Under these Scars von _Scatach_ (Teil Vier der BtB Serie) ================================================================================ Kapitel 4: A window to another world ------------------------------------ „Interessante Beteiligungsquote“, sagte Shikamaru gedehnt und musterte den Kreis leerer Sitzkissen.    Naja, alle leer bis auf eines.    Narutos Miene verfinsterte sich, während er mit den Fingern über die letzten Falten seines Origami Flugzeugs strich und die ToGo-Menükarte von Yakiniku Q auf Shikamarus Kopf zusegeln ließ. Der Schattenninja duckte sich, fühlte, wie das Papier über seinen stacheligen Pferdeschwanz schlingerte und dann eine Bruchlandung in den Teller von irgendjemandem in der Sitznische hinter ihm hinlegte.    „Hey!“ Eine Besucherin streckte ihren Kopf um die Wand und spähte über Shikamarus Schulter, um den blassgesichtigen Uzumaki zornig anzufunkeln. „Du hast meiner Mutter gerade fast ein Auge ausgestochen, du Schwachkopf!“   Nervös lachend verzog Naruto das Gesicht. „Tut mir leid.“   „Das wird es“, knurrte die Frau und machte sich daran, den Schattenninja zu umrunden.    Seufzend griff Shikamaru mit zwei schlanken Fingern in seine Tasche, um vier Yakiniku Q Rabattgutscheine hervor zu angeln und sie über seine Schulter hinweg direkt unter die Nase der Frau zu halten. „Wiedergutmachung für meinen Idiotenfreund.“   Schnaubend beäugte die Frau die Coupons und wog das Angebot ab. Shikamaru ging von weiteren drei Sekunden aus. Doch es brauchte nur zwei. Sie schnappte ihm die Gutscheine aus der Hand und kehrte zu ihrem Essen zurück.    Kopfschmerzen vermieden.   Doch Naruto schien angesichts der Verhandlungsweise überhaupt nicht beeindruckt zu sein, sondern wandte seine verwundeten Augen hinauf zu dem Schattenninja. „Kauf eins und bekomm ein weiteres umsonst?“, krächzte und klang dabei schmerzerfüllt. „Im Ernst?“   Shikamaru hob eine Braue. „Das hast du davon.“   „Ich hab gar nichts bekommen!“   „Ganz genau. Erinnerst du dich an die letzte Sache, mit der du auf meinen Kopf gezielt hast? Nein?“ Shikamaru ballte eine Faust, um es zu illustrieren und schnaubte über Narutos weitäugigen Blick. „Jo. Und du hast daneben geschlagen. Hast stattdessen Hibari erwischt. Erinnerst du dich, wie gut das für dich ausgegangen ist?“   Mit verschränkten Armen lehnte sich Naruto schmollend zurück. „Du duckst dich ja auch immer.“   „Ich bin eben schlau.“   Blaue Augen funkelten, doch das strahlende Grinsen schwächte sich rasch zu einem schwächlichen Zucken der Lippen ab. Seufzend stierte Naruto elendig auf das kalte Kohlebecken in der Mitte des Tisches und breitete die Arme aus, um auf die leeren Sitzplätze zu deuten. „Das ist ätzend.“   Achselzuckend lehnte sich Shikamaru gegen die Fusama Wand, die die Nischen voneinander trennte. „Vielleicht sind wir im falschen Laden.“   Naruto schüttelte den Kopf, hielt kurz inne und spähte dann seitwärts zu Shikamaru, als wäre irgendeine Verschwörung im Gange. „Wo sind Ino und Chōji?“   Gute Frage; zumindest was Ino anging.   