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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Mitternachtspost

Eine Eule nach Mitternacht brachte keine guten Nachrichten. Das hatte schon ihre Mutter zu sagen gepflegt. Trotzdem öffnete Minerva dem zerzausten Waldkauz das Fenster, als er gegen ein Uhr nachts mit seinem Schnabel dagegen klopfte.

Sie hatte den Großteil des Abends vor dem Kamin in ihrem Turmzimmer verbracht, um die Sommerhausaufgaben ihrer UTZ-Schüler zu bewerten, bis das harsche Tok-Tok ihre Konzentration durchbrach.

Wenn sie jedoch ganz ehrlich war, dann waren ihre Gedanken längst bei ihrem neuen Buch, das im Ohrensessel neben dem Kaminfeuer darauf wartete, ihre Sorgen zu verdrängen. Den letzten Absatz in Adelaide Corryns Aufsatz hatte sie gedankenverloren schon zum fünften Mal mit roter Tinte angestrichen, während sie an den verschwundenen Erstklässler dachte.

Draußen ging seit dem frühen Nachmittag ein Jahrhundertunwetter nieder und dementsprechend elend sah die arme Posteule aus, die sie nun hereinließ. Entkräftet flog sie auf Minervas Schreibtisch und landete – wie diese seufzend feststellte – mitten auf dem Stapel Aufsätze über die Retransfiguration von Säugetieren. Die Tinte verschwamm unter den Regentropfen, die aus dem Gefieder der Eule perlten.

Mit einem ärgerlichen Zischen scheuchte Minerva den Kauz hoch und brachte die Arbeit ihrer Schüler in Sicherheit, bevor sie dem entrüstet meckernden Tier einen Eulenkeks zuwarf. Glücklich kauend hielt der fedrige Postbote ihr sein Bein hin und sie schnürte die durchgeweichte Rolle los. Mit zusammengezogenen Augenbrauen warf sie einen Blick auf das Siegel. Ein verschnörkeltes M in goldenem Wachs.

Der Anblick erinnerte sie wieder an den Spruch ihrer Mutter. Niemals gute Nachrichten nach Mitternacht. Noch bevor sie das Pergament entrollt hatte, ahnte sie, dass dieser Brief keine Annehmlichkeiten enthalten würde. Erst recht nicht, wenn er vom Ministerium kam.

Ermüdet setzte sie ihre silberne Lesebrille ab und fuhr sich über das Gesicht. Sie hatte den Brief erwartet und doch war ihr nun bang vor seinem Inhalt.

Im Schein des fast herabgebrannten Kaminfeuers brach sie das Siegel auf und betrachtete die wenigen, schwungvoll geschriebenen Zeilen. Während sie las, erschienen immer mehr sorgenvolle Falten auf ihrer Stirn, die sie deutlich älter als Anfang dreißig wirken ließen.
 

Werte Minerva,

ich hoffe, diese Eule findet dich wohlauf. Verzeih, dass ich dir nicht eher geantwortet habe, aber die jüngsten Turbulenzen im Ministerium haben mir kaum Ruhe gelassen.

Ich habe den Fall gründlich untersuchen lassen, wie von dir erbeten. Es betrübt mich, dir nicht bessere Nachrichten schicken zu können, doch wir haben in diesem Moment keinerlei Anhaltspunkt, wohin es die Familie des jungen Jonathan Alditch verschlagen hat.

Für die Beteiligung einer Person aus magischen Kreisen an diesem verwunderlichen Fall gibt es derzeit keine verlässlichen Hinweise. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass sich das Fernbleiben des Jungen bald schon aufklären wird. Sei versichert, dass wir die zuständigen Muggelbehörden informiert haben.

Wie du sicher weißt, halten die andauernden Unruhen in London uns alle in Atem. Ich brauche jeden Angestellten der Strafverfolgungsbehörden hier, um dem dreisten Aufbegehren der Reinblüterfamilien Einhalt zu gebieten. Doch ich hörte vom Minister der Muggel, dass ihre Polizei einige interessante Möglichkeiten hat, die ihr helfen, Vermisste aufzuspüren. Ich setze mein volles Vertrauen darein, dass sie euren verschwundenen Schüler alsbald finden.

Sollte sich hier etwas Neues ergeben, informiere ich dich eulenwendend.

Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen

Eugenia Jenkins

Zaubereiministerin

 

Äußerlich war Minerva gefasst, als sie den feuchten Brief vor sich ablegte und die Eule am Schnabel kraulte, innerlich indes wirbelten ihre Gedanken durcheinander. Es ging nichts Gutes in der Welt vor sich, wenn ein muggelgeborener Erstklässler spurlos verschwand, kurz bevor er den Hogwartsexpress besteigen konnte. Und dass das Ministerium in der Sache so unbekümmert agierte, linderte ihre Sorgen kein bisschen.

