Im Nebel der Vergangenheit von Charly89 (Mystery Spell) ================================================================================ Kapitel 19: Gute-Nacht-Geschichten ---------------------------------- Vergangenheit vergeht nicht Anke Maggauer-Kirsche   Eine melancholische und schwere Melodie schwebt durch das Zimmer. Sie ist drückend, düster. Emma spürt wie ihr Herz irgendwie immer langsamer wird, träger. Eine tiefe Traurigkeit überkommt sie während sie tiefer in das Bett sinkt. Was um Himmels ist der Grund für Peters Stimmung? Nicht das er sonst das blühende Leben ist, aber so hat sie ihn noch nie erlebt. Sie hat das Gefühl, alles Leid der Welt würde sich in diesem kleinen Raum konzentrieren und durch seine Finger in das Klavier strömen. Ehe sie es verhindern kann schluchzt sie leise. Sofort herrscht Stille im Raum. Der Pianist wirkt wie eingefroren, seine Finger schweben reglos über den Tasten. „Verzeih mir. Ich habe mich einen Moment vergessen“, flüstert er leise und dreht sich um. Seine grünen Augen sind leer und trüb, er wirkt niedergeschlagen und am Ende seiner Kräfte. Hat das auch mit Viktor zu tun? Die Frage beschäftigt das Kindermädchen seit sie hier in Peters Zimmer ist. Aber sie traut sich nicht ihn zu fragen. Sie hatte schon immer den Eindruck, dass der Mittlere der Brüder am meisten mit seinem Dasein hadert, und mit Viktor. Der übermächtige Urvampir der das Leben der Familie immer bestimmt, auch wenn er meilenweit entfernt ist. Vielleicht kann sie irgendwie um die Ecke etwas in Erfahrung bringen? „Seine Anwesenheit macht nicht nur Drogo zu schaffen“, erklärt der Vampir plötzlich in die Stille und seufzt. „Schon okay“, versucht die junge Frau ihn zu beruhigen. Sie will nicht, dass er sich auch noch Vorwürfe wegen ihr macht. Die Erwähnung des Jüngsten sorgt allerdings dafür, dass sich ihr Magen schmerzhaft verdreht und verknotet. Mag sein, dass Viktor der Grund für sein abscheuliches Verhalten ist, trotzdem bleiben da einige Dinge die man nicht darauf schieben kann. Der erste Traum war vor der Ankunft des Clanoberhaupts, ganz zu schweigen, dass er ihr das Wissen um seine besondere Fähigkeit vorenthalten hat. Er hat dafür gesorgt, dass sie an Ludwig zweifelte, an sich selbst. Und nun stellt sie auch die Erkenntnis aus dem letzten Zusammentreffen mit dem Werwolf in Frage. War ihre Erinnerung echt? War Ludwig schon da als sie ein Kind war? War er ihr unsichtbarer Freund? „Ich hoffe er verschwindet bald wieder.“ Peter fährt sich durch die Haare und steht auf. Sein Blick schweift über sein Klavier, zu seinen Büchern und schließlich zu Emma. Eine nicht definierbare Sorge huscht durch seine Augen. Er geht zu seinem Bett und setzt sich neben sie. „Darf ich dich etwas Fragen?“ Unsicher sieht sie zu dem Vampir auf. Sein Nicken ist zögerlich, aber erkennbar. Die Studentin atmet kurz durch. „Ist einer von euch dreien freiwillig was er ist?“ Da keiner der Männer gut auf ihren Schöpfer zu sprechen ist, hat sie sich schon länger gefragt wie es zu dieser Familien-Konstellation gekommen ist. Irgendetwas scheint grundlegend falsch zu sein an all dem hier. Peter lacht kurz, freudlos und traurig. „Viktor ist gut darin den Menschen sein Angebot genau dann zu machen, wenn sie keine wirkliche Wahl mehr haben. Und dann verpackt er es hübsch. Oder er lässt ihnen gar keine Wahl.