Der Schattenninja öffnete den Mund, um zu antworten, doch lautes Rufen zog seine Aufmerksamkeit zum Eingang des Restaurants. Ein Genintrio stolperte durch die schwingenden Norivorhänge, wobei ein Junge den anderen voran hüpfte und ihm schwarze Locken in die leuchtend grünen Augen fielen. Ihr Sensei – ein großer bärtiger Mann mit rubinrotem Ohrring – folgte ihnen dicht auf dem Fuße. Als sich der Lärmpegel noch mehr hob, legte er eine Hand auf den Lockenkopf des Kindes und sagte etwas, das den Bub mit den Augen auf die Schuhe gerichtet erröten und verstummen ließ. Eine beschämte Stille – bis die Hand des Jōnin zaghaft zudrückte und durch die dunklen Locken wuschelte. Liebevolles und vergebendes Lachen folgte.   Shikamarus Kehle zog sich zusammen und rasch wandte er mit heiserer Stimme den Blick ab. „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass Chōji wohl mit Tenten Überstunden in der Rüstkammer machen muss. Was Ino angeht…“ Er hob eine Schulter, da er nicht mit Sicherheit sagen konnte, wo Ino sein könnte. Sie war nicht in den Laboren gewesen, als er vorbei gekommen war, also konnte sie praktisch überall sein. „Was ist mit Sakura und den anderen?“   Schnaubend lümmelte sich Naruto nach hinten und folgte mit den Augen den fleischüberladenen Tabletts, die im Restaurant hin und her getragen wurden. „Neji hat die Kurve gekratzt. Sakura meinte, sie muss die Sanitätstaschen auffüllen. Kiba hat sich total psychomäßig aufgeführt wegen irgendwas, was die Quarantäne mit Akamaru angestellt hat und Sai wurde von irgendeinem gruselig krabbeligen ANBU Typen weggeholt, durch den Shino dann völlig deprimiert und mürrisch geworden ist. Komisch, die sahen sich nämlich echt ähnlich, weißt du?“   Nur ein einziges Wort dieses Updates erwies sich als wichtig und interessant genug, um ihm auch wirklich zu begegnen – und trotzdem kämpfte Shikamaru darum, ein Knurren von seinen Lippen und die Verachtung aus seiner Stimme fern zu halten.   „ANBU, huh?“, murmelte er, nicht bereit dazu, sein Hirn diesem lästigen Puzzle zu übergeben, ohne dass er den geprüften Beweis hatte, dass es seine Zeit auch wert wäre. Rasch warf er Naruto einen skeptischen Blick aus den Augenwinkeln zu. „Bist du dir sicher?“   Doch Naruto hörte ihm nicht zu, sondern schien viel mehr darauf bedacht zu sein, die volle Kraft seines ‚getretener Welpe‘-Blicks auf die angrenzende Seite des Restaurants zu richten, wo das Geninteam und ihr Sensei zusammengedrängt um den brutzelnden Tisch saßen. Die Luft um sie herum duftete nach dem Fettgeruch gegrillten Rindfleischs und knisternden Schweinebauchs.    Die Kellnerin brachte noch ein weiteres Tablett.    Am Boden zerstört winselte Naruto. „Verdammt. Ich dachte, dass zumindest irgendjemand der Truppe seinen Kram liegen lässt und auftaucht.“   Shikamaru ließ trocken seinen Blick schweifen und hob eine Hand, um seine Anwesenheit anzubieten.    Diese sarkastische und einsame Geste sorgte allerdings nur dafür, dass der Uzumaki noch mehr zusammensackte. Die Arme um seinen grummelnden Magen geschlungen, verwelkte Naruto wie eine verdurstete Sonnenblume und seine gelben Haarspitzen knickten nach vorn, als er seinen Kopf mit einem hörbaren Dum auf die kalte und karge Tischplatte fallen ließ, was die unberührten Essstäbchen klappern ließ.    Mann, was für ein Kind…   Shikamaru wäre wahrscheinlich genervt oder vielleicht sogar amüsiert gewesen, wenn er nicht instinktiv gewusst hätte, dass Narutos Enttäuschung weniger mit seinem leeren Magen und viel mehr mit den leeren Sitzplätzen zu tun hatte.    Verdammt.    Seufzend griff Shikamaru in seine Tasche. Ein sanftes Tappen und er schob zwei Gutscheine über den Tisch, während er mit den Fingern trommelte, um Narutos Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch der stachelige Kopf blieb liegen.    