A Night in Roppongi von _Delacroix_ ================================================================================ Ring! Ring!   Langsam, aber sicher begann Kunzite dieses Geräusch zu hassen. Es war laut, es war schrill und es erklang zufälligerweise immer dann, wenn er der Einzige war, den er mit gutem Gewissen zur Tür beordern konnte. Er erlaubte sich einen sehnsüchtigen Blick auf den Fernseher, auf dem gerade das zweite Inning seines Baseballspiels begann, dann stapfte er zur Tür.   ‹Ring!›, erklang das lästige Geräusch gleich noch einmal, bevor er es schaffte, die Klinke herunter zu drücken und die Wohnungstür zu öffnen. Vor ihm stand, wie schon befürchtet, eine junge Frau. Langes, blondes Haar fiel ihr über die Schultern und verdeckte halb eine dunkelblaue Jeansjacke, die sie offen über einem kurzen, gelben Sommerkleid trug. «Es tut mir leid, aber Mamoru ist nicht da», beschloss er einfach mit der nützlichsten Information zu beginnen. Und tatsächlich erstarb das Lächeln auf ihren roséfarbenen Lippen. «Oh nein», jammerte sie, «Dann ist Bunny sicher auch schon wieder weg.» Kunzite nickte. Natürlich war Bunny auch schon wieder weg. Immerhin hatte sie mit Mamoru zum Sumidagawa Hanabi (1) gehen wollen. Es wäre seltsam gewesen, wäre er letztlich ohne sie aufgebrochen. «Na ganz toll», stöhnte der Störenfried, «Mit der U-Bahn hole ich die beiden nie ein.» Kunzite sagte nichts dazu. Am liebsten hätte er die Tür einfach wieder zu gemacht und sich wieder seinem Baseballspiel gewidmet. Immerhin kam es selten genug vor, dass er es schaffte über das Fernsehprogramm zu bestimmen, ohne das drei weitere Generäle und Mamoru ihm reinredeten. «Ich will aber die Gameshow sehen!», «Auf der 5 läuft Tennis.», «Wieso rennen die eigentlich alle im Kreis?» Er hatte so in ziemlich jeden dummen Spruch schon mal gehört. Und heute, wo sie ausnahmsweise alle mal aus dem Haus waren, da bekam er ... Das. Ein weiteres Mal musterte er das Mädchen, das unverfrorenerweise einfach das Handy aus der Handtasche fischte und eilig darauf herum zu tippen begann. «Ja klar», murrte es, «Jetzt geht mal nur nicht ran.» Wütend stopfte sie das Handy zurück, hob den Blick und funkelte ihn aus blauen Augen an. «Du hast nicht zufällig eine Notfallnummer zur Hand?», Kunzite schüttelte den Kopf. «Mamorus Notfallnummer ist seine Handynummer», informierte er sie, «Und ich glaube, wenn er nicht ran geht, möchte er gerade nicht gestört werden.» Die Blondine stemmte die Hände in die Hüften. «Nicht gestört werden», echote sie in einer Lautstärke, die den Nachbarn sicher missfallen würde, «Das ist ein Notfall! Da kann ich auf solche Sachen keine Rücksicht nehmen. Es kann doch wohl nicht angehen, dass wir einen Youma die halbe Stadt terrorisieren lassen, weil einfach keiner an sein gottverdammtes –» Kunzite räusperte sich und unterbrach so die viel zu laute Schimpftirade. «Magst du mir das mit dem Youma vielleicht auf der anderen Seite der Tür erklären?» Minako tigerte durch das Wohnzimmer, ignorierte dabei königlich den Fernseher, auf dem irgendeine Baseballübertragung flimmerte und schlug schließlich zur Untermalung ihres mentalen Zustands mit der geballten Faust auf den Tisch. Heißer Schmerz schoss durch ihre Hand, aber das überraschte Gesicht ihres Gegenübers war es wert. «Es ist wirklich unglaublich», echauffierte sie sich ein weiteres Mal und hätte möglicherweise auch noch eine Runde durch das Wohnzimmer gedreht, doch die Augen ihres Gesprächspartners lagen bereits auf ihr und streng genommen hatte sie für solche Eskapaden keine Zeit. Mit einem langen Seufzer ließ sie sich auf das Sofa fallen. «Also, es ist so», erzählte sie, während sie sorgsam ihre Beine übereinanderschlug. «Ich beobachte schon eine ganze