seine Schatten. Seine Erlösung. Wie zur Hölle hatte er jemals ohne sie überlebt?   Ich bin meine Schatten.    „Das bist du nicht…“, sagte Tenka erstickt. „Das bist du nicht.“   Shikamaru stierte düster hinauf in dieses maskierte Gesicht, öffnete den Mund, um zu antworten und die Finsternis sprach durch ihn. „Ich habe niemals Rettung gebraucht“, sagte sie. „Anders als du.“   Tenka schnappte nach Luft, um etwas zu erwidern.    Zu spät.    Shikamaru ließ seine Kehle los, aber nicht die Schatten.    Tenka fiel wie ein Gefangener am Galgen, das nasse Krack seines gebrochenen Genicks hallte in die Stille…in die Schatten…in die See driftender Bruchstücke und Teile…   Und dann kam das Schreien.    Der Kleine. Shikamarus eigene Stimme…jünger…verängstigt…fünfzehn Jahre alt und völlig ausgeflippt…ein zusammengebrochenes Kind kauernd und allein in einem kalten, dunklen Korridor ohne ANBU-Beschützer, um ihn zurück zu führen. Er stierte auf Tenkas Körper und Tränen brannten seine Wangen hinab. „Nein. Nein. Nein. Was zur Hölle hast du getan? Was zur Hölle hast du getan?!“   „Was du nicht konntest“, erwiderte die Finsternis verärgert, älter. „Geh und mach die Augen zu, Kleiner…wir übernehmen ab hier. Stimmt’s, Shikamaru?“   Shikamaru starrte auf die Leiche…   Sah zu, wie sie langsam und leblos vor seinen Augen hin und her schwang…und dann lächelte er.    ~※~   Keuchend kam Shikamaru zu Bewusstsein. Eine scharfe und plötzliche Bewegung, die ihn ruckartig auf dem Boden aufrichtete, die Wirbelsäule straff, der Atem angehalten und der Körper vollkommen regungslos…   Aber da war keine Angst…kein Aufblitzen von Panik…kein Schmerz, der in seinem Kopf explodierte…   Nichts.   Rauch füllte seine Nase…abgestanden…stark…der Geruch einer immer noch brennenden Zigarette…   Phantome drifteten die Ränder seines Verstandes entlang, schwebende Figuren, schwebende Gesichter. Nicht mehr wirklich Geister. Halb real und halb erinnert. Aber zum ersten Mal, seit die Albträume begonnen hatten, war er wach und er war sich all dem bewusst. Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, aber seine Atmung war ruhig, fast schon zu ruhig. Der Schweiß auf seiner Haut fühlte sich bei Berührung kalt an…ebenso wie die nassen Spuren, die seine Wangen bedeckten.    Für einen langen, eingefrorenen Moment saß er einfach nur weitäugig da und stierte in die Finsternis.    Die Finsternis.    Jetzt konnte er sie hören; da, unter der Stille. Er konnte ihre Präsenz spüren, spürte, wie sie durch die Kammern seines Verstandes schritt. Ein uneingeladener Gast, ein ungewollter Geist…   „Wie lästig. All die Anstrengungen um ein Co-Bewusstsein zu entwickeln und du wirfst mich raus? Ich glaube eher nicht.“   Shikamaru erstarrte, als ein kaltes, körperloses Empfinden des Schwebens durch ihn glitt, seine Sinne erhöhte und ihn hochhob wie eine dunkle Wolke, die über der vollgestopften Erde driftete.   „Es ist das, was du immer wolltest. Einfach nur vorbei schweben wie eine Wolke.“   Langsam blinzelnd blickte Shikamaru sowohl nach innen als auch außen, blind, aber dennoch sehend…vollkommen abgetrennt von seiner Umgebung…die blaugrauen Schattierungen des mondbeleuchteten Raumes…die Seiten über Seiten von Pergament, die auf dem Boden verstreut lagen…übersäht mit Handschrift…ein unleserliches Gekritzel, das vielleicht seines war…seines sein musste…Wörter über Wörter…Symbole über Symbole…Namen über Namen…sie flossen von den Seiten auf die Tatami Matten…bedeckten die Shoji Leinwände…bedeckten die Wände…bedeckten die Welt, während er darüber schwebte…   Aber er war hellwach, saß auf dem Boden, starrte auf all die Zeichen.    „Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?“   „Du hast das getan“, raunte Shikamaru, sprach nach innen und seine Stimme brach dabei in seiner Kehle.   „Sag bloß. Ich habe diese Schrift immer auf den Wänden in deinem Kopf hinterlassen…aber ANBU-Mann hat dich und den Kleinen davon abgehalten, hinzusehen.“   Shikamaru runzelte die Stirn. „Was für ein Kleiner?“   Die Finsternis antwortete nicht, sondern sagte stattdessen: „Tenka hat gelogen. Hat dafür gesorgt, dass du blind bleibst. Aber wir haben uns darum gekümmert. Gemeinsam.“   Shikamaru schloss die Augen, sah den Maskenmann hängen…schwingend…schwingend wie die Tür zu seinem Unterbewusstsein…zerbrochene Scharniere in seinem Kopf…   Aber er war hellwach – oder nicht?   „Ja. Endlich! Jetzt mach die Augen auf.“   Und er öffnete die Augen…sah den dunklen Raum warten…wartend mit der Schrift an den Wänden und auf dem Boden und auf den Papieren und…   Ja, und ob er wach war. Wünschte sich nur bei allen Göttern, dass er es nicht wäre.    Die Finsternis in seinem Kopf lächelte ein träges Schmunzeln vor seinem inneren Augen, aber es lag Genervtheit in der Belustigung – und eine nur dünn verschleierte Wut. „Such schreiend das Weite und schau, wie weit dich das bringt. Du denkst, ich kann dir nicht hinterher jagen? Bring mich nicht dazu. Ich habe Besseres zu tun. Wie zum Beispiel das Chaos aufzuräumen, das du, Genma und ANBU-Mann zurückgelassen habt.“   „Ich weiß nicht, wovon zur Hölle du redest“, antwortete Shikamaru, sich bewusst, dass der Raum eigentlich leer war, aber sein Kopf war so voll, dass er beinahe platzte.    Die Finsternis ragte über ihm auf; größer, stärker.    „Ich war schon immer stärker. Und ich werde dir ganz genau zeigen, wovon ich rede, wie ich es dir die ganze Zeit gezeigt habe. Denn es ist nicht vorbei, bis ich sage, dass es vorbei ist. Also mach schon und nimm einen Zug von dieser Zigarette…für die nächste Runde wirst du das brauchen.“   Shikamaru runzelte die Stirn. „Die nächste Runde?“   „Eines alten Spiels. Du willst doch gewinnen, oder nicht? Denn ob es dir gefällt oder nicht; du hast nie aufgehört zu spielen.“   Seine größte Furcht, sein dunkelster Schatten; ins Licht gezerrt.    Aber die Panik kam nicht. Die Furcht folgte nicht auf dem Fuße…nur dieses sonderbare Gefühl des Schwebens, alle Emotionen hochgehoben und fort außer Reichweite driftend…fort mit der Panik, fort mit der Furcht.   Taub. Hohl. Leer.   Shikamaru sog einen Atem ein. Er kannte dieses Gefühl, oder eher, diesen Mangel an Fühlen…er hatte es während der beiden Wochen erlebt, als Asuma behauptet hatte, er wäre ein anderer Mensch gewesen, eine andere Person.    „Das warst du auch. Das bist du gewesen. Immer verängstigt. Immer rennend. Aber der Kleine ist jetzt still. Es sind nur du und ich.“   Es musste Sinn irgendwo in diesen Worten begraben liegen. Noch mehr Hinweise, noch mehr Indizien. Aber Shikamaru streckte keine Hand aus, um sie zu finden. Stattdessen griff er nach der weggeworfenen Zigarette, die immer noch in dem weiß lackierten Aschenbecher vor sich hin schwelte und brachte sie zitternd an seine Lippen. Sein Atem schwankte und er hielt inne, wartete darauf, dass der Moment verging, dass seine Finger aufhörten zu beben.    „Atme, du Genie.“   Ein Atemzug, zwei Atemzüge, drei Atemzüge…   Die Rückseiten seiner Augen begannen zu brennen, aber das Zittern hörte auf, seine Atmung ebnete sich aus und sein Herzschlag wurde langsamer – fühlte sich an, als hätte er komplett aufgehört zu schlagen. Paralysiert, wie die Panik. Wie der Schmerz. Wie einfach alles, was er hätte empfinden sollen…   Aber da war nichts…eine totale Abwesenheit, eine totale Abtrennung.   „Ist das, was du am besten kannst. Jetzt nimm den Zug. Nimm dir eine Minute. Ich kann warten.“   Blicklos stierte Shikamaru auf die Nachrichten, die überall im Raum gekritzelt waren und tat, wie ihm geheißen. Er nahm einen tiefen Zug in die mondbeleuchtete Finsternis, die Glut glühte heiß und rot.    Für eine Weile war die Finsternis still, lehnte sich zurück und beobachtete.    Ihr Schweigen war ebenso verstörend wie ihr Sprechen. Shikamarus Sicht verschwamm auf den Wänden und der Schrift, aber er blinzelte nicht, brach nicht. Er konnte nicht. Denn in der Sekunde, in der er sich fühlte, als würde seine Welt vielleicht auseinander fliegen, fesselte ihn die Finsternis, wickelte ihn fest in Schatten und Sicherheit und dieses surreale Empfinden des Schwebens.    „Es ist lästig. Aber ich werde niemals zulassen, dass du brichst. Das weißt du.“   Ja, er wusste das. War sich nicht sicher wie, oder warum, oder wann er sich dazu entschlossen hatte, das zu glauben. Vielleicht war es jetzt gerade richtig, jetzt in diesem Augenblick. Oder vielleicht hatte er es schon immer gewusst. Wusste, dass direkt jenseits der Furcht…etwas war, das ihn immer finden würde…ihn immer wieder richten würde…   „Das ist es, was ich am besten kann. Jetzt steh auf.“   Shikamaru blinzelte langsam, die Anspannung floss aus seinen Muskeln, aus seinem Verstand. Er gestattete sich zwei weitere Züge aus Rauch und auch noch eine weitere Minute. Und dann, mit unendlicher Gelassenheit, drückte er die Zigarette aus, kam auf die Füße und lief zur Tür.      _____________ Hey meine Lieben :)  Ah, ich habe diesem Kapitel entgegengefiebert, denn es ist wirklich ein ziemlich wichtiges. Es markiert in vielerlei Hinsicht wichtige Wendepunkte und außerdem lernen wir Shikamarus zweites Alter Ego kennen ;)  Das erste Mal hat der sich ziemlich am Anfang gezeigt, als Shikamaru bei den Chimären war und so ein komisches Mitleid mit ihnen empfunden hat. Wie die Hand eines Kindes, die nach ihm greift ;) Ganz liebe Grüße und vielen Dank wie immer an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen! Kapitel 40: Coming clean ------------------------ ‚Lasst uns beten, dass die Vergangenheit und ihre Dämonen niemals unsere Schwelle verdunkeln.‘   Sarutobi Hiruzens letzte Worte über den Nara Vorfall. Worte, die vor einundzwanzig Jahren gesprochen worden waren. An dem Tag, als er letztendlich die Tür zu der Angelegenheit des Shinjū Projekts verriegelt und das Schloss den Händen der Ältesten übergeben hatte, während die Schlüssel in die Finger einiger weniger, kostbarer Vertrauter gelegt worden waren.    Aber vielleicht waren diese Schlüssel, genau wie Karma, zu mehr als nur staubigen Taschen bestimmt.    Ein törichter Gedanke. Weder Mitokado Homura, noch Utatane Koharu waren besonders religiös. Zumindest nicht auf die Weise, wie es bei Sarutobi Hiruzen der Fall gewesen war; ein Buddhist von ganzem Herzen, Mitgefühl stets auf seinem Gewissen lastend und seine Hand zurückhaltend, ihn zur Gnade zwingend.    Gnade.   Koharu runzelte die Stirn und ihre dünnen Lippen spannten sich am Rand ihrer Teetasse an. Gnade? Sie wunderte sich über dieses Wort, sah durch ihre Wimpern auf das exquisite Bodhisattva-Seidengemälde, das von der Wand des alten Kriegsraumes hing. Es war von Hiruzen in Auftrag gegeben und von niemand anderem als dem verstorbenen Chiriku gemalt worden. Ein Alter Ninja-Wächter Freund von Sarutobi Asuma und führender Mönch des zerstörten Feuertempels.    So viel Zerstörung…   Wo war die Gnade an diesem Tag gewesen? Wo waren all die Götter gewesen? Gnade hatte Chiriku nicht gerettet, auch nicht Asuma, oder Hiruzen. Trotz seines Glaubens an höhere Mächte und heilige Pläne hatte der Sarutobi Clan Verlust nach Verlust erlitten. Und trotzdem konnte es Koharu nicht über ihr gepanzertes Herz bringen, das Bild zu entfernen. Ebenso wenig wie Homura. Es war eine unausgesprochene Angelegenheit und unberührt wie geweihter Boden. Und sogar Shimura Danzō respektierte das.    Danzō…   Langsam setzte Koharu ihre Tasse ab, nachdenklich über das sanfte Klack der Keramik und ihre Tendenz zur Schwerfälligkeit, wenn sie irritiert war. Sie wollte Homura nicht bei seinem Papierkram stören. Ah, aber der alte Fuchs hob dennoch den Blick, musterte sie über den Rand seiner Brille hinweg, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmete. Er wusste es besser, als sich in ihre Gedanken einzumischen. Wenn sie sie mit ihm teilen wollte, dann würde sie den Mund aufmachen.    Doch sie goss sich noch etwas mehr Tee ein und wartete auf den richtigen Zeitpunkt.    Immerhin wollte sie Homuras volle Aufmerksamkeit. Sie waren hierher gekommen, um über Danzō zu diskutieren. Dieser durchtriebene alte Kriegshabicht hatte schon wieder seine Morgentreffen mit ihnen ausgelassen. Auf den ersten Blick war das nichts übermäßig Außergewöhnliches, wenn man bedachte, dass Danzō gerne mal seine Unabhängigkeit und anmaßende Autorität auf diese trotzigen und niemals endenden Wege unter Beweis stellte.    Ein Oberflächenschauspiel, eine gesichtswahrende Zurschaustellung.    Koharu und Homura wussten es beide besser, als das auch zu glauben. Danzō operierte niemals an der Oberfläche. Legte niemals einen Auftritt hin, ohne einfach alles aus den verborgenen Flügeln heraus zu dirigieren.    Was hast du jetzt schon wieder vor, Shimura?   Wenn es um Danzō ging, dann war Argwohn ein unaufhörliches Jucken zwischen Koharus Schulterblättern, aber sie hatte schon lange gelernt, den Unterschied zwischen ihren schwachen Ahnungen und ihrem Eingeweide verdrehenden Instinkt zu erkennen. Und jetzt gerade fühlte sie es; dieses unausweichliche Wissen…fühlte es so gewiss, wie Hiruzen seinen Glauben gefühlt hatte.    Etwas war falsch. Etwas war im Gange.    Und vielleicht hatte Koharu tief unter der Oberfläche ihres gepanzerten Herzens immer gewusst, dass wenn die Vergangenheit kam und anklopfte, dass sie ihre Schwelle dann nicht verdunkeln würde…sie würde sie eintreten. Und aus diesem Grund war es auch keine Überraschung, als die Tür zum Kriegsraum krachend in den Angeln aufflog.    Zumindest für Koharu war es keine Überraschung.    Homura hingegen sah aus, als befände er sich am Rande eines Aneurysma, als seine Augen mit Schock und Empörung aus den Höhlen traten. „Was im Namen von-?!“   Ibiki stand im Türrahmen, seine breiten Schultern bebten, die Gliedmaßen waren steif und straffgezogen gegen welche Dringlichkeit auch immer, die ihn dazu gebracht hatte, die Tür quasi einzutreten. Hinter ihm im Gang war das Flattern von erhobenen Stimmen zu hören; manche wütend, manche unsicher, aber alle auf Ibikis Impertinenz und imminente Festnahme gerichtet.    Jōnin kamen näher, dann blieben sie stehen.    Ein Flackern blauweißen Chakras und drei ANBU Agenten erschienen mit gezogenen Tantōs. „Morino-san“, sagte eine maskierte Frau. „Du kannst nicht einfach so-“   Mit schimmernden Narben knurrte Ibiki über die Schulter, seine Augen in den Schatten des dunklen Randes seiner Stirn getaucht. „Heute Abend wollt ihr euch wirklich nicht mit mir anlegen!“   Schon allein diese kleine, aggressive Reaktion von Ibiki wäre genug gewesen, um Koharus Aufmerksamkeit zu erregen, wenn die eingetretene Tür nicht schon genug gewesen wäre.    „Das reicht.“ Koharu setzte ihre Teetasse ab und richtete sich mit steifer Wirbelsäule auf. „Lasst uns allein!“, befahl sie. „Ihr alle!“   Zögern. Die ANBU Agenten verharrten noch eine Sekunde länger, warteten darauf, dass die anderen Jōnin zuerst zurückwichen, bevor sie ihre Tantōs wegsteckten. Sie bekamen nichtmal mehr die Gelegenheit, sich zu verneigen. Ibiki schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.    Homuras Brauen wanderten unmöglich weit hoch. „Was soll dieses Eindringen, Ibiki?“   Bei diesen Worten wirbelte Ibiki herum, sein Kiefer so heftig verkrampft, dass die Muskeln hervortraten und sich Venen so dick und hässlich wie die Narben über sein Gesicht zogen. Gerade noch so schien er sich an der Kante einer gefährlichen Reaktion abzufangen, seine Nasenflügel bebten, der Atem verließ ihn zischend in einem heißen Strom, während er sich abmühte, seine diamantharten Zahnräder wieder unter Kontrolle zu bekommen.    Stirnrunzelnd drehte sich Homura auf seinem Platz und sah für Unterstützung zu Koharu.    Doch Koharu hob nur eine Hand und bat damit um Geduld, ihre kleinen, zusammengezogenen Augen starr auf Ibiki fixiert. Für einen langen, stummen Moment musterte sie ihn und die Instinkte in ihrem Inneren brannten heiß wie Kohlen. Seit über siebzehn Jahren arbeitete sie mit Ibiki. Sie hatte ihn als Soldat während einiger der erschütterndsten Katastrophen gesehen, die das Dorf jemals erlebt hatte, sowohl im offenen Feld, als auch inoffiziell. Sie hatte gesehen, wie er alle möglichen persönlichen, als auch politischen Stürme überstanden hatte; immer gefasst und eisern, beinahe wie eine Maschine.    Bis jetzt.    Jetzt lag da etwas in seiner Haltung, auf seinem Gesicht…in diesen kalten, schwarzen Augen, die sich ihnen zuwandten und das mit einem Aufblitzen von Emotionen, die nicht einmal seine eiserne Kontrolle verbergen oder auflösen konnte.    „Erzähl uns alles“, sagte Koharu.    Ohne ein einziges Wort griff Ibiki in die Innentasche seines Mantels, zog eine Akte hervor und klatschte sie auf den Tisch. Das laute Whack des Dokuments sorgte dafür, dass sich Homura auf seinem Platz versteifte.    Koharu zuckte mit keiner Wimper.    Zumindest nicht, bis sich Ibiki nach vorn lehnte und die Akte öffnete…und die Vergangenheit mit all ihren Dämonen schreiend aus den Seiten stürzte.    ~❃~   Der Mond hing wie ein vernarbter Opal in einem sternenklaren Himmel, ergoss sein silbrig blaues Glühen die bewaldeten Hänge hinab. In einem zügigen Tempo bahnte sich Neji seinen Weg zurück von dem Archiv und durchquerte dabei zwei der vier Gärten der Göttlichen Bestien.    Tatsu-en…   Der Drachengarten. Er konnte das entfernte Murmeln der Heißen Quellen hören, die Feuchtigkeit war schwer in der Luft und verursachte einen dünnen Nebel, der in gespensterhaften Bändern über den satten Farnen hing. Neji strich achtlos daran vorbei, fühlte das feuchte Streicheln von Blättern gegen seine blutgetränkten Roben und verzog das Gesicht.    Kami, ich muss duschen…   Tod hing noch immer an ihm. Er musste das fortwaschen, bevor er sich Shikamaru stellte. Ein sauberer Körper, ein klarer Verstand, ein frischer Sinn für Kontrolle. Kontrolle. Vorhin hatte er sie verloren; in der Sekunde, als er in Shikamarus weite und heimgesuchte Augen gesehen hatte.    Unglaublich, wie es immer noch nur einen einzigen Blick zwischen ihnen brauchte.    Ein einziger Blick, eine einzige Berührung.    Beides besaß die Macht, jeden Sinn für Perspektive und Selbsterhaltung wegzureißen.    Neji hatte es so sicher wie eine Klinge im Zentrum seiner Brust gespürt. Und er hatte sofort gewusst, dass wenn er sich gestattet hätte, in diesem Augenblick nach Shikamaru zu greifen, dann wäre er niemals in der Lage gewesen, fort zu laufen.    Und dann wäre ich nicht hier, mit dieser Entscheidung in meinen Händen…   Eine Entscheidung, ein Befehl, eine Wahl, die er so oder so getroffen hätte. Konsequenzen fluteten seinen Verstand, ruhten schwer auf seinem Herzen. Aber es war die richtige Wahl; und auch die sicherste für alle Beteiligten.    Genug Denken…Zeit, mit ihm zu sprechen.   Zumindest war er mit einem legitimen Grund bewaffnet. Aufgrund von Besorgnis oder Emotionalität zu handeln stand außer Frage. Trotzdem fand Erleichterung beinahe einen Halt. Ein kurzlebiges Gefühl. Denn nur Kami wusste, wie Shikamaru reagieren würde. So oder so war der Befehl gegeben worden. Die Entscheidung war gefallen. Neji konnte endlich handeln und musste sich nicht mehr vor dem fürchten, was zur Hölle er tun sollte.    Taten sind, was zählt…   Völlig versunken in diesem proaktiven Mantra, beschleunigte Neji seine Schritte durch die Heißen Quellen und hatte schon die Hälfte des gewundenen Pfades aus breiten Trittsteinen hinter sich gebracht, als er eine Bewegung in dem seidigen Federgras bemerkte. Er hielt inne und drehte sich langsam auf den Fußballen, als sich sein Körper nahtlos und mit Leichtigkeit in eine defensive Stellung schob.    Doch es wäre nicht nötig gewesen.    Ein riesiger, flauschiger, weißer Kopf tauchte auf, gefolgt von dem großen, hin und her schwingenden Körper von Kibas Ninken. Akamaru schüttelte sich das feuchte Fell und sah mit seinen riesigen, ausdrucksstarken, goldbraunen Augen zu Neji hoch, während seine Rute in einem freundlichen Wedeln durch das Gras strich.    Neji löste seine Deckung und atmete aus. „Akamaru.“   Der Hund trottete herüber, schnupperte an Nejis Hand und schniefte, als würde er niesen.    „Verfluchte Scheiße, Hyūga“, murrte eine grummelnde Stimme. „Du stinkst.“   „Was für eine Freude, daran erinnert zu werden“, bestätigte Neji trocken und hob seinen Blick zu der vom Mond beleuchteten Gestalt, die mit nackter Brust und gerötet von den Heißen Quellen den angrenzenden Pfad entlang geschlendert kam. „Du solltest dich ausruhen.“   Die Brauen erhoben warf sich der Hundeninja ein Handtuch über die Schulter, während er mit einem Daumen zurück auf das Onsen deutete. „Hab mich sehr gut ausgeruht.“ Was nicht erklärte, warum er so unruhig aussah. Aufruhr summte in einem fast schon greifbaren Schwarm um ihn herum, brummte in seiner Aura und blitzte bissig in seinen Augen auf. „Was soll dieser Mitternachtsspaziergang, Eure Hoheit? Solltest du nicht deinen Schönheitsschlaf machen, wie die ganzen anderen Prinzessinnen?“   Neji ignorierte diesen Haken, sondern lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Pfad, den Kiba gekommen war. Während der Gedanke an ein erholsames Bad sehr vielversprechend erschien, würde er das Unvermeidbare nur hinauszögern. Er hatte keine Zeit für Ablenkungen. Er musste scharfsinnig und fokussiert bleiben.    „Machst immer noch einen auf passiv, huh?“, grunzte Kiba und wuschelte sich mit dem Handtuch durch sein zerzaustes Haar. „Sogar Shikamaru hat mehr Biss als du.“   Bei diesen Worten spähte Neji zu ihm zurück. „Ist es das, worüber du dich so aufregst? Was er zu dir gesagt hat?“   Kiba lachte ein wenig mit einem rauen, grollenden Geräusch, das eher belästigt statt humorvoll klang. „Pf, ich würd’s mir verfickt nochmal wünschen. Die Scheiße ist leicht zu verdauen.“   Perplex sah Neji seitwärts zu ihm. „Also was ist es dann?“   Kopfschüttelnd schlang sich der Hundeninja das Handtuch um seine Faust wie ein Boxer, der sich die Hände für einen Kampf einwickelte, den er aber nicht bekommen würde. Er warf Neji einen drolligen Blick zu. „Wird das einer dieser ‚sich gegenseitig das Herz ausschütten‘-Momente? Denn dann wäre mir eine Sanfte Faust in den Schritt doch lieber.“   Nejis Lippen zuckten in dem Millimeter eines Schmunzelns. „Die verteile ich nur bei besonderen Anlässen.“   Überrascht stieß Kiba ein Lachen aus und seine Augen warfen mit ehrlicher Belustigung Fältchen. Etwas von dem Aufruhr bekam Risse und fiel von ihm ab. „Na schau sich das einer an“, bewunderte er und trat hinauf auf den Pfad. Spielerisch stieß er Neji mit seiner eingewickelten Faust gegen den Arm, als er an ihm vorbei strich. „Wer hätte gedacht, dass du einen Sinn für Humor hast?“   „Das habe ich ernst gemeint.“   Ein weiteres kehliges Lachen und Kiba winkte über seine Schulter, schlenderte den Weg entlang und ließ Neji damit zurück, sich über die sonderbare Stimmung des Hundeninjas und seine eigene, halb amüsierte Nachsicht zu wundern. Friedenswahrung, redete er sich selbst ein. Er brauchte Kiba auf seiner Seite und nicht an seiner Kehle.    Hn. Wer hätte gedacht, dass Humor ihn auf Spur bringen würde…   Dafür musste Neji Shikamaru danken. Wäre nicht dieser alles durchdringende Einfluss des Schattenninjas über die letzten paar Monate gewesen, dann hätte Neji niemals die Geduld oder das Verständnis besessen, das nötig war, um mit Kiba klarzukommen.   Du hast mich mehr gelehrt, als ich je realisiert habe, Shikamaru…   Hatte ihn auf Arten und Weisen gelehrt, die hart gegen den Strich von allem rieben, was ANBU ihm beigebracht hatte. Zwei eigenständige Lehrmeister, zwei eigenständige Lektionen, zwei eigenständige Seiten von ihm selbst, die sich in einem ständigen Wandel befanden. Aber am Ende würde nur eine dieser beiden Seiten gewinnen. Und jetzt im Moment musste er sich auf der schmalen Linie bewegen, von der er es geschafft hatte, sie zwischen ihnen beiden zu ziehen.   Zumindest bis die Mission vorbei ist…   Nur dann könnte er sich endlich auf die Seite fallen lassen, die seine Freiheit garantierte.    Während er ein Seufzen ausstieß, sah er zu, wie Akamaru hinter Kiba her sprang und beschloss, einen schrägen Weg zu seinem Gästequartier einzuschlagen, da er keine weiteren Unterbrechungen oder Rückschläge wollte. Ein heißes Waschen, eine kalte Dusche und eine schwierige Unterhaltung.    Die lange Nacht schien immer noch länger zu werden.    Mit dem Mondlicht, das seinen Pfad erhellte, schaffte es Neji rasch zurück. Er schlüpfte aus seinen Sandalen, schritt mit geräuschlosen Schritten über die polierte Veranda und strich an den anderen Gästezimmern vorbei. Die Lichter waren aus, außer die weichen, glühenden Laternen, die von den Traufen hingen. Abgesehen von dem müßigen Flüstern der Brise, die durch die silbrigen Blätter und über den mondbeschienenen Rasen wirbelte, war die Welt regungslos und still.    Eine friedvolle Nacht, so ahnungslos vom Chaos des Tages und dem Kampf von Morgen…   Ein Schritt nach dem anderen.    Neji löste seinen schwarzen Schurz, legte ihn sich über die Armbeuge und nestelte mit einer Hand an dem Verschluss seiner blutigen Robe, während er mit der anderen nach dem Fusama Paneel griff, um es zurück zu schieben. In einem leisen Wispern glitt es über die Schiene.    Neji trat über die Schwelle, hob den Blick; und wurde vollkommen regungslos. „Shikamaru.“   Marginal drehte der Schattenninja bei dem sanften Ruf seines Namens den Kopf. Im schattigen Mondschein gab er eine beeindruckende Gestalt ab, sein Profil in silberblaue Linien geätzt. Mit dem Rücken zur Wand saß er auf dem Boden, ein Bein aufgestellt und das andere unter sich gekrümmt, den Unterarm auf seinem Knie abgelegt und eine Zigarette rauchte zwischen seinen locker eingerollten Fingern.    Er sagte nichts; zumindest nicht sofort.    Das untrainierte Auge hätte ihn als entspannt empfunden; sein Körper gegen die Wand gelümmelt, die Ärmel seines schwarzen Yukata hoch gekrempelt, um die festen, straffen Muskeln seines Unterarms bloßzulegen.    Aber Neji sah die verborgene Anspannung, wusste, wohin er blicken musste.    Shikamarus Finger krümmten sich steif, die Muskeln seines Kiefers traten hart hervor, als er die Zigarette an seine Lippen hob und tief an dem Rauch sog. Für fünf Herzschläge hielt er ihn in sich, dann atmete er ihn in zwei Strömen durch die Nase aus und seine Wimpern senkten sich in einem Flattern über seinen Augen, bevor er schließlich mit einer Stimme sprach, die heiser und müde hervor krächzte. „Du musst mich von dieser Mission abziehen.“   Fassungslos blinzelte Neji ihn an. Instinktiv suchte er den Raum ab, als würde ihm das vielleicht irgendeinen Hinweis, irgendeinen Einblick, irgendein Indiz geben würde, das ihm half, diese Szene zu erklären. Ganz sicher hatte er sich nicht vorgestellt, dass sie sich so abspielen würde.    „Hörst du mich, Hyūga?“, fragte Shikamaru und klang dabei stabiler, als Neji es vermutlich erwartet hatte, wenn man bedachte, worum er gerade gebeten hatte.    Opalaugen schnitten zu ihm zurück und richteten sich mit einer Gefasstheit auf Shikamaru, die die Kalkulationen in seinem Kopf Lügen straften. „Ich höre dich“, erwiderte er und dachte darüber nach, dass es geradezu kriminell war, wie einfach sich der Spieß umgedreht hatte, gemessen daran, dass er eigentlich derjenige hätte sein sollen, der dieses Gespräch anzettelte.    Schon wieder all diese Schritte voraus, Nara…   Nejis Lippen bogen sich in einem schwachen Lächeln und dieses grausame Gefühl von Ironie schloss die Szene in seinem Verstand. Natürlich hätte er Shikamarus Fähigkeit berücksichtigen müssen, sich in seine Strategie einzuschleichen und seinen Spielplan im Voraus zu durchschauen. Wenn das denn wirklich das war, was hier gerade passierte.    Ohne die Augen von dem Schattenninja abzuwenden, trat Neji in den Raum und schob die Tür halb hinter sich zu. „Wusstest du, dass ich dir befehlen würde, hier zu bleiben?“   Shikamaru rollte in einer Geste mit der Schulter, die als Achselzucken durchgehen konnte. Für eine lange Sekunde musterte er das Ende seiner Zigarette und nahm einen weiteren Zug. „Ich bin aus meinem Spiel. Scheint also logisch zu sein, oder nicht?“   „Notwendig“, korrigierte Neji und ließ seine Robe in seine Armbeugen rutschen, bevor er das blutige Kleidungsstück abstreifte und es zusammen mit seinem Schurz fallen ließ. Vorsichtig näherte er sich dem Schattenninja und seine Haut begann zu prickeln. „Du hast mich angelogen, was dein Chakra angeht. Darüber, dass du es nicht benutzt.“   Shikamaru nickte ruckartig, während Rauch in einem zerfetzten Atem von seinen Lippen floss. „Ja…“ Kopfschüttelnd sah er durch seine Wimpern auf und starrte Neji für eine lange, suchende Sekunde an. „Und ich werde dich wieder anlügen und vorgeben, dass diese ganze Sache nur etwas mit meinem Chakra zu tun hat.“   Jede Strategie floh aus Nejis Hirn, stob auseinander wie ein Schwarm aufgescheuchter Vögel, die in viel zu viele Richtungen davon schossen, um folgen zu können. Seine Brauen zogen sich weich zusammen, als er vor Shikamaru in die Hocke ging und seinen Blick über all die Grate und all die Mulden auf dem Gesicht des Nara wandern ließ. Er studierte die Stellen, wo die Schatten hingen; unter seinen Augen, in den Rillen seiner Wangen und unter seinem Kiefer.    Kami, Shikamaru…   Schlagartig erhoben sich die Beunruhigung, die Besorgnis, die emotionalen Wellen, die Neji für die letzten paar Tage, paar Stunden, paar Sekunden in Schach gehalten hatte, mit einer Dringlichkeit und Stärke in ihm, die ihn sowohl überraschte, als auch entsetzte; dunkle, schlammige Wasser angefüllt mit viel zu viel Fühlen. Sie krachten gegen die spröde Hülle seiner Brust und seine Rippen hoben sich in der Anstrengung, sie wieder nach unten zu drängen.    Shikamaru sah den Kampf und zeigte mit dem leichtesten Zucken seiner Lippen Mitgefühl. „Es tut mir immer noch nicht leid. Das ist keine Lüge.“   Eine furchtbare Enge packte Nejis Kehle. „Als ich vorhin von dir fort gelaufen bin…“   Rasch schüttelte Shikamaru den Kopf und spähte durch den Raum. „Ich hab dir schon gesagt, dass du mich nicht  durch das hier hindurch führen musst. Das habe ich auch so gemeint. Außerdem muss einer von uns das alles clever spielen und wissen, wann man fortlaufen muss. Letzte Woche habe ich es kaum geschafft.“ Er setzte ein grimmiges Schmunzeln auf und sah aus dem Augenwinkel zu Neji. „Wie gut, dass du stärker bist als ich.“   Nein. Das bin ich nicht.   Und die Furcht vor dieser Wahrheit trieb sich wie ein Spreißel aus Eis unter Nejis Rüstung, fand einen Weg durch seine Deckung und verbreitete Frost auf den Wänden, die in seinem Geist standen. Er versuchte, sich auf diese Wände zu konzentrieren – lehnte sich mental nach Stärke suchend an sie, um sich irgendwie davon abzuhalten, eine Hand über die tosenden Wasser hinweg auszustrecken.    Er hatte nicht fort laufen wollen.   Er hatte es gemusst.   Um Shikamaru zu schützen. Um sich selbst zu schützen. Natürlich könnte er das niemals gestehen. Könnte Shikamaru niemals erzählen, dass er darauf eingeschworen war, alle Details über das Verhalten des Nara an einen Vorgesetzten weiterzugeben, der im Dunkeln lauerte, nach Schwächen suchte, die ausgenutzt werden konnten und auch nach jeder Gelegenheit, Neji als sowohl unpassend für ANBU, als auch als wortbrüchig zu befinden.    Götter, aber ich bin doch schon alles davon…   Denn er hatte Tsuno nicht die ganze Wahrheit erzählt. Er war dort gestanden, hatte mit Zähnen und Klauen um seine ANBU ‚Wände innerhalb von Wänden‘ und ‚Zahnräder innerhalb von Zahnrädern‘ gekämpft, während er direkt in das maskierte Gesicht seines Kommandanten gestiert hatte, nur um den Geist von Shikamarus Bild vorzufinden, der zu ihm zurück sah; personifiziert in dieser verdammten Hirschmaske.    Gott, hatte Shikaku es so geplant?    Oder Ibiki?   Hatte sich Tsuno speziell diese Maske ausgesucht, um ihn zu testen? Um ihn zu foltern?   Es funktioniert…   Es arbeitete gegen jede Wand und jedes Zahnrad in seinem Inneren; brachte ihn dazu, wichtige Fakten aus seinen Berichten wegzulassen, als wäre das irgendwie besser als offenes Lügen. Das war es nicht. Ein und dasselbe, das gleiche Ergebnis. Ob er log oder Informationen zurück hielt; beides waren unverzeihliche Übertretungen…ebenso unverzeihlich wie der Gedanke daran, Shikamarus Vertrauen noch mehr zu hintergehen, als er es ohnehin schon getan hatte.    Diese feine Linie, auf der er sich bewegte, wurde dünner…dünner…   Während er scharf die Luft einsog, senkte er ein Knie, um sich irgendwie zu stabilisieren, bevor er seinen Blick auf Augenhöhe mit Shikamaru brachte, zerrissen zwischen dem instinktiven Drang, einfach alles zu fragen und dem logischen Drang, zu viel Fragenstellen zu vermeiden. „Sag mir, was ich wissen muss“, war alles, was er rausbrachte.    Shikamarus Augen schlossen sich krampfhaft mit etwas, das wie Erleichterung aussah, bevor sie wieder aufglitten. Also er anfing zu sprechen, war seine Stimme flach und neutral, als würde er einen Missionsbericht darlegen. „Ich bekomme mehr Flashbacks und inzwischen geht mir das Zeitgefühl verloren. Manchmal Minuten, manchmal Stunden. Ich vergesse, was ich getan und was ich gesagt habe.“ Er stieß ein schwaches, freudloses Lachen aus und stierte leer vor sich hin. „Ich kann mich an keine verdammte Sache vom Ende der Mission erinnern. Auch nicht an die Nachbesprechung oder an das, was zur Hölle mit Ino passiert ist und was ich deiner Meinung nach wieder richten soll.“   Fassungslos zog sich Neji zurück, als wäre er physisch geschubst worden. Blinzelnd drehte er verwirrt den Kopf zur Seite und seine Augen verengten sich, als versuchten sie, die Welt zurück in den Fokus zu bringen. „Aber du warst bei Bewusstsein. Du hast geantwortet und gesprochen, als wärst du dir allem um dich herum bewusst.“   „Das war ich nicht.“   „Aber wie hast du dann…?“ Für einen Moment brach Neji völlig verloren ab und breitete die Hände aus. „Sag mir etwas, das Sinn ergibt, Shikamaru.“   Viel verlangt. Vielleicht sogar grausam, wenn man all die Verwirrung und all den Schmerz bedachte, die noch vor wenigen Stunden in Shikamarus Augen gestanden hatten. Aber diese Emotionen waren jetzt weg und von dieser seltsamen Leere ersetzt, dieser logischen Akzeptanz.    Für eine lange Zeit antwortete Shikamaru nicht, sein Blick war in einem blinden Starren durch den Raum fixiert. „Vielleicht ist das der Preis für meine Abtrennung und Distanzierung“, murmelte er letztendlich mit zuckenden Lippen. „Ist nicht so, als hättest du mich nicht davor gewarnt, dass das vielleicht passieren wird. Wieder und wieder. Erinnerst du dich?“   Gut genug, um sich daran zu entsinnen, wie beharrlich Shikamaru in Bezug auf das Vergessen gewesen war. Und gut genug, um zu wissen, dass eine zornige Erwiderung aus ‚Ich hab’s dir ja gesagt‘ absolut überhaupt keinen Zweck erfüllen würde. Eher würde sich Neji mit diesem widerwärtigen Punkt selbst die Kehle aufschneiden, statt ihn in Shikamarus Herz zu rammen. Außerdem war er nur noch einen einzigen Befehl davon entfernt, ein Messer in den Rücken des Schattenninjas zu treiben.    Wenn ich das nicht bereits getan habe…   Selbst ohne Tsunos direkten Befehl, Shikamaru von der Mission abzuziehen; Neji hätte es trotzdem getan. Minderte das den Verrat oder stumpfte das das Messer ab?   Wahrscheinlich nicht.   Denn bei ihm war es auch nicht so gewesen, oder nicht? Damals, als ihre Rollen in Hanegakure vertauscht gewesen waren. Aufgrund von Befehlen handeln und die Dinge unpersönlich halten…das war immer leicht gesagt.    Energisch wandte Neji seinen Geist von diesem grauen Gebiet ab und konzentrierte seinen Verstand auf die Gegenwart. „Ich weiß es zu schätzen, dass du mit dieser Sache zu mir gekommen bist. Das war bestimmt nicht einfach.“   Seufzend nahm Shikamaru einen langen Zug an der Zigarette und begann, sich selbst zuzunicken, während sein Körper ruckartig vor und zurück wippte, als würde er einem inneren Dialog zustimmen. „Hat keinen Sinn, es zu leugnen. Für Operationen auf offenem Feld bin ich unpassend, aber ich kann es immer noch an den Seitenlinien aussitzen und vom Hauptquartier der Nagu aus arbeiten.“   So ruhig, so akzeptierend. Neji konnte das nur bewundern…oder darüber argwöhnen.    Angesichts seines Schweigens hob Shikamaru eine Braue. „Was? Hast du erwartet, dass ich mich in dieser Sache gegen dich stelle?“   Da er sich mehr als nur ein bisschen durchschaubar vorkam, hob Neji das Kinn und kittete alle Lecks in seiner Miene und Stimme. „Ich weiß nicht, was ich erwartet habe.“   Das stimmte nicht. Er hatte das Schlimmste erwartet. Er war auf Zorn gefasst gewesen, auf Verwirrung…   Auf dieselbe Furcht in deinen Augen, die ich vorhin gesehen habe…   Davon gab es jetzt keine erkennbaren Spuren mehr, nur unergründliche Schatten und der leichteste Hauch von Resignation, der an den Winkeln dieser dunklen, rasiermesserscharfen Augen zupfte. Von all den Dingen, die er von Shikamaru erwartet hatte, war diese direkte, durch und durch sachliche Diagnose nicht das, was er im Sinn gehabt hatte. Es schien beinahe schon zu einfach zu sein.    Nein. Nicht einfach.    Aber vielleicht simpel.    Dämlich Simpel.   Neji war dazu bereit gewesen, den Schattenninja in eine Art Chakra blockierende Niederlage zu zwingen. Aber wie es schien hatte Shikamaru die Bedingungen seiner Kapitulation selbst entworfen und akzeptiert, lange bevor sie überhaupt offen gelegt worden waren; Hände hoch, Karten auf den Tisch. Keine Spiele, keine Tricks, nur kalte, unverblümte Wahrheit.    Oder so scheint es zumindest…   Weiße Augen verjüngten sich misstrauisch an den Winkeln, als er das Gesicht des anderen Ninjas musterte und nach irgendwelchen Zeichen suchte, die er vielleicht übersehen hatte. Mit Shikamaru war das immer eine Möglichkeit…und manchmal auch Teil des Spiels.    Das hier ist kein Spiel.   Also warum fühlte er sich dann, als würde er gerade ausgespielt werden?   Angesichts der Inspektion hoben sich Shikamarus Brauen langsam. „Sorry, dass ich dich enttäusche, Hyūga. Aber der Kampfgeist ist mir gerade ausgegangen.“   Ein Muskel in Nejis Kiefer zuckte heftig, bevor jede Miene sein Gesicht verließ. „Ich denke nur an alles, Nara. Du bist ungewöhnlich gefasst, wenn man alles bedenkt, was du mir gerade gesagt hast.“   Eine lange Pause…dann zuckte Shikamaru mit einer Lässigkeit mit den Achseln, die Neji sowohl besorgniserregend als auch sonderbar fand. „Was zur Hölle bringt es denn schon, noch mehr auszurasten, als es sowieso schon der Fall ist? Es ist außerhalb meiner Kontrolle, Neji.“   Umso mehr Grund, frustriert zu sein, dachte sich Neji. Obwohl, Kontrolle war immer sein Dämon gewesen, nicht Shikamarus. Aber mit Sicherheit musste die Tatsache, dass der Nara vor dieser Situation nicht wegrennen konnte, alle Arten von Höllen in seinem Kopf losgerüttelt haben…aber ihn anzusehen half Neji nicht, das herauszufinden oder ihn zu lesen. Es war ebenso sehr zum aus der Haut fahren wie immer; zu versuchen, diesen Schatten im Dunkeln zu jagen.    Ich kann nicht ihm nachjagen und gleichzeitig die Mission abschließen…   Für eine Sekunde suchte er Shikamarus Gesicht ab und debattierte lange und hart mit sich, bevor er letztendlich das Wort ergriff. „Brauchst du es, dass ich deine Tenketsu blockiere?“   Shikamaru bedachte ihn mit einem verwirrten Blick. „Du fragst mich?“   „Ich schulde dir so viel“, sagte Neji einfach nur und bot keine weitere Erklärung an, auch nicht, als Shikamaru den Kopf schief legte und ihn fragend beäugte.    Frag mich nicht…denn ich kann dir nicht antworten…   Wie sollte man erklären, dass diese Wahl das Kostbarste war, was Neji zu bieten hatte, statt einfach die Kontrolle zu übernehmen? Ihm selbst war eine solche Wahl viel zu oft verwehrt worden, um Shikamaru jetzt diese kleine Gnade zu verweigern, dieses winzige Recht…und vielleicht glaubte Neji ganz ehrlich, irgendwo tief hinter diesen kalten Wänden und sich immer drehenden Zahnrädern, dass es die Lügen zwischen ihnen wieder gut machte.    Shikamarus Blick fiel hinunter auf die Mulde in Nejis Hals und der Atem verließ ihn in einem langsamen, rauchigen Strom. „Nein. Ich brauche es nicht, dass du meine Tenketsu blockierst. Halt mich raus aus dem Geschehen und ich werde keinen Grund haben, einen auf Kampf-oder-Flucht-Psychose zu machen.“   Angesichts dieser Frivolität hätte Neji beinahe die Stirn gerunzelt, doch er spürte, dass das alles Teil von Shikamarus Bewältigungsmechanismus war; das alles hinunterzuspielen, die drohende Finsternis seiner eigenen Furcht auf nichts weiter als ein Schattenspiel auf den Wänden seines Verstandes zu reduzieren.    „In diesen Gehegen haben dich deine Schatten gerettet“, sagte Neji leise. „Ob du die Kontrolle über sie hattest oder nicht.“   „Das weiß ich“, knurrte Shikamaru und klang dabei fast schon defensiv, bevor er seine Miene neu anordnete und ein selbstironisches Schmunzeln an seinem Mundwinkel zupfte. „Schau dir das an. Ich bin ein strategischer Überlebenskünstler, sogar wenn ich quasi ohnmächtig bin.“ Schnaubend hob er die Zigarette an die Lippen. „Denkst du, das bringt mir eine Beförderung ein?“   Neji schüttelte den Kopf. „Tu das nicht.“   „Ich muss das tun.“   „Nicht mit mir.“   Shikamarus Gesicht verkrampfte sich und sofort wünschte sich Neji, er könnte die Worte zurücknehmen, da er wusste, dass er wieder einmal diese Linie überschritten hatte, die er selbst immer wieder zwischen ihnen zog.    ‚Du killst mich mit dieser Heiß und Kalt Scheiße.‘   Neji zögerte. Er wusste, dass eine Entschuldigung ein Geständnis riskierte und ein Geständnis riskierte mehr als er Rechenschaft ablegen konnte; ganz besonders jetzt, mit dem Blut von Kindern und dem imminenten Verrat an einem Kameraden so frisch an seinen Händen.    Kamerad…ist es das, als was du ihn jetzt bezeichnest?   Wie lächerlich. Er fragte sich, wie viele Male er diese Lüge in die ANBU Wände seines Verstandes ritzen müsste, bevor er sie letztendlich glauben würde.    Schweigen zog sich zwischen ihnen lang.    Asche zitterte in einer schwelenden, grauen Linie am Ende von Shikamarus Zigarette, die abbrach und in einem staubenden Weiß auf seinen schwarzen Yukata hinab stürzte. Blicklos stierte der Schattenninja für eine lange Sekunde darauf, sein Atem tief in seiner Kehle verkeilt...in sich haltend, zurückhaltend.    Kami, aber das taten sie beiden.    Es war notwendig, um den nächsten Moment, den nächsten Zug zu überleben. Langsam einatmend lehnte sich Neji ein Stück nach vorn und legte seinen Unterarm über sein Knie. Er senkte den Kopf und versuchte, Shikamarus Blick mit seinem eigenen einzufangen. „Ich werde jemanden anweisen, bei dir zu bleiben.