Wie lästig.   Stirnrunzelnd stupste er Narutos Kopf mit zwei steifen Fingern an und kitzelte so ein genuscheltes ‚Au‘ aus dem schmollenden Jinchūriki, bevor Naruto eine schnurrbärtige Wange über die Tischplatte drehte und auf die Coupons schielte. Für einen Moment blinzelten die blauen Augen verwirrt, bevor sie weit aufflogen. Im selben Atemzug, den Shikamaru brauchte, um sich von dem Tisch fort zu schieben, sprang Naruto mit einem hörbaren Pop von Knien und Knirschen von Muskeln auf, während er triumphierend eine Faust in die Luft stieß.    „JA!“, brüllte er.    Eine erschreckte Stille breitete sich in dem Restaurant aus.    Ohne ein Wort machte Shikamaru auf dem Absatz kehrt und zog den Kopf unter den stierenden Augen des verärgerten Besitzers und der verdatterten Gäste ein. Er war bereits halb zur Tür hinaus, als Naruto zu ihm aufholte, einen Arm um den Nacken des Schattenninjas schlang und den anderen mit einem begeisterten Schrei in die Luft hielt; die umklammerten Ichiraku Gutscheine flatterten golden und rot in der kalten Abendbrise.    ~❃~   „Kami. Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht, sowas abzuziehen?“, fragte Chōza.    Skikaku stand am Fenster des oberen Stockwerks und hatte die Hüfte gegen den Sims eingeknickt, während er mit gekrümmtem Knöchel über die Brust der Botentaube streichelte, um die alten zerzausten Federn glattzustreichen. Die Tauben waren nicht aufgeflogen. Aber auf der anderen Seite hatte Shikaku das auch nicht erwartet. Sie waren inzwischen an den Lärm in der Rüstkammer gewöhnt, ebenso wie an die Gewohnheiten und Anforderungen der Ninja, für die sie lebten, um ihnen zu dienten.    Oder dienen…nur um zu leben…   Shikaku zog die Brauen zusammen. Heute hatte er vergessen, das Vogelfutter aufzufüllen. Egal. Dieser Vogel würde es ohnehin nicht mehr brauchen.   „Shikaku.“   Er spürte Chōzas Blick, der ihn zu einer Antwort drängte, doch statt die Sache zu überstürzen oder sich für eine Erwiderung umzudrehen, machte er einfach mit dieser gelassenen Geschwindigkeit weiter und nahm sich Zeit, um eine Miniaturschriftrolle am Bein des Vogels zu befestigen. Die Taube gurrte über die Sanftheit seiner Berührung; vollkommen entspannt in diesen Händen, die ebenso schnell töten konnten, wie sie streichelten.    „Noch einmal, alter Freund“, murmelte Shikaku. Er drehte sich in der Hüfte, lehnte sich seitwärts aus dem Fenster und hielt seinen Arm mit leiser beruhigender Stimme nach oben. „Noch ein letztes Mal. Dann bist du frei.“   Ein weiches Gurren und der Vogel erhob sich hinauf in die dunklen samtigen Himmel, wobei eine Handvoll Federn in seinem Flug der Gefolgschaft wirbelte. Shikaku sah dem Schweben der Daunen zu; ein schaukelnder Abstieg, der seinen Blick hinunter zu dem jungen Shinobi in weißen Roben zog, der die Rüstkammer verließ.    Hyūga Neji.    „Ich hatte dem Ganzen meinen Rücken zugewandt und die Rüstung offen, als du das abgezogen hast“, sagte Chōza ernst. „Neji hätte erblinden können. Er hätte verkrüppelt werden können. Oder noch schlimmer.“   „Viel schlimmer“, stimmte Shikaku zu, während er beobachtete, wie sich Neji mit den sturen, selbstbewussten Schritten eines Mannes bewegte, der sich vollkommen unter Kontrolle hatte; und das trotz seiner unglaublichen Schmerzen.    