“ Sein Gesicht verzieht sich während ihn scheinbar Erinnerungen heimsuchen. Das Kindermädchen plagt sofort das schlechte Gewissen. Sie hätte nicht fragen sollen, nicht in alten Wunden bohren. „Entschuldige“, flüstert sie betreten. Sie und ihre verdammte Neugier! Sie sollte wirklich lernen sich zu zügeln. „Ist nicht schlimm. Außerdem gehörst du zur Familie, daher ist es dein gutes Recht dir Fragen zu stellen, und Antworten zu suchen.“ Der Pianist legt sich neben die junge Frau und rutscht tiefer. Er legt seinen Arm um sie und zieht sie an seine Seite. Emma hat das Gefühl das Peter sie vor dem was er ihr erzählen wird schützen will; gleichzeitig scheint er ihr es nicht vorenthalten zu wollen, obwohl es offenbar nichts Gutes ist. Sie beschließt einfach zu schweigen und die angebotene Nähe zu nutzen. Tatsächlich ist der Mittlere im Moment derjenige bei dem sie sich am wohlsten und verstandensten fühlt. Und am sichersten. Nicolae hat ihr zwar nichts getan, aber manchmal hat sie das Gefühl, dass da noch etwas im Verborgenen ist. Etwas, dass er für sich behält. Doch sie schüttelt ihre Gedanken ab und konzentriert sich auf den Pianisten, der ihr beginnt seine Geschichte zu erzählen. „Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Mein Vater hat mir das nie verziehen. In seinen Augen war ich schuld an ihrem Tod und damit nichts wert. Er … er hat meine Mutter sehr geliebt und ihr Verlust hat ihn tief getroffen. Ich hatte auch noch einen älteren Bruder. Er war … schwierig …“ Und so beginnt Peter zu erzählen. Von Stelian, seinem Bruder, der ihm immer alles missgönnte. Der ihn stets ärgerte, schikanierte wo und wann er nur konnte, beim Klavierspielen störte und auch sonst nie etwas Brüderliches für ihn getan hatte. Und von Lisabeth, seiner große Liebe. Wie sie ihn verzauberte und die Hoffnung auf eine gemeinsame, glückliche Zukunft in ihm weckte. Und davon, wie ihm sein Bruder auch das nicht gönnte. Er erzählt von dem Tag, an dem er dem Verrat ins Auge sehen musste, als er sie zusammen erwischte und das tiefe Loch in das er fiel. Zögerlich und leise erklärt er seinen Wunsch all dem ein Ende zu setzen. Er zieht die junge Frau etwas enger an sich, als er von der Nacht erzählt, dem Bahnhof und dem Zug, und dem Ende. Von Viktor, der ihn nicht gehen ließ und stattdessen zurückholte und ihm ein unsterbliches Leben in Finsternis aufzwang. Die Studentin schluckt schwer und blinzelt die Tränen weg die sich in ihren Augenwinkeln gesammelt haben. Sie versteht nun besser, warum immer dieser düstere Umhang über Peter zu hängen scheint. Er wollte diese Welt verlassen um den Schmerz endlich zu entkommen, nun hängt er für immer hier fest. Ihr Herz sticht und ihre Gedanken schweifen ab; zu Nicolae. Seine Verwandlung hing mit dem Tod seiner Verlobten zusammen. Und seinem Rachefeldzug. „Nicolae hat er die Macht versprochen seine Verlobte zu rächen“, schlussfolgert sie leise vor sich hin. „Auch. Aber auch er war dem Tode näher wie dem Leben in dem Moment“, erklärt der Vampir. Er streicht ihr beruhigend über ihren Rücken. „Er hat bereits als Mensch Werwölfe gejagt. Der Letzte dem er gegenüberstand war klüger und stärker als alle vorhergehenden. Nicolae lag im Sterben, als ihm Viktor ein Angebot machte, dass er im Rachewahn und dem Tod vor Augen nicht ablehnen konnte.