Weile einen Klub in Roppongi. Da gibt es immer wieder Super-Special-Klub-Konzerte und irgendwie ist da was faul. Bekannte Instagramer und Blogger, die dort eingeladen waren, haben einfach so ihre Accounts geschlossen oder lassen sie schon seit Wochen brach liegen. Und andere versuchen seit Monaten an eine Karte zu kommen und sie finden ... Nichts ... Gar nichts. Das ist doch merkwürdig, oder? Es ist, als wollten die gar keine Gäste haben und trotzdem sind immer welche da. Aber ich habe mich umgehört und alle meine Quellen angezapft. Ich habe ... Okay, ich habe etwa eine Millionen dumme Kommentare unter irgendwelche Instagramstories gepostet. Aber ich weiß jetzt, dass heute Abend wieder so eine Party steigt und ich hatte sehr gehofft, Bunny würde mich dorthin begleiten.» Seufzend fischte sie ihr Handy aus der Handtasche und öffnete LINE (2) um zu schauen, ob ihre Freundin ihr geschrieben hatte. Natürlich nicht. Vielleicht hatte sie ihr Handy gar nicht mitgenommen, oder sie hörte es im Gedränge des Hanabis nicht. Wie auch immer, auf ihre Hilfe konnte sie sich heute wohl leider nicht verlassen. Genervt stopfte sie das Smartphone an seinen Platz zurück, blickte wieder auf und guckte direkt auf eine goldgelbe Dose YEBISU-Bier. «Trink», hörte sie ihr Gegenüber fordern und einen Augenblick lang war sie wirklich perplex. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit einer Dose Bier. Zögerlich griff sie nach dem Getränk. «Du weißt, dass ich noch keine zwanzig bin?», fragte sie und nahm einen tiefen Schluck. Der fruchtig-malzige Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus und als sie die Dose wieder absetzte, fühlte sie sich zumindest ein bisschen ruhiger. Misstrauisch blickte sie Kunzite an. «Ist es jetzt besser?», fragte er sie. Minako seufzte geschlagen. «Leidlich», entgegnete sie. Einen Moment lang hing sein Blick an ihren Lippen, dann ließ er sich in einen der Sessel sinken. «Hör zu», begann er, «Ich kann Bunny auch nicht erreichen und Mamoru wird wohl erst nach dem Feuerwerk zurückkommen. Aber wenn du diesen Klub kontrollieren willst, kann ich dir dabei helfen.» Minako sah ihn skeptisch an. «Du?», fragte sie. Er nickte. «Ich.» «Und wie genau stellst du dir das vor?» «Wie genau hast du dir denn die Unterstützung durch Bunny vorgestellt?» «Also das ist nützlich», urteilte das Mädchen, als er mit ihr in einer Seitengasse auftauchte. Kunzite sagte nichts dazu. Natürlich war es nützlich, wenn man einfach überall hin teleportieren konnte. So nützlich, dass Mamoru es eigentlich nicht so gerne sah. Aber Mamoru war am anderen Ende von Tokio und würde von diesem Ausflug wenn überhaupt, dann nur am Rande erfahren. Er musste sich also keine Sorgen machen. Zumindest nicht über diesen Punkt. Neben ihm zupfte sich das Mädchen sein Kleid zurecht. «Ich glaube, der Klub liegt ein Stück in dieser Richtung», erklärte es und zeigte auf die Hauptstraße, von der aus ihnen ein Schwall an Stimmen und Musik entgegen schlug. Kunzite bot ihr einen Arm an und schlug die angegebene Richtung ein. Roppongi um diese Uhrzeit war schon etwas Besonderes.   Auf der Straße war es taghell und mindestens genauso voll. Schaufenster reihte sich an Schaufenster und Neonreklame an Neonreklame. Hier warb ein Laden mit den besten Burgern in ganz Tokio, da gab es jeden Mittwoch Live-Vorstellungen von Wusste-der-Geier-was. Die Logos großer Marken wechselten sich mit Klubreklame ab, genauso wie sich die Grüppchen schwatzender Japaner mit plappernden Ausländern - vermutlich Amerikanern - abwechselten. «Kommen Sie doch zu uns. Hier gibt es die schönsten Mädchen!», schrie ein Mann mit einem Armvoll Flyern, während nur zwei Meter weiter ein anderer stolz Gratisgetränke für neue Kunden