So sehr wie Hizashi…   Ja. So sehr in der eigenen Kontrolle, aber nicht in der Kontrolle seiner Richtung, seines Schicksals. Ein Schicksal, das bisher noch nicht festgelegt war, sondern nur an Fäden hing. Fäden, die Neji zu nichts weiter als einer Marionette in den Händen von Vorgesetzten machten, die genau wussten, wie sie an seinen Schnüren ziehen mussten, um ihn tanzen zu lassen.    „Warum hast du das getan, Shikaku?“   Langsam durch die Nase ausatmend stützte Shikaku seine Schulter gegen den Fensterrahmen. „Denkst du, Hizashi hätte es sich anders überlegt, wenn ihm die Chance gegeben worden wäre, die sein Sohn jetzt hat?“    „Shikaku.“ Die Schwere in Chōzas Stimme legte sich mit dem sanften Druck der Hand des Akimichi auf Shikakus Schulter. „Was hast du getan? Der Hyūga Junge hätte ernsthaft verletzt werden können.“   „Du unterschätzt diesen hier“, erwiderte Shikaku und wandte sich ab, um dem Griff zu entkommen, doch er lächelte, um zu zeigen, dass er die Geste zu schätzen wusste. „Und er ist kein Junge. Keiner von ihnen ist es. Sie sind keine Kinder mehr. Sie haben bereits vor einer langen Zeit aufgehört, Kinder zu sein.“   Chōza zog den Kopf zurück und suchte in dem schummrigen Licht aufmerksam Shikakus Gesicht hab. „Dasselbe hast du zu Inoichi gesagt, als sie von dieser Mission zurück gekommen sind.“    Diese Mission. Die eine, die zwei Akatsuki Monster in ihre Gräber geschickt hatte. So schnell erledigt und vorüber; mit Asuma seit kaum zwei Tagen tot unter der Erde.    So schnell…immer so schnell…   Shikakus abgeschirmter Blick wanderte über Chōzas Schulter und driftete dann wieder zurück. „Du hast recht. Das habe ich damals gesagt. Und dasselbe sage ich jetzt. Sie sind keine Kinder mehr.“   Chōza runzelte die Stirn. „Ist irgendwas zwischen dir und Shikamaru vorgefallen?“   Shikakus Miene verzog sich. Es war ein Ausdruck amüsierter Neugierde, um die Emotion zu verschleiern, die in seine Augen zu bluten drohte – eine hässliche Ausdehnung der Narben, die sich über sein Gesicht zogen. „Zwischen mir und meinem Sohn? Nein. Aber zwischen dir und Inoichi frage ich mich langsam, wie es sein kann, dass ich dem Seelenklempner übergeben wurde.“   Doch während Chōza die Weisheit eines schlechten Scherzes, der ihn vor einem gefährlichen Moment bewahrte, zwar durchaus zu schätzen wusste, gab er diesmal überhaupt keine Zeichen, das auch jetzt zu schätzen zu wissen. Voller Zuneigung musterte er Shikaku. Und dann schlugen seine unglaublich weichen Worte hart wie eine Faust ein. „Du bist mein Bruder, Shikaku. Meine Familie. Ihr beide; du und Inoichi.“ Und dann fügte er noch sanfter hinzu: „Sie beide; Ino und Shikamaru. Hast du das vergessen?“   Vergessen…   Und trotz all seiner bitteren Erfahrung und trotz seiner vielen, vielen Jahre, seit denen er das Spiel jetzt schon spielte, konnte Shikaku diesmal einfach keinen Zug mehr machen und keine Miene hervorbringen, um den Schmerz zu verbergen, der sich hinter seinen Augen bewegte und tief in den Schatten rollte, die dort lebten.    „Vergessen?“, murmelte er; viel zu ruhig, viel zu leise.    Mit zuckendem Gesicht trat Chōza nach vorn.    Sofort wich Shikaku zurück und neigte warnend den Kopf. Doch während sein Körper nach den Schatten suchte, fingen seine Narben das Licht auf und schimmerten silbrig in dem ersterbenden Glühen. Sie sprachen von den unbegreiflichen Schrecken, die seine Zunge schon lange vergessen hatte auszusprechen.    „Shikak-“   „Erinnere mich“, hauchte Shikaku; verloren in einem Spiel, das nicht länger vertraut war. Er nutzte die einzigen zwei Worte, von denen er sich erinnern konnte, wie man sie spielte. „Erinnere mich.“   Ein leiser, scharfer Atemzug, als Kummer Chōzas Augen überzog. „Wir würden dich nicht vergessen lassen, Shikaku. Wir…“ Er brach ab und seine Brauen zogen sich zusammen, bevor er den Kopf schüttelte und sanft hinzufügte: „Wir würden dich nicht das vergessen lassen.“   Nein. Das nicht…   Die Dichte von Shikakus Schweigen wurde von den Schatten verschlungen, die sich bewegten, um ihn einzuhüllen, die Leere des Raumes zu schlucken, den er verlassen hatte; ebenso wie die Worte, die er zurückgelassen hatte.    ‚Niemals das.‘   ~❃~   Es lag Blut über dem Mond; die gelbliche Oberfläche war in Rot getaucht.    Der Mond des Jägers.   Neji lief einen weiteren schwankenden Schritt, hielt inne und sah hinauf in das pockennarbige Gesicht; sah das strahlende Licht, die Krater und die Schatten. Sein Atem rasselte als Nebel und Dunst zwischen seinen Lippen hervor. Er taumelte, machte an einem der uralten Sugi Bäume nahe des Hyūga Areals eine Pause und ließ sich in dem gigantischen Schatten in eine Hocke sinken, um Blut auf die Wurzeln zu spucken, die sich aus dem Erdreich krümmten.    Zu…weit gegangen…heute Nacht…   Doch er hatte es zumindest lange genug zusammengehalten, um ohne die Miene zu verziehen und stabil auf den Füßen fort zu laufen. Und jetzt konnte er kaum noch stehen. Ibiki rammte ihn unangespitzt in unnachgiebigen Boden – und er hatte noch nicht einmal angedeutet, dass Neji langsam über die Vorstufen hinaus war. All dieses Training könnte zu absolut nichts führen. Naja, zumindest zu nichts weiter als einer Übung, die ihn mit Fähigkeiten, Stärke und Ausdauer ausstattete, von denen er niemals die Gelegenheit bekommen würde, sie einzusetzen – zumindest nicht auf die Weise, die er wollte, brauchte…was nichts weiter bedeutete als verschwendete Zeit und zerschmetterte Träume.    Es war das Nichtwissen, das Neji mehr ärgerte als die Brutalität des Trainings. Das hatte er nämlich auch erwartet. Verspürte eine Art masochistischen Nervenkitzel, sich über seine Grenzen hinaus zu zwingen.    Aber es war das Warten…das Sich Fragen…   Er hustete und roter Speichel besprenkelte den Baum.    Zur Hölle damit. Sollen sie mich eben verheizen. Aber ich will verdammt sein, wenn sie mich begraben, bevor ich frei bin…   Diese Überzeugung verlieh ihm Kraft. Er stemmte seine Schulter gegen den Stamm und sah hinauf zu diesem ruinierten Mond, bevor er schwer schluckte und Eisen in seinem Mund schmeckte.    Atme…   Er trank von der süßen Zedernluft, während er ruhig und locker, beständig und langsam, wieder und wieder die Anspannung in langen rauchigen Wellen aus sich sickern ließ, bis sich der Schmerz zu einem dumpfen Pochen abmilderte.    Und jetzt. Beweg dich.   Leicht gesagt. Auf keinen Fall könnte er sein Byakugan nutzen, um sich eine sichere Route zu seinem Zimmer zu suchen. Er hatte nicht genug Chakra übrig. Also war der sicherste Plan, die Terrassen und Innenhöfe zu umgehen, was ihm die Dächer als einzige gangbare Option ließ.    Klasse…mein eigenes Zuhause infiltrieren…   Zumindest würde das nicht als Einbrechen und Eindringen angesehen werden.    Oder doch?   