Sie hatte den kleinen Jonathan nur wenige Tage nach dessen elftem Geburtstag kennengelernt, um ihm die größte Überraschung seines Lebens zu bereiten. Er war ein gewöhnlicher Junge aus einem verschlafenen Küstendorf im Süden Englands, der nichts von seiner magischen Gabe ahnte. Wie bei allen muggelgeborenen Kindern hatten seine Augen vor Begeisterung geglitzert, als sie mit einem Schlenker ihres Zauberstabs das feine Porzellan Purzelbäume schlagen ließ, der Beweis für ihre durchaus reale Magie.

Abgesehen von einem kurzen, überraschten Luftschnappen hatten die Eltern keine Anzeichen gemacht, dass sie Zauberei nicht gut hießen. Im Gegenteil, seine Mutter hatte aufgeregt verlangt, dass Minerva das Kunststück wiederholen sollte. Mit Augen so rund wie Murmeln hatte sie die Eierbecher angestarrt, die sich über den Esstisch jagten, ehe sie in begeistertes Lachen ausgebrochen war.

Andere Eltern nahmen die Nachricht nicht so gelassen auf. Manche glaubten, sie würden zum Narren gehalten oder suchten nach versteckten Schnüren, um den Zaubertrick aufzudecken. Aber noch nie hatte es eine Familie gegeben, die ihr Kind erfolgreich am Schulbesuch gehindert hatten. Umso bestürzender daher das Verschwinden dieses Jungen und seiner Eltern, offenbar nur Stunden, bevor das neue Schuljahr begann.

Für die Familie Alditch gab es schlichtweg keinen Grund, vor dem ersten Schultag ihres Sohns einfach so fortzugehen. Und doch war am 1. September ein Kind zu wenig in den Hogwartsexpress gestiegen.

Laut dem anliegenden Aurorenbericht wusste niemand, wohin sie verschwunden waren. Nicht einmal die neugierigen Nachbarn, die ihre Nasen zu gerne in anderer Leute Angelegenheiten steckten. Fakt war, dass ihr Haus vollkommen verlassen dalag. Alles machte den Anschein, dass sie gleich wieder zur Tür hineinkommen könnten.

Die völlige Ignoranz des Ministeriums in dieser Hinsicht war nur ein weiterer Beweis dafür, dass die Zaubereiministerin ihre Augen vor der Wirklichkeit verschloss. Minerva glaubte nicht daran, dass die Muggelpolizei auch nur einen Hinweis finden würde. Nein, das bleierne Gefühl in ihrem Magen sagte ihr, dass an dieser Geschichte mehr dran war.

So sehr sie Eugenia schätzte, seit sie gemeinsam im Ministerium gearbeitet hatten – die Zaubereministerin war viel zu eingenommen von den reinblütigen Zaubererfamilien, die sich jeden Tag neue Dreistigkeiten erlaubten. Die Titelseite des Tagespropheten war ebenso voll davon. Bereits den gesamten Sommer kannte das Land keine anderen Schlagzeilen mehr.

Unser Blut in Gefahr! Besorgte Reinblüter stürmen Ministersitzung‘ war bloß der heutige Aufmacher. Das Thema beherrschte seit Wochen das Ministerium, genauso wie die Reinblüter allerorts aufmarschierten, um gegen die Gesetzgebung zum ersten allgemeinen magischen Gleichstellungsgesetz zu demonstrieren. Alles Übrige hingegen blieb auf der Strecke.

Wollte man erfahren, was sonst Bedeutsames in der Welt geschah, musste man irgendwo im Mittelteil, zwischen den Anzeigen für gebrauchte Rennbesen und den hundert Gartentipps gegen Gnome suchen. Hin und wieder tauchten dort kurze Artikel auf, teils nur wenige Zeilen lang, die aufmerksamen Lesenden weit mehr über die tatsächliche Lage verrieten, als sich auf den ersten Blick annehmen ließ.

Zum Beispiel, dass eine Angestellte der Abteilung für Muggelangelegenheiten einen Unfall beim Besuch eines Quidditchspiels erlitt, da ein wildgewordener Klatscher plötzlich zielstrebig ins Publikum schoss und ihr eine schwere Gehirnerschütterung einbrachte. Bei all den Gefahren, die üblicherweise von diesen Bällen ausging, hatte Minerva in ihrer eigenen Quidditch-Karriere nie ein derartiges Verhalten bei einem Klatscher beobachtet.