anpries. Seine Begleiterin rutschte etwas näher an ihn heran, während sie die Straße hinauf und wieder hinunter starrte. «Wow», murmelte sie, «Ich wusste, dass hier viel los sein soll, aber das ist wirklich eindrucksvoll.» Er nickte, während er sich bemühte, sie um eine Warteschlange vor einem Imbissstand herum zu manövrieren. Ein Unterfangen das auf der vollen Straße nicht ganz einfach war. Ein paar Männer warfen seiner Begleitung verstohlene Blicke zu. Vermutlich hätten sie ihn gerne abgelöst, doch noch trauten sie sich nicht näher an sie heran. «Pass auf deine Tasche auf», riet er einem Instinkt folgend und hielt auf die nächste Warteschlange zu. Irgendwo zu seiner Linken erklang ein recht eindeutiger Pfiff, während sich vor ihnen ein weiterer Lockvogel aufbaute. «Wie wäre es mit Salsa-Stunden, ihr zwei?», flötete er und drückte dem Mädchen prompt einen rosaroten Flyer in die Hand. Sie lächelte beflissen. «Vielleicht bei Gelegenheit!», versprach sie und stopfte den Zettel tatsächlich in ihr Täschchen. «Ziehst du das wirklich in Betracht?», fragte Kunzite neugierig, kaum das sie mit dem Verstauen fertig war. «Ja, nein, vielleicht. Das wird sich zeigen. Vermutlich kann ich die Stunden ohnehin nicht bezahlen.» Sie zuckte mit den Schultern und lächelte breit. «Was ist mit dir? Willst du zu den Stunden gehen?» Kunzite warf ihr einen überraschten Blick zu. «Ich? Was soll ich bitte in einem Salsa-Kurs?» Sie lachte. «Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: Salsa tanzen. Übrigens, ich glaube diese Schlange da, das ist unsere.» Kunzite steuerte brav das Ende ihrer Schlange an. Jede Menge hübsche Frauen und aufgestylte Männer standen vor ihnen. Gelegentlich machten sie einen oder zwei Schritte vorwärts. Dann standen sie wieder und ihr Gemurmel verlor sich in den Geräuschen Roppongis. Irgendwo dröhnten harte Techno-Beats, während aus der anderen Richtung sanftere Klänge zu kommen schienen. Immer wieder liefen die unterschiedlichsten Grüppchen an ihnen vorbei, während sie einfach nur dastanden und warteten.   «Gibst du mir die Karten?», fragte Kunzite, als sie dem Eingang langsam näher kamen, doch das Mädchen an seiner Seite verspannte sich zusehends. «Ja, also ... Weißt du ...», begann es zu drucksen. «Du kennst doch die kleine und unbedeutende Schwachstelle, die eigentlich jeder gute Plan hat?» Kunzite blickte sie skeptisch an. «Klein und unbedeutend?», wiederholte er. «Ich finde nicht, dass es klein und unbedeutend ist, wenn du keine Eintrittskarten hast.» Sie seufzte theatralisch. «Es waren halt nirgendwo welche zu kriegen. Mein ursprünglicher Plan war, dass Bunny und ich süß lächeln. Solche Läden leben davon, dass es bei ihnen süße Mädchen gibt. Wir sind süße Mädchen. Also lässt man uns rein. Aber keine Sorge. Ich habe mir schon etwas Neues überlegt. Ich bin immerhin die Göttin der Liebe.» Sie strahlte. «Ich werde den Kerl an der Tür so was von umhauen, dass er keine Fragen stellt. So was kann ich.» Sie fuhr sich mit den Händen durch die Haare und schürzte noch einmal die Lippen. «Verlass dich einfach nur auf mich.» «Hi, ich bin Minako», flötete sie, als sie endlich das Ende der Schlange erreichten und beugte sich mit einem naiven Lächeln dem Türsteher entgegen. Es war ein großer Kerl mit vielen Muskeln und einem unschönen blau-schwarzen Tattoo, das sich seitlich an seinen Hals nach unten zog und vermutlich eine Schlange darstellte. - Klischee! «Cooles Tattoo», behauptete sie trotzdem und zwirbelte ganz nebenbei eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. «Wie weit runter geht das denn?» Der Türsteher hob die Augenbrauen. «Ihre Karten bitte.» Minako lächelte etwas stärker. «Weißt du, Süßer, ich fürchte, da ist mir ein klitzekleines Missgeschick