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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Gefälligkeiten

Verloren, angesichts der gewaltigen Macht aus Marmor, Gold und der rechten Prise uralter Magie, standen Minerva und Elphinstone wenig später im Foyer von Gringotts. Um sie herum herrschte geschäftiger, aber dennoch diskreter Betrieb. In der Zauberbank waren die Kobolde die höchste Instanz, ein Umstand, den sie voll auskosteten. Allein ihre grimmigen Blicke von den Emporen herab verlangten den Bittstellern unter ihnen Respekt ab. So war es wenig verwunderlich, dass man sie beide warten ließ, zumal sie sich nicht angekündigt hatten.

Minervas Aufmerksamkeit war ohnehin gefangen von dem Pergament in ihren Händen. Wiederholt las sie die Worte, die sich ihr schon nach dem ersten Mal eingebrannt hatten. Zeilen so voll von kaum verhülltem Hass, dass es ihr unerklärlich war, wie überhaupt jemand diese Botschaft hatte verbreiten können. Sie bereute kein bisschen, dass sie sämtliche von Druella Blacks Flugblättern in Schmetterlinge verwandelt hatte. Nur dieses eine, das unbeachtet von Pippa zu Boden gesegelt war, hatte der Zauber nicht eingeschlossen.

Sie verstand nun besser, warum ihre beiden Gryffindor-Schülerinnen so wütend gewesen waren, obwohl sie ihren Zorn an der Falschen ausgelassen hatten. Immerhin konnte Narzissa nichts für ihre Familie, selbst wenn der Apfel meist nicht weit vom Stamm fiel, wie die Muggel sagten.

Der knappe Text auf dem Flugblatt erzählte von niederen Muggeln, die Magie missbrauchen würden und vom angeblich reinen Blut, das es zu bewahren galt. Doch nicht nur das – aus den altbekannten Forderungen hatten sich konkrete Pläne erwachsen die ‚Unterdrückung‘ der Reinblüter endgültig zu beenden. Nach der Macht zu greifen. Ganz ohne Bescheidenheit verkündete dieser Lord Voldemort, dessen Name so präsent über allem stand, den Anbruch eines neuen Zeitalters. Grausamkeiten gekleidet in den Deckmantel vollmundiger Versprechungen einer strahlenden Zukunft, die sie anderen rauben würden, wie Minerva befand.

»Völlig übergeschnappt«, murmelte sie zum wiederholten Male und fing bereits erneut an, das reißerische Pamphlet unterhalb der nicht minder drastischen Überschrift ‚Magie ist Macht‘ zu lesen, immer noch in der Hoffnung, einen Funken Verstand zwischen den Zeilen zu finden.

Weit kam sie nicht, bevor Elphinstone ihr das Pergament bestimmt entzog. Überrascht hob sie den Blick und sah, wie er den Zauberstab darauf richtete. Er schnippte einmal und in einer blauen Stichflamme verging das Flugblatt.

»Hey, das war ein Beweis!«

»Beweis für was? Dass mein Schwager ein größenwahnsinniger Trollarsch ist?« Elphinstone lehnte an einer polierten Marmorsäule und schob unter den strengen Blicken des Sicherheitskobolds den Zauberstab zurück in den Umhang. »Das wusste ich vorher schon, seit meine liebe Schwester ausgerechnet ihn heiraten musste. Glaubst du ernsthaft dieser ... Wisch würde irgendwas daran ändern, dass Mulciber ihn nach einem Klaps auf die Finger wieder gehen lässt? Ich kenne die beiden lange genug.«

Ihre leeren Hände ballten sich zu Fäusten. »Wunderbar. Lass mich raten, alles alte Schulfreunde, wie jedes Mal, wenn es um die üblichen Kreise geht.«

»Ja«, sagte er ruhig. »Mulciber und Rosier waren bereits zu meiner Schulzeit sehr gut befreundet. Mir gefällt das genauso wenig wie dir, das kannst du mir glauben, nicht zuletzt weil meine Schwester involviert ist. Aber es bringt unserem Fall nichts, sich in diese Sache hineinzusteigern.«