“   „Nicht Ino oder Chōji!“, erwiderte Shikamaru schlagartig, schnippte seinen Daumen gegen den Filter der Zigarette und klopfte dadurch die sich ansammelnde Asche fort. „Ist nicht so, als würde ich überhaupt einen Babysitter brauchen.“   Nicht wirklich die Worte, die Neji benutzt hätte, obwohl der Anflug von Verärgerung in Shikamarus Augen weit beruhigender war als die Leere seines vorherigen Stierens. „Diesmal frage ich dich nicht, Shikamaru.“   „Jo. Ist mir klar. Ist ja auch irgendwie der Sinn eines Präventivschlags, oder?“   Neji hob leicht das Kinn, sparte sich aber seinen Kommentar. Wenn Shikamaru das hier wie ein Spiel behandeln musste, dann würde Neji ihm sicher nicht das Brett entreißen. Bei allem, was der Hyūga wusste, war diese distanzierte und strategische Attitüde die einzige Sache, die Shikamaru stabil hielt, während er auf dem von Tretminen durchsetzten Gebiet seiner Vergangenheit festsaß.   Und in dem, was auch immer dir während dieser Zeit zugestoßen ist…   Schon wieder stiegen all die nicht gestellten Fragen in Neji auf; eine immer weiter wachsende Flutwelle, die niemals ihren Kamm zu erreichen schien…niemals brach…sich nur immer weiter aufbaute…aufbaute…aufbaute…   Genug.   Sich des Stirnrunzelns bewusst, das an seinen Brauen zupfte, rieb sich Neji mit einer Hand über sein Gesicht und strich mit den Fingern über den kalten, harten Stahl seines Hitai-ate; eine immerwährende Erinnerung an seine eigene Vergangenheit, seine eigene Gegenwart…seine eigenen Teile auf dem Spielbrett…   Mission. Mission. Mission.   „Bist du dir sicher, dass du es dir leisten kannst, noch einen weiteren Spieler zu verlieren“, fragte Shikamaru.   Diese Frage fiel wie eine Rettungsleine. Rasch klammerte sich Neji an sie, ließ die Hand von seinem Gesicht fallen und seine Schultern rollten mit einem steifen Knirschen von Muskeln. „Nein“, gestand er leise, stierte direkt neben Shikamarus wachsamen Blick, bevor er diesen dunklen Augen direkt begegnete. „Ich bin mir nicht sicher, dass ich mir das leisten kann. Aber das ist meine Entscheidung.“   „Setz stattdessen einen Nagu Wächter auf mich an. Scheiße, sperr mich einfach in die Kerker.“   „Nein. Ich vertraue niemandem sonst.“   „Schwachsinn“, schnappte Shikamaru. „Du vertraust mir nicht.“   Für einen langen, erstickenden Herzschlag hielten sich ihre Blicke. „Im Licht von allem, was du mir gerade erzählt hast, Shikamaru…würdest du es an meiner Stelle tun?“, konterte Neji sanft.    Sofort verschwand der Zorn aus Shikamarus Augen. Nicht einmal ein Funke davon blieb zurück. „Nein. Das würde ich nicht. Aber ich würde auch nicht die Mission deswegen gefährden.“   Neji hob eine Braue und die Kühle in seiner Stimme passte sich seinen Augen an. „Dann ist es ja gut, dass es nicht deine Entscheidung ist.“   „Spielst du schon wieder die Rang-Karte aus, huh?“   „Ich hab sie im Ärmel, Nara.“   Schmunzelnd blies Shikamaru einen dünnen Rauchstrom aus und drückte die Zigarette im Deckel einer lackierten Teedose aus. Mit einem langsamen Schwung seiner Finger drehte er den Kippenstummel gegen das hochglanzpolierte Holz. „Na schön. Also wen hast du beauftragt, Wachhund zu spielen?“   „Sai.“   „Sai.“ Shikamarus Brauen zuckten, während er auf den verdrehten Stumpen der Zigarette stierte. „Gute Wahl.“   Die einzige Wahl, wenn man alle Dinge in Betracht zog. Sai war unparteiisch, professionell und darauf getrimmt, das zu tun, was notwendig war, um eine Mission abzuschließen. Er operierte anhand eines ‚Alles, was man wissen muss‘-Prinzips. Keine gestellten Fragen. Keine Befehlsverweigerung. Das hatte er Neji bereits bewiesen. Keine Reue darüber, seine Mission auszuführen, keine Beschwerden darüber, sich die Hände schmutzig zu machen. Er würde tun, was auch immer Neji von ihm verlangte, wenn es darum ging, Shikamaru zu überwachen. Sai war im Endeffekt all das, was Neji sein musste…alles, was er werden musste.    Wie viel mehr Kraft?    Wie viel mehr Opfer?   Hier kniend, am Altar seiner größten Schwäche, waren das gefährliche Fragen. Er hätte um Stärke gebetet, für irgendein anderes Opfer, wenn er nicht geglaubt hätte, dass der Himmel höllisch versessen darauf war, seinen Pfad zur Freiheit so gnadenlos wie nur möglich zu machen.    Und schon wieder…immer, wenn er in meiner Nähe ist, will ich aufhören zu kämpfen…   Nichts könnte grausamer sein.    Angestrengt wehrte sich Neji gegen diesen Gedanken, schob sich auf die Füße und schritt hinüber zur anderen Seite des Raumes, während er sich zum Mantra aus Mission, Mission, Mission bewegte. Er holte sich einen schmalen Ordner aus einer Tansu Kiste und lief wieder zurück. Sein blutverkrustetes Haar floss über seine Schulter, als er sich nach unten beugte, um die Akte neben Shikamarus Schenkel zu legen.    „Die derzeitigen Missionsausarbeitungen für Phase Zwei“, erklärte Neji. „Ich werde sie heute Nacht noch ändern müssen, um zu berücksichtigen, dass du und Sai abgezogen wurdet. Ich könnte deine Meinung dazu gut brauchen, falls du dich dir Aufgabe gewachsen fühlst.“ Er wusste, dass er es eigentlich als einen Befehl hätte formulieren sollen, aber er dachte sich, dass ein Angebot den Weg leichter machen würde. Er hatte seinen Rang bereits ausgespielt und genug Kontrolle genommen.    Lass ihm die Wahl, wenn schon sonst nichts…   Außerdem bestand der einzige Weg, durch den er sicher über Shikamaru wachen konnte, darin, mit ihm zusammenzuarbeiten. Es wäre für sie beide von Vorteil. Das Beste war, ihn beschäftigt zu halten. Ihn geerdet zu halten.    Ihn in der Nähe zu halten.   Mit schief gelegtem Kopf hob Shikamaru den Ordner auf und rappelte sich in derselben Bewegung auf die Füße, um zu dem niedrigen Tisch hinüber zu trotten, während sein Daumen bereits in einem Flattern von Papier durch die Seiten blätterte. „Gutenachtgeschichte, huh? Ich kann eine Ablenkung gut brauchen.“ Er machte eine Pause und spähte zu Neji, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. „Und du könntest ein Bad brauchen, Hyūga.“   Neji brachte ein müdes Lächeln zustande und Staub und Blut verklebten an seinen Augenwinkeln. Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar und wandte sich der Tür zu. „Mein nächstes Ziel, das versichere ich dir.“   ~❃~   Die Akte lag offen auf dem Tisch…zusammen mit all den anderen Muttern, Bolzen und Schrauben eines Verfahrens, das viel zu abgefuckt war, um zu funktionieren. Auf Anfrage von Koharu, hatte Ibiki genau das getan, wozu sie ihn aufgefordert hatte. Er hatte den Ältesten alles erzählt. Und indem er das getan hatte, hatte er das System der Lügen geradezu auseinander genommen und auf dem Tisch ausgebreitete…in Teilen, in Bruchstücken.    Die zerbrochenen Zahnräder; Genma, Inoichi, Danzō.    Die Schraubenschlüssel, die ins Getriebe geschmissen waren; Naoki, Mushi, Kakashi.    Und das Opfer, das von der Maschine durch die Mangel gedreht wurde; Shikamaru.    Es war alles da. Rostig, ruiniert und besudelt von Blut. Jede angeknackste Komponente, die darauf wartete, restauriert und wieder zusammengesetzt zu werden – angenommen natürlich, dass sich dieses System der Lügen nicht vollkommen jenseits jeder Reparatur befand. Während er die schweigenden Ratsmitglieder musterte, hingen mehr als einfach nur Zweifel und Verwirrung von den Scharnieren in seinem Verstand; es fehlte ihm an der völligen Überzeugung, dieses System überhaupt wieder richten zu können – und der Sandaime war auch nicht mehr da, um ihn daran zu erinnern, warum er es überhaupt tun sollte.    Sogar den Ältesten schienen die Worte zu fehlen.    Homura nippte an einem Becher heißen Sakes und litt, so wie es aussah, an hirnbetäubenden Kopfschmerzen. Seine faltige Stirn war nach unten geneigt und von seiner Hand beschattet. Ein Mann im Griff von Unentschlossenheit.    Koharu auf der anderen Seite blieb zu ihrer Ehre ihrem Titel treu, den Ibiki immer mit ihr in Verbindung gebracht hatte; die Eiserne Jungfrau. Nicht ein einziger Kratzer in ihrer Rüstung. Sie saß steif und unnachgiebig auf ihrem Stuhl, weigerte sich, sich zu ergeben, weigerte sich, zurückzuweichen. Eine bewundernswerte Frau, aber nicht weniger eine Mittäterin in dieser Katastrophe, in diesem nie endenden Verbrechen gegen das Gewissen.    Scheiße, Ibiki war nicht hier, um zu urteilen.   Ehrlich gesagt war er nicht weniger schuldig. Er würde das blutrünstig wieder richten, wenn es das war, was sie ihm befehlen würden. Aber er konnte es nicht blind wieder richten – und sie wussten das, denn ansonsten hätten sie ihm bereits seine Befehle gegeben. Offensichtlich hatte er sie mit der Bombe, die er abgeworfen hatte, völlig geschockt. Aber was auch immer ihre Gedanken, was auch immer ihre Gründe dafür waren, ihn so lange im Dunkeln zu lassen, jetzt war es höchste Zeit, in diesem langen und schweren Hinhalten ein Ultimatum zu stellen.    „Keine Lügen mehr“, sagte Ibiki und senkte seine Stimme dabei um mehrere Dezibel. „Sollte ich auch nur die leiseste Chance haben, dieses abgefuckte Chaos ins Lot zu bringen, dann wisst ihr, dass ich sie ergreifen werde. Aber ich muss alles wissen.“ Er lehnte sich schwer auf dieses Wort, sowohl psychisch, als auch physisch, indem er sich in seinem Stuhl nach vorn beugte. „Keine Zweideutigkeiten und keine Verlogenheiten mehr. Wenn ihr von mir erwartet, ein System aus Lügen zu fabrizieren und es am Laufen zu halten, dann muss ich die ganze Wahrheit wissen. Alles davon.“ Hier spähte er zu Homura. „Keine Ausnahmen. Oder ihr seid auf euch allein gestellt.“   Homura errötete leicht bei der Andeutung, dass er leichter anfällig für Drohungen oder Einschüchterungen war, doch er verteidigte sich nicht und attackierte auch nicht. Er spähte einfach nur zu Koharu und senkte seine Hand von seiner finster zusammengezogenen Stirn. „Das ist nicht, was Hiruzen wollte.“   Scharf hob Koharu mit zu Schlitzen verengten Augen den Blick. „Nein. Aber genauso wenig war es das“, erwiderte sie und ruckte mit dem Kinn in Richtung von Nara Shikamarus Akte. „Irgendwas davon. Alles davon.“   Sie stierten sich an wie zwei alte Schlachtrösser, die einen verherrlichten Wagen persönlichen Glaubens und politischer Agenda zogen, angepeitscht von Pflicht und getrieben von ihren eigenen Überzeugungen. Hiruzen hatte es immer geschafft, sie im Zaum zu halten, aber hatten sie erstmal ihren Verstand auf denselben Kurs konzentriert, waren sie ebenso schwer zu händeln wie Danzō.    Ich habe keine Zeit, auf ihre Entscheidung zu warten.   Ibiki sah zwischen den beiden hin und her, die Daumen hart über seinen gefalteten Fingern zusammengepresst. Der dumpfe Schmerz in seinen Gelenken brannte kalt. Langsam atmete er durch die Nase ein. „Uns rennt die Zeit davon, Ratsmitglieder.“   Überraschenderweise war es Homura, der das Wort ergriff. „Wo sollen wir überhaupt anfangen, Ibiki?“   Und da war sie wieder; diese dämliche Redewendung, die in Ibikis Hirn aufblitzte: Das wichtigste zuerst. Und es waren hunderte Dinge, die seinen Verstand fluteten und um Präzedenz fochten. Ja, das war vielleicht eine Frage. Wo zur Hölle sollte man anfangen?   „Shuken.“ Ibiki spie den Namen aus und spürte, wie er sich hinter seinen Zähnen verfing. „Bevor ihr mir irgendwas erzählt, erklärt mir das: Für zwei ganze Jahre seit Shikamarus Vorfall habt ihr mich glauben lassen, dass Shuken und sein Shinjū Projekt endlich eliminiert waren. War das eine Lüge?“   Koharu begegnete seinem Blick direkt und mit weit mehr Eiern als jeder Mann, den Ibiki jemals gekannt hatte, bevor sie antwortete: „Ja. Es war eine Lüge.“   Keine Entschuldigung. Nur Überzeugung. Dieselbe Art, die Ibiki vor dreiundzwanzig Jahren in ihren Augen hatte brennen sehen, als die Ältesten Shikaku, Inoichi und Chōza genau dieselbe Lüge aufgetischt hatten. Natürlich war Shuken tot. Natürlich war das Projekt eliminiert. Die schwärzeste Falschheit in den Leben der Nara und dennoch hatten das Konzil und der Sandaime es als reine, weiße Lüge betrachtet; gemessen an der Finsternis, die entfesselt worden wäre, wenn die Ino-Shika-Cho Trinität jemals die Wahrheit erfahren hätte. Nämlich, dass Shuken und seine Einrichtung immer noch operierten…und das aus Gründen, die so entsetzlich politisch waren, dass es auf die schlimmste Weise zum Gespött gemacht hatte, wie unfassbar persönlich das alles gewesen war…wie verheerend…   Und dennoch…   „Du verstehst es“, sagte Koharu und vervollständigte seine Gedanken mit verstörender Genauigkeit. „Du verstehst, warum wir dich diese Lüge haben glauben lassen. Warum es entscheidend war, dass auch Genma und Shikamaru diese Lüge geglaubt haben. Du verstehst es, Ibiki. Das tust du immer.“   Und was sagt das über mich?   Warum stellte er diese Frage überhaupt? Er hatte doch schon vor Jahren aufgehört, diese Fragen zu stellen.    Ja, weil ich es verstehe.   Für einen Moment schloss Ibiki die Augen. Ja. Er verstand. Die Lügen, die Täuschung, die schmutzige Politik, die involviert war. Genau das war der Grund, warum man ihn ins Vertrauen gezogen hatte; seine Fähigkeit, innerhalb des Systems unparteiisch, rational und immer funktionstüchtig zu bleiben, ohne von den Mechanismen zerstört zu werden.    „Ja“, sagte er letztendlich. „Ich verstehe es.“   Koharu nickte langsam und dann machte sie sich daran, sie in eine andere Richtung zu lenken, indem sie sich räusperte. „Wie viel konnte Inoichi aus Genma rauskriegen?“   „Nichts von Substanz, soweit ich das sagen kann“, erwiderte Ibiki, während er mit solcher Geschwindigkeit und Leichtigkeit zurück in die Professionalität seiner Rolle schlüpfte, dass es für jeden Beobachter beängstigend gewesen wäre – für jeden, der nicht Teil des Konzils war. Das war, worauf sie bei ihm vertrauten. Das war, was er am besten konnte. „Die psychoaktive Droge, die ich Genma verabreicht habe, haben ein luzides Lesen des Verstandes durch Inoichi verhindert.“   „Wie lange wird die Wirkung der Droge anhalten?“, fragte Homura.   „Bei dem chemischen Cocktail, von dem Genma gelebt hat?“ Ibiki tippte seine Daumen aneinander und blies die Lippen auf. „Wer weiß das schon.“   „Denkst du, dass Genma irgendetwas zu Kakashi sagen wird?“   Ibiki grübelte darüber nach. „Ich kann nicht über seinen Geisteszustand spekulieren oder darüber, was er vielleicht sagen wird.“   „Wie kannst du dir dann so sicher sein, dass er nichts zu Inoichi hat durchsickern lassen?“, drängte Koharu. „Kannst du dir gewiss sein, dass Inoichi nicht mehr weiß, als er zugibt?“   „Auf keinen Fall weiß er mehr“, erwiderte Ibiki mit absoluter Gewissheit. „Wenn das der Fall wäre, dann hätten wir eine weit explosivere Reaktion miterlebt, als die, die wir eindämmen konnten. Inoichi weiß nichts über Shikamaru. Er war nur angepisst, dass er seine zweite Spur verloren hat, was mich zu seiner ersten bringt.“   Während er sich auf seinem Platz nach hinten lehnte, griff Ibiki in seinen Mantel und zog die Akte hervor, die er auch schon bei Genma in dem Verhörraum benutzt hatte. Er klatschte sie auf den Tisch und ein Polaroid Porträt rutschte heraus, um über den Tisch zu wirbeln.    Von dem Foto sah Yamanaka Naoki zu ihnen auf.    Ibiki hielt seine eigenen Informationen zu Naoki zurück und täuschte vollständige Ignoranz vor, als er mit einem Finger auf das Bild tippte. „Wer zur Hölle ist Yamanaka Naoki und wie ist er in Shikamarus Vorfall involviert? Oder sollte ich ihn lieber Tenka nennen?“   Koharu versteifte sich marginal und streckte eine Hand aus, um sie auf eine Ecke des Fotos zu legen und es mit dem Daumen gerade zu richten. Sie holte tief Luft. „Yamanaka Naoki, Deckname Tenka. Er ist eine tragische Geschichte…umso mehr, wenn man erfährt, dass er immer noch am Leben ist.“   „Das ist keine Antwort“, sagte Ibiki und scherte sich nicht einmal darum, seine Verärgerung zu verbergen. „Ich habe gefragt, wie er in diese Sache involviert ist. Ist er KERN? Ist er ANBU? Inoichi sagt mir, er ist KERN und dennoch weigert sich Tenka, mit dem Ursprung zu kooperieren und die Informationen preiszugeben, von denen Danzō behauptet, sie würden ihm gehören. Warum um alles in der Welt sollte er so etwas tun?“   Koharu holte erneut Luft und sah auf, um Ibikis Blick direkt zu begegnen. „Weil ihn nicht Danzō in Kusagakure eingesetzt hat, Ibiki. Es war Hiruzen.“   Das warf die Welt aus der Bahn. Fassungslos sackte Ibiki auf seinem Platz nach hinten. „Was?“   Hier übernahm Homura und stellte die Ellbogen auf den Tisch, um sich aufzustützen, als würde er mit einer schweren Last kämpfen, wobei er mit jeder Faser wie seine zweiundsiebzig Jahre aussah. „Nach dem Vorfall mit Nara Shikaku hat Danzō uns dazu gedrängt, ANBU Agenten in Kusagakure und der benachbarten Provinz zu platzieren, wo das Shinjū Projekt angesiedelt war. Er hat Hiruzen überzeugt, dass es wichtig wäre, einen politischen Fuß in die Tür von Kusagakures Eingeweiden zu bekommen, um Shukens Forschungen zu infiltrieren und zu überwachen.“   Koharu nickte feierlich. „Es war eine hoch riskante Operation; tiefe Undercoverarbeit, lebenslanges Engagement. Hiruzen wusste, dass völlig egal, was er entscheiden würde, Danzō so oder so einen Agenten dort platzieren würde. Der einzige Weg, die Kontrolle dieser Angelegenheit übernehmen zu können, war, einen Präventionsschlag einzuleiten.“   „Präventionsschlag?“, echote Ibiki, während seine Augen zu dem Foto wanderten. „Tenka?“   Nickend tippte Koharu mit den Fingerspitzen auf das Bild von Yamanaka Naoki. „Hiruzen hat ihm die Gelegenheit geboten, undercover in Kusa zu arbeiten und er hat sie ergriffen.“   Einfach so? Ibiki legte den Kopf schief, musterte das Foto und fragte sich, was einen Mann dazu trieb, so rasch alle Bande zu durchtrennen; zu Familie, zu Freunden…   Zu Genma.   Scheiße. Genma.    Mein Gott.    Ibikis Gedanken trafen gegen eine Leitplanke und krachten eine mentale Treppe hinunter. Ein verspäteter Fall. Und ein langsames Zurückklettern an die Spitze, als sich alles, was er bereits erfahren hatte, versammelte; seine Unterhaltung mit Inoichi, seine Unterhaltung mit Genma im Verhörzimmer.    ‚Es war absolut unmöglich zu wissen, dass Shuken den Zwischenfall mit Shikaku überlebt hat.‘   ‚Das ist Bullshit, Ibiki. Es war ein KERN Agent in dieser Einrichtung. Er war da über Jahre im Undercovereinsatz.‘   ‚Das sagst du.‘   ‚Er war da.‘   ‚Dann bitte, beschreib ihn mir.‘   Aber das hatte Genma nicht. Konnte nicht.    ‚Du kannst mir ja nichtmal einen Namen geben. Kein Deckname. Keine Maske. Und ANBU hat nichtmal irgendwann einen Körper geborgen.‘   Und jetzt verstand Ibiki endlich, warum. Scheiße. Man hatte niemals einen Körper geborgen, weil trotz allem, was Genma geglaubt und berichtet hatte - dieser KERN Agent Tenka war an diesem Tag nicht gestorben.    Aber Genma hat wirklich geglaubt, dass das der Fall war…genau, wie er es schon vor all den vielen Jahren geglaubt hatte, als Naoki angeblich im Alter von neunzehn im Einsatz umgekommen war…   Gott, jetzt machte es alles so viel Sinn. Warum Genma so ins Trudeln geraten war, nachdem er Shikamaru da rausgeholt hatte. Warum er sich den Drogen zugewandt hatte, dem Alkohol, der Zerstörung...   Naoki wiederzusehen…nachdem er geglaubt hatte, er wäre seit all diesen Jahren tot…   Was für ein Hirnfick. Sein Team und seinen Geliebten im Alter von neunzehn zu verlieren…durch die Hölle zu gehen, um das hinter sich lassen zu können…sich endlich zu erholen, sich endlich ein Leben aufzubauen…nur, damit es dann alles um ihn herum zusammenbrach, als er Naoki zehn Jahre später lebendig und undercover in Kusagakure vorgefunden hatte.    Ja…und das nur, um ihn direkt wieder zu verlieren…   Bei allen Göttern, was musste das mit Genma gemacht haben? Und was noch besorgniserregender war als das – was zur Hölle würde es jetzt mit ihm machen zu erfahren, dass Naoki immer noch lebte? Dass trotz der überwältigenden Unwahrscheinlichkeiten, er schon wieder den Tod betrogen hatte. Er hatte überlebt…und endlich war er nach Hause gekommen.   „Ibiki?“, drängte Koharu und ließ seinen Gedankengang dadurch entgleisen. „Was ist los?“   Rasch blinzelnd rieb sich Ibiki über die Narbe an seiner Lippe und seine Brauen zogen sich schwach zusammen, als er darüber debattierte, ob er seine Erkenntnisse teilen sollte oder nicht. Er hatte absolut niemandem seine Informationen über Genmas persönliche Verbindung zu Naoki preisgegeben. Und auch, wenn er sich ziemlich sicher war, dass Inoichi irgendetwas in diese Richtung wusste, konnte er nicht davon ausgehen, dass das bei den Ältesten auch der Fall war.    Und es ihnen zu erzählen? Was für einen Zweck würde das jetzt im Moment schon erfüllen?   Überhaupt keinen. Zumindest noch nicht. Sollte er Genmas Verhalten vor ihnen verteidigen müssen, dann würde er es in Betracht ziehen. Aber jetzt im Moment, ging das niemanden etwas an. Mit akribischer Sorgfalt faltete er diese Information in seinem Verstand zusammen und steckte sie weg. „Also Naokis Tod mit neunzehn?“, fragte er. „Dieser IEG Status war ein Trick?“ Koharus Brauen hoben sich. „Woher weißt du davon?“   Ibiki schmunzelte grimmig, hielt es aber nicht für angebracht, jetzt von seinen kleinen Hintergrundrecherchen in Genmas Privatleben zu berichten. „War das Teil eures Plans, um Naoki dazu zu bringen, sich für KERN zu melden? Ihn dazu zu bringen, seinen Tod vorzugaukeln? Danzō hat nichts geahnt?“   Amüsiert schnaubte Homura. „Geahnt? Überhaupt nicht. Danzō hat ihn rekrutiert.“ Angesichts von Ibikis skeptischem Blick, erklärte der Älteste: „Tenka war ein Yamanaka und Nara Ausnahmetalent. Er wurde bereits in einem sehr jungen Alter ANBU Kommandant, hatte eine vorbildliche Erfolgsbilanz vorzuweisen und zeigte die emotionale und mentale Dissonanz, die Danzō bei seinen Rekruten so zu schätzen weiß.“   „Emotionale und mentale Dissonanz?“, echote Ibiki flach und eine Braue hob sich bei dieser delikat formulierten Phrase. „Willst du damit sagen, er war labil?“   „Versehrt“, sagte Koharu, als sie ihre Hand von dem Foto löste. „Aus Gründen, die wir hier nicht diskutieren werden. Es reicht zu sagen, dass seine Vergangenheit zerbrochen war. Das ist genau das, wonach Danzō Ausschau hält. Tenka wusste das. Er darauf gespielt, hat es zu seinem Vorteil genutzt. Er war sehr engagiert, was Hiruzens Bitte anging und ging in die Extreme, um sicherzustellen, dass er rekrutiert wurde.“   Ibiki spähte zwischen den Ältesten hin und her und schloss den Kreis: „Wie zum Beispiel, seinen eigenen Tod zu inszenieren? War das wirklich nötig?“   Nickend schürzte Homura die Lippen und griff nach seinem Sake. „Ja. Er hat alle seine Bande zerschnitten, sowohl persönlich als auch professionell. Tatsächlich wurde er zu einem Geist. Perfekt für den Ursprung. Ein frischer Bauer für Danzō zu manipulieren.“   Ja, leck mich doch…   Wortlos schüttelte Ibiki den Kopf, als er das zu verarbeiten versuchte. Dieser Kerl musste ein paar ernsthafte Angelegenheiten mit diesen beiden Clans haben, um einfach alles für sie zu opfern…Genma eingeschlossen. Nach den Beweisen zu urteilen, die Ibiki in Genmas Wohnung gefunden hatte, hatten er und Naoki eine tiefgehende Beziehung geführt. Das war nicht einfach nur eine Fickfreund-Dynamik. Es war die Art von Bindung, die die ernsthafte Frage aufwarf, ob sie weiterhin Shinobi bleiben wollten oder nicht, mit ihrem Herz ununterbrochen unter einer Klinge.   Koharus Stimme zerrte ihn zurück. „Yamanaka Naoki löschte alles aus, was er gewesen war, um zu werden, was er sein musste. Um Tenka zu werden“, murmelte sie, sah von dem Bild auf und ihr Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln, als sie Ibikis straff gezogene Miene sah. „Es ist nicht das erste Mal, dass ein Agent so etwas getan hat, Ibiki. Aber massive Opfer tendieren dazu, Vertrauen in der Unterwelt zu schaffen. Und Danzō hat den Köder geschluckt.“   „Köder, Schnur und Bleigewicht, wie es klingt“, wisperte Ibiki und ein seltenes Empfinden von Respekt driftete dabei durch ihn. Jeder, der es schaffte, Danzō hinters Licht zu führen, verdiente sich einen Ehrenstempel des Beifalls in Ibikis Verstand. Und trotzdem waren da immer noch zu viele Fragezeichen, die um diesen Anwärter herum schwebten. „Also war Naoki-“   „Tenka“, korrigierte Homura. „Der Naoki, von dem du sprichst, ist vor langer Zeit gestorben.“   Ibiki glaubte ihm das nicht, aber er spielte mit. „Tenka“, räumte Ibiki leise ein. „Er war also ein Doppelagent? Ein ANBU der als KERN Agent arbeitete?“    „Das ist korrekt.“ Koharu schob das Bild zu Ibiki zurück. „Er hat sich Danzō gegenüber niemals verantwortet. Er war immer loyal dem Sandaime gegenüber. Uns gegenüber. Den Yamanaka und Nara gegenüber.“   Stirnrunzelnd hob Ibiki das Foto mit zwei steifen Fingern auf. „Und er wurde einfach zum Verrotten zurückgelassen, sobald die ganze Scheiße den Bach runter ging?“   Stirnrunzelnd setzte Homura bei diesem anklagenden Tonfall seinen Sake beiseite, bevor er Ibiki mit einem strengen Blick bedachte. „Du musst verstehen, Ibiki. Wir haben wirklich geglaubt, dass Tenka vor zwei Jahren gestorben ist, als er Genma dabei geholfen hat, Shikamaru aus Kusagakure rauszuholen. Dass er überlebt hat, ist für uns ebenso sehr ein Schock, wie es für Danzō sein muss.“   „Was uns zu der derzeitig dringendsten Angelegenheit bringt“, sagte Koharu. „Was auch immer Tenka für Informationen hat; es darf auf keinen Fall zugelassen werden, dass diese Informationen in Danzōs oder Inoichis Hände fallen. Wenn sie von Shikamaru erfahren…“ Sie brach ab. Ibiki konnte sich diese Katastrophe auch vorstellen, ohne dass sie sie illustrierte.    Ein Desaster sintflutartigen Ausmaßes.    Seufzend legte Ibiki Naokis Foto ab. „Also was schlagt ihr vor, sollen wir tun, Ratsmitglieder?“   Koharu und Homura tauschten Blicke aus. Ibiki entging das nicht, aber er sprach sie nicht darauf an. Sie waren viel zu ungeschützt, um ihn zu hintergehen.    Und Koharu hatte genug Vernunft, seine Intelligenz nicht zu beleidigen. „Wir werden darauf zurückkommen. Aber sag mir zuerst, wo stehen wir in Bezug auf Mushi?“   „Er wird bei F&V festgehalten“, antwortete Ibiki und schickte direkt eine eigene Frage hinterher. „Wusstet ihr, dass er Nara Shikamaru wegen PTBS und dissoziativer Störung behandelt hat?“   Beide Ältesten schüttelten den Kopf. Aufmerksam las Ibiki ihre Gesichter und fand keine Lügen. Keine verstohlenen oder ausgetauschten Blicke, um anzudeuten, dass sie die erbärmlichen Geschichten des jeweils anderen bestätigten. Wäre dafür sowieso etwas zu spät gewesen. Trotzdem spähte Ibiki mit offensichtlichem Argwohn zwischen ihnen hin und her.    Koharu zog die Brauen zusammen. „Ibiki, wenn wir von diesem Bericht gewusst hätten, dann hätten wir niemals zugelassen, dass Shikamaru noch einmal dorthin geschickt wird. Vorher hätten wir auf eine gründlichere, psychologische Untersuchung bestanden.“   „Ihr hättet in der Sekunde darauf bestehen sollen, als Genma ihn vor zwei Jahren zurück gebracht hat“, knurrte Ibiki und machte sich keine Mühe, seinen Zorn im Zaum zu halten. „Nach dem, was Shikaku zugestoßen ist, gab es Gründe und Berechtigung dafür.“   „Vielleicht“, gab Koharu zu, aber es lag keine Entschuldigung in ihren Augen. „Aber wir konnten nicht riskieren, dass Tsunade-sama etwas darüber herausfindet. Außerdem, nach dem, was Genma uns damals erzählt hat, hat Tenka den letzten Rest seines Chakras genutzt, um Shikamarus Erinnerungen auf dieselbe Weise zu versiegeln, wie es Inoichi bei Shikaku getan hat.“   „Wie man es von einem Yamanaka Ausnahmetalent erwartet“, sagte Homura. „Tenka hat die Ereignisse im Verstand des Jungen neu angeordnet und verändert und alle dissoziativen Teile versiegelt. Alle Alter Egos wurden weggesperrt.“   „Alles in einem letzten Versuch, einer letzten Anstrengung“, erwiderte Ibiki kopfschüttelnd. „Inoichi hat bei Shikaku monatelang gearbeitet, um seine frakturierte Psyche zu integrieren. Und ihr erzählt mir, dass Tenka was hatte? Minuten? Und noch dazu kaum noch Chakra? Unmöglich, unter den Umständen alles zu versiegeln. Er muss gewusst haben, dass es ein Risiko geben würde, dass sich Shikamaru wieder erinnert.“   „Das hat Genma auch gesagt“, gab Koharu zu. „Aber Shikamaru schien stabil genug zu sein, um anzunehmen, dass die Erinnerungsversiegelungstechnik funktioniert hat.“   Mit finsterer Miene rieb sich Ibiki erneut über den Mund, um nicht frustriert aufzuseufzen. „Ganz offensichtlich war es nicht so erfolgreich, wie ihr gehofft habt, wenn man bedenkt, dass er Mushi direkt unter eurer Nase aufgesucht hat.“   „Und nochmal, wenn wir davon gewusst hätte, dann wären wir die Dinge anders angegangen“, beharrte Homura. „Genma wurde eingesetzt, um Mushi genau aus diesem speziellen Grund zu überwachen. Um uns zu alarmieren, sollte er jemals herausfinden, dass Shikamaru behandelt wird.“   „Genma ist an dieser Sache nicht Schuld“, grollte Ibiki mit kaltem Zorn, der schon verdammt nah an Beschützerinstinkt lag. Töricht. Sofort brachte er sich wieder unter Kontrolle und amputierte diese Emotion, bevor sie streuen konnte. „Mushi hat inoffiziell gearbeitet. Genma hat absolut alles abgedeckt, was es abzudecken gab. Er hat einen gottverdammten Kriegsraum in seiner Wohnung. Er hat diese Praxis Tag und Nacht überwacht.“   Kopfschüttelnd breitete Homura die Hände aus. „Das ist alles gut und schön, Ibiki, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass das hier das erste Mal ist, dass wir von Shikamarus Behandlung hören. Für die letzten zwei Jahre erschien er perfekt stabil.“   „Stabil genug, um es allein mit einem Akatsuki Mitglied aufzunehmen und mit Asumas Tod fertig zu werden“, fügte Koharu hinzu, um Homuras Argument noch mehr Gewicht zu verleihen. „Wir hatten keinerlei Grund, irgendetwas Negatives über seinen Geisteszustand anzunehmen. Jeder Shinobi dieses Dorfes leidet an irgendeiner Form der psychologischen Vernarbung. Für die letzten beiden Jahre schien Shikamaru mit seinen Narben sehr gut leben zu können.“   „Und wir haben keinen Grund gesehen, an diesen Narben zu zupfen“, argumentierte Homura. „Dasselbe gilt für Shikaku. Es war schon immer eine Frage der Eindämmung, nicht der Genesung. Von solchen Dingen gibt es keine Genesung.“   Ein fairer Punkt, auch wenn er Ibiki sauer aufstieß. Während er auf die Akte stierte, rollte er auf seinem Platz mit den Schultern und stützte seine Ellbogen gegen die Armlehnen. „Also was sind eure Anweisungen was Mushi angeht?“   „Er bleibt festgesetzt“, befahl Homura und spähte für Bestätigung zu Koharu. „Ich schlage vor, dass wir Mushi verhören und alles herausfinden, was es über Nara Shikamarus Zustand zu wissen gibt, bevor wir in Betracht ziehen, unseren jungen Schattenninja von seiner derzeitigen Mission zurück zu holen.“   „Dem stimme ich zu“, sagte Koharu und faltete spekulierend ihre Finger. „Ibiki. Haben wir immer noch unsere ANBU Agenten, die alle Angelegenheiten in Kusa überwachen?“   Ibiki neigte den Kopf. „Tsuno steht auf Abruf. Morgen ist ein Statusbericht fällig. Ihr müsst nur ein Wort sagen, dann lasse ich ihn und Shirataka eine sofortige Extraktion veranlassen.“   „Noch nicht“, lehnte Homura ab. „Lass uns erst die Dringlichkeit einschätzen. Momentan hat die Eindämmung auf unserer Seite höchste Priorität. Die erste Aufgabe ist Genma. Ich schlage vor, dass du unsere persönlichen ANBU Agenten anheuerst, um dir bei der Fahndung zu helfen.“   Alle Mann an Deck, dachte Ibiki trocken und fragte sich, ob das Schiff nicht bereits abgelegt hatte und auf Grund gelaufen war. Obwohl es eine ganze Ecke sicherer war, die private ANBU Truppe der Ältesten anzuwerben, statt irgendwelche anderen Agenten. Die Einheit der Ratsmitglieder war nicht durch Eid daran gebunden, die Details ihrer Missionen an die Hokage weiterzugeben. Sie mussten nur den Ältesten Rede und Antwort stehen. Eine sehr kleine Einheit, aber eine loyale.    „Und was ist mit Kakashi?“, fragte Ibiki. „Wenn ich ihm meine Deckgeschichte über Genma auftische, brauche ich eure Bestätigung.“   „Und die hast du“, versicherte Homura ihm. „Hast du schon etwas im Sinn?“   „Ist alles schon erledigt“, erwiderte Ibiki und sah den massiven Ordner vor sich, der in seinem Büro lag. Ein schwacher Trost, zu wissen, dass er bereits einen höllischen Fall gegen Shiranui Genma aufgebaut hatte. „Ich habe vollständige Berichte über Rauschmittel, die von Blutbildern gestützt werden, zusammen mit Zerstörung von Eigentum, Tatzeugen, plus Mushis psychologische Evaluation…“ Langsam verstummte er und zuckte mit den Achseln, als wollte er sagen, dass der Rest gegeben war und die Aufzählung nicht wert war. „Es ist ein wasserdichter Fall gegen Genmas geistige Gesundheit. Ich werde hieb- und stichfeste Gründe haben, ihn festzusetzen…dazu kommt noch, dass sein Rang als Goei Shōtai in dieser Sache gegen ihn arbeitet.“   „Ein Goei Shōtai, der so nah am Abgrund lebt“, seufzte Koharu, als sie für einen Moment durch den Raum spähte. „Shikamarus Risiko der Labilität kann ich verstehen. Aber Genma?“ Kopfschüttelnd verengten sich ihre Augen, als könnte sie dadurch dieses Mysterium in den Fokus bringen. „Dass er nach dem Vorfall mit Shuken derart labil werden würde, macht keinen Sinn. Wie bei dir, Ibiki, ist er einer der kampferporbtesten von allen Jōnin…dass er wegen etwas auseinander fällt, das für ihn so unpersönlich ist…“   Es kostete Ibiki einen großen Teil seiner Seele, nicht auf das zu reagieren.    Unpersönlich für ihn? Ihr ignoranten Bastarde.   Ibiki schluckte die Worte hinunter, verkrampfte den Kiefer und nahm seine Zunge an die Kandare. Es war weder seine Aufgabe, noch hatte er das Recht, sie damit zu behelligen. So wie es aussah, hatten sie wirklich keine Ahnung davon, dass Naoki und Genma Partner oder Liebhaber gewesen waren. Als Jugendliche hatten sie es sehr gut geheim gehalten. Vor ihren Clans. Vor ANBU. Vor KERN.   Vor der Welt.   Was auch genau das war, was es sie gekostet hatte…eine ganze Welt voller Schmerz, eine ganze Welt voller Verlust.   Steif rollte Ibiki mit den Schultern, spürte rostige Bolzen, die in seiner Brust rasselten, das entfernte Knirschen und Ächzen eines Organs, das er schon vor Jahren lahmgelegt hatte. Scheiß drauf. Er musste das nicht fühlen. Das war nicht, wie er operierte.    „Jetzt zurück zu unserem letzten Problem der Eindämmung“, lenkte Homura um, sah erneut zu Koharu und runzelte die Stirn. „Tenka.“   Ibiki sah zwischen den beiden hin und her. „Nach dem zu urteilen, was Inoichi mir über das Kinjutsu erzählt hat, das Tenka genutzt hat, um seinen eigenen Verstand herunter zu fahren, wird er auf keinen Fall mehr aus diesem Koma erwachen. Shikamarus Geheimnis ist in seinem Verstand eingeschlossen.“   „Das wird Danzō nicht davon abhalten, seine Versuche fortzuführen, an diese Informationen zu kommen.“   „Das kann er nicht“, argumentierte Ibiki, da er es gar nicht mochte, wie Homura und Koharu bedeutungsschwere Blicke und unausgesprochene Worte austauschten. „Wenn Danzō auch nur den Hauch einer Chance hätte, an diese Informationen zu gelangen, dann hätte er Inoichi niemals hinzugezogen. Er ist verzweifelt.“   „Das ist Inoichi inzwischen auch“, konterte Koharu. „Er hat Grund, noch beharrlicher zu sein als Danzō. Er wird keine Ruhe geben, bis er die Wahrheit erfährt. Er war sogar bereit dazu, Genma zur Strecke zu bringen, um sie zu bekommen.“   Ein exzellenter Punkt, aber völlig irrelevant, was Tenka anging. Ibiki parierte mit kalter, harter Logik. „Die Situation mit Genma haben wir bereits besprochen. Jetzt reden wir über Tenka. Da sein Verstand völlig außer Kraft gesetzt ist, stellt er keine Bedrohung dar.“   Auf der anderen Seite des Tisches stieß Homura einen angestrengten Atem aus und nahm seine Brille ab, um die Linsen mit dem Ärmel zu reinigen. „Das weißt du nicht mit Sicherheit, Ibiki. Wir haben keine Ahnung von den Umständen seiner Flucht, oder ob Shuken ihm irgendetwas angetan hat.“   „Oh und wie Shuken ihm etwas angetan hat“, sagte Ibiki und seine Lippe kräuselte sich angewidert dabei. „Nach dem, was Inoichi mir erzählt hat, ist es ein Wunder, dass er überlebt hat.“   „Ich glaube nicht an Wunder, Ibiki“, blaffte Koharu. „Hier gibt es viel zu viele Variablen.“   Etwas baute sich hinter diesen Worten auf; Ibiki konnte spüren, wie es Sekunde für Sekunde und Stein um Stein wuchs. Sie wollten ihn mit dem Rücken zur Wand, aber er wich aus, ließ seinen finsteren Blick von einem zum anderen wandern. „Tenka war luzide genug, um zu wissen, dass er seinen Verstand lahmlegen musste, um den Nara und seine Agenda als Doppelagent zu schützen. Ihr habt es selbst gesagt, er war Hiruzen, seinen Clans und auch euch gegenüber loyal. Das wird das dritte und letzte Mal gewesen sein, dass er sein Leben wegwirft, um diesen Eid zu wahren und dieses Versprechen zu schützen.“   „Nicht das letzte Mal“, sagte Homura leise und beinahe reuig.    Bei diesen Worten beschleunigte sich Ibikis Puls. „Was redest du da?“   Stirnrunzelnd setzte Homura seine Brille wieder auf und spähte zu Koharu, seine Miene vollkommen blank gewischt. Sein Gesicht war leer und entschieden. „Ich sage, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, wie das ausgehen kann, Ibiki. Idealerweise würden wir Tenka aus KERN entfernen.“   Ibiki starrte Homura an, als hätte der gerade einen schlechten Witz gerissen.    Niemand lachte.    Mit unbewegter Miene studierte Ibiki die Akte und musste feststellen, dass sie mit mehr politischen Explosiven verkabelt war, als er effektiv entschärfen konnte. Einen Gefangenen aus der Unterwelt des Ursprungs zu entfernen war ja schon schwierig genug…aber zu versuchen, einen Agenten zu entfernen, der als offizielles Eigentum von KERN angesehen wurde, war quasi unmöglich.    Bisher war das erst ein einziges Mal gelungen.   Mit Yamato.   Aber das hatte trotzdem das Interferieren des Hokage gebraucht. Und es hatte beinahe zu einem offenen Krieg zwischen ANBU und KERN geführt.   Und sie erwarten von mir, das abzuziehen, ohne die Godaime oder ANBU einzuschalten…?   Scheiße. Sie verlangten das Unmögliche von ihm, wenn sie erwarteten, dass er dafür eine Lösung fand. Als wäre es so simpel. So geradlinig.    Die Zeit tickte weiter, Sekunde für Sekunde…   Die Ratsmitglieder blieben stumm, warteten auf seine Antwort.    Ibiki bedachte sie mit einem äußerst flachen Reptilienstarren, das er normalerweise über einen Verhörtisch hinweg auf Täter richtete, während seine Miene unergründlich blieb. „Angenommen, die Extraktion scheitert?“, fragte er, da er alle Optionen, alle Ergebnisse kennen wollte. „Was dann?“   Es dauerte lange, bis sie antworteten. Keiner wollte aussprechen, was Ibiki bereits wusste, was sie sagen würden. Letztendlich war es Koharu, die das Wort ergriff, als ihr Blick von einem Bodhisattva Gemälde zurück glitt, das an einer Wand hing.    Ein Bild der Gnade, doch es lag nichts von dieser Gnade in ihren Augen. „Sollte Tenka nicht von dort entfernt werden können, dann muss er eliminiert werden.“   _________________ Hey meine Lieben :)   Oh Mann, so lange habe ich wirklich NOCH NIE für ein Update gebraucht und es tut mir wahnsinnig leid, dass Animexx auf meiner Prioritätenliste so weit abgerutscht ist...ich weiß auch gar nicht, ob diese Geschichte hier überhaupt noch irgendwer liest ^^ Aber für alle, die noch da sind, die Geschichte geht weiter und wie immer würde ich mich sehr über ein paar Meinungen freuen.  Ganz liebe Grüße,  Scatach Kapitel 41: The scars we carry ------------------------------ Drei Stunden und zehn Minuten, nachdem das Spiel begonnen hatte, schlief Neji ein. Shikamaru wusste es, weil er es so getimt und geplant hatte. Mit einem Auge auf die Uhr und das andere auf seine Strategie gerichtet. Er hatte sich bereits durch die erste Etappe – Joban, die Eröffnung – bewegt und seinen Zug geplant, seine Teile in Position gebracht.    Er war aus der Mission.    Aber er war nicht aus seinem Spiel.    Weit davon entfernt.   Er hatte ganz genau gewusst, was er tat, als er darum gebeten hatte, von dem Team abgezogen zu werden. Er wusste es, weil er das Spielbrett in seinem Kopf ausgebreitet sehen konnte. Die Finsternis hatte es aufgestellt. Oder vielleicht war es auch schon immer da gewesen. Unvollendet und unvollständig…denn ein paar der Teile fehlten noch immer.    „Also lass sie uns holen“, wisperte die Finsternis.    Vorsichtig, um die Papiere in seinen Händen nicht rascheln zu lassen, legte Shikamaru die Missionsbeschreibung beiseite, die er mit Neji überarbeitet hatte und sein Blick glitt dabei langsam durch den Raum. Der Hyūga saß gegen die gegenüberliegende Wand gelehnt da, sein Körper leicht geneigt, der Kopf hängend und Schemata in seinem Schoß ausgebreitet.    Letztendlich hatte die Erschöpfung gewonnen.    Shikamaru hatte darauf gezählt und darauf gewartet, dass sich die Müdigkeit durch Nejis sture Entschlossenheit, wach zu bleiben, fraß. Der Hyūga hatte nicht für eine Sekunde angehalten, seit er begonnen hatte. Shikamaru verstand das, erkannte es wieder…und irgendwo tief unten, jenseits der Taubheit in seiner Seele, so tief unten, wo die Welt vorbei zu schweben schien…wollte er nichts mehr, als Neji zu sagen, er solle sich entspannen, aufhören, sich ausruhen…   „Komm in die Gänge, Faulpelz. Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.“   Still wie seine Schatten kam Shikamaru auf die Füße und schlüpfte aus dem Raum hinaus in die monderhellte Nacht. Die Finsternis führte und er folgte; co-bewusst, aber nicht in der Kontrolle…ein Passagier in seinem eigenen Körper…denn er kannte den Zielort nicht. Wusste nur, dass er wolkengleich dahin driftete, dieser kalte, betäubte Wind blies durch ihn, dirigierte ihn durch die Gärten der Göttlichen Bestien.    Und dann verblasste die Welt, verblasste weit hinfort…   Er musste für einige Zeit in einen Blackout gefallen sein, denn als er sich wieder allem bewusst wurde, stand er in dem dampfigen Nebeln eines Freiluftonsens. Überlappende Felsen grenzten den Bereich ab und Teppiche aus seidigem Federgras schimmerten silbern im Mondlicht. Langsam drehte er den Kopf, sah einen Findling, der mit den eingravierten Worten TATSU-EN wie ein gigantisches Ei in einem Nest saß.   Der Drachengarten.    Shikamaru holte Luft, folgte dem Pfad und erstarrte auf halbem Weg, als der kalkige Geruch nassen Steins und cremiger Wasser auf seine Sinne traf.    Onsen.   Seine nackten Füße verharrten wie angewurzelt auf dem feuchten Fels, als sich seine Sinne in Richtung der Vergangenheit ausstreckten, die Panik und das Unbehagen übersprangen, die normalerweise seine Gedanken an ein Onsen begleiteten. Noch immer konnte er die Augen seiner Teamkameraden am Tag seines Geburtstages auf sich spüren, ihre Fragen zupften unnachgiebig an den Krusten in seinem Verstand.    ‚Ich kann’s nicht erwarten, im Onsen zu baden‘, hatte Ino gesagt und ihm einen Blick zugeworfen. ‚Und bevor du ausflippst, Shikamaru; du hast auch ein privates Bad im Freien auf deinem Zimmer.‘   Daraufhin Chōji, total perplex: ‚Warum solltest du in einem Onsen ausflippen?‘   Diese Frage war hängen geblieben wie ein Haken, der an seinen Narben ruckte. ‚Sie redet nur Blödsinn.‘   ‚Uh, hallo-o? Na dann sag mir mal, Chōji. Wann war das letzte Mal, dass du mitbekommen hast, wie Shikamaru ein Onsen betreten hat?‘   ‚Oh hey, das stimmt. Das ist Jahre her. Und eigentlich mochtest du es doch auch immer, dorthin zu gehen.‘   ‚Ja, also was ist passiert?‘   ‚Nichts ist passiert.‘   „Doch, das ist es“, schaltete sich die Finsternis ein. „Du erinnerst dich.“   „Nein“, hauchte Shikamaru, stierte in den Dampf, das Salz des Wassers ein greifbarer Geschmack auf seiner Zunge. „Ich erinnere mich nicht.“   „Vielleicht…aber du hast es nie wirklich vergessen, nicht wahr?“   Hatte er das nicht? Das Unbehagen, dass er bei dem Gedanken an ein Bad in einem Onsen verspürte, die Panik, die er gespürt hatte, als er sich selbst unter dem Wasser gehalten hatte…Signale, die sein Körper an sein Hirn gesandt hatte.    „Ja, wie jetzt gerade“, drängte die Finsternis wie Hände auf seinen Schultern. „Erinnere dich.“   Shikamaru grub die Fersen in den Boden, stand direkt an der Schwelle zu einer Erinnerung. „Ich kann nicht.“   „Doch, du kannst. Der Kleine gibt Ruhe. Keine Panik. Es sind nur du und ich. Ich hab alles im Griff. Das habe ich immer.“   Shikamaru entspannte sich, spürte die Kraft der Schatten, die sich überall um ihn herum bewegten…spürte, wie sie ihn Kopf voran in den Dunst zogen, der in seinem Kopf aufstieg…in seiner Erinnerung…   Onsen.   Onsen.   Onsen.   „Hätte nicht gedacht, dich im Onsen meines alten Herrn zu finden, Shika. Kann nicht behaupten, dass ich enttäuscht bin.“   Shins Stimme schreckte Shikamaru aus seinem Wolken beobachtenden Tagtraum auf und sein Kopf hob sich ruckartig vom Beckenrand. Bis zum Hals untergetaucht, war er im Driften einer Federwolke versunken gewesen, sein Verstand herrlich leer und von der Hitze zu einer betäubten Benommenheit verwandelt.    Sag bloß. Du hast es nichtmal bemerkt, dass er kommt.   Wie lang stand Shin bereits da? Er hatte seine vorherigen Roben abgelegt und musste geduscht haben, denn sein Haar war nass und glänzte, während Tropfen an den rabenschwarzen Spitzen funkelten. Er trug einen dunklen, scharlachroten Yukata, die Ärmel davon lässig über den Unterarmen nach oben gekrempelt.    „Habe ich dich überrascht?“, fragte Shin mit falschem Erstaunen, da er die Antwort sehr wohl wusste.    Shikamaru fuhr sich mit den Fingern durch sein nasses, offenes Haar und richtete sich weit genug auf, dass das Wasser seine Schultern traf, wobei er gleichzeitig versuchte, seine Nervosität abzuschütteln. Dieser Kerl hatte die Angewohnheit, ihn so richtig unvorbereitet zu erwischen. „Bist du dir sicher, dass du kein Ninja bist?“   Shin schmunzelte kaum wahrnehmbar. „Nicht wirklich. Ich nehme an, Hama hat dich überzeugt, mal die Quellen auszuprobieren?“   Kein Witz. Der alte Mann hatte quasi darauf bestanden und ununterbrochen von den legendären, mineralischen Eigenschaften und der Heilkraft der geothermalen Wasser geplappert. Bereits nach den ersten zehn Minuten, in denen ihm das Ohr abgekaut worden war, hatte Shikamaru nachgegeben, da er nicht in der Stimmung gewesen war, etwas über die Leiden von Rheumatismus, Neuralgie und Hautkrankheiten zu erfahren.    „Er hat dir einen medizinischen Vortrag gehalten, stimmt’s?“, riet Shin mit nervtötender Genauigkeit.    Um seine Überraschung zu verbergen, sah Shikamaru auffallend um sich, um die schrägen Dächer der untergetauchten Säulen und die ästhetische Brillanz in sich aufzunehmen, die handwerkliche Konstruktionen mit natürlicher Geometrie und Dimension kombinierten, indem jedes Rotenburo-Becken in das nächste überging.    „Ist nicht gerade schwer, einem das hier schmackhaft zu machen“, sagte Shikamaru und reduzierte seine Gedanken auf nüchterne Tatsachen statt auf blumige Komplimente. „Dieser Ort lässt unseren gesamten Distrikt aus Heißen Quellen richtig alt aussehen. Es ist wirklich beeindruckend.“   „Mein alter Herr denkt das auch gerne“, erwiderte Shin und schlenderte die Länge des Beckens mit den langsamen, anmutigen Schritten einer Großkatze entlang. „Es soll ihm mit seiner Gesundheit helfen.“   „Ihm geht es schlecht?“, fragte Shikamaru, als er an Nogusa Yodos unerklärlichen Abgang aus dem Pavillon nach ihrem Shogispiel dachte.    Flüchtig hielt Shin inne und sein Kopf neigte sich nach unten, als er in die Wasser blickte und beobachtete, wie winzige, silbrig-weiße Wellen an den Felsen leckten. Das reflektierte Licht illuminierte dabei sein Gesicht mit einem Kräuseln sich verändernder Muster. „Es gibt kein Heilmittel für das, was er hat.“   Keine weitere Erklärung. Und Shikamaru drängte nicht darauf. Auch wenn Shin eine offene Einladung zu allen Themen austeilte, egal ob persönlich oder anderes, schien dieses ein besonders sensibles Gebiet zu sein, wenn man all das bedachte, was Shikamaru über diese dysfunktionale Vater-Sohn-Dynamik beobachtet hatte.    Wechsle das Thema…   „Hast du was dagegen, wenn ich auch noch schnell fünf Minuten bade?“, fragte Shin wie aufs Stichwort und bot Shikamaru damit den Gesprächsausgang, den er brauchte. „Danach machen wir uns auf den Weg. Würde nicht wollen, dass dein Senpai zappelig wird.“   Shikamaru schnitt eine Grimasse und hoffte inständig, dass Genma etwas Zeit und Energie damit verschwendet hatte, Fangen oder ‚In den Hintern treten‘ mit diesem komischen Echsengesicht-Typen zu spielen, den sie beim Tekisha Seizon getroffen hatten. „Klar“, sagte er, erfreut darüber, seine unvermeidbare Runde des Senbons ausweichen noch etwas hinaus zu zögern.   Als er ihm den Rücken zuwandte, machte sich Shin daran, seine Robe abzustreifen, wobei Shikamarus Blick sofort auf das schwarze Symbol fiel, das auf den scharlachroten Yukata des Mannes gestickt war.    Kein Wappen, sondern zwei Kanji.    Fasziniert zogen sich Shikamarus Augen zu nachdenklichen Schlitzen zusammen, nur um sich gleich darauf vor Schock zu weiten, als sich Shin wieder umdrehte und mühelos in das Wasser glitt. Alle Gedanken an das Symbol wurden von dem Anblick eines Körpers ausgelöscht, der auf schlanke Muskeln und straffe Sehnen reduziert war. Venen wölbten sich in lilablauen Bahnen unter einer Haut, die so blass und fein war wie zartes Porzellan; beinahe schon durchscheinend. Aber noch ominöser als diese hervortretenden Adern und Sehnen waren die Narben.    Shin war davon übersät.    Entlang seiner Brustmuskeln und Arme überkreuzten sich dünne, silberrote Linien mit der Komplexität eines Spinnennetzes und prominente Bänder aus Malen erstreckten sich über seine Rippen und seinen Bauch, als wäre er von Drähten gefesselt gewesen, die tief geschnitten und sich durch Haut gesägt hatten.    „Du kannst ruhig fragen“, sagte Shin und zog Shikamarus Blick damit hinauf zu den scharfsinnigen dunklen Augen, die auf Halbmast ruhten wie halb gezogene Klingen.    Dieser Blick schnitt durch den Schleier des Anstands, den Shikamaru zwischen ihnen ziehen wollte. Aber wieder einmal schien Shin dem Augenblick seinen oberflächlichen Glanz zu nehmen, um der rohen Maserung darunter zu gestatten, hindurch zu schimmern.    Wachsam darauf achtend, nicht gegen der Strich dieser Maserung zu reiben, versuchte es Shikamaru mit Humor, da er trotz seiner Faszination nicht unhöflich erscheinen wollte. „Bist du dir sicher, dass du kein Ninja bist?“, scherzte er erneut.   Die leichteste Andeutung eines Schmunzelns verzog Shins Mund. „Nein. Aber ein Ninja hat das mit mir gemacht.“   Innerlich verzog Shikamaru das Gesicht. Gut gemacht. „Muss ein heftiger Kampf gewesen sein.“ Sag bloß.   Summend sah Shin nach unten und strich mit den Fingerspitzen einer Hand über die Narben, die sich über seiner Brust und seinen Armen ausbreiteten, um sie mit der Sanftheit der Liebkosung eines Liebhabers zu streicheln. Eine seltsame Bewegung. Beinahe andächtig. Seine Stimme wurde weich, klang fast schon nostalgisch. „Alles Teil des Spiels. Ich bin mir sicher, dass du zahllose Narben gesehen hast, Shika. Eines Tages wirst du daran gebunden sein, welche zu tragen – wenn du Glück hast.“   „Glück?“, echote Shikamaru ungläubig. „Wie kommst du darauf?“   „Narben sind die Auszeichnungen der Überlebenden“, erwiderte Neji, als seine Hand nach unten fiel, um unter den Wassern zu verschwinden, während sein Blick den Wellen folgte. „Orden, die voller Erinnerungen am Körper hängen, um uns daran zu erinnern, was wir unseren Situationen überlegen waren und es immer noch sind…wenn du unvernarbt davon kommst, dann bleibst du auch unverändert.“ Hier machte er eine Pause und sah auf. „Und wo zur Hölle bleibt da schon der Spaß?“   Shikamaru blinzelte, während sein Verstand daran arbeitete, sich dieser neuartigen Perspektive anzupassen, da sie alles in Frage stellte, was er an seinem Vater beobachtet hatte. Sein Dad sprach nie darüber, wie er seine Narben erhalten hatte. Es war nicht so, dass Shikamaru nie gefragt hätte. Das hatte er. Zweimal. Zuerst seinen Vater, dann seine Mutter, bei beiden Malen mit demselben Effekt; ein schmallippiges Schweigen angefüllt mit Anspannung und Unbehagen. Sogar mit gerade einmal sechs Jahren hatte es Shikamaru besser gewusst, als nachzubohren. Er war scharfsinnig genug gewesen, um zu realisieren, dass diese unbehagliche Reaktion vermutlich eine gute Vorahnung aller zukünftigen Versuche war, seine Eltern dazu zu bringen, darüber zu sprechen.    Sie wollten nicht.    Er hatte es gut sein lassen.    Also, sicher, er mochte vielleicht nicht mit Gewissheit wissen, was sein Dad in Bezug auf diese Narben fühlte, aber er würde alles Geld, das er besaß, darauf wetten, dass sein Dad Shins dankbare Haltung in dieser Sache nicht teilte.    „Würde einiges für deine Gedanken geben“, sagte Shin.    Shikamaru zuckte mit den Achseln, als er versuchte, es beiseite zu wischen. „Habe nur über das nachgedacht, was du gesagt hast…“   „Hast du an deinen Vater gedacht?“   Verdammt. Wie machte er das? Scharf hob Shikamaru den Blick. „Du weißt von den Narben meines Dads?“   Tief summend hob Shin eine Hand und zog zwei Finger wie Klauen über die rechte seines Gesichtes, wobei ein paar Tropfen in der fröstelnden Imitation von Blut nach unten rannen. „Wenn ich dich anschaue, dann erinnert mich das daran, wie er ohne sie ausgesehen hat. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass du das exakte Ebenbild von ihm bist, aber es ist wirklich nicht zu übersehen, dass du sein Sohn bist.“ Shin legte den Kopf schief, doch sein Blick verharrte. „Du solltest dein Haar immer offen tragen, Shika. Es ist umwerfend und steht dir.“   Das Kompliment kam so unerwartet und so völlig unangemessen, dass Shikamaru aus nervösem Reflex auflachte. „Na das ist mal eine Schocktaktik.“   Shins Lippen bogen sich bei dieser Reaktion, doch sein Blick blieb fixiert, fast schon gefesselt. Bedächtig legte er mit tropfenden Fingern seinen Arm über den Rand des Beckens. Völlig entspannt und unbefangen. „Du bist es nicht gewohnt, Komplimente über dein Aussehen zu erhalten, oder?“   „Sagen wir einfach, dass meine Vorzüge anderswo liegen.“   „Das glaubst du wirklich, huh?“   Shikamaru blinzelte perplex über diese Frage. War das nicht offensichtlich? Auch wenn er sich nicht als hässlich erachtete, sah er sich selbst ganz sicher nicht einmal ansatzweise als umwerfend. Wie Ino ihn wiederholt jedes Mal erinnerte, wenn er ihr gegenüber wegen ihrer Gewichtsfokussierung bissig wurde, konnte er nicht wirklich mit den Standards von Hyūgas oder Uchihas mithalten. Er hatte sich nie davon beleidigt gefühlt, sondern war eher amüsiert gewesen. Er hatte sich noch nie um sein Aussehen geschert und sich auch noch nie deswegen verlegen gefühlt…bis jetzt…   Energisch versuchte er, nicht unter Shins Blick zu erschauern. „Ich muss es nicht glauben“, erwiderte er. „Ich weiß es.“   Shins Lächeln verschwand, während sich eine dunkle Braue hob. „Nein, Shika. So klug du auch bist, das weißt du wirklich überhaupt nicht.“   Als Hitze über seiner Wangenknochen kroch, lenkte Shikamaru rasch seine Aufmerksamkeit um und suchte nach einem Ausweg. Da keine subtile Route verfügbar war, wechselte er einfach komplett die Spur. „Du magst Noh Theater?“   Shins Kopf ruckte wegen der Ablenkung nach hinten, aber er ließ es langsam blinzelnd zu. „Nein, tue ich nicht. Wieso?“   „Die Maske von deinem Gast“, erwiderte Shikamaru, da er keinen Grund für Zweideutigkeiten sah. „Ist ziemlich heiß für so eine Aufmachung. Ich dachte, er ist vielleicht ein Schauspieler oder sowas.“   Ein spekulatives Funkeln trat in Shins Augen, aber er hielt seine entspannte Miene aufrecht, während sich seine Mundwinkel amüsiert hoben. „Die Arbeit eines Ninjas hört niemals auf, hmn?“   Shit.   Shikamaru hatte immerhin den Anstand, schuldbewusst drein zu sehen, doch er brachte auch ein Schmunzeln zustande. War schließlich keine Schande, das zu tun, worauf er trainiert war. „Bin nur neugierig.“   „Du kannst immer direkt fragen“, betonte Shin wieder einmal und schob sich dabei das feuchte Haar aus der Stirn. „Tenka ist ein Schauspieler…in gewisser Weise. Aber auf der anderen Seite, sind das nicht alle Shinobi?“   Verdammt. Wachsam verjüngten sich Shikamarus Augen, während er sich fragte, ob er den Köder schlucken sollte. Shin hatte das einfach so ohne eine Sekunde des Zögerns preisgegeben. „Ich dachte, alle Würdenträger und Shinobi von Kusa wären den Regeln nach verschwiegen.“   „Tenka ist kein Kusa-nin; einer der Gründer, weswegen ich ihm vertraue. Und entgegen dem was du über mich glaubst, betrachte ich mich selbst nicht als Würdenträger.“   „Du bist der Sohn des Daimyō.“   Shin schmunzelte. „Ein geerbter Titel mit überhaupt keinem Wert“, erwiderte und die Leichtigkeit seiner Aussage wurde von der ungerührten Dunkelheit seiner Augen ruiniert. „Eine seichte Macht. Ich habe sie mir nicht verdient. Ich habe nicht darum gekämpft. Diese Art von Status – mit all seinen schwachsinnigen, politischen Insignien – ist ein Produkt von Erziehung und kreiertem Geburtsrecht, nicht von Natur. Wie mein Name. Er ist ein Titel, der mir gegeben und nicht von mir gewählt wurde. Ich bin ebenso wenig ein Würdenträger wie ich Nogusa Shin bin.“    Shikamaru konnte nicht dechiffrieren, was das jetzt wieder bedeutete. Meinte Shin das figurativ? Stirnrunzelnd grübelte Shikamaru über diese Information nach und aus irgendeinem sonderbaren Grund, irritierte ihn seine Unfähigkeit, diesen Kerl festzunageln, überhaupt nicht…es faszinierte ihn. Theorien, Beweise und Informationen zusammenzutragen, um einen mentalen Algorithmus zu formen, war für Shikamaru so natürlich und leicht wie seine grundlegendsten motorischen Funktionen. Sein Hirn hatte so eine Art, Informationen abzuleiten und sie zu logischen Mustern zu integrieren.    Also wieso kann ich es diesmal nicht?   Bei jemanden, der so aufrichtig war wie Shin, hätte Shikamaru keine Schwierigkeiten haben dürfen, eine Skizzierung dieses Kerls hinzukriegen. Aber als er nach dieser mentalen Leinwand griff, zeichnete er nur eine völlige Leere, da seine Gedanken fort rannen wie nasse Tinte, die eine Art seltsames Muster formte, das für alle möglichen Interpretationen offen war, statt für eine konkrete Analyse.   „Versuchst du schon wieder zu intellektualisieren, Shika?“, fragte Shin und zerschnitt seine Gedanken mit dieser skalpellartigen Präzision. „Bei Ehrlichkeit gibt es nichts zu dechiffrieren…und das bringt dich aus dem Konzept, stimmt’s?“   Shikamaru zog leicht die Brauen zusammen, da er es überhaupt nicht gewohnt war, so leicht gelesen oder intellektuell in eine Ecke getrieben zu werden. „Du redest viel über Natur. Ich schätze, es liegt in meiner Natur, argwöhnisch gegenüber Menschen zu sein, die kein Blatt vor den Mund nehmen.“   „Du bist ein Ninja. Du wurdest dazu erzogen, argwöhnisch zu sein. Das ist wohl kaum ein natürlicher Zustand.“   „Ehrlichkeit ist auch nicht gerade natürlich.“   „Kommt auf dein Brett an und wie du das Spiel spielst.“   „Klingt, als würdest du wieder auf Spontanität anspielen.“   „Immer.“   Kopfschüttelnd presste Shikamaru die Lippen aufeinander. „Ich sehe nicht, wie das funktionieren soll.“   „Ich weiß, dass du das nicht tust, Shika“, erwiderte Shin mit einer seltsamen Sanftheit in seiner Stimme. „Aber ich habe dir bereits gesagt, dass ich es dir zeigen würde. Eigentlich…“ Er ließ die Worte auf dem Dampf davon schweben und ohne die Spur einer Absicht oder Erklärung bewegte er sich im Wasser nach vorn, wobei er mit derselben gemessenen Anmut und verschleierten Kraft hindurch glitt, mit der er sprach. „Warum gebe ich dir nicht eine kurze Demonstration?“   Erschrocken versteifte sich Shikamaru, als Shin näher kam und hielt sich so regungslos wie möglich. „Demonstration?“   Shin lächelte dieses langsame, rätselhafte Lächeln und die Welt schien sich schlagartig mit dieser sonderbaren, Härchen aufstellenden Statik zu füllen, als diese dunklen, dunklen Augen mit einem surrealen und dennoch sehr greifbaren Gefühl von Gravitation an ihm zogen; als wäre der Magnetismus dieses Mannes eine Kraft, nein, eine Entität, die am Gewebe des Verstandes des Schattenninjas zupfte und Möglichkeiten einlud, aber alle Logik verweigerte.    „Ist das Beklemmung in deinen Augen, Shika?“, murmelte Shin, seine Stimme erfüllt von weicher, schnurrender Belustigung. „Oder Erwartung?“   Shikamaru schluckte unbehaglich wegen der seltsamen Hitze in seiner Magengegend, gestattete es sich aber nicht, dieses Gefühl näher zu examinieren. „Keins von beidem“, raunte er, aber seine Antwort kam einen Herzschlag zu langsam. „Du nutzt physische und psychologische Einschüchterung, um eine Antwort auszulösen.“   „Ist es das, was ich tue?“, forderte Shin heraus und hielt so nah vor ihm inne, dass er Shikamaru in Schatten tauchte. „Bist du dir sicher?“   Nein. Kein verdammtes Bisschen. Und Scheiße, wenn das nicht beängstigend war. Beängstigend auf eine Weise, auf die Naturgewalten beängstigend waren; jenseits jeder Kontrolle und unmöglich vorherzusagen. In welche Richtung wird der Wind wehen? Wie lange wird ein ruhender Vulkan schlafen? Welche Form wird eine Wolke annehmen? Wie schnell oder lang wird ein Waldbrand brennen? Wie tief waren die dunkelsten Tiefen des Ozeans? All das und noch viel mehr füllte die Leere in Shikamarus Hirn, nahm den Raum ein, wo Logik in sich zusammenbrach, sich unter der Schwerkraft von etwas wand und krümmte, das viel zu stark war, um ihm widerstehen zu können.   Wie ein Genjutsu…   Sich an diese logische Erklärung für diese sich festsetzende Fremdartigkeit klammernd, schnappte Shikamaru nach Luft, fühlte sich schwindelig. „Genjutsu.“   Amüsiert neigte Shin vorwurfsvoll den Kopf, die profunde Schwärze seines Blickes wich dem empyreischen Schein einer Nebula mit all diesen wirbelnden Möglichkeiten. „Die einzigen Illusionen hier sind deine eigenen. Ich würde dich niemals belügen. Ich würde dich niemals betrügen. Als ein Ninja, der in einer Welt der Täuschung lebt, wie fühlst du dich dabei, das zu wissen?“   „Es fühlt sich wie eine Lüge an.“   „Das ist keine Emotion.“   Von dieser Aussage in eine Ecke gedrängt, suchte Shikamaru mental nach irgendeinem Ausweg, doch sein Verstand knallte jede einzelne Tür zu. Seine Augen weiteten sich wie offene Fenster zur verdammten Seele. Er konnte es nicht verbergen, konnte die Jalousien nicht nach unten ziehen.    Shin trat näher, das Wasser kräuselte sich um seinen vernarbten Bauch und die Narben auf seinen Rippen schimmerten silbrig. „Es gibt nur zwei Wahlmöglichkeiten, Shika. Verlangen oder Furcht. Das ist, worauf sich jede Emotion reduzieren lässt. Auf dieselbe Art, wie es beim Überleben immer auf Kampf oder Flucht hinausläuft.“   Oder Einfrieren, wie in Shikamarus Fall, denn scheinbar konnte er sich nicht rühren. Nicht seine Gedanken, nicht seinen Körper. Dazu gezwungen, in diese dunklen Augen zu starren, hypnotisiert von dem faszinierenden Empfinden eines Spiels, das auf einem höheren Level gespielt wurde; über Sterblichen, über dem Alltäglichen, über der mäandernden Vorhersehbarkeit von allem, was er verstand.   Es war belebend…   Beängstigend…   Ließ ihn viel zu viele Dinge fühlen, um sie benennen zu können…und alle davon unlogisch und widersprüchlich…   Wie Natur…   „Verlangen oder Furcht, Shika?“, drängte Shin noch einmal sanft, sanft, wie ein Wispern über Nervenenden, übte gerade genug Druck aus, um zu kribbeln, nicht zu verletzen. „Was ist es, was du jetzt im Moment fühlst?“   Shikamaru sog einen scharfen Atem ein, spürte, wie die zwiespältigen Gedanken und Gefühle eine Reibung in seinem Inneren erschufen, die heißer und heißer brannte, je näher sich Shin lehnte…diese dunklen Augen griffen immer tiefer, bis Shikamaru gezwungen war, seinen Kopf nach hinten zu neigen, um nicht zu schielen. Die plötzliche Nähe war so überraschend wie sein totaler Mangel an Unbehagen…totaler Mangel an…logischer Reaktion…   Er hätte verflucht nochmal austicken sollen.    Er musste seinen verdammten Verstand verloren haben, diesem Kerl zu erlauben, ihm derart nah zu kommen.    Aber sollen und müssen drifteten von ihm fort; hinaus in eine sternenlose Leere, wo Möglichkeiten keinen Raum hatten, um zu scheinen oder sich auszubreiten. Alles war bekannt. Alles war vorhersehbar. Alles war…   Nervig…   Langweilig. Lästig. Eine Anstrengung, sich darauf zu freuen und umso mehr eine Anstrengung, sich darauf einzulassen, denn es gab keine Herausforderung, keinen Funken, keinen Anreiz. Es war ein Ort, an dem er seit Jahren gelebt hatte…und zum ersten Mal in seinem Leben, fühlte es sich viel zu erstickend an…und viel zu klein, um diese Funken der Spontanität zuzulassen, die er in Shins Augen schweben sah…   Funken, die ein Feuer in seinem Unterleib entfachten…   Er wollte wissen, was zur Hölle das war…   Wollte einen Griff an diesem fremden Universum haben, das er im Geist dieses Mannes existieren sah…ein unbekannter Ort…der ihn dazu lockte, danach zu greifen, greifen, greifen…so wie Shin mit einer Hand nach oben griff, um sein Kinn zu umfassen und es mit einer lockeren Leichtigkeit zu halten, die darauf schließen ließ, dass er bereits wusste, dass sich Shikamaru nicht zurückziehen würde.    „Es ist Zeit, die Frage zu beantworten, Shika“, murmelte Shin, seine Wimpern fielen tief, verbargen seinen Blick, zwangen Shikamaru, tiefer zu spähen. „Hast du Angst?“   „Nein“, hauchte Shikamaru.   „Dann weißt du bereits, was du fühlst. Du willst es nur nicht benennen.“   Weil das wahnsinnig wäre. Wahnsinnig wie die Art und Weise, wie sein Kopf nach hinten kippte, als Shins Daumen den leichtesten Druck ausübte, um seinen Mund direkt unter den des Mannes zu neigen und dieses Brennen in seinem Inneren loderte weißglühend auf, als sich Shins Lippen mit der leichtesten Berührung auf seine eigenen legten.    Es war eine kaum vorhandene Liebkosung…eine Schattenberührung auf seinem Mund…   Und dann war es fort.   Shin lehnte sich nach und nach zurück, seine Präsenz und Kraft verschwanden wie das langsame Vorbeiziehen einer Sonnenfinsternis, ließen Shikamaru geblendet von der abrupten Rückkehr zur Normalität zurück…als wäre dieses Wort überhaupt zutreffend. Er blinzelte mehrere Male und versuchte, seine Sicht an eine Welt anzupassen, die in seinem Verstand gerade eine 180 Gradwende vollführt hatte.    Er fühlte sich schwindlig, drehte sich, taumelte aber nicht wirklich…   Er hätte taumeln sollen…hätte rennen sollen…verflucht nochmal weg von diesem Mann, verflucht nochmal weg von diesem Ort, der sich in seinem Geist geöffnet hatte. Aber schon wieder fühlte sich sollen wie ein abstraktes Konzept an. Ein zerbrochenes Werkzeug in einer verrosteten Kiste. Er versuchte, in diese Kiste zu greifen, versuchte, eine Rasierklinge der Logik zu finden, einen Hammer, der endlich wieder etwas Vernunft zurück in sein Hirn rammen könnte – irgendetwas!   Nichts.   Nur das Brennen in seinem Unterleib, die Luft kratzte heiß in seiner Kehle und sein Herzschlag stolperte zu einem Rhythmus dahin, den er nicht erkannte. Nicht Beklemmung und auch nicht Adrenalin. Erwartung.   Verlangen.   „Zeit zu gehen“, sagte Shin leise und wandte sich ab, um zurück zur anderen Seite des Beckens zu waten, wobei sein Rücken mit denselben Narben schimmerte, die sich um seinen Torso schlangen.    Shikamaru sah ihm nach, erschüttert von seinem Hirn bis ins Mark und bis zu den heißen Knoten in seinem Unterleib.    Und dieses Gefühl verschwand nicht…nicht einmal, nachdem er wieder in seine Kleidung geschlüpft war und seine Flakjacke aufgehoben hatte, um Shin über den Pfad zurück zu dem Shinjūmon Portal zu folgen, die Augen auf den Rücken des Mannes fixiert, diese beiden Symbole.    „Das wird dich zurück zum Tekisha Seizon bringen“, erklärte Shin, als er bei einer riesigen, schmiedeeisernen Tür stehen blieb. Er griff in seine Robe, zog eine schmale Phiole hervor und schmierte etwas, das wie eine rot gefärbte Creme aussah, auf seine Handflächen, bevor er das komplizierte Ziffernblatt und die Zahnräder bearbeitete. „Findest du den Weg von dort aus?“   „Jo“, murmelte Shikamaru abwesend, seine Augen kehrten zu dem Symbol zurück, das auf Shins scharlachroten Yukata gewirkt war. Er sah zu, wie es zwischen den Schulterblättern des Mannes Falten warf, hypnotisiert von dem Spiel des Gewebes und der Andeutung eines Puzzleteils. „Shuken“, wisperte er und sprach das Kanji aus, bevor er es automatisch übersetzte: „Souverän. Warum trägst du das?“   Shins benetzte Finger hielten auf dem Ziffernblatt inne, sein Körper wurde regungslos. Marginal drehte er den Kopf und spähte über seine Schulter. „Weil das ist, wer ich bin, Shika.“   Nicht was er war. Wer er war. Shikamaru blinzelte angesichts dieser klaren Unterscheidung und legte den Kopf schief. „Was meinst du?“   Ein kurzes Schweigen, angefüllt von dem langsamen Klick der Zahnräder, als Shin die Tür entriegelte und sie aufzog, um diese grelle, lilablaue Aura des Portals zu offenbaren. Stränge aus Regenbogenlicht strahlten um Shin herum wie ein Heiligenschein, als er dem wirbelnden Strudel den Rücken zuwandte, seine schwarzen Augen voller Funken und Möglichkeiten hielten Shikamarus Blick gefangen.    „Triff mich heute Abend im Tekisha Seizon“, sagte er leise. „Und ich werde dir ganz genau zeigen, was ich meine.“   Das spektrale Licht wurde heller…schlang sich um die Erinnerung…verschwand taumelnd in der Finsternis…   Die Finsternis.   Sie sprach. „Wach auf.“   Und das tat Shikamaru. Er öffnete die Augen. Kein Onsen, keine Gärten, keine heißen Steine unter seinen Füßen. Er stand nicht einmal. Er fand sich auf Händen und Knien in den Schatten des Gästeraums wieder, mit Tintenflecken an seinen Fingern, eine gekritzelte Schrift schimmerte schwarz wie Blut im Mondlicht.    Shuken.   Der Name zitterte kalt wie eine Tundrabrise durch seinen Verstand. Würde er nicht selbst so weit über seiner eigenen Furcht schweben, dann hätte er vielleicht gespürt, wie sich etwas in ihm zu einem Ball zusammenrollte.    „Der Kleine“, sagte die Finsternis. „Ignorier ihn. Konzentrier dich.“   Während er auf die Schrift auf dem Boden stierte, setzte sich Shikamaru auf seinen Knien zurück und zog die Brauen zusammen. „Was zur Hölle ist das? Eine Art Schatzsuche nach fehlenden Teilen?“   „Ganz genau“, schnaubte die Finsternis. „Danke dem ANBU-Mann dafür.“   „Sein Name war Tenka“, erwiderte Shikamaru; nicht mit Zorn, nicht mit Emotion…alles in ihm war flach und regungslos wie Glas. „Was ist mit ihm passiert?“   „Eins nach dem anderen, Genie. Jetzt; mach deinen nächsten Zug.“   Er musste nicht fragen, worin der bestand.    Denn dort, hinein geschrieben in die ruinierten Tatami Matten, standen die Worte TEKISHA SEIZON.   ___________________ Hey meine Lieben :)    Ein mehr als spätes Update mal wieder, sorry!! :( Jaaa, in diesem Kapitel kommt etwas ans Licht, das ja einige von euch schon vermutet haben ;) Bin gespannt, wie ihr auf diese Enthüllung reagiert habt, was ihr beim Lesen empfunden habt und wie es euch gefallen hat :)  Alle Reviews werden natürlich noch beantwortet, ich weiß, dass ich da gerade ziemlich hinterher hänge, tut mir sehr leid :(  Vielen Dank aber auf jeden Fall an alle meine lieben Reviewer/innen und Leser/innen und danke für eure Unterstützung! Scatach Kapitel 42: A red flag of warning --------------------------------- Kakashi erwachte zu einer leisen, samtigen Stimme, von der er glaubte, sie befände sich in seinem Kopf.    „Kakashi…“   Seine Wimpern flatterten schwach beim Ruf seines Namens und die Lider zitterten unter dem Gewicht der Erschöpfung. Ein dumpfer Schmerz pochte unter seiner linken Braue, nicht so schlimm wie die vorherige Qual, aber immer noch hartnäckig genug, um ihn ernsthaft darüber nachdenken zu lassen, ob es wirklich klug wäre, die Augen zu öffnen.    Alles tat weh.    Er fühlte sich, als wäre er in mehr als nur Schlaf versunken…vielleicht eher in einem Fleischwolf.    Grimmig amüsiert hätte er über diesen Gedanken beinahe geschmunzelt, doch der Schmerz zog sich dabei über seine Wangenknochen, aufgeplatzte Haut und geschwollene Prellungen unter dem blutigen Gewebe seiner Maske. Genma hielt sich nie zurück. Als er eine Grimasse schnitt, zog sich Kakashis Nasenrücken in einem Zusammenzucken kraus, während ein leises Ächzen seine Lippen verließ.    Eine kühle Empfindung tupfte feucht und beruhigend über seine Stirn.    Und dann schon wieder diese Stimme. „Kakashi?“   So gut es ging hob er ein winziges Stück sein rechtes Augenlid und ein Schlitz der glasig grauen Iris bemühte sich um Fokus. Er fing einen verschwommenen Eindruck eines dunklen Raumes auf, der in blaue Schatten und silbriges Mondlicht getaucht war. Und plötzlich schien der Mond oval und obskur vor seinen Augen zu schweben, umgeben von dunklen, sich kräuselnden Wolken.    Und dann klärte sich seine Sicht.    Die Wolken nahmen mehr Dimension an, wurden zu einer zerzausten Mähne aus Schwarz…der ovale Mond löste sich zu dem schönen Gesicht einer Frau auf, das von einem Paar besorgter, tief roter Augen dominiert wurde, die von leichten Maskaraflecken umrandet waren.    „Kurenai“, krächzte Kakashi mit trockenem Mund und enger Kehle. Er lag auf ihrem Sofa…er erinnerte sich nicht mehr, wie zur Hölle er hierher gekommen war. „Ich…“ Er brach ab und versuchte, sich aufzusetzen.    Schlechte Idee.    Der Raum neigte sich, als würde er schmelzen und der Schmerz hinter seinem linken Auge schoss heiße Splitter durch seinen Schädel. Kurenais Handflächen waren kühl auf seiner nackten Brust und drückten ihn sanft zurück nach unten. Er protestierte nicht, sondern krallte nur die Finger gegen die Seite der Couch, bis das Drehen aufhörte und der Schmerz nachließ.    „Chakra“, raunte er; nicht, dass sie das nicht bereits vermutet hatte.    Summend berührte Kurenai mit den Rückseiten ihrer Finger seine Stirn und tupfte ihn erneut mit dem kühlen, nassen Stoff ab. „Du hast mir einen ziemlichen Schreck eingejagt.“   Er hatte mehr als das getan. Alarmiert geriet Kakashis Atem ins Stocken und er griff nach oben, um ihre Hand zu packen und ihre liebevollen Bewegungen zu stoppen. „Genma?“   „Er schläft.“ Kurenai zog sich ein Stückchen zurück, die Augen beständig auf sein Gesicht gerichtet. „Ich musste ihn ruhig stellen. Er braucht medizinische Hilfe, Kakashi…aber ich schätze mal, dass du das Krankenhaus meiden willst, ansonsten hättest du ihn nämlich nie hierher gebracht.“   Gott…   Langsam ließ Kakashi seinen Kopf nach hinten gegen die Sofalehne kippen und presste für einen Moment die Lider aufeinander, während sich seine Finger flüchtig um ihre anspannten. „Tut mir leid.“   „Das muss es nicht.“   „Tut mir leid.“   „Kakashi.“   In einer schwachen Bewegung schüttelte er den Kopf.    Seufzend umfasste Kurenai seine Hand mit ihren beiden in einer freundlich unterstützenden Geste. Kakashis Herz brach ein wenig und pochte qualvoll und schuldbewusst. Asuma hätte nicht gewollt, dass sie in irgendwas hiervon hineingezogen wurde. Aber sie war die einzige, der Kakashi vertraute, denn sie war auch die einzige, die verstand, was Genma durchmachte. Der Verlust…die Selbstzerstörung…   ‚Ich schulde ihm mein Leben.‘   Und jetzt löste Kakashi diesen Gefallen für Genma ein. Aber zu wissen, dass Kurenai das verstehen würde, sorgte überhaupt nicht dafür, dass er sich weniger beschissen fühlte. Er musste es erklären, musste es ihr sagen.    Er nahm einen zitternden Atemzug und zog dabei das Gewebe seiner Maske gegen seine Lippen.    Sanft schnitt Kurenai seinen Versuch ab, indem sie ihm eine Flasche mit milchigem Wasser reichte. „Chakra-Muntermacher“, erklärte sie und wies seinen zweiten Ansatz zu sprechen mit einem strengen Blick ab, während sie nach dem Erste-Hilfe-Set auf dem niedrigen Sofatisch griff. „Später, Kakashi. Ruh dich erstmal aus. Ich muss den Riss in deinem Schenkel noch fertig säubern und nähen.“ Sie rutschte ein wenig den Rand des Sofas entlang und faltete die Decke mit der Feinheit einer Masseurin zurück, um sein nacktes Bein zu entblößen und den Verband zu mustern, der sich fest um seinen Schenkel wand. „Und ich dachte eigentlich, du wärst eine Ausnahme zu der ‚Es sind immer die Ruhigen‘-Regel.“   Schwerlidrig blinzelnd packte Kakashi die Flasche mit den Fingern und setzte eine Miene auf, die sich irgendwo zwischen halb entschuldigend und halb amüsiert bewegte, während sich seine silbernen Brauen hoben, als wollte er ‚Was wer, ich?‘ sagen.    Kurenai lächelte…und es war die liebste Betäubung, die sie ihm hätte geben können.   ~❃~   Da war nichts außer dem Schmerz.   Keine kleine pinke Pille, keine Shōchū Flasche, keine funkelnden Stahl Senbons, um sie in sein Zahnfleisch zu graben, bis der Geschmack seines eigenen Blutes den Gallegeschmack fortwusch, der in seiner Kehle aufstieg.    Träumen, er musste geträumt haben…   Schreien, er musste geschrien haben…denn da war so viel Lärm in seinem Kopf und viel zu wenig Platz in seinem Verstand, um ihn eindämmen zu können. Genma steckte schon wieder in diesem Raum fest, nagelte die Bodenbretter nach unten, als sich die Falltür nach außen wölbte, eingedellt von der Faust der Vergangenheit, die aus seinem Unterbewusstsein nach oben schlug.    Verdammt, aber sie bekam schon wieder einen Griff an ihm…   Die Art von Griff, die er an sich selbst brauchte…   Sodass er aufstehen und weitermachen konnte…hier heraus kommen konnte…darüber hinweg kommen konnte…   Darüber hinweg kommen?   Er hustete ein zerbrochenes Lachen hervor; in seinem Traum, in seiner Täuschung…denn er wusste bereits, dass er zu tief unter diesem Chaos begraben war, um darüber hinweg zu kommen. Also als diesmal die Vergangenheit durch den Boden gekracht kam und ihn bei der Kehle packte, kämpfte er nicht zurück, er fiel zurück…zurück in die Erinnerung…zurück in die Schwärze…Schwärze…Schwärze…   Schwarz war ein passendes Wort für die Stimmung, in der er gerade war.    Pissig wäre ein weiteres.    Mit gewittriger Miene verharrte Genma im Schatten, stand bei einer der aufragenden Säulen, die das Dach des Kusa-Stadions trugen. Die Arena glänzte im Hitzeflimmern und zwang ihn dazu, gegen das Sonnenlicht anzublinzeln, das grell von der harten Erde reflektiert wurde. Inzwischen füllten bereits viele Leute die Arenaränge und Daimyōs bewegten sich, um ihre reservierten Plätze einzunehmen, in Erwartung auf das bevorstehende Blutvergießen.   Ich wette, dass keiner dieser Ficker weiß, wie man kämpft.   Dieser gereizte Gedanke knirschte wie seine Zähne über das Senbon. Oja. Und wie er angepisst war. Und er konnte es nichtmal auf die Tatsache schieben, dass er Yamori nicht um die Ecke gebracht hatte. Er wusste, dass er es tun würde. Bei der nächsten Gelegenheit, die er bekommen würde. Der Kopf dieses schleimigen Bastards war für Genmas Richtklotz bestimmt.   Jo. Und wo zur Hölle ist DEIN Kopf, Shiranui?   Verdammt gute Frage. Der erste Kampf war in dreißig Minuten angesetzt und sein Kopf befand sich immer noch nicht im Spiel; er befand sich noch bei dem Freakshow-Spielplatz, wo er mit diesem mysteriösen KERN Agenten verficktes Kuckuck gespielt hatte, als er versucht hatte, einen Blick auf ein Gesicht zu erhaschen, von dem er eigentlich wusste, dass er es nicht sehen und auch nicht darüber raten könnte.    Er kannte mich.   Eine Tatsache, die ebenso frustrierend für Genma war wie das instinktive Gefühl, dass er diesen Agenten ebenfalls kannte – er konnte nur nicht sagen, wie genau. Vergeblich hatte er alle seine Erinnerungen durchsucht, besonders, was KERN anging. Sicher, Danzō hatte einige KERN Typen geschickt, die damals versucht hatten, ihn zu rekrutieren, doch trotz Genmas kraftvoller Ablehnung zu dieser Zeit, war es niemals zu einem ernsthaften Schlagabtausch gekommen, was bedeutete, dass das Maskenmann jemand aus seinen ANBU Tagen sein musste.    Dieser Kerl kennt mich. Weiß, wie ich kämpfe. Er liest meine Bewegungen, als würde er meine Gedanken lesen.    Eine Errungenschaft, die nur durch Training oder Nahkämpfe erreicht werden konnte. Und selbst dann brauchte es wiederholte Kämpfe, um mit den Methoden eines Gegners vertraut zu werden und die Handlungen auf diese Weise vorauszuahnen.    Mit so viel Selbstsicherheit. So einer makellosen Gewissheit.    Genma hatte schonmal gegen diesen Kerl gekämpft, da hatte er keinerlei Zweifel. Zu blöd nur, dass er auch überhaupt keine Ahnung hatte. Er hatte während seiner ANBU Tage mit so vielen Leuten gekämpft und trainiert, dass Gesichter und Namen dazu neigten, ineinander zu verschwimmen.    Hilft auch nicht gerade, dass ich die meiste Zeit davon total zugedröhnt war…   Ja. Wenn er so auf die letzten ANBU Jahre zurückblickte, dann war es ein Wunder, dass er sich überhaupt an irgendetwas erinnern konnte. Ein Wunder, dass er überhaupt überlebt hatte. Dafür hatte er Kakashi zu danken…Kakashi und einer langen Zeit, die er in der Reha verbracht hatte.    Hn. Witzige Zeiten…   Düstere Zeiten.    Seine schwarze Stimmung wurde noch schwärzer.    Schritte machten ihn auf die sich nähernde Gestalt aufmerksam. Als er aus dem Augenwinkel in die Richtung spähte, erblickte er eine der Konoha Genin, die über die Treppen auf ihn zu kam. Ein kleingewachsenes, kräftiges Mädchen mit einer Akimichi-Aura, aber es fehlten ihr die Wirbel auf den Wangen.    Sie lief den Gang entlang und hielt ein paar kurze Schritte entfernt inne, während sie darauf wartete, dass er sich ihr zuwandte. Darauf könnte sie sehr lange warten.    Und sie musste das auch bemerkt haben, denn letztendlich kratzte sie den Mut zusammen, den Mund aufzumachen. „Sensei?“    Genmas vernichtende Miene wurde noch dunkler und Verärgerung flammte in seinen Augen auf. „Senpai“, korrigierte er sie.    Die Kleine zuckte bei seinem schroffen Tonfall zusammen, stolperte über ihre Verbesserung und ihre runden Wangen erröteten mit einem peinlich berührten Rosa. „Senpai. Uhm…tut mir leid, dass ich Sie störe…aber ich habe meine Nahrungspillen verloren und ich hab die ganze Nacht trainiert und-“   „Krasser Scheiß“, sagte Genma mit den Augen auf die Arena gerichtet und mit seinem Geist ganz woanders. „Denkst du, ein Jōnin erscheint wie aus dem Nichts, wenn du draußen auf Feldoperation bist und dann auch noch töricht genug, deine Ausrüstung zu verlieren? Träum weiter, Kleine. Und viel Glück, denn du wirst es brauchen.“   Sie zuckte zusammen, als hätte er ihr einen heftigen Tritt verpasst und schwankte einen Schritt zurück, während sie den Kopf einzog und die Arme um ihren Bauch schlang, als hätten seine Worte sie in die Magengegend getroffen. „Tut mir leid, Senpai.“   Fuck.   Was für ein moralischer Mutmacher. Die Kleine eine halbe Stunde vor ihrem Kampf psychologisch lahmzulegen. Wirklich klasse gemacht. Wirklich inspirierend. Und genau aus dem Grund war er kein Sensei. Er hatte nicht das Taktgefühl dafür. Zumindest nicht bei Kids, die noch so jung waren. Mit den Jugendlichen kam er klar. Denn gleich zu Anfang musste er bei denen nicht auf seine Wortwahl achten oder versuchen, ein Vorbild zu sein. Aber Vorteenager? Eher würde er ihnen einen Komplex verpassen als einen Zuversichtsschub. Wie er bereits vorhin zu Shikamaru gesagt hatte, war er ein glänzendes Beispiel dafür, was man nicht tun sollte; trotz seiner Errungenschaften und Auszeichnungen, die das Dorf ihm verliehen hatte, ob er nun glaubte, sie verdient zu haben, oder auch nicht.    Aber eins stand fest, dieses Mädchen hier hatte die verbale Ohrfeige nicht verdient, die er ihr gerade verpasst hatte.    Während er einen Arm hoch über seinem Kopf gegen die Säule stützte, seufzte Genma und starrte weiterhin mit verkrampften Kiefermuskeln über die Arena. Er war einige lange und qualvolle Sekunden davon entfernt, sich etwas auszudenken, das er sagen könnte, um die Stimmung der jungen Genin zu heben, als ihm eine vertraute, träge Stimme die Mühe ersparte.    „Hey, Kleine, hier.“   Genma spähte hinüber und sah zu, wie Shikamaru mit der Leichtigkeit eines geübten Magiers eine Packung Nahrungspillen hervorzog und sie in die Hände des Kindes fallen ließ. Sofort erhellte sich ihre Miene und sie wandte erstaunt ihre Augen zu ihm hoch, als sich ein dankbares Lächeln auf ihr Gesicht legte.    „Danke!“   Shikamaru zuckte nur mit den Achseln und legte seinen Kopf mit einer Lässigkeit schief, die alles sehr beiläufig erscheinen ließ. „Kein Ding. Geh und tritt ein paar Leuten in den Arsch.“   Strahlend sprang das Mädchen die Stufen hinab, die Nahrungspillen an die Brust gedrückt, als wären sie ein äußerst kostbares Erbstück. Mit einer leicht amüsierten Miene sah Shikamaru ihr nach; ein Ausdruck, der sich schlagartig zu wachsamer Regungslosigkeit verkrampfte, als ihm klar wurde, dass Genmas Blick scharf wie das Senbon, das zwischen den Lippen des Tokujō funkelte, auf ihn gerichtet war.    „Chōji hat sie mir gegeben“, sagte Shikamaru und machte einen auf dumm.    Sehr langsam hob Genma eine Braue und seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er den jungen Nara mit einem raschen Schwung musterte. Doch er bemerkte keine Verletzungen oder irgendetwas, das hätte faul sein können. Und er war nicht in der Stimmung, das zwanzig Fragen Spiel zu spielen.    „Netter Trick. Ziehst du dir auch ein Klemmbrett und einen Stift aus deinem Arsch?“, fragte Genma, seine Lippen krümmten sich in einem schwachen Grinsen. „Denn die wirst du brauchen, Proktor.“   Überraschung machte sich für eine flüchtige Sekunde auf Shikamarus Gesicht breit, bevor sie von Erleichterung ersetzt wurde, als hätte er vielleicht von Genma erwartet, seinen nackten Hintern über glühende Kohlen zu zerren – nicht, dass ihm dieser Gedanke nicht in der Sekunde in den Sinn gekommen war, als er das Tekisha Seizon menschenleer und geschlossen vorgefunden hatte und Shikamaru nirgendwo zu sehen gewesen war.    War nicht seine Schuld.   Nein. Es war Genmas. Weil er von einer Verbrecherjagd aus seiner Vergangenheit abgelenkt worden war. Er hatte den Jungen mit all diesen Würdenträgern allein im kalten Wasser gelassen, aber Shikamaru hatte sich in dieser politischen Flut über Wasser gehalten und es allein wieder zurück geschafft, ohne dass Genma einen auf Senbon-schießenden Suchtrupp machen musste.   Hn. Ehre, wem Ehre gebührt.   Er musste dem Schattenninja ein bisschen Spiel- und Freiraum lassen. Und er musste auch mit seinem eigenen, emo-brütenden Schwachsinn aufhören und seinen Kopf wieder für sich beanspruchen. Als er den Blick abwandte, streckte Genma mental eine Hand aus, um seinen Geist fort aus diesem Freakshow-Spielplatz zu zerren, auf dem er ihn zurückgelassen hatte und er zog ihn auch weg von seiner Fixierung auf diesen verdammten KERN Agenten.    Lass es verfickt nochmal einfach gut sein.   Er nahm einen gar nicht so reinigenden Atemzug aus heißer, feuchter Luft durch bebende Nasenflügel und zählte bis zwei, bevor er sie wieder nach außen fließen ließ, während seine Lider auf Halbmast fielen. „Also“, begann er und zog die Silben lang. „Wie war das politische Treffen?“   „Jo, lief gut“, erwiderte Shikamaru und klang dabei etwas abgelenkt, bevor er sich beeilte, sein charakteristisches Schlagwort hinzuzufügen. „Lästig.“   Genma entging das Zögern nicht, aber er schätzte, dass der Junge vermutlich noch immer von all dieser aggressiven Aufmerksamkeit erschüttert war und jetzt versuchte, einen auf cool zu machen. Hatte keinen Sinn, an rohen Nerven zu kratzen – auch wenn das Genmas Spezialität war.   Grunzend zuckte er mit den Achseln. „Du bist allein klargekommen?“   Shikamaru schob seine Hände in die Taschen, verharrte an der Kante der Gangreihe. „Jo. War gut.“   Gut. Schon das zweite Mal, dass er dieses Wort benutzte. Genma warf ihm einen schiefen Blick zu und suchte Shikamarus scharfes, schmales Gesicht nach irgendeinem Zeichen des Unbehagens ab. Der Junge schien ein wenig zurückhaltend zu sein, wich Genmas Blick aus und hielt seinen Körper in einer Vierteldrehung, als wollte er verschwinden, aber auch gleichzeitig nicht zu vermeidend erscheinen. Sofort neigte er sich in eine lümmelnde Haltung, um diesen Ausrutscher zu kaschieren.    Hn. Netter Versuch, aber du bist noch viel zu grün hinter den Ohren, um deine Tics verbergen zu können, Kleiner.    Summend lehnte Genma seinen Kopf gegen die Säule und bedachte Shikamaru mit einem Blick aus den Augenwinkeln. „Gibt es da irgendwen, mit dem ich vielleicht mal eine Unterhaltung führen muss?“   „Nein.“   „Irgendwer, mit dem ich eine non-verbale Unterhaltung führen muss?“   Ein leichtes Schmunzeln und Shikamaru rollte in klassischer Teenager-Belästigung mit den Augen. „Nein, Senpai. Ist alles cool.“   Genmas Blick zuckte leicht, aber er beließ es dabei. Er würde später darauf zurückkommen. Sie hatten nur noch fünfzehn Minuten, bis die Spiele begannen und er war sich ziemlich sicher, dass Shikamaru nicht ein Klemmbrett und einen Stift aus seinem Arsch ziehen würde.    „Geh und hol deinen Scheiß“, sagte Genma sanft, als er seinen Blick wieder der Arena zuwandte. „Wir reden später.“   Shikamaru setzte sich in Bewegung, nur um sich auf halbem Weg die Treppen hinunter wieder umzudrehen und eine Grimasse zu schneiden. „Ah, ja. Was das angeht. Ich wurde für heute Abend eingeladen, mit einem dieser Würdenträger Shogi zu spielen? Soll ich hingehen?“   Sofort hob Genma eine mentale Braue; sowohl über den offensichtlichen Mangel an Vermeidung, den diese Frage beinhaltete, als auch über den Mangel an Genervtheit auf dem Gesicht des jungen Nara. Seine eigene Miene hingegen blieb unverändert. „Willst du hingehen?“   Schon wieder diese leichte Vierteldrehung, als wollte er diese Frage umgehen. Doch diesmal fing sich Shikamaru schneller und verlagerte sein Gewicht, als sein Körper von Seite zu Seite schwang, als würde er das abwägen.    Ein gutes Schauspiel, aber nicht gut genug.    „Ich hasse Politik“, sagte Shikamaru letztendlich mit einer falschen Nachahmung seiner üblichen Widerwilligkeit. „Aber ich hab nichts gegen Shogi.“   „Shogi, huh?“   Dachte ich mir.   Aber das erklärte nicht die Unruhe, die in Genmas Magengegend aufflammte. Er schürzte die Lippen und zweifelte das erste Mal seit langer Zeit an sich. Shit. Er war wirklich aus seinem Spiel. Dieses morgendliche Zusammentreffen mit dem Kerl von KERN hatte ihn aus Gründen aus der Bahn geworfen, die er noch nicht zu fassen bekam. War er übermäßig analytisch, was Shikamaru anging, um sein Scheitern wieder gut zu machen, sein eigenes Problem festzustellen?    Scheiß drauf.   Da er sich nicht jetzt darum kümmern wollte, täuschte er Desinteresse vor und hob eine Schulter. „Wir werden nach den heutigen Wettkämpfen sprechen. Kusa hat ein paar Ninja Nebenoperationen ausgeschrieben, die fette Ryō-Belohnungen zu bieten haben. Würde nicht wollen, dass dein geniales Hirn wegen Shogi ausgelaugt wird.“   Mit einem Ächzen sackte Shikamaru ein wenig in sich zusammen. „Ugh. Niemand hat irgendwas von Missionen gesagt.“   Und da war es. Diese Markenzeichen-Widerwilligkeit war wieder in vollem Gange. Mit einer Handbewegung winkte Genma ab. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, Kleiner. Wenn du heute hart arbeitest, dann denke ich über das Shogispiel heute Abend nach. Und jetzt schwirr ab. Die Spiele fangen gleich an.“     Die Spiele, in all ihrem gladiatorischen Glanz und Gloria, waren so brutal wie immer.    In dieser Art Hitze, dieser Art Feuchtigkeit, mussten die Genin Kids nicht einfach nur ihre Gegner bekämpfen, sondern auch die unsichtbaren Feinde Dehydration und Sonnenstich. Viele brachen unter den Schlägen der Sonne ebenso oft zusammen wie unter den Treffern ihrer Konkurrenten.    Blut und Schweiß flossen einfach weiter.    Aus den Schatten des Stadions heraus beobachtete Genma, wie sich das alles entfaltete, losgelöst von dem Geschehen, sein Blick auf die Menge gerichtet, als seine Augen alles mit dem langsamen, beständigen Schwung eines Laserstrahls studierten. Die ganze Zeit, seit der Invasion von Konoha während der Chūninprüfungen vor ein paar Jahren, hatte seine übertriebene Wachsamkeit bei solchen Ereignissen eine geradezu mikroskopische Qualität angenommen und brachte einzelne Trauben der Menge eine Reihe nach der anderen in kritischen Fokus.    Suchend nach etwas – irgendetwas – das vielleicht als Bedrohung klassifiziert werden könnte.    Etwas, oder jemand, um seine Instinkte zu alarmieren.   Und es passierte zehn Minuten, nachdem die nächste Runde begonnen hatte. Genma scannte sechs Reihen weit unten und bereits zehn Plätze auf der gegenüberliegenden Seite des Stadions entlang, als diese rote Flagge mit genug Wucht in seinem Verstand hochgezogen wurde, um ihn physisch zusammenzucken zu lassen.    Dort, in einem Gang zwischen zwei Sitzreihen stehend…   Der KERN Agent.    Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, doch den Kopf erhoben, gerade genug, um die funkelnde, scharflachrot lackierte Maske zu zeigen, die dämonischen Konturen in einer furchteinflößenden Grimasse feixend.    Einfach alles in Genma wurde schlagartig regungslos und scharf, sein Körper richtete sich auf.    Was verfickt nochmal machte dieser Kerl hier? Sich in direktem Sichtfeld versteckend und zu Genma stierend, als wollte er bemerkt werden. Scheiße, dieser Bastard besaß sogar die Frechheit, ihm zuzunicken, bevor er sich halb umdrehte und mit dem Kinn ruckte, als wollte er sagen ‚Hast du eine Minute?‘.    Beinahe hätte Genma ungläubig aufgelacht.   Trotzdem überwog seine Neugierde seine Vorsicht. Nicht, dass er allzu besorgt wegen irgendwelcher böswilligen Absichten war, immerhin spielten sie für dasselbe Team, nur in verschiedenen Sprachen. Kein Grund, irgendwelche kleinlichen Rechnungen zu begleichen.    Trotzdem, dieser Kerl hat mich Yamori gekostet.   Deutete die plötzliche und unerwartete Anwesenheit des KERN Mannes darauf hin, dass irgendetwas mit dieser Freakshow im Gange war? Es gab nur einen Weg, das rauszufinden. Während er sein Senbon von einem Mundwinkel zum anderen zucken ließ, löste sich Genma von seinem Platz und sprach leise mit einem anderen Jōnin, bevor er die Chūnin-Proktoren dessen Aufsicht überließ. Nur Shikamaru sah von den Notizen auf, die er sich machte, als Genma das Schiff verließ, seine dunklen Augen abgeschirmt und eine feine Braue fragend erhoben.    Genma schritt einfach an ihm vorbei, bedacht darauf, nicht langsamer zu werden und ebenso bedacht darauf, nicht zu sehr an Tempo zuzulegen.    Das Beste war, einfach bei seiner gewohnten Geschwindigkeit zu bleiben.    Aus dem Augenwinkel sah er, wie der KERN Mann seine Bewegungen spiegelte und sich ebenfalls seinen Weg zum Ausgang bahnte.    Ein triumphierendes Brüllen erhob sich in der Arena und die Zuschauer schossen auf die Füße.   Genma verlor den KERN Mann aus den Augen.    Shit. Shit. Shit.   Während er sich den Gang entlang bewegte, nahm er zwei Stufen auf einmal, lief eine der hinteren Reihen entlang und einen Ausgang hinunter, der ihn aus dem Stadion und auf die Straßen führte.    Verlier ihn nicht.   Leicht gesagt. Ganze Scharen aus Dorfbewohnern strömten über die Hauptstraße und ein unaufhörliches Summen von Gesprächen und Aktivitäten war zu hören und viele füllten ihre Taschen, wo Händler ihre Waren feilboten und das Essen von Marktständen brutzelte und zischte, duftend nach dem zuckrigen Sojageruch von Teriyaki und dem gerösteten Aroma von Sesam und Holzkohlefeuern.    Aufmerksam suchte Genma mit straffen Waden die Menge ab, als er sich auf die Zehenspitzen stellte.    Hab ich dich.   Dort, an einem der Stände lehnend. Der KERN Agent begegnete seinem Blick und lief dann mit langen, schnellen Schritten durch die Menge, was Genma dazu zwang, an Geschwindigkeit zuzulegen, um mithalten zu können. Auf halbem Weg durch eine Straße, die von exotischen Kusa-Blumen gesäumt war, wandte sich der KERN Mann scharf ab, bog nach links und verschwand in einer engen Seitengasse.    Tz. Schon wieder in so einer Gasse?   Augenrollend trabte Genma die letzten paar Schritte und warf einen raschen Blick zurück zur Arena, bevor er sich in die Schatten duckte und dem anderen folgte. Die Gasse führte hinaus in einen kleinen Hinterhof, der von den umgebenden Gebäuden eingekesselt war. Ein Netzwerk aus Dunkelheit und fleckigem Licht besprenkelte die zerklüftete Erde mit einem Mosaik aus Licht und Schatten, das von unzähligen Wäscheleinen geworfen wurde, die zwischen den überhängenden Balkonen gespannt waren wie bunte Festbänder. Der KERN Mann stand abseits und hielt sich dabei in den Schatten.    Wachsam positionierte sich Genma nah beim Ausgang und hielt sowohl seine Augen, als auch sein Senbon auf den anderen Mann gerichtet, während sich seine Lippen ironisch bogen. „Wie ich sehe, hast du dich wieder für mich hübsch gemacht.“   Nicht einmal ein Schnauben. „Der Nara Chūnin“, sagte KERN Mann sofort mit einer Stimme, die wieder zu dieser flachen, kaum intonierten Tonlage anstieg. Es war derselbe Trick, den er schon vormittags genutzt hatte, um sein eigentliches Timbre zu verbergen und seinen natürlichen Tonfall zu verzerren. „Halte ihn von den Kusa Würdenträgern fern. Von allen Würdenträgern! Lass ihn nicht aus den Augen!“   Das ließ Genma schlagartig ernüchtern und der Humor verschwand ebenso schnell von seinem Gesicht wie aus seiner Stimme. Er trat einen Schritt nach vorn. „Wieso? Befindet er sich in einer Gefahr, von der ich wissen sollte?“   „Halte ihn fern und behalte ihn in deiner Nähe.“   Ominöse Worte, die von der Miene auf dieser Maske nur noch obskurer wurden. Genmas Augen verengten sich zu Schlitzen, doch er nickte. „Ist notiert. Und jetzt beantworte meine Frage.“   „Ich antworte, wie ich muss. Ich habe dir alles gesagt, was du wissen musst.“   „Du hast mir einen Scheiß erzählt“, knurrte Genma und trat einen weiteren aggressiven Schritt nach vorn. „Wenn der Junge in irgendeiner Art von Gefahr schwebt, dann muss ich sowohl Level als auch Natur der Bedrohung kennen.“   „Die Tatsache, dass ich meine Tarnung riskiere, um hierher zu kommen und mit dir zu sprechen, sollte dir einen guten Eindruck vom Level der Bedrohung vermitteln. Was die Natur angeht…es steht mir nicht frei, das mit dir zu diskutieren.“   „Steht es dir denn frei, dir ohne Danzōs Erlaubnis den Arsch abzuwischen? Weil dieses ganze ‚Mauer aus Schweigen‘-Ding zwischen ANBU und KERN ist einfach nur Bullshit.“   „Du bist nicht länger ANBU.“   Genma setzte eine kaltes Lächeln auf. „Nein. Aber ich bin Goei Shōtai. Und das verleiht mir ein paar Extrazentimeter an Penis, wenn du wirklich schon wieder einen Schwanzvergleich machen willst.“   Das maskierte Gesicht zuckte ein Stück zurück. „Goei Shōtai?“   Da war ein plötzlicher Ruck in dieser flachen, neutralen Stimme; eine Veränderung, die scharf genug war, um Genma innehalten zu lassen. Seine Instinkte schlugen aus wie ein Seismograph und erkannten etwas in dieser unerwarteten Störung in der Stimme des Kerls wieder.    Ich kenne dich…woher zur Hölle kenne ich dich?   Irritiert schüttelte Genma den Kopf und versuchte, die Ablenkung abzuschütteln, die sich festzusetzen begann. Sein Puls schlug ein wenig außerhalb seines üblichen Rhythmus. Eigentlich hätte er die Oberhand erlangen sollen, indem er diese Rangkarte ausspielte…aber es ließ ihn nur seltsam bloßgelegt zurück. Er hatte deutlich mehr über sich preisgegeben, als er im Gegenzug erfahren hatte.    Dummer Zug.   Er machte niemals dumme Züge in Situationen, in denen er die Oberhand hatte.    Dieser Kerl hielt ihn wirklich zum Narren.    Und dennoch sagte der KERN Mann überhaupt nichts, sondern starrte ihn einfach nur weiterhin durch diese dunklen, unergründlichen Löcher in der Maske an. Es erschütterte Genma quasi zu Tode, zu wissen, dass da irgendetwas war, das ihm entging, irgendein Faden, der in ihm kitzelte, ein Faden, der diesen Mann an eine Zeit und einen Ort in der Vergangenheit band.    Lass dich nicht ablenken.   Jo. Bisschen spät dafür.    Er entschied sich, den Joker auszuspielen. „Wer ist der Souverän?“   Eine lange, angespannte Stille. „Woher kennst du diesen Namen?“   Mit einem schiefen Feixen legte Genma den Kopf schief. „Eine Antwort für eine Antwort, mein Freund.“   „Ich bin nicht hierher gekommen, um dir Antworten zu geben.“   Sag bloß. Wenn dem so wäre, dann hätte Genma vielleicht gefragt, wie zur Hölle es sein konnte, dass dieser Kerl ihn kannte. Seufzend sah er für einen Moment zur Seite weg und breitete mit einem Achselzucken die Arme aus. „Warum überhaupt persönlich mit mir sprechen? Du hättest deine Tarnung nicht riskieren müssen, um diese Nachricht über den Nara Jungen zu übermitteln.“   Und schon wieder, keine Antwort. Aber Genma vermutete, dass dieser Mangel an Erwiderung nichts mit KERN-Vermeidungstaktik zu tun hatte. Instinkt sagte ihm, dass es viel wahrscheinlicher war – aus welchem Grund auch immer – dass dieser Kerl ihm einen Gefallen getan hatte und jetzt daran zweifelte, ob seine Handlungen wirklich so klug gewesen waren; das Protokoll zu brechen, seine Tarnung zu riskieren, einen Dialog mit einem Ex-ANBU entstehen zu lassen.    Gefährlich für seine Mission, wie auch immer die aussieht.   Sie kamen beide zur selben Zeit zu diesem Schluss und wichen beide einen Schritt zurück, auch wenn sich Genma ein bisschen zögerlicher bewegte, da die eine Hälfte von ihm dieses besondere Rendezvous in die Länge ziehen wollte, während die andere Hälfte zurück zum Stadion und vor allem zurück zu Shikamaru wollte.    „Behalte ihn in deiner Nähe“, sagte der KERN Mann noch einmal. „Und erwähne nicht noch einmal den Souverän. Gegenüber niemandem. Es wird die falsche Art von Aufmerksamkeit erregen.“   „Von wem?“   „Zu viele Fragen werden dich ins Grab bringen.“   „Ich mag es, gefährlich zu leben.“   „Habe ich bemerkt. Und vielleicht bin ich das nächste Mal nicht da.“   „Autsch. Da bin ich wohl direkt reingerannt“, scherzte Genma und brachte ein Schmunzeln zustande. „Das ist unser zweites Date, Agent. Wirst du mir deinen Decknamen geben, oder wirst du mich dafür buckeln lassen?“   Ein leises Schnauben, akustisch und hohl hinter der Maske. Aber Genma bemerkte die Belustigung in dem Geräusch…in dem langsamen Kopfschütteln. Und dann bemerkte er noch etwas anderes…ein plötzliches Versteifen der Haltung, das er direkt als das Aufrichten einer Wand erkannte und als das Drehen eines Zahnrades.    Wände innerhalb von Wänden…   Genma hatte nicht vergessen, was es kostete, diese Wände, diese Zahnräder aufrecht zu erhalten. Er wunderte sich darüber, als er beobachtete, wie der KERN Mann einen weiteren Schritt zurückwich, mehr Abstand zwischen sie brachte, bevor er sich auf dem Absatz umwandte.    Kein Abschiedswort, kein Blick zurück.    Machte Sinn.   Und trotzdem…   Genma holte Luft, als wollte er etwas sagen, bevor er krampfhaft die Kiefer schloss und hart auf den scharfen Stahl zwischen seinen Lippen und alle Worte biss, die er vielleicht gesagt, vielleicht gespien hätte.    Es gibt keine Worte, nur Taten.   Und jetzt im Moment, bestand sein unmittelbarer Handlungsplan darin, schnell zurück zur Arena zu gehen und ein scharfes Auge auf Shikamaru zu haben. Als er seine Hände in die Taschen seiner Hose steckte, drehte er sich halb, um den Ort zu verlassen, musste aber feststellen, dass sein Blick zurück über seine Schulter gezerrt wurde…zurück zu dem KERN Agenten, der in der gegenüberliegenden Gasse verschwand.    Rasch war die maskierte Gestalt fort, geschluckt von den Schatten.    Ein paar Sekunden verstrichen…   Dann noch ein paar mehr.   Genma stierte weiter, sein Puls ein heftiger Schlag in seiner Kehle.    Schlagend, schlagend, wie die Sonne gegen die Backsteine…   Brennend, brennend, wie die Sicherung in seinem Kopf…   Brannte zu grell…zu heiß…und viel zu kurz davor, in die Luft zu gehen…eine Erinnerung, die vor der Detonation stand…   Dann plötzliche Kälte und plötzliche Dunkelheit.    Dunkelheit überall um ihn herum, gefolgt von der leichtesten Empfindung eines Fensters der Vernunft, das sich in seinem Verstand öffnete...etwas oder jemand starrte durch das gesprungene Glas herein…rief seinen Namen…rief…rief…   „Genma. Genma.“   Nicht Inoichi. Nicht Kakashi.    Eine weichere Stimme. Die Stimme einer Frau.    Kurenais Stimme.    Unmöglich…verrückt…   Spielte keine Rolle. Er musste das Fenster schließen, bevor sie zu viel sahen, zu tief blickten. Angestrengt kämpfte er darum, seine Sinne zusammenzukratzen, versuchte, einen mentalen Stand zu finden. In der Sekunde, als er sich auf die Füße rappelte, neigte sich der Raum und seine Gedanken rutschten über den Boden wie umgeworfene Möbel; zerbrochen und in Teilen.    Und die ganze Zeit über rief diese Stimme…   „Genma. Genma.“   ~❃~   Kiba besah sich den Tagesanbruch. Eine heiß-rosane Morgendämmerung, die einen feinen Riss nach dem anderen durch die Dunkelheit brach. Während er sich zurück gegen Akamaru lehnte, musterte der Hundeninja die Veränderung in Schattierungen und Licht durch müde, abgeschirmte Augen und war sich ziemlich sicher, dass es da ein altes Bauernsprichwort über Morgenröte als Vorzeichen von Pech gab.    Klasse.   Es ging doch nichts über ein schlechtes Omen, um in die nächste Phase der Mission zu starten; nicht, dass er an diese Art von Mist glaubte. Aber er brauchte irgendetwas anderes, über das er nachgrübeln konnte; nicht nur diese blonde Höllenkatze, die einfach nicht aus seinem Kopf verschwinden wollte.    „Hund und Katz“, grummelte er mit tiefer und kratziger Stimme.    Langsam hob Akamaru den Kopf und drehte ihn, um mit leicht wedelnder Rute seine Nase gegen die tätowierte Wange des Inuzukas zu stupsen. Kiba neigte den Kiefer und hob eine Hand, um den dichten weißen Pelz am Hals seines Ninken zu kraulen. Er fühlte sich gleichzeitig rastlos und hundemüde, ausgewrungen von Hormonen und hängen gelassen.    Seine Träume waren stürmisch heiß gewesen.    Nur Sex und Schweiß und fiebrige Haut…der Klang seines Namens in Keuchen für Keuchen auf Inos Lippen zersplitternd. Er konnte sie immer noch schmecken, konnte sie immer noch riechen. Erregung hatte ihn in den Schlaf verfolgt und auch wieder hinaus, war durch sein gesamtes Netzwerk geschlichen. Dreimal war er aufgestanden, nur um zu duschen. Sogar jetzt; nur an sie zu denken brachte sein Blut dazu, schwer und pochend in die falsche Richtung zu pumpen.    „Gah!“, knurrte er, setzte sich abrupt auf und erschreckte damit Akamaru. Er ignorierte das weite, nasse Starren des Hundes und ließ seine Unterarme über seine Knie hängen, während er über die rosa verfärbten Gärten blinzelte, als könnte er sich vielleicht auf irgendetwas anderes konzentrieren.    Sein Blick prallte von Bäumen ab, von Büschen und Blumen.    Blumen…   Blumengeruch schwebte auf der Brise…und kombiniert mit dem visuellen Effekt sorgte das nur dafür, dass sein Hirn direkt wieder zu Hyazinthen und Lilien zurückkehrte. Inos Geruch, potent und katalogisiert und ihn in den Wahnsinn treibend.    Sein Magen knurrte, bevor er es tat.    Essen.   Nette Ablenkung. Er würde auch noch eine Chakrapille einschmeißen, wenn er schon dabei war. Er wollte schließlich nicht, dass Hyūga eine Ader platzte, weil er nicht auf optimalem Level operierte, obwohl Inos Heilung wirklich einen guten Job mit seiner Schulter gemacht hatte. Die Entzündung hatte nachgelassen und er konnte sich drehen, ohne das es ihn irgendwie störte. Vermutlich hätte er ihr dafür danken sollen. Hatte es letzte Nacht auch vorgehabt. Hatte all die Wege geplant, wie er das bewerkstelligen würde. Keine davon hatte Reden involviert.    Super, da bin ich schon wieder und hab ein verdammtes Zelt in meiner Hose.    Hoffentlich könnte er während der Mission etwas Dampf ablassen. Würde so damit vereinnahmt sein, Ärsche aufzureißen, dass er gar nicht mehr die Energie haben würde, um spitz zu sein.    Wem mach ich eigentlich was vor? Ich bin immer spitz.    Mist. Wahrscheinlich würde er vermeiden müssen, in ihrer Anwesenheit in die Biestform zu wechseln. Denn er neigte dazu, jeden Sinn für Perspektive und persönlichen Raum zu verlieren, wenn er wild war und ein Weibchen in Hitze stand. Und verdammt, sie war letzte Nacht heiß auf ihn gewesen, auch wenn sie es nicht gesagt hatte.    Er spürte schon wieder, wie er hart wurde.    Fuuuuuck.   Ächzend rieb sich Kiba mit einer Hand über das Gesicht und dann durch seine struppigen braunen Strähnen, bevor er sich so fest auf die tätowierten Wangen klatschte, dass es stach und animalisch mit dem Kopf schüttelte, als könnte er so endlich den Staub seiner schmutzigen Träume loswerden.    Akamaru beobachtete ihn mit einer komischen Miene, den Kopf auf die Seite gelegt. Leicht schniefend warf Kiba seinem Hund ein zu strahlendes Grinsen zu. „Ich hab das total im Griff, Akamaru.“   Hundebrauen zuckten, als Akamaru ihn mit dem Blick bedachte, der von diesem Grummeln eines alten Mannes begleitet wurde. Lachend rappelte sich Kiba auf die Füße und dehnte sich lang und ausgiebig, während er mit einem Gähnen seinen nackten, flachen Bauch kratzte.    Zeit, endlich was zu essen.    Rasch schlüpfte Kiba in sein Netzhemd und machte sich mit Akamaru im Schlepptau auf zur Jagd. Er schnupperte in den großen Tatami-Gemeinschaftsraum, wo der Geruch von Misosuppe, gebratenem Fisch und gedämpftem Reis in seine Nase stieg und ihn über die Schwelle zog. Doch er hatte kaum zwei Schritte in den Raum gemacht, bevor ihm Shino auch schon eine Akte gegen die Brust klatschte.    „Lies das.“   „Was verfickt nochmal ist das?“, knurrte Kiba und warf einen Blick über Shinos Schulter hinweg zu dem seltsamen Rascheln in dem Zimmer.    Naruto, Sakura und Tenten saßen mit ähnlichen, offenen Ordnern im Schoß um den Tisch herum, während sie gleichzeitig lasen und aßen. Alle schweigend, alle fokussiert. Kein Zeichen von Sai, Ino-Shika-Cho oder Neji. Komisch.    „Es ist ein Update der Missionsbeschreibung“, erklärte Shino und zog die Aufmerksamkeit damit zurück auf die Akte. „Shikamaru und Sai bleiben zurück.“   Kibas Augen zuckten schlagartig nach oben. „Wieso das?“   Ohne zu antworten tippte Shino einfach nur auf die Akte. „Lies es.“   Stirnrunzelnd spähte Kiba flüchtig zu den anderen. Niemand sah auf. Niemand sagte etwas. Ziemlich zahme Reaktion. Das drängte ihm die Frage auf, wie sich Ino wohl verhalten hatte, wenn sie es denn bereits wusste. Er schnupperte in die Luft, fing aber keinen Geruch von ihr auf.    Ist wahrscheinlich bei Shikamaru und Chōji.    Grunzend öffnete er den schmalen Ordner mit einer Hand, während er zu dem Tisch hinüber trottete, durch die Seiten blätterte und das Dokument querlas, bis sein Blick auf die Details der Teamaufstellung traf.    TEAM A: Shino, Naruto, Sakura, Chōji TEAM B: Neji, Tenten, Kiba, Ino   Er erstarrte und seine Muskeln versteiften sich so hart, dass sie verkrampften.    Neben ihm blieb Shino stehen und drehte mit aufblitzenden Linsen den Kopf. „Was ist los?“   Das löste das Schweigen. Tenten sah auf und zog fragend die Brauen zusammen. „Kiba?“   Mit weiten Augen und bebenden Nasenflügeln stopfte Kiba die Akte unter seinen Arm und wirbelte auf dem Absatz herum, um aus dem Raum zu marschieren. Akamaru trottete hinter ihm her und schlängelte sich um Shino herum, als sich der Käfer-Ninja in Bewegung setzte, um sich in den Türrahmen zu stellen und hinter ihm her zu rufen: „Kiba! Wo gehst du hin?“   „Pissen.“       Kapitel 43: Next stage of the game ---------------------------------- Der Raum war still.    Eine schwere Stille.    Neji stand am Kopf des langen Konferenztisches, lehnte sich auf seinen Handflächen nach vorn, während sein Blick ruhig zwischen Ino und Chōji hin und her wanderte. Sie starrten ihn an, Zweifel und Besorgnis tief in ihre Gesichter gestanzt, auch wenn Inos Miene drohte, in etwas Düstereres abzurutschen.    „Warum Sai?“, fragte sie. „Warum nicht ich oder Chōji?“    Neji hob eine Braue. „Weil ich es so entschieden habe.“   Definitiv nicht die Antwort, die sie gewollt hatte, aber es brachte die ganze Situation zurück auf den Boden aus Kontext und Notwendigkeit: Die Mission. Die einzige Sache, die im Moment von Bedeutung war. Neji hatte den Rang und er hatte das Recht. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Und dennoch…wahrscheinlich hätte er damit rechnen müssen, dass Ino und Chōji das anders sehen würden.    „Ich will mit ihm reden“, sagte Ino, als sie sich erhob und eine wortwörtliche Stellung einnahm.    Neji öffnete die Lippen, um etwas zu erwidern, aber dann stand auch Chōji mit angespanntem Gesichtsausdruck auf. Neji brauchte kein einziges Wort von ihm, um seine Intentionen lesen zu können. Der Akimichi starrte ihn nur unerschütterlich an und verdeutlichte seinen Standpunkt mit Schweigen.   Schweigen…   Es hielt sich felsenfest und beständig zwischen den dreien wie eine Wand der Konfrontation und Sturheit, die sich mit jeder weiteren Sekunde aufbaute. Langsam drückte sich Neji von seinen Handflächen ab und richtete sich Stück für Stück zu seiner vollen Größe auf, während seine weißen Augen zu ANBU Regungslosigkeit gefroren, als er sich vollkommen darauf vorbereitete, jede Befehlsverweigerung sofort im Keim zu ersticken.    Kopfschüttelnd versteifte sich Ino angesichts dieses eiskalten Blickes. „Warum tust du das, Neji?“   „Weil ich ihn darum gebeten habe.“ Shikamarus Stimme drehte sämtliche Köpfe.    Der Schattenninja lehnte mit der Schulter am Türpfosten und seine plötzliche Anwesenheit war ebenso unerwartet wie seine Worte. Bedacht hielt Neji seine Zunge im Zaum und überließ dem Schattenninja die sprichwörtliche Bühne. Sie war bereits rutschig genug unter ihren Füßen, ohne die Gefahr einzugehen, dass sich ihre Geschichten widersprachen. Es war immer besser, die Neuigkeiten direkt aus erster Hand zu erfahren.    Erstaunt wandte sich Ino um und blinzelte Shikamaru an. „Wieso?“   Shikamarus Blick hielt sich für einen langen, ungerührten Moment feste auf ihr, bevor er zu Chōji sah. „Ihr wisst beide ganz genau, wieso. Mein Chakra ist instabil. Ich bin eine Belastung im Feld. Und ich werden keinen von euch beiden – oder sonst irgendjemanden – in Gefahr bringen.“   „Warum hast du uns das nicht selbst gesagt?“, fragte Chōji und klang dabei leise, voller Zweifel…und noch hunderte andere Dinge, die nur Shikamaru bemerken und lesen konnte.    „Ich sage es euch jetzt, Chōji“, erwiderte Shikamaru schulterzuckend, als er in den Raum trat und sich mit den Händen in den Taschen an Nejis Seite stellte. „Also lasst Neji in Ruhe. Das war meine Entscheidung. Außerdem werde ich zusammen mit Sai weiterhin vom Hauptquartier aus operieren.“   Ino holte tief Luft, doch Chōji berührte leicht ihren Ellbogen, während er marginal den Kopf schüttelte. Solch kleine Gesten und doch solch eine signifikante Kommunikation. Eine einzige Berührung, ein einziger Blick – wie der, den Chōji Shikamaru zuwarf, als sich seine Augen zu einem seltsamen Ausdruck zusammenzogen.    Mit zuckendem Kiefermuskel begegnete Shikamaru ungerührt seinem Blick.    Aufmerksam spähte Neji zwischen den dreien hin und her und wusste, dass was auch immer gesagt werden musste, nicht in seiner Anwesenheit ausgesprochen werden würde. Und wenn man es so betrachtete, dann wusste er, dass Shikamaru ihn benutzte. War aber nur fair. Er hatte kein Problem damit, in diesem Fall menschlichen Schild zu spielen.    Wenn du dadurch sicher bist.   Und dann explodierte Kiba in den Raum.    „Was soll dieser Bullshit?“, wollte der Hundeninja lauthals wissen und pfefferte dabei die Missionsakte mit genug Kraft über die ganze Länge des Tisches, dass sie über die glatte Oberfläche schlitterte.    Nejis Hand klatschte nach unten, um die Mappe festzunageln. Weiße Augen flammten eisig auf. „Nicht jetzt, Kiba“, biss er zwischen den Zähnen hervor, obwohl man dieses Eindringen auch als Gottesgeschenk ansehen konnte, wenn man die Reaktion bedachte, die es auslöste.    Inos Aufmerksamkeit wurde umgelenkt und sie spannte sich ruckartig an, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. „Was willst du hier?“   Als hätte man ihn geschubst, stoppte der Inuzuka abrupt angesichts ihres befehlshaberischen Tonfalls. Eine seltsame Wandlung überkam ihn und schlagartig verlor er jedes Momentum. Es war schon beinahe komisch mitanzusehen, wie er schwankte, wo er doch noch eine Sekunde davor voller Dampf gewesen war. „Dasselbe wie du, schätz ich mal“, knurrte der Hundeninja, aber es lag mehr Zögern als Hitzigkeit in seiner Stimme.   Neji konnte über dieses sonderbare Verhalten nur eine Braue heben, sah aber seine Gelegenheit. „Ich nehme an, du hast die Missionsrevision gelesen?“   Ruckartig verlor Kiba sein Zögern und sah zurück zu Neji, wobei er versuchte, da weiterzumachen, wo er aufgehört hatte. „Jo. Hab ich gelesen. Und ich werde sicher kein Freudentänzchen für das neue Team aufführen, Hyūga.“ Mit einem Finger stach er in Inos Richtung. „Du hast mich mit der zusammen in ein Team gesteckt statt mit Shino.“   Inos Augen wurden kreisrund und ihr Kopf zuckte zurück. „Was?“   Shikamarus Braue wanderte nach oben. „Ich dachte, du hast die Revision gelesen, Ino.“   Sie breitete weit die Arme aus und gestikulierte wie vom Donner gerührt und zwei Rottöne wärmer, als noch vor zwei Sekunden, irgendwie vage mit den Händen. „Das habe ich. Naja…also ich war dabei…ich bin bis zu dem Teil gekommen, in dem stand, dass du mit Sai vom Hauptquartier aus arbeitest.“ Kopfschüttelnd stemmte sie die Fäuste in die Hüften. „Ist schlimm genug, dass du nicht mehr im Ino-Shik-Cho Team bist. Wieso zur Hölle habt ihr mich mit Kiba zusammengesteckt und nicht mit Chōji?“   In einem stummen Flehen um Geduld presste Neji die Lider aufeinander. Auch wenn diese absolut lächerlichen – wenn nicht sogar ungehorsamen – Fragen denen in Bezug auf Shikamaru vorzuziehen waren, benahmen sie sich bis aufs Äußerste unreif und irritierend. Es stand doch alles in dem Dokument.    Doch statt dass er jedes einzelne Wort wieder hochwürgen musste, kam Shikamaru zu seiner Rettung. „Würdet ihr beiden endlich dieses bescheuerte Kindergartenbenehmen sein lassen? Nur Tenten und Chōji haben die verstärkten Rüstungen als Schutz gegen das Chimärengift. Tenten geht mit Team B, also geht Chōji mit Team A.“   „Lest den Bericht“, wiederholte Neji und machte sich nicht einmal die Mühe, die Verärgerung aus seiner Stimme zu verbannen. „Wir haben diese Teams aus einem Grund so aufgestellt.“   „Und jetzt hört auf, zu maulen und euch wie Kleinkinder aufzuführen“, fügte Shikamaru hinzu, sein Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. „Was zur Hölle ist das überhaupt zurzeit mit euch beiden?“   Eine kurze Regungslosigkeit, bevor Ino und Kiba zur gleichen Zeit verärgert und ausweichend die Arme verschränkten, während sie überall hinsahen, nur nicht zum jeweils anderen. „Nix“, sagten sie wie aus einem Mund.    Kami, seufzte Neji mental und wollte nicht einmal ansatzweise darüber nachdenken, auf welche Weise auch immer die beiden miteinander involviert waren. Er würde das für Erste einfach auf sich beruhen lassen, da sie es zumindest erfolgreich geschafft hatten, die Aufmerksamkeit von Shikamaru abzulenken.    Sehr gut.   Jetzt wäre der beste Moment, dieses Treffen zu beenden.    „Ich seid alle entlassen“, sagte Neji schroff und warf einen letzten flachen Blick zu Kiba und Ino, bevor er die Akte mit einem scharfen Schnappen des Handgelenkes über den Tisch in ihre Richtung schubste. „Wir haben nur noch eine Stunde, um uns auf diese Mission vorzubereiten. Ich schlage vor, dass ihr beide die Akte von vorne bis hinten lest und bei der Gelegenheit auch gleich mal über eure Attitüde nachdenkt. Ich werde diese Unterhaltung kein zweites Mal dulden.“   Schweigen hing kalt und eisig wie ein Stalaktit am Ende dieser Worte.    Kiba mahlte mit den Zähnen, die Hände in die Hüften gestemmt, als er Neji unter seiner gerunzelten Stirn heraus beäugte; nur ein paar Kläffer von einem Beißen entfernt.    Und Neji pinnte ihn daraufhin mit einem Blick fest, der auf eine frühere Vereinbarung hinwies, ein früheres Verständnis, als diese weißen Augen flüchtig zu Shikamaru zuckten.    Das schien zu klappen.    Die Aggression wich aus Kibas Augen und er zog das Kinn zurück, als sein Blick kurz Nejis folgte, bevor er ein widerwilliges Schnauben ausstieß und die Hände in falscher Resignation hob, während er sich auf dem Absatz umdrehte, um den Raum zu verlassen.    Mit angespannter und verschlossener Miene sah Ino ihm nach. Für eine Sekunde musterte Neji sie und wartete auf eine Reaktion, die niemals kam. Wo auch immer sie in ihrem Verstand hingewandert war, es war einen großen Schritt von dem zornigen Gebiet entfernt, auf dem sie sich noch wenige Augenblicke zuvor befunden hatte.    „Ino“, rief Chōji leise, als er sie am Ellbogen berührte.    Das schien sie wieder zurück und heraus ihrem Kopf zu führen, auch wenn sie abgelenkt zu sein schien, als sie die Akte aufhob und sich um den Tisch herum bewegte. Auf halbem Weg zur Tür hielt sie inne und drehte den Kopf. Das Licht funkelte von dem Stecker in ihrem Ohr. Ihre Aufmerksamkeit zuckte nochmal zu Shikamaru, mit ungelösten Gefühlen in ihren Augen schimmernd.   Shikamaru wich ihrem Blick aus und wandte sich stattdessen an Chōji. „Ich bin über das Funkgerät zugeschalten“, sagte er. „Ihr werdet gar nicht merken, dass ich weg bin.“   Chōji musterte ihn beinahe verletzt mit einem seltsamen Ausdruck, seine Brauen zogen sich kurz zusammen, bevor er einen raschen, unbehaglichen Blick zu Neji warf. Ganz offensichtlich gefiel es ihm überhaupt nicht, dass sie noch immer Publikum hatten.    Doch Neji machte keine Anstalten, zu gehen; zuckte nicht einmal mit einer Wimper.    Wenn er sich in einer wohlwollenderen Stimmung befunden hätte, dann hätte er den Raum verlassen. Hätte die drei das klären lassen. Aber dafür war keine Zeit. Und gemessen an Shikamarus offensichtlichem Verlangen danach, diese Konfrontation zu vermeiden, hatte Neji nicht den Hauch einer Absicht, den Schattenninja allein und bloßgelegt zurückzulassen, um einen Schlag für das Ino-Shika-Chō Team einzustecken.   „Seid vorsichtig“, fügte Shikamaru noch hinzu, doch es klang ausdruckslos und erzwungen.   Stirnrunzelnd starrte Ino ihn auf eine Weise an, wie man vielleicht einen unwillkommenen Fremden anstieren würde, der sich zu viel Vertrautheit anmaß. Sie schnaubte ein schwaches Lachen hervor und schüttelte einfach nur den Kopf, als sie aus dem Raum marschierte und dabei ein leises ‚was auch immer‘ grummelte.    Auch Chōji war nur marginal großzügiger, was seine Reaktion anging, indem er Shikamaru kurz zunickte. Kein Lächeln. Kein Licht hinter diesen sonst immer lächelnden Augen. Nur kühle Formalität. „Du auch“, erwiderte der Akimichi, bevor er Ino folgte.    Mit abgeschirmten Augen sah Shikamaru den beiden nach. Dann lehnte er sich nach hinten und ließ sich mit verschränkten Armen auf der Kante des Tisches nieder. „Danke für’s ‚menschlicher Schild‘ spielen, Hyūga“, sagte er leise.    Seufzend gestattete es sich Neji, besagten Schild fallen zu lassen und seine steinerne Miene bekam Risse, als er sich dunkle Strähnen aus dem Gesicht strich. „Du kannst sie nicht viel länger meiden, Shikamaru.“   „Vorsichtig, das klingt wie eine Herausforderung.“   Neji brachte ein winziges Schmunzeln zustande und warf ihm einen schiefen Blick zu, der viel zu sehr drohte, in sichtbare Besorgnis abzurutschen. „Ich glaube, du hast schon mehr als genug, über das du nachdenkst.“   Blicklos stierte Shikamaru für eine lange Sekunde geradeaus, bevor er eine Schulter hob und sich auf einer Handfläche zurücklehnte, als wäre er völlig entspannt. Es war so überzeugend, dass sich Neji fragen musste, ob es überhaupt ein Schauspiel war. Und es beunruhigte ihn; nicht zu wissen, wie viel von dieser sonderbaren Unbekümmertheit Shikamarus vermeidende Mentalität und wie viel davon vielleicht eine Art des Schocks war, der einsetzte. Diese Art völlig emotionsloser Distanziertheit war weit verstörender für Neji als jede Art zorniger Verleugnung.    Aber zumindest wird er hier sicher sein…auch wenn er sich in einer emotionalen Abriegelung befindet.   Immer noch besser, als auseinander zu fallen. Neji verstand das. Er verstand die Vorteile dieses ‚Herunterfahrens‘ so gut wie jeder andere. Aber er wusste auch um den Preis, den man dafür zu zahlen hatte. Wusste um die langfristigen Kosten; Freunde, Familie, Vertrautheit. Er war immer willens gewesen, diesen Preis zu zahlen, da er glaubte, er würde einfach alles für seine Freiheit eintauschen.   Das glaube ich immer noch…   Er zog die Brauen zusammen, mochte nicht, wie nah dieser Glaube in seinem Kopf nach Vergangenheitsform klang.    Ich glaube das immer noch. Mit allem, was ich bin.   Shikamaru hingegen hatte weit mehr zu verlieren und überhaupt nichts zu gewinnen, wenn er in Distanzierung und Abtrennung verfiel, indem er alles wegwarf. Allein der Gedanke daran, dass der Schattenninja diesen dunklen Pfad hinab schritt, versetzte jeden einzelnen von Nejis Sinnen in Alarmbereitschaft.    Ich werde nicht zulassen, dass du das tust.   Überzeugung. Sie erfüllte ihn, versiegelte all die Risse des Zweifels und der Unentschlossenheit und ließ eine klare, ruhige Oberfläche auf seinem Verstand zurück, die frei war von Kräuselungen und Wellen. Die tobende See darunter wurde zu einem zugefrorenen See, die stillen Wasser nicht länger verschmutzt von Emotionen.    Er hatte Klarheit.    Und sobald die Mission vorbei war, sobald sie wieder zuhause waren, konnte er auch danach handeln. Ohne sich umzudrehen warf er einen flüchtigen Blick auf die Tür, während sich seine Byakugan Venen anspannten.    Niemand befand sich in unmittelbarer Nähe.    Sie waren so allein, wie es möglich war. Obwohl Sai bald hier sein würde. Blinzelnd deaktivierte Neji sein Dōjutsu, bevor er den Tisch umrundete und sich direkt vor den Schattenninja stellte. Shikamaru schien ihn kaum zu bemerken, seine Augen waren in diesem seltsamen, blinden Starren geradeaus gerichtet; ein Blick, der nach innen ging, irgendwohin wo es finster war und tief.    Neji hatte diesen Blick schon einmal gesehen.    Rückzug.   Verständnis huschte über die kühle, regungslose Oberfläche von Nejis Geist und Emotionen tasteten sich kaum wahrnehmbar voran…denn das Eis war noch immer dünn; so wie es immer war, wenn er sich in der Nähe des Schattenninjas befand. Summend hob Neji eine Hand, berührte die Schulter des Nara und spürte die Muskeln zucken. Sanft drückte er zu. „Ich verstehe, was du tust. Aber wandere nicht zu weit fort, Shikamaru.“   Die Augen des Schattenninjas nahmen Fokus an und drifteten kurz umher, bevor sie sich auf Nejis Gesicht richteten. Seine Lippen hoben sich schwach an einem Mundwinkel…erzwungen. „Bin direkt hier“, hauchte er. „Die Mission zuerst, richtig?“   Richtig.    Und es hatte sich noch nie zuvor so falsch angefühlt.    Nejis Daumen krümmte sich leicht und berührte den Pulspunkt an der Seite von Shikamarus Hals. „Wenn diese Mission vorbei ist…“ Er brach ab, da er nicht wusste, wohin der Rest des Satzes vielleicht führen würde, sollte er wagen, ihm weiter zu folgen. Ihn zu beenden.   Mission. Mission. Mission.   Shikamaru beobachtete ihn. Seine dunklen Augen flackerten; eine gefangene Flamme hinter diesem glasigen Starren. Und dann erlosch dieses Licht, ließ nur Finsternis zurück. Kopfschüttelnd lehnte sich Shikamaru von der Berührung fort. „Ich habe es dir schon gesagt. Du musst mich nicht hier durch führen.“   Nicht einmal eine Defensive, nur ein flaches, tonloses Raunen.    Eine einstudierte Zeile.    Ein Versuch, eine Rollenverteilung wiederherzustellen.    Gepackt im Griff eines ganz anderen Skripts, öffnete Neji leicht die Lippen, um zu sprechen, musste aber feststellen, dass es keine Zeile war, nach der er suchte, sondern nach einem Stichwort.    