passiert. Ich bin nämlich ein ganz furchtbarer Tollpatsch und vorhin, als ich meinen Boba (3) trinken wollte, du weißt schon, mit so einem ganz großen Strohhalm ... Na ja, da bin ich wohl dummerweise gegen den Becher gekommen und hab die schönen Karten unter Wasser gesetzt. Ich hatte gehofft, du kannst vielleicht trotzdem etwas für uns tun.» Sie klapperte mit den Wimpern, wie sie es sonst nur zu tun pflegte, wenn sie wirklich dringend etwas wollte. Der Türsteher schüttelte den Kopf. «Keine Karten, kein Einlass», grollte er. Minako warf die Haare zurück und beugte sich noch ein bisschen weiter nach vorne, sehr bemüht ihrem unwilligen Opfer einen günstigen Blick auf ihr Dekolleté zu bieten. «Bist du dir da ganz sicher?», säuselte sie. Der Türsteher blickte sie perplex an. «Allerdings», entgegnete er. «Keine Karte, kein Einlass.» Minako blinzelte überrascht. Wenn sie diesen Move bei ihren Klassenkameraden nutzte, bekam sie normalerweise immer was sie wollte. War dieser Typ kaputt, oder erkannte er ihre Schönheit nicht? «Wirklich?», fragte sie, die Stimme vielleicht eine Nuance höher als geplant. Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt, wo sie es mit Weinen versuchen sollte. Krokodilstränen waren vielleicht nicht unwiderstehlich, aber doch ein Mittel, das die meisten Männer dazu brachte, von ihrem Standpunkt abzurücken. Manchmal funktionierten Tränen sogar bei ihrem Drachen von einer Mutter. Minako atmete tief durch und versuchte an etwas möglichst Trauriges zu denken. Hätte Bunny sie begleitet, sie hätte sicher sofort zu heulen beginnen können, doch jetzt musste sie es irgendwie alleine schaffen. Und sie durfte dabei nicht so aussehen, als würde sie das Ganze aus langer Hand planen. Ihre Gedanken schweiften zu ihrer letzten Mathearbeit. Zu der furchtbar schlechten Punktzahl und zu ihrer Mutter, die ihr ein weiteres Mal lautstark versichert hatte, dass sie ihr sicher keine teure Privatuniversität bezahlen würde, nur weil sie es nicht schaffte, ein paar einfache Zahlen zusammenzurechnen. Mühsam brachte sie ein Schniefen heraus, öffnete ihre Augen und blickte zu dem Türsteher, der bereits drauf und dran war, sich dem Nächsten zuzuwenden. «Aber, aber, aber ...», stammelte sie, vor ihrem inneren Auge nach wie vor den hässlichen roten Kringel mit der Zwölf darin. Auf Befehl loszuheulen war wirklich ganz schön schwierig. «I-Ich ...», schluchzte sie, da legte sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter. «Sie gehört zu mir.» Der Türsteher vor ihr sank in sich zusammen. «N-Natürlich, Sir», beeilte er sich, zu erwidern, bevor er zur Seite sprang und sich tief verneigte. «Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Sir.»   Minako zog die Stirn kraus. «Und was war das?», wollte sie wissen, kaum das sie den Türsteher hinter sich gelassen hatten und einen engen, dunklen Gang betraten, der in das Innere des Klubs zu führen schien. «Watanabe-kun.» Sie warf Kunzite einen skeptischen Blick zu. «Du kennst den Kerl?», fragte sie weiter. Diese unwichtige Information hätte er ihr vielleicht mal fünf Minuten früher geben können, dann hätte sie sich die Nummer mit den falschen Krokodilstränen gespart! Kunzite seinerseits zuckte mit den Schultern. «Flüchtig», gestand er. «Das hier muss eine seiner Nebentätigkeiten sein.» Vom Ende des Ganges schallte ihnen laute Musik entgegen und Minako beeilte sich, sich wieder an den Arm ihres Begleiters zu hängen. Wenn sie gleich in einem Saal voller tanzender Menschen landeten, wollte sie ihn nicht verlieren. «Denk dran», rief sie ihm über die Musik hinweg zu, «Wir suchen nach allem, was irgendwie verdächtig ist.» Dann trat sie durch einen schweren Samtvorhang und erstarrte.   