»Und deswegen sehen wir jetzt einfach weg?« Es war, als hätte sich die Asche des Flugblattes auf Minervas Zunge gelegt. »Das ist nicht länger irgendein Spinnkram, der in kleinen Kreisen die Runde macht! Ich meine ...« Sie gestikulierte hilflos in die Luft, wo das Pergament soeben ins Nichts verbrannt war, »die arbeiten an einer Welt, in der sie ihre ‚Macht‘ ausüben können. Was meinst du, wie sie das durchsetzen werden? Mit netten Worten?«

Elphinstone verschränkte die Arme. »Ich bin mir durchaus bewusst, woran diese Leute sind und wie sie im Ministerium versuchen, ihren Einfluss auszuüben. Die Existenz dieses hasserfüllten Flugblattes alleine wird ihnen diesen Weg auch nicht versperren. Dafür sind es zu viele, die ähnliche Interessen teilen, wie zum Beispiel Mulciber.«

Minerva tat es ihm gleich und kreuzte ihre Arme vor der Brust. Sie sann noch darüber nach, wie sie ihrer angestauten Wut auf alles – das System, die Reinblüter – Luft machen sollte, als ein kleiner Kobold mit schlohweißem Haar an sie herantrat.

»Miss, Mr McGonagall wäre jetzt bereit, Sie zu empfangen«, verkündete er. »Wenn Sie mir folgen würden.«

Wortlos schlossen die beiden sich dem Bankier an, der sie von der imposanten Eingangshalle fort in das enge Gewirr aus Gängen und Büros im hinteren Teil der Bank führte. Überall drängten sich Kobolde und Minerva erhaschte sogar einen Blick auf ganze Karren voller Edelsteine so groß wie Hühnereier, die von ihnen gewissenhaft begutachtet wurden.

Nur wenige menschliche Angestellte arbeiteten hinter den Kulissen von Gringotts und einer davon war Robert McGonagall jr, in dessen winziges Büro sie der Kobold nun führte. Minervas jüngster Bruder hatte unbestreitbare Ähnlichkeit mit seiner Schwester, angefangen bei der Lesebrille und den schwarzen Haaren, doch abgesehen davon hatten die Geschwister wenig gemein. Robbie liebte die Arithmantik und überhaupt alles, was mit Zahlen zu tun hatte, anstelle der praktischen Zauberei, die Minerva so viel Freude bereitete. Am liebsten verbrachte er seine Zeit mit komplexen Berechnungen oder dem Lösen von Rätseln hinter dem Schreibtisch, an welchem er auch jetzt vorzufinden war.

»Schwesterherz!« Überrascht hob Robbie den Blick von einem Abakus, auf dem die bunten Kugeln sich in schier schwindelerregender Geschwindigkeit von alleine verschoben. »Was beim alten Merlin treibt dich hierher? Müsstest du nicht in Hogwarts sein?«

»Hallo Robbie. Tut mir leid, dass ich so unangekündigt hier hineinplatze. Ich wünschte, wir hätten Zeit zu plaudern, aber ich muss dich um etwas bitten. Eine dringende Bitte.«

Robbie zog skeptisch die Augenbrauen zusammen und warf einen vorsichtigen Blick auf Elphinstone, der sich im Hintergrund hielt. »Wenn das so ist ...«, murmelte er und schwang den Zauberstab, damit sich die Tür zu seiner kleinen Bürozelle hinter dem davonwackelnden Kobold schloss. »Minerva, was ist los? Und wer ist überhaupt dein Begleiter?«

»Ah, natürlich, entschuldigen Sie«, sprang Elphinstone geschwind ein, »Elphinstone Urquart, aus der Abteilung für magische Strafverfolgung.«

Zu Minervas Überraschung ergriff Robbie seine ausgestreckte Hand nicht, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. »Hören Sie, wenn es wieder wegen der Sache mit den Artefakten aus Verlies 232 ist, dann muss ich Sie enttäuschen, es wird auch nichts nützen, meine Schwester da mit hereinzuziehen! Wie ich Ihrem Kollegen schon sagte, wenden Sie sich an den vorsitzenden Kobold oder –«