Shikamaru musste es geahnt haben.    Er neigte seinen Kopf noch weiter von Nejis Berührung fort und starrte zur Seite weg, während er bebend Luft holte. „Ich brauche es nicht, dass du mich durch das hindurch führst“, sagte er noch einmal, nur leiser. „Aber ich brauche es von dir, dass du fort läufst. Jetzt wäre gut.“   Und da war es.    Der Ausgang von dem er hoffte, dass Neji ihn immer nehmen würde, um eine Szene zu beenden…um einen Augenblick zu beenden…   ‚Außerdem muss einer von uns das alles clever spielen und wissen, wann man fortlaufen muss.‘   Clever? Oder stark?    ‚Wie gut, dass du stärker bist als ich.‘   Noch eine Lüge mehr. Mit weich zusammengezogenen Brauen streichelte Neji zärtlich mit seinen Knöcheln über die scharfe Kante von Shikamarus Kiefer, bevor er seine Berührung fallen ließ und sowohl physisch, als auch mental einen Schritt zurückwich. Das Eis unter seinen Füßen wurde härter und gestattete ihm, fort zu rutschen, wo er einst vielleicht gelaufen wäre.    Mission. Mission. Mission.    Es war ein hohles Mantra wie es schon immer gewesen war.    ~❃~   Shikamaru sah wie aus weiter Ferne zu, wie Neji fort lief; eine weiße Wolke, die außer Reichweite schwebte. Es war nicht das erste Mal, dass er so darüber dachte, wenn sich ihre Wege trennten…aber es war das erste Mal, dass er sich selbst als die Wolke betrachtete. Abgehoben, unberührt, hoch oben über allen Ereignissen schwebend und das mit einer Distanziertheit, die so kühl und schneidend war wie ein Herbstwind an der Schwelle des Winters.    Nach außen war alles kalt und alles war still.    Im Innern war alles in Bewegung.    Denn jetzt kam die nächste Etappe im Spiel: Chuuban.   Das Mittelspiel.   Die Phase, in der das strategische Positionieren dem Initiieren eines Angriffs, dem Austausch von Spielsteinen, der Einschätzung des Werts und der Konvergenz mit dem gegnerischen König wich.   „Das Spiel beginnt“, sagte die Finsternis wispersanft und die Schärfe des Befehls streichelte wie die flache Seite einer Rasierklinge – gerade genug Drohung, gerade genug Versprechen.    Shikamaru griff in die Schriftrollentasche seines Flakjacke und zog eine Zigarette heraus, um sie von seinen Lippen baumeln zu lassen. Rituelle Bewegungen. Er schob seine freie Hand in seine Tasche, berührte Asumas Feuerzeug und seine Fingerspitzen strichen über den kühlen Stahl. Nicht einmal der Hauch eines Stiches hinter seinen Rippen. Taubheit, süße Taubheit.   Er entzündete die Zigarette.    Die Flamme tanzte, bevor sie mit einem Schnappen von Metall erlosch.    Bedächtig steckte er das Feuerzeug weg und sog den Rauch ein, fühlte, wie er seine Zunge entlang driftete, als er ihn schluckte und damit die Luft in seiner Brust wolkengleich und schwebend benebelte. Langsam atmete er durch Nase und Lippen aus.    Er fühlte sich zentriert, fühlte sich bereit.    Leise, aber ankündigend hörte er Schritte. Kein Versuch, sein Näherkommen zu verbergen. Shikamaru löschte die Zigarette in der Porzellantasse, die Neji nicht ein einziges Mal angerührt hatte. Er sah zu, wie die Asche auf dem durchscheinenden Jadegebräu schwamm, als er darauf wartete, dass die Schritte stehen blieben, bevor er den Blick hob.    Sai stand wie eine Statue und puppengleich im Türrahmen und dieses leichte, falsche Lächeln zierte seine schmalen Lippen. In einer geübten Bewegung legte er den Kopf schief. „Nur du und ich, Shikamaru.“   Ein unbeholfener Versuch der Freundlichkeit. Ein Konversationsklischee wie direkt aus einem Buch. Seltsam; es machte Sai umso schwieriger zu interpretieren und vorherzusehen. Er würde einfach aufsagen, was er auswendig gelernt hatte und nicht preisgeben, was er wirklich glaubte. Es war ein Schauspiel innerhalb eines Schauspiels. Und das gestattete ihm, mitzuspielen und die Rolle zu übernehmen, die von ihm erwartet wurde. Eine Spiel mit blanker Leinwand. Clever und tödlich. Er würde weit schwieriger zu täuschen und zu manipulieren sein.    Neji hat ihn gut ausgesucht.    Und zu diesen Fähigkeiten kam auch noch, dass bei Sai keine Emotionen oder einstige Freundschaft existierte, die seinen Blickwinkel verschleierte. Er hatte nichtmal eine Bezugslinie für Shikamarus Verhalten oder Persönlichkeit, also würde er auch einfach alles, was der Schattenninja sagte oder tat, als potentiell suspekt erachten.    „Du musst diesen Kerl loswerden“, sagte die Finsternis mit einer deutlichen Kante in der Stimme. „Erinner‘ dich an die Regeln. Es sind nur du und ich.“   Als er hinüber zu Sai sah, bogen sich die Lippen des Schattenninjas in der leichtesten Andeutung eines Schmunzelns, doch seine Augen waren tot für den Humor. „Nur du und ich“, echote er.   ~❃~   Schweigende Minuten verstrichen…   Kakashi spürte, wie die Luft in seiner Kehle heißer wurde.    Er fühlte sich völlig ausgedörrt, wund und seine Stimmbänder waren angespannt von zu viel Reden. Er war sich nicht sicher, wie lange er dort an Genmas Bett gesessen hatte, während sich seine Lippen gegen die Maske bewegt hatte und Worte in einer rostigen Erzählung aus seinem Mund gefallen waren, die so lang und düster erschienen war wie die zeitlose Nacht, die inzwischen zur Morgendämmerung überging.    Dämmerung; sie kroch zu ihnen heran…   Sie verteilte ihr weiches, malvenfarbiges Licht in einem staubigen Strahl durch eine Lücke zwischen den sanft schwingenden Vorhängen in den schattigen Raum. Die einzelne Kerze war inzwischen niedergebrannt; genau wie die Stunden…   Und jetzt die Stille.    Kurenai starrte ihn über das Bett hinweg an, ihre Miene leicht verzerrt, als sie die Wirkung von allem in sich aufnahm, was er ihr gerade gesagt hatte – die Wahrheit. Naja, die Wahrheit und eine ganze Pilzwolke aus Verschwörungstheorien. Die Implikationen hatten sich schwarz wie Asche über die Stille zwischen ihnen niedergelassen. Die Konsequenzen einer Bombe, von der er jetzt bereute, sie auf sie fallengelassen zu haben. Sie war gerade erst wieder auf die Füße gekommen und hier war er auch schon und spielte heiße Kartoffel mit emotionalen Granaten. Aber für‘s Erste gab es keine mehr, die noch detonieren konnte. Zumindest nicht bei ihr.    Er hatte alles gesagt…   Und Kurenai sagte überhaupt nichts…   Sie saß regungslos da, eine Hand auf Genmas Arm und die andere auf seiner fiebrigen Stirn ruhend.    Genma war der einzige im Zimmer, der sich bewegte, vielleicht sogar der einzige, der atmete, als sich sein Körper gegen die Bindungen stemmte und sich zerfetzte Atemzüge an der Luft verschluckten, als könnte er vielleicht die Anspannung schmecken, die dicht genug in dem Raum hing, dass man daran ersticken konnte. Kakashi beobachtete, wie die Brust des Shiranui zuckte und sich hob, unfähig, Kurenais Blick zu begegnen – oder der Emotion, die vielleicht darin geschrieben stand.    Als sie das Wort ergriff, war es wie frisches, klares Wasser über die Asche. „Was soll das nur mit den ganzen Männern, die durch meine Fenster und Tür fallen? Das ist nicht wirklich das sexistische Szenario der holden Maid, mit dem ich aufgewachsen bin.“   Fassungslos hätte Kakashi beinahe gelacht und stieß ein irgendwie stranguliertes Bellen aus seinem Rachen aus, das zusammen mit seinem Schauspiel brach und auseinanderfiel. Er schloss die Augen und sagte sehr leise: „Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.“ Er scherzte nur halb. Musste auch so geklungen haben. Wimmerte leicht. Vielleicht auch sehr viel.    Sie bemerkte es sofort und beugte sich bei dem Geräusch nach vorn. „Kakashi…“   Ein sanfter Druck auf seinem Kopf, locker und flüchtig, bevor sich Kurenais Berührung wieder zurück auf Genmas Arm legte. Aufmerksam musterte sie das schlafende Gesicht des Shiranui. Es war kein friedvolles Gesicht, seine Miene war angespannt vor Schmerz und Qual und seine Augen rollten wild hinter den geäderten Lidern.    Kurenai griff nach einem feuchten Tuch und strich damit über Genmas Stirn. „Erinnerst du dich, wie es während deiner ANBU Tage zwischen uns allen war, Kakashi?“   Die Frage warf ihn aus der Bahn. Heftig. Aber er war viel zu müde, um sich dagegen zu wehren und sein defensiver Tonfall wich einem rostigen Rumpeln. „Ja“, raunte er.    Kurenai hob den Blick und ihr Gesichtsausdruck war so voller Gefühl, dass es weh tat, sie anzusehen. „Du warst so weit weg von uns. Niemand konnte dich erreichen. Gai hat es versucht…“ Ihre Stimme lief zu einem leisen Kichern aus, das weich mit Traurigkeit durchsetzt war. „Ich erinnere mich, dass Genma und Asuma eine Wette am Laufen hatten, wie schnell du deine ‚hippe Coolness‘ verlierst und ihn einfach um die Ecke bringst.“   Kakashis Brauen hoben sich ironisch und Belustigung stahl sich über die Furcht dieser Erinnerung – nein, dieses Menschenlebens. Irgendwie fand er ein Lächeln für sie, während sein Blick zu Genmas Gesicht wanderte und seine ungleichen Augen weich wurden. „Das sieht unserem Shiranui ähnlich, seine Wetten auf meine suizidalen Neigungen zu setzen.“   „Stimmt, aber das ist nicht der springende Punkt“, erwiderte Kurenai und zog seine Aufmerksamkeit damit auf sich. „Humor war ihr Ausweg aus der Realität, dass du von uns fort gleitest. Es hat den Schmerz gelindert, zusehen zu müssen, wie ihr Freund abgerutscht ist und sich hilflos zu fühlen, weil sie es nicht aufhalten konnten.“   Kakashis Miene verkrampfte sich, aber er hielt ihren Blick.    Sie verbarg ihr Weh nicht vor ihm, hatte diesen sanften Regenbogenschleier über ihren Augen und ihre Miene war sowohl traurig, als auch tapfer. „Als erstes bist du uns entglitten. Danach folgte Genma…und dann hat Asuma das Dorf verlassen.“ Schniefend schüttelte sie den Kopf. „Unsere Leben haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Wir haben in unterschiedlichen Welten gelebt, bis wir alle Senseis wurden. Naja…“ Liebevoll sah sie zu Genma. „Fast alle. Trotzdem hatten wir uns in der getrennten Zeit so sehr verändert, dass wir alle Fremde zu sein schienen, als wir uns wieder getroffen haben. Unsere Kids haben uns näher zusammengebracht, nicht wahr?“   Langsam nickte Kakashi und das Gewicht dieser Wahrheit ruhte beständig auf den Regalen in seinem Herzen. Es war beinahe schon ein unerschütterlicher Fakt. Sensei zu werden hatte ihn zu den Leuten zurück gebracht, die er zurückgelassen hatte. So isoliert, wie er über die Jahre geblieben war, ließen sich die Kameradschaft und Freundschaft einfach nicht leugnen, die sich ihren Weg wieder zurück in sein Leben geschlichen hatten. Ob es jetzt Gais unerbittliche Herausforderungen, Kurenais sanftes Geplänkel, oder Asumas entspannte Gesellschaft gewesen war; diese kostbaren Menschen hatten ihn immer wieder aufgebaut. Wie gottgesandt. Wie Geschenke. Geschenke, die er nicht vollständig hatte annehmen können, weil es ihm seine Schuldgefühle verboten hatten; aus Angst, dass er diese Bande wie zarte Glasornamente zerschmettern würde.    Götter, wie er das jetzt bereute…   Asuma…   Kurenais Stimme zog ihn wieder zurück und ihre sanften Worte waren so leise, dass er die Ohren spitzen musste. Inzwischen musterte sie Genma mit schimmernden Tränen an ihren Wimpern. „Ich habe das Asuma nie gesagt…aber tief in meinem Herzen habe ich immer geglaubt, dass ich dich und Genma bereits vor langer Zeit verloren habe, Kakashi.“   Kakashis Kopf zuckte bei diesem Geständnis nach oben und seine Brauen zogen sich zusammen. Ein entsetzliches Gefühl der Schuld packte ihn und Worte verfingen sich heftig in seiner Kehle. „Kurenai…“   Sie schüttelte den Kopf, während ein schiefes Lächeln an ihren Lippen zupfte. „Ich denke, dass eine ganze Menge Kunoichi das durchmachen müssen. Immerhin war der Club nur für Jungs.“ Sie lachte leise, wischte Kakashis perplexen Blick mit einem Wackeln der Finger beiseite und trommelte dann leicht mit ihnen auf Genmas Armbeuge. „Gai war da einfacher, war er schon immer. Aber ich habe beneidet, wie locker Asuma wusste, mit dir und Genma umzugehen. Er wusste, wie man euch beide zurückbringen konnte. Asuma zu lieben und im Gegenzug von ihm geliebt zu werden, war genug, um die Traurigkeit zu lindern, die ich gespürt habe, weil ich nicht in der Lage gewesen bin, diese Kluft zu euch zu überbrücken. Ich wusste nicht, wie. Und das tut mir leid.“   Kakashi stand auf. Lächerlich, das wusste er, aber er hatte einfach keine Ahnung, wie er sonst mit den Gefühlen fertig werden sollte, die diese Worte in ihm losgerüttelt hatten. Dinge rasselten in seiner Brust. In seinem Herzen. Es tat weh. Und zwar viel schlimmer als die Stiche, die an seinen Beinen zupften. „Wieso sagst du das?“, wisperte er und mochte es gar nicht, wie sehr er sich nach einem verletzten Kind anhörte.   Langsam legte Kurenai den Kopf schief und sah ihn ruhig an, ihre Stimme kraftvoll und ihre Augen nass. „Weil ich dir dafür danken möchte, dass du mir die Chance gibst, diese Kluft endlich zu überbrücken. Zu dir. Zu Genma.“ Ihre Hand glitt nach unten, um sich auf Genmas zuckende Knöchel zu legen. „Als mich Genma aus meiner Trauer gezogen hat, hat er es auf genau die schroffe Art getan, auf die er es wohl auch bei dir oder Raidō getan hätte, wie ich mir vorstelle…oder bei jedem anderem Kerl. Grob. Kein Nonsens. Ich kann gar nicht anfangen zu erklären, wie sehr ich das gebraucht habe. Shizune war zwar unfassbar unterstützend, aber ihre Zärtlichkeit und Sympathie war nicht, was ich gebraucht habe. Genmas derber Ansatz der Zuneigung und Unterstützung…auch wenn es mich schockiert – sogar beleidigt hat – es hat mich aufgeweckt.“ Kopfschüttelnd lachte sie ein wenig. Peinlich berührt. „Ich weiß, dass es absurd klingt. Aber dich vor meiner Tür zu sehen…es war genau dasselbe Gefühl. Meine alten, männlichen Freunde, die mich brauchen, auf mich zählen und mich nicht bedauern oder fortgleiten lassen.“   „Kurenai…“   Rasch wischte sie sich die Tränen fort, sah zu ihm auf und lächelte. „Nichts könnte mir besser helfen, zu heilen. Zum ersten Mal, nachdem ich Asuma verloren habe, fühle ich mich nicht total hilflos…oder so furchtbar allein. Danke.“   Mit zugeschnürter Kehle starrte Kakashi sie an. Den Blick abzuwenden würde bedeuten, loszulassen…und auch wenn er schwören könnte, dass festzuhalten weit mehr schmerzte, wusste er, dass wenn er ihren Blick jetzt loslassen würde, er nicht in der Lage sein würde, ihm wieder zu begegnen.    Schweigen folgte…   Aber es war kein leeres Schweigen.    Hörbar schluckend ließ sich Kakashi wieder auf seinen Stuhl sinken – hätte schwören können, dass er Hände schwer und vertraut auf seinen Schultern spürte. Der Geruch von Rauch erfüllte seine Nase. Er drehte ein winziges Stück den Kopf und erwartete halb, eine breite Gestalt zu erspähen, die in den Schatten lümmelte, mit einer Zigarette aus dem Mund hängend und die Lippen zu einem Schmunzeln verzogen.    Die Vorhänge flatterten und eine kühle Brise stahl sich herein.    Auf dem Bett erschauderte Genma und begann, inkohärente Dinge zu nuscheln.    Draußen vor der Tür winselte Bull kehlig und besorgt.    Kurenai berührte Genmas Stirn und ihre Finger zuckten. Stirnrunzelnd erhob sie sich und beugte sich über das Bett, um die Laken hinunter bis zu Genmas Hüften aufzuschlagen und die befleckten Bandagen zu offenbaren, die um seinen Torso gebunden waren. Kakashi folgte ihrem Blick und verzog das Gesicht. Genmas Kanashibari hatte heftigen Schaden angerichtet. Und der Job, den F&V beim zusammenflicken geleistet hatten, war im besten Falle oberflächlich.    Kami. Wenn ich daran denke, dass er das Kanashibari bei sich selbst benutzt hat…   Alles in einem suizidalen Versuch, Kakashis Genjutsu zu durchbrechen.   Und jetzt steckt er in einem psychedelischen Albtraum fest…gefangen im Griff von welcher Droge auch immer, die sie ihm verabreicht haben…   Silberne Brauen zogen sich zusammen, als Kakashis Kurenai dabei beobachtete, wie sie sich mit geübten und vorsichtigen Bewegungen daran machte, die Mullbinden und Bandagen zu wechseln. Ihr Stirnrunzeln war nicht gerade ermutigend, genauso wenig wie der Ausdruck in ihren Augen.    „Sag es mir“, murmelte er.    „Das sieht gar nicht gut aus, Kakashi. Ich habe nicht das richtige Equipment, das nötig ist, um ihn anständig zu versorgen und zu behandeln.“   „Was brauchst du?“   Sie sah auf und begegnete seinem Blick direkt. „Es geht nicht darum, was. Es geht darum, wen.“   Verdammt.   Sofort schüttelte Kakashi den Kopf und erhob sich aus seinem Stuhl, um sich davon abzuhalten, zu tief zusammenzusacken und nie wieder aufstehen zu können. Kurenais Chakraheilmittel hatte gerade so seine physischen Reserven wiederhergestellt, aber mental – vielleicht sogar emotional – fühlte er sich ausgelaugt und erschöpft.    „Kakashi…“   „Ich weiß…“, wisperte er.    Durch ihre Wimpern beobachtete Kurenai ihn, als er die Länge des Bettes auf und ab schritt und sich mit den Fingern durch seine dichten Silbersträhnen fuhr. Er hatte nur geliehene Zeit, das wusste er. Was Genma anging? Er operierte anhand einer vollkommen anderen Uhr. Es war nicht einzuschätzen, welche Richtung seine Gesundheit an diesem Punkt vielleicht einschlagen würde…und so sehr er auch an sie glaubte, Kakashi konnte von Kurenai nicht erwarten, die medizinische Bürde zu tragen.    „Hn. Es war so viel einfacher, als ich mir nur um seinen Kopf Sorgen machen musste“, murmelte Kakashi und versuchte, etwas Heiterkeit in seinen tiefen Tonfall zu bringen.    Der Witz kam flach, aber Kurenai belohnte ihn für seinen Versuch, indem sich ihre Lippen leicht bogen. „Wie lange haben wir?“   Ah. Da war sie. Diese Frage, mit der er schon die ganze Zeit gerungen hatte, seit er aufgewacht war. Kakashi schüttelte den Kopf, da er immer noch nicht näher an einer Antwort war. Fragen hatte er viele, aber Antworten waren Mangelware. Witzig, wie er trotz all seiner Ignoranz in Bezug auf diese Situation trotzdem schon viel zu viel wusste. Oder zumindest genug, dass F&V ernsthaft versuchte, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.    „Da wird nicht einfach so Gras drüber wachsen“, sagte er letztendlich. „Nicht, wenn F&V involviert ist. Nicht, wenn KERN involviert ist.“   Kurenai nickte, bevor sie zögerlich fragte: „Bist du dir sicher, was Tenka angeht?“   „Naoki“, korrigierte Kakashi sie sanft. Er war sich über gar nichts sicher, außer in Bezug auf diese alten ANBU Instinkte, die in seinem Inneren durchdrehten. Auch wenn es Kakashi geschafft hatte, seine Ninken dorthin zu bekommen, indem er sie diesen komischen kleinen Psychiater – Mushi – hatte verfolgen lassen, hatte er dennoch keine Ahnung, was zur Hölle Der Ursprung eigentlich mit Naoki vorhatte…geschweige denn, wie oder warum ein ANBU Agent, der vor zehn Jahren als IEG eingestuft worden war, immer noch am Leben war.    Am Leben…und Genma hat keine Ahnung…   Oder zumindest war das der Fall gewesen, bis während des Kampfes Kakashis Zunge mit ihm durchgegangen war. Rückblickend betrachtet wurde ihm klar, dass es die grausamste Waffe gewesen war, die er hätte einsetzen können. Aber es hatte funktioniert. Es hatte mühelos durch Kaika hindurch geschnitten, direkt in Genmas blutendes Herz.    Das Chidori hätte weniger weh getan als das.    Scharf zog Kakashi die Luft ein und schloss krampfhaft die Augen gegen die Erinnerung von Genmas Gesicht. Getroffen…zersplittert…beinahe suizidal vor Zorn.    Ich kann nicht zulassen, dass er oder diese Situation noch weiter abrutscht…   Oder noch schneller, als es ohnehin schon der Fall war. Das hier war nicht das Tanzaku Viertel. Das hier war nicht länger eine Angelegenheit, Genma aus den Flammen seiner Selbstaufopferung zu zerren. Das hier war zu einem Lauffeuer geworden. Und es breitete sich rasend schnell aus. Inoichi. Ibiki. Wer sonst war vielleicht sonst noch in die Flammen geraten?    Es gibt nur einen Weg, das aufzuhalten.   Einen Weg, den er wegen Reputation und der Auswirkungen bisher vermieden hatte. Als er jetzt auf Genma hinunter starrte, spürte Kakashi sein Herz, das hart in seiner Kehle schlug. Aber im selben Augenblick überkam ihn eine plötzliche Ruhe und die Stabilität einer lange verweigerten Entscheidung, von der er schon immer gewusst hatte, dass er sie würde treffen müssen.    Es ist immer nur eine Frage der Zeit.   Und diese Zeit war jetzt.    Sein Stirnrunzeln löste sich auf und seine Augen wurden weich, als er Genma noch einmal musterte, bevor sie sich wieder verschärften. Finger ballten sich zu Fäusten, als er sich von dem Bett abwandte und zur Tür schritt. „Ruf Shizune, wenn du das tun musst, aber niemand sonst kommt auch nur in seine Nähe!“   „Kakashi, warte!“   Mit einer Hand am Türknauf hielt er inne, der Körper steif und die Augen geradeaus gerichtet. Jenseits der Tür stieß Bull, alarmiert von Kurenais Ruf und bereit, zu reagieren, ein grummeliges Rumpeln aus. Kakashi hörte, wie Kurenai aufstand, aber sie machte keine Anstalten, sich ihm zu nähern. Machte keine Anstalten, von Genmas Seite zu weichen. Es erwärmte Kakashi, das zu wissen – linderte das kalte Gefühl der Furcht, das seine Entscheidung umgab.    Kurenai seufzte mit weicher, von Zweifeln erfüllter Stimme. „Was hast du vor, Kakashi?“   Leise summend drehte Kakashi den Türknauf und spähte über die Schulter, wobei sich seine Augen in einem kleinen, abgestumpften Lächeln bogen, von dem er hoffte, dass sie es glauben würde.    „Was ich schon vor Tagen hätte tun sollen.“   ~❃~   Die Nagu hatten den Weg mit Blut geebnet.    So viel Blut…   Es rollte sich vor dem Konoha Team aus wie ein dunkler, roter Teppich. Dick und nass benetzte es den Versorgungstunnel, der tief hinein in die Untergeschosse der Einrichtung führte.    „Heilige Scheiße…“, raunte Kiba, ging am Maul des Tunnels zusammen mit Akamaru in die Hocke und schlang einen Arm um den sich sträubenden Nacken seines Hundes. „Sieht aus, als hätten Fuchsgesicht und seine Freunde eine Party gefeiert."   "Sein Name ist Yako“, blaffte Ino, während sie an ihrem Ohrstöpsel und Halsmikrofon herumfummelte. „Nichts außer Statik. Neji, Ich kann Katsu immer noch nicht erreichen. Entweder ist sein Mikrofon kaputt, oder…“   Oder er ist tot.   Bei diesem Gedanken runzelte Neji die Stirn und seine Byakugan Augen rollten in seinem Schädel, als er versuchte, eine Sicht herzustellen, die klar genug war, um mit den Schemata in seinem Geist übereinzustimmen. Bisher gab es nur Dunkelheit in alle Richtungen. „Versuch es bei den anderen Nagu.“   „Na viel Glück dabei bei Fuchsgesicht. Er ist stumm. Versuch es bei der Zopflady oder Albinomädchen.“   „Sui und Yuki“, korrigierte Ino.    „Yuh huh“, grummelte Kiba und schnupperte in die Luft. „Ich kann sie riechen. Aber ist nur sehr schwach unter dem Blut. Irgendeine Sicht, Hyūga?“   „Nur Dunkelheit, die man der Statik beifügen kann“, erwiderte Neji, war aber nicht übermäßig entmutig von der Finsternis, die sich weiter und weiter erstreckte. Er hatte bereits erwartete, dass sie darauf treffen würden. „Ein weiteres Verschleierungsjutsu.“   „Macht Sinn“, ergriff Shino mit summenden Käfern auf seinen Händen das Wort. „Wenn die Aikoku die Untergeschosse für den Handel genutzt haben, dann würden sie natürlich jede Möglichkeit der Überwachung ausmerzen wollen.“   Spielt keine Rolle.    Neji deaktivierte sein Byakugan und seine monochrome Welt wurde von dem Scharlachglühen der Notfalllichter in Rot getaucht. Sie waren im Raum verteilt und schimmerten wie ominöse Augen den Tunnel entlang, was dafür sorgte, dass die blutgetränkten Wände noch roter als ohnehin schon aussahen.    Es war heiß hier unten, feucht und stickig.    Dampfende Rohe schwitzten über ihren Köpfen, Kesselräume summten und das Gurgeln von Wassertanks erscholl durch die dicken, heißen Mauern wie die Darmbewegungen einer schlafenden Bestie. Und nur Kami wusste, was für Bestien noch immer dort unten waren, in den Schatten kauernd und auf der Lauer liegend.    „Überprüft eure Ausrüstung“, befahl Neji. „Ihr habt zwei Minuten.“   Es dauerte genau eineinhalb. Jeder war vorbereitet, vielleicht auch ein bisschen aufgeregt. Die letzte Etappe ihrer Mission ließ das Adrenalin hochkochen. Bedächtig ging Neji ihre Ziele durch; Kontaktwiederherstellung mit den Nagu; den kriminellen Anführer der Aikjoku, Ujihara, festsetzen, ebenso wie alle Überlebenden Aikoku Shinobi und Wissenschaftler; das Handelsprogramm außer Kraft setzen und alle Nahrungspillen und Opiate beschlagnahmen. Bisher hatten sie es noch nicht geschafft, die Nagu zu kontaktieren, aber zumindest hatten sie einen guten Hinweis, welchen Weg sie genommen hatten. Jetzt ging es darum, durch die Untergeschosse zu navigieren.    Der Reihe nach suchte Neji jedes einzelne Gesicht ab. „Ich gehe davon aus, dass ihr euch alle die Grundrisse eingeprägt habt, die uns die Nagu gegeben haben?“ Überall Nicken. „Gut. Vor uns gabelt sich der Tunnel. Das ist der Punkt, an dem sich die Wege von Team A und B trennen werden.“ Er wandte sich Shino zu und seine weiße Augen wurden von den Notfalllichtern in ein unheimliches Rot getaucht, sodass sie aussahen wie blutiger Nebel. „Wie vereinbart, werden sich Shino und Team A um das obere Level kümmern. Den Kontakt zu den Nagu herzustellen ist wichtig, aber lasst nicht zu, dass unsere anderen Zielvorgaben dadurch beeinträchtigt werden. Priorisiert und handelt dementsprechend. Shino, wie sieht es in Bezug auf deine Insekten aus?“   Shino neigte leicht den Kopf. „Durch sechs Stunden Mushimayo habe ich es geschafft, einen Immunschwarm zu entwickeln, der groß genug ist, um das Virus zu tragen.“   „Virus?“, krähte Naruto und schob sich etwas seitwärts. „Was für ein Virus?“   Ino hob den Blick. „Als ich in unseren Laboren an den Hybridpflanzen gearbeitet habe, konnte ich einen extrem starken Stamm von Bacillus Thuringiensis kultivieren. Für Menschen ist es nicht schädlich. Ziemlich wie ein superstarkes Pestizid. Es sollte alle Chimären-Insektenhybriden schwächen oder sogar töten.“   „Whoa, echt zum Kotzen, ein Käfer zu sein.“ Sofort hielt Naruto entschuldigend seine Hände nach oben, als Shinos Kopf in seine Richtung zuckte und ein ominöses Summen aus seinen Ärmeln und seiner Kapuze erscholl.    Neji ließ noch etwas Raum für Fragen, bevor er das Team im Ganzen ansprach: „Meldet alle Statusberichte über den Transmitter. Shikamaru ist im Hauptquartier erreichbar, solltet ihr die Orientierung verlieren oder auf irgendetwas stoßen, das einer Abklärung bedarf.“ Ein grimmiges Schmunzeln. „Jetzt zu den Schlimmstfällen. Lasst uns versuchen, sie zu vermeiden.“   Kiba setzte ein Grinsen auf. „Hur-fucking-ra.“           Kapitel 44: Cat and dog in slaughterhouse ----------------------------------------- Als er vor dem Einwegspiegel des Observationsraums stand, spähte Ibiki in die Verhörzelle und musterte seine Beute. Doch was er sah, konnte seinen sadistischen Appetit nicht anregen.    Tz. Ich lasse nach.   Klein und geschrumpft saß Dr. Mushi zusammengesackt auf einem klapprigen Stuhl, bei dem eins der vier Beine ein kleines bisschen kürzer geschnitten war, als die anderen drei, was den Stuhl zu einer Neigung zwang und den Mann sowohl physisch, als auch psychisch aus dem Gleichgewicht brachte. Er hatte seine Ellbogen auf den breiten Metalltisch gestützt; ein Rechteck, das so kalt und klinisch war wie eine medizinische Liege. Ein passender Gedanke, wenn man die psychologischen Autopsien bedachte, die Ibiki bereits in diesem Raum und über genau diesen Tisch hinweg durchgeführt hatte.    Zeit, deine Nerven auf die Probe zu stellen.    Mit den Knöcheln klopfte Ibiki gegen das Einwegglas.    Sofort wurde Dr. Mushi aufmerksam und fiel beinahe vom Stuhl, als er mit wilden Augen umher stierte und sich mit einer bandagierten Hand über das Gesicht fuhr, sich trockene Lippen und eine schwitzige Stirn rieb. Sein Teint sah übel aus und hatte inzwischen die Farbe von gelblich weißem Wachs angenommen.    Gut.   Ibiki hatte ihm Feuer unter’m Arsch gemacht und wartete jetzt geduldig darauf, dass der gute Doktor seinen Siedepunkt erreichte. Oder Schmelzpunkt. Mushi sah aus, als wäre er ganz kurz davor. Seine Finger zitterten, als er seine gesprungene Brille abnahm und versuchte, sie mit den Enden seines blutbesudelten Haoris zu reinigen. Er wimmerte leise, drückte seine verletzte Hand gegen die Brust und bewegte vorsichtig seinen wunden Kiefer. Da, von wo aus Ibiki ihn in seinem Büro ins Traumland geschickt hatte, war die Haut verfärbt und aufgeplatzt.    Ibiki hatte ihm nichts gegen die Schmerzen gegeben. Er war kein Samariter.    Gelassen ließ Ibiki eine weitere Minute verstreichen und zog an den Enden seiner Handschuhe, als er steife Finger in das warme Leder drückte. Gottverdammte Arthritis. Er ließ seine Knöchel knacken und griff nach der Tasse, die er beiseite gestellt hatte. Shizune lag ihm ständig in den Ohren, er sollte endlich aufhören, Kaffee zu trinken; irgendwas wegen des Koffeins und eines rheumatorischen Faktors, die zusammen nicht gut funktionierten.    Wie Wasser stürzte Ibiki den Kaffee hinunter.    Scheiß auf Rheumatismus, er arbeitete inzwischen mit 0,0 Schlaf und so viel Stress, dass es ein Magengeschwür verursachen könnte. Stimulanzien waren das einzige, was diese Gleichung ausbalancieren konnte – das und der Dampf, der sich aufbaute und entwich wie bei einer Maschine. Es kam nur sehr selten vor, dass er die Fassung verlor, immerhin wusste er, wie er diese Hitze kanalisieren musste. Eine menschliche Dampfmaschine in Betrieb.    Zeit, Mushi ein bisschen an der Nase rumzuführen und ein paar Dinge aus ihm raus zu kitzeln.    Mit einem Klacken stellte er seine Kaffeetasse ab, verließ den Observationsraum und begab sich zu der Tür, die zu Mushis erbärmlicher, kleiner Zelle führte. Öffnete sie. Laut.    Der Doktor erstarrte und seine Augen weiteten sich hinter verschmierten Brillengläsern.    Bedächtig schloss Ibiki die Tür hinter sich mit einem Klicken des Riegels, das unheilvoll und bedrohlich klang. Unter einer gesenkten Stirn starrte er den Doktor an und wusste nur zu gut, dass er im Licht dieser einzelnen Niedrigwattbirne sowohl in Form als auch Größe verzerrt aussehen würde; wie eine granitene Statue, die ein wenig gruselig und sehr grimmig aus einem Grabstein wuchs. Eine Kombination, die dazu gedacht war, eingeschissene Hosen zu fördern.    Doch sehr zu Mushis Anerkennung, machte er sich nicht ins Hemd, sondern benahm sich wie ein tapferer kleiner Scheißhaufen, der sich an seine Würde klammerte. „Dein Verhalten ist unentschuldbar“, wisperte er mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Krächzen, kaum mehr als ein Raspeln war. Das Zirpen eines Insekts.    Schmunzelnd bleckte Ibiki die Zähne.    Sofort drückte Mushi seine bandagierte Hand an sich, als er sich offenbar an dieses Schmunzeln entsann und daran, was es alles ankündigte. „Wenn die Hokage erfährt, was du getan hast.“   „Was ich getan habe?“, wiederholte Ibiki wispersanft.    Mushi verstummte, zog sich zurück und seine Insektenaugen flackerten hinter seiner Brille – oder vielleicht war das auch nur diese abgeranzte Glühbirne, deren Licht von den Linsen reflektiert wurde. Der Stakkatoeffekt funktionierte, wenn auch ungeplant, sehr gut. Er sorgte dafür, dass Ibikis Bewegungen in einer Reihe rapiden Zwinkerns unheimlich und verzerrt wirkten, als er sich dem Tisch näherte.    Auf dem klapprigen Stuhl lehnte sich Mushi nach hinten, wobei sein knochiger Arsch wackelnd nach Balance suchte. Er schluckte sichtbar, wagte es nicht, zu blinzeln, hatte aber gleichzeitig genug Eier, um zu feilschen. „Unabhängig von dem, was du glaubst, was ich getan habe, denk an all die Anklagen gegen dich selbst, Morino. Körperverletzung, unbefugte Inhaftierung-“   „Ich bin immun gegen Drohungen, Doktor“, erwiderte Ibiki in einem weichen Tonfall, sein kaltes, weißes Lächeln noch immer an Ort und Stelle, so tot und flach wie seine Augen. „Aber nur, damit wir uns verstehen, ich habe eine unglaubliche Menge an Freiraum, wenn es darum geht, sich mit den Kakerlaken auseinanderzusetzen, die aus Konohas Untergrund gekrochen kommen. Was glaubst du wohl, wie die Hokage reagieren wird, wenn sie herausfindet, dass du eine davon bist?“   Daraufhin wurde Mushi regungslos wie ein Käfer unter einem Mikroskop.    Ibikis Schmunzeln erstarb zu einer dünnen, harten Linie. „Ja, so sieht’s aus. Inoichi hat mir alles erzählt. Über Tenka. Über Danzō. Über dich. Was glaubst du wohl, wie dieser alte Kriegshabicht reagieren wird, wenn ich ihm die Wahrheit über Shikamaru erzähle?“   „Das kannst du nicht!“, rief Mushi und erhob sich dabei fast schon aus seinem Stuhl, bevor er zurück auf seinen Ellbogen zusammensackte, um seinen Kopf zu umklammern. „Bei allen Göttern, Ibiki. Das kannst du nicht tun.“   Natürlich hatte Ibiki überhaupt keine Intentionen, so etwas zu tun, aber Mushis Vehemenz war interessant, um nicht zu sagen überraschend. Was oder wen beschützte der Doktor? Seinen Klienten? Sein Gewissen? Seine Fallstudie?   Mit geschürzten Lippen ließ sich Ibiki auf der Tischkante nieder und breitete die Hände aus. „Sag mir einen guten Grund, aus dem ich es nicht tun sollte.“   „Derselbe Grund, aus dem ich Shikamaru behandelt habe, als er zu mir gekommen ist“, erwiderte Mushi mit rauer Stimme wegen dieses Geständnisses. Als würde es ihn unbeschreiblich schmerzen, ein Patienten-Arzt Privileg zu brechen. „Amida…du musst verstehen. Alles, was ich getan habe, habe ich getan, um Shikamaru zu schützen. Als KERN Tenka halb tot an ihrer Tür gefunden haben und ich gerufen wurde, um ihn zu untersuchen, hatte ich keine Ahnung, dass er derselbe ANBU Agent war, der Shikamarus Erinnerungen an Kusagakure versiegelt hat.“   „Fang doch von vorne an“, lockte Ibiki. Er hatte nichts dagegen, Gewalt anzuwenden, aber der Doktor schien dazu bereit zu sein, zu kooperieren. Also würde er das ruhig angehen.    Erstmal.   Eine kurze Pause entstand, in der Mushi zaghaft seine Fingerspitzen gegen seinen geschwollenen Kiefer drückte, doch seine Beschwerden lösten nichts weiter als ein blankes Starren bei Ibiki aus.    Unter diesem Blick schrumpfte der Doktor noch etwas weiter zusammen und nach einem Räuspern fuhr er fort: „Shikamaru war zwei Wochen bei mir in Behandlung, nachdem er von einer Nebenmission in Kusagakure zurück gekommen ist. Ich habe ihn privat getroffen. Er hat mich bei mir zuhause aufgesucht und daraufhin habe ich auch dort die Behandlung durchgeführt.“   „Was genau hat das beinhaltet?“ Angesichts von Mushis zwiegespaltenem Blick schnaubte Ibiki und hob eine Hand, um an der Glühbirne zu drehen, die über dem Tisch hing. Das Flackern hörte auf. So war es leichter, das Gesicht des Seelenklempners zu lesen. „Ist ein bisschen spät für Doktor-Patienten Schweigepflicht, Mushi.“   Mushis Gesicht verkrampfte sich. „Shikamaru ist im Vertrauen zu mir gekommen.“   „Und dennoch hast du den Jungen in der Sekunde betrogen, als du zugelassen hast, dass er einen Fuß über deine Schwelle setzt“, hob Ibiki mit verschränkten Armen hervor. „Warum hast du ihn behandelt, wenn du doch wusstest, dass es dir verboten war, dich mit irgendeinem Nara außer Shikaku zu treffen?“   „Weil ich der Beste auf meinem Gebiet bin, Ibiki“, sagte Mushi mit klar werdenden Augen, als sein Konflikt von Überzeugung ersetzt wurde. „Weißt du, wie viele Psychiater Dissoziative Identitätsstörung nicht einmal als echten, ernstzunehmenden Zustand betrachten? Es ist erschreckend. Ich wollte nicht, dass Shikamaru noch einmal psychisch verletzt wird, weil irgendjemand seinen Zustand einfach abweist und eine Falschdiagnose stellt.“   „Meine Güte, du bestehst nur aus gut gemeinten Intentionen, was?“   Angesichts des Sarkasmus versteifte sich Mushi, aber schon wieder musste man bewundernswerter Weise sagen, dass das Feuer in seinen Augen nicht erlosch. Unbeirrbar begegnete er Ibikis düsterem Starren. „Ich habe ganz präzise begriffen, was ihm zugestoßen ist, Ibiki. In Anbetracht von Shikakus Tragödie war es offensichtlich, dass sich die Geschichte bei seinem Sohn wiederholt hat. Warum hätte ich ihn an einen anderen Psychiater überweisen sollen? An irgendwen, der absolut keine Ahnung, keinen Einblick, keine Erfahrung und auch kein Verständnis von der Psychologie der Nara hat?“   „Das klingt extrem territorial, Doktor“, merkte Ibiki an, da er nach Wegen suchte, um ein bisschen weiter in dieser ganzen Scheiße zu rühren und zu sehen, was letztendlich hängen bleiben würde. „Vater und Sohn in denselben dissoziativen Topf zu werfen? Das kommt deiner Fallstudie über die Nara sehr zugute. Deine Krallen darin zu versenken; sieht das einem Seelenklempner nicht ähnlich?“   Doch statt daran Anstoß zu nehmen, zog Mushi leicht den Kopf zurück und sah beinahe neugierig aus. „Sprichst du aus persönlicher Erfahrung, Morino? Ich war mir nicht bewusst, dass du jemals in Behandlung gewesen bist.“   Blöder Zug.   Ibikis Hand schoss über den Tisch und Mushi würgte, bevor er überhaupt realisierte, dass er am Kragen gepackt worden war. Sein Stuhl kippte auf die Hinterbeine und er schlug schwächlich um sich, als er nur von dem schraubstockartigen Griff um seine Kehle oben gehalten wurde. Die lederbekleideten Finger bissen sich tief.    Beinahe beiläufig beugte sich Ibiki zu ihm, seine Stimme so leise, dass sie kaum zu hören war. „Die letzte Person, die versucht hat, Seelenklempnerspielchen mit mir zu spielen, hat für sechs Monate Blut gepisst. Und diese Person mochte ich. Dich mag ich nicht, Mushi. Verstehst du die wirklich mehr als simple Geschichte, die ich dir gerade erzähle?“   Mit weiten Käferaugen stotterte Mushi mit lilarotem Gesicht eine Antwort hervor: „J-ja!“   Ein langsames Nicken und Ibiki riss ihn in die Aufrichtung, bevor er den Doktor festhielt, sodass er vor lauter Zittern nicht aus seinem Stuhl fiel. Mushis Atmung brauchte einige, lange Sekunden, um sich wieder zu stabilisieren und bis sich seine benebelten Brillengläser klärten.    Ibiki tätschelte ihm die Wange. „Guter Mann. Und jetzt erzähl mir von dieser Diagnose. Anders als bei Shikaku, hast du Shikamarus Dissoziative Identitätsstörung als unspezifiziert eingestuft. Erklär mir das.“   Zittrig rieb sich Mushi über seine eingedrückte Kehle und schluckte schwer. Er brauchte zwei Anläufe, bevor er die Worte hervor krächzen konnte. „Ich habe sie überhaupt nicht ‚in einen Topf geworfen‘, Morino. Obwohl er viele Faktoren einer DIS aufgewiesen hat, zeigte Shikamaru eine mentale Infrastruktur, die sich sehr von Shikakus unterschied.“   „Inwiefern unterschied?“   „Naja, mehr verheilt. Kohäsiver.“   „Erklär mir das.“   Sich immer noch über den Hals reibend spähte Mushi durch den Raum, als würde er nach etwas suchen, um es demonstrieren zu können. Letztendlich legte er seine unverletzte Hand auf seinen Tisch und ballte sie zu einer festen Faust. „Eine vollständige Persönlichkeit sieht so aus. Solide. Integriert. Eine dissoziative Persönlichkeit sieht so aus.“ Er spreizte die Finger auf eine Weise, die auf Brüche hinwies. „Also, als Shikaku zu mir gekommen ist, war es genau das, wie seine mentale Infrastruktur ausgesehen hat. Abgetrennt. Distanziert. Fragmentiert. Mit mehreren Persönlichkeiten – oder Alter Egos – die alle um die Kontrolle gewetteifert haben. Verstehst du, was ich mit Alter Egos meine?“   „Eine ausgeprägte Persönlichkeit, die jederzeit die Dominanz übernehmen kann“, sagte Ibiki flach, um Mushi wissen zu lassen, dass er weder von Terminologie noch von Psychogeschwafel manipuliert, oder untergraben werden konnte. „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht, also red weiter.“   „Sicher.“ Mushi wackelte mit seinen gespreizten Fingern. „Dieser dissoziative Zustand ist das, was ich auch bei Shikamarus Verstand bei unserem ersten Treffen erwartet hatte. Allerdings – ganz anders als bei seinem Vater – sah Shikamarus Psyche mehr so aus…“ Mushi formte eine sehr lockere Faust, die ein paar Lücken zwischen den Fingern aufwies.    Ibikis Brauen hoben sich ein Stück. „Also sagst du, dass Shikamarus Alter Egos beinahe integriert waren?“    „Beinahe“, stimmte Mushi zu, seine Miene erhellte sich leicht angesichts dieses Austausches auf Augenhöhe und er schien jetzt auch zuversichtlicher zu sein, da sie sich auf sein Fachgebiet begeben hatten. „Tatsächlich war Shikamarus Verstand schon viel mehr ‚zusammengeklebt‘ als bei seinem Vater. Die fragmentierten Teile arbeiteten bereits auf eine Integrierung hin. Wir nennen das eine Teilfusion oder partielle Zusammenführung. Stell dir meinen Schock vor, als ich herausgefunden habe, dass er diesen Punkt bereits erreicht hatte? Ich wusste, dass ihm irgendjemand geholfen, oder ihn behandelt haben musste. Aber er hatte keine Erinnerungen daran.“   „Tenka“, raunte Ibiki, erstaunt über die Aufgabe, die Naoki in diesen letzten Augenblicken noch zu bewältigen versucht hatte, bevor er Genma gesagt hatte, er solle mit Shikamaru wegrennen. „Also hat er nicht einfach nur versucht, die Erinnerungen in Shikamarus Verstand zu versiegeln, sondern er hat auch versucht, eine partielle Integration zu erreichen?“   „Ja!“, sprudelte es aus Mushi heraus, während er mit den Handflächen auf den Tisch klatschte, unfähig seine Begeisterung in sich zu halten, auch wenn der Schmerz in seiner Hand ihn etwas zügelte. „Eine phänomenale Leistung, auch wenn sie fehlerhaft war. Agent Tenka hat fast eine vollständige Integration der Alter Egos geschafft. Shikaku hat über sieben Jahre gebraucht, aus eigener Kraft eine Teilfusion zu erreichen. Weitere drei Jahre waren nötig, um eine vollständige Vereinigung der Teile zu erreichen. Und das war, nachdem Inoichi bereits eingeschritten war, um diese Bemühungen zu unterstützen und das Schlimmste davon auszulöschen.“ Er schüttelte den Kopf. „Was Tenka getan hat, war vorbildlich und noch nie vorher dagewesen. Nicht einmal Inoichi war dazu in der Lage.“   Ibikis Augen verengten sich ein wenig. „Und wie lange hast du gebraucht, um die Punkte zu verbinden, dass der Agent, den du auf Danzōs Anweisung behandeln solltest, derselbe war, der an Shikamarus Verstand rumgedoktort hat?“   „Nicht sehr lange“, gab Mushi zu und legte seine Hände auf dem Tisch zusammen. „Aber bis dahin hatte Tenka bereits seinen Verstand mit diesem Kinjutsu komplett abgeriegelt…“   „Du musst verzweifelt gewesen sein“, sagte Ibiki trocken, wobei sich seine Lippen zu einem harten, humorlosen Feixen verzogen. „Eine weitere verdeckte Gelegenheit zu verlieren, ein brillantes halb Nara, halb Yamanaka Hirn zu sezieren. So eine Chance wird sich nie wieder bieten.“   Seufzend presste Mushi die Lider aufeinander und schien dabei in zehn Sekunden zehn Jahre zu altern. „Ich weiß, was du denkst, Ibiki…“   „Ich wette, dass du das zu allen deinen Klienten sagst.