Körper an Körper drängten sich die Menschen auf der Tanzfläche, bunte Lichter flackerten im Takt und eine schwüle Hitze umfing sie, als wären sie alte Freunde. Einen Moment lang war Kunzite versucht, sein Sakko auszuziehen, aber er wusste nicht, wohin damit und er wollte Minako nicht auffordern, seinen Arm wieder loszulassen. In dem Gedränge hätte er sie danach wahrscheinlich nicht wiedergefunden. Vorsichtig warf er ihr einen Blick zu, doch sie schien vollkommen gebannt von dem Spektakel auf der Tanzfläche zu sein. Vorhin in der Schlange, hatte es so geklungen, als wäre sie bereits öfter in Klubs gewesen. Allerdings hatte sie auch behauptet, sie kenne einen Weg am Türsteher vorbei. Und wie das ausgegangen war – Er musterte sie von der Seite. Vorstellen konnte er sich schon, dass der eine oder andere Türsteher für sie eine Ausnahme machte. Immerhin war sie tatsächlich eine hübsche junge Frau. Aber die Art, wie sie die Leute um sich herum anstarrte ... Vielleicht waren die Türsteher in dieser Stadt doch zuverlässiger, als er bislang angenommen hatte. Spontan beugte er sich zu Minako hinab. «Wenn wir im Eingang stehen bleiben, fallen wir unangenehm auf!», schrie er ihr entgegen. «Wir sollten auf die Tanzfläche gehen!» Das Mädchen nickte und ließ sich von ihm weiter in das Gedränge führen, bis sie eine Stelle am Rand der Fläche gefunden hatten, von der aus man sowohl die Bühne mit dem DJ-Pult als auch den Ausgang einsehen konnte. Die Lasershow ließ beides in allen Farben des Regenbogens leuchten, aber wenn dort etwas Ungewöhnliches passieren würde, würden sie es auf alle Fälle mitbekommen. Einen Moment lang konzentrierte sich Kunzite auf die Musik. Irgendeine Sängerin flötete auf Englisch, dass sie den Hörer hasste (4). Jedite hätte ihm dazu vermutlich einen Namen nennen können, aber für ihn war das Lied genauso nichtssagend wie alle anderen, die er heute schon zu hören bekommen hatte.   «Oh, ich liebe den Song», schrie ihm Minako entgegen und begann freudig im Takt auf und ab zu hüpfen. Er zuckte mit den Schultern und schloss sich an. Letztlich fiel man in einem Klub am wenigsten auf, wenn man entweder an der Bar versumpfte oder sich ins Gedränge stürzte und einfach versuchte mitzuhalten. Minako tanzte etwas näher an ihn heran, grinste und nutzte die Chance, sich mit einer eleganten Drehung einmal komplett umzusehen. Oder vielleicht drehte sie sich auch einfach nur, weil es gut aussah und ihre Tarnung stärkte. Da war Kunzite sich nicht sicher.   Die Beats aus den Lautsprechern wurden härter, die Lichter blitzten schneller, der Song dudelte auf seinen Höhepunkt zu. Ein Ellenbogen näherte sich seinen Rippen, doch er machte einen spontanen Schritt in Minakos Richtung und das verirrte Körperteil traf ins Leere. Jetzt passte zwischen sie kaum noch ein Blatt. «Ich glaub nicht, dass das so ein Song ist!», hörte er Minako rufen, dann lachte sie und er merkte, dass ihre gute Laune irgendwie ansteckend war. «Ich warte schon mal auf den nächsten!», rief er ihr zu, während die Beats langsam etwas leiser wurden. Es knallte und bunte Konfettistücke regneten auf sie hinab.   «Und jetzt einen großen Applaus für unsere Gastgeberin: Tsuchi-sama!» Minako klatschte zaghaft in die Hände. Applaus? Für die Gastgeberin? Das klang für sie nicht unbedingt nach einer typischen Klubtätigkeit, und wenn sie sich Kunzite so ansah, sah der das anscheinend ziemlich ähnlich. Zumindest machte er keine Anstalten der Aufforderung nachzukommen, die gerade eben aus den Lautsprechern gekommen war. Weißer Nebel hüllte die Bühne ein, waberte von dort aus in das Publikum, und als er sich wieder lichtete, offenbarte er eine gertenschlanke Frau in einem langen lilafarbenen Abendkleid. Sie winkte in die Menge. «Ich freue mich sehr, dass