»Robbie, Robbie, warte mal! Ich hab keine Ahnung, wovon du redest, aber nein, darum geht es nicht. Falls du dich erinnerst, das ist mein ehemaliger Vorgesetzter.« Minerva zog den inzwischen arg knittrigen Auszug aus dem Flohnetzwerkregister hervor. »Du musst uns – mir – helfen, eine Verschlüsselung zu knacken.«

Zusehends verwirrter starrte Robbie auf das gefaltete Pergament, dann zu Elphinstone und schließlich erneut zu ihr. »Sag mal Schwesterherz, habe ich irgendwas verpasst? Arbeitest du jetzt wieder im Ministerium?«

»Nein. Ein Schüler ist entführt worden und – ach, es ist eine lange Geschichte, für die wir keine Zeit haben. Jedenfalls ist Elphinstone mir noch einen Gefallen schuldig, deshalb ist er hier.«

»Nicht nur deswegen«, murmelte Elphinstone von hinten halblaut, doch Minerva überging das.

»Wir haben eine Spur zu den Entführern, nur ist die Adresse magisch verschlüsselt. Die Zeit drängt, Robbie. Bitte. Ich weiß, du kannst sowas, bei all den komischen Artefakten, die du jeden Tag analysierst.«

Was folgte, war ein irritiertes Kopfschütteln. »Entführung? Und ihr ermittelt jetzt auf eigene Faust, verstehe ich das richtig? Minerva, das ...« In Ermanglung weiterer Worte schüttelte Robbie nochmals den Kopf.

»Wenn du so willst, ja. Ich erkläre dir später alles, okay?«

Ihr Bruder stieß einen langgezogenen Seufzer aus. »Du und dein alter Vorgesetzter also, wirklich Schwesterherz?«, raunte er ihr mit gesenkter Stimme zu. »Hältst du das für eine kluge Idee? Ich meine ... hängst du nicht immer noch an diesem netten Muggel? Wie heißt er noch? Dougal?«

»Halt die Klappe Robbie.« Ungeduldig wedelte Minerva mit dem Pergament. Sie hätte ihrem Bruder gegenüber nie ihr Pech mit Heiratsanträgen erwähnen sollen, egal, wie unglücklich er gewesen war, als seine heutige Frau den ersten Antrag abgelehnt hatte. Inzwischen waren die beiden ja doch glücklich und sie durfte seine brüderlichen Sticheleien ertragen. »Hilfst du mir jetzt oder nicht?«

»Zeig her«, entgegnete Robbie und zog den Auszug aus ihren Fingern.

»Danke.«

»Dank mir noch nicht«, murmelte er, während er konzentriert die Zahlenfolge überflog. »Das zu brechen wird dauern ... das ist ...« Er ließ das Pergament sinken. »Bekomme ich Ärger mit dem Gesetz, wenn ich dir helfe?«

Unruhig trat Minerva von einem Bein auf das andere. »Robbie ...«

Aber ihr Bruder sah geradewegs an ihr vorbei zu Elphinstone. »Das ist eine ministeriumseigene Verschlüsselung«, stellte er fest. »Also?«

Elphinstone, der sich neugierig Roberts spärlicher Bürodekoration gewidmet hatte, während die Geschwister sich beharkten, hob die Schultern. »Nicht, wenn ich es verhindern kann. Aber ich beschönige nicht, dass wir uns hier am Rande der Legalität bewegen. Leider kann man sich auf die Funktion der ministeriellen Abläufe im Moment nicht verlassen, Mr McGonagall. Dementsprechend vertraue ich auf Minervas Vorschlag.«

»Robbie«, zischte Minerva und lehnte sich über den Abakus hinweg auf seinen Schreibtisch, »ein unschuldiger Elfjähriger ist von irgendwelchen Reinblut-Fanatikern entführt worden! Hast du dich mal umgeschaut, was überall um uns herum passiert?« Sie wünschte, das Faltblatt wäre noch da, um es ihm auf den Tisch zu klatschen. »Bitte hilf uns. Ich weiß nicht, wen wir sonst fragen könnten.«

