Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 21: Drogo ----------------- Jeder Mensch selbst ist Verursacher seiner Schatten. Kersten Kämpfer     Eine ohrenbetäubende Stille beherrscht den Raum. Auch wenn Emmas Herz schnell und kräftig schlägt, hört und spürt sie es nicht. Alles scheint auf Pause zu stehen. Sie wartet. Doch nichts geschieht. Vorsichtig öffnet sie die Augen. Drogo steht immer noch an Ort und Stelle. Seine nussbraunen Augen wirken überwältigt, ohnmächtig. Er beobachtet die Tränen auf ihren Wangen. „Du machst mich verrückt“, flüstert er. Sein Blick wandert zu ihrem und scheint ihn festzuhalten. „Es tut mir leid“, antwortet sie unsicher. Das Kindermädchen hat eigentlich keine wirkliche Ahnung für was sie sich so recht entschuldigt hat, aber es ist trotzdem ernst gemeint. Sie hat den Eindruck das sie den Vampir mit ihrer bloßen Anwesenheit quält ohne es zu wollen. Der Blonde lacht, freudlos und traurig. „Du hast wirklich keine Ahnung, kleines Ding. Es ist die Hölle, weißt du?“ Sie unterdrückt den Impuls nachzufragen was er genau meint. Die Studentin hat Angst vor dem was er ihr sagen würde. Als sein Daumen über ihre Wange streicht um die letzte Tränen wegzuwischen hat sie aber eine Ahnung was er meint. „Dir nah zu sein, ohne es wirklich zu sein – zu dürfen. Mitzuerleben wie du von diesen Kötern geträumt hast … das hat mich rasend gemacht“, knurrt er. Seine Augen halten ihre noch immer gefangen, als wolle er das sie sieht was in ihm vorgeht. „Eifersüchtig“, flüstert er kaum hörbar. „Er mag dich mehr wie er sollte“, genau das hat Nicolae ihr gesagt. Und jetzt wird der jungen Frau erst das ganze Ausmaß seiner Worte bewusst. „Wenn ich …“, haucht sie und verliert sich in Was-wäre-wenn-Szenarien. Sie hätte sich von ihm ferngehalten, sich ihm gegenüber anders benommen. Oder? Schwierig zu sagen. Sie mag ihn ja. Er hat ihr gefehlt als er so distanziert war … Allerdings sind ihre Gefühle rein freundschaftlicher Natur. Drogo löst sich von ihr und ist im nächsten Augenblick zurück am Tisch. Er verschränkt die Arme. „Du solltest gehen.“ Er hat Recht; sie sollte gehen. Aber stattdessen dreht sich Emma um und sieht den Jüngsten der Brüder an. Jetzt oder nie. Sie müssen das klären; hätten sie schon vor Wochen. Sie hatte so viel Angst vor diesem Gespräch, dass sie es hinausgezögert hat, dass sie es eigentlich gar nicht führen wollte. Vielleicht wäre alles anders verlaufen, wenn sie eher den Mut gehabt hätte. Sie wird jetzt nicht wieder einen Rückzieher machen, vor allem wo sie sieht, wie es ihn quält. „Ich empfinde nicht das gleiche für dich …“, beginnt sie leise. „Lass es einfach“, grätscht der Blonde aggressiv dazwischen. Sein wütender Blick richtet sich auf sie. „Aber“, fährt sie unbeirrt fort, „Das heißt nicht, dass du mir egal bist.“ Das Kindermädchen wartet kurz bevor sie weiterredet. Die Haltung des Vampirs wechselt von Wütend zu Abwesend und gibt ihr die Gewissheit, dass er ihr zu hört. „Es tut mir weh dich so zu sehen. Noch mehr, weil ich dafür verantwortlich bin. Und weil ich merke, dass dich noch andere Dinge wie das hier quälen. Auch wenn es wahrscheinlich keine gute Idee ist, und ich immer noch enttäuscht bin, weil du mir deine Fähigkeit verschwiegen hast, und wütend wegen der Sache in der Bibliothek, sollst du wissen, dass ich für dich da bin. Ich werde ein offenes Ohr für dich haben, oder mich einfach mit dir Streiten, wenn dir das hilft. Oder dich einfach für immer ignorieren, falls es das ist was du willst.“ Sie holt tief Luft und beobachtet gespannt die Reaktion ihres Gegenübers. Drogo starrt vor sich hin, lacht kurz zwischen hämisch und amüsiert und sieht sie dann an. „Du bist echt unmöglich, kleines Ding“, stichelt er und grinst schief. Die Studentin fasst sich ein Herz und geht einige Schritte auf ihn zu. „Ich meine es ernst. Wir sind Freunde. Nicht mehr; aber vor allem nicht weniger.