“ Emma schüttelt es. Was für ein grässliches Wesen Viktor doch ist. Nicht, dass sie vorher besser über ihn gedacht hätte. Allerdings stellt sich ihr nun die Frage wie Drogo in dieses Konzept passt. Was ist seine Geschichte? Und die von Mia, wo sie gerade darüber nachdenkt. Und die kleine Lorie? Was ist mit ihr? Sie scheint ihren Ziehvater zu lieben, und er sie auch irgendwie; zumindest laut Aussage der Brüder. Das Mädchen scheint im allgemeinen eine eigenartige Sonderstellung in der Familie zu haben. „Du solltest versuchen zu schlafen“, sagt Peter nach mehreren Minuten der Stille. „Klar“, antwortet das Kindermädchen trocken. „Erst erzählst du mir Gruselgeschichten und dann soll ich friedlich schlafen.“ Sie kichert amüsiert und der Vampir stimmt mit ein. Plötzlich klopft es an der Tür. „Emma?“ Die junge Frau fährt hoch und macht große Augen. Lorie! Was macht sie denn hier?! Unschlüssig starrt sie die Tür an. Nicht zu antworten ist und so tun als wäre man nicht da ist Schwachsinn, wenn man in einem Vampirhaushalt lebt, das ist ihr bewusst. Trotzdem scheint ihr diese Möglichkeit für einen Augenblick recht verlockend. „Ja?“, antwortet sie schließlich unsicher. „Du hast mich nicht ins Bett gebracht“, tönt es traurig. Emma schluckt den Kloß in ihrem Hals hinunter. Das Mädchen klang ehrlich betrübt und sorgt damit für ein schlechtes Gewissen bei ihr. Gleichzeitig weigert sich ein Teil von ihr dem Mini-Vampir vor der Tür nachzugeben. Ein eigenartiger Konflikt zwischen Sorge und Zuneigung entfacht. Auch, wenn sie es ungern zugibt, sie mag das Kind eigentlich doch ganz gern. Peter legt eine Hand auf die Schulter der Studentin. „Du musst nicht.“ „Ich weiß …“ Das aber spart sie sich, denn der Pianist scheint es bereits zu ahnen und zieht seine Hand zurück. Das Kindermädchen steht auf. Trotz der Unsicherheit will sie dem Mädchen zeigen, dass sie ihr nicht böse ist. Sie versteht zwar nicht woher der Wunsch kommt, aber er ist da. Vor der Tür bleibt sie stehen und dreht sich um. „Wenn ich schreie …“ Der Vampir lacht und nickt. „Bin ich sofort da.“ Er betrachtet Emma eingehend und schmunzelt. Ein leichter Anflug von Stolz und Bewunderung schimmert in seinen Augen. Einen Moment ist die junge Frau verleitet zu fragen was ihm durch den Kopf geht, lässt es dann aber. Sie spricht sich Mut zu und öffnet die Tür. Lorie steht da, knetet angespannt ihr Kuscheltier und sieht mit großen Augen auf. Sie scheint kurz davor zu stehen in Tränen auszubrechen. Mit einem sanften Lächeln reicht Emma ihr die Hand. Wortlos gehen sie zusammen den Flur entlang und in das Zimmer des kleinen Mädchens. Ohne Gegenwehr geht das Kind ins Bett und lässt sich zudecken. Irgendetwas drängt das Kindermädchen den friedlichen Moment zu nutzen, auch auf die Gefahr hin, dass sie alles ruiniert. „Sag mal, erinnerst du dich an deine Zeit vorher? Als du noch ein Menschenkind warst?“, fragt sie behutsam und beobachtet die Kleine ganz genau. Lories setzt sich auf, ihr Blick verliert sich im Nichts und sie beginnt das Ohr ihres Kuscheltiers um ihren Finger zu wickeln. „Papa mochte mich nicht“, flüstert sie bedrückt. Die junge Frau ist sich unsicher ob sie nachfragen soll oder ob sie besser wartet bis das Mädchen von selbst weiterredet. Noch nie hat sie von ihrer Zeit davor gesprochen, also weiß sie nicht was besser ist. Doch die Entscheidung wird ihr abgenommen. „Viktor hat gesagt“, fährt Lorie nach einer kurzen Pause fort, „Papa mochte keine kaputten Sachen.“ „Und du warst kaputt?“, hakt das Kindermädchen irritiert nach. Kaputt ist schon ein recht merkwürdiger Ausdruck im Zusammenhang mit einem Kind. Was soll das bedeuten? Das Kind nickt, der Blick immer noch weit in die Ferne gerichtet. „Papa hat mich weggeben, dahin, wo man kaputte Menschen hingibt damit sie wieder heile gemacht werden.