Ihr Bruder seufzte. »Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwelche Leute auf dem Platz draußen stehen und ihre Botschaften in die Welt hinausschreien. Natürlich gefällt mir das nicht! Aber Schwesterherz, ich hoffe, du weißt, was du tust.«

Sie biss sich auf die Lippe. »Mach dir darum keine Gedanken. Ich passe schon auf.«

»Gut. Ich kann leider nichts versprechen. Es wird dauern, diesen Code zu knacken, das ist eine echte Herausforderung. Mit dem entsprechenden Schlüsselzauber wäre es im Handumdrehen erledigt, aber diesen Luxus haben wir natürlich nicht. Gib mir ... einen Tag. Mindestens.«

»Danke Robbie. Tausend Dank –«

Er lehnte sich vor und griff nach ihrem Handgelenk. »Pass auf dich auf, hörst du? Ich meine es ernst. Stürz dich nicht in irgendwas hinein, das zu groß für dich ist.«

»Du kennst mich.«

»Eben deswegen.«

 

Trübsinnig starrte Minerva in die Tiefen ihres Kürbissaftes. Auch wenn das Frühstück ausgefallen war, empfand sie keinen Appetit. Im Gegenteil, die Gerüche des Tropfenden Kessels sorgten eher dafür, dass sich ihr Magen weiter zusammenzog. Das Letzte, was sie jetzt wollte, war eine der berühmten Haussuppen.

»Ich muss gestehen, ich bin etwas neugierig.«

Sie hob den Kopf. Ihr gegenüber in der dunklen Nische des Pubs, wo sie auf Pippa warteten, saß Elphinstone und musterte die träge Vormittagskundschaft. Seine Finger trommelten einen beständigen Rhythmus auf die Tischplatte, ansonsten wirkte er völlig unbewegt. Seit dem Besuch bei Gringotts war er schweigsam, doch das war ihr recht. Ihre eigenen Gedanken waren laut genug.

»Was denn?«, fragte sie lustlos.

»Wer ist Dougal?«

Innerlich verfluchte sie Robbie für seine unbedachte Äußerung. Warum hatte er davon anfangen müssen? »Können wir von etwas anderem reden?«

Elphinstone hob die Augenbrauen, ohne sie anzusehen. »Tut mir leid. Ich dachte nur ... wenn es da jemanden gibt, Minerva, dann kannst du das ruhig sagen. Das verstehe ich. Du bist mir zu nichts verpflichtet, das weißt du hoffentlich.«

Oh, sie würde Robbie noch umbringen! Bisher hatte sie alles, was ihre unglückliche Liebe zu Dougal McGregor betraf, erfolgreich mit der Schachtel voller alter Briefe unter ihrem Bett vergraben, fern von anderen und insbesondere sich selbst.

»Mein Bruder erzählt nur Unsinn.« Sie ließ ihren Zeigefinger Kreise auf dem Rand ihres Glases beschreiben. »Das ... ist Vergangenheit. Wir waren mal verlobt, als wir jung und dumm waren, aber es sollte nicht sein.«

»Sag nicht, dass er dich verlassen hat.«

Sie umfasste das Glas fester. Insgeheim rührte diese Mischung aus Sorge und Empörung in seiner Stimme sie. »Nein. Ich bin gegangen. Ins Ministerium. Jetzt hat er eine glückliche Familie, damit ist das Thema erledigt. Robbie zieht mich nur gerne damit auf. Geschwister halt.«

Was immer Elphinstone von ihrer Antwort hielt, aus seinem Gesicht ließ es sich nicht lesen. Den Blick weiter in den Raum gerichtet, lachte er trocken auf. »Wer Geschwister hat, braucht keine Feinde mehr, nicht wahr?«

»Manchmal ja. Trotzdem liebe ich Robbie und Malcolm.«

»Ich weiß, was du meinst. Elladora, Egwynn und Eilean können jede auf ihre eigene Art unerträglich sein, aber am Ende verzeiht man ihnen ja doch wieder.«

Minerva hielt inne. Sie wusste eigentlich nicht viel über Elphinstones Familie. Das war selten eines ihrer Gesprächsthemen gewesen, obwohl sie das ein oder andere Mal von ihren Brüdern erzählt hatte und er im Gegenzug Erinnerungen an seine Schwestern geteilt hatte. Sie hoffte, nicht direkt den Zauberstab in die Wunde zu legen, doch nun war es an ihr, neugierig zu sein.