“ Genau da ist es, was sie empfindet. Vielleicht hätte sie die jüngsten Ereignisse entschärft, wenn sie eher den Mut gehabt hätte es ihm zusagen. Innerlich hasst sie sich gerade selbst und ihr fällt wieder ein, wie in Drogos Armen gelegen hatte nachdem Gespräch mit Nicolae und feststellet, dass sie ein Monster ist. Ihre Einschätzung war womöglich gar nicht so falsch … Still mustert der Blonde sie einige Augenblicke, dann seufzt er und nickt. „Tut mir leid wegen … na ja … das in der Bibliothek. Ich habe einfach rotgesehen und die Chance genutzt. Ich … Ich hatte mich einfach nicht unter Kontrolle, weil … weil …ich wusste das es nie Wirklichkeit wird und ich … noch einmal … scheiße …“, stammelt er. „Ich bin froh, dass du dich zumindest nicht mit Viktor rechtfertigst“, nuschelt Emma und senkt kurz den Blick. Sie hätte es nicht ertragen, wenn er einfach alles auf den alten Bartholy geschoben hätte um sich seine Tat zu erklären. Nicht, dass seine jetzige Erklärung sich wirklich besser anfühlt. Lässt man nämlich mal alles andere irgendwie beiseite, hat er ihr im Grunde gerade gesagt, dass er unbedingt noch mal mit ihr in die Kiste wollte, weil er weiß das sie Gefühle für einen anderen hat. So eine Logik funktioniert wahrscheinlich auch nur in seiner Welt. „Er ist nicht unschuldig daran, aber ich hätte mich einfach von dir fernhalten sollen.“ Auch Drogo sieht interessiert den Boden an und rutscht für ihn untypisch unruhig hin und her. „Es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, was passieren kann, wenn meine Impulsivität die Oberhand gewinnt …“ Das Kindermädchen ahnt allmählich, warum ihm das alles so sehr zu schaffen macht. Nicolae hatte sie zwar darum gebeten, dass sie nichts erzählt, aber sie will den Vampir nicht weiter im Ungewissen lassen. „Es ist wegen Mia, oder?“, fragt sie behutsam. Der Blonde hebt abrupt den Blick. Er verengt misstrauisch die Augen. „Woher weißt du von ihr?“ Die Stimmung kippt schon wieder und eigentlich möchte die junge Frau nun doch einfach gehen. Sie bekommt Angst vor seiner Reaktion, aber eine innere Stimme sagt ihr, dass sie mit offenen Karten spielen sollte. „Ich habe sie getroffen“, erklärt sie unsicher. Ungläubig sieht Drogo sie an. „Du hast was?!“ „In der Nacht als du mich im Wald aufgesammelt hast, ist sie kurz vor dir aufgetaucht.“ Die Studentin hebt die Hand um ihn davon abzuhalten sie zu unterbrechen. „Sie sagte mir, dass ich mich von dir fernhalten soll, dass deine Verbindung zu deinem Schöpfer stark ist. Sie hat mir erzählt, was passiert ist …“ „Mia ist in der Gegend? Das kann nicht sein! Ich … ich hätte das gespürt …“ Der Vampir läuft im Raum auf und ab. „Sie“, beginnt das Kindermädchen leise, „Sie war nicht echt. Mia war ein Seelenfragment.“ Eine unbändige Angst überkommt sie vor seiner Reaktion. Nicolae wird sie nicht grundlos gebeten haben das für sich zu behalten, aber sie kann einfach nicht. Ihr Instinkt sagt ihr, dass das hier wichtig ist – für sie beide. Doch statt einem Wutausbruch, mit dem sie irgendwie gerechnet hat, passiert etwas Anderes. Der Blonde bleibt stehen und sinkt in sich zusammen. Mehrere Minuten passiert nichts. Die Nacht und die Vergangenheit vermengen sich miteinander und legen einen dicken Teppich der Verzweiflung über ihn. „Ich bin ein Monster“, stellt er schließlich schmerzhaft fest. Emma schaudert es. „Sag doch nicht so etwas!“, protestiert sie. Wie kann er das nur von sich denken? Ja, er ist nicht Prinz Charming, aber das muss er auch nicht. Ihre Gedanken werden jäh unterbrochen als passiert, womit sie vorhin schon gerechnet hat. „Halt doch den Mund!