“   „Die Arbeit, die ich im KERN leiste. Das ist nicht für Danzō. Ich mache das für den Agenten.“ Hier hielt er inne, öffnete die Augen und stierte auf den Verband an seiner Hand. „Ich sorge mich um meine Patienten. Ganz entgegengesetzt zu dem, was du glaubst, sind sie nicht einfach nur Fallstudien für mich. Ich werde sicher nicht lügen und behaupten, dass mich mein Arbeitsgebiet nicht fasziniert oder dass ich nicht die Gelegenheit ergreifen würde, meine Forschungen und mein Verständnis auszuweiten, sollte sich eine solche Chance bieten. Absolut, das würde ich tun. Aber du täuschst dich, was meine Motive angeht.“   „Willst du das vielleicht aufschreiben? Ist ein guter Werbespruch.“   Mushi wurde regungslos und seine Augen hoben sich. „Ich lüge nicht. Und ich denke, dass du das auch weißt.“   Mutiger Zug. Hätte den Doktor seine andere Hand gekostet, wenn er damit nicht recht gehabt hätte.   Ibikis Schmunzeln schnitt sich etwas tiefer. „Spielt sowieso keine Rolle. Du musst nicht mich überzeugen, sondern die Ältesten. Und die sind ein schwieriges Publikum. Denkst du wirklich, dass du auch sie mit diesen Worten für dich gewinnen kannst? Viel Glück dabei. Du kannst dich schonmal von deiner Praxis, deinen Patienten und deinem Beruf verabschieden.“   Angst; sie flammte wie ein Scheiterhaufen hinter diesen dunklen Insektenaugen auf. „Aber ich sage die Wahrheit!“   Ibiki bellte ein düsteres Lachen hervor und stellte sich wieder auf die Füße, um sich von dem Tisch fort zu bewegen. „Du denkst, die Wahrheit spielt in einem System aus Lügen eine Rolle? Du wirst ihnen eine ganze Menge mehr geben müssen, als die Wahrheit, Doktor.“   „Was dann?“, flehte Mushi und rappelte sich bebend auf die Füße, als Ibiki ihm den Rücken zuwandte. „Was wollen sie von mir? Sag mir, was ich für sie tun soll! Meine Arbeit ist meine Welt, Morino!“   Ibiki blieb stehen.    Ah, da war sie. Die Öffnung, auf die er gewartet hatte. Verzweiflung. Ein Druckmittel, wo er den Hebel ansetzen konnte. Er war darauf vorbereitet gewesen, den Doktor aufzumischen, sollte es nötig sein, aber psychische Manipulation zu nutzen, war viel besser. Außerdem wollte er nicht, dass Mushi noch zerzauster oder verdächtiger wirkte als ohnehin schon.    Ibiki machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück zu dem Tisch.    Sofort sank Mushi bei seiner Rückkehr wieder auf den Stuhl, sah verängstigt und besorgt aus, die Augen fiebrig grell in seinem wächsernen Gesicht. Er strahlte die Verzweiflung in schwitzigen und stinkenden Wellen aus.   Für einen Moment ließ Ibiki ihn schmoren, nahm sich Zeit, um die Arme zu verschränken und lehnte seine Hüfte gegen den Tisch, während er hinunter auf den kleinen Mann stierte, die Konturen seines Gesichtes in schroffe Linien geschnitten.  Und dann ergriff er das Wort. „Du hast Zutritt zu KERNs Intensivstation?“   Ruckartig nickte Mushi und stolperte zitternd über seine Worte. „J-ja. Danzō hat Inoichi und mir die Passwörter gegeben, sodass wir Zugang zu Tenka haben.“   Ibiki lehnte sich sehr nah zu ihm und blockierte dabei jedes Licht. „Du weißt Bescheid über ihre Wachwechsel? Über ihr Sicherheitssystem?“   Ein weiteres bebendes Nicken. „Ja…auf der Intensivstation an sich gibt es da nicht viel. Mehr Personal als Wachen. Ich war überrascht.“   Ibiki nicht. KERN hatte weit sensiblere Bereiche, auf die man Defensiven konzentrieren musste. Forschungslabore, Archive, Waffenlager und Gott weiß was sonst noch. Danzō war niemand, der Ressourcen für ein Medizinzentrum verschwendete, wenn er Mittel und Arbeitskräfte anderswo investieren konnte. Außerdem erachtete alle seine KERN Agenten als entbehrlich.   Stirnrunzelnd verkrampfte sich Ibikis Kiefer. „Kann Tenka verlegt werden?“   „Nur mit Autorisierung.“   „Ich meine physisch; kann er verlegt werden?“   „Mit dem richtigen Equipment, ja…“ Langsam brach Mushi ab und schüttelte den Kopf, als seine Käferaugen hinter den Linsen rund wurden. „Was du vorschlägst, ist unmöglich. Wahnsinnig.“   Ibiki stierte ihn an…und dann lächelte er. Ein kaltes Aufblitzen von Zähnen in der Dunkelheit. „Ich habe nie für mich in Anspruch genommen, geistig gesund oder vernünftig zu sein.“   ~❃~   „Mann, also irgendjemand hat hier unten auf jeden Fall mal so richtig verrückt gespielt. Riecht, als wären die Innereien von ein paar Leuten nach außen gekehrt worden.“   „Ugh, ewww und WIESO? Einen ekligen Dauerkommentar brauche ich jetzt wirklich nicht, Kiba.“   „Dann begeistere mich doch mit ein bisschen Fachchinesisch, Prinzessin.“   Ino rümpfte irritiert die Nase, da sie dem Ganzen nichts forensisch Intelligentes hinzuzufügen hatte. Sie konnte keine verdammte Sache sehen. Die Notfalllichter entlang dieses Teils des Ganges waren durchgebrannt und tauchten den Streifen voraus in totale Dunkelheit.    Ein Hoch auf Werkzeuge!   Rasch zog sie eine Taschenlampe hervor, drückte auf den Knopf am Ende und ließ den Strahl über Kibas Schulter fallen, um ihn in die Eingeweide des Korridors zu richten, der sich vor ihnen erstreckte, wobei sie Spritzer aus Rot auf den Wänden erhaschte. Doch dann beendete Kiba ihre Suche, indem er eine Hand nach hinten hielt, um den Lichtstrahl mit seiner Hand abzufangen.    „Hey!“   „Du fuckst meine Nachtsicht ab“, sagte er nur. „Mach das aus. Brauchen wir nicht.“   „Du brauchst das nicht“, knurrte sie, stopfte die Taschenlampe aber trotzdem zurück in ihre Ninjatasche. „Es ist rabenschwarz da unten, wie soll ich also-?“   Er packte ihre Hand, zögerte kurz und griff dann stattdessen nach ihrem Handgelenk. „Einfach mir nach.“   Inos Puls taumelte wild unter seinen Fingern und ihr Atem geriet ins Stocken, bevor sie ihn mit einem belästigten Seufzen ausstieß und Zickigkeit erzwang, um ihre Nervosität zu überdecken. „Wow. Wie Alpha von dir. Ich würde wetten, dass das als Kind dein Lieblingsspiel war.“   Kiba lachte leise. Es war ein rohes, kehliges Geräusch, das die Härchen auf Inos Armen aufstellte. Dann begann er zu laufen und zog sie hinter sich her, seine Berührung warm, fest und ein bisschen rau…wie sich auch seine Arme letzte Nacht um sie gelegt hatten.    Okay. MISSION.   Priorität Nr. 1. Kiba hatte sie bisher noch nicht einmal eine Nummer zugewiesen. Nervig, denn sie konnte sich nicht so von ihren interferierenden Emotionen loslösen wie Shikamaru und sie befand sich inzwischen weit jenseits davon, das zu verleugnen, was sie letzte Nacht gefühlt hatte.    Scheiß auf Abtrennung, scheiß auf Verleugnung.    Sie hatte eine gesündere Taktik, die sie „Verschieben“ nannte. Darin war sie gut. Dinge aufschieben, ohne sie lahmzulegen. Bei dieser Akatsuki Mission mit Hidan und Kakuzu hatte es funktioniert. Sie hatte ihre Trauer bis nach der Mission verschoben, hatte ihren Schmerz verschoben, bis der Gerechtigkeit Genüge getan worden war.    Das war ihr narrensicheres Vorgehen: Prokrastination.    Die Emotionen nicht verleugnen, sondern sie verschieben und sich später damit auseinandersetzen. Und die ganze Zeit seit dieser letzten Nacht hatte diese Taktik ihre unkomplizierte Magie entfaltet, bis Neji den Befehl gegeben hatte, Team B aufzuteilen. Er war mit Tenten nach links gegangen und hatte Kiba und Ino einfach zurückgelassen, um den rechten Flügel der Untergeschosse auszukundschaften.    Das hätte ich SOWAS von kommen sehen müssen…   Schmallippig hatte sie es gerade so geschafft, ihre kühle und gefasste Haltung beizubehalten. Aber es war klar, dass Kiba einfach drauf los marschieren und sie wieder anfassen würde. Völlig egal, wie ungeplant. Völlig egal, wie unschuldig.    Unschuldig? Kiba?    Auf gar keinen Fall. Er wusste, was er mit seinen Fingern tat, die sich heiß gegen die dünne Haut ihres Handgelenkes drückten. Wahrscheinlich konnte er spüren, was für Sätze ihr Puls machte.    Ugh!   Der kindische Drang, mit dem Fuß aufzustampfen war ebenso peinlich, wie er falsch war. Sie holte langsam Luft, schlug mental nach den Gefühlen, die in ihrem Inneren flatterten und konzentrierte sich auf die derzeitige Aufgabe, die momentan auch beinhaltete, nicht auf den Arsch oder ihr Gesicht zu fallen.    Ein Schritt nach dem anderen.    Der Untergrund neigte sich leicht, wahrscheinlich zu Drainagezwecken im Falle von irgendwelchen Lecks. Vor sich konnte sie hören, wie Akamarus Krallen leise auf dem Beton klackten. Nach den Grundrissen und dem zu urteilen, was sie vorhin in dem von Notfalllichtern beleuchteten Bereich gesehen hatte, besaßen die Untergeschosse ein typisch rudimentäres Design, einfacher Beton und wartungsarmes Zeug.    Pft. Erklärt auch die billigen, echt beschissenen Notfalllichter.   Ein leises Wuff und Akamarus klackende Krallen blieben stehen.    Auch Kiba hielt inne und drückte leicht Inos Handgelenk. „Da ist was.“ Er ließ sie los und musste in die Hocke gegangen sein, denn sie stand nahe genug, um bei der Bewegung von seinem Hintern gegen die Hüfte gestoßen zu werden. „Oi, bleib etwas mehr zurück.“   Grummelnd wich Ino einen Schritt nach hinten und verschränkte dabei die Arme, da sie sich ohne seine Orientierung gebende Berührung plötzlich verletzlich in der Dunkelheit fühlte. „Was ist es?“   Sie hörte, wie er in die Luft schnupperte und würgte, als hätte er einen Hauch von etwas Widerlichem eingefangen. Sie fragte nicht weiter nach. Sie fürchtete sich vor irgendwelchen weiteren Kommentaren darüber, wie Eingeweide und Blut für eine Inuzuka Nase rochen. Stille senkte sich unheimlich um sie herum, die nur angefüllt war von Akamarus leisem Schnaufen und dem leichtesten Pfeifen der Luftschächte über ihnen. Außerdem war da noch ein seltsam zirpendes und klickendes Geräusch, als hätte sich etwas in diesen Kanälen verfangen.    Ein plötzlicher Schlag ließ sie zusammenzucken.    „Au“, knurrte Kiba, gefolgt von dem kratzenden Geräusch eines Riegels, der ausprobiert wurde. „Shit. Hast du diese Taschenlampe zur Hand?“   Schnaubend tastete Ino ihre Hüfttasche ab, als sie nach der Taschenlampe suchte. „Was ist denn mit deiner tollen Nachtsicht passiert?“   „Ich kann nicht durch Wände sehen, Schätzchen.“   Das ging nach hinten los. Peinlich berührt verzog Ino das Gesicht und war dankbar für die Dunkelheit. „Nenn mich nicht so“, grollte sie und kratzte genug Geistesgegenwart zusammen, um eine Hand um das Ende der Taschenlampe zu schließen und sie anzumachen, während sie das Licht in ihrer Handfläche einfing, um Kibas Retinae zu schonen. Den gedimmten Strahl ließ sie über die Wand wandern und ihre Augen wurden überrascht rund.    Kiba hockte neben einer hohen, schmalen Tür mit einem Glasfenster, die Hände auf den Schenkeln abgestützt. Mit dem Kopf deutete er auf das Glas. „Siehst du irgendwas?“   Ino blinzelte durch die Düsternis, schüttelte aber den Kopf. „Zu dunkel auf der anderen Seite.“   „Na schön.“ Er sah zu Akamaru und ruckte mit dem Kinn. „Geh mal jagen, Kumpel.“ Der Hund stieß etwas aus, das wie ein nasses Schluckgeräusch klang und trottet dann den Korridor entlang, die Nase auf den Boden gerichtet. Kiba hingegen wandte sich wieder um und klopfte mit den Knöcheln leicht auf die Angeln. „Leuchte mal hierher, Ino. Ich will wissen, in welche Richtung die Tür schwingen wird.“   Stirnrunzelnd neigte Ino ihrer Arme und tat, wie ihr geheißen. „Warum? Hast du vor, da einzubrechen?“    Eine rasche Inspektion der Scharniere und Kiba setzte dieses Piratengrinsen auf.    Oh Gott.   Seufzend schüttelte Ino den Kopf. Sie wich ein paar Schritte zurück und hielt dabei das gedämpfte Licht nah an die Brust gedrückt. „Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, was sich auf der anderen Seite dieser Tür befindet?“   Kiba rappelte sich auf die Füße, überprüfte die Position des Türknaufs, um einschätzen zu können, wo genau das Schloss montiert war. „Ich kann kein Blut oder Eingeweide riechen, nur irgendwas Blumiges und Beißendes, das wahrscheinlich dafür sorgen wird, dass unsere Ärsche diese bonbonfarbenen Wände entlang hüpfen werden.“   Inos Brauen hoben sich mit gewecktem Interesse. „Du hast die Pflanzenopiate gefunden?“   „Glaub schon.“   Auch wenn das definitiv ein Punkt auf der Liste ihrer Missionsziele war, war es kein gutes Zeichen, dass Kiba das hier draußen so stark riechen konnte. „Wenn sie die Opiate und Nahrungspillen dadrin kochen, dann haben sie da wahrscheinlich auch Filtermasken. Aber wenn da keine sind, dann solltest du lieber drauße-“   „Hör auf, dir Sorgen zu machen. Das wird ein Kinderspiel. Ich halte einfach die Luft an.“   „Bei jeder anderen Gelegenheit, hätte ich so gar nichts dagegen.“   Immer noch grinsend wich Kiba einige Schritte von der Tür zurück, stemmte sich auf seinen linken Fuß und rollte locker mit den Schultern. Mit wackelnden Brauen sah er zu ihr. „Verdammt, das wollte ich schon immer mal machen.“   Ino rollte mit den Augen. „Wenn du dir dein Bein brichst, dann werde ich es nicht wieder richten.“   „Das einzige, was bricht, ist diese Tür.“   „Wirklich erstklassige letzte Worte“, murmelte Ino und bemühte sich hart um ein Lächeln. Mit vorgetäuschter Verärgerung fuchtelte sie in seine Richtung. „Na dann mach schon.“   Kiba klatschte die Hände zusammen, rieb sie sich aufwärmend…dann hielt er inne. „Scheiße. Vielleicht wäre ein Dropkick cooler.“   „Kiba.“   „He, dräng mich nicht.“   „Oh mein Gott.“   „Ach scheiß drauf.“ Mit golden funkelnden Augen rammte er die Ferse nach vorn, lehnte sich mit in den Aufprall und donnerte seinen rechten Fuß direkt neben das Schloss.    Das Holz splitterte und die Tür explodiert mit einem trockenen Schnappen nach innen.    Erfolgreich.    Mit gebeugten Knien ließ Kiba den Kopf nach hinten kippen und stieß eine triumphale Faust in die Luft, während er einen kleinen Kreis drehte und sein Mund wortlos einer imaginären Zuschauermenge dankte – oder vielleicht auch einem Gott, denn sein Ego sonnte sich auf jeden Fall in diesem erfolgreichen Tritt.    Ino beobachtete ihn und ein Kichern blubberte hinter ihren Lippen. Rasch presste sie ihren Mund zu einer schmalen Linie zusammen und schnaubte. „Du bist so ein Trottel.“   Mit ausgebreiteten Händen wirbelte er zu ihr herum. „Ein einziger Versuch, Süße.“   „Anfängerglück.“   „Die nächste werde ich mit einem Dropkick eintreten.“   „Wow. Denn dabei kannst du ja auch gleich beide Beine aufs Spiel setzen.“   Unbeeindruckt grinste Kiba schon wieder und kam mit weit ausgebreiteten Armen auf sie zu, seine Schritte schwingend und spielerisch. „Dein Fauchen und Spucken ist einfach nicht dasselbe, wenn du mich so anlächelst.“   „Das mache ich gar nicht.“   „Oh doch, das tust du.“   Wegen seiner plötzlichen Nähe sog Ino scharf die Luft ein und ein Erröten kroch dabei über ihren Hals. Die Faust um die Taschenlampe gekrallt drückte sie sich das Ding gegen die Brust und das gedämpfte Glühen warf Kibas Gesicht in scharfe, verwinkelte Schatten, als er einen Arm direkt über ihrem Kopf gegen die Wand stützte.    So gut sie konnte, presste sich Ino gegen den kalten Beton, war sich der Hitze viel zu sehr bewusst, die zwischen ihnen aufstieg. „Wir sind auf Mission, Kiba.“   Schmunzelnd lehnte sich Kiba nach unten und seine Tieririden glühten mit diesem unheimlichen Leuchten. „Ich habe gerade den Pflanzensaft-Jackpot gewonnen und das ist der Dank, den ich dafür bekomme?“   Schniefend reckte Ino das Kinn. „Erwartest du immer eine Belohnung, wenn du ein Kunststück aufgeführt hast?“   Die Hunde-Stichelei verfehlte ihr Ziel. Es amüsierte ihn nur und sein Grinsen streckte sich noch etwas weiter, um diese sexy Lachfältchen in seine tätowierten Wangen zu graben. „Ich habe schon ein paar Kunststückchen auf Lager, die eine Belohnung wert sind. Du solltest meine spät abendliche Version von ‚Auf den Rücken rollen‘ und ‚betteln‘ sehen.“   Der Schalk in seinen Augen rettete ihn vor einer Ohrfeige. Ebenso wie sein Lächeln. Es war ein gefährlich ansteckendes Schmunzeln; die Art, die an Inos Mundwinkeln kitzelte, als sie versuchte, nicht zurück zu lächeln und den Humor zu teilen.    Kibas Grinsen wurde etwas weicher und seine Augen richteten sich auf ihren Mund.    Verrückt, wie schnell sich ihre Lippen einladend teilten und ihr Atem angesichts der Erinnerung an ihren letzten gemeinsamen Kuss stockte.    Mein erster Kuss…   Er hatte ihn sich gestohlen. Dieser schamlose Dieb. Und wahrscheinlich wusste er das nicht einmal. Es brachte sie dazu, dass sie im Gegenzug auch etwas von ihm stehlen wollte…etwas, das ihn nachts wach halten würde, etwas, das ihn ebenso zeichnen würde, wie dieser Kuss sie gezeichnet hatte.    Zähne und Klauen kamen ihr in peinlich kräftigen Bildern in den Sinn.    Sie errötete heftig wegen ihrer Gedanken und war geschockt von der Fähigkeit ihres Geistes, trotz ihrer mangelnden Erfahrung solch wilde, erotische Details heraufzubeschwören. Sie schob die Schuld dafür auf die Verführungslektionen für Kunoichi mit Anko. Oder vielleicht kam das alles auch von einem ganz anderen Ort.    Ruft er das in mir hervor? Oder übernehme ich das von ihm?    Ihr Herz sprang in ihre Kehle, als sich Kiba noch näher beugte und den Kopf neigte.    Küss mich, küss mich.   Akamaru bellte von irgendwo den Gang hinunter und durchbrach den Bann.    Mit vernichtender Miene drehte Kiba den Kopf. „Ernsthaft?!“   Schluckend nutzte Ino die Gelegenheit, um sich unter seinem Arm hindurch zu ducken und zu entkommen, während ein nervöses Lachen von ihren Lippen fiel. Kiba reagierte auf dieses spielerische Geräusch, wirbelte herum und versuchte, sie zu greifen. Behände tänzelte sie aus dem Weg, bevor er sie um die Taille einfangen konnte, schlug leicht nach seiner Hand und stach dann mit einem Finger in seine Richtung.    „Kiba, nicht“, warnte sie, da sie, verspätet beschämt, dass sie so herum alberten, versuchte, die verantwortungsbewusste Erwachsene zu sein. „Wir sind auf Mission.“   Das ruckte an der Leine. Kiba blies die Luft durch die Lippen, hob seine Hände und wich vor ihr zurück, während sich seine Miene zu einer schuldbewussten Grimasse verzog.    Das überraschte sie.    Es kam ihr niedlich vor…und so nah an zerknirscht, wie es bei Kiba überhaupt möglich war.    Pfft. Er ist unverbesserlich.   Auch wenn er es nicht sehen konnte, lächelte sie. Seine Aufmerksamkeit war auf einmal auf die Türöffnung gerichtet. Offenbar bewunderte er sein Werk. Oder vielleicht versuchte er auch einfach nur, die Unbeholfenheit zu ignorieren…denn er stierte ziemlich heftig auf das schmale Maul der offenen Tür statt sie anzusehen, sein Körper war angespannt und er hielt den Atem an.    Er wartet darauf, dass ich die Stille durchbreche…ugh…Männer sind so nutzlos…   Schnaubend lief Ino zu dem Raum. „Na, worauf wartest du de-?“   Akamaru stieß ein plötzliches, scharfes Jaulen aus.    Ino wollte sich umwenden, doch Kiba rammte sie so schnell seitwärts, dass sie unter ihm zu Boden ging. Die Taschenlampe flog aus ihrem Griff und schlitterte außer Reichweite. Hart traf sie auf dem Beton auf und Kibas Gewicht presste ihr die Luft aus den Lungen. Ihr hohes Japsen verlor sich unter Akamarus aufgeschrecktem Bellen.    Etwas Nasses bespritzte ihren Hals und ihre Brust und ein heißes Brennen durchstach ihre Schulter. Sie hatte keine Luft mehr, um schreien zu können, aber Kiba schon.   Sein Brüllen schnitt sich schärfer als der Schmerz durch sie.    Ihre Augen flogen auf und ihr Mund öffnete sich in einem leisen Schrei. Über ihr auf den Handflächen abgestützt, hatte Kiba die Lider krampfhaft und qualerfüllt geschlossen – und da, aus seiner Schulter herausragend, war ein langes, grotesk stacheliges Ding; ein zuckendes und zappelndes Insektenbein, das wie der Greifarm einer Gottesanbeterin gekrümmt war…schimmernd nass von Blut…   Diese Klaue hatte sich direkt durch Kiba hindurch und in sie gebohrt, wodurch beide festgepinnt waren.    „S-Shit“, zischte Kiba, während sein Blut warm auf Inos Brust tropfte. Sein Körper bebte, als er versuchte, sich nach hinten zu stemmen und die Klaue aus ihr zu ziehen, indem er sich selbst auf dem Stachel aufspießte.    Ino schluckte einen Atemzug und versuchte, ihm zu sagen, dass er aufhören sollte.    Und dann baute sich eine Gestalt hinter ihm auf, der Strahl der Taschenlampe strich über wächserne Schuppen. Inos Stimme stockte ihr in der Kehle und ihr Körper sackte entsetzt gegen den Boden zurück.    Oh mein Gott…   Im Lichtschein sah sie zu, wie sich ein riesiger Insektenkopf über Kibas Schulter erhob – das herzförmige Gesicht einer Mantis. Zwei seelenlose Facettenaugen stierten sie breit und flach und fleckig mit winzigen schwarzen Pupillen an. Ino wurde eiskalt; ein Empfinden, das von den nassen, zirpenden Klick Geräuschen der kurvigen und blutigen Mandibeln noch verstärkt wurde. Kraftvolle, zangenförmige Kiefer zerkauten Klumpen verrottenden Fleisches.    Galle stieg in Inos Rachen auf, schierer Horror packte ihr Inneres und verdrehte es hart. Zuerst diese Hyänen-Affen-Hybriden und jetzt diese Abscheulichkeit?   Bastarde. Irre, kranke Bastarde.    Nur vage konnte sie das Knurren und die schnappenden Geräusche von Akamaru hören, der sich in den Kampf stürzte.    Kampf…Kampf…KÄMPF…   Zorn pflügte sich einen heißen Pfad durch ihre Blutbahn, Adrenalin pumpte schnell und spülte das Entsetzen fort. Kiba musste es an ihr gerochen haben, denn seine Augen flammten wie flüssiges Gold auf, Krallen gruben Rillen zu beiden Seiten ihres Kopfes in den Boden, als er sich darum bemühte, aufrecht zu bleiben und nach hinten zu drücken.    „So eine Scheiße“, zischte er.    Ino nickte ruckartig, während sie versuchte, ihre Arme freizubekommen und gleichzeitig hart die Zähne zusammenbiss, als sich die Spitze dieser zuckenden Klaue noch tiefer in ihre Schulter grub und sich noch ein paar Zentimeter weiter in Kiba schnitt.   Blut tropfte dickflüssig nach unten.    Laut aufschreiend befreite Ino einen Arm, streckte ihn mit brennenden Fingern nach der Taschenlampe aus.    Komm schon, komm schon!   Sie packte sie in dem Moment, als sich die Mantis mit weit geöffneten Kiefern auf Kibas Hals stürzte.  Mit einem gellenden Schrei schwang Ino die Taschenlampe wie einen Knüppel und hämmerte das glühende Ende in eins dieser riesigen, grünen Augen. Das Insekt kreischte und der Kopf drehte sich um 180 Grad auf dem spindeldürren Hals. Brüllend rammte Kiba seinen Schädel nach hinten und erwischte das Monster direkt im Gesicht.    Fassungslos krabbelte es vor ihnen zurück.    Der stachelige Unterarm löste sich mit einem nassen, quetschenden Geräusch aus ihnen.    Keuchend sackte Kiba zusammen, rollte und packte seine aufgerissene Schulter. Ino rollte sich in die andere Richtung, kam rasch wieder auf die Füße und warf sich mit einer Wildheit in die Offensive, die ebenso heftig wie plötzlich war, als Brutalität auf einem finsteren Schrei in ihr aufstieg. Kunai flogen in ihre Finger und sie hackte und schlug um sich, als wäre sie besessen, ihre Sicht wusch sich rot.    Die Mantis ging um sich tretend zu Boden…   Schreiend…   Schrilles Insektenkreischen und ersterbendes Klicken…   Bewegungen über ihnen. Ein plötzliches Klacken. Und dann brachen drei weitere Kreaturen aus den Lüftungsschächten nach unten wie Kakerlaken, die aus einem verfaulten Dach herab regneten. Sie konnte sie kaum sehen, aber sie hörte sie, das Übelkeit erregende Knacken, Zirpen und Klicken.    Sie riss ein Leuchtsignal hervor, entschärfte es und ließ es fliegen.    Der Gang flammte mit Funken auf und das rosarote Glühen der Leuchtfackel brannte wie Glut.    Es reichte, um etwas zu sehen.   Es reichte, um abzuschlachten.    Schreiend ließ Ino das Kunai um ihre Finger wirbeln und machte sich an die Arbeit, ritt auf dieser schwarzen Welle, bis sie alle Wände mit Rot getüncht hatte. Ihr Blut, das von denen, ihre Nase füllte sich mit dem klebrigen Gestank von dem, was auch immer diese Monster jenseits von Wissenschaft und Sadismus zusammenhielt.   Stirb. Stirb. Stirb!   Sie stieß sich von der Betonwand ab und ließ ihr Knie in die Unterseite dieser riesigen, klackenden Kiefer krachen, während sie ihre Kunai in einem bösartigen Scherenschnitt überkreuzte, um Panzer und Stücke schuppigen Fleisches zerfetzte.    Die Leuchtfackel fing an zu flackern und die Dunkelheit kroch wieder heran.    Aber sie brauchte das Licht auch nicht länger.    Es ist vorbei.   Wie lange hatte es gedauert? Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Schwer keuchend starrte Ino weitäugig auf die Monster zu ihren Füßen, sah zu, wie sie zuckten und zirpten, ihr Thorax aufgerissen. Ein finaler, zorniger Schrei und sie trat hart genug gegen den hässlichen Kopf, um ihn vom Körper zu lösen. Er segelte den Korridor entlang und traf auf die ersterbende Leuchtfackel.    Dunkelheit kehrte zurück und schloss die Szene.    Nach Luft schnappend taumelte Ino mit einem erstickten Schrei zurück, halb blind von der Dunkelheit des Ganges und halb geblendet von der Raserei, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Adrenalin bebte in ihr und ließ ihre Zähne klappern.    Noch mehr Klicken den Gang hinab.    Sie wirbelte auf dem Absatz herum, die Kunai erhoben und ihre Augen flammten wild, aber blind auf.    Dunkelheit, Dunkelheit überall um sie herum.    Klick, Klick, Klick.   „Kiba?“, keuchte sie mit stockender Stimme.    Ein leises, nasales Winseln echote zu ihr zurück…das Klick, Klick, Klick löste sich zu dem vertrauten Geräusch von Akamarus Krallen auf, die über den Beton kratzten. Ino zuckte leicht zusammen, als sich eine nasse Nase gegen ihre Hand drückte und eine warme Zungen an ihren Fingern leckte.    Sie berührte den Kopf des Hundes und wandte sich um. „Kiba?“, rief sie noch einmal.   Akamaru war ihr bereits voraus und strich an ihr vorbei. Sofort machte Ino ein paar stolpernde Schritte in dieselbe Richtung, während sie versuchte, sich irgendwie zu orientieren. Sie legte eine Hand an die Wand und tastete sich ihren Weg zurück zur Tür. Als sie näher kam, zog ein dumpfes Glühen ihre Aufmerksamkeit zu der Taschenlampe, die noch immer in der blutigen Augenhöhle der Mantis begraben war. Zittrig ging sie in die Knie, riss sie mit einem Schmatzen heraus, Sie machte keine Anstalten, diesen Befehlen zu folgen. Noch nicht.    Gleich.    Es war nicht ihre oberste Priorität. Hätte es sein sollen. War es aber nicht.    Wo bist du?   Gott, wenn sie nur nicht so herumgealbert hätten…   Hör auf. Finde ihn einfach nur.   Sie setzte ihre Suche fort und erhaschte einen Blick auf Akamaru. Sie konnte hören, wie die Krallen des Hundes irgendwo zwischen den Arbeitstischen über den Boden kratzten, gefolgt von dem dumpfen Summen eines Generators und dem beständigen Tropf, Tropf, Tropf von Wasser.   Bitte sei Wasser…   Als sie ein Ecke umrundete, wo sich das Labor in einen weiteren Anbau erstreckte, stolperte sie in einen gigantischen Kakerlakenkopf und ließ ihn beinahe in einem reflexartigen Tritt durch die Gegend wirbeln. Das Ding rollte von der Spitze ihrer Sandale fort, die Mandibeln immer noch zuckend, lebendig trotz der Enthauptung. Ino schluckte Galle hinunter und erspähte mehrere Körperteile, die in dem angrenzenden Gang verstreut lagen.    Der Kopf war einfach abgerissen worden – genau wie die Flügel, Beine und der Brustkorb.    Nicht geschnitten.    Gerissen.   Mit bloßen Händen.    Das konnte sie an den Knorpelsträngen und Schleimfäden erkennen, die sich immer noch von Stück zu Stück erstreckten.    Kiba…   Sie kämpfte einen Schluckauf der Panik hinunter. Er musste sich im Biestmodus befunden haben. Ein wildes Tier auf Beutezug und er hatte eine blutige Spur zurückgelassen, der sie folgen konnte; abgerissene Körperteile und blutige Stücke, ein hässliches Puzzle, das eine sehr graphische Darstellung des Kampfes zeichnete, der hier stattgefunden hatte.    Beschädigtes Equipment kam ins Sichtfeld…   Zusammen mit ein paar mehr Segmenten zuckender Körper…   Ino atmete schwer durch die Filtermaske, hielt inne und griff in die Tasche an ihrer Hüfte. Sie holte einen kleinen Behälter mit Shinos Kikaichūs heraus und setzte sie auf den Boden, um sie davon krabbeln und den Virus verbreiten zu lassen. Jede Insektenchimäre, die immer noch zuckte oder um sich trat oder noch darauf wartete, überhaupt erst zu schlüpfen, würde sich schon bald im Todeskampf befinden.    Nachdem sie das erledigt hatte, bewegte sie sich tiefer in den Anbau, wo die Dunkelheit langsam dünner wurde. Sie wurde von undurchdringlich zu suppig und letztendlich wich sie dem dämmrigen Glühen mehrerer Tanks, die wie Aquarien in die Wände eingefasst waren.    Pflanzenexemplare schwebten bauchig und fremdartig aussehend in trübem Wasser.    Einer der Tanks war zersplittert und Scherben hingen und standen wie gezackte Zähne. Ein riesiger Mantiskopf war auf einer der Scherben aufgespießt. Kiba musste das Vieh mit dem Gesicht voran in den Tank gerammt haben.    Akamaru stierte auf das tote Monster und winselte leise.    Wo bist du, Kiba?   Als sie über eine Pfütze rostroten Wassers hinweg trat, lief Ino an Akamaru vorbei und folgte dem Glühen der Tanks bis zu einer Tür, die hinaus in einen schiefen Gang führte. Mit der Taschenlampe leuchtete sie den verwinkelten Korridor entlang. Er endete in einer Doppeltür. Sie schwang lose in den Angeln, dazu gedacht, in beide Richtungen aufgedrückt werden zu können wie Kantinetüren.    Er muss hier lang gekommen sein.   Akamaru tauchte an ihrer Seite auf und stierte mit eingezogenem Kopf auf die Tür.    Er machte keine Anstalten, sich zu nähern.    Ino spähte auf den Hund hinunter und deutete seine Zurückhaltung als Warnung. Sie hatte nicht Kibas animalische Instinkte, aber sie hatte genug Gruselfilme gesehen, um zu wissen, dass es Hunde immer besser wussten als die völlig beschränkten Menschen.    Trotzdem kann ich nicht einfach nur hier rumstehen…   Ino justierte ihre Maske neu, beruhigte ihre Atmung und näherte sich wachsam, das Kunai zwischen weißen Knöcheln gepackt. Akamaru folgte ihr auf dem Fuße wie ein Schatten an ihrer Seite. Langsam streckte sie eine Hand vor sich aus und griff nach den Schwungtüren, ihre Finger streckten sich, streckten sich…   Und dann explodierten sie nach außen.   Aufgeschreckt schwang Ino ihr Kunai.    Es prallte von einem Stirnband ab und schlug Funken.    Goldene Augen fingen den Lichtstrahl auf und funkelten hell und weit.   Kiba.   Inos Herz sprang ihr in die Kehle. Keuchend stolperte sie einen Schritt zurück und kollidierte dabei beinahe mit Akamaru. Der Ninken tänzelte einen Kreis um sie herum und bellte laut mit wedelndem Schwanz.    Ino brauchte eine lange Sekunde, um ihren Atem wiederzufinden; ihre Augen stachen. „Du Trottel!“   Kiba hob mit einem breiten, dämlichen Grinsen die Brauen, seine Iriden brannten.    Aber es waren nicht nur seine Augen, die mit diesem animalischen Schimmern leuchteten. Da, von der blutenden Schulter des Inuzuka hängend, war der fuchsgesichtige Nagu, Yako.   ___________________ Hey meine Lieben :)  Wieder ein Kapitel mit ziemlicher Verspätung, aber ich habe mich ziemlich in Fachliteratur vertieft für dieses Kapitel, um die ganze Sache mit der DIS, die Mushi erklärt, so realistisch wie möglich darzustellen und um auch zu verstehen und beschreiben zu können, was da eigentlich in Shikakus und Shikamarus Verstand abgeht ^^ Sollte euch das Fachjargon irritieren, oder euch irgendwas unklar erscheinen, dann zögert bitte nicht, zu fragen :)  Ansonsten haben wir in diesen Kapitel noch einen langen Teil zu Ino und Kiba und immerhin hat Kiba einen der Nagu gefunden ;)  Ich hoffe auf jeden Fall sehr, dass es euch gefallen hat und würde mich wie immer sehr über ein paar Worte von euch freuen!! Ganz liebe Grüße,  Scatach Kapitel 45: Barely any cost --------------------------- Der Schutzraum war ein Schlachthaus und in alle möglichen Rotschattierungen getaucht.    „Oh mein Gott“, würgte Tenten mit erstickter Stimme in ihre Armbeuge.   Neji stand am Maul des geschmolzenen Durchgangs, starrte in den Bunker und atmete langsam durch seine Zähne. Tod verstopfte seine Nase und der Fäulnisgeruch offener Abwasserkanäle überlagerte das korrosive Brennen von Metall und den ekelerregenden Gestank chakraverstärkten Schleims und Speichels.    Kami…ihr Gift hat sich einfach so durch die Tür geätzt…   Und auch direkt durch die Wissenschaftler und Aikoku-Ninja, die sich in diesem Höllenloch verschanzt hatten, zusammengeschmolzen von Säure und lebendig gefressen von Tieren, die niemals hätten existieren sollen. Monster, die niemals hätten existieren sollen. Fliegen umschwirrten den Bunker in einem summenden Schwarm, der sich an den verstreuten Teilen, die einmal Menschen gewesen waren, labte und seine Eier hinein legte.    Tenten taumelte zurück, drehte sich und übergab sich.    Auch Neji lenkte seine Schritte um, bis er neben ihr stand und seine Fingerspitzen strichen über ihre gepanzerten Schultern. Er sagte nichts, sondern ließ ihr einfach nur die Zeit, sich ohne viel Aufhebens zu erholen.    „Sorry“, wisperte sie.    Neji schüttelte den Kopf, während sich sein eigener Magen langsam drehte. Rasch wechselte er seinen Fkoust von Geruch zu Sicht. Glücklicherweise funktionierten die Notfalllichter noch und gedämpfte rote Glühbirnen brannten über ihren Köpfen in Gitterkäfigen. Neji suchte die Betonwände des Ganges ab, die von dem Bunker fort führten und ließ die blutigen Fußabdrücke und rostigen Schmierereien forensisch zu ihm sprechen.   Ein paar Leute haben es definitiv raus geschafft…   Allerdings, waren besagte Leute auch immer noch am Leben…?   Neji starrte noch eine weitere Sekunde und wartete darauf, das Tenten zu ihm kam. Gemeinsam schritten sie den Gang entlang, bedacht darauf, nicht die Wände zu berühren. Chimärengift zischte wie heißes Öl und tropfte in schwarzen Strängen nach unten.    „Denkst du, wir haben es hier mit den gleichen Chimäre-Speiern zu tun wie der, den wir in der Rüstkammer der Akimichis gesehen haben?“, fragte Tenten leise.    Nickend spähte Neji zu ihr hinüber. „Denk daran, ihnen nicht in die Augen zu sehen.“   „Wer hätte gedacht, dass Chimären Genjutsus nutzen würden?“ Tenten schnitt eine Grimasse, als sie einer Pfütze aus Gift auswich. „In Zeiten wie diesen wünsche ich mir, ich wäre eine Uchiha. In so einer Situation könnten wir Sasuke echt gut brauchen, huh?“   Nicht nur in dieser Situation.   Neji ruckte mit dem Kinn, um auf eine Biegung im Korridor vor ihnen hinzudeuten. Als sie sich näherten, wurde der Leichengestank immer dichter und schwerer…zusammen mit der Luft. Sofort hielt er eine Faust nach oben, um Tenten neben sich innehalten zu lassen. Sie verharrten im Türrahmen eines großen Laboratoriums, die zerstörte Einrichtung erhellt von den Funken zerfetzter Kabel, die aus den Wänden hingen.    „Whoa“, hauchte Tenten.    Stroboskopblitze offenbarten zertrümmerte Maschinerien und das Wrack mehrerer breiter Arbeitsplätze mit herausgerissenen Schränken und Schiebewägen, der Inhalt lag überall verstreut und Gerätschaften lagen auf dem blutig glitschigen Boden herum.    „Die Luft ist so stickig hier“, sagte Tenten, als sie vorsichtig in den Raum trat.    Neji blinzelte und seine Byakugan Venen kräuselten die Haut an seinen Augenwinkeln, während seine Schläfen zuckten.    Chakra.   Wie Nebel über einem See kam es in Sicht und schwamm grell vor seinen Augen. Ein blauweißer Schleier hing schwer in dem zerstörten Labor. Es umgab die Arbeitsplätze und schlüpfte zwischen den Reihen hindurch.    Hier unten müssen Kusa-nins gekämpft haben…   Oder die Nagu. Vielleicht auch beide. Er konnte kein Chimärengift ausfindig machen, aber das bedeutete nicht, dass die Monster nicht bis hierher gefolgt waren. Hinter Tenten trat nun auch Neji ein und bewegte sich zur anderen Seite des Labors, wobei er ihr gleichzeitig bedeutete, die angrenzenden Räume zur Rechten auszukundschaften. Keine Leichen in unmittelbarem Sichtfeld, aber Blutspuren bedeckten den Boden wie gemalte Wartungslinien, die dazu gedacht waren, Handwerkern den Weg zu weisen.    Auf alles vorbereitet folgte Neji ihnen.    Das Chakra in der Luft wurde dünner und ein Lagerraum für Ausrüstung kam in Sicht. Er war mit einem Schiebetor aus Gitterdraht und einer Maschendrahtumzäunung gesichert, ganz ähnlich den Sicherheitszäunen um die Rüstkammern. Das brachte ihm seine letzte Begegnung mit diesem Chimären-Speier in den Sinn. Der, den Shikaku in der Rüstkammer der Akimichi auf ihn losgelassen hatte.   Er war echt nicht in der Stimmung für eine Wiederholung dieser Situation.    Die Augen starr auf das Tor gerichtet, musste er feststellen, dass es verschlossen und gesichert war. Hier endete auch die Blutspur. Und dort, direkt jenseits des suppigen Glühens der Notfalllichter, sah er zusammengesunkene Körper…nein, zusammengebunden.   Weitäugig blinzelnd trat Neji näher und sah das Funkeln von Hitai-ate.    Aikoku Kusa-nins…   Lebendig, atmend, aber außer Gefecht gesetzt. Neji konnte nur annehmen, dass die Nagu diese Aikuku Verräter festgesetzt und hier eingesperrt hatten, um sie vor den Chimären zu schützen. Immerhin wollte Nogusa seine eigene Gerechtigkeit walten lassen. Die Vergeltung für Verrat wäre unzweifelhaft der Tod…aber der Tod durch eine Klinge war gnädiger als von Monstern zerfetzt zu werden.    Neji wich vor dem behelfsmäßigen Gefängnis zurück und berührte sein Mikrofon. „Shino, bitte kommen!“    Ein Zischen von Statik, gefolgt von einer knackenden Antwort. „Bestätige.“ Sakura.   Rasch zählte Neji die Gefangenen. „Sakura, ich habe hier zehn Aikoku, die momentan in einem der Labore festgehalten werden. Müssen die Nagu gewesen sein. Tenten und ich drehen noch eine letzte Runde. Wie ist euer Status? Ist Shino in Ordnung?“   „Ja. Er hat nur gerade einen Schwarm der infizierten Kikaichū in die Labore gelassen. Sie vernichten gerade ein Nest aus Insektenchimären.“ Eine kurze Pause und ein Kratzen von Statik. „Wir haben Sui gefunden. Sie ist verwundet, lebt aber. Neji, sie sagt, dass die Nagu circa ein Drittel der Chimären eliminiert haben. Mit diesen gefangenen Aikoku Shinobi ist unsere Mission halb erledigt.“   Flüchtig schloss Neji die Augen, bedacht darauf, nicht zu weit in Erleichterung abzurutschen. Die abgeschlachteten Wissenschaftler nicht mitgerechnet, waren diese Neuigkeiten fast zu gut, um wahr zu sein. „Lasst nicht in eurer Wachsamkeit nach. Irgendein Zeichen von Katsu, Yako oder Yuki?“   „Negativ, was Katsu und Yako angeht“, erwiderte Sakura. „Sui meinte, das Yuki Ujihara nach ist. Sie wird Verstärkung brauchen, wo auch immer sie gerade ist.“   Verdammt. Neji nickte zu sich selbst. „Verstanden. Ich werde mit Tenten nach ihr suchen, sobald wir diesen Bereich gesichert haben. Halt mich auf dem Laufenden.“   „Alles klar. Ich melde mich, sobald wird sonst noch irgendwas finden.“   „Verstanden.“ Neji löste die Verbindung und verließ den Lagerraum, um nach Tenten zu suchen.    Der Weg, den sie genommen hatte, führte aus dem Labor hinaus zu einem riesigen Warenlager, wo der Geruch von Kalk und Beton schwer und feucht in der Luft hing. Ein seltsames Frösteln ergriff die Luft und brachte Nejis Atem dazu, vor seinem Gesicht zu Nebel zu werden. Stirnrunzelnd folgte er einer kalten, rostigen Metalltreppe, die sich zickzackartig an mehreren modularen Büros auf einer Zwischenebene vorbei schlängelte, bevor sie zu einem riesigen, unterirdischen Ladedock abfiel.    Handelspunkt.   „Neji“, rief Tenten und winkte ihn näher.    Außerhalb eines von vier großen Schmugglertunneln gesellte er sich zu ihr. Jeder davon wies in eine andere Himmelsrichtung und war von Schienen gesäumt, wie sie in Bergwerken genutzt wurden. Ohne Zweifel für Loren und Wagons.    „Verdammt“, bemerkte Tenten mit den Händen an ihren gepanzerten Hüften und den Kopf in den Nacken gelegt. „Die müssen das schon seit Jahren in Betrieb haben, um so ein unterirdisches Netzwerk anlegen zu können.“   Neji summte, während seine Byakugan Augen die Dunkelheit durchdrangen. „Die Tunnel sind sauber.“   „Das ging schnell. Kein Verschleierungsjutsu?“   Kopfschüttelnd suchte Neji weiter, um auf Nummer sicher zu gehen. „Das Netzwerk ist zu weitläufig.“   Fürwahr, diese Tunnel erstreckten sich meilenweit und reichten bis über die Grenzen von Kusagakure hinaus. Noch dazu waren sie tief genug unter der Oberfläche angelegt, um den Bedarf eines Verschleierungsjutsus überflüssig zu machen. Strukturelle Giganten, die durch Balken verstärkt und von Fackeln beleuchtet wurden, die von einer Substanz befeuert werden mussten, die ebenso potent und dauerbrennend war wie Krötenöl. Die perfekten Kanäle für die Chimären, illegale Chakrapillen und was sonst noch, was die Aikoku direkt unter der Nase ihres Daimyōs zusammengebraut hatten.    „Äußerst beeindruckend“, bemerkte Neji und sah aus dem Augenwinkel zu Tenten, um ihr den leichtesten Hauch eines Schmunzelns zu schenken. „Was für eine Schande, dass du es einstürzen lassen musst.“   Nach Luft schnappend leuchteten Tentens Augen auf und ein Lächeln erblühte auf ihrem Gesicht. „Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich dich vermisst habe? Wenn ich Lee wäre, dann würde ich voller jugendhaften Enthusiasmus an dir hängen.“   Die Hände gegen jugendliche Überraschungen jeder Art erhoben, wich Neji außer Reichweite zurück. „Stell einfach nur sicher, dass du den richtigen Zeitpunkt hinbekommst. Ich erinnere mich da an einen bestimmten Vorfall vor fünf Jahren, als du mich fast lebendig begra-“   „Ich wusste, dass du mir das immer noch vorhältst“, grummelte Tneten, aber sie war viel zu aufgeregt wegen des Gedankens, dass sie mit ihren pyrotechnischen Spielzeugen spielen durfte, um sauer zu werden. „Lee hat die Zündschnur abgefackelt, bevor ich fertig werden konnte, also eigentlich war es gar nicht meine Schuld.“   „So hab ich das nicht in Erinnerung.“   „Du warst bewusstlos.“   „Das ist genau mein Punkt.“   „Das ist längst Geschichte, Neji.“   „Geschichte hat die Angewohnheit, sich zu wiederholen.“   „Auf keinen Fall. Lee ist diesmal nicht hier, um dir Mund-zu-Mund-Beatmung zu geben und dich im Brautstil zu tragen. Nicht, dass ich nicht Platz machen würde, um das nochmal miterleben zu dürfen.“   Mit unendlicher Gefasstheit schloss Neji die Augen und verzog innerlich das Gesicht, als seine Haut unangenehm wegen dieser Erinnerung kribbelte, von der dankbar war, dass er sie gar nicht besaß. Doch unglücklicherweise hatte Tenten überhaupt keine Probleme damit, routinemäßig diese Lücken für ihn zu füllen, wobei sie besonderes Augenmerk auf die Details seiner Rettung legte und Lee unter ein romantisches und blendend jugendliches Licht stellte, das intensiv genug war, um Gai-sensei zu Tränen zu rühren.    