»Jetzt hab ich allerdings auch eine Frage. Wie kommt es, dass eine von ihnen ausgerechnet jemanden wie Rosier geheiratet hat?«

Das Trommeln seiner Finger hörte abrupt auf. Für einen Moment verharrten sie reglos in der Luft, dann schloss er seine Hand zur Faust. »Wenn ich das wüsste ... Elladora ist kein schlechter Mensch. Was sie an Gideon Rosier findet, keine Ahnung. Sein Geld wird es nicht sein, damit ist meine Familie ausreichend versorgt. Vermutlich ist es irgendetwas, das sich meinem Verstand entzieht. Vielleicht dachte sie auch, als Älteste müsse sie der Familie einen Gefallen tun und sich einen angesehenen Reinblüter suchen. Die Auswahl ist ja nicht gerade groß.«

»Hat sie das denn – deiner Familie einen Gefallen getan?«

»Wenn ich mir den Vorfall heute ansehe, dann auf jeden Fall nicht.«

Elphinstone löste den Blick vom Innenraum des Pubs und wandte sich ihr zu. Über den Tisch hinweg streckte er seine Hand nach ihr aus und zögerlich ergriff sie diese.

»Hör zu, es tut mir leid, wie das alles gelaufen ist. Aus meiner privilegierten Position kann ich nur erahnen, wie sich das für dich anfühlt. Aber ich verspreche dir, dass ich nicht wegsehen werde, Minerva. Selbst wenn es Leute betrifft, die mir nahestehen. Ich will besser sein als das.«

»Phin, du ...«, hob sie an, da vernahm sie das Geräusch klappernder Absätze, die sich ihrem Tisch näherten.

Als hätte sie sich verbrannt, zog sie die Hand zurück, gerade noch rechtzeitig, bevor sie Pippa Jansson sah, die mit einem Glas Goldlackwasser auf sie zuhielt. Die zierliche Aurorin war nicht alleine. Wie ein Schatten folgte ihr ausgerechnet Alston Mulciber. Dem war Minervas Bewegung offenbar nicht entgangen, denn ihm lag bereits wieder ein spöttisches Lächeln auf den Lippen.

Auch Elphinstone bemerkte die beiden und seine Miene verhärtete sich. Nur langsam wanderte seine Hand zurück zum Glas und er straffte die Schultern. »Was für eine Freude, dass du noch Besuch mitbringst«, begrüßte er Pippa steif.

Die ließ sich davon allerdings nicht abschrecken, sondern schenkte ihm ein breites Lächeln. »Oh wunderbar, es freut mich, dass ihr es einrichten konntet«, flötete sie gutgelaunt und schob sich neben Minerva auf die Sitzbank, sodass diese in eine Wolke aus Glockenblumenduft eingehüllt wurde. »Fast wie in alten Zeiten, als Team! Ist das nicht toll?«

Mulciber dagegen deutete nur ein Nicken an und ließ sich an der Stirnseite des Tisches nieder. »Bei Merlin, Margarete, noch etwas mehr gute Laune und man könnte meinen, du hättest einen ganzen Jahresvorrat Felix Felicis intus.«

Er sah ähnlich müde aus wie Elphinstone Stunden zuvor. Unter seinen Augen lagen tiefe Schatten, die seine düstere Ausstrahlung verstärkten. Es freute Minerva, dass seine Nacht offenbar ebenfalls mies verlaufen war.