ihr meiner Einladung so zahlreich gefolgt seid», hauchte sie in ein Mikrofon, das ihre Stimme prompt im ganzen Saal erklingen ließ. «Und es freut mich noch mehr, dass ihr mir all eure Energie mitgebracht habt.» Sie lachte, während die Menschen in der ersten Reihe in sich zusammensackten. Minako blickte zu Kunzite und der blickte ungläubig zurück. «Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, wir sind in einem von Jedites dummen Plänen gelandet», murrte er. Dann schob er sich an ihr vorbei. «He, du!», rief er über die Köpfe der umfallenden Leute hinweg, «Hat dir noch keiner gesagt, dass Massenenergieentzug aus der Mode ist?» «Nicht nur Massenenergieentzug!», ergänzte Minako, während sie hinter ihm verschwand. Eine Toilettenkabine oder eine andere dunkle Ecke wäre ihr zwar eigentlich lieber gewesen, aber in der Not fraß der Teufel Fliegen und verwandelte sich halt auch schon mal hinter dem breiten Kreuz eines Verbündeten, der hoffentlich nicht gerade jetzt auf die Idee kam, einen Schritt zur Seite machen zu wollen.   "Macht des Venuskristalls, verwandle mich!", rief sie und spürte, wie ihr Körper in gleißendes Licht getaucht wurde. Für einen Augenblick fühlte sie sich stärker, schlauer, ja sogar hübscher als normal. Dann verschwand das Licht und ließ sie in ihrem Kampfoutfit zurück. «Menschen gehen in Nachtklubs um eine neue Liebe zu finden!», rief sie und machte einen Schritt hinter Kunzite hervor, der sich das Recht heraus nahm, ihr einen skeptischen Blick zu schenken, «Das du dieses Ritual störst, ist unverzeihlich! Ich bin Sailor Venus und im Namen der Liebe werde ich dich bestrafen.» «Ich glaube, dass das Prinzip eines Nachtklubs eigentlich ein anderes ist», raunte Kunzite, während Tsuchi-sama sie beide skeptisch musterte. «Deine Ansage war auch etwas verbesserungswürdig», schoss Minako zurück. Und überhaupt, sollte er sich doch mal einen klugen, witzigen und wahren Kampfspruch überlegen, während er damit beschäftigt war, sein Kampfoutfit ungesehen an den Körper zu bekommen. «Ich weiß nicht, wer ihr seid, aber ich bin sicher, ihr wart nicht eingeladen», erklang die melodische Stimme ihres Gegners aus den Lautsprechern, «Und deshalb werde ich euch jetzt leider vernichten müssen!» Die Nebelmaschine röhrte auf, neue Schwaden stiegen auf und ließen die Frau in einer undurchsichtigen weiß-grauen Wand verschwinden. Minako seufzte. «Einmal möchte ich es erleben, dass der Fiesling sich einfach entschuldigt und die Energie zurückgibt ohne vorher zu versuchen uns umzubringen», murrte sie. Kunzite zuckte mit den Schultern. «Wärst du an ihrer Stelle, würdest du auch nicht einfach so klein bei geben», erinnerte er sie. Sie nickte. Leider war da etwas dran. «Schon gut», entgegnete sie, «Ich schlage vor, wir kümmern uns erst einmal um den Nebel.» Sie zwinkerte Kunzite zu, dann ging sie in Kampfposition. «Venus! Macht der Herzen, siegt!», befahl sie und schleuderte ein leuchtendes Herz dahin, wo sie eben noch die Nebelmaschine gesehen zu haben glaubte. Das Gerät machte ein ratterndes Geräusch, dann verstummte es so schnell, wie es begonnen hatte. Minako warf Kunzite einen triumphierenden Blick zu. «Eins zu null für die Guten», jubilierte sie. Er schenkte ihr ein dünnes Lächeln. «Ich fürchte, das dürfte die Dame anders sehen. Es dauerte einen Augenblick, bis Sailor Venus seinen Fingerzeig verstand und den Blick in den sich langsam lichtenden Nebel richtete. Um ihren Gegner komplett zu sehen, war die Suppe immer noch zu dick, doch selbst ein ungeübtes Auge sollte erkennen können, dass das vor ihnen nicht die Silhouette einer ganz normalen Frau war. Dafür hatte sie einfach zu viele Arme. Einem Instinkt folgend, beschwor Kunzite seine Klingen herauf. Was auch