Tenten giggelte. „Du denkst daran, stimmt’s?“   „Überhaupt nicht“, log Neji und bewegte sich fort, um alter Kameradschaft und ihrer vergessenen Wärme zu entkommen.    Mach das nicht noch härter.   Seit Monaten, vielleicht sogar seit Jahren hatte er die Wasser zwischen sich und seinen Teamkameraden gerademal noch lauwarm gehalten, da er wusste, dass er diese Wasser eines Tages vollständig würde einfrieren müssen. Es beunruhigte ihn, wie leicht ihn diese Erinnerungen an alte Missionen auftauten und berührten. So, wie es auch Shikamaru getan hatte…und es immer noch tat…   Nein. Er taut mich nicht auf. Er verbrennt mich. Und wenn ich auf diesem Weg weiter gehe, dann wird er mich wieder vollständig brechen…   Ein teilweises Umbringen, eine teilweise Heilung – wie verrückt es war, zu wissen, dass er ohne das alles niemals überlebt hätte. Die Komplexität ihrer Dynamik erstaunte ihn immer wieder.    Oder lenkt mich ab. Konzentrier dich.   Rasch richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Sammelpunkt, während Tenten Sprengkörper in den Tunneln anbrachte. Die Kisten und Käfige standen in ordentlichen Reihen da, einige mit Rampen und verstärkten Gittern zwischen den Stäben. Stirnrunzelnd fragte sich Neji, wie zur Hölle man die Chimären von ihren Gehegen zu diesem Teil der Einrichtung transportiert hatte.    Es muss noch einen weiteren Tunnel oder einen anderen Zugangsweg geben.    Auf der Suche nach diesem Weg, schritt er die Reihen aus Kisten und Käfigen entlang und passierte dabei einige Regale, bis er zu einem Punkt kam, wo der Boden zu einer Versorgungsrampe abfiel. Sie war flach und senkte sich in die Mündung eines weiteren Tunnels, um dort in den Schatten zu verschwinden.    Neji prüfte das Gebiet erst einmal mit den Augen.    Sein Byakugan flammte erneut auf und zog sich gleich darauf verwirrt zusammen, bevor es sich überrascht weitete.    Innerhalb der monochromen Welt seines Dōjutsus, glühte das schattige Maul des Tunnels mit dem geschmolzenen Leuchten weißer Lava. Ein gigantischer See aus Chakra, so konzentriert und kraftvoll, dass es Löcher in sein Sichtfeld brannte und seine Augäpfel schmerzten.    Was zur Hölle?   Rasch deaktivierte er sein Dōjutsu, presste die Lider aufeinander und öffnete sie dann wieder. Das schattige Maul stierte ihn an. Hämisch dunkel gab es keinerlei Hinweis auf das Chakra, das er gerade gesehen hatte. Er griff nach einer Taschenlampe, schaltete sie an und stieg vorsichtig die Rampe hinab. Zu seiner Überraschung war der Tunnel vergleichsmäßig kurz und endete in einer riesigen, gusseisernen Tür – und zwar nicht die Art, die man an einem Industriestandort erwarten würde.    Diese Tür war reich verziert und mit mythischen Tieren geschmückt.    Wie die Tür zu einem Tempel.   Während er noch immer die Punkte fort blinzelte, die in seinem Sichtfeld tanzten, ließ Neji den Lichtstrahl über ein großes, kompliziertes Ziffernblatt wandern, das mit einer ganzen Reihe von Zahnrädern verbunden war. Ein hoch stilisiertes Kombinationsschloss. Er streckte die andere Hand aus und presste sie zwischen einem Drachen und einem Phönix flach gegen die Tür. Seine Brauen hoben sich und ein leises Grunzen entwich seinen Lippen. Das warme Metall einfach nur zu berühren reichte bereits aus, um das Chakra zu fühlen, das auf der anderen Seite dieser Türe summte.    Was zur Hölle ist das? Irgendeine Art Tor?   Er trat einen Schritt zurück, streckte den Nacken und blinzelte aufwärts, während er auch die Taschenlampe nach oben richtete, wo die Spitze der Tür auf die Tunneldecke traf. Ein dicker Eisensims krönte die Tür und die abgeschrägte Oberfläche davon flachte sich zum Zentrum hin zu einer Plakette ab. Die Tafel war mit einer Reihe aus Symbolen graviert. Darauf stand: Shinjūmon.   Tor der Göttlichen Bestien?   Stirnrunzelnd wich Neji noch einen weiteren Schritt zurück. Dann griff er nach seinem Mikrofon. „Nara, bitte kommen!“   Ein Rauschen in seinem Ohr, eine zwei sekündige Verspätung. „Jo. Was gibt’s?“   „Ich bin mit Tenten bei der Andockstelle. Wir haben die Tunnel lokalisiert, aber ich habe etwas gefunden, von dem ich mich nicht entsinnen kann, es auf den Grundrissen gesehen zu haben.“   „Eine Sekunde.“ Ein kurzes Zischen von Statik, dann kam er wieder zurück. „Alles klar. Sag mir, was du siehst.“   „Es ist direkt hinter dem Ladebereich und eine Rampe hinunter. Irgendeine Art des Durchgangs. Es ist seltsam verziert und scheint mit einem Ziffernblatt verriegelt zu sein.“   „Was für eine Art Ziffernblatt?“   „Ein Kombinationsschloss käme in den Sinn.“   Eine lange Pause.    Mit zusammengezogenen Brauen legte Neji scharf den Kopf schief und tippte gegen seinen Ohrstöpsel. „Shikamaru? Bist du noch da?“   „Jo. Weiter.“   „Auf der anderen Seite befindet sich eine ganze Menge rohes, konzentriertes Chakra“, fuhr Neji fort, während seine Augen zurück nach oben zu der Plakette zuckten. Mit dem Lichtstrahl strich er über die Symbole. „Da oben ist eine Tafel, auf der Shinjūmon steht. Ich schätze mal, das passt zu der bestienartigen Thematik dieses ganzen Desasters.“   Eine weitere lange Pause…Sekunden verstrichen…langsam hob sich Nejis Braue. „Langweile ich dich, Nara?“   „Shinjūmon…“, sagte Shikamaru plötzlich und scharf. „Bist du dir da sicher?“   „Positiv. Wieso? Ist dir das vertraut?“   „Jikūkan ninjutsu“, erwiderte Shikamaru. „Es ist ein Portal.“   Neji blinzelte, völlig aus dem Konzept gebracht von dieser abrupten Antwort. Ein Raum-Zeit-Ninjutsu erklärte auf jeden Fall, wie die Chimären transportiert worden waren…aber nichts erklärte, wie um alles in der Welt Shikamaru davon wissen konnte. Diesmal war es Neji, der schwieg und sein Atem verfing sich heftig in seiner Kehle, als er darüber sinnierte, wie klug es wäre, Shikamaru jetzt über den Transmitter auszufragen.    Ein trockenes Schnauben. „Langweile ich dich, Hyūga?“   Irritiert zuckte Nejis Braue. „Bist du dir da sicher?“   „Fundierte Vermutung, aber ja.“   Lügner.   Neji sprach ihn nicht darauf an. Jetzt war definitiv nicht die Zeit dafür. „Denkst du, es ist sicher anzunehmen, dass es mehrere weitere Portale irgendwo innerhalb der Einrichtung und des Dorfes gibt?“   „Ganz sicher.“   Neji seufzte und schaltete die Taschenlampe aus. „Nogusa muss darüber informiert werden. Und die Nagu müssen eine Suchaktion starten, um diese Portale zu schließen.“   „Bin dabei. Sonst noch was?“   Neji holte Luft, hielt sie. Die Worte wollten nicht kommen. „Nein“, murmelte er.    Die Verbindung brach ab.    Zurück zu Statik und Stille.    Seufzend ließ Neji seine Hand vom Mikrofon sinken und lenkte seine Schritte die Rampe entlang zurück, während er diese Stelle auf seiner mentalen Karte markierte und die Sache mit dem Portal Shikamarus Händen überließ.    Beende du die Abriegelung der Einrichtung und finde Ujihara.    Neji behielt das Bild des Aikoku Anführers im Kopf, verließ den Lagerbereich und lief zurück zu dem großen, industriellen Zwischengeschoss mit den integrierten Büros. Als er sich der Treppe näherte, benebelte sich schon wieder sein Atem.    Seltsam.   Während er ein Kunai zog, nahm er zwei Stufen auf einmal, um das erste Stockwerk der Büros zu erreichen, wobei er leicht das Geländer packte. Seine Haut kribbelte gegen die Kälte. Das Kunai in seiner Hand fühlte sich an wie Eis.    Woher kommt dieser Temperaturabfall?   Wachsam lief er über den groben Bretterboden auf das erste Büro zu und hielt inne, als er sah, dass die großen Glasfenster vollständig überfrostet waren und den Blick ins Innere verhinderten. Neji aktivierte sein Byakugan und bewegte sich auf die Tür zu, probierte den Türknauf aus. Er war festgefroren und drehte sich nicht.    Verdammt.   Aber das alarmierte ihn weniger als die dicken Wände voll von eisigem Chakra, das das Bürogebäude umgab und grell genug schimmerte, um seine Sicht auf alles zu verdecken, was sich auch immer im Inneren abspielte.    Und dann zersplitterte das Fenster, das ihm am nächsten war.    Nein, es explodierte.    Fluchend machte Neji einen Satz nach hinten, um der über zwei Meter großen Masse aus fauchender und spuckender Raserei auszuweichen, die gegen das Geländer krachte und mit genug Wucht zurückprallte, um es seitwärts und nach oben zu katapultieren, zurück auf die scheußlichen Hinterläufe, während der riesige Klapperschlangenschwanz um Balance suchend schwankte.    Scheiße!   Neji wich zurück.    Mit den kurzen Vorderläufen ausgestreckt folgte die Chimäre ihm und die große, gefleckte Halskrause fächerte sich auf, die Kiefer öffneten sich, als sich das Vieh darauf vorbereitete, ihn anzuspucken.    „KAITEN!“   Das ätzende Gift prallte von seinem blauweißen Schild ab und bespritzte das Deck, wobei es Löcher durch die Planken fraß und Teile des Geländers schmelzen ließ. Mit einem Angriff der Lufthandfläche löste sich Neji aus dem Kaiten. Der intensive Chakraschlag rammte den Speier zurück gegen den zweiten, der gerade aus den Büros gesprungen kam, wodurch die Biester in einem Chaos zappelnder Gliedmaßen ineinander verheddert wurden.    Ein Schrei erscholl von jenseits der eingefrorenen Wände.    Weiblich und zornig, vielleicht verletzt.   Während er sich unter einem massiven, rasselnden Schwanz hindurch duckte, stürzte sich Neji in einer raschen Drehung seitwärts durch das zerborstene Fenster, mit der er anmutig gelandet wäre, wenn der Boden nicht von Eis bedeckt gewesen wäre.    Shit!   Er rutschte weg.    Aber dieser Schlittern rettete ihn.    Ein dicker Klumpen schwarzen Speichels flog über seinen Kopf hinweg und traf den Speier, der versuchte, ihm zurück in das Büro zu folgen. Wirkungslos glitt das Gift an den Schuppen des Biests nach unten, aber etwas davon musste das Vieh in die Augen getroffen haben, denn es taumelte mit einem schrillen Kreischen aus der Bahn und krachte in einen Schreibtisch.    Eins erledigt.   Nur Kami wusste, wie viele noch übrig waren. Er konnte den Lärm eines Kampfes hören, der um ihn herum und in den angrenzenden Büros ausgetragen wurde, die Geräusche gedämpft von all dem Eis. Wenn er jetzt so darüber nachdachte, dann hatte er nichts davon gehört, als er noch draußen gewesen war. Das Eis war ebenso schalldicht, wie es die Wände sicherte. Zumindest bis jetzt.    Eis…finde die Frau.    Es musste einfach Yuki sein.    Sie benutzt das Eisversteck, oder nicht?    Doch unabhängig davon, wer auch immer das Jutsu gewirkt hatte, derjenige musste geschwächt sein, denn das Eis, das die Büros versiegelt hatte, fing an zu tauen und Neji konnte jetzt an den Schleiern blendenden Chakras vorbei sehen.    Lauf. Lauf. Lauf.    Mit scannenden Byakugan Augen schlitterte Neji weiter einen Gang aus Tischen entlang und rutschte dann in einen Spurt, als seine chakrageladenen Füße Halt auf dem glitschigen Boden fanden.    Ein unmenschliches Kreischen zu seiner Linken.    In einer Drehung stürzte er über einen Schreibtisch hinweg, trat ein Monster, das ihn gerade anspucken wollte, nach unten auf den Rücken und schlitterte auf dem Vieh den nächsten, eisigen Gang entlang, während er sich duckte, um den Schnellfeuer-Speichelklumpen auszuweichen, die über seinen Kopf flogen.    Ein weiterer Schrei erklang.    Diesmal männlich.    Rasch rammte Neji einen Fuß gegen den dürren Hals der Chimäre, um Knochen und Knorpel zersplittern zu lassen. Er wirbelte herum und legte seinen Kopf zur Seite, um dem Kunai auszuweichen, das ein seiner Wange vorbei schoss und dabei sein langes Haar aufwühlte.    Mit zu Schlitzen zusammengezogenen, weißen Augen, wandte er sich um.    Ein Aikoku Kusa-nin blinzelte ihn durch den Raum hinweg an, die Zähne zu einem blutigen Grinsen gebleckt. Überrascht zuckte Nejis Braue nach oben.    Es war fast schon komisch, wie sie sich anstierten und das menschliche Element des Kampfes inmitten dieses von Monstern angefüllten Chaos‘ erkannten und zu schätzen wussten. Der Aikokusha lachte und Neji war versucht, zu schmunzeln – tat es aber nicht. Stattdessen jagte er sein Kunai zwischen die Augen dieses Bastards.    Ein geschockter Gesichtsausdruck und der Mann fiel zu Boden.    Sofort warf sich Neji zurück in den Kampf, wich Gift und Kunai aus, als Monster und Menschen ihren Kampf in dem Raum austrugen. Er zählte sechs Aikoku und acht Speier. Die Speier gewannen. Und der Sinn von Gerechtigkeit entging Neji nicht. Diese Männer hatten die Erschaffung dieser Bestien angestrebt und jetzt wurden sie von der Flamme der Ambitionen ihres Anführers verbrannt.    Sie befolgen nur Befehle, genau wie du.    Während er diesen gnädigen Gedanken abschüttelte, glich er die Seiten dennoch etwas aus, indem er zwei der Bestien auf seinem Weg in das nächste Büro ausschaltete, was den Aikoku eine faire Chance auf einen Kampf gab, als er links und rechts mit einem neuen Kunai um sich schlug.    Er würde für die zurückkommen, die überlebten.    Spielt ohnehin keine Rolle.   Ihnen stand der Tod mit ihren Köpfen auf Nogusas Richtklotz bevor. Alles, worum sich Neji sorgte, war, Ujihara festzusetzen. Die Politik regelte wie immer die Bestrafung.    Als er in den nächsten Raum stürzte, krachte er beinahe in eine Eisskulptur.    Besagte Skulptur stellte sich als eine Chimäre heraus, die mitten in einer Drehung eingefroren war. Der riesige Körper war von Raureif eingefasst und steifgefroren. Mehrere weitere standen in verschiedenen, tiefgefrorenen Stadien in dem Zimmer und manche von ihnen zuckten, als Teile des Jutsus aufzutauen begannen.    Und mitten in dieser bizarren Szenerie erblickte Neji einen Ring aus zehn Aikoku Shinobi, die eine kleine, wie ein Albino aussehende Frau mit pinken Augen und schwarzen Lippen eingekreist hatten.   Yuki.    Nejis Augen weiteten sich.    Auf die Knie gezwungen war Yukis langes, weißes Haar um die blutige Faust des Anführers der Aikoku-nins gewickelt, seine Klinge ruhte unter ihrem Kiefer, nur kurz davor, ihre Kehle von Ohr zu Ohr aufzuschlitzen. Neji erkannte den Mann auf den ersten Blick.    „Ujihara“, knurrte er.    Seine Stimme war nur sehr leise, aber es war zu spät, seine Anwesenheit zu verbergen. Mehrere Aikoku Shinobi hatten bereits ihre Augen auf ihn gerichtet und musterten ihn für eine entscheidende Sekunde.    Niemand sagte etwas.    Niemand startete einen Angriff.    Abgesehen von den Kampfgeräuschen im anderen Raum, herrschte bis zu diesem Moment absolute Stille…durchbrochen nur von dem Klang knackenden Eises, als Yukis Jutsu immer mehr nachließ. Gelbe Augäpfel rollten hinter dem Eis und Schlangenschwänze und Echsengliedmaßen zuckten.    Gott…sie sind immer noch lebendig.   Lebendig und bereit, den Raum in ein Blutbad zu verwandeln, sobald das Eis brach.    Was jede Sekunde der Fall sein kann…    Die Zeit arbeitete gegen sie alle. Selbst den feindlichen Ninjas schien das bewusst zu sein. Mit unendlicher Ruhe und einer fast schon zeremoniellen Haltung gingen die Aikoku Shinobi wie eine Einheit um einen immer noch stehenden Ujihara auf die Knie, der im Zentrum des Kreises verharrte, seine Klinge noch immer an Yukis Hals.    Nejis Blut verdünnte sich zu einem eisigen Kribbeln.    Der Augenblick nahm ein fröstelnd rituelles Gefühl an, als jeder der Aikokusha sein Tantō im Schoß drehte, die Hände um die Hefte geschlossen und die Klingen nach innen auf ihre Bäuche gerichtet. Ritueller Suizid. Genau wie bei ihrem einstigen Anführer, Ashihara.    Langsam schüttelte Neji den Kopf und trat mit einer erhobenen, nach unten zeigenden Handfläche näher. „Nicht so, Ujihara.“   Ujihara hob seine dichten, grau werdenden Brauen und ein träges, müdes Lächeln breitete sich auf seinem bärtigen Gesicht aus, so fröstelnd wie das Blut, das seine Zähne benetzte. „Wie sonst? Am Galgen hängend? Oder vielleicht durch Enthauptung? Es war immer klar, dass es darauf hinauslaufen würde.“   Aufmerksam musterte Neji die knienden Shinobi, sah ihre entschlossenen Gesichter, ihre ruhigen Augen. Sie akzeptierten ihr Schicksal vollkommen. Ihre Befehle. Ihre Bestimmung, zu sterben. Dieser Gedanke trieb Splitter aus Eis in seine Seele. Er versteifte sich gegen die drohende Empathie und trat einen weiteren Schritt nach vorn, was aber keine Reaktion bei den Aikoku auslöste, nur gefasstes Starren.    „Du liebst dein Land“, argumentierte Neji, während seine Augen flüchtig zu Yuki zuckten. „Das tun die Nagu auch. Dein Bruder hat behauptet, Nogusa und dieses Land zu lieben. Du wirst nichts dadurch erreichen, eine Nagu zu töten…es wird nur deine Intentionen kompromittieren und den reinherzigen Patriotismus beflecken, der dich zu solchen Extremen getrieben hat.“   Ujihara neigte die Klinge an Yukis Kehle. Der Stahl blitzte kalt auf. „Ich bin zum Handeln gezwungen worden, lange bevor sich der Hals dieses Kindes unter meiner Klinge befunden hat. Es ist genau so, wie die Nagu und auch jeder andere Ninja leben. Mit ihren Herzen unter dem Messer.“   „Vielleicht. Aber nur du kannst dieses Messer kontrollieren“, sagte Neji, als er seine Stirn in Richtung der Klinge neigte. „Hierbei hast du eine Wahl.“   „Nein. Es gab niemals eine Wahl.“   „Es gibt immer eine Wahl.“   Ujiharas Lächeln verwelkte zu einem sonderbaren Ausdruck – ebenso reuevoll wie seine nächsten Worte. „Nicht immer.“   Nejis Brust zog sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen. Die eisigen Splitter sanken noch tiefer. Verdammt. Er wusste nur zu gut, wie sich das anfühlte.    Ich sollte eigentlich überhaupt nichts fühlen.   Ujihara wandte den Blick ab und legte den Kopf schief, als würde er nach etwas lauschen. Eine leise Stimme der Vernunft, wie Neji hoffte. Oder vielleicht waren es auch die Rufe und Schreie in dem Raum, aus dem Neji gekommen war. Die Schreie, sowohl von Männern als auch Monstern, nahmen einen höheren und verzweifelteren Tonfall an. Der Kampf entwickelte sich in die eine oder andere Richtung, aber Neji drehte sich nicht um, um nachzusehen, er wagte es nicht, auch nur eine Sekunde seine Augen von Ujihara abzuwenden. Er brauchte diesen Mann lebend. Yuki auch. Sie beobachtete ihn ausdruckslos und schien ebenso eingefroren zu sein, wie ihr Jutsu. Die Klinge an ihrer Kehle schimmerte, als sich Ujiharas Finger um das Heft krümmten.    Nejis Puls machte einen Satz. „Ujihara“, versuchte er es noch einmal, machte einen weiteren halben Schritt und gestikulierte zu einem der eingefrorenen Speier. „Diese Monster, diese Waffen, die du erschaffen hast…du hast gesehen, was sie deinen eigenen Leuten angetan haben. Auf diese Weise kannst du dein Land nicht beschützen.“   „Mein Land“, lachte Ujihara leise – etwas brannte in seinen Augen. Und Neji brauchte einen fassungslosen Moment, um zu realisieren, dass es Tränen waren. „Konohagakure und Iwagakure haben unsere Leute zu Asche auf dem heißen Wind ihrer Kämpfe und Kriege verbrannt. Ihr habt eure Monster in unser Land gebracht, lange bevor wir unsere eigenen erschaffen haben.“    Es gab keine Verteidigung gegen diese Wahrheit…und all ihre Tragödie. Neji schüttelte den Kopf. „Ujihara…solch diabolischen Fehler sollten nach stärkeren Menschen rufen, die führen, nicht nach stärkeren Monstern, die losgelassen werden. Was du und dein Bruder getan habt, wird dein Land nicht retten oder stärken. Es wird es verdammen.“   „Ein kleines Vergehen“, wisperte Ujihara. „Für all die Verbrechen, die vorher geschehen sind.“   Der Zirkel der Aikoku Shinobi regte sich bei diesen Worten und gemeinsam murmelten sie sanft wie ein Gebet: „Für Verbrechen gegen das Land, für Verbrechen gegen die Sippe, zu vergeben und zu vergessen macht mich zum Muhonnin.“   Angesichts dieser Worte weiteten sich Nejis Augen…   Und dann bewegte sich die Welt in Zeitlupe…   Als ob das Skandieren ihres Mantras die Macht hatte, Augenblicke zu Minuten auszudehnen, streckte sich die Zeit zu unergründlichen Sekunden…Sekunden, die so langsam und dennoch schnell durch Nejis Finger flossen…eine Reihe von Ereignissen, die nicht aufgehalten, nicht verhindert werden konnten…   Sie entfalteten sich in Nanosekunden wie in einer Bild-für-Bild-Sequenz…   Die Aikoku stießen sich ihre Klingen in ihre Bäuche…   Neji stieß sich von seinen Füßen ab…   Yukis Blick wanderte über Nejis Schulter…   Ihre Augen trafen auf etwas, jemanden, auf der anderen Seite des Raumes…   Sie lächelte das leichteste Lächeln – und dann warf sie ihr Gewicht nach vorn, schnitt sich ihre eigene Kehle auf Ujiharas Klinge auf und warf den erschrockenen Aikoku Anführer damit direkt über ihre Schulter hinweg in Nejis Arme.    „NEIN!“   Neji hörte den gellenden Schrei der Verleugnung…seinen eigenen und den des Mannes direkt hinter ihm.    Katsu.   Und dann brach der Eispanzer um die Chimären auf.    ~❃~   Timing.   Es war alles.    In der Sekunde, als Shikamaru den Anruf mit Neji abgebrochen hatte, war sein Verstand bereits zehn Schritte voraus gespurtet, ebenso wie mehrere Stunden über seine minutiöse Planung hinaus. Keine Zeit für inaktives Meisterhirnen, es war an der Zeit, einen Zug zu machen.    „Mach ihn schnell“, sagte die Finsternis.    Shikamaru erhob sich und spürte Sais Augen auf sich ruhen. „Wir müssen ins Innere des Dorfes.“   Für ein paar Sekunden starrte Sai ihn ausdruckslos an. „Du wirst Nogusa nicht von den Shinjūmon erzählen?“   „Noch nicht.“   „Du vertraust ihm nicht.“   „Nicht unbedingt. Aber ich will zuerst ein bisschen Aufklärung betreiben. Bei allem, was wir wissen, könnten sich Unterstützer der Aikoku unter den Nagu befinden. Für unsere Mission ist es besser, wenn wir auf Nummer sicher gehen.“   Sai neigte den Kopf, seine ausdruckslose Contenance unbewegt von Argwohn oder Überraschung. „Dem stimme ich zu. Woher weißt du von den Shinjūmon?“   Da war er. Der Haken an Sais Folgschaft. Er würde nicht geben, ohne etwas im Gegenzug zu bekommen – ganz zu schweigen davon, dass er einiges von Shikamarus kurzem Austausch mit Neji mitbekommen hatte. Und dazu kamen auch noch die wie auch immer gearteten, sorgfältig ausgewählten Informationen, die Neji mit Sai geteilt hatte, bevor er den Künstler mit seiner Babysitterrolle betraut hatte.    „Die Uhr tickt, Genie.“   Täuschung würde hier nicht funktionieren.    Aber vielleicht Unterlassung.    Rasch blätterte Shikamaru durch die Informationen in seinem Verstand, ließ einen ganzen Haufen Erläuterungen beiseite und präsentierte die kürzeste und zweckmäßigste Erklärung. „Als vor zwei Jahren die Chūnin Prüfungen hier in Kusa abgehalten wurden, war ich Proktor. Habe mich mit ein paar politisch wichtigen Leuten getroffen. Habe auch ein paar Orte gesehen, die ich nicht hätte sehen sollen. Ich kann mich erinnern, dass ich ein Tor wie das gesehen habe, das Neji beschrieben hat.“   Ehrlichkeit aus nächster Nähe. Es war auf jeden Fall genug, um Sais Kopf ein Stück zurückzucken zu lassen und seine dunklen, tintigen Augen huschten über Shikamarus Gesicht, als würde er nach irgendwelchen Tics oder Hinweisen suchen. Es hatte schon etwas für sich, sich in direktem Sichtfeld zu verstecken. Shikamaru konnte auch mit der Wahrheit lügen, wenn es sein musste. Es war alles nur eine Sache des Arrangierens von Tatsachen – und der Lücken dazwischen.     Nickend schlüpfte Sai in eine dieser Lücken. „Wir haben keine Karte des Dorfes“, sagte er. Pragmatisch wie immer.    Shikamaru tippte sich gegen die Schläfe. „Alles hier drin.“   „Wie kommen wir an den Nagu Butai vorbei?“   Shikamaru antwortete mit Aktion, als er über den Tisch griff, durch ein paar Karten und Grundrisse wühlte, bevor er einen Papierfetzen packte und zu Sai hinüber schob. Darauf war ein vertrautes Symbol gestempelt. Das Wappen des Daimyō des Landes der Verschlungenen Wurzeln. Das gleiche Wappen, das von Aikoku übernommen worden war: zwei Wurzeln, die sich in einem Unendlichkeitszeichen ineinander verwoben, umgeben von einem Kranz verflochtener Ranken.    Aufmerksam musterte Sai das Symbol und spähte zu Shikamaru – wartete.    Mit einem Finger tippte der Nara auf das Bild. „Kannst du das bis zu Perfektion replizieren?“   „Ja.“   „Und die Chakrasiegel, die die Nagu auf unsere Hände gestempelt haben, um die Barrieren durchschreiten zu können. Kannst du die auch replizieren?“   „Ja.“   Ein schmales Lächeln legte sich auf Shikamarus Lippen, ein Schatten seines einstigen Humors. Wenn er sich über irgendetwas freute, dann war es einzig und allein das Voranschreiten des Spiels. Sai war gerade zu seinem beweglichen Turm geworden.    ~❃~   Eis zersplitterte als silberner Regen in einem Raum voller Monster.    Ein Raum voller Monster…und Katsu war eines davon.    Sein gelbgrünes Auge brannte vor Hass und er explodierte zu Raserei. Tötete mit perfekter Brutalität. Entfesselte Tod und tauchte die Luft in Rot, sein animalisches Brüllen entsetzlicher als die sterbenden Schreie der Chimären.    In Nejis Armen hing Yuki schlaff wie eine zerbrochene Puppe.    Ujihara lag bewusstlos an den Füßen des Hyūga, verloren in einer Dunkelheit, die weit weniger endgültig war wie die, in die Yuki hinüber geglitten war. Absolut hilflos und nicht in der Lage, sie zurück zu bringen, sah Neji zu, wie sie ging, sah, wie das Licht hinter ihren Augen flackernd erstarb und sie glasig und leblos wie Juwelen aus Rosenquarz zurückließ…und als sie ging, ging sie lächelnd.    Lächelnd.   Gott…   Ein bebendes Zischen ließ Nejis Kopf nach oben zucken und seine weißen Augen wurden kalt wie Frost. Ein Speier löste sich aus dem Rudel, das Katsu attackierte und bewegte sich schnurstracks auf Neji zu. Da es ihn kniend und mit Yukis Blut bedeckt sah, machte das Vieh den verheerenden Fehler, anzunehmen, dass er verletzt war.   Und es war der letzte Fehler, den dieses Monster machen würde.    Behutsam legte Neji Yuki ab und stellte sich vor den bewusstlosen Ujihara, obwohl er die Versuchung bekämpfte, die Chimäre diesen Bastard einfach in Fetzen reißen zu lassen.    Ich brauche ihn lebend.   Und so bestrafte Neji stattdessen die Bestie.    In der Sekunde, als sich diese Kiefer öffneten, ging Neji zum Töten über und führte den Kill mit einer Effizienz und Schnelle aus, die mit einem nassen Knacken von Knorpel und dem trockenen Schnappen von Knochen endete.    Das Monster fiel. Tot, bevor es auch nur auf dem Boden aufschlagen konnte.    Eine durchdringende Stille erfüllte den Raum.    Neji wandte sich um, scannte das Gemetzel und fand nichts mehr, das man abschlachten konnte. Katsu kniete auf dem Boden, sein gebräunte Haut rot gewaschen von Blut. Er wiegte Yuki in seinen geäderten Armen, stierte sie mit verständnisloser Miene an und die vernarbte Seite seines Gesichtes war nicht in der Lage, die Emotionen zu formen, die an den paralysierten Muskeln zerrten. Mit einer seltsamen und fast schon rituellen Zärtlichkeit küsste er ihre schwarzroten Lippen, ihre Stirn und ihre geschlossenen Lider.    „Katsu…“, begann Neji, brach dann aber ab.    Abrupt stand der Nagu auf, Yuki leblos in seinen Armen hängend. So klein, so fragil, sie sah aus wie eine Kindsbraut, ihre geisterhafte Blässe wurde im Tod geradezu ätherisch. Mit verschlossener Miene trat Katsu über Ujiharas regenden Körper hinweg und bewegte sich auf die Tür zu – driftete beinahe, als hätte er seinen Weg verloren.    Um sich vom Starren abzuhalten, beugte sich Neji nach unten und riss Ujihara auf die Füße. „Steh auf“, murmelte er.    Stolpernd und knurrend richtete sich der Aikokusha auf, doch sein Kampfgeist verließ ihn in der Sekunde als er den Ring seiner loyalen Gefolgsleute erblickte, ausgeweidet von ihren eigenen Klingen. Seine Augen füllten sich und er würgte hervor, was wohl ein Gebet sein musste – denn es konnte keine Bitte um Verzeihung gewesen sein.    Mit verkrampftem Kiefer fesselte Neji Ujiharas Handgelenke hinter seinem Rücken und rammte seinen Handballen in die gebeugte Wirbelsäule des Mannes, um ihn vorwärts zu schubsen. „Lauf.“   Kein Widerstand. Es war so surreal, das zu beobachten. Fast schon…enttäuschend. Diese seltsame Aufdeckung eines Anführers, der solch fanatische Loyalität kommandiert und solch unverzeihliche Gräueltaten begangen hatte. Ein patriotischer Terrorist, der jetzt in den Händen seines Feindes geradezu lammfromm und gefügig war, zertrümmert unter dem Gewicht einer Niederlage, die fast schon zu einfach gewesen und fast ohne Kosten vonstatten gegangen war.   Fast ohne Kosten? Du kaltherziger Bastard.    Fürwahr. Die Kosten lagen in Katsus Armen…und sie lagen tot unter den Trümmern der Explosion, die Neji befohlen hatte. Kinder waren umgekommen. Unschuldiges Personal war umgekommen. Eine der Nagu hatte ihr Leben geopfert, um den Erfolg einer Mission zu gewährleisten, die von einer fremden Nation ausgeführt wurde und dennoch war alles, was Nejis eiskalter, von ANBU bestimmter Verstand zu schätzen wusste, die günstige Natur des Ergebnisses; es hatte niemanden seiner eigenen Leute getroffen. Es war nicht sein Problem. Es war niemals seine Aufgabe gewesen, sie zu beschützen.    Kollateralschaden…   Er versteifte sich gegen diese Gedanken, den mentalen Drill der Gleichgültigkeit. Aber war diese Apathie, diese emotionale Abtrennung, nicht genau das, was er wollte? Was er brauchte?   Was ich gewählt habe.   Vor ihnen blieb Katsu im Türrahmen stehen.  Auch Ujihara blieb einen Schritt hinter dem Nagu stehen und taumelte dann scharf zurück, wobei er fast in Neji krachte.    Knurrend packte Neji Ujiharas Nacken in einem quetschenden Griff und wollte ihn gerade wieder nach vorn schubsen, nur um zu erstarren, als sein Blick über die Schulter des Aikokusha und an Katsu vorbei wanderte.    Weiße Augen flogen weit auf.    Eine Chimäre stand direkt vor Katsu, der Kopf nur wenige Zentimeter vom Gesicht des Nagu entfernt. Der lange Schlangenhals mäanderte in einem gewundenen Kobratanz von einer Seite zur anderen, an den sich Neji auch von der Rüstkammer erinnern konnte – hypnotisch und tödlich. Mit glühenden, gelben Augen verharrte das Vieh wie gebannt und die gefleckte Halskrause zitterte und flatterte, scheinbar kurz davor, sich aufzufächern.    Neji wusste, was als nächstes kam.    Der Nacken würde sich in einem fatalen ‚S‘ zurückziehen, die Kiefer würden sich öffnen und das Gift würde fliegen. Nur passierte überhaupt nichts davon.    Katsu legte den Kopf auf eine Seite und die Chimäre spiegelte seine Aktion – präzise und unmittelbar. Katsu trat nach vorn und das Biest trat zurück, der Kopf nickte vogelhaft und diese gelben Iriden blieben auf Katsus Gesicht fixiert. Ein weiterer Schritt nach vorn, ein weiterer Schritt zurück. Wie ein Tanz. Eine tödliche Balz.    „Lauft weiter“, sagte Katsu mit einer Stimme wie Rost.    Neji verstärkte seinen Griff an Ujiharas Nacken und schob ihn vorwärts. Direkt hinter Katsu betraten sie das nächste Büro und spiegelten dabei seine Schritte. Die Chimäre wiederum wich weiter zurück, als Katsu weiter voran lief, hielt niemals in ihren Bewegungen inne oder brach ihr Starren.    Unglaublich.   Verstörend.    Wie zur Hölle kontrollierte Katsu dieses Monster?   Sie machten mit diesem unheimlichen Tanz durch den Raum weiter, traten über Leichen hinweg und um Möbel herum, während sie sich immer näher zu dem bodentiefen, zerborstenen Fenster bewegten, das Neji genutzt hatte, um die Büros zu betreten.    „Stop“, murmelte Katsu.    Sofort blieb Neji stehen, hielt seinen Griff an Ujihara aber bei.    Langsam holte Katsu Luft, drehte sich an der Hüfte zur Seite, ohne den Kopf zu bewegen, während er Gesicht und Aufmerksamkeit auf die Chimäre gerichtet hielt. Das Vieh kopierte seine Bewegungen und drehte den schuppigen Torso, während der Hals kurvig und der Kopf fixiert blieb.    „Nimm mir Yuki ab.“   Neji tat, wie ihm geheißen, erstaunt über die Art und Weise, wie das Monster ihn vollständig ignorierte, die gesamte Aufmerksamkeit weiterhin auf den Nagu gerichtet, als befände sich das Vieh unter einer Hypnose. Behutsam nahm Neji Yukis schlaffen Körper in seine Arme und wich wieder zurück, um Ujihara in Richtung des kaputten Fensters zu schubsen, bevor er ihm folgte.    Als er an Katsu vorbei schritt, warf Neji einen raschen Blick auf das vernarbte Gesicht des Nagu.    Und da war es.    Das einsame, gelbgrüne Auge des Nagu brannte wie eine giftige Flamme in seiner Höhle, die Pupille geschlitzt – fast schon identisch zu dem Auge der Echse.    Dōjutsu…   Eine Form von Kekkei Genkai. Sofort kamen Neji Shinos Worte in den Sinn: ‚Das könnte vielleicht auch sein anderes beschädigtes Auge erklären. Wenn er ein mächtiges Dōjutsu besitzt, dann macht es Sinn, dass ihn jemanden erblinden lassen will.‘   Das war allerdings eine Frage für eine andere Zeit.    Da er Ujihara hinaus auf das Deck des Zwischengeschosses folgte, sah Neji den Kill nicht. Aber er hörte es. Ein gellendes Kreischen, das in einem nassen Spritzen erstarb. Katsu tauchte wieder auf, sein Gesicht in blutige Linien geschnitten. Er nahm Yuki mit einer Sanftheit aus Nejis Armen, bei der man den Eindruck gewinnen konnte, er würde denken, sie schliefe nur.    Aber sie ist fort…   Weil er nicht schnell genug gewesen war.    Und schon wieder erscholl diese kalte Stimme der Vernunft: Es war nicht deine Aufgabe, sie zu beschützen.   „NEJI!“   Aufgeschreckt wirbelte Neji bei Tentens Schrei herum und sah, wie sie ihm vom Ladebereich weiter unten zuwinkte. Langsam näherte er sich dem Geländer und seine Byakugan Augen suchten nach Gefahren, als er nach seinem Mikrofon griff. „Was ist los?“   „Das wollte ich dich fragen“, schnaufte sie und warf die Arme in die Luft. „Du hast dir ziemlich Zeit gelassen! Hast du Ujihara?“   „Ja.“   „Klasse. Ich werde jetzt die Siegel aktivieren. Die Tunnel sind bereit zum Sprengen. Wir haben vierzig Minuten, bevor alles zusammenbricht.“   Nickend hob Neji eine Hand, um ihr zu zeigen, dass er verstanden hatte. Das würde ihnen genug Zeit geben, die Gefangenen zu holen und sich zu sammeln. Während er Ujihara hinter Katsu zu der Treppe schob, wechselte Neji den Kanal. „Shino, bitte kommen!“   Tote Statik. Dann Leben. „Bestätige.“   „Ich habe Ujihara. Katsu ist bei mir…Yuki auch. Die Tunnel sind mit Explosionssiegeln versehen und bereit zum Sprengen. Statusbericht?“   „Alle Zielvorgaben erreicht. Wir haben die Nahrungspillen und Proben gesichert, zusammen mit einigen Aikoku-nins und Wissenschaftlern. Wir begeben uns jetzt zurück zum Treffpunkt.“   „Ausgezeichnet. Beeilt euch. Wir haben vierzig Minuten.“ Noch einmal wechselte Neji den Kanal und nahm inzwischen zwei Stufen auf einmal. „Kiba, bitte kommen!“   Rauschender Lärm füllte die Leitung, gefolgt von einem seltsam schmatzenden Geräusch, das vielleicht ein zurückgehaltenes Lachen oder ein unterbrochenes Niesen war. „Yoooo!“   Neji hob eine Braue. „Kiba? Wie ist euer Status?“   „Völlig zugedrööööhnt, Baby.“   Am Ende der Treppe erstarrte Neji und legte den Kopf schief, als hätte er sich gerade verhört. „Was?“   Zischendes Lachen, sogar ein bisschen hysterisch.    Aber bevor Neji weiter nachfragen konnte, hämmerte sich Inos Stimme durch seinen Ohrstöpsel. Sie klang leicht außer Atem. „-els willen. Ugh. Neji? Wir haben Yako gefunden und die Opiate. Haben ein paar gruselige Insektennester gesäubert und-“   Ein explosives Krachen erscholl die Leitung entlang. „DROPKICK, FUCHSI! JAAA, NA DAS IST MEIN JUNGE!“    Neji riss scharf den Kopf zurück und knurrte in sein Mikrofon. „Ino. Was zur Hölle ist da los?“   „Umn. Die Opiate.“ Sie zögerte. „Ich habe eine Maske gefunden, aber Kiba und Yako haben, naja…ah…was abbekommen.“   „Abbekommen?“, echote Neji, während er sich alle Mühe gab, seine Stimme ruhig zu halten. „Wie viel abbekommen?“   Sie wimmerte leise. „Umm. Ein bisschen.“   „SEHR VIEL!“, lachte Kiba, hustete, schnappte nach Luft, als würde er sterben und lachte gleich darauf noch ein bisschen mehr. „Neji, Neji, du musst…du musst einfach…Inos Gesicht sehen…Inos Gesi-“ Noch mehr explosives Lachen in der Leitung.    Seufzend ignorierte Neji Tentens fragenden Blick, als sie sich an der Türschwelle zu dem Labor zu ihm gesellte. „Ino. Können sie laufen?“   „Pfft. Bin mir ziemlich sicher, dass sie im Moment fliegen könnten.“   Energisch bekämpfte Neji dieses Bild und zwickte sich in die Nasenwurzel. Um die Wahrheit zu sagen, war er eher besorgt, als verärgert. Seine eigene Erfahrung mit den Opiaten war immer noch bestenfalls verschwommen und schlimmstenfalls äußerst peinlich. „Ino. Bring sie zum Treffpunkt. Du hast vierzig Minuten, bevor die Einrichtung in die Luft geht…und Kiba?“   „Yo?“   „So sehr es mich auch schmerzt, das zu sagen, aber es wäre mir sehr unangenehm, wenn du stirbst, bevor diese Mission vorbei ist. Also versuch bitte, das zu unterlassen.“   „Scheiße, ja.“     Kapitel 46: The nightmare lurking in memories --------------------------------------------- „Sumi Bunshin no Jutsu.“   Die Bauern waren in Bewegung.   Shikamaru sah zu, wie sie sich bewegten; zehn von Sais Tintenklonen. Mit Substanz und Masse waren sie bis zur Perfektion gestaltet, ihre Umhänge bestickt mit dem Aikoku Symbol und individuelle Konturen unter ihren Kapuzen ausgearbeitet, um den Verdacht auf Doppelgänger noch weiter zu zerstreuen. Wenn die Nagu es durchschauen würden, würde es schon keine Rolle mehr spielen.    Schläge durch Bauern richten Chaos im gegnerischen Lager an.    Als sich die Doppelgänger den Toren näherten, kauerten sich Shikamaru und Sai in den bewaldeten Bereich an den Ausläufern des Dorfes und hielten sich dabei in den Schatten. Shikamaru sah hinauf zu den steilen Steinmauern, die das Dorf umgaben und erspähte mehrere Nagu, die die Wälle entlang patrouillierten, bevor er seinen Blick noch höher wandern ließ. Wie erwartet war das Dorf noch immer durch das Barrieretor abgeriegelt und die Regenbogenkuppel aus Chakra schimmerte schwach im Morgenlicht.    Hübsch, aber absolut tödlich.   Er hatte nicht vor, pulverisiert zu werden.    „Gut zu wissen“, spottete die Finsternis.    Während er die Finger krümmte, spähte Shikamaru hinunter auf die Siegel, die Sai auf ihre Handrücken gemalt hatte. Sie waren identisch mit denen, die Katsu benutzt hatte, um ihnen einen sicheren Durchgang durch die Barriere zu gewährleisten.    „Du gehst besser auf Nummer sicher, dass sie auch wirklich funktionieren.“   Bin schon dabei.   Auch wenn die Tintenklone ebenfalls mit diesen Siegeln ausgestattet waren, waren sie nicht die besten Versuchskaninchen. Idealerweise wäre ein lebendes Subjekt vorzuziehen. Es kam Shikamaru nicht für eine Sekunde in den Sinn, wie klinisch und kalt dieser Gedanke war. Immerhin war es einfach nur logisch, sowas zu tun. Aufmerksam scannte er die unmittelbare Umgebung und suchte nach irgendwelchen Lebenszeichen, als er einen Vogel bemerkte, der ein paar Bäume weiter sein Gefieder säuberte.    Perfekt.   Er verschwendete keine Zeit. Ein kurzes Rucken seiner Finger und einen raschen Schattenbesitz später war der Vogel mit den Flügeln zu beiden Seiten ausgebreitet auf dem Boden festgepinnt. Erst, als sie nahe genug waren, um die Siegel aufzutragen, realisierte Shikamaru, dass es sich um einen Wanderfalken handelte.    Wie ein physischer Schlag traf ihn das Bild direkt zwischen die Augen.    Scharf sog er die Luft ein und blieb abrupt stehen.    Und dann veränderte sich etwas…hoch oben, wo sein Bewusstsein driftete, schien sich diese gefühllose Wolke, auf der er geschwebt hatte, mit Donner zu füllen. Ein blitzartiges Zucken von Wiedererkennen und Zweifel flackerte flüchtig hinter seinen Augen. Und mit diesem Flackern von Zweifel kam das Aufflammen dreier Visionen; ein Dämlicher Vogel, der ihn in einer spielerischen Jagd durch die Nara Wälder bombardierte; derselbe Dämliche Vogel, der von seinem Jutsu unten gehalten wurde, während er versuchte, ihn zurück zur Gesundheit zu pflegen; und dann als letztes, ein Bildnis weißer Roben und schwarzer Schatten, ein explosionsartiges Wirbeln des Kaitens, gefolgt von einem Murmeln wie Donnerschlag: ‚Du hast mich umgebracht…bevor es das schaffen konnte…‘   Neji…?   Und dann schrie eine schwache Stimme in seinem Kopf, erscholl erstickt und verängstigt über dem Donner: „Tu das nicht!“   „Shikamaru?“   Sais Stimme holte ihn ruckartig zurück und ließ die Gewitterwolken fort über seinen Verstand bis in die heran kriechende Schwärze und willkommen heißenden Schatten rollen. Die Finsternis kam näher und das Schreien hörte auf. Seine Sicht wurde klar, wurde zu einem wolkenlosen Himmel. Und weit, weit unten, war das Spiel noch immer im Gange.    „Nächster Zug, Genie“, forderte die Finsternis. „Hör auf, abzuschweifen.“   War er abgeschweift? Er erinnerte sich nicht. Blinzelnd hob Shikamaru den Vogel auf und mit einem groben Schwung seiner Schatten ließ er das aufgeschreckte Tier fliegen. Völlig verängstigt schoss der Vogel auf die Sicherheit des Dorfes zu – und eine mögliche Pulverisierung – direkt in Richtung der Kuppel.    Funktionier. Funktionier. Funktionier.   Es funktionierte.    Der Vogel passierte die Barriere unverletzt.    Und dann begannen die Explosionen.    Shikamaru streckte den Hals, sah nach rechts und links, um zu beobachten, wie sich der Dominoeffekt seiner Bauern entfaltete; Explosionssiegel, Blendgranaten, Rauchbomben und Leuchtsignale. Der feuchte Traum eines Pyrotechnikers. Eine ganze Menge Lärm. Eine ganze Menge Rauch. Eine ganze Menge Feuer. Angezogen von dem Chaos setzten sich die Nagu in Bewegung, um es auszumerzen, teilten wie erwartet ihre Kräfte auf und der Großteil der Wächter marschierte direkt auf die Bedrohung zu, während sich die anderen nach links wandten, sollte dieses Chaos nur eine Ablenkung sein – eine gute Vermutung.    Rechne immer damit, dass dein Gegner richtig reagieren wird.    Sai schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht darauf reingefallen.“   Shikamaru feixte.    Oh doch, das sind sie. Wenn dein Gegner nach rechts spielt, dann sieh nach links.    Die Nagu hatten ganz genau das getan, indem sie ihre Kräfte aufgespalten und dadurch eine schmale Lücke in der direkten Mitte gelassen hatten. Sicher, es war nur ein winziges Fenster der Gelegenheit, nur Herzschläge davon entfernt, sich wieder zu schließen. Aber Herzschläge waren alles, was Shikamaru brauchte, um wie vom Teufel besessen zu rennen.    Opfer – der Schlüssel zum Schachmatt.    Ohne irgendeine Vorwarnung brach Shikamaru aus dem Team und spurtete auf die Barriere zu.    „SHIKAMARU!“   Unter der Deckung des Rauches legte Shikamaru noch einmal an Geschwindigkeit zu, verlängerte seine Schritte und wechselte fließend in die geschmeidigen, athletischen Sprünge, die so markant für den Taijutsustil der Nara waren. Chakra strömte, Muskeln zogen sich straff und Shikamaru sprang mit der Anmut eines Hirsches auf die Mauer zu, während Schattenranken aus seinen Füßen explodierten, um ihn zusätzliche zwei Meter in die Luft zu katapultieren.    