Pippa wedelte Mulcibers Bemerkung unwirsch fort. »Ja ja, Alston, nur weil du das Gemüt eines Trolls im Ballettröckchen hast, musst du nicht gleich unfreundlich werden. Wir haben eine Mission, nicht vergessen!«

»Ich wusste gar nicht, dass eine Aurorin jetzt meine Vorgesetzte ist«, erwiderte Mulciber unbekümmert. »Bis gestern meinte ich doch glatt, es wäre andersrum und wir Strafverfolger hätten das Sagen.«

»Du bist nicht mein Vorgesetzter, nur ein Weisungsbefugter, das ist ein Unterschied, frag Moody –«

Bevor Pippa weitere Spitzen verteilte, hob Elphinstone die Hand und räusperte sich. »Also schön, was ist der eigentliche Grund, weshalb du uns her bestellt hast? Ich nehme mal nicht an, dass wir euren Streitereien zuhören sollen.«

»Natürlich nicht.« Geschwind zückte Pippa ihren Zauberstab und beschrieb einen Kreis in der Luft über ihrem Tisch, ein paar leise Banne murmelnd. »Sicher ist sicher, auch wenn pikante Informationen sich immer noch am besten an belebten Orten austauschen lassen. Also: Alston hat mich gestern von dem Vorfall in der Flohzentrale informiert und ich hab mich mal dahintergeklemmt. Et voilà – meine Kollegen ersten Grades haben tatsächlich einen Kerl festnehmen können, der anscheinend in der Flohzentrale von einem riesenhaften Erkling zusammengeschlagen wurde. Von weiteren Eindringlingen fehlte zwar jede Spur, aber den armen Kerl haben sie zurückgelassen.«

Minervas Ohren nahmen ein dezentes Pink an, als sie an den grobschlächtigen Typen dachte, den sie gestern mit ihrem kleinen Zaubertrick äußerst unsanft ins Land der Träume befördert hatte. Selbst Mulciber sah amüsiert aus bei der Erinnerung daran.

»Jedenfalls konnte ich den ollen Moody bestechen, damit er mich zum Verhör zulässt. Zu Ausbildungszwecken und so, immerhin steht bald meine letzte Prüfung für den Aufstieg zum ersten Aurorengrad an. Und jetzt kommt’s!« Pippa schnippte mit den Fingern. »Der Typ war komplett obliviert. Der Zauber wurde ziemlich dreckig ausgeführt, wahrscheinlich in großer Hast – ein Wunder, dass er sich nicht auf den Umhang gesabbert hat!«

Enttäuscht sackten Minervas Schultern nach unten. »Das ist doch Drachenmist!«, fluchte sie leise.

»Oh hey Minnie, nicht so schnell mit der Enttäuschung!« Selbstzufrieden lehnte Pippa sich zurück und nahm einen Schluck Goldlackwasser. »Als wenn ich mich davon aufhalten lasse. Nachdem wir das Ministerium gestern Nacht gesichert hatten, habe ich mir erlaubt mit unserem Verhafteten einen kleinen Abstecher in Alstons Büro zu machen, bevor ich ihn in seine neue Arrestzelle gebracht habe.«

Elphinstone musterte die Aurorin mit gerunzelter Stirn. »Wird mir gefallen, in welche Richtung diese Geschichte geht?«

»Vermutlich nicht«, antwortete Mulciber und zuckte lapidar mit den Schultern. »Um eine sehr lange Geschichte abzukürzen – ich habe ihn um eine kleine, aber feine Erinnerung aus dem intakten Unterbewusstsein erleichtert. Ihr könnt mir später danken.«

Einen Augenblick herrschte allumfassendes Schweigen am Tisch. Sowohl Elphinstone als auch Minerva stierten ungläubig Mulciber an, der eine kleine Phiole aus dem Umhang zog, gefüllt mit einem blauen Schleier.

Minerva presste die Lippen fest aufeinander. Die Erinnerungen eines anderen gegen dessen Willen zu erlangen, war ohne Frage eine Grenzüberschreitung, die nicht umsonst unter Strafe stand, genauso wie Veritaserum. Vor allem, wenn dieser jemand sich nicht dagegen wehren konnte, dass ein Fremder gewaltsam in seinen Geist einbrach und sich nahm, was er wollte.

»Und was ist jetzt mit dem Mann?«, fragte sie entsetzt.