“, donnert Drogo ungehalten. „Das ist kein Märchen, Rotkäppchen. Das ist die Realität. Da wird niemand gerettet, sondern einfach gefressen!“ Er schlägt mit der Faust auf den Tisch. Unter krachenden Getöse zersplittert das Holz und die Teile fliegen durch den Raum. Die junge Frau hebt reflexartig die Arme um sich zu schützen. Sie weicht zurück bis sie die Wand im Rücken hat. Sie hat Angst, gleichzeitig ist sie bestürzt. Sie muss ihn unbedingt beruhigen bevor noch etwas Schreckliches passiert, was er für immer bereuen wird. Als er gegen die Wand schlägt, die krachend nachgibt, löst sich ihre Schockstarre endlich. „Hör auf!“, brüllt sie. „Ich bin ein Monster“, wiederholt er sich und scheint sich völlig in seinem Wutanfall zu verlieren. „Ich habe sie doch getötet.“ „Hast du nicht“, gibt Emma zurück ohne darüber nachzudenken. Plötzlich wird ihr bewusst, dass die Brüder ja dachten das ihr Schöpfer Mia mitgenommen hat um sie zu verwandeln. Ihr rutscht das Herz in die Hose … Der Vampir dreht sich zu ihr hin und seine roten Augen funkeln bedrohlich. „Doch. Sie ist tot, weil ich mich nicht beherrschen konnte …“ „Nein“, unterbricht sie ihm. „Er war es. Viktor.“ So plötzlich wie der Krawall des berstenden Möbels und der krachenden Wände begonnen hat endet er. Drogo ist offensichtlich verwirrt und mustert die Studentin um sicher zu gehen, dass sie ihn nicht belügt. „Er? Viktor? Aber …“ Als würde ihn die Kraft verlassen lehnt er sich kopfschüttelnd gegen die Wand. „Sie hat noch gelebt“, erklärt das Kindermädchen. „Mia hat mir erzählt, dass sie noch am Leben war, als du … weggegangen bist.“ Sie wollte eigentlich geflüchtet sagen, aber wahrscheinlich wäre das keine gute Idee. Ihr Gegenüber scheint schon genug mit seinen Schuldgefühlen zu kämpfen, da muss sie nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. „Wenn ich sie richtig verstanden habe, hat Viktor irgendwie von allem mitbekommen und er hat sie … geholt.“ In seine Hölle; sie wird die Worte nie wieder vergessen und das schreckliche Gefühl welches sie in ihr ausgelöst haben. „Ich … ich weiß. Ich dachte er hat sie … aber …“ Der Vampir scheint sich in seinen Emotionen und Gedanken zu verhaspeln. „Ich habe ihn gespürt, wie er sich meiner Triebe bemächtigt hat. Ich … ich dachte er wollte sie und hat … Ich …“ Emma hat sich langsam zu dem Blonden hinbewegt und legt ihm vorsichtig die Hand auf den Oberarm. Sie kann sich keinen Reim darauf machen, was genau passiert ist, was Viktor den Brüdern gesagt hat und was er damit bezweckte. Was sie weiß ist, dass ihr Gegenüber leidet – und das nicht zu knapp. „Ich bin ein Monster …“, wiederholt er desillusioniert und wehrt ihre Hand ab. Er zieht sich zurück in die andere Ecke des Raums. „Es ist meine Schuld, ich habe sie getötet.“ „Du bist kein Monster“, flüstert die junge Frau. „Du bist … du, mit allem was dich ausmacht. Deinen Fehlern, aber auch deinen Stärken.“ So sehr sie den Jüngsten der Brüder manchmal auch fürchtet, aber im Moment ist das weit weg. Hier vor ihr steht nicht der arrogante Angeber, der über allem und jeden steht. Hier steht ein junger Mann, gezeichnet vom Leben und gequält von seinen Fehlentscheidungen. Alles das, was er sonst unter einer dicken Schicht aus Sarkasmus und Aggression versteckt offenbart sich hier gerade. „Hör auf“, knurrt er. „Ich hatte mich nicht im Griff. Nicolae hat mich gewarnt, hat mir gesagt das ich … ich wollte nicht hören; wie immer. Ich dachte ich wäre stärker als das. Ich dachte meine Gefühle für sie wären stärker als das. Und Mia hat für meine Ignoranz gezahlt …“ „Aber du hast daraus gelernt“, versucht die Studentin ihm ins Gewissen zu reden. Jeder macht Fehler, sie muss sich da nur an die eigene Nase fassen. Manche haben kaum Konsequenzen, andere wiederum verfolgen einen ein ganzes Leben lang. Und wenn dieses Leben auch noch unsterblich ist … Doch das Wichtigste ist etwas Anderes. Wieder geht sie auf ihn zu, bleibt aber einige Schritte vor ihm stehen und wartet bis er sie ansieht. „Du hast begriffen was falsch gelaufen ist und daraus gelernt. Ohne Mist. Hast du mal darüber nachgedacht wie oft du allein im letzten Jahr die Chance hattest mir weh zu tun? Und dieses Jahr?