immer das für ein Youma war, er glaubte nicht daran, dass er friedlich den Rückzug antreten würde. Auf der Bühne richtete sich ihr Gegner weiter auf. Beobachtete sie lauernd. Sailor Venus hob erneut den Arm. «Venus!», begann sie, kam aber nicht weiter, denn plötzlich surrte etwas durch die Luft. Sie machte einen Satz zurück und landete direkt vor einem eklig grünen Klumpen, der sich mit beachtlicher Geschwindigkeit in den Boden ätzte. «Es ist unhöflich fremder Leute Attacken zu unterbrechen!», beschwerte sich Venus, doch ihr Blick sagte mehr als tausend Worte. Kunzite schüttelte den Kopf. Ihre Bemühungen mochten gut gemeint sein, an ihrer Kampfstrategie konnte Venus seiner Meinung nach aber ruhig noch etwas feilen. «Lass mich mal», mischte er sich ein weiteres Mal ein, machte lässig einen Schritt nach vorne und tauchte auch schon auf der anderen Seite der Bühne wieder auf. Routiniert warf er seine Klinge, wartete nicht, bis er sie einschlagen sah, sondern teleportierte sich gleich weiter hinein in den weißen Nebel. Der Youma mochte ihn als Deckung erschaffen haben, doch dieses Spiel konnte man auch zu zweit spielen. Er schloss die Augen und lauschte. Ein vertrautes Surren erklang, als seine Klinge in seine Hand zurückkehrte, aber den Feind hörte er noch nicht. Er machte einen weiteren Schritt, teleportierte noch einmal und lauschte erneut.   Da zu seiner Linken. Das Geräusch von Füßen auf dem Boden. Er lauschte. Zwei, drei, vier? Konnte das sein? Hatte ihr Feind wirklich vier Beine? Genau wie ein – «IHHHH!», erklang es und riss ihn aus seiner Konzentration. Das war Venus! Erneut teleportierte er, dieses Mal nach oben, dann sah er zu seiner persönlichen Erleichterung, wie Venus eiligen Schrittes auf die Bühne zuhielt. Sie sprang und landete sicher vor einer der riesigen Lautsprecherboxen. «Ich hasse Spinnen!», hörte er sie schimpfen, dann glitt sein Blick zu ihrem Gegner zurück.   Von hier konnte er Tsuchi sehen, die wirklich nichts mehr mit der Dame von vorhin gemeinsam hatte. Er hatte richtig gezählt. Vier dicke, haarige Beine ragten unter ihrem lilafarbenen Körper hervor, während vier genauso haarige Arme sich wütend in Venus Richtung hoben. Tsuchi zog den Kopf zurück, sah einen Moment lang aus wie ein Lama, dann spuckte sie und ein neuer, grüner Schleimball flog in Venus Richtung. Die machte einen Satz nach vorne, um der ätzenden Masse auszuweichen, rollte sich elegant ab und kam wieder auf die Füße. «Daneben!», hörte er sie rufen. Kunzite hob erneut seine Waffen an, zielte dieses Mal genauer und ließ beide Klingen auf ihren Feind hinab sausen. Die Spinne sah die Klingen kommen, spuckte ein weiteres Mal, offensichtlich hoffend, sie so aufzuhalten, doch diese Taktik hatte bei ihm noch nie funktioniert. Während die erste Klinge gefährlich zischend in dem grünen Schleim verschwand, surrte die Zweite fast komplett ungestört hinterher. Tsuchi stieß einen entsetzten Schrei aus, als seine Klinge sich in einen ihrer Arme bohrte. Damit hatte sie scheinbar nicht gerechnet. Eklig grünes Blut trat aus der Wunde und floss an ihr herab. «Igitt», entfuhr es Kunzite. «Guter Wurf», hörte er Venus von unten, bevor sie ein weiteres Mal ihr goldenes Herz beschwor Ihre Attacke schlug frontal in den Youma ein, hüllte ihn vollständig in goldenes Licht und brachte ihn ein weiteres Mal zum Schreien. Doch als es verblasste, musste Minako feststellen, dass das scheinbar nicht genug gewesen war. Der Feind war verletzt, doch immer noch auf den Beinen. «Ihr verdammten Ratten!», fauchte er und spuckte ein weiteres Mal eine ätzende, giftgrüne Kugel aus. Kunzite schien das herzlich egal zu sein, denn der war schon längst wieder teleportiert, als das Gebilde auf die Oberseite eines