Er schmunzelte trocken über diesen Gedanken, zog seine blutverschmierte Wange über die raue Rinde und keuchte heftig. Chakrapillen. Er brauchte sie rasch.    Aber zuerst…   Umherspähend duckte sich Neji tiefer in die Schatten und hob eine Hand, um seine Finger in den tiefen Kragen seiner beschmutzten Robe zu schieben und dem Saum hinunter bis zum Verschluss zu folgen. Rasch löste er den Knopf, strich mit schwieligen Fingern über seinen Oberkörper und über die unsichtbaren Tenketsu Linien. An einem dünnen, blassen und fast verschwundenen Streifen von Narbengewebe hielt er inne. Weitere zwei Streifen schnitten sich über seine Brust. Er hatte überhaupt keine Ahnung, wie und woher er diese Verletzungen hatte. Wusste nur, dass er die Wunden an dem Morgen vorgefunden hatte, als er allein in diesem Gasthaus aufgewacht war… diesem Bett…   Diese Nacht…   So ein wirres Durcheinander von Erinnerungen und Bildern, Gesichtern und Räumen, Worten und Taten. Manche davon real, andere Halluzinationen, doch alles davon ein Chaos in seinem Kopf; alles außer einem einzigen Augenblick blendender Klarheit.    Dieser Kuss.   Hitze durchströmte ihn urtümlich und dunkel und wild unter dem blutigen Mond des Jägers.    Verdammt.   Knurrend rammte Neji seinen Schädel zurück gegen den Baum, konzentrierte sich auf den Schmerz und riss seine Gedanken gnadenlos zurück in die Gegenwart. Er umging diese mysteriösen Narben, ließ seine Finger zurück über die Leylinien seines Chakras wandern und folgte ihnen, bis er den richtigen Punkt lokalisiert hatte.    Da.   Nur dieser eine. Denn er wusste es inzwischen besser, als sie zu gruppieren. Hatte es auf die harte Tour gelernt.   Mach es jetzt.   Ein einziger tiefer Atemzug, ein winziger Funke blauweißen Lichts – und er sprengte mit zusammengebissenen Zähnen und aufeinander gepressten Lidern die Chakrablockade.   Kami! Ich hab den Schmerz schon vollkommen vergessen…   Wenn er daran dachte, dass er lange genug mit solchen Blockaden gelebt hatte, dass sich Embolien in seinen Lungen gebildet hatten. Lange genug, um eine Kontrolle zu verlieren, die er von Anfang an nicht wirklich gehabt hatte.    Diesen Fehler werde ich nicht nochmal machen.   Eine Schwindel und Übelkeit erregende Schwere zog sich durch ihn, gefolgt von einem Brüllen in seinen Ohren, als sein Blutdruck in die Höhe schnellte, bevor er sich wieder regulierte. Mental überprüfte er seinen Zustand, stemmte die Hände gegen den Baum und erhob sich vorsichtig, während er seine Wirbelsäule einen Wirbel nach dem anderen aufrichtete und seinen Kopf als letztes hob.    Die Welt hörte auf, sich zu drehen und die Luft brannte nicht länger in seinen Lungen.    Er spürte das Prickeln seines zurück gehaltenen Chakras, das wie Lebenssaft durch seine Venen jagte, seine Muskeln verjüngte und seine Kraft wiederherstellte. Zumindest genug Kraft, um sich geräuschlos und ungesehen über das Areal zu schleppen. Nackte Füße fanden Halt auf den rauchgrauen Dachziegeln und sein Pfad wurde von dem diffusen Laternenlicht beleuchtet; Reihen stumpfer Leuchtkugeln brannten in den Gärten und entlang der bedachten Korridore, die sich zwischen den verschiedenen Vierteln verzweigten.    Mühelos fand Neji den Zugang zu seinem Zimmer und schwang sich durch das offene Fenster.    Er landete in einer geduckten Haltung mit einem Knie auf dem Boden. Für ein paar Sekunden verharrte er bewegungslos und lauschte nach irgendwelchen Unruhen.   