Nach all den Protestmärschen der Reinblüter, die so besorgt um ihren Blutstatus waren, hinterließen dererlei Nachrichten bei ihr stets das unangenehme Gefühl, dass es sich mitnichten um einen Unfall handelte. Die Vermutung lag nahe, dass der Ball manipuliert worden war. Aber so wie die Dinge standen, ging niemand diesem Fall nach, solange die Demonstrationen das Ministerium beschäftigten.

Sollten Albus’ Befürchtungen stimmen – und der Schulleiter irrte selten – dann waren dunkle Kräfte auf dem Vormarsch, die über ein paar vorurteilsbeladene Hexen und Zauberer weit hinausgingen. Nur leider konnten sie sich offenbar nicht darauf verlassen, dass die Ministerin dies ebenso erkennen würde.

Unglücklich sah Minerva die Eule an, die wohlig ihre Augen geschlossen hatte und ihre Federn am Kaminfeuer trocknete. Ein Entschluss reifte in ihr heran. »Ich fürchte, du musst noch einmal raus, eine Botschaft für mich überbringen.«

Träge öffnete das Tier ein Auge und sah zu, wie sie einen frischen Bogen Pergament hervorzog. Vorsorglich sprang es weiter aus ihrer Reichweite und schuhute vorwurfsvoll.

Minerva seufzte mitfühlend und setzte die Feder auf das Blatt. Es war an der Zeit, einen gewissen Gefallen einzufordern. Sie hatte ihn schon länger nicht mehr gesehen, da ihrer beider Arbeit sie einspannte. Trotzdem wusste sie, dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Wenn es darauf ankam, hatte er immer ihren Rücken gedeckt und sie seinen. Egal ob Verfolgungsjagd, verdeckte Ermittlungen oder im Gerichtssaal.

Da die Ministerin ihre Sorgen nicht teilte, würde sie eben selber aktiv werden. Tatenlos zusehen kam jedenfalls nicht infrage. Doch egal, wie sehr es sie drängte, sie konnte nicht an Ort und Stelle losstürmen, um den verschwundenen Erstklässler zu suchen. Die anderen Zauberlehrlinge warteten darauf, morgen früh wieder von ihr unterrichtet zu werden. Das hinderte sie allerdings nicht daran, einen Weg zu schaffen.

Wenige Minuten später war die Nachricht an ihren alten Freund fertig, aufgerollt und hing am Bein der missgelaunten Eule. Elphinstone Urquart war Minerva nach eigener Aussage noch etwas schuldig, seit sie ihn kurz vor ihrem Weggang aus dem Ministerium davor bewahrt hatte, von einer Horde Niffler bis auf den letzten Knut ausgeraubt zu werden. In den knapp zehn Jahren seither hatte sie es tunlichst vermieden, diesen Gefallen einzulösen.

Vermutlich verlangte sie einiges von ihm, indem sie ihn darum bat, sich der Zaubereiministerin zu widersetzen und seine Position auszunutzen, um ihr bei der Suche nach dem Jungen zu helfen. Andererseits fand sie ohnehin nicht, dass er aufgrund des Vorfalls mit den Nifflern überhaupt in ihrer Schuld stand. Da er dennoch seit zehn Jahren darauf beharrte, musste er nun zu seinem Wort stehen.

Sie würde nicht eher ruhen, bis Jonathan Alditch vom sprechenden Hut in ein Haus eingeteilt worden war und zusammen mit den anderen Erstklässlern versuchte, Wingardium Leviosa richtig auszusprechen. Und wenn sie dafür sogar diesen Gefallen von ihrem einstigen Vorgesetzten aus der Strafverfolgungsbehörde einfordern musste. Für die Kinder, die ihr bisweilen wie ihre eigenen – die sie nicht hatte – vorkamen, würde sie alles tun.

Meckernd spazierte der Waldkauz über Minervas Tisch und pickte nach ihren Fingern, aufgebracht, weil sie ihn um sein verdientes Schläfchen am Kaminfeuer gebracht hatte. Zur Wiedergutmachung hielt sie der lustlosen Eule einen Keks hin, aber diese krächzte nur beleidigt.

»Mir gefällt das genauso wenig wie dir«, murmelte Minerva angesichts der Regentropfen, die hart gegen das Fenster schlugen. Dennoch trat sie seufzend hinüber und öffnete es wieder. Ein eisiger Windstoß fuhr in den Raum, löschte die letzte Glut im Kamin und ließ sie in Dunkelheit zurück, während die Eule lautlos in den Regen entschwand.

Minerva schlang die Arme enger um sich. »Merlin steh uns bei«, flüsterte sie.

Sie würden jede Hilfe gebrauchen können bei dem, was da kommen würde. Das fühlte sie in der Schwärze der Nacht emporkriechen. Etwas ging vor in der Zaubererwelt.



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