Lautsprechers klatschte. «Dieser Youma ist wirklich eine Nummer für sich», hörte Minako ihn neben sich feststellen und sie kam nicht umhin, ihm zuzustimmen. «Ich dachte wirklich mit der letzten Attacke hätten wir ihn erwischt.» Er nickte. «Das dachte ich allerdings auch.» «Und jetzt?» Kunzite warf ihr einen langen Blick zu. «Versuchen wir’s noch mal.» Minako zwang sich zu einem Lächeln. «Ist das deine Standardlösung, wenn etwas nicht funktioniert?», stichelte sie. Er zuckte mit den Schultern. «Hat sich in der Vergangenheit bewährt», verteidigte er sein Tun. «Na gut», stimmte sie ihm zu, «Versuchen wir es halt noch mal. Aber dieses Mal, machen wir’s zusammen.» «Verstehe», entgegnete Kunzite knapp, «Jetzt mischen wir deine Standardlösung also auch mit rein.» Sie lächelte stur weiter. «Die hat sich eben auch bewährt.» Er entgegnete nichts und Minako nutzte die Chance, sich ein weiteres Mal in Kampfposition zu begeben. «Venus!», rief sie ihren Schutzplaneten an, während ihr Begleiter ein weiteres Mal seine Energieklingen heraufbeschwor. Die weißen Klingen sausten durch die Luft, genau in dem Moment, wo sie ihre Formel zu Ende brachte und ein großes, goldenes Herz in Richtung Tsuchi schoss.   Einen Augenblick lang leuchtete der ganze Klub in einem warmen Weißgold, dann verblasste die Farbe und der Youma war verschwunden. Erleichtert atmete Minako auf. «Haben wir ihn?», fragte sie vorsichtig, doch als niemand Einspruch erhob, begann sie begeistert auf und ab zu hüpfen. «Ich glaub, wir haben ihn!», jubelte sie. «Wir haben ihn», stimmte Kunzite zu und ließ sich sogar dazu herab, ihr fröhliches High-Five zu erwidern.   «Was wird jetzt aus den ganzen Leuten?», fragte Minako, kaum das sie sich wieder zurückverwandelt und einen Blick auf die ohnmächtigen Klubgäste geworfen hatte. Kunzite zuckte mit den Schultern. «Sie werden in ein paar Minuten wieder zu sich kommen», erklärte er ihr. «Bist du sicher?», fragte sie zurück. Zwar war es in ihrer ganzen Zeit als Sailor Kriegerin immer so gewesen, doch ein neuer Feind bedeutete stets auch neue Überraschungen und nicht alle von ihnen waren positiver Natur. Kunzite nickte. «Bin ich», versicherte er ihr, «Ihr Energieniveau ist bereits am Steigen. Bald werden die Ersten aufwachen, glauben, sie hätten zu viel Nebel eingeatmet und dann werden sie die nächsten drei Monate diskutieren, ob so eine Nebelmaschine wirklich in einen Tanzklub gehört. Ich denke, wir sollten uns verabschieden. Die Party ist für heute ohnehin vorbei.» «Schade eigentlich», befand Minako, während sie nach seinem Arm griff, «Bis dieser Youma durchgedreht ist, fand ich sie eigentlich ganz nett.»   Sie schloss die Augen, eigentlich darauf gefasst, dass Kunzite sie zurück in Mamorus Wohnung teleportieren würde, doch als sie sie wieder öffnete, standen sie immer noch auf der Bühne des Tanzklubs. «Sag mal», fragte ihr Begleiter, «Warst du eigentlich schon mal im V2?» Minako legte den Kopf schief. «Das V2 im Roi-Building? Das soll doch so furchtbar teuer sein.» Kunzite schüttelte den Kopf. «Zoisite kommt da immer gratis (5) rein. Und wenn du noch tanzen möchtest ...» «Aww», quietschte sie, » Heißt das, du lädst du mich gerade zum Tanzen ein?» Er lächelte dünn. «Wenn’s nur nach mir ginge, könnten wir auch in die Sports Bar gehen.» Eilig schüttelte sie den Kopf. «Nein, nein», wiegelte sie ab, «Das V2 klingt toll. Also jedenfalls wenn sie uns da reinlassen.» «Keine Sorge, ich kenne da wen, der wird im Zweifel schon ein Auge zudrücken.» «Du kennst hier wirklich überraschend viele Leute», bemerkte Minako spitz, «Hat der Kerl auch eine Yakuza-Schlange am Hals?» «So weit ich weiß, hat er nur einen Tiger auf dem Rücken.»   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)