“ Emma weiß nicht was sie mehr verunsichert, dass was Lorie erzählt, oder wie. Normalerweise will sie immer wie eine Große behandelt werden und redet auch so. Diese Kindersprache die sie gerade an den Tag legt passt so gar nicht zu ihr und sorgt für ein deutliches Unwohlsein bei ihr selbst. „Der Doktor konnte meinen Kopf aber nicht wieder reparieren. Er hat Papa gesagt, dass ich einen Priester brauche, der das Böse aus meinem Kopf vertreibt.“ Während Lorie spricht, tippt sie sich gegen die Schläfe. Priester? Das Kindermädchen schüttelt es. Ein Exorzismus, das Kind redet von einem Exorzismus! Plötzlich ahnt sie was es mit dem Kaputt auf sich hat. Lorie stammt wohl aus einer Zeit, wo psychische Krankheiten noch als Besessenheit galten. Was muss das arme Ding in der Klinik, wenn man es überhaupt so nennen kann, alles erlebt haben? Waren das die Bilder? Die Bilder die sie gesehen hat als Lorie dieses Gedicht aufgesagt hat? Eine Welle der Schuldgefühle überkommt sie augenblicklich. Sie hätte nicht fragen sollen! Warum hat sie aus Peters und Nicolaes Geschichte nichts gelernt? „Als Mama tot war hat Viktor mich abgeholt und mich mit genommen“, erklärt das Mädchen und sieht auf. Ihre rehbraunen Augen richten sich auf die Studentin. „Er wollte mich heile machen, aber es hat nicht so richtig geklappt.“ Sie beugt sich vor, als wolle sie das größte Geheimnis der Welt mit der jungen Frau teilen. „Ich glaube, ich habe ihn ein auch bisschen kaputt gemacht bei dem Versuch.“ Ohne weiter darauf einzugehen oder noch etwas Anderes zu sagen legt sich das Kind wieder hin. Während sie Lorie wieder zu deckt, und ihr aus einem Impuls heraus einen Kuss auf das Haar gibt, schwirrt ihr der Kopf. Viktor war offenbar schon zu Lebzeiten ein Teil vom Leben des kleinen Mädchens. Das erklärt, warum sie einen anderen Bezug zu ihm hat. Womöglich erklärt die Geschichte auch diese eigenartigen Stimmungen die Lorie hat. Vielleicht liegt es gar nicht an ihrem jetzigen Zustand. Vielleicht ist, dass das Kaputt von dem sie geredet hat … Leise verlässt sie das Zimmer und steht verloren im Flur. Zu gern hätte sie nach der Mutter des Kindes gefragt, aber sie hat schon genug in der schrecklichen Vergangenheit der Kleinen rumgerührt. Und was bedeutet das Viktor Lorie heilen wollte? Und das er dabei auch ein bisschen kaputt wurde? Emma massiert sich die Schläfe. So viele kleine Puzzleteile die zusammengehören aber einfach kein Bild ergeben. Es fehlen einfach noch zu viele Teile, oder sie erkennt den Zusammenhang nicht, weil sie in die falsche Richtung denkt? Die schwere, düstere Klaviermusik umfängt sie allmählich und lässt ihre Gedanken immer zäher werden. Peter kann nichts für seine aktuelle Gemütslage, aber diese Töne stören die junge Frau gerade massiv. Sie will nachdenken und das kann sie hier nicht, nicht mit diesen dunklen Klängen. Sie weiß, dass sie das nicht sollte, aber sie kann gerade nicht anders. Schnell huscht sie in ihr Zimmer, holt ihre Jacke und verlässt das Herrenhaus Richtung Garten. Bis ihr Zimmergenosse bemerkt das sie weg ist wird es eine Weile dauern; und bis dahin wird sie auch zurück sein. Nur ein kleiner Spaziergang durch den Park, mehr nicht. Nur ein bisschen die Gedanken sortieren und Ordnung in ihren Kopf bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)