Er segelte durch die Barriere, landete auf den Wällen.    Eine Nagu Frau, die sich mehrere Schritte den Wall entlang befand, begann sich umzudrehen. Sein Fuß krachte mit genug Wucht in ihren unteren Rücken, um sie Kopf voran von der Mauer zu schleudern.    Hart stürzte die Nagu zu Boden.    Shikamaru wartete nicht, um sehen zu können, ob sie den Fall überlebt hatte.    Eine frühe Flucht ist acht Züge wert.   Er brauchte acht Sekunden, um über den Wall zu verschwinden und auf der anderen Seite aufzukommen, ohne gesehen zu werden. Kaum schlug er auf dem Boden auf, da formte er auch schon die Siegel für ein Transformationsjutsu.    „Henge no Jutsu!“   Ein Puffen von Chakra und er war gekleidet wie ein Kusa-Farmer. Konischer Strohhut, eine schlichte, schwarze Umanori Hakama Hose und eine unauffällige, leichte Haori Jacke von der Farbe sandigen Taubengraus. Während er sein Chakra darauf fokussierte, das Hengejutsu aufrecht zu erhalten, duckte er sich durch ein Loch in einem Bambuszaun und fand sich in einem Schrebergarten wieder, der vor allem von Daikon-Rettichen dominiert wurde.    Was jetzt?   „Jetzt entspannst du dich“, erwiderte die Finsternis. „Ich übernehme von hier aus.“   Shikamaru bekam nicht einmal die Gelegenheit, zu protestieren, bevor der Wechsel stattfand. Eine Bombe explodierte in seinem Kopf und die Welt wurde schwarz.    ~❃~   Schatten regen sich Und das Gras wird regungslos Hirsch hält hohe Wacht   Zweimal las Ibiki Tsunos Nachricht, verarbeitete die Daten und übersetzte sie. Sich regende Schatten deuteten darauf hin, dass Shikamaru anfing, Anzeichen von Verstörung zu zeigen. Regungslos werdendes Gras bedeutete immer noch, dass die Kusamission offenbar günstig zu Ende ging. Mit der letzten Zeile wies Tsuno auf das Level seiner Wachsamkeit hin. Er würde alles genau beobachten und die Situation überwachen.    Keine Notwendigkeit für eine Extraktion.    Ibiki hauchte ein Seufzen.    Die besten, verdammten Neuigkeiten der ganzen Woche.    Rasch steckte er die Notiz in seine Tasche und zog die Sturmhaube über sein Gesicht. Von Kopf bis Fuß in eng anliegendes Schwarz gekleidet, war es doch schon eine ganze Weile her, seit er seine Infiltrationsausrüstung das letzte Mal benutzt hatte. Wenn er daran dachte, dass er einst einer der absoluten Top-Ansprechpartner für diese Art Job gewesen war. Eine ganze Menge Erinnerungen waren aus seinem Gedächtnis gelöscht worden, aber er hatte noch immer die physischen Memoiren, die auch einige inoperable Schrapnellteile beinhalteten, die in seinem Schädel herum schwammen. Eines Tages, vielleicht morgen, vielleicht auch erst in zehn Jahren, würde sich eins dieser Teile seinen Weg ein bisschen zu tief in sein Hirn graben und alles würde zum Stillstand kommen. Er würde einfach aufhören. Ende. Den Geist aufgeben wie eine kaputte Maschine.    Aber bis zu diesem Tag gab es immer eine Mission zu erledigen.    Und jetzt im Moment, involvierte besagte Mission, in einen von KERNs unterirdischen Stützpunkten einzubrechen, indem man sich durch Konohas Eingeweide bis in den Untergrund bewegte. Mushi würde im Inneren warten – zusammen mit Ibikis Wechselklamotten.    Und verdammt, die würde er auch brauchen.    Über dem offenen Schacht stehend, stierte Ibiki hinunter in die Abwasserkanäle des Dorfes und sah zu, wie die widerlichen, stagnierenden Wasser vorbei schwappten. Ah, aber die Ironie entging im nicht. Wie gut, dass er es schon immer überlebt hatte, bis zum Hals in der Scheiße zu stecken.    ~❃~   Überleben des Stärksten.    TEKISHA SEIZON.   Es war das Erste, was Shikamaru sah, als die Lichter in seinem Kopf wieder angingen. Dieses alte Schild. Das, das seit zwei Jahren in den hintersten Winkeln seines Verstandes gehangen hatte, begraben unter Spinnweben…nein, unter den Betonwänden, die Tenka errichtet hatte.    Tekisha Seizon.    Er blinzelte zweimal. Das Schild blieb. Abgeranzt und schäbig. Es hing noch immer über demselben, alten Türstock, gehörte zu demselben, alten Gebäude, eingepfercht von denselben, alten Wänden derselben, alten Gasse.    Alles dasselbe…alles beim Alten…   Als wäre er vielleicht bereits hunderte Male zuvor hier gewesen. Als wäre er vielleicht niemals gegangen.    „Bitte tu das nicht.“   Keine Emotionen folgten dieser schwachen Stimme, von der Shikamaru inzwischen wusste, dass es der Kleine war. Fünfzehn Jahre alt und völlig verängstigt. Diesmal versuchte die Finsternis nicht, diese Stimme zum Schweigen zu bringen, sondern erlaubte ihr, zu sprechen und das aus Gründen, die Shikamaru nicht wissen wollte. Es kümmerte ihn nicht, es zu wissen.    „Tu das nicht.“   „Ich muss das tun“, murmelte er laut in einer Bemerkung, die völlig losgelöst war von Fühlen. Noch immer schwebte er viel zu weit über den Trümmern, um zu realisieren, dass sich seine Stimme wie zerbrochenes Glas in seiner Kehle anhörte.    Sein Chakra taumelte.    Flackernd verschwand die Verwandlungstechnik.    Chakra verpuffte und Wolken aus Energie wirbelten hinauf zu den behelfsmäßigen Dächern. Er hob den Blick. Sah die vertrauten, rostigen Lagen aus Wellblech, die an die Gebäude zu beiden Seiten genagelt waren. Dann spähte er wieder nach unten und stierte auf die Stelle, an der Genma gelümmelt hatte, mit dem Rücken an der Backsteinmauer und ein funkelndes Senbon zwischen den Lippen.    ‚Shikamaru, ich bin direkt hinter dir‘, hatte der Shiranui gesagt.    „Er war ein Lügner. Aber ich bin das nicht“, erinnerte ihn die Finsternis mit samtigen Tönen. „Ich bin nicht hinter dir. Ich bin an deiner Seite. Genau wie ein Schatten.“   Schatten. Sie überschwemmten dicht und beruhigend die Gasse, glitten die Mauern entlang und strichen über die Tür. Er griff danach. Drehte den Knauf und betrat das Gebäude. Lief den Korridor entlang und verspürte keine Angst, nicht wie das erste Mal vor zwei Jahren, damals als die Wände zu dem Schlag einer wildgewordenen Meute pulsiert hatten, gefangen im Fieber von Chimären-Blutsport.    Blutsport…Blutsport…   Das Wort pochte in seinem Kopf, pochte in seinem Puls, pochte hinter den Wänden seiner Rippen und das zu einem vertrautem Schlag der Panik.    Sein Herz wurde zu einem Hammer. BANG, BANG, BANG gegen die Wände seines Hirns. Eine jugendliche Faust. Ein qualerfüllter Schrei: „TU DAS NICHT!“   Er blieb stehen, allerdings nicht aus eigenem Willen. Er spürte, wie das suppige Schwarz des Korridors angesichts seines Zögerns dunkler wurde. Spürte, wie die Finsternis in seinem Verstand verärgert und ungeduldig wurde.    „Lauf weiter“, sagte sie. „Ignorier den Kleinen. Geh hinein.“   Er konnte nicht. Er war von den Händen der Panik dieses Kindes gepackt. Konnte die Emotion nicht fühlen, wurde aber von den somatischen Effekten überwältigt. Er presste eine flache Hand gegen die Mauer, hörte, wie sein Atem bebte, atmete zu schnell, seine Haut benetzte sich mit kaltem Schweiß und Härchen stellten sich in einem Frösteln auf.    „Tu das nicht. Tu das nicht.“   „Warum?“, hauchte er, während seine Sicht verschwamm. „Warum?“   „Nicht. Lass mich nicht dorthin zurück gehen. Es ist vorbei. Du hast gesagt, dass es vorbei war.“   Bei diesen Worten flogen Shikamarus Augen weit auf, bei diesem Echo, dieser Verzweiflung. Er erkannte sie wieder, hörte sie und erinnerte sich daran, diese Worte gesprochen zu haben – nein, sie geschrien zu haben. Zu Asuma.    Asuma.   „Asuma…“ Seine Stimme zerbrach beinahe an diesem Namen, an dieser Erinnerung.    ‚Gott, du sturer Junge. Was zur Hölle ist es? Warum kannst du es nicht versuchen? Wenn es vorbei und erledigt ist, warum hast du dann immer noch solche Angst?‘   Asumas Stimme.    Sie zwang ihn in die Knie. Ließ ihn zurück nach unten auf kalte, harte Erde krachen, die Wolken unter ihm zogen sich auseinander, lösten sich auf, lösten sich auf.    „Wag es ja nicht“, knurrte die Finsternis. „Steh verfickt nochmal auf.“   Zu spät. Er war bereits unten, kniete in dem Korridor, die Hände über seine Ohren gepresst, mit weiten Augen und stierend, als ihn sein Verstand zurück schleuderte. Zurück zum Mangetsu. Dem Restaurant, zu dem Asuma ihn mitgenommen hatte. Innerhalb eines Herzschlages war er wieder zurück. Zurück vor diesem unberührten Frühstück. Zurück bei dieser zerbrochenen Unterhaltung. Zurück auf diesem Platz, direkt gegenüber seines Senseis, während er Worte und seine Erinnerungen rennen ließ.    Rennen…rennen…rennen.    Asumas Stimme jagte ihm nach. ‚Wenn du mir nicht sagen kannst, was passiert ist, oder wer es getan hat…dann sag mir, WARUM du es nicht kannst.‘   Rapide schüttelte er den Kopf und sein Mund bewegte sich, um die Worte zu formen, die er damals gesprochen hatte – spielte sie erneut ab, durchlebte es erneut. „Stop…“   ‚Sag mir, warum.‘   „Ich kann nicht.“   ‚WARUM, Shikamaru?‘   „ICH KANN NICHT!“   ‚VERDAMMT! Wovor zur Hölle hast du solche Angst?‘   „VOR MIR!“, brüllte Shikamaru so laut und so brutal, dass er nach vorn auf seine Hände fiel, trocken würgte und keuchte, seinen Kopf gegen die Unterarme drückte, während sich der Rest seiner Worte in seiner Kehle verfing und sich nur in seinem Kopf abspielte. ‚Weil ich vielleicht etwas viel SCHLIMMERES bin, als sie es waren! Schlimmer, als ER es war! Bitte mich nicht darum, ZURÜCK zu gehen! Niemand hat das je getan! Und ich bin FROH darum! Wenn ich mich nicht an das erinnere, wozu mich diese Leute gebracht haben...was ich wegen ihnen getan habe, dann muss ich es nicht WISSEN! Bitte mich nicht, es REAL ZU MACHEN, Asuma! Es nicht mehr REAL! Es ist VORBEI!‘   „Es ist vorbei“, wisperte der Kleine und brach damit in die Erinnerung, brach in sein Herz, wieder und wieder und wieder. „Du hast es selbst gesagt. Du hast es Sensei gesagt. Du hast es mir gesagt. Du hast ihn umgebracht. Du hast ihn umgebracht. Du hast ihm eine Spritze in den Hals gejagt. Du hast ihn hinunter gezerrt in eine Grube.“   „Lügen“, fauchte die Finsternis. „Immer nur Lügen.“   Shikamaru scherte sich nicht um die Lügen. Um Ihn, Sein oder Sie. Von all diesen verstreuten Teilen, all diesen Lügen und Wahrheiten, machte sich nur eine einzige Sache bemerkbar. Nur eine Sache war von Bedeutung. Eine Frage über allem anderen…eine Frage, die er nicht zu stellen gewagt hatte, weil die Antwort schlimmer sein musste als alles, was ihm angetan worden war.    „Was habe ich getan?“, würgte er hervor.    Schweigen…im Innern und auch außen…   Der Kleine rollte sich versteinert in ihm zusammen.    Die Finsternis schloss sich schützend wie eine Faust um ihn.    Aber keiner von beiden beantwortete seine Frage. Es war so still in seinem Kopf, dass ihn diese Stille mehr verängstigte als es bei den Stimmen jemals der Fall gewesen war. Seine größte Furcht, sein größtes Verlangen nach Vergessen. Das alles reduzierte sich auf diese eine Frage.    Was habe ich getan?   „Du hast gewonnen“, sagte die Finsternis. „Ich habe dafür gesorgt. Du hast überlebt.“   Was überlebt?   Schon wieder dieses Schweigen, diese überwältigende Leere anstelle der Stimmen. Shikamaru biss die Zähne zusammen und rappelte sich auf die Füße. „Antwortet mir“, knurrte er.    Nichts.    Nur ein stiller Korridor in seinem Verstand, der in einer verriegelten Tür endete, der verrottete Rahmen erhellt von einer Niedrigwattbirne. Eine stachelige, rote Schrift, die auf das Holz gesprüht war. Während des Trocknens war sie verlaufen, wodurch sie aussah, als wäre sie mit Blut geschrieben worden.    TEKISHA SEIZON.   Er wusste, was jenseits dieser Tür lag.    Die Arena, die Plätze, die blutbespritzte Bühne und das Phantom des Mannes, der ihn eingeladen hatte.    ‚Triff mich heute Abend im Tekisha Seizon. Und ich werde dir ganz genau zeigen, was ich meine.‘   Die Antwort darauf lag hinter dieser mentalen Tür. Da war sie schon immer gewesen – oder nicht? Die Tür in seinem Verstand, von der Tenka ihn stets fort geführt hatte, als er ihn bei dieser mentalen Hand genommen und mit ihm von der Vergangenheit fort gelaufen war, von den Phantomen und dem Ort, den er überlebt hatte.    Was habe ich überlebt? Wie habe ich überlebt? Was zur Hölle habe ich nur GETAN?   Die Furcht vor diesem Wissen hatte ihn stets zurückgehalten, hatte ihm immer gestattet – egal wie unterbewusst – Tenka seinen Kopf richten zu lassen, Erinnerungen zu fabrizieren und ihm beim vergessen zu helfen.    Vergessen…nur konnte ich das nicht, nicht wahr?   „Hör auf“, murmelte die Finsternis. „Sei nicht so verfickt schwach. Du hast überlebt. Sogar Asuma hat das gesagt. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen, dass man gewonnen hat. Dass man überlebt hat.“   Shikamaru schüttelte den Kopf, während sich ein furchterregendes Verstehen hinter seinen Rippen aufbaute und hinter seinen Augen auftürmte. „Ich konnte es nicht vergessen, weil ich es mir nicht vergeben konnte…was auch immer es war, was ich getan habe. Was auch immer ich getan habe.“   „Okay. Also jetzt fängst du so RICHTIG an, mich anzupissen“, fauchte die Finsternis, zornig inzwischen, aber es lag noch etwas anderes in dieser Stimme, wie eine Kante der Panik. „Es tut mir nicht leid. Genauso wenig wie dir.“   Shikamaru würgte ein verängstigtes und zerbrochenes Lachen hervor und stolperte auf diese Tür in seinem Kopf zu. „Gibt nur einen Weg, das rauszufinden, richtig?“   „Wenn du dorthin gehst, bist du auf dich allein gestellt. Du willst mir dabei NICHT in die Quere kommen.“   Es war keine leere Drohung.    Scheiße, Shikamaru spürte die Brutalität und das Versprechen wie eine Klinge an seiner Kehle. Trotzdem näherte er sich weiter der Tür, schob den Riegel zurück und trat hinein in die Erinnerung, in die Vergangenheit, in den Ort, wo der Kleine unaufhörlich schrie und sich die Finsternis weißwusch…   Weiß.   Weiß.    Weiße Papiere mit Missionsbeschreibungen lagen auf dem Boden verstreut, bekritzelt mit einer unleserlichen Sauklaue, die nur Shikamarus fünfzehnjähriges Hirn verstehen konnte. Warum es einfach machen? War nicht so, als hätte Genma ihm auch nur einen Hauch von Freizeit gewährt und das trotz der Tatsache, dass Shikamaru ganze sechzehn Berichte über den Prüfungstag geschrieben hatte, wohingegen der Rest der Proktoren zu viert gerade mal sechs Berichte zustande gebracht hatte.    Jo und was bekomme ich für meine Mühen?   Hausarrest.    Kein Witz. Genma hatte die Berichte nicht eines einzigen Blickes gewürdigt. Stattdessen hatte er Shikamaru und den Rest der Proktoren zum nächstgelegenen Gasthaus geradezu abgeführt. Eigentlich war der Ort voll ausgebucht gewesen, bis sich Genma dazu entschlossen hatte, eine Waffe aus dem Ärmel zu zaubern, die scheinbar exklusiv für Frauen reserviert und offensichtlich zehnmal wirksamer war, als alle seine Senbons. Es war ein geradezu umwerfendes, schiefes Lächeln gewesen, das das Mädchen am Empfang wortwörtlich von den Füßen gefegt und auf magische Weise sechs freie Zimmer heraufbeschworen hatte.    Tz. Eher sechs Zellen…   Und nochmal; kein Witz. Genma hatte ihnen strengstens verboten, das Gelände zu verlassen, was Shikamarus Plan vollständig zunichte machte, zum Tekisha Seizon zu gehen und sich mit Shin zu treffen.    Shuken.   Verdammt da war sie schon wieder. Diese Hitze in seinem Inneren. Dieses Jucken unter seiner Haut. Dieses Brennen auf seinem Mund, als er daran dachte, wie diese schwach lächelnden Lippen seine eigenen berührten…und diese Verrücktheit über das Wissen, dass er es zugelassen hatte, auch wenn er nicht darum gebeten hatte.    Das ist verrückt.   War das der Reiz?   Shit.   Knurrend warf Shikamaru den Stift, auf dem er herum gekaut hatte, durch das Zimmer, presste seine Wirbelsäule in das niedrige Bett und ließ seinen Kopf nach hinten gegen die Matratze kippen, während er versuchte, nicht mit den Knie zu wackeln, als er hinauf zu dem Deckenventilator stierte. Sekunden verstrichen und die Rotorblätter drehten sich in dem Bemühen, irgendeine Art von Luftzug in dieses stickige Zimmer zu bringen.    Schweiß bedeckte seine Haut.    Die Hitze brannte weiter; in seinem Körper, in seinem Blut. Er spürte, wie sich seine Muskeln gegen den Zug einer unentrinnbaren Anziehung anspannten, einer unleugbaren Schwerkraft, die in seiner Magengegend und in seinem Kopf wirbelte. Ein Strudel, der all seine Sinne in eine brennende Singularität schluckte, die aus zwei elementaren Konflikten bestand.    Furcht. Verlangen.    Sie drehten Yin-Yang Kreise in ihm…was würde gewinnen? Er war zwischen zwei Kräften gespalten, fühlte sich, als würde er in die Leere gleiten, die sich zwischen ihnen öffnete. Es war dunkel und unbekannt und es machte ihm genauso sehr Angst, wie es ihn faszinierte…es zog ihn immer noch tiefer…   ‚Das ist die Dichotomie des Göttlichen, Shika. Erinnerst du dich, wie ich dir gesagt habe, dass Leben Dualität ist? Dieser Konflikt zwischen Strategie und Spontanität macht das Spiel umso faszinierender.‘   Faszination und Intrige. Die Vorfreude darauf. Er konnte schon wieder dieses Kribbeln wie von tausenden Nadelstichen fühlen. Kein Adrenalin. Keine Beklemmung. Es war eine dieser beiden Kräfte, die sich in ihm drehten…und er wusste sofort, dass es nicht die Furcht war.    ‚Dann weißt du bereits, was du fühlst. Du willst es nur nicht benennen.‘   Verdammt richtig, das wollte er nicht. Aber das hielt in nicht davon ab, danach zu handeln. Nicht dass er das konnte, wenn er wie ein kleines Kind zu Hausarrest verdonnert worden war. Zorn flammte hinter seinen Augen auf.    Ich bin kein Kind.   Während er sich auf die Füße stemmte, fuhr sich Shikamaru durch sein offenes Haar und begann, auf und ab zu tigern. Rastlos. Irritiert. Verwirrt – und ja, vielleicht auch ein bisschen verrückt, wenn man bedachte, was er versucht war zu tun.    Verrückt, huh? Und nochmal, vielleicht ist genau das der Reiz daran.    Zusammen mit dem Versprechen, das wie auch immer geartete Spiel zu meistern, das in Shukens Augen ablief. Ein Spiel, wo die Regeln, die Shikamaru bisher gemeistert hatte, nicht länger galten. Ein Spiel, wo das Spielbrett zu mehr wurde als nur derselben alten Karte, die er bereits hunderte Male zuvor gesehen hatte. Wo alles, was er geglaubt hatte, über das Spielen und Gewinnen zu wissen, in Frage gestellt wurde. Intellekt oder Impuls? Strategie oder Spontanität?    Es ist nicht logisch.    ‚Und trotzdem liegt es in unserer Natur.‘   „Natur“, murmelte Shikamaru laut, als er bei dem offenen Fenster stehen blieb. Zu beiden Seiten seines Kopfes stützte er die Hände gegen den Rahmen und sah hinaus in die feuchtwarme Kusa-Nacht. „Was zur Hölle hat er damit gemeint?“   ‚Triff mich heute Abend im Tekisha Seizon. Und ich werde dir ganz genau zeigen, was ich meine.‘   Shikamaru trommelte mit den Fingern gegen Fensterrahmen und spähte über die Schulter; sah zu den verstreuten Missionsbeschreibungen, den zerknitterten Laken des Bettes, den Rattanmöbeln und dem klapprigen Ventilator, auf seine Flakjacke und die Sandalen, die er achtlos in eine Ecke des Raumes getreten hatte. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf die Uhr und sah zu, wie sechzig Sekunden verstrichen.    Scheiß drauf.   In unter einer Minute war er aus dem Fenster verschwunden und navigierte sich über die Giebeldächer, wobei er sich in einer niedrigen Hocke bewegte. Die Nacht war wie ein aufgeblähter Bauch voller heißer, stickiger Luft und dem peptischen Gurgeln von Abendaktivitäten; Gaststätten, Teehäuser, Spielhöllen – ohne Zweifel wurden Wetten für die bevorstehenden Geninkämpfe abgeschlossen.    Mist.   Er müsste rechtzeitig wieder zurück sein, um sich vorzubereiten.    Reg dich ab. Ist nicht so, dass das die ganze Nacht dauern wird.    Rasch schätzte er die Richtung ein und huschte an einer Reihe Imbissstände und brummender Restaurants vorbei, hielt sich auf den Dächern und in den Schatten. Ein diagonaler Pfad führte ihn von der Hauptstraße fort und näher zum schäbigeren Bereich der Stadt, wo die Wohnhäuser eher barackenhaft, statt nachbarschaftsfreundlich aussahen.    Tekisha Seizon.   Er entdeckte das vertraute Schild, das von einer roten Papierlaterne und ein paar flackernden, ersterbenden Glühbirnen beleuchtet wurde. Der Ort schien still zu sein. Geschlossen. Das Sicherheitsgitter war vor den Eingang gezogen. Aufmerksam suchte Shikamaru nach Wachen, bevor er sich in die Gasse fallen ließ, die zum Hintereingang führte und sich der Tür näherte.    Nicht verschlossen.    Er war sich nicht ganz sicher, warum ihn das überraschte.    Rasch schlüpfte er hinein und lief den bekannten, dunklen Korridor entlang zu der Tür mit dem Riegel am anderen Ende. Sie stand offen, aufgekeilt von einem Kunai. Interessanter Türstopper. So viel also zu Sicherheit. Stirnrunzelnd warf er einen Blick über die Schulter und legte den Kopf schief, um zu lauschen, bevor er sich durch den Spalt drückte.    Die Halle war leer und tief in Schatten getaucht.    Hoch oben in den Sparren glühte ein einzelnes Bühnenlicht wie ein Teufelsauge und schnitt einen blutigen Pfad durch das Schwarz, um die Kampfarena in leichenhafte Schattierungen zu baden. Der Gestank von Schweiß, Rauch und Sake hing noch immer schwer in dem Stadion und drehte Kreise, da riesige Deckenventilatoren die abgestandene, feuchte Luft in Bewegung setzten.    Kein Lebenszeichen.    Während er die leeren Ränge scannte, stieg Shikamaru einen der treppenartigen Gänge hinab, wobei er sich langsam und geräuschlos auf den eingesunkenen Bereich der abgezäunten Arena zubewegte. Die Bühne war abgespritzt worden und rostrotes Wasser tropfte durch den Maschendrahtzaun. Wachsam näherte sich Shikamaru dem diamantförmigen Netz und lauschte nach dem musikalischen Summen der chakrageladenen Spannung.    Nichts.    Sie hatten die Zäune abgeschaltet.    Macht Sinn.    Er wandte der Bühne seinen Rücken zu, ließ seine Augen über die Sitzreihen wanderten und kehrte dann langsam in Richtung der Tür zurück. Kein Zeichen von dem gruseligen Echsentyp, mit dem sich Genma angelegt hatte. Oder von dem narbengesichtigen, einäugigen Katsu. Und auch kein Shuken.    Shuken…   Es fühlte sich seltsam an, diesen Namen statt des vorherigen ‚Shin‘ zu verwenden. Oder vielleicht rührte dieses seltsame Gefühl auch von dem sonderbaren Empfinden von Spannung her, das Shikamarus Haut straffzog. Es löste eine Gänsehaut aus, stellte winzige Härchen auf und alarmierte seine Sinne.    Zur Hölle?    Shikamaru wich einen Schritt zurück, drehte einen langsamen Kreis und lauschte, während er die Schatten absuchte. Er konnte nichts Verdächtiges erkennen, hörte nichts Auffälliges. Überhaupt nichts. Nichts, das darauf schließen ließ, dass er nicht völlig allein war. Doch die kribbelnde Gänsehaut blieb und ein Schauer durchlief seine Wirbelsäule. Klasse. Jetzt benahm er sich schon wie ein verängstigtes Kind.    „Du bist so ein Idiot“, sagte er sich selbst und marschierte entschlossen zu der langen Betonrampe, die unter der eingesunkenen Arena zu der Ebene führte, auf der ‚ZUTRITT NUR FÜR TIERFÜHRER‘ stand.    Vielleicht hatte Shuken ja eigentlich gemeint, ihn beim Shinjūmon Portal zu treffen.    Als er hinein in den dämmrig beleuchteten Korridor trat, wich die stickige Stille dem Rumpeln von Aggregaten dem Gurgeln der schwitzenden Rohre über seinem Kopf. Die rostigen Eingeweide erstreckten sich über die Decke und verliefen entlang separater Sektionen des Tunnels.    Geradeaus, dann links.   Wie gut, dass er diese Route vorher schon einmal langgelaufen war. Jeder Tunnel, der sich von dem Hauptkorridor abzweigte, sah ebenso dunkel und nichtssagend aus wie der nächste. Er war bereits einige Meter weiter und zwei Schritte in die richtige Richtung gelaufen, als seine Eingeweide die vollkommen falsche Richtung einschlugen und ihm in die Kehle sprangen.    Da war nichts, was er sah. Nichts, was er hörte.    Es war ein Geruch. Faulig. Ranzig. Ganz ähnlich dem ersten, widerlichen Tiergestank, den er hier unten gerochen hatte. Nur war da diesmal auch noch diese unterschwellige Fäulnis, verdorbenem Fleisch nicht unähnlich, vermischt mit dem eklig-süßen Gestank von etwas, das Erbrochenes oder saure Milch sein könnte. Als wäre hier unten etwas gestorben…und das schon vor Tagen.    Tote Chimären?   Er versteifte sich, als die Erinnerung an diese kranken Bestien wahnsinniger Wissenschaft zurückkehrte. Grausam, riesig, vielleicht auch ein bisschen von Vorstellungskraft verzerrt. Keine Überraschung. Es wäre nicht allzu schwer, das, was er gesehen hatte, mit irgendeiner irren Albtraumphantasie zu verwechseln.    Ich weiß, was ich gesehen habe.    Genauso, wie er auch wusste, was er gerochen hatte. Und es traf ihn instinktiv. So, wie es bei ganz ursprünglichen Ängsten der Fall war. Ein unerwarteter Schlag in die Magengegend. Während er sich halb auf dem Absatz drehte, überlegte er, ob es klug wäre, herum zu schnüffeln, doch letztendlich gewannen seine Shinobiinstinkte.    Wie lästig.    Er zögerte alibimäßig. Zwei Sekunden. Drei. Und dann wurde er von der Ansammlung von Gerüchen angezogen, wie dazu gezwungen, die Bedrohung zu identifizieren und endlich dieses aufgewühlte Gefühl zu rationalisieren, das sich in ihm festgesetzt hatte.    Wo ist ein Inuzuka, wenn man einen braucht?   Seiner Nase folgend – was nicht gerade schwer war, da der Geruch immer schlimmer wurde – wandte er sich nach rechts. Der Tunnel, den er betrat, streckte sich ein paar Meter vor ihm aus, bevor er eine Kurve beschrieb und hinter einer dunklen Biegung verschwand. Die rechte Seite der Wand war von geschlossenen Türen und eingegitterten Glühbirnen gesäumt. Stumpf. Rot. Notfalllichter.    Shikamarus Braue zuckte nach oben.    Es sah aus wie eine Gefängniseinrichtung. Die Türen hatte kleine Sichtfenster und Gitterstäbe. Wachsam näherte er sich der ersten Zelle, hörte ein seltsam summendes Geräusch, linste durch die Eisenstangen und –    „Shit!“ Er zuckte zurück, Mund und Nase in seiner Armbeuge begraben.    Sein Mageninneres verwandelte sich in formlosen Schlick.    Er brauchte einen langen, getroffenen Moment, um nach Luft zu schnappen und die Galle hinunter zu würgen.    Heilige Scheiße.    Langsam ausatmend trat er noch einmal zu dem kleinen Fenster. Nahm die Szenerie in sich auf und gab sich dabei alle Mühe, nicht auf seine Füße zu kotzen. Nichts dadrin bewegte sich außer Fliegen und Maden. Spuren einer schwarz schimmernden Flüssigkeit bedeckten den erdigen Boden und die Ziegelsteinwände. Arterieller Sprühregen. Ganze Lachen aus Blut.    So viel Blut.    Blut, das zu dem aufgedunsenen Körper gehörte, der in einem zerknitterten Haufen im Zentrum der Zelle lag; ein kleiner Körper, der Körper eines Mädchens, die Haut fleckig von den gelblich grünen und lilablauen Schattierungen des Todes. Ihre Kehle war so brutal, so gewalttätig aufgeschlitzt worden, dass sie quasi enthauptet war, ihr Kopf lollte leblos nur noch an Strängen aus Knorpel und Sehnen.    Fassungslos und angewidert stierte Shikamaru, als würde er dazu gezwungen.    Es war wie etwas direkt aus einem Horrorfilm. Er konnte geradezu spüren, wie sich diese Szenerie in seine Augäpfel ätzte und sich in seinem Hirn festsetzte. Das war genau die Art von Scheiße, die einen Fleck zurückließ, der sich nie wieder auswaschen ließ. Und gerade, als Shikamaru dachte, dass es absolut nichts gab, das dieser grauenvollen Darstellung hinzugefügt werden konnte, erhaschte er eine Bewegung im entferntesten Winkel der Zelle.    Seine Augen weiteten sich und sein ganzes Gesicht fiel entsetzt in sich zusammen.    Ein Kind, nicht älter als zwölf, saß kauernd in den Schatten, eine Machete krampfig in knochenweißen Fingern haltend. Er war über und über von Rot bedeckt. Sein Blut. Das des Mädchens. Er war ziemlich übel zugerichtet, violette, klaffende Wunden eiterten und waren entzündet.    Shikamaru war sich ziemlich sicher, dass er das gelbliche Weiß bloßgelegter Knochen sah, die hier und da hervorstachen. Aber trotz aller Versehrtheit des Körpers, waren es die Augen des Jungen, die die tiefsten Narben trugen; die finstersten Wunden. Tote Augen. Finstere, stierende Augen. Versunken in ihren knochigen Höhlen – hohl, flach, bar irgendeines Anzeichens von Seele. Einfach nur zwei schwarze Löcher. Zumindest, bis er aufsah…   Aufsah und Shikamarus entsetztem Blick begegnete.    Für eine sehr lange Sekunde starrte ihn der Junge einfach nur an. Und dann wisperte er mit einer Stimme, die kein Kind auf dieser Welt besitzen sollte: „Habe ich gewonnen?“   Die Frage wurde nicht wahrgenommen.    Shikamarus Hirn traf heftig und hart auf eine Wand und erholte sich nicht davon.  Verleugnung.    Er spürte, wie sich sein Körper nach hinten bewegte, als seine Füße benommene, bebende Schritte machten, wie bei einem Schlafwandler. Schlafwandeln. Das musste es sein. Das war ein Albtraum. Und wie in einem Albtraum, fühlte er, wie sich sein Körper in Zeitlupe bewegte, als er sich umdrehte und begann, den Korridor entlang zu laufen.    Todestrakt…   Und schlimmer als die Toten waren die, die immer noch am Leben waren…am Leben und doch tot…   Wie lebende Leichen…   Kids mit toten Augen, toten Gesichtern und toten Körpern zu ihren Füßen…   Gott. Nicht nur zu ihren Füßen…   Bei einer anderen Zelle blieb Shikamaru stehen. Jede Luft verließ ihn. Ein kleines Mädchen saß auf dem Boden, schaukelte apathisch vor und zurück und rammte dabei ihren Schädel immer wieder gegen die Wand. Ihre Kopfhaut war bereits aufgeplatzt und blutete. Ein weiteres Kind, älter, männlich, baumelte träge am Ende eines Seils, das an die dampfenden Rohre an der Decke gebunden war. Aufgehängt an der Kehle, das Gesicht aufgedunsen, die Augen in einem bewölkten Starren halb geöffnet.    Der Anblick war grässlich, entsetzlich…   Aber er konnte nicht wegsehen. Seine Augen brannten, weil er nicht mehr blinzelte und da war etwas Heißes und Kratziges in seinem Rachen. Ein Schrei. Ein heißer Ball aus Galle. Er stieß ein ersticktes Geräusch aus.    Das Kind sah auf, blutunterlaufene Augen stierten direkt durch ihn hindurch, als sie gurgelte: „Es tut mir nicht leid. Es tut mir nicht leid. Es tut mir nicht leid.“   Und dann sprach jemand hinter ihm: „Was zur Hölle machst du hier?“   Shikamaru wirbelte herum und erstarrte.    Er blickte hinauf in ein Gesicht, das nicht wirklich ein Gesicht war.    Gott.    Nein. Kein Gott. Ein Teufel. Ein Dämon. Die schimmernd rote Noh Maske hing in der Finsternis des Korridors, das feixende Grinsen streckte sich weit aus. Der Torwächter dieser Hölle und all ihrer grauenerfüllten Zellen.    Und dann trat der Dämon aus dem Schatten in eine Pfütze roten Lichts.    Shikamaru blinzelte und der Horror auf seinem Gesicht ging in geschocktes Wiedererkennen über. Er kannte diese Maske. Hatte auch den Mann dahinter gesehen. Die glatten, aschblonden Strähnen, der lange, blasse Pferdeschwanz, der am Nacken des Mannes zusammengebunden war. Er hatte diesen Mann gesehen. Diesen Mantel und Degen Typ mit den sonderbaren, heimsuchenden Augen.    „Du“, hauchte Shikamaru, suchte diese schwarzen Augenhöhlen nach den violetten Seen ab, die tief in Schatten verloren waren, seine Stimme wie Staub. „Tenka.“   Das Dämonengesicht zuckte bei diesem Namen zurück und ein Fuß schob sich nach hinten. Doch er erholte sich schnell. Eine behandschuhte Hand schoss nach vorn, um den Arm des Schattenninjas zu packen und die Finger hart hinein zu krallen. „Du darfst nicht hier sein“, murmelte Tenka mit einer Stimme, die nur ein leises Krächzen durch diesen feixenden Mund war. „Gott, nicht hier.“   Es waren nicht die Worte, die Shikamaru endlich aus seiner hirntoten Benommenheit rissen.    Es war die Berührung.    Verleugnung zersplitterte und fiel zusammen mit seinem Magen nach unten. Furcht wurde zu Adrenalin. Adrenalin wurde zu Zorn. Gewalt war die Kniesehnenreaktion und er schlug um sich; legte all seine Angst, all seine Verwirrung und all seine verfickt ausgeflippte Raserei in den Schlag.    Überraschungsmoment.   Er hatte es.    Zumindest für zwei Sekunden.    Er schaffte es gerade so, diese Dämonenmaske zu erwischen und sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, bevor seine gesamte Welt aus dem Lot geriet. Tenka rammte ihn aufwärts gegen die nächstbeste Wand und presste ihm eine Hand über den Mund, bevor er schreien konnte. Rasch lehnte er sich nach genug, dass Shikamaru gerade so ein Flackern dieser unheimlichen, violetten Augen hinter der Maske sehen konnte.    Ein langsamer, kontrollierter Atemzug und Tenka sprach mit offenkundiger Dringlichkeit: „Du hast Angst. Das solltest du auch. Du verstehst es nicht und ich kann es dir nicht erklären. Dafür ist keine Zeit. Keine Worte, nur Taten. Aber glaub mir, wenn ich dir sage: wenn ich dir wehtun wollte, dann wärst du jetzt schon tot.“   Shikamaru wurde vollkommen regungslos.    Aus irgendeinem Grund – nein, kein Grund, da war kein Grund, keine Logik, kein Verständnis – aber aus irgendeinem unbekannten Gefühl heraus, glaubte er diesem Kerl. Hatte vielleicht auch ein bisschen damit zu tun, dass er ernsthaft Todesangst hatte und wahrscheinlich eine ganze Menge damit, dass ihm in dieser Angelegenheit überhaupt keine Wahl gelassen wurde…und was für eine Wahl eventuell noch geblieben war, wurde in der Sekunde fortgestohlen, als eine Stimme den Korridor entlang explodierte.    „Fee-fi-fo-fum, ihr kleinen Ficker!“   Tenka erstarrte und sein maskiertes Gesicht neigte sich in die Richtung des diabolischen Lachens, das folgte. Die Kinder begannen zu grölen, zu schreien, zu schluchzen…   Manche blieben still…kamen einfach nur zu den vergitterten Fenstern und stierten ins Nichts.  Noch mehr hysterisches und amüsiertes Lachen. Krankes Hyänen-Gackern. Mehr als ein Mann. Einige. Ein ganzes Rudel. Sie verhöhnten diese Kids, verspotteten sie zum Gelächter von Teufeln. Shikamaru hörte das Laute KLANG, KLANG, KLANG von Metall, als würden diese Monster, die die Kinder anbrüllten, jetzt an ihren Käfigen rütteln und sie aufscheuchen, als wären sie Tiere.    „Haste gewonnen? Haste verlor’n?“   „Wer will richtig spielen?“   Eine andere Stimme, näher diesmal. „Tenka, mein Freund! Wo biste, Bruder? Hilfste mir und meiner Truppe, diese kleinen Schlampen zusammenzutreiben!?“   Bei der letzten Stimme flogen Shikamarus Augen weit auf. Er kannte diese Stimme, diesen nasalen, schmuddeligen Tonfall und diesen einschmeichelnden Gebrauch des Wortes ‚Bruder‘.   Yamori.   Echsengesicht. Der Kerl, der Genma auf eine sehr feine und gefährliche Messers Schneide gebracht hatte. Der Kerl, der gefragt hatte, wie alt Shikamaru war. Ob er Blutsport mochte. War es das, was dieser kranke Bastard im Sinn gehabt hatte, als er diese Fragen gestellt hatte?   Aber Shikamaru blieb keine Zeit, um zweihundert Szenarien zu verarbeiten, die sich in einer dieser Zellen abspielen könnten. Oder die zweihundert Wege, auf die es ein Kerl wie Yamori und auch jeder sonst, der in diese völlig verdrehte Operation involviert war, verdient hatte zu sterben.    Tenka packte ihn noch fester, schubste ihn fort zum anderen Ende des Korridors und stach mit einem Finger in Richtung des Ausgangs. „Renn. Sieh verflucht nochmal zu, dass du hier raus kommst, Shikamaru. Komm niemals wieder hierher zurück.“   Taumelnd blieb Shikamaru stehen und wandte sich bei der Erwähnung seines Namens um. „Wie-?“   Knurrend schubste ihn Tenka so heftig, dass er gar keine andere Wahl hatte, als zu rennen, oder flach auf die Fresse zu fallen.    „LAUF!“   Und er lief.    Schoss wie ein gottverdammter Pfeil den Tunnel hinunter, während das geifernde Lachen der Hölle nach seinen Hacken schnappte. Dürre Arme versuchten, ihn durch die Gitterstäbe zu packen, heimgesuchte Gesichter sahen ihn an, die Konturen in blutige Linien geätzt und ihre Stimmen – Gott, ihre Stimmen – verfolgten ihn, wogten in Echos verstärkt durch den Tunnel.    „Ich will nicht spielen.“   „Ich habe gewonnen.“   „Habe ich gewonnen?“   „Es tut mir nicht leid.“   „Verlierer!“   „Ich bring dich um!“   „Bring mich um.“   „Bitte.“   Das letzte Wort ließ ihn beinahe abrupt stehen bleiben, es war wie eine Klinge aus Eis durch sein Herz. Aber das Momentum trug ihn daran vorbei, trug ihn weiter. Er platzte aus dem Korridor, hetzte den Tunnel zum Ausgang entlang. Sah die Rampe direkt vor sich. Sah das scharlachrote Licht der Arena.    Ein Fenster des Auswegs.    Lauf, lauf, lauf.    Er war am Fuß der Rampe, als alle Lichter in der Arena angingen. Grell und blendend. Fassungslos kam Shikamaru zu einem schlitternden Halt, sein Momentum so stark, dass er zurückspringen musste, um nicht zu stolpern. Er fiel einen Schritt nach hinten in den Tunnel, einen Arm gegen das grelle Licht erhoben.    Eine Gestalt trat die Rampe hinunter.    Eine unbestimmbare Silhouette, umrahmt von einem blutroten Heiligenschein, stand zwischen Shikamaru und seinem Ausweg. „Ah, Shika“, erklang die tiefe, samtig weiche Stimme, ergoss sich in die eiskalte, benommene Stille wie der dunkelste Spritzer reichen Weins – oder Blutes. „Das enttäuscht mich wirklich.“   Shikamaru sagte überhaupt nichts. Seine Zunge klebte an seinem Gaumen. Schon wieder war sein Hirn gegen eine Mauer gekracht. Das konnte einfach nicht passieren. Es musste eine Erklärung geben. Er versuchte, an dem grellen Funkeln des Lichtes vorbei zu blinzeln, versuchte, die Konturen dieses Gesichtes zu erkennen, das er nicht sehen konnte.    „Yo, Kleiner.“ Diese Stimme erscholl hinter ihm.    Shikamaru wirbelte herum und etwas – jemand – traf ihn. Da war das leichteste Funkeln aus dem Augenwinkel. Da war der harte, stumpfe Aufprall von Stahl gegen seine Schläfe.    Und dann war da nichts.    Da war Finsternis…   Finsternis…   Und dann sprach diese Finsternis: „Ist es das, woran du dich erinnern wolltest? Gratulation. Hier endet es nicht. Und jetzt steh verfickt nochmal auf.“   Das tat er nicht. Für eine sehr lange Zeit nicht. Hätten Minuten sein können. Hätten auch Stunden sein können. Er verlor das Zeitgefühl. Nicht auf die Weise, wie bei seinen Blackouts, denn diesmal war er bei Bewusstsein. In der Kontrolle und sich allem allzu sehr bewusst…bewusst, dass er in einem Zustand dahockte, der nicht wirklich Schock war…aber es war auch nicht wirklich geistig gesund…seine Wirbelsäule presste sich gegen die Wand eines alten, ruinierten Tunnels, der von Zellen gesäumt waren…und angefüllt mit dem Staub all des Todes, den er vor zwei Jahren hier erlebt hatte.    All das Töten…   All diese Kinder…   Shikamarus Luftröhre zog sich zusammen, sein Kiefer hing weit offen und verbarrikadierte sich bei Worten, die er nicht sagen konnte, weil er nicht die Stimme hatte, um zu sprechen. Da war ein Schmelzofen in seiner Kehle und verbrannte seinen Atem. Er konnte nicht atmen.    All diese Kinder…   Und er hatte sie einfach zurückgelassen. Er war gerannt. Aber schlimmer als das…da war noch etwas anderes, was er getan hatte, oder nicht? Etwas anderes…etwas anderes…    „Komm drüber weg. Ich hab es getan. Bekomm deinen Kopf endlich wieder zurück ins Spiel und finde das Portal“, sagte die Finsternis.    „Was habe ich getan?“, krächzte Shikamaru. „Was habe ich getan?“   „Was hast du NICHT getan, würde es eher treffen. Ich werd dir jetzt mal was sagen. Ich habe dich nicht für diesen selbstgeißelnden Bullshit hierher gezerrt. Ich habe dich nicht hierher gebracht, damit du schwach bist. Immer bist du so gottverfickt schwach.“   Die kalten, beißenden Worte wurden überhaupt nicht wahrgenommen, denn alles, was Shikamaru spüren konnte, wie es sich in seinem Verstand festsetzte, waren die Schreie dieser Kinder und die Stimme des Kleinen, der sich in ihm zusammengerollt hatte; vor und zurück wippend in einer Kammer seines Bewusstseins, wo die Furcht lebte, atmete, schrie.    „Hör auf“, japste der Kleine. „Tut mir nicht…es ist vorbei. Es ist vorbei. Bring mich nicht dazu, zurückzukehren. Bring mich nicht dazu, dorthin zurückzukehren.“   „Warum? Was habe ich getan?“, fragte Shikamaru noch einmal, richtete seine Worte diesmal an den Kleinen, während seine Stimme so heftig bebte, dass es ihm Schmerzen bereitete, einfach nur trotz der Enge zu sprechen, die sich immer mehr um seine Kehle schloss. „Sag mir…sag mir, was ich getan habe.“   „Ich werde dir sagen, was du getan hast“, erwiderte die Finsternis. „Du hast gewonnen. Du hast das Spiel dieses Monsters gespielt und du hast gewonnen. Und jetzt wirst du wieder gewinnen. Denn zu gewinnen ist das, was du tust. Was Ich tue. Du hast es schon hunderte Male zuvor gesagt…es ist immer nur ein Spiel.“   Shikamarus Wirbelsäule versteifte sich, seine Augen wurden rund. ‚Es ist nur ein Spiel.‘   Innerhalb eines Herzschlages spielte sich eine Szene auf der dunklen Theaterbühne seines Verstandes ab; ein kleines Mädchen stand in den Flammen, kupferfarbenes Haar und weiß wie Kreide, ihre großen Haselaugen in einem qualerfüllten Stieren auf ihn fixiert, während ihre Lippen die Worte formten: ‚Es ist nur ein Spiel. Also tut es dir auch nicht leid, oder? Dir nicht…mir nicht…‘   Seine ausgestreckte Hand griff nach ihr, seine Kehle schnürte sich zu. ‚Nicht. Nimm einfach meine Hand. Komm schon, Kleine. Komm einfach zu mir. Du bist sicher. Es ist vorbei.‘   ‚Habe ich gewonnen?‘   ‚Ja. Ja, du hast gewonnen.‘   ‚Ich will nicht mehr spielen.‘   Und dann die Worte, die er für den Rest seines Leben bereuen würde. ‚Okay. Das musst du nicht.‘   Sie weinte. Sie weinte wie der Kleine in seinem Kopf schrie, als beide Kinder seinem Blick begegneten und sie beide wie aus einem Munde sagten: „Lügner!“   Die Erinnerung zersplitterte.    Genauso wie etwas in ihm selbst.    Es war ein alter Bruch, eine alte Fraktur, ein Ort innerhalb seines Geistes, wo sich aller Zusammenhalt aufgelöst hatte. Shikamaru hielt nicht inne, um herauszufinden, was zur Hölle eigentlich gerade auseinander gekommen war. Denn der einzige Teil, der jetzt eine Rolle spielte, war der Teil, der sich in der Kontrolle befand. Und dieser Teil war auf die Füße geschossen und rannte, rannte, rannte – hol die Kids, hol die Kids, hol die Kids – und die Finsternis jagte ihm nach; ein heulendes Monster in seinem Kopf.    „Sie sie schon längst tot! Wenn du dich jetzt gegen mich wendest, dann gibt es kein Zurück! Das ist nicht VORBEI! Es gibt immer noch das ENDSPIEL und es gibt KEIN ZURÜCK! HÖRST DU MICH?“   Und wie er hörte…   Und vielleicht – genau wie der zusammengekauerte Kleine in seinem Inneren – begriff er endlich…   Begriff, dass das Monster, das in seinen Erinnerungen lebte, nicht einfach nur das Monster war, das ihn verraten hatte; es war das Monster, zu dem er geworden war.  Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)