Nichts.   Er stieß den Atem aus, den er angehalten hatte.    Als er sich auf die Füße stemmte, taumelte er leicht zur Seite, fing sich aber mit einer Hand an der Fusama Wand ab, bevor er nach dem Griff tastete und das Paneel zur Seite schob. Er griff in das Fach und zog eine schwarz lackierte Box daraus hervor, hob den Deckel und nahm drei konzentrierte Chakrapillen aus dem Vorrat. Ohne überhaupt zu kauen, würgte er sie hinunter, schluckte trocken und verzog das Gesicht, als er sich nach Wasser suchend umwandte.   Mitten in der Bewegung erstarrte er und seine Muskeln verkrampften sich.    Regungslosigkeit packte ihn; die alarmierende Art. Nicht geboren aus Furcht, sondern geboren aus Zorn. Kalt wie Frost legte es sich über seinen Körper und ließ sein Gesicht so blass und hart zurück wie die vogelgesichtige ANBU Maske, die auf seinem Futon lag.    Unfassbar…   Erschreckend, zu wissen, dass sie hier gewesen waren. Nicht einfach nur hier in der Domäne der allsehenden Augen, sondern ganz speziell hier. In diesem erbärmlichen Bisschen Raum, das er zu seinem Hafen zu machen versuchte. Einem Zuhause. Einem Ort um zu heilen nach Nächten voll foltergleichen Drills, Gedankenprüfungen und…   Eine Nachricht ruhte neben der Maske.    Das Eis in Nejis Augen, die kalte Rage der Empörung, bekam Risse. Verwirrung zog seine Brauen zusammen und langsam begab er sich zu seinem Bett. Sein Blick wanderte zu der Maske; ganz und ungetragen. Sie könnte nicht weiter von der zerbrochenen Maske entfernt sein, mit der Shikaku ihn vor Wochen im Dōjō der Hyūga verhöhnt hatte. Er spähte auf die Notiz.    Ein weißes Papier, in der Mitte gefaltet. Ein einziges Wort war auf die Vorderseite geschrieben.    SHIRATAKA   Neji stierte es mit weiten Augen, gerunzelter Stirn und hämmerndem Herzen an.    Kami…   Man hatte ihn gerufen.   Beauftragt…   Vollkommen unbemerkt verstrich die Zeit, während ein kleines weißes Rechteck darum bat, geöffnet zu werden. Wie ein Fenster zu einer anderen Welt. Die Welt, um deren Zugang er mit Zähnen und Klauen gekämpft hatte. Eine Welt, wo Freiheit die Form von Zahnrädern innerhalb von Zahnrädern und Wänden innerhalb von Wänden annahm – nur niemals stabil, sondern stets in Bewegung, als Illusionen von Grenzen dienend, denn es gab keine Grenzen. Nur Glaubenssätze. Nur Kreise der Gewissenhaftigkeit mit denen ANBU sowohl innen als auch außen arbeitete.    Mit schmerzenden Armen griff Neji nach oben, löste den Knoten seines Hitai-ate und zog es fort von seiner vernarbten Stirn. Er fühlte die Phantomschmerzen des Fluchsiegels von Hitaros gelegentlicher Folter noch immer frisch in seinem Verstand.   Nicht mehr…   Er spürte das wilde Hämmern in seiner Brust wie das Schlagen eingesperrter Schwingen.    Niemals wieder…   Er nahm die ANBU Maske auf, legte seine blassen Finger um die glatte Keramik und schmiegte die perfekte Form gegen sein Gesicht; fühlte die Leichtigkeit in seiner Brust, ein Kribbeln in seinen Händen, eine atemlose Empfindung, etwas aufzugeben und ein überwältigendes Gefühl von Gewinn.    Die Nachricht verblieb wartend auf den Laken, ungestört und kurzzeitig vergessen. Die Schlüssel zu seinem Käfig. Fürwahr, ein kleines weißes Fenster…sich in eine Welt hinaus öffnend, in der alle Türen zum Herzen verschlossen waren.    Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)