Pippa neben ihr runzelte die Stirn. »Er sitzt in der Arrestzelle und wartet darauf, dass sein Gedächtnis zurückkommt, was sonst? Wenn wir ihm erstmal den Prozess gemacht haben, landet er in Askaban. Zerstörung der Flohzentrale, das wird man ihm anlasten können.«

»Immer ruhig, McGonagall. Ich habe seinen Verstand schon nicht auseinandergepflückt. Meine Methoden der Legilimentik kennen mehr Raffinesse als das«, versicherte Mulciber ihr. »Er wird nicht einmal wissen, was ihm fehlt.«

Trotz seiner Worte blieb ein sauerer Nachgeschmack, den auch ein Schluck Kürbissaft nicht davontragen konnte. Minerva gingen viele Erwiderungen durch den Sinn, aber keine schaffte es über ihre Lippen. Das war alles, weswegen sie dem Ministerium den Rücken gekehrt hatte; die geballte Ungerechtigkeit eines Systems, das die Menschen eigentlich schützen sollte.

»Nun«, wandte Pippa sich strahlend in die Runde, »das ist großartig, nicht wahr?«

Doch Elphinstone ignorierte sie und drehte sich stattdessen zu Mulciber. »Warum? Gestern noch war die Sache dir egal und jetzt brichst du das Gesetz dafür? Für ein Muggelleben, wie du es ausgedrückt hast?«

»Nun, umsonst ist nichts im Leben, nicht wahr?« Mulciber schlug die Hände gegeneinander. »Ich bringe nur ungern unser ‚Traumpaar‘ auseinander, aber McGonagall wird es schon alleine schaffen, den Nutzen aus dieser Erinnerung zu ziehen, Urquart. Die Ordnung im Lande wird sich allerdings nicht von alleine wiederherstellen. Ich denke, es wäre nicht zu viel verlangt, dass ich im Gegenzug heute auf deine Unterstützung bauen kann, ein paar Fälle mit unschuldigen Demonstranten abzuschließen. Nicht, dass am Ende der Ministerin noch auffällt, dass du in deiner Arbeitszeit lieber Detektiv spielst.«

»So unschuldig wie Gideon Rosier es ist?« Elphinstone schlang die Hand so fest um sein Glas, dass die Knöchel weiß hervortraten. »Pòg mo Thòin«, stieß er mit Nachdruck hervor.

Angesichts der gälischen Verwünschung lachte Minerva freudlos auf. Mulciber hingegen zog nur die Augenbrauen hoch, verstand er doch bloß, dass er gerade von einem Schotten beleidigt worden war, nicht wie. Er hatte es verdient, befand sie. Es war noch nett ausgedrückt, dass er sie mal Allerwertesten konnte.

»Na na, Urquart immerhin bist du derjenige, der mich so gerne an unsere Eidespflichten erinnert, was die Verteidigung von Recht und Ordnung angeht. Wir wollen doch fair bleiben, auch bei Gideon. Und bis eure Kontaktperson in Gringotts euch die Adresse nennen kann, habt ihr eh nichts weiter zu erledigen.«

Minerva war sicher, dass Mulciber sich innerlich selber applaudierte. Wie hatte er bloß erraten, was sie so früh morgens zur Bank verschlagen hatte? War Pippa schuld? Die Aurorin nippte entspannt an ihrem Goldlackwasser und schien gar nicht mitzubekommen, welche Androhungen ihr Vorgesetzter aussprach.

Sorge um Robbie ergriff Minerva. Doch der wissende Blick Mulcibers verriet ihr, dass alles leugnen ihn nicht schützen würde. Ihr Gegenüber wusste längst Bescheid. Sie waren genau dort, wo er sie haben wollte.

»Niemand wird über deinen Gesetzesübertritt reden, wenn du nicht über meinen redest«, erwiderte sie mit einem falschen Lächeln in seine Richtung. Dass sie sein Vergehen ungleich schlimmer fand, schluckte sie hinunter. Robbie zuliebe.