“ Drogo wendet den Blick wieder ab, runzelt aber die Stirn was deutlich macht, dass er ins Grübeln kommt. „Und? Nichts ist passiert. Im entscheidenden Moment hast du dich beherrscht …“, spricht sie weiter. Nichts auf der Welt wird wieder gut machen was mit Mia geschehen ist, das ist ihr bewusst. Aber das sich der Blonde nun bis in alle Ewigkeit selbstgeißelt ohne seine eigenen Fortschritte wahrzunehmen kann es auch nicht sein. „Außerdem bin ich nicht Mia.“ „Stimmt“, bestätigt er. Er öffnet den Mund um etwas hinzuzufügen, aber kein Wort verlässt seine Lippen. Stumm formen sie das, was er nicht aussprechen will. „Du bist das kleine Ding“, schnurrt Drogo schließlich mit einem reißerischen Grinsen. Emma weiß nicht so recht. Das was er ihr sagen wollte, aber nicht gemacht hat, sah verdächtig nach „ich fühle mehr für dich wie für sie damals“ aus, aber sie ist sich nicht sicher. Und sie will auch nicht fragen. Stattdessen springt sie einfach auf seinen letzten realen Satz an. „Oder wahlweise das Rotkäppchen …“, lacht Emma und der Vampir stimmt mit ein. Die Anspannung löst sich endlich ein wenig. „Du hast mir noch nicht gesagt wie ich mich nun verhalten soll“, merkt sie noch neckisch an und hofft, dass es nicht gleich wieder ein Schuss in den Ofen ist. Eindringlich mustert der Blonde sie und schmunzelt dann. „Ich denke, wir waren doch auf einem ganz guten Weg bisher. Allerdings solltest du im Moment wohl eher etwas Abstand halten, so lange der Alte noch in der Nähe ist.“ Das Kindermädchen nickt. Sie erinnert sich an den Nachmittag mit Lorie und der Puppenhochzeit. Und sie geht mal davon aus, dass er ihr nicht wieder irgendwelche Träume aufhalst, oder in ihren herumspioniert. Die Erwähnung von Viktor bringt sie wieder zu Ludwig, und dem lauernden Schatten von dem er gesprochen hat. Und abrupt zu etwas völlig Anderem. Die Sache mit dem Traum und Ludwig lässt sie nicht mehr los. „Das mit Ludwig … Ich … Tut mir leid, dass ich dir das unterstellt habe“, erklärt sie schüchtern. „Hast du? Eigentlich sollte ich mich gekränkt fühlen, dass du das überhaupt in Betracht gezogen hast“, erklärt der Vampir nonchalant. „Warum ist das alles so kompliziert und unverständlich?“, meckert Emma vor sich hin, ohne auf seinen Kommentar einzugehen. Es ist zum verrückt werden! „Ich wünschte, es gäbe ein Handbuch für all das. Die Geister, meine Fähigkeit, Träume, die Zwischenwelt …“ Drogo lacht amüsiert. „Die magische Welt ist alles; außer einfach. Alles ist in einander verwebt und beeinflusst sich gegenseitig. Regeln die für die einen Wesen gelten, gelten nicht für andere. Und Dinge die in der einen Welt so funktionieren, funktionieren in der anderen völlig anders.“ „Wow“, reagiert die junge Frau betont sarkastisch. „Wer hätte gedacht das ein intelligenter Philosoph unter diesem Bad-Boy-Mantel steckt.“ „Nicht jeder geht mit seinem Wissen hausieren“, witzelt der Blonde und streckt im nächsten Moment den Rücken durch. Seine lässige Haltung weicht von ihm und er scheint sich in die Ferne zu konzentrieren. „Dein Abholdienst ist da“, knurrt er angesäuert. „Abholdienst? Wovon redest du?“, fragt sie irritiert, im nächsten Moment fliegt die Tür auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)