»Ich wusste, wir verstehen uns, McGonagall. Sehr schön. Urquart?«

»Wie du meinst, Mulciber. Aber erwarte nicht meinen Dank.«

Mit sachtem Schwung rollte Mulciber die Phiole über den Tisch zu Minerva. Das Glas war kalt unter ihren Fingern und obwohl der erste Eindruck leicht wirkte, wog das Wissen um den Inhalt schwer, als sie diese sorgsam verstaute. Die Erinnerung eines anderen zu sehen, wäre für gewöhnlich ein großer Vertrauensbeweis. Es gefiel ihr nicht im Mindesten, sich an diesem Verbrechen zu beteiligen. Hoffentlich würden sich wenigstens die Informationen dahinter lohnen.

Pippa lächelte ihr aufmunternd zu, sich offenbar keiner Schuld bewusst. »Ich hoffe, wir sehen uns bald mal wieder. Spätestens wenn ich meine Prüfung zum ersten Aurorengrad abgelegt habe, müssen wir alle feiern, ja?«

»Klar«, entgegnete Minerva schwach. Ihr Blick galt allerdings nur Elphinstone, dessen Grimasse ein Spiegelbild ihrer Gefühle war. »Wir sehen uns bald wieder.«

Er nickte kaum merklich.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wen der genaue Wortlaut interessiert – Elphinstone hat »Kiss my ass/Küss meinen Arsch« zu Mulciber gesagt. Im Text habe ich es zwar der Einfachheit halber nur Gälisch genannt, aber wenn man ganz korrekt sein will, ist die Sprache Scots Gaelic, also schottisches Gälisch, es gibt daneben noch irisches Gälisch. Ein Hoch auf Beleidigungen, die nicht jeder versteht! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Hojiko
2021-11-11T21:15:55+00:00 11.11.2021 22:15
So, nach längerer Pause habe ich die letzten drei Kapitel in einem spannenden Rutsch gelesen. Nach wie vor extrem gute Unterhaltung. All die Feinheiten, die du gekonnt einbaust, überraschen mich immer wieder, zum Beispiel die berühmten Haussuppen im Tropfenden Kessel :))
Richtig cool finde ich den Auftritt von Minervas Bruder, kurz aber bringt die Handlung definitiv voran. Auch der Einblick in Elphinstones Familie hat mir gut gefallen, die Verbindung zu Rosier ist sehr passend.
Sehr schön fand ich auch die Stelle, als Minerva versucht, zwischen den Zeilen des Flugblatts Verstand zu finden. In Anbetracht von bestimmten Afd-Strömungen, Querdenkern etc. ist das leider nicht nur ein Fantasie-Thema, sondern nur allzu real. Finde es richtig gut, wie du den Fanatismus der Reinblüter rüberbringst.
Und gut dass Mulciber zurück ist! Er ist ein fieser Kerl, aber das gibt der Gruppe etwas mehr Pepp. Mal gespannt, auf welcher Seite Pippa steht.
Freue mich, bald weiterzulesen!

LG Hojiko
Antwort von:  Coronet
17.11.2021 18:38
Hey,

es freut mich sehr, wieder von dir zu lesen!
Die kleine Anspielung auf den Harry Podcast konnte ich mir einfach nicht verkneifen - da freut es mich, wenn solche Details Lesenden wie dir auffallen :D
Auch wenn es ein leidiges Thema ist, die ganzen realen Bewegungen von solchen selbsternannten "Widerständlern" sind immer wieder eine passende "Inspiration" (auch wenn das etwas falsch klingt) für so manches, was die Reinblüter hier tun.
Da bist du die Erste, die sich über die Rückkehr von Mulciber freut, abgesehen von mir. Ich schreibe ihn tatsächlich gerade deshalb gerne, vor allem seine kleinen Bosheiten. Von Pippa gibt's auf jeden Fall auch noch mehr zu sehen bald :)
Leider war ich die Tage krank, deshalb hat es etwas gedauert zum neuen Kapitel, aber ich habe es so eben hochgeladen. Ich hoffe, es gefällt dir!

Ganz lieben Dank für deinen ausführlichen Kommentar zu den Kapiteln, das weiß ich